Peter Wahler · Claus J. Tully · Christine Preiß Jugendliche in neuen Lernwelten
Schriften des Deutschen Jugendinstitu...
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Peter Wahler · Claus J. Tully · Christine Preiß Jugendliche in neuen Lernwelten
Schriften des Deutschen Jugendinstituts: Jugend Das Deutsche Jugendinstitut e. V. (DJI) ist ein zentrales sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut auf Bundesebene mit den Abteilungen „Kinder und Kinderbetreuung“, „Jugend und Jugendhilfe“, „Familie und Familienpolitik“, „Zentrum für Dauerbeobachtung und Methoden“, dem Forschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“ sowie den Forschungsgruppen „Gender und Lebensplanung“ und „Migration, Integration und interethnisches Zusammenleben“. Es führt sowohl eigene Forschungsvorhaben als auch Auftragsforschungsprojekte durch. Die Finanzierung erfolgt überwiegend aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Rahmen von Projektförderung aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Weitere Zuwendungen erhält das DJI von den Bundesländern und Institutionen der Wissenschaftsförderung. Das diesem Buch zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen B 8320 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
Peter Wahler · Claus J. Tully Christine Preiß
Jugendliche in neuen Lernwelten Selbstorganisierte Bildung jenseits institutioneller Qualifizierung 2., erweiterte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage 2004 2., erweiterte Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Beate Glaubitz, Satz und Redaktion, Leverkusen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16342-0
Inhalt
Vorwort zur zweiten Auflage Informelles Lernen – ein aktuelles Forschungsthema der Moderne (Claus J. Tully) ..........................................................................................
11
1
Vorbemerkung ...........................................................................
21
2
Jugendphase als Zeit des Lernens (Peter Wahler) ...............................................................................
23
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7
Zur historischen Etablierung der Jugendphase ..................... Verbreiterung und Verallgemeinerung des Schulbesuchs – die erste Bildungsreform ....................... Jungsein – Schülersein – Identität in der Altersgruppe finden ................................................................... Jugendliche Identitätsfindung und Schülerstatus in veränderten Lernwelten ....................................................... Das selbstgesteuerte Lernen – Grundelemente einer neuen Theorie ...................................... Selbstgesteuertes Lernen im lebensweltlichen Kontext von Jugendlichen ....................................................................... Zentrale Bereiche des außerschulischen Lernens: Befunde und Fragestellungen .................................................. 2.7.1 Computer und neue Informationstechnologien .......... 2.7.2 Lernen durch Erfahrungen mit der Arbeitswelt ......... 2.7.3 Lernen im Sport ............................................................... 2.7.4 Lernen durch Musik/Medien .........................................
24 25 28 32 36 37 42 42 43 44 45
6
3
3.1 3.2 3.3 3.4 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7 4.8 5 5.1
5.2
Inhalt
Untersuchungsmethode und Durchführung der empirischen Studie (Peter Wahler) ............................................................................... Die quantitative Befragung: zur Anlage der Stichprobe und Auswahl der Schulen ......... Zur Konstruktion des Fragebogens ........................................ Hauptuntersuchung: Verlauf und Durchführung.................. Auswertungsschritte und Grunddaten der Untersuchungspopulation ........................................................ Schule – der institutionalisierte Lernort (Peter Wahler) ............................................................................... Das Verhältnis Jugendlicher zur Schule – Fragestellung und Indikatoren ................................................. „Lieblingsfächer“ der Jugendlichen ........................................ Leistung und Belastung in der Einschätzung der Schüler.... Der Aufwand für das schulische Lernen ............................... „Nicht für die Schule, sondern für das Leben ...“ Deutungen zur Schule I ............................................................ Deutungsmuster zur Schule II ................................................. Was sich in der Schule verändern sollte – Reformvorschläge aus der Sicht der Jugendlichen ............... Zusammenfassung .....................................................................
49 52 54 57 58 61 61 63 65 67 70 76 79 80
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule (Claus J. Tully) ..............................................................................
83
Jugend: Freizeit, Nebenjob – oder eine abhängig autonome Existenzform .......................................... 5.1.1 Aktuelle Daten zu Taschengeld und Nebenjob .......... 5.1.2 Eigenständiger Konsum .................................................. 5.1.3 Erfahrungen in der Arbeitswelt ..................................... 5.1.4 Schule versus Nebenjob................................................... 5.1.5 Rahmen für die Darstellung der Befunde ..................... Die Nebenjobs der untersuchten Jugendlichen .................... 5.2.1 Der Job eine wichtige Sache............................................ 5.2.2 Wer jobbt wie viel? .......................................................... 5.2.3 Zeitlicher Aufwand für den Nebenjob .........................
83 86 87 88 89 91 91 91 92 94
Inhalt
5.3
5.4
5.5 5.6
7
5.2.4 Geld in den Händen Heranwachsender – die Verdienste .................................................................. Der Nebenjob – erste Erfahrungen in der Arbeitswelt ....... 5.3.1 Tätigkeitsfelder – Welche Jobs werden ausgeübt? ....... 5.3.2 Job-Motive und Lernerfahrungen ................................. 5.3.3 Vorstellungen im Hinblick auf die eigene berufliche Zukunft ......................................................... Zwischen Schule und Nebenjob ............................................. 5.4.1 Die Art und Qualität der Jobs oder was den Job von der Schule unterscheidet ....................................... 5.4.2 Länger zur Schule – Veränderung der Jugendphase ...................................... 5.4.3 Das Verhältnis von Schule und Nebenjob – Schmälert der Nebenjob die Schulleistung? ................ Budget und Ausgabeverhalten der befragten Schülerinnen und Schüler ......................................................... Fazit .............................................................................................
95 96 97 99 104 107 107 109 112 118 121
6
Sport – mit Bewegung lernen (Peter Wahler) ............................................................................... 125
6.1 6.2
Sportliche Leitbilder und jugendliche Entwicklung ............. Sportliche Interessen und Aktivitäten – Fragestellungen der Studie ....................................................... Schwerpunkte der sportlichen Aktivitäten ............................ Zeitlicher Umfang des Engagements ..................................... Organisationsform und sozialer Kontext .............................. Lerneffekte beim Sport aus der Sicht der Jugendlichen ...... Zusammenfassung .....................................................................
6.3 6.4 6.5 6.6 6.7
125 130 130 134 135 137 140
7
Leben und Lernen mit Musik (Christine Preiß) ............................................................................ 143
7.1 7.2
Musik – ein zentrales Sozialisationsfeld im Jugendalter ....... Zum Stellenwert von Musik im kulturellen Aktivitätsspektrum der Jugendlichen ...................................... Individuelle Zugänge und Betätigungsformen im Freizeitsegment „Musik“ .......................................................... Aktiver Umgang mit Musik – das Spektrum beliebter Instrumente .......................................
7.3 7.4
143 144 146 150
8
7.5 7.6 7.7
Inhalt
Lerneffekte im Umfeld von Musik ......................................... 151 Hip-Hop ist mehr als ein Lebensgefühl – das Beispiel der 17-jährigen Lea .............................................. 157 Zusammenfassung ..................................................................... 162
8.
Alltagslernen in technisierten Welten: Kompetenzerwerb durch Computer, Internet und Handy (Claus J. Tully) .............................................................................. 165
8.1
Lernen als Aneignung technisierter Welten ........................... 8.1.1 Leitthesen .......................................................................... 8.1.2 Technik und Lernen der Generation @ ....................... Neue Technik – jugendliche Technik ..................................... 8.2.1 Zur Normalität des Aufwachsens mit Technik ........... 8.2.2 Die gewachsene Bedeutung der Kommunikationstechnik .......................................... 8.2.3 Jugendlicher Technikbesitz: Computer, Internet, Handy.............................................. Die Rolle der Technik in der Freizeit ..................................... Lernen mit Computer, Internet und Handy .......................... 8.4.1 Lernkontexte und Lernergebnisse ................................. 8.4.2 Kontextualisierung der Technik im Jugendalltag ........ Ausblick .......................................................................................
8.2
8.3 8.4
8.5
165 167 169 171 171 173 175 183 187 188 190 195
9
Ergebnislinien zum außerschulischen Lernen (Claus J. Tully/Peter Wahler) ....................................................... 201
9.1 9.2
Lernen neben der Schule – ein aktuelles Thema .................. Sport, Medien, Musik und Job: ausgewählte Felder des Lernens neben der Schule ................................................. 9.2.1 Der Sport als Lernfeld ..................................................... 9.2.2 Neue Medien und neue Technologien: Handy, Internet und Computer .................................... 9.2.3 Lernfeld Musik ................................................................. 9.2.4 Lernfeld zwischen Schule und Arbeitswelt: Nebenjob .......................................................................... 9.2.5 Schule – der dominante, aber unbeliebte Lernort ....... Fazit .............................................................................................
9.3
201 205 207 208 209 210 211 212
Inhalt
9
9.4
Empfehlungen und Anregungen für die bildungspolitische Diskussion ................................................. 215
10
Literatur ....................................................................................... 225
11
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis .................................... 237
12
Anhang ........................................................................................ 239
13
Zu den Autoren und der Autorin ........................................... 241
Vorwort zur zweiten Auflage Informelles Lernen – ein aktuelles Forschungsthema der Moderne
Menschliches Lernen impliziert die Aneignung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten wie auch den Umgang mit Emotionen. Welchen Anforderungen und Einflüssen ist Lernen unter den dynamisierten Verhältnissen unserer Gesellschaft ausgesetzt? Die Veränderungen, die die Organisation von Lernen erfährt, deuten auf informelle Lernprozesse. Wann ist von formellen, wann von informellen Lernen zu sprechen? Informelles Lernen1
Obwohl Lernen ein Gegenstand der Pädagogik ist – denn zu den Aufgaben der Pädagogik gehört es Voraussetzungen der Wissensaneignung zu arrangieren und zu bewerten –, ist Lernen grundlegend ein sozialer Prozess. Lernen findet in konkreten Gesellschaften statt. Organisierte Bildung für viele ist ein Produkt der Industriegesellschaft. Zuvor war Bildung ein Privileg für die gehobenen Schichten der Gesellschaft. Dieses Privileg wurde in Deutschland erst mit eintreten der Bildungsreform in den 1960er und 1970er Jahren relativiert. Waren noch 1960 nur 8 % der Heranwachsenden zum Studium berechtigt, ist es heute rund ein Drittel. Diese Egalisierung von Bildung hat die anderen Merkmale der gesellschaftlich organisierten Bildung nicht berührt, es sind dies ihre formale Organisation, die schriftliche Fixierung von Lerninhalten und die Bedeutung von Zertifikaten. Mit dem Übergang zur postindustriellen Moderne sind neue Muster des Lernens beobachtbar. Es handelt sich um informelle Lernprozesse, die nicht zertifiziert werden. Sie sind formal nicht in ihren Inhalten 1 Es handelt sich im folgenden um eine überarbeitete und ergänzte Fassung meines Handbuchbeitrages, Informelles Lernen, der im Lexikon für Sozialwirtschaft (2008) abgedruckt wurde.
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Vorwort zur zweiten Auflage
und Zielsetzungen beschrieben und die Orte der Aneignung liegen häufig außerhalb der Bildungsinstitutionen (vgl. Tully 2006a, Dohmen 2001). Lernen findet eben nicht nur in der Institution Schule statt. Bei informellen Lernprozessen fehlt es an klaren örtlichen und sachlichen Zuordnungen. Dies hat sich zunächst mit dem Aufkommen des Computers als unabweisbare Herausforderung abgezeichnet (Tully 1994; Tully 1996). Was das Zusammenspiel gesellschaftlicher Entwicklung und Lernorganisation betrifft, lassen sich drei thesenhafte Statements formulieren: 1 Die gesellschaftliche Organisation von Lernen folgt gesellschaftlicher Differenzierung. Der Erwerb nützlicher Kenntnisse und Fertigkeiten, bedeutet sozialisationstheoretisch gesprochen die Aneignung des Wissens der Gesellschaft in ihrer gesamten Komplexität. Gesellschaftlicher Wandel verändert die Gesellschaft und damit notwendig deren Aneignung. Der Stand der gesellschaftlichen Differenzierung spiegelt sich im Lernen. Lernen ist nicht nur Erwerb von verbindlichen Kenntnissen und Fertigkeiten. 2 Die Differenzierung von Lernprozessen folgt in der Regel bevorzugt technischen Entwicklungen. Selbst die politisch gewollte und von der Politik initiierte Bildungsreform ist eine Reaktion auf die fortschreitende „Artifizierung“ der Gesellschaft. So war der Sputnikschock die technische Inszenierung, die Bildungsreform die politische Antwort. Sie sollte dazu beitragen, Bildungsreserven zu mobilisieren und mehr Qualifikation in allen Bereichen, vor allem in Technik und Wissenschaft, bereitzustellen. 3 Die technischen und sozialen Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte haben nachhaltigen Einfluss auf Lernanlässe und Lernen. Die bis in die 1970er Jahre hinein zu konstatierende Tendenz zu geordneten Verhältnissen in der Bildungslandschaft wird abgelöst. Die Halbwertzeiten des Wissens werden kürzer, die Lernanforderungen zahlreicher. Lernen und Bildung werden insgesamt situationsabhängiger. In Zeiten großer Dynamik kann weniger auf Regeln vertraut werden. Es kommt, wie die soziologischen Debatten zur „Individualisierung“ und zur „Entgrenzung“ andeuten, verstärkt auf die Subjekte und deren Handlungen an. Die aktive Organisation des eigenen Lebens wird zur Notwendigkeit, wenn sich traditionell verwurzelte Rollen und Lebenspläne auflösen.
Vorwort zur zweiten Auflage
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Von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft: Von formalisiertem zu informellem Lernen
Die Industriegesellschaft stand für geordnete Verhältnisse (vgl. Sombart 1987; Weber 1995, S.238; Tully 2003)). Zur sich durchsetzenden Industriegesellschaft gehört neben der Bildung von Nationalstaaten ebenso programmatische Individualisierung, kapitalistisch geprägte Erwerbsgesellschaft, Naturausbeutung, Verwissenschaftlichung und Rationalisierung und funktionale Differenzierung (Vgl. Beck/Bonß 2001, S. 20f.). Mit der Industriegesellschaft wurden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts eigene Erziehungssysteme mit professionellem Personal zur Unterrichtung etabliert (vgl. Luhmann 2002, Luhmann/Schorr 1988). Das Lernen durch Nachahmung und Mitmachen, wie es bei den mittelalterlichen Zunftberufen geschah, verschwand immer mehr. An die Stelle des Erfahrungstransfers trat der Wissenstransfer. Dazu wurde Bildung organisiert, etwa im mehrgliedrigen Schulsystem und der dualen Berufsausbildung. Organisierte Bildung kann auf geordnete Verhältnisse vorbereiten, wo aber gibt es solche heute? Aus der gewachsenen Individualisierung und Informalisierung resultieren Rückkopplungen. Das heißt die eigenverantwortlichen Bemühungen der Subjekte um die eigene Einbettung nehmen zu. Der Individualisierung korrespondiert ein Agieren in unterschiedlichen Settings. Die Subjekte müssen ihre Verhaltensweisen und ihr Handlungswissen permanent anpassen. Zudem müssen sie Verantwortung für ihre eigene soziale Einbettung übernehmen. Soziale Zugehörigkeit und Verpflichtungen nehmen ab, die eigene Person kann aber umgekehrt ihre Identität auch nicht mehr aus den kollektiven Vorgaben, wie überhaupt aus vorgegebenen Mustern erprobten Verhaltens, ableiten. Wir wissen: Schulische und duale Bildung bereiten nur bedingt auf künftige Beschäftigung vor. Dennoch wird die Jugendphase ungebrochen als eine gesehen, die der Vorbereitung auf künftige qualifizierte Beschäftigung dienen soll. Faktisch sehen wir uns in der heutigen Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft mit hochvariablen Bedingungen konfrontiert. Per Großtechnologie und neuen informationstechnischen Netzen kommt es zur Ausweitung der Systemgrenzen, aber auch zur fast paradoxen Reduktion von Komplxität. Je komplexer die Datennetze, desto einfacher gelingt es, sich darin zu bewegen (Tully 2003, S. 75f.). Und weil es einfacher ist, kann die Nutzung die-
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Vorwort zur zweiten Auflage
ser Artefakte einem immer größeren Personenkreis zugemutet werden. Der Gebrauch des Internets für home banking u.a.m. steht hierfür. Im Netz gibt es Nachschlagewerke, herunterladbare Informationen, fertige Seminar- und Hausarbeiten. In komplexen Gesellschaften entstehen so neue Lernanforderungen, neue Lernorte (vgl.Tully/Wahler 2006b) aber es werden auch neue Effizienzprüfungen erforderlich. Moderne Computernetze sind einfacher zu handhaben und ihre Nutzung wird zu einer Jedermanns-Tätigkeit, mit der Folge, dass auch immer mehr Personen entsprechendes Umgangswissen benötigen. Dynamik in der Gesellschaft, Dynamik im Lernen?
Im Übergang von der Dienstleistungsgesellschaft zu einer Gesellschaft, in der Selfservice eine immer größere Bedeutung bekommt, entstehen neue soziale Konstellationen. Arbeit wird nun auch in die Welt der Freizeit (Reproduktion) verlagert. Klieten werden zu Mitwirkenden. Während der Service der Dienstleister abnimmt, sieht sich das Individuum mit wachsenden Anforderungen konfrontiert. Wer im Selfservice agiert, muss für vieles Experte sein (Qualitätsprüfung, rechtliche Folgen, mögliche Kriterien für einen Umtausch der Ware usw.). Dies ist eine Vorgabe für lebenslanges und situationsbezogenes Lernen. Anstatt in festgelegten Kontexten, zu fixierten Zeiten und in definierten Gruppen zu „pauken“, scheint das Lernen künftig weitgehend von „lästigen“ Einschränkungen der Institutionen befreit, tendenziell selbsbestimmt und in vielerlei Hinsicht variabel (Dohmen 2002, Tully 2002). Für einen dynamischen und technisierten Alltag muss anders und anderes gelernt werden (vgl. Tully 2004a). Mit den neuen Technologien, ihren neuen Diensten und den von ihnen gestifteten zusätzlichen Kommunikationsmöglichkeiten kommen neue Anforderungen zum Tragen. Vorbei ist es mit den „geordneten Verhältnissen“, in denen Hänschen fürs Leben lernen sollte und bedingt auch konnte. Wer heute aufwächst, kann in geringerem Maße auf den Erwerb von „Vorratswissen“ vertrauen; wichtiger wird es, flexibel zu sein, auch die ungebrochene Motivation für fortgesetzte Aneignung und Auseinandersetzung wird unverzichtbar. Informell Gelerntes steht in Kontrast zu generalisierten Wissensbeständen. Wie genau sich unter diesen Bedingungen die Aneignung von Wissen und Kompetenzen auf informellem Wege vollzieht, ist noch
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weitgehend unerforscht. Auch muss man sich Gedanken darüber machen, wie Schule auf die zunehmende Vielfalt des Lernens in der flexibilisierten Gesellschaft (vgl. Tully 2006c) reagieren kann. Es gibt sowohl Forderungen nach nachträglicher Zertifizierung als auch vermehrte Hinweise auf die Relevanz informeller Lernprozesse. Beide Seiten, die Informalisierung von Bildung wie das Vertrauen in Zertifikate, scheinen zeitgleiche Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit zu sein. Dies erfordert mehr Eigenverantwortung der Subjekte. Der Offenheit der Lernsituation korrespondiert die Notwendigkeit zur Kontextualisierung (vgl. Tully 2004b). Mit dieser Informalisierung und Kontextualisierung gehen neue Herausforderungen einher. Auf den ersten Blick tun sich neue Chancen auf – aber es entstehen aber auch neue Risiken sozialer Ausgrenzung. Während die Schule immer auch den Auftrag hatte Chancengleichheit herzustellen, werden die Subjekte nun eigenverantwortlich für ihre Biografien, was für sozial schwächere Schichten den Problemdruck erhöht. Informelles Lernen – Ein notwendiges Thema der Jugendforschung
Die erste Buchveröffentlichung zum „Informelles Lernen“ stammt aus dem Jahr 1994. Das heißt am Deutschen Jugend Institut wurden die Forschungen zum informellen Lernen mit dem Projekt „Informelle Bildung im Jugendalter“ vergleichsweise früh aufgenommen. Der präzise Titel war folgender: Informalisierungsprozess im Jugendalter: Neue Informationstechnologien und neue Wege und neue Anforderungen für Lernen und Bildung. Die Projektdarstellung stammt aus dem Jahr 1992. Der dazugehörige Bericht wurde 1994 (Tully 1994) veröffentlicht. Dem Projekt ging folgende Stimmung voraus. Die Kultusministerien standen in der Kritik nicht zeitig genug und auch nicht umfassend die Bedingungen für einen friktionsfreien Erwerb von Computerkompetenzen geschaffen zu haben. Der „Computerführerschein“ wurde als Grundqualifikation gefordert und die Kultusministerien sahen sich veranlasst einen „Computerunterricht“ in die Planung aufzunehmen. Informationstechnische Grundbildung wurde so, je nach Schulform und Land in besonderer Weise zum Lerngegenstand erhoben (vgl. zum Überblick Tully 2004). Einerseits mussten sich die Befürworter von Computerbildung noch rechtfertigen, andererseits waren die Vor-
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Vorwort zur zweiten Auflage
aussetzungen für ein umfassende Qualifizierung zum Gebarauch von Computern denkbar ungünstig. Dennoch gab es viele Bemühungen diesem Anspruch gerecht zu werden. In der DDR gab es sogar einen eigenen Computer zum Erlernen des Umgang mit dem Computer, den BIC (Bildungscomputer). Im Westen wurde auf den damals gängigen Rechnern geschult (Apple, IBM-Kompatible, gelegentlich auch auf semiprofessionellen Rechnern wie Atari). Die Kids spielten viel mit den Computern (Commodore war richtig „in“). In dieser Zeit formulierte das o.g. Forschungsprojekt seine Thesen zur Notwendigkeit außerschulischen Lernens. Zunächst ging es vorrangig um den Umgang mit neuen Technologien, später wurde die gesellschaftliche Dynamisierung, der für die Chip-Technologie diagnostiziert wurde, im Hinblick auf die gewachsene gesellschaftliche Dynamik moderner Gesellschaften verallgemeinert. Dies war der Hintergrund der „Informalisierungsthese“, die die damaligen Forschungsarbeiten ordnete. Diese Informalisierungsthese wurde dann auch in der ‚Abteilung K‘ des Instituts (Kinder) aufgegriffen und in dortigen Forschungsarbeiten auf ihre 2 Tauglichkeit und Erklärungskraft hin getestet. Später folgten noch weitere Untersuchungen und die These wurde in anderen Forschungszusammenhängen diskutiert. Begreift man Informalisierung, als durch wachsende Dynamisierung gesellschaftlicher Verhältnisse veranlasst, so überrascht dies kaum. Der unter Mitarbeit des Deutschen Jugend Instituts erstellte Nationale Bildungsbericht (2004) und der Bericht Bildung in Deutschland (2006) räumt der informellen Bildung denn auch breiten Raum ein. Weiter nimmt im 12. Jugendbericht (BMFSFJ 2005) informelles Lernen eine herausgehobene Rolle ein. Gefragt wird nach lebensalltäglichen Kompetenzen Heranwachsender. Und vor allem wird danach Ausschau gehalten, wo Lernangebote gemacht und von Jugendlichen wahrgenommen werden. Der Bericht zeigt auf, welchen Lernwelten und Bildungsorten die Heranwachsenden im Laufe ihres Kindes- und Jugendalters begegnen, wie es auch die folgende Abbildung zeigt.
2 D.h. im Anschluss an das oben genannte Projekt gab es eine weitere empirische Untersuchung am DJI, die informelles Lernen von Kindern thematisierte (vg. Z.B. Hössl 2006).
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Eine weitere große empirische Untersuchung zu Bedingungen und Folgen informellen Lernens wird mit dem hier vorliegenden Forschungsbericht geleistet. Befragt wurden 2000 Jugendlichen im Alter von 15-18 Jahren. Die herausragende Stellung dieser Studie liegt darin begründet, dass eine erste gezielte Analyse informellen Lernens im Abgleich zu schulischem Lernen vorgenommen wird. Verglichen werden die Urteile Jugendlicher zum schulischen und öffentlichen Lernen. Der rasche Abverkauf der ersten Auflage spiegelt das wissenschaftliche Interesse an dieser Fragenstellung. Inzwischen ist ein weiterer Forschungsbericht zum informellen Lernen aus der Werkstatt des DJI und des Forschungsverbandes des DJIs an der Uni Dortmund veröffentlicht. Er wird von Wiebken Düx, Gerald Preis, Erich Sass und Claus J. Tully verantwortet und ist unter dem Titel „Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement – Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter“ erschienen (Düx, Prein, Sass, Tully 2008). Als pädagogisch orientierter Soziologe mit Schwerpunkt Bildungssoziologie/Soziologie der Bildungswissenschaften, der sich intensiv mit den außerschulischen Lernformen befasst hat, freue ich mich über die Karriere der Forschungsthese zum „informellen Lernen“. Auch in den jüngeren und aktuellen Forschungsthemen zu Jugend (als Lernphase, vgl. Tully 2007a), zu Umwelt und Ernährung werden 3 informelle Lernprozesse im Blick behalten . Wobei informelles Lernen in den letzten Veröffentlichungen immer stärker mit Kontextualisierung (Tully 2008a, 2008b, 2007a, 2007b, 2007c) zusammengedacht wird. Bressanone im Juli 2008
Claus J. Tully
3 Vgl. dazu die Aktivitäten im Rahmen der Dekade 21 der Vereinten Nationen im Februar 2008 an der FU Berlin zum Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung und dem am 15.02.08 von mir gehaltenen Vortrag „Informelles Lernen. Informalisierung ein gesellschaftlicher Trend?” Weiter beginnt nun im Sommer ein vom BMF gefördertes Forschungsprojekt mit dem Titel „Beitrag von Bildungsinstitution zur Förderung nachhaltigen Konsums bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, es hat eine Laufzeit von drei Jahren und bietet hinereichend Gelegenheit über lernen in der Moderne zu forschen.
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Literatur Barthelmes, J.(2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht: Bildungsorte und Lernwelten. In: DJI Bulletin 73, S.22 Beck, U. / Bonß, W. (Hrsg.) (2001): Die Modernisierung der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (Hrsg.) (2005): 12. Kinder – und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Bonn Dohmen, G. (2002): PISA als Anstoß für „natürliches“ Lernen. In: DISKURS 2/2002, S. 39-44 Dohmen, G. (2001). Das informelle Lernen – Die internationale Erschließung einer bisher vernachlässigten Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller. http://www.bmbf.de/pub/das_informelle_lernen.pdf (20.09.2006) Düx, W.; u.a. (Hrsg.) (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement. Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter. Wiesbaden: VS-Verlag Hössl, A. (2006): Die Bedeutung nonformaler und informeller Bildung bei Schulkindern. In: Tully, C.J. (Hrsg): Lernen in flexibilisierten Welten. München/Weinheim: Juventa, S.165-182 Luhmann, N.; Schorr, K.N. (1988): Reflexionsprobleme im Erziehungssystem. Frankfurt am Main: Suhrkamp Luhmann, N. (2002): Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp Sombart, W. (1987): Der moderne Kapitalismus. Bände I und III. München: DTV Tully, C.J. (2008a): Informalización y contextualización. Uso y apropiacón asistemática de las nuevas tecnologías. In: Revista International de Sociología, Vol. LXVI, N° 49, S. 61-88 Tully, C.J. (2008b): Option und Praxis freiwilligen Engagements – Ansatzpunkte und Muster für Partizipation Jugendlicher in der Modernen. In: Neue Praxis (im Druck). Tully, C.J. (2007a): Jugendliche Lebenswelten als informelle Lernwelten. Bildungsqualität im außerschulischen Bereich. In: ZSE, Zeitschrift für Soziologie und Erziehung, 4/2007, S.402-417 Tully, C.J. (2007b): La socialización en el presente digital. Informalización y contextualización. In: Revista CTS (Universität Salamanca und REDES Buenos AIRES) N° 8, Vol. 3, S. 9-22 Tully, C.J. (2007c): Transitions from function-oriented technologies – some thoughts on the nature of modern technology. In: History and Philosophy of Science and Technology, in Encyclopedia of Life and Support Systems (EOLSS), developed under the Auspices of the UNESCO, EOLSS publishers, Oxford, UK Tully, C.J (2006a): Informelles Lernen: eine Folge dynamisierter sozialer Differenzierung. In: H.-U. Otto/ J. Oelkers (Hrsg.): Zeitgemäße Bildung. Herausforderung für Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik. München: Reinhardt Verlag, S. 72-89 Tully, C.J. (2006c) (Hrsg.): Lernen in flexibilisierten Welten. Weinheim und München: Juventa Verlag Tully, C.J. (2004a): Nutzung jenseits systematischer Aneignung – Informalisierung und Kontextualisierung. In: Tully, C. J. (Hrsg.): Verändertes Lernen in modernen technisierten Welten. Wiesbaden: VS-Verlag, S.27-55
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Tully, C. J. (2004b): Schule und Job. Vom Nacheinander zum Nebeneinander. In: DISKURS 1/2004, S. 54-63 Tully, C. J. (2003): Mensch - Maschine - Megabyte. Technik in der Alltagskultur. Eine sozialwissenschaftliche Hinführung. Opladen: Leske und Budrich Tully, C. J. (2002): Informalisierung und Kontextualisierung. Technische Netze im Alltag der Generation @. In: DISKURS 2/2002, S. 65-69 Tully, C.J. (1996): Ways to computerknowledge. In: computer and education 1/1996, S.31-43 Tully, C.J. (1994): Lernen in der Informationsgesellschaft. Informelle Bildung durch Computer und Medien. Opladen: Westdeutscher Verlag Tully, C.J./ Wahler, P. (2006b): Neue Lernwelten Jugendlicher. Ergebnislinien einer empirischen Untersuchung. In: Tully, C.J. (Hrsg): Lernen in flexibilisierten Welten. München und Weinheim: Juventa Weber, M. (1995): Schriften zur Soziologie. Stuttgart: Reclam
1
Vorbemerkung
Der rasche gesellschaftliche Wandel hat die Frage nach der Qualität des Lernens wieder stärker in den Blickpunkt der öffentlichen Debatte gerückt. Angesichts der wachsenden Bedeutung von Bildungsprozessen für das berufliche und private Leben ist zwar das Lernen innerhalb der Schule zu einem zentralen Thema geworden, außerhalb dieser Institution stattfindende informelle Lernprozesse blieben aber bislang eher unberücksichtigt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen ist das Deutsche Jugendinstitut im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „Jugendliche in neuen Lernwelten – selbstgesteuerte Bildung jenseits institutionalisierter Qualifizierung“ der Frage nachgegangen, welche Bedeutung außerschulische Lernerfahrungen für die Bildung Heranwachsender haben. Der nachfolgende Forschungsbericht gibt einen Überblick über ihre Aktivitäten im Freizeit- und Arbeitsbereich (am Beispiel von Musik, Sport, Informationstechnik und auch Jobs) und liefert Befunde dazu, welche Vorstellungen, Interessen und Motive auf Seiten der Schüler vorhanden sind und welche Bildungsansprüche und Zukunftsperspektiven sie mit dem Lernen außerhalb der Schule verbinden. Im Rahmen der empirischen Studie wurden 2.064 Jugendliche standardisiert befragt und eine Anzahl qualitativer Interviews mit Jugendlichen und einschlägigen Experten durchgeführt. Das entsprechende Forschungsdesign wurde von der Projektgruppe am Deutschen Jugendinstitut entworfen. Die quantitative Erhebung sowie die Datenorganisation wurde vom SOKO-Institut in Bielefeld durchgeführt. Die vorliegende Ergebnisdarstellung rückt vor allem Befunde zu folgenden thematischen Feldern in den Blick: – die Schule und ihr Stellenwert im Rahmen des außerschulischen Lernens Jugendlicher,
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Vorbemerkung
– die Antizipation der Arbeitswelt, wie sie bei 15- bis 18-Jährigen heute über Nebenjobs stattfindet. Solche Jobs nehmen einen wachsenden Anteil der Freizeit ein, weil sie die wirtschaftliche Eigenständigkeit fördern, sie ermöglichen zugleich aber auch erste Einblicke in die Arbeitswelt. Weitere Schwerpunkte der Untersuchung galten den verschiedenen Aktivitäten, die heute zum fixen Bestandteil des Jugendalltags gehören und zugleich als Lernfelder fungieren. Vor dem Hintergrund eines umfassenden jugendkulturellen Angebots und entsprechender vielfältiger Lernmöglichkeiten haben wir uns auf folgende Felder konzentriert: – Sport als Sphäre von Körper- und Bewegungserfahrungen, – die informationstechnischen Medien wie Computer, Handy und Internet als Bausteine der modernen Freizeitgestaltung und als Lernanreize, – Musik als aktive und passive Freizeitgestaltung. Ein Kapitel zur theoretischen Konzeption, eine Darlegung des methodischen Vorgehens sowie ein Fazit mit bildungspolitischen Schlussfolgerungen ergänzen die Ergebnisdarstellung. Die Autoren verantworten jeweils die von ihnen verfassten Beiträge. Die Verfasser hoffen mit den Ergebnissen ein ergänzendes Bild zur aktuellen Debatte um die Bildung Heranwachsender zu liefern. Der Bildungsprozess Jugendlicher, so viel kann vorweg gesagt werden, scheint doch facettenreicher als die öffentliche Diskussion zu den Befunden der PISA-Studie vermuten ließ. Danken möchten wir an dieser Stelle Henry Puhe, Wiebke Wilts und Friedolf Ossyssek vom SOKO-Institut Bielefeld für anregende Diskussionen bei der Konzeption der empirischen Studie und ihren unermüdlichen Einsatz bei der Durchführung und Auswertung der Erhebung. Dirk Baier von der TU Chemnitz danken wir für seine Unterstützung bei der Datenaufbereitung und Interpretation der Befunde. München im Mai 2004
Peter Wahler und Claus J. Tully
Peter Wahler 2
Jugendphase als Zeit des Lernens
Dass die Jugendphase weitgehend durch Lernen geprägt wird, ist uns vertraut. Unter bildungstheoretischen Gesichtspunkten sind Formbarkeit und Potentialität ein Kennzeichen dieses Lebensabschnitts. Der immer größer werdende zeitliche Anteil der jugendlichen Lebensphase, der durch die Schule bestimmt wird, kündet vom Erfolg der organisierten Bildung und der öffentlichen Institutionalisierung des Lernens, das zum verbindlichen Lebenslaufmuster für alle Gesellschaftsmitglieder geworden ist. In den letzten Jahren hat eine umfangreiche Diskussion um die Öffnung und Weiterentwicklung der Schule stattgefunden (vgl. Preiß/ Wahler 2002), in der allerdings der eigentliche Adressat der Reformbemühungen, nämlich der Jugendliche als lernendes Individuum in einer veränderten gesellschaftlichen Umwelt, eher eine Nebenrolle spielte und vorwiegend aus dem Blickwinkel der Institution Schule, gleichsam als ihr Produkt wahrgenommen wurde (vgl. Wiater 1999). Im Sinn einer erweiterten Untersuchungsperspektive wäre aber u. E. die Frage danach zu stellen, ob nicht der Wandel von Bildung und Lernen in der Informationsgesellschaft auch einen veränderten Blick auf die Jugendlichen notwendig macht, der sie nicht nur als Adressaten schulischer Bildungsprozesse betrachtet, sondern als lernende Individuen, die ihre persönlichen Potentiale und Ressourcen mehr und mehr in Eigenregie und das heißt auch abseits des schulisch organisierten Lernens entwickeln. Um diese Perspektive zu begründen, wollen wir im Folgenden Überlegungen präsentieren, die das Lernen im Jugendalter aus unterschiedlichen Blickwinkeln thematisieren: In einem ersten Teil geht es zunächst um die Jugendphase, ihre historische Entwicklung, soziologische Konzeptualisierung und aktuelle Befunde zum lernenden Heranwachsenden. In einem zweiten Teil betrachten wir dann außerschulische, informelle Lernprozesse im engeren Sinn, wie sie mit vielen Freizeitaktivitäten verbunden sind. Im Anschluss
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werden wir dann unser Konzept für eine empirische Untersuchung dieser Thematik entwickeln. 2.1 Zur historischen Etablierung der Jugendphase
Im historischen Rückblick lässt sich nachvollziehen, dass die Entstehung von Kindheit und Jugend in ihrer heutigen Form sich funktionalen Ausdifferenzierungen verdankt, die durch die Herausbildung von gesellschaftlichen Teilsystemen für Erziehung, Wissenschaft, Kultur usw. etabliert wurden. Die moderne intimisierte Privatfamilie markiert den Beginn einer neuen sozialen Formung von Jugend. Erziehungssysteme mit professionellem Personal zur Unterrichtung begleiteten nach und nach die Entwicklung der Industriegesellschaft ab der Mitte des 19. Jahrhunderts (vgl. Luhmann 2002). Diese Etablierung der Institution Schule macht Bildung zu einem gesellschaftlich anerkannten Lebensabschnitt. Jugendliche erlernen „gesellschaftliche Handlungsvollzüge und dafür notwendige Kenntnisse nicht mehr im unmittelbaren Lebensalltag zusammen mit ihren Eltern oder anderen Erwachsenen, sondern sie werden in speziell hierfür geschaffenen Organisationen von speziellen hierfür ausgebildeten professionellen Lehrkräften unterrichtet“ (Hurrelmann 1999, S. 107).
Damit geht der faktische Einfluss der Eltern zugunsten staatlicher Erziehung zurück. Institutionell geordnete Bildung vermittelt allgemeinverbindliche Grundkenntnisse und ebenso neue Arbeitsmethoden für die aufkommende industrielle Wirtschaft. Arbeitsbildung wird aus dem häuslichen Umfeld der Handwerksmeister ausgelagert, da die industrielle Massenfertigung einer neuen Form der Qualifizierung bedarf. Die Industriegesellschaft bricht mit Traditionen und setzt an die Stelle des Erfahrungstransfers die Vermittlung von Wissen. Werner Sombart, ein Klassiker der Soziologie, beschreibt (vgl. Tully 2003, S. 41f.) diesen Umbruch für die berufliche Ausbildung wie folgt: „Seitdem wird etwas nicht mehr vollbracht, weil ein Meister sich im Besitz seines persönlichen Könnens befindet, sondern weil jemand, die (Gesetzmäßigkeiten) kennt, die dem technischen Vorgang zugrunde liegen. War früher nach Regeln gearbeitet worden, so vollzieht sich jetzt die Tätigkeit nach Gesetzen, deren Ergründung und Anwendung die eigentliche Hauptaufgabe des rationellen Verfahrens ist“ (Sombart 1987, S. 314).
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Die Gesellschaft wurde rechenhafter und an die Stelle „empirischtraditionalistischer“ Stile treten nun „wissenschaftlich-rationalistische“ Verfahrensweisen (Sombart 1987, S. 479). Mit der Industrialisierung tritt an die Stelle nachahmenden Lernens, das in den unmittelbaren Lebenszusammenhang eingebettet war, die durchdachte Vermittlung von Fähigkeiten, und die Systematik des Wissens bestimmt mehr und mehr die Abfolge des Lernens. Die Auslagerung von Bildung und Erziehung aus der Familie hat also den Jugendstatus in seiner heute geläufigen Form begründet und mit Hurrelmann lässt sich sagen: „Der hohe Stellenwert der Schule als Sozialisationsinstanz im Jugendalter erscheint uns heute selbstverständlich, doch er hat sich erst in der jüngeren Geschichte herausgebildet. Noch zur Zeit der Industrialisierung war die Schule praktisch nur für einen kleinen Teil der Jugendlichen ein wichtiger Aufenthaltsraum, da es die Familie war, die neben sonstigen Aufgaben der Erziehung auch die Einweisung in berufliche und gesellschaftliche Qualifikationen vornahm. Diese Funktion hat die Familie inzwischen vollständig an die Spezialinstitution Schule abgegeben ... die Jugendzeit in den modernen Industriegesellschaft ist zur Schulzeit geworden“ (Hurrelmann 1999, S. 106f.).
2.2 Verbreiterung und Verallgemeinerung des Schulbesuchs – die erste Bildungsreform
Zu Beginn der Industriegesellschaft freilich war die biographische Phase der Ausbildung für die Mehrheit der Jugendlichen relativ kurz angelegt und in ihrem Kern auf ‚Arbeit‘ reduziert. Erst ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts kann tatsächlich von einer Verbreiterung der Lebensphase der Jugend gesprochen werden. In den 60er Jahren kam die Bildungsreform in Gang. Unter dem Eindruck der Konkurrenz der Gesellschaftssysteme in Ost und West rückte als wichtiger Faktor im Vergleich des wirtschaftlichen und technologischen Potentials die Qualifikation in den Vordergrund. Das Schulsystem bestand zunächst noch aus den nebeneinander existierenden Strängen Hauptschule, Realschule, Gymnasium, und es gab Kritik sowohl am Ausmaß als auch an der Verteilung der schulischen Bildung (vgl. Picht 1964). Der Ruf nach besseren Bildungschancen und mehr Durchlässigkeit auch im Verhältnis von allgemeiner und beruflicher Bildung wurde immer lauter. Der Weg an die Universitäten und zu einer akademischen Beschäftigung stand nur rund fünf Prozent der Kinder aus Arbeiterfamilien offen, mehrheitlich wurde er von Kindern
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aus den besseren Kreisen genutzt. Insofern hatte das Bildungssystem an der Reproduktion sozialer Ungleichheiten erheblichen Anteil. Die gehobenen Bildungswege waren nur für wenige vorgesehen, von Ralf Dahrendorf wurde deshalb „Bildung als Bürgerrecht“ (1965) angemahnt. In der Folgezeit kam es zur bildungspolitischen Förderung des weiterführenden Schulbesuchs und zu Versuchen, mehr Durchlässigkeit im Bildungswesen herzustellen und ‚Begabungsreserven‘ zu mobilisieren.4 Die Hauptschule wurde bereits in den 60er Jahren von acht auf neun Jahre verlängert, Gymnasien und Realschulen ausgebaut, um mehr Jugendlichen den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen zu ermöglichen. Tab. 2.1: Schulabgänger nach Art des Abschlusses (in %) Alte Bundesländer Jahr
Gesamtzahl (in 1000)
1960 1970 1975 1980 1985 1990
642,5 780,7 954,6 1144,7 1110,2 812,2
Ohne Haupt- Mit Hauptschulab Mit Realschulab- Hochschulreife schulabschluss schluss schluss oder gleichw. Abschluss 17,7 55,2 18,2 8,8 17,9 44,7 25,6 11,7 12,0 36,4 33,3 18,3 9,6 34,2 36,8 19,4 6,4 28,8 37,8 26,9 6,6 24,6 35,0 33,8 Alte und Neue Bundesländer
1992 1993 1994 1995 1996 1997
928,1 943,2 966,8 1010,9 1041,1 1070,1
6,9 7,7 7,7 7,5 7,6 7,5
22,6 23,2 23,0 23,4 23,2 23
38,4 38,3 39,2 38,6 38,9 39,2
32,2 30,8 30,2 30,4 30,3 30,2
Quelle: Tully 2001, S. 53
Tabelle 2.1 gibt wieder, wie sich die Schulabgänger in den letzten drei Jahrzehnten auf die verschiedenen Schularten verteilten. Die Realschule wird Regelschule: Auffällig verdoppelt sich die Absolventen4 „Lehrmittelfreiheit, Schulwegentgelt und eine gezielte Politik der Weiterbildung (Telekolleg, Fernstudium, Ausbau der Volkshochschulen) stützen dieses Vorhaben ab. Jugendliche machten in steigender Zahl von dem Angebot Gebrauch, sich im Rahmen des sogenannten ‚Zweiten Bildungsweges‘ nach Abschluss der beruflichen Ausbildung im schulischen und universitären Bereich weiter zu qualifizieren“ (Tully 2001, S. 48).
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quote gegenüber 1960, das Gymnasium hat seinen Anteil an den Absolventen im gleichen Zeitraum sogar fast vervierfacht. Komplementär dazu hat sich der Anteil der Hauptschulabsolventen auf weniger als ein Viertel verringert, aus der ehemals dominierenden Schulform, die in den 50er Jahren noch mehr als zwei Drittel aller Schüler an sich band, ist heute eine ‚Restschule‘ geworden. Ursächlich für diese Entwicklung ist in erster Linie ein geändertes Bildungsverhalten breiter Bevölkerungsschichten, die gemäß dem Motto „mehr Bildung bedeutet bessere Berufschancen“ ihre Kinder zu einem längeren Schulbesuch mit höherem Abschluss anhielten – davon haben insbesondere die Mädchen profitiert. Länger zur Schule – später in die Arbeit
Verändertes Bildungsverhalten und eine Verlängerung der Jugendphase verstärken sich seit Beginn der 80er Jahre, es kommt zu einem längeren Verbleib in den Bildungsinstitutionen und zu höherwertigen Bildungsabschlüssen. Dies lässt sich am steigenden durchschnittlichen Eintrittsalter der beruflich Auszubildenden (von 16,6 [1970] auf 19 Jahre [2000]) und an der schulischen Vorbildung ablesen: Von der Hauptschule kommen heute gut ein Drittel (1960: 73%), von der Realschule ebenfalls ein Drittel (1960: 18%) und vom Gymnasium 18% (1960: 9%).5 Zwischen dem siebten und 16. Lebensjahr sind die Jugendlichen zu fast 100% in schulische Bildung eingebunden. Komplementär dazu ist zu Beginn der 90er Jahre nur noch weniger als die Hälfte der männlichen Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren erwerbstätig, bei den weiblichen Jugendlichen sinkt der Anteil noch stärker auf nahezu ein Drittel. Die Erwerbsquote der Altersgruppe von 20 bis unter 25 Jahren ist in den letzten drei Jahrzehnten bei den Männern um etwa 10% zurückgegangen, bei den Frauen hat sie sich im gleichen Zeitraum hingegen bei einem Wert von etwa drei Vierteln eingependelt. Im Alter von 22 sind es nur mehr fünf von zehn und im 33. Lebensjahr einer von zehn, die noch im staatlichen Bildungssystem verweilen.
5 Für die rund 800.000 ausländischen Schülerinnen und Schüler gilt dagegen noch immer, dass acht von zehn ausländischen Jugendlichen von der Hauptschule (mit oder ohne Abschluss) abgehen, ohne einen weiteren Bildungsweg einzuschlagen (vgl.Tully 2001).
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Die Daten zeigen, in welchem Ausmaß der Status des Schülers für diese Altersgruppe zum vorherrschenden sozialen Merkmal geworden ist und Ausbildung die Lebenslage der Jugendlichen bestimmt (vgl. Tully/Wahler 1983). Jungsein heute bedeutet also, länger und intensiver mit Gleichaltrigen (Peers) zu leben. Entsprechend ergibt sich, dass Erwerbstätigkeit und ökonomische Selbständigkeit – unstrittige Kennzeichen des Erwachsenenstatus – bis zur Beendigung des zweiten Lebensjahrzehnts aufgeschoben sind. 2.3 Jungsein – Schülersein – Identität in der Altersgruppe finden
Im Rückblick auf die letzten Jahrzehnte lässt sich also für den Jugendstatus ein tief greifender Wandel ablesen. Dieser Strukturwandel im Verhältnis von Ausbildung und Arbeit brachte für viele Jugendliche nicht nur einen Zugang zu weiterführenden Bildungseinrichtungen (Realschule, Gymnasium), sondern bedeutet auch die Teilnahme an dem ursprünglich (groß-)bürgerlichen Lebensmodell einer verlängerten, durch institutionalisierte Bildungsprozesse bestimmten Jugendphase. Die per Ausbildung institutionalisierte Formung der Jugendphase hat sich also verallgemeinert und damit auch die Binnenstruktur von Jugend verändert (vgl. Zinnecker 1991). Ein längeres Verweilen in schulischen Bezügen und in ökonomischer Abhängigkeit von den Eltern wird nun strukturtypisch für diesen Lebensabschnitt. Wenn wir wiederum Hurrelmann folgen, so definiert die Schule „praktisch bis an das Ende des zweiten Lebensjahrzehnts für die große Mehrheit der Jugendlichen den täglichen Lebensrhythmus. Wegen der hohen Bedeutung, die hochwertige Schulabschlüsse haben, bestimmt die Sozialisationsinstanz Schule natürlich nicht nur den zeitlichen Tages-, Wochen- und Jahresrhythmus, sondern auch die soziale Orientierung. Die Schule ist der ,Arbeitsplatz‘ der Jugendlichen, an dem sich über eine lange Spanne der Lebenszeit hinweg wichtige Gedanken und Planungsvorstellungen orientieren“ (1999, S. 106).
Der verlängerte Bildungsprozess rückt allerdings auch die immanente Zielvorgabe für diesen Bildungsprozess und Lebensabschnitt, eine gute berufliche Stellung zu erreichen, in weitere Ferne. Dies zu betonen scheint uns aus zwei Gründen wichtig: Zum einen ist die per Ausbildung definierte Lebenslage Jugendlicher perspektivisch angelegt, d.h. Bildung wird absolviert, um einen Beruf zu erlangen; die Mühen
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der schulischen Ausbildung mit ihren Leistungsnachweisen und Zertifikaten werden auf sich genommen mit dem Ziel, dafür später eine gute Berufsposition zu erreichen (vgl. Tully/Wahler 1983). Dieses Verhältnis impliziert neben der zeitlichen Perspektive aber noch eine weitere Eigenart: Die jugendliche Identität wird damit als vorläufige, quasi als Durchgangsstadium definiert. Die sozial verbindliche Identitätsvorgabe beinhaltet wirtschaftliche Selbständigkeit und eine Position im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, wie sie eine berufliche Tätigkeit selbstverständlich beinhaltet. Das impliziert zugleich ein widersprüchliches Moment im Jugendstatus, nämlich in seiner Entwicklungslogik auf ein Ziel gerichtet zu sein, das außerhalb liegt und dadurch für den Jugendlichen zunächst einen unbestimmten, vorläufigen, gleichsam einen ‚Noch-nicht-Status‘ zu definieren. Dies erweist sich als folgenreich. Die Schule wurde so für die Jugendlichen zum Ort der Bildung, der Zertifizierung und Chancenzuweisung. Wissensvermittlung und Kompetenzbildung sind aber nicht allein auf berufliche Anforderungen gerichtet, sondern Schulen „erfüllen für die Gesellschaft zugleich die Aufgabe der sozialen Integration, indem sie ihre Klienten auf die vorherrschenden Normen und Werte einstimmen und ihre Anpassungsbereitschaft gegenüber den gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen fördern“ (Hurrelmann 1999, S. 107). Hierbei spielt insbesondere die Vermittlung des Leistungsprinzips eine entscheidende Rolle, weil auf diese Weise der gesellschaftliche Nachwuchs mit den Spielregeln einer Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft vertraut gemacht wird. Durch die Praktizierung des Prinzips von Selektion per Leistung „vermittelt die Schule den Jugendlichen Vorstellungen von sozialer Rangfolge und zugleich Erfahrungen von Erfolg und Misserfolg, die auf die Lebensrealität im Arbeitsleben vorbereiten soll“ (Hurrelmann 1999, S. 108). Aus der Sicht der Jugendlichen steht die Schule aber unter einem ganz anderen, wichtigeren Vorzeichen: Sie ist ‚Treffort‘ mit den ‚Peers‘, also der Altersgruppe, die gemeinsam in der Jahrgangsklasse mit den Anforderungen der Institution wie Leistungskontrolle, Zensuren und Berechtigungen konfrontiert wird. Diese Gemeinsamkeit bezieht sich jedoch nicht nur auf die Erfahrung der schulischen Anforderungen, sondern darüber hinaus auf die der biographischen Lage. Die durch den gesellschaftlichen Status definierte Noch-nicht- Identität des Schülers kehrt sich in der Altersgruppe der Heranwachsenden gleichsam um: Identitätsfindung ist nun das gemeinsame Projekt.
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Schule bedeutet für sie – im Unterschied zu beruflicher Ausbildung und Arbeit –, über mehr Freizeit und Freiheit zu verfügen (das gilt insbesondere mit Blick auf die deutsche Form der Halbstagsschule). Und da Jugendliche, wie oben skizziert, immer länger in die Schule gehen, kommen sie auch länger in den Genuss einer disponibleren Freizeitgestaltung. Freizeit und Schule sind somit die beiden koexistierenden Lebenswelten für Heranwachsende und sie stehen im Kontext der typischen Entwicklungsaufgaben, die den Jugendalltag kennzeichnen und zu dessen zentralem Projekt die Identitätsfindung6 gehört. Mit der oben skizzierten Entwicklung im Bildungssektor erfährt also die Altersgruppe (Peers) einen Bedeutungszuwachs. Ihr Entstehen ist einerseits an die schulische Lernorganisation gekoppelt, auf der anderen Seite stellt sie gleichsam das Forum der Identitätsfindung in diesem Lebensabschnitt dar (vgl. Deutsche Shell 1992). Die gesellschaftlich etablierte Freizeitkultur, in der nicht zuletzt über die Mediennutzung vermittelte Moden und Stile einen zentralen Platz einnehmen, bildet darüber hinaus die Hintergrundfolie wie auch das wichtigste Lern- und Aktionsfeld dieser jugendlichen Lebens- und Sozialform. Insofern sind diese Gruppen in ihren Werten und Normen, aber auch in ihren kulturellen Praktiken meist nicht auf das schulische Lernen bezogen, sondern leben davon, für die Mitglieder immer auch Möglichkeiten der Abgrenzung, des Gegenentwurfs oder einer alternativen Realitätsdefinition zu bieten (vgl. Baacke 1993; Ferchhoff u.a. 1995; Krüger/Grundmann/Pfaff 2000). Der von Bildung geprägte Jugendstatus eröffnet also neue Spielräume jugendlicher Existenzformen und macht Jugend zu einer öffentlich stärker anerkannten Lebensform in unserer Gesellschaft. Jungsein wird wahrnehmbar: Jugendliche kleiden sich anders, sie pflegen eigene Stile, hören ihre eigen Musik, kultivieren eigene Sprachen usw. Daran wird kenntlich, dass Jugendliche sich heute stärker an Peers und den medial repräsentierten Jugendwelten orientieren als an den Erfahrungen der früheren Generation. Jugend hat sich damit zu einem Lebensabschnitt entwickelt, für den die Scheidung von Ausbildung und Arbeit zwar konstitutiv geworden ist, handlungsleitend wird dagegen die Welt der Altersgruppen, in der stilbetonte Abgrenzung bis hin zum symbolischen oder auch wirklichen Protest das Verhältnis zur Erwachsenenwelt bestimmen. Im Bezugssystem Luhmann’scher Sys6 Aus einer jugendsoziologischen Perspektive skizziert dies Baacke (1993), vor dem Hintergrund des Individualisierungstheorems argumentiert Keupp (1994).
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temtheorie könnte man formulieren, dass Jugend partiell selbstreferentiell wird, sie steht daneben aber nach wie vor – und das nun für einen größer geworden biographischen Abschnitt – unter dem Einfluss eines ganzen Sets von Sozialisationsangeboten. Neben die traditionellen Institutionen wie Familie und Schule treten stärker als früher nun Medien und Öffentlichkeit, vermittelt darüber auch die Politik, und prägen neben den Peers und ihrer Kultur gemeinsam das Wertund Normensystem der nachwachsenden Generation und deren Lebensalltag (vgl. Jugend 1990; Ferchhoff 1993). Der Pluralität der Lebensformen und -stile korrespondiert nicht von ungefähr eine Pluralisierung der Lernwelten: Altersgruppen, Medien, Computer und Internet stehen paradigmatisch dafür, dass neben der Schule auch in anderer Form gelernt wird. Das längere Verweilen unter dem Reglement schulischer Bezüge ist aber ebenso wie der umgreifende Selbstfindungsprozess weiterhin eingebettet in den Status einer ‚alimentierten‘ Existenz (vgl. Tully/Wahler 1983), d.h. ökonomischer Abhängigkeit von den Eltern. Was Handlungsmuster und Lebensstile betrifft, so erweist sich der weitere Verbleib der Jugendlichen im elterlichen Haushalt weniger konfliktträchtig als in früheren Jahren, da sich die Elterngeneration weitgehend tolerant gegenüber den absetzenden Lebensstilen der Jugendlichen zeigt und diese Abgrenzung als Form der biographischen Verselbständigung begreift, zumal heute in der Jugendkultur gleichsam eine öffentlich institutionalisierte Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt und ihren Werten und Normen erfolgt (vgl. Baacke 1993). In ökonomischer Hinsicht jedoch zeigen sich Defizite der institutionellen Trennung von Arbeit und Ausbildung wie auch der alimentierten Existenz: Weil die kulturell und von der Biographie her angesagte Verselbständigung allein auf der Basis elterlicher Unterstützung bei der Mehrzahl der Jugendlichen nicht im gewünschten Maß realisierbar ist, kommt zur schulischen Ausbildung doch noch die Arbeit dazu. Empirische Befunde weisen darauf hin, dass Schüler anhand von Nebenjobs erste Erfahrungen mit der Arbeitswelt machen und sich so zusätzliche materielle Mittel für die Verselbständigung verschaffen (vgl. Ingenhorst 2000). Diese Entwicklungen zeigen, dass das Lernen in der Jugendphase in der modernen Gesellschaft nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Übernahme von Werten und Normen thematisiert werden kann, wie dies in der Jugendsoziologie lange Zeit geschehen ist. Vielmehr steht sie unter dem Zeichen der Identitätsfindung, und dieser Prozess er-
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fordert einen entscheidenden Syntheseschritt vom Heranwachsenden: Er selbst muss aus den tradierten Angeboten von Familie, Schule, Medien, Altergruppen und anderen Institutionen einen für sich gültigen Lebensentwurf ‚fertigen‘, ihn erproben und verändern, in Auseinandersetzungen mit seinen Handlungserfahrungen in Familie, Schule, Betrieb und Öffentlichkeit diesen Lebensentwurf den realen Bedingungen anpassen und sich daran abarbeiten (vgl. hierzu aus historischer Perspektive Abels 1993; Schäfers 1994; Hurrelmann 1999). Die verlängerte Bildungszeit schafft also mehr Raum für Lernprozesse in dieser Altersphase – sei es im Sinn der Selbstfindung oder auch im Sinn der Umweltaneignung. Unbestreitbar ist aber auch der Sachverhalt, dass betriebliche Rationalisierung und wirtschaftliche Globalisierung tiefe Spuren am Arbeitsmarkt hinterlassen haben, sodass der Übergang vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem trotz verlängerter Ausbildung im letzten Jahrzehnt problematisch geworden ist (vgl. hierzu Lappe 1999, Wahler 2000). Obwohl in diesem Zeitraum ein ganzes Bündel von Qualifizierungsmaßnahmen und Eingliederungsmodellen etabliert wurde (vgl. Braun/Lex/Rademacker 2001), ist die Einmündung in den Beruf zumindest für einige Gruppen von Jugendlichen in Frage gestellt und die oben angesprochene immanente Zielperspektive des ‚Ausbildungsverhältnisses‘ hat an Gültigkeit erheblich eingebüßt. Wir wollen unser Augenmerk hier aber nicht auf die Auswirkungen der Arbeitsmarktsituation richten, sondern der Problematik dieses Status zunächst auf der Konzeptebene und anschließend auch auf der Ebene empirischer Befunde nachgehen. 2.4 Jugendliche Identitätsfindung und Schülerstatus in veränderten Lebenswelten
Wir haben bisher unser Augenmerk auf die gesellschaftliche Formung der Jugendphase und die Folgen für den biographischen Entwicklungsprozess mit seinen veränderten Akzentsetzungen gerichtet. Jugendsoziologische und entwicklungstheoretische Studien weisen seit langem darauf hin, dass wohl in keiner Phase des menschlichen Lebens Lernprozesse eine so hervorgehobene Rolle spielen wie in der Adoleszenz. Persönlichkeitsfindung und berufliche Qualifizierung, die Ablösung von der Herkunftsfamilie und das Eingehen von Partnerschaften markieren die unterschiedlichsten Felder, in denen der Her-
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anwachsende nun Erfahrungen macht, sie lernend bilanziert und seine Präferenzen (weiter-)entwickelt. Diese Erfahrungen in ein Selbstkonzept zu integrieren, in dem das Individuum im Rahmen der biographischen und sozialen Vorgaben als tätiges und ‚erfolgreiches‘ Subjekt agiert, kennzeichnet die immense Entwicklungsaufgabe dieser Lebensphase und macht zugleich auch die enormen Orientierungsschwierigkeiten während dieses Prozesses von Verselbständigung und Identitätsfindung nachvollziehbar (vgl. Zoll 1987). In dieser Phase muss auch der dominante Stellenwert der Schule, wie er etwa im Kindesalter noch vorhanden ist, unter dem Eindruck der jugendtypischen Entwicklungsaufgaben neu bestimmt werden (vgl. Nunner-Winkler 1990; Fend 2000). Betrachtet man als eine dieser Aufgaben die (mehr oder weniger) erfolgreiche Teilnahme an den institutionalisierten Lernprozessen, wie sie moderne Gesellschaften organisiert haben, so beinhaltet das für den Heranwachsenden offenkundig schwierige Lernanforderungen, die auf der Ebene von Sinn- und Motivationszusammenhängen angesiedelt sind: „Die Jugendzeit ist damit von strategischer Bedeutung für die Entwicklung eines durch Sinnperspektiven abgesicherten Systems der Lernmotivation. Dies impliziert, dass die Entwicklung von Zielen, in deren Gefolge Jugendliche ein Profil der ihnen wichtigen Lernbereiche definieren, zu den Kernaufgaben der mittleren und späten Adoleszenz gehört“ (Fend 2000, S. 351). Gleichzeitig relativieren sich in diesem Lebensabschnitt erworbene Motivationsstrukturen im Kontext der erweiterten Handlungsfelder, die Jugendliche nun für sich erschließen. Hier definieren sie im Zuge ihrer Persönlichkeitsfindung neue Prioritäten; damit entstehen auch neue Sinnbezüge und Interessenslagen, die vertraute Interaktions- und Kommunikationsstrukturen nun weniger wichtig erscheinen lassen. Hierin liegt die Ursache für krisenhafte Interaktionsformen mit dem gewohnten sozialen Umfeld, etwa wenn in Eltern-Kind-Beziehungen nun neue, schwierige Aushandlungsprozesse anstehen oder die Frage der Motivation im Unterricht vordringlich wird. Wichtig sind in unserem Zusammenhang aber zunächst die Folgen auf der Ebene des organisierten Lernens. Bezogen auf das veränderte Lernverhalten in der Schule konstatiert Fend eine sich zunehmend entwickelnde ‚eigenständige Lernregulierung‘, die er folgendermaßen beschreibt: „Die Schüler werden kritischer, selektiver und auch distanzierter. Die Differenzierung der Interessen ist ebenso unübersehbar wie die
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Relativierung der schulischen Anforderungen im Vergleich zu außerschulischen Interessen, die Instrumentalisierung des Lernens und die ‚Entzauberung‘ der Lehrer. Die Vereinbarkeit von Schulerfolg mit Anerkennungskriterien wird prekär und der generelle Vorschuss an Interesse und Vertrauen geht zurück. Krisenphänomene sind unübersehbar“ (2000, S. 349 f.). Das vielfach konstatierte veränderte Lernverhalten in der Schule erklärt sich also daraus, dass die Schüler-Rolle nur noch eine Dimension jugendlicher Lebensformen repräsentiert und andere soziale Bezüge zunehmend an Relevanz gewinnen. Das hat nicht nur zur Folge, dass sich die unterschiedlichen Erfahrungswelten der Jugendlichen gerade in der Schule konflikthaft begegnen – man denke nur an die Auseinandersetzungen unter den Jugendlichen um Gruppenzugehörigkeiten und die jeweiligen Stilmuster. Hieraus begründen sich auch die Schwierigkeiten mit der Institution Schule, die ja nach wie vor vom Schüler eine Lernleistung verlangt, die in den seltensten Fällen nebenbei, d.h. ohne ausgeprägte Motivation erbracht werden kann (vgl. Wiater 1999, Ziehe 1999). Auf der anderen Seite spielen hier auch die institutionellen Eigendynamiken der Schule eine Rolle, die im Dilemma zwischen Förderung und Selektion angesiedelt sind und deren Anomien ebenfalls ursächlich für soziale Konfliktsituationen sind (vgl. hierzu Nüberlin 2002). Wenn wir demgegenüber einen Blick auf die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse werfen, so finden wir hier auch Entwicklungsdynamiken, die sich auf die subjektive Verarbeitung dieser veränderten Lebenslage beziehen. Umfragedaten signalisieren, dass sich die Einstellungen Jugendlicher zur Schule in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls verändert haben. Vor dem Hintergrund einer gestiegenen Bildungsnachfrage und einer Tendenz zu höheren Bildungsabschlüssen lässt sich auf der Bewusstseinsebene ein gegenläufiger Prozess wachsender Distanz zur institutionalisierten Bildung konstatieren. Krüger/Grunert stellen hierzu in ihrer Übersicht über einschlägige Forschungsarbeiten fest, dass sich die Einstellungen der Jugendlichen gegenüber der Schule in den letzten Jahrzehnten auffällig verändert haben: „ ... in dem Maße, wie die Schulzeit verlängert wird, der Alltag der Jugendlichen verschult zu werden droht und die Relevanz der Schule für zukünftige Lebenschancen wächst, umso negativer wird die Schule erlebt“ (2002, S. 499).
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Die Autoren führen hier zum einen Befunde der Replikationsstudie von Allerbeck und Hoag (1985) an, zum anderen auch Befunde aus der Studie von Kanders, der 1998 bei einer bundesweiten Befragung von 14- bis 16-jährigen Schülern festgestellt hat, dass nur 27% angeben, sie hätten ein ausgeprägtes Interesse und Freude an der Schule (2000, S. 47). Diese Entwicklung fiel zumindest in den letzten Jahren auch mit einer wachsenden Schulkritik in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit zusammen und hat von daher vielleicht eine Verstärkung erfahren; die Daten einschlägiger empirischer Untersuchungen von Schülern weisen aber darauf hin, dass dieses Meinungsbild einen längerfristigen Trend widerspiegelt : „Die drastische Zunahme der Kritik betrifft vor allem die institutionellen Kernzonen der Schule. So ist die kritische Bewertung von Zeugnissen, Tests und schulischem Leistungsdruck bei den westdeutschen Befragten zwischen 1953 und 1984 von 6% auf 41%, des Verhältnisses zu den Lehrern von 11% auf 47% angestiegen. Demgegenüber richten sich die positiven Schulbezüge eher auf die informellen Randzonen, auf viel Freizeit und Ferien (1953: 8%, 1984: 26%) und vor allem auf das Verhältnis zu Gleichaltrigen (1953: 8%, 1984: 47%). Ein Ergebnis, das dem Trend nach auch durch die erste deutschdeutsche Schülerstudie im Jahre 1990 (vgl. Behnken u.a., 1991, S. 123) sowie durch aktuelle Schülerbefragungen (vgl. Krüger/Kötters 2000, S. 107) bestätigt wird“ (Krüger/Grunert 2002, S. 499).
Ergänzend führen die Autoren außerdem die Befunde von einigen qualitativen Studien zum Verhältnis von Jugend und Schule an; auch sie weisen darauf hin, „dass die subjektive Sinnhaftigkeit schulischen Lernens eher die Ausnahme ist und dass die Schule für die Heranwachsenden vor allem als alltäglicher Jugendtreffpunkt einen zentralen, positiven Stellenwert hat“ (ebd.). Die Daten geben also auf der Ebene empirischer Befunde wieder, was oben theoretisch als ein Kennzeichen dieses Lebensabschnitts herausgearbeitet wurde: Gerade weil die Selbstfindung der Jugendlichen sich als eigenständige Sphäre neben der Familie geltend macht und sich auch immer deutlicher als Erlebniswelt neben der Schule behauptet, gewinnen Altersgruppe und außerschulische Aktivitäten in dieser Altersphase zunehmend Anklang. Während institutionalisierte Lernprozesse an subjektiver Bedeutsamkeit verlieren, nehmen Umfang und Bedeutung der Lernprozesse im Freizeitbereich zu. Diese Entwicklungen verschärfen die für die Adoleszenzphase charakteristische Konfliktsituation: Die Jugendlichen müssen die schulischen Lernnotwendigkeiten mit ihren individuellen Lebens- und Frei-
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zeitinteressen in Übereinstimmung bringen und gleichzeitig eine tragfähige Qualifizierung für die künftige Arbeitswelt anstreben, die noch immer an den Erfolg schulischer Leistung gebunden ist. Bei dieser Entwicklungsaufgabe ist der Jugendliche als selbständig Interessen artikulierender und verfolgender Lernender gefragt, der neben der Schule zunehmend in unterschiedlichsten Lern- und Erfahrungswelten agiert. Die gesamte Lebensphase wird – stärker als dies früher der Fall war – als Übergangsphase in die Erwachsenenwelt begriffen, zu der nicht nur schulische, sondern mehr und mehr außerschulische Lernprozesse gehören. In historischer Perspektive betrachtet stellt die Betonung der Eigenständigkeit des Schülers zwar keineswegs pädagogisches Neuland dar, sondern markiert vielmehr eine Wiederaufnahme von Einsichten, die schon die Reformpädagogik der ersten Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts kennzeichneten und die in den letzten Jahrzehnten auch mit der gesellschaftlichen Veränderung von Erziehungsstilen und Jugendbildern breiteren Anklang fanden.7 Dementsprechend gilt es den Blick auf neue Lernformen zu richten, die abseits des institutionalisierten Lernens in der Schule stattfinden und der Selbständigkeit des Lernenden mehr Raum geben. Wir wollen uns deshalb im Folgenden dem informellen Lernen zuwenden und konzeptionelle Grundlagen des außerschulischen Lernens erörtern. 2.5 Das selbstgesteuerte Lernen – Grundelemente einer neuen Theorie
In einem Bericht für das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat Dohmen (2001) umfassend den internationalen Forschungsstand zum informellen Lernen beschrieben. Er bezieht dort den Begriff des ‚informellen Lernens‘ „auf alles Selbstlernen, das sich in unmittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhängen außerhalb des formalen Bildungswesens entwickelt“ (a.a.O., S. 25). Im Unterschied zum Lernen in Institutionen entstünde Motivation aus konkreten Problemsituationen heraus und ziele „so direkt wie möglich auf unmittelbar verwendbare Informationen, Antworten, Problemlösungen – ohne lange Lehrgangsumwege“ (a.a.O., S. 26). 7 Vgl. Flitner 1999 u. Abels 1993. Dass diese Veränderungen sich auch in der kindlichen Lernkultur abzeichnen, zeigen neue Untersuchungen (vgl. DJI 2000;e Furtner-Kallmünzer u.a. 2002).
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Dohmen unterscheidet zunächst entlang der angelsächsischen Tradition nach formalem, nicht-formalem und informellem Lernen (a.a.O., S. 18). Er bezeichnet das informelle Lernen als ein instrumentelles Lernen, weil es zur Problemlösung dient, nicht um seiner selbst willen aus einer Sachlogik heraus erfolgt, sondern in einem Zusammenhang mit der Bewältigung praktischer Probleme steht (a.a.O., S. 19). Obwohl man in der Regel davon ausgehen kann, dass auch außerhalb der Schule bewusst gelernt wird, spielt das unbewusste, unabsichtliche und beiläufige (‚incidental‘) Lernen im Rahmen informeller Lernprozesse eine große Rolle und hier ergibt sich auch, worauf Dohmen hinweist, eine Verbindung zum Sozialisationsbegriff, der ja die Gesamtheit der Einflüsse umfasst, die auf eine Person oder Gruppe im Sinn sozialer Beziehungen wirksam sind.8 Der Autor erörtert zwar die Probleme der Abgrenzung vom unbewussten und zufälligen Lernen, weist aber selbst darauf hin, dass es sich für die deutsche bildungspolitische Diskussion anbietet, auf „die feinsinnigen und kontroversen Abgrenzungen zwischen einem ‚nichtformalen‘ und einem ‚informellen‘ Lernen zu verzichten und sich auf eine undifferenzierte Zusammenfassung unter dem gemeinsamen Begriff eines informellen Lernens zu einigen“. Dieser wird „auf alles Selbstlernen bezogen, das sich in unmittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhängen außerhalb des formalen Bildungswesens entwickelt“ (a.a.O., S. 25) und damit bietet es sich an, ihn für unsere Fragestellung heranzuziehen. 2.6 Selbstgesteuertes Lernen im lebensweltlichen Kontext von Jugendlichen
Das außerschulische Lernen, das wir in unserer Studie am Beispiel Jugendlicher untersuchen wollen, hat diesen informellen Charakter. Es ist durch die Alltagssituationen vorgegeben, in denen sich die Jugendlichen bewegen und ihre Erfahrungen machen, in denen sie handeln 8 „Wenn man davon ausgeht, dass Sozialisation aufgrund von indirekten Anpassungswirkungen sozialer Lebensbedingungen und Situationen persönliches Verhalten beeinflusst, unterscheidet sich das informelle Lernen davon dadurch, dass es aufgrund einer ganzheitlichen (d.h. auch bildhaften und gefühlsmäßigen) Verarbeitung von Eindrücken und Erlebnissen aus der Umwelt zur Veränderung von Einstellungen, Vorstellungen und Verhaltensmustern führt“ (Dohmen 2001, S. 22).
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und Probleme lösen müssen. Dieses Lernen orientiert sich weniger an Vorgaben und läuft auch nicht so strukturiert und zielgerichtet ab wie das formalisierte Lernen in den Bildungsinstitutionen. „Beim intentionalen Lernen liegt der Schwerpunkt eher auf der systematischen Wissensvermittlung bzw. fachsystematischen Gestaltung von Lernprozessen und somit auf Aktivitäten der Lehrenden. Beim Erfahrungslernen sind authentische Probleme, Aufgaben und Handlungen Startpunkt des Lernens, weniger eine abstrakte Fachsystematik und daraus abgeleitete curriculare Einheiten“ (Dehnbostel/Uhe zit. nach Dohmen 2001, S. 23, FN 20).
Maßgebend sind einerseits der ‚Erfahrungswert‘ der Situationen für die Jugendlichen, auf der anderen Seite aber insbesondere ihre Präferenzen, die sich in der Regel nicht auf eine abstrakte Kompetenzvorstellung stützen, sondern auf Interessensbezüge und Handlungsperspektiven, die sich aus ihrer Lebenslage begründen. Daraus ergibt sich wiederum, dass der Selbstbestimmung, genauer der Selbststeuerung des Lernens ein hoher Stellenwert zukommt.9 Das jeweilige individuelle Interesse an diesen Alltagssituationen strukturiert die Erfahrungs- und auch Reflexionsprozesse, die dieses informelle Lernen ausmachen (vgl. Schiefele/Pekrun 1996, Schiefele/Wild 2000). Daneben umfasst das informelle Lernen aber auch Anteile nichtintentionalen Lernens, die wenig zielgerichtet verlaufen, deren Effekte dem Handelnden zunächst nicht bewusst sind und oft erst bei späteren Erfahrungen und ihren Bilanzierungen deutlich werden. Der starke Interessensbezug sowie die nicht-intentionale Komponente des informellen Lernens markieren Verarbeitungsmuster der Realität, die immer auch durch Wechselhaftigkeit und Unstetigkeit gekennzeichnet sind und somit gängigen Definitionen von Lernen zu widersprechen scheinen. Dieses Urteil verdankt sich jedoch einer Betrachtungsweise, die durch die Schule und andere organisierte Bildungsveranstaltungen geprägt ist und entsprechende Vorgaben an Zielorientierung und Motivation zur Norm erhebt. Wir müssen demgegenüber beim Blick auf das außerschulische Lernen der Jugendlichen im Auge behalten, dass die alltäglichen Handlungssituationen Problemlösungen verlangen, die ein Lernen implizieren.
9 Hier ergeben sich Parallelen zur PISA-Studie, in der der Begriff der Selbstregulierung verwendet und lerntheoretisch auf drei Ebenen ausdifferenziert wird (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, S. 271ff.).
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Maßgebend sind hier die persönlichen Präferenzen und individuellen Handlungsabsichten, die sich aus der jeweiligen Lebenslage begründen. Dieses Lernen kann spontan und beiläufig vor sich gehen oder auch mühsam und nachhaltig, in jedem Fall aber ohne Curriculum und Didaktik. Es erstreckt sich zum großen Teil auf Bereiche der Persönlichkeitsentwicklung, wo es auf den subjektiven Erfahrungsgewinn ankommt und nicht so sehr auf die systematische Durchdringung eines Gegenstandsbereichs. Kennzeichnend für selbstgesteuerte außerschulische Lernprozesse sind vor allem differenzierte Lerninhalte, Lernwege und -formen, die nicht durch vorher festgelegte, sachlogische Stufenfolgen und institutionelle Regelungen von außen vorgegeben werden, sondern die sich im Tätigsein und in der alltäglichen praktischen Auseinandersetzung mit unterschiedlichen sozialen Situationen und Gegenständen der Alltagswelt entwickeln und von den Lernenden selbst bestimmt werden (vgl. Dohmen 2001). Gleichzeitig vollzieht sich aber die individuelle Entwicklung im Rahmen gesellschaftlicher Vorgaben, die immer auch eine Konfrontation mit vorhandenen Wissensbeständen, Fertigkeiten und auch sozialen Bezügen beinhalten, auf die sich das lernende Individuum einlassen muss. Diese sozialen Normen spielen eine herausragende Rolle beim Lernen Jugendlicher, und zwar nicht nur in der Form, wie wir sie als Curricula oder Lernziele aus der Schule kennen. Auch in der Altersgruppe existieren soziale Vorgaben, die normativen Charakter haben und das einschlägige Lernen strukturieren: man denke etwa an den Konformitätszwang der Mode, das Prestige von Sportarten und -utensilien, aber auch an technische Ausstattungen wie Kfzoder Handybesitz. In anderen gesellschaftlichen Feldern macht sich der Ernstcharakter sozialer Normen noch stärker geltend, etwa im Bereich der Arbeit, wo die Notwendigkeit des Gelderwerbs vor dem Hintergrund einer ausgeprägten Konkurrenzsituation immer wieder zu Kompromissen gegenüber der Macht des Arbeitgebers nötigt. In all diesen Bereichen beinhaltet die Situation „am Lernort“ wichtige Modalitäten des Lernens, indem sie einen Rahmen mehr oder weniger flexibler Normen für die Intentionen des Einzelnen abgibt und den individuellen Interessen die Grenzen sozialer Verhältnisse gegenüberstellt. Insofern bedeutet Lernen nicht nur eine Veränderung von Wissensbeständen und Fertigkeiten, sondern auch einen neuen Blick auf soziale Bezüge. Von daher betrachtet stellt die bewusste Auseinandersetzung bis hin zur systematisierten gedanklichen Form eine notwen-
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dige Bedingung für den Erwerb von Fähigkeiten und darüber hinaus für die Persönlichkeitsfindung des Individuums dar. Tab. 2.2: Lernprozesse und -situationen in polarer Gegenüberstellung formal – curricular – systematisch – wissensorientiert – fremdgesteuert – arrangierte Lernsituation – lernen auf Vorrat –
informell beiläufig, inzidentiell spielerisch erfahrungsorientiert selbstgesteuert lernen in der Ernstsituation lernen in der Anwendung
Diese begriffliche Gegenüberstellung wurde unter heuristischen Gesichtspunkten vorgenommen, d.h., dass beim Blick auf die Realität vielfältige Zwischenstufen und Mischformen deutlich werden. Nichtsdestoweniger scheint es uns wichtig, noch einmal auf die Differenz zur Lernsituation in der Schule hinzuweisen. Sie liegt in der Tatsache begründet, dass individuell gesteuerte Lernerfahrungen in der Regel freiwillig erfolgen und gelegenheitsorientiert sind und damit größere Möglichkeiten einer Selbstbestimmung der Jugendlichen im Lernkontext bieten (vgl. Schiefele/Pekrun 1999; für den Bereich kindlicher Lernprozesse auch Lipski 2002). Vor allem entziehen sie sich weitgehend der „verpflichtende(n) Lernleistungskonkurrenz“, der die Schüler „im stark institutionalisierten Sozialisationsfeld Schule“ im Unterricht alltäglich unterliegen (Nüberlin 2002, S. 104). Selbst dort, wo im Sinne einer reformpädagogischen Neuorientierung das selbständige, interessengesteuerte Lernen zu einem zentralen pädagogisch-didaktischen Ziel geworden ist, sind solchen Lernprozessen objektiv Grenzen gesetzt. Schule kann aus diesem Grund auch nicht der einzige Lernort sein, an dem die Jugendlichen Kompetenzen erwerben; andererseits kann die Schule hierfür durchaus ein wichtiges Anregungs- und Verarbeitungspotential bieten.10 Wir hatten oben darauf hingewiesen, dass die Adoleszenz immer wieder als Phase des Experimentierens betrachtet wurde, in der Raum für die notwendige Selbstfindung und den oft schwierigen Aufbau einer eigenen Erwachsenenidentität vorhanden sein muss. Diese Lebensphase bietet aber auch vielfältige Ansatzpunkte und Herausforde10 Hierin liegt ein Grund für die in neueren Schulkonzepten durchgängig erhobene Forderung nach einer Öffnung der Schule für Lernprozesse außerhalb dieser Institution (vgl. hierzu Tillmann 1994, sowie Preiß/Wahler 2002).
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rungen für interessengesteuertes Lernen (vgl. Brater 1997; Ziehe 1999). Vor dem Hintergrund der Beck’schen Individualisierungstheorie und mit Blick auf berufliche Ausbildungsgänge beschreiben Brater/Munz die Anforderungen an jugendspezifische Lernsituationen in diesem Selbstfindungsprozess. Für Jugendliche geht es darum, „ ... sich nicht nur mit sehr unterschiedlichen Lebenskonzepten zu konfrontieren, sondern auch möglichst viel über das wirkliche Leben, über die Realitäten gegenwärtiger Existenz kennen zu lernen. Dabei reicht es nicht, von der Welt nur zu wissen, sondern dieses Wissen muss umgesetzt werden können in selbst entworfene Handlungen. Dafür gibt es aber auch unter Individualisierungsbedingungen notwendigerweise keine allgemeinen Rezepte und Regeln, sondern diese Umsetzungsfähigkeit muss sich jeder junge Mensch selbst erarbeiten. Dazu braucht er keine Schon-, sondern Erfahrungsräume. Idealtypisch gehört dazu dreierlei: Der Jugendliche braucht Wissen und Einsicht, er braucht aber auch mannigfaltige Gelegenheiten des Erfahrungen-machens, wobei dies immer Objekt- und Subjekterfahrungen sind; und schließlich braucht er Praxisfelder, in denen er seine Annahmen und Möglichkeiten erproben und korrigieren kann“ (Brater/Munz 1996, S. 28).
Neben diesen entwicklungsbedingten jugendtypischen Anforderungen sind es aber auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse, in die die Jugendlichen eingebunden sind und die den hohen Stellenwert dieses umfassenden jugendlichen Such- und Erprobungsprozesses noch zusätzlich verstärken. Wirtschaftliche Prosperität und soziale ‚Individualisierungsschübe‘ schlagen sich in einem jugendspezifischen kulturellen Angebot nieder und fördern die Bemühungen der Jugendlichen um mehr Eigenständigkeit in besonderer Weise. Die zunehmende kulturelle und auch wirtschaftlich-kommerzielle Verselbständigung, die heute die Jugendphase kennzeichnet (vgl. Grunert/Krüger 2000), eröffnet neuartige Freiräume und biographische Gestaltungsmöglichkeiten, erfordert aber gleichzeitig einen Raum für Experimentieren und Erproben in der Jugendbiographie (vgl. hierzu Silbereisen u.a. 1996). Für die Lebens- und Lernwelten, die mit den jugendtypischen Entwicklungsaufgaben korrespondieren, aber je nach biographischen Bedingungen eine ganz unterschiedliche Gewichtung erfahren können, stellt natürlich der familiale Hintergrund gleichsam die Ausgangsbasis dar. Gerade weil jedoch die eigene Erlebniswelt der Jugendlichen stärker neben die Familie tritt und sich mit zunehmender öffentlicher Stilisierung auch immer deutlicher als eigenständige Welt neben der Schule behauptet, gewinnen außerschulische Lernorte und -angebote zunehmend an Bedeutung (vgl. hierzu Richter 2002). Zu den klassi-
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schen Sozialisationsagenturen wie Familie und Schule kommen also nun Lernanregungen durch die Orientierung an den jeweiligen Peergroups, die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen jugendkulturellen Milieus und Stilen, die Nutzung der Freizeitmöglichkeiten und der medialen Angebote, aber auch erste Erfahrungen mit den Anforderungen der Arbeitswelt. Wir wollen im Folgenden kurz skizzieren, welche Bereiche vor allem unter dem Gesichtspunkt informellen Lernens von Bedeutung sind. 2.7 Zentrale Bereiche des außerschulischen Lernens: Befunde und Fragestellungen
Das selbstgesteuerte Lernen in dieser Altersphase gilt in besonderem Maß den attraktiven Angeboten, die die moderne Jugendkultur und Freizeitindustrie abseits der Schule für die Heranwachsenden bereithält: Neue Medien, Sport und Musik markieren für viele Jugendliche wichtige Interessensschwerpunkte und Betätigungsfelder. Wir haben uns deshalb im Rahmen der empirischen Studie auf Lernerfahrungen von Jugendlichen konzentriert, die sie in der Auseinandersetzung mit außerschulischen Lernangeboten und -aktivitäten machen. Dabei richtete sich unser Blick auf folgende Felder außerschulischer Lernprozesse, die wir zum Untersuchungsgegenstand gemacht haben. 2.7.1
Computer und neue Informationstechnologien
Das bekannteste Beispiel der neuen medialen Lernfelder stellt die Informationstechnologie dar. Die Implementation dieser Technologie in den 80er Jahren hat vor allem männliche Jugendliche in ihren Bann gezogen (vgl. Noller/ Paul 1991), ohne dass die Schule hierbei eine führende Rolle gespielt hätte.11 In der Öffentlichkeit findet hingegen die Nutzung von Computer und Internet durch Jugendliche weiterhin besondere Beachtung, manche Autoren sprechen mittlerweile sogar von einer „Interaktionskultur der Netz-Generation“ (vgl. Tapscott 1998; Opaschowski 1999). Die durch das Internet erweiterte Kommunikation bietet nicht nur neue Zugänge zu Informationen – und 11 Im Gegenteil: Die Ende der 90er Jahre gestartete bundesweite Initiative „Schulen ans Netz“ zeugt von einem nach wie vor noch bestehenden Handlungsbedarf in Sachen informationstechnischer Bildung.
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damit auch eine Unterstützung des schulischen Lernens –, sondern schafft neue Möglichkeiten für Freizeitgestaltung und Hobbys der Schülerinnen und Schüler. Dabei steht nach vorliegenden Untersuchungen zunächst das selbstbestimmte Lernen von Routinen im Umgang mit der Maschine, die z.T. mit großer Nachhaltigkeit und Ausdauer erworben werden, im Vordergrund (vgl. Noller/Paul 1991; Ritter 1994). Wenn man den Befunden der genannten Studien glauben darf, so geht bei der interaktiven Erschließung der neuen Cyberwelt der spielerische Erwerb von technischem Wissen und Know-how mit dem Bedürfnis nach sozial-emotionalen Kontakten eine völlig neue Verbindung ein. Nicht unerwartet ist der Befund, dass sich auch im Umgang mit der neuen Medienwelt geschlechtsspezifische Unterschiede geltend machen: Während für die weiblichen Jugendlichen eher der kommunikative wie auch der gestalterische Aspekt im Vordergrund zu stehen scheint, wird das experimentelle, erfolgsorientierte Lernen eher den männlichen Jugendlichen zugeschrieben (vgl. Jugendwerk 1997, S. 199). Jenseits aller generalisierenden Diagnosen wollen wir in unserer Studie untersuchen, welche Lernerfahrungen Jugendliche bei der Beschäftigung mit der Welt der elektronischen Medien machen, welche Umgangsweisen sie mit den einzelnen Geräten bevorzugen und wie sie ihre Kompetenzen in diesem zentralen Lernfeld auch im Hinblick auf ihre Zukunft einschätzen. 2.7.2
Lernen durch Erfahrungen mit der Arbeitswelt
Idealtypisch gesehen hat die Schule neben ihrem allgemeinen Erziehungsauftrag die Aufgabe, ihre Absolventen auf den Übergang in einen Beruf vorzubereiten und sie mit den entsprechenden Qualifikationen auszustatten. Die Vorbereitung auf Arbeit und Beruf wurde in den letzten Jahrzehnten immer stärker in Form von Praxiskontakten bzw. praktischem Lernen in den Schulen institutionalisiert, sodass Lernerfahrungen mit der Arbeitswelt etwa in Form von Betriebspraktika heute zum Curriculum an Haupt- und Realschulen, z.T. auch an Gymnasien gehören. Neben diesen schulisch initiierten Kontakten zur Arbeitswelt sammeln viele Schüler heute bereits parallel zum Unterricht Arbeitserfahrungen, wie neuere jugendsoziologische Befunde belegen (vgl. Jugendwerk 1997; Lappe u.a. 2000). Die lernende Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Erwerbsgesellschaft manifestiert sich in einer wachsenden Zahl von Schülern, die einer Arbeitstätigkeit in Form eines Gelegenheitsjobs nachgehen, z.T. auch in
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regulären Arbeitsverhältnissen (z.B. auf 360-Euro-Basis) mit arbeitsvertraglich geregelten Verpflichtungen stehen. Aus Sicht der Schule geraten diese Beschäftigungsverhältnisse vor allem aufgrund des Zeitaufwands mit den Leistungsanforderungen des Unterrichts oftmals in Widerspruch. Im Fall dieser Nebenjobs scheinen erste Studien die Vermutung zu bestätigen, dass als Motiv nicht nur der Wunsch nach verbesserten Konsummöglichkeiten anzusehen ist, sondern darüber hinaus auch das Bedürfnis eine Rolle spielt, über erste Kontakte mit der Arbeitswelt eigenständige Erfahrungen mit Lohn und Leistung zu machen und über den Erwerb bzw. die Verwertung entsprechender Kenntnisse eventuell auch einen Einstieg in Arbeit und Beruf zu finden (vgl. Mansel/Hurrelmann 1991; Mansel 1992; Tully/Wahler 1995; Ingenhorst 2000).12 Insofern wird die Arbeitswelt für Jugendliche immer mehr zu einem Lernfeld, das selbstbestimmte Erfahrungen mit Ernstcharakter möglich macht und deshalb als Lernort in der Jugendbiographie zu berücksichtigen ist. Bezogen auf diese Lernerfahrungen abseits der Schule ist in unserer Untersuchung zu klären, in welchem Umfang diese Arbeitsformen unter Schülern verbreitet sind, mit welchem Zeitaufwand sie betrieben werden und wie die Jugendlichen den Lerneffekt sehen, ob z.B. der Verdienst im Zentrum steht oder ob sie damit auch Vorstellungen über einen späteren Nutzen verbinden. 2.7.3 Lernen im Sport
Selbstbestimmte Lernprozesse in der Jugendphase sind – vor allem für männliche Jugendliche – traditionell stark an den Sport gebunden. In den vergangenen Jahrzehnten haben sportliche Freizeitbeschäftigungen einen regelrechten Boom erlebt; der Körper als Potential und Ressource wurde nicht nur in der Öffentlichkeit, etwa bei den alltäglichen Stilisierungsmustern in der Werbung „entdeckt“. Eine sportive Freizeitgestaltung ist nahezu zur gesellschaftlichen Norm geworden, die für gesundheitliches Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Erfolg 12 Insbesondere im Zusammenhang mit der Informalisierung und Vernetzung bieten sich interessierten Jugendlichen auch berufliche Chancen auf einem Markt, der z.B. im Bereich der Computersoftware um das Know-how jugendlicher „Experten“ wirbt. Anreize für das einschlägige Lernen schaffen auch regelmäßig wiederkehrende Medienberichte über erfolgreiche „Jungunternehmer“ in dieser Branche (nach dem Motto: von der Schulbank zur ersten Million).
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steht. Obwohl in diesen Stilisierungen eher Leitbilder der Erwachsenenwelt deutlich werden, entfalten sie auch bei der nachwachsenden Generation ihre Wirkung, sei es über Anregungen aus den Medien oder die sportive Praxis der Elterngeneration. Eigenes Engagement in dieser Sphäre liegt für Jugendliche insofern auf der Hand, als mit der Entwicklung der körperlichen Fähigkeiten auch die Neigung einhergeht, sie zu erproben und zu verbessern. Lernprozesse im Freizeitsektor des Sports nehmen deshalb einen besonderen Platz beim informellen Lernen ein, wie Jugendstudien immer wieder belegen (vgl. Jugendwerk 1997; Brinkhoff 1998; Jugend 2000; Lüdtke 2001; Heim/ Brettschneider 2002). Hier können Jugendliche ihre Kenntnisse und Fertigkeiten entlang ihrer eigenen körperlichen Ressourcen selbstbestimmt entwickeln und in den Auseinandersetzungen in der Altersgruppe ihre individuelle Leistungsfähigkeit und damit ihre Grenzen ausloten. Hiermit sind vielfältige Gelegenheiten zum sozialen Lernen verbunden, weil der spielerische Kräftevergleich wichtige Lernerfahrungen umfasst, die für die Persönlichkeitsentwicklung in dieser Phase zentral sind. Dass Leistung soziale Bewertungen zur Folge hat, kennzeichnet ebenso einen Lernschritt wie die Einsicht, dass solche Rangfolgen auch nur relative Geltung haben und sportliche Anerkennung nur eine der vielen Möglichkeiten persönlicher Selbstwerterfahrung darstellt. Gerade das in der Gruppe stattfindende soziale Lernen verleiht dem Sport eine nicht zu unterschätzende Sozialisationswirkung, die in den letzten Jahrzehnten auch zunehmend Gegenstand sozialwissenschaftlicher Studien wurde (vgl. Brettschneider u.a. 1989; Rose 1991; Richartz 2000). Wir wollen auch diesen Bereich in unserer Studie untersuchen und herausfinden, welche Lernerfahrungen Jugendliche beim – organisierten oder unorganisierten – Sport machen, welche Präferenzen und welches Engagement sie entwickeln und wie sie ihre Kompetenzen und die Lerneffekte in diesem Feld einschätzen. 2.7.4 Lernen durch Musik/Medien
Wir hatten oben schon darauf hingewiesen, dass die attraktiven Angebote, die die moderne Jugendkultur und Freizeitindustrie abseits der Schule für Heranwachsende bereithält, bei der Selbstfindung eine große Rolle spielen. Dieses Angebot stößt bei den Jugendlichen vor allem deshalb auf positive Resonanz, weil es unterschiedliche Lebensstile und zugehörige Lebensgefühle vermittelt und die dazu gehörenden Geschmacksmuster eine soziale Einbettung und damit auch eine Zuord-
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nung zu sozialen Gruppierungen ermöglichen (vgl. Lüdtke 2001). Insofern bieten Medien im Zusammenhang mit der Altersgruppe gerade im Prozess der Ablösung von der Familie einen unabdingbaren Raum für die persönliche Selbstdefinition und Identitätsfindung, wie verschiedene Studien herausgearbeitet haben (vgl. Hengst/Zeiher 2000; Barthelmes/Sander 1997). Einen wichtigen von diesen Studien hervorgehobenen Aspekt markiert insbesondere die Auseinandersetzung mit Persönlichkeitsbildern und Handlungsmustern, wie sie z.B. in Filmen oder Fernsehserien vermittelt werden (vgl. Barthelmes/Sander 2001), die als Hintergrund- und Absetzungsfolie im Prozess der Selbstfindung fungieren. Diese musik- und medienbezogene Freizeitkultur der Jugend findet ihren Ausdruck in einer Vielfalt von Szenen mit unterschiedlichen Gruppenstilen; dazu gehören jeweils besondere sprachliche Stilmittel (graffitis, takes), aber auch eigene Musikrichtungen wie z.B. Techno oder Hip-Hop und insbesondere körperbezogene Ausdrucksformen, die sich in bestimmten jugendtypischen Moden (etwa Kleidungs- und Tanzstilen usw.), aber auch in vielen neuen Trendsportarten (z.B. In-Line-Skaten, Skate- und Snowboarden etc.) zeigen (vgl. Jugendwerk 1997). Insbesondere dem Musikhören (und -sehen) kommt, wenn man die Daten von Jugendstudien heranzieht, eine herausgehobene Bedeutung als Freizeitbeschäftigung im Jugendalltag zu (vgl. z.B. Jugend 2000). Der Grund hierfür dürfte darin liegen, dass Musik nicht nur ein äußerst geeignetes Medium zum Ausdruck psychischer Befindlichkeiten und Spannungszustände ist, sondern dass darüber hinaus ein äußerst breites Angebot an Stilrichtungen und Darstellungsmöglichkeiten produziert wird, das individuellen Präferenzen und Abgrenzungen nahezu unendlichen Raum gibt. Musik ist für Jugendliche deshalb ein so faszinierendes Medium, weil sie nicht nur vielfältige Möglichkeiten bietet, emotionale und innerpsychische Prozesse und Vorgänge in einer individuell authentischen Form auszudrücken, sondern auch deshalb, weil sich über dieses Medium ein intensiver sozial-kommunikativer Austausch mit der jeweiligen Bezugsgruppe herstellen lässt. In diesem Sinn hat der Umgang mit Musik für Jugendliche gleichsam die Funktion eines Katalysators zur Identitätsfindung und -förderung. Wir wollen deshalb in unserer Studie auch einen Akzent darauf legen, welche Lernerfahrungen Jugendliche bei der Beschäftigung mit der Jugendkultur am Beispiel der Musik machen, welche Stile und Ausdrucksweisen sie bevorzugen, ob sie dabei eher passiv konsumieren oder auch aktiv beispielsweise ein Instrument lernen und wie sie ihre Kompetenzen in diesem Lernfeld einschätzen.
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Resümee: Wir hatten oben herausgearbeitet, dass der jugendkulturelle Freizeitbereich jener (soziale) Verhaltensraum ist, in dem sich die Jugendlichen mit ihren gruppenspezifischen Lebensstilen und mit unterschiedlichen Ausdrucksformen jenseits der Erwachsenenkultur bewegen und in dem sie auch jenseits der Schulausbildung informell lernen. Unser Interesse konzentriert sich also darauf, welche außerschulischen Lernprozesse (sportliche/musische Freizeitgestaltung/Umgang mit neuen IT-Medien/sowie Job und Arbeitswelt) heute für die Schülerinnen und Schüler zum (Lern-)Alltag gehören, mit welchen Gegenständen sie sich dabei aktiv auseinandersetzen und wo sie ihre Kompetenzen sehen. Dass die Schule als institutionalisierter Lernort nicht in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben soll, liegt auf der Hand.
Peter Wahler 3
Untersuchungsmethode und Durchführung der empirischen Studie
Wir haben oben die angesprochenen Lernprozesse Jugendlicher dadurch charakterisiert, dass sie eher informell und meist außerhalb institutionalisierter Bahnen verlaufen und im Wesentlichen an die Intention und das Engagement des Lernenden selbst gebunden sind. Eine ausgeprägte Betonung des Erlebnisaspekts und ein weitreichender Anspruch an Selbstbestimmung über die Art der Tätigkeit und die dafür aufzuwendende Zeit kennzeichnen diese Prozesse. Der Schlüssel zum Lernerfolg liegt also weitgehend bei der lernenden Person; dies macht es schwer, sie einer vergleichenden Bewertung nach vorab festgelegten, z.B. schulähnlichen Kriterien zu unterziehen. Für eine empirische Untersuchung dieser Lernprozesse haben wir deshalb zwei methodisch unterschiedliche Vorgehensweisen kombiniert: Mit Blick auf den individuellen Lernaspekt wollen wir bewusst einen subjektorientierten Zugang auf die jeweiligen SchülerInnen wählen, bei dem ihr Lerninteresse und die damit verbundenen individuellen Vorstellungen über den Stellenwert dieses Lernens für ihre Biographie im Mittelpunkt stehen. Ein solches qualitatives Vorgehen steht häufig am Anfang einer empirischen Untersuchung, weil sich damit die individuellen Interpretations- und Handlungsperspektiven nachzeichnen und der gesamte Themenbereich sowie die einzelnen Problemebenen explorativ erschließen lassen. Den Schwächen dieses Verfahrens – Konzentration auf eine kleine Zahl von Fällen – sollte durch eine quantitative Befragung begegnet werden, die als zweiter empirischer Zugang stärker darauf ausgerichtet ist, Daten über Art und Umfang der skizzierten außerschulischen Lernprozesse zu ermitteln. Wir wollen im Folgenden beide Vorgehensweisen in ihren Zielrichtungen und Fragestellungen näher charakterisieren. Für die Themenbereiche der qualitativen Studie, also insbesondere die subjektiven Lernvorstellungen oder -konzepte, haben wir die Untersuchungsfragen entlang lernpädagogischer Kriterien ausdifferen-
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ziert, wobei insbesondere die Zielperspektive, die Motivation, sowie die Zeit- und Sinndimension für uns im Zentrum standen. Der soziale Kontext und die Gelegenheitsstrukturen bilden weitere wichtige Merkmale für das informelle Lernen in der Jugendphase, sodass auch der sozialen Einbettung der Lernprozesse in den jugendlichen Alltag nachzugehen ist, beispielsweise den entsprechenden Normen in der Peer-group. Ein weiterer wichtiger Fragenkomplex – nicht nur der qualitativen Studie – gilt den gedanklichen Verbindungen, die die Jugendlichen sowohl zum schulischen Lernen und seinen Themen als auch zu erwarteten Qualifikationsanforderungen im Arbeitsleben herstellen. Aus diesen Überlegungen resultierten folgende Fragen, mit denen wir im qualitativen Teil unserer Studie die informellen Lernprozesse Jugendlicher, ihr eigenständiges Lernen abseits schulischer Angebote insbesondere im Hinblick auf die individuellen Motivations- und Sinnstrukturen in den Blick nehmen: – Welche Motive sind auf Seiten der Jugendlichen für diese außerschulischen Aktivitäten und die Lerninhalte vorhanden? Ist der spontansituative Erlebnisaspekt dominant oder gibt es auch Anzeichen für eine bewusste Realisierung längerfristiger, über die Schulzeit hinausweisender Zielsetzungen? – Können die Jugendlichen einen Lernfortschritt beschreiben und damit einen Zeithorizont benennen, oder ist das Lernen gelegenheitsorientiert und zufällig, sodass es sich in sozialen Kontakten und unspezifischer Geselligkeit erschöpft? – Welche persönlichen Wertpräferenzen können die Jugendlichen für ihr Lernengagement anführen? Stützen sie dies eher auf eine subjektive Vorstellung über persönliche Bildungsansprüche oder ist dafür eher eine Vorstellung von spezifischer Nützlichkeit für das spätere Berufs- und Erwachsenenleben maßgebend? – Wie sehen die Jugendlichen den jeweiligen Lernkontext? Worin liegt für sie seine Anregungsqualität? Hängt dies eher mit dem Thema, der Aufgabe zusammen oder geben eher die sozialen Rahmenbedingungen den Ausschlag, z.B. eine für sie wichtige soziale Gruppe und deren Bezugsnormen? Welche Vorstellungen über den Sinn von Lernen werden in der Bezugsgruppe geteilt? – Welche Verbindungen und Verknüpfungen sowohl zum schulischen Lernen als auch zu antizipierten beruflichen Anforderungen können die Lernenden herstellen?
Untersuchungsmethode und Durchführung der empirischen Studie
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Für die qualitativen Interviews haben wir mit Hilfe von Experten etwa 15 Jugendliche aus unterschiedlichen Schulen ausgewählt, wobei es uns in erster Linie darum ging, ein gewisses Spektrum an Erfahrungen mit außerschulischen Lernprozessen in verschiedenen Freizeitbereichen zu berücksichtigen. Wichtig war in den intensiven Einzelinterviews mit Schülerinnen und Schülern, dass neben den außerschulischen Lernerfahrungen auch der subjektiv-biographische Kontext (soziale Herkunft, Bildungsbiographie sowie berufliche Pläne) mit erfasst wird. Weil sich schon nach einigen wenigen Interviews herausstellte, dass manche Jugendliche dieser Altersgruppe die Lernprozesse, die sie institutionell und informell absolvieren, nur wenig reflektieren, kam einer offenen und narrativen Gesprächsführung ein besonderer Stellenwert zu, wie dies ja auch in der einschlägigen Literatur postuliert wird (vgl. Lamnek 1993/1995; Witzel 1982/1996). Mit diesem vertiefenden, problemzentrierten Vorgehen war es möglich, stärker auf die unmittelbare Gesprächssituation einzugehen und auf eine interaktive Klärung der angesprochenen Themenbereiche hinzuarbeiten. Trotzdem haben sich einige der geführten Interviews als wenig ergiebig erwiesen, was sowohl mit der Lernthematik, die ja spontan mit Schule assoziiert wird und dadurch Skepsis bis Abwehr auslöst, als auch mit der für manche Jugendliche schwierigen Selbstreflexion zu tun haben mag, die hierbei nötig ist. In der folgenden Ergebnisdarstellung sind die Befunde der qualitativen Interviews nicht eigens zusammengefasst13, sondern in die Darstellung der einzelnen Lern- und Freizeitbereiche integriert, sodass Aktivitäten und subjektive Sinnzuschreibungen im jeweiligen Deutungszusammenhang erkennbar werden. Die Stoßrichtung der quantitativen Befragung war demgegenüber weniger auf die subjektive Sinndimension, sondern stärker auf die empirisch ermittelbare Vielfalt unterschiedlicher Formen und Inhalte außerschulischen Lernens gerichtet. Hier galt unser Untersuchungsinteresse der Frage, in welchem Ausmaß und an welchen Gegenständen Schüler heute das außerschulische Lernen für sich entdeckt haben, welche (Freizeit-)Interessen sie damit verbinden (etwa in Bezug auf kulturell-sportliche Aktivitäten, Umgang mit neuen Medien oder auch soziales, bürgerschaftliches Engagement) und ob sie diese Lernfelder auch in Zusammenhang mit ihren schulischen sowie den ge13 Eine ausführliche Übersicht über die Ergebnisse der qualitativen Studie enthält der Zwischenbericht des Projektes vom Juli 2002.
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planten beruflichen Perspektiven sehen und darüber hinaus sich ihr Interesse auch auf Jobtätigkeiten richtet. 3.1 Die quantitative Befragung: zur Anlage der Stichprobe und Auswahl der Schulen
Im Mittelpunkt unseres Forschungsinteresses standen Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I und II ab der 9. Jahrgangsstufe, die bereits den Schulabschluss und perspektivisch damit die Vorbereitung auf das Erwerbsleben im Auge haben. Mit der Fokussierung auf die 15- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schüler wollten wir eine Altersgruppe in den Blick nehmen, in der sich die oben skizzierten entwicklungstypischen Aufgaben und Anforderungen während der Verselbständigung in der Jugendphase in besonderer Weise stellen. Wir hatten beabsichtigt, in dieser Altersgruppe etwa 2000 Schülerinnen und Schüler aus Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und berufsbildenden Schulen zum Thema ‚außerschulisches Lernen‘ zu befragen.14 Um den Akzent auf einen Vergleich dieser Schulformen legen zu können, war dabei nicht an eine repräsentative, sondern an eine geschichtete Stichprobe gedacht, deren Felder wir einerseits durch die ausgewählten Schulformen, auf der anderen Seite durch die Unterscheidung nach städtischen und ländlichen Gemeinden sowie nach alten und neuen Bundesländern vorgegeben hatten. Damit wollten wir dem Einfluss unterschiedlicher sozialer Kontexte und Gelegenheitsstrukturen nachgehen und der Tatsache Rechnung tragen, dass Ausmaß und Gestalt der Lernangebote für Jugendliche auch von der sozialen Infrastruktur abhängen, wie sie durch sozialräumliche Segregation und die soziokulturellen und politischen Strukturzusammenhänge vermittelt ist. Um die schwer überschaubare Problematik eines Ländervergleichs mitsamt den unterschiedlichen bildungspolitischen Rahmenbedingungen von vornherein auszuschließen, wurde die Befragung auf vier der 16 Bundesländer beschränkt und nur die Bundesländer Niedersachsen, Hessen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ausgewählt, bis auf 14 Wir haben uns aus Gründen einer einheitlichen Darstellungsweise dafür entschieden, im Folgenden jeweils nach diesen vier Schulformen zu differenzieren, auch wenn in einigen Bundesländern Haupt- und Realschule zur Regelschule zusammengefasst sind.
Untersuchungsmethode und Durchführung der empirischen Studie
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Niedersachsen relativ kleine Flächenstaaten. Für die Entscheidung war einerseits ausschlaggebend, dass für diese Länder eine Stadt-LandUnterscheidung problemlos vorgenommen werden kann. Da eine Schulbefragung der Genehmigung durch die Kultusbehörden bedarf, mussten hierzu z.T. langwierige Verfahren in Gang gesetzt werden; die Erfahrungen, die hierbei schon von anderer Seite mit der Kooperationsbereitschaft der Behörden gemacht wurden, gingen zusätzlich in unsere Überlegungen zur Auswahl der Bundesländer ein. Aus Gründen der Praktikabilität sollte die Erhebung möglichst in Form einer schriftlichen Klassenbefragung erfolgen und von einem kommerziellen Institut durchgeführt werden. Nach der Ausschreibung eines entsprechenden Auftrags und der Sichtung der Angebote haben wir uns für eine Zusammenarbeit mit dem SOKO-Institut Bielefeld entschieden. Bei der Anlage der Stichprobe kam es darauf an, neben den allgemein bildenden Schulen (Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien), auch die Schüler in solchen berufsbildenden Schulen einzubeziehen, die einen eher schulischen als beruflichen Charakter aufweisen. Da es sich um eine Schüler-Befragung handelt, sollten Vollzeitschulen einbezogen werden, womit die Berufschulen im dualen System nicht in Betracht kamen. Fachschulen, Berufsfachschulen und Berufsaufbauschulen wurden mit Blick auf die gewünschte Altersgruppe ebenfalls nicht ausgewählt. Einbezogen wurden hingegen Schüler im Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) und im Berufsgrundbildungsjahr (BGJ), weil sie nicht parallel eine Berufsausbildung machen. Außerdem wurden die Schüler von Fachoberschulen (FOS) und Fachgymnasien einbezogen, die in der Regel auf dem Realschulabschluss aufsetzen. Die Stichprobe für die Klassenauswahl wurde vom SOKO-Institut so angelegt, dass als Grundgesamtheit alle Gemeinden in den vier ausgewählten Bundesländern herangezogen und zunächst in städtische und ländlichen Gemeinden (Einwohnerzahl über bzw. unter 20.000) unterteilt wurden. Nach dem Zufallsprinzip wurden daraus pro Land 12 Stadtgemeinden und 12 Landgemeinden gezogen und ebenfalls zufällig darauf folgende Schulen verteilt: 3 Hauptschulen (zwei Klassen 9 und falls möglich eine Klasse 10), 3 Realschulen (eine Klasse 9 und zwei Klassen 10), 3 Gymnasien (eine Klasse 10, 11, 12) 3 berufliche Schulen (eine Klasse 10, 11, 12)
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Um eine möglichst feine Streuung zu erhalten und die Belastung der einbezogenen Schulen möglichst gering zu halten, durfte in jeder ausgewählten Gemeinde nur eine Schule und in jeder ausgewählten Schule nur eine Klasse befragt werden. Durch dieses Verfahren erhielt – gemäß dem Prinzip der Repräsentativität – jede Schulklasse die gleiche Chance, in die Stichprobe zu gelangen. Insofern wurde dann aus den jeweils ausgewählten Schulen und Klassenstufen vom SOKOInstitut zufällig eine Klasse gezogen. In diesen Klassen fand dann eine parallele schriftliche Befragung aller Schülerinnen und Schüler mit dem Fragebogen statt. 3.2 Zur Konstruktion des Fragebogens
Beim Entwurf des Fragebogens waren folgende Gesichtspunkte leitend: Zum einen wollten wir die Orte des außerschulischen Lernens einbeziehen, die wir aufgrund unserer theoretischen Vorüberlegungen als wesentliche Felder jugendlicher Aktivitäten und damit auch des Lernens in der Jugendphase ausgewiesen hatten. Zum anderen ging es uns darum, die Aktivitäten der Jugendlichen möglichst präzise zu erfassen, um anhand dieser Daten nicht nur die Betätigungen in den zentralen Handlungsfeldern und damit auch die Lernaktivitäten rekonstruieren zu können, sondern darüber hinaus auch Aussagen über den Umfang der Aktivitäten und die jeweilige Organisationsform treffen zu können. Im Zentrum stand aber vor allem die Frage nach dem individuellen Kompetenzerwerb, wie er von den Jugendlichen mit Blick auf ihre Interessen in diesen Freizeitbereichen eingeschätzt wird. Am Beginn des Fragebogens steht eine Übersicht zu den Freizeitinteressen, die etwa 30 Interessensgebiete und Beschäftigungen beinhaltet. Die Jugendlichen sollten zu diesen Vorgaben jeweils auf einer sechsstufigen Skala ankreuzen, inwieweit sie an den jeweiligen Aktivitäten, Veranstaltungen und sonstigen Freizeitbeschäftigungen interessiert sind (sehr stark – überhaupt nicht). Das Spektrum reicht hierbei von Sport, Entspannung und Ausruhen über politische und kirchliche Aktivitäten und Veranstaltungen bis zum Freundes- und Familienkreis, von Ausgehen, Musik und Veranstaltungsbesuch bis zur künstlerischen Betätigung, von Fernsehen, Video- und Computerspielen bis zu den technischen Interessen an Auto, Motorrad usw.; es umfasst darüber hinaus auch Mode, Shopping, Reisen, Sprachen und Bücher.
Untersuchungsmethode und Durchführung der empirischen Studie
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Während in diesem ersten Teil Interessensgebiete vorgegeben waren und nach dem Ausmaß der Präferenz gefragt wurde, richtete sich die zweite Frage im Fragebogen auf die entsprechenden Aktivitäten der Jugendlichen, die wir nach sechs Bereichen unterschieden haben. Dazu gehören Sport, Musik, Medien, Freunde und Familie, Kultur und ein Bereich mit sozialen und Vereinsaktivitäten. Unser Anliegen war, die Aktivitäten der Jugendlichen in diesen Lernfeldern differenziert im Hinblick auf mögliche Lernprozesse und deren Ergebnis zu erfassen, was nach unserer Einschätzung am ehesten mit einer offenen Fragestellung gelingen würde. Wir haben deshalb folgende Gesichtspunkte zugrunde gelegt: Zunächst wird die Art der Aktivität erfasst (z.B. Sportarten, Instrument spielen etc.). Ein wichtiger Indikator für die Intensität des Freizeitlernens ist ferner der Zeitanteil, mit dem diese Aktivität betrieben wird (Stunden pro Woche). Um den sozialen Kontext zu ermitteln, haben wir außerdem nach den Organisationsformen gefragt (wie organisiert? allein?). Die anschließenden Fragen richteten sich zentral auf das Thema ‚Lernen‘: Zum Ersten galten sie dem individuell bekundeten Lerneffekt („Was haben Sie dabei gelernt?“), zum Zweiten zielten sie auf eine bilanzierende Betrachtung, bei der die Jugendlichen die erworbenen Kompetenzen bewerten („Wie gut sind Sie darin?“) und damit auch über ihre Lernmotivation Auskunft geben sollten („Sind Sie damit zufrieden oder wollen sie darin noch besser werden?“). Es folgen dann offene Fragen nach den wichtigsten Freizeitbeschäftigungen sowie Items zu den Gründen für diese Beschäftigungen. Im Anschluss haben wir außerdem eine Zeitbudgetübersicht vorgegeben, in die die Jugendlichen ihre Aktivitäten für werktags, samstags und sonntags jeweils für den Vormittag, Nachmittag oder Abend eintragen konnten. Auch hier war die Intention, lernrelevante Aktivitäten zu ermitteln und deren Anteil am gesamten Freizeitbudget der Jugendlichen herauszufinden. Ein weiterer wichtiger Bereich des Fragebogens war den Nebenjobs der Jugendlichen gewidmet, also jenen Arbeitstätigkeiten, denen die Jugendlichen mehr oder weniger regelmäßig nachgehen, um dabei Geld zu verdienen. Hier zielten die Fragen darauf, einerseits zu ermitteln, wie oft die Jugendlichen solche Tätigkeiten ausüben, wie viel Geld sie in etwa dabei verdienen und mit welcher Art von Tätigkeit sie in ihren Jobs zu tun haben. Außerdem haben wir eine Liste von Gründen für diese Jobtätigkeiten vorgegeben sowie anhand einer
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Peter Wahler
Skala zu ermitteln versucht, inwieweit die Jugendlichen mit jenem Ernstcharakter von Arbeit konfrontiert waren, der durch Belastung, Stress und Ärger mit Chef oder Kollegen gekennzeichnet ist. Im Anschluss an die Jobthematik haben wir nach den Vorstellungen über den späteren Beruf gefragt. Hier ging es zunächst um das Berufsfeld, in dem die Jugendlichen einmal arbeiten wollen und darum, welchen konkreten Beruf sie derzeit schon im Auge haben. Einen wichtigen Themenbereich im Rahmen unserer Studie bildete die Schule. Um ein Bild vom institutionalisierten Lernen unserer Jugendlichen zu bekommen, haben wir zunächst über die Lieblingsfächer die Lernschwerpunkte der Jugendlichen erfasst. Weitere Fragen widmeten sich der Selbsteinschätzung der schulischen Leistungen, dem Zeitaufwand für das Lernen sowie der Belastung durch die Schule. Zwei Zusammenstellungen von Items zielten über solche konkreten Befunde hinaus auf allgemeinere Interpretationen der Institution Schule: Zum einen wurde anhand bestimmter Beispiele danach gefragt, inwieweit das Lernen in der Schule für die Jugendlichen eine lebenspraktische Bedeutung hat. Auf der anderen Seite ging es um den Sinn, den die Jugendlichen dieser Institution zuschreiben, indem sie beispielsweise die Schule eher wegen des Lernens oder eher wegen der sozialen Kontakte besuchen und in ihr entweder eine wirklichkeitsferne oder auch eine anregende Institution sehen. Hieran anknüpfend finden sich offene Fragen zum angestrebten Schulabschluss und zu den anschließend geplanten Aktivitäten. Zum Ende des Fragebogens folgen noch eine Reihe von Fragen zur Sozialstatistik, also zu Alter, Geschlecht, Bildung und Beruf der Eltern, Wohnsituation, Staatsangehörigkeit, sowie informationstechnischer Ausstattung, Geldeinkommen und seiner Verwendung. Der entwickelte Fragebogen wurde in einem Pretest in vier Klassen, also pro Schulform eine, zu den gleichen Bedingungen wie in der Hauptuntersuchung eingesetzt. Die Ergebnisse im Rahmen dieses Tests zogen einige Veränderungen nach sich. So mussten z.B. aufgrund von Verständnisschwierigkeiten insbesondere der Hauptschüler die Frageformulierungen an einigen Stellen vereinfacht werden, z.T. waren Vorgaben für Teilgruppen unzutreffend. Außerdem musste der Fragebogen auch hinsichtlich seiner Länge/Zeitdauer gestrafft werden (s. Pretestbericht).
Untersuchungsmethode und Durchführung der empirischen Studie
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3.3 Hauptuntersuchung: Verlauf und Durchführung
Zunächst wurde schriftlich Kontakt zu allen ausgewählten Schulen aufgenommen. Nach einigen Tagen wurden diese Schulen dann angerufen, um eine evtl. Teilnahme und den Befragungstermin zu klären. Diese Terminabsprachen mit den einzelnen Schulen gestalteten sich in den meisten Fällen problemlos. Einige Rektoren waren sogar sehr angetan von dieser Studie und kamen von sich aus auf uns zu, um die Terminplanung voranzutreiben, oder sogar um zu fragen, ob nicht mehr als nur die vorgesehene Klasse befragt werden können. In anderen Schulen kam es aber auch vor, dass man zum vereinbarten Termin in der Schule erschien und der Lehrer der zu befragenden Klasse über die Befragung gar nicht informiert war. In diesen Fällen gab es dann natürlich Probleme mit den Elternbestätigungen, und viele Schüler konnten (wollten) nicht an der Befragung teilnehmen. Insgesamt haben mehrere Schulen darauf hingewiesen, dass sie des Öfteren an Befragungen teilnehmen, bei einigen kam es deshalb zur Verweigerung. Ausfallprotokoll
In Hessen haben fünf Schulen die Teilnahme an der Befragung verweigert, in Niedersachsen waren es vier. In diesen Fällen wurden Ersatzschulen gesucht und statt jener befragt. In Hessen ergab sich durch die vom Schulgesetz vorgesehenen Schulkonferenzen, die einer jeden Befragung zustimmen mussten, eine Verzögerung, da diese Schulkonferenzen nur in größeren Abständen tagen und wegen einer Befragung nicht eigens einberufen werden. In Thüringen konnten die Befragungen aufgrund des Amoklaufs von Erfurt erst zwei Wochen später beginnen. Wohl auch unter dem Eindruck dieses Ereignisses verweigerten sechs Schulen die Teilnahme. In Sachsen-Anhalt bestand ein Problem darin, dass das Kultusministerium den Befragungszeitraum auf den Monat Mai begrenzt hatte. Hier musste eine Verlängerung beantragt werden, die aber auch problemlos und schnell gestattet wurde. Zusätzlich mussten im August noch einige Schulen nachrecherchiert werden, da wegen des Hochwassers vorher in einigen Schulen keine Befragungen möglich waren. In diesem Bundesland haben sieben Schulen die Teilnahme verweigert. Im Verlauf der Feldphase stellte sich heraus, dass der Befragungszeitraum (Mai – Juni) wegen der Nähe zum Ferienbeginn nicht opti-
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Peter Wahler
mal gewählt war. Viele Schulen hatten in den letzten Wochen noch wichtige Klausuren zu schreiben, Klassenfahrten oder Projektwochen durchzuführen, Schulentlassungsfeiern vorzubereiten etc. In Thüringen und Sachsen-Anhalt machen die Schüler bereits am Ende der 12. Klasse ihr Abitur, sodass in dieser Klassenstufe vor Beginn der Ferien kaum noch Schüler in den Schulen anzutreffen waren. Das Gleiche galt auch für die SchülerInnen der 10. Klassen, die im Frühsommer die Schulen verlassen. Auch aus diesen Gründen war eine Verlängerung der Befragungszeit unumgänglich. Die Durchführung der Befragung verlief in den meisten Fällen problemlos. Der Interviewer/die Interviewerin erschien zum vereinbarten Termin in der Schule und besprach sich kurz mit dem/der Rektor(in) oder dem/der zuständigen Lehrer(in). In der Klasse wurden nach der Vorstellung der eigenen Person sowie des Projektes und dem Einsammeln der Elternbescheinigungen die Fragebogen ausgeteilt und erläutert, insbesondere die Frage zwei. Während des Ausfüllens stand der/die Interviewer(in) für Rückfragen der Schüler zur Verfügung. In den Hauptschulen wurden die Befragungen teilweise gestützt (seitenweise gemeinsam) durchgegangen, da mehrere Schüler dieser Schulform mit dem Verständnis der Fragen Schwierigkeiten hatten. 3.4 Auswertungsschritte und Grunddaten der Untersuchungspopulation
Die ausgefüllten Fragebögen wurden überprüft und codiert; dies war insbesondere bei den offenen Fragen sehr zeitaufwendig. Alle Antworten mussten gelesen und maschinell eingegeben werden, um sie in einem zweiten Schritt dann zu Gruppen bzw. Kategorien zusammenfassen zu können. Anschließend wurden in einem ersten statistischen Auswertungsgang ein SPSS-Datenfile der Studie angelegt sowie Häufigkeitsauszählungen vorgenommen und Mittelwerte bestimmt. Insgesamt wurden 2064 Schüler und Schülerinnen der Klassenstufen 9-12 befragt. Diese teilen sich auf in 963 männliche und 1068 weibliche Befragte. In den neuen Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt wurden insgesamt 1000 Schülerinnen und Schüler befragt, in den alten Ländern Niedersachsen und Hessen 1064. In der Grundgesamtheit überwiegen die Mädchen und jungen Frauen leicht gegenüber ihren männlichen Kollegen, die Altersgruppe der 16- bis 17-Jährigen stellt das Gros der Befragten. Die Gleichverteilung be-
Untersuchungsmethode und Durchführung der empirischen Studie
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züglich der vier Schulformen entspricht natürlich nicht den realen Anteilen, sondern ist auf die Anlage der Studie zurückführen, dies gilt auch für die Ost-West- Differenz. Einen Überblick über wichtige Grunddaten unseres Samples gibt die folgende Tabelle: Tab. 3.1: Grunddaten der Schülerpopulation Merkmal Kategorie Anteil in %
Geschlecht m 963 46,7
Merkmal Kategorie Anteil in %
Merkmal Kategorie Anteil in %
bis 15 256 12,4
16 576 27,9
17 521 25,2
Schulform HS 503 24,4
Merkmal Kategorie Anteil in %
Alter
w 1068 51,7
RS 523 25,3
ein Elt. 320 15,5
BS 515 25,0
9 + 10 1211 58,7
stark 159 7,7
Stadt 994 48,2
Land 1070 51,8
Ost/West
11 + 12 431 20,9
Ost 1000 48,4
West 1064 51,6
Religion o. E. 94 4,6
kath 289 13,9
Migrationshintergrund15 gesamt 293 14,2
älter 337 16,3
Klassen
Gym 523 25,3
Wohnsituation beid. Elt. 1611 78,1
Region 18 321 15,6
schwach 134 6,5
ev 737 35,7
islam 69 3,3
keine 836 40,5
Bildungs-Berufsstatus16 niedrig 363 17,6
U-Mitte 922 44,7
O-Mitte 294 14,2
hoch 165 8,0
Die weitere Auswertung war von der Überlegung bestimmt, insbesondere dem Einfluss von Alter, Geschlecht und Schulformen auf die Ausprägung der Merkmale nachzugehen. Zu diesem Zweck wurden zu den einzelnen Lernfeldern Kreuztabellen angelegt, die das Grundgerüst der Ergebnisübersichten bilden. Ferner wurden Signifikanzprüfungen durchgeführt, um Anhaltspunkte zur statistischen Zuverlässigkeit der ermittelten Unterschiede zu gewinnen. Es stellte sich heraus, dass aufgrund der hohen Befragtenzahl die meisten der statistisch ausgewiesenen Differenzen signifikant sind. Zusätzlich wurde in einigen Fällen anhand einer Varianzanalyse ermittelt, welche der unabhängigen Variablen den größten Einfluss auf einzelne Merkmals15 Der Migrationshintergrund wurde als stark definiert, wenn Vater oder Mutter nicht in Deutschland geboren sind und mindestens ein Elternteil erst nach der Geburt des Kindes nach Deutschland gekommen ist. Er wird als schwach betrachtet, wenn mindestens ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist, der Schüler/ die Schülerin aber seit der Geburt in Deutschland lebt. 16 Hierfür wurden die Angaben zum Schul- und Berufsabschluss von Vater und Mutter herangezogen und in vier Klassen zusammengefasst.
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Peter Wahler
ausprägungen hat. Auf die entsprechenden Verfahren wird in den einzelnen Kapiteln bei der Darstellung der Befunde hingewiesen. Die folgende Ergebnisdarstellung umfasst nur einen Teil der Daten, die in der Studie ermittelt wurden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit wurde darauf verzichtet, alle Befunde zum Gesamtspektrum des Fragebogens vorzustellen. Die Auswahl beschränkt sich auf die wichtigsten Themenfelder des außerschulischen Lernens und die zugehörigen Daten. Am Beginn steht das zentrale Lernfeld Schule, das mit seiner Alltagspräsenz das Bild vom Lernen auch bei Jugendlichen entscheidend prägt (Kap. 4). Es folgen Befunde zu den Nebenjobs, die sich zu einem wichtigen außerschulischen Lernort entwickelt haben (Kap. 5). Im Weiteren markieren Sport und Musik zwei „traditionelle“ und zugleich immens wichtige Felder jugendlicher Selbsterfahrung und entsprechender Lernprozesse (Kap. 6 und 7). Das Ende der Ergebnisdarstellung bilden Befunde zum Lernen in den modernen kommunikationstechnologischen Welten von Internet, Computer und Handy (Kap. 8), bevor dann im Schlusskapitel die Befunde noch einmal zusammengefasst und in ihrer Bedeutung für das Lernen in der Jugendbiographie erörtert werden (Kap. 9).
Peter Wahler 4
Schule – der institutionalisierte Lernort
4.1 Das Verhältnis Jugendlicher zur Schule – Fragestellung und Indikatoren
Die Wahrnehmung der Schule in der öffentlichen Diskussion unterliegt Konjunkturen, wie zuletzt die Diskussion um die Ergebnisse der PISA-Studie gezeigt hat. Dass dies auch für die Sichtweisen der Schüler gilt, haben Krüger/Grunert (2002) jüngst herausgearbeitet. Wir hatten eingangs schon auf entsprechende Studien verwiesen, die sich mit der Schule und ihrer Wahrnehmung durch die Jugendlichen beschäftigen (vgl. Kanders 2000; Krüger/Kötters 2000). Einschlägige Untersuchungen versuchen immer wieder eine Antwort auf die Frage zu finden, inwieweit das Lernprogramm der Schule bei ihren Schülern noch Anklang findet und ob für die subjektive Befindlichkeit in dieser Institution nicht doch andere Motive prägend sind als die durch die institutionelle Normen gesetzten Ziele wie Lernen und Wissenserwerb. In ihrem Überblicksartikel ziehen Krüger/Grunert dazu ein eher kritisches Resümee und weisen auf eine Reihe von Befunden hin, denen zufolge „die subjektive Sinnhaftigkeit schulischen Lernens eher die Ausnahme ist und ... die Schule für die Heranwachsenden vor allem als alltäglicher Jugendtreffpunkt einen zentralen, positiven Stellenwert hat“ (Krüger/Grunert 2002, S. 499). In der breiten Diskussion um die Erneuerung und Veränderung der Schule, die im letzten Jahrzehnt in der Bundesrepublik geführt wurde (vgl. Frommelt u.a. 2000; Preiß/Wahler 2002), war das motivationale Defizit auf Seiten der Jugendlichen immer wieder Ausgangspunkt für Überlegungen und Empfehlungen zur Umgestaltung der Schule (vgl. Arbeitsstab Forum Bildung 2002). Auch wenn die Annahme begründet erscheint, dass die dokumentierten Sinnprobleme für das außerschulische Lernen nicht in dem Maße zutreffen, weil hier der Interessens- und Erfahrungsbezug für die handelnden Jugendlichen sehr viel stärker im Vordergrund steht, so kann doch eine Untersuchung solcher Formen des Lernens die Schule nicht gänzlich außer Acht lassen. Wir haben deshalb versucht,
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Peter Wahler
im Rahmen unserer Fragestellung auch das Verhältnis der Jugendlichen zur Schule ein Stück weit zu erschließen. Unser Interesse richtete sich dabei auf zwei unterschiedliche Dimensionen: Zum einen ging es darum, Indikatoren für den praktischen Umgang der Jugendlichen mit den schulischen Anforderungen zu gewinnen, die zugleich auch über alltagswirksame Einstellungen Auskunft geben. Auf der anderen Seite lag das Ziel auch darin, grundlegende Interpretationsmuster und allgemeine Sinndeutungen gegenüber der Institution Schule zu ermitteln, die über die alltäglichen Unterrichtsprobleme im engeren Sinne hinausreichen. Eine explizite Schuluntersuchung war von uns aber nicht intendiert, sodass die entsprechenden Fragenkomplexe im Gesamtzusammenhang unserer Untersuchung eher knapp angelegt waren, der Akzent der Studie sollte ja auf dem außerschulischen Lernen liegen. Andererseits kommt dem institutionalisierten Lernort Schule in der Biographie der Jugendlichen wie auch in ihrem Alltag eine herausragende Bedeutung zu, die wir zumindest anhand einiger empirischer Daten einfangen wollten. Für den ersten Aspekt, dem praktischen Umgang mit der Schulrealität, haben wir zunächst drei Themen angesprochen: die bevorzugten Fächer im Schulunterricht im Hinblick auf Interessensschwerpunkte beim schulischen Lernen, die Leistungsstärke im Unterricht als Anhaltspunkt für die Bewältigung der schulischen Anforderungen und die wahrgenommene Belastung durch den Unterricht als Indiz für psychische Betroffenheit. Wir haben also einerseits nach den Lieblingsfächern gefragt, um entsprechende Präferenzen der Jugendlichen zu ermitteln. Um einen Anhaltspunkt für ihre Leistungsstärke in der Schule zu bekommen, haben wir sie um eine Einschätzung ihrer Schulleistungen gebeten. Hieran schloss sich die Frage an, inwieweit sie den Schulalltag als belastend empfinden. Um diesen subjektiven Belastungsindikatoren auch eine „objektivere“ Dimension gegenüberzustellen, wurde in diesem Zusammenhang auch nach dem Zeitaufwand für das schulische Lernen gefragt sowie danach, ob die Jugendlichen diesen Aufwand als ausreichend einschätzen. Die beiden anschließenden Fragenkomplexe richteten sich demgegenüber auf grundlegende Einstellungsmuster gegenüber der Institution Schule. Mit Blick auf eine durchgängige Diskussionslinie der Schulreformdebatte thematisierte der erste Komplex den Nutzen des schulischen Lernens für die Bewältigung von Alltagsproblemen. Die Fragen, die wir unter dem Signum „Lebenshilfe Schule“ zusammengefasst
Schule – der institutionalisierte Lernort
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haben, geben verschiedenartige Alltagssituationen und Probleme vor, zu denen die Schüler jeweils einschätzen sollten, wie sehr ihnen die Schule hilft, die entsprechenden Probleme und Situationen zu bewältigen. Der zweite Fragenkomplex zielte ebenfalls auf die Beurteilung der Schule, hier ging es aber weniger um den praktischen Nutzen bei der Lebensbewältigung, sondern um allgemeine Einschätzungen dieser Institution. Thema ist hier der Sinn des schulischen Lernens, die Anregungsfunktion dieser Institution und ihre Chancen angesichts einer medialen Zukunft, sodass wir diese Items unter den Titel „Deutungsmuster Schule“ zusammengefasst haben. 4.2 „Lieblingsfächer“ der Jugendlichen
Doch nun der Reihe nach zu den einzelnen Themen: Auf die Frage nach den derzeitigen Lieblingsfächern erhielten wir ein buntes Spektrum der Fächer, wobei es einen herausragenden Befund und damit einen Spitzenreiter gibt: Sport wird von mehr als der Hälfte der Jugendlichen zum Lieblingsfach erklärt. Dies gilt auch über die Geschlechter hinweg, wenngleich diese Vorliebe bei den männlichen Jugendlichen noch stärker (über zwei Drittel) als bei den weiblichen Jugendlichen (knapp unter 50%) ausgeprägt ist. Tab. 4.1: Lieblingsfächer nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (in %) Fach
Sport Mathematik Kunst Deutsch Englisch Geschichte Biologie Wirtschaft Chemie Musik Physik Informatik Französisch Latein
Gesamt Geschlecht N = Jungen Mäd2027 chen 57,7 67,8 48,8 40,1 47,9 33,0 32,5 17,4 45,9 30,0 20,0 39,0 29,7 25,1 33,7 26,3 33,9 19,4 25,8 17,8 33,0 22,6 22,8 22,5 20,9 24,1 17,5 20,4 14,7 25,2 19,6 31,0 9,3 18,1 26,9 10,3 6,8 3,3 9,8 2,3 2,2 2,4
< 16 Jahre 60,9 35,7 41,0 33,8 33,8 29,7 32,3 18,4 24,1 28,2 24,4 12,8 9,8 0,4
Alter 16/17 Jahre 57,6 42,1 35,9 29,3 31,9 27,9 27,8 19,9 23,0 22,9 19,9 17,7 7,1 1,8
Schulform > 17 Haupt- Real- Gymna- Berufl. Jahre schule schule sium Schulen 56,4 64,5 59,8 55,2 51,3 38,0 45,7 41,7 36,0 36,9 22,3 38,4 41,7 32,0 17,8 29,8 32,4 31,0 22,7 34,1 24,2 30,2 36,0 27,7 25,0 22,3 29,6 28,3 33,3 14,0 19,4 28,4 31,7 31,4 11,2 28,4 18,6 18,8 20,7 32,5 14,7 26,5 23,7 23,3 10,2 12,4 25,1 27,9 18,2 10,2 16,7 27,1 19,0 23,1 9,2 21,1 14,3 15,6 14,9 27,7 4,8 6,1 6,2 10,7 4,0 3,9 0,6 1,0 7,4 0,2
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An zweiter Stelle folgt – man staune – das Fach Mathematik, das von 40% aller Befragten zum Lieblingsfach gewählt wurde, ebenfalls mit geschlechtsspezifischer Tendenz: Die Männer liegen bei knapp 50%, die Frauen nur etwa bei einem Drittel.17 An dritter Stelle der Präferenzen liegen mehrere Fächer, nämlich einerseits die Sprachen Deutsch und Englisch, auf der anderen Seite das Fach Kunst. Bei Letzterem gibt es ein deutliches Übergewicht der weiblichen Jugendlichen, von den Männern wird es nur zu etwa 17% zum Lieblingsfach gewählt, bei den jungen Frauen immerhin von knapp der Hälfte. Bei den Sprachen haben die Frauen ein Übergewicht, Deutsch wählen sie zu 38%, die männlichen Jugendlichen nur zu knapp 20%, für Englisch gelten nicht ganz so große, aber in eine ähnliche Richtung weisende Unterschiede. Auf den nächsten Plätzen finden sich dann Fächer wie Musik, Wirtschaft, Recht, Sozialkunde, Chemie und Physik, Bio und Informatik, die zwischen 10 und 20% der Jugendlichen zu ihren Lieblingsfächern gewählt haben. Hier fällt auf, dass geschlechtsspezifische Unterschiede nahezu durchgängig zu Buche schlagen; insbesondere im Fach Physik nehmen die männlichen Jugendlichen einen Anteil von etwa 30% ein, die weiblichen aber nur knapp 10%. In Mathematik und Chemie hingegen, den anderen naturwissenschaftlichen Fächern, sind diese Geschlechtsunterschiede zwar auch vorhanden, aber nicht so ausgeprägt. Als Unterschied über die Altersgruppen fällt auf, dass bei den naturwissenschaftlichen Fächern Physik und Chemie die Präferenzen eher zurückgehen, ebenso im Fach Biologie, hingegen findet z.B. Informatik steigenden Anklang, was aber seinen Grund auch in der Lehrplansystematik haben kann. Rückgängige Werte verzeichnen auch die kreativen Fächer Musik und Kunst, während Fächer wie Wirtschaft/Recht/Sozialkunde oder auch Mathematik ihren Stand eher ausbauen. Im Vergleich der Schulformen fallen die berufliche Schulen etwas aus dem Rahmen, sie verzeichnen in vielen Fächern niedrigere Werte als die anderen drei Schulen, wobei sie allerdings bei Wirtschaft/Recht/So17 Den Daten von Zinnecker u.a. sind ähnliche Präferenzen zu entnehmen. Sie zeigen, dass unter den 13- bis 18-jährigen Jungen Sport mit weit über 50% das eindeutige Lieblingsfach ist, bei den Mädchen sind die Werte etwas geringer. Spitzenreiter ist bei ihnen das Fach Kunst mit 38%. Aus der Übersicht zu den beliebtesten Fächern bei Mädchen und Jungen geht hervor, dass der Sport eine Spitzenstellung einnimmt, dann Mathematik noch vor Kunst rangiert und Englisch sich an vierter Stelle findet (Zinnecker u.a. 2002, S. 135). Vgl. auch die Daten bei Holtappels (2002, S. 308).
Schule – der institutionalisierte Lernort
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zialkunde und bei der Informatik einen Spitzenplatz einnehmen. Hier ist auch der Befund zu registrieren, dass das Fach Deutsch an den Gymnasien im Vergleich deutlich weniger geschätzt wird, an den anderen Schulformen nimmt es einen sehr viel höheren Rang ein. Auch einige Ost-West-Unterschiede sind zu vermerken, insbesondere die Präferenz der Jugendlichen aus dem Westen für Mathematik und Englisch, während die Jugendlichen aus dem Osten deutlich die kreativen Fächer favorisieren. 4.3 Leistung und Belastung in der Einschätzung der Schüler
Die schulische Leistung ist natürlich eine dominierende Variable in dem Bezugssystem, das Jugendliche mit der Institution Schule verbindet. Da ein Zugang zu den Schulnoten für uns nicht möglich war, haben wir die Jugendlichen um eine Einschätzung ihrer schulischen Leistung gebeten. Eine solche Frage ist in der Sozialforschung, insbesondere in der Demoskopie, durchaus üblich; man findet solche Selbsteinschätzungen nicht nur im Bereich der Schulleistungen, sondern z.B. auch in der Parteienforschung oder in psychologischen Tests. Bezogen auf die Schule war es in unserer Studie die einzige Möglichkeit, eine Annäherung an den schulischen Leistungsstand zu erreichen, wobei die Daten aufgrund der dreistufigen Vorgabe nur ein grobes Bild wiedergeben: Abb. 4.1: Die schulische Leistung nach Geschlecht Gesamt
Jungen
Mädchen
mäßiger
mäßiger
mäßiger
Schüler
Schüler guter
9%
11%
Schüler
guter
Schüler
Schüler
9%
guter Schüler
30%
31%
31% mittlerer
mittlerer Schüler 60%
mittlerer Schüler
Schüler 60%
59%
Als gute Schüler bzw. Schülerin bezeichnen sich in unserer Untersuchungsgruppe rund 30% der Jugendlichen. Etwa 60% sehen sich leistungsmäßig im Mittelfeld, als eher mäßigen Schüler oder Schülerin
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bezeichnen sich in unserer Untersuchungspopulation lediglich knapp 9% der Befragten. Die Gruppe der eher mäßigen Schüler wächst mit dem Alter leicht an, während die der mittleren leicht abnimmt, und die der Guten nahezu gleich bleibt. Hier sind Unterschiede nach Geschlechtern zu registrieren, die zwar nicht groß ausfallen, aber zu der aus anderen Studien geläufigen Tendenz passen: Zu den mäßigen Schülern bekennen sich deutlich mehr männliche Schüler als weibliche. Die Verteilung auf die Schulformen zeigt ebenfalls erwartbare Tendenzen: Bei den guten Schülern sind die Gymnasiasten etwas stärker vertreten als die Kollegen aus anderen Schulen, im Mittelfeld sind sie hingegen leicht schwächer, bei den eher mäßigen Schülern herrscht wiederum fast Ausgeglichenheit vor mit einer leichten Überrepräsentation der Hauptschule. Ost-West-Unterschiede sind ebenfalls zu registrieren, fallen aber nicht deutlich aus: Im Osten bezeichnen sich relativ mehr Jugendliche als gute Schüler als im Westen, der seine Schwerpunkte im mittleren Leistungsniveau hat, während die mäßigen Schülern ausgeglichen verteilt sind. Der Belastung durch die Schule war ein weiteres Thema gewidmet. Wir haben hierzu die Jugendlichen gefragt, inwieweit sie nach der Schule erschöpft sind. Auch diese Daten liefern ein Bild, dessen Realitätsgehalt nicht exakt zu überprüfen ist, wir gehen aber davon aus, dass die realen Befindlichkeiten einigermaßen zutreffend wiedergegeben werden. Nach unseren Befunden wird der Schulbesuch durchaus als belastend empfunden, denn knapp 60% der Jugendlichen sind danach „etwas erschöpft“ und nur knapp 10% sind „gar nicht erschöpft“. Die andere Seite des Spektrums lässt einen weniger harmlosen Zustand erkennen und zeichnet ein Bild erheblicher alltäglicher Belastungen: Dass sie „ziemlich fertig“ sind, haben immerhin 22% der Jugendlichen angegeben, als „völlig fertig“ haben 10% der Jugendlichen ihr Befinden charakterisiert, sodass zusammengenommen etwa ein Drittel der Jugendlichen sich von der Schule erheblich belastet sieht. Damit zeigen unsere Daten ähnliche Befunde, wie sie schon andere Studien zutage gefördert hatten.18
18 Ganz ähnlich hat z. B. die Untersuchung von Mansel/Hurrelmann ermittelt, dass sich etwa ein Drittel der Befragten durch die schulischen Anforderungen sehr belastet fühlt (1991, S. 139f.).
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Tab. 4.2: Einschätzung der Belastung durch die Schule (in %) Befinden
N völlig fertig ziemlich fertig etwas erschöpft nicht erschöpft
Gesamt
Geschlecht JunMädgen chen
< 16 Jahre
Alter 16/17 Jahre
> 17 Jahre
Schulform Haupt- Real- Gymna- Berufl. schule schule sium Schule
2049 9,3 22,3 58,6
959 9,4 20,5 57,7
1066 9,2 23,9 59,3
267 9,7 19,1 64,0
1094 8,9 21,7 58,7
656 9,8 24,7 56,3
497 10,9 17,9 58,1
521 7,5 18,0 65,3
518 9,7 33,2 51,2
513 9,2 19,7 59,8
9,9
12,4
7,6
7,1
10,8
9,3
13,1
9,2
6,0
11,3
Um den Einfluss von Geschlecht, Alter und Schulform auf das Ausmaß der Erschöpfung statistisch zu überprüfen, wurde eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit „Befinden“ als abhängiger Variable, Geschlecht und Schulform als Faktoren und dem Alter als Kovariate berechnet. Im Ergebnis zeigen sich signifikante Haupteffekte für beide Faktoren (Geschlecht: F = 4.17, p<.05, eta2 = .002; Schultyp: F = 9.32, p<.001, eta2 = .014). Für das Alter ergibt sich kein signifikanter Effekt. Die Mädchen fühlen sich also durch die Schule stärker belastet als die Jungen; die Gymnasiasten empfinden eine höhere Erschöpfung als die Schüler der übrigen Schulformen. Haupt-, Real- und Berufsschüler unterscheiden sich hinsichtlich ihres Befindens nicht voneinander. Ost-West-Unterschiede sind so gut wie nicht vorhanden. 4.4 Der Aufwand für das schulische Lernen
Interessant scheint in diesem Zusammenhang auch der Aufwand, den die Jugendlichen für ihre Hausarbeiten und das schulische Lernen treiben: Wir haben deshalb danach gefragt, wie viel Zeit sie dafür aufwenden. Der durchschnittliche Zeitaufwand pro Woche liegt nach diesen Angaben mit etwa fünf Stunden nicht sehr hoch. Weniger als drei Stunden geben ein Drittel der Jugendlichen an, zwischen drei und sechs Stunden lernen etwa 45% der Jugendlichen, 17% lernen zwischen sechs und zehn Stunden, und immerhin knapp 5% mehr als zehn Stunden pro Woche.
68
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Tab. 4.3: Aufwand pro Woche für schulisches Lernen (in %) Zeit in Std.
N < 3 Std. 3–6 Std. 7–10 Std. > 10 Std.
Gesamt
2045 33,0 44,8 17,5 4,7
Geschlecht JunMädgen chen
< 16 Jahre
Alter 16/17 Jahre
> 17 Jahre
958 40,3 42,2 13,5 4,1
268 31,0 48,5 16,8 3,7
1090 35,8 44,9 16,6 2,8
658 29,2 43,5 19,3 8,1
1066 26,5 47,2 21,2 5,2
Schulform Haupt- Real- Gymna- Berufl. schule schule sium Schule 494 37,4 47,6 12,6 2,4
521 37,0 45,7 13,6 3,6
518 22,8 41,5 28,2 7,5
512 35,0 44,5 15,2 5,3
Analog zur vorigen Tabelle wurde auch hier eine zweifaktorielle Varianzanalyse berechnet, diesmal mit dem wöchentlichen Aufwand für schulisches Lernen als abhängiger Variable. Auch hier ergeben sich signifikante Haupteffekte für beide Faktoren (Geschlecht: F = 45.07, p<.001, eta2 = .022; Schultyp: F = 21.41, p<.001, eta2 = .031). Zusätzlich besteht eine Wechselwirkung zwischen Geschlecht und Schultyp (F = 5.63, p<.01, eta2 = .008) sowie ein signifikanter Alterseffekt (F = 13.49, p<.001, eta2 = .007). Statistisch abgesichert lässt sich also feststellen: Es ergeben sich wieder deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, denn die Mädchen sitzen länger an ihren Lernaufgaben, sie wenden mehr Zeit für Schularbeiten und schulisches Lernen auf als Jungen. Im Vergleich der Schulformen erhalten wir ein Ergebnis, das zu erwarten ist: Gymnasiasten wenden mehr Zeit für Schule und Lernen auf als Schüler der übrigen Schulformen. Haupt-, Real- und Berufsschüler unterscheiden sich hinsichtlich ihres Zeitaufwandes nicht voneinander. Dieses Muster findet sich bei Schülern beiderlei Geschlechts, ist aber bei den Mädchen stärker ausgeprägt als bei den Jungen. Und schließlich steigt die für Schularbeiten und schulisches Lernen aufgewendete Zeit mit dem Alter der Schüler an (r = .10, p<.001), wie schon der Tabelle zu entnehmen ist: Insbesondere die Gruppe derjenigen, die weniger als drei Stunden pro Woche lernen, nimmt mit steigendem Alter ab; umgekehrt steigt der Anteil bei denjenigen, die zwischen sechs und zehn Stunden lernen, leicht an, und bei der Gruppe derjenigen, die mehr als zehn Stunden lernen, können wir sogar einen deutlichen Anstieg registrieren.
Schule – der institutionalisierte Lernort
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Tab. 4.4: Zusammenhang von Befinden, Leistungseinschätzung und Zeitaufwand (in %) Befinden
N völlig fertig ziemlich fertig etwas erschöpft nicht erschöpft
Gesamt
2049 9,3 22,3 58,6 9,9
Leistungseinschätzung gut mittel mäßig 634 8,8 22,9 57,4 10,9
1228 8,4 21,3 61,4 9,0
180 17,2 26,7 44,4 11,7
< 3 Std. 671 11,5 19,4 55,1 14,0
Zeitaufwand 3-6 7-10 Std. Std.
>10 Std.
914 6,2 23,3 62,3 8,2
97 17,5 25,8 55,7 1,0
357 10,9 23,0 57,1 9,0
Wir haben darüber hinaus den Einfluss von Leistungseinschätzung und Zeitaufwand auf das Befinden ebenfalls mit einer zweifaktoriellen Varianzanalyse überprüft. Dabei ergibt sich lediglich ein signifikanter Haupteffekt für den Zeitaufwand (F = 2.78, p<.05, eta2 = .004). Die Leistungseinschätzung hat hingegen keinen Effekt auf das Befinden. Das heißt, dass Schüler, die mehr als 10 Stunden pro Woche aufwenden, eine stärkere Erschöpfung angeben als solche, die weniger als 3 oder 3 bis 6 Stunden pro Woche aufwenden. Wir haben bei dieser Frage nachgehakt und zusätzlich gefragt, ob diese Zeitangaben nach ihrer eigenen Einschätzung ausreichen. Die Antworten lassen sich wie folgt zusammenfassen: Uneingeschränkt ja haben etwa 24% der Jugendlichen angegeben, ein „ja, etwa“ die Hälfte der Jugendlichen, und ein Nein mit der Begründung, dass es zu wenig ist, haben immerhin ein Viertel der Jugendlichen angekreuzt. Tab. 4.5: Bewertung des Lernaufwands im Verhältnis zu Leistungseinschätzung und Zeitaufwand (in %) Zeit ausreichend?
N Ja, auf jeden Fall Ja, in etwa Nein, ist zu wenig
Gesamt
2017 24,1 50,6 25,3
Leistungseinschätzung Gut mittel mäßig 628 39,8 49,4 10,8
1210 17,7 54,2 28,1
173 12,1 28,9 59,0
< 3 Std. 667 28,6 38,7 32,7
Zeitaufwand 3-6 7-10 Std. Std. 900 19,6 54,3 26,1
353 23,2 63,2 13,6
>10 Std. 94 37,2 53,2 9,6
Analog wurde auch hier wieder eine zweifaktorielle Varianzanalyse berechnet, wobei diesmal die Einschätzung, ob die aufgewendete Zeit ausreicht, als abhängige Variable einging. Es ergeben sich signifikante Haupteffekte sowohl für die Leistungseinschätzung (F = 44.55, p<. 001, eta2 = .043) als auch für die aufgewendete Zeit (F = 4.45, p<.01, eta2 = .007).
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Peter Wahler
Betrachten wir zunächst die Leistungseinschätzung etwas genauer, so zeigt sich, dass sich alle drei Gruppen signifikant in ihrem Urteil unterscheiden, ob die aufgewendete Zeit ausreichend ist: Gute Schüler halten die aufgewendete Zeit eher für ausreichend als mittlere oder mäßige Schüler; und mittlere Schüler halten sie eher für ausreichend als mäßige Schüler. Was die aufgewendete Zeit selbst betrifft, so sind Schüler mit einem Aufwand von mehr als 10 Stunden eher der Meinung, das sei ausreichend, als solche mit einem niedrigeren Zeitaufwand. Ebenso halten Schüler mit 7 bis 10 Stunden ihren Zeitaufwand eher für ausreichend als solche mit 3 bis 6 Stunden. Schließlich – und das ist überraschend – halten Schüler mit weniger als 3 Stunden ihren Aufwand eher für ausreichend als solche mit 3 bis 6 Stunden. Zudem haben wir deutliche Alterseffekte: auf der einen Seite geht das bedingungslose Ja mit den Jahren zurück, auf der anderen Seite verdoppelt sich der Anteil derjenigen, die meinen, dass es zu wenig Zeit ist. Geschlechtsspezifische Unterschiede sind – wie oben – hier ebenfalls vorhanden: Die Mädchen wenden mehr Zeit auf und sind überzeugter, dass ihr Aufwand ausreicht, wobei die Unterschiede nicht besonders groß ausfallen. Was die Schulformen betrifft, so heben sich auch hier wieder die Gymnasiasten hervor: Sie sind nicht nur deutlich skeptischer in der Zustimmung, ob das angegebene Ausmaß auch ausreicht, sondern äußern auch stärker die Meinung, dass es zu wenig ist. Diese Ansicht wird im Übrigen auch von vielen Schülern der beruflichen Schulen geteilt. 4.5 „Nicht für die Schule, sondern für das Leben ...“ Deutungen zur Schule I
Der folgende Themenkomplex umfasst eine ganze Reihe von Fragen, in deren Zentrum die Beurteilung der Schule in lebenspraktischer Hinsicht steht. Damit haben wir versucht, der Einschätzung der Jugendlichen über den Nutzen der Schule für das tägliche Leben auf die Spur zu kommen. Beim Entwurf des Fragebogens haben wir alltägliche Probleme und Situationen vorgegeben und wollten von den Schülern wissen, inwieweit ihrer Meinung nach die Schule Kompetenzen zur Lösung der angesprochenen Probleme vermittelt. In diesem Fragekomplex sind folgende Ebenen von Alltagsproblemen angesprochen:
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– Zum einen ging es um die Bewältigung persönlicher Lebensfragen und Beziehungen, aber auch um Konflikte mit anderen Jugendlichen, Themen also, die in der Altersgruppe der Befragten eine hoher Bedeutung haben dürften. – Eine weitere Frage zielte auf die Einschätzung der Kompetenz, die die Jugendlichen der Schule in Fragen der Berufsvorbereitung und beim Thema Computer und Internet zuschreiben. – Eine weitere Frage betraf allgemeine Lernziele der Schule, z.B. das selbständige Bearbeiten von Themen oder den kritischen Umgang mit Medien und Informationen und die Entwicklung des eigenen Urteilsvermögens. – Eher in die Richtung der psychischen Entwicklung von Selbstbewusstsein und Identität zielte eine Frage, die den Erwerb von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein durch die Schule betraf. – Eine weitere Frage thematisierte den Umgang mit ausländischen Mitbürgern und die Problemkompetenz, die die Jugendlichen hierbei der Schule zumessen. – Dies galt auch für die abschließende Frage zum Umgang mit Geld, einem Thema, das für die Jugendlichen in einer Phase, in der sie erste Jobs ergreifen und Arbeitserfahrungen machen, doch von großer Bedeutung ist. Der von uns „Lebenshilfe Schule“ genannte Themenkomplex umfasst mehrere Dimensionen, von denen eine die beschriebenen lebenspraktischen Probleme beim Aufwachsen betrifft, also beispielsweise die Entwicklung von Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen, den Umgang mit anderen Jugendlichen sowie Beziehungsfragen. Zu diesen lebenspraktischen Fragestellungen gehören auch Themen wie das Verhältnis zu ausländischen Mitbürgern, aber auch der Umgang mit Geld. Eine weitere Dimension wird durch Qualifizierungsprozesse angesprochen, wie sie z.B. in der Vorbereitung auf die Berufswahl, aber auch in der Auseinandersetzung mit Computer und Internet notwendig werden. Angesprochen wurden auch schulische Normen, wie sie etwa vom Deutschunterricht formuliert werden, also z.B. das selbständige Bearbeiten von Themen, die Entwicklung des eigenen Urteilsvermögens und den kritischen Umgang mit Medien und Informationen. Insgesamt haben wir bei dieser Skala der Tatsache Rechnung getragen, dass die Maßstäbe für die Beurteilung der Schule zum einen durch biographische Entwicklung und soziales Umfeld vorgegeben werden, zum anderen kommen schulimmanente Kriterien kogni-
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Peter Wahler
tiver Entwicklung und persönlicher Qualifizierung hinzu, ebenso aber auch lebenspraktische Probleme. Bei der Übersicht über die Antworten zu den einzelnen Items (Fragen) wird zunächst deutlich, dass es eine durchgehende Tendenz im Meinungsspektrum gibt: Die Kompetenz der Schule wird umso höher eingeschätzt, je näher die Fragen bei schulnahen Themen liegen, wobei sich hier zwei Schwerpunkte ergebend: einerseits bei Fragen, die sich auf kritische Denkmuster und Denkleistungen richten, wie sie die Schule fordert; andererseits bei Fragen, die sich auf den Aspekt der Berufsvorbereitung sowie den Umgang mit Computer und Internet stützen. Bei den lebenspraktisch orientierten Fragen hingegen spiegeln die Antworten eine stärkere Ablehnung, dies gilt für Themen wie die Bewältigung von Beziehungen und Lebensproblemen, von Konflikten mit anderen Jugendlichen, den Umgang mit ausländischen Mitbürgern und insbesondere den Umgang mit Geld betreffend. Bei diesen Fragen hat die Schule aus der Sicht der Jugendlichen weniger gute Karten, sie erwarten sich hierzu keine große Hilfe vom schulischen Unterricht. Um jenseits der einzelnen Fragen liegende Einstellungskomplexe zu ermitteln, wurden die Antworten mittels einer Faktorenanalyse überprüft. Die folgende Tabelle gibt über die Mittelwerte der einzelnen Items sowie die ermittelten Faktoren Auskunft. Tab. 4.6:
Deutungen zur Schule I: „Lebenshilfe“ (Mittelwerte der Items und Faktorenstruktur [Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation]) Mittelwert*
Ladungen auf Faktor „praktische Lebenshilfe“
Bei Konflikten mit anderen Jugendlichen Bei der Bewältigung persönlicher Lebensfragen Bei der Vorbereitung auf Berufswahl-Entscheidungen Beim Umgang mit ausländischen Mitbürgern Beim Umgang mit Computer und Internet Für den Erwerb von Selbstbewusstsein Beim vernünftigen Umgang mit Geld
3,7 3,9 2,7 3,8 3,1 3,4 4,5
.73 .76 .47 .52 .44 .64 .74
Beim selbständigen Bearbeiten von Themen Beim kritischen Umgang mit Medien Bei der Entwicklung des eigenen Urteilsvermögens
2,6 3,1 3,1
Item („Die Schule hilft ...“)
Cronbachs Alpha Skalenmittelwert
Ladungen auf Faktor „bewusstes Lernen“
.82 .78 .70 .77 3.6
.71 2.9
* Auf einer Antwortskala von „1 – sehr hilfreich“ bis „6 – überhaupt nicht hilfreich“
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Beim Blick auf die Mittelwertübersicht werden zunächst Unterschiede in der Kompetenzeinschätzung klar erkennbar, die die Jugendlichen der Schule bei den einzelnen Themen zubilligen. Am schlechtesten wird die Kompetenz der Schule beim Umgang mit Geld eingeschätzt, der Skalenwert von 4,5 zeigt deutlich, dass die Schule im Verständnis der Jugendlichen hierbei keine große Hilfe darstellt. Nicht ganz so ablehnend, aber auch eher im negativen Bereich sind die Kompetenzzuschreibungen einzuordnen, wenn es um die Hilfe der Schule beim Umgang mit ausländischen Mitbürgern, bei Konflikten im Umgang mit anderen Jugendlichen und bei der Bewältigung persönlicher Lebensfragen geht. Auch hier liegen die Werte über dem rechnerischen Mittelwert, d.h. die Leistung der Schule wird eher skeptisch beurteilt. Eine leicht positive, nahe dem Mittelwert liegende Einschätzung geben die Jugendlichen bei den Themen Umgang mit Internet und Computer, Umgang mit Medien und Informationen und Entwicklung des eigenen Urteilsvermögens ab, also Themen, die relativ nahe an der Alltagsrealität des Schulunterrichts liegen. Hier kann die Schule zwar keine besondere Leistung für sich verbuchen, aber ihre Bemühungen werden eher für hilfreich als für überflüssig erachtet. Stärker positive Einschätzungen des schulischen Lernens gibt es nur in zwei der von uns angesprochenen Themenbereiche: einerseits bei der Berufsvorbereitung, wo die Werte einen merklichen Nutzen der Schule signalisieren, und besonders stark beim selbständigen Bearbeiten von Themen, also einem Kompetenzbereich, der nahe am Schulunterricht etwa im Fach Deutsch liegt. Die weitere statistische Analyse der Antwortmuster ergab verschiedene Ladungen der Items nach zwei Faktoren, die sich analytisch gut voneinander unterscheiden. Die in dem einen Faktor zusammengefassten Fragen bzw. Einstellungsmuster geben darüber Auskunft, inwieweit die Jugendlichen der Schule einen Beitrag zur „praktischen Lebenshilfe“ zumessen. Demgegenüber erfassen die im Faktor „bewusstes Lernen“ zusammengestellten Items ein Einstellungsmuster, das sich auf eine kritisch-selbständige Meinungsbildung bezieht. Im Folgenden haben wir die Mittelwerte für die beiden Faktoren nach den wichtigsten soziodemographischen Merkmalen zusammengestellt.
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Peter Wahler
Tab. 4.7: Mittelwerte der Faktoren nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen Gesamt Geschlecht Alter
Schultyp
Herkunft
männlich weiblich <16 16/17 >17 Hauptschule Realschule Gymnasium Berufsschule Ost West
Praktische Lebenshilfe Mittelwert 3,58 3,66 3,52 3,36 3,5 3,82 3,24 3,45 3,94 3,67 3,58 3,59
Bewusstes Lernen Mittelwert 2,92 2,96 2,88 3,0 2,9 2,9 3,3 2,97 2,62 3,06 2,86 2,97
Die in der Tabelle dargestellten Zusammenhänge wurden mit einer multiplen Varianzanalyse überprüft, wobei die beiden Faktoren (Skalen) als abhängige Variablen, Geschlecht, Schulform und Herkunft als unabhängige Variablen und das Alter als Kovariate eingingen. Betrachtet man diese Ergebnisse näher, so werden Effekte erkennbar, die die unabhängigen Variablen Alter, Geschlecht und Schulform betreffen. Für die Skala „Praktische Lebenshilfe“ bestehen signifikante Haupteffekte für Alter (F = 17.47, p<.001, eta2 = .010), Geschlecht (F = 11.88, p<.01, eta2 = .007) und Schultyp (F = 31.81, p<.001, eta2 = .054), außerdem besteht eine Wechselwirkung zwischen Schultyp und Herkunft nach östlichen und westlichen Bundesländern (F = 4.00, p<.01, eta2 = .007). Das bedeutet zunächst: Die Schule wird umso weniger hilfreich wahrgenommen, je älter die Jugendlichen sind. Geschlechtsunterschiede sind bei dieser Skala ebenfalls erkennbar und sie tendieren in die Richtung, dass die Mädchen die praktischen Lebenshilfeleistungen der Schule als besser beurteilen als die Jungen. Was die Schulformen betrifft, so sehen die Hauptschüler die lebenspraktischen Hilfeleistungen der Schule positiver als alle anderen Schüler, wobei die Gymnasiasten hinter den Real- und Berufsschülern das Schlusslicht bilden. Die Wechselwirkung von Schulform – und Herkunftsvariablen rührt daher, dass die Lebenshilfekompetenz der Schule von Hauptschülern im Westen besser beurteilt wird als im Osten, von Realschülern dagegen im Osten besser als im Westen. Sehen wir uns demgegenüber die Werte für die Skala „bewusstes Lernen“ an: Hier bestehen signifikante Haupteffekte für das Geschlecht (F = 5.34, p<.05, eta2 = .003), den Schultyp (F = 17.56,
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p<.001, eta2 = .031) und die Herkunft (F = 4.28, p<.05, eta2 = .003). Das Alter hat keinen Effekt, Wechselwirkungen liegen nicht vor. Auch hier schneidet die Schule bei Mädchen besser ab als bei Jungen, sodass man insgesamt sagen kann, dass sie den Bildungserfolg der Schule nicht so negativ sehen, sie haben quasi eine „bildungsoptimistischere“ Sicht der Schule als ihre männlichen Alterskollegen. Wenn man die Unterschiede nach Schulformen betrachtet, dann erhalten wir ein weiteres interessantes Ergebnis: Ganz im Gegensatz zur Skala „praktische Lebenshilfe“ fällt hier das Urteil der Gymnasiasten besser aus als das aller anderen Schüler. Das heißt zusammenfassend betrachtet, dass sich die Gymnasiasten als diejenige Gruppe profilieren, die in beiden Skalen stärker prononcierte Werte aufweist, negativer bei der „praktischen Lebenshilfe“, positiver als die anderen Gruppen beim „bewussten Lernen“. Charakteristisch für die Jugendlichen an Gymnasien ist also ihre durchgängig prononciertere Beurteilung der Schule, die sich über alle Items hinweg zeigt. Was die Differenzen nach der Herkunft betrifft, so wird der Beitrag der Schule für „bewusstes Lernen“ im Osten höher bewertet als im Westen. An dieser Stelle scheinen uns noch zwei Einzelbefunde erwähnenswert, die Differenzen zwischen den östlichen und westlichen Bundesländern betreffen. Zum einen wird im Osten die Hilfe der Schule bei der Vorbereitung auf Berufswahlentscheidungen positiver gesehen als im Westen. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass angesichts der kritischeren Arbeitsmarktsituation im Osten die Bedeutung der Qualifizierung gewachsen ist, womit die Schule einen höheren Stellenwert im Prozess der Berufsvorbereitung bekommt. Eine zweiten deutlichen Unterschied zwischen östlichen und westlichen Bundesländern registrieren wir beim Thema „Umgang mit ausländischen Mitbürgern“: Im Hinblick auf dieses Alltagsproblem schätzen die Schüler und Schülerinnen im Osten die Hilfe der Schule deutlich negativer ein als die Jugendlichen aus den westlichen Bundesländern. Unseres Erachtens spiegeln sich hierin Unterschiede in den politischen Kulturen, die nicht nur die Einstellungen der jungen Generation betreffen, sondern darüber hinaus auch Grundtendenzen der öffentlichen Meinung in den östlichen und westlichen Bundesländern (vgl. Kleinert/de Rijke 2000 sowie Pickel 2002).
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4.6 Deutungsmuster zur Schule II
In einem zweiten Fragenkomplex haben wir ebenfalls Beurteilungen der Schule erhoben, hier ging es aber nicht um die Hilfe der Schule bei der Lebensbewältigung, sondern um allgemeine Einstellungen gegenüber dieser Institution. Diese Einstellungen haben wir in ablehnenden und positiven Stellungnahmen formuliert und unter dem Titel „Deutungsmuster Schule“ zusammengefasst. Das negativ-kritische Spektrum dieser Einstellungen wird durch Statements wie z.B. „Schule als notwendiges Übel“ oder als wirklichkeitsferne Institution, die wenig Interessantes bringt, formuliert. Aussagen wie die, dass die Schule Basiswissen für den späteren Beruf vermittelt, dass das Lernen Spaß macht oder Lehrer und Freunde Anregungen vermitteln, kennzeichnen demgegenüber die positiven Einstellungen. Auch hier wurde neben den Berechnungen der Mittelwerte für die einzelnen Items wieder eine Faktorenanalyse durchgeführt, um dahinter stehende Einstellungsmuster zu identifizieren. Die Tabelle 4.8 gibt einen Überblick über die Werte. Tab. 4.8:
Deutungen zur Schule II: Einschätzung der Schule (Mittelwerte der Items und Faktorenstruktur [Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation])
Item („Die Schule ...“) Ist notwendiges Übel Ist verschwendete Zeit, weil man außerhalb der Schule Wichtigeres lernen kann Ist wirklichkeitsfern, bringt wenig Interessantes Hat angesichts der Lernmöglichkeiten durch die neuen Medien keine Zukunft mehr Macht mir Spaß, weil ich gern lerne Ist eine gute Gelegenheit, Freunde zu treffen Ist für mich ein Ort, wo ich persönliche Anregungen durch die Lehrer und Freunde bekomme Vermittelt Basiswissen für den späteren Beruf Gibt Anregungen für meine Interessen Cronbachs Alpha Skalenmittelwert
3,1
Ladungen auf Faktor„kritische Einschätzung“ .51
4,4
.73
Mittelwert*
3,8
.73
4,1
.65
Ladungen auf Faktor „positive Einschätzung“
4,0 2,4
.54 .48
3,3
.66
2,6 3,6
.62 .77 .57 4.1
.61 3.3
* Auf einer Antwortskala von „1 – trifft voll und ganz zu“ bis „6 – trifft überhaupt nicht zu“
Wenn wir uns das Antwortspektrum einmal ansehen, so zeigt sich, dass ablehnende Statements zur Schule, wie sie etwa in dem Satz for-
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muliert sind, dass die Schule verschwendete Zeit ist, weil man außerhalb ihrer Wichtigeres lernen kann, auf keine Gegenliebe bei den Jugendlichen stoßen. Diese Aussage findet wenig Anklang, das gilt ebenso für die Aussage, dass die Schule angesichts der Lernmöglichkeiten durch die neuen Medien keine Zukunft mehr hat. Auch hier gibt es eine deutliche Ablehnung bei den Jugendlichen. Das positive Einstellungsmuster gegenüber der Schule wird durch zwei Statements charakterisiert, die unterschiedliche Leistungen betreffen: Einerseits die Aussage, dass die Schule Basiswissen für den späteren Beruf vermittelt. Nach Meinung der Jugendlichen trifft diese Aussage zu. Das zweite Statement mit deutlicher Zustimmung betrifft die Aussage, dass Schule eine gute Gelegenheit darstellt, Freunde zu treffen. Die positive Antworttendenz hier markiert das höchste Niveau aller Statements – Schule wird also, so könnte man die Befunde interpretieren, in erster Linie als eine Kontaktstelle der Altersgruppen gesehen.19 Im Kontrast zu dieser zustimmenden Tendenz stehen die Antworten auf Statements, in denen das Lernen explizit Thema ist. So findet die Aussage, dass die Schule Spaß macht, weil man gerne lernt, wenig Zustimmung unter den befragten Jugendlichen. Die Einschätzung, dass die Schule wirklichkeitsfern ist und wenig Interessantes bringt, liegt ebenso im neutralen Bereich wie die Antworten auf die Aussage, dass die Schule Anregung für die eigenen Interessen gibt. Auch hier ist eine leicht ablehnende Haltung zu registrieren, die über die Altersgruppen hinweg fast gleich bleibt. Die Befunde zeigen also eine widersprüchliche Haltung gegenüber der Schule, die einerseits von einer grundsätzlichen Anerkennung der Institution geprägt ist, ihren Wert aber weniger in der Lern- oder Anregungskompetenz sieht als in der Kultur der Altersgruppe. Wir haben auch hier die Werte einer Faktorenanalyse unterzogen, woraus zwei Einstellungsmuster resultierten, die einerseits eine kritisch-skeptische Grundeinstellung zur Schule zum Ausdruck bringen, während in der anderen Skala positive Lern- und Lebenserfahrungen mit der Schule zusammengefasst sind.
19 Hier ergeben sich Parallelen zu den oben berichteten Befunden bei Krüger/ Grunert (2002, S. 499).
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Tab. 4.9: Einschätzung der Schule nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen Kritische Einschätzung Positive Einschätzung Mittelwert Mittelwert Gesamt Geschlecht Alter
Schultyp
Herkunft
männlich weiblich <16 16/17 >17 Hauptschule Realschule Gymnasium Berufsschule Ost West
3,86 3,76 3,96 3,64 3,81 4,04 3,68 3,72 4,02 4,01 3,82 3,9
3,17 3,22 3,12 3,13 3,15 3,21 3,08 3,19 3,22 3,16 3,17 3,16
Auch hier wurden die in der Tabelle dargestellten Zusammenhänge wieder anhand einer multiplen Varianzanalyse überprüft und Signifikanzen berechnet. Insgesamt sind bei den Skalen zur „Einschätzung der Schule“ Entwicklungseffekte zu registrieren und es gibt auch hier wieder bemerkenswerte Unterschiede im Antwortverhalten zwischen den Geschlechtern und den Schülern der verschiedenen Schulformen. Bei der Skala „kritische Einschätzung“ bestehen signifikante Haupteffekte für Alter (F = 11.35, p<.01, eta2 = .007), Geschlecht (F = 13.54, p<.001, eta2 = .008) und Schultyp (F = 4.88, p<.01, eta2 = .009), Wechselwirkungen lassen sich nicht beobachten. Das bedeutet: Die kritische Einschätzung lässt mit zunehmendem Alter der Schüler nach, sie lässt sich bei Jungen stärker beobachten als bei Mädchen und ist bei Hauptund Realschülern stärker ausgeprägt als bei Gymnasiasten. Für die „positive Einschätzung“ lassen sich signifikante Haupteffekte für Alter (F = 4.42, p<.05, eta2 = .003) und Geschlecht (F = 7.63, p<.01, eta2 = .005) nachweisen, außerdem besteht eine Wechselwirkung zwischen Schultyp und Herkunft (F = 7.92, p<.001, eta2 = .014). Ebenso wie die kritische lässt auch die positive Einschätzung mit zunehmendem Alter der Schüler nach. Mädchen geben eine stärker positive Einschätzung an als Jungen, was die oben beschriebene positivere Einstellung dieser Gruppe gegenüber der Schule noch einmal bestätigt. Die positive Einschätzung von Hauptschülern ist im Westen stärker ausgeprägt als im Osten, die von Realschülern dagegen im Osten stärker als im Westen.
Schule – der institutionalisierte Lernort
79
4.7 Was sich in der Schule verändern sollte – Reformvorschläge aus der Sicht der Jugendlichen
Mit Blick auf die gegenwärtige Reformdiskussion haben wir die Jugendlichen auch nach Veränderungsvorschlägen zur Schule gefragt und sie gebeten, niederzuschreiben, was ihrer Meinung nach in der Schule künftig eine stärkere Rolle spielen sollte. Durch die offenen Antworten waren natürlich auch Mehrfachnennungen möglich. Die vercodeten Antworten, die wir aus den schriftlichen Unterlagen gewonnen haben, zeigen eine – nicht überraschende – Tendenz dahingehend, dass kein Vorschlag eine überwiegende Mehrheit der Jugendlichen auf sich vereinigen kann, das Meinungsbild ist vielmehr breit gefächert mit einigen Schwerpunkten. Es schälen sich vier Themenkomplexe heraus, die im Meinungsspektrum eine hervorgehobene Rolle spielen, was aber lediglich bedeutet, dass sie jeweils von etwa 15% der Jugendlichen genannt werden. Tab. 4.10: Was in der Schule künftig eine stärkere Rolle spielen sollte (in %, offene Frage, kodiert; signifikante Werte fett) Gesamt %
Schultyp
Vorschläge
Berufsvorbereitung, Praxisbezug besseres Lehrer-Schüler-Verhältnis Veränderung des Fächerkanons PC, Computer, IT, EDV Kombination von Schule und Freizeit gesellschaftl. Relevanz der Themen stärkere Förderung der Schüler Umgang mit neuen Medien, Internet soziale Kompetenzen besserer Unterricht, mehr erklären bessere/mehr Lehrer mehr Gruppenarbeit Allgemeinbildung bessere/modernere Ausstattung Es muss sich nichts ändern gerechtere Leistungsbeurteilung Sonstiges unspezifische Nennungen Basis
16,8 16,2 15,5 15,1 11,3 10,2 8,9 8,7 7,5 6,2 4,6 3,7 3,3 3,3 1,8 0,9 18,7 1,9 1526
Hauptschule 10,4 14,9 8,8 13,7 9,8 7,9 4,6 6,1 7,6 4,3 4,6 2,4 2,7 5,2 3,4 24,4 3,7 328
Realschule 9,6 15,9 9,3 17,9 16,5 5,5 6,3 6,0 8,8 6,9 5,5 3,6 1,9 2,5 1,4 1,1 17,0 1,9 364
Gymnasium 27,2 14,5 25,9 17,9 9,2 15,6 12,3 15,4 6,9 6,3 3,1 4,9 3,8 4,0 0,4 1,1 15,8 0,9 448
Berufl. Schule 17,1 19,4 15,0 10,6 10,1 10,4 11,1 5,7 6,7 7,3 5,4 3,4 4,4 1,6 2,6 1,0 18,7 1,6 386
Dies sind zum einen die Berufsvorbereitung und der Praxisbezug der Schule und des Lernens, zum Zweiten ein besseres Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, also ein Ernstnehmen der Schüler. Als
80
Peter Wahler
weitere Punkte werden eine Veränderung des Fächerkanons und der Themenauswahl genannt. Hier liegt die Vermutung nahe, dass dies mit dem ersten genannten Punkt, also dem Praxisbezug des Lernens, zu tun haben dürfte. Unter den von den Jugendlichen genannten Verbesserungsvorschlägen kommt noch das Lernen mit den neuen Medien hinzu, also PC, Computer, Internet usw.; hierfür haben sich auch etwa knapp 15% der Jugendlichen geäußert. Dahinter rangieren dann in der Liste der Themen das Anliegen, Schule und Freizeit mehr miteinander zu verbinden, z.B. durch mehr Sportunterricht, und der Vorschlag, die gesellschaftliche Relevanz bei der Wahl der Unterrichtsthemen stärker in den Vordergrund zu stellen; beide Anliegen werden jeweils von etwa 8% der Schüler genannt. Interessant sind auch hierbei die geschlechtsspezifischen Unterschiede: Die ersten beiden Verbesserungsvorschläge, also stärkerer Praxisbezug und besseres Verhältnis der Lehrer zu den Schülern, werden vor allem von den jungen Frauen stark favorisiert (knapp 15%, während die jungen Männer bei etwa knapp 10% liegen). Die männlichen Jugendlichen hingegen entscheiden sich stärker für die neuen Medien als Unterrichtsergänzung bzw. Unterrichtsangebot, und zwar mit 15% fast doppelt so stark wie die weiblichen Jugendlichen. Was die Unterschiede nach Schulformen betrifft, so fällt auf, dass die Gymnasiasten die meisten dieser Reformvorschläge stärker als ihre Kollegen aus den anderen Schulen bejahen, dies gilt insbesondere für den Praxisbezug und die Veränderung der Themen in der Schule, aber auch für die Verwendung elektronischer Medien. Unterschiede nach östlichen und westlichen Bundesländern liegen in zwei Fällen vor, nämlich einerseits beim Verhältnis der Lehrer zu den Schülern, hier wünschen die Jugendlichen aus dem Osten deutlicher eine Verbesserung als die aus dem Westen, und umgekehrt sind die Jugendlichen im Westen sehr viel stärker auf die neuen Informationstechniken fixiert als ihre Kollegen im Osten. 4.8 Zusammenfassung
Wenn man die Ergebnisse noch einmal zusammenfassend betrachtet, so scheinen mehrere Punkte bemerkenswert: Zum einen ergeben sich durchgängige Geschlechtsunterschiede in der Einstellung und im praktischen Verhalten gegenüber der Schule, wobei die jungen Frauen in der Gesamttendenz ein stärkeres Lernengagement und mehr Ak-
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zeptanz gegenüber der Schule aufweisen als die jungen Männer – dies wird auch in anderen Studien der empirischen Schulforschung ähnlich bestätigt (vgl. die Befunde der PISA-Studie). Ein zweiter Aspekt betrifft die Belastungen durch die Schule, die in unserem Sample immerhin von etwa einem Drittel der Jugendlichen geäußert wurden. Man kann darin einen Hinweis darauf sehen, dass die verlängerte Ausbildungsphase mit ihrem Zwang zu Leistung und Zertifikaten an der Psyche und dem alltäglichen Befinden der Schülerinnen und Schüler nicht spurlos vorübergeht. Ein weiteres durchgängiges Elemente der hier berichteten Befunde betrifft den Sachverhalt, dass zwischen den untersuchten Schulformen erhebliche Unterschiede bestehen, wobei vor allem das Gymnasium in seinen Antwortmustern auffällt. Die Jugendlichen aus dieser Schulform zeigen deutlich prononciertere Werte bei unterschiedlichen Statements: Dies betrifft nicht nur ablehnende Stellungnahmen etwa zur praktischen Lebenshilfe durch die Schule, sondern auch positive Einschätzungen über die Zukunft der Schule – stets zeigt sich in diesen Antwortmustern die Gruppe der Gymnasiasten etwas extremer als die der Jugendlichen aus anderen Schulformen, die wiederum ein einheitlicheres Bild abgeben. Inwieweit dieses mit höheren Bildungsansprüchen beziehungsweise einer „bildungsnäheren“ Sozialisation in der Familie oder auch dem höherem „Bildungsimage“ dieser Institution zu tun hat, muss einstweilen noch offen bleiben. Noch ein paar Worte zum Image der Schule insgesamt: Wir haben das Bild der Schule bei den Jugendlichen durch zwei Gruppen von Fragen einzukreisen versucht, wobei im ersten Fall eher der Beitrag der Schule im Sinn einer Lebenshilfe Thema war, im zweiten Fall hingegen allgemeine Deutungsmuster zur Schule und ihrer Notwendigkeit zur Debatte standen. Die Grundtendenz der Ergebnisse lässt sich so zusammenfassen, dass in praktischer Hinsicht die Lebenshilfekompetenz der Schule sehr negativ eingeschätzt wird. Nur in den schulnahen Fragestellungen, die die Denkleistungen und z. T. auch die Berufsvorbereitung der Schule betreffen, waren überhaupt positive Antworten zu verzeichnen. Bei den allgemeinen Deutungsmustern hingegen kann die Schule eine weitgehende Akzeptanz für sich verbuchen, die zwar in Einzelfällen strittig ist, aber eine grundsätzliche Befürwortung beinhaltet. Daraus ergibt sich in der Summe kein eindeutiges Meinungsbild, sondern eher ein komplexes Ineinandergreifen von positiven und negativen Urteilen, woraus unserer Ansicht nach auf ein „labiles“ Image der Schule geschlossen werden kann, das neben einer
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grundsätzlichen Akzeptanz auch kritische Einwände und Vorbehalte umfasst. Als labil kann dieses Meinungsbild insofern bezeichnet werden, als es durch seine Inkonsistenz offener wird für äußere Einflüsse. Man kann dies positiv wenden und darin eine Chance für öffentliche Thematisierungen oder pädagogische Initiativen sehen, ebenso nahe liegt aber auch die Schlussfolgerung, dass dieses unentschiedene Bild durch den Eindruck von Medienberichten und öffentlichen Diskussionen auch negativ veränderbar ist.
Claus J. Tully 5
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
5.1 Jugend: Freizeit, Nebenjob – oder eine abhängig autonome Existenzform
Die deutliche Zunahme jugendlicher Arbeitsverhältnisse neben Schule und Ausbildung ist ein bemerkenswertes Phänomen – schließlich definiert sich Jugend seit Einsetzen der Industrialisierung als Qualifizierungsphase, mit der auf künftige Berufsausübung und entgeltpflichtige Beschäftigung vorbereitet wird. Bis zum Alter von 18 Jahren sollten junge Menschen deshalb nur in geringem Umfang ins reguläre Beschäftigungssystem eingebunden sein.20 Jungsein bedeutet zumindest bis zum 16. Lebensjahr explizit Schülersein (vgl. Jugendwerk 2002). Noch in den 70er Jahren endete für die Mehrzahl der 15-Jährigen die schulische Allgemeinbildung. Sie begannen eine berufliche Ausbildung im Dualen System, die mit 18 bzw. 19 abgeschlossen wurde. Heute bereiten sich Jugendliche länger auf ihre zukünftige berufliche Tätigkeit vor. Die Schule stellt für eine längere Lebensphase den sachlichen und zeitlichen Lebensmittelpunkt dar. Da Schule vorrangig Halbtagsschule ist, gestattet sie zumindest im Vergleich zur beruflichen Ausbildung mehr Freiräume und Freizeit. Freizeit – das ist der zeitliche Anteil, der nach freiem Ermessen ausgefüllt werden kann. Persönliche Motive, Ziele und Orientierungen finden hier in spontaner und entspannter Form ihren Ausdruck (vgl. Hurrelmann 1999; Lüdtke 2001). Die Shell Jugendstudie 1992 (Jugendwerk 1992) sieht 20 „Die verlängerten Ausbildungszeiten führten zu einer Freisetzung von erwerbsmäßiger Arbeit, die seit den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts allen Jugendlichen aus allen sozialen Schichten einen Entfaltungsspielraum für Selbstfindung und Identitätsbildung ermöglicht. Der traditionell nur für männliche Jugendliche aus bürgerlichen Schichten typische Raum für Selbsterfahrung und Selbstthematisierung und die Entfaltung eines eigenen Lebensstils im Freizeit- und Konsumbereich vergrößerte sich durch diese Freisetzung allgemein und wurde nun auch weiblichen Jugendlichen und denen aus Arbeiter- und Unterschichten zugänglich“ (Hurrelmann 1999, S. 287). Zu den Entwicklungen in den 70er und 80er Jahren vgl. Tully/Wahler 1985.
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in der Freizeit einen Überschneidungsbereich für vielfältige soziale Tätigkeiten, „von Muße und relativ selbstbestimmter Erwerbsarbeit, Alltag und Feiern, Haushaltsproduktion, Eigen-, Konsum- und Beziehungsarbeit, freiwilligen öffentlichen und privaten Verpflichtungen, Rekreation, [...] der durch besondere Qualitäten der Erfahrung und des Erlebens charakterisiert, also vornehmlich in seiner subjektiven Bedeutung als Freizeit zu entschlüsseln ist“ (Jugendwerk 1992, S. 239). Schülerinnen und Schüler werden in dieser Hinsicht als an Freizeit interessierte Subjekte betrachtet. Einschlägige Gesellschafts- und Jugendbeschreibungen sprechen dafür: Ganz selbstverständlich reden wir über die Event-Gesellschaft, über die Spaßgesellschaft, über die Generation@ (vgl. Rink 2002) und unterstellen dabei den Jugendlichen nicht selten Selbstbezogenheit und Hedonismus. Der IG-MetallJugendstudie folgend ist dieses Bild von einer hedonistischen Jugend, die nur ihren Spaß haben will, unzutreffend. Von den jungen Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmern, die im Rahmen der IG-Metall-Jugendstudie 2002 nach dem Stellenwert von Arbeit und Freizeit gefragt wurden, gaben 55% an, dass die Arbeit im Vordergrund stehe. Richtig ist dennoch auch, dass die Konsumentenrolle heute einfacher eingenommen werden kann als ein Ausbildungsplatz; d.h. Jugendliche müssen heute über ihre Freizeitaktivitäten sehr früh in der eigenen Lebensgeschichte einen Zugang zur Konsumentenrolle etablieren. „Das freizeitliche Konsumverhalten hat in dieser Hinsicht entwicklungsfördernde und auch verhaltensstabilisierende Effekte und gehört zu den Verhaltensbereichen, in denen Jugendliche ihren Status als ‚Minderjährige‘, die noch nicht voll in wichtige gesellschaftliche Partizipationsbereiche eingegliedert sind, nicht zu spüren bekommen. Hier liegt sicherlich eine der Attraktionen für die Zuwendung Jugendlicher zum Freizeitbereich, denn ihnen wird im Unterschied zum Leistungsbereich in diesem Sektor eine relativ hohe soziale Autonomie zugestanden, die mit der Vergabe von Selbständigkeit und freier Verfügbarkeit eine erhebliche Ausstrahlung in andere Lebensbereiche von Jugendlichen haben kann“ (Hurrelmann 1999, S. 158). Freizeitaktivitäten setzen in steigendem Maße finanzielle Ressourcen voraus, die sich aus Taschengeld und selbstverdientem Geld zusammensetzen.21 21 Von den im Rahmen von „U.Move“ befragten Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 26, war nur ein geringer Teil (13,5%) berufstätig: Sie gaben an, wesentlich von Zuwendungen Dritter oder nicht-kontinuierlicher Erwerbstätigkeit abhängig zu sein. Etwa ein Drittel der Befragten von U-Move gab an, einem Nebenjob
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Die wichtigste Quelle des Lebensunterhalts ist für unter 18-Jährige die Unterstützung durch Dritte. Besonders häufig beziehen Schüler/innen und Studierende über die Familie Unterstützung zum Lebensunterhalt (73 bzw. 78%) (vgl. Tully 2002a). Diverse Studien belegen, dass der Anteil an jungen Menschen, die sich als Schüler/-innen oder als Auszubildende etwas hinzuverdienen, wächst. Unverzagt und Hurrelmann (2002) betonen als Ursache hierfür eine gewachsene Konsumneigung, die ihrer Meinung nach auf die allgegenwärtigen Medien-, Freizeit- und Konsummärkte zurückgeführt werden kann. „Eltern und Kinder stecken in der Wohlstandsfalle. Kinder und Jugendliche hatten noch nie so viel Geld in den Händen und sie kommen immer weniger mit dem Geld aus. Mehr als 400.000 Schüler jobben nach der Schule oder in den Ferien; bereits 16,5% der Minderjährigen machen Schulden, um mithalten und sich die kostspieligen Konsumwünsche erlauben zu können“ (Unverzagt/ Hurrelmann 2002, S. 25). Neben den gewachsenen Konsumansprüchen spielt das Interesse, arbeitsweltbezogene Erfahrungen zu gewinnen, eine Rolle. Wenn Schülerinnen und Schüler länger von regulärer Erwerbstätigkeit freigestellt sind, zugleich aber häufiger arbeiten gehen und Geld verdienen, so ist dies durchaus von allgemeinem Interesse. Vier Diskussionszusammenhänge sind dabei erkennbar: 1. existiert das ökonomische Motiv, Kinder und Jugendliche als Käuferschichten anzusprechen; 2. gestattet dieses Einkommen den Heranwachsenden eigenverantwortlichen Konsum und kulturelle Selbständigkeit; 3. ist der Job eine Chance, neben dem Schulbetrieb die Arbeitswelt kennen zu lernen; 4. fehlt es nicht an Befürchtungen, die Jobs könnten die Leistungen in der Schule schmälern. Die Ausübung eines Jobs ist also kaum mit dem Verweis auf eine zusätzliche Einkommensquelle erklärt. Viel eher schon gilt es, für die Ausübung ganz unterschiedliche Anforderungen zu verknüpfen. Innachzugehen. Dabei ist die Aufnahme eines Nebenjobs weder vom Alter, noch vom Geschlecht, sondern vielmehr von dem derzeitigen Beschäftigungsstatus abhängig: Studenten und Schüler jobben am häufigsten neben ihrer Ausbildung (63% und 36%). Aber auch jeder fünfte Auszubildende geht einer Nebentätigkeit nach (vgl. Tully 2002a).
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sofern macht es Sinn, ausführlicher die Datenlage rund um den Nebenjob zu sichten. Wir tun dies auf der Basis von rd. 2000 befragten Jugendlichen und zeigen auf, welche Jobs mit welcher Intention, mit welchem zeitlichen Umfang und mit welchem finanziellen Gewinn ausgeübt werden. Zunächst aber ein Blick auf vorliegende Daten, die u.a. der Marktforschung zuzurechnen sind. 5.1.1 Aktuelle Daten zu Taschengeld und Nebenjob
Die Geldbeträge, über die Heranwachsende heute verfügen, erscheinen bemerkenswert. Das Institut für Jugendforschung (IJF 2002) geht davon aus, dass die 13- bis 24-Jährigen im Jahr 2002 über Einnahmen in Höhe von rund 52,9 Mrd. EUR verfügen konnten.22 Bezogen auf unsere Untersuchungspopulation (hauptsächlich 15- bis 19-Jährige) können die vom IJF ermittelten, jährlich zur Verfügung stehenden 1.440 EUR in der Gruppe der 13- bis 17-Jährigen als Vergleichswert dienen. Die Gruppe der 13- bis 24-Jährigen soll 2002 rd. 10,6 Mrd. EUR über Jobs und Nebenjobs zum Taschengeld hinzu verdient haben (a.a.O., S. 10). Mittlerweile, so berichtet der Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, bekommen Jugendliche im Alter zwischen 13 und 17 Jahren „durchschnittlich 40 Euro Taschengeld im Monat. Insgesamt drückten Deutschlands Eltern ihren Kindern 2002 schätzungsweise 2,3 Milliarden Euro in die Hand. Fast genauso viel bringen den 4,7 Millionen Teenagern die ‚Scheinchen‘ zum Geburtstag, zu Weihnachten oder beim Besuch der Großeltern ein“. Da diese Zuwendungen nicht ausreichen, verdient sich knapp jeder Dritte „mit Jobs noch etwas dazu. Im Schnitt bekommen die Teens gut 90 Euro pro Monat fürs Rasenmähen, Zeitung-Austragen und Regale-Einräumen“ (Pressemitteilung des Instituts der Wirtschaft [IW] 2003). Immer mehr Kids und Teens verdienen sich zur Aufbesserung des Taschengelds etwas hinzu, was auch im europäischen Vergleich festgestellt werden kann. Eine internationale Studie von 15 europäischen Ländern – befragt wurden 10- bis 17-Jährige – kommt zu dem Ergebnis, dass die Jugendlichen durchschnittlich 25 Euro im Monat Ta22 Die Ermittlung der Einkommen Jugendlicher ist keineswegs einfach. Wenn fallweise unterschiedliche Summen als Einkommen Jugendlicher berichtet werden, so liegt dies vor allem an den Verfahren der Ermittlung. Gelegentlich werden Einkommen auch doppelt erfasst (vgl. Feil 2003).
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schengeld erhalten (vgl. Fauth 2002). 44% der Jugendlichen in Deutschland arbeiten zudem in der Freizeit. Der Spitzenreiter ist hier Dänemark, wo 62% der Adoleszenten jobben, gefolgt von den niederländischen (55%) und irländischen Teenagern (51%). Die befragten europäischen Jugendlichen geben dieses Geld dann für folgende Dinge aus: 1. Kleidung, 2. CDs, 3. Essen/Trinken, 4. Sparen, 5. Handy, 6. Bücher, 7. Hobbys, 8. Fahrscheine, 9. Computer, 10. Sport, 11. Schulbedarf. Angesichts dieser Ergebnisse lässt sich folgern, dass der Nebenjob als Existenzform und damit Lernort zwischen Schule und geregeltem Beschäftigungsverhältnis im Jugendalter den Status der Ausnahmeerscheinung längst verloren hat. 5.1.2 Eigenständiger Konsum
Als am DJI 1993 im Auftrag der IG-Metall untersucht wurde, wie viele von den Auszubildenden zusätzlich zur Full-Time-Ausbildung noch einem Nebenjob nachgehen, schien dies ein relativ neues Phänomen zu sein. Die damals konstatierte „neue ökonomische Akzentuierung des Jugendstatus“ hat ihre Grundlage in dem „immer wieder beschriebenen Wandel der Jugendphase. Jungsein gewinnt vor diesem Hintergrund eine andere kulturelle, soziale und ökonomische Ausformung als dies z.B. für die Lehrlinge in den 60er Jahren galt. Verlängerte Schulbildung, ökonomische Abhängigkeit von der Familie und gleichzeitige Suche nach Selbständigkeit und Identität in der Altersgruppe prägen das Bild einer neuen Jugendgeneration, die unabhängig vom Abschluss der eigenen Qualitätsqualifizierungsphase schon frühzeitig einen Einstieg in das Erwerbssystem zu finden sucht, um ihren Bedürfnissen im Bereich von Musik, Moden und Freizeitinteressen zumindest teilweise nachgehen zu können“ (Tully/Wahler 1994a, S. 515). Inzwischen widmet sich auch die neueste Shell Jugendstudie 2002 (Jugendwerk 2002) der Frage des Geldes in den Händen Heranwachsender und diagnostiziert, dass die meisten Jugendlichen mit ihrer finanziellen Lage einigermaßen zufrieden seien. Nur ein geringer Teil beurteilt sie als explizit schlecht. Zutreffend stellt die Studie fest: Wer Geld ausgibt, muss auch welches verdienen, wobei folgender Befund berichtet wird: Im Durchschnitt übt „fast jeder dritte Jugendliche gelegentlich oder regelmäßig eine bezahlte Nebentätigkeit aus“ (2002, S. 85). Auch fällt laut Shellstudie (2002) die Rate der „Jobberinnen“ und „Jobber“ im Westen merklich höher aus als im Osten, wo nur ein
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Viertel der Jugendlichen nebenher arbeitet. Zur zeitlichen Belastung berichtet die Shell-Jugendstudie: „Fast jeder Zehnte wendet für seine Tätigkeit 15 Stunden oder mehr pro Woche auf“ (a.a.O., S. 85). In Bezug auf die von uns befragten Altergruppe ist der Hinweis, dass es gerade die Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sind, die „überdurchschnittlich häufig im Vergleich zu den anderen Schulformen recht zeitintensiv“ jobben, von Bedeutung. Zur Schichtspezifität wird angemerkt, „dass vor allem unter den Jugendlichen der Ober- und der oberen Mittelschicht die Ausübung eines (mitunter zeitintensiven) Nebenjobs verbreitet ist. Die Nebentätigkeiten von Jugendlichen verweisen also auch auf Partizipationswünsche, auf das Bestreben, sich schon frühzeitig im gesellschaftlichen System zu beweisen, nicht ausschließlich auf die bloße Befriedigung von Konsumwünschen“ (a.a.O., S. 86). Wie sich zeigt, verdanken sich die Jobs neben der Schule also dem Umstand, dass die Heranwachsenden in einer Konsumwelt aufwachsen, was bedeutet, dass der Besitz diverser Güter zum Standard geworden ist. Musik-CDs, Handy, der Versand von SMS oder der Zugang zum Internet sind relevante Güter, welche der Selbstrepräsentation, aber auch der sozialen Integration dienen. Für Musik, Kommunikation und Mobilität geben die Jugendlichen deshalb auch sehr viel Geld aus. Jugendliche berichten über ihre Arbeitsweltkontakte, dass „wer früh mit Geld“ umzugehen lernt, „selbständiger“ wird. Die Vorteile des Jobs liegen u.a. im „schnellen Geld“, wenn auch nicht allzu viel verdient wird und Unabhängigkeit gegen Stress und Müdigkeit getauscht wird. Der Spaßfaktor ist insofern gering. Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass die soziale Inklusion über den Besitz von Objekten ermöglich wird, die für Zeit eingetauscht werden. Insofern betonen Befragte, dass mit dem selbstverdienten Geld Stereoanlagen, Roller, Führerscheine u.Ä. erworben werden. Darüber muss den Eltern dann keine Rechenschaft mehr abgelegt werden. 5.1.3 Erfahrungen in der Arbeitswelt
Werden Schüler und Schülerinnen nach der Bedeutung ihres Jobs gefragt, so betonen sie neben der konsumbezogenen Verselbständigung auch die mit dem Job verbundene Anerkennung: Angefangen vom Namensschild auf dem Arbeitskittel bis hin zur Bestätigung, die sie daran ablesen, dass fest mit ihrer Leistung am jeweiligen Arbeitsplatz
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gerechnet wird. Gesteigertes Selbstwertgefühl und Produzentenstolz sind identitätsstiftende Momente jenseits des schulischen Leistungsdrucks. Der Job in der Gaststätte, das Zeitschriften verteilen, das Zeitungen austragen oder das Regale auffüllen im Supermarkt sind also ein Eintauchen in die Welt der Arbeit. Bei der Beschäftigung werden immaterielle Honorierungen erfahren. Jugendliche sind nicht einfach nur freizeitorientiert sondern an Beruf und Arbeit interessiert. Professionalität und Pragmatismus, so die Zusammenfassung der Autoren der IG-Metall-Jugendstudie, „sind Instrumente der Integration und keine Merkmale der Desintegration. Genauso ist die überall festgestellte Flexibilität ein Trumpf der Jugendlichen, um neuen Situationen gewachsen zu sein, die in dem schnellen gesellschaftlichen Wandel und einer ungewissen Zukunft ständig entstehen“ (IG-Metall 2002, S. 120). Im Kontrast zum öffentlich zirkulierenden Bild, nach dem Jugendliche bevorzugt an Konsum und Freizeit interessiert seien, stehen die Befunde der IG-Metall-Jugendstudie, in der u.a. ein 17jähriger männlicher Auszubildender aus der Textilindustrie zitiert wird: ‚Bei mir geht Arbeit vor [...] ja ich finde Arbeit wichtig und Freizeit muss neben her gehen.‘ Auch bei den Jugendlichen, welchen die Freizeit wichtiger als die Arbeit ist, ist eine deutliche Tendenz vorhanden, die Arbeit ernst zu nehmen, wie die Aussage eines 22-jährigen Industriemeachnikers zeigt: ‚Ich tendiere eher zur Freizeit, aber ich nehme meine Ausbildung schon ernst.‘“ (a.a.O., S. 42). 5.1.4 Schule versus Nebenjob
Die Grenzen der Beschäftigungsverhältnisse sind durch den Jugendarbeitsschutz, also durch gesetzliche Regelungen, gezeichnet (vgl. Feil 2003). Die Risiken scheinen in der Vernachlässigung schulbezogenem Engagements zu liegen;23 d.h. vor allem Lehrer beklagen, dass die Berufstätigkeit ihrer Schüler die Leistungen in der Schule gefährdet. Der Bayerische Philologenverband geht davon aus, dass ein Drittel der Mittel- und Oberschüler regelmäßig als geringfügig Beschäftigte tätig ist, wobei die Doppelbelastung jedoch nur für begabte Schüler kein Problem wäre (vgl. 2.3.03, www.hiba.de/fakt0401.html). Die Jugendlichen selbst halten den Nebenjob für eine Sache gelungener Zeitplanung und geben so Einblick in eine Lernwelt, die durch23 Die Befürchtung, die vom Vorsitzenden des Deutschen Lehrerverbandes geäußert wird, ist Thema in dem Artikel „Nebenjob Schule“ (Die Zeit, 24, 2001).
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aus bedeutsam ist, wenn es darum geht, sich in einer modernen Gesellschaft den Weg in die eigene Selbständigkeit zu bahnen. Die Jobbenden sehen in ihrer Arbeit die Verbindung von Fun und Geldverdienen, denn ohne Akkordtelefonie im Callcenter oder Putzarbeit kein Flugticket, kein MMS (Bild)-Handy usw. Jugendliche sind gewohnt, über vieles selbst zu entscheiden, warum also nicht auch über das, was die moderne Konsumwelt ausmacht, die Konsumgüter. Eines freilich, auch wenn dies hier nicht Gegenstand der Untersuchung ist, kommt noch hinzu: Damit in großer Zahl Nebenjobs ausgeübt werden können, muss die Arbeitswelt entsprechend organisiert sein. In den letzten Jahren wurden viele Unternehmensund Geschäftsbereiche so organisiert, dass eine Vollzeitbeschäftigung nicht mehr benötigt wird; aus dem Gesamtgefüge von Arbeitsabläufen sind sukzessive abgrenzbare Verrichtungen herausgelöst worden, die nun als Job vergeben werden. Callcenter, Kassen im Supermarkt, Brotverkauf beim Filialisten sind dafür typische Beispiele. Wie so oft zeigt es sich, dass die Moderne die Grundlage für Entwicklungen legt, denen sie sich dann wieder selbstreflexiv nähern muss. Die Moderne schafft Neben- und Teilzeitjobs, Jugendliche greifen diese Möglichkeit auf, betreten damit zu ungunsten des strikt institutionell geformten Feldes der Schule einen Lebensbereich, die Erwerbsarbeit. Nach zwei Seiten hin gilt es nun, die in der Tagespresse zirkulierenden Daten und Meinungen über Geld und Konsum junger Menschen zurechtzurücken. Einerseits sind viele der als empirische Befunde vorgelegten Zahlen zum Konsum und Einkommen Heranwachsender hochgerechnete Werte. Andererseits variieren die disponiblen Budgets der verschiedenen Altersgruppen sehr stark. Es hängt also immer sehr davon ab, für welche Altersgruppen Durchschnitte präsentiert werden. Bei der Shell-Jugendstudie sind dies die 12- bis 25Jährigen. Unsere Daten beziehen sich auf eine homogenere Gruppe, nämlich die 15- bis 19-Jährigen. Vor allem können wir auf Grund der gewählten Untersuchungsanlage nicht nur über die Ausübung von Jobs berichten, sondern auch den sozialen Hintergrund der untersuchten Schüler und Schülerinnen einbeziehen. Das heißt die Daten für Job und Geld können im Hinblick auf schulisches Engagement, Freizeitinteressen, Konsumwünsche usw. diskutiert werden.
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5.1.5 Rahmen für die Darstellung der Befunde
Ohne die Restrukturierung der Jugendphase und insbesondere ohne den längeren Verbleib der Jugendlichen in den Bildungseinrichtungen ist das gewachsene Bedürfnis nach einem Job nicht erklärbar. Der aufgeschobene Eintritt in das Erwerbsleben bedeutet, dass das erste „selbstverdiente Geld“ gleichermaßen zeitlich nach hinten verlagert ist. Die Bereitschaft zu jobben hängt mithin von der jeweiligen sozialen wie biographischen Situation ab. Dabei bedeutet Jungsein heute vielfach, Eigenständigkeit und abhängige Existenz gleichermaßen zu verbinden; d.h. Jugendliche sind finanziell von den Eltern abhängig und zugleich eigenständig, z.B. wenn es um Reifung, Partnerschaft, Konsum oder die Pflege eigener Lebensstile geht. Dem Job kommt in dieser Konstellation ein wesentliches Moment der Förderung von Eigenständigkeit zu. Um das Phänomen Nebenjob zu verstehen werden in diesem Beitrag drei sich ergänzende Zugänge verfolgt: 1. Daten zu den Nebenjobs Jugendlicher: Hier wird ausgeführt, wer alles jobbt, wie lange gejobbt wird und welche finanziellen Vorteile dies bringt. 2. Der Nebenjob – erste Erfahrungen in der Arbeitswelt: In diesen Ausführungen geht es um die verschiedenen Jobarten, die Gründe für ein Nebenjobengagement, die damit einhergehenden Erfahrungen und Lernergebnisse sowie die beruflichen Wünsche der Jugendlichen. 3. Jugendalltag zwischen Schule und Nebenjob: Der Fokus dieses Abschnitts richtet sich auf die Frage, inwieweit ein Nebenjob die schulische Leistung schmälert. Dies wird eingebunden in einige Ausschnitte aus den qualitativen Interviews, in denen es um die perzipierten Beziehungen zwischen Schule und Nebenjob geht. 5.2 Die Nebenjobs der untersuchten Jugendlichen 5.2.1 Der Job – eine wichtige Sache
Neben der Schule sind den Jugendlichen ganz unterschiedliche Aktivitäten wichtig. Auch wenn es in diesem Beitrag um den Nebenjob geht, ist offenkundig, dass Jobben nur eine unter vielen Aktivitäten darstellt. Welchen Stellenwert das Jobben besitzt, zeigt Tabelle 5.1. In einer Liste von 31 Freizeitaktivitäten rangiert es auf dem 15. Platz,
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wobei der zugehörige Mittelwert indiziert, dass es doch mehr als ein durchschnittliches Interesse erfährt. Männlichen Befragten ist der Nebenjob im Gefüge aller Aktivitäten etwas wichtiger als weiblichen Befragten. Mit zunehmendem Alter rückt das Jobben in der Präferenzliste nach oben, d.h. ältere Befragte haben ein höheres Interesse daran als jüngere Befragte. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Einerseits nehmen die materiellen Ansprüche mit steigendem Alter zu. Andererseits ist der Nebenjob ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Selbständigkeit. Jugendliche sammeln erste Erfahrungen im Erwerbsleben und bereiten sich dadurch auch auf eine spätere Berufstätigkeit vor. Tab. 5.1: Jobben im Gefüge der Freizeitpräferenzen Jugendlicher Gesamt
N Rangplatz des Jobbens* Interesse am Jobben (Mittelwert)**
2064 15 2,9
Geschlecht Jungen Mädchen 963 1068 13 14 3,0 2,8
< 16 Jahre 268 15 3,3
Alter 16-17 Jahre 1079 15 2,9
> 17 Jahre 658 12 2,7
* Unter 31 Freizeitaktivitäten ** Das Interesse am Jobben konnte auf einer sechsstufigen Skala von „1 – sehr stark“ bis „6 – überhaupt nicht“ eingeschätzt werden, d.h. je höher die Werte, desto geringer das Interesse und vice versa – der theoretische Mittelwert ist dementsprechend 3,5.
5.2.2 Wer jobbt wie viel?
Das in Tabelle 5.1 ausgewiesene Interesse allein sagt jedoch noch nichts über die tatsächliche Partizipation der Jugendlichen am Erwerbsleben aus. Hierüber gibt die Tabelle 5.2 Auskunft. Insgesamt kann festgehalten werden, dass immerhin drei Viertel der Befragten in irgendeiner Weise bereits neben der Schule Arbeitstätigkeiten verrichtet haben. Der Anteil regelmäßiger Jobber entspricht dabei denjenigen Werten, die auch in anderen Jugendstudien berichtet werden (vgl. z.B. Shell Jugendstudie 2002). Allerdings unterschätzt dieser Wert das tatsächliche Ausmaß jugendlichen Jobbens, insofern vier von zehn Jugendlichen entweder gelegentlich oder nur in den Schulferien arbeiten. Lediglich ein Viertel aller Jugendlichen kann deshalb von sich behaupten, keiner Nebentätigkeit nachzugehen. Die differenzierte Messung des Jobbens in unserer Befragung führt demnach zu einem weit höheren Anteil an joberfahrenen Jugendlichen als in anderen Jugendstudien.
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Es ist also davon auszugehen, dass knapp ein Drittel der von uns befragten Heranwachsenden regelmäßig jobbt, ein Viertel geht keinen Tätigkeiten nach. Bei genauerer Sichtung des Datenmaterials lassen sich unterschiedliche Differenzierungen ausmachen. Zu erkennen sind (1.) ein Alterseffekt, (2.) Herkunftsunterschiede (Ost/West) und (3.) Bildungsdifferenzen. Unterschiede im Hinblick auf das Geschlecht, die Region (Stadt/Land) oder Statusgruppen sind kaum auszumachen. Folgende Ergebnisse zeigt die Altersvariable: Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil an Befragten mit regelmäßiger Nebenjobtätigkeit. Der Anteil an gelegentlichen und Schulferien-Jobbern bleibt hingegen erstaunlicher Weise konstant. Daneben finden sich erhebliche Unterschiede in den Arbeitsmustern der west- und ostdeutschen Jugendlichen. Erstere gehen nicht nur insgesamt häufiger einer Nebentätigkeit nach, sondern sie tun dies auch regelmäßiger als ostdeutsche Befragte; d.h. für zwei Fünftel der westdeutschen Jugendlichen ist das Arbeiten neben der Schule alltäglich. Dies ist wohl nicht nur auf strukturelle Unterschiede zwischen Ost und West und den regionalen Arbeitsmarkt zurückzuführen, sondern auch auf kulturelle Unterschiede.24 In Bezug auf die Bildungsgruppen zeigt sich der bereits in der Shell Jugendstudie (2002) berichtete Befund, dass Gymnasiasten öfter regelmäßig jobben. Dies ist nicht nur ein Alterseffekt, da die Gymnasiasten auch im Vergleich zu den Berufsschülern häufiger einer Nebentätigkeit nachgehen. Es ist wahrscheinlich, dass hier auch ein kulturelles Motiv zum Tragen kommt, d.h. der Wunsch, Erfahrungen für zukünftige Tätigkeiten jenseits des schulischen Lernens zu sammeln.
24 Die Sozialisation ostdeutscher Jugendlicher ist, so die Vermutung, geprägt durch die Auffassung der Eltern, dass eine Nebentätigkeit während der regulären Schulzeit den schulischen Leistungen abträglich ist. Die Eltern selbst haben wohl auch keine „Joberfahrungen“ gesammelt. Erst in den Schulferien ist die Nebentätigkeit legitim und erwünscht, ein Muster, welches sich durchaus auf die Erfahrungen der Eltern aus der DDR-Zeit beziehen dürfte, in der das Jobben während der regulären Schulzeit die absolute Ausnahme darstellte.
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Tab. 5.2: Anteil der Jobformen nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (in %) Ausmaß
Gesamt
N Regelmäßig Gelegentlich In Schulferien Nie Ausmaß
N Regelmäßig Gelegentlich In Schulferien Nie
2064 29,5 22,6 20,7 27,2 Gesamt
2064 29,5 22,6 20,7 27,2
Geschlecht Jungen Mädchen 963 1068 28,4 30,8 21,9 23,0 23,2 18,9 26,5 27,3
Herkunft West Ost 1064 40,6 24,9 12,4 22,1
1000 17,9 20,1 29,5 32,5
Hauptschule 503 22,2 19,5 21,5 36,8
Alter 16/17 J. 1097 27,3 23,4 22,0 27,4
> 17 J. 658 37,2 21,4 19,2 22,3
Schultyp RealGymnaschule sium 523 523 27,9 37,3 25,9 21,3 21,0 21,9 25,1 19,5
berufl.Schule 515 30,2 23,4 18,5 28,0
<16 J. 268 19,4 22,5 20,9 37,2
5.2.3 Zeitlicher Aufwand für den Nebenjob
Nebenjobs belasten nicht unwesentlich das Zeitbudget der Jugendlichen, was Tabelle 5.3 zeigt. Wer regelmäßig jobbt, opfert dafür im Schnitt acht Stunden pro Woche. Jungen arbeiten dabei etwas länger als Mädchen und Ältere mehr als Jüngere. Die gelegentlichen Jobber finden immerhin wöchentlich noch fast sieben Stunden Zeit, also nicht viel weniger als die regelmäßigen Jobber. Insofern scheint die Unterscheidung regelmäßig/gelegentlich nicht unbedingt eine zeitbezogene Differenz zu sein, sondern eine Unterscheidung, die sich auf Anstellungsverhältnisse und Arbeitstätigkeiten bezieht. Wer in den Schulferien arbeitet, berichtet mit durchschnittlich 26 Arbeitsstunden pro Woche von einer ansehnlichen Belastung, wobei auch hier die Jungen länger arbeiten als die Mädchen. Auch die jüngeren Befragten geben an, 23 Stunden für den Ferienjob aufzuwenden. Obwohl es im Nebenjob-Engagement erhebliche Ost-West-Unterschiede gibt, zeigen sich diese im Zeitaufwand nicht mehr. Regelmäßig zu jobben heißt in Westdeutschland wie in Ostdeutschland ca. 8 Stunden in der Woche zu arbeiten; und wer nur in den Ferien jobbt, der muss dies ‚hüben‘ wie ‚drüben‘ 25 bzw. 26 Stunden wöchentlich tun. Die schulartbezogenen Unterschiede werden an dieser Stelle geringer. Nur zwei „Ausreißer“ gibt es: Die Berufsschüler arbeiten sehr viel länger, wenn es um regelmäßige, aber auch wenn es um gelegentliche Nebenjobs geht. Und die Gymnasiasten sind besonders aktiv in den Schulferien.
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Tab. 5.3: Durchschnittliche Anzahl der wöchentlichen Arbeitsstunden nach Jobformen und ausgewählten soziodemographischen Merkmalen Ausmaß N Regelmäßig Gelegentlich In Schulferien Ausmaß
N Regelmäßig Gelegentlich In Schulferien
Gesamt 1455 8,2 6,9 25,5 Gesamt
1455 8,2 6,9 25,5
Geschlecht Jungen Mädchen 681 758 8,5 7,9 7,3 6,6 28,4 22,3 Herkunft West Ost 798 8,3 6,4 25,0
657 8,0 7,6 25,8
<16 J. 162 5,4 5,4 23,2
Hauptschule 302 8,2 7,2 21,5
Alter 16/ 17 J. 770 6,9 6,9 23,9
Schultyp RealGymnaschule sium 378 412 7,4 6,4 6,2 6,4 24,9 28,8
> 17 J. 502 10,2 7,7 29,7
berufl. Schule 363 11,2 7,9 26,6
5.2.4 Geld in den Händen Heranwachsender – die Verdienste
Zentral ist natürlich die Frage: Wie viel bringt der Nebenjob? Wie Tabelle 4 zu entnehmen ist, zahlt sich ein Nebenjob in finanzieller Hinsicht aus. Leider ist aufgrund der Abfrage des Verdienstes im Fragebogen an dieser Stelle nur eine gruppierte Abbildung möglich. Diese zeigt, dass der Verdienst für die regelmäßigen und gelegentlichen Jobber etwa gleich ist: im Mittel zwischen 26 und 50 Euro in der Woche. Der Verdienst ist für Ferienjobber, die ja in etwa dreimal so lang pro Woche arbeiten, natürlich auch höher. Er scheint jedoch nicht mit dem Arbeitspensum konform zu gehen, da er nur in etwa doppelt so hoch ist. Diese Diskrepanz kann zum einen daran liegen, dass Ferienjobber für einen geringeren Stundenlohn arbeiten, oder dass sie zum anderen aufgrund des höheren Bruttoverdienstes mehr Abzüge haben. Beide Erklärungen können an dieser Stelle leider nicht überprüft werden. Neben diesen Ergebnissen ist weiterhin feststellbar, dass Geschlechtsunterschiede nur insofern existieren, als die männlichen Befragten in den Schulferien mehr verdienen als die Mädchen (aber sie arbeiten im Schnitt ja auch 6 Stunden länger). Und: Mit höherem Alter nehmen die Wochenverdienste entsprechend der gestiegenen Arbeitszeit zu. Ost-West- oder auch andere Differenzen sind nicht erkennbar, was möglicherweise aber durch die gruppierte Abfrage verdeckt wird.
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Tab. 5.4: Durchschnittliche Verdienstspanne (in Euro) pro Woche nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen Ausmaß
N Regelmäßig Gelegentlich in Schulferien
Gesamt
1455 26-75 < 25-50 21->75
Geschlecht Jungen Mädchen 681 758 26-50 26-50 26-50 26-50 > 75 51-75
Alter <16 J. 16/17 J. 162 26-50 < 25 51-75
770 26-50 26-50 51-75
> 17 J. 502 51-75 26-50 > 75
Herkunft West Ost 798 26-50 26-50 51-75
657 26-50 26-50 21-75
5.3 Der Nebenjob – erste Erfahrungen in der Arbeitswelt
Die Krise der (Arbeits-)Gesellschaft habe die Jugend erreicht, vermeldete die Shell-Jugendstudie von 1997. Gemein war damit ein Doppeltes, einerseits geht es um Aufgaben der „inneren Entwicklung, des Lernens, der Identitätsbildung“, zum anderen ist Jugend eine bestimmte Lebenslage, abhängig auch „von der Zukunft und Zukunftsfähigkeit unserer Arbeitsgesellschaft. In der Vorbereitung auf die Anforderungen der ... Erwerbsarbeit als ihres ökonomischen Fundaments liegt der biographische und gesellschaftliche Sinn der Jugendphase“ (Münchmeier 1998, S. 5). Dies deutet einen Wechsel in der Rangfolge von Problemen an, die Jugendliche beschäftigen. Waren es früher häufiger die Umwelt und drohende Rationalisierung, so sind es heute die Sorgen um den Ausbildungs- und Arbeitsplatz, die die eigenen Zukunftsaussichten trüben (vgl. Shell Jugendstudie 2002; Zinnecker u.a. 2002). Geht man davon aus, dass Bildung und Ausbildung die Lebenslage der nachwachsenden Generation bestimmen (vgl. Tully/Wahler 1983) und den Lebenslauf in der Moderne strukturieren (vgl. Heinz 1995; Hurrelmann 1994; Lappe 1993), so lohnt der Blick auf das „‚Ausbildungsverhältnis‘ als jugendsoziologischem Raster“ (Tully/Wahler 1983, S. 377). Längerer Schulbesuch bedeutet, dass Jugendliche heute vielfach erwachsenengleich handeln, dazu gehört auch der Nebenjob, das Sammeln arbeitsweltbezogener Erfahrungen und eigenständiger Konsum. Mit den übernommen Jobs werden arbeitsweltbezogene Lernprozesse in Gang gesetzt. Wissen bezieht sich nicht mehr nur auf die schulische Lernorganisation und allgemeine gesellschaftliche Probleme, sondern auf konkrete Tätigkeiten. Es bezieht sich auf einen Arbeitsplatz samt der dazugehörigen unterschiedlichen Lebensperspektiven und sozialen Interessenlagen. Jobben markiert also eine Schnitt-
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
97
stelle von Lernen und Arbeiten (vgl. Abbildung 5.1). Der Job verpflichtet auf marktorientiertes Agieren. Früher, als der Nebenjob noch die Ausnahme darstellte, bereitete allein die Schule auf die zukünftige Arbeit mehr oder weniger effektiv vor. Ein Raum, in dem praxisrelevante Erfahrungen mit der Arbeitswelt gesammelt werden können, war nicht vorgesehen. Abb. 5.1: Das Verhältnis zwischen Schule und Beruf früher und heute Früher: Welt der Arbeit und des Berufs
Welt der Schule
Heute: Welt der Schule
Welt der Arbeit und des Berufs
Welt der freizeitlichen Lernfelder (z.B. Jobben)
Quelle: eigene Erstellung
5.3.1 Tätigkeitsfelder – Welche Jobs werden ausgeübt?
Welchen Arbeiten gehen die Jugendlichen nach? Auch hier ist es sinnvoll, zwischen den regelmäßigen, gelegentlichen und den FerienJobbern zu unterscheiden. Wie in Tabelle 5.5 zu sehen ist, dominieren im Bereich des regelmäßigen Jobbens die Arbeiten in Betrieben. Erst danach kommen die „typischen“ Tätigkeiten wie Prospekte/ Zeitungen austragen oder in anderen Haushalten bzw. Kneipen aushelfen. Unter gelegentlichen Tätigkeiten dominierten die Hilfstätigkeiten in Haushalt/Garten; wichtig sind weiter ‚das Arbeiten in Betrieben‘, ‚das Aushelfen in Kneipen‘, das ‚Prospekte austragen‘ und auch ‚das Auto waschen‘. In den Schulferien schließlich wird eindeutig am häufigsten in Betrieben gejobbt. Alle anderen Tätigkeiten fin-
98
Claus J. Tully
den sich in recht ähnlichen Häufigkeiten auf den folgenden Rängen. Wie sich auch zeigt, geht etwa jeder 10. Jugendliche in den Ferien einem bezahlten Praktikum nach und verbindet damit die Vorteile des Geldverdienens mit der Notwendigkeit, die schulischen Vorgaben zu erfüllen. Tab. 5.5: Tätigkeitsspektrum in den verschiedenen Jobformen nach Häufigkeit (in %; Mehrfachantworten möglich) Ausmaß
Tätigkeit
Regelmäßig (N = 590)
Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Prospekte/Zeitungen austragen Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten Arbeit in einer Kneipe/Café/Restaurant Babysitting/Hunde ausführen Nachhilfeunterricht
Häufigkeit 39,8 26,4 20,8 17,5 15,6 13,1
Gelegentlich (N = 451)
Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Babysitting/Hunde ausführen Arbeit in einer Kneipe/Café/Restaurant Prospekte/Zeitungen austragen Autos waschen, reparieren
31,9 29,3 27,5 19,1 15,3 12,0
In Schulferien (N = 414)
Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten Prospekte/Zeitungen austragen Babysitting/Hunde ausführen Bezahltes Praktikum Arbeit in einer Kneipe/Café/Restaurant
62,6 22,2 13,8 12,8 11,4 10,9
Betrachtet man die Tätigkeiten nach Geschlecht, so zeigen sich letztendlich die erwartbaren, aber dennoch geringen Differenzen (Tabelle 5.6): – Die Jungen präferierten Anstellungsverhältnisse und Arbeiten in Betrieben, Tätigkeiten wie die Hilfstätigkeiten in Haus und Garten, die Autopflege und -reparatur und das Prospekte- bzw. Zeitungen Austragen. Für Mädchen stellt die Arbeit in den Betrieben in fast gleichem Ausmaß eine Beschäftigungsquelle dar und erst auf den nachgeordneten Rängen finden sich eher typisch weibliche Arbeiten wie Babysitting oder Bedienen. – Insgesamt hat es den Anschein, als seien die Beschäftigungsmöglichkeiten für Mädchen tendenziell etwas diversifizierter als für Jungen: Für Jungen existiert eine starke Fixierung auf betriebliche Arbeiten; Mädchen hingegen arbeiten zwar auch in diesem Bereich, ihnen steht aber gleichermaßen der Weg in geschlechtstypische, wie
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
99
auch geschlechtsuntypische Beschäftigungen (Prospekte austragen, in Haus und Garten helfen) offen. Männliche Babysitter oder Kellner sind eine Ausnahme. Tab. 5.6: Tätigkeitsspektrum nach Geschlecht und Häufigkeit (in %; Mehrfachantworten möglich) Ausmaß
Tätigkeit
Regelmäßig
Jungen (N = 263): Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Prospekte/Zeitungen austragen Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten
48,3 28,9 20,5
Mädchen (N = 321): Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Babysitting/Hunde ausführen Prospekte/Zeitungen austragen Arbeit in einer Kneipe/Café/Restaurant
33,3 26,2 23,7 22,7
Jungen (N = 203): Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten Autos waschen, reparieren
37,9 33,0 17,7
Mädchen (N = 240): Babysitting/Hunde ausführen Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten Arbeit in einer Kneipe/Café/Restaurant
44,2 30,8 25,4
Jungen (N = 215): Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten Prospekte/Zeitungen austragen
69,3 21,4 15,3
Mädchen (N = 197): Arbeiten im Betrieb/Unternehmen Babysitting/Hunde ausführen Hilfstätigkeiten im Haushalt/Gartenarbeiten
54,8 23,9 23,4
Gelegentlich
In Schulferien
Häufigkeit
5.3.2 Job-Motive und Lernerfahrungen
Werden Jugendliche danach gefragt, warum sie die Anstrengungen einer Nebentätigkeit auf sich nehmen, so antworten fast alle, dass es im Wesentlichen erst einmal darum ginge, eigenes Geld zu verdienen. Eigenes Geld ist damit Ziel und Mittel zugleich: Es gestaltet Konsum unabhängig von elterlichen Vorgaben. Und mittelbar kann es eingesetzt werden, um eigene Konsumwünsche zu erfüllen, die gleichzeitig dazu dienen, kulturelle Eigenständigkeit zu erlangen. Geld macht somit materiell wie immateriell unabhängig und eigenständig. Neben
100
Claus J. Tully
diesen finanziellen Gründen haben die Jugendlichen aber auch andere Motive für das Jobben. Über die Hälfte der befragten Jobber will einfach „etwas Sinnvolles tun“. Arbeiten ist Vorbereitung auf das zukünftige Leben: Berufsbezogene Motive („Erfahrungen in Arbeitswelt“, „Fähigkeiten entwickeln“), aber auch lebensweltbezogene Motive („sich in Erwachsenenwelt bewegen“) spielen eine Rolle. Eher weniger verbreitet ist die schiere Notwendigkeit zu jobben („um Lebensunterhalt zu bestreiten“) bzw. der Zwang, dies zu tun („weil ich es muss“). Soziale Motive bei Nebenjobs spielen vor allem für junge Frauen eine größere Rolle als bei jungen Männern („um Leute kennen zu lernen“, „sich sozial einsetzen“). Zusammengefasst ergibt sich damit folgende Reihung: Das wichtigste Motiv, um einen Nebenjob aufzunehmen, ist das Geld. Mit gehörigem Abstand folgen zukunftsbezogene, insbesondere berufsbezogene Motive. Danach finden sich soziale Motive und zu guter Letzt gibt es auch von außen auferlegte Gründe. Betrachtet man die Motive differenziert nach Geschlecht, so sind substantielle Unterschiede mehrfach erkennbar, wobei eindeutig ist, dass weibliche Befragte insbesondere bei sozialen Motiven („um Leute kennen zu lernen“, „damit ich mich sozial einsetzen kann“) höhere Zustimmungsraten aufweisen. Ein vergleichbarer Trend lässt sich auch für die Items „Sinnvolles tun/Verantwortung übernehmen“, und „mit Freund/in zusammen Spaß haben“ ausmachen. Tab. 5.7: Motive für das Jobben nach Häufigkeit (in %; Mehrfachantworten möglich) Begründung: ich jobbe ... 1) damit ich eigenes Geld verdiene. 2) damit ich Sinnvolles tue/Verantwortung übernehme. 3) damit ich Erfahrungen in der Arbeitswelt mache. 4) damit ich lerne, mich in Erwachsenenwelt zu bewegen. 5) damit ich etwas lernen kann, was ich für später brauche. 6) damit ich eine Aufgabe habe, die mir Spaß macht. 7) damit ich Gelegenheit habe, Fähigkeiten zu entwickeln. 8) damit ich gefordert werde/Leistung anerkannt wird. 9) um neue Leute kennen zu lernen. 10) um mit Freund/-in zusammen Spaß zu haben. 11) damit ich meinen Lebensunterhalt selbst bestreite. 12) damit ich ernst genommen werde. 13) damit ich mich sozial einsetzen und helfen kann. 14) weil ich es muss (z.B. im elterlichen Betrieb).
Gesamt Jungen Mädchen (N = 1455) (N = 681) (N = 758) 93,7 92,8 94,9 56,2 51,1 60,9 51,3 50,2 52,8 43,2 40,4 45,8 42,6 42,7 42,7 35,6 33,6 37,7 34,4 35,7 33,6 33,1 34,7 31,8 28,7 21,6 35,5 24,3 19,2 28,9 23,8 24,2 23,7 20,8 18,8 22,8 18,4 10,9 24,9 6,8 7,9 5,8
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
101
Um die Lerneffekte, die mit der Nebenjobtätigkeit verbunden sind, zu erfassen, haben wir konkrete Arbeitserfahrungen erfragt. Hierzu wurde den Jugendlichen eine Liste mit zum Teil negativen Erfahrungen, die beim Arbeiten gesammelt werden können, vorgelegt. Diese sollten dann auf einer Skala von „1 – sehr oft“ bis „6 – überhaupt nicht“ entsprechend den eigenen Arbeitserfahrungen eingeschätzt werden. Tabelle 5.8 zeigt zusammengefasst für alle Nebenjobber die Ergebnisse dieser Liste, wobei niedrige Mittelwerte indizieren, dass die jeweilige Erfahrung häufiger gemacht wurden. Tab. 5.8: Konkrete Erfahrungen beim Jobben (N=1455) (Mittelwerte auf einer Skala von ,1 = sehr oft‘ bis ,6 = überhaupt nicht‘) Joberfahrung
Gesamt
Geschlecht
Schultyp
Status der Eltern
männ- weib- Haupt Real- Gym- Be- nied- unte- oberes hoch lich lich -schu- schu- nasi- rufs- rig res Mittel le le um schuMittel le
Richtig hart gearbeitet, total angestrengt
2,79
2,57
2,99
2,86
2,92
2,88
2,52
2,7
2,77
2,72
2,92
Stolz auf die eigene Arbeitsleistung gewesen
2,27
2,28
2,27
2,28
2,2
2,37
2,22
2,26
2,24
2,19
2,41
Zähne zusammengebissen und weitergemacht, obwohl die Arbeit keinen Spaß gemacht hat
2,97
2,85
3,07
3,16
3,12
2,88
2,74
2,87
3,04
2,75
2,92
Stress mit dem Chef oder Kollegen gehabt
4,96
4,92
5
5,14
5,08
5
4,63
4,84
5,01
4,86
5,11
Ärger und Wut nicht rausgelassen, mich zusammengerissen
3,68
3,67
3,7
3,74
3,73
3,85
3,41
3,6
3,77
3,59
3,82
Einfach meinen Job gemacht, ohne lange zu diskutieren
2,83
2,71
2,92
2,83
2,69
2,88
2,9
2,86
2,78
2,88
2,9
Den Job geschmissen, weil ich unzufrieden war
5,51
5,52
5,51
5,58
5,51
5,48
5,48
5,5
5,57
5,45
5,39
Wie leicht ersichtlich ist, sind es besonders die positiv konnotierten Erfahrungen, von denen die Jugendlichen berichten können. Eine herauszuhebende Bedeutung hat der „Produzentenstolz“. Die Befragten sind nämlich auffallend stolz auf ihre Arbeitsleistung. Wer arbei-
102
Claus J. Tully
tet, weiß, dass man schon stolz auf die eigene Leistung sein kann, dass man aber auch bisweilen richtig hart arbeiten muss oder einfach weitermachen muss, obwohl die Arbeit keinen Spaß macht. Andere Erfahrungen, die mehr oder weniger konflikthafte Auseinandersetzungen umschreiben, sind hingegen eher ungewöhnlich. Den Job ‚hingeschmissen‘ haben schließlich nur recht wenige Jugendliche. Es sind auch keine Effekte im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Schultyp und Status der Eltern interpretierbar. In einem weiteren Schritt wurden nun diese sieben Variablen in eine Faktorenanalyse aufgenommen, mit der Absicht, die Anzahl der Items auf wenige Dimensionen hin zu reduzieren. Die Ergebnisse sind aus Tabelle 5.9 zu entnehmen: Ein erster Faktor, der als „erarbeitete Zufriedenheit“ etikettiert werden kann, setzt sich aus den ersten beiden Erfahrungen („hart gearbeitet“, „ stolz gewesen“) der vorangegangenen Tabelle 5.8 zusammen. Darüber hinaus findet sich ein Faktor „latente Konflikte“, der tendenziell negative Arbeitserfahrungen zusammenfasst, die jedoch (noch) nicht zur Eskalation führten. Hierfür gibt es den dritten Faktor „offene Konflikte“, in dem die beiden Items „Stress mit Chef oder Kollegen gehabt“ und „Job hingeschmissen“ eingehen. Die Zustimmungsraten für diese drei Faktoren sind sehr unterschiedlich: Erfahrungen von Zufriedenheit und ebenso von latenten Konflikten scheinen in der Arbeitswelt der Jugendlichen durchaus ihren festen Platz zu haben, zur richtigen Eskalation kommt es aber in den seltensten Fällen. Dies mag im Wesentliche daran liegen, dass Jugendlichen immer noch eine exit-Option offen steht. Der Nebenjob verbessert ihren ökonomischen Lebensstandard. Er hat, anders als die Arbeit, nicht den Charakter der Existenzsicherung. Möglicherweise sind es auch gerade die eigentümlichen, meist befristeten Anstellungsverhältnisse, die dazu führen, dass Jugendliche eher selten ihren Job überhaupt hinschmeißen müssen – bis zum Ende der Ferien lässt sich dieser wohl durchhalten. Im Vergleich der Geschlechter zeigen sich kaum substantielle Unterschiede: Die Jungen berichten allerdings etwas stärker davon, mit allen Erfahrungsformen bekannt zu sein. Mit zunehmendem Alter werden in allen Feldern, so ist festzustellen, auch alle Erfahrungen gesammelt.
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
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Tab. 5.9: Faktoren der Joberfahrungen nach Geschlecht und Alter (Mittelwerte) Faktoren* N Erarbeitete Zufriedenheit (1,2) Latente Konflikte (3,5,6) Offene Konflikte (4,7)
Gesamt 1455 2,4 3,1 5,2
Geschlecht Jungen Mädchen 681 758 2,3 2,5 3,0 3,2 5,2 5,3
< 16 J. 162 2,5 3,1 5,4
Alter 16/17 J. 770 2,4 3,2 5,3
>17 J. 502 2,3 3,0 5,1
* Die Nummern in Klammern beziehen sich auf die Items der Tab. 5.8
Schließlich haben wir den Jugendlichen die Möglichkeit eingeräumt, einige offene Aussagen darüber zu treffen, was sie ihrer Meinung nach denn nun wirklich durch das Arbeiten neben der Schule gelernt haben. Tabelle 5.10 gibt die Ergebnisse wieder: Zuoberst steht natürlich die arbeitsweltliche Erfahrung durch das Jobben. Die Besetzung der nachfolgenden Plätze ist dann durch die verschiedenen Tätigkeitsarten vorgezeichnet: Insofern Jugendliche heute entsprechend den wirtschaftlichen Veränderungen weniger im industriellen Sektor tätig sein dürften, ist das Erlernen des Umgangs mit anderen Menschen ein wesentlicher Lerngewinn des Jobbens. Darüber hinaus resultieren aus einem partiellen Engagement im Erwerbsleben auch recht abstrakte Lerneffekte wie die Übernahme von Verantwortung oder die Aneignung von Sekundärtugenden. Eine etwas herausgehobene Bedeutung kommt an dieser Stelle wiederum dem Geld zu: Durch Nebentätigkeiten wird eigenes Geld verdient und verwaltet. Gelegentlich ist der Umgang mit Geld zentraler Gegenstand der Arbeitstätigkeit (z.B. als Kellner, Verkäufer, Tankwart). Der Umgang mit Geld ist ein entscheidender Punkt des (informellen) Lehrplans Nebenjob. Erstaunlicherweise erachten nur sehr wenige Jugendliche die Benutzung technischer Objekte, die sich heutzutage höchstwahrscheinlich an den meisten Arbeitsplätzen finden, als wichtigen Lerneffekt ihrer Tätigkeit. Auffällig ist ein deutlicher Unterschied zwischen Mädchen und Jungen. Mit Computern und Ähnlichem scheinen sie vertraut und bei vielen anderen Jobs (Zeitung austragen) spielt Technik nur eine nachgeordnete Rolle. Betrachten wir die beiden Geschlechter, so zeigen sich Unterschiede vor allem im sozialen und im technischen Bereich, d.h. Mädchen verorten die Lerneffekte eher im Umgang mit Menschen, Jungen hingegen im Bereich des Arbeitsweltkontakts allgemein und im handwerklichen/technischen Bereich. Diese Unterschiedlichkeit dürfte im Großen und Ganzen die Differenz der Tätigkeiten widerspiegeln, denen Jungen und Mädchen nachgehen (s.o.).
104
Claus J. Tully
Insgesamt lässt sich aus diesen Ergebnissen folgern, dass Nebenjobs einen wichtigen Einfluss auf die Lernkarrieren der Jugendlichen nehmen und dabei nicht, wie noch zu zeigen ist, die schulische Performanz verschlechtern. Nebenjobs stellen eine bislang unterschätzte Lernwelt dar, in der einerseits auf die Verhältnisse im späteren Berufsleben und dessen notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten vorbereitet wird, andererseits aber auch sozial auf das Erwachsenenleben insgesamt mit seinen neuartigen Rollenanforderungen Bezug genommen wird. Bei den berichteten Lernerfahrungen durch das Jobben fällt auf, dass „arbeiten/Erfahrungen in der Arbeitswelt“ wie auch „handwerkliche, technische Kenntnisse“ den befragten Jungen wichtig sind, während bei den Mädchen „Umgang mit Menschen/Teamfähigkeit“, aber auch „Umgang mit Kindern, Alten, Behinderten, Kranken“ klar im Vordergrund stehen. Tab. 5.10: Lerneffekte des Jobbens nach Geschlecht (offene Frage, kodiert, in %) Was haben Sie beim Jobben gelernt?
Arbeiten/ Erfahrungen in der Arbeitswelt Umgang mit Menschen/Teamfähigkeit Umgang mit Geld Sekundärtugenden (Verlässlichkeit, Pünktlichkeit etc.) Umgang mit besonderen sozialen Gruppen (Kindern, Alten, Behinderten, Kranken) Verantwortung Handwerkliche, technische Kenntnisse Definitiv nichts
Gesamt N = 646 36,1 15,2 10,8 10,8 9,1 8,7 4,2 1,4
Geschlecht Jungen Mädchen N = 244 N = 394 40,2 33,2 11,5 17,8 11,5 10,4 8,6 12,2 1,2 13,7 3,7 9,4 1,6
11,7 1,0 1,3
5.3.3 Vorstellungen im Hinblick auf die eigene berufliche Zukunft
Jugendlichen ist Arbeit wichtig. Für diesen Sachverhalt spricht, wie bereits ausgeführt, das Engagement der von uns befragten Jugendlichen im Nebenjob und vor allem die ermittelte Bedeutsamkeit der Lernerfahrungen durch das Jobben. „Arbeiten/Erfahrungen in der Arbeitswelt“ sind die am häufigsten genannten Lernerfahrungen. Aber auch andere Studien stützen die Bedeutung von Arbeit in der Jugendphase. In der IG-Metall-Jugendstudie formuliert ein Jugendlicher recht plastisch die hohe Priorität, die der Arbeit eingeräumt wird. Unter dem Eindruck der großen Schwierigkeiten, eine Ausbildung
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
105
und einen Arbeitsplatz zu finden, scheint die Aussage eines 19-jährigen Jugendlichen, der an einer Berufsvorbereitungsmaßnahme teilgenommen hat, verständlich. Er wird wie folgt zitiert: „Die Arbeit ist immer wichtig. Freizeit hab ich mein ganzes Leben, Arbeit krieg ich nicht immer“ (IG-Metall 2002, S. 43). Nach wie vor sehen Jugendliche die Arbeit als zentrales Instrument zur Integration in das Gemeinwesen, d.h. die Arbeit bleibt, wenn auch für manche widerwillig, sehr wichtig, und die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit scheint nicht so ausgeprägt wie häufig vermutet (vgl. Farin 2001; Goebel/ Clermont 1999; IG-Metall 2002; Rink 2002). „52% der befragten Jugendlichen beschäftigen sich in der Freizeit mit Themen, die ihre Arbeit betreffen. Zwei Drittel von diesen tun das, weil es sie interessiert, und ein Drittel, weil es für ihren Beruf notwendig ist. Die Arbeit nimmt offenbar einen sehr großen Raum bei den Jugendlichen ein“ (IG-Metall 2002, S. 43). Auch in unserer Untersuchung formulieren die Befragten klare Präferenzen für ihre berufliche Zukunft. Nach ihren Berufswünschen gefragt, dominieren akademische Berufe und Handwerkerberufe. Die Handwerkerberufe werden von den männlichen Befragten angeführt, ebenso informationstechnische Berufe; soziale und kaufmännische Berufe werden von weiblichen Befragten besonders häufig genannt (vgl. Tabelle 5.11). Insofern decken sich unsere Befunde mit denen, die Hurrelmann/Mansel (1991) berichten. Auch in deren Untersuchung werden klare geschlechtsbezogene Präferenzen herausgestellt:25
25 „Jüngeren Frauen betonen die sozialen Komponenten der Berufstätigkeit. Für sie ist es wichtiger als für die jungen Männer, dass die Arbeit Möglichkeiten bietet, anderen zu helfen und nützlich für die Gesellschaft zu sein. Zudem ist es ihnen wichtiger, sich bei der Arbeit mehr mit Menschen und weniger mit Dingen auseinander setzen zu müssen. Männliche Jugendliche betonen hingegen mehr den guten Verdienst und auch die gesicherten Aufstiegsmöglichkeiten. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern dürften auf die vorweggenommenen späteren Berufs- und Familienrollen zurückzuführen sein. Zum Teil spiegelt sich in ihnen aber sicherlich auch die unmittelbare psychische und soziale Interessens- und Bedürfnislage der beiden Geschlechter wider“ (Hurrelmann/Mansel 1991, S. 93).
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Claus J. Tully
Tab. 5.11: Die 10 wichtigsten angestrebten Berufe nach Tätigkeitsfeldern (in %, offene Frage, vercodet) Berufsbereiche*
Akademischer Beruf Handwerksberuf Kaufmännischer Beruf Öffentlicher Dienst Kranken-/ Altenpflege Informationstechnischer Beruf Künstlerischer Beruf Gastronomie Erziehung/Betreuung Metall-/Elektrotechnik
Gesamt N=1795 21,1 14,1 13,8 8,5 8,1 7,7
Geschlecht Jungen Mädchen HauptN=796 N=943 schule 19,0 22,9 6,5 20,9 8,5 24,2 9,5 17,2 14,8 9,8 7,5 6,0 1,8 13,6 10,4 15,2 1,5 8,3
5,9 4,9 4,2 3,4
3,9 3,0 0,4 7,2
7,4 6,5 7,4 0,2
4,6 5,5 5,5 5,5
Schultyp RealGymnaschule sium 9,9 45,7 19,6 1,7 18,5 5,9 7,2 13,7 12,2 2,1 6,7 8,5 4,0 6,5 5,3 4,8
6,4 2,4 0,5 0,7
Berufl. Schule 24,0 10,0 15,4 7,2 7,0 7,0 8,9 4,9 5,1 2,1
* Aufgrund der offenen Antwortmöglichkeit konnten hier keine trennscharfen Kategorien gebildet werden.
Informationstechnische Berufe werden von jungen Männern bevorzugt (15% gegenüber 1,5% jungen Frauen). Diese Ungleichgewichtigkeit gibt es dann auch wieder für Metall-/Elektroberufe. Mädchen äußern eine explizite Präferenz für soziale Berufe (Kranken-/Altenhilfe) und Erziehung/Betreuung sowie für künstlerische Berufe. Gastronomieberufe scheinen für Gymnasiasten wenig attraktiv zu sein. Interessant ist zudem, dass unter den Schülern berufsbildender Schulen rund ein Viertel einen akademischen Beruf anstrebt. Dies bedeutet, dass rund ein Viertel dieser Gruppe auch die Berufsausbildung nicht als Ausbildung zum Beruf, sondern als Bildungsabschnitt betrachtet. Überraschend hoch ist auch der Anteil derer, die bereits ein Praktikum absolviert haben. Gut 80% unserer Befragten sind bereits mit der Welt der Arbeit im Rahmen von Praktika in Kontakt gekommen (Tabelle 5.12). Möglicherweise beruhen geäußerte Wunschberufe auch auf tatsächlichen Arbeitserfahrungen. Tab. 5.12: Praktikumserfahrung nach soziodemographischen Merkmalen (in %) Gesamt
N Ja Nein
Geschlecht Jungen Mädchen 2037 952 1059 82,6 82,0 82,9 17,4 18,0 17,1
< 16 Jahre 266 70,3 29,7
Alter 16/17 Jahre 1090 84,4 15,6
> 17 HauptJahre schule 646 497 84,5 78,7 15,5 21,3
Schulform Real- Gymna- Berufl. schule sium Schule 519 517 504 89,4 78,7 83,5 10,6 21,3 16,5
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
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5.4 Zwischen Schule und Nebenjob 5.4.1 Die Art und Qualität der Jobs oder was den Job von der Schule unterscheidet
Mit der Aufnahme einer Tätigkeit werden spezifische Erfahrungen gewonnen. Es wird in neuen, schulfernen Räumen agiert; die Bindung von Zeit, die körperliche Anstrengung, die Neudefinition der eigenen Rolle (nun als Jobbende) und der Umgang mit Erwachsenen kommen als neue Herausforderungen hinzu.26 Andererseits erfahren die Jugendlichen in der außerschulischen Arbeitswelt individuelle Anerkennung. Was die körperliche Belastungen und die Restrukturierung der Zeit betrifft, so erleben Schüler einen durchschnittlichen Arbeitstag als ungewöhnlich lang. Arbeiten ist gewöhnungsbedürftig. Belastungen in der Arbeit werden sinnlich erlebt und sind im Kontrast zum Lernstoff kein Wissensproblem, das durch Lernen bewältigt wird. Eher schon geht es um die Gewöhnung an physische Strapazen. Die Müdigkeit durch die Arbeit wird zu einer neuen und notwendigen Erfahrung.27 Pendeln zwischen Schule, Familie, Job und Freunden bedeutet darüber hinaus, dass die disponible Zeit knapper wird. Das Zeitregime schlägt mithin als soziale Restriktion durch und erstreckt sich schließlich auf alle Bereiche der Lebensführung. In unseren qualitativen Interviews wird das Zeitregime von Florian (17 Jahre) verdeutlicht: „Ja, ... also ich hatte jetzt vor ’nem Jahr, von Dezember bis April hab ich bei (Firma) gearbeitet, auch nebenbei neben der Schule, und ich hab dann gemerkt, dass im April, da waren die Anforderungen einfach zu hoch, ... dann hatte ich immer weniger Zeit, da hab ich dann den Job aufgegeben. Aber vielleicht lag’s auch bloß an der Abschlussprüfung, davor hat’s eigentlich super hingehauen, also da musst ich aber von 2 bis um 8 arbeiten und da auch noch von hier aus zum Arabella-Park fahren.“ 26 In einer früheren Untersuchung (vgl. Lappe/Tully/Wahler 2000), die den Übergang von der Schule zur Arbeit zum Gegenstand hatte, haben sich die befragten Jugendlichen zu den erlebten Veränderungen, die mit diesem Wechsel einhergingen, geäußert. Von 166 Nennungen in unserer qualitativen Erhebung sprachen 60 den Verlust der Freunde, 47 ihre neue Rolle als Berufstätige, 45 körperliche Belastungen und 14 selbstverdientes Geld an. 27 Sich nach dem vollendeten Arbeitstag „abgehetzt und ausgelaugt“ zu erleben ist neu, Energielosigkeit wird zum verbindlichen Erlebnis. Zudem greift mit dem Job ein neues Zeitregime, das disponible Zeitbudget wird kleiner, der Ruhebedarf nimmt zu.
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Claus J. Tully
Florian übt den Job zweimal in der Woche von 14.00 bis 20.00 Uhr aus. Arbeitsentgelt wird gegen Zeit, Leistung, individuelle Einschätzung getauscht, was auch Emre (18 Jahre) ausführt: „Ne halbe Stunde hab ich gebraucht, um halb zwei musst ich schon wieder los. Nee, aber ich weiß nicht, also würd’ ich vielleicht eventuell machen, bei der Fachoberschule ist es blöder, weil da hat man bis um zwei Schule und da wird’s halt dann immer knapper.“
Arbeitserprobung, soziale Anerkennung und Selbständigkeit
Mit den aufgenommen Jobs müssen neue soziale Bezüge etabliert werden. Es geht darum, eine neue Identität auszubilden, d.h. die eigene Person muss erst mit der Rolle im Job synchronisiert werden. Dies macht den Unterschied zur Schule aus. In der Schule geht es relativ „easy“ zu, schließlich folgt der Schulalltag vorhersehbaren Schemata; in der Schule kann „mitgeschwommen“ werden, im Job nicht. Anesa (19 Jahre) würde eigentlich gerne jobben, der Vater aber hat sich dagegen ausgesprochen. Dennoch hat sie Joberfahrungen, von denen sie positiv zu berichten weiß: „Ich hab für meine Cousine ausgeholfen, die war im Friseursalon. Und da hab ich für sie ausgeholfen. Also ich war so ein Mädchen für alles da, so, nichts besonderes, Haare zusammenfegen, Kaffee bringen und so’n Zeug. Und ich würde jetzt ganz gerne, wollte ich, also in den Ferien, aber jetzt fahren wir wieder weg, also geht das auch nicht. Es gilt was auszuprobieren, zu sehen, wie die Arbeitswelt ist, ob die Bedingungen passen oder nicht. [...] Nee, ich hab also ein Praktikum machen müssen. Das war beim Anwalt, weil das war der Wunsch meiner Eltern. Anwältin, aber das ist nicht mein Fall gewesen, also das ist nicht mein Fall. Aber hab ich mal ausprobiert, vielleicht, dacht ich, kommste auf den Geschmack oder so. Fand ich zwar ganz interessant, bewundere ich auch diesen Beruf, find ich ganz gut, aber ist einfach nichts für mich.“
Im positiven Fall findet ein Jugendlicher den passenden Job; eine Art Traumjob: „Also beruflich wollt ich eigentlich schon mit Autos zu tun haben ... Sachen entwickeln und so. Ja, und rumschrauben auch natürlich, wenn mal so was nicht läuft. Wenn man das hinkriegt, das freut einen natürlich, so was wollt ich halt machen, Kfz-Mechaniker. Ich hab jetzt auch angefangen, Erfahrungen zu sammeln bei einer Werkstatt.“
Diesem Job geht der Befragte regelmäßig nach, nicht nur am Wochenende, sondern immer „gleich nach der Schule, jeden Tag ... Da
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
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hab ich auch sehr vieles gelernt“. Er führt in dem Interview vor allem die vertrauensvolle Zusammenarbeit aus. Es gefällt ihm, dass seine Bemühungen Anerkennung finden. Dies betont er mit dem Hinweis: „Die geben mir auch mit vollem Vertrauen ihr Auto oder so, obwohl ich keinen Führerschein habe, fahr ich da mal kurz rum, nicht auf der Straße, nur im Privatgelände und wasche ab und zu mal auch die Autos von denen“ (einer von zwei Schönebergern28, 17 Jahre). Das eingegangene Job-Verhältnis schließt wie alle ernsthaften Arbeitsverhältnisse den Tausch von Leistung gegen Lohn ein. Das eigene Geld ermöglicht insgesamt neue Freiheitsgrade, z.B. die größere Unabhängigkeit von den Eltern. Es wird bewusstseinspflichtig, was der Kern des Verbs „verdienen“ meint und es wird als knappe Ressource, mit der es hauszuhalten gilt, begriffen. Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass das Einkommen mit der in Kauf genommen Mühe steigt. In den Interviews spielt dabei der finanzielle Bedarf durchaus eine Rolle. Dazu Florian (17 Jahre): „Ich such jetzt grad was in der Richtung, weil ich jetzt ein bisschen Geld brauch: Ich hab jetzt sowieso Ferien, eineinhalb bis zwei Monate; bevor ich den ganzen Tag daheim rumsitze und nur Sport mach, dann such ich mir jetzt auch mittlerweile schon nen Job.“
Ähnlich äußert sich Enre (17 Jahre): „Also da bei (Firma) da hab ich schon ziemlich schlecht verdient, da hatte ich 13 Mark pro Stunde, also das war schon ja, ja das ist schon ziemlich wenig. Also ich verdien jetzt schon als Übungsleiter 15 Mark, ja, so vielleicht 17, 18 Mark schon, also ich hab auch, ich kenn von mir aus welche in der Klasse, die arbeiten bei einem Internet-Provider, also ´ne Internet-Firma, und die kriegen dann in der Stunde 80 Mark und da ist man da auch ganz gut dran. Nee, aber ich will jetzt mal kucken, also nebenbei, ich würde auch so ganz gern was irgendwie so .. einfach, zwar nicht ganz so viel Verantwortung, vielleicht mal nebenbei da für den und den irgendwas schreiben und so.“
5.4.2 Länger zur Schule – Veränderung der Jugendphase
Beim Blick auf die vorliegenden Bildungs- und Arbeitsmarktdaten fallen die längeren Bildungsphasen auf. Der aufgeschobene Eintritt in 28 Die Schöneberger sind zwei Jugendliche; einer hat einen deutschen, der zweite einen türkischen Pass. Die beiden haben eine TV-Reportage erstellt, treten als Duo wie Erkan und Stefan auf, d.h. sie sind künstlerisch tätig, haben ein Lied geschrieben, spielen im Verein Fußball und jobben als KFZ-Mechaniker.
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Claus J. Tully
ein Beschäftigungsverhältnis mit regelmäßigem Einkommen stellt eine zentrale Herausforderung dar. Denn soweit es um Konsum und die Pflege eigener Stile geht, agieren Jugendliche heute eigenständig und viele Konsum-Angebote richten sich explizit an Jugendliche. In der Jugendforschung wurde die Verlängerung der Jugendphase bevorzugt aus bildungspolitischer Perspektive betrachtet. Aufgeschobene Verselbständigung bedeutet für eine wachsende Zahl junger Menschen, in einer alimentierten Existenz zu verharren, was im Widerspruch zu den immer umfassenderen wie auch zielgruppenspezifischeren Konsumund Partizipationsangeboten einer modernen Gesellschaft steht.29 Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wird seit den 1960er Jahren immer weiter hinausgeschoben und der Anteil der Jugendlichen, die sich noch in schulischen Bildungseinrichtungen befindet, wird größer (vgl. Arbeitsgruppe am MPI 1994; Tully 2001). Dieser Strukturwandel lässt sich am Besuch weiterführender Bildungseinrichtungen (Realschule, Gymnasium, Universität) ablesen. Das längere Verweilen in schulischen Bezügen wird zum strukturtypischem Merkmal für diesen Lebensabschnitt. Dem aufgeschobenem Übergang korrespondiert eine intensive Orientierung an der Gruppe der Gleichaltrigen (Peers). Mit Berufung auf Ferchhoff (1993) führt Prahl (2001, S. 261) aus, dass „Jugend in der Gegenwart einem doppelten Wechsel der Sozialkontrolle“ unterliege: „Zum einen ist Jugend nicht mehr dominant an altersheterogenen Arbeitshierarchien ausgerichtet, sondern bewegt sich immer mehr in altershomogenen Bildungseinrichtungen, zum anderen verlässt die Jugend deutlich personen- und ortsbezogene, traditionelle Lebensmilieus und wendet sich mehr unverbindlichen, indirekt kontrollierten Einrichtungen einer Dienstleistungskultur zu“ (Prahl 2001, 29 „Die Entkopplung von Lernen und Arbeit, von Ausbildung und Lohnarbeit qua Alimentation, findet ihren Niederschlag in einer wechselseitigen Perzeption und Absetzung gesellschaftlich verbindlicher Wert- und Orientierungsmuster. Die Ausbildungsexistenz bezieht sich, wenngleich mit unterscheidbarem Grad an Konkretheit, auf eine künftige und als gesellschaftlich anerkannte Lohnarbeiterexistenz. Insofern diese in der Lebenssituation Jugendlicher gedanklich und strukturell nur bedingt zu antizipieren ist, findet diese Ausgestaltung der unmittelbaren Lebenssituation als ‚Verselbständigung‘ gegenüber vorherrschenden Werten statt. Subkulturellen Lebensformen ist qua Alimentation [...] ein instrumentelles Verhältnis [...] eigen“ (Tully/Wahler 1983, S. 388). Die Jugendphase ist ein Lebensabschnitt, in dem Partnerbeziehungen aufgenommen werden und die Ablösung von der Herkunftsfamilie ansteht. Aber auch dies setzt den Übergang aus dem Bildungs- in das Erwerbssystem voraus, damit ein ökonomisch selbständiges Leben geführt werden kann.
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
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S. 261). Diese ist in einer entsprechenden Freizeitkultur wahrnehmbar: Geteilte Moden, Stile, Musikvorlieben usw. schaffen einen eigenen jugendkulturellen Rahmen, wobei die dort gültigen Werte, Normen und Stile nicht vom schulischen Lernen geformt sind. Wichtig sind der kulturelle Austausch und die Verständigung über geteilte Anschauungen. Vorliegende Untersuchungen (vgl. z.B. Zinnecker u.a. 2002; Shell Jugendstudie 2002) wie auch die eigenen Daten bestätigen die Rolle der Schule als Treffort. Das heißt, die Kids und Jugendlichen sehen die Funktion der Schule nicht nur darin, sich dort Wissen zu beschaffen, sondern auch darin, sich mit anderen Jugendlichen über Abgrenzungen und die Konzeption von jugend- und zeitgemäßen Gegenentwürfen und alternativen Realitätsdefinition zu verständigen (vgl. Baacke 1993; Ferchhoff 1993; Ferchhoff u.a.1995). Der von Bildung geprägte Jugendstatus eröffnet insofern neue Spielräume jugendlicher Existenzformen. Jugend ist heute, ganz im Unterschied zur Nachkriegszeit, eine öffentlich anerkannte Lebensform. Das vormals dominante Leitbild der Erwachsenenkultur wird sukzessive aufgelöst, was sich an der Kleidung wie an der Musik zeigt.30 Der längere Verbleib in den Bildungsinstitutionen verweist auf den Bedarf an zusätzlichen Ressourcen, um das Leben in den parallelen Welten von Abhängigkeit (Schülersein) und Selbständigkeit (Freizeit) zu bewerkstelligen. Im Zusammenhang unserer Studie stellt sich dabei die Frage, ob es eine Konkurrenz zwischen Schule und Nebenjob gibt, ob also die Schule unter dem Aufwand, der für den Nebenjob betrieben werden muss, leidet.
30 Hier zur Erinnerung an die Anfänge des Musikmarkts. Die Plattenproduktion umfasste in den USA 1954 213 Millionen und stiegt 1959 bereits auf 603 Millionen, also auf das Dreifache. Eine Erklärung dafür sind der Rock’n Roll und die spezielle Jugendmusik, denn „thematisch bezogen sind die Songtexte hauptsächlich auf Phänomene der Adoleszenzphase, wie die Vorbereitung auf den Ablauf von Partys und verliebt sein, und das Ressentiment gegenüber Erwachsenen. Nach einschlägigen amerikanischen und englischen Untersuchungen verbringen die Jugendlichen ihre Freizeit seit Ende der 50er Jahre hauptsächlich mit dem Hören von Rockmusik, dem wesentlichen Strukturmerkmal jugendlichen Konsumverhaltens“ (Flichy 1994, S. 263). Die große Bedeutung der Rockmusik liegt dabei u.a. darin, dass sich über sie Jugend als eigenständige Gesellschaftsgruppe konstituieren konnte.
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Claus J. Tully
5.4.3 Das Verhältnis von Schule und Nebenjob – Schmälert der Nebenjob die Schulleistung?
Das Nebeneinander von Schule, Nebenjob und Konsum gibt zu unterschiedlichen Überlegungen Anlass. Am verbreitetsten dürfte die Befürchtung sein, dass das Arbeiten neben der Schule kontraproduktiv für die schulische Leistung sei – schließlich wird die Zeit für Erholung wie für Lernen gleichermaßen beschnitten. Auf Basis unserer Untersuchungen kann diese Befürchtung zurückgewiesen werden. Anhand verschiedener Indikatoren soll dies gezeigt werden. Für diese Untersuchung hatten wir die Jugendlichen gebeten, ihre eigene Schulleistung auf einer dreistufigen Skala von „1 – ich bin ein guter Schüler“ über „2 – ich bin ein mittlerer Schüler“ bis „3 – ich bin ein mäßiger Schüler“ zu bewerten. Diese Art der Abfrage in Form einer Selbsteinschätzung der Schulleistung ist innerhalb der pädagogischen Forschung gebräuchlich. Abbildung 5.2 kombiniert die ermittelte Selbsteinschätzung mit der Intensität der Nebenjobtätigkeit. Würde sich eine solche Tätigkeit negativ auf die Schulleistung auswirken, müssten vor allem Befragte, die keiner Tätigkeit nachgehen, von besseren Schulleistungen berichten. Dies ist aber erkennbar nicht der Fall. Laut Abbildung 2 macht es so gut wie keinen Unterschied für die erhobene selbsteingeschätzte Schulleistung, ob neben der Schule gearbeitet wird oder nicht. Zu lesen ist die Abbildung wie folgt: 32% der regelmäßigen Jobber schätzen sich als gute Schüler, 61% als mittlere Schüler und 7% als mäßige Schüler ein. Man könnte dementsprechend sogar den Eindruck gewinnen, als ob zumindest ein regelmäßiges Jobben die Schulleistung verbessert, da sich die wenigsten regelmäßigen Jobber als mäßige Schüler bezeichnen.31
31 Innerhalb des statistischen Testfundus stehen zur Überprüfung der Frage, ob es zwischen diesen beiden Variablen einen Zusammenhang gibt oder nicht, verschiedene Testverfahren zur Verfügung. Für unsere spezielle Fragestellung weist der chi²-Test einen Wert von chi² = 10.2. Bei 6 Freiheitsgraden ist dieser Wert nicht signifikant, d.h. der Test kann die Hypothese, dass sich die Nebenjobtätigkeit negativ auf die Schulleistung auswirkt, nicht bestätigen.
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
113
Der Zusammenhang von Nebenjob-Tätigkeit und Schulleistung
Abb. 5.2:
70
61
63
60
59 57
in Prozent
50 40 30
32
33 29 30
20 8
7
10
11
10
0 guter Schüler regelmäßig
mittlerer Schüler gelegentlich
in Schulferien
mäßiger Schüler nie
Auf Grund der Selbsteinschätzung wurden die drei Gruppen „gute/r“, „mittlere/r“, „mäßige/r“ Schüler/in gebildet.
Schmälern zeitintensive Nebenjobs die Schulleistung?
Um auch das zeitliche Engagement vergleichbar zu kontrollieren, wurde analog die wöchentliche Arbeitsbelastung mit der Schulleistung kombiniert, was Gegenstand der Abbildung 5.3 ist. Hierzu erhielten alle diejenigen Jugendlichen, die keinem Nebenjob nachgingen, den Stundenwert null. Allen anderen Befragten wurde den eigenen Angaben entsprechend eine wöchentliche Arbeitszeit zugeordnet. Allerdings mussten diejenigen Befragten, die angaben, nur in den Ferien zu jobben, aus der Analyse herausgenommen werden. Die Abbildung zeigt, dass mit der Zunahme an Wochenarbeitszeit der Anteil Befragter fällt, die sich selbst eine gute Schulleistung attestieren. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sich auch mehr Befragte als mäßige Schüler empfinden. Mit der Arbeitszeit nimmt einzig der Anteil an mittleren Schülern zu. Die Abbildung überschätzt dabei die tatsächlichen Effekte, da die wöchentliche Arbeitszeit in Gruppen zusammengefasst wurde. Im Datensatz liegt diese jedoch als kontinuierliche Variable vor, d.h. in diesem Fall lässt sich zur Überprüfung der Hypothese ein Testverfahren anwenden, welches Variablen mit Intervall- (Arbeitszeit) und Ordinalskalenniveau (Schulleistung) miteinander in Beziehung setzt. Hierzu dient z.B. der Spearman-Rangkorrelationskoeffizient (rho).
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Claus J. Tully
Dieser kennt Werte zwischen +1 (perfekt positiver Zusammenhang), 0 (keinerlei Zusammenhang) und –1 (perfekt negativer Zusammenhang). In unserem Fall ergibt sich ein Testwert von rho = 0.04; d.h. dass die Schulleistung mit steigender Arbeitsstundenanzahl schlechter wird. Allerdings ist der Wert so gering (fast an 0), dass von einer nichtsubstantiellen Beziehung auszugehen ist. Dies verdeutlicht auch der zugehörige t-Wert von t = 0.18, der angibt, dass diese Korrelation nicht signifikant ist, wir also die These eines Zusammenhangs verwerfen müssen. Auch an dieser Stelle zeigt sich, Nebenjobs haben keinen negativen Einfluss auf schulische Leistungen. Der Zusammenhang von Nebenjob-Stunden und Schulleistung
Abb. 5.3:
80
73
70 57
in Prozent
60
59
65 64
50 40 30
32
35 27 27 19
20
10
10
9 6 8
8
0 guter Schüler 0 Std./kein Job
bis 5 Std.
mittlerer Schüler bis 10 Std.
mäßiger Schüler
bis 20 Std.
über 20 Std.
Insofern lässt sich folgern: Weder die Ausübung eines Nebenjobs allein, noch die Zahl der gearbeiteten Stunden führt zu mangelhafter Schulleistung. Jobs, die gute Schüler ausüben
Wir können aber noch eine dritte These über einen möglichen Zusammenhang der beiden Sphären aufstellen: Die Art der Tätigkeit beeinflusst die Schulperformanz, und zwar derart, dass schulnahe Nebenjobs die Schulleistung verbessern, schulferne Nebenjob hingegen
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
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die Leistung verschlechtern. Diese These kann leider nur recht grob geprüft werden, weil nur die in Tabelle 5.5 (s.o.) dargestellten Nebenjobs im Fragebogen abgefragt wurden. Abbildung 5.4 lässt sich folgendermaßen lesen: Von allen Befragten, die keinen Nebenjob nachgingen, bezeichneten sich 32% als gute Schüler (im Kontrast dazu schätzten sich 31% der Nebenjobler als gute Schüler ein). Diese bereits bekannte Information dient hier lediglich als Vergleichspunkt. In Bezug auf die abgebildeten Tätigkeiten lässt sich nun sagen, dass es für die meisten Tätigkeiten keinen Unterschied in der selbstberichteten Schulleistung gibt. Einzig zwei Sonderfälle sind zu erwähnen: Schüler, die nebenbei Nachhilfe geben bzw. einer ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgehen, bezeichnen sich weit öfter als gute Schüler als ihre Pendants.32 Allerdings ist hier die Richtung des Einflusses zu berücksichtigen: Anstatt davon zu sprechen, dass Nachhilfe oder Ehrenamt die Schulleistung verbessern, wird wohl von der umgekehrten Richtung auszugehen sein, d.h. dass beide Jobs im Wesentlichen nur von guten Schülern ergriffen werden. Dies bedeutet aber, dass im Großen und Ganzen auch die Art der Tätigkeit keinen Einfluss auf die Schulleistung nimmt, diese These also auch zu verwerfen ist. Abb. 5.4: Anteil guter Schüler nach Art der Tätigkeit 50
46 40
40
26
27
29
Haushaltshilfe
30
Babysitting
in Prozent
34
33
32
30 24
20
Praktikum
Ehrenamt
Betrieb
Autos waschen
Prospekte austragen
Kellnern
Nachhilfe
0
kein Nebenjob
10
32 Diese Unterschiede sind entsprechend dem chi²-Test signifikant (chi²Nachhilfe = 16.1, df = 2; chi²Ehrenamt = 7.9, df = 2). Das heißt z.B., ein guter Schüler zu sein und einem Ehrenamt nachzugehen passt zusammen.
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Claus J. Tully
Zum Zusammenspiel von Arbeitserfahrungen und Schulleistung
Die letzte Frage lautet nun, ob positive Arbeitserfahrungen auch auf die Schule übertragen werden und hier zur Leistungssteigerung führen. Negative Erfahrungen hingegen könnten das Selbstbild schädigen und darüber auch in der Schule eine negative Wirkung entfalten. Um diese Fragestellung zu untersuchen, stehen uns die Arbeitserfahrungen aus Tabelle 5.9 zur Verfügung: erarbeitete Zufriedenheit, latente Konflikte, offene Konflikte. Abbildung 5.5 lässt sich so lesen, dass es zumindest für die negativ formulierte These empirische Anhaltspunkte gibt. Nur 24% der Befragten mit offenen Konflikterfahrungen gaben an, gute Schüler zu sein. Trotzdem reichen diese Unterschiede nicht, um von einen nicht zufälligen Zusammenhang zwischen Arbeitserfahrungen und Schulleistungen auszugehen. Sämtliche Korrelationen sind nahe an null bzw. null und nicht signifikant, d.h. wir können auch die vierte These eines Zusammenhangs zwischen Arbeitserfahrungen und Schulleistungen verwerfen.33 Der Zusammenhang von Arbeitserfahrung und Schulleistung (zu lesen in Verbindung mit Tabelle 5.9)
Abb. 5.5:
70
61
60
60
63
in Prozent
50 40 30
31
31 24
20
8
10
9
13
0
guter Schüler erarbeitete Zufriedenheit
mittlerer Schüler latente Konflikte
mäßiger Schüler offene Konflikte
33 Abbildung 5.5 überschätzt auch den tatsächlichen Effekt, da die Arbeitserfahrungen auf einer kontinuierlichen Skala von 1 bis 6 gemessen wurden und dementsprechend zur Hypothesenprüfung Spearman-Korrelationen (s.o.) benutzt werden können. Diese erbringen folgende Ergebnisse: rhoZufriedenheit = 0.02, rholat.Konflikte = – 0.01, rhooff.Konflikte = – 0.02.
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
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Nebenjob und Schule stehen, so kann gefolgert werden, in keinem konkurrierenden Verhältnis, sie beeinflussen sich weder positiv noch negativ. Sie koexistieren. Um dieses Urteil anhand einer letzten empirischen Analyse zu festigen, werden zum Schluss noch einige Korrelationen vorgestellt, und zwar deshalb, weil die selbsteingeschätzte Schulleistung möglicherweise nur ein schwacher Indikator für das tatsächliche Verhalten in der Schule und die Einstellungen zu ihr ist. Grundlage für die folgenden Auswertungen sind vier weitere schulbezogene Variablen: (a) die Anzahl an Stunden, die Schüler pro Woche für das schulische Lernen aufwenden („zeitlicher Aufwand für Lernen“); (b) die Einschätzung, ob man sich nach der Schule erschöpft fühlt oder nicht („physische Verfassung“); die beiden letzten Variablen c) „Einstellung zur Schule: kritisch“ und d) „Einstellung zur Schule: positiv“ umschreiben generelle Einstellungen, die man zur Schule einnehmen kann. Hinter der kritischen Einstellung verbergen sich die Aussagen „Die Schule ist verschwendete Zeit, weil man außerhalb der Schule Wichtigeres lernen kann“, „Die Schule ist wirklichkeitsfern, bringt wenig Interessantes“ und „Die Schule hat angesichts der Lernmöglichkeiten durch die neuen Medien keine Zukunft mehr“. Die positive Einstellung umfasst folgende Items: „Die Schule macht mir Spaß, weil ich gern lerne“, „Die Schule ist für mich ein Ort, wo ich persönliche Anregungen durch die Lehrer und Freunde bekomme“, „Die Schule vermittelt Basiswissen für den späteren Beruf“ und „Die Schule gibt Anregungen für meine Interessen“. Wie Tabelle 5.13 zeigt, sind nur 6 von 28 Korrelationen signifikant und drei dieser sechs Korrelation sind sehr nahe an null, sie sind also als Nichtzusammenhang zu lesen. An dieser Stelle müssen die einzelnen Korrelationen nicht interpretiert werden. Insgesamt hat es den Anschein, als ob das Jobben wenig Einfluss auf das tatsächliche Verhalten in der Schule habe, möglicherweise werden die Einstellungen zu ihr geprägt. Die Korrelationen nahe null besagen, Job und Schule koexistieren, ohne sich zu beeinflussen. Insbesondere positive Erfahrungen, zu denen auch die latenten Konflikte gezählt werden können, da sie der Persönlichkeitsentwicklung dienen dürften, sind geeignet, die Einstellung zur Schule, die Einsicht in ihre Vorteile und Potentiale, zu verbessern. Nur dann, wenn tatsächlich negative Erfahrungen gesammelt werden, wird die Schule in etwas kritischerem Lichte betrachtet. Dies führt uns dazu, die These zu formulieren, dass Nebenjobs der schulischen Leistung in keiner Weise abträglich, aber auch nicht wirklich zuträglich sind. Positive Arbeitserfahrungen verbessern ten-
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Claus J. Tully
denziell die Einstellung der Schule gegenüber, während sie sich im Falle negativer Erfahrungen verschlechtert. Im letzten Fall mag man vielleicht die Schule und die von ihr vermittelten Kompetenzen für die Probleme in der Arbeitswelt verantwortlich machen. Hierzu allerdings sind weitere empirische Untersuchungen angesagt. Tab. 5.13: Zusammenhänge zwischen Job- und Schul-Variablen (Spearman-Korrelationen) Schule Job Nebenjob: Ja Arbeitsstunden pro Woche Tätigkeit: Nachhilfeunterricht Tätigkeit: Ehrenamt
a) Zeitlicher Aufwand für Lernen
b) Physische Verfassung
–
–
–
c) Einstellung zur d) Einstellung zur Schule: kritisch Schule: positiv –
–
–
–
–
.10** (lies: wenn Nachhilfe als Job, dann mehr Aufwand für Lernen)
–
-.06* (lies: wenn Nachhilfe als Job, dann weniger kritische Einst. zur Schule)
–
–
–
–
Arbeitserfahrung: erarbeitete Zufriedenheit
–
–
–
Arbeitserfahrung: latente Konflikte
–
–
–
Arbeitserfahrung: offene Konflikte
–
-.08** (lies: je mehr Konflikterfahrung, desto schlechter phys. Verfassung)
– .12** (lies: je mehr erfüllende Erfahrungen, desto eher Schule positiv bewertet) .06* (lies: je mehr latente Konflikte, desto eher Schule positiv bewertet)
.06* (lies: je mehr Konflikterfahrung, desto kritischer Einst. zur Schule)
–
* p<.05, ** p<.01
5.5 Budget und Ausgabeverhalten der befragten Schülerinnen und Schüler
Nebenjobs stellen eine wichtige Einnahmequelle der Jugendlichen dar. Sie sind aber nicht die einzige Quelle – Taschengeld, Geburtstagsgeld und andere Zuwendung kommen noch hinzu. Insofern soll im nachfolgenden Teil über die Nebenjobs hinausgehend die tatsächliche finanzielle Situation der Jugendlichen sowie ihr Konsumverhalten be-
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
119
trachtet werden. Über die monatlichen Einkünfte der von uns befragten Jugendlichen unterrichtet uns Tabelle 5.14. Aus ihr geht hervor, dass eine Mehrheit von zwei Dritteln der Jugendlichen im Monat bis zu 100 Euro zur persönlichen Verfügung haben. Ein weiteres Drittel besitzt zwischen 100 und über 300 Euro. Tab. 5.14: Monatliches Budget der Jugendlichen (abgerundete Spaltenprozente) Betrag N 0 – 50 Euro 51 – 100 Euro 101 – 150 Euro 151 – 200 Euro 201 – 300 Euro Über 300 Euro
Gesamt 1867 40,7 25,8 9,6 7,3 8,0 8,5
< 16 Jahre 249 68,7 19,7 4,0 3,6 2,0 2,0
Alter 16/17 Jahre 1008 47,5 28,2 8,5 6,6 4,5 4,7
> 17 Jahre 594 17,5 23,9 13,6 10,3 16,8 17,8
Hauptschule 428 54,7 24,3 5,4 7,9 3,0 4,7
Schulform RealGymnaschule sium 483 503 52,2 39,4 27,5 27,8 7,5 12,5 4,3 7,0 4,3 8,5 4,1 4,8
Berufl. schule 453 16,6 23,2 12,8 10,4 16,1 21,0
Inwieweit diese durchschnittlichen Einkünfte mit diversen soziodemographischen Angaben variieren, zeigt Tabelle 5.15. Im Mittel berichten die befragten Jugendlichen von 123 Euro an Einkünften im Monat. Dieser Wert muss mit Blick auf die Altersstruktur und vor allem die Schulstruktur der Stichprobe interpretiert werden: Das monatlich verfügbare Geld steigt nämlich rasant mit dem Alter und damit auch dem Besuch einer beruflichen Schule an. Ebenfalls ein recht starkes Einkünftegefälle existiert zwischen ostdeutschen und westdeutschen Befragten, da Letztere um die Hälfte mehr an Geld zur Verfügung haben. Weit geringer fallen hingegen die Geschlechtsunterschiede aus: Männer haben etwa 10 Euro mehr im Monat. Stadt-LandDifferenzen fallen hier nicht ins Gewicht und auch zwischen den Statusgruppen bestehen nur schwache Unterschiede.
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Claus J. Tully
Tab. 5.15: Durchschnittliche Einkünfte der Jugendlichen nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen
Geschlecht
Alter
Herkunft
soziographisches Merkmal
N 2064
Einkünfte in Euro
963
128
Mädchen
1068
118
< 16 J. 16/17 J. > 17 J.
268 1097 658
64 95 194
Region
West Ost
1064 1000
145 98
Schultyp
Jungen
Status der Eltern
N
Einkünfte in Euro
Niedrig Unteres Mittel Oberes Mittel Hoch
363 922
128 115
294 165
149 122
Stadt Land
994 1070
126 119
Hauptschule Realschule Gymnasium Berufl. Schule
503 523 523 515
90 87 107 208
Dieses Geld geben die Jugendlichen nun wie folgt aus (vgl. Tabelle 5.16): An erster Stelle stehen CDs, Zeitschriften und Bücher, dicht gefolgt vom Handy, das in den letzten Jahren eine enormen Siegeszug im Jugendalltag angetreten hat (vgl. Kap. 8.). Dass den Jugendlichen die Unterhaltung wichtig ist, beweist die hohe Ausgabenquote für Kino und Konzerte. Auf den nachfolgenden Positionen und schon mit gehörigen Abstand folgen Kleidung und Computer. Den Rest des Budgets teilen sich diverse Ausgaben für Fortbewegungsmittel, Schulbedarf, Internet, Reisen usw. Der eigene Lebensunterhalt in Form von Nahrungsmitteln und Mieten muss von den Jugendlichen meistens (noch) nicht bestritten werden. Tab. 5.16: Ausgaben Jugendlicher nach Häufigkeit und Alter (in %) Ausgaben CD, Zeitschriften, Bücher Handy Kino, Konzerte Bekleidung/Schuhe Computerspiele Auto, Motorrad, Bus Schulbedarf PC, Internet Reisen Vereinsbeiträge Essen, Lebensmittel Miete, Wohngeld
Gesamt N = 2064 80,0 67,2 64,2 36,4 35,9 21,2 18,0 17,4 12,6 8,6 6,3 2,5
< 16 Jahre N = 268 76,8 62,7 53,7 26,1 33,6 7,8 10,8 13,1 1,9 4,9 2,6 0,0
Alter 16/17 Jahre N = 1097 78,5 67,0 59,2 30,1 35,3 14,7 13,3 14,7 6,1 5,7 3,9 1,3
> 17 Jahre N = 658 82,4 69,3 76,9 51,2 37,8 37,4 28,9 23,7 27,7 14,9 11,7 5,5
Der Nebenjob – Alltagslernen jenseits der Schule
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Sehr auffällig ist, dass für die älteste Befragtengruppe der über 17Jährigen alle Ausgabengebiete an Relevanz gewinnen, das heißt, sie geben für alle Kategorien höhere Werte an. Wichtig aber ist auch, dass für die einzelnen Altersgruppen Unterschiede beim Ausgabeverhalten zu identifizieren sind. „Auto, Motorrad, Bus“ wie auch „Reisen“ oder „Essen/Lebensmittel“ spielen bei den unteren Altersgruppen eine sehr geringe, bei den oberen jedoch eine merkliche Rolle (vgl. Tab. 5.16). Insofern bestreiten diese Personen mit ihren gestiegenen Einkünften auch ein Mehr ihres Lebensunterhalts. Wichtiger als die Höhe der einzelnen Posten ist die Reihenfolge der Ausgaben, d.h. die Präferenzordnung der einzelnen Altersgruppen. Während Handy, CD und Bücher sowie Computerspiele für alle Altersgruppen ihre Bedeutung behalten, wird für die über 17-Jährigen das eigene Erleben in Form von Kino, Konzerten und Reisen wichtiger. 5.6 Fazit
Aus der Sicht der Jugendlichen sind Nebenjobs wichtig. Ein knappes Drittel der von uns Befragten jobbt regelmäßig, fast ein Viertel jobbt gelegentlich, in den Ferien arbeitet ein Fünftel. Diese Jobs bringen Geld und gestatten eigenständigen Konsum. Das heißt, der Nebenjob ist zunächst ökonomisch motiviert, da über ihn finanzielle Freiräume geschaffen werden. Aber auch wenn es letztlich „nur“ um Konsum geht, so gilt es hier die besonderen jugendspezifischen Bedingungen zu bedenken. Jugendliche sind heute länger denn je in das schulische Qualifizierungssystem eingebunden, d. h. viele Schritte hin zu regelmäßiger Beschäftigung sind biographisch aufgeschoben, der reguläre Übergang vom Bildungs- in das Beschäftigungssystem findet später statt. Parallel zu dieser Entwicklung zeigt sich ein weiteres interessantes Phänomen auf dem Arbeitsmarkt: Heute gibt es ein hoch flexibles Beschäftigungssystem, das vielfach Jobs anbietet, die keine kontinuierliche Beschäftigung und auch keine umfassende Qualifizierung mehr voraussetzen. Insofern haben Nebenjobs von Schülerinnen und Schülern zwei Voraussetzungen: einen verändernden Jugendstatus und einen neuen Arbeitsmarkt, der zeitlich befristete Jobs offeriert. Auf dieser Grundlage wird es möglich, in der für den Jugendstatus typischen Form der ökonomischen Abhängigkeit zu leben und gleichzeitig die zum Erwachsenwerden gehörende Verselbständigung zu praktizieren. Zur Verselbständigung gehört das Leben eigener Stile,
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Moden, die Entfaltung eines eignen Musikgeschmacks und anderes mehr. Da die Jugendphase in immer größerem Maße eine kommerzialisierte geworden ist, gehört die Disposition über eigene finanzielle Mittel unabdingbar dazu. Wer sich nicht sozial ausschließen will, ist auf ein Handy, auf modische Attribute und anderes mehr angewiesen. All dies setzt finanzielle Mittel voraus. Ein wesentlicher Nebeneffekt ist dabei allerdings auch, dass Schülerinnen und Schüler auf diese Weise Erfahrungen in der Arbeitswelt sammeln, von der sie tendenziell bis zum 19. Lebensjahr qua ihrer Schülerexistenz ausgeschlossen waren. Jugendliche lernen also sehr praktisch, ihr eigenes Dasein zu organisieren und ihre Bezüge zur Gesellschaft zu entfalten. Sie sammeln arbeitsweltbezogene Erfahrungen, sie verdienen Geld, sie konsumieren und sichern ihren sozialen Status des „selbständigen“ Schülerseins. Bei genauerer Sichtung des Datenmaterials lassen sich wichtige Differenzierungen bezüglich der Nebenjobs ausmachen. Zu erkennen sind (1.) ein Alterseffekt, (2.) Herkunftsunterschiede (Ost/West) und (3.) Bildungsdifferenzen. Unterschiede im Hinblick auf das Geschlecht, die Region (Stadt/Land) oder Statusgruppen sind kaum auszumachen. Was die Motive für das Jobben betrifft, so beschränken sich diese nicht allein auf den Einkommenserwerb. Über die Hälfte der befragten Jobber will einfach „etwas Sinnvolles tun“. Arbeiten ist Vorbereitung auf das zukünftige Leben: berufsbezogene Motive („Erfahrungen in Arbeitswelt“, „Fähigkeiten entwickeln“), aber auch lebensweltbezogene Motive („sich in der Erwachsenenwelt bewegen“) spielen eine Rolle. Eher weniger verbreitet ist die schiere Notwendigkeit zu jobben („um Lebensunterhalt zu bestreiten“) bzw. der Zwang, dies zu tun, „weil ich es muss“. Soziale Motive bei Nebenjobs spielen vor allem für junge Frauen eine größere Rolle als bei jungen Männern („um Leute kennen zu lernen“, „sich sozial einzusetzen“). Zusammengefasst ergibt sich damit folgende Reihung: Das wichtigste Motiv, um einen Nebenjob aufzunehmen, ist das Geld. Mit gehörigem Abstand folgen zukunftsbezogene, insbesondere berufsbezogene Motive. Danach finden sich soziale Motive und zu guter Letzt gibt es auch von außen auferlegte Gründe. Betrachtet man die Motive differenziert nach Geschlecht, so sind substantielle Unterschiede mehrfach erkennbar, wobei eindeutig ist, dass weibliche Befragte insbesondere bei sozialen Motiven („um Leute kennen zu lernen“, „damit ich mich sozial einsetzen kann“) höhere Zustimmungsraten aufweisen. Ein vergleichbarer
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Trend lässt sich auch für die Items „Sinnvolles tun/Verantwortung übernehmen“ und „mit Freund/in zusammen Spaß haben“ ausmachen. Der „flexible Mensch“, wie ihn Richard Sennett (1998) beschreibt, ist in der von den Jugendlichen praktizierten Patchworkbiographie schon angelegt (vgl. Tully 2004). Sie leben, was für Jugendliche ohnehin typisch ist, „jetzt“. Zugleich sind sie bereit zu changieren. Die von uns festgestellte hohe Bereitschaft zur Aktivität in der Schule, aber auch im Job, steht für die auch in anderen Studien diagnostizierte Flexibilität Jugendlicher. Sie scheint das Pfund zu sein, mit dem sie ihre Zukunft absichern und möglich machen wollen. Sie sind bereit, sich dem schnellen und anforderungsreichen sozialen Wandel zu stellen und beweisen dies auch praktisch, wenn sie sich in parallelen Welten zu arrangieren wissen. Netzwelt, Schule, Nebenjob, Musik und Freunde lassen sich parallel schalten, es gilt, unterschiedliche Anforderungen „auf die Reihe zu kriegen“.
Peter Wahler 6
Sport – mit Bewegung lernen
6.1 Sportliche Leitbilder und jugendliche Entwicklung
Der Sport bietet seit jeher ein Feld für selbstbestimmte Aktivitäten in der Jugendphase. Für männliche Jugendliche hat dies schon seit langer Zeit Tradition, in den letzten Jahrzehnten haben auch immer mehr weibliche Jugendliche dahingehende Präferenzen entwickelt.34 Dahinter stehen gesellschaftliche Wandlungsprozesse, die dem Sport nicht nur zu einem besonderen Rang im gesamten Freizeitsektor verholfen haben, sondern auch den zugehörigen Sinn- und Erlebniszusammenhang betreffen. So ist z.B. die öffentliche Zuschreibung von Leistung und Erfolg, aber auch die Thematisierung der Lebensalter heute ohne sportliche Konnotationen und Metaphern kaum mehr denkbar. In der medialen Darstellung fungieren „sportlich“ und „jugendlich“ als austauschbare Attribute: Wer jung ist, zählt als leistungsfähig, schwungvoll, erfolgsorientiert, gesund; umgekehrt gilt sportlich zu sein als erstrebenswerte Eigenschaft, die zu jugendlichem An- und Aussehen verhilft. Es gibt wohl kaum einen Bereich der Gesellschaft, in dem die körperliche Leistungsfähigkeit und das (noch nicht erreichte) Alter so uneingeschränkt über die gesellschaftliche Anerkennung entscheidet wie im Sport, wobei solche Zuschreibungen, wie verschiedentlich feststellt wurde (vgl. Ziehe 1986; Zinnecker 1989), weniger von Jugendlichen vorgenommen werden als ein Produkt der Erwachsenenwelt sind. Die fortwährende öffentliche Thematisierung betrifft nicht nur den Leistungssport und seine Mythen („die Jugend der Welt versammelt sich alle paar Jahre zum friedlichen Wettstreit“), sondern sie umgreift auch das Leitmotiv körperlicher Attraktivität und Fitness, das in seiner 34 Vor gut einem Jahrzehnt formulierte J. Zinnecker: „Sportlich zu sein, eine oder mehrere Sportarten zu pflegen, Sportereignisse bzw. Sportprodukte zu konsumieren, das gehört heute zum selbstverständlichen Lebensalltag von Jugend – ja wir dürfen mit nur geringer Übertreibung behaupten, daß sportive Praxen zur jugendspezifischen Altersnorm gehören“ (Zinnecker 1989, S. 136).
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immer wieder neu inszenierten Medienpräsenz über den normativen Stellenwert solcher Leitbilder in der Gesellschaft Auskunft gibt. Folgt man diesen Leitbildern, so stellen persönliche Anziehungskraft und körperliches In-Form-Sein entscheidende und unverzichtbare Bedingungen des individuellen Erfolgs in modernen Gesellschaften dar, und dieses Erfolgsversprechen scheint kaum an geographische oder kulturelle Grenzen gebunden. Eine eher biographische Einschränkung ist aber festzustellen: Während die Förderung von Fitness und Gesundheit eine wesentliche Rolle bei der medialen Aufbereitung von Sport und Körper spielt, steht sie beim Interesse der Jugendlichen am Sport nicht unbedingt im Vordergrund.35 Die Erfahrung, dass das Arbeitsleben einerseits für einen Verschleiß der körperlichen Kräfte sorgt, andererseits aber die volle Leistungsfähigkeit fordert, ist zu diesem biographischen Zeitpunkt noch nicht so gegenwärtig wie bei Erwachsenen, die Defizite ihrer Leistungsfähigkeit feststellen und in einem persönlichen Fitnessprogramm feierabends durch die Parks joggen oder ihre Körper im Studio „modellieren“. Jugendliche haben demgegenüber einen ganz anderen Ausgangspunkt: Sie wollen ihre körperlichen Fähigkeiten erst einmal erfahren, kennen lernen und auf die Probe stellen. Dieses Ausprobieren der eigenen Person und ihrer Fähigkeiten fällt mit einer biographischen Phase zusammen, in der Jugendliche ihre sozialen Kontakte selbständig gestalten und sich eine eigene Beziehungswelt aufbauen. In diesen Prozess sind auch die sportlichen Aktivitäten eingebunden (vgl. Brinkhoff 1998). Lernprozesse im traditionellen Freizeitsektor des Sports nehmen deshalb einen besonderen Platz beim informellen Lernen ein. Hier können Jugendliche ihre Kenntnisse und Fertigkeiten entlang ihrer körperlichen Ressourcen selbstbestimmt entwickeln und ihre individuelle Leistungsfähigkeit und ihre Grenzen ausloten. Dieser Prozess hat nicht nur von der Wahrnehmung her, sondern auch der Sache nach etwas Spielerisches an sich, weil die Grenzen der Leistungsfähigkeit erst einmal erfahren werden müssen, bevor sie wei35 Wenn man die alarmierenden Befunde zum Bewegungsverhalten der gegenwärtigen jüngeren Generation betrachtet (vgl. Klaes u.a. 2000), so liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem von Zinnecker beschriebenen Sportengagement um eine generationsspezifische Altersnorm handeln könnte. Langzeitveränderungen lassen sich mit den hier vorgestellten Daten nicht überprüfen. Aktuelles Material findet sich auch im jüngst erschienenen Kinder- und Jugendsportbericht (vgl. Schmidt u.a. 2003).
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terentwickelt und systematisch verändert werden können. Als spielerisch ist der Lernprozess auch deshalb zu charakterisieren, weil Spaß und soziale Begegnung vorherrschende Motive darstellen, während die Auseinandersetzung mit gegebenen Standards und der wettbewerbsorientierte Leistungsvergleich zwar aus dem Sport nicht wegzudenken sind, gleichwohl aber nicht das primäre Motiv sporttreibender Jugendlicher ausmachen. Für sie stehen die vielfältigen Gelegenheiten zum sozialen Lernen in der Altersgruppe im Vordergrund und an dieses Bedürfnis nach sozialen Kontakten ist zunächst auch die spielerische Betätigung und der sportliche Kräftevergleich gebunden, zumal damit wichtige Erfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung in dieser biographischen Phase verknüpft sind. Hierzu gehört auch der Vergleich körperlicher Eigenarten und Fähigkeiten, mit dem Jugendliche ja nicht erst im Schulunterricht konfrontiert werden, vielmehr ist ihnen dieser Prozess schon aus Kindergruppen geläufig, wo bereits Leistungen verglichen und Fertigkeiten festgestellt werden. Dass solche Leistungsunterschiede sich in Rangfolgen niederschlagen, macht insofern auch keinen gänzlich neuen Lernschritt für die Heranwachsenden aus, hier greift beispielsweise der Schulsport Differenzierungen auf, die z.T. schon vorher existierten. Im Zusammenhang des jugendlichen Selbstfindungsprozesses bekommt der spielerische Fähigkeitsvergleich allerdings eine besondere Bedeutung: Die mit sportlicher Leistung verbundene Anerkennung stellt eine wichtige Möglichkeit persönlicher Selbstwerterfahrung und zugleich sozialer Verortung dar. Insbesondere unter der letzteren Perspektive – Stichwort soziale Integration – wird der Sport immer wieder in Wissenschaft und Öffentlichkeit thematisiert, und die institutionelle Einbindung in die Sportorganisationen gilt ebenso als bildungsträchtiges Element des Heranwachsens wie das schulische Lernen. Gerade an das in der sozialen Gruppe stattfindende Lernen sind erhebliche Erwartungen hinsichtlich der Sozialisationswirkung des Sports geknüpft. In den letzten Jahrzehnten wurde dieser Sachverhalt zunehmend Gegenstand sozialwissenschaftlicher Studien (vgl. Brettschneider u.a. 1989; Rose 1991; Brettschneider/Baur/Bräutigam 1989; Brinkhoff 1998; kritisch dazu Heim/Brettschneider 2002) und sozialpädagogischer Programme (vgl. Haag/Hummel 2001; Pilz/Böhmer 2002). Auch wenn in der öffentlichen Darstellung vor allem der Leistungssport samt den dazugehörigen Sinndeutungen (vom „verdienten Sieg“ und der „schicksalhaften Niederlage“) die Aufmerksamkeit auf sich zieht, so steht unter sozialisatorischen Gesichtspunkten
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die alltägliche Sportpraxis, die sich zu einem nicht geringen Teil in der vertrauten Welt des Vereinslebens abspielt, stärker im Blickpunkt. Welchen Rang der Sportverein in der organisierten Freizeitgestaltung Jugendlicher einnimmt, belegen die Daten einer DJI-Studie, die der Mobilität Jugendlicher gewidmet war: Etwa zwei Drittel der angegebenen Vereinsmitgliedschaften fallen auf den Sport und zeigen damit die überragende Bedeutung dieser Institutionen. Tab. 6.1:
Vereinsmitgliedschaft nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (in %)36
Vereinsmitglied/ Vereinsart N Nein Ja Davon: Turn-/Sportverein Soziale Organis. Kirchl. Organis. Feuerwehr Musikverein Pol. Partei Gewerkschaft Schützenverein Naturschutzgr. Computerclub
Geschlecht Alter Schulform Jungen Mäd- < 16 J. 16/17 > 17 J. Haupt- Real- Gym- Berufl. chen J. schule schule nasium Schule 4417 2166 2247 554 1039 2824 131 349 752 871 48,6 38,7 57,9 44,0 45,6 50,6 48,8 45,8 38,6 55,2 51,4 61,3 42,1 56,0 54,4 49,4 51,2 54,2 61,4 44,8
Gesamt
65,3 10,6 9,9 8,1 6,4 6,0 4,8 4,5 4,1 4,0
65,8 9,1 8,4 11,6 4,7 7,7 5,5 5,5 3,6 5,8
64,5 12,7 12,0 3,3 8,6 3,7 3,8 3,1 4,8 1,4
74,2 5,1 12,2 8,1 5,1 2,7 0,7 6,8 2,0 6,4
71,6 8,7 9,8 10,5 8,5 3,9 1,3 4,6 1,8 6,1
60,7 12,7 9,4 7,1 5,8 7,6 7,1 4,0 5,5 2,6
69,8 7,9 3,2 15,9 7,9 1,6 3,2 12,7 0,0 11,1
73,7 4,5 6,7 16,9 2,8 3,9 0,0 2,3 2,2 5,6
76,8 10,4 15,5 2,9 8,4 3,5 0,4 4,4 3,1 5,7
63,1 9,3 6,3 15,8 3,5 5,7 9,8 5,2 1,6 2,2
Über das mit großer Tradition behaftete Segment des Vereinssports hinaus hat in den letzten Jahrzehnten eine unorganisierte, aber wachsende Freizeitbewegung, die immer neue sportliche Betätigungen ergreift und schafft, den gesellschaftlichen Stellenwert sportlicher Betätigung und körperlicher Leistungsfähigkeit besonders augenfällig werden lassen. Trimmen, Joggen, Skaten, Langlaufen, Aerobic, Snowboarden, Bodybuilding und Fitness sind nur einige Beispiele dafür, wie das Interesse an der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Spaß an der Freizeit eine Verbindung eingehen, die abseits der herkömmlichen Bahnen des vereinsgebundenen sportlichen Engagements verläuft und nicht nur Jugendlichen mehr Freiheit in der Gestaltung ihrer Aktivitäten bietet. Hierbei geht es nicht so sehr um leistungsträchtige und wettkampfbetonte sportliche Aktivitäten, sondern eher „um un36 Die Zahlen entstammen dem Datenband (Tully/Schulz 2000) der Mobilitätsstudie „U.Move“ (Hunnecke/Tully/Bäumer 2002).
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mittelbares sinnliches Erleben, changierende Körper-, Bewegungsund Selbsterfahrungen, freudvolles Genießen und vielfältige soziale Kontakte“ (Brettschneider/Baur/Bräutigam 1989, S. 8). Fitness und Schönheitsideale sowie Selbsterleben und Selbsterfahrung sind Leitwerte für diese neue Sportlichkeit, die aber nicht in Konkurrenz mit, sondern eher neben den traditionellen leistungs- und gruppenspezifisch betriebenen Sportarten steht. Besonders den so genannten „FunSportarten“ wie z.B. Skaten und Snowboarden kommt hierbei eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit zu, weil sie modisches Trendsetting, marktträchtige Innovation und individualisierte Selbstdarstellung vereinen. Das Erleben von Bewegungs- und Körpererfahrungen steht dabei im Mittelpunkt und für die Verfolgung der damit verbundenen Schönheits- und Fitnessideale spielt das Bedürfnis nach individueller Handlungsautonomie eine mindestens ebenso bedeutsame Rolle wie das Bedürfnis nach sozialer Kommunikation und Anerkennung.37 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen nahm der Bereich des Sports im Spektrum unserer Fragen deshalb eine Sonderstellung ein. Wir haben neben der Interessensdimension auch die vielfältigen entsprechenden Aktivitäten erhoben, weil beide Dimensionen wichtige Indikatoren für die persönlichen Präferenzen im Freizeitsektor darstellen, wobei die Freizeitinteressen mehr auf der mentalen und affektiven Ebene von Werten und Motivationen angesiedelt sind, die bekundeten Aktivitäten hingegen sehr viel näher an den praktischen Handlungen der Jugendlichen liegen.
37 Unter Bezug auf die Studien von Elias hat Zinnecker seinerzeit die Phänomene folgendermaßen charakterisiert: „Das Grundmodell dieser sportlichen Übungen ist strikt individualistisch; der narzisstische Charakter kaum zu übersehen. Die Bewegung steht im Dienste des Selbstwertgefühls, der meditativen Sinnsuche, der erlebnisbezogenen Steigerung der persönlichen Befindlichkeit. Der Körper im Dienste individuellen Befindlichkeits-Managements und jugendlicher Lebens-Sinnsuche. Im Sinne der Zivilisationstheorie handelt es sich um ein privilegiertes Übungsfeld für einen spezifisch modernen Verhaltensstandard, die Selbststeuerung“ (1989, S.154). Nach gut einem Jahrzehnt fortschreitender „Individualisierung“ wäre heute vielleicht davon zu sprechen, dass es sich um ein ganz alltägliches (Übungs)Feld für einen spezifisch modernen Verhaltensstandard, die Selbstdarstellung, handelt.
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6.2 Sportliche Interessen und Aktivitäten – Fragestellungen der Studie
Auf die Interessen bezogen war unsere Frage nach dem Besuch von Sportveranstaltungen, auf die Aktivitätsdimension und insbesondere den Sachverhalt, ob die Jugendlichen selbst Sport treiben, zielte ein zweiter Fragekomplex. Das Interesse an Sport liegt natürlich beiden Fragen zugrunde, mit den eigenen Aktivitäten auf diesem Gebiet verfügen wir aber über einen härteren Indikator, weil damit die Handlungsdimension erfasst wird. Während diese Fragen noch das herkömmliche Themenspektrum von Freizeitstudien betreffen, haben wir mit unseren Nachfragen versucht, uns Schritt für Schritt an die Lernprozesse heranzutasten, die für Jugendliche auf dem Gebiet des Sports bedeutsam sind, wobei von vorneherein klar war, dass eine standardisierte Erfassung von Lernvorgängen den subjektiven Sinnbezügen wenig Raum gibt und damit der Analyse Grenzen setzt. Im Weiteren wurde bezüglich der Aktivitäten nicht nur die Art des sportlichen Engagements erhoben, sondern auch der zeitliche Umfang und der soziale Interaktionszusammenhang, in dem sportliches Lernen stattfindet. Dem eigentlichen Kern informellen Lernens im Sport haben wir uns mit zwei weiteren Fragen zu nähern versucht, von denen die eine den Lernerfolg (oder -effekt) offen erfragt hat, die andere hingegen auf die Einschätzung der eigenen Kompetenz zielt, also gleichsam das subjektive Ergebnis stattgefundener Lernprozesse bilanziert und damit kognitive und motivationale Dimensionen verbindet. 6.3 Schwerpunkte der sportlichen Aktivitäten
Was zunächst den Besuch von Sportveranstaltungen betrifft, so bewegen sich die Skalenwerte geringfügig über dem Mittelwert in Richtung Ablehnung. Wie zu erwarten ist das Antwortverhalten dabei stark geschlechtsspezifisch ausgeprägt. Unter den Männern ist der Besuch von Sportveranstaltungen stärker verbreitet, unter den Frauen und jungen Mädchen weniger. Die zweite Frage nach dem Interesse daran, aktiv Sport zu treiben wurde wesentlich klarer bejaht. Mit einem Mittelwert von 2,6 bei sechs vorgegebenen Abstufungen liegen die Antworttendenzen eindeutig im zustimmenden Bereich, auch hier ergeben sich allerdings wieder große geschlechtsspezifische Unterschiede: Bei den Männern
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wird die Frage mit 2,4 im Mittelwert bejaht, bei den Frauen mit 2,9. Die jungen Frauen sind also nicht ganz so aktiv in sportlicher Hinsicht wie die jungen Männer. Stärkere Unterschiede sind auch hier bei den Schulformen zu registrieren: die Gymnasiasten stellen mit 2,4 den aktivsten Part, während die Real- und Berufsschüler mit 2,8 etwas weniger aktiv sind. Altersunterschiede sowie Unterschiede nach östlichen und westlichen Bundesländern sind bei dieser Frage zu vernachlässigen. Tab. 6.2:
Interesse am Sport nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (Mittelwerte*)
Interesse am…
Besuch von Sportveranstaltungen aktiv Sport treiben
Gesamt
3,6 2,6
Geschlecht Alter Schulform Jun- Mäd- < 16 J. 16/17 > 17 J. Haupt- Real- Gym- Berufl. gen chen J. schule schule nasium Schule 3,2 3,8 3,5 3,5 3,7 3,4 3,5 3,5 3,8 2,4
2,9
2,6
2,6
2,6
2,6
2,7
2,4
2,8
*auf einer Antwortskala von „1 – sehr stark“ bis „6 – überhaupt nicht“
Die in Tabelle 6.2 dargestellten Zusammenhänge wurden mit einer multiplen Varianzanalyse mit zwei abhängigen Variablen (Interesse am Besuch von Sportveranstaltungen und Interesse am aktiven Sporttreiben), zwei Faktoren (Geschlecht und Schulform) und einer Kovariaten (Alter) überprüft. Für den Besuch von Sportveranstaltungen ergibt sich lediglich ein signifikanter Haupteffekt für das Geschlecht (F = 78.69, p<.001, eta2 = .038). Jungen haben demnach ein deutlich größeres Interesse am Besuch von Sportveranstaltungen als Mädchen. Alter und Schultyp haben demgegenüber keinen Einfluss auf das Interesse am Besuch von Sportveranstaltungen. Für das Interesse am aktiven Betreiben von Sport ergeben sich signifikante Haupteffekte für beide Faktoren (Geschlecht: F = 63.69, p<.001; eta2 = .031; Schultyp: F = 6.49, p<.001; eta2 = .010), während das Alter abermals keinen Einfluss hat. Analog zum Interesse an Sportveranstaltungen ist auch das Interesse an aktivem Sport bei Jungen stärker ausgeprägt als bei Mädchen. Der Einfluss des Schultyps äußert sich darin, dass Gymnasiasten ein größeres Interesse an aktivem Sport haben als Real- und Berufsschüler. Wenn wir uns die bevorzugten sportlichen Aktivitäten im Einzelnen ansehen, dann finden wir ein breites Spektrum an sportlichen Tätigkeiten, denen die Jugendlichen nachgehen. Auf unsere Frage, in welchen Bereichen sie in ihrer Freizeit aktiv seien, haben wir für den Sport das Bild von Tabelle 6.3 erhalten:
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Tab. 6.3: Sportart
Fußball Radfahren Jogging Inline/Skateb. Schwimmen Fitness/Kraft Basketball Volleyball Tanzen Reiten
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Die 10 beliebtesten Sportarten nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (in. %) Gesamt N= 1760 28,7 26,4 15,3 13,0 12,0 11,6 11,3 10,2 9,0 6,4
Geschlecht Jun- Mäd- < 16 J. gen chen 51,9 6,7 28,8 23,0 29,8 27,2 9,0 21,6 8,2 9,2 16,6 9,5 8,2 15,4 14,4 11,6 11,7 5,3 17,9 4,8 11,1 6,6 13,8 11,1 2,0 15,5 6,6 0,6 11,8 7,8
Alter 16/17 > 17 J. J. 29,9 26,9 27,0 25,3 14,7 19,5 13,7 13,4 10,6 12,7 10,2 17,2 11,3 11,1 8,8 12,5 9,8 8,6 6,5 5,4
Hauptschule 36,0 20,5 9,1 11,2 13,7 7,2 15,8 9,3 7,0 4,7
Schulform Real- Gymschule nasium 28,9 22,5 30,9 27,0 14,0 18,8 14,7 9,9 11,7 10,9 10,2 12,8 11,1 9,4 9,7 12,8 7,4 14,1 7,7 5,6
Berufl. Schule 27,9 26,9 19,3 16,7 11,7 16,2 9,0 8,8 6,9 7,9
Diese Befunde zeigen einige Parallelen mit den sportlichen Schwerpunkten, wie sie auch andere Untersuchungen ermittelt haben, decken sich aber nicht.38 An der Spitze der Sportarten stehen mit Abstand die beiden Disziplinen Fußball und Radfahren, für die jeweils gut ein Viertel unserer Jugendlichen Aktivitäten anführen. Hier gibt es natürlich – wie auch aus anderen Untersuchungen bekannt – erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wahl der Sportarten: So ist z.B. der Fußball, für den wir die größte Gruppe der aktiven Jugendlichen verzeichnen, ganz überwiegend ein Männersport, wir finden nur knapp 7% unserer Befragten, die weiblichen Geschlechts sind und Fußball spielen. Beim Radfahren ändert sich das Verhältnis zu Gunsten der Mädchen, die Jungen stellen hier gut 20%, die Mädchen knapp 30% . Um den Einfluss der soziodemographischen Merkmale auf die Beliebtheit der einzelnen Sportarten zu überprüfen, wurden für jede Sportart drei chi2-Tests (für Geschlecht, Altersgruppe und Schulform) durchgeführt. Mit Ausnahme einer Sportart (Fitness/Kraftsport) er38 Brinkhoff (1998) ist um eine genaue Unterscheidung zwischen vereins- und freizeitsportlicher Betätigung bemüht und hat für die Altergruppe des 5.-13. Schuljahres folgende Anteile der Sportarten erfasst: Fahrradfahren bekunden etwa 54% aller Befragten, beim Fußball als populärstem Vereinssport sind es etwa 26% aller Befragten. Schwimmen als Freizeitsport betreiben 52% aller Befragten, als Vereinssport betreiben es hingegen nur 7,7%. Organisiert steht nach dem Fußball das Tennis als zweithäufigste Sportart mit etwa 12% der Jugendlichen vorne. Leichtathletik, Tischtennis und Turnen sind jeweils etwa um die 5%-Marke herum angesiedelt, wie auch der Pferdesport, während Handball und Volleyball mit knapp 10% bzw. knapp 7% deutlich davor rangieren (S.132).
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weist sich die Beliebtheit aller Sportarten in hohem Maße als geschlechtsabhängig (Radfahren: p<.010, alle Übrigen: p<.001). Während Fußball und Basketball stärker von Jungen präferiert werden, finden die übrigen Sportarten bei Mädchen stärkeren Zuspruch. Das Alter der Schüler hat demgegenüber einen geringeren Einfluss und wirkt sich lediglich auf die Präferenz für zwei Sportarten aus, nämlich für Jogging und Fitness/Kraftsport, die beide, wie ja auch die Tabelle ausweist, mit zunehmendem Alter häufiger genannt werden (jeweils: p<.001). Einen umgekehrten, aber nicht signifikanten Alterseffekt sehen wir hingegen beim Reiten, einer Sportart, die hauptsächlich von Mädchen und jungen Frauen betrieben wird: Hier ist im frühen Jugendalter die Häufigkeit größer, mit dem Übergang zum Erwachsenenalter hingegen nimmt die Aktivität ab. Beim Radfahren machen sich darüber hinaus noch größere Unterschiede nach östlichen und westlichen Bundesländern bemerkbar, hier haben die ostdeutschen Jugendlichen einen deutlichen Schwerpunkt gegenüber den westdeutschen. Umgekehrt haben die West-Jugendlichen im Bereich von Jogging/Walking größere Präferenzen, dies gilt im übrigen auch für das Skaten. Wenn man die Verteilung auf die Schulformen betrachtet, so ergeben sich auch hier einige signifikante Unterschiede: Fußball, Jogging und Fitness/Kraftsport (jeweils: p<.001), Radfahren, Basketball und Tanzen (jeweils: p<.01) und Inline/Skateboard (p<.05) werden in Abhängigkeit von der Schulform unterschiedlich häufig genannt. Fußball ist z.B. eher ein Sport, der an Haupt- und Realschulen betrieben wird als an Gymnasien, Radfahren hingegen hat seine Schwerpunkte an Realschulen und Gymnasien. Was oben schon für die Altersverteilung gesagt wurde, gilt in gewisser Weise auch für die Schulformen: Die jüngeren Jugendlichen, etwa die Hauptschüler, sind z.B. beim Joggen/ Walken eher schwächer vertreten, die Gymnasiasten und Berufsschüler hingegen stärker. Dies gilt ebenso für die Fitness, wo auch ein Trend zur Steigerung mit den Lebensjahren zu beobachten ist. Dagegen hängt die Beliebtheit von Schwimmen, Volleyball und Reiten nicht von der Schulform ab. Für die beiden Sportarten Jogging und Fitness/Kraftsport ergibt sich darüber hinaus sowohl ein Alters- als auch ein SchulformEffekt. Getrennte Analysen lassen aber in keiner der drei Altersgruppen einen Effekt der Schulform auf die Nennung von Jogging erkennen. Für die Nennung von Fitness/Kraftsport ergibt sich ein Schulform-Effekt nur in der Gruppe der unter 16jährigen (p<.05), in den anderen Al-
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tersgruppen dagegen nicht. Die Schulform-Effekte für diese beiden Sportarten können damit weitgehend als versteckte Alterseffekte interpretiert werden. 6.4 Zeitlicher Umfang des Engagements
Sehen wir uns nun das Aktivitätsprofil auch nach seiner zeitlichen Dimension an. Hier können wir feststellen, dass die Jugendlichen doch einen ganz erheblichen Teil ihrer Freizeit für den Sport investieren: Tab. 6.4:
Zeitaufwand bis 1 Std. 1 bis 2 Std. 2 bis 5 Std. 5 bis 10 Std. > 10 Std.
Wöchentlicher Zeitaufwand für sportliche Aktivitäten nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (in %; N = 1760) Geschlecht Gesamt Jun- Mädgen chen 3,4 1,9 4,4 9,9 5,5 13,8 22,9 17,5 28,3 37,4 40,1 35,3 26,5 34,9 18,2
< 16 Jahre 5,9 10,1 19,7 39,9 24,4
Alter 16/17 Jahre 2,4 8,6 23,7 39,1 26,2
Schulform > 17 Haupt- Real- GymJahre schule schule nasium 3,3 5,1 2,5 3,0 11,6 7,3 7,6 11,9 22,9 21,7 21,7 24,3 34,3 39,9 38,8 34,7 27,9 26,0 29,3 26,0
Berufl. Schule 2,9 12,5 23,8 36,4 24,3
Daraus geht hervor, dass etwa ein Drittel der Jugendlichen zwischen zwei und fünf Stunden pro Woche sportlich aktiv ist, einen Zeitanteil von sechs bis zehn Stunden für den Sport investiert über ein Drittel der Befragten. Mehr als ein Viertel der Befragten sind über 10 Stunden pro Woche sportlich aktiv; zusätzlich zum Schulunterricht kommt hier also noch einmal ein erheblicher Anteil am gesamten Zeitbudget für den Sport hinzu. Im durchschnittlichen Aktivitätspegel von knapp 8 Stunden spiegelt sich der hohe Stellenwert des Sports im Freizeitbudget der Jugendlichen, wobei es auch hier geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Bei den Männern erreicht die durchschnittliche Stundenzahl nahezu zehn, bei den Frauen hingegen liegt sie unter sieben Stunden. Beim geringeren Zeitengagement sind die jungen Frauen mehr vertreten, beim starken Engagement (über 10 Stunden) hingegen sind die Männer eindeutig in der Überzahl, die Frauen erreichen hier nur einen Anteil von etwas mehr als 18%. Insgesamt lässt sich den Antworten entnehmen, dass das sportliche Engagement einen bedeutenden Schwerpunkt in der Jugendbiographie der Gegenwart darstellt: Im Durchschnitt werden etwa 8 Stunden Sport pro Woche betrieben; engagierte Jugendliche weiten diese
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Zeit auf über 10 Stunden aus und stellen damit einen Anteil von etwa einem Drittel aller Jugendlichen bei den Männern und knapp einem Fünftel aller Jugendlichen bei den Frauen – dies sind Frequenzen, die noch einmal den Rang dieser Freizeitbetätigung verdeutlichen. 6.5 Organisationsform und sozialer Kontext
Neben dem zeitlichen Engagement sind auch die Interaktionsformen von Interesse, in denen der Sport ausgeübt wird. Wir haben danach gefragt, in welcher Organisationsform oder mit welchem Personenkreis die Jugendlichen Sport treiben. Die Frage war offen gestellt, aus den Antworten ergaben sich folgende Kategorien: mit Freunden/ Freund/Freundin, im Verein, allein bzw. privat, mit der Familie, mit der Schule/Klasse und mit einer Gruppe/Mannschaft. Die Antwortmuster zeigen, dass der Sport ganz überwiegend mit Freunden, Freund oder Freundin betrieben wird. Mehr als die Hälfte der Befragten äußern sich in diesem Sinn. Dabei gibt es ein leichtes Übergewicht der männlichen Jugendlichen gegenüber den weiblichen und zudem einen Alterseffekt: Die 15-Jährigen geben diese Vorgabe zu 60% an, die 19-Jährigen und Älteren nur noch zu 55%. Umgekehrt ist es beim Vereinsengagement, das immerhin ein gutes Viertel aller Jugendlichen (27,2%) anführen. Dieses Engagement im Verein zeigt einerseits deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Knapp doppelt so viel männliche Jugendliche als weibliche (36,3 zu 19,6%) gehen dem Sport im Verein nach; es ergibt sich auf der anderen Seite eine Zunahme mit dem Alter. Bei den Jüngeren liegt das Engagement im Verein etwa bei 27%, steigt aber bei den älteren Jahrgängen auf 30%. Entsprechende Unterschiede gibt es unter den Schulformen: Insbesondere die Gymnasiasten sind stärker engagiert und übertreffen die anderen Schulformen, da 40% von ihnen im Verein engagiert sind.39 Große Ost-West-Unterschiede zeichnen sich ebenfalls bei dieser Vorgabe ab: Im Osten sind nur 22% der Jugendlichen im Verein 39 Brinkhoff führt dazu an, dass 36% aller Kinder und Jugendlichen regelmäßig Sport in ihrer Freundesgruppe treiben, wobei mit zunehmendem Alter die Freundesgruppe als Gemeinschaftsbeziehung der Sportreibenden an Einfluss verliert. Er weist auch darauf hin, dass die Schulkarriere das Sportvereinsengagement beeinflusst: „Während 52% aller Gymnasiasten regelmäßig Sport in einem Verein treiben, sind es lediglich 33% der Jugendlichen mit einer Hauptschulkarriere“ (1998, S. 146).
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aktiv, im Westen aber ein knappes Drittel. „Allein“ bzw. „privat“ betreiben etwas weniger als ein Viertel der Jugendlichen ihren Sport, dies gilt in etwas stärkerem Maß für junge Mädchen und Frauen als für männliche Jugendliche. Dieser Wert nimmt jedoch mit dem Alter erheblich zu. Dies betrifft auch die Schulformen. In der Hauptschule ist diese Organisationsform weniger verbreitet, in Gymnasium und Berufsschule hingegen stärker. Und schließlich finden wir auch einen leichten Unterschied nach östlichen und westlichen Ländern: Im Osten ist der sportliche Individualist eher weniger verbreitet, im Westen etwas mehr, aber dieser Unterschied fällt nicht groß aus. Immerhin 10% unserer Jugendlichen betreiben Sport in der Familie, wobei dies natürlich mit dem Alter deutlich zurückgeht und sich fast halbiert. Wir finden hier auch einen großen geschlechtsspezifischen Unterschied; von den männlichen Jugendlichen sind es nur 6,5%, während es bei den weiblichen über 13% sind, auch hier wiederum bei den Gymnasiasten bzw. Gymnasiastinnen konzentriert. Insgesamt ist daraus zu ersehen, dass einerseits der Verein eine große Rolle im Freizeitbudget und bei den Freizeitaktivitäten der Jugendlichen spielt. Fast ein Drittel der Jugendlichen ist vereinsmäßig organisiert mit deutlichem Übergewicht bei den jungen Männern. Auf der anderen Seite gewinnen Sportarten, die allein betrieben werden können, wie z.B. Fitness oder Joggen, erheblich an Boden unter den Jugendlichen: Zwischen einem Viertel und einem Fünftel sind es in unserer Population und über das Alter hinweg mit steigender Tendenz. Hierin spiegelt sich die eingangs skizzierte Entwicklung in der sozialen Konturierung dieses Freizeitsektors.40 Die größte Gruppe stellen aber doch jene Jugendliche, die dem Sport im Freundeskreis nachgehen.
40 „Die auch im Sport zutage tretenden empfindlicheren Ich-Vorstellungen lassen neue Ich-Maßstäbe und neue Aktivitätsformen entstehen. 45% aller befragten Jugendlichen geben im Rahmen der Untersuchung an, regelmäßig allein Sport zu treiben. Dies scheint ein universeller Trend zu sein, der kaum Differenzen zwischen den Geschlechtern, den Schulkarrieren, den Altersstufen oder auch den Wohnregionen erkennen lässt. Über alle‚ wie auch immer konstruierten, Teilstichproben hinweg, zeichnet sich recht deutlich ab, dass ein großer Teil der Heranwachsenden seinen Sport auch allein betreibt“ (Brinkhoff 1998, S. 150).
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6.6 Lerneffekte beim Sport aus der Sicht der Jugendlichen
Kommen wir nun zum eigentlichen Kernthema, der Frage nach den Sozialisationswirkungen des Sportengagements. In unserem Problemzusammenhang ging es darum, zu erfassen, welche Bilanz die Jugendlichen aus ihrem sportlichen Lernen ziehen. Dazu haben wir sie gefragt, welche Lernerfahrungen oder Lerneffekte sie mit dem Sport verbinden. Die Frage war offen gestellt und lautete schlicht: Was haben Sie dabei gelernt? Die codierten Antworten ergaben folgendes Bild: Tab. 6.5:
Die wichtigsten Lerneffekte des Sporttreibens nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (in %)
Gesamt N= 1514 Teamgeist/Teamarbeit/soz. Verhalten 39,6 Kondition/Ausdauer 35,0 Sportliche Techniken 27,0 Bestimmte Sportarten/allg. 26,0 sportliche Fertigkeiten Körperbeherrschung 16,8 Gesundheitsaspekt/Wohlbefinden/ 12,0 Körperbewusstsein Spaß 8,6 Disziplin/Durchhaltevermögen 8,2 Konzentration/Ruhe/Entspannung 7,8 Ehrgeiz/Motivation 5,9 Bekundete Lerneffekte*
Geschlecht JunMädgen chen 45,0 34,3 27,0 43,3 35,5 18,4
< 16 Jahre 27,6 25,1 28,1
Alter 16/17 Jahre 35,3 32,6 29,6
> 17 Jahre 51,5 43,4 21,9 21,9
32,3
20,4
30,2
28,0
17,1
16,4
11,1
15,4
21,3
10,5
13,6
9,0
10,0
16,8
8,5 7,8 5,9 7,1
8,7 8,5 9,7 4,6
6,5 5,0 3,5 5,0
7,8 7,1 7,8 4,3
10,8 11,2 9,6 8,8
* Aufgrund der offenen Antwortmöglichkeit konnten hier keine trennscharfen Kategorien gebildet werden.
Unter Einschluss der hier möglichen Mehrfachnennungen konzentrieren sich die Antworten im Wesentlichen auf etwa vier bis fünf Aspekte, obwohl ein ganzes Spektrum angesprochen wird. An der Spitze der Nennungen stehen dabei die Lerneffekte bezüglich Teamgeist, Teamarbeit und sozialem Verhalten, die etwa 40% der Befragten angeben. Kondition und Ausdauer sowie sportliche Techniken führen jeweils knapp ein Drittel der Befragten an. Allgemeine sportliche Fertigkeiten bezogen auf bestimmte Sportarten nennen etwa ein Viertel; Körperbeherrschung als Lernziel führen immerhin noch 16% der Befragten an. Erstaunlich ist bei der Thematisierung der Lerneffekte, dass der Gesundheitsaspekt, unter dem wir auch das Wohlbefinden und das Körperbewusstsein gefasst haben, mit insgesamt 12% der Nennungen bei den Jugendlichen keinen großen Anklang gefunden hat, während
138
Peter Wahler
z.B. ein Lerneffekt wie Körperbeherrschung immerhin von 17% aller Befragten genannt wird. Interessant sind auch hier die geschlechtsspezifischen Unterschiede: Teamgeist und Sozialverhalten werden von knapp der Hälfte der männlichen Jugendlichen, bei den weiblichen von etwa einem Drittel angegeben. Nahezu umgekehrt verläuft hingegen die Tendenz, was sportliche Eigenschaften wie Kondition und Ausdauer betrifft, dies wird häufiger von Frauen angeben, während die Männer dies weniger wichtig finden. Sie äußern hingegen eine Präferenz für die sportlichen Techniken, hier sind die Frauen zurückhaltender, dies als Lernziel zu benennen, ebenso bei bestimmten Sportarten bzw. sportlichen Fertigkeiten, während in punkto Körperbeherrschung beide nahezu gleichauf liegen. Alterseffekte sind hier insofern zu registrieren, als z.B. die Komponente des Sozialverhaltens mit dem Alter deutlich häufiger erwähnt wird, während sportliche Techniken als Lerneffekt eher in den jüngeren Jahren genannt werden und mit dem Alter zurückgehen, weniger stark trifft dies den konditionellen Aspekt. Unterschiede nach östlichen und westlichen Bundesländern sind deutlich bemerkbar: Sozialverhalten und Teamgeist werden im Westen öfters angeführt als im Osten. Bei den sportlichen Techniken hingegen liegen die Jugendlichen aus dem Osten vorne. Im Vergleich der Schulformen stellt sich auch hier heraus, dass die Gymnasiasten besonders hohe Werte in vielen Kompetenzbereichen angeben. Sowohl bei der Kategorie Sozialverhalten/Teamgeist als auch beim Lernziel Kondition und Ausdauer liegen sie weit vor den anderen Schulformen, auch die Körperbeherrschung favorisieren sie stärker. Insgesamt zeigt der Blick auf die Reihenfolge der angegebene Lerneffekte einige auffallende Befunde: Ist schon die Tatsache unerwartet, dass das Thema Gesundheit/Körperbewusstsein mit etwa 12% nur an sechster Stelle rangiert, so verblüfft erst recht der Sachverhalt, dass Spaß und Entspannung in der Rangliste der Nennungen sogar noch dahinter auftauchen (fast gleichauf mit der alten Sportvereins-Tugend Disziplin!). Überraschenderweise finden auch ausgesprochen leistungs- und wettbewerbsbetonte Lerneffekte wie z.B. Ehrgeiz/Motivation, Selbstbewusstsein/Durchsetzungsvermögen und eigene Grenzen kennen lernen unter den Jugendlichen nahezu keinen Anklang. Sie werden zwar erwähnt, aber die Häufigkeiten bewegen sich im Bereich unter 5%. Man kann also feststellen, dass im Bewusstsein der Jugendlichen weder Spaß und Entspannung noch Leistung und Durchsetzung bei
Sport – mit Bewegung lernen
139
der sportlichen Betätigung im Vordergrund stehen. Die bekundeten (und das heißt auch immer: die anerkannten und akzeptierten) Lernziele liegen vielmehr im Bereich des Sozialverhaltens und der Sportarten bzw. -techniken. In einem gewissen Kontrast zu dieser Interpretation steht allerdings nicht nur die zeitliche Intensität der Aktivitäten bei einigen Gruppen, sondern auch der Lernanspruch, wie er bei den folgenden Fragen deutlich wird. Die Einschätzung der Kompetenz haben wir ja zweifach ermittelt, zum einen über die Frage, „wie gut sind Sie darin?“ und über die Frage, ob die Jugendlichen damit zufrieden sind oder noch besser werden wollen. Man kann insbesondere in dieser Nachfrage einen Indikator für eine spezifische Leistungsmotivation sehen, also das Bestreben, die eigenen Fähigkeiten auf dem jeweiligen Gebiet weiter zu entwickeln und dadurch zu verbessern. Etwa ein Drittel unserer Befragten hat hier angegeben, dass sie gut in ihrer Sportart sind, immerhin die Hälfte will noch besser werden, und etwa ein Viertel ist einigermaßen zufrieden mit den Fertigkeiten und Kenntnissen. Das Ziel, viel besser zu werden, haben ebenso wie den unzufriedenen Status hingegen nur 1% der Befragten angeführt. In diesen Angaben klingt also doch wieder an, was auch die Zahlen über die Häufigkeit des Engagements verraten: dass nämlich die sportliche Betätigung und das entsprechende Lernen in vielen Fällen doch mit einer gewissen Motivation zur Verbesserung betrieben wird und der Leistungsgedanke dabei nicht völlig abseits steht. Noch ein Blick auf den Einfluss von sozialer Herkunft, Migrationshintergrund und Region: Es wurde oben schon erwähnt, dass beim sportlichen Engagement keine Stadt-Land-Unterschiede zu finden sind, aber eine leichte Zunahme mit dem Bildungsstatus der Eltern. Dies wird auch noch mal deutlich an den bekundeten Lerneffekten, auch sie differieren mit dem Sozialstatus der Eltern: Das Sozialverhalten als Lerneffekt des Sports wird z.B. in den unteren Schichten eher weniger genannt als in Schichten mit höherem Bildungs- und Berufsstatus. Ebenso verhält es sich mit den Lerneffekten hinsichtlich Kondition und Ausdauer, auch hier ergibt sich eine Zunahme mit dem Bildungsstatus. Umgekehrt verhält es sich allerdings mit dem Aspekt von Gesundheit/Körperbewusstsein – er nimmt seltsamerweise mit dem Bildungsstatus ab! Was die Einschätzung der eigenen Fähigkeit im Sport betrifft, so ergeben sich auch hier Unterschiede nach den sozialen Merkmalen: Die Jugendlichen aus ländlichen Gemeinden zeigen, jedenfalls wenn
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Peter Wahler
man die Antworten auf die Frage nach ihrer Selbsteinschätzung und ihrer Zufriedenheit heranzieht, etwas stärkeren sportlichen Ehrgeiz, sie wollen besser werden. Deutlicher ist dieser Effekt noch beim Sozialstatus der Befragten: Zwar will die Mehrheit der Jugendlichen sich im Sport verbessern (diese Antwort findet sich etwa bei 50% der Befragten), aber das Ausmaß steigt mit der sozialen Schicht, d.h. die sozial höher Positionierten führen auch verstärkt an, dass sie sich im Sport verbessern wollen. In der Tendenz entgegengesetzt, aber nicht ganz einheitlich verlaufen die Antworten zur Einschätzung der eigenen Kompetenz: Dass ihre Fähigkeiten sehr gut seien, sagen etwa 13% der Jugendlichen aus Häusern mit niedrigem Bildungs- und Berufsstatus, aber nur noch 8% aus Häusern mit hohem Bildungs- und Berufsstatus. Man kann darin ein Indiz dafür sehen, dass die Einschätzung eigener Kompetenzen mit höherem Bildungsstatus kritischer wird. 6.7 Zusammenfassung
Betrachtet man die Ergebnisse insgesamt, so ist noch einmal hervorzuheben, dass der Sport unter den jugendlichen Freizeitaktivitäten eine dominierende Rolle inne hat. Dies gilt in besonderem Maß für männliche Jugendliche, aber auch mehr und mehr für junge Frauen. Der hohe Zeitanteil, den die einschlägigen Aktivitäten am gesamten Freizeitbudget einnehmen, macht diesen Stellenwert anschaulich und lässt erkennen, dass in der modernen Jugendphase Körper- und Bewegungserfahrungen sowie soziale Kommunikation einen Kontext bilden, der erlebnisbetonte Identitätserfahrung und soziale Interaktion in Gruppen verschiedenartiger Verbindlichkeit zusammenbringt. Den sozialen Prozess besonders zu betonen scheint uns auch deshalb wichtig, weil die Jugendlichen zum einen die sportliche Betätigung mit Freunden, aber – etwas schwächer – auch im Verein favorisieren, zum anderen in ihrer Darstellung der Lerneffekte des Sports einen bemerkenswerten Akzent auf die sozialen Fähigkeiten legen. Ihre Antworten auf die Frage nach dem Ausmaß der eigenen Aktivitäten und dem Kompetenzgewinn geben darüber hinaus wieder, dass sie im sportlichen Bereich ein Zentrum ihrer Betätigung sehen und ihre einschlägigen Kompetenzen überwiegend als gut einschätzen. Der besondere Stellenwert von Lernprozessen in diesem Freizeitbereich lässt sich schließlich auch daran ablesen, dass in den Antworten der Jugendlichen ein deutlicher Anspruch erkennbar wird, die eigenen Fähigkeiten weiter zu verbessern.
Sport – mit Bewegung lernen
141
Ob diese Befunde allerdings als Beleg dafür zu interpretieren sind, dass dem Sport die positiven Sozialisationswirkungen zukommen, die insbesondere vonseiten der Vereine und Verbände immer wieder für das institutionalisierte Engagement angeführt werden, scheint uns nicht so eindeutig. Jüngere Untersuchungen geben zu dieser Frage kein klares Ergebnis. Heim/Brettschneider etwa ziehen aus ihrer empirischen Studie, in der solchen Sozialisationseffekten auf der Basis eines mehrdimensionalen Selbstkonzept-Modells nachgegangen wurde, ein eher ernüchterndes Fazit: „Andererseits lassen sich durchgängige Wirkungen sportlichen Engagements auf das Selbstkonzept und vor allem seine Entwicklung in dieser Lebensphase nur punktuell beobachten. Hinsichtlich der häufig proklamierten Unterstützung sportlichen Engagements für den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen ist festzuhalten, dass ein solcher Einfluss weder im Selbstbild der Beziehungen zu Peers des eigenen noch des anderen Geschlechts empirisch durchgreifend nachweisbar ist. Es ist nicht auszuschließen, dass Aufbau und Pflege von Freundeskreisen und Beziehungen zum anderen Geschlecht zeitweilig durch sportliche Aktivität beeinflusst werden. Eine nachhaltige Wirkung entfaltet sich aber nicht im Sportverein, sondern stellt sich möglicherweise erst im Zusammenhang mit weiteren Randbedingungen ein ...“ (2002, S. 134).
Unsere eigenen Ergebnisse dokumentieren, wie dargestellt, den Rang dieses Freizeitbereichs und damit auch den hohen Anteil, den dieser an den Aktivitäten und den Lernprozessen in dieser Lebensphase innehat. Ob darin zugleich ein Beleg für besondere Sozialisationsleistungen der Sportvereine zu sehen ist oder „lediglich“ die neue Normalität einer Jugendphase des multivalenten Lernens abgebildet wird, mag einstweilen offen bleiben.
Christine Preiß 7
Leben und Lernen mit Musik
7.1 Musik – ein zentrales Sozialisationsfeld im Jugendalter
Mit Musik, die heute allgegenwärtig in unseren Lebensalltag eingebunden und durch die kommerzielle Freizeit-, Kultur- und Medienindustrie jedem verfügbar ist, erschließen sich die Jugendlichen nicht nur ein weites Feld sinnlich-ästhetischer Erlebnisse, sondern sie sammeln dadurch auch Erfahrungen, die zentrale Aspekte ihres individuellen Entwicklungsprozesses betreffen. Das breit gefächerte, privat und öffentlich zu nutzende musikzentrierte kulturelle Angebot stößt bei den Jugendlichen vor allem deshalb auf positive Resonanz, weil es neue Orientierungen an unterschiedlichen Lebensstilen, Persönlichkeitsund Handlungsmustern ermöglicht, die für die Bewältigung der zentralen Entwicklungsaufgaben dieses Lebensalters existentiell notwendig sind (vgl. Barthelmes/Sander 2001). Wohl in kaum einem anderen jugendkulturellen Freizeitbereich sind die Möglichkeiten, sich individuell zu präsentieren, eigene Lebensstile in unterschiedlichen Ausdrucksformen jenseits der Erwachsenenwelt zu kreieren und sich auf diese Weise eigene Erlebnis- und Erfahrungsfelder zu erschließen, so intensiv gegeben wie in dem Bereich „Musik“ (vgl. Baacke 1998; Ferchhoff 1999; Moser 2000; Vogelsang 1994/2001 sowie Deutsche Shell 2000). Einerseits fungiert Musik insbesondere in ihrer Rezeptionsfunktion als unterstützender Begleiter in den unterschiedlichsten Phasen emotionaler Befindlichkeit. Andererseits bietet sie als ein zentraler Bereich des jugendlichen Freizeitverhaltens vielfältige Möglichkeiten, individuellen Neigungen und Interessen auch aktiv nachzugehen und diese in unterschiedlichen Betätigungsformen und sozialen Kontexten zu erproben. Zwar ist die allgemein bildende Schule nach wie vor jener Ort, an dem für alle Musik zum obligatorischen Lerngegenstand wird – unabhängig davon, welchen Stellenwert dieses Unterrichtsfach und -angebot je nach Schulform oder Jahrgangsstufe dort einnimmt. Dennoch
144
Christine Preiß
vollzieht sich musikalische Bildung und Erziehung keineswegs nur im Rahmen speziell dafür organisierter Bildungsprozesse und Institutionen im schulischen und außerschulischen Bereich. Um den Stellenwert von Musik im Lebensalltag der befragten SchülerInnen zu beschreiben, galt unser Interesse über den Aspekt jugendtypischen kulturellen Verhaltens hinaus vor allem der Frage, in welcher Weise die Jugendlichen sich als aktiv-tätige und lernende Musik-Interessierte erweisen. 7.2 Zum Stellenwert von Musik im kulturellen Aktivitätsspektrum der Jugendlichen
In Anlehnung an Vogelsang (2001) soll „Musik“ hier verstanden werden als ein zentraler „Aktivitätskern“ im jugendlichen Freizeitverhalten, um den sich neben familialer oder auch schulischer Musikerziehung weitgefächerte Betätigungs- und Erfahrungsfelder ranken (z.B. Discobesuche, Erlernen eines Instruments, Teilnahme in einer Band/ Chor), in denen die Jugendlichen ihre individuellen Interessen rezeptiv-konsumptiv oder aber auch aktiv-gestaltend verfolgen. Wirft man zunächst einen Blick auf die Verteilung der Interessensschwerpunkte im gesamten kulturellen Aktivitätsspektrum der SchülerInnen, so ist zu erkennen, dass das Interesse der Jugendlichen für den Bereich Kunst und Kultur insgesamt nur wenig ausgeprägt ist (vgl. Tabelle 7.1). Schon die aktive Auseinandersetzung mit Musik (selbst Musik machen, Instrument spielen) als auch andere kulturell-künstlerisch orientierte Betätigungsformen, sei es das Lesen von Büchern oder der Besuch von Theatern und Museen, um nur einige zu erwähnen, rangieren bei den SchülerInnen auf den hinteren Plätzen der Beliebtheitsskala. Damit scheinen jene Aktivitäten, die traditionell zu den bildungsorientierten Freizeitbeschäftigungen zählen, aus Sicht der befragten SchülerInnen nur wenig Attraktivität zu besitzen.41 41 Mit einem historischen Überblick über verschiedene Jugendstudien (Emnid 1954/ Jugendwerk der Deutschen Shell 1985) weist Vogelsang (1994) nach, dass im jugendkulturellen Freizeitbereich sich zwar nicht die bevorzugten Aktivitätsfelder wie Bücher lesen, Sport und Wandern, Rundfunk und Fernsehen sowie Kino verändern oder gar gegenseitig ersetzen, allerdings sich aber die Rangfolge in der Beliebtheitsskala neu strukturiert. In der repräsentativen Emnid-Studie gaben z.B. 9% der 15- bis 24-Jährigen Malen und Zeichnen als bevorzugte Freizeittätigkeit an. 1976 steigen sie auf 20%, 1984 sinken sie wieder auf 7% ab.
Leben und Lernen mit Musik
Tab. 7.1:
Mittelwertübersicht – Kulturelle Interessensschwerpunkte
Platz Interessen 1 7 7 11 11 16 17 20 23 27 28 29
145
Musik hören Ins Kino gehen Reisen/Urlaub In Disco gehen Zeitungen lesen Selbst Party machen Besuch von Musikveranst. Bücher lesen Fremdsprachen lernen Sich künstlerisch betätigen Selbst Musik machen Theater/Museen besuchen
Gesamt 1,4 2,6 2,6 2,8 2,8 3,1 3,2 3,5 3,7 4,1 4,4 4,6
Mittelwert* männlich weiblich 1,5 1,3 2,8 (9) 2,4 (8) 3,0 (11) 2,3 (7) 3,3 (17) 2,4 (8) 3,0 (11) 2,7 (12) 3,2 (15) 3,1 (18) 3,4 (19) 3,1 (18) 4,2 (25) 3,0 (17) 4,0 (23) 3,4 (21) 4,6 (27) 3,6 (22) 4,4 (26) 4,3 (28) 4,9 (29) 4,4 (29)
* Auf einer Antwortskala von „1 – sehr stark“ bis „6 – überhaupt nicht“
Die auffällig hohe Akzeptanz von „Musik hören“ (1. Rangplatz) im gesamten kulturellen Interessens- und Aktivitätsspektrum – und zwar unabhängig vom jeweiligen Geschlecht – lässt sich auch durch die Befunde anderer Jugendstudien stützen. Sie belegen, dass das MusikHören, der rezeptive Umgang mit Musik, im Vergleich zu einem stärker reproduktiv ausgerichteten (Singen, Musizieren) oder auch kreativgestalterischen Umgang (Komponieren, Texten), zu einer der häufigsten Freizeitbeschäftigungen der Jugendlichen geworden ist (vgl. Baacke 1998; Zinnecker 1992; Opaschowski 1994). Mit Musik hat Jugend ein besonderes Ausdrucksmittel, das über soziale Milieus wie auch nationale Grenzen hinweg dem jugendspezifischen Lebensgefühl und Lebensstil in besonderer Weise Ausdruck verleiht. Dabei ist Musik keineswegs als ein isoliertes Phänomen zu betrachten, sondern sie ist integriert in die komplexe Erlebnis- und Gefühlswelt ihrer Rezipienten. Gerade in der Jugendphase symbolisiert der Bereich Musik eine gefühlsbetonte Gegenwelt zur alltagsweltlichen Stil- und Geschmackskultur der Erwachsenen (vgl. Jugendwerk 2000). Die verschiedenen Musikgenres, aber auch Musikszenen, die den Jugendlichen offen stehen, zeichnen sich zudem durch ihren ausgeprägten identitäts- und gemeinschaftsstiftenden Charakter aus (vgl. Lüdtke 1992). Im Unterschied zu früheren historischen Phasen ist die Begegnung mit Musik heute nicht mehr an traditionelle Örtlichkeiten (Konzertsäle, Kirchen), bestimmte Lebensereignisse oder kulturelle Rituale gebunden, und sie ist auch nicht mehr privilegierten Schichten vorbehalten, sondern sie ist in die alltägliche Lebenswelt in einem Maße
146
Christine Preiß
integriert, dass der individuelle Zugriff jederzeit möglich ist und je nach Situation, Befindlichkeit und Neigung aus einer nahezu unüberschaubaren musikalischen Angebotsvielfalt ausgewählt werden kann.42 Musik ist ein idealer, allzeit verfügbarer Lebensbegleiter. Sie ist ein zentrales Medium für den „inneren Dialog“ und bietet durch die Entstehung einer gefühlsbetonten Beziehung zu Gleichgesinnten Möglichkeiten, Empfindungen und Erfahrungen auszutauschen und sich auf diese Weise mit sich selbst auseinander zu setzen (vgl. Charlton/ Neumann 1986; Barthelmes/Sander 1990). In dieser Form fungiert sie auch als stimulierender Hintergrund für andere Aktivitäten. Vor allem in Verbindung mit den technischen Medien (CD, Walkman, Computer etc.) kann der vielseitige rezeptive Umgang mit Musik (Musik-hören) auch relativ zeit- und ortsunabhängig – im Prinzip überall – stattfinden, sei es in den privaten Räumen, unterwegs und auch begleitend zu anderen Aktivitäten. Insbesondere computerinteressierten SchülerInnen eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten, ihre Musikbegeisterung auch mit der Anwendung und Erprobung technischer Fachkenntnisse im privaten Freizeitbereich zu verbinden (Sound mischen am Computer, eigene Musikprodukte als CD herstellen etc.), sodass sich auch verschiedene Rollen z.B. als Hörer, Techniker, Künstler oder Produzent überschneiden können (vgl. Moser 2000). 7.3 Individuelle Zugänge und Betätigungsformen im Freizeitsegment „Musik“
Andererseits ist aus der Übersicht (Tab. 7.1) auch zu erkennen, dass der individuelle Zugang zu dem Bereich Musik mit unterschiedlicher Akzentsetzung erfolgt. So lassen sich Betätigungsformen ausmachen, die sich hinsichtlich Aktivitätsgrad und Intensität musikbezogenen Handelns von jenen konsumtiven Formen unterscheiden, die nur wenig aktive Beteiligung voraussetzen. Entsprechend dieser Differenzierung galt unser Interesse zunächst der Frage, inwieweit die Jugendlichen in diesem Bereich selbst aktiv tätig werden oder ob sie sich vor42 „Musikalische Sozialisation ist keine Besonderheit des ästhetischen Lernens mehr, wie sie uns in einer Erziehung zur Musik und in dafür offenen Bildungsprozessen begegnet, sondern sie widerfährt heute jedem, sei er musikalisch oder nicht, an der Welt der Musik interessiert oder nicht, und es gibt in einer sonst so binnendifferenzierten Gesellschaft moderner Form kaum einen Systemausschnitt, in dem sie uns nicht begegnet“ (Baacke 1998, S. 9).
Leben und Lernen mit Musik
147
wiegend als Rezipienten eines musikalischen Angebots in diesem Feld präsentieren. Hinsichtlich dieser Unterscheidung werden im Hinblick auf ausgewählte soziodemographische Merkmale (Geschlecht, Alter, Schulform, Status der Eltern) Ergebnisse in den folgenden Tabellen (7.2a/7.2b) präsentiert. Tab. 7.2 a: Nutzungsformen von Musik in der Freizeit (nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen; Angaben in %; Mehrfachantworten möglich) Gesamt N rezeptive Nutzung aktive Nutzung keine musik. Aktivität genannt
2064 32,1 28,5 48,6
Geschlecht männlich weiblich 963 1068 29,9 34,6 22,2 33,9 55,0 42,7
<16 268 23,9 17,2 61,9
Alter 16/17 1097 31,4 30,4 47,8
>17 658 37,5 29,5 44,2
Die Daten aus dieser Tabelle zeigen, dass über die Hälfte (51,4%) der in der Stichprobe erfassten SchülerInnen sich in ihrer Freizeit in rezeptiver und/oder aktiver Form mit Musik beschäftigen.43 Signifikante Unterschiede im Umgang mit Musik gibt es zwischen den Geschlechtern, und zwar sowohl bei rezeptivem (p<.05) als auch bei aktivem (p>.001) Umgang mit Musik. Musik ist neben Sport ein wichtiges Betätigungsfeld der Mädchen. Gegenüber ihren männlichen Altersgenossen sind sie die deutlich Interessierteren und auch Aktiveren, die in beiden Musikwelten (rezeptiv/aktiv) stärker verankert sind (jeweils ein Drittel benennen Aktivitäten in beiden Bereichen). Wenn man die in den Tabellen (7.2a/7.2b) wiedergegebenen Kategorien (rezeptiv/aktiv) weiter aufschlüsselt, so zeigt sich, bezogen auf den rezeptiven Umgang mit Musik, bei den Mädchen ein weitaus größeres Interesse an dem Besuch öffentlicher Musikveranstaltungen. Sie suchen das musikalische Live-Event in geselliger Form, vorrangig im Freundeskreis (m: 40%, w: 75%). Mädchen begeistern sich auch stärker für die Verbindung von Musik und Tanz, lieben es, sich auch körperlich zu präsentieren, auch ihre Attraktivität zu testen, während ihre männlichen Altersgenossen dieser Form der Freizeitbeschäftigung mit Musik deutlich weniger abgewinnen können (fast ein Drittel äu43 Der hohe Prozentsatz derer, die keine musikalische Aktivität benennen, ist überraschend. Möglicherweise hat die Frageformulierung es nahegelegt, rezeptive Nutzungsformen nicht als musikbezogene Aktivitäten aufzufassen und zu benennen (siehe hierzu auch Tab. 7.2b).
148
Christine Preiß
ßert sich sogar nahezu ablehnend gegenüber solchen körperbetonten Umgangsformen mit Musik). Nur das Hören von Musik wird von den Jungen signifikant häufiger genannt als von den Mädchen (p<.001). Für die aktive Beschäftigung mit Musik, also im Wesentlichen das eigene Musizieren (Spielen von Instrumenten) oder auch das Singen, ergeben sich signifikante Zusammenhänge mit allen in der Tabelle dargestellten Merkmalen (jeweils: p<.001). Auch hier ist auffällig, dass die aktive Beschäftigung mit Musik mehr Zuspruch findet bei den Schülerinnen im Vergleich zu den männlichen Mitschülern. Sie finden nicht nur Gefallen an der öffentlich inszenierten modernen Musikwelt, sondern sie fühlen sich auch dem Erlernen eines (klassischen) Instruments stärker verbunden (vgl. Nolteernsting 1998a, S. 132ff). Betrachtet man die Ergebnisse bezogen auf mögliche Alterseffekte, so wird deutlich, dass mit steigendem Alter der SchülerInnen auch das Interesse bzw. der Aktivitätsgrad – vor allem in rezeptiver wie auch aktiv-gestaltender Form – zunimmt. Ältere Jugendliche machen nicht nur häufiger selbst Musik, sondern mit steigendem Alter werden auch häufiger Konzertbesuche (p<.001), die Teilnahme an Disco/Partys/ Festen (p<.01) und das Musikhören genannt (p<.01). Den deutlichen Anstieg des musikalischen Interesses und des Musikkonsums mit Blick auf das Lebensalter der Jugendlichen vor allem in den Peer-group-dominierten Szenen, belegen auch Rohde (1987) und Dollase (1992). Infolge der entwicklungsbedingten Lösung aus der prägenden Geschmackskultur der Erwachsenenwelt wird die Suche nach eigenen jugendtypischen Musikinteressen, Musikstilen und auch damit verbundenen Gruppenbezügen in dieser Altersphase intensiviert (ein Drittel der 15-Jährigen, zwei Drittel der 18-Jährigen), wobei die Volljährigkeitsgrenze und die wachsende Mobilität der Jugendlichen diesen Trend begünstigen dürften. Einen zeitlich fixierbaren Anstieg des Musikinteresses bei der Altersgruppe der 17-Jährigen konstatiert auch Baacke: Mit dem Schwerpunkt ab dem 17. Lebensjahr verliert die stimulative Funktion bei den Jugendlichen an Dominanz und der individuelle Umgang mit Musik erfährt eine „soziale und kognitive Überformung“ (vgl. Baacke 1998, S. 14). Diese Akzentverschiebung findet ihren Niederschlag offensichtlich auch in einem experimentierfreudigeren, aktiven Umgang mit Musik (Erlernen eines Instruments, Erprobung der eigenen Stimme, Mitgliedschaft in einer Band). Betrachtet man die Ergebnisse bezogen auf die Merkmale Schulform und Status der Eltern, so ergibt sich folgendes Bild:
Leben und Lernen mit Musik
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Tab. 7.2 b: Nutzungsformen von Musik in der Freizeit nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (Angaben in %; Mehrfachantworten möglich) Gesamt
N rezeptive Nutzung aktive Nutzung keine musik. Aktivität genannt
2064 32,1 28,5 48,6
Schultyp Status der Eltern Haupt- Real- Gym- berufl niedrig unteres oberes hoch schule schule nasium Schule Mittel Mittel 503 523 523 515 363 922 294 165 21,7 29,6 40,0 36,9 31,7 34,6 35,4 30,9 16,1 27,9 44,2 25,4 25,1 28,5 33,7 44,2 65,2
49,7
32,7
47,6
51,8
47,0
41,2
38,8
Aktives Musikmachen findet sich signifikant häufiger bei GymnasiastInnen als bei SchülerInnen anderer Schulformen (p<.001). Bei den in der Tabelle zusammengefassten rezeptiven Nutzungsformen (Konzertbesuche, Teilnahme an Disco/Parties/Festen, Musik hören) spielt ebenfalls die besuchte Schule eine wichtige Rolle. Konzertbesuche (p<.001) werden von Gymnasiasten und Berufsschülern häufiger angegeben als von Haupt- und Realschülern. Dagegen werden Disco/Party/ Feste (p<.05) häufiger von SchülerInnen außerhalb der Gymnasien genannt. Musikhören findet bei Haupt- und Realschülern deutlich mehr Zuspruch als bei Gymnasiasten und Berufsschülern (p<.001). Die aktive Beschäftigung mit Musik ist umso stärker, je höher der soziale Status der Eltern. Demgegenüber hat auf die rezeptiven Umgangsformen der Status der Eltern keinen Einfluss mit Ausnahme des Musikhörens, das signifikant häufiger von SchülerInnen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus genannt wird. Der Zugang zum aktiven Musizieren verlangt neben einem ausgeprägten individuellen Interesse auch einer gewissen Begabung, vor allem eine besondere Wertschätzung durch das soziale Umfeld, ein musikalisches Ambiente, für das bereits im Elternhaus der Grundstock gelegt werden muss einschließlich der Bereitstellung entsprechender finanzieller Ressourcen. So weist u.a. Müller (1990) darauf hin, dass die Begegnung mit Musik bereits im Elternhaus frühzeitig eingeübt werden muss, soll sie im weiteren Sozialisationsverlauf stabil verankert bleiben. Der aktiv-tätige Umgang mit Musik, das Erlernen eines Instruments und insbesondere das Klassik-Musizieren korrelieren nach ihren Ergebnissen stärker mit der sozialen Herkunft der Eltern als mit selbst erworbenem Bildungskapital, sie resultieren aus einer frühzeitigen Vertrautheit im praktischen Umgang mit Musikinstrumenten in der Familie (a.a.O., S. 122 ). Die stärker bildungsorientierten Familien sind wohl auch eher dazu in der Lage, die erforderlichen finanziel-
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Christine Preiß
len und räumlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, auch weil es milieubedingt zu ihrem kulturellen Erziehungsverständnis gehört, ihren Kindern auf diesem Gebiet Wissen und Können zu ermöglichen. Andererseits liegt es nahe, dass die musikalische Erziehung insbesondere in den Gymnasien mit einer besonderen Angebotsstruktur (regulärer Musikunterricht, Wahlpflichtfächer, Arbeitsgruppen etc.) eine nicht zu unterschätzende Anregungsfunktion besitzt und sich hier auch der Einfluss dieser schulischen Aktivitäten niederschlägt, weshalb das Gymnasium hier vor allen anderen Schulformen deutlich überwiegt. Trotz eines generell schwindenden Einflusses von Schule und Elternhaus infolge gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse und einer zunehmenden Orientierung der Jugendlichen an ihren jeweiligen Altersgruppen haben schon Allerbeck/Hoag (1985) bestätigt, dass sowohl dem familialen kulturellen Milieu als auch der schulischen Sozialisation für die Entwicklung und Ausprägung von Musikpräferenzen bei den Jugendlichen ein hoher Stellenwert beizumessen ist. 7.4 Aktiver Umgang mit Musik – das Spektrum beliebter Instrumente
Wirft man bei den aktiv Musizierenden einen Blick auf das Spektrum der Instrumente, mit denen sie sich in ihrer Freizeit beschäftigen (Tabelle 7.3) so zeigt sich, dass Gitarre, Klavier/Orgel sowie Flöte/Klarinette aber auch Keyboard zum Repertoire der Instrumente gehören, die die SchülerInnen vorwiegend erlernen. Klavier oder Orgel werden überdurchschnittlich häufig von SchülerInnen aus Elternhäusern mit hohem Sozialstatus angegeben ebenso der Gesang (p<.01 bzw. <.05). Die klassischen Streichinstrumente (Geige/Violine/Bratsche) erfreuen sich dagegen nur geringer Beliebtheit, sie rangieren noch hinter den Schlag- und Blechinstrumenten. Während sich bezogen auf das Alter der musizierenden SchülerInnen statistisch keine nennenswerten Effekte ermitteln lassen, ergeben sich im Hinblick auf das Merkmal „Geschlecht“ bei einigen musikalischen Aktivitätsformen deutliche Unterschiede. Gitarre, Schlagzeug aber auch das Auflegen, als eine besondere Form des Umgangs mit neuen Medien und das Spielen in einer Band gehören zur Domäne der Männer, sie werden überproportional häufig von diesen genannt. Dagegen gehört das Erlernen eines (klassischen) Instruments – wie z.B. Klavier/Orgel/Flöte/Klarinette auch Geige – ebenso wie der
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(Chor-)Gesang offensichtlich stärker zum weiblichen Sozialisationsund Erziehungsmuster. In den meisten aufgezählten Kategorien von Instrumenten überwiegt der Anteil der Schülerinnen. Tab. 7.3:
N Gitarre Klavier, Orgel Gesang Keyboard Querflöte, Klarinette, Flöte Teilnahme in Band Schlagzeug, Trommel Blasinstrumente (Blech) Akkordeon, Melodika Auflegen Geige, Violine, Bratsche
Instrumente spielen in der Freizeit (nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen; Angaben in %; Mehrfachantworten möglich) Geschlecht Schultyp Status der Eltern Ge- männ- weib- Haupt- Real- Gym- Berufl. niedrig unte- oberes hoch samt lich lich schule schule nasium Schule res Mittel Mittel 1070 439 616 177 266 355 272 178 492 174 102 13,4 16,6 10,9 8,5 12,4 16,6 13,2 11,8 13,4 14,9 18,6 11,9 8,7 14,3 5,1 9,0 16,6 12,9 7,9 11,8 12,6 22,5 11,9 5,7 15,7 10,2 13,9 15,5 6,3 9,6 11,8 9,8 20,6 8,3 5,5 10,2 7,9 7,5 10,4 6,6 7,3 7,5 11,5 8,8 8,3
3,0
12,3
3,4
10,2
11,3
5,9
12,4
8,3
5,7
7,8
3,7
6,4
1,9
2,8
3,4
5,6
2,2
2,8
2,8
5,7
4,9
3,6
5,0
2,4
2,8
5,3
3,1
3,3
5,1
2,4
4,6
5,9
3,3
4,1
2,8
2,8
0,4
5,9
2,9
4,5
2,4
4,6
3,9
2,1
1,4
2,6
2,3
3,4
0,8
2,6
2,2
2,2
2,9
1,0
2,1
3,9
0,8
1,1
3,0
1,4
2,9
2,2
1,8
4,0
2,0
0,9
0,2
1,5
_
1,1
1,4
0,7
0,6
0,8
0,6
2,0
Insbesondere für die o.g. klassischen Instrumente (Klavier/Orgel/ Flöte) ergeben sich erwartungsgemäß auch schulformbezogene Effekte: Sie werden überproportional häufig von Gymnasiasten genannt, wobei Flöteninstrumente aber auch zum Repertoire von Realschülern zählen. Eine musikalische Erziehung, zu deren zentralen Elementen das Erlernen eines klassischen Instruments oder auch des Gesangs gehören, ist noch immer das Privileg der sozial besser Positionierten, während sich bei SchülerInnnen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus der musikzentrierte Aktivitätsradius im Wesentlichen auf das Hören von Musik beschränkt. 7.5 Lerneffekte im Umfeld von Musik
Durch die Frage „was haben Sie dabei gelernt?“ sollten die SchülerInnen in einem Prozess der Selbstreflexion den mit ihrer musikalischen
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Aktivität verbundenen individuellen Lerneffekten nachspüren und diese benennen. In Tabelle 7.4 sind die am häufigsten von den SchülerInnen genannten Lerneffekte im Umfeld ihrer musikalischen Aktivitäten aufgeführt. Neben der Platzierung, die die einzelnen Aspekte in dieser Rangskala einnehmen, ist auffallend, dass es sich hierbei um ein weit gefasstes Spektrum von Effekten handelt, die sich unterschiedlichen, nicht nur auf das Lernen im engeren Sinne bezogenen, Dimensionen zuordnen lassen. Die häufigsten Nennungen entfielen auf den ermittelten Lerneffekt „Instrument spielen“. Dieser zentrale Lernaspekt bezieht sich auf die Ausbildung und Entwicklung von technischen Fertigkeiten bezogen auf den konkreten Umgang mit dem jeweiligen Instrument. Die Besonderheiten in der fachgerechten Handhabung und Anwendung (Beherrschung) eines Instruments erfordern neben einem gewissen „handwerklichen“ Können auch ein gewisses Grundverständnis im Sinne der Instrumentenkunde, die sich auf die jeweilige Gattung des erlernten Instruments bezieht (z.B. Tasteninstrumente im Vergleich zu Blas- oder Schlaginstrumenten). Dieser Lerneffekt wird häufiger von Jungen angegeben als von Mädchen (p<.01). Die an zweiter Stelle genannten Lerneffekte wie „Taktgefühl, Rhythmus, musikalisches Verständnis, Gehör“ beschreiben im Gegensatz zu dem eher als spezialisiert zu bezeichnenden Lerneffekt („Instrument spielen“) weitere Dimensionen musikalischen Lernens, die über die reine Handhabung eines Instruments in seiner jeweiligen Besonderheit hinaus zu den Grundelementen einer erfolgreichen musikalischen Praxis gehören und deren Verfügbarkeit neben „handwerklichem“ Geschick eine wichtige Voraussetzung für ein tieferes anwendungsbezogenes Musikverständnis ist. Die Beschreibung solcher Lerndimensionen lässt vermuten, dass sie insbesondere von jenen SchülerInnen vorgenommen wird, die bereits über eine gewisse musikalische Grundbildung und Praxis verfügen und eher als Fortgeschrittene zu bezeichnen sind, die an einer weiteren Verfeinerung ihres musikalischen Könnens arbeiten bzw. ihr Können auch in diesem Lichte zu beurteilen vermögen. Bezogen auf die statistische Überprüfung dieser Lernkategorien ergab sich nicht nur eine Abhängigkeit vom Alter und Schultyp (p<.01) sondern auch vom elterlichen Status (p<.05). So sind es auch die älteren SchülerInnen (vorwiegend Gymnasiasten und Berufsschüler) aus dem privilegierteren Sozialmilieu, die diese Lerneffekte für sich reklamieren.
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An dritter Stelle wird das „Noten lesen“ als Lerneffekt benannt. Noten sind die zentralen Strukturelemente der allgemeingültigen, internationalen Symbolsprache „Musik“, die, unabhängig von Musikgattungen und Stilrichtungen, zum Grundverständnis und zur Interpretation von Musikstücken zwingend erforderlich sind. Die Kenntnis von Noten ist nicht nur eine Voraussetzung für das Komponieren, sondern auch zur reproduktiven Wiedergabe von Musik, insbesondere zum Begreifen des Aufbaus von Musikstücken (Tonarten, Tempi, Takte etc.). Zum Verstehen und Interpretieren von Noten bedarf es eines methodisch-didaktisch aufbereiteten Lernvorganges, der nur selten ausschließlich in autodidaktischer Form erfolgt. „Noten lesen“-Lernen als wichtigstem Element zum Verstehen und Beherrschen der musikalischen Grammatik ist daher ein wichtiger Bestandteil musiktheoretischer Unterweisung im Rahmen der (schulischen) Musikpädagogik. Für diesen Lerneffekt konnte keinerlei Abhängigkeit von den soziodemographischen Merkmalen festgestellt werden. Dass die Lerneffekte „Teamfähigkeit, soziale Kompetenz“ an vierter Stelle benannt werden, mag zunächst überraschen, zumal sich hier kein enger Sinnbezug zu dem Bereich musikalischen Lernens vermuten lässt, denn sie verweisen auf komplexere, verallgemeinerbare Kompetenzen, deren Erwerb nicht auf diesen Bereich musikzentrierten Lernens beschränkt ist. Die Benennung dieser Lerneffekte kann als Hinweis auf Lernerfahrungen interpretiert werden, die sich auf den sozialen bzw. sozial-kommunikativen Charakter des jeweiligen Lernkontextes und unterschiedlicher Lernsituationen der SchülerInnen beziehen sowie auf Anforderungen, die sich unmittelbar aus der Praxis gemeinsamen Musizierens ergeben. Mit Blick auf die soziale, organisatorisch-institutionelle Einbettung des musikbezogenen Lernens und Agierens, das in unterschiedlichen sozialen Räumen, Institutionen und auch in unterschiedlichen personellen Konstellationen erfolgt, sind solche Lernerfahrungen aus Sicht der SchülerInnen offensichtlich als zentrale Elemente ihrer musikalischen Praxis zu verstehen, wobei die Artikulation dieser Lerneffekte ein höheres Reflexions- und Abstraktionsniveau bei den beurteilenden, resümierenden SchülerInnen vermuten lässt. Deshalb ist es nicht überraschend, dass die statistische Überprüfung einen signifikanten Zusammenhang mit dem Schultyp Gymnasium nachweist; so wird dieser Lerneffekt häufiger von SchülerInnen dieser Schulform genannt als von SchülerInnen anderer Schulformen (p<.05). Dagegen verweisen die weiter genannte Lerneffekte „Fingerfertigkeit, Beweglichkeit, Atemtechnik“, die sich dem instrumentellen Be-
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reich musikalischen Lernens zuordnen lassen, stärker auf ein individuelles Anforderungsprofil, das es im Hinblick auf den „professionellen“ Gebrauch des jeweiligen Instruments, auch der eigenen Stimme, zu entwickeln gilt. Abgesehen davon, dass es zur Entwicklung der genannten Fähigkeiten grundsätzlich bestimmter physiologischer Voraussetzungen bedarf, die an eine normale physische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gebunden sind, ist damit zugleich auf jenen Aspekt des Lernens verwiesen, der auf das individuell notwendige Maß an einübender Praxis durch intensives Training abzielt, um bestimmte Fähigkeiten weiter zu entwickeln bzw. technisch zu perfektionieren, was auch eine entsprechende motivationale Grundeinstellung zur Voraussetzung hat. Ähnliches gilt im Übrigen insbesondere auch für die Entwicklung der Stimme (Gesang), ein vorwiegend von den Mädchen (Gymnasiastinnen) genannter Lerneffekt (p<.01). Schließlich gehören die Kategorien „Konzentration und Disziplin“, die auch als Indiz für das bei den SchülerInnen vorhandene Maß an Leistungsorientierung zu werten sind, zum Spektrum der benannten Lerneffekte, auch wenn die Nennungen dafür gering ausfallen. Bei der Nennung dieser Lerneffekte fallen insbesondere die älteren SchülerInnen (Konzentration p<0.05) auf, ebenso wiederum die Mädchen im Hinblick auf den genannten Aspekt Disziplin (p<0.01). SchülerInnen, die selbst aktiv Musik machen, beschreiben somit als Resultat ihres musikalischen Engagements eine Reihe theoretischer und praktischer Lernerfahrungen. Damit sind einerseits zentrale Aspekte musikalischen Könnens und Wissens beschrieben, wie sie für ein breit gefächertes Spektrum von Musikgattungen und Stilrichtungen (sei es Klassik, Rock oder Pop) erforderlich sind, deren besonderes Merkmal aber darin besteht, dass sie grundsätzlich auf unterschiedliche Anwendungsfelder im Bereich Musik übertragbar sind: Die Jugendlichen müssen lernen, Noten zu lesen, sich auch Grundlagen der Musiktheorie und Instrumentenkunde aneignen, ihre Fingerfertigkeit technisch perfektionieren, ihr Gehör trainieren, ein Takt- bzw. Rhythmusgefühl entwickeln und sich mit dem jeweiligen Lernkontext (Personen, Institutionen) auseinander setzen. Andererseits zeigt das Spektrum der genannten Lerneffekte, dass damit auch Lernerfahrungen verbunden sein können, die über den Bereich musikalischer Aktivität hinaus zu einem erweiterten Kompetenzenerwerb führen, der für den weiteren Entwicklungsprozess der SchülerInnen von elementarer Bedeutung sein kann, insbesondere wenn man neben den kognitiven auch die sozial-kommunikativen oder motivationalen Aspekte dieses Lernens mit berücksichtigt.
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In den Augen der aktiv Musizierenden ist die Ausübung ihres musikalischen Hobbys kein beliebiges unverbindliches Unterfangen, sondern wird durchaus als eine Form ernsthafter „Arbeit“ verstanden, die auch mit Anstrengungen verbunden ist. Hinzu kommt, dass diese aktive Form der Beschäftigung mit Musik meist unter Anleitung und Kontrolle einer Lehrperson erfolgt, der Lernprozess schulähnlich gestaltet und daher auch mit Lernformen verbunden ist, die einer ständigen Überprüfung und Vertiefung des Erlernten („Hausaufgaben“) unterliegen, und auch Misserfolgserlebnisse verarbeitet und überwunden werden müssen. Um ein Instrument zu erlernen, bedarf es in der Regel einer konzentrierten, zielgerichteten und vor allem didaktisch aufbereiteten und angeleiteten Form des Lernens. Hier besitzt die schulische Organisationsform noch immer hohen Rang.44 Andererseits zeigen diese Befunde, dass „Hobby“ nicht immer gleichzusetzen ist mit dem bloßen Wunsch nach Entspannung und Ablenkung, sondern dass die SchülerInnen durchaus bereit sind, dies als Herausforderung für die Weiterentwicklung spezifischer individueller Fähigkeiten anzunehmen und somit auch in ihrer Freizeit Lernsituationen zu akzeptieren, die in einem hohen Maß vergleichbar sind mit Formen schulischen Lernens mit verbindlichen zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben und einer kontinuierlichen Überprüfung des Wissens und Könnens. Musikalische Hobbys, die im Rahmen informeller Gruppen (Freundschaftsbeziehungen) ausgeübt werden, wie z.B. Besuch von Musikveranstaltungen/Disco, und ohnehin den Unterhaltungs- und Entspannungseffekt, das lustvolle, Spaß bringende Element betonen, sind dagegen individuell frei gestaltbar; sie vollziehen sich auch ohne Leistungsdruck und von außen gesetzten Zwang, sei es durch Lehrpersonen oder die Familie. Daher betonen SchülerInnen, vorwiegend aus Familien mit niedrigem Sozialstatus, die sich vorrangig rezeptiv dem musikalischen Hörerlebnis hingeben, mangels einer vertiefenden, auf 44 Rund 6 Millionen Menschen beschäftigen sich in ihrer Freizeit aktiv mit Musik. Statistisch gesehen gibt es in jedem Haushalt ein Instrument, von der Blockflöte bis zum Konzertflügel. Derzeit gibt es über 1.000 staatliche Musikschulen. Im Unterschied zu den Konservatorien steht hier nicht die leistungsbetonte individuelle Musikerziehung im Sinne einer fachlichen Spezialausbildung im Mittelpunkt. Die Musikschulen fördern vor allem die musikalische Breitenbildung und Früherziehung, betreiben Nachwuchsförderung und bieten vielfältige Möglichkeiten gemeinsamen Musizierens, was sich auch in ihrem breiteren Angebot niederschlägt (vgl. Bastian 1998, S. 119f., sowie Rohlfs 1995, S. 10).
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die Entwicklung spezifischer Fähigkeiten ausgerichteten musikalischen Praxis, auch wesentlich stärker den stimulativen Aspekt. Andererseits können sich auch diese Jugendlichen, wenn auch meist beiläufig und ungeplant, Lernerfahrungen erschließen, die wichtige Elemente ihres individuellen Entwicklungsprozesses betreffen. Zugleich sind damit wichtige jugendtypische Anforderungen beschrieben (Präsentation in öffentlichen Räumen, Einüben der sozialen Kommunikation, Betonung der Körperlichkeit, Erprobung der erotisch-sexuellen Ausstrahlung etc.), die auch auf diese Weise meist unbewusst eingeübt werden. Durch die Verbindung von Musik und Tanz können die Jugendlichen z.B. lernen, sich ungezwungen zu bewegen, sich körperlich zu präsentieren und in entspannender Weise ihre Gefühle auszuleben. Solche Erlebnisse können motivierend und stimulierend wirken, sich auch selbst aktiver mit den musikalischen Interessen und Vorlieben auseinander zu setzen und zu eigener kreativer Beschäftigung mit Musik anregen (z.B. Sound mischen, Scratchen, Schreiben von Texten.) 7.6 Hip-Hop ist mehr als ein Lebensgefühl – das Beispiel der 17-jährigen Lea
Im Folgenden soll anhand des Portraits einer 17-jährigen Realschülerin (ein Beispiel aus den qualitativen Interviews) näher betrachtet werden, mit welchen Motiven und in welcher Weise sie sich die Welt des Hip-Hop als wichtiges Lern- und Erfahrungsfeld erschlossen hat. Im Hip-Hop, der Verbindung von textgebundenem Sprechgesang mit musikalisch untermalter Rhythmik, hat sie die idealen stilistischen Ausdrucksmittel gefunden, ihr „Lebensgefühl“ zu artikulieren und in dieser künstlerischen Gestaltungsform auch öffentlich zu präsentieren. Ihr Lebensmotto hat sie in einem ihrer Hip-Hop-Texte beschrieben: „Die Intention, Wissen zu schenken, lernen, das Leben selber zu lenken, das eigene Sein in Erfahrung zu tränken und Ziele erreichen, ohne andere zu kränken – genau. Das ist alles, was sich in meinem Kopf abspielt und das war eh schon schwer genug, das überhaupt so in Worte zu fassen.“
Über dieses Medium kann sie einerseits ihr ausgeprägtes Interesse an Sprache und Text, andererseits auch die Zugehörigkeit zu einer besonderen Peer-group der jugendkulturellen Szene demonstrieren. In diesem Beispiel markiert der künstlerische Auftritt einen gewissen biographischen Höhepunkt, an dem persönliche Entwicklung, individuelle Problembewältigung und die Entfaltung kultureller Kreativität
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in besonderer Weise zusammenfallen. Anhand ihrer Erfahrungen lassen sich die unterschiedlichen Funktionen von Musik und Musizieren auch noch einmal verallgemeinernd skizzieren. Musik ist für Lea: „ein absolut wichtiger Bereich in meinem Leben, weil jedes Grundgefühl, was ein Mensch in sich hat, das kann er meistens in Musik wiederfinden und mich macht Musik einfach glücklich und das ist für mich ein Teil des Lebens, ich brauch das einfach so, wenn ich unterwegs bin oder auch mich von anderen Sachen distanzieren will, dann brauch ich Musik, das ist wirklich was Lebensnotwendiges für mich. Und da find ich meine Inspiration, für mich selber zu schreiben.“
Als auslösendes Motiv für die verbale Beschäftigung mit sich selbst, insbesondere ihren Alltagsproblemen benennt sie die „Sprachlosigkeit“ in ihrem Elternhaus. So begleitet der intensive Umgang mit Sprache seit langem ihren biographischen Entwicklungsprozess. Schon in jungen Jahren hatte sie immer das Gefühl, mit ihren Fragen und Problemen allein fertig werden zu müssen. Ein wichtiger Schritt war zunächst der Versuch, ihre Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Sprache ist für sie ein Ausdrucksmittel für den kommunikativen Austausch mit anderen Jugendlichen, ein Weg, sich mit Gleichgesinnten zu verständigen aber gleichzeitig auch ein Mittel für ihren individuellen Selbstverständigungsprozess: „ ... ich hab einfach nur aufgeschrieben, um es von mir zu geben. Und irgendwann hab ich gemerkt, dass mich Lyrik oder überhaupt Sprache total faszinieren, wo ich mal ein paar Sätze von Kant gelesen hab, Aufklärung und so was, und dann dacht ich mir, Schreiben, das ist großartig, und dann hat das, was ich geschrieben hab, auch mehr Anspruch gehabt, und das hat sich immer mehr ausgeweitet, soweit bis ich gesagt hab, ich will das den Leuten weitergeben und da halt bestimmte Rhythmen von Musik gesucht hab, ich hab das dann einfach verbunden mit meinem Gefühl und dem Wunsch, dass ich das weitergeben will, weil das ein Wissensaustausch ist, der eigentlich nicht auf nem Gespräch basiert, sondern auf so nem Sende-Empfänger-Prinzip, das find ich einfach klasse.“
Eine wichtige Quelle für ihre Nachdenklichkeit, aber auch für ihre Kreativität sieht sie in ihren Lebensproblemen, die sie seit langem begleiten: Begonnen hat es damit, dass sie über ein Jahr lang ihre Lebensgeschichte und Alltagserfahrungen aufgeschrieben hat. Aus diesen Gedanken und Erlebnissen sind zwei „Bücher“ und inzwischen ca. 20 Texte für Musik entstanden. „Der Ursprung waren negative Sachen. Immer wenn mir was Schlechtes passiert ist, bin ich zu Freunden, hab mich da ausgeweint, aber dieser Spruch von
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wegen geteiltes Leid ist halbes Leid, ist Schwachsinn. Weil geteiltes Leid immer doppeltes Leid ist, wenn ich ner Freundin von was Schrecklichem erzähle und die mir nicht helfen kann, ist das für sie genauso schlimm. Dann dacht ich mir, mir geht’s nur darum, dass mir jemand zuhört und dass ich’s von mir geben kann. Und da ist Schreiben das Optimale, damit tu ich keinem weh und kann jederzeit sehen, welchen Sprung ich gemacht hab oder dass es Zeiten gab, wo’s mir schlimmer ging und ich kann halt auch ein Fazit aus dem Ganzen ziehen und ich kann Leuten helfen, denen’s genauso geht, die grad in so ner Phase sind, das ist auch ganz klasse, wenn ich das im Nachhinein lese, weil ich sehe, wo ich mich weiter entwickelt hab, Stärken oder so, das ist mir total wichtig, drum nehm ich mir auch immer die Zeit zu schreiben.“
Aktiv Musik betrieben oder ein Instrument erlernt hat sie nicht, da es bei ihr zu Hause nicht üblich war. Ihr Zugang zur Musik erfolgt über Text und Sprache. Um ihre sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu steigern, ist sie immer auf der Suche nach guter Literatur, fragt bei ihren Lehrern nach oder setzt sich in die Stadtteil-Bibliothek, denn „bei uns zu Hause liegt halt schon die Bild-Zeitung rum ...“ Um ihre Ideen und Gedanken im typischen Sprechgesang des HipHop („Hip-Hop ist eine Kunst für sich“) mit Musik zu grundieren, hat sie sich im Freundeskreis Leute gesucht, die den musikalischen Teil dazu beisteuern, d.h. „den Beat und die Klänge unterlegen“, um mit Hilfe der Musik die zur Aussage ihrer Texte passende klangliche Untermalung als Stimmungsträger zu erzeugen. In dieser Gruppe ist sie das einzige Mädchen. Alle anderen sind wie sie Schüler, meist musikalisch vorgebildete Gymnasiasten, die sich über ihr Musikinteresse kennen gelernt haben und sich regelmäßig zum privaten „Jam“ oder zu Veranstaltungen verschiedener Gruppen treffen, manchmal auch free-style-Auftritte in Kneipen wagen. „Als das erste Mal mein Name angekündigt wurde und ich aufgefordert wurde, auf die Bühne zu gehen, da war mir klar, dass ich das machen will ...“
Um ihr musikalisches Vorhaben umsetzen zu können, benötigt sie auch ein gewisses Know-how bezüglich der technischen Ausstattung und vor allem Organisationstalent, um sie zu beschaffen. Da die notwendige Ausrüstung für den privaten Gebrauch (sound-software, turn-tables, Mikrofone, Platten zum Scratchen, CD-Brenner etc.) teuer ist, finanziert die Crew ihr Hobby durch Jobs neben der Schule. Die ersten öffentlichen Auftritte organisierte Lea in Jugendfreizeitheimen. Hierzu war es zunächst erforderlich, ein Repertoire an Texten und Musik zu erarbeiten und regelmäßig zu proben, bis ihr Können so weit ausgereift war, dass sich ihre Crew einer kritischen Öffentlich-
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keit, vor allem der Konkurrenz mit anderen Gruppen, stellen konnte. Die nachhaltigste Erfahrung war, mit dem Lampenfieber umzugehen. Ermutigt hat Lea die solidarische Atmosphäre, die sie bei solchen „Auftritten im kleinen Rahmen“ begleitet hat. Es folgte die Herstellung einer eigenen CD, zu der Lea die Unterstützung der „Musikprofis“ aus der Gruppe benötigte. Ein Schüler hat die Erfahrungen aus der gemeinsamen Arbeit sogar zum Thema seiner Facharbeit:“ Hip-Hop: Geschichte seiner Entstehung und verschiedene Richtungen“ gemacht. Hierfür hat die Gruppe einen eigenen Titel geschrieben (Text und Sound) und in einem Tonstudio als CD produziert.45 Dann kam es zu Leas erstem Auftritt auf einer großen Münchner Konzertbühne: Als einzige aus ihrer Clique hatte sie alle Ausscheidungen für einen Video-clip einer bekannten Gruppe erfolgreich durchlaufen. Als Preis wurde ein Auftritt im Anschluss an deren Konzert vergeben: „Und dann war das halt soweit, dass das Konzert war und das war eigentlich so der ausschlaggebende Abend dafür, dass ich wusste, ab jetzt machst du nur noch was mit Leuten, stehst auf der Bühne. Ich bin dort gewesen, die haben halt ihre Show gemacht und am Ende gab’s Jamsession vor der ausverkauften Muffathalle, ich weiß nicht, wie viele Leute das sind, aber ich bin noch nie in meinem Leben vor so vielen Leuten gestanden. Dann hat mir einer ein Mic in die Hand gedrückt und auf einmal stand ich auf der Bühne, vor mir lauter Gesichter, und die standen da und die haben zu dem, was ich gemacht hab, applaudiert und das war großartig. Ich stand einfach da und hab spontan was rausgehauen, was mich bewegt hat, woran ich gedacht hab, als ich die ganze Show gesehen hab. Und dann waren diese zwei Minuten vorbei und ich steh da wie angewurzelt auf der Bühne und die Leute klatschen und ich hatte voll das Gefühl, dass sie mich verstanden haben ... und darum ging’s mir. Und ich ging da runter und ich war so glücklich.“
45 Angesichts dieser komplexen Lernerfahrungen merken kritische Stimmen mit Blick auf die gängige schulische Musikerziehung an, dass die traditionelle Sicht der Schule, die den jugendtypischen Musikgeschmack und auch die musikalische Praxis der Schüler oft vorschnell als anspruchslos und wenig ambitioniert abtut, nicht haltbar ist. Vielmehr weisen sie nach, dass sich, ähnlich wie beim Jazz, auch bei der Pop-Musik kompositorische Grundmuster, rhythmische Strukturen und Instrumentierungen finden lassen, die sich durchaus anspruchsvoller Stilmittel bedienen und zudem oft auf ein technisch ausgefeiltes Arrangement bei der Soundgestaltung stützen, das ein spezielles Fachwissen voraussetzt (vgl. Sudmann 1998; Terhag 1998; Vogt 2001).
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Als aktives Mitglied und faszinierte Anhängerin dieser Musikszene ist sie zudem eine fundierte Kennerin und Expertin dieses szenetypischen Milieus mit einer Vielzahl von Musikgruppen und Strömungen, was ein spezielles Insider-Wissen voraussetzt. Besonders kritisch steht sie der Schnelllebigkeit dieser Musikbranche gegenüber und thematisiert die Gefahren, die diese Welt für manche Jugendliche bereithält, indem sie ihnen unrealistische Karrierechancen vorgaukelt. Vieles was in den Medien an neuen Gruppen hervorgebracht wird, hat ihrer Meinung nach mit Hip-Hop, so wie sie ihn versteht, nur noch wenig zu tun, weil: „Hip-Hop hat ganz andere Ursprünge, was jetzt passiert, was man in den Medien sieht, das ist Verunglimpfung einfach. Viele von den Leuten, die mich bewegt haben zum Schreiben, die haben sich zurückgezogen, die leben für sich, die sind traurig, die haben Texte darüber geschrieben, wie frustriert sie sind, dass das, was sie aufgebaut haben, so kaputt gemacht wird. Man hört jetzt viel so Musik mit so Fäkalausdrücken und so Geschichten, das hat nichts mit Hip-Hop zu tun. Hip-Hop ist für mich, was für manche Leute die Epoche der Romantik war oder so, so ist Hip-Hop, das ist ein Gefühl, was die Leute in sich haben und ausdrücken.“
Die Arbeit mit Sprache und Musik will sie weiter intensivieren, weil es für sie mehr ist als ein zeitbegrenztes Hobby. Gegenwärtig hat die Schule höchste Priorität, da sie nach der Mittleren Reife noch das Abitur machen möchte, „weil ich mir erst mal so ne gesellschaftliche Basis legen muss, dass ich nicht durchhängen würde, wenn ich mal mit der Musik keinen Erfolg hab und keine Chance mehr hätte, darum erst mal Schule“. Gespräche und Literatur sind für sie wichtige Bausteine für ihre Texte, aber auch generell, um ihre Sprachfähigkeit weiter zu entwickeln. Denn der Umgang mit Sprache hat für sie die Funktion, sich „... Klarheit im Kopf zu verschaffen, weil dadurch, wenn man den ganzen Tag, also halben Tag in der Schule ist und dann wie ich so einen kleinen Nebenjob hat und immer nur an der Kasse sitzt, man hat nicht wirklich richtige Gespräche, das ist keine richtige Kommunikation, was man da hat und in der Schule schon gleich gar nicht, weil das ist ein ganz anderes Level, ganz anderes Niveau, mit der Umgangssprache, die man da führt, kann man keinen Text schreiben, geschweige denn Klarheit in seinen Kopf bringen und ich will auf alle Fälle mehr lesen, mehr weggehen, mich mehr mit Menschen treffen, wo man richtige Gespräche führt, weil das fehlt mir zumal. Wenn so ein Alltag draus besteht Schule, Arbeit, das belastet, dann schreibt man auch. Weil jeder Mensch hat ja das Bedürfnis, irgendwie über das, was er denkt, zu sprechen, also die, die ich kenn zumindest, und wenn man das nicht hat, das ist schrecklich einfach.“
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Leas Erfahrungen stehen zum einen für die in diesem Lebensalter typische Suche nach Orientierung und Selbstvergewisserung. Zum anderen ist ihre Geschichte ein Beleg für die unterstützende Wirkung des Mediums Musik/Sprache in einem schwierigen Prozess individueller Selbstreflexion und Problembearbeitung. Das bei Lea zu beobachtende wachsende Selbstbewusstsein durch den kreativen sinnstiftenden Umgang mit Sprache und Musik, eingebettet in ein soziales Netzwerk Gleichgesinnter, ist ein wichtiges Element in einem komplizierten Lernprozess, in dessen Zentrum die Entwicklung ihrer Persönlichkeit steht: „Die Problematisierung und Reflexion, d.h. zu wissen, was ich tue und warum ich etwas tue, sind dabei wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung von Ich-Stärke und Ich-Qualität einer Existenz“ (Bastian 1998, S. 135). 7.7 Zusammenfassung
Freizeit ist jener Bereich, der im Vergleich zu den Möglichkeiten der Schule ein deutlich breiter gespanntes Spektrum an Interessen und Aktivitäten der SchülerInnen abdecken kann. Die vielfältigen Angebote im jugendkulturellen Freizeitbereich jenseits der Schule durchdringen immer intensiver die Lebenswelt der Jugendlichen (der Familien und der Peer-groups). Sie werden immer unentbehrlicher für den Bereich der individuellen Freizeitgestaltung. Sie begleiten den jugendlichen Lebensalltag, durchwirken und strukturieren den außerschulischen Tages- und Zeitablauf und bieten vielfältige Bezugspunkte für individuelles, interessenbezogenes Handeln und soziale Kontakte. Der für diese Phase charakteristische, emotionsbetonte Umgang mit Musik ist ein besonderes Kennzeichen der jugendlichen Gleichaltrigenkultur. „Es sind die sensiblen Jahre, in denen das soziale Beziehungsgeflecht sich neu strukturiert und genau hier ist es die Musik, die in verstärktem Maße nicht nur Situationen klanglich grundiert, sondern emotionale Stimuli und auch emotionale Verarbeitungshilfen bietet“ (Baacke 1998, S. 14). Gerade Jugendliche sind damit nicht nur schlichte Musikkonsumenten, sondern die Musik ist Bestandteil ihrer Existenzerfahrung. Sie erleben Musik nicht als isolierten „Kulturbereich“, sondern als ein „ganzheitliches, lebensweltübergreifendes Spektrum, in dessen Brechungen die Suche nach dem Ich ihre Orientierungsmuster wählt“ (ebd.). Bezogen auf das bei den SchülerInnen ermittelte Aktivitätsspektrum im Bereich Musik wird deutlich, dass nicht nur die informellen
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Aktivitäten einen besonderen Stellenwert besitzen. Die SchülerInnen agieren in diesem Freizeitsegment in den unterschiedlichen Handlungs- und Lernfeldern, sie sind nicht auf einen bestimmten Typus von Freizeitgestaltung festgelegt. Zentriert um den Bereich Musik bieten sich den SchülerInnen vielfältige Betätigungsformen, die auch größtmögliche individuelle Erlebnisvielfalt und Gestaltungsfreiheit ermöglichen. Mit ihren Aktivitäten verbinden die SchülerInnen unterschiedliche Interessen, wobei das Bedürfnis, mit Freunden zusammen zu sein, nahezu alle Aktivitäten überlagert. Mit steigendem Alter der SchülerInnen, vor allem in Verbindung mit einer anregenden und unterstützenden sozialen Umwelt (Elternhaus, Schule), und ihrer stärkeren Einbindung in soziale Gruppenbezüge erschließen sie sich in diesem (kulturellen) Freizeitsegment neue Lernwelten, für die jeweils eigene Normen, Leistungsstandards und Anforderungsprofile gelten. So zeigen die dargestellten Befunde, dass die Ausübung ihrer musikalischen Aktivitäten nicht immer gleichzusetzen ist mit dem bloßen Wunsch nach Entspannung und Ablenkung oder Abgrenzung z.B. gegenüber der Schule und ihren Anforderungen (auch gegenüber dem Elternhaus), sondern dass die SchülerInnen auch durchaus bereit sind, diese Aktivitäten als Herausforderung für die Erprobung und Weiterentwicklung spezifischer individueller Fähigkeiten anzunehmen und in ihrer Freizeit Lernsituationen zu akzeptieren, die in einem hohen Maß vergleichbar sind mit Formen traditionellen schulischen Lernens. Wie am Beispiel „ein Instrument lernen“ gezeigt wurde, sind damit auch klar definierte Lernziele und methodische Zugänge vorgegeben, mit denen sie sich im Interesse ihres eigenen Lernerfolgs nicht nur identifizieren müssen, sondern die sie auch als anzustrebende Standards vor Augen haben (müssen), wenn sich ein entsprechend positiver Lerneffekt einstellen soll. Bezüglich des Freizeitsegments Musik lassen sich für die einzelnen Sozialindikatoren z.T. deutliche Unterschiede ausmachen: Vor allem die weniger begünstigten SchülerInnen aus einem Elternhaus mit niedrigem Sozialstatus können bei ihren Aktivitäten in diesem Bereich nur wenig mit Unterstützung von außen rechnen. Eine musikalisch orientierte Tätigkeit setzt nicht nur ein bestimmtes Interesse auf Seiten der Jugendlichen voraus, sondern vor allem eine Gelegenheitsstruktur (Anregung und Unterstützung seitens der Familie und/oder der Schule bzw. Freunde). Vergleicht man die Schulformen miteinander, so wird deutlich, dass das Gymnasium gemäß seinem definierten Bildungs- und Erziehungsauftrag deutlich mehr Möglichkeiten bietet, dem Anspruch ge-
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recht zu werden, seine Schülerklientel durch ein entsprechendes Unterrichtsangebot an vielfältige kulturell-kreative Aktivitäten heranzuführen und zu fördern. In Verbindung mit dem Bildungsstatus der Eltern erweisen sich die GymnasiastInnen als die aktiven Teilnehmer am musisch-kulturellen Leben. Auffallend ist, dass der Aktionsradius der Schülerinnen in diesem kulturellen Freizeitsegment deutlich weiter gespannt ist als bei den Schülern, wobei sich bei den Aktivitäten der Mädchen nicht nur privater und öffentlicher Raum stärker durchmischen, sondern auch formalisierte, schulähnliche Lernformen (Instrument lernen) diesen Freizeitbereich strukturieren. Weibliche, gut gebildete Jugendliche pflegen ihr Hobby in diesem Freizeitfeld mit steigendem Alter an unterschiedlichsten Orten und in vielfältigen sozialen Bezügen (Freundschafts-, auch Familienbeziehungen), aber auch in organisierter Form (z.B. in der Schule oder auch im Verein/Orchester). Fasst man die Ergebnisse zusammen, so könnte man die These formulieren, dass für die Schülerinnen die Lernoptionen im Umgang mit Musik deutlich weiter gespannt sind, wodurch sie ein größeres Spektrum an Kompetenzen erwerben können als ihre männlichen Altersgenossen. Die positiven Lernerfahrungen, die die SchülerInnen in diesem Freizeitsegment sammeln können, zeigen, wie wichtig gerade in der Phase der Adoleszenz auch Auseinandersetzungsformen in jugendtypischen Betätigungsfeldern sind, die zugleich Chancen einer intensiven Arbeit an sich selbst eröffnen. Musik ist für Jugendliche deshalb ein so faszinierendes Medium, weil sie nicht nur vielfältige Möglichkeiten bietet, emotional-psychische Prozesse und Vorgänge in einer individuell authentischen Form auszudrücken, sondern auch deshalb, weil sich über dieses Medium ein intensiver sozial-kommunikativer Austausch mit der jeweiligen Peer-group herstellen lässt. Für manche Jugendliche hat der Umgang mit Musik gleichsam die Funktion eines Katalysators zur Identitätsfindung und -förderung. In diesem Segment des musikzentrierten Freizeitbereichs erschließen sich die Heranwachsenden eigene Kommunikationsorte und -formen, die Chancen für die persönliche Selbstdefinition und Identitätsfindung gerade im Prozess der Ablösung von der Familie bieten (vgl. Ferchhoff/Sander/Vollbrecht 1995; Liebau 2000). Jugendliche schaffen sich um Musik zentrierte Erlebnisräume, auch soziale Orte, die neben vielfältigen Geselligkeitsformen auch Gestaltungsfreiheit zulassen und Anregungen für die Erprobung individueller kreativer Fähigkeiten bieten.
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Alltagslernen in technisierten Welten: Kompetenzerwerb durch Computer, Internet und Handy
Der nachstehende Beitrag behandelt zunächst empirisch deskriptiv den Umgang Jugendlicher mit alltäglicher Technik, d.h. mit Computer, Internet und Handy. Anschließend wird erörtert, welche Lernmöglichkeiten sich aus der Nutzung dieser Techniken ergeben. Hierzu werden theoretisch konzeptionell drei Ebenen des Lernens unterschieden: individuelle Kontexte (z.B. SMS beim Handy, Bedienungswissen beim PC), organisationale Kontexte (z.B. schulische Nutzung, Musikarchiv) und gesellschaftliche Kontexte (z.B. Beruf, Politik). Moderne Techniken setzen, wenn es um Lernen geht, in all diesen Kontexten auf individuelle Anstrengungen, wozu die multiplen Verwendungsmöglichkeiten, welche die technischen Apparate heute bereithalten, einladen. Vor allem müssen die vielen Optionen moderner kommunikationstechnischer Apparate auf eine spezifische Nutzung hin organisiert werden. Dieser Schritt wird als „Kontextualisierung“ bezeichnet (vgl. Tully 2002c und Tully 2000). Kontextualisierung beinhaltet die Auswahl einer bestimmten Techniknutzungsoption in einer spezifischen Situation sowie deren mentale Repräsentation als gelungene oder misslungene Problemlösung. Wer kontextualisiert, so die verkürzte Formel, lernt etwas dazu. Indem insbesondere die neuen Kommunikationstechniken zum Kontextualisieren zwingen, zwingen sie auch zum Lernen. 8.1 Lernen als Aneignung technisierter Welten
Einerseits sind die Schulen am Netz, d.h. aufgrund der gemeinsamen Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Deutschen Telekom verfügen alle Schulen Deutschlands seit Oktober 2001 über einen Internetzugang. Darüber hinaus wird bereits seit 1994 an den allgemein bildenden Schulen Informationstechnische Grundbildung (ITG) unterrichtet. Andererseits sind aber auch die Ju-
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gendlichen im zunehmenden Maße technisch vernetzt. Computerspiele beispielsweise sind nicht mehr nur etwas für männliche Freaks46 – sie gehören, ebenso wie das Chatten und Surfen im Netz oder das E-Mail- und SMS-Verschicken zum Alltag fast eines jeden Heranwachsenden. Insbesondere die Kurzmitteilungen via Handy (Short Message Service, SMS) haben sich innerhalb kürzester Zeit zu einem jugendkulturell besetzten Stilmittel entwickelt, obwohl diese technische Option zunächst für Geschäftsleute konzipiert wurde, die trotz Funklöchern erreichbar bleiben wollten. Ob per SMS oder herkömmlichem Telefon, per Computer oder Auto, per Fernseher oder Radio – Jugendliche leben in einer Welt, in der die Technik zu einer bislang nicht gekannten Bedeutung gelangt ist. Ein 13-Jähriger umschreibt diese Bedeutung in einem Interview, indem er ausführt, dass er unbedingt ein Handy brauche, weil er sonst nicht weggehen könne. Mit Hilfe des Handys ist er aber erreichbar, und er kann sich mit seinen Freunden über die Freizeitgestaltung abstimmen. Dies zeigt, dass technische Apparate mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden sind, ihr Besitz wird vorausgesetzt. Und wer keines besitzt, manövriert sich möglicherweise selbst ins Abseits. Die Gründe für die Nähe von Jugendalltag und moderner Technik lassen sich z.T. aus vorliegenden Jugendstudien entnehmen. Heranwachsenden ist es wichtig, sich mit Altersgleichen (den Peers) kommunikativ zu synchronisieren, wozu Handy und Internet einen besonderen Beitrag leisten, indem sie nahezu überall eine geschützte, private Kommunikation ermöglichen. Die Peers stehen bei der Freizeitbeschäftigung ganz oben47 und die Abstimmung mit ihnen gelingt heute dank SMS und E-Mail ganz gut. Informationstechnologien verändern deshalb die Formen der Kontaktpflege oder der Informationssuche, und dies, weil sie nicht nur in den Arbeits-, sondern auch in den Schul- und vor allem Freizeitalltag integriert sind. Bis in die 1980er Jahre hinein gab es unterschiedliche Computer für unterschiedliche Nutzungen und Anwendungskontexte. Für die Kids gab es die Spielkonsolen, für die Nutzer, die das Spielen und die ernsthafte Computernutzung gleichzeitig anstrebten, gab es die ‚semiprofessionellen Computer‘ und für den Rest PCs und Terminals. Die Spiel46 Wie das vor einigen Jahren von Noller/Paul (1991) oder Weizenbaum (1982) als mögliche Gefahr erkannt wurde. 47 Vgl. hierzu z.B. Deutsche Shell (2002); Hunecke/Tully/Bäumer (2002); Zinnecker u.a. (2002).
Alltagslernen in technisierten Welten
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konsolen gibt es auch heute noch, die ‚semiprofessionellen Computer‘ aber sind verschwunden, nicht zuletzt, da auf allen Rechnern eben auch gut gespielt werden kann.48 Dies lässt sich an den Daten ablesen, die davon berichten, dass immer mehr Kinder am heimischen PC aktiv sind (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund 2001, 2002). Was lernen aber die Jugendlichen, wenn sie die moderne Technik nutzen? Wenn heute über Lernen in der Gesellschaft, und d.h. häufig ‚Informationsgesellschaft‘, gesprochen wird, dann steht folgende Idee im Vordergrund: In der Informationsgesellschaft zu leben bedeutet, dass es auf den Erwerb von und den Umgang mit Informationen ankommt (vgl. z.B. Flusser 2000). Da beständig neue Informationen hinzukommen, verringert sich die Halbwertzeit des Wissens. Dies macht die fortgesetzte Aneignung von Wissen unentbehrlich. Lernen wird so zum lebenslangen Prozess, der gleichzeitig immer situativer vonstatten geht (vgl. Gottwald 2000). Der Lernende muss Ziele und Wege des Lernens entsprechend den aktuellen Bedürfnissen selbst steuern. Technologien können diesen Vorgang unterstützen, sei es, weil sie Bildung (education) und Unterhaltung (entertainment) zum „edutainment“ kombinieren49, oder weil sie Zugänge zu bislang unzugänglichen Wissensbeständen eröffnen. Allerdings ist von diesen optimistischen Prognosen im Schulalltag recht wenig eingelöst, d.h. neue Medien sind hier bislang meist nur unzureichend zum Einsatz gekommen. Die folgenden Ausführungen möchten sich deshalb weniger an diese hoffnungsvollen Spekulationen anschließen, als vielmehr die gesellschaftliche Rahmung durch Technik betonen. Ob und wann die Optionen der Technik auch im Schulalltag angemessen ausgeschöpft werden, kann hier nicht beantwortet werden. 8.1.1 Leitthesen
Bereits seit Beginn der Computerisierungswelle in den 1980er Jahren wurden ganz unterschiedliche Vermutungen über die Bedeutung des Computers formuliert. Er wurde zum Beispiel von Klaus Haefner als Werkzeug der Zukunft apostrophiert, andere sahen in ihm eine Be48 Dem Verband für Unterhaltungssoftware folgend, sind auch im Jahre 2001 mit ca. 20 Millionen mehr Spielkonsolen als jemals zuvor in Deutschland im Einsatz. 49 Hierbei spielt u.a. die Möglichkeit, mit digitaler Technik den Lernstoff neuartig präsentieren und visualisieren zu können, eine Rolle. Der Einfluss von Bildern scheint in der Informationsgesellschaft zu wachsen (vgl. Tully 2003).
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drohung des sozialen Zusammenhalts. Unabhängig von den jeweiligen Positionen wird dem Computer mithin ein gesellschaftlich revolutionierender Charakter zugeschrieben. Und in der Tat, der Computer verändert die Welt und die Betrachtung von ihr. Viele Abläufe sind dank digitaler Technik beschleunigt und an Computer übertragen worden (Informationssysteme, e-commerce, e-banking). Da die Nutzung von Computern mit weitreichenden sozialen Veränderungen einhergeht, wurde in den 1980er Jahre die Notwendigkeit gesehen, möglichst früh und umfassend den Umgang mit Computern in der Schule zu erlernen. Die Einführung der Informationstechnischen Grundbildung (ITG) als Schulfach, aber auch die Forderung nach einem „Computerführerschein“ können dafür als Beleg dienen. Computerkompetenz ist seitdem eine Art vierte Kulturtechnik, die sich neben das Lesen, Schreiben und Rechnen gesellt. Wer ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft werden will, muss den Computer ebenso beherrschen, wie das Lesen eines Buches, das Verfassen eines Briefes oder das Anfertigen einer Steuererklärung. Besonders für die Schulen sind Entwicklungen relevant, die durch Computer oder andere Medien induziert werden. Dementsprechend setzte in der ersten Hälfte der 80er Jahre in der Bundesrepublik eine umfassende Diskussion über die Bedingungen und Folgen einer bildungspolitisch und pädagogisch vertretbaren Integration des Computers in den schulischen Alltag ein. Dabei standen sich naturgemäß verschiedene Interessengruppen mit unterschiedlichen Perspektiven gegenüber, Vor- und Nachteile wurden erörtert. Zur Beschreibung der Risiken wurde auf folgende Punkte verwiesen (vgl. Rolff/Zimmermann 1985): – – – – – – –
Zunahme an Ungleichheit der Bildungschancen verstärkte Geschlechtsrollenzuweisung Verdrängung zwischenmenschlicher Kommunikation Reduktion der Schriftsprache auf reine Textverarbeitung Maschinendenken als vorherrschender Denkmodus Dominanz der Bilder Aufweichung des öffentlichen Bildungsauftrages
Zur Verhinderung des Eintretens dieser Risiken sollten bildungspolitische Maßnahmen dienen, wie: – Einrichtung der Medienpädagogik als Teilgebiet der Pädagogik – Einführung der Informationstechnischen Grundbildung für alle
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– intensive Lehrer- und Erwachsenenweiterbildungen – Durchführung von Modellversuchen mit entsprechender wissenschaftlicher Begleitung – Schutz der Bildungseinrichtungen vor Markteinflüssen Heute hat sich die Situation der Schule noch weiter zugespitzt. Neue Techniken wie das Internet oder andere multimediale Angebote (z.B. DVD, Video on Demand) wollen nicht nur in den Schulalltag integriert sein. Sie stellen im Prinzip eine Alternative zum Schulunterricht überhaupt dar und dies insbesondere auch deshalb, weil die Kinder und Jugendlichen mit ihnen quasi selbstverständlich umgehen. Diese Techniken sind keine Techniken, auf die man das erste Mal in der Berufsausbildung trifft, sondern sie stehen in fast jedem Haushalt. Wir wollen diese veränderte Situation mit vier Thesen fassen. These 1: Digitale Technik, d.h. vor allem Netz- und Computertechnik, ist heute in der Gesellschaft weit verbreitet, ihre Nutzung ist auch für Jugendliche selbstverständlich. These 2: Digitale Technik zeichnet sich durch eine große Optionenvielfalt aus. Dies ist folgenreich: Einerseits lassen sich die Apparate aufgrund der Multioptionalität für berufliche Anwendungen, andererseits aber auch für private Verwendung entsprechend eigener Zwecksetzungen benutzen. Die ‚richtige‘ Benutzung ist der modernen Technik nicht mehr eingeschrieben. These 3: Die Gesellschaft betrachtet digitale Technik, die als Hoffnungsträger für eine neuartige wirtschaftliche Wertschöpfung und als Basis einer neuen Kultur gilt, als Baustein ihrer eigenen Zukunft. These 4: Kompetenz im Umgang mit digitaler Technik ist deshalb per se prestigeträchtig und zukunftsfähig. Die Bedienung von Computer und Netzen wird gesellschaftlich – und zwar unter Absehung der jeweiligen Verwendungsabsicht – positiv beurteilt. 8.1.2 Technik und Lernen der Generation @
Der gesellschaftliche Fortschritt wird auch weiterhin vom Besitz traditioneller Wissensbestände anhängig sein, doch fußt die Weitergabe kultureller Standards immer häufiger auf der kompetenten Beherrschung von Technik. Wer sich nicht abhängen lassen will, wer die eigene soziale Exklusion vermeiden will, achtet auf die Kompatibilität seines Equip-
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ments. Diese Veränderung zugunsten technischer Apparate und deren Beherrschung korrespondiert mit einer sozialen Gegebenheit: der Generationenzugehörigkeit. Erst für die heutige Jugend drängt sich die Kopplung von Lernen und Technik wirklich auf, ihre Eltern lernten in der Schule, weniger in der Arbeit und eher selten in der Freizeit. Erst heute sehen sich Jugendliche der Anforderung eines lebenslangen, kontextübergreifenden Lernens gegenüber. Sie sammeln damit ihre eigenen „konjunktiven Erfahrungen“ (Mannheim 1928), die sie zu einer Erlebnisgemeinschaft formen. An Bezeichnungen für diese neue Generation mangelt es nicht: Zu lesen ist von der Internetgeneration, der Generation @ oder der Computergeneration. Wie und was diese Generation wirklich lernt, wenn sie Technik benutzt, ist Gegenstand dieser Ausführungen. Ganz generell gesprochen fungieren digitale Technologien als Set von Optionen. Mit Computern lässt sich schreiben, rechnen, spielen; es lassen sich Verzeichnisse erstellen und verwalten, Musikstücke kopieren, E-Mails verschicken. Wer sich für die Spiele entscheidet, kann wiederum auswählen zwischen Denk- und Geschicklichkeitsspielen, Kampfspielen, Funny-Games, Simulationsspielen, Spielgeschichten usw. Vieldeutigkeit tritt an die Stelle von Eindeutigkeit (vgl. Tully 2000), was auch bedeutet, dass die individuelle Leistung darin besteht, passende Nutzungsformen individuell zu entfalten. An die Stelle von geordneten Verhältnissen treten informelle, d.h. in geringerem Maße institutionell geregelte Vermittlungs- und Lernformen, was im konkreten Vollzug auf „subjektive Kontextualisierungsleistungen“ hinausläuft (s.u.). Die nutzenden Subjekte bestimmen die Nutzungskontexte und reduzieren mit der Nutzung der digitalen Technik deren Multioptionalität. Je flexibler die gesellschaftlichen Vorgaben sind, desto veränderlicher sind die persönlichen Anforderungen und desto größer ist der Spielraum für subjektive Kontextualisierung. Jeremy Rifkin (2000) beschreibt in seinem Buch „Access“ einen sich abzeichnenden fundamentalen Wandel von Berufs- und Arbeitswelt. Seine Diagnose: In der Industriegesellschaft hat die menschliche Arbeitskraft „im Dienste der Produktion von Gütern und der Verrichtung von Dienstleistungen gestanden“ (a.a.O., S. 17). Im Zeitalter des Zugangs (des „access“) jedoch würde in allen Bereichen umfassend automatisiert, und selbst anspruchsvollere Tätigkeiten können nun von ,denkenden Maschinen‘ erledigt werden.50 Rifkin betont dabei, 50 Im Jahre 2050 würden nicht mehr als bis fünf Prozent der erwachsenen Bevölkerung benötigt, um die erforderlichen Waren und Dienste bereitzustellen, so Rifkin
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dass die Kommunikation selbst zunehmend zum Gegenstand von Geschäften gemacht wird. Das Leben wird fortschreitend vermarktet, und zwischen Kommunikation und Kommerz lässt sich immer weniger unterscheiden. Das Handeln, insbesondere das Kommunikationshandeln, wird nachhaltigen Veränderungen unterworfen.51 Einerseits ist dies angesichts der Ökonomisierung der Kommunikation z.B. durch Werbung, Internet oder Handy verständlich. Andererseits ist die Nutzung der Kommunikationstechnik nicht nur eine zusätzliche Möglichkeit, sondern unabdingbare Notwendigkeit. Die Subjekte müssen, um im Spiel zu bleiben, Anstrengungen auf sich nehmen. Sie können sich immer weniger auf Traditionen und Regeln berufen. Individuelle und situative Anpassungsleistungen sind unabdingbar. Je dynamischer die Entwicklungsphasen, desto bedeutsamer werden individuelle und informelle Anpassungsleistungen (vgl. Tully 2003). Die Gesellschaftsdiagnose, die von Rifkin, aber auch von anderen Autoren geliefert wird (vgl. z.B. Sennett 1998) und die eine Dynamisierung der sozialen Verhältnisse ausgehend von der ökonomischen Sphäre beschreibt, bildet den Hintergrund für die folgenden Ausführungen. 8.2 Neue Technik – jugendliche Technik 8.2.1 Zur Normalität des Aufwachsens mit Technik
Die Jugendlichen von heute wachsen in einer digitalisierten Welt auf, in der Chips inzwischen so normal wie Tageszeitungen sind: Drei von vier Personen haben eine EC-Karte (mit Chip), etwas mehr als 80% besitzen eine Karte ihrer Krankenkasse, weitere 50% nennen eine Payback-, Telefon-, Kredit- oder Bahnkarte ihr eigen (Aktuell 2003, S. 98). Elektronische Preisauszeichnungen und Scannerkassen sind (2000). Die Form der maschinellen Produktion ist billiger als die Anstellung menschlicher Arbeitskräfte. In diesem Sinne sind die nach Indien ausgelagerten Service- und Produktionsleistungen (von Banken, Softwareherstellern etc.) beispielgebend. Rifkin prognostiziert weiterhin einen massiven Personalabbau in Fabriken und Büros. 51 Der extensive Zwang zu Flexibilität und Mobilität wird auch von Sennett (1998) betont. Regelungen werden flexibilisiert, individualisiert und ,ökonomischen Zielen‘ unterworfen. Statt der ,Ware Arbeitskraft‘ könnte es unter der Bedingung der Wissensökonomie zur ,Ware Persönlichkeit‘ kommen.
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Standard eines jeden Supermarkts. Diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Computer und andere technische Errungenschaften haben die Aura des Außergewöhnlichen verloren und finden sich überall im Alltag. Diese Entwicklung spiegelt sich u.a. in den Inhalten verschiedener Kinofilme wieder. Ein Beispiel, der Streifen „Enthüllungen“ (mit Michael Douglas und Demi Moore), stellt die zunehmende Artifizierung des Lebens exemplarisch dar. Der Film beginnt mit einer Szene, in der die Tochter des Hauptdarstellers an einem Computer spielt, auf dessen Bildschirm die Ankunft einer E-Mail symbolisiert wird. Die Tochter ruft daraufhin ihrem Dad zu: „There is a mail for you“. Die Botschaft jenseits dieses Zurufs lautet, dass bereits Kinder fraglos mit neuen Techniken umgehen können und müssen. Um deren Bedienung einzuüben, stehen nicht nur der heimische PC, sondern auch der Gameboy oder das Handy zur Verfügung. Es überrascht schließlich nicht, dass der Fall des Films mit Hilfe eines Handys und dessen Wahlwiederholung geklärt wird. Ungeachtet der Wirklichkeitsnähe dieses einen Films zeigt sich, dass die Gesellschaft sich auf neue Techniken in all ihren Bereichen einlässt und dass die Jugendlichen in ihrem Bestreben nach eigenen Erfahrungsräumen besonders bereitwillig auf innovative technische Angebote zurückgreifen. Wir wollen diese These anhand einiger Trends zur technischen Ausstattung von Hauhalten belegen (vgl. Statistisches Bundesamt 2002, S. 129f.): – 80% der Haushalte in Deutschland verfügen über ein Radio bzw. HiFi-Gerät, zwei Drittel über einen Videorekorder. Fast genauso viele Hauhalte besitzen einen Kabelanschluss. – Besonders rasant verlief die Entwicklung der Ausstattung mit PC, Internet und Handy: Hatten 1998 vier von zehn deutschen Haushalten einen Computer, so waren es zwei Jahre später bereits fünf von zehn Haushalten. Zugang zum Internet gab es im Jahr 2000 für 16,4% der Haushalte, was mehr als eine Verdopplung im Vergleich zu 1998 darstellt. Im gleichen Jahr konnte man in drei von zehn Haushalten ein Handy finden (1998: einer von zehn). Für alle drei Bereiche dürften die Zahlen in den Folgejahren noch erheblich weiter gestiegen sein. – Haushalte mit Kindern besitzen häufiger als andere Haushalte technisches Equipment. „Sowohl bei den Alleinerziehenden als auch – bzw. insbesondere – bei den Paaren mit Kindern ist die Ausstattung mit Geräten der IKT [Informations- und Kommunikati-
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onstechnik; d. A.] überdurchschnittlich hoch. Einen PC hatten Anfang 2000 72,3% der Haushalte von Alleinerziehenden bzw. 74,3% der Haushalte von Paaren mit Kindern. Zugang zum Internet besaßen zu diesem Zeitpunkt 18,3% der Haushalte Alleinerziehender und sogar 24% der Paarhaushalte mit Kindern. Über ein Mobiltelefon verfügte jeder dritte Haushalt von Alleinerziehenden, bei den Paaren mit Kindern zwei von fünf Haushalten“ (Datenreport 2002, S. 130). Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass Kinder diese Techniken zur Ausbildung und Unterhaltung benötigen. „Hinzu kommt ferner, dass Erwachsene in diesen Haushalten lebenszyklisch in aller Regel im Erwerbsleben stehen und dort mit innovativen Geräten der IKT arbeiten, deren Vorteile sie auch im häuslichen Umfeld nicht missen möchten“ (Datenreport 2002, S. 131). 8.2.2 Die gewachsene Bedeutung der Kommunikationstechnik
Viele der neuen Techniken können im Prinzip als Erweiterung unseres Kommunikationsvermögens betrachtet werden, die gleichzeitig unser Verständnis von Ort und Raum verändern. Kommunikation und Raumveränderung (d.h. Mobilität) gehören damit zum Eckpfeiler moderner Gesellschaften. Mit dem Handy beispielsweise kann soziologisch gesprochen über größere Distanzen hinweg gehandelt werden, und auch Handeln ist spätestens seit den Arbeiten von Niklas Luhmann und Jürgen Habermas eine Art der Kommunikation. Ganz allgemein gesprochen stellen die neuen Kommunikationstechniken Gemeinschaft ohne Bezug auf einen konkreten Ort her (vgl. Albrow 1997). Beim Festnetztelefon muss sich die angerufene Person im fraglichen Ortsnetz befinden, beim Mobiltelefon gibt es im Gegensatz dazu keine Anhaltspunkte, die den Aufenthaltsort des Kommunikationspartners betreffen. Moderne Kommunikationstechnologien gestatten einerseits die lokale Entbettung, also die Herauslösung aus unmittelbaren (familiären, städtischen oder dörflichen) Lebenszusammenhängen. Andererseits werden sie aber gleichzeitig zur Voraussetzung einer Wiedereinbettung in neue, selbstgewählte Sozialformen.52 Jugendliche fungieren dabei als Promotoren, da es nicht mehr nur männliche, hoch gebildete User gibt, sondern da der Gebrauch immer 52 Vgl. zum Thema Entbettung/Wiedereinbettung als Herausforderung moderner Gesellschaften Giddens (1995).
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weitere soziale Kreise erfasst. So sind es besonders die Frauen, denen das Handy sehr wichtig ist (vgl. Höflich 2001).53 Zentral für die weiteren Ausführungen ist die Unterscheidung von zwei Technikformen, die beide im Jugendalltag ihren Platz haben: erstens die klassische, gegenständliche Technik, worunter Auto und Moped, Fotoapparat, Plattenspieler o.ä. Artefakte subsumiert werden; zweitens die moderne, vernetzte Kommunikationstechnik, worunter die hier behandelten Techniken Computer, Internet, Handy und andere Medien fallen. McLuhan unterscheidet zwischen ,kalten‘ und ,warmen‘ Techniken. Letztere zeichnen sich insbesondere dadurch aus, dass ihnen eine genuin soziale Dimension eingeschrieben ist, d.h. ihre sinnvolle Benutzung setzt ein Netz und den Gebrauch der gleichen Technik durch andere voraus, ganz so wie der Gebrauch eines Handys von anderen genutzte Kommunikationsnetze voraussetzt; Gleiches gilt für das Internet. Das ist u.a. aufgrund der Multioptionalität der modernen Kommunikationstechnik auch notwendig: Wenn ein Apparat mehrere Anwendungen ermöglicht, so muss sich eine Gemeinschaft über die tendenziell richtige oder fallweise falsche Verwendung abstimmen. Technik, Kommunikation und Gesellschaft verweisen im „Informationszeitalter“ (Castells 2001) aufeinander. Betrachtet man sich die eher klassische Technik, deren Lerneffekte hier nur zum Teil Gegenstand sind, so berichten diverse Jugendstudien folgendes Bild: In der 13. Shell Jugendstudie zeigte sich, dass etwa zwei Drittel der Jugendlichen an Technik interessiert ist (Jugendwerk 2000). Dieses Interesse ist jedoch stark geschlechtsspezifisch, d.h. die Jungen äußern sich weit technikinteressierter als die Mädchen – ein Umstand, der bei der digitalen Technik weniger zutage tritt. Wenn es um digitale Technik geht, ist die Nutzungshäufigkeit annähernd gleich, allerdings ist die Art der Nutzung verschieden. Die Jungen praktizieren tendenziell einen spielerisch-tüftelnden Umgang mit Technik, Mädchen sind strikter am zweckhaften Einsatz interessiert. Die wichtigsten Prädiktoren für Technikinteresse sind dementsprechend auch das Geschlecht, gefolgt von der sozialen und regionalen Herkunft. Jugendliche aus ländlichen Regionen und solche mit geringerer und mittlerer Bildung sind gegenüber Auto, Moped etc. besonders aufgeschlossen – ein Ergebnis, welches im Hinblick auf die neueren Medien nicht repliziert werden kann, da diese von Personen höhe53 Allerdings dürfen bestehende ungleich verteilte Zugangschancen nicht vergessen werden (vgl. z.B. Schwab/Stegmann 2000; Vogelgesang 2002).
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rer Bildung und aus urbanen Gegenden präferiert werden. Recht ähnliche Ergebnisse über den Zugang von Jugendlichen zur klassischen Technik berichtet auch Tully (2002) auf Basis einer mehre tausend Befragte umfassenden Studie. Im Hinblick auf die moderne Kommunikationstechnik lässt sich der Forschungsstand vor der eigenen Untersuchung wie folgt resümieren:54 Die Daten sprechen, wenn es um Handy und Computer geht, für ein Abschmelzen des Stereotyps ‚Technik = Männersache‘. Mädchen ist der Besitz des Handys bereits wichtiger als Jungen; auch wenn die Ausstattung mit einem Handy zunächst dem Sicherheitsdenken der Eltern geschuldet sein mag, so zeigt sich, dass auch Mädchen gleichermaßen an dessen zusätzlichen technischen Leistungsmerkmalen und Einsatzoptionen (Design, Foto, MP3-Player usw.) interessiert sind. Beim Internetgebrauch steht ein vergleichbarer Femininisierungsgrad noch aus, wobei sich hier eine Angleichung der Geschlechter andeutet: Laut einer Umfrage unter Kindern (6- bis 13-Jährige) nutzen Mädchen und Jungen das Netz bereits im vergleichbaren Umfang (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, KIM-Studie 2002), was für die Zukunft optimistisch stimmt. Andere Zahlen stimmen weniger optimistisch, so z.B. der Befund, dass Jugendliche der Ober- und Mittelschicht das Internet häufiger frequentieren. Es sind deshalb im Wesentlichen gebildete und tendenziell noch männliche Jugendliche aus besserem Elternhaus, „die geübt sind, sich mit den neuen Wegen der Kommunikation zurecht zu finden. Hingegen bleiben vor allem die Jugendlichen mit einfacher sozialer Herkunft und geringerer Bildungsaspiration öfter außen vor“ (Deutsche Shell 2002, S. 82). 8.2.3 Jugendlicher Technikbesitz: Computer, Internet, Handy
Betrachten wir die Ergebnisse der eigenen empirischen Untersuchung, so zeigt sich für die Gesamtstichprobe eine überraschend gute Ausstattung der Haushalte mit digitalen Geräten (vgl. Tabelle 8.1). Die in Tabelle 8.1 dargestellten Zusammenhänge wurden mit einer multiplen Varianzanalyse mit drei abhängigen Variablen (Zugangsmöglichkeiten zu Computer, Internet und Handy), vier Faktoren (Ge54 Es muss darauf verwiesen werden, dass es im Bereich von Jugend und Medien zahlreiche Umfragen verschiedener Träger gibt und dass deshalb nur zentrale Ergebnisse berücksichtigt werden können.
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schlecht, Schultyp, Region und Herkunft) und zwei Kovarianten (Alter und elterlicher Status) überprüft. Im Einzelnen zeigen sich folgende Resultate: a)
Computer
Es ergeben sich signifikante Haupteffekte für elterlichen Status (F = 14.64, p<.001, eta2 = .009), Geschlecht (F = 79.93, p<.001, eta2 = .047), Region (F =4.29, p<.05, eta2 = .003) und Herkunft (F = 4.18, p<.05, eta2 = .003). Daneben bestehen Wechselwirkungen zwischen Region und Herkunft (F = 5.46, p<.05, eta2 = .003), Geschlecht, Schultyp und Region (F = 3.48, p<.05, eta2 = .006) und Schultyp, Region und Herkunft (F = 4.48, p<.01, eta2 = .008). Diese statistischen Kennziffern sind wie folgt zu interpretieren: – Je höher der elterliche Status, desto besser die Zugangsmöglichkeiten zum Computer. – Jungen haben eher Zugang zu einem Computer als Mädchen. – Auch haben Stadtbewohner bessere Zugangsmöglichkeiten zum Computer als Landbewohner. – Schüler in den westlichen Bundesländern haben bessere Zugangsmöglichkeiten zum Computer als solche im Osten. Je nach Ausprägungskombination von Geschlecht, Schultyp, Region oder Herkunft kann es um so eher im Detail zu Abweichungen kommen. So ist z.B. der bessere Zugang für Stadtbewohner weitgehend auf die westlichen Bundesländer beschränkt, während es im Osten kaum diesbezügliche Unterschiede gibt. Zugleich gibt es Konstellationen, in denen die Schüler aus dem Osten ihren westlichen Mitschülern gegenüber keineswegs benachteiligt sind, sondern ebenso gute (Gymnasien in städtischen Regionen) oder sogar etwas bessere Zugangsmöglichkeiten zum Computer haben (Haupt- und Realschulen in ländlichen Regionen). b)
Internet
Auch für den Internetzugang ergeben sich signifikante Haupteffekte für elterlichen Status (F = 33.16, p<.001, eta2 = .020) und Geschlecht (F = 49.87, p<.001, eta2 = .030) und Herkunft (F = 13.17, p<.001, eta2 = .008): Daneben besteht eine Wechselwirkung zwischen Geschlecht, Schultyp und Region (F = 4.03, p<.001, eta2 = .007).
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Das bedeutet: – Je höher der elterliche Status, desto besser die Zugangsmöglichkeiten zum Internet. – Jungen haben leichter Zugang zum Internet als Mädchen. – Schüler in den westlichen Bundesländern haben bessere Zugangsmöglichkeiten zum Internet als solche im Osten. Dabei variiert der Geschlechtseffekt in Abhängigkeit von Schultyp und Region: Die Differenz zwischen männlichen und weiblichen Berufsschülern beispielsweise ist in städtischen Regionen deutlich stärker ausgeprägt als auf dem Land. c)
Handy
Für die Zugangsmöglichkeit zu einem Handy ergibt sich ein etwas anderes Bild: Hier bestehen lediglich Haupteffekte für das Geschlecht (F = 51.74, p<.001, eta2 = .031) und den Schultyp (F = 5.08, p<.001, eta2 = .009), die übrigen Merkmale bleiben ohne signifikanten Einfluss und es treten auch keine Wechselwirkungen auf. Im Einzelnen lässt sich feststellen: Mädchen verfügen eher über ein Handy als Jungen, Berufsschüler eher als Realschüler oder Gymnasiasten und Hauptschüler ebenfalls eher als Gymnasiasten. Computer
Nahezu 95% der befragten Jugendlichen verfügen entweder allein oder zusammen mit anderen Familienmitgliedern über einen Computer. Die Shell-Jugendstudie 2002 berichtet niedrigere Werte, womöglich deshalb, weil hier nicht die Verfügung über einen Familiencomputer, sondern lediglich der eigene Besitz abgefragt wurde. Die JIMStudie kommt hingegen zu ganz ähnlichen Ergebnissen: „In 94 Prozent der Haushalte, in denen 12- bis 19-Jährige aufwachsen, gibt es mittlerweile ein Mobiltelefon, 91 Prozent der Haushalte sind mit einem Computer und 65 Prozent mit einem Internetzugang ausgestattet“ (JIM-Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest: Jugend, Information, (Multi)Media 2001, S. 13). Obwohl unsere Stichprobe keinen Anspruch auf Repräsentativität beanspruchen kann, repliziert sie vorliegende Befunde. Für den Computerbesitz zeigt sich beispielsweise, dass es Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen nur auf der Ebene der persönlichen Verfügbarkeit gibt
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– fast zwei von drei Jungen haben einen eigenen Computer, aber nur etwa eines von drei Mädchen. Nimmt man die Familiencomputer hinzu, so hebt sich dieser Unterschied auf, d.h. Jungen und Mädchen sind gleichermaßen gut mit Computern ausgestattet. Ebenfalls kaum Unterschiede existieren bezüglich des Alters, der Schulart und der Region: Obwohl ältere Befragte, Gymnasiasten, Berufsschüler und Stadtbewohner etwas häufiger einen eigenen PC haben, so findet sich für ihre jeweiligen Pendants eine höhere Frequenz des Familiencomputers. Deutlicher fallen die Ergebnisse zum Status des Elternhauses aus: Befragte aus gehobenem Elternhaus verfügen eindeutig häufiger über einen eigenen oder einen Familiencomputer. Nur 2,4% der Jugendlichen aus der höchsten Schicht besitzen keinen Computer – demgegenüber stehen 9% Jugendliche aus niedrigen Schichten. Recht ähnlich ist die Situation für Heranwachsende aus einem Elternhaus mit mindestens einem nicht in Deutschland geborenen Elternteil (nicht in Tabelle 8.1 abgebildet): Diese besitzen, möglicherweise auch aufgrund ihrer schlechteren ökonomischen Lage, seltener einen Computer – ein Umstand, der auch für die ostdeutschen Befragten gilt. Es zeigen sich mithin wichtige Differenzierungslinien, die zu einer neuen Form der (technikbezogenen) Ungleichheit führen können, welche auf klassischen Ungleichheiten (im Wesentlichen arm/reich) beruht. Internet
Für das Internet sind recht ähnliche Ergebnisse zu berichten: Obwohl bislang deutlich weniger Haushalte über einen Internetzugang als einen Computer verfügen, zeigt sich erneut, dass der Status der Eltern den stärksten Einfluss ausübt: In zwei von fünf Haushalten mit niedrigem Status fehlt der Anschluss; Gleiches gilt aber nur für jeden zehnten gehobenen Haushalt. Auch der ethnische Status der Eltern, sowie die Zugehörigkeit zu den neuen oder alten Bundesländern wirkt sich auf die Häufigkeit eines Anschlusses aus, da ausländische und ostdeutsche Haushalte weniger Internetzugänge besitzen. Zusätzlich zeigt sich der Einfluss der Schulbildung der Jugendlichen, die ja nicht ganz losgelöst vom Status der Eltern ist: Besonders groß ist der Unterschied zwischen Gymnasiasten und Hauptschülern; Letztere müssen mehr als doppelt so häufig in ihrer Familien auf das Internet verzichten. Es überrascht schließlich nicht, dass mit zunehmendem Alter auch die Anschlusshäufigkeit zunimmt; was allerdings überrascht, ist, dass Jungen mehr als doppelt so häufig über einen eigenen Anschluss
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verfügen können/wollen wie Mädchen. Obwohl es im Zuge der digitalen Techniken womöglich zu einem Abschmelzen der Rollenstereotype kommen wird, muss konstatiert werden, dass den Mädchen die Vielzahl der Nutzungsmöglichkeiten von Computer und Internet nicht so wichtig ist, während Jungen häufiger gerade an neuen technischen Features interessiert sind (CD-Brenner für MP3, Ablage von Musik-CDs auf der Festplatte usw.). Handy
Für das Handy sind diese Besorgnisse allerdings unangemessen: Die einzige Diskriminierung des Besitzes wird zwar auch auf der Basis der Geschlechtszugehörigkeit ermöglicht, aber hier sind es die Mädchen, die noch etwas häufiger als die Jungen die Vielzahl technischer Features schätzen und die diversen technischen Optionen nutzen wollen. Den weiblichen Befragten scheinen die Kern-Eigenschaften dieses Artefaktes, die vor allem in der Möglichkeit zwischenmenschlicher Kommunikation und Koordination liegen, wichtig. Ein kritischer Betrachter mag hier einwenden, dass diese Eigenschaften der weiblichen Rolle näher stehen und die stärkere Zuwendung der Frauen zum Handy erklären – und damit das Rollenstereotyp weiter verfestigen. Demgegenüber wäre jedoch einzuwenden, dass dann über vier Fünftel der Männer etwas Weibliches in sich trügen, da sie auch ein Handy besitzen. Dabei bleibt die Frage offen, ob die persönlichen Nutzungsmotive und die realisierten Nutzungsweisen von Jungen und Mädchen tatsächlich dieselben sind – eine Frage, die hier nicht beantwortet werden kann. Fest steht nur, dass das Handy mittlerweile ein Alltagsphänomen im Jugendalter unter Absehung des Alters, der Bildung, des Status usw. ist. Es ist in diesem Sinne egalitär. Gleichzeitig ist es ein persönliches Medium, was die Spalte „in der Familie“ in Tabelle 8.1 zeigt; d.h. es ist eher ungewöhnlich, dass sich Jugendliche mit anderen Personen ein Handy teilen. Ubiquität und Individualität sind die zentralen Eigenschaften des Handys.
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Computer, Internet und Handy haben trotz aller Differenzierungen im Jugendalter ihren festen Platz. Dies zeigt sich auch in der Hierarchie der finanziellen Ausgaben. Im Schnitt stehen unseren Befragten 123 Euro zur Verfügung (Jungen: 128 Euro, Mädchen: 118 Euro). Von diesem Geld kaufen sich sowohl die männlichen, als auch die weiblichen Befragten zuallerst CDs und Zeitschriften (vgl. Tabelle 8.2). Danach ist für Frauen vor allem das Handy in pekuniärer Hinsicht relevant – Jungen scheint es hingegen weniger zu belasten. Für Jungen sind aber der Computer (und hier vor allem die Spiele) und das Internet wichtig. Beides spielt für den Geldbeutel der Mädchen nur eine untergeordnete Rolle. Zusammengefasst lässt sich deshalb festhalten, dass Computer, Internet und Handy nicht nur in vielen Haushalten zu finden sind, sondern dass sie ebenfalls eine ständige Investitionsquelle darstellen, wobei für Frauen das Handy, bei den Männern der Computer relevant ist. Tab. 8.2:
Wofür geben die Jugendlichen ihr Geld aus? (Rangfolge nach Geschlecht)
Güter/Leistungen CD, Zeitschriften, Bücher Handy Kino, Theater, Konzert Klamotten, Schuhe Computerspiele Auto, Motorrad, Bus Schulbedarf PC, Internet Reisen Vereins-, Klubbeiträge Essen, Lebensmittel Wohngeld, Miete
Gesamt (N = 2064) 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Mädchen (N = 1068) 1 2 3 4 7 6 5 10 8 11 9 12
Jungen (N = 963) 1 4 2 5 3 7 8 6 9 10 11 12
Es wurde zunächst mit chi2-Tests überprüft, ob sich Jungen und Mädchen in der Häufigkeit der Nennung/Nichtnennung der einzelnen Medien voneinander unterscheiden. Dabei konnten in der Tat für alle Medien signifikante Geschlechtseffekte nachgewiesen werden. Das Medium „Computer/Internet“ wird häufiger von Jungen als von Mädchen genannt (p<.001), alle übrigen Medien werden dagegen bevorzugt von den Mädchen genannt (TV: p<.01; Handy: p<.001; Bücher: p<.001; Zeitungen/Zeitschriften: p<.01). Anschließend wurde mit Rangsummentests nach Mann-Whithney überprüft, ob sich innerhalb der Gruppen der jeweiligen Nutzer Ge-
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schlechtseffekte für die Nutzungsdauer nachweisen lassen. Im Ergebnis zeigt sich, dass männliche Computernutzer mehr Zeit auf dieses Medium verwenden als weibliche (p<.001), umgekehrt verwenden weibliche Handynutzer mehr Zeit aufs Handy als männliche (p<.01). Die Nutzungsdauer der übrigen Medien ist vom Geschlecht unabhängig. Betrachtet man schließlich die tatsächliche Nutzung technischer Artefakte so zeigt sich folgendes Bild (vgl. Tabelle 8.3): Ca. drei Viertel aller Jugendlichen nutzen mehr oder weniger regelmäßig das Fernsehen, aber auch den Computer. Bei Letzterem haben die Jungen eindeutig die Nase vorn, da vier von fünf männlichen Jugendlichen von der Nutzung berichten. Die Zeit der Nutzung ist bei beiden Geschlechtern im Hinblick auf das Fernsehen pro Woche mit im Mittel acht Stunden gleich, bezüglich der Computernutzung ist aber festzustellen, dass Jungen im Schnitt etwas mehr Zeit vor dem Bildschirm zubringen. Beim Handy zeigt sich das bereits bekannte Bild: Im Jugendalltag hat es seinen festen Platz, Mädchen nutzen es aber öfter als Jungen (die Intensität unterscheidet sich jedoch nicht). Etwas abgeschlagen finden sich die eher klassischen Medien Zeitungen/Zeitschriften und Bücher wieder. Nur jeder vierte Jugendliche liest in seiner Freizeit regelmäßig ein Buch (bei Frauen jede Dritte), vier von zehn Heranwachsenden lesen die Zeitung, wofür sie weniger Zeit aufwenden als für das Buchlesen. Im Schnitt kommt deshalb dem Buch und der Zeitung/Zeitschrift in etwa der gleiche (nachrangige) Stellenwert im Gefüge der Medien zu. Tab. 8.3:
Nutzung verschiedener Medien nach Zeit und Geschlecht (in %)
Medium
TV Handy Computer/Internet Bücher Zeitungen/Zeitschriften
Nutzungszeit: pro Woche (Mittelwert)
Gesamt
Jungen
Mädchen
N =1955
N=922
N=1033
8 Std. 6 Std. 6 Std. 5 Std. 3 Std.
76,1 60,0 76,4 25,3 39,6
73,5 48,7 83,5 15,8 35,8
78,6 70,6 70,3 33,8 42,8
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8.3 Die Rolle der Technik in der Freizeit
Über den Fragebogen wurde das Interesse an insgesamt 31 verschiedenen Freizeittätigkeiten abgefragt (vgl. Tab. im Anhang). An dieser Stelle stehen allerdings nur die technikbezogenen Freizeittätigkeiten im Vordergrund, weshalb Tabelle 8.4 nur einen Ausschnitt aus der Hierarchie der Freizeittätigkeiten wiedergibt: Betrachtet man lediglich Anfang und Ende der Rangreihe, so ähneln sich die Geschlechter in ihren Präferenzen recht stark. Beide hören am liebsten Musik bzw. treffen sich mit ihren Freunden. Die politische, kulturelle oder religiöse Beschäftigung bildet hingegen die Ausnahme. Besonders für die männlichen Befragten gilt, dass neben der Musik und den Freunden auch viel Zeit für die Beschäftigung mit Techniken bleibt, wobei die digitalen Apparate dominieren. Auto, Motorrad und Moped kommen bei den Jungen erst an zehnter Position, bei den Mädchen gar erst an 27. Position. Das hohe Interesse der Mädchen an „Computer, Internet und Handy“ dürfte zuerst auf das Konto des Handys gehen – leider sind getrennte Auswertungen hier nicht möglich. Es zeigt sich zusätzlich auch, dass der Umgang mit Foto- und Videotechnik für beide Geschlechter von gleich hohem Interesse ist. Tab. 8.4: Rang 1 2 3
Rangfolge der Freizeitinteressen Jugendlicher
Gesamt (N = 2031) Musik hören Mit Freunden zusammen sein Computer, Internet, Handy
4 5 6 : 10 :
Jungen (N = 963) Mädchen (N = 1068) Musik hören Musik hören Mit Freunden zusammen sein Mit Freunden zusammen sein Computer, Internet, Handy Fernsehen, Video, Computerspiele
Fernsehen, Video, Computerspiele : :
: Auto, Motorrad, Moped :
13 : 20 : 23 : 27 : 29 30 31
: Auto, Motorrad, Moped : Foto-, Audio-, Videotechnik :
:
: Theater/Museen Politik Religion
: Politik Theater/Museen Religion
: Foto-, Audio-, Videotechnik :
Computer, Internet, Handy : : Fernsehen, Video, Computerspiele : : Foto-, Audio-, Videotechnik : Auto, Motorrad, Moped : Theater/Museen Religion Politik
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Claus J. Tully
Auf die Frage, welche Aktivität für Jugendliche denn die wichtigste bzw. zweitwichtigste ist, wird dieses Bild der Hierarchie der Freizeitaktivitäten nur z.T. bestätigt. Für über die Hälfte der Jugendlichen (53%) zählt der Freund oder die Freundin zur wichtigsten/zweitwichtigsten Aktivität, gefolgt vom Sporttreiben (47%). Mit großem Abstand folgen das Musik Hören/Musik Machen (16%), der Computer (samt Internet; 11%), das Fernsehen (12%) und das Ausgehen (10%). Computerspiele gehören für 5%, das Auto bzw. Moped für 4% und das Handy für nur 1% der Heranwachsenden zu den wichtigsten Aktivitäten. Insofern wird der exponierte Stellenwert, den Computer, Internet und Handy zu genießen scheinen, etwas relativiert: Sie gehören zum Jugendalltag, sind hier jedoch nicht das Wichtigste. Sie sind möglicherweise eine Art notwendige Infrastruktur, um die wichtigeren Aktivitäten in die Realität umzusetzen, so z.B. wenn sich Freunde über das Handy verabreden oder per Internet über die neuesten (Sport- oder Musik-)Veranstaltungen informieren. Für männliche Jugendliche mag dieser Gedanke etwas weniger gelten als für weibliche, da Techniken im Jungenalltag einen höheren Stellenwert genießen als im Mädchenalltag, d.h. mehr Selbstzweck als Mittel zum Zweck sind. Widmen wir uns auch hier der Frage, welche Differenzierungen es jenseits des Geschlechterunterschiedes noch gibt, so erhalten wir die Ergebnisse aus Tabelle 8.5. Als Grundlage dient wiederum die Frage nach dem Interesse bezüglich 31 Aktivitäten, wobei die aus Tabelle 8.4 bekannten Aktivitäten „Fernsehen, Video, Computerspiele“, „Computer, Internet, Handy“, „Auto, Motorrad, Moped“ und „Foto-, Audio- und Videotechnik“ gesondert ausgewertet werden. Die Frage nach dem Interesse konnte auf einer 6-stufigen Ratingskala mit niedrigen Werten für hohes Interesse und hohen Werten für niedriges Interesse beantwortet werden. Fasst man aus Übersichtsgründen die Antwortkategorien „1“ und „2“ zusammen, so erhält man die Häufigkeiten für hohes Interesse, die in Tabelle 8.5 dargestellt sind. Die in Tabelle 8.5 dargestellten Zusammenhänge wurden mit einer multiplen Varianzanalyse mit vier abhängigen Variablen (Interesse an Fernsehen/Video/Computerspielen, Interesse an Computer/Internet/ Handy, Interesse an Auto/Motorrad/Moped und Interesse an Foto-, Audio- und Videotechnik), vier Faktoren (Geschlecht, Schultyp, Region und Herkunft) und zwei Kovariaten (Alter, elterlicher Status) überprüft. Dabei zeigt sich, dass keines dieser Merkmale einen signifikanten Erklärungswert für das Interesse an Foto-, Audio- und Videotechnik aufweist. Für die übrigen drei abhängigen Variablen ergibt sich das folgende Bild:
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Interesse an Fernsehen/Video/Computerspielen
Es ergeben sich signifikante Haupteffekte für das Geschlecht (F = 121.11, p<.001, eta2 =.067) und für das Alter (F = 17.93, p<.001, eta2 =.011). Darüber hinaus besteht ein Interaktionseffekt zwischen Geschlecht und Schultyp (F = 3.15, p<.05, eta2 =.006). Dabei ist das Interesse bei jüngeren Kindern größer als bei älteren und bei Jungen größer als bei Mädchen. Dieser Geschlechtseffekt variiert über die Schulformen, er ist im Gymnasium am stärksten und in der Berufsschule am schwächsten ausgeprägt. Interesse an Computer/Internet/Handy
Es ergeben sich ebenfalls signifikante Haupteffekte für das Geschlecht (F = 27.92, p<.001, eta2 =.016) und für das Alter (F = 7.54, p<.001, eta2 =.004), außerdem besteht eine Wechselwirkung zwischen Geschlecht und Herkunft (F = 5.07, p<.05, eta2 =.003). Interesse an Auto/Motorrad/Moped
Auch hier ergeben sich signifikante Haupteffekte für das Geschlecht (F = 155.05, p<.001, eta2 =.085) und für das Alter (F = 14.44, p<.001, eta2 =.009), zusätzlich aber auch für den Schultyp (F = 3.79, p<.01, eta2 =.007) und für die Herkunft (F = 7.31, p<.01, eta2 =.004). Darüber hinaus besteht ein Interaktionseffekt zwischen Geschlecht und Schultyp (F = 4.32, p<.01, eta2 =.008). Im Unterschied zu den anderen Interessengebieten ist hier das Interesse bei den älteren Schülern größer als bei den jüngeren, aber ebenfalls bei Jungen größer als bei Mädchen. Dieser Geschlechtseffekt variiert über die Schulformen, er ist in Hauptschulen am stärksten und in Berufsschulen am geringsten ausgeprägt.
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Tab.8.5:
Claus J. Tully
Interesse an Technikbereichen nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen (in %)
Variable
Gesamt Geschlecht Alter
Schule
Status der Eltern
Region Herkunft
männlich weiblich < 16 Jahre 16/17 Jahre > 17 Jahre Hauptschule Realschule Gymnasium Berufl. Schule niedrig unteres Mittel oberes Mittel hoch Stadt Land West Ost
Fernsehen, Video- u. Computerspielen 59,8 71,0 49,8 67,9 61,2 54,3 69,9 60,2 56,6 53,7 62,4 58,1 58,0 61,0 60,5 59,2 59,3 60,4
Hohes Interesse an ... Computer, InAuto, ternet, Handy Motorrad, Moped 71,1 77,4 65,8 78,7 73,0 65,4 76,9 72,6 67,0 68,1 70,7 70,8 67,9 70,9 71,3 70,9 68,2 74,1
38,9 51,6 27,4 32,2 35,5 47,1 37,7 36,7 32,2 48,9 36,3 42,5 41,0 34,5 38,2 39,5 36,6 41,3
Foto-, Audio- und Videotechnik 25,5 26,1 25,0 31,5 24,3 24,9 26,8 25,6 25,2 24,6 21,4 26,3 24,1 29,1 27,3 23,8 22,6 28,7
Bereits aus Tabelle 8.4 wissen wir, dass die digitale Technik für alle Jugendlichen die interessanteste ist. Zusammenfassend betrachtet überrascht es allerdings, dass der Status des Elternhauses hier keinen Einfluss mehr hat, was möglicherweise an der gleichzeitigen Abfrage von Computer, Internet und Handy liegt. Andererseits, und darauf deuten die Prozentzahlen (70,7 – 70,8 – 67,9 – 70,9) hin, besitzen die digitalen Techniken gerade für diejenigen Befragten eine erhöhte Anziehungskraft, die noch nicht so oft über sie verfügen können. Mit zunehmendem Alter geht das Interesse an diesen Techniken leicht zurück, was durchaus auch auf zunehmende Kontakterfahrungen und damit Sättigungserscheinungen zurückgeführt werden kann. Fernsehen und Computerspiele sind in ähnlicher Weise eher Aktivitäten für junge und männliche Befragte. Bezüglich der Foto- und Videotechnik existieren kaum Differenzen, es erstaunt die hohe Konstanz eines bestimmten Kreises an Freunden an derartigen Techniken (jeweils um die 25%). Für die klassischste aller vier aufgezählten Techniken zeigen sich schließlich auch die klassischen Unterschiede: Männer interessieren sich etwa doppelt so häufig für Auto, Motorrad und Moped; auch mit zunehmendem Alter und tendenziell geringerer Bildung steigt hier
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das Interesse (vgl. auch Tully 2002b). Obwohl es gemeinhin das Stereotyp gibt, dass solcherart Technikinteresse auf dem Land verbreiteter ist und obwohl in anderen Studien auch gerade eben dieses Stereotyp bestätigt wurde, finden sich in unserer Untersuchung keine Hinweise dafür. Insgesamt sind sich Stadt- und Landbewohner über alle Technikinteressen hinweg betrachtet sogar recht ähnlich. Bevor im letzten Abschnitt untersucht wird, in welcher Weise vor allem die neuen Kommunikationstechniken zum Lernen genutzt werden, kann an dieser Stelle resümiert werden: Digitale Techniken finden sich durchweg in fast allen Haushalten, wobei vor allem der Status des Elternhauses für den Besitz den Ausschlag gibt. Betrachtet man darüber hinaus die jeweilige Verwendung bzw. das Interesse an diesen und anderen Techniken, so findet man in vielerlei Hinsicht noch immer, dass Jungen eine intensivere Beziehung zur Technik pflegen als Mädchen – die einzige Ausnahme bildet das Handy. Allerdings zeigt sich auch, dass die allerwichtigsten Aktivitäten, die junge Menschen heute ausüben, nur vermittelt mit Techniken in Verbindung stehen: Mit Freunden treffen, Sport treiben oder Musik hören besitzt insofern eine technische Komponente, als eine Verabredung getroffen, zur Sportanlage gefahren oder ein CD-Player besessen werden muss – in früheren Zeiten war dies aber auch ohne aufwändige Technik möglich; d.h. es deutet alles darauf hin, dass moderne Techniken ein integraler Bestandteil des jugendlichen Lebens sind, ihr Besitz fraglos vorausgesetzt wird und damit die Basis für Inklusion in verschiedene jugendrelevante Bezüge darstellt. Umso problematischer ist es, wenn bestimmte Bevölkerungsteile über wichtige Techniken nicht verfügen können. Wenn die Techniken so eine breite Wertschätzung erfahren, dann ist es legitim, danach zu fragen, inwiefern sie den Lernalltag von Jugendlichen beeinflussen. 8.4 Lernen mit Computer, Internet und Handy
Spricht man über Lernen und Techniken, so müssen zwei Bereiche auseinander gehalten werden: Einerseits bedarf der sachgerechte Umgang mit Technik verschiedener Lernanstrengungen. Andererseits können vor allem die modernen, digitalen Techniken aufgrund ihrer Eigenschaft der Erzeugung und Präsentation von Bildern Aneignungsprozesse unterstützen. Insofern kann von Lernen für und Lernen mit Computer, Internet und Handy gesprochen werden. In diesem Artikel steht vor allem der erste Bereich im Vordergrund.
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8.4.1 Lernkontexte und Lernergebnisse
Eine zentrale Eigenschaft der neuen Kommunikationstechniken ist, dass sie multioptional sind, d.h. zur Lösung unterschiedlicher Aufgaben eingesetzt werden können. Dies bedeutet gleichzeitig, dass es keine vorab bestimmbare richtige Nutzung gibt, sondern dass diese erst über die jeweiligen Kontexte destilliert werden muss. Kontexte können nun zum einen gegeben, zum anderen selbst konstruiert sein. Die Nutzer befinden sich z.B. in einem institutionalisierten Kontext (wie der Schule) und müssen hier Aufgaben bearbeiten, oder sie sind zu Hause und recherchieren im Internet die neuesten Kurse für Euromünzen, kreieren also einen individuellen Nutzungskontext. Die Durchsetzung der modernen Informationstechnologien schließt zwei Entwicklungen ein. Die eine besteht in der Auflösung klarer Regelungen, die ich an anderer Stelle als Informalisierung bezeichne (Tully 1999). Die zweite besteht darin, dass aus der Vielzahl von Möglichkeiten bestimmte individuell bedeutsam gemacht werden, diese Akte bezeichne ich als Kontextualisierung (vgl. Tully 2002c und Tully 2000). Mit dem Einzug der digitalen Apparate wird gerade diese Art der Auseinandersetzung mit Lernstoffen steigen. Digitale Apparate nötigen zur subjektiven Kontextualisierung. Wenden wir uns den Kontexten der Anwendung dieser Techniken zu, so zeigt sich auch, dass hier der individuelle Zugang dominiert (vgl. Tabelle 8.6). Allerdings sind herkömmliche Medien wie Bücher und Zeitschriften gleichermaßen individualisierte Medien, d.h. Medien, die vornehmlich allein konsumiert werden. An zweiter Stelle steht die gemeinsame Nutzung mit Freunden. Wichtig ist noch die Familie, unwichtig erscheint die Schule. Gerade dieser Befund überrascht: Trotz zunehmender Computerausstattung der Schulen findet die den Jugendlichen bedeutendere Nutzung außerhalb dieser Institution statt, was auch als zusätzlicher Schritt in Richtung Informalisierung gelesen werden kann. Neue Techniken können womöglich nicht endgültig institutionell eingefangen werden. Stattdessen setzen sie auf eigenverantwortliche und informelle Aneignungsstrategien. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Institutionen völlig aus der Vermittlung technikrelevanten Wissens und Könnens zurückziehen dürfen: Wie gezeigt, sind die Angebote gerade für jene Jugendlichen wichtig, die zu Hause nicht über Computer etc. verfügen. Zusätzlich müssen Jugendliche, die wenig motiviert sind (z.B. auch Frauen), mit der Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit diesen Techniken konfrontiert werden, wozu die Schule wie keine andere Institution geeignet ist.
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Tab. 8.6:
Kontexte und Lernergebnisse der Medienanwendung (Angaben in %; Mehrfachantworten möglich)
Medium
Lerneffekt
TV
Informationsgewinnung Allgemeinwissen Unterhaltung Umgang mit Geräten nichts Handynutzung Kontakte knüpfen Umgang mit Geld Umgang mit Geräten nichts Computerkenntnisse Nutzung des Internets Informationsgewinnung Umgang mit Geräten nichts Lesen/Rechtschreibung Allgemeinwissen Informationsgewinnung Unterhaltung nichts Informationsgewinnung Allgemeinwissen Lesen/Rechtschreibung Kulturtechniken nichts
Handy
Computer/ Intern
Bücher
Zeitungen/ Zeitschriften
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Nutzungskontext 30,4 17,6 8,4 4,2 9,9 21,5 17,6 17,1 7,4 6,5 30,6 16,0 15,2 8,5 1,6 28,3 26,8 15,9 11,5 0,0 48,6 16,9 11,0 3,7 1,0
allein Freunde Familie Schule
61,2 40,3 28,3 0,1
allein Freunde Familie Schule
68,4 30,5 4,2 0,0
allein Freunde Familie Schule
80,9 19,4 8,1 2,1
allein Freunde Familie Schule
96,3 2,4 2,7 1,0
allein Freunde Familie Schule
88,6 8,9 6,2 0,5
Fragt man die Jugendlichen danach, was sie selbst bei der Nutzung gelernt haben, so unterscheiden sich die Antworten je nach betrachtetem Medium.55 Konzentrieren wir uns auf Computer, Internet und Handy, so zeigt sich für die ersten beiden Techniken, dass erworbene Computerkenntnisse den entscheidenden Lernschritt markieren. Daneben ist das Vertrautwerden mit dem Internet zentral, was ja bekanntlich die Aneignung des Aufbaus von Web-Seiten (Hypertext) und auch Kulturtechniken wie Lesen und Schreiben einschließt. Beim Handy steht wiederum das Bedienungswissen an erster Stelle. Doch nebenher werden auch die sozialen Kompetenzen geschult und der Umgang mit Geld erlernt. Insofern lässt sich folgern, dass die 55 In Tabelle 8.6 finden sich nur die wichtigsten Antworten auf die Frage nach dem Lerneffekt. Im Fragebogen wurde diese Frage offen gestellt, d.h. es gibt auch einige Lerneffekte, die mit nur geringer Häufigkeit genannt wurden und hier ignoriert werden. Es werden die jeweils vier häufigsten Effekte plus die Antwort „nichts gelernt“ berichtet.
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Nutzung digitaler Techniken die Jugendlichen mit weitaus mehr Lernaufforderungen konfrontiert, als mit der bloßen Notwendigkeit der Bedienung (die bisweilen auch recht komplex ist). Diese Techniken sind ‚warme Techniken‘ (vgl. Tully 2003), die auf soziale Vernetzung angewiesen sind. Gerade Jugendliche haben dies, ob freiwillig oder nicht, erkannt und gelernt. Möglicherweise sind es auch die eher beiläufig vonstatten gehenden Lernvorgänge (z.B. Ausgabenkontrolle, Umgangsformen im Chat), die den Jugendlichen stärkere Lernanstrengungen abverlangen; denn es ist ja so, dass die Bedienungsweisen heutiger Computer weit einfacher zu erlernen sind als vor zehn oder zwanzig Jahren. Heute ist kein Expertenstatus mehr notwendig, stattdessen ermöglichen Piktogramme und fortgeschrittene Menüführungen, dass die Dauer für das Erlernen des operativen Wissens deutlich verkürzt wird. Die sinnvolle Einbindung des technischen Artefakts in den sozialen Alltag hingegen wird vom Artefakt selbst nicht vollzogen – dies muss der Nutzer tun, der dabei auf andere Personen angewiesen ist, mit denen es sich abzustimmen gilt. 8.4.2 Kontextualisierung der Technik im Jugendalltag
Für die Beschreibung des Umgangs mit technischen Artefakten wird in der pädagogischen Literatur oftmals das Konzept der Medienkompetenz bemüht. Medienkompetenz steht für eine Schlüsselqualifikation, die aus einer „technisch-methodischen“, „sozial-kommunikativen“ und „fachlich-inhaltlichen“ Komponente besteht (vgl. Faulstich 1998, S. 311). All diese Komponenten, d.h. die Bedienung der Technik, ihre Integration in den Alltag und ihre Nutzung für Problemlösungen können auch als Akte der Kontextualisierung begriffen werden. Mit dem Gebrauch von Handy, Internet und Computer werden neue Handlungsmöglichkeiten erschlossen und gleichzeitig einige wenige Optionen aus der Angebotsvielfalt ausgewählt. Kontextualisierung ist ein subjektiv willentlicher Akt der Einbettung einer Anwendungsoption in den Lebensalltag, also auch immer ein Lernprozess. Durch Kontextualisierung wird die Komplexität der technischen Versprechungen auf wenige Anwendungen hin reduziert. Über längere Sicht formt sich auf diese Weise ein individueller Umgangsstil mit Technik. Beispielsweise offeriert das Handy die Option, Kurznachrichten zu schreiben. Für Jugendliche ist dieser Weg der Kommunikation, der billiger, dafür aber auch zeitaufwändiger ist als ein einfacher Anruf, funktionaler als für Geschäftsleute, für die der Dienst entwickelt wur-
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de. Kurznachrichten setzen sich aber erst dann durch, wenn sie einmal in der Jugendkultur und ein anderes Mal vom Jugendlichen selbst als sinnvolle Problemlösungen kontextualisiert wurden. Allgemeiner lässt sich formulieren, dass technische Neuerungen zusätzliche Lernaufforderungen für jeden Einzelnen bereithalten, die den Umgang mit dem jeweiligen Artefakt (Kontextualisierung I oder Bedienung), die Verwendung des Artefakts für spezifische Aufgabenstellungen (Kontextualisierung II oder instrumentelle Nutzung) und die Sensibilisierung des Nutzers für artefaktbedingte gesellschaftliche Veränderungen (Kontextualisierung III oder Integration) mit einschließen. Anhand einiger Beispiele sollen diese Kontextualisierungs- oder Lernschritte illustriert werden. Tab. 8.7: Kontextualisierung – Ebenen der Aneignung von Technik Kontext Individuelle Kontexte (Kontextualisierung I) Organisationale Kontexte (Kontextualisierung II) Gesellschaftliche Kontexte (Kontextualisierung III)
Lernoption
Lernziel
Aneignung der Komponenten und Software (Bedienungswissen); Kontextualisierung der Erfahrungsorientierter UmAnwendungsoptionen im Hinblick auf kon- gang krete Verwendung Informationsgewinnung und -verarbeitung (z.B. Recherche für Referate, Instrumentelle Nutzung Hausaufgaben etc.) Neue Freizeitmuster; neue soziale Differenzierungen; Veränderung des Lernalltags
Soziale Verortung
Kontextualisierung I: Die faktische Disposition über die Apparate ist die wesentliche Voraussetzung, um in irgendwelche Lerninteraktionen mit ihnen zu treten. Welche sozial ungleich verteilten Zugangschancen existieren, wurde bereits angesprochen. Unter den Bedingungen raschen Wandels in der mikroelektronischen Industrie ergibt sich darüber hinaus eine gewisse Aktualitätspflicht. Der Besitz allein macht noch nicht glücklich, sondern erst die Verfügung über spezielle (neue) Features. Der Umgang mit den Apparaten und den Features setzt nun Grundfertigkeiten der digitalen Art voraus, nur dann kann mit dem Computer geschrieben, gerechnet oder archiviert werden. Dabei sind die Bedienungsweisen für verschiedene Geräte recht ähnlich, da es meist darum geht, etwas aufzurufen, anzuklicken oder zu bestätigen usw. Auf der untersten Ebene besteht deshalb die wesentliche Lernaufforderung darin, die digitalen Bedienungsschemas zu durchschauen und sie auch auf andere Geräte zu übertragen, deren Benutzung dann in einem anderen Kontext möglich ist. Kontextualisierung bedeutet
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damit gleichzeitig auch Generalisierung: Wer den Computer bedienen kann, der wird auch mit dem Handy oder dem Internet zurechtkommen; dies heißt aber immer auch: in einer bestimmten Situation oder für eine bestimmte Aufgabenstellung mit ihnen zurechtzukommen; und das heißt: Kontextualisierung. Wir geben zur Illustration einige Auszüge aus den qualitativen Interviews wieder: Stefan, ein 17-jähriger Schüler, der sich mit Technik auskennt, berichtet von seinen ersten Umgangserfahrungen mit dem Computer, den er nach eigener Aussage recht spät, und zwar im Alter von 13 Jahren, bekommen hat: „Ja, anfangs war’s einfach nur wichtig, dass die paar Spiele, die man hatte, liefen.“
Vor der Idee an eine ernsthafte Nutzung im Sinne der Informationsverarbeitungsmaschine steht also der spielerische Kontakt, über den man sich vertraut macht, Potentiale auslotet und dabei auch die technischen Parameter kennen lernt. Wegen der hohen Anforderungen, die die Computerspiele an die Hardware stellen, wurde es dann auch „schon ziemlich kritisch, weil der Rechner immer langsamer wurde“. Dies veranlasste Stefan dazu, sich mit Hard-, aber auch mit Software zu beschäftigen: „Das fing an mit Word, so ein Packen Disketten, und da hab ich mir gedacht, oh, das ist ja doch ganz spannend.“
Alles, was Stefan hier ausführt, spricht für eine typische Form des Einstiegs in die Computerwelt. Es geht um die Aneignung von Bedienungswissen, welches die einzelnen Komponenten und die Software mit einschließt. Diese Aneignung erfolgt jugendgemäß, d.h. spielerisch, quasi nebenbei, informell, intuitiv. Um den eigenen Zugang zum Computer zu charakterisieren, benutzt er selbst den Begriff der Intuition: „Weil da gehst du ja viel intuitiver dran. Ich weiß, wie Erwachsene drangehen, ich hab in der Schule so´n PC-Mütterkurs betreut und die würden nie auf die Idee kommen, einfach mal wild irgendwo durch die Gegend zu klicken, [...] Und Kinder, die gehen einfach drauf los, oder Jugendliche, und probieren einfach aus.“
B., ein anderer Befragter, hat mit diesem Prinzip schlechte Erfahrungen gesammelt, aber ebenfalls gelernt:
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„Das war so, da hab ich einfach meinen Computer eingeschaltet, dann hab ich geguckt, die Programme gesehen und von denen hab ich ein paar gelöscht. Dabei hab ich dann für immer gelernt, so was nicht mehr zu löschen.“
Den Übergang von der spielerischen Aneignung zur systematischen, instrumentellen Nutzung erfolgt in etwa zu der Zeit, wie entdeckt wird, dass es auch noch andere Programme neben den Computerspielen gibt, die durchaus sinnvoll eingesetzt werden können. Stefan beschreibt diesen Schritt, den er zweimal durchlaufen hat, weil er auch nach Anschaffung eines neuen PCs erst einmal wieder spielen musste („da hab ich erst alles ausprobiert“), folgendermaßen: „Also auf dem alten Rechner hab ich am Anfang nur gespielt, hab dann entdeckt, oh, da gibt’s ja doch interessante Sachen; und beim Neuen war es im Prinzip auch so. Da hab ich dann die alten Sachen auch noch mal ins Neue übertragen.“
Kontextualisierung II: Inzwischen schätzt Stefan seine Kenntnisse als brauchbar ein: „Nee, nebenbei mache ich überhaupt nichts, weil ich das einfach nicht als sinnvoll erachte. Schule ist sehr umfangreich, deswegen komm ich auch gar nicht dazu, das zu machen am PC, was ich eigentlich gerne machen möchte. Und dann nebenbei noch’n Job, nee, das muss nicht sein. Ich war letztes Jahr drei Wochen in den Sommerferien bei RAG-Informatik, hab da Videos geschnitten, computergestützt. Und jetzt drei Wochen bei T-Systems.“
Stefan erkennt damit peu a peu, dass er sein Wissen instrumentell einsetzen kann, im Wesentlichen in Bezug auf die Schule oder einen zukünftigen Beruf: Dazu führt er aus, er hätte früher verschiedene Übungen bewältigt, er habe „Keisberechnungen für Mathe gebastelt“, habe das später auf Word übertragen, aber das sei im Prinzip überflüssig gewesen. Das sei eben nur so ,just for fun‘ gewesen. Künftig wolle er etwas machen „was ich auch wirklich benutzen kann, was es noch nicht gibt.“ Gleichzeitig hat Stefan auch ein Bewusstsein davon, dass der Computer weit mehr Optionen bietet, als er letztendlich realisieren kann. Er muss auswählen und sich spezialisieren: „Ja wenn man ne Computerei als großen Kuchen sieht, da hab ich noch ein ganz kleines Stückchen von; alles, das geht einfach nicht. Ich kann mich nicht gleichzeitig auf Bildbearbeitung, Programmierung, also Anwendungsentwicklung und Officeapplikation stürzen [...] Also die Bildbearbeitung, die hat mich noch nie interessiert, das fand ich immer ziemlich öde. Und dann die Programmierschiene ist schon interessanter. Da gibt’s natürlich so’n Mittelding:
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Webdesign, Internetseiten bauen [...] Ein bisschen HTML und da kann man natürlich auch ein bisschen mit Bildern rummachen, das ist auch schon ganz schön witzig.“
Die Übergangsphase in der Nutzungsweise ist also in der instrumentellen Nutzung angezeigt. Der Rechner wird nun für spezifische Zwecke eingesetzt (z.B. Musik machen, Hompages anlegen). Dabei werden bestimme Anwendungen kontextualisiert, und wie Stefan ausführt, bleiben wohl oder übel andere Optionen auf der Strecke. Nach und nach tritt aber auch der Gedanke auf den Plan, dass Techniken zur Gestaltung sozialer Zusammenhänge eingesetzt werden können, womit ein weiterer Übergang ermöglicht wird. Kontextualisierung III: Wenn Stefan sein Wissen dazu nutzt, den eigenen Bildungs- und Ausbildungsweg zu planen, gestaltet er seine soziale Verortung. Er definiert sich mit Hilfe der Technik in die Gesellschaft hinein und sucht seinen Platz. Das beginnt damit, dass andere Mitschüler auf ihn aufmerksam werden: „Ja, das ist dann die Sache, wenn man Freunde und Bekannte selber immer anweisen muss, einweisen muss [...] Ein Bekannter z.B., der macht Musik am PC, das ist auch interessant, ist auch witzig [...] Dafür hat er keine Ahnung von Programmierung, er nutzt dann den PC im Prinzip nur als Musikinstrument und weiß mehr darüber auch nicht, also wenn Windows sich aufhängt, dann ist auch wieder Holland in Not: ‚Stefan, hilf mal’. So sieht es aus.“
Stefan schult seine Kompetenzen bewusst weiter, wenn er Praktika macht und sich (über Internet) über das Studienangebot verschiedener Universitäten informiert. Gleichzeitig setzt er sich für andere Mitschüler ein, denen er sein Wissen mitteilen bzw. mit denen er neues Wissen erwerben möchte. Zum Einsatz von Medien in der Schule im Rahmen der Unterrichtszeit hat er eine sehr kritische Meinung: „Ja, Einsatz der neuen Medien, der bleibt völlig auf der Strecke. Wenn sich dann mal ein Lehrer durchringt, in den Informatikraum zu gehen [...] und ich dem Lehrer dann sagen muss, was er zu tun hat, damit es auch funktioniert, das kann nicht sein [...] da verliert der Lehrer an Glaubwürdigkeit.“
Deshalb hat Stefan auch eine „Schulweb AG“ mitgegründet: „Das ist’n elitäres Grüppchen, da wird auch nichts gelehrt im Prinzip, also alle, die schon was wissen und die kommen dann dahin und bringen sich dann ein [...] Wir kümmern uns ums Schulnetzwerk. Wir treffen uns freitags nach’m Unterricht und dann sitzen wir hier.“
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Die soziale Verortung drückt sich nicht zuletzt in der Sprache aus, die den technischen Bedingungen angepasst wird: „Aber ich bin von der Schiene begeistert, das ist Wahnsinn. Also Microsoft versucht alles platt zu machen und wir setzen Novell ein, und die machen einen auf ‚Fun shake’; ja ist okay, kann ruhig ein Microsoft-Rechner ankommen, integrieren wir mit. Und Microsoft kann das absolut nicht, da kommt irgendwie ein Linux-Rechner daher, nee, kenn ich nicht, will ich nicht, mach ich nicht. Und im Novell ist alles anders, ich mach’n Handshake.“
Stefan ist aufgrund seiner hohen Kompetenz im Umgang mit der Computertechnik ein Sonderfall. Stefan ist ein Computerfreak, der exemplarisch vorführt, wie er sich hochmotiviert fortschreitend der Logik des Computergebrauchs angenähert hat. Darüber hinaus führt er aus, wie er sich seine künftige berufliche Beschäftigung, die auf sein Computerwissen aufbaut, vorstellt. Er hat sich über lange Zeit intensiv mit der Nutzung von Computern beschäftigt und sich so informell umfassende Kenntnisse in diesem Feld angeeignet. Dennoch findet man ganz ähnliche Muster auch bei weniger kompetenten, techniknutzenden Jugendlichen. Es geht immer darum, das Artefakt in seinen Alltag zu integrieren, wozu u.a. die Sprache ein passables Mittel ist. Wenn Jugendliche dann massenhaft einen ähnlichen Integrationsstil finden, kann sich das Bild der Jugend (im Sinne der Jugendkultur) ändern. Im Endeffekt ändert sich so z.B. das Verabredungsverhalten auf Basis ständiger Erreichbarkeit per Handy, oder der Lernalltag aufgrund der informellen Eigenschaften von PC und Internet. 8.5 Ausblick
In dem vorliegenden Beitrag ging es um den Umgang Jugendlicher mit einer für sie alltäglichen Technik, also um die Nutzung von Computer, Handy und Internet. Diese Artefakte spielen, wie die Befunde zeigen, vor allem außerhalb der Schule eine herausgehobene Rolle. Wie auch immer die Anstrengungen der Schule für eine moderne Medien-, Computer- oder Internetnutzung ausgesehen mögen, Schülerinnen und Schüler sammeln gerade außerhalb des Unterrichts Erfahrungen im praktischen Umgang mit diesen zentralen Bausteinen des Informationszeitalters. Durch den Gebrauch der neuen Apparate üben sie in ihrer eigenen Wahrnehmung nicht nur den Umgang mit einem Kommunikationsmittel ein, sondern bewältigen gleichzeitig ihre soziale Einbindung. Dies gilt für die Handy-Nutzung, aber auch
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für das Internet. Beides sind Plattformen zeitgemäßer Kommunikation, die sie technisch wie sozial zu beherrschen lernen. Die befragten Jugendlichen führen dies aus, wenn sie zum Gebrauch des Handys erläutern, dass es der Anbahnung und Pflege von Kontakten und somit der Organisation des eigenen Alltags dient. Es müssen aber nicht nur die technische Beherrschung, sondern auch die monetären Wirkungen des Gebrauchs gemeistert werden. Rund um das Handy hat sich ein neuer Markt entfaltet. Handy-Verträge werden bevorzugt wegen der dazu erhältlichen neuen Handys abgeschlossen. In den Interviews wurde kenntlich, dass häufig mehrere Verträge abgeschlossen werden, dass z.B. ein Vertrag noch nicht ausgelaufen ist und bereits ein neuer abgeschlossen wird, um so an modernste Technik zu kommen. Die Verträge sind in der Regel höchst unterschiedlich ausgestattet (erlauben mehr oder weniger free-SMS usw.). Vertragsunabhängig können über teuere 0190-Nummern Klingeltöne und Logos herunter geladen werden. Handys sind – wie diese Angebote zeigen – zu einer neuen Geschäftssphäre geworden. Da die Kostenwirkung in der Regel unterschätzt wird, gilt das Handy als moderne Schuldenfalle. Und selbst mit Prepaid-Karten können sich (registrierte) Benutzer bereits verschulden; sie können nicht verfügbare Guthaben vertelefonieren, haben also einen „Überziehungskredit“, den sie mit dem nächsten Laden der Karte ausgleichen müssen. Das Handy ist also mehr als nur ein Kommunikationsmittel. Mit anderen Worten: Das Handy erleichtert die Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen und es wird, wie die Daten zeigen, auch der Umgang mit digitalen Geräten eingeübt. Aber erst wenn diese Gegenstände technisch, ökonomisch wie sozial eingebettet sind, werden sie hinreichend nutzbar. Die digitalen Grundfertigkeiten sind mithin immer nur ein Moment für die Benutzung moderner Apparate. Über die Beschäftigung mit Computern wird entsprechendes computerbezogenes Wissen erworben. Genannt werden: Computerkenntnisse, Nutzung des Internets, Umgang mit Geräten sowie Informationsgewinnung. Computernutzung zeichnet sich allerdings durch ein hohes Maß an Selbstbezüglichkeit aus. Musik herunterladen, im Internet stöbern, Texte bearbeiten u. a. m. setzt Fertigkeiten im Umgang mit dem Computer voraus. Die Bestrebungen, neue Technologien zum Gegenstand der Bildungsorganisation zu machen, verdanken sich der speziellen Qualität der neuen Technologien. Sie fungieren nicht zufällig als Potentiale gesellschaftlicher Zukunft. Die Potentialität von Technik gründet im
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Wesentlichen auf zwei Sachverhalten: (1.) Digitale Techniken werden mit bislang nicht bekannten Nutzungsmöglichkeiten gleichgesetzt – sie stehen für die Zukunftsfähigkeit einer modernen Gesellschaft. Wenn der Gebrauch von Technik mit gesellschaftlicher Zukunft zusammen gedacht wird, versteht sich das (bildungs-)politische Interesse an einer aktiven Förderung von Technikgebrauch. (2.) Darüber hinaus ist anzuführen, dass Jugend häufig zum Träger des gesellschaftlichen Fortschritts schlechthin erklärt wird. Jugend und Technik gehören in dieser Sichtweise zusammen. Da sich Jugendliche in der ihnen eigenen offenen Form in die Gesellschaft integrieren wollen und müssen, sind sie auch außerordentlich an den technologischen Innovationen interessiert. Sie beschäftigen sich mit ihnen und bauen die technischen Optionen in ihren Alltag ein. Gerade da digitale Technik multioptional verwendungsfähig ist, erfolgt ihre Nutzung auch in einer spielerischen und unernsten Weise. Auch dies kommt jugendlichen Umgangsstilen, die noch nicht von Routinen präformiert sind, entgegen. Für eine explizite Nutzung der neuen Technologien außerhalb schulischer Lernkontexte spricht eben auch, dass diese Technik in sich nicht abgeschlossen ist. Sie lässt sich in den Jugendalltag einbauen und für eigene Bedürfnisse funktionalisieren (Beispiel: neue Musiktitel herunterladen) und sie regt zu neuen Formen der Auseinandersetzung mit der Informationsgesellschaft an. Unser empirisches Material zeigt im Hinblick auf den Computerbesitz: – Je höher der elterliche Status, desto besser die Zugangsmöglichkeiten zum Computer. – Jungen haben eher Zugang zu einem Computer als Mädchen. – Auch haben Stadtbewohner bessere Zugangsmöglichkeiten zum Computer als Landbewohner. – Schüler in den westlichen Bundesländern haben bessere Zugangsmöglichkeiten zum Computer als solche im Osten. Je nach Ausprägungskombination von Geschlecht, Schultyp, Region oder Herkunft kann es im Detail zu Abweichungen kommen. So ist z.B. der bessere Zugang für Stadtbewohner weitgehend auf die westlichen Bundesländer beschränkt, während es im Osten kaum diesbezügliche Unterschiede gibt. Für den Internetzugang haben wir folgende signifikante Haupteffekte ermittelt: den elterlichen Status, das Geschlecht und die soziale Herkunft. Daneben besteht eine Wechselwirkung zwischen Geschlecht, Schultyp und Region. Das bedeutet:
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– Je höher der elterliche Status, desto besser die Zugangsmöglichkeiten zum Internet. – Jungen haben leichter Zugang zum Internet als Mädchen. – Schüler in den westlichen Bundesländern haben bessere Zugangsmöglichkeiten zum Internet als solche im Osten. Für die Zugangsmöglichkeit zu einem Handy ergibt sich ein etwas anderes Bild: Hier bestehen lediglich Haupteffekte für das Geschlecht und den Schultyp, die übrigen Merkmale bleiben ohne signifikanten Einfluss und es treten auch keine Wechselwirkungen auf. Im Einzelnen lässt sich feststellen: Mädchen verfügen eher über ein Handy als Jungen, Berufsschüler eher als Realschüler oder Gymnasiasten und Hauptschüler ebenfalls eher als Gymnasiasten. Immer umfassender spielen die zahlreichen kleinen digitalen Helfer in den Alltag Jugendlicher hinein. Sie verändern das Verabredungsverhalten, die Informationsbeschaffung, die Kommunikation, Freizeitgestaltung usw. – angefangen vom Übersetzungscomputer, über das Handy, das elektronische Spiel bis hin zur Internetrecherche für neue Musik- und Film-Downloads. Medientechnik lässt den Jugendalltag gestaltbarer erscheinen und fordert gerade deshalb zu situationsorientiertem (informellem) Lernen heraus. Für die Sozialisation kommt, theoretisch gesprochen, eine neue, technisch geformte Umwelt zum Tragen, die neben Schule, familiärem Alltag und Peers eine herausgehobene Rolle spielt. Absehbar verkehrt sich damit die Ausgangsfrage, die zum Beginn der Computerisierungswelle in Deutschland aufgeworfen wurde. Die Frage damals lautete: Wie lässt sich der Computer zum Gegenstand curricularer Bildung machen? Heute muss die Frage neu und anders gestellt werden: Wie verknüpfen Jugendliche heute die unterschiedlichen Lernwelten miteinander? Wie gestalten sie ihren Lebensalltag unter den gegebenen Bedingungen einer technisierten Umwelt? Auch für die Schule wird es notwendig aufwändiger, da sie die verändernden Lernwelten ihrer Schülerinnen und Schüler in geeigneter Form aufgreifen muss. Sie kann dabei Technik nicht mehr als ein in sich geschlossenes System vermitteln, sowie dies vordem für die Technik der Fabriken gelten mochte, sondern sie muss an den immer komplexeren technisch durchwirkten Lebenswelten anknüpfen. Sie muss die Potentiale der globalen digitalen Netze in den Blick zu nehmen, die materiellen Voraussetzung und kulturellen Schranken der Nutzung durch die unterschiedlichen Gruppen Jugendlicher analysieren und die ab-
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sehbaren gesellschaftlichen Folgen thematisieren. Wie immer die Nutzung zukunftsgerichteter gesellschaftlicher Potenzen gesehen wird, mit der Entstehung neuer Eliten ist mit neuen Formen der Ausgrenzung („knowledge gap“ und „digital divide“) zu rechnen. Wie am Beispiel der neuen Technologien gezeigt werden konnte, greifen Jugendliche die von ihnen vorgefundenen Infrastrukturen digitaler Technik auf, sie experimentieren eigenwillig und spielerisch. Da digitale Technik multioptional ist, bedarf ihre sinnhafte Benutzung komplexer Kontextualisierungsleistungen (vgl. dazu 8.4.2). Die Jugendlichen bewältigen neue Nutzungsformen und sie integrieren die neuen Kommunikations- und Informationsmuster ganz selbstverständlich in ihren Alltag. Auf diese Weise wird sowohl der Jugendalltag selbst als auch der Auftrag an Bildung verändert.
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Ergebnislinien zum außerschulischen Lernen
9.1 Lernen neben der Schule – ein aktuelles Thema
Die PISA-Studie hat sehr nachdrücklich und öffentlichkeitswirksam auf Defizite der schulischen Bildung aufmerksam gemacht und so eine ganze Reihe an wissenschaftlichen Aktivitäten angeregt.56 Eine Neuformulierung von Bildung angesichts der Tatsache, dass sich der soziale Alltag Jugendlicher in den letzten Jahrzehnten massiv verändert hat, scheint überfällig . Als Stichworte mögen an dieser Stelle dienen: das Ende der Bildungsnormalbiographie, fortschreitende Individualisierung und damit gewachsene Eigenverantwortlichkeit für die eigene Lebensplanung, eigenständiger Konsum und eigenständige Mediennutzung im Jugendalter, die gesellschaftliche Anerkennung jugendkultureller Stile, das Agieren in parallelen Welten, die Dynamisierung sozialer Verhältnisse durch Nutzung technischer Hilfsmittel und schließlich auch ein verändertes Generationsverhältnis. Wenn aus sozialwissenschaftlicher Perspektive von Individualisierung gesprochen wird, so stehen individuell differenzierte Zugänge zum gesellschaftlichen Alltag im Blick. Je differenzierter die Gesellschaft (vgl. Schimank 2000), desto weniger eindeutig die Normalbiographie des Jugendalltags. Jugendkulturen, Freizeitaktivitäten und vielfältige Formen der Selbststilisierung und Identitätsfindung stehen hierfür. Diese umfassende gesellschaftliche Differenzierung geht mit vielfältigen Zugängen zu Wissen einher (systematisch – unsystematisch), Einbindung in unterschiedliche Lernwelten, Praxis mannigfacher Lernstile usw. Neue Medien und moderne digitale Technologien erzwingen gewissermaßen situatives, selbstgesteuertes informelles Lernen.
56 Die PISA-Befunde zu den Lese- und Mathematikkompetenzen der 15-Jährigen in Deutschland und das eher fatale Abschneiden im internationalen Vergleich haben nicht nur in der Öffentlichkeit für Aufsehen gesorgt, sondern Fachöffentlichkeit wie Politik dazu angeregt, über Reformen nachzusinnen.
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Je vielschichtiger die Angebote, desto häufiger erleben Jugendliche die lebensalltägliche Praxis erweiterter Handlungs- und Entscheidungsautonomie als Diskrepanz zur Institution Schule. Wenn aktuell u.a. wegen des schlechten Abschneidens deutscher Schüler bei PISA über neue Lehrmethoden und Interaktionsstile nachgesonnen wird, wenn also ein umfassender Innovationsprozess für die Schule angesagt ist, dann spiegelt dies eine aktuelle gesellschaftliche Situation, die von hoher Dynamik und von der Ungleichzeitigkeit von Entwicklungen gekennzeichnet ist. Politische Empfehlungen wie etwa seitens des „Forum Bildung“ dokumentieren hier ebenso einen sozialen Handlungsbedarf wie einschlägige Fachdiskussionen. Wie gezeigt nimmt die Forschung zu informellen Lernprozessen eine wachsende Bedeutung in den Sozialwissenschaften ein. Dabei ist dies ein Thema, das nicht nur die Pädagogik als Fachdisziplin des Lernens beschäftigt. Der Blick über nationale Grenzen hinweg auf das informelle Lernen, wie er von Dohmen (2001) vorgenommen wurde, markiert dabei einen wichtigen Schritt. Auch in der psychologischen Lernforschung ist eine Neuakzentuierung auszumachen. Selbstgesteuertes Lernen, situatives Lernen usw. sind hier wichtige Begriffe, die zu entsprechenden Forschungen Anlass geben (vgl. Krafft 1999). Aktuell scheint sich die Forschung, soweit es um psychologische Sichtweisen geht, auf die Möglichkeiten der begrifflichen Fassung von Kompetenzen zu konzentrieren. Im Unterschied zum Lernen, das ja immer den individuellen Prozess der Aneignung im Blick hat, ist der Kompetenzbegriff nach zwei Seiten hin offen. Weder der Ort der Kompetenzaneignung, noch der der Kompetenzverwendung stehen hier im Zentrum. Es geht vorrangig darum, die jeweils erforderlichen, für situatives Handeln wichtigen Kompetenzen disponibel zu haben. Wie oben schon gezeigt, ist das Thema Lernen auch zu einem Forschungsgegenstand in der Jugendforschung und Jugendarbeit avanciert. Zu nennen sind hier Forschungen zum Freiwilligenarbeit, wobei es auch hier darum geht, Lernmöglichkeiten in informellen Settings zu untersuchen. Auch der aktuelle Jugendbericht, der im Auftrag der Bundesregierung erstellt wird, widmet sich dem Thema Bildung und Erziehung außerhalb der Schule. In diesem forschungsthematischen Kontext ist auch die jüngere sozialwissenschaftliche Kontroverse um „Selbstsozialisation vs. Selbstorganisation“ zu sehen. Sie steht für den Versuch, aus der Sicht der Sozialisationsforschung den Gegenstand Lernen neu zu thematisieren. Mit dem Schwinden klarer institutioneller Konturen im Bildungsge-
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füge regt Zinnecker an, die Bedeutung der Peers im Sozialisationsprozess strikter zu akzentuieren. Hurrelmann legt dagegen mit dem Begriff der Selbstorganisation einen Akzent auf die wachsenden Anforderungen an die reflexive Selbstkontrolle des Individuums. In der Moderne wird die Selbstfindung vorverlagert, durch die frühzeitige Individualisierung und Lernprozesse in der Altersgruppe wird das Wissen der Älteren entwertet, Selbständigkeit schon früh erlangt. Die Kernbegriffe der Sozialisationsforschung waren soziale Rolle, Integration, Anpassung; ausgehend von der wissenschaftlichen Beschäftigung drang das Grundverständnis um Sozialisation als Auseinandersetzung mit der Umwelt bis in die Alltagskommunikation vor. Der Sozialisationsbegriff wurde zu einer zentralen Kategorie in der Bildungs- und Familiensoziologie wie auch in der Kindheits-, Jugend-, Biographieund Lebenslaufforschung (Bauer 2002, S. 119). Im Hinblick auf den Vorschlag von Zinnecker zur Selbstsozialisation bemerkt Bauer eine „Entpädagogisierung der Sozialisationsthematik“ (a.a.O., S. 121). Selbstsozialisation meint eine Sozialisation, bei der vor allem Peers eine zentrale Rolle spielen.57 Hurrelmann, der seinerseits für den Begriff der Selbstorganisation plädiert, erinnert an das Grundverständnis von Sozialisation als „Prozess der Auseinandersetzung eines Menschen mit seinen biologischen und physiologischen Dispositionen und der sozialen und physikalischen Umwelt, durch den der Mensch zum gesellschaftlich handlungsfähigen Subjekt wird. Die Fähigkeit und Fertigkeiten des kompetenten Handelns werden von einer Lebensphase zur anderen modifiziert und weiter entwickelt“. Statt von ‚Selbst-Sozialisation‘ spricht Hurrelmann von einer ‚Selbstorganisation der Persönlichkeit‘, „um die wachsenden Anforderungen an die reflexive Selbstkontrolle von Menschen in modernen Gesellschaften zum Ausdruck zu bringen“ (Hurrelmann 2002, S. 155). Die auch für unsere Forschungen ausschlaggebenden Veränderungen des Jugendalltags sind bei Hurrelmann Argument für gewachsene Spielräume der Selbstorganisation: – Kinder und Jugendliche partizipieren an einem gewachsenem Konsumwarenmarkt, nutzen autonom moderne Kommunikationsmedi57 Es erwächst ein Tatbestand „dass Kinder und Jugendliche sich gegenseitig selbst sozialisieren, auch ohne Beihilfe der älteren Generationen“ (Zinnecker 2000, S. 282). Die „Netzwerke der Peers fungieren als interpretative Filter der Erwachsenenkultur. Das gesellschaftliche Normen- und Wertesystem wird darin eigenständig reproduziert und modifiziert (Bauer 2002, S. 123).
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en (Fernsehen, Radio, Computer, Internet), sie agieren in immer mehr Feldern eigenständig (vgl. Hurrelmann 2002, S. 156; Schäfers 2001, S. 55f.). – Das Handlungswissen der älteren Generation wird durch moderne Technik rasch entwertet (vgl. Tully 2003, S. 158ff. und Hurrelmann 2002, S. 156). – Die junge Generation greift neue Entwicklungen rascher auf. Viele Aufgaben des Jugendalters, die der Identitätsausbildung dienen, sind vorverlagert, finden also in biographisch früheren Phasen statt. Dennoch wird von Kindern und Jugendlichen heute „genauso wie vor 50 Jahren die Umwelt kognitiv und affektiv angeeignet, reflexiv verarbeitet und handelnd verändert, es findet nach der oben vorgestellten Definition ‚Sozialisation‘ statt“ (Hurrelmann 2002, S. 158): „Kinder und Jugendliche trifft dies in einer formativen Phase ihres Lebens. Dadurch erhalten sie die Chance, sich von Anfang an auf die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens einzurichten und mit der Pluralität der Lebenswelten umzugehen. Sie können eine Persönlichkeitsstruktur entwickeln, die auf die schnell wachsenden sozialen kulturellen Bedingungen angemessen eingeht. Wenn sie diese Situation produktiv bewältigen wollen, wird von ihnen eine enorme Virtuosität des Verhaltens und der Problemverarbeitung verlangt, um mit unterschiedlichen Wahrnehmungen und Anforderungen in verschiedenen Situationen und Lebensbereichen umzugehen und dabei einen Weg für sich selbst zu finden“ (Hurrelmann 1998, S. 272).
Der vorliegende Forschungsbericht leistet insofern einen Beitrag zu dieser aktuellen Revision eines jahrelang eingeübten Blicks auf Bildungs- und Lernprozesse, als mit dieser Untersuchung erstmals auch quantitative Daten zur Gruppe der 15- bis 18-Jährigen vorliegen. Die Auswertung unserer empirischen Daten belegt die Relevanz des Forschungsfelds ‚außerschulisches Lernen‘, das bislang in der Jugend- und Bildungsforschung relativ wenig bearbeitetet war. Wir haben oben dargestellt, dass aus jugendkultureller Sicht gesehen das selbstgesteuertes Lernen einen hohen individuellen Stellenwert besitzt (vgl. Dohmen 2001, 2002; Kirchhöfer 2001; Kraft 1999; Hungerland/Overwien 2004; Overwien 1999; Tully 1994, 2001, 2004a). Schließlich ist biographische Entwicklung, Identitätsarbeit und Selbstfindung ohne eigeninitiative Such- und Lernprozesse nicht vorstellbar. Was schon die Literatursichtung vermuten ließ, offenbaren auch die empirischen Befunde: Informelle, nicht organisierte Lernprozesse spielen im Alltag Heranwachsender eine große Rolle. Wie sich zeigt, bemühen sich die Befragten aktiv um die Erschließung zusätzlicher Bezüge; sie wollen
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ihre Fähigkeiten neben und außerhalb der Schule entfalten. Hobby, Interessensfelder und Freizeitbeschäftigungen werden so zu Gelegenheitsstrukturen, um bestimmte neue Kompetenzen, Kenntnisse und Fertigkeiten zu erwerben. Es ist ein spielerisches Changieren zwischen zweckfreier Freizeitnutzung und vorratsorientiertem Erwerb von als nützlich erachteten Qualifikationen, zwischen schwieriger Allgemeinbildung und persönlich relevanten Lernerfahrungen. Unstrittig entwikkeln Jugendliche eine deutliche Präferenz für selbstgesteuerte Aktivitäten, die in ihrer Wahrnehmung zunächst als notwendige Entwicklungen, aber auch als zeitgemäße Formen des Lernens abseits der Schule gesehen werden. Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, ist der Aktivitätsgrad unserer befragten Jugendlichen außerhalb der Schule in den einzelnen Feldern zwar unterschiedlich, dennoch aber relativ hoch. Freizeit wird immer mehr auch Lernzeit, soziales Agieren wird gestalt- und organisierbar. Der Umgang mit widersprüchlichen Anforderungen gehört zum Alltag , in dem die eigenen Interessen im Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Bezüge und Verpflichtungen erst ausgebildet und durchgesetzt werden müssen (Beispiel: Freiheit für Freizeitbeschäftigungen setzt die geschickte Organisation des vorhandenen Zeitbudgets angesichts von Schule und Nebenjob voraus). 9.2 Sport, Medien, Musik und Job: augewählte Felder des Lernens neben der Schule
Die Ergebnisse unserer Untersuchung bestätigen die Veränderung des Jugendalltags, an dessen Ende das Nebeneinander unterschiedlicher Lernformen und die gewachsene Bedeutung außerschulischer Lernprozesse steht. Insofern überprüfen wir mit unserer Fragestellung zugleich gängige Vorstellungen darüber, was Jugendliche in ihrer freien Zeit beschäftigt. Freizeit58 ist der zeitliche Anteil, der weitgehend ei58 Freizeit ist die „nicht durch Schule, Studium, Erwerbsarbeit, berufsorientierte Weiterbildung oder andere, die soziale Sicherheit betreffende Aktivitäten besetzte Zeit. Abgesehen von der notwendigen Befriedigung körperlicher Bedürfnisse (Schlaf, Nahrungsaufnahme, Körperpflege) liegt die Gestaltung der Freizeit prinzipiell im freien Ermessen des Einzelnen. Das Angebot an ideellen und konsumorientierten Formen der Freizeitgestaltung ist in den reichen industriellen Gesellschaften sehr differenziert. Die persönliche Kompetenz für eine bewusste Gestaltung der Freizeit konkretisiert sich in der Auseinandersetzung mit bzw. der Aus-
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genbestimmt für die Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Umwelt genutzt werden kann. Aus jugendsoziologischer Sicht betrachtet ist Freizeit „Lern- und Aktionsfeld“. Die sozialen Prozesse der Identitätsausbildung und sozialen Verortung, zwei zentrale Projekte im Jugendalter, müssen notwendig in einer außerschulischen Lebenswelt vorangetrieben werden. Die freie Zeit dient Jugendlichen also nicht zuletzt dazu, „zahlreiche kognitive und affektive Verknüpfungen von Kultur, Identität und sozialer Ungleichheit“ herzustellen (Lüdtke 1992, S. 262). Sie ist damit, wie die Schule auch, ein wichtiger Lernort, aber eben mit anderer Akzentuierung, eben spontaner, an die eigenen Interesse und Motivationen anknüpfend, identitätsstiftend mit Freunden organisiert. Unsere Befunde zeigen: Jugendliche gehen nicht nur zur Schule, sondern sie agieren in technischen und sozialen Netzen, machen sich mit deren Wirkweise vertraut und lernen sie beherrschen. Sie organisieren ihre (Freizeit-)Aktivitäten und entwickeln dabei spezifische Geschicklichkeiten und eigene Professionalität. Sie beurteilen das individuell erreichte Kompetenzniveau; sie prüfen, ob sie das, was sie interessiert, auch gut machen usw. Je differenzierter die Freizeitmöglichkeiten, desto vielfältiger sind auch die Muster außerschulischer Beschäftigung. In unserer Erhebung werden deshalb weniger häufig Ehrenamt, kirchenbezogene Aktivitäten und Vereinsarbeit angeführt, hingegen werden der Job, die Musik, der Sport und der Umgang mit Computer, Handy usw. als wichtige Freizeitbeschäftigungen angegeben. Jugendliche machen vieles, was den eigenen Interessen folgt: Musik (aktiv wie passiv), Freunde treffen, Einkaufen gehen, Sport (im Verein wie außerhalb), LAN-Partys. Ganz im Sinne der Multioptionsgesellschaft von Gross (1994) lassen sich unsere Befunde auch wie folgt lesen: Jungsein heute bedeutet, sich vielen Optionen gegenüber zu verhalten, selbstbestimmt auszuwählen und damit verbunden entsprechende individuelle, situationsgebundene ‚Kontextualisierungsleistungen‘ (Tully 2002c) zu erbringen. Die Auswahl bestimmter (Technik-, Musik-, Sport-, Freizeit- usw.) Optionen in einer spezifischen Handlungssituation sowie die mentale Repräsentation erfolgen im Hinblick auf eigene Präferenzen. Wer kontextualisiert, so lässt sich sagen, lernt etwas hinzu: auswählen, individuelle Nutzungspräferenzen formulieren, bewerten von Optionen im Hinblick auf eigene Zwecke. Was relevantes Wissen ist, wird somit immer wahl aus diesen gesellschaftlichen Vorgaben für Freizeit“ (dtv-Wörterbuch Pädagogik, S. 223).
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weniger vorherbestimmbar. Wenn also sich die Welt und deren individuelle Aneignung verändert, kann es kaum überraschen, dass schulische wie außerschulische Bildung in den Blick öffentlicher Begutachtung gerät. 9.2.1 Der Sport als Lernfeld
Der Sport nimmt unter den jugendlichen Freizeitaktivitäten eine dominierende Rolle ein, und zwar jenseits der Geschlechterdifferenz. Er ist für männliche Jugendliche von großer Wichtigkeit, hat aber auch für junge Frauen eine nicht geringe Bedeutung. Wir können festhalten, dass für den Sport ein hoher Zeitanteil des gesamten Freizeitbudgets zu veranschlagen ist – im Schnitt entspricht der Aufwand etwa einem (Arbeits-)Tag in der Woche. Dies macht den Stellenwert dieser Freizeitbeschäftigung anschaulich und lässt erkennen, dass in der modernen Jugendphase Körper- und Bewegungserfahrungen eine selbstverständliche und wichtige Bedingung des Aufwachsens darstellen. Sportliche Betätigungen stehen dabei häufig in einem sozialen Kontext, der zunächst durch die Familie, dann aber immer stärker durch Altersgruppen und Freunde bestimmt wird, worüber die erlebnisbetonte Körpererfahrung und die soziale Interaktion in Gruppen verschiedenartiger Verbindlichkeit zum Thema der Kommunikation werden. Den sozialen Prozess besonders zu betonen scheint uns auch deshalb wichtig, weil die Jugendlichen zum einen die sportliche Betätigung mit Freund/en, aber – etwas schwächer – auch im Verein favorisieren, zum anderen in ihrer Darstellung der Lerneffekte des Sports einen bemerkenswerten Akzent auf die sozialen Fähigkeiten legen. Ihre Antworten auf die Frage nach dem Ausmaß der eigenen Aktivitäten und dem Kompetenzgewinn geben darüber hinaus wieder, dass sie im sportlichen Bereich ein Zentrum ihrer Betätigung sehen und ihre einschlägigen Kompetenzen überwiegend als gut einschätzen. Der besondere Stellenwert von Lernprozessen in diesem Freizeitbereich lässt sich schließlich auch daran ablesen, dass Jugendliche die Absicht erkennen lassen, ihre bislang entwickelten Fähigkeiten weiter zu verbessern. Unsere eigenen Ergebnisse dokumentieren – wie dargestellt – den Rang dieses Freizeitbereichs und damit auch den hohen Anteil, den dieser an den Aktivitäten und den Lernprozessen in dieser Lebensphase innehat. Ob darin zugleich ein Beleg für positive Sozialisationsleistungen der Sportvereine zu sehen ist oder lediglich die neue Normali-
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tät einer Jugendphase des multiplen Lernens abgebildet wird, mag einstweilen offen bleiben. 9.2.2 Neue Medien und neue Technologien: Handy, Internet und Computer
Die Nutzung von Computer, Handy und Internet spielt vor allem außerhalb der Schule eine herausgehobene Rolle. Das Handy erweist sich als Kommunikationsmittel, dessen Gebrauch folgenreich ist (Anbahnung und Koordination der Kontakte in der Gruppe, aber auch Umgang mit Geld und Tarifen). Damit werden neue bislang nicht ausgebildete soziale Qualifikationen erforderlich. Häufig steht bei der Nutzung der neuen Medien und Technik die Aneignung digitaler Fertigkeiten im Vordergrund (genannt wird der Erwerb von Computerkenntnissen sowie solchen zur Nutzung des Internets). Mediennutzung scheint selbstbezügliche Lernanstrengungen zu unterstellen, als Lerneffekt wird bei Büchern der Erwerb von Lese- und Rechtschreibfertigkeiten angeführt, bei der Nutzung von Handy und Computer deren technische Handhabung. Neue Technik gilt immer als noch nicht ausgeschöpftes und damit als zukunftsgerichtetes gesellschaftliches Potential. Von daher wird Technikumgang auch über die Schulen gefördert (Computerunterricht in den Schulen, Schulen ans Netz). Generell gehen Jugendliche offener mit technologischen Innovationen um. Wie sich aktuell zeigt, bauen sie technische Optionen geschickt in ihren Alltag ein. Immer umfassender spielen die zahlreichen kleinen digitalen Helfer in den Alltag Jugendlicher hinein und verändern das Verabredungsverhalten, die Informationsbeschaffung, die Kommunikation, Freizeitgestaltung usw. – angefangen vom Übersetzungscomputer, über das Handy, das elektronische Spiel bis hin zur Internetrecherche für neue Musik- und Film-Downloads. Technik erweist sich als gestaltbar, ihre situationsorientierte Nutzung baut auf (informellem) Lernen auf. Erfahrungsorientiertes Lernen, das sich auf den Umgang mit Computer, Handy und Internet bezieht, ist selbstgesteuertes Alltagslernen und es ist – gerade an diesem Freizeitbereich gut zu beobachten – maßgeblich informell. Absehbar verkehrt sich damit die Ausgangsfrage, die zum Beginn der Computerisierungswelle in Deutschland aufgeworfen wurde. Damals ging es um die curriculare Einbindung des Computers in den
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schulischen Unterricht über das neue Fach ITG (Informationstechnische Grundbildung). Heute geht es vor allem darum, wie groß der Kreis Jugendlicher ist, der Zugang zu Internet und Handy hat. Weiter geht es darum zu untersuchen, wie die unterschiedlichen Lernwelten miteinander verknüpft werden. Da außerschulisch hochkomplexe Lernwelten erschlossen werden, geht es vorrangig darum, ob die Schule diese außerschulischen Lernprozesse integrieren kann. Jugendliche greifen die von ihnen vorgefundenen Infrastrukturen digitaler Technik auf, sie experimentieren eigenwillig und spielerisch, sie entfalten neue Nutzungsformen und sie integrieren die neuen Kommunikations- und Informationsmuster ganz selbstverständlich in ihren Alltag, was den Jugendalltag und damit zugleich den Auftrag an Bildung verändert. 9.2.3 Lernfeld Musik
Der Musik kommt eine große Bedeutung im Prozess der Verselbständigung zu, weil es sich um ein gemeinsames Jugendthema handelt, das über gruppenspezifische Geschmacksmuster Beziehungen herstellt und Abgrenzungen ermöglicht. Bezüglich des Freizeitsegments Musik/Kultur lassen sich für die einzelnen Aktivitäten z.T. prägnante geschlechtsspezifische Unterschiede ausmachen: So sind die weiblichen Jugendlichen deutlich kulturinteressierter und bildungsbeflissener als ihre männlichen Altersgenossen. Auffallend ist, dass der Aktionsradius der Schülerinnen im gesamten kulturellen Freizeitsegment deutlich weiter gespannt ist als bei den Schülern, wobei sich bei ihren Aktivitäten privater und öffentlicher Raum durchmischen. Mädchen sind in allen kulturellen Erlebnisfeldern nicht nur aktiver, sie scheinen auch generell interessierter und versuchen, die gebotenen Chancen zur Erprobung ihrer individuellen Fähigkeiten in vielfältigen sozialen Zusammenhängen gezielt zu nützen. Aufgrund ihrer Aktivitäten könnte man davon sprechen, dass sich für Mädchen gewissermaßen das formalisierte, schulähnliche Lernen (Instrument lernen/Sprachen lernen) in ihren Freizeitbereich hinein verlängert. Wie am Beispiel „ein Instrument lernen“ gezeigt werden kann, sind damit auch klar definierte Lernziele und methodische Zugänge vorgegeben, mit denen sie sich im Interesse ihres eigenen Lernerfolgs nicht nur identifizieren müssen, sondern die sie auch als anzustrebende Standards stets vor Augen haben (müssen), wenn sich ein entsprechend positiver Lerneffekt einstellen soll.
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Fasst man die Ergebnisse zusammen, so könnte man die These wagen, dass für die Schülerinnen die Lernoptionen in diesem Freizeitsegment deutlich weiter gespannt sind. Sie nehmen nicht nur von den gebotenen Gelegenheitsstrukturen mehr für ihre persönliche Entwicklung in Anspruch, sondern erwerben sich auch ein größeres Spektrum an Kompetenzen, indem sie z.B. mehr sozial-kommunikative, sprachliche, künstlerisch-kreative Fähigkeiten, aber ebenso Disziplin und Ausdauer sowie interkulturelle Kompetenzen erwerben als ihre männlichen Altersgenossen – Kompetenzen, deren frühzeitiger Erwerb auch für das spätere Berufsleben (Schlüsselqualifikationen) von erheblicher Bedeutung ist. 9.2.4 Lernfeld zwischen Schule und Arbeitswelt: Nebenjob
Die Aufnahme von Nebenjobs ist unstrittig finanziell motiviert. Wer jobbt, will sich zunächst ökonomische Freiräume schaffen. Verselbständigung im Konsum, dagegen Abhängigkeit bei Bildung und Einkommen kennzeichnen die Ausgangslage. Vor allem da der Übergang von der Schule in die Arbeit zeitlich immer weiter verzögert erfolgt, liegt die Suche nach Mitteln der Verselbständigung nahe. Die Jugendphase wird reflexiv und das heißt, Jugendliche sind bereit und müssen bereit sein, bestehende Lebensbedingungen und den Status der „verselbständigten“ Abhängigkeit abzusichern. Verlängerung der Jugendphase, der längere Verbleib im Status ökonomischer Abhängigkeit und die gleichzeitige Anerkennung als eigenständig agierendes Subjekt, wenn es um eigene Stile, Moden, Musikgeschmack, politische Partizipation und anders geht, erzeugt eine besondere Situation. Jugendliche müssen lernen, ihr Dasein unter solchen ambivalenten Bedingungen zu organisieren. Dies tun sie u.a., wenn sie einem Nebenjob nachgehen. Sie sammeln arbeitsweltbezogene Erfahrungen, sie verdienen Geld, sie konsumieren und verbleiben in einem eigenständigen Status des Schülerseins. Der „flexible Mensch“, wie ihn Richard Sennett (1998) beschreibt, ist in der von den Jugendlichen praktizierten Patchworkbiographie schon angelegt. Sie leben, was für Jugendliche ohnehin typisch ist, „jetzt“. Sie sind bereit zu changieren. Die von uns festgestellte hohe Bereitschaft zur Aktivität in der Schule, aber auch im Job, steht für eine auch in anderen Jugendstudien diagnostizierte Flexibilität Jugendlicher (vgl. Jugend 2002; IG-MetallJugendstudie 2002; Zinnecker 2002). Sie scheint das Pfund zu sein, mit dem sie ihre Zukunft absichern und möglich machen wollen. Sie
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sind bereit, sich dem schnellen und anforderungsreichen sozialen Wandel zu stellen und beweisen dies auch praktisch, wenn sie sich meisterhaft in parallelen Welten zu bewegen wissen. Netzwelt, Schule, Nebenjob, Musik und Freunde lassen sich parallel schalten, es gilt eben die oft unterschiedlichen Anforderungen „auf die Reihe zu kriegen“. Der Anschluss zur modernen Lebenswelt und Lebensform wird durch „parallele Inklusion“ bewältigt. Per ‚Nebenjob‘ wird unter den Bedingungen der Trennung von Ausbildung und Arbeit und der alimentierten Existenz schon der Umgang mit Leistung und Entlohnung, mit eigenständigem Einkommen eingeübt. Jugendliche lernen zu antizipieren, relevante Erfahrungen mit der Arbeitswelt zu machen und soziale Anerkennung zu gewinnen. 9.2.5 Schule – der dominante, aber unbeliebte Lernort
Während die Welt der Musik, des Konsums, des Sports, der Jobs und der Informationstechnik eigenständige und aktive Subjekte unterstellt und entsprechend bei der Nutzung eigene Gestaltungs- und Selbsterfahrungsmöglichkeiten einschließt, scheint sich die Schule gegenüber solchen modernen Trends stabil zu verhalten. Sie ist als Einrichtung zu sehen, die von der als hoch relevant eingestuften Lebenswelt getrennt existiert, d.h. die Jugendlichen sind selbst darauf verwiesen, die Brücken zur Schule zu schlagen, indem sie schulische Lernanforderungen mit den eigenen jugendtypischen Lebensinteressen und selbst gewählten Lernerfahrungen zusammenbringen. Unsere Befunde zeigen durchgängige Geschlechtsunterschiede in der Einstellung und im praktischen Verhalten gegenüber der Schule. Mädchen weisen in der Gesamttendenz ein stärkeres Lernengagement und mehr Akzeptanz gegenüber der Schule auf als die jungen Männer. Dieser Befund zeigt Parallelen mit den Ergebnissen in anderer Studien der empirischen Bildungsforschung (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, S. 54ff.). Ein zweiter hochinteressanter Aspekt betrifft die Belastungen durch die Schule. Entsprechende Erfahrungen wurden in unserem Sample immerhin von etwa einem Drittel der Jugendlichen angeführt. Die Schule ist also nicht nur der Arbeitsplatz der heute Heranwachsenden, sondern diese Generation erlebt die Bildungsanstrengungen auch im Sinne einer bedeutsamen Arbeit. Der Zwang zu Leistung und Lernanstrengungen im Hinblick auf nützliche Zertifikate geht an der Psyche und dem alltäglichen Befinden der Schülerinnen und Schüler nicht spurlos vorüber. Im Vergleich der Schulformen fällt vor allem das
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Gymnasium auf. Die Jugendlichen dieses Schultyps sehen nicht nur die praktische Lebenshilfe durch die Schule kritischer, sondern auch negative Einschätzungen über die Zukunft der Schule – stets zeigt sich in den Antwortmustern die Gruppe der Gymnasiasten etwas extremer als die Jugendlichen aus anderen Schulformen, die wiederum ein einheitlicheres Bild abgeben. Gymnasiasten sehen die Schule im Prinzip positiver, haben aber zu allen Details auch mehr Kritik anzumelden. Inwieweit dieses mit höheren Bildungsansprüchen beziehungsweise einer „bildungsnäheren“ Sozialisation in der Familie oder auch dem höherem „Bildungsimage“ dieser Institution zu tun hat, bleibt noch zu klären. Die Grundtendenz der Einstellungen zur Schule lässt sich so zusammenfassen, dass in praktischer Hinsicht die Lebenshilfekompetenz der Schule negativ eingeschätzt wird, als Institution wird sie jedoch grundsätzlich anerkannt. Insbesondere wenn es um Fragestellungen geht, die die Denkleistungen und z.T. auch die Berufsvorbereitung durch die Schule betreffen, waren positive Antworten zu verzeichnen. Wenn es um allgemeine Deutungsmuster zur Notwendigkeit der Schule geht, dann scheint diese Institution akzeptiert zu sein, weil neben einzelnen strittigen Beurteilungen eine grundsätzliche Befürwortung durch unsere Befragten erkennbar ist. Unsere Daten ergeben kein klar strukturiertes Meinungsbild, eher sprechen sie für ein komplexes Ineinandergreifen von positiven und negativen Urteilen, d.h. für ein „labiles“ Image der Schule, das neben einer grundsätzlichen Akzeptanz viele kritische Einwände und Vorbehalte einschließt. 9.3 Fazit
Fassen wir die Befundlinien zusammen, so zeigt sich, dass die Jugendlichen in dieser biographisch bedeutsamen Lebensphase in den unterschiedlichsten Lebenswelten agieren, die sie sich auch als Lernwelten erschließen. Die Beschäftigung mit individuell bedeutsamen Themen korrespondiert auch mit den jugendtypischen Entwicklungsaufgaben, die sich für alle Jugendlichen in der Adoleszenzphase stellen. Das Lernen mit den neuen Medien, in der Altergruppe und abseits der Schule ist für sie zu Selbstverständlichkeit geworden, die den Alltag prägt und oft gar nicht bewusst reflektiert wird. Der Sport nimmt einen großen Anteil am gesamten Freizeitbudget ein und dies lässt erkennen, dass in der modernen Jugendphase Kör-
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perbeherrschung und Bewegungserfahrungen selbstverständliche und wichtige Bedingungen des Aufwachsens darstellen. Sportliche Betätigungen stehen dabei häufig in einem sozialen Kontext, der durch Altersgruppen und Freunde bestimmt wird, worüber die erlebnisbetonte Körpererfahrung und die soziale Interaktion in Gruppen verschiedenartiger Verbindlichkeit zu einem wichtigen Thema der Selbsterfahrung und sozialen Kommunikation werden. Der Musik kommt in aktiver wie passiver Gestaltung eine hohe Bedeutung bei der Verselbständigung zu. Musikkonsum ist ein gemeinsames Jugendthema, das Gruppen über das Lebensgefühl und den kulturellen Geschmack verbindet und Beziehungen wie auch Abgrenzungen herstellt. Anzunehmen ist, dass keine Generation zuvor aus einem vergleichbar großen Repertoire auswählen und sich vollkommen unabhängig vom Geschmack der älteren Generation eine Musik den eigenen Präferenzen gemäß wählen konnte. Die Vielfalt der Musikstile fungiert zugleich als Angebot für Binnendifferenzierung jugendkultureller Stile. Bei aktiver Musikproduktion, also wenn Jugendliche selbst Musik machen (angefangen von Singen bis hin zur Beherrschung eines Musikinstruments), kommen notwendig weitere Lernschritte hinzu. Die Nutzung neuer, digitaler Hilfsmittel verändert sehr stark die Kommunikationsstile, die Muster der Informationsbeschaffung und auch die Formen des spielerischen Zeitvertreibs. Mit dem Gebrauch der digitalen Medien wird auch die in früheren Studien immer wieder belegte Technikdistanz junger Frauen ein Stück weit abgebaut. Jungen wie Mädchen sind gleichermaßen (kommunikations-)technologisch vernetzt. Der Nebenjob ist das Mittel, aus der abhängigen Lebenslage als Schüler doch einen – nicht nur materiell definierbaren – Gewinn zu ziehen. Erfahrungen mit der Arbeitswelt, beruflich verwertbare Kenntnisse und Kontakte, aber auch die Anerkennung der eigenen Leistung machen solche Tätigkeiten interessant und verweisen auf das weit gespannte Lernpotential dieses Bereichs zwischen Freizeit und Arbeit. Die Schule markiert im Bewusstsein der Jugendlichen den Gegenpol zur Lebenswelt und ihren Lernmöglichkeiten. Für sie ist sie eher Anlass und Gelegenheit zur Pflege sozialer Kontakte als relevante Bildungsinstitution und ihr Stellenwert resultiert weitgehend aus den Zertifikaten, weniger aus der Bedeutung der von ihr veranstalteten Lernprozesse. Dass diese Einschätzung aber nicht ungebrochen gültig
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ist, darauf verweisen die positiven Urteile über die Schule hinsichtlich der Berufsvorbereitung und der Schulung des Denkens. Im Gesamtzusammenhang der Befunde erweisen sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede als weiterhin bedeutsam. Sie lassen sich durchgängig nicht nur bei den Bildungsprozessen in der Schule, sondern auch beim kulturellen Lernen ausfindig machen. Wir können feststellen, dass die jungen Mädchen in ihren Lernstilen und Lernleistungen etwas bessere Werte aufweisen als die jungen Männer – hier ergeben sich Parallelen zu den Befunden der PISA-Studie. Ob sich für die Befunde insgesamt erweist, dass die soziale Schicht als unabhängige Variable durchgängig die Lernvorgänge in den außerschulischen Lernfeldern beeinflusst, ist somit derzeit noch nicht verifiziert. Wir haben Indizien dahingehend, dass die aktiven, in den einzelnen Freizeitbereichen interessierten Jugendlichen auch diejenigen sind, deren Lernleistungen in der Schule besser sind und die in mehreren der untersuchten Bereiche Aktivitäten und Interessen zeigen. Dies gälte es für die Medienausstattung und den Umgang mit Medien auch noch einmal zu prüfen, ebenso den Einfluss der Schichtzugehörigkeit auf die Techniknutzung. Was die weiteren grundlegenden sozialen Einflussfaktoren betrifft, so ist von einem nicht unbeträchtlichen Einfluss der sozialen Schicht auszugehen. Für Jugendliche aus Elternhäusern mit Migrationshintergrund, d.h. bei denen ein oder beide Elternteile ausländischer Nationalität sind, können wir zwar bei den schulbezogenen Fragen einen Einfluss registrieren, aber dies gilt für die außerschulischen Lernprozesse nur noch abgeschwächt bzw. ist teilweise nicht mehr nachweisbar. Geringer als ursprünglich von uns angenommen ist auch der Einfluss des regionalen Umfeldes: Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen machen sich beim außerschulischen Lernen kaum bemerkbar, auch Differenzen nach östlichen und westlichen Bundesländern scheinen – bis auf wenige Themen – eingeebnet. Ein wichtiges Ergebnis scheint uns auch die Tatsache, dass in den verschiedenen Freizeitbereichen häufig eine „Einzeltätigkeit“ der Jugendlichen vorherrscht, d.h. sie treiben ihre Aktivitäten nicht selten allein. Darin spiegelt sich u.E. die Entwicklung der Familienstruktur, und der dadurch gesetzte Trend behauptet sich auch gegen die Dominanz der Altersgruppe in dieser Lebensphase. Obwohl dies auf der einen Seite die Informalisierung und Selbstsozialisation fördern mag, so ist andererseits darauf hinzuweisen, dass Lerninhalt, Lernorganisation und sozialer Kontext gemeinsam in pädagogische und bildungspoliti-
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sche Überlegungen einzubeziehen sind. Hierbei geht es nicht nur darum, was gelernt wird, sondern auch darum, in welchen institutionellen und sozialen Konstellationen dies geschieht. 9.4 Empfehlungen und Anregungen für die bildungspolitische Diskussion
Im Hinblick auf die gegenwärtige bildungspolitische Debatte scheinen uns Überlegungen zu den Konsequenzen, die mit einer fortschreitenden Informalisierung von Lernen verbunden sind, wichtig. Im Vordergrund einer praxisorientierten Bewertung sollten folgende Gedanken stehen: 1. Das informelle Lernen markiert eine unumkehrbare Entwicklung in der modernen Jugendphase 2. Die Schule kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen, sie muss mehr situatives und eigeninitiatives Lernen ermöglichen. 3. Das Lernen der Jugendlichen ist selbstorganisiert und erstreckt sich nicht nur auf die Persönlichkeitsbildung, sondern auch auf die Arbeitsmarktqualifikation. 4. Lernen in der Jugendphase ist ein kumulativer Prozess, der viele Lernorte umfasst Zu 1. Das informelle Lernen markiert eine unumkehrbare Entwicklung in der modernen Jugendphase Es wurde oben schon ausgeführt, dass sich der Alltag Jugendlicher in den letzten Jahrzehnten massiv verändert hat. Die Individualisierung der Lebensführung und die Modernisierungen im Bereich von Kultur, Freizeit und Medien kennzeichnen einen historischen Prozess, der charakteristisch für moderne und hochgradig differenzierte Gesellschaften zu sein scheint (vgl. Schimank 2000; Beck 1994). Diese Entwicklungen haben die Jugendphase umgestaltet und dazu beigetragen, dass das soziale Umfeld für Jugendliche neue Lernerfahrungen und Entwicklungschancen bietet. Kulturelle Angebote im Bereich der Musik, Körper- und Bewegungserfahrungen auf dem Feld des Sports, und der Erwerb von Kompetenzen im Umgang mit den neuen digitalen Medien markieren Felder des informellen Lernens, die den Jugendlichen neben einem Wissenszuwachs auch Erfahrungen einer eigenständigen Leistung und Problemlösung, also auch des persönlichen Werts ermöglichen. Durchgängig ist festzustellen, dass die Jugendlichen die-
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se Erweiterung ihres Erfahrungshorizonts und die Entwicklung ihrer Fähigkeiten neben und außerhalb der Schule aktiv in die eigenen Hände nehmen und zielstrebig, auch mit einer gewissen Verbindlichkeit, betreiben. Mit Hilfe dieser Erfahrungen und Lernprozesse werden wichtige Dimensionen der Persönlichkeit in dieser Lebensphase entwickelt, aber auch Wissenselemente über soziale Bezüge und gesellschaftliche Verhältnisse gewonnen, die für die eigene Verortung von entscheidender Bedeutung sind. Zu 2: Die Schule kann sich dieser Entwicklung nicht verschließen, sie muss mehr situatives und eigeninitiatives Lernen ermöglichen Mit diesem eigenständigen Entdecken und Erfahren der außerschulischen Lebenswelten wird zugleich ein Lernmodus etabliert, der Probleme für die bisherige Monopolstellung der etablierten Bildungsinstitutionen, insbesondere für die Schule, aufwirft. Die Schule ist im Selbstverständnis der Jugendlichen der für alle verbindliche traditionelle Lernort, an dem die Wissensvermittlung nach streng formalisierten inhaltlichen Vorgaben und Prüfmechanismen erfolgt. Diese Lernformen und Lernstrukturen geraten aber zunehmend in Widerspruch zu ihren eigenständigen Lernerfahrungen: Das eher festgelegte und vorgeschriebene Lernen in der Schule, also die zügige Aneignung eines Stoffpensums, die Prüfungen und Klassenarbeiten, ist für viele Jugendliche eine große Last.59 Demgegenüber steht die Freiheit des Lernens in den selbst gewählten Bezügen, sei es nun die Computerwelt mit ihren vielfältigen Informations- und Unterhaltungsmöglichkeiten, sei es die Welt des Sports mit ihren Körper- und Bewegungserfahrungen oder seien es sonstige intensiv gepflegte Hobbys auch im Bereich jugendkultureller Milieus. Der hohe Stellenwert, den das selbst gesteuerte Lernen für die Jugendlichen besitzt, rührt nicht nur daher, dass es ihrer eigenen Rhythmik und Zwecksetzung unterliegt, sondern dass es bei ihrer biographischen Entwicklung, im Prozess der Selbstfindung ein hilfreiches und notwendiges Medium ist. 59 I. Richter spricht in seinen Ausführungen zum „Kompetenzerwerb in den Lebenswelten junger Menschen“ davon, dass dort ein geradezu „bildungsfeindliches Klima“ herrscht, „u.a. weil die Bildungsinstitutionen zu viel Zeit der Kinder und Jugendlichen in Anspruch nehmen, weil sich die Kinder und Jugendlichen dort als fremdbestimmt erleben und weil die Lebenswelten demgegenüber als ‚Reich der Freiheit und Selbstbestimmung‘ erscheinen. Deshalb gilt es die Tatsache des Kompetenzerwerbs in den Lebenswelten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch zu akzeptieren ...“ (Richter 2002, S. 46).
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Von daher kommt dem außerschulischen Lernen gerade in dieser biographischen Phase eine besondere und wachsende Bedeutung zu, die den Gegensatz zu den etablierten Lernformen des schulischen Unterrichts eher verstärkt. Hier ist die Schule gefordert, ihre Lernorganisation und ihre Lernformen stärker zu individualisieren und eine Lernkultur zu etablieren, in der selbstgestaltete Prozesse des Wissenserwerbs und der reflektierten Erfahrung einen größeren Raum einnehmen. Dies gilt nicht nur mit Blick auf unstrittige Lernziele wie den notwendigen Erwerb sozialer Kompetenzen und die Übernahme von Verantwortung, sondern ist eine pädagogisch und lerntheoretisch begründbare Forderung (vgl. Bönsch 2002), um die Kontextstrukturen des Lernens zwischen Schule und Lebenswelt zu synchronisieren und auf diese Weise motivationale Defizite und Brüche zu minimieren, wie sie immer wieder aus dem Schulalltag berichtet werden. Denn je vielschichtiger die alltäglichen Angebote, desto häufiger erleben Jugendliche die lebensalltägliche Praxis erweiterter Handlungs- und Entscheidungsautonomie als Diskrepanz zur Institution Schule. Der Blick auf die Konzepte und Modelle der jüngeren Diskussion zur Bildungs- und Schulinnovation zeigt in jüngerer Zeit eine Reihe einschlägiger Reformvorschläge, die von den Forderungen der Bildungskommission NRW zur Zukunft von Schule und Bildung (1995) bis zu den Empfehlungen des Forum Bildung (2002) reichen. Hier ist eine Bewegung zu registrieren, die weg vom traditionellen Fächerkanon und der Systematik der Fachwissenschaften als Strukturprinzip des Unterrichts und hin zu einer strikteren Akzentuierung des Lebensweltbezugs führt. Damit nimmt die Schule ein wesentliches Moment gesellschaftlicher Entwicklung, insbesondere die zunehmende Individualisierung und Pluralisierung von sozialen und kulturellen Lebenszusammenhängen auf und setzt an der veränderten Lebenswelt und an den unterschiedlichen biographischen Voraussetzungen der Schüler an. Auf diese Weise kann eine größere Motivation für das Lernen erreicht und damit auch mehr Raum für Selbstverantwortung und Selbststeuerung im Lernprozess gewonnen werden. Zugleich darf sich ein stärker individualisiertes und an der Lebenswelt orientiertes Lernen nicht ausschließlich auf den Lernort Schule beschränken. In den oben genannten Konzepten und Empfehlungen stellt deshalb die Öffnung der Schule für das Lernen außerhalb ihrer herkömmlichen Unterrichtsorganisation ein wichtiges innovatives Element dar. Weil die Lernprozesse angesichts neuer Anforderungen und des raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels immer wieder neu jus-
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tiert werden müssen, ist die Öffnung der Schule für das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Umfeld notwendig, um die Verbindung zu unterschiedlichen Lebenswelten herzustellen und durch die Konfrontation mit Ernstsituationen mehr Motivation und Realitätsbewusstsein beim selbständigen Lernen zu erreichen. Nur durch eine solche Innovation kann die Schule der Tatsache effektiv Rechnung tragen, dass sie ihr Lernort-Monopol verloren hat; und nur auf diese Weise kann die Schule anschlussfähig bleiben gegenüber einer Entwicklung, die dazu geführt hat, dass Jugendliche sich auch anderweitig Wissen aneignen und Kompetenzen erwerben können. Zu 3.: Das Lernen der Jugendlichen ist selbstorganisiert und erstreckt sich nicht nur auf die Persönlichkeitsbildung, sondern auch auf die Arbeitsmarktqualifikation In der individualisierten Biographie der Moderne gewinnen selbstorganisierte Lernprozesse zunehmend an Bedeutung. Dies gilt nicht nur mit Blick auf die hier vorgelegten Befunde zum außerschulischen Lernen, sondern ganz generell für die stärkere Akzentuierung persönlichkeitsbildender Qualifikationen, wie sie die frühe Selbständigkeit in der Altersgruppe, in Vereinen und natürlich auch in den Erwerbstätigkeiten der Nebenjobs mit sich bringt. Hier ist auf Seiten der Jugendlichen vielfach jene eigenständige Organisation des Lernens am Werk, wie sie in der aktuellen Debatte zur Bildungsreform für den schulischen Unterricht mehrfach gefordert wurde. Hier steht die Fähigkeit, selbständig Informationen zu nutzen und eigenständig Lernprozesse zu gestalten, im Zentrum neuer Unterrichtsmethoden und -ziele (vgl. Bönsch 2002). Dies betrifft einerseits die Aneignung von neuen, individualisierten Lerntechniken, die ein selbständiges Lernen ermöglichen sollen, das nicht ausschließlich orientiert ist an der Vermittlung durch die Person des Lehrers, sondern das von eigenen Interessen und Fähigkeiten getragen wird und individuelle Lösungsmöglichkeiten bei der Bearbeitung des Unterrichtsstoffes oder von Fragestellungen erschließt. Es gilt aber auch für den Erwerb von Schlüsselkompetenzen im Bereich eigenverantwortlichen Handelns und selbständigen Arbeitens wie z. B. Teamfähigkeit, Selbständigkeit, Kreativität und Verantwortungsbewusstsein (vgl. Expertenbericht des Forum Bildung 2002). Sie gehören neben Wissensinhalten des traditionellen Fächerkanons zu den Lernzielen, die von innovativen Schulprojekten verfolgt werden und die zur ihrer Vermittlung auch die Erschließung außerschulischer
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und betrieblicher Lernorte erfordern (vgl. Preiß/ Wahler 2002; Tully 2004a). Elemente dieser in der öffentlichen Bildungsdebatte immer wieder betonten Neuorientierung von Lernen haben Jugendliche vielfach für sich bereits praktisch umgesetzt: Sie gehen länger zur Schule, sie streben höherwertige Bildungsabschlüsse an, erweisen sich als bildungsinteressiert und lernen, wie unsere Befunde zeigen, auch in ihrer Freizeit außerhalb der Schule. Dabei liegt, wie bereits erwähnt, diesem Verhalten ein besonderes gesellschaftliches Szenario zugrunde. Auf der einen Seite geht von den gewachsenen Konsum- und Freizeitmöglichkeiten ein starker Anreiz für die Jugendlichen aus, sich immer neue Felder der Verselbständigung und Individualisierung zu erschließen. Auf der anderen Seite zwingt die schwierige Situation am Arbeitsmarkt zu einem kalkulierten Umgang mit Bildung und Qualifikation. Das heißt wir finden neben einem erfahrungsorientierten Lernen, das im Dienst der Persönlichkeitsentwicklung steht, auch ein strategisches Lernen nach dem Motto: Je weniger der Übergang in eine reguläre Beschäftigung nach der Ausbildung erwartbar ist, desto wichtiger werden zusätzliche Qualifikationen – auch wenn diese Akkumulation von Qualifikationsmustern zunächst beliebig erscheinen mag.60 Mit Blick auf die Konkurrenzsituation am Arbeitsmarkt kann man davon sprechen, dass die eigene ‚employability‘ (vgl. Strasser 2002) zu einem langwierigen Projekt und zur fortgesetzten Herausforderung für die eigene Lebensführung des künftigen „Arbeitskraft-Unternehmers“ (vgl. Voß/Pongratz 1998) wird. Vor diesem Hintergrund erscheinen sowohl die Beschäftigung mit Computern als auch die vielfältigen Nebenjobs als Versuch, sich informell nutzbares Wissen für eine schwierige Arbeitsmarktsituation zu verschaffen, gerade weil mit schwindender Eindeutigkeit von Bildungsanstrengungen und wachsender Instabilität des Übergang in Beschäftigung formelle Qualifikationen vom Risiko bedroht sind, sich als beliebig zu erweisen. Alles wird wichtig und relativiert zugleich, einer Aufwertung schulischer Zertifikate steht gegenüber, dass vieles von dem, was in der Schule gelernt wird (vor allem hinsichtlich der neuen Technik), in Bezug auf 60 So wird z.B. die Berufsausbildung immer weniger als Ausbildung mit Berufsanschluss verstanden; in steigendem Maße sehen Jugendliche in der betrieblichen Lehre vielmehr einen Ausbildungsabschnitt, der mit einem Zertifikat endet und neue (Bildungs-)Optionen eröffnet (Lappe/Tully/Wahler 2000, S. 70ff.; vgl. hierzu auch IG-Metall 2002).
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die Wirtschafts- und Arbeitswelt möglicherweise schnell an Bedeutung verliert.61 Auf einen zweiten, damit zusammenhängenden Aspekt soll hier nur kurz hingewiesen werden, weil er nicht Gegenstand dieses Projektvorhabens ist und in anderen Projektzusammenhängen entsprechende Fragestellungen schon bearbeitet wurden: Die Unterschiedlichkeit der Lebensverhältnisse wie auch der Bildungsangebote und -ansprüche wird weiterhin zur Folge haben, dass nicht alle Jugendlichen die beschriebenen Chancen zum selbständigen Lernen in gleichem Maß wahrnehmen und nutzen können. Hier sind politische Maßnahmen und Initiativen erforderlich, um solchen Defiziten gegensteuern zu können (vgl. Mack/Raab/Rademacker 2001; für die Probleme der beruflichen Integration vgl. Braun u.a. 2001). Zu 4. Lernen in der Jugendphase ist ein kumulativer Prozess, der viele Lernorte umfasst Die These, dass Lernvorgänge aufeinander aufbauen, ist für die Schule evident. Bezogen auf den schulischen Unterricht stehen Curricula und Klassenstufen für schrittweises Lehren und stufenweise Aneignung. Dieser Sachverhalt gilt aber auch für informelle Lernprozesse, wie Beispiele aus dem Sport, aber auch aus der Informationstechnik zeigen. In seinen Ausführungen über den Kompetenzerwerb Jugendlicher weist Richter darauf hin, dass Lernen eine Aufbau- und Verknüpfungsleistung ist, d. h. „Kompetenzen werden auf der Grundlage erworbener Kompetenzen weiterentwickelt und aus verschiedenen Bereichen zusammengesetzt. Dies gilt für geplante und institutionalisierte Lernprozesse; für das Lernen in Lebenswelten ist es geradezu konstitutiv“ (Richter 2002, S. 46). Wir müssen somit eine Parallelisierung von Lernwelten konstatieren. Die Jugendlichen bewegen sich in unterschiedlichen Lernfeldern, in denen sowohl formelles als auch informelles Lernen stattfindet. Die Schule ist auch im Selbstverständnis der Jugendlichen der für alle verbindliche traditionelle Lernort, an dem die Wissensvermittlung nach inhaltlichen Vorgaben und formalisierten Prüfmechanismen erfolgt, 61 Aus dieser Perspektive betrachtet rücken die „tugendnahen“ Lerneffekte außerschulischer Betätigungen in den Blick: Sport steht für Teamfähigkeit, Musik und kulturnahe Hobbys können Kreativität attestieren, Nebenjobs qualifizieren für berufliche Anforderungen, zumindest liefern sie eine Nachweis für Ausdauer, Anstrengung, Leistungsbereitschaft und Fähigkeit etc.
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sie kennzeichnet den institutionalisierten Bereich ihrer Lernbiographie. Mit ihren außerschulischen Aktivitäten erschließen sie sich neue Lernwelten, für die jeweils eigene Normen, Leistungsstandards und Anforderungsprofile gelten, die sie sich auch aneignen, indem sie organisationsabhängige Verhaltensweisen etwa im Sinn von Anpassungsund Lernstrategien (z.B. als Jobber/Musiker/Sporttrainer) entwickeln. Die von den Jugendlichen außerschulisch erworbenen Erfahrungen und Leistungen gehen z.T. weit über das hinaus, was schulische Lehrplanvorgaben vergleichbar als Ziele formulieren und bewerten (Beispiel: Musik und Computertechnik). Wie in den einzelnen Lernfeldern deutlich wurde, sind die Lernerfahrungen mehrdimensional und lassen sich daher nicht trennscharf voneinander abgrenzen, d.h. gegenstandsbezogenes Lernen im engeren Sinne wird überlagert von Prozessen sozialen Lernens, die zugleich konstitutiv für die Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen sind. In dieser Hinsicht kommt dem außerschulischen Lernen gerade in dieser biographischen Phase – wie dargestellt – eine besondere Bedeutung zu, auch wenn die Jugendlichen nach einiger Zeit deutlich die Grenzen ihrer lebensweltorientierten Lernformen sehen und institutionalisierte Angebote ergänzend heranziehen. Meist ist dies Folge einer Entwicklung, bei der sie selbst schon die ersten Lernschritte getan und (Teil-)Erfolge erreicht haben, gleichzeitig aber auch ihre Maßstäbe schon so weit entwickelt haben, dass sie mit ihren erworbenen Fähigkeiten nicht mehr zufrieden sind. Diese Beispiele zeigen, dass Lernen auf Lernen aufbaut und es deshalb unter bildungspolitischen und pädagogischen Prämissen gilt, einerseits die Kompatibilität verschiedener Lernprozesse zu fördern und andererseits das Lernen zu lernen.62 Daraus folgt, dass ein enormes Lern- und Entwicklungspotential an den Sachverhalt geknüpft ist, in welchem Maß es gelingt, institutionelle und informelle Lernprozesse zu verknüpfen. Hier soll keineswegs für eine Pädagogisierung des Alltags der Jugendlichen63 oder eine „Eingemeindung“ des informellen Ler-
62 Den Effekt solcher Strategien hat Weinert (1994) anschaulich anhand des folgenden Paradox beschrieben: Würde das Gedächtnis als Lagerraum gedacht, so wäre es umso schwieriger, Neues hinzuzufügen, je voller dieses Lager bereits ist. „Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Je mehr jemand weiß, umso mehr Wissen kann er aufnehmen“ (Renkl 2002, S. 592). 63 „Die ‚Pädagogisierung‘ der informellen Bildungsorte ist der Tod des Kompetenzerwerbs in der Lebenswelt. Kinder und Jugendliche haben ein feines Gespür dafür, wann die Erwachsenen ihre Lebenswelten zum Zwecke der Bildung umfunktionie-
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nens argumentiert werden. Es bleibt aber zu diskutieren, wie beide für die Jugendlichen existentiell wichtigen Lebensbereiche, die Schule und ihre Lebenswelt, besser und intensiver miteinander in Beziehung gebracht werden können. Beispiele aus innovativen Schulmodellen zeigen, dass schulische Lernprozesse weder abseits dieser Lebenswelt nur ihrer eigenen curricularen Ordnung verpflichtet sein müssen, noch das Eingehen auf die außerschulische Lebenswelt eine Aufgabe des Reflexions- und Wissensanspruchs dieser Bildungsinstitution bedeutet (vgl. Preiß/Wahler 2002). Lernen findet in unterschiedlichen sozialen Bezügen statt, aber ohne Fähigkeit zur Reflexion und zum Lernen sind informelle Lernergebnisse auf längere Sicht nur bedingt gewinnbringend. Wenn dem aber so ist, dann wird Lern- und Bildungsforschung sehr viel stärker als bislang Jugendforschung sein müssen. Die Klage über die Wirklichkeitsferne der Schule hat ja ihren wesentlichen Anlass darin, dass der Lebensalltag (nicht nur) der Jugendlichen von der Schule nur bedingt aufgegriffen wird. Wenn aber der gesellschaftliche Alltag beständig dynamischer gestaltet wird, dann sollte die Schule nicht nur auf eigeninitiative informelle Lernprozesse ihrer Klienten hoffen, sondern als professionelle Bildungseinrichtung aktiv diese Prozesse mitbegleiten und gestalten. Die Ergebnisse unserer Studie betonen die Relevanz außerschulischen Lernens, sprechen aber keineswegs dagegen, dass die Schule eine stärkere Funktion bei der Verknüpfung der verschiedenen Lernangebote, der Integration und Abstimmung des jeweils Gelernten und der Reflexion dieser Lernprozesse bekommen sollte. Damit ist ein hoher Anspruch an die Schule formuliert, weil hier neue Unterrichtselemente, neue Kooperationsformen und auch gänzlich neue Inhalte und Interaktionsformen zur Debatte stehen. Ohne an dieser Stelle auf Detailfragen genauer einzugehen lässt sich aber sagen, dass für vielfältige Angebote sowohl unter Berücksichtigung größerer Nähe zur Lebenswelt als auch neuer Lernortkombinationen ein neuer Zeitrahmen notwendig ist. Dies führt allerdings in der Konsequenz zur Überwindung der bisherigen Halbtagsschule, da davon auszugehen ist, dass sie – schon allein aus Gründen des zur Verfügung stehenden Zeitbudgets – dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen sein wird. Insofern zeichnet sich in Verbindung mit einem erweiterten Unterricht und der Organisation von ganztagsschulischen Angeboten ein Feld konzeptioneller ren, z.B. in der ‚Anti-Drogen-Disco‘ oder beim ‚Rock gegen Rechts‘“(Richter 2002, S. 45).
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Neuorientierung ab: Erst damit steht das Hereinholen der Lebenswelt und die Präsentation neuer Angebote und Lernorte nicht wie bisher in Konkurrenz zum notwendigen Stofflernen, erst damit kann an den Schulen der pädagogisch kontraproduktive und innovationsfeindliche Zeitdruck ein Stück weit abgebaut werden. Auch für die Integration spielerischer und experimentierender Lernformen, wie sie z.B. für den Sport oder die neuen Medien charakteristisch sind, stünde mehr Platz und damit pädagogisch nutzbarer Freiraum zur Verfügung. Und schließlich würde man auf diese Weise auch Zeit gewinnen für Angebote zur Hilfe und Unterstützung bei der Lebensbewältigung für Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Milieus. So besteht beispielsweise für Hausaufgabenbetreuung, Nachmittagsangebote für sportliche und künstlerische Betätigung oder Projekte, die sich mit besonderen individuellen Problemlagen z.B. im Bereich von Sucht- und Gewaltprävention auseinandersetzen, ein erheblicher Bedarf. Erst auf der Basis solcher integrierender Konzeptionen lässt sich das Potential des informellen Lernens nutzen, das Jugendliche mittlerweile in Eigenregie entwickelt haben.
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11 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abb. 4.1: 5.1: 5.2: 5.3: 5.4: 5.5: A1: Tab. 2.1: 2.2: 3.1: 4.1: 4.2: 4.3: 4.4: 4.5: 4.6: 4.7: 4.8: 4.9: 4.10: 5.1: 5.2: 5.3: 5.4:
Die schulische Leistung nach Geschlecht ........................................... Das Verhältnis zwischen Schule und Beruf früher und heute ......... Der Zusammenhang von Nebenjob-Tätigkeit und Schulleistung ... Der Zusammenhang von Nebenjob-Stunden und Schulleistung .... Anteil guter Schüler nach Art der Tätigkeit ........................................ Der Zusammenhang von Arbeitserfahrung und Schulleistung ....... Rangskala der Freizeitinteressen Jugendlicher
65 97 113 114 114 116 239
Schulabgänger nach Art des Abschlusses ........................................... Lernprozesse und -situationen in polarer Gegenüberstellung ......... Grunddaten der Schülerpopulation ..................................................... Lieblingsfächer nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ............................................................................................... Einschätzung der Belastung durch die Schule ................................... Zeitaufwand pro Woche für schulisches Lernen ............................... Zusammenhang von Befinden, Leistungseinschätzung und Lernaufwand ........................................................................................... Bewertung des Lernaufwands im Verhältnis zu Leistungseinschätzung und Zeitaufwand ............................................ Deutungen zur Schule als „Lebenshilfe“; Mittelwerte und Faktorenstruktur ..................................................................................... Mittelwerte der Faktoren „Lebenshilfe“ und „bewusstes Lernen“ nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ................... Deutungen zur Schule II: Einschätzung der Schule; Mittelwerte und Faktorenstruktur ............................................................................. Einschätzung der Schule nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ...................................................... Was in der Schule künftig eine stärkere Rolle spielen sollte ............. Jobben im Gefüge der Freizeitpräferenzen Jugendlicher ................. Anteil der Jobformen nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ............................................................................................... Durchschnittliche Anzahl der wöchentlichen Arbeitsstunden nach Jobformen und ausgewählten soziodemographischen Merkmalen .... Durchschnittliche Verdienstspanne (in Euro) pro Woche
26 40 59 63 67 68 69 69 72 74 76 78 79 92 94 95
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Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ................... Tätigkeitsspektrum in den verschienenen Jobformen nach Häufigkeit ................................................................................................ Tätigkeitsspektrum nach Geschlecht und Häufigkeit ....................... 5.6: 5.7: Motive für das Jobben nach Häufigkeit .............................................. 5.8: Konkrete Erfahrungen beim Jobben ................................................... 5.9: Faktoren der Joberfahrungen nach Geschlecht und Alter ............... 5.10: Lerneffekte des Jobbens ........................................................................ 5.11: Die 10 wichtigsten angestrebten Berufe nach Tätigkeitsfeldern ...... 5.12: Praktikumserfahrung nach soziodemographischen Merkmalen ...... 5.13: Zusammenhänge zwischen Job- und Schul-Variablen ...................... 5.14: Monatliches Budget der Jugendlichen ................................................. 5.15: Durchschnittliche Einkünfte der Jugendlichen nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ............................. 5.16: Ausgabeverhalten der Jugendlichen nach Alter ................................. 6.1: Vereinsmitgliedschaft nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 6.2: Interesse am Sport nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ............................................................................................... 6.3: Die 10 beliebtesten Sportarten nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 6.4: Wöchentlicher Zeitaufwand für sportliche Aktivitäten nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ............................. 6.5: Die wichtigsten Lerneffekte des Sporttreibens nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 7.1: Rangplätze kultureller Interessensschwerpunkte – Mittelwerte nach Geschlecht ..................................................................................... 7.2 a: Umgang mit Musik in der Freizeit nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 7.2 b: Umgang mit Musik in der Freizeit nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 7.3: Instrumente spielen in der Freizeit nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 7.4: Lerneffekte des aktiven Musizierens nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 8.1: Besitz informationstechnischer Geräte nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 8.2: Wofür geben die Jugendlichen ihr Geld aus? ..................................... 8.3: Nutzung verschiedener Medien nach Zeit und Geschlecht ............. 8.4: Rangfolge der Freizeitinteressen Jugendlicher nach Geschlecht ..... 8.5: Interesse an Technikbereichen nach ausgewählten soziodemographischen Merkmalen ..................................................... 8.6: Kontexte und Lernergebnisse der Mediennutzung ........................... 8.7: Kontextualisierung – Ebenen der Aneignung von Technik .............
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5.5:
98 99 100 101 103 104 106 106 118 119 120 120 128 131 132 134 137 145 147 149 151 153 180 181 182 183 186 187 191
12 Anhang Abb. A1: Rangskala der Freizeitinteressen Jugendlicher (N=2064) 1,4
Musik hören
1,5 2,1
Computer/ Internt/ Handy
2,3 2,4
Fernsehen/ Computerspiele
2,4 2,6
Ins Kino gehen
2,6 2,6
Selbst Sport treiben
2,7 2,8
Shopping
2,8 2,8
In Discos gehen
2,8 2,9
Jobben
3,1 3,2
Besuch von Musikveranstaltungen
3,3 3,3
In Gaststätten/ Kneipen gehen
3,5 3,5
Bücher lesen
3,6 3,7
Photo-/ Audio-/ Videotechnik
3,7 3,7
Sprachen lernen
4,0 4,1
Künstlerisch betätigen
4,4 4,6
Theater/ Museen besuchen
4,8 5,1
Religion 0
1 hoch
2
3
Mittelwert Interesse
4
5
6 niedrig
13 Zu den Autoren und der Autorin
Claus J. Tully, Dipl. Soz, Wirtsch.-Ing., Dr. rer. pol., habil., Vertragsprofessor an der Freien Universität Bozen (seit 2003), Privatodozzent an der FU Berlin (seit 2003), Wissenschaftlicher Referent am Deutschen Jugendinstitut in München (DJI). Arbeitsthemen: Jugendforschung, Bildung und Lernen in informellen Welten, Umwelt-, Mobilitäts- und Kommunikationsforschung, Techniksozialisation, Arbeitsweltbezüge. Zentrale jüngere Buch-Veröffentlichungen: Claus J. Tully: Rot, cool und was unter der Haube – Eine Jugendstudie. München: Olzog 1998 Claus J. Tully: Erziehung zur Mobilität. Frankfurt/New York: Campus 1999 Claus J. Tully: Das Umweltbewußtsein von Jugendlichen. München: DJI-Verlag 2000 (gem. mit Lothar Lappe und Peter Wahler) Claus J. Tully: Mobilität von Jugendlichen. Opladen: Leske + Budrich 2002 (hrsg. gem. mit Marcel Hunecke und Doris Bäumer) Claus J. Tully: Mensch – Maschine – Megabyte. Opladen: Leske + Budrich 2003 Claus J. Tully (Hrsg.): Verändertes Lernen in modernen technisierten Welten. Wiesbaden: VS Verlag 2004 Claus J. Tully (Hrsg.): Lernen in flexibilisierten Welten. Wie sich das Lernen der Jugend verändert. Weinheim und München: Juventa 2006 Claus J. Tully; D. Baier: Mobiler Alltag. Mobilität zwischen Option und Zwang – Vom Zusammenspiel biographischer Motive und sozialer Vorgaben. Wiesbaden: VS Verlag 2006 W. Düx; G. Prein; E. Sasse; Claus J. Tully: Kompetenzerwerb im freiwilligen Engagement. Eine empirische Studie zum informellen Lernen im Jugendalter. Wiesbaden: VS Verlag 2008 Claus J. Tully (Hrsg.): Von der Raumaneignung zum Raummanagement im Jugendalltag. Raumbezüge und ihre technikvermittelte Gestaltung. Weinheim und München: Juventa 2009
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Zu den Autoren und der Autorin
Peter Wahler, Dipl. Soz. und Dr. phil. war bis 2007 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut in München; seine Forschungsthemen: berufliche Sozialisation sowie Bildungs- und Jugendforschung mit gelegentlichen Ausflügen in die Sportsoziologie und zu neuen Akzenten zur Technik- und Umweltsoziologie. Zentrale Veröffentlichungen: Peter Wahler: Berufliche Sozialisation in der Leistungsgesellschaft. Pfaffenweiler: Centaurus 1997 Peter Wahler: Einstieg auf Raten? Berufliche Integrationsprobleme Jugendlicher in einer ostdeutschen Region. Arbeitspapier 4/1999. München/Leipzig: Deutsches Jugendinstitut 1999 (gem. mit Christine Preiß) Peter Wahler: Jugend in Berufsausbildung und Arbeit. Handbuchbeitrag: In: Vollbrecht/Sander (Hrsg.): Jugend im 20. Jahrhundert. Neuwied u.a.: Luchterhand 2000 Peter Wahler: Das Umweltbewußtsein von Jugendlichen. München: DJI-Verlag 2000 (gem. mit Lothar Lappe und Claus J. Tully) Peter Wahler: Schule zwischen Lehrplan und Lebenswelt. Zwischenbilanz zur aktuellen Bildungsreform. Opladen: Leske + Budrich 2002 (gem. mit Christine Preiß) Peter Wahler; Christine Preiß, Günther Schaub (Hrsg.): Ganztagsangebote an der Schule. Erfahrungen – Probleme – Perspektiven. München: DJI-Verlag 2005 Christine Preiß, Dipl. Soz., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Jugendinstitut in München; ihre Forschungsthemen: berufliche Sozialisation und Übergänge in die Welt der Arbeit. Zentrale Veröffentlichungen: Christine Preiß: Einstieg auf Raten? Berufliche Integrationsprobleme Jugendlicher in einer ostdeutschen Region. Arbeitspapier 4/1999. München/Leipzig: Deutsches Jugendinstitut 1999 (gem. mit Peter Wahler) Christine Preiß: Schule zwischen Lehrplan und Lebenswelt. Zwischenbilanz zur aktuellen Bildungsreform. Opladen: Leske + Budrich 2002 (gem. mit Peter Wahler) Peter Wahler; Christine Preiß, Günther Schaub (Hrsg.): Ganztagsangebote an der Schule. Erfahrungen – Probleme – Perspektiven. München: DJI-Verlag 2005