Wirtschaft – schnell erfasst
Robert Richert
Makroökonomik Schnell erfasst
Mit 77 Abbildungen
123
Reihenherausgeber Dr. iur. Detlef Kröger Prof. Dr. Peter Schuster Autor Professor Dr. Robert Richert FH Schmalkalden Fachbereich Wirtschaft Blechhammer 98574 Schmalkalden
[email protected] Redaktion Claas Hanken Graphiken Dirk Hoffmann
ISSN 1861-7719 ISBN 978-3-540-30698-6 Springer Berlin Heidelberg New York
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Gedruckt auf s¨ aurefreiem Papier
Vorwort Dieses Buch gibt einen Überblick über die traditionelle makroökonomische Theorie. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf der Analyse der klassisch-neoklassischen und der keynesianischen Theorie sowie der (keynesianisch-) neoklassischen Synthese. Es richtet sich an Studenten der Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftswissenschaften an Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien. Die Darstellungsweise orientiert sich daran, den mit der Mikroökonomik vertrauten Leser in die Lage zu versetzen, sich den makroökonomischen Lehrstoff dieses Buchs im Selbststudium anzueignen. Deshalb werden mathematische Darstellungen immer auch durch graphische und verbale Erläuterungen unterfüttert. Zudem finden sich am Ende jedes Kapitels Wiederholungsfragen und Übungsaufgaben mit Lösungsvorschlägen. Mein besonderer Dank gilt meiner studentischen Mitarbeiterin Franziska Ewald, die sich vor allem um die Erstellung zahlreicher Graphiken verdient gemacht hat. Für das Korrekturlesen des Manuskripts und wertvolle Hinweise bin ich meinen Kollegen an der Fachhochschule Schmalkalden, Prof. Dr. Manfred Herbert und Prof. Dr. Wiebke Störmann, sowie meinen Geschwistern Dr. Karen Denni und Dipl.-Kfm. Alden Lee dankbar. Verbliebene Fehler gehen selbstverständlich zu meinen Lasten. »Mildernde Umstände« kann ich nur insofern geltend machen, als dass meine Tochter Luise ihre ersten Lebensmonate auch damit verbracht hat, die Tastatur meines Computers zu entdecken und ergründen. Dafür bin ich ihr ewig dankbar.
Schmalkalden, im März 2007
Prof. Dr. Robert Richert
VII
Inhalt
Inhalt Einführung
1
Klassik-Neoklassik
7
• Arbeitsmarkt • Güter- und Kapitalmarkt • Geldmarkt • Klassisch-Neoklassisches Totalmodell • Wirtschaftspolitische Implikationen • Einkommen-Ausgaben-Modell
41
• Verhaltensgleichungen • Multiplikatoranalyse • IS-LM-Modell
65
• Statische Analyse • Geldpolitik • Fiskalpolitik • Blinder-Solow-Modell
109
• Erweiterungen gegenüber dem IS-LM-Modell • Allgemeiner Staatsausgabenmultiplikator bei Kreditfinanzierung • Geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik • Bondfinanzierte Fiskalpolitik • Mundell-Fleming-Modell
141
• Zahlungsbilanz • Internes und externes Gleichgewicht • Externe Ungleichgewichte im System fester Wechselkurse • Externe Ungleichgewichte im System flexibler Wechselkurse • Geldpolitik • Fiskalpolitik • Neoklassische Synthese
179
• Gesamtwirtschaftliche Nachfrage und gesamtwirtschaftliches Angebot • Geldpolitik • Fiskalpolitik • Lohnpolitik • Multiplikatoranalyse • Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
233
• Originäre Phillips-Kurve (Phillips-Lipsey) • Keynesianische Phillips-Kurve (Samuelson-Solow) • Monetaristische Phillips-Kurve (Friedman-Phelps) • Neuklassische Phillips-Kurve (Lucas-Sargent) • Empirische Phillips-Kurven • Soziale Marktwirtschaft
259
• Definition • Prinzipien • Stabilisierungs- versus Stabilitätspolitik • Gerechtigkeit • Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften
285
Literatur zur Vertiefung
289
Register
293
Einführung
2
Einführung
Die Begriffe »Ökonomik« und »Ökonomie« leiten sich aus dem Griechischen ab: »oikos« heißt wörtlich »Haus«. »Haus« ist in einem weiten Sinne gemeint, ein Äquivalent im Deutschen könnte etwa »Haus und Hof« lauten, das heißt das »Haus« umfasst alle Mitglieder der in einem Haushalt lebenden Großfamilie, Knechte und Mägde – in moderner Terminologie: das Personal –, aber auch Vieh und Ländereien – die Subsistenzwirtschaft – inbegriffen. »Nomos« heißt wörtlich »Gesetz« oder »Regel«, so dass die »Ökonomie« das Regelsystem darstellt, wie »Haus und Hof« zu führen sind. »Ökonomie« könnte daher mit »Hauswirtschaft« übersetzt werden. Dementsprechend ist die »Ökonomik« als »Lehre von der Ökonomie« als »Hauswirtschaftslehre« zu verstehen. In der Literatur wurde der Ausdruck »Ökonomik« erstmals vom griechischen Philosophen und Historiker Xenophon (ca. 428-354 v. Chr.) in dessen »Oikonomikos« verwendet. Im Deutschen wecken die Begriffe »Hauswirtschaft« und »Hauswirtschaftslehre« allerdings andere Assoziationen, so dass sich statt ihrer die Begriffe »Volkswirtschaft« beziehungsweise »Volkswirtschaftslehre« durchgesetzt haben. Das lateinisch-griechische Kompositum »Nationalökonomie« enthält zusätzlich das lateinische Wort »natio«, das im Deutschen »Volk« bedeutet. Werden die »Hauswirtschaften« eines »Volkes« betrachtet, spricht man von der »Volkswirtschaft«. Der Ausdruck »Nationalökonomik« ist als »Lehre vom Regelsystem, wie Haus und Hof in einem Volk zu führen sind«, gleichbedeutend mit »Volkswirtschaftslehre«. Die entsprechenden Bedeutungen werden heutzutage auch übernommen, wenn man nur von »Ökonomie« beziehungsweise »Ökonomik« spricht und den »nationalen« Bestandteil des Wortes unterschlägt. Die »Mikroökonomie« ist das Erkenntnisobjekt der »kleinen« – griechisch: »mikros« – Elemente der »Volkswirtschaft«, die »Mikroökonomik« die Lehre davon. Analog dazu bedeutet »Makroökonomie« das Erkenntnisobjekt der »großen« – griechisch: »makros« – Elemente der Volkswirtschaft, die »Makroökonomik« die Lehre davon. Die Makroökonomik untersucht in Abgrenzung zur Mikroökonomik gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge wie Veränderungen • • • • •
des gesamtwirtschaftlichen Wachstums, nicht des Wachstums einer einzelnen Unternehmung, der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung, nicht der Beschäftigung in einer bestimmten Unternehmung, des gesamtwirtschaftlichen Einkommens, nicht des Einkommens Einzelner, des allgemeinen Preisniveaus, nicht der relativen Preise, des gesamtwirtschaftlichen Außenhandels, nicht der Exporte und Importe Einzelner.
Einführung
Ökonomische Theoriebildung bis zum letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ist im Vergleich zu späteren Arbeiten zumeist rudimentärer Art. Den Stellenwert einer eigenständigen Wissenschaft erhielt die Volkswirtschaftslehre erst vor etwas mehr als zweihundert Jahren mit dem Entstehen der klassischen Ökonomik. Deshalb werden nach herrschender Auffassung alle früheren Autoren zu den »Vorläufern« nationalökonomischen Denkens gerechnet. Unter diesen spielen vor allem griechische Denker der Antike eine herausragende Rolle, was im Folgenden an einigen Beispielen unterstrichen wird: Der Sokrates-Schüler Xenophon untersucht unter anderem die Vorteile der Arbeitsteilung, für die mehr als zwei Jahrtausende später Adam Smith (1723-1790) und David Ricardo (1772-1823) Berühmtheit erlangen sollten. Platon (427-347 v. Chr.), dem die Nachwelt die Aufzeichnungen über die Gedanken seines Lehrers Sokrates (470-399 v. Chr.) zu verdanken hat, gilt als der erste philosophische Idealist und der erste »Akademiker«, da er in Athen in der Nähe des Hains des »Heros Akademos« eine Philosophenschule gegründet hatte. In seiner »Politeia« (»Der Staat«) stellt er ordnungstheoretische Überlegungen an, beschreibt das Idealbild eines Staates und weist sich als Verfechter eines starken Staates aus, der durch Interventionen das freie Spiel der Marktkräfte im Zaume halten solle. Aristoteles (384-322), Schüler des Platon, ist der Begründer der für die Wirtschaftswissenschaften bedeutenden Werttheorie. Er unterscheidet den Gebrauchswert vom Tauschwert: So können Güter mit hohem Gebrauchswert wie Wasser einen niedrigen Tauschwert haben, während Güter mit niedrigem Gebrauchswert wie Diamanten einen hohen Tauschwert aufweisen können. Aristoteles unterscheidet die Ökonomik von der Chrematistik. Während Erstgenannte als Tauschwirtschaftslehre vornehmlich dem Ziel der eigenen Bedarfsdeckung dient, versucht Letztgenannte mit Hilfe der Geldwirtschaftslehre Gewinne zu erzielen. Die Chrematistik wird von Aristoteles abgelehnt, Zinsgewinne verwirft er, da sie unnatürlich seien. Beiträge, die insbesondere das philosophische Fundament von Klassik und Neoklassik, den Utilitarismus, nachhaltig beeinflusst haben, stammen von Aristipp von Kyrene (ca. 435-355 v. Chr.), einem Schüler des Sokrates. Während Aristipp als Begründer des Hedonismus sinnliche Freuden in den Vordergrund stellt, bewertet der zweite bedeutende Hedonist, Epikur (341-271 v. Chr.), geistige Freuden höher als körperliche.
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4
Einführung
Einige Leistungen römischer Denker sollen ebenfalls nicht unterschlagen werden: Der Stoiker Seneca (ca. 4 v. Chr. – 65 n. Chr.), der als einer der reichsten Männer des Römischen Reichs ein bescheidenes Leben geführt hat, nimmt dem Reichtum das Anrüchige und verteidigt ihn, solange er ehrlich erworben und der Reiche in der Lage ist, sich von ihm nicht abhängig zu machen. Ciceros (106-43 v. Chr.) staatstheoretische Abhandlung »De re publica« (»Der Staat«) liefert Erkenntnisse, die aus verfassungsökonomischer Sicht noch heute von Bedeutung sind. Auch die mittelalterlichen Scholastiker liefern Beiträge, auf denen wirtschaftspolitische Diskussionen zum Teil noch heute fußen: Albertus Magnus (1193-1280) und Thomas von Aquin (1225-1274) versuchen die Frage nach dem gerechten Preis (»iustum pretium«) zu beantworten. Während sie Handelsgewinne zum Teil akzeptieren, vertreten sie bezüglich des Zinsnehmens eine Auffassung, die noch heute in islamischen Volkswirtschaften in Ehrerbietung des Korans die vorherrschende ist: Generell gilt das Verbot eines ex ante fixierten Zinssatzes, ein Strafzins ist jedoch bei säumiger Rückzahlung eines an sich zinslosen Kredits gerechtfertigt, da der Gläubiger einen hypothetischen Verlust erleidet. Johannes Duns Scotus (ca. 1266-1308) rechtfertigt ebenfalls Handelsgewinne, da dem Händler auch Kosten entstünden. Scotus verbessert die Reputation der »nichts produzierenden« Händler in erheblicher Weise, indem er sie zur (ökonomisch) »fruchtbaren Klasse« rechnet.
DENKER, SCHOLASTIKER, MERKATILISTEN
Einführung
Die Merkantilisten sind Verfechter eines Protektionismus, der inländische Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz »schützt«, und vermögen im Außenhandel keine beiderseitigen Vorteile zu erkennen. Die Merkantilisten treten in Deutschland als Kameralisten, in Frankreich als Colbertisten und in England als Bullionisten in Erscheinung. Die Bullionisten betonen die hohe Bedeutung, die den Gold- und Siberreserven eines Landes – »gold bullion« bedeutet »Goldbarren« – zukommt. Sie verkennen allerdings die Gefahren einer importierten Inflation, die auftreten kann, wenn auf Dauer mehr Gold und Silber in ein Land eingeführt wird, ohne dass entsprechende Gegenwerte abfließen. Die französischen Merkantilisten haben ihre Blütezeit unter dem französischen Finanzminister Colbert (1661-1683). Der Colbertismus ist eine Politik rigider staatlicher Regulierung, die Produktionsweisen festlegt und sogar Experten verbietet, das Land zu verlassen. In Deutschland liegt das Hauptaugenmerk auf einer aktiven Bevölkerungspolitik sowie im Finanz- und Rechnungswesen. Für die Kameralisten sind eine zunehmende Bevölkerung und ein ausgetüfteltes Steuersystem der Schlüssel zur Maximierung der Einnahmen der »Fürstenkammer« – camera principis, deshalb der Ausdruck »Kameralisten«. Den Physiokraten – wörtlich »die Naturherrscher« – mit ihrem Protagonisten Francois Quesnay (1694-1774) gebührt das Verdienst, 1758 mit dem tableau économique erstmals einen geschlossenen Wirtschaftskreislauf dargestellt und damit die Grundlagen für die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung gelegt zu haben. Die Physiokraten halten den landwirtschaftlichen Sektor für den einzigen Sektor, in dem die volkswirtschaftliche Wertschöpfung anfällt und treten im Gegensatz zu den Merkantilisten für eine Handelsliberalisierung ein. Dieser kleine Überblick soll deutlich machen, dass die Ökonomik nicht erst zum Ende des 18. Jahrhunderts das Licht der Welt erblickt hat. Schon seit Jahrtausenden versuchen Menschen, wirtschaftliche Probleme nicht nur praktisch zu lösen, sondern auch intellektuell zu durchdringen. In diesem Buch konzentrieren wir uns auf die traditionelle makroökonomische Lehre. Wir beginnen mit der angebotsorientierten klassischneoklassischen Theorie, bevor keynesianisch ausgerichtete Modelle folgen: Das Einkommen-Ausgaben-Modell als einfaches Gütermarktmodell, das IS-LM-Modell als traditionelles keynesianisches Modell für eine geschlossene Volkswirtschaft, das Blinder-Solow-Modell als Erweiterung des IS-LM-Modells sowie das typische keynesianische Modell für eine offene Volkswirtschaft, das Mundell-Fleming-Modell. Die sich anschließende Untersuchung der Neoklassischen Synthese versucht, Teile der Klassik-Neoklassik mit Teilen des Keynesianismus in einem allgemeineren Modell zu vereinen. Das Verhältnis von Infla-
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6
Einführung
tion und Arbeitslosigkeit ist eines der zentralen makroökonomischen Themen und wird daher in einem eigenen Kapitel behandelt. Den Abschluss bildet ein Kapitel über die Soziale Marktwirtschaft, die als die »deutsche Wirtschaftsordnung« schlechthin gilt und deshalb in einem deutschen Lehrbuch zur Makroökonomik nicht fehlen sollte.
Klassik-Neoklassik 1.
Einleitung
8
2.
Arbeitsmarkt
11
2.1.
Arbeitsangebot
11
2.2.
Arbeitsnachfrage
16
2.3.
Arbeitsmarktgleichgewicht
18
3.
Güter- und Kapitalmarkt
20
3.1.
Gütermarkt
20
3.2.
Kapitalmarkt
23
4.
Geldmarkt
25
5.
Klassisch-Neoklassisches Totalmodell
27
5.1.
Mathematische Analyse
27
5.2.
Graphische Analyse
31
6.
Wirtschaftspolitische Implikationen
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7.
Zusammenfassung
38
8.
Wiederholungsfragen
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9.
Übungsaufgaben
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8
Klassik-Neoklassik
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein, • • • • • •
die positive Abhängigkeit des Arbeitsangebots vom Reallohnsatz zu begründen, die negative Abhängigkeit der Arbeitsnachfrage vom Reallohnsatz zu begründen, die Bedeutung des Arbeitsmarktes als strategischem Markt zu erkennen, die enge Verbindung von Gütermarkt und Kapitalmarkt zu analysieren, die klassisch-neoklassische Dichotomie zwischen realer und monetärer Sphäre zu erläutern, die Interdependenzen des klassisch-neoklassischen Totalmodells zu interpretieren.
Klassik und Neoklassik sind zwei ökonomische Schulen, die sich hinsichtlich ihrer zeitlichen Entstehung und zum Teil auch bezüglich ihrer Ergebnisse unterscheiden. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich ihre zentralen Schlussfolgerungen sehr ähneln. Deshalb hat es sich eingebürgert, das Lehrgebäude dieser beiden Denkweisen in einem klassisch-neoklassischen Modell zusammenzuführen. Klassik: Markt und Moral
Die Klassik ist die älteste der traditionellen ökonomischen Schulen und war für knapp ein Jahrhundert bis etwa 1870 die vorherrschende ökonomische Doktrin. Klassische Ökonomen stehen fälschlicherweise im Ruf, Verfechter eines »Ellenbogen-Kapitalismus« zu sein. Dieser Leumund ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass das bedeutendste klassische Werk, Adam Smith’ »An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations« (»Eine Untersuchung über die Natur und Ursachen des Wohlstands der Nationen«) aus dem Jahre 1776, als die »Bibel« einer reinen Marktapologetik interpretiert wird. Verkannt wird der schottische Moralphilosoph, weil seine erste bahnbrechende Monographie aus dem Jahre 1759, »Theory of Moral Sentiments« (»Theorie ethischer Gefühle«), kaum beachtet worden ist, obwohl Smith selbst dieses Buch höher eingeschätzt hat als seinen »Wohlstand der Nationen«. Smith’ berühmte »invisible hand« (»Unsichtbare Hand«), die auf faszinierende Weise den Markt zum Wohle aller steuert, obwohl oder vielmehr weil jeder seinen eigenen Interessen folgt, wird jedoch nicht erst im »Wohlstand der Nationen«, sondern bereits
Klassik-Neoklassik
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17 Jahre früher in der »Theorie ethischer Gefühle« – mithin in einem moralischen Kontext – eingeführt. Smith ist mitnichten Verfechter eines minimalistischen »Nachtwächterstaates«, in dem der staatliche Einfluss so gering wie möglich zu halten sei. Moralische Prinzipien sind nach Smith als »gute« Spielregeln in der Rahmenordnung zu verankern, so dass das freie Spiel der Marktkräfte in ein ethisches Umfeld eingebettet ist. Ökonomische Effizienz ist dadurch zu erreichen, dass sich der Staat nicht in das Spielgeschehen an sich – den wirtschaftlichen Prozess – einmischt. Die Klassiker im Allgemeinen und Smith im Besonderen sind somit Wegbereiter des »Ordoliberalismus«, nicht des »Neoliberalismus«, zwei wirtschaftsphilosophische Schulen, auf die wir im (letzten) Kapitel über die Soziale Marktwirtschaft eingehen. Die Klassik ist die Wiege des »Dritten Weges« zwischen »Kapitalismus« und »Sozialismus«, nicht Fundament einer »Freien Marktwirtschaft«, sondern einer »Sozialen Marktwirtschaft«, wie sie annäherungsweise in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert wird. Die Ordnungspolitik hat für verlässliche und widerspruchsfreie Rahmenbedingungen zu sorgen und über die Ausgestaltung von Leistungs- und Risikoanreizen Anreizkompatibilität herzustellen. Diese ist erfüllt, wenn die Individualinteressen so gelenkt werden, dass die Sozialinteressen ebenfalls erfüllt werden. Dieser Gedanke, nach dem sich moralische Standards unter der Obhut des Staates in der Ordnungspolitik niederzuschlagen haben, während der Markt »Lenker« der konkreten Prozesspolitik sein soll, aus der sich der Staat weitgehend herauszuhalten hat, ist in den letzten Jahren wieder populärer geworden. Die Hochphase klassischer Theoriebildung ist etwa auf den Zeitraum zwischen 1776, dem Jahr der Veröffentlichung von Smith' »Wohlstand der Nationen«, und 1870 zu datieren. Berühmte Vertreter der Klassik sind neben Adam Smith (1723-1790) der Bevölkerungstheoretiker Thomas Malthus (1766-1834), der Markttheoretiker Jean Baptiste Say (1767-1832), der Außenhandelstheoretiker David Ricardo (17721823), der Wirtschaftshistoriker und Theologe James Mill (17751836), der Agrarökonom und Standorttheoretiker Johann Heinrich von Thünen (1783-1850) sowie die beiden Utilitaristen Jeremy Bentham (1748-1832) und John Stuart Mill (1806-1873).
klassische Ökonomen
Zur Zeit des deutschen Kaiserreichs entwickelte sich die Neoklassik zur einflussreichsten ökonomischen Schule. Dieses im Vergleich zur Klassik stärker mikroökonomisch und mathematisch ausgerichtete Lehrgebäude verficht ebenso den Primat des Marktes gegenüber dem Staat. Neoklassiker stehen staatlichen Interventionen skeptisch gegenüber und vertrauen stattdessen auf Wettbewerb. Dieser zwingt die Akteure zu einem Mengenanpasserverhalten, da die (Markt-) Preise
neoklassische Prinzipien
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Klassik-Neoklassik
für sie aufgrund vollständiger Konkurrenz »gegeben« und nicht beeinflussbar sind. Neoklassiker argumentieren wie Klassiker angebotsorientiert. Ökonomische Rationalität, individuelle Nutzenmaximierung der privaten Haushalte beziehungsweise Gewinnmaximierung der Unternehmer prägen das Entscheidungsverhalten im neoklassischen Sinne und haben den homo oeconomicus als Referenztyp des repräsentativen Wirtschaftssubjekts geschaffen. Dieser methodologische Individualismus und die Suche nach Optimallösungen unter Nebenbedingungen prägen die Neoklassik ebenso wie das aus der Mikroökonomik bekannte Marginalprinzip, das heißt das Denken in (unendlich kleinen) Änderungen. Der Einfluss dieser Schule auf den Neoliberalismus und die Neuklassik, eine marktrigide ökonomische Schule jüngerer Zeit, ist ungebrochen. Noch heute ist die Mikroökonomik neoklassisch geprägt, und eine neoliberale Wirtschaftspolitik erfreut sich seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts selbst unter Politikern großer Beliebtheit. neoklassische Ökonomen
Die Hochphase neoklassischer Theoriebildung ist etwa auf den Zeitraum zwischen 1870 und 1936 zu datieren, dem Jahr der Veröffentlichung von Keynes' bahnbrechender »General Theory«. Bedeutende Vertreter sind Léon Walras (1834-1910), berühmt vor allem durch seinen »Walrasianischen Auktionator« und die Entwicklung der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie, der Preistheoretiker Carl Menger (1840-1921), Alfred Marshall (1842-1924), der unter anderem die Angebots- und Nachfragekurven in die volkswirtschaftliche Analyse eingeführt hat, der Verteilungstheoretiker Vilfredo Pareto (1848-1923), der Nutzentheoretiker William Stanley Jevons (1835-1882), der Geldtheoretiker Irving Fisher (1867-1947) sowie Marshalls Schüler und Nachfolger als Professor in Cambridge, der Verteilungstheoretiker Arthur Cecil Pigou (1877-1959).
Klassik-Neoklassik
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2. Arbeitsmarkt In der Klassik ist der Arbeitsmarkt nur von rudimentärer Bedeutung. Klassiker sind Anhänger der objektiven Wertlehre, nach der sich die »natürlichen« Preise angebotsseitig aus den Kosten der Nutzung der Produktionsfaktoren ableiten. »Natürliche« Güterpreise sind durch die Produktionskosten, »natürliche« Zinssätze durch die Kapitalkosten, »natürliche« Lohnsätze durch die Arbeitskosten determiniert. In der Neoklassik hingegen spielt der Arbeitsmarkt die herausragende Rolle schlechthin. Er ist der strategische Markt. Neoklassiker sind Anhänger der subjektiven Wertlehre, nach der sich die Marktpreise durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage ergeben. Auf dem Arbeitsmarkt treffen das Arbeitsangebot der privaten Haushalte, das von individuellen Nutzenüberlegungen abhängt, und die Arbeitsnachfrage der Unternehmer, die von individuellen Produktivitätsüberlegungen abhängt, zusammen. Entspricht das geplante Arbeitsangebot der geplanten Arbeitsnachfrage, besteht ein Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt. Im Falle eines Angebotsüberschusses liegt Unterbeschäftigung oder Arbeitslosigkeit vor, im Falle eines Nachfrageüberschusses Überbeschäftigung oder Arbeitskräftemangel.
Arbeitsmarkt: strategischer Markt
2.1. Arbeitsangebot Im Folgenden wird das Arbeitsangebot aus neoklassischer Sicht mikroökonomisch hergeleitet: Ein Arbeitsanbieter trifft eine Konsum-Freizeit-Entscheidung: Es wird angenommen, dass Konsum und Freizeit Nutzen stiften, wogegen Arbeitszeit Arbeitsleid hervorruft. Da der private Haushalt darauf angewiesen ist, für seine geplanten Konsumausgaben ein Arbeitseinkommen zu erzielen, nimmt er in gewissem Umfang Arbeitsleid in Kauf.
Konsum-FreizeitEntscheidung
Der private Haushalt unterliegt einer Nebenbedingung, weil er nicht mehr ausgeben kann als er einnimmt. Diese Budgetrestriktion wird graphisch durch die Budgetgerade dargestellt.
Budgetgerade
Die Budgetgerade ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Konsum und Freizeit, welche die budgetäre Nebenbedingung des privaten Haushalts gerade noch erfüllen. Die Budgetgerade gibt demnach an, welche Kombinationen von Konsum und Freizeit der private Haushalt realisieren kann. Die Budgetgerade schneidet die Ordinate im Punkt des maximal möglichen Konsums Cmax , der realisiert werden kann, wenn der private Haushalt ausschließlich arbeitet und auf Freizeit gänzlich verzichtet.
12
Klassik-Neoklassik
Die Budgetgerade schneidet die Abszisse im Punkt der maximal möglichen Freizeit Fmax , die realisiert werden kann, wenn der private Haushalt ausschließlich der Freizeit frönt und auf Konsum gänzlich verzichtet. Alle Kombinationen unterhalb der Budgetgeraden sind suboptimal, da mehr Freizeit ohne Konsumeinbußen beziehungsweise mehr Konsum ohne Freizeiteinbußen möglich ist. Alle Kombinationen außerhalb der Budgetgeraden verletzen die Budgetrestriktion und können daher nicht realisiert werden. Indifferenzkurve
Der private Haushalt strebt nach Nutzenmaximierung. Seine Präferenzordnung wird graphisch durch eine Schar von Indifferenzkurven dargestellt. Die Indifferenzkurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Konsum und Freizeit, bei denen das Nutzenniveau des privaten Haushalts gleich ist. Die Indifferenzkurve gibt demnach an, welche Kombinationen von Konsum und Freizeit der private Haushalt realisieren will. Eine Indifferenzkurve, die näher am Ursprung des Koordinatenkreuzes liegt, verkörpert ein niedrigeres Nutzenniveau als eine Indifferenzkurve, die weiter außerhalb liegt. Optimal ist die Konsum-Freizeit-Entscheidung genau dann, wenn der private Haushalt die Kombination mit dem höchsten Nutzen wählt, ohne seine Budgetrestriktion zu verletzen. Diesen Punkt verkörpert in Abbildung 2.1 der Tangentialpunkt A der Budgetgeraden mit einer Indifferenzkurve. Im Berührungspunkt A liegt der Konsum bei CA und die Freizeit bei FA .
Klassik-Neoklassik
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C
Cmax
A
CA
Indifferenzkurve
Budgetgerade
FA
Fmax
F
Abbildung 2.1: Optimale Konsum-Freizeit-Entscheidung
In Abbildung 2.2 werden unterschiedliche optimale Konsum-FreizeitEntscheidungen in Abhängigkeit vom Reallohnsatz W/P dargestellt, dessen Höhe das Realeinkommen und damit die Konsummöglichkeiten beeinflusst: Steigt der Reallohnsatz, erhöht sich ceteris paribus das Realeinkommen, so dass die maximalen Konsummöglichkeiten des privaten Haushalts zunehmen. Die maximale Freizeit verändert sich nicht, da der Tag weiterhin 24 Stunden hat. Graphisch bedeutet dies, dass sich die Budgetgerade um den Schnittpunkt von Budgetgerade und Abszisse nach rechts dreht. Die genaue Lage des neuen Optimums hängt von zwei gegenläufigen Effekten ab, dem Substitutionseffekt und dem Einkommenseffekt: Der Substitutionseffekt gibt an, inwieweit der private Haushalt bisherige Freizeit durch mehr Arbeitszeit substituiert, da die Opportunitätskosten für Freizeit bei einem höheren Lohnsatz gestiegen sind. Arbeit wird attraktiver, Freizeit »teurer«. Der Einkommenseffekt gibt an, inwieweit der private Haushalt seine Freizeit ausweitet, da er aufgrund des höheren Lohnsatzes seine Arbeitszeit einschränken kann, ohne auf bisherige Konsummöglichkeiten verzichten zu müssen. Denn sein Einkommensverlust aufgrund der verkürzten Arbeitszeit wird durch seinen Einkommensgewinn aufgrund des gestiegenen Reallohnsatzes kompensiert. In der neoklassischen Theorie wird davon ausgegangen, dass der Substitutionseffekt überwiegt. Dies
Substitutionseffekt
Einkommenseffekt
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Klassik-Neoklassik
bedeutet, dass der private Haushalt mit steigendem Reallohnsatz sein Arbeitsangebot auszuweiten wünscht.
Abbildung 2.2: Optimale Konsum-Freizeit-Entscheidungen bei unterschiedlichen Reallohnsätzen
ARBEIT – K ONSUM – FREIZEIT Konsum-Freizeit-Kurve
Führt man diese Analyse unendlich oft fort und verbindet alle sich ergebenden Optima (Tangentialpunkte), so erhält man in Abbildung 2.3 die Konsum-Freizeit-Kurve:
Klassik-Neoklassik
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Abbildung 2.3: Konsum-Freizeit-Kurve
Die Konsum-Freizeit-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Konsum und Freizeit, die in Abhängigkeit vom Reallohnsatz den Nutzen eines privaten Haushalts maximieren. Trägt man den Reallohnsatz auf der Ordinaten ab und weiterhin die Freizeit auf der Abszisse, erhält man in Abbildung 2.4 die Lohn-Freizeit-Kurve:
Abbildung 2.4: Lohn-Freizeit-Kurve
Lohn-Freizeit-Kurve
Abbildung 2.5: Arbeitsangebotskurve
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Klassik-Neoklassik
Die Lohn-Freizeit-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Reallohnsatz und Freizeit, die den Nutzen eines privaten Haushalts maximieren.
Arbeitsangebotskurve
Freizeit ist die Residualgröße zur Arbeitszeit. Steht die eine Größe fest, ist auch die andere determiniert. Spiegelt man die Lohn-Freizeit-Kurve an der Vertikalen, welche die Abszisse im Punkt der maximal möglichen Freizeit schneidet, erhält man in Abbildung 2.5 eine Kurve, welche die Arbeitszeit in Abhängigkeit vom Reallohnsatz darstellt: die Arbeitsangebotskurve. Die Arbeitsangebotskurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Reallohnsatz und Arbeitszeit, die den Nutzen eines privaten Haushalts maximieren.
Arbeitsangebot positiv abhängig vom Reallohnsatz
Wie oben erläutert, geht die neoklassische Theorie davon aus, dass für die Konsum-Freizeit-Entscheidung eines privaten Haushalts der Substitutionseffekt den Einkommenseffekt dominiert. Deshalb nimmt die Arbeitsangebotskurve einen positiven Verlauf ein: Mit steigendem Reallohnsatz nimmt das Arbeitsangebot der privaten Haushalte zu. Das Arbeitsangebot Ns hängt somit positiv vom Reallohnsatz W ab: P
(2.1)
W Ns = Ns P (+)
2.2. Arbeitsnachfrage
Gewinngleichung
Arbeitsnachfrager sind die Unternehmer. Ihr Verhalten leitet sich aus ihrem Gewinnmaximierungskalkül ab: Der Gewinn eines Unternehmers ist gleich seinen Erlösen minus seinen Kosten. Die Erlöse sind der mit dem Preis P bewertete output Y, der von der endogenen Beschäftigungsmenge N und dem gegebenen Kapitalstock K abhängt. Sehen wir aus Vereinfachungsgründen von Änderungen des Kapitalstocks ab, die eher langfristiger Natur sind, setzen sich die Kosten aus dem Produkt aus dem Nominallohnsatz W und der Beschäftigungsmenge N zusammen. Somit ergibt sich folgende vereinfachte Gewinngleichung: (2.2)
__ W = P Y ( N , K ) W N (+) P
Im Gewinnmaximum sind die Gewinne nicht mehr zu steigern, das heißt Steigerungen der Beschäftigungsmenge führen zu keinen weiteren Steigerungen des Gewinns. Änderungen bezeichnet man auch als »Differenzen«, unendlich kleine Änderungen als »Differentiale«. Um
Klassik-Neoklassik
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präzise zu analysieren, ab welchem Beschäftigungsniveau die Gewinne nicht mehr zunehmen, müsste man in unendlich kleinen Schritten die Beschäftigungsmenge erhöhen, bis man eine infinitesimal kleine Beschäftigungsänderung erreicht, die den Gewinn nicht mehr verändert. Das mathematische Äquivalent zu dieser Vorgehensweise ist die Bestimmung der ersten Ableitung. Deshalb lautet die notwendige Bedingung für ein Gewinnmaximum: Die erste Ableitung der Gewinngleichung ist gleich null: (2.3)
0
Daraus folgt (2.4)
P dY = W dN
Nach einer Umformung ergibt sich die für die neoklassische Theorie zentrale Gleichgewichtsbedingung für den Arbeitsmarkt: (2.5)
Grenzproduktivität der Arbeit = Reallohnsatz
dY W = dN P
Der Arbeitsnachfrage der Unternehmer ist optimal, wenn die Grenzproduktivität der Arbeit dem Reallohnsatz entspricht. Stellt man sich eine Gewinnkurve mit einem Maximum vor, so entspricht das Maximum dem Gipfel dieses (Kurven-) Berges. Ist man zuerst bergauf gegangen (zunehmende Gewinne), bis man den Gipfel erreicht, muss man von nun an bergab gehen. Das heißt wenn sich die Beschäftigungsmenge über das optimale Ausmaß hinaus ändert, entstehen keine zusätzlichen Gewinne, sondern zusätzliche Verluste, die Kurve neigt sich abwärts. Die zweite Bedingung für ein Gewinnmaximum lautet somit, dass eine weitere Erhöhung der Beschäftigungsmenge den Gewinn reduziert, die Änderung der Steigung der Gewinnkurve, das heißt die zweite Ableitung der Gewinnfunktion in diesem Punkt negativ sein muss:
mit zunehmender Beschäftigungsmenge abnehmende Grenzproduktivität
(2.6) Mit zunehmender Beschäftigungsmenge sinkt die Grenzproduktivität der Arbeit, da nach neoklassischer Annahme zunächst die produktivsten Arbeitskräfte eingesetzt werden und weitere Arbeitskräfte eine geringere marginale Arbeitsproduktivität aufweisen als die zuvor beschäftigten. Dies bedeutet, dass mit steigendem Reallohnsatz die Arbeitsnachfrage sinkt. Die Arbeitsnachfrage Nd hängt somit negativ vom Reallohnsatz ab:
Arbeitsnachfrage negativ abhängig vom Reallohnsatz
18
Klassik-Neoklassik
W Nd = Nd P
(2.7)
()
2.3. Arbeitsmarktgleichgewicht Ein Arbeitsmarktgleichgewicht liegt vor, wenn das positiv vom Reallohnsatz abhängige Arbeitsangebot der negativ vom Reallohnsatz abhängigen Arbeitsnachfrage entspricht. Die entscheidende Größe für das Herstellen eines Arbeitsmarktgleichgewichts und damit für das Erreichen von Vollbeschäftigung ist der Reallohnsatz. Dies impliziert zum einen, dass monetäre Impulse wie Geldmengenerhöhungen verpuffen, solange keine realwirtschaftlichen Effekte auftreten, da sich die Wirtschaftssubjekte nicht am Nominal-, sondern am Reallohnsatz orientieren. Zum anderen erfordert eine wirksame Steuerung des Arbeitsmarktes einen flexiblen Reallohnsatz, der nicht durch staatliche Interventionen, beispielsweise in Form eines gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohnsatzes, verzerrt ist. Graphisch ist das Arbeitsmarktgleichgewicht in Abbildung 2.6 im Schnittpunkt E* von Arbeitsangebots- und Arbeitsnachfragekurve zu sehen, in dem über den gleichgewichtigen Reallohnsatz *
W = w* P
das Arbeitsangebot der privaten Haushalte Ns und die Arbeitsnachfrage der Unternehmer Nd zum Ausgleich gebracht werden und die optimale Beschäftigungsmenge N* ermittelt wird: (2.1) = (2.7) (2.8)
W W Ns = Nd P P (+)
Arbeitsmarktgleichgewicht
()
Oberhalb dieses Schnittpunkts liegt ein Arbeitsangebotsüberschuss vor, weil die Arbeitnehmer einen zu hohen Reallohnsatz fordern, zu dem die Unternehmer nicht bereit sind, mehr Arbeitskräfte einzustellen. Unterhalb dieses Schnittpunkts liegt ein Arbeitsnachfrageüberschuss vor, weil die Unternehmer einen zu niedrigen Reallohnsatz anbieten, zu dem sie nicht alle Arbeitskräfte erhalten, die sie zu beschäftigen wünschen.
Klassik-Neoklassik
Abbildung 2.6: Arbeitsmarkt
19
20
Klassik-Neoklassik
3. Güter- und Kapitalmarkt 3.1. Gütermarkt Sowohl der Klassik als auch der Neoklassik ist eine umfassende Analyse des Gütermarktes fremd. Dies resultiert aus dem Say'schen Theorem, benannt nach dem klassischen Ökonomen Jean Baptiste Say (1767-1832): Say’sches Theorem
Say'sches Theorem: Unter optimalen Marktbedingungen schafft sich jedes Angebot selbst seine Nachfrage. Ein Güterangebot wird nur geplant, um ein Einkommen zu erzielen, welches für die gleichzeitig geplante Güternachfrage verwendet wird. Ein verändertes geplantes Güterangebot geht daher mit einer entsprechend veränderten geplanten Güternachfrage einher, so dass langfristig weder ein Angebotsüberschuss noch ein Nachfrageüberschuss auftreten kann. Für eine Naturaltauschwirtschaft ist dieses Axiom unmittelbar einsichtig, da Güter ausschließlich erworben werden, um sie selbst zu konsumieren oder zu Tauschzwecken für andere Güter zu verwenden. Für die Validität des Say'schen Theorems in einer Geldwirtschaft müssen wir zwischen klassischer und neoklassischer Sichtweise differenzieren:
objektive Wertlehre der Klassiker
Gemäß der objektiven Wertlehre der Klassiker entspricht das Volkseinkommen dem Betrag, der für die Deckung des Lebensbedarfs erforderlich ist, so dass sich auch in diesem Fall jedes Angebot unweigerlich seine Nachfrage schafft.
subjektive Wertlehre der Neoklassiker
Nach der subjektiven Wertlehre der Neoklassiker ist es jedoch möglich, dass die Einkommen den Konsum der privaten Haushalte übersteigen. Allerdings gibt es auch hier eine Lösung, welche die Geltung des Say'schen Theorems nicht schmälert: Während in der Klassik die Unternehmer Ersparnisse bilden, um Investitionen tätigen zu können, nimmt die Neoklassik eine funktionale Trennung vor: Unternehmer investieren, private Haushalte sparen. Dadurch dass die Ersparnisse der privaten Haushalte mit der Investitionsnachfrage der Unternehmer über den Zinssatz in Übereinstimmung gebracht werden, gilt das Say'sche Theorem weiterhin. Der Gütermarkt wird somit durch den Zinssatz geräumt, nicht durch den Preis. Inwiefern das Kapitalangebot der privaten Haushalte mit der Kapitalnachfrage der Unternehmer ausgeglichen wird, untersuchen wir weiter unten bei der Analyse des Kapitalmarktes.
Klassik-Neoklassik
Aufgrund der primären Bedeutung des Güterangebots sowie der sekundären Bedeutung der Güternachfrage konzentriert sich die klassisch-neoklassische Analyse des Gütermarkts auf die Produktionsfunktion, die positiv von der Beschäftigungsmenge N und dem Kapitalstock K abhängt, der aus Vereinfachungsgründen als konstant angesehen wird: (2.9)
Y = Y ( N, K) (+ )
Die in Abbildung 2.7 dargestellte neoklassische Produktionsfunktion, aus der sich das Güterangebot ableitet, ist durch folgende Eigenschaften charakterisiert: Sie verläuft erstens durch den Ursprung, da ohne irgendeinen Faktoreinsatz keine Ausbringungsmenge erzielt werden kann. Sie weist zweitens ein positive Steigung auf, weil ein Mehr an input kontinuierlich zu einem Mehr an output führt. Sie nimmt drittens einen abnehmenden Verlauf ein, da die Grenzerträge sinken, weil die Produktionsfaktoren so kombiniert werden, dass sie immer in den nächstproduktiven Bereichen eingesetzt werden. Es gilt das Gesetz der von Anfang an abnehmenden Grenzerträge. Die neoklassische Produktionsfunktion widerspricht damit dem klassischen Ertragsgesetz, nach dem die Grenzerträge zunächst steigen, bevor sie ab einem bestimmten Niveau abnehmen.
Abbildung 2.7: Produktionsfunktion
21
Produktionsfunktion
22
Klassik-Neoklassik
Ist die Ausbringungsmenge durch die Produktionsfunktion ermittelt, steht nach dem Say'schen Theorem auch die (gleiche) Höhe der Güternachfrage fest. Güternachfrage
Gleichgewicht auf dem Gütermarkt herrscht, wenn das vom Reallohnsatz w abhängige Güterangebot Ys gleich ist der Güternachfrage Y d, die sich in einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität aus der zinssatzabhängigen Konsumnachfrage C der privaten Haushalte und der ebenfalls zinssatzabhängigen Investitionsnachfrage I der Unternehmer zusammensetzt: (2.10)
Konsumfunktion
Yd = C + I
In der klassisch-neoklassischen Theorie hängt der Konsum C negativ vom Zinssatz i ab: (2.11)
C = C (i) ()
Investitionsfunktion
Die Höhe der Investitionen I der Unternehmer ist ebenfalls negativ abhängig vom Zinssatz i, der als Grenzproduktivität des Kapitals definiert wird: (2.12)
I = I (i) ()
Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt lautet: (2.13)
W
Ys P = C (i) + I (i) (-)
Gesetz von Walras
(-)
Private Haushalte bieten Arbeit an, konsumieren und sparen. Haben sie ihre Entscheidungen über ihr geplantes Arbeitsangebot und ihre geplante Ersparnis getroffen, ist ihr geplanter Konsum ebenfalls determiniert. Unternehmer fragen Arbeit nach, bieten Güter an und investieren. Haben sie ihre Entscheidungen über ihre geplante Arbeitsnachfrage sowie ihre geplanten Investitionen getroffen, ist ihr geplantes Güterangebot ebenfalls determiniert. Nach dem Gesetz von Walras kompensieren sich Nachfrageüberschüsse auf den einen Märkten durch Angebotsüberschüsse auf den anderen Märkten. Befinden sich der Arbeitsmarkt, der Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage zum Ausgleich bringt, und der Kapitalmarkt, der Ersparnis und Investitionsnachfrage ausgleicht, im Gleichgewicht, so ist auch der Gütermarkt, der Güterangebot und Güternachfrage zum Ausgleich bringt, im Gleichgewicht. Deshalb kann auf eine explizite Berücksichtigung des Gütermarktes verzichtet werden.
Klassik-Neoklassik
23
3.2. Kapitalmarkt Auf dem Kapitalmarkt treffen Ersparnis und Investitionen zusammen. Die Höhe der Investition I der Unternehmer ist – wie eben gezeigt – negativ abhängig vom Zinssatz i: (2.12)
I = I (i) ()
Während in der Klassik Spar- und Investitionsentscheidungen identisch sind, da sie von denselben Wirtschaftssubjekten getroffen werden, fallen diese beiden Entscheidungen in der Neoklassik auseinander: Private Haushalte sparen, Unternehmer investieren. Die Ersparnis, die als Zukunftskonsum der privaten Haushalte angesehen werden kann, ist das Kapitalangebot, mit dem die Unternehmer ihre Investitionen finanzieren. Da private Haushalte grundsätzlich aufgrund ihrer Zeitpräferenz gegenwärtigen Konsum künftigem vorziehen und dieser obendrein risikobehaftet ist, benötigen private Haushalte Sparanreize. Diese Funktion wird durch den Zinssatz erfüllt: Mit steigendem Zinssatz steigt der Anreiz, die Opportunitätskosten des Sparens, die sich in erster Linie aus dem Warteopfer und der Risikoträgerschaft ergeben, in Kauf zu nehmen. Deshalb ist in der neoklassischen Theorie die Ersparnis S positiv vom Zinssatz i abhängig: (2.14)
S = S (i) (+)
Die Gleichgewichtsbedingung für den Kapitalmarkt lautet: (2.15)
Investitionsfunktion
I (i) = S (i) (-)
(+)
Abbildung 2.8 zeigt in E* das Kapitalmarktgleichgewicht, in dem die Investitionen I* der Ersparnis S* entsprechen.
Sparfunktion
24
Klassik-Neoklassik
Abbildung 2.8: Kapitalmarkt
Klassik-Neoklassik
25
4. Geldmarkt Dem Geld schreiben Ökonomen drei Funktionen zu: Es fungiert als Zahlungsmittel, um durch indirekten Tausch Transaktionen zu ermöglichen, die in einer Naturaltauschwirtschaft mit erheblichen Transaktionskosten verbunden sind, als Rechenmittel, um den Wert unterschiedlicher Güter anhand eines einheitlichen Maßstabs vergleichen zu können, und als Wertaufbewahrungsmittel, um potenzielle Kaufkraft für die Zukunft zu halten. In der neoklassischen Theorie wird die Existenz einer konstitutiven Wertaufbewahrungsfunktion negiert, da die Haltung zinslosen Geldes nicht rational ist, solange es andere zinsstiftende Anlageformen gibt. Klassiker wie Neoklassiker räumen dem Geld jedoch eine konsekutive Wertaufbewahrungsfunktion ein, die sich aus der Zahlungsmittelfunktion ableitet: Wenn Geld als Zahlungsmittel dienen soll, muss es lagerfähig sein.
Geldfunktionen: • Zahlungsmittelfunktion • Rechenmittelfunktion • konsekutive Wertaufbewahrungsfunktion
Im klassisch-neoklassischen Modell ist das nominale Geldangebot M eine exogene Größe:
Geldangebot
(2.16)
_
M= M
Die nominale Geldnachfrage L hängt ab vom Kassenhaltungskoeffizienten k, der die durchschnittliche Kassenhaltungsdauer des Geldes angibt, vom Preisniveau P und vom realen Sozialprodukt Y. (2.17)
Geldnachfrage
L = kPY
Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt lautet: (2.18)
M=L
Auch Neoklassiker orientieren sich an der klassischen Quantitätstheorie des Geldes, die auf Jean Bodin (ca. 1530-1596) und David Hume (1711-1776) zurückgeht. Ausgangspunkt für diese Theorie ist die Cambridge-Gleichung, deren Name den beiden in Cambridge lehrenden Neoklassikern Alfred Marshall (1842-1924) und Arthur Cecil Pigou (1877-1957) gewidmet ist: (2.19)
Cambridge-Gleichung
M = kPY
Das nominale Geldangebot M ist gleich dem Produkt aus dem Kassenhaltungskoeffizienten k, dem Preisniveau P und dem realen Sozialprodukt Y. In der Formulierung der Quantitätsgleichung, die nach ihrem Urheber Irving Fisher (1867-1947) auch als Fisher-Gleichung in die Literatur eingegangen ist, lautet dieser Zusammenhang: (2.20)
Mv = PY
Quantitätsgleichung
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Klassik-Neoklassik
Das Produkt aus nominaler Geldmenge M und der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes v ist gleich dem Produkt aus dem Preisniveau P und dem realen Sozialprodukt Y. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ist der Kehrwert des Kassenhaltungskoeffizienten: Wechselt eine Banknote beispielsweise viermal im Jahr ihren Besitzer, so beträgt der Kassenhaltungskoeffizient ein Viertel, da der Geldschein im Durchschnitt ein Vierteljahr lang gehalten wird; die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes liegt in diesem Beispiel bei vier, da der Geldschein viermal im Jahr den Besitzer gewechselt hat. Nach der Quantitätstheorie des Geldes gehen Klassiker wie Neoklassiker davon aus, dass aufgrund gleich bleibender Zahlungsgewohnheiten der Kassenhaltungskoeffizient beziehungsweise die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht variiert und daher als konstant angenommen werden kann. Zudem ist das optimale reale Sozialprodukt Y* bereits durch den Arbeitsmarkt und die Produktionsfunktion determiniert, so dass auch dieses für die monetäre Analyse als gegeben angenommen werden kann. Wird nun die Geldmenge verändert, muss sich das Preisniveau als einzig verbliebene Variable in dieselbe Richtung und im selben Ausmaß ändern, damit die Cambridge-Gleichung beziehungsweise die Quantitätsgleichung weiterhin gilt. Dies bedeutet, dass eine Verdoppelung der Geldmenge zu einer Verdoppelung des Preisniveaus führt und somit nur monetäre, nicht aber realwirtschaftliche Effekte nach sich zieht. klassische Dichotomie von monetärer und realwirtschaftlicher Sphäre
In diesem Zusammenhang spricht man von der klassischen Dichotomie (Zweiteilung) von monetärer und realwirtschaftlicher Sphäre: Monetäre Impulse haben keine Auswirkung auf die Realwirtschaft, Geld fungiert nur als »Schleier«. Ökonomisch betrachtet wird dieser Zusammenhang durch den Cambridge-Effekt beschrieben: Cambridge-Effekt: Eine Erhöhung der Geldmenge führt ceteris paribus dazu, dass die Wirtschaftssubjekte über eine zu hohe reale Kassenhaltung verfügen. Daher fragen sie verstärkt Güter nach, treffen dabei aber auf ein unverändertes Güterangebot, so dass das Preisniveau steigt. Dieser Prozess ist erst abgeschlossen, wenn die reale Kassenhaltung wieder ihren ursprünglichen Wert erreicht hat.
Klassik-Neoklassik
5. Klassisch-Neoklassisches Totalmodell 5.1. Mathematische Analyse Zusammenfassend kann das klassisch-neoklassische Totalmodell durch folgende Gleichungen beschrieben werden: Der Arbeitsmarkt wird durch zwei Verhaltensgleichungen sowie eine Gleichgewichtsbedingung beschrieben: Gleichung (2.1) repräsentiert die Arbeitsangebotsfunktion der privaten Haushalte, die von einer positiven Abhängigkeit des Arbeitsangebots Ns vom Reallohnsatz w ausgeht: (2.1)
W Ns = Ns P (+)
Gleichung (2.7) repräsentiert die Arbeitsnachfragefunktion der Unternehmer, die von einer negativen Abhängigkeit der Arbeitsnachfrage Nd vom Reallohnsatz w ausgeht: (2.7)
W Nd = Nd P ()
Gleichung (2.8) repräsentiert die Gleichgewichtsbedingung für den Arbeitsmarkt, die erfüllt ist, wenn sich Arbeitsangebot Ns und Arbeitsnachfrage Nd ausgleichen: (2.8)
W W Ns = Nd P P (+)
()
Auf dem Arbeitsmarkt werden somit als endogene Variable das optimale Arbeitsangebot (Ns)*, die optimale Arbeitsnachfrage (N d)*, die optimale Beschäftigungsmenge N* sowie der optimale Reallohnsatz w* ermittelt: Der Gütermarkt wird durch zwei Verhaltensgleichungen, eine Definitionsgleichung sowie eine Gleichgewichtsbedingung beschrieben: Gleichung (2.9) repräsentiert die Produktionsfunktion, die vom konstanten Kapitalstock und positiv von der Beschäftigungsmenge N abhängt: (2.9)
Y = Y ( N, K) (+ )
27
28
Klassik-Neoklassik
Gleichung (2.10) definiert die Güternachfrage in einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität Yd als Summe aus Konsumnachfrage C und Investitionsnachfrage I: (2.10)
Yd = C + I
Gleichung (2.11) zeigt die Konsumfunktion, die eine negative Abhängigkeit des Konsums C vom Zinssatz i unterstellt: (2.11)
C = C (i) ()
Die Höhe der Investitionen I der Unternehmer ist ebenfalls negativ abhängig vom Zinssatz i, der als Grenzproduktivität des Kapitals definiert wird: (2.12)
I = I (i) ()
Gleichung (2.13) repräsentiert die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt, die erfüllt ist, wenn sich Güterangebot Y s und Güternachfrage Yd ausgleichen. (2.13)
W Y s = C (i)+ I (i) () () P
Durch die Produktionsfunktion Y = Y(N) wird als zusätzliche endogene Variable die optimale Produktionsmenge Y* bestimmt. Das optimale Güterangebot (Ys)* = Y* ist damit ebenso determiniert wie die optimale Güternachfrage (Yd)*, die sich gemäß dem Say'schen Theorem vollständig dem Güterangebot anpasst. Zudem werden der optimale Konsum C*, die optimale Investitionsnachfrage I* sowie der optimale Zinssatz i* ermittelt. Der Kapitalmarkt wird durch drei Verhaltensgleichungen sowie eine Gleichgewichtsbedingung beschrieben: Gleichung (2.12) repräsentiert die bereits bekannte Investitionsfunktion: (2.12)
I = I (i) ()
Gleichung (2.14) repräsentiert die Sparfunktion, die eine positive Abhängigkeit der Ersparnis S vom Zinssatz i unterstellt: (2.14)
S = S (i) (+)
Gleichung (2.15) repräsentiert die Gleichgewichtsbedingung für den Kapitalmarkt, die erfüllt ist, wenn die Investitionsnachfrage I der Ersparnis S entspricht: (2.15)
I (i) = S (i) ()
(+)
Klassik-Neoklassik
Durch den Kapitalmarkt werden der optimale (natürliche) Zinssatz i*, die optimale Investition I* sowie die optimale Ersparnis S* bestimmt. Alle bisherigen Gleichungen werden der realwirtschaftlichen Sphäre zugerechnet, alle folgenden der monetären Sphäre. Der Geldmarkt wird durch zwei Verhaltensgleichungen, eine Gleichgewichtsbedingung sowie die Cambridge-Gleichung und die Quantitätsgleichung beschrieben: Gleichung (2.16) repräsentiert die Geldangebotsfunktion, die von einem exogenen nominalen Geldangebot M ausgeht: (2.16)
___
M=M
Gleichung (2.17) repräsentiert die Geldnachfragefunktion, wonach die nominale Geldnachfrage L dem Produkt aus dem Kassenhaltungskoeffizienten k, dem Preisniveau P sowie dem Realeinkommen Y entspricht: (2.17)
L = kPY
Gleichung (2.18) repräsentiert die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt, die erfüllt ist, wenn das nominale Geldangebot M der nominalen Geldnachfrage L entspricht: (2.18)
M=L
Gleichung (2.19) repräsentiert die Cambridge-Gleichung, wonach die nominale Geldmenge M dem Produkt aus dem Kassenhaltungskoeffizienten k, dem Preisniveau P und dem realen Sozialprodukt Y entspricht: (2.19)
M = kPY
Gleichung (2.20) repräsentiert die Quantitätsgleichung, wonach das Produkt aus nominaler Geldmenge M und Umlaufgeschwindigkeit des Geldes v dem Produkt aus dem Preisniveau P und dem realen Sozialprodukt Y entspricht. (2.20)
Mv = PY
Durch den Geldmarkt werden als zusätzliche endogene Variable die optimale nominale Geldnachfrage L* und das optimale Preisniveau P* bestimmt. Ebenfalls der monetären Sphäre zugerechnet wird Gleichung (2.21), die den Nominallohnsatz W in einer Definitionsgleichung bestimmt: (2.21) W =
W P P
Mit Hilfe des gleichgewichtigen Reallohnsatzes w* und Preisniveaus P* wird der optimale Nominallohnsatz W* ermittelt.
29
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Klassik-Neoklassik
Das Gleichungssystem der klassisch-neoklassischen Theorie Sphäre
Markt
Gleichungstyp
Gleichungsbezeichnung
Gleichung
realwirtschaftlich
Arbeitsmarkt
Verhaltensgleichung
Arbeitsangebotsfunktion
Ns = Ns (w)
Verhaltensgleichung
Arbeitsnachfragefunktion
Nd = Nd (w)
Gütermarkt
Gleichgewichtsbedingung Gleichgewichtsbedingung für Arbeitsmarkt
Ns (w) = N* w*, N*, =Nd (w) (Ns)*, (Nd )*
Verhaltensgleichung
Produktionsfunktion
Y = Y(N, K)
Definitionsgleichung
Güternachfragefunktion
Yd = C + I
Verhaltensgleichung
Konsumfunktion
C = C(i)
Verhaltensgleichung
Investitionsfunktion
I = I(i)
Gleichgewichtsbedingung Gleichgewichtsbedingung für Gütermarkt
monetär
Ys (w)= C(i)+I(i)
Y*
i*, C*, I* (Y s)*, (Yd )*
Kapital- Verhaltensgleichung markt
Investitionsfunktion
I = I(i)
Verhaltensgleichung
Sparfunktion
S = S(i)
Geldmarkt
Ermittelte optimale endogene Variable
Gleichgewichtsbedingung Gleichgewichtsbedingung für Kapitalmarkt
I(i) = S(i)
Verhaltensgleichung
Geldangebotsfunktion
M=M
Verhaltensgleichung
Geldnachfragefunktion
L=kPY
CambridgeGleichung
M=kPY
Quantitätsgleichung
Mv=PY
I*, i*, S*
Gleichgewichtsbedingung Gleichgewichtsbedingung für Geldmarkt
M=L
L*, P*
Definitionsgleichung
W=wP
W*
Nominallohnsatz
Abbildung 2.9: Klassisch-neoklassisches Gleichungssystem
Klassik-Neoklassik
5.2. Graphische Analyse In Abbildung 2.10 ist das klassisch-neoklassische Totalmodell graphisch in insgesamt sechs Quadranten dargestellt. Wir beginnen mit dem unteren Vier-Quadranten-Schema und erläutern anschließend das Zwei-Quadranten-Schema darüber.
31
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Klassik-Neoklassik
Abbildung 2.10: Klassisch-neoklassisches Totalmodell
Klassik-Neoklassik
Im südwestlichen Quadranten des Vier-Quadranten-Schemas wird der Arbeitsmarkt abgebildet: Das Arbeitsangebot der privaten Haushalte Ns ist positiv vom Reallohnsatz w abhängig, so dass das Arbeitsangebot mit steigendem Reallohnsatz zunimmt. Die Arbeitsnachfrage der Unternehmer Nd ist negativ vom Reallohnsatz w abhängig, so dass die Arbeitsnachfrage mit steigendem Reallohnsatz abnimmt. Im Schnittpunkt von Arbeitsangebots- und Arbeitsnachfragekurve herrscht – die auf der südlichen Ordinate gemessene – Vollbeschäftigung N* zum – auf der westlichen Abszisse gemessenen – markträumenden Reallohnsatz w*. Links dieses Schnittpunkts herrscht Arbeitslosigkeit, da in diesem Bereich der Reallohnsatz im Vergleich zum gleichgewichtigen Reallohnsatz w* zu hoch ist und somit die Unternehmer nicht bereit sind, alle Arbeitsuchenden einzustellen. Rechts dieses Schnittpunkts liegt der Fall von Überbeschäftigung vor, da in diesem Bereich der Reallohnsatz im Vergleich zum gleichgewichtigen Reallohnsatz w* zu niedrig ist und somit nicht alle Arbeitnehmer bereit sind, die von den Unternehmern angebotenen Stellen zu besetzen. Im südöstlichen Quadranten wird die Produktionsfunktion abgebildet, welche das Güterangebot festlegt: Die Produktionsfunktion geht durch den Ursprung und weist positive, aber abnehmende Grenzerträge auf, so dass ihre Steigung abnimmt: Jede weitere – auf der südlichen Ordinate gemessene – Erhöhung der Beschäftigungsmenge N erhöht das – auf der östlichen Abszisse gemessene – Güterangebot Y um einen immer kleineren Betrag. Im nordöstlichen Quadranten wird die Geldhyperbel abgebildet: Die Quantitätstheorie des Geldes wird als nach dem Preisniveau P aufzulösende Cambridge-Gleichung dargestellt: P=
M . kY
Diese Kurve zeigt den Zusammenhang, dass mit – auf der nördlichen Ordinate gemessenem – sinkendem Preisniveau die reale Kassenhaltung steigt und daher mit einem höheren – auf der östlichen Abszisse gemessenen – realen Sozialprodukt Y korrespondiert. Im nordwestlichen Quadranten wird eine Schar von Nominallohnsatzkurven abgebildet. Eine Nominallohnsatzkurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Preisniveau und Reallohnsatz, bei denen der Nominallohnsatz gleich ist. Bei – auf der nördlichen Abszisse gemessenem – sinkendem Preisniveau ist ein gleich bleibender Nominallohnsatz mit einem – auf der westlichen Abszisse gemessenen – steigenden Reallohnsatz verbunden. Eine Nominallohnsatzkurve, die weiter vom Ursprung entfernt ist, repräsentiert einen höheren Nominallohnsatz als eine Nominallohnsatzkurve, die näher am Ursprung liegt.
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Klassik-Neoklassik
Mit »neoklassischer Brille« liest sich das Vier-Quadranten-Schema in folgender Weise: Der strategische Markt ist der Arbeitsmarkt, so dass der Ausgangspunkt dort zu suchen ist. Der – auf der westlichen Abszisse gemessene – gleichgewichtige Reallohnsatz w* bewirkt Vollbeschäftigung, die durch den Schnittpunkt der Arbeitsangebotsfunktion Ns mit der Arbeitsnachfragefunktion Nd repräsentiert wird. Das mit dem optimalen Reallohnsatz korrespondierende – auf der südlichen Ordinate gemessene – optimale Beschäftigungsniveau N* bestimmt gemäß der Produktionsfunktion das gleichgewichtige – auf der östlichen Abszisse gemessene – Güterangebot Ys*. Da dieses Güterangebot unabhängig vom Preisniveau ist, stellt die Güterangebotskurve im nordöstlichen Quadranten eine Vertikale dar, die mit der Geldhyperbel, der umformulierten Cambridge-Gleichung, einen Schnittpunkt aufweist. Das diesem Schnittpunkt entsprechende – auf der nördlichen Ordinate gemessene – Preisniveau ist das gleichgewichtige Preisniveau P*, mit dem im nordwestlichen Quadranten eine Nominallohnsatzkurve korrespondiert, welche den optimalen Nominallohnsatz W* repräsentiert, zu dem der – auf der westlichen Abszisse gemessene – gleichgewichtige Reallohnsatz w* gilt. Die Fortsetzung erfolgt im Zwei-Quadranten-Schema, das den engen Zusammenhang zwischen Gütermarkt und Kapitalmarkt verdeutlicht. Der östliche Quadrant stellt den Gütermarkt dar: Auf der östlichen Abszisse werden das Güterangebot, die Güternachfrage, der Konsum sowie die Investitionen in Abhängigkeit vom – auf der Ordinaten gemessenen – Zinssatz dargestellt. Der westliche Quadrant stellt den Kapitalmarkt dar: Auf der westlichen Abszisse werden die Investitionen und die Ersparnis in Abhängigkeit vom – auf der gemeinsamen Ordinaten gemessenen – Zinssatz dargestellt. Da sich das Güterangebot aus der Produktionsfunktion ableitet, die von der Beschäftigungsmenge abhängig ist, welche ihrerseits vom Reallohnsatz abhängt, ist das Güterangebot unabhängig vom Zinssatz, so dass die Güterangebotskurve im östlichen Quadranten eine Vertikale darstellt. Da sowohl die Konsum- als auch die Investitionsnachfrage als Bestandteile der Güternachfrage negativ vom Zinssatz abhängen, weisen die Konsum-, die Investitions- sowie die Güternachfragefunktion eine negative Steigung auf. Im westlichen Quadranten ist nochmals die negativ vom Zinssatz abhängige Investitionsfunktion sowie die Sparfunktion dargestellt, die positiv vom Zinssatz abhängt und deshalb einen steigenden Verlauf annimmt. Der Schnittpunkt von Güternachfrage- und Güterangebotskurve im östlichen Quadranten repräsentiert Gleichgewicht auf dem Gütermarkt. Da dieses Gleichgewicht über den »natürlichen« Zinssatz hergestellt wird, der auch die Variablen auf dem Kapitalmarkt bestimmt, ist ein
Klassik-Neoklassik
Gleichgewicht auf dem Gütermarkt mit einem Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt verbunden, das Investitionen und Ersparnis zum Ausgleich bringt.
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Klassik-Neoklassik
6. Wirtschaftspolitische Implikationen Die klassisch-neoklassische Theorie zeichnet sich durch den Primat des Marktes gegenüber dem Staat aus. Die aus der Klassik bekannte Unsichtbare Hand ist verantwortlich für die Markträumung, die allerdings nur dann erfolgt, wenn die relevanten Preise – Reallohnsatz, Zinssatz, Güterpreise – flexibel sind. Deshalb wird eine staatliche Preispolitik zum Beispiel in Form von Mindestlohnsätzen oder Höchstpreisen abgelehnt. Die Klassik-Neoklassik ist langfristig orientiert, sie leugnet keineswegs das Auftreten kurzfristiger Ungleichgewichte, geht aber davon aus, dass sich die inhärenten Gleichgewichtsloki auf lange Sicht durchsetzen. gegen diskretionäre Fiskalpolitik
Einer auf wirtschaftliche Stabilisierung ausgerichteten diskretionären Fiskalpolitik wird eine Absage erteilt, da die Existenz von Ungleichgewichten nach klassisch-neoklassischer Auffassung auf Marktunvollkommenheiten beruht, die vor allem aufgrund mangelnden Wettbewerbs und staatlicher Interventionen auftreten. Eine expansive Fiskalpolitik, welche die staatliche Nachfrage erhöht, verdrängt in gleichem Umfang private Nachfrage, es kommt zu einem totalen crowding out. Vornehmliches Ziel der Wirtschaftspolitik ist somit die Herstellung beziehungsweise Sicherung der Funktionsfähigkeit der Marktmechanismen. Märkte sind zu deregulieren, um bürokratische Hemmnisse aus dem Weg zu räumen und die Transparenz zu erhöhen. Zudem ist freier Wettbewerb mit freiem Marktzugang sicherzustellen.
gegen diskretionäre Geldpolitik
Die Dichotomie des monetären und realwirtschaftlichen Sektors verbietet eine diskretionäre Geldpolitik, da monetäre Impulse langfristig keine Wirkungen auf die Realwirtschaft nach sich ziehen und stattdessen Inflation hervorrufen.
angebotsorientiert
Die klassisch-neoklassische Schule ist angebotsorientiert, da sich gemäß dem aus der Klassik bekannten Say'schen Theorem jedes Angebot selbst seine Nachfrage schafft. Unternehmer planen nicht ein Güterangebot, das nicht nachgefragt wird. Zudem ist der strategische Markt der Arbeitsmarkt, der in Verbindung mit der Produktionsfunktion das Güterangebot determiniert. Deshalb soll der Staat die Angebotsbedingungen für Unternehmer verbessern, indem er zum Beispiel den Arbeitsmarkt flexibilisiert. Staatliche Interventionen sind aufgrund der inhärenten Stabilität des Marktes nicht notwendig, und sinnvolle Interventionen sind letztlich vom Staat gar nicht zu leisten. von Hayek spricht von einer »Anmaßung von Wissen«: Wenn der Staat Aufgaben an sich reißt, gibt er vor, über das erforderliche Wissen zu verfügen, wie die Aufgaben zu lösen sind. Das Wissen des Staates ist aber dem Wissen von Millionen von Bürgern unterlegen. Zudem haben Private größere Anreize, sich inten-
Klassik-Neoklassik
siv mit Lösungswegen auseinander zu setzen, da sie im Gegensatz zum Staat im Verlustfall mit ihrem Privatvermögen einstehen.
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Klassik-Neoklassik
7. Zusammenfassung 1. Die eher makroökonomisch orientierte Klassik ist die älteste der traditionellen ökonomischen Schulen und erlebte ihre Hochphase etwa zwischen 1776 und 1870. Die eher mikroökonomisch orientierte Neoklassik befand sich etwa zwischen 1870 und 1936 in ihrer schöpferischen Hochphase, übt aber noch heute einen bedeutenden Einfluss aus, insbesondere auf die Mikroökonomik. Trotz einiger Unterschiede zwischen beiden Schulen ähneln sich die wichtigsten Ergebnisse klassischer und neoklassischer Theorien, so dass es der herrschenden Lehre entspricht, die Klassik-Neoklassik in einem integrativen Modell darzustellen. 2. Der Arbeitsmarkt ist der strategische Markt. Das Arbeitsangebot hängt positiv, die Arbeitsnachfrage negativ vom Reallohnsatz ab. Das freie Aushandeln der Preise für das Überlassen von Arbeitsleistung ermöglicht den Ausgleich von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. 3. Die Produktionsfunktion ist positiv abhängig vom Kapitalstock und der Beschäftigung, die ihrerseits durch den Reallohnsatz bestimmt wird. 4. Auf dem Gütermarkt ist das Say'sche Theorem von herausragender Bedeutung: Jedes Angebot schafft sich selbst seine Nachfrage. Die Konsumnachfrage hängt wie die Investitionsnachfrage negativ vom Zinssatz ab. Auf dem Kapitalmarkt hängen das Sparangebot positiv und die Investitionsnachfrage negativ vom Zinssatz ab. 5. Auf dem Geldmarkt gilt die Quantitätstheorie des Geldes. Da der Kassenhaltungskoeffizient beziehungsweise die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes für stabil gehalten werden, ergibt sich gemäß Cambridge-Gleichung beziehungsweise Quantitätsgleichung die klassische Dichotomie zwischen monetärer und realwirtschaftlicher Sphäre: Eine Verdoppelung der Geldmenge führt zu einer Verdoppelung des Preisniveaus und zieht keine realwirtschaftlichen Effekte nach sich. 6. Klassiker und Neoklassiker gehen vom Primat des Marktes gegenüber dem Staat aus. Sie glauben an die Marktkräfte und stehen einem staatlichen Interventionismus skeptisch gegenüber. Deshalb wenden sie sich gegen jede Form diskretionärer Politik.
Klassik-Neoklassik
8. Wiederholungsfragen
1.
Erläutern Sie einige Unterschiede zwischen der klassischen und der neoklassischen Theorie. Lösung S. 8 ff.
2.
Begründen Sie die positive Abhängigkeit des Arbeitsangebots der privaten Haushalte vom Reallohnsatz. Lösung S. 11 ff.
3.
Begründen Sie die negative Abhängigkeit der Arbeitsnachfrage der Unternehmer vom Reallohnsatz. Lösung S. 16 ff.
4.
Erläutern Sie, warum eine Erhöhung des Güterangebots eine Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Einkommens nach sich zieht. Lösung S. 20
5.
Vergleichen Sie die Cambridge-Gleichung mit der Quantitätsgleichung. Lösung S. 25 f.
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Klassik-Neoklassik
9. Übungsaufgaben 1. Erläutern Sie die Wirksamkeit einer expansiven Geldpolitik. Lösungsvorschlag: Gemäß der Quantitätstheorie des Geldes besteht eine Dichotomie zwischen monetärem und realwirtschaftlichem Sektor. Diese wird anhand der Cambridge-Gleichung M = k P Y erläutert: Nach Auffassung der Klassiker und Neoklassiker sind die Kassenhaltungsgewohnheiten der Wirtschaftssubjekte stabil, so dass der Kassenhaltungskoeffizient k konstant ist. Das Gleichgewichtseinkommen Y ist bereits durch den Arbeitsmarkt und die Produktionsfunktion determiniert und wird deshalb in der Cambridge-Gleichung ebenfalls als konstant angesehen. Wird die nominale Geldmenge M erhöht, steigt das Preisniveau im selben Ausmaß. Eine expansive Geldpolitik ist im klassisch-neoklassischen Modell unwirksam, da sie nicht in einer Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Einkommens resultiert, sondern stattdessen Inflation verursacht. 2. Erläutern Sie, warum die klassisch-neoklassische Theorie im Zuge der keynesianischen Revolution an Bedeutung verloren hat. Lösungsvorschlag: Die klassisch-neoklassische Theorie ist eine Schule, die von der inhärenten Stabilität des privaten Sektors gegenüber dem öffentlichen Sektor ausgeht. Sie nimmt an, dass Marktkräfte in der Lage sind, grundsätzlich für Markträumung zu sorgen. Die keynesianische Revolution nahm ihren Ausgang in der Weltwirtschaftskrise von 1929-1931, einer Phase wirtschaftlicher Depression mit hoher Arbeitslosigkeit und Inflation. Die offensichtliche Nicht-Übereinstimmung klassischer Ergebnisse mit realen Resultaten nahm Keynes zum Anlass, in seiner »Allgemeinen Theorie« aus dem Jahre 1936 eine Bresche für staatlichen Interventionismus zu schlagen. Klassiker und Neoklassiker stellen dem entgegen, dass wirtschaftliche Krisen aufgrund von Marktunvollkommenheiten entstünden, die letztlich der Staat zu verantworten hätte. Dies konnte aber den Aufstieg des Keynesianismus zur beherrschenden ökonomischen Lehre bis zum Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nicht aufhalten.
Einkommen-Ausgaben-Modell 1.
Einleitung
42
2.
Verhaltensgleichungen
43
2.1.
Keynesianische Konsum- und Sparfunktion
43
2.2.
Weitere Konsumfunktionen
48
2.3.
Investitionsfunktion
51
3.
Multiplikatoranalyse
53
3.1.
Gütermarktgleichgewicht
53
3.2.
Elementarer Multiplikator
55
3.3.
Haavelmo-Theorem
59
4.
Zusammenfassung
61
5.
Wiederholungsfragen
62
6.
Übungsaufgaben
63
42
Einkommen-Ausgaben-Modell
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein, • • • • •
die wichtigsten Konsumfunktionen zu unterscheiden, die Zinssatzabhängigkeit der Investitionsfunktion zu begründen, das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt zu interpretieren, das Konzept der Multiplikatoranalyse zu verstehen, die Besonderheiten des Haavelmo-Theorems zu erläutern,
Das Einkommen-Ausgaben-Modell stellt ein einfaches Gütermarktmodell dar, in dem angenommen wird, dass die Investitionsnachfrage und die Staatsausgaben exogene Größen darstellen, die Kapazitäten der Volkswirtschaft unausgelastet sind und die keynesianische Konsum- und Sparfunktion gelten. Zunächst werden wir die Nachfragekomponenten des Gütermarkts erläutern: die Konsum-, Investitions- und Staatsnachfrage. Treten exogene Schocks auf, das heißt werden Größen verändert, die nicht explizit durch das Modell bestimmt sind, hat dies Auswirkungen auf die endogenen Variablen des Modells. Von besonderem Interesse sind für uns Einkommensänderungen, anhand derer die Effektivität exogener Schocks beurteilt wird. Der elementare Multiplikator auf dem Gütermarkt zeigt, um das Wievielfache einer ursprünglichen Erhöhung der exogenen Investitions- oder Staatsnachfrage sich das Einkommen erhöht.
Einkommen-Ausgaben-Modell
43
2. Verhaltensgleichungen Die entscheidenden Verhaltensgleichungen des Einkommen-Ausgaben-Modells sind die Konsumfunktion, die Sparfunktion und die Investitionsfunktion. Im Einkommen-Ausgaben-Modell gehen wir von der keynesianischen Konsumfunktion aus, die auch »absolute Einkommenshypothese« genannt wird. Zunächst werden wir die zentralen Eigenschaften dieser Konsumfunktion und der aus ihr abgeleiteten Sparfunktion beschreiben. Danach werden wir einen kurzen Überblick über alternative Konsumfunktionen geben, die zwar im Einkommen-Ausgaben-Modell nicht zugrunde gelegt werden, aber in der wirtschaftlichen Wirklichkeit von gewisser Relevanz sind und deshalb an dieser Stelle nicht fehlen sollen. Den Abschluss bildet die Erörterung der Investitionsfunktion.
2.1. Keynesianische Konsum- und Sparfunktion Die keynesianische Konsumfunktion geht von einer positiven Abhängigkeit des Konsums vom laufenden Einkommen aus: (3.1)
C = C (Y) (+)
Der Konsum unterteilt sich in einen einkommensunabhängigen autonomen Konsum Caut, der zur Befriedigung des Existenzminimums auch dann anfällt, wenn das Wirtschaftssubjekt kein Einkommen bezieht, sowie einen einkommensinduzierten Konsum CY Y, der von der Höhe des laufenden Einkommens positiv abhängt und sich aus dem Produkt aus marginaler Konsumquote CY und laufendem Einkommen Y ergibt: (3.2)
autonomer und einkommensinduzierter Konsum
C = C aut + C Y Y
In Abbildung 3.1 ist die keynesianische Konsumfunktion dargestellt. Sie nimmt ihren Ursprung auf dem positiven Ast der Ordinate, da der autonome Konsum unabhängig vom Einkommen und somit Lageparameter der Konsumfunktion ist. Ihre Steigung ist positiv, da mit zunehmendem Einkommen der Konsum ebenfalls zunimmt.
Konsumfunktion
44
Einkommen-Ausgaben-Modell
Abbildung 3.1: Keynesianische Konsum- und Sparfunktion
Die durchschnittliche Konsumquote durchschnittliche Konsumquote
C Y misst das Verhältnis zwischen Gesamtkonsum und Gesamteinkommen. Im Punkt A kann sie graphisch dargestellt werden als Tangens des Winkels , den die Abszisse mit der Verbindungslinie vom Ursprung O zum Punkt A bildet. Der Konsum C wird durch die Gegenkathete, das Einkommen Y durch die Ankathete des rechtwinkligen Dreiecks ODA repräsentiert: (3.3)
tan =
Gegenkathete(C) Ankathete(Y)
Die marginale Konsumquote
dC = CY dY misst das Verhältnis zwischen zusätzlichem Konsum und zusätzlichem Einkommen. Sie entspricht der ersten Ableitung der Konsumfunktion und somit deren Steigung.
Einkommen-Ausgaben-Modell
Da die Konsumfunktion in unserem Fall linear ist, kann die marginale Konsumquote auch als Tangens des Winkels interpretiert werden, den die Konsumfunktion mit der Parallelen zur Abszisse bildet, die im autonomen Konsum ihren Anfang nimmt. Der zusätzliche Konsum C wird durch die Gegenkathete, das zusätzliche Einkommen Y durch die Ankathete des rechtwinkligen Dreiecks
45
marginale Konsumquote
_________
C aut BA repräsentiert: (3.4) tan =
Gegenkathete(dC) Ankathete(dY)
Gemäß dem fundamentalpsychologischen Gesetz wird nicht das gesamte zusätzliche Einkommen für Konsumzwecke verwendet, sondern nur ein Teil davon, so dass die marginale Konsumquote zwar größer als null, aber kleiner als eins ist: (3.5)
0<
dC = CY < 1 dY
Die Sparfunktion, die ebenfalls in Abbildung 3.1 dargestellt ist, leitet sich aus der Konsumfunktion ab. Sie ist ebenfalls einkommensabhängig, da die Ersparnis die Residualgröße des Konsums zum Einkommen darstellt: Y = C + S. Die Steigung der Sparfunktion ist positiv, da mit zunehmendem Einkommen die Ersparnis ebenfalls zunimmt.
Sparfunktion
Die keynesianische Sparfunktion geht von einer positiven Abhängigkeit der Ersparnis vom laufenden Einkommen aus: (3.6)
S = S (Y) (+)
Der einkommensunabhängige Teil der Ersparnis, die autonome Ersparnis Saut, ist negativ. Diese Ersparnis fällt an, um die Ausgaben für den autonomen Konsum tätigen zu können, falls kein Einkommen bezogen wird. Der andere Teil ist die einkommensinduzierte Ersparnis SY Y, die von der Höhe des laufenden Einkommens positiv abhängt und sich aus dem Produkt aus marginaler Sparquote SY und laufendem Einkommen Y ergibt: (3.7)
S = Saut + SY Y
Die Sparfunktion nimmt ihren Ursprung auf dem negativen Ast der Ordinate, da die autonome Ersparnis unabhängig vom Einkommen und somit Lageparameter der Sparfunktion ist. Die autonome Ersparnis ist das Spiegelbild zum autonomen Konsum: (3.8)
Saut = - Caut
autonome und einkommensinduzierte Ersparnis
46
Einkommen-Ausgaben-Modell
SPARQUOTE durchschnittliche Sparquote
Die durchschnittliche Sparquote
S Y misst das Verhältnis zwischen Gesamtersparnis und Gesamteinkommen. Sie kann im Punkt F graphisch dargestellt werden als Tangens des Winkels , den die Abszisse mit der Sparkurve bildet. Die Ersparnis S wird durch die Gegenkathete, das Einkommen Y durch die Ankathete des rechtwinkligen Dreiecks ODF repräsentiert: (3.9)
marginale Sparquote
tan =
Gegenkathete(S) Ankathete(Y)
Die marginale Sparquote dS = SY dY misst das Verhältnis zwischen zusätzlicher Ersparnis und zusätzlichem Einkommen. Sie entspricht der ersten Ableitung der Sparfunktion und somit deren Steigung. Da die Sparfunktion in unserem Fall linear ist, kann die marginale Sparquote auch als Tangens des Winkels interpretiert werden, den die Sparfunktion mit der Parallelen zur Abszisse bildet, die in der autonomen Ersparnis ihren Anfang nimmt. Die zusätzliche Ersparnis S wird durch die Gegenkathete, das zusätzliche Einkommen Y durch die Ankathete des rechtwinkligen Dreiecks _________
S aut ED repräsentiert: (3.10)
tan =
Gegenkathete(dS) Ankathete(dY)
Einkommen-Ausgaben-Modell
47
Gemäß dem fundamentalpsychologischen Gesetz wird nicht das gesamte zusätzliche Einkommen für Sparzwecke verwendet, sondern nur ein Teil davon, so dass die marginale Sparquote, welche die zusätzliche Ersparnis aufgrund eines zusätzlichen Einkommens erfasst, zwar größer als null, aber kleiner als eins ist: (3.11)
0<
dS = SY < 1 dY
Da durchschnittliche Konsumquote und durchschnittliche Sparquote sich ebenso zu Eins addieren wie marginale Konsumquote und marginale Sparquote, gilt für die marginale Sparquote dS : dY
(3.12)
dS = SY = 1 C Y dY
In der folgenden Tabelle ist der Zusammenhang zwischen durchschnittlicher und marginaler Konsum- beziehungsweise Sparquote in einem Zahlenbeispiel dargestellt: 1
2
3
4
5
6
7
Einkommen
Konsum
durchschnittliche Konsumquote
marginale Konsumquote
Ersparnis
durchschnittliche Sparquote
marginale Sparquote
0
20
-
-
0
-
-
100
100
1,00
0,80
0
0,00
0,20
200
180
0,90
0,80
20
0,10
0,20
300
260
0,87
0,80
40
0,13
0,20
400
340
0,85
0,80
60
0,15
0,20
500
420
0,84
0,80
80
0,16
0,20
Abbildung 3.2: Konsum- und Sparquoten
48
Einkommen-Ausgaben-Modell
Konstanz der Konsumquoten
Die Frage, ob durchschnittliche und marginale Konsumquoten – und damit auch durchschnittliche und marginale Sparquoten – mit der absoluten Höhe des Einkommens variieren, ist ungeklärt: Einerseits spricht einiges dafür, dass durchschnittliche und marginale Konsumquoten mit zunehmendem Einkommen abnehmen, da Reiche nicht nur absolut, sondern auch relativ mehr sparen als Arme. Auch die Urbanisierung, die den Anteil der konsumfreudigen Stadtbevölkerung gegenüber der weniger konsumfreudigen Landbevölkerung erhöht, könnte für eine Veränderung der Konsumquoten sorgen. Andererseits berichten schon frühe empirische Studien von Lubell und Kuznets von einer bemerkenswerten langfristigen Konstanz durchschnittlicher sowie marginaler Konsumquoten, die nur im Zuge konjunktureller Schwankungen kurzfristig variieren. Die Konsumfunktion im Einkommen-Ausgaben-Modell ist eine Gerade, weil die marginale Konsumquote dieser keynesianischen Konsumfunktion als konstant angenommen wird. Keynes räumt zwar ein, dass die marginale Konsumquote mit zunehmendem Einkommen abnimmt. Die qualitativen Ergebnisse des Einkommen-Ausgaben-Modells ändern sich jedoch nicht, wenn wir zur Vereinfachung von der Konstanz der marginalen Konsumquote ausgehen. Keynes lässt auch mögliche Zinswirkungen auf den Konsum nicht außer Acht, hält sie aber für vernachlässigbar gering, da sich der aus der Mikroökonomik bekannte Substitutionseffekt – bei hohem Zinssatz geringerer Konsum aufgrund höherer Finanzierungskosten – und der Einkommenseffekt – bei hohem Zinssatz höherer Konsum aufgrund höherer Zinseinkommen – kompensierten. Insgesamt nennt Keynes mehrere mögliche Einflussfaktoren auf den Konsum, hält das laufende Einkommen aber für den wichtigsten.
2.2. Weitere Konsumfunktionen
klassische Konsumfunktion
relative Einkommenshypothese
Zu den weiteren Konsumfunktionen zählt die im vorherigen Kapitel erläuterte klassische Konsumfunktion, die eine negative Abhängigkeit des Konsums vom Zinssatz annimmt. Der Zinssatz für einen Kredit wird als Preis aufgefasst, der vom Schuldner für die Verlagerung seines Zukunftskonsums in die Gegenwart zu entrichten ist. Je höher der Zinssatz ist, desto höher sind die Opportunitätskosten eines Konsumenten, da er im Falle eines Konsumverzichts einen hohen Zinssatz für mögliche Ersparnisse erzielen könnte. Deshalb ist die Konsumnachfrage umso höher, je niedriger der Zinssatz ist. Die relative Einkommenshypothese von Duesenberry geht davon aus, dass die Höhe des Konsums von der relativen Position eines Individuums in der Einkommenspyramide abhängt: Bezieher niedriger
Einkommen-Ausgaben-Modell
49
Einkommen weisen eine höhere marginale Konsumquote auf, weil sie sich am Konsumverhalten der Bezieher höherer Einkommen orientieren. Ändern sich die Positionen innerhalb der Einkommenshierarchien nicht, so ändern sich auch die marginalen Konsumquoten nicht. Die Habit-Persistence-Einkommenshypothese von Brown nimmt an, dass Konsumenten sich an ihrem gewohnten Konsumniveau orientieren. Den Verbrauchern fällt es schwerer, ihr Konsumniveau zu ändern als die Höhe ihrer Ersparnisse. Ihr Konsum ist kurzfristig durch das Verhältnis zwischen ihrem laufenden und ihrem Höchsteinkommen in der Vergangenheit bestimmt. Im Falle eines vorübergehend geringeren Einkommens reduzieren die privaten Haushalte ihren Konsum nur unterproportional stark, so dass die marginale Konsumquote relativ hoch ist. Im Falle eines vorübergehend höheren Einkommens steigern sie ihren Konsum nur unterproportional stark, so dass die marginale Konsumquote relativ gering ist. Die Steigungen der kurzfristigen Konsumfunktionen sind somit flacher als die der langfristigen Konsumfunktion, es ergibt sich ein so genannter »Sperrklinkeneffekt« (ratchet effect).
Habit-PersistenceEinkommenshypothese
Die Lebenszyklushypothese des Konsums von Modigliani hält nicht nur das gegenwärtige, sondern das erwartete Lebenseinkommen für den wichtigsten Bestimmungsgrund des Konsums. Wirtschaftssubjekte nehmen aufgrund positiver künftiger Einkommenserwartungen in der frühen Phase ihres Lebens Kredite auf, bilden in ihrer mittleren, einkommensintensiven Lebensphase Ersparnisse und leben in ihrer späten Lebensphase von Ersparnissen, so dass bei »angemessener« Planung ihr Vermögen am Ende ihres Lebens aufgebraucht ist. Sie unterliegen einem intertemporalen Nutzenmaximierungskalkül, dessen Formulierung auf den neoklassischen Ökonomen Irving Fisher zurückgeht. Durch das Aufnehmen von Krediten beziehungsweise durch das Bilden von Ersparnissen versuchen private Haushalte ihren Konsum in Perioden zu verlagern, in denen ihr Einkommen nicht dem Wert ihrer Konsumwünsche entspricht. Die Wirtschaftssubjekte haben die intertemporale Budgetrestriktion einzuhalten, nach welchem der Barwert des abgezinsten Lebenseinkommens dem Barwert der abgezinsten Konsumausgaben entspricht:
Lebenszyklushypothese
n
(3.13)
Yt
n
Ct
(1 + i ) = (1 + i ) t =0
t
t =0
t
Die monetaristische Konsumfunktion von Friedman – auch »permanente Einkommenshypothese« genannt – nimmt eine positive Abhängigkeit des Konsums vom permanenten Einkommen an, das heißt vom Barwert des gesamten erwarteten Einkommens. Das permanente Einkommen unterscheidet sich vom Lebenszykluseinkommen
permanente Einkommenshypothese
50
Einkommen-Ausgaben-Modell
dadurch, dass dieses nur die Einkommen bis zu einem fixierten erwarteten Lebensende berücksichtigt, während jenes grundsätzlich einen unendlichen Zeitrahmen erfasst, wobei spätere Einkommen aufgrund des Diskontfaktors immer kleinere Beiträge zum permanenten Einkommen beisteuern, die letztlich gegen null tendieren. Auch die permanente Einkommenshypothese geht davon aus, dass Wirtschaftssubjekte einen intertemporalen Kalkül zugrunde legen, um ihre Konsumentscheidungen optimal zu treffen. Konsumstrom und Konsumausgabe
Problematisch an allen Konsumfunktionen ist der Umstand, dass genau genommen nicht der Konsumstrom – verstanden als Nutzenstrom, der einem Wirtschaftssubjekt durch den Konsum eines Gutes zufließt –, sondern nur die Konsumausgabe gemessen werden kann. Insbesondere bei dauerhaften Konsumgütern besteht nicht immer eine Kongruenz zwischen der Konsumausgabe und ihrem korrespondierenden Konsumstrom. So kann eine Konsumausgabe (z.B. Kauf eines Buches) anfallen, ohne dass diese einen entsprechenden Konsumstrom (z.B. Lesen des Buches) auslöst. Diskrete Konsumausgaben sind kein Äquivalent für relativ kontinuierlich verlaufende Konsumströme. Auch die Sensitivität von Menschen, Konsumströme wahrzunehmen und in ihrer vollen Stärke zu empfinden, variiert in Raum und Zeit und hängt unter anderem auch von ihrem vergangenen Konsum ab, so dass die funktionale Zuordnung eines bestimmten Konsumstroms für ein bestimmtes Gut nicht möglich ist. Der Konsumstrom, der beispielsweise einem Glas Mineralwasser zukommt, hängt auch davon ab, wie durstig man ist, die Konsumausgabe hingegen ist bei Vorratskäufen unabhängig vom Durstgefühl. Die folgende Tabelle stellt eine Übersicht der vorgestellten Konsumfunktionen dar: Bezeichnung
Autor
Variable
klassische Konsumfunktion
Klassiker
Zinssatz
keynesianische Konsumfunktion /
Keynes
laufendes Einkommen
relative Einkommenshypothese
Duesenberry
relatives Einkommen
Habit-PersistenceEinkommenshypothese
Brown
Konsumgewohnheiten
Lebenszyklushypothese
Modigliani
Lebenseinkommen
monetaristische Konsumfunktion / permanente Einkommenshypothese
Friedman
permanentes Einkommen
absolute Einkommenshypothese
Abbildung 3.3: Konsumfunktionen
Einkommen-Ausgaben-Modell
51
2.3. Investitionsfunktion Konsumfunktionen zeigen, wie sich die Güternachfrage der privaten Haushalte bildet. Die im Folgenden behandelten Investitionsfunktionen zeigen, wie sich die Investitionsnachfrage der Unternehmer bildet. Sowohl nach klassisch-neoklassischer als auch nach keynesianischer Lesart hängt die Investitionsnachfrage negativ vom Zinssatz ab: (3.14)
Investitionsnachfrage zinssatzabhängig
I = I (i) ()
Diese Abhängigkeit wird unterschiedlich begründet: In der klassisch-neoklassischen Theorie hängt die Investitionsnachfrage vom optimalen Kapitalwert ab. Eine Investition lohnt sich, wenn die Anschaffungskosten geringer sind als der maximale Barwert (= Gegenwartswert) der zum Marktzinssatz abgezinsten künftigen Nettoeinnahmen, die aus dieser Investition zu erwarten sind.
klassisch-neoklassisch: optimaler Kapitalwert
In der keynesianischen Theorie hängt die Investitionsnachfrage von der Grenzleistungsfähi gkeit des Kapitals ab, die durch den internen Zinsfuß ausgedrückt wird. Der interne Zinsfuß ist der Zinssatz, bei dem der Barwert der Nettoeinnahmen den Anschaffungskosten entspricht. Liegt er höher als der Marktzinssatz, lohnt sich die Investition, liegt er niedriger, lohnt sie sich nicht. Weil mit steigendem Marktzinssatz die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass der interne Zinsfuß höher ist als der Marktzinssatz, ergibt sich eine negative Abhängigkeit der Investitionsnachfrage vom Marktzinssatz. Das optimale Investitionsvolumen ist dadurch bestimmt, dass die – mit zunehmendem Investitionsvolumen sinkende – Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals dem Marktzinssatz entspricht.
keynesianisch: Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals
Die folgende Graphik zeigt die negative Abhängigkeit der Investitionsnachfrage vom Zinssatz:
Investitionsfunktion
52
Einkommen-Ausgaben-Modell
i
I (i) (-)
I Abbildung 3.4: Investitionsfunktion
Einkommen-Ausgaben-Modell
3. Multiplikatoranalyse Als Ausgangspunkt für unsere Multiplikatoranalyse wählen wir ein Gütermarktgleichgewicht. Davon ausgehend bestimmen wir den elementaren Multiplikator, der anzeigt, um das Wievielfache sich die Produktion / die Beschäftigung / das Einkommen ändert, wenn exogene Größen verändert worden sind. Einen besonderen Multiplikator entwickeln wir im Rahmen des Haavelmo-Theorems.
3.1. Gütermarktgleichgewicht In Abbildung 3.5 ist das Einkommen-Ausgaben-Modell dargestellt. Auf der Ordinate werden die Bestandteile der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, auf der Abszisse wird das gesamtwirtschaftliche Angebot gemessen:
Abbildung 3.5: Einkommen-Ausgaben-Modell
53
54
Einkommen-Ausgaben-Modell
Die 45-Grad-Linie hat die Eigenschaft, dass jeder Punkt auf dieser Linie die gleiche Entfernung zur Abszisse wie zur Ordinate hat. Dies bedeutet, dass jeder Punkt auf dieser Linie eine Kombination darstellt, bei der die auf der Ordinate gemessene Größe der auf der Abszisse gemessenen Größe entspricht. Im Punkt A, in dem die Konsumfunktion die 45-Grad-Linie schneidet, ist der Konsum CA genauso hoch wie das Einkommen YA. Deshalb liegt die Ersparnis SA bei Null. Links dieses Punktes werden Ersparnisse aufgelöst, rechts dieses Punktes werden Ersparnisse gebildet. _
privatwirtschaftliche Nachfrage
Die Investitionsnachfrage I = I und die hier nicht extra abgetragene Staatsnachfrage G werden aus Gründen der Vereinfachung als exogene Größen betrachtet. Sie verlaufen parallel zur Abszisse. Werden zu jedem Konsumniveau die gegebenen Investitionen hinzugefügt, erhält man die privatwirtschaftliche Nachfragekurve Yd = C + I, die sich aus der Parallelverschiebung der Konsumkurve um die exogene Investitionsnachfrage nach oben ergibt. Im Punkt B, in dem die privatwirtschaftliche Nachfragekurve die 45-Grad-Linie schneidet, entspricht die Nachfrage der Privaten YBd dem gesamtwirtschaftlichen Angebot Y B. Die 45-Grad-Linie ist somit eine Gleichgewichtslinie.
gesamtwirtschaftliche Nachfrage
Werden analog dazu zu jedem Niveau der privaten Nachfrage die gegebenen Staatsausgaben hinzugefügt, erhält man die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve Yd = C + I + G, die sich aus der Parallelverschiebung der privatwirtschaftlichen Nachfragekurve um die exogene Staatsnachfrage nach oben ergibt. Im Punkt D, in dem die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve die 45-Grad-Linie schneidet, besteht Gütermarktgleichgewicht, da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage YDd dem gesamtwirtschaftlichen Angebot YD entspricht.
inflatorische und deflatorische Lücke
Links dieses Punktes besteht ein Nachfrageüberschuss, da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage größer ist als das gesamtwirtschaftliche Angebot. Da Nachfrageüberschüsse in der Regel zu Preiserhöhungen führen, bezeichnet man diesen Bereich auch als inflatorische Lücke. Rechts dieses Punktes besteht ein Angebotsüberschuss, da das gesamtwirtschaftliche Angebot größer ist als die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Da Angebotsüberschüsse in der Regel zu Preissenkungen führen, bezeichnet man diesen Bereich auch als deflatorische Lücke. Sofern die marginale Konsumquote kleiner ist als Eins, ist das Gleichgewicht stabil, da im Fall von Ungleichgewichten eine Anpassung zum Gleichgewicht hin stattfindet: Im Fall einer inflatorischen Lücke, bei der ein Nachfrageüberschuss vorliegt, würden die Wirtschaftssubjekte in der nächsten Periode ihr Angebot erhöhen, im Fall einer deflatorischen Lücke senken.
Einkommen-Ausgaben-Modell
3.2. Elementarer Multiplikator In einer geschlossenen Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität gelten folgende Zusammenhänge: Zum einen wird das Einkommen entweder konsumiert oder investiert: (3.15)
Y=C+I
Zum anderen wird das Einkommen entweder konsumiert oder gespart: (3.16)
Y=C+S
Für eine geschlossene Volkswirtschaft ohne staatliche Aktivität gilt die Identität von (Netto-) Investitionen und Ersparnis: (3.17)
I=S
Ex post kann die realisierte Investitionsnachfrage, die sich aus geplanten und ungeplanten Investitionen zusammensetzt, nicht von der realisierten Ersparnis abweichen, die sich aus geplanter und ungeplanter Ersparnis zusammensetzt. Weichen die Plangrößen voneinander ab, müssten beispielsweise Lager aufgestockt (S > I) beziehungsweise abgebaut (I > S) werden. Die Identität I = S gilt ex ante und ist als Gleichgewichtsbedingung aufzufassen, das heißt sie gilt für den Fall, dass die von Privaten geplanten Investitionen ihren geplanten Ersparnissen entsprechen. Das Gleichgewichtseinkommen ist mit dem Fehlen ungeplanter Investitionen und ungeplanter Ersparnis verbunden. Wird staatliche Aktivität in die Analyse miteinbezogen, wird das Einkommen für den autonomen Konsum, den einkommensinduzierten Konsum, die exogenen Investitionen sowie die exogenen Staatsausgaben verwendet: (3.18)
Y = Caut + C Y Y + I + G
Nach Sortieren von Y ergibt sich: (3.19)
Y - CY Y = Caut + I + G
Nach Ausklammern von Y erhalten wir: (3.20)
(1 - CY) Y = Caut + I + G
Aufgelöst nach Y bedeutet dies, dass das Einkommen gleich ist dem Kehrwert der marginalen Sparquote multipliziert mit der Summe aus dem autonomen Konsum sowie den exogenen Investitionen und Staatsausgaben: (3.21)
Y=
1 [C aut + I + G ] 1 CY
(3.22)
Y=
1 [C aut + I + G ] SY
55
56
Einkommen-Ausgaben-Modell
1 beziehungsweise 1 1 CY SY stellen den elementaren Multiplikator dar. Dieser Ausdruck wird »Multiplikator« genannt, weil eine Ausweitung der Investitionen zu einer »vielfachen« Einkommenserhöhung führt, wenn die marginale Konsum- und Sparquote kleiner als eins sind. elementarer Multiplikator
Transmissionsmechanismus
Liegt die marginale Konsumquote beispielsweise bei 0,8 und damit die marginale Sparquote bei 0,2, führt eine Erhöhung der Investitionen zu einem zusätzlichen Einkommen, welches das Fünffache der ursprünglichen Investitionserhöhung ausmacht. Der Transmissionsmechanismus (Übertragungsmechanismus) der Wirkungskette einer Erhöhung der privaten Investitionsnachfrage (oder der Staatsausgaben oder des autonomen Konsums) auf das Volkseinkommen wird im Einkommen-Ausgaben-Modell folgendermaßen erläutert: Angenommen, die marginale Konsumquote liege bei 0,8 und die Investitionen steigen einmalig und dauerhaft um 100 Geldeinheiten (z.B. Millionen Euro). In der ersten Phase führt die Erhöhung der Investitionsnachfrage zu einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, da die Investitionen entsprechend der Gleichgewichtsbedingung Y = C(Y) + I + G Nachfragebestandteil sind. Aufgrund der Annahme, dass sich das Güterangebot der Güternachfrage unendlich schnell anpasst, steigt das gesamtwirtschaftliche Angebot ebenfalls. Wenn sowohl die gesamtwirtschaftliche Nachfrage als auch das gesamtwirtschaftliche Angebot zunehmen, erhöht sich das gesamtwirtschaftliche Einkommen – in unserem Fall um 100: (3.23)
Y1 = I
(3.24)
Y1 = 100
In der zweiten Phase induziert dieser Einkommensanstieg einen Anstieg der einkommensabhängigen Konsumnachfrage. Da auch der Konsum entsprechend der Gleichgewichtsbedingung Y = C(Y) + I + G Nachfragebestandteil ist, steigt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, die ein entsprechendes gesamtwirtschaftliches Angebot nach sich zieht und somit zu einem weiteren Einkommensanstieg führt. In Kurzschreibwiese lassen sich die bisher erläuterten zwei Phasen folgendermaßen darstellen: I Y d Y s Y C (Y ) Y d Y s Y (+)
Einkommen-Ausgaben-Modell
Bei einer marginalen Konsumquote von 0,8 steigt das Einkommen um weitere 80, so dass das Einkommen am Ende der zweiten Phase um insgesamt 180 gestiegen ist: (3.25)
Y2 = Y1 + CY Y1 Y2 = 100 + 0,8 100
(3.26)
Y2 = 100 + 80 = 180
In der dritten Phase werden vom zusätzlichen Einkommen der Vorperiode (80 Geldeinheiten) wiederum vier Fünftel (64 Geldeinheiten) konsumiert. Wie in allen Phasen passt sich das Güterangebot unendlich schnell an, so dass das Einkommen weiterhin zunimmt: Y3 = Y1 + CY Y1 + CY (CY Y1) (3.27)
Y3 = [(C Y)0 + (CY)1 + (C Y)2] Y1 Y3 = 100 + 0,8 100 + 0,8 0,8 100 Y3 = 100 + 0,8 100 + 0,64 100
(3.28)
Y3 = 100 + 80 + 64 = 244
Analog kommen in der vierten Phase folgende Effekte zum Tragen: Y4 = Y1 + CY Y1 + CY (CY Y1) + C Y [CY (CY Y1)] (3.29)
Y4 = [(C Y)0 + (CY)1 + (C Y)2 + (C Y)3] Y1 Y4 = 100 + 0,8 100 + 0,8 0,8 100 + 0,8 0,8 0,8 100 Y4 = 100 + 0,8 100 + 0,64 100 + 0,512 100
(3.30)
Y4 = 100 + 80 + 64 + 51,2 = 295,2
Dieser Prozess setzt sich unendlich lange fort. In jeder weiteren Phase steigt das Einkommen, allerdings um immer kleinere Beträge: In der fünften Phase nimmt das Einkommen noch um 40,96 (0,8 51,2) Geldeinheiten zu, das zusätzliche Einkommen tendiert mit zunehmender Phase gegen null. Die Darstellung mit den allgemeinen Variablen zeigt deutlich den Verlauf einer geometrischen Reihe: (3.31)
Yt = (CY)0 Y1+ (CY) 1Y1+ (CY) 2 Y1+ (CY) 3Y1+ …+(CY)t - 1 Y1
Um den Multiplikator herzuleiten, multiplizieren wir beide Seiten der Gleichung (3.31) mit der marginalen Konsumquote CY: (3.32)
CYYt =(CY)1Y1+(CY) 2Y1+ (CY)3Y1+ (CY)4Y1+ …+(CY) t Y1
57
58
Einkommen-Ausgaben-Modell
In einem weiteren Schritt subtrahieren wir Gleichung (3.32) von Gleichung (3.31) und erhalten: (3.33)
Yt - C Y Yt = [(CY)0 - (CY)t ] Y1 (1-CY) Yt = [1- (CY)t ] Y1
Aufgelöst nach Yt ergibt sich:
[1 (C ) ] Y t
(3.34)
Yt =
Y
1 C Y
1
Da die marginale Konsumquote annahmegemäß kleiner ist als eins, strebt (CY)t gegen null, so dass [1 - (CY)t ] gegen eins strebt. Gleichung (3.35) enthält den elementaren Gütermarktmultiplikator: (3.35)
Yt =
1 Y1 1 CY
In unserem angenommenen Fall einer marginalen Konsumquote von 0,8 beträgt der Multiplikator somit
1 1 = =5 1 0,8 0,2 Eine Erhöhung der Investitionen um 100 Geldeinheiten führt folglich zu einer Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Einkommens um 500 Geldeinheiten. Eine marginale Konsumquote von 0,9 zöge nach einer einmaligen dauerhaften Erhöhung der Investitionen ein zusätzliches Einkommen nach sich, das zehnmal so hoch wäre wie die zusätzlichen Investitionen, während bei einer marginalen Konsumquote von 0,5 das zusätzliche Einkommen »nur« um das Doppelte der ursprünglichen Investitionserhöhung stiege. Werden anstelle der privaten Investitionen die Staatsausgaben erhöht, ergeben sich ohne Modellerweiterungen keine Änderungen, da die Staatsausgaben ebenso wie die Investitionen oder der autonome Konsum exogene Größen sind.
Einkommen-Ausgaben-Modell
59
3.3. Haavelmo-Theorem Der Staat muss seine Ausgaben finanzieren. Eine Pauschalsteuer, die unabhängig vom Einkommen gezahlt wird, ändert den Multiplikator nicht, da die zusätzlich geschaffenen Einkommen nicht der Steuer unterliegen. Im Fall einer Einkommensteuer wird der elementare Multiplikator jedoch beeinflusst, da die Steuerlast mit steigendem Einkommen – proportional oder typischerweise progressiv – zunimmt. Nimmt der Staat von den Privaten Steuern ein, verringert sich deren verfügbares Einkommen. Daher sinkt auch der Konsum, der vom verfügbaren Einkommen abhängt. In diesem Fall hängt die Höhe des Multiplikators nicht nur von der marginalen Konsumquote beziehungsweise der marginalen Sparquote ab, sondern auch vom Steuersatz: Je höher der Steuersatz, desto geringer das verfügbare Einkommen, desto geringer der Multiplikator. Das Haavelmo-Theorem bezieht die Finanzierungsseite in die Analyse einer expansiven Fiskalpolitik ein: Eine Staatsausgabenerhöhung mit G > 0 wird durch eine Steuererhöhung in gleicher Höhe mit G = T finanziert. Im Gegensatz zur Erhöhung der Staatsausgaben wirkt die Steuererhöhung kontraktiv auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, da sie das verfügbare Einkommen der Privaten reduziert und ihnen somit Kaufkraft entzieht. Demzufolge wird die intendierte Ankurbelung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage durch die Finanzierung der zusätzlichen Staatsausgaben zumindest partiell konterkariert. Um das Ausmaß dieses gegenläufigen Effekts zu bestimmen, muss man sich vergegenwärtigen, dass der Teil der zusätzlichen Steuerzahlungen, der ohne diese Steuererhöhung nicht gespart, sondern konsumiert worden wäre, der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verloren geht: (3.36)
T – SyT = (1 – Sy) T
Somit reduziert sich der Initialeffekt G = T um das Produkt aus der marginalen Sparquote SY und der Änderung der Staatsausgaben G: (3.37)
G – (1 – Sy)G = Sy G
Dadurch sinkt der einfache Staatsausgabenmultiplikator auf dem Gütermarkt. Die Änderung des Einkommens Y entspricht dem Staatsausgabenmultiplikator ohne Steuerfinanzierung
1 SY multipliziert mit der marginalen Sparquote SY und der Anstoßwirkung G:
Steuerfinanzierung
60
Einkommen-Ausgaben-Modell
(3.38)
Y =
1 S Y G SY
Durch Kürzung vereinfacht sich der Multiplikator schließlich zu: (3.39) Haavelmo-Theorem: Staatsausgabenmultiplikator: 1
Y = 1 G
Gemäß dem Haavelmo-Theorem hat der einfache Staatsausgabenmultiplikator genau den Wert von eins. Dies bedeutet, dass das gesamtwirtschaftliche Einkommen um den vollen Betrag der Staatsausgabenerhöhung zunimmt – um nicht mehr, aber auch um nicht weniger. Die negative Interpretation dieses Ergebnisses lautet: Das Volkseinkommen steigt im Rahmen einer steuerfinanzierten expansiven Fiskalpolitik nur um die Höhe der zusätzlichen Staatsausgaben, nicht aber um ein Vielfaches davon, so dass eine echte Multiplikatorwirkung ausbleibt. Die positive Interpretation, der auch Haavelmo zuneigt, lautet: Trotz des partiellen steuerinduzierten Rückgangs der privaten Nachfrage erhöht sich das gesamtwirtschaftliche Einkommen immerhin um die Höhe der zusätzlichen Staatsausgaben, so dass die expansive Fiskalpolitik effektiv ist. Allerdings werden Fragen der Effizienz der Verwendung öffentlicher und privater Mittel ausgeklammert.
marginale Importquote bedeutend
Werden wirtschaftliche Aktivitäten mit dem Ausland einbezogen, ist nicht sichergestellt, dass die Wirtschaftssubjekte ihre zusätzliche Konsumnachfrage im Inland tätigen. Im Extremfall ist es sogar denkbar, dass sich der gesamte zusätzliche Konsum in einer gestiegenen Importnachfrage niederschlägt, so dass der elementare Multiplikator nicht zur Geltung kommt, weil sich das inländische Güterangebot mangels zusätzlicher inländischer Nachfrage nicht erhöht. Inwieweit der Multiplikator wirksam wird, hängt somit auch von der marginalen Importquote ab.
Einkommen-Ausgaben-Modell
4. Zusammenfassung 1. Die klassische Konsumfunktion unterstellt eine negative Abhängigkeit der Konsumnachfrage vom Zinssatz, die keynesianische eine positive Abhängigkeit vom laufenden Einkommen, die relative Einkommenshypothese eine Abhängigkeit vom Konsum anderer, die Habit-Persistance-Einkommenshypothese eine Abhängigkeit vom bisherigen persönlichen Spitzenkonsum, die Lebenszyklushypothese eine positive Abhängigkeit vom Lebenseinkommen, die permanente Einkommenshypothese eine positive Abhängigkeit vom permanenten Einkommen. Das Einkommen-Ausgaben-Modell geht von der Geltung der (keynesianischen) absoluten Einkommenshypothese aus. 2. Die durchschnittliche Konsumquote misst das Verhältnis zwischen Gesamtkonsum und Gesamteinkommen, die marginale Konsumquote dasjenige zwischen zusätzlichem Konsum und zusätzlichem Einkommen. 3. Die keynesianische Sparfunktion ist positiv vom Einkommen, die Investitionsfunktion negativ vom Zinssatz abhängig. 4. Gleichgewicht auf dem Gütermarkt besteht, wenn sich Güterangebot und Güternachfrage ausgleichen. Ein Nachfrageüberschuss wird als inflatorische, ein Angebotsüberschuss als deflatorische Lücke bezeichnet. 5. Der keynesianische Transmissionsmechanismus geht davon aus, dass sich ein Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in einem ebenso hohen Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Angebots niederschlägt (Umkehrung des Say'schen Theorems). Über ein steigendes gesamtwirtschaftliches Einkommen wird die Konsumnachfrage erhöht, was einen Multiplikatorprozess weiterer, kleiner werdender Einkommenserhöhungen auslöst. 6. Der elementare Multiplikator entspricht dem Kehrwert der marginalen Sparquote. 7. Gemäß dem Haavelmo-Theorem erhöht eine steuerfinanzierte expansive Fiskalpolitik das gesamtwirtschaftliche Einkommen um die erhöhten Staatsausgaben. Der Multiplikator beträgt genau eins.
61
62
Einkommen-Ausgaben-Modell
5. Wiederholungsfragen
1.
Vergleichen Sie unterschiedliche Konsumfunktionen. Lösung S. 48 ff.
2.
Stellen Sie die keynesianische Konsum- und die keynesianische Sparfunktion in einem Diagramm graphisch dar. Lösung S. 44
3.
Erläutern Sie den elementaren Multiplikator des Einkommen-Ausgaben-Modells. Lösung S. 55 ff.
4.
Erläutern Sie die Bedeutung der keynesianischen Umkehrung des Say'schen Theorems für die Wirksamkeit des elementaren Multiplikators. Lösung S. 56
5.
Nennen Sie die zentrale Aussage des Haavelmo-Theorems und interpretieren Sie diese. Lösung S. 60
Einkommen-Ausgaben-Modell
6. Übungsaufgaben 1. Vergleichen Sie die Bedeutung der absoluten Einkommenshypothese für die Wirksamkeit des elementaren Multiplikators mit derjenigen der permanenten Einkommenshypothese. Lösungsvorschlag: Nach der absoluten Einkommenshypothese hängt der Konsum vom laufenden Einkommen ab. Eine Erhöhung des laufenden Einkommens schlägt sich daher in einer Erhöhung des laufenden Konsums nieder, deren Ausmaß von der marginalen Konsumquote abhängt. Nach der permanenten Einkommenshypothese hängt der Konsum vom permanenten Einkommen ab, nicht nur vom laufenden. Somit schlägt sich eine Erhöhung des laufenden Einkommens nur zu einem geringeren Teil in einer Erhöhung des laufenden Konsums nieder, so dass der elementare Multiplikator kleiner ist als unter der keynesianischen Annahme. 2. Wie hoch ist der elementare Multiplikator, wenn die durchschnittliche Konsumquote bei 85 Prozent liegt und von jedem zusätzlichen Einkommen ein Viertel gespart wird? Lösungsvorschlag: Für die Bestimmung des elementaren Multiplikators sind weder die durchschnittliche Konsumquote noch die durchschnittliche Sparquote von Relevanz. Maßgeblich ist, welcher Anteil des zusätzlichen Einkommens konsumiert beziehungsweise gespart wird. Da die marginale Sparquote bei einem Viertel liegt, ist der elementare Multiplikator vier.
63
IS-LM-Modell 1.
Einleitung
66
2.
Statische Analyse
68
2.1.
Graphische Herleitung der IS-Kurve
68
2.2.
Graphische Herleitung der LM-Kurve
71
2.3.
Simultanes Gleichgewicht und Ungleichgewichtskonstellationen
79
3.
Geldpolitik
81
3.1.
Normalfall
81
3.2.
Spezialfälle
85
3.3.
Mathematische Herleitung des Geldmengenmultiplikators
88
4.
Fiskalpolitik
94
4.1.
Normalfall
94
4.2.
Spezialfälle
97
4.3.
Mathematische Herleitung des Staatsausgabenmultiplikators
101
5.
Zusammenfassung
104
6.
Wiederholungsfragen
106
7.
Übungsaufgaben
107
66
IS-LM-Modell
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein, • • • • •
die IS-Kurve graphisch herzuleiten, die LM-Kurve graphisch herzuleiten, Gleichgewichts- und Ungleichgewichtskonstellationen auf dem Güter- und dem Geldmarkt zu interpretieren, die Effektivität einer Geldpolitik graphisch, mathematisch und verbal zu erläutern, die Effektivität einer Fiskalpolitik graphisch, mathematisch und verbal zu erläutern.
Der Keynesianismus verdankt seinen Namen seinem Begründer, John Maynard Keynes (1883-1946). Im Jahre 1936 schrieb der damalige Cambridge-Professor sein bahnbrechendes Werk »The General Theory of Employment, Interest, and Money«, das wie kein zweites Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusste. John Richard Hicks (1904-1989), zeitweilig ebenfalls Wirtschaftsprofessor an der Cambridge University, legte nur ein Jahr später mit seinem Aufsatz »Mr Keynes and the ‚Classics‘: A Suggested Interpretation« die erste der zahlreichen Keynes-Interpretationen vor und formulierte das IS-LM-Modell. Im Jahre 1972 erhielt Hicks den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Das IS-LM-Modell, auch »Hicks(-Hansen)-Modell« genannt, ist das bekannteste makroökonomische Modell. Die siebziger Jahre galten als das »keynesianische Jahrzehnt«. Während der Keynesianismus unter Ökonomen seit dem Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts an Einfluss verloren hat, erfreut er sich unter zahlreichen Politikern ungebrochener Beliebtheit. Gezeichnet von der »Großen Depression«, der Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1931, ist Keynes überzeugt, dass der Staat auch in die Prozesspolitik eingreifen müsse. Dessen Untätigkeit und eiserner Sparwille hätten die Krise in der Zwischenkriegszeit verschärft. Keynes vertritt die These, dass eine Regierung in wirtschaftlich schlechten Zei ten – im Gegensatz zu den Lehren der Klassiker und Neoklassiker – die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbeln müsse. Denn in diesem Falle würde – in der Umkehrung des Say’schen Theorems – mehr produziert, die Beschäftigung und ebenso die Einkommen stiegen, sodann auch der vom Einkommen abhängige Konsum, was zu einem weiteren Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führe,
IS-LM-Modell
so dass eine einmalige staatliche Initialzündung wie ein Multiplikator positiv auf die wirtschaftliche Erholung eines Landes wirke. In schlechten Zeiten solle der Staat ein deficit spending betreiben, das heißt sich gegebenenfalls verschulden und Haushaltsdefizite billigend in Kauf nehmen, während er in besseren Zeiten dafür Rücklagen bilden solle.
67
deficit spending
Wie zusätzliche staatliche Ausgaben beispielsweise im Rahmen einer expansiven Fiskalpolitik zu finanzieren sind, wird im IS-LM-Modell nicht berücksichtigt, das heißt von einer möglichen – und wahrscheinlichen – öffentlichen Verschuldung wird abgesehen. Neben der Vernachlässigung der Budgetrestriktion des Staates werden auch Interdependenzen zwischen Strom- und Bestandsgrößen wie Vermögenseffekte nicht in die Analyse miteinbezogen. Bestandsgrößen (stocks) wie das Vermögen sind zeitpunktbezogen und können zeitraumbezogene Stromgrößen (flows) wie den Konsum beeinflussen. Diesen als StockFlow-Problematik in die Literatur eingegangenen Mangel versucht das Blinder-Solow-Modell (vgl. entsprechendes Kapitel) ebenso zu heilen wie die Vernachlässigung der Finanzierungsseite des Staates. Das IS-LM-Modell betrachtet eine geschlossene Volkswirtschaft, das heißt wirtschaftliche Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern werden vernachlässigt. Das Mun dell-Fleming-Modell (vgl. entsprechendes Kapitel), das eine Erweiterung des IS-LM-Modells um außenwirtschaftliche Aktivitäten darstellt, hebt diese Einschränkung auf.
geschlossene Volkswirtschaft
Im Gegensatz zur neoklassischen Theorie, nach welcher der walrasianische Auktionator zuerst die Gleichgewichtspreise finden muss, bevor der Austausch von Gütern in die Wege geleitet wird, geht die keynesianische Theorie davon aus, dass Mengen schneller reagieren als Preise. In traditionellen keynesianischen Modellen wird angenommen, dass das Preisniveau konstant sei, das heißt von Inflationswirkungen wird abgesehen. Diese Annahme ist ins besondere für die Geld-, aber auch für die Fiskalpolitik kritisch zu betrachten, kann jedoch kurzfristig für inflationsarme Volkswirtschaften als weniger problematisch angesehen werden. Die Neoklassische Synthese (vgl. entsprechendes Kapitel), die klassisch-neoklassische und keynesianische Elemente miteinander verbindet, hebt die Konstanz des Preisniveaus auf.
Konstanz des Preisniveaus
68
IS-LM-Modell
2. Statische Analyse Im Rahmen der zeitpunktbezogenen statischen Analyse werden zunächst die Gleichgewichtspunkte auf dem Gütermarkt (Kapitalmarkt), die durch die IS-Kurve repräsentiert sind, und anschließend die Gleichgewichtsloki auf dem Geldmarkt (Wertpapiermarkt) dargestellt, die sich in der LM-Kurve widerspiegeln. Schließlich ergibt sich das simul tane Gleichgewicht auf dem Gütermarkt (Kapitalmarkt) und Geldmarkt (Wertpapiermarkt) als Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve. Ein Gütermarktgleichgewicht impliziert ein Kapitalmarktgleichgewicht: Wenn die beiden Gleichgewichtsbedingungen Y = C + I sowie Y = C + S erfüllt sind, gilt auch die Identität von I = S. Wenn also das Volkseinkommen von den Privaten in gleicher Höhe konsumiert oder investiert und von den Haushalten konsumiert oder gespart wird, entspricht die geplante Investitionsnachfrage der Unternehmer dem geplanten Sparangebot der privaten Haushalte, es liegt also ein Gleichgewicht auf dem Kapitalmarkt vor. Deshalb erübrigt sich für unsere Gleichgewichtsanalyse die explizite Berücksichtigung beider Märkte. Wir betrachten daher im Folgenden den Gütermarkt explizit, den Kapitalmarkt implizit. Ähnlich ist das Verhältnis von Geld- und Wertpapiermarkt: Der Wertpapiermarkt stellt das Spiegelbild des Geldmarktes dar. Ein Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt ist gleichbedeutend mit einem Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt et vice versa. In den folgenden Überlegungen betrachten wir daher nur einen dieser beiden Märkte, den Geldmarkt, explizit und den anderen Markt, den Wertpapiermarkt, implizit.
2.1. Graphische Herleitung der IS-Kurve Die IS-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen Gleichgewicht auf dem Gütermarkt (Kapitalmarkt) herrscht. Investitionen = Ersparnis
Dies bedeutet, dass in jedem Punkt, der auf der IS-Kurve liegt, die geplanten Investitionen I der geplanten Ersparnis S entsprechen: (4.1)
Güternachfrage = Güterangebot
I=S
Dies bedeutet aber auch, dass in jedem Punkt der IS-Kurve das gesamtwirtschaftliche Güterangebot Ys der gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage Yd entspricht: (4.2)
Ys = Yd
Für die Herleitung der IS-Kurve verwenden wir in Abbildung 4.1 ein vierfaches Koordinatenkreuz:
IS-LM-Modell
69
Abbildung 4.1: Graphische Herleitung der IS-Kurve
Wir beginnen mit dem südöstlichen Quadranten , der die Sparfunktion abbildet: (4.3)
S = S (Y)
Sparfunktion: S = S(Y) (+)
(+)
Die Höhe der – auf der unteren Ordinate gemessenen – geplanten Ersparnis S hängt positiv von der Höhe des – auf der rechten Abszisse gemessenen – Einkommens Y ab, das heißt mit zunehmendem Einkommen wünschen die privaten Haushalte mehr zu sparen. Da der Mensch allein aus Existenzgründen auf einen gewissen autonomen (einkommensunabhängigen) Konsum angewiesen ist, der bei einem Einkommen von null eine negative Ersparnis voraussetzt, verläuft die Sparfunktion nicht durch den Ursprung, sondern entspringt gedanklich im negativen Bereich der unteren Ordinate. Der südwestliche Quadrant bildet die Investitionsfunktion ab: (4.4)
I = I (i) ()
Die Höhe der – ebenfalls auf der unteren Ordinate gemessenen – geplanten Investitionen I hängt negativ von der Höhe des – auf der linken Abszisse gemessenen – Zinssatzes i ab, das heißt mit steigendem Zinssatz wünschen die Unternehmer weniger zu investieren. Da das Ziel dieser Graphik darin besteht, die IS-Kurve herzuleiten, für die gilt, dass die Höhe der geplanten Investitionen der Unternehmer gleich der Höhe
Investitionsfunktion: I = I(i) (-)
70
IS-LM-Modell
der geplanten Ersparnis der privaten Haushalte ist, können für diesen Zweck sowohl die Höhe der Investitionen als auch die Höhe der Ersparnis auf derselben Achse abgetragen werden.
45-Grad-Linie
Ökonomisch betrachtet ist die Herleitung einer Kombination von Zinssatz und Einkommen, bei der die Gleichgewichtsbedingung I=S erfüllt ist, bereits beendet: Für ein – auf der rechten Abszisse gemessenes – gegebenes Einkommen zeigt der Verlauf der Sparfunktion, wie hoch die – auf der unteren Ordinate gemessene – geplante Ersparnis der privaten Haushalte ist. Für die Erfüllung der Gleichgewichtsbedingung auf dem Gütermarkt müssen die – ebenfalls auf der unteren Ordinate gemessenen – geplanten Investitionen der Unternehmer dieselbe Höhe aufweisen. Dies ist jedoch nur zu einem bestimmten – auf der linken Abszisse gemessenen – Zinssatz möglich, der gemäß dem Verlauf der Investitionsfunktion ermittelt wird. Um den horizontal – auf der linken Abszisse – gemessenen Zinssatz graphisch in einen vertikal – auf der oberen Ordinate – gemessenen Zinssatz zu transformieren, bedarf es eines Hilfsquadranten, der diese »Übersetzerfunktion« wahrnimmt, aber keinerlei ökonomische Bedeutung hat. Die im nordwestlichen Quadranten abgebildete 45-Grad-Linie hat die Eigenschaft, dass jeder auf ihr liegende Punkt von der – linken – Abszisse genauso weit entfernt liegt wie von der – oberen – Ordinate. Deshalb entspricht der auf der – linken – Abszisse gemessene Zinssatz exakt dem auf der – oberen – Ordinate gemessenen Zinssatz, wenn beide Punkte Koordinaten ergeben, die auf der 45-Grad-Linie liegen. Da die Spar- und die Investitionsfunktion beide lineare Funktionen sind, ist die von ihnen abgeleitete IS-Kurve ebenfalls eine lineare Funktion und somit eine Gerade, die durch zwei Punkte eindeutig determiniert ist. Führen wir die obige Analyse für einen zweiten Punkt durch, indem wir entweder von einem bestimmten Einkommen ausgehen und den dazugehörigen Zinssatz ermitteln oder einen bestimmten Zinssatz wählen und das korrespondierende Einkommen bestimmen, erhalten wir einen zweiten Punkt auf der IS-Kurve. Verbinden wir beide Punkte, erhalten wir die IS-Kurve, die im Normalfall fallend verläuft.
IS-Kurve: Gütermarktgleichgewicht und Kapitalmarktgleichgewicht
Somit ergibt sich der nordöstliche Quadrant, in dem die IS-Kurve abgebildet ist: (4.5)
I (i) = S (Y) ()
(+)
Zu jedem beliebigen Einkommen, das eine bestimmte geplante Ersparnis induziert, gibt es den korrespondierenden Zinssatz, der die geplanten Investitionen in derselben Höhe nach sich zieht. Ebenso gibt es zu jedem beliebigen Zinssatz, der geplante Investitionen induziert, das
IS-LM-Modell
71
korrespondierende Einkommen, das die geplante Ersparnis in derselben Höhe nach sich zieht. Die Steigung der IS-Kurve hängt von der Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage und von der Einkommenselastizität der Ersparnis ab: Je geringer die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage und je höher die Einkommenselastizität der Ersparnis ist, desto steiler verläuft die IS-Kurve. Ist die Investitionsnachfrage zinssatzunelastisch, liegt der keynesianische Spezialfall der Investitionsfalle vor: Die IS-Kurve nimmt einen senkrechten Verlauf ein.
Normalfall: fallende IS-Kurve Spezialfall: Investitionsfalle
2.2. Graphische Herleitung der LM-Kurve Nach der Liquiditätspräferenztheorie hängt die Geldnachfrage nicht nur vom laufenden Einkommen, sondern auch vom Zinssatz ab:
Liquiditätspräferenztheorie
Das Nominalvermögen der Wirtschaftssubjekte setzt sich aus Geld und festverzinslichen Wertpapieren zusammen. Die Geldnachfrage bildet sich aufgrund dreier Motive: dem Transaktionsmotiv, dem Spekulationsmotiv sowie dem Vorsichtsmotiv. Die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken begründet sich aus dem Wunsch der Wirtschaftssubjekte, Geld für die Finanzierung ihrer Transaktionen bereitzuhalten. Beispielsweise leitet sich typischerweise die Bargeldhaltung in einem Portemonnaie aus diesem Motiv ab. Die plausible Annahme lautet, dass Wirtschaftssubjekte mit höheren Einkommen in der Regel höhere Transaktionsvolumina tätigen und deshalb eine höhere Geldnachfrage zu diesem Zweck aufweisen. Deshalb hängt die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken LT positiv vom laufenden Einkommen Y ab: (4.6)
LT = LT ( Y ) (+ )
Die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken bedarf einer ausführlicheren Begründung, die auch Liquiditätspräferenztheorie im engeren Sinne genannt wird: Die Wirtschaftssubjekte stehen vor dem Entscheidungsproblem, zwischen zwei Alternativen zu wählen: zwischen Geldhaltung, die annahmegemäß ertrag- und risikolos ist, und Wertpapierhaltung, die ertragbringend – positiv wie negativ – und risikobehaftet ist, da die festverzinsli chen Wertpapiere B mit unendlicher Laufzeit Kursschwankungen unterliegen. Die Rendite aus Wertpapierhaltung rt B setzt sich zusammen aus dem effektiven Zinssatz und der erwarteten relativen Kursänderung:
Geldnachfrage zu Transaktionszwecken einkommensabhängig
72
IS-LM-Modell
K Kt rtB = it + t +1 Kt
(4.7)
Effektivzinssatz Nominalzinssatz und Effektivzinssatz
erwartete relative Kursänderung _
Der Nominalzinssatz i ist bei festverzinslichen Wertpapieren gegeben. Er bezieht sich auf den Nennwert eines Wertpapiers und wird auch »Couponzinssatz« genannt. Der Effektivzinssatz in Periode t ist definitorisch gegeben aus dem Verhältnis des Nominalzinssatzes und dem Kurs eines Wertpapiers K in Periode t, dessen Nennwert zur Vereinfachung eins beträgt:
it = i Kt
(4.8)
Der Kurs entspricht dem Marktwert eines Wertpapiers und steht in einem inversen Verhältnis zum Effektivzinssatz: Steigt dieser, sinkt jener und umgekehrt. Diese Zusammenhänge werden anhand eines Beispiels erläutert: Zur Vereinfachung liegt der Nennwert eines Wertpapiers bei eins. Ein Nominalzinssatz von zehn Prozent bedeutet, dass dem Halter dieses Wertpapiers am Ende der Periode eine Nominalverzinsung in Höhe von
0,1 = 0,1 1 Geldnachfrage zu Spekulationszwecken zinssatzabhängig
ausgezahlt wird. Hat das Wirtschaftssubjekt dieses Wertpapier zu einem Kurs in Höhe von zwei erstanden, beträgt die Nominalverzinsung, die ja konstant ist, weiterhin 0,1. Diese 0,1 bedeuten aber im Verhältnis zum Kurs von zwei einen Effektivzinssatz von fünf Prozent, nämlich von 0,1
2
= 0,05 .
Die erwartete absolute Kursänderung ist die Differenz zwischen dem für die Periode t+1 erwarteten Kurs und dem Kurs, zu dem das Wertpapier in Periode t gekauft worden ist. Steigt der Kurs beispielsweise von zwei auf drei, so liegt die absolute Kursänderung bei eins. Die erwartete relative Kursänderung ist der Quotient aus der erwarteten absoluten Kursänderung und dem Kurs, zu dem das Wertpapier gekauft worden ist. In unserem Beispiel liegt die erwartete relative Kursänderung somit bei 3 2
2
= 0,5 .
IS-LM-Modell
73
Der Effektivzinssatz sinkt mit steigenden Kursen. Da er nicht negativ werden kann, das Wirtschaftssubjekt zudem von Kursgewinnen profitiert, wogegen Geldhaltung eine Rendite von null abwirft, sind steigende Kurse eine hinreichende Bedingung dafür, dass das Wirtschaftssubjekt Wertpapiere halten möchte. Wertpapierhaltung kann aber auch bei sinkenden Kursen rational sein: nämlich solange, wie die relativen Kursverluste durch die positive Effektivverzinsung überkompensiert werden. Den effektiven Zinssatz, bei dem die Haltung von Wertpapieren eine Rendite von null erzielt und das Wirtschaftssubjekt sich indifferent gegenüber Geld- und Wertpapierhaltung zeigt, nennt man den »kritischen (effektiven) Zinssatz«. Mikroökonomisch ist diese Entscheidung eine Alles-oder-NichtsEntscheidung: Solange die erwartete Rendite aus Wertpapierhaltung positiv ist, wollen die Wirtschaftssubjekte überhaupt kein Geld zu Spekulationszwecken halten, weil sie sich schlechter stellten. Ist die Rendi te aus Wertpapierhaltung negativ, wollen sie überhaupt keine Wertpapiere halten, sondern bevorzugen Geldhaltung, bei denen ihre Rendite nicht negativ ist. In der folgenden Graphik liegt die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken deshalb oberhalb des kritischen Zinssatzes bei null. Unterhalb des kritischen Zinssatzes wünscht das Wirtschaftssubjekt überhaupt keine Wertpapiere zu halten, sondern nur Geld zu Spekulationszwecken:
i
ik
kritischer Zinssatz
Ls Abbildung 4.2: Mikroökonomische Geldnachfrage zu Spekulationszwecken
mikroökonomisch: Alles-oder-NichtsEntscheidung
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makroökonomisch: unterschiedliche Erwartungen
IS-LM-Modell
Makroökonomisch ist die Entscheidung keine Alles-oder-Nichts-Entscheidung, da die Erwartungen, welche die Individuen über die Kursentwicklung anstellen, divergieren. Ein Pessimist, der mit stärkeren Kursverlusten rechnet, würde bereits bei einem relativ hohen kritischen Effektivzinssatz i Pk seine Wertpapiere verkaufen wollen, ein Optimist, der mit geringeren Kursverlusten rechnet, erst bei einem niedrigeren kritischen effektiven Zinssatz i Ok . Die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken LS hängt negativ vom (effektiven) Zinssatz ab: (4.9)
LS = LS (i) ()
Abbildung 4.3: Makroökonomische Geldnachfrage zu Spekulationszwecken stationäre Erwartungen
Zu beachten ist, dass die Wirtschaftssubjekte stationäre Erwartungen haben. Dies bedeu tet, dass sie am Anfang der Periode einen bestimmten Kurs für das Ende der Periode erwarten und diese Erwartung auch bei gegenläufiger Entwicklung während der betrachteten Periode nicht revidieren. Von Bedeutung ist diese Annahme, weil sie von den Erwartungsbildungshypothesen der Monetaristen und Neuklassiker kritisiert wird.
IS-LM-Modell
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Geldnachfrage zu Vorsichtszwecken erfolgt, um für unvorhergesehene Ausgaben gewappnet zu sein. Da sowohl die Wahrscheinlichkeit für das Tätigen unvorhergesehener Ausgaben als auch deren Höhe mit steigendem Einkommen zunimmt, hängt die Vorsichtskasse positiv vom Einkommen ab. Die Höhe der Vorsichtskasse wird durch die Höhe der Opportunitätskosten negativ beeinflusst. Diese sind umso höher, je höher die Zinssätze sind, da in diesem Fall dem Wirtschaftssubjekt höhere Zinsgewinne entgehen. Deshalb hängt die Vorsichtskasse LV zudem negativ vom Zinssatz ab: (4.10)
LV = LV ( Y , i ) (+ ) ( )
Weil die Vorsichtskasse zum einen wie die Transaktionskasse positiv vom Einkommen, zum anderen wie die Spekulationskasse negativ vom Zinssatz abhängt, wird aus Vereinfachungsgründen der einkommensinduzierte Teil der Vorsichtskasse der Transaktionskasse und der zinssatzinduzierte Teil der Vorsichtskasse der Spekulationskasse zugeschlagen. Somit reduziert sich die Zahl der Variablen, welche die Höhe der Geldnachfrage determinieren, auf die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken und die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken. Es bleibt festzuhalten, dass die Geldnachfrage positiv vom laufenden Einkommen und negativ vom Zinssatz abhängt. Die LM-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen Gleichgewicht auf dem Geldmarkt (Wertpapiermarkt) herrscht. Dies bedeutet, dass in jedem Punkt, der auf der LM-Kurve liegt, die geplante Geldnachfrage L dem geplanten Geldangebot M entspricht: L=M. Für die Herleitung der LM-Kurve verwenden wir ebenfalls ein vierfaches Koordinatenkreuz, das in Abbildung 4.4 dargestellt ist:
Geldnachfrage zu Spekulationszwecken einkommens- und zinssatzabhängig
LM-Kurve: Geldmarktgleichgewicht, Wertpapiermarktgleichgewicht
76
IS-LM-Modell
Abbildung 4.4: Graphische Herleitung der LM-Kurve
Geldnachfrage zu Transaktionszwecken: L T = LT(Y) (+)
Wir beginnen mit dem südöstlichen Quadranten, der die Funktion der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken LT = LT (Y ) (+)
abbildet: Die Höhe der – auf der unteren Ordinate gemessenen – geplanten Geldnachfrage zu Transaktionszwecken hängt positiv von der Höhe des – auf der rechten Abszisse gemessenen – Einkommens ab, das heißt mit zunehmendem Einkommen wünschen die Wirtschaftssubjekte mehr Transaktionskasse zu halten. Der nordwestliche Quadrant bildet die Funktion der Geldnachfrage zu Spekulationszwecken LS = LS (i) ()
ab: Die Höhe der – auf der linken Abszisse gemessenen – geplanten Geldnachfrage zu Spekulationszwecken hängt negativ von der Höhe des – auf der oberen Ordinate gemessenen – Zinssatzes ab, das heißt mit steigendem Zinssatz wünschen die Wirtschaftssubjekte weniger
IS-LM-Modell
Spekulationskasse zu halten. In diesem Falle ist nämlich die Alternative zur Geldhaltung, das Halten von Wertpapieren, renditeträchtiger. Denn bei hohen Zinssätzen sind die damit negativ korrelierten Wertpapierkurse niedrig, so dass die Wirtschaftssubjekte Wertpapiere kaufen, weil sie einen Kursanstieg erwarten. Oberhalb des (»pessimistischen«) oberen kritischen Zinssatzes sind die Zinssätze so hoch und die Wertpapierkurse so niedrig, dass alle Wirtschaftssubjekte einen Kursanstieg erwarten und deshalb Wertpapiere kaufen wollen, anstatt Spekulationskasse zu halten. Daher ist in diesem Fall die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken null, die entsprechende Funktion verläuft entlang der – oberen – Ordinate. Dieser Bereich wird auch »klassischer Bereich« der LM-Kurve genannt, weil die Geldnachfrage – wie von klassischen Ökonomen postuliert – hier nicht vom Zinssatz abhängt. Ist der untere (»optimistische«) kritische Zinssatz erreicht, sind die Zinssätze so niedrig und die Wertpapierkurse so hoch, dass alle Wirtschaftssubjekte einen Kursverfall erwarten und deshalb ihre Wertpapiere zu verkaufen gedenken, um stattdessen Spekulationskasse zu halten. Die Funktion der Geldnachfrage zu Spekulationszwecken verläuft in diesem Fall in Höhe des unteren kritischen Zinssatzes parallel zur – linken – Abszisse, weil der Zinssatz nicht mehr fallen kann. Diesen Bereich nennt Keynes den Bereich der Liquiditätsfalle. Der südwestliche Quadrant bildet unter anderem das Geldangebot ab, das nicht endogen, sondern exogen ist. Eine endogene Variable ist eine Variable, die »innerhalb« des Modells bestimmt wird und daher von den entsprechenden Verhaltensfunktionen des Modells beeinflusst wird. An dieser Stelle determinieren die Verhaltensfunktion der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken sowie die Verhaltensfunktion der Geldnachfrage zu Spekulations zwecken die Höhe der gesamten Geldnachfrage. Eine exogene Variable ist eine Variable, die »außerhalb« des Modells bestimmt wird und daher innerhalb des zugrunde liegenden Modellrahmens als gegeben betrachtet wird. An dieser Stelle wird angenommen, dass die Zentralbank, die nicht Modellbestandteil ist, die Höhe der Geldmenge determiniert und somit die Geldnachfrage, die Modellbestandteil ist, keinen Einfluss auf die Höhe der Geldmenge hat. Da das Ziel dieser Graphik darin besteht, die LM-Kurve herzuleiten, für die gilt, dass die Höhe der geplanten endogenen Geldnachfrage gleich der Höhe des exogenen Geldangebots ist, können für diesen Zweck sowohl die Höhe der Geldnachfrage als auch die Höhe des Geldangebots auf denselben Achsen gemessen werden: nämlich sowohl auf der – unteren – Ordinate als auch auf der – linken – Abszisse. Dies ermöglicht die 45-Grad-Linie, die horizontal gemessene Werte in vertikal gemessene »übersetzt« und umgekehrt. Da die Geldnachfrage sich einerseits aus zwei Teilen zusammensetzt, nämlich der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken und der Geldnachfrage zu Spekulations-
77
Geldnachfrage zu Spekulationszwecken: L S = LS(i) (-)
klassischer Bereich
Geldangebot: exogen
78
IS-LM-Modell
zwecken, sowie andererseits im Geldmarktgleichgewicht dem Geldangebot entsprechen muss, steht die Höhe der erforderlichen Geldnachfrage zu Spekulationszwecken als Residualgröße fest, wenn die Höhe der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken bestimmt ist, und umgekehrt. Deshalb können sowohl auf der – unteren – Ordinate als auch auf der – linken – Abszisse erstens das Geldangebot M, zweitens die gesamte Geldnachfrage L, drittens die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken LT sowie viertens die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken LS abgelesen werden. LM-Kurve
Verbleibt der nordöstliche Quadrant, in dem die LM-Kurve abgebildet ist: Zu jedem beliebigen Einkommen, das eine bestimmte geplante Geldnachfrage zu Transaktionszwecken induziert, gibt es den korrespondierenden Zinssatz, der die geplante Geldnachfrage zu Spekulationszwecken nach sich zieht, die als Residualgröße die Lücke füllen muss, die benötigt wird, damit die gesamte Geldnachfrage genauso groß ist wie das gesamte Geldangebot. Ebenso gibt es zu jedem beliebigen Zinssatz, der eine bestimmte geplante Geldnachfrage zu Spekulationszwecken induziert, das korrespondierende Einkommen, das die geplante Geldnachfrage zu Transaktionszwecken nach sich zieht, die als Residualgröße die Lücke füllen muss, die benötigt wird, damit die gesamte Geldnachfrage genauso groß ist wie das gesamte Geldangebot. Die Steigung der LM-Kurve hängt von der Zinssatzelastizität und der Einkommenselastizität der Geldnachfrage ab. Von besonderem Interesse ist die Zinssatzreagibilität: Je geringer die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage ist, desto steiler verläuft die LM-Kurve. Im klassischen Bereich der LM-Kurve setzt sich die gesamte Geldnachfrage alleine aus Transaktionskasse zusammen und ist somit zinssatzunelastisch. Im Bereich der Liquiditätsfalle ist die Geldnachfrage vollkommen zinssatzelastisch.
IS-LM-Modell
79
2.3. Simultanes Gleichgewicht und Ungleichgewichtskonstellationen Im Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve besteht ein simultanes Gleichgewicht auf dem Gütermarkt und dem Geldmarkt. Abbildung 4.5 veranschaulicht neben dem simultanen Gleichgewicht alle denkbaren Ungleichgewichtskonstellationen auf dem Güter- und Geldmarkt:
i IS
LM
B A
C D
Y Abbildung 4.5: Simultanes Gleichgewicht und Ungleichgewichtskonstellationen
Punkte, die rechts von der IS-Kurve liegen, repräsentieren einen Angebotsüberschuss auf dem Gütermarkt: Bei gegebenem Einkommen ist der Zinssatz im Vergleich zum Gleichgewichtszinssatz zu hoch, so dass die negativ vom Zinssatz abhängende Investitionsnachfrage zu niedrig ist. Somit ist ceteris paribus die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu niedrig, so dass ein Angebotsüberschuss auf dem Gütermarkt vorliegt. Punkte, die links von der IS-Kurve liegen, repräsentieren in analoger Weise einen Nachfrageüberschuss auf dem Gütermarkt.
80
IS-LM-Modell
Punkte, die rechts von der LM-Kurve liegen, repräsentieren einen Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt: Bei gegebenem Einkommen ist der Zinssatz im Vergleich zum Gleichgewichtszinssatz zu niedrig, so dass die negativ vom Zinssatz abhängende Geldnachfrage zu Spekulationszwecken zu hoch ist. Somit ist ceteris paribus die aggregierte Geldnachfrage zu hoch, so dass ein Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt vorliegt. Punkte, die links von der LM-Kurve liegen, repräsentieren in analoger Weise einen Angebotsüberschuss auf dem Geldmarkt. Die vier denkbaren Ungleichgewichtskonstellationen lauten: A: Gütermarkt: Nachfrageüberschuss Geldmarkt: Angebotsüberschuss B: Gütermarkt: Angebotsüberschuss Geldmarkt: Angebotsüberschuss C: Gütermarkt: Angebotsüberschuss Geldmarkt: Nachfrageüberschuss D: Gütermarkt: Nachfrageüberschuss Geldmarkt: Nachfrageüberschuss Nach der statischen Analyse folgt die komparativ-statische Analyse, in der wir geld- und fiskalpolitische Effekte im IS-LM-Modell untersuchen.
IS-LM-Modell
81
3. Geldpolitik Eine diskretionäre Politik ist eine Politik, die an eine »Entscheidung« gebunden ist und nicht automatisch abläuft. Der Beschluss, die Geldmenge zu erhöhen, um dadurch die Zinssätze zu senken, ist diskretionärer Natur, die (automatische) Erhöhung der Geldmenge durch eine Verringerung der Kassenhaltungsdauer ist hingegen nicht-diskretionärer Natur. Im Folgenden wird die Effektivität einer diskretionären expansiven Geldpolitik untersucht, die ihren Anfang in der Erhöhung der Geldmenge nimmt. Die Wirksamkeit einer kontraktiven Geldpolitik, die ihren Anfang in der Verringerung der Geldmenge nimmt, lässt sich analog zur expansiven Geldpolitik analysieren und wird daher an dieser Stelle nicht explizit durchgeführt.
expansive Geldpolitik
3.1. Normalfall Der Normalfall ist dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage als auch die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage zu Spekulationszwecken »normale«, das heißt keine extremen Werte annehmen.
Abbildung 4.6: Geldpolitik im Normalfall
Die Wirkung einer expansiven Geldpolitik schlägt sich graphisch in einer Rechtsverschiebung der LM-Kurve nieder. Im Ergebnis sinkt der
Normalfall
82
Transmissionsmechanismus mit vier Effekten
IS-LM-Modell
Zinssatz, das Einkommen steigt. In der Graphik ist jedoch zu erkennen, dass es vier Effekte zu erklären gilt: Der Zinssatz sinkt zwar (1. Pfeil), es gibt aber auch eine zinssatzerhöhende Wirkung (3. Pfeil), welche die Reduktion des Zinssatzes zum Teil zunichte macht. Ebenso steigt zwar das Einkommen (2. Pfeil), aber auch hier wirkt ein gegenläufiger Effekt (4. Pfeil), der die Einkommensexpansion teilweise kompensiert. Ökonomisch können diese vier Effekte folgendermaßen erläutert werden: 1. Primärer Zinssatzeffekt auf dem Geldmarkt
1. steigende Zinssätze
Die Geldmenge steigt. Dadurch liegt ein Angebotsüberschuss auf dem Geldmarkt beziehungsweise ein Nachfrageüberschuss auf dem Wertpapiermarkt vor. Dieser Nachfrageüberschuss führt – wie auf anderen Märkten – zu einer Preiserhöhung, was für Wertpapiere eine Kurssteigerung bedeutet. Da die Kurse aufgrund des oben behandelten definitorischen Zusammenhangs negativ mit den Zinssätzen korrelieren, ist ein Steigen der Kurse mit einem Sinken der Zinssätze verbunden. 2. Primärer Einkommenseffekt auf dem Gütermarkt
2. steigendes Einkommen
Das Sinken der Zinssätze bewirkt eine Erhöhung der negativ vom Zinssatz abhängigen Investitionen. Diese ist gleichbedeutend mit einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Eine zentrale Keynes’sche Annahme – welche die Umkehrung des klassischen Say’schen Theorems bedeutet – lautet, dass sich das Güterangebot unverzüglich einer veränderten Güternachfrage anpasst. Da somit sowohl die Güternachfrage als auch das Güterangebot steigen, ergibt sich insgesamt eine Erhöhung des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens. Dies induziert eine Erhöhung des einkommensabhängigen Konsums, was in eine weitere Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, des gesamtwirtschaftlichen Angebots und des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens mündet. Man erkennt den einfachen Gütermarktmultiplikator, der sich prinzipiell unendlich lange fortsetzt und insgesamt zu einer Erhöhung des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens führt. 3. Sekundärer Zinssatzeffekt auf dem Geldmarkt
3. sinkende Zinssätze
Das steigende Einkommen führt zu einer Zunahme der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken. Somit liegt auf dem Geldmarkt ceteris paribus ein Nachfrageüberschuss vor, der gleichbedeutend mit einem Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt ist. Dieser führt zu einem Sinken der Preise für Wertpapiere, also zu einem Sinken der Kurse, was aufgrund des inversen Zusammenhangs zwischen Zinssätzen und Kursen zu steigenden Zinssätzen führt. Der primäre Zinssatzeffekt wird durch diesen sekundären Zinssatzeffekt teilweise kompensiert.
IS-LM-Modell
83
Alternativ ist folgende Erklärung möglich: Wenn die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken steigt, so ist dies bei einem unveränderten Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Geldmarkt nur möglich, wenn die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken sinkt. Dies erfordert jedoch ein Ansteigen der Zinssätze, da die Spekulationskasse negativ vom Zinssatz abhängt. 4. Sekundärer Einkommenseffekt auf dem Gütermarkt Der Anstieg der Zinssätze wirkt sich auf den Gütermarkt wie folgt aus: Aufgrund der negativen Abhängigkeit der Investitionen von den Zinssätzen wird die Investitionsnachfrage zurückgehen und somit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinken. Aufgrund der Keynes’schen Annahme, dass eine Änderung der Güternachfrage eine gleichgerichtete Änderung des Güterangebots nach sich zieht, sinkt auch das Angebot, was ein Sinken des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens nach sich zieht. An dieser Stelle setzt wie im zweiten Effekt der einfache Gütermarktmultiplikator ein, der über ein Nachlassen der einkommensabhängigen Konsumnachfrage die Rückgänge des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens hervorruft. Der primäre Einkommenseffekt wird durch diesen sekundären Einkommenseffekt teilweise kompensiert. In Kurzschreibweise lauten die vier Effekte des Transmissionsmechanismus von Geld poli tik im IS-LM-Modell:
Da beide Primäreffekte größer sind als beide Sekundäreffekte, ist das neue Gleichgewicht mit einem niedrigeren Zinssatz und einem höheren Einkommen verbunden. Die Wirksamkeit diskretionärer Politik bemisst sich an der Einkommensänderung, die in diesem Fall positiv ist.
4. sinkendes Einkommen
84
Geldpolitik effektiv
IS-LM-Modell
Deshalb bleibt festzuhalten, dass Geldpolitik im IS-LM-Modell im Normalfall effektiv ist, ihre einkommenserhöhende Wirkung aber zum Teil durch Bremseffekte kompensiert wird, die ihren Ausgang in der Erhöhung der Geldnachfrage nehmen. Der Erfolg einer Geldpolitik hängt insbesondere von den Zinssatzelastizitäten der Investitions- und Geldnachfrage ab. Deshalb werden im Folgenden vier Spezialfälle mit extremen Zinssatzelastizitäten als Referenzfälle untersucht, um genauere Aussagen über die Effektivität von Geldpolitik treffen zu können.
IS-LM-Modell
85
3.2. Spezialfälle Die Spezialfälle sind gekennzeichnet durch die Annahme extremer Zinssatzelastizitäten. Unterschieden werden zwei » keynesianische« Spezialfälle, nämlich die Investitionsfalle mit zinssatzunelastischer Investitionsnachfrage (1. Fall) sowie die Liquiditätsfalle mit vollkommen zinssatzelastischer Geldnachfrage (4. Fall), ein »klassischer« Spezialfall, nämlich der Fall zinssatzunelastischer Geldnachfrage (3. Fall) sowie ein weiterer Spezialfall, der Fall vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage (2. Fall). Bei den Erläuterungen zu diesen Spezialfällen werden wir auf den Transmissionsmechanismus des Normalfalls zurückgreifen.
4 Spezialfälle
3.2.1. Zinssatzunelastische Investitionsnachfrage (Investitionsfalle) In diesem »keynesianischen« Spezialfall ist die Investitionsnachfrage unabhängig vom Zinssatz: Ii = 0. Die IS-Kurve verläuft senkrecht, die LM-Kurve verläuft wie im Normalfall steigend:
1. Spezialfall: Investitionsfalle
Abbildung 4.7: Geldpolitik bei Vorliegen der Investitionsfalle
Geldpolitik ist nicht effektiv. Der erste, zinssatzsenkende Effekt kommt zum Tragen, aber der Beginn des zweiten, primären Einkom-
Geldpolitik ineffektiv
86
IS-LM-Modell
menseffekts entfällt, da die Investitionsnachfrage annahmegemäß nicht auf die Zinssatzänderung reagiert. Somit entfallen die Effekte zwei bis vier. 2. Spezialfall: hohe Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage
3.2.2. Vollkommen zinssatzelastische Investitionsnachfrage In diesem Spezialfall reagiert die Investitionsnachfrage auf kleinste Änderungen des Zinssatzes: I i . Die IS-Kurve verläuft waagerecht, die LM-Kurve verläuft wie im Normalfall steigend:
Abbildung 4.8: Geldpolitik bei vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage Geldpolitik besonders effektiv
Geldpolitik ist besonders effektiv. Da die Investitionsnachfrage annahmegemäß extrem zinssatzreagibel ist, wird schon eine unendlich kleine Senkung der Zinssätze zu einem gewaltigen Anstieg der Investitions- und damit der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führen, so dass der entscheidende zweite Effekt, der primäre Einkommenseffekt, ausgesprochen stark ist.
IS-LM-Modell
3.2.3. Zinssatzunelastische Geldnachfrage In diesem »klassischen« Spezialfall ist die Geldnachfrage unabhängig vom Zinssatz: Li = 0. Die LM-Kurve verläuft senkrecht, die IS-Kurve verläuft wie im Normalfall fallend:
87
3. Spezialfall: geringe Zinssatzelastizität der Geldnachfrage
Abbildung 4.9: Geldpolitik bei zinssatzunelastischer Geldnachfrage
Geldpolitik ist besonders effektiv. Die beiden Primäreffekte wirken, die Bremseffekte nicht. Denn bei einem einkommensinduzierten Anstieg der Transaktionskasse müsste die Spekulationskasse ceteris paribus sinken, was aber nicht möglich ist, da sie im klassischen Bereich der LM-Kurve bereits null ist.
Geldpolitik besonders effektiv
88
IS-LM-Modell
3.2.4. Vollkommen zinssatzelastische Geldnachfrage (Liquiditätsfalle) 4. Spezialfall: Liquiditätsfalle
In diesem »keynesianischen« Spezialfall reagiert die Geldnachfrage auf kleinste Änderungen des Zinssatzes: L i . Die LM-Kurve verläuft waagerecht, die IS-Kurve verläuft wie im Normalfall fallend:
Abbildung 4.10: Geldpolitik bei Vorliegen der Liquiditätsfalle Geldpolitik ineffektiv
Geldpolitik ist nicht effektiv. Die zu erwartende Zinssatzsenkung zum Ende des ersten Effekts ist nicht möglich, weil wir uns im Bereich der Liquiditätsfalle befinden. Keiner der vier Effekte kommt zum Tragen.
3.3. Mathematische Herleitung des Geldmengenmultiplikators Im Folgenden wird der Geldmengenmultiplikator mathematisch hergeleitet. Die Methode der Multiplikatoranalyse, die zwei Gleichgewichtsloki vergleicht, verlangt zunächst nach der Bestimmung der für das Modell relevanten Gleichgewichtsbedingungen. Da der Kapitalmarkt implizit durch den Gütermarkt und der Wertpapiermarkt implizit durch den Geldmarkt bestimmt ist, benötigen wir nur die Gleichgewichtsbedingungen für den Gütermarkt und den Geldmarkt.
IS-LM-Modell
Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt lautet: Im Gleichgewicht entspricht das Güterangebot Y der Güternachfrage, die sich aus der positiv vom laufenden Einkommen Y abhängigen Konsumnachfrage C, der negativ vom Zinssatz i abhängigen Investitionsnachfrage I sowie der exogenen Staatsnachfrage G zusammensetzt: (4.11)
Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt
Y = C (Y)+ I (i)+ G (+)
()
Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt lautet: Im Gleichgewicht entspricht das exogene Geldangebot M der Geldnachfrage L, die sich aus der positiv vom laufenden Einkommen Y abhängigen Geldnachfrage zu Transaktionszwecken und der negativ vom Zinssatz i abhängigen Geldnachfrage zu Spekulationszwecken zusammensetzt: (4.12)
89
Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt
M = L( Y , i ) (+)
( )
Da die Wirkungen einer Änderung der Geldmenge dahingehend zu untersuchen sind, inwieweit sie zu Änderungen des Zinssatzes und des Einkommens führen, steht die Betrachtung von Änderungen – Differenzen – im Vordergrund der Multiplikatoranalyse. Um die Analyse so präzise wie möglich durchzuführen, sind unendlich kleine Änderungen – Differentiale – zu untersuchen. Deshalb bedienen wir uns der Infinitesimalrechnung – der »Unendlichkeitsrechnung« –, genauer ihrem Teilgebiet der Differentialrechnung – der »Rech nung mit kleinsten Änderungen«. Im Folgenden bilden wir die totalen Differentiale für die beiden obigen Gleichgewichtsbedingungen. Ein »d« in den Gleichungen unten kann ohne weiteres als »Differential«, »Differenz« oder »Änderung« gelesen werden: Die Ableitung der Gleichgewichtsbedingung (4.11) für den Gütermarkt lautet: (4.13)
dY = C Y dY + I i di + dG
Sortiert nach dY, di und dG erhalten wir zunächst (4.14)
dY C Y dY = I i di + dG
und schließlich (4.15)
(1 C Y )dY I i di = dG
Die Ableitung der Gleichgewichtsbedingung (4.12) für den Geldmarkt lautet: (4.16)
L Y dY + L i di = dM
(4.15) nach di aufgelöst ergibt (4.17)
di =
1 CY 1 dY dG Ii Ii
Ableitung der Gleichgewichtsbedingungen
90
IS-LM-Modell
(4.16) nach di aufgelöst ergibt (4.18)
di =
L 1 dM Y dY Li Li
(4.17) mit (4.18) gleichgesetzt führt zu (4.19)
1 CY L 1 1 dY dG = dM Y dY Ii Ii Li Li
(4.19) sortiert nach dY, dM und dG resultiert in (4.20)
1 CY LY 1 1 dY = + dM + dG I L L I i i i i
Nach einer Umformung des Klammerausdrucks erhalten wir schließlich den allgemeinen Multiplikator, für den wir uns noch nicht festgelegt haben, ob eine Geld- oder eine Fiskalpolitik betrieben wird: (4.21)
dY =
Ii Li (1 C Y )L i + L Y I i
1 1 dM + dG L I i i
Wird eine Geldpolitik durchgeführt, ist dM > 0 und dG = 0, so dass wir aus dem allgemeinen Multiplikator in (4.21) den Geldmengenmultiplikator herleiten: (4.22)
dY =
Ii Li 1 dM (1 C Y )L i + L Y I i L i
Nach Kürzung von Li erhalten wir (4.23)
dY =
Ii dM (1 C Y )L i + L Y I i
Um aus didaktischen Gründen im Zähler eine Eins zu erhalten, formulieren wir (4.23) um und erhalten (4.24). Der Geldmengenmultiplikator im IS-LM-Modell lautet: (4.24)
dY =
1 dM L (1 C Y ) i + L Y Ii
Da wir ein quadratisches lineares Gleichungssystem zu lösen haben, besteht auch die Möglichkeit, den Geldmengenmultiplikator mathematisch mit Hilfe von Matrizen und Determinanten zu ermitteln, welche die Variablen in übersichtlicher tabellarischer Form darstellen. Für den Fall des IS-LM-Modells scheint diese Vorgehensweise den berühmten »Kanonenschüssen auf Spatzen« zu ähneln. Nichtsdestotrotz werden wir dieses Verfahren hier vorstellen und versprechen uns mindestens zwei Vorteile davon: Zum einen besticht die Matrix-Schreibweise durch ihre Klarheit. Nicht nur Einkommensänderungen, auch Zinssatz-
IS-LM-Modell
91
änderungen und ihre sie bestimmenden Größen sind leicht auszumachen. Zum anderen wachsen die Vorteile der Matrizenrechnung mit der Anzahl der zu bestimmenden Variablen, so dass es Sinn macht, sich diese Methode bereits in einfacheren Modellen anzueignen. Im Folgenden sind die bereits bekannten Ableitungen für den Gütermarkt und den Geldmarkt zunächst in Gleichungs-, anschließend in Matrizenform dargestellt.
(4.15)
(1-Cy)
dY
- Ii
di
=
dG
(4.16)
LY
dY
+ Li
di
=
dM
1
2
1
2
1
Koeffizientenmatrix
2
Spaltenmatrix
3
Zeilenmatrix
3
Die Differentialgleichungen (4.15) und (4.16) werden nun in Matrixschreibweise dargestellt: Der erste Klammerausdruck – die Koeffizientenmatrix – enthält die Koeffizienten, der zweite Klammerausdruck – die Spaltenmatrix – die Variablen, der dritte Klammerausdruck – die Zeilenmatrix – jeweils die rechte Seite der beiden Gleichungen. (4.25)
1 C Y LY
Ii dY dG = Li di dM
Koeffizientenmatrix
Spaltenmatrix
Zeilenmatrix
(4.25) kann auch in Determinantenschreibweise dargestellt werden: (4.25)
1-C y
– Ii
LY
Li
dY di
=
dG dM
Zu beantworten ist die Frage, inwieweit Änderungen der Geldmenge dM zu Änderungen des Einkommens dY führen. Gesucht ist folglich dY/dM.
Matrixschreibweise
92
Adjunkte und Unterdeterminante
IS-LM-Modell
dM ist in der obigen Matrix in der zweiten Zeile zu finden, dY in der ersten Spalte. Wir greifen daher auf die Adjunkte für die zweite Zeile und die erste Spalte zurück. Eine Adjunkte ist eine komplementäre Matrix. Sie entspricht ihrer korrespondierenden Unterdeterminanten, sofern die Summe ihrer Zeilen- und Spaltenindizes eine gerade Zahl ergibt. Ist die Summe ihrer Zeilen- und Spaltenindizes eine ungerade Zahl, nimmt die Adjunkte den negativen Wert ihrer entsprechenden Unterdeterminanten an: A = (1) i+ j D . ij ij In unserem Fall korrespondiert die Adjunkte A21 mit der zweiten Zeile (dM) und der ersten Spalte (dY). Das Vorzeichen der Unterdeterminanten D21 ist negativ, da die Summe der Indizes eine ungerade Zahl ergibt (2+1=3): (4.26)
Cramer'sche Regel
Für die Lösung unseres quadratischen linearen Gleichungssystems, das wir in Form von Determinanten dargestellt haben, können wir die Determinantenmethode anwenden. Diese auch als Cramer’sche Regel bekannte Methode besagt, dass dY/dM dem Quotienten aus ihrer korrespondierenden Adjunkten A 21 und der Koeffizientendeterminanten D entspricht. Wegen der ungeraden Zahl der Indizes der Adjunkte A21 ist die negative Unterdeterminante D21 durch die Koeffizientendeterminante D zu teilen: (4.27)
Koeffizientendeterminante
D dY A 21 = = 21 dM D D
Die Koeffizientendeterminante D wird folgendermaßen aufgelöst: Zunächst werden die Werte der Diagonalen, die von links oben nach rechts unten verläuft, multipliziert: (1-CY) L i . Danach werden die Werte der Diagonalen, die von rechts oben nach links unten verläuft, multipliziert: -Ii Ly. Schließlich wird das Produkt der zweiten Diagonalen vom Produkt der ersten Diagonalen subtrahiert: (4.28)
Unterdeterminante und Adjunkte
A21 = – D21
D = (1–CY) Li + Ii Ly
Die Unterdeterminante D21 wird folgendermaßen aufgelöst: In der Koeffizientenmatrix werden die zweite Zeile (1. Index) sowie die erste Spalte (2. Index) eliminiert; übrig bleibt der Wert der Unterdeterminanten. Ihre dazugehörige Adjunkte erhält nur ein anderes Vorzeichen: (4.29)
D 21 = I i
(4.30)
A 21 = I i
Gemäß der Cramer'schen Regel erhalten wir aus (4.30) und (4.28): (4.31)
dY =
Ii dM (1 C Y ) L i + I i L Y
IS-LM-Modell
93
Aus didaktischen Gründen wird der Multiplikator so dargestellt, dass im Zähler eine Eins steht: (4.32)
dY =
1
(1 C Y ) L i Ii
dM + Ly
(Multiplikator) (Anstoßwirkung) Der Bruch stellt den Geldmengenmultiplikator dar, dM ist die Anstoßwirkung in Form einer Geldpolitik. Der Geldmengenmultiplikator gibt somit an, um das Wievielfache der ursprünglichen Geldmengenänderung sich das Einkommen ändert. Von besonderem Interesse sind die Zinssatzelastizitäten: Geldpolitik ist im IS-LM-Modell umso wirksamer, je •
höher die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage ist,
•
geringer die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage ist.
Besonders effektiv ist Geldpolitik in den beiden Spezialfällen, in denen die Geldnachfrage gar nicht, die Investitionsnachfrage unendlich zinsreagibel ist. Unwirksam ist Geldpolitik in beiden keynesianischen Spezialfällen, der Investitions- und der Liquiditätsfalle.
Geldmengenmultiplikator
94
IS-LM-Modell
4. Fiskalpolitik expansive Fiskalpolitik
Im Folgenden wird die Effektivität einer diskretionären expansiven Fiskalpolitik untersucht, die ihren Anfang in der Erhöhung der Staatsausgaben nimmt. Die Wirksamkeit einer kontraktiven Fiskalpolitik, die ihren Anfang in der Verringerung der Staatsausgaben nimmt, lässt sich analog zur expansiven Fiskalpolitik analysieren und wird daher an dieser Stelle nicht explizit durchgeführt.
4.1. Normalfall Normalfall
Der Normalfall ist dadurch gekennzeichnet, dass sowohl die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage als auch die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage zu Spekulationszwecken »normale«, das heißt keine extremen Werte annehmen.
Abbildung 4.11: Fiskalpolitik im Normalfall Transmissionsmechanismus: 4 Effekte
Die Wirkung einer expansiven Fiskalpolitik, die sich graphisch in einer Rechtsverschiebung der IS-Kurve niederschlägt, wird durch folgende vier Effekte erläutert: 1. Primärer Einkommenseffekt auf dem Gütermarkt
1. steigendes Einkommen
Die Erhöhung der Staatsausgaben ist gleichbedeutend mit einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, da die Staatsausgaben ein
IS-LM-Modell
95
Bestandteil der Nachfrage sind. Nach Keynes passt sich das Güterangebot unverzüglich der Güternachfrage an. Da sowohl die Güternachfrage als auch das Güterangebot steigen, ergibt sich insgesamt eine Erhöhung des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens. Dies induziert eine Erhöhung des einkommensabhängigen Konsums, was in eine weitere Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, des gesamtwirtschaftlichen Angebots und des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens mündet. Man erkennt den einfachen Gütermarktmultiplikator, der sich prinzipiell unendlich lange fortsetzt und insgesamt zu einer Erhöhung des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens führt. 2. Primärer Zinssatzeffekt auf dem Geldmarkt Die Einkommenserhöhung impliziert auf dem Geldmarkt eine Erhöhung der einkommensabhängigen Geldnachfrage zu Transaktionszwecken. Ceteris paribus liegt somit ein Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt beziehungsweise ein Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt vor. Dieser Angebotsüberschuss führt – wie auf anderen Märkten – zu einer Preissenkung, was für Wertpapiere eine Kurssenkung bedeutet. Da die Kurse aufgrund eines definitorischen Zusammenhangs negativ mit den Zinssätzen korrelieren, ist ein Sinken der Kurse mit einem Steigen der Zinssätze verbunden.
2. steigende Zinssätze
Alternativ ist folgende Erklärung möglich: Wenn die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken steigt, so ist dies bei einem unveränderten Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Geldmarkt nur möglich, wenn die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken sinkt. Dies erfordert jedoch ein Ansteigen der Zinssätze, da die Spekulationskasse negativ vom Zinssatz abhängt. 3. Sekundärer Einkommenseffekt auf dem Gütermarkt Der Anstieg der Zinssätze wirkt sich auf den Gütermarkt wie folgt aus: Aufgrund der negativen Abhängigkeit der Investitionen von den Zinssätzen wird die Investitionsnachfrage zurückgehen, somit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinken, aufgrund der Keynes’schen Annahme, dass eine Änderung der Güternachfrage eine gleichgerichtete Änderung des Güterangebots nach sich zieht, das Angebot zum Sinken bringen und damit ein sinkendes Sozialprodukt / eine sinkende Beschäftigung / sinkende Einkommen implizieren. Hier setzt wie im ersten Effekt der einfache Gütermarktmultiplikator ein, der über ein Nachlassen der einkommensabhängigen Konsumnachfrage die Rückgänge des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens hervorruft. Der erste primäre Einkommenseffekt wird durch diesen sekundären Einkommenseffekt teilweise kompensiert.
3. sinkendes Einkommen
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IS-LM-Modell
4. Sekundärer Zinssatzeffekt auf dem Geldmarkt 4. sinkende Zinssätze
Das sinkende Einkommen führt zu einem Rückgang der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken. Ceteris paribus liegt somit ein Angebotsüberschuss auf dem Geldmarkt beziehungsweise ein Nachfrageüberschuss auf dem Wertpapiermarkt vor. Dieser Nachfrageüberschuss führt zu einer Kurserhöhung. Da die Kurse per definitionem negativ mit den Zinssätzen korrelieren, ist ein Steigen der Kurse mit einem Sinken der Zinssätze verbunden. Alternativ ist folgende Erklärung möglich: Wenn die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken sinkt, so ist dies bei einem unveränderten Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Geldmarkt nur möglich, wenn die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken steigt. Dies erfordert jedoch ein Sinken der Zinssätze, da die Spekulationskasse negativ vom Zinssatz abhängt. Der primäre Zinssatzeffekt wird durch diesen sekundären Zinssatzeffekt teilweise kompensiert.
Fiskalpolitik effektiv
Im Normalfall ist Fiskalpolitik effektiv . Allerdings wird der expansive Netto-Effekt durch ein partielles crowding out privater Nachfrage durch staatliche Nachfrage abgeschwächt. In Kurzschreibweise lassen sich die vier Effekte des Transmissionsmechanismus für Fiskalpolitik im IS-LM-Modell wie folgt zusammenfassen: 1. Gütermarkt G Yd Ys Y C (Y) Y d Y s Y (+)
2. Geldmarkt Y LT (Y) NÜGEM AÜWPM KWP i (+)
LS (i) i ()
3. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
4. Geldmarkt Y LT (Y) AÜGEM NÜWPM K WP i (+)
LS (i) i ()
IS-LM-Modell
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4.2. Spezialfälle Die Spezialfälle sind wie bei der Untersuchung der Geldpolitik gekennzeichnet durch die Annahme extremer Zinssatzelastizitäten. Unterschieden werden wieder zwei » keynesianische« Spezialfälle, nämlich die Investitionsfalle mit zinssatzunelastischer Investitionsnachfrage (1. Fall) sowie die Liquiditätsfalle mit vollkommen zinssatzelastischer Geldnachfrage (4. Fall), ein »klassischer« Spezialfall, nämlich der Fall zinssatzunelastischer Geldnachfrage (3. Fall) sowie ein weiterer Spezialfall, der Fall vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage (2. Fall). Bei den Erläuterungen zu diesen Spezialfällen werden wir auf den Transmissionsmechanismus des Normalfalls zurückgreifen.
4 Spezialfälle
4.2.1. Zinssatzunelastische Investitionsnachfrage (Investitionsfalle) In diesem »keynesianischen« Spezialfall ist die Investitionsnachfrage unabhängig vom Zinssatz: Ii = 0. Die IS-Kurve verläuft senkrecht, die LM-Kurve verläuft wie im Normalfall steigend:
1. Spezialfall: Investitionsfalle
Abbildung 4.12: Fiskalpolitik bei Vorliegen der Investitionsfalle
Fiskalpolitik ist besonders effektiv. Die ersten beiden positiven Effekte kommen voll zum Tragen, die beiden negativen Bremseffekte
Fiskalpolitik besonders effektiv
98
IS-LM-Modell
nicht, da annahmegemäß die Investitionen im Zuge der Zinssatzerhöhung am Ende des zweiten Effekts nicht zurückgehen.
4.2.2. Vollkommen zinssatzelastische Investitionsnachfrage 2. Spezialfall: hohe Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage
In diesem Spezialfall reagiert die Investitionsnachfrage auf kleinste Änderungen des Zinssatzes: I i . Die IS-Kurve verläuft waagerecht, die LM-Kurve verläuft wie im Normalfall steigend:
Abbildung 4.13: Fiskalpolitik bei vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage Fiskalpolitik ineffektiv
Fiskalpolitik ist nicht effektiv. Alle vier Effekte wirken, in diesem Falle sind sie gleich stark. Denn aufgrund der extrem hohen Reagibilität der Investitionen auf Zinssatzänderungen ist der dritte Effekt genauso stark wie der erste. Es kommt zu einem totalen crowding out privater Nachfrage durch staatliche Nachfrage.
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4.2.3. Zinssatzunelastische Geldnachfrage In diesem »klassischen« Spezialfall ist die Geldnachfrage unabhängig vom Zinssatz: Li = 0. Die LM-Kurve verläuft senkrecht, die IS-Kurve verläuft wie im Normalfall fallend:
3. Spezialfall: geringe Zinssatzelastizität der Geldnachfrage
Abbildung 4.14: Fiskalpolitik bei zinssatzunelastischer Geldnachfrage
Fiskalpolitik ist nicht effektiv. Der zweite zinssatzerhöhende Effekt ist so stark, weil jede Zinssatzerhöhung nicht zum gewünschten Ergebnis einer Reduktion der Spekulationskasse führt, die im Bereich der klassischen LM-Kurve bereits null ist. Da die Zinssätze immer weiter steigen, wird die Investitionsnachfrage in starkem Ausmaß zurückgehen. Es kommt zu einem totalen crowding out privater Nachfrage durch staatliche Nachfrage.
Fiskalpolitik ineffektiv
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4.2.4. Vollkommen zinssatzelastische Geldnachfrage (Liquiditätsfalle) In diesem »keynesianischen« Spezialfall reagiert die Geldnachfrage auf kleinste Änderungen des Zinssatzes: L i . 4. Spezialfall: Liquiditätsfalle
Die LM-Kurve verläuft waagerecht, die IS-Kurve verläuft wie im Normalfall fallend:
Abbildung 4.15: Fiskalpolitik bei Vorliegen der Liquiditätsfalle Fiskalpolitik besonders effektiv
Fiskalpolitik ist besonders effektiv. Im Bereich der Liquiditätsfalle können die Zinssätze, die den negativen Multiplikatorprozess in Gang setzen, nicht steigen. Deshalb wirkt nur der erste primäre Einkommenseffekt.
IS-LM-Modell
101
4.3. Mathematische Herleitung des Staatsausgabenmultiplikators Die mathematische Herleitung des Staatsausgabenmultiplikators erfolgt analog zur Herleitung des Geldmengenmultiplikators. Da wir den allgemeinen Multiplikator, der sowohl für Geld- als auch für Fiskalpolitik gilt, bereits ermittelt haben und die Schritte davor die gleichen sind wie diejenigen für Geldpolitik, können wir unsere Untersuchung mit dem allgemeinen Multiplikator beginnen: (4.21)
dY =
Ii Li (1 C Y )L i + L Y I i
1 1 dM + dG L I i i
Wird eine Fiskalpolitik durchgeführt, ist dG > 0 und dM = 0, so dass wir aus dem allgemeinen Multiplikator in (4.21) den Staatsausgabenmultiplikator herleiten: (4.33)
dY =
Ii Li 1 dG (1 C Y )L i + L Y I i I i
Nach Kürzung von I i erhalten wir (4.34)
dY =
Li dG (1 C Y )L i + L Y I i
Um aus didaktischen Gründen im Zähler eine Eins zu erhalten, formulieren wir (4.34) um zu (4.35): Der Staatsausgabenmultiplikator im IS-LM-Modell lautet: (4.35)
1
dY =
(1 C Y ) +
Ii LY Li
dG
Auch den Staatsausgabenmultiplikator werden wir im Folgenden mit unserer zweiten mathematischen Methode – der Matrizen- und Determinantenrechnung – herleiten: Die Gleichgewichtsbedingungen für den Güter- beziehungsweise Geldmarkt lauten: (4.11)
Y = C (Y)+ I (i)+ G (+)
(4.12)
()
M = L( Y , i ) (+) ()
(4.11) und (4.12) werden total differenziert: (4.13)
dY = C YdY + Ii + dG
(4.15)
(1 – CY) dY – I i di = dG
Ableitung der Gleichgewichtsbedingungen
102
IS-LM-Modell
(4.16)
LYdY + Li di = dM
In Matrixschreibweise werden die Gleichungen (4.15) und (4.16) folgendermaßen dargestellt: Matrixschreibweise
(4.25)
1 C Y L y
I i dY dG = L i di dM
Diese Gleichung in Matrixform ist bereits aus der Analyse der Geldpolitik bekannt. Der Unterschied folgt von nun an, da die Untersuchung der Effektivität einer Fiskalpolitik zwar ebenso wie die Untersuchung der Effektivität einer Geldpolitik die Änderung des Einkommens dY betrachtet, die in der ersten Spalte der Spaltenmatrix angegeben ist. Während Geldpolitik eine Änderung der Geldmenge dM bedeutet, die in der zweiten Zeile der Zeilenmatrix zu finden ist, wird Fiskalpolitik durch eine Änderung der Staatsausgaben dG betrieben, die in der ersten Zeile der Zeilenmatrix verankert ist. Deshalb ändern sich die Indizes der Adjunkten. Gesucht ist dY/dG. dY gehört zur ersten Spalte, dG zur ersten Zeile. Deshalb gilt gemäß Cramer’scher Regel: Cramer'sche Regel
(4.36)
dY A 11 D11 = = dG D D
Die Koeffizientendeterminante D lautet wie in unserer geldpolitischen Analyse: Koeffizientendeterminante Unterdeterminante
(4.28)
D = (1 – C y) Li + Ii Ly
Die Unterdeterminante D11 für dY/dG lautet: (4.37)
D11 = Li
Somit ist der gesuchte Ausdruck (4.38)
dY =
Li dG (1 C Y ) L i + I i L y
Diese Gleichung wird umformuliert zu: Staatsausgabenmultiplikator
(4.39)
dY =
1
(1 C Y )+
Ii Ly Li
dG
Der obige Bruch ist der Staatsausgabenmultiplikator, dG die Anstoßwirkung, die durch die Ä nderung der Staatsausgaben ausgelöst wird. Von besonderem Interesse sind wieder die Zinssatzelastizitäten: Fiskalpolitik ist im IS-LM-Modell umso wirksamer, je •
geringer die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage ist,
•
höher die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage ist.
IS-LM-Modell
Besonders effektiv ist Fiskalpolitik in den beiden »keynesianischen« Spezialfällen, der Investitions- und der Liquiditätsfalle. Unwirksam ist Fiskalpolitik in den beiden Spezialfällen, in denen die Geldnachfrage gar nicht, die Investitionsnachfrage unendlich zinsreagibel ist.
103
104
IS-LM-Modell
5. Zusammenfassung 1. Das IS-LM-Modell ist das traditionelle keynesianische Modell für eine geschlossene Volkswirtschaft. Grundlegende Annahmen dieses nachfrageorientierten Modells sind die Konstanz des Preisniveaus, eine Unterbeschäftigungssituation als Ausgangslage sowie die Umkehrung des Say'schen Theorems: Jede Güternachfrage zieht ein entsprechendes Güterangebot nach sich. 2. Auf dem Gütermarkt hängt die Konsumnachfrage positiv vom laufenden Einkommen, die Investitionsnachfrage negativ vom Zinssatz ab. Auf dem Kapitalmarkt hängt das Sparangebot positiv vom laufenden Einkommen, die Investitionsnachfrage negativ vom Zinssatz ab. Da ein Gütermarktgleichgewicht ein Kapitalmarktgleichgewicht impliziert, wird in dieser Analyse nur der Gütermarkt explizit betrachtet. 3. Auf dem Geldmarkt setzt sich die Geldnachfrage aus einer positiv vom Einkommen abhängigen Geldnachfrage zu Transaktionszwecken sowie einer negativ vom Zinssatz abhängigen Geldnachfrage zu Spekulationszwecken zusammen. Das Geldangebot ist exogen. Da der Wertpapiermarkt das Spiegelbild des Geldmarktes darstellt, wird in dieser Untersuchung nur der Geldmarkt explizit betrachtet. 4. Die – im Normalfall fallende – IS-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen Gleichgewicht auf dem Gütermarkt (Kapitalmarkt) herrscht. Ist die Investitionsnachfrage zinssatzunelastisch, verläuft die IS-Kurve senkrecht und geht in den Bereich der Investitionsfalle über. 5. Die – im Normalfall steigende – LM-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen Gleichgewicht auf dem Geldmarkt (Wertpapiermarkt) herrscht. Ist die Geldnachfrage vollkommen zinssatzelastisch, verläuft die LMKurve waagerecht und geht in den Bereich der Liquiditätsfalle über. 6. Der Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve repräsentiert simultanes Gleichgewicht auf dem Gütermarkt (Kapitalmarkt) und dem Geldmarkt (Wertpapiermarkt). Punkte, die rechts von der IS-Kurve liegen, repräsentieren einen Angebotsüberschuss auf dem Gütermarkt (Kapitalmarkt), Punkte links von der IS-Kurve einen Nachfrageüberschuss. Punkte, die rechts von der LM-Kurve liegen, repräsentieren einen Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt (Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt), Punkte links von der LMKurve einen Angebotsüberschuss auf dem Geldmarkt (Nachfrageüberschuss auf dem Wertpapiermarkt).
IS-LM-Modell
7. Geldpolitik ist im IS-LM-Modell grundsätzlich effektiv. Sie ist umso wirksamer, je geringer die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage und je höher die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage ist. Bei Vorliegen von Investitions- oder Liquiditätsfalle ist Geldpoli tik un wirksam. 8. Fiskalpolitik ist im IS-LM-Modell grundsätzlich effektiv. Sie ist umso wirksamer, je höher die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage und je geringer die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage ist. Bei Vorliegen von Investitions- oder Liquiditätsfalle ist Fiskalpolitik besonders wirksam. 9. In den Fällen, in denen Geldpolitik besonders wirksam ist, ist Fiskalpolitik unwirksam et vice versa.
105
106
IS-LM-Modell
6. Wiederholungsfragen
1.
Erläutern Sie zentrale Annahmen des IS-LM-Modells. Lösung S. 67
2.
Erläutern Sie die Liquiditätspräferenztheorie des Geldes. Lösung S. 71 ff.
3.
Definieren Sie die IS- und die LM-Kurve. Lösung S. 68 und 75
4.
Erläutern Sie den geldpolitischen Transmissionsmechanismus für den Normalfall. Lösung S. 83
5.
Erläutern Sie den fiskalpolitischen Transmissionsmechanismus für den Normalfall. Lösung S. 96.
IS-LM-Modell
7. Übungsaufgaben 1. Erläutern Sie die Wirksamkeit einer kontraktiven Geldpolitik bei Vorliegen der Investitionsfalle. Lösungsvorschlag: Bei Vorliegen der Investitionsfalle ist die Investitionsnachfrage zinssatzunelastisch. Im IS-LM-Diagramm ist die ISKurve daher eine Senkrechte, die LM-Kurve weist die normale positive Steigung auf. Das Ziel einer kontraktiven Geldpolitik liegt in der Reduktion des Einkommens, zum Beispiel, um eine überhitzte Konjunktur einzudämmen. Kontraktive Geldpolitik bedeutet, dass sich die Geldmenge verringert. Der Transmissionsmechanismus ist analog zum Transmissionsmechanismus einer expansiven Geldpolitik, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Eine Reduktion des Geldangebots führt über einen Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt, der gleichbedeutend mit einem Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt ist, zu sinkenden Kursen und steigenden Zinssätzen. Es wirkt nur dieser primäre Zinssatzeffekt, weil die Investitionsnachfrage nicht auf Zinssatzänderungen reagiert und somit die weiteren drei Effekte nicht ausgelöst werden. Im Ergebnis steigt der Zinssatz, das Einkommen bleibt unverändert, so dass eine kontraktive Geldpolitik bei Vorliegen der Investitionsfalle nicht wirksam ist. 2. Erläutern Sie die Wirksamkeit einer kontraktiven Fiskalpolitik bei Vorliegen der Liquiditätsfalle. Lösungsvorschlag: Bei Vorliegen der Liquiditätsfalle ist die Geldnachfrage vollkommen zinssatzelastisch. Im IS-LM-Diagramm ist die LMKurve daher eine Waagerechte, die IS-Kurve weist die normale negative Steigung auf. Das Ziel einer kontraktiven Fiskalpolitik liegt in der Reduktion des Einkommens. Kontraktive Fiskalpolitik bedeutet, dass sich die Staatsausgaben verringern. Der Transmissionsmechanismus ist analog zum Transmissionsmechanismus einer expansiven Fiskalpolitik, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Eine Reduktion der Staatsausgaben führt zu einer Verringerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und des gesamtwirtschaftlichen Angebots, das sich aufgrund der keynesianischen Annahme unverzüglich anpasst. Somit sinkt das Einkommen. Diese Einkommensreduktion wird über den elementaren Multiplikator noch verstärkt, da auch der einkommensinduzierte Konsum abnimmt. Der zu erwartende Rückgang der einkommensabhängigen Geldnachfrage zu Transaktionszwecken kann nicht eintreten, da in diesem Fall die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken steigen und damit der Zinssatz sinken müsste. Eine Zinssatzsenkung ist im Bereich der Liquiditätsfalle aber nicht möglich. Deshalb wirkt nur der primäre Einkommenseffekt. Eine kontraktive Fiskalpolitik bei Vorliegen der Liquiditätsfalle ist daher besonders wirksam.
107
Blinder-Solow-Modell 1.
Einleitung
111
2.
Erweiterungen gegenüber dem IS-LM-Modell
111
2.1.
Berücksichtigung von Vermögenseffekten
111
2.2.
Berücksichtigung der Budgetrestriktion des Staates
113
2.3.
Aneinanderreihung temporärer Gleichgewichte
114
3.
Allgemeiner Staatsausgabenmultiplikator bei Kreditfinanzierung 115
4.
Geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik
122
4.1.
Graphische Analyse
122
4.2.
Mathematische Analyse
127
5.
Bondfinanzierte Fiskalpolitik
131
5.1.
Graphische Analyse
131
5.2.
Mathematische Analyse
135
6.
Zusammenfassung
137
7.
Wiederholungsfragen
138
8.
Übungsaufgaben
139
110
Blinder-Solow-Modell
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein, • • • • •
die Erweiterungen des Blinder-Solow-Modells gegenüber dem IS-LM-Modell zu analysieren, den allgemeinen Multiplikator bei Kreditfinanzierung zu interpretieren, die Effektivität einer geldmengenfinanzierten Fiskalpolitik graphisch, mathematisch und verbal zu erläutern, die Effektivität einer bondfinanzierten Fiskalpolitik graphisch, mathematisch und verbal zu erläutern, die Ergebnisse der komparativ-statischen Analyse des Blinder-Solow-Modells mit den Ergebnissen des IS-LM-Modells zu vergleichen.
Das Blinder-Solow-Modell stellt eine Erweiterung des traditionellen Keynes’schen IS-LM-Modells dar. Es reduziert die Stock-Flow-Problematik der unterschiedlichen Berücksichtigung von Bestands- (stocks) und Stromgrößen (flows) im Hicks-Modell. Dies geschieht durch die explizite Einbeziehung von Vermögenseffekten, die Stromgrößen wie den Konsum oder die Geldnachfrage beeinflussen. Zudem wird nicht nur die staatliche Ausgabenseite wie im IS-LM-Modell, sondern auch die öffentliche Einnahmenseite in die Analyse miteinbezogen. Schließlich zeichnet sich das Blinder-Solow-Modell gegenüber dem traditionellen Keynes’schen Modell durch seinen dynamischen Charakter aus. Seinen Namen verdankt dieses Modell seinen Urhebern, dem Princeton-Professor Blinder sowie dem MIT-Professor und Nobelpreisträger (1987) Solow.
Blinder-Solow-Modell
111
2. Erweiterungen gegenüber dem IS-LM-Modell Folgende Erweiterungen ergeben sich gegenüber dem IS-LM-Modell: 1. Berücksichtigung von Vermögenseffekten in den Verhaltensfunktionen; Ziel: Reduktion der Stock-Flow-Problematik; 2. Berücksichtigung der Budgetrestriktion des Staates; Ziel: Einbeziehung der Finanzierungsseite; 3. Aneinanderreihung temporärer Gleichgewichte; Ziel: Dynamisierung des statischen IS-LM-Modells.
2.1. Berücksichtigung von Vermögenseffekten Das Vermögen V setzt sich in diesem Modell zusammen aus dem Bestand an (konstantem) Realkapital K , Geld M sowie dem Marktwert (Gegenwartswert) von Wertpapieren (Bonds) B/i: B (5.1) V=K+M+ i
• • •
Wertpapiere sind in diesem Modell durch folgende Eigenschaften charakterisiert: Sie haben eine unendliche Laufzeit, unterliegen einer fixen Nominalverzinsung (Couponverzinsung) und sind Kursschwankungen unterworfen. Ihr Nennwert ist so bemessen, dass der Ertrag eines Wertpapiers bei genau einer Geldeinheit liegt. Beträgt beispielsweise die Nominalverzinsung vier Prozent, wirft ein Wertpapier mit einem Nominalwert von 100 vier Geldeinheiten ab. Demzufolge erhält man genau eine Geldeinheit für ein Wertpapier mit einem Nominalwert von 25, auf das in diesem Modell der Nennwert festgelegt wird. Durch diese Konstruktion kann die Variable B auf zweierlei Art und Weise interpretiert werden: Sie gibt Auskunft sowohl über die Anzahl der Wertpapiere, die jemand in seinem Portefeuille hält, als auch über die Höhe der staatlichen Zinszahlungen, die den Wertpapierhaltern zukommen: Gilt zum Beispiel B = 4, hält ein Wirtschaftssubjekt genau vier Wertpapiere und erhält Zinseinnahmen in Höhe von genau vier Geldeinheiten. Somit ergibt sich als Marktwert / Gegenwartswert / Kurs / Preis eines Wertpapiers beziehungsweise des gesamten Wertpapierbestands:
Vermögen = Realkapital + Geld + Wertpapiere
112
Blinder-Solow-Modell
1 : i
Preis für ein Wertpapier
(z.B. bei einer Nominalverzinsung von 4 Prozent: [1 : 0,04] = 25)
B : i
Marktwert aller Wertpapiere im Portefeuille
Das Vermögen wird in den Argumenten der Verhaltensfunktionen des Gütermarktes und Geldmarktes berücksichtigt: Die Verhaltensfunktion des Gütermarktes wird durch die Konsumfunktion beschrieben: Konsumfunktion
(5.2)
C = C Y disp , V (+ ) (+ )
Die Konsumnachfrage C hängt positiv ab vom verfügbaren laufenden Einkommen Ydisp und vom Vermögen V. Die Verhaltensfunktion des Geldmarktes wird durch die Geldnachfragefunktion beschrieben: Geldnachfragefunktion
(5.3)
L = L Y, i , V (+ ) ( ) (+ )
Die Geldnachfrage L hängt positiv ab vom Einkommen Y (Transaktionskasse), negativ vom Zinssatz i (Spekulationskasse) sowie positiv vom Vermögen V (Vermögenseffekt). Stock-Flow-Problematik
Die Stock-Flow-Problematik im traditionellen Keynes’schen Modell ist dadurch gegeben, dass das IS-LM-Gleichgewicht ein Gleichgewicht auf dem Gütermarkt voraussetzt, das ein Stromgleichgewicht der flows Investition, Ersparnis und Konsum mit einem Strom-Bestand-Gleichgewicht auf dem Geldmarkt verbindet, das neben einem flow, der Geldnachfrage, einen stock, nämlich das Geldangebot, enthält. Durch die Berücksichtigung von Vermögenseffekten werden zumindest teilweise die Wirkungen von Veränderungen von Bestandsgrößen auf induzierte Veränderungen von Stromgrößen in die Analyse miteinbezogen.
Blinder-Solow-Modell
113
2.2. Berücksichtigung der Budgetrestriktion des Staates Die Einhaltung der Budgetrestriktion des Staates verlangt, dass die staatlichen Ausgaben die öffentlichen Einnahmen nicht übersteigen. Staatliche Ausgaben setzen sich zusammen aus • •
dem Wert öffentlichen Konsums sowie öffentlicher Investitionen G sowie der Höhe geleisteter Zinszahlungen B.
Staatliche Einnahmen werden erzielt durch •
•
•
das Eintreiben von Steuern T, deren Höhe vom Einkommen der Vorperiode abhängt und die im Zuge einer steuerfinanzierten expansiven Fiskalpolitik mit dT(Yt-1) > 0 steigen, die Erhöhung der Geldmenge M, die im Zuge einer geldmengenfinanzierten expansiven Fiskalpolitik mit dM > 0 betrieben wird, sowie die Erhöhung des Marktwertes der Wertpapiere B/i, die im Zuge einer bondfinanzierten expansiven Fiskalpolitik mit dB > 0 erzielt wird. i
Somit lautet die Budgetrestriktion des Staates, die im IS-LM-Modell nicht berücksichtigt wird, im Blinder-Solow-Modell aber die ihr gebührende Rolle erhält: (5.4)
G+B
=
T(Yt 1 )+ d M +
Ausgaben
Einnahmen
dB i
Budgetrestriktion: Einnahmen = Steuern + Geldmengenfinanzierung + Bondfinanzierung
114
Blinder-Solow-Modell
2.3. Aneinanderreihung temporärer Gleichgewichte Fiskalpolitik im IS-LM-Modell wird komparativ-statisch untersucht, das heißt, man vergleicht einen Anfangszustand mit einem Endzustand, der sich nach einer »logischen Sekunde« aufgrund fiskalpolitischer Maßnahmen ergibt. Der Transmissionsmechanismus wird durch zwei primäre Effekte beschrieben, die im Falle einer expansiven Fiskalpolitik zu Einkommens- und Zinssatzerhöhungen führen, sowie durch zwei sekundäre Effekte, die im Normalfall die Einkommens- und Zinssatzerhöhungen schmälern.
temporäre Gleichgewichte
Das Blinder-Solow-Modell ist kein dynamisches Modell, ein gewisser Grad an Dynamisierung wird jedoch dadurch erreicht, dass mehrere temporäre Gleichgewichte aneinandergereiht werden: Die Effekte einer Fiskalpolitik werden zunächst wie im IS-LM-Modell mit dem üblichen Transmissionsmechanismus beschrieben. Dieser wird dadurch fortgesetzt, dass die Vermögenseffekte auf den Konsum und die Geldnachfrage miteinbezogen werden, wie in der Analyse der Fiskalpolitik deutlich werden wird.
Blinder-Solow-Modell
115
3. Allgemeiner Staatsausgabenmultiplikator bei Kreditfinanzierung Im Folgenden werden die Wirkungen einer expansiven Fiskalpolitik untersucht. Im Gegensatz zum IS-LM-Modell, das die Finanzierungsseite außer Acht lässt, ist im Blinder-Solow-Modell zwischen drei Finanzierungsarten zu unterscheiden: Steuerfinanzierung, Geldmengenfinanzierung, Bondfinanzierung. Geldmengen- sowie Bondfinanzierung stellen zwei unterschiedliche Formen der Kreditfinanzierung dar. Im ersten Fall finanziert sich der Staat über eine Kreditaufnahme bei der Zentralbank, im zweiten Fall finanziert er sich über die Ausgabe von Wertpapieren bei den Privaten. Wird Fiskalpolitik steuerfinanziert, verzichtet der Staat auf die Aufnahme von Krediten. Da Steuern jedoch annahmegemäß vom Einkommen der Vorperiode abhängen, ist der Staat darauf angewiesen, seine zusätzlichen Ausgaben zumindest in der ersten Periode über Kredite zu finanzieren, da sich die Höhe der Steuern erst in der Folgeperiode ändert. Deshalb steht im Blinder-Solow-Modell die Untersuchung kreditfinanzierter Fiskalpolitik im Vordergrund.
expansive Fiskalpolitik
Steuer- und Kreditfinanzierung
Kreditfinanzierung ist • •
entweder Geldmengenfinanzierung mit dM > 0 oder Bondfinanzierung mit dB/i > 0.
Wird Fiskalpolitik geldmengenfinanziert, erhält der Staat einen Zentralbankkredit, für den er keine Zinsen zahlt. Diese Variante ist in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ebenso wenig möglich wie in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Nichtsdestotrotz erlagen in der Vergangenheit zahlreiche Regierungen der Versuchung, sich »preiswert« zu refinanzieren und auch heute noch ist Geldmengenfinanzierung in vielen Entwicklungsländern gang und gäbe.
Geldmengenfinanzierung
Wird Fiskalpolitik bondfinanziert, handelt es sich um Offenmarktpolitik, die in Deutschland wie innerhalb der Europäischen Wirtschaftsund Währungsunion seit Jahrzehnten die dominierende Rolle einnimmt. Der Staat verkauft Wertpapiere an die Privaten, erhält im Gegenzug die benötigten finanziellen Mittel und leistet den Zins- und Tilgungsdienst.
Bondfinanzierung
Im Folgenden werden die Wirkungen einer kreditfinanzierten Fiskalpolitik in drei »Sprachen« untersucht, nämlich der graphischen, die durch ihre Anschaulichkeit besticht, der mathematischen, deren Vorzug in
116
Blinder-Solow-Modell
ihrer Präzision liegt, und der verbalen »Sprache«, die für begleitende Erläuterungen die vorteilhafteste ist. Da sich die Herleitungen der Multiplikatoren für geldmengen- und bondfinanzierte Fiskalpolitik ähneln, beginnen wir zuerst mit der Herleitung des allgemeinen, das heißt von der Art der Kreditfinanzierung unabhängigen, Staatsausgabenmultiplikators bei Kreditfinanzierung, um später den für eine geldmengenfinanzierte sowie den für eine bondfinanzierte Fiskalpolitik relevanten Multiplikator herzuleiten. Das Blinder-Solow-Modell ist durch folgende fünf Gleichungen hinreichend modelliert: Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt, die graphisch durch die IS-Kurve repräsentiert wird, lautet: Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt
Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt
(5.5)
Y = C(Y disp , V ) + I( i ) + G (+)
(+)
(- )
Herrscht auf dem Gütermarkt Gleichgewicht, entspricht das Güterangebot Y der Konsumnachfrage C, die positiv vom verfügbaren Einkommen Ydisp und vom Vermögen V abhängt, der Investitionsnachfrage I, die negativ vom Zinssatz i abhängt, sowie der Staatsnachfrage G, die eine exogene Variable darstellt. Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt, graphisch repräsentiert durch die LM-Kurve, lautet: (5.6)
M = L( Y , i , V ) (+ ) (- ) (+ )
Herrscht auf dem Geldmarkt Gleichgewicht, entspricht das exogene Geldangebot M der endogenen Geldnachfrage L, die positiv vom Einkommen Y (Transaktionskasse), negativ vom Zinssatz i (Spekulationskasse) und positiv vom Vermögen V (Vermögenseffekt) abhängt. Definitionsgleichung für das verfügbare Einkommen
Die Definitionsgleichung für das verfügbare Einkommen wird in vereinfachter Form dargestellt. Das verfügbare Einkommen besteht genau genommen aus dem Einkommen zuzüglich der Zinszahlungen des Staates an die privaten Haushalte abzüglich der von den Privaten zu leistenden Steuern: (5.7)
Ydisp = Y + B – T (Yt-1 + B).
Aus Vereinfachungsgründen werden die Zinszahlungen vernachlässigt. Steuern seien vom laufenden, nicht vom vorhergehenden Einkommen abhängig. Somit gilt T(Y) statt T(Yt-1 ), so dass sich Gleichung (5.7) modifiziert zu: (5.8)
Y disp = Y T( Y ) (+ )
Das verfügbare Einkommen Ydisp ist definiert als Differenz aus dem Einkommen Y minus dem Steueraufkommen T, das positiv vom Einkommen abhängt.
Blinder-Solow-Modell
117
Die Definitionsgleichung für das Vermögen kennen wir bereits: _
(5.1)
V = K+ M+
Definitionsgleichung für das Vermögen
B i _
Das Vermögen V ist definiert als Summe aus dem Realkapital K , der Geldmenge M und dem Marktwert der Wertpapiere B/i. Die Budgetrestriktion des Staates lautet – unter der vereinfachten Annahme der Periodengleichheit des gesamtwirtschaftlichen Einkommens und der daraus resultierenden Steuereinnahmen: (5.9)
0 = G + B - T(Y) (+)
Budgetrestriktion des Staates
Die Budgetrestriktion des Staates erfordert, dass die Summe der staatlichen Ausgaben, die sich aus staatlichem Konsum und staatlicher Investition G sowie aus staatlichen Zinszahlungen B zusammensetzen, minus den Steuereinnahmen T(Y) Null ergibt, so dass ein staatliches Defizit ausbleibt. Sind die Ausgaben höher als das einkommensabhängige Steueraufkommen T, müssen zusätzliche Einnahmen über eine Kreditfinanzierung bereitgestellt werden, die als Geldmengenfinanzierung mit dM > 0 oder als Bondfinanzierung mit dB/i > 0 durch geführt werden kann: (5.10)
= dM +
dB >0 i
Während der Realkapitalbestand annahmegemäß konstant ist, werden von Periode zu Periode die Bestandsveränderungen von Geld und Wertpapieren erfasst. Diese sind für weitere Verschiebungen der ISbeziehungsweise LM-Kurve verantwortlich, so dass sich die temporären IS-LM-Gleichgewichte ändern, bis der öffentliche Haushalt nicht mehr defizitär mit > 0, sondern wieder ausgeglichen ist. Um die (infinitesimal kleinen) Änderungen zu untersuchen, die eine diskretionäre Fiskalpolitik nach sich zieht, werden die Gleichungen total differenziert: Die Ableitung der Gleichgewichtsbedingung (5.5) für den Gütermarkt lautet: (5.11)
dY = C Ydisp dY disp + CVdV + I i di + dG
Die Ableitung der Gleichgewichtsbedingung (5.6) für den Geldmarkt ergibt: (5.12)
dM = L Y dY + Li di + LVdV
Die Ableitung der Definitionsgleichung (5.8) für das verfügbare Einkommen lautet: (5.13)
dYdisp = dY – TYdY
Ableitungen
118
Blinder-Solow-Modell
Nach Ausklammern gilt: (5.14)
dYdisp = (1 – T Y) dY
Die Ableitung der Definitionsgleichung (5.1) für das Vermögen erfolgt nach der Quotientenregel:
u ( uv uv) = : v v2 (5.15)
dV = dM + d B i - B di i2
(5.16)
dV = dM +
oder
dB B – di i i2
Aus Vereinfachungsgründen werden in einem weiteren Schritt die vermögensinduzierten Zinssatzeffekte B/i2 di vernachlässigt: (5.17)
dV = dM +
dB i
Nach Einsetzen von (5.14) und (5.17) in (5.11) ergibt sich: (5.19)
dB dY = C Y disp (1 Ty )dY + C V dM + + I idi + dG i
Nach Ausklammerung erhalten wir (5.20)
[1 C (1 T )] dY I di = dG + C Y disp
Y
i
V
dB dM + i
Nach Einsetzen von (5.17) in (5.12) ergibt sich: (5.21)
dB d M = L Y d Y + L i di + L V d M + i
Nach Umformulierungen erhalten wir (5.22)
dB L Y d Y + L i di = d M L V d M + i
Gleichungen (5.20) und (5.22) lauten in Matrixschreibweise: Matrixschreibweise
(5.23)
dB d G + CV d M + 1 C Y disp (1 Ty ) I i d Y i = d B Ly L i di d M LV d M + i
Die entsprechende Koeffizientendeterminante D lautet: Koeffizientendeterminante
(5.24)
D = [1 C Y disp (1 TY )]L i + I iL y
Unser Ziel besteht darin zu ermitteln, inwieweit sich das Einkommen aufgrund einer diskretionären Politik ändert. Deshalb steht dY im Fo-
Blinder-Solow-Modell
kus unseres Interesses. dY gehört zur ersten Spalte, daher errechnet sich die dazugehörige Unterdeterminante folgendermaßen: Multiplikation der 1. Zeile der rechten Seite mit der entsprechenden Unterdeterminanten D11 minus Multiplikation der zweiten Zeile der rechten Seite mit der entsprechenden Unterdeterminanten D21, wobei der erste Index die Zeile, der zweite Index die Spalte (dY) angibt. Die entsprechende Unterdeterminante für dY, D1, lautet demnach: (5.25)
119
Unterdeterminante
d B d B D 1 = d G + C V d M + L i + I i d M L V d M + i i
Nach der Cramer’schen Regel ergibt sich: Cramer'sche Regel
(5.26)
d B d B d G + CV d M + L i + I i d M L V d M + i i D dY = 1 = D [1 C Y disp (1 TY )]L i + I i L Y 1 Nach Multiplikation mit 1 = L i 1 Li
erhält man:
(5.27)
dY =
d B Ii d G + CV d M + + i Li
d B d M L V d M + i Ii [1 C Y disp (1 TY )] + LY Li
Nach Sortieren von dG, dM, dB gelangt man zu:
i
(5.28)
dB I I dG + C V + i (1 L V ) dM +
C V i L V Li Li i dY = Ii 1 C Ydisp (1 TY )+ L y Li
Somit führt eine Staatsausgabenerhöhung kurzfristig zu folgender Einkommensänderung: (5.29) dY =
dB I I dG + C V + i (1 L V )dM + C V i L V . Ii L L i i i 1 C Y disp (1 TY ) + L Y Li 1
120
Blinder-Solow-Modell
Der kurzfristige allgemeine Staatsausgabenmultiplikator bei Kreditfinanzierung ist umso größer und eine Fiskalpolitik damit umso wirksamer, je •
höher die marginale Konsumrate C Y disp ist, weil dann der einfache Gütermarktmultiplikator besser zum Tragen kommt,
•
niedriger der marginale Steuersatz TY ist, um ein hohes, für Konsumausgaben zur Verfügung stehendes verfügbares Einkommen zu erzielen,
•
niedriger die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage Ii ist, um den Investitionsrückgang aufgrund gestiegener Zinssätze gering zu halten,
•
höher die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage Li ist, weil in diesem Falle nur eine unendlich kleine Zinssatzerhöhung erforderlich ist, um die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken zum Sinken zu bringen, wenn die einkommensinduzierte Geldnachfrage zu Transaktionszwecken steigt.
•
niedriger die Einkommenselastizität der Geldnachfrage LY ist, weil dadurch der Bremseffekt, der durch die steigende Geldnachfrage ausgelöst wird, gering gehalten wird.
•
höher die Vermögenselastizität der Konsumnachfrage CV ist, weil dann der einfache Gütermarktmultiplikator besser zum Tragen kommt,
•
geringer die Vermögenselastizität der Geldnachfrage LV ist, weil dadurch der Bremseffekt, der durch die steigende Geldnachfrage ausgelöst wird, gering gehalten wird.
Im langfristigen Gleichgewicht (steady state) kommt es nicht mehr zu Bestandsveränderungen, das heißt es findet keine weitere Kreditfinanzierung statt. Die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben werden allein durch die zusätzlichen Steuereinnahmen gedeckt: (5.30)
dG + dB – T YdY = 0
Somit führt eine Staatsausgabenerhöhung langfristig zu folgender Einkommensänderung: (5.31)
dY =
1 (dG + dB) TY
Der Bruch ist der langfristige allgemeine Staatsausgabenmultiplikator bei Kreditfinanzierung.
Blinder-Solow-Modell
Der langfristige Multiplikator gibt nur an, wie stark das Einkommen steigen muss, damit langfristiges Gleichgewicht herrscht, das heißt das Budget des Staates wieder ausgeglichen ist. Er sagt nichts darüber aus, ob das Gleichgewicht überhaupt erreichbar ist.
121
122
Blinder-Solow-Modell
4. Geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik Geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik
Im Folgenden wird eine geldmengenfinanzierte expansive Fiskalpolitik untersucht, und zwar zunächst graphisch, anschließend algebraisch. Verbale Erläuterungen in beiden Teilen unterfüttern diese Analyse. Dem Verständnis ist es förderlich, wenn der Leser sein Augenmerk auf die Verknüpfung graphischer, mathematischer und verbaler Elemente legt.
4.1. Graphische Analyse Die zusätzlichen Staatsausgaben werden zunächst durch eine gleich hohe Geldmengenerhöhung finanziert, während der Bestand an Wertpapieren unverändert bleibt. Somit gilt bei Geldmengenfinanzierung: dG = dM = dV > 0, dB = 0
Abbildung 5.1: Geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik
Um den Übertragungsmechanismus vom Ausgangsgleichgewicht in P0 zum Endgleichgewicht in P1 sinnvoll zu beschreiben, wird der Gesamteffekt in vier Teileffekte zerlegt: Zuerst wird die Wirkung der Staatsausgabenerhöhung angezeigt (P 0 P01), danach die der Geldmengenfinanzierung (P01 P 02), anschließend die des Vermögenseffekts in Bezug auf den Konsum (P 02 P 03) und schließlich die des Vermögenseffekts in Bezug auf die Geldnachfrage (P03 P1). Zu be-
Blinder-Solow-Modell
123
achten ist ferner, dass sich jeder dieser vier Teileffekte aus vier zu erklärenden Effekten zusammensetzt: Wie im IS-LM-Modell sind ein primärer und ein sekundärer Einkommenseffekt sowie ein primärer und ein sekundärer Zinssatzeffekt erklärungsbedürftig. Da diese Wirkungsketten bereits im Kapitel über das IS-LM-Modell ausführlichbeschrieben worden sind, werden sie hier in verkürzter Weise erläutert. Der Transmissionsmechanismus einer geldmengenfinanzierten expansiven Fiskalpolitik im Blinder-Solow-Modell lässt sich folgendermaßen beschreiben: P0 P01: Staatsausgabenerhöhung Dieser Effekt entspricht dem Transmissionsmechanismus einer expansiven Fiskal politik im IS-LM-Modell, der insgesamt vier Effekte erklärt: 1. Primärer Einkommenseffekt auf dem Gütermarkt Die Erhöhung der Staatsausgaben ist gleichbedeutend mit einer Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, da die Staatsausgaben ein Bestandteil der Nachfrage sind. Aufgrund der Keynes’schen Annahme passt sich das Güterangebot unverzüglich der Güternachfrage an. Da sowohl die Güternachfrage als auch das Güterangebot steigen, ergibt sich insgesamt eine Erhöhung des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens. Dies induziert eine Erhöhung des einkommensabhängigen Konsums, was in eine weitere Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, des gesamtwirtschaftlichen Angebots und des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens mündet. Man erkennt den einfachen Gütermarktmultiplikator, der sich prinzipiell unendlich lange fortsetzt und insgesamt zu einer Erhöhung des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens führt. 2. Primärer Zinssatzeffekt auf dem Geldmarkt Diese Einkommenserhöhung impliziert auf dem Geldmarkt eine Erhöhung der einkommensabhängigen Geldnachfrage zu Transaktionszwecken. Ceteris paribus liegt somit ein Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt beziehungsweise ein Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt vor. Dieser Angebotsüberschuss führt zu einer Kurssenkung, die in ein Steigen der Zinssätze mündet. Alternativ ist folgende Erklärung möglich: Wenn die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken steigt, so ist dies bei einem unveränderten Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Geldmarkt nur möglich, wenn die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken sinkt. Dies erfordert jedoch ein Ansteigen der Zinssätze, da die Spekulationskasse negativ vom Zinssatz abhängt.
Anstoßwirkung: Staatsausgabenerhöhung
124
Blinder-Solow-Modell
3. Sekundärer Einkommenseffekt auf dem Gütermarkt Der Anstieg der Zinssätze wirkt sich auf den Gütermarkt wie folgt aus: Aufgrund der negativen Abhängigkeit der Investitionen von den Zinssätzen wird die Investitionsnachfrage zurückgehen, somit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinken, eine gleichgerichtete Änderung des Güterangebots bewirken und damit ein sinkendes Sozialprodukt / eine sinkende Beschäftigung / sinkende Einkommen nach sich ziehen. Hier setzt wie im ersten Effekt der einfache Gütermarktmultiplikator ein, der über ein Nachlassen der einkommensabhängigen Konsumnachfrage die Rückgänge des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens hervorruft. 4. Sekundärer Zinssatzeffekt auf dem Geldmarkt Das sinkende Einkommen führt zu einem Rückgang der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken, so dass die Zinssätze sinken. Der zweite (expansive) Zinssatzeffekt wird durch diesen vierten (kontraktiven) Zinssatzeffekt daher zum Teil konterkariert. Insgesamt verschiebt sich im Normalfall die IS-Kurve somit nach rechts, Sozialprodukt / Beschäftigung / Einkommen und Zinssätze steigen. In Kurzschreibweise lassen sich die vier Effekte der Staatsausgabenerhöhung wie folgt zusammenfassen: 1. Gütermarkt G Yd Ys Y C (Y) Y d Y s Y (+)
2. Geldmarkt Y LT (Y) NÜGEM AÜWPM KWP i (+)
LS (i) i ()
3. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
4. Geldmarkt Y LT (Y) AÜGEM NÜWPM K WP i (+)
LS (i) i ()
P01 P02: Geldmengenfinanzierung Geldmengenfinanzierung
Aufgrund der Geldmengenfinanzierung steigt die Geldmenge, was graphisch durch eine Rechtsverschiebung der LM-Kurve beschrieben wird. Hier kann der Transmissionsmechanismus einer expansiven
Blinder-Solow-Modell
Geldpolitik im IS-LM-Modell herangezogen werden, der ebenfalls vier Effekte beschreibt: auf dem Geldmarkt einen primären (1. Effekt) und sekundären (3. Effekt) Zinssatzeffekt, auf dem Gütermarkt einen primären (2. Effekt) und sekundären (4. Effekt) Einkommenseffekt. Insgesamt führt dieser Effekt, der dem Geldmengenmultiplikator aus dem IS-LM-Modell entspricht, im Normalfall zu einem weiteren Anstieg des Sozialprodukts / der Beschäftigung / des Einkommens und zu einem Sinken der Zinssätze. In Kurzschreibweise lauten die vier Effekte der Geldmengenfinanzierung: 1. Geldmarkt M AÜGEM NÜWPM K WP i 2. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
3. Geldmarkt Y LT (Y) NÜGEM AÜWPM KWP i (+)
LS (i) i ()
4. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
125
126
Blinder-Solow-Modell
P02 P03: Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum Hier wirkt sich der Vermögenseffekt auf die Konsumnachfrage aus. Dadurch ergibt sich im Gegensatz zum IS-LM-Modell ein weiterer expansiver Effekt, dessen Transmissionsmechanismus dem Staatsausgabenmultiplikator im IS-LM-Modell entspricht. Im Normalfall führt die erneute Rechtsverschiebung der IS-Kurve zu einer weiteren Erhöhung von Sozialprodukt / Beschäftigung / Einkommen und Zinssätzen. In Kurzschreibweise wirkt der Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum in folgender Weise: 1. Gütermarkt V C (V) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y (+)
(+)
2. Geldmarkt Y LT (Y) NÜGEM AÜWPM KWP i (+)
LS (i) i ()
3. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
4. Geldmarkt Y LT (Y) AÜGEM NÜWPM K WP i (+)
LS (i) ()
i
Blinder-Solow-Modell
127
P03 P1: Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage Hier schlägt der Vermögenseffekt auf die Geldnachfrage durch. Dadurch entsteht im Gegensatz zum IS-LM-Modell ein zusätzlicher kontraktiver Effekt, der im Normalfall eine Linksverschiebung der LMKurve und damit ein Steigen der Zinssätze, aber ein Sinken von Sozialprodukt / Beschäftigung / Einkommen hervorruft. In Kurzschreibweise wirkt der Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage in folgender Weise: 1. Geldmarkt V L (V) NÜGEM AÜWPM K WP i (+)
2. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
3. Geldmarkt Y LT (Y) AÜGEM NÜWPM K WP i (+)
LS (i) i ()
4. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
4.2. Mathematische Analyse Die Einkommensänderung wird bestimmt durch den oben ermittelten kurzfristigen allgemeinen Staatsausgabenmultiplikator bei Kreditfinanzierung: (5.29) dY =
Ii (1 L V ) d M + C V I i L V d B d G + C V + Ii Li Li i 1 C Y disp (1 TY )+ LY Li 1
Da bei Geldmengenfinanzierung gilt: dB = 0, entfällt der Term dB I C V i L V , L i i
Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage
128
Blinder-Solow-Modell
so dass sich der Multiplikator verkürzt zu: (5.32) d Y =
Ii d G + C V + (1 L V ) d M
Ii L i 1 C Y disp (1 TY )+ LY Li 1
Da dG = dM, kann dG ausgeklammert werden. Als kurzfristigen Staatsausgabenmultiplikator bei Geldmengenfinanzierung erhalten wir:
Die obige Darstellung soll die Verknüpfung graphischer, mathematischer und verbaler Analyse aufzeigen. Während die Erhöhung der Staatsausgaben nur in der ersten Periode wirksam wird, wirken die Finanzierungs- und Vermögenseffekte in den weiteren Perioden fort. Insgesamt kommt es zu einer Rechtsverschiebung der LM-Kurve: Der expansive Effekt aufgrund der Geldmengenfinanzierung ist größer als der kontraktive Effekt aufgrund steigender vermögensabhängiger Geldnachfrage. Denn wenn das Vermögen steigt, nimmt die Geldnachfrage nur um einen Bruchteil des Vermögensanstiegs zu, weil den Wirtschaftssubjekten neben Geld auch andere Anlageformen zur Verfügung stehen. Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt lautet: (5.6)
M = L( Y , i , V ) (+ ) (- ) (+ )
Ihre Ableitung ergibt (5.12)
dM = L Y dY + Li di + LVdV
Blinder-Solow-Modell
129
Da das Ausmaß der Einkommensänderung, die wir horizontal auf der Abszisse messen, im Zentrum unseres Interesses steht, vernachlässigen wir Zinssatzänderungen, die sich in einer vertikalen Verschiebung niederschlagen. Mithin gilt: di = 0, so dass (5.12) modifiziert wird zu: (5.34)
dY =
d M LV d V LY
Weil aufgrund der Annahme von Geldmengenfinanzierung gilt: dV = dM, können wir den Term vereinfachen zu ( + , wenn <1)
(5.35)
1 LV dY = LY
dM > 0
(+)
Sofern die Vermögenselastizität der Geldnachfrage kleiner ist als Eins – und von dieser plausiblen Annahme gehen wir aus – ist der obige Ausdruck positiv. Dies bedeutet, dass der Netto-Effekt der Geldmarkteffekte in einer Einkommenserhöhung resultiert, so dass sich die LMKurve trotz des kontraktiven Vermögenseffekts in Bezug auf die Geldnachfrage letztlich aufgrund des dominanten expansiven Effekts der Geldmengenfinanzierung nach rechts verschiebt. Dieser Zusammenhang ist auch im kurzfristigen Staatsausgabenmultiplikator bei Geldmengenfinanzierung ersichtlich. Es gilt: (5.36)
Ii (1 L V ) > 0 Li
Die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage Ii sowie die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage L i sind negativ. Solange die positive Vermögenselastizität der Geldnachfrage LV kleiner ist als Eins, ist die Ungleichung oben erfüllt. Die finale Rechtsverschiebung der LM-Kurve bedeutet, dass der neue Gleichgewichtspunkt P1 rechts von P01 liegt, dem Punkt, der das Ergebnis einer expansiven Fiskalpolitik im IS-LM-Modell anzeigt. Somit ist eine geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik nicht nur effektiv, sondern sogar wirksamer als im IS-LM-Modell. Die einkommensabhängigen Steuereinnahmen lassen die staatlichen Budgetdefizite und damit auch die Vermögenseffekte abnehmen. Ein neues Gleichgewicht liegt genau dann vor, wenn die induzierten Steuermehreinnahmen genauso hoch sind wie die ursprüngliche Erhöhung der Staatsausgaben. Im langfristigen Gleichgewicht ist das staatliche Defizit auf null gesunken, das heißt das Sozialprodukt hat um den Betrag zugenommen, der nötig ist, damit die daraus resultierende Steuererhöhung die Staatsausgabenerhöhung voll abdeckt. Im langfristigen
geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik effektiver als im IS-LM-Modell
130
Blinder-Solow-Modell
Gleichgewicht (steady state) kommt es nicht mehr zu Bestandsveränderungen, es gilt: (5.30)
dG + dB – T Y dY = 0.
Da sich bei einer geldmengenfinanzierten Fiskalpolitik die Wertpapierbestände annahmegemäß nicht ändern, gilt dB = 0 und somit: (5.37)
dG – TY dY = 0.
Der langfristige Staatsausgabenmultiplikator bei Geldmengenfinanzierung lautet: (5.38)
dY =
1 dG TY
Insgesamt ist eine geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik effektiv, und zwar auch – im Gegensatz zum IS-LM-Modell – bei zinssatzunelastischer Geldnachfrage, also im klassischen Bereich der LM-Kurve. Sie ist sogar wirksamer als im IS-LM-Modell, da aufgrund der Berücksichtigung der Geldmengenfinanzierung die expansiven Effekte verstärkt werden.
Blinder-Solow-Modell
131
5. Bondfinanzierte Fiskalpolitik Bondfinanzierte Fiskalpolitik bedeutet, dass der Staat seine Staatsausgabenerhöhung durch den Verkauf von Wertpapieren finanziert. Somit obliegt ihm nicht nur die Kredittilgung, sondern er muss – im Gegensatz zur Geldmengenfinanzierung – auch Zinszahlungen leisten.
Abbildung 5.2: Bondfinanzierte Fiskalpolitik
5.1. Graphische Analyse Die zusätzlichen Staatsausgaben dG werden zunächst durch den gleichwertigen Verkauf von Wertpapieren finanziert, während der Bestand an Geld unverändert bleibt. Somit gilt bei Bondfinanzierung: dG =
dB = d V > 0 , dM = 0 i
Der Transmissionsmechanismus einer bondfinanzierten Fiskalpolitik im Blinder-Solow-Modell ist wie folgt beschrieben:
Bondfinanzierte Fiskalpolitik
132
Blinder-Solow-Modell
P0 P01: Staatsausgabenerhöhung Anstoßwirkung: Staatsausgabenerhöhung
Dieser Effekt, hervorgerufen durch die Erhöhung der Staatsausgaben, entspricht wie im Falle der Geldmengenfinanzierung dem Staatsausgabenmultiplikator im IS-LM-Modell und wird daher an dieser Stelle nur in Kurzschreibweise aufgeschlüsselt. Als Ergebnis steigen im Normalfall die Zinssätze und das Sozialprodukt / die Beschäftigung / die Einkommen. In Kurzschreibweise lauten die vier Effekte der Staatsausgabenerhöhung: 1. Gütermarkt G Yd Ys Y C (Y) Y d Y s Y (+)
2. Geldmarkt Y LT (Y) NÜGEM AÜWPM KWP i (+)
LS (i) i ()
3. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
4. Geldmarkt Y LT (Y) AÜGEM NÜWPM K WP i (+)
LS (i) i ()
Blinder-Solow-Modell
P01 P02: Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum Hier wird der Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum wirksam. Er resultiert im Normalfall in einer Rechtsverschiebung der IS-Kurve und somit in einer weiteren Erhöhung von Sozialprodukt / Beschäftigung / Einkommen sowie den Zinssätzen und entspricht dem Staatsausgabenmultiplikator im IS-LM-Modell. In Kurzschreibweise wirkt der Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum wie folgt: 1. Gütermarkt V C (V) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y (+)
(+)
2. Geldmarkt Y LT (Y) NÜGEM AÜWPM KWP i (+)
LS (i) i ()
3. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
4. Geldmarkt Y LT (Y) AÜGEM NÜWPM K WP i (+)
LS (i) i ()
133
Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum
134
Blinder-Solow-Modell
Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage
P02 P1: Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage Hier zeigt sich der Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage, der dem kontraktiven Geldmengenmultiplikator des IS-LM-Modells entspricht. Im Normalfall werden im Zuge einer Linksverschiebung der LM-Kurve die Zinssätze steigen, aber die für die Beurteilung der Effektivität maßgeblichen Größen Sozialprodukt / Beschäftigung / Einkommen sinken. In Kurzschreibweise wirkt der Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage in folgender Weise: 1. Geldmarkt V L (V) NÜGEM AÜWPM K WP i (+)
LS (i) i ()
2. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
3. Geldmarkt Y LT (Y) AÜGEM NÜWPM K WP i (+)
LS (i) i ()
4. Gütermarkt i I (i) Yd Ys Y C (Y) Yd Ys Y ()
(+)
Es ist nicht eindeutig, ob der expansive Vermögenseffekt (horizontale Verschiebung der IS-Kurve nach rechts) größer ist als der kontraktive Vermögenseffekt (horizontale Verschiebung der LM-Kurve nach links). Daher kann eine bondfinanzierte Fiskalpolitik effektiv, aber auch schädlich sein, das heißt zu einem Einkommen führen, das niedriger ist als dasjenige in der Ausgangssituation.
Blinder-Solow-Modell
5.2. Mathematische Analyse Der kurzfristige allgemeine Staatsausgabenmultiplikator bei Kreditfinanzierung lautet: (5.29)
dY =
d B I I d G + C V + i (1 L V ) d M + C V i L V I Li Li i 1 C Y disp (1 TY )+ i L y Li 1
Da dM = 0, entfällt der Term Ii C V + (1 L V ) dM, Li
so dass sich der Multiplikator verkürzt zu: (5.39) d Y =
Da d G =
d B Ii
d G + C V L V
Ii L i i 1 C Y disp (1 TY )+ L y Li 1
dB , kann dG ausgeklammert werden. i
Der kurzfristige Staatsausgabenmultiplikator bei Bondfinanzierung lautet:
Die notwendige Stabilitätsbedingung lautet: Das Einkommen muss steigen: (5.41)
dY > 0
135
136
Blinder-Solow-Modell
Denn nur auf diese Weise lässt sich das Defizit abbauen. Ansonsten würde sich der Bestand an Wertpapieren von Periode zu Periode erhöhen, was ein instabiles System erzeugte. Um diese Einkommenserhöhung zu erreichen, ist folgende Bedingung aus dem Multiplikator abzulesen: Die Vermögenselastizität der Konsumnachfrage, welche die Stärke der Einkommensexpansion beeinflusst, muss größer sein als das Produkt aus dem Quotienten der Zinssatzelastizitäten der Investitions- beziehungsweise Geldnachfrage und dem zweiten Faktor, der Vermögenselastizität der Geldnachfrage: (5.42)
CV >
Ii Lv Li
Ansonsten käme es zu einem crowding out, weil der kontraktive Vermögenseffekt auf dem Geldmarkt den expansiven Vermögenseffekt auf dem Gütermarkt überkompensierte. Deshalb hängt die Effektivit ät einer bondfinanzierten Fiskalpolitik von der Stärke der einzelnen Reaktionskoeffizienten ab. Somit ist der Erfolg einer Stabilisierungspolitik an mehrere wichtige Bedingungen geknüpft, deren Erfüllung nicht ohne weiteres erwartet werden kann. Die hinreichende Stabilitätsbedingung lautet: Die Steuermehreinnahmen müssen größer sein als die Zinszahlungen, damit sie neben den Zinszahlungen auch die ursprüngliche Staatsausgabenerhöhung abdecken. Nur so sinkt die periodische Neuverschuldung: (5.43)
TYdY > dB
Im langfristigen Gleichgewicht (steady state) gilt: (5.30)
dG + dB – T YdY = 0
Der langfristige Staatsausgabenmultiplikator bei Bondfinanzierung lautet: (5.44)
dY =
1 (dG + dB) TY
Blinder-Solow-Modell
6. Zusammenfassung 1. Das Blinder-Solow-Modell ist eine Erweiterung des IS-LM-Modells: Die Einbeziehung von Vermögenseffekten reduziert die Stock-Flow-Problematik, die Einführung der Budgetrestriktion des Staates berücksichtigt die Finanzierungsseite des Staates, die Aneinanderreihung temporärer Gleichgewichte verleiht diesem Modell einen dynamischen Charakter. Die grundlegenden Annahmen des IS-LM-Modells gelten auch im Blinder-Solow-Modell. 2. Auf dem Gütermarkt hängt die Konsumnachfrage nicht nur positiv vom laufenden Einkommen, sondern auch positiv vom Vermögen ab. 3. Auf dem Geldmarkt hängt die Geldnachfrage nicht nur positiv vom laufenden Einkommen und negativ vom Zinssatz, sondern auch positiv vom Vermögen ab. 4. Fiskalpolitik kann über Steuern oder über Kredite finanziert werden. Von besonderem Interesse sind eine Kreditfinanzierung über die Erhöhung der Geldmenge sowie eine Kreditfinanzierung über die Ausgabe von Wertpapieren. 5. Eine geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik ist grundsätzlich effektiv und führt immer zu einem stabilen Gleichgewicht. Aufgrund der expansiven Wirkung der Geldmengenerhöhung ist sie sogar wir ksamer als im IS-LM-Modell. 6. Die Beurteilung einer bondfinanzierten Fiskalpolitik ist nicht eindeutig. Positi ve temporäre Effekte stellen keine hinreichende Bedingung für ein langfristiges Gleichgewicht dar. Dafür müssen die kurzfristigen Multiplikatoren nicht nur positiv sein, sondern einen bestimmten Schwellenwert überschreiten. Fiskalpolitik ist effektiv, wenn folgende Ungleichung erfüllt ist: CV >
Ii LV Li .
137
138
Blinder-Solow-Modell
7. Wiederholungsfragen
1.
Erläutern Sie die zentralen Erweiterungen des Blinder-Solow-Modells gegenüber dem IS-LM-Modell. Lösung S. 111 ff.
2.
Erläutern Sie den fiskalpolitischen Transmissionsmechanismus bei Geldmengenfinanzierung für den Normalfall. Lösung S. 122 ff.
3.
Erläutern Sie den fiskalpolitischen Transmissionsmechanismus bei Bondfinanzierung für den Normalfall. Lösung S. 131 ff.
4.
Erläutern Sie, unter welcher Bedingung eine bondfinanzierte Fiskalpolitik wirksam ist. Lösung S. 135 f.
5.
Vergleichen Sie den langfristigen Staatsausgabenmultiplikator bei Geldmengenfinanzierung mit demjenigen bei Bondfinanzierung. Lösung S. 130 und 136
Blinder-Solow-Modell
8. Übungsaufgaben 1. Erläutern Sie die Wirksamkeit einer geldmengenfinanzierten expansiven Fiskalpolitik bei Vorliegen der Liquiditätsfalle. Lösungsvorschlag: Bei Vorliegen der Liquiditätsfalle ist die Geldnachfrage vollkommen zinssatzelastisch. Im IS-LM-Diagramm ist die LMKurve daher eine Waagerechte, die IS-Kurve weist die normale negative Steigung auf. Das Ziel einer expansiven Fiskalpolitik liegt in der Expansion des Einkommens. Expansive Fiskalpolitik bedeutet, dass sich die Staatsausgaben erhöhen, Geldmengenfinanzierung bedeutet, dass diese Erhöhung über eine Erhöhung der Geldmenge finanziert wird. Im ersten Schritt wird die IS-Kurve nach rechts verschoben, der Einkommensanstieg ist wie im IS-LM-Modell maximal, da der Zinssatzanstieg ausbleibt, der die sekundären Bremseffekte einleitet. Bei Vorliegen der Liquiditätsfalle kommen weder die Zinssatzeffekte der Geldmengenänderung noch der Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage zum Tragen, so dass die LM-Kurve unverändert bleibt. Einzig der expansive Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum wirkt, so dass es zu einer weiteren Rechtsverschiebung der IS-Kurve und zu einem weiteren Einkommensanstieg kommt. Eine geldmengenfinanzierte Fiskalpolitik bei Vorliegen der Liquiditätsfalle ist daher besonders wirksam. 2. Erläutern Sie die Wirksamkeit einer bondfinanzierten expansiven Fiskalpolitik bei Vorliegen der Investitionsfalle. Lösungsvorschlag: Bei Vorliegen der Investitionsfalle ist die Investitionsnachfrage zinssatzunelastisch. Im IS-LM-Diagramm ist die ISKurve daher eine Senkrechte, die LM-Kurve weist die normale positive Steigung auf. Das Ziel einer expansiven Fiskalpolitik liegt in der Expansion des Einkommens. Expansive Fiskalpolitik bedeutet, dass sich die Staatsausgaben erhöhen, Bondfinanzierung bedeutet, dass diese Erhöhung über eine Ausgabe von Wertpapieren finanziert wird. Im ersten Schritt wird die IS-Kurve nach rechts verschoben, der Einkommensanstieg ist wie im IS-LM-Modell maximal, da der Zinssatzanstieg nicht zu einer Reduktion der Investitionen führt. Deshalb hat bei Vorliegen der Investitionsfalle auch der kontraktive Vermögenseffekt in Bezug auf die Geldnachfrage keinen negativen Einfluss auf das Einkommen. Der expansive Vermögenseffekt in Bezug auf den Konsum wirkt dafür umso mehr, so dass es zu einer weiteren Rechtsverschiebung der IS-Kurve und zu einem weiteren Einkommensanstieg kommt. Eine bondfinanzierte Fiskalpolitik ist bei Vorliegen der Investitionsfalle daher besonders wirksam.
139
Mundell-Fleming-Modell 1.
Einleitung
142
2.
Zahlungsbilanz
143
2.1.
Teilbilanzen
143
2.2.
Zahlungsbilanzgleichgewicht
144
3.
Internes und externes Gleichgewicht
147
3.1.
Gleichgewichtsbedingungen
147
3.2.
Simultanes internes und externes Gleichgewicht
149
4.
Externe Ungleichgewichte im System fester Wechselkurse 151
4.1.
Externe Ungleichgewichte mit Neutralisierungspolitik
151
4.2.
Externe Ungleichgewichte ohne Neutralisierungspolitik
155
5.
Externe Ungleichgewichte im System flexibler Wechselkurse 159
5.1
Devisenbilanzüberschuss
159
5.2
Devisenbilanzdefizit
161
6.
Geldpolitik
163
6.1.
Geldpolitik im System fester Wechselkurse
163
6.2.
Geldpolitik im System flexibler Wechselkurse
164
7.
Fiskalpolitik
167
7.1.
Fiskalpolitik im System fester Wechselkurse
167
7.2.
Fiskalpolitik im System flexibler Wechselkurse
170
8.
Zusammenfassung
175
9.
Wiederholungsfragen
177
10.
Übungsaufgaben
178
142
Mundell-Fleming-Modell
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein, • • • •
•
• • •
IS-LM-Modell für die offene Volkswirtschaft
das Konzept der Zahlungsbilanz einschließlich sämtlicher Teilbilanzen zu erklären, die Erweiterungen des Mundell-Fleming-Modells gegenüber dem IS-LM-Modell zu analysieren, binnenwirtschaftliche Gleichgewichte in Verbindung mit außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten zu lokalisieren, die Anpassungsprozesse zu neuen simultanen internen und externen Gleichgewichten im System fester Wechselkurse zu analysieren, die Anpassungsprozesse zu neuen simultanen internen und externen Gleichgewichten im System flexibler Wechselkurse zu analysieren, die Effektivität einer Geldpolitik graphisch und verbal zu erläutern, die Effektivität einer Fiskalpolitik graphisch und verbal zu erläutern, die Ergebnisse der komparativ-statischen Analyse des Mundell-Fleming-Modells mit den Ergebnissen des IS-LM-Modells zu vergleichen.
Das Mundell-Fleming-Modell stellt eine Erweiterung des traditionellen IS-LM-Modells dar: Während das Hicks’sche IS-LM-Modell eine geschlossene Volkswirtschaft analysiert, gilt das Mundell-FlemingModell für eine offene Volkswirtschaft, die außenwirtschaftliche Verflechtungen einbezieht. Das Mundell-Fleming-Modell ist sozusagen das »IS-LM-Modell für die offene Volkswirtschaft«. Im Folgenden wird zuerst die Zahlungsbilanz dargestellt, die für die Beurteilung eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichts maßgeblich ist. Anschließend werden in einer statischen Analyse die internen (binnenwirtschaftlichen) und externen (außenwirtschaftlichen) Gleichgewichte ermittelt. Diesen schließen sich Betrachtungen an, welche Anpassungsmechanismen außenwirtschaftliche Ungleichgewichte im System fester beziehungsweise flexibler Wechselkurse auslösen. In komparativ-statischen Analysen wird für beide Wechselkursregime die Effektivität geld- und fiskalpolitischer Maßnahmen untersucht und mit den Ergebnissen des IS-LM-Modells verglichen.
Mundell-Fleming-Modell
143
2. Zahlungsbilanz Die Zahlungsbilanz ist die systematische Erfassung sämtlicher ökonomischer Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern innerhalb einer bestimmten Periode. Die Zahlungsbilanz basiert auf dem Inländerkonzept, das heißt sie berücksichtigt Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern, unabhängig davon, ob sie sich im Inland oder im Ausland aufhalten. Maßgeblich für den Status als Inländer beziehungsweise als Ausländer ist nicht die (politisch relevante) Staatsbürgerschaft, sondern der (wirtschaftlich relevante) ständige Wohn- beziehungsweise Firmensitz. Inländer sind alle natürlichen Personen mit ständigem Wohnsitz im Inland mit Ausnahme von Diplomaten und Angehörigen ausländischer Streitkräfte. Des Weiteren zählen alle übrigen Wirtschaftssubjekte dazu, einschließlich der rechtlich nicht-selbständigen Produktionsstätten und Zweigniederlassungen, soweit der Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten im Inland liegt, und zwar auch dann, wenn sie sich in ausländischem Eigentum befinden. Ein politischer Ausländer kann demzufolge wirtschaftlicher Inländer sein, wie dies zum Beispiel bei Gastarbeitern typischerweise der Fall ist.
Inländerkonzept
Im Folgenden werden zunächst die Teilbilanzen der Zahlungsbilanz erläutert. Darauf aufbauend, werden wir charakterisieren, was unter Zahlungsbilanzgleichgewicht zu verstehen ist.
2.1. Teilbilanzen Um internationale Vergleichbarkeit herzustellen, gibt der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem Handbuch für die Zahlungsbilanz (Balance of Payments Manual) die Struktur vor, nach der die Zahlungsbilanz zu untergliedern ist. Sie gliedert sich in fünf Teilbilanzen, die ihrerseits nochmals untergliedert sind: die Leistungsbilanz, die Bilanz der Vermögensübertragungen, die Kapitalbilanz, den Restposten sowie die Devisenbilanz.
5 Teilbilanzen
In der Leistungsbilanz werden Ex- und Importe von Waren und Dienstleistungen erfasst, die ihren Niederschlag in der Außenhandelsbeziehungsweise Dienstleistungsbilanz finden. Zudem berücksichtigt die Leistungsbilanz die zwischen In- und Ausländern transferierten Erwerbs- und Vermögenseinkommen sowie die laufenden Übertragungen, die sich insbesondere aus Entwicklungshilfezahlungen und anderen Transfers über internationale Organisationen zusammensetzen.
Leistungsbilanz
144
Mundell-Fleming-Modell
Vermögensübertragungen
Seit 1993 werden Vermögensübertragungen von laufenden Übertragungen getrennt und in einer eigenen Bilanz erfasst. Während die in der Leistungsbilanz ausgewiesenen laufenden Übertragungen regelmäßig erfolgen, fallen Vermögenstransfers unregelmäßig an.
Kapitalbilanz
Restposten
Devisenbilanz
Die Kapitalbilanz – bis 1993 in lang- und kurzfristigen Kapitalverkehr unterteilt – wird aufgeschlüsselt in Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen, Finanzderivate, Kredite und den sonstigen Kapitalverkehr. Neben der Leistungsbilanz ist die Kapitalbilanz die wichtigste Teilbilanz, um bedeutende ökonomische Größen wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft oder die Attraktivität eines Landes als Wirtschaftsstandort zu interpretieren. Der Restposten wird auch »Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen« genannt und offenbart durch diese offizielle Bezeichnung seine ökonomische Bedeutungslosigkeit. Lebten wir in einem gläsernen Staat, der ausnahmslos alle wirtschaftlichen Transaktionen zwischen In- und Ausländern erfasste, gäbe es diesen Posten nicht; er speist sich aus statistischen Unzulänglichkeiten. Die Devisenbilanz erfasst die Bestandsveränderungen der Währungsreserven der Zentralbank wie Gold oder Devisen. Da Goldpreise und Wechselkurse schwanken, werden die entsprechenden Werte zweifach erfasst: zum einen zu den Preisen (Wechselkursen), zu denen sie erworben worden sind, den Transaktionswerten, zum anderen zu den Werten, die für ihre Bilanzierung maßgeblich sind, den Bilanzwerten. Die folgende Tabelle gibt die Zahlungsbilanz wieder:
Zahlungsbilanz 1 1.1 1.2 1.3 1.4
Leistungsbilanz Außenhandel (Warenhandel) Dienstleistungen Erwerbs- und Vermögenseinkommen Laufende Übertragungen
2
Bilanz der Vermögensübertragungen
3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5
Kapitalbilanz Direktinvestitionen Wertpapieranlagen Finanzderivate Kredite Sonstiger Kapitalverkehr
4
Restposten
5 5.1 5.2
Devisenbilanz Transaktionswerte Bilanzwerte
Abbildung 6.1: Zahlungsbilanz
Mundell-Fleming-Modell
145
2.2. Zahlungsbilanzgleichgewicht Da der Restposten keinerlei ökonomische Bedeutung hat und Bewegungen in der Bilanz der Vermögensübertragungen grundsätzlich einmalig, nicht laufend anfallen, werden diese beiden Teilbilanzen in der theoretischen Analyse vernachlässigt. Zudem wird die Leistungsbilanz in der Wirtschaftstheorie auf den Außenbeitrag reduziert, der sich aus den Außenhandels- und Dienstleistungsbilanzsalden zusammensetzt und somit die Erwerbs- und Vermögenseinkommen sowie die laufenden Übertragungen vernachlässigt. Im Mundell-Fleming-Modell greifen wir daher auf die vereinfachte Zahlungsbilanz zurück, welche die (reduzierte) Leistungs-, die Kapital- und die Devisenbilanz umfasst. Die entscheidenden Größen der Teilbilanzen sind ihre jeweiligen Salden. Überschüsse in den Teilbilanzen liegen vor, wenn Transaktionen zu inländischen Zahlungseingängen führen, wenn also • • • •
der Wert der Güterexporte denjenigen der Güterimporte übersteigt, der Wert empfangener Transfers denjenigen geleisteter Transfers übersteigt, der Wert der Kapitalimporte denjenigen der Kapitalexporte übersteigt, der Wert des Devisenangebots denjenigen der Devisennachfrage übersteigt.
Im jeweils entgegengesetzten Fall liegt ein Defizit vor. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht bedeutet Zahlungsbilanzgleichgewicht. Dieser Ausdruck ist tautologisch, da die Zahlungsbilanz als Ganzes aufgrund der doppelten Buchführung immer ausgeglichen ist, weil jede Transaktion einmal auf der Sollseite eines Kontos und einmal auf der Habenseite desselben oder eines anderen Kontos gebucht wird. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht bezieht sich daher auf den Ausgleich bestimmter Teilbilanzen der Zahlungsbilanz. Der Diskussion um unterschiedliche Gleichgewichtskonzepte der Zahlungsbilanz entziehen wir uns hier und schließen uns stattdessen der herrschenden Auffassung an: Außenwirtschaftliches Gleichgewicht liegt vor, wenn die Devisenbilanz ausgeglichen ist. Wenn die Summe aller drei Teilbilanzen – der vereinfachten Zahlungsbilanz – ohnehin ausgeglichen ist und im außenwirtschaftlichen Gleichgewicht die Devisenbilanz einen Saldo von null aufweist, dann müssen in diesem Fall auch die anderen beiden Teilbilanzen, die Leistungs- und die Kapitalbilanz, als Summe ausgeglichen sein. Dies impliziert, dass in einem außenwirtschaftlichen Gleichgewicht die
außenwirtschaftliches Gleichgewicht Zahlungsbilanzgleichgewicht Devisenbilanzgleichgewicht
146
Mundell-Fleming-Modell
im Gleichgewicht Leistungsbilanz Spiegelbild der Kapitalbilanz
Leistungsbilanz das Spiegelbild der Kapitalbilanz ist: Weist die Leistungsbilanz beispielsweise ein Defizit auf, weil der Wert der Güterexporte kleiner ist als der Wert der Güterimporte, muss die Kapitalbilanz einen entsprechend großen Überschuss aufweisen, in dem der Wert der Kapitalimporte entsprechend größer ist als der Wert der Kapitalexporte.
Mundell-Fleming-Modell
147
3. Internes und externes Gleichgewicht Für internationale Transaktionen zwischen unterschiedlichen Währungsräumen spielt der Wechselkurs eine entscheidende Rolle. Der Wechselkurs ist der Preis einer Währungseinheit, gemessen in Währungseinheiten der anderen Währung. Diesen gibt es in zwei Formulierungen:
Wechselkurs
Der Wechselkurs in Mengennotierung ist der Preis einer inländischen Währungseinheit, gemessen in ausländischen Währungseinheiten. Wenn beispielsweise ein Euro 1,25 US-Dollar entspricht, beträgt der Wechselkurs in Mengennotierung 1,25. Ein Anstieg des Wechselkurses in Mengennotierung bedeutet eine Aufwertung der inländischen beziehungsweise eine Abwertung der ausländischen Währung.
… in Mengennotierung
Der Wechselkurs in Preisnotierung ist der Preis einer ausländischen Währungseinheit, gemessen in inländischen Währungseinheiten. Wenn im obigen Beispiel 1 US-Dollar 0,80 Euro entspricht, beträgt der Wechselkurs in Preisnotierung 0,80. Ein Anstieg des Wechselkurses in Preisnotierung bedeutet eine Abwertung der inländischen beziehungsweise eine Aufwertung der ausländischen Währung.
… in Preisnotierung
Um Missverständnissen aus dem Weg zu gehen, gehen wir bei der Untersuchung des Mundell-Fleming-Modells immer vom Wechselkurs in Preisnotierung aus. Im Folgenden werden die Gleichgewichtsbedingungen des MundellFleming-Modells dargestellt, die für ein internes beziehungsweise externes Gleichgewicht maßgeblich sind. Das daraus abgeleitete simultane binnen- und außenwirtschaftliche Gleichgewicht dient als Referenzpunkt für die weitere Analyse.
3.1. Gleichgewichtsbedingungen Für die Modellstruktur des Mundell-Fleming-Modells sind folgende drei Gleichgewichtsbedingungen von Bedeutung: Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt, die graphisch durch die IS-Kurve repräsentiert wird, lautet: (6.1)
F Y = C ( Y)+ I (i)+ G + Ex net Y, Y , e ) ( + ) (+ ) ( (+ ) ( )
Das Güterangebot Y entspricht der •
Konsumnachfrage C, die vom laufenden Einkommen Y positiv abhängt,
IS-Kurve: Gütermarktgleichgewicht
148
Mundell-Fleming-Modell
• • •
plus der Investitionsnachfrage I, die vom Zinssatz i negativ abhängt, plus der exogenen Staatsnachfrage G, plus dem Außenbeitrag Exnet, der vom inländischen Einkommen Y negativ, vom ausländischen Einkommen Y F positiv sowie vom Wechselkurs e positiv abhängt.
Die IS-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen Gleichgewicht auf dem Gütermarkt besteht. Die IS-Kurve nimmt – wie im IS-LM-Modell – im Zins-EinkommenDiagramm einen fallenden Verlauf an. LM-Kurve: Geldmarktgleichgewicht
Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt, die graphisch durch die LM-Kurve repräsentiert wird, gleicht derjenigen des IS-LM-Modells und lautet: (6.2)
M = L Y, i (+ ) ( )
Das exogene Geldangebot M entspricht der Geldnachfrage L, die vom laufenden Einkommen Y positiv (Transaktionskasse LT ) und vom Zinssatz i negativ (Spekulationskasse LS) abhängt. Die LM-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen Gleichgewicht auf dem Geldmarkt besteht. Die LM-Kurve nimmt – wie im IS-LM-Modell – im Zins-EinkommenDiagramm einen steigenden Verlauf an. ZZ-Kurve: außenwirtschaftliches Gleichgewicht
Die Gleichgewichtsbedingung für die Zahlungsbilanz, die graphisch durch die ZZ-Kurve repräsentiert wird, lautet: (6.3)
Z = Ex net Y, YF , e + Cim net i , iF = 0 ( ) (+ ) (+ ) (+ ) ( )
Im außenwirtschaftlichen Gleichgewicht mit Z = 0 gilt: Der Außenbeitrag Exnet (realwirtschaftliche Komponente), der vom inländischen Einkommen Y negativ, vom ausländischen Einkommen YF positiv sowie vom Wechselkurs e positiv abhängt, und die Nettokapitalimporte Cim net (monetäre Komponente), die vom inländischen Zinssatz i positiv und vom ausländischen Zinssatz i F negativ abhängen, gleichen sich gegenseitig aus und ergeben somit als Summe null. Die ZZ-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen außenwirtschaftliches Gleichgewicht besteht.
Mundell-Fleming-Modell
149
Die Steigung der ZZ-Kurve ist positiv: Mit zunehmendem Zinssatz i erhöhen sich die Nettokapitalimporte, so dass der Außenbeitrag sinken muss, damit weiterhin außenwirtschaftliches Gleichgewicht besteht. Dafür ist ein Anstieg des (inländischen) Einkommens Y notwendig. Das Mundell-Fleming-Modell geht von der Gültigkeit der RobinsonBedingung aus, das heißt von einer »normalen« Reaktion des Außenbeitrags auf Wechselkursänderungen: Wird die inländische Währung abgewertet, steigt der Außenbeitrag et vice versa.
3.2. Simultanes internes und externes Gleichgewicht Das interne (binnenwirtschaftliche) Gleichgewicht verkörpert das Gleichgewicht auf dem Gütermarkt und Geldmarkt und stellt graphisch den Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve dar. Das externe (außenwirtschaftliche) Gleichgewicht verkörpert das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz, genau genommen der Devisenbilanz, und stellt graphisch alle Punkte dar, die auf der ZZ-Kurve liegen. Das simultane interne und externe Gleichgewicht verkörpert Gleichgewicht von Gütermarkt, Geldmarkt sowie Zahlungsbilanz und stellt graphisch den Schnittpunkt von IS-, LM- und ZZ-Kurve dar:
IS-LM-ZZ: internes und externes Gleichgewicht
i IS
LM
ZZ i0
P0
Y0 Abbildung 6.2: Simultanes internes und externes Gleichgewicht
Y
150
Mundell-Fleming-Modell
Ob die LM-Kurve oder die ZZ-Kurve steiler verläuft, hängt von den Zinssatzelastizitäten der Geldnachfrage beziehungsweise der Kapitalbewegungen ab. Für die Analyse der Wirksamkeit geldpolitischer Maßnahmen ist dieser Unterschied unerheblich, für die Untersuchung der Effektivität fiskalpolitischer Maßnahmen ist er jedoch von ausschlaggebender Bedeutung, so dass wir an entsprechender Stelle eine Fallunterscheidung durchführen werden.
Mundell-Fleming-Modell
151
4. Externe Ungleichgewichte im System fester Wechselkurse Sind externe Ungleichgewichte erwünscht, weil das Hauptaugenmerk dem internen Gleichgewicht gilt, betreibt der Staat eine Neutralisierungspolitik, die das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht aufrechterhält. Ansonsten führt der Anpassungsprozess ohne Neutralisierungspolitik zu einem neuen simultanen internen und externen Gleichgewicht. Externe Ungleichgewichte liegen entweder in Form von Devisenbilanzüberschüssen oder in Form von Devisenbilanzdefiziten vor.
Ungleichgewichte bei festen Wechselkursen
4.1. Externe Ungleichgewichte mit Neutralisierungspolitik Neutralisierungspolitik bedeutet, dass die Zentralbank ein externes Ungleichgewicht aufrechterhält, um ein bestimmtes internes Gleichgewicht zu erzielen. Dazu muss sie im Fall eines Devisenbilanzüberschusses, der gleichbedeutend mit einem Angebotsüberschuss an Devisen ist, die (inländische) Geldmenge in dem Maße verringern, in dem sich das (inländische) Geldangebot erhöht, wenn die Zentralbank Devisen gegen heimische Währung aufkauft. Im Fall eines Devisenbilanzdefizits, der gleichbedeutend mit einem Nachfrageüberschuss an Devisen ist, muss die Zentralbank die (inländische) Geldmenge in dem Maße erhöhen, in dem sich das (inländische) Geldangebot verringert, wenn die Zentralbank Devisen gegen heimische Währung verkauft. Neutralisierungspolitik ist nur im System fester Wechselkurse von Relevanz. Um ein Devisenbilanzungleichgewicht ökonomisch zu analysieren, beginnen wir mit der Interpretation des IS-LM-ZZ-Systems und unterteilen unsere Untersuchung in zwei Schritte: In der Situationsanalyse erfassen wir, ob ein Devisenbilanzüberschuss oder ein Devisenbilanzdefizit vorliegt. Dies lässt sich in zwei Varianten ermitteln, die wir auch beide vorstellen, um uns mit dieser Analyse vertraut zu machen: Um eine Ungleichgewichtssituation in einem Koordinatenkreuz zu deuten, muss entweder die auf der Ordinaten gemessene Variable als gegeben betrachtet werden und der ungleichgewichtige Abszissenwert mit dem Abszissenwert verglichen werden, der für ein Gleichgewicht notwendig ist. Oder man setzt die auf der Abszisse gemessene Variable fest und vergleicht den ungleichgewichtigen Ordinatenwert mit dem Ordinatenwert, der für ein Gleichgewicht notwendig ist. Hat man nun das Devisenbilanzungleichgewicht als Überschuss beziehungsweise als
mit Neutralisierungspolitik
152
Mundell-Fleming-Modell
Defizit klassifiziert, erfolgt im zweiten Schritt die Erläuterung des Transmissionsmechanismus einer Neutralisierungspolitik.
4.1.1. Devisenbilanzüberschuss Devisenbilanzüberschuss
(1) Situationsanalyse: 1. Variante: Annahme des optimalen Zinssatzes (Ordinatenwert) sowohl für internes als auch für externes Gleichgewicht Das Einkommen Y0 ist zu niedrig im Vergleich zu dem Einkommen YE , das für ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht erforderlich ist. Daher sind die Güterimporte zu niedrig, so dass ceteris paribus der Außenbeitrag, der die Differenz zwischen Güterexporten und -importen angibt, zu hoch ist und somit ein Devisenbilanzüberschuss vorliegt. 2. Variante: Annahme des optimalen Einkommens (Abszissenwert) sowohl für internes als auch für externes Gleichgewicht Im Punkt P 0 ist der Zinssatz i 0 im Vergleich zum Zinssatz iE bei einem Einkommen Y0 zu hoch, um neben dem internen Gleichgewicht, das durch den Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve repräsentiert wird, auch ein externes Gleichgewicht darzustellen, das durch einen beliebigen Punkt auf der ZZ-Kurve dargestellt wird. Ökonomisch betrachtet sind – entsprechend der dritten Gleichgewichtsbedingung, die das außenwirtschaftliche Gleichgewicht bestimmt – aufgrund des zu hohen Zinssatzes die Kapitalimporte zu hoch, so dass ein Devisenbilanzüberschuss vorliegt. i IS
i0
LM
P0
ZZ
iE
Y0
YE
Abbildung 6.3: Neutralisierungspolitik im Fall eines Devisenbilanzüberschusses
Y
Mundell-Fleming-Modell
153
(2) Transmissionsmechanismus (für die zweite Variante): Die überschüssigen Kapitalimporte, die zu einem Devisenbilanzüberschuss und damit zu einem Angebotsüberschuss an Devisen führen, werden durch eine entsprechende Verringerung der inländischen Geldmenge neutralisiert. Dadurch bleibt der Devisenbilanzüberschuss bestehen.
Transmissionsmechanismus
Transmissionsmechanismus Der Transmissionsmechanismus einer Neutralisierungspolitik im Fall eines Devisenbilanzüberschusses lautet: Zinssatz i0 zu hoch für externes Gleichgewicht Kapitalimporte zu hoch Devisenbilanzüberschuss Angebotsüberschuss an Devisen Neutralisierung überschüssiger Kapitalimporte durch Geldmenge Fortbestehen des Devisenbilanzüberschusses Bei Vorliegen eines Devisenbilanzüberschusses erscheint eine Neutralisierungspolitik wenig vorteilhaft, da das binnenwirtschaftliche Ziel eines hohen Einkommens ohne Neutralisierungspolitik besser erfüllt wäre. Denkbar ist eine Neutralisierungspolitik beispielsweise, wenn die Zinssätze zur Inflationsbekämpfung hochgehalten werden sollen. Die Umsetzung dieser Politik ist auch längerfristig möglich, weil die Zentralbank ihre Währungsreserven prinzipiell unbegrenzt erhöhen kann.
Neutralisierungspolitik langfristig wenig vorteilhaft
4.1.2. Devisenbilanzdefizit (1) Situationsanalyse: 1. Variante: Annahme des optimalen Zinssatzes (Ordinatenwert) sowohl für internes als auch für externes Gleichgewicht Das Einkommen Y0 ist zu hoch im Vergleich zu dem Einkommen YE , das für ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht erforderlich ist. Daher sind die Güterimporte zu hoch, so dass ceteris paribus der Außenbeitrag, der die Differenz zwischen Güterexporten und -importen angibt, zu niedrig ist und somit ein Devisenbilanzdefizit vorliegt. 2. Variante: Annahme des optimalen Einkommens (Abszissenwert) sowohl für internes als auch für externes Gleichgewicht
Devisenbilanzdefizit
154
Mundell-Fleming-Modell
Im Punkt P 0 ist der Zinssatz i 0 im Vergleich zum Zinssatz iE bei einem Einkommen Y0 zu niedrig, um neben dem internen Gleichgewicht, das durch den Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve repräsentiert wird, auch ein externes Gleichgewicht darzustellen, das durch einen beliebigen Punkt auf der ZZ-Kurve repräsentiert wird. Ökonomisch betrachtet sind – entsprechend der dritten Gleichgewichtsbedingung, die das aussenwirtschaftliche Gleichgewicht bestimmt – aufgrund des zu niedrigen Zinssatzes die Kapitalimporte zu niedrig, so dass ein Devisenbilanzdefizit vorliegt.
i IS
LM ZZ
iE P0
i0
YE
Y0
Y
Abbildung 6.4: Neutralisierungspolitik bei Vorliegen eines Devisenbilanzdefizits Transmissionsmechanismus
(2) Transmissionsmechanismus (für die zweite Variante): Die überschüssigen Kapitalexporte, die zu einem Devisenbilanzdefizit und damit zu einem Nachfrageüberschuss an Devisen führen, werden durch eine entsprechende Erhöhung der inländischen Geldmenge neutralisiert. Dadurch bleibt das Devisenbilanzdefizit bestehen.
Mundell-Fleming-Modell
155
Transmissionsmechanismus Der Transmissionsmechanismus einer Neutralisierungspolitik im Fall eines Devisenbilanzdefizits lautet: Zinssatz i0 zu niedrig für externes Gleichgewicht Kapitalimporte zu niedrig Devisenbilanzdefizit Nachfrageüberschuss an Devisen Neutralisierung überschüssiger Kapitalexporte durch Geldmenge Fortbestehen des Devisenbilanzdefizits Bei Vorliegen eines Devisenbilanzdefizits erscheint eine Neutralisierungspolitik vorteilhaft, da das binnenwirtschaftliche Ziel eines hohen Einkommens ohne Neutralisierungspolitik schlechter erfüllt wäre, wie wir weiter unten zeigen werden. Die Umsetzung dieser Politik ist nur solange möglich, wie die Zentralbank über genügend Währungsreserven verfügt, um den Nachfrageüberschuss an Devisen zu befriedigen, da eine Neutralisierungspolitik mit einer Reduktion der Währungsreserven verbunden ist. Da bei Vorliegen eines Devisenbilanzüberschusses eine Neutralisierungspolitik in der Regel unerwünscht und bei Vorliegen eines Devisenbilanzdefizits längerfristig nicht durchführbar ist, kommt den Fällen, in denen auf eine Neutralisierungspolitik verzichtet wird, eine größere Relevanz zu.
4.2. Externe Ungleichgewichte ohne Neutralisierungspolitik Wird auf eine Neutralisierungspolitik verzichtet, läuft der Anpassungsprozess über die Veränderung der Geldmenge.
ohne Neutralisierungspolitik
4.2.1. Devisenbilanzüberschuss In der Abbildung 6.5 ist im Punkt P 0 der Zinssatz i0 bei einem Einkommen Y0 zu hoch, um neben dem internen Gleichgewicht auch ein externes Gleichgewicht darzustellen. Entsprechend der dritten Gleichgewichtsbedingung sind aufgrund des zu hohen Zinssatzes die Kapitalimporte zu hoch, so dass ein Devisenbilanzüberschuss vorliegt.
Devisenbilanzüberschuss
156
Mundell-Fleming-Modell
Transmissionsmechanismus
Ein Devisenbilanzüberschuss ist mit einem Angebotsüberschuss an Devisen verbunden, da die Wirtschaftssubjekte ihre überschüssigen Devisen – indirekt über Geschäftsbanken – der Zentralbank anbieten und gegen inländische Währung einzutauschen gedenken. Dadurch dass die Zentralbank netto Devisen annimmt und im Tausch inländische Währung ausgibt, steigt nolens volens die inländische Geldmenge. Ein Anstieg der inländischen Geldmenge kommt ceteris paribus einer expansiven Geldpolitik gleich und führt somit in der Graphik zu einer Rechtsverschiebung der LM-Kurve – wie aus der zweiten Gleichgewichtsbedingung, die das Geldmarktgleichgewicht bestimmt, zu erkennen ist. Dieser Prozess ist erst beendet, wenn die Volkswirtschaft zu einem simultanen internen und externen Gleichgewicht gefunden hat. Im Folgenden sind diese Erläuterungen nochmals in Stichpunkten dargestellt.
Transmissionsmechanismus Devisenbilanzüberschuss im System fester Wechselkurse: Zinssatz i0 zu hoch für externes Gleichgewicht Kapitalimporte zu hoch Devisenbilanzüberschuss Angebotsüberschuss an Devisen Geldmenge , da Devisen in inländische Währung gewechselt werden Rechtsverschiebung der LM-Kurve Devisenbilanzgleichgewicht
Mundell-Fleming-Modell
157
Abbildung 6.5: Devisenbilanzüberschuss ohne Neutralisierungspolitik im System fester Wechselkurse
4.2.2. Devisenbilanzdefizit In Abbildung 6.6 ist im Punkt P0 der Zinssatz i0 bei einem Einkommen Y0 zu niedrig, um neben dem internen Gleichgewicht auch ein externes Gleichgewicht darzustellen. Entsprechend der dritten Gleichgewichtsbedingung sind aufgrund des zu niedrigen Zinssatzes die Kapitalimporte zu niedrig, so dass ein Devisenbilanzdefizit vorliegt. Ein Devisenbilanzdefizit ist mit einem Nachfrageüberschuss an Devisen verbunden, da die Wirtschaftssubjekte verstärkt Devisen nachfragen und bei der Zentralbank gegen inländische Währung einzutauschen gedenken. Dadurch dass die Zentralbank netto Devisen abgibt und im Tausch inländische Währung annimmt, sinkt nolens volens die inländische Geldmenge. Ein Sinken der inländischen Geldmenge kommt ceteris paribus einer kontraktiven Geldpolitik gleich und führt somit in der Graphik zu einer Linksverschiebung der LM-Kurve – wie aus der zweiten Gleichgewichtsbedingung, die das Geldmarktgleichgewicht bestimmt, zu erkennen ist. Dieser Prozess ist erst beendet, wenn die Volkswirtschaft zu einem simultanen internen und externen Gleichgewicht gefunden hat.
Devisenbilanzdefizit
Transmissionsmechanismus
158
Mundell-Fleming-Modell
Transmissionsmechanismus Devisenbilanzdefizit im System fester Wechselkurse: Zinssatz i0 zu niedrig für externes Gleichgewicht Kapitalimporte zu niedrig Devisenbilanzdefizit Nachfrageüberschuss an Devisen Geldmenge , da inländische Währung in Devisen gewechselt wird Linksverschiebung der LM-Kurve Devisenbilanzgleichgewicht
Abbildung 6.6: Devisenbilanzdefizit ohne Neutralisierungspolitik im System fester Wechselkurse
Mundell-Fleming-Modell
159
5. Externe Ungleichgewichte im System flexibler Wechselkurse Im System flexibler Wechselkurse läuft der Anpassungsprozess über Preisänderungen der Währungseinheiten, also über Wechselkursänderungen. Wie auf anderen Märkten führt im Normalfall ein Angebotsüberschuss zu einem sinkenden, ein Nachfrageüberschuss zu einem steigenden Preis / Wechselkurs. Die Situationsanalyse von Devisenbilanzungleichgewichten im System flexibler Wechselkurse weicht von derjenigen im System fester Wechselkurse nicht ab, so dass sie hier nicht noch einmal aufgeführt ist.
Ungleichgewichte bei flexiblen Wechselkursen
5.1. Devisenbilanzüberschuss Ein Devisenbilanzüberschuss ist mit einem Angebotsüberschuss an Devisen verbunden. Im System flexibler Wechselkurse wird der Wechselkurs, der ja der Preis für Devisen ist, sinken und die inländische Währung dementsprechend aufwerten. Die Aufwertung führt zu einem Sinken des Außenbeitrags, was sich in der ersten Gleichgewichtsbedingung, die das Gütermarktgleichgewicht bestimmt, sowie in der dritten Gleichgewichtsbedingung, die das außenwirtschaftliche Gleichgewicht determiniert, niederschlägt. Dadurch verschiebt sich die ISKurve – siehe erste Gleichgewichtsbedingung – nach links. Da der Außenbeitrag sinkt, müssen zur Herstellung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts – siehe dritte Gleichgewichtsbedingung – die Nettokapitalimporte zunehmen. Dies tun sie, wenn sich die Zinssätze erhöhen. Graphisch betrachtet muss sich folglich die ZZ-Kurve nach oben verschieben. Dieser Prozess ist erst beendet, wenn die Volkswirtschaft zu einem simultanen internen und externen Gleichgewicht gefunden hat. Im Folgenden sind diese Erläuterungen nochmals in Stichpunkten dargestellt.
Devisenbilanzüberschuss
160
Mundell-Fleming-Modell
Transmissionsmechanismus Devisenbilanzüberschuss im System flexibler Wechselkurse: Zinssatz i0 zu hoch für externes Gleichgewicht Kapitalimporte zu hoch Devisenbilanzüberschuss Angebotsüberschuss an Devisen Preis für Devisen (=Wechselkurs) Aufwertung der inländischen Währung Außenbeitrag Linksverschiebung der IS-Kurve Kapitalimporte müssen steigen Zinssatz muss steigen Verschiebung der ZZ-Kurve nach oben Devisenbilanzgleichgewicht
Abbildung 6.7: Devisenbilanzüberschuss im System flexibler Wechselkurse
Mundell-Fleming-Modell
161
5.2. Devisenbilanzdefizit Ein Devisenbilanzdefizit ist mit einem Nachfrageüberschuss an Devisen verbunden. Im System flexibler Wechselkurse wird der Wechselkurs steigen und die inländische Währung dementsprechend abwerten. Die Abwertung führt zu einem Anstieg des Außenbeitrags, was sich in der ersten Gleichgewichtsbedingung, die das Gütermarktgleichgewicht bestimmt, sowie in der dritten Gleichgewichtsbedingung, die das außenwirtschaftliche Gleichgewicht determiniert, niederschlägt. Dadurch verschiebt sich die IS-Kurve – siehe erste Gleichgewichtsbedingung – nach rechts. Da der Außenbeitrag steigt, müssen zur Herstellung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts – siehe dritte Gleichgewichtsbedingung – die Nettokapitalimporte sinken. Dies tun sie, wenn die Zinssätze sinken. Graphisch betrachtet muss sich folglich die ZZ-Kurve nach unten verschieben. Dieser Prozess ist erst beendet, wenn die Volkswirtschaft zu einem simultanen internen und externen Gleichgewicht gefunden hat.
Devisenbilanzdefizit
162
Mundell-Fleming-Modell
Transmissionsmechanismus Devisenbilanzdefizit im System flexibler Wechselkurse: Zinssatz i0 zu niedrig für externes Gleichgewicht Kapitalimporte zu niedrig Devisenbilanzdefizit Nachfrageüberschuss an Devisen Preis für Devisen (=Wechselkurs) Abwertung der inländischen Währung Außenbeitrag Rechtsverschiebung der IS-Kurve Kapitalimporte müssen sinken Zinssatz muss sinken Verschiebung der ZZ-Kurve nach unten Devisenbilanzgleichgewicht
Abbildung 6.8: Devisenbilanzdefizit im System flexibler Wechselkurse
Mundell-Fleming-Modell
163
6. Geldpolitik Nach der statischen Analyse folgt nun die komparativ-statische Analyse, welche zwei Gleichgewichtspunkte miteinander vergleicht. Geldpolitik bedeutet, dass ausgehend von einem simultanen internen und externen Gleichgewicht die Geldmenge erhöht wird.
Geldpolitik …
6.1. Geldpolitik im System fester Wechselkurse Eine expansive Geldpolitik führt – wie im IS-LM-Modell – zu einer Rechtsverschiebung der LM-Kurve, so dass ein Devisenbilanzdefizit auftritt. Dem Nachfrageüberschuss an Devisen wird dadurch entsprochen, dass die Zentralbank Devisen gegen inländische Währung an das Publikum ausgibt. Somit sinkt die (inländische) Geldmenge, die dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung steht. Ein Sinken der Geldmenge führt – wie im IS-LM-Modell – zu einer Linksverschiebung der LMKurve. Dieser Prozess setzt sich solange fort, bis das simultane interne und externe Gleichgewicht wiederhergestellt ist.
Geldpolitik im System fester Wechselkurse Expansive Geldpolitik: Rechtsverschiebung der LM-Kurve: P0 P1
Devisenbilanzdefizit
Nachfrageüberschuss an Devisen
Geldmenge , da inländische Währung in Devisen gewechselt wird
Linksverschiebung der LM-Kurve: LM0 = LM2
Devisenbilanzgleichgewicht: P0 = P2
… bei festen Wechselkursen
164
Mundell-Fleming-Modell
Abbildung 6.9: Geldpolitik im System fester Wechselkurse … ineffektiv
Geldpolitik ist im System fester Wechselkurse – im Gegensatz zum IS-LM-Modell, das außenwirtschaftliche Beziehungen außen vor lässt – ineffektiv, da das Einkommen durch die expansive Geldpolitik nicht nachhaltig erhöht werden kann.
6.2. Geldpolitik im System flexibler Wechselkurse … bei flexiblen Wechselkursen
Eine expansive Geldpolitik führt zu einer Rechtsverschiebung der LMKurve, so dass ein Devisenbilanzdefizit auftritt. Aufgrund des Nachfrageüberschusses steigt der Wechselkurs, es kommt zu einer Abwertung der inländischen Währung. Eine Abwertung der inländischen Währung zieht einen Anstieg des Außenbeitrags nach sich. Der Außenbeitrag ist in der ersten und in der dritten Gleichgewichtsbedingung enthalten. Entsprechend der (ersten) Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt verschiebt sich die IS-Kurve nach rechts. Um außenwirtschaftliches Gleichgewicht wiederherzustellen, müssen – entsprechend der (dritten) Gleichgewichtsbedingung für die Zahlungsbilanz – die Nettokapitalimporte sinken. Dies erfordert ein Sinken des Zinssatzes, so dass sich die ZZ-Kurve nach unten verschieben muss. Dieser Prozess setzt sich solange fort, bis das simultane interne und externe Gleichgewicht wiederhergestellt ist:
Mundell-Fleming-Modell
Geldpolitik im System flexibler Wechselkurse Expansive Geldpolitik: Rechtsverschiebung der LM-Kurve: P0 P1
Devisenbilanzdefizit
Nachfrageüberschuss an Devisen
Preis für Devisen (= Wechselkurs)
Abwertung der inländischen Währung
Außenbeitrag
Rechtsverschiebung der IS-Kurve Kapitalimporte müssen sinken Zinssatz muss sinken Verschiebung der ZZ-Kurve nach unten
Devisenbilanzgleichgewicht: P2
Abbildung 6.10: Geldpolitik im System flexibler Wechselkurse
165
166
Mundell-Fleming-Modell
… effektiver als im ISLM-Modell
Geldpolitik ist im System flexibler Wechselkurse nicht nur wirksam, sondern effektiver als im IS-LM-Modell, da das neue Gleichgewichtseinkommen Y2 höher ist als das Gleichgewichtseinkommen Y1, das sich im IS-LM-Modell unter Ausblendung außenwirtschaftlicher Effekte ergeben hätte.
Mundell-Fleming-Modell
167
7. Fiskalpolitik Eine zweite Form komparativ-statischer Analyse ist Fiskalpolitik. Ausgehend von einem simultanen internen und externen Gleichgewicht werden die Staatsausgaben erhöht. Für die Analyse fiskalpolitischer Maßnahmen sind die Fälle relativ hoher und relativ niedriger Zinssatzelastizitäten der Kapitalbewegungen zu unterscheiden. Die Höhe der Einkommensänderungen der Fiskalpolitik hängt nämlich davon ab, ob die Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen höher ist als die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage, ob also die ZZ-Kurve ceteris paribus flacher verläuft als die LM-Kurve oder umgekehrt.
Fiskalpolitik …
7.1. Fiskalpolitik im System fester Wechselkurse Im System fester Wechselkurse verläuft der Transmissionsmechanismus über den Geldmarkt.
… bei festen Wechselkursen
7.1.1. Fiskalpolitik bei relativ hoher Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen Eine expansive Fiskalpolitik führt – wie im IS-LM-Modell – zu einer Rechtsverschiebung der IS-Kurve, so dass ein Devisenbilanzüberschuss auftritt. Dem Angebotsüberschuss an Devisen wird dadurch entsprochen, dass die Zentralbank Devisen gegen inländische Währung vom Publikum aufkauft. Somit steigt die (inländische) Geldmenge, die dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung steht. Ein Anstieg der Geldmenge führt zu einer Rechtsverschiebung der LM-Kurve. Dieser Prozess setzt sich solange fort, bis das simultane interne und externe Gleichgewicht wiederhergestellt ist.
… mit hoher Kapitalmobilität
168
Mundell-Fleming-Modell
Fiskalpolitik Fiskalpolitik bei relativ hoher Kapitalmobilität im System fester Wechselkurse: Expansive Fiskalpolitik: Rechtsverschiebung der IS-Kurve: P0 P1
Devisenbilanzüberschuss
Angebotsüberschuss an Devisen
Geldmenge , da Devisen in inländische Währung gewechselt werden
Rechtsverschiebung der LM-Kurve
Devisenbilanzgleichgewicht: P2
Abbildung 6.11: Fiskalpolitik bei relativ hoher Kapitalmobilität im System fester Wechselkurse … effektiver als im ISFiskalpolitik ist im System fester Wechselkurse bei relativ hoher LM-Modell
Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen nicht nur wirksam, sondern effektiver als im IS-LM-Modell, da das neue Gleichgewichtseinkommen Y2 höher ist als dasjenige Einkommen Y1, das sich ohne Berücksichtigung außenwirtschaftlicher Effekte ergeben hätte.
Mundell-Fleming-Modell
169
7.1.2. Fiskalpolitik bei relativ niedriger Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen Eine expansive Fiskalpolitik führt zu einer Rechtsverschiebung der ISKurve, so dass ein Devisenbilanzdefizit auftritt. Dem Nachfrageüberschuss an Devisen wird dadurch entsprochen, dass die Zentralbank Devisen gegen inländische Währung an das Publikum ausgibt. Somit sinkt die (inländische) Geldmenge, die dem Wirtschaftskreislauf zur Verfügung steht. Ein Sinken der Geldmenge führt zu einer Linksverschiebung der LM-Kurve. Dieser Prozess setzt sich solange fort, bis das simultane interne und externe Gleichgewicht wiederhergestellt ist.
Fiskalpolitik Fiskalpolitik bei relativ niedriger Kapitalmobilität im System fester Wechselkurse: Expansive Fiskalpolitik: Rechtsverschiebung der IS-Kurve: P0 P1
Devisenbilanzdefizit
Nachfrageüberschuss an Devisen
Geldmenge , da inländische Währung in Devisen gewechselt wird
Linksverschiebung der LM-Kurve
Devisenbilanzgleichgewicht: P2
… mit geringer Kapitalmobilität …
170
Mundell-Fleming-Modell
Abbildung 6.12: Fiskalpolitik bei relativ niedriger Kapitalmobilität im System fester Wechselkurse … weniger effektiv als im IS-LM-Modell
Fiskalpolitik ist im System fester Wechselkurse bei relativ niedriger Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen zwar wirksam, aber weniger effektiv als im IS-LM-Modell, da das neue Gleichgewichtseinkommen Y2 zwar höher ist als das Gleichgewichtseinkommen Y0 in der Ausgangssituation, aber niedriger als dasjenige Gleichgewichtseinkommen Y1, das sich bei Vernachlässigung außenwirtschaftlicher Effekte ergeben hätte.
7.2. Fiskalpolitik im System flexibler Wechselkurse … bei flexiblen Wechselkursen
Im System flexibler Wechselkurse verläuft der Transmissionsmechanismus über den Gütermarkt und die Zahlungsbilanz.
7.2.1. Fiskalpolitik bei hoher Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen … mit hoher Kapitalmobilität
Eine expansive Fiskalpolitik führt zu einer Rechtsverschiebung der ISKurve, so dass ein Devisenbilanzüberschuss auftritt. Aufgrund des Angebotsüberschusses sinkt der Wechselkurs, es kommt zu einer Aufwertung der inländischen Währung. Gemäß der Robinson-Bedingung zieht eine Aufwertung der inländischen Währung ein Sinken des Au-
Mundell-Fleming-Modell
ßenbeitrags nach sich. Der Außenbeitrag ist in der ersten und in der dritten Gleichgewichtsbedingung enthalten. Entsprechend der (ersten) Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt verschiebt sich die ISKurve nach links. Um außenwirtschaftliches Gleichgewicht wiederherzustellen, müssen – entsprechend der (dritten) Gleichgewichtsbedingung für die Zahlungsbilanz – die Nettokapitalimporte steigen. Dies erfordert ein Steigen des Zinssatzes, so dass sich die ZZ-Kurve nach oben verschieben muss. Dieser Prozess setzt sich solange fort, bis das simultane interne und externe Gleichgewicht wiederhergestellt ist. Im Folgenden sind diese Erläuterungen nochmals in Stichpunkten dargestellt:
Fiskalpolitik Fiskalpolitik bei relativ hoher Kapitalmobilität im System flexibler Wechselkurse: Expansive Fiskalpolitik: Rechtsverschiebung der LM-Kurve: P0 P1
Devisenbilanzüberschuss
Angebotsüberschuss an Devisen
Preis für Devisen (= Wechselkurs)
Aufwertung der inländischen Währung
Außenbeitrag
Linksverschiebung der IS-Kurve Kapitalimporte müssen steigen Zinssatz muss steigen Verschiebung der ZZ-Kurve nach oben
Devisenbilanzgleichgewicht: P2
171
172
Mundell-Fleming-Modell
Abbildung 6.13: Fiskalpolitik bei relativ hoher Kapitalmobilität im System flexibler Wechselkurse … weniger effektiv als im IS-LM-Modell
Fiskalpolitik ist im System flexibler Wechselkurse bei relativ hoher Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen zwar wirksam, aber weniger effektiv als im IS-LM-Modell, da das neue Gleichgewichtseinkommen Y2 zwar höher ist als das Gleichgewichtseinkommen Y0 in der Ausgangssituation, aber niedriger als dasjenige Gleichgewichtseinkommen Y1, das sich bei Vernachlässigung außenwirtschaftlicher Effekte ergeben hätte.
7.2.2. Fiskalpolitik bei niedriger Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen … mit geringer Kapitalmobilität
Eine expansive Fiskalpolitik führt zu einer Rechtsverschiebung der ISKurve, so dass ein Devisenbilanzdefizit auftritt. Aufgrund des Nachfrageüberschusses steigt der Wechselkurs, es kommt zu einer Abwertung der inländischen Währung. Gemäß der Robinson-Bedingung zieht eine Abwertung der inländischen Währung ein Steigen des Außenbeitrags nach sich. Der Außenbeitrag ist in der ersten und in der dritten Gleichgewichtsbedingung enthalten. Entsprechend der (ersten) Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt verschiebt sich die IS-Kurve nach rechts. Um außenwirtschaftliches Gleichgewicht wiederherzustellen, müssen – entsprechend der (dritten) Gleichgewichtsbedingung für die Zahlungsbilanz – die Nettokapitalimporte sinken. Dies erfordert ein
Mundell-Fleming-Modell
Sinken des Zinssatzes, so dass sich die ZZ-Kurve nach unten verschieben muss. Dieser Prozess setzt sich solange fort, bis das simultane interne und externe Gleichgewicht wiederhergestellt ist.
Fiskalpolitik Fiskalpolitik bei relativ niedriger Kapitalmobilität im System flexibler Wechselkurse: Expansive Fiskalpolitik: Rechtsverschiebung der LM-Kurve: P0 P1
Devisenbilanzdefizit
Nachfrageüberschuss an Devisen
Preis für Devisen (= Wechselkurs)
Abwertung der inländischen Währung
Außenbeitrag
Rechtsverschiebung der IS-Kurve Kapitalimporte müssen sinken Zinssatz muss sinken Verschiebung der ZZ-Kurve nach unten
Devisenbilanzgleichgewicht: P2
173
174
Mundell-Fleming-Modell
Abbildung 6.14: Fiskalpolitik bei relativ niedriger Kapitalmobilität im System flexibler Wechselkurse … effektiver als im ISLM-Modell
Fiskalpolitik ist im System flexibler Wechselkurse bei relativ niedriger Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen effektiver als im IS-LM-Modell, da das neue Gleichgewichtseinkommen Y 2 höher ist als dasjenige Einkommen Y1, das sich ohne Berücksichtigung außenwirtschaftlicher Effekte ergeben hätte.
Mundell-Fleming-Modell
8. Zusammenfassung 1. Die Zahlungsbilanz ist die systematische Erfassung sämtlicher ökonomischer Transaktionen zwischen Inländern und Ausländern innerhalb einer bestimmten Periode. Sie gliedert sich in fünf Teilbilanzen: erstens die Leistungsbilanz, die sich in die Teilbilanzen des Außenhandels, der Dienstleistungen, der Erwerbs- und Vermögenseinkommen sowie der laufenden Übertragungen untergliedert; zweitens die Bilanz der Vermögensübertragungen; drittens die Kapitalbilanz, die sich in die Teilbilanzen der Direktinvestitionen, Wertpapieranlagen, Finanzderivate, Kredite und des sonstigen Kapitalverkehrs untergliedert; viertens den Restposten; fünftens die Devisenbilanz, die sowohl Transaktionswerte als auch Bilanzwerte erfasst. In der Wirtschaftstheorie wird die Zahlungsbilanz aus Gründen der Vereinfachung in reduzierter Form betrachtet: erstens die Leistungsbilanz, die sich auf den Außenbeitrag reduziert, zweitens die Kapitalbilanz, drittens die Devisenbilanz. 2. Das Mundell-Fleming-Modell ist ein um außenwirtschaftliche Transaktionen erweitertes IS-LM-Modell und kann daher als ISLM-Modell für eine offene Volkswirtschaft angesehen werden. Die grundlegenden Annahmen des IS-LM-Modells gelten auch im Mundell-Fleming-Modell. Die Verhaltensfunktionen und Gleichgewichtsbedingungen auf dem Gütermarkt und Geldmarkt ähneln denen des IS-LM-Modells. 3. Außenwirtschaftliches Gleichgewicht bedeutet Zahlungsbilanzgleichgewicht. Die Zahlungsbilanz ist aufgrund der doppelten Buchführung allerdings immer ausgeglichen. Nach herrschender Auffassung ist bei Vorliegen eines Devisenbilanzgleichgewichts ein externes Gleichgewicht gegeben. In diesem Fall ist der Außenbeitrag, der negativ vom inländischen Einkommen, positiv vom ausländischen Einkommen und positiv vom Wechselkurs (in Preisnotierung) abhängt, das Spiegelbild der Kapitalbilanz, die positiv vom inländischen und negativ vom ausländischen Zinssatz abhängt. 4. Die – im Normalfall steigende – ZZ-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Zinssatz und Einkommen, bei denen außenwirtschaftliches Gleichgewicht besteht. 5. Der Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve repräsentiert binnenwirtschaftliches (internes) Gleichgewicht, jeder Punkt auf der ZZKurve repräsentiert außenwirtschaftliches (externes) Gleichge-
175
176
Mundell-Fleming-Modell
wicht. Der Schnittpunkt von IS-, LM- und ZZ-Kurve repräsentiert ein simultanes internes und externes Gleichgewicht. 6. Im System fester Wechselkurse kann ein außenwirtschaftliches Ungleichgewicht durch eine Neutralisierungspolitik stabilisiert werden, um ein gewünschtes binnenwirtschaftliches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Bei Vorliegen eines Devisenbilanzüberschusses ist eine Neutralisierungspolitik nicht sinnvoll, da das interne Gleichgewicht »schlechter« ist als ohne Neutralisierungspolitik. Bei einem Devisenbilanzdefizit kann eine Neutralisierungspolitik nicht langfristig aufrechterhalten werden, weil die Devisenbestände abnehmen. Deshalb hat Neutralisierungspolitik – wenn überhaupt – nur kurzfristige Bedeutung. 7. Im System fester Wechselkurse passen sich Devisenbilanzüberschüsse und -defizite über Erhöhungen beziehungsweise Senkungen der Geldmenge an ein neues außenwirtschaftliches Gleichgewicht an. 8. Im System flexibler Wechselkurse passen sich Devisenbilanzüberschüsse und -defizite über Auf- beziehungsweise Abwertungen der inländischen Währung und eine daraus resultierende Abnahme beziehungsweise Zunahme des Außenbeitrags an ein neues außenwirtschaftliches Gleichgewicht an. 9. Geldpolitik ist im System fester Wechselkurse unwirksam. 10. Geldpolitik ist im System flexibler Wechselkurse effektiv und wirksamer als im IS-LM-Modell. 11. Fiskalpolitik ist im System fester Wechselkurse effektiv. Bei relativ hoher Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen ist sie wirksamer als im IS-LM-Modell, bei relativ geringer Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen ist sie weniger wirksam als im IS-LM-Modell. 12. Fiskalpolitik ist im System flexibler Wechselkurse effektiv. Bei relativ hoher Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen ist sie weniger wirksam als im IS-LM-Modell, bei relativ geringer Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen ist sie wirksamer als im IS-LMModell.
Mundell-Fleming-Modell
9. Wiederholungsfragen
1.
Nennen Sie sämtliche Teilbilanzen der Zahlungsbilanz. Lösung S. 144
2.
Erläutern Sie den Unterschied zwischen einem Wechselkurs in Preisnotierung und einem Wechselkurs in Mengennotierung. Lösung S. 147
3.
Begründen Sie, warum die ZZ-Kurve eine positive Steigung aufweist. Lösung S. 149
4.
Vergleichen Sie den geldpolitischen Transmissionsmechanismus für feste und für flexible Wechselkurse. Lösung S. 163 und 165
5.
Vergleichen Sie den fiskalpolitischen Transmissionsmechanismus für feste und für flexible Wechselkurse. Lösung S. 168, 169, 171, 173
177
178
Mundell-Fleming-Modell
10. Übungsaufgaben 1. Vergleichen Sie die Wirksamkeit einer expansiven Fiskalpolitik bei vollständiger Mobilität in- und ausländischer Kapitalbewegungen bei festen Wechselkursen mit derjenigen bei flexiblen Wechselkursen. Lösungsvorschlag: Die Annahme vollständiger Mobilität der Kapitalbewegungen bedeutet, dass die ZZ-Kurve waagerecht verläuft. Die ISKurve hat ihre normale negative, die LM-Kurve ihre normale positive Steigung. Eine expansive Fiskalpolitik ist bei festen Wechselkursen in höchstem Maße wirksam, bei flexiblen Wechselkursen ist sie zwar wirksam, aber weniger effektiv. 2. Erläutern Sie die Wirksamkeit einer expansiven Fiskalpolitik im System fester Wechselkurse, wenn der Staat durch Kapitalverkehrskontrollen den Transfer internationaler Kapitalbewegungen limitiert. Lösungsvorschlag: Die Begrenzung internationaler Kapitalbewegungen bedeutet, dass Kapitalbewegungen zinssatzunelastisch sind und die ZZKurve vertikal verläuft. Eine expansive Fiskalpolitik ist daher wirkungslos, weil sie zu keiner Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Einkommens führt, ohne dass das außenwirtschaftliche Gleichgewicht aufgegeben wird.
Neoklassische Synthese 1.
Einleitung
180
2.
Gesamtwirtschaftliche Nachfrage und gesamtwirtschaftliches Angebot
181
2.1.
Gesamtwirtschaftliche Nachfrage
181
2.2.
Gesamtwirtschaftliches Angebot
185
2.3.
Unterbeschäftigungsfall
198
2.4.
Vollbeschäftigungsfall
191
2.5.
Unterbeschäftigungs- und Vollbeschäftigungsgleichgewichte
193
3.
Geldpolitik
195
3.1.
Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve
195
3.2.
Graphische Analyse
199
3.3.
Geldpolitischer Transmissionsmechanismus
201
4.
Fiskalpolitik
205
4.1.
Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve
205
4.2.
Graphische Analyse
208
4.3.
Fiskalpolitischer Transmissionsmechanismus
211
5.
Lohnpolitik
215
5.1.
Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve
215
5.2.
Graphische Analyse
215
5.3.
Lohnpolitischer Transmissionsmechanismus
219
6.
Multiplikatoranalyse
222
6.1.
Koeffizientendeterminante
222
6.2.
Geldmengenmultiplikator
223
6.3.
Staatsausgabenmultiplikator
225
6.4.
Lohnmultiplikator
226
7.
Zusammenfassung
228
8.
Wiederholungsfragen
230
9.
Übungsaufgaben
231
180
Neoklassische Synthese
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein •
• • • • •
flexibles Preisniveau Berücksichtigung des Arbeitsmarkts
die Erweiterungen der Neoklassischen Synthese gegenüber dem IS-LM-Modell und gegenüber dem klassisch-neoklassischen Modell zu analysieren, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aus dem IS-LM-Modell herzuleiten, das gesamtwirtschaftliche Angebot aus dem klassisch-neoklassischen Modell herzuleiten, die Effektivität einer Geldpolitik graphisch, mathematisch und verbal zu erläutern, die Effektivität einer Fiskalpolitik graphisch, mathematisch und verbal zu erläutern, die Effektivität einer Lohnpolitik graphisch, mathematisch und verbal zu erläutern.
Die Neoklassische Synthese, die auch unter den Bezeichnungen »Vollständiges Keynesianisches Modell« und »Keynesianisch-Neoklassische Synthese« bekannt ist, versucht neoklassische und keynesianische Elemente zu vereinen. Sie erweitert das IS-LM-Modell um die Flexibilisierung des Preisniveaus und die explizite Berücksichtigung des Arbeitsmarkts. Zunächst werden die gesamtwirtschaftliche Nachfrage- und Angebotsfunktion hergeleitet. Erstgenannte repräsentiert den »keynesianischen Teil«, Letztgenannte den »neoklassischen Teil« der (Keynesianisch-) Neoklassischen Synthese. Danach erläutern wir die Eigenschaften von Unterbeschäftigungs- und Vollbeschäftigungsgleichgewichten. Nach Abschluss der statischen folgt die komparativ-statische Analyse: Wir untersuchen die Effektivität von Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik. Zum umfassenden Verständnis beginnen wir jeweils mit graphischen und verbalen Erläuterungen, denen die mathematische Herleitung der entsprechenden Multiplikatoren folgt.
Neoklassische Synthese
181
2. Gesamtwirtschaftliche Nachfrage und gesamtwirtschaftliches Angebot In der Neoklassischen Synthese ist die Nachfrageseite weitgehend keynesianischer, die Angebotsseite weitgehend klassisch-neoklassischer Provenienz.
Nachfrageseite: keynesianisch Angebotsseite: klassisch-neoklassisch
2.1. Gesamtwirtschaftliche Nachfrage In den folgenden drei Diagrammen wird die gesamtwirtschaftliche Nachfragefunktion aus dem traditionellen IS-LM-Modell abgeleitet: In Abbildung 7.1 ist der aus dem IS-LM-Modell bekannte Geldmarkt dargestellt: Das reale Geldangebot M/P ist eine exogene Größe, die vom Zinssatz unabhängig ist, so dass die Geldangebotskurve in dieser Graphik eine Senkrechte darstellt. Die Geldnachfrage teilt sich auf in eine einkommensabhängige Transaktionskasse LT (Y) (+)
sowie in eine zinssatzabhängige Spekulationskasse LS (i) . ()
Die Kurve der Geldnachfrage zu Transaktionszwecken stellt in diesem Diagramm ebenfalls eine Vertikale dar, da sie unabhängig vom Zinssatz ist. Die Kurve der Geldnachfrage zu Spekulationszwecken verläuft fallend. Die aus Transaktions- und Spekulationskasse kombinierte Geldnachfragekurve
L(Y0 , i ) ()
entspricht der um die Transaktionskasse nach rechts verschobenen Geldnachfragekurve zu Spekulationszwecken. Sie verläuft fallend und geht bei sehr niedrigem Zinssatz in den Bereich der Liquiditätsfalle über. Sinkt das Preisniveau P, steigt die reale Geldmenge M/P, die sich in der Graphik deshalb nach rechts verschiebt und sinkende Zinssätze auslöst.
Geldmarkt
182
Neoklassische Synthese
Abbildung 7.1: Geldmarkt IS-LM-Diagramm
In Abbildung 7.2 sind sowohl der Geldmarkt als auch der Gütermarkt im bekannten IS-LM-Diagramm dargestellt. Die LM-Kurve nimmt ihren normalen steigenden, die IS-Kurve ihren normalen fallenden Verlauf ein. Simultanes Gleichgewicht auf dem Güter- und Geldmarkt wird durch den Schnittpunkt von IS- und LM-Kurve verkörpert. Der Anstieg der Realkasse und die sich daraus ergebende Zinssatzsenkung werden im IS-LM-Diagramm durch eine Rechtsverschiebung der LMKurve dargestellt. Der Übertragungsmechanismus vom alten zum neuen Gleichgewichtspunkt entspricht exakt demjenigen der expansiven Geldpolitik im IS-LM-Modell. Sinkende Zinssätze regen die Investitionsnachfrage an, so dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt.
Neoklassische Synthese
183
i IS
LM 0(P0)
LM 1(P1)
i0 i Yd i1
Y0
Y1
Y
Abbildung 7.2: Güter- und Geldmarkt
In Abbildung 7.3 ist die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve in Abhängigkeit vom Preisniveau dargestellt. Ihre Herleitung ist durch den Keynes-Effekt beschrieben: Sinkt das Preisniveau, steigt das reale Geldangebot und verschiebt die Geldangebotskurve in Abbildung 7.1 nach rechts. Auf dem Geldmarkt liegt ein Angebotsüberschuss vor, mit dem ein Nachfrageüberschuss auf dem Wertpapiermarkt einhergeht. Dadurch steigen die Kurse für Wertpapiere und der Zinssatz sinkt aufgrund des inversen Zusammenhangs zwischen Wertpapierkursen und Zinssätzen. Ein neues Geldmarktgleichgewicht ist mit einem niedrigeren Zinssatz verbunden, so dass sich in Abbildung 7.2 die LM-Kurve nach rechts verschiebt. Ein sinkender Zinssatz stimuliert die Investitionsnachfrage und damit auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass ein sinkendes Preisniveau mit einer steigenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verbunden ist. Die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve weist somit eine negative Steigung auf. In Kurzschreibweise kann der Keynes-Effekt folgendermaßen formuliert werden:
Keynes-Effekt
184
Neoklassische Synthese
Alternativen Preisniveaus werden ihre korrespondierenden Gleichgewichtswerte des traditionellen keynesianischen IS-LM-Modells zugeordnet. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage Yd ist eine Funktion des Preisniveaus P, von dem sie negativ abhängt: d d (7.1) Y = Y (P ) ()
Der Keynes-Effekt ist umso stärker, das heißt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ist umso preiselastischer, je -
geringer die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage,
-
höher die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage ist.
Im Bereich der Liquiditätsfalle – bei vollkommen zinssatzelastischer Geldnachfrage – ist ein Sinken des Zinssatzes, das die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anregt, ausgeschlossen. Im Bereich der Investitionsfalle – bei zinssatzunelastischer Investitionsnachfrage – reagiert die Investitionsnachfrage nicht auf Zinssatzänderungen, so dass auch in diesem Fall die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht steigt. Deshalb sind Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bei Vorliegen der Keynes’schen Rigiditäten – Liquiditätsfalle und Investitionsfalle – nicht möglich, so dass die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve in diesem Szenario senkrecht verläuft, während sie im Bereich »normaler« Elastizitäten einen fallenden Verlauf einnimmt.
Abbildung 7.3: Gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve
Neoklassische Synthese
Die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Preisniveau und gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, bei denen Gleichgewicht auf dem Gütermarkt (Kapitalmarkt) und Geldmarkt (Wertpapiermarkt) besteht. Im Normalfall, das heißt in ihrem preiselastischen Ast, verläuft die Kurve fallend, bei Vorliegen von Investitions- oder Liquiditätsfalle, das heißt in ihrem preisunelastischen Ast, senkrecht.
185
gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve
Die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve wird auch »AD-Kurve« (AD = »aggregate demand« = »gesamtwirtschaftliche Nachfrage«) genannt, weil sie genau genommen eine Pseudo-Nachfragekurve ist. Sie leitet sich aus dem Gleichgewicht von Güter- und Geldmarkt im IS-LM-System ab.
2.2. Gesamtwirtschaftliches Angebot Während der traditionelle Keynesianismus davon ausgeht, dass sich das gesamtwirtschaftliche Angebot der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage unendlich schnell und vollständig anpasst, nimmt die Neoklassiche Synthese an, dass sich das gesamtwirtschaftliche Angebot aus dem Arbeitsmarkt ableitet. In der Neoklassischen Synthese wird angenommen, dass die Nominallohnsätze im Fall von Arbeitslosigkeit nach unten nicht flexibel, sondern starr sind. Nur bei Vollbeschäftigung ist der Nominallohnsatz auch nach unten flexibel. Aufgrund der Macht von Gewerkschaften, die mit zunehmendem Beschäftigungsgrad steigt, gibt es faktisch jedoch nur Spielraum für Nominallohnsatzerhöhungen, so dass insgesamt von nach unten (relativ) starren Nominallohnsätzen ausgegangen werden kann. Ein steigendes Preisniveau führt ceteris paribus zu sinkenden Reallohnsätzen, wenn der Nominallohnsatz entweder gar nicht steigt oder um weniger als das Preisniveau. Der Reallohnsatz bestimmt die von ihm abhängige Beschäftigungsmenge, diese das gesamtwirtschaftliche Angebot. Deshalb ist das gesamtwirtschaftliche Angebot positiv abhängig vom Preisniveau, die Angebotskurve verläuft steigend. Allerdings gilt dieser Zusammenhang nur solange, wie der Arbeitsmarkt noch nicht geräumt ist. Im Fall von Vollbeschäftigung lässt sich die Beschäftigungsmenge durch sinkende Reallohnsätze nicht mehr steigern, so dass die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve im Preis-Mengen-Diagramm senkrecht verläuft. In Kurzschreibweise können diese Zusammenhänge im Unterbeschäftigungsfall folgendermaßen beschrieben werden:
starre Nominallohnsätze
186
Neoklassische Synthese
P
W W W
N d N N d Y S N P P P
( )
Für den Vollbeschäftigungsfall gilt: P
W W N d W P P
W N konstant P
Das gesamtwirtschaftliche Angebot Ys ist eine Funktion des Preisniveaus P, von dem sie positiv abhängt: (7.2) Y s = Y s (P ) (+)
gesamtwirtschaftliche Angebotskurve
Die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Preisniveau und gesamtwirtschaftlichem Angebot, bei denen die gewinnmaximierende Beschäftigungsmenge eingesetzt wird. Im Fall nach unten starrer Nominallohnsätze, das heißt in ihrem preiselastischen Ast, verläuft die Kurve steigend, es herrscht Unterbeschäftigung. Im Fall flexibler Nominallohnsätze, das heißt in ihrem preisunelastischen Ast, verläuft die Kurve senkrecht, es liegt Vollbeschäftigung vor. Die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve wird auch »AS-Kurve« (AS = »aggregate supply« = »gesamtwirtschaftliches Angebot«) genannt, weil sie genau genommen eine Pseudo-Angebotskurve ist. Denn sie leitet sich aus einem Unterbeschäftigungs- oder Vollbeschäftigungsgleichgewicht des Arbeitsmarktes ab. Das folgende Vier-Quadranten-Schema veranschaulicht die graphische Herleitung der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve:
Neoklassische Synthese
187
Abbildung 7.4: Herleitung der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve
Der Arbeitsmarkt ist im südwestlichen Quadranten abgebildet. Das Arbeitsangebot Ns ist positiv, die Arbeitsnachfrage N d negativ vom Reallohnsatz w abhängig. Liegt der Reallohnsatz über dem gleichgewichtigen Reallohnsatz, besteht ein Angebotsüberschuss an Arbeitskräften, also Arbeitslosigkeit, et vice versa. Im südöstlichen Quadranten ist die Produktionsfunktion Y = Y(N) in positiver Abhängigkeit von der Beschäftigungsmenge N dargestellt. Da sich gemäß dem klassischen Say’schen Theorem jedes Angebot seine Nachfrage selbst schafft, ist durch die Beschäftigungsmenge der gesamtwirtschaftliche output Y determiniert. Eine Nominallohnsatzkurve im nordwestlichen Quadranten ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Reallohnsatz und Preisniveau, bei denen der Nominallohnsatz gleich ist. Hier wird das Preisniveau ermittelt, das bei gegebenem Nominallohnsatz mit dem gleichgewichtigen Reallohnsatz vereinbar ist. Im nordöstlichen Quadranten ist die gesamtwirtschaftliche Angebotsfunktion zu sehen. Anhand dieses Vier-Quadranten-Schemas ist zu erkennen, dass die gesamtwirtschaftliche Angebotsfunktion eine
Arbeitsmarkt
Produktionsfunktion
Nominallohnsatzkurve
188
Neoklassische Synthese
positive Steigung hat und dass – ausgehend von einer Situation hoher Arbeitslosigkeit – ab dem Vollbeschäftigungsniveau der gesamtwirtschaftliche output nicht mehr zu steigern ist. Steigt in der Unterbeschäftigungssituation das Preisniveau P, sinkt der Reallohnsatz w. Dadurch steigt die vom Reallohnsatz negativ abhängige Arbeitsnachfrage Nd, so dass die Arbeitslosigkeit abnimmt. Der output, der positiv von der Beschäftigungsmenge N abhängig ist, die ihrerseits durch den Reallohnsatz w determiniert ist, nimmt somit ebenfalls zu. Diese Zunahme ist jedoch nur solange möglich, wie die Beschäftigungsmenge aufgrund herrschender Arbeitslosigkeit steigen kann, was bei Vollbeschäftigung nicht der Fall ist. Deshalb verläuft die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve im Unterbeschäftigungsfall steigend, im Vollbeschäftigungsfall senkrecht.
2.3. Unterbeschäftigungsfall In der Neoklassischen Synthese räumen wir die Möglichkeit ein, dass die Nominallohnsätze geringer steigen als die Inflationsrate, was in sinkende Reallohnsätze mündet. Da die Arbeitsnachfrager als Unternehmer die Preise setzen, sind sie gegen eine Unterschätzung der Inflationsrate gefeit. Die Arbeitsanbieter jedoch können diesem Phänomen, das als Geldillusion in die wirtschaftswissenschaftliche Literatur Eingang gefunden hat, erliegen. Aus analytischen Gründen stellen wir im Folgenden nicht den Geldillusionsfall dar, sondern den Festlohnfall, der qualitativ zu denselben Ergebnissen führt: Wir nehmen an, dass der Nominallohnsatz im Fall von Unterbeschäftigung fix, im Fall von Vollbeschäftigung flexibel sei. Für den Unterbeschäftigungsfall gelten folgende Gleichungen: Unterbeschäftigungsfall Gleichgewichtsbedingung Gütermarkt
Gleichung (7.3) stellt die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt dar: Das Güterangebot Y entspricht der Güternachfrage, die sich aus der positiv vom Einkommen Y abhängigen Konsumnachfrage C, der negativ vom Zinssatz i abhängigen Investitionsnachfrage I sowie der exogenen Staatsnachfrage G zusammensetzt: (7.3)
Y = C (Y)+ I (i) + G (+)
( )
Gleichgewichtsbedingung Geldmarkt
Gleichung (7.4) stellt die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt dar: Das reale Geldangebot M/P entspricht der realen Geldnachfrage L, die positiv vom Einkommen Y (Transaktionskasse) und negativ vom Zinssatz i (Spekulationskasse) abhängt: M = L( Y , i ) (7.4) (+) () P
Gleichgewichtsbedingung Arbeitsmarkt
Gleichung (7.5) stellt die Gleichgewichtsbedingung für den Arbeitsmarkt dar: Die Beschäftigungsmenge N ist im Unterbeschäftigungsfall
Neoklassische Synthese
189
durch die Arbeitsnachfrage N d determiniert, da im Fall von Arbeitslosigkeit jede zusätzliche Arbeitsnachfrage auf ein entsprechendes Arbeitsangebot stößt. Die Arbeitsnachfrage ist negativ abhängig vom Reallohnsatz w: (7.5)
W N = Nd P ()
Gleichung (7.6) stellt die Produktionsfunktion dar: Der output Y ist positiv von der Beschäftigungsmenge N abhängig: (7.6)
Produktionsfunktion
Y = Y (N ) (+)
Gleichung (7.7) stellt eine Definitionsgleichung dar: Der Reallohnsatz w ergibt sich als Quotient aus einem – für den Fall der Festlohnannahme – starren Nominallohnsatz W0 und dem Preisniveau P: (7.7)
w=
Reallohnsatz
W0 P
Endogene Variable sind in diesem System das Einkommen Y, der Zinssatz i, der Reallohnsatz w, die Beschäftigungsmenge N sowie das Preisniveau P. Die reduzierte Form des Gleichungssystems für den Unterbeschäftigungsfall der Neoklassischen Synthese ergibt folgende Gleichungen:
reduzierte Form des Gleichungssystems
Gleichung (7.8) stellt die reduzierte Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt dar: Das Güterangebot Y, das von der Beschäftigungsmenge N abhängt, die ihrerseits vom Reallohnsatz w abhängig ist, entspricht der Güternachfrage. Ein Bestandteil der Güternachfrage ist die Konsumnachfrage C, die vom Einkommen Y abhängt, das seinerseits von der Beschäftigungsmenge N determiniert wird, die ihrerseits vom Reallohnsatz w bestimmt wird. Die beiden weiteren Bestandteile der Güternachfrage sind die negativ vom Zinssatz i abhängige Investitionsnachfrage I sowie die exogene Staatsnachfrage G. Letztlich werden sowohl das Güterangebot als auch die Konsumnachfrage durch den Reallohnsatz bestimmt. Bei einem starren Nominallohnsatz ist die ausschlaggebende Variable das Preisniveau.
reduzierte Gleichgewichtsbedingung Gütermarkt
(7.8)
W Y N 0 P
W = C Y N 0 + I (i) + G P
Gleichung (7.9) zeigt, dass das Güterangebot letztlich durch den Reallohnsatz, die Güternachfrage durch den Reallohnsatz und den Zinssatz bestimmt wird: (7.9)
W W Y 0 = C 0 + I (i)+ G P P () ()
()
190
reduzierte Gleichgewichtsbedingung Geldmarkt
Neoklassische Synthese
Gleichung (7.10) stellt die reduzierte Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt dar: Das exogene reale Geldangebot M/P entspricht der realen Geldnachfrage L. Diese hängt erstens positiv vom Einkommen Y ab (Transaktionskasse), das seinerseits durch die Beschäftigungsmenge N bestimmt ist, die ihrerseits vom Reallohnsatz w abhängt. Zweitens hängt sie negativ vom Zinssatz i ab (Spekulationskasse): (7.10)
W M = L Y N 0 , i P P
Letztlich wird die Geldnachfrage durch den Reallohnsatz w und den Zinssatz i determiniert, von denen sie jeweils negativ abhängig ist: (7.11)
Gleichgewichtsbedingung Arbeitsmarkt
W M = L 0 , i P P () ()
Gleichung (7.5) stellt die Gleichgewichtsbedingung für den Arbeitsmarkt in unveränderter Form dar: Die Beschäftigungsmenge N ist im Unterbeschäftigungsfall durch die Arbeitsnachfrage Nd determiniert, die negativ vom Reallohnsatz w abhängt: (7.5)
W N = Nd 0 P ()
reduzierte Form Produktionsfunktion
Gleichung (7.12) gibt die reduzierte Form der Produktionsfunktion wieder, die von der Beschäftigungsmenge N abhängt, die ihrerseits durch den Reallohnsatz w determiniert ist: (7.12)
reduzierte Form Reallohnsatz
W Y = N P
Gleichung (7.7) stellt in unveränderter Form die Definitionsgleichung dar, nach welcher sich der Reallohnsatz w aus dem Quotienten aus einem gegebenen Nominallohnsatz W0 und Preisniveau P ergibt: (7.7)
w=
W0 P
Durch die Reduktion des Modells verbleiben als endogene Variable der Zinssatz i sowie das Preisniveau P.
Neoklassische Synthese
191
2.4. Vollbeschäftigungsfall Für den Vollbeschäftigungsfall gelten die meisten Gleichungen wie oben.
Vollbeschäftigungsfall
Den ersten Unterschied bildet die Gleichgewichtsbedingung für den Arbeitsmarkt, die oben in Gleichung (7.5) beschrieben ist. Während im Unterbeschäftigungsfall die Arbeitsnachfrage als kürzere Marktseite die Beschäftigungsmenge determiniert, muss im Vollbeschäftigungsfall von dieser Annahme abgewichen werden, da mit sinkendem Reallohnsatz zwar die Arbeitsnachfrage steigt, ihr aber kein entsprechendes Arbeitsangebot gegenübersteht. Somit müssen beide Marktseiten über den Reallohnsatz zum Ausgleich gebracht werden, der das Arbeitsangebot positiv, die Arbeitsnachfrage negativ beeinflusst. Den zweiten Unterschied bildet die Definitionsgleichung (7.7) für den Reallohnsatz: Bei Vollbeschäftigung ist auch der Nominallohnsatz flexibel, so dass der Reallohnsatz nicht wie im Unterbeschäftigungsfall dem Quotienten aus einem fixen Nominallohnsatz und dem Preisniveau, sondern dem Quotienten aus einem flexiblen Nominallohnsatz und dem Preisniveau entspricht. Das Gleichungssystem im Vollbeschäftigungsfall lautet: Wir beginnen mit der bekannten Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt: (7.3)
Y = C (Y)+ I (i) + G (+)
( )
Es folgt die ebenfalls bekannte Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt: (7.4)
M = L( Y , i ) (+) () P
Wie oben beschrieben, unterscheidet sich die Gleichgewichtsbedingung für den Arbeitsmarkt von derjenigen des Unterbeschäftigungsfalls: (7.13)
W W N = NS = Nd P P (+)
()
Die Produktionsfunktion ist dieselbe wie im Unterbeschäftigungsfall: (7.6)
Y = Y (N ) (+)
Wie oben erläutert, weicht die Definitionsgleichung für den Reallohnsatz von derjenigen des Unterbeschäftigungsfalls ab: (7.14)
w=
W P
Gleichungssystem
192
Neoklassische Synthese
reduziertes Gleichungssystem
Die reduzierte Form des Gleichungssystems erfolgt analog zum Unterbeschäftigungsfall. Für den Gütermarkt lautet die Gleichung: (7.15)
W W Y N = C Y N + I (i) + G P P
Die entscheidenden Bestimmungsfaktoren sind der Reallohnsatz sowie der Zinssatz: (7.16)
W W Y = C + I(i)+ G P P () ()
Für den Geldmarkt ergibt sich folgende reduzierte Form: (7.17)
W M = L Y N , i P P
Letztlich wird die Geldnachfrage durch den Reallohnsatz w und den Zinssatz i determiniert: (7.18)
M W = L , i P P ( )
Gleichung (7.13) stellt die Gleichgewichtsbedingung für den A r beitsmarkt in unveränderter Form dar: (7.13)
W W N = NS = Nd P P (+)
()
Es folgt die bekannte Definitionsgleichung für den Reallohnsatz: (7.14)
w=
W P
Durch die Reduktion des Modells verbleiben als endogene Variable der Zinssatz i, das Preisniveau P sowie der Nominallohnsatz W.
Neoklassische Synthese
193
2.5. Unterbeschäftigungs- und Vollbeschäftigungsgleichgewichte Im Folgenden werden die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve und die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve in einem Diagramm dargestellt. Wir rekapitulieren, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve gemäß dem Keynes-Effekt typischerweise fallend, im Bereich von Liquiditäts- und Investitionsfalle jedoch senkrecht verläuft. Die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve verläuft gemäß der Annahme nach unten starrer Lohnsätze im Unterbeschäftigungsfall steigend und im Vollbeschäftigungsfall senkrecht. Treten die Keynes’schen Rigiditäten im Vollbeschäftigungsfall auf, ist ein Gleichgewicht unwahrscheinlich. Graphisch müssten in diesem Fall die senkrechte Nachfragekurve sowie die ebenfalls vertikale Angebotskurve übereinander liegen. Zwei unterschiedliche Unterbeschäftigungsgleichgewichte und ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht sind jedoch möglich und werden im Folgenden aufgezeigt. Schneiden sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage- und Angebotskurve in ihrem jeweils preiselastischen Bereich, liegt ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht im Normalfall vor, der durch »normale« Zinssatzelastizitäten der Investitions- und Geldnachfrage sowie durch Unterbeschäftigung gekennzeichnet ist:
Abbildung 7.5: Unterbeschäftigungsgleichgewicht im Normalfall
Unterbeschäftigungsgleichgewicht im Normalfall
194
Neoklassische Synthese
Unterbeschäftigungsgleichgewicht bei Keynes’schen Rigiditäten
Schneidet die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve in ihrem preisunelastischen Ast die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve in deren preiselastischem Ast, besteht ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht bei Vorliegen der Keynes’schen Rigiditäten: P
Yd
Ys
Y
Abbildung 7.6: Unterbeschäftigungsgleichgewicht bei Vorliegen von Investitions- oder Liquiditätsfalle Vollbeschäftigungsgleichgewicht
Schneidet die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve in ihrem preiselastischen Ast die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve in deren preisunelastischem Ast, liegt ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht vor: P Yd
Ys
Y Abbildung 7.7: Vollbeschäftigungsgleichgewicht
Neoklassische Synthese
195
3. Geldpolitik Im Folgenden wechseln wir von der statischen zur komparativ-statischen Analyse, die Gleichgewichtswerte vor und nach Durchführung von Geld-, Fiskal- beziehungsweise Lohnpolitik vergleicht. Wir beginnen mit der Geldpolitik, die ihren Anfang auf dem Geldmarkt nimmt, da die Geldmenge geändert wird. Weil der Geldmarkt neben der Güternachfrage in der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve abgebildet wird, sind die komparativ-statischen Eigenschaften dieser Kurve zu untersuchen, um die Richtung der durch Geldpolitik verursachten Verschiebung der Nachfragekurve zu erfahren.
Geldpolitik
3.1. Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage Y d ist eine Funktion des Preisniveaus P: (7.1)
Y d = Y d (P ) ()
Die bekannten Gleichgewichtsbedingungen für den Güter- und Geldmarkt, die dem IS-LM-Modell entlehnt sind, lauten: (7.3)
Y = C (Y)+ I (i) + G (+)
(7.4)
Gleichgewichtsbedingungen Güter- und Geldmarkt
( )
M = L( Y , i ) (+) () P
Werden unendlich kleine Änderungen betrachtet, sind die totalen Differentiale der beiden Gleichgewichtsbedingungen zu bestimmen:
totale Differentiale
Für (7.3) bedeutet dies: (7.19)
dY = C YdY + Ii di + dG
(7.20)
(l – Cy) dY – Ii di = dG
Die Ableitungen von (7.4) lauten: (7.21)
dM P - M dP = L Y dY + L i di P2
(7.22)
L Y dY + L i di =
dM M dP P P2
In Matrix-Schreibweise werden die totalen Differentiale der Gleichgewichtsbedingungen für den Güter- und den Geldmarkt so aufgeteilt,
Matrix-Schreibweise
196
Neoklassische Synthese
dass die erste Matrix die Koeffizienten, die zweite Matrix die Variablen und die dritte Matrix die rechten Seiten der Gleichungen (7.20) beziehungsweise (7.22) enthält:
(7.23)
l CY LY
Ii L i
dY = dM di P
dG
M dP P2
Im Fall einer Geldpolitik verändern sich die nominale Geldmenge M und das Preisniveau P, während die Höhe der Staatsausgaben G unverändert bleibt: dM, dP 0, dG = 0: dG nimmt in der Zeilenmatrix folglich den Wert Null an:
(7.24) Cramer’sche Regel
l CY LY
Ii L i
dY = dM di P
0
M dP P2
Um eine Lösung gemäß der Cramer’schen Regel zu finden, ist die Koeffizientendeterminante D zu bilden. Sie ergibt sich, indem die Differenz aus zwei Produkten gebildet wird: Zunächst wird die Diagonale von links oben nach rechts unten multipliziert; anschließend wird die Diagonale von rechts oben nach links unten multipliziert; schließlich wird das Produkt der zweiten Diagonalen von demjenigen der ersten Diagonalen abgezogen:
( 7.25 )
D=
l CY LY
Ii = (l C Y ) L i + I i L y Li
Die Unterdeterminante Dl für dY (erste Spalte) ergibt sich, indem die erste Spalte der Koeffizientendeterminante durch die rechte Seite ersetzt und anschließend die modifzierte Koeffizientendeterminante aufgelöst wird:
(7.26)
0 D l = dM P
Ii
M dP P2
Li
dM MdP = Ii 2 P P
Gemäß der Cramer’schen Regel entspricht die Einkommensänderung dY dem Quotienten aus der Unterdeterminanten D 1 (für dY) und der Koeffizientendeterminanten D:
(7.27)
dM M dP Ii 2 Dl P P dY = = D ( l - CY ) L i + I i L Y
(7.27) wird umformuliert zu (7.28):
Neoklassische Synthese
(7.28)
197
dM M dP P P dY = Li (l - C Y ) + L Y Ii
Es ist zu erwarten, dass sich sowohl das Preisniveau als auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen, so dass sich die Nachfragekurve sowohl nach oben als auch nach rechts verschiebt. Aus analytischen Gründen ist es sinnvoll, diese Verschiebung nach oben rechts in zwei Verschiebungen aufzuteilen: in eine horizontale und in eine vertikale. Für das Ausmaß der horizontalen Verschiebung wird hypothetisch von einer vertikalen Verschiebung abstrahiert, das heißt es wird von einer Änderung des Preisniveaus abgesehen: dP = 0. Somit ergibt sich: (7.29)
dM P dY = L (l C Y ) i + L Y Ii
Nach weiteren Umformulierungen erhalten wir das Ausmaß der horizontalen Verschiebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve: (7.30)
dY =
horizontale Verschiebung
1 1 dM Li P (1 C Y ) + L Y Ii
Die horizontale Verschiebung der Y(P)-Kurve ist ceteris paribus umso stärker, je • •
höher die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage, geringer die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage.
Bei Vorliegen der Keynes’schen Rigiditäten, das heißt bei zinssatzunelastischer Investitionsnachfrage oder vollkommen zinssatzelastischer Geldnachfrage, die durch den preisunelastischen senkrechten Ast der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve dargestellt werden, findet keine horizontale Verschiebung der Y(P)-Kurve statt. Für die Bestimmung der vertikalen Verschiebung wird hypothetisch von einer horizontalen Verschiebung abstrahiert, das heißt es wird von einer Einkommensänderung abgesehen: dY = 0. Somit ergibt sich aus Gleichung (7.28):
( 7.31 ) (7.32)
0=
dM dP M 2 P P
dP M dM = P P2
vertikale Verschiebung
198
Neoklassische Synthese
(7.33)
dP =
1 dM M P
Die vertikale Verschiebung der Y(P)-Kurve ist unabhängig von der Höhe der Zinssatzelastizitäten. vertikale Verschiebung der Nachfragekurve
Graphisch ergibt sich für die Verschiebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve im Zuge einer expansiven Geldpolitik folgendes Bild: Die Nachfragekurve verschiebt sich nach oben, denn in diesem Fall findet immer eine vertikale Verschiebung statt, eine horizontale Verschiebung erfolgt jedoch nur, wenn die Keynes’schen Rigiditäten nicht vorliegen:
P
Yd Yd Abbildung 7.8: Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve bei Geldpolitik
Ein Eingreifen des Staates durch diskretionäre Geldpolitik macht nur Sinn, wenn sich die Volkswirtschaft in der Ausgangssituation in einem Unterbeschäftigungsgleichgewicht befindet, da ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht bereits den optimalen Zustand beschreibt. Wir haben demzufolge zwei Fälle zu unterscheiden: ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht im Normalfall sowie ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht bei Vorliegen Keynes’scher Rigiditäten.
Neoklassische Synthese
199
3.2. Graphische Analyse Da eine Geldpolitik ihren Ausgang im Geldmarkt nimmt, der durch die gesamtwirtschaftliche Nachfragefunktion dargestellt wird, führt eine expansive Geldpolitik graphisch zu einer Verschiebung der Nachfragekurve. Die Analyse der komparativ-statischen Eigenschaften der Nachfragekurve hat gezeigt, dass expansive monetäre Impulse diese Kurve nach oben verschieben. Für den Normalfall, der in Abbildung 7.9 dargestellt ist, bedeutet dies, dass der Keynes-Effekt voll zum Tragen kommt und im neuen Gleichgewicht nicht nur ein höheres Preisniveau, sondern auch eine höhere gesamtwirtschaftliche Nachfrage festzustellen ist. Aufgrund der Unterbeschäftigungssituation führt die Ankurbelung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage über eine höhere Beschäftigung auch zu einem höheren Sozialprodukt und Einkommen, so dass Geldpolitik für diesen Fall effektiv ist.
dY >0 dM Abbildung 7.9: Geldpolitik im Normalfall
Normalfall: Geldpolitik effektiv
200
Neoklassische Synthese
Am wirksamsten ist sie, wenn das gesamtwirtschaftliche Angebot wie in Abbildung 7.10 vollkommen preiselastisch ist, das heißt, wenn der keynesianische IS-LM-Fall vorliegt, nach dem sich das Güterangebot der Güternachfrage unendlich schnell und vollständig anpasst.
Abbildung 7.10: Geldpolitik bei vollkommen preiselastischem gesamtwirtschaftlichen Angebot Keynes’sche Rigiditäten Geldpolitik ineffektiv
Im Fall der Keynes’schen Rigiditäten, der in Abbildung 7.11 dargestellt ist, sind geldpolitische Maßnahmen jedoch nicht wirksam, da der Keynes-Effekt nicht wirkt. Die Ausweitung der Geldmenge verpufft und springt nicht auf den realwirtschaftlichen Sektor über, so dass Geldpolitik in diesem Fall nicht effektiv ist.
Neoklassische Synthese
Abbildung 7.11: Geldpolitik bei Vorliegen Keynes’scher Rigiditäten
3.3. Geldpolitischer Transmissionsmechanismus Die Untersuchungen über die komparativ-statischen Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve und der LM-Kurve (IS-LMModell) haben gezeigt, dass sich bei Geldpolitik im P-Y-Diagramm die Nachfragekurve nach oben und im IS-LM-Modell die LM-Kurve nach rechts verschieben. Somit sind insgesamt sechs Effekte erklärungsbedürftig: drei dominante, nämlich die Zinssatzsenkung (1), die Preisniveauerhöhung (2) und die Einkommenserhöhung (3) sowie drei Bremseffekte, nämlich die Zinssatzerhöhung (4), die Preisniveausenkung (5) und die Einkommenssenkung (6). Für die Zinssatzeffekte verweisen wir auf die Graphiken für Geldpolitik im IS-LM-Modell.
201
202
Neoklassische Synthese
Abbildung 7.12: Geldpolitische Effekte geldpolitischer Transmissionsmechanismus
Der geldpolitische Transmissionsmechanismus kann folgendermaßen beschrieben werden:
1. Effekt: Geldmarkt
Eine Erhöhung der nominalen Geldmenge führt auf dem Geldmarkt ceteris paribus zu einer Erhöhung der realen Geldmenge. Dies impliziert einen Angebotsüberschuss auf dem Geldmarkt beziehungsweise einen Nachfrageüberschuss auf dem Wertpapiermarkt. Ein Nachfrageüberhang führt unter normalen Umständen zu einer Erhöhung der Preise auf dem betreffenden Markt, hier also zu einer Erhöhung der Kurse für Wertpapiere. Augrund des inversen Zusammenhangs zwischen Wertpapierkursen und Zinssätzen sinken die Zinssätze.
2. Effekt: Gütermarkt
Ein Sinken der Zinssätze schlägt sich auf dem Gütermarkt gemäß der negativ vom Zinssatz abhängigen Investitionsfunktion in einer steigenden Investitionsnachfrage nieder, welche die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöht. Dadurch steigt das Preisniveau.
3. Effekt: Arbeits- / Gütermarkt
Auf dem Arbeitsmarkt führt der Anstieg des Preisniveaus zu einem Sinken des Reallohnsatzes. Dadurch nimmt die Arbeitsnachfrage zu, die negativ vom Reallohnsatz abhängt. In einer Unterbeschäftigungssituation bedeutet dies, dass insgesamt die Beschäftigungsmenge zunimmt, weil die zusätzliche Arbeitsnachfrage auf ein entsprechendes Arbeitsangebot trifft. Aufgrund der zunehmenden Beschäftigungsmenge steigt gemäß der positiv von ihr abhängigen Produktionsfunktion auf dem Gütermarkt das gesamtwirtschaftliche Angebot. Da sowohl die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zunimmt – wie im zweiten
Neoklassische Synthese
203
Effekt beschrieben – als auch das gesamtwirtschaftliche Angebot steigt – wie in diesem dritten Effekt beschrieben – erhöht sich auch das gesamtwirtschaftliche Einkommen. Nun setzt der einfache Gütermarktmultiplikator ein, der über einen steigenden Konsum die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und das Volkseinkommen erneut erhöht. Das steigende gesamtwirtschaftliche Einkommen hat zwei Effekte auf dem Geldmarkt: Zum einen steigt das Preisniveau, das zu einem Sinken der realen Geldmenge führt und einen Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt bewirkt. Dieser Nachfrageüberschuss wird zum anderen dadurch verstärkt, dass ein steigendes Einkommen die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken anregt. Ein Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt ist gleichbedeutend mit einem Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt, der zu Kurssenkungen und steigenden Zinssätzen führt.
4. Effekt: Geldmarkt
Auf dem Gütermarkt geht aufgrund steigender Zinssätze die Investitionsnachfrage zurück, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt und damit auch das Preisniveau.
5. Effekt: Gütermarkt
Auf dem Arbeitsmarkt führt ein Sinken des Preisniveaus zu steigenden Reallohnsätzen, einem Rückgang der Arbeitsnachfrage und damit der Beschäftigung. Dadurch sinkt auf dem Gütermarkt das gesamtwirtschaftliche Angebot, das ein Sinken des gesamtwirtschaftlichen Einkommens nach sich zieht und den negativen einfachen Gütermarktmultiplikator einleitet, der über einen sinkenden Konsum das Einkommen weiter vermindert.
6. Effekt: Arbeits- / Gütermarkt
In Kurzschreibweise lautet der geldpolitische Transmissionsmechanismus in der Neoklassischen Synthese: 1. Geldmarkt M
M AÜGEM NÜWPM KWP i p
2. Gütermarkt I(i) ydP ()
3. Arbeits- / Gütermarkt
W Nd W N (N d ) YS (N) YC ( Y) …Y p (+) (+) (+) p ()
4. Geldmarkt (1) P
M p
(2) YLT ( Y) (+)
NÜGEM AÜWPM KWP i
204
Neoklassische Synthese
5. Gütermarkt I(i) YdP ()
6. Arbeits- / Gütermarkt
Geldpolitik effektiv, aber weniger wirksam als im IS-LM-Modell
Insgesamt ist Geldpolitik in der Neoklassischen Synthese effektiv, aber weniger wirksam als im traditionellen IS-LM-Modell. Dies liegt daran, dass die Bremseffekte, die durch eine steigende Geldnachfrage eingeleitet werden, stärker wirken als im IS-LM-Modell. Im IS-LM-Modell führt ein steigendes Einkommen zwar auch zu einer verstärkten Geldnachfrage zu Transaktionszwecken und damit zu einem Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt. In der Neoklassischen Synthese, die von der traditionellen keynesianischen Annahme eines konstanten Preisniveaus abgeht, wird dieser Nachfrageüberschuss aber dadurch verstärkt, dass über ein steigendes Preisniveau auch die reale Geldmenge zurückgeht.
Neoklassische Synthese
4. Fiskalpolitik Fiskalpolitik nimmt ihren Anfang auf dem Gütermarkt, da die Staatsnachfrage geändert wird. Weil die Güternachfrage neben dem Geldmarkt in der gesamtwirtschaftlichen Nachfragefunktion enthalten ist, sind die komparativ-statischen Eigenschaften dieser Funktion zu ermitteln, um die Richtung der durch Fiskalpolitik verursachten Verschiebung der Kurve zu erfahren.
4.1. Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve Die Analyse der komparativ-statischen Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve für Fiskalpolitik gleicht am Anfang derjenigen für Geldpolitik. Deshalb nehmen wir die allgemeine MatrixGleichung (7.23) aus der geldpolitischen Analyse als Ausgangspunkt für unsere fiskalpolitische Untersuchung:
(7.23)
l CY LY
Ii L i
dY = dM di P
dG
M dP P2
Im Fall einer Fiskalpolitik gilt: dG, dP 0, dM = 0 dM nimmt in der Zeilenmatrix also den Wert Null an:
(7.34)
l CY LY
Ii L i
dG dY = M dP di P2
Um eine Lösung gemäß der Cramer’schen Regel zu finden, greifen wir auf die bekannte Koeffizientendeterminante D zurück:
( 7.25 )
D=
l CY LY
Ii = (l C Y ) L i + I i L y Li
Die Unterdeterminante Dl für dY (erste Spalte) ergibt sich, indem die erste Spalte der Koeffizientendeterminante durch die rechte Seite ersetzt und die modifizierte Koeffizientendeterminante anschließend aufgelöst wird:
( 7.35 )
Dl =
dG M dP 2 P
Ii M dP = L i dG I i Li P2
Gemäß der Cramer’schen Regel entspricht die Einkommensänderung dY dem Quotienten aus der Unterdeterminanten D1 für dY und der Koeffizientendeterminanten D:
205
206
Neoklassische Synthese
( 7.36)
D dY = l = D
M dP P2 ( l C Y )L i + I i L Y L i dG I i
Wie bei Geldpolitik ist auch bei Fiskalpolitik zu erwarten, dass sich sowohl das Preisniveau als auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erhöhen, so dass sich die Nachfragekurve sowohl nach oben als auch nach rechts verschiebt. Aus analytischen Gründen wird diese Verschiebung nach oben rechts in eine horizontale und in eine vertikale Verschiebung aufgeteilt. Für das Ausmaß der horizontalen Verschiebung wird hypothetisch von einer vertikalen Verschiebung abstrahiert, das heißt es wird von einer Änderung des Preisniveaus abgesehen: dP = 0. Somit ergibt sich: (7.37)
dY =
L i dG
( l C Y ) L i + Ii L Y
(7.37) wird umformuliert zu: (7.38)
1
dY =
(1 C Y ) + horizontale Verschiebung
Ii LY Li
dG
Die horizontale Verschiebung der Y(P)-Kurve ist ceteris paribus umso stärker, je • •
geringer die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage, höher die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage.
Für das Ausmaß der vertikalen Verschiebung wird hypothetisch von einer horizontalen Verschiebung abstrahiert, das heißt es wird von einer Einkommensänderung abgesehen: dY = 0. Somit ergibt sich aus Gleichung (7.36):
vertikale Verschiebung
(7.39)
0 = L i dG I i
(7.40)
Ii
(7.41)
dP =
M dP P2
M dP = L i dG P2 Li P dG M Ii P
Die vertikale Verschiebung der Y(P)-Kurve ist ceteris paribus umso stärker, je • •
geringer die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage höher die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage.
Bei vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage oder bei zinssatzunelastischer Geldnachfrage (keine Keynes’schen Rigiditäten
Neoklassische Synthese
207
im preisunelastischen Bereich, sondern vollkommen preiselastische gesamtwirtschaftliche Nachfrage) findet keine vertikale Verschiebung statt. Graphisch ergibt sich folgendes Bild für die Verschiebung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve im Zuge einer expansiven Fiskalpolitik: Die Nachfragekurve verschiebt sich nach rechts, denn in diesem Fall findet immer eine horizontale Verschiebung statt, eine vertikale Verschiebung erfolgt jedoch nur, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vollkommen preiselastisch wird:
horizontale Verschiebung der Nachfragekurve
Abbildung 7.13: Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen P Nachfragefunktion bei Fiskalpolitik
208
Neoklassische Synthese
4.2. Graphische Analyse Ein Eingreifen des Staates durch diskretionäre Fiskalpolitik macht ebenfalls nur Sinn, wenn sich die Volkswirtschaft in der Ausgangssituation in einem Unterbeschäftigungsgleichgewicht befindet, da ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht bereits den optimalen Zustand beschreibt. Wie für Geldpolitik haben wir auch für Fiskalpolitik zwei Fälle zu unterscheiden: ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht im »Normalfall« sowie ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht bei Vorliegen Keynes’scher Rigiditäten. Da eine Fiskalpolitik ihren Ausgang in einer Änderung der Staatsnachfrage nimmt, die graphisch durch die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve dargestellt wird, führt eine expansive Fiskalpolitik zu einer Verschiebung der Nachfragekurve. Die Analyse der komparativ-statischen Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve hat gezeigt, dass expansive fiskalische Impulse diese Kurve nach rechts verschieben.
Fiskalpolitik effektiv
Für den Normalfall bedeutet dies, dass der Keynes-Effekt voll zum Tragen kommt und im neuen Gleichgewicht nicht nur ein höheres Preisniveau, sondern auch eine höhere gesamtwirtschaftliche Nachfrage festzustellen ist. Aufgrund der Unterbeschäftigungssituation führt die Ankurbelung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage über eine höhere Beschäftigung zu einem höheren Sozialprodukt und Einkommen, so dass Fiskalpolitik, wie in Abbildung 7.14 zu sehen, für diesen Fall effektiv ist.
Neoklassische Synthese
209
dY >0 dG Abbildung 7.14: Fiskalpolitik im Normalfall
Im Fall der Keynes’schen Rigiditäten, der in Abbildung 7.15 dargestellt wird, sind fiskalpolitische Maßnahmen besonders wirksam, da der Keynes-Effekt voll zum Tragen kommt und Bremseffekte ausbleiben.
besonders effektiv bei Investitions- und Liquiditätsfalle
210
Neoklassische Synthese
dY >0 dG Abbildung 7.15: Fiskalpolitik bei Vorliegen Keynes’scher Rigiditäten
Nicht effektiv ist Fiskalpolitik in den beiden Fällen, in denen die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage gegen unendlich strebt oder die Geldnachfrage zinssatzunelastisch ist. Diesen beiden Fällen liegen Elastizitätsannahmen zugrunde, die dem Gegenteil der Keynes’schen Rigiditäten entsprechen und in Abbildung 7.16 aufgezeigt werden.
Neoklassische Synthese
Abbildung 7.16: Fiskalpolitik bei vollkommen preiselastischer gesamtwirtschaftlicher Nachfrage
4.3. Fiskalpolitischer Transmissionsmechanismus Die Untersuchungen über die komparativ-statischen Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve und der IS-Kurve (IS-LMModell) haben gezeigt, dass sich bei Fiskalpolitik im P-Y-Diagramm die Nachfragekurve nach rechts und im IS-LM-Modell die IS-Kurve nach rechts verschieben. Somit sind insgesamt sechs Effekte erklärungsbedürftig: drei dominante, nämlich die Preisniveauerhöhung (1), die Einkommenserhöhung (2) und die Zinssatzerhöhung (3) sowie drei Bremseffekte, nämlich die Preisniveausenkung (4), die Einkommenssenkung (5) und die Zinssatzsenkung (6). Für die Zinssatzeffekte verweisen wir auf die Graphiken für Fiskalpolitik im IS-LM-Modell.
211
212
Neoklassische Synthese
Abbildung 7.17: Fiskalpolitische Effekte Transmissionsmechanismus
Der fiskalpolitische Transmissionsmechanismus kann folgendermaßen beschrieben werden:
1. Effekt: Gütermarkt
Eine Erhöhung der Staatsausgaben schlägt sich auf dem Gütermarkt in einer erhöhten gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nieder. Dadurch steigt das Preisniveau.
2. Effekt: Arbeits- / Gütermarkt
Auf dem Arbeitsmarkt führt der Anstieg des Preisniveaus zu einem Sinken des Reallohnsatzes. Dadurch nimmt die Arbeitsnachfrage zu, die negativ vom Reallohnsatz abhängt. In einer Unterbeschäftigungssituation bedeutet dies, dass insgesamt die Beschäftigungsmenge zunimmt. Aufgrund der zunehmenden Beschäftigungsmenge steigt gemäß der Produktionsfunktion auf dem Gütermarkt das gesamtwirtschaftliche Angebot. Da sowohl die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zunimmt – wie im ersten Effekt beschrieben – als auch das gesamtwirtschaftliche Angebot steigt – wie in diesem zweiten Effekt beschrieben – steigt auch das Einkommen. Nun setzt der einfache Gütermarktmultiplikator ein, der über einen steigenden Konsum die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zum Steigen bringt und das Volkseinkommen weiter erhöht.
3. Effekt: Geldmarkt
Das steigende gesamtwirtschaftliche Einkommen führt zu zwei Effekten auf dem Geldmarkt: Zum einen steigt das Preisniveau, was zu einem Sinken der realen Geldmenge führt und einen Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt bewirkt. Dieser Nachfrageüberschuss wird zum anderen dadurch verstärkt, dass ein steigendes gesamtwirtschaftli-
Neoklassische Synthese
213
ches Einkommen die Geldnachfrage zu Transaktionszwecken anregt. Ein Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt ist gleichbedeutend mit einem Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt, der zu Kurssenkungen und steigenden Zinssätzen führt. Auf dem Gütermarkt geht aufgrund steigender Zinssätze die Investitionsnachfrage zurück, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt und damit auch das Preisniveau.
4. Effekt: Gütermarkt
Auf dem Arbeitsmarkt führt ein Sinken des Preisniveaus zu steigenden Reallohnsätzen, einem Rückgang der Arbeitsnachfrage und damit der Beschäftigung. Dadurch sinkt auf dem Gütermarkt das gesamtwirtschaftliche Angebot, das ein Sinken des gesamtwirtschaftlichen Einkommens nach sich zieht und den negativen einfachen Gütermarktmultiplikator einleitet, der über einen sinkenden Konsum das Einkommen weiter vermindert.
5. Effekt: Arbeits- / Gütermarkt
Das sinkende Preisniveau – wie im vierten Effekt beschrieben – und damit die steigende reale Geldmenge sowie das sinkende Einkommen – wie im fünften Effekt beschrieben – und damit die zurückgehende Geldnachfrage zu Transaktionszwecken führen zu einem Angebotsüberschuss auf dem Geldmarkt, der gleichbedeutend mit einem Nachfrageüberschuss auf dem Wertpapiermarkt ist, so dass die Kurse für Wertpapiere steigen. Augrund des inversen Zusammenhangs zwischen Wertpapierkursen und Zinssätzen sinken die Zinssätze.
6. Effekt: Geldmarkt
In Kurzschreibweise lautet der fiskalpolitische Transmissionsmechanismus in der Neoklassischen Synthese: 1. Gütermarkt GYd P 2. Arbeits- / Gütermarkt
W Nd W N (N d ) YS (N) YC ( Y) …Y p (+) (+) () p ()
3. Geldmarkt
P
M P
NÜGEM AÜWPM K WP i
Y LT (Y) (+)
4. Gütermarkt iYdP
214
Neoklassische Synthese
5. Arbeits- / Gütermarkt
W Nd W N (N d ) YS (N) YC ( Y) …Y p (+) (+) () p ()
6. Geldmarkt
P
M P
AÜGEM NÜWPM K WP i
Y LT (Y) (+)
Fiskalpolitik ist grundsätzlich effektiv, im Bereich der Keynes’schen Rigiditäten ist sie besonders wirksam. Bei Vorliegen der Investitionsfalle entfallen die Bremseffekte, da die Investitionsnachfrage trotz steigender Zinssätze nicht sinkt. Im Bereich der Liquiditätsfalle entfallen die Bremseffekte, da die Zinssatzerhöhung ausbleibt. In den jeweils umgekehrten Fällen wirkt Fiskalpolitik nicht: Ist die Investitionsnachfrage vollkommen zinssatzelastisch, wird die Investitionsnachfrage bei einem minimalen Anstieg der Zinssätze unendlich stark zurückgehen. Ist die Geldnachfrage zinssatzunelastisch, steigen die Zinssätze ins Unermessliche, um die Geldnachfrage zu Spekulationszwecken zum Sinken zu bringen, was aber nicht gelingt, da diese im klassischen Bereich der LM-Kurve bereits null ist. Diese extreme Zinssatzerhöhung wirkt negativ auf die Investitionsnachfrage.
Neoklassische Synthese
215
5. Lohnpolitik Ein Eingreifen des Staates durch diskretionäre Lohnpolitik macht ebenfalls nur Sinn, wenn sich die Volkswirtschaft in der Ausgangssituation in einem Unterbeschäftigungsgleichgewicht befindet, da ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht bereits den optimalen Zustand beschreibt. Wir haben demzufolge wie in der geld- und fiskalpolitischen Analyse zwei Fälle zu unterscheiden: ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht im Normalfall sowie ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht bei Vorliegen Keynes’scher Rigiditäten.
5.1. Komparativ-statische Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve Lohnpolitik nimmt ihren Anfang auf dem Arbeitsmarkt, da der Nominallohnsatz geändert wird. Weil der Arbeitsmarkt neben dem Güterangebot in der gesamtwirtschaftlichen Angebotsfunktion enthalten ist, sind die komparativ-statischen Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve zu ermitteln, um die Richtung der durch Lohnpolitik verursachten Verschiebung der Kurve zu erfahren. Weil ein sinkender Nominallohnsatz bei gleich bleibendem Reallohnsatz zu einer Preisniveausenkung führt, verschiebt sich die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve in diesem Fall nach unten. Es handelt sich um eine prozentuale Senkung der Nominallohnsätze, so dass sich die Kurve nicht parallel nach unten verschiebt, sondern so, dass die relative Verschiebung immer gleich ist.
relative Verschiebung der Lohnsatzkurve nach unten
5.2. Graphische Analyse Da eine Lohnpolitik ihren Ausgang im Arbeitsmarkt nimmt, der graphisch durch die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve dargestellt wird, führt eine kontraktive Lohnpolitik zu einer Verschiebung der Angebotskurve. Wird der Nominallohnsatz gesenkt, verschiebt sich die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve nach unten. Für den Normalfall bedeutet dies, dass nicht nur ein niedrigeres Preisniveau, sondern auch eine höheres gesamtwirtschaftliches Angebot festzustellen ist. Aufgrund der Unterbeschäftigungssituation führt eine Senkung der Nominallohnsätze über eine höhere Beschäftigung auch zu einem höheren Sozialprodukt und Einkommen, so dass Lohnpolitik für diesen Fall effektiv ist.
Lohnpolitik im Normalfall effektiv
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Neoklassische Synthese
dY <0 dW Abbildung 7.18: Lohnpolitik im Normalfall
Am wirksamsten ist sie, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wie in Abbildung 7.19 vollkommen preiselastisch ist, das heißt, wenn der Fall des Say’schen Theorems vorliegt, nach dem sich jedes Angebot seine Nachfrage selbst schafft.
Neoklassische Synthese
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Abbildung 7.19: Lohnpolitik bei vollkommen preiselastischer gesamtwirtschaftlicher Nachfrage
Im Fall der Keynes’schen Rigiditäten, der in Abbildung 7.20 dargestellt wird, sind lohnpolitische Maßnahmen jedoch nicht wirksam, da das Preisniveau im selben Ausmaß sinkt wie der Nominallohnsatz, so dass der Reallohnsatz unverändert bleibt und Beschäftigungseffekte ausbleiben.
Lohnpolitik bei Investitions- und Liquiditätsfalle unwirksam
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Neoklassische Synthese
dY =0 dW Abbildung 7.20: Lohnpolitik bei Vorliegen Keynes’scher Rigiditäten
Eine (Nominal-)Lohnsatzpolitik ist grundsätzlich effektiv. Bei Vorliegen der Keynes’schen Rigiditäten wirkt sie nicht, im Fall vollkommen preiselastischer gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, die mit dem klassischen Say’schen Theorem in Einklang steht, ist sie am wirksamsten. Die Neoklassische Synthese zeigt mit den typisch keynesianischen Fällen von Investitions- und Liquiditätsfalle, dass Nominallohnsatzsenkungen keineswegs – wie von der Klassik-Neoklassik behauptet – positive Beschäftigungseffekte nach sich ziehen müssen.
Neoklassische Synthese
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5.3. Lohnpolitischer Transmissionsmechanismus Die Untersuchung über die komparativ-statischen Eigenschaften der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve hat gezeigt, dass sich bei Lohnpolitik im P-Y-Diagramm die Angebotskurve nach unten verschiebt. Dies führt zu einer Reduktion des Preisniveaus und damit zu geldpolitischen Reaktionen. Diese werden im IS-LM-Modell durch eine Verschiebung der LM-Kurve dargestellt. Somit sind insgesamt sechs Effekte erklärungsbedürftig: drei dominante, nämlich die Preisniveausenkung (1), die Zinssatzsenkung (2) und die Einkommenserhöhung (3) sowie drei Bremseffekte, nämlich die Preisniveauerhöhung (4), die Zinssatzerhöhung (5) und die Einkommenssenkung (6). Für die Zinssatzeffekte verweisen wir auf die Graphiken für Geldpolitik im IS-LMModell.
Abbildung 7.21: Lohnpolitische Effekte
Der lohnpolitische Transmissionsmechanismus kann folgendermaßen beschrieben werden: Auf dem Arbeitsmarkt führt ein Senken des Nominallohnsatzes ceteris paribus zu einem Sinken des Reallohnsatzes. Dadurch nimmt die Arbeitsnachfrage zu, die negativ vom Reallohnsatz abhängt. In einer Unterbeschäftigungssituation bedeutet dies, dass insgesamt die Beschäftigungsmenge zunimmt. Aufgrund der zunehmenden Beschäftigungsmenge steigt gemäß der Produktionsfunktion auf dem Güter-
1. Effekt: Arbeits- / Gütermarkt
220
Neoklassische Synthese
markt das gesamtwirtschaftliche Angebot. Dies führt unter normalen Umständen zu einer Preisniveausenkung. 2. Effekt: Geldmarkt
Diese Preisniveausenkung bewirkt ein Ansteigen des realen Geldangebots, so dass auf dem Geldmarkt ein Angebotsüberschuss vorliegt, der einem Nachfrageüberschuss auf dem Wertpapiermarkt entspricht. Deshalb steigen die Kurse für Wertpapiere, die Zinssätze sinken.
3. Effekt: Gütermarkt
Auf dem Gütermarkt schlagen sich sinkende Zinssätze in einer steigenden Investitionsnachfrage nieder. Die Güternachfrage nimmt zu, das Güterangebot folgt, und über den steigenden Konsum wirkt der Multiplikator, so dass das Einkommen steigt.
Bremseffekte
Die Preisniveauerhöhung des ersten Effekts löst allerdings auch Bremseffekte aus:
4. Effekt: Arbeits- / Gütermarkt
Auf dem Arbeitsmarkt bedeutet ein sinkendes Preisniveau steigende Reallohnsätze. Dadurch nimmt die Arbeitsnachfrage der Unternehmer ab und somit sinkt auch die Beschäftigung. Auf dem Gütermarkt sinkt das Angebot und löst eine Preisniveauerhöhung aus.
5. Effekt: Geldmarkt
Diese lässt die Realkasse sinken, so dass es zu einem Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt und einem Angebotsüberschuss auf dem Wertpapiermarkt kommt. Die Wertpapierkurse sinken, die Zinssätze steigen.
6. Effekt: Gütermarkt
Auf dem Gütermarkt sinkt die Investitionsnachfrage und damit reduziert sich auch die Güternachfrage. Das Angebot passt sich an, der negative Multiplikator wird über den sinkenden Konsum in Gang gesetzt. Es kommt zu einer Einkommenssenkung. In Kurzschreibweise lautet der lohnpolitische Transmissionsmechanismus in der Neoklassischen Synthese: 1. Arbeits- / Gütermarkt W
W dW N N (N d ) ySP P P (+) ( )
2. Geldmarkt
M AÜGEMNÜWPMKWPi P 3. Gütermarkt I (i) YdY C ( Y) … Y ( )
(+)
Die Preisniveausenkung am Ende des ersten Effekts löst folgende Wirkungen aus:
Neoklassische Synthese
4. Arbeits- / Gütermarkt
W Nd W N (N d ) ySP P P (+) ( )
5. Geldmarkt
M NÜGEMAÜWPMKWPi P 6. Gütermarkt I (i) YdY C ( Y) … Y ( )
(+)
Lohnpolitik ist effektiv. Die ersten drei Effekte sind die dominanten: Eine Nominallohnsatzsenkung resultiert im Normalfall in einem sinkenden Preisniveau, in sinkenden Zinssätzen und in einem steigenden Einkommen. Bremseffekte kompensieren diese Wirkungen allerdings teilweise.
221
222
Neoklassische Synthese
6. Multiplikatoranalyse Zunächst leiten wir die Koeffizientendeterminante her, die für alle Politikformen gilt, danach den Geldmengen-, Staatsausgaben- und Lohnmultiplikator.
6.1. Koeffizientendeterminante Gleichgewichtsbedingungen
Die Gleichgewichtsbedingung für den Gütermarkt lautet: (7.3)
Y = C (Y)+ I (i )+ G (+)
(-)
Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt entstammt ebenfalls der keynesianischen Theorie: (7.4)
M = L (Y, i ) (+) () P
Die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve ist klassisch-neoklassischer Art: (7.12)
W Y = Y N
P ( )
Endogene Variable sind Y, i, P. Im Folgenden werden obige Gleichungen total differenziert. Für die Gütermarktgleichung (7.3) erhalten wir: (7.20)
(l – Cy) dY – Ii di = dG
Für den Geldmarkt lauten die Ableitungen: (7.21)
dM P - M dP = L Y dY + L i di P2
Setzen wir P zur Vereinfachung gleich Eins, erhalten wir: (7.42)
dM – M dP = Ly dY + Li di
Sortiert nach dY, di und dP ergibt sich: (7.43)
Ly dY + Li di + M dP = dM
Die Ableitung des gesamtwirtschaftlichen Angebots in (7.12) ergibt: (7.44)
dY = YN NW dw
Die Ableitung der Definitionsgleichung für den Reallohnsatz lautet: (7.45)
W dW P W dP dw = d = P P2
W, P = 1
Neoklassische Synthese
Indem wir die beiden Preise W und P auf Eins normieren, vereinfachen wir zu: (7.46)
dw = dW - dP
(7.46) eingesetzt in (7.44) resultiert in: (7.47)
dY = YNNW (dW – dP)
Nach Sortieren erhalten wir (7.48)
l dY + dP = dW YN N W
Gleichungen (7.20), (7.43) und (7.48) in Matrix-Schreibweise lauten: (7.49)
l C Y LY l YN N W
0 M l
Ii Li 0
di = dP
dY
dM dW dG
Die Lösungen erfolgen gemäß der Cramer’schen Regel. Wir bestimmen die Koeffizientendeterminante D:
(7.50)
(7.51)
l CY D = LY l YN N W
Ii Li 0
D = (l C Y ) L i I i M
0 M l
l + Ii L Y < 0 YN N W
6.2. Geldmengenmultiplikator Im Fall einer expansiven Geldpolitik gilt: dM > 0, dG, dW = 0. Die Effektivität der Geldpolitik (dM) zeigt sich in dem Ausmaß, in dem das Einkommen verändert wird (dY). Wir bilden folglich die Unterdeterminante D 21 für die zweite Zeile (dM) sowie die erste Spalte (dY) und wenden die Cramer’sche Regel an. Die zum Element aij gehörende Unterdeterminante Dij erhalten wir, indem wir die i-te Zeile und die j-te Spalte streichen: (7.52)
D 21 =
Ii 0
0 = I i 1
223
224
Neoklassische Synthese
(7.53)
dY A 21 D 21 = = = dM D D
Ii
(l - C Y ) L i I i
M
l + Ii L y YN N W
Somit lautet der Geldmengenmultiplikator in der Neoklassischen Synthese: (7.54)
Geldpolitik ist im Normalfall effektiv, aber weniger wirksam als im ISLM-Modell. Sie ist insbesondere umso effektiver, je •
höher die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage,
•
geringer die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage ist.
Bei zinssatzunelastischer Investitionsnachfrage und vollkommen zinssatzelastischer Geldnachfrage (Keynes’sche Rigiditäten) ist eine exogene Erhöhung der Geldmenge unwirksam. Die Zinssatzeffekte der Geldpolitik bestimmen wir, indem wir die Unterdeterminante D22 für die zweite Zeile (dM) sowie die zweite Spalte (di) bilden und die Cramer’sche Regel anwenden. Im Normalfall sind Zinssatzsenkungen zu erwarten:
l CY l = YN N W
0
(7.55)
D 22
(7.56)
l Cy A D di = 22 = 22 = <0 dM D D D
1
= 1 CY
Die Preisniveaueffekte der Geldpolitik bestimmen wir, indem wir die Unterdeterminante D23 für die zweite Zeile (dM) sowie die dritte Spalte (dP) bilden und die Cramer’sche Regel anwenden. Im Normalfall sind Preisniveauerhöhungen zu erwarten: (7.57)
(7.58)
D 23 =
l CY l YN N W
dP A 23 D 23 = = dM D D
Ii 0
l = I i Y N NW
l Ii YN N W = D
0
Neoklassische Synthese
6.3. Staatsausgabenmultiplikator Im Fall einer expansiven Fiskalpolitik gilt: dG > 0, dM, dW = 0. Die Effektivität der Fiskalpolitik (dG) zeigt sich in dem Ausmaß, in dem das Einkommen verändert wird (dY). Wir bilden folglich die Unterdeterminante D11 für die erste Zeile (dG) sowie die erste Spalte (dY) und wenden die Cramer’sche Regel an: ( 7.59)
Dl l =
Li 0
M = Li l
(7.60)
dY A l l D l l L i = = = >0 dG D D D
(7.61)
dY = dG
Li
(l C Y ) L i I i
M
L + Ii L y YN N W
Somit lautet der Staatsausgabenmultiplikator in der Neoklassischen Synthese: (7.62)
Fiskalpolitik ist im Normalfall effektiv, aber weniger wirksam als im IS-LM-Modell. Sie ist insbesondere umso effektiver, je •
höher die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage,
•
geringer die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage ist.
Bei zinssatzunelastischer Geldnachfrage und vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage ist eine Erhöhung der Staatsausgaben unwirksam. Die Zinssatzeffekte der Fiskalpolitik bestimmen wir, indem wir die Unterdeterminante D12 für die erste Zeile (dG) sowie die zweite Spalte (di) bilden und die Cramer’sche Regel anwenden. Im Normalfall sind Zinssatzerhöhungen zu erwarten: (7.63)
(7.64)
D12 =
LY l YN N W
M l
di A 12 D12 = = dG D D
= LY M
l YN N W
l L Y M YN N W = D
0
225
226
Neoklassische Synthese
Die Preisniveaueffekte der Fiskalpolitik bestimmen wir, indem wir die Unterdeterminante D13 für die erste Zeile (dG) sowie die dritte Spalte (dP) bilden und die Cramer’sche Regel anwenden. Im Normalfall sind Preisniveauerhöhungen zu erwarten:
Ly l YN N W
Li
(7.65)
D13 =
(7.66)
dP A 13 D13 = = = dG D D
0
= L i
Li
l YN N W
l YN N W 0 D
6.4. Lohnmultiplikator Im Fall einer Lohnssatzsenkung gilt: dW > 0, dM, dG = 0. Die Effektivität der Lohnpolitik (dW) zeigt sich in dem Ausmaß, in dem das Einkommen verändert wird (dY). Wir bilden folglich die Unterdeterminante D31 für die dritte Zeile (dW) sowie die erste Spalte (dY) und wenden die Cramer’sche Regel an:
Ii Li
0 = I i M M
(7.67)
D 31 =
(7.68)
dY A 31 D 31 I i M = = = 0 dW D D D
Somit lautet der Lohnmultiplikator in der Neoklassischen Synthese: (7.69)
Lohnpolitik ist im Normalfall effektiv. Das negative Vorzeichen des Multiplikators erklärt sich dadurch, dass eine Lohnssatzsenkung eine Einkommenserhöhung nach sich zieht. Lohnpolitik ist insbesondere umso effektiver, je •
höher die Zinssatzelastizität der Investitionsnachfrage,
•
geringer die Zinssatzelastizität der Geldnachfrage.
Bei zinssatzunelastischer Investitionsnachfrage und vollkommen zinssatzelastischer Geldnachfrage (Keynes’sche Rigiditäten) ist eine exogene Senkung der Nominallohnsätze unwirksam. Die Zinssatzeffekte der Lohnpolitik bestimmen wir, indem wir die Unterdeterminante D32 für die dritte Zeile (dW) sowie die zweite Spalte
Neoklassische Synthese
(di) bilden und die Cramer’sche Regel anwenden. Im Normalfall sind Zinssatzerhöhungen zu erwarten:
l CY LY
0 = (l C Y ) M M
(7.70)
D 32 =
(7.71)
D 32 (l C Y ) M A di = 32 = = 0 dW D D D
Die Preisniveaueffekte der Lohnpolitik bestimmen wir, indem wir die Unterdeterminante D33 für die dritte Zeile (dW) sowie die dritte Spalte (dP) bilden und die Cramer’sche Regel anwenden. Im Normalfall sind Preisniveauerhöhungen zu erwarten: (7.72) D = 33 (7.73)
l CY Ly
Ii = (1 C Y ) L i + I i L y Li
dP A 33 D 33 (l C Y ) L i + I i L Y = = = 0 dW D D D
227
228
Neoklassische Synthese
7. Zusammenfassung 1. Die Neoklassische Synthese vereint nachfrageorientierte Positionen der keynesianischen mit angebotsorientierten Positionen der klassisch-neoklassischen Theorie. Der Arbeitsmarkt, die Produktionsfunktion, die Flexibilität des Preisniveaus, die Möglichkeit eines Vollbeschäftigungsgleichgewichts und das gesamtwirtschaftliche Angebot sind klassisch-neoklassischer Herkunft. Die Einkommensabhängigkeit des Konsums, die Annahme nach unten starrer Lohnsätze, die Möglichkeit von Unterbeschäftigungsgleichgewichten und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sind keynesianischer Provenienz. 2. Die negative Abhängigkeit der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve vom Preisniveau wird über den Keynes-Effekt hergeleitet: Ein sinkendes Preisniveau erhöht die Realkasse, so dass auf dem Geldmarkt ein Angebotsüberschuss, auf dem Wertpapiermarkt ein Nachfrageüberschuss vorliegt, der über steigende Kurse und sinkende Zinssätze die Investitionsnachfrage und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anregt. Graphisch entspricht jedem ISLM-Gleichgewichtspunkt ein Punkt auf der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve, die im Preis-Mengen-Diagramm im Normalfall fallend, im Bereich der Keynes’schen Rigiditäten (Investitionsoder Liquiditätsfalle) senkrecht verläuft. 3. Die positive Abhängigkeit des gesamtwirtschaftlichen Angebots vom Preisniveau wird über den Arbeitsmarkt hergeleitet: Ein steigendes Preisniveau senkt den Reallohnsatz, so dass über eine steigende Arbeitsnachfrage, die bei Unterbeschäftigung auf ein entsprechendes Arbeitsangebot trifft, Beschäftigung und Produktion zunehmen. Graphisch repräsentiert der im Preis-Mengen-Diagramm positiv verlaufende Ast der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve eine Unterbeschäftigungs-, der senkrecht verlaufende Ast eine Vollbeschäftigungssituation. 4. Drei Typen von Gleichgewichten sind möglich: Ein »normales« Unterbeschäftigungsgleichgewicht im Schnittpunkt der fallenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrage- und der steigenden Angebotskurve; ein Unterbeschäftigungsgleichgewicht bei Vorliegen Keynes’scher Rigiditäten im Schnittpunkt der vertikalen Nachfrageund der steigenden Angebotskurve; ein Vollbeschäftigungsgleichgewicht im Schnittpunkt der fallenden Nachfrage- und der vertikalen Angebotskurve. 5. Im Fall einer expansiven Geldpolitik verschiebt sich die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve nach oben, im Fall einer expansiven Fiskalpolitik nach rechts. Im Fall einer kontraktiven Lohnpoli-
Neoklassische Synthese
tik verschiebt sich die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve prozentual nach unten. 6. Geldpolitik ist grundsätzlich effektiv. Im Bereich der Keynes’schen Rigiditäten ist sie unwirksam, bei vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage und/oder zinssatzunelastischer Geldnachfrage ist sie am wirksamsten. 7. Fiskalpolitik ist grundsätzlich effektiv. Im Bereich der Keynes’schen Rigiditäten ist sie am wirksamsten, bei vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage und/oder zinssatzunelastischer Geldnachfrage ist sie unwirksam. 8. Lohnpolitik ist grundsätzlich effektiv. Im Bereich der Keynes’schen Rigiditäten ist sie unwirksam, bei vollkommen zinssatzelastischer Investitionsnachfrage und/oder zinssatzunelastischer Geldnachfrage ist sie am wirksamsten.
229
230
Neoklassische Synthese
8. Wiederholungsfragen
1.
Erläutern Sie die Herleitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve. Lösung S. 181 ff.
2.
Erläutern Sie die Herleitung der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve. Lösung S. 185 ff.
3.
Charakterisieren Sie die beiden Typen von Unterbeschäftigungsgleichgewichten. Lösung S. 193 f.
4.
Erläutern Sie den geldpolitischen Transmissionsmechanismus. Lösung S. 203 f.
5.
Erläutern Sie den fiskalpolitischen Transmissionsmechanismus. Lösung S. 213 f.
Neoklassische Synthese
9. Übungsaufgaben 1. Erläutern Sie, warum die geldmarktbedingten Bremseffekte einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik in der Neoklassischen Synthese stärker wirken als im IS-LM-Modell. Lösungsvorschlag: Die geldmarktbedingten Bremseffekte werden durch einen Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt hervorgerufen, der zu steigenden Zinssätzen, sinkenden Investitionen und sinkenden Einkommen führt. In beiden Modellen resultiert eine primäre Einkommenserhöhung in einem Anstieg der einkommensabhängigen Transaktionskasse, welche die Geldnachfrage erhöht. Während im ISLM-Modell von einem fixen Preisniveau ausgegangen wird, nehmen wir in der Neoklassischen Synthese ein flexibles Preisniveau an. Deshalb sinkt mit zunehmendem Preisniveau auch das reale Geldangebot, das in der Neoklassischen Synthese den Nachfrageüberschuss auf dem Geldmarkt und damit die Bremseffekte verstärkt. 2. Erläutern Sie, warum in der Neoklassischen Synthese bei Arbeitslosigkeit Nominallohnsatzsenkungen nicht unbedingt zu positiven Beschäftigungswirkungen führen, wie sie von klassisch-neoklassischer Seite in Aussicht gestellt werden. Lösungsvorschlag: Liegen die Keynes’schen Rigiditäten vor, bleiben entweder die konjunkturstimulierenden Zinssatzsenkungen aus (Liquiditätsfalle), oder die Investitionsnachfrage reagiert nicht auf Zinssatzsenkungen (Investitionsfalle). Dadurch unterbleiben die expansiven Wirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, so dass sich ein steigendes gesamtwirtschaftliches Angebot allein in einem sinkenden Preisniveau, nicht aber in positiven Beschäftigungs- oder Einkommenseffekten niederschlägt.
231
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven 1.
Einleitung
234
2.
Originäre Phillips-Kurve (Phillips-Lipsey)
236
3.
Keynesianische Phillips-Kurve (Samuelson-Solow)
242
4.
Monetaristische Phillips-Kurve (Friedman-Phelps)
245
5.
Neuklassische Phillips-Kurve (Lucas-Sargent)
250
6.
Empirische Phillips-Kurven
253
7.
Zusammenfassung
254
8.
Wiederholungsfragen
256
9.
Übungsaufgaben
257
234
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein, • • • • •
die originäre Phillips-Kurve zu erläutern, die wirtschaftspolitischen Implikationen der keynesianischen Phillips-Kurve abzuleiten, die wirtschaftspolitischen Implikationen der monetaristischen Phillips-Kurve abzuleiten, die wirtschaftspolitischen Implikationen der neuklassischen Phillips-Kurve abzuleiten, die Schwierigkeiten der Messung einer empirischen PhillipsKurve zu erkennen.
Das Verhältnis von Geldpolitik und Beschäftigungspolitik ist eines der zentralen Themen der Makroökonomik. Inwieweit eine expansive Geldpolitik über daraus folgende niedrige Zinssätze und steigende Investitionen das Wirtschaftswachstum und damit die Beschäftigung zu erhöhen vermag, wird im Rahmen der so genannten Phillips-KurvenDiskussion untersucht. An dieser Diskussion sind mit Samuelson (1970), Friedman (1976), Solow (1987), Lucas (1995) und Phelps (2006) immerhin fünf Nobelpreisträger beteiligt. Arbeitslosigkeit friktionell
konjunkturell
strukturell
Ziel der Beschäftigungspolitik ist das Erreichen von Vollbeschäftigung, was nicht gleichbedeutend mit einer Arbeitslosenrate von null Prozent ist. Sucharbeitslosigkeit, auch friktionelle Arbeitslosigkeit genannt, ist nicht zu vermeiden: Wird einem Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis beispielsweise zum 30. Juni gekündigt und hat dieser einen Vertrag für ein neues Arbeitsverhältnis, beginnend mit dem 1. September, bereits abgeschlossen, ist seine zweimonatige Arbeitslosigkeit im Juli und August nicht zu vermeiden, stellt aber auch kein Problem dar. Konjunkturelle Arbeitslosigkeit hat seine Ursache in einer wirtschaftlichen Schwächephase, die im Zuge einer Erholung der Konjunktur wieder bereinigt ist. Das Baugewerbe zum Beispiel ist in besonderer Weise vom Konjunkturzyklus abhängig. In Rezessions- oder Depressionsphasen verzichten viele Menschen auf kostspielige Bauvorhaben. Die in Deutschland vorherrschende Form der Arbeitslosigkeit ist die strukturelle, die unabhängig von konjunkturellen Dämpfern auftritt und ihre Ursache in strukturellen Problemen hat, die längerfristiger Natur sind. Ein für Arbeitgeber zu restriktiver Kündigungsschutz führt beispielsweise dazu, dass auch in Phasen wirtschaftlicher Erholung keine weiteren Arbeitskräfte nachgefragt werden, obwohl sie
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
benötigt werden, da für den Unternehmer nicht abzusehen ist, ob die wirtschaftliche Prosperität anhält, und er sich nicht längerfristig an weitere Mitarbeiter binden möchte. So kann es zum Phänomen der Hysterese kommen, einer steigenden Sockelarbeitslosigkeit: Trotz zunehmenden Wirtschaftswachstums wird der Berg der zur Wirtschaftsflaute entstandenen zusätzlichen Arbeitslosigkeit nur unterproportional stark abgebaut, so dass die Arbeitslosenrate in der neuen Hochkonjunktur höher liegt als in der alten Boomphase des vorhergehenden Konjunkturzyklus.
KONJUNKTURELLE ARBEITSLOSIGKEIT
235
236
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
2. Originäre Phillips-Kurve (Phillips-Lipsey) Der seinerzeit an der London School of Economics lehrende Alban William Phillips (1914-1975) führte im Jahre 1958 im Vereinigten Königreich eine Studie durch, für die er weltberühmt werden sollte. Sein Ergebnis war die nach ihm benannte Phillips-Kurve: originäre Phillips-Kurve: empirischer Zusammenhang zwischen Nominallohnsatzänderungsrate und Arbeitslosenrate
Die originäre Phillips-Kurve stellt einen stabilen, negativen, nichtlinearen empirischen Zusammenhang zwischen der Nominallohnˆ und der Arbeitslosenrate u im Vereinigten satzänderungsrate W Königreich in der Zeit von 1861 bis 1957 dar.
Abbildung 8.1: Originäre Phillips-Kurve von Phillips wechselnde Macht der Gewerkschaften
Als möglichen Grund für diesen Kurvenverlauf nennt Phillips die wechselnde Verhandlungsmacht der Gewerkschaften: In Zeiten steigender Arbeitslosigkeit sinkt die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, so dass sie nicht imstande sind, hohe Nominallohnsatzerhöhungen durchzusetzen. In Zeiten sinkender Arbeitslosigkeit steigt die
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
237
Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, so dass höhere Nominallohnsatzerhöhungen möglich sind. Die theoretische Fundierung der originären Phillips-Kurve nimmt Lipsey vor: Der Grund für den konvexen Verlauf der Phillips-Kurve liegt in der Annahme einer asymmetrischen Lohndynamik: Auf einem spezifischen Arbeitsmarkt führt ein Angebotsüberschuss zu einem Sinken und ein Nachfrageüberschuss zu einem Steigen des Nominallohnsatzes W i . Damit ist jedoch noch keine Aussage über die jeweilige Anpassungsgeschwindigkeit getroffen. Lipsey unterstellt nun, dass Gewerkschaften sich beispielsweise aufgrund tariflicher Untergrenzen eher gegen Lohnsatzsenkungen zur Wehr setzen könnten, als Unternehmerverbände Lohnsatzerhöhungen zu verhindern wüssten, da es keine bindenden tariflichen Obergrenzen gebe und die Unternehmer aufgrund des Lohndrucks zu übertariflichen Zahlungen gezwungen würden. Zunächst erfolgt die Analyse eines spezifischen Arbeitsmarktes für ein Wirtschaftssubjekt i:
Abbildung 8.2: Spezifischer Arbeitsmarkt
Liegt auf dem Arbeitsmarkt ein Angebotsüberschuss vor, sinkt die Nominallohnsatzänderungsrate; liegt auf dem Arbeitsmarkt ein Nachfrageüberschuss vor, steigt die Nominallohnsatzänderungsrate.
asymmetrische Lohndynamik
238
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
Die Anpassungsgeschwindigkeit ist systematisch mit dem Vorzeichen und der Höhe des Angebotsüberschusses verbunden. Die Nominallohnsatzänderungsrate entspricht dem Produkt aus dem relativen Angebotsüberschuss auf dem Arbeitsmarkt und einem Gewichtungsfaktor g i , der mit der Höhe des Angebotsüberschusses variiert: (8.1)
dWi Ns Nd Wi = dt = g i i s i Wi Ni
,
Die Nominallohnsatzänderungsrate ist eine Funktion des relativen Arbeitsangebotsüberschusses. Befindet sich der Arbeitsmarkt im Gleichgewicht, ändert sich die Nominallohnsatzänderungsrate nicht. Deshalb verläuft die Kurve – zunächst einmal – durch den Ursprung: (8.2)
N si N id = 0 Wi = 0 s Ni
Liegt auf dem Arbeitsmarkt ein Angebotsüberschuss vor, sinkt die Nominallohnsatzänderungsrate, im Falle eines Nachfrageüberschusses steigt sie. Deshalb nimmt die Kurve einen negativen Verlauf an:
(8.3)
d Wi Ns Nd d i s i Ni
< 0
Lipseys Asymmetrieannahme besteht darin, dass die Nominallohnsatzänderungsrate mit zunehmendem Nachfrageüberschuss überproportional stark steigt:
(8.4)
d2 Wi Ns Nd d i s i Ni
2
> 0
Deshalb verläuft die Kurve in Abbildung 8.3 konvex zum Ursprung:
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
Abbildung 8.3: Konvexität der originären Phillips-Kurve
Für den aggregierten Arbeitsmarkt ergeben sich folgende Überlegungen: Ein Gleichgewicht auf dem aggregierten Arbeitsmarkt ist in der Regel mit Ungleichgewichten auf den spezifischen Arbeitsmärkten verbunden. Gleichgewicht auf dem aggregierten Arbeitsmarkt bedeutet, dass die Zahl der Arbeitsuchenden der Zahl der offenen Stellen entspricht: (8.5)
n
n
i =1
i =1
N si = N id
Gemäß der Asymmetrieannahme steigen auf den spezifischen Arbeitsmärkten mit Nachfrageüberschüssen die Nominallohnsatzänderungsraten schneller als sie auf den spezifischen Arbeitsmärkten mit Angebotsüberschüssen sinken. Deshalb ist ein Gleichgewicht auf dem aggregierten Arbeitsmarkt nicht mit einer unveränderten Nominallohnsatzänderungsrate vereinbar, sondern mit einer positiven. Daher verschiebt sich die – bisherige – Phillips-Kurve nach oben, wo sie die Ordinate im positiven Bereich der Nominallohnsatzänderungsrate und die Abszisse im positiven Bereich der Arbeitslosenrate schneidet:
239
240
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
Abbildung 8.4: Asymmetrieannahme für die originäre Phillips-Kurve
Die Arbeitslosenrate kann nicht negativ werden. Deshalb verstärkt sich die Nicht-Linearität der Phillips-Kurve, die sich asymptotisch der Ordinate annähert:
Abbildung 8.5: Nicht-Negativität der Arbeitslosenrate
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
241
Berücksichtigt man zusätzlich zur strukturellen Arbeitslosenrate, die beispielsweise auf Fehlallokationen in der Ausbildung basieren kann, die friktionelle Arbeitslosenrate, die eine freiwillige Sucharbeitslosigkeit zwischen zwei Arbeitsverhältnissen darstellt, ändert sich die Phillips-Kurve: Friktionelle Arbeitslosigkeit steht in einem inversen Verhältnis zur Nominallohnsatzänderungsrate, da mit zunehmenden Einkommenserwartungen die Opportunitätskosten des Suchens steigen und die Arbeitsanbieter daher schneller in Lohn und Brot zu stehen wünschen. Die Phillips-Kurve verschiebt sich nach rechts, so dass die Nicht-Linearität der Kurve geschmälert wird und wir die originäre Phillips-Kurve erhalten, die wir in Abbildung 8.1 bereit kennen gelernt haben:
Abbildung 8.6: Originäre Phillips-Kurve von Phillips
Die Phillips-Kurve zeigt empirisch einen stabilen, negativen, nichtlinearen Zusammenhang zwischen der Nominallohnsatzänderungsrate und der Arbeitslosenrate. Ändern sich die Nominallohnsätze nicht, liegt natürliche Arbeitslosigkeit vor, die sich aus struktureller und friktioneller Arbeitslosigkeit zusammensetzt.
natürliche Arbeitslosigkeit = strukturelle plus friktionelle Arbeitslosigkeit
242
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
3. Keynesianische Phillips-Kurve (Samuelson-Solow) keynesianische Phillips-Kurve: Zusammenhang von Inflationsrate und Arbeitslosenrate
»mark-up pricing«
Die keynesianische Phillips-Kurve von Samuelson-Solow modifiziert die originäre Phillips-Kurve insofern, als sie die Nominallohnsatzänderungsrate durch die Preisniveauänderungsrate ersetzt. Ist von »der« Phillips-Kurve die Rede, so ist die keynesianische Phillips-Kurve gemeint. Die Umwandlung der originären Phillips-Kurve erfolgt aufgrund einer »keynesianischen« Hypothese: Die Preisbildung findet nicht auf anonymen Wettbewerbsmärkten statt, sondern erfolgt durch eine einfache Lohnzuschlagskalkulation, ein so genanntes »mark-up pricing«. Der Preis setzt sich zusammen aus den Lohnstückkosten sowie einem proportionalen Aufschlag: Preis = Lohnstückkosten + proportionaler Aufschlag Die Lohnstückkosten errechnen sich als Quotient aus dem Lohn, der dem Nominallohnsatz W multipliziert mit der Beschäftigungsmenge N entspricht, sowie dem output Y: (8.6)
Lohnstückkosten
=
WN Y
Der proportionale Aufschlag wird durch ein kleines griechisches µ symbolisiert. Somit ergibt sich für den Preis P folgende Gleichung: (8.7)
P = (1 + µ )
WN Y
Nach entsprechender Umformung erhalten wir folgende Gleichung, in der die durchschnittliche Arbeitsproduktivität Y/N enthalten ist: durchschnittliche 1 P = (1 + µ ) W (8.8) ArbeitsY produktivität N Ein erhöhter Preis geht mit einem erhöhten Nominallohnsatz und/oder einer gesunkenen durchschnittlichen Arbeitsproduktivität einher: P W oder
Y N
Die Inflationsrate ist somit gegeben als Differenz zwischen der Nominallohnsatzänderungsrate und der Änderungsrate der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität:
(8.9)
Y P = W N
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
243
Deshalb verschiebt sich die originäre Phillips-Kurve um die Änderungsrate der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität nach unten und ergibt die modifizierte keynesianische Phillips-Kurve:
Abbildung 8.7: Keynesianische Phillips-Kurve von Samuelson-Solow
Die wirtschaftspolitischen Implikationen, die sich aus der keynesianischen Phillips-Kurve ableiten lassen, sind von herausragender Bedeutung und noch heute unter Wirtschaftspolitikern populär: Gemäß der keynesianischen Phillips-Kurve von Samuelson-Solow besteht ein trade off zwischen der Wahl einer niedrigen Inflationsrate und der Wahl einer niedrigen Arbeitslosenrate. Diese Zielkonkurrenz führt dazu, dass sich der Wirtschaftspolitiker in einer »Menüwahl« entscheiden muss, welches Ziel er vorrangig zu verfolgen gedenkt, weil er nicht gleichzeitig eine niedrige Inflationsrate und eine niedrige Arbeitslosenrate erreichen kann. Kritisch zu betrachten ist die Annahme des mark-up pricing, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht zu überzeugen vermag, da sie zum Beispiel die Unterschiedlichkeit von Preiselastizitäten und damit der Überwälzbarkeit von Kosten auf Konsumenten gänzlich vernachlässigt.
»trade off« zwischen niedriger Inflation und Arbeitslosigkeit
244
stationäre Erwartungen
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
Der keynesianischen Phillips-Kurve liegt die Annahme einer stationären Erwartungsbildungshypothese zugrunde, die davon ausgeht, dass die Wirtschaftssubjekte ihre Erwartungen nicht ändern, selbst wenn sie immer wieder feststellen, dass sie einem Irrtum erlegen gewesen sind. Lernfortschritte werden daher nicht berücksichtigt.
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4. Monetaristische Phillips-Kurve (Friedman-Phelps) Der Monetarismus ist eine der Neoklassik verwandte Schule, die – wie ihr Name bereits nahe legt – ihr Augenmerk auf die Geldpolitik legt. Ihre wichtigsten Vertreter lehr(t)en an der University of Chicago, weshalb Monetaristen, deren Hauptschriften aus den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts stammen, auch »Chicago Boys« genannt werden.
Monetarismus
Monetaristen gehen von einer inhärenten Stabilität des privaten Sektors und einer Instabilität des öffentlichen Sektors aus. Sie machen staatliche Interventionen für das Auftreten wirtschaftlicher Krisen verantwortlich. Bei Geltung der permanenten Einkommenshypothese, nach der Wirtschaftssubjekte ihren Konsum an der Summe ihrer diskontierten erwarteten Einkommen ausrichten, haben die keynesianischen Multiplikatoren nur eingeschränkte Geltungskraft. Genauso wie Monetaristen eine diskretionäre Fiskalpolitik aufgrund zu erwartender Verdrängungseffekte ablehnen, sperren sie sich gegen eine permissive Geldpolitik. Als Anhänger der Neoquantitätstheorie, die ähnlich wie die Quantitätstheorie die Dichotomie des monetären und des realwirtschaftlichen Sektors postuliert, verfechten Monetaristen eine passive Geldmengenregel: Die Zentralbank soll die avisierte Änderung der Geldmenge als Datum dem Publikum bekannt geben. Geldpolitik dürfe nicht für eine Konjunktur- und Beschäftigungspolitik instrumentalisiert werden. Eine Zentralbank müsse unabhängig sein und ihre Politik in erster Linie an der Steuerung der Geldmenge ausrichten, um so ihr wichtigstes Ziel, Preisniveaustabilität, zu erreichen. Die monetaristische Position hat sich weitgehend im Statut und in der Politik der Europäischen Zentralbank niedergeschlagen.
Stabilität des privaten Sektors
permanente Einkommenshypothese
Monetaristen leugnen die langfristige Gültigkeit der keynesianischen Phillips-Kurve. Ihre Kritik an der Phillips-Kurve von Samuelson-Solow entzündet sich insbesondere an folgendem: Es mache keinen Sinn anzunehmen, dass homines oeconomici aus ihren Erwartungsfehlern nicht lernten. Deshalb sei die Annahme stationärer Erwartungen zu verwerfen und durch die Annahme adaptiver Erwartungen zu ersetzen. Diese berücksichtigten, dass Wirtschaftssubjekte aus Fehlern lernten und ihre Erwartungen dementsprechend anpassten. Rational handelnde Wirtschaftssubjekte orientieren sich nach monetaristischer Auffassung nicht, wie von Keynesianern angenommen, an der Entwicklung der Nominallohnsätze, sondern an der erwarteten Entwicklung der Reallohnsätze. Deshalb ist die Annahme von Geldil-
adaptive Erwartungen
keine Geldillusion
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lusion – der Nicht-Wahrnehmung oder zumindest Unterschätzung von Inflation – langfristig nicht überzeugend.
Stagflation
kurzfristige PhillipsKurven
Auch die Empirie verwirft die Gültigkeit der keynesianischen PhillipsKurve: Insbesondere in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre sowie in den siebziger Jahren war das gleichzeitige Auftreten hoher Inflation und niedrigen Wirtschaftswachstums – und damit verbunden hoher Arbeitslosigkeit – zu beobachten. Diese Kombination aus wirtschaftlicher Stagnation und Inflation wird auch »Stagflation« genannt. Sie widerspricht der keynesianischen Auffassung, dass Wirtschaftspolitiker zwischen einer niedrigen Inflationsrate und einer niedrigen Arbeitslosenrate wählen könnten. Zunächst wird die kurzfristige Phillips-Kurve aus monetaristischer Sicht beleuchtet: Um eine Zunahme der Beschäftigung über das natürliche Beschäftigungsniveau hinaus zu erreichen, müssen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage simultan erhöht werden. Dies sei nur möglich unter der Annahme asymmetrischer Geldillusion: Wenn der Nominallohnsatz steigt, unterschätzen Arbeitsanbieter die Inflationsrate, so dass sie an eine Erhöhung der Reallohnsätze glauben und somit ihr Arbeitsangebot ausweiten. Arbeitsnachfrager hingegen, die als Preissetzer über die Entwicklung der Inflationsrate besser informiert sind, erhöhen ihre Arbeitsnachfrage, wenn die Inflationsrate stärker steigt als die Nominallohnsatzänderungsraten, da in diesem Fall die Reallohnsätze zurückgehen. Somit nimmt die Beschäftigung zu.
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Abbildung 8.8: Monetaristische Phillips-Kurve von Friedman-Phelps
Um in Abbildung 8.8 die Arbeitslosenrate u* zu erreichen, ist bei einer erwarteten Inflationsrate von
P1e = 0
eine Inflationsrate von P1 notwendig. Die Bewegung von Punkt A zu Punkt B zeigt die Existenz einer kurzfristigen Phillips-Kurve keynesianischen Typs: Der Staat betreibt eine expansive Geldpolitik, welche über gesunkene Zinssätze und eine gestiegene gesamtwirtschaftliche Nachfrage Inflation hervorruft. Unternehmer antizipieren die Inflationsrate korrekt, da sie Preissetzer sind und die Preise kennen. Das steigende Preisniveau, das aus der expansiven Geldpolitik resultiert, führt zu sinkenden Reallohnsätzen. Deshalb steigt die Arbeitsnachfrage der Unternehmer solange, wie die Nominallohnsatzerhöhungen geringer ausfallen als die Preisniveauänderungsrate: P
W W N d W( W< P ) P p ()
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Private Haushalte unterliegen – kurzfristig – einer asymmetrischen Geldillusion: Sie sind nicht in der Lage, die volle Inflationsrate zu antizipieren und halten daher die Nominallohnsatzerhöhungen auch für Reallohnsatzerhöhungen. Deshalb weiten sie ihr Arbeitsangebot aus. Die gestiegene Arbeitsnachfrage der Unternehmer in Verbindung mit dem gestiegenen Arbeitsangebot der privaten Haushalte erhöht die Beschäftigungsmenge und reduziert somit die Arbeitslosenrate: W W e N s e N u p 1 P1
Bei stationären Erwartungen, das heißt bei Konstanz von P e , ergibt sich eine singuläre Phillips-Kurve, das heißt es besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen einer niedrigen Inflationsrate (in Verbindung mit einer hohen Arbeitslosenrate) und einer niedrigen Arbeitslosenrate (in Verbindung mit einer hohen Inflationsrate). Die Bewegung von Punkt B zu Punkt C zeigt jedoch, wie die Wirtschaftssubjekte bei adaptiven Erwartungen aus ihren Fehlern lernen, aufgrund derer sie die Inflationsrate unterschätzt haben. Im Laufe der Zeit nehmen die Wirtschaftssubjekte die korrekte höhere Inflationsrate wahr und passen ihr Verhalten an, indem sie höhere Nominallohnsätze fordern. Dies bedeutet aber zugleich ein Ansteigen der Reallohnsätze, so dass die Unternehmer mit einem Rückgang ihrer Arbeitsnachfrage reagieren und die Arbeitslosenrate wieder steigt: W W W
N d
u p p ()
Wird erneut der Versuch einer aktiven Beschäftigungspolitik unternommen, wie er in der Bewegung von Punkt C zu Punkt D in Erscheinung tritt, ist dieser nur Erfolg versprechend, wenn sich die Inflationsrate auf einem höheren Niveau als in der Vorperiode befindet. Die Arbeitsanbieter lassen nämlich die Höhe der vorherigen Inflationsrate bereits in ihre Erwartungen einfließen, so dass die Geldillusion nur für den Teil der Inflationsrate maßgeblich ist, der von den Wirtschaftssubjekten noch nicht antizipiert wird. Hat die Inflationsrate der Vorperiode zum Beispiel bei zwei Prozent gelegen, berücksichtigen die Arbeitsanbieter diese Inflationsrate bereits in ihren Nominallohnsatzforderungen. Deshalb ist ein – zumindest kurzfristiger – Erfolg in der Beschäftigungspolitik nur zu erzielen, wenn die Inflationsrate bei über zwei Prozent liegt. Bei adaptiver Erwartungsbildung ist gemäß der monetaristischen Phillips-Kurve von Friedman-Phelps eine permanente Täuschung der Wirtschaftssubjekte nur bei steigenden – akzelerierenden – Inflati-
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
onsraten möglich, die nicht gleich bleibende, sondern steigende Geldmengenerhöhungen der Zentralbank erfordern. Dieser Zusammenhang ist als »Akzelerationstheorem« in die Literatur eingegangen. Nach monetaristischer Auffassung ergibt sich eine Schar kurzfristiger Phillips-Kurven. Die langfristige Phillips-Kurve verläuft vertikal. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nicht einzelne Arbeitsanbieter Lohnverhandlungen führen, sondern Gewerkschaften, welche die Inflationsraten gut antizipieren. Stabil ist ein langfristiges Arbeitsmarktgleichgewicht nach monetaristischer Auffassung dann und nur dann, wenn das Niveau der natürlichen Arbeitslosenrate erreicht wird. Deshalb löst eine diskretionäre Geldpolitik keine Niveau-, sondern allenfalls Struktureffekte aus. Der Staat kann nur zwischen mehreren Inflationsraten wählen, die mit der natürlichen Arbeitslosenrate un vereinbar sind. Kritisch zu betrachten ist insbesondere, dass Friedman-Phelps den Bereich links der natürlichen Arbeitslosenrate un betrachten, nicht aber den (relevanten) rechts von un. Zudem ist nicht einsichtig, dass Wirtschaftssubjekte nur aus Fehlern lernen, die naturgemäß vergangenheitsbezogen sind, und sich gegenüber anderen Fehlerquellen lernresistent zeigen. Diesen Mangel versucht die neuklassische Phillips-Kurve zu beheben.
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Akzelerationstheorem
langfristige PhillipsKurve
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5. Neuklassische Phillips-Kurve (Lucas-Sargent) Die Neuklassik ist für das Wiedererstarken neoklassischer Lösungsvorschläge verantwortlich. Der Name ist unglücklich gewählt, da er sprachlich die gleiche Bedeutung hat wie »Neo-Klassik«: Das griechische Wort »neos« heißt im Deutschen »neu«. Die neuklassische Theorie wurde vor allem in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt, in denen das Phänomen der Stagflation, des gleichzeitigen Auftretens wirtschaftlicher Stagnation und Inflation, an Bedeutung gewann. Die Neuklassik erreichte insbesondere in den achtziger Jahren eine bis heute (fast) ungebrochene Bedeutung. Vor allen anderen angebotsorientierten Schulen wie der Klassik, der Neoklassik und dem Monetarismus zeichnet sich die Neuklassik durch ihre Radikalität im Hinblick auf ihre Marktorientierung aus. Nach neuklassischem Dogma soll aufgrund staatlicher Unvollkommenheiten eine passive Wirtschaftspolitik betrieben werden, die dem Spiel der Marktkräfte freien Lauf lässt.
rationale Erwartungen
In der neuklassischen Theorie spielt die rationale Erwartungsbildungshypothese eine herausragende Rolle. Traditionelle keynesianische Modelle weisen den Mangel auf, dass sie auf stationären Erwartungen basieren, die sich im Zeitablauf auch dann nicht ändern, wenn sie sich in der Retrospektive als falsch erwiesen haben. Monetaristische Modelle legen adaptive Erwartungen zugrunde, das heißt die Wirtschaftssubjekte lernen aus Fehlern der Vergangenheit und passen ihre Erwartungsbildungen dementsprechend an. Neuklassische Modelle unterstellen rationale Erwartungen: Die auf den Ökonomen John Muth (1930-2005) zurückgehenden Muth-rationalen Erwartungen gehen davon aus, dass Wirtschaftssubjekte versuchen, alle verfügbaren Informationen zu gewinnen und zu verarbeiten. Die Wirtschaftssubjekte sind – zumindest über Dritte – mit dem relevanten wirtschaftstheoretischen Modell sowie den dazugehörigen empirischen Daten vertraut, so dass sie vernunftgeleitete Erwartungen bilden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Informationssuche und -verarbeitung Kosten verursachen. Deshalb bedeuten ökonomisch-rationale Erwartungen, dass Wirtschaftssubjekte nur solange nach Informationen suchen, wie der Grenznutzen der Information höher ist als es die Grenzkosten ihrer Gewinnung und Verarbeitung sind. Ein Problem bleibt allerdings bestehen, nämlich dass die Grenzkosten zur Informationsgewinnung nur schwer, die Grenznutzen nur ex post zu ermitteln sind. Die Annahme rationaler Erwartungen bedeutet nicht, dass Wirtschaftssubjekte unter vollkommener Voraussicht handeln. Sie können sich durchaus irren und tun dies typischerweise auch. Ihr Irrtum basiert
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allerdings nicht auf systematischen Fehlern wie bei stationären Erwartungen, die davon absehen, dass Menschen ihre Erwartungen überhaupt anpassen, oder wie bei adaptiven Erwartungen, die nur einen auf vergangenen Fehlern beruhenden Lernprozess unterstellen. Erwartungsirrtümer finden ihre Ursache in Zufallsvariablen, die bei der Erwartungsbildung naturgemäß nicht berücksichtigt werden. Neuklassische Modelle sind demzufolge eher stochastischer als deterministischer Natur. Wenn Wirtschaftssubjekte rationale Erwartungen zugrunde legen, werden sie eine diskretionäre staatliche Politik antizipieren und ihr ökonomisches Verhalten daran ausrichten. Dies bedeutet, dass eine vorhergesehene diskretionäre Geldpolitik nicht wirksam ist. Bei rationalen Erwartungen ist die neuklassische Phillips-Kurve von LucasSargent deshalb auch kurzfristig eine Senkrechte, da eine asymmetrische Geldillusion nicht auftreten kann. Neuklassiker verwerfen die monetaristische Annahme, dass Wirtschaftssubjekte nur aus Fehlern lernten, die in der Vergangenheit liegen. Nach neuklassischer Sichtweise nehmen Wirtschaftssubjekte auch das Akzelerieren von Inflationsraten wahr und bilden ihre Inflationserwartungen nicht nur aus vergangenheitsbezogenen Daten. Wirtschaftspolitisch bedeutet dies, dass das Mittel einer diskretionären Geldpolitik zum Erreichen beschäftigungspolitischer Ziele untauglich ist. Die Phillips-Kurve ist kurz- wie langfristig eine Senkrechte, es sei denn, Zufallsvariablen änderten sich. Systematischen Erwartungsirrtümern unterliegen die Wirtschaftssubjekte nicht.
vertikale Phillips-Kurve
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^ p
un Abbildung 8.9: Neuklassische Phillips-Kurve von Lucas-Sargent
u
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6. Empirische Phillips-Kurven Die keynesianische Phillips-Kurve ist eine fallende Kurve, weil sie eine Wahlmöglichkeit zwischen einer niedrigen Inflationsrate und einer niedrigen Arbeitslosenrate auf Kosten der jeweils anderen Zielsetzung suggeriert. Die monetaristische Phillips-Kurve ist kurzfristig eine fallende, langfristig eine vertikale Kurve, da sie die Annahme langfristiger Geldillusion verwirft. Die neuklassische Phillips-Kurve ist auch kurzfristig eine Senkrechte, weil rationale Erwartungen die Annahme auch kurzfristiger Geldillusion verwerfen. Empirische Phillips-Kurven weisen sämtliche Verläufe auf: fallend, senkrecht, sogar waagerecht und steigend. Sie gleichen eher einem Irrgarten als einer Phillips-Kurve mit einer klaren Richtung. Eine positiv verlaufende Phillips-Kurve bedeutet, dass eine expansive – Inflation billigend in Kauf nehmende – Geldpolitik nicht nur nicht beschäftigungsfreundlich, wie es die langfristige monetaristische und die neuklassische Phillips-Kurve annehmen, sondern sogar beschäftigungsschädlich ist. Diese Hypothese könnte mit dem Hinweis begründet werden, dass expansive monetaristische Maßnahmen die Stabilität des monetären Sektors negativ beeinflussen, diese aber als notwendige Bedingung einer nachhaltig erfolgreichen Beschäftigungspolitik anzusehen ist. Die Annahme, die empirischen Phillips-Kurven zugrunde liegt, ist nicht unumstritten: Bestimmten Inflationsraten werden die Arbeitslosenraten desselben Jahres gegenübergestellt. Die Frage möglicher Zeitverzögerungen wird ausgeblendet. Deshalb sind empirische PhillipsKurven nicht uneingeschränkt als Kritik an den herrschenden theoretischen Konzepten der Phillips-Kurve zu verstehen. Somit ist ein Ende der Diskussion um die »richtige« Phillips-Kurve nicht abzusehen.
»vielsagende« empirische PhillipsKurven
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7. Zusammenfassung 1. Die originäre Phillips-Kurve von Phillips stellt in einer empirischen Studie einen stabilen, negativen, nicht-linearen Zusammenhang zwischen der Nominallohnsatzänderungsrate und der Arbeitslosenrate im Vereinigten Königreich zwischen 1861 und 1957 dar. Die Annahme der Asymmetrie von Lohnsatzänderungen erklärt ihren Verlauf: Gewerkschaften verfügen über größere Macht, in Phasen wirtschaftlicher Prosperität Lohnsatzerhöhungen durchzusetzen, als Unternehmer, in Phasen wirtschaftlicher Rezession Lohnsatzsenkungen zu erreichen. 2. Die keynesianische Phillips-Kurve von Samuelson-Solow geht davon aus, dass die Wirtschaftssubjekte stationären Erwartungen unterliegen. Sie stellt einen negativen, nicht-linearen Zusammenhang zwischen der Inflationsrate und der Arbeitslosenrate dar. Diese berühmteste Phillips-Kurve konstatiert für den Wirtschaftspolitiker die Möglichkeit, zwischen einer niedrigen Arbeitslosenrate in Verbindung mit einer hohen Inflationsrate oder einer niedrigen Inflationsrate in Verbindung mit einer hohen Arbeitslosenrate zu wählen. 3. Die monetaristische Phillips-Kurve von Friedman-Phelps geht davon aus, dass Wirtschaftssubjekte adaptiven Erwartungen unterliegen und im Zeitablauf aus ihren Erwartungsfehlern der Vergangenheit lernen. Langfristig gibt es den von Samuelson-Solow behaupteten trade off zwischen einer niedrigen Inflationsrate und einer niedrigen Arbeitslosenrate nicht, die Phillips-Kurve verläuft senkrecht. Monetaristen räumen jedoch ein, dass Wirtschaftssubjekte kurzfristig einer Geldillusion unterliegen können und die wahre Inflationsentwicklung unterschätzen, so dass eine Schar kurzfristiger Phillips-Kurven den negativen, nichtlinearen Zusammenhang der keynesianischen Phillips-Kurve bestätigt. 4. Die neuklassische Phillips-Kurve von Lucas-Sargent geht davon aus, dass Wirtschaftssubjekte rationalen Erwartungen unterliegen und somit gegen systematische Erwatungsfehler gefeit sind. Die Phillips-Kurve verläuft daher – abgesehen von Zufallsschwankungen – sowohl kurzals auch langfristig senkrecht. Der Möglichkeit, Arbeitslosigkeit durch eine hohe Inflationsrate zu bekämpfen, widersprechen sie. 5. Empirische Phillips-Kurven gleichen mehr einem »Kunstwerk« denn einer der oben genannten Phillips-Kurven. Sie enthalten fallende, senkrechte, aber auch waagerechte und steigende Verläufe. Die These, auf Kosten der Preisniveaustabilität nachhaltige Beschäftigungserfolge erzielen zu können, kann durch empirische Daten nicht bestätigt werden. 6. Die entscheidenden Charakteristika der oben untersuchten PhillipsKurven sind in folgender Tabelle zusammenfassend wiedergegeben:
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
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Phillips-Kurven Typ
Autoren
Erwartungen
Bemerkungen
originär
Phillips
-
Zusammenhang zwischen Nominallohnsatzänderungsrate und Arbeitslosenrate basierend auf empirischen Ergebnissen für das Vereinigte Königreich zwischen 1861 und 1957
Lipsey
-
theoretische Fundierung der Phillips-Kurve
SamuelsonSolow
stationär
keynesianisch
Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenrate trade off zwischen niedriger Inflationsrate und niedriger Arbeitslosenrate negative Steigung der Phillips-Kurve populär unter Politikern
monetaristisch
Friedman-Phelps
adaptiv
Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenrate Schar kurzfristig fallender Phillips-Kurven: wegen Geldillusion trade off zwischen niedriger Inflationsrate und niedriger Arbeitslosenrate Akzelerationstheorem langfristig vertikale Phillips-Kurve: kein trade off zwischen niedriger Inflationsrate und niedriger Arbeitslosenrate populär unter Ökonomen
neuklassisch
Lucas-Sargent
rational
Zusammenhang zwischen Inflationsrate und Arbeitslosenrate kurz- und langfristig vertikale Phillips-Kurve: kein trade off zwischen niedriger Inflationsrate und niedriger Arbeitslosenrate
Abbildung 8.10: Phillips-Kurven
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Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
8. Wiederholungsfragen
1.
Erläutern Sie Lipseys theoretische Fundierung der originären Phillips-Kurve. Lösung S. 237 ff.
2.
Erläutern Sie die Modifikationen der keynesianischen Phillips-Kurve von Samuelson-Solow gegenüber der originären. Lösung S. 242 ff.
3.
Erläutern Sie, warum Monetaristen die langfristige Geltung der keynesianischen Phillips-Kurve bestreiten. Lösung S. 247 ff.
4.
Erläutern Sie ökonomisch-rationale Erwartungen und ihre Bedeutung für die Phillips-Kurve. Lösung S. 250 f.
5.
Erläutern Sie, warum der Phillips-Kurven-Diskussion große Aufmerksamkeit geschenkt wird, obwohl die empirische Phillips-Kurve mit keiner der theoretischen PhillipsKurven überein zu stimmen scheint. Lösung S. 253
Arbeitslosigkeit und Inflation: Phillips-Kurven
9. Übungsaufgaben 1. Erläutern Sie, inwiefern eine expansive Geldpolitik die monetäre Stabilität eines Landes beeinträchtigen kann. Lösungsvorschlag: Expansive Geldpolitik bedeutet, dass die inländische Geldmenge erhöht wird. Stehen diese Geldmengenerhöhungen in keinem Verhältnis zu den Erhöhungen der volkswirtschaftlichen Produktion, ist Inflation zu erwarten. Dauerhafte Inflation reduziert das Vertrauen in die inländische Währung. Wirtschaftssubjekte weichen auf andere Währungen aus, die inländische Währung wertet ab, die Entstehung einer Parallelwährung ist möglich. Spätestens dann ist die monetäre Stabilität eines Landes dahin. 2. Erläutern Sie, warum die Annahme des mark-up pricing, welche für die Ableitung der keynesianischen Phillips-Kurve aus der originären herangezogen wird, problematisch ist. Lösungsvorschlag: Ein mark-up pricing unterstellt eine kostenorientierte Preiskalkulation. Diese vernachlässigt jedoch gänzlich unterschiedliche Preiselastizitäten, die bei Gewinnmaximierung zu unterschiedlichen Zuschlägen führen. Sie vernachlässigt auch unterschiedliche Kreuzpreiselastizitäten, die dafür verantwortlich sind, dass bei einer marktorientierten Preiskalkulation auch die Interdependenzen zu anderen Gütern zu berücksichtigen sind.
257
Soziale Marktwirtschaft 1.
Einleitung
260
2.
Definition
262
3.
Prinzipien
264
3.1.
Marktprinzipien
264
3.2.
Soziale Prinzipien
266
4.
Stabilisierungs- versus Stabilitätspolitik
269
4.1.
Verdrängungseffekte
269
4.2.
Weitere Probleme
270
5.
Gerechtigkeit
274
5.1.
»Soziale Gerechtigkeit«
274
5.2.
Gerechtigkeitsobjekte und -subjekte
276
5.3.
Gerechtigkeitsgrundsätze
278
6.
Zusammenfassung
280
7.
Wiederholungsfragen
282
8.
Übungsaufgaben
283
260
Soziale Marktwirtschaft
1. Einleitung Lernziele dieses Kapitels Der Student soll in der Lage sein, • • • • • •
die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in ihren historischen Kontext einzuordnen, Ordnungs- und Prozesspolitik klar abzugrenzen, die Marktprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft herauszuarbeiten, die sozialen Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft herauszuarbeiten, Stabilisierungs- und Stabilitätspolitik klar abzugrenzen, unterschiedliche Gerechtigkeitskonzepte zu reflektieren.
Die Soziale Marktwirtschaft gilt als »deutsche Wirtschaftsordnung« schlechthin. Ihre Ideen, ihre Umsetzung, ihre Reputation sind eng mit Deutschland verbunden, so dass es angebracht ist, ihre Prinzipien in einem deutschen Lehrbuch zur Makroökonomik darzulegen. Adam Smith als Vordenker
Marktelement: Unsichtbare Hand
soziales Element: Unparteiischer Zuschauer
Obgleich selten in diesem Kontext genannt, kann Adam Smith (17231790) als einer der Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft angesehen werden. Smith stellt in seinem berühmtesten Werk von 1776, »Eine Untersuchung über die Natur und Ursachen des Wohlstands der Nationen«, die hohe Bedeutung der Marktwirtschaft heraus und preist die Vorzüge einer privatwirtschaftlichen Ordnung. Durch das Verfolgen ihrer Selbstinteressen lieferten die Menschen – wie durch eine »Unsichtbare Hand« geführt – einen höheren Beitrag zum Wohlstand eines Landes als wenn sie ihr Verhalten an öffentlichen Interessen orientierten. Smith verkörpert jedoch mitnichten den Typus eines »Ellenbogen-Kapitalisten«. Bereits 1759, also 17 Jahre vor dem Erscheinen des »Wohlstands der Nationen«, publiziert der schottische Moralphilosoph seine »Theorie ethischer Gefühle«, in der die »Unsichtbare Hand« erstmals – und somit in einem ethischen Kontext – erwähnt wird. Zudem betont dieses Werk die hohe Bedeutung einer sozialen Rahmenordnung. Das moralische Pendant zur Unsichtbaren Hand ist der Unparteiische Zuschauer. Dieser ist ein innerer Schiedsrichter, der den Menschen zeigt, was gut und was schlecht ist. Der Unparteiische Zuschauer beurteilt Verhalten nicht nach dem Kriterium des Lobes, das eines Urteils anderer bedarf, sondern nach dem Kriterium der Lobenswürdigkeit, die von jedem selbst beurteilt werden kann, so dass ein
Soziale Marktwirtschaft
zügelloses Ausleben von Eigeninteressen durch diese moralische Instanz verhindert wird. Erstmals wurde das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland umgesetzt. Deshalb gilt sie auch als »deutsche Wirtschaftsordnung« und wird zuweilen »Rheinischer Kapitalismus« genannt. Ideengeber für dieses Konzept waren vor allem deutsche Ökonomen, Juristen und Politiker. Im besonderen sind in diesem Zusammenhang zu nennen: Franz Oppenheimer (1864-1943), der die Bedeutung des freien Wettbewerbs unter Gleichen herausgestellt hat, Alexander Rüstow (1885-1963), Erwin von Beckerath (1889-1964); zudem die drei Begründer der »Freiburger Schule«, Walter Eucken (1891-1950), Hans Großmann-Doerth (1894-1944) sowie Franz Böhm (1895-1977), welche die Gedanken des Ordoliberalismus durch die Publikation der Schriftenreihe »Ordnung der Wirtschaft« ab 1937 einem breiteren Publikum zugänglich gemacht haben; Ludwig Erhard (1897-1977), der die Soziale Marktwirtschaft mit dem Ziel des »Wohlstands für alle« zwischen 1949 und 1963 als erster Wirtschaftsminister und zwischen 1963 und 1966 als zweiter Bundeskanzler der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland in die Tat umgesetzt hat; Wilhelm Röpke (1899-1966) sowie Alfred Müller-Armack (1901-1978), der 1947 den Begriff »Soziale Marktwirtschaft« eingeführt und in Erhards Wirtschaftsministerium unter anderem als Leiter der Grundsatzabteilung gearbeitet hat, zu deren Aufgaben die Konzeptualisierung der Wirtschaftsordnung gehörte.
261
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Soziale Marktwirtschaft
2. Definition Für die Definition der »Sozialen Marktwirtschaft« ist die Unterteilung der Wirtschaftspolitik in Ordnungs- sowie Prozesspolitik von zentraler Bedeutung. Ordnungspolitik ist grundsätzlicher Natur und bezieht sich auf die Ausarbeitung eines generell-abstrakten Regelsystems. Prozesspolitik hingegen bedeutet einen Eingriff in den spezifischkonkreten Wirtschaftsablauf.
Ordnungs- versus Prozesspolitik
weder Freie Marktwirtschaft … … noch Sozialistische Marktwirtschaft
Die Frage beispielsweise, ob Investitionen im Allgemeinen durch die steuerliche Abzugsfähigkeit von Fremdkapitalzinsen zu fördern seien, gehört in den Bereich der Ordnungspolitik. Die Frage, ob Investitionen in Windmühlen in Mecklenburg-Vorpommern durch Subventionen zu unterstützen seien, ist eine Frage der Prozesspolitik. Beginnen wir mit einer negativen Definition der Sozialen Marktwirtschaft: »Soziale Marktwirtschaft« bedeutet weder »Freie Marktwirtschaft«, in der dem Staat nur ein enger ordnungs- und prozesspolitischer Entscheidungsrahmen gewährt wird, noch »Sozialistische Marktwirtschaft«, in der dem Staat weitreichende ordnungs- und prozesspolitische Befugnisse zugestanden werden. Deshalb basiert Soziale Marktwirtschaft weder auf einem neoliberalen Konzept, das den Einfluss des Staates zu minimieren trachtet und vor allem im anglo-amerikanischen Raum viele Anhänger findet. Noch ist sie ein Konzept, das marktwirtschaftliche und sozialistische Elemente zu verbinden versucht, indem staatlicher Interventionismus trotz eines grundsätzlichen Bekenntnisses zur Marktwirtschaft gutgeheißen wird. Positiv definiert, basiert die »Soziale Marktwirtschaft« auf der Philosophie des Ordoliberalismus: Die »soziale« Komponente findet ihren Niederschlag in der Rahmenordnung (»ordo«), wo dem Staat viel Einfluss eingeräumt wird, solange er sich auf die Ausarbeitung generell-abstrakter Regeln beschränkt. Die »Markt«-Komponente (»Liberalismus«) findet sich in der Prozesspolitik, aus der sich der Staat weitgehend heraushalten soll.
Staat: generellabstrakte Regeln Individuen: spezifischkonkrete Entscheidungen
Während der Staat sich auf die Ausgestaltung einer allgemeingültigen Rahmenordnung für die politische, rechtliche, realwirtschaftliche, monetäre und soziale Sphäre zu konzentrieren hat, sind die spezifischkonkreten Entscheidungen den Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnissen und der Kreativität der Individuen anzuvertrauen. Die entscheidende Frage für die Soziale Marktwirtschaft lautet demzufolge nicht, ob der Staat wirtschaftspolitischen Einfluss haben soll oder nicht. Ausschlaggebend ist, wie er sich wirtschaftspolitisch einbringt:
Soziale Marktwirtschaft
Ordnungspolitische Eingriffe sind erwünscht, ja sogar geboten, gegenüber prozesspolitischen Interventionen soll er Zurückhaltung üben. Ein überzeugter Ordoliberaler würde beispielsweise für die gegenwärtige deutsche Wirtschaftspolitik mehr staatlichen Gestaltungswillen in der Ordnungspolitik, aber weniger staatliche Regulierung in der Prozesspolitik anmahnen. Setzt man das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft in Beziehung zu den oben behandelten ökonomischen Schulen, lässt sich folgendes festhalten: Der Neoklassik ermangelt es an der Akzeptanz staatlicher Einflussnahme, die im Keynesianismus zu weit geht, da dieser auch prozesspolitische Eingriffe gutheißt. Die Neoklassische Synthese kombiniert zwar marktwirtschaftliche und interventionistische Maßnahmen, unterscheidet aber nicht strikt zwischen ordnungs- und prozesspolitischen Steuerungsmechanismen. Am nächsten kommt dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft die Klassik, da sie einerseits den Primat des Marktes anerkennt, andererseits moralische und soziale Komponenten in der Rahmenordnung verankert sehen möchte.
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Soziale Marktwirtschaft
3. Prinzipien Freiheit und Gerechtigkeit
Die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft teilen wir auf in Marktprinzipien, die den Grundsatz der Freiheit, und soziale Prinzipien, die den Grundsatz der Gerechtigkeit erfüllen sollen. Die folgende Erläuterung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie konzentriert sich auf einige wesentliche Grundsätze.
3.1. Marktprinzipien Privateigentum
funktionsfähiger Wettbewerb
Konsumenten- und Produzentensouveränität
Dem Recht auf Privateigentum kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Es ist Voraussetzung für marktorientiertes Wirtschaften, insbesondere für Aktivitäten, die einen längeren Zeithorizont erfordern. Investitionen beispielsweise sind oft erst nach einem längeren Zeitraum profitabel, so dass es für den Investor wichtig ist, sich auf stabile Verfügungsrechte verlassen zu können. Zudem dient Privateigentum als Kreditsicherheit und verschafft dem Unternehmer somit Zugang zu Fremdkapital. Aufgabe des Staates ist es, Eigentumsrechte durchzusetzen und zu schützen. Die Sicherstellung von Wettbewerb ist eines der herausragenden Ziele der Sozialen Marktwirtschaft. Markteintrittsbarrieren sollen so niedrig wie möglich gehalten werden, um nicht nur Wettbewerb unter aktuellen, sondern auch unter potenziellen Konkurrenten aufrechtzuerhalten. Grundsätzlich wird eine polypolistische Marktform, die durch viele Anbieter und viele Nachfrager charakterisiert ist, angestrebt. Die Erfüllung des Prinzips des funktionsfähigen Wettbewerbs bedeutet jedoch nicht notwendigerweise die Schaffung und Sicherung atomistischer Märkte, auf denen es viele Anbieter und viele Nachfrager gibt. Die Funktionsfähigkeit kann beispielsweise bei Vorliegen natürlicher Monopole oder aufgrund steigender Skalenerträge (economies of scale) auch bei einer geringen Zahl von Anbietern gewährleistet sein, wenn ihr Marktverhalten demjenigen von Polypolisten entspricht. Das Wettbewerbsprinzip ist in der Sozialen Marktwirtschaft nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Ziel an sich. Eine unabhängige Institution soll sich gänzlich dem Schutz des Wettbewerbs verschreiben, Markteintrittsbarrieren abbauen, unlauteren Wettbewerb verbieten und grundsätzlich Oligopolisierungs- oder gar Monopolisierungstendenzen entgegentreten. Die Einrichtung des Bundeskartellamts (1958) durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (1957) ist ein Beispiel für die Implementierung dieses Prinzips. Das Prinzip der Konsumentensouveränität sowie das Prinzip der Produzentensouveränität, das die Gewerbe-, Produktions- und Handelsfreiheit umfasst, sind zwei weitere Prinzipien, in denen sich der
Soziale Marktwirtschaft
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Grundpfeiler der Freiheit in der Sozialen Marktwirtschaft niederschlägt. Grundsätzlich sollen Konsumentscheidungen von den privaten Haushalten und Produktionsentscheidungen von den privaten Unternehmern getroffen werden. Bei Vorliegen – positiver wie negativer – externer Effekte tritt Marktversagen auf. Dem Staat obliegt die Aufgabe, durch geeignete Maßnahmen eine Internalisierung externer Effekte zu erwirken, um damit dem Verursacherprinzip Rechnung zu tragen. So können beispielsweise Betriebe, die ausbilden und damit positive beschäftigungspolitische Effekte hervorrufen, gefördert werden, und Betriebe, die öffentliche Ressourcen in besonderem Maße beanspruchen, mit zusätzlichen Lasten belegt werden.
Internalisierung externer Effekte
Dem Staat kommt grundsätzlich nicht die Aufgabe zu, die Präferenzen seiner Bürger aktiv zu beeinflussen. Stattdessen soll er an den Restriktionen ansetzen und willfähriges Verhalten dadurch erzielen, dass das Verfolgen individueller Anreize zu gemeinschaftskonformem Verhalten führt. Dieses Prinzip der Anreizkompatibilität orientiert sich an Smith' Unsichtbarer Hand: Es ist nicht notwendig, dass ein Unternehmer bestimmte Güter zu dem Zweck herstellt, die Bevölkerung mit eben diesen zu versorgen. Er soll qualitativ und quantitativ das produzieren, was ihm profitabel erscheint. Gewinnanreize sind dort am höchsten, wo Güterknappheit besteht, und dort am niedrigsten, wo Überfluss an Gütern herrscht. Deshalb wird ein dem Gewinnmaximierungskalkül verhafteter Unternehmer die Güter produzieren, die besonders stark nachgefragt werden. Sozusagen »aus Versehen« trägt dies zu einer optimalen Güterversorgung bei. Individuelle Gewinnmaximierung führt somit zu sozialer Wohlstandsbefriedigung. Smith schreibt dazu, dass Individuen im Allgemeinen weder beabsichtigten, im öffentlichen Interesse zu handeln, noch wüssten, inwieweit sie das öffentliche Interesse förderten. Sie verfolgten ihr Selbstinteresse und dienten dadurch – gelenkt durch die Unsichtbare Hand – dem öffentlichen Wohl. Durch das Streben nach individuellen Zielen würde der Gesellschaft oftmals ein besserer Dienst getan als durch das bewusste Streben nach gemeinschaftlichen Zielen. Unerwünschte Phänomene wie eine Negativauslese (adverse selection) – beispielsweise auf einem durch Preiswettbewerb gekennzeichneten Markt die Auswahl qualitativ minderwertiger Güter aufgrund mangelnder Produktinformation – sind durch flankierende Maßnahmen des Staates zu verhindern.
Anreizkompatibilität
Dem Prinzip der Anreizkompatibilität kann nur Genüge getan werden, wenn Preisflexibilität besteht, weil Preisen die Funktion innewohnt, Knappheiten beziehungsweise Überfluss zu signalisieren. Diese Forderung schließt alle Preise mit ein, also auch Lohnsätze, die Preise für das Bereitstellen von Arbeitskraft sind, Mieten und Pachten, die Preise für
Preisflexibilität
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befristete Nutzungsrechte darstellen, Zinssätze, die Preise für das befristete Überlassen von Kapital sind, Wechselkurse, die Preise für den Erwerb ausländischer Währungseinheiten darstellen.
3.2. Soziale Prinzipien Subsidiarität
Dezentralismus
regelgebundene Politik
Das Prinzip der Subsidiarität, Grundpfeiler der christlichen Soziallehre, ist ein bedeutendes Charakteristikum der Sozialen Marktwirtschaft. Dieses Prinzip besagt, dass Angelegenheiten, wann immer möglich, von der jeweils kleinsten Einheit zu regeln seien. Somit obliegt beispielsweise die Entscheidung über eine Investition dem einzelnen Unternehmer, nicht dem Staat. Die Frage, ob ein Dorfbrunnen renoviert werden soll oder nicht, ist eine Frage, welche die Kommune zu beantworten hat, nicht ein einzelner Unternehmer, weil er keinen Anreiz verspürt, als Einziger für eine Leistung, die allen Dorfbewohnern zugute kommt, zu zahlen. Die Renovierung eines Dorfbrunnens ist aber auch nicht Aufgabe der Landesregierung, da die Kommune als kleinere Einheit diese Aufgabe besser erfüllen kann. Die Frage der Ausbesserung einer Strasse, die mehrere Ortschaften eines Bundeslandes verbindet, ist hingegen Aufgabe der Landesregierung, da eine einzelne Kommune nicht über ein Projekt entscheiden kann, das mehrere Kommunen betrifft. Die Frage der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland liegt in der Kompetenz von Bundesorganen, da eine auf alle 16 Bundesländer verteilte Entscheidungskompetenz der Sache nicht dienlich ist. Die Frage der Verschmutzung des Rheins ist eine Aufgabe, die von der Rheinschifffahrtskommission, der alle Anrainerstaaten des Rheins angehören, gelöst werden kann, da die Reinhaltung dieses Flusses eine grenzüberschreitende Aufgabe ist. Der Frage des Weltfriedens können sich die Vereinten Nationen annehmen, da diese Aufgabe eines global agierenden und akzeptierten Entscheidungsträgers bedarf. Somit ist das Prinzip der Subsidiarität das philosophische Fundament einer Politik, die sich durch einen weitreichenden Dezentralismus auszeichnet. Die Soziale Marktwirtschaft zieht eine regelgebundene Politik einer personalisierten diskretionären Politik vor. Während diese sich dadurch auszeichnet, dass einzelnen Entscheidungsträgern eine Schlüsselposition zukommt, bindet jene nicht nur private, sondern auch staatliche Entscheidungsträger. Eine skeptisch zu beurteilende personalisierte Macht soll durch eine positiv zu beurteilende entpersonalisierte institutionelle Macht ersetzt werden. Eine gute Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf festgelegten Normen basiert, nicht auf Beschlüssen, die mit wechselnden Personen verändert werden und Instabilitäten hervorrufen. Anforderungen an »gute« Regeln sind aus Gründen der Rechtssicherheit ein gewisser Grad an Regelstabilität, aus
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Gründen der Gleichberechtigung Regeläquivalenz sowie aus Gründen der Übersichtlichkeit Regeltransparenz. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, Regeln zu verfassen, durchzusetzen und gegebenenfalls Sanktionsmaßnahmen gegenüber Regelbrechern zu verhängen. Die Qualität einer regelgebundenen Politik kann durch öffentliche Nebenwetten erhöht werden. Hierbei geben Politiker nicht nur ihre messbaren Ziele öffentlich bekannt, sondern auch mögliche messbare Sanktionsmaßnahmen, denen sie sich im Falle eines Scheiterns persönlich unterwerfen. So erhöht beispielsweise die Aussage eines potenziellen Kanzlerkandidaten, dass er die Arbeitslosenrate in Deutschland innerhalb einer Legislaturperiode auf fünf Prozent absenken werde (messbare Formulierung des Ziels) und im Falle des Scheiterns unwiderruflich seinen Rücktritt einreiche (Formulierung der messbaren Sanktion) die Glaubwürdigkeit seiner Ankündigung.
öffentliche Nebenwetten
Um eine hohen moralischen Anforderungen genügende Rahmenordnung zu gewährleisten, soll der Staat seine Bürger bis zu einem gewissen Grad gegen bestimmte Risiken absichern. So bilden beispielsweise die unter Bismarck eingeführten Sozialversicherungen, die Krankenversicherung (seit 1883), die Unfallversicherung (seit 1884) und die Rentenversicherung (seit 1889), sowie die in der Weimarer Republik ins Leben gerufene Arbeitslosenversicherung (seit 1927) und schließlich die im wiedervereinigten Deutschland geschaffene Pflegeversicherung (seit 1994) die Grundpfeiler des deutschen Sozialversicherungssystems und tragen dem Prinzip der Sozialisierung von Risiken Rechnung.
Sozialisierung bestimmter Risiken
Dem Staat obliegt die Aufgabe, die Bevölkerung vor der kompletten Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu schützen. Somit lässt sich rechtfertigen, dass die öffentlichen Haushalte herangezogen werden, um beispielsweise Universitätsstudiengänge wie Kunstgeschichte oder Altphilologie am Leben zu erhalten, die ein hohes Maß an Bildung, vermeintlich aber nur ein geringes Maß an ökonomisch verwertbarer Bildung vermittelten und in einem Effizienzvergleich Studiengängen wie Betriebswirtschaftslehre oder Maschinenbauwesen unterlegen wären. Die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern ist Aufgabe des Staates. Öffentliche Güter zeichnen sich dadurch aus, dass NichtRivalität im und Nicht-Ausschluss vom Konsum besteht. Konsum ist nicht-rivalisierender Art, wenn der Konsum eines Individuums nicht durch den Konsum eines weiteren Konsumenten beeinträchtigt wird. Der Naturkonsum eines Waldspaziergängers beispielsweise wird durch einen zweiten Spaziergänger nicht nachhaltig beeinträchtigt. NichtAusschluss liegt vor, wenn es nicht oder nur zu einem unvertretbar hohen Aufwand möglich ist, jemanden vom Konsum auszuschließen.
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Schutz vor moral hazard …
… und free riding
meritorische und demeritorische Güter
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Es ist zum Beispiel mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden, einen Wald abzuriegeln und von jedem Ausflügler an ausgewiesenen Eingängen eine Gebühr zu erheben. Da in diesem Fall Marktversagen vorliegt, soll sich der Staat dieser Aufgabe bemächtigen, in unserem Beispiel also öffentlich zugängliche Wälder bewirtschaften, um die Bevölkerung mit öffentlichen Gütern zu versorgen. Eine langfristig angelegte Rahmenordnung muss auch gegen Gefahren wie moralische Wagnisse oder Trittbrettfahren gewappnet sein: Moralische Wagnisse (moral hazard) liegen vor, wenn Individuen Anreize haben, einen Schadensfall absichtlich herbeizuführen. Jemand, der beispielsweise jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, kann auf den Gedanken kommen, auch einmal von diesem System profitieren zu wollen, und Arbeitslosigkeit billigend in Kauf nehmen. Jemand, der unabhängig von seinem Gesundheitszustand Beiträge in die Krankenversicherung einzahlt, hat einen Anreiz, im Zweifelsfall einen Arzt aufzusuchen, für dessen Leistungserbringung dem Versicherten keine zusätzlichen Lasten aufgebürdet werden. Die »Praxisgebühr« ist beispielsweise eine Maßnahme, dieses moralische Wagnis zu verringern. Trittbrettfahren (free riding) bedeutet, seine wahren Präferenzen nicht offen zu legen, um der Finanzierung von Leistungen zu entgehen, von denen man ebenso profitiert wie Zahlende. So kann sich jemand der Mitfinanzierung von Maßnahmen zum ökologischen Gewässerschutz mit dem offiziell vertretenen Argument verschließen, dass er diesen nicht für besonders wichtig erachte, allerdings die Hoffnung in sich tragen, dass sich andere Financiers finden, die diesen Schutz, der dem Zahlungsverweigerer tatsächlich auch am Herzen liegt, zu garantieren. Meritorische – »verdienstvolle« – und demeritorische – »nicht-verdienstvolle« – Güter sind Güter, für welche die Individuen verzerrte Präferenzen bilden: Die Zahlungsbereitschaft für den Erwerb meritorischer Güter wie Milch sei unterentwickelt, während die Zahlungsbereitschaft für den Erwerb demeritorischer Güter wie Alkohol durch ihren mutmaßlich negativen Nutzen nicht gerechtfertigt sei. Der Staat kann durch Subventionierung meritorischer beziehungsweise Besteuerung demeritorischer Güter korrigierend eingreifen. Eine Schwierigkeit besteht allerdings darin, den »wahren« erwarteten Nutzen eines Gutes zu ermitteln. So kann beispielsweise ein Glas Sekt für Menschen mit niedrigem Blutdruck ihrer Gesundheit förderlicher sein als ein Glas Milch. Für den Bereich meritorischer beziehungsweise demeritorischer Güter ist der Übergang von der (generell-abstrakten) ordnungspolitischen Ebene zur (spezifisch-konkreten) prozesspolitischen Ebene, aus der sich der Staat nach ordoliberaler Doktrin heraushalten soll, fließend und deshalb nur schwer zu fassen.
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4. Stabilisierungs- versus Stabilitätspolitik Obwohl aktive stabilisierungspolitische Maßnahmen attraktiv erscheinen, weil sie die Möglichkeit der direkten Steuerbarkeit einer Volkswirtschaft suggerieren, die dem weitverbreiteten Wunsch nach Sicherheit, Geborgenheit und Planbarkeit entgegenkommt, wird ihnen von ordoliberaler Seite mit Skepsis begegnet, und zwar aus mehreren Gründen:
4.1. Verdrängungseffekte Es besteht die Gefahr, dass eine Erhöhung der staatlichen Nachfrage zur Stimulierung der Konjunktur private Nachfrage verdrängt und somit keine zusätzliche Nachfrage geschaffen wird, so dass auch die beabsichtigten Produktions-, Beschäftigungs- und Einkommenseffekte ausbleiben. Das Risiko von Verdrängungseffekten sehen vor allem Klassiker und Neoklassiker, aber auch Keynesianer räumen die Möglichkeit eines crowding out ein, wie unsere vorhergehenden wirtschaftstheoretischen Untersuchungen bestätigen: Eine expansive Fiskalpolitik führt im IS-LM-Modell im Falle einer vollkommen zinssatzelastischen Investitionsnachfrage oder einer zinssatzunelastischen Geldnachfrage zu einem totalen, im Normalfall zu einem partiellen crowding out. Im Blinder-Solow-Modell sind die Risiken eines crowding out insbesondere bei einer Finanzierung fiskalpolitischer Maßnahmen über Offenmarktgeschäfte hoch. Im Mundell-Fleming-Modell treten im System fester Wechselkurse bei relativ niedriger Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen sowie im System flexibler Wechselkurse bei relativ hoher Zinssatzelastizität der Kapitalbewegungen stärkere Verdrängungseffekte als im IS-LM-Modell auf.
crowding out
Eine steuerfinanzierte expansive Fiskalpolitik führt zu einem teilweisen Rückgang privater Nachfrage: Werden die Steuern erhöht, sinken ceteris paribus die verfügbaren Einkommen und damit geht der Konsum zurück. Dieser macht den wichtigsten Teil der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage aus und dämpft somit die angestrebte positive Wirkung auf die aggregierte Nachfrage und das aggregierte Angebot sowie die Beschäftigung.
Nachfragerückgang durch Steuerfinanzierung
Eine kreditfinanzierte Ankurbelung der Konjunktur erhöht die Finanzierungskosten: Dadurch dass der Staat durch seinen Finanzierungsbedarf die Kreditnachfrage in die Höhe treibt, steigen ceteris paribus die Zinssätze. Hohe Zinssätze haben jedoch einen negativen Effekt auf die Investitionsnachfrage, so dass ein Teil der gesamtwirt-
Nachfragerückgang durch Kreditfinanzierung
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schaftlichen Nachfrage gedämpft wird. Zudem führen höhere Zinssätze dazu, dass finanzielle Mittel weniger in Sachanlagen investiert werden, sondern aufgrund gestiegener Opportunitätskosten in Geldanlagen fließen, die somit der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage verloren gehen.
Ricardianisches Äquivalenztheorem
Private Haushalte und Unternehmer werden öffentliche Kredite als künftige Steuererhöhungen wahrnehmen, sofern sie keiner Fiskalillusion unterliegen. Bei Geltung des Ricardianischen Äquivalenztheorems nehmen sie eine Kreditfinanzierung als eine Politik wahr, die künftige Steuererhöhungen nach sich zieht. Deshalb werden sie bei steigenden Einkommen ihre Nachfrage – wenn überhaupt – nur geringfügig ausweiten und stattdessen sparen, um die für die Zukunft erwarteten Steuererhöhungen begleichen zu können. Dadurch wird die Durchschlagskraft einer kreditfinanzierten Stabilisierungspolitik geschmälert.
4.2. Weitere Probleme
zu geringe öffentliche Mittel
time lags
Die disponiblen öffentlichen Mittel sind deutlich geringer als die budgetierten, da der Großteil öffentlicher Ausgaben festgelegt ist und nicht ohne weiteres zugunsten anderer Posten gekürzt werden kann. Man denke an Personalkosten, die einen hohen Anteil staatlicher Budgets ausmachen und aufgrund arbeits- und tarifrechtlicher Restriktionen kurz- und mittelfristig als fix anzusehen sind, an bindende Sozialleistungen oder an nicht zu umgehende Zins- und Tilgungszahlungen für Kredite öffentlicher Haushalte. Nur etwa fünf Prozent der öffentlichen Finanzmittel können in Deutschland als frei verfügbar angesehen werden, so dass zum Beispiel eine aus beschäftigungspolitischen Überlegungen beschlossene Erhöhung der Staatsausgaben um ein Prozent des Budgets eine Erhöhung der disponiblen Mittel um zwanzig Prozent erfordert, da das verfügbare Budget nur ein Zwanzigstel des gesamten Haushalts ausmacht. Somit ist der staatliche Spielraum für eine signifikante Einflussnahme auf Einkommen und Beschäftigung relativ klein. Beschäftigungspolitische Maßnahmen sind Zeitverzögerungen (time lags) ausgesetzt. Diese erscheinen auf fünf Ebenen, von denen die ersten drei von den Entscheidungsträgern selbst (inside lags), die letzten beiden von Dritten (outside lags) abhängen: Entscheidungsträger benötigen Zeit, um eine Situation wie eine wirtschaftliche Flaute und eine damit einhergehende konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu erkennen (recognition lag). Auch der Entscheidungsprozess verschlingt wertvolle Zeit (decision lag), da Stabilisierungspolitik von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern ausgeführt wird und Gesetze in mehreren Lesungen die entsprechenden Parlamente passieren müssen. Ist die Legislative zu einer Entscheidung gelangt, muss die Exekutive adäquate Maß-
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nahmen in die Wege leiten (action lag), was ebenfalls Zeit in Anspruch nimmt, da beispielsweise haushaltsrechtliche Restriktionen oder Ausschreibungsregeln umgehendes Handeln nicht zulassen. Sind Handlungsempfehlungen erfolgt, müssen diese erst einmal umgesetzt werden (implementation lag), was ebenfalls zu zeitlichen Verzögerungen von teilweise mehreren Jahren führt. Ehe mit der Umsetzung die beabsichtigten Wirkungen zutage treten (effectiveness lag), sind weitere Zeitverluste in Kauf zu nehmen. Erkennt man eine wirtschaftliche Rezession und versucht, eine adäquate Stabilisierungspolitik durchzuführen, die aber erst Jahre später ihre Wirkung zeigt, besteht die Gefahr, dass eine konjunkturstimulierende Politik erst in einer wirtschaftlichen Hochkonjunktur wirkt und somit nicht nur nicht nützt, sondern sogar schadet, weil nun eine Überhitzung der Konjunktur herbeigeführt wird. Automatische Stabilisatoren (built-in stabilizers) wie eine progressive Steuer, die Unternehmen in einer wirtschaftlich schlechten Situation automatisch steuerlich entlastet, unterliegen hingegen keinen Zeitverzögerungen und sind zudem regelgebunden. Es gibt Tausende von Entscheidungsträgern in den Bundes-, Landessowie Kommunalregierungen und -parlamenten, die darüber hinaus unterschiedlichen Parteien und Koalitionen angehören, so dass die Einheitlichkeit der Stabilisierungspolitik nicht gewährleistet ist. Während eine Bundesregierung für eine expansive Fiskalpolitik eintritt, könnten zur selben Zeit Kommunalregierungen, die einen Großteil öffentlicher Investitionen durchführen, aufgrund angespannter Kassenlage eine kontraktive Fiskalpolitik verfolgen.
zu viele Entscheidungsträger
Eine aktive Beschäftigungspolitik unterstellt, dass die staatlichen Entscheidungsträger wissen, was zu tun sei. Dies ist aber in Zweifel zu ziehen: Zum einen kennen sich Unternehmer zumindest in ihrer Marktnische in der Regel besser aus, während Politiker zwar einen Überblick über das ganze System haben können, aber eben nicht unbedingt über Detailwissen verfügen. Zum anderen haben Unternehmer größere Anreize, gründlich Informationen zu sammeln und zu verarbeiten, da sie eine falsche Entscheidung in den wirtschaftlichen Ruin treiben könnte, wogegen Politiker für Fehlentscheidungen nicht haften. Die Annahme einer asymmetrischen Informationsverteilung zugunsten staatlicher Institutionen, die als Rechtfertigung für staatliche Einflussnahme herangezogen wird, ist somit nicht gegeben. Deshalb ist zu bezweifeln, dass sich Politiker das für eine aktive Beschäftigungspolitik notwendige Wissen angeeignet haben.
mangelndes Wissen
Es besteht eine wirtschaftspolitische Asymmetrie: Mit Blick auf ihr Wahlvolk wohnt Politikern die Tendenz inne, eine expansive Politik gegenüber einer kontraktiven zu präferieren, was auf Dauer dazu führt, dass die öffentliche Verschuldung steigt, da in Rezessions- und De-
Staatsverschuldung
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pressionsphasen erhöhte Staatsausgaben über Kredite finanziert werden (deficit spending), in Phasen wirtschaftlicher Expansion aber nicht gespart wird. Die öffentliche Verschuldung Deutschlands, die mit einer Höhe von etwa eineinhalb Billionen Euro höher ist als das Bruttoinlandsprodukt des afrikanischen Kontinents mit 54 unabhängigen Staaten und knapp 900 Millionen Einwohnern, stieg zwar im Zuge der Wiedervereinigung, ihre Grundlagen wurden jedoch in der keynesianischen Periode der zweiten Hälfte der sechziger Jahre und vor allem der siebziger Jahre gelegt, in der eine expansive Fiskalpolitik betrieben wurde.
Verhinderung des Strukturwandels
Vergeltungsmaßnahmen
Die Soziale Marktwirtschaft ist eine dynamische Wirtschaftsordnung. Der Schumpeter'sche Prozess des Schöpfens und Zerstörens ist ständiger Begleiter dieser Wirtschaftsordnung, fortwährender struktureller Wandel soll daher nicht aufgehalten, nur abgefedert werden. Ein populistischer Interventionismus, der beispielsweise medienwirksam die Subventionierung eines angeschlagenen Konzerns zur »Rettung« zahlreicher Arbeitsplätze fordert, ist mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar, da er einen Eingriff in den konkreten Wirtschaftsprozess bedeutet, notwendige Strukturveränderungen behindert und nachträglich die Spielregeln ändert. Ebenso wie die Soziale Marktwirtschaft das Erzielen privater Gewinne rechtfertigt, wendet sie sich – in ihrer Analyse konsistent – gegen die Sozialisierung privatwirtschaftlicher Verluste. Es besteht die Gefahr, dass eine staatliche Beschäftigungspolitik die falschen Symptome zu kurieren beabsichtigt, dann nämlich, wenn nicht konjunkturelle, sondern längerfristige strukturelle Probleme Ursache für die Misere am Arbeitsmarkt sind. Staatliches Eingreifen verhindert damit den wirtschaftlich notwendigen Strukturwandel und trägt durch seine Politik mit dazu bei, dass die Kosten eines notwendigen Strukturwandels aufgrund der Verzögerung in die Höhe getrieben werden. Eine Volkswirtschaft wie die deutsche kann ihre Einbettung in die Weltwirtschaft nicht ignorieren. Deutschland als weltweit größter Exporteur und nach den USA zweitgrößter Importeur kann keine rein national bezogene Wirtschaftspolitik betreiben. Finanzielle Unterstützungen für deutsche Konsumenten oder Produzenten könnten Vergeltungsmaßnahmen des Auslands zum Beispiel in Form von Handelsbeschränkungen nach sich ziehen. Der Staat soll deshalb davon absehen, die Volkswirtschaft durch eine Stabilisierungspolitik zu »unterstützen«, weil ihm dies ohnehin nicht gelingt, wenn die Wirtschaftssubjekte seine Maßnahmen antizipieren. Stattdessen soll er eine Stabilitätspolitik betreiben, die sich durch Stabilität, Transparenz und Äquivalenz wirtschaftsrelevanter Regeln auszeichnet. Mit der Frage nach der Effektivität einer diskretionären Fis-
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kalpolitik ist zudem keineswegs die Frage beantwortet, ob diese empfehlenswert ist. Denn eine erfolgreiche Implementation kann auch daran scheitern, dass Fiskalpolitik innerhalb eines bestimmten Modellrahmens zwar effektiv ist, die Modellannahmen aber, die naturgemäß vereinfachend sind, relevante Aspekte der Realität ausklammern. Selbst wenn dieser Mangel geheilt ist, impliziert dies nicht die wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung diskretionärer Politik. Ein Ökonom fragt nicht nur nach der Effektivität einer Wirtschaftspolitik, die gegeben ist, wenn man seinem Ziel näher kommt. Er fragt nach der Effizienz, die gegeben ist, wenn entweder ein gegebener Erfolg mit minimalem Aufwand oder maximaler Erfolg bei gegebenem Aufwand erzielt wird. Die angestrebte Wirtschaftspolitik soll nicht nur eine gute, sondern die dem ökonomischen Prinzip entsprechend beste sein. Letztlich ist die Frage nach der politischen Umsetzbarkeit zu stellen, an deren Hürde selbst eine ökonomisch effiziente Maßnahme scheitern kann. Insgesamt steht die Soziale Marktwirtschaft einer Stabilisierungspolitik, die aktives Eingreifen des Staates erfordert, reserviert gegenüber. Unabhängige und rechenschaftspflichtige Institutionen sind für eine funktionierende Marktwirtschaft das Lebenselixier: Sie sollen beispielsweise die politische Stabilität sichern, indem eine freiheitlichdemokratische Grundordnung den Menschen langfristige, verlässliche Perspektiven bietet; die rechtliche Stabilität sichern, indem unabhängige Gerichte die faire Umsetzung von Gesetzen und anderen Normen gewährleisten; die monetäre Stabilität sichern, indem eine unabhängige Zentralbank Inflation bekämpft und eine unabhängige monetäre Aufsichtsbehörde unerwünschte Phänomene wie die Illiquidität monetärer Finanzinstitute oder »Geldwäsche« verhindert; den funktionsfähigen Wettbewerb sichern, indem eine unabhängige Kartellbehörde freien Marktzugang garantiert und grundsätzlich Monopolisierungssowie Oligopolisierungstendenzen wirkungsvoll entgegentritt; Gerechtigkeit sichern, indem »soziale« – genaugenommen: »finanzielle« – Sicherungssysteme nicht nur das physische, sondern das kulturelle Existenzminimum für jeden sicherstellen und durch eine regelgebundene Redistributionspolitik in einem bestimmten Ausmaß Einkommen und Vermögen von oben nach unten umverteilen. Distributive Eingriffe sollen eher generell-abstrakten denn spezifischkonkreten Charakter haben. Marktergebnisse, die nicht mit den von der Gesellschaft gewünschten Ergebnissen übereinstimmen, können durch eine entsprechende Gerechtigkeitsordnung korrigiert werden, auf die wir im nächsten Gliederungspunkt eingehen.
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1. Effektivität
2. Relevanz der Modellannahmen
3. Effizienz
4. Politische Umsetzbarkeit
unabhängige und rechenschaftspflichtige Institutionen
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5. Gerechtigkeit Freiheit und Gerechtigkeit bilden die zwei Standbeine der Sozialen Marktwirtschaft. Neben der Allokationspolitik, die das Ziel ökonomischer Effizienz verfolgt, indem die Produktionsfaktoren in die Bereiche gelenkt werden sollen, in denen sie am produktivsten sind, spielt die Distributionspolitik (Verteilungspolitik) in hochentwickelten Wohlfahrtsstaaten wie dem deutschen eine konstitutive Rolle. In der Regel manifestiert sich diese Politik in einer Redistributionspolitik (Umverteilungspolitik), da die primäre Einkommens- und Vermögensverteilung nachträglich korrigiert wird. Ziel dieser Politik, die zu Lasten ökonomischer Effizienz geht, ist das Herstellen von Gerechtigkeit. Was genau unter Gerechtigkeit zu verstehen ist, bedarf einer eingehenden Analyse.
5.1. »Soziale Gerechtigkeit« »Gerechtigkeit« ist seit Menschengedenken einer der meistdiskutierten Begriffe, da er aus dem Portefeuille menschlicher Zielsetzungen nicht wegzudenken ist. Auch wenn es nicht möglich ist, eine allgemeingültige Definition von »Gerechtigkeit« zu formulieren, so folgt daraus nicht, auf den Versuch gänzlich zu verzichten, da wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen unweigerlich – ob explizit oder implizit – auf einer bestimmten Gerechtigkeitsvorstellung basieren. Schon lange erfreut sich der Ausdruck »soziale Gerechtigkeit« einer hohen Wertschätzung, obwohl er den Kerngedanken der Gerechtigkeit eher verschleiert als erhellt. Der erste Bestandteil der »sozialen Gerechtigkeit«, »sozial« – vergleiche lateinisch: »socialis«, deutsch: »die Gemeinschaft betreffend« – wird in der Regel nicht in seiner korrekten Bedeutung verwandt, die sich auf die Einbindung in das Leben einer Gemeinschaft bezieht, sondern als Synonym für »finanziell«: Wenn beispielsweise die Lohnsätze für Bezieher niedriger Einkommen unterproportional stark angehoben werden, spricht man von »sozialer Ungerechtigkeit«, meint aber »finanzielle Ungerechtigkeit«, da die unteren Lohn- und Gehaltsgruppen relative finanzielle Einbußen erleiden, die jedoch nicht zwangsläufig zu sozialen Einbußen führen müssen. Sozial schwach können auch Wohlhabende sein, die zum Beispiel aufgrund hoher beruflicher und damit auch sozialer Mobilität Einbußen in Bezug auf feste soziale Kontakte hinnehmen, während sogenannte »sozial Schwache« durchaus zu den sozial Starken gehören können, da sie über ein erweitertes, frei verfügbares Zeitbudget verfügen. Dass finanzielle Spielräume auch über Partizipationsmöglichkeiten am gesellschaftlichen Leben mitentscheiden, soll keineswegs geleugnet werden, aber ebenso darf der of-
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fensichtliche trade off zwischen hohen Einkommen und mehr Zeit für Teilhabe am sozialen Leben nicht ausgeblendet werden. Die Gleichsetzung von »sozial« mit »finanziell« verstellt den Blick dafür, dass in vielen Bereichen soziales Leben unabhängig von Reichtümern ist, ja sogar in einer substitutiven Beziehung zu einer guten finanziellen Lage stehen kann. In Ostdeutschland beispielsweise sind wirtschaftliche Fortschritte seit den neunziger Jahren unübersehbar, soziale Rückschritte aber eben auch. Der Hauptgrund, warum beispielsweise Arbeitslosigkeit als ein Problem empfunden wird, ist in Deutschland eher ein sozialer als ein finanzieller. Denn trotz einer im internationalen und intertemporalen Vergleich üppigen finanziellen Ausstattung Arbeitsloser wird dieser Zustand in der Regel aufgrund mangelnder sozialer Einbindung als negativ empfunden. Wer dieses Problem nur durch finanzielle Kategorien zu lösen gedenkt versperrt den Blick darauf, dass »Sozialleistungen« nur finanzielle, nicht aber soziale Leistungen darstellen. Der zweite Bestandteil »Gerechtigkeit« wird in der Regel im Sinne von absoluter »Gleichheit« verwandt. Nun kann jemandes Gerechtigkeitsvorstellung durchaus diese Gleichsetzung befürworten, sie ist jedoch keineswegs zwingend und wahrscheinlich auch nicht mehrheitsfähig. Schon Aristoteles schreibt in seiner »Nikomachischen Ethik« einen bedeutenden Satz, von dem meistens nur der erste Teil berücksichtigt wird, obwohl der zweite nicht weniger relevant ist: »Vielmehr kommen Zank und Streit eben daher, dass entweder Gleiche NichtGleiches oder Nicht-Gleiche Gleiches bekommen und genießen.« »Gleichverteilung« ist somit keine absolute, sondern eine relationale Variable, die nicht für sich allein betrachtet werden kann, sondern einer Bezugsgröße bedarf. Betrachtet man das, was in gleicher Weise verteilt sein soll, so ist es immer in Bezug auf irgendetwas gleich zu verteilen: Der Forderung nach einer für alle gleichen Einkommensverteilung würde wahrscheinlich nicht von der Mehrheit einer Gesellschaft getragen werden. Die Umsetzung dieses Ziels scheiterte an der mangelnden Berücksichtigung möglicher Bezugsgrößen wie zum Beispiel Leistung, Leistungsbereitschaft oder Bedürftigkeit. Nur bei gleicher Leistung (Leistungsbereitschaft oder Bedürftigkeit) zweier Personen wäre die Gleichverteilung der Einkommen für größere Teile der Bevölkerung ein erstrebenswertes Ziel. Ungleiche Niveaus der Bezugsgrößen implizieren dagegen konsequenterweise eine ungleiche Einkommensverteilung. »Soziale Gerechtigkeit« im herrschenden Sinne stellt nur einen Teil möglicher Gleichheiten dar und reduziert den hohen Komplexitätsgrad, welcher einer umfassenden Gerechtigkeit innewohnt, auf einen monetären Ausschnitt.
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»finanziell« statt »sozial«
»gleich« statt »gerecht«
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5.2. Gerechtigkeitsobjekte und -subjekte Nachdem die Unzulänglichkeit des Begriffs »soziale Gerechtigkeit« aufgezeigt worden ist, stehen im Folgenden die Objekte und Subjekte der Gerechtigkeit im Zentrum der Untersuchung, also das, was gerecht – nicht notwendigerweise gleich – zwischen einer zu definierenden Gruppe verteilt sein soll. Um das Konfliktpotential von Gerechtigkeitsdiskussionen zu reduzieren, empfiehlt sich, Gerechtigkeit in die beiden großen Gruppen der Ex-ante- und der Ex-post- Gerechtigkeit aufzuspalten: Ex-ante-Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit »im Vorhinein«, zielt darauf ab, gerechte Startbedingungen herzustellen und sieht – im strengen Sinne – gänzlich von Ergebnissen ab. Ex-post-Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit »im Nachhinein«, zielt darauf ab, gerechte Ergebnisse herzustellen und sieht – im strengen Sinne – gänzlich von den Startbedingungen ab.
Ex-ante-Gerechtigkeit: Anreizfunktion
Ex-post-Gerechtigkeit: Korrektivfunktion
Während Erstgenannte darauf abstellt, gleiche Handlungsmöglichkeiten – nicht Handlungen – aller Beteiligten zu generieren, konzentriert sich Ex-post-Gerechtigkeit auf das Erreichen des gleichen Nutzenniveaus. Ökonomisch bedeutsam ist die Einsicht, dass Ex-ante-Gerechtigkeit die Anreizfunktion wirtschaftlichen Handelns besser erfüllt als Ex-post-Gerechtigkeit, da jene davon absieht, Marktergebnisse zu korrigieren, wenn alle Marktteilnehmer die gleichen Ausgangsbedingungen haben. Somit entfallen Negativanreize, die im Zuge einer nach Expost-Gerechtigkeit strebenden Umverteilungspolitik nicht zu vermeiden sind, da diese das Nutzenniveau der Marktresultate erfolgreicher Individuen reduziert. Im Gegensatz dazu erfüllt Ex-post-Gerechtigkeit die Korrektivfunktion wirtschaftlichen Handelns besser, indem sie primäre Marktergebnisse korrigiert, was unweigerlich zu einer Verminderung individueller Leistungsanreize führt. Somit besteht – ökonomisch betrachtet – ein trade off zwischen Ex-ante- und Ex-postGerechtigkeit, da es sich um konkurrierende Zielsetzungen handelt. Es stellt sich die Frage, ob es ausreichend ist, sich auf eine der beiden Arten von Gerechtigkeit festzulegen und die andere vollends auszublenden, wie es in Diskussionen häufig zu beobachten ist. So argumentieren beispielsweise Vertreter von Arbeitgeberverbänden fast ausschließlich im Kontext der Ex-ante-Gerechtigkeit und Arbeitnehmervertreter im Rahmen der Ex-post-Gerechtigkeit. Eine reine Argumentation aus dem Blickwinkel der Ex-ante-Gerechtigkeit schließt als mögliches gewolltes Ergebnis mit ein, dass Menschen, die ihre gute Startposition nicht nutzen, eines Hungertodes sterben können, ja sogar sollen. Ein solches Ergebnis widerspricht aber menschlichen Moralvorstellun-
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gen und würde daher nicht als »gerecht« bezeichnet werden. Somit ist von einer alleinigen Betrachtung der Ex-ante-Gerechtigkeit abzusehen. Die einseitige Ausrichtung auf Ex-post-Gerechtigkeit, die ihren Blick nur auf gleiche Resultate lenkt, ließe ein Ergebnis zu, dass Menschen, die trotz besserer Anlagen und Möglichkeiten auf Kosten anderer leben, das gleiche Nutzenniveau erreichen können und sollen wie Menschen, die trotz widriger Anfangsbedingungen durch hohen persönlichen Einsatz Großes für die Gemeinschaft leisten. Auch dieses Ergebnis dürfte wohl in keiner Gesellschaft eine Mehrheit finden. Somit ist auch von einer alleinigen Betrachtung der Ex-post-Gerechtigkeit abzusehen. Da sowohl die einseitige Ausrichtung auf Ex-ante- als auch auf Ex-post-Gerechtigkeit zu Ergebnissen führen kann, die mehrheitlich nicht als »gerecht« empfunden werden, ist als Fazit festzuhalten, dass es für einen erfolgversprechenden Gerechtigkeitsdiskurs unabdinglich ist, beide Arten abzuprüfen. Bezüglich der Gerechtigkeit ist nicht nur die Frage zu beantworten, was ex ante oder ex post gleichverteilt sein soll, sondern auch, zwischen wem. Es ist diskussionswürdig, inwieweit beispielsweise eine Rentenreform neben der inländischen Erwerbsbevölkerung Hausfrauen (und –männer), Arbeitslose, Kinder oder Ausländer in einem Gerechtigkeitskonzept zu berücksichtigen hat. Selbst bei einer umfassenden Berücksichtigung der Gerechtigkeitssubjekte stellt sich die Frage, inwieweit künftige Generationen, die ihren Willen ja noch nicht äußern können, in ein Gerechtigkeitskonzept einzubeziehen sind, da sie beispielsweise die Schuldenlast ihrer Vorgängergenerationen (ab) zu tragen haben. Selbst die Forderung der Berücksichtigung vergangener Generationen hat etwas für sich: Tote werden beispielsweise durch Erbschaftssteuern nachträglich partiell »enteignet«, obwohl frühere Generationen ihr Vermögen in dem Glauben angehäuft haben mögen, es ihren Nachkommen zu hinterlassen. Diese intergenerationale Gerechtigkeit kommt in Formulierungen wie dem »Generationenvertrag« zumindest ansatzweise zum Vorschein. Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um einen Vertrag im herkömmlichen Sinne, weil keine übereinstimmenden Willenserklärungen der »Vertragspartner« vorliegen (können). Eine Möglichkeit, zumindest Kinder stärker zu berücksichtigen, könnte in einem indirekten Kinderwahlrecht liegen, bei dem den Erziehungsberechtigten jeweils eine halbe Wahlstimme pro Kind gegeben würde. Selbst wenn Eltern anders wählten als ihre Kinder es wünschten, könnte diese Vorgehensweise dadurch gerechtfertigt werden, dass Eltern auch in anderen Lebensbereichen Träger von Rechten und Pflichten für ihre Kinder sind. Es ist Teil der Ordnungspolitik und damit des Staates, diese Fragen nach der gerechten Ordnung zu lösen.
Ex-ante- und Ex-postGerechtigkeit bedeutsam
intergenerationale Gerechtigkeit
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5.3. Gerechtigkeitsgrundsätze vertikale Gerechtigkeit
Wenn von einer gerechten Einkommens- und/oder Vermögensverteilung die Rede ist, sind unterschiedliche Ebenen auseinander zu halten: So unterscheiden sich vertikale und horizontale Gerechtigkeit. In ihrer Wirkung in der Realität bedeutender ist die vertikale Gerechtigkeit, die beispielsweise zwei Personen mit unterschiedlichen Einkommen, aber ansonsten gleichen Voraussetzungen gegenüberstellt. Eine herrschende Gerechtigkeitsauffassung ist beispielsweise diejenige, dass jemand, der über ein höheres Einkommen verfügt, auch höhere Steuern zahlen soll als jemand, der über ein geringeres Einkommen verfügt.
horizontale Gerechtigkeit
Nicht zu vergessen ist die horizontale Gerechtigkeit, die beispielsweise zwei Familien vergleicht, die beide über ein Haushaltseinkommen von Euro 60.000 pro Jahr verfügen und sich nur darin unterscheiden, dass die eine Familie ein Kind hat, die zweite zwei. In Anlehnung an die vertikale Gerechtigkeit, würde man für die zweite Familie keine steuerlichen Vergünstigungen befürworten, weil sie im Vergleich mit anderen zu den sogenannten »Besserverdienenden« zählt. Im Rahmen einer horizontalen Gerechtigkeitsbetrachtung ist diese Vorgehensweise nicht zu rechtfertigen, da die zweite Familie gegenüber der ersten aufgrund ihres höheren Bedarfs benachteiligt ist und Kinder in Deutschland unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes stehen. Man sei sich darüber im Klaren, dass die Schlussfolgerungen ähnlich wären, wenn man eine kinderreiche Familie mit einem Jahreseinkommen von einer Million Euro betrachtete, wo die Mehrheit auf den ersten Blick die Gewährung von Kindergeld für ungerecht hielte. Diese Reaktion erfüllte aber nicht das Kriterium horizontaler Gerechtigkeit, im Rahmen derer der Millionär mit zwei Kindern mit einem Millionär mit einem Kind verglichen werden müsste.
Leistungsprinzip
Gemäß dem Leistungsprinzip ist eine Gerechtigkeitsverteilung anzustreben, die sich an dem orientiert, was jemand für das Gemeinwesen »leistet«. Was jedoch unter »Leistung« zu verstehen ist wird kontrovers diskutiert. Die Reduktion auf monetäre Größen verengt diesen Begriff auf eine Gerechtigkeitsvorstellung, die sich nur auf Beiträge zum Sozialprodukt beschränkt. Das Sozialproduktskonzept offenbart jedoch unter anderem die gravierende Schwäche, dass es nur marktgängige wirtschaftliche Aktivitäten berücksichtigt, aber Leistungen, die außerhalb des Marktes erbracht beziehungsweise empfangen werden, außer Acht lässt.
Äquivalenzprinzip
Das Äquivalenzprinzip stellt darauf ab, dass die zu leistenden Beiträge mit den in Anspruch genommenen staatlichen Leistungen steigen. Mit Hilfe dieses Prinzips lässt sich beispielsweise die Unternehmensbesteuerung rechtfertigen, indem darauf verwiesen wird, dass der Staat
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den Unternehmen die Nutzung seiner Infrastruktur ermöglicht, ohne die Unternehmen für Aufbau und Erhaltung der Infrastruktur in die Pflicht zu nehmen. Das Äquivalenzprinzip basiert auf dem römischen Prinzip des »do ut des« – »Ich gebe, damit du gibst« – und stellt sich das Verhältnis zwischen Staat und Individuum als ein Verhältnis zweier gleichberechtigter Vertragspartner vor, bei dem eine Leistung durch eine Gegenleistung entgolten wird. Während das Äquivalenzprinzip die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen in den Vordergrund stellt, berücksichtigt das Leistungsfähigkeitsprinzip die Fähigkeit des Einzelnen, sich an der Bereitstellung öffentlicher Leistungen zu beteiligen, sei es durch finanzielle Lasten wie Beiträge, Gebühren oder Steuern, sei es durch nicht-monetäre Lasten wie das Anbieten unentgeltlicher Arbeitsleistungen. Damit werden Personen an dem, was sie »haben«, gemessen, und zwar unabhängig davon, was sie »geben« (Leistungsprinzip) oder »nehmen« (Äquivalenzprinzip). Das Leistungsfähigkeitsprinzip rechtfertigt eine Umverteilung »von oben nach unten«, und zwar auch dann, wenn beispielsweise untere Einkommensschichten staatliche Leistungen in stärkerem Maße in Anspruch nehmen als Bezieher höherer Einkommen.
Leistungsfähigkeitsprinzip
Das Bedarfsprinzip fragt nicht danach, was jemand der Gesellschaft »gibt«, von ihr »nimmt« oder selbst »hat«, sondern orientiert sich allein an dem, was jemand »braucht«. Diese karitative Zielsetzung ist allerdings mit starken Problemen behaftet: Zum einen ist es nicht möglich festzulegen, was jemand »braucht«, da die Bedürfnisse der Menschen individuell verschieden sind und somit nur in einem »gläsernen Staat« offenkundig wären. Zum anderen ist die Grenze zwischen Grundbedarfsgütern und Luxusgütern fließend sowie in Abhängigkeit von der Raum-Zeit-Stelle variabel. Selbst Abraham Harold Maslow (1908-1970), berühmt geworden durch seine Maslow’sche Bedürfnispyramide, gibt zu, dass der Mensch nicht zuerst ausschließlich nach der Befriedigung seiner physiologischen Bedürfnisse (physiological needs) strebe, gefolgt von der Befriedigung seiner Sicherheits- (safety needs), Sozialisations- (belongingness and love needs), Selbstachtungs(esteem needs) und erst zum Schluss seiner Selbstverwirklichungsbedürfnisse (self-actualization needs), sondern räumt ein, dass man zeitgleich nach dem Stillen dieser Bedürfnisse trachte. Schließlich verletzt das Bedarfsprinzip die Anreizkompatibilität ökonomisch effizienten Verhaltens in gravierendem Ausmaß. Sobald jeder weiß, was ihm, gemessen an seinem Bedarf, zusteht, entfallen aufgrund einer radikalen Umverteilungspolitik individuelle Leistungsanreize, die den »Kuchen«, der aufgeteilt werden soll, schrumpfen lassen.
Bedarfsprinzip
280
Soziale Marktwirtschaft
6. Zusammenfassung 1. Die Soziale Marktwirtschaft gilt als die deutsche Wirtschaftsordnung schlechthin, da sie von deutschen Ökonomen, Juristen und Politikern entwickelt und erstmals im Nachkriegsdeutschland umgesetzt worden ist. Adam Smith (1723-1790) kann als einer ihrer Vordenker angesehen werden. 2. Die Soziale Marktwirtschaft ist kein neoliberales, sondern ein ordoliberales Konzept: Der Staat soll eine Ordnungspolitik betreiben, indem er eine Rahmenordnung mit generell-abstrakten Regeln schafft. Er soll sich aus der Prozesspolitik weitgehend heraushalten und den Individuen die spezifisch-konkreten Entscheidungen überlassen. 3. Wesentliche marktwirtschaftlich orientierte Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft sind das Recht auf Privateigentum, die Herstellung beziehungsweise Sicherung eines funktionsfähigen Wettbewerbs, das Prinzip der Konsumenten- und Produzentensouveränität, das Verursacherprinzip, das Prinzip der Anreizkompatibilität sowie Preisflexibilität. 4. Wesentliche sozial orientierte Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft sind das Prinzip der Subsidiarität, das sich in einem Primat dezentraler Strukturen niederschlägt, eine regelgebundene Politik, die durch öffentliche Nebenwetten an Glaubwürdigkeit gewinnt, die Sozialisierung bestimmter Risiken, die Versorgung mit nichtmarktgängigen, insbesondere öffentlichen Gütern und der Schutz vor moralischen Wagnissen und Trittbrettfahren. 5. Die Soziale Marktwirtschaft steht einer Stabilisierungspolitik skeptisch gegenüber. Eine expansive Fiskalpolitik mündet in einer Verdrängung privater Nachfrage. Selbst in keynesianischen Modellen wie dem IS-LM-Modell, dem Blinder-Solow-Modell sowie dem Mundell-Fleming-Modell kommt es in der Regel zumindest zu einem partiellen crowding out. 6. Eine steuerfinanzierte und – bei Geltung des Ricardianischen Äquivalenztheorems – auch eine kreditfinanzierte Stabilisierungspolitik erhöht die Verdrängungseffekte dadurch, dass das verfügbare Einkommen der Privaten und damit der Konsum sinkt. 7. Weitere Probleme, die gegen eine expansive Fiskalpolitik sprechen, sind die geringen verfügbaren öffentlichen Mittel, das Auftreten von Zeitverzögerungen zwischen der Analyse der wirtschaftlichen Situation und der Wirkung entsprechender Maßnahmen, die Vielzahl politischer Entscheidungsträger, die eine einheitliche Stabilisierungspolitik unmöglich macht, das mangelnde ökonomische
Soziale Marktwirtschaft
Wissen von Politikern, die empirisch bestätigte Gefahr hoher Staatsverschuldung, die Verhinderung notwendigen Strukturwandels sowie Vergeltungsmaßnahmen aus dem Ausland. 8. Aus Gründen der Effizienz und politischen Umsetzbarkeit wird einer Stabilitätspolitik mit unabhängigen und rechenschaftspflichtigen Institutionen Vorrang vor einer Stabilisierungspolitik eingeräumt. 9. Ex-ante-Gerechtigkeit ist die Gerechtigkeit am Start, Ex-post-Gerechtigkeit die im Ziel. Beide Arten von Gerechtigkeit sind aus moralischen Gründen in Gerechtigkeitsüberlegungen einzubeziehen. 10. Bedeutende Gerechtigkeitsgrundsätze sind die Grundsätze vertikaler und horizontaler Gerechtigkeit sowie das Leistungs-, Leistungsfähigkeits-, Äquivalenz- und Bedarfsprinzip.
281
282
Soziale Marktwirtschaft
7. Wiederholungsfragen
1.
Unterscheiden Sie Ordnungs- und Prozesspolitik. Lösung S. 262 ff.
2.
Erläutern Sie den Begriff crowding out. Lösung S. 269
3.
Erläutern Sie das Ricardianische Äquivalenztheorem. Lösung S. 270
4.
Erläutern Sie unterschiedliche Ebenen von Zeitverzögerungen (time lags). Lösung S. 270 f.
5.
Unterscheiden Sie Stabilisierungs- und Stabilitätspolitik. Lösung S. 269 ff.
Soziale Marktwirtschaft
8. Übungsaufgaben 1. »In einer Sozialen Marktwirtschaft soll der Staat seinen Einfluss so gering wie möglich halten.« Beurteilen Sie diese Aussage. Lösungsvorschlag: Diese Aussage ist falsch, da der Staat seinen Einfluss nur in der Prozesspolitik gering halten soll. Die Ordnungspolitik ist hingegen eine Politikform, in welcher der Staat seinen Einfluss gelten machen soll, um ökonomische, rechtliche, moralische und soziale Prinzipien mit Hilfe generell-abstrakter Regeln durchzusetzen. 2. »In einer Sozialen Marktwirtschaft soll der Staat für niedrige Zinssätze sorgen, um eine Volkswirtschaft über niedrige Kreditzinssätze und damit höhere Investitionen und höheren Konsum aus einer wirtschaftlichen Rezession zu führen.« Beurteilen Sie diese Aussage. Lösungsvorschlag: Diese Handlungsempfehlung geht nicht konform mit den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft, da eine (zinssatzsenkende) expansive Geldpolitik einen Eingriff in den Wirtschaftsablauf darstellt. Stattdessen sind unabhängige und rechenschaftspflichtige Institutionen mit klarer Aufgabenteilung zu schaffen, so dass diese Institutionen zur Verantwortung gezogen werden können. Die Geldpolitik soll stabilitätsorientiert von einer unabhängigen Zentralbank betrieben werden und dem Ziel der Preisniveaustabilität dienen, aber nicht für die Konjunkturpolitik vereinnahmt werden.
283
Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften
286
Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften
Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet durch die Schwedische Nationalbank Jahr
Name
1969
1970
1971
Universität
Land
Fachgebiet
Ragnar Frisch
Oslo
NOR
Jan Tinbergen
Netherlands School of Economics
NL
Dynamische Makroökonomik
Paul Samuelson
MIT
USA
Simon Kuznets
Harvard
USA
Allgemeine und partielle Gleichgewichtstheorie, Dynamische Wirtschaftstheorie
Neoklassische Synthese
Wirtschaftsgeschichte,
empirische Studien zur Konsumfunktion
Wirtschaftswachstum 1972
John Hicks
Oxford
UK
Kenneth Arrow
Harvard
USA
Berührungspunkte in diesem Buch
Allgemeine Gleichgewichtstheorie,
Phillips-Kurve
IS-LM-Modell
Wohlfahrtsökonomik, Public-Choice Theory 1973
Wassiliy Leontief
Harvard
UdSSR / USA
Input-Output-Analyse
1974
Friedrich A. v. Hayek
Freiburg
UK/A
Gunnar Myrdal
Stockholm
SWE
Institutionenökonomik, Entwicklungstheorie
Leonid Kantorowitsch
Akademie der Wissensch. Moskau
UdSSR
Ordoliberalismus versus Interventionismus
1975
1976
1977
optimale Ressourcenallokation
Tjalling Koopmans
Yale
USA
Milton Friedman
Chicago
USA
Geldtheorie, Konsumtheorie, Stabilitätspolitik
Außenwirtschaftstheorie
Bertil Ohlin
Stockholm
SWE
James Meade
Cambridge
UK
1978
Herbert Simon
Carnegie Mellon
USA
Institutionenökonomik
1979
Theodore Schultz
Chicago
USA
Entwicklungstheorie
Arthur Lewis
Princeton
USA
1980
Lawrence Klein
Pennsylvania
USA
Ökonometrie
1981
James Tobin
Yale
USA
Finanzmarkttheorie
1982
George Stigler
Chicago
USA
industrielle Organisation
1983
Gérard Debreu
Berkeley
USA
Allgemeine Gleichgewichtstheorie
1984
Richard Stone
Cambridge
USA
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
1985
Franco Modiglioni
MIT
USA
Konsumtheorie, Finanzmarkttheorie
permanente Einkommenshypothese, Neoquantitätstheorie, Monetarismus, passive Geldmengenregel, Phillips-Kurve
beschränkte Rationalität
LebenszyklusHypothese des Konsums
1986
James Buchanan
George Mason
USA
Finanzwissenschaft, Vertragstheorie, Verfassungsökonomik
politische Umsetzbarkeit ökonomischer Handlungsempfehlungen
Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften
287
Jahr
Name
Universität
Land
Fachgebiet
Berührungspunkte in diesem Buch
1987
Robert Solow
MIT
USA
Wachstumstheorie
Blinder-Solow-Modell, Phillips-Kurve
1988
Maurice Allais
ENSM
F
Allgemeine und partielle Gleichgewichtstheorie
1989
Trygve Haavelmo
Oslo
NOR
Ökonometrie
1990
Merton Miller
Chicago
USA
Finanzmarkttheorie
Harry Markowitz
New York City
USA
William Sharpe
Stanford
USA
1991
Ronald Coase
Chicago
USA
Institutionenökonomik
Coase-Theorem (Internalisierung externer Effekte), Transaktionskostentheorie
1992
Gary Becker
Chicago
USA
Wirtschaftssoziologie
homo oeconomicus
1993
Douglas North
St. Louis
USA
Wirtschaftsgeschichte
Robert Fogel
Chicago
USA
John Nash
Princeton
USA
John Harsanyi
Berkeley
USA
Haavelmo-Theorem
Verfügungsrechte
1994
Spieltheorie
Reinhard Selten
Bonn
D
1995
Robert Lucas
Chicago
USA
Neuklassik
Theorie rationaler Erwartungen, PhillipsKurve
1996
James Mirrlees
Cambridge
CAN
Informationsökonomik
William Vickrey
Columbia
USA
asymmetrische Informationsverteilung
Robert Merton
Harvard
USA
Myron Scholes
Stanford
USA
Amartya Sen
Cambridge
Indien
Wohlfahrtstheorie
Handlungsmöglichkeiten als Teil der Gerechtigkeit
1999
Robert Mundell
Columbia
USA
Monetäre Außenwirtschaftstheorie
Mundell-Fleming-Modell
2000
James Heckman
Chicago
USA
Ökonometrie
Daniel McFadden
Berkeley
USA
George Akerlof
Berkeley
USA
Michael Spence
Stanford
USA
1997 1998
2001
2002
Joseph Stiglitz
Columbia
USA
Daniel Kahneman
Princeton
Vernon Smith
George Mason
US/ Israel
Finanzmarkttheorie
Informationsökonomik
Asymmetrische Informationsverteilung
Wirtschaftspsychologie
homo oeconomicus
adverse Selektion
Experimentelle Ökonomik
USA 2003 2004
Robert Engle
New York City
USA
Clive Granger
San Diego
USA
Finn Kydland
Carnegie Mellon
NOR
Edward Prescott
Ökonometrie Dynamische Makroökonomik
USA
Arizona State 2005 2006
Robert Aumann
Jerusalem
Israel
Thomas Schelling
Maryland
USA
Edmund Phelps
Columbia
USA
Zeitinkonsistenzen der Fiskalpolitik, regelgebundene Geldpolitik
Spieltheorie intertemporale Makroökonomik
Phillips-Kurve
288
Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften
Dass die akademischen Spitzenleistungen in den Wirtschaftswissenschaften insbesondere in den USA erzielt werden, dokumentiert die Herkunft der Nobelpreisträger eindrucksvoll: Bis 2006 kamen von den insgesamt 58 Preisträgern 43 aus den USA (Leontief, 1973, war russischer Abstammung; Lewis, 1979, wurde auf Trinidad geboren; Kahneman, 2002, besitzt die israelische und die US-amerikanische Staatsangehörigkeit). Es folgten Briten (von Hayek, 1974, besaß die österreichische und die britische Staatsangehörigkeit) und Norweger mit je drei sowie Schweden, Russen und Israelis mit je zwei Laureaten. Außer Deutschland können Österreich, die Niederlande, Frankreich, Kanada und Indien mit je einem Nobelpreisträger aufwarten. Die Chicago University führt mit neun Preisträgern (1976: Friedman, 1979: Schultz, 1982: Stigler, 1990: Miller, 1991: Coase, 1992: Becker, 1993: Fogel, 1995: Lucas, 2000: Heckman) die Liste der renommierten amerikanischen Universitäten an. Es folgen die Harvard University mit fünf (1971: Kuznets, 1972: Arrow, 1973: Leontief, 1997: Merton, 1998: Sen – bis unmittelbar vor der Verleihung des Nobelpreises lehrte Sen, 1998, ein Jahrzehnt lang in Harvard, bevor er an die Cambridge University wechselte), die University of California in Berkeley mit vier (1983: Débreu, 1994: Harsanyi, 2000: Mc Fadden, 2001: Akerlof), die Columbia University in New York mit ebenfalls vier Preisträgern (1996: Vickrey, 1999: Mundell, 2001: Stiglitz, 2006: Phelps) sowie mit jeweils drei Geehrten das Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston (1970: Samuelson, 1985: Modigliani, 1987: Solow), die Stanford University in San Francisco (1990: Sharpe, 1997: Scholes, 2001: Spence) und die Princeton University (1979: Lewis, 1994: Nash, 2002: Kahneman). Einzig die Cambridge University, an der auch John Maynard Keynes gewirkt hat, bricht mit vier Nobelpreisträgern (1977: Meade, 1984: Stone, 1996: Mirrlees, 1998: Sen) in die Phalanx der amerikanisch dominierten wirtschaftswissenschaftlichen Spitzenforschung ein.
Literatur zur Vertiefung
290
Literatur zur Vertiefung
Anstatt eine lange Liste von Literaturempfehlungen unkommentiert im Raum stehen zu lassen, verweisen wir auf einige wenige Werke, deren Lektüre wir dem interessierten Studenten dafür umso mehr nahe legen. Besonders zu empfehlen sind die beiden Hauptwerke von Adam Smith, die sowohl in englischer Originalfassung als auch in deutscher Übersetzung erhältlich sind. Das Literaturstudium dieser beiden voluminösen Werke lohnt sehr, obwohl insbesondere der »Wohlstand der Nationen« an manchen Stellen langatmig wirkt. Da dieses Buch als eines der bedeutendsten Werke – wenn nicht als die bedeutendste Monographie – ökonomischer Literatur gepriesen wird und das Fundament der klassischen Theorie bildet, sollte es zumindest von Wirtschaftsstudenten gelesen worden sein. Smith’ »Theorie ethischer Gefühle« ist nicht nur ein hervorragender Ratgeber der praktischen Philosophie, sondern vermittelt dem Leser das Gefühl, dass Smith – entgegen gängigen Vorurteilen – »seine« Marktwirtschaft immer in eine hohen moralischen Ansprüchen genügende Rahmenordnung eingebettet gesehen hat: • •
•
•
Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, W. Pickering, London, 1995 (1776). Smith, Adam: Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, FinanzBuch Verlag, München, 2006. Smith, Adam: The Theory of Moral Sentiments (The Glasgow Edition of the Works and Correspondence of Adam Smith), Liberty Fund, Indianapolis, 1996 (1759). Smith, Adam: Theorie ethischer Gefühle, Meiner, Hamburg, 2004.
Den Gegenpart zur Klassisch-Neoklassik bildet John Maynard Keynes. Sein Hauptwerk liegt ebenfalls in englischer Originalfassung und in deutscher Übersetzung vor. Keynes’ »Allgemeine Theorie« gilt als das wichtigste wirtschaftswissenschaftliche Werk des 20. Jahrhunderts. Auch für sein Buch ist hervorzuheben, dass das Studium von Primärquellen in Ergänzung zum Durcharbeiten von Sekundärliteratur zusätzliche Einsichten vermittelt. Keynes’ Buch ist gut lesbar geschrieben, so dass den vorgebildeten Leser keine Verständnisschwierigkeiten erwarten: • •
Keynes, John Maynard: The General Theory of Employment, Interest and Money, Macmillan, London, 1936. Keynes, John Maynard: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Duncker und Humblot, Berlin, 2006.
Für vertiefende Studien zur makroökonomischen Theorie und Politik sind zwei Autoren besonders empfehlenswert, deren Werke zum einen über den gesamten Globus verbreitet sind und zum anderen in
Literatur zur Vertiefung
englischer und deutscher Sprache vorliegen. Ein bilinguales Studium liefert den unschätzbaren Vorteil, sich leicht mit der ökonomischen Fachterminologie in der Weltsprache der Wirtschaft, dem Englischen, vertraut zu machen, weil man beide Bücher »nebeneinander« lesen kann. Der eine Verfasser ist der emeritierte MIT-Professor und Nobelpreisträger von 1970, Paul Anthony Samuelson, den manche für den bedeutendsten Ökonomen seit dem Zweiten Weltkrieg halten. Co-Autor ist seit langem der Yale-Professor William D. Nordhaus. Konkurrenz erhielt dieses Duo durch den Harvard-Professor Nicholas Gregory Mankiw, der den beiden alteingesessenen Wissenschaftlern in den letzten Jahren Marktanteile am internationalen Lehrbuchmarkt abgenommen hat: • • • • •
Mankiw, Nicholas Gregory: Macroeconomics, Worth Publishers, 20066. Mankiw, Nicholas Gregory: Makroökonomik, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart, 20035 . Samuelson, Paul A. / Nordhaus, William D.: Economics, McGraw-Hill, Boston u.a., 199816. Samuelson, Paul A. / Nordhaus, William D.: Macroeconomics, McGraw-Hill, Boston u.a., 200518. Samuelson, Paul A. / Nordhaus, William D.: Volkswirtschaftslehre, mi Fachverlag, Frankfurt/Main, 2005.
Auf dem deutschen Lehrbuchmarkt sind besonders zwei Werke zu empfehlen: Das Buch von Ulrich Baßeler, Jürgen Heinrich und Burkhard Utecht (Utecht seit der 17. Auflage, Walter Koch 1.-15. Auflage) ist umfassend, didaktisch hervorragend aufbereitet und wurde in über 30 Jahren immer wieder überarbeitet und aktualisiert. Das Werk von Bernhard Felderer und Stefan Homburg ist insbesondere für neuere makroökonomische Theorien sehr zu empfehlen und seit über 20 Jahren eines der besten Makroökonomik-Lehrbücher überhaupt. •
•
Baßeler, Ulrich / Heinrich, Jürgen / Utecht, Burkhard: Grundlagen und Probleme derVolkswirtschaft, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 200618 (1976). Felderer, Bernhard / Homburg, Stefan: Makroökonomik und Neue Makroökonomik, Springer, Berlin / Heidelberg / New York, 20059.
291
Register
294
Register
A Abwertung 147, 161 ff., 172 f. Adjunkte 92 AD-Kurve 185
Auktionator, Walrasianischer 10, 67 Außenbeitrag 145, 148 f., 152, 159 ff., 171 ff.
B
Akzelerationstheorem 249, 255
Beckerath, Erwin von 261
Angebotskurve, gesamtwirtschaftliche 185 f., 193 f., 215, 222, 229
Bedarfsprinzip 279, 281
Anreizkompatibilität 9, 265, 280 Äquivalenzprinzip 278 f. Äquivalenztheorem, Ricardianisches 270, 280 Arbeitsangebot 7, 11, 14 ff., 27, 33, 38, 187, 191, 202, 228, 246, 248 Arbeitsangebotsfunktion 27 Arbeitsangebotskurve 15, 17 Arbeitslosigkeit 2, 6, 11, 33, 185 ff., 233 ff., 268, 270 – friktionelle 234 – konjunkturelle 270 – Sockel- 235 – strukturelle 234 Arbeitsmarktgleichgewicht 7, 18 Arbeitsnachfrage 7 f., 11, 16 ff., 22, 27, 30, 33, 38, 187 ff., 202 f., 212 f., 219 f., 228, 246 ff. Arbeitsnachfragefunktion 27 Arbeitsnachfragekurve 18, 33 Aristipp 3 Aristoteles 3, 275 AS-Kurve 186 Aufwertung 147, 159 f., 170 f.
Bedürfnispyramide, Maslow’sche 279 Bentham, Jeremy 9 Blinder, Alan 110 Blinder-Solow-Modell 109 ff. Bodin, Jean 25 Böhm, Franz 231 Brown, T.M. 49, 50 Budgetgerade 11 ff. Budgetrestriktion 11 f., 49, 67, 109, 111 ff., 137 Bullionisten 5
C Cambridge-Effekt 26 Cambridge-Gleichung 25 f., 29, 33 f., 38 ff. Chrematistik 3 Cicero 4 Colbertisten 5 Cramer’sche Regel 92, 102, 119, 196, 223 ff.
Register
crowding out 36, 96 ff., 136, 269, 280, 282
D deficit spending 67, 272 Devisenbilanz 143 ff., 151 ff., 175 – defizit 141, 151 ff. – überschuss 141, 151 ff.
295
– negative 69 Erwartungen 74, 244 ff. – adaptive 245, 250 – Muth-rationale 250 – ökonomisch-rationale 250, 256 – stationäre 74, 244 Eucken, Walter 261
F
Dichotomie, klassische 8, 26, 36, 38, 40, 245
Finanzierung 59, 71, 268 f.
Duesenberry, James 48, 50
– Bondfinanzierung 115, 117, 138 f.
E
– Geldmengenfinanzierung 115, 117, 124, 127 ff., 138 f. – Kreditfinanzierung 110, 115 f., 120, 137, 270 – Steuerfinanzierung 59, 115
Einkommen-Ausgaben-Modell 41 ff.
Fisher, Irving 10, 25, 49
Einkommenseffekt 13, 16, 48, 82 f., 86, 94 f., 107, 123 ff.
Fisher-Gleichung 25
Einkommenshypothese 48 ff., 61, 63, 245
Fiskalpolitik 2, 36, 59 ff., 65 ff., 90, 94, 96 ff., 129 ff., 167 ff., 205 ff., 225 ff., 245, 269 ff.
– absolute 50
free riding 268
– Habit-Persistence 49 f.
Friedman, Milton f., 245 ff., 254 f., 288
– Lebenszyklushypothese 49 f. – permanente 50, 61 – relative 48, 50 Epikur 3 Erhard, Ludwig 261 Ersparnis 22 f., 28 f., 34 f., 45 ff., 54 f., 68 ff., 112 – autonome 43, 55 ff., 69 – einkommensinduzierter 45
2, 49 f., 233
G Geld 10, 25 f., 30, 34, 67 ff., 90, 101 ff., 111, 117, 120, 122, 128 ff., 148,
296
Register
153, 155, 163, 167, 180, 188, 195, 199, 204 f., 231, 249 – angebot 25, 29, 30, 75 ff., 89, 104, 107, 112, 116, 148, 151, 181, 183, 188, 190, 231 – funktionen 25 – hyperbel 33 – illusion 188, 245 ff. – mengenregel, passive 245 – nachfrage zu Spekulationszwecken 71 ff., 94 ff., 104, 107, 120, 123, 181, – nachfrage zu Transaktionszwecken 71, 76 ff., 82 f., 89 ff., 107, 120 ff., 181, 203 f., 213 – nachfrage zu Vorsichtszwecken 75 – politik 36, 40, 65 f., 81 ff., 125 ff., 141 f., 156 f., 163 ff., 195 ff., 219, 223 f., 228 ff., 245 ff., 283,
Gleichgewicht 2, 11, 22, 34 f., 42, 54, 61, 65, 68, 75, 79, 83, 89, 104, 112, 116, 120 f., 129 ff., 141, 145 ff., 193, 199, 208, 238 f. – außenwirtschaftliches 145, 148 f., 152 f., 171 f., 175 – externes 141, 147, 149, 152 ff., 175 f., 176 – Gleichgewichtsbedingung 17, 22 ff., 55 f., 68, 70, 88 f., 101, 116 f., 128, 141, 147 ff., 171 f., 188 ff., 222 – internes 147 ff. – Unterbeschäftigungs- 193, 194, 198, 208, 215, 228 – Vollbeschäftigungs- 180, 193, 194, 208, 228 Grenzproduktivität 17, 22, 28 Großmann-Doerth, Hans 261
Gerechtigkeit 274 ff.
Güter
– ex ante 276 f., 281
– angebot 20 ff., 57 ff., 68, 82, 89, 95, 104, 123, 147, 188 f., 200, 220
– ex post 276 f., 281 – horizontale 278 – intergenerationale 277
– demeritorische 268 – meritorische 268
– vertikale 278
– nachfrage 20 ff., 28, 30, 34, 51, 56, 61, 68, 82 f., 89, 95, 104, 123, 188 f., 200, 205, 220
Gerechtigkeitsobjekte 259, 276
– öffentliche 4
– soziale 259, 274 ff.
Gerechtigkeitssubjekte 277 Gesetz – der von Anfang an abnehmenden Grenzerträge 21 – fundamentalpsychologisches 45, 47
H
– von Walras 22
Haavelmo, Trygve 41
Gewinngleichung 16
Haavelmo-Theorem 41, 42, 53, 59 ff.
Gewinnkurve 17
Hayek, Friedrich August von 36, 288
Gewinnmaximierung 10, 257
homo oeconomicus 10
Register
Hume, David 25 Hysterese 235
I
297
– Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 51 – importe 145 f., 152 ff., 171, 173 – mobilität 168 ff. – wert, optimaler 51 Kassenhaltungskoeffizient 25, 38 Keynesianismus 5, 40, 66, 185, 263
Importquote, marginale 60
Keynes, John Maynard 290
Indifferenzkurve 12, 13
Klasse, fruchtbare 6
Individualismus, methodologischer 10
Klassiker 10 f., 20, 25 f., 38, 40, 50, 66, 269
Informationsverteilung, asymmetrische 271 Investitionsfalle 71, 85, 97, 104, 107, 139, 193, 214, 231
Klassik-Neoklassik 7 ff.
Investitionsfunktion 22 f., 34, 41 f., 51 f., 61, 69 f., 202
Konsum 11 ff., 20 ff., 28, 34, 41 ff., 54 ff., 110 ff., 117, 122, 126, 133, 139, 203, 212 f., 220, 245, 267, 280, 283
invisible hand 8
– ausgabe 50
IS-Kurve 68 ff.
– autonomer 6
IS-LM-Modell 65 ff.
– einkommensinduzierter 45
IS-LM-ZZ-Modell 109 ff.
– funktion 22, 28, 30, 43 ff., 61, 112
J Jevons, William Stanley 10
K Kameralisten 5 Kapital 16, 20, 30, 145 f., 150, 167 ff., 178, 185, 266
– strom 50 Konsumentensouveränität 264 Konsum-Freizeit-Entscheidung 11 f. Konsum-Freizeit-Kurve 14 f. Konsumquote 43 ff., 54 ff. – durchschnittliche 44, 47, 61, 63 – marginale 44 ff., 54 ff.
L Leistungsfähigkeitsprinzip 279 Leistungsprinzip 278 f.
298
Register
Liquiditätsfalle 77 f., 85, 88, 93, 97, 100, 103 ff., 139, 181 ff., 194, 209, 214, 217 f., 228
– Arbeits- 2, 7, 11, 17 ff., 26 f., 30, 33 ff., 185 f., 202 f., 212 ff., 219 f., 228, 237 ff., 249, 272
Liquiditätspräferenztheorie 71, 106
– Geld- 2, 7, 25, 29 f., 38, 66, 68, 79 ff., 88 ff., 95 ff., 101, 104, 107, 112, 116 f., 123 ff., 148 f., 167, 175, 181 ff., 212 ff., 220 ff.
Lipsey, Richard 236 ff., 255 LM-Kurve
71 ff.
Lohn-Freizeit-Kurve 15 f. Lohnsatz 13 – flexibler 185, 188 – fixer 188, 191 – Mindest- 18 – Nominal- 16, 29 f., 33 f., 185 ff., 215, 236, 238, 242, 255 – Nominallohnsatzkurve 33, 187 – politik 2, 179 ff., 195, 215 ff., 226 ff.
– Güter- 5, 7 f., 20 ff., 27 ff., 61, 68, 70, 79 ff., 88 f., 94 f., 104, 112, 116, 123 ff., 132 ff., 147 ff., 164, 170 ff., 182, 185, 189 ff., 202 ff., 212 ff., 219 ff. – Kapital- 2, 7 f., 20, 22 ff., 28 ff., 34 f., 38, 68, 88, 104 – strategischer 11, 34, 36, 38 Marktwirtschaft 259 ff. – Freie 262
– Real- 15, 22, 191, 215, 246
– Soziale 259 ff.
– starrer 193
– Sozialistische 262
Lucas, Robert 234, 250 f., 254 f., 288
mark-up pricing 242 f., 257
Lücke 54, 61, 78
Maslow, Abraham Harold 279
– deflatorische 54, 61
Mengenanpasserverhalten 9
– inflatorische 54
Menger, Carl 10
M Magnus, Albertus 4 Malthus, Thomas 9 Marginalprinzip 10 Markt 8 ff., 30, 34 ff., 68, 202, 250, 262 ff.
Marshall, Alfred 10, 25
Merkantilisten 5 Mill – James 9 – John Stuart 9 Modigliani, Franco 49 f., 288 Monetarismus 245, 250 moral hazard 268 Müller-Armack, Alfred 261 Multiplikator 41 f., 53 ff., 90, 93, 101, 107, 110, 116, 121, 128, 135 f., 220 – elementarer 55 f.
Register
– Geldmengen- 88, 90, 93, 125, 134, 179, 223 f. – Lohn- 179, 222, 226 – Staatsausgaben- 59, 101 f., 109, 115, 120, 127 ff., 179, 225 Mundell-Fleming-Modell 141 ff. Muth, John 250
N Nachfragekurve, gesamtwirtschaftliche 183 ff., 193 f.
299
P Pareto, Vilfredo 10 Phelps, Edmund 234, 245 ff., 254 f., 288 Phillips, Alban William 236 Phillips-Kurven 233 ff. – originäre 236 ff. – keynesianische 242 ff. – monetaristische 245 ff.
Nebenbedingung 11
– neuklassische 250 ff.
Nebenwetten, öffentliche 280
– empirische 253
Neoklassiker 9 ff., 20, 25, 38, 40, 66, 269
Physiokraten 5
Neoklassische Synthese 179 ff.
Platon 3
Neoliberalismus 9 f.
Preis 4, 16, 20, 48, 111 f., 147, 159 f., 162, 165, 171 ff., 185, 215, 228, 242, 246
Neuklassik 10, 250 Neutralisierungspolitik 141, 151 ff., 176
Pigou, Arthur Cecil 10
– gerechter 4
Nobelpreisträger 285 ff.
– Höchst- 36,
Nutzenmaximierung 10, 12
– Markt- 11
O Oppenheimer, Franz 261 Opportunitätskosten 13, 23, 48, 75, 241, 270 Ordnungspolitik 9, 262 f., 280, 283 Ordoliberalismus 9, 261 f.
Produktionsfunktion 21 f., 26 ff., 33 ff., 187 ff., 212, 219 Produzentensouveränität 264, 280 Protektionismus 5 Prozesspolitik 9, 66, 260, 262, 280 ff.
300
Register
Q Quantitätsgleichung 25 f., 29, 38 f. Quesnay, Francois 5
R
Rahmenordnung 9, 262 f., 268, 280, 290 ratchet effect 49 Rechenmittelfunktion 25 Regel – äquivalenz 267 – stabilität 266 – transparenz 267 Ricardo, David 3, 9, Rigiditäten, Keynes’sche 184, 194, 197 ff., 206 ff., 214 ff., 224 ff. Röpke, Wilhelm 261 Rüstow, Alexander 261
S
Scotus, Johannes Duns 4 Seneca 4 Smith, Adam 290 Solow, Robert 110, 288 Sparfunktion 23, 28, 30, 41 ff., 61 f., 69 f. – keynesianische 45, 61 – klassische 23, 28 Sparquote 45 ff., 55 f., 59 ff. – durchschnittliche 46 f. – marginale 46 ff., 56, 63 Sperrklinkeneffekt 49 Stabilisierungspolitik 136, 270 ff., 280 f. Stabilitätspolitik 2, 259 f., 269, 272, 281 f. Subsidiaritätsprinzip 266, 280 Substitutionseffekt 13, 48
T tableau économique 5 Thomas von Aquin 4 Thünen, Johann Heinrich von 9 time lags 270, 282
Sargent, Thomas 251, 253
Transmissionsmechanismus 56, 61, 85, 97, 107, 114, 123 ff., 131, 152 ff., 179, 201 f., 211 f., 219
Say, Jean Baptiste 9
– bei festen Wechselkursen 167
Say’sches Theorem 20, 22, 28, 36, 38, 61, 63, 66, 82, 104, 187, 216, 218,
– bei flexiblen Wechselkursen 170
Scholastiker 4
– fiskalpolitischer 211 – geldpolitischer 202
Register
– lohnpolitischer 219
U Umlaufgeschwindigkeit 26, 29 Unparteiischer Zuschauer 260 Unsichtbare Hand 260, 265
V
– objektive 20 – subjektive 20 Wettbewerb, funktionsfähiger 275
X Xenophon 2, 3
Z
Verhaltensfunktion 77, 112
Zahlungsbilanz 143 ff.
Verhaltensgleichung 30
Zahlungsmittelfunktion 25
Vermögenseffekte 114, 128 f.
Zinsfuß, interner 51
W Walras, Léon 10, 22 Wechselkurs 147 f., 159 ff., 170 ff. – fester 2, 141 f., 151, 156 ff., 269 – flexibler 2, 141 f., 159 ff., 170 ff. – in Mengennotierung 147 – in Preisnotierung 147 Wert – Gebrauchs- 3 – Tausch- 3 Wertaufbewahrungsfunktion, konsekutive 25 Wertlehre 11, 20
Zinssatz – effektiver 71 ff. – kritischer 73 – natürlicher 11, 34, – nominaler 72, ZZ-Kurve 148 f.
301