Christina Welsch Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf die strategische Früherkennung von Unternehmenskrisen
...
45 downloads
1775 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Christina Welsch Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf die strategische Früherkennung von Unternehmenskrisen
GABLER RESEARCH Schriften zum europäischen Management Herausgegeben von Roland Berger Strategy Consultants – Academic Network
Herausgeberrat: Prof. Dr. Thomas Bieger, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Rolf Caspers (†), European Business School, Oestrich-Winkel; Prof. Dr. Guido Eilenberger, Universität Rostock; Prof. Dr. Dr. Werner Gocht (†), RWTH Aachen; Prof. Dr. Karl-Werner Hansmann, Universität Hamburg; Prof. Dr. Alfred Kötzle, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder; Prof. Dr. Kurt Reding, Universität Kassel; Prof. Dr. Dr. Karl-Ulrich Rudolph, Universität Witten-Herdecke; Prof. Dr. Klaus Spremann, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Dodo zu Knyphausen-Aufseß, Technische Universität Berlin; Prof. Dr. Burkhard Schwenker, Roland Berger Strategy Consultants
Die Reihe wendet sich an Studenten sowie Praktiker und leistet wissenschaftliche Beiträge zur ökonomischen Forschung im europäischen Kontext.
Christina Welsch
Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf die strategische Früherkennung von Unternehmenskrisen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Ulrich Krystek
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität Berlin, 2009 D 83
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Sabine Schöller Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2179-6
V
Geleitwort Obwohl die Bedeutung strategischer Früherkennung theoretisch unumstritten ist, liegt die Anwendung strategischer Früherkennungssysteme in der Praxis noch weit dahinter zurück. Dies bedeutet jedoch nicht, dass strategische Früherkennung in vielen Unternehmen gar nicht stattfindet. Ohne systemische und instrumentelle Unterstützung liegt die Aufgabe der frühzeitigen Wahrnehmung und Interpretation schwacher Signale vielmehr in der Verantwortung der einzelnen Organisationsmitglieder. Zum tieferen Verständnis, warum existenzbedrohende Entwicklungen trotzdem oft zu spät erkannt werden, erscheint es notwendig, den Organisationsmitgliedern mit ihren Fähigkeiten, Erfahrungen, Motiven und kognitive Grenzen sowie dem Organisationskontext größere Aufmerksamkeit als bisher zukommen zu lassen. In der vorliegenden Arbeit stehen daher in der Forschung zu Unternehmenskrisen bislang kaum betrachtete verhaltenswissenschaftliche Aspekte der strategischen Früherkennung im Mittelpunkt. Mit dieser Perspektive gelingt es Frau Welsch, gänzlich neue Erkenntnisse im Hinblick auf die Frage zu gewinnen, warum gerade mittelständisch geprägte Großunternehmen latente Krisen so schwer erkennen und existenzbedrohenden Situationen nicht rechtzeitig entgegenwirken. Als theoretische Basis dient ihr dazu das im evolutionstheoretischen Population Ecology-Ansatz diskutierte Konzept der organisationalen Trägheit. Da die bisherige Forschung zu organisationaler Trägheit jedoch nicht aufzeigt, woran Unternehmen mit hohen Trägheitskräften zu erkennen sind, erweitert und konkretisiert die Verfasserin die bisherigen Forschungsarbeiten zu diesem Thema ganz wesentlich. Mit einem von ihr entwickelten Modell aus elf Merkmalen operationalisiert sie organisationale Trägheit und macht unter anderem mithilfe von Erkenntnissen aus Organisationstheorie, Evolutionstheorie, Soziologie und Psychologie transparent, bei welchen spezifischen Ausprägungen diese Merkmale die Entwicklung von Trägheitskräften begünstigen. Für jede Merkmalsausprägung werden die Wirkungszusammenhänge zu strategischer Früherkennung analysiert und es wird detailliert aufgezeigt, wie solche Ausprägungen die Wahrnehmung von schwachen Signalen und die Reaktion in latenten Krisensituationen beeinflussen. Dies allein erweitert den bisherigen Horizont der diesbezüglichen Forschungen ganz entscheidend. Ein zusätzlicher Verdienst dieser Arbeit besteht darin, dass sie nicht auf der theoretischen Ebene verharrt. Vielmehr werden die erarbeiteten Zusammenhänge zwischen organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung anhand von drei verglei-
6 VI
Geleitwort
chenden, detaillierten Fallstudien eingehend auf ihre Relevanz im realen Kontext untersucht. Zudem wird skizziert, wie die tatsächliche Reflexion organisationaler Trägheit in Unternehmen aussehen könnte. Mit ihrem Merkmalsmodell gelingt es Frau Welsch nicht nur, Trägheitskräfte in Unternehmen transparent zu machen und Ansatzpunkte zur Erhöhung der Veränderungsfähigkeit aufzuzeigen. Durch den neuen interdisziplinären Untersuchungsfokus liefert sie darüber hinaus innovative Einblicke in die Hintergründe der noch zu geringen praktischen Umsetzung strategischer Früherkennung. Damit wird zugleich eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass die verhaltenswissenschaftliche Perspektive neue Erklärungen zur Erforschung von Unternehmenskrisen beisteuern kann. Ausführungen und Erkenntnisse der vorgelegten Arbeit motivieren somit, die bisherige technisch-konzeptionelle Betrachtung strategischer Früherkennung zu erweitern und verhaltenswissenschaftliche Aspekte auch in andere Bereiche der Krisenforschung zum Erkenntnisgewinn einzubringen. Die angesichts der gegenwärtigen Krisenerscheinungen höchst aktuelle Thematik der Arbeit lenkt in ihrer vorbildlichen Darstellung die Aufmerksamkeit auch auf zukünftig mögliche Krisen und gibt wichtige Hinweise zu deren Früherkennung. Mit solchen herausragenden Vorzügen empfiehlt sich die vorgelegte Arbeit einem breiten Leserkreis aus der Praxis und dürfte wesentlich dazu beitragen, die Potenziale der strategischen Früherkennung in Unternehmen besser zu nutzen. Für Forscher gibt sie Anlass, bisherige Ansätze zu überdenken und die Erkenntnisse von Frau Welsch zu integrieren.
Prof. Dr. Ulrich Krystek
VII
Vorwort In meiner Arbeit in Krisenunternehmen habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass einzelne Mitarbeiter der betroffenen Unternehmen frühzeitig Anzeichen für die Krisenentwicklung gesehen haben. Mich hat daher neben den alltäglichen Herausforderungen der Sanierung seit Jahren die Frage beschäftigt, warum diese frühen Anzeichen, wenn sie erkannt werden, nicht entsprechend kommuniziert und verarbeitet werden, um rechtzeitig existenzbedrohenden Entwicklungen entgegenzuwirken. Da in diesen Unternehmen die in der Literatur viel diskutierten Systeme strategischer Früherkennung meist nicht vorhanden waren, standen für mich die individuellen und kollektiven Barrieren zur Aufnahme schwacher Signale im Mittelpunkt. Mit der Konkretisierung der bisherigen Erkenntnisse zu organisationaler Trägheit und der Zusammenführung dieser Erkenntnisse mit der strategischen Krisenfrüherkennung wollte ich neue Wirkungszusammenhänge aufzeigen, warum Krisen oft so spät erkannt werden oder bis zur Einleitung von Gegenmaßnahmen so viel Zeit ungenutzt verstreicht. Auf diesem Weg der Erkundung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung habe ich vielfältige Unterstützung erhalten, für die ich mich ganz herzlich bedanken möchte. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Krystek für seine große Offenheit gegenüber verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen im Rahmen der Krisenforschung, seine wissenschaftliche Betreuung und die wertvollen Anregungen und Ratschläge in der Erstellung dieser Arbeit. Herrn Prof. Dr. Eckart Zwicker danke ich für die freundliche Übernahme des Zweitgutachtens. Außerdem danke ich Herrn Dipl.-Ing. Marko Reimer vom Lehrgebiet Strategisches Controlling an der Technischen Universität Berlin für den Gedankenaustausch und die organisatorische Unterstützung. Ein herzliches Dankeschön gilt meinen Interviewpartnern, die aus Gründen der Diskretion nicht namentlich genannt sind. Ohne ihre Kooperationsbereitschaft und Offenheit, den Krisenverlauf, das eigene Verhalten sowie das Verhalten von Kollegen, Vorgesetzten und Kunden kritisch zu reflektieren, wäre die Spiegelung der gewonnenen theoretischen Erkenntnisse im realen Kontext nicht möglich gewesen. Meinem ehemaligen Arbeitgeber Roland Berger Strategy Consultants danke ich für die vielen interessanten Erfahrungen in Krisen- und Sanierungssituationen, die ich in den Jahren meiner Tätigkeit im Competence Center Corporate Performance sammeln durfte und die Grundlage dieser Arbeit waren. Speziell danken möchte ich mei-
8 VIII
Vorwort
nen Mentoren Dr. Ralf Moldenhauer und Uwe Johnen, die mich in meiner beruflichen Entwicklung stets gefördert und mir die Umsetzung dieses Promotionsvorhabens ermöglicht haben. Meinen engen Freunden möchte ich für die Begleitung dieses Projektes, ihre Ratschläge und ihr Verständnis danken. Mein ganz besonderer Dank gilt dabei Dr. Nicolai Gerstner und Dr. Andreas Rasche für ihre unermüdliche kritische und konstruktive Diskussion meiner Gedanken und die Durchsicht des Manuskriptes. Außerdem danke ich Mareike Lueg und Dr. Mathias Hain für ihre sehr wertvollen Anregungen. Mein größter Dank, nicht nur im Zusammenhang mit dieser Dissertation, gilt meiner Familie. Meinem Bruder Sebastian Welsch, vor allem aber meinen Eltern Erika und Josef Welsch, die mich in meinem Leben stets uneingeschränkt unterstützt haben und denen ich diese Arbeit daher in großer Dankbarkeit widme.
Christina Welsch
IX
Inhaltsübersicht INHALTSÜBERSICHT .................................................................................. IX INHALTSVERZEICHNIS ................................................................................ XI ABBILDUNGSVERZEICHNIS ........................................................................ XV TABELLENVERZEICHNIS ........................................................................... XVI ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ..................................................................... XVII 1
KONTEXT, ZIELSETZUNG UND AUFBAU DER ARBEIT ................................1
1.1 Früherkennung sichert Handlungsspielräume in dynamischer Umwelt ..... 1 1.2 Problemstellung, Zielsetzung und Methodik der Arbeit................................ 4 1.3 Untersuchungsobjekt mittelständisch geprägte Großunternehmen ........... 8 1.4 Aufbau der Arbeit ........................................................................................... 11
2
UNTERNEHMENSKRISEN UND IHRE FRÜHERKENNUNG ............................15
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise .............................................................. 15 2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen ................................................... 31 2.3 Fazit: Strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen .......................................................................................... 56
3
ORGANISATIONALE TRÄGHEIT.............................................................59
3.1 Überblick Konzepte organisationaler Trägheit ............................................ 59 3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz ........................... 63 3.3 Fazit: Kritische Würdigung organisationaler Trägheit im Population Ecology-Ansatz............................................................................................... 82
4
MERKMALE VON TRÄGEN UNTERNEHMEN UND DIE WIRKUNG AUF STRATEGISCHE FRÜHERKENNUNG .......................................................89
4.1 Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung ........................................ 89 4.2 Merkmale träger Unternehmen...................................................................... 96 4.3 Fazit: Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf strategische Früherkennung ............................................................................................. 164
10 X
5
Inhaltsübersicht
EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG ORGANISATIONALER TRÄGHEIT UND STRATEGISCHER FRÜHERKENNUNG ...................................................167
5.1 Forschungsmethodik ................................................................................... 167 5.2 Fallstudie A ................................................................................................... 179 5.3 Fallstudie B ................................................................................................... 198 5.4 Fallstudie C ................................................................................................... 214 5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung .............................................. 231
6
REFLEXION ORGANISATIONALER TRÄGHEIT UND AUSBLICK .................247
6.1 Reflexion organisationaler Trägheit in Unternehmen ............................... 247 6.2 Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................ 252 6.3 Ausblick und weiterer Forschungsbedarf .................................................. 256
LITERATURVERZEICHNIS ..........................................................................261 ANHANG ................................................................................................293
XI
Inhaltsverzeichnis 1
KONTEXT, ZIELSETZUNG UND AUFBAU DER ARBEIT ................................1
1.1 Früherkennung sichert Handlungsspielräume in dynamischer Umwelt ..... 1 1.2 Problemstellung, Zielsetzung und Methodik der Arbeit................................ 4 1.2.1 Problemstellung ....................................................................................... 4 1.2.2 Zielsetzung .............................................................................................. 5 1.2.3 Wissenschaftliche Einordnung und Methodik .......................................... 6 1.3 Untersuchungsobjekt mittelständisch geprägte Großunternehmen ........... 8 1.4 Aufbau der Arbeit ........................................................................................... 11
2
UNTERNEHMENSKRISEN UND IHRE FRÜHERKENNUNG ............................15
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise .............................................................. 15 2.1.1 Begriffsbildung und Eigenschaften von Unternehmenskrisen................ 15 2.1.2 Überblick der Forschung zu Unternehmenskrisen ................................. 18 2.1.2.1 Verlauf von Unternehmenskrisen ............................................. 18 2.1.2.2 Ursachen von Unternehmenskrisen ......................................... 22 2.1.2.3 Wirkungen von Unternehmenskrisen........................................ 25 2.1.2.4 Bewältigung von Unternehmenskrisen ..................................... 27 2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen ................................................... 31 2.2.1 Begriffliche Abgrenzung und Grundlagen der Früherkennung............... 31 2.2.2 Operative Früherkennung ...................................................................... 34 2.2.3 Strategische Früherkennung.................................................................. 38 2.2.3.1 Das Konzept der "Schwachen Signale" und die Diffusionstheorie....................................................................... 39 2.2.3.2 Praktische Ansätze der strategischen Früherkennung ............. 44 2.2.3.3 Kritische Würdigung der Ansätze zur strategischen Früherkennung ......................................................................... 51 2.3 Fazit: Strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen .......................................................................................... 56
3
ORGANISATIONALE TRÄGHEIT.............................................................59
3.1 Überblick Konzepte organisationaler Trägheit ............................................ 59 3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz ........................... 63 3.2.1 Einordnung von Population Ecology in evolutionstheoretische Ansätze 63 3.2.2 Grundkonzeption des Population Ecology-Ansatzes ............................. 65 3.2.3 Neue Entwicklungen des Population Ecology-Ansatzes ........................ 67 3.2.4 Arten organisationaler Trägheit.............................................................. 71 3.2.5 Ursachen organisationaler Trägheit ....................................................... 73 3.2.6 Einflussfaktoren und Wirkungen organisationaler Trägheit.................... 75
12 XII
Inhaltsverzeichnis
3.3 Fazit: Kritische Würdigung organisationaler Trägheit im Population Ecology-Ansatz............................................................................................... 82
4
MERKMALE VON TRÄGEN UNTERNEHMEN UND DIE WIRKUNG AUF STRATEGISCHE FRÜHERKENNUNG .......................................................89
4.1 Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung ........................................ 89 4.1.1 Wahrnehmung und Handlung auf Ebene des Individuums .................... 89 4.1.2 Wahrnehmung und Handlung auf Ebene der Organisation ................... 94 4.2 Merkmale träger Unternehmen...................................................................... 96 4.2.1 Klassifizierung der Merkmale träger Unternehmen................................ 96 4.2.2 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale.................................. 99 4.2.2.1 Entscheidungsstrukturen .......................................................... 99 4.2.2.2 Komplexität von Strukturen und Prozessen............................ 106 4.2.2.3 Eigentumsverhältnisse ........................................................... 113 4.2.2.4 Investitionen ........................................................................... 120 4.2.2.5 Veränderungserfahrung.......................................................... 124 4.2.3 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale .......................... 130 4.2.3.1 Kontinuität des Top-Managements......................................... 130 4.2.3.2 Führungsstil............................................................................ 136 4.2.3.3 Anreizsystem.......................................................................... 142 4.2.3.4 Kommunikationskultur ............................................................ 148 4.2.4 Unternehmensexterne Merkmale......................................................... 154 4.2.4.1 Wettbewerbsintensität ............................................................ 154 4.2.4.2 Umweltdynamik ...................................................................... 159 4.3 Fazit: Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf strategische Früherkennung ............................................................................................. 164
5
EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG ORGANISATIONALER TRÄGHEIT UND STRATEGISCHER FRÜHERKENNUNG ...................................................167
5.1 Forschungsmethodik ................................................................................... 167 5.1.1 Anwendungsbereiche der Fallstudienforschung .................................. 167 5.1.2 Vorgehen in der Fallstudienforschung ................................................. 169 5.1.3 Qualität des Forschungsdesigns.......................................................... 176 5.2 Fallstudie A ................................................................................................... 179 5.2.1 Ausgangssituation ............................................................................... 179 5.2.2 Krisenverlauf, Krisenursachen und Krisenfrüherkennung .................... 181 5.2.3 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale................................ 184 5.2.4 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale .......................... 191 5.2.5 Unternehmensexterne Merkmale......................................................... 194 5.2.6 Zusammenfassung .............................................................................. 196 5.3 Fallstudie B ................................................................................................... 198 5.3.1 Ausgangssituation ............................................................................... 198 5.3.2 Krisenverlauf, Krisenursachen und Krisenfrüherkennung .................... 199 5.3.3 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale................................ 203
Inhaltsverzeichnis
XIII
5.3.4 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale .......................... 208 5.3.5 Unternehmensexterne Merkmale......................................................... 211 5.3.6 Zusammenfassung .............................................................................. 213 5.4 Fallstudie C ................................................................................................... 214 5.4.1 Ausgangssituation ............................................................................... 214 5.4.2 Krisenverlauf, Krisenursachen und Krisenfrüherkennung .................... 215 5.4.3 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale................................ 219 5.4.4 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale .......................... 224 5.4.5 Unternehmensexterne Merkmale......................................................... 228 5.4.6 Zusammenfassung .............................................................................. 229 5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung .............................................. 231 5.5.1 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale................................ 231 5.5.2 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale .......................... 237 5.5.3 Unternehmensexterne Merkmale......................................................... 241 5.5.4 Abschließende Betrachtungen............................................................. 243
6
REFLEXION ORGANISATIONALER TRÄGHEIT UND AUSBLICK .................247
6.1 Reflexion organisationaler Trägheit in Unternehmen ............................... 247 6.2 Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................ 252 6.3 Ausblick und weiterer Forschungsbedarf .................................................. 256
LITERATURVERZEICHNIS ..........................................................................261 ANHANG ................................................................................................293
XV
Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15:
Aufbau der Arbeit..................................................................................... 12 Krisenverlaufsmodelle nach MÜLLER und KRYSTEK............................. 22 Krisenmanagement und Krisenphasen.................................................... 28 Schematische Darstellung des Krisenbewältigungsprozesses. ............... 29 Inhaltliche Abgrenzung Frühwarnung, Früherkennung und ......................... Frühaufklärung......................................................................................... 32 Generationen der Früherkennung im einzelwirtschaftlichen Bereich. ...... 33 Definition der Ungewissheitsgrade bei Diskontinuitäten im Konzept ........... der schwachen Signale............................................................................ 40 Realisierbare Reaktionsstrategien bei verschiedenen ................................. Ungewissheitsgraden. ............................................................................. 42 Einflussfaktoren organisationaler Trägheit nach HANNAN/FREEMAN. .. 76 Schematische Darstellung von individueller Wahrnehmung und ................. Handlung. ................................................................................................ 92 Modell der Merkmale organisationaler Trägheit....................................... 97 Hypothesen zu organisationaler Trägheit und zur strategischen ................. Früherkennung. ..................................................................................... 165 Leistungs-, EGT- und Mitarbeiterentwicklung der letzten 10 Jahre........ 180 Umsatz- und EGT-Entwicklung und geschichtliche Eckpunkte.............. 198 Umsatz- und EBIT-Entwicklung und geschichtliche Eckpunkte. ............ 215
16 XVI
Tabellenverzeichnis Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7:
Größenklassen des Instituts für Mittelstandsforschung. ............................ 9 Übersicht ausgewählter empirischer Studien zu den Einflussfaktoren..... 80 Bedingungen unterschiedlicher qualitativer Forschungsstrategien. ....... 168 Zusammenfassung Fallstudie A............................................................. 197 Zusammenfassung Fallstudie B............................................................. 213 Zusammenfassung Fallstudie C. ........................................................... 230 Zusammenfassung fallübergreifende Analyse....................................... 244
XVII
Abkürzungsverzeichnis Abb. bspw. bzw. CEO CFO COO
Abbildung beispielsweise beziehungsweise Chief Executive Officer (englisch für Vorsitzender des Vorstands/der Geschäftsführung) Chief Financial Officer (englisch für Vorstand/Geschäftsführer Finanzen) Chief Operating Officer (englisch für Vorstand/Geschäftsführer für das opera-
EGT et al. f. ff. ggf. GuV grds. Hrsg. i.R.v. i.W. Kaufm. KonTraG Jg.
tive Geschäft) Earnings before interest and tax (englisch für Ergebnis vor Zinsen und Steuern) Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit et alii. folgende (Seite) fortfolgende (Seiten) gegebenenfalls Gewinn und Verlustrechnung grundsätzlich Herausgeber im Rahmen von im Wesentlichen Kaufmännisch Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Jahrgang
Nr. No. n.v. o.V. ROI S. Sp. Tab. tlw. u.a. USA v.a. vgl. Vol. z.B.
Nummer Number (englisch für Nummer) nicht vorhanden ohne Verfasser Return on investment (englisch für Kapitalverzinsung) Seite Spalte Tabelle teilweise unter anderem United States of America (englisch für Vereinigte Staaten von Amerika) vor allem vergleiche Volume (englisch für Band) zum Beispiel
EBIT
1.1 Früherkennung sichert Handlungsspielräume in dynamischer Umwelt
1
1
KONTEXT, ZIELSETZUNG UND AUFBAU DER ARBEIT
1.1
Früherkennung sichert Handlungsspielräume in dynamischer Umwelt
Wie in der wissenschaftlichen Forschung und in der Praxis seit Jahren festgestellt wird, sehen sich Unternehmen unter anderem durch intensivierte Globalisierung, Vernetzung von Wertschöpfungsketten, beschleunigte technologische Entwicklungen, veränderte Informationsprozesse, Wertewandel und Eintritte branchenfremder Konkurrenten mit einer immer komplexeren und dynamischeren Umwelt sowie verschärfteren Wettbewerbsbedingungen konfrontiert.1 Es werden in sich stetig verkürzenden Abständen adäquate Reaktionen auf für das Unternehmen relevante Umweltveränderungen erwartet. Jedoch steigt in diesem zunehmend dynamischen und komplexen Umfeld die Problemlösungsdauer, weil zum einen die Lösungsmöglichkeiten immer vielschichtiger werden und zum anderen bisher angewandtes Problemlösungs-Know-how mit zunehmender Geschwindigkeit veraltet.2 Da Reaktionen im Vergleich zu den Veränderungen der Umwelt rechtzeitig erfolgen müssen, steht der gestiegenen Problemlösungsdauer ein zeitlich immer restriktiverer Problemlösungsspielraum gegenüber.3 Die Fähigkeit von Unternehmen, sich zeitnah und flexibel an relevante Umweltveränderungen anzupassen, wird damit zunehmend zum entscheidenden Erfolgsfaktor zur Sicherung der Überlebens- und Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Spannungsfeld kommt der Früherkennung von relevanten Umweltentwicklungen – dem frühzeitigen Aufspüren von Trends, strategischen Issues oder eben Krisenvorboten – eine besondere Bedeutung zu. Werden für das jeweilige Unternehmen wichtige Veränderungen der Umwelt sehr früh erkannt und auch angemessen interpretiert, erweitert dies die zunehmend beschränkteren Handlungsspielräume. Im konkreten Zusammenhang mit Unternehmenskrisen bedeutet dies, dass akute Krisenstadien durch Früherkennung vermieden oder zumindest durch rechtzeitige Gegenmaßnahmen in ihren negativen Auswirkungen und ihrer Existenzbedrohung abgemildert werden können. Dabei ist es entscheidend, die Krise möglichst frühzeitig zu erkennen.4 Zwar ist es leichter, die Hinweise auf eine Krisensituation zu 1
2 3
4
Vgl. Koepff (2007), S. 1; Jossé (2005), S. 226; Schreyögg (2004), S. 13; Neumann (2004), S. 9 ff.; David, S. (2001), S. 1; Arlt (2001), S. 6; Baisch (2000), S. 1; Kraus/Gless (1998), S. 97 f.; Engberding (1998), S. 15; Gless (1996), S. 1; Zurlino (1995), S. 5; Oelsnitz (1993), S. 1; Liebl (1991), S. 1; Töpfer (1990), S. 407; Hammer (1988), S. 1 f.; Simon, D. (1986), S. 9 ff. Vgl. dazu u.a. Jossé (2004), S. 118; Simon, D. (1986), S. 11; Ansoff (1984), S. 10 ff. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 176; Baisch (2000), S.1; Oelsnitz (1993), S. 2; Bleicher (1999), S. 36. Vgl. Jossé (2005), S. 226; Neumann (2004), S. 73; Hauschildt (2000), S. 2; Weigand/Buchner (2000), S. 2 f.; Roselieb (1999), S. 95; Wilden (1998), S. 2; Müller, R. (1986), S. 55.
2
1 Kontext, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
sehen, wenn sich diese bereits relativ konkret im Zahlenwerk des Unternehmens äußern, die Handlungsspielräume sind allerdings am größten, wenn sich die Krise noch im latenten Stadium befindet. Die Herausforderung besteht daher darin, diese frühen und oft noch sehr unstrukturierten Anzeichen der verdeckt bereits vorhandenen Krise als solche zu erkennen und entsprechend zu interpretieren. Die "Strategische Früherkennung" zur Identifikation dieser latenten Unternehmenskrisen hat in der wissenschaftlichen Diskussion in den letzten Jahrzehnten einen festen Platz erobert und ist in ihrer Bedeutung unbestritten.5 Jedoch scheint die praktische Umsetzung immer noch weit hinter dieser theoretischen Relevanz zurückzuliegen.6 Auch wenn viele Unternehmen es durch ein Krisenmanagement schaffen, akute Unternehmenskrisen zu bewältigen, geben die stetig steigenden Unternehmensinsolvenzen ein erstes Indiz für die mangelnde Umsetzung der strategischen, aber auch operativen Krisenfrüherkennung in der Praxis.7 Zudem zeigen Studien der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants zu den Ursachen und Erfolgsfaktoren von Restrukturierungen, dass Krisen zwar immer früher, aber nach wie vor sehr spät erkannt und bekämpft werden. Mit rund 70% (2003) leitet ein Großteil der befragten Unternehmen Restrukturierungsbemühungen erst im Stadium der akuten Ergebnis- oder Liquiditätskrise ein und lässt damit wertvollen Handlungsspielraum in der latenten bzw. strategischen Krise verstreichen (2001: 80%). Der Zeitraum zwischen der ersten Krisenerkennung und dem Beginn der Sanierungsmaßnahmen ist mit durchschnittlich 20 Monaten (2006) ebenfalls sehr lang und kostbare Zeit verstreicht ungenutzt (2003: 14 Monate, 2001: 30 Monate).8 Ähnlich fand ROSELIEB in seiner empirischen Untersuchung heraus, dass nur jede sechste Krise (15,6%) im latenten Stadium erkannt wurde und außerdem nur bei jeder zehnten Krise (9,4%) ein Übergang in akute Krisenstadien verhindert werden konnte.9 Oft bringen Unternehmen erst dann die Energie für einschneidende Veränderungen auf, wenn nicht nur die Krise, sondern auch die Existenzbedrohung nicht mehr zu 5
6
7
8
9
Vgl. exemplarisch die Arbeiten von Rauscher (2004); Roll (2004); Jossé (2004); Baisch et al. (1998); Sepp (1996); Krystek/Müller-Stewens (1993); Konrad (1991); Hammer (1988); Simon, D. (1986), auf die in Kapitel 2.2 detaillierter eingegangen wird. Vgl. Krystek (2007), S. 50 und 57; Rauscher (2004), S. 34 f.; Jossé (2004), S. 149; Welge/AlLaham (1999), S. 308; Sepp (1996), S. 131; Zurlino (1995), S. 24 f. und 45; Schulten (1995), S. 170; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 6; Welge/Al-Laham (1992), S. 164; Konrad (1991), S. 5; Krystek (1987), S. 79. Der stetige Anstieg der Insolvenzen wurde nur durch die positive konjunkturelle Lage 2007 unterbrochen, es ist jedoch derzeit nicht davon auszugehen, dass sich dieser Rückwärtstrend künftig fortsetzen wird. Auch wenn Unternehmensinsolvenzen wesentlich durch die Fähigkeiten des Krisenmanagements beeinflusst werden, geben sie einen ersten Hinweis auf die praktische Relevanz von Früherkennung. Vgl. zu dieser Argumentation Gless (1996), S. 2; Clasen (1992), S. 7. Roland Berger Strategy Consultants (2003), S. 14 f.; Roland Berger Strategy Consultants (2006), S. 23. Vgl. Roselieb (1999), S. 93.
1.1 Früherkennung sichert Handlungsspielräume in dynamischer Umwelt
3
übersehen ist.10 Warum wird trotz der eindeutigen Vorteile und der zunehmenden Wichtigkeit in latenten Unternehmenskrisen nicht oder nicht ausreichend gehandelt? Es scheint mehrere Gründe zu geben, die eine Erkennung und Reaktion in diesen verdeckt bereits vorhandenen Krisensituationen erschweren und behindern. Dies sind zum einen die mangelnden (kognitiven) menschlichen Fähigkeiten, unstrukturierte und schwache Anzeichen latenter Krisensituationen wahrzunehmen und auch als solche zu interpretieren. Zudem scheint es bewusste, aber vor allem unbewusste Blockaden gegen Anzeichen zu geben, die auf eine Veränderung des bestehenden Zustands hindeuten. Nicht zuletzt sind in der Praxis vielfach auch das Wissen und die Einsicht in die Bedeutung, besonders von strategischer Früherkennung, gering. Um die grundsätzliche Möglichkeit, Unternehmenskrisen frühzeitig zu erkennen, zu erhöhen, wurden mit der Zeit verschiedenste Instrumente und Systeme operativer und strategischen Früherkennung entwickelt. Operative Früherkennungsinstrumente wie Hochrechnungen oder Indikatorensysteme sind inzwischen in den meisten Unternehmen in die Aufgaben des Controllings integriert. Anders sieht dies bei strategischer Früherkennung aus. Besonders in mittelständischen oder noch stark mittelständisch geprägten Unternehmen ist nicht nur die strategische Früherkennung selbst, sondern sind auch die in der Literatur vorgeschlagenen strategischen Früherkennungssysteme, die helfen können, die skizzierten Probleme zu überwinden, wenig verbreitet.11 Jedoch sind auch diese Unternehmen den eingangs beschriebenen Kräften ausgesetzt und daher ohne solche Früherkennungssysteme einer höheren Gefahr ausgesetzt, in existenzbedrohende Situationen zu kommen. Die strategische Früherkennung von latenten, verdeckt bereits vorhandenen Krisensituationen steht in dieser Arbeit im Mittelpunkt, weil in diesem Krisenstadium in der Regel noch ein sehr großer Handlungsspielraum besteht, gleichzeitig aber die Erkennbarkeit der Anzeichen schwer und der Handlungsdruck gering ist. Besonders interessant ist dabei die Frage, wie mittelständisch geprägte Großunternehmen12, in denen strategische Früherkennungssysteme wenig verbreitet sind, die unerlässliche Aufgabe der frühzeitigen Erkennung von schwachen Krisenvorboten meistern und in welchen Fällen die latente Krise unbemerkt und ohne Gegenmaßnahmen mit den skizzierten Folgen verstreicht.
10 11
12
Vgl. bspw. Wieselhuber (1985), S. 172. Die niedrige Verbreitung von Früherkennung, insb. strategischer Früherkennung im Mittelstand betonen Wilden (1998), S. 13; Baisch et al. (1998), S. 236; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. V; auch Rauscher (2004), S. 34; S. Hinderer (1984), S. 4; ähnlich Heinemann (2007), S. 41 f. und 69. Mittelständisch geprägte Großunternehmen stehen im Zentrum dieser Arbeit und werden in Kapitel 1.3. genauer definiert und abgegrenzt.
4
1 Kontext, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
1.2
Problemstellung, Zielsetzung und Methodik der Arbeit
1.2.1 Problemstellung Je früher Unternehmenskrisen erkannt werden, desto mehr Zeit steht für die Erarbeitung und Einleitung von Gegenmaßnahmen zur Verfügung und desto eher können existenzbedrohende Krisenstadien abgewendet werden. Allerdings zeigt der Blick in die Praxis, dass Krisenfrüherkennung, wenn sie vorhanden ist, stark auf Ergebnis und Liquidität als Indikatoren ausgerichtet ist.13 Instrumente und Techniken strategischen Früherkennung sind trotz des hoch eingeschätzten Nutzens besonders im Mittelstand und bei kleineren Großunternehmen nur wenig verbreitet.14 Wie meistern nun diese Unternehmen die Herausforderung der strategischen Krisenfrüherkennung, wenn dieser, wie einleitend beschrieben, zur Sicherung von Handlungsspielräumen eine solch wichtige Bedeutung zukommt? Mit nur minimaler instrumenteller bzw. systemischer Unterstützung muss die Aufgabe der frühzeitigen Ortung von noch unstrukturierten Risiken oder auch Chancen zwangsläufig durch die Organisation und vor allem durch die einzelnen in ihr tätigen Mitglieder geleistet werden. Damit rücken aber auch die unmittelbar mit dem Menschen verbundenen Aspekte der begrenzten Rationalität sowie der beschränkten Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Die bereits angerissenen Fragen, warum es so schwer ist, schwache Signale zu erkennen, und welche Fähigkeiten dazu nötig sind, gewinnen, wenn auf systemische Unterstützung weitgehend verzichtet werden muss, an Bedeutung. In der Wissenschaft wird im Zusammenhang von Wandel und Veränderungen vermehrt über organisationale Trägheit als Beharrungskräfte auf individueller wie systemischer Ebene diskutiert. Organisationale Trägheit begrenzt aus verschiedenen Gründen die Fähigkeit von Organisationen und deren Mitgliedern, sich anzupassen. Organisationale Trägheit kann daher auch einen großen Einfluss auf das Erkennen von latenten Unternehmenskrisen und die Einleitung geeigneter Gegenmaßnahmen haben. Unternehmen, die hohe organisationale Trägheitskräfte besitzen, erkennen relevante Umweltveränderungen und latente Krisensituationen tendenziell später und reagieren entweder gar nicht, mit Verzögerung oder nicht in ausreichendem Umfang oder angemessener Weise darauf. Wegen der nur eingeschränkten strategischen Früherkennung ist es wahrscheinlicher, dass Unternehmen mit hohen organisationa-
13 14
Vgl. z.B. Rauscher (2004), S. 1 f. und 7; Neumann (2004), S. 79; Welge/Al-Laham (1999), S. 308 f. Vgl. Rauscher (2004), S. 1 f. und 34 f.; Krystek/Müller (1999), S. 183; Loew (1999), S. 45; Wilden (1998), S. 13; Baisch et al. (1998), S. 236; Konrad (1991), S. 254.
1.2 Problemstellung, Zielsetzung und Methodik der Arbeit
5
len Trägheitskräften Krisensituationen nicht erkennen oder ihnen nicht adäquat entgegenwirken und so eher existenzbedrohenden Krisenstadien ausgeliefert sind. Organisationale Trägheit ist ein grundsätzlich schwer zu erfassendes Phänomen, denn Trägheit wird zwar meist negativ assoziiert, kann aber durchaus notwendig und förderlich für Unternehmen sein. Weisen Organisationen Trägheitskräfte auf, passen sie sich nicht permanent allen Umweltveränderungen an, was Stabilität und Zuverlässigkeit gibt und somit – solange die Trägheitskräfte nicht zu stark werden – entscheidend für das Überleben von Organisationen ist. Die Theorie, die sich am ausführlichsten mit diesen Zusammenhängen auseinandersetzt, ist der in der evolutionstheoretischen Forschung anzusiedelnde Population Ecology-Ansatz. Allerdings sind auch in diesem Ansatz die konkreten Merkmale von Unternehmen, die organisationale Trägheit aufweisen, wenig erforscht und operationalisiert.15 Die Möglichkeit, ein Unternehmen anhand konkreter, greifbarer Merkmale als träge zu identifizieren, ist jedoch unerlässlich. Denn nur wenn ein Unternehmen als träge erkannt wird, ist es möglich, Maßnahmen zur Überwindung der Trägheit zu ergreifen und somit den Herausforderungen der komplexen und dynamischen Umwelt wieder angemessen zu begegnen.16 Wenn mittelständisch geprägte Großunternehmen strategische Krisenfrüherkennung in der Regel mit minimaler instrumenteller und systemischer Unterstützung leisten müssen und organisationale Trägheit durch Fokussierung auf die individuellen und kollektiven Verhaltensweisen in den Vordergrund rückt, stellt sich zum einen die Frage, an welchen Merkmalen organisationale Trägheit zu erkennen ist. Außerdem ist aber interessant, wie diese organisationale Trägheit auf das Erkennen und das Handeln in latenten Unternehmenskrisen wirkt. Diese Aspekte und Zusammenhänge sind bisher wissenschaftlich noch nicht untersucht worden und stellen daher die Forschungslücke dar, die mit der vorliegenden Arbeit geschlossen werden soll.
1.2.2 Zielsetzung Der aktuelle Stand der Forschung gibt keine zufriedenstellenden Antworten auf die geschilderte Problemstellung. Die Merkmale organisationaler Trägheit sind bisher nicht ausreichend operationalisiert und die Auswirkungen von Trägheit auf strategische Früherkennung, also die Wahrnehmung von schwachen Signalen und die Einleitung von Reaktionen in latenten Unternehmenskrisen, nicht untersucht. Es wird
15 16
Vgl. Kieser/Woywode (2006), S. 342; Young (1988), S. 9. Organisationale Trägheit ist nicht als etwas grundsätzlich Negatives anzusehen, das es auf jeden Fall zu verhindern gilt. Dieser Zusammenhang wird in Kapitel 3.1 genauer erläutert.
6
1 Kontext, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
daher mit dieser Arbeit das Ziel verfolgt, diese Forschungslücke zu schließen und die folgende Forschungsfrage detailliert zu beantworten: Welche Merkmale und welche Ausprägungen dieser Merkmale kennzeichnen organisationale Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen und wie wirken diese auf die Früherkennung von latenten Unternehmenskrisen? Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage wird in der vorliegenden Arbeit auf Basis der bisherigen Untersuchungen zu organisationaler Trägheit ein Modell mit Merkmalen entwickelt, die in bestimmten Ausprägungen auf das Vorhandensein organisationaler Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen hinweisen können. Diese Merkmalsausprägungen werden zudem in ihrer Wirkung auf das Erkennen von schwachen Signalen und die Einleitung von Gegenmaßnahmen in latenten Unternehmenskrisen theoretisch und empirisch untersucht. Die Betrachtungen werden bewusst auf mittelständisch geprägte Großunternehmen begrenzt, weil in diesen Unternehmen, die im nachfolgenden Kapitel präzisiert werden, trotz ihrer Größe und Komplexität, die strategische Früherkennung notwendig machen, meist keine instrumentalisierten Mechanismen dafür vorhanden sind. Diese Arbeit möchte einen Beitrag dazu leisten, die Schwierigkeiten und speziellen Herausforderungen strategischer Früherkennung zu verstehen. Dabei soll durch das tiefer gehende Verständnis von Trägheitskräften in Organisationen ein Erklärungsbeitrag zur praktischen Umsetzung strategischer Früherkennung in mittelständisch geprägten Unternehmen erbracht werden. Mit diesem Untersuchungsschwerpunkt soll zudem der im Gesamtzusammenhang der Forschung zu Unternehmenskrisen bisher im Vergleich zu Systemaspekten unterrepräsentierte Verhaltensaspekt in der Erkennung und Vermeidung von Krisen in den Vordergrund gerückt werden.
1.2.3 Wissenschaftliche Einordnung und Methodik Als Kulturwissenschaft verfolgt die Betriebswirtschaft das Ziel, das Handeln von Menschen in ökonomischen Kontexten zu untersuchen. Außerdem versucht sie als anwendungsorientierte Wissenschaft, Handlungsempfehlungen für praktische Problemstellungen abzuleiten.17 Ausgangspunkt betriebswirtschaftlicher Forschung sind daher Problemstellungen aus der Praxis, was mit dem aufgezeigten Spannungsfeld aus strategischer Früherkennung und organisationaler Trägheit gegeben ist. Zudem wird in dieser Arbeit eine grundsätzlich konstruktivistische Sichtweise gewählt. Diese Betrachtungsperspektive hat bisher sowohl in der Forschung zu Unternehmenskrisen
17
Vgl. Steinmann (1978), S. 73, 92 ff.; Martin (1989), S. 240.
1.2 Problemstellung, Zielsetzung und Methodik der Arbeit
7
als auch in den Arbeiten zur organisationalen Trägheit wenig Beachtung gefunden. Durch den starken Fokus auf Prozesse der Wahrnehmung und des Erkennens auf individueller wie kollektiver Ebene lässt die konstruktivistische Perspektive für die aufgezeigte Forschungslücke jedoch interessante Einblicke zu. Bisher besteht, wie noch genauer gezeigt wird, weder eine geschlossene Theorie der Unternehmenskrise noch der organisationalen Trägheit. Daher wird in dieser Arbeit ein grundsätzlich exploratives und nicht konfirmatorisches Vorgehen gewählt.18 Aufbauend auf der bisherigen Forschung zu organisationaler Trägheit wird ein Merkmalsmodell19 entwickelt, das anhand der Ausprägungen der Merkmale in mittelständisch geprägten Großunternehmen Rückschlüsse auf das Vorliegen von organisationalen Trägheitskräften zulässt. Basierend auf der Forschung zu Unternehmenskrisen, sowie speziell zu strategischer Früherkennung, wird anschließend theoretisch hergeleitet, wie diese Merkmalsausprägungen auf die Wahrnehmung von latenten Unternehmenskrisen und die Einleitung von Gegenmaßnahmen wirken. Diese Erkenntnisse über die Wirkungsgefüge werden in Hypothesen zusammengefasst und zu einem besseren Verständnis empirisch auf ihre Plausibilität im realen Kontext untersucht. Dabei eignet sich für die Problemstellung der Arbeit ein qualitativer Forschungsansatz, in dem die theoretisch entwickelten Hypothesen in Einzelfallstudien untersucht werden.20 Durch die große Nähe zum Datenmaterial, die vor allem durch persönliche Interviews gegeben ist, können mit der qualitativen Fallstudienforschung komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge tiefgehend und ganzheitlich beschrieben und analysiert werden.21 Diese Charakteristika sind für die vorliegende Arbeit von hoher Bedeutung, weil sowohl strategische Früherkennung als auch organisationale Trägheit vielschichtige Phänomene darstellen, die mit eher "weichen" Attributen verbunden sind. Bei beiden spielt die individuelle wie kollektive Wahrnehmung und Verarbeitung von Reizen eine entscheidende Rolle, die stark subjektiv geprägt ist und mit qualitativen Methoden besser erfasst werden kann. Der Forschungsprozess wird dabei explizit als Interaktion verstanden, so dass die entwickelten Merkmalsausprä-
18 19
20
21
Vgl. zur Exploration als Vorstufe der Konfirmation Lamnek (2005), S. 38; Kubicek (1975), S. 59 f. Unter Modell wird wissenschaftstheoretisch meist eine Reihe von abhängigen und unabhängigen Variablen verstanden, zwischen denen bestimmte Beziehungen entwickelt werden. In dieser Arbeit werden Variablen aufgezeigt, allerdings die Beziehungen nicht vollständig kausalisiert. Dennoch wird im Folgenden von einem "Modell" und nicht von einem "Bezugsrahmen" gesprochen, da dieser eher dazu dient, ein Analyseraster zu geben. Vgl. zur Bedeutung von Modellen Bortz/Döring (2006), S. 363; auch Lamnek (2005), S. 89 und 109. Dieses Vorgehen, bei dem zuerst ein Modell mit Wirkungszusammenhängen entwickelt wird, danach theoretische Hypothesen abgeleitet werden, die dann qualitativ empirisch untersucht werden beschreibt Flick (1995a), S. 150 als den klassischen Prozess qualitiativer Forschung. Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 309 f. und 323; Lamnek (2005), S. 311 f.
8
1 Kontext, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
gungen und Zusammenhänge in der empirischen Untersuchung für Ergänzungen und Diskussionen offen bleiben.22 Bei diesem Vorgehen kann nicht angestrebt werden, die entwickelten und in Hypothesen konkretisierten Zusammenhänge zu "überprüfen" oder statistisch zu testen. Vielmehr steht der erklärende Beitrag zum Verständnis eines komplexen Problems im Vordergrund.23 Im empirischen Teil werden daher die Hypothesen auf ihre Plausibilität im realen Kontext untersucht, wobei sich die Generalisierbarkeit der Aussagen explizit analytisch aus der Argumentation und nicht aus der Häufigkeitsverteilung ergibt.24
1.3
Untersuchungsobjekt mittelständisch geprägte Großunternehmen
Wie in den vorherigen Abschnitten bereits angedeutet, sollen die Überlegungen zu strategischer Krisenfrüherkennung und organisationaler Trägheit in dieser Arbeit auf mittelständisch geprägte Großunternehmen beschränkt werden. Mittelständisch geprägte Großunternehmen sind für den aufgezeigten Untersuchungszusammenhang aus mehreren Gründen besonders interessant. Großunternehmen weisen durch ihre Größe eine erhebliche Komplexität auf, sind auf überregionalen oder internationalen Märkten tätig und stehen unter Umständen einer Reihe von Wettbewerbern und unterschiedlichsten Umweltentwicklungen gegenüber. Für diese Unternehmen ist strategische Früherkennung zur Sicherung von Erfolgspotentialen daher grundsätzlich von höherer Bedeutung als für deutlich kleinere, eventuell auch nur regional tätige Unternehmen. Jedoch sollen in dieser Arbeit nicht Konzerne wie Siemens, Daimler oder ThyssenKrupp betrachtet werden. Diese Großkonzerne haben meist ganze Abteilungen, die sich mit Elementen strategischer Früherkennung beschäftigen25 und sind mit Unternehmen, die auch als Großunternehmen klassifiziert werden, aber bspw. nur einem Jahresumsatz von 200 Millionen Euro haben, nicht zu vergleichen.26 In diesen, hier im Mittelpunkt stehenden Unternehmen spielen neben den beschriebenen Herausforderungen, die durch ihre Größe bedingt sind, aber auch noch Charakteristika eine Rolle, die speziell mit dem Mittelstand assoziiert werden. Solche Charakteristika sind in diesen Unternehmen durch ihre historische Entwicklung aus dem Mittelstand heraus noch vorhanden und für die Überlegungen
22 23 24
25
26
Vgl. Atteslander (2006), S. 300; Flick (2005), S. 72 f.; Mayring (2002), S. 38. Vgl. Yin (2006), S. 2; Kubicek (1975), S. 14. Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 335 f.; Yin (2006), S. 32 f.; Bühler-Niederberger (1995), S. 447; Mayring (2002), S. 35; auch Chmielewicz (1979), S. 89 f. Bspw. Abteilungen, die sich mit Wettbewerbsanalysen, Wettbewerbsmonitoring, Marktbeobachtung oder Trendanalysen beschäftigen. Großkonzerne weisen zudem für die Untersuchung organisationaler Trägheit aufgrund ihrer Größe und Komplexität ganz andere Problemstrukturen auf, als sie hier betrachtet werden sollen.
1.3 Untersuchungsobjekt mittelständisch geprägte Großunternehmen
9
zu organisationaler Trägheit und Früherkennung besonders interessant. Um welche Charakteristika es sich dabei handelt, wird deutlich, wenn man betrachtet, wie der Mittelstand in Deutschland abgegrenzt wird. In der Literatur finden sich zahlreiche Definitionen des mittelständischen Unternehmens27, von denen sich jedoch keine als allgemein anerkannt durchsetzen konnte.28 Mittelständische Unternehmen lassen sich aufgrund ihrer Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit nicht durch ein einheitliches Größenmaß bestimmen, so dass in der Abgrenzung neben verschiedenen quantitativen eben auch qualitative Kriterien Berücksichtigung finden. Diese qualitativen Kriterien stellen die Eigenschaften und das Wesen dieser Unternehmen ebenso wie gesellschaftliche und psychologische Aspekte29 in den Vordergrund, die im Zusammenhang dieser Arbeit an Bedeutung gewinnen.30 Die quantitative Abgrenzung mittelständischer Unternehmen erfolgt über Größenklassen mit Kennzahlen wie bspw. Umsatz, Beschäftigtenzahl oder Bilanzsumme. Auch wenn in Deutschland keine einheitliche Größeneinteilung existiert, klassifiziert das in diesem Bereich führende INSTITUT FÜR MITTELSTANDSFORSCHUNG Unternehmen anhand von Beschäftigtenzahl und Umsatz mit den in Tab. 131 dargestellten Grenzen. Dabei werden kleinere und mittlere Unternehmen unter dem Oberbegriff "Mittelstand" zusammengefasst und von Großunternehmen abgegrenzt. Größenklasse
Beschäftigte
Umsatz/Jahr
KLEIN
Bis 9
Bis 1 Mio. EUR
MITTEL
10 bis 599
1 bis 50 Mio. EUR
GROSS
500 und mehr
50 Mio. EUR und mehr
MITTELSTAND
Tab. 1: Größenklassen des Instituts für Mittelstandsforschung.
Der Vorteil einer quantitativen Einordnung liegt in der leichten (statistischen) Erfassbarkeit und der scheinbaren Objektivität der Kriterien. Jedoch sind damit auch Probleme verbunden, weil z.B. unterschiedliche Wirtschaftszweige wie Handel und In27 28
29 30
31
Im Folgenden werden "Mittelstand" und "mittelständisches Unternehmen"synonym verwendet. Vgl. Kabst (2004), S. 2; Wolter/Hauser (2001), S. 29; Mugler (1998), S. 19; Daschmann (1994), S. 51; Clasen (1992), S. 16; Haake (1987), S. 7; Hinderer (1984), S. 8; Gantzel (1962), S. 12. Vgl. Günterberg/Kayser (2004), S. 1; Hinderer (1984), S. 6. In der Literatur findet sich vermehrt die Auffassung, dass quantitative unbedingt um qualitative Kriterien ergänzt werden sollten. Vgl. Pfohl (2006), S. 14 und 16; Wolter/Hauser (2001), S. 27; Mugler (1998), S. 19; Frank, C. (1994), S. 21; Daschmann (1994), S. 51; Clasen (1992), S. 19. Eigene Abbildung in Anlehnung an Günterberg/Kayser (2004), S. 3.
10
1 Kontext, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
dustrie oder Unternehmen mit unterschiedlicher Wertschöpfungstiefe schlecht miteinander zu vergleichen sind.32 Auch suggerieren quantitative Kriterien eine Trennschärfe, die in der Realität so nicht gegeben ist. Nur durch Überschreitung eines Größenkriteriums wird ein "Mittelständler" nicht unmittelbar zu einem Großunternehmen mit grundsätzlich anderen Charakteristika.33 Eine rein quantitative Mittelstandsdefinition greift daher zu kurz und wird um qualitative Kriterien ergänzt, die sich darauf fokussieren, das Wesen eines mittelständischen Unternehmens zu beschreiben. Zur qualitativen Einordnung mittelständischer Unternehmen liegt eine Reihe von Ansätzen vor, die sich in Umfang und Gewichtung der Merkmale deutlich unterscheiden.34 In Anlehnung an ROSENBOOM lassen sich die grundlegenden qualitativen Merkmale mittelständischer Unternehmen jedoch wie folgt zusammenfassen:35 x
Mittelständische Unternehmen sind durch die Persönlichkeit des Unternehmers geprägt.
x
Der Unternehmer ist selbständiger Eigentumsunternehmer, der Kapital und Leitung in seiner Hand vereinigt und das Risiko und die Verantwortung trägt.
x
Das Unternehmen ist Lebensaufgabe, Existenzgrundlage und Einkommensquelle des Unternehmers.
x
Es besteht enger Kontakt zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitern.
Auch mit dieser Einordnung sind Probleme der Erfassung und Operationalisierung verbundenen. Unklar ist z.B. wie bei dem Anspruch nach Einheit von Eigentum und Leitung mit Fremdgeschäftsführern umzugehen ist, aber auch, ob diese Kriterien grundsätzlich additiv oder alternativ erfüllt sein müssen.36 Dennoch liefert diese qualitative Einordnung mittelständischer Unternehmen für die folgenden Betrachtungen eine interessante Perspektive. In Verbindung mit diesen qualitativen Charakteristika gewinnen Merkmale an Bedeutung, die durch die Geschichte des Unternehmens und die Persönlichkeit des Unternehmers geprägt werden, wie z.B. Entscheidungsstrukturen, Führungsstil, Kontinuität des Managements oder Kommunikationskultur.37
32
33 34
35 36 37
Vgl. zu Vor- und Nachteilen detaillierter Rosenboom (2004), S. 10 f.; Pfohl (2006), S. 16 f.; Frank, C. (1994), S. 19 f.; Daschmann (1994), S. 50 f.; Haake (1987), S. 4 f.; Hinderer (1984), S. 13 ff.; Geiser (1983), S. 18 ff. Vgl. ähnlich Frank, C. (1994), S. 19 f. und 24; Clasen (1992), S. 19; Geiser (1983), S. 22. Vgl. zu den verschiedenen qualitativen Abgrenzungen Pfohl (2006), S. 18 ff.; Hamer (2006), S. 29 ff.; Kabst (2004), S. 2 f.; Mugler (1998), S. 20 ff.; Daschmann (1994), S. 51 ff.; Clasen (1992), S. 18 f.; Haake (1987), S. 11 ff.; Hinderer (1984), S. 9 ff.; Gantzel (1962), S. 279 ff. Vgl. Rosenboom (2004), S. 11 f. und ähnlich Geiser (1983), S. 18; Gantzel (1962), S. 280. Vgl. zu Problemen qualitativer Grenzen Wolter/Hauser (2001), S. 30 ff.; Gantzel (1962), S. 286 ff. Die Besonderheit von mittelständischen Charakteristika für Untersuchungen der Unternehmenskrise heben auch Heinemann (2007), S. 21 f. und Clasen (1992), S. 17 hervor.
1.4 Aufbau der Arbeit
11
So können Unternehmen quantitativ in die Klasse der Großunternehmen fallen, aber qualitativ noch die Merkmale eines Mittelständlers aufweisen.38 Diese Unternehmen werden in dieser Arbeit als mittelständisch geprägte Großunternehmen verstanden und stehen gerade wegen dieser interessanten Kombination aus Komplexität und Internationalität eines Großunternehmens und der persönlichen Prägung im Mittelpunkt. Sie haben einen Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro und mehr als 500 Beschäftigte, sind aber noch stark durch ihre mittelständische Vergangenheit beeinflusst. Für diese Arbeit bedeutet dies konkret, dass die Unternehmen noch
1.4
x
von der Persönlichkeit des Unternehmers geprägt sind und
x
mehrheitlich im Eigentum des Unternehmers und/oder der Familie sind.
Aufbau der Arbeit
Wie in Abb. 1 deutlich wird, ist die vorliegende Arbeit in sechs Kapitel gegliedert, die sich an dem zuvor dargestellten Forschungsdesign orientieren. Im folgenden zweiten Kapitel wird ein grundlegendes Verständnis von Unternehmenskrisen und den Möglichkeiten ihrer Früherkennung geschaffen. Dazu wird zuerst auf das Phänomen Unternehmenskrise eingegangen, indem diese anhand der Eigenschaften, Verläufe, Ursachen, Wirkungen und Möglichkeiten der Bewältigung beschrieben werden. Darauf aufbauend werden die Ansätze zur Früherkennung von Unternehmenskrisen diskutiert, wobei ausführlich auf die im Fokus stehende strategische Früherkennung eingegangen wird. Es werden die ihr zugrunde liegenden Konzepte der "Schwachen Signale" und Diffusionstheorie erläutert und praktische Ansätze strategischer Früherkennung dargestellt. Um zu evaluieren, welche Rolle organisationale Trägheit bei strategischer Früherkennung spielen kann und warum diese Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen so wenig verbreitet ist, werden am Ende die theoretischen und praktischen Ansätze kritisch reflektiert. Im dritten Kapitel wird der Stand der Forschung zu organisationaler Trägheit dargestellt. Zuerst wird dazu eine Übersicht über in der Literatur vorhandene Konzepte organisationaler Trägheit gegeben, wobei die detaillierteste Konzeption im evolutionstheoretischen Population Ecology-Ansatz zu finden ist. Um dieses Trägheitskonzept genauer vorzustellen, werden zunächst die Eckpunkte evolutionstheoretischer Ansätze erläutert und der Population Ecology-Ansatz in seiner Grundkonzeption sowie den neueren Entwicklungen dargestellt. Mit diesem Vorverständnis wird im Anschluss das dem Ansatz integrierte Trägheitskonzept genauer erläutert. Dabei 38
Vgl. dazu Günterberg/Kayser (2004), S. 2; Rosenboom (2004), S. 11; Frank, C. (1994), S. 24 f.
12
1 Kontext, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit
wird auf die Arten und die Ursachen organisationaler Trägheit, vor allem aber auf die Einflussfaktoren und ihre Wirkungszusammenhänge eingegangen. Abschließend werden das Trägheitskonzept und begrenzt auch der Population Ecology-Ansatz kritisch beleuchtet. In dieser Würdigung, besonders in der Frage der Operationalisierung, zeigt sich die in der Problemstellung aufgeworfene Notwendigkeit dieser Arbeit. 1
Kontext, Zielsetzung und Aufbau der Arbeit • Einleitung • Mittelständisch geprägte Großunternehmen • Problemstellung, Zielsetzung, Methodik • Aufbau der Arbeit
2
Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung • Phänomen der Unternehmenskrise • Früherkennung von Unternehmenskrisen • Strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen
3
Organisationale Trägheit • Konzepte organisationaler Trägheit • Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz • Kritische Würdigung organisationaler Trägheit im Population Ecology-Ansatz
4
Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung • Mechanismen der Wahrnehmung und • Fazit: Organisationale Trägheit und ihre Handlung Wirkung auf strategische Früherkennung • Merkmale träger Unternehmen
5
Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung • Forschungsmethodik • Fallübergreifende Analyse und Ergeb• Fallstudie A-C nisse der empirischen Untersuchung
6
Reflexion organisationaler Trägheit und Ausblick • Reflexion organisationaler Trägheit • Ausblick und weiterer Forschungsbedarf • Zusammenfassung der Ergebnisse
Abb. 1: Aufbau der Arbeit.
Daher wird im vierten Kapitel ein eigenes Merkmalsmodell organisationaler Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen entwickelt. Weil bei diesen Überlegungen, aber auch in den späteren Analysen zu den Wirkungen auf die Früherkennung latenter Unternehmenskrisen Wahrnehmung und Handlung eine wichtige Rolle spielen, werden einführend die Wahrnehmungs- und Handlungsmechanismen auf individueller wie kollektiver Ebene aus konstruktivistischer Perspektive dargestellt. Daran anschließend wird für elf Merkmale detailliert untersucht, bei welchen Ausprägungen diese Merkmale die Herausbildung organisationaler Trägheit fördern. Dabei werden die Merkmale grundsätzlich in unternehmensinterne systembedingte, unternehmensinterne verhaltensbedingte und unternehmensexterne Merkmale klassifiziert. Für alle Merkmalsausprägungen wird in einem zweiten Schritt untersucht, wel-
1.4 Aufbau der Arbeit
13
che Auswirkungen sie auf strategische Früherkennung haben – also sowohl die Wahrnehmung schwacher Signale als auch die Interpretation und Einleitung von Gegenmaßnahmen. Die Ergebnisse werden in elf Hypothesen zusammengefasst. Im fünften Kapitel werden diese elf Hypothesen über organisationale Trägheit und ihre Wirkungen auf strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen qualitativ empirisch untersucht. Dazu wird einleitend die qualitative Forschung mit Fallstudien in ihrem Vorgehen und ihrer Anwendung vorgestellt. Danach werden drei Fallstudien detailliert beschrieben. Dabei werden neben dem Krisenverlauf und den Krisenursachen die Ausprägungen der elf Merkmale während der latenten Unternehmenskrise aufgezeigt. Es wird detailliert untersucht, wie diese Merkmalsausprägungen die Wahrnehmung von und Reaktion auf schwache Signale während der Krise beeinflusst haben. Abschließend werden die Fallstudien übergreifend analysiert und die Ergebnisse mit den aufgestellten Hypothesen zusammengeführt. Die Arbeit schließt im sechsten Kapitel mit Überlegungen, wie organisationale Trägheit in Unternehmen reflektiert werden kann. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung und ein Ausblick auf den weiteren Forschungsbedarf anhand der aufgestellten Hypothesen beenden die Arbeit.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
2
15
UNTERNEHMENSKRISEN UND IHRE FRÜHERKENNUNG
In diesem Kapitel wird zuerst ein grundlegendes Verständnis für das Phänomen der Unternehmenskrise und den aktuellen Stand der betriebswirtschaftlichen Forschung geschaffen, indem Unternehmenskrisen anhand ihrer Eigenschaften, Verläufe, Ursachen, Wirkungen und Bewältigungsmöglichkeiten beschrieben werden. Darauf aufbauend legt der zweite Teil des Kapitels den Schwerpunkt auf die Möglichkeiten der Krisenfrüherkennung, insbesondere von latenten Unternehmenskrisen. Diese strategische Früherkennung mit dem Konzept der "Schwachen Signale" wird dabei eingehend dargelegt und praktische Früherkennungsansätze werden umfangreich erläutert und kritisch reflektiert.
2.1
Phänomen der Unternehmenskrise
2.1.1 Begriffsbildung und Eigenschaften von Unternehmenskrisen Der Begriff "Krise" stammt aus dem Griechischen und wird allgemein als ein Bruch einer bis dahin kontinuierlichen Entwicklung und spezifischer als ein Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen oder unsicheren Entwicklung verstanden.39 Der im betriebswirtschaftlichen Kontext verwendete Begriff der Unternehmenskrise leitet sich daraus ab, wird jedoch vielfach fast inflationär für jegliche Diskontinuität in der Unternehmensentwicklung verwendet40, was eine genaue Definition und Beschreibung anhand von spezifischen Eigenschaften notwendig macht. Auch wenn sich erste Arbeiten bereits in den dreißiger Jahren im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise mit den Ursachen von Unternehmenskrisen beschäftigten, so gewann die Unternehmenskrise in der betriebswirtschaftlichen Forschung erst in den siebziger Jahren zunehmend an Bedeutung.41 Seitdem hat sich eine Fülle wissenschaftlicher Arbeiten mit Unternehmenskrisen beschäftigt und eine Reihe prägnanter Definitionsansätze hervorgebracht.42 Unter ihnen hat sich in der deutschsprachigen Literatur insbesondere die Definition von KRYSTEK durchgesetzt:
39 40 41
42
Vgl. O.V. (2006b), S. 775; O.V. (1990), S. 437 f. Vgl. Zöller (2006), S. 19; Jossé (2004), S. 29; Bergauer (2003), S. 4; Lüthy (1988), S. 26. Sehr früh beschäftigen sich Fleege-Althoff (1930), Hasenack (1932) und Koch, W. (1933) mit Unternehmenskrisen. Die intensive Forschung seit den siebziger Jahren betonen u.a. Buschmann (2006), S. 11; Hülsmann (2005), S. 39; Lüthy (1988), S. 25; Krystek (1987), S. 2; Wiedmann (1985), S. 302. Zu einer Auswahl der Definitionen vgl. Hülsmann (2005), S. 39; Krystek (1987), S. 5 f.; Weber, P. (1980), S. 12 ff. und die bei David, S. (2001), S. 22 verwiesene Literatur.
16
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
"Unternehmungskrisen sind ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie ambivalentem Ausgang. Sie sind in der Lage, den Fortbestand der gesamten Unternehmung substanziell und nachhaltig zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen. Dies geschieht durch die Beeinträchtigung bestimmter Ziele (dominanter Ziele), deren Gefährdung oder gar Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer nachhaltigen Existenzgefährdung oder Existenzvernichtung der Unternehmung als selbstständig und aktiv am Wirtschaftsprozess teilnehmender Einheit mit ihren bis dahin gültigen Zweck- und Zielsetzungen."43 Aufbauend auf dieser Definition, die die Existenzgefährdung bereits klar in den Vordergrund rückt, und zur weiteren Konkretisierung des Phänomens der Unternehmenskrise werden heute bestimmte Eigenschaften als konstituierende Merkmale von Unternehmenskrisen in der Literatur anerkannt:44 x
Die nachhaltige, ungeplante und ungewollte Existenzgefährdung für das gesamte Unternehmen, die auch die Existenzvernichtung nicht ausschließt.
x
Die Ambivalenz des Ausgangs, der von der Vernichtung des Unternehmens bis zur erfolgreichen Bewältigung der Unternehmenskrise reichen kann, jedoch nicht eindeutig absehbar ist.
x
Die Gefährdung dominanter Unternehmensziele, was die Vermeidung von Insolvenztatbeständen, eine Mindestrendite und den Erhalt bzw. Aufbau von wesentlichen Erfolgspotentialen beinhaltet.
x
Der Prozesscharakter, in dem Unternehmenskrisen als zeitlich begrenzte Prozesse uneinheitlicher Dauer zu verstehen sind, wobei Beginn und Ende von der subjektiven Wahrnehmung beeinflusst sind.
x
Die begrenzte Steuerbarkeit des autonomen Prozesses durch ein Krisenmanagement, wobei dieses nicht unbedingt erfolgreich sein muss und stark von den Fähigkeiten der Krisenmanager abhängig ist.
Neben diesen wesentlichen fünf Eigenschaften wird oft noch Zeitdruck als konstituierendes Merkmal ergänzt, da mit zunehmendem Krisenverlauf der Handlungsdruck zu-, die zur Verfügung stehende Reaktionszeit jedoch abnimmt.45
43 44
45
Krystek (1987), S. 6 f. Vgl. ursprünglich Krystek (1987), S. 6 f.; Müller, R. (1986), S. 33 ff.; Witte (1981), S. 9 ff., aber auch Krystek/Moldenhauer (2007), S. 26 ff.; Grape (2006), S. 7 ff.; Hülsmann (2005), S. 40 f.; Schreyögg (2004), S. 14; Jossé (2004), S. 31 f.; David, S. (2001), S. 22 f.; Wilden (1998), S. 1; Böckenförde (1996), S. 16 f.; Gunzenhauer (1995), S. 8 f.; Bea/Haas (1994), S. 486; Pinkwart (1992), S. 13 f. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 27; Hülsmann (2005), S. 40; Nill (2005), S. 557; Krummenacher (1982), S. 7; Weber, P. (1980), S. 15.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
17
Da Unternehmenskrisen im Zentrum dieser Arbeit stehen, sollen sie zusätzlich zu den konstituierenden Eigenschaften negativ gegen andere krisenähnliche Phänomene – konkret: Konflikte, Störungen, Katastrophen und Risiken – abgegrenzt werden.46 Konflikte zielen auf Beziehungen zwischen Personen oder Personengruppen47 ab und bezeichnen latente oder manifeste Spannungszustände aufgrund unvereinbarer Gegensätze bspw. in Handlungsansätzen, Ansprüchen oder Werten, die sich verdeckt oder offen äußern können.48 Im Unternehmenskontext können Konflikte unter den Mitarbeitern oder dem Management, aber auch zwischen diesen Personengruppen sowie mit Stakeholdern und anderen externen Anspruchsgruppen des Unternehmens auftreten. Konflikten wird aber ein ambivalenter Charakter und damit nicht eine zwangsläufige Gefährdung der dominanten Unternehmensziele, sondern grundsätzlich auch konstruktives Potential unterstellt. So führen Konflikte nur in Ausnahmefällen zu den in dieser Arbeit definierten Unternehmenskrisen.49 Störungen sind Dysfunktionalitäten im Bereich sachlicher Elemente, also z.B. bei maschinellen Anlagen als Ergebnis exogen oder endogen auf das Unternehmen einwirkender Störgrößen. Störungen sind als zeitliche Dysfunktionalitäten im normalen Geschäftsbetrieb unvermeidbar, überfordern aber in der Regel das Problembewältigungspotential des Unternehmens nicht, sondern beeinflussen lediglich die Effizienz. Unternehmenskrisen können sich in frühen Stadien als Störungen darstellen und mehrere Störungen können sich im Zusammenwirken zu Unternehmenskrisen entwickeln.50 Katastrophen implizieren im Gegensatz zur Ambivalenz des Ausgangs bei Krisen bereits die Wendung zum Schlimmeren mit verheerenden, nicht vorhersehbaren oder nicht abwendbaren Wirkungen. Katastrophen sind also die äußerste Ausprägung von Krisen, die den Fortbestand des Unternehmens unmöglich machen.51 Risiken sind ebenso wie Chancen untrennbar mit jeglicher unternehmerischen Tätigkeit verbunden. Risiken sind dabei generell als Möglichkeit oder Gefahr zu verstehen, dass gesetzte Ziele nicht erreicht oder verfehlt werden.52 Unternehmenskrisen 46
47 48 49
50 51
52
Für eine überblicksartige Darstellung der verschiedenen Phänomene vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 28; Krystek (1987), S 8 ff. Vgl. zu möglichen Konfliktebenen Gilbert, D.U. (1998), S. 34; Glasl (1980), S. 27 ff. Vgl. bspw. Kreikebaum et al. (2001), S. 9 f.; Gilbert, D.U. (1998), S. 33; Glasl (1980), S. 24 ff. Dazu und detaillierter zu Konflikten in Unternehmen vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 28 f.; Nill (2005), Neumann (2004), S. 33; Jost (1999), S. 12 ff.; Gilbert, D.U. (1998), S. 39 ff.; Brommer (1994). Vgl. Schulten (1995), S. 27 f.; Löhneysen (1982), S. 29 f. Vgl. O.V. (2006a), S. 592; O.V. (1990), S. 394 f.; Krystek/Moldenhauer (2007), S. 29 f.; Schulten (1995), S. 28 f. Vgl. zur Risikodefinition Jossé (2005), S. 226 f.; Jossé (2004), S. 56 ff.; Neumann (2004), S. 5 ff.
18
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
und Risiken sind eng miteinander verbunden und so können Krisen grundsätzlich als Folgeerscheinung von Unternehmensrisiken angesehen werden.53 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Unternehmenskrisen nicht nur als etwas Negatives zu verstehen sind, sondern automatisch auch die Möglichkeit zur Erneuerung, Veränderung und positiven Wende in sich tragen.
2.1.2 Überblick der Forschung zu Unternehmenskrisen Wie aufgezeigt hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Unternehmenskrisen nach dem 2. Weltkrieg erst in den siebziger Jahren an Bedeutung gewonnen. Einen Schub erhielt die Forschung in Deutschland noch einmal in den neunziger Jahren, was auf die Herausforderungen im Zuge der Wiedervereinigung, aber auch den starken Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zurückzuführen ist.54 Trotz der intensivierten Beschäftigung mit Unternehmenskrisen trifft die Aussage von WITTE55 aus dem Jahr 1981, dass noch keine geschlossene Theorie der Unternehmenskrise existiert, auch heute noch zu.56 Wegen der hohen Komplexität, Heterogenität und Multikausalität von Unternehmenskrisen kann immer noch nicht von einer geschlossenen Realtheorie gesprochen werden. Dennoch werden in den bestehenden Arbeiten alle relevanten theoretischen Fragestellungen zu Verlauf, Ursachen, Wirkungen und Bewältigung von Unternehmenskrisen behandelt. Der Stand der Forschung zu diesen Themengebieten wird in den folgenden Kapiteln dargestellt. Dabei wird auf das Thema Krisenbewältigung nur überblicksartig eingegangen, da der Fokus dieser Arbeit auf der Früherkennung und nicht auf der Bewältigung von Unternehmenskrisen liegt.
2.1.2.1 Verlauf von Unternehmenskrisen
Bei der Beschreibung der Eigenschaften wurde bereits darauf hingewiesen, dass Unternehmenskrisen als zeitlich begrenzte Prozesse zu verstehen sind. In den ver-
53
54
55 56
Vgl. Krystek (2002), S. 87. Wobei dies nicht heißt, dass Unternehmenskrisen nur entstehen, weil Risiken eingegangen werden. Im Rahmen des KonTraG wird in bestandsgefährdende, wesentliche, relevante und unwesentliche Risiken unterschieden, wobei nur unwesentliche Risiken als krisenfreie Risiken betrachtet werden. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 30; Kihm (2006), S. 38. Die Unternehmensinsolvenzen stiegen drastisch von 8.730 im Jahr 1990 auf 22.344 1995 und 27.930 2000 an. Vgl. Glatzel (2006), S. 758. Vgl. Witte (1981), S. 13 f. Ähnlich wie Witte äußern sich in den 80er Jahren Krystek (1987), S. 2 und Müller, R. (1986), S. 20 ff. Auch heute vertreten viele Autoren die Auffassung, dass es keine geschlossene Theorie der Unternehmenskrise gibt u.a. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 32; Hauschildt (2006), S. 22; Grape (2006), S. 4; Hülsmann/Schulenburg (2005), S. 85; Roselieb (1999), S. 87; Gless (1996), S. 105.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
19
schiedenen Prozessphasen bieten sich dabei unterschiedliche Möglichkeiten und Ansatzpunkte für die Früherkennung, die in dieser Arbeit im Vordergrund steht, und die Bewältigung. Grundsätzlich sind Unternehmenskrisen Ereignisfolgen mit Anfang, Wendepunkt und Ende57, deren Dauer von schleichend und lang anhaltend bis zu kurz und schlagartig variieren kann.58 Für die hier betrachteten Zusammenhänge ist es wichtig, dass die Eckpunkte, besonders der Anfang der Unternehmenskrise, nicht unbedingt an objektiven Messgrößen festzumachen sind. Wann genau die Gefährdung der dominanten Unternehmensziele und die Krisensituation beginnt, verlagert sich daher – wenn es sich nicht um objektive Tatbestände wie Überschuldung handelt – in den individuellen Wahrnehmungs- und Beurteilungsbereich. Zur Beschreibung des Verlaufs von Unternehmenskrisen wurden unterschiedlichste Prozessmodelle entwickelt und Unternehmenskrisen nach verschiedensten Kategorien typologisiert. Einen aktuellen Überblick der Typologisierungen geben KRYSTEK/ MOLDENHAUER59 und DAVID60. An dieser Stelle werden exemplarisch die Modelle von MÜLLER und KRYSTEK detaillierter vorgestellt, weil diese in der Literatur am weitesten verbreitet sind und für die Überlegungen dieser Arbeit interessante Einblicke liefern. MÜLLER teilt Unternehmenskrisen nach dem Grad der Existenzbedrohung bzw. nach der Unterschreitung der dominanten Unternehmensziele in vier Arten: strategische Krise, Erfolgskrise, Liquiditätskrise und Insolvenz.61 Mit fortschreitendem Krisenverlauf verringern sich dabei die Handlungsmöglichkeiten des Unternehmens während sich gleichzeitig die destruktiven Wirkungen der Krise verstärken. Damit entstehen erhöhter Handlungsdruck, Entscheidungszwang und Anforderungen an die Krisenbewältigung.62 Im Einzelnen sind die vier Krisenarten wie folgt charakterisiert: In der strategischen Krise sind Aufbau oder Verfügbarkeit der mittel- und langfristigen Erfolgspotentiale des Unternehmens ernsthaft gefährdet. Erfolgspotentiale sind die Voraussetzung zur Erzielung von Vermögenszuwächsen, liegen in Wettbewerbsvorteilen begründet und gewährleisten, dass das Unternehmen in zukünftigen Perioden eine Mindestrendite erzielen und damit seine Existenz sichern kann. Gehen diese Erfolgspotentiale z.B. durch geändertes Nachfrageverhalten, neue Technologien, Überkapazitäten oder Ineffizienzen verloren und müssen sie zurückerobert werden, kann dies für das Unternehmen existenzbedrohend sein – nicht wegen bereits ent-
57 58 59 60
61
62
Vgl. Pohl (1977), S. 95 ff. Für eine Darstellung möglicher Verlaufsformen vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 33 f. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 35. Vgl. David, S. (2001), S. 38 ff. Weitere Krisenprozessmodelle finden sich bspw. bei Slatter/Lovett (1999), S. 61 ff.; Töpfer (1999), S. 58 ff.; Löhneysen (1982), S. 103 ff. Eigentlich beschreibt Müller Krisenarten. Da er jedoch diese Krisenarten zeitlich verknüpft, werden sie heute meist als Phasenmodell interpretiert. Vgl. dazu Müller, R. (1986), S. 56. Vgl. für die weiteren Ausführungen zu diesem Phasenmodell v.a. Müller, R. (1986), S. 53 ff.
20
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
standener Ergebniseinbrüche, sondern wegen der Schwierigkeit des Wiederaufbaus dieser Erfolgspotentiale.63 Eine strategische Krise ist schwer als solche zu erkennen, weil es noch keine in monetären Größen darstellbaren negativen Auswirkungen gibt. Umsatzrückgänge oder Margenverschlechterungen äußern sich zu diesem Zeitpunkt meist noch nicht und es finden sich, falls die Verschlechterung der Unternehmenssituation denn bemerkt wird, in der Regel genügend andere Gründe dafür.64 Wird die strategische Krise nicht erkannt und werden keine geeigneten Maßnahmen eingeleitet, führt dies zu existenzbedrohenderen Krisenstadien. Gerade weil die strategische Krise so schwer zu erkennen ist, ist sie im hier betrachteten Zusammenhang besonders interessant und steht deshalb im Mittelpunkt dieser Arbeit. In der Erfolgskrise liegen erhebliche Abweichungen in den Ergebniszielen vor und die Krise wird im Zahlenwerk des Unternehmens sichtbar.65 Umsatz-, Gewinn- oder Rentabilitätsziele werden nicht erreicht oder bereits Verluste im operativen Geschäft erwirtschaftet, die das Eigenkapital reduzieren und zu einer Unterbilanzierung führen können. Gründe für Erfolgskrisen können neben den fehlenden Erfolgspotentialen bspw. auch in Ineffizienzen im operativen Geschäftsablauf liegen.66 Wird in diesen beiden Krisenphasen nicht gegengesteuert, kommt es zur Liquiditätskrise, in der die ernsthafte Gefahr einer Illiquidität und/oder Überschuldung besteht. Gründe können in den anhaltenden Verlusten aus der Erfolgskrise oder fehlendem finanzwirtschaftlichem Spielraum liegen.67 In der letzten Phase, der Insolvenz, ist die (drohende) Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung erreicht. MÜLLER weist jedoch darauf hin, dass auch in dieser Phase grundsätzlich die Möglichkeit des Erhalts des Unternehmens besteht.68 Das Modell von MÜLLER bietet für diese Arbeit wichtige Einblicke, weil es explizit die strategische Krise als möglichen Ausgangspunkt von Unternehmenskrisen berücksichtigt. Die weiteren Krisenstadien schließen sich daran an: Fehlen die Erfolgspotentiale, geht die Fähigkeit zur Gewinnerzielung verloren (Erfolgskrise) und nachhaltige Verluste entstehen, die in die Liquiditätskrise führen und ohne Gegenmaßnahmen in der Insolvenz enden. Auch wenn abweichende Krisenverläufe denkbar sind und manche Krisen bspw. durch finanzwirtschaftliche Entscheidungen erst in der
63 64 65 66 67 68
Vgl. Gless (1996), S. 14. Zu den Symptomen strategischer Krisen vgl. Zöller (2006), S. 23 f.; Leidig/Jordans (2004), S. 324 f. Deshalb wird die Erfolgskrise oft auch als Ergebnis- oder Ertragskrise bezeichnet. Zu den Symptomen einer Erfolgskrise vgl. Zöller (2006), S. 24 ff.; Böckenförde (1996), S. 19. Zu den Symptomen einer Liquiditätskrise vgl. Zöller (2006), S. 26 f. Insolvenztatbestände werden hier nicht näher betrachtet. Vgl. dazu z.B. Vuia (2007), S. 36 ff.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
21
Liquiditätskrise einsetzen, beginnen etwa 60% der Unternehmenskrisen wie beschrieben mit der strategischen Krise.69 KRYSTEK unterteilt den Krisenverlauf auch in vier Phasen, unterscheidet die Stadien aber nach Aggregatzustand und Beeinflussbarkeit in (1) potentielle Unternehmenskrise, (2) latente Unternehmenskrise, (3) akut/beherrschbare Unternehmenskrise und (4) akut/nicht beherrschbare Unternehmenskrise. Potentielle und latente Unternehmenskrisen können sich in akute Stadien weiterentwickeln, bei ihnen wird aber grundsätzlich noch die Vermeidbarkeit der Krise unterstellt.70 Potentielle Unternehmenskrisen sind der Normalzustand von Unternehmen, in denen Krisen zwar möglich, aber noch nicht real vorhanden oder wahrnehmbar sind. Diese Phase ist für die Krisenvorsorge besonders wichtig, weil hier gedanklich die Krise vorweggenommen werden kann und Maßnahmen überlegt werden können, die bei Ausbruch einer Krise die Reaktionsfähigkeit erhöhen (Alternativplanung). Allerdings gestaltet sich die Identifikation relevanter potentieller Unternehmenskrisen schwierig. Im Stadium der latenten Unternehmenskrise ist die Krise verdeckt bereits vorhanden oder wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zeitnah eintreten, aber für das Unternehmen mit herkömmlichen Methoden nur schwer wahrnehmbar. Sind die geeigneten Instrumente vorhanden, kann die Krise aber erkannt und können bereits in diesem Stadium, in dem noch ausreichend Handlungsmöglichkeiten bestehen, präventive Maßnahmen eingeleitet werden. Wegen der zwar schweren Erkennung, aber des großen Potentials zur Krisenvermeidung steht diese Phase im Mittelpunkt dieser Arbeit. In der akut/beherrschbaren Unternehmenskrise sind die destruktiven Wirkungen der Krise wahrnehmbar, der Handlungs- und Zeitdruck bereits erhöht und die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Alle möglichen Kräfte zur Bewältigung der Krise werden mobilisiert, was Signalwirkung hat, den Krisenprozess aber auch noch verstärken kann.71 In dieser Phase kann noch von einer Bewältigung der Krise ausgegangen werden, da ein ausreichendes Krisenbewältigungspotential vorhanden ist. In der akut/nicht beherrschbaren Unternehmenskrise werden die dominanten Unternehmensziele nicht mehr erreicht und der Krisenprozess tritt in die letzte Phase ein. Die Krisenbewältigungsanforderungen übersteigen das Krisenbewältigungspotential, der Handlungsdruck steigt weiter, die destruktiven Wirkungen nehmen zu und die verheerende Katastrophe ist nicht mehr abzuwenden. 69 70
71
Vgl. Müller, R. (1986), S. 56. Vgl. zu den Erläuterungen des Modells Krystek (2006b), S. 48 ff.; Hülsmann (2005), S. 42 f.; Krystek (2002), S. 93 ff.; Krystek (1987), S. 29 ff. und Krystek (1981), S. 38 ff. Vgl. Grape (2006), S. 12 und die dort zitierte Literatur.
22
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
Wie in dem Modell von MÜLLER liegt auch in dem Modell von KRYSTEK keine zwingende zeitliche Reihenfolge vor. Eine Krise muss nicht alle Phasen durchlaufen, sondern kann zu jedem Zeitpunkt gestoppt werden oder schlagartig einsetzen. Beide Modelle können wie in Abb. 272 gezeigt kombiniert werden. Gemeinsam steigen bei beiden mit dem Fortschreiten der Krisenstadien die Gefährdung der dominanten Unternehmensziele, der Handlungsdruck, die Komplexität und die Anforderung an das Krisenmanagement, aber auch die Möglichkeiten der Wahrnehmung der Krisensymptome. Allerdings nehmen mit gleicher Dynamik die Handlungsalternativen ab. Da die Verschärfung der Krise und ihre Wahrnehmung grundsätzlich mit zeitlichem Abstand erfolgen, sollten Unternehmenskrisen möglichst frühzeitig erkannt werden, um durch entsprechende Maßnahmen die Existenzgefährdung abzuwenden.73 MÜLLER
Strategische Krise Erfolgskrise
KRYSTEK
Liquiditätskrise
Potentielle Krise
Latente Krise
Akut/ beherrschbare Krise
Handlungsspielraum
Insolvenz
Akut/nicht beherrschbare Krise Handlungsdruck
Abb. 2: Krisenverlaufsmodelle nach MÜLLER und KRYSTEK.
2.1.2.2 Ursachen von Unternehmenskrisen
Die Krisenursachenforschung beschäftigt sich mit den Ursache-Wirkungszusammenhängen, die zu Unternehmenskrisen führen.74 Dabei wird zwischen Ursachen und Symptomen unterschieden. Symptome sind die sichtbaren Folgen der Krisenursachen, dienen als Indikatoren zur Erkennung von Unternehmenskrisen, müssen aber nicht ursächlich für das Entstehen der Krise sein.75 Ursachen sind die tatsächlichen Gründe für die Krise und werden in exogene und endogene Ursachen unterteilt, wobei diese Unterteilung in erster Linie der Strukturierung dient.76 Unter endogenen Ursachen werden Ursachen wie z.B. Managementfehler verstanden, die im Einfluss72 73 74 75
76
Eigene Darstellung in Anlehnung an Krystek (2002), S. 95. Vgl. Zöller (2006), S. 21; Kraus/Haghani (2004), S. 14 f.; David, S. (2001), S. 48. Vgl. Krystek (2006b), S. 51; Krystek (1987), S. 32; Töpfer (1985), S. 159 ff. Vgl. zu dieser mangelnden Kausalbeziehung bspw. Kihm (2006), S. 35; Böckenförde (1996), S. 22; Gless (1996), S. 21; David, S. (2001), S.65 f.; Lüthy (1988), S. 32; Töpfer (1985), S. 160. Diese Unterteilung in exogen und endogen wurde bereits von Fleege-Althoff (1930), S. 84 und 91 ff. vorgenommen.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
23
bereich des Unternehmens liegen. Exogene Ursachen liegen außerhalb dieses direkten Einflussbereiches und umfassen bspw. strukturelle und konjunkturelle Veränderungen oder andere diskontinuierliche Entwicklungen in der Unternehmensumwelt.77 Die Ursachen für Unternehmenskrisen sind oft komplex und multikausal, so dass sowohl von exogenen als auch endogenen Faktoren ausgegangen werden muss.78 Methodisch lässt sich die Krisenursachenforschung, die lange Zeit hauptsächlich als Insolvenzursachenforschung betrieben wurde79, in quantitative und qualitative Krisenursachenforschung unterscheiden.80 Die quantitative Krisenursachenforschung beabsichtigt, mit statistisch leicht erfassbaren Daten wie Unternehmensgröße, Unternehmensalter oder Rechtsform Merkmale zu identifizieren, die vermehrt mit Unternehmenskrisen in Verbindung gebracht werden können. Allerdings fällt bei dieser quantitativen Betrachtung die Trennung in Symptome und Ursachen so schwer, dass ihr nur ein begrenzter Erklärungsbeitrag zu den Ursache-Wirkungsbeziehungen zugesprochen wird.81 Die qualitative Krisenursachenforschung versucht, durch Befragung von Beteiligten wie bspw. Insolvenzverwaltern, Unternehmen und Unternehmensberatern sowie Analyse von Berichten und Fallstudien über einzelne Krisenverläufe Erkenntnisse über die Krisenursachen zu gewinnen. Diese Erkenntnisse, die explizit nicht nur auf Insolvenzfälle beschränkt sind, werden verallgemeinert und in Ursachenkatalogen zusammengefasst. Dabei muss beachtet werden, dass auch mit der qualitativen Krisenursachenforschung Schwächen verbunden sind. So werden zufällig ausgewählte Einzelfälle generalisiert, in den Analysen unterschiedlichste Kriterien zugrunde gelegt und Betroffene einbezogen, die in ihren Aussagen nie unbefangen sind.82 Trotzdem bietet qualitative Ursachenforschung einen höheren Erklärungsbeitrag und steht daher im Vordergrund der weiteren Ausführungen. Dabei wird auf eine umfassende Darstellung der in der Literatur vorhandenen Studien und Erkenntnisse verzichtet, sondern es werden exemplarisch die bedeutendsten und vielfach identifizierten Ursachen überblicksartig aufgezeigt. 83
77 78 79
80
81
82
83
Vgl. Krystek (2006b), S. 57; Brühl (2004), S. 5 ff.; Krystek (1987), S. 68 f. Vgl. bspw. Krystek (2006b), S. 45; Wilden (1998), S. 2. Der Fokus auf Insolvenzursachenforschung schränkt den Untersuchungszusammenhang ein, da Ursachen bewältigter Unternehmenskrisen nicht berücksichtigt werden. Vgl. dazu Krystek (2006b), S. 52; Krystek (2002), S. 90; Gless (1996), S. 21; Krystek (1987), S. 33; Witte (1981), S. 17. Vgl. Krystek (2006b), S. 52; Krystek (1987), S. 33. Für eine Kategorisierung von Krisenursachen auch Jossé (2004), S. 43. Vgl. Kihm (2006), S. 36; Krystek (2002), S. 91; David, S. (2001), S.59 f.; Bea/Kötzle (1983), S. 566. Zum Überblick aktueller Ergebnisse quantitativer Krisenursachenforschung vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 41 f.; Krystek (2006b), S. 53 ff. Vgl. ausführlicher Kihm (2006), S. 36 f.; Grape (2006), S. 33; Hauschildt (2005), S. 3 ff.; Neumann (2004), S. 55 ff.; Hauschildt (2000), S. 4 f.; Gunzenhauer (1995), S. 19 f.; Krystek (1987), S. 45. Übersichten über Ergebnisse qualitativer Ursachenforschung finden sich bspw. bei Kihm (2006), S. 40 ff.; Brühl (2004), S. 5 ff.; Krystek (1987), S. 35 ff. und 44 ff.; auch Räss (1982), S. 67 ff.
24
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
Mit großer Mehrheit werden in der Krisenursachenforschung die endogenen Krisenursachen in den Mittelpunkt gestellt84, allen voran Fehler der Unternehmensführung.85 Versteht man die Aufgabe der Unternehmensführung so, dass sie alle Diskontinuitäten in der Umfeldentwicklung durch geeignete Planung, Steuerung und Kontrolle kompensieren soll, kann letztlich jede Fehlentwicklung auf Führungsfehler zurückgeführt werden.86 Eine solche Reduzierung greift jedoch sehr kurz und unterschätzt die Komplexität der Krisenursachen.87 Als weitere interne Ursache wird im Rahmen der Finanzierung oft die unzureichende Eigenkapitalausstattung benannt. Allerdings wird auch dieser Zusammenhang kontrovers diskutiert. Trotz der einsichtigen Gefahr der Unterkapitalisierung weisen quantitative Untersuchungen darauf hin, dass selbst Unternehmen in existenzbedrohende Krisenstadien gelangt sind, bei denen eine ausreichende Eigenkapitalausstattung vorhanden war. Daher kann auch die Eigenkapitalausstattung letztlich nur als ein Symptom für tiefer liegende Ursachen angesehen werden. Ihre reine Beseitigung bedeutet noch nicht die Überwindung der Krise.88 Ein weiterer Zweig der Krisenursachenforschung beschäftigt sich auf der Basis von Lebenszyklus- und Wachstumsmodellen mit dem Zusammenhang von Unternehmensentwicklung und Krisenanfälligkeit. Hierbei wird davon ausgegangen, dass sich das Wachstum von Unternehmen nicht stetig, sondern diskontinuierlich und in Schüben vollzieht, die mit Krisen verbunden sind. Am bekanntesten ist das Wachstumsschwellenmodell von GREINER, der revolutionäre Perioden in der Unternehmensentwicklung als Krisenursache sieht, die in Führungsstilkrisen, Autonomiekrisen, Kontrollkrisen, Bürokratiekrisen und Krisen durch Fragezeichen münden können.89 Als bedeutendste exogene Ursache wird die konjunkturelle Entwicklung angeführt.90 Hier wird allerdings der kritischen Sichtweise in der Literatur gefolgt, dass der Konjunkturverlauf nur auslösender Faktor sein kann, die Konjunktur selbst aber nicht Krisenursache.91 Dennoch sollten die Auswirkungen der zunehmenden Diskontinuität
84 85
86 87
88
89
90
91
Vgl. zu einer Übersicht möglicher endogen Krisenursachen vgl. Böckenförde (1996), S. 32 ff. Vgl. Krystek (2006b), S. 56 und S. 59; Grape (2006), S. 29 ff.; Neumann (2004), S. 64 ff.; Engberding (1998), S. 41 f.; Lüthy (1988), S. 47; Krystek (1987), S. 68; Woeste (1980), S. 622. Vgl. zu in Führungsfehlern begründeten internen Krisenursachen Hauschildt (2005), S. 4 f. Exemplarisch kann die Komplexität der Krisenursachen dem Szenario "Der inflexible Patriarch" nachvollzogen werden. Vgl. dazu Töpfer (1985), S. 168 f. Vgl. Bergauer (2003), S. 18; Neumann (2004), S. 60 f.; Plattner (2002), S. 43 f.; Hauschildt (2000), S. 4 f.; Böckenförde (1996), S. 31. Vgl. Greiner (1972), S. 37 ff.; zur kritischen Würdigung vgl. z.B. Krystek (1987), S. 63. Zur Übersicht ähnlicher Modelle Lehr (2006), S. 20 f.; Neumann (2004), S. 61 ff.; Krystek (1987), S. 64 ff. Vgl. Koepff (2007), S. 21; Böckenförde (1996), S. 34 f.; Gruhler (1982), S. 27 ff.; zu exogenen Ursachen allgemein u.a. Neumann (2004), S. 58 ff. Vgl. dazu bspw. Krystek (2006b), S. 63; Cezanne (1999), S. 15; Woeste (1980), S. 622.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
25
von Umfeldentwicklungen, wie verändertem Konsumverhalten oder neuer Technologien, wie in der Einleitung dieser Arbeit erläutert, nicht unterschätzt werden. Auch wenn die Frage offen bleibt, ob nicht letztlich alle Krisenursachen auf mangelnde Adaptionsfähigkeit zurückzuführen sind, so kann trotz der Vielfältigkeit der Ergebnisse der Krisenursachenforschung festgehalten werden, dass die UrsacheWirkungszusammenhänge durch eine hohe Komplexität gekennzeichnet sind.92 Dies drückt sich in vier Merkmalsausprägungen von Unternehmenskrisen aus:93 x
Multikausalität: Die Unternehmenskrise ist auf das Zusammenwirken einer Vielzahl von Krisenursachen zurückzuführen.
x
Mehrstufigkeit: Die Unternehmenskrise entsteht durch mehrstufige UrsacheWirkungszusammenhänge, bei denen die Wirkungen einer vorgelagerten Ebene zu Ursachen einer nachgelagerten Ebene werden.
x
Multilokalität: Die Unternehmenskrise ist sowohl durch Ursachen im endogenen als auch im exogenen Bereich bedingt.
x
Multitemporalität: Die Unternehmenskrise vollzieht sich in mehrstufigen Prozessen, die sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit entwickeln.
Gerade diese Eigenschaften machen die Früherkennung von Unternehmenskrisen schwierig, weil man eine Vielzahl von Beobachtungsbereichen im Blick haben muss. Abschließend sei erwähnt, dass in jüngeren Arbeiten gefordert wird, die Rolle des Menschen in Krisensituationen stärker zu berücksichtigen.94 Der Forderung wird in dieser Arbeit Rechnung getragen. Denn nicht nur in der Betrachtung der Krisenursachen, sondern auch in der Krisenfrüherkennung spielt der Mensch mit seinem individuellen, aber auch kollektiven Verhalten eine ganz zentrale Rolle.
2.1.2.3 Wirkungen von Unternehmenskrisen
Obwohl Wirkungen von Unternehmenskrisen nur selten Gegenstand der Forschungsbemühungen sind, sind sie ein wichtiger Bestandteil dieser Phänomene.95 In den meisten Fällen werden mit Unternehmenskrisen primär destruktive Wirkungen wie Arbeitsplatzverlust und volkswirtschaftliche Schäden assoziiert. Durch die Ambi92
93
94 95
Diese Komplexität der Ursache-Wirkungsbeziehungen wird auch in der Übersicht der Insolvenzursachenkomplexe bspw. bei Töpfer (1985), S. 162 ff. deutlich, aber auch bei Brühl (2004), S. 16 f. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 50 f.; Bergauer (2003), S. 18; ähnlich Neumann (2004), S. 71 f.; Böckenförde (1996), S. 29. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 40; Hauschildt (2004), S. 707; Cezanne (1999), S. 182. Im Fokus stehen eher Krisenursachen und Krisenfrüherkennung. Vgl. z.B. Grape (2006), S. 4.
26
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
valenz des Ausgangs beinhalten Unternehmenskrisen aber auch konstruktive Wirkungen. Sie eröffnen die Möglichkeit zur Veränderung, Erneuerung und positiven Wende, durch die Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen können.96 Destruktive und konstruktive Wirkungen müssen dabei nicht endogen auf das betroffene Unternehmen beschränkt bleiben, sondern können auch exogen auf das Unternehmensumfeld abstrahlen.97 Bezogen auf das von der Krise betroffene Unternehmen können sich konstruktive und destruktive Wirkungen für Arbeitnehmer und Eigenkapitalgeber ergeben. Für die Mitarbeiter, aber auch das Management besteht die konstruktive Wirkung bei Bewältigung der Krise in einer erhöhten Arbeitsplatzsicherheit und ggf. ungeahnten Karrierechancen, wenn sie sich während der Krise positiv verdient gemacht haben. Diese Faktoren erhöhen zusätzlich zu der Gewissheit, an dem Weg aus der Krise beteiligt gewesen zu sein, die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter. Im Verlauf des Krisenbewältigungsprozesses kann das dominante Ziel der Mitarbeiter – die individuelle Existenzsicherung – aber auch gefährdet werden. Destruktive Wirkungen können sich vor allem in Form von Arbeitsplatzverlusten durch Restrukturierungsund Sanierungsmaßnahmen zeigen. 98 Kann die Krise nicht überwunden werden, bedeutet dies im Extremfall die Vernichtung aller Arbeitsplätze.99 Die Eigenkapitalgeber hingegen profitieren bei erfolgreicher Krisenbewältigung neben der Sicherung ihrer Investitionen durch eine verbesserte Ergebnis- und Liquiditätssituation, die sich in ausschüttungsfähigen Gewinnen konkretisiert. Kann die Krise nur schwer oder nicht überwunden werden, bedeutet das für die Eigenkapitalgeber den teilweisen oder vollständigen Verlust des eingesetzten Kapitals sowie den Verzicht auf die daraus resultierenden Gewinne.100 Da Krisenwirkungen wie erwähnt über das betroffene Unternehmen hinausgehen, sollen hier beispielhaft einige Konsequenzen für die Stakeholder aufgezeigt werden. Verbundene Unternehmen profitieren von den konstruktiven Wirkungen durch eine verbesserte Ergebnis- und Liquiditätssituation der anderen Konzerngesellschaft, 96
97 98
99
100
Konstruktive Wirkungen können bspw. die Möglichkeit zu tiefgreifender Veränderung, Entwicklung neuer Strategien, Erneuerung veralteter Strukturen und Prozesse, Belebung innovativer Kräfte und Überwindung von Widerständen sein. Sie sind u.a. dadurch bedingt, dass die Unternehmensführung in Krisensituationen bereit ist, ein höheres Risiko einzugehen. Vgl. Krystek (1987), S. 82 f. Vgl. zur Systematisierung der Wirkungen Krystek (1987), S. 72. Weitere destruktive Wirkungen für Mitarbeiter sind z.B. Kurzarbeit, Reduzierung freiwilliger Leistungen, Verlust sozialer Bindungen oder Karriereverzögerung. Vgl. dazu u.a. Krystek (1987), S. 74. Über die durch Unternehmenskrisen vernichteten Arbeitsplätze liegen keine verlässlichen Daten vor, da die im Verlauf der erfolgreichen Krisenbewältigung verlorengegangenen Arbeitsplätze nicht erfasst werden und auch im Falle der Insolvenz nicht zwangsläufig alle Arbeitsplätze verlorengehen, sondern Beschäftigte tlw. in Auffanggesellschaften weiterarbeiten, vgl. Krystek (1987), S. 73. Für Fremdkapitalgeber sind destruktiven Wirkungen wegen ihrer Besicherungen oft nicht so hoch.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
27
können aber im entgegengesetzten Fall durch finanz- und leistungswirtschaftliche Verflechtungen mit dem Krisenunternehmen selbst in eine existenzbedrohende Situation, im schlimmsten Fall eine Folgeinsolvenz, geraten. Kunden, Lieferanten und Fremdkapitalgeber sehen sich bei erfolgreich überstandener Krise einer stabileren Geschäftsverbindung und ggf. sogar einer Ausweitung der Geschäftsbeziehungen gegenüber. Kann die Krise jedoch nicht überwunden werden, können für die Kunden selbst überlebenskritische Situationen entstehen, wenn ihr Lieferant nicht mehr oder nicht mehr termingerecht liefert.101 Für Lieferanten können die destruktiven Wirkungen von einer verzögerten Zahlung bis zum vollständigen Zahlungsausfall bei Verlust der gelieferten Ware reichen. Für die Fremdkapitalgeber besteht besonders in der Liquiditätskrise die Gefahr, dass die Forderungen aus den Kreditverträgen nicht mehr bedient werden. Dies kann ähnlich wie bei Lieferanten von einer nicht termingerechten Zahlung der Zinsen und Tilgung bis zum völligen Ausfall des Kredites reichen. Der Staat und die Gesamtwirtschaft profitieren bei überwundener Krise bspw. durch Steuermehreinnahmen und positive Beschäftigungseffekte. Ebenso sind sie aber auch von den destruktiven Wirkungen betroffen, was sich neben Steuermindereinnahmen, Gewährung von Bürgschaften und Forderungsverlusten in negativen Beschäftigungseffekten und Mehrausgaben durch Arbeitslosen- oder Insolvenzgeld äußern kann.102 Aus den beschriebenen Wirkungen von Unternehmenskrisen wird deutlich, dass insbesondere unter Berücksichtigung der destruktiven Konsequenzen die Motivation zur Krisenfrüherkennung steigt, um die Nichterreichung der jeweils individuellen Ziele zu verhindern bzw. die Wirkungen der Unternehmenskrise abzuschwächen.
2.1.2.4 Bewältigung von Unternehmenskrisen
In der Literatur und Praxis wird Krisenbewältigung oft mit Krisenmanagement umschrieben und gleichgesetzt. In anderen Fällen dient Krisenmanagement jedoch als Oberbegriff und schließt auch andere krisenrelevante Sachverhalte mit ein. Diese Unschärfe macht zunächst eine genaue Begriffsbildung von Krisenmanagement notwendig, um anschließend die Krisenbewältigung abzugrenzen und zu skizzieren. Einige Autoren beschränken Krisenmanagement in einem engeren Sinne auf die in diesem Kapitel bedeutsamen krisenbewältigenden Handlungen103, während andere in 101 102
103
Zur Aufrechthaltung des eigenen Geschäftsbetriebs stützen daher Kunden tlw. ihre Lieferanten. Vgl. zu den endogenen und exogenen konstruktiven und destruktiven Wirkungen sowie Wirkungen auf weitere Stakeholder Krystek (1987), S. 72 ff.; auch Krystek/Moldenhauer (2007), S. 52 ff. Vgl. David, S. (2001), S. 27 f.; Müller, R. (1986), S. 15; Weber, P. (1980), S. 22; Höhn (1974), S. 1.
28
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
KRISENMANAGEMENT
den Begriff explizit auch Krisenvorsorge und Krisenvermeidung einschließen.104 Während die enge Definition zu einer starken Begrenzung des Einsatzspektrums führt, kann es bei dem weiter gefassten Verständnis zu einer Aushöhlung des Begriffs kommen, weil die Abgrenzung von Krisenmanagement zu originären Aufgaben der Unternehmensführung schwierig ist.105 Im Folgenden wird der weiteren Definition von Krisenmanagement gefolgt, weil diese auch die hier im Mittelpunkt stehende Krisenvermeidung berücksichtigt. Zu Einordnung und Abgrenzung der verschiedenen Arten des Krisenmanagements werden diese in Abb. 3106 in Anlehnung an KRYSTEK systematisiert und mit den in Kapitel 2.1.2.1 gezeigten Krisenphasen kombiniert. Aktives Krisenmanagement (Krisenvermeidung) Antizipativ (Vorsorge)
Reaktives Krisenmanagement (Krisenbewältigung)
Präventiv (Früherkennung)
Repulsiv (Sanierung)
Liquidativ (Liquidation)
KRISENPHASEN
Strategische Krise Erfolgskrise Liquiditätskrise Potentielle Krise
Latente Krise
Akut/ beherrschbare Krise
Insolvenz Akut/nicht beherrschbare Krise
Abb. 3: Krisenmanagement und Krisenphasen.
Krisenmanagement zur Krisenvermeidung, -vorsorge und -früherkennung wird als aktives Krisenmanagement bezeichnet, Krisenmanagement zur Bewältigung von Unternehmenskrisen als reaktives Krisenmanagement. Die Krisenvermeidung wird weiter in antizipativ und präventiv unterteilt. Bezogen auf die vorgestellten Krisenphasen bezieht sich antizipatives Krisenmanagement auf die potentielle Krise und beinhaltet die gedankliche Vorwegnahme möglicher krisenhafter Entwicklungen und der entsprechenden Reaktionen zur Erhöhung der Handlungsfähigkeit, falls die Situation eintritt. Das präventive Krisenmanagement dient im Stadium der latenten Krise dazu, diese rechtzeitig zu erkennen und so frühzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten. Das reaktive Krisenmanagement unterteilt sich in repulsiv und liquidativ. Repulsives Krisenmanagement umfasst alle Maßnahmen zur Abwehr oder Bewältigung der
104
105
106
Vgl. Jossé (2004), S. 72 f.; Wilden (1998), S. 1; Bea/Haas (1994), S. 487; Oelsnitz (1993), S. 21; Krystek (1987), S. 90; Röthig (1976), S. 14 f. Vgl. Bergauer (2003), S. 6 f.; Krystek (2002), S. 98; David, S. (2001), S. 27; Oelsnitz (1993), S. 19 ff.; Clasen (1992), S. 120. Eigene Darstellung in Anlehnung an Krystek (2002), S. 99.
2.1 Phänomen der Unternehmenskrise
29
Krise und findet daher in der Phase der akut/beherrschbaren Krise statt. Liquidatives Krisenmanagement kommt bei akut/nicht beherrschbaren Krisen zum Einsatz und hat durch systematische Liquidation die Befriedigung der Gläubiger im Fokus.107 Auf dem präventiven Krisenmanagement und den Prozessen zur rechtzeitigen Erkennung der Krisensituation in der latenten bzw. strategischen Unternehmenskrise liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit. Dies wird daher umfassend in Kapitel 2.2 diskutiert. Dennoch wird zur Vervollständigung des aktuellen Stands der Forschung zu Unternehmenskrisen vorab ein kurzer Überblick über den Krisenbewältigungsprozess gegeben.108 Krisenbewältigungsprozesse werden meistens in Verbindung mit reaktivem Krisenmanagement in existenzbedrohenden Krisenstadien diskutiert, können in ähnlicher Form aber auch für strategische Krisen gelten, denn auch dort müssen Lösungswege und Maßnahmen entwickelt werden.109 Konkrete Ansätze zur Krisenbewältigung sind in der Literatur zahlreich110 und werden im Zusammenhang mit Begriffen wie Turnaround, Sanierung oder Restrukturierung diskutiert.111 Am weitesten verbreitet sind dabei Variationen des in Abb. 4 skizzierten Phasenmodells von MÜLLER, das im Folgenden komprimiert dargestellt wird.112 Sanierungskonzept Erkennen Krisensituation
Initiierung Krisenbewältigung
Grobanalyse
Sofortmaßnahmen
Detailanalyse
Strategische Maßnahmen
Operative Maßnahmen
Implementierung
Kontrolle
Abb. 4: Schematische Darstellung des Krisenbewältigungsprozesses. 107
108
109
110
111
112
Vgl. zu dieser Abgrenzung des Krisenmanagements Krystek/Moldenhauer (2007), S. 137 f.; Krystek (2002), S. 99 f.; Krystek (1987), S. 106 f.; Krystek (1981), S. 61 ff. Bei den folgenden Erläuterungen zur Krisenbewältigung steht die methodische Dimension, also die Phasen der Krisenbewältigung, im Vordergrund. Auf Inhalte, Träger und Organisation wird nicht explizit eingegangen. Für eine ausführliche Darstellung dieser Punkte empfehlen sich Koepff (2007), S. 36 ff.; Krystek/Moldenhauer (2007), S. 149 ff.; Klein, U. (2006), S. 131 ff.; Kudla (2005), S. 100 ff.; Bergauer (2003), S. 60 ff.; Krystek (2002), S. 118 ff.; David, S. (2001), S. 212 ff. sowie S. 224 ff. und S. 245 ff.; Cezanne (1999), S. 25 ff.; Gless (1996), Böckenförde (1996), S. 52 ff.; Lüthy (1988), Krystek (1987), S. 97 ff. und die dort jeweils genannte Literatur. In einer strategischen Krise würde bspw. ein Schwerpunkt auf der Erkennung der Krise und der Analyse der Ausgangslage liegen, wohingegen in einer Liquiditätskrise die Einleitung von Sofortmaßnahmen zur Liquiditätsgenerierung und -sicherung im Vordergrund stehen würde. Vgl. bspw. Grape (2006), S. 43 ff.; Kraus/Haghani (2004), S. 18 ff.; Brühl (2004), S. 19 ff.; Krystek (2002), S. 116 ff.; Cezanne (1999), S. 22 ff.; Gless (1996), S. 130 f.; Böckenförde (1996), S. 52 ff.; Clasen (1992), S. 167 ff.; David, S. (2001), S.209 ff.; Lüthy (1988), S. 82 ff.; Krystek (1987), S. 91 ff.; Krummenacher (1982), S. 98 ff. Auf eine detaillierte Abgrenzung von Turnaround, Sanierung und Restrukturierung wird hier verzichtet, im Folgenden aber in Anlehnung an die entsprechende Diskussion nur der Begriff Sanierung verwendet. Vgl. zur Begriffsabgrenzung u.a. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 139 ff.; Grape (2006), S. 13 ff.; Moldenhauer (2004), S. 27 ff.; Bergauer (2003), S. 5 ff.; David, S. (2001), S. 30 ff.; Kall (1999), S. 7; Gless (1996), S. 43 ff.; Böckenförde (1996), S. 6 ff.; Clasen (1992), S. 134 ff. Eigene Darstellung in Anlehnung an Müller, R. (1986), S. 317 ff. Vgl. zu den Phasen, Maßnahmen und Aktivitäten der Krisenbewältigung u.a. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 142 ff.; Kraus/Haghani (2004), S. 21 ff.; Gunzenhauer (1995), S. 23 ff. sowie die in Fußnote 108 angegebene Literatur.
30
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
Die Krisenbewältigung beginnt mit dem Erkennen der Krisensituation, an das sich die Initiierung der Krisenbewältigung anschließt. Während es bei der Krisenerkennung um die richtige Interpretation der Symptome geht, zielt die Initiierung darauf ab, dass der Krisenerkennung Handlungen folgen und der Prozess der Krisenbewältigung angestoßen wird. Da sich die Krisenbewältigung – wie erläutert – eher auf akute Krisenstadien bezieht, manifestieren sich die Symptome vielfach bereits in betriebswirtschaftlichen Daten. Die Herausforderungen, die mit der Erkennung im Stadium der latenten bzw. strategischen Unternehmenskrise verbunden sind, werden im weiteren Verlauf der Arbeit ausführlich dargestellt. Aber auch das Erkennen von vermeidlich eindeutigen Symptomen kann durch die subjektive Wahrnehmung und kognitive Grenzen beeinflusst werden. Ebenso muss auf das Erkennen der Krise nicht zwangsläufig ein Krisenbewältigungsprozess folgen. Symptome können auch bewusst oder unbewusst falsch eingeschätzt und absichtlich verschwiegen werden. Die Grobanalyse dient dazu, einen Überblick über die Ausgangssituation, die grundsätzliche Möglichkeit und den eventuellen Weg der Sanierung zu gewinnen. Weil die Grobanalyse unter hohem Zeitdruck stattfindet, sollte sie sich neben der Identifikation der Krisenphase, der Krisenursachen und der Krisenwirkungen auf eine erste Untersuchung der Stärken, Schwächen und Erfolgspotentiale beschränken. Durch Sofortmaßnahmen, die meist schon während der Grobanalyse eingeleitet werden, soll eine Stabilisierung des Unternehmens erreicht und das kurzfristige Überleben gesichert werden. Der Schwerpunkt der Sofortmaßnahmen auf Ergebnis- oder Liquiditätsverbesserung ist dabei stark von der konkreten Krisensituation abhängig. Nach der Grobanalyse und den Sofortmaßnahmen schließt sich die Erarbeitung eines umfassenden Sanierungskonzeptes an, das den Weg aus der Krise hin zu angemessenen Erträgen, einer stabilen Liquiditätsausstattung und nachhaltigen Erfolgspotentialen aufzeigen soll. Dazu werden die Erkenntnisse der Grobanalyse in einer Detailanalyse verfeinert und nach Bestimmung des Veränderungsbedarfs und einer Zieldefinition strategische und operative Maßnahmen abgeleitet. Die Implementierung der im Sanierungskonzept erarbeiteten Maßnahmen und Strategien sollte zeitnah erfolgen. Dabei ist es wichtig, die Verantwortung für die Umsetzung auch organisatorisch zu verankern. Ein Kontrollprozess sollte die Detailanalyse, Maßnahmenerarbeitung und Implementierung begleiten. Nur durch stetige Kontrolle und den regelmäßigen Vergleich des Umsetzungsstatus mit den Sollgrößen können bei Abweichungen kurzfristig Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Bei dem aufgezeigten Prozess kommt es nicht auf die genaue Reihenfolge der einzelnen Phasen an, vielmehr geht es um die logische Abfolge der zur Sanierung notwendigen Aufgaben. Die Unterteilung in einzelne Phasen dient der Strukturierung
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
31
und Verringerung der Komplexität. Wie genau sich aber die Krisenbewältigung in der Praxis darstellt, hängt stark von den Besonderheiten der Krisensituation ab.113
2.2
Früherkennung von Unternehmenskrisen
2.2.1 Begriffliche Abgrenzung und Grundlagen der Früherkennung Durch die eingangs beschriebene stetig ansteigende Komplexität und Dynamik der Umweltentwicklung gewinnen Überlegungen der Krisenvermeidung zunehmend an Bedeutung. Werden Unternehmenskrisen frühzeitig erkannt, erhöht dies den Handlungsspielraum, akute Krisenstadien und Krisenbewältigungsanstrengungen können verhindert und negativen Krisenwirkungen abgemildert werden. Auch für Chancen spielt die Früherkennung eine wichtige Rolle. Sie verhalten sich spiegelbildlich zu Krisen und schrumpfen mit fortschreitendem Zeitverlauf. Krisenvermeidung kann, wie in der Darstellung des aktiven Krisenmanagements im vorangegangen Kapitel bereits angedeutet, noch weiter präzisiert werden. Krisenvorsorge (antizipatives Krisenmanagement) bezieht sich dabei auf die potentielle Unternehmenskrise, also den Normalzustand des Unternehmens ohne real vorhandene Krisensymptome. Durch verschiedene Techniken können mögliche Krisen erdacht und Handlungsalternativen gedanklich trainiert werden.114 In dieser Arbeit steht jedoch die Krisenfrüherkennung, wie in der Ausgangssituation und der Problemstellung gezeigt, im Mittelpunkt der Überlegungen. Die Krisenfrüherkennung (präventives Krisenmanagement) hat ihren Bezugspunkt in der latenten und strategischen Unternehmenskrise, die verdeckt bereits vorhanden ist, deren Symptome aber mit herkömmlichen betriebswirtschaftlichen Informationsinstrumenten noch nicht zu erkennen sind.115 Spezielle Früherkennungsinstrumente ermöglichen, diese verdeckten Gefährdungen und Symptome in frühen Stadien zu identifizieren, dadurch einen zeitlichen Vorsprung zu gewinnen und den verbleibenden Handlungsspielraum zu erhöhen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Früherkennung zwangsläufig mit einer Interpretation der empfangenen Informationen verbunden ist. Diese Interpretation ist bei betriebswirtschaftlichen Daten und Kennzahlen, mehr aber bei un-
113 114
115
Vgl. Gless (1996), S. 130 f.; Müller, R. (1986), S. 317. Zu Methoden der Krisenvorsorge wie z.B. Szenariotechnik, Alternativplanung und Risk-Management sowie den damit verbundenen Problemen vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 79 ff.; Krystek (2002), S. 101 f.; Krystek (1987), S. 121 ff.; Krystek (1981), S. 159 ff. Präventives Krisenmanagement in der latenten Krise ist auch der Bezugspunkt des KonTraG, das die Früherkennung bestandsgefährdender Risiken fordert. Vgl. u.a. auch zur kritischen Bewertung Krystek (2002), S. 103 f. und 111 f.; Hahn/Krystek (2000), S. 79 f.; Krystek/Müller (1999), S. 182 f.
32
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
strukturierten schwachen Signalen, von individuellen Wahrnehmungs- und Interpretationsmustern abhängig.116 Ausführlich wird diese Problematik in Kapitel 2.2.3 und 4.1 behandelt. Im Rahmen des präventiven Krisenmanagements werden die Begriffe Frühwarnung, Früherkennung und Frühaufklärung oft synonym verwendet117, müssen aber voneinander abgegrenzt werden. Sie beschreiben unterschiedliche Komplexitäten und Beobachtungsspektren und stellen, wie Abb. 5118 zeigt, geschichtliche Entwicklungsstufen der Identifikation von Krisen dar. Frühwarnung als ursprünglichste Form bezeichnet das einseitige frühzeitige Aufspüren von Bedrohungen und Risiken, damit noch ausreichend Zeit für die Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Vermeidung oder Minderung bleibt. Die Instrumente der Frühwarnung können aber neben Bedrohungen und Risiken gleichzeitig auch Chancen und Gelegenheiten entdecken. Dieser vergrößerte Beobachtungsfokus wird als Früherkennung bezeichnet. Frühaufklärung geht noch weiter und bezieht auch die "informationelle Sicherung der Einleitung von Planung, Steuerung und Kontrolle relevanter Strategien und Maßnahmen"119 mit ein.120 Die weiteren Ausführungen der Arbeit konzentrieren sich auf Ansätze der Früherkennung, weil bei den im Fokus stehenden schwachen Signalen vorab eine Einordnung in Risiko oder Chance nicht möglich ist. Zudem wird im Folgenden nicht auf die inhaltliche oder methodische Ausgestaltung von (Gegen-)Maßnahmen, sondern vor allem auf die Initiierung einer Reaktion abgestellt. FRÜHAUFKÄRUNG Frühzeitige Ortung von Bedrohungen/Risiken und Chancen
+
Sicherstellung der Einleitung von (Gegen-)Maßnahmen
FRÜHERKENNUNG Frühzeitige Ortung von Bedrohungen/Risiken Chancen
+
FRÜHWARNUNG Frühzeitige Ortung von Bedrohungen/Risiken Abb. 5: Inhaltliche Abgrenzung Frühwarnung, Früherkennung und Frühaufklärung. 116 117
118 119 120
Vgl. zur Interpretation von quantitativen Informationen bspw. Weber, J. (2005), S. 71 f. Vgl. u.a. Rauscher (2004), S. 13; Jossé (2004), S. 129; Loew (1999), S. 23; Liebl (1996), S. 5 und 7; Sepp (1996), S. 119. Eigene Darstellung in Anlehnung an Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 20 ff. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 98. Vgl. zur historischen Entwicklung und Abgrenzung der Begriffe Krystek/Moldenhauer (2007), S. 98; Fink/Deimel (2006), S. 218 f.; Roll (2004), S. 13 ff.; Baisch (2000), S. 14; Loew (1999), S. 21 ff.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 20 ff.; ursprünglich Wiedmann (1985), S. 303; Klausmann (1983), S. 40 f.; ähnlich Liebl (1996), S. 5 ff.; Liebl (1991), S. 4 ff.; kritisch Rauscher (2004), S. 13 f.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
33
Früherkennungssysteme können sich entweder auf den gesamtwirtschaftlichen oder den einzelwirtschaftlichen Bereich erstrecken. Gesamtwirtschaftliche Früherkennungssysteme wie der ifo-Geschäftsklimaindex dienen der Vorhersage volkswirtschaftlicher bzw. konjunktureller Entwicklungen, werden aber hier nicht näher untersucht.121 Einzelwirtschaftliche Früherkennungssysteme müssen weiterhin in eigenund fremdorientierte Ansätze unterschieden werden, wobei eigenorientierte Früherkennung122 sich eben auf das eigene Unternehmen bezieht, fremdorientierte Früherkennung die Beurteilung eines anderen, fremden Unternehmens im Fokus hat.123 FRÜHWARNUNG
EIGENORIENTIERTE Früherkennung 1. Generation
2. Generation
3. Generation
Kennzahlen/ Hochrechnungen
Indikatoren
“Schwache Signale”
1. Generation
2. Generation
3. Generation
Univariate Verfahren
Multivariate Verfahren
Künstliche neuronale Netze
FRÜHERKENNUNG
FRÜHAUFKLÄRUNG
FREMDORIENTIERTE Früherkennung
Abb. 6: Generationen der Früherkennung im einzelwirtschaftlichen Bereich.
Die hier betrachteten einzelwirtschaftlichen, eigenorientierten Früherkennungssysteme124 haben sich in den letzten dreißig Jahren ihres Bestehens stetig weiterentwickelt und können heute, wie in Abb. 6125 gezeigt, in drei Generationen eingeteilt werden. Die Früherkennung der ersten Generation basiert auf dem Zeitvergleich von ergebnis- und liquiditätsorientierten Kennzahlen und Hochrechnungen, die Früherkennung der zweiten Generation nutzt Indikatoren, um mit zeitlichem Vorlauf Entwicklungen zu erkennen. Die dritte Generation geht über rein quantitative Verfahren hinaus und versucht, durch systematische Erfassung schwacher Signale noch frühzeitiger nicht 121
122
123
124
125
Vgl. für Erklärungen zur gesamtwirtschaftlichen Früherkennung Nerb (2005), S. 206 ff.; Lindlbauer (1995), S. 75 ff.; Brand et al. (1995), S. 83 ff.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 17 ff. und 82 ff. Vgl. Krystek (1987), S. 143 ff. zu einem Überblick und detaillierten Erläuterungen zu Trägern und möglichen Ausgestaltungen einzelwirtschaftlicher Frühwarnsysteme. Fremdorientierte Früherkennung wird i.W. von Kreditinstituten zur Bonitätsprüfung/-prognose angewendet und umfasst neben uni- und multivariaten Verfahren der statistischen Jahresabschlussanalyse künstliche neuronale Netze. Vgl. Baetge/Sickmann (2004), S. 38 ff.; Baetge (1998), Wilden (1998), S. 5 ff.; Baetge et al. (1996), S. 152 ff.; Kühnberger et al. (1996), S. 1454 ff. In dieser Arbeit stehen die gesamtunternehmensbezogenen Früherkennungssysteme im Vordergrund. Sie können sich aber auch nur auf einen Bereich z.B. Beschaffung, Produktion oder Absatz beziehen. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 114 ff.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 49 ff. und 126 ff.; Krystek (1987), S. 170 ff. zur bereichsbezogenen Früherkennung. Eigene Darstellung in Anlehnung an Krystek/Moldenhauer (2007), S. 101.
34
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
konkretisierte Entwicklungen aufzugreifen.126 Dabei haben sich die Ansätze eher neben- als nacheinander entwickelt und sind als gleichwertige, sich ergänzende Konzepte der Früherkennung anzusehen.127 Nachfolgend werden die erste und zweite Generation der Früherkennung skizziert und die wesentlichen Kritikpunkte aufgezeigt. Danach wird ausführlich auf den aktuellen Forschungsstand zur dritten Generation der strategischen Früherkennung und vor allem das Konzept der "Schwachen Signale" eingegangen, um die Grundlagen für die weitere Analyse der latenten Unternehmenskrise in dieser Arbeit zu legen.
2.2.2 Operative Früherkennung Operative Früherkennung umfasst die kennzahlenbasierte Früherkennung der ersten Generation und die indikatorenbasierte Früherkennung der zweiten Generation. Beide Generationen werden unter dem Oberbegriff operative Früherkennung zusammengefasst, weil eher kurzfristige, operative und vornehmlich wohlstrukturierte quantitative ergebnis- und liquiditätsorientierte Größen als ihre Bezugsysteme dienen. Somit können durch operative Früherkennung auch tendenziell eher Ergebnisund Liquiditätskrisen aufgespürt werden, die sich in quantitativen Daten niederschlagen. Die strategische Früherkennung hingegen verwendet als Bezugssystem Erfolgspotentiale und den eher langfristig orientierten Gesamtkontext des strategischen Managements. Die Informationen sind grundsätzlich weniger gut strukturiert und haben oft Einmaligkeitscharakter.128 Früherkennungssysteme der ersten Generation – Kennzahlen und Hochrechnungen Kennzahlen haben prinzipiell quantitativen Charakter und geben relevante betriebswirtschaftliche Zusammenhänge direkt und zugleich in verdichteter Form und zahlenmäßig messbar wieder. Sie gehören zu den klassischen Instrumenten des Controllings und dienen in ihrer Ursprungsfunktion im Wesentlichen der Analyse, Steuerung und Kontrolle.129 Die aus der breiten Fülle von möglichen Kennzahlen ausgewählten Größen werden in der Regel in pyramidenartigen Kennzahlensystemen 126
127 128 129
Vgl. zu der Systematisierung u.a. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 102 f.; Roll (2004), S. 13 ff.; Baisch (2000), S. 33 f.; Steger/Winter (1996), S. 609; Hammer (1988), S. 172 ff.; Gomez (1985), S. 159 ff., ursprünglich Klausmann (1983), S. 41 ff. und zu den Inhalten Kapitel 2.2.2 und 2.2.3. Neuere Beiträge streben eine Integration aller drei Früherkennungssysteme in einer vierten Generation der "integrativen Früherkennung" an. Vgl. Roll (2004), S. 23 f.; Weigand/Buchner (2000), S. 19, Baisch (2000), S. 34 f.; Gomez (1985), S. 162 ff. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 178; Rauscher (2004), S. 22; Loew (1999), S. 31. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 176; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 10 f. Vgl. zur Definition und zur Bedeutung von Kennzahlen und Kennzahlensystemen bspw. Weber, J. (2005), S. 70 ff. und 381 ff.; Reichmann (1985), S. 891, auch Klausmann (1983), S. 41.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
35
dargestellt, um die Aussagekraft zu erhöhen und die Gefahr von Fehlinterpretationen durch Betrachtungen einzelner Kennzahlen zu reduzieren.130 Um Kennzahlen für die Früherkennung nutzbar zu machen, eignen sich besonders Zeitvergleiche und Soll-Ist-Vergleiche der jeweiligen Größen. Sobald die Abweichungen definierte Toleranzgrenzen überschreiten, werden sie als Warnung gemeldet. Allerdings muss bei der Beurteilung von Kennzahlen zur Früherkennung kritisch angemerkt werden, dass Kennzahlen immer gegenwarts- oder vergangenheitsbezogenen Charakter haben und sich damit auf bereits abgeschlossene Ereignisse und Istdaten beziehen – die Früherkennungsfähigkeit ist also begrenzt und nur unter spezifischen Voraussetzungen131 vorhanden. Kennzahlensysteme sind zudem oft komplex und entsprechend unübersichtlich, so dass die entscheidenden Hinweise auf latente Bedrohungen oder Gelegenheiten sich doch eher im detaillierten, wenig aggregierten Teil der Kennzahlenpyramide finden.132 Ebenfalls der ersten Generation zuzurechnen sind hochrechnungsorientierte Früherkennungssysteme. Hochrechnungen ermöglichen eine "antizipierende Kontrolle", denn im Vergleich zu kennzahlenorientierten Systemen werden Planwerte nicht mit Istwerten verglichen, sondern mit voraussichtlichen Werten zum Ende des Betrachtungszeitraums ("Wird-Werten"). Diese werden aus bereits realisierten bspw. monatlichen Zwischenergebnissen als jeweils aktuelle Vorschau auf das zu erwartende Endergebnis ermittelt. Auch diese Methode ist unter dem Begriff Forecasting heute in der Controllingpraxis üblich. Die Hochrechnung ermöglicht es, bereits frühzeitig vor dem Ende des Betrachtungszeitraums und ohne Vorliegen endgültiger Istwerte, positive oder negative Abweichungen zu erkennen und Steuerungsmaßnahmen einzuleiten. Die hochrechnungsorientierte Früherkennung stellt einen Fortschritt gegenüber kennzahlenorientierten Systemen dar, weil sie eine frühzeitigere Identifikation von Gefahren und Chancen zulässt, damit den Handlungsspielraum erhöht und zu einer Beschäftigung mit der künftigen Entwicklung zwingt. Doch trotz der erhöhten Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten kann auch die hochrechnungsbasierte Früherkennung nur Entwicklungen im kurzfristigen, unterjährigen Bereich und daher mit nur begrenztem zeitlichen Vorlauf aufzeigen. Außerdem können erst-
130
131
132
Klassische Kennzahlensysteme (ohne Früherkennungsfokus) sind das ROI-System oder die Balanced Scorecard. Vgl. zu Vorteilen von Kennzahlensystemen Weber, J. (2005), S. 391; für weitere Beispiele Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 48 ff.; Reichmann (1985), S. 895 ff. Diese spezifischen Voraussetzungen sind Frühzeitigkeit, diagnostische Stärke (Präzision der Anzeige), Glaubwürdigkeit (Sicherheit des Eintretens) und zukunftsorientierte Bedeutung (der Erscheinung). Vgl. Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 56 f.; auch Raubach (1983), S. 93. Vgl. zur kritischen Beurteilung von Kennzahlen(-systemen) für die Früherkennung u.a. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 105 f.; Neumann (2004), S. 83 und 85 f.; Roll (2004), S. 14 f.; Wilden (1998), S. 4 f.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 56 ff.
36
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
malige, unerwartete Ereignisse, die in der Vergangenheit nicht aufgetreten sind, nicht erkannt werden.133 Früherkennungssysteme der zweiten Generation – Indikatoren Die zweite Generation der indikatorenorientierten Früherkennungssysteme greift die Kritikpunkte der ersten Generation auf, weil sie nicht mehr auf bestimmte Zeiträume begrenzt ist und größere Beobachtungsbereiche und Vorlaufzeiten zu kritischen Ereignissen ermöglicht. Indikatoren dienen grundsätzlich als Anzeiger für verborgene Ereignisse oder Entwicklungen und üben eine "Stellvertreterfunktion" aus, indem sie ein ursprünglich gemeintes, jedoch nicht direkt erfassbares Phänomen wahrnehmbar machen. Als besondere Ausprägung zeigen Frühindikatoren diese Ereignisse und Entwicklungen des versteckten Phänomens mit ausreichendem zeitlichen Vorsprung und ausreichender Regelmäßigkeit an und werden daher auch als "vorauseilende Indikatoren" bezeichnet. Die Indikatoren sind nicht wie bei der ersten Generation zwangsläufig quantitativ, sondern können auch qualitativ ausgestaltet sein und individuelle Beurteilungen und Einschätzungen einbeziehen.134 Damit Indikatoren eben frühzeitig und verlässlich auf Entwicklungen eines latenten Phänomens aufmerksam machen können, haben KRYSTEK/MÜLLER einen Anforderungskatalog zusammengestellt, den die Indikatoren zumindest teilweise erfüllen sollten:135 x
Eindeutigkeit, um Fehlinterpretationen über die Aussage eines Indikators zu vermeiden.
x
Vollständigkeit, damit der Beobachtungsbereich umfänglich abgedeckt ist.
x
Frühzeitigkeit und rechtzeitige Verfügbarkeit, damit ausreichend Zeit zur Planung und Umsetzung von Gegenmaßnahmen bleibt.
x
Ökonomische Vertretbarkeit, damit das Aufwand-/Nutzen-Verhältnis angemessen ist.
Kennzahlen der ersten Generation können somit auch zu Frühindikatoren werden, wenn sie auf ein verdecktes Phänomen hinweisen und diese Anforderungen erfüllen. Allerdings ist ein verborgenes Phänomen nicht unbedingt durch nur einen Indikator
133
134
135
Vgl. zu hochrechnungsorientierter Früherkennung und der kritischen Beurteilung Krystek/Moldenhauer (2007), S. 106 f.; Krystek (2006a), S. 227; Rauscher (2004), S. 23 f.; Neumann (2004), S. 84 ff.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 63 ff.; Krystek (1987), S. 148 f.; Klausmann (1983), S. 41 f. Vgl. zu indikatorenorientierter Früherkennung bspw. Krystek (2007), S. 51 f.; Krystek (2006a), S. 228 f.; Loew (1999), S. 26 ff.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 93 ff.; Wiedmann (1985), S. 313 ff.; Klausmann (1983), S. 42 f. Vgl. Krystek/Müller (1999), S. 179; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 103 f.; Krystek (1987), S. 154.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
37
beschreibbar. Oftmals müssen mehrere Indikatoren in ihrem Zusammenwirken angewendet werden, um Veränderungen eines Phänomens sichtbar zu machen.136 Klassische Indikatoren der eigenorientierten Früherkennung sind bspw. Auftragseingang, Leitprodukte oder Fluktuationsquote.137 Daneben sollte jedes Unternehmen seine eigenen, für die spezifische Situation relevanten Indikatoren definieren. Dabei besteht die besondere Herausforderung darin, die Kausalbeziehung zwischen dem Indikator bzw. den Indikatoren und dem zugrunde liegenden Phänomen aufzudecken sowie den zeitlichen Vorlauf zu bestimmen.138 Daher wird zur Entwicklung indikatorenorientierter Früherkennungssysteme empfohlen, dass zuerst ein Team aus Mitarbeitern und Führungskräften unterschiedlicher Ebenen und Bereiche interne und externe Beobachtungsbereiche bestimmt, in denen künftig kritische Entwicklungen auftreten können. Für diese Beobachtungsbereiche werden nach den genannten Kriterien Indikatoren mit Sollwerten, Toleranzgrenzen und Vorlaufzeiten festgelegt. Die Entwicklung dieser Indikatoren wird künftig von Beobachtern überwacht, an das Controlling weitergeleitet und von dort an die Nutzer des Früherkennungssystems kommuniziert. In regelmäßigen Abständen sollte überprüft werden, ob die Beobachtungsbereiche noch passen und die Indikatoren noch zweckmäßig sind und die Kriterien erfüllen.139 Dieses skizzierte Vorgehen zeigt, welche zentrale Rolle die Beobachter bei der Früherkennung spielen und dass die Beobachter eben nicht nur das TopManagement, sondern auch andere Managementebenen und Mitarbeiter umfassen können und sollen. Im Fall von Indikatorensystemen übernehmen sie für die Indikatoren, die nicht zentral durch das Controlling verfolgt werden können, freiwillig und eigenverantwortlich die Beobachtung. Die Tendenz, dass die einzelnen Organisationsmitglieder in der Krisenfrüherkennung eine gewichtige Rolle einnehmen, wird sich bei der strategischen Früherkennung im Fokus dieser Arbeit noch verstärken. Auch bei der indikatorenorientierten Früherkennung bleiben trotz der Fortschritte einige kritische Punkte anzumerken. Bei der zweiten Generation ist der Zeithorizont bis zum Eintritt der Krise zwar länger als bei der ersten Generation, aber immer noch verhältnismäßig kurz. Daher bleibt die Rechtzeitigkeit der Informationen zur Warnung 136
137
138 139
Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 112; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 76 ff.; Klausmann (1983), S. 42. Vgl. zu diesen und anderen Indikatoren und -systemen u.a. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 108 ff.; Preis (1995), S. 56; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 122 ff.; Krystek (1987), S. 156 und 158 f. Vgl. zu den Herausforderungen Rauscher (2004), S. 29; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 99 ff. Vgl. zu Gestaltung und Beobachtungsbereichen Krystek/Moldenhauer (2007), S. 110 ff.; Krystek (2006a), S. 229 ff.; Loew (1999), S. 37 ff.; Krystek/Müller (1999), S. 179 ff.; auch Schulten (1995), S. 117 f.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 94 ff.; Dolata (1987), S. 113 ff.; Krystek (1987), S. 151 ff.
38
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
und Einleitung von Gegenmaßnahmen nach wie vor zu bezweifeln. Die im Vergleich zur ersten Generation gewonnene Vorlaufzeit geht allerdings mit einer abnehmenden Zuverlässigkeit und Konkretisierung der Informationen einher. Auch wenn grundsätzlich die Früherkennung von Chancen mit operativen Systemen möglich ist, haben sie im Vergleich zu strategischer Früherkennung nur untergeordnete Bedeutung. Außerdem werden durch die starre Vorgabe von Indikatoren oder Indikatorensystemen gerade in unstabilen Umweltsituationen Veränderungen außerhalb der auf Basis der Erfahrungen der Vergangenheit definierten Beobachtungsbereiche nicht frühzeitig erkannt.140 Die Möglichkeit, von unerwarteten Ereignissen überrascht zu werden, ist damit trotz operativer Früherkennung immer noch hoch.
2.2.3 Strategische Früherkennung Strategische Früherkennungssysteme haben – wie bereits betont – ihren Bezugspunkt in Erfolgspotentialen, stehen im Zusammenhang mit der strategischen Planung/dem strategischen Management und sind gesamtunternehmensbezogen. Für die Krisenfrüherkennung sind sie von besonderer Bedeutung, da sie den Handlungsspielraum deutlich erhöhen. Sie ermöglichen, dass Krisen zu einem Zeitpunkt erkannt werden, zu dem operative Systeme noch gar nicht auf sie hinweisen können. Außerdem beachtet die strategische Früherkennung, dass auch Abweichungen nicht zentraler Größen zu existenzbedrohenden Krisen führen können.141 Ihr Ziel ist daher nicht das kurzfristige Reagieren, sondern die langfristige Zukunftssicherung durch frühzeitiges strategisch orientiertes Agieren. Die strategische Früherkennung löst sich von der gerichteten Suche in festgelegten Beobachtungsbereichen und versucht, schwache Signale überall und jederzeit aufzuspüren. Das Konzept der strategischen Früherkennung ist jedoch weniger scharf umrissen als die operative Früherkennung, weil die zugrunde liegenden Informationen häufig nicht quantifizierbar, schlecht strukturiert und sehr interpretationsbedürftig sind.142 Allerdings ist der zeitliche Vorlauf um ein Vielfaches größer und kann Jahre betragen. Genau das befähigt die strategische Früherkennung, die ihr zugedachten Aufgaben zu erfüllen, um anschließend Handlungsmöglichkeiten frühzeitig zu entwickeln. Der Ausgangspunkt strategischer Früherkennung sind strategische Überraschungen, die durch Diskontinuitäten ausgelöst werden. Diskontinuitäten sind tiefgreifende und 140
141 142
Vgl. zu der kritischen Beurteilung Krystek (2006a), S. 230 und 234; Neumann (2004), S. 93 f.; Steger/Winter (1996), S. 609; Krystek/Müller (1999), S. 180 f.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 82, 98; Konrad (1991), S. 48; Simon, D. (1986), S. 46 ff. Vgl. Hülsmann/Schulenburg (2005), S. 41. Vgl. zum Vergleich von operativer und strategischer Früherkennung Krystek/Müller-Stewens (2006), S.176 ff.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
39
umfassende Strukturbrüche und Richtungsänderungen einer bisherigen Entwicklung, die plötzlich und nicht kontrollierbar auftreten.143 Durch Diskontinuitäten kommen neue Variablen in ein System, die bisherige Gesetzmäßigkeiten zerstören und klassische Prognoseverfahren obsolet machen.144 Die strategische Früherkennung hat daher zum Ziel, wie eine Art Radar systematisch und frühzeitig strategisch bedeutsame Informationen, die auf Diskontinuitäten hinweisen, zu erfassen. Die wichtigsten Grundsteine der strategischen Früherkennung liefern das Konzept der "Schwachen Signale" und die Diffusionstheorie. Beide Konzeptionen werden nachfolgend erläutert, bevor im Anschluss einige praktische Umsetzungen strategischer Früherkennung vorgestellt werden. Abschließend werden die theoretische und praktische Ausgestaltung der strategischen Früherkennung kritisch beurteilt.
2.2.3.1 Das Konzept der "Schwachen Signale" und die Diffusionstheorie
Das Konzept der "Schwachen Signale" Die zentrale und in der Literatur unumstrittene145 Annahme in dem von ANSOFF146 entwickelten Konzept der "Schwachen Signale" ist, dass Diskontinuitäten nicht plötzlich und unerwartet auftreten. Jedes Ereignis, also auch jede Diskontinuität, hat eine Entwicklungsgeschichte und kündigt sich durch Vorläuferereignisse – sogenannte schwache Signale – an. Werden diese frühzeitig erkannt, ist eine Reaktion darauf nicht nur prinzipiell möglich, sondern auch sinnvoll. Die Herauforderung besteht nun darin, diese schwachen Signale im ersten Schritt überhaupt ausfindig zu machen und sie im zweiten Schritt richtig zu interpretieren.147 Schwache Signale sind sehr vage Informationen über mögliche Diskontinuitäten aus dem Unternehmensumfeld, die sich mit fortschreitendem Zeitablauf konkretisieren. Diese Signale sind zu Beginn 143
144
145
146
147
Zur Abgrenzung von Diskontinuitäten vgl. Roll (2004), S. 19 f.; Konrad (1991), S. 87 ff.; Zahn (1979), S. 119 ff., kritisch Liebl (1996), S. 22 ff. und allgemein zu Diskontinuitäten Drucker (1969). Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 178 f.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 163. Diskontinuitäten sind dabei sowohl in der Unternehmensumwelt, aber auch im Unternehmen selbst zu finden. Ansoffs Konzept der "Schwachen Signale" wird in der Literatur vielfach zustimmend aufgegriffen und erläutert. Vgl. dazu bspw. Rauscher (2004), S. 17 ff.; Roll (2004), S. 42 ff.; Jossé (2004), S. 185; Wilden (1998), S. 12 f.; Sepp (1996), S. 139 ff.; Bea/Haas (1994), S. 488 f.; Krystek/MüllerStewens (1993), S. 165 ff.; Liebl (1991), S. 6 ff.; Hammer (1988), S. 172 und 216 ff.; Krystek (1987), S. 166 f.; Dolata (1987), S. 57 ff.; Simon, D. (1986), S. 27. Ansoff will mit seinem Konzept die exante und expost Reaktionsfähigkeit erhöhen. Seiner Meinung nach sind beide Ziele gleichermaßen zu verfolgen, weil auch intensive Früherkennung keine Sicherheit vor Überraschungen bietet. Hier wird sich auf den exante Ansatz beschränkt, da Krisenmanagement nicht Fokus dieser Arbeit ist. Vgl. dazu Ansoff (1976), S. 131; Ansoff (1975), S. 22. Ansoff unterscheidet in extern verfügbare, zugängliche und genutzte Informationen. Die Lücke zwischen zugänglichen und genutzten Informationen wird als Entscheidungslücke bezeichnet, die zwischen verfügbaren und zugänglichen Informationen als Reaktionslücke. Sie soll durch schwache Signale reduziert werden. Vgl. Ansoff (1976), S. 132, auch Hergert (2007), S. 49 ff.; Kunze (2000), S. 46 f.; Konrad (1991), S. 148 ff.
40
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
häufig unstrukturierte, qualitative, schwer zu fassende und teilweise ambivalente Informationen mit fragmentarischem Charakter.148 Ob es sich bei einem Signal um eine Chance oder Bedrohung handelt, ist in diesem frühen Stadium noch gar nicht abschätzbar, sondern nur, dass die Informationen von strategischer Relevanz sind.149 Wegen ihrer zusätzlichen hohen Erstmaligkeit wird ihnen anfangs oft mit einem hohen Niveau an Ignoranz begegnet, das sich mit zunehmender Konkretisierung abbaut. Interpretation und Einschätzung dieser Informationen sind entsprechend schwierig, so dass auf vorhandene schwache Signale oftmals nicht oder nicht angemessen reagiert wird.150 UNGEWISSHEITSGRAD INFORMATIONSGEHALT Überzeugung, dass eine Diskontinuität bevorsteht
Ahnung Ursache der der Gefahr/ Gefahr/ Chance Chance
Konkrete Gefahr/ Chance
Konkrete Reaktion
Konkretes Ergebnis
JA
JA
JA
JA
JA
Ursache der Diskontinuität bekannt
NEIN
JA
JA
JA
JA
Merkmale der Diskontinuität bekannt (z.B. Art, Schwere, Zeitraum)
NEIN
NEIN
JA
JA
JA
Reaktionsmöglichkeiten festgelegt (z.B. Aktionen, Ressourcen, Timing)
NEIN
NEIN
NEIN
JA
JA
Wirkungen und Konsequenzen der Reaktion berechenbar
NEIN
NEIN
NEIN
NEIN
JA
Abb. 7: Definition der Ungewissheitsgrade bei Diskontinuitäten im Konzept der "Schwachen Signale".
ANSOFF unterscheidet, wie in Abb. 7151 gezeigt, daher fünf verschiedene Ungewissheitsgrade, wobei Ungewissheit auf den Inhalt der Information bezogen ist und nicht auf eine Wahrscheinlichkeitsaussage.152 Jeder Stufe wird ein entsprechender Informationsgehalt über ein diskontinuierliches Ereignis zugeordnet. In den verschiedenen Stufen gewinnt die Information zwar an Struktur und Gewissheit, aber wertvolle Reaktionszeit geht verloren. Auf der Stufe mit dem höchsten Ungewissheitsgrad besteht nur ein allgemeines Bewusstsein, dass mit einer Diskontinuität zu rechnen ist – weder Ursache noch Merkmale sind zu diesem Zeitpunkt bekannt. In der nächsten Stufe liegen dann bereits Informationen zu Auslösern, Quellen oder Ursachenkom148
149 150
151 152
Es wird in der kritischen Würdigung in Kapitel 2.2.3.3 aufgegriffen, dass Ansoff selbst den Begriff der "schwachen Signale" nicht genauer präzisiert hat. Vgl. Ansoff (1976), S. 133 f., auch Ansoff (1984), S. 22. Zum besseren Verständnis wurde hier auf die Präzisierungen u.a. von Steger/Winter (1996), S. 609; Liebl (1991), S. 1 und Simon, D. (1986), S. 18 f. zurückgegriffen. Vgl. Ansoff (1976), S. 134; Ansoff (1975), S. 23, aber auch Liebl (1996), S. 16. Vgl. Ansoff (1976), S. 132; auch Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 180; Loew (1999), S. 29; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 166. Einige Gründe führt auch Simon, D. (1986), S. 16 auf. Eigene Darstellung in Anlehnung an Ansoff (1975), S. 24. Vgl. Liebl (1996), S. 22; Simon, D. (1986), S. 19.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
41
plexen der Diskontinuität vor. In der Stufe "Konkrete Gefahr/Chance" sind zusätzlich die Merkmale der Diskontinuität, also Art, Ausmaß und Zeitpunkt der Wirkung bekannt. Der vierte Ungewissheitsgrad ist dadurch gekennzeichnet, dass festgelegt ist, mit welchen Maßnahmen und in welcher Weise reagiert werden sollte, um die Gefahr abzuwenden oder die Chance zu nutzen. Auf der fünften Stufe mit der niedrigsten Ungewissheit ist bekannt, um welche Bedrohung oder Chance es sich handelt, welche Reaktionsmöglichkeiten es darauf gibt und zu welchen Ergebnissen diese Reaktionen führen können.153 Wann jedoch ein Signal vom Status "schwach" zum Status "stark" übergeht, liegt in der subjektiven Einschätzung des Betrachters.154 Es hängt nun nach ANSOFF von zwei Faktoren ab, wie ein Unternehmen unter Berücksichtigung dieser skizzierten Ungewissheitsgrade auf eine Diskontinuität reagieren sollte – von der Fähigkeit zur rechtzeitigen Reaktion, also der Zeitdauer bis zur Vollendung der Reaktion, und von der verfügbaren Zeit, also der Zeit bis die Wirkung der Diskontinuität für das Unternehmen kritisch wird.155 Ist die fünfte Ungewissheitsstufe erreicht und die Zeit bis zur Wirkung der Diskontinuität größer als die Reaktionszeit, genügt es, erst bei dieser Konkretisierungsstufe Maßnahmen zu ergreifen. Es ist jedoch wesentlich wahrscheinlicher, dass zu diesem Zeitpunkt die Zeit bis zur Wirkung des Diskontinuität kleiner ist als die Reaktionszeit, weil die Geschwindigkeit, mit der sich Gefahren und Chancen entwickeln mit dem Zeitablauf tendenziell zu-, die Reaktionsgeschwindigkeit durch zunehmende Komplexität aber eher abnimmt.156 Da dieser Fall realitätsnaher ist, sollten Maßnahmen bereits frühzeitig, wenn auch bei größerer Ungewissheit, auf Basis der noch schwachen Signale eingeleitet werden.157 Damit ist nicht gemeint, dass ausgehend von vagen Vermutungen grundlegende strategische Richtungsänderungen eingeleitet werden sollen.158 ANSOFF hat für diese Problematik ein Konzept der abgestuften Reaktionsstrategie, abhängig vom Ungewissheitsgrad der Information, entwickelt. Die Reaktionsstrategie wird dem jeweiligen Informationsstand angepasst und versucht, so lange wie möglich verschiedenste Optionen offen zu halten, indem Handlungsalternativen erst mit zunehmender Konkretisierung der Signale ausgestaltet werden. Auf schwache Signale wird nur mit einer schwachen Reaktion geantwortet.159
153 154 155
156 157 158
159
Vgl. zu den Ungewissheitsgraden Ansoff (1976), S. 134 ff.; Ansoff (1975), S. 24. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 180; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 166. Bei Chancen bedeutet dies, wenn die Kosten der Reaktion größer sind als die Erträge, bei Risiken, wenn die Gefahr des Existenzverlustes besteht. Vgl. Ansoff (1976), S. 136. Vgl. Ansoff (1984), S. 22; Ansoff (1976), S. 133; Ansoff (1975), S. 23. Vgl. Ansoff (1976), S. 133; Ansoff (1975), S. 23. Vgl. Rauscher (2004), S. 6 f. Die Absicht der Früherkennung ist nicht, auf jedes schwache Signal zu reagieren und sofort umfängliche Maßnahmen einzuleiten. Vgl. zur diesem Konzept Ansoff (1976), S. 133 und 136 ff.; Ansoff (1975), S. 23 und 26 ff.
42
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
Das Konzept unterscheidet sechs Reaktionstypen, die sich aus drei Reaktionsstrategien zusammensetzen – (1) Erhöhung der Wahrnehmung von Veränderungen, (2) Erhöhung der Flexibilität und (3) Vorbereitung und Durchführung konkreter Maßnahmen. Diese Reaktionsstrategien können sich entweder auf das betrachtete Unternehmen oder die Unternehmensumwelt beziehen. ANSOFF macht einige konkrete Vorschläge zur Konkretisierung der Reaktionsstrategien160 und ordnet diese den zuvor vorgestellten Ungewissheitsgraden zu (vgl. Abb. 8161). Dabei gibt die farbliche Hinterlegung an, welcher Reaktionstyp bei welchem Ungewissheitsgrad für möglich gehalten wird und die Größe der hinterlegten Bereiche den Umfang.162 Die Darstellung zeigt, dass ANSOFF eine direkte Aktion im vierten Ungewissheitsgrad nur teilweise und erst im fünften Ungewissheitsgrad für vollständig umsetzbar hält. Auch wenn die Reaktionsstrategien wenig operationalisiert sind, so hat ANSOFF mit seinen Konzepten die Überlegung in den wissenschaftlichen Diskurs eingebracht, auf Diskontinuitäten zu reagieren, bevor sie sich inhaltlich umfänglich konkretisiert haben, die Aufmerksamkeit bewusst schwachen Signalen zu widmen und die Haltung des Abwartens aufzugeben.163 UNGEWISSHEITSGRAD REAKTIONSSTRATEGIEN
Ahnung Ursache der der Gefahr/ Gefahr/ Chance Chance
Konkrete Gefahr/ Chance
Konkrete Reaktion
Konkretes Ergebnis
Erhöhung des Bewusstseins für Veränderungen der Umwelt Erhöhung des Bewusstseins für Veränderungen des Unternehmens Erhöhung der internen Flexibilität Erhöhung der externen Flexibilität Interne Vorbereitung direkter Maßnahmen Durchführung direkter Maßnahmen
Abb. 8: Realisierbare Reaktionsstrategien bei verschiedenen Ungewissheitsgraden.
160 161 162 163
Vgl. detaillierter zu den Reaktionstypen Ansoff (1976), S. 136 ff.; Ansoff (1975), S. 26 ff. Eigene Darstellung in Anlehnung an Ansoff (1975), S. 27. Vgl. Ansoff (1984), S. 22 f.; Ansoff (1976), S. 140 f.; Ansoff (1975), S. 27 f. Vgl. Ansoff (1976), S. 133 und 143 und zur detaillierten kritischen Würdigung Kapitel 2.2.3.3.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
43
Der Beitrag der Diffusionstheorie In enger inhaltlicher Nähe zum Konzept der "Schwachen Signale" steht die in der Kommunikationsforschung anzusiedelnde Diffusionstheorie. Wie ANSOFF geht auch sie davon aus, dass Veränderungen, sei es im politischen, sozialen, technologischen, kulturellen oder ökonomischen Bereich, nicht schlagartig und unvorhersehbar geschehen. Die Diffusionstheorie vertritt die Auffassung, dass diese von Menschen gemacht, gewollt und gelenkt sind. Menschen haben ein Interesse an der Verbreitung ihrer neuen Erkenntnisse und der Umsetzung dieser neuen Erkenntnisse in Veränderungen bestehender Situationen. Dazu müssen die Erkenntnisse aber Anderen mitgeteilt werden. Werden sie von diesen anderen Personen akzeptiert, werden sie von ihnen übernommen und weiter ausgebreitet.164 Die Diffusionstheorie beschäftigt sich mit der Erforschung dieser Ausbreitungsprozesse neuer Erkenntnisse, Ideen, Meinungen und Verhaltensweisen. Dabei stehen vor allem die Etappen der "sozialpsychologischen Infektion" im Mittelpunkt – wie im Zeitablauf neue Erkenntnisse zwischen den Mitgliedern eines sozialen Systems verbreitet werden. Es wird davon ausgegangen, dass ein Träger neuer Erkenntnisse Ansteckungswirkungen ausübt, die dazu führen, dass die neuen Erkenntnisse auf eine ständig größer werdende Zahl von Personen bzw. Institutionen übergreift. Dabei sind solche Personen für die Ansteckung besonders empfänglich, "[...] die bislang geltenden Paradigmen bereits skeptisch gegenüberstehen und damit offen sind für einen Paradigmawechsel."165 Diese Personen werden zuerst neue Erkenntnisse aufgreifen, die anschließend bspw. durch die Medien in einer breiteren Masse Berücksichtigung finden bis sie sich letztlich in Organisationen oder auch der Rechtsprechung etablieren.166 Die Diffusionstheorie versucht den jeweils aktuellen Stand der Infektion bzw. Diffusion in Diffusionsfunktionen und Trendlinien zu veranschaulichen. Diffusionsfunktionen können entweder konstante, epidemische oder kombinierte Verläufe der beiden Ausbreitungsmuster annehmen.167 Trendlinien sind aus der Praxis abgeleitet, haben in der Regel S-förmigen Charakter und werden aus den
164
165
166 167
Vgl. Krampe (1985), S. 359 f.; Krampe/Müller (1981), S. 396; Molitor (1979), S. 6 ff., ähnlich auch Jossé (2004), S. 173; Konrad (1991), S. 52 f. und das im Anschluss vorgestellte Konzept des Battelle-Instituts. Krystek (1987), S. 168. Vgl. zur Diffusionstheorie Krampe (1985), S. 353 ff.; Krampe/Müller (1981), S. 391 ff.; Molitor (1979), S. 2 ff.; auch Jossé (2004), S. 172 ff.; Steger/Winter (1996), S. 610; Schulten (1995), S. 140 ff.; Hammer (1988), S. 209 ff. Vgl. zur Diffusionen neuer Meinungen bspw. Steger/Winter (1996), S. 613 ff. Konstante Ausbreitung bedeutet, dass die Infektion durch Übertragung pro Zeiteinheit mit einem konstanten Prozentsatz der noch nicht angesteckten Personen erfolgt. Bei einer epidemischen Ausbreitung erfolgt die Infektion von Person zu Person und damit exponentiell. Vgl. dazu Krampe (1985), S. 355 ff.; Krampe/Müller (1981), S. 392 ff.; Jöhr (1972), S. 178 ff.
44
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
kumulierten absoluten Häufigkeiten verschiedener Variablen im Zeitablauf generiert.168 Für die praktische Umsetzung strategischer Früherkennung liefert die Diffusionstheorie in Verbindung mit ANSOFFs Konzept einen wichtigen Beitrag, weil sich auch schwache Signale als Vorboten einer Diskontinuität gemäß dem Diffusionskonzept verstärken und verbreiten. Kann ein Unternehmen in einem frühen Stadium der Diffusion das schwache Signal aufgreifen und die Konkretisierung verfolgen, gewinnt es im Lichte des Konzepts der abgestuften Reaktionsstrategien wertvolle Reaktionszeit, um explorative oder vermeidende Handlungen vorzubereiten. Zudem ermöglicht die Analyse bisheriger Diffusionsverläufe, die Beobachtungsbereiche zu finden, in denen die Vorreiter strategischer Überraschungen auftreten können.169 In den beiden dargestellten theoretischen Konzeptionen wird bereits deutlich, dass bei der strategischen, im Vergleich zur operativen Früherkennung, kommunikative und personale, bspw. kognitive oder emotionale Aspekte zunehmend in den Vordergrund rücken. Die Bedeutung dieser Aspekte zeigt sich auch in den im Anschluss skizzierten Ansätzen zur praktischen Umsetzung strategischer Früherkennung, vor allem aber im weiteren Verlauf dieser Arbeit, wenn organisationale Trägheit genauer erläutert und in ihrer Wirkung in latenten Unternehmenskrisen untersucht wird.
2.2.3.2 Praktische Ansätze der strategischen Früherkennung
Basierend auf den theoretischen Überlegungen zu schwachen Signalen steht im Zentrum der praktischen Umsetzung strategischer Früherkennung die Frage, wie man diese schwachen Signale erkennen kann, wenn sie überall und jederzeit vorhanden sein können. LIEBL beschreibt diese Herausforderung treffend mit: "Man sucht nach etwas, ohne zu wissen, was es sein könnte und wo man es findet."170 Daher stehen bei der Darstellung praktischer Ansätze die Quellen schwacher Signale und die Möglichkeiten der Erfassung und Verarbeitung im Mittelpunkt. Praktische Ansätze strategischer Früherkennung haben meist den Charakter abstrakter Modelle, denn wegen der starken Kontextabhängigkeit müssen Unternehmen ihr strategisches Früherkennungssystem mit Hilfe dieser Modelle jeweils individuell entwickeln.
168
169 170
Vgl. für mögliche Diffusionsfunktionen und strukturelle Trendlinien Steger/Winter (1996), S. 610; Krampe (1985), S. 361; Krampe/Müller (1981), S. 394; für kritische Würdigungen der Erkenntnisse der Diffusionstheorie Rauscher (2004), S. 42 f.; Simon, D. (1986), S. 130. Vgl. dazu Liebl (1991), S. 36. Liebl (2005), S. 128.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
45
Quellen schwacher Signale Um schwache Signale wahrzunehmen, ist ein grundsätzliches Verständnis für die Quellen dieser vagen, unstrukturierten Anzeichen hilfreich. Die mit der strategischen Früherkennung befassten Personen müssen eine Vorstellung haben, wo sie nach den schwachen Signalen suchen bzw. wo sie ihre Aufmerksamkeit hinlenken müssen. Dabei sind die Quellen schwacher Signale oft naheliegender als zu vermuten. Klassische Quellen stellen Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Berichte von Scanningdiensten oder Zukunftsforschungsinstituten, Datenbanken sowie das Internet dar. Ebenso wichtig sind Informationen aus persönlichen Kontakten wie Gesprächen mit Wettbewerbern, Kunden, Lieferanten und Experten, aber auch Informationen durch Seminare, Messen oder Branchenveranstaltungen.171 Im spezifischen Fall sollte außerdem, u.a. basierend auf den Erkenntnissen der Diffusionstheorie, überlegt werden, welcher Quellen sich wohl die Sender schwacher Signale bedienen würden bzw. welche Quellen sich besonders mit den Sendern neuer Ideen befassen.172 Geht man davon aus, dass schwache Signale auch in der unternehmensinternen "Umwelt" auftreten können, bspw. als frühe Anzeichen von Fehlentwicklungen oder Ineffizienzen, sind natürlich auch Quellen wie Mitarbeiter anderer Bereiche oder informelle Kommunikation ("Flurfunk") zu berücksichtigen. Die Quellen, die letztlich zur Ortung schwacher Signale herangezogen werden, sind stark von individuellen Einschätzungen und Gewohnheiten abhängig. Obwohl eigentlich das Ziel der ungerichteten Suche verfolgt wird, empfiehlt sich jedoch, wie nachfolgend gezeigt wird, eine gewisse methodische Unterstützung bei Erkennung und Verarbeitung schwacher Signale.173 Erkennung, Dokumentation und Interpretation schwacher Signale Auch wenn die strategische Früherkennung weit weniger strukturiert ist als die operative Früherkennung, sind den verschiedenen in der Literatur diskutierten Ansätzen die grundsätzlichen Prozessschritte der (a) Erfassung, (b) Dokumentation und (c) Interpretation gemeinsam.174 Für die einzelnen Schritte wurden in unterschiedlichem
171
172
173 174
Vgl. Röttger (2005), S. 142; Jossé (2004), S. 306 f.; Geißler, U. (2001), S. 209; Krystek (2005), S. 177; Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 184 f.; Simon, D. (1986), S. 171 ff. Beispiele für schwache Signale sind neuartige Meinungen und Ideen, die von Schlüsselpersonen (Alpha-Kommunikatoren wie Wissenschaftlern, Experten, Trendsettern, Politikern) und von Verbänden/Organisationen aller möglichen Bereiche geäußert werden sowie Tendenzen in der Rechtsprechung. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 184; Day/Schoemaker (2005), S. 136 ff.; Krystek/MüllerStewens (1993), S. 178 ff. Vgl. dazu Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 184. Als weitere Prozessschritte schließen sich an die Interpretation eigentlich (d) die Entwicklung und (e) Umsetzung einer (abgestuften) Reaktionsstrategie an. Diese stark inhaltlich geprägten Schritte werden in dieser Arbeit wegen der Kontextabhängigkeit nicht betrachtet. Ähnlich einfache Prozessverläufe finden sich bspw. bei Liebl (1996), S. 11 ff.; Haag (1993), S. 269 f.; Liebl (1991), S. 11 ff.;
46
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
Umfang theoretische Konzepte und praktisch umsetzbare Handlungsempfehlungen entwickelt. Die zentralen Konzepte und Handlungsempfehlungen werden nachfolgend erläutert, bevor einige prozessuale Ansätze strategischer Früherkennung skizziert werden. Da strategische Früherkennung, wie noch mehrfach gezeigt wird, stark kontextabhängig und subjektiv geprägt ist, stellen diese Methoden nur eine häufig diskutierte Auswahl eines grundsätzlich sehr weiten Methodenspektrums dar.175 (a) Erfassung der schwachen Signale Da schwache Signale jederzeit und überall auftreten können, geht es bei ihrer Erfassung darum, die Umwelt176 mit einer Art "360-Grad-Radar" ununterbrochen im Blick zu haben und nach strategisch relevanten Signalen Ausschau zu halten. Dieser Vorgang wird als Scanning bezeichnet.177 Scanning kann aber strategische Überraschungen nicht vollständig verhindern, weil ein 360-Grad-Radar methodisch wie praktisch aufgrund begrenzter, besonders kognitiver Kapazitäten nicht umsetzbar und Wahrnehmung untrennbar mit Aufmerksamkeit verbunden ist.178 Dennoch macht es die dahinter stehende Überlegung deutlich, dass die Suche und das Abtasten der Umwelt fortlaufend und vor allem ungerichtet ohne Fokussierung auf bestimmte Beobachtungsbereiche oder Problemfelder sein sollte.179 Wenn auch eine vollständige Erfassung aller Signale nicht möglich ist, sollte dennoch darauf abgezielt werden, eine möglichst hohe Informationseffektivität und -effizienz zu erreichen.180 Die Erfassung setzt daher neben aller Methodik ein hohes Maß an Intuition und Wissen voraus, um die schwachen Signale zu finden, die strategisch relevant sind.181 KIRSCH/TRUX schlagen für die Erfassung schwacher Signale ein "AufwirbelAnsaug-Filter-System mit systematischem Recycling und automatischer Filterprüfung"182 vor. Schwache Signale sollen dabei von möglichst vielen Stellen empfangen ("aufgewirbelt" und "angesaugt") werden. Im Anschluss werden sie selektiert, wobei Signale, die u.a. durch Wahrnehmungsfilter nicht berücksichtigt werden, nicht verlo-
175
176 177
178
179 180 181 182
Müller, G. (1981), S. 159 ff. vor, ähnlich Baisch (2000), S. 38 f. Drei prozessuale, stärker integrierende Ansätze strategischer Früherkennung werden am Ende des Kapitels detaillierter dargestellt. Zu einer sehr detaillierten Darstellung der Methoden zur Unterstützung der verschiedenen Prozessschritte strategischer Früherkennung vgl. z.B. Rauscher (2004), S. 37 ff. Hier verstanden als unternehmensexterne, aber ebenso unternehmensinterne Umwelt. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 182 f.; Liebl (1996), S. 12; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 175 ff.; Liebl (1991), S. 12 f. Vgl. Hergert (2007), S. 35; Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 181; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 175. Inwieweit eine ungerichtete Suche überhaupt möglich ist, wird in Kapitel 2.2.3.3 diskutiert. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 181; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 175. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 182; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 176. Kirsch/Trux (1979), S. 55.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
47
rengehen, sondern erneut und unter Umständen in einem anderen Zusammenhang wieder aufgegriffen und in das System zurückgeführt werden.183 Lassen sich durch Scanning schwache Signale identifizieren, die Hinweise auf für das Unternehmen relevante Diskontinuitäten sein können, müssen die Erscheinungen genauer untersucht werden. Diese vertiefte und gerichtete Beobachtung eines erkannten Phänomens zur Erhöhung der Informationsstruktur wird als Monitoring bezeichnet.184 Durch das Monitoring soll neben einer Einordnung als Bedrohung oder Chance auch geklärt werden, ob sich die Hinweise auf das Phänomen eher verdichten oder auflösen. Sind beim Scanning tendenziell intuitive Fähigkeiten gefragt, werden beim Monitoring analytische Fähigkeiten benötigt, weil die Anzeichen genauer untersucht und mit anderen Phänomenen in Verbindung gebracht werden müssen.185 Nur so kann ein Gesamtverständnis über das dem Signal zugrunde liegende Phänomen und seine Auswirkungen für das jeweilige Unternehmen erlangt werden. Wie intensiv und wie gerichtet die Basisaktivitäten Scanning und Monitoring betrieben werden, hängt neben spezifischen Kontextfaktoren von den zur Verfügung stehenden Fähigkeiten und Kapazitäten sowie der Perspektivenwahl186 ab. So werden trotz des Ziels der ungerichteten Suche aus Gründen der Praktikabilität in der Regel doch wichtige relevante Themenbereiche bestimmt.187 Grundsätzlich ist aber für Scanning und Monitoring eine möglichst offene und Neuem gegenüber aufgeschlossene Haltung hilfreich. (b) Dokumentation der schwachen Signale Ein wahrgenommenes schwaches Signal wird erst durch die Dokumentation zu einem erfassten Signal.188 In der Literatur wird zum einen darauf hingewiesen, dass die Dokumentation der wahrgenommenen schwachen Signale standardisiert sein muss, weil sie von unterschiedlichen Personen und Personengruppen erfasst werden. Auf der anderen Seite sollte die Dokumentation nicht zu stark formalisiert sein, um die Weiterverarbeitung der Signale nicht zu beeinflussen. Als eine Möglichkeit werden daher Trendmeldungen vorgeschlagen, auf denen das schwache Signal sowohl 183
184
185 186
187
188
Vgl. dazu Kirsch/Trux (1979), S. 55; Kirsch et al. (1979), S. 363 ff. oder auch Hergert (2007), S. 59 f.; Jossé (2004), S. 186 ff.; Kunze (2000), S. 115 f. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 182 f.; Liebl (1996), S. 12; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 176 f.; Liebl (1991), S. 12 f. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 176. Liebl (1991), S. 13 f. unterschiedet die Inside-out- und Outside-in-Perspektive, wobei erstere den Beobachtungsbereich automatisch einschränkt und die Suche gerichteter ist, letztere ermöglich einen breiteren Fokus, ist aber mit höherem Aufwand verbunden. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 183; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 178. Scanning und Monitoring sind ferner über die Dimensionen formale/informale und gerichtete/ungerichtete Suche zu differenzieren, die die bisherige Argumentation unterstützen. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 182 f.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 176 f.; Konrad (1991), S. 51. Vgl. Müller, G. (1981), S. 170.
48
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
prägnant und wertfrei wiedergegeben wird, aber auch die Einschätzung und Interpretation des "Scanners" vermerkt wird. Diese Trendmeldungen können dann bei Häufungen zu bestimmten Themengebieten verdichtet und vernetzt werden, so dass sogenannte Trendlandschaften entstehen.189 (c) Interpretation der schwachen Signale Der Interpretation kommt eine sehr hohe Bedeutung zu, weil in dieser Stufe neben der detaillierten Analyse der schwachen Signale auch die Relevanz der zugrunde liegenden Diskontinuität für das Unternehmen und die künftige strategische Positionierung bestimmt wird. Außerdem liefert sie die Basis für mögliche spätere Handlungsalternativen. Die Interpretation ist ein höchst subjektiver Prozess, da in die Analyse und Relevanzbeurteilung auch der individuelle Erfahrungshintergrund und die darauf basierenden Einschätzungen einfließen. Zur Interpretation wird oft vorgeschlagen, die dokumentierten Signale in Kommunikationsarenen mit mehreren Teilnehmern aus dem Top-Management oder mit einer gemischten Gruppe verschiedener Hierarchiestufen zu diskutieren.190 So kann ein gemeinsames Verständnis und eine geteilte Einschätzung des Trends, auch hinsichtlich der Klassifizierung als Chance oder Bedrohung, erreicht werden. Die wahrgenommenen Signale werden dazu an den Stärken und Schwächen des Unternehmens gespiegelt und sowohl die Relevanz als auch die Dringlichkeit abgeleitet.191 Bei der Interpretation können unterstützend Methoden der Kreativitätsförderung, Szenarioanalysen oder auch Diffusionsfunktionen angewendet werden. Durch den stark individuellen Charakter ist die Interpretation nie frei von Pathologien und (mikro-)politischer Einflussnahme.192 Das Erkennen und die Interpretation schwacher Signale ist zentrales Thema in Kapitel 4. Prozessuale Ansätze der strategischen Früherkennung Die genannten Schritte strategischer Früherkennung wurden vielfach in integrierten Ansätzen konzeptionalisiert. Drei dieser Prozessmodelle aus den letzten rund 30 Jahren werden im Folgenden skizziert – auch um zu zeigen, wie sich die Ansätze zunehmend weiterentwickelt haben.193
189
190
191
192
193
Vgl. detaillierter zu Trendmeldungen und -landschaften Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 185 ff.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 186 ff.; ähnlich Liebl (1996), S. 12 ff.; Liebl (1991), S. 14 ff. Ohne vorzugreifen, wird hier kritisch angemerkt, dass es nicht unbedingt ausreichend ist, schwache Signale nur durch das Top-Management zu interpretieren. Vgl. dazu die Kapitel 2.2.3.3 und 4. Vgl. zur Interpretation Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 185; Liebl (1996), S. 14 ff.; Liebl (1991), S. 17 ff.; Simon, D. (1986), S. 184 ff. Jossé (2005), S. 245 ff. unterscheidet bei der Beurteilung die Kriterien Relevanz, Richtung, Ausmaß, Eintrittswahrscheinlichkeit und Dringlichkeit. Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 181 f. Auf Pathologien wird in Kapitel 4.1 und auf Mikropolitik in Kapitel 4.2.2.1 eingegangen. Für andere integrierte Prozessmodelle vgl. Day/Schoemaker (2004), S. 133 ff.; Baisch et al. (1998), S. 237 ff.; ähnlich Ansoff (1976), S. 146 ff., mit etwas anderem Schwerpunkt auch Diemers
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
49
Das BATTELLE-INSTITUT hat 1980 ein praxisorientiertes, strukturiertes, gesamtunternehmensbezogenes strategisches Früherkennungssystem entwickelt. Es basiert i.W. auf den Erkenntnissen der Diffusionstheorie und gliedert sich in fünf Stufen. Zuerst werden in der signalorientierten Umweltanalyse die schwachen Signale geortet, die Ursachen diagnostiziert, die Wirkungen der Veränderungen prognostiziert und spezifische Szenarioanalysen durchgeführt. Daran schließt sich ein Vergleich der Prämissen der strategischen Planung und der signalspezifischen Szenarioergebnisse an. Liegt eine Abweichung vor, wird im dritten Schritt die Relevanz der empfangenen Signale beurteilt. Ist die Abweichung relevant, werden danach strategische Alternativen abgeleitet, über die im letzten Schritt geurteilt und entschieden wird.194 HAMMER gliedert sein strategisches Früherkennungs-/Frühaufklärungssystem 1988 ebenfalls in fünf Stufen und gibt neben dem Prozessablauf auch konkrete Hinweise zur Systemgestaltung.195 Zuerst werden die Signale geortet und erfasst. Diese Stufe beinhaltet neben Scanning und Monitoring auch die Dokumentation. Anschließend werden die erfassten Signale analysiert. Dazu gehören neben der Feststellung der Verhaltens- und der Ausbreitungsmuster auch die Analyse der Ursachen und die Prognose der Wirkungen mit der Szenariotechnik. Danach wird die Relevanz der analysierten Signale beurteilt. Unterstützend wird hier u.a. eine Rangordnung erstellt und das Diffusionsstadium sowie die Dringlichkeit bestimmt. Bei entsprechend hoher Relevanz folgt im Anschluss die Entwicklung und Auswahl geeigneter Reaktionsstrategien. Implementierung und Kontrolle schließen den Prozess ab.196 Die Beobachtung, Dokumentation und Weiterleitung schwacher Signale sollte dabei dezentral erfolgen, die Interpretation und Implementierung aber durch die Führungsspitze.197 KRYSTEK verbindet die bisherigen Ansätze 2007 zu einem integrierten Ansatz strategischer Früherkennung. Auch in diesem Ansatz beginnt der Prozess mit einem ungerichteten 360-Grad-Scanning der Umwelt. Für dieses Scanning sieht er die Führungskräfte vor, aber auch die Integration verschiedener Stakeholder. Aus dem Scanning werden Trendlandschaften für ähnliche und miteinander verbundene schwache Signale gebildet. Das Monitoring dient in einem dritten Schritt der vertieften Untersuchung der erkannten Trends und der gebildeten Trendlandschaften. Anschließend werden die durch Monitoring kristallisierten Trends einer Relevanzbeur-
194 195
196 197
(1999), S. 238 ff. Jedoch bleiben alle Modelle in den Methoden in den einzelnen Prozessschritten eher vage. Für etwas einfachere Prozessverläufe vgl. Fußnote 174. Vgl. originär Battelle-Institut (1980), auch Hahn/Krystek (1984), S. 18 ff.; Krystek (1987), S. 168 ff. Vgl. Hammer (1988), S. 243 ff. Die Systemgestaltung beinhaltet z.B. die Festlegung von Beobachtungsbereichen, was den praktischen Bezug des Ansatzes zeigt, aber der Idee der ungerichteten Suche widerspricht. Diese Problematik wird von Hammer (1988), S. 245 ff. ausführlich reflektiert. Vgl. Hammer (1988), S. 242 ff. insb. für die hier beschriebenen Prozessschritte S. 252 ff. Vgl. Hammer (1988), S. 249 ff.
50
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
teilung unterzogen, indem sie nach Wirkungsprognosen, bspw. in Szenarioworkshops, mit den Prämissen der strategischen Planung abgeglichen werden. Kommt diese Relevanzbeurteilung zu einem positiven Ergebnis, werden sie mit der strategischen Planung zusammengeführt und diese gegebenenfalls angepasst. Derzeit nicht als relevant eingeschätzte Signale werden für spätere Analysen gespeichert.198 Auch wenn dieser Ansatz das genaue Vorgehen der Reaktion auf die erkannten Signale offen lässt, zeigt er doch, wie die sich stetig weiterentwickelnden Erkenntnisse strategischer Früherkennung integriert werden können, indem bspw. explizit die Stakeholder mit einbezogen und nicht relevante Signale gespeichert werden. Zur Erfassung, Interpretation und Erarbeitung von Reaktionsstrategien wird eine Reihe zusätzlicher Methoden immer wieder erwähnt. Sie sollen im Sinne einer "Bewusstseinserweiterung" für neue Denkansätze sensibilisieren und die Relevanzbeurteilung und Lösungsentwicklung unterstützen. Dazu zählen neben klassischen Kreativitätstechniken und Stärken-/Schwächen-Analysen bspw. die Delphi-Methode, Szenariotechniken oder Cross-Impact-Analysen.199 Jüngere Arbeiten geben zudem sehr pragmatische Tipps zur Implementierung strategischer Früherkennung.200 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass strategische Früherkennung auch unter der Bezeichnung "Strategic Issues Management" diskutiert wird.201 Issues sind dabei Themen mit strategischer Relevanz, auf die schwache Signale hinweisen.202 Allerdings wird Issues oft ausschließlich Konfliktpotential unterstellt203 und sie werden häufig nur aus Public-Relations-Perspektive betrachtet.204
198 199
200
201
202
203 204
Vgl. Krystek (2007), S. 55 f.; auch Krystek/Moldenhauer (2007), S. 124 f. Vgl. Ansoff (1984), S. 327, auch detailliert Rauscher (2004), S. 39 ff.; Neumann (2004), S. 105 ff.; Simon, D. (1986), S. 49 ff. Viele Methoden können für mehrere Prozessschritte verwendet werden, z.B. die Delphi-Methode zur Erkennung und Relevanzbeurteilung, vgl. Simon, D. (1986), S. 51 ff. Vgl. Schoemaker/Day (2006), S. 67 ff.; Roberto et al. (2006), S. 110 ff.; Day/Schoemaker (2005), S. 136 ff., auch Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 233 ff. spielen die Implementierung durch. Liebl (1996), S. 7 und Roll (2004), S. 43 setzen die Konzepte gleich, Ansoff (1984), S. 21 bezeichnet seinen "Strategic Issue Managment"-Ansatz als einfacheres konzeptionelles System, Kunze (2000), S. 53 sieht Stratgic Issue Management als Weitentwicklung des Konzepts schwacher Signale. Vgl. zur genaueren Definition und Abgrenzung von Issues Röttger (2001), S. 16 ff.; Geißler, U. (2001), S. 209 f. und 212; Schulz (2001), S. 220; Liebl (1996), S. 8; Liebl (1991), S. 8 ff. Vgl. Röttger (2001), S. 16 ff.; Schulz (2001), S. 220. Vgl. Röttger (2005), S. 140 f.; Arlt (2001), S. 125 f.; Merten (2001), S. 42; Liebl bildet dabei eine Ausnahme.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
51
2.2.3.3 Kritische Würdigung der Ansätze zur strategischen Früherkennung
Bei der kritischen Würdigung des aktuellen Forschungsstands strategischer Früherkennung ist zwischen dem theoretischen Konzept der "Schwachen Signale" und den praktischen Ansätzen zu unterscheiden. Beide werden nun detailliert reflektiert. Kritische Beurteilung des Konzepts der schwachen Signale Es ist ANSOFFs Überlegungen und seinem Konzept der "Schwachen Signale" zuzuschreiben, dass eine neue Denkhaltung in die Wissenschaft und Praxis der Früherkennung Einzug gehalten hat. Er hat zu einer Zeit, in der eine kennzahlen- und indikatorenorientierte Sichtweise vorherrschte, die Bedeutung strategischer Informationen im Rahmen der Früherkennung und die grundsätzliche Möglichkeit der frühzeitigen Reaktion in die Diskussion eingebracht. Mit seinem Konzept der "Schwachen Signale" hat er gezeigt, dass es möglich ist, auf Diskontinuitäten zu reagieren, bevor sie sich umfänglich konkretisiert haben.205 Er hat dazu explizit den Unterschied zwischen Unsicherheit bei gut strukturierter Information und inhaltlichen Unklarheiten herausgearbeitet.206 Mit seinem Ansatz der abgestuften Reaktionsstrategie macht er einen Lösungsvorschlag zum Umgang mit dieser Ungewissheit und damit eine frühzeitige Reaktion nicht nur nötig, sondern auch möglich.207 Zudem hat er mit den schwachen Signalen die Notwendigkeit der permanenten und vor allem ungerichteten, nicht vorab auf spezifische Beobachtungsbereiche beschränkten Suche in den Mittelpunkt gestellt.208 Es ist seinen Überlegungen zuzuschreiben, dass die traditionelle Prognosementalität und die Verhaltensweise des Abwartens zu Gunsten eines proaktiven Umgangs mit Diskontinuitäten und Unsicherheit aufgegeben wurde.209 Außerdem hat ANSOFF eine Umkehr der bis dahin vorherrschenden Abhängigkeitsbeziehung von Entscheidung und Informationsgewinnung angeregt. Bei strategischer Früherkennung auf Basis des Konzepts der "Schwachen Signale" wird nicht mehr aus der Entscheidung der Informationsbedarf abgeleitet, sondern das Informationsangebot bestimmt je nach Ungewissheitsgrad Art und Umfang der Entscheidung.210 Trotz dieser positiven Errungenschaften gibt es auch einige Kritikpunkte, die in der Literatur immer wieder aufgegriffen werden. Vor allem wird kritisiert, dass ANSOFF in
205 206 207 208 209 210
Vgl. Rauscher (2004), S. 21; Liebl (1996), S. 25. Vgl. Liebl (1996), S. 25; Liebl (1991), S. 23. Vgl. Rauscher (2004), S. 21 f. Vgl. Neumann (2004), S. 94; Krystek/Müller (1999), S. 181; Bea/Haas (1994), S. 488. Vgl. Neumann (2004), S. 100; Konrad (1991), S. 60. Vgl. Neumann (2004), S. 102; Liebl (1996), S. 18; Bea/Haas (1994), S. 488; Konrad (1991), S. 61; Kirsch et al. (1979), S. 352.
52
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
der Definition und Abgrenzung des Begriffs "schwache Signale" vage bleibt.211 Was heute gemeinhin mit schwachen Signalen verbunden wird, wurde erst später von anderen Autoren konkretisiert.212 Ähnliches gilt für den Begriff der "Diskontinuität", denn auch dabei bleibt ANSOFF ungenau und erst nachfolgende Arbeiten definieren Diskontinuitäten im Zusammenhang strategischer Früherkennung.213 Grundsätzlich wird auch zur Diskussion gestellt, ob schwache Signale exante überhaupt zu erkennen sind oder ob sie nicht nur expost als solche identifiziert werden können und damit ihren Früherkennungscharakter verlieren. Dieser Vorwurf lässt sich jedoch mit den Erkenntnissen der Diffusionstheorie entkräften, die zeigt, wie sich schwache Signale im Zeitverlauf entwickeln.214 Es muss dennoch kritisch hinterfragt werden, ob man, wie von dem Konzept gefordert, in der Beurteilung relevante von irrelevanten Informationen trennen und eine Vorstellung über den weiteren Verlauf und die Auswirkungen eines unkonkreten Trends entwickeln kann, wenn es sich um ein noch nie vorgekommenes Phänomen handelt.215 Doch genau in der Bewältigung dieses Paradoxons besteht die Aufgabe und Herausforderung, aber auch Notwendigkeit strategischer Früherkennung. KONRAD geht in seiner Kritik deutlich weiter. Er behauptet, dass schwache Signale aufgrund ihres schlecht strukturierten Charakters und des nur vagen Informationsgehalts keine Stimuli darstellen und daher wegen der kognitiven Aufnahmebarrieren gar nicht erst wahrgenommen werden. Wie in Kapitel 4.1.1 genauer erläutert wird, wenden Individuen zur Handhabung von Komplexität und Dynamik in ihrer Wahrnehmung Reduktionsstrategien an. Dadurch blenden sie nach KONRAD auch die unstrukturierten Wahrnehmungsbereiche aus, in denen sich schwache Signale befinden.216 Dieser Fundamentalkritik kann jedoch entgegnet werden, dass eben aus diesem Grund die Sensibilisierung und das Bewusstsein für Signale, die außerhalb des bisherigen Wahrnehmungshorizonts liegen, so wichtig ist. Zudem gibt es auch in der Praxis immer wieder Beispiele, wo Ahnungen sehr wohl bekannt waren und lediglich nicht beachtet oder falsch interpretiert wurden.217 Als Letztes wird angemerkt, dass es sich bei dem Konzept der "Schwachen Signale" um ein theoretisches Gedankenkonstrukt ohne konkrete Ansätze zur Implementie211
212 213 214 215
216 217
Vgl. Ansoff (1976), S. 133 f., aber auch Neumann (2004), S. 100; Liebl (1996), S. 22; Liebl (1991), S. 23; Hammer (1988), S. 217; Simon, D. (1986), S. 21; Arnold (1981), S. 291. Vgl. u.a. Konrad (1991), S. 173 ff.; Simon, D. (1986), S. 18 f.; Kirsch et al. (1979), S. 353 ff. Vgl. Liebl (1996), S. 22 und 24; Konrad (1991), S. 87 ff. Vgl. Loew (1999), S. 45 f.; Arnold (1981), S. 292. Vgl. Neumann (2004), S. 157 f.; Loew (1999), S. 45; Liebl (1996), S. 25; Liebl (1991), S. 23; Arnold (1981), S. 292. Vgl. Konrad (1991), S. 249 ff., insb. S. 256 f. Vgl. Neumann (2004), S. 102 f.; Simon, D. (1986), S. 22.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
53
rung oder Operationalisierung handelt. So ist die Idee der ungerichteten Suche im Sinne eines strategischen Radars zu begrüßen, nur, wie erwähnt, praktisch nicht umsetzbar. Praktische Ansätze strategischer Früherkennung greifen daher die Idee der schwachen Signale auf, weichen aber teilweise deutlich davon ab und versuchen sie so anzupassen, dass eine zweckmäßige Implementierung möglich wird.218 Kritische Würdigung der praktischen Ansätze der strategischen Früherkennung Wie in diesem Kapitel aufgezeigt, ist strategische Früherkennung in der Wissenschaft mittlerweile ein viel diskutiertes Thema. Es wird jedoch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Verbreitung strategischer Früherkennungssysteme in der Praxis trotz des hohen Nutzens, der ihnen zuerkannt wird, dahinter deutlich zurückbleibt. Dies gilt, wie eingangs beschrieben, besonders für mittelständische und mittelständisch geprägte Unternehmen.219 Einige Erklärungen dieses Phänomens lassen sich aus der kritischen Betrachtung der vorgestellten praktischen Ansätze ableiten. Die Prozessansätze strategischer Früherkennung, von denen drei skizziert wurden, sind trotz des Bestrebens der praktischen Konkretisierung immer noch sehr abstrakt und wenig operationalisiert.220 Dies ist i.W. darin begründet, dass strategische Früherkennung stark kontextabhängig ist und somit die konkrete Ausgestaltung eines solchen Systems zwangsläufig durch das jeweilige Unternehmen erfolgen muss. Die Implementierung eines strategischen Früherkennungssystems erfordert daher notwendigerweise immer eine hohe Eigenleistung des Unternehmens. Im Gegensatz dazu sind die Ausführungen in der Literatur zur Dokumentation schwacher Signale sehr detailliert und praxisnah.221 An den Vorschlägen zum Aufbau von Trendmeldungen und der informationstechnisch unterstützten Aggregation zu Trendlandschaften wird jedoch exemplarisch deutlich, wie aufwendig alleine die Dokumentation sein kann. Der Aufbau eines solchen institutionalisierten Dokumentationssystems schwacher Signale ist für viele, gerade kleinere Unternehmen schlichtweg zu umfangreich. Gleiches kann auch für ein integriertes und institutionalisiertes Gesamtsystem strategischer Früherkennung zutreffen. Dabei muss beachtet werden, dass operative Früherkennung heute meist weitgehend automatisiert in die Aufgaben des Controllings integriert ist. Bei strategischer Früherkennung erfordern nicht nur 218 219
220 221
Vgl. Neumann (2004), S. 99; Kunze (2000), S. 51; Konrad (1991), S. 6. Vgl. bspw. Krystek (2007), S. 50 und 57; Rauscher (2004), S. 34 f.; Jossé (2004), S. 149; Welge/Al-Laham (1999), S. 308; Zurlino (1995), S. 24 f. und 45; Schulten (1995), S. 170; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 6; Welge/Al-Laham (1992), S. 164; Konrad (1991), S. 5; mit Fokussierung auf den Mittelstand besonders Wilden (1998), S. 13; Baisch et al. (1998), S. 236. Vgl. ähnlich Roll (2004), S. 20; Weigand/Buchner (2000), S. 17 f. So führen bspw. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 185 ff.; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 186 ff. detailliert aus, wie Trendmeldungsformulare aussehen und verarbeitet werden können.
54
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
Scanning, Monitoring und die Dokumentation, sondern auch die anderen in den Ansätzen konzeptionalisierten Stufen sowie der Aufbau des Systems einen hohen Einsatz von Ressourcen. Neben informationstechnologischer Unterstützung sind dies vor allem die Zeit und die Aufmerksamkeit der beteiligten Führungskräfte und Mitarbeiter. Viele kleinere Unternehmen können oder wollen diese Ressourcen nicht zur Verfügung stellen oder haben sich noch gar nicht mit den Möglichkeiten strategischer Früherkennung beschäftigt.222 So positiv daher die Umsetzung der Idee schwacher Signale und strategischer Früherkennung in praktischen Ansätzen zu beurteilen ist, so besteht in der Operationalisierung und der wirklichen Implementierung der Ansätze noch Entwicklungspotential. Die Ansätze erscheinen für viele Unternehmen zu komplex und umfangreich, bieten aber dennoch wertvolle methodische Unterstützung und Gestaltungshinweise zur Erfassung und Verarbeitung schwacher Signale. So können Unternehmen, wenn sie kein vollständiges strategisches Früherkennungssystem aufbauen wollen, doch Teilaspekte implementieren oder das System "informeller", also weniger systematisiert und institutionalisiert, gestalten. Allerdings löst dies nicht die Grundproblematik, dass das Interesse von Unternehmen an strategischer Früherkennung so niedrig ist, weil eben ein nur geringer Handlungsdruck besteht. Die Träger strategischer Früherkennung wurden bisher nicht näher thematisiert, weil über sie in der Literatur keine Einigkeit besteht. Vorherrschend ist die Ansicht, dass sowohl die Erfassung als auch Verarbeitung schwacher Signale vor allem Aufgabe der Führungskräfte ist.223 Einige Autoren vertreten aber die Meinung, dass die Wahrnehmung schwacher Signale möglichst dezentral und breit gestreut sein sollte, die Verarbeitung aber zentral durch die (obersten) Führungskräfte geschehen muss.224 Strategische Früherkennung als exklusive Führungskräfteaufgabe wird u.a. damit begründet, dass sie nicht an Beobachtungsbereiche und Toleranzgrenzen gebunden, sondern eher intuitiv, subjektiv und arbeitsintensiv ist.225 Gerade diese Begründung wirft aber die Frage auf, ob eine solche Konzentration auf eine kleine Gruppe von Führungskräften nicht der Idee der ungerichteten Suche bisher unbekannter Phänomene entgegenwirkt. Die kleine Gruppe der Führungskräfte kann aufgrund be222
223
224
225
Vgl. z.B. Wilden (1998), S. 14. Viele Mittelständler dürften nur schwer einsehen, warum Mitarbeiter regelmäßig während der Arbeitszeit in Zeitschriften oder dem Internet nach Trends suchen sollen. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 122; Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 181; Krystek (2006a), S. 238; Krystek (2005), S. 172 und 178; Rauscher (2004), S. 190 f.; Simon, D. (1986), S. 23 f. und 103; ähnlich Sepp (1996), S. 163 ff.; empirisch Zurlino (1995), S. 78 f. und 102. Vgl. Schreyögg (2004), S. 32 f.; Roll (2004), S. 198; Wilden (1998), S. 13; Bea/Haas (1994), S. 489; Hammer (1988), S. 249 f.; aber auch Simon, D. (1986), S. 182, der in seiner Arbeit aber ebenso Früherkennung als Führungsaufgabe unterstützt. Vgl. dazu bspw. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 122; Krystek (2006a), S. 238.
2.2 Früherkennung von Unternehmenskrisen
55
schränkter Zeit, Aufmerksamkeit und kognitiver Fähigkeiten nur begrenzt Signale aufnehmen und Beobachtungsbereiche untersuchen. Außerdem fließt bei der Interpretation nur der spezifische Erfahrungshintergrund dieser Führungskräfte ein. Die Wahrnehmungen und Einschätzungen anderer Mitarbeiter, vor allem des mittleren Managements, bleiben unberücksichtigt. Dabei ist das mittlere Management bspw. näher an den operativen Entwicklungen, steht in engem Kontakt zu verschiedensten Stakeholdern, hat aber auch das strategische Verständnis und wird daher eher auf Signale aufmerksam, die der Führungsspitze vielleicht verschlossen bleiben. Entscheidend bei dieser Diskussion ist jedoch, was jeweils unter dem Begriff "Führungskräfte" verstanden wird. Eine Begrenzung bspw. auf die maximal dritte Führungsebene schließt in einem Großkonzern einen Großteil der Meinungen aus, fängt aber in einem mittelständischen Unternehmen ein sehr viel breiteres Meinungsbild ein. In dieser Arbeit wird prinzipiell dem "breiteren Ansatz" mit der Involvierung möglichst vieler Führungskräfte und Mitarbeiter gefolgt, auch wenn die letztliche Entscheidung über Relevanz und Reaktion beim Top-Management liegen muss. Unabhängig davon, wer in einem Unternehmen an der strategischen Früherkennung beteiligt ist, sind zwei Punkte bei der praktischen Umsetzung nicht zu vermeiden – zum einen eine irgendwie geartete Einschränkung der Beobachtungsbereiche226 und zum anderen eine Subjektivität in der Wahrnehmung und Verarbeitung der schwachen Signale. Beide Effekte sind durch die individuellen kognitiven Fähigkeiten und Pathologien verursacht und beeinflussen bzw. erschweren den Umgang mit schwachen Signalen. Wahrnehmung und Bedeutungszuweisung sind subjektiv geprägte Vorgänge, bei denen man zur Komplexitätsreduzierung und zur Vermeidung kognitiver Dissonanz Signale und Quellen präferiert, die eigene Erfahrungen, Meinungen oder den Status quo bestätigen.227 Diese Problematik, dass schwache Signale entweder bewusst oder unbewusst ignoriert oder so uminterpretiert werden, dass sie zum Status quo passen oder persönlichen Zielen dienen, ist der strategischen Früherkennung immanent. Sie bedeutet nicht, dass strategische Früherkennung nicht umgesetzt werden kann, allerdings findet diese starke subjektive Prägung in den heutigen Ansätzen noch wenig Berücksichtigung.228 Es ist jedoch wichtig, dass sich die an der strategischen Früherkennung
226
227
228
Vgl. dazu auch Hergert (2007), S. 32 ff.; Neumann (2004), S. 103; Day/Schoemaker (2004), S. 130 ff.; Loew (1999), S. 45; Krystek/Müller-Stewens (1993), S. 271. Vgl. dazu insb. Kapitel 4.1.1, zudem Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 184; Röttger (2001), S. 22; Baisch (2000), S. 40; Loew (1999), S. 46; Kirsch et al. (1979), S. 353 f. Die Frage, ob die Umwelt und schwache Signale überhaupt "objektiv" erfasst werden können, wird hier nicht näher erläutert. Vgl. dazu aus konstruktivistischer Sichtweise Seidl (2004), S. 151 ff.; Knittelmeyer (1999), S. 134. Vgl. ähnlich Hergert (2007), S. 32.
56
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
Beteiligten immer wieder dieser Beschränkung und Subjektivität bewusst werden.229 Wie in Kaptitel 4.1. noch genauer ausgeführt wird, ist die Beteiligung vieler Sichtweise, Meinungen und Denkhaltungen eine Möglichkeit, diese Grenzen der Wahrnehmung und Verarbeitung zu überwinden oder zu "neutralisieren". Bedeutung und Nutzen strategischer Früherkennung hängen damit stark von der Bereitschaft der Beteiligten ab, schwache Signale wahrzunehmen, zu dokumentieren, zu interpretieren und darauf zu reagieren.230 Wie in Kapitel 4 noch ausführlich diskutiert wird, spielen in diesem Zusammenhang Motivation, Anreize und eine offene und kreative Denkhaltung eine entscheidende Rolle. Mangelhafte Anregungen und Unklarheit, was mit erfassten Signalen passiert, erschweren diese Bereitschaft. Grundvoraussetzung ist aber, dass die Mitarbeiter, die zur strategischen Früherkennung, besonders zur Interpretation eingesetzt werden, die benötigten Fähigkeiten im Sinne von Qualifikationen besitzen.231 Abschließend sei darauf hingewiesen, dass schon alleine die Beschäftigung mit dem Thema der strategischen Früherkennung ohne jegliche Implementierungen zu einer Perspektivenerweiterung führen kann.232 Wird strategische Früherkennung offen diskutiert, können sich bereits die Denkhaltung und die Sensibilität ändern sowie die kontinuierliche Übung den Umgang mit schwachen Signalen verbessern.
2.3
Fazit: Strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen
Der Überblick über den Stand der Forschung zum Phänomen der Unternehmenskrise hat gezeigt, dass aufgrund der Komplexität der Ursachen kein Unternehmen davor bewahrt ist, in latente oder akute Krisenstadien bzw. in eine strategische, Ergebnis- oder Liquiditätskrise zu gelangen. Zwar können Unternehmenskrisen konstruktive Wirkungen haben und zu Erneuerung und positiver Wende führen, prominenter sind jedoch die destruktiven Wirkungen, die das Unternehmen nachhaltig belasten können. Um diese destruktiven Wirkungen abzumildern, dienen in der Phase der akuten Unternehmenskrise Maßnahmen der Krisenbewältigung. In der dynamischen Umwelt gewinnt jedoch das präventive Krisenmanagement immer mehr an Bedeutung. Können Unternehmenskrisen durch Früherkennung frühzei229
230 231 232
Vgl. Krystek/Müller-Stewens (2006), S. 181; Day/Schoemaker (2005), S. 139; Krystek/MüllerStewens (1993), S. 173. Vgl. Bea/Haas (1994), S. 489. Vgl. Bea/Haas (1994), S. 489. Vgl. ähnlich Roll (2004), S. 19.
2.3 Fazit: Strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen
57
tig identifiziert werden, bestehen noch größere Handlungsspielräume, um die negativen Folgen abzuwenden oder einzudämmen. Früherkennung wird dabei in operative und strategische Früherkennung unterschieden. In den in dieser Arbeit betrachteten mittelständisch geprägten Großunternehmen ist operative Früherkennung auf Basis von Kennzahlen und Indikatoren häufig bereits verbreitet und in die Aufgaben des Controllings integriert. Strategische Früherkennung versucht durch das frühzeitige Aufspüren von schwachen Signalen, die strategischen Diskontinuitäten vorangehen, bereits im Stadium einer latenten bzw. strategischen Krise angemessene Gegenmaßnahmen einzuleiten, um künftige Erfolgspotentiale zu sichern, ist aber in mittelständisch geprägten Großunternehmen weit weniger verbreitet. Ein Grund dafür scheint zu sein, dass die praktischen Ansätze strategischer Früherkennung sehr aufwendig – für mittelständisch geprägte Großunternehmen vielfach zu aufwendig – sind. So werden in diesen Unternehmen selten Mitarbeiter dazu abgestellt, relevante Quellen schwacher Signale zu scannen. Sie werden auch kaum die Signale, die sie wahrgenommen haben, in Formblätter für Trendmeldungen eintragen, die dann systemunterstützt verdichtet werden. Daraus ist nicht zu schließen, dass in mittelständisch geprägten Großunternehmen keine strategische Früherkennung erfolgt, denn sie ist auch für diese Unternehmen notwendig, weil sie in einer dynamischen Umwelt tätig sind. Nur ist das Aufspüren und die Verarbeitung schwacher Signale in der Regel ein eher zufälliger, informaler und eklektischer Prozess. Selbst wenn strategische Früherkennung in irgendeiner Form systematisch betrieben wird und dadurch schwache Signale besser als bei rein zufälliger Erkenntnis erfasst werden, ist dies in der Regel kaum durch Instrumente unterstützt.233 Damit rücken unweigerlich die an der Früherkennung Beteiligten mit ihrer Bereitschaft und Offenheit für schwache Signale und Veränderungen sowie ihre Wahrnehmungsvorgänge, Subjektivitäten, individuellen Pathologien und kognitiven Grenzen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Wie bereits angedeutet sind Menschen in ihren Wahrnehmungen begrenzt und streben unbewusst danach, die eigenen Erfahrungen, Meinungen und den Status quo zu bestätigen. Solange es also zu keinem Performanceabfall gekommen ist, besteht kein akuter Handlungsbedarf, bisherige Vorgehen und Verhaltensweisen zu ändern, und daher keine übermäßige Notwendigkeit des sensiblen Umgangs mit schwachen Signalen. Diese unbewussten Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeits- und Verarbeitungshemmnisse auf individueller wie kollektiver Ebene können unter dem Oberbegriff "organisationale Trägheit" subsumiert werden. Wie beeinflusst also diese organisationale Trägheit die wenig sys233
Vgl. ähnlich auch Zurlino (1995), S. 7.
58
2 Unternehmenskrisen und ihre Früherkennung
tematisierte strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen? Welche Auswirkungen hat sie auf die Wahrnehmung von schwachen Signalen und auf die Interpretation, Relevanzbeurteilung und Reaktionen? Sind mittelständisch geprägte Großunternehmen daher einer höheren Gefahr ausgesetzt, in existenzbedrohende Krisenstadien zu kommen, weil in der vorgelagerten Phase nicht gehandelt wurde? Um diese Fragen zu beantworten, wird im folgenden Kapitel zuerst der aktuelle Forschungsstand zur organisationalen Trägheit dargestellt.
3.1 Überblick Konzepte organisationaler Trägheit
3
59
ORGANISATIONALE TRÄGHEIT
Im Folgenden wird zuerst ein Überblick über die in der Literatur vorhandenen Konzepte organisationaler Trägheit gegeben. Da in dieser Arbeit organisationale Trägheit aus der Perspektive des Population Ecology-Ansatzes betrachtet wird, werden danach die Eckpunkte evolutionstheoretischer Ansätze erläutert, bevor auf die Grundkonzeption und die neueren Entwicklungen des Population Ecology-Ansatzes eingegangen wird. Darauf aufbauend wird das Trägheitsmodell des Ansatzes beschrieben. Dazu werden Arten und Ursachen organisationaler Trägheit erläutert und intensiv die Einflussfaktoren mit der entsprechenden Forschung diskutiert. Zum Schluss erfolgt eine kritische Würdigung des Population Ecology-Ansatzes und vor allem des darin enthaltenen Trägheitskonzepts.
3.1
Überblick Konzepte organisationaler Trägheit
Bei einem physikalischen oder technischen System beschreibt Trägheit die grundsätzlich Eigenschaft, auf einen Impuls mit einer verzögerten Wirkung zu reagieren. Aber auch mit dem Menschen und seinen Verhaltensweisen ist Trägheit als eine ureigene Eigenschaft untrennbar verbunden. In der Psychologie wird unter Trägheit eine situativ oder in der Persönlichkeit begründete Minderung der Verhaltensbereitschaft verstanden, mit der einer Aktivität entgegengewirkt und diese in ihrer Wirkung eingeschränkt wird.234 Oft wird Trägheit daher auch mit Begriffen wie Rigidität, Beharrung oder auch Faulheit gleichgesetzt. In der Betriebswirtschaft wird Trägheit vor allem in Arbeiten zur Organisationsentwicklung diskutiert, die sich mit Prozessen der Veränderung, des Wandels und der Weiterentwicklung von Organisationen beschäftigt.235 Wandelprozesse verdeutlichen dabei einführend sehr gut, wie Trägheit auf Veränderungen in Unternehmen wirken kann. Zwar finden sich in der Organisationsentwicklung verschiedenste Modelle für Wandelprozesse, die meisten gehen jedoch auf das einfache triadische Modell von LEWIN zurück, das auch hier zur Erläuterung verwendet wird.236 Wandelprozesse vollziehen sich demnach in den Schritten "unfreezing – mooving – refreezing". Auf 234 235
236
Vgl. O.V. (2006c), S. 642; Häcker/Stapf (2004), S. 964; Auch die Begriffsbestimmung für Organisationsentwicklung ist nicht homogen. 1982 fand Trebesch (1982), S. 47 ff. bereits 50 Definitionen; vgl. grundsätzlich z.B. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 497 f.; Heimerl-Wagner (1992), S. 72 ff., Trebesch (1982), S. 38 ff.; kritisch Rieckmann (1991), S. 127 ff. Umfangreichere Ansätze für Wandelprozesse finden sich bspw. bei Mento et al. (2002), S. 47 oder Kieser et al. (1998), S. 96 ff. Der hier betrachtete Population Ecology-Ansatz stellt in der Grundkonzept gewissermaßen einen Wandelansatz auf Makroebene dar. Vgl. Weibler/Deeg (1999), S. 298.
60
3 Organisationale Trägheit
eine Vorphase der Selbstreflexion folgt eine kurze Veränderungsphase, bevor sich wieder ein neuer temporärer Zustand des Gleichgewichts und der Ruhe einstellt.237 Trägheit kann dabei auf alle drei Schritte einwirken. Sie kann verzögern oder verhindern, dass die Selbstreflexion stattfindet und dadurch die Notwendigkeit zum Wandel (rechtzeitig) erkannt wird. In gleicher Weise kann Trägheit beeinflussen, dass Veränderungen, selbst wenn die Notwendigkeit erkannt und die konkreten Veränderungsmaßnahmen erarbeitet wurden, auch tatsächlich umgesetzt wird. Ähnlich kann Trägheit dazu verleiten, dass sich kein neues Gleichgewicht einstellt, z.B. wenn Veränderungen zwar umgesetzt, aber trotz der Neuerungen an alten Verhaltensweisen festgehalten wird. Eng mit solchen Trägheitsüberlegungen verbunden ist die zugrunde liegende Auffassung zur Rationalität der Akteure. Die Prozessmodelle erwecken den Eindruck, als müsste organisatorischer Wandel lediglich sorgfältig geplant, gesteuert und koordiniert werden, um erfolgreich zu sein.238 Diese Auffassung basiert auf der aus der klassischen mikroökonomischen Entscheidungstheorie stammenden Annahme vollkommener Rationalität der Akteure. Wie im Kapitel 4.1 genauer erarbeitet wird, sind Akteure jedoch u.a. wegen ihrer kognitiven Grenzen nicht vollkommen rational. Zudem sind Ziele, Entscheidungsprobleme und mögliche Alternativen nie vollständig bekannt, klar und eindeutig oder die benötigten Informationen verfügbar. Verhaltensweisen sind daher nicht immer rational und Entscheidungen eher akzeptabel als optimal.239 In der Analyse organisationaler Trägheit sind somit zwei Ebenen zu unterscheiden – die individuelle Trägheit der Organisationsmitglieder und die systembedingte kollektive Trägheit der Organisation. Beide Betrachtungsebenen haben unterschiedliche Wirkungen auf Veränderungsprozesse, aber auch die Früherkennung und Bewältigung von Unternehmenskrisen. Beide Perspektiven werden in dieser Arbeit differenziert betrachtet, jedoch unter dem Oberbegriff "organisationale Trägheit" subsumiert. Es soll an dieser Stelle bereits betont werden, dass Trägheit in der vorliegenden Arbeit nicht negativ assoziiert ist. Wie im Anschluss ausführlich gezeigt wird, gibt Trägheit Stabilität und Verlässlichkeit, weil sie bspw. verhindert, dass ein System sich allen Umweltveränderungen anpasst und noch nicht ausgereifte Maßnahmen vorschnell umgesetzt werden. Daher muss organisationale Trägheit für die weiteren
237
238 239
Vgl. Lewin (1958), S. 210 f.; dazu auch Niemeier (2000), S. 240; Steinmann/Schreyögg (2005), S. 496 f.; Schreyögg (1998), S. 496 f.; Zahn/Greschner (1996), S. 56 f. Vgl. bspw. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 493; Kieser (1988a), S. 603. Vgl. zu begrenzter Rationalität Simon, H.A. (1959), S. 256 ff.; auch bspw. Minssen (1994), S. 31 ff. und ausführlich Kapitel 4.1.
3.1 Überblick Konzepte organisationaler Trägheit
61
Betrachtungen klar von den vornehmlich negativ assoziierten, aber in der Literatur oft synonym verwendeten Widerständen abgegrenzt werden. Beide Begriffe und Konzepte werden oft zusammen oder nicht überschneidungsfrei diskutiert, weil keine schlüssigen, operationalisierten Definitionen für den Sachverhalt vorliegen, wenn Veränderungen unterbleiben, blockiert werden oder nicht zu einem gewünschten Ergebnis führen.240 Widerstände werden als Sichwidersetzen, Sichentgegensetzen oder Nicht-Wollen definiert und bezeichnen im Verständnis dieser Arbeit einen bewussten Prozess, der auf mangelnde Anpassungsbereitschaft zurückzuführen ist.241 Ziel des Widerstandes ist es, Veränderungen absichtlich zu verzögern, zu verhindern oder zu modifizieren, um den Status quo beizubehalten.242 Trägheit hingegen ist ein unbewusster Prozess, der in mangelnder Anpassungsfähigkeit und damit einem Nicht-Können begründet liegt.243 Auslöser kann bspw. ein unbewusstes Festhalten an alten Denkmustern oder Gestaltungsphilosophien sein. Während Widerstände in der Regel auftreten, wenn Wandelprozesse bereits in Gang gesetzt wurden und die Auswirkungen für den Einzelnen und die Organisation transparent werden, verhindert Trägheit, dass die Notwendigkeit zum Wandel erkannt und der Veränderungsprozess überhaupt initiiert wird. Wie Trägheit sind auch Widerstände auf individueller wie organisatorischer Ebene anzutreffen.244 In der Organisationsentwicklung existieren verschiedene Ansätze, die organisationale Trägheit in unterschiedlicher Tiefe thematisieren. Neben dem organisatorischen Konservatismus beschäftigen sich vor allem die Pfadabhängigkeitsforschung und der Population Ecology-Ansatz mit Trägheitsideen. Der organisatorische Konservatismus geht auf KIESER zurück und bezeichnet das Bedürfnis nach Kontinuität und Sicherheit, das sich auf Strukturen, Prozesse, Strategien oder auch Verhaltensweisen erstreckt. Organisatorischer Konservatismus ist im Wandelprozess dafür verantwortlich, dass Veränderungen in Organisationen nicht vollständig oder zeitnah umgesetzt werden. Es werden dabei unternehmensinterne und -externe Ursachen von Konservatismus unterschieden, wobei die unternehmensinternen Ursachen weiter in Widerstände und Trägheit auf Verhaltensebene wie 240
241 242
243 244
Vgl. Schäcke (2006), S. 157; auch Niemeier (2000), S. 251 ff.; Schreyögg (1998), S. 489 ff.; Schmidt, M. (1996), S. 36 ff. Vgl. O.V. (2006d), S. 27; Doppler/Lauterburg (2002), S. 323.; Kieser et al. (1998), S. 123 f. Vgl. für die Gründe von Widerständen bspw. Steinmann/Schreyögg (2005), S. 494; Schreyögg (1998), S. 489; Schanz (1994), S. 388 ff. Widerstand wird zudem in aktiv und passiv differenziert. Bei aktivem Widerstand sprechen sich Mitarbeiter offen gegen Veränderungen aus oder greifen absichtlich gestaltend ein. Passiver Widerstand ist deutlich schwerer zu erkennen und äußert sich bspw. in Lustlosigkeit, fehlendem Engagement oder Unaufmerksamkeit. Beides sind aber im Gegensatz zu Trägheit bewusste Prozesse. Vgl. bspw. Doppler/Lauterburg (2002), S. 326. Die menschliche Neigung zur Beibehaltung des Status quo wird in Kapitel 4.1 näher erläutert. Vgl. Kieser et al. (1998), S. 123 f.; auch dazu Schäcke (2006), S. 179 f. Vgl. Niemeier (2000), S. 252; Kieser et al. (1998), S. 123 ff.; Schreyögg (1998), S. 489 ff.
62
3 Organisationale Trägheit
Systemebene differenziert werden.245 Verhaltensträgheit bezeichnet bei KIESER das Unvermögen einzelner Personen zur Veränderung und kann sowohl fachlich als auch kognitiv begründet sein. Zur Erläuterung von Systemträgheit greift er i.W. auf die Trägheitserklärungen des im Anschluss dargestellten Population EcologyAnsatzes zurück.246 Die Pfadabhängigkeitsforschung hat ursprünglich untersucht, warum sich inferiore Technologien durchsetzen247, in den letzten Jahren aber zur Erklärung vielfältiger Phänomene an Bedeutung gewonnen. Entscheidungsprozesse gelten als pfadabhängig, wenn sie sich nicht unabhängig entfalten, sondern durch in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen, die sich durch positive Rückkopplungen verstärkt haben, wesentlich beeinflusst werden.248 Durch diese historische Vorprägung schlagen Entwicklungen einen Pfad ein, der nur schwer wieder verlassen werden kann. Die Lösung, die sich herausgebildet hat, muss dabei nicht optimal sein – andere Wege und Lösungen hätten vorteilhafter und effizienter sein können. Pfadabhängige Prozesse sind daher nicht nur nicht vorhersagbar und potentiell ineffizient, sondern auch inflexibel, weil ein einmal erreichter Zustand (ein stabiles Gleichgewicht) von alleine kaum wieder verlassen wird.249 Pfadabhängigkeit trägt mit den Überlegungen zur Inflexibilität, Veränderungsresistenz und dauerhaft unerwünschten Ergebnissen zur Untersuchung des Trägheitsphänomens bei.250 Für diese Arbeit scheinen beide Ansätze jedoch nicht geeignet. Der organisatorische Konservatismus ist nur wenig detailliert, in der Wissenschaft selten diskutiert und kaum empirisch erforscht worden. Zudem ist Trägheit nur einer von mehreren Faktoren für Schwierigkeiten im Wandelprozess und kaum operationalisiert. Die Pfadabhängigkeitsforschung ist zwar besser empirisch untersucht, behandelt Trägheit aber als eine Folge von Pfadabhängigkeiten auch nur indirekt und nicht operationalisiert. Organisationale Trägheit wird daher in dieser Arbeit auf Basis des Population Ecology-Ansatzes dargestellt. Dieser Ansatz bietet die detaillierteste Beschreibung des Phänomens und ist zudem weitreichend in der wissenschaftlichen Diskussion kritisch 245
246 247 248
249
250
Die Abgrenzung von Widerständen und Trägheit ist dabei ähnlich der in dieser Arbeit. Für Details zu Verhaltens- und Systemwiderständen vgl. Kieser et al. (1998), S. 124 f. und 127. Vgl. zum organisatorischen Konservatismus vornehmlich Kieser et al. (1998), S. 121 ff. Vgl. insb. David, P.A. (1985), S. 332 ff. Nicht jeder Prozess ist damit pfadabhängig. Vgl. zum Effekt der positiven Rückkopplungen (z.B. Skalenerträge oder Netzwerkexternalitäten) Schäcke (2006), S. 36 ff.; Schreyögg et al. (2003), S. 262 f.; Ackermann (2001), S. 16 ff. und S. 59 ff.; Arthur (1989), S. 116 ff. Vgl. zur Pfadabhängigkeit allgemein Sydow et al. (2005), S. 5 ff.; Schreyögg et al. (2003), S. 259 ff.; Ackermann (2001), S. 9 ff.; zu den Eigenschaften pfadabhängiger Prozesse insb. Schäcke (2006), S. 29 f.; Ackermann (2001), S. 19 ff. und zur Entwicklung von Pfaden insb. Sydow et al. (2005), S. 8 f. und 15 ff.; Schreyögg et al. (2003), S. 267 f. und 271 ff. Vgl. Sydow et al. (2005), S. 14; Schreyögg et al. (2003), S. 259; zur Inflexibilität Ackermann (2001), S. 37 ff. und S. 45 ff.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
63
hinterfragt und gewürdigt worden. Außerdem gibt es eine hohe Anzahl empirischer Forschungsarbeiten, die in den letzten Jahrzehnten zur deutlichen Weiterentwicklung des Ansatzes und der Trägheitsidee geführt haben, so dass heute eine hohe theoretische Konsistenz und Übereinstimmung der Grundannahmen vorliegt. Die ursprüngliche Entlehnung aus der Evolutionsbiologie eröffnet zudem interessante Perspektiven und Einblicke und thematisiert mit der Selektion explizit auch das im Zusammenhang von Unternehmenskrisen wichtige Scheitern von Organisationen.251
3.2
Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
3.2.1 Einordnung von Population Ecology in evolutionstheoretische Ansätze Für ein besseres Verständnis des Population Ecology-Ansatzes und des darin entwickelten Trägheitskonzeptes wird er vorab in die Forschungsrichtung der evolutionstheoretischen Ansätze in der Organisationstheorie eingeordnet. Die evolutionstheoretischen Ansätze der Betriebswirtschaft lehnen sich an DARWINs synthetische Evolutionsbiologie an. Bevor die Evolutionstheorie in diesem Bereich berücksichtigt wurde, hatte sie bereits in den Gesellschaftswissenschaften Anwendung gefunden und dort erheblichen Erklärungsbeitrag geleistet.252 Durch die Übertragung der Erkenntnisse der Evolutionsbiologie in die Organisationsforschung soll ein besseres Verständnis für die Entwicklung von Organisationen erlangt und ein Theorierahmen für die Erklärung sozialer und organisationaler Prozesse geschaffen werden.253 Die zentralen Mechanismen der Evolutionsbiologie sind Variation, Selektion und Retention. Als Analyseeinheit dient nicht das Individuum, sondern die Population, die durch einen gemeinsamen "Genpool" definiert wird. Individuen einer Population weisen immer einen Teil des Genpools, niemals aber alle Merkmale auf. Variationen entstehen durch Mutationen, die sich entweder durch Rekombination oder ungerichtet und zufällig bilden können. In beiden Fällen wird der Genpool nicht verändert, nur durch neue Eigenschaften erweitert. Die Veränderung des Genpools erfolgt erst durch die Selektion. Besser angepasste Individuen haben eine höhere Reproduktionswahrscheinlichkeit und werden nicht durch die Umwelt negativ selektiert ("survival 251
252 253
Unternehmenskrisen und Evolutionstheorie wurden auch vor dieser Arbeit zusammen betrachtet. Vgl. bspw. zu Evolutionstheorie und Ad-hoc-Krisen Hülsmann/Schulenburg (2005), S. 98 ff. Vgl. Kieser (1988a), S. 604; kritisch Betton/Dess (1985), S. 750; Hettlage (1982), S. 113 ff. Vgl. Niemeier (2000), S. 24 f.; Weibler/Deeg (1999), S. 297. Heute werden evolutorische Prinzipen bspw. verstärkt auf das strategische Management angewendet. Vgl. Barnett/Burgelman (1996).
64
3 Organisationale Trägheit
of the fittest"). Die positiv selektierten Variationen werden in der Retention durch Reproduktion beständig.254 Die Besonderheit aller evolutionstheoretischen Ansätze in der Betriebswirtschaft ist, dass sie ebenfalls dieses deterministische Verhältnis von Organisation und Umwelt zugrunde legen. Die Umwelt selektiert in einem unberechenbaren Ausleseprozess, den die Organisation nicht oder nur sehr eingeschränkt durch eine Adaption an die Umwelt beeinflussen kann. Inhalt oder Richtung einer Entwicklung können a priori nicht vorhergesagt oder festgelegt werden. Die Umwelt bestimmt damit zwar nicht die Form der Variation, jedoch, wie "lebensfähig" sie ist.255 Um diese Evolutionsprinzipien der Variation, Selektion und Retention auf Organisationen zu übertragen, wurden verschiedene Konzepte entwickelt, die sich in der Ausgestaltung, z.B. dem Erkenntnisobjekt256, teilweise erheblich unterscheiden. Am weitesten verbreitet und ausgearbeitet ist der Population Ecology-Ansatz.257 Er wurde 1977 von HANNAN/FREEMAN begründet und hat seither mit seinen Weiterentwicklungen die Organisationsforschung insgesamt stark beeinflusst.258 Andere bekannte evolutionstheoretische Konzepte stellen der "St. Gallener Ansatz" und der "Münchener Ansatz" dar259 sowie das von McKELVEY/ALDRICH entwickelte Konzept der "Comps".260 Der St. Gallener Ansatz basiert auf der Idee der spontanen Ordnung, wonach Verhaltensregeln als Ergebnisse des Evolutionsprozesses und daher nicht als direkt beeinflussbar zu verstehen sind. Organisationen können sich selbständig an eine veränderte Umwelt anpassen und die Hauptaufgabe des Managements liegt in der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen.261 Der Münchener Ansatz von KIRSCH beschäftigt sich mit der "geplanten Evolution" als einer Möglichkeit des gemäßigten Voluntarismus im Umgang mit einer offenen Zukunft. Er versucht einen Mittelweg zwischen Totalplanung und "Muddling Through" und sieht die Evolution von Unternehmen explizit als ein schrittweises Vorgehen.262
254
255
256
257
258 259 260 261
262
Vgl. Darwin (1860), für eine Übersicht der synthetischen Evolutionsbiologie Kieser/Woywode (2006), S. 309 f.; Niemeier (2000), S. 25 ff. Für eine kritische Sichtweise vgl. Kieser (2002), S. 68. Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 147; Schreyögg (1998), S. 329. Das Ausmaß der zugeschriebenen Möglichkeit der Adaption unterscheidet sich jedoch je nach Ansatz. Bspw. Gemeinschaften, Populationen, Organisationen, organisatorische Verfahren, Verhalten von Individuen. Vgl. dazu Kieser/Woywode (2006), S. 310 f.; Schreyögg (1998), S. 329. Die weite Verbreitung und Wichtigkeit dieses Ansatzes betonen bspw. Kieser/Woywode (2006), S. 311; Deeg/Weibler (2000), S. 148; Kieser (1988a), S. 604. Vgl. dazu Kapitel 3.3. Beide Ansätze werden auch als "Evolutionäres Management" bezeichnet. Für weitere evolutionäre Ansätze in der Organisationstheorie vgl. Kieser (2002), S. 70 f. Die Hauptvertreter des Ansatzes sind Malik, Probst und Dyllick. Für genauere Beschreibungen vgl. Malik (2000); Probst (1987), insb. S. 113 ff.; Malik/Probst (1981), S. 122 ff. Vgl. Kirsch (2001), S. 567 ff.; Kirsch (1997), S. 286 ff.; Kirsch et al. (1979), S. 325 ff. u. 339 ff.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
65
Bei McKELVEY/ALDRICH sind Elemente organisatorischen Wissens wie Richtlinien, Praktiken, Know-how – sogenannte "Comps" – die Analysebasis. Effektive Comps ermöglichen Organisationen höhere Problemlösungserfolge und verbreiten sich daher schneller als weniger erfolgreiche Comps.263 Trägheit wird jedoch in keinem dieser drei Ansätze, sondern ausführlich nur in dem nun vorgestellten Population Ecology-Ansatz thematisiert.
3.2.2 Grundkonzeption des Population Ecology-Ansatzes Der Population Ecology-Ansatz wurde 1977 von HANNAN und FREEMAN mit ihrer konzeptionellen Studie "The Population Ecology of Organizations" begründet. Seither wurde der Ansatz vielfach diskutiert und weiterentwickelt. Im Folgenden wird daher zuerst die Grundkonzeption von HANNAN/FREEMAN dargestellt, bevor die neueren Entwicklungen aufgezeigt werden, die Population Ecology heute ausmachen. Darauf aufbauend wird das dem Ansatz integrierte Trägheitskonzept detailliert erläutert. Die Grundfrage, die HANNAN/FREEMAN mit ihren Überlegungen zur Beziehung zwischen Organisation und Umwelt beantworten wollten, war: "Why are there so many kinds of organizations?"264. Als evolutionstheoretischer Ansatz lehnt Population Ecology eine Adaption im Sinne einer zielgerichteten und rationalen Anpassung der einzelnen Organisation an die Umweltentwicklungen weitgehend ab.265 Organisationen sind in der Grundkonzeption des Ansatzes nur in sehr geringem Maße fähig, sich bewusst in eine Richtung zu verändern. Dies liegt bspw. an verschiedenen Interessengruppen, die ihre individuellen Ziele verfolgen, nicht eindeutigen Zweck-MittelBeziehungen, unvollkommenen Informationen und als wichtigstem Punkt an den hier interessierenden Trägheitskräften.266 Weil einzelne Organisationen in der Grundkonzeption als nur sehr begrenzt wandlungsfähig angesehen werden, stellen für HANNAN/FREEMAN wie in der Evolutionsbiologie Populationen von Organisationen das Untersuchungsobjekt dar. Populationen zeichnen sich in Anlehnung an den biologischen Genotyp durch eine gemeinsame Grundstruktur bzw. einen gemeinsamen Bauplan oder eine Art Blaupause aus. Dadurch lassen sich Klassen oder Cluster von Organisationen identifizieren, die ein 263 264 265
266
Vgl. McKelvey/Aldrich (1983), S. 109 ff.; McKelvey (1982), Aldrich (1979), S. 40 ff. Hannan/Freeman (1977), S. 936, ähnlich Hannan/Freeman (1989), S. 7. Vgl. Hannan/Freeman (1977), S. 929 f. und 957; auch Hannan/Freeman (1984), S. 151; Amburgey/Rao (1996), S. 1266; Astley/Van de Ven (1983), S. 249 f. Damit grenzt sich die Grundkonzeption klar von Strategischem Management, Resource Dependence oder Change Management ab. Vgl. Hannan/Freeman (1984), S. 151; Hannan/Freeman (1977), S. 930 f.; auch Kieser/Woywode (2006), S. 311; Kieser (1988a), S. 604.
66
3 Organisationale Trägheit
ähnliches Basismuster in Form von ähnlichen Verfahren zur Beschaffung von Inputs und zur Verarbeitung dieser Inputs zu Outputs aufweisen. Außerdem sind sie dadurch gekennzeichnet, dass sie durch gleiche Umweltbedingungen oder -veränderungen betroffen sind. Populationen werden daher häufig auch als sehr eng definierte Branchen verstanden.267 Auch die evolutorischen Mechanismen der Variation, Selektion und Retention spielen bei HANNAN/FREEMAN eine zentrale Rolle. Dabei werden Variationen als das Rohmaterial der Evolution in der Grundkonzeption nur durch Neugründungen von ganzen Organisationen erzeugt. Diese Neugründungen können entweder Pionierunternehmen oder Imitationen268 bzw. Abspaltungen bestehender Organisationen sein.269 Ob eine solche Variation zufällig oder geplant entsteht, ist dabei unerheblich. Es ist Variationen auf jeden Fall so gut wie nicht möglich, die bisherige Population zu verlassen.270 In der Evolutionsbiologie ist dies darin begründet, dass Reproduktionen nur innerhalb einer Spezies möglich sind. Bei Organisationen verhindern die Trägheitskräfte eine solch umfangreiche Veränderung. Im Gegenteil bilden sich vielmehr spezielle Nischen heraus, weil die Organisationen innerhalb einer Population durch Selektion und Retention immer homogener werden.271 In dem beschriebenen Variationsprozess kann das Management basierend auf den Annahmen der Evolutionstheorie nur die Rolle des Initiators einnehmen, weil sich die Variationen nicht plan- und steuerbar, sondern zufällig entwickeln.272 Die anschließende Selektion findet in der Grundkonzeption ausschließlich durch die Umwelt statt. Sie entscheidet, welche der unzähligen Variationen anschlussfähig ist
267
268 269
270
271
272
Vgl. detaillierter zu Populationen und der Wahl von Populationen als richtiger Analyseeinheit Hannan/Freeman (1989), S. 45 und 48 ff.; Hannan/Freeman (1977), S. 933 ff. Das Problem der Abgrenzung von Populationen wird in Kap 3.3 kritisch betrachtet. Denn Imitationen können nie genaues Abbild sein. Vgl. bspw. Schreyögg (1998), S. 329. Vgl. Hannan/Freeman (1984), S. 150; Freeman (1982), S. 19 ff.; Hannan/Freeman (1977), S. 937; auch Staber (2002), S. 116 und S. 119 ff.; Schreyögg (1998), S. 329. Vgl. Hannan/Freeman (1977), S. 931 f. Freeman (1982), S. 10 illustriert dies mit dem Beispiel, dass aus Kirchen keine Tankstellen und aus Universitäten keine Stahlwerke werden. Neue Organisationsformen bzw. Populationen entstehen nur durch neue Technologien, Entdeckung neuer Rohstoffe, Änderung institutioneller Rahmenbedingungen oder Spezialisierungen. Vgl. Brittain/Freeman (1980), S. 295 ff.; kritisch Young (1988), S. 6 f. Vgl. Hannan/Freeman (1977), S. 947. Nischen spielen im Population Ecology-Ansatz insb. in den Überlegungen zur "Fitness" einer Organisation und zum Wettbewerb innerhalb einer Population eine große Rolle. Die Themengebiete Nische, Fitness und Wettbewerb in Populationen werden in dieser Arbeit jedoch nicht genauer erläutert, weil sie nur indirekt mit den Trägheitsüberlegungen in Verbindung stehen. Für Informationen zur Nischen- und Fitness-Set-Theorie vgl. Hannan/Freeman (1977), S. 946 ff.; ausführlich bspw. Hannan/Freeman (1989), S. 50 ff. und 91 ff.; Boone et al. (2004), S. 118 ff. Zur Wettbewerbsüberlegungen in Populationen vgl. die Literatur in Fußnote 338. Vgl. Hannan/Freeman (1984), S. 150 f.; Hannan/Freeman (1977), S. 939; auch Staber (2002), S. 116 und S. 122 f.; Schreyögg (1998), S. 330.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
67
und sich bewährt hat.273 Da in der Grundkonzeption der Fokus auf der Populationsebene liegt, werden analog zu der Variation nicht einzelne Fähigkeiten oder Bereiche selektiert, sondern ganze Organisationen.274 Weniger taugliche und relativ schlechter an die Umwelt angepasste Organisationen unterliegen im Konkurrenzkampf. Auch wenn Adaptionen auf Organisationsebene nicht möglich sind, so kann auf Ebene der Population durch den permanenten Selektionsprozess dennoch eine Adaption an die Umweltbedingungen stattfinden, bei der sich träge Organisationen im Zeitablauf gegenseitig ersetzen.275 Die positiv selektierten, verbleibenden Organisationen müssen in der Retentionsphase versuchen, die durch die Variation herausgebildeten erfolgreichen bzw. zur Umwelt passenden Eigenschaften zu bewahren.276 Dies geschieht, indem Trägheitskräfte, die sich bspw. in Institutionalisierung und Routinisierung zeigen, weitere Variationen und damit ggf. eine Selbstauflösung verhindern.277 Trägheit ist daher elementarer Bestandteil der Retention, aber auch das Paradoxon des Population Ecology-Ansatzes. Trägheit ist bestandsfördernd, weil sie wie beschrieben den Variationserfolg sichert. Gleichzeit ist Trägheit aber auch bestandsgefährdend, denn sie führt durch selbstverstärkende Mechanismen dazu, dass sich Organisationen nicht mehr verändern und an neue Umweltbedingungen anpassen, was die Möglichkeit einer negativen Selektion erhöht. Dieses Paradoxon macht Trägheit zu einem zentralen Thema im Population Ecology-Ansatz und so besonders interessant für diese Arbeit, denn in latenten Unternehmenskrisen kann die positive Trägheit bereits ein potentiell existenzgefährdendes Stadium erreicht haben.278
3.2.3 Neue Entwicklungen des Population Ecology-Ansatzes Die skizzierte Grundkonzeption des Population Ecology-Ansatzes wurde insbesondere in den achtziger Jahren vielfach und umfangreich kommentiert und kritisiert.279 Ein wesentlicher Kritikpunkt war dabei der Hang zum Fatalismus durch die Selektionsho273
274
275
276
277 278
279
Vgl. dazu Hannan/Freeman (1977), S. 939 f.; auch Staber (2002), S. 117; Schreyögg (1998), S. 330. Die Elimination ganzer Organisationen wurde frühzeitig kritisch hinterfragt, weil es in der Biologie auch nur um Reproduktion einzelner genetischer Merkmale geht. Vgl. dazu Segler (1985), S. 115 f. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 7; Hannan/Freeman (1984), S. 150; auch Deeg/Weibler (2000), S. 156; Boone/Witteloostuijn (1995), S. 267. Vgl. zu Retention Hannan/Freeman (1984), S. 149; auch bspw. Staber (2002), S. 117 f. und S. 131 f. und die Ausführungen zu den Ursachen organisatorischer Trägheit in Kap 3.2.4. Wie Institutionalisierung und Routinisierung in der Retention wirken vgl. Kapitel 3.2.6. Vgl. Hannan/Freeman (1984), S. 155; auch Schreyögg (1998), S. 331; Van de Ven/Poole (1995), S. 518; Burgelman (1991), S. 251; Young (1988), S. 9. Die wichtigsten Kritikpunkte der Grundkonzeption werden im Anschluss aufgeführt. Für ausführlichere Kritik vgl. Singh/Lumsden (1990), S. 184 ff.; Türk (1989), S. 81 ff.; Young (1988), S. 1 ff.; Kieser (1988a), S. 610 ff.; Kieser (1988b), S. 3 ff. und 23; Betton/Dess (1985), S. 751 ff.; Aldrich (1979). Diese Diskussion fand i.W. in den USA statt, in Deutschland war der Ansatz mit wenigen Ausnahmen lange kaum beachtet. Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 148.
68
3 Organisationale Trägheit
heit der Umwelt und die weitgehende Ablehnung jeglicher Veränderungs- und Adaptionsfähigkeit der Organisation.280 Wie in Kap 3.1 gezeigt wurde, wird die Annahme vollkommener Rationalität heute zwar weitgehend in Frage gestellt, die Grundkonzeption des Population Ecology-Ansatzes zeigt jedoch das andere Extrem. Alle Bemühungen des Managements und der Organisation als Ganzes, eine bewusste, geplante oder gerichtete Veränderung zu unternehmen, werden ad absurdum geführt.281 Damit vernachlässigt die Grundkonzeption zudem völlig, dass die Mechanismen der Variation, Selektion und Retention selbst einer Evolution unterliegen können. So ist davon auszugehen, dass sich bspw. auch die Fähigkeit von Organisationen, Variationen zielgerichtet hervorzubringen, im Laufe der Zeit entwickelt hat.282 Einen weiteren wichtigen Kritikpunkt stellte die ausschließliche Betrachtung der Populationsebene dar. In der Evolutionsbiologie ist diese Perspektive nachvollziehbar, da Individuen ihre biologische Konfiguration nicht bewusst verändern können. Bei der Anwendung in der Organisationstheorie ist dieses Aggregationsniveau allerdings kritisch zu hinterfragen. Einzelorganisationen werden dabei zur Blackbox, was jedoch nicht der Praxis entspricht, in der auch innerorganisatorische Prozesse wenigstens in gewissem Maße transparent und beeinflussbar sind. In engem Zusammenhang damit steht auch die Frage, ob Variation und Selektion notwendigerweise immer ganze Organisationen betreffen müssen oder ob nicht nur Teile einer Organisation sich verändern oder als nicht passend erweisen können.283 Wie bereits erwähnt, ist der Population Ecology-Ansatz auch intensiv empirisch erforscht worden. Dabei handelt es sich in der Regel um großzahlige quantitative Verlaufsdatenanalysen, bei denen Organisationsdaten über gewisse Zeiträume untersucht werden. So sollen Informationen über die zeitliche Abfolge von Ereignissen im Lebenszyklus oder die Wahrscheinlichkeit des Eintritts bestimmter Ereignisse gewonnen werden. Die anfänglichen Studien beschäftigten sich hauptsächlich mit den Gründungs- und Sterbewahrscheinlichkeiten von Organisationen. Mit der Zeit wurde das Analysespektrum aber erweitert und verfeinert, so dass sich heute Studien vor allem zu Gründung, Wachstum, Niedergang, Wandel und Scheitern bzw. Sterblich-
280 281
282
283
Vgl. bspw. Singh/Lumsden (1990), S. 184 f.; Kieser (1988a), S. 615; March (1981), S. 563. Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 159; Kieser (1988a), S. 615; Astley/Van de Ven (1983), S. 253 und die Beiträge zur "blinden Evolution" bei Hannan/Freeman (1984), S. 150 f.; Staber (2002), S. 122 f. Ideen organisatorischen Lernens finden in der Grundkonzeption keinerlei Berücksichtigung. Vgl. dazu Kieser (1988a), S. 611 f.; Kieser (1988b), S. 23. Hannan/Freeman (1977), S. 937 weisen zwar selbst darauf hin, dass auch die Anpassungsfähigkeit der Evolution unterliegt, leiten basierend darauf aber nur ihre Überlegungen organisationalen Fitness ab. Vgl. dazu mit einem Beispiel aus der Praxis Kieser (1988a), S. 610 f.; Kieser/Woywode (2006), S. 337 f. und die in Kapitel 3.2.1 erwähnten Arbeiten von McKelvey/Aldrich zum Konzept der "Comps". Diese Übersicht ist nur eine Auswahl der wichtigsten Kritikpunkte der Grundkonzeption. Eine detaillierte Würdigung des heutigen Population Ecology-Ansatzes findet in Kapitel 3.3 statt.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
69
keit von Organisationen finden. Waren in ersten Studien noch ganze Populationen die vorwiegende Analyseebene, beschäftigen sich neueren Arbeiten mehr mit der intra- und interorganisationalen Ebene. Wegen der Vielzahl der empirischen Untersuchungen und Richtungen muss in dieser Arbeit auf eine umfassende Darstellung verzichtet werden. Auf die Studien, die für das hier betrachtete Thema der organisationalen Trägheit relevant sind, wird in Kapitel 3.2.6 ausführlich eingegangen.284 Es soll aber dennoch festgehalten werden, dass die Ergebnisse dieser empirischen Untersuchungen zusätzlich zu der aufgezeigten konzeptionellen Kritik wesentlich zu der nun skizzierten Überarbeitung und Erweiterung der Grundkonzeption des Population Ecology-Ansatzes beigetragen haben.285 In den frühen Veröffentlichungen wurde stets versucht, die Analogie des Population Ecology-Ansatzes zur Biologie aufzuzeigen. Diese Bezugnahme ist jedoch im Laufe der Jahre immer schwächer geworden und in den Hintergrund getreten.286 In engem Zusammenhang damit stellt die Änderung des Betrachtungsfokus die vielleicht bedeutendste Weiterentwicklung dar. In neueren Arbeiten stehen nicht mehr Populationen, sondern Einzelorganisationen im Vordergrund. Die Frage, warum es so viele Arten von Organisationen gibt, hat sich zu Fragen des (inner-)organisatorischen Wandels verschoben. Mit dieser Perspektivenveränderung ist die Einzelorganisation nicht länger eine Blackbox, sondern steht im Zentrum der Überlegungen. Damit geht auch einher, dass das Subjekt der Variation und Selektion nicht mehr notwendigerweise eine ganze Organisation ist, sondern durchaus auch nur Teile der Organisation im Sinne von einzelnen Kompetenzen umfassen kann.287 Eine weitere wichtige Entwicklung betrifft die Dichotomie von Selektion und Adaption. Veränderungen werden zwar u.a. wegen der begrenzten Rationalität der Akteure immer noch nicht als vollständig steuerbar angesehen, aber die Fähigkeit zum Wandel und zur Anpassung auf Ebene der Einzelorganisation wird auch nicht mehr abgelehnt, sondern explizit zugestanden.288 Selektion und Adaption, die in der Grundkonzeption des Population Ecology-Ansatzes noch unvereinbare Gegensätze darstell284
285
286
287
288
Vgl. für Übersichten empirischer Forschung bspw. Baum (1996), S. 80 ff.; Singh/Lumsden (1990), S. 166 ff.; Hannan/Freeman (1989), S. 201 ff. Die wesentlichen Weiterentwicklungen werden im Anschluss aufgeführt. Für eine gute Übersicht vgl. bspw. auch Deeg/Weibler (2000), S. 156 ff.; Weibler/Deeg (1999), S. 299 ff. In dem 2000 erschienen Buch von Carroll/Hannan (2000) fehlt diese Analogie bereit fast vollständig. Darwin wird nicht, Variation und Selektion werden nur sehr eingeschränkt erwähnt. Eine ähnliche Fokusverschiebung findet sich in der Evolutionsbiologie, die sich auch seit der Übertragung von Hannan/Freeman weiterentwickelt hat. Damit nähert sich der Population EcologyAnsatz deutlich der beschriebenen Idee der "Comps" von McKelvey/Aldrich an. Vgl. zur Weiterentwicklung auf Einzelorganisationsebene neben dem im Anschluss gezeigten "Punctuated Equilibrium"-Modell und der dort verwiesenen Literatur u.a. Burgelman/Grove (1996), S. 12 ff.; Barnett/Carroll (1995), S. 219 ff.; Burgelman (1991), S. 252 ff.
70
3 Organisationale Trägheit
ten289, werden heute eher als komplementäre, sich ergänzende Vorgänge angesehen.290 Mit dieser Perspektivenerweiterung ist nicht mehr die Umwelt treibende Kraft der Evolution, sondern die Anpassungsfähigkeit und -leistung der einzelnen Organisation. Veränderungsbemühungen der Organisation werden damit zur Quelle der Variation und die Organisation wird fähig, Lernprozesse zu durchlaufen.291 Dennoch selektiert weiterhin die Umwelt auf Populationsebene aus den grundsätzlich adaptionsfähigen Organisationen.292 Doch auch wenn mit den neueren Entwicklungen des Population Ecology-Ansatzes Aspekte des (inner-)organisatorischen Wandels ins Blickfeld rücken, wird Organisationen nicht die Fähigkeit der permanenten Anpassung an die Umweltveränderungen zugesprochen.293 Wegen der im Anschluss aufgezeigten Trägheitskräfte vollzieht sich die Entwicklung von Organisationen auch in aktuellen populationsökologischen Konzepten nicht kontinuierlich, sondern in unausweichlichen Sprüngen. Diese Sprünge sind dabei allerdings nicht notwendigerweise inkrementaler Natur, sondern können durchaus fundamentalen Wandel bewirken und dadurch das Beharrungsvermögen der Einzelorganisation aufbrechen.294 Diese Annahmen werden von TUSHMAN und ROMANELLI in ihrem "Punctuated Equilibrium"-Modell konzeptionalisiert. Dieses Modell des punktualistischen Wandels konzentriert sich auf die Einzelorganisationsebene und überwindet die Dichotomie von Selektion und Adaption. Es geht davon aus, dass sich Organisationen in Phasen inkrementalen Wandels (sogenannten Konvergenzphasen) entwickeln, die durch Phasen der Umstrukturierung und Neuorientierung unterbrochen werden, welche wiederum die Basis für neue Konvergenzphasen sind. In den lang anhaltenden Konvergenzphasen wirken Trägheitskräfte, so dass bei Unstimmigkeiten mit der Umwelt nur inkrementale Veränderungen in Form von Ausbesserungen einzelner Elemente der bestehenden Konfiguration stattfinden können. Wird der Druck aus der Umwelt jedoch zu groß und ist die Veränderung nicht mehr vermeidbar, kann die Trägheit in kurzen, eruptiven fundamentalen Neuorientierungsphasen überwunden werden. 289
290
291
292 293
294
Vgl. Hannan/Freeman (1977), S. 929 f.; auch Amburgey/Rao (1996), S. 1266, wobei Hannan/Freeman (1977), S. 930 f. betonen, dass sie sich insb. auf die Sichtweise der Selektion fokussieren, weil sie die Sichtweise der Adapation für überbewertet halten. Vgl. Amburgey/Rao (1996), S. 1268 f.; Levinthal (1991), S. 140; Burgelman (1991), S. 239 f.; Singh et al. (1986), S. 608 f.; Astley/Van de Ven (1983), S. 253 ff. Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 151; Weibler/Deeg (1999), S. 301 f.; Bruderer/Singh (1996), S. 1323; Mezias/Lant (1994), S. 180 ff. Vgl. z.B. Levinthal (1997), S. 935. Dieser auch als "chronically unfrozen" bezeichnete Zustand wird oft im Change Management im Zusammenhang der lernenden Organisation oder der grenzenlosen Unternehmung propagiert, geht aber ursprünglich auf Karl Weick zurück. Vgl. Weick (1995), S. 163 f. Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 155 und 163; Tushman et al. (1986), S. 35 f., ähnlich Henderson, R.M./Clark (1990), S. 10 ff.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
71
Dabei findet ein revolutionärer Übergang zu einer neuen Konfiguration statt, bei dem grundsätzlich der gesamte Bezugsrahmen zur Disposition gestellt wird, bevor sich wieder ein neues Gleichgewicht einstellt.295 Dieses Modell vereinigt die Adaptionsund Selektionsperspektive, weil in Konvergenzphasen die Adaption, in Neuorientierungsphasen die Selektion vorherrscht. Darüber hinaus selektiert aber nach wie vor die Umwelt.
3.2.4 Arten organisationaler Trägheit Eine wesentliche Erklärung, warum sich Organisationen nicht oder nicht ausreichend verändern, liefert im Population Ecology-Ansatz das Trägheitskonzept. Trägheit ist in der Grundkonzeption zentrales Argument in der Selektions-Adaptions-Debatte und zur Erklärung der Stabilität von Populationen, wird aber ebenso im Punctuated Equilibrium-Modell für die Sprünge in der Organisationsentwicklung verantwortlich gemacht.296 Jedoch hat sich nicht nur der Population Ecology-Ansatz, sondern auch das darin verankerte Trägheitskonzept in den letzten 30 Jahren entwickelt. War Trägheit in der Grundkonzeption vor allem negativ mit Stagnation verbunden, ist der Begriff in der neueren Forschung auch positiv besetzt und wird mit Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit assoziiert.297 Diese Perspektivenverschiebung zeigt sich deutlich in den Ursachezusammenhängen. Bevor jedoch darauf ausführlich eingegangen wird, werden verschiedene Arten von Trägheit vorgestellt, die zum Teil bereits einen moderaten Umgang mit der Adaptionsfähigkeit zugrunde legen.298 Der Population Ecology-Ansatz geht davon aus, dass eine Hierarchie zwischen den Trägheitskräften besteht und nicht alle Bereiche einer Organisation gleichermaßen träge sind. Die Stärke der Trägheitskräfte wird zwischen dem Kern und der sogenannten Peripherie der Organisation unterschieden. Die Klassifizierung von Elementen als Kern oder Peripherie ist dabei von ihrem Einfluss auf die Ressourcenmobilisierung abhängig. Als organisatorischer Kern werden (a) die festgelegten Aufgaben und Ziele ("organization's mission"), (b) die Autoritätsgefüge ("authority structure"), (c) die verwendete Technologie und (d) die "Marketingstrategie"299 verstanden. Inner-
295
296
297 298
299
Vgl. detaillierter Romanelli/Tushman (1994), S. 1141 ff.; Tushman et al. (1986), S. 33 ff.; Tushman/Anderson (1986), S. 439 ff.; Tushman/Romanelli (1985), S. 174 ff.; ähnlich Gersick (1991), S. 11 ff.; Miller/Friesen (1980), S. 593 f. und 606 ff.; kritisch Gebert (2000), S. 4 ff. Vgl. z.B. Romanelli/Tushman (1994), S. 1144; Hannan/Freeman (1989), S. 66; Tushman et al. (1986), S. 35; Tushman/Romanelli (1985), S. 189 ff.; Hannan/Freeman (1977), S. 931. Die Rolle von Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit wird genauer in Kapitel 3.2.5 erläutert. Die differenzierte Betrachtung verschiedener Trägheitstypen findet sich noch nicht in der Arbeit von 1977, jedoch in den darauf folgenden Veröffentlichungen. Hannan/Freeman (1984), S. 156 verstehen "Marketingstrategie" sehr weit als strategische Ausrichtung eines Unternehmens, die nicht nur die Kunden- und Marktstrategie umfasst, sondern auch die
72
3 Organisationale Trägheit
halb des Kerns sind die festgelegten und kommunizierten Ziele und Aufgaben (a) am schwierigsten zu verändern, die Marketingstrategie (d) am leichtesten. Alle übrigen, nicht als Kern definierten Bestandteile einer Organisation bilden die Peripherie, in der die Trägheitskräfte geringer und Anpassungen im Zuge der Organisationsentwicklung grundsätzlich eher möglich sind.300 Im Kern sind Veränderungen nicht nur schwieriger, sondern auch kostspieliger und mit höheren Risiken verbunden, so dass sie grundsätzlich seltener auftreten.301 In evolutionstheoretischen Arbeiten wird daher meist implizit von einer Veränderung von wesentlichen Elementen – also Elementen des Kerns – ausgegangen. Darüber hinaus unterscheiden HANNAN/FREEMAN zwischen absoluter und relativer Trägheit. Aus evolutionstheoretischer Sichtweise ist das Ziel jeder Veränderung die Erhöhung der "Überlebenswahrscheinlichkeit". Dabei muss jedoch immer der dynamische Kontext betrachtet werden, denn die Überlebenswahrscheinlichkeit wird nur erhöht, wenn die Geschwindigkeit der Anpassung zur Veränderung der jeweiligen Umwelt angemessen ist. Absolute Trägheit bezieht sich auf die Veränderungsrate im Sinne der Veränderungshäufigkeit von Organisationen. Bei hoher absoluter Trägheit ändern sich Organisationen ähnlich einer Stagnation so gut wie gar nicht. Dieses wird jedoch gerade in den neueren Überlegungen weitgehend abgelehnt, sondern eher von der dynamischen relativen Trägheit ausgegangen.302 Relative Trägheit zielt auf das Timing des Wandels ab. Bei starker relativer Trägheit ändert sich die Organisation zu spät bzw. zu langsam. Die Geschwindigkeit, mit der Veränderungen umgesetzt werden oder neue Organisationen entstehen, ist geringer als die Veränderungsgeschwindigkeit der Umwelt. Im ungünstigsten Fall hat sich zu dem Zeitpunkt der Umsetzung einer Veränderung die relevante Umwelt schon weiterentwickelt, so dass die Veränderung nicht mehr passend ist.303 Da in dieser Arbeit davon ausgegangen wird, dass Organisationen grundsätzlich anpassungsfähig sind, steht die relative Trägheit, also die Veränderungsgeschwindigkeit, hier im Mittelpunkt.
300 301
302 303
grundsätzliche Positionierung des Unternehmens zur Akquisition von Ressourcen wie bspw. Lieferantenbeziehungen oder Mitarbeiterkapazitäten. Innerhalb der Peripherie wird keine weitere Hierarchisierung vorgenommen. Vgl. zu der Hierarchisierung Hannan/Freeman (1989), S. 77 ff.; Hannan/Freeman (1984), S. 156 f. Eine modifizierte Definition klassifiziert Eigenschaften als Kern, wenn ihre Änderungen weitere Anpassungen in anderen Eigenschaften nach sich ziehen. Vgl. Hannan et al. (1999), S. 468 f. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 66; Hannan/Freeman (1984), S. 151. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 70 f.; ursprünglich Hannan/Freeman (1984), S. 151 f. Relative Trägheit heißt auch, dass eine Organisation relativ zu einer sehr dynamischen Umwelt träge sein kann, in einer sich langsamer wandelnden Umwelt aber gar nicht träge wäre. Relative Trägheit wurde von Ruef (1997), S. 837 ff. auch (indirekt) empirisch bestätigt.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
73
HANNAN/FREEMAN sprechen in ihren frühen Arbeiten von struktureller Trägheit ("structural inertia"), was in den im Anschluss aufgezeigten Trägheitsursachen der Grundkonzeption begründet zu liegen scheint, die i.W. struktureller Natur sind.304 In späteren Arbeiten umschreiben sie den gleichen Zustand mit organisationaler Trägheit ("organizational inertia") oder nur mit Trägheit ("inertia").305 Welche Bezeichnung für das Phänomen passender ist, wird hier nicht diskutiert, da eine Begriffsdefinition für diese Arbeit bereits im Kapitel 3.1 vorgenommen wurde. Der Fokus liegt nachfolgend darauf, durch die Ursachen, Einflussfaktoren und Wirkungen ein umfassendes Bild des Trägheitskonzeptes im Population Ecology-Ansatz zu erhalten, um auf dieser Basis Trägheit im Zusammenhang strategischer Früherkennung zu untersuchen.
3.2.5 Ursachen organisationaler Trägheit Die Weiterentwicklung des Trägheitskonzepts von der Grundkonzeption zum heutigen Forschungsstand wird vor allem bei den Ursachezusammenhängen deutlich. Die von HANNAN/FREEMAN ursprünglich aufgezeigten Ursachen wurden von ihnen selbst einige Jahre später überarbeitet und um neue Zusammenhänge erweitert. In der Grundkonzeption werden die Ursachen organisationaler Trägheit in unternehmensinterne und unternehmensexterne Gründe unterteilt. Zu den unternehmensinternen Ursachen gehören (1) Investitionen in Anlagen, Ausstattung oder die Ausbildung spezialisierten Personals. Diese können bei einer Veränderung nicht ohne weiteres für andere Funktionen und Aufgaben genutzt werden und stellen in diesem Falle "Sunk Costs"306 dar, die man möglichst vermeiden möchte. Weitere Ursachen sind (2) Informationsrestriktionen, die entstehen, weil das Wissen über innerorganisatorische Informationsflüsse nicht umfänglich genug ist und (3) interne politische Restriktionen, da radikale Veränderungen immer auch politische Gleichgewichte und Machtgefüge gefährden. Ebenfalls zu den internen Gründen gehört (4) die Geschichte der jeweiligen Organisation. Sind Verfahrensregeln, Aufgabenverteilungen und Wertesysteme in normativen Übereinkünften verankert, legitimiert dies das Bestehende und verhindert die Erwägung vieler Alternativen. Zu den externen Trägheitsursachen gehören (1) Markteintritts- und Marktaustrittsbarrieren sowie ähnlich den internen Informationshindernissen auch (2) externe Informa-
304
305
306
Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 70 ff.; Hannan/Freeman (1984), S. 149; Hannan/Freeman (1977), S. 930 ff. Vgl. bspw. Hannan et al. (2006), S. 757; Hannan (2005), S. 59 ff.; Hannan et al. (2003), S. 463; Baron/Hannan (2002), S. 18; Hannan/Carroll (1992), S. 32. Unter "Sunk Costs" werden irreversible Kosten verstanden. Vgl. zur ausführlichen Definition und Beschreibung Kapitel 4.2.2.4 und die dort verwiesene Literatur.
74
3 Organisationale Trägheit
tionsrestriktionen durch den eingeschränkten und kostenpflichtigen Zugang zu Informationen. Darüber hinaus zählen zu den externen Gründen (3) die erworbene Legitimität der Umwelt307 und (4) die Probleme der kollektiven Rationalität, nach denen Strategien, die für eine einzelne Organisation rational sind, nicht auch für ein Kollektiv rational sein müssen.308 Die Konzeptionalisierung der Ursachen organisationaler Trägheit war anfangs kaum ausführlicher als im vorhergehenden Absatz dargestellt. Daher wurden die Ursachenzusammenhänge im Zuge der allgemeinen kritischen Auseinandersetzung mit Population Ecology vielfach als zu einfach und zu wenig detailliert beanstandet. Außerdem wurde immer wieder darauf verwiesen, dass in der Praxis Organisationen trotz dieser Beharrungstendenzen Anpassungsfähigkeit besitzen.309 HANNAN/FREEMAN haben daher 1984 das Trägheitskonzept und die UrsacheWirkungszusammenhänge überarbeitet. Mit dieser Überarbeitung verliert organisationale Trägheit den tendenziell negativen Charakter, sondern wird vielmehr entscheidend für das Überleben von Organisationen, die durch Trägheit Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit erlangen können.310 Zuverlässigkeit ("reliability") ist notwendig, weil Organisationen Produkte, oder allgemeiner gefasst "Outputs", in immer gleicher Qualität herstellen müssen. Dabei bewerten nach HANNAN/FREEMAN Stakeholder die Zuverlässigkeit in der Regel höher als die Effizienz, wenn dadurch Ergebnisse mit geringerer qualitativer und quantitativer Varianz erzeugt werden.311 Rechenschaftsfähigkeit ("accountability") steht für die Forderung an Organisationen, den Nachweis über den Einsatz der zur Verfügung gestellten Ressourcen überzeugend führen zu können. Organisationen müssen Rechenschaft ablegen können, wie Ressourcen verwendet wurden, und durch eine Abfolge von getroffenen Entscheidungen und Handlungen rekonstruieren können, wie ein bestimmtes Ergebnis erzeugt wurde.312 Ohne Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit ist nach HANNAN/FREEMAN die Akquisition jeglicher Ressourcen unmöglich. Beide Eigenschaften entwickeln sich jedoch nur, wenn sich Organisationen nicht jeden Tag neu erfinden, sondern organisationale Strukturen reproduzierbar werden. Dies kann durch Institutionalisierung und Routinisierung erreicht werden.313
307
308
309 310 311 312 313
Wenn Unternehmen bspw. in ein bestehendes soziales Gefüge eingebunden sind und von den anderen Akteuren in ihrer Rolle akteptiert werden. Vgl. Hannan/Freeman (1977), S. 931 f.; auch Hannan/Freeman (1989), S. 67 ff.; Hannan/Freeman (1984), S. 149. Vgl. bspw. McKelvey/Aldrich (1983), S. 125; March (1981), S. 563. Vgl. Hannan/Freeman (1984), S. 153; zum negativen Charakter Hannan/Freeman (1977), S. 930 f. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 72 f.; ursprünglich Hannan/Freeman (1984), S. 153. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 73; ursprünglich Hannan/Freeman (1984), S. 153. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 74 f.; Hannan/Freeman (1984), S. 154 und Kapitel 3.2.6.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
75
Die Umwelt erwartet daher in dieser erweiterten Konzeption, dass Organisationen Trägheit aufweisen. Trägheit wird zu einer positiven Eigenschaft, denn sie ist eine Konsequenz des Selektionsprozesses und nicht mehr eine Voraussetzung der Selektion, weil die Umwelt träge Organisationen aufgrund der Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit favorisiert.314 Ungeklärt bleibt in dem Konzept aber das bereits aufgezeigte Paradoxon. Wann diese von der Umwelt geforderte und für die Retention notwendige organisationale Trägheit negativ wird und Organisationen wegen mangelnder Anpassung ausselektiert werden, wird nicht thematisiert. Ebenso bleibt das Verhältnis von Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit zu den internen und externen Trägheitsursachen der Grundkonzeption offen.
3.2.6 Einflussfaktoren und Wirkungen organisationaler Trägheit Im Zuge der Erweiterung der Ursachen organisationaler Trägheit um Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit haben HANNAN/FREEMAN die wesentlichen Einflussfaktoren auf Trägheit und die damit verbundenen Wirkungszusammenhänge, vor allem mit dem Fokus auf Wandel und Scheitern von Organisationen, konzeptionalisiert. Diese Faktoren und Wirkungen wurden im Anschluss von anderen Forschern315 sowohl theoretisch, vorwiegend aber empirisch immer wieder aufgegriffen, untersucht und weiter ausgearbeitet. Wie im Folgenden gezeigt wird, liegen für die Faktoren keine eindeutigen Ergebnisse vor, so dass vor allem über den Einfluss und die Wirkung von Alter und Größe einer Organisation seither intensiv diskutiert wird. Bevor diese Zusammenhänge nun genauer vorgestellt werden, sei bereits darauf hingewiesen, dass die Untersuchungen meist das gesamte in Abb. 9316 gezeigte Wirkungsgefüge erforschen und nicht den direkten Einfluss der Faktoren auf Trägheit zum Thema haben. Um dem Anspruch der Umwelt nach Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit gerecht zu werden, findet in Organisationen ein Prozess der Institutionalisierung und die Herausbildung von Routinen statt. Durch diese Entwicklung von Institutionen und Routinen wird, wie bei den Ursachen gezeigt, die Akquisition von Ressourcen unterstützt und dadurch grundsätzlich das Überleben der Organisation sichergestellt.317
314
315
316 317
Vgl. ursprünglich Hannan/Freeman (1984), S. 149 und 155; auch Hannan/Freeman (1989), S. 67 und 77; Türk (1989), S. 92 f.; Singh et al. (1986), S. 588. Die wichtigsten Forscher, die sich mit Aspekten organisationaler Trägheit im Population EcologyAnsatz beschäftigt haben, finden sich in Tab. 2. Eigene Darstellung in Anlehnung an Kelly/Amburgey (1991), S. 593. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 3.2.5. und Hannan/Freeman (1984), S. 153.
76
3 Organisationale Trägheit
Institutionalisierung
Reproduzierbare Struktur
(+)
Neue Struktur
(+)
(+) (+)
(+)
Standardisierte Routinen
(-) Trägheit
Versuch der Veränderung des Kerns
(+) Alter
(+) Scheitern
(-)
(-)
Größe
(+) Verstärkende Kraft (-) Verringernde Kraft
Betrachtete Einflussfaktoren
Abb. 9: Einflussfaktoren organisationaler Trägheit nach HANNAN/FREEMAN.
Wie in Abb. 9 zu sehen, fördert die entstehende existenznotwendige und reproduzierbare Struktur Trägheit, weil Organisationen sich eben nicht jeden Tag neu erfinden, sondern den bisher erfolgreichen Erfahrungsbestand konservieren.318 Mit erhöhter Trägheit sinkt die Wahrscheinlichkeit von Veränderung des organisatorischen Kerns.319 Veränderungen des Kerns können entweder bei erfolgreichem Wandel zur Entstehung einer neuen Struktur führen oder aber zum Scheitern, da jede Veränderung auch die Gefahr birgt, nicht erfolgreich zu sein. Wenn nun durch Routinisierung und Institutionalisierung in dieser Wirkungskette Veränderungen des Kerns weniger wahrscheinlich werden, erhöht das in einem ersten Schritt durch eine geringere Möglichkeit des Scheiterns die Überlebenswahrscheinlichkeit der Organisation. Bei der Betrachtung des Wirkungsgefüges darf aber das grundsätzliche Paradoxon nicht vergessen werden, dass Trägheit sowohl positiv, ab einem gewissen Grad aber auch negativ für Organisationen sein kann. Daher kann es durch die in der Trägheit begründete geringere Veränderungswahrscheinlichkeit ebenso dazu kommen, dass weniger – oder mit einer größeren zeitlichen Verzögerung – neue und vielleicht besser an die Umwelt angepasste Strukturelemente entstehen. Diese nicht ausreichende oder zu späte Anpassung an die Umwelt kann letztendlich die Überlebenswahrscheinlichkeiten verringern. Im Extremfall absoluter Trägheit verhindern Institutionali-
318
319
Der Erfahrungsbestand kann durch Institutionalisierung und Routinisierung sogar an andere Organisationen weitergegeben werden. Vgl. dazu Kieser/Woywode (2006), S. 316. Vgl. zu den Elementen des organisatorischen Kerns nach Hannan/Freeman Kapitel 3.2.4.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
77
sierung und Routinisierung Veränderungen gänzlich, so dass die Organisation irgendwann durch die Umwelt negativ selektiert wird.320 Im Zusammenhang mit diesem Wirkungsgefüge findet eine intensive Auseinandersetzung zu dem Einflussfaktor Alter der Organisation statt. Nach der Konzeptionalisierung von HANNAN/FREEMAN (Abb. 9) wirkt das Alter zum einen verstärkend auf die Herausbildung von reproduzierbaren Strukturen und damit indirekt positiv auf das Vorhandensein von Trägheitskräften. Mitarbeiter haben Rollen, Routinen und Vertrauen entwickelt und sich spezifische Fähigkeiten angeeignet, die sie nur ungern wieder verändern. Zum anderen verringert Alter unmittelbar die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns von Organisationen, denn mit der Zeit haben Organisationen bspw. stabile Netzwerke zu Kunden und Lieferanten etabliert und genießen großes Vertrauen. Diese zwei – nicht ganz widerspruchsfreien – Wirkungen des Alters werden nicht nur theoretisch, sondern vor allem empirisch lebhaft diskutiert. Den Schwerpunkt bilden dabei Untersuchungen, die sich mit dem Zusammenhang zwischen dem Alter einer Organisation und der Wahrscheinlichkeit des Scheiterns – der sogenannten Mortalitätswahrscheinlichkeit – beschäftigen. Ursprünglich wurde dabei von einer "Liability of Newness" ausgegangen, die annimmt, dass junge Organisationen tendenziell eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, aus dem Markt auszuscheiden als ältere Organisationen.321 Dies wird u.a. damit begründet, dass junge Organisationen erst die Reproduzierbarkeit ihrer Strukturen zur Erreichung von Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit lernen müssen. Außerdem müssen sie bspw. erst Austauschbeziehungen mit der Umwelt (Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber etc.) entwickeln und die Führungskräfte ihre Rolle als soziale Akteure lernen. Älteren Organisationen wird nach der Liability of Newness ein höheres Maß an Effizienz, Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit – und damit auch Trägheit – zugeschrieben.322 Dieser Zusammenhang hat sich empirisch jedoch nicht immer bestätigt. Während bspw. HANNAN/FREEMAN, SINGH et al., CARROLL, FREEMAN/HANNAN, FREEMAN et al. und CARROLL/DELACROIX die Liability of Newness in ihren Untersuchungen nachweisen konnten, wurde sie bei BRÜDERL/SCHÜSSLER und BARRON et al. widerlegt.323
320
321 322
323
Vgl. zu diesen Wirkungszusammenhängen Hannan/Freeman (1984), S. 153 ff. und 157 ff., aber auch Kelly/Amburgey (1991), S. 592 ff. Vgl. ursprünglich Hannan/Freeman (1984), S. 157 f. und Stinchcombe (1965), S. 148 ff. Vgl. zur Begründung Hannan/Freeman (1989), S. 80 f. und 245 ff.; Hannan/Freeman (1984), S. 157; auch Levinthal (1991), S. 141 f.; Singh/Lumsden (1990), S. 168. Vgl. dazu Hannan/Freeman (1989), S. 247 ff.; Singh et al. (1986), S. 588 ff.; Carroll (1983), S. 312 ff.; Freeman/Hannan (1983), S. 1139 ff.; Freeman et al. (1983), S. 692 ff.; Carroll/Delacroix (1982), S. 173 ff. und Barron et al. (1994), S. 383 ff.; Brüderl/Schüssler (1990), S. 530 ff.
78
3 Organisationale Trägheit
Andere Arbeiten gehen daher für den Zusammenhang zwischen Alter und Mortalitätswahrscheinlichkeit von einer "Liability of Adolescence" aus. Danach nimmt die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns entlang einer inversen U-Kurve zuerst zu und ab einem gewissen Punkt mit zunehmendem Alter wieder ab. Dieser Verlauf wird damit erklärt, dass Organisationen von einem Vertrauensvorschuss profitieren und erst nach einer Schonfrist vollständig mit den Marktkräften konfrontiert werden, was die Mortalitätswahrscheinlichkeit dann erst einmal erhöht. Eine andere Erklärung zielt darauf ab, dass Organisationen über einen Anfangsbestand an Ressourcen verfügen, den sie erst verbrauchen müssen, bevor es potentiell zu einer Unternehmensschließung kommt. In beiden Fällen nimmt die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns nach diesem Anstieg mit zunehmendem Alter und zunehmender Trägheit ähnlich der Liability of Newness wieder ab. Dieser Zusammenhang wurde bspw. durch HENDERSON, FICHMAN/LEVINTHAL und BRÜDERL/SCHÜSSLER empirisch bestätigt.324 In wieder anderen Arbeiten wurde hingegen eine "Liability of Aging" nachgewiesen. Danach nimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit mit zunehmendem Alter ab, da ältere Organisationen aufgrund der Trägheitskräfte schlechter an sich wandelnde Umweltbedingungen angepasst sind.325 Neben den skizzierten Liabilities wird bei dem Einflussfaktor Alter zudem von einem "Resetting the Clock" ausgegangen. Dies bedeutet, dass bei jeder (fundamentalen) Veränderung die "Trägheitsuhr" wieder auf Null gesetzt wird. So baut sich bspw. im Punctuated Equilibrium-Modell in den Kovergenzphasen Trägheit auf, die in den Neuorientierungsphasen wieder zurückgesetzt wird.326 Institutionalisierungen und Routinen und dadurch auch die Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit werden wieder auf Anfang gestellt und die Liability of Newness, Adolescence oder Aging beginnt von Neuem.327 Die Diskussion der Ergebnisse zum Einflussfaktor Alter zeigt, dass die Wirkungszusammenhänge – erst einmal abgesehen von dem eigentlichen Paradoxon der Trägheit – theoretisch wie empirisch keineswegs eindeutig, sondern stark von der zugrunde gelegten Untersuchungsperspektive abhängig sind.328 Einen weiteren Faktor für die Herausbildung von Trägheit und das Überleben oder Scheitern von Organisationen stellt nach HANNAN/FREEMAN die Größe einer Organisation dar. Mit der Größe steigt die Überlebenswahrscheinlichkeit unmittelbar,
324
325
326 327 328
Vgl. zur Liability of Adolescence und zu den empirischen Bestätigungen Henderson, A.D. (1999), S. 282 ff.; Fichman/Levinthal (1991), S. 443 ff.; Brüderl/Schüssler (1990), S. 533 ff. Vgl. zur Liability of Aging Henderson, A.D. (1999), S. 282 ff.; Ranger-Moore (1997), S. 905 ff.; Barron et al. (1994), S. 387 ff.. Vgl. bspw. Romanelli/Tushman (1994), S. 1144; Tushman et al. (1986), S. 35. Vgl. ursprünglich Hannan/Freeman (1984), S. 160 und Amburgey et al. (1993), S. 53 ff. Auf Kombinationseffekte durch die zusätzliche Betrachtung von Größe wird nicht näher eingegangen, weil dies keinen weiteren Beitrag zu der Forschungsfrage liefert.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
79
weil große Organisationen neben Kostenvorteilen bspw. einen besseren Kapitalmarktzugang und eine höhere Attraktivität für Arbeitskräfte haben. Außerdem wirkt Größe positiv auf die Herausbildung von Trägheit, weil sich mit der Größe umfangreiche Strukturen entwickeln, die Veränderungen des Kerns weniger wahrscheinlich machen und damit die Gefahr des Scheiterns erstmal verringern. Gleichzeitig führt die erhöhte Trägheit aber dazu, dass sich Organisationen nicht mehr so flexibel anpassen können und eher negativ selektiert werden. Empirisch werden diese Zusammenhänge vor allem mit der "Liability of Smallness" untersucht, nach der kleinere Organisationen in einer gleichen Alterskohorte eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit besitzen als große. Kleine Organisationen werden eher Veränderungen durchführen, weil Strukturen noch nicht so ausgebildet sind und sie daher eine geringere Trägheit haben. Sie sind aber aufgrund ihrer Größe und den Fähigkeiten, solche Transitionsphasen durchzustehen, auch eher gefährdet zu scheitern.329 Anders als der Einflussfaktor Alter wird die Liability of Smallness theoretisch immer wieder kritisch hinterfragt330, aber in vielen empirischen Untersuchungen, wie bspw. bei RANGER-MOORE, RUEF, BARRON et al., DELACROIX/SWAMINATHAN, BAUM/OLIVER, BRÜDERL/SCHÜSSLER oder FREEMAN et al., bestätigt.331 Im Gegensatz zu Alter und Größe ist die empirische Forschung im Rahmen von Population Ecology zur Institutionalisierung und Routinisierung sehr überschaubar. Dies ist i.W. darauf zurückzuführen, dass beide Kräfte für die vornehmlich großzahligen quantitativen Arbeiten im Umfeld des Population Ecology-Ansatzes nur schwer zu operationalisieren sind.332 Neben wenigen populationsökologisch orientierten Untersuchungen wie GILBERT, FELDMAN/PENTLAND oder SASTRY, die im Rahmen komplexerer Wirkungsgefüge zu unterschiedlichen Ergebnissen des Zusammenhangs von Routinen und Trägheit kommen, hat sich daher in den letzten Jahren mit der "Routinenforschung" ein eigener Forschungszweig zu diesem vielschichtigen Themenkomplex entwickelt.333
329 330
331
332
333
Vgl. dazu Hannan/Freeman (1989), S. 81 ff.; Hannan/Freeman (1984), S. 158 f. Selbst Hannan/Freeman (1984), S. 159 und 161 f. diskutieren die Wirkung von Größe differenziert und merken an, dass die Zusammenhänge, insb. vor dem Hintergrund unterschiedlicher Volatilität der Umwelt, nicht eindeutig sind. Ähnlich bspw. Ruef (1997), S. 841 ff.; Betton/Dess (1985), S. 752. Vgl. bspw. Ranger-Moore (1997), S. 904 ff.; Ruef (1997), S. 846; Barron et al. (1994), S. 388 ff.; Delacroix/Swaminathan (1991), S. 650 f.; Brüderl/Schüssler (1990), S. 540 ff.; Freeman et al. (1983), S. 705 ff., auch Baum/Oliver (1991), S. 191 ff.; kritisch Hannan/Freeman (1989), S. 247 ff. Vgl. zu Institutionalisierung und Routinisierung auch Hannan/Freeman (1989), S. 75 ff.; Hannan/Freeman (1984), S. 154 f. Vgl. Gilbert, C.G. (2005), S. 742 ff.; Feldman/Pentland (2003), S. 94 ff.; Sastry (1997), S. 239 ff. Auf die Routinenforschung wird hier nicht näher eingegangen, vgl. dazu ursprünglich Nelson/Winter (1982) und bspw. Becker (2004), S. 643 ff.; auch Hergert (2007), S. 141 ff.
80
3 Organisationale Trägheit
Wegen der Komplexität des Beziehungsgeflechts und wegen der teilweise schwierigen Operationalisierung der Zusammenhänge wird oft auf eine Vereinfachung zurückgegriffen. Es werden dann nicht ein Faktor und sein Einfluss auf das gesamte Wirkungsgefüge untersucht, sondern bspw. nur der Einfluss der Veränderung des Kerns auf das Scheitern oder der Einfluss des Alters auf die Veränderung des Kerns334 betrachtet. Exemplarisch sind einige dieser Partialstudien zum Thema Veränderung des Kerns und Scheitern zusammenfassend in Tab. 2 aufgeführt.335 PHÄNOMEN
Liability of Newness
Beschreibung
Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns ist bei jungen Organisationen höher und nimmt mit dem Alter ab.
Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns Liability of nimmt zuerst zu und ab einem Adolescence gewissen Punkt wieder ab. Liability of Aging
Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns nimmt mit dem Alter zu.
Liability of Smallness
Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns ist bei kleineren Organisationen höher und nimmt mit der Größe ab.
Veränderungen von Kernelementen Core Change haben einen positiven Effekt auf die & Mortality Wahrscheinlichkeit des Scheiterns.
+
Bestätigung
–
Untersuchung Carroll/Delacroix (1982) Freeman et al. (1983) Freeman/Hannan (1993) Carroll (1983) Singh et al. (1986) Hannan/Freeman (1989) Brüderl/Schüssler (1990) Barron et al. (1994) Brüderl/Schüssler (1990) Fitchman/Levinthal (1991) Henderson (1999) Barron et al. (1994) Ranger-Moore (1997) Henderson (1999) Freeman et al. (1983) Carroll (1984) Brüderl/Schüssler (1990) Delacroix/Swaminathan (1991) Barron et al. (1994) Ruef (1997) Ranger-Moore (1997) Hannan/Freeman (1989) Carroll (1984) Miner et al. (1990) Amburgey et al. (1993) Barnett (1994) Singh et al. (1986) Kelly/Amburgey (1991) Delacroix/Swaminathan (1991) Haveman (1992)
Ergebnis
+ + + + + + – – + + + + + + + + + + + + + – + + + + – – – –
keine Bestätigung
Tab. 2: Übersicht ausgewählter empirischer Studien zu den Einflussfaktoren.
334 335
Vgl. zur Übersicht auch Kelly/Amburgey (1991), S. 595 ff. Vgl. Barnett (1994), S. 345 ff.; Amburgey et al. (1993), S. 51 ff.; Miner et al. (1990), S. 690 f.; Carroll (1984), S. 93 ff.; Haveman (1992), S. 48 ff.; Delacroix/Swaminathan (1991), S. 651 ff.; Kelly/Amburgey (1991), S. 598 ff.; Singh et al. (1986), S. 587 ff.
3.2 Organisationale Trägheit im Population Ecology-Ansatz
81
Die Ausführungen zeigen, dass die Einflussfaktoren, aber auch die Auswirkungen von Trägheit in diesem Wirkungsgefüge keinesfalls eindeutig sind. Das Paradoxon, dass Trägheit in letzter Instanz sowohl bestandsfördernd als auch bestandsgefährdend sein kann, erleichtert die Überlegungen nicht. Deutlich wird jedoch, dass sich alle Untersuchungen auf die Zusammenhänge zwischen den Einflussfaktoren und dem Versuch des Wandels, dem erfolgreichen Wandel oder dem nicht erfolgreichen Wandel konzentrieren. Organisationale Trägheit liegt diesen Verknüpfungen stets zugrunde, steht aber in keiner der Studien im Zentrum der Überlegungen. So beschäftigt man sich bspw. mit dem Zusammenhang zwischen Alter und Scheitern – ob aber mit dem Alter tatsächlich die Trägheit steigt, wird nie explizit untersucht, sondern nur implizit unterstellt. Forschung, wie Trägheit operationalisiert werden kann, wie man sie messen kann oder welche Faktoren Trägheit direkt verstärken, gibt es nicht.336 Dies gilt nicht nur für die Einflussfaktoren in dem vorgestellten Wirkungsgefüge, denn innerhalb der Population Ecology-Forschung werden noch weitere Einflussfaktoren diskutiert. So widmen sich andere Forschungszweige bspw. den Auswirkungen der Gründungsbedingungen337, der Anzahl der Organisationen in einer Population338 oder der strategischen Ausrichtung als Spezialist oder Generalist339 auf die Unternehmensentwicklung. Sie werden hier nicht näher erläutert, weil in diesen Bereichen die Zusammenhänge bzw. die Erkenntnisse zu Trägheit noch geringer sind als in diesem Kapitel für die Einflussfaktoren aufgezeigt. Tab. 2 fasst die wichtigsten Studien mit ihren Ergebnissen zusammen. Wie nun das Trägheitskonzept und die theoretischen und empirischen Überlegungen und Untersuchungen zu Arten, Ursachen und besonders Einflussfaktoren zu beurteilen sind, wird im folgenden Kapitel beleuchtet. Im Zentrum steht dabei die schon aufgeworfene Frage, welche Aussagen sich eigentlich aus Sicht des Population Ecology-Ansatzes über Trägheit direkt und ihre Operationalisierung treffen lassen.
336 337
338
339
Vgl. dazu auch ausführlich das folgende Kapitel 3.3. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 201 ff., auch Brüderl et al. (1992), S. 230 ff.; Levinthal (1997), S. 935 ff., ähnlich Baron/Hannan (2002), S. 9 ff. Vgl. zu "Density Dependence" Hannan/Carroll (1992), auch Hannan (1997), S. 193 ff.; Baum/Singh (1994), S. 483 ff.; Baum/Mezias (1992), S. 580 ff.; Boeker (1991), S. 614 ff.; Carroll/Hannan (1989), S. 411 ff.; Hannan/Freeman (1989), S. 91 ff.; Brittain/Freeman (1980), S. 292 ff. Vgl. ursprünglich Hannan/Freeman (1977), S. 935 ff.; auch bspw. Boone et al. (2004), S. 118 ff.; Levinthal (1997), S. 935 ff.; Hannan/Freeman (1989), S. 311 ff.
82
3 Organisationale Trägheit
3.3
Fazit: Kritische Würdigung organisationaler Trägheit im Population Ecology-Ansatz
Organisationaler Trägheit werden in der Konzeptionalisierung des Population Ecology-Ansatzes verschiedene Wirkungen zugeschrieben: Trägheit ist existenzfördernd, weil sie Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit gibt und verhindert, dass sich Organisationen vorschnell an Umweltveränderungen anpassen. Trägheit ist aber auch existenzgefährdend, wenn sich Organisationen nicht mehr (absolute Trägheit), oder nicht mehr zeitnah (relative Trägheit) an veränderte Umweltbedingungen anpassen. Während in der Grundkonzeption des Ansatzes die Wandlungsfähigkeit einer Organisation weitgehend abgelehnt wird und sich nur Populationen entwickeln können, beschäftigen sich neuere Arbeiten differenzierter mit (inner-)organisatorischem Wandel und Trägheit. Dabei rücken Aspekte wie inkrementaler und fundamentaler Wandel der Organisation, aber auch der Umwelt sowie Veränderungen des Kerns und der Peripherie in den Mittelpunkt. Inkrementaler Wandel einer Organisation wird durch Trägheit, insbesondere nach dem Punctuated Equilibrium-Modell, nicht verhindert, aber Trägheit sorgt dafür, dass fundamentaler Wandel kein permanenter Zustand ist, sondern sich die Unternehmensentwicklung in Sprüngen vollzieht. Wenn der Druck aus der Umwelt zu groß wird, können durch fundamentalen Wandel Trägheitskräfte überwunden und Anpassungen umgesetzt werden. Entsprechend des "Resetting the Clock" beginnen diese Kräfte danach erneut zu wachsen. Trägheit ist also immer nur ein temporärer Zustand, der irgendwann durch Veränderung aufgebrochen wird oder zum Scheitern der Organisation führt. Solche fundamentalen Veränderungen und die Überwindung von Trägheit finden – getrieben durch Existenzbedrohung – meist erst in akuten Unternehmenskrisen statt.340 In der im Fokus stehenden latenten Krisensituation ist diese Existenzbedrohung noch nicht gegeben und es werden oft nur inkrementale Veränderungen durchgeführt, obwohl eigentlich fundamentale Veränderungen nötig wären. Es ist aber auch möglich, dass in der latenten Krise die Notwendigkeit für inkrementale oder fundamentale Veränderungen im Sinne der relativen Trägheit zu spät erkannt oder umgesetzt wird. Dieses komplexe Wirkungsgefüge und das Paradoxon der Trägheit sind elementare Bestandteile des Population Ecology-Ansatzes und werden nachfolgend zusammen mit ihm abschließend gewürdigt.341
340 341
Vgl. dazu bspw. Schaefer (1998), S. 237 f.; Romanelli/Tushman (1994), S. 1144. Vgl. zur Kritik Deeg/Weibler (2000), S. 150 ff.; Weibler/Deeg (1999), S. 299 ff.; Boone/Witteloostuijn (1995), S. 270 ff.; Singh/Lumsden (1990), S. 184 ff.; Türk (1989), S. 81 ff.; Young (1988), S. 1 ff.; Kieser (1988a), S. 610 ff.; Kieser (1988b), S. 3 ff. und 23; Betton/Dess (1985), S. 751 ff.
3.3 Fazit: Kritische Würdigung organisationaler Trägheit im Population Ecology-Ansatz
83
Die wichtigsten Kritikpunkte an der Grundkonzeption des Population Ecology-Ansatzes wurden in Kapitel 3.2.3 aufgeführt. Dazu gehören der Fatalismus durch die Selektionshoheit der Umwelt, die Ablehnung jeglicher Veränderungsfähigkeit der Einzelorganisation und die Vernachlässigung von Lerneffekten in den Evolutionsmechanismen. Außerdem wurde die ausschließliche Betrachtung der Populationsebene kritisch hinterfragt, weil damit Einzelorganisationen zur Blackbox werden und jegliche Veränderungsbemühung des Managements aussichtslos. Diese Kritikpunkte wurden in den neuen Arbeiten des Population Ecology-Ansatzes aufgegriffen und weitgehend durch Überarbeitungen beseitigt. Gerade wegen dieser intensiven Diskussion zeichnet sich der Population Ecology-Ansatz heute durch eine hohe theoretische Konsistenz aus.342 Auch ist es dem Ansatz und seiner Popularität zu verdanken, dass populationsökologische Überlegungen, wie bspw. die kontrovers diskutierte Populationsperspektive, in die Betriebswirtschaft, die Organisationstheorie und die Betrachtung von organisatorischem Wandel Eingang gefunden haben. Darüber hinaus war Population Ecology in den siebziger Jahren einer der ersten Ansätze, der die vollkommene Rationalität und Steuerbarkeit von Veränderungsprozessen (wenn auch sehr radikal) abgelehnt und nach alternativen Erklärungsansätzen für die Organisationsentwicklung gesucht hat.343 Zudem hat der Ansatz mit dem Trägheitskonzept eine neue Perspektive auf die Geschwindigkeit von Veränderungen eröffnet. Der Population Ecology-Ansatz hat sich in den letzten Jahrzehnten als sehr wandlungs- und anpassungsfähig erwiesen. Geäußerte Kritik wurde stets beachtet und auch heute ist der Ansatz noch offen für neue Erkenntnisse und Anwendung in immer wieder neuen Kontexten. Dies hat leider auch dazu geführt, dass eine weit verzweigte und fragmentierte Forschungslandschaft entstanden ist. Die schrittweise Aufarbeitung in dieser Arbeit zeigt, dass der Ansatz viele Facetten beleuchtet und nur schwer kompakt und strukturiert darzustellen ist. Der Population Ecology-Ansatz "lebt", was seinen Reiz ausmacht, aber auch den Überblick und Zugang erschwert. Doch auch zum heutigen Forschungsstand gibt es noch einige kritische Anmerkungen. Besonders bei empirischen Arbeiten stellen Populationen immer noch ein wichtiges Konstrukt dar, denn auch wenn einzelne Organisationen im Mittelpunkt stehen, werden meist doch Populationen von Organisationen untersucht.344 Allerdings konnten Populationen sowohl von HANNAN/FREEMAN als auch von anderen Forschern
342
343 344
Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 148; Pfeffer (1993), S. 613 versteht darunter bspw., dass die Methoden, die abhängigen Variablen oder die zitierte Literatur sehr konsistent sind. Vgl. Kieser/Woywode (2006), S. 337; Weibler/Deeg (1999), S. 308. Besonders bei Arbeiten zur Density Dependence bzw. Wettbewerb in einer Population und Nische.
84
3 Organisationale Trägheit
nie vernünftig abgegrenzt werden.345 Oft werden Populationen – wie in dieser Arbeit – mit eng definierten Branchen gleichgesetzt, aber bei genauer Betrachtung – vor allem in Analogie zur Biologie – greift eine solche Vereinfachung schlicht zu kurz. Eine Klassifikation von Organisationen und die Erarbeitung einer Taxonomie gibt es bis heute nicht.346 Auch fehlt nach wie vor die Auseinandersetzung mit den Selektionsfaktoren – sowohl bei der Selektion durch die Umwelt als auch bei innerorganisatorischer Selektion einzelner Elemente. Nach welchen Kriterien selektiert wird und wie diese Selektionsfaktoren ausfindig gemacht werden können, bleibt offen.347 Eng damit verbunden werden auch organisatorische Prozesse nicht diskutiert, die eine bessere Reaktion auf diese Selektionsfaktoren ermöglichen würden. Ebenso bleiben die tatsächlichen Auslöser von Veränderungsprozessen unbekannt.348 Dennoch ist der Population Ecology-Ansatz, wie in den vorangegangenen Kapiteln exemplarisch gezeigt, empirisch intensiv und mit unterschiedlichstem Fokus erforscht worden. Untersuchungen beziehen sich dabei entweder auf das gesamte Wirkungsgefüge oder speziell auf einzelne Einflussfaktoren oder Wirkungszusammenhänge. Leider sind die empirischen Untersuchungen manchmal nicht ganz so aussagekräftig und verallgemeinerbar, wie von den Forschern intendiert. So beschäftigen sich zentrale, immer wieder referierte Studien bspw. mit Restaurants in Kalifornien349, Kindertagesstätten350 oder Gewerkschaften351. In diesen Beispielen kann die Repräsentativität aufgrund der speziellen Untersuchungsobjekte und ihrer besonderen Eigenschaften durchaus als begrenzt angesehen werden.352 Zudem sind die empirischen Ergebnisse, wie bei den verschiedenen "Liabilities" gezeigt, keineswegs eindeutig und es werden oft eher Elemente der Peripherie als des Kerns untersucht. Das im Population Ecology-Ansatz integrierte Trägheitskonzept ist, wie anfangs erläutert, das in der Literatur am weitesten ausgearbeiteste und empirisch untersuchte. Es hat schnell Eingang in andere Theorien gefunden, von denen einige in Kapitel 345
346
347 348 349 350 351 352
Gleiches gilt auch für andere Variablen im Population Ecology-Ansatz, wie bspw. "Carrying Capacity" einer Nische oder "Density Dependence", auf die in dieser Arbeit nicht weiter eingegangen wird. Bspw. definieren Freeman/Hannan (1983), S. 1131 f. spezialisierte und generalisierte Restaurants als zwei verschiedene Populationen. Durch eine einfache Erweiterung der Speisekarte können die Organisationen die Population wechseln, was mit der biologischen Konzeption nicht in Einklang zu bringen ist. Vgl. zu Populationen Hannan/Freeman (1977), S. 934 ff.; Hannan/Freeman (1989), S. 48 und Hannan (2005), S. 52 f. zeigt, dass sie sich selbst der Problematik bewusst sind. Zur Kritik vgl. Weibler/Deeg (1999), S. 304 f.; Boone/Witteloostuijn (1995), S. 270 f.; Türk (1989), S. 86 f.; Young (1988), S. 2 ff.; Kieser (1988a), S. 608 und 614; Kieser (1988b), S. 4 f.; Betton/Dess (1985), S. 753 f. Vgl. zur den Schwierigkeiten einer Taxonomie auch Sanchez (1993). Vgl. bspw. Weibler/Deeg (1999), S. 305; Kieser (1988a), S. 615; ähnlich Staber (2002), S. 128. Vgl. Weibler/Deeg (1999), S. 301. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 314 ff. Vgl. Baum/Oliver (1992), S. 543 ff.; Baum (1990), S. 166 ff. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 201 ff.; kritisch bspw. Young (1988), S. 10 f. Vgl. dazu Betton/Dess (1985), S. 752 f.
3.3 Fazit: Kritische Würdigung organisationaler Trägheit im Population Ecology-Ansatz
85
3.1 vorgestellt wurden. Wie die Ausführungen der letzten Kapitel gezeigt haben, ist Trägheit in den theoretischen und empirischen Arbeiten des Population EcologyAnsatzes immer wieder thematisiert, konkretisiert und erweitert worden. Das Hauptproblem ist jedoch, dass Trägheit all diesen Ausführungen, abgesehen von den Grundsatzarbeiten von HANNAN/FREEMAN, immer implizit zugrunde liegt, aber nie im Mittelpunkt der Überlegungen steht. Trägheit und die daraus resultierenden Auswirkungen werden als Ursache für die erfolgreiche Existenz oder das Scheitern von Organisationen angesehen. Inhalte, Träger oder Auslöser von organisationaler Trägheit selbst wurden aber bis heute nie detailliert untersucht. Dies liegt vielleicht darin begründet, dass Trägheit, auch durch das ihr innewohnende Paradoxon, schwer greifbar und operationalisierbar ist. KIESER/WOYWODE bemerken dazu 2006: "Zu Recht kritisiert Young (1988), dass keine Regel vorliegt, mit der festgestellt werden kann, wann eine Organisation im Hinblick auf die – ebenfalls nicht operationalisierten – Umweltveränderungen als träge einzustufen ist."353 Da auch neuere Population Ecology-Arbeiten eine detaillierte Betrachtung und Konkretisierung des Trägheitsphänomens aussparen, legt dies die Vermutung nahe, dass sich Trägheit nur aus populationsökologischer Perspektive nicht genauer erklären lässt. Die nachfolgende Betrachtung von organisationaler Trägheit unter zusätzlicher Einbeziehung der konstruktivistischen Perspektive soll daher neue Erkenntnisse ermöglichen und bisher nicht betrachtete Aspekte aufwerfen. Neben diesem großen Problem der Operationalisierung organisationaler Trägheit bleibt in dem Trägheitskonzept des Population Ecology-Ansatzes bspw. auch vage, was genau unter dem Kern und der Peripherie einer Organisation zu verstehen ist. Zudem ist unklar, warum nicht auch in der Peripherie eine Hierarchisierung der Trägheitskräfte vorzufinden ist und welchen Beitrag peripherer Wandel überhaupt für die Entwicklung und das Überleben einer Organisation leisten kann.354 Ebenso sind die Konzepte von absoluter und relativer Trägheit zwar verständlich, welche praktische Bedeutung die beiden Trägheitsarten jedoch haben und unter welchen Bedingungen bspw. absolute Trägheit vorzufinden ist, bleibt offen.355 Auch wird bei der Ergänzung der Ursachenzusammenhänge um Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit nicht thematisiert, wie diese mit den ursprünglich konzipierten unternehmensinternen und -externen Ursachen zusammenwirken.
353 354
355
Kieser/Woywode (2006), S. 342., ähnlich Young (1988), S. 9. Vgl. auch Deeg/Weibler (2000), S. 153; Dobrev et al. (2003), S. 268; Ruef (1997), S. 850; Burgelman (1991), S. 251 und 255. Vgl. Deeg/Weibler (2000), S. 153.
86
3 Organisationale Trägheit
Ein weiterer wichtiger Punkt bei der kritischen Würdigung des Trägheitskonzepts betrifft die Betrachtungsebene. Zwar hat sich der Population Ecology-Ansatz von der Ebene der Population mit der Zeit zur Ebene der Einzelorganisation umorientiert, den nächsten Schritt – die Betrachtung der Individuen und ihrer Einflüsse – gehen der Ansatz als Ganzer, aber auch das Trägheitskonzept nicht. Wie eingangs erläutert greift es jedoch zu kurz, Trägheit nur als ein Phänomen zu sehen, das auf einer Systemebene begründet liegt. Es schließt vielmehr Charakter, Persönlichkeit, Motivation, Qualifikation oder auch Rationalität der individuellen Akteure mit ein. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit unter organisationaler Trägheit sowohl die kollektive Trägheit einer Organisation, aber auch die individuelle Trägheit einzelner Akteure verstanden. Diese Einflüsse, die Einzelne auf die Trägheit einer Organisation haben können, werden in den Arbeiten des Population Ecology-Ansatzes so gut wie gar nicht thematisiert. Um im Folgenden die bislang unbeantwortete Frage zu klären, wie man organisationale Trägheit operationalisieren kann, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit explizit auch die verhaltensindividuelle und unternehmensexterne Ebene einbezogen. Der Population Ecology-Ansatz und das integrierte Trägheitskonzept sind oft dem Vorwurf ausgesetzt, dass die Handlungsempfehlungen und Gestaltungshinweise, die sich daraus für die Praxis ableiten lassen, begrenzt sind.356 Um in der Operationalisierung organisationaler Trägheit dieser Kritik vorzubeugen, wird nicht nur ein Modell mit Merkmalsausprägungen entwickelt, die auf Trägheit in mittelständisch geprägten Unternehmen hinweisen. Zusätzlich werden Hypothesen erarbeitet, welche Auswirkungen diese Trägheitsmerkmale auf die strategische Früherkennung, speziell die Erkennung und Reaktion auf schwache Signale haben kann, und diese Zusammenhänge auch empirisch untersucht. Im nächsten Kapitel wird daher nun organisationale Trägheit operationalisiert. Merkmale werden definiert und Merkmalsausprägungen aufgezeigt, die auf organisationale Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen hinweisen. In den Arbeiten des Population Ecology-Ansatzes finden sich vereinzelte Hinweise, welche Themen in diesem Zusammenhang untersuchenswert sein könnten. Bspw. empfehlen WEIBLER/DEEG Führungstechniken und Personalinstrumente auf ihre fördernde oder hemmende Wirkung auf die Variation, Selektion und Retention zu überprüften.357 KELLY/AMBURGEY betonen, dass man noch mehr Forschung zu Faktoren wie Kultur, Macht, Entscheidungen, Kommunikation und Leadership braucht.358 Diese 356 357 358
Vgl. bspw. Weibler/Deeg (1999), S. 306 f.; Kieser (1988a), S. 615. Vgl. Weibler/Deeg (1999), S. 307. Vgl. Kelly/Amburgey (1991), S. 609.
3.3 Fazit: Kritische Würdigung organisationaler Trägheit im Population Ecology-Ansatz
87
Punkte werden im Rahmen der Operationalisierung im folgenden Kapitel neben anderen Aspekten aufgegriffen und diskutiert. Die Erläuterung des Population Ecology-Ansatzes hat gezeigt, dass das Trägheitskonzept, auch wenn es das am weitesten ausgearbeitete Konzept ist, in der Operationalisierung viele Fragen offen lässt. Die nachfolgende Erarbeitung des Merkmalsmodells baut auf den Erkenntnissen des Population Ecology-Ansatzes auf und bezieht auch immer wieder Studien und Elemente aus seinem Umfeld. Allerdings gehen die Überlegungen in der theoretischen Fundierung auch über Population Ecology hinaus und nutzen zusätzlich die Erklärungsbeiträge andere Theorien und Konzepte.
4.1 Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung
4
89
MERKMALE VON TRÄGEN UNTERNEHMEN UND DIE WIRKUNG AUF STRATEGISCHE FRÜHERKENNUNG
Da Wahrnehmung und Handlung für die Betrachtung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung zentral sind, wird in diesem Kapitel zuerst dargestellt, wie auf individueller und organisatorischer Ebene Wahrnehmung und Handlung stattfinden. Daran anschließend werden die Merkmale und Merkmalsausprägungen theoretisch hergeleitet, die in mittelständisch geprägten Großunternehmen auf das Vorliegen organisationaler Trägheit hindeuten. Dabei wird zwischen unternehmensinternen systembedingten, unternehmensinternen verhaltensbedingten und unternehmensexternen Merkmalen unterschieden. Die einzelnen Merkmalsausprägungen werden jeweils auch auf ihre Wirkung auf die Wahrnehmung von schwachen Signalen in latenten Unternehmenskrisen und die Einleitung von Gegenmaßnahmen analysiert. Eine Zusammenfassung der Erkenntnisse in elf Hypothesen schließt das Kapitel ab.
4.1
Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung
Wahrnehmung und die Umsetzung von Wahrnehmungen in Handlungen spielen nicht nur für die strategische Früherkennung von Unternehmenskrisen eine wichtige Rolle, sondern Wahrnehmung und Handlung beeinflussen auch stark organisationale Trägheit bzw. werden durch organisationale Trägheit reziprok beeinflusst. Wegen dieser hohen Bedeutung für die hier untersuchten Zusammenhänge wird zuerst eine Einführung in die individuellen und kollektiven Wahrnehmungs- und Handlungsmechanismen gegeben, bevor darauf aufbauend die Merkmale organisationaler Trägheit erarbeitet und ihre Wirkungen auf die strategische Früherkennung untersucht werden.
4.1.1 Wahrnehmung und Handlung auf Ebene des Individuums Wahrnehmung bedeutet grundsätzlich die Aufnahme von Reizen über die Sinne unter Einbeziehung von Erfahrungskomponenten und ist in ein Wirkungsgefüge, das aus Reiz, Wahrnehmung, Interpretation und Handlung besteht, eingefasst.359 Wahrnehmungs- und Handlungsprozesse werden intensiv in der Kognitionsbiologie, Psychologie und Soziologie untersucht, in dieser Arbeit aber aus Sicht der interdisziplinären Theorie des Konstruktivismus betrachtet. Der Konstruktivismus beschäftigt
359
Vgl. bspw. Cassells/Green (1995), S. 42; Rohracher (1988), S. 128; Neisser (1979), S. 21 und 28.
90
4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
sich als Kognitionslehre360 umfassend mit diesen Prozessen auf individueller wie kollektiver Ebene und findet häufig in der Organisationsentwicklung bei ähnlichen Fragestellungen Anwendung.361 Die konstruktivistische Perspektive sieht Erkenntnis als einen geistigen Konstruktionsprozess des denkenden Individuums und versteht die vom Menschen wahrgenommene Wirklichkeit nicht als Abbild einer "objektiven" Realität, sondern als ein Konstrukt der eigenen Erfahrungen. Begründet wird dieser Nicht-Zugang zur Wirklichkeit mit der Arbeitsweise des Gehirns.362 Das Gehirn ist ein funktional geschlossenes System, das selbst keinen direkten Zugang zur Umwelt hat und nur über Sinnesrezeptoren Informationen der Umwelt erhalten kann. Die Sinnesrezeptoren nehmen physikalische Umweltreize auf und wandeln diese in neuronale Erregung um. Dabei wird die Intensität der Erregung der Nervenzellen codiert, nicht aber die Erregungsursache – der tatsächliche Auslöser des Nervenreizes geht verloren.363 Da das Gehirn also keinen direkten Zugang zur Umwelt hat, ist Wahrnehmung immer Bedeutungszuweisung an bedeutungsfreie Prozesse und somit untrennbar mit Interpretation verbunden. ROTH fasst diese Kausalzusammenhänge prägnant in "Wahrnehmung ist Interpretation, ist Bedeutungszuweisung."364 zusammen. Wahrnehmung ist daher eine aktive, personale und interaktive Leistung und keine passive, abbildende Tätigkeit.365 Wahrnehmungen werden in diesem Prozess ständig mit der individuellen Wirklichkeitskonstruktion abgeglichen. Ziel der Wirklichkeitskonstruktion ist dabei nicht die "wahrheitsgetreue" Abbildung der Realität, sondern die Problemlösungskraft und Brauchbarkeit in der eigenen Erlebenswelt. Passt die Wahrnehmung nicht mehr zur Wirklichkeitskonstruktion, wird die Wirklichkeitskonstruktion verändert und befindet sich somit in einem steten Anpassungsprozess.366 Wenn die Wirklichkeit subjektive Erfindung ist, muss der Anspruch auf Objektivität zwangsweise aufgegeben werden. Das heißt nicht, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt, der Mensch kann sie über seine Sinnesorgane nur nicht erfassen.367
360
361
362 363 364 365 366 367
Kognition bedeutet grds. Erkenntnis und bezeichnet die Aneigungen des Sinngehaltes von erlebten Sachverhalten, also sowohl den Wahrnehmungsvorgang als auch das Ergebnis. Vgl. Roth (2000a), S. 26 ff.; Schmidt, H. (1991), S. 178 ff.; Neisser (1979), S. 13; ähnlich Frensch (2006), S. 19 ff. Der Konstruktivismus setzt sich i.W. aus Erkenntnissen der Biologie, Physik, Chemie, Kybernetik, Psychologie, Neurophysiologie und Soziologie zusammen. Die Hauptvertreter sind Maturana, Varela und Roth (Biologie), Foerster (Kybernetik), Watzlawik und Piaget (Psychologie), Hejl, Luhmann, Berger und Luckmann (Soziologie). Vgl. zum Konstruktivismus überblicksartig z.B. Glasersfeld (2002), S. 9 ff.; Foerster (2002), S. 41 ff.; Schmidt, S. (2000), S. 11 ff. Vgl. Foerster (2002), S. 42 ff.; Roth (2000b), S. 229 ff., grundsätzlich Maturana/Varela (1987). Vgl. Foerster (2002), S. 58; Foerster (2000), S. 137 ff. Roth (1985), S. 236 (Hervorhebungen im Original), auch Roth (2000a), S. 108. Vgl. Schmidt, S. (2002), S. 152; Krause, S. (2000), S. 533 f.; Maturana/Varela (1987), S. 31. Vgl. zu dieser Viabilität bspw. Glasersfeld (2002), S. 22 ff. Vgl. Glasersfeld (2002), S. 31 f.; Fried (2001), S. 33; Maturana (2000), S. 113.
4.1 Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung
91
Wegen der begrenzten Verarbeitungskapazitäten des menschlichen Gehirns können nicht alle Reize der Umwelt aufgenommen werden, so dass Beobachtung automatisch auch immer Selektion ist.368 Der Erfahrungshintergrund steuert dabei wesentlich, welche der unzähligen Reize wahrgenommen werden und wie diese interpretiert und zu Informationen verarbeitet werden.369 Jede Aufnahme eines Reizes und auch jede Beobachtung eines schwachen Signals ist daher untrennbar mit dem Beobachter, seinem Erfahrungshintergrund und seiner Wirklichkeitskonstruktion verbunden. Dieser konstruktivistische Zugang zur Wahrnehmung, bei dem jeder basierend auf seiner Wirklichkeitskonstruktion unterschiedliche Umweltreize wahrnimmt bzw. diese vor dem individuellen Erfahrungshintergrund interpretiert, zeigt, warum in einer Organisation so viele Sichtweisen der Wirklichkeit vorhanden sind. Mit diesem Vorverständnis zur Subjektivität von Wahrnehmung und Wirklichkeit lässt sich der Wahrnehmungs- und Handlungsprozess eines Individuums, wie in Abb. 10370 gezeigt, skizzieren. Den Ausgangspunkt der Wahrnehmung371 bilden Phänomene der Umwelt, die eine Reizung der Sinnesrezeptoren auslösen können. Im ersten Schritt werden aus diesen unzähligen Reizen wegen der begrenzten kognitiven Fähigkeiten selektiv Stimuli durch die Rezeptoren wahrgenommen und in neuronale Erregungen umgewandelt. Dieser Auswahlprozess der wahrgenommenen Reize wird durch bisherige Erfahrungen, Aufmerksamkeitsschwellen und bewusste Suchmechanismen bestimmt. Reize werden wahrgenommen, wenn sie besonders anschlussfähig an bisherige Erfahrungen oder besonders auffällig sind, wobei die Aufmerksamkeit durch eine bewusste Suche erhöht werden kann. Nicht wahrgenommene Reize gehen auf individueller Ebene verloren. In einem zweiten Schritt werden die wahrgenommenen Reize an das Gehirn übermittelt und ihnen dort basierend auf der bestehenden Wirklichkeitskonstruktion Bedeutungen zugewiesen sowie ihre Relevanz und ihre Folgen durchdacht. Bei dieser Interpretation wird zugleich abgeglichen, inwieweit sie zu der bisherigen Wirklichkeitskonstruktion passen und diese ggf. verändert. An die Interpretation der wahrgenommenen Reize kann sich als dritter Schritt die Handlung anschließen. Während Wahrnehmung und Interpretation Prozesse sind,
368 369
370
371
Vgl. dazu auch die Ausführungen von Hergert (2007), S. 71. Genau genommen muss zwischen Daten und Informationen unterschieden werden. Informationen entstehen erst durch Erkenntnis, also durch Abgleich mit Erfahrungen und Denkprozessen in einer konkreten Anwendungssituation. Diese Unterschiede werden hier nicht näher thematisiert, stattdessen wird aber ausführlich auf die Herausforderungen der Interpretation eingegangen. Vgl. zu Daten und Informatinen bspw. Hergert (2007), S. 35; Liebl (1991), S. 1 f.; Konrad (1991), S. 127 ff. Hier konnte sich nicht an eine weit verbreitete Darstellung angelehnt werden, weil Wahrnehmung und Handlung meist vereinfacht mit dem Stimulus-(Organisation)-Response-Paradima oder als separate Prozsse beschrieben werden. Vgl. Hommel (2006), S. 541 ff.; Dörner (2005), S. 330 f. Vgl. zu dem Prozess Mausfeld (2005), S. 106 ff.; Cassells/Green (1995), S. 42 ff.; Hayes (1995), S. 14 ff.; Rohracher (1988), S. 103 ff.; auch Hergert (2007), S. 73 ff.; ähnlich Neisser (1979), S. 26 ff.
92
4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
die überwiegend unterbewusst ablaufen und nur durch bewusste Suchmechanismen beeinflusst werden können, sind Handlungen vornehmlich bewusste Prozesse. Weil sie auf ein Ziel ausgerichtet sind und ihnen eine gedankliche Auseinandersetzung zugrunde liegt, sind sie von rein reflexartigen Reaktionen zu unterscheiden.372 Wird die aus dem Reiz entwickelte Information als relevant interpretiert und sind entsprechende Ziele und die Motivation vorhanden, kann eine Handlung folgen. Wird diese Relevanz nicht festgestellt, findet keine Handlung statt und ein schwaches Signal wird bspw. nicht weiter verfolgt. Es kann aber auch sein, dass nicht gehandelt wird, obwohl ein Reiz eine Handlung oder Anpassung der Wirklichkeitskonstruktion erfordern würde, weil der Mensch danach strebt, "kognitive Dissonanz" zu verhindern. Trägheit kann Trägheit kann INTERPRETATION HANDLUNG beeinträchtigen beeinträchtigen
Trägheit kann WAHRNEHMUNG beeinträchtigen
Umweltreize
WAHRNEHMUNG
Trägheit kann WAHRNEHMUNG verhindern
Wahrgenommene Reize
INTERPRETATION
Trägheit kann INTERPRETATION verhindern
HANDLUNG
Trägheit kann HANDLUNG verhindern
Abb. 10: Schematische Darstellung von individueller Wahrnehmung und Handlung.
Der Mensch ist harmoniebedürftig und versucht, den Status quo beizubehalten und mit seiner Wirklichkeitskonstruktion nicht vereinbare Informationen – sogenannte kognitive Dissonanzen – zu vermeiden. Daher ist er unterbewusst wie bewusst bemüht, potentiell dissonante Informationen gar nicht wahrzunehmen, zu ignorieren oder anders zu interpretieren, so dass es nicht zu Irritationen der bestehenden Wirklichkeitskonstruktion kommt. Die Strategien zur Vermeidung kognitiver Dissonanz, wie bspw. die Infragestellung der Glaubwürdigkeit einer Quelle, stellen Filter dar, die zu Wahrnehmungsverzerrungen führen können. Schwache Signale, die anschlussfähig sind und zu der bisherigen Wirklichkeitskonstruktion passen, werden daher eher aufgenommen als Signale, die zu bisherigen Erfahrungen im Widerspruch stehen. Es besteht das Risiko, dass diese Signale entweder unterbewusst nicht oder verzerrt
372
Die Begriffe Handlung und Reaktion werden nachfolgend synonym verwendet. Dabei wird unter beiden ein über das Stimulus-Response-Paradima hinausgehender, reflektiver Prozess verstanden. Vgl. Koch, I. et al. (2006), S. 497 ff.; zur Handlung Dörner (2005), S. 329 ff.; Mausfeld (2005), S. 106.
4.1 Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung
93
wahrgenommen und interpretiert oder auch bewusst ignoriert werden.373 Je kritischer die Situation eines Unternehmens, desto eher muss von einer solchen konservativen Wahrnehmungsstrategie ausgegangen werden.374 Diese Funktionsstörungen der Wahrnehmungs- und Handlungsmechanismen, die durch selektive Aufmerksamkeit und die Vermeidung kognitiver Dissonanz entstehen, werden auch als "Informationspathologien" umschrieben.375 Die vorgestellten Wahrnehmungs- und Handlungsmechanismen und die entsprechenden Pathologien beeinflussen maßgeblich, ob Signale der Umwelt wahrgenommen werden, wie sie interpretiert werden und ob sich eine passende Handlung anschließt. Diese Mechanismen sind stark an das einzelne Individuum gebunden, so dass Signale innerhalb einer Organisation sehr unterschiedlich aufgenommen und interpretiert werden können. Bei den hier im Fokus stehenden schwachen Signalen kommt erschwerend hinzu, dass sie oft nicht auffällig und zudem kaum anschlussfähig sind. Daher unterliegen sie grundsätzlich einer höheren Wahrscheinlichkeit, gar nicht wahrgenommen zu werden oder bspw. zur Vermeidung kognitiver Dissonanz anders interpretiert zu werden. Trägheit kann, wie in Abb. 10 dargestellt, diese Wahrnehmungs- und Handlungsmechanismen auf individueller Ebene an verschiedenen Stellen beeinträchtigen oder unterbrechen. Trägheit kann dazu führen, dass Reize aus der Umwelt – besonders schwache Signale – gar nicht wahrgenommen werden. Sie kann verhindern, dass wahrgenommene Signale als relevant interpretiert werden und sie kann ebenso verhindern, dass Handlungen eingeleitet werden oder dazu führen, dass Handlungen nicht adäquat zu den wahrgenommenen Signalen sind.376 Die genauen Gründe dieser Störungen werden in Kapitel 4.2 im Rahmen der Merkmale ausführlich diskutiert.
373
374
375
376
Kognitive Dissonanz geht auf Festinger (1978) zurück. Zu einer ausführlichen Beschreibung vgl. Staehle (1999), S. 247 ff.; auch Hergert (2007), S. 106 ff.; Ortmann (2001), S. 308 f.; Frey/Gaska (1993), S. 276 ff. Bei latenten Krisen kann im Vergleich zu existenzbedrohenden Krisen noch von einem etwas schwächeren Niveau der Vermeidung kognitiver Dissonanz ausgegangen werden. Auch spielen Angst, Stress und Unsicherheit als weitere Funktionsstörungen noch eine untergeordnete Rolle. Vgl. dazu Dörner/Rek (2005), S. 425 f.; Staehle (1999), S. 250 ff. Vgl. zu Informationspathologien bspw. Hergert (2007), S. 56 ff.; Staehle (1999), S. 244 ff.; Scholl (1992), Sp. 901 ff.; ausführlich Sorg (1982), und ursprünglich Wilensky (1967). Ähnliche Überlegungen nimmt Ansoff (1984), S. 328 ff. vor, wenn er konzeptionalisiert, welche Filter strategische Informationen bis zur Handlung passieren müssen. Vgl. auch Hergert (2007), S. 52 ff.
94
4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
4.1.2 Wahrnehmung und Handlung auf Ebene der Organisation Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, sind in einer Organisation viele individuell unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen vorzufinden. Allerdings agiert in einer Organisation bzw. einem Unternehmen nicht ein einzelner Akteur, sondern eine Gemeinschaft, die eine gewisse kollektive Vorstellung der Wirklichkeit zur Interaktion benötigt. Im Konstruktivismus377 wird diese gemeinsame Vorstellung der Wirklichkeit als Intersubjektivität bezeichnet. Sie entsteht durch die Bestätigung der individuellen Wirklichkeitskonstruktion durch sprachliche Interaktion mit anderen und die erfolgreiche Interpretation ihrer Handlungen durch die eigenen kognitiven Strukturen. Sind die eigenen Erfahrungen im Austausch mit anderen erfolgreich, steigt die Verlässlichkeit der Wirklichkeitskonstruktion. Dabei ist nicht entscheidend, sich einer objektiven Wahrheit zu nähern, sondern den gleichen Standpunkt einzunehmen und einen sogenannten konsensuellen Bereich zu erzeugen, der als eine geteilte Wirklichkeitsvorstellung und Wahrnehmungsplattform dient. Konsensuelle Bereiche sind Dimensionen koordinierten Verhaltens, die eng mit den individuellen Erfahrungen verbunden sind, da sie durch diese entstehen und wiederum die individuelle Wirklichkeitskonstruktion beeinflussen, sich aber dennoch klar davon unterscheiden.378 In dieses kollektive Wahrnehmungsinstrumentarium – den intersubjektiv gebildeten konsensuellen Bereich – fließen die auf unterschiedlichem Erfahrungshintergrund aufgenommenen und interpretierten Reize der Organisationsmitglieder ein. Dies ermöglicht, die individuelle Interpretation eines Reizes und die ggf. abgeleitete Handlung mit anderen abzustimmen oder einen Reiz basierend auf anderen Erfahrungshintergründen zu reinterpretieren. Auch können so Signale, die auf individueller Ebene wie beschrieben "verloren" gegangen sind, auf organisatorischer Ebene noch einmal an Bedeutung gewinnen, wenn sie von anderen in die kollektive Wahrnehmung eingebracht werden. Somit sind konsensuelle Bereiche ein Weg, die begrenzten kognitiven Fähigkeiten und die resultierende begrenzte Rationalität auf individueller Ebene zumindest teilweise zu überwinden. Der wichtigste Faktor zur Erzeugung von Intersubjektivität ist der intensive Diskurs. Er ermöglicht, die Interpretation von Signalen durch Einbeziehung vieler Sichtweisen auf eine breite Basis zu stellen. Bei der strategischen Krisenfrüherkennung helfen diese kollektiven Wahrnehmungsmechanismen ein breites Spektrum von schwachen Signalen durch die Organisationsmitglieder aufzunehmen, diese vor gemeinsamem Hintergrund zu interpretieren 377
378
Im Konstruktivismus gibt es verschiedene Spielarten. Während sich der kognitionstheoretische (oder radikale) Konstruktivismus mit der individuellern Ebene beschäftigt, thematisiert der Sozialkonstruktivismus die kollektive Ebene. Vgl. dazu Knorr-Cetina (1989), S. 87 ff. Vgl. zu Intersubjektivität und konsensuellem Bereich Glasersfeld (2002), S. 36 f.; Schmidt, S. (2000), S. 34 f.; Maturana (2000), S. 108 ff.; ähnlich Berger/Luckmann (2003), S. 55 ff.
4.1 Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung
95
und mögliche Handlungen abzuleiten. Durch Kommunikation wird dabei die individuelle Interpretation des Signals mit anderen abgeglichen und die Angemessenheit einer Reaktion beurteilt. Diese kollektive Interpretation ist die Basis für gemeinsames und abgestimmtes Handeln – vor allem, weil der Empfänger des Signals nicht unbedingt derjenige ist, der am Ende die Reaktion darauf entscheidet und initiiert. Intersubjektivität bedeutet jedoch nicht, dass alle Mitglieder einer Organisation einen gemeinsamen konsensuellen Bereich haben – dies bezieht sich in der Regel nur auf bestimmte interagierende Gruppen, so dass ein Mitarbeiter durchaus Mitglied in mehreren konsensuellen Bereichen sein kann. Trotzdem kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass Intersubjektivität auch vorhanden ist. So ist es möglich, dass wegen mangelnder Kommunikation und Interaktion zwischen verschiedenen hierarchischen Ebenen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen kein konsensueller Bereich entsteht. Dies kann dazu führen – auch wenn die Unternehmenskultur eine grobe Leitlinie für die gemeinsame Wahrnehmung und Interpretation vorgibt – dass schwache Signale von Empfängern und Entscheidern anders interpretiert und daraus andere Handlungen abgeleitet werden. Zudem können wie auf individueller auch auf organisatorischer Ebene Wahrnehmungsverzerrungen durch Vermeidungshaltungen auftreten. Auf kollektiver Ebene können die Bestrebungen kognitive Dissonanzen zu vermeiden, um die gemeinsam entwickelte, geteilte Wirklichkeitskonstruktion zu schützen, sogar noch deutlich stärker sein als auf individueller Ebene.379 Trägheit kann durch mangelnde Kommunikation und Interaktion unterbinden, dass auf kollektiver Ebene ein gemeinsamer Wahrnehmungsmechanismus entsteht. Dadurch verhindert Trägheit, dass die Rationalität durch kollektive Wahrnehmung erhöht wird und schwache Signale vermehrt wahrgenommen und auf breiter Basis in ähnlicher Form interpretiert werden. Als Folge daraus kann Trägheit dazu führen, dass Handlungen zu Signalen nicht adäquat sind, wenn sie von jemandem mit anderem Erfahrungshintergrund eingeleitet werden als dem Empfänger des Signals. Ebenso kann sie dazu führen, dass auf schwache Signale – obwohl notwendig – nicht reagiert wird, weil diese individuell als unwichtig interpretiert werden.
379
Vgl. Hergert (2007), S. 108 f.; Niemeier (2000), S. 253, zu kollektiven Wahrnehmungsverzerrungen auch grundsätzlich Hergert (2007), S. 141 ff.
96
4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
4.2
Merkmale träger Unternehmen
4.2.1 Klassifizierung der Merkmale träger Unternehmen Für die Herleitung der Merkmale organisationaler Trägheit wird ein eklektisches Vorgehen gewählt, bei dem sich neben dem Population Ecology-Ansatz verschiedener verwandter Theorien bedient wird, um die Merkmale zu erläutern und zu analysieren. Ein solches eklektisches Vorgehen hat den Vorteil, das Erklärungsgrenzen einer theoretischen Sichtweise überwunden und so neue Einblicke und Erkenntnisfortschritte erzielt werden können. Für jedes einzelne Merkmal werden daher zuerst die grundlegenden, in der Literatur vorhandenen Konzepte kurz dargestellt. Danach wird hergeleitet, bei welchen Ausprägungen das Merkmal ein Zeichen für das Vorliegen organisationaler Trägheit sein kann. Dabei wird, wenn vorhanden, auch auf existierende Forschungsergebnisse zu dem Merkmal in Verbindung mit Beharrungstendenzen, Widerständen oder Change Management zurückgegriffen sowie die Wechselwirkung mit anderen Merkmalen des Modells diskutiert. Die Erkenntnisse zu dem Merkmal und organisationaler Trägheit werden in einer Zwischenhypothese zusammengefasst. Die dort festgehaltenen Merkmalsausprägungen, bei denen sich organisationale Trägheit tendenziell eher entwickeln wird, werden anschließend jeweils darauf analysiert, welche Auswirkungen sie auf das Erkennen von schwachen Signalen und die Einleitung von Gegenmaßnahmen in latenten Unternehmenskrisen haben.380 Eine abschließende Hypothese fasst die theoretisch gewonnenen Erkenntnisse zu Trägheit und ihrer Wirkung auf strategische Früherkennung zusammen. Das im Folgenden vorgestellte Merkmalsmodell organisationaler Trägheit wurde basierend auf systematischen Überlegungen sowie Erkenntnissen aus Organisationsentwicklung, Population Ecology, Pfadabhängigkeit und Change Management hergeleitet. Die Merkmale werden in dem Modell wie in Abb. 11 zu sehen in unternehmensinterne systembedingte, unternehmensinterne verhaltensbedingte und unternehmensexterne Merkmale strukturiert. Für die Strukturierung von Merkmalen und Einflussfaktoren existieren in der Organisationstheorie verschiedenste Klassifizierungsansätze.381 Die hier gewählte Gliederung lehnt sich an die Arbeiten von KIESER und SCHÄCKE an, da diese mit organisatorischem Konservatismus und Widerstän-
380
381
Diese Struktur wird prinzipiell bei jedem Merkmal angewendet. Bei den sehr umfangreichen Merkmalen Entscheidungsstruktur und Komplexität werden zur Strukturierung Zwischenkapitel gebildet. Vgl. bspw. für die oft verwendete Einteilung in Strategie/Struktur/Kultur Rühli (1991), S. 16 ff.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
97
den verwandte Themenfelder untersuchen und diese Klassifizierung die hier erarbeiteten Merkmale am Besten strukturiert.382 Wie in Kapitel 3.3 erläutert reicht eine alleinige Betrachtung struktureller oder ressourcenbedingter Beharrungstendenzen nicht aus, um dem komplexen Phänomen der organisationalen Trägheit gerecht zu werden. Als soziale Systeme sind Organisationen ein Gefüge ineinander verzahnter Interaktionen auf einer System- und Akteursebene.383 Die Veränderungsfähigkeit des Einzelnen wird durch die Organisation beeinflusst und die Mitglieder beeinflussen neben Systemkomponenten die Veränderungsfähigkeit der Organisation. Das Phänomen kann daher nicht umfänglich erfasst werden, wenn von der Ebene des einzelnen Individuums vollkommen abstrahiert wird. Neben der Organisation als Ganzem werden daher die Wahrnehmungsmechanismen und Verhaltensweisen des Einzelnen und ihre Einflüsse auf die Erkennung und Verarbeitung schwacher Signale explizit in die Betrachtungen einbezogen.384 Unternehmensinterne Merkmale Systembedingte Merkmale 1•
Entscheidungsstrukturen
2•
Komplexität von Strukturen und Prozessen
3•
Eigentumsverhältnisse
4•
Investitionen
5•
Veränderungserfahrung
Verhaltensbedingte Merkmale
Merkmale organisationaler Trägheit
6•
Kontinuität des TopManagements
7•
Führungsstil
8•
Anreizsystem
9•
Kommunikationskultur
Unternehmensexterne Merkmale 10 •
Wettbewerbsintensität
11 •
Umweltdynamik
Abb. 11: Modell der Merkmale organisationaler Trägheit.
Bei den unternehmensinternen systembedingten Merkmalen stehen eher strukturell oder durch die Ressourcenausstattung geprägte Merkmale im Vordergrund. Sie sind weniger an einzelne Mitarbeiter und deren Verhalten gebunden, sondern liegen in
382
383
384
Auch wenn sich die den Kategorien zugeordneten Merkmale natürlich unterscheiden vgl. dazu Kieser et al. (1998), S. 123 ff.; Schäcke (2006), S. 162 ff. Auf die Systemtheorie und soziale Systeme wird hier nicht weiter eingegangen werden. Vgl. dazu Luhmann (2008); zum Überblick Luhmann/Baecker (2008) und Kneer/Nassehi (2000). Vgl. zur Betrachtung von Trägheit auf Ebene der Organisation und des Individuums auch Hergert (2007), S. 64 f.; Kaplan/Henderson (2005), S. 518; Niemeier (2000), S. 244 f.
98
4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
dem System und seinen herausgebildeten Eigenschaften begründet.385 In dem Merkmalsmodell organisationaler Trägheit werden in dieser Kategorie Entscheidungsstrukturen, Komplexität von Strukturen und Prozessen, Eigentumsverhältnisse, Investitionen und Veränderungserfahrung untersucht. Die unternehmensinternen verhaltensbedingten Merkmale fokussieren sich stärker auf kognitive Prozesse und die Wahrnehmung und Handlung der einzelnen in der Organisation tätigen Individuen. Im Zentrum stehen bei diesen Merkmalen die persönliche Einstellung und die individuelle Motivation, aber auch die begrenzte Rationalität der Akteure. Diskutiert werden dabei mit der Kontinuität des TopManagements, dem Führungsstil, den Anreizsystemen und der Kommunikationskultur eher Aspekte individueller Trägheit und ihre Auswirkungen auf das Gesamtsystem. Das Merkmal Veränderungserfahrung stellt ein Bindeglied zwischen den system- und verhaltensbedingten Merkmalen dar, weil dabei sowohl die Veränderungserfahrung der Organisation als Ganzes als auch der darin tätigen Mitarbeiter thematisiert wird. Die dritte Kategorie bilden die unternehmensexternen Merkmale, die von außen sowohl auf die Organisation als auch die Wahrnehmung und das Verhalten der einzelnen Mitarbeiter wirken. Untersucht werden konkret die Wettbewerbsintensität und die Umweltdynamik. Diese Einordnung der Merkmale in die verschiedenen Kategorien dient i.W. der Strukturierung der Analyse, denn, wie noch deutlich gemacht wird, wirken die Merkmale zwar einzeln, aber zugleich in ihrem übergreifenden Zusammenhang auf die organisationalen Trägheitskräfte.386 Bei dem Modell wurde sehr viel Wert darauf gelegt, möglichst operationalisierbare Merkmale und Merkmalsausprägungen organisationaler Trägheit zu identifizieren, denn das Ziel dieser Überlegungen ist es, Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen sichtbar und in gewissem Maße messbar zu machen. Die in Kapitel 3.2.6 aufgezeigten und in Kapitel 3.3 diskutierten Faktoren Institutionalisierung, Routinisierung, Alter und Größe wurden für das Modell aus verschiedenen Gründen nicht verwendet. Institutionalisierung und Routinisierung sind, wie erläutert, schwer zu operationalisieren. Sie stellen außerdem eher prinzipielle Triebkräfte als konkrete Merkmale dar, denn die Merkmale wären die spezifischen Organisationsstrukturen und -prozesse, die sich daraus entwickeln. Bei Alter und Größe konnten bisher trotz intensiver empirischer Forschung keine eindeutigen Ergebnisse gefunden werden.
385 386
Vgl. ähnlich Schäcke (2006), S. 176; Kieser et al. (1998), S. 123. Vgl. bspw. Niemeier (2000), S. 246; ähnlich Schäcke (2006), S. 235. Daher wird, wie geschildert, jeweils auch explizit auf die Verbindung zu anderen Merkmalen hingewiesen.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
99
Zudem sind auch Alter und Größe weniger Merkmale und eher Faktoren, die zur Herausbildung bestimmter Eigenschaften von Unternehmen führen. Bevor die Merkmale organisationaler Trägheit nun einzeln vorgestellt werden, muss bezogen auf die bisherigen Ausführungen zu Trägheit als Paradoxon des Population Ecology-Ansatzes noch etwas angemerkt werden. Da sich diese Arbeit mit strategischer Früherkennung latenter Unternehmenskrisen beschäftigt, liegt der Fokus der folgenden Ausführungen auf der Existenzgefährdung und nicht auf der Existenzförderung organisationaler Trägheit. Da mittelständisch geprägte Großunternehmen untersucht werden, wird unterstellt, dass diese Organisationen bereits Strukturen und Routinen herausgebildet haben und ein gewisses – existenzförderndes – Maß an Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit besitzen. Es steht daher die Frage im Mittelpunkt, bei welchen Ausprägungen die Strukturen, Routinen und Verhaltensweisen ihren negativen und existenzgefährdenden Charakter erreichen.
4.2.2 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale
4.2.2.1 Entscheidungsstrukturen
Entscheidungen in Unternehmen werden wissenschaftlich aus verschiedenen Sichtweisen untersucht. Eine Perspektive stellt die normativ-präskriptive Entscheidungstheorie dar, die davon ausgeht, dass Entscheider vollkommene Rationalität besitzen und ihnen vollständige Informationen zu Verfügung stehen, so dass sie die rational besten Entscheidungen treffen können.387 Eine Gegenposition nimmt bspw. der Population Ecology-Ansatz ein, der zwar nicht verneint, dass Entscheidungen getroffen werden können, aber in der Grundkonzeption (und eingeschränkt auch in neueren Entwicklungen) anzweifelt, dass Entscheidungen eine zielgerichtete Unternehmensentwicklung ermöglichen. Eine gemäßigte Sichtweise vertritt die deskriptive Entscheidungstheorie, die zu erklären versucht, warum Akteure sich in praktischen Entscheidungssituationen in einer bestimmten Weise verhalten. Sie bezieht ausdrücklich begrenzte Rationalität, unvollständige Informationen oder die Unsicherheit externer Einflüsse mit ein und sieht Entscheidungen eher als akzeptabel denn als optimal.388 Zudem werden Entscheidungen bspw. auch in der skizzierten Pfadabhängigkeit thematisiert. Danach werden Entscheidungen nicht unabhängig getroffen, sondern
387 388
Vgl. zur Übersicht Laux (2005), S. 15 ff.; Eisenführ/Weber (2003), S. 4 ff. Vgl. zur begrenzten Rationalität von Entscheidungen insb. Simon, H.A. (1959), S. 256 ff.; zur Übersicht der deskriptiven Entscheidungstheorie auch Laux (2005), S. 14 f.; Eisenführ/Weber (2003), S. 358 ff.
100 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
sind durch in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen und eingeschlagene Pfade, die nur schwer verlassen werden können, maßgeblich beeinflusst.389 Bei der Herleitung der Zusammenhänge zwischen Entscheidungen und organisationaler Trägheit liefern die "gemäßigten" und praktisch orientierten Sichtweisen – deskriptive Entscheidungstheorie und Pfadabhängigkeit – die meisten Hinweise, weil sie die kognitiven Fähigkeiten, die begrenzte Rationalität und die Verhaltensweisen der Entscheider in den Mittelpunkt rücken. Neben diesen Aspekten müssen Überlegungen zur organisationalen Trägheit auch die Bedeutung des Diskurses für die Qualität von Entscheidungen und die Wirkung, die Entscheidungen auf daran nicht beteiligte Organisationsmitglieder haben, einbeziehen. Um strukturiert zu erarbeiten, bei welchen operationalisierten Merkmalen organisationale Trägheit mit höherer Wahrscheinlichkeit vorliegt, werden Entscheidungen anhand der drei Eigenschaften (1) Grad der Zentralisierung oder Dezentralisierung, (2) Grad der Formalisierung und (3) Stärke oder Schwäche des Entscheiders auf Trägheitsaspekte untersucht. (1) Grad der Zentralisierung oder Dezentralisierung und organisationale Trägheit Bei zentralisierten Entscheidungsstrukturen ist die Entscheidungsmacht auf wenige Personen der Führungsspitze konzentriert – die anderen Mitarbeiter leisten allenfalls Vorarbeiten für die Entscheidungsfindung. Bei Dezentralisierung ist die Entscheidungsmacht auf viele Ebenen verteilt, was zwar mit einem höheren Koordinationsbedarf verbunden ist, aber jedem Einzelnen einen größeren Einfluss gibt.390 Bei der Betrachtung von Entscheidungsstrukturen im Zusammenhang mit organisationaler Trägheit spielen daher die jeweilige Macht, entscheiden zu können, und die daraus entstehende Motivation eine wichtige Rolle. Macht liegt in individuellen Fähigkeiten und Charisma, aber auch in Strukturen und Hierarchien begründet. Macht ist eine gegenseitige Beziehung und in dieser (meist) ungleichmäßig verteilt, so dass sie Einzelnen die Möglichkeit gibt – auch gegen den Willen der anderen – Strategien und Ziele durchzusetzen. Sie erhöht in der Regel die Effektivität und Effizienz, behindert aber auch die Kreativität und Initiative der Unterlegenen.391 Menschen streben nach Macht und ziehen hohe Motivation392 aus ihrem Besitz.393
389 390
391
392
Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 3.1 und die dort verwiesene Literatur. Vgl. zur Zentralisierung und Dezentralisierung Kieser/Walgenbach (2007), S. 194 ff.; Hungenberg (1995), S. 44 ff.; Fredrickson (1986), S. 285 ff. Voraussetzung zur Dezentralisierung ist, dass man auch fähige Mitarbeiter hat, die dezentral entscheiden können. In enger Verbindung mit Macht steht Verantwortung, die sich darauf fokussiert, für die basierend auf Macht getroffenen Entscheidungen einzustehen. Sie wird hier nicht näher erläutert. Vgl. grundsätzlich Lenk/Maring (2004), Sp. 1557 ff.; Lenk/Maring (1995), S. 241 ff.; Bayertz (1995), S. 5 ff. Motivation wird bei den Merkmalen öfter erwähnt, aber nur in Kapitel 4.2.3.3 genauer erläutert.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
101
Basierend auf diesen Überlegungen fördern zentralisierte Entscheidungsstrukturen das Vorhandensein organisationaler Trägheit.394 So haben in mittelständisch geprägten Großunternehmen bei zentralisierten Entscheidungsstrukturen Mitarbeiter, gerade im mittleren Management, wenig Macht, Verantwortung und Einfluss, was zu einem Mangel an Motivation führt. Die grundsätzliche Voraussetzung zum Handeln – die tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme – ist bei Zentralisierung auf den meisten Ebenen nicht oder nur eingeschränkt gegeben. Daher ist die Bereitschaft dieser Mitarbeiter, sich aus Eigeninitiative einzubringen und aufmerksam an der Unternehmensentwicklung mitzuwirken, begrenzt. Das Unternehmen wird demnach nur durch wenige zentrale Entscheider gestaltet. Kritische, konstruktive und kreative Bemerkungen aus der Organisation, die die Entwicklung proaktiv vorantreiben oder richtungweisend beeinflussen könnten, werden nicht geäußert oder finden bei den zentralen Entscheidern kaum Berücksichtigung. Darüber hinaus ist Zentralisierung auch eng mit der Rationalität von Entscheidern und Entscheidungen verbunden. Wie in Kapitel 4.1.2 erläutert, verbessert Diskurs die intersubjektiv geteilte Wirklichkeitskonstruktion und damit die Rationalität und "Objektivität". Dies gilt ebenso für Entscheidungen. Auch dabei wird durch die Einbindung vieler Sichtweisen durch Delegation oder Kommunikation die Qualität und Rationalität erhöht. In zentralisierten Entscheidungsstrukturen ist jedoch die Einbeziehung vieler Perspektiven und damit die Rationalität tendenziell geringer.395 Zuerst liegt dies darin begründet, dass Entscheider, um Entscheidungen durch Diskurs verbessern zu können, auch fähig und gewillt sein müssen, andere Meinungen anzuhören und andere Ansichten zu durchdenken und einzubeziehen. Dies ist jedoch meist nicht der Fall, da Menschen versuchen, die Macht, die sie haben, zu nutzen, zu verteidigen und zu vermehren. Eine Einbeziehung anderer in die Entscheidungsfindung würde heißen, einen Teil dieser Macht abzugeben, und widerspricht damit dem Grundinteresse. Zudem ist die Bereitschaft eines Entscheiders, andere Meinungen in der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, begrenzt, wenn er in der Vergangenheit mit seinen Entscheidungen aus seiner subjektiven Sichtweise größtenteils richtig gele-
393
394
395
Vgl. zu Macht Krause, D.E. (2004), S. 98 ff.; Schirmer (1999), S. 179 ff.; Buschmeier (1995), S. 19 ff.; Minssen (1994), S. 36 f.; Empter (1988), S. 27 ff. und 88 ff.; Zünsdorf (1986), S. 34 ff., Crozier/Friedberg (1979), S. 39 ff.; ähnlich Schmalt/Heckhausen (2006), S. 211 ff.; Schäcke (2006), S. 234 ff. Eng damit verbunden ist Mikropolitik, bei der durch Mikrotechniken der eigene Handlungsspielraum erweitert und individuelle Ziele durchgesetzt werden. Vgl. bspw. Neuberger (2006), S. 11 ff. und 85 ff.; Neuberger (1995), S. 14 ff.; Küpper/Ortmann (1986), S. 591 ff. Entscheidungszentralisierung und Trägheit finden sich bspw. bei Gilbert, C.G. (2005), S. 749; Kieser/Walgenbach (2007), S. 440; Colombo/Delmastro (2002), S. 603; Kieser et al. (1998), S. 84; im weiteren Sinne auch Steinle (2000), S. 15. Dies ist auch abhängig von Offenheit und "Durchlässigkeit" der Kommunikationskultur. Vgl. 4.2.3.4.
102 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
gen hat.396 Allerdings besitzt auch der zentrale Entscheider nur begrenzte kognitive Fähigkeiten und Informationsverarbeitungskapazitäten. So kann es passieren, dass er wichtige Informationen als unwichtig beurteilt, ignoriert oder basierend auf seinen Erfahrungen anders interpretiert als andere Organisationsmitglieder.397 Bei diesen Rationalitätsüberlegungen sind außerdem die Folgewirkungen zu beachten. Werden durch die Zentralisierung Entscheidungen getroffen, die zwar in der Wirklichkeitskonstruktion des Entscheiders richtig und vernünftig sind, aus Sicht anderer Mitarbeiter mit abweichendem Erfahrungshintergrund aber irrational und nicht nachvollziehbar erscheinen, führen ihnen diese nur noch mehr ihre Einflusslosigkeit und Abhängigkeit vor Augen. Besonders wenn sie vorher Anmerkungen zu dem Themenkomplex gegeben haben, wird dies die Motivation der Mitarbeiter und ihre Einbringung für die Unternehmensentwicklung weiter verringern. Diese verschiedenen Wirkungen begrenzter Rationalität bei zentralisierten Entscheidungen können zusätzlich negativ auf die Veränderungsfähigkeit einwirken und organisationale Trägheit fördern. Abschließend sei angemerkt, dass Zentralisierung organisationale Trägheit zwar positiv beeinflusst, aber auch die Koordination vereinfacht. Bei extremer Entscheidungsdezentralisierung fließen hingegen viele Meinungen in die Unternehmensentwicklung ein, aber um diese zu koordinieren, ist ein erheblicher Aufwand nötig, der wiederum die Flexibilität und Veränderungsfähigkeit stark einschränken kann.398 (2) Grad der Formalisierung und organisationale Trägheit Neben der Zentralisierung hat der Grad der Formalisierung der Entscheidungsfindung Einfluss auf organisationale Trägheitskräfte. Formalisierung bedeutet, wie festgeschrieben, förmlich und bspw. an Formulare gebunden Entscheidungswege sind. Besonders in Verbindung mit Zentralisierung kann ein hoher Formalisierungsgrad für die Mitarbeiter zusätzlich demotivierend sein, da der Weg, bis eine Entscheidung potentiell getroffen wird, aufwendig, lang und kompliziert ist. Wenn die Kommunikation von möglichen Chancen und Gefahren mit erheblichem Aufwand verbunden ist, ist es möglich, dass Führungskräfte und Mitarbeiter – gerade in Krisensituationen mit ausreichend Problemen im operativen Tagesgeschäft – keine Zeit dafür haben oder 396
397
398
Wenn ein Einzelner eine Entscheidung als rational ansieht, heißt dies noch nicht, dass sie für die Gesamtorganisation rational sein muss. Vgl. bspw. Minssen (1994), S. 34. Vgl. zur Rationalität von Entscheidungen bspw. Nippa (2001), S. 218 ff.; Minssen (1994), S. 31 ff.; Simon, H.A. (1959), S. 256 ff.; zum eingeschränkten Blickwinkel des Managements Kapitel 4.2.3.1. Extreme Dezentralisierung wird hier nicht vertieft, weil in mittelständisch geprägten Großunternehmen historisch bedingt eher Entscheidungszentralisierung als starke Dezentralisierung vorliegen wird. In der Literatur wird oft angemerkt, dass insb. in eigentümergeführten Unternehmen Entscheidungen sehr zentral getroffen werden. Vgl. Colombo/Delmastro (2002), S. 620 und 4.2.3.3.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
103
diese wegen mangelnder Motivation nicht aufwenden wollen. Formalisierung führt daher dazu, dass Entscheidungen länger dauern und unterstützt so die Herausbildung (relativer) Trägheit. Informationen über bspw. wahrgenommene Umweltveränderungen werden wegen des Aufwands entweder mit Verzögerung oder gar nicht weitergeleitet oder sie brauchen (zu) lange, bis sie beim Entscheider ankommen. Zudem ist es bei hoher Formalisierung, bspw. schriftlicher im Vergleich zu mündlicher Kommunikation schwerer, den Kontext einer Information zu vermitteln, so dass die Gefahr steigt, dass übermittelte Informationen von den Entscheidern ganz anders interpretiert werden.399 Formalisierung führt aber auch dazu, dass im Entscheidungsprozess vermehrt Routinen und Suchprozesse der Vergangenheit verwendet werden, was die Kreativität und das Alternativenspektrum einschränkt. Zwar geben gewohnte Handlungsrepertoires nach Population Ecology Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit, fördern aber auch die organisationale Trägheit. Dies gilt neben dem Entscheidungsprozess als Ganzem besonders für die einzelnen Entscheider, die bei hoher Formalisierung auch auf bestehende, in der Vergangenheit erfolgreiche Interpretationsmuster, Suchmechanismen und Verhaltensweisen zurückgreifen. 400 (3) Stärke bzw. Schwäche des Entscheiders und organisationale Trägheit Die Zusammenhänge zwischen Stärke bzw. Schwäche des Entscheiders und organisationaler Trägheit sind leider nicht so klar wie bei Zentralisierung und Formalisierung. Auf der einen Seite entscheidet ein schwacher Entscheider nicht oder nicht zeitnah und fördert damit (relative) Trägheit und die Gefahr von Unternehmenskrisen, da notwendige Veränderungen nicht oder nur mit Verzögerungen umgesetzt werden. Besonders problematisch ist ein zentraler schwacher Entscheider. In einem solchen Fall wissen die Mitarbeiter bspw. genau, was zu tun ist, können es aber aufgrund ihrer Macht- und Einflusslosigkeit nicht umsetzen, was sie zusätzlich demotiviert. Auf der anderen Seite kann ein zentraler schwacher Entscheider auch dazu führen, dass die Flexibilität und Veränderungsfähigkeit erhöht wird. Dies passiert, wenn die Mitarbeiter gewissermaßen ohne die nötige formale Autorität Entscheidungen treffen und offizielle Wege unterlaufen, indem sie Dinge einfach umsetzen.401 Ein starker Entscheider hingegen kann durch seine oft vorzufindende Hybris gepaart mit der begrenzten Rationalität ebenfalls Trägheitskräfte unterstützen. Starke Entscheider sind tendenziell auf die eigene Person fokussiert und demotivieren Mitarbeiter, indem sie ihren Anmerkungen kein Gehör schenken und sich eher auf ihre eige399 400 401
Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 4.2.3.4. Vgl. zu Folgen von Formalisierung Fredrickson (1986), S. 286 ff.; Schäcke (2006), S. 337 f. Vgl. dazu auch die Ausführungen zur informalen Organisation im folgenden Kapitel.
104 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
nen, in der Vergangenheit erfolgreichen Muster konzentrieren. Trägheit wird dabei neben der Demotivation durch die Vergangenheitsorientierung gefördert. Nimmt ein starker Entscheider jedoch die Bemerkungen der Mitarbeiter auf, ermutigt und motiviert sie dadurch und trifft darüber hinaus zeitnah selbstbewusste Entscheidungen, kann er auch die Trägheitskräfte verringern und die Veränderungsfähigkeit fördern. Die Zusammenhänge bei Stärke bzw. Schwäche des Entscheiders sind also nicht eindeutig und scheinen neben der Persönlichkeit stark von Faktoren wie Führungsstil oder Kommunikationskultur abhängig. Daher wird sich für die Operationalisierung organisationaler Trägheit auf Zentralisierung und Formalisierung konzentriert, wobei der Zentralisierung der höhere Einfluss auf die Trägheitskräfte zugesprochen wird.402 Zwischenhypothese 1: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je zentralisierter und formalisierter die Entscheidungsstrukturen sind. Wie wirken nun zentralisierte und formalisierte Entscheidungsstrukturen auf die Wahrnehmung schwacher Signale und die Einleitung von Maßnahmen in latenten Unternehmenskrisen? Zentralisierung hemmt die Wahrnehmung von und Reaktion auf schwache Signale aus mehreren Gründen. Wie beschrieben, werden das mittlere Management und andere Mitarbeiter durch zentralisierte Entscheidungsstrukturen demotiviert, da sie an Entscheidungen meist nicht direkt beteiligt sind, ihre Anmerkungen nicht unbedingt Gehör finden und sie auf die Unternehmensentwicklung keinen oder kaum Einfluss haben.403 Das Wissen und die Erfahrung mit diesen begrenzten Möglichkeiten kann dazu führen, dass Mitarbeiter gar nicht mehr aufmerksam auf schwache Signale achten oder diese zwar wahrnehmen, aber wegen der Einflusslosigkeit nicht weiter verfolgen oder keine Handlungsvorschläge erarbeiten. Nehmen Mitarbeiter schwache Signale dennoch wahr und kommunizieren sie an die Entscheider, müssen sie von diesen wiederum in der Flut von Informationen wahrgenommen und als relevant beurteilt werden. Wenn kein ausreichender konsensueller Bereich besteht, interpretieren die Entscheider die Signale jedoch auf einem anderen Erfahrungshintergrund als die Mitarbeiter, die durch ihre operative Arbeit andere Einblicke in die Vorgänge im Unternehmen und der Umwelt haben. So kann es passieren, dass das Management Signale nicht als relevant einstuft oder Handlungen einleitet, die aus dem Erfahrungshintergrund des Mitarbeiters, der das Signal aufgenommen hat, nicht passend erscheinen. 402 403
Aus diesem Grund ist das Kapitel auch mit "Entscheidungsstrukturen" überschrieben. Vorausgesetzt, die Mitarbeiter sind generell engagiert und wollen nicht nur ihre Arbeit mit möglichst wenig Verantwortung machen. Solche eignen sich grds. weniger zur strategischen Früherkennung.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
105
Außerdem geht mit der Entscheidungszentralisierung eine Wissenszentralisierung einher, die die grundsätzliche Fähigkeit der Mitarbeiter, schwache Signale zu erkennen und die Relevanz zu beurteilen, zusätzlich verringert. Auch muss bei hoher Zentralisierung von einer geringeren Rationalität ausgegangen werden, denn schwache Signale werden auf einem viel einseitigeren Erfahrungshintergrund interpretiert. Problematisch ist dabei besonders, wenn das mittlere Management nicht oder nur begrenzt einbezogen ist. Das mittlere Management hat Managementkompetenz und Einblicke in die strategische Unternehmensführung, darüber hinaus aber auch operative Expertise und kann daher schwache Signale am Besten interpretieren und Maßnahmen erarbeiten. Ihm fehlt jedoch aus genannten Gründen oft die Möglichkeit und Motivation zu handeln und sich einzubringen. Starke Formalisierung verhindert besonders bei Zentralisierung, dass wahrgenommene schwache Signale zeitnah zu den Entscheidern gelangen. Müssen Chancen oder Gefahren erst aufwendig formal ausgearbeitet und niedergeschrieben werden, steigt mit dieser Hemmschwelle die Wahrscheinlichkeit, dass Signale gar nicht oder eben mit Verzögerung kommuniziert werden. Dies führt im Sinne relativer Trägheit entweder dazu, dass Signale obsolet werden oder aber Veränderungen nicht bzw. nicht rechtzeitig eingeleitet werden. Da Signale auf jeden Fall so lange unberücksichtigt bleiben, bis sie beim Entscheider ankommen, erhöht diese Konstellation grundsätzlich die Krisengefahr. Außerdem ist es bei hoher Formalisierung schwieriger, einen konsensuellen Bereich zu erzeugen bzw. den Interpretationszusammenhang eines schwachen Signals zu transferieren. Es bleibt noch anzumerken, dass Entscheider, wie in Kapitel 4.1.1 gezeigt, bestrebt sind, kognitive Dissonanz zu vermeiden und daher dazu neigen, die Fehlerhaftigkeit von getroffenen Entscheidungen nicht sehen zu wollen. Dies kann dazu führen, dass schwache Signale bewusst oder unbewusst ignoriert oder keine Handlungen einleitet werden, wenn diese zu einer eigenen, in der Vergangenheit getroffenen Entscheidung im Widerspruch stehen. Dies gilt nicht nur für die Entscheider, sondern auch für andere Mitarbeiter, wenn schwache Signale gegen eigene frühere Entscheidungsvorschläge sprechen. Diese Überlegungen gewinnen bei Investitionen, Managementkontinuität und Führungsstil noch einmal an Bedeutung. Es wird festgehalten: Hypothese 1: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je zentralisierter und formalisierter die Entscheidungsstrukturen sind.
106 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
4.2.2.2 Komplexität von Strukturen und Prozessen
Komplexität ist ein in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur aus verschiedensten Blickwinkeln definiertes und in unterschiedlichsten Zusammenhängen betrachtetes Phänomen.404 Meist wird Komplexität wie auch im Folgenden in Verbindung mit den Strukturen, Prozessen, Verknüpfungen und Schnittstellen einer Organisation untersucht. Grundsätzlich werden Zustände, Entwicklungen oder Erscheinungen als komplex bezeichnet, wenn sie zu umfänglich und zu verwoben sind, um sie selbst bei Kenntnis aller Elemente zu erfassen und zu verstehen. Komplexität kann dabei daran festgemacht werden, wie viele verbundene Elemente405 es gibt, wie viele Beziehung es zwischen den Elementen gibt, wie verschiedenartig Elemente und Beziehungen sind und wie sie sich im Zeitlablauf entwickeln können.406 Konkret steht dahinter die Frage, wie die vielen Elemente einer Organisation verbunden, horizontal und vertikal differenziert und räumlich verteilt sind.407 In dieser Arbeit geht es jedoch nicht darum, zu beurteilen, welche Art von Organisationsstruktur träger ist oder Trägheit mehr fördert.408 Die Entscheidung, ob bspw. eine funktionale, divisionale oder Matrixstruktur passender ist, ist stark vom Geschäftsmodell, der internationalen Ausrichtung oder der Unternehmensgröße abhängig, so dass eine allgemeine Einschätzung darüber und über die Zusammenhänge mit Trägheit vermessen wäre. Relativ einig ist sich die Literatur nur, dass Entscheidungen in Matrixstrukturen länger dauern und Veränderungen in solchen vielschichtigen Strukturen wegen der zahlreichen beteiligten und betroffenen Einheiten schwieriger sind.409 Matrixstrukturen sind in den hier im Fokus stehenden mittelständisch geprägten Großunternehmen jedoch äußerst selten vorzufinden, so dass die Überlegungen an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. Für die Analyse der Zusammenhänge von Komplexität und organisationaler Trägheit werden daher drei andere Aspekte betrachtet, die sich auf die horizontale und vertikale Differenzierung beziehen und die zudem ermöglichen, Komplexität in Grenzen zu operationalisieren. Diese mit (1) Undurchsichtigkeit, (2) Inadäquanz und (3) Informalität umschriebenen Eigenschaften werden nun detailliert erläutert und in einem ersten Schritt auf ihre Wirkung auf organisationale Trägheit untersucht.
404
405 406
407
408
409
So wird Komplexität nicht nur im strategischen Management, sondern bspw. auch in der Produktionssteuerung, im Controlling oder im Wissensmanagement in Organisationen diskutiert. Elemente können bspw. Organisationseinheiten, aber auch Abteilungen oder Arbeitsgruppen sein. Vgl. Dörner (1989), S. 59 ff.; auch Luhmann (2008), S. 47 f.; Schreyögg (2008), S. 129; ausführlich und kritisch ebenso Kappelhoff (2002), S. 58 ff. Vgl. Fredrickson (1986), S. 284., der eine Organisation beschreibt, die die Arbeitsteilung auf zahlreiche Ebenen verteilt, breite Kontrollspannen und viele geographische Standorte hat. Vgl. zum Überblick möglicher Organisationsstrukturen bspw. Frese (2005), S. 355 ff.; Krüger (2005), S. 194 ff.; Schanz (1994), S. 112 ff.; auch Laux/Liermann (2005), S. 181 ff.; zur organisatorischen Gestaltung Werder (2004), Sp. 1089 ff. Vgl. Kieser/Walgenbach (2007), S. 156 u. 441; Krüger (2005), S. 201 f.; Schreyögg (2008), S. 157.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
107
(1) Grad der Durchsichtigkeit oder Undurchsichtigkeit von Strukturen und Prozessen Bei diesem Kriterium steht im Mittelpunkt, wie transparent, überschaubar, einsichtig und verständlich die Strukturen, Prozesse, Verknüpfungen und Schnittstellen zwischen den Einheiten sind. Die "Durchsichtigkeit" lässt sich dabei jeweils an verschiedenen Aspekten festmachen. Bei Strukturen zeigt sie sich bspw. darin, ob ein klares und einsichtiges Organigramm existiert, das in der Praxis gelebt wird, oder auch daran, ob es eine klare funktionale, divisionale oder sonstige Organisationsstruktur gibt, die stringent in allen Unternehmensbereichen umgesetzt wird.410 Ist solch ein überschaubarer und einsichtiger struktureller Aufbau vorhanden, fällt es den Organisationsmitgliedern leichter, sich zurechtzufinden, ihre eigene Rolle zu definieren und strategische Schlüsse über den eigenen Bereich hinaus zu ziehen. Bei Prozessen zeigt sich Durchsichtigkeit in möglichst einfachen und allen verständlichen Prozessen oder dem Vorhandensein von Prozesshandbüchern. Dabei steht die Einfachheit der Prozesse in enger Verbindung mit der Frage der Effizienz, auf die später noch eingegangen wird. Einfache Prozesse ermöglichen den Mitarbeitern, die Folgen ihres Handelns abzuschätzen und stellen sicher, dass Abläufe nicht zu viele Ressourcen und Kapazitäten binden. Handbücher unterstützen dabei (vorausgesetzt, die fixierten Abläufe werden auch gelebt), denn das Festschreiben von Prozessen geht in der Regel mit einer Optimierung und Vereinfachung einher. Auch aus den Verknüpfungen und Schnittstellen lassen sich Hinweise auf die Durchsichtigkeit ableiten. Dabei ist entscheidend, wie viele (auch hierarchische) Verknüpfungen es zwischen den Einheiten gibt und wie abgestimmt und einsichtig die Schnittstellen und die zugeordneten Verantwortlichkeiten sind. Unklare Verantwortlichkeiten und nicht abgestimmte Schnittstellen verringern das Verständnis der Mitarbeiter, erhöhen den Kommunikationsbedarf und führen zu repetitiven Schleifen, die Zeit und Ressourcen binden. Sind Strukturen, Prozesse, Verknüpfungen und Schnittstellen in oben beschriebener Weise tendenziell undurchsichtig und ist damit die Komplexität höher, fördert dies Trägheit, weil es die Rationalität der Organisationsmitglieder begrenzt. Ist der strukturelle Aufbau in allen Unternehmensbereichen unterschiedlich, sind Prozesse umständlich und involvieren viele Schnittstellen und sind zudem Verantwortlichkeiten unklar, haben die Mitarbeiter – gerade auf unteren Hierarchieebenen – nur noch Einblick in die ihnen unmittelbar zugänglichen Bereiche der Organisation. Sie können lediglich in diesen Bereichen die Notwendigkeit oder die Auswirkungen von Ent-
410
Dies bezieht sich i.W. auf Geschäftsbereiche, weniger Gesellschaften einer Gruppe. Ist also der strukturelle Aufbau in den Geschäftsbereichen, z.B. für verschiedene Produkte, ähnlich bzw. gibt es einen einsichtigen Grund, wenn dies nicht so ist.
108 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
scheidungen und Handlungen abschätzen – welche Folgen sie im Gesamtsystem der Organisation haben, entzieht sich ihrem Verständnis.411 Die durch diese Undurchsichtigkeit zusätzlich entstehende begrenzte Rationalität des Einzelnen kann dazu führen, dass Handlungen ungeahnte Folgen haben. Haben Mitarbeiter diese Erfahrung unerwarteter Ergebnisse bereits gemacht, fördert dies, dass Entscheidungen nur noch nach intensiver Prüfung und Abwägung oder gar nicht mehr getroffen werden, was Flexibilität und Veränderungen negativ, die Trägheit jedoch positiv beeinflusst. Diese Verhaltensweise gilt nicht nur für Mitarbeiter auf unteren Ebenen, sondern ebenso für das Management – vor allem, wenn Entscheidungsstrukturen wie beschrieben zentralisiert sind. Auch für die Führungskräfte sind bei solch undurchsichtigen Strukturen, Prozessen und Schnittstellen die Auswirkungen von Entscheidungen nur schwer einzuschätzen, weil sie sich nicht aller (teilweise verdeckten) Wirkungszusammenhänge bewusst sind und diese in ihre Überlegungen einbeziehen können. Daher können sich Entscheidungen des Managements verzögern, wenn versucht wird, die Zusammenhänge zu klären, oder sie haben ungeahnte Folgen, die zu Mehraufwand führen. Sind Wirkungen unklar, kann es aber auch sein, dass Entscheidungen gar nicht getroffen werden. In allen Fällen erhöht sich in letzter Konsequenz die organisationale Trägheit. Darüber hinaus wirkt sich diese Undurchsichtigkeit negativ auf die Motivation der Organisationsmitglieder – besonders auf unteren Ebenen – aus, was die Trägheitskräfte zusätzlich unterstützt.412 Durch die Undurchsichtigkeit verlieren die Mitarbeiter die Einsicht und das Verständnis für das "große Ganze", so dass sie keinen Sinn mehr darin sehen und keine Motivation mehr haben, sich für die Organisation bzw. ihre Entwicklung proaktiv zu engagieren, und sich auf die reine Erfüllung ihrer Aufgaben und Rolle zurückziehen. Weniger Impulse und weniger engagierte Mitarbeit auf allen Ebenen verringern die Aufmerksamkeit und Flexibilität und machen Veränderungen schwieriger und umständlicher. Dies wird zusätzlich gefördert, wenn Mitarbeiter durch die Undurchsichtigkeit das Gefühl haben – unabhängig davon, ob es auch wirklich so ist – dass Verantwortlichkeiten nicht einsichtig oder "gerecht" sind, andere bevorteilt werden oder sich durch die Gegebenheiten Vorteile verschaffen können. Abgesehen von Rationalität und Motivation führen undurchsichtige und uneindeutige Strukturen, Prozesse und besonders Schnittstellen zu einem erhöhten Koordinationsaufwand. Gibt es viele Schnittstellen und sind Verantwortlichkeiten für Prozess411
412
Ähnlich sehen dies Hannan/Freeman (1989), S. 7. Zudem stellen "Informationsrestriktionen", die entstehen, weil bspw. das Wissen über innerorganisatorische Informationsflüsse nicht umfänglich genug ist, eine ihrer Trägheitsursachen dar. Vgl. dazu Kapitel 3.2.4. Auf die ausführliche Behandlung von Motivation in Kapitel 4.2.3.3 sei nochmals hingewiesen.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
109
schritte und In- bzw. Outputs an Schnittstellen nicht klar vereinbart, werden zusätzliche Abstimmungen oder Wiederholungen von Prozessschritten nötig und es entstehen vermehrt Irritationen und Verzögerungen im Prozess. Dies erhöht zwar die Kommunikation der Beteiligten und fördert den Aufbau einer gemeinsamen Wirklichkeit, aber diese Abstimmungen benötigen auch Zeit, binden Kapazitäten, verringern die Motivation, verzögern die Durchführung und fördern dadurch Trägheit. Die so gebundene Zeit und Kapazität fehlt den Mitarbeitern, um sich über die reine Aufgabenerfüllung hinaus Gedanken über Veränderungen, Optimierungen und Anpassungen zu machen und sich proaktiv in die Unternehmensentwicklung einzubringen.413 Es wurde schon angedeutet, dass umständliche und unklare Prozesse Ineffizienzen fördern können. Ineffizienzen liegen vor, wenn Dinge nicht nach dem ökonomischen Prinzip mit möglichst geringem Aufwand und Mitteleinsatz getan werden. Sie führen dazu, dass vermehrt Ressourcen gebunden und dadurch, wie beschrieben, Trägheitskräfte gefördert werden.414 Darüber hinaus können Ineffizienzen aber auch direkte Indizien für das Vorhandensein organisationaler Trägheit sein. Ist ein Unternehmen gewachsen und haben sich Strukturen und Prozesse nicht mitentwickelt oder haben sie sich zwar verändert, sind aber ineffizient, zeigt dies, dass man sich nie ausreichend mit ihnen auseinandergesetzt oder Optimierungen erfolgreich umgesetzt hat. Beides weist auf eine geringe Veränderungsfähigkeit und damit Trägheit der Organisation hin. Ebenso ist es möglich, dass ineffiziente Prozesse in der Vergangenheit nicht optimiert wurden, weil die Organisationsmitglieder durch die Komplexität nicht mehr in der Lage waren, die Ineffizienzen z.B. im Gesamtprozess zu sehen. Die daraus resultierenden Auswirkungen auf Trägheit wurden bereits diskutiert.415 HANNAN/FREEMAN diskutieren Komplexität ähnlich der erläuterten Undurchsichtigkeit auch in ihren Überlegungen, indem sie sich auf die verschiedensten Verknüpfungen in einer Organisation konzentrieren. Sie untersuchen theoretisch, wie viele Veränderungen anderer Elemente die Anpassung eines Elementes nach sich zieht. Komplexität erhöht dabei die Dauer einer Veränderung, was wiederum indirekt auf Trägheit hindeutet. Diese theoretisch und vor allem logisch modellierten Wirkungsketten helfen zwar, die Wirkungen von Trägheit zu konzeptionalisieren, aber nicht, Trägheit für die Praxis zu operationalisieren.416
413
414
415 416
Weil bei Abstimmungsproblemen öfter (entscheidend/moderierend) obere Führungsebenen eingebunden sind, ist Komplexität auch eng mit Entscheidungsstrukturen und Führungsstil verbunden. Vgl. zur Effizienz z.B. Grundei (1999), S. 67 ff.; Schanz (1994), S. 45. Ineffizienzen und Trägheit fördern sich gegenseitig, sind aber zu unterscheiden, denn bei Ineffizienz werden Dinge nicht richtig gemacht, bei Trägheit hingegen werden Dinge gar nicht oder mit Verzögerung angegangen. Historisch bestehende Ineffizienzen zeigen auch die geringe Veränderungserfahrung. Vgl. 4.2.3.5. Vgl. Hannan/Freeman (1984), S. 162; auch Hannan et al. (2003), S. 463 ff.
110 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
(2) Grad der Adäquanz oder Inadäquanz von Strukturen und Prozessen Ein anderes Kriterium, mit dem der Zusammenhang von Komplexität und organisationaler Trägheit untersucht werden soll, ist die Adäquanz von Strukturen und Prozessen. Dabei steht die Frage im Zentrum, ob Strukturen, Prozesse und Verknüpfungen zu Größe, Entwicklungsstadium und Umfeld der Organisation angemessen – also adäquat – komplex sind. Diese Überlegungen liegen im kybernetischen Gesetz der erforderlichen Varietät417 ("Law of Requisite Variety") begründet. Demnach braucht man, um ein System unter Kontrolle zu bringen, immer mindestens so viel Komplexität wie das System; einfache Systeme bringt man mit einfachen Mitteln unter Kontrolle, komplexe Systeme mit komplexen Mitteln. Für den hier betrachteten Zusammenhang heißt dies vereinfacht, dass Strukturen und Prozesse einer Organisation zu der interagierenden Umwelt ausreichend komplex sein müssen, um angemessen reagieren zu können.418 Schwierigkeiten entstehen, wenn Organisationen im Vergleich zur relevanten Umwelt über- oder unterkomplex sind. Überkomplexität läge z.B. vor, wenn ein Unternehmen eine Matrixstruktur nach Produktgruppen aufbaut, aber wesentlich nur ein Hauptprodukt verkauft. Von Unterkomplexität kann man sprechen, wenn ein Unternehmen in die Größe eines mittelständisch geprägten Großunternehmens gewachsen ist und international fertigt, die Produktionssteuerung jedoch noch ohne systemische Unterstützung z.B. in Excel macht.419 Bei Überkomplexität werden Organisationen träge, weil die Mitarbeiter zu sehr damit beschäftigt sind, den Strukturen und Prozessen gerecht zu werden, die eigentlich in dieser Ausgestaltung nicht nötig wären, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Überkomplexe Strukturen und Prozesse reduzieren die Flexibilität der Organisation, weil sie Kapazitäten binden und Mitarbeitern die Zeit fehlt, sich bspw. mit neuen Themen oder Trends zu beschäftigen. Zudem verringert sich die Motivation der Mitarbeiter, wenn sie die Notwendigkeit der komplexen Strukturen und Prozesse nicht erkennen, sich aber trotzdem nach ihnen richten bzw. ihnen folgen müssen. Unterkomplexe Strukturen und Prozesse sind zum einen ein Indiz für Trägheit, weil sie im Wachstum des Unternehmens nie ausreichend angepasst wurden. Zum ande-
417 418
419
In der Kybernetik, aus der das Gesetz entstammt, wird "Komplexität" als "Varietät" bezeichnet. Vgl. dazu Ashby (1974), S. 298 ff. Ursprünglich besagt das Gesetz, dass ein System A. ein System B. nur kontrollieren kann, wenn die Varietät des Systems A. mindestens genauso groß ist wie die Varietät des Systems B. Da die Umwelt immer eine höhere Komplexität als eine Organisation haben wird, wird immer ein Komplexitätsgefälle bestehen und eine Organisation die Umwelt nie kontrollieren können. Meist wird das Gesetz wie hier in einer gemäßigten Form verwendet, in der vereinfacht von der Notwendigkeit ähnlicher Komplexität zwischen interagierenden Systemen ausgegangen wird, vgl. dazu Malik (2008), S. 173 ff. Auch Hannan/Freeman (1977), S. 939 thematisieren diesen Zusammenhang in den Überlegungen zum Isomorphismus von Organisation und Umwelt. Ähnlich begründet dies auch Malik (2008), S. 175.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
111
ren fördert Unterkomplexität Trägheit, denn die Aufgaben, die von der Umwelt an die Organisation heran getragen werden, können nicht effizient abgearbeitet werden, weil die erforderliche "Infrastruktur" fehlt. Strukturen und Prozesse sind der Komplexität der Umwelt und der Aufgaben nicht angemessen. Dies führt neben den beschriebenen Folgen von Ineffizienzen zur Überlastung der Mitarbeiter, wenn diese dennoch versuchen, die verlangten Ergebnisse zu erzeugen. Sie werden sich aus kapazitativen wie motivatorischen Gründen nur noch um das Nötigste kümmern (können) und nicht mehr proaktiv agieren. (3) Ausprägung und Bedeutung einer informalen Organisation Ein weiteres Kriterium, das Einblicke in die Verbindung von Komplexität und Trägheit geben kann, ist das Vorhandensein und die Bedeutung einer informalen Organisation. Allerdings sind die Zusammenhänge weniger eindeutig als bei den beiden vorherigen Kriterien. Grundsätzlich können in einer Organisation neben sogenannten offiziellen bzw. formalen Strukturen und Prozessen, die sich in Organigrammen und Prozesshandbüchern finden, inoffizielle, nicht festgeschriebene und nicht allen bekannte Strukturen, Prozesse und Netzwerke bestehen.420 Zunächst mag diese "informale Organisation" hinderlich für die Veränderungsfähigkeit und Flexibilität einer Organisation erscheinen, weil sie eine Ergänzung oder Doppelung der formalen Strukturen, Prozesse und Beziehungen darstellt und diese ggf. unterläuft. Häufig kann eine informale Organisation aber auch Abläufe forcieren und verbessern. Ist bspw. ein Prozess wie zuvor beschrieben ineffizient, aber es existiert eine starke informale Organisation, kann diese helfen, den formalen Prozess durch Unterstützung oder Umgehung zu beschleunigen. In diesem Fall sind informale Strukturen und Prozesse kein Hinweis auf Trägheit, sondern allein die Tatsache, dass sich diese informale Organisation herausgebildet hat, zeugt von einer gewissen Flexibilität. So mag die Systemebene träge sein, aber nicht die darin aktiven Mitarbeiter, wenn sie Wege entwickeln, ineffiziente formale Prozesse zu umgehen. Die Zusammenhänge zwischen informaler Organisation und Trägheit scheinen also von der Beschaffenheit der formalen Strukturen und Prozesse abhängig zu sein. Jedoch greift es auch zu kurz zu behaupten, wenn eine informale Organisation bspw. die formalen Prozesse beschleunigt, deute dies auf geringere Trägheit hin. Denn wird dieser formale Prozess, der bisher durch die informale Organisation ergänzt wurde, angepasst und optimiert, ist die Beibehaltung des informalen Vorgehens nur noch in der Übergangsphase förderlich, in der sich der neue formale Prozess einspielen muss. Wird das alte informale Vorgehen jedoch über diese Übergangsphase 420
Vgl. ausführlicher Schreyögg (2008), S. 13 ff.; Rank (2003), S. 22 ff.; Kesten (1998), S. 33 ff.
112 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
hinaus angewendet, obwohl der formale Prozess nun optimierter bzw. effizienter ist, deutet dies sehr wohl auf die Trägheit einer Organisation hin. Dieses Beispiel zeigt, dass die Zusammenhänge so stark durch andere Kontextfaktoren bedingt sind, dass sich daraus keine allgemeinen Aussagen ableiten lassen. Einzig sicher scheint, dass eine informale Organisation den Aufbau einer gemeinsamen Wirklichkeit fördert, weil es neben der offiziellen Kommunikation informelle Kommunikation zwischen den Organisationsmitgliedern geben muss. Bei den Merkmalsausprägungen wird sich daher auf die Aspekte Undurchsichtigkeit und Inadäquanz beschränkt. Es bleibt für Komplexität als Zwischenhypothese festzuhalten: Zwischenhypothese 2: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je höher die Komplexität, also je höher die Undurchsichtigkeit und Inadäquanz von Strukturen und Prozessen sind. Komplexität in Form von undurchsichtigen und inadäquaten Strukturen und Prozessen beeinträchtigt die Wahrnehmung von schwachen Signalen und die frühzeitige Erkennung und Vermeidung von Unternehmenskrisen in verschiedener Hinsicht. So sinken, wie gezeigt, die Rationalität und das grundsätzliche Verständnis der Organisationsmitglieder, wenn die Strukturen und Prozesse undurchsichtig sind. Mitarbeiter können von ihrem unmittelbaren Tätigkeitsbereich nicht mehr auf andere Teilbereiche oder gar die Organisation als Ganzes schließen. Sie können daher bei der Wahrnehmung schwacher Signale nicht einschätzen, ob diese möglicherweise für andere Bereiche oder die Gesamtorganisation relevant werden können und welche Handlungsoptionen angemessen wären. Wie bei den zentralisierten Entscheidungsstrukturen erläutert, wird mit diesen begrenzten Einblicken auch das Wissen und damit die grundsätzliche Fähigkeit, nach schwachen Signalen zu suchen, diese zu erkennen, angemessen zu interpretieren und Lösungen zu erarbeiten, eingeschränkt. Darüber hinaus reduziert Komplexität in Form von Undurchsichtigkeit und Inadäquanz die Motivation des Einzelnen, weil er das Gesamtsystem nicht mehr versteht oder nicht für nötig befindet und sich nur noch als unbedeutendes und einflussloses Element sieht. Dies wirkt sich auch auf die Bereitschaft und das Engagement aus, schwache Signale aufmerksam wahrzunehmen, zu durchdenken, an Kollegen oder Führungskräfte zu kommunizieren und Handlungsvorschläge zu entwickeln. Neben dem reinen Motivationsaspekt kann diese Bereitschaft auch dadurch sinken, dass die Mitarbeiter bei ineffizienten Prozessen und Schnittstellen oder Über- bzw. Unterkomplexität mit operativen Aufgaben so überlastet sind, dass sie keine freien Kapazitäten haben, die Umwelt aufmerksam zu beobachten, wahrgenommene Signale weiterzuleiten oder Lösungen aufzuzeigen. Dies gilt nicht nur für die Mitarbeiter auf unteren
4.2 Merkmale träger Unternehmen
113
Ebenen, sondern auch für die obersten Führungskräfte. Gerade bei zentralisierten Entscheidungsstrukturen können Führungskräfte mit operativen Tätigkeiten so überlastet sein, dass, selbst wenn sie schwache Signale wahrnehmen oder diese aus der Organisation bis zu ihnen durchdringen, keine Zeit bleibt, sich diesen und der strategischen Früherkennung zu widmen.421 Zudem kann es auch für Führungskräfte bei undurchsichtigen Strukturen und Prozesse schwer sein, die schwachen Signale vor dem passenden Hintergrund zu interpretieren und entsprechend adäquate Reaktionen zu entwickeln. Für informale Organisationen bleibt anzumerken, dass diese durch die zusätzliche Kommunikation und resultierende stärkere Wirklichkeitskonstruktion zumindest begrenzt die Wahrnehmung schwacher Signale fördern können.422 Festgehalten wird: Hypothese 2: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je höher die Komplexität, also je höher die Undurchsichtigkeit und Inadäquanz von Strukturen und Prozessen sind.
4.2.2.3 Eigentumsverhältnisse
Eigentumsverhältnisse und ihre Auswirkungen werden bspw. in Arbeiten zur Principal-Agent-Theorie oder zu Familienunternehmen diskutiert. Die Principal-AgentTheorie beschäftigt sich mit der Aufteilung von Eigentum und Verfügungsrechten und untersucht die Mechanismen, mit denen sich die resultierenden Probleme von asymmetrischer Informationsverteilung und Opportunismus handhaben lassen. Auch wenn sie keine direkten Aussagen zur Veränderungsfähigkeit von Organisationen macht, sind besonders die Überlegungen zur Trennung von Eigentümer und Management für die folgenden Ausführungen hilfreich.423 Familienunternehmen und mittelständisch geprägte Großunternehmen sind nicht gleichzusetzen, aber in vielen Punkten ähnlich424, so dass nachfolgend auch aus dieser Forschungsrichtung Erkenntnisse zum Einfluss der Eigentümer herangezogen werden.425 Um die Wirkung von Eigentumsverhältnissen auf Trägheit und strategische Früherkennung zu untersuchen,
421
422 423
424 425
Vor allem dann nicht, wenn das Wissen über die Bedeutung strategischer Früherkennung begrenzt oder nicht vorhanden ist. Vgl. zu dieser Erfahrung auch Kapitel 4.2.2.5 und 4.2.3.1. Aber auch dies ist wieder stark kontextabhängig und wird daher nicht weiter verwendet. Vgl. zum Überblick Ebers/Gotsch (2006), S. 258 ff.; ursprünglich Ross (1973), S. 134 ff.; Jensen/Meckling (1976), S. 306 ff. Auch Corporate Governance thematisiert Eigentümerkonzentration, aber mit Fokus auf börsennotierte Gesellschaften und wird daher nicht betrachtet. Familienunternehmen können bspw. auch Großkonzerne und börsennotierte Gesellschaften sein. Vgl. grundlegend bspw. Wiechers (2006), insb. S. 178 ff.; Klein, S. (2000); Voigt (1990).
114 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
werden zwei Aspekte separat analysiert – die Eigentümerstruktur, also die Anzahl und Art der Eigentümer, und die Stärke des Einflusses der Eigentümer auf die Unternehmensentwicklung.426 Mittelständisch geprägte Großunternehmen sind wie in Kapitel 1.3 erläutert, durch die Persönlichkeit des Unternehmers geprägt und befinden sich noch mehrheitlich im Eigentum des Unternehmers oder seiner Familie. Dieser Unternehmer kann der Gründer sein, aber ebenso aus dessen Familie bzw. Nachfahren stammen und muss nicht zwingend in dem Unternehmen aktiv sein – es muss nur wesentlich durch seine Persönlichkeit beeinflusst werden.427 Die Eigentümerstruktur ist sehr konzentriert, wenn es nur einen Eigentümer gibt, und wird differenzierter, wenn mehrere Mitglieder einer Familie beteiligt sind. Die differenzierteste Eigentümerstruktur liegt vor, wenn dazu externe Dritte Anteile halten. Dies können familienfremde Privatpersonen, andere Unternehmen oder professionelle Investoren428 sein. Gibt es in mittelständisch geprägten Großunternehmern nur einen Eigentümer, so wird – wie in Kapitel 4.1 erläutert – sein Blick auf das Unternehmen, die Umwelt und die Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkter sein als bei einer differenzierten Eigentümerstruktur. Der Alleineigentümer kann in seiner Vorstellung über das Unternehmen nur auf seine individuellen Erfahrungen zurückgreifen, die aber wegen seiner kognitiven Strukturen zwangsläufig begrenzt sind. Abgesehen von der Interaktion mit der Geschäftsführung, die durch Principal-Agent-Probleme belastet sein kann, hat er keine Möglichkeit, seine Wirklichkeitskonstruktion und Vorstellung des Unternehmens mit anderen intersubjektiv abzugleichen. Dieser eingeschränkte Erfahrungshintergrund begrenzt auch das Verständnis für die Notwendigkeit und Möglichkeit von Veränderung und fördert dadurch organisationale Trägheit. Die Trägheitskräfte werden zudem erhöht, wenn diese kognitiven Pathologien durch emotionale Barrieren verstärkt werden. Ist der Alleineigentümer der Gründer oder ein ihm eng verbundenes Familienmitglied, besteht zwischen ihm und dem Unternehmen – zunächst unabhängig davon, ob er selbst in dem Unternehmen tätig ist – eine spezielle, durch Tradition und Verantwortungsbewusstsein geprägte emotionale Bindung.429 Aus Achtung und Respekt vor der bisherigen Leistung anderer Familienmitglieder oder weil er selbst das Unternehmen zu dem gemacht hat, was es ist, wird er emotional beeinflusst eher den Status quo beibehalten wollen, sich an in der Ver426 427
428 429
Vgl. eine ähnliche Analysestruktur bei Klein, S. (2000), S. 3 f. Dies liegt in der Regel vor, wenn der Unternehmer selbst einmal im Unternehmen aktiv war, ist aber im Extremfall auch möglich, wenn er immer nur als Eigentümer starken Einfluss ausgeübt hat. Bspw. Private Equity-Gesellschaften oder Stiftungen. Eine Börsennotierung wird ausgeschlossen. Vgl. auch Klein, S. (2000), S. 120 f.; Clasen (1992), S. 9 und 31. Zu dieser "kognitiven Unternehmertheorie" auch Heinemann (2007), S. 33.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
115
gangenheit erfolgreichen Mustern orientieren und daher weniger offen für Veränderungen sein.430 Sind an einem Unternehmen mehrere Familienmitglieder, durchaus auch aus verschiedenen Generationen, beteiligt, ist anzunehmen, dass sich diese nicht nur individuell, sondern auch im Diskurs kritisch und konstruktiv mit dem Unternehmen auseinandersetzen. So finden in die gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion über die Situation und Entwicklung des Unternehmens auf verschiedenen Erfahrungshintergründen beruhende Ansichten Eingang. Durch diese Perspektivenvielfalt können die individuellen kognitiven Grenzen überwunden, Veränderungen differenzierter betrachtet und so die Trägheitskräfte verringert werden.431 Sind Familienmitglieder zudem nicht eng am Aufbau des Unternehmens beteiligt gewesen, sind sie weniger emotional gebunden und daher unvoreingenommener und rationaler in ihrer Beurteilung. Diese Rationalität und "Objektivität" gegenüber der Nützlichkeit und Notwendigkeit von Veränderungen erhöht sich zusätzlich bei der Beteiligung Dritter. Diese familienfremden Eigentümer können zwar wegen der hier verwendeten Abgrenzung432 keine Mehrheitsgesellschafter sein, aber im Eigentümerkreis dennoch wichtige Beiträge leisten. Sie bringen durch ihren anderen beruflichen Hintergrund eine abweichende Perspektive in die geteilte Wirklichkeitsvorstellung über das Unternehmen und seine Entwicklungsmöglichkeiten ein. Außerdem betrachten sie die Beteiligung eher als Investition und sind dem Unternehmen weniger emotional gegenüber eingestellt. Basierend auf diesen Überlegungen scheint Trägheit mit der Konzentration der Eigentümerstruktur aus kognitiven wie emotionalen Gründen zuzunehmen. Inwieweit diese in der Eigentümerstruktur begründeten Trägheitskräfte jedoch dazu führen, dass sich in dem Unternehmen organisationale Trägheit herausbildet, hängt von dem tatsächlichen ausgeübten Einfluss der Eigentümer auf die Unternehmensführung und -entwicklung ab. Dieser Einfluss wird durch die aktive Beteiligung an der Geschäftsführung, aber auch durch die Stärke der Gesellschafterversammlung bestimmt.433
430
431
432 433
Einen ähnlichen negativen Zusammenhang zwischen Eigentümerkonzentration und Innovationsfähigkeit können Ortega-Argilés et al. (2005), S. 652 ff. nachweisen. Es ist allerdings auch denkbar, dass die verschiedenen Eigentümer so uneinig sind, dass keine Entscheidungen getroffen und dadurch die Trägheitskräfte erhöht werden. Diese Ausprägung wird jedoch hier nicht weiter betrachetet, vielmehr wird ein grundsätzliches Konsensstreben der Eigentümer angenommen. Gemäß Kapitel 1.3 muss der Unternehmer bzw. die Familie Mehrheitseigentümer sein. Es wird von Geschäftsführung/Gesellschafterversammlung gesprochen, da mittelständisch geprägte Großunternehmen v.a. GmbHs oder GmbH & Co. KGs sind. Vgl. Klein, S. (2000), S. 113 f.
116 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
In mittelständisch geprägten Großunternehmen sind Eigentümer oft neben Fremdmanagern in der Geschäftsführung tätig.434 Als Gesellschafter-Geschäftsführer haben sie einen bedeutenden und unmittelbaren Einfluss auf das Unternehmen, der besonders hoch ist, wenn sie, wie meist vorzufinden, die CEO-Funktion innehaben. Ist ein Alleineigentümer, der, wie erläutert, kognitiv höhere Trägheitskräfte entwickelt, zugleich CEO, wirken sich diese durch seine zentrale Stellung auch auf das Unternehmen und dessen Veränderungsfähigkeit aus. Allerdings werden in einer solchen Situation die Trägheitskräfte noch über die kognitiven und emotionalen Aspekte der Eigentümerstruktur hinaus aus verschiedenen Gründen verstärkt. War der Gesellschafter-Geschäftsführer maßgeblich an der bisher erfolgreichen Unternehmensentwicklung435 beteiligt, ist er von der Richtigkeit dieses, durch ihn gesteuerten Weges und seiner Einschätzung des Unternehmens überzeugt, was seine Bereitschaft für andere Perspektiven begrenzt.436 Zudem schränkt, wie bei Entscheidungsstrukturen erläutert, seine Position an der Spitze des Unternehmens den Erfahrungshintergrund ein und fördert dadurch die Trägheitskräfte. Darüber hinaus hat der Gesellschafter-Geschäftsführer für die Mitarbeiter eine Vorbildfunktion. Lebt er eine restriktive Einstellung gegenüber Veränderungen vor, wird sich diese auch auf die anderen Organisationsmitglieder und damit die Organisation als Ganzes übertragen.437 Außerdem neigen Gesellschafter-Geschäftsführer dazu, eher autoritär zu führen und die Meinungen anderer wenig einzubeziehen.438 Diese Demonstration der eigenen Einflusslosigkeit demotiviert Mitarbeiter und Manager und verringert zusätzlich ihre Fähigkeiten und Offenheit für Veränderungen.439 Ist nicht nur ein Mitglied der Geschäftsführung gleichzeitig Eigentümer440, sondern mehrere, stellen sich die Zusammenhänge ähnlich dar.441 In diesem Fall sind die aus der Eigentümerstruktur resultierende Trägheitskräfte zwar etwas geringer, die Pathologien der Position aber fast identisch.442
434 435
436 437
438
439 440 441
442
Dass alle Geschäftsführer Eigentümer sind, ist selten und wird wird daher nicht weiter betrachtet. Es wird angenommen, dass das Unternehmen bisher erfolgreich in die Größe und Position gewachsen ist. Kapitel 4.2.2.5 diskutiert die Einflüsse von Veränderungserfahrung separat. Vgl. dazu Heinemann (2007), S. 41 sowie die Kontinuität des Top-Managements in Kapitel 4.2.3.1. Dieses kann Heinemann (2007), S. 212 f. nachweisen, wenn er untersucht, wie die unternehmerische Lernorientierung die Lernorientierung des Unternehmens beeinflusst. Vgl. Klein, S. (2000), S. 232; Hannan/Freeman (1989), S. 81, differenziert auch Felden/Menke (2006), S. 56 f., zu den Auswirkungen autoritärer Führung Kapitel 5.2.3.2. Aus der Forschung zu Familienunternehmen sieht dies Klein, S. (2000), S. 233 und 245 f. Familienfremde Geschäftsführer, die zur Incentivierung Anteile halten, werden hier nicht betrachtet. Ist ein Gesellschafter-Geschäftsführer nicht Alleineigentümer, aber als einziger Eigentümer im Unternehmen tätig, sind die Zusammenhänge den hier beschrieben ähnlich, weil davon auszugehen ist, dass er im Eigentümerkreis wegen seiner operativen Position eine dominante Stellung hat. Höhere Trägheitskräfte bei eigentümergeführten Unternehmen weisen auch Colombo/Delmastro (2002), S. 630 nach. Mugler (1998), S. 24 und Hannan/Freeman (1989), S. 81 ergänzen, dass sich diese Kräfte besonders entwicklen, wenn der Eigentümer auch der Gründer ist.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
117
Einen weniger direkten, aber nicht minder bedeutenden Einfluss können die Eigentümer über die Gesellschafterversammlung ausüben. Sie ist als Steuerungs- und Kontrollgremium besonders wichtig, wenn nicht alle Eigentümer im Unternehmen tätig sind oder mindestens teilweise eine Fremdgeschäftsführung eingesetzt ist.443 Die Gesellschafterversammlung kann grundsätzlich stark auf die Geschäftsführung und die Unternehmensentwicklung einwirken. Inwieweit dieses auch praktiziert wird, hängt jedoch vom Einflusswillen der Eigentümer ab, der bspw. durch ihr bisheriges Engagement im Unternehmen bestimmt wird. Ist die Eigentümerstruktur konzentriert, besteht die Gesellschafterversammlung im Extremfall aus nur einem Eigentümer. Nutzt dieser seine Einflussmöglichkeiten, überträgt er damit allerdings auch seine skizzierten Trägheitskräfte in das Unternehmen. Organisationale Trägheit wird dabei konkret gefördert, wenn bspw. dieser Alleineigentümer Veränderungsvorschläge der Fremdgeschäftsführer aufgrund seines anderen und eingeschränkteren Erfahrungshintergrunds ablehnt. Solche Ablehnungen von Veränderungen, die aus Sicht der Geschäftsführer wichtig und sinnvoll wären, fördern nicht nur direkt Trägheit und bremsen die Unternehmensentwicklung, sondern demotivieren zudem die Geschäftsführer für künftige Veränderungsvorhaben. Bei differenzierterer Eigentümerstruktur kann der Einfluss der Gesellschafterversammlung ähnlich hoch sein. Allerdings sind in dieser Konstellation zum einen weniger Trägheitskräfte vorhanden, die in die Organisation übertragen werden können, und zum anderen ist die Offenheit gegenüber Veränderungsvorschlägen des Managements – allein durch die verschiedenen Meinungen und Perspektiven der Eigentümer – größer. Unabhängig von der Eigentümerstruktur fühlt sich die Geschäftsführung aber grundsätzlich in ihren Kompetenzen und Entscheidungsfreiheiten eingeschränkt, je mehr die Gesellschafterversammlung Einfluss ausübt, was ihr Engagement und ihre Offenheit gegenüber Veränderungen negativ beeinflussen und organisationale Trägheit erhöhen kann.444 Es darf aber nicht vergessen werden, dass bei diesem Merkmal neben systembedingten Aspekten auch Persönlichkeit und Charakter der Eigentümer entscheidend sind. Ist ein Eigentümer bspw. ein Innovator, sehr offen für neue Konzepte und Ansätze, wird er zwar die erläuterten kognitiven und emotionalen Trägheitskräfte entwickeln, diese aber durch seine Einstellung und Überzeugung kompensieren, so dass sie sich nicht negativ auf das Unternehmen auswirken. Dieses Merkmal ist daher in seinen Auswirkungen weniger eindeutig, aber dennoch wird festgehalten:
443 444
Vgl. zu den entstehenden Principal-Agent-Problemen bspw. Ebers/Gotsch (2006), S. 266 ff. Hier greifen neben motivationalen auch Principal-Agent-Probleme, da Manager dann eher in ihrem Sinne (bspw. Arbeitsplatzsicherheit) als dem des Unternehmens handeln. Vgl. auch Kapitel 5.2.3.1.
118 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Zwischenhypothese 3: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je konzentrierter die Eigentümerstruktur und je höher der ausgeübte Einfluss der Eigentümer sind. Die Konzentration der Eigentümerstruktur wirkt zusammen mit dem tatsächlich ausgeübten Einfluss auch auf die strategische Krisenfrüherkennung. Ist die Eigentümerstruktur konzentriert, gibt es also im Extremfall nur einen Eigentümer, fällt es diesem schwerer, schwache Signale wahrzunehmen, weil seine Aufnahmemöglichkeiten durch die beschriebenen kognitiven Strukturen und Informationsverarbeitungskapazitäten notwendigerweise begrenzter sind als bei einem Kollektiv. Bei Eigentümern, die nicht in der Geschäftsführung tätig sind, steht allerdings weniger diese eigene Aufnahme schwacher Signale im Mittelpunkt, sondern die Interpretation und Beurteilung von Signalen, die ihnen durch die Geschäftsführung kommuniziert werden. Auch dabei müssen Alleineigentümer auf ihren individuellen und begrenzten Erfahrungshintergrund zurückgreifen und können ihre Einschätzungen nicht mit anderen Eigentümern in einem konsensuellen Bereich abstimmen.445 Ist der Eigentümer zudem eng emotional an das Unternehmen gebunden, bspw. weil ein naher Verwandter es aufgebaut hat, wird seine Vorstellung des Unternehmens eher durch den Erfolg der Vergangenheit geprägt sein. Stehen schwache Signale zu dieser Wirklichkeitskonstruktion im Widerspruch, unterliegen sie durch die Mechanismen zur Vermeidung kognitiver Dissonanz einer höheren Wahrscheinlichkeit unbewusst als irrelevant interpretiert zu werden. Verstärkt werden diese Kräfte, dissonante schwache Signale umzuinterpretieren oder gar nicht erst wahrzunehmen, wenn der Alleineigentümer durch ein Engagement in der Geschäftsführung selbst einen starken Einfluss auf die Unternehmensentwicklung ausübt oder ausgeübt hat. Zwar sind durch die operative Tätigkeit seine Kenntnisse zur Beurteilung der Relevanz schwacher Signale besser, aber gleichzeitig ist er auch stärker für die erfolgreiche Unternehmensentwicklung verantwortlich. Dies steigert seine Überzeugung von der Richtigkeit des bisherigen Weges und macht ihn unaufmerksamer für schwache Signale, die auf eine abweichende Beurteilung und andere Möglichkeiten hindeuten können.446 Ist die Eigentümerstruktur differenzierter, werden zum einen durch die Eigentümer selbst mehr schwache Signale wahrgenommen und in die kollektive Interpretation eingebracht. Zum anderen bildet sich durch die Interaktion ein konsensueller Bereich heraus, der es ermöglicht, wahrgenommene oder von der Geschäftsführung kommu445 446
Nur mit der Geschäftsführung, aber da greifen wieder Principal-Agent-Probleme. Vgl. zu einer ähnlichen Sichtweise Klein, S. (2000), S. 326 und Kapitel 4.2.3.1.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
119
nizierte schwache Signale oder Handlungsmöglichkeiten vor einem viel breiteren Erfahrungshintergrund zu bewerten. Besonders familienfremde Eigentümer werden mit ihren Ansichten die gemeinsame Interpretation der Signale rationaler und objektiver gestalten. Die Konzentration und der Einfluss der Eigentümer haben aber nicht nur Folgen für die Wahrnehmung, Interpretation und Reaktion auf schwache Signale im Eigentümerkreis, sondern auch in der Organisation. Regieren Eigentümer durch die Gesellschafterversammlung oder als Geschäftsführer mit ihren je nach Konzentration begrenzten Erfahrungshintergründen stark in das Unternehmen hinein und interpretieren sie Signale anders, lehnen Handlungsvorschläge ab und ordnen Reaktionen an, die nicht allen rational erscheinen, demotiviert dies die Fremdgeschäftsführer. Da Fremdgeschäftsführer in der Regel gezwungen sind, wichtige Entscheidungen mit den Eigentümern abzustimmen, führen ihnen solche Verhaltensweisen ihren begrenzten Einfluss vor Augen. Treten solche Reaktionen häufiger auf, wird dies ihre Bindung an das Unternehmen und ihre künftige Aufmerksamkeit für selbst wahrgenommene oder durch die Mitarbeiter kommunizierte schwache Signale verringern. Wissen sie, dass ihre Vorschläge wahrscheinlich als unwichtig oder irrational abgetan werden, werden sie sich weniger bemühen, Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten und diese den Eigentümern zu präsentieren. Auch die Mitarbeiter werden merken, dass ihre kommunizierten schwachen Signale nicht beachten werden und weniger aufmerksam sein, so dass letztlich die Früherkennungsfähigkeit der gesamten Organisation sinkt. Auch hier muss angemerkt werden, dass diese Verhaltensweisen stark von den beteiligten Personen abhängig sind. Es gibt Fremdmanager, die sich durch solche Eigentümer nicht demotivieren lassen oder auch Eigentümer, die ein hohes Vertrauen in ihre Geschäftsführer haben. Dennoch lautet die Hypothese: Hypothese 3: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je konzentrierter die Eigentümerstruktur und je höher der ausgeübte Einfluss der Eigentümer sind.
120 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
4.2.2.4 Investitionen
Unter Investitionen wird die zielgerichtete Verwendung finanzieller Mittel zum Erwerb nichtliquider Vermögensformen verstanden, die längerfristig der Erwirtschaftung von (möglichst hohen) Erträgen dienen sollen.447 Grundsätzlich können dabei Finanz- und Realinvestitionen unterschieden werden, wobei Finanzinvestitionen Beteiligungen, z.B. an anderen Unternehmen darstellen. Realinvestitionen lassen sich weiter in Investitionen in materielles und immaterielles Sachvermögen unterteilen. Zu materiellen Sachinvestitionen gehören klassisch Produktionsanlagen oder Immobilien, zu immateriellen Investitionen Patente und neue Technologien, aber auch die besondere Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter.448 Investitionen werden meist in Verbindung mit Wirtschaftlichkeitsberechnungen, heute häufig mit Fokussierung auf Realoptionen thematisiert.449 Bei der Betrachtung organisationaler Trägheit stehen jedoch die Überlegungen zu Sunk Costs und Fixkostendegression im Mittelpunkt. Sunk Costs ("versunkene Kosten") sind irreversible Kosten, die durch in der Vergangenheit getroffene Entscheidungen entstanden sind und nicht mehr rückgängig gemacht werden können, weil sie bereits zu Auszahlungen geführt haben oder mit Sicherheit führen werden.450 Jedoch sind nicht alle Investitionen Sunk Costs oder Sunk Costs Eigenschaften, die bestimmten Investitionsgütern zwangsläufig anhaften. Sie entstehen nur, wenn Kosten auch wirklich irreversibel verloren gehen und "versinken" – wenn also eine Investition ganz oder teilweise nicht mehr gebraucht oder rückgängig gemacht wird und zudem hinreichend spezifisch war, dass sie in anderem Verwendungskontext ihren Wert verliert. Auch wenn prinzipiell jede Investition rückgängig zu machen oder "stillzulegen" ist, strebt man aus ökonomischen Überlegungen danach, Sunk Costs zu vermeiden. Sunk Costs verlieren ihre Entscheidungsrelevanz erst, wenn sich die Investitionen bereits vollständig amortisiert haben. Darüber hinaus verfolgen Unternehmen meist das ökonomische Ziel der Fixkostendegression. Fixkostendegression bedeutet, dass die fixen Stückkosten mit jeder zusätzlichen Einheit sinken, da die fixen Kosten bei steigender Ausbringungsmenge 447
448
449
450
Vgl. bspw. Hirth (2008), S. 6; Trautmann (2006), S. 1; Mensch (2002), S. 1 f.; auch Kruschwitz (2007), S. 3 ff. Andere Perspektiven sind bspw. nach dem Zweck (z.B. Ersatz-, Erweiterungs-, Rationalisierungsinvestitionen) oder dem zeitlichen Ablauf (Gründungs- oder laufende Investition), die hier nicht im Mittelpunkt stehen. Vgl. Mensch (2002), S. 5 ff.; Olfert (2001), S. 29 ff.; Schäfer (1999), S. 14 f. Vgl. zu klassischen Verfahren der Investitionsrechnung bspw. Hirth (2008), S. 234 ff.; Kruschwitz (2007), S. 31 ff.; Crasselt (2003), S. 10 ff.; Mensch (2002), S. 40 ff.; zur Realoptionen im Überblick Crasselt (2003), S. 22 ff.; Lucke (2001), S. 7 ff.; Copeland/Antikarov (2001), Brealey/Myers (2008) und Black/Scholes (1973). Vgl. ursprünglich zu Sunk Costs Clark (1929), S. 54 f., für eine ausführliche Diskussion GroßSchuler (2002), S. 10 ff.; Krahnen (1991), S. 22 ff. und 41 ff. Die Literatur merkt bisweilen an, dass Sunk Costs keine Entscheidungsrelevanz haben. Dieser Einschätzung wird hier aber nicht gefolgt.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
121
auf eine größere Stückzahl verteilt werden. Unternehmen sind daher an einer möglichst hohen Ausbringungsmenge interessiert, um die Stückkosten zu senken, was in niedrigere Preise und eine höhere Nachfrage münden kann.451 Anders als bei den bisher vorgestellten Merkmalen ist der grundsätzliche Zusammenhang von Investitionen und Beharrung oder Widerständen schon mehrfach theoretisch thematisiert und auch in Ansätzen empirisch erforscht worden.452 So beschäftigt sich bspw. die Pfadabhängigkeitsforschung mit sich selbst verstärkenden Effekten (positiven Rückkopplungen) und "Lock-ins" als Folge von Investitionen und begründet dies u.a. auch mit Sunk Costs und Fixkostendegression. Hinreichend spezifische Investitionen begünstigen demnach positive Rückkopplungen und die Herausbildung von Pfadabhängigkeiten, die dann, wie beschrieben, die Veränderungsfähigkeit negativ beeinflussen.453 Auch HANNAN/FREEMAN thematisieren Investitionen. Bei ihnen stellen hinreichend spezifische Investitionen mit Verweis auf Sunk Costs in der Grundkonzeption eine der unternehmensinternen Trägheitsursachen dar.454 Ergänzend zu diesen bisherigen Überlegungen mit starker Fokussierung auf ökonomische Aspekte muss bei der Betrachtung der Zusammenhänge zwischen Investitionen und Trägheit auch die menschliche Tendenz zur Beibehaltung des Status quo und Vermeidung kognitiver Dissonanz berücksichtigt werden. Neben ökonomischen Überlegungen zur Fixkostendegression und Vermeidung von Sunk Costs neigen Menschen auch wegen ihrer kognitiven Prädisposition zum Festhalten an Bewährtem. Dies kann zusätzlich dazu führen, dass notwendige Veränderungen nicht durchgeführt werden. Bricht bspw. die Nachfrage für ein Produkt weg, sollte trotz des Ziels der Fixkostendegression die Ausbringungsmenge reduziert werden. Wurde ein neues Kundenbetreuungssystem eingeführt, dass sich als ineffizient herausstellt, sollte es trotz Sunk Costs ersetzt werden. Solche notwendigen Anpassungen erfolgen oft nicht oder nur mit deutlicher Verzögerung. Unterstützend zu diesen ökonomischen Überlegungen wirkt in solchen Fällen vor allem, dass Führungskräfte dazu neigen, an Investitionen – besonders der jüngeren Vergangenheit – festzuhalten, um eigene Fehler und Fehlentscheidungen nicht einzugestehen.455 Dies gilt in ähnlicher Form für Mitarbeiter, die an der Vorbereitung der Investitionsentscheidung oder der Umsetzung der Investition beteiligt waren. Auch 451 452
453
454
455
Vgl. zu Fixkostendegression bspw. Coenenberg et al. (2007), S. 56 und 400. Neben den gezeigten Forschungszweigen haben Colombo/Delmastro (2002), S. 602 f. und 629 und Gilbert, C.G. (2005), S. 751 ff. die Wirkung von Sunk Costs auf Trägheit empirisch untersucht. Vgl. zur Pfadabhängigkeit Kapitel 3.1; zum Zusammenhang mit Investitionen Schäcke (2006), S. 220 ff.; Schreyögg et al. (2003), S. 270; Kiwit/Voigt (1995), S. 130 f.; David, P.A. (1985), S. 334 f. Vgl. Kapitel 3.2.5 und Hannan/Freeman (1989), S. 67; Hannan/Freeman (1984), S. 149; Hannan/Freeman (1977), S. 931. Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Rationalität von Entscheidungen in Kapitel 4.2.2.1.
122 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
sie wollen mögliche Schwächen ihrer Vorschläge oder Umsetzung nicht einräumen und sind daher weniger offen für Veränderungen, die zu der Investition, an der sie mitgewirkt haben, im Gegensatz stehen. Wurden darüber hinaus Mitarbeiter im Sinne einer Investition in Humankapital spezifisch aus- oder weitergebildet und würden Veränderungen dazu führen, dass diese erlernten Fähigkeiten obsolet würden, entstehen größere Beharrungen auf breiter Basis, sich veränderten Situationen mit der nötigen Flexibilität anzupassen. Daher wird als Zwischenhypothese festgehalten: Zwischenhypothese 4: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je höher die spezifischen Investitionen in der (jüngeren) Vergangenheit waren. Spezifische Investitionen in der jüngeren Vergangenheit fördern jedoch nicht nur organisationale Trägheit, sondern wirken auch verschiedenartig auf die Wahrnehmung schwacher Signale und die frühzeitige Vermeidung von Unternehmenskrisen. Sind sich die Organisationsmitglieder – wenn auch in unterschiedlichem Umfang – über die Spezifität einer Investition und die Folgen bewusst, wenn diese obsolet wird, neigen sie, wie angedeutet, dazu, Wahrnehmungspathologien zu entwickeln. Schwache Signale, die bspw. auf neue Technologien, Produkte, Marketingstrategien oder Kundensegmente hinweisen und die getätigte Investitionen in oben beschriebener Weise "gefährden" können, unterliegen einer höheren Wahrscheinlichkeit, bewusst oder unbewusst ignoriert oder uminterpretiert zu werden, so dass sie nicht mehr im Gegensatz zu den Investitionen stehen. Auch kann die Fokussierung eines Unternehmens bspw. auf eine selbst entwickelte Technologie das Blickfeld aller Organisationsmitglieder unterbewusst einschränken, so dass sie gar nicht mehr aufmerksam für schwache Signale sind, die in der Umwelt auf andere Entwicklungen hindeuten. Dies gilt besonders, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter aktiv an der Vorbereitung oder Umsetzung der Investition beteiligt waren und daher eine enge Bindung dazu aufgebaut haben. Die Organisationsmitglieder, die aufgrund ihrer hierarchischen Position oder zentralisierter Entscheidungsstrukturen nicht oder nicht wesentlich an einer Investition beteiligt waren, haben grundsätzlich eine höhere Sensibilität für entsprechende schwache Signale. Bei ihnen kann die Wahrnehmung hingegen behindert werden, weil ihnen wegen der Einflusslosigkeit die Motivation und das Wissen fehlen, die schwachen Signale zu erkennen und angemessen zu interpretieren.456 Aber selbst wenn sie schwache Signale aufnehmen und diese individuell interpretieren, heißt dies noch 456
Vgl. zu den Folgen von Einflusslosigkeit und begrenztem Wissen Kapitel 4.2.2.1 und 4.2.2.3.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
123
nicht, dass sie auch an die Entscheider weitergeleitet werden. Sind sich die Mitarbeiter über die Bedeutung einer getätigten Investition für das Unternehmen und die Führungskräfte bewusst, ist es möglich, dass sie aus Angst vor persönlichen Konsequenzen oder Konsequenzen für die Gesamtorganisation schwache Signale, die auf eine mögliche Fehlerhaftigkeit hindeuten, nicht kommunizieren. Ebenso werden Signale unter Umständen nicht kollektiviert, wenn die Mitarbeiter aus Erfahrung wissen, dass Führungskräfte solche Informationen nicht hören wollen bzw. nicht darauf reagieren. Handelt es sich um eine Investition in die Qualifikation der Mitarbeiter oder haben einige Mitarbeiter durch die Investition eine anspruchsvollere und einflussreichere Aufgabe bekommen, sind diese Mitarbeiter besonders wenig empfänglich für schwache Signale, die dazu im Widerspruch stehen. Solche dissonanten Signale werden eher ignoriert oder nicht kommuniziert, denn wenn die Investition obsolet wird, gilt dies ebenso für ihre erworbenen Fähigkeiten oder Verantwortlichkeiten. Auch auf den obersten Führungsebenen ist die Motivation, dissonante schwache Signale selbst wahrzunehmen oder diese, wenn sie aus der Organisation kommuniziert werden, zu berücksichtigen und darauf zu reagieren, geringer, wenn sie zu jüngeren Investitionen im Widerspruch stehen. Hier kommt zu der Gefahr, Einfluss und Verantwortung mit einer veränderten Investitionssituation zu verlieren, hinzu, dass dissonante schwache Signale darauf hinweisen können, dass eine falsche oder nicht adäquate Investitionsentscheidung getroffen wurde. Führt eine solche Investition zu Sunk Costs und finanziellen Belastungen, schmälert dies die Legitimation und Macht der Führungskräfte, die diese Investitionsentscheidung getroffen haben. Um dies zu vermeiden, werden Signale, die darauf hindeuten, oft unbewusst oder bewusst ignoriert oder anders interpretiert, so dass die eigenen Entscheidungen nicht in Frage gestellt werden. Es kann daher passieren, dass selbst wenn die Signale aufgenommen und in ihrer Bedeutung erkannt werden, entweder gar nicht gehandelt wird oder die Handlungen darauf zielen, die Investition eher zu legitimieren als zu revidieren. Diese Mechanismen als Reaktion auf hohe Investitionen in der jüngeren Vergangenheit reduzieren die Veränderungsfähigkeit und hemmen eine frühzeitige Reaktion zur Vermeidung akuter Unternehmenskrisen. Müsste man also bspw. die Kapazitäten einer neuen Produktionsanlage wegen Nachfrageschwäche herunterfahren, besteht die Gefahr, dass dies ungeachtet der kurz- und langfristigen Folgen aus den oben genannten Gründen nicht erfolgt. Dies sind keine rationalen Verhaltensweisen, aber wie in Kapitel 4.1 erläutert, handeln Menschen aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten
124 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
und Gefühlen wie Angst, Stress oder Unsicherheit457 nur begrenzt rational. Dass ähnliche Überlegungen, wie gezeigt, in anderen theoretischen Zusammenhängen angestrengt werden, unterstreicht die praktische Relevanz dieser vorgestellten Mechanismen. Daher bleibt festzuhalten: Hypothese 4: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je höher die spezifischen Investitionen in der (jüngeren) Vergangenheit waren.
4.2.2.5 Veränderungserfahrung
Veränderung wird, wie in Kapitel 3.1 angedeutet, in der Organisationsentwicklung, besonders im Change Management, intensiv erforscht und diskutiert. Im Folgenden steht allerdings nicht die Frage im Vordergrund, welche der vielfältigen in der Literatur vorhandenen Wandelprozessmodelle Veränderungen eher fördern. Vielmehr soll untersucht werden, welche Zusammenhänge es zwischen der Veränderungserfahrung der Organisation als Ganzes und ihrer Mitglieder und der Entwicklung organisationaler Trägheit gibt. Die Einflüsse von Veränderungserfahrung auf organisationale Trägheit lassen sich dabei am Besten basierend auf den Überlegungen des "Organisationalen Lernens" herleiten. Auf dieser Grundlage wird untersucht, welche Erfahrungen die Organisation und die in ihr tätigen Individuen in der Vergangenheit mit Veränderungen gemacht haben, was sie aus diesen Erfahrungen gelernt haben und wie sich das Gelernte in Zukunft auf ihre Veränderungsfähigkeit auswirken kann. Organisationales Lernen untersucht, wie sich in einer Organisation der Prozess des Lernens auf individueller wie kollektiver Ebene vollzieht und wie eine Organisation beschaffen sein muss, damit diese Lernprozesse auch stattfinden.458 Lernen wird dabei als die bewusste oder unbewusste Veränderung von Wissen, Fähigkeiten oder künftigen Verhaltensweisen aufgrund von Erfahrungen und dem Abgleich dieser Erfahrungen mit Bekanntem verstanden. Lernen ist also eine geistige, reflexive Auseinandersetzung mit den Erfahrungen aus der Interaktion mit der Umwelt basierend auf den eigenen kognitiven Strukturen.459 Für Individuen wie Organisationen ist Lernen eine Grundvoraussetzung, um sich der wandelnden Umwelt anzupassen, und 457
458
459
Vgl. zur Bedeutung von Angst, Stress und Unsicherheit bspw. Dörner/Rek (2005), S. 425 f.; Staehle (1999), S. 250 ff. Vgl. für die sehr umfangreiche Forschung zum Organisationalen Lernen genauer Senge (2006), Argyris/Schön (2002), Klimecki et al. (2000), Probst/Büchel (1998). Vgl. zum Lernen Hammerl/Grabitz (2006), S. 203 ff.; Schüerhoff (2006), S. 63 ff.; Brodowski (2006), S. 23 f.; Laßleben (2002), S. 74 ff.; Williams (2001), S. 68 f.; Klimecki et al. (1991), S. 128.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
125
daher untrennbar mit der hier im Fokus stehenden Veränderung verknüpft. Ähnlich wie die organisationale Trägheit wird auch das Lernen auf zwei Ebenen betrachtet, denn organisationales Lernen beruht zwar auf dem Lernen der Individuen, stellt aber auf kollektiver Ebene eine eigene Größe dar. Während individuelles Lernen auf eine Veränderung des Verhaltenspotentials in einer bestimmten Situation durch wiederholte Erfahrungen abzielt, erfolgt kollektives Lernen zwar über die Individuen und deren Interaktion, verändert aber die gemeinsamen Problemlösungs- und Handlungskapazitäten, weil auf kollektiver Ebene Wissen und Erfahrungen der Mitglieder unabhängig von ihnen gespeichert und nutzbar gemacht werden.460 Ohne auf den Lernprozess detailliert einzugehen, sind jedoch drei Lernformen zu unterscheiden, deren Kenntnis für die Erklärung der Trägheitszusammenhänge hilfreich ist. Werden Wirklichkeitskonstruktionen oder Vorgehen, die nicht mehr zu gewünschten Ergebnissen führen, verändert, spricht man von Anpassungslernen (Single-Loop Learning). Dabei wird jedoch die Problemlösungskraft nicht gesteigert. Dies geschieht erst bei größeren Veränderungen der Wahrnehmungs- und Handlungsmechanismen zur Anpassung an die Umwelt. Werden Wissen, Werte, Ziele und gemachte Erfahrungen hinterfragt, reflektiert, modifiziert und dadurch die Problemlösungskraft gesteigert, hat Veränderungslernen (Double-Loop Learning) stattgefunden.461 Während diese Lernformen durch Impulse der Umwelt angestoßen werden, ist Prozesslernen (Deutero Learning) als dritte Form ein selbstreflexiver Prozess, bei dem die Lernfähigkeit durch Reflexion bisheriger Lernvorgänge gesteigert wird.462 Bei den Überlegungen zu organisationaler Trägheit steht das Veränderungslernen (Double-Loop Learning) im Mittelpunkt, da es über eine rein reaktive Anpassung an kleinere Umweltveränderungen (Single-Loop Learning) hinausgeht. Veränderungslernen findet eher bei fundamentaleren Umweltveränderungen statt und bezieht über eine reaktive Anpassung hinaus die Reflexion der Erfahrung und ggf. die Abänderung tiefer liegender Ziele, Vorgehensweisen und Elemente der Wirklichkeitskonstruktion mit ein. Findet bei Veränderungsprozessen Double-Loop Learning statt, lässt man in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen mit Veränderungen in künftige, ähnliche Veränderungsprozesse einfließen. Dies eröffnet die grundsätzliche Möglichkeit, bei anstehenden Veränderungen proaktiv zu reagieren und diese effek-
460
461
462
Vgl. zu den Lernebenen Argyris/Schön (2002), S. 20 ff.; auch Heinemann (2007), S. 16 f. und 72 f.; Probst (1994), S. 301 ff.; Heimerl-Wagner (1992), S. 8 ff.; Geißler, H. (1991), S. 82 ff.; Klimecki et al. (1991), S. 128 ff. Vgl. zu den beiden Lernarten ursprünglich Argyris/Schön (2002), S. 35 ff.; auch Heinemann (2007), S. 79 ff.; Probst/Büchel (1998), S. 35 ff.; Zahn/Greschner (1996), S. 53 ff.; Wildemann (1995), S. 3 f.; Probst (1994), S. 307. Vgl. zu dem in der Praxis am seltensten vorzufindenden Prozesslernen Heinemann (2007), S. 82 f.; Probst/Büchel (1998), S. 37 f.; Zahn/Greschner (1996), S. 55.
126 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
tiver und effizienter durchzuführen. Die Organisationsmitglieder und die Organisation lernen also bspw. aus positiven oder negativen Erfahrungen mit Veränderungsprozessen, dass Veränderungen möglich sind, wie diese initiiert und durchgeführt werden können, welche Probleme auftreten können, wie darauf reagiert werden kann und welche Folgen Veränderungen haben können. Die Organisation lernt dabei besonders, wie unterschiedliche Arten von Veränderungen das System durchlaufen und entwickelt gewisse Routinen, auf die bei künftigen Veränderungen zurückgegriffen werden kann. Trägheit kann diese Verbesserung von Veränderungsprozessen durch Veränderungserfahrung jedoch auf individueller wie kollektiver Ebene verschiedenartig behindern. Haben Organisationsmitglieder positive Erfahrungen mit Veränderungen463 gemacht, weil bspw. der Veränderungsprozess ohne signifikante Schwierigkeiten durchlaufen wurde oder sie persönlich davon profitiert haben, wissen sie, dass Veränderungen ohne allzu große Probleme durchführbar, notwendig und nützlich sind und theoretisch durch sie selbst initiiert werden können. Sie stehen Neuerungen grundsätzlich offener gegenüber, da sie durch ihre Erfahrungen die Angst vor Veränderungen verloren haben. Positive Veränderungserfahrungen verringern daher organisationale Trägheit.464 Haben Individuen hingegen negative Erfahrungen mit Veränderungen gemacht, bspw. durch Einfluss-, Macht- oder Arbeitsplatzverlust, finanzielle Einbußen, Ineffizienzen oder Mehraufwand, dominiert das Gefühl der Angst und sie stehen Veränderungen eher negativ und skeptisch gegenüber. Bei diesem Erfahrungshintergrund werden Organisationsmitglieder basierend auf ihren kognitiven Strukturen bewusst oder unbewusst versuchen, Veränderungen zu verhindern, den Status quo zu bewahren und damit organisationale Trägheit fördern. Es ist auch denkbar, dass Individuen bisher keine Erfahrung mit bedeutenden organisatorischen Veränderungen haben. In diesem Fall würden sie aufgrund ihrer kognitiven Prädisposition zur Bewahrung des Status quo tendieren, Veränderungen eher kritisch beurteilen, ihnen weniger wohlwollend gegenüberstehen und dadurch Trägheitskräfte fördern. Haben Organisationsmitglieder wiederholte Erfahrungen mit einer bestimmten Art von Veränderung gemacht, z.B. Produktrelaunches oder strukturellen Neuorganisationen, erhöht dies nach Wahrnehmungs- und Population Ecology-Überlegungen die Trägheit. Durch die Wiederholung entwickeln sich Routinen, durch die vermehrt auf bekannte, in der Vergangenheit erfolgreiche Such- und Lösungsmechanismen zurückgegriffen wird. Veränderungen von Kernelementen werden weniger wahrschein-
463
464
Im Folgenden geht es immer um wesentliche Veränderungen, die Erfahrungen nachhaltig prägen und auch zu Veränderungslernen (Double-Loop Learning) führen können. Ähnlich beschreibt dies auch Heinemann (2007), S. 69.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
127
lich und neue Ideen oder Perspektiven in solche repetitiven Veränderungsprozesse weniger eingebracht.465 Solche auf Erfahrung basierende Mechanismen finden sich jedoch nicht nur auf der Ebene einzelner Organisationsmitglieder, sondern auch auf der Ebene der Organisation. Hier interessiert besonders, wie erfahren Organisationen mit der Umsetzung von Veränderungen sind und wie sie dies in neue Veränderungsvorhaben einbringen. Haben Organisationen bereits mehrere fundamentale Veränderungen durchlaufen, existiert unabhängig von den Mitgliedern im Sinne des Veränderungslernens Wissen darüber, wie Veränderungsprozesse durchgeführt werden können oder sollen. Bei einem erneuten Veränderungsprozess kann die Organisation auf diese Erfahrungen zurückgreifen und versuchen, gemachte und durch Double-Loop Learning reflektierte Fehler zu vermeiden. Zudem kann auf einen Grundstock bspw. von Prozesswissen zurückgegriffen werden, was neue Veränderungsvorhaben effektiver und effizienter gestaltet und speziell relative Trägheit verringert. Ob Veränderungserfahrungen positiv oder negativ waren, wird i.W. über die Interaktion der Individuen in die Organisation eingebracht. Dennoch fördern negative Veränderungserfahrungen auch auf kollektiver Ebene Trägheitskräfte. Waren vergangene Veränderungen umständlich oder nicht erfolgreich und ist nicht genau klar, was man nächstes Mal anders machen muss, wird die Organisation künftige Veränderungen eher zu vermeiden versuchen. Hohe kollektive, vorzugsweise positive Veränderungserfahrung erhöht also die Flexibilität, Effizienz und Offenheit der Organisation gegenüber Wandel und die Wahrscheinlichkeit weiterer Veränderungen.466 Nach dem "Resetting the Clock" des Population Ecology-Ansatzes werden bei jeder Veränderung Erfahrung und Trägheitskräfte zurückgesetzt. Dies mag für Institutionalisierung und Routinisierung gelten, nicht aber für die Veränderungserfahrung selbst. Werden bspw. neue Organisationsstrukturen eingeführt, müssen sich zwar neue Routinen entwickeln, aber das Wissen über diesen Veränderungsprozess bleibt entsprechen des Double-Loop Learning erhalten. Wird allerdings mehrfach die gleiche Art von Veränderung durchlaufen, erhöht dies wie auf individueller Ebene auch auf kollektiver Ebene die Trägheitskräfte, weil Routinen entstehen und auf bekannte Wahrnehmungs- und Lösungsschemata zurückgegriffen wird.467 Nur durch ein selbst-
465 466
467
Vgl. auch die Ausführungen in Kapitel 3.2.6. Aus etwas anderem Blickwinkel beleuchten diese Abhängigkeit künftiger Veränderungen von vergangenen Veränderungen Amburgey et al. (1993), S. 54 f.; Kelly/Amburgey (1991), S. 596 und 608 f.; ähnlich auch Deeg/Weibler (2000), S. 160 f. Grundsätzlich gehen auch sie davon aus, dass Veränderungserfahrung künftige Veränderungen wahrscheinlicher macht. Vgl. dazu auf individueller wie kollektiver Ebene auch Kapitel 3.2.6 und Abb. 9.
128 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
reflektierendes Deutero Learning können solche kollektiven Barrieren bewusst gemacht und überwunden werden. Abschließend sei noch die dynamische Komponente betrachtet. Je kürzer die Veränderungen zurückliegen, desto stärker sind die Wirkungen der positiven oder negativen Erfahrungen, also desto offener oder ablehnender ist man gegenüber neuen Veränderungen. Wegen der starken Abhängigkeit von der Qualität der letzten Veränderungen wird dieser dynamische Aspekt nicht in die Hypothese aufgenommen, jedoch bei den weiteren Ausführungen mit berücksichtigt. Ausgehend vom organisationalen Lernen beeinflusst Veränderungserfahrung künftige Veränderungen demnach wie folgt: Zwischenhypothese 5: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je geringer oder negativer die individuelle und kollektive Veränderungserfahrung oder je höher die Erfahrung mit einem bestimmten Veränderungstyp ist. Geringe, negative oder repetitive Veränderungserfahrungen beeinflussen nicht nur organisationale Trägheit, sondern auch die strategische Krisenfrüherkennung. Haben Organisationsmitglieder geringe Veränderungserfahrung, sind sie aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten und ihrem Hang zum Status quo weniger offen, schwache Signale wahrzunehmen. Ihnen fehlen das Wissen und die Erfahrung, welchen Einfluss schwache Signale haben können, wie Veränderungen ablaufen können und welchen positiven Beitrag sie zur Unternehmensentwicklung leisten können. Es überwiegt die unterschwellige Angst vor (negativen) Folgen der durch schwache Signale ausgelösten Veränderungen. Diese nicht auf Erfahrungen, sondern Vermutungen beruhende Skepsis verringert die Motivation, aufmerksam für schwache Signale zu sein und bewusst danach zu suchen. Oft fehlt bei geringer Veränderungserfahrung auch das Wissen, schwache Signale als solche zu erkennen.468 Werden sie dennoch erkannt, ist den Organisationsmitgliedern weniger bewusst, wie diese interpretiert und verarbeitet werden können. Ob in solchen Fällen dem Erkennen schwacher Signale also auch die Kollektivierung und Handlung folgt, ist nicht nur wegen der bewussten oder unbewussten Abwehrstrategien, sondern auch wegen des Unwissens fraglich. Bei negativer Veränderungserfahrung liegt die restriktive Aufnahme und Verarbeitung schwacher Signale neben der menschlichen Tendenz zur Beharrung in der konkreten Angst vor den Folgen schwacher Signale begründet. Haben Organisationsmit468
Vgl. dazu auch die Auführungen zum begrenzten Wissen in Kapitel 4.2.2.1.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
129
glieder, egal ob Führungskräfte oder Mitarbeiter, erfahren, dass Veränderungen für sie persönlich und die Organisation negative Auswirkungen haben können, sind sie weniger gewillt, auf schwache Signale zu achten und neigen dazu, diese bewusst oder unbewusst so lange wie möglich zu ignorieren, um die Erfahrungen nicht zu wiederholen. Nehmen Mitarbeiter – obwohl sie erlebt haben, dass durch sie oder andere kommunizierte und kollektiv verarbeitete Signale zu einem Verlust von Macht, Verantwortung, Vergütung oder Zufriedenheit geführt haben – dennoch schwache Signale wahr, ist es wahrscheinlich, dass sie diese bewusst für sich behalten. Aus einer unvoreingenommenen Perspektive betrachtet wäre eine Kommunikation sinnvoller, weil das Ignorieren oder Zurückhalten der Signale für die Organisation und damit auch für den Einzelnen viel verheerendere Auswirkungen haben kann als die Einleitung von Gegenmaßnahmen. Jedoch handeln Menschen, wie beschrieben, nicht immer vollkommen rational. Bei geringer oder negativer individueller Veränderungserfahrung ist es daher wahrscheinlicher, dass schwache Signale nicht aufgenommen, kommuniziert oder kollektiviert und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Auf der Organisationsebene steht, wie beschrieben, nicht die Qualität der Erfahrung, sondern ihre Häufigkeit im Mittelpunkt. Hat eine Organisation schon mehrfach signifikante Veränderungen unterschiedlichster Art durchlaufen, können sich unabhängig von einzelnen Organisationsmitgliedern Praktiken entwickelt haben, wie man mit kommunizierten Signalen umgeht, Handlungsmöglichkeiten erarbeitet und über die passenden Maßnahmen entscheidet. Diese auf kollektiver Ebene gespeicherten und durch Veränderungslernen immer wieder verbesserten Erfahrungen helfen bei weiteren potentiellen Veränderungen, schwache Signale zügig zu prozessieren, kollektiv zu interpretieren, Anpassungen zu erarbeiten und auch tatsächlich umzusetzen. Solche Mechanismen sind unabhängig von den in der Organisation tätigen Individuen, aber die Organisationsmitglieder geben die Impulse für diese Mechanismen durch die Einbringung ihrer wahrgenommenen schwachen Signale in den konsensuellen Bereich. Ist die kollektive Erfahrung mit Veränderungsprozessen begrenzt, fehlt die Übung im Umgang mit schwachen Signalen und die gemeinsame Verarbeitung fällt schwerer bzw. dauert länger, so dass die Krisenvermeidung später eingeleitet wird. Bei wiederholten Veränderungen eines bestimmten Typs neigen die Organisationsmitglieder und die Organisation dazu, bei weiteren potentiellen Veränderungen dieses Typs, schwache Signale nur noch nach den Such- oder Aufmerksamkeitsmechanismen wahrzunehmen, die in der Vergangenheit erfolgreich angewendet wurden. Bspw. würde bei einem erneuten Produktrelaunch in Bereichen, die bisher nie
130 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
relevant waren, gar nicht mehr nach schwachen Signalen für potentielle Chancen oder Gefahren gesucht. Auch kann die wiederholte Erfahrung eines Typs dazu führen, dass aufgenommene Signale so interpretiert werden, dass sie genau auf diesen bekannten, geübten oder in der jüngeren Vergangenheit erfolgreich durchgeführten Veränderungstyp hinweisen. Durch solche Routinisierungen sinken auf der individuellen Ebene die Aufmerksamkeit für schwache Signale und die Kreativität bei der Entwicklung von Handlungsmöglichkeiten. Aber auch auf kollektiver Ebene können diese Routinen dazu führen, dass von den vielen unterschiedlichen schwachen Signalen, die durch die Organisationsmitglieder in die gemeinsame Wahrnehmung eingebracht werden, nur noch die als wichtig betrachtet werden, die in der Vergangenheit relevant waren. Ebenso werden bei der kollektiven Erarbeitung von Gegenmaßnahmen vermehrt Schemata der Vergangenheit eingesetzt, die eine reflektierte und adäquate Reaktion auf die schwachen Signale behindern. Es bleibt festzuhalten: Hypothese 5: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je geringer oder negativer die individuelle und kollektive Veränderungserfahrung oder je höher die Erfahrung mit einem bestimmten Veränderungstyp ist.
4.2.3 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale
4.2.3.1 Kontinuität des Top-Managements
Bei den systembedingten Merkmalen wurde jeweils auch auf die Auswirkungen der bewussten und speziell unbewussten menschlichen Verhaltensweisen hingewiesen, die vor allem in kognitiven Strukturen und begrenzter Rationalität begründet liegen. Von besonderer Bedeutung ist dieses begrenzt rationale Verhalten jedoch beim TopManagement469, da das Top-Management die größte Macht und den größten Einfluss auf die Unternehmensentwicklung hat. In mittelständisch geprägten Großunternehmen resultiert die hohe Bedeutung des Top-Managements zum einen daher, dass die Unternehmen aus kleineren Strukturen heraus gewachsen sind, in denen ein "mittleres Management" lange nicht unbedingt notwendig war. Zum anderen sind in diesen Unternehmen zuweilen die Top-Manager noch die Gründer und üben alleine 469
Unter Top-Management wird hier die oberste interne Führung (Geschäftsführung bzw. Vorstand) verstanden.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
131
deshalb, wie bei den Eigentumsverhältnissen gezeigt, einen überragenden Einfluss aus. Aber auch Top-Manager sind nicht frei von gemachten Erfahrungen, begrenzten kognitiven Strukturen und Wahrnehmungspathologien. Zudem stimmen ihre persönlichen Ziele nicht notwendigerweise mit den Zielen der Gesamtorganisation überein. Die Auswirkungen solcher individuellen Einflüsse spielen aufgrund der exponierten Stellung der Top-Manager für die Unternehmensentwicklung eine spezielle Rolle und werden daher nun separat untersucht. Um die Zusammenhänge zwischen Top-Management und organisationaler Trägheit für die Analyse zu operationalisieren, konzentriert sich diese Arbeit darauf, welche Auswirkungen die Kontinuität des Top-Managements auf die Veränderungsfähigkeit hat.470 Kontinuität wird als Eigenschaft gewählt, weil dabei neben Aspekten der Wahrnehmung und Handlung auch die Auswirkungen des beruflichen Werdegangs einbezogen werden können. Dass Managementkontinuität in dem betrachteten Zusammenhang interessant zu sein scheint, wird auch dadurch deutlich, dass in der Praxis fundamentale Veränderungen oft erst in akuten Krisensituationen zusammen mit Wechseln im Top-Management stattfinden.471 Der Fokus liegt nun darauf, welche Wirkungen die Verweildauer der Mitglieder des Top-Managements in der Branche, in dem Unternehmen und auf der Position auf organisationale Trägheit haben. Konstruktivistisch gesehen kann es nicht nur in einer Organisation, sondern auch in einer Branche zu der Herausbildung einer gemeinsamen Wirklichkeitskonstruktion kommen.472 Die in einer Branche aktiven Unternehmen bilden über ihre Aktionen und Interaktionen eine gemeinsame Vorstellung heraus, wie die Branche "funktioniert". Diese Auffassungen werden besonders durch die in den Unternehmen agierenden Top-Manager beeinflusst und geprägt. Ist ein Top-Manager lange in einer Branche aktiv, egal ob in einem oder unterschiedlichen Unternehmen, und hat er durch seine Tätigkeit und Überzeugung an der Ausbildung solcher "Branchenstandards" mitgewirkt, neigt er dazu, daran auch festzuhalten. Diese Standards stellen ein vorwiegend implizites Wissen dar und auch der individuelle Beitrag dazu findet meist unbewusst statt, so dass auch das Festhalten daran eine vorwiegend unterbewusste Verhaltensweise ist. Solche Top-Manager sind, gefördert durch die menschliche Tendenz zur Beharrung auf dem Status quo, weniger gewillt, etablierte Ansichten, die sie mit geprägt haben, als überholt einzustufen und neue Wege einzuschlagen. Die Zeitdauer, die Top-Manager in einer Branche 470
471 472
Andere Aspekte, die eng mit dem Verhalten des Top-Managements verbunden sind, wie bspw. Führungsstil und Kommunikationskultur, werden in den folgenden Kapiteln erläutert. Vgl. auch Romanelli/Tushman (1994), S. 1145; auch Miller/Friesen (1980), S. 607. Vgl. zu solchen "Industry Recipes"-Ideen Spender (1989), S. 60 ff.; auch Phillips (1994), S. 385 ff.
132 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
verbracht haben, verringert demnach tendenziell die Kreativität und Offenheit für Veränderungen, erhöht die Wahrnehmungsbarrieren und fördert dadurch organisationale Trägheit.473 Top-Manager, die in verschiedenen Branchen gearbeitet haben, sind "freier" und eher bereit, neue Ideen oder Konzepte, die sie unter Umständen auch aus anderen Bereichen kennen, in das Unternehmen und damit indirekt auch als Neuerung in die Branche einzubringen.474 Neben der Zeit, die ein Top-Manager in einer Branche verbracht hat, wird organisationale Trägheit zusätzlich dadurch beeinflusst, wie lange er schon in einem Unternehmen tätig ist. In Unternehmen bilden sich neben Strukturen und Prozessen auch geteilte Ansichten, Standards, Werte und Geflogenheiten heraus. Das Zusammenspiel dieser verschiedenen Kräfte hat einen Top-Manager, wenn er in dem Unternehmen "groß geworden" ist, an die Spitze gebracht. Er steht daher gewissermaßen für den bisherigen Weg und das Selbstverständnis des Unternehmens. Bis zu einem gewissen Grad wird der Top-Manager daher von dem bisher gegangenen Weg überzeugt sein, da er diesen mit geprägt hat und dieser ihn als Führungspersönlichkeit herausgebracht hat.475 Mit einer Veränderung des Unternehmens in einer oder mehrerer der genannten Facetten entsteht die Gefahr, dass der Top-Manager, so wie er ist, nicht mehr zu dem Unternehmen und dem neuen Weg oder Selbstverständnis passt. Dies kann einen Verlust von Macht, Einfluss oder im Extremfall der Position bedeuten. Um dieses Risiko zu minimieren, scheinen Top-Manager daher eher motiviert, den bisherigen Weg des Unternehmens so weit wie möglich fortzusetzen und Veränderungen, wenn der Veränderungsdruck nicht zu groß wird, zu meiden.476 Auch wenn frühzeitige und proaktive Veränderungsbemühungen aus rationaler Perspektive das Sinnvollste für das Unternehmen – und langfristig auch den TopManager477 – wären, kann es passieren, dass sie nicht initiiert werden. Dies kann neben den kognitiven Grenzen, der Vermeidung von Dissonanz, Unsicherheit oder Angst auch in den persönlichen Zielen des Top-Managers begründet liegen. Hinzu kommt, dass Top-Manager bei langer Zugehörigkeit zu der Organisation der Wirklichkeitskonstruktion und den praktizierten Einstellungen, Denkweisen und Abläufen stark verhaftet sind und Veränderungsnotwendigkeiten unter Umständen ohne den 473
474
475
476
477
Vgl. Hambrick et al. (1993), S. 404 ff., die ähnliche Verbindungen zwischen der Verweildauer in einer Branche und dem Commitment des CEOs zum Status quo untersuchen. Auch wenn bei Top-Managern vor allem Managementfähigkeiten gefragt sind, stehen die positiven Wirkungen, wenn sie die Branche exzellent kennen, außer Frage, hier aber nicht im Fokus. Die Betonung liegt auf bis zu einem gewissen Grad, denn steigen Mitarbeiter in der Hierarchie auf, werden sie immer auch in bestimmtem Umfang versuchen, Dinge zu optimieren und zu verändern. Zum verwandten Zusammenhang zwischen Verweildauer des CEO und Commitment zum Status quo vgl. Hambrick et al. (1993), S. 404 ff.; Fredrickson/Iaquinto (1989), S. 520 ff. Ohne nötige Veränderungen steigt die Existenzgefahr und es kann letzten Endes zur Insolvenz kommen, die dann auch den Top-Manager persönlich durch Verlust seiner Position betrifft.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
133
nötigen Druck gar nicht erkennen.478 Solche Verhaltensweisen finden sich bei Mitarbeitern auf allen Ebenen, aber beim Top-Management sind die Folgen wegen des großen Einflusses besonders gravierend. Ähnlich sehen dies HANNAN/FREEMAN und nennen in der Grundkonzeption politische Restriktionen und die Geschichte der Organisation als unternehmensinterne Trägheitsursachen, da signifikante Veränderungen auch immer politische Machtgefüge und etablierte Gleichgewichte gefährden. Zudem haben sich mit der Zeit Verfahrensregeln, Aufgabenverteilungen und Wertesysteme entwickelt und in normativen Übereinkünften verankert, die das Bestehende legitimieren und die Erwägung vieler Alternativen verhindern.479 Einen dritten Einfluss auf organisationale Trägheit kann die Zeitdauer haben, die man bereits auf der Top-Management-Position verbringt. Bekleidet man ein solches Amt über längere Zeit und nach eigener Ansicht auch erfolgreich, zeigt dies, dass man mit seinen Fähigkeiten und Eigenschaften zu den Anforderungen der Position passt. Dies könnte sich bei signifikanten Veränderungen – ähnlich wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt – ändern. Daher steigt mit der Zeitdauer die Tendenz, Veränderungen zu vermeiden, um so das Risiko zu minimieren, irgendwann nicht mehr passend für die Position und die damit verbundenen Aufgaben zu sein.480 Eine solche restriktive Einstellung gegenüber Veränderungen wird sich hauptsächlich unterbewusst entwickeln, kann aber auch durch bewusstes Nachdenken entstehen. Dabei verhindern erneut die begrenzten menschlichen Fähigkeiten die Rationalität, denn könnte man von der eigenen Position abstrahieren, würde man erkennen, dass Veränderungen unabhängig von persönlichen Konsequenzen das Beste für die Organisation sein können. Die Zeitdauer auf einer Top-Management-Position fördert organisationale Trägheit noch aus weiteren Gründen. In mittelständisch geprägten Großunternehmen entwickeln sich häufiger als in Großkonzernen eng an die Top-Manager gebundene, institutionalisierte Beziehungen zu Geschäftspartnern. Je länger Top-Manager in ihrer Position sind, desto gefestigter sind auch diese Beziehungen. Solche Bindungen haben Vorteile, aber es entstehen auch Abhängigkeiten, die es gepaart mit dem menschlichen Harmoniestreben erschweren, im Sinne des Unternehmens proaktiv und optimal zu handeln und daher Trägheitskräfte unterstützen. So fällt es bspw. schwerer, zu einem günstigeren Lieferanten zu wechseln, wenn solche etablierten 478 479 480
Vgl. zu den Wirkung von "CEO-Paradigmen" auch Henderson, A.D. et al. (2006), S. 448 f. Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 67 f.; Hannan/Freeman (1977), S. 931. Hat ein Top-Manager bisher bspw. Innovationen vorangetrieben und müsste nun Kostensenkung machen, kann er dieser Aufgabe trotz seiner Fähigkeiten nicht gewachsen sein.
134 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Beziehungen davon betroffen sind. Bei Top-Managern, die ihre Position kürzer bekleiden, sind solche wechselseitigen Abhängigkeiten weniger ausgeprägt und sie stehen Veränderungen daher unvoreingenommener gegenüber.481 Als letztes wird noch einmal auf die mehrfach erwähnte Pfadabhängigkeit von Entscheidungen hingewiesen. Mit der Zeit in einer Position steigt die Anzahl getroffener Entscheidungen, bei denen man zur Vermeidung von Sunk Costs oder zur Sicherung der eigenen Legitimität danach strebt, diese durch adäquate Folgeentscheidungen zu bestätigen.482 Dadurch reduziert sich zusätzlich die Offenheit, proaktiv Veränderungen einzuleiten, die zu diesen Entscheidungen im Widerspruch stehen.483 Auch wenn die aufgezeigten Zusammenhänge durch die charakterliche Stärke und die Rationalitätsbemühungen der Top-Manager beeinflusst werden, wird die Zwischenhypothese festgehalten:484 Zwischenhypothese 6: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je höher die Kontinuität des Top-Managements, also je länger es in der Industrie, dem Unternehmen oder der Position tätig ist. Die Dauer, die Top-Manager in einer Branche, einem Unternehmen oder einer Position tätig sind, beeinflusst neben organisationaler Trägheit auch die Fähigkeit strategischer Früherkennung. Die persönliche Entwicklung in einem Unternehmen oder einer Branche und das Streben nach Vermeidung kognitiver Dissonanz schränken auf individueller und kollektiver Ebene die Wahrnehmung schwacher Signale ein, die auf Chancen oder Risiken hindeuten und mit der eigenen oder geteilten Wirklichkeitskonstruktion nicht übereinstimmen. Sind Top-Manager lange und daher tief in den herausgebildeten Branchenstandards oder dem Selbstverständnis der Organisation verhaftet, werden sie solche schwachen Signale eher bewusst oder unbewusst ignorieren bzw. instinktiv anders interpretieren. Dies gilt ebenso, wenn die schwachen Signale unstimmig zu den Aufgaben, Themenschwerpunkten und getroffenen Entscheidungen des Top-Managers sind oder entwickelte Beziehungen und Abhängigkeiten in Frage stellen können. Die selektive Wahrnehmung und die Vermei-
481 482 483
484
Vgl. dazu Beverland (2005), S. 578 ff. Vgl. dazu genauer die Ausführungen in Kapitel 4.2.2.1 und 4.2.2.4. Vgl. Henderson, A.D. et al. (2006), S. 448; Miller/Shamsie (2001), S. 725 ff.; Miller (1991), S. 34 ff. zu verändertem Verhalten und nachlassendem Unternehmenserfolg mit der Amtszeit; zur begrenzten Veränderungsfähigkeit von Top-Managern Tushman et al. (1986), S. 40 f.; Tushman/Romanelli (1985), S. 180. Ein wesentlicher Einfluss ist auch die Veränderung der Umwelt und der dadurch entstehende Veränderungsdruck. Diese Aspekte werden in Kapitel 4.2.4.2 untersucht.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
135
dungsstrategien werden dabei umso stärker, je länger der Top-Manager nicht nur in einem dieser Geflechte, sondern sukzessive in allen dreien, verhaftet ist und je weniger Veränderungserfahrungen er in der Vergangenheit gemacht hat.485 Dadurch erhöhen sich die verschiedensten Abhängigkeiten und Überzeugungen, es werden vermehrt Repertoires der Vergangenheit angewendet und der Blick für schwache Signale und neue Möglichkeiten schränkt sich zunehmend ein. Werden Signale dennoch durch die Top-Manager wahrgenommen oder durch Mitarbeiter, die weit weniger durch diese Geflechte beeinflusst sind, an sie herangetragen, kann es trotzdem passieren, dass diese ignoriert oder als unwichtig interpretiert werden, um bestehende Konstellationen und persönliche Ziele aus eigennützigen Gründen nicht zu gefährden. Welche Folgewirkungen neben der möglichen Existenzbedrohung so ein Verhalten haben kann, wurde bei Entscheidungsstrukturen bereits skizziert und wird beim Thema Führungsstile noch eingehender diskutiert. Haben Mitarbeiter Signale kommuniziert und vielleicht sogar Lösungen erarbeitet, die dann nicht aufgegriffen, anders umgesetzt oder abgelehnt werden, sind diese Mitarbeiter durch die Demonstration ihrer Einflusslosigkeit für die künftige Aufnahme von Signalen zusätzlich demotiviert. Die Kontinuität des Top-Managements beeinträchtigt daher direkt die Früherkennungsfertigkeiten der Führung, hemmt aber auch indirekt die künftige Erkennung und Kommunikation schwacher Signale in der Organisation. Auf der Ebene des Top-Managements findet eine Rationalisierung von schwachen Signalen durch kollektive Interpretation und Bewertung der Reaktionsmöglichkeiten nur begrenzt statt. Sind, wie beschrieben, Mitarbeiter wenig eingebunden, umfasst eine solche Kollektivierung wesentlich andere Kollegen des Top-Managements, die ähnlichen Pathologien unterliegen. Da ein solches Kollektiv einen anderen Erfahrungshintergrund als andere Ebenen oder die Gesamtorganisation hat, werden schwache Signale unter Umständen anders als von den Mitarbeitern interpretiert und daher Handlungen eingeleitet, die nicht angemessen sind. Aber selbst wenn Top-Manager schwache Signale beachten, selbstkritisch ihre Wirklichkeit und getroffene Entscheidungen hinterfragen und angemessene Gegenmaßnahmen einleiten, kann es passieren, dass diese, nicht im Unternehmen, aber in der Branche als falsch, übertrieben oder unvernünftig abgelehnt werden. Da eine solche Infragestellung der eigenen Kompetenz die künftige Legitimität negativ beeinflusst, streben Top-Manager danach, derartige Situationen zu vermeiden, auch wenn dadurch nicht angemessen und im Sinne der Organisation auf Signale reagiert wird.
485
Bei geringer Veränderungserfahrung werden zudem, wie in Kapitel 4.2.2.5 gezeigt, vermehrt in der Vergangenheit erfolgreiche Wahrnehmungs- und Interpretationsmuster angewendet.
136 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Die skizzierten Zusammenhänge stehen in enger Verbindung mit der Zentralität von Entscheidungsstrukturen, der Veränderungserfahrung des Managements, den Investitionen und dem im Folgenden diskutierten Führungsstil. Es bleibt aber festzuhalten: Hypothese 6: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je höher die Kontinuität des TopManagements, also je länger es in der Industrie, dem Unternehmen oder der Position tätig ist.
4.2.3.2 Führungsstil
Im vorangegangenen Kapitel wurde das Verhalten des Top-Managements mit den Auswirkungen von Kontinuität sehr isoliert betrachtet. Nachfolgend wird der Blickwinkel auf das Verhalten der Führungskräfte erweitert, denn mit Betrachtung des Führungsstils steht die Interaktion des Managements mit den anderen Mitarbeitern des Unternehmens im Mittelpunkt. Führung bezeichnet für gewöhnlich die zielorientierte Beeinflussung des Verhaltens und der Einstellungen von Personen.486 Dabei kann der Betrachtungsfokus auf den Eigenschaften oder dem Verhalten des Führenden wie der Führungssituation liegen. In den folgenden Analysen zu organisationaler Trägheit soll speziell das Führungsverhalten, also die soziale Interaktion der Führer-Geführten-Beziehung untersucht werden. Der Zweck von Führung – Ziele vorzugeben, zu koordinieren und zu motivieren – kann mit unterschiedlichen Führungsstilen erreicht werden. Führungsstile sind dabei vom Konzept der Führungsform zu unterscheiden. Die Führungsform beschreibt die Ausprägung der Führungsbeziehung in einer spezifischen Situation.487 Der Führungsstil hingegen kennzeichnet ein eher stabiles und situationsinvariables Verhaltensmuster des Führenden, das auf seiner Einstellung zu sich selbst und seinen Mitarbeitern beruht.488 In der Literatur finden sich zahlreiche Systematisierungen oder Typologien von Führungsstilen. Häufig thematisierte Einteilungen sind:
486
Autoritärer, demokratischer und laissez faire Führungsstil nach LEWIN
Patriarchalischer, charismatischer, autokratischer und bürokratischer Führungsstil nach WEBER
Vgl. dazu bspw. Wunderer (2006), S. 204; Bea (2005), S. 1; ausführlichst Neuberger (2002), S. 11 ff.; Staehle (1999), S. 328; Bleicher/Meyer (1976), S. 29 ff. Vgl. zur Führungsform Bleicher (1969), S. 31 ff.; Bleicher/Meyer (1976), S. 135 ff. 488 Vgl. z.B. Neuberger (2002), S. 422; Steinmann/Schreyögg (2005), S. 650; Lattmann (1975), S. 1. 487
4.2 Merkmale träger Unternehmen
137
Autoritärer, patriarchalischer, beratender, konsultativer, partizipativer und delegativer Führungsstil nach TANNENBAUM/SCHMIDT
Despotischer, paternalistischer, pädagogischer, partizipativer, partnerschaftlicher und selbstverwaltender Führungsstil nach LATTMANN
Aufgaben- bzw. sachorientierter und personen- bzw. beziehungsorientierter Führungsstil nach BLAKE/MOUTON489
Bei solchen theoretischen Einteilungen von Führungsstilen werden als Kriterien neben der Entscheidungsmacht i.W. das Ausmaß an Partizipation, Motivation oder Kontrolle verwendet. In der Praxis können die meisten Führungsstile jedoch unabhängig von der Anzahl der Abstufungen auf einem Kontinuum von autoritär bis kooperativ eingeordnet werden.490 Bei autoritärem Führungsstil ordnen die Führungspersonen an, ohne die Betroffenen und deren Meinungen einzubeziehen. Ähnlich wie zentralisierte Entscheidungsstrukturen ermöglicht dieser Führungsstil eine vereinfachte Koordination, Entscheidungsfindung, Durchsetzung und Kontrolle zu Lasten der Motivation. Bei kooperativem Führungsstil sind die Geführten durch Willensbildungs- und Entscheidungsdelegation stark einbezogen und unterstützen den Führenden aktiv durch ihr Wissen. Die Motivation ist hier höher, allerdings die Koordination aufwendiger und die Entscheidungsfindung länger.491 Wie noch gezeigt wird, sind kooperativ orientierte Führungsstile nicht unbedingt autoritär orientierten Führungsstilen vorzuziehen, denn der passende Führungsstil ist stark von der jeweiligen Situation, den Zielen und den involvierten Führenden und Geführten abhängig.492 Bei der Analyse, welchen Einfluss der Führungsstil auf die Entwicklung organisationaler Trägheit haben kann, stehen allerdings weniger die verschiedenen Abstufungen der skizzierten Führungsstile, sondern die Extreme im Mittelpunkt, weil durch sie Tendenzaussagen für die Wirkungszusammenhänge getroffen werden können. Im Folgenden wird daher untersucht, welche direkten und indirekten Wirkungen ein autoritärer bzw. kooperativer Führungsstil auf organisationale Trägheitskräfte hat. Auf die Persönlichkeitsmerkmale des Führenden, wie bspw. Charisma oder Kreativität, wird nicht näher eingegangen, weil diese schwer operationalisierbar sind und 489
490
491 492
Vgl. dazu vor allem Lewin et al. (1939); Tannenbaum/Schmidt (1958), S. 96 ff.; Lattmann (1975), S. 14 ff.; Blake/Mouton (1964), S. 8 ff. Überblicksartig und zu weiteren Führungsstilen auch Laske et al. (2006), S. 126 ff.; Wunderer (2006), S. 208 ff.; Steinmann/Schreyögg (2005), S. 651 ff.; Hentze (2005), S. 207 ff.; Neuberger (2002), S. 493 ff.; Staehle (1999), S. 328 ff. Laissez faire und Selbstverwaltung sind fast keine Führung mehr und selten praktisch zu finden. In der Theorie wird der LEWINs Ansatz häufig auf autoritär-kooperativ verdichtet. Vgl. Neuberger (2002), S. 493; Steinmann/Schreyögg (2005), S. 651; Wunderer/Grunwald (1980), S. 224. Vgl. detaillierter z.B. Wunderer (2006), S. 205; Laske et al. (2006), S. 127 ff. In der Literatur findet sich oft, dass der Führungsstil in akuten Krisen wieder autoritärer wird. Dies wird wegen dem Fokus auf latente Krisen hier nicht betrachtet. Vgl. Krystek/Moldenhauer (2007), S. 66; Krystek (1989), S. 31; Müller, R. (1986), S. 503 f.; Höhn (1974), S. 111 ff.
138 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
sich keine eindeutigen Trägheitseinflüsse ableiten lassen. So kann ein charismatischer Führer sowohl nostalgisch sein und dadurch Trägheitskräfte fördern als auch innovativ und dadurch Veränderungen begünstigen.493 Der Fokus liegt also auch hier auf den Wahrnehmungs- und Handlungsmechanismen mit ihren Pathologien. Bei diesen Überlegungen spielen – ähnlich wie bei Entscheidungsstrukturen – Motivation und Macht eine besondere Rolle. Daher sind Entscheidungsstrukturen und Führungsstil eng verknüpft, betrachten aber auch unterschiedliche Aspekte. So berücksichtigt der Führungsstil bspw. zusätzlich die Bedürfnisse der Geführten.494 Führt ein Vorgesetzter495 eher autoritär, gibt er i.W. Anweisungen, bezieht die geführten Mitarbeiter wenig mit ein und erfragt ihre Meinungen nicht. Machen die Mitarbeiter Anmerkungen oder Vorschläge finden diese bei solchen Führer-GeführtenBeziehungen wenig Gehör, da die Vorgesetzten ein geringes Interesse an den Ansichten ihrer Untergebenen haben.496 Ähnlich wie bei zentralisierten Entscheidungsstrukturen – mit denen ein autoritärer Führungsstil einhergehen kann – demotiviert ein solches Verhalten die Mitarbeiter grundsätzlich. Sie sind nur Ausführer und haben wenig Macht, Verantwortung und Einfluss, was ihre Motivation und ihre Bereitschaft, proaktiv an der Unternehmensentwicklung mitzuwirken, begrenzt. Kritische und auch konstruktive Anmerkungen unterliegen einer höheren Wahrscheinlichkeit, nicht beachtet zu werden. Haben Geführte diese Erfahrungen gemacht, werden sie eher weniger Veränderungsvorschläge unterbreiten und Veränderungsvorhaben tendenziell gleichgültig und wenig engagiert gegenüberstehen.497 Demotivation und Trägheitskräfte steigen zusätzlich, wenn Mitarbeiter den Sinn von angeordneten Aufgaben nicht erkennen, die Verwendung ihrer erarbeiteten Ergebnisse intransparent ist498 oder sie die Verarbeitung ihrer Ergebnisse durch den Vorgesetzten als falsch beurteilen. Ziehen sich Geführte auf die Rolle des Ausführers zurück, kann dies zudem relative Trägheit fördern, weil das Engagement, Aufgaben möglichst effizient und schnell zu erledigen, nachlässt. Diese Tendenz wird jedoch meist dadurch kompensiert, dass autoritäre Führer verstärkt Druck einsetzen und das Engagement so durch Angst anstatt Verantwortung erzeugen.499 Neben den Mitarbeitern, die durch ihre Reaktion auf den Führungsstil indirekt und i.W. unbewusst die Trägheitskräfte begünstigen, werden diese auch direkt durch das
493 494 495 496 497 498 499
Vgl. zum charismatischer Führung bspw. Wunderer (2006), S. 277 ff.; Neuberger (2002), S. 143 ff. Entscheidungstrukturen beziehen zudem die Formalisierung und Stärke des Entscheiders mit ein. Der Vorgesetzte kann Top-Management, aber auch bspw. mittleres Management sein. Vgl. zu den Gründen ausführlich den nächsten Absatz. Es sei denn, es handelt sich um Veränderungen, die ihre Macht und ihren Einfluss steigern. Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 4.2.2.2. Vgl. dazu Lattmann (1975), S. 45.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
139
Verhalten des autoritären Führers unterstützt. Autoritärer Führungsstil wird nicht angeordnet oder wie Entscheidungsgewalt durch eine hierarchische Position verliehen, sondern liegt in der Persönlichkeit und dem Antrieb des Vorgesetzten sowie der Situation begründet. Machtbesitz ist dabei nicht das Entscheidungskriterium, denn auch ein kooperativer Führer hat Macht, setzt diese aber nicht ein, um anzuordnen und Druck auszuüben, sondern um zu delegieren und Verantwortung zu geben. Autoritäre Führer sind tendenziell Menschen, die nicht nur durch Machtbesitz, sondern vor allem durch Machtausübung motiviert werden und sehr von sich überzeugt sind. Sie beziehen andere und deren Meinungen weniger in ihre Überlegungen mit ein, da damit die Gefahr verbunden sein kann, dass ihre Macht geschmälert oder ihre Kompetenz in Frage gestellt wird.500 Diese Selbstbezogenheit wird verstärkt, wenn sie in der Vergangenheit mit ihren Handlungen und Entscheidungen nach eigener Einschätzung meist richtig gelegen haben und damit die Notwendigkeit anderer Ansichten gar nicht gegeben scheint. Das resultierende eingeschränkte Blickfeld autoritärer Führer wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass die Kommunikation mit Untergebenen stark direktiv geprägt ist und auch die Kommunikation mit Vorgesetzten begrenzt sein kann, wenn diese ebenfalls autoritär führen und die Meinung ihrer Untergebenen wenig beachten. Dieses alles führt, ähnlich wie in anderen Kapiteln erläutert, dazu, dass autoritäre Führer eine stark auf ihre eigenen Erfahrungen beschränkte Wirklichkeitskonstruktion haben. Durch den begrenzten Diskurs können nur restriktiv konsensuelle Bereiche entstehen, so dass die Wahrnehmungsfähigkeit im Vergleich zu einem Kollektiv eingeschränkter ist. Ohne die verschiedenen Erfahrungshintergründe fällt es aber schwerer, Veränderungsnotwendigkeiten zu erkennen und es werden vermehrt Lösungen der Vergangenheit angewendet und so organisationale Trägheit gefördert.501 In einer Organisation können theoretisch vielfältige Führungsstile parallel existieren, da sie jeweils die individuellen Verhaltensweisen Einzelner in ihrer Führer-GeführtenBeziehung beschreiben. Jedoch leben in Organisationen besonders hochrangige Manager Führungsstile vor, werden Mitarbeiter mit gewissen Veranlagungen in Managementpositionen befördert, Führungsrichtlinien vorgegeben und nicht zuletzt eine Vorstellung, wie Führung zu sein hat, durch den konsensuellen Bereich zwischen Managern verbreitet. Daher kann davon ausgegangen werden, dass sich in Organisationen bestimmte vorherrschende Führungsstile – eine Art Führungskultur – herausbilden, und somit bspw. bei autoritärer Führung nicht einzelne, sondern viele ähnliche Führer-Geführten-Beziehungen organisationale Trägheit beeinflussen. 500 501
Vgl. zu Macht Kapitel 4.2.2.1 und die dort verwiesene weiterführende Literatur. Vgl. zur Bedeutung von Diskurs und seinem Einfluss auf Rationalität Kapitel 4.1.2 und 4.2.2.1.
140 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Abschließend sei noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass autoritärer Führungsstil nicht gleichzusetzen ist mit Willkür oder Despotismus. Den Geführten fehlt bei diesem Führungsstil zwar die Motivation und Möglichkeit, sich in die Unternehmensentwicklung einzubringen, dies ist aber bei einer bestimmten Art von Mitarbeitern und bestimmten Aufgaben durchaus erwünscht und ein autoritärer Stil daher angebracht und vorteilhaft.502 In dieser Arbeit stehen aber die Triebkräfte organisationaler Trägheit und die strategische Früherkennung im Mittelpunkt. Nach den bisherigen Erkenntnissen sind sowohl für die Vermeidung organisationaler Trägheit als auch für das frühzeitige Erkennen von latenten Krisen viele motivierte, aufmerksame und feinfühlige Mitarbeiter entscheidend, die bei autoritärem Führungsstil nur begrenzt vorzufinden sind. Für die hier betrachteten Zusammenhänge – nicht aber generell – scheint autoritäre Führung daher weniger geeignet. Dies bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass ein kooperativer Führungsstil Trägheit nicht fördert. Bei kooperativer bzw. partizipativer Führung ist die Kommunikation und der Austausch zwischen Führenden und Geführten intensiver, Mitarbeiter haben mehr Verantwortung und sind motivierter, sich in die Unternehmensentwicklung einzubringen. Der Führende bekommt somit mehr Hinweise auf mögliche Veränderungsnotwendigkeiten und es entsteht ein umfassenderer konsensueller Bereich zur kollektiven Wahrnehmung. Aber diese Einbeziehung vieler Meinungen und Vorschläge macht die Koordination sehr viel umständlicher, Entscheidungsfindungen dauern länger, Prozesse verzögern sich durch Abstimmungsschleifen, Ressourcen werden gebunden und so wird insbesondere relative Trägheit begünstigt. Für die Zusammenhänge von Führungsstilen und organisationaler Trägheit könnte demnach eine U-Kurve zwischen extrem autoritär und extrem kooperativ vermutet werden. Die Autorin geht jedoch davon aus, dass bei autoritärer Führung die auf begrenzter Motivation und Wahrnehmung beruhenden Trägheitskräfte deutlich stärker sind als die Kräfte, die durch den erhöhten Koordinationsaufwand bei kooperativer Führung entstehen. Da der motivatorische Aspekt zudem für die Betrachtung strategischer Früherkennung bedeutend ist503, wird angenommen: Zwischenhypothese 7: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je autoritärer der Führungsstil ist.
502
503
Autoritäre Führung findet sich vermehrt bei hochproduktiven Routineaufgaben oder in Bereichen, in denen klare Entscheidungsbefugnisse und hohe Entscheidungsgeschwindigkeiten nötig sind. Bei der empirischen Untersuchung in Kapitel 5 wird aber ungeachtet dessen auch auf partizipative Elemente geachtet.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
141
Je autoritärer der Führungsstil, desto geringer ist wegen der gerade beschriebenen Mechanismen auch die Motivation der Mitarbeiter, schwache Signale wahrzunehmen und sich mit ihnen zu beschäftigen. Aus ihrer alltäglichen Interaktion mit dem autoritären Führer wissen sie, dass dieser an ihren Meinungen und Ansichten nur geringfügig interessiert ist. Diese Erfahrung der Macht- und Einflusslosigkeit verringert zumeist unbewusst die Initiative, nach schwachen Signalen zu suchen oder sensibel darauf zu reagieren, so dass die Wahrscheinlichkeit steigt, potentiell relevante Signale nicht wahrzunehmen. Diese Wahrscheinlichkeit wird zudem dadurch erhöht, dass autoritäre Führer nur sehr wenig Wissen und Informationen über direkte Anweisungen hinaus an die Ausführenden weitergeben und den Mitarbeitern somit oft schlicht die Kenntnisse fehlen, die Signale zu erkennen, als wichtig zu interpretieren und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Aber selbst wenn Mitarbeiter schwache Signale wahrnehmen und angemessen interpretieren, ist es dennoch unbewusst wie bewusst möglich, dass sie wegen der beschriebenen mangelnden Anreize von Seiten der Vorgesetzen nicht weiter kommuniziert oder Lösungen entwickelt werden. Der autoritäre Führer selbst wird schwache Signale schwerer wahrnehmen, weil wegen seiner kognitiven Fähigkeiten seine Wahrnehmungsmöglichkeiten im Vergleich zu einem Kollektiv begrenzt sind und wegen des mangelnden Diskurses mit anderen Organisationsmitgliedern zudem sein Erfahrungshintergrund eingeschränkt ist. Aufgrund seiner Selbstbezogenheit, seinem Machtstreben und seiner Überzeugung, nicht auf andere angewiesen zu sein, neigt er zudem dazu, schwache Signale, die an ihn kommuniziert werden, zu ignorieren. Besonders, wenn solche selbst wahrgenommenen oder kommunizierten Signale nicht mit seiner individuellen Wirklichkeitskonstruktion übereinstimmen, greifen die mehrfach erwähnten instinktiven Mechanismen zur Vermeidung kognitiver Dissonanz. Nimmt er dennoch schwache Signale auf, interpretiert er diese auf seinem Erfahrungshintergrund, der von dem anderer Organisationsmitglieder und dem intersubjektiv gebildeten der Organisation abweichen kann. Seine Interpretation und die daraus abgeleiteten Handlungen können daher für die anderen Organisationsmitglieder, vor allem die, die das schwache Signal ursprünglich wahrgenommen haben, falsch bzw. nicht angemessen oder rational erscheinen und sie so zusätzlich demotivieren. Besonders gravierend sind solche Auswirkungen beim mittleren Management, das sowohl operatives Wissen als auch strategische Fähigkeiten hat und somit für die Aufnahme und Reaktion auf schwache Signale eine entscheidende Rolle einnehmen könnte. Haben diese Manager autoritäre Vorgesetzte, führen aber selbst eher kooperativ, greifen auch bei ihnen die genannten Mechanismen und ihr Engagement zur Aufnahme und Verarbeitung schwacher Signale wird reduziert.
142 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Diese Ausführungen unterstellen, dass Mitarbeiter grundsätzlich engagiert sind, sich einbringen wollen und durch Verantwortung, Einfluss und Anerkennung motiviert werden. Wie bei der Beurteilung des autoritären Führungsstils angedeutet, gibt es aber auch Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Fähigkeiten oder Einstellungen mit der Rolle als Ausführer ohne Macht und Verantwortung vollends zufrieden sind. Mitarbeiter mit dieser Veranlagung oder Einstellung sind für die Wahrnehmung schwacher Signale eher nicht geeignet und werden durch eine autoritäre Führung auch nicht dafür demotiviert. Sie empfinden den autoritären Führungsstil vielmehr als angenehm. Nach Meinung der Autorin entspricht aber ein Großteil der Mitarbeiter nicht diesem Bild. Auch wenn sie sich – vielleicht durch autoritäre Strukturen – in diese Rolle gefügt haben, sind sie durch Beförderung oder Einräumen von Verantwortung und Vertrauen durchaus wieder zum proaktiven und engagierten Handeln zu motivieren.504 Hypothese 7: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je autoritärer der Führungsstil ist.
4.2.3.3 Anreizsystem
Anreizsysteme in Unternehmen haben aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive das Ziel, Mitarbeiter anzuwerben, zu halten und zu Leistung zu motivieren, wobei im Rahmen dieser Arbeit ausschließlich der dritte Aspekt – das Verhalten bzw. die Leistung der Mitarbeiter zielgerichtet zu beeinflussen – betrachtet wird. Anreize sind eine indirekte Form der Verhaltensbeeinflussung und stellen die Verbindung zwischen Motiven und der Motivation her. Denn sprechen Anreize vorhandene Bedürfnisse an und haben daher einen gewissen Wert oder Nutzen für die Mitarbeiter, motivieren sie ein bestimmtes Verhalten.505 Anreize sind deshalb kausal und eng mit der schon bei anderen Merkmalen thematisierten Motivation verbunden und können diese maßgeblich fördern oder behindern. Grundlage für die motivierende Wirkung von Anreizen sind menschliche Bedürfnisse. Diese vielfältigen, auch als Motive bezeichneten Neigungen der Menschen, bestimmte Ziele zu verfolgen, liegen in der Persönlichkeit und den gemachten Erfahrungen begründet.506 Bei den Betrachtungen dieser Arbeit stehen allerdings nicht die Grund-
504 505
506
Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Motivation im folgenden Kapitel. Vgl. Anreizen und Anreizsystemen Berthel/Becker (2007), S. 445 ff.; Beckmann/Heckhausen (2006), S. 106 ff.; Drumm (2005), S. 467 ff. und 553 ff.; Scholz (2002), S. 45 ff. Vgl. zu Motiven bzw. Bedürfnissen Maslow (1943), S. 372 ff.; auch Scheffer/Heckhausen (2006), S. 54 ff.; Nerdinger (1995), S. 11 f. und 37 ff.; Herzberg (1966), S. 44 ff.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
143
bedürfnisse im Fokus507, sondern die Bedürfnisse, die eng mit der Tätigkeit in einer Organisation verknüpft sind, wie bspw. Macht, Einfluss, Verantwortung, Anerkennung, Vergütung und Weiterentwicklung. Durch entsprechende zu diesen Bedürfnissen passende Anreize kann Motivation erreicht und damit für eine bestimmte Zeit das Verhalten und die Leistungsbereitschaft aktiv in gewünschte Richtungen beeinflusst werden.508 In der Literatur existieren verschiedenste Ansätze und Modelle, die sich mit dieser Verbindung von Motiven und Motivation beschäftigen. Sie liegen diesen Ausführungen zugrunde, werden aber nicht detaillierter vorgestellt.509 Motivation liegt immer in der Person und ihren individuellen Bedürfnissen begründet. Dennoch wird zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation unterschieden, wobei sich diese Unterscheidung nicht auf die Motive selbst, sondern darauf bezieht, wo die Anreize für diese Motive herkommen. Während bei intrinsischer Motivation die Bedürfnisse aus der Tätigkeit selbst befriedigt werden, geschieht dies bei extrinsischer Motivation eher in Form einer Belohnung durch eine dritte Kraft und ist daher zwar mit der Tätigkeit verbunden, wird aber nicht direkt aus ihr generiert. Intrinsische Motivation zielt bspw. auf das Streben nach Verantwortung, Einfluss, Macht, Entfaltungsmöglichkeiten oder das Gefühl, einer bedeutenden Tätigkeit nachzugehen, ab. Extrinsische Motivation entsteht durch die Folgewirkungen der Tätigkeit und bezieht sich eher auf Motive wie Weiterentwicklung und Status.510 Anreize, die diese verschiedenen Bedürfnisse befriedigen und Motivation auslösen können, lassen sich in materielle und immaterielle Anreize unterteilen, wobei die materiellen Anreize sowohl monetärer als auch nichtmonetärer Natur sein können. Monetäre Anreize sind klassisch Vergütung oder Kapitalbeteiligungen, nichtmonetäre materielle Anreize bspw. Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten oder Dienstfahrzeuge. Die immateriellen Anreize umfassen neben den Arbeitsinhalten oder der Arbeitsplatzgestaltung bspw. Machtbefugnisse, Verantwortung, Kompetenzen, Karrierechancen, Beförderung oder Interaktion mit anderen.511 Die Motivation für ein gewünschtes Verhalten steigt demzufolge, wenn diese Anreize entsprechend den
507
508
509
510
511
Zu den Grundbedürfnissen zählen physiologische Bedürfnisse (z.B. Nahrung, Schlaf), Sicherheitsbedürfnisse (z.B. Ordnung, Freiheit, Schutz) und Zugehörigkeitsbedürfnisse (z.B. Freundeskreis, Partnerschaft). Vgl. dazu ursprünglich Maslow (1943), S. 372 ff. Vgl. Nerdinger (1995), S. 9. Das Ziel der Verhaltenssteuerung ist hier die aktive, engagierte Teilnahme der Mitarbeiter an der Unternehmensentwicklung zur Sicherung der Überlebensfähigkeit. Überblicke über verschiedene Motivationsmodelle geben bspw. Berthel/Becker (2007), S. 17 ff.; Hentze (2005), S. 112 ff.; Drumm (2005), S. 472 ff.; Schanz (2000), S. 111 ff. Es gibt verschiedene Auffassungen, was unter intrinsischer und extrinsischer Motivation verstanden wird. In dieser Arbeit wurde sich an Herzberg (1966), S. 66 ff. angelehnt; vgl. dazu Nerdinger (1995), S. 51; kritisch Rheinberg (2006), S. 332 ff. Vgl. Berthel/Becker (2007), S. 41; Drumm (2005), S. 468 und 555; Weinert (1992), Sp. 129 f.
144 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Bedürfnissen gegeben sind.512 Allerdings können immaterielle Anreize nicht klar intrinsischer Motivation und materielle Anreize extrinsischer Motivation zugeordnet werden, sondern in den Abgrenzungen und Wirkungszusammenhängen bestehen, wie bspw. am Bedürfnis nach Anerkennung deutlich wird, Überschneidungen. Anerkennung basiert zwar auf der Aufgabenerfüllung, wird aber meist der extrinsischen Motivation zugeordnet. Zudem kann das Bedürfnis nach Anerkennung durch eher immaterielle Anreize wie Lob, Tätigkeitserweiterung und Beförderung513 oder materielle Anreize wie Vergütung, Dienstwagen oder Fort- und Weiterbildungen befriedigt werden. Mit diesen Vorkenntnissen wird deutlich, warum Motivation kein eigenes Merkmal organisationaler Trägheit darstellen kann. Motivation an sich lässt sich nicht operationalisieren, sondern wird durch die zugrunde liegenden Bedürfnisse und entsprechenden Anreize jeweils situationsabhängig definiert. Daher liefert Motivation auch für alle bisher diskutierten Merkmale mit der Fokussierung auf das jeweils zugrunde liegende Motiv einen gewissen Erklärungsbeitrag. Bei den zuvor betrachteten Merkmalen standen die intrinsischen Bedürfnisse nach Verantwortung, Macht und Entfaltungsmöglichkeiten im Vordergrund, die entsprechend durch die Gestaltung der Entscheidungsstrukturen, Komplexität, Eigentümerstruktur, Investitionen, Veränderungserfahrung, Kontinuität des Top-Managements und Führungsstil beeinflusst werden konnten. In den bisherigen Betrachtungen hat das Fehlen oder die falsche Ausgestaltung dieser immateriellen Anreize organisationale Trägheit gefördert. Im Folgenden wird der Fokus auf die noch nicht betrachteten materiellen Anreize und die aus den Folgewirkungen einer Tätigkeit gewonnene extrinsische Motivation gelegt. Dabei werden speziell die materiellen Anreize Vergütung und Mitarbeiterentwicklung betrachtet. Vergütung wird im Folgenden genauer untersucht, da sie zentrales Element des materiell-monetären Anreizsystems514 ist, das bisher im Rahmen anderer Merkmale noch nicht berücksichtigt wurde. Die motivatorischen Wirkungen von Vergütung sind in der Literatur vielfach und kontrovers diskutiert.515 Um diese Wirkungen nun speziell im Zusammenhang mit organisationaler Trägheit zu betrachten, wird Vergütung in
512
513 514
515
Auf die Problematik, wer das gewünschte Verhalten und die entsprechenden Anreizsysteme festlegt und welche Motive dabei hineinspielen können, wird hier nicht weiter eingegangen. Tätigkeitserweiterung und Beförderung sind intrinsisch, weil sie Macht und Verantwortung bringen. Das andere monetäre Element Kapitalbeteiligung wird nicht betrachtet, da die Wirkungen variabler Vergütung ähnlich sind und es in mittelständisch geprägten Großunternehmen selten vorkommt. Ausgelöst wurde diese Debatte durch Herzberg (1966), S. 74, der Vergütung motivationsneutral betrachtet, solange sie nicht zu gering ist und dadurch demotiviert.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
145
fixe und variable Elemente getrennt.516 Der fixen Vergütung – einem fest vereinbarten Lohn oder Gehalt – kann, solange sie nicht als zu niedrig empfunden wird, nur ein begrenzter Einfluss auf die Motivation zugesprochen werden. Bei ausschließlich fixer Vergütung werden sich Mitarbeiter tendenziell weniger aktiv an der Unternehmensentwicklung beteiligen und Veränderungen anstoßen oder unterstützen, weil zum einen ihre Entlohnung von der Qualität und dem Ergebnis ihrer Tätigkeit entkoppelt ist. Zum anderen hat die Situation des Unternehmens, solange diese nicht existenzbedrohend ist, keine positiven oder negativen Auswirkungen auf ihre Entlohnung. Anders ist dies bei leistungs- oder erfolgsabhängiger variabler Vergütung, die meist zusätzlich zu einem fixen Lohn oder Gehalt vereinbart wird.517 Dabei sind die variablen Vergütungsbestandteile in der Regel an Ziele gekoppelt, die in enger Verbindung mit der persönlichen Leistung, dem Ergebnisbeitrag eines gewissen Verantwortungsbereichs oder der Entwicklung des Gesamtunternehmens stehen.518 Ist variable Vergütung bspw. an individuelle Leistungsziele oder die Performance des Bereichs gebunden, den der Mitarbeiter verantwortet, kann von einer höheren Motivation ausgegangen werden, da der Mitarbeiter direkt mit seinen Tätigkeiten auf den variablen Vergütungsbestandteil einwirken kann. Solche Mitarbeiter haben daher ein höheres Interesse an der Entwicklung des Unternehmens und speziell ihres Bereichs, stehen Veränderungen offener gegenüber und sind engagierter, Veränderungen, bei denen sie involviert waren, zum Erfolg zu führen. Von einer variablen Vergütung, die nur an die Entwicklung des Gesamtunternehmens gekoppelt ist, geht im Vergleich eine geringere Motivation aus, da der Einfluss jedes Einzelnen auf diese Entwicklung, solange er nicht im höheren Management ist, begrenzt ist. Eine ähnliche gering motivierende Wirkung ist zu vermuten, wenn Mitarbeiter die Erfahrung gemacht haben, dass die variable Vergütung für ihren subjektiven Einsatz zu niedrig war. Liegt also keine leistungs- und erfolgsabhängige Vergütung zusätzlich zu einer fixen Vergütung vor, erscheint der variable Bestandteil durch den Mitarbeiter wenig beeinflussbar oder hat der Mitarbeiter die Erfahrung gemacht, dass die variable oder fixe Vergütung seinem Einsatz nicht angemessen ist, wird er weniger gewillt sein, sich aktiv in die Unternehmensentwicklung einzubringen, und es besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit der Herausbildung organisationaler Trägheitskräfte. Diese Zusammenhänge gelten in gleicher Weise für Management und Mitarbeiter. Allerdings sind variable Vergütungselemente häufiger im Management zu finden, so dass bei 516
517 518
Vgl. zu Vergütungssystemen überblicksartig Berthel/Becker (2007), S. 447 ff.; Drumm (2005), S. 593 ff.; Schanz (2000), S. 574 ff. Dabei stehen in diesem Fall Prämien und Boni, weniger der Akkordlohn im Fokus. Die Probleme der Bemessung und Bewertung variabler Vergütung werden nicht näher betrachtet, vielmehr, ob es in mittelständisch geprägten Großunternehmen überhaupt variable Vergütung gibt.
146 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Managern – ohne Berücksichtigung der anderen aufgezeigten Pathologien – grundsätzlich von geringeren Trägheitskräften ausgegangen werden kann. Ein zentraler materieller, aber nichtmonetärer Anreiz ist die Mitarbeiterentwicklung. Mitarbeiterentwicklung zeichnet sich durch bewusste, zielgerichtete, geplante und geförderte Maßnahmen zur Unterstützung der individuellen Karriere aus und bedient das Streben nach persönlichem Fortschritt, das auf intrinsischen Bedürfnissen wie Macht und Einfluss und extrinsischen Bedürfnissen wie Anerkennung und Status beruht. Den Mitarbeitern wird dabei ein klarer Pfad aufgezeigt, wie sich ihre weitere Entwicklung in der Organisation darstellen kann, und Hilfestellung gegeben, diese Zielsetzung zu erreichen. Diese Hilfestellungen sind klassischerweise Qualifikationsund Weiterbildungsprogramme bspw. in Form von Seminaren und Zusatzausbildungen oder das geplante Kennenlernen neuer Bereiche durch Jobrotation.519 Durch Fort- und Weiterbildungen erweitern die Mitarbeiter ihr Wissen und ihre Fertigkeiten und sind motivierter und engagierter, weil das Unternehmen in sie investiert hat und Aussicht auf einen künftig höheren Einfluss und höhere Vergütung besteht. Sie sind daher eher fähig und bereit, Veränderungsnotwendigkeiten zu erkennen und entsprechende Handlungsvorschläge zu erarbeiten, was die Trägheitskräfte reduziert. Durch Jobrotation können andere Bereiche kennengelernt, neue Erfahrungen gesammelt und die Transparenz des Gesamtunternehmens erhöht werden, was die Motivation steigert.520 Zudem haben Mitarbeiter durch solche Erfahrungen mehr Verständnis für Veränderungen, können diese besser einschätzen und nachvollziehen und sich durch ihr breiteres Wissen besser einbringen. Allerdings ist gerade in mittelständisch geprägten Großunternehmen eine solche systematische Mitarbeiterentwicklung historisch bedingt nicht sehr häufig vorzufinden. Vergütung und Mitarbeiterentwicklung, die beide hauptsächlich auf das Bedürfnis nach Anerkennung abzielen, machen noch einmal deutlich, wie sehr die Merkmale des Modells verknüpft sind und in ihrem Zusammenspiel auf organisationale Trägheit wirken. Denn selbst wenn es in einer Organisation keine Mitarbeiterentwicklung gibt und nur unangemessene fixe Vergütung, können die Mitarbeiter motiviert sein, da sie bspw. durch kooperativen Führungsstil oder eher dezentralisierte Entscheidungs-
519
520
Vgl. zur Mitarbeiter-/Personalentwicklung bspw. Drumm (2005), S. 400 ff.; Berthel/Becker (2007), S. 306 ff., auch Rosenstiel (2003), S. 210 ff. Vgl. dazu auch die Begründungen zu Transparenz in Kapitel 4.2.2.2.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
147
strukturen Verantwortung und Einfluss als Anerkennung ihrer Leistung bekommen. Trotzdem bleibt für die Anreize Vergütung und Mitarbeiterentwicklung festzuhalten:521 Zwischenhypothese 8: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je geringer die leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung und die Initiativen zur Mitarbeiterentwicklung sind. Die geringe Motivation bei als ungerecht empfundener oder nicht vorhandener leistungs- oder erfolgsabhängiger Vergütung und Mitarbeiterentwicklung wirkt sich auch auf die Erkennung schwacher Signale und das Handeln in latenten Unternehmenskrisen aus. Sehen die Mitarbeiter bei ausschließlich fixer Vergütung oder variabler Vergütung, die an von ihnen nicht oder nur schwer beeinflussbare Faktoren gekoppelt ist, keinen Zusammenhang zwischen ihrem Engagement und der Entlohnung, sind sie – ähnlich wie bspw. bei Intransparenz beschrieben – weniger motiviert, auf schwache Signale zu achten oder aktiv danach zu suchen. Sie haben durch das Erkennen schwacher Signale und die Erarbeitung von Handlungsmöglichkeiten nur Aufwand, profitieren aber nicht direkt davon, wenn diese bspw. auf Chancen hindeuten. Ist eine leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung nicht vorhanden, ist daher die Wahrscheinlichkeit höher, das schwache Signale aus mangelndem Interesse unbewusst oder bewusst ignoriert werden und so interpretiert werden, dass sie keine weitere Handlung oder Kollektivierung notwendig machen. An die Folgen, die nicht erkannte schwache Signale, die auf Risiken hindeuten, in letzter Konsequenz auch für das persönliches Streben bspw. nach Arbeitsplatzsicherheit haben können, wird aufgrund der beschriebenen begrenzten Rationalität oft nicht gedacht. Wie erwähnt sind solche variablen Vergütungsbestandteile eher in höheren Managementebenen, besonders beim Top-Management, zu finden. Dort sind daher zwar Motivation und Möglichkeiten größer, sensibel auf schwache Signale zu reagieren und Handlungen einzuleiten, allerdings sind diese Manager trotzdem, wie erläutert, in ihren Wahrnehmungskapazitäten begrenzt und können nicht die gleiche Fülle an Signalen aufnehmen wie ein Kollektiv. Sind nun die Mitarbeiter auf unteren Ebenen wenig incentiviert, auf schwache Signale zu achten oder diese zu kommunizieren, wird den prinzipiell motivierten und zur Handlung fähigen Managern dadurch die Möglichkeit genommen, für das Unternehmen – unter der Annahme, dass dessen Interessen mit ihren eigenen übereinstimmen – frühzeitig auf schwache Signale zu reagieren. 521
Einen ähnlichen Zusammenhang zwischen variabler Vergütung bzw. Jobrotation und Trägheit stellen Colombo/Delmastro (2002), S. 601 f. und 629 her. Zur Auswirkung von Incentives generell auf Trägheit unter verschiedenen Bedingungen vgl. Kaplan/Henderson (2005), S. 517 f.
148 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Gibt es in Unternehmen eine systematische Mitarbeiterentwicklung, unterstützt dies aus verschiedenen Gründen die Aufmerksamkeit für schwache Signale. Sind solche Programme nicht für alle Mitarbeiter zugänglich, kann man sich aber durch Engagement und Leistung dafür qualifizieren, sind Mitarbeiter motivierter, auf schwache Signale zu achten, diese zu kommunizieren, kreative Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen, um auf sich und ihren konstruktiven Beitrag zur Unternehmensentwicklung aufmerksam zu machen. Werden Mitarbeiter systematisch durch das Unternehmen gefördert und haben sie eine klare Fortschrittsperspektive, erhöht dies ihre Bindung an das Unternehmen, ihr Interesse an seiner Entwicklung und führt dazu, dass sie eher auf Signale achten, die diese beeinflussen können. Außerdem steigt durch Fort- und Weiterbildungen das Wissen, schwache Signale zu erkennen und adäquate Lösungen zu erarbeiten. Wird Jobrotation im Rahmen der Mitarbeiterentwicklung eingesetzt, wirkt das Kennenlernen anderer Bereiche sowohl motivierend, erweitert aber auch den Erfahrungshintergrund. Für solche Mitarbeiter sind durch ihr Wissen und ihre Erfahrungen aus verschiedenen Abteilungen die Wirkungszusammenhänge transparenter und sie erwerben ganz andere Fähigkeiten, schwache Signale zu erkennen, diese zu interpretieren, ihre Auswirkungen für das Gesamtunternehmen zu bewerten und Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Diese Mitarbeiter sind zudem gewohnt, sich auf immer wieder neue Situationen einzustellen und daher weniger skeptisch gegenüber Veränderungen, die dem Erkennen schwacher Signale folgen können. Darüber hinaus werden sie durch ihren breiteren Erfahrungshorizont weniger Interpretations- und Vorgehensweisen der Vergangenheit anwenden, was organisationaler Trägheit zusätzlich entgegenwirkt. Festzuhalten ist daher: Hypothese 8: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je geringer die leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung und die Initiativen zur Mitarbeiterentwicklung sind.
4.2.3.4 Kommunikationskultur
Kommunikation bezeichnet grundsätzlich die Übermittlung von Daten, Signalen und Informationen zwischen Personen mit Hilfe von verbalen und nonverbalen Mitteln.522 522
Vgl. zur Kommunikation einleitend bspw. Burkart (2002), S. 20 ff.; für technische Aspekte insb. Shannon/Weaver (1963), für soziale Aspekte Watzlawick et al. (2007), und für eine Übersicht heute existierender Kommunikationsmodelle Beck (2007), S. 16; Burkart (2002), S. 423 ff.; Merten (1999), S. 72 ff.; Burkart/Hömberg (1995), S. 2 f. und die weiteren dort zu findenden Artikel.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
149
Den Überlegungen zur Kommunikation liegt dabei meist das Modell der technischen Kommunikation zugrunde. Dort werden Informationen durch den Sender kodiert und als Signal über einen Kommunikationskanal an den Empfänger übermittelt, der dieses dann dekodiert und wieder in Informationen umwandelt. Dieser Kommunikationsprozess kann durch Störungen beeinflusst werden, die bei der Übertragung und auch bei der Kodierung und Dekodierung auftreten können. Wegen dieser Störungen sollte ein Feedback vom Empfänger an den Sender erfolgen, um sicherzustellen, dass die Nachricht richtig verstanden und interpretiert wurde.523 Heute beschäftigt sich die Literatur neben diesem technischen Kommunikationsprozess aber vor allem mit den sozialen Aspekten der Kommunikation. Kommunikation wird dabei meist in einen Inhalts- und Beziehungsaspekt unterteilt, wobei der Beziehungsaspekt durch Zusatzinformationen, bspw. über das Verhältnis von Sender und Empfänger, hilft, die übermittelten Daten angemessen zu verstehen.524 Während der Inhaltsaspekt in der Regel durch verbale Kommunikation übermittelt wird, trägt nonverbale Kommunikation wie Mimik, Gestik, Blickkontakt oder Körperhaltung den Beziehungsaspekt.525 Wie in Kapitel 4.1 erläutert, leistet Kommunikation einen wichtigen Beitrag zur Wahrnehmung und Herstellung von konsensuellen Bereichen, da durch verbale und nonverbale Kommunikation die eigenen Wirklichkeitskonstruktionen und Wahrnehmungen mit Anderen abgeglichen und bestätigt oder modifiziert werden. Bei der Betrachtung von organisationaler Trägheit und Krisenfrüherkennung spielen daher Kommunikationsstörungen, die die individuelle wie kollektive Wahrnehmung, Interpretation und Handlung beeinträchtigen können, eine entscheidende Rolle. Sie können motivationaler Art sein, so dass wegen mangelndem Interesse Kommunikation gar nicht erst stattfindet, aber auch in kognitiven Grenzen, anderen Interpretationshintergründen oder mangelnder Aufmerksamkeit begründet liegen.526 Im Folgenden wird daher die Kommunikation in Organisationen mit Fokussierung auf diese beiden Arten von Kommunikationsstörungen und ihre Auswirkungen auf organisationale Trägheit und strategische Früherkennung untersucht. In Organisationen existieren gewisse "Kommunikationskulturen", also geteilte und historisch entwickelte Einstellungen, Verhaltensweisen und Wege, wie kommuniziert
523
524
525
526
Vgl. zu diesem aus der Nachrichtentechnik entlehnten Modell v.a. Shannon/Weaver (1963), S. 7 ff.; auch Burkart (2002), S. 426 ff.; Badura (1995), S. 16 ff. Vgl. Watzlawick et al. (2007), S. 53 ff. Schulz von Thun (1981), S. 26 ff. erweitert in seinem "Kommunikationsquadranten" diese Betrachtung um die Aspekte Appell und Selbstoffenbarung. Vgl. Watzlawick et al. (2007), S. 64. Zu einer Übersicht von Medien, über die man kommunizieren kann vgl. auch Burkart (2002), S. 36 ff.; Staehle (1999), S. 302; zu informeller Kommunikation Merten (1999), S. 118 ff. Vgl. zu Kommunikationsstörungen Burkart (2002), S. 86 ff. und 107 ff.; Müller, C.D. (2005), S. 112 ff.
150 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
wird.527 Dabei steht hier im Mittelpunkt, wie offen und formal die Kommunikation ist und wie sie vertikal und horizontal ausgestaltet ist. Offen wird kommuniziert, wenn Organisationsmitglieder frei ihre Meinungen gegenüber anderen – auch Vorgesetzten – äußern können, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen, wenn sie kritische Anmerkungen machen. Eine offene Kommunikationskultur geht oft mit einem kooperativen Führungsstil einher und erfordert ein hohes Maß an Vertrauen und Respekt. In einem solchen Umfeld werden Mitarbeiter motiviert, sich und ihre Erfahrungen in die kollektive Wahrnehmung einzubringen, weil dies vorgelebt, gewünscht und gefördert wird. Eine offene Kommunikation verringert die Trägheitskräfte, weil durch die vielen geteilten Erfahrungen breite konsensuelle Bereiche entstehen, die Rationalität erhöht wird, die Mitarbeiter sich besser informiert und eingebunden fühlen und sich daher stärker engagieren. Wird eine solch offene Meinungsäußerung nicht praktiziert, nicht gefördert und vielleicht sogar kritisiert, werden sich Mitarbeiter eher auf ihre Aufgaben zurückziehen und sich mit kritischen wie konstruktiven Anmerkungen zurückhalten. In so einem Umfeld ist ihre Informationsbasis und ihr Einblick in das Gesamtunternehmen geringer, so dass sie nicht nur weniger motiviert, sondern auch weniger fähig sind, sich aktiv in die Unternehmensentwicklung einzubringen, was die Rationalität verringert und die Trägheitskräfte erhöht.528 Einen weiteren Einfluss auf organisationale Trägheit kann die vertikale und horizontale Ausgestaltung der Kommunikation haben, die eng mit den Entscheidungsstrukturen, dem Führungsstil und der bei Komplexität thematisierten Transparenz zusammenhängt. Ist die Kommunikation i.W. einseitig direktiv von der Führungsspitze in die Organisation und haben Mitarbeiter wenig Möglichkeit, ihre Meinungen der Führung mitzuteilen, bezeichnet man dies als Top-down-Kommunikation. Das Gegenstück dazu bildet die Bottom-up-Kommunikation, bei der Mitarbeiter intensiv mit ihren Vorgesetzten kommunizieren. Laterale Kommunikation findet hingegen auf einer Hierarchiestufe statt, dafür aber meist über verschiedene Abteilungen und Bereiche hinweg und spielt bei informalen Strukturen und Prozessen eine wichtige Rolle. Forciert die Kommunikationskultur vor allem Top-down-Kommunikation und unterdrückt Bottom-up- und laterale Kommunikation, fördert dies aus mehreren Gründen organisationale Trägheit. Bei vorwiegender Top-down-Kommunikation sind die Mitarbeiter auf unteren Ebenen demotiviert, weil sie wissen, dass die Führung an ihren Ansichten wenig Interesse hat und es unwahrscheinlich ist, dass diese, wenn sie zu 527
528
Kommunikations- und Unternehmenskultur beschreiben als weiche Faktoren beide ein gewisses Selbstverständnis der Interaktion in Organisationen und sind daher eng verknüpft. In dieser Arbeit wurde bewusst Kommunikationskultur und nicht Unternehmenskultur als Merkmal gewählt, da diese im Vergleich noch besser zu operationalisieren und an konkreten Kriterien festzumachen ist. Vgl. dazu auch die Erläuterungen zu Intransparenz in Kapitel 4.2.2.2.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
151
ihnen durchdringen, berücksichtigt werden. Bei einer solchen Kommunikationskultur, die oft mit zentralisierten Entscheidungsstrukturen und autoritärem Führungsstil einhergeht, verhalten sich die Mitarbeiter eher passiv und daher kommen bei den Führungskräften nur wenige Hinweise auf Veränderungsnotwendigkeiten an. Da zudem kaum Diskurs über Hierarchieebenen hinweg stattfindet, sinkt die Rationalität von Entscheidungen, denn ohne die Einbeziehung verschiedener Erfahrungshintergründe wird kein umfassender konsensueller Bereich bspw. zur Interpretation und Umsetzung von Veränderungen erzeugt. Führungskräfte sind daher i.W. auf ihre eigenen, begrenzteren, Wahrnehmungen und Erfahrungen angewiesen. Trägheitskräfte werden außerdem gefördert, wenn in einem solchen Umfeld wenig laterale Kommunikation stattfindet, denn auch der Austausch mit anderen Bereichen eröffnet neue Sichtweisen auf Wahrnehmungen, erhöht das Wissen und dadurch die Veränderungsfähigkeit.529 Darüber hinaus wirkt eine hohe Formalisierung der Kommunikation, ähnlich wie bei Entscheidungsstrukturen erläutert, positiv auf die Herausbildung von Trägheitskräften. Ist die Kommunikation stark schriftlich geprägt oder an Formulare gebunden, ist sie für den Sender im Vergleich zu mündlicher Kommunikation mit einem höheren Aufwand verbunden. Aus rein kapazitativen Gründen steigt daher die Wahrscheinlichkeit, dass Informationen von den Mitarbeitern oder auch der Führung nicht weitergegeben werden. Schriftliche Kommunikation dauert in jedem Fall länger, so dass sich der Kommunikationsprozess verzögert und relative Trägheit gefördert wird. Bei sehr formaler Kommunikation ist es zudem schwieriger, den meist nonverbal vermittelten Beziehungsaspekt, der für die angemessene Interpretation der kommunizierten Daten wichtig ist, dem Empfänger mitzuteilen. Dies kann zu Irritationen und Feedbackschleifen führen, die weitere Kapazitäten binden und daher Trägheitskräfte unterstützen. Es ist also festzuhalten: Zwischenhypothese 9: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je eingeschränkter, top-down-geprägter und formaler die Kommunikationskultur ist. Auch das Erkennen schwacher Signale und die Einleitung von Gegenmaßnahmen kann durch diese Aspekte der Kommunikationskultur maßgeblich beeinflusst werden. Ist die Kommunikationskultur in einer Organisation wenig offen, haben Mitarbeiter seltener erlebt und sind daher weniger gewohnt, dass schwache Signale kommuniziert, diskutiert und kollektiv basierend auf verschiedenen Erfahrungshintergründen
529
Vgl. dazu auch die Ausführungen zu informalen Strukturen und Prozessen in Kapitel 4.2.2.2.
152 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
interpretiert werden. Die Mitarbeiter sind daher skeptisch, welche Folgen es für sie persönlich und die Organisation haben kann, wenn sie wahrgenommene schwache Signale mitteilen.530 Haben sie zudem die Erfahrung gemacht, dass Vorgesetzte von ihnen selbst oder von Kollegen kommunizierte Signale gar nicht hören wollten oder nicht beachtet haben, demotiviert dies zusätzlich. In einem solchen Umfeld werden Mitarbeiter schwachen Signalen weniger Aufmerksamkeit schenken, womit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie nicht erkannt oder unbewusst ignoriert werden. Selbst wenn schwache Signale wahrgenommen werden, neigen Mitarbeiter aus den genannten Gründen entweder dazu, diese so zu interpretieren, dass keine Kommunikation notwendig ist oder aber in gewissem Maße bewusst auf eine solche zu verzichten. Bei eingeschränkten Kommunikationskulturen, gerade verbunden mit zentralisierten Entscheidungsstrukturen und autoritärer Führung, kommen daher viele Signale, die in der Organisation an verschiedenen Stellen wahrgenommen werden oder werden könnten, gar nicht bei den Führungskräften an. Diese sind daher in der Früherkennung auf die wenigen kommunizierten schwachen Signale, aber vor allem auf ihre eigenen Wahrnehmungen angewiesen und müssen in der Interpretation mit bekannten Folgen auf ihren begrenzten Erfahrungshintergrund zurückgreifen. Sind Unternehmen stark durch Top-down-Kommunikation geprägt, hemmt dies die Aufnahme, Interpretation und Reaktion auf schwache Signale zusätzlich. Bei einer solch direktiven Kommunikation sind die Mitarbeiter auf unteren Ebenen schwachen Signalen gegenüber tendenziell weniger aufgeschlossen, da sie, wie erläutert, die Erfahrung gemacht haben oder durch andere wissen, dass diese nur schwer bis zu den Führungskräften durchdringen. Zudem fehlt ihnen, besonders wenn die Kommunikationskultur wenig offen ist, durch die restriktive Informationsversorgung schlicht das Wissen, schwache Signale zu erkennen, diese vor dem angemessenen Hintergrund zu interpretieren und entsprechende Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Starke Top-down-Kommunikation macht es daher auf Mitarbeiterebene wahrscheinlicher, dass schwache Signale vornehmlich unbewusst ignoriert, als irrelevant interpretiert und nicht weiter kommuniziert werden. Die Führungskräfte, die grundsätzlich die Möglichkeit haben, Gegenmaßnahmen einzuleiten, bekommen weniger Signale mitgeteilt und sind, wie im vorherigen Absatz bereits erläutert, stark auf ihre eigenen, begrenzteren Wahrnehmungen angewiesen.531 Werden schwache Signale dennoch von den Mitarbeitern kollektiviert oder durch die Führungskräfte wahrgenommen, kann wegen der mangelnden Interaktion zwischen den verschiedenen Ebenen der 530 531
Vgl. dazu auch die Ausführungen bei Veränderungserfahrung in Kapitel 4.2.2.5. Vgl. auch die Top-Management-Pathologien in Kapitel 4.2.3.1. Geht Top-down-Kommunikation mit autoritärem Führungsstil einher, wollen die Fürungskräfte auch wegen ihrer Selbstüberzeugung und -bezogenheit von anderen wahrgenommene Signale nicht berücksichtigen. Vgl. 4.2.3.2.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
153
konsensuelle Bereich zu wenig ausgeprägt sein, um die Signale angemessen zu interpretieren. Es besteht daher die Gefahr, dass Signale durch die Führungskräfte abweichend von den anderen Organisationsmitgliedern interpretiert werden und auf diese dann entweder gar nicht reagiert wird oder Handlungen eingeleitet werden, die für andere wenig einsichtig sind. Verstärkend kommt hinzu, dass es bei geringer Bottom-up-Kommunikation schwerer ist, den Beziehungsaspekt als ergänzende Information zur angemessenen Interpretation zu vermitteln. Dies alles kann dazu führen, dass zur Abwendung einer drohenden Krisensituation unangemessen reagiert wird.532 Findet ferner wenig laterale Kommunikation statt, ist auch der konsensuelle Bereich zwischen Mitarbeitern einer Ebene wenig ausgeprägt. Durch den geringen Austausch wissen die Mitarbeiter nicht, welche Erfahrungen in anderen Abteilungen gemacht werden, und können daher schlechter abschätzen, ob schwache Signale für die anderen Bereiche oder die Gesamtorganisation relevant sind. Besonders bei dezentralisierten Entscheidungsstrukturen kommt lateraler Kommunikation eine hohe Bedeutung zu. Denn auch wenn Mitarbeiter die Möglichkeit haben, selbst Reaktionen auf schwache Signale einzuleiten, neigen sie doch dazu, ihre Interpretation und geplanten Handlungen vorher intersubjektiv mit anderen zu bestätigen. Dies ist bei geringer lateraler Kommunikation schwieriger bzw. geschieht auf einem beschränkteren Erfahrungshintergrund, so dass sich die Rationalität von Reaktionen reduziert. Ähnlich wie bei Entscheidungsstrukturen beschrieben, erschwert auch Formalisierung die Kommunikation schwacher Signale. Ist der Kommunikationsprozess durch die Formalisierung sehr aufwendig, sind Mitarbeiter wegen ihrer begrenzten Zeit weniger gewillt, schwache Signale, die vielleicht gar nicht beachtet werden, weiterzuleiten. Es steigt daher die Wahrscheinlichkeit, dass Signale unterbewusst ignoriert oder so interpretiert werden, dass sie keine Relevanz haben und keinen Aufwand erfordern. Mitarbeiter können aber auch wegen ihrer begrenzten Zeit gezwungen sein, zu priorisieren, so dass gewisse Signale bewusst verloren gehen. Außerdem besteht auch bei hoher Formalisierung das Risiko, dass schwache Signale von den Empfängern anders interpretiert werden als von den Sendern intendiert, da sich die Sender nur auf wesentliche Aspekte des Signals beschränken und besonders der Beziehungsaspekt bei dieser Form der Kommunikation schwer zu vermitteln ist. Nicht zuletzt erhöht Formalisierung die Dauer des Kommunikationsprozesses, so dass schwache Signale, wenn sie bei den Entscheidern ankommen, auch obsolet sein können oder bereits akute Folgen haben können. Daher lautet die Hypothese: 532
Die Bedeutung von permanter und intensiver vertikaler und horizontaler Kommunikation zur Förderung strategischer Früherkennung betont auch Zurlino (1995), S. 109.
154 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Hypothese 9: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je eingeschränkter, top-down-geprägter und formaler die Kommunikationskultur ist.
4.2.4 Unternehmensexterne Merkmale
4.2.4.1 Wettbewerbsintensität
Wettbewerb bedeutet, dass mehrere Akteure nach einem bestimmten Ziel streben, wobei die Zielerreichung eines Akteurs immer zu Lasten der Zielerreichung des oder der Anderen geht.533 Wettbewerbsintensität beschreibt dabei die Ausprägung dieser Konkurrenz, also wie stark sich die Unternehmen innerhalb einer Branche in diesen Zielerreichungen beeinflussen, aber auch die Dynamik, also wie schnell die Wettbewerbsvorsprünge eines Konkurrenten aufgeholt werden können.534 In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird Wettbewerbsintensität vor allem bei PORTER thematisiert, in der Volkswirtschaft bei KANTZENBACH. Während dieser aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive betrachtet, unter welchen Bedingungen sich Wettbewerb und Wettbewerbsintensität entwickeln, zielt PORTER darauf ab, die Struktur einer Branche zu erfassen und daraus vor allem strategische Rückschlüsse zu ziehen. PORTER analysiert eine Branche anhand der fünf strukturellen Kriterien: Anzahl der Wettbewerber, potentielle Wettbewerber, Macht der Lieferanten, Macht der Kunden und Bedrohung durch Substitutionsprodukte. Diese Kräfte beeinflussen nicht nur die Attraktivität der Branche, sondern auch die in ihr vorherrschende Wettbewerbsintensität und wirken als externe Einflüsse auf die Unternehmensentwicklung. Die Wettbewerbsintensität ist dabei umso höher, je stärker diese Kräfte ausgeprägt sind.535 Differenzierter betrachtet KANTZENBACH die Wettbewerbsintensität, die bei ihm von der Anzahl der Konkurrenten und dem Grad der Marktunvollkommenheit, definiert als Produktheterogenität und Marktintransparenz, abhängig ist.536 Am geringsten ist die Wettbewerbsintensität im homogenen Duopol bei hoher Transparenz. Sie steigt dann
533 534 535
536
Vgl. bspw. Olten (1995), S. 13 f.; Cox/Hübener (1981), S. 4; Borchardt/Fikentscher (1957), S. 15. Vgl. zur Definition von Wettbewerbsintensität insb. Kantzenbach (1967), S. 38 f. Vgl. zur Branchenstrukturanalyse und den Rückschlüssen auf die Wettbewerbsintensität ursprünglich Porter (2004), S. 3 ff.; auch Kieser/Walgenbach (2007), S. 415 ff.; Bea/Haas (2005), S. 99 ff. Vgl. v.a. Kantzenbach (1967); auch Olten (1995), S. 88 ff.; Kantzenbach/Kallfass (1981), S. 108 ff., wobei für Kantzenbach die optimale Wettbewerbsintensität im weiten Oligopol besteht, vgl. Kantzenbach (1967), S. 49.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
155
mit zunehmender Anbieterzahl und Unvollkommenheit, bis sie im engen Oligopol bei mäßiger Marktunvollkommenheit den höchsten Wert erreicht. Danach nimmt sie mit weiter steigender Anbieterzahl, Intransparenz und Differenzierung wieder ab. Die niedrige Wettbewerbsintensität im homogenen Duopol erklärt sich, da es in dieser Situation wahrscheinlich ist, dass es spontan oder geplant zu wettbewerbsbeschränkendem Verhalten kommt.537 Ohne ein solches Verhalten wäre die Wettbewerbsintensität im homogenen Duopol am höchsten und würde danach mit steigender Anbieterzahl und Unvollkommenheit abnehmen.538 Diese Zusammenhänge ändern sich allerdings, wenn ein Wettbewerber eine überragende Stellung hat – für diesen Wettbewerber ist die Wettbewerbsintensität in jedem Fall gering. Im Population Ecology-Ansatz sind Wettbewerb und seine Intensität besonders bei der Forschung zu Density Dependence und Red Queen Competition von Bedeutung. Während Density Dependence die Auswirkungen der Anbieteranzahl in einer Population oder Nische vor allem auf die Mortalitätswahrscheinlichkeit untersucht,539 beschäftigt sich Red Queen Competition damit, wie das Wettbewerbsumfeld und kurz zurückliegende Veränderungserfahrungen das Verhalten in veränderten Wettbewerbsumfeldern beeinflusst.540 Unter Einbeziehung dieser Erkenntnisse und basierend auf den skizzierten Konzeptionen werden nun die Auswirkungen der Wettbewerbsintensität auf Trägheit und Früherkennung betrachtet. Um Wettbewerbsintensität für diese Überlegungen zu operationalisieren, werden als Indikatoren für die Unvollkommenheit des Marktes vereinfacht Unterschiede in Größe oder Technologie verwendet. Ist die Wettbewerbsintensität in einer Branche hoch, weil es eine mittlere Anzahl von Anbietern gibt und von diesen keiner aufgrund der Größe oder Technologie eine beherrschende Stellung hat, sind die Konkurrenten eher gewohnt, die Wettbewerbssituation zu beobachten. Die Unternehmen haben wegen des unmittelbaren Einflusses auf ihre eigene Entwicklung eine größere Erfahrung darin, das Verhalten der Mitbewerber ebenso wie die anderen von PORTER definierten Branchenkräfte zu verfolgen, zu evaluieren, daraus Rückschlüsse über den eigenen Anpassungsbedarf zu ziehen und diesen vor allem auch umzusetzen.541 In enger Verbindung mit den Ausführungen zur individuellen und kollektiven Veränderungserfahrung in Kapitel
537 538 539
540 541
Dieser Verlauf zeigt die "effektive Wettbewerbsintensität". Vgl. Kantzenbach (1967), S. 87 ff. Diesen beschreibt Kantzenbach (1967), S. 39 ff. als "potentielle Wettbewerbsintensität". Vgl. zur Density Dependence die Verweise in Kapitel 3.2.6. Die Arbeiten untersuchen Wettbewerbsintensität in Verbindung mit Mortalitätswahrscheinlichkeit und Gründungsrate, aber nicht mit organisationaler Trägheit. Dennoch unterstützen die Argumente die folgenden Ausführungen. Vgl. insb. Barnett/Pontikes (2008), S. 1237 ff. Unternehmen, die diese Fähigkeiten nicht herausgebilden oder in der Vergangenheit herausgebildet haben, werden populationsökologisch gesehen früher oder später aus dem Markt ausscheiden.
156 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
4.2.2.5 macht demnach eine hohe Wettbewerbsintensität Unternehmen weniger anfällig für Trägheitskräfte. Ist der Markt jedoch durch eine hohe Anbieterzahl sehr fragmentiert und zudem, wie in der Praxis häufig vorzufinden, z.B. durch hohe Produktheterogenität intransparent, ist die Wettbewerbsintensität geringer und organisationale Trägheit aus verschiedenen, nachfolgend dargestellten Gründen wahrscheinlicher: In einem solch atomisierten Markt ist durch die vielen Mitbewerber und die Undurchsichtigkeit der Einfluss, den das Verhalten der anderen Anbieter auf die eigene Position hat, deutlich geringer als in einem Oligopol.542 Unternehmen haben eher die Möglichkeit, sich Nischen zu schaffen, und unterliegen daher häufiger der Annahme, unabhängig von der Entwicklung der Branchenkräfte, besonders von dem Verhalten anderer Mitbewerber, zu sein. Eine Anpassung an sie und entsprechend eine gewisse Veränderungsfähigkeit erscheinen gar nicht erforderlich. In heterogenen Polypolen werden sich Unternehmen und die in ihnen tätigen Mitarbeiter daher tendenziell weniger mit den Branchenkräften, Veränderungsnotwendigkeiten und -möglichkeiten auseinandersetzen. Sie sind sich darüber hinaus auch über die positiven Auswirkungen, die Veränderungen auf die Unternehmensentwicklung haben können, nicht bewusst und in Veränderungen grundsätzlich weniger geübt. Hat ein Wettbewerber eine beherrschende Stellung, empfindet dieser subjektiv die Wettbewerbsintensität, der er ausgesetzt ist, als gering.543 Eine solche Position liegt oft in einer erfolgreichen Geschichte oder einem technologischen Vorsprung begründet. Dieses kann die Organisationsmitglieder aufgrund der komfortablen Marktsituation zu einer gewissen Hybris gegenüber den Branchenkräften verleiten. Sie haben unter Umständen noch nie, oder lange nicht mehr, die Erfahrung gemacht, negativ von Branchenkräften betroffen zu sein, so dass ihre Bereitschaft, Einsicht und Erfahrung mit Veränderungen gering sind, was Trägheitskräfte fördert. Trotz ihrer starken Stellung können jedoch bspw. neue Wettbewerber, Technologien oder Markttrends Auswirkungen auf solche Unternehmen haben und diese im Extremfall, wenn sie Entwicklungen zu lange verkennen, in existenzbedrohende Situationen bringen.544 Die Wettbewerbsintensität im homogenen Duopol ist, wie skizziert, vom Verhalten der Duopolisten abhängig. Sie kann bei wettbewerbsbeschränkender friedlicher Ko-
542
543
544
Die Vorsprungsgewinne eines Konkurrenten führen bei dem eigenen Unternehmen nur zu wenig spürbaren Marktanteilsverlusten. Vgl. dazu Kantzenbach (1967), S. 43 f. Dies sagt nicht unbedingt etwas über die Wettbewerbsintensität für die anderen Anbieter aus, denn unter ihnen kann die Wettbewerbsintensität dennoch hoch sein. Hier stehen immer noch mittelständisch geprägte Großunternehmen im Fokus. Die Trägheitsproblematik bei Incumbents findet sich bspw. bei Gilbert, C.G. (2005), S. 742 ff.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
157
existenz sehr gering sein und organisationale Trägheit fördern, aber ebenso kann der Konkurrenzkampf intensiv sein, so dass sich Trägheitskräfte nur schwer entwickeln. Abschließend sei noch auf die dynamische Perspektive hingewiesen, denn die Wettbewerbsintensität einer Branche kann sich eben durch die Branchenkräfte im Zeitverlauf verändern. Hat in einer Branche ein homogenes Duopol mit geringer Wettbewerbsintensität vorgelegen und steigt nun z.B. durch den Wegfall von Markteintrittsbarrieren die Anbieterzahl, erhöht dies für Unternehmen, die in der Vergangenheit hohe Trägheitskräfte herausgebildet haben, den Veränderungsdruck. Da die Unternehmen in Veränderungen nicht geübt sind, erhöht sich damit auch die Gefahr des Scheiterns.545 Ebenso kann sich auch ein Oligopol mit geringer Trägheit zu einem Polypol mit zunehmender Marktintransparenz und Anbieterfragmentierung entwickeln, in dem es den Wettbewerbern leichter und einsichtiger erscheint, sich zurückzuziehen und Trägheitskräfte zu entwickeln. Die Zwischenhypothese lautet daher: Zwischenhypothese 10: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je niedriger die Wettbewerbsintensität ist. Eine niedrige Wettbewerbsintensität wirkt sich auch auf das frühzeitige Erkennen von schwachen Signalen und die Reaktion in latenten Unternehmenskrisen aus. Befindet sich ein Unternehmen in einem Umfeld mit sehr vielen Konkurrenten und hoher Marktintransparenz, haben Mitarbeiter kaum Erfahrung im Umgang mit Wettbewerb, seinen Auslösern und direkten Auswirkungen. Sie sind daher ähnlich wie bei der Veränderungserfahrung erläutert weniger geübt, schwache Signale zu erkennen, zu kommunizieren, kollektiv zu interpretieren und darauf zu reagieren. Gerade in einem heterogenen Polypol kommt hinzu, dass die Mitarbeiter kapazitativ gar nicht die Möglichkeit haben, alle schwachen Signale, die von den Branchenkräften, insbesondere aber von den vielen Mitbewerbern ausgehen, wahrzunehmen und individuell wie kollektiv auf ihre Relevanz für die Unternehmensentwicklung zu untersuchen. Darüber hinaus neigen Mitarbeiter, wie erwähnt, zu der Annahme, dass die Entwicklung der Branchenkräfte, besonders anderer Konkurrenten, wegen der Atomisierung des Marktes keine Auswirkungen auf das eigene Unternehmen hat. Eine solche Auffassung erscheint wenig überlegt, liegt aber, wie mehrfach erläutert, in der begrenzten Rationalität begründet. Somit ist die Aufmerksamkeit für schwache Signale in heterogenen Polypolen geringer und wahrscheinlicher, dass diese unbewusst oder bewusst
545
Ähnliche Gefahren weisen Barnett/Pontikes (2008), S. 1240 in ihren Red Queen-Untersuchungen nach, wenn Unternehmen von etablierten Wettbewerbsumfeldern in neue Märkte mit einer anderen Wettbewerbsintensität expandieren.
158 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
aus kapazitativen wie kognitiven Gründen nicht wahrgenommen werden bzw. so interpretiert werden, dass sie keine Relevanz haben. Aber selbst wenn in einem solchen Umfeld aktiv auf die Branchenkräfte und ihre schwachen Signale geachtet wird, kann es passieren, dass Hinweise auf wichtige Trends nicht erkannt werden. Zum einen werden aus den unzähligen Signalen, die im Polypol alleine von den Konkurrenten ausgehen, wegen der kognitiven Grenzen durch Suchmechanismen nur bestimmte Signale herausgefiltert. Zum anderen fällt es gerade für diese Signale bei hoher Marktintransparenz einzelnen Mitarbeitern, aber auch dem Kollektiv schwerer, sie vor angemessenem Hintergrund zu interpretieren. So ist es möglich, dass Handlungen eingeleitet werden, die nicht adäquat sind oder einzelnen Mitarbeitern nicht adäquat erscheinen. Solche Mitarbeiter werden dann für die künftige Aufnahme schwacher Signale zusätzlich demotiviert. Ähnliche Probleme entstehen, wenn Unternehmen schon lange in einem Markt mit wenigen Konkurrenten aktiv sind und mit diesen ohne wirklichen Wettbewerb koexistieren. Die Organisationen und ihre Mitglieder haben wenig Erfahrung sammeln können, welche Auswirkungen Wettbewerb haben kann, wie schwache Signale darauf hindeuten und wie man diese erkennt und individuell wie kollektiv verarbeitet. Sind sie zudem in einem stabilen Umfeld tätig,546 sehen sie gar nicht die Notwendigkeit, die Wettbewerber und anderen Branchenkräfte im Blick zu behalten, so dass ihnen neben den Fähigkeiten und der Übung, schwache Signale zu erkennen, die Sensibilität und das Verständnis dafür fehlt. Weil viele Mitarbeiter die Situation gar nicht anders kennen, sind sie von der Richtigkeit dieser "Koexistenz" überzeugt, so dass bei der Wahrnehmung von schwachen Signalen, die nicht zu der Wirklichkeitskonstruktion passen, die Mechanismen der kognitiven Dissonanz greifen.547 Dies gilt auf Mitarbeiter- wie Managementebene, wenn beiden die Erfahrung fehlt, wie sich bspw. die Wettbewerbssituation auch anders darstellen könnte. Sie haben daher eine subtile Angst, dass die schwachen Signale den Status quo gefährden könnten, und werden diese daher eher unbewusst oder bewusst ignorieren oder zurückhalten. Versuchen sie dennoch, Branchenkräfte im Blick zu behalten, neigen sie dazu, sich auf Signale zu fokussieren, die im Einklang mit bisherigen Erfolgspotentialen stehen. Diese Mechanismen zur Vermeidung potentiell dissonanter schwacher Signale spielen auch bei Unternehmen, die eine dominante Stellung in einem Markt haben und aus diesem Grund mit geringer Wettbewerbsintensität konfrontiert sind, eine wichtige Rolle. Diese Unternehmen waren über Jahre erfolgreich, sonst wären sie nicht in
546 547
Auf die Auswirkungen der Stabilität des Umfelds wird im folgenden Kapitel eingegangen. Bspw., wenn einer der Mitbewerber diese friedliche Koexistenz verlässt
4.2 Merkmale träger Unternehmen
159
diese Position gekommen, und für sie war es daher lange nicht mehr erforderlich, auf schwache Signale, besonders aus dem Verhalten der Wettbewerber, zu achten. Nicht nur ist ihre Erfahrung mit der Wahrnehmung und Verarbeitung schwacher Signale gering, Mitglieder solcher Unternehmen neigen durch die zuvor beschriebene Hybris auch zu der Überzeugung, dass Trends und Veränderungen der Branchenkräfte dem Unternehmen wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft nichts anhaben können. Schwache Signale, die auf Veränderungen oder Trendwenden hindeuten, unterliegen daher einer höheren Wahrscheinlichkeit, bei Mitarbeitern und Management individuell wie kollektiv nicht wahrgenommen, ignoriert oder als irrelevant interpretiert zu werden. Werden schwache Signale dennoch erkannt und offen kommuniziert, kann es trotzdem zu unangemessenen Interpretationen und Handlungen kommen, weil die Organisation und ihre Mitarbeiter nicht gewohnt sind, sich mit solchen Signalen auseinanderzusetzen und Maßnahmen einzuleiten oder aber ihr Erfahrungshintergrund durch die bisher geringe Aufmerksamkeit für die Umwelt stark eingeschränkt ist. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass ein Unternehmen, wenn es immer in einem Umfeld mit geringer Wettbewerbsintensität tätig war und sich diese nun erhöht oder das Unternehmen in eine andere Branche expandiert, in der ein völlig anderer, intensiverer Wettbewerb vorherrscht, keine Fähigkeiten entwickelt hat, schwache Signale zu erkennen und zu verarbeiten. In der neuen Wettbewerbssituation bzw. dem neuen Markt besteht daher eine höhere Gefahr, Signale nicht erkennen, falsch zu interpretieren und unangemessene Handlungen einzuleiten und so in eine existenzgefährdende Situation zu kommen.548 Daher wird festgehalten: Hypothese 10: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je niedriger die Wettbewerbsintensität ist.
4.2.4.2 Umweltdynamik
In den Ausführungen des vorherigen Kapitels stand der Wettbewerb in einer Branche, der insbesondere durch die Mitbewerber, aber auch durch die anderen Branchenkräfte beeinflusst wird, im Mittelpunkt. Nun wird das Blickfeld erweitert und nicht nur die Wettbewerbssituation, sondern breiter gefasst der Einfluss der Dynamik der
548
Diese Probematik thematisiert Red Queen Competition. Vgl. Barnett/Pontikes (2008), S. 1240.
160 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
Unternehmensumwelt549 auf organisationale Trägheit und strategische Früherkennung untersucht. Die Dynamik der Umwelt wird daran festgemacht, (1) wie häufig Veränderungen relevanter Umweltfaktoren auftreten, (2) wie stark diese Veränderungen sind, also welche Amplitude sie aufweisen, und (3) mit welcher Frequenz, also wie regelmäßig und unregelmäßig, sie vorkommen.550 Relevante Umweltfaktoren, deren Veränderung eine Reaktion der Organisation auslösen kann, aber nicht muss, umfassen neben den im vorigen Kapitel skizzierten Branchenkräften auch gesamtwirtschaftliche, rechtliche, steuerliche oder soziale Aspekte. Konkret können solche Umweltveränderungen bspw. neue Technologien, neue durch Globalisierung entstehende Wettbewerber, gewandelte Kundenbedürfnisse oder eine Konsolidierung der Lieferanten sein. Aber eben auch eine Veränderung der rechtlichen Vorschriften, Deregulierung, Wegfall von Patentschutz, staatliche Förderung bestimmter Branchen, Veränderung von Wechselkursparitäten oder gesellschaftlicher Wertewandel. Die folgenden Überlegungen sind eng mit den in Kapitel 4.2.2.5 beschriebenen Zusammenhängen zu individueller und kollektiver Veränderungserfahrung verknüpft. Während dort jedoch die Erfahrung selbst im Mittelpunkt stand, legen die Ausführungen nun den Fokus auf den von außen an das Unternehmen herangetragenen Veränderungsdruck und die Reaktion darauf. HANNAN/FREEMAN thematisieren bereits in ihrer ersten populationsökologischen Arbeit Umweltdynamik und ihre Wirkungen. Im Rahmen der Überlegungen zur Fitness von Organisationen konzeptionalisieren sie, bei welcher Umweltdynamik551 die strategische Ausrichtung als Generalist oder Spezialist vorteilhafter ist.552 Organisationale Trägheit ist dabei eine zugrunde liegende Annahme, die die Fähigkeit begrenzt, zwischen den strategischen Ausrichtungen zu wechseln, sie wird aber nicht direkt auf ihre Zusammenhänge untersucht. Auch bei den späteren Ausführungen zur relativen Trägheit, nach der die Veränderung des Unternehmens immer hinter der Umweltdynamik zurückliegt, findet sich nichts zum Einfluss der Umweltdynamik
549
550
551
552
Unter Umwelt wird hier die relevante Unternehmensumwelt verstanden, die u.a. durch die nachfolgend skizzierten Umweltfaktoren bestimmt wird. Vgl. zur Definition von Umweltdynamik Child (1972), S. 3 f.; auch Frank, H. et al. (1988), S. 2 ff.; Dess/Beard (1984), S. 56; Kieser (1974), S. 302 ff. Umweltdynamik ist dabei aber von Umweltkomplexität zu trennen, denn Umweltdynamik geht nicht unbedingt mit Umweltkomplexität einher. Vgl. Frank, H. et al. (1988), S. 1; Kieser (1974), S. 302 f., auch Dess/Beard (1984), S. 56 f. Die Umweltbedingungen werden dabei nach a) Variabilität (stabil/instabil), b) Körnung (feinkörning (viele kurz andauernde Zustände), grobkörning (wenige lang andauernde Zustände)) und c) Verschiedenartigkeit (unterschiedlich/ähnlich) differenziert. Vgl. dazu Hannan/Freeman (1977), S. 948 ff. Hier entspricht Variabilität der Häufigkeit, Körnung der Frequenz und Verschiedenartigkeit der Stärke der Veränderung, da diese Bezeichnungen bekannter sind. Vgl. dazu Hannan/Freeman (1989), S. 50 ff. und 91 ff.; Hannan/Freeman (1977), S. 946 ff.; auch Boone et al. (2004), S. 120 ff.; Baum (1996), S. 83 f.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
161
auf die Entstehung organisationaler Trägheit.553 Diese Forschungslücke steht im Folgenden im Mittelpunkt. Es wird untersucht, wie die Umweltdynamik die Herausbildung der Trägheitskräfte unterstützt, wobei dabei auch die Erkenntnisse der skizzierten Arbeiten in die Überlegungen einbezogen werden. Wollen Unternehmen in einem Umfeld überleben, in dem sich relevante Umweltfaktoren häufig und teilweise wiederholt ändern, sich diese Zustände deutlich voneinander unterscheiden und eine gewisse Zeit andauern, sind sie einem hohen Druck ausgesetzt, sich den Situationen immer wieder anzupassen. Geben sie diesem Druck durch Anpassungen nach, sammeln sie Erfahrung mit der unternehmensinternen Umsetzung von Umweltveränderungen.554 In einem solchen Umfeld stehen die Organisationsmitglieder externen wie internen Veränderungen offener gegenüber, da dies für sie bekannte Phänomene sind. Sie bilden Wissen heraus, wie Veränderungsprozesse ablaufen können, und es fällt ihnen leichter, sich auf neue Situationen einzustellen. Die Mitarbeiter und das Management sind sich durch die Veränderungserfahrungen – ohne an dieser Stelle einzubeziehen, ob diese positiv oder negativ waren555 – über die Notwendigkeit und in gewissem Maße auch die Unausweichlichkeit von Veränderungen bewusst und organisationale Trägheit wird sich weniger entwickeln. Ist die Umwelt hingegen sehr stabil, weil Veränderungen selten sind und dann nur eine geringe Abweichung vom Ursprungszustand darstellen, sind Unternehmen kaum gezwungen, sich anzupassen und Mitarbeiter wie Organisation damit wenig vertraut. Auch wenn Umweltveränderungen relativ häufig vorkommen, aber in ihrer Stärke wenig signifikant und daher für das Unternehmen begrenzt relevant sind, verspüren die Mitarbeiter nicht den Druck, auf Veränderungen reagieren zu müssen. Wegen der geringen Amplitude der Veränderung und dem schnellen Wechsel der Zustände ist es Unternehmen in einem solchen Fall möglich, auch ohne Anpassungen weiterhin erfolgreich tätig zu sein. Herrscht in diesem Umfeld geringer Umweltdynamik zudem eine begrenzte Wettbewerbsintensität, kann das Unternehmen über Jahre nicht mehr durch externe Kräfte gezwungen worden sein, sich mit der Umwelt, sich selbst und der eigenen Ausrichtung auseinanderzusetzen. In solchen Unternehmen ist die organisationale Trägheit tendenziell höher, weil bei den Mitarbeitern und der Organisation wegen der mangelnden Erfahrung die Fähigkeiten zur Veränderung und die Einsicht der Notwendigkeit weniger gut ausgebildet sind. Werden in Unternehmen mit einer solchen Historie durch einen Anstieg der Umweltdynamik, bspw. durch die zunehmende Amplitude 553 554 555
Vgl. Hannan/Freeman (1989), S. 70 f.; Hannan/Freeman (1984), S. 151 f. und Kapitel 3.2.4. Geben Unternehmen dem Druck nicht nach, werden sie irgendwann aus dem Markt ausscheiden. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 4.2.2.4.
162 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
der Veränderungen, Anpassungen notwendig, fällt dies den Mitarbeiter und der Organisation prozessual wie kognitiv schwerer. Organisationale Trägheit liegt daher zum einen der geringen Anpassungsfähigkeit zugrunde, zum anderen wird aber durch die geringe Anpassungsfähigkeit organisationale Trägheit auch wieder gefördert, denn durch die mangelnde Erfahrung wird der Anpassungsprozess verlangsamt und relative Trägheit entwickelt. Auch wenn in dieser Arbeit durch die Verbindungen zu Unternehmenskrisen vorwiegend die negativen Aspekte von Trägheit betrachtet werden, gibt Trägheit, wie im Population Ecology-Ansatz erläutert, Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit und ist daher bis zu einem gewissen Grad häufig gewünscht – in manchen Branchen sogar gefordert. Die skizzierten negativen Auswirkungen organisationaler Trägheit zeigen sich daher nur, wenn das Umfeld sich zunehmend dynamisiert. In sehr stabilen Umwelten sind Unternehmen, die organisationale Trägheit aufweisen passend und ohne Nachteile, weil gar keine Notwendigkeit zur Veränderung besteht. Allerdings agieren heute, wie einleitend zu dieser Arbeit erläutert, die meisten Unternehmen in zunehmend dynamischeren Umwelten, so dass immer mehr Unternehmen diesem Veränderungsdruck ausgesetzt sind. Unternehmen, die aus stabilen Umwelten kommen und hohe Trägheitskräfte entwickelt haben, fällt es schwerer, diese Kräfte zu überwinden und Anpassungen durchzuführen. Sie sind daher einer höheren Gefahr ausgesetzt, ihre Wettbewerbsposition nachhaltig zu schwächen und in existenzbedrohende Situationen zu kommen. Die Zwischenhypothese ist daher: Zwischenhypothese 11: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher, je geringer die Umweltdynamik ist. Eine geringe Umweltdynamik hat neben organisationaler Trägheit auch Auswirkungen auf das Erkennen von schwachen Signalen und entsprechende Reaktionen in latenten Unternehmenskrisen. Sind Veränderungen von Umweltfaktoren selten und meist wenig signifikant, die Umwelt daher sehr stabil und der Veränderungsdruck sowie die Veränderungserfahrung gering, sind die Mitarbeiter wenig geübt, schwache Signale zu erkennen und zu verarbeiten.556 In diesem Umfeld fehlt den Mitarbeitern das Wissen und die Erfahrung, dass Umweltveränderungen so bedeutend sein können, dass sie das eigene Unternehmen und seine Entwicklung wesentlich beeinflussen können. Ohne die Einsicht und Vertrautheit mit solchen Situationen sind die Mitarbeiter weniger sensibel für schwache Signale, so dass Signale, die frühzeitig auf
556
Vgl. dazu ähnlich die Erläuterungen zu Veränderungserfahrung und Wettbewerbsintensität.
4.2 Merkmale träger Unternehmen
163
eine Veränderung relevanter Umweltfaktoren hindeuten, einer höheren Gefahr ausgesetzt sind, nicht erkannt oder als irrelevant interpretiert zu werden. Die Aufnahme schwacher Signale wird zudem erschwert, weil sie nicht zu der individuellen wie kollektiven Wirklichkeitskonstruktion der Organisationsmitglieder passen, in der die Umwelt eben sehr stabil ist und für das Unternehmen kein Anpassungsbedarf besteht. Stehen schwache Signale dazu im Gegensatz, greifen eher die erläuterten Mechanismen zur Vermeidung kognitiver Dissonanz. Aber selbst wenn Mitarbeiter sich der Relevanz von schwachen Signalen und der Bedeutung von Hinweisen auf Umweltveränderungen grundsätzlich bewusst sind, ist es möglich, dass diese trotz der Aufmerksamkeit wegen der mangelnden Erfahrung nicht gesehen werden. Sollte dies dennoch gelingen, fällt aus gleichem Grund auch die individuelle und kollektive Interpretation sowie die Einleitung angemessener Maßnahmen durch die Entscheider schwerer. Auch das Management ist in einer solchen Situation wenig geübt, auf schwache Signale zu reagieren, und unter Umständen wenig überzeugt davon, dass Maßnahmen tatsächlich notwendig sind. Zu Schwierigkeiten bei der Aufnahme und Verarbeitung von schwachen Signalen kann es aber auch kommen, wenn sich ein Umweltfaktor häufig und signifikant verändert, also dynamisch ist, dabei aber mit einer gewissen Regelmäßigkeit zwischen zwei Zuständen hin und her pendelt. Dauern diese Zustände nie lange an, kann es eine dominante Strategie sein, keine Veränderungen vorzunehmen und zu warten, bis sich der andere Zustand wieder einstellt.557 Wenn Organisationsmitglieder daher aus Erfahrung wissen, dass die Entscheider der Entwicklung dieses Umweltfaktors keine Bedeutung beimessen, neigen sie eher dazu, schwache Signale, die auf seine Veränderung hindeuten, zu ignorieren bzw. nicht zu kommunizieren. Problematisch kann dies werden, wenn sich entweder die Verweildauer in den Zuständen verlängert oder aber der Umweltfaktor eine andere Ausprägung annimmt. Diese andere Ausprägung würde nicht wahrgenommen werden, weil man den schwachen Signalen zu diesem Umweltfaktor grundsätzlich keine Beachtung schenkt. Abschließend sei noch angemerkt, dass wenn in der Vergangenheit mehrfach ähnliche Veränderungen eines Umweltfaktors stattgefunden haben und das Unternehmen die entsprechenden Signale auch aufgenommen, interpretiert und darauf reagiert hat, dies, wie bei der Veränderungserfahrung beschrieben, zur Herausbildung von Routinen in der Interpretation und Erarbeitung von Handlungsmöglichkeiten führen kann. So ist es möglich, dass trotz der Wahrnehmung der schwachen Signale und der kollektiven Verarbeitung die Interpretation und die Reaktion auf das Signal nicht 557
Diese Strategie schlagen auch Hannan/Freeman (1977), S. 946 ff. in einer solchen Situation vor.
164 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
angemessen sind, weil sich die Akteure an Mustern der Vergangenheit orientiert haben. Dennoch gilt: Hypothese 11: In mittelständisch geprägten Großunternehmen ist die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und die Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je geringer die Umweltdynamik ist.
4.3
Fazit: Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf strategische Früherkennung
Im dritten Kapitel wurde gezeigt, dass die bisher in der Literatur vorhandenen Ausführungen und Konzeptionalisierungen das Phänomen organisationaler Trägheit nur unzureichend präzisieren und konkretisieren. Dies gilt auch für die am weitesten ausgearbeiteten Überlegungen im Rahmen des Population Ecology-Ansatzes. Daher wurde in diesem Kapitel das Ziel verfolgt, organisationale Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen anhand von praktischen Merkmalen zu operationalisieren und sichtbar zu machen. Dazu wurden insgesamt elf Merkmale entwickelt, die zur Strukturierung der Analyse in die drei Kategorien unternehmensinterne systembedingte, unternehmensinterne verhaltensbedingte und unternehmensexterne Merkmale eingeordnet wurden. Für jedes der elf Merkmale wurde nach einem eklektischen Vorgehen, also unter Zuhilfenahme verschiedener, jeweils für das Merkmal angemessener theoretischer Fundierungen, hergeleitet, welche Ausprägungen des Merkmals die Entstehung organisationaler Trägheit fördern können. Da sehr viel Wert darauf gelegt wurde, die Zusammenhänge der Merkmalsausprägungen und organisationaler Trägheit wirklich praktisch zu operationalisieren, wurden einige sehr vielschichtige Merkmale anhand mehrerer Kriterien untersucht. So wurde bspw. Komplexität anhand der Durchsichtigkeit/Undurchsichtigkeit, Adäquanz/Inadäquanz und der Existenz von informalen Strukturen und Prozessen konkretisiert. Merkmalsausprägungen, bei denen theoretisch kein eindeutiger Zusammenhang hergeleitet werden konnte, wie bspw. die Stärke oder Schwäche des Entscheiders, wurden zwar diskutiert, aber nicht in die Hypothesen aufgenommen. Für jedes Merkmal wurde zuerst eine Zwischenhypothese gebildet, mit der festgehalten wurde, bei welchen Ausprägungen des Merkmals organisationale Trägheit sich eher entwickeln wird. Aufbauend auf dieser Zwischenhypothese wurde dann in einem zweiten Schritt untersucht, wie diese Merkmalsausprägung(en) auf die Wahrnehmung und Verarbeitung schwacher Signale in latenten Unternehmenskrisen wirken. Dabei wurde, soweit möglich und notwendig, bewusst zwischen der Wahr-
4.3 Fazit: Organisationale Trägheit und ihre Wirkung auf strategische Früherkennung
165
nehmung eines Signals, der individuellen wie kollektiven Interpretation und der Erarbeitung und Umsetzung von Handlungsmöglichkeiten unterschieden. Sowohl bei diesen Überlegungen, aber auch bei den Ausführungen zur organisationalen Trägheit wurde, wenn es erforderlich schien, zwischen der Mitarbeiter- und Managementebene sowie der Gesamtorganisation als Kollektiv differenziert. Zudem wurden jeweils nicht nur die unmittelbaren, direkten Auswirkungen betrachtet, sondern auch durch eine dynamische Perspektive mögliche Folgewirkungen einbezogen. Bspw. wurde explizit darauf hingewiesen, was es für die künftige Aufnahme schwacher Signale bedeutet, wenn auf erkannte und kommunizierte Signale nicht oder nicht angemessen reagiert wird. Diese eigenständigen Überlegungen sowohl zu organisationaler Trägheit als auch zu schwachen Signalen wurden dabei, soweit vorhanden, mit in der Literatur existierenden Erkenntnissen zu dem jeweiligen Merkmal oder der Merkmalsausprägung, vor allem aus Population Ecology, Organisationsentwicklung und Change Management, ergänzt. IN MITTELSTÄNDISCH GEPRÄGTEN GROSSUNTERNEHMEN IST die Wahrscheinlichkeit organisationaler Trägheit umso höher und die Wahrnehmung von und Reaktion auf schwache Signale umso schlechter, je ... 1 ... zentralisierter und formalisierter die Entscheidungsstrukturen sind 2 ... höher die Komplexität, also je höher die Undurchsichtigkeit und Inadäquanz von Strukturen und Prozessen sind 3 ... konzentrierter die Eigentümerstruktur und je höher der ausgeübte Einfluss der Eigentümer sind 4 ... höher die spezifischen Investitionen in der (jüngeren) Vergangenheit waren 5 ... geringer oder negativer die individuelle und kollektive Veränderungserfahrung oder je höher die Erfahrung mit einem bestimmten Veränderungstyp ist 6 ... höher die Kontinuität des Top-Managements, also je länger es in der Industrie, dem Unternehmen oder der Position tätig ist 7 ... autoritärer der Führungsstil ist 8 ... geringer die leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung und die Initiativen zur Mitarbeiterentwicklung sind 9 ... eingeschränkter, top-down geprägter und formaler die Kommunikationskultur ist 10 ... niedriger die Wettbewerbsintensität ist 11 ... geringer die Umweltdynamik ist Abb. 12: Hypothesen zu organisationaler Trägheit und zur strategischen Früherkennung.
Das Ergebnis der Überlegungen dieses Kapitels bilden die in Abb. 12 zusammenfassend dargestellten elf Hypothesen zur Operationalisierung organisationaler Trägheit und zur Wirkung dieser Merkmalsausprägungen auf die strategische Früherkennung
166 4 Merkmale von trägen Unternehmen und die Wirkung auf strategische Früherkennung
von Unternehmenskrisen in mittelständisch geprägten Großunternehmen. Da in diesen mittelständisch geprägten Großunternehmen systematisch unterstützte strategische Krisenfrüherkennung, wie zu Beginn dieser Arbeit gezeigt, kaum vorhanden ist, rücken die einzelnen Organisationsmitglieder mit ihren Einstellungen, Verhaltensweisen und Pathologien zur Wahrnehmung und Verarbeitung schwacher Signale in den Mittelpunkt. Die Ausführungen dieses Kapitels haben gezeigt, dass es vielfältige Aspekte gibt, die die Organisationsmitglieder und die Organisation als Ganzes in dieser Wahrnehmung und Verarbeitung hemmen können, so dass latente Unternehmenskrisen nicht frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung eingeleitet werden. Auch wenn die Merkmale, wie eingangs erläutert und in der Analyse mehrfach angemerkt, getrennt analysiert wurden, sind sie intensiv verwoben, voneinander abhängig und beeinflussen sich gegenseitig. Daher wird die Plausibilität der Hypothesen zur organisationalen Trägheit und strategischen Früherkennung im realen Kontext im Folgenden mit Fallstudien empirisch untersucht. Fallstudien ermöglichen ein Tiefenverständnis komplexer Sachverhalte, so dass nicht nur die einzelnen Merkmalsausprägungen, sondern auch ihre Entstehung und Abhängigkeiten betrachtet werden können.
5.1 Forschungsmethodik
5
EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG TEGISCHER FRÜHERKENNUNG
167
ORGANISATIONALER
TRÄGHEIT
UND STRA-
In diesem Kapitel werden nun die erarbeiteten Merkmale organisationaler Trägheit und ihre Wirkungen auf die strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen empirisch untersucht. Als Forschungsmethode wird dabei der qualitative Fallstudienansatz gewählt. Zuerst wird dazu die Fallstudienmethodik vorgestellt, die Anwendungsgebiete und das Vorgehen diskutiert sowie auf die Qualitätskriterien von Fallstudien in der wissenschaftliche Forschung eingegangen. Im Anschluss werden drei Fälle detailliert beschrieben und bezogen auf die Merkmale organisationaler Trägheit und ihre Wirkung in der latenten Unternehmenskrise analysiert. Eine fallübergreifende Analyse und Zusammenführung der Ergebnisse mit den in Kapitel 4 entwickelten Hypothesen schließt die empirische Untersuchung ab.
5.1
Forschungsmethodik
5.1.1 Anwendungsbereiche der Fallstudienforschung Das Ziel der empirischen Untersuchung ist, die in Kapitel 4 aufgestellten Hypothesen über organisationale Trägheit und ihre Auswirkung auf die strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen auf ihre Plausibilität im realen Kontext zu untersuchen.558 Für diese Fragestellung bietet sich ein qualitatives und nicht quantitatives Forschungsvorgehen an, da es zu dem betrachteten Zusammenhang, wie gezeigt, bisher wenig konzeptionelle wie empirische Forschung gibt. Daher wird mit der empirischen Untersuchung auch nicht das konfirmatorische Ziel einer "Überprüfung" verfolgt, sondern vielmehr soll durch den explorativen Charakter der Forschung der Erklärungsbeitrag erhöht werden.559 Durch dieses Vorgehen sollen wichtige Strukturen und Zusammenhänge aufgedeckt und ein tieferes Verständnis des praktischen Phänomens erreicht werden.560 Bei qualitativer Forschung stehen im Gegensatz zu quantitativer Forschung wegen der Komplexität der Zusammenhänge die Details des Untersuchungsobjektes und der Kontextbezug im Vordergrund. Für empirische Untersuchungen im Rahmen wissenschaftlicher Arbeiten stehen grundsätzlich fünf verschiedene Forschungsstrategien zur Verfügung. Die jeweils
558
559
560
Auf die Möglichkeiten der Generalisierung aus dieser Untersuchungsmethode und die Unterschiede zwischen statistischer und analytischer Generalisierbarkeit wird in Kapitel 5.1.3 eingegangen. Exploration ist die Vorstufe einer späteren Konfirmation. Vgl. Bortz/Döring (2006), S. 352 f.; Kubicek (1975), S. 59 f. Vgl. Atteslander (2006), S. 48; Yin (2006), S. 2.
168 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
geeignete Forschungsstrategie wird dabei durch die Art der Forschungsfrage, die Beeinflussbarkeit des Forschungsgegenstandes und seine Aktualität bestimmt. Wissenschaftliche Untersuchungen beschäftigen sich in der Regel mit Fragen nach dem "Wer?", "Was?", "Wo?", "Wie viele(e)?", "Wie?" und "Warum?". Wie in Tab. 3561 zu sehen, eignen sich Fallstudien zur Beantwortung von "Wie?"- und "Warum?"-Fragen. Darüber hinaus müssen sich Fallstudien mit der Untersuchung aktueller Ereignisse beschäftigen und der Forscher darf keine Möglichkeit haben, Einfluss auf die Ergebnisse der Untersuchung auszuüben oder diese zu kontrollieren.562 FORSCHUNGSSTRATEGIE
Art der Forschungsfrage?
Kontrolle über Ereignisse?
Fokus auf aktuelle Ereignisse?
Experiment
Wie? Warum?
Ja
Ja
Erhebung
Wer? Was? Wo? Wie viel(e)?
Nein
Ja
Archivanalyse
Wer? Was? Wo? Wie viel(e)?
Nein
Ja/Nein
Historie
Wie? Warum?
Nein
Nein
Fallstudie
Wie? Warum?
Nein
Ja
Tab. 3: Bedingungen unterschiedlicher qualitativer Forschungsstrategien.
Bei der in dieser Arbeit zu untersuchenden Forschungsfrage handelt es sich um eine "Wie?"-Frage: Wie erkennt man organisationale Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen? Und wie wirken die Merkmalsausprägungen organisationaler Trägheit auf die Früherkennung von latenten Unternehmenskrisen? Auch können die Ergebnisse durch den Forscher nicht kontrolliert werden, weil keine künstliche Umwelt geschaffen wird, sondern die Unternehmen in ihrem natürlichen Kontext betrachtet werden. Zudem wurden die Interviews, wie noch erläutert wird, transkribiert und durch die Interviewpartner gegengelesen sowie ferner in der Interpretation hoher Wert darauf gelegt, die Erkenntnisse logisch abzuleiten. Bei den untersuchten Ereignissen handelt es sich um Unternehmenskrisen, deren akute Stadien mit 2005 und 2006 in der unmittelbaren Vergangenheit liegen. Die latenten Krisensituationen sind dabei dem akuten Stadium je nach Fall mehrere Jahre vorgelagert. Fallstudien sollen zur Untersuchung aktueller Ereignisse eingesetzt werden – idealerweise der Gegenwart – um Verfälschungen durch den Zeitverzug zu vermeiden. Dieser Anspruch ist bei der untersuchten Forschungsfrage jedoch
561 562
Eigene Darstellung in Anlehnung an Yin (2006), S. 5. Vgl. dazu Yin (2006), S. 5 ff. und für die qualitativen Forschungsstrategien ausführlich bspw. Atteslander (2006), S. 67 ff. oder ähnlich Mayring (2002), S. 41 ff.
5.1 Forschungsmethodik
169
nicht idealtypisch zu erfüllen. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses steht die Frage, wieso in latenten Krisen nicht oder nicht ausreichend gehandelt wurde. Dieses kann allerdings nur untersucht werden, wenn die Unternehmen auch wirklich von der latenten in eine akute Krise gekommen sind. Damit ist der Untersuchungszusammenhang zwar ein aktuelles Ereignis und es wird mit an dem Ereignis beteiligten Personen gesprochen, aber es liegt unumgänglicherweise in der Vergangenheit.563 In den Interviews hat sich gezeigt, dass alle Gesprächspartner sich noch sehr genau an die Zeit der latenten bzw. akuten Krise erinnern – auch weil die Krisensituationen für die Unternehmen einschneidende Erlebnisse waren. Die Qualität und Detailtiefe der Informationen wird daher durch den zeitlichen Abstand nicht beeinträchtigt. Fallstudien stellen damit nach YIN für die Fragestellung und den Untersuchungskontext dieser Arbeit die geeignete Forschungsstrategie dar. Sie ermöglichen ein tiefgehendes und umfassendes Verständnis komplexer, realer Sachverhalte und stellen explizit nicht die statistische, sondern die analytische Generalisierbarkeit in den Mittelpunkt.564 Konkret wird ein vergleichender Fallstudienansatz angewendet, bei dem in einem ersten Schritt Einzelfallstudien erstellt werden, in denen die detaillierten Informationen zu dem Untersuchungsgegenstand vorgestellt werden. Die Einzelfallstudien werden in einem zweiten Schritt miteinander verglichen, um durch die Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden Einblicke in die Fragestellung zu gewinnen.
5.1.2 Vorgehen in der Fallstudienforschung In Abhängigkeit von dem Vorwissen und der vorhergehenden theoretischen Fundierung werden in der Literatur verschiedene mögliche Vorgehen für die Fallstudienforschung diskutiert. Nach YIN ist es zulässig, bei Fallstudien eine vorläufige Auffassung über theoretische Konzepte und den Untersuchungszusammenhang zu haben, um diese durch die Fallstudien weiterzuentwickeln.565 Anders sieht dies EISENHARDT, die der Grounded Theory566 folgt und fordert, dass bei der Anwendung von Fallstudien möglichst frei, unvoreingenommen und ohne vorherige Literaturrecherche bzw. aufgestellte Theorien oder Hypothesen vorgegangen werden soll.567 Wie aus dem bisherigen Aufbau dieser Arbeit deutlich wird, wird in dieser grundsätzlichen
563
564 565 566 567
Für Yin ist zum Gegenwartsbezug ausreichend, dass mit an den Vorgängen beteiligten Personen gesprochen wird. Vgl. dazu Yin (2006), S. 7 f. Vgl. dazu Yin (2006), S. 10 und 32 f. und ausführlich auch Kapitel 5.1.3. Vgl. Yin (2006), S. 14 und 28 ff. Vgl. zu dieser gegenstandsbegründeten Theorieentwicklung Glaser/Strauss (2005). Dennoch sieht auch sie ein grundlegendes theoretisches Vorverständnis als notwendig an. Vgl. dazu Eisenhardt (1989), S. 536 und 541 f.
170 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Frage des Forschungsvorgehens YIN gefolgt, weil diese Methodik eine gezieltere, wenn auch ergebnisoffene Befragung der Interviewpartner ermöglicht. So wurden zuerst Unternehmenskrisen, Früherkennungsmethoden und die bisherigen Arbeiten zur organisationalen Trägheit umfangreich betrachtet. Auf dieser Basis wurde ein Merkmalsmodell organisationaler Trägheit entwickelt, dass in Hypothesen über Merkmalsausprägungen und ihre Zusammenhänge mit strategischer Krisenfrüherkennung konkretisiert wurde. Erst mit diesen Vorkenntnissen wurde die empirische Untersuchung und Bearbeitung der Fallstudien begonnen. Dadurch konnten die Fragen in den Interviews zwar offen, aber auch in gewissem Maße zielgerichtet gestellt werden, so dass konkrete praktische Einblicke in die vorher aufgestellten Hypothesenzusammenhänge gewonnen werden konnten. Neben diesem grundsätzlichen Forschungsvorgehen, gliedert sich die empirische Untersuchung selbst in vier Schritte: (1) Auswahl der Fallstudien, (2) Datenerhebung, (3) Einzelfallanalyse und (4) fallübergreifende Analyse. Das Vorgehen in den einzelnen Schritten wird nun genauer erläutert. (1) Auswahl der Fallstudien Die Grundlage der Fallstudienanalyse bildet eine präzise Forschungsfrage, aus der das Ziel der Datenerhebung klar abgeleitet werden kann. Die Forschungsfrage wurde zu Beginn dieser Arbeit hergeleitet und genau formuliert und hat in der empirischen Untersuchung dazu beigetragen, relevante von nicht relevanten Informationen abzugrenzen.568 Basierend auf der Forschungsfrage sollen Fallstudien ausgewählt werden, die nicht einer Zufallsauswahl entspringen, sondern die das in der Forschungsfrage aufgeworfene und in den vorangegangenen Kapiteln diskutierte Thema im realen Kontext umfangreich beschreiben.569 Dazu wurden zu Beginn verschiedene Kriterien hergeleitet, die die Fallstudien erfüllen müssen:
568 569
Das Unternehmen muss sich in einer akuten Ergebnis- und Liquiditätskrise befinden oder befunden haben. Nur in diesen Fällen kann prinzipiell davon ausgegangen werden, dass vorher keine oder keine ausreichende Reaktion zur Krisenvermeidung stattgefunden hat.
Das Unternehmen muss sich vor der akuten Krisensituation in einer latenten bzw. strategischen Krise befunden haben. Unternehmen, die direkt in das Stadium der akuten Ergebnis- oder Liquiditätskrise eingestiegen sind, bspw.
Vgl. zur Bedeutung der präzisen Forschungsfrage Eisenhardt (1989), S. 536. Vgl. Eisenhardt/Graebner (2007), S. 27; Eisenhardt (1989), S. 537.
5.1 Forschungsmethodik
171
durch Finanzierungsprobleme wie im Fall der New Economy, geben keine Einblicke in die hier gestellte Forschungsfrage.570
Der Übergang in die akute Krise muss in den letzten drei bis vier Jahren stattgefunden haben um zum einen die Aktualität der Ereignisse zu gewährleisten und zum anderen, dass sich die Interviewpartner noch hinreichend an die akute und latente Situation erinnern.
Das Unternehmen muss ein mittelständisch geprägtes Großunternehmen sein. Nach den in Kapitel 1.3 definierten Kriterien muss es dazu einen Jahresumsatz von mehr als 50 Millionen Euro aufweisen, sich zum Zeitpunkt der latenten Krise mehrheitlich in der Hand des Unternehmers oder seiner Familie befinden und noch maßgeblich durch ihn geprägt sein.
Das Unternehmen muss im Verlauf der Krise eine externe Beratungsleistung (Wirtschaftsprüfung, Unternehmensberatung, allgemeine Wirtschaftsberatung, juristische Beratung) in Anspruch genommen haben, um, wie noch erläutert wird, die Fallbeschreibung um eine externe Perspektive ergänzen zu können.
Grundsätzlich gibt es zudem die Möglichkeit, möglichst ähnliche oder möglichst unterschiedliche Fälle zu suchen. Bei ungleichen Fällen können durch die Betrachtung der Extreme interessante Einblicke gewonnen werden, sie bergen aber auch die Gefahr von Verzerrungen. Bei ähnlichen Fällen ist dieses Risiko geringer und die Einblicke in Ähnlichkeiten tiefer, allerdings gehen die Erkenntnisse von besonderen Entwicklungen, bspw. in verschiedenen Branchen, eher verloren.571 Um in den Krisenursachen, dem Krisenverlauf und den Merkmalsausprägungen keine zu großen Störungen durch branchenindividuelle Geschäftsmodelle zu haben, wurde sich hier für möglichst ähnliche Fälle entschieden.572 Das letzte Kriterium für die Auswahl der Fallstudien war daher:
Das Unternehmen muss im produzierenden Gewerbe tätig sein.
Nach einer ersten Analyse konnten einige Unternehmen mit potentiellem Zugang gefunden werden, die alle der sechs oben genannten Kriterien erfüllen. Wegen der Sensibilität der Fragestellung haben von diesen jedoch nur drei Unternehmen eingewilligt, für Interviews zur Verfügung zu stehen. Daher konzentriert sich diese Arbeit auf drei Fallstudien, die ausführlich beschrieben und analysiert werden, um ein mög570 571
572
Vgl. dazu Müller, R. (1986), S. 55 f.; auch Moldenhauer (2004), S. 191 ff. Im Sinne "literal replication" empfiehlt Yin (2006), S. 47 bei einer geringen Anzahl von Fallstudien eher ähnliche Fallstudien auszuwählen. Bspw. unterscheiden sich die Geschäftsmodelle und -umfelder von Banken, Handel und produzierendem Gewerbe deutlich. Das produzierende Gewerbe wurde als Kriterium ausgewählt, weil dort der größte Zugang zu möglichen Fallstudienkandidaten vorhanden war.
172 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
lichst tiefgründiges Verständnis der Krisenursachen, des Krisenverlaufs, der Merkmalsausprägungen und ihrer Wirkungen zu erlangen. (2) Datenerhebung Für die Datenerhebung wird in der Literatur die Triangulation empfohlen, da durch die Integration verschiedener Perspektiven und Analysewege Stärken und Schwächen ausgeglichen, Verzerrungen verhindert und Beschönigungstendenzen neutralisiert werden und somit die Qualität der Ergebnisse erhöht wird.573 Gemäß der Datentriangulation574 müssen die Informationen aus verschiedenen Quellen gewonnen werden. So wurden in der Untersuchung pro Fallstudie mehrere leitfadengestützte Interviews sowie eine Dokumentenanalyse durchgeführt. Da Interviews die jeweilige soziale Realität der Interviewpartner einfangen und damit immer eine subjektive Meinung darstellen, wird zur "Objektivierung" der Ergebnisse eine zusätzliche Perspektiventriangulation575 angeregt. In dieser Untersuchung wurden daher für jede Fallstudie Interviews mit Personen in unterschiedlichen Positionen in den Unternehmen geführt und diese durch eine unternehmensexterne Perspektive ergänzt.576 Für die Interviews wurde ein Leitfaden entwickelt, der für alle Gespräche einheitlich verwendet wurde und sich im Anhang dieser Arbeit befindet. Der Leitfaden wurde während der Gespräche i.W. unterstützend und strukturierend genutzt. Außerdem konnte durch den Einsatz des Leitfadens sichergestellt werden, dass die Interviews bei den besprochenen Punkten ein hohes Maß an Vergleichbarkeit aufweisen. Dennoch wurde darauf geachtet, möglichst viel Freiraum und Flexibilität zu lassen, um individuell auf von den Interviewpartnern aufgeworfene Schwerpunktthemen und Besonderheiten der Fälle eingehen zu können.577 Es wurde außerdem großer Wert darauf gelegt, dass die Interviewpartner möglichst frei und ungestützt ihre Eindrücke über das Unternehmen zum Zeitpunkt der latenten und akuten Krise schildern konnten, um nicht nur über die in der theoretischen Vorarbeit entwickelten Hypothesen Einblicke zu gewinnen, sondern auch darüber hinausgehende Erkenntnisse zu erhalten. Zudem wurden die Gesprächspartner nach ihrer Einschätzung zu den Ursachen für die Unternehmenskrise befragt und warum 573
574 575
576 577
Vgl. zur Triangulation Jick (1979), S. 602 und 608 f.; auch Yin (2006), S. 97 ff.; Lamnek (2005), S. 158 ff.; Mayring (2002), S. 147 f.; Flick (1995b), S. 432 ff.; Eisenhardt (1989), S. 537 f. Vgl. zur Datentriangulation Lamnek (2005), S. 159; Flick (2005), S. 330 f.; Jick (1979), S. 602. Vgl. zur Perspektiventriangulation, die teilweise als eine Unterkategorie der Datentriangulation gesehen wird, Flick (2005), S. 48 ff. und 81; Flick (1995b), S. 432. Vgl. zu dieser Subjektivität und ihrer Überwindung Eisenhardt/Graebner (2007), S. 28. Vgl. zu dem gewählten Vorgehen des fokussierten bzw. halbstandardisierten Interviews mit Hilfe eines Leitfadens insb. Bortz/Döring (2006), S. 314; Yin (2006), S. 90 f.; Flick (2005), S. 118 ff. und 143 f.; Mayring (2002), S. 67 ff.; Hopf (1995), S. 177 ff. aber auch Lamnek (2005), S. 329 ff.; Eisenhardt (1989), S. 539.
5.1 Forschungsmethodik
173
das Unternehmen nicht frühzeitig gehandelt hat. Am Ende wurden die Gesprächspartner direkt auf das Vorliegen von Beharrungstendenzen angesprochen. Diese Frage wurde zum Schluss gestellt, um die Gesprächspartner während des Interviews nicht in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. Die Interviewpartner für jede Fallstudie wurden so gewählt, dass sie verschiedene Perspektiven auf die Ursachen, den Verlauf und die Bewältigung der Unternehmenskrise haben. So stammte jeweils ein Interviewpartner aus dem Top-Management und ein Interviewpartner aus dem mittleren Management des Unternehmens. Der dritte Interviewpartner war jeweils der unternehmensexterne Projektleiter der Beratungsgesellschaft, die im Verlauf der akuten Krise das Unternehmen bei der Sanierung unterstützt hat. Durch diese Auswahl der Gesprächspartner konnte tendenziell sichergestellt werden, dass unterschiedliche Sichtweisen über das Unternehmen und die Krise Berücksichtigung finden und Beschönigungstendenzen ausgeglichen werden. Bspw. konnten durch dieses Vorgehen verschiedene Ansichten zum Führungsstil beachtet werden, die zwischen Führer (Top-Management) und Geführtem (mittleres Management) durchaus differieren können. Ein weiteres Kriterium bei der Auswahl der Gesprächspartner war, dass sie das Unternehmen gut und umfassend kennen. Die unternehmensinternen Interviewpartner sollten während der latenten Unternehmenskrise im Unternehmen tätig gewesen sein oder in dieser Zeit hinzugekommen sein. Dies konnte bis auf einen Gesprächspartner gewährleistet werden. In Fallstudie C ist der Vertreter des Top-Managements erst während der akuten Ergebnis- und Liquiditätskrise zu dem Unternehmen gekommen.578 Für ihn gilt daher die gleiche Argumentation wie für die externen Berater: In die Fallstudien wurde diese Perspektive bewusst integriert, da Berater meist eine unvoreingenommenere Sichtweise haben, weil sie nicht in die Strukturen und Verflechtungen des Unternehmens eingebunden sind. Die Berater haben das Unternehmen zwar erst in der akuten Krise kennengelernt, aber die hier interessierenden Merkmale wie z.B. Entscheidungsstrukturen, Komplexität, Führungsstil oder Kommunikationskultur ändern sich von der latenten zur akuten Krise in der Regel nicht. Vor allem nicht, wenn, wie in den betrachteten Fällen, lange Zeit keine Gegenmaßnahmen zur Vermeidung der weiteren Kriseneskalation eingeleitet wurden. Bei den Beratern wurde bei der Auswahl darauf geachtet, dass diese länger in dem Kundenunternehmen tätig waren und so tiefere Einblicke in die Zusammenhänge erlangen konnten. Auch waren sie alle in Projektleitungspositionen tätig und verfügten über langjährige Erfahrung in Unternehmenssanierung. 578
In diesem Fall wurde fast das gesamte Top-Management während der akuten Krise ausgewechselt. Der Interviewpartner ist auf dieser Ebene einer der am längsten im Unternehmen Tätigen.
174 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Alle neun Interviews dieser Arbeit wurden persönlich geführt und dauerten im Durchschnitt etwa eine Stunde. Bis auf das Gespräch mit dem Top-Manager von Fallstudie B, in dem handschriftliche Notizen angefertigt wurden, konnten alle Interviews aufgezeichnet werden. Die Aufzeichnungen wurden im Anschluss transkribiert. Da allen Interviewpartnern wegen der Sensibilität des Themas Vertraulichkeit zugesichert wurde, wurden die Interviews während der Transkription anonymisiert. Auch die Fallstudien werden im Anschluss in anonymisierter Form dargestellt. Die Transkripte wurden allen Interviewpartnern zur Freigabe vorgelegt, um sicherzustellen, dass die Aussagen im Sinne der "kommunikativen Validierung" richtig und wahrheitsgemäß wiedergegeben wurden.579 Ergänzt wurden die Interviews durch Dokumentenanalysen. Dabei wurde auf die wichtigsten Projektpräsentationen der Beratungsunternehmen, wie z.B. Konzeptpräsentationen, sowie zur Verfügung stehende unternehmensinterne Unterlagen zurückgegriffen. (3) Einzelfallanalyse In den einzelnen Fallstudien werden die Fälle anhand der erhobenen Daten detailliert beschrieben und die Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Merkmalen träger Unternehmen und strategische Krisenfrüherkennung aufgezeigt. Für die Einzelfallbeschreibung und -analyse gibt es in der Forschung kein standardisiertes Vorgehen.580 Hier wird mit der Vorstellung der einzelnen Fälle das Ziel verfolgt darzustellen,
was die Krisenursachen waren, wie der Krisenverlauf war, wie das Unternehmen in der latenten Krise reagiert hat oder warum nicht reagiert wurde,
in welcher Ausprägung die in Kapitel 4 erarbeiteten Merkmale organisationaler Trägheit in dem Unternehmen während der Krise vorgelegen haben und
wie die Merkmalsausprägungen die Erkennung der schwachen Signale und die Einleitung von Gegenmaßnahmen beeinflusst haben.
Um in allen Fallstudien einen einheitlichen Analyserahmen zu verwenden, sind diese jeweils in sechs Abschnitte gegliedert, in denen folgende Themen behandelt werden:
Analyse der Ausgangssituation o Eckdaten, Geschäftsmodell, Unternehmensentwicklung, Branche o Vorliegen eines mittelständisch geprägten Großunternehmens
579
580
Das Interviewprotokoll und die Transkripte finden sich in einem separaten Anlagenband. Vgl. zu kommunikativer Validierung Flick (2005), S. 325; Mayring (2002), S. 147; Kvale (1995), S. 429 f. Vgl. Eisenhardt (1989), S. 539 f.
5.1 Forschungsmethodik
Analyse von Krisenursachen, Krisenverlauf und Krisenfrüherkennung o o o o
Entscheidungsstrukturen Komplexität von Strukturen und Prozessen Eigentumsverhältnisse Investitionen Veränderungserfahrung
Analyse der unternehmensinternen verhaltensbedingten Merkmale o o o o
Ursachen der Unternehmenskrise Verlauf der Unternehmenskrise mit eventuellen Gegenmaßnahmen Erkennung der latenten und/oder akuten Krisensituation Vorliegen von operativer und strategischer Früherkennung
Analyse der unternehmensinternen systembedingten Merkmale o o o o o
175
Kontinuität des Top-Managements Führungsstil Anreizsystem Kommunikationskultur
Analyse der unternehmensexternen Merkmale o Wettbewerbsintensität o Umweltdynamik
Zusammenfassung o Überblicksartige Darstellung der Merkmalsausprägungen
In der Ausgangssituation wird zunächst ein kurzer Überblick über das Unternehmen, seine Entwicklung, das Geschäftsmodell und die Branche gegeben. Im Anschluss wird gezeigt, aus welchen Gründen das Unternehmen in die Krisensituation gekommen ist, wie sich diese Krisenursachen im Zeitverlauf entwickelt haben, wie es zum Übergang in die akute Krise gekommen ist und wie die latente bzw. akute Krise erkannt wurde. In diesem Zusammenhang wird auch darauf eingegangen, inwieweit Elemente operativer und strategischer Früherkennung in dem Unternehmen vorgelegen haben. Danach werden die in Kapitel 4 erarbeiteten Merkmale in ihren Ausprägungen detailliert dargestellt und erläutert, wie diese das Erkennen der Krise und die Einleitung von Gegenmaßnahmen im konkreten Fall beeinflusst haben. Auch wenn Wert darauf gelegt wurde, die Fallstudien in ähnlicher Detailtiefe zu beschreiben, wurde bewusst Raum gelassen, auf Besonderheiten der Fälle genauer einzugehen. Eine zusammenfassende Darstellung schließt die Einzelfallanalyse ab.
176 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
(4) Fallübergreifende Analyse Nach der detaillierten Darstellung der einzelnen Fälle werden diese in der fallübergreifenden Analyse gegenübergestellt und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet.581 Aus einer Fallstudie und auch aus dem Vergleich von drei Fallstudien lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen ableiten. Dennoch ermöglicht dies, Ähnlichkeiten und Besonderheiten zu erkennen und zu interpretieren sowie die Validität der Beobachtungen zu erhöhen. Wie im folgenden Kapitel noch detailliert wird, kann an ein solches qualitatives Forschungsvorgehen nicht der Anspruch einer statistischen Generalisierbarkeit gestellt werden oder die in den Hypothesen aufgestellten Zusammenhänge zu "testen" oder zu "überprüfen". Jedoch ist nach der Replikationslogik ein Zusammenhang um so wahrscheinlicher, je öfter er auftritt, so dass mit dem gewählten Vorgehen zumindest die Plausibilität der aufgestellten Hypothesen in der Praxis untersucht werden kann.582 Ebenso wichtig ist aber, dass durch die Fallstudien tiefere Einblicke in den komplexen Sachverhalt der latenten Unternehmenskrise und strategischen Früherkennung, vor allem aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive, gewonnen werden können. Zum Abschluss der fallübergreifenden Analyse werden die Ergebnisse mit den in Kapitel 4 hergeleiteten und aufgestellten Hypothesen zusammengeführt.
5.1.3 Qualität des Forschungsdesigns An quantitative und qualitative empirische Forschungsvorhaben werden in der Literatur verschiedene Qualitätsansprüche gestellt, die sich auf die Objektivität, Verlässlichkeit und Belastbarkeit der Untersuchung beziehen. Nach YIN sind dies konkret die Forderungen nach Konstruktvalidität, Reliabilität, interner Validität und externer Validität.583 Manche Kritiker merken an, dass diese Gütekriterien durch Fallstudienforschung nicht oder nur in begrenztem Umfang erfüllt werden.584 Daher soll nun darauf eingegangen werden, wie die Fallstudienmethodik im Allgemeinen und das in der vorliegenden Untersuchung angewendete Vorgehen im Speziellen diesen Qualitätskriterien gerecht wird.585
581 582
583
584 585
Vgl. Yin (2006), S. 47 f. und 116 ff.; Eisenhardt (1989), S. 540 f. Vgl. Eisenhardt/Graebner (2007), S. 25 und 27; Yin (2006), S. 47 ff.; Eisenhardt (1989), S. 542, zur konfirmatiorischen Kraft von Fallstudien auch Schäffer/Brettel (2005), S. 44. Hier wird sich an den Gütekriterien von Yin (2006), S. 34 ff. orientiert, da auch das Vorgehen der Fallstudienforschung auf YIN basiert. In der Literatur existieren jedoch noch verschiedene andere Kriterienkataloge zur Qualitätssicherung qualitativer Forschung. Vgl. bspw. Bortz/Döring (2006), S. 326 ff.; Lamnek (2005), S. 138 ff. ; Flick (2005), S. 16 ff. und 319 ff.; Mayring (2002), S. 141 ff. Vgl. dazu u.a. Eisenhardt/Graebner (2007), S. 26; Yin (2006), S. 10; Flick (2005), S. 317. Vgl. zum "Pattern Matching" die Ausführungen zur internen Validität am Ende dieses Kapitels.
5.1 Forschungsmethodik
177
Die Konstruktvalidität stellt sicher, dass passende Operationalisierungen für die zugrunde liegenden Phänomene gefunden wurden. Konstruktvalidität liegt vor, wenn ein Konstrukt mit einer gewissen Zuverlässigkeit, das beschreibt, erfasst und erklärt, was es erfassen soll und die dahinter liegenden Konstrukte akkurat abbildet. Die Herstellung von Konstruktvalidität ist bei Fallstudienforschung dadurch schwierig, dass diese durch ihren qualitativen Charakter im Gegensatz zu großzahligen Analysen in gewissem Maße immer eine subjektive Prägung beinhaltet. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten, auch bei Fallstudien das Gütekriterium der Konstruktvalidität dennoch abzusichern.586 Ein Mittel ist die Nutzung unterschiedlicher Informationsquellen. Dies wird in dieser Arbeit durch die erläuterte Datentriangulation aus Interviews und Dokumentenanalyse sowie die zusätzliche Perspektiventriangulation durch die Befragung unterschiedlichster Personen umgesetzt.587 Darüber hinaus kann die Validierung der Transkripte durch die Interviewpartner dazu beitragen, subjektiven und interpretativen Einflüssen des Forschers vorzubeugen. So wurden die Interviews aufgenommen, wortgetreu aufgeschrieben und die Transkripte den Gesprächspartnern zur Kontrolle und Freigabe zur Verfügung gestellt. Eine weitere methodische Unterstützung der Konstruktvalidität ist ein stringenter Aufbau des Forschungsdesigns. Es wurde Wert darauf gelegt, zwischen der Forschungsfrage, den vorhandenen Informationen und den abgeleiteten Schlussfolgerungen eine logische Verbindung herzustellen. Um zu verdeutlichen, wie von den Aussagen der Interviewpartner auf die Aussagen in den Fallstudien geschlossen wurde, sind in die Fallstudien immer wieder direkte Interviewzitate eingebaut. Sie sollen exemplarisch an wichtigen Stellen zur Plausibilisierung der Konstrukte beitragen. Darüber hinaus wird teilweise in Fußnoten auf die entsprechenden Aussagen der Interviewpartner verwiesen. Beides soll beispielhaft darstellen, dass sich prinzipiell alle Aussagen der Fallstudien auf diese Weise aus den Interviews und vorliegenden Dokumenten ableiten lassen.588 Nicht zuletzt erfolgte die Analyse aller Fälle zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit in der vorgestellten Struktur und ähnlicher Detailtiefe. Die Reliabilität soll die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse bei konstanten Messbedingungen gewährleisten. Reliabilität besteht, wenn ein anderer Forscher mit gleichem Vorgehen beim gleichen Untersuchungsobjekt zu gleichen Ergebnissen kommt. Während dies bei quantitativen Analysen leicht zu erfüllen ist, beinhalten 586
587 588
Vgl. zur Konstruktvalidität und den aufgezeigten Möglichkeiten ihrer Sicherstellung insb. Yin (2006), S. 35 f.; auch Flick (2005), S. 323. Vgl. dazu Abschnitt Datenerhebung in Kapitel 5.1.2. und Yin (2006), S. 99. Vgl. zur "chain of evidence" Yin (2006), S. 105 f. und zur selektiven Plausibilisierung Flick (2005), S. 317 f.
178 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Interviews als Basis von Fallstudien immer ein kommunikatives Element und sind damit situativ an den jeweiligen Kontext gebunden.589 Sie sind bei Wiederholung nicht in identischer Form reproduzierbar und es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sie trotz des Strebens des Forschers nach Objektivität bspw. durch die Art der Fragestellung beeinflusst werden. Damit Reliabilität dennoch sichergestellt werden kann, muss es anderen Forschern ermöglicht werden, bei einer Wiederholung zu gleichen Schlussfolgerungen zu kommen. Dazu müssen Interviewprotokolle angefertigt und alle mit der Fallstudie in Verbindung stehenden Unterlagen bspw. in einer Datenbank abgelegt werden. In dieser Arbeit wurden der Interviewleitfaden im Anhang angehängt sowie die transkribierten Interviews zur Verfügung gestellt. Alle mit den Fallstudien in Verbindung stehenden Dokumente wurden strukturiert abgelegt. Außerdem wurde das Forschungsvorgehen in den beiden vorherigen Kapiteln detailliert beschrieben und begründet, so dass durch diese Maßnahmen anderen die Möglichkeit gegeben wird, auf Basis dieser Informationen die Zusammenhänge selbst zu bewerten.590 Die interne Validität stellt die Zuverlässigkeit durch die Gültigkeit der aufgestellten Erklärungszusammenhänge sicher. Das Qualitätskriterium ist erfüllt, wenn ausgeschlossen werden kann, dass die abgeleiteten Kausalzusammenhänge auf anderen, nicht berücksichtigten Faktoren – sogenannten Störfaktoren – beruhen. In Fallstudien ist dieser Nachweis schwer zu erbringen, weil durch die Interviews und die Dokumentenanalyse zwar ein sehr tiefgehendes und umfängliches, aber nicht notwendigerweise vollständiges Bild gewonnen wird. Interne Validität kann aber durch stringente Erklärungszusammenhänge erreicht werden. In dieser Arbeit werden die Zusammenhänge durch die fallübergreifende Analyse und die verschiedenen Interviewpartner pro Fallstudie aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und so zufällige Ereignisse verhindert. Abweichende Ergebnisse zwischen den Fallstudien werden ausführlich diskutiert. Außerdem wird die für die Herstellung interner Validität empfohlene Methode des "Pattern Matching" angewendet. Dabei werden die Muster, die sich aus der empirischen Untersuchung ergeben mit den aus der Theorie abgeleiteten theoretisch vorhersagbaren Mustern verglichen. Sind die Muster ähnlich, kann von einer hohen internen Validität ausgegangen werden.591 Dies wird im Rahmen der fallübergreifenden Analyse durch die Spiegelung der Erkenntnisse an den in Kapitel 4 erarbeiteten Hypothesen erfolgen.
589 590 591
Vgl. bspw. Lamnek (2005), S. 169. Vgl. zur Reliabilität und ihrer Sicherstellung Yin (2006), S. 37 ff. und 105 f.; Flick (2005), S. 318 ff. Vgl. zur interner Validität und ihrer Herstellung Yin (2006), S. 36, auch Eisenhardt (1989), S. 544 und zum "Pattern Matching" vgl. Yin (2006), S. 116 ff.
5.2 Fallstudie A
179
Externe Validität bezieht sich auf die Repräsentativität und Generalisierbarkeit der Ergebnisse über die untersuchten Fälle hinaus. Durch Einzelfallstudien und auch eine fallübergreifende Analyse kann keine statistische Repräsentativität und Generalisierbarkeit erreicht werden. Der Anspruch der Fallstudienforschung ist aber auch nicht, Ergebnisse statistisch zu überprüfen und zu testen, sondern vielmehr sollen komplexe Zusammenhänge explorativ untersucht werden. Fallstudien zielen daher eher auf die analytische Repräsentativität ab,592 die bspw. durch die Anwendung der Replikationslogik gewährleistet werden. Die Replikationslogik geht davon aus, dass ein Zusammenhang umso wahrscheinlicher ist, je öfter er auftritt, und hilft daher Schlussfolgerungen durch Betrachtung mehrerer Fallstudien zu erhärten. Analytische Generalisierbarkeit wird dabei erreicht, wenn mehrere Fälle eine Aussage bestätigen und andere Fälle dazu nicht im Widerspruch stehen.593 So können durch die Fallstudienmethodik in dieser Arbeit zumindest die theoretisch abgeleiteten Hypothesen auf ihre Plausibilität im realen Kontext untersucht werden.594 Zusammenfassend können daher die Qualitätskriterien empirischer Forschung in dieser Arbeit durch das gewählte Vorgehen sichergestellt werden. Auch wenn die Ergebnisse aufgrund der Forschungsfrage und der Forschungsmethode nicht bewiesen und nur in Grenzen verallgemeinerbar sind, liefert sie dennoch wertvolle Hinweise für organisationale Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen und ihre Auswirkungen auf die Früherkennung von Unternehmenskrisen.
5.2
Fallstudie A
5.2.1 Ausgangssituation Das Unternehmen stellt Großanlagen für die Pharmaindustrie her, die weltweit verkauft werden. Gegründet wurde es 1920 durch den Vater des heutigen Inhabers. Sein Sohn ist Alleineigentümer des Unternehmens, hat es von Mitte der fünfziger Jahre bis Mitte der achtziger Jahre operativ geführt und ist wesentlich für den heutigen Erfolg verantwortlich. Mitte der achtziger Jahre hat er aus Altersgründen ein Fremdmanagement eingesetzt, ist aber dennoch auch in den letzten 20 Jahren in unterschiedlicher Intensität im Unternehmen präsent gewesen. Das Management war ursprünglich unternehmensintern besetzt, hat aber insbesondere in den letzten
592
593 594
Vgl. zur analytischen und statistischen Generalisierbarkeit Bortz/Döring (2006), S. 335 f.; Yin (2006), S. 10 und 32 f.; Bühler-Niederberger (1995), S. 447 f. Vgl. zu Replikationslogik die Ausführung zur fallübergreifenden Analyse in Kapitel 5.1.2. Vgl. zur externen Validität und ihrer Sicherstellung Yin (2006), S. 37.
180 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
zehn Jahren mehrfach gewechselt und ist dabei immer wieder durch externe Führungskräfte ergänzt worden. Das Unternehmen hat in der Branche einen sehr guten Ruf und gilt als innovativ, technisch exzellent und qualitativ hervorragend. Neben dem Stammsitz in Deutschland gibt es seit Mitte der sechziger Jahre ein Werk in Südamerika und seit Ende der achtziger Jahre ein Werk in den USA sowie weltweite Vertriebsgesellschaften. Heute werden rund 75% der Leistung in Deutschland gefertigt, die anderen rund 25% von den beiden ausländischen Produktionsstandorten. Die Projekte, die das Unternehmen abwickelt, haben meist eine Größenordnung von 15-30 Millionen Euro und erfordern stets kundenindividuelle Lösungen, so dass der Konstruktion eine wichtige Rolle zukommt. Die Durchlaufzeit eines Projektes bis zur Endabnahme beträgt rund 18 Monate. Das Unternehmen hat eine hohe eigene Wertschöpfung und in den letzten Jahren haben die Vernetzung der drei Standorte sowie die gemeinsame Abwicklung von Projekten stark zugenommen. Um die Projekte trotz kundenindividueller Anforderungen soweit wie möglich zu standardisieren, hat das Unternehmen 2005 eine neue Produktgeneration entwickelt und damit eine revolutionäre Lösung auf den Markt gebracht. In dem von dem Unternehmen bearbeiteten Markt gibt es weltweit nur einige große Mitbewerber, von denen bisher niemand eine solche Lösung anbieten kann. 3.175 3.075 2.915
2.968 511
491
2.695
3.190
3.085
481 454
438
470
408 359
342 320 2.265 n.v. 1997 Leistung
2.415 n.v. 1998 EGT
2.365
35
n.v. 1999
n.v. 2000
32
39
2003
2004
n.v. 2001
2002
-9 2005
-19 2006
Mitarbeiter
Abb. 13: Leistungs-, EGT- und Mitarbeiterentwicklung der letzten 10 Jahre [Millionen Euro/Anzahl].
Wie in Abb. 13 zu sehen ist, ist das Unternehmen in den Jahren vor der akuten Krise 2006 stetig und profitabel gewachsen.595 Dies war in den letzten Jahrzehnten ähnlich, wurde nur durch zwei starke Nachfrageeinbrüche Ende der achziger Jahre und Mitte der neunziger Jahre unterbrochen. Vor der akuten Krisensituation hat das Unter-
595
Für 1997-2001 liegen die genauen EGT-Zahlen nicht vor, aber das Unternehmen war profitabel.
5.2 Fallstudie A
181
nehmen mit rund 3.100 Mitarbeitern rund 480 Millionen Euro Gesamtleistung erwirtschaftet. Die Interviewpartner bezeichnen das Unternehmen trotz der Leistung und Größe als mittelständisch.596 Auch nach den in Kapitel 1.3 festgelegten Kriterien handelt es sich um ein mittelständisch geprägtes Großunternehmen, da es nach wie vor in der Hand des Sohnes des Gründers ist und von ihm – auch wenn er nicht mehr operativ im Unternehmen tätig ist – wie im Folgenden gezeigt wird, noch stark beeinflusst wird.597
5.2.2 Krisenverlauf, Krisenursachen und Krisenfrüherkennung Das Unternehmen hat 2004 und 2005 einen deutlichen Leistungseinbruch erlitten und 2005 zudem erstmals seit vielen Jahren wieder ein negatives Ergebnis erwirtschaftet. 2006 konnte die Leistung zwar stabilisiert werden, die Ergebnissituation hat sich aber noch einmal deutlich verschlechtert. Zudem befand sich das Unternehmen Mitte 2006 in einer akuten Liquiditätskrise, weil sowohl Bar- als auch Avallinien fast vollständig ausgenutzt waren. Zu diesem Zeitpunkt wurde eine Unternehmensberatung beauftragt, bei der Sanierung und der weiteren Finanzierung des Unternehmens zu unterstützen. Aus der Dokumentenanalyse und den Interviews sind verschiedene Krisenursachen ersichtlich. Sie sind teilweise in der Vergangenheit zu suchen, teilweise haben sie unmittelbar vor der akuten Krisensituation förmlich als Katalysator den Übergang in die existenzbedrohende Unternehmenskrise forciert. Etwa zehn Jahre vor der akuten Krisensituation ist es in dem Unternehmen zu wesentlichen Veränderungen in der Führungsstruktur gekommen. Bis dahin gab es eine Geschäftsführung, die das Unternehmen, die Produkte und die Mitarbeiter über viele Jahre kannte. Darüber hinaus gab es zentrale Personen auf der zweiten und dritten Führungsebene, die ein eingespieltes informales Team in der Steuerung des Unternehmens waren. Als Teile dieser Geschäftsführung in den Ruhestand gingen, begann eine Reihe von Wechseln auf den obersten Führungsebenen, die allerdings mehrfach nicht erfolgreich waren, so dass die Positionen in kurzen Abständen wieder neu besetzt werden mussten. Weil man nicht ausreichend Nachwuchskräfte innerhalb des Unternehmens herangezogen hatte, wurden meist externe Führungskräfte eingestellt. Diese haben jedoch wiederholt das Geschäft nicht verstanden und die spezifische Kultur des Unternehmens nicht anerkennen wollen. Das Unternehmen 596 597
Vgl. Interview COO; Interview Betriebsleiter; Interview Berater. Vgl. dazu insbesondere Abschnitt Eigentümerstruktur in Kapitel 5.2.3.
182 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
sah sich, geprägt durch die Historie, immer als eine große Familie und hatte das dargestellte starke Netzwerk aus Schlüsselpersonen, die wesentlich zur Steuerung des Unternehmens beigetragen haben. Durch das Ignorieren dieser Besonderheiten und mangelnde Fachkenntnis haben die neuen Führungskräfte Krisenursachen falsch beurteilt und das für das Funktionieren des Unternehmens bedeutsame Geflecht aus Schlüsselmitarbeitern zerstört. Sie haben diesen wichtigen Personen nicht zugehört, ihren Hinweisen auf Fehlentwicklungen keine Beachtung geschenkt und gedacht, sie könnten die Sachverhalte besser beurteilen. Sie haben dieses Netzwerk weitgehend unterbunden und damit die Schlüsselpersonen so demotiviert, dass diese in der Folge keine Anmerkungen mehr gemacht und sich nicht mehr zu Fehlentwicklungen geäußert haben. "Es gab früher Leute, wo man hätte wissen müssen, wenn die was sagen, dass das dann nicht grundlegend falsch ist. Gerade die Führungskräfte, die neu waren, haben darauf nicht gehört. [...] Sie hatten leider eine Einstellung, durch die die Leute, die in der zweiten und dritten Reihe massiv gewarnt haben, über lange Zeiträume nicht gehört wurden. Da wurde über mehr als zwölf Monate ignoriert, dass Probleme aufgekommen sind. Die Probleme waren vorhanden, die hat man sehen, die hat man greifen können, und trotzdem hat man dann nicht dagegengesteuert." (COO) Durch diese Kombination von neuen Führungskräften, die die Situation nicht beurteilen konnten, und erfahrenen Mitarbeitern, die frustriert und demotiviert waren, wurde im Vorfeld der Krise Fehlentwicklungen in Projekten und bei Produkten zu spät entgegengewirkt, was zu großen finanziellen Belastungen in Form von Nachlaufkosten geführt hat. Im Großanlagenbau kommen Produkte nicht plötzlich bei Kunden nicht mehr an. Durch die Komplexität der Projekte, in denen unterschiedlichste Produkte verwendet werden, ist der Prozess schleichender und deutet sich durch steigende Nachlaufkosten an, die entstehen, weil bei Kunden installierten Anlagen ohne Einschränkungen funktionieren müssen. Passieren in der Projektabwicklung Fehler oder sind einzelne Produkte nicht mehr marktfähig oder passend für die Anforderungen des Kunden, können erhebliche Nachlaufkosten für den Hersteller entstehen, bis die Anlage einwandfrei funktioniert. Auf diesen Frühindikator hat man über mehrere Jahre nicht reagiert. "Die Signale waren bereits 2003, 2004 so massiv da, dass man sie hätte erkennen können, um dagegenzuwirken. [...] es wurden wichtige Gegenmaßnahmen nicht diskutiert, nicht eingeleitet und wenn sie mal hoch gekommen sind, dann ist einfach falsch eingeschätzt worden, was man dagegen tun muss." (COO)
5.2 Fallstudie A
183
Dies wurde durch eine unzureichende Kostentransparenz unterstützt. Eine Kostenträgerrechnung, Nachkalkulationen und mitlaufende Kalkulationen gab es nicht. Auch ein ausgeprägtes Kostenbewusstsein war historisch nicht vorhanden.598 Dazu kamen um die Jahrtausendwende Probleme mit dem Werk in den USA. Das Werk war Ende der achtziger Jahre aufgebaut worden, aber es fehlte immer noch an ausreichend qualifizierten Mitarbeitern, die in den Produkten und der Branche erfahren waren. So wurden mehrere große Projekte bei dem amerikanischen Hauptkunden mit falschen Produkten angegangen. Trotz intensiver operativer Unterstützung aus Deutschland sind dadurch sehr hohe Nachlaufkosten entstanden, die das Gesamtunternehmen in der Folge finanziell belastet haben. Neben den missglückten Führungswechseln, den zunehmenden Fehlentwicklungen und den Problemen in den USA zeigte sich damals, dass das Unternehmen den Aufbau organisatorischer Strukturen in der Vergangenheit vernachlässigt hatte. Wesentlich für das Funktionieren des Unternehmens war das beschriebene Netzwerk aus Schlüsselpersonen. Als dieses Netzwerk durch die neuen Führungskräfte destruiert wurde, war keine Organisations- und Führungsstruktur da, die dieses ersetzen konnte. Zudem waren der kaufmännische Bereich, die Produktionsplanung und die Kalkulation wegen der starken technischen Fokussierung nur unzureichend aufgebaut.599 In dieser geschwächten Situation wurde der Übergang in die akute Krisensituation dadurch ausgelöst, dass die Nachfrage weggebrochen ist, während man zeitgleich versucht hat, eine neue Produktgeneration am Markt zu platzieren. Die neue Produktgeneration, die durch erhöhte Standardisierung zu Kostenvorteilen führen sollte, wurde Anfang 2005 entwickelt und bereits kurz darauf mit Nachdruck am Markt eingeführt. Das Produkt war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend entwickelt. Um aber trotz der langen Durchlaufzeiten schnell eine installierte Basis und breite Akzeptanz bei den Kunden zu erreichen, hat man zu sehr niedrigen Preisen angeboten und die neue Produktgeneration sofort weltweit eingesetzt. Später hat sich gezeigt, dass fast alle Projekte wegen des frühen Entwicklungsstadiums und der mangelnden kaufmännischen Transparenz unter Herstellkosten verkauft wurden. Sie haben das Unternehmen in den folgenden Jahren stark ergebnis- wie liquiditätsseitig belastet. Der zweite Katalysator für die akute Krisensituation war der Nachfrageeinbruch 2005. Die Abnehmerbranche befand sich in einer unsicheren Marktsituation, so dass Investitionen in neue Großanlagen weitgehend gestoppt wurden. Eine weitere Motivation, 598 599
Vgl. zu der Problematik Interview Berater; Interview Betriebsleiter. Vgl. dazu ausführlich Abschnitt Komplexität der Strukturen und Prozesse in Kapitel 5.2.3.
184 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
die neue Produktgeneration schnell und umfangreich am Markt zu platzieren war daher, die Auslastung sicherzustellen. Die Gefahren dieses Vorgehens waren damals vielen Führungskräften nicht bewusst. Mitte 2005 waren sich einige Mitarbeiter aus Betriebsleitung und Controlling aus ihrer täglichen Arbeit sicher, dass es schwerwiegende Probleme gab. Das Unternehmen hatte damals keine monatliche Gewinn- und Verlustrechnung, sondern nur eine Art monatlichen "Vermögensvergleich". In einer Gewinn- und Verlustrechnung wären die Probleme zu diesem Zeitpunkt vielleicht bereits erkennbar gewesen, in diesem Vermögensvergleich zeigten sie sich noch nicht so offensichtlich. Die Mitarbeiter haben daraufhin versucht, ihr latentes Gefühl greifbar und transparent zu machen. Als ihnen dies gelungen war, war es jedoch zu spät, um ausreichend gegenzusteuern, und das Unternehmen hatte viele verlustreiche Projekte bereits angenommen. "Die Auswirkung war ja noch nirgendwo zu sehen [...] Da ging es darum, machen Sie es greifbar! [..] Wir haben das dann beobachtet, analysiert und in den wenigen Daten der Vergangenheit gekramt. [...] Wir haben die Erkenntnisse übereinander gelegt [...]. Da haben wir gesehen, dass was nicht mehr passen kann, wenn man Mühe hat, mit dem Verkaufspreis die Materialkosten zu decken." (Betriebsleiter) Wegen der schlechten Aufstellung des kaufmännischen Bereichs600 wurde operative Früherkennung nur in geringem Maße betrieben und beschränkte sich auf Soll-IstAnalysen des Vermögensvergleichs. Eine Liquiditätsplanung wurde nur einmal im Quartal erstellt. Elemente strategischer Früherkennung wie Wettbewerbsmonitoring gab es nur vereinzelt und wenig systematisch. Die damaligen Geschäftsführer haben Analysen nicht angestoßen, falsch interpretiert oder auf die Ergebnisse nicht reagiert. "Diese notwendigen und existentiellen Analysen, das zu ergründen, sind zum Teil nicht gemacht worden und wenn sie gemacht worden sind, sind sie hinterher falsch interpretiert und umgesetzt worden oder gar nicht umgesetzt worden." (COO) Heute hat das Unternehmen die Krise überwunden und befindet sich, unterstützt durch die positive Marktentwicklung, wieder auf einem profitablen Wachstumspfad.
5.2.3 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale Entscheidungsstrukturen Früher hatten die Führungspersönlichkeiten auf der zweiten und dritten Ebene große Freiheiten und Entscheidungskompetenzen. Die Bereichs- und Abteilungsleiter durf600
Vgl. dazu Abschnitt Komplexität von Strukturen und Prozessen in Kapitel 5.2.3.
5.2 Fallstudie A
185
ten viele operative Entscheidungen alleine treffen. Bei wichtigen Themen wurde jedoch auf die Einbeziehung und Abstimmung mit der Geschäftsführung sehr viel Wert gelegt. Vor allem der damalige Betriebsleiter hatte sehr große Freiheiten, weil er seit rund 30 Jahren im Unternehmen war und das volle Vertrauen der Geschäftsführung genoss. Grundsätzlich wurden und werden heute wieder konzeptionelle Themen zentral diskutiert und vorgegeben, die operative Umsetzung lag bzw. liegt aber bei der zweiten und dritten Ebene. "In der konzeptionellen Phase ist es schon so, dass Sachen von oben vorgegeben werden, in der Umsetzung ist dann wieder viel Diskussion." (Betriebsleiter) "Die wesentlichen Entscheidungen werden zentral getroffen. Das heißt aber nicht, dass die Mitarbeiter selbst keine Eigenverantwortung haben." (Berater) Vor der akuten Krisensituation waren, bedingt durch die verschiedenen Führungswechsel, die Entscheidungsstrukturen tendenziell zentralisierter. Jeder neue Geschäftsführer oder Bereichsleiter hat seine Strategie zentral vorgegeben und in der Organisation durchzusetzen versucht.601 Mit den Führungswechseln wurden die Entscheidungsbefugnisse dieses Kreises von wichtigen Personen auf der zweiten und dritten Ebene zeitweise deutlich begrenzt, was dazu geführt hat, dass ihre Initiative und Motivation stark nachgelassen hat. Zudem wurde es für sie immer schwieriger, sich den wechselnden, jeweils neuen zentralen strategischen Vorgaben anzupassen. "Es war dann nach geraumer Zeit nicht mehr möglich, dass solche Leute wie der Betriebsleiter oder der Einkaufsleiter sich immer wieder neu motivieren konnten, um das Ruder noch einmal herumzureißen. Das war zu lange in die falsche Richtung gelaufen. Das System, das vorher funktioniert hatte, war auseinandergebrochen." (COO) Darüber hinaus haben vor der akuten Krise zentrale Personen aus Vertrieb und Konstruktion das Unternehmen verlassen. Wegen der neuen Führungskräfte waren die Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege in diesen Bereichen lange Zeit nur schwer ersichtlich, so dass Anstrengungen in falsche Richtungen gelaufen sind.602 Komplexität von Strukturen und Prozessen Bedingt durch die Geschichte des Unternehmens stand die Technik immer im Mittelpunkt und das Unternehmen ist mit dieser Fokussierung gewachsen. Dem systematischen Aufbau von organisatorischen Strukturen und Prozessen wurde wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Insbesondere die im Projektgeschäft wichtigen Elemente 601 602
Vgl. Interview COO. Vgl. Interview COO.
186 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
wie der kaufmännische Bereich, die Produktionsplanung und -steuerung und die Kalkulation wurden vernachlässigt. Der kaufmännische Bereich603 war vor der akuten Krise auf ein Minimum beschränkt. Bis zur Jahrtausendwende bestand er eigentlich nur aus dem kaufmännischen Leiter, der aus dem Unternehmen kam und sowohl die technischen als auch die betriebswirtschaftlichen Kenntnisse hatte. Die Qualität des Bereichs hing an seiner Person – es war keine ausreichende Struktur da, die seinen Weggang auffangen konnte. Viele Analysen, die er mit seinem Wissen gemacht und interpretiert hat, wurden im Anschluss nicht mehr erstellt oder anders gedeutet und so wichtige Hinweise auf die Fehlentwicklungen nicht erkannt. Nach seinem Weggang wurde zwar eine Abteilung mit drei Mitarbeitern aufgebaut, aber diese Besetzung konnte nur die absolut wichtigsten Auswertungen und Analysen anfertigen. Auch die Produktionsplanung und -steuerung war der Unternehmensgröße nicht angemessen. Es gab keine IT-Unterstützung – alles wurde händisch in Excel erstellt. "Die Produktionsplanung war in Excel und die Produktionssteuerung klassisch aufgebaut wie in einem Unternehmen mit 400 Mitarbeitern." (Betriebsleiter) Eine klare Produktionsstrategie für die einzelnen Werke gab es nicht. Aufträge wurden rein aus kapazitativen Überlegungen auf die Standorte verteilt. In Verhandlungen mit Kunden war die Produktionsplanung selten einbezogen, so dass oft erst im Anschluss diskutiert wurde, wann und wo die Projekte gefertigt werden können. "[...] welches Produkt ich wo fertige, war keine Entscheidung, die einer Analyse entsprang, wo das Produkt am besten, billigsten produziert werden kann, welcher Standort das beste Know-how für das Produkt hat oder wo der Kunde sitzt. Die Entscheidung, wo produziert wird, ist damals rein kapazitativ gefallen." (Berater) Ebenso war die Kalkulation für die Größe des Unternehmens und der Projekte nicht mehr passend. Eine systematische Nachkalkulation oder eine mitlaufende Kalkulation gab es ebenso wenig wie eine Kostenträgerrechnung. Angebotskalkulationen basierten auf sehr alten Preisen, die jährlich um Teuerungsraten angepasst wurden. Bereits vor der neuen Produktgeneration hat man versucht, diese Art der Angebotskalkulation umzustellen. Dabei ist es zu großen Verwerfungen gekommen und das Gefühl, ob die Herstellkosten passen können, ist verlorengegangen. Zusammen mit der fehlenden Nachkalkulation bzw. mitlaufenden Kalkulation sowie der später eingeführten neuen Produktgeneration hat dies dazu geführt, dass Kostentransparenz nur begrenzt vorhanden war und Fehlentwicklungen nicht rechtzeitig erkannt wurden.604
603 604
Zu verstehen als Controlling-/Finanzabteilung, nicht als Buchhaltungsabteilung. Vgl. generell zur Kostentransparenz Interview Berater; Interview Betriebsleiter.
5.2 Fallstudie A
187
Die Auftragsabwicklungs- und Produktionsprozesse haben sich über die Jahre emergent durch die aktive Arbeit der Abteilungsleiter- und Meisterebene entwickelt, waren aber nirgends festgeschrieben. Ein grobes Prozesshandbuch wurde zwar einige Jahre vor der akuten Krise erstellt, aber eine wirklich umfangreiche Prozessaufnahme (ohne Optimierungen) gab es erstmals kurz vor der akuten Krise mit Beginn der SAP-Einführung. Diese emergenten Prozesse funktionierten im operativen Tagesgeschäft, weil für alle direkt Beteiligten die Verantwortlichkeiten klar waren. "Es war im Auftragsabwicklungsprozess zwar im Prinzip klar, wer daran beteiligt ist, aber nicht explizit. Es gab viele Leerstellen. [...] Das System war vielleicht effizient, weil man gewusst hat, wer was macht, aber nicht effektiv, weil zum Teil die Falschen an den Schnittstellen saßen." (Berater) Für die Geschäftsführungsebene und die meisten Bereichsleiter waren diese Prozesse jedoch nicht transparent. Nur einzelne Personen, wie bspw. der damalige Betriebsleiter, haben den gesamten Prozess überblickt und konnten abschätzen, welche Auswirkungen Veränderungen haben. "Was sich die Meisterebene als notwendig zurecht gelegt hatte, wurde umgesetzt, aber es gab von oben keine Transparenz darüber. [...] Die erste Führungsebene konnte die Auswirkungen ihrer Entscheidungen nicht abschätzen." (COO) "Die Transparenz oder den Gesamtblick haben nur wenige gehabt. [...] Es ist einfach die Komplexität und das Kennen der Abläufe, zu wissen oder zu vermuten, wenn an einer Stelle was passiert, wo treten dann welche Auswirkungen auf." (Betriebsleiter) Der Aufbau einer der Größe angemessenen Organisationsstruktur und die Optimierung der emergenten Prozesse wurden nicht angegangen. Es gab zwar ein Organigramm, aber auch daraus war keine klare Führungsstruktur ersichtlicht, weil es Personen wie bspw. den damaligen Betriebsleiter gab, der zwischen den einzelnen Ebenen angesiedelt war.605 Diese vorgestellten Charakteristika zeigen alle, wie stark das Funktionieren der Prozesse an den beteiligten Personen hing. Wurden diese ersetzt, kam es oftmals zu starken Abstimmungsschwierigkeiten. In der gesamten Unternehmensentwicklung hat daher das informelle Netzwerk aus Schlüsselpersonen eine entscheidende Rolle gespielt. Sie haben das operative Tagesgeschäft "am Laufen gehalten", bei Problemen gemeinsam Lösungen entwickelt und untereinander sehr offen kommuniziert. Durch die Führungswechsel ist das System wie beschrieben in seinem Funktionieren stark beeinträchtigt worden. Die Schlüsselpersonen sind teilweise ausgeschieden oder waren frustriert und demotiviert, weil ihnen keine Bedeutung mehr beigemessen 605
Vgl. dazu Interview Berater.
188 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
wurde. Für das frühzeitige Erkennen der Krisensituation hätten sie mit ihrer Erfahrung eine entscheidende Rolle spielen können. Aber die vielen kleinen Drähte waren gekappt worden und so hat es aus diesem Netzwerk nur noch wenige Hinweise auf die latenten Probleme gegeben, denen von der Führung zudem nicht ausreichend Beachtung geschenkt wurde. Zusammenfassend bestätigen alle Interviewpartner, dass die Strukturen und Prozesse im Vorfeld der Krise der Unternehmensgröße und der Komplexität nicht angemessen und ein Grund waren, warum die latenten Probleme nicht angegangen wurden. "Für ein Unternehmen das fast 500 Millionen Euro Umsatz macht, waren das keine angemessenen Verfahren und Strukturen. Das war eher für ein Unternehmen wie es fünf oder zehn Jahre vorher war. [...] Man hat die Transparenz nicht ausreichend gehabt und es deswegen nicht früher erkannt." (Berater) "Die Strukturen und Abläufe sind schon mitgewachsen, aber nicht in der Form, wie es aus meiner Sicht notwendig gewesen wäre. [...] In der Zeit vor der Krise war die Transparenz nicht allzu groß." (Betriebsleiter) Eigentumsverhältnisse Das Unternehmen gehört allein dem Sohn des Gründers, der es über 30 Jahre geführt und zu dem gemacht hat, was es heute ist. Er hat sich Mitte der achtziger Jahre aus Altersgründen aus der Geschäftsführung zurückgezogen. Trotzdem ist er nach wie vor täglich in telefonischem Kontakt mit dem Management, mindestens einmal pro Woche vor Ort und hat immer starken Einfluss auf die Unternehmensentwicklung, insbesondere im Konstruktionsbereich, ausgeübt. " [...] er spricht auch bei der Richtung bei der Entwicklung des Unternehmens und der Produkte sehr stark mit." (Betriebsleiter) In der Zeit unmittelbar vor und in der akuten Krise waren sein Engagement und seine Präsenz deutlich intensiviert. Damals war er täglich im Unternehmen und hat sich auch wesentlich in operative Entscheidungen eingebracht.606 Er ist eine sehr starke, charismatische Persönlichkeit und verkörpert den mittelständischen Unternehmer, der uneingeschränkt zu seinem Unternehmen und seinen Mitarbeitern steht und für beide nur das Beste will.607 Die Mitarbeiter haben höchste Priorität und er fordert vom Management stets Lösungen, um Nachteile von den Mitarbeitern fernzuhalten. Seine Persönlichkeit und sein Engagement machen ihn für die Mitarbeiter zu einer Integrationsfigur, auch wenn sich sein enger Kontakt auf die Geschäftsführung, den Be606 607
Vgl. dazu auch Interview Berater. Vgl. dazu insb. auch die Ausführungen zur Umweltdynamik in Kapitel 5.2.5.
5.2 Fallstudie A
189
triebsleiter und die Führungskräfte in der Konstruktion beschränkte. Er führt – früher das Unternehmen und heute das Management – autoritär. Er treibt das Management und auch die Mitarbeiter in der Konstruktion, auf die er noch am meisten operativen Einfluss hat, an und bringt sich immer wieder aktiv mit neuen Ideen ein.608 "Es gibt einen, dessen Wort immer absolut zählt – der Inhaber." (Berater) Er ist gegenüber dem Management sehr kritisch, fordernd und verlangt viele Erklärungen. Dies wird von den Interviewpartnern in ähnlicher Form für die Zeit während der latenten Krise vermutet. Inwieweit er die Krise allerdings frühzeitig erkannt hat, ist davon abhängig, welche Informationen ihm die damalige Geschäftsführung gegeben hat. Ob die konzentrierte Eigentümerstruktur im Vorfeld der Krise förderlich oder hinderlich für das frühzeitige Erkennen war, ist daher nicht eindeutig zu beurteilen. In der Überwindung der Krise hat sie auf jeden Fall dazu geführt, dass nach außen Ruhe ausgestrahlt und Kunden nicht verunsichert wurden. Investitionen Das Unternehmen hat die erwirtschafteten Gewinne größtenteils reinvestiert, so dass Expansion und Wachstum maßgeblich aus eigenen Mitteln finanziert wurden. Die Investitionen in Produktionshallen und Maschinen sind jedoch wenig spezifisch und können auch bei neuen Produktgenerationen oder veränderten Marktanforderungen genutzt werden, weil bspw. mit Dreh- und Fräsmaschinen unterschiedlichste Produkte hergestellt werden können. Allerdings hat das Unternehmen traditionell eine hohe Wertschöpfungstiefe, was im Vorfeld der akuten Krise dazu geführt hat, dass man Kostenvorteile bspw. durch Outsourcing oder Zukauf nur geringfügig genutzt hat und sich bei dem Nachfrageeinbruch nicht so flexibel anpassen konnte.609 Neben der Wertschöpfungstiefe haben vor allem die spezifisch ausgebildeten Mitarbeiter und die hohe Bedeutung der Mitarbeiterbindung die flexible Anpassung an die veränderte Marktsituation in der latenten und akuten Krise beeinflusst. Für die Konstruktion und Fertigung dieser Großanlagen werden fachlich hoch qualifizierte und auf die Produkte spezialisierte Mitarbeiter benötigt. Daher gibt es in dem Unternehmen traditionell eine hohe Mitarbeiterzugehörigkeit, und mehr als die Hälfte der Mitarbeiter hat sogar ihre Ausbildung dort absolviert. Bei dem Nachfrageeinbruch hätte man eigentlich die Mitarbeiterkapazitäten anpassen müssen. Mit reduzierten Kapazitäten wäre es nicht notwendig gewesen, schlechte Projekte aus Auslastungsgründen anzunehmen und die wirtschaftliche Situation dadurch noch zu verschlimmern. Das 608 609
Vgl. Interview Berater. Bei der derzeit positiven Marktentwicklung ist die hohe Wertschöpfungstiefe wieder vorteilhaft, weil am Markt keine Kapazitäten für den Zukauf vorhanden sind. Vgl. Interview Berater.
190 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Unternehmen hat in seiner Geschichte die Mitarbeiter aber immer als das wichtigste Gut angesehen. Eine Kapazitätsanpassung wäre mit dieser Überzeugung nicht vereinbar gewesen und hat daher nicht stattgefunden. "[...] in der Phase, wo am Markt zu wenig Nachfrage da war, wäre es besser gewesen, wir wären mit 85% gefahren und hätten uns was anderes überlegt, wie die Mannschaft in dieser Zeit über die Runden gebracht wird, als mit negativen Projekten [...]. Das war aber faktisch wegen der Einstellung des Unternehmens nicht möglich. Theoretisch ja." (COO) Prinzipiell hält man in dem Unternehmen an getroffenen Investitionsentscheidungen fest. So wurde trotz der langjährigen schweren Probleme in den USA nie diskutiert, den Standort zu schließen. Aus strategischen Überlegungen wollte man auf dem Markt präsent sein und hat in weitere Optimierungen und Qualifizierungen investiert. Veränderungserfahrung Die Erfahrung des Unternehmens und der Mitarbeiter mit produkt- bzw. projektbezogenen Veränderungen ist sehr groß, da jedes Projekt kundenindividuell unterschiedlich ist und sich zudem in der Projektabwicklung immer wieder neue Herausforderungen ergeben, für die Lösungen gefunden werden müssen. Für solche "fachlichen" Probleme hat das Unternehmen immer sehr flexibel innovative Lösungen entwickelt, was zu dem guten Ruf bei den Kunden beigetragen hat.610 Abgesehen von diesen alltäglichen Projektveränderungen hat sich das Unternehmen jedoch mit grundlegenderen, konzeptionellen Änderungen schwer getan und daher damit wenig Erfahrung. "Mit konzeptionellen Veränderungen hat man sich schwer getan. Es war nicht tabu, aber der Erfolg der Vergangenheit gab der Gesamtstruktur Recht, dass das, was sie tut, richtig ist. [..] Bei den internen Strukturen war die Notwendigkeit und der Blick, dass es bei dem Wachstum Veränderungen geben muss, nicht bei allen da." (Betriebsleiter) Dass sich die Organisationsstruktur und die Prozesse dem Wachstum nicht ausreichend angepasst haben, wurde bereits diskutiert.611 Dass die Mitarbeiter nur begrenzt offen gegenüber Neuerungen eingestellt waren, zeigt auch bspw. die Umstellung der Fertigung auf Fließmontage. Die Mitarbeiter hatten enorme Bedenken und haben sich gegen diese Änderung gesträubt. Erst nach großer Überzeugungsarbeit hat man sich auf das neue Konzept eingelassen.
610 611
Vgl. dazu Interview Berater; Interview COO; Interview Betriebsleiter. Vgl. dazu Abschnitt Komplexität von Strukturen und Prozessen in diesem Kapitel.
5.2 Fallstudie A
191
"Da gab es Hemmungen. [...] Der Mitarbeiter bedarf vieler Darstellungen und Unterredungen um das Verständnis zu wecken, dass man ihm nichts Böses möchte [...]. Wenn sie sagen, er soll eine andere Lösung andenken, sieht er das als Kritik an seiner Arbeit. So war das, wenn sie grundlegende Dinge umgestellt haben." (Betriebsleiter) Im Übergang von der latenten in die akute Krise hat das Unternehmen wie mehrfach in der Vergangenheit eine neue Produktgeneration entwickelt. Allerdings hatte keine der vorherigen Generationen eine solch grundlegende Veränderung bedeutet. Jedes Detail musste modifiziert und der komplette Produktionsprozess angepasst werden. "Die Firma musste komplett umgestellt werden. Es hat in der Konstruktion keine Zeichnung mehr gepasst, keine Software, keine Hardware. Es hat im Betrieb, in der Fertigung, an den Maschinen kein Programm mehr gepasst. Kein Werkzeug. Es musst alles geändert werden auf dieses neue Produkt." (COO) Unter den Mitarbeitern gab es massive Widerstände gegen diese neue Produktgeneration. Man hat an das neue Konzept nicht geglaubt und sich eine solch umfassende Veränderung nicht zugetraut.612 Zudem wurden vorherige Produktgenerationen immer Schritt für Schritt über einen längeren Zeitraum eingeführt und nicht wie in diesem Fall weltweit gleichzeitig. Die Erfahrung mit einer so umfänglichen, konsequenten und kurzfristigen Neuerung war in dem Unternehmen und bei den Mitarbeitern nicht vorhanden und es hat hohe Überzeugungskraft benötigt, die Mitarbeiter – insbesondere die langjährigen Angestellten – für das neue Produkt zu begeistern. " Die Erfahrung also, so konsequent ein Produkt umzustellen bei dieser Betriebsgröße – nein, keine Erfahrung." (Betriebsleiter) Die Beispiele zeigen, dass das Unternehmen wenig Erfahrung mit konzeptionellen Änderungen hatte und die Offenheit für Neuerungen nur begrenzt vorhanden war.
5.2.4 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale Kontinuität des Top-Managements Der konstante Einfluss des Inhabers in den letzten 50 Jahren auf die Unternehmensentwicklung wurde im Zusammenhang der Analyse der Eigentumsverhältnisse erläutert. Bis vor gut zehn Jahren zeichnete sich das Unternehmen daneben durch eine hohe Kontinuität des intern gewachsenen Managements aus. Danach sind aus verschiedenen Gründen mehrfach auf der ersten und zweiten Ebene externe Führungs-
612
Vgl. Interview COO.
192 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
kräfte hinzugekommen. Fast alle Führungskräfte auf der ersten Ebene kamen aus anderen Branchen ohne spezifische Fachkenntnisse. Sie sind mit einer gewissen Hybris an das Unternehmen herangetreten, waren nicht offen für die Besonderheiten und haben sich nur schwer in die bestehende Struktur und Kultur eingefunden. "Die Leute, die früher hier waren, wären auf die Warnungen eingegangen. Den neuen Leuten fehlte das technische Verständnis und die Offenheit dafür." (COO) Auf der zweiten Ebene, insbesondere in der Konstruktion, waren die Fachkenntnisse der neuen, externen Führungskräfte zwar vorhanden, aber auch hier hat eine Hybris dazu geführt, dass man die bestehenden Strukturen nicht anerkennen wollte und nicht auf die warnenden Stimmen aus der Organisation gehört hat.613 Die meisten neuen Führungskräfte haben zwar aus ihrem Erfahrungshintergrund in anderen Unternehmen und Branchen neue Ideen und Ansätze mitgebracht, vieles davon ist jedoch an den Spezifika des Unternehmens in der praktischen Umsetzung gescheitert. Ihnen hat vielfach in der latenten Krise trotz der Fachkenntnis die Sensibilität gefehlt, die Situation angemessen zu beurteilen, Gefahren zu erkennen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Erst nach der akuten Krise hat man auf der ersten Ebene eine Mischung aus internen und externen Geschäftsführern gefunden, die sich gegenseitig bereichern. Führungsstil Unabhängig vom Management hat der Eigentümer eher autoritär auf das Unternehmen eingewirkt. Seine Vorgaben waren für das Management und die Mitarbeiter, mit denen er gearbeitet hat, wegweisend. Trotz dieses autoritären Führungsstils hat er über alle Veränderungen der Führungsstruktur hinweg immer das Wohlergehen der Mitarbeiter und das Unternehmen als große Familie in den Vordergrund gestellt. Die meisten Führungskräfte, die in den zehn Jahren vor der akuten Krise in der Geschäftsführung tätig waren, haben autoritär geführt, ihre Vorstellungen in die Organisation "gedrückt" und entsprechend kaum anderslautende Meinungen zugelassen und beachtet. Auch der damalige Betriebsleiter, der eine zentrale Person in der Organisation war, hat seine Verantwortungsbereiche grundsätzlich autoritär geführt, ist jedoch permanent in den Hallen herumgelaufen. Er hat Anweisungen gegeben und entschieden, war aber auch für die fachlichen und persönlichen Probleme der Mitarbeiter ansprechbar. In der latenten Krise ist er allerdings trotz seiner engen Bindung an die operativen Mitarbeiter und deren Hinweise als Schlüsselperson von den neuen Führungskräften nicht mehr beachtet worden. Der heutige Geschäftsführer Ver613
Vgl. für ein Beispiel Interview COO.
5.2 Fallstudie A
193
trieb ist 2002 in das Unternehmen als Vertriebsleiter eingetreten und hat seinen Mitarbeitern immer viele Freiheiten gelassen und partizipativ geführt. Ähnlich hat es in der Konstruktion damals viele Freiheiten gegeben. Übergreifend betrachtet hat in der Zeit vor der akuten Krise tendenziell ein eher autoritärer Führungsstil vorgeherrscht. Entscheidend für die Entwicklung der Krise war jedoch – und das lag teilweise im Führungsstil, aber auch in den handelnden Persönlichkeiten begründet –, dass gerade der zweiten und dritten Ebene keine Beachtung mehr geschenkt und deren Hinweise und Anmerkungen nicht aufgenommen wurden. Dies hat bei diesen Mitarbeitern zu großer Demotivation geführt und das frühzeitige Erkennen der Krisenvorboten negativ beeinflusst. "Wir haben uns immer als eine große Familie bezeichnet. Es sind dann welche von extern rein gekommen, die haben dieses Denken nicht verstanden. [...]. Die haben so viel kaputt gemacht, bei diesem Führungskreis von Leuten. Die haben dann gesagt, o.k., ich mache meinen Job, so wie man es von mir verlangt, aber nicht mehr." (COO) "Man braucht jemanden, der Vorschläge auch aufgreift. Und den gab es damals definitiv nicht." (Berater) Dieses Selbstverständnis, das lange von den Führungskräften nicht akzeptiert wurde, wird heute nach der Krise vom Management wieder sehr intensiv gelebt. Anreizsystem der Mitarbeiter Das Unternehmen ist für seine überdurchschnittliche Entlohnung bekannt – eine Form variabler leistungs- oder erfolgsabhängiger monetärere Vergütung gab es jedoch nie. Für diese überdurchschnittliche Entlohnung erwartet das Unternehmen von seinen Mitarbeitern auch überdurchschnittliche Leistung und Einsatz. Die Mitarbeiter waren daher immer sehr engagiert, haben regelmäßig samstags gearbeitet und versucht trotz aller Schwierigkeiten die Projekte bestmöglich fertigzustellen. Eine institutionalisierte Weiterentwicklung in Form von Jobrotation gab es nicht, aber wegen des starken Unternehmenswachstums wussten die Mitarbeiter, und dies wurde ihnen auch vermittelt und an Beispielen vorgelebt, dass sie Entwicklungsperspektiven haben. Neben dieser leistungsorientierten Kultur, der hohen Vergütung und der Karriereperspektive liegt die grundsätzlich hohe Motivation aber auch in der erfolgreichen Geschichte und dem guten Ruf des Unternehmens begründet. "Die Mitarbeiter sind hoch motiviert und waren das meiner Meinung nach auch damals, weil der Eigentümer es geschafft hat, sie stolz zu machen auf das Unternehmen. Das wird sehr gepflegt. Sie werden gut bezahlt, das wissen sie auch. Sie haben ein Top-Produkt, eine echte High-Tech-Sache mit Top-Kunden." (Berater)
194 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Im Vorfeld der akuten Krise haben die Mitarbeiter trotz aller Fehlentwicklungen und Probleme im Kleinen mit hohem persönlichem Einsatz dennoch versucht, die Projekte erfolgreich zu Ende zu bringen und das beste Ergebnis für die Kunden zu schaffen. Die mittleren Führungsebenen waren, wie gezeigt, aus anderen Gründen nicht mehr motiviert, ihre Bedenken und Lösungsvorschläge nach oben zu kommunizieren. Sie haben aber in ihrer tagtäglichen Arbeit weiterhin versucht, aufgetretene Probleme zu lösen und Schäden zu begrenzen. "Von der Direktoren- bis zur Meisterebene waren zu der Zeit wichtige Leute demotiviert. Aber im Kleinen haben sie dennoch gemacht und getan." (COO) Kommunikationskultur Auf der persönlichen Ebene herrschte in dem Unternehmen stets eine sehr offene und vertraute Kommunikationskultur. Produktionsmitarbeiter konnten immer mit ihren privaten Problemen auf den Betriebsleiter, zu gewissen Zeiten auch auf die Geschäftsführer, zugehen. Auch in fachlicher Hinsicht hat diese offene, intensive und konstruktive Kommunikationskultur lange Zeit bestanden und besteht auch heute wieder. Es wurde und wird viel kollegial und ergebnisorientiert diskutiert, um gemeinsam für den Kunden das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Mit den verschiedenen Führungswechseln wurde diese offene Kommunikation, gerade zwischen den wichtigen Schlüsselmitarbeitern, allerdings für einige Zeit stark unterbunden. Es wurde zwar noch fachlich über Projekte diskutiert, aber Kritik wurde nicht mehr so offen geäußert und auch nicht mehr so offen aufgenommen. Die laterale Kommunikation war damals aus Unsicherheit stark eingeschränkt und die Bottom-up-Kommunikation zu Problemfeldern war mit den erläuterten Folgen zurückhaltend. Stattdessen hat es viel Top-down-Kommunikation mit strategischen und projektbezogenen Vorgaben aus der Führungsspitze gegeben. "Ein bestimmter Kreis von Leuten hat über verschiedene Organisationsebenen hinweg offen kommuniziert und durfte auch kommunizieren, ohne dass er dadurch einen Nachteil hatte. Das war dann über eine gewisse Zeit nicht mehr möglich, oder so nicht akzeptiert [...]." (COO)
5.2.5 Unternehmensexterne Merkmale Wettbewerbsintensität Wie in der Ausgangssituation skizziert, liefert das Unternehmen Großprojekte ausschließlich in eine Branche mit einer nur begrenzten Anzahl von weltweiten Kunden und ist damit stark von der Entwicklung dieser Branche abhängig. Das Unternehmen
5.2 Fallstudie A
195
konkurriert mit einer überschaubaren Zahl ebenfalls weltweit agierender Wettbewerber – nur in einzelnen Regionen treten dazu kleinere lokale Anbieter auf. Durch die begrenzte Anzahl von Endkunden und die begrenzte Anzahl von Anbietern ist der Markt sehr transparent und die Wettbewerbsintensität traditionell hoch. In den Jahren vor der akuten Krise ist die Intensität aus zwei Gründen noch einmal zusätzlich angestiegen. Zum einen haben asiatische Mitbewerber, die stets nur lokales Geschäft gemacht haben, erstmals auch im europäischen und amerikanischen Markt Projekte angeboten. Ihre Anlagen sind technisch weniger anspruchsvoll, erfüllen aber bei geringen Investitionsvolumina die gleichen Funktionen wie die technisch exzellenten Anlagen des vorgestellten Unternehmens. Trotz des guten Rufs konnte man sich von den Einflüssen dieser neu auftretenden Wettbewerber nicht abkoppeln "Wir sind eigentlich technisch das beste Unternehmen. Aber, dass man in der schwierigen Marktsituation einen Mehrpreis verlangen kann, das war einfach nicht der Fall. Bei Preisgleichheit oder bei kleinen Preisunterschieden hat man uns genommen. Bei großen Preisunterschieden hat man jemand anderen genommen." (Berater) Zum anderen hat es 2005, wie in Kapitel 5.2.2 erläutert, einen deutlichen Nachfragerückgang in den Abnehmermärkten gegeben, so dass alle Wettbewerber mit Auslastungsproblemen und Überkapazitäten zu kämpfen hatten und ein zusätzlicher Preisdruck im Markt entstanden ist. Das hier betrachtete Unternehmen hat neben der Neuprodukteinführung in der Situation damit reagiert, selbst in dem bisher nicht bearbeiteten asiatischen Markt aktiver zu werden, in dem die Wettbewerbsintensität deutlich höher ist. Dies hat einen zusätzlichen Druck auf die Margen ausgeübt. Umweltdynamik Das Unternehmen ist durch die starke Bindung an eine Branche zyklische Entwicklungen gewohnt und war in seiner Geschichte schon mehrfach mit Nachfrageeinbrüchen auf den Absatzmärkten konfrontiert. In der jüngeren Vergangenheit war die Nachfrage Ende der achtziger Jahre und Mitte der neunziger Jahre stark eingebrochen, so dass die Entwicklung 2004/2005 für das Unternehmen keinen Erstmaligkeitscharakter hatte. Nur war das Unternehmen bei diesen vorherigen Markteinbrüchen immer solide aufgestellt und nicht wie in der beschriebenen Krise bereits durch verschiedene Faktoren geschwächt. In den anderen Situationen hat das Unternehmen daher kreativere Wege entwickelt, mit der Krisensituation umzugehen, und durch Unternehmergeist die Auswirkungen abfedern können. "Mitte der neunziger Jahre haben wir über zwölf Monate nichts verkauft und das trotzdem überstanden. [...] Wir haben damals keine Kapazitätsschnitte gemacht,
196 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
sondern es wurden Projekte gestrickt, vorgearbeitet und die Mannschaft über Kurzarbeitszeitmodelle über die Runden gebracht. Es wurden keine Projekte angenommen, die negativ waren, so dass man dem Unternehmen kaufmännisch Schaden zugefügt hätte." (COO)
5.2.6 Zusammenfassung Das Vorliegen der Merkmalsausprägungen lässt sich wie in Tab. 4 gezeigt überblicksartig zusammenfassen.614
614
Diese Übersicht und die Zusammenfassungen der Fallstudien B und C konzentrieren sich auf das Vorliegen der Merkmalsausprägungen und beinhalten noch keine Bewertung der Wirkungszusammenhänge zu organisationaler Trägheit und schwachen Signalen. Vgl. dazu ausführlich Kapitel 5.5.
5.2 Fallstudie A
MERKMAL
197
AUSPRÄGUNG VORLIEGEN IN STRATEGISCHER KRISE
STATUS
ENTSCHEIDUNGS- Zentralisierung STRUKTUR Formalisierung
Durch mehrfache Führungswechsel eher zentralisiert Entscheidungskompetenzen von Schlüsselpersonen eingeschränkter Keine Angaben zur Formalisierung
KOMPLEXITÄT UndurchsichtigVON keit STRUKTUREN Inadäquatheit UND PROZESSEN
Strukturen und Prozesse nicht systematisch aufgebaut, sondern emergent entwickelt und nicht optimiert Kaufmännischer Bereich, Produktionsplanung/ -steuerung und Kalkulation unterentwickelt/unklar Keine klare Produktionsstrategie für die Werke Prozesse für die direkt Beteiligten transparent, nur wenige mit Gesamtüberblick, nicht erste Führungsebene Strukturen, Prozesse und Insturmente inadäquat Hohe Abhängigkeit von informalen Netzwerk aus Schlüsselpersonen
9 9
(9)
EIGENTUMSVERHÄLTNISSE
Konzentration Ausgeübter Einfluss
Alleineigentümer (Sohn des Gründers) lange sehr erfolgreich CEO, nicht mehr aktiv, aber immer noch sehr hoher ausgeübter Einfluss Fordernd, kritisch, innovativ, autoritär Rolle in der Krise nicht eindeutig
INVESTITIONEN
Höhe Spezifität Zeitlicher Abstand
Keine spezifischen Investitionen in Maschinen etc. Tendenz, an Investitionen festzuhalten (USA) Mitarbeiter wichtigste Investition, sonst keine schlechten Projekte angenommen, Abbau ausgeschlossen
(9)
Gering VERÄNDERUNGS- Negativ Wiederholung ERFAHRUNG einer Art
Produkt-/Projektbezogen hohe Veränderungserfahrung Kaum Erfahrung mit konzeptionellen Änderungen Eher Widerstände gegen konzeptionelle Änderungen Keine expliziten negativen Erfahrungen Keine wiederholte Erfahrung einer Veränderungsart
(9)
KONTINUITÄT TOPMANAGEMENT
Industrie Unternehmen Position
Mehrfache Top-Management-Wechsel in latenter Krise Meist neue externe, branchenfremde Top-Manager Eher Problem einer gewissen Hybris über bestehende Strukturen und Kultur und mangelnder Fachkenntnisse
2
FÜHRUNGSSTIL
Autoritär
Durch Führungswechsel eher autoritär, jeder will seine Strategie durchsetzen, tlw. auch Führungsschwäche Anmerkungen der Mitarbeiter wenig aufgegriffen Inhaber lebt mit hohem Einfluss auch eher autoritär vor
9
ANREIZSYSTEM
Keine Vergütung Keine Mitarbeiterentwicklung
Keine leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung Dafür Vergütung aber überdurchschnittlich hoch Keine systematische Mitarbeiterentwicklung, aber Kommunikation, dass jeder Entwicklungsmöglichkeiten hat
9
KOMMUNIKATIONSKULTUR
Einschränkung Top-downPrägung Formalisierung
Offene Kommunikation zwischen Schlüsselpersonen nicht mehr möglich Wenig Bottom-up-, vor allem Top-down-Kommunikation Keine Angaben zur Formalität
(9)
WETTBEWERBSINTENSITÄT
Durch wenige Anzahl an weltweiten Mitbewerbern hoch Niedrige Intensität In der latente Krise durch neue, asiatische Anbeiter noch erhöht
UMWELTDYNAMIK
Niedrige Dynamik
Starke Abhängigkeit von einer Branche, die zyklischen Schwankungen unterliegt Schwankungen nicht zu häufig, dann allerdings deutlich
9 vorliegend (9) eingeschränkt vorliegend 2 nicht vorliegend
Tab. 4: Zusammenfassung Fallstudie A.
2 (9)
198 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
5.3
Fallstudie B
5.3.1 Ausgangssituation Das Unternehmen stellt spezifische elektronische Bauelemente in Handmontage her, die weltweit in verschiedene Branchen verkauft werden. Gegründet wurde es 1984 in Rheinland-Pfalz als Vertriebsgesellschaft für einen heutigen Wettbewerber. Das Unternehmen begann jedoch kurz darauf in einem Werk in Hessen selbst mit der Produktion dieser elektronischen Bauelemente. 1998 und 2000 wurden zwei weitere Produktionsstätten in Osteuropa aufgebaut und die Produktion aus Hessen weitgehend dorthin verlagert. Seit 2002 hat das Unternehmen zudem eine Produktionsstätte in den USA und einen Joint Venture-Partner in China. Daneben gibt es eigene Vertriebsgesellschaften in Skandinavien, Südeuropa und Asien, die vor allem um das Jahr 2002 herum gegründet wurden. Das Unternehmen ist in seiner rund zwanzigjährigen Geschichte auf etwa 900 Mitarbeiter gewachsen und erwirtschaftete 2004 und 2005, wie in Abb. 14 gezeigt, einen Umsatz von rund 100 Millionen Euro. Meilenstein in der Unternehmensgeschichte war 1989 die Entwicklung des heutigen Hauptproduktes, das wesentlich zum Erfolg des Unternehmens beigetragen hat. Das Patent für dieses Produkt ist 2006 ausgelaufen. • • • •
Verkauf an Private Equity-Gesellschaft Gründung Werk Amerika Gründung Vertriebsges. Iberien Joint Venture Asien
• Gründung Werk Osteuropa II • Gründung Vertriebsges. Asien
79
Gründung Werk Osteuropa I Einstieg Industriebeteiligungsgesellschaft
Gründung Vorgängergesellschaft
• Gründung heutige Gesellschaft • Entwicklung Hauptprodukt
62
50 42
84
88
Gründung Vertriebsges. Gründung Italien Vertriebsges. Skandinavien II
35
29
Umsatz
22 14
n.v.
Gründung Vertriebsges. Skandinavien I
100 102 94
n.v.
n.v.
16 6
7
9
13
15 10
10
8
11
EGT -3
-10 -11 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
Abb. 14: Umsatz- und EGT-Entwicklung [Millionen Euro] und geschichtliche Eckpunkte.
Das Unternehmen wurde durch Herrn A. gegründet, der die Geschäftsführung als CEO von Beginn an zusammen mit Herrn B. ausgeübt hat, der als Minderheitsgesellschafter mit 10% an dem Unternehmen beteiligt war. 1991 wurde das Unterneh-
5.3 Fallstudie B
199
men von einem Wettbewerber verklagt. Da die Eigentümer davon ausgingen, dass sie den Prozess verlieren würden und nicht weiter produzieren dürften, zogen sie im Vorfeld extensiv finanzielle Mittel aus dem Unternehmen. Wider Erwarten durften sie weiter produzieren, nur fehlte nun die Liquidität. So war Herr A. gezwungen, 1992 eine Industriebeteiligungsgesellschaft mit einem Minderheitenanteil zu beteiligen. Im Sommer 2002 verkauften Herr A. und die Industriebeteiligungsgesellschaft ihre Unternehmensanteile an eine Private Equity-Gesellschaft. Nach dem Verkauf zog sich Herr A. aus der Geschäftsführung zurück. Seine Position als CEO übernahm bis zum Frühjahr 2005 Herr B. Kurz nach dem Verkauf wurde die Geschäftsführung außerdem um einen unternehmensexternen COO und CFO ergänzt. Bis kurz vor dem Verkauf 2002 waren große Teile der Verwaltung (Geschäftsführung, Finanzen, Vertrieb, Konstruktion) im Privathaus von Herrn A. in Rheinland-Pfalz untergebracht. Die räumliche Trennung der deutschen Standorte besteht auch heute noch. Das Unternehmen vertreibt seine Produkte weltweit, wobei Deutschland, USA und Südeuropa mit rund 70% des Umsatzes Schwerpunkte bilden. Für die von dem Unternehmen angebotenen Produkte gibt es weltweit nur zwei weitere große Anbieter.615 Versuche, wegen des Auslaufens des Patentes auf das Hauptprodukt ein ähnlich erfolgreiches Ersatzprodukt zu entwickeln und zu etablieren, sind bisher erfolglos geblieben. Trotz seiner heutigen Größe bezeichnen die Interviewpartner das Unternehmen als mittelständisch616. Auch nach den in Kapitel 1.3 aufgestellten Kriterien war das Unternehmen in der latenten Krise ein mittelständisch geprägtes Großunternehmen, da es bis zum Verkauf 2002 mehrheitlich in der Hand des Gründers war und, wie nachfolgend gezeigt wird, auch darüber hinaus durch seine Persönlichkeit beeinflusst war.
5.3.2 Krisenverlauf, Krisenursachen und Krisenfrüherkennung Wie in Abb. 14 zu sehen, wies das Unternehmen 2003 erstmals ein negatives Ergebnis aus. Die Ergebnissituation verschlechterte sich in den Folgejahren zunehmend und Anfang 2005 befand sich das Unternehmen zudem in einer akuten Liquiditätskrise und stand kurz vor der Insolvenz. Eine Beratungsgesellschaft wurde mit der Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes beauftragt, auf dessen Basis sich die Finanzierer auf eine Überbrückungsfinanzierung einigten.
615 616
Vgl. dazu detaillierter den Abschnitt Wettbewerbsintensität in Kapitel 5.3.5. Vgl. Interview COO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
200 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Aus der Dokumentenanalyse und den Interviews sind verschiedene Ursachen für die Krisensituation erkennbar. Sie sind größtenteils "hausgemacht", liegen in der Unternehmensgeschichte begründet und zeigen, dass bereits vor der akuten Krisensituation erhebliche Probleme vorgelegen haben, auf die nicht ausreichend reagiert wurde. Eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Unternehmenskrise spielt die Entscheidung Mitte der neunziger Jahre einen Produktionsstandort in Osteuropa aufzubauen und die Produktion größtenteils dorthin zu verlagern.617 Die Entscheidung für die Verlagerung und für das Zielland ist weniger auf eine umfangreiche Analyse zurückzuführen, als vielmehr auf die Meinung der Geschäftsführer, man müsse sich dem Verlagerungstrend anschließen, sowie auf einen Geschäftsfreund, der bereits in diesem osteuropäischen Land aktiv war. Ihm stellte man in der Folge finanzielle Mittel zum Aufbau eines Produktionsstandortes zur Verfügung, die dieser veruntreute, ohne den Produktionsstandort zu errichten. Die Geschäftsführung hielt damals dennoch an der Entscheidung für die Verlagerung und für das Zielland fest und erwarb ein leerstehendes Produktionsgebäude. Zwei Jahre später wurde im selben Land ein weiterer Standort, ebenfalls in einem bestehenden Produktionsgebäude, aufgebaut. Bis zum Verkauf 2002 hat man keine wirklichen Anstrengungen unternommen, an den Standorten ein ganzheitliches Produktionskonzept einzuführen und dadurch die Produktion effizient aufzustellen. Wie ineffizient die beiden Standorte waren, zeigt sich in den Produktivitätssteigerungen, die seit Eintritt des COO Mitte 2002 erreicht wurden: "Die vorhandenen Ineffizienzen und das Optimierungspotential zeigen sich in der Outputsteigerung der beiden Werke in den letzten vier Jahren. So konnte der stückzahlige Output u.a. durch Einführung eines neuen Produktionskonzepts um mehr als 2/3 gesteigert werden, während gleichzeitig mehrere Hallen gesperrt, Mitarbeiter reduziert und die Bestände um fast 40% gesenkt wurden." (COO) Eine weiteres Problem, mit dem das Unternehmen vor der akuten Krisensituation zu kämpfen hatte und welches wesentlich aus der schlechten Situation in den osteuropäischen Werken resultierte, waren enorme Qualitätsprobleme und Lieferverzüge. Zur Kompensation dieser Qualitätsprobleme hat besonders Herr B. Kunden Ersatzlieferungen oder erhebliche Preisnachlässe gewährt. Einschneidende Maßnahmen, um die Qualitätsprobleme zu beheben, sind aber lange nicht unternommen worden. "Die Qualitätsprobleme waren meiner Meinung nach schon offensichtlich, aber es hat niemand die wirklichen Konsequenzen daraus gezogen. Es hat niemand gesagt: Was ist eigentlich das Problem? Was müssen wir tun? Und erstmal unsere Hausaufgaben machen, um das in Ordnung zu bringen." (Berater) 617
Vgl. Interview COO; Interview Kauf. Leiter; Interview Berater.
5.3 Fallstudie B
201
Zudem hat man in den Jahren vor der akuten Krise versucht, dem zunehmenden Preisverfall des Hauptproduktes, auch im Hinblick auf das definitive Patentende, mit Neuproduktentwicklungen entgegenzuwirken. Jedoch sind die Produkte mehrfach verfrüht, bevor sie ausreichend entwickelt waren, auf den Markt gebracht worden. Daher ist es nicht gelungen, ein Ersatzprodukt für das Hauptprodukt zu etablieren und eine höhere Standardisierung bspw. durch ein Baukastensystem zu erreichen. Das Unternehmen galt speziell wegen seines Hauptproduktes als innovativ, hat diesen Ruf aber durch die erfolglosen Produkteinführungen mehr und mehr verloren. "Der Vertriebsleiter hat mir im Katalog die ganzen Produkte gezeigt und gesagt, wie alt sie sind und wie erfolgreich sie sind. Die ganzen Neueinführungen sind entweder gar nicht ins Laufen gekommen oder haben es zwar in den Katalog geschafft, aber nicht weiter. Oder sie haben zu einem gewissen Verkaufserfolg geführt, aber so, dass es eine sehr teure Angelegenheit ist. Man hat also kein Ersatzprodukt für das Hauptprodukt etablieren können [...]." (Kaufm. Leiter) Zusammen mit den Qualitätsproblemen und Lieferverzügen hat dies dazu geführt, dass das Unternehmen in der latenten Krise einen Preisreduzierungskampf mit den Wettbewerbern eröffnet hat, der die Margen aller Anbieter bis heute sehr belastet. Neben diesen operativen Problemen hat der Geschäftsführung von Beginn an eine Vision für das Unternehmen und die strategische Positionierung gefehlt. "[...] es hat der Geschäftsführung schon damals ein klares Ziel oder eine strategische Vision gefehlt, an der man wachsen und sich messen konnte. [...] Eine konkrete Vorstellung, was man machen möchte, hat es in dem Unternehmen, wie man an der historischen Entwicklung sieht, in den ganzen Jahren nie gegeben." (COO) Bereits zur Gründung wird dies dadurch deutlich, dass man das Unternehmen nach einem Familienmitglied benennt. Ähnlich geringe Weitsicht zeigte sich bei dem langfristigen Umsatzziel, das man sich für die eigene Produktion setzte – man erreichte es nach weniger als zwei Jahren. Auch die Entscheidung, die Werke in Osteuropa aufzubauen, war nicht analytisch begründet und kann aus strategischer Sicht angezweifelt werden. Schon damals wäre es wegen Lohnkostenvorteilen und dem größeren Binnenmarkt ebenso sinnvoll gewesen, direkt nach Asien zu verlagern.618 Die aufgezeigten Probleme sind nicht plötzlich 2002 entstanden und haben zu der Ergebniskrise geführt, sondern haben sich seit Mitte der neunziger Jahre aufgebaut, ohne dass ausreichende Gegenmaßnahmen ergriffen wurden. Die Werke in Osteuropa wurden nicht optimiert, Qualitätsprobleme nicht genügend angegangen, Neuprodukte nicht konsequent zu Ende entwickelt. Der Übergang von dieser latenten in 618
Vgl. dazu Abschnitt Investitionen in Kapitel 5.3.3.
202 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
die akute Krisensituation ist darauf zurückzuführen, dass zusätzlich durch den Wachstums- und Expansionsschub seit 1998 eine Komplexität entstand, die nur noch schwer beherrschbar war. Mit dem Verkauf und der Gründung weiterer Vertriebs- und Produktionsgesellschaften 2002 hat diese Komplexität die Grenze der Beherrschbarkeit überschritten. Die Organisation ist nicht systematisch mitgewachsen, sondern es ist emergent eine komplexe Prozess- und Schnittstellenlandschaft entstanden. Darüber hinaus erfolgte die Internationalisierung in so kurzen zeitlichen Abständen, dass es keine Möglichkeit gab, Fehler zu reflektieren und daraus für den nächsten Expansionsschritt zu lernen. Um das Unternehmen für den angestrebten Verkauf gut darzustellen, sind außerdem durch weitere Preisreduzierungen Umsätze "erkauft" worden und es wurde nicht mehr nachhaltig in das Unternehmen investiert. Zudem war die Organisation sehr stark auf Herrn A. zugeschnitten. Als er nach dem Verkauf aus dem Unternehmen ausgeschieden ist, entstand in der Organisation eine Lücke, die auch durch Herrn B. nicht ausreichend gefüllt werden konnte. Dazu kamen deutliche Defizite im kaufmännischen Bereich, die insbesondere beim Aufbau der Konzernstruktur 2002 offensichtlich wurden. Anfang 2005 ist die Situation dann schließlich eskaliert. "Bis das Unternehmen Mitte 2002 an die Private Equity-Gesellschaft verkauft wurde, funktionierte das Spiel irgendwie, auch bis zu Belastbarkeit. [...] Die ganze Struktur ist nicht mitgewachsen, der kaufmännische Bereich ist nicht mitgewachsen. Und dann ist es von der Komplexität explodiert." (Kaufm. Leiter) "Die sind einfach sehr schnell gewachsen und haben sich von den Strukturen, Prozessen, dem Führungsstil und der Einstellung nicht mitentwickelt." (Berater) Vor dem Verkauf 2002 war operative Früherkennung in Form von Soll-Ist-Vergleichen quasi nicht existent, weil es nur rudimentäre Businessplanungen gab und daher keine Sollwerte vorhanden waren. Erst 2004 wurde mit dem Aufbau einer Controllingabteilung begonnen. Ansätze strategischer Früherkennung gab es nicht. Nach weiteren Managementwechseln und externer Verstärkung der zweiten Ebene hat das Unternehmen heute die existenzbedrohende Unternehmenskrise abgewendet und widmet sich der weiteren internen Optimierung zur Ergebnisverbesserung.
5.3 Fallstudie B
203
5.3.3 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale Entscheidungsstrukturen Solange Herr A. noch im Unternehmen aktiv war, waren die Entscheidungsstrukturen sehr stark auf ihn als CEO zugeschnitten und an seine Person gebunden. Nach seinem Ausscheiden hat Herr B. diese zentrale Position übernommen und Entscheidungen wurden nun fast ausschließlich durch ihn getroffen. "Wirklich was zu sagen hatte zu dem Zeitpunkt, als Herr A. ausgeschieden war, nur noch Herr B. [...] Es gab den einzigen definierten Prozess. Wenn man eine Frage hatte, ist man zu Herrn B. gegangen." (Kaufm. Leiter) Ein mittleres Management, also eine entscheidungsbefugte, mit Verantwortung ausgestattete und fachlich kompetente zweite und dritte Führungsebene, gab es bis zum Ausscheiden von Herrn B. Anfang 2005 nicht. Auch der neue COO und CFO hatten neben Herrn B. nur eine verhältnismäßig geringe Entscheidungsgewalt.619 "Eine zweite Führungsebene gab es nicht, denn die Mitarbeiter, die eigentlich das mittlere Management darstellen würden, hatten keine fachliche oder Entscheidungskompetenz." (COO) "Von der Qualität der Mitarbeiter gab es keine starke zweite Managementebene. [...] Es gab meines Erachtens keine zweite Führungsebene – nicht in der Vergangenheit und auch nicht, als ich das Unternehmen kennengelernt habe." (Berater) Zudem war Herr B. häufig der einzige Kontakt zum Kunden. Der Vertriebsleiter hatte eher Sachbearbeiterfunktion und auch Funktionen wie Konstruktion oder Produktionsplanung wurden in Kundenverhandlungen nicht eingebunden. Stattdessen gab Herr B. nach Vertragsabschluss seine Ergebnisse zur Umsetzung in die Organisation. Als die neue Geschäftsführung nach dem Ausscheiden von Herrn B. die zweite und dritte Führungsebene mit einbinden wollte, hat sich deutlich gezeigt, dass diese nicht gewöhnt war, Entscheidungen zu treffen, sondern sich völlig darauf zurückgezogen hatte, dass Entscheidungen für sie getroffen wurden.620 Weil klar war, dass sie nicht gehört worden wären, wurden von der zweiten und dritten Ebene auch keine Anmerkungen oder Vorschläge gemacht.621 Diese Beschränkung auf das reine Ausführen ohne Verantwortung schien die Mitarbeiter aber nur eingeschränkt zu demotivieren. Sie werden als Charaktere beschrieben, die gar nicht gestalten wollen.
619 620 621
Vgl. Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater. Vgl. dazu zusätzlich Interview COO; Interview Kaufm. Leiter. Vgl. Interview COO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
204 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
"Die meisten sind 'Eigengewächse' oder haben so eine Persönlichkeit, dass sie keine Initiative ergreifen. [...] Es gibt bestimmt auch andere Bereiche, wo die Leute in einem gewissen Spielraum hätten gestalten könnten, es aber nicht getan haben." (Kaufm. Leiter) Daher sind auch in der latenten Krise von der zweiten und dritten Führungsebene keine bekannten Hinweise oder Handlungen ausgegangen. Komplexität von Strukturen und Prozessen Wie bei den Krisenursachen angedeutet, waren Strukturen und Prozesse im Vorfeld der akuten Krise intransparent und dem Unternehmenswachstum nicht angemessen. Die Prozesse, besonders in den osteuropäischen Werken, waren wenig transparent und sehr komplex, weil sie nicht systematisch aufgesetzt und festgeschrieben worden waren, sondern sich emergent entwickelt hatten. Einen Auftragsabwicklungsprozess mit klaren Verantwortlichkeiten gab es nicht – auch weil keine Systeme vorhanden waren, die dies hätten unterstützen können. Die Interviewpartner berichten von einem unübersichtlichen und schlecht koordinierten Materialfluss zwischen den Werken, 140.000 Artikeln ohne adäquate Dokumentation und tausenden jährlich neu angelegten Artikelnummern während der akuten Krise.622 Außerdem sollten nach Wunsch von Herrn B. immer 45% der Produktion für kurzfristige Anfragen bereitgehalten werden. Dass keine effiziente Produktionsplanung und -steuerung vorhanden und möglich war, zeigt sich außerdem darin, dass sich später herausgestellt hat, dass die Daten zum Output der Werke um fast 20% zu niedrig waren. "Der Auftragsabwicklungsprozess hat sich ergeben, konnte sich auch bei Einwirkungen von außen jederzeit ändern. Einen geordneten Prozess gab es nicht. [...] Verantwortlichkeiten und Schnittstellen waren nicht sauber definiert." (Kaufm. Leiter) Nicht nur intern war alles auf die beiden Führungspersönlichkeiten zugeschnitten, gleiches galt für Beziehungen zu Kunden und Lieferanten. Diese waren durch starke Vertrauensverhältnisse und Abhängigkeiten geprägt und vertragliche Vereinbarungen meist wenig detailliert und schriftlich dokumentiert. "So hat ein Joint Venture-Partner [...] zugestanden, dass er einen wenig präzisen Vertrag nur akzeptiert habe, weil er Herrn B. vertraut habe, dass man das schon im Laufe des Prozesses klären würde." (COO) Nach dem Ausscheiden von Herrn A. und später Herrn B. hatte niemand im Unternehmen Kenntnis über die oft langfristig getroffenen Vereinbarungen mit Kunden.
622
Vgl. Interview COO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
5.3 Fallstudie B
205
Viele Absprachen bspw. über Verkaufpreise sind erst in den folgenden Jahren in der Interaktion mit den Kunden zu Tage getreten. Zudem war keine Organisationsstruktur vorhanden, die das Ausscheiden der Führungspersönlichkeiten auffangen konnte. Es gab zwar ein Organigramm, aber die Verantwortlichkeiten waren darin nicht klar geregelt – nicht einmal die Aufgabenbereiche innerhalb der Geschäftsführung. Zusätzlich haben in dem Unternehmen starke informelle Netzwerke und Abhängigkeiten bestanden, die förderlich waren, weil sie Prozesse überhaupt möglich gemacht haben, sich aber auch als hemmend herausgestellt haben, weil sie sich nicht verändert haben, als es notwendig wurde.623 "Erstmal sind die informellen Strukturen hemmend, weil sie auf dem Beharrungsvermögen beruhen und auf dem alten, nicht dem neuen Erfahrungsschatz aufbauen. [...] Man muss die Leute dramatisch aus den Strukturen rausnehmen und alte Verbindungen kappen, um etwas Neues daraus zu machen." (Kaufm. Leiter) Positiv an den nicht ausreichend vorhandenen Strukturen und Prozessen war, dass sich auch keine bürokratischen Elemente entwickeln konnten. Fragen und Probleme wurden häufig flexibel telefonisch oder per E-Mail geklärt. Es bleibt somit festzuhalten, dass die Organisationsstrukturen der Größe des Unternehmens nicht angemessen waren. Die Prozesse waren sehr intransparent und extrem komplex, da sie sich ungesteuert herausgebildet haben und nie angepasst oder optimiert wurden. "Wenn man vom Umsatz eine Null wegstreichen würde, wäre die Organisation passend gewesen, aber mit dieser Komplexität nicht. [...] man hat die gleichen Strukturen wie in dem kleinen Unternehmen mitwachsen lassen, nur mehr Leute hineingesetzt." (Kaufm. Leiter) Mit der Integration aller Gesellschaften und dem Aufbau der Konzernstruktur nach dem Verkauf ist eine zusätzliche Komplexität entstanden, durch die Herr B. und auch viele andere Mitarbeiter den Überblick vollends verloren haben. "Als die Konzernstrukturen aufgebaut wurden, hat jeder das Verständnis für die Komplexität verloren. [...] Es gab niemanden, der sich überlegt hat, dass wir ein Konzern sind und uns so auch aufstellen müssen." (Kaufm. Leiter) Nach Auffassung der Interviewpartner haben die Intransparenz und die unangemessenen Strukturen und Prozesse dazu beigetragen, dass man die Probleme nicht frühzeitig gesehen hat. Viele Informationen waren in der Führung zentralisiert, daher für die zweite und dritte Ebene Probleme schwerer erkennbar, Prozesse und Verantwortlichkeiten unübersichtlich, die Datenqualität schlecht und ein Controlling nicht vorhanden. 623
Vgl. dazu Anreizsysteme in Kapitel 5.3.4 und für Beispiele Interview Kaufm. Leiter.
206 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Eigentumsverhältnisse Wie in der Unternehmensgeschichte beschrieben, war Herr A. bis zum Verkauf 2002 Mehrheitsgesellschafter und CEO. Minderheitsgesellschafter waren Herr B. und ab 1992 die Industriebeteiligungsgesellschaft. In diesen Eigentumsverhältnissen hat Herr A. es geschafft, gewisse Assets wie die Produktionsgesellschaften in Osteuropa trotzdem in seinem alleinigen (Privat-)Besitz zu halten. Bei dem Verkauf an die Private Equity-Gesellschaft hat Herr A. alle Unternehmensteile veräußert, so dass im Anschluss erstmals der heutige Konzern entstanden ist. Die Industriebeteiligungsgesellschaft hat ihre Anteile in diesem Prozess mit verkauft, weil das Unternehmen für ihr Portfolio zu groß geworden war.624 Herr B. hält seinen 10%-igen Anteil bis heute. Bezogen auf die Früherkennung der Unternehmenskrise vermuten die Interviewpartner, dass Herr A. als Mehrheitseigentümer und CEO die schwachen Signale nicht sehen wollte, weil sein Interesse ab einem gewissen Zeitpunkt auf den möglichst optimalen Verkauf ausgerichtet war. Ob die Industriebeteiligungsgesellschaft Signale gesehen hat und dies ein zusätzlicher Grund für den Anteilsverkauf war, ist nicht bekannt. Herr B. hat die Anzeichen, als er schließlich CEO war, vermutlich schon wahrgenommen, konnte sie aber nicht angemessen interpretieren und damit umgehen, weil ihn die Führung des Unternehmens überfordert hat. "Nach Einschätzung des Interviewpartners hat Herr B. während der Zeit als CEO die frühen Anzeichen der Unternehmenskrise nicht wirklich erkannt. Er hatte aber sehr wohl das latente Gefühl, dass etwas nicht richtig läuft und das Unternehmen für seine Führungsfähigkeiten zu groß und komplex sein könnte." (COO) Die Private Equity-Gesellschaft scheint im Rahmen der Due Diligence nicht kritisch genug gewesen zu sein, denn manche der aufgezeigten Krisenursachen hätten zu diesem Zeitpunkt bereits auffallen können. So hat bspw. während der Due Diligence niemand von der Käuferseite die osteuropäischen Werke besucht. Nach dem Kauf war der operative Betreuer fachlich überfordert und hat daher zu wenig Fragen gestellt und Maßnahmen gefordert, um die Entwicklung der akuten Krise abzubremsen. "Das Problem war, dass die neuen Anteilseigner zu schwach waren, um zu reagieren. Die haben sich nicht gekümmert, weil sie nicht dachten, dass sie eine Seifenblase gekauft haben, die platzen könnte. Sie haben gedacht, sie kriegen ein solides, durchstrukturiertes, mittelständisches Unternehmen [...]." (Kaufm. Leiter) "Der Manager, der das Unternehmen operativ betreut hat, konnte das inhaltlich nicht. Der hat keine Chance gehabt, das zu verstehen oder einzugreifen. [...] Die hätten Dinge kritisch hinterfragen oder neue Iden anstoßen können und ebenfalls frühzeitig 624
Sie halten in der Regel nur Unternehmen bis rund 60 Millionen Euro Umsatz.
5.3 Fallstudie B
207
in die Krisensituation eingreifen können. Die hätten sagen können, wir sehen ein Problem, macht da bitte was. Aber das ist nicht passiert." (Berater) Investitionen Wie in Kapitel 5.3.2 beschrieben, waren die Investitionen in die Standorte in Osteuropa eine der Hauptursachen der Krise. Bei beiden Standorten hat man nicht, wie ursprünglich angedacht, in einen Neubau investiert, sondern entschieden, dass man "[...] sich in ein altes Fabriklayout hineinzwängt" (Kaufm. Leiter) Trotz Erfahrungen in Osteuropa bezeichnet der COO den Standort aufgrund des desolaten Zustands bei seinem ersten Besuch als "Mülldeponie"625. Er schätzt, dass "[...] durch die Umbauten und Optimierungen bis heute weitere 15-25 Millionen Euro in diese beiden Produktionsstandorte investiert wurden." (COO) Man hat sowohl nach dem gescheiterten Aufbau des ersten Produktionsstandortes durch den Geschäftspartner als auch beim Erwerb des zweiten Standortes an der spontan und wenig analytisch getroffenen Verlagerungsentscheidung festgehalten. Es wäre damals unter Umständen sinnvoller gewesen, ein neues, auf Handmontage ausgerichtetes Werk zu bauen oder direkt in ein wirkliches Niedriglohnland wie China zu verlagern, das zusätzlich die Vorteile eines großen Binnenmarktes geboten hätte.626 Ein Interviewpartner bemerkt: "Das war die strategische Entscheidung und an der hält man bis heute fest. Was hätte man machen sollen? Irgendwann in Osteuropa auf der grünen Wiese neu bauen?" (Kaufm. Leiter) Andere hohe, spezifische Investitionen, bspw. in Mitarbeiter, hat es nicht gegeben, weil die Produktionsmitarbeiter wenig ausgebildet und kaum spezialisiert sind. Veränderungserfahrung Die Veränderungserfahrung des Unternehmens und der einzelnen Mitarbeiter wird von den Interviewpartnern als gering eingeschätzt.627 Der Markt hat zum einen wegen seiner konstanten Entwicklung lange Zeit keine Veränderungen gefordert. Zum anderen war das Unternehmen wegen des großen Erfolgs des Hauptproduktes gar nicht gezwungen, auf die Bedürfnisse des Marktes zu achten und darauf proaktiv durch Veränderungen zu reagieren. Dass sich das Unternehmen strukturell und prozessual
625 626 627
Interview COO. Vgl. dazu detaillierter Interview COO; Interview Kaufm. Leiter. Vgl. Interview COO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
208 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
trotz seines Wachstums nicht verändert hat, wurde beim Thema Komplexität bereits erläutert. Wie wenig das Unternehmen und die Mitarbeiter die durch die erfolgreiche Entwicklung entstandene Veränderungsnotwendigkeit anerkennen wollten, zeigt bspw. folgende Aussage: "Man hat versucht, die Werke in Osteuropa aus Deutschland heraus zu führen. Genau so, als würde die Produktion noch in Deutschland stehen. Das versucht man heute immer noch ein bisschen. Man hat sich gedanklich aus einem Unternehmen mit einem einzigen Produktionsstandort – böswillig unterstellt – bis 2005 nicht gelöst." (Kaufm. Leiter) Ähnlich wollte man 2002 beim Aufbau der Produktion in den USA nicht vom bisherigen Weg abweichen und diese ebenfalls eng aus Deutschland heraus steuern. Bezogen auf strukturelle und prozessuale Aspekte des eigenen Wachstums hatte das Unternehmen also keine negative, sondern einfach gar keine Veränderungserfahrung. Anders ist dies bei Neuprodukteinführungen. Hier hat das Unternehmen durch mehrere erfolglose Versuche, Neuprodukte zu entwickeln und am Markt zu platzieren, negative Veränderungserfahrung gesammelt. Dass Veränderungen notwenig sind und positive Wirkungen haben können, war den Mitarbeitern daher nicht oder nur in Einzelfällen bewusst. Man ist nur ungern von bisherigen Verhaltensweisen abgewichen und war mit diesem Vorgehen auch bis zur akuten Krise erfolgreich. "Das Beharrungsvermögen ist in vielen Dingen sehr stark, weil man denkt, es hat doch immer so funktioniert. Wir sind so groß geworden, wir waren erfolgreich, wieso muss ich das, was erfolgreich war, jetzt anders machen." (Kaufm. Leiter)
5.3.4 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale Kontinuität des Top-Managements Herr A. hat das Unternehmen gegründet, knapp 20 Jahre lang geführt und den Erfolg des Unternehmens wesentlich zu verantworten. Auch Herr B. ist gut 20 Jahre im Unternehmen als Geschäftsführer tätig gewesen. Bei ihm ist aufgrund seines Alters von heute Mitte 40 nicht davon auszugehen, dass er vorher ausgiebige Erfahrung in anderen Unternehmen oder Branchen gesammelt hat. Bis zur akuten Krise hat daher in dem Unternehmen eine hohe Managementkontinuität vorgelegen. Beide haben den erfolgreichen Weg des Unternehmens intensiv begleitet, aber auch durch ihre Strategie, wie bspw. die Preisreduzierungen, großen Einfluss auf die Entwicklung der Branche ausgeübt. Auf die Krisensignale haben sie aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht ausreichend reagiert.
5.3 Fallstudie B
209
"Das zeigt auch, dass die, die vorher da waren, nicht in der Lage waren, das Unternehmen zu verändern. Da kann man denen eigentlich keinen Vorwurf machen. Woher sollen sie es wissen? Wenn jemand 10 oder 20 Jahre in einem Unternehmen arbeitet, dann sagt er sich, ist doch alles super gelaufen, warum soll ich etwas ändern. Das gilt nicht nur für das Management, sondern für alle Mitarbeiter." (Berater) Der CFO und der COO, die 2002 im Übergang von der latenten in die akute Unternehmenskrise eingetreten sind, hatten zwar Erfahrung aus anderen Unternehmen und Branchen, aber zu Beginn Herrn B. gegenüber nur geringe Durchsetzungskraft. Führungsstil Herr A. wird als emotionaler Mensch beschrieben, der Bauchentscheidungen trifft, aber auch sehr geizig ist und auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Besonders wegen der letzten beiden Eigenschaften war er kein klassischer Unternehmer, der für sein Unternehmen und seine Mitarbeiter einsteht. Er hatte 1991 bei dem beschriebenen Prozess schon einmal "Kasse gemacht" und das Unternehmen ab 2000 auf den Verkauf getrimmt: "Die Kultur war zu der Zeit, ein möglichst hohes Ergebnis zu erzielen, also alles möglichst billig zu machen – billige Leute, billige Infrastruktur. Man war sehr darauf bedacht, dass die Eigentümer viel rausziehen können und hat daher nicht nachhaltig in das Unternehmen investiert." (Kaufm. Leiter) Herr A. war ein brillanter Techniker mit soliden betriebswirtschaftlichen Kenntnissen. Sein Führungsstil war klar autoritär, was auch durch die auf ihn zugeschnittene Organisations- und Entscheidungsstruktur unterstützt wurde. Herr B. wird als ein charismatischer Redner beschrieben, der Leute für sich begeistern kann. Auch er hat autoritär geführt, aber in einer sehr manipulativen Form, die der COO in der Interaktion mit Kunden so verdeutlicht: "[...] er greift den Kunden ins Herz und dreht es um." (COO) Die mangelnde Veränderungsbereitschaft der Geschäftsführer zeigt sich auch darin, dass sich Führungsstil und Führungsstruktur in der Unternehmensgeschichte nicht weiter entwickelt haben. Das Unternehmen wurde bis zur akuten Krise 2005 ähnlich einem Start-up mit einer bzw. zwei starken Persönlichkeiten an der Spitze geführt. Ein strukturiertes, einheitliches und der Größe angemessenes Management und eine Führungsstruktur gab es nicht. "Das Unternehmen ist in seinen Strukturen mit dem Umsatz nicht mitgewachsen. Auch nicht in seinem Management. Man hat trotz des Wachstums und der steigen-
210 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
den Komplexität weiterhin versucht, das Unternehmen mit den gleichen Charakteren und in der gleichen Art zu führen, wie man es früher geführt hat." (Berater) Unter der Führung von Herrn A. und Herrn B. "rannten" die Mitarbeiter, waren aktiv, und versuchten die operativen Herausforderungen zu meistern. Die Mitarbeiter waren zwar stolz auf die Erfolgsgeschichte des Unternehmens, darüber hinaus lag ihr hohes Engagement aber weniger in intrinsischer Motivation begründet, als vielmehr im Respekt und der Angst vor den Führungspersönlichkeiten. Bei beiden waren Meinungen oder Vorschläge der Mitarbeiter nicht erwünscht bzw. wurden nicht berücksichtigt, so dass sich diese auf ihre Rolle zurückgezogen hatten. Auch aus diesem Grund gab es in der latenten Krise keine Initiativen von Seiten der zweiten oder dritten Ebene. "Trotz der oberflächlichen 'Aktivität' der Mitarbeiter war [...] wegen ihrer Einflusslosigkeit doch eine sehr hohe Demotivation und Resignation bei Mitarbeitern auf allen Ebenen festzustellen." (COO) Anreizsystem der Mitarbeiter Ein transparentes und strukturiertes System variabler monetärer Vergütung gab es in dem Unternehmen nicht. Am Jahresende wurden von Herrn B. ohne bekannte Kriterien – scheinbar willkürlich – Prämien an die zweite und dritte Ebene vergeben, die aber mehr als Gefallen und persönliches Dankeschön kommuniziert wurden, als in Zusammenhang mit einer erbrachten Leistung. Die Begünstigten wurden angehalten, darüber nicht zu sprechen und jedem wurde der Status der Exklusivität vermittelt. Die Prämien haben nur begrenzt zu einer Leistungsmotivation, stattdessen aber zu Abhängigkeitsverhältnissen zwischen diesen Mitarbeitern und Herrn B. geführt. Eine andere Form von Mitarbeiterentwicklung bspw. in Form von Weiterbildung gab es nicht. Grundsätzlich ist anzumerken, dass sich die meisten Mitarbeiter eher am unteren Ende der Lohnskala befinden. Von hoher Motivation kann daher, wie bei Entscheidungsstrukturen und Führungsstil schon angedeutet, nicht gesprochen werden. Das Engagement der Mitarbeiter speiste sich neben dem Druck durch die Führungspersönlichkeiten aus der erfolgreichen Unternehmensgeschichte und dem Stolz auf hochtechnologische Produkte. Dass die Unternehmensentwicklung tatsächlich weniger erfolgreich war, haben viele Mitarbeiter auch wegen der mangelnden Informationen628 erst in der akuten Krise erkannt.
628
Vgl. dazu den anschließenden Abschnitt Kommunikationskultur.
5.3 Fallstudie B
211
"Sie mussten dann feststellen, dass sie das eigentlich alles gar nicht haben und dazu auch noch massive Liquiditätsprobleme. Eigentlich war in dem Unternehmen gar nichts mehr toll." (Berater) Kommunikationskultur Die Kommunikationskultur des Unternehmens war zu Zeiten der latenten Krise sehr restriktiv. Unterstützt durch den autoritären Führungsstil und die zentralisierte Entscheidungsstruktur war die Informationsbasis der zweiten und dritten Führungsebene sehr eingeschränkt. Wie auch alle anderen Mitarbeiter waren die Führungsebenen über viele Entwicklungen und Entscheidungen im Unklaren. Die wenige Kommunikation, die es gab, war stark top-down-geprägt und durch anstehende Aufgaben bestimmt, z.B. wenn Ergebnisse aus Kundenverhandlungen zur Umsetzung in die Organisation gegeben wurden. Betriebsversammlungen gab es nicht und Bottom-upKommunikation hat kaum stattgefunden, da die Führung an Anmerkungen der Mitarbeiter, wie erläutert, wenig interessiert war und dies auch klar gezeigt hat. "Bezogen auf die Kommunikation muss man sagen, dass offene Kommunikation da vorher nicht stattgefunden hat. [...] Die zweite Führungsebene hat ja auch gar nicht gewusst, was passiert ist oder was passieren wird." (Berater) Wegen der mangelnden Informationen und Einblicke muss es für alle Mitarbeiter schwierig gewesen sein, Hinweise auf die latente Krisensituation, wenn sie denn wahrgenommen wurden, vor dem richtigen Hintergrund zu interpretieren und diese so an die Führung zu kommunizieren, dass sie beachtet worden wären. "Selbst wenn Mitarbeiter oder Führungskräfte etwas gesagt oder Vorschläge gemacht hätten, wären diese nicht gehört worden." (COO)
5.3.5 Unternehmensexterne Merkmale Wettbewerbsintensität Die Wettbewerbsintensität der Branche war lange gering, da es zum einen weltweit nur drei bedeutende Anbieter gibt, die ohne intensiven Wettbewerb nebeneinander koexistiert haben, und zum anderen der Markt stetig gewachsen ist, so dass alle Anbieter von der Marktentwicklung profitieren konnten. "Wir haben keine Rücksicht nehmen müssen, weil der Markt gewachsen ist. Es ging nur um die Frage, wächst man besser, schlechter oder gleich dem Markt." (Kaufm. Leiter)
212 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Durch das innovative Hauptprodukt war das Unternehmen seinen Wettbewerbern in den neunziger Jahren voraus. Danach hat sich die Situation jedoch verändert, weil es die Kunden vermehrt bevorzugten, die gesamte Produktpalette von einem Anbieter zu beziehen und zusätzlich der Auslauf des Patentes auf das Hauptprodukt absehbar war. Das Unternehmen war gezwungen, ähnliche Lösungen wie die Wettbewerber zu entwickeln, was mehrfach fehlgeschlagen ist. Wegen der aufgezeigten Qualitätsprobleme und gescheiterten Neuentwicklungen hat das Unternehmen dann einen Preiskampf angefangen, der bei dieser Marktstruktur nicht notwendig gewesen wäre. "Ich glaube, wenn das Unternehmen das clever gespielt hätte, hätten alle drei Wettbewerber ihre Existenzberechtigung gehabt und alle drei hätten sehr gut leben können. [...] Die mussten sich meiner Meinung nach keinem Marktdruck von außen anpassen." (Berater) Wegen des steigenden Preisdrucks und der steigenden Wettbewerbsintensität musste ein Mitbewerber vor wenigen Jahren eine umfassende Restrukturierung durchführen. Das hier betrachtete Unternehmen hat die Preisreduzierungen über Jahre mitgemacht und forciert – allerdings ohne vergleichbare Optimierungen durchzuführen. Nur in einem solchen Umfeld mit geringer Wettbewerbsintensität konnte ein Unternehmen mit den aufgezeigten Schwächen so lange überleben. Als die Wettbewerbsintensität in den letzten Jahren vor der akuten Krise zugenommen hat, wurden die Probleme immer unübersehbarer. "Wenn der Marktdruck früher eingesetzt hätte, hätte es auch schon vorher geknallt." (Kaufm. Leiter) Umweltdynamik Die Wettbewerber liefern die Produkte weltweit in verschiedenste Branchen. Auch deswegen war der Markt bzw. die Nachfrage für die Produkte in der Vergangenheit nicht durch starke Veränderungen oder Umbrüche gekennzeichnet. Die Nachfrage ist in den unterschiedlichen Branchen stetig gewachsen und wächst nach wie vor. Rechtliche Veränderungen oder neue Wettbewerber gab es nicht. Der einzige wesentliche Umbruch in der Umweltstruktur in den letzten Jahren war der Preisreduzierungskampf, den das Unternehmen selbst angestoßen hat. Das Unternehmen war daher lange Zeit an ein stabiles Marktumfeld gewöhnt und hat zuvor keine Erfahrungen mit Preis- oder Marktdruck gehabt. "Den Umbruch haben wir eingeleitet, indem wir den Preiskampf mit unseren beiden Wettbewerbern angefangen haben." (Kaufm. Leiter)
5.3 Fallstudie B
213
5.3.6 Zusammenfassung Das Vorliegen der Merkmalsausprägungen wird in Tab. 5 zusammengefasst. MERKMAL
AUSPRÄGUNG VORLIEGEN IN STRATEGISCHER KRISE
STATUS
ENTSCHEIDUNGS- Zentralisierung Formalisierung STRUKTUR
Extrem auf Herrn A., später auf Herrn B. zugeschnitten Kein mittleres Management und auch keine Anmerkungen der zweiten und dritten Ebene, waren unerwünscht Keine direkten Angaben zur Formalisierung, aber nach Erläuterungen i.R.v. Komplexität eher weniger formal
(9)
KOMPLEXITÄT UndurchsichtigVON keit STRUKTUREN Inadäquatheit UND PROZESSEN
Prozesse nicht systematisch aufgebaut, emergent entwickelt, intransparent und komplex, insb. in Osteuropa Strukturen intransparent und für Größe unangemessen Keine effiziente Produktionsplanung/-steuerung Keine klaren Schnittstellen und Verantwortlichkeiten
9
Mehrheitsgesellschafter und Gründer Herr A. hat das Unternehmen als CEO aufgebaut, aber in der latenten Krise das Ziel, das Unternehmen zu verkaufen Herr B. Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer, aber keinen so starken Einfluss wie A., überfordert Industriebeteiligungsgesellschaft und Private Equity-Gesellschaft eigentlich keinen Einfluss, wenig kritisch
(9)
EIGENTUMSVERHÄLTNISSE
Konzentration Ausgeübter Einfluss
INVESTITIONEN
Höhe Standorte in Osteuropa, hohe Folgeinvestitionen, an einmal getroffener Entscheidung festgehalten Spezifität Zeitlicher Abstand Sonst keine spezifischen Investitionen, z.B. Mitarbeiter
9
Gering VERÄNDERUNGS- Negativ Wiederholung ERFAHRUNG einer Art
Geringer Veränderungsdruck wegen Erfolg Hauptprodukt und stabilem Marktumfeld, geringer Veränderungswille durch Geschäftsführung Geringe strukturelle/prozessuale Veränderungserfahrung Negative Veränderungserfahrungen bei Entwicklung und Einführung neuer Produkte, auch wiederholt Sonst keine wiederholten Veränderungen eines Typs
9
KONTINUITÄT TOPMANAGEMENT
Industrie Unternehmen Position
Herr A. und Herr B. seit 20 Jahren in Unternehmen tätig Herr A. immer CEO, Herr B. immer Geschäftsführung Lange erfolgreich, haben die Branche auch mit geprägt
9
FÜHRUNGSSTIL
Autoritär
9
ANREIZSYSTEM
Keine Vergütung Keine Mitarbeiterentwicklung
Herr A. sehr autoritär, Herr B. manipulativ-autoritär Geführt wir ein Start-up, keine Führungsstruktur Meinungen der Mitarbeiter wenig erwünscht/beachtet Keine transparente leistungs-/erfolgsabhängige Vergütung, nur intransparente Boni an manche Mitarbeiter Keine systematische Mitarbeiterentwicklung Mitarbeiter grundsätzlich schlecht bezahlt
KOMMUNIKATIONSKULTUR
Einschränkung Top-downPrägung Formalisierung
Wenig und keine offene Kommunikation Stark top-down- und aufgaben-/inhaltsgeprägt Wenig Bottom-up-Kommunikation Keine direkten Angaben zur Formalisierung, aber nach Erläuterungen i.R.v. Komplexität eher weniger formal
(9)
WETTBEWERBSINTENSITÄT
Niedrige Intensität
Lange geringe Wettbewerbsintensität da weltweit nur drei Anbieter und wachsender Markt In den letzten Jahren Preisdruck/Preispirale nach unten und Wettbewerbsintensität zunehmend
9
UMWELTDYNAMIK
Niedrige Dynamik
Produkte in vielen Branchen anwendbar, Nachfrage daher sehr stabil wachsend Einzige Veränderung Preiskampf in den letzten Jahren
(9)
9 vorliegend (9) eingeschränkt vorliegend 2 nicht vorliegend
Tab. 5: Zusammenfassung Fallstudie B.
9
214 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
5.4
Fallstudie C
5.4.1 Ausgangssituation Das betrachtete Unternehmen ist im Bereich der umformenden Werkzeugmaschinen tätig und stellt Pressen her, die weltweit vorzugsweise an die Automobilzulieferindustrie verkauft werden. Gegründet wurde es Anfang der siebziger Jahre durch den heutigen Mehrheitsgesellschafter, der das Unternehmen nach wie vor als CEO führt.629 Anfang der neunziger Jahre war das Unternehmen wegen starker Nachfrageeinbrüche in eine Schieflage geraten und musste sich außergerichtlich vergleichen. Nach diesem Vergleich hatte der Gründer die Idee zu einem sehr innovativen, neuen Produkt, das eine bestimmte Form des Pressens bis heute revolutioniert hat. Dieses Produkt ist seither maßgeblich für den Erfolg des Unternehmens und seine hervorragende Positionierung bei den Kunden als technisch exzellent und qualitativ hervorragend verantwortlich. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre begann der Inhaber mit einem intensiven Akquisitionsprozess und übernahm, wie in Abb. 15 zu sehen, alleine von 1996 bis 2005 neun Gesellschaften. Er kaufte vornehmlich Unternehmen, die in dem dem Pressen verwandten Bereich des Biegens tätig waren, um diese komplementäre Technologie mit anbieten und unter Umständen sogar beide Technologien in einer Anwendung vereinen zu können. Die Akquisitionen wurden jedoch nur lose in eine Unternehmensgruppe integriert und zeichneten sich lange durch eine hohe Eigenständigkeit aus. In vielen dieser Unternehmen waren noch alte Gesellschafter als Mitunternehmen mit einem Minderheitenanteil beteiligt und eine Holdingstruktur existierte lange nicht. In der akuten Krise gab es insgesamt neun Produktions- und Technologieunternehmen, teilweise mit mehreren Standorten, sowie weltweit über 20 Vertriebs- und Servicegesellschaften. Das Unternehmen ist im kleinteiligen Projektgeschäft tätig, weil jede Maschine konstruktiv an die Anforderungen des Kunden angepasst werden muss. Eine gesellschaftsübergreifende Wertschöpfung gibt es aber nicht immer, weil die Unternehmen unterschiedliche Maschinentypen fertigen und zum Teil auch separat am Markt auftreten. Das Unternehmen ist seit der Insolvenz stetig und profitabel gewachsen. Während der akuten Krise erwirtschaftete man mit rund 2.700 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 430 Millionen Euro. Etwa 70% des Umsatzes werden in Europa erzielt, die restlichen 30% in Amerika und Asien. Gefertigt wird hauptsächlich in Deutschland.
629
Nachfolgend wird der Gründer und Mehrheitsgesellschafter vereinfacht als Inhaber bezeichnet.
5.4 Fallstudie C
215
Übernahme Tochter J.
Übernahme Tochter F. und G.
Übernahme Tochter C. und D.
Übernahme Tochter B.
Übernahme Tochter I.
Übernahme Tochter H.
Übernahme Tochter E.
228
228
280
213 213
170 146
Übernahme Tochter A.
Umsatz
119 86
360
94
60 37 n.v.
n.v.
n.v.
n.v.
n.v.
n.v.
1993
1994
1995
1996
1997
1998
16
20
17
11
13
1999
2000
2001
2002
2003
EBIT -1
2004
-12
per 6/ 2005
Abb. 15: Umsatz- und EBIT-Entwicklung [Millionen Euro] und geschichtliche Eckpunkte.
Das Unternehmen wird von den Interviewpartnern trotz des Umsatzvolumens als mittelständisch bezeichnet.630 Auch nach den in Kapitel 1.3 erarbeiteten Kriterien handelt es sich um ein mittelständisch geprägtes Großunternehmen, weil es nach wie vor mehrheitlich im Eigentum des Gründers ist und von ihm operativ geführt wird.
5.4.2 Krisenverlauf, Krisenursachen und Krisenfrüherkennung Wie Abb. 15 zeigt, wies das Unternehmen bei stetigem Umsatzwachstum, das mehrheitlich in den Akquisitionen begründet liegt, 2004 erstmals seit vielen Jahren ein leicht negatives Ergebnis (EBIT) aus. Im ersten Halbjahr 2005 stieg der Umsatz zwar weiter, die EBIT-Rendite war aber mit rund -5% nun deutlich negativ. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Unternehmen außerdem in einer akuten Liquiditätskrise. Einige Lieferanten hatten bereits Lieferstopps erlassen, die zu massiven Lieferverzügen in der Gruppe geführt haben. In dieser Situation wurde eine Beratungsgesellschaft beauftragt, das Unternehmen bei der Sanierung zu unterstützen. Aus den Interviews und der Dokumentenanalyse lassen sich die in der Vergangenheit liegenden Ursachen der Unternehmenskrise und unterstützende Faktoren, die zu der akuten Ergebnis- und Liquiditätssituation geführt haben, deutlich erkennen. Die extensive Akquisitionsstrategie muss in der Rückbetrachtung als der Ausgangspunkt und die Hauptursache der Unternehmenskrise angesehen werden. Die Krisenent-
630
Vgl. Interview CFO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
216 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
wicklung wurde durch bestimmte Umfeldfaktoren, die eng mit der operativen Umsetzung der Akquisitionsstrategie verbunden waren, zusätzlich begünstigt. Wie in der Ausgangssituation kurz beschrieben, hat das Unternehmen nach dem außergerichtlichen Vergleich noch einmal vollständig von vorne begonnen. Jedoch war man mit der Produktinnovation so erfolgreich, dass bereits 1993 das Unternehmen A., das ebenfalls Pressen gefertigt hat, gekauft und zum zentralen Produktionsstandort für Pressen ausgebaut hat. Der Hintergrund der Akquisitionen ab 1996 war hingegen die Idee des Inhabers, seine Erfahrungen und die revolutionäre Innovation im Pressen auf das Biegen zu übertragen und beide Technologien gegebenenfalls zu integrieren. Daher hat er ab 1996 verschiedene Hersteller von Biegemaschinen gekauft. Allerdings hat er bei diesem Vorstoß in die verwandte Technologie basierend auf seinen positiven Erfahrungen aus dem Pressen gehandelt und im Vorhinein nicht beachtet bzw. nicht ausreichend analysiert, dass Biegen eine vom Pressen sehr verschiedene Technologie ist. Zudem ist der Markt für Biegemaschinen mit vielen Spezialanbietern sehr fragmentiert und unterscheidet sich daher deutlich vom Markt für Pressen. So haben sich in den Folgejahren die technologischen Pläne nicht umsetzen lassen und man musste sich in einem unbekannten, völlig anders strukturierten Markt behaupten.631 Zu dieser retrospektiv technologisch und strategisch falschen Einschätzung kam hinzu, dass man fast ausschließlich insolvente Unternehmen gekauft hat, von denen sich einige trotz größter Anstrengungen nicht restrukturieren und zum Erfolg haben führen lassen. Neben der Schwierigkeit, solche Unternehmen zu sanieren, sind in den Akquisitionsphasen fachliche Fehler gemacht worden, so dass CFO und Berater resümieren: "Man hat sehr viel Geld ausgegeben, ohne einen Wert dafür zu schaffen. [...] Bei einer verunglückten Akquisition ist das Geld eben verloren." (CFO) "Die haben sehr viel Geld für Unternehmen bezahlt, die das nicht wert waren. [...] die haben sich da einfach nicht ausreichend Gedanken drüber gemacht. [...] Sie hatten auch hinterher keine Transparenz, wie sich die Akquisitionen wirtschaftlich entwickeln. [...] Diese Akquisitionspolitik war ein großes Problem [...]." (Berater) An diese falsche strategische und technologische Beurteilung hat sich angeschlossen, dass die akquirierten Unternehmen nicht wirklich integriert wurden. "Man hat in einem relativ intensiven Prozess Unternehmen dazugekauft, ohne sich mit dem Gedanken zu befassen, wie forme ich daraus einer Gruppe." (CFO)
631
Vgl. zum Markt für Pressen und Biegemaschinen auch Kapitel 5.4.5.
5.4 Fallstudie C
217
Der Konzern war eher eine Gruppe lose verbundener Unternehmen mit entsprechenden Ineffizienzen und Abstimmungsproblemen. Eine operative Integration der akquirierten Unternehmen durch bspw. eine Abstimmung der Prozesse, Angleichung der Strukturen, Festlegung und Optimierung von Schnittstellen oder Zentralisierung bestimmter Funktionen hat nicht stattgefunden. Eine Holding wurde zwar 2004 gegründet, aber die Gruppe trotzdem lange aus der ursprünglichen Muttergesellschaft heraus "nebenbei" betreut. Synergien durch Zentralisierung oder Optimierung wurden nicht realisiert. Die Prozesse und Schnittstellen zwischen den Gesellschaften bei der gemeinsamen Abarbeitung von Projekten waren schlecht abgestimmt. Weil diese Projekte aber über die Jahre stetig zugenommen haben, sind die damit verbundenen Probleme immer deutlicher zu Tage getreten.632 Auch Anstrengungen, eine der Größe der Gruppe entsprechende Führungsstruktur und ein professionelles Management aufzubauen, gab es nicht. Die gesamte Gruppe war sehr auf den Inhaber zentriert und nur manche Mitunternehmer der Einzelgesellschaften konnten sich lange Zeit als von der Gruppe wenig beeinträchtigte "Regionalfürsten" behaupten. Ein weiterer entscheidender Faktor in der Eskalation der Unternehmenskrise war die mangelnde kaufmännische Unterstützung und Transparenz. Es gab kein belastbares Zahlenwerk für die Gruppe – der Einblick in die Einzelgesellschaften war auf ein Minimum beschränkt und bestand aus einer monatlichen Excel-Tabelle mit einer groben Bilanz und GuV. Ob eine Tochtergesellschaft mit den von ihr in ein Projekt eingebrachten Maschinen Gewinn oder Verlust gemacht hat, war nicht einzusehen. Jede Gesellschaft hatte eine eigene Finanzen- und Controllingabteilung – ein Konzernrechnungswesen oder -controlling gab es bis 2004 faktisch nicht. Erst dann wurde langsam begonnen, ein Beteilungscontrolling aufzubauen. Inwieweit Intercompany-Verflechtungen das Konzernergebnis belasten, war unterjährig nicht abzuschätzen, weil Konsolidierungen nur im Jahresabschluss vorgenommen wurden. Es gab zwar eine Kostenträgerrechnung (in Form einer Nachkalkulation, nicht einer mitlaufenden Kalkulation), aber unmittelbar vor der akuten Krise wurden mehrfach große Projekte angeboten, ohne Vorkalkulationen anzufertigen.633 Im Übergang in die akute Krise hat man dann zudem technisch schwer oder schlecht realisierbare Projekte angenommen, an denen man kein Geld verdient hat. Eine technische Machbarkeits- oder Risikoprüfung vor Vertragsabschluss gab es ebenso wenig wie ein Entwicklungscontrolling oder -monitoring. Als der Preisdruck im Markt noch geringer war, konnte man solche wirtschaftlich schlechten Projekte von Zeit zu Zeit ausglei-
632 633
Vgl. dazu ausführlich Abschnitt Komplexität von Strukturen und Prozessen in Kapitel 5.4.3. Vgl. Interview CFO.
218 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
chen, mit steigendem Preisdruck und steigender Anzahl solcher Projekte war dies jedoch nicht mehr möglich.634 Auch wenn man wegen der mangelnden kaufmännischen und organisatorischen Transparenz die Folgen der fehlgeschlagenen Akquisitionen nicht greifen konnte und sich darüber in bestimmten Maßen auch nicht bewusst war, hatte der Inhaber 2004 doch das latente Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Die operativen Probleme bei der Abarbeitung von Projekten und die daraus resultierenden Lieferverzüge, Bestandserhöhungen und Liquiditätsbelastungen wurden zu diesem Zeitpunkt langsam offensichtlicher. Daher hat er trotz großer Skepsis gegenüber Beratern635 Mitte 2004 eine Unternehmensberatung mit einem Konzept zur operativen Ergebnisverbesserung und Optimierung der Strukturen beauftragt. Diese Beratungsgesellschaft hat sich aber blenden lassen, nicht ausreichend in die Tiefe analysiert und den Ernst der Lage nicht erkannt, so dass sich die Situation weiter zuspitzen konnte.636 Mitte 2005 ist die Situation dann ergebnis- und liquiditätsseitig endgültig eskaliert. Elemente operativer Früherkennung gab es in unterschiedlichem Umfang in einzelnen Gesellschaften, jedoch nicht auf Gruppenebene. Die Muttergesellschaft war in dieser Hinsicht vor Beginn der Akquisitionen gut aufgestellt, aber das ist über die Zeit verlorengegangen. Die Mitarbeiter, besonders im Controlling der Muttergesellschaft, die lange auch für die Gruppe mitverantwortlich waren, werden als "Kostenrechner" beschrieben, die in ihren Controllingaufgaben selbst wenig Nutzen gesehen haben. "Wenn man die Strukturen und Personen anschaut, die früher hier saßen [...] waren das eher so 'Kostenrechner-Typen'. Die haben darin keinen wirklichen Nutzen gesehen, sondern ihre Berichte generiert, Planungen gemacht." (Kaufm. Leiter) Dies wurde auch dadurch gefördert, dass solche betriebswirtschaftlichen Auswertungen für den Empfänger geringe Relevanz hatten und entsprechend wenig berücksichtigt wurden. Systematische Ansätze strategischer Früherkennung gab es in dem Unternehmen nicht. Man hatte sich zwar Ende der neunziger Jahre einmal intensiv mit der künftigen strategischen Ausrichtung beschäftigt, aber danach wurde strategische Früherkennung nur vereinzelt und mehr oder weniger zufällig angewendet. Heute hat das Unternehmen weitreichende Veränderungen vorgenommen und die existenzbedrohende Krise überwunden.
634 635 636
Vgl. zu der Marktentwicklung Abschnitt Wettbewerbsintensität in Kapitel 5.4.5. Alle Akquisitionen wurden ohne externe Beratungsunterstützung oder Know-how durchgeführt. Vgl. Interview CFO.
5.4 Fallstudie C
219
5.4.3 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale Entscheidungsstrukturen Bis zur akuten Krise waren die Entscheidungsstrukturen sehr stark auf den Inhaber zentriert. Er hat Entscheidungen allerdings nicht umfangreich diskutiert und auf eine breite Basis gestellt, sondern Analysen angeordnet und dann entschieden. Es gab zwar eine zweite und dritte Führungsebene – die Geschäftsführer der Einzelgesellschaften und die Führungskräfte in der Muttergesellschaft – aber ihre Entscheidungsbefugnisse waren bei wichtigen, strategischen Entscheidungen stark begrenzt. Die Geschäftsführer der ausländischen Vertriebsgesellschaften hatten zwar operativ mehr Freiheiten als die Führungskräfte der zentralen Produktions- und Technologieunternehmen, aber auch dort war vor allem in strategischen Fragen der Einfluss des Inhabers deutlich spürbar. Wirtschaftliche Informationen standen meist nur dem Inhaber zu Verfügung und waren darüber hinaus niemand anderem zugänglich. Die zweite und dritte Führungsebene hatte daher gar nicht die Informationsbasis, um Entwicklungen zu erkennen, Entscheidungen zu treffen und das Unternehmen auch vor wirtschaftlichem Hintergrund zu steuern. Engagierte und leistungsorientierte Mitarbeiter, gerade in der Muttergesellschaft, die in Führungspositionen gekommen waren und immer mehr in ihren Entscheidungsbefugnissen beschränkt wurden, haben das Unternehmen verlassen. Die verbleibende zweite und dritte Führungsebene war es daher aus der Vergangenheit nicht gewohnt, in wichtige Entscheidungen einbezogen zu werden, und hat sich vollkommen auf den Inhaber verlassen. Geblieben waren "Ja-Sager", die ohne große Verantwortung zufrieden waren.637 "Das ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Der Inhaber hat immer stark in das Unternehmen hineinregiert, so dass dann eben nur noch Leute da waren, die sich damit wohl fühlen." (Berater) Trotzdem konnten alle Mitarbeiter jederzeit zum Inhaber gehen und Themen und Probleme diskutieren.638 Fraglich ist allerdings, ob die Führungskräfte und Mitarbeiter wegen der schlechten Informationsbasis und dem geringen Über- und Einblick Hinweise auf die latente Krise überhaupt erkannt und die Zusammenhänge entsprechend interpretiert haben.639 Es ist daher eher zu bezweifeln, dass sie im Vorfeld der akuten Krise Vermutungen hatten und diese mit dem Inhaber proaktiv thematisiert haben.
637 638 639
Vgl. Interview Berater. Vgl. dazu auch Abschnitt Eigentümerstruktur in diesem Kapitel. Selbst der kaufm. Leiter beschreibt, dass dem Gruppencontrolling bestimmte Informationen erst sehr spät zur Verfügung standen. Vgl. Interview Kaufm. Leiter.
220 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Komplexität von Strukturen und Prozessen Wie bei den Krisenursachen beschrieben, waren die akquirierten Unternehmen kaum integriert, so dass im Vorfeld der Krise nicht von einem Gesamtunternehmen, sondern eher von einem losen Verbund von Einzelunternehmen gesprochen werden muss. Diese mangelnde Integration hatte wesentlichen Einfluss auf die in der latenten und akuten Krise vorhandenen Strukturen und Prozesse. Denn mit der Zeit war ein Konzern entstanden, ohne dass man sich über die Notwendigkeit von Konzernstrukturen Gedanken gemacht und diese aufgebaut hat. Die Gruppe wurde mit minimaler Kapazität nebenbei durch die Muttergesellschaft betreut und durch den Inhaber gesteuert. Funktionen waren nicht zentralisiert und in der Gruppe vielfach vorhanden – jedes Unternehmen hatte bspw. eine eigene Finanz- und Controllingabteilung, eine eigene Personalabteilung und einen eigenen Vertrieb. Diese Funktionen waren in den verschiedenen Gesellschaften relativ autonom. Es gab keine zentrale Steuerung, kaum Koordination und die Einblicke der Gruppe waren gering. Ähnlich verhielt es sich mit der Konstruktion und Produktion. Daher hatte bis auf den Inhaber niemand einen wirklichen Überblick über den Gesamtprozess und war in der Lage einzuschätzen, welche Auswirkungen Veränderungen und Entwicklungen haben. "Es war sehr zentralisiert auf den Inhaber, der alle Fäden in der Hand hatte. Er wusste Bescheid und hat bestimmt. Weiter unten war die Transparenz und auch das Verantwortungsgefüge so nicht da." (Kaufm. Leiter) "Dem Top-Management, also dem Inhaber, war der Prozess klar. Ich bin nicht sicher, ob alle anderen über ihren Teil im Prozess hinaus Bescheid wussten." (Berater) Klare Schnittstellen und Verantwortlichkeiten waren zwar in einigen Einzelunternehmen vorhanden, in anderen Einzelunternehmen und auf Gruppenebene jedoch nicht. Die Wertschöpfung der Unternehmen war wenig integriert, Schnittstellen schlecht abgestimmt und Prozesse eines Unternehmens für die anderen wenig transparent. Die Verflechtungen zwischen den diversen Entwicklungs-, Produktions-, Technologie- und Marktunternehmen bei der gemeinsamen Auftragsabwicklung waren komplex, undurchsichtig und unklar. Jeder war nur für seinen Teil verantwortlich, eine übergeordnete Gesamtprojektverantwortung und -steuerung gab es nicht. Es war eher so, als würde man mit einem Dritt- als mit einem Konzernunternehmen zusammenarbeiten, denn es wurde eine Maschine bestellt und irgendwann mit einer Rechnung geliefert. Wie sich die Maschine kostenseitig darstellt und wie dies das Gesamtprojekt beeinflusst, war nicht bekannt. Je mehr diese einzelunternehmensübergreifenden Projekte zugenommen haben, desto deutlicher sind die Abstimmungsschwierigkeiten, Intransparenzen und Ineffizienzen zu Tage getreten und haben das Unternehmen prozessual wie wirtschaftlich belastet.
5.4 Fallstudie C
221
"Wir hatten sehr intransparente Strukturen, sehr hohe Leistungsverflechtungen zwischen den Gesellschaften [...].Da ging es sehr stark hin und her, was man so für alle Funktionen überhaupt nicht fassen kann. Es war zu komplex, um es zu verstehen, um es operativ abbilden zu können." (Kaufm. Leiter) "Von den Prozessen her sehr ineffizient. [...] Auch ansonsten war das undurchsichtig organisiert. Im ganzen Konzern wusste kaum einer, was der andere macht. [...] Klare Verantwortlichkeiten und definierte Schnittstellen gab es nicht." (Berater) Das Unternehmen war immer stark ingenieurgetrieben und technisch ausgerichtet. Funktionen wie Vertrieb, Produktionssteuerung oder dem kaufmännischen Bereich wurde wenig Bedeutung zugemessen. Wie bei den Krisenursachen gezeigt, hat man besonderes im Aufbau des kaufmännischen Bereichs wenig Sinn und Nutzen gesehen. Dies hat mit der Zeit zu einer zunehmenden Intransparenz und für die Größe des Unternehmens unzureichenden Controlling- und Steuerungsinstrumenten geführt. Der Einblick in die Performance der einzelnen Gesellschaften beschränkte sich auf eine monatliche Excel-Tabelle. Einen Überblick über die tatsächliche wirtschaftliche Situation der Gruppe gab es wegen der fehlenden unterjährigen Konsolidierung nicht. Auch die gruppenweite SAP-Einführung 2003 wurde nicht genutzt, um Transparenz zu schaffen und den kaufmännischen Bereich adäquat aufzustellen.640 Es ist also festzuhalten, dass die Strukturen und Prozesse trotz des Wachstums der Gruppe unverändert und vor allem nicht koordiniert waren. Steuerungsinstrumente, die es vor den Akquisitionen bspw. bei der Muttergesellschaft gab, sind nicht auf die Gruppe ausgeweitet worden und mit der Zeit verlorengegangen. Gefördert durch ihren mangelnden Einblick und die Intransparenz waren auch die Führungskräfte größtenteils der Komplexität des Konzerns nicht gewachsen. Die Interviewpartner betonen alle, dass die Strukturen und Prozesse für die Größe der Gruppe nicht mehr angemessen waren und man früher hätte beginnen müssen, diese anzupassen. "In mancher Hinsicht hat man sich von dem Stadium Einzelunternehmen trotz der ganzen Akquisitionen nicht schnell genug wegentwickelt." (CFO) "Da hätte die Entwicklung dynamischer sein müssen. [...] Man hat gesehen, wir sind strukturell nicht so aufgestellt, wie wir sein müssten. [...] Man hätte einige Jahre früher beginnen sollen. Die Komplexität ist zu groß geworden." (Kaufm. Leiter) Sogar für den Inhaber, der noch den größten Überblick hatte, ist es sicherlich schwer gewesen, die wirkliche Situation zu erfassen und einzuschätzen. Er muss sich jedoch zumindest teilweise über die Missstände bewusst gewesen sein, denn sonst hätte er nicht 2004 eine Beratung mit der Optimierung der Strukturen beauftragt. Der Einblick 640
Vgl. zu den erheblichen Problemen der SAP-Einführung Interview CFO.
222 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
der anderen Führungskräfte und Mitarbeiter in die tatsächliche Lage des Gesamtunternehmens muss bis zur akuten Krise 2005 als begrenzt bezeichnet werden. Eigentumsverhältnisse Der Gründer der Muttergesellschaft ist auch heute noch Mehrheitseigentümer der gesamten Gruppe und war vor der akuten Krise als CEO der Muttergesellschaft bzw. der Gruppe die zentrale Person im Unternehmen.641 Während der Akquisitionen wollte er den unternehmerischen Gedanken forttragen und beteiligte bei den gekauften Unternehmen die bisherigen Geschäftsführer oder Inhaber als Mitunternehmer mit Anteilen von 10-30%. Dieses unternehmerische Vorgehen war für die Motivation der Mitarbeiter in diesen Unternehmen positiv, hat aber wenig zu der Entstehung einer homogenen Unternehmensgruppe beigetragen und durch die resultierenden Integrationsprobleme aus heutiger Sicht die Entstehung der Krise gefördert.642 Der Inhaber ist eine starke Persönlichkeit und war für die Mitarbeiter, insbesondere des Mutterunternehmens, immer eine wichtige Integrationsfigur.643 Er ist ein klassischer mittelständischer Unternehmer, der Visionen hat, diese verfolgt und uneingeschränkt zu seinem Unternehmen und den Mitarbeitern steht. Dies zeigt sich in der Unternehmensgeschichte bspw. daran, dass er die Gehaltskürzungen, die die Mitarbeiter während der Insolvenz hinnehmen mussten, in den folgenden Jahren nachgezahlt hat. Er ist technisch exzellent und hat mit seiner Innovation nach der Insolvenz den Neuaufbau des Unternehmens ermöglicht. Mit gleichem unternehmerischen Eifer und gleicher Überzeugung hat er auch die Idee des Zukaufs komplementärer und eventuell integrierbarer Technologien verfolgt. Auch wenn er an dieser Stelle vielleicht zu wenig analysiert hat, ist er keinesfalls stur und uneinsichtig. Er war eben basierend auf seinen Erfahrungen aus dem Pressen überzeugt, dass seine Idee funktionieren wird und hat daher eine gewisse Zeit lang Hinweise auf Fehlentwicklungen und Probleme – soweit sie für ihn erkennbar waren – verdrängt oder ignoriert.644 Wegen dieser engen persönlichen Bindung hat das Unternehmen lange – vielleicht zu lange – an den Akquisitionen und der Strategie festgehalten. "Das zieht sich doch eher, bis man sich zu der Entscheidung durchringt, wir machen das zu [...] weil es emotionale Austrittsbarrieren gibt." (Kaufm. Leiter) Der Inhaber hat das Unternehmen durch sein Wertesystem geprägt, zu dem neben Leistungsorientierung und Skepsis gegenüber Externen auch die grundsätzliche 641 642 643 644
Heute ist er auch noch CEO, allerdings unterstützt durch weitere starke Geschäftsführer. Heute nach der Krise gibt es nur noch in einer Gesellschaft solche Mitinhaber. Bei den Mitarbeitern der akquirierten Unternehmen war diese Bindung natürlich nicht so eng. Vgl. Interview CFO.
5.4 Fallstudie C
223
Offenheit gegenüber seinen Mitarbeitern gehört. Wenn Mitarbeiter Probleme, Fragen oder Anregungen hatten, konnten sie immer zu ihm kommen. Diese Offenheit hätte helfen können, die Krise zu verhindern, wenn die Mitarbeiter das Wissen und die Motivation gehabt hätten, diese Möglichkeit ausreichend zu nutzen.645 Dabei muss jedoch beachtet werden, dass es schwer ist, gegen eine unternehmerische Vision zu argumentieren. Die Initiativen gingen daher eher dahin, die Auswirkungen der latenten Krise im Rahmen der eigenen Möglichkeiten auszugleichen und abzumildern. Investitionen Die wichtigsten Investitionen im Vorfeld der akuten Krise waren die beschriebenen Akquisitionen verschiedener Unternehmen mit verwandten Technologien. Diese Investitionen waren wegen der strategischen und technologischen Fehleinschätzung und der mangelnden Integration die Hauptursache der akuten Ergebnis- und Liquiditätskrise. Da es sich dabei fast ausschließlich um Insolvenzunternehmen handelte, waren die Investitionen mit einem zusätzlichen Risiko behaftet und wären, selbst wenn man es gewollt hätte, auch kaum wieder zu verkaufen gewesen. "Wenn sie Geld ausgegeben haben, einen Verlustbringer gekauft haben und den nicht gedreht kriegen – was wollen sie denn machen? [...] Den will auch keiner haben. Sie können das gar nicht mehr ändern." (CFO) Diese Akquisitionsstrategie war die Idee des Inhabers, die er basierend auf seinem Erfahrungshintergrund und seiner Überzeugung umgesetzt hat. Er hat die Investitionen weitgehend alleine entschieden, ohne andere Organisationsmitglieder einzubinden. Kritische Stimmen wären auch unwahrscheinlich gewesen, weil eben die Informationsbasis fehlte und es, wie erläutert, schwierig ist, gegen eine solche Vision zu argumentieren. Wegen diese unternehmerischen Überzeugung und den damit verbundenen emotionalen Austrittsbarrieren hat man sehr lange an den Akquisitionen festgehalten und Anschlussinvestitionen getätigt, um die Strategie zum Erfolg zu führen. Dies hat die Krise verschärft und ein rechtzeitiges Gegensteuern verhindert. "Wenn das dann nicht aufgeht, wie die Erfahrung das gezeigt hat, beginnt ein Verdrängungsprozess. Man kann eigentlich nicht mehr zurück, man kann es nur noch zu einem Erfolg bringen. Dann zieht man alle Register, die vermeintlich helfen." (CFO) Erst 2005 hat der Inhaber begonnen, Konsequenzen zu ziehen. Heute sind viele Produktionsstätten geschlossen und die Investitionen weitgehend abgewickelt. Der Geschäftsbereich Biegen erwirtschaftet nur noch ein kleiner Teil des ursprünglich eingekauften Umsatzes, der Ergebnisbeitrag ist minimal. 645
Vgl. dazu auch die Ausführungen zur Motivation der Mitarbeiter in Kapitel 5.4.4.
224 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Veränderungserfahrung Die Erfahrung des Unternehmens und der Mitarbeiter mit produktbezogenen Veränderungen ist hoch. Weil das Unternehmen keine Serienfertigung macht, sondern im Projektgeschäft tätig ist, sind die Mitarbeiter stetige Veränderungen an den hergestellten Maschinen gewöhnt. Dass die Erfahrung mit organisatorischen, strukturellen und prozessualen Änderungen gering war, wurde durch die Ausführungen zur Komplexität der Strukturen und Prozesse bereits deutlich. Grundsätzlich war dem Unternehmen durch die Insolvenz bekannt, dass es auch solche existenzbedrohenden Unternehmensentwicklungen geben kann. Doch der große Erfolg des Hauptproduktes führte ab Mitte der neunziger Jahre dazu, dass das Unternehmen nicht mehr einem starken externen Druck ausgesetzt war, sich anpassen und Veränderungen durchführen zu müssen. Aus diesem Grund waren, wie beschrieben, Strukturen und Prozesse nur unzureichend an die Unternehmensgröße angepasst. Die Mitarbeiter haben Veränderungen nicht strikt abgelehnt, haben sich damit aber schwer getan und es nur gemacht, wenn es unumgänglich war. "Die Bereitschaft zur Veränderung war in gewissem Maße da, aber nicht, so lange es nicht wirklich absolut notwendig war." (Kaufm. Leiter) Ein Beispiel für die Tendenz zur Beharrung auf dem Status quo war die SAPEinführung, bei der man versucht hat, dem neuen System auszuweichen indem man die Buchhaltung trotz dieses mächtigen Tools nach wie vor in Excel gemacht hat. "Die ganze Organisation hat versucht, durch Excel-Lösungen um SAP herum zu bauen. [...] weil keiner damit umgehen konnte, hat man versucht, es zu umgehen. [...] Weil man die alten Prozesse nicht verlassen wollte." (CFO) Ähnlich wurden Mitarbeiter, wenn sie einmal auf einer Position waren, nicht versetzt, sondern bei Bedarf Lösungen um sie herum gebaut. Auch haben sich die Mitarbeiter des Mutterunternehmens, als die Holding gegründet wurde, nicht von ihrer einstigen prominenten Rolle in der Gruppe gelöst, obwohl andere Akquisitionen eine vergleichbare Größe und Bedeutung hatten. Nicht zuletzt zeigt das lange Festhalten an der Akquisitionsstrategie die geringe Veränderungserfahrung und -bereitschaft.
5.4.4 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale Kontinuität des Top-Managements Die zentrale Person im Top-Management war und ist der Mehrheitseigentümer. Er ist, wie beschrieben, seit der Gründung des Unternehmens vor rund 35 Jahren in der
5.4 Fallstudie C
225
Geschäftsführung aktiv – früher als CEO der Muttergesellschaft, heute als CEO der Holding. Daneben gab es zwar Geschäftsführer in den Einzelgesellschaften, aber aufgrund der Strukturen und Entscheidungsbefugnisse waren diese eher seine Mitarbeiter auf der zweiten Führungsebene. Durch die Akquisitionen sind immer wieder neue, "externe" Führungskräfte hinzugekommen, aber ihr Einblick in die Geschehnisse und ihr Einfluss auf die Entwicklung der Gruppe war sehr beschränkt. Abgesehen von diesen Akquisitionen ist das Top-Management aus dem Unternehmen heraus gewachsen. Nur vor der akuten Krise hat der Inhaber einen potentiellen Nachfolger für sich von außen in das Unternehmen geholt. Dieser hat jedoch die Krisensituation eher verschlimmert, als mit neuen Ideen und einem unvoreingenommenen Blick Impulse zu setzen, weil er zwar über exzellente vertriebliche Fähigkeiten verfügte, aber Projekte kaufmännisch schlecht verkauft hat.646 Er hat das Unternehmen in der akuten Krise 2005 wieder verlassen. Eine starke CFO-Funktion gab es in der Gruppe bis zum Einstieg des heutigen CFO Mitte 2005 nicht. Sein Vorgänger war seit der Insolvenz im Unternehmen, jedoch der Komplexität der im Anschluss aufgebauten Konzernstrukturen nicht gewachsen. Der Manager, der 2004 das Beteiligungscontrolling aufbauen sollte, war zuvor CFO in der akquirierten Gesellschaft I. Er hat zwar erkannt, dass bestimmte Dinge nicht angemessen sind, wird aber als wenig proaktiv und nach vorne gerichtet, sondern als "Reichsbedenkenträger"647 beschrieben. Externen Managern war man grundsätzlich – wie in der Branche üblich – sehr kritisch gegenüber eingestellt. Der heutige CFO war der erste externe Top-Manager mit langjähriger Erfahrung in anderen Unternehmen, der wirklich neue Ansichten und Herangehensweisen in die Gruppe eingebracht und diese auch umgesetzt hat. "Wenn man 20 Jahre in einem Unternehmen war, dann schmort man im eigenen Saft, ganz klar. Das ist auch nichts Negatives, sondern menschlich." (CFO) Führungsstil Der Führungsstil des Inhabers, der das Unternehmen geprägt und maßgeblich geführt hat, wird von den Interviewpartnern sowohl als partizipativ als auch als autoritär beschrieben.648 Er hat immer Entscheidungen veranlasst und getroffen – meist ohne andere und deren Meinungen oder Ansichten mit einzubeziehen. Die Strukturen waren sehr auf ihn zugeschnitten und er hat stark in die Organisation hinein kommuniziert. Informationsflüsse waren auf ihn zentriert und er hat diese Informationen nur 646 647 648
Vgl. Interview CFO. Interview Berater. Vgl. Interview CFO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
226 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
sehr selektiv anderen zur Verfügung gestellt. Heute wird Mitarbeitern eher erklärt, warum bestimmte Dinge gemacht werden müssen. Vor der akuten Krise war es vorherrschend, dass Mitarbeiter Aufgaben bekommen und erledigt, die Ergebnisse geliefert, allerdings nur selten eine Reaktion darauf erhalten haben.649 Ebenso wird aber beschrieben, dass der Inhaber konsensorientiert ist, sich immer wieder das Commitment seiner Mitarbeiter holt und offen für Gespräche mit ihnen ist. Trotz dieser grundsätzlichen Offenheit und der partizipativen Aspekte waren die Mitarbeiter – auch wegen der geringen Informationsbasis und Entscheidungsgewalt – vor der Krise teilweise gar nicht in der Lage, die Relevanz von Hinweisen auf die Krisensituation zu erkennen, oder haben nicht die Initiative aufgebracht, sie zu kommunizieren. Anreizsystem der Mitarbeiter In dem Unternehmen gab es vor der akuten Krise eine Zielprämie und ein Zielbonusprogramm. Die Zielprämie war Vergütungsbestandteil für Führungskräfte von der Meister- und Abteilungsleiterebene aufwärts. Für sie wurden individuelle Ziele mit den einzelnen Führungskräften vereinbart und am Jahresende überprüft. Der Zielbonus hingegen war an allgemeine Unternehmensziele gekoppelt und galt für alle Mitarbeiter. Dies zeigt die Einstellung des Inhabers, dass er seine Mitarbeiter immer gerne an dem Unternehmenserfolg beteiligt hat, wenn es ihm möglich war. Wenn die Performance gut war, haben alle Mitarbeiter davon profitiert. Im Gegensatz zu der Zielprämie muss allerdings die Motivationsfunktion des Zielbonus als geringer eingestuft werden, weil er kaum durch die Leistung und das Engagement des Einzelnen beeinflussbar war. Eine systematische Personalentwicklung gab es nicht. Ein Austausch von Mitarbeitern zwischen den verschiedenen Gesellschaften hat nur vereinzelt stattgefunden und sich erst ab 2005 langsam entwickelt. Kommunikationskultur Historisch bedingt war die Kommunikation in der latenten und akuten Krise stark auf einzelne Personen und Führungsebenen konzentriert, wenig strukturiert und Informationsflüsse wie auch Weisungsbefugnisse unklar. Die Kommunikation der Führung, vornehmlich des Inhabers, in die Organisation war sowohl kapazitativ durch die starke Zentrierung auf seine Person als auch durch die grundsätzlich restriktive Informationspolitik beschränkt. Vielen Führungskräften und Mitarbeitern standen daher nur begrenzt Informationen zur Verfügung, was auch ihre Möglichkeiten, schwache Signale zu erkennen und zu deuten, eingeschränkt hat. Dennoch war es schon damals 649
Vgl. Interview Kaufm. Leiter.
5.4 Fallstudie C
227
für alle Mitarbeiter möglich, sich einen Termin bei dem Inhaber geben zu lassen, um Themen mit ihm zu besprechen. Er hat die Belange der Mitarbeiter angehört, für sich bewertet und ggf. entsprechende Maßnahmen ergriffen. Allerdings erfordert diese Möglichkeit der Bottom-up-Kommunikation auch Mitarbeiter, die daran interessiert sind – und diese waren in der Krise in dem Unternehmen zunehmend weniger vorhanden. Nach Meinung der Interviewpartner sind insbesondere kritischen Themen – wenn sie denn erkannt wurden – im Vorfeld der akuten Krise selten an den Inhaber herangetragen worden. Eine strukturierte Bottom-up-Kommunikation gab es ebenso wenig wie eine Regelkommunikation aus der Führungsspitze in die Organisation. "Die Mitarbeiter sollten viele Dinge gar nicht wissen. Das war bei ihm zentriert. Irgendwann haben diese Dinge dann auch niemand anderen mehr interessiert. [...] Soweit ich weiß, haben die sich mit kritischen Äußerungen zurückgehalten." (Berater) Heute ist die Kommunikation nach wie vor wenig formal, aber die Kommunikationsund Informationswege sind bis hinunter auf die Meisterebene klar und eindeutig. Zusammen mit den Ausführungen zum Führungsstil und dem Anreizsystem wird die Motivation der Mitarbeiter daher eher als moderat beschrieben.650 Dabei ist eben zu berücksichtigen, dass in der Zeit vor der akuten Krise, wie erläutert, vor allem Mitarbeiter im Unternehmen waren, die sich mit ihrer Rolle und dem begrenzten Einfluss abgefunden hatten. Die hoch motivierten Leistungsträger hatten bereits in der Vorphase das Unternehmen verlassen. Ein großes Defizit für die Krisenfrüherkennung lag daher neben der Motivation auch in der Qualifikation der Mitarbeiter. Zwar haben die Mitarbeiter auch während der Krise im Kleinen versucht, Probleme zu lösen und Fehlentwicklungen auszugleichen, aber diese Initiativen waren ebenso wie die Interpretation von schwachen Signalen durch ihre mangelnden Qualifikationen begrenzt. "Aber die Mitarbeiter, die das gemerkt haben oder das hätten merken können oder müssen, haben sich, wie ich das Unternehmen kenne, wahrscheinlich mehr damit befasst, das irgendwie zu verarbeiten, als zu adressieren." (CFO) "Die kaufmännischen Angestellten, die da waren, waren die schlechten kaufmännischen Mitarbeiter, die über die Jahre geblieben waren [...]." (Berater)
650
Vgl. Interview CFO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
228 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
5.4.5 Unternehmensexterne Merkmale Wettbewerbsintensität In dem Ursprungsmarkt, dem Pressen, war das Unternehmen historisch einer geringen Wettbewerbsintensität ausgesetzt, weil es durch die innovative Produktentwicklung nach der Insolvenz in seiner Nische lange Zeit eine gewisse Monopolstellung hatte. Auch heute haben die größten Wettbewerber in dem Segment nur ein Viertel der Größe dieses Unternehmens und verfügen daher bei Weitem nicht über die Erfahrungen und Skaleneffekte. In seinem Kernsegment hat das Unternehmen immer noch einen Weltmarktanteil von rund 50% und eine unangefochtene und starke Position bei den Abnehmern. Das Segment wächst, ist sehr profitabel und die Eintrittsbarrieren in den Markt sind hoch, so dass die Wettbewerbsintensität traditionell gering ist. Trotzdem hat sich die Situation in den letzten Jahren verändert, weil das Hauptprodukt des Unternehmens nicht mehr ein innovatives, sondern ein reifes Produkt ist. Es erzielt zwar nach wie vor ein Preispremium, aber so deutliche Technologieunterschiede wie früher gibt es nicht mehr. Auch wenn daher die Wettbewerbsintensität in diesem Markt den letzten Jahren leicht angestiegen ist, wird dies von den Interviewpartnern nicht als ursächlich für die Krise angesehen. Indirekt hat die Wettbewerbsintensität aber sehr wohl die Entwicklung der Krise beeinflusst. Durch die komfortable Situation auf dem Markt für Pressen war das Unternehmen nicht gewohnt, mit der höheren Wettbewerbsintensität im Markt für Biegemaschinen umzugehen. Der Markt schrumpft und ist durch eine Vielzahl kleiner, teilweise spezialisierter Anbieter geprägt. Diese Marktsituation hat man zusammen mit den technologischen Herausforderungen bei der Akquisitionsstrategie zu wenig analysiert bzw. falsch eingeschätzt und unterschätzt. Das Unternehmen hatte daher in der Folge Schwierigkeiten, mit dieser bisher unbekannten Wettbewerbssituation umzugehen, und hat diese eine ganze Weile nicht anerkennen wollen. "Den Markt und die Wettbewerbsintensität haben die unterschätzt, weil sie eben aus so einem speziellen Marktsegment kommen." (Berater) Umweltdynamik Wie einleitend erläutert, liefert das Unternehmen seine Maschinen als Investitionsgüter hauptsächlich in die Automobilzulieferindustrie. Dadurch ist das Unternehmen stark von der Nachfrage dieser Industrie abhängig, die wiederum durch die Automobilindustrie und das Weltkonjunkturklima beeinflusst wird. Entscheidender als konjunkturelle Einflüsse sind aber die Produktstrategien der Automobilindustrie, denn für jedes neue Produkt muss in eine neue Fertigungsanlage mit neuen Maschinen inves-
5.4 Fallstudie C
229
tiert werden. Das Unternehmen ist also gewissen zyklischen, allerdings nicht zu häufigen Schwankungen ausgesetzt. Diese werden jedoch von den Interviewpartnern als so normal angesehen, dass alle übereinstimmend von einem relativ stabilen Marktumfeld sprechen.651 Andere besondere Entwicklungen in der Unternehmensumwelt gab es im Vorfeld der Krisensituation nicht "Dass man Dämpfer erlebt, gibt es in unserer Branche wie in kaum einer anderen. [...] das ist nicht der Grund für die Situation in 2005. Das war eine Fehleinschätzung der Möglichkeit oder eine falsche Schlussfolgerung aus dem Erfolg der 90er." (CFO) Das Unternehmen war, auch durch die Insolvenz, zwar gewohnt, mit diesen Veränderungen umzugehen, aber durch die hervorragende Stellung auf dem Ursprungsmarkt lange keinem starken Druck mehr ausgesetzt, sich neuen Situationen wirklich anzupassen.
5.4.6 Zusammenfassung Die Ergebnisse der Fallstudie C werden in Tab. 6 zusammengefasst.
651
Vgl. Interview CFO; Interview Kaufm. Leiter; Interview Berater.
230 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
MERKMAL
AUSPRÄGUNG VORLIEGEN IN STRATEGISCHER KRISE
STATUS
ENTSCHEIDUNGS- Zentralisierung STRUKTUR Formalisierung
Stark auf den Inhaber zugeschnitten/durch ihn dominiert Mittleres Management, aber in strategischen Entscheidungen kaum eingebunden, geringe Informationsbasis Keine Angaben zur Formalisierung
KOMPLEXITÄT UndurchsichtigVON keit STRUKTUREN Inadäquatheit UND PROZESSEN
Konzern wenig integriert, daher Strukturen und Prozesse nicht systematisch aufgebaut und intransparent, Funktionen vielfach vorhanden Übergeordnet keine klaren Schnittstellen und Verantwortlichkeiten oder abgestimmten Prozesse Strukturen und Prozesse der Größe unangemessen
9
Gründer bis heute CEO und Mehrheitseigentümer, visionärer Unternehmen, enge persönliche Bindung Miteigentümer in akquirierten Gesellschaften, aber eher 'Regionalfürsten' mit marginalem Einfluss auf die Gruppe
9
EIGENTUMSVERHÄLTNISSE
Konzentration Ausgeübter Einfluss
Höhe Spezifität Zeitlicher Abstand Gering VERÄNDERUNGS- Negativ Wiederholung ERFAHRUNG einer Art INVESTITIONEN
Insolvente Unternehmen mit verwandten Technologien, schwer wieder zu veräußern, mussten Erfolg werden Sonst keine spezifischen Investitionen, z.B. Mitarbeiter Geringer externer Veränderungsdruck wegen Innovation Geringe strukturelle/prozessuale Veränderungserfahrung Keine negative Veränderungserfahrung oder wiederholte Veränderungen einer Art Gründer nach wie vor als CEO im Unternehmen tätig Erfolgreich, hat die Branche durch Innovation mit geprägt Bis zur Krise kaum externe Geschäftsführer, lange Zugehörigkeit, aber nur begrenzter Einfluss
KONTINUITÄT TOPMANAGEMENT
Industrie Unternehmen Position
FÜHRUNGSSTIL
Autoritär
ANREIZSYSTEM
Keine Vergütung Keine Mitarbeiterentwicklung
KOMMUNIKATIONSKULTUR
Einschränkung Top-downPrägung Formalisierung
WETTBEWERBSINTENSITÄT
Niedrige Intensität
Lange im Hauptmarkt geringe Wettbewerbsintensität wegen Innovation, steigt aber in den letzten Jahren an Im Biegen deutlich höhere Wettbewerbsintensität, war man nicht gewohnt und hat man unterschätzt
UMWELTDYNAMIK
Niedrige Dynamik
Starke Abhängigkeit von einer Branche, die zyklischen Schwankungen unterliegt Schwankungen nicht zu häufig, dann allerdings deutlich Durch Innovation aber wenig Anpassungsdruck
Sowohl autoritär als auch partizipativ beschrieben Grundsätzliche Offenheit für Mitarbeiter vorhanden, aber Informationen, Entscheidungen, etc. stark auf den Inhaber zentriert, wenig aktive Beteiligung der Mitarbeiter Individuelles Prämiensystem für die Führungskräfte Beteiligung aller Mitarbeiter am Gesamterfolg des Unternehmens, allerdings wenig eigener Einfluss darauf Keine systematische Mitarbeiterentwicklung Kommunikation der Führung kapazitativ und durch Informationspolitik begrenzt Grundsätzlich Möglichkeit der Bottom-up-Kommunikation, aber mangelnde Initiative der Mitarbeiter Kommunikationswege und -weisungen oft unklar Eher weniger formal
9 vorliegend (9) eingeschränkt vorliegend 2 nicht vorliegend
Tab. 6: Zusammenfassung Fallstudie C.
(9)
9 (9) 9 (9) (9) (9) 9 (9)
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
5.5
231
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
In den vorherigen Kapiteln wurden die drei Fallstudien einzeln detailliert beschrieben. Dabei wurden neben dem Krisenverlauf jeweils die Ausprägungen der in Kapitel 4 entwickelten Merkmale organisationaler Trägheit während der latenten Unternehmenskrise sowie die daraus resultierenden Wirkungen dargestellt. Auch wenn die Fallstudienforschung keine repräsentativen und verallgemeinerbaren Ergebnisse zulässt, geben die drei Fallstudien durch ihre umfängliche Beschreibung der Unternehmen in der Krisensituation doch interessante und neue Einblicke in die erarbeiteten Merkmale und ihre Konsequenzen. Zum Abschluss der empirischen Untersuchung werden nun für jedes Merkmal die Fallstudien gemeinsam betrachtet, um durch den Vergleich der Merkmalsausprägungen und Wirkungen Rückschlüsse über die in Kapitel 4 entwickelten Hypothesen abzuleiten. In den Fallstudien hat sich gezeigt, dass das Vorliegen einer Merkmalsausprägung nicht unbedingt auch zu den erarbeiteten Wirkungszusammenhängen führen muss.652 Diese Erkenntnis ist nur möglich, weil Fallstudien ein Tiefenverständnis der Wirkungsbeziehungen gestatten. Sie macht es in der folgenden Analyse jedoch notwendig, über das reine Vorliegen der Merkmalsausprägung hinaus die Wirkungen im Vergleich genau zu betrachten, die die Merkmalsausprägungen sowohl auf organisationale Trägheit als auch, soweit erkennbar, auf strategische Früherkennung haben.
5.5.1 Unternehmensinterne systembedingte Merkmale Entscheidungsstrukturen In allen drei Fällen haben vor und während der latenten Krisensituation aus unterschiedlichen Gründen zentralisierte Entscheidungsstrukturen vorgelegen. In Fallstudie A war die Zentralisierung auf die mehrfachen Wechsel im Top-Management zurückzuführen. Die neuen Führungskräfte haben jeweils versucht, durch Konzentration der Entscheidungen ihre Strategien und Vorstellungen in der Organisation durchzusetzen. Sie haben dabei die Wichtigkeit der Schlüsselpersonen auf der zweiten und dritten Ebene nicht erkannt und deren Anmerkungen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Zusammen mit den plötzlich deutlich eingeschränkten Entscheidungskompetenzen hat dies die Schlüsselpersonen des mittleren Managements stark demotiviert. Diese Mitarbeiter, die das Wissen hatten, Veränderungsnotwendigkeiten und schwache Signale zu erkennen, individuell wie kollektiv zu beurteilen und Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten, haben sich zurückgezogen. Dies hat in der 652
Bspw. die Anreizsysteme in Fallstudie A.
232 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Folge auch bei anderen Mitarbeitern und somit in der gesamten Organisation die Trägheitskräfte erhöht und die Sensibilität für schwache Signale gesenkt. Fehlentwicklungen an Produkten und Projekten wurden daher in der latenten Krise zu spät erkannt, kommuniziert und angegangen. In Fallstudie B waren die Entscheidungsstrukturen sehr auf Herrn A., später dann auf Herrn B. zentralisiert. Anders als in Fallstudie A hat es hier auch vor der latenten Krisensituation nie ein fachlich qualifiziertes und mit Kompetenzen ausgestattetes mittleres Management gegeben. Die Mitarbeiter der zweiten und dritten Ebene hatten wegen der starken Führungspersönlichkeiten nie Entscheidungsmacht, wussten immer schon, dass ihre Anmerkungen nicht erwünscht waren und hatten sich daher bereits lange darauf eingerichtet, dass andere für sie entscheiden. Die Mitarbeiter dieses Unternehmens werden als Charaktere beschrieben, die keine Verantwortung haben wollten und anders als im Fall A dadurch auch nicht demotiviert waren. Allerdings hat auch diese sehr "passive" Einstellung der Mitarbeiter in Verbindung mit anderen Merkmalsausprägungen dazu geführt, dass die Veränderungsfähigkeit und die Aufmerksamkeit bzw. kollektive Verarbeitung schwacher Signale sehr eingeschränkt war. Ähnlich waren auch im Fall C die Entscheidungsstrukturen sehr auf die starke Person des CEO (gleichzeitig Gründer und Mehrheitsgesellschafter) zentriert. Auch hier war das mittlere Management kaum in wichtige Entscheidungen eingebunden und hatte zudem durch die restriktive Informationspolitik nur geringes Wissen und Einblicke, um Veränderungsnotwendigkeiten und schwache Signale tatsächlich zu erkennen und zu beurteilen. In der latenten Krise waren daher vor allem Mitarbeiter im Unternehmen, die sich mit diesem geringen Einfluss abgefunden hatten, sich auf den Inhaber verlassen haben und daher wenig aufmerksam für schwache Signale waren und keine Vermutungen oder Bedenken geäußert haben. Zum Grad der Formalisierung von Entscheidungen finden sich in Fallstudie A leider keine Aussagen. In den Fallstudien B und C lässt sich indirekt ableiten, dass die Entscheidungsstrukturen eher wenig formal waren. Für die Gesamtbeurteilung dieses Merkmals wird jedoch davon ausgegangen, dass die Formalisierung im Vergleich zur Zentralisierung einen deutlich geringeren Einfluss auf organisationale Trägheit und strategische Früherkennung ausübt. Gerade bei zentralisierten Entscheidungsstrukturen muss der zusätzliche demotivierende Effekt aus der Formalisierung eher gering eingeschätzt werden.
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
233
Erkenntnisse zu Hypothese 1: Zentralisierte Entscheidungsstrukturen haben in allen Fällen vorgelegen, zwar aus unterschiedlichen Gründen, aber mit den prognostizierten Wirkungen auf organisationale Trägheit und auf den Umgang mit schwachen Signalen. Zu der weniger bedeutend eingestuften Formalisierung sind wegen unzureichender Informationen keine Aussagen möglich. Komplexität von Strukturen und Prozesse In allen Fällen haben während der latenten Unternehmenskrise undurchsichtige und für die Unternehmensgröße inadäquate Strukturen und Prozesse vorgelegen und die Veränderungsfähigkeit eingeschränkt bzw. das frühzeitige Erkennen und die Reaktion auf schwache Signale behindert. Dies lag in den Fällen vor allem darin begründet, dass die Strukturen und Prozesse mit dem Unternehmenswachstum nicht systematisch mit aufgebaut oder an die neue Größe angepasst wurden. Im Fall A hatten sich Strukturen und Prozesse emergent durch die Abteilungsleiter- und Meisterebene entwickelt, waren jedoch nur für wenige übergreifend transparent. Für die neuen Führungskräfte waren sie daher nur begrenzt einsichtig und eigentlich konnte nur der damalige Betriebsleiter wirklich abschätzen, welche Folgen Veränderungen haben. Das Funktionieren der Prozesse hing zudem wesentlich an dem beschriebenen Netzwerk aus Schlüsselpersonen, das während der latenten Krise auseinandergebrochen ist. Ohne das Wissen dieses Netzwerkes war es durch die Intransparenz schwer, schwache Signale zu erkennen oder ihre Relevanz zu beurteilen. Im Fall B sind die undurchsichtigen und inadäquaten Prozesse vor allem durch Aufbau der Produktionsstätten in Osteuropa entstanden. Die Prozesse in diesen Werken waren sehr ineffizient, nicht festgeschrieben und konnten sich jederzeit ändern. Schnittstellen und Verantwortlichkeiten waren unklar. Unabhängig von den damit verbundenen direkten operativen Problemen hat dies die Veränderungsfähigkeit der Organisation eingeschränkt und es war Mitarbeitern gar nicht möglich, schwache Signale und ihre Auswirkungen abzuschätzen. Auch im Fall C lag die Komplexität der Strukturen und Prozesse im Aufbau der Konzernstruktur begründet. Die akquirierten Unternehmen waren kaum integriert, Funktionen mehrfach vorhanden und übergreifende Prozesse, Strukturen oder Steuerungsinstrumente nicht etabliert. Dies hat vor allem mit der zunehmenden gemeinsamen Abwicklung von Projekten Probleme bereitet. Schnittstellen und Verantwortlichkeiten waren zudem unklar und Transparenz der Gesamtorganisation hatte mit genannten Folgen nur der Inhaber. In allen Fällen kam hinzu, dass die Unternehmen stark technikfokussiert waren und in der Vergangenheit Bereichen wie Controlling, Kalkulation oder Produktionssteue-
234 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
rung wenig Bedeutung beigemessen haben. Diese Bereiche waren daher sehr unterentwickelt und konnten nicht dazu beitragen, Krisensignale frühzeitig zu erkennen. Erkenntnisse zu Hypothese 2: Undurchsichtige und inadäquate Strukturen und Prozesse haben in allen drei Fällen vorgelegen, auch mit den prognostizierten Auswirkungen auf organisationale Trägheit und die Wahrnehmung von bzw. Reaktion auf schwache Signale. Eigentumsverhältnisse In allen Fallstudien haben vor und während der latenten Unternehmenskrise die Mehrheitseigentümer einen hohen Einfluss ausgeübt. In den Fällen A und C war zudem die Eigentumsstruktur sehr konzentriert. Im Fall B gab es neben dem Gründer noch Herrn B. und die Industriebeteiligungsgesellschaft mit einem Minderheitenanteil, die sich aber so passiv verhalten haben, dass Herr A. de facto Einfluss wie ein Alleineigentümer ausgeübt hat. In Fallstudie B und C waren die Mehrheitseigentümer gleichzeitig Gründer und im Unternehmen als CEO tätig. Der Alleineigentümer im Fall A hatte sich zwar schon vor der latenten Krise operativ zurückgezogen, aber durch tagtäglichen Kontakt noch sehr hohen Einfluss. Auch wenn faktisch in allen Fällen hohe Konzentration und hoher Einfluss der eng an das Unternehmen gebundenen Eigentümer vorgelegen hat, unterscheiden sich die Motive und Verhaltensweisen doch deutlich. Der Alleineigentümer im Fall A wurde als sehr fordernd und kritisch gegenüber dem Management beschrieben, wie es bei der Beteiligung Familienfremder zu erwarten wäre, und hätte mit dieser Art eigentlich die latente Krise früher erkennen müssen. Leider ist nicht bekannt, welche Informationen ihm die damalige Geschäftsführung tatsächlich zur Verfügung gestellt hat. Es ist daher möglich, dass er wegen PrincipalAgent-Problemen gar nicht die Informationen hatte, um Druck auf das Management auszuüben. Aber auch, dass er zwar Zugang zu den schwachen Signalen hatte, jedoch nicht reagiert hat, weil er sie wegen seiner kognitiven und emotionalen Barrieren nicht als relevant interpretiert oder bewusst ignoriert hat. Da die genauen Informationen dazu nicht vorliegen, kann in diesem Fall nicht eindeutig beurteilt werden, wie die Eigentumsverhältnisse auf die Trägheitskräfte und die Wahrnehmung der schwachen Signale gewirkt haben. In Fallstudie B hat Herr A. schwachen Signalen, die nach Meinung der Interviewpartner hätten erkennbar sein müssen, wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Aber nicht, wie zu vermuten wäre, wegen seiner als Gründer und CEO engen Bindung an das Unternehmen, sondern weil er es möglichst optimal verkaufen wollte. Die mangelnde
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
235
Reaktion in der latenten Krise passt daher zwar zu der Hypothese, allerdings aufgrund ganz anderer Motive. Außerdem sind in dem Fall die Industriebeteiligungsgesellschaft und später die Private Equity-Gesellschaft als familienfremde Eigentümer der Erwartung, als objektive und kritische Kraft einen fordernden Einfluss auf die Geschäftsführer auszuüben, nicht gerecht geworden, sondern haben diese frei operieren lassen. Einzig Fall C zeigt die prognostizierten Zusammenhänge.653 Hier hat der Mehrheitsgesellschafter und CEO schwache Signale, die auf das Fehlschlagen seiner Vision und Akquisitionsstrategie hingedeutet haben, lange ignoriert und aufgrund "emotionaler Austrittsbarrieren" zu lange an den Investitionen festgehalten. Erkenntnisse zu Hypothese 3: Konzentrierte Eigentümerstrukturen und hoher Einfluss der Eigentümer haben in den Fallstudien A und C vorgelegen, wobei nur in Fallstudie C die prognostizierten Auswirkungen auf organisationale Trägheit und strategische Früherkennung vorzufinden sind. Im Fall B hat der Mehrheitseigentümer und CEO die Signale aus anderen Motiven nicht beachtet und die familienfremden Eigentümer haben keinen kritischen Einfluss ausgeübt. Aus Fallstudie A können wegen mangelnder Informationen zu den Wirkungszusammenhängen keine eindeutigen Erkenntnisse gewonnnen werden. Investitionen In allen Fällen waren während der latenten Krise hinreichend spezifische Investitionen erfolgt, um Sunk Costs zu erzeugen. Im Fall B waren dies vor allem die Werke in Osteuropa, die durch ihre Ineffizienzen wesentlich krisenverschärfend gewirkt haben und an denen man trotz des schlechten Zustands mit hohen Folgeinvestitionen festgehalten hat. Wegen dieser Investitionen hat man Möglichkeiten wie Automatisierung oder einen auf Handmontage spezialisierten Neubau gar nicht erst angedacht. In Fallstudie C waren die Investitionen die akquirierten Biegemaschinenhersteller. Hier hat zum einen die stark emotional geprägte Überzeugung des CEOs von seiner Vision und der Akquisitionsstrategie zu einem Festhalten an den Investitionen geführt. Zum anderen konnte man diese Unternehmen, da man sie aus der Insolvenz heraus gekauft hatte, nicht ohne weiteres wieder veräußern. Man hat lange versucht sie zu sanieren und erst im Übergang in die akute Krise entschieden, diese trotz der verbundenen Sunk Costs größtenteils abzuwickeln. Etwas anders, aber nicht minder spezifisch waren die Investitionen im Fall A in Form der speziellen Ausbildung und Qualifikation der Mitarbeiter. Für das Unternehmen stellten die Mitarbeiter das absolut wichtigste Kapital dar, das durch eine Kapazitätsanpassung auf keinen Fall verlorengehen durfte. Ohne diese Einstellung wäre das Unternehmen Reaktionen auf 653
Die Eigentümerkonzentration war hier trotz des marginalen Einflusses der Mitunternehmer hoch.
236 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
schwache Signale, die Mitarbeiterabbau beinhaltet hätten, offener gegenüber gewesen und hätte nicht schlechte Aufträge zur Sicherstellung der Auslastung angenommen und damit die Situation verschlimmert. In allen Fällen hat die Überzeugung von den jeweils spezifischen Investitionen dazu geführt, dass man schwache Signale, die dazu im Widerspruch standen, unterbewusst nicht wahrgenommen oder bewusst ignoriert hat. Man hat an den Investitionen trotz erkennbarer Probleme festgehalten, teilweise gehofft, dass sich die Situation durch Folgeinvestitionen verbessern würde, aber damit letztendlich nicht der Krise entgegengewirkt, sondern sie weiter verschärft. Zudem hat mangelnde Transparenz, vor allem im kaufmännischen Bereich, dazu beigetragen, dass man den Ernst der Lage lange nicht erkennen konnte oder musste. Erkenntnisse zu Hypothese 4: Hohe und spezifische Investitionen während der latenten Krise haben in allen Fällen vorgelegen, Trägheit gefördert und eine adäquate Reaktion auf schwache Signale erschwert. Es ist davon auszugehen, dass auch die Wahrnehmung schwacher Signale behindert war, aber die Unterscheidung zwischen Nichterkennen und unbewusstem oder bewusstem Ignorieren kann hier nicht eindeutig getroffen werden. Veränderungserfahrung In allen Fallstudien war die Erfahrung der Organisation und der Mitarbeiter mit konzeptionellen, organisatorischen, strukturellen oder prozessualen Veränderungen gering.654 Alle Unternehmen waren vor und auch noch lange Zeit während der latenten Unternehmenskrise sehr erfolgreich und wegen ihrer innovativen Produkte, dem wachsenden Markt oder der friedlichen Koexistenz mit Wettbewerbern nicht durch unternehmensexternen Druck gezwungen, sich anzupassen. Allerdings sind alle drei Unternehmen in der Vergangenheit stark organisch oder anorganisch gewachsen, so dass auch ohne diesen externen Veränderungsdruck organisatorische Anpassungen durch die zunehmende Größe und Komplexität nötig gewesen wären. Dass diese, wie schon bei der Komplexität von Strukturen und Prozessen gezeigt, nicht erfolgt sind, hing mit der Einsicht der Führung in die Notwendigkeit und in gewissem Maße auch die Unausweichlichkeit von Veränderungen zusammen. Aber auch mit der grundsätzlichen menschlichen Tendenz zum Status quo, die verstärkt wird, wenn eben die Erfahrung und das Wissen gering sind, dass Veränderungen für die individuelle wie die Unternehmensentwicklung positiv sein können. Die geringe Verände654
Ständige Veränderungen an Produkten oder in Projekten in den Fällen A und C bleiben hier außen vor, weil sie im Projektgeschäft systemimmanent sind und nichts über die prinzipielle Offenheit aussagen.
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
237
rungserfahrung hat durch die Skepsis gegenüber Neuerungen nicht nur die Trägheitskräfte gefördert, sondern auch die Aufnahme schwacher Signale erschwert. Mitarbeiter wussten nicht, wie wichtig diese sind, und waren in der kollektiven Interpretation, auch bspw. gefördert durch die Kommunikationskultur, unerfahren. Negative Veränderungserfahrung hat nur im Fall B durch die wenig erfolgreichen Neuprodukteinführungen vorgelegen.655 Sie hat dort die Motivation der Mitarbeiter deutlich verringert, weil es sie in der Überzeugung bestärkt hat, nicht die Fähigkeiten zur Entwicklung erfolgreicher Neuprodukte zu besitzen. Dies hat sie aber trotzdem nicht davon abgehalten, es immer wieder zu versuchen. Daher sind mit den Neuproduktentwicklungen auch in dieser Fallstudie die einzigen wiederholten Veränderungen eines Typs zu finden. Weil die wiederholten Erfahrungen aber negativ waren und jedes Mal versucht wurde, es anders und besser zu machen, muss die Gefahr der Routinisierung und Anwendung bisheriger Verfahren gering eingeschätzt werden. Erkenntnisse zu Hypothese 5: Geringe Veränderungserfahrung liegt in allen Fällen mit den prognostizierten Auswirkungen auf organisationale Trägheit und strategische Früherkennung vor. Negative und wiederholte Veränderungserfahrung findet sich nur im Fall B, allerdings ohne die erwarteten Wirkungen, weil die Mitarbeiter immer wieder versuchen mussten, es besser zu machen. Ob dabei repetitive Fehler gemacht wurden, ist nicht ersichtlich. Die Wirkungen wiederholter (positiver) Veränderungen eines Typs konnten nicht gefunden werden, werden aber gegenüber der Veränderungserfahrung an sich auch als weniger relevant beurteilt.
5.5.2 Unternehmensinterne verhaltensbedingte Merkmale Kontinuität des Top-Managements Im Fall A gab es entgegen der Hypothese keine hohe Kontinuität des Top-Managements, da die Führungskräfte während der latenten Krise oft gewechselt haben und meist weder aus dem Unternehmen noch aus der Industrie kamen. Allerdings hat diese Fallstudie gezeigt, dass auch ein häufiger Wechsel und vor allem der Einstieg externer und branchenfremder Führungskräfte mit Problemen verbunden sein kann. Haben die neuen Führungskräfte geringe Branchenkenntnisse und stehen zudem der Unternehmensgeschichte und -kultur mit einer gewissen Hybris, die aus ihrem bisherigen Erfahrungshintergrund resultieren kann, und mangelndem Feingefühl 655
In Fallstudie C liegen keine negativen oder wiederholten Veränderungserfahrungen vor, da bei den Akquisitionen gar nicht versucht wurde, diese zu integrieren.
238 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
gegenüber, kann dies, wie im Fall A beschrieben, Trägheit fördern und das Erkennen schwacher Signale erschweren. Führungskräfte, die lange in einem Unternehmen und auf einer Position tätig sind, sind von ihrer Wahrnehmung, wie in der Hypothese angenommen, zwar eingeschränkter, aber von ihren Kenntnissen her prinzipiell fähiger, schwache Signale zu erkennen und passend zu beurteilen. In den Fällen B und C hat eine hohe Kontinuität des Top-Managements vorgeherrscht. Dieses war vor allem durch die Gründer656 dominiert, denn im Vergleich zu ihnen hatten andere Top-Manager mit ihrer Verweildauer einen weniger entscheidenden Einfluss auf die Unternehmensentwicklung. Sie waren lange im Unternehmen und der Position tätig, haben den Erfolg des Unternehmens maßgeblich verantwortet und durch ihre Innovationen auch die Entwicklung der Branche stark beeinflusst und geprägt. In beiden Fällen wurde in der latenten Krise erkennbar nicht frühzeitig und ausreichend gehandelt. Wie genau allerdings die Kontinuität des TopManagements die Reaktionsfähigkeit und die Wahrnehmung von schwachen Signalen beeinflusst hat, ist aus den Interviews nicht direkt ableitbar, da in beiden Fällen diese Gründer-CEOs nicht nach ihren Motiven befragt werden konnten. Erkenntnisse zu Hypothese 6: Die Kontinuität des Top-Managements, besonders einflussreicher Personen, hat in den Fällen B und C – soweit erkennbar – mit der prognostizierten Wirkung auf organisationale Trägheit und das Erkennen von und die Reaktion auf schwache Signale vorgelegen. Führungsstil In den Fällen A und B hat aus unterschiedlichen Gründen vor und in der latenten Krise ein autoritärer Führungsstil mit den entsprechenden Folgen für organisationale Trägheit und strategische Früherkennung vorgeherrscht. Im Fall A lag der Führungsstil zum einen darin begründet, dass immer neue Top-Manager ihre Strategien durchzusetzen wollten. Zum anderen haben aber auch einflussreiche Personen wie der Eigentümer und der Betriebsleiter eine eher autoritäre Führung vorgelebt. Im Fall B war der autoritäre Führungsstil mit seinen zu erwartenden Folgen auf die Persönlichkeiten von Herrn A. und Herrn B. zurückzuführen. Der CEO im Fall C wurde als autoritär, aber auch als kooperativ führend beschrieben, da er prinzipiell offen für die Meinung seiner Mitarbeiter war. Durch die stark auf ihn zugeschnittene Entscheidungsstruktur und die restriktive Informationspolitik scheinen mit der Zeit aber nur
656
Im Fall B sowohl Herr A. als auch Herr B.
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
239
Mitarbeiter geblieben zu sein, die diese kleine potentielle Möglichkeit der Einflussnahme nicht genutzt haben, so dass letztlich auch hier eher autoritär geführt wurde. In allen Fällen wurde geschildert, dass sich die Mitarbeiter, besonders des mittleren Managements, ihrer Einflusslosigkeit und des mangelnden Interesses der Führung an ihren Meinungen bewusst waren. Im Fall A musste die zweite und dritte Führungsebene dies nach vorher großem Einfluss erst lernen, in den Fällen B und C waren sie es nicht anders gewohnt. Das geringe Interesse führte in allen Fällen dazu, dass sich das mittlere Management und andere Mitarbeiter zurückgezogen haben, was die Aufmerksamkeit und die kollektive Interpretation schwacher Signale negativ beeinflusst hat. In den Fällen B und C gab es daher nur noch Mitarbeiter, die sich mit dieser einflusslosen Rolle arrangiert hatten. Dennoch haben besonders in den Fällen A und C die Mitarbeiter im Kleinen versucht, auf wahrgenommene Signale zu reagieren und sich abzeichnende Probleme im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu lösen. Erkenntnisse zu Hypothese 7: Autoritärer Führungsstil hat aus verschiedenen Gründen und in etwas unterschiedlicher Intensität in allen Fällen vorgelegen und zu den prognostizierten Wirkungen auf organisationale Trägheit und strategische Früherkennung geführt. Anreizsystem Elemente leistungs- oder erfolgsabhängiger Vergütung haben nur im Fall C vorgelegen. Dort gab es für die Führungskräfte eine an individuelle Ziele gebundene Zielprämie und für alle Mitarbeiter einen an die Unternehmensperformance gebundenen Zielbonus. Dabei ist jedoch davon auszugehen, dass der Motivationseffekt des Zielbonus wegen der geringen individuellen Beeinflussbarkeit deutlich unter dem der Zielprämie gelegen hat. Im Fall A gab es zwar keine variable Vergütung, aber die Mitarbeiter wurden überdurchschnittlich gut bezahlt und waren sich dessen auch bewusst. Im Gegenzug zu dieser Vergütungsstrategie wurde eine hohe Leistungsbereitschaft erwartet hat, die sich bspw. darin gezeigt hat, dass viele Mitarbeiter auch regelmäßig samstags einige Stunden gearbeitet haben. Die Wertschätzung durch die hohe Vergütung und der Leistungsanspruch haben die Mitarbeiter motiviert und dazu geführt, dass sie sich auch ohne variable Vergütungselemente stark engagiert und einsetzt haben. Im Fall B befanden sich die meisten Mitarbeiter am unteren Ende der Lohnskala. Eine systematisierte leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung gab es nicht. Einzig einige Führungskräfte bekamen am Jahresende eine Prämie, die aber nicht systematisiert oder an eine Leistung gekoppelt war, sondern als persönliches Dankeschön kommuniziert wurde und daher weniger Motivation und Leistung als Abhängigkeiten gefördert hat.
240 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
In keinem Fall sind aus den Interviews direkte Aussagen zur Vergütung und Früherkennung abzulesen. Jedoch zeigt sich in den Fällen A und C, dass die Mitarbeiter motivierter und enger an das Unternehmen gebunden waren und versucht haben, das Beste für den Kunden zu schaffen. Eine systematische Mitarbeiterentwicklung gab es in keinem Fall. Nur im Fall A wurde den Mitarbeitern indirekt vermittelt und vorgelebt, dass sie Aufstiegschancen haben. Erkenntnisse zu Hypothese 8: Eine Leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung und systematische Mitarbeiterentwicklung gab es in den Fällen A und B nicht, wobei nur Fall B die in der Hypothese prognostizierten Wirkungszusammenhänge zeigt, da im Fall A eine hohe fixe Vergütung und indirekte Aussagen zur Mitarbeiterentwicklung vorgelegen haben. Im Fall C gab es zwar keine Mitarbeiterentwicklung, aber variable Vergütung, die für die Führungskräfte auch direkt beeinflussbar war. Allerdings konnte sowohl im Fall A als auch im Fall C trotz des Engagements die akute Krise nicht verhindert werden. Kommunikationskultur In allen drei Fällen war die Kommunikationskultur während der latenten Krise eher eingeschränkt und vornehmlich top-down-geprägt. Im Fall A gab es vorher eine sehr offene laterale und vertikale Kommunikation zwischen den Schlüsselpersonen, die aber mit den diversen Wechseln an der Führungsspitze unterbunden wurde. Kommunikation war danach zwar projektbezogen noch möglich, aber Kritik wurde nicht mehr so offen geäußert wie vorher. Dadurch sind weniger kritische Themen kollektiv interpretiert und durch die Demotivation der Schlüsselpersonen weniger Anmerkungen und Themen an die Führungsspitze kommuniziert worden. Die Bottom-upKommunikation hat daher in der latenten Krise ab- und die Top-downKommunikation der neuen Führungskräfte mit den beschriebenen Folgen für organisationale Trägheit und strategische Früherkennung zugenommen. Im Fall B war die Kommunikation auch schon vor der latenten Krise stark top-down-geprägt und offene Kommunikation durch die beiden Führungspersönlichkeiten nicht gewünscht. In Verbindung mit verschiedenen anderen Gründen haben sich die Mitarbeiter daher gar nicht mehr die Mühe gemacht, aufmerksam zu sein und ihre Wahrnehmungen bottom up zu kommunizieren. Auch im Fall C war die Kommunikation top-down-geprägt und eher eingeschränkt, was sowohl durch die begrenzten Kapazitäten und die Informationspolitik der Führung beeinflusst war, als auch durch die Mitarbeiter. Sie hätten prinzipiell die Mög-
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
241
lichkeit gehabt, bottom up zu kommunizieren, haben diese aber aus motivationalen Gründen nicht mehr genutzt. Durch die starke Beschränkung und Top-down-Prägung fehlte in allen Fällen den Mitarbeitern zudem ab einem gewissen Zeitpunkt das Wissen, schwache Signale zu erkennen und vor angemessenem Hintergrund zu interpretieren. In Fallstudie B konnten indirekte, in Fallstudie C direkte Aussagen zur eher geringen Formalisierung der Kommunikation gefunden werden. Fallstudie A gibt dazu keine Hinweise. Diesem Aspekt wird aber hier ähnlich wie in Hypothese 1 im Vergleich zu Einschränkung und Top-down-Prägung eine geringere Bedeutung beigemessen. Erkenntnisse zu Hypothese 9: Eingeschränkte und starke Top-down-Kommunikation lag mit den prognostizierten Effekten auf organisationale Trägheit und strategische Früherkennung in allen Fällen vor. In den Fällen B und C finden sich Aussagen, dass die Formalisierung eher gering war. Ihr wird aber wie in Hypothese 1 eine geringere Bedeutung beigemessen.
5.5.3 Unternehmensexterne Merkmale Wettbewerbsintensität Im Fall A hat entgegen der aufgestellten Hypothese eine hohe Wettbewerbsintensität vorgelegen. Sie ist zwar unmittelbar vor der akuten Krise noch einmal angestiegen, aber das Unternehmen und seine Mitarbeiter waren grundsätzlich gewohnt, in enger Konkurrenz mit anderen Anbietern zu stehen, diese im Blick zu behalten und auf ihre Handlungen zu reagieren. Anders war dies in den Fällen B und C, wo die Wettbewerbsintensität vor und auch noch lange Zeit während der latenten Krise deutlich niedriger war. Im Fall B hatte das Unternehmen durch sein innovatives Hauptprodukt eine sehr gute Marktpositionierung und war zudem auf einem wachsenden Markt mit weltweit nur zwei anderen Anbietern aktiv, mit denen man in friedlicher Koexistenz gelebt hat. Auch im Fall C hat vor allem das innovative Hauptprodukt die Wettbewerbssituation und -intensität bestimmt. In seinem Kernsegment, dem Pressen, hatte das Unternehmen eine sehr starke Stellung und war allen anderen Anbietern hinsichtlich Produkt und Größe überlegen. In beiden Fällen hat sich diese komfortable Wettbewerbssituation in der latenten Krise geändert. Im Fall B hat das Unternehmen einen Preiskampf begonnen, um Qualitätsprobleme und Fehlschläge in der Neuproduktentwicklung auszugleichen. Im Fall C hat man sich in einem anderen Markt mit einer deutlich höheren Wettbewerbsintensität engagiert. Beide Unternehmen waren in der neuen Wettbewerbssituation wenig erfahren und nicht gewohnt, mit vielen
242 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
Anbietern bzw. einem Patentende und geänderten Kundenbedürfnissen umzugehen. Dies hat bei beiden Unternehmen zu Problemen geführt, die man erst in der akuten Krise angegangen ist. Erkenntnisse zu Hypothese 10: Niedrige Wettbewerbsintensität hat in den Fällen B und C mit den prognostizierten Wirkungen auf organisationale Trägheit und strategische Unternehmenskrisen vorgelegen. In beiden Fällen wurden die resultierenden Defizite offensichtlich, als sich die Wettbewerbsintensität in der latenten Krisensituation erhöht hat. Umweltdynamik In keiner der drei Fallstudien hat vor und während der latenten Krise eine vollkommen stabile Umwelt vorgelegen. Allerdings hat sich auch in keinem der Fälle die Umwelt sehr stark, vor allem aber häufiger und unvorhersehbar geändert. Die Unternehmen in den Fällen A und C sind jeweils sehr von einer Branche abhängig, wobei beide Branchen gewissen zyklischen, durchaus signifikanten Schwankungen, vor allem in der Nachfrage, unterliegen. Diese kommen aber nicht sehr häufig vor und werden von den Interviewpartnern als so normal angesehen, dass sie die Umwelt subjektiv als nicht sehr dynamisch einschätzen. Beide Unternehmen waren daher nicht wegen einer hohen Umweltdynamik gewohnt, externe Veränderungen in verschiedenen Bereichen im Blick zu behalten und sich diesen von Zeit zu Zeit anzupassen. Sie hatten zwar beide in ihrer Geschichte vor der latenten Krise die Erfahrung gemacht, dass Veränderungen der Umwelt, insbesondere Nachfrageeinbrüche, das Unternehmen existenzgefährdend treffen können, allerdings lag diese Erfahrung in beiden Fällen schon einige Jahre zurück. In Fallstudie B wurden die Produkte in verschiedene Branchen verkauft, so dass das Unternehmen relativ unempfindlich gegenüber der Dynamik in einzelnen Branchen war. Die einzige signifikante Veränderungen, die es im Umfeld des Unternehmens in der latenten Krise gegeben hat, waren die neuen Kundenbedürfnisse, vermehrt alle Produkte von einem Anbieter zu beziehen, sowie der Preiskampf, den das Unternehmen in Folge fehlgeschlagener Neuproduktentwicklungen und Qualitätsprobleme eröffnet hat. Zwar hat das Unternehmen mit Neuprodukten auf die veränderten Bedürfnisse zu reagieren versucht, aber interne Optimierungen als Reaktion auf den Preiskampf wurden nicht angegangen. Alle drei Unternehmen waren daher vor und während der latenten Krise selten gezwungen und nicht geübt, die Umwelt aktiv zu beobachten, Signale zu erkennen und frühzeitig darauf zu reagieren.
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
243
Erkenntnisse zu Hypothese 11: Eine eher niedrige Umweltdynamik, wenn auch keine vollkommen stabile Umwelt, hat in allen Fällen mit den prognostizierten Wirkungen auf organisationale Trägheit und das Erkennen von bzw. die Reaktion auf schwache Signale vorgelegen.
5.5.4 Abschließende Betrachtungen Obwohl in den Fallstudien deutlich wurde, dass die Merkmale vor allem in ihrem übergreifenden Zusammenhang wirken, fasst Tab. 7 die Ergebnisse der fallübergreifenden Betrachtung für jedes Merkmal mit den Ausprägungen und Wirkungen zusammen. Bei der Beurteilung wird dabei zwischen dem bereits am Ende der Fallstudien resümierten Vorliegen der Merkmalsausprägung und dem Vorliegen der prognostizierten Wirkungszusammenhänge zu organisationaler Trägheit und schwachen Signalen unterschieden. Die Übersicht zeigt, dass die in Kapitel 4 entwickelten Merkmalsausprägungen organisationaler Trägheit in den betrachteten Unternehmen, die von latenten, strategischen Krisen in akuten Krisensituationen gekommen sind, vermehrt vorgelegen haben. Außerdem kann bei den meisten Merkmalen auch auf die in den Hypothesen aufgestellten Wirkungszusammenhänge geschlossen werden. In allen drei Fallstudien haben in der latenten Krise zentralisierte Entscheidungsstrukturen, undurchsichtige und inadäquate Strukturen und Prozesse, hohe, spezifische und nicht allzu lange zurückliegende Investitionen sowie eine geringe Veränderungserfahrung vorgelegen. Außerdem war der Führungsstil vorwiegend autoritär, die Kommunikation eher eingeschränkt und top-down-geprägt und die Umweltdynamik niedrig. Bei diesen Merkmalen konnten auch, soweit es die Analyse zugelassen hat, die in den entsprechenden Hypothesen 1, 2, 4, 5, 7, 9 und 11 aufgestellten Wirkungszusammenhänge zu organisationaler Trägheit bzw. dem Erkennen und der Reaktion auf schwache Signale beobachtet werden. Dabei ist jedoch anzumerken, dass für Entscheidungsstrukturen und Kommunikationskultur nicht in allen Fällen Aussagen zur Formalisierung vorgelegen haben. Da aber Formalisierung sowohl bei Entscheidungsstrukturen als auch bei der Kommunikationskultur im Vergleich zu den anderen Ausprägungen Zentralisierung bzw. Einschränkung und Top-down-Prägung als weniger entscheidend für die Wirkungszusammenhänge angesehen wird, werden diese in der Tab. 7 konzentriert auf die anderen Merkmalsausprägungen beurteilt. Ähnlich wurde bei der Bewertung von Hypothese 5 vor allem auf die geringe Veränderungserfahrung und weniger auf die Aspekte "negativ" und "wiederholt" abgestellt. Eine hohe Kontinuität des Top-Managements und eine niedrige Wettbewerbsintensität gab es nicht in allen Fällen. In den Fällen B und C, in denen diese Merkmalsaus-
244 5 Empirische Untersuchung organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung
prägungen jedoch vorgelegen haben, konnten auch die prognostizierten Wirkungszusammenhänge gefunden werden. Anders war dies bei den Eigentumsverhältnissen und Anreizsystemen. Hier haben zwar die erwarteten Merkmalsausprägungen mehrheitlich vorgelegen, aber die Wirkungszusammenhänge und Motive entsprachen überwiegend nicht den Hypothesen.
MERKMAL
AUSPRÄGUNG
ENTSCHEIDUNGSSTRUKTUR
Zentralisierung Formalisierung
KOMPLEXITÄT VON Undurchsichtigkeit STRUKTUREN UND Inadäquatheit PROZESSEN
Vorliegen in Fallstudie
A
B
C
(9) (9) (9)
Wirkung wie Hypothese
A
B
C
+
+
+ 1)
9
9
9
+
+
+
9
(9)
9
O
–
+
EIGENTUMSVERHÄLTNISSE
Konzentration Ausgeübter Einfluss
INVESTITIONEN
Höhe Spezifität Zeitlicher Abstand
(9)
9
9
+
+
+
VERÄNDERUNGSERFAHRUNG
Gering Negativ Wiederholung Art
(9)
9
(9)
+
+
+
2
9
9
–
+
+
Industrie KONTINUITÄT Unternehmen TOP-MANAGEMENT Position FÜHRUNGSSTIL
Autoritär
9
9
(9)
+
+
+
ANREIZSYSTEM
Keine variable Vergütung Keine Mitarbeiterentwicklung
9
9
(9)
–
+
–
KOMMUNIKATIONSKULTUR
Einschränkung Top-down-Prägung Formalisierung
(9) (9) (9)
+
+
+
WETTBEWERBSINTENSITÄT
Niedrige Intensität
– +
+ +
+ +
UMWELTDYNAMIK Niedrige Dynamik
2
9
9
(9) (9) (9)
2)
1)
9 vorliegend (9) eingeschränkt vorliegend 2 nicht vorliegend
+ Wirkung eher wie in Hypothese – Wirkung eher nicht wie in Hypothese O keine Beurteilung möglich 1) Formalisierung bei +/– nicht mit bewertet 2) +/– gilt nur für geringe Veränderungserfahrung
Tab. 7: Zusammenfassung fallübergreifende Analyse.
Einschränkend zu dieser Analyse muss darauf hingewiesen werden, dass die Fallstudien, auch wenn sie sehr detailliert sind, bessere Einblicke in das Vorliegen der
5.5 Ergebnisse der empirischen Untersuchung
245
Merkmalsausprägungen und die Wirkung auf organisationale Trägheit geben als in die Zusammenhänge strategischer Früherkennung. Dies liegt darin begründet, dass die Merkmalsausprägungen und die mangelnde Veränderungsfähigkeit an der Organisation und dem Verhalten ihrer Mitglieder ablesbar sind und die Interviewpartner dazu, bspw. zur Motivation, konkrete Aussagen gemacht haben. Bei den Zusammenhängen zu schwachen Signalen ist dies etwas schwieriger, weil auch die Interviewpartner nur begrenzt Aussagen dazu machen konnten, ob ein CEO ein schwaches Signal tatsächlich nicht erkannt hat, weil es nicht in seinem Wahrnehmungsfokus war, ob er es erkannt, aber auf seinem Erfahrungshintergrund als unwichtig interpretiert hat, oder ob er es erkannt und bewusst ignoriert hat. Wirklich einsichtig ist nur, ob eine Handlung erfolgt ist oder nicht. Die dahinter liegenden Motive sind – auch wenn die Personen selbst interviewt werden – nur begrenzt einzusehen, da Darstellungen nie frei von subjektiver Färbung und Legitimationsversuchen sind und unausweichlich den kognitiven Grenzen unterliegen. Dennoch konnten zu den Merkmalen in den Interviews sehr direkte Einschätzungen zu dem bewussten oder unbewussten Erkennen und Ignorieren von schwachen Signalen gefunden werden. Außerdem wurden diese Einschätzungen durch die Befragungen mehrerer Personen mit unterschiedlichen Blickwinkeln validiert, so dass dieser Hinweis die gezeigten Ergebnisse in ihrer Aussagekraft nicht schmälert. Wie im letzten Kapitel noch erläutert wird, stellen dieses Merkmalsmodell und die empirische Untersuchung einen ersten Ansatz dar, organisationale Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen zu operationalisieren und ihre Wirkung auf strategische Früherkennung bewusst zu machen. Die Merkmalsausprägungen und Zusammenhänge wurden größtenteils in den Fallstudien gefunden. Allerdings scheinen bspw. bei den Eigentumsverhältnissen Persönlichkeit und individuelle Präferenzen eine größere Rolle als die betrachteten systematisch-strukturellen Aspekte zu spielen. Ähnlich scheinen Anreizsysteme mit den dahinterliegenden Bedürfnissen ein Feld zu sein, in das eine Reihe weiterer Faktoren mit hineinspielt. Auf den weiteren Forschungsbedarf ist daher im Folgenden noch einzugehen.
6.1 Reflexion organisationaler Trägheit in Unternehmen
6
247
REFLEXION ORGANISATIONALER TRÄGHEIT UND AUSBLICK
6.1
Reflexion organisationaler Trägheit in Unternehmen
Auch wenn in der vorliegenden Arbeit bedingt durch den Untersuchungszusammenhang latenter Unternehmenskrisen die destruktiven Aspekte organisationaler Trägheit im Vordergrund standen, wurde immer wieder betont, dass Trägheit nicht etwas grundsätzlich Negatives ist. So wie Krisen als positiven Aspekt die Chance zur Erneuerung enthalten, ist organisationale Trägheit bis zu einem gewissen Grad für die Existenz von Unternehmen sogar unerlässlich. Herausgebildete Strukturen und Prozesse geben Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit und ermöglichen dadurch die Interaktion mit der Umwelt, den Zugang zu Ressourcen, Effizienz und letztendlich das Überleben der Organisation im Wettbewerbsumfeld. Trägheit verhindert, dass sich Unternehmen jeglichen Umweltveränderungen und Trends in permanenten Wandelprozessen anpassen, die immer auch mit Risiken und Ineffizienzen verbunden sind. Zudem kann durch Trägheit einer vorschnellen Implementierung noch nicht ausgereifter Maßnahmen entgegengewirkt werden. Selbst sehr stark ausgebildete Trägheitskräfte müssen, wie gezeigt, nicht negativ sein, wenn solche Unternehmen in einem Umfeld mit geringer Umweltdynamik und Wettbewerbsintensität tätig sind. Allerdings sind, wie zu Beginn dieser Arbeit erläutert, immer mehr Unternehmen mit den Herausforderungen eines stetig dynamischeren und komplexeren Umfelds konfrontiert. In diesem Zusammenhang werden diese positiven Aspekte in der Regel gar nicht erkannt oder vergessen und Trägheitskräfte als ausschließlich negative Attribute von Organisationen und ihren Mitgliedern verstanden. Trägheit wird dabei oft mit den ebenfalls negativ besetzten Begriffen Beharrung und Konservatismus in Verbindung gebracht und nach ihrer "Überwindung" gestrebt – was nach dem Verständnis dieser Arbeit auf Ebene der Organisation der Selbstauflösung gleichkommen würde. Menschen haben daher grundsätzlich eine sehr hohe Hemmung, sich mit ihrer eigenen Trägheit und der Wirkung dieser Trägheit auf das Umfeld, in dem sie tätig sind, auseinanderzusetzen. Die Reflexion der eigenen Unzulänglichkeiten und die Betrachtung potentieller Konsequenzen wird daher soweit wie möglich vermieden.657 Wird nun das Ziel angestrebt, Trägheit auf einem für die Organisation nützlichen Niveau zu halten, bei dem von den positiven Wirkungen profitiert wird und die negativen Wirkungen verhindert werden, ist eine Auseinandersetzung mit den Trägheitskräften auf individueller wie kollektiver Ebene jedoch unumgänglich. Grundvoraus657
Unterstützend wirken dabei neben der grundsätzlich begrenzten Wahrnehmung und Rationalität die erläuterten Mechanismen zur Vermeidung kognitiver Dissonanz.
248
6 Reflexion organisationaler Trägheit und Ausblick
setzung für eine solche Auseinandersetzung ist zum einen das Verständnis der negativen und positiven Auswirkungen und zum anderen die prinzipielle Offenheit gegenüber dem Thema. Nur wenn Organisationsmitglieder bereit sind, sich ihrer eigenen Trägheit bewusst zu werden, wird es möglich, diese Trägheitskräfte zu beeinflussen und zu steuern. Wie bei den Ausführungen in Kapitel 3 gezeigt, war es bisher nicht möglich, Trägheitskräfte auf individueller wie organisatorischer Ebene in mittelständisch geprägten Großunternehmen sichtbar und damit aktiv bewusst zu machen. Mit dem in dieser Arbeit entwickelte Merkmalsmodell und den zugehörigen Hypothesen und Erläuterungen wurde der Versuch unternommen, dieser mangelnden Operationalisierung entgegenzuwirken. Zwar ist es auch mit den Erkenntnissen der vorliegenden Untersuchung nicht möglich, die Trägheit eines Unternehmens bspw. anhand eines Scoring-Modells einzuordnen,658 aber dennoch eröffnen die gewonnenen Erkenntnisse einen Weg der angestrebten Reflexion organisationaler Trägheit. Berücksichtigt man die Ausführungen zur individuellen Wahrnehmung und Interpretation sowie zu den damit verbunden Pathologien aus Kapitel 4.1.1, wird deutlich, dass der erste Schritt der Reflexion die Thematisierung der Möglichkeit organisationaler Trägheit darstellt. Die geistige Auseinandersetzung der Führungskräfte und Mitarbeiter mit den positiven und negativen Aspekten von Trägheit erhöht die Aufmerksamkeit für dieses Phänomen. Selbst wenn keine anderen Maßnahmen unternommen werden, werden durch diese bewusste Aufmerksamkeit Hinweise auf Trägheitstendenzen eher wahrgenommen und fallen nicht direkt den Mechanismen zur Vermeidung kognitiver Dissonanz zum Opfer. Wird nun aber über dieses grundsätzliche Bewusstsein hinaus angestrebt, im Rahmen der Reflexion zu evaluieren, ob die Organisation bzw. die in ihr tätigen Mitglieder (zu) hohe Trägheitskräfte aufweisen, reicht ein diffuses Gefühl der Beharrungstendenzen nicht aus. Die erarbeiteten Merkmalsausprägungen beanspruchen nicht, einen abschließenden Katalog oder eine umfassende Checkliste zur Identifikation organisationaler Trägheit darzustellen.659 Dennoch helfen diese Merkmale, Ausprägungen und Hypothesen, Trägheitskräfte in Unternehmen systematisiert zu reflektieren und zu analysieren und sie dadurch für die Organisationsmitglieder transparent zu machen. 658
659
Dies liegt u.a. daran, dass die Grenze, bei der Trägheit ihren negativen Charakter bekommt, nicht nur für jedes Unternehmen unterschiedlich, sondern auch fließend ist, weil sie z.B. von Umfeldfaktoren und gesammelten Erfahrungen abhängig ist, die sich in permanenter Entwicklung befinden. Wird der Schwerpunkt z.B. anstatt auf Krisen auf Innovationsprozesse gelegt, wird nicht ausgeschlossen, dass in dieser Untersuchung nicht betrachtete trägheitsfördernde Aspekte zusätzlich ins Blickfeld rücken können.
6.1 Reflexion organisationaler Trägheit in Unternehmen
249
In der praktischen Anwendung bedeutet diese Reflexion organisationaler Trägheit, dass sich Unternehmen in bestimmten Abständen überlegen müssen, wie diese elf Merkmale bei ihnen ausgeprägt sind und welche Wirkungen sie verbreiten. Ähnlich einer Klausurtagung könnte regelmäßig evaluiert werden, auf welchem Niveau sich die Trägheitskräfte befinden, wie sie sich entwickelt haben, ob man korrigierende Maßnahmen ergreifen will bzw. wie diese aussehen könnten. Eine solche kollektive Auseinandersetzung mit der Organisation und auch den eigenen Unzulänglichkeiten erfordert bei allen Beteiligten ein hohes Maß an Selbstreflexion, Selbstkritik, Toleranz und Mut. Möchte ein Unternehmen diese Bewertung der Trägheitskräfte wirklich angehen, um dadurch die negativen Aspekte zu identifizieren, haben die Überlegungen und Erkenntnisse dieser Arbeit gezeigt, dass es unerlässlich ist, verschiedenste Perspektiven in die Evaluation einzubeziehen. Wie ausführlich erläutert wurde, hat jedes Organisationsmitglied eine eigene Wirklichkeitskonstruktion und ist durch kognitive Fähigkeiten, Erfahrungen, Bedürfnisse, Emotionen und Aufmerksamkeitsschwellen in seinen Wahrnehmungen und Handlungen gebunden. Bewertungen sind daher nie völlig rational oder objektiv, sondern immer mit der individuellen Vorstellung verknüpft und durch sie beeinflusst. Aus diesem Grund ist es wichtig, in den konsensuellen Bereich einer solchen Evaluation Einschätzungen einzubringen, die auf unterschiedlichsten Erfahrungshintergründen beruhen. Idealerweise sollte daher die Evaluationsrunde nicht nur aus Top-Managern bestehen, sondern Mitarbeiter aus allen Ebenen und Bereichen des Unternehmens umfassen. Um in diesem Umfeld offen über die Merkmalsausprägungen organisationaler Trägheit und die resultierenden Wirkungen zu sprechen, ist unter den beteiligten Organisationsmitgliedern ein sehr hohes Maß an Vertrauen und Respekt erforderlich. Sich individuell mit Trägheit auseinanderzusetzen ist nicht einfach, Trägheit offen in einer Gruppe aus Kollegen derselben Ebene zu thematisieren noch viel weniger. Aber organisationale Trägheit offen und kontrovers in einer Gruppe aus unterschiedlichsten hierarchischen Ebenen und Bereichen zu diskutieren, scheint in der praktischen Umsetzung trotz Vertrauen und Respekt sehr schwierig. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wegen bestehender Macht- und Abhängigkeitsgefüge Meinungen und Einschätzungen nicht so frei und kritisch geäußert werden, wie es eigentlich für die Evaluation der Trägheitskräfte nötig wäre. Ist in einem Unternehmen hohe organisationale Trägheit vorhanden, zeigt sich dies bspw. in eingeschränkter und top-down-geprägter Kommunikationskultur, zentralisierten Entscheidungsstrukturen oder autoritärem Führungsstil. Liegt diese Situation vor, darf zuerst einmal bezweifelt werden, dass die Führungsspitze trotz beschriebe-
250
6 Reflexion organisationaler Trägheit und Ausblick
ner Pathologien die kollektive Reflexion organisationaler Trägheit anstößt. Geschieht dies dennoch, sind die Mitarbeiter solcher Unternehmen gar nicht gewohnt und geübt, kritisch zu reflektieren und ihre Meinung gegenüber anderen Organisationsmitgliedern zu äußern – erst recht nicht frei in einem Kreis mit verschiedensten Hierarchieebenen. Aus diesen Gründen kann es für die Reflexion und Evaluation organisationaler Trägheit hilfreich sein, die Einschätzungen zu den Merkmalsausprägungen und ihren Wirkungen anonym einzuholen. Anonymität kann alle Organisationsmitglieder unabhängig von der Position ermutigen, offen und auch wirklich kritisch ihre Meinung zu äußern. Dabei kann die Einschätzung entweder schriftlich oder in einem persönlichen Gespräch erfolgen. Bei schriftlicher Einschätzung muss ein Fragebogen konzipiert werden, der die Merkmalsausprägungen und ihre Wirkungen abfragt. Dieser sollte aber unbedingt genug Raum lassen, damit die Organisationsmitglieder auch frei und ungestützt deutlich machen können, wie sie die Veränderungsfähigkeit der Organisation einschätzen und warum sie zu diesem Urteil kommen. Eine solche schriftliche Befragung hat den Vorteil, dass die Bewertung der Trägheitskräfte tatsächlich als "Selbstevaluation" des Unternehmens ohne Beteiligung Dritter durchgeführt werden kann, denn bei einer mündlichen Befragung kann die gewünschte Anonymität eigentlich nur durch unternehmensexterne Personen gewahrt werden. Ist der Interviewer ein Mitglied der Organisation, wird – gerade vor dem Hintergrund, dass hier mittelständisch geprägte Großunternehmen im Mittelpunkt stehen660 – die Offenheit und Differenziertheit der Einschätzung immer eingeschränkt sein. Ein unternehmensexterner Interviewer fördert nicht nur die Offenheit, sondern ist auch nicht in den gleichen kognitiven Mustern wie die Organisationsmitglieder gefangen und kann daher die mitgeteilten Informationen unvoreingenommener aufnehmen. Die sich anschließende Auswertung der Befragungen kann zwar durch Unternehmensexterne vorbereitet werden, indem sie die Ergebnisse möglichst objektiv aufbereiten, aber die Bewertung selbst muss unbedingt in einem Kollektiv aus Führungskräften und Mitarbeitern erfolgen. Diese müssen gemeinsam basierend auf ihrem individuellen und kollektiven Erfahrungshintergrund die Aussagen zu den Trägheitskräften und den Auswirkungen reflektieren. Der Vorteil eines solchen Vorgehens ist, dass nun leichter über kritische und konstruktive Einschätzungen diskutiert werden 660
In einem Großkonzern ist es eher denkbar, dass es "neutrale" Einheiten gibt, bspw. in der Personalabteilung oder im Controlling, die den Mitarbeitern die Sicherheit vermitteln, dass ihre Ergebnisse vertraulichst behandelt werden. In Unternehmen, die wie die betrachteten deutlich kleiner sind, ist dies schwerer vorstellbar, da meist die Verbindungen zur Unternehmensführung enger sind.
6.1 Reflexion organisationaler Trägheit in Unternehmen
251
kann, da diese bereits anonym geäußert wurden und eben nicht primär die eigene Meinung darstellen. Dies unterstellt, dass die Befragten diese Chance der anonymen Meinungsäußerung auch wirklich nutzen, um relevante Aspekte zu adressieren. Auch wenn in dieser Arbeit vielfach die mangelnde Motivation beklagt wurde, wird doch grundsätzlich davon ausgegangen, dass Organisationsmitglieder, wenn ihnen die Möglichkeit zur Einbringung gegeben wird, sie diese auch ergreifen. Werden in einer solche Bewertung Unternehmensexterne moderierend tätig, kann dies verhindern, dass die Evaluationsrunde, z.B. kollektiv zur Vermeidung kognitiver Dissonanz, Ergebnisse der Befragung so interpretiert, dass sie keine Relevanz mehr haben. Können durch dieses Vorgehen organisationale Trägheit und ihre Auswirkungen transparent gemacht werden, schließt die Reflexion auch die kollektive Beurteilung ein, ob Maßnahmen zur Verringerung der Trägheitskräfte ergriffen werden sollen. Nur weil Merkmalsausprägungen auf Trägheit hinweisen, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass man diese abschaffen muss. Es ist durchaus denkbar, dass es für manche dieser Merkmalsausprägungen unternehmensspezifische, bspw. durch die Art der Produktion, bedingte Gründe gibt und diese Elemente trotz einer kritischen Hinterfragung bewusst beibehalten werden. Ebenso ist es möglich, dass Führungskräften durch solche anonym erhobenen Ergebnisse erst wirklich vor Augen geführt wird, dass sie bspw. autoritär führen und welche demotivierenden Folgen das für ihre Mitarbeiter hat. Unter Umständen überdenken sie ihre Art der Führung durch diese Erkenntnisse bereits unabhängig von konkreten Maßnahmen. Das Ziel dieser kollektiven Reflexion sollte sein, die herausgearbeiteten Trägheitskräfte im Gesamtkontext des Unternehmens einzuschätzen und zu beurteilen, ob das Trägheitsmaß für das Unternehmen in seiner spezifischen Situation angemessen ist. Dabei müssen nicht durch Maßnahmen alle Merkmalsausprägungen verändert werden, die auf Trägheitskräfte hinweisen, denn nur weil einige der identifizierten Ausprägungen vorzufinden sind, bedeutet dies nicht in jedem Fall ein schädliches Maß an organisationaler Trägheit. Empfehlenswerter erscheint es, diese Evaluation regelmäßig zu wiederholen und jedes Mal schwerpunktmäßig andere Themen anzugehen. Dadurch kann beobachtet werden, wie sich die Veränderungsfähigkeit des Unternehmens durch die Anpassungen entwickelt und zugleich verhindert werden, dass zu viele Veränderungen die (förderliche) Stabilität des Unternehmens gefährden.661 Ein wichtiger Schritt, organisationale Trägheit bewusst zu machen und zu bearbeiten, ist bereits erreicht, wenn sich das Kollektiv mit Fragen auseinandersetzt wie: Sollten
661
Da die Wiederholung eines solchen Prozesses wieder die Gefahr der Routinisierung einschließt, muss sehr genau darauf geachtet werden, wie der Prozess bei Folgedurchläufen ausgestaltet wird.
252
6 Reflexion organisationaler Trägheit und Ausblick
wir bestimmte Entscheidungen mehr dezentralisieren? Sollten wir gewisse Elemente unserer Prozesse überarbeiten? Sollten wir unsere Vergütungssysteme leistungsabhängiger gestalten? Aber auch: Hindern uns bestimmte Investitionen an Veränderungen? Würden wir Entscheidungen ohne diese Investitionen anders treffen? Und nicht zuletzt: Wie können wir unsere Umwelt besser im Blick behalten und sicherstellen, dass Trends, die für uns relevant sind, frühzeitig erkannt werden? Im Verlauf dieser Arbeit wurde ausführlich dargestellt, dass organisationale Trägheit die in mittelständisch geprägten Großunternehmen wenig systemunterstützte Früherkennung und Verarbeitung schwacher Signale behindern kann. Werden diese schwachen Signale nicht erkannt oder wird nicht darauf reagiert, erhöht dies die Gefahr, dass Unternehmen in existenzbedrohende Krisensituationen kommen. Gelingt es Unternehmen jedoch, sich mit Hilfe des Merkmalsmodells, der aufgestellten Hypothesen sowie des skizzierten Vorgehens zur kollektiven Reflexion Trägheitskräfte und ihre Auswirkungen bewusst zu machen und zu beeinflussen, verbessert dies auch die Früherkennungsfähigkeiten und verhindert existenzbedrohende Unternehmenskrisen. Die regelmäßige Reflexion der Trägheitskräfte und ihrer Auswirkungen zeigt den Mitarbeitern den Veränderungswillen der Organisation und übt sie darin, sich kritisch und konstruktiv mit sich selbst und ihrem Umfeld auseinanderzusetzen. Die Aufnahme schwacher Signale wird dadurch erleichtert und die kollektive Interpretation und Beurteilung von Informationen erlernt.
6.2
Zusammenfassung der Ergebnisse
Das eine Ziel dieser Arbeit war es herauszufinden, welche Merkmale bzw. Merkmalsausprägungen in mittelständisch geprägten Großunternehmen auf das Vorhandensein organisationaler Trägheitskräfte hinweisen können. Darüber hinaus sollte mit Hilfe dieser Merkmalsausprägungen transparent gemacht werden, wie organisationale Trägheit auf die strategische Früherkennung von latenten Unternehmenskrisen wirkt. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in mittelständisch geprägten Großunternehmen strategische Früherkennung in der Regel wenig systematisch bzw. instrumentell unterstützt ist, sondern wesentlich in der Aufmerksamkeit, der Verantwortung und dem Verhalten der einzelnen Organisationsmitglieder begründet liegt. Durch die Darstellung des aktuellen Stands der Forschung zu Unternehmenskrisen anhand ihrer Verläufe, Ursachen, Wirkungen und Möglichkeiten der Bewältigung konnte deutlich gemacht werden, wie wichtig die Früherkennung und Vermeidung von Unternehmenskrisen ist. Aufbauend auf diesem Verständnis hat die Beschreibung des Forschungsstands zur Früherkennung gezeigt, welche Herausforderungen
6.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
253
mit der praktischen Umsetzung verbunden sind und warum diese, insbesondere für die strategische Früherkennung, weit hinter der theoretischen Relevanz zurückliegt. So finden sich in der Literatur zwar verschiedenste Ansätze strategischer Früherkennungssysteme, allerdings sind diese weit weniger konkretisiert als bei operativer Früherkennung. Zudem ist der Aufbau, vor allem aber der Betrieb der vorgeschlagenen strategischen Systeme aufwendig und erfordert hohe eingesetzte Kapazitäten und ein hohes Engagement der Organisationsmitglieder. Da jedoch das Verständnis für die Bedeutung strategischer Früherkennung in der Praxis deutlich geringer ist als in der Wissenschaft, sind viele, besonders mittelständisch geprägte Unternehmen nicht bereit, diesen Aufwand auf sich zu nehmen und die Kapazitäten zu investieren. Allerdings sind auch diese Unternehmen aufgrund ihrer Aktivitäten auf die Früherkennung schwacher Signale, die auf Diskontinuitäten in der Unternehmensumwelt hindeuten, angewiesen. Ohne systemische bzw. instrumentelle Unterstützung fällt diese Aufgabe damit in die Verantwortung der einzelnen Organisationsmitglieder. Die Organisationsmitglieder sind jedoch in ihrer Wahrnehmung und Verarbeitung solcher schwachen Signale nicht rational, frei oder objektiv. Die Fähigkeiten, schwache Signale als frühzeitige Anzeichen von latent vorhandenen, aber noch nicht sichtbaren Unternehmenskrisen zu erkennen, werden auf individueller wie kollektiver Ebene durch Trägheitskräfte begrenzt. Trägheit als eine menschliche Eigenschaft beeinflusst unsere Wahrnehmung, aber auch, ob auf Wahrnehmungen (rechtzeitig) Handlungen folgen. Trägheit wirkt jedoch nicht nur auf individueller Ebene auf das Verhalten, sondern kann auch auf Ebene der Organisation vorliegen und dort die Veränderungsfähigkeit verringern. Trägheit ist dabei nicht eine grundsätzlich negative Eigenschaft, sondern sie gibt bis zu einem gewissen Grad Stabilität und dadurch Zuverlässigkeit und Rechenschaftsfähigkeit. Werden die Trägheitskräfte allerdings so stark, dass sie vornehmlich ihre negativen Wirkungen entfalten, beeinträchtigen sie die Wahrnehmung und Verarbeitung schwacher Signale und verhindern damit, dass Unternehmenskrisen frühzeitig erkannt und ihnen entgegengewirkt wird. Trägheit wird in der Literatur zunehmend als Erklärungsansatz für mangelnde Veränderungsfähigkeit diskutiert, aber es wurde in dieser Arbeit gezeigt, dass Trägheit nach wie vor wenig präzisiert und operationalisiert ist. Der evolutionstheoretisch angelehnte Population Ecology-Ansatz, in dem das am weitesten ausgearbeitete Trägheitskonzept zu finden ist, macht zwar Aussagen zu Arten, Ursachen, Einflussfaktoren und Wirkungszusammenhängen, bleibt aber darin, wie man Trägheit konkret erkennen kann, sehr vage. Auch ist der Population Ecology-Ansatz intensiv empirisch erforscht, allerdings ist Trägheit bei diesen Arbeiten nie Untersuchungsobjekt, sondern nur zugrunde liegendes Erklärungsmodell.
254
6 Reflexion organisationaler Trägheit und Ausblick
Um zu untersuchen, wie organisationale Trägheit jedoch die individuelle und kollektive Wahrnehmung beeinflusst und wie dies auf die systemisch kaum unterstützte strategische Früherkennung wirkt, ist es unerlässlich, die Trägheitskräfte anhand bestimmter Merkmale und Ausprägungen transparent und greifbar zu machen. Nur wenn man weiß, welche Merkmalsausprägungen auf Trägheitskräfte hinweisen, kann man analysieren, wie hoch die Trägheitskräfte in einem mittelständisch geprägten Großunternehmen sind und wie sie auf die Wahrnehmung, Interpretation und Reaktion auf schwache Signale einwirken. Daher wurden in dieser Arbeit in einem ersten Schritt ein Merkmalsmodell entwickelt und Merkmalsausprägungen theoretisch abgeleitet, die in diesen hier interessierenden Unternehmen die mögliche Herausbildung organisationaler Trägheitskräfte begünstigen. Bei diesen theoretischen Überlegungen spielen Mechanismen der Wahrnehmung und Handlung auf individueller und kollektiver Ebene eine zentrale Rolle. Wie erläutert wurde, ist jegliche Wahrnehmung durch den Nicht-Zugang zur Wirklichkeit zwangsläufig subjektabhängig. Außerdem werden durch die menschliche Tendenz zum Status quo in der Wahrnehmung permanent Mechanismen zur Vermeidung kognitiver Dissonanz angewendet, so dass Wahrnehmung, Interpretation und Reaktionen immer eingeschränkt und nie vollkommen rational sein können. Diese begrenzten Fähigkeiten der Wahrnehmung und Handlungen werden durch bestimmte Merkmalsausprägungen, die auch die Entwicklung organisationaler Trägheit fördern, unterstützt. Unter Berücksichtigung dieser Zusammenhänge wirkt organisationale Trägheit, wie in dieser Arbeit ausführlich gezeigt wurde, auch darauf, welche der unzähligen schwachen Signale der Umwelt aufgenommen werden, wie diese individuell wie kollektiv interpretiert werden und wie basierend auf dieser Interpretation Handlungen eingeleitet werden. Das auf diesen Überlegungen entwickelte Merkmalsmodell organisationaler Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen wurde daher in einem zweiten Schritt in all seinen Ausprägungen auf die Wirkungen auf die strategische Früherkennung schwacher Signale untersucht. Das entwickelte Merkmalsmodell umfasst elf Merkmale, die in unternehmensinterne system- und verhaltensbedingte sowie unternehmensexterne Merkmale klassifiziert wurden. Für jedes Merkmal wurden Ausprägungen erarbeitet, bei denen sich organisationale Trägheitskräfte tendenziell herausbilden und die die individuelle wie kollektive Veränderungsfähigkeit einschränken. Zentrale Erklärungsmechanismen bei der Herleitung der Zusammenhänge zwischen den Merkmalsausprägungen und Wirkungen auf Trägheit waren neben den beschriebenen eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten und der begrenzten Rationalität vor allem Aspekte der Motivation und Macht. So sind Menschen neben kognitiven Grenzen – vornehmlich unbewusst –
6.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
255
weniger offen für Veränderungen und weniger fähig, Veränderungsnotwendigkeiten zu erkennen und darauf zu reagieren, wenn ihnen durch die Kontextfaktoren die Motivation dazu genommen wurde oder ihr Streben nach Macht dadurch beeinflusst wird. Ohne die Unterstützung eines Früherkennungssystems beeinflussen solche kognitiven, emotionalen und motivatorischen Faktoren aber auch die Aufnahme schwacher, wenig strukturierter Signale. Bspw. sind Signale, die zu bisherigen Erfahrungen im Gegensatz stehen, durch die Vermeidung kognitiver Dissonanzen einer grundsätzlich höheren Gefahr ausgesetzt, nicht wahrgenommen zu werden. Ebenso beeinflussen z.B. emotional- und machtdominierte Faktoren, wie die Dauer, die man bereits in einem Unternehmen und auf einer Position tätig ist, und wie sehr man den bisherigen Weg mit geprägt hat, die Offenheit für Signale, die zu getroffenen Entscheidungen im Widerspruch stehen. Mitarbeiter können aber auch einfach demotiviert sein, auf schwache Signale zu achten, wenn durch autoritären Führungsstil oder zentralisierte Entscheidungen ihren Anmerkungen stets wenig Gehör geschenkt wird oder sie sich durch intransparente Strukturen und Prozesse als ein unbedeutendes Element im großen Ganzen fühlen. Basierend auf diesen Überlegungen wurden folgende Merkmale und Ausprägungen erarbeitet, die in mittelständisch geprägten Großunternehmen organisationale Trägheit fördern und die Wahrnehmung von bzw. Reaktion auf schwache Signale beeinträchtigen:
Zentralisierte und formalisierte Entscheidungsstrukturen.
Undurchsichtige und inadäquate Strukturen und Prozesse.
Konzentrierte Eigentumsstrukturen und hoher Einfluss der Eigentümer.
Hohe, spezifische Investitionen in der (jüngeren) Vergangenheit.
Geringe oder negative Veränderungserfahrung oder wiederholte Erfahrung eines Veränderungstyps.
Hohe Kontinuität des Top-Managements in der Industrie, dem Unternehmen oder der Position.
Autoritärer Führungsstil.
Geringe leistungs- oder erfolgsabhängige Vergütung und Mitarbeiterentwicklung.
Eingeschränkte, top-down-geprägte und formalisierte Kommunikationskultur.
Niedrige Wettbewerbsintensität.
Niedrige Umweltdynamik.
256
6 Reflexion organisationaler Trägheit und Ausblick
Diese Merkmalsausprägungen konnten in drei detaillierten Fallstudien, bei denen mittelständisch geprägte Großunternehmen von latenten in akute Krisensituationen gekommen waren, mehrheitlich vorgefunden werden. Bei den meisten Merkmalen konnten im Rahmen der Interviews und Dokumentenanalyse auch die prognostizierten Wirkungszusammenhänge zu organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung transparent gemacht werden. Nur bei den Eigentumsverhältnissen und den Anreizsystemen haben sich die Wirkungszusammenhänge anders als in den aufgestellten Hypothesen dargestellt. Diese beiden Merkmale bieten daher in jedem Fall noch weiteren Forschungsbedarf, auf den im letzten Kapitel eingegangen wird. Durch das passend zum explorativen Charakter dieser Arbeit qualitative empirische Vorgehen konnten die Zusammenhänge zwischen den identifizierten Merkmalsausprägungen und organisationaler Trägheit und strategischer Früherkennung nicht konfirmatorisch bestätigt werden. Dennoch hat das Merkmalsmodell einen wichtigen Beitrag zur Operationalisierung organisationaler Trägheit geleistet. Außerdem konnte durch die Anwendung der Erkenntnisse auf die Früherkennung latenter Unternehmenskrisen zusätzliche Transparenz geschaffen werden, mit welchen Herausforderungen strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen konfrontiert ist. Können Trägheitskräfte anhand dieser Merkmale transparent gemacht werden und Maßnahmen ergriffen werden, um sie auf einem für das Unternehmen förderlichen Niveau zu halten, verbessert dies die Veränderungsfähigkeit, erhöht die Sensibilität für schwache Signale und ihre Verarbeitung und trägt so dazu bei, dass existenzbedrohende Stadien von Unternehmenskrisen verhindert werden können. Diese Arbeit hat unter anderem mit Hilfe von Organisationstheorie, Evolutionstheorie, Kognitionsbiologie und Psychologie gezeigt, dass auch die Gestaltung der Kontextfaktoren neben aller systemischen Unterstützung dazu beitragen kann, Krisensituationen frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Die gewonnen Erkenntnisse und Einblicke machen deutlich, dass besonders aus der verhaltenswissenschaftlichen Perspektive neben den hier erarbeiteten noch weitere wertvolle Hinweise zur Vervollständigung einer "Theorie der Unternehmenskrise" gewonnen werden können.
6.3
Ausblick und weiterer Forschungsbedarf
Diese Arbeit kann als ein erster Vorstoß gesehen werden, organisationale Trägheit zu operationalisieren und in ihren Wirkungen, speziell im Zusammenhang mit Unternehmenskrisen, zu untersuchen. Dennoch bleiben auch hier einige Fragen unbeantwortet bzw. werden durch die gewonnenen Erkenntnisse neue Fragen aufgeworfen.
6.3 Ausblick und weiterer Forschungsbedarf
257
In der empirischen Untersuchung wurden das Merkmalsmodell und die aufgestellten Hypothesen mit drei detaillierten Fallstudien verglichen. Alleine diese drei Fallstudien haben sowohl in der Einzelfallanalyse als auch in der fallübergreifenden Betrachtung wertvolle Einblicke in die Zusammenhänge gewährt. Allerdings haben sie auch weiteres Entwicklungspotential in den prognostizierten Wirkungen der Merkmalsausprägungen aufgezeigt. Daher scheint es als Erstes unerlässlich, die entwickelten Hypothesen an weiteren Fallstudien zu spiegeln, um im Sinne der Replikationslogik die Merkmale und Auswirkungen organisationaler Trägheit zu erhärten. In den weiteren Fallstudien sollte angestrebt werden, genauere Einblicke in den Aspekt der Formalisierung sowohl von Entscheidungsstrukturen als auch der Kommunikation zu gewinnen. In den Interviews und der Dokumentenanalyse dieser Arbeit konnten dazu nur ungenügende Einblicke erlangt werden, so dass eine Beurteilung dieser Ausprägungen bisher nicht möglich erscheint. Außerdem konnten in den betrachteten Fallstudien insbesondere die Zusammenhänge zu den Eigentumsverhältnissen und Anreizsystemen nicht mehrheitlich wie erwartet vorgefunden werden. Für diese beiden Merkmale sollte daher im Rahmen weiterer Forschungsbemühungen sowohl theoretisch als auch empirisch versucht werden, die Beziehungen zu präzisieren und Wirkungen genauer zu durchdringen. Wie bereits angedeutet, scheinen bei den Eigentumsverhältnissen Elemente der Persönlichkeit in ihrem Einfluss den systematisch-strukturellen Aspekten überlegen. Bei Anreizsystemen ist anzunehmen, dass die vielfältigen menschlichen Bedürfnisse sich in ihrer Motivationswirkung noch einmal deutlich unterscheiden. Dies lässt darauf schließen, dass die immateriellen wie materiellen Anreize in ihrer Wirkung auf organisationale Trägheit noch einmal stärker differenziert werden müssen. In der Erarbeitung der Hypothesen wurde exemplarisch für Umweltdynamik auch auf die Rekursivität hingewiesen, dass organisationale Trägheit der geringen Anpassungsfähigkeit zugrunde liegt, aber geringe Anpassungsfähigkeit organisationale Trägheit auch wieder unterstützt. Um das Paradoxon organisationaler Trägheit umfänglich zu durchdringen, sollten auch alle anderen Merkmale noch einmal explizit auf solche Rekursivitäten untersucht werden. Diese Arbeit konzentrierte sich, wie in Kapitel 5.1 erläutert, nur auf produzierende Unternehmen, um in dieser ersten empirischen Untersuchung Verwerfungen durch unterschiedliche Geschäftsmodelle zu vermeiden. Um aber Aussagen darüber zu gewinnen, ob diese Merkmale grundsätzlich auf organisationale Trägheit hinweisen und die Früherkennung von latenten Unternehmenskrisen beeinflussen, müssen diese in einem nächsten Schritt nicht nur in weiteren Fällen, sondern auch in anderen Branchenkontexten empirisch untersucht werden. Es ist möglich, dass sich bei einer
258
6 Reflexion organisationaler Trägheit und Ausblick
spezifischen Betrachtung von bspw. Dienstleistungsunternehmen zusätzliche Merkmale als einflussreich für die Zusammenhänge erweisen, die in diesem Merkmalsmodell nicht berücksichtigt wurden. Solche Erkenntnisse können das entwickelte Merkmalsmodell, das wegen seines explorativen Charakters keinen Ausschließlichkeitsanspruch erheben kann, wertvoll ergänzen. Exploration stellt aber wissenschaftlich immer die Vorstufe der Konfirmation dar. Daher wäre es nach weiteren qualitativen Untersuchungen der Merkmale organisationaler Trägheit in mittelständisch geprägten Großunternehmen und auch ihrer Wirkungen in latenten Unternehmenskrisen erstrebenswert, diese Zusammenhänge auch konfirmatorisch zu betrachten. Dazu ist es aber notwendig, die Merkmale und Merkmalsausprägungen noch weiter als in dieser Arbeit zu operationalisieren. Können die Merkmale und die in den Hypothesen gezeigten Zusammenhänge so greifbar gemacht werden, dass sie in Fragebögen abgefragt werden können, wird auch eine großzahlige Betrachtung organisationaler Trägheit und eine statistische Generalisierbarkeit der Erkenntnisse möglich. Die Tatsache, dass Trägheit in der Wissenschaft bereits seit rund 30 Jahren diskutiert wird, bisher aber eine Operationalisierung dieses Phänomens nicht angegangen wurde, weist jedoch auf die damit verbundenen Schwierigkeiten hin. Auch die in dieser Arbeit mehrfach beschriebenen individuellen wie kollektiven Wahrnehmungspathologien machen eine solche großzahlige empirische Untersuchung zu einer Herausforderung. Zu Beginn dieser Arbeit wurde die Frage diskutiert, warum strategische Früherkennung in mittelständisch geprägten Großunternehmen so wenig verbreitet ist. Wie gezeigt werden konnte, sind die in der Literatur vorhandenen Ansätze für strategische Früherkennungssysteme sowohl in ihrer Implementierung als auch in ihrem Betrieb sehr komplex, umfangreich und kapazitätsintensiv. In mittelständisch geprägten Unternehmen fehlt in der Praxis vielfach neben der Einsicht in die Notwendigkeit strategischer Früherkennung auch die Bereitschaft, den Aufwand eines strategischen Früherkennungssystems zu betreiben. In dieser Arbeit wurde nun untersucht, wie organisationale Trägheit es beeinflusst, wenn strategische Früherkennung vollkommen ohne instrumentelle Unterstützung eines Früherkennungssystems erfolgt. Weitere Arbeiten sollten diese Erkenntnisse und die bisherigen Arbeiten zu strategischer Früherkennung zum Anlass nehmen, sich auf die Suche nach einer praktikablen Möglichkeit strategischer Früherkennung in solchen Unternehmen zu machen. Das Ziel sollte sein, einen wenig aufwendigen Ansatz zu entwickeln, der aber dennoch strategische Früherkennung besser ermöglicht als eine rein zufällige Aufnahme und Weiterleitung schwacher Signale durch die Organisationsmitglieder. Ein solcher Ansatz könnte sich sowohl Elementen der skizzierten Früherkennungssysteme, z.B.
6.3 Ausblick und weiterer Forschungsbedarf
259
im Bereich des Scanning oder Monitoring bedienen, sollte aber auch Erkenntnisse, besonders zum Verhalten und zur Motivation der Organisationsmitglieder berücksichtigen, wie sie in dieser Arbeit thematisiert wurden. Zur Entwicklung eines solchen Ansatzes könnte es helfen, in einem ersten Schritt zu untersuchen, wie strategische Früherkennung in Unternehmen in der Praxis stattfindet. Zum einen könnte in einer solchen Untersuchung analysiert werden, wie Konzerne, die, wie eingangs erläutert, häufig strategische Früherkennung systematisch betreiben, diese umgesetzt haben. Zum anderen könnten mittelständisch geprägte Großunternehmen betrachtet werden, die in latenten Unternehmenskrisen waren, aber eben nicht wie die hier betrachteten Unternehmen in akute Krisenstadien gekommen sind, sondern frühzeitig und umfänglich auf die Diskontinuität reagiert haben. Da latente Unternehmenskrisen von außen kaum erkannt werden können, können signifikante Umweltveränderungen einen Hinweis geben, diese Unternehmen zu identifizieren. Haben in diesen Unternehmen systematisierte Elemente strategischer Früherkennung vorgelegen, kann ein Einblick in diese Mechanismen helfen, Wege aufzuzeigen, wie die Herausforderung der frühzeitigen Erkennung und Verarbeitung schwacher Signale in einer aufwandsoptimierenden Form gemeistert werden kann. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Idee der Anwendung verhaltenswissenschaftlicher Überlegungen auf Unternehmenskrisen auch in künftigen Forschungsarbeiten fortsetzen wird und so immer wieder neue Einblicke in das Phänomen der Unternehmenskrise und besonders ihre Früherkennung gewonnen werden können. Diese Arbeit wollte – auch durch ihre Praxisnähe – einen Beitrag dazu leisten, dass Trägheit nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Praxis die vorwiegend negative Assoziation verliert und dadurch häufiger, offener und vor allem vorurteilsfreier in Unternehmen diskutiert wird – denn dies ist der erste Schritt dazu, Trägheit auf einem förderlichen Niveau zu halten.
Literaturverzeichnis
261
Literaturverzeichnis Ackermann, Rolf (2001): Pfadabhängigkeit, Institutionen und Regelreform, Mohr Siebeck, Tübingen, 2001. Aldrich, Howard E. (1979): Organizations and Environments, Prentice-Hall, Engelwood Cliffs, 1979. Amburgey, Terry L./Kelly, Dawn/Barnett, William P. (1993): Resetting The Clock: The Dynamics of Organizational Change and Failure, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 38, No. 1, 1993, S. 51-73. Amburgey, Terry L./Rao, Hayagreeva (1996): Organizational Ecology: Past, Present, and Future Directions, in: Academy of Management Journal, Vol. 39, No. 5, 1996, S. 1265-1286. Ansoff, Igor H. (1975): Managing Strategic Surprise by Response to Weak Signals, in: California Management Review, Vol. 18, No. 2, 1975, S. 21-33. Ansoff, Igor H. (1976): Managing Surprise and Discontinuity - Strategic Response to Weak Signals, in: Zfbf - Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 28 Jg., 1976, S. 129-152. Ansoff, Igor H. (1984): Implanting Strategic Management, Prentice Hall, London et al., 1984. Argyris, Chris/Schön, Donald A. (2002): Die Lernende Organisation: Grundlagen, Methoden, Praxis, 3. Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart, 2002. Arlt, Hans-Jürgen (2001): Zwischen Öffentlichkeiten und Geschlossenheiten. Herr Hättich und Frau Wolltich als Issues Manager unterwegs, in: Röttger, Ulrike (Hrsg.): Issues Management: Theoretische Konzepte und praktische Umsetzung. Eine Bestandsaufnahme, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2001, S. 125-137. Arnold, Ulli (1981): Strategische Unternehmensführung und das Konzept der "Schwachen Signale", in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 10 Jg., Heft 6, 1981, S. 290-293. Arthur, W. Brian (1989): Competing Technologies, Increasing Returns, and Lock-in by Historical Events, in: Economic Journal, Vol. 99, No. 3, 1989, S. 116-131. Ashby, W. Ross (1974): Einführung in die Kybernetik, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1974. Astley, W. Graham/Van de Ven, Andrew H. (1983): Central Perspectives and Debates in Organization Theory, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 28, No. 2, 1983, S. 245-273. Atteslander, Peter (2006): Methoden der empirischen Sozialforschung, 11., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Erich Schmidt, Berlin, 2006. Badura, Bernhard (1995): Mathematische und soziologische Theorie der Kommunikation, in: Burkart, Roland/Hömberg, Walter (Hrsg.): Kommunikationstheorien: Ein Textbuch zur Einführung, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Braumüller, Wien, 1995, S. 16-22.
262
Literaturverzeichnis
Baetge, Jörg (1998): Empirische Methoden zur Früherkennung von Unternehmenskrisen, Westdeutscher Verlag, Opladen, Wiesbaden, 1998. Baetge, Jörg/Hüls, Dagmar/Uthoff, Carsten (1996): Früherkennung der Unternehmenskrise: Neuronale Netze als Hilfsmittel für die Kreditprüfer, in: Corsten, Hans/May, Constantin (Hrsg.): Neuronale Netze in der Betriebswirtschaft: Anwendung in Prognose, Klassifikation und Optimierung; Ein Reader, Gabler, Wiesbaden, 1996, S. 150168. Baetge, Jörg/Sickmann, Eric (2004): Insolvenzprognosen auf der Basis von Jahresabschlüssen, in: Heintzen, Markus/Kruschwitz, Lutz (Hrsg.): Unternehmen in der Krise: Ringvorlesung der Fachbereiche Rechts- und Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2003, Duncker & Humblot, Berlin, 2004, S. 3771. Baisch, Friedemann (2000): Implementierung von Früherkennungssystemen in Unternehmen, Eul, Lohmar, Köln, 2000. Baisch, Friedemann/Klopp, Marcus/Reising, Wolfgang (1998): Strategische Früherkennung im industriellen Mittelstand, in: Controlling, 10 Jg., Heft 4, 1998, S. 236-243. Barnett, William P. (1994): The Liability of Collective Action: Growth and Change among Early American Telephone Companies, in: Baum, Joel A. C./Singh, Jitendra V. (Hrsg.): Evolutionary Dynamics of Organizations, Oxford University Press, Oxford, New York, 1994, S. 337-456. Barnett, William P./Burgelman, Robert A. (1996): Evolutionary Perspectivs on Strategy, in: Strategic Management Journal, Vol. 17, No. 7, 1996, S. 5-19. Barnett, William P./Carroll, Glenn R. (1995): Modeling Internal Organizational Change, in: Annual Review of Sociology, Vol. 21, No. 1, 1995, S. 217-236. Barnett, William P./Pontikes, Elizabeth G. (2008): The Red Queen, Success Bias, and Organizational Inertia, in: Management Science, Vol. 54, No. 7, 2008, S. 1237-1251. Baron, James N./Hannan, Michael T. (2002): Organizational Blueprints for Success in High-Tech Start-Ups: Lessons from the Stanford Project on Emerging Companies, in: California Management Review, Vol. 44, No. 3, 2002, S. 8-36. Barron, David N./West, Elizabeth/Hannan, Michael T. (1994): A Time to Grow and a Time to Die: Growth and Mortality of Credit Unions in New York City, 1914-1990, in: American Journal of Sociology, Vol. 100, No. 2, 1994, S. 381-421. Battelle-Institut (1980): Frühwarnsysteme für die strategische Unternehmensplanung: Ein Radar zur Erkennung von technologischen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Veränderungen im Umfeld der Unternehmung, Battelle-Institut, Frankfurt am Main, 1980. Baum, Joel A. C. (1990): Inertial and Adaptive Patterns in Organizational Change, in: Academy of Management Proceedings, 1990, S. 165-169. Baum, Joel A. C. (1996): Organizational Ecology, in: Clegg, Steward R./Hardy, Cynthia/Nord, Walter R. (Hrsg.): Handbook of Organization Studies, Sage, London et al., 1996, S. 77-114.
Literaturverzeichnis
263
Baum, Joel A. C./Mezias, Stephen J. (1992): Localized Competition and Organizational Failure in the Manhattan Hotel Industry, 1898-1990, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 37, No. 4, 1992, S. 580-604. Baum, Joel A. C./Oliver, Christine (1991): Institutional Linkages and Organizational Mortality, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 36, No. 2, 1991, S. 187-218. Baum, Joel A. C./Oliver, Christine (1992): Institutional Embeddedness and the Dynamics of Organizational Populations, in: American Sociological Review, Vol. 57, No. 4, 1992, S. 540-559. Baum, Joel A. C./Singh, Jitendra V. (1994): Organizational Niches and the Dynamics of Organizational Founding, in: Organization Science, Vol. 5, No. 4, 1994, S. 483-501. Bayertz, Kurt (1995): Eine kurze Geschichte der Herkunft der Verantwortung, in: Bayertz, Kurt (Hrsg.): Verantwortung: Prinzip oder Problem?, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1995, S. 3-71. Bea, Franz X. (2005): Führung, in: Bea, Franz X./Friedl, Birgit/Schweitzer, Marcell (Hrsg.): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Band 2: Führung, 9., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart, 2005, S. 1-15. Bea, Franz X./Haas, Jürgen (1994): Möglichkeiten und Grenzen der Früherkennung von Unternehmenskrisen, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 23 Jg., Heft 10, 1994, S. 486-491. Bea, Franz X./Haas, Jürgen (2005): Strategisches Management, 4. Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart, 2005. Bea, Franz X./Kötzle, Alfred (1983): Ursachen von Unternehmenskrisen und Maßnahmen zur Krisenvermeidung, in: Der Betrieb, 36 Jg., Heft 11, 1983, S. 565-571. Beck, Klaus (2007): Kommunikationswissenschaft, UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz, 2007. Becker, Markus C. (2004): Organizational Routines: A Review of the Literature, in: Industrial and Corporate Change, Vol. 13, No. 4, 2004, S. 643-677. Beckmann, Jürgen/Heckhausen, Heinz (2006): Motivation durch Erwartung und Anreiz, in: Heckhausen, Jutta/Heckhausen, Heinz (Hrsg.): Motivation und Handeln, 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Springer, Berlin, 2006, S. 105-142. Bergauer, Anja (2003): Führen aus der Unternehmenskrise: Leitfaden zur erfolgreichen Sanierung, Erich Schmidt, Berlin, 2003. Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (2003): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie, 19. Auflage, Fischer, Frankfurt am Main, 2003. Berthel, Jürgen/Becker, Fred G. (2007): Personal-Management: Grundzüge für Konzeptionen betrieblicher Personalarbeit, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, SchäfferPoeschel, Stuttgart, 2007.
264
Literaturverzeichnis
Betton, John/Dess, Gregory G. (1985): The Application of Population Ecology Models to the Study of Organizations, in: Academy of Management Review, Vol. 10, No. 4, 1985, S. 750-757. Beverland, Michael (2005): Adapting within Relationships to Adapt to Market-led Change: Does Relationship Success Lead to Marketplace Inertia?, in: Industrial Marketing Management, Vol. 34, No. 6, 2005, S. 577-589. Black, Fischer/Scholes, Myron (1973): The Pricing of Options and Corporate Liabilities, in: Journal of Political Economy, Vol. 81, No. 3, 1973, S. 637-659. Blake, Robert R./Mouton, Jane S. (1964): The Managerial Grid: Key Orientations for Achieving Production Through People, Gulf, Houston, 1964. Bleicher, Knut (1969): Führungsstile, Führungsformen und Organisationsformen, in: Zeitschrift für Organisation, 38 Jg., 1969, S. 31-40. Bleicher, Knut (1999): Das Konzept Integriertes Management: Visionen - Missionen - Programme, 5., revidierte und erweiterete Auflage, Campus, Frankfurt am Main, New York, 1999. Bleicher, Knut/Meyer, Erik (1976): Führung in der Unternehmung: Formen und Modelle, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1976. Böckenförde, Björn (1996): Unternehmenssanierung, 2., neubearbeitete Auflage, SchäfferPoeschel, Stuttgart, 1996. Boeker, Warren (1991): Organizational Strategy: An Ecological Perspective, in: Academy of Management Journal, Vol. 34, No. 3, 1991, S. 613-635. Boone, Christophe/Carroll, Glenn R./Witteloostuijn, Arjen Van (2004): Size, Differentiation and the Performance of Dutch Daily Newspaper, in: Industrial and Corporate Change, Vol. 13, No. 1, 2004, S. 117-148. Boone, Christophe/Witteloostuijn, Arjen Van (1995): Industrial Organization and Organizational Ecology: The Potentials for Cross-fertilization, in: Organization Studies, Vol. 16, No. 2, 1995, S. 265-298. Borchardt, Knut/Fikentscher, Wolfgang (1957): Wettbewerb, Wettbewerbsbeschränkungen, Marktbeherrschung, Enke, Stuttgart, 1957. Bortz, Jürgen/Döring, Nicola (2006): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, 4., überarbeitete Auflage, Springer, Berlin, Heidelberg, 2006. Brand, Diana/Gerstenberger, Wolfgang/Lindlbauer, Jürg D. (1995): Beispiele für Konjunkturindikatoren: Ausgewählte Gesamtindikatoren des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, in: Oppenländer, Karl H. (Hrsg.): Konjunkturindikatoren: Fakten, Analysen, Verwendung, Oldenbourg, München, Wien, 1995, S. 83-94. Brealey, Richard A./Myers, Stewart C. (2008): Principles of Corporate Finance, 9., überarbeitete internationale Auflage, McGraw-Hill, Boston, 2008. Brittain, Jack W./Freeman, John H. (1980): Organizational Proliferation and Density Dependent Selection, in: Kimberly, John R./Miles, Robert H. (Hrsg.): The Organiza-
Literaturverzeichnis
265
tional Life Cycle: Issues in the Creation, Transformation, and Decline of Organizations, Jossey-Bass, San Francisco, 1980, S. 291-338. Brodowski, Michael (2006): Kollektives Lernen als Grundlage organisationalen Lernens: Eine empirische Fallstudie, Lit, Berlin, 2006. Brommer, Ulrike (1994): Konfliktmanagement statt Unternehmenskrise: Moderne Instrumente zur Unternehmensführung, Orell Füssli, Zürich, 1994. Bruderer, Erhard/Singh, Jitendra V. (1996): Organizational Evolution, Learning, and Selection: A Genetic-algorithm-based Model, in: Academy of Management Journal, Vol. 39, No. 5, 1996, S. 1322-1349. Brüderl, Josef/Preisendörfer, Peter/Ziegler, Rolf (1992): Survival Chances of Newly Founded Business Organizations, in: American Sociological Review, Vol. 57, No. 2, 1992, S. 227-241. Brüderl, Josef/Schüssler, Rudolf (1990): Organizational Mortality: The Liabilities of Newness and Adolescence, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 35, No. 3, 1990, S. 530-547. Brühl, Volker (2004): Restrukturierung - Ursachen, Verlauf und Management - von Unternehmenskrisen, in: Brühl, Volker/Göpfert, Burkhard (Hrsg.): Unternehmensrestrukturierung: Strategien und Konzepte, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2004, S. 3-31. Bühler-Niederberger, Doris (1995): Analytische Induktion, in: Flick, Uwe et al. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, 2. Auflage, Beltz, PsychologieVerlagsUnion, Weinheim, 1995, S. 446450. Burgelman, Robert A. (1991): Intraorganizational Ecology of Strategy Making and Organizational Adaptation: Theory and Field Research, in: Organization Science, Vol. 2, No. 3, 1991, S. 239-262. Burgelman, Robert A./Grove, Andrew S. (1996): Strategic Dissonance, in: California Management Review, Vol. 38, No. 2, 1996, S. 8-28. Burkart, Roland (2002): Kommunikationswissenschaft: Grundlagen und Problemfelder; Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft, 4., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Böhlau, Wien et al., 2002. Burkart, Roland/Hömberg, Walter (1995): Einleitung, in: Burkart, Roland/Hömberg, Walter (Hrsg.): Kommunikationstheorien: Ein Textbuch zur Einführung, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Braumüller, Wien, 1995, S. 1-7. Buschmann, Holger (2006): Erfolgreiches Turnaround-Management: Empirische Untersuchung mit Schwerpunkt auf dem Einfluss der Stakeholder, Gabler, Wiesbaden, 2006. Buschmeier, Ulrike (1995): Macht und Einfluss in Organisationen, Cuvillier, Göttingen, 1995. Carroll, Glenn R. (1983): A Stochastic Model of Organizational Mortality: Review and Reanalysis, in: Social Science Reseach, Vol. 12, No. 4, 1983, S. 303-329.
266
Literaturverzeichnis
Carroll, Glenn R. (1984): Dynamics of Publisher Succession in Newspaper Organizations, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 29, No. 1, 1984, S. 93-113. Carroll, Glenn R./Delacroix, Jacques (1982): Organizational Mortality in the Newspaper Industries of Argentina and Ireland: An Ecological Approach, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 27, No. 2, 1982, S. 169-198. Carroll, Glenn R./Hannan, Michael T. (1989): Density Delay in the Evolution of Organizational Populations: A Model and Five Empirical Tests, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 34, No. 3, 1989, S. 411-430. Carroll, Glenn R./Hannan, Michael T. (2000): The Demography of Corporations and Industries, Princeton University Press, Princeton, 2000. Cassells, Annette/Green, Patrick (1995): Wahrnehmung, in: Gerstenmaier, Jochen (Hrsg.): Einführung in die Kognitionspsychologie, Ernst Reinhardt, München, Basel, 1995, S. 41-90. Cezanne, Marc (1999): Krisenmanagement und Komplexität. Betriebswirtschaftliche Krisentheorien im Kontext multioptionalen Konsumverhaltens, Deutscher UniversitätsVerlag, Wiesbaden, 1999. Child, John (1972): Organizational Structure, Environment and Performance: The Role of Strategic Choice, in: Sociology, Vol. 6, No. 1, 1972, S. 1-22. Chmielewicz, Klaus (1979): Forschungskonzeptionen der Wirtschaftswissenschaft, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Poeschel, Stuttgart, 1979. Clark, John M. (1929): Studies in the Economics of Overhead Costs, 3. Auflage, University of Chicago Press, Chicago, 1929. Clasen, Jan P. (1992): Turnaround Management für mittelständische Unternehmen, Gabler, Wiesbaden, 1992. Coenenberg, Adolf G./Fischer, Thomas M. /Günther, Thomas (2007): Kostenrechnung und Kostenanalyse, 6., überarbeitete und erweiterte Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2007. Colombo, Massimo G./Delmastro, Marco (2002): The Determinants of Organizational Change and Structural Inertia: Technological and Organizational Factors, in: Journal of Economic & Management Strategy, Vol. 12, No. 4, 2002, S. 595-635. Copeland, Thomas E./Antikarov, Vladimir (2001): Real Options: A Practitioner's Guide, Texere, New York, 2001. Cox, Helmut/Hübener, Harald (1981): Wettbewerbstheoretische Grundlagen und Grundkonzeptionen der Wettbewerbspolitik, in: Cox, Helmut/Jens, Uwe/Markert, Kurt (Hrsg.): Handbuch des Wettbewerbs: Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, Vahlen, München, 1981, S. 1-48. Crasselt, Nils (2003): Wertorientierte Managemententlohnung, Unternehmensrechnung und Investitionssteuerung: Analyse unter Berücksichtigung von Realoptionen, Lang, Frankfurt am Main et al., 2003.
Literaturverzeichnis
267
Crozier, Michel/Friedberg, Erhard (1979): Macht und Organisation: Die Zwänge kollektiven Handelns, Athenäum, Königstein, 1979. Darwin, Charles (1860): On the Origin of Species by Means of Natural Selection: Or the Preservation of Favored Races in the Struggle for Life, Murray, London, 1860. Daschmann, Hans-Achim (1994): Erfolgsfaktoren mittelständischer Unternehmen: Ein Beitrag zur Erfolgsfaktorenforschung, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1994. David, Paul A. (1985): Clio and the Economics of QWERTY, in: American Economic Review, Vol. 75, No. 2, 1985, S. 332-337. David, Sven (2001): Externes Krisenmanagement aus Sicht der Banken, Eul, Lohmar, Köln, 2001. Day, George S./Schoemaker, Paul J. H. (2004): Driving Through the Fog: Managing at the Edge, in: Long Range Planning, Vol. 37, No. 2, 2004, S. 127-142. Day, George S./Schoemaker, Paul J. H. (2005): Scanning the Periphery, in: Harvard Business Review, Vol. 83, No. 11, 2005, S. 135-148. Deeg, Jürgen/Weibler, Jürgen (2000): Organisatorischer Wandel als konstruktive Destruktion, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter (Hrsg.): Organisatorischer Wandel und Transformation, Managementforschung 10, Gabler, Wiesbaden, 2000, S. 143-193. Delacroix, Jacques/Swaminathan, Anand (1991): Cosmetic, Speculative, and Adaptive Organizational Change in the Wine Industry: A Longitudinal Study, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 36, No. 4, 1991, S. 631-661. Dess, Gregory G./Beard, Donald W. (1984): Dimensions of Organizational Task Environments, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 29, No. 1, 1984, S. 52-73. Diemers, Daniel (1999): Kontingenzmanagement, Frühwarnsysteme und Virtualität, in: Henckel von Donnersmarck, Marie/Schatz, Roland (Hrsg.): Frühwarnsysteme, Innovatio, Bonn et al., 1999, S. 225-245. Dobrev, Stanislav D./Kim, Tai-Young/Carroll, Glenn R. (2003): Shifting Gears, Shifting Niches: Organizational Inertia and Change in the U.S. Automobile Industry, 18851981, in: Organization Science, Vol. 14, No. 3, 2003, S. 264-282. Dolata, Burkhard (1987): Betriebliche Früherkennungssysteme und deren strategische Bedeutung, Hampp, München, Mering, 1987. Doppler, Klaus/Lauterburg, Christoph (2002): Change Management: Den Unternehmenswandel gestalten, 11. Auflage, Campus, Frankfurt am Main, 2002. Dörner, Dietrich (1989): Die Logik des Mißlingens: Strategisches Denken in komplexen Situationen, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1989. Dörner, Dietrich (2005): Handeln, in: Schütz, Astrid/Selg, Herbert/Lautenbacher, Stefan (Hrsg.): Psychologie: Eine Einführung in ihre Grundlagen und Anwendungsfehler, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Kohlhammer, Stuttgart, 2005, S. 329-352.
268
Literaturverzeichnis
Dörner, Dietrich/Rek, Ute (2005): Denken und Handeln in Krisensituationen, in: Burmann, Christoph/Freiling, Jörg/Hülsmann, Michael (Hrsg.): Management von Ad-hocKrisen: Grundlagen - Strategien - Erfolgsfaktoren, Gabler, Wiesbaden, 2005, S. 423442. Drucker, Peter F. (1969): The Age of Discontinuity: Guidelines to our Changing Society, Heinemann, London, 1969. Drumm, Hans J. (2005): Personalwirtschaft, 4., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer, Berlin, 2005. Ebers, Mark/Gotsch, Wilfried (2006): Institutionsökonomische Theorien der Organisation, in: Kieser, Alfred/Ebers, Mark (Hrsg.): Organisationstheorien, 6., erweiterte Auflage, Kohlhammer, Stuttgart, 2006, S. 247-308. Eisenführ, Franz/Weber, Martin (2003): Rationales Entscheiden, 4., neu bearbeitete Auflage, Springer, Berlin et al., 2003. Eisenhardt, Kathleen M. (1989): Building Theories from Case Study Research, in: Academy of Management Review, Vol. 14, No. 4, 1989, S. 532-550. Eisenhardt, Kathleen M./Graebner, Melissa E. (2007): Theory Building from Cases: Opportunities and Challenges, in: Academy of Management Journal, Vol. 50, No. 1, 2007, S. 25-32. Empter, Stefan (1988): Handeln, Macht und Organisation: Zur interaktionistischen Grundlegung sozialer Systeme, Maro, Augsburg, 1988. Engberding, Antonius (1998): Unternehmenskrisen, Sanierung und Industriepolitik: Einzelwirtschaftliche und strukturpolitische Handlungsspielräume beim Wandel von Unternehmen in der Krise, Duncker & Humblot, Berlin, 1998. Felden, Birgit/Menke, Matthias (2006): Mitarbeiterführung in Familienunternehmen: Zwischen Patriarchat und Mitarbeiterbeteiligung, in: Böllhoff, Christian/Krüger, Wolfgang/Berni, Marcello (Hrsg.): Spitzenleistungen in Familienunternehmen: Ein Managementhandbuch, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2006, S. 51-68. Feldman, Martha S./Pentland, Brian T. (2003): Reconceptualizing Organizational Routines as a Source of Flexibility and Change, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 48, No. 1, 2003, S. 94-118. Festinger, Leon (1978): Theorie der kognitiven Dissonanz, Huber, Bern et al., 1978. Fichman, Mark/Levinthal, Daniel A. (1991): Honeymoons and the Liability of Adolescence: A New Perspective on Duration Dependence in Social and Organizational Relationships in: Academy of Management Review, Vol. 16, No. 2, 1991, S. 442-468. Fink, Dietmar/Deimel, Klaus (2006): Krisenvorsorge, in: Blöse, Jochen/Kihm, Axel (Hrsg.): Unternehmenskrisen: Ursachen - Sanierungskonzepte - Krisenvorsorge Steuern, Erich Schmidt, Berlin, 2006, S. 215-237. Fleege-Althoff, Fritz (1930): Die notleidende Unternehmung, Poeschel, Stuttgart, 1930. Flick, Uwe (1995a): Stationen des qualitativen Forschungsprozesses, in: Flick, Uwe et al. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden
Literaturverzeichnis
269
und Anwendungen, 2. Auflage, Beltz, PsychologieVerlagsUnion, Weinheim, 1995, S. 147-173. Flick, Uwe (1995b): Triangulation in: Flick, Uwe et al. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, 2. Auflage, Beltz, PsychologieVerlagsUnion, Weinheim, 1995, S. 432-434. Flick, Uwe (2005): Qualitative Sozialforschung: Eine Einführung, 3. Auflage, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2005. Foerster, Heinz von (2000): Erkenntnistheorien und Selbstorganisation, in: Schmidt, Siegfried (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, 8. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2000, S. 133-158. Foerster, Heinz von (2002): Entdecken oder Erfinden: Wie läßt sich Verstehen verstehen?, in: Gumin, Heinz/Meier, Heinrich (Hrsg.): Einführung in den Konstruktivismus, 6. Auflage, Piper, München, 2002, S. 41-88. Frank, Christian (1994): Strategische Partnerschaften in mittelständischen Unternehmen: Option zur Sicherung der Eigenständigkeit, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 1994. Frank, Hermann/Plaschka, Gerhard/Rößl, Dietmar (1988): Umweltdynamik, in: Frank, Hermann/Plaschka, Gerhard/Rößl, Dietmar (Hrsg.): Umweltdynamik: Beiträge aus wissenschaftlicher und rechtlicher Sicht, Springer, Wien, New York, 1988, S. 1-14. Fredrickson, James W. (1986): The Strategic Decision Process and Organizational Structure, in: Academy of Management Review, Vol. 11, No. 2, 1986, S. 280-297. Fredrickson, James W./Iaquinto, Anthony L. (1989): Inertia and Creeping Rationality in Strategic Decision Processes, in: Academy of Management Journal, Vol. 32, No. 3, 1989, S. 516-542. Freeman, John (1982): Organizational Life Cycles and Natural Selection Processes, in: Research in Organizational Behavior: An Annual Series of Analytical Essays and Critical Reviews, Vol. 4, 1982, S. 1-32. Freeman, John/Carroll, Glenn R./Hannan, Michael T. (1983): The Liability of Newness: Age Dependence in Organizational Death Rates, in: American Sociological Review, Vol. 48, No. 5, 1983, S. 692-710. Freeman, John/Hannan, Michael T. (1983): Niche Width and the Dynamics of Organizational Population, in: American Journal of Sociology, Vol. 88, No. 6, 1983, S. 11161144. Frensch, Peter A. (2006): Kognition, in: Funke, Joachim/Frensch, Peter A. (Hrsg.): Handbuch der Allgemeinen Psychologie - Kognition, Hogrefe, Göttingen et al., 2006, S. 1928. Frese, Erich (2005): Grundlagen der Organisation: Entscheidungsorientiertes Konzept der Organisationsgestaltung, 9., vollständig überarbeitete Auflage, Gabler, Wiesbaden, 2005. Frey, Dieter/Gaska, Anne (1993): Die Theorie der kognitiven Dissonanz, in: Frey, Dieter/Irle, Martin (Hrsg.): Theorien der Sozialpsychologie, Band 1: Kognitive Theorien,
270
Literaturverzeichnis
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Huber, Bern et al., 1993, S. 275324. Fried, Andrea (2001): Konstruktivismus, in: Lang, Reinhart/Weik, Elke (Hrsg.): Moderne Organisationstheorien: Eine sozialwissenschaftliche Einführung, Gabler, Wiesbaden, 2001, S. 29-59. Gantzel, Klaus-Jürgen (1962): Wesen und Begriff der mittelständischen Unternehmung, Westdeutscher Verlag, Köln, Opladen, 1962. Gebert, Diether (2000): Zwischen Freiheit und Reglementierung - Wiedersprüchlichkeiten als Motor inkrementalen und transformationalen Wandels in Organisationen: Eine Kritik des punctuated-equilibrium-Modells, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter/Sydow, Jörg (Hrsg.): Organisatorischer Wandel und Transformation, Managementforschung 10, Gabler, Wiesbaden, 2000, S. 1-32. Geiser, Josef (1983): Wachstumshemmnisse mittelständischer Industriebetriebe, Otto Schwartz & Co., Göttingen, 1983. Geißler, Harald (1991): Vom Lernen in der Organisation zum Lernen der Organisation, in: Sattelberger, Thomas (Hrsg.): Die lernende Organisation: Konzepte für eine neue Qualität der Unternehmensentwicklung, Gabler, Wiesbaden, 1991, S. 79-96. Geißler, Ulrike (2001): Frühaufklärung durch Issues Management: Der Beitrag der Public Relations, in: Röttger, Ulrike (Hrsg.): Issues Management: Theoretische Konzepte und praktische Umsetzung. Eine Bestandsaufnahme, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2001, S. 207-217. Gersick, Connie J. G. (1991): Revolutionary Change Theories: A Multilevel Exploration of the Punctuated Equilibrium Paradigm, in: Academy of Management Review, Vol. 16, No. 1, 1991, S. 10-36. Gilbert, Clark G. (2005): Unbundling the Structure of Inertia: Resource versus Routine Rigidity, in: Academy of Management Journal, Vol. 48, No. 5, 2005, S. 741-763. Gilbert, Dirk U. (1998): Konfliktmanagement in international tätigen Unternehmen: Ein diskursethischer Ansatz zur Regelung von Konflikten im interkulturellen Management, Wissenschaft & Praxis, Sternenfels, Berlin, 1998. Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L. (2005): Grounded Theory: Strategien qualitativer Forschung, 2., korrigierte Auflage, Huber, Bern, 2005. Glasersfeld, Ernst von (2002): Konstruktion der Wirklichkeit und des Begriffs der Objektivität, in: Gumin, Heinz/Meier, Heinrich (Hrsg.): Einführung in den Konstruktivismus, 6. Auflage, Piper, München, 2002, S. 9-39. Glasl, Friedrich (1980): Konfliktmanagement: Diagnose und Behandlung von Konflikten in Organisationen, Haupt, Bern, Stuttgart, 1980. Glatzel, Thomas (2006): Empirische Relevanz von Insolvenzen und Unternehmenskrisen, in: Hutzschenreuter, Thomas/Griess-Nega, Torsten (Hrsg.): Krisenmanagement: Grundlagen - Strategien - Instrumente, Gabler, Wiesbaden, 2006, S. 755-770. Gless, Sven-Erik (1996): Unternehmenssanierung: Grundlagen - Strategien - Maßnahmen, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 1996.
Literaturverzeichnis
271
Gomez, Peter (1985): Frühwarnung und Strategische Unternehmensführung, in: Management Forum, Vol. 5, No. 2, 1985, S. 155-176. Grape, Christian (2006): Sanierungsstrategien: Empirisch-qualitative Untersuchung zur Bewältigung schwerer Unternehmenskrisen, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2006. Greiner, Larry E. (1972): Evolution and Revolution as Organizations Grow, in: Harvard Business Review, Vol. 50, No. 4, 1972, S. 37-46. Groß-Schuler, Alexandra (2002): Irreversibilität und Unternehmensstrategie: Das Konzept der Sunk Costs und seine Entscheidungsrelevanz, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2002. Gruhler, Wolfram (1982): Indikatoren der Insolvenzhäufigkeit, in: IW-Trends, Nr. 3, 1982, S. 26-32. Grundei, Jens (1999): Effizienzbewertung von Organisationstrukturen: Integration verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse am Beispiel der Marktforschung, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 1999. Günterberg, Brigitte/Kayser, Gunter (2004): SMEs in Germany: Facts and Figures 2004, Institut für Mittelstandsforschung, Bonn, 2004. Gunzenhauer, Peter (1995): Unternehmenssanierung in den neuen Bundesländern: Eine Branchenuntersuchung des Werkzeugmaschinenbaus, Eul, Bergisch Gladbach, Köln, 1995. Haag, Torgalf (1993): Entwicklung eines integrativen strategischen Früherkennungssystems, in: Zeitschrift für Planung, Band 4, Heft 3, 1993, S. 261-274. Haake, Klaus (1987): Strategisches Verhalten in europäischen Klein- und Mittelunternehmen, Duncker & Humblot, Berlin, 1987. Häcker, Hartmut O./Stapf, Kurt (2004): Dorsch Psychologisches Wörterbuch, 14., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Huber, Bern et al., 2004. Hahn, Dietger/Krystek, Ulrich (1984): Frühwarnsysteme als Instrument der Krisenerkennung, in: Staehle, Wolfgang H./Stoll, Edgar (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre und ökonomische Krise: Kontroverse Beiträge zur betriebswirtschaftichen Krisenbewältigung, Gabler, Wiesbaden, 1984, S. 3-24. Hahn, Dietger/Krystek, Ulrich (2000): Früherkennungssysteme und KonTraG, in: Dörner, Dietrich/Horváth, Péter/Kagermann, Henning (Hrsg.): Praxis des Risikomanagements: Grundlagen, Kategorien, branchenspezifische und strukturelle Aspekte, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2000, S. 73-97. Hambrick, Ronald C./Geletkanycz, Marta A./Fredrickson, James W. (1993): Top Executive Commitment to the Status Quo: Some Tests of its Determinants, in: Strategic Management Journal, Vol. 14, No. 6, 1993, S. 401-418. Hamer, Eberhard (2006): Volkswirtschaftliche Bedeutung von Klein- und Mittelbetrieben, in: Pfohl, Hans-Christian (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre der Mittel- und Kleinbetriebe: Größenspezifische Probleme und Möglichkeiten zu ihrer Lösung, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Erich Schmidt, Berlin, 2006, S. 25-49.
272
Literaturverzeichnis
Hammer, Richard M. (1988): Strategische Planung und Frühaufklärung, Oldenbourg, München, 1988. Hammerl, Marianne/Grabitz, Hans-Joachim (2006): Lernen: Definitionen, methodische Ansätze, Theorien des Lernens, in: Funke, Joachim/Frensch, Peter A. (Hrsg.): Handbuch der Allgemeinen Psychologie - Kognition, Hogrefe, Göttingen et al., 2006, S. 203-212. Hannan, Michael T. (1997): Inertia, Density and the Structure of Organizational Populations: Entries in European Automobile Industries, 1886-1981, in: Organization Studies, Vol. 18, No. 2, 1997, S. 193-228. Hannan, Michael T. (2005): Ecologies of Organizations: Diversity and Identity, in: Journal of Economic Perspectives, Vol. 19, No. 1, 2005, S. 51-70. Hannan, Michael T./Baron, James N./Kocak, Özgecan (2006): Organizational Identities and the Hazard of Change, in: Industrial and Corporate Change, Vol. 15, No. 5, 2006, S. 755-784. Hannan, Michael T./Burton, Diane M./Barron, James N. (1999): Inertia and Change in the Early Years: Employment Relations in Young, High Technology Firms, in: Carroll, Glenn R./Teece, David J. (Hrsg.): Firms, Markets, and Hierarchies: The Transaction Cost Economics Perspective, Oxford University Press, New York, Oxford, 1999, S. 465-498. Hannan, Michael T./Carroll, Glenn R. (1992): Dynamic of Organizational Populations: Density, Legitimation, and Competition, Oxford University Press, New York, Oxford, 1992. Hannan, Michael T./Freeman, John (1977): The Population Ecology of Organization, in: American Journal of Sociology, Vol. 82, No. 5, 1977, S. 929-964. Hannan, Michael T./Freeman, John (1984): Structural Inertia and Organizational Change, in: American Sociological Review, Vol. 49, No. 2, 1984, S. 149-164. Hannan, Michael T./Freeman, John (1989): Organizational Ecology, Harvard University Press, Cambridge, 1989. Hannan, Michael T./Pólos, László/Carroll, Glenn R. (2003): Cascading Organizational Change, in: Organization Science, Vol. 14, No. 5, 2003, S. 463-482. Hasenack, Wilhelm (1932): Unternehmertum und Wirtschaftslähmung: Die Dauerkrise in den deutschen Unternehmungen und die Vorausetzungen des wirtschaftlichen Aufstiegs, Brückenverlag, Berlin, 1932. Hauschildt, Jürgen (2000): Unternehmenskrisen: Herausforderung an die Bilanzanalyse, in: Hauschildt, Jürgen/Leker, Jens (Hrsg.): Krisendiagnose durch Bilanzanalyse, 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Schmidt, Köln, 2000, S. 1-17. Hauschildt, Jürgen (2004): Krisenforschung und Krisenmanagement, in: Schreyögg, Georg/Werder, Axel von (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2004, Sp. 706-716.
Literaturverzeichnis
273
Hauschildt, Jürgen (2005): Von der Krisenerkennung zum präventiven Krisenmanagement: Zum Umgang der Betriebswirtschaftlehre mit der Unternehmenskrise, in: KSI, 1 Jg., Heft 1, 2005, S. 1-7. Hauschildt, Jürgen (2006): Entwicklungen in der Krisenforschung, in: Hutzschenreuter, Thomas/Griess-Nega, Torsten (Hrsg.): Krisenmanagement: Grundlagen - Strategien - Instrumente, Gabler, Wiesbaden, 2006, S. 19-39. Haveman, Heather A. (1992): Between a Rock and a Hard Place: Organizational Change and Performance under Conditions of Fundamental Environmental Transformation, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 37, No. 1, 1992, S. 48-75. Hayes, Nicky (1995): Kognitive Prozesse: Eine Einführung, in: Gerstenmaier, Jochen (Hrsg.): Einführung in die Kognitionspsychologie, E. Reinhardt, München, Basel, 1995, S. 11-40. Heimerl-Wagner, Peter (1992): Strategische Organisationsentwicklung: Inhaltliche und methodische Konzepte zum Lernen in und von Organisationen, Physica, Heidelberg, 1992. Heinemann, Daniel (2007): Lernen in Turnaround von KMU, Lang, Frankfurt am Main, 2007. Henderson, Andrew D. (1999): Firm Strategy and Age Dependence: A Contingent View of the Liabilities of Newness, Adolescence, and Obsolescence, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 44, No. 2, 1999, S. 281-314. Henderson, Andrew D./Miller, Danny/Hambrick, Donald C. (2006): How Quickly Do CEOs Become Obsolete? Industry Dynamism, CEO Tenure, and Company Performance, in: Strategic Management Journal, Vol. 27, No. 5, 2006, S. 447-460. Henderson, Rebecca M./Clark, Kim B. (1990): Architectural Innovation: The Reconfiguration of Existing Product Technologies and the Failure of Established Firms, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 35, No. 1, 1990, S. 9-30. Hentze, Joachim et al. (2005): Personalführungslehre: Grundlagen, Funktionen und Modelle der Führung, 4., neu bearbeitete Auflage, Haupt, Bern et al., 2005. Hergert, Roland (2007): Strategische Früherkennung: Wahrnehmung relevanter Umweltreize oder Wie ticken Unternehmen?, Metropolis, Marburg, 2007. Herzberg, Frederick (1966): Work and the Nature of Men, World Publishing, Cleveland, New York, 1966. Hettlage, Robert (1982): Variationen des Darwinismus in der Soziologie, in: Henrich, Dieter (Hrsg.): Evolutionstheorie und ihre Evolution: Vortragsreihe der Universität Regensburg zum 100. Todestag von Charles Darwin, Mittelbayrische Druckerei- und Verlagsgesellschaft, Regensburg, 1982, S. 109-125. Hinderer, Michael (1984): Die mittelständische Unternehmung: Selbstverständnis in der Marktwirtschaft, Analyse und Strategie, Florentz, München, 1984. Hirth, Hans (2008): Grundzüge der Finanzierung und Investition, 2., überarbeitete Auflage, Oldenbourg, München, 2008.
274
Literaturverzeichnis
Höhn, Reinhard (1974): Das Unternehmen in der Krise: Krisenmanagement und Krisenstab, Verlag für Wissenschaft, Wirtschaft und Technik, Bad Harzburg, 1974. Hommel, Bernhard (2006): Wahrnehmung und Handlung, in: Funke, Joachim/Frensch, Peter A. (Hrsg.): Handbuch der Allgemeinen Psychologie - Kognition, Hogrefe, Göttingen et al., 2006, S. 541-546. Hopf, Christel (1995): Befragungsverfahren, in: Flick, Uwe et al. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, 2. Auflage, Beltz, PsychologieVerlagsUnion, Weinheim, 1995, S. 177-182. Hülsmann, Michael (2005): Ad-hoc-Krise: Eine begriffliche Annäherung, in: Burmann, Christoph/Freiling, Jörg/Hülsmann, Michael (Hrsg.): Management von Ad-hocKrisen: Grundlagen - Strategien - Erfolgsfaktoren, Gabler, Wiesbaden, 2005, S. 3357. Hülsmann, Michael/Schulenburg, Nils (2005): Evolutionstheorie und Ad-hoc-Krise, in: Burmann, Christoph/Freiling, Jörg/Hülsmann, Michael (Hrsg.): Management von Ad-hoc-Krisen: Grundlagen - Strategien - Erfolgsfaktoren, Gabler, Wiesbaden, 2005, S. 83-114. Hungenberg, Harald (1995): Zentralisation und Dezentralisation: Strategische Entscheidungsverteilung in Konzernen, Gabler, Wiesbaden, 1995. Jensen, Michael C./Meckling, William H. (1976): Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, in: Journal of Financial Economics, Vol. 3, No. 4, 1976, S. 305-360. Jick, Todd D. (1979): Mixing Qualitative and Quantitative Methods: Triangulation in Action, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 24, No. 4, 1979, S. 602-611. Jöhr, Walther A. (1972): Zur Rollde des psychologischen Faktors in der Konjunkturtheorie, in: Ifo-Studien, 18 Jg., 1972, S. 157-184. Jossé, Germann (2004): Strategische Frühaufklärung in der Touristik: Aufbau eines zielgebietsorientierten Frühaufklärungssystems für Reiseveranstalter, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2004. Jossé, Germann (2005): Management von Chance und Risiko, in: Gerberich, Claus W. (Hrsg.): Praxishandbuch Controlling: Trends, Konzepte, Instrumente, Gabler, Wiesbaden, 2005, S. 225-249. Jost, Peter-Jürgen (1999): Strategisches Konfliktmanagement in Organisationen: Eine spieltheoretische Einführung, 2., durchgesehene und erweiterte Auflage, Gabler, Wiesbaden, 1999. Kabst, Rüdiger (2004): Internationalisierung mittelständischer Unternehmen, Hampp, München, Mering, 2004. Kall, Florian T. (1999): Controlling im Turnaround-Prozeß: Theoretischer Bezugsrahmen, empirische Fundierung und handlungsorientierte Ausgestaltung einer ControllingKonzeption für den Turnaround-Prozeß, Lang, Frankfurt am Main et al., 1999. Kantzenbach, Erhard (1967): Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 2., durchgesehene Auflage, Vandenhoeck + Ruprecht Göttingen, 1967.
Literaturverzeichnis
275
Kantzenbach, Erhard/Kallfass, Hermann H. (1981): Das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs - workable competition -, in: Cox, Helmut/Jens, Uwe/Markert, Kurt (Hrsg.): Handbuch des Wettbewerbs: Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik, Wettbewerbsrecht, Vahlen, München, 1981, S. 103-127. Kaplan, Sarah/Henderson, Rebecca (2005): Inertia and Incentives: Bridging Organizational Economics and Organizational Theory, in: Organization Science, Vol. 16, No. 5, 2005, S. 509-521. Kappelhoff, Peter (2002): Komplexitätstheorie: Neues Paradigma für die Managementforschung?, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter (Hrsg.): Theorien des Managements, Managementforschung 12, Gabler, Wiesbaden, 2002, S. 49-101. Kelly, Dawn/Amburgey, Terry L. (1991): Organizational Inertia and Momentum: A Dynamic Model of Strategic Change, in: Academy of Management Journal, Vol. 34, No. 3, 1991, S. 591-612. Kesten, Ulrike (1998): Informale Organisation und Mitarbeiter-Lebenszyklus: Der Einfluß sozialer Beziehungen auf Teilnahme und Leistung, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 1998. Kieser, Alfred (1974): Der Einfluss der Umwelt auf die Organisationsstruktur der Unternehmung, in: Zeitschrift für Organisation, 43 Jg. , Heft 6, 1974, S. 302-314. Kieser, Alfred (1988a): Darwin und die Folgen für die Organisationstheorie: Darstellung und Kritik des Population Ecology-Ansatzes, in: Die Betriebswirtschaft, 48 Jg., Heft 5, 1988, S. 603-620. Kieser, Alfred (1988b): Population Ecology and Cultural Evolution Perspectives on the History of Organizations, 1988. Kieser, Alfred (2002): Evolutorische Ansätze in der Organisationstheorie - eine kritische Bestandsaufnahme, in: ZfB Ergänzungsheft: Unternehmensentwicklung im Wettbewerb, Heft 2, 2002, S. 67-74. Kieser, Alfred/Hegele, Cornelia/Klimmer, Matthias (1998): Kommunikation im organisatorischen Wandel, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1998. Kieser, Alfred/Walgenbach, Peter (2007): Organisation, 5., überarbeitete Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2007. Kieser, Alfred/Woywode, Michael (2006): Evolutionstheoretische Ansätze, in: Kieser, Alfred/Ebers, Mark (Hrsg.): Organisationstheorien, 6., erweiterte Auflage, Kohlhammer, Stuttgart, 2006, S. 309-352. Kihm, Axel (2006): Ursachen von Unternehmenskrisen, in: Blöse, Jochen/Kihm, Axel (Hrsg.): Unternehmenskrisen: Ursachen - Sanierungskonzepte - Krisenvorsorge Steuern, Erich Schmidt, Berlin, 2006, S. 33-68. Kirsch, Werner (1997): Wegweiser zur Konstruktion einer evolutionären Theorie der strategischen Führung: Kapitel eines Theorieprojekts, 2., überarbeitete und erweiterte Fassung, Kirsch, Herrsching, 1997. Kirsch, Werner (2001): Die Führung von Unternehmen, Kirsch, Herrsching, 2001.
276
Literaturverzeichnis
Kirsch, Werner/Esser, Werner-Michael/Gabele, Eduard (1979): Das Management des geplanten Wandels von Organisationen, Poeschel, Stuttgart, 1979. Kirsch, Werner/Trux, Walter (1979): Strategische Frühaufklärung und Portfolio-Analyse, in: Albach, Horst/Hahn, Dietger/Merten, Peter (Hrsg.): Frühwarnsysteme, Gabler, Wiesbaden, 1979, S. 47-69. Kiwit, Daniel/Voigt, Stefan (1995): Überlegungen zum institutionellen Wandel unter Berücksichtigung des Verhältnisses interner und externer Institutionen, in: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, 46 Jg., 1995, S. 117-147. Klausmann, Walter (1983): Betriebliche Frühwarnsysteme im Wandel, in: Zeitschrift Führung + Organisation, 52 Jg., Heft 1, 1983, S. 39-45. Klein, Sabine (2000): Familienunternehmen: Theoretische und empirische Grundlagen, Gabler, Wiesbaden, 2000. Klein, Urte (2006): Einzelne Maßnahmen zur Überwindung der Unternehmenskrise, in: Blöse, Jochen/Kihm, Axel (Hrsg.): Unternehmenskrisen: Ursachen - Sanierungskonzepte - Krisenvorsorge - Steuern, Erich Schmidt, Berlin, 2006, S. 129-156. Klimecki, Rüdiger/Laßleben, Hermann/Thomae, Markus (2000): Organisationales Lernen: Zur Integration von Theorie, Empirie und Gestaltung, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter (Hrsg.): Organisatorischer Wandel und Transformation, Managementforschung 10, Gabler, Wiesbaden, 2000, S. 63-98. Klimecki, Rüdiger/Probst, Gilbert J. B./Eberl, Peter (1991): Systementwicklung als Managementproblem, in: Staehle, Wolfgang H./Sydow, Jörg (Hrsg.): Managementforschung 1, de Gruyter, Berlin, New York, 1991, S. 103-162. Kneer, Georg/Nassehi, Armin (2000): Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme: Eine Einführung, 4., unveränderte Auflage, Fink, München, 2000. Knittelmeyer, Heribert (1999): Frühwarnsysteme: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit, in: Henckel von Donnersmarck, Marie/Schatz, Roland (Hrsg.): Frühwarnsysteme, Innovatio, Bonn et al., 1999, S. 123-138. Knorr-Cetina, Karin (1989): Spielarten des Konstruktivismus, in: Soziale Welt, Jg. 40, Heft 1/2, 1989, S. 86-96. Koch, Iring/Knoblich, Günther/Prinz, Wolfgang (2006): Handlungsplanung und steuerung: Überblick, Definitionen und methodische Ansätze, in: Funke, Joachim/Frensch, Peter A. (Hrsg.): Handbuch der Allgemeinen Psychologie - Kognition, Hogrefe, Göttingen et al., 2006, S. 497-506. Koch, Waldemar (1933): Die Krise des Industriebetriebs, Berlin, 1933. Koepff, Klaus-Philipp (2007): Institutionelles Krisenmanagement: Ein empirischer Vergleich von Inhouse- und Interim-Management, Eul, Lohmar, Köln, 2007. Konrad, Lothar (1991): Strategische Früherkennung: Eine kritische Analyse des "weak signals"-Konzeptes, Brockmeyer, Bochum, 1991. Krahnen, Jan P. (1991): Sunk Costs und Unternehmensfinanzierung, Gabler, Wiesbaden, 1991.
Literaturverzeichnis
277
Krampe, Gerd (1985): Ein Früherkennungssystem auf der Basis von Diffusionsfunktionen als Element des strategischen Marketing, in: Raffée, Hans/Wiedmann, Klaus-Peter (Hrsg.): Strategisches Marketing, Poeschel, Stuttgart, 1985, S. 349-369. Krampe, Gerd/Müller, Günter (1981): Diffusionsfunktionen als theoretisches und praktisches Konzept zur strategischen Frühaufklärung, in: Zfbf - Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 33 Jg., Heft 5, 1981, S. 384-401. Kraus, Karl-J./Gless, Sven-Erik (1998): § 4 Unternehmensrestrukturierung/-sanierung und strategische Neuausrichtung, in: Buth, Andrea K./Hermanns, Michael (Hrsg.): Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz: Handbuch, Beck, München, 1998, S. 97-125. Kraus, Karl-J./Haghani, Sascha (2004): Krisenverlauf und Krisenbewältigung: Der aktuelle Stand, in: Bickhoff, Nils et al. (Hrsg.): Die Unternehmenskrise als Chance: Innovative Ansätze zur Sanierung und Restrukturierung, Springer, Berlin et al., 2004, S. 1337. Krause, Diana E. (2004): Macht und Vertrauen in Innovationsprozessen: Ein empirischer Beitrag zu einer Theorie der Führung, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2004. Krause, Stephan (2000): Zum Begriff des Konstruierens im Radikalen Konstruktivismus, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, 54 Jg., Heft 4, 2000, S. 532-556. Kreikebaum, Hartmut/Behnam, Michael/Gilbert, Dirk U. (2001): Management ethischer Konflikte in international tätigen Unternehmen, Gabler, Wiesbaden, 2001. Krüger, Wilfried (2005): Organisation, in: Bea, Franz X./Friedl, Birgit/Schweitzer, Marcell (Hrsg.): Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Band 2: Führung, 9., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart, 2005, S. 140-235. Krummenacher, Alfred (1982): Krisenmanagement: Leitfaden zum Verhindern und Bewältigen von Unternehmungskrisen, Industrielle Organisation, Zürich, 1982. Kruschwitz, Lutz (2007): Investitionsrechnung, 11., aktualisierte und erweiterte Auflage, Oldenbourg, München, Wien, 2007. Krystek, Ulrich (1981): Krisenbewältigungs-Management und Unternehmensplanung, Gabler, Wiesbaden, 1981. Krystek, Ulrich (1987): Unternehmungskrisen: Beschreibung, Vermeidung und Bewältigung überlebenskritischer Prozesse in Unternehmen, Gabler, Wiesbaden, 1987. Krystek, Ulrich (1989): Führung in Ausnahmesituationen: Akute Krisen und Chancen als Führungsaufgabe, in: Zeitschrift Führung + Organisation, 58 Jg., Heft 1, 1989, S. 3037. Krystek, Ulrich (2002): Unternehmungskrisen: Vermeidung und Bewältigung, in: Pastors, Peter/PIKS (Hrsg.): Risiken des Unternehmens, vorbeugen und meistern, Hampp, München, Mering, 2002, S. 87-134. Krystek, Ulrich (2005): Analyse von "Weak Signals" für die Vermeidung von Ad-hoc-Krisen, in: Burmann, Christoph/Freiling, Jörg/Hülsmann, Michael (Hrsg.): Management von Ad-hoc-Krisen: Grundlagen - Strategien - Erfolgsfaktoren, Gabler, Wiesbaden, 2005, S. 160-184.
278
Literaturverzeichnis
Krystek, Ulrich (2006a): Frühwarnsysteme, in: Hutzschenreuter, Thomas/Griess-Nega, Torsten (Hrsg.): Krisenmanagement: Grundlagen - Strategien - Instrumente, Gabler, Wiesbaden, 2006, S. 221-244. Krystek, Ulrich (2006b): Krisenarten und Krisenursachen, in: Hutzschenreuter, Thomas/Griess-Nega, Torsten (Hrsg.): Krisenmanagement: Grundlagen - Strategien Instrumente, Gabler, Wiesbaden, 2006, S. 41-66. Krystek, Ulrich (2007): Strategische Früherkennung, in: Zeitschift für Controlling & Management, 51 Jg., Sonderheft 2, 2007, S. 50-58. Krystek, Ulrich/Moldenhauer, Ralf (2007): Handbuch Krisen- und Restrukturierungsmanagement: Generelle Konzepte, Spezialprobleme, Praxisbeispiele, Kohlhammer, Stuttgart, 2007. Krystek, Ulrich/Müller-Stewens, Günther (1993): Frühaufklärung für Unternehmen: Identifikation und Handhabung zukünftiger Chancen und Bedrohungen, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1993. Krystek, Ulrich/Müller-Stewens, Günther (2006): Strategische Frühaufklärung, in: Hahn, Dietger/Taylor, Bernard (Hrsg.): Strategische Unternehmensplanung - Strategische Unternehmensführung: Stand und Entwicklungstendenzen, 9., überarbeitete Auflage, Springer, Berlin et al., 2006, S. 175-193. Krystek, Ulrich/Müller, Michael (1999): Frühaufklärungssysteme: Spezielle Informationssysteme zur Erfüllung der Risikokontrollpflicht nach KonTraG, in: Controlling, 11 Jg., Heft 4/5, 1999, S. 177-183. Kubicek, Herbert (1975): Empirische Organisationsforschung: Konzeption und Methodik, Poeschel, Stuttgart, 1975. Kudla, Ralph (2005): Finanzierung in der Sanierung: Innovative Lösungen für Krisenunternehmen, Gabler, Wiesbaden, 2005. Kühnberger, Manfred/Eckstein, Peter/Woithe, Martina (1996): Die Diskriminanzanalyse als ein Instrument zur Früherkennung negativer Unternehmensentwicklungen, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 66 Jg., Heft 12, 1996, S. 1449-1464. Kunze, Christian W. (2000): Competitive Intelligence: Ein ressourcenorientierter Ansatz strategischer Frühaufklärung, Shaker, Aachen, 2000. Küpper, Willi/Ortmann, Günther (1986): Mikropolitik in Organisationen in: Die Betriebswirtschaft, 46 Jg., Heft 5, 1986, S. 590-602. Kvale, Steinar (1995): Validierung: Von der Beobachtung zu Kommunikation und Handeln, in: Flick, Uwe et al. (Hrsg.): Handbuch Qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen, 2. Auflage, Beltz, PsychologieVerlagsUnion, Weinheim, 1995, S. 427-431. Lamnek, Siegfried (2005): Qualitative Sozialforschung, 4., vollständig überarbeitete Auflage, Beltz, PsychologieVerlagsUnion, Weinheim, Basel, 2005. Laske, Stephan/Meister-Scheytt, Claudia/Küpers, Wendelin (2006): Organisation und Führung, Waxmann, Münster et al., 2006.
Literaturverzeichnis
279
Laßleben, Hermann (2002): Das Management der lernenden Organisation: Eine systemtheoretische Interpretation, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2002. Lattmann, Charles (1975): Führungsstil und Führungsrichtlinien, Haupt, Bern, Stuttgart, 1975. Laux, Helmut (2005): Entscheidungstheorie, 6., durchgesehene Auflage, Springer, Berlin, Heidelberg, 2005. Laux, Helmut/Liermann, Felix (2005): Grundlagen der Organisation: Die Steuerung von Entscheidungen als Grundproblem der Betriebswirtschaftslehre, 6. Auflage, Springer, Berlin et al., 2005. Lehr, Daniela (2006): Kundenbindungsmanagement und Sanierungserfolg: Explorative Analyse der Wirkungszusammenhänge, Gabler, Wiesbaden, 2006. Leidig, Guido/Jordans, André (2004): Unternehmensrisiken und Insolvenzgefahren, in: controller magazin, 29 Jg., Heft 4, 2004, S. 323-333. Lenk, Hans/Maring, Matthias (1995): Wer soll Verantwortung tragen? Probleme der Verantwortungsteilung in komplexen (soziotechnischen-sozioökonomischen) Systemen, in: Bayertz, Kurt (Hrsg.): Verantwortung: Prinzip oder Problem?, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1995, S. 241-286. Lenk, Hans/Maring, Matthias (2004): Verantwortung, in: Schreyögg, Georg/Werder, Axel von (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2004, Sp. 1557-1565. Levinthal, Daniel A. (1991): Organizational Adaptation and Environmental Selection: Interrelated Processes of Change, in: Organization Science, Vol. 2, No. 1, 1991, S. 140145. Levinthal, Daniel A. (1997): Adaptation on Rugged Landscapes, in: Management Science, Vol. 43, No. 7, 1997, S. 934-950. Lewin, Kurt (1958): Group Decision and Social Change, in: Maccoby, Eleanor E./Newcomb, Theodore M./Hartley, Eugene L. (Hrsg.): Readings in Social Psychology, 3. Auflage, Holt, New York, 1958, S. 197-211. Lewin, Kurt/Lippitt, Ronald/White, Ralph K. (1939): Patterns of Aggressive Behaviors in Experimentally Created Social Climates, in: Journal of Social Psychology, Vol. 10, 1939, S. 271-299. Liebl, Franz (1991): Schwache Signale und Künstliche Intelligenz im strategischen Issue Management, Lang, Frankfurt am Main et al., 1991. Liebl, Franz (1996): Strategische Frühaufklärung: Trends - Issues - Stakeholders, Oldenbourg, München, Wien, 1996. Liebl, Franz (2005): Technologie - Frühaufklärung: Bestandsaufnahme und Perspektiven, in: Albers, Sönke/Gassmann, Oliver (Hrsg.): Handbuch Technologie- und Innovationsmanagement: Strategie – Umsetzung – Controlling, Gabler, Wiesbaden, 2005, S. 121-136.
280
Literaturverzeichnis
Lindlbauer, Jürg D. (1995): Beispiele für Konjunkturindikatoren: Ausgewählte Einzelindikatoren, in: Oppenländer, Karl H. (Hrsg.): Konjunkturindikatoren: Fakten, Analysen, Verwendung, Oldenbourg, München, Wien, 1995, S. 70-82. Loew, Hans-Christian (1999): Frühwarnung, Früherkennung, Frühaufklärung: Entwicklungsgeschichte und theoretische Grundlagen, in: Henckel von Donnersmarck, Marie/Schatz, Roland (Hrsg.): Frühwarnsysteme, Innovatio, Bonn et al., 1999, S. 1947. Löhneysen, Gisela von (1982): Die rechtzeitige Erkennung von Unternehmenskrisen mit Hilfe von Frühwarnsystemen als Voraussetzung für ein wirksames Krisenmanagement, Göttingen, 1982. Lucke, Claus (2001): Investitionsprojekte mit mehreren Realoptionen: Bewertung und Analyse, Wissenschaft & Praxis, Sternenfels, 2001. Luhmann, Niklas (2008): Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie, 12. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2008. Luhmann, Niklas/Baecker, Dirk (2008): Einführung in die Systemtheorie, 3. Auflage, Auer, Heidelberg, 2008. Lüthy, Martin (1988): Unternehmenskrisen und Restrukturierungen: Bank und Kreditnehmer im Spannungsfeld existentieller Unternehmenskrisen, Haupt, Bern, Stuttgart, 1988. Malik, Fredmund (2000): Systemisches Management, Evolution, Selbstorganisation, 2., überarbeitete Auflage, Haupt, Bern, Stuttgart, 2000. Malik, Fredmund (2008): Strategie des Managements komplexer Systeme, 10. Auflage, Haupt, Bern, Stuttgart, 2008. Malik, Fredmund/Probst, Gilbert J. B. (1981): Evolutionäres Management, in: Die Unternehmung, 35 Jg., Heft 2, 1981, S. 121-140. March, James G. (1981): Footnotes to Organizational Change, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 26, No. 4, 1981, S. 563-577. Martin, Albert (1989): Die empirische Forschung in der Betriebswirtschaftslehre: Eine Untersuchung über die Logik der Hypothesenprüfung, die empirische Forschungspraxis und die Möglichkeit einer theoretischen Fundierung realwissenschaftlicher Untersuchungen, Poeschel, Stuttgart, 1989. Maslow, Abraham H. (1943): A Theory of Human Motivation, in: Psychological Review, Vol. 50, 1943, S. 370-396. Maturana, Humberto R. (2000): Kognition, in: Schmidt, Siegfried (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, 8. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2000, S. 89118. Maturana, Humberto R./Varela, Francisco J. (1987): Der Baum der Erkenntnis: Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, 3. Auflage, Scherz, Bern, München, 1987. Mausfeld, Rainer (2005): Wahrnehmungspsychologie, in: Schütz, Astrid/Selg, Herbert/Lautenbacher, Stefan (Hrsg.): Psychologie: Eine Einführung in ihre Grundla-
Literaturverzeichnis
281
gen und Anwendungsfehler, 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Kohlhammer, Stuttgart, 2005, S. 106-130. Mayring, Philipp (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung, 5. Auflage, Beltz, Weinheim, Basel, 2002. McKelvey, Bill (1982): Organizational Systematics: Taxonomy, Evolution, Classification, University of California Press, Berkeley, 1982. McKelvey, Bill/Aldrich, Howard (1983): Populations, Natural Selection, and Applied Organizational Science, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 28, No. 1, 1983, S. 101128. Mensch, Gerhard (2002): Investitionen: Investitionsrechnung in der Planung und Beurteilung von Investitionen, Oldenbourg, München, Wien, 2002. Mento, Anthony J./Jones, Raymond M./Dirndorfer, Walter (2002): A Change Management Process: Grounded in both Theory and Practice, in: Journal of Change Management, Vol. 3, No. 1, 2002, S. 45-59. Merten, Klaus (1999): Einführung in die Kommunikationswissenschaft: Band 1/1: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft, Lit, Münster et al., 1999. Merten, Klaus (2001): Determinanten des Issues Management, in: Röttger, Ulrike (Hrsg.): Issues Management: Theoretische Konzepte und praktische Umsetzung. Eine Bestandsaufnahme, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2001, S. 41-57. Mezias, Stephen J./Lant, Theresa K. (1994): Mimetic Learning and the Evolution of Organizational Populations, in: Baum, Joel A. C./Singh, Jitendra V. (Hrsg.): Evolutionary Dynamics of Organizations, Oxford University Press, New York, Oxford, 1994, S. 179-198. Miller, Danny (1991): Stale in the Saddle: CEO Tenure and the Match between Organization and Environment, in: Management Science, Vol. 37, No. 1, 1991, S. 34-52. Miller, Danny/Friesen, Peter H. (1980): Momentum and Revolution in Organizational Adaptation, in: Academy of Management Journal, Vol. 23, No. 4, 1980, S. 591-614. Miller, Danny/Shamsie, Jamal (2001): Learning across the Life Cycle: Experimentation and Performance among the Hollywood Studio Heads, in: Strategic Management Journal, Vol. 22, No. 8, 2001, S. 725-745. Miner, Anne S./Amburgey, Terry L./Stearns, Timothy M. (1990): Interorganizational Linkages and Population Dynamics: Buffering and Transformational Shields, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 35, No. 4, 1990, S. 689-713. Minssen, Heiner (1994): Der soziale Prozeß betrieblichen Wandels, in: Lauschke, Karl/Welskopp, Thomas (Hrsg.): Mikropolitik im Unternehmen: Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhunderts, Klartext, Essen, 1994, S. 16-47. Moldenhauer, Ralf (2004): Krisenbewältigung in der New Economy: Sanierungsansätze und Handlungsempfehlungen für Gründungs- und Wachstumsunternehmen, Gabler, Wiesbaden, 2004.
282
Literaturverzeichnis
Molitor, Martha A. (1979): The Hohokam-Toltec Connection: A Study in Culture Diffusion, California State University, Fullerton, 1979. Mugler, Josef (1998): Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe, 3., überarbeitete Auflage, Springer, Wien, New York, 1998. Müller, Christian D. (2005): Vertrauensschaffende Kommunikation im Unternehmenswandel - Erkenntnisse aus dem "D-Check" der Deutschen Lufthansa AG, Difo-Druck, Bamberg, 2005. Müller, Günter (1981): Strategische Frühaufklärung, Kirsch, Herrsching, 1981. Müller, Rainer (1986): Krisenmanagement in der Unternehmung: Vorgehen, Maßnahmen und Organisation, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Lang, Frankfurt am Main et al., 1986. Neisser, Ulrich (1979): Kognition und Wirklichkeit: Prinzipien und Implikationen der kognitiven Psychologie, Klett-Cotta, Stuttgart, 1979. Nelson, Richard R./Winter, Sidney G. (1982): An Evolutionary Theory of Economic Change, Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge, 1982. Nerb, Gernot (2005): Konjunkturindikatoren, in: Frey, Dieter/Rosenstiel, Lutz von/Graf Hoyos, Carl (Hrsg.): Wirtschaftspsychologie, Beltz, Weinheim, Basel, 2005, S. 204209. Nerdinger, Friedemann W. (1995): Motivation und Handeln in Organisationen: Eine Einführung, Kohlhammer, Stuttgart, 1995. Neuberger, Oswald (1995): Mikropolitik: Der alltägliche Aufbau und Einsatz von Macht in Organisationen, Enke, Stuttgart, 1995. Neuberger, Oswald (2002): Führen und führen lassen: Ansätze, Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung, 6. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart, 2002. Neuberger, Oswald (2006): Mikropolitik und Moral in Organisationen: Herausforderung der Ordnung, 2., völlig neu bearbeitete Auflage, Lucius & Lucius, Stuttgart, 2006. Neumann, Andreas M. (2004): Partizipative Früherkennung von Chancen und Risiken: Perspektiven und Bedingungen für neue Ansätze zur langfristigen Sicherung der Existenz von Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze, Hampp, München, Mering, 2004. Niemeier, Norbert (2000): Organisatorischer Wandel aus Sicht der Synergetik: Das Beispiel ökologischer Veränderungsprozesse, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2000. Nill, Alexander (2005): Konfliktmanagement in Ad-hoc-Krisen, in: Burmann, Christoph/Freiling, Jörg/Hülsmann, Michael (Hrsg.): Management von Ad-hoc-Krisen: Grundlagen - Strategien - Erfolgsfaktoren, Gabler, Wiesbaden, 2005, S. 555-572. Nippa, Michael (2001): Intuition und Emotion in der Entscheidungsforschung: State-of-theArt und aktuelle Forschungsrichtungen, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter/Sydow, Jörg (Hrsg.): Emotionen und Management, Managementforschung 11, Gabler, Wiesbaden, 2001, S. 213-247.
Literaturverzeichnis
283
O.V. (1990): Duden, Nr. 5: Das Fremdwörterbuch, 5., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Dudenverlag, Mannheim et al., 1990. O.V. (2006a): Brockhaus Enzyklopädie, Band 14, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Brockhaus, Leipzig, Mannheim, 2006. O.V. (2006b): Brockhaus Enzyklopädie, Band 15, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Brockhaus, Leipzig, Mannheim, 2006. O.V. (2006c): Brockhaus Enzyklopädie, Band 27, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Brockhaus, Leipzig, Mannheim, 2006. O.V. (2006d): Brockhaus Enzyklopädie, Band 30, 21., völlig neu bearbeitete Auflage, Brockhaus, Leipzig, Mannheim, 2006. Oelsnitz, Dietrich von der (1993): Prophylaktisches Krisenmanagement durch antizipative Unternehmensflexibilisierung: Theoretische und konzeptionelle Grundzüge der Flexiblen Organisation, Eul, Bergisch Gladbach, Köln, 1993. Olfert, Klaus (2001): Investitionen, 8., überarbeitete und erweiterte Auflage, Kiehl, Ludwigshafen (Rhein), 2001. Olten, Rainer (1995): Wettbewerbstheorie und Wettbewerbspolitik, Oldenbourg, München, Wien, 1995. Ortega-Argilés, Raquel /Moreno, Rosina /Caralt, Jordi S. (2005): Ownership Structure and Innovation: Is there a Real Link?, in: Annals of Regional Science, Vol. 39, 2005, S. 637–662. Ortmann, Günther (2001): Emotionen und Entscheidung, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter/Sydow, Jörg (Hrsg.): Emotionen und Management, Managementforschung 11, Gabler, Wiesbaden, 2001, S. 277-323. Pfeffer, Jeffrey (1993): Barriers to the Advance of Organizational Science: Paradigm Development as a Dependent Variable, in: Academy of Management Review, Vol. 18, No. 4, 1993, S. 599-620. Pfohl, Hans-Christian (2006): Abgrenzung der Klein- und Mittelbetriebe von Großbetrieben, in: Pfohl, Hans-Christian (Hrsg.): Betriebswirtschaftslehre der Mittel- und Kleinbetriebe: Größenspezifische Probleme und Möglichkeiten zu ihrer Lösung, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Erich Schmidt, Berlin, 2006, S. 1-24. Phillips, Margaret E. (1994): Industry Mindsets: Exploring the Cultures of Two Macroorganizational Settings, in: Organization Science, Vol. 5, No. 3, 1994, S. 384-402. Pinkwart, Andreas (1992): Chaos und Unternehmenskrise, Gabler, Wiesbaden, 1992. Plattner, Dankwart (2002): Warum Firmen Pleite machen: Der Einfluss finanzieller Kennziffern und anderer Faktoren auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit kleiner und mittlerer Unternehmen, in: Mittelstands- und Strukturpolitik, 28 Jg., 2002, S. 37-54. Pohl, Herbert (1977): Krisen in Organisationen: Eine explorative Untersuchung mit Hilfe empirischer Fallstudien, Mannheim, 1977.
284
Literaturverzeichnis
Porter, Michael E. (2004): Competitive Strategy: Techniques for Analyzing Industries and Competitors, Free Press, New York et al., 2004. Preis, Albert (1995): Strategisches Controlling, Gabler, Wiesbaden, 1995. Probst, Gilbert J. B. (1987): Selbst-Organisation: Ordnungsprozesse in sozialen Systemen aus ganzheitlicher Sicht, Parey, Berlin, Hamburg, 1987. Probst, Gilbert J. B. (1994): Organisationales Lernen und die Bewältigung von Wandel, in: Gomez, Peter et al. (Hrsg.): Unternehmerischer Wandel: Konzepte zur organisatorischen Erneuerung, Gabler, Wiesbaden, 1994, S. 295-320. Probst, Gilbert J. B./Büchel, Bettina S. T. (1998): Organisationales Lernen: Wettbewerbsvorteil der Zukunft, 2., aktualisierte Auflage, Gabler, Wiesbaden, 1998. Ranger-Moore, James (1997): Bigger may be Better, but is Older Wiser? Organizational Age and Size in the New York Life Insurance Industry, in: American Sociological Review, Vol. 62, No. 6, 1997, S. 903-920. Rank, Olaf N. (2003): Formale und informale Organisationsstrukturen: Eine Netzwerkanalyse des strategischen Planungs- und Entscheidungsprozesses multinationaler Unternehmen, Gabler, Wiesbaden, 2003. Räss, Hugo E. (1982): Die Restrukturierung von Unternehmen aus der Sicht der kreditgebenden Bank, Haupt, Bern, Stuttgart, 1982. Raubach, Ulrich (1983): Früherkennung von Unternehmenskrisen: Dargestellt am Beispiel von Handwerksbetrieben, Lang, Frankfurt am Main et al., 1983. Rauscher, Lars-Heiko (2004): Strategische Frühaufklärung, Eul, Lohmar, Köln, 2004. Reichmann, Thomas (1985): Grundlagen einer systemgestützten Controlling-Konzeption mit Kennzahlen, in: ZfB, 55 Jg., Heft 9, 1985, S. 887-898. Rheinberg, Falko (2006): Intrinsische Motivation und Flow-Erleben, in: Heckhausen, Jutta/Heckhausen, Heinz (Hrsg.): Motivation und Handeln, 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Springer, Berlin, 2006, S. 331-354. Rieckmann, Heijo (1991): Organisationsentwicklung - von der Euphorie zu den Grenzen, in: Sattelberger, Thomas (Hrsg.): Die lernende Organisation: Konzepte für eine neue Qualität der Unternehmensentwicklung, Gabler, Wiesbaden, 1991, S. 125-143. Roberto, Michael A./Bohmer, Richard M. J./Edmondson, Amy C. (2006): Facing Ambiguous Threats, in: Harvard Business Review, Vol. 84, No. 11, 2006, S. 106-113. Rohracher, Hubert (1988): Einführung in die Psychologie, 13., neu ausgestattete Auflage, PsychologieVerlagsUnion, München, Weinheim, 1988. Roland Berger Strategy Consultants (2003): Restrukturierung in Deutschland - früher, schneller und härter, aber noch nicht gut genug, Düsseldorf, 2003. Roland Berger Strategy Consultants (2006): Restrukturierung in Deutschland, Düsseldorf, 2006.
Literaturverzeichnis
285
Roll, Martin (2004): Strategische Frühaufklärung: Vorbereitung auf eine ungewisse Zukunft am Beispiel des Luftverkehrs, Gabler, Wiesbaden, 2004. Romanelli, Elaine/Tushman, Michael L. (1994): Organizational Transformation as Punctuated Equilibrium: An Empirical Test, in: Academy of Management Journal, Vol. 37, No. 5, 1994, S. 1141-1166. Roselieb, Frank (1999): Empirische Befunde zu Frühwarnsystemen in der internen und externen Unternehmenskommunikation, in: Henckel von Donnersmarck, Marie/Schatz, Roland (Hrsg.): Frühwarnsysteme, Innovatio, Bonn et al., 1999, S. 85105. Rosenboom, Claudia (2004): Internationales strategisches Marketing mittelständischer Unternehmen: Eine empirische Analyse am Beispiel des Eintritts deutscher Unternehmen in den Markt Großbritannien, Shaker, Aachen, 2004. Rosenstiel, Lutz von (2003): Grundlagen der Organisationspsychologie: Basiswissen und Anwendungshinweise, 5., überarbeitete Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2003. Ross, Stephen A. (1973): The Economic Theory of Agency: The Principal's Problem, in: American Economic Review, Vol. 63, No. 2, 1973, S. 134-139. Roth, Gerhard (1985): Die Selbstreferentialität des Gerhirns und die Prinzipien der Gestaltwahrnehmung, in: Gestalt Theory, 7 Jg., Heft 4, 1985, S. 228-244. Roth, Gerhard (2000a): Das Gehirn und seine Wirklichkeit: Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen, 5., überarbeitete Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2000. Roth, Gerhard (2000b): Erkenntnis und Realität: Das reale Gehirn und seine Wirklichkeit, in: Schmidt, Siegfried (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, 8. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2000, S. 229-255. Röthig, P. (1976): Organisation und Krisenmanagement: Zur organisatorischen Gestaltung der Unternehmung unter den Bedingungen eines Krisenmanagements, in: Zeitschrift Führung + Organisation, 45 Jg., Heft 1, 1976, S. 13-20. Röttger, Ulrike (2001): Issues Management - Mode, Mythos oder Managementfunktion? Begriffsklärung und Forschungsfragen: Eine Einleitung, in: Röttger, Ulrike (Hrsg.): Issues Management: Theoretische Konzepte und praktische Umsetzung. Eine Bestandsaufnahme, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2001, S. 11-39. Röttger, Ulrike (2005): Strategisches Issue Management: Konzepte und organisatorische Gestaltung, in: Zeitschrift Führung + Organisation, 74 Jg., Heft 3, 2005, S. 139-146. Ruef, Martin (1997): Assessing Organizational Fitness on a Dynamic Landscape: An Empirical Test of the Relative Inertia Thesis, in: Strategic Management Journal, Vol. 18, No. 11, 1997, S. 837-853. Rühli, Edwin (1991): Unternehmenskultur: Konzepte und Methoden, in: Rühli, Edwin/Keller, Andrea (Hrsg.): Kulturmanagement in schweizerischen Industrieunternehmungen, Haupt, Bern, Stuttgart, 1991, S. 9-49. Sanchez, Julio C. (1993): The Long and Thorny Way to an Organizational Taxonomy, in: Organization Studies, Vol. 14, No. 1, 1993, S. 73-92.
286
Literaturverzeichnis
Sastry, M. Anjali (1997): Problems and Paradoxes in a Model of Punctuated Organizational Change, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 42, No. 2, 1997, S. 237-275. Schäcke, Mirco (2006): Pfadabhängigkeit in Organisationen: Ursache für Widerstände bei Reorganisationsprojekten, Duncker & Humblot, Berlin, 2006. Schaefer, Scott (1998): Influence Costs, Structural Inertia, and Organizational Change, in: Journal of Economic & Management Strategy, Vol. 7, No. 2, 1998, S. 237-263. Schäfer, Henry (1999): Unternehmensinvestitionen: Grundzüge in Theorie und Management, Physica, Heidelberg, 1999. Schäffer, Utz/Brettel, Tanja (2005): Ein Plädoyer für Fallstudien, in: Zeitschrift für Controlling & Management, 49 Jg., Heft 1, 2005, S. 43-46. Schanz, Günther (1994): Organisationsgestaltung: Management von Arbeitsteilung und Koordination, 2., neu bearbeitete Auflage, Vahlen, München, 1994. Schanz, Günther (2000): Personalwirtschaftslehre: Lebendige Arbeit in verhaltenswissenschaftlicher Perspektive, 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Vahlen, München, 2000. Scheffer, David/Heckhausen, Heinz (2006): Eigenschaftstheorien der Motivation, in: Heckhausen, Jutta/Heckhausen, Heinz (Hrsg.): Motivation und Handeln, 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Springer, Berlin, 2006, S. 45-72. Schirmer, Frank (1999): Reorganisationsmanagement: Interessenkonflikte, Koalitionen des Wandels und Reorganisationserfolg, Gabler, Wiesbaden, 1999. Schmalt, Heinz-Dieter/Heckhausen, Heinz (2006): Machtmotivation, in: Heckhausen, Jutta/Heckhausen, Heinz (Hrsg.): Motivation und Handeln, 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Springer, Berlin, 2006, S. 211-234. Schmidt, Heinrich (1991): Philosophisches Wörterbuch, 22. Auflage, neu bearbeitet von Georgi Schischkoff, Körner, Stuttgart, 1991. Schmidt, Margit (1996): Widerstände bei organisatorischem Wandel: Mechanismen bei Veränderungsprozessen in Unternehmensorganisationen, Lang, Frankfurt am Main, 1996. Schmidt, Siegfried (2000): Der Radikale Konstruktivismus: Ein neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs, in: Schmidt, Siegfried (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, 8. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2000, S. 11-88. Schmidt, Siegfried (2002): Vom Text zum Literatursystem: Skizze einer konstruktivistischen (empirischen) Literaturwissenschaft, in: Gumin, Heinz/Meier, Heinrich (Hrsg.): Einführung in den Konstruktivismus, 6. Auflage, Piper, München, 2002, S. 147-166. Schoemaker, Paul J. H./Day, George S. (2006): What's That You See?, in: Associations Now, Vol. 2, No. 11, 2006, S. 64-70. Scholl, Wolfgang (1992): Informationspathologien, in: Frese, Erich (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation, 3., völlig neu gestaltete Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1992, Sp. 900-912.
Literaturverzeichnis
287
Scholz, Ute (2002): Anreize und Auswirkungen variabler Vergütungsinstrumente: Eine praktische Untersuchung monetärer Anreizmodelle bei der DaimlerChrysler Ludwigsfelde GmbH, Universität Hamburg, Hamburg, 2002. Schreyögg, Georg (1998): Organisation: Grundlagen moderner Organisationsgestaltung, 2., überarbeitete Auflage, Gabler, Wiesbaden, 1998. Schreyögg, Georg (2004): Krisenmanagement: Theoretische Grundlagen und praktische Maßnahmen, in: Heintzen, Markus/Kruschwitz, Lutz (Hrsg.): Unternehmen in der Krise: Ringvorlesung der Fachbereiche Rechts- und Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin im Sommersemester 2003, Duncker & Humblot, Berlin, 2004, S. 13-36. Schreyögg, Georg (2008): Organisation: Grundlagen moderner Organisationsgestaltung, 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Gabler, Wiesbaden, 2008. Schreyögg, Georg/Sydow, Jörg/Koch, Jochen (2003): Organisatorische Pfade: Von der Pfadabhängigkeit zur Pfadkreation?, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter/Sydow, Jörg (Hrsg.): Strategische Prozesse und Pfade, Managementforschung 13, Gabler, Wiesbaden, 2003, S. 257-294. Schüerhoff, Vera (2006): Vom individuellen zum organisationalen Lernen: Eine konstruktivistische Analyse, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2006. Schulten, Marc F. (1995): Krisenmanagement, Verlag für Wissenschaft und Forschung, Berlin, 1995. Schulz, Jürgen (2001): Issues Management im Rahmen der Risiko- und Krisenkommunikation, in: Röttger, Ulrike (Hrsg.): Issues Management: Theoretische Konzepte und praktische Umsetzung. Eine Bestandsaufnahme, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, 2001, S. 217-234. Schulz von Thun, Friedemann (1981): Miteinander reden 1 - Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1981. Segler, Tilman (1985): Die Evolution von Organisationen: Ein evolutionstheoretischer Ansatz zur Erklärung der Entstehung und des Wandels von Organisationsformen, Lang, Frankfurt am Main et al., 1985. Seidl, David (2004): The Concept of "Weak Signals" Revisited: A Re-description From a Constructivist Perspective, in: Tsoukas, Haridimos/Shepherd, Jill (Hrsg.): Managing the Future: Foresight in the Knowledge Economy, Blackwell, Malden, MA, 2004, S. 151-168. Senge, Peter (2006): Die fünfte Disziplin: Kunst und Praxis der lernenden Organisation, 10. Auflage, Klett-Cotta, Stuttgart, 2006. Sepp, Holger M. (1996): Strategische Frühaufklärung: Eine ganzheitliche Konzeption aus ökologieorientierter Perspektive, Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 1996. Shannon, Claude E./Weaver, Warren (1963): The Mathematical Theory of Communication, University of Illinois Press, Urbana, Chicago, 1963.
288
Literaturverzeichnis
Simon, Dieter (1986): Schwache Signale: Die Früherkennung von strategischen Diskontinuitäten durch Erfassung von "weak signals", Service, Fachverlag an der Wirtschaftsuniversität Wien, Wien, 1986. Simon, Herbert A. (1959): Theories of Decision Making in Economics and Behavioural Science, in: American Economic Review, Vol. 49, No. 3, 1959, S. 253-283. Singh, Jitendra V./House, Robert J./Tucker, David J. (1986): Organizational Change and Organizational Mortality, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 31, No. 4, 1986, S. 587-611. Singh, Jitendra V./Lumsden, Charles J. (1990): Theory and Research in Organizational Ecology, in: Annual Review of Sociology, Vol. 16, No. 1, 1990, S. 161-195. Slatter, Stuart/Lovett, David (1999): Corporate Turnaround: Managing Companies in Distress, Penguin, London, 1999. Sorg, Stefan (1982): Informationspathologien und Erkenntnisfortschritt in Organisationen, Kirsch, Herrsching, 1982. Spender, John-Christopher (1989): Industry Recipes: An Inquiry into the Nature and Sources of Managerial Judgement, Basil Blackwell, Oxford, 1989. Staber, Udo (2002): Der evolutionstheoretische Ansatz in der Organisationsforschung: Einblicke und Aussichten, in: Schreyögg, Georg/Conrad, Peter (Hrsg.): Theorien des Managements, Managementforschung 12, Gabler, Wiesbaden, 2002, S. 113146. Staehle, Wolfgang H. (1999): Management: Eine verhaltenswissenschaftliche Perspektive, 8., überarbeitete Auflage (überarbeitet von Peter Conrad und Jörg Sydow), Vahlen, München, 1999. Steger, Ulrich/Winter, Matthias (1996): Strategische Früherkennung zur Antizipation ökologisch motivierter Marktveränderungen, in: Die Betriebswirtschaft, 56 Jg., Heft 5, 1996, S. 607-630. Steinle, Claus (2000): Unternehmensvitalisierung: "Schwache" Signale eines "starken" Trends, in: Steinle, Claus (Hrsg.): Unternehmensvitalisierung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt am Main, 2000, S. 18-50. Steinmann, Horst (1978): Die Betriebswirtschaft als normative Handlungswissenschaft, in: Steinmann, Horst (Hrsg.): Die Betriebswirtschaft als normative Handlungswissenschaft: Zur Bedeutung der Konstruktiven Wissenschaftstheorie für die Betriebswirtschaftslehre, Gabler, Wiesbaden, 1978, S. 73-102. Steinmann, Horst/Schreyögg, Georg (2005): Management: Grundlagen der Unternehmensführung; Konzepte, Funktionen, Fallstudien, 6., vollständig überarbeitete Auflage, Gabler, Wiesbaden, 2005. Stinchcombe, Arthur L. (1965): Social Structure and Organizations, in: March, James G. (Hrsg.): Handbook of Organizations, Rand McNally, Chicago, 1965, S. 153-193. Sydow, Jörg/Schreyögg, Georg/Koch, Jochen (2005): Organizational Paths: Path Dependency and Beyond, Manuskript, Berlin, 2005.
Literaturverzeichnis
289
Tannenbaum, Robert/Schmidt, Warren H. (1958): How to Choose A Leadership Pattern, in: Harvard Business Review, Vol. 36, No. 2, 1958, S. 95-101. Töpfer, Armin (1985): Analyse von Insolvenzursachen, in: Schimke, Ernst/Töpfer, Armin (Hrsg.): Krisenmanagement und Sanierungsstrategien, 2. Auflage, moderne industrie, Landsberg, 1985, S. 158-171. Töpfer, Armin (1990): Insolvenzursachen - Turnaround - Erfolgsfaktoren: Zehn Grundsätze für erfolgreiche Unternehmensführung, in: Zeitschrift Führung + Organisation, 59 Jg., Heft 6, 1990, S. 407-414. Töpfer, Armin (1999): Plötzliche Unternehmenskrisen: Gefahr oder Chance? Grundlagen des Krisenmanagement, Praxisfälle, Grundsätze zur Krisenvorsorge, Luchterhand, Neuwied, Kriffel, 1999. Trautmann, Siegfried (2006): Investitionen: Bewertung, Auswahl und Risikomanagement, Springer, Berlin, Heidelberg, 2006. Trebesch, Karsten (1982): 50 Definitionen der Organisationsentwicklung - und kein Ende, oder: Würde Einigkeit stark machen?, in: Organisationsentwicklung, 1 Jg., Heft 2, 1982, S. 37-62. Türk, Klaus (1989): Neuere Entwicklungen in der Organisationsforschung: Ein TrendReport, Enke, Stuttgart, 1989. Tushman, Michael L./Anderson, Philip (1986): Technological Discontinuities and Organizational Environments, in: Administrative Science Quarterly, Vol. 31, No. 3, 1986, S. 439-465. Tushman, Michael L./Newman, William H./Romanelli, Elaine (1986): Convergence and Upheaval: Managing the Unsteady Pace of Organizational Evolution, in: California Management Review, Vol. 29, No. 1, 1986, S. 29-44. Tushman, Michael L./Romanelli, Elaine (1985): Organizational Evolution: A Metamorphosis Model of Convergence and Reorientation, in: Research in Organizational Behavior: An Annual Series of Analytical Essays and Critival Reviews, Vol. 7, 1985, S. 171222. Van de Ven, Andrew H./Poole, Marshall S. (1995): Explaining Development and Change in Organizations, in: Academy of Management Review, Vol. 20, No. 3, 1995, S. 510540. Voigt, Jörn F. (1990): Familienunternehmen: Im Spannungsfeld zwischen Eigentum und Fremdmanagement, Gabler, Wiesbaden, 1990. Vuia, Mihai (2007): Die Verantwortlichkeit von Banken in der Krise von Unternehmen, Duncker & Humblot, Berlin, 2007. Watzlawick, Paul/Beavin, Janet H./Jackson, Don D. (2007): Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien, 11., unveränderte Auflage, Huber, Bern, 2007. Weber, Jürgen (2005): Das Advanced-Controlling-Handbuch: Alle entscheidenden Konzepte, Steuerungssysteme und Instrumente, Wiley-Vch, Weinheim, 2005.
290
Literaturverzeichnis
Weber, Philipp (1980): Krisenmanagement: Organisation, Ablauf und Hilfsmittel der Führung, Lang, Bern et al., 1980. Weibler, Jürgen/Deeg, Jürgen (1999): Und noch einmal: Darwin und die Folgen für die Organisationstheorie, in: Die Betriebswirtschaft, 59 Jg., Heft 3, 1999, S. 297-315. Weick, Karl E. (1995): Der Prozeß des Organisierens, Suhrkamp, Frankfurt am Main et al., 1995. Weigand, Andreas/Buchner, Holger (2000): Früherkennung in der Unternehmenssteuerung: Navigation für Unternehmen in turbulenten Zeiten, in: Horváth & Partner (Hrsg.): Früherkennung in der Unternehmenssteuerung, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2000, S. 1-36. Weinert, Ansfried B. (1992): Anreizsysteme, verhaltenswissenschaftliche Dimension, in: Frese, Erich (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation, 3., völlig neu gestaltete Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1992, S. 122-133. Welge, Martin K./Al-Laham, Andreas (1992): Planung: Prozesse - Strategien - Maßnahmen, Gabler, Wiesbaden, 1992. Welge, Martin K./Al-Laham, Andreas (1999): Strategisches Management: Grundlagen Prozess - Implementierung, 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage, Gabler, Wiesbaden, 1999. Werder, Axel von (2004): Organisatorische Gestaltung, in: Schreyögg, Georg/Werder, Axel von (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4., völlig neu bearbeitete Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2004, Sp. 1088-1101. Wiechers, Ralph (2006): Familienmanagement zwischen Unternehmen und Familie: Zur Handhabung typischer Eigenarten von Unternehmersfamilien und Familienunternehmen, Auer, Heidelberg, 2006. Wiedmann, Klaus-Peter (1985): Konzeptionelle und methodische Grundlagen der Früherkennung, in: Raffée, Hans/Wiedmann, Klaus-Peter (Hrsg.): Strategisches Marketing, Poeschel, Stuttgart, 1985, S. 301-348. Wieselhuber, Norbert (1985): Früherkennug von Insolvenzgefahren, in: Schimke, Ernst/Töpfer, Armin (Hrsg.): Krisenmanagement und Sanierungsstrategien, 2. Auflage, moderne industrie, Landsberg, 1985, S. 172-186. Wildemann, Horst (1995): Ein Ansatz zur Steigerung der Reorganisationsgeschwindigkeit von Unternehmen: Die Lernende Organisation, in: ZfB Ergänzungsheft: Lernende Unternehmen, Heft 3, 1995, S. 1-23. Wilden, Patrick (1998): § 1 Praxisorientierte Verfahren zur Früherkennung von Unternehmenskrisen und Insolvenzgefahren, in: Buth, Andrea K./Hermanns, Michael (Hrsg.): Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz: Handbuch, Beck, München, 1998, S. 1-23. Wilensky, Harold L. (1967): Organizational Intelligence: Knowledge and Policy in Government and Industry, Basic Books, New York, 1967. Williams, Allan P. O. (2001): A Belief-Focused Process Model of Organizational Learning, in: Journal of Management Studies, Vol. 38, No. 1, 2001, S. 67-85.
Literaturverzeichnis
291
Witte, Eberhard (1981): Die Unternehmenskrise: Anfang vom Ende oder Neubeginn?, in: Bratschitsch, Rudolf/Schnellinger, Wolfgang (Hrsg.): Unternehmenskrisen: Ursachen, Frühwarnung, Bewältigung, Poeschel, Stuttgart, 1981, S. 7-24. Woeste, Klaus (1980): Vorbeugende Maßnahmen gegen (finanzielle) Krisen in Unternehmen, in: ZfB, 50 Jg., Heft 6, 1980, S. 620-637. Wolter, Hans-Jürgen/Hauser, Hans-Eduard (2001): Die Bedeutung des Eigentümerunternehmens in Deutschland: Eine Auseinandersetzung mit der qualitativen und quantitativen Definition des Mittelstands, in: Bonn, Institut für Mittelstandsforschung (Hrsg.): Jahrbuch zur Mittelstandsforschung 1/2001, Nr. 90 NF, Deutscher Universitäts-Verlag, Bonn, 2001, S. 25-77. Wunderer, Rolf (2006): Führung und Zusammenarbeit: Eine unternehmerische Führungslehre, 6., überarbeitete Auflage, Luchterhand, München, Neuwied, 2006. Wunderer, Rolf/Grunwald, Wolfgang (1980): Führungslehre: Grundlagen der Führung, de Gruyter, Berlin, New York, 1980. Yin, Robert K. (2006): Case Study Research: Design and Methods, 3. Auflage, Sage, Thousand Oaks et al., 2006. Young, Ruth C. (1988): Is Population Ecology a Useful Paradigm for the Study of Organizations?, in: American Journal of Sociology, Vol. 94, No. 1, 1988, S. 1-24. Zahn, Erich (1979): Diskontinuitäten im Verhalten sozio-technischer Systeme: Betriebswirtschaftliche Interpretationen und Anwendungen von Theoremen der mathematischen Katastrophentheorie, in: Die Betriebswirtschaft, 39 Jg., 1979, S. 119-141. Zahn, Erich/Greschner, Jürgen (1996): Strategische Erneuerung durch organisationales Lernen, in: Bullinger, Hans-Jörg (Hrsg.): Lernende Organisationen: Konzepte, Methode und Erfahrungsberichte, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 1996, S. 41-74. Zöller, Mike (2006): Begriff der Krise und Begriffsabgrenzung, in: Blöse, Jochen/Kihm, Axel (Hrsg.): Unternehmenskrisen: Ursachen - Sanierungskonzepte - Krisenvorsorge - Steuern, Erich Schmidt, Berlin, 2006, S. 18-31. Zünsdorf, Lutz (1986): Macht, Einfluß, Vertrauen und Verständigung: Zum Problem der Handlungskoordinierung in Arbeitsorganisationen, in: Seltz, Rüdiger (Hrsg.): Organisation als soziales System: Kontrolle und Kommunikationstechnologie in Arbeitsorganisationen, Bohn, Berlin, 1986, S. 33-56. Zurlino, Frank (1995): Zukunftsorientierung von Industrieunternehmen durch strategische Früherkennung, Hanser, München, Wien, 1995.
293
Anhang
Anhang Leitfaden für halbstandardisierte Betroffeneninterviews
Einstiegsfragen
Wie kam es zu der akuten Krisensituation? Mit welchen Charakteristika/Merkmalen lässt sich das Unternehmen im Vorfeld der akuten Krise beschreiben? Warum ist Ihrer Meinung nach im Vorfeld der akuten Krise nicht gehandelt worden? Wie hätte man im Nachhinein betrachtet handeln können?
Abschlussfragen
Gab es zum Zeitpunkt der latenten Krise Instrumente der strategischen Früherkennung? Würden Sie das Unternehmen zum Zeitpunkt der latenten Krise noch als mittelständisch geprägt bezeichnen und warum? Glauben Sie, dass zum Zeitpunkt der latenten Krise Flexibilität in Ihrem Unternehmen gefehlt hat bzw. Trägheitstendenzen vorlagen und warum lagen diese vor?
Detailfragen Veränderungserfahrung Gab es in den Jahren vor der akuten Krise signifikante Veränderungen und durch wen wurden diese initiiert? Gab es mehrere Veränderungen des gleichen Typs? Waren die Erfahrungen mit Veränderungen eher positiv oder negativ? Gab es bestimmte Vorgehensweisen für Veränderungsvorhaben? Wettbewerbsintensität Wie war die Wettbewerbsintensität im Vorfeld und während der latenten Krise? Veränderungsfrequenz der Umwelt Wie war die Anzahl und zeitliche Verteilungen von Veränderungen der Umwelt im Vorfeld und während der latenten Krise? Gab es mehrfache Veränderungen eines Typs?
294
Anhang
Komplexität Wie waren in der latenten Krise die Strukturen, Prozesse, Schnittstellen und Verantwortlichkeiten? Gab es informelle Strukturen und Prozesse und welche Auswirkungen hatten diese? Wie haben sich Strukturen und Prozesse mit dem Unternehmenswachstum verändert? Waren die internen Prozesse und Strukturen in der latenten Krise für die Umwelt- und Unternehmenssituation angemessen ("adäquat komplex")? Entscheidungsstruktur Wie war in der latenten Krise die Entscheidungsstruktur? Eigentumsverhältnisse Hatte die Eigentümerstruktur einen Einfluss in der latenten Krise? Führungsstil Wie war der Führungsstil in und im Vorfeld und während der latenten Krise? Gab es einen dominante Person in der Unternehmensführung? Hat sich der Führungsstil von Top- und mittlerem Management unterschieden? Kommunikationskultur Wie war die Kommunikationskultur in der latenten Krise und im Vorfeld? Gab es auf lateraler Ebene eher Vertrauensverhältnisse oder Konkurrenzdenken? In wie weit war eine direkte Kommunikation der Mitarbeiter und des mittleren Management mit dem Top-Management möglich und erwünscht? Kontinuität des Top-Managements Wie lange waren die Mitglieder des Top-Management zum Zeitpunkt der latenten Kri
se in der Industrie, im Unternehmen und in der Position tätig? Hat der Erfahrungshintergrund des Top-Managements das Handeln in der latenten Krise beeinflusst? Wie "offen" war Ihrer Meinung nach das Top-Management?
Anreizsystem Gab es in der latenten Krise und im Vorfeld erfolgs-/leistungsbasierte Vergütungssysteme? Für wen und wie waren diese ausgestaltet? Gab es eine Form institutionalisierter Jobrotation? Wie war die Mitarbeitermotivation in der latenten Krise? Investitionen Gab es im Vorfeld der strategischen Krise große spezifische Investitionen? Denken Sie, dass der Krisenverlauf ohne die Investitionen anders gewesen wäre?