Gutenachtgeschichten zum Lesen und Vorlesen
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Gutenachtgeschichten zum Lesen und Vorlesen
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Zum Selberlesen oder Vorlesen, im Urlaub, unter der Bettdecke oder bei Langeweile, in diesem Buch werdet Ihr ganz sicher Eure Lieblingsgeschichten wiederfinden und viele neue dazu! Die beliebtesten Märchen und Legenden, aber auch viele neue Geschichten sind hier für Euch gesammelt worden. Ihr könnt sie selber lesen oder Euch vorlesen lassen, in jedem Fall ist für alle etwas dabei! ISBN 3-85.049-513-2 LPG SERVICES SA. Geneva 11/1998.
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Inhalt Kapitel 1 Geheimnisgeschichten ............................................. 7 Die Sternschnuppen.......................................................................................... 8 Die beiden Katzenkinder.................................................................................. 9 Steffis Geheimnis ............................................................................................ 10 Die zwölf Jungfrauen...................................................................................... 12 Die Schildkröte und die kleine Maus........................................................... 15 Die helle Sonne bringt es an den Tag........................................................... 16 Brotmännlein findet ein Zuhause.................................................................. 17 Rumpelstilzchen .............................................................................................. 19 Der goldene Fisch............................................................................................ 21
Kapitel 2 Poltergeistgeschichten............................................ 25 Die Geschichten von Rums, dem Poltergeist.............................................. 26 Nächtlicher Besuch ......................................................................................... 26 Der Poltergeist kehrt zurück.......................................................................... 30 Das Schloss....................................................................................................... 33 Die Prüfung ...................................................................................................... 37 Trampel ............................................................................................................. 40
Kapitel 3 Geschichten zum Gesundwerden........................... 45 Das schiefe Bärchen........................................................................................ 46 Der kleine Hase Fridolin ................................................................................ 47 Das Glühwürmchen und der kleine Zwerg ................................................. 49 Der alte Zar....................................................................................................... 50 Die Geschichte von dem kleinen Biber, der Zahnschmerzen hatte ........ 57 Der kranke König ............................................................................................ 59 Der unverschämte Kuchendieb ..................................................................... 61 Die Geschichte, wie das Känguru seinen Schwanz bekam...................... 62
Kapitel 4 Gute-Nacht-Geschichten........................................ 65 Als das Sandmännchen einmal verschläft ................................................... 66 Der kleine Floh ................................................................................................ 67
Der Frosch im Marmeladenglas.................................................................... 68 Das Märchen vom Dümmling ....................................................................... 69 Die hässliche Raupe........................................................................................ 73 Das Märchen vom alten Großvater............................................................... 75 Der Löwenzahn................................................................................................ 76 Das treue Pferd ................................................................................................. 77 Die drei Esel..................................................................................................... 79 Der Löwe in der Falle ..................................................................................... 84
Kapitel 5 Hexengeschichten .................................................. 85 Die weiße und die schwarze Braut ............................................................... 86 Das seltsame Licht .......................................................................................... 91 Die weiße Taube.............................................................................................. 96 Der kluge Bäcker............................................................................................. 99 Das Märchen vom halben Hahn..................................................................102
Kapitel 6 Klassische Kindermärchen................................... 105 Hänsel und Gretel..........................................................................................106 Rotkäppchen...................................................................................................112 Des Kaisers neue Kleider.............................................................................115
Kapitel 7 Koboldgeschichten............................................... 120 Der kleine weiße Kobold..............................................................................121 Die tanzenden Kobolde ................................................................................124 Goldsternchen................................................................................................127 Der blaue Kobold ..........................................................................................131 Die Erlösung der schönen Königstochter..................................................135
Kapitel 8 Lustige Geschichten............................................. 138 Die kluge Katze .............................................................................................139 Eulenspiegels Abenteuer als Schneidergeselle.........................................140 Der dumme Ziegenbock...............................................................................142 Der zänkische Schneider..............................................................................143 Der kluge Sohn der Schildbürgerin ............................................................145 Die kleine Flunkernase.................................................................................147 Der Riese und der Schuhmacher.................................................................149
Der faule Hans ...............................................................................................151 Der Dümmling und die hilfreichen Tiere ..................................................154 Wie Eulenspiegel Schuhe sammelte ..........................................................157
Kapitel 9 Magische Geschichten ......................................... 158 Der gläserne Sarg ..........................................................................................159 Rumpel, der Poltergeist ................................................................................164 Herr Glückspilz..............................................................................................167 Das Gespenst, das vor sich selbst Angst hatte..........................................168 Der arme Fischer ...........................................................................................170 Johanna und Johannes...................................................................................171 Der Froschprinz .............................................................................................174
Kapitel 10 Riesengeschichten.............................................. 176 Das Riesenspielzeug .....................................................................................177 Das Riesen-Kegelspiel..................................................................................178 Riesen-Schabernack......................................................................................179 Der Riesenesel................................................................................................180 Die Riesin .......................................................................................................182 Der hässliche Riese und der Bauer.............................................................183 Der Riese und die Königstochter................................................................185 Der junge Riese..............................................................................................187
Kapitel 11 Rittergeschichten................................................ 195 Der verwunschene Ritter..............................................................................196 Der Mondsee..................................................................................................199 Der verzauberte König..................................................................................201 Der mutige Ritter Reginald ..........................................................................203
Kapitel 12 Geschichten zum Staunen.................................. 215 Eulenspiegel und der gelehrige Esel ..........................................................216 Wie man das Fürchten lernt.........................................................................217 Das verschmitzte Bäuerlein .........................................................................222 Der Sack der Weisheit ..................................................................................224 Der Dreschflegel vom Himmel...................................................................227 Der listige Fuchs............................................................................................229
Wie Eulenspiegel bei einem Kaufmann diente ........................................231
Kapitel 13 Tiergeschichten.................................................. 232 Das hässliche junge Entlein .........................................................................233 Zimba, der kleine Löwe ................................................................................236 Die neugierige Giraffe ..................................................................................238 Die Bremer Stadtmusikanten.......................................................................239 Der Fuchs und der Ziegenbock...................................................................242 Lumpis Geheimnis ........................................................................................243 Der ängstliche Hase.......................................................................................244 Stachel, der kleine Igel .................................................................................245 Dumbos Abenteuer........................................................................................247 Der gekrönte Floh..........................................................................................249 Der Goldfisch.................................................................................................251 Die Maus Franziska.......................................................................................252
Kapitel 14 Geschichten zum Träumen ................................ 254 Der Traumvogel.............................................................................................255 Die Sonnenmutter..........................................................................................256 Eine unruhige Nacht......................................................................................259 Die Traumschule............................................................................................260 Eine unheimliche Nacht ...............................................................................262 Der kleine Maulwurf, der nicht schlafen konnte......................................263 Die Prinzessin auf der Erbse........................................................................265 Sterntaler.........................................................................................................267 König Drosselbart..........................................................................................269 Die weiße Taube............................................................................................272 Die Prinzessin in der Höhle .........................................................................274
Kapitel 15 Zaubergeschichten ............................................. 278 Der vergessliche Zauberer ...........................................................................279 Der Zauberberg ..............................................................................................280 Der verzauberte Prinz...................................................................................283 Der Zauberer und das kluge Mädchen.......................................................287 Die sechs Diener............................................................................................288
Das Märchen vom Prinzen mit den goldenen Haaren.............................293
Kapitel 16 Zwergengeschichten .......................................... 298 Die Zwergenhochzeit ....................................................................................299 Der Zwerg und die Wunderblume ..............................................................301 Schneewittchen und die sieben Zwerge.....................................................303
Kapitel 1 Geheimnisgeschichten
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Die Sternschnuppen Als Jenny vor einiger Zeit bei ihrer Großmutter zu Besuch war, hatte diese ihr erzählt, dass man sic h etwas wünschen darf, wenn man eine Sternschnuppe sieht. Nun stand Jenny jeden Abend vor dem Schlafengehen noch eine Weile am Fenster und sah zu dem Sternenhimmel hinauf. Wünsche hatte die kleine Jenny nämlich genug. Ein paar besonders wichtige hatte sie sogar auf einen Zettel geschrieben. Eines Morgens nun saß Jenny bekümmert am Frühstückstisch. Die Mama konnte den Anblick schließlich nicht länger ertragen und fragte ihr Töchterlein: »Hast du schlecht geschlafen, Jenny?« Die Kleine schüttelte den Kopf, blickte die Mama ernsthaft an und sagte: »Ich habe eine Sternschnuppe gesehen.« Da wunderte sich die Mama und fragte: »Und warum schaust du jetzt so traurig? Vielleicht, weil du nicht verraten darfst, was du dir gewünscht hast?« Doch da fing Jenny plötzlich an bitterlich zu weinen und schluchzte: »Nein, viel, viel schlimmer! Als die Sternschnuppe zur Erde fiel, da ist mir einfach nichts eingefallen, was ich mir hätte wünschen können und jetzt sehe ich bestimmt nie wieder eine Sternschnuppe!« Da nahm die Mama Jenny in den Arm, tröstete sie und sagte: »Ach, Jenny, du wirst in deinem Leben noch jede Menge Sternschnuppen sehen und bestimmt fallen dir dann auch deine Wünsche ein.«
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Die beiden Katzenkinder Svenja und Frank waren Nachbarskinder. Als sie zusammen mit ihren Eltern einen Ausflug auf einen Bauernhof machten, entdeckten sie dort zwei kleine Kätzchen, die gerade so groß waren, dass sie ohne ihre Mutter auskommen konnten. Svenja ging auch gleich zu ihrer Mutter und bettelte: »Mutti, Mutti, bitte, darf ich ein kleines Kätzchen haben?« Svenjas Mutter hatte nichts dagegen und von dem Erfolg ermutigt, fragte Frank seine Mutter, ob er auch ein Kätzchen haben könne. Doch Franks Mutter schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, Frank, es reicht doch, wenn Svenja eine Katze hat, mit der könnt ihr doch gemeinsam spielen!« Frank erzählte Svenja, was seine Mutter gesagt hatte und plötzlich hatte Svenja eine Idee: »Die beiden Kätzchen gleichen sich doch wie ein Ei denn anderen. Wir nehmen sie einfach beide mit und verstecken die eine im Auto. Wenn deine Mama dann mal das Kätzchen entdeckt, sagst du einfach, es sei meine.« Frank fand die Idee seiner kleinen Freundin ganz ausgezeichnet und sie versteckten das zweite Kätzchen im Auto. Als sie schon wieder ein paar Tage zu Hause waren, ging die Mutter eines Morgens in Franks Zimmer, um ihn zu wecken. Da sah sie am Fußende seines Bettes ein kleines Kätzchen, streichelte es und sagte: »So ein liebes Geschöpf!« Frank nickte freudig und sagte: »Ja, nicht wahr, ganz lieb! Schade, dass es nicht mein Kätzchen ist.« Die Mutter schmunzelte, ging zum Fenster und zeigte hinaus: »Dann sag mir doch mal, wem das Kätzchen gehört, das Svenja dort drüben auf dem Arm hält?« Da war der ganze Schwindel aufgeflogen, doch Franks Mutter war nicht böse und das Kätzchen gehörte nun richtig zur Familie.
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Steffis Geheimnis (Birgit Fischer) Als die Mutter das Backblech aus dem Herd nahm, rannte das Brotmännlein wie ein Blitz davon… »Was war das denn?« wunderte sich die Mutter. »Ich dachte, die Steffi hätte ein Brotmännlein gebacken. Das war wohl ein Irrtum.« Das Brotmännlein rannte unterdessen aus der Küche heraus und machte erst Halt, als es im Flur eine dunkle Ecke gefunden hatte, in der es sich verstecken konnte. Schwer schnaufend kauerte es sich zusammen und flüsterte: »Das war knapp. Die plötzliche Kälte und dieses riesige Gesicht – das war ja schrecklich! Doch was soll ich jetzt tun?« So blieb das junge Brotmännlein in seiner Ecke sitzen und beobachtete erst mal, was um ihn herum passierte. Am Anfang war das nicht viel: ein paar Fliegen, die herumsummten. Stimmen, eine tiefe und zwei hohe, die aus einem anderen Zimmern kamen, und eine Katze, die hin und wieder angeschnuppert kam, dann jedoch recht uninteressiert wieder ihrer Wege ging. Plötzlich kam ein kleineres Gesicht in den Flur. Es hielt an und schaute ganz verwundert auf das Brotmännlein. »Ja, was machst du denn hier?« Sie streckte ihren Arm aus und nahm das Männlein ganz vorsichtig in die Hand. Es kniff ganz feste die Augen zu und biss sich so kräftig mit seinen drei Zähnen auf die Unterlippe, dass es richtige Löcher in seine Kruste bekam. »Das ist aber seltsam«, sagte Steffi. »Ich hatte dir doch ein ganz anderes Gesicht gemacht. Du siehst ja richtig so aus, als ob du Angst hättest!« Das Brotmännlein öffnete eins seiner Sonnenblumenaugen zu einem Viertel. So ganz schrecklich furchterregend sah das kleine Gesicht eigentlich gar nicht aus. Mutig öffnete es auch noch das zweite Auge und stammelte: »Bi -10-
– bi – bitte nicht a – a – aufessen!« »Nein, natürlich nic ht. Ich bin die Steffi. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich werde dich mit in mein Kinderzimmer nehmen und niemand wird dich essen. Aber einen Namen musst du noch bekommen. Hm. Ich werde dich Martin nennen.« Erleichtert atmete Martin auf. Er konnte sein Glück kaum fassen. Wie schön, dass gerade Steffi ihn gebacken hatte. Steffi ging mit Martin in der Hand zu ihren Eltern ins Wohnzimmer und sagte: »Ich habe mein Brotmännlein gefunden. Es muss wohl vom Blech gerutscht sein. Eigentlich finde ich es viel zu schade zum Essen. Ich werde es in mein Zimmer zu meinen Stofftieren stellen.« Steffis Eltern stimmten ihr zu. Sie erfuhren natürlich nie etwas davon, dass Martin lebendig war und reden und laufen konnte. Steffi stellte ihr nun recht fröhliches Brotmännlein zu ihren Stofftieren. Dort konnte es nun auf dem Pferd reiten, mit dem Bären kuscheln oder die Puppe Lisa an den Zöpfen ziehen, wenn ihm langweilig war, Doch wenn Steffi zu Hause war, erzählte sie ihm immer, was sie erlebt hatte, wie es in der Schule gewesen war und was für neue Spiele sie kennengelernt hatte. So wurde Martin bestimmt das schlaueste Brotmännlein auf der ganzen Welt. Und wenn er nicht zerbröselt ist, dann krümelt er wahrscheinlich noch heute durch Steffis Kinderzimmer. Also, Kinder, wenn Ihr einen neuen Freund haben wollt, versucht doch einmal ein Brotmännlein zu backen, Ihr werdet staunen!
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Die zwölf Jungfrauen Ein junger Prinz saß bei seiner Braut und sprach: »Da geb ich dir einen Ring und mein Bild, das trag zu meinem Andenken und bleib mir treu; mein Vater ist todkrank und hat geschickt, ich soll kommen, er will mich vor seinem Ende noch einmal sehen, wenn ich König bin, so hole ich dich heim.« Darauf ritt er fort und fand seinen Vater sterbend; dieser bat noch den Prinzen, er möge eine gewisse Prinzessin nach seinem Tode heiraten. Der Prinz war so betrübt und hatte seinen Vater so lieb, dass er ohne sich zu bedenken ja sagte und gleich darauf tat der alte König die Augen zu und starb. Wie er nun zum König ausgerufen und die Trauerzeit herum war, musste er sein Wort halten und ließ um die andere Prinzessin werben, die ihm zugesagt wurde. Indes hörte die erste Braut, dass der Prinz um eine andere gefreit, da grämte sie sich so sehr, dass sie fast verging. Ihr Vater fragte, warum sie so traurig sei, sie solle fordern, was sie wolle, es solle ihr gewährt sein; da bedachte sich die Prinzessin einen Augenblick, dann bat sie sich elf Mädchen aus, die ihr vollkommen glichen, auch an Größe und Wuchs. Der König ließ die elf Jungfrauen im ganzen Königreich aufsuchen und als sie beisammen waren, kleidete sie die Prinzessin als Jäger, sich selber genau so, so dass die Zwölf vollkommen eine wie die andere waren. Darauf ritt sie zu dem König, ihrem ehemaligen Bräutigam und verlangte für sich und die übrigen Dienst als Jäger. Der König erkannte sie nicht und weil es so schöne Leute waren, gewährte er ihnen gern die Bitte und nahm sie an seinen Hof. Der König hatte aber einen Löwen, dem war nichts verborgen und er wusste alles, was heimlich am Hofe geschah. Der sagte eines Abends zu ihm: »Du glaubst, du hättest da zwölf Jäger, das sind aber lauter Mädchen.« Der König wollte es nicht glauben, da sagte der Löwe weiter: »Lass nur einmal Erbsen in -12-
dein Vorzimmer streuen, Männer haben einen festen Tritt, wenn die darüber hingehen, regt sich keine, Mädchen aber die trippeln und schlurfen und die Erbsen rollen unter ihren Füßen.« Dem König gefiel das wohl. Es war aber ein Diener des Königs, der liebte die Jäger und hatte das mit angehört, da lief er zu ihnen und sagte: »Der Löwe hält euch für Mädchen und will Erbsen streuen lassen und euch damit testen.«; die Prinzessin befahl darauf ihren elf Jungfrauen, sie sollten sich alle Gewalt antun und fest auf die Erbsen treten. Als nun am Morgen die Erbsen gestreut waren, ließ der König die zwölf Jäger kommen, sie hatten aber einen so sicheren und starken Gang, dass sich auch nicht eine Erbse bewegte. Am Abend machte der König dem Löwen Vorwürfe, dass er ihn belogen habe, da sagte der Löwe: »Sie haben sich verstellt, lass aber nur zwölf Spinnräder in das Vorzimmer stellen, da werden sie sich drüber freuen und das tut kein Mann.« Der König folgte dem Löwen noch einmal und ließ die Spinnräder hinstellen. Der Diener aber hatte den Jägern den Anschlag verraten, da befahl die Prinzessin ihren elf Jungfrauen die Spinnräder nicht einmal anzusehen. So taten sie auch und der König wollte dem Löwen nicht mehr glauben. Er gewann die Jäger immer lieber und wann immer er auf die Jagd ritt, mussten sie ihm folgen. Als sie einmal mit ihm im Wald waren, kam die Nachricht, die Braut des Prinzen sei im Anzug und werde bald da sein; wie das die rechte Braut hörte, fiel sie in Ohnmacht. Der König meinte, seinem lieben Jäger sei etwas zugestoßen, lief herzu und wollte ihm helfen, er zog ihm aber auch die Handschuh aus, da erblickte er den Ring, den er seiner Braut gegeben hatte und als er dann noch das Bildnis an ihrem Hals sah, erkannte er sie und ließ gleich der anderen Braut sagen, sie möge in ihr Reich zurückkehren, er habe schon eine Gemahlin und wenn man einen alten Schlüssel wieder gefunden habe, brauche man den neuen nicht. Da wurde die Hochzeit gefeiert, der Löwe hatte nicht gelogen und kam wieder in Gnade bei dem König. -13-
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
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Die Schildkröte und die kleine Maus An seinem zehnten Geburtstag bekam Tom eine kleine Schildkröte geschenkt, die er im Garten hielt. Damit sie nicht ausreißen konnte, hatte Toms Vater in den Rückenpanzer ein Loch gebohrt und daran eine lange Schnur befestigt. So verging die Zeit und Tom hatte viel Freude an der kleinen Schildkröte. Eines Tages aber, als Tom nach der Schule in den Garten ging, da war die Schnur durchgebissen, die Schildkröte aber lag friedlich im Gras wie immer. Toms Vater zog eine neue Schnur durch das Loch im Panzer und befestigte sie dann wieder an dem Pfosten auf der Terrasse. Doch als Tom am nächsten Tag nach der Schule wieder nachschaute, war die Schnur wie am Tag vorher durchgebissen, die Schildkröte aber lag brav im Garten. Da beschloss Tom, sich am nächsten Tag, das war gerade ein Samstag, auf die Lauer zu legen. Und plötzlich sah er, wer an den Tagen zuvor die Schnur durchgebissen hatte. Eine kleine Maus flitzte aus dem Nachbarsgarten herüber, knabberte die Schnur entzwei und fraß gemeinsam mit der Schildkröte von dem Futter, das Tom seinem Tier jeden Tag hinstellte. Danach spazierten die beiden ein bisschen im Garten umher, die kleine Maus natürlich immer flink voran und nach etwa einer Stunde legte sich die Schildkröte wieder an ihren Platz neben der Terrasse und die kleine Maus huschte wieder durch den Zaun in den Nachbarsgarten. Da wusste Tom, dass er seine Schildkröte nicht mehr anzubinden brauchte, denn die dachte ja gar nicht daran auszureißen.
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Die helle Sonne bringt es an den Tag Ein Schneidergeselle reiste durch die Welt. Einmal konnte er keine Arbeit finden und hatte keinen Heller Geld mehr bei sich. Da begegnete ihm ein Kaufmann und er dachte, dass dieser Geld habe. Er ging auf ihn los und forderte Geld. Der Kaufmann klagte, er möge ihm doch sein Leben lassen, Geld habe er nur acht Heller. Der Schneider wollte das nicht glauben und schlug so lange zu, bis der Kaufmann am Boden lag. Als der Kaufmann da lag, sprach er: »Die helle Sonne wird es an den Tag bringen.« Der Schneidergeselle durchsuchte seine Taschen und fand nicht mehr als acht Heller. Die steckte er ein und zog weiter. Nach langer Zeit kam er in eine Stadt, wo er bei einem Meister, der eine schöne Tochter hatte, Arbeit fand. Er verliebte sich in sie und heiratete sie und lebte vergnügt mit ihr zusammen. Sie bekamen zwei Kinder und eines Tages starben die Schwiegereltern. Als der Mann eines Morgens Kaffee trinken wollte, schien die Sonne so auf die Untertasse, dass sie Kringel an die Wand malte. Der Schneider sprach: »Ja, die will es gerne an den Tag bringen, aber sie kann nicht.« Die Frau wollte wissen, was das zu bedeuten habe und er erzählte ihr, wie er vor langen Jahren auf Wanderschaft war ohne Geld und dass er einen Kaufmann verprügelt habe, der in seiner Angst gesagt habe, die helle Sonne werde es schon an den Tag bringen. Das sei nun geschehen. Er verlangte von seiner Frau, dass sie es für sich behielte. Die aber ging zu ihrer Tante, erzählte ihr alles und innerhalb von drei Tagen, wusste es die ganze Stadt. Der Schneider kam vor Gericht, und so hat die Sonne es doch noch an den Tag gebracht.
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Brotmännlein findet ein Zuhause (Markus Weis) Wie jeden Samstag backten Katrin und ihre Mutter frisches Brot. Doch diesmal war ein kleines Restchen Teig übrig geblieben, das nicht mehr für ein ganzes Brot reichte, zum Wegwerfen aber auch zu schade war. Katrin überlegte, »Ich habe eine tolle Idee!« rief sie plötzlich. »Ich werde ein Brotmännlein backen.« Sie fing sofort an. Eifrig formte sie aus dem Teigklumpen ein wunderschönes Brotmännlein. Doch irgendetwas fehlte noch. »Der hat ja noch gar keine Augen«, bemerkte die Mutter. Katrin fand noch Rosinen, Sonnenblumenkerne und Sesamsamen und begann sofort mit der Verzierung. Als sie fertig war legte sie ihr Kunstwerk stolz zum Brot in den Ofen. Als die Mutter nach einer Stunde die Ofentür öffnete, um das fertige Brot herauszunehmen, rannte das Brotmännlein wie ein Blitz davon. Sein erstes Problem war die Haustür. Wie sollte es da nur durchkommen? Doch dann sah es den Briefkastenschlitz und – schwupps! – war es durch den Spalt gekrochen. Die hohen Stufen im Treppenhaus vermied das Brotmännlein, indem es einfach das Geländer herunterrutschte. Auf der Straße rieb es sich verwundert die Rosinenaugen: »Ach! So viele Menschen und Häuser und Autos! Wie soll ich denn da durchkommen?« In diesem Moment hielt direkt vor ihm ein Bus. Kurzentschlossen sprang das Männlein in die geöffnete Tür und versteckte sich unter dem nächsten Sitz. Auch der Bus war voll mit Leuten, aber glücklicherweise hatte niemand den ungewöhnlichen Schwarzfahrer bemerkt. Wegen der vielen Menschen traute sich das Brotmännlein lange nicht mehr hervor. Plötzlich ertönte eine Stimme: »Endstation! Alles aussteigen!« Auf einmal war der Bus leer und auch das -17-
Brotmännlein flitzte durch die Tür. Da stand es nun und schaute. Direkt vor ihm war ein Tor. Es ging hindurch und stand in einem großen Park. Hier war ein Teich mit Enten und Schwänen, Als die Enten das Brotmännlein entdeckten, fingen sie aufgeregt an zu schnattern. »Quak! Was ist das denn? Quak! Das sieht aber lecker aus. Kommt! Wir wollen es mal kosten. Quak!« Das Brotmännlein wurde ganz bleich – so gut das unter der knusprigen, braunen Kruste ging – und fing an zu rufen: »Hilfe! Hilfe! Kann mir jemand helfen? Die Enten wollen mich fressen.« Inzwischen kamen die Enten immer näher. Da landete ein großer, weißer Schwan vor dem Männlein und sagte: »Komm, steig auf meinen Rücken! Ich will mit dir davonfliegen und dich retten.« Geschwind kletterte das Brotmännlein hinauf und gemeinsam erhoben sie sich in die Luft. »Danke, lieber Schwan!« keuchte das Männlein. »Keine Ursache«, antwortete der Schwan. »Ich kann die Enten sowieso nicht gut leiden, die schnattern und quaken den ganzen Tag herum, aber es kommt nichts Kluges dabei heraus.« Das Männchen fragte: »Kennst du einen sicheren Ort für mich?« Der Schwan überlegte. »Ja. Ich bringe dich hin. Es ist noch nicht einmal weit weg.« Einige Minuten später landete der Schwan sanft. Das Brotmännlein glitt von seinem Rücken herunter und bedankte sic h nochmals. Der Schwan verabschiedete sich und flog davon. Jetzt erst konnte sich das Männlein umsehen. Welch eine Freude! Da standen lauter kleine Häuser und Paläste und ein Turm. Daneben war ein Schild: Lilliput-Welt. Jetzt hatte er ein neues, sicheres Zuhause und konnte sich sogar ein Häuslein frei aussuchen. Seitdem lebt im Park in der Lilliput-Welt von allen Menschen unbemerkt ein kleines Brotmännlein. Und manchmal, abends, kann man, wenn man genau hinsieht, einen Schwan über den Park fliegen sehen, auf dessen Rücken ein Brotmännlein sitzt und sich seine Heimat von oben ansieht.
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Rumpelstilzchen Es war einmal ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Und es traf sich, dass er mit dem König zu sprechen kam und ihm sagte: »Ich habe eine Tochter, die kennt die Kunst, Stroh in Gold zu verwandeln.« Da ließ der König die Müllerstochter also gleich kommen und befahl ihr, eine ganze Kammer voll Stroh in einer Nacht in Gold zu verwandeln und könne sie es nicht, so müsse sie sterben. Sie wurde in die Kammer eingesperrt, saß da und weinte, denn sie wusste um ihr Leben keinen Rat, wie das Stroh zu Gold werden sollte. Da trat auf einmal ein kleines Männlein zu ihr, das sprach: »Was gibst du mir, dass ich alles zu Gold mache?« Sie tat ihr Halsband ab und gab’s dem Männlein und es tat, wie es versprochen hatte. Am ändern Morgen fand der König die ganze Kammer voll Gold; aber sein Herz wurde dadurch nur noch begieriger und er ließ die Müllerstochter in eine andere, noch größere Kammer voll Stroh bringen, das sollte sie auch zu Gold machen. Und das Männlein kam wieder, sie gab ihm ihren Ring von der Hand und alles wurde wieder zu Gold, Der König aber hieß sie die dritte Nacht wieder in eine dritte Kammer sperren, die war noch größer als die beiden ersten und ganz voll Stroh. »Und wenn dir das auch gelingt, sollst du meine Gemahlin werden.« Da kam das Männlein und sagte: »Ich will es noch einmal tun, aber du musst mir das erste Kind versprechen, das du mit dem König bekommst.« Sie versprach es in der Not und wie nun der König auch dieses Stroh in Gold verwandelt sah, nahm er die schöne Müllerstochter zu seiner Gemahlin. Bald darauf kam die Königin ins Wochenbett, da trat das Männlein vor die Königin und forderte das versprochene Kind. Die Königin aber bat, was sie konnte und bot dem Männchen alle Reichtümer an, wenn es ihr ihr Kind lassen wollte, allein -19-
alles war vergebens. Endlich sagte es: »In drei Tagen komm ich wieder und hole das Kind, wenn du aber dann meinen Namen weißt, so sollst du das Kind behalten!« Da sann die Königin den ersten und zweiten Tag, was doch das Männchen für einen Namen hätte, konnte sich aber nicht besinnen und wurde ganz betrübt. Am dritten Tag aber kam der König von der Jagd heim und erzählte ihr: »Ich bin vorgestern auf der Jagd gewesen und als ich tief in den dunklen Wald kam, war da ein kleines Haus und vor dem Haus war ein gar zu lächerlicher Männchen, das sprang als auf einem Bein davor herum und schrie: ›Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Frau Königin ihr Kind, ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß!‹« Als die Königin das nun hörte, wurde sie ganz froh und als das gefährliche Männlein kam, fragte es: »Frau Königin, wie heiß ich?« »Heißt du Conrad?« »Nein.« »Heißt du Heinrich?« »Nein.« »Heißt du etwa Rumpelstilzchen?« »Das hat dir der Teufel gesagt!« schrie das Männchen, lief zornig fort und kam nie mehr wieder.
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Der goldene Fisch Es war einmal ein armer Mann und eine arme Frau, die hatten weiter nichts als eine Hütte. Der Mann war ein Fischer, und wie er einmal am Wasser saß und sein Netz ausgeworfen hatte, da fing er einen goldenen Fisch. Der Fisch aber sprach: »Wenn du mich wieder in das Wasser werfen willst, so soll deine Hütte in einen prächtigen Palast verwandelt sein, und in dem Palast soll ein Schrank stehen, wenn du den aufschließt, ist Gesottenes und Gebratenes darin, so viel du nur wünschest, nur darfst du keinem Menschen auf der Welt sagen, von wem dein Glück kommt, sonst ist alles vorbei!« Der Fischer warf den Goldfisch wieder ins Wasser, und wie er nach Haus kam, da stand ein großes Schloss, wo sonst seine Hütte gestanden hatte, und seine Frau saß mitten in einer prächtigen Stube. Dem Mann gefiel das wohl, er hätte auch gern etwas gegessen: »Frau, gib mir doch etwas«, sagte er, »mich hungert so gewaltig.« Die Frau aber antwortete: »Ich habe nichts und kann in dem großen Schloss nichts finden.« – »Geh nur dort über den Schrank«, und wie die Frau den Schrank aufschloss, standen da Kuchen, Fleisch, Obst, Wein: Herz, was verlangst du? Die Frau verwunderte sich und sprach: »Sag mir doch, Mann, woher kommt denn dieser Reichtum auf einmal?« – »Das darf ich dir nicht sagen, denn wenn ich dir’s sagte, so wäre unser Glück wieder dahin.« Dadurch wurde die Frau nur neugieriger gemacht, und fragte ihren Mann, und quälte ihn und ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe, bis er es ihr endlich sagte, dass das alles von einem Goldfisch herkomme; kaum aber hatte er ausgesprochen, da war das Schloss und aller Reichtum verschwunden, und sie saßen wieder in der alten Fischerhütte. Der Mann ging nun wieder seinem Gewerbe nach und fischte und fischte den Goldfisch zum zweiten Mal heraus; er versprach gegen Freilassung ihm aufs Neue das schöne Schloss und den -21-
Schrank voll Gesottenem und Gebratenem, doch unter der gleichen Bedingung, dass er verschwiegen sei; der Mann hielt auch eine Zeit lang aus, endlich aber quälte ihn seine Frau so gewaltig, dass er ihr das Geheimnis offenbarte, und in dem Augenblick saßen sie auch wieder in ihrer schlechten Hütte. Der Mann ging zu fischen, und fischte das Goldfischchen zum dritten Mal: »Hör zu«, sagte es, »nimm mich nur mit nach Haus und zerschneid mich dort in sechs Stücke; zwei gib deiner Frau zu essen, zwei deinem Pferd, und zwei pflanz’ in die Erde, du wirst Segen davon haben, deine Frau wird zwei goldene Jungen zur Welt bringen, das Pferd wird zwei goldene Füllen bekommen, und aus der Erde werden zwei goldene Lilien aufwachsen.« Der Mann gehorchte, und die Weissagung traf ein. Die zwei goldnen Kinder wuchsen heran und wurden groß, und sagten: »Vater, wir wollen ausziehen in die Welt, wir setzen uns auf die goldenen Rosse, und an den goldenen Lilien könnt ihr sehen, wie es uns geht: sind sie frisch, so sind wir gesund; sind sie welk, sind wir krank; fallen sie um, sind wir tot.« Damit ritten sie fort und kamen zu einem Wirtshaus, darin war viel Volk, und als das die zwei Goldkinder auf den Goldpferden sah, fing es an zu spotten; da wurden sie bös, und der eine schämte sich, kehrte um und ritt wieder nach Haus, der zweite aber ritt fort. Da kam er zu einem Wald, die Leute aber vor dem Wald sagten ihm, er dürfe nicht hindurchreiten, es sei voll Spitzbuben darin, die würden übel mit ihm umgehen; das Goldkind aber ließ sich nicht schrecken und sprach: »Ich muss und soll hindurch!« Dann nahm er Bärenfelle und überzog sich und sein Pferd damit, dass nichts mehr von Gold zu sehen war, und so ritt er in den Wald hinein. Bald darauf hörte er in den Gebüschen rufen: »Hier ist einer!« Einer anderer aber sprach: »Lass ihn laufen, was sollen wir mit dem Bärenhäuter anfangen, der ist so arm und kahl wie eine Kirchenmaus!« So kam er glücklich durch die Spitzbuben und in ein Dorf, da -22-
sah er ein Mädchen so schön, dass er nicht glaubte, es könne ein schöneres auf der Welt sein und fragte, ob es ihn heiraten wolle, und das Mädchen sagte ja, es wolle ihm treu bleiben sein Leben lang. Sie hielten nun Hochzeit miteinander und waren vergnügt, da kam der Vater der Braut nach Haus, und als er sah, dass seine Tochter einen Bärenführer geheiratet hatte, denn er hatte die Bärenhaut noch nicht abgelegt, da wurde er zornig und wollte den Bräutigam ermorden. Die Braut aber bat ihn, was sie nur konnte. Sie hätte ihn doch so lieb, und es sei nun einmal ihr Mann, bis er sich zur Ruhe gab. Und am ändern Morgen früh stand er auf, und wollte seinen Schwiegersohn noch einmal sehen, da sah er einen herrlichen, goldenen Mann im Bette liegen. Dem Bräutigam aber träumte, er solle auf die Jagd gehen nach einem prächtigen Hirsch, und als er erwachte, wollt er danach ausgehen, aber seine Verlobte bat ihn da zu bleiben, und fürchtete für ihn; er aber sprach: »Ich soll und muss fort.« Damit stand er auf und ging in den Wald, da hielt ein stolzer Hirsch vor ihm, ganz nach seinem Traum, wie er aber anlegen und schießen wollte, fing er an zu fliehen. Der goldene Mann war hinter ihm drein, und verfolgte ihn über Graben und durch Gebüsche und wurde nicht müde den ganzen Tag, da entschwand ihm der Hirsch, er aber war vor einer alten Hexe Haus. Er rief und fragte, ob sie keinen Hirsch ge sehen habe, sie antwortete: »Ja.« Da bellte ihn aber ohne Aufhören der Hexe kleines Hündlein an, darüber wurde er bös und wollte es erschießen, wie das die Hexe sah, verwandelte sie ihn in einen Mühlenstein, und in dem Augenblick fällt zu Haus die eine goldene Lilie. Wie das der andere Bruder zu Haus sah, setzte er sich auf seinen goldenen Gaul und jagte fort und kam zu der Hexe, und drohte ihr mit dem Tod, wenn sie seinem Bruder nicht wieder die natürliche Gestalt gäbe. Da musste die Hexe gehorchen und die zwei Brüder ritten wieder heim, der eine zu seiner Braut, der andere zu seinem Vater. Die eine Lilie aber stand wieder auf, -23-
und wenn sie nicht umgefallen sind, stehen sie noch alle beide.
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Kapitel 2 Poltergeistgeschichten
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Die Geschichten von Rums, dem Poltergeist (Astrid Arnold)
Nächtlicher Besuch Ludwig erwachte von einem Rascheln. Er lauschte in die Dunkelheit seines Zimmers hinein und hatte auf einmal das Gefühl, dass jemand im Raum war. Direkt neben seinem Bett atmete etwas. Er war mit einem Schlag hellwach. Jemand war in seinem Zimmer. Und derjenige musste sich direkt neben seinem Bett befinden. Er konnte das Atmen ganz deutlich neben sich hören! Im Zimmer war es stockfinster. Ludwig lag unter seiner Bettdecke und konnte sich nicht rühren. Jeder einzelne Finger war steif vor Angst. Ludwig hielt die Luft an und schielte vorsichtig nach links. Links neben seinem Bett, das wusste er, stand der Stuhl, auf dem er abends seine Kleider ablegte. Und von dort kam das Atmen. »Ich schreie!« dachte Ludwig, aber er brachte keinen Ton heraus. Er sah jetzt ganz deutlich die Umrisse einer Gestalt links neben dem Bett. Und er sah, dass diese Gestalt eine Bewegung in seine Richtung machte. »Jetzt schreie ich wirklich!« dachte Ludwig und wollte gerade den Mund aufmachen, da wurde das Licht über seinem Bett angeknipst. Geblendet kniff Ludwig die Augen zusammen. Als er dann sie wieder öffnen konnte, blickten ihn die Augen eines fremden Mädchens an. Ludwig war so überrascht, dass ihm abermals die Stimme wegblieb. Das fremde Mädchen hatte schwarze, wild zerzauste Haare, die in alle Richtungen abstanden. Die Haare sahen aus, als seien sie mindestens drei Wochen lang nicht -26-
gewaschen worden. Im Gesicht war das Mädchen ausgesprochen blass. Unter ihren frechen Augen lagen tiefschwarze Schatten. »Solche Schatten habe ich unter den Augen, wenn ich krank bin«, dachte Ludwig sofort und schloss daraus, dass das Mädchen krank sein musste. Sie setzte sich auf seine Bettkante und starrte ihn an. Ludwig starrte zurück. »Irgendwie sieht sie nett aus«, überlegte er. »Aber etwas ist komisch an ihr. Wenn ich nur wüsste, was!« Ludwig fühlte sich jedenfalls nicht mehr so bedroht wie eben, als es noch dunkel war. Das Mädchen war in seinem Alter. Von gleichaltrigen Mädchen fühlt man sich nicht bedroht. Deshalb beschloss Ludwig, das fremde Mädchen anzusprechen. »Bist du krank?« fragte er und fand seine Frage kurz darauf ziemlich blöd. Eine Fremde, die mitten in der Nacht urplötzlich im eigenen Zimmer steht fragt man nicht, ob sie krank ist. Oder doch? »Warum soll ich krank sein?« sagte das Mädchen mit barscher Stimme. »Interessiert dich nicht viel eher, was ich hier in deinem Zimmer mache?« Und sie musterte ihn von oben bis unten, wie er so da lag, in seiner geblümten Bettwäsche. »Dddoch!«, stotterte Ludwig und setzte sich auf. Jetzt konnte er auch sehen, was die Fremde anhatte. Sie trug seltsame Holzschuhe, eine zerschlissene Hose und einen alten Wollpullover. Auf dem Schoß hielt sie ein weiteres Kleidungsstück, so etwas wie einen Mantel oder einen Umhang. »Glotz nicht so«, sagte sie empört. Ludwig wurde rot. »Du glotzt doch selber!« Und er merkte, wie er anfing, sich zu ärgern. Er fand sich selbst ziemlich blöd, weil er so unsicher war. Und sie fand er auch blöd, weil sie so frech war. »Wie heißt du?« fragte das Mädchen. »L-L-Ludwig«, stotterte Ludwig und holte tief Luft. »Und wie heißt du?« Das Mädchen reckte den Hals. »Na endlich! Wurde ja auch Zeit, dass du fragst! Ich heiße Renaldo Flavio Hau-Den-Lukas, die 27. von Rumpel.« -27-
»Häh? Wie bitte?« rief Ludwig. »Ich weiß!« sagte das Mädchen, »du wunderst dich, dass ich einen Jungennamen habe. Das ist nur, weil meine Eltern sich eigentlich einen Jungen gewünscht haben!« »Aha«, sagte Ludwig und verstand gar nichts. »Du kannst mich Rums nennen. So nennen mich alle!« sagte das Mädchen. »Rums also«, murmelte Ludwig und hatte das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Renaldo Flavio Hau-Den-Lukas und Rums, solche Namen hatte kein Mensch! »Kommen wir zur Sache, Ludwig!« sagte Rums und krabbelte neben ihn unter die Decke. Irgendwie roch sie etwas streng. Ludwig rümpfte die Nase. »Also?« rief sie auffordernd. »Wie, was, also?« fragte Ludwig und rückte ein wenig beiseite. »Du lieber Glockenschlag!« seufzte Rums. »Dir muss man wirklich jede Frage aus der Nase ziehen. Aber gut. Du brauchst nicht fragen Ich mach’s kurz. Ich bin ein Poltergeist und von daheim weggelaufen!« »Hahaha!« sagte Ludwig. Aber dann merkte er, dass sie nicht spaßte. »Was?« schrie er, warf die Bettdecke zur Seite und war mit einem Satz aus dem Bett. Mit dem nächsten war er beim Schrank, riss die Schranktür auf und versteckte sich zwischen seinen Kleidern. Nein, das war kein Scherz! Sie war ein Poltergeist! Alle schrecklichen Geschichten, die Ludwig jemals über Poltergeister gehört hatte, kamen ihm plötzlich in den Sinn. Und er wusste schließlich, dass Poltergeister gefährlich waren. Erst kamen sie als Freunde und dann verwandelten sie sich in Monster, die kleine Kinder verschleppten. Er wäre besser aus dem Zimmer gelaufen und hätte die Eltern geweckt. Hier im Kleiderschrank saß er in der Falle! »Nur nicht die Nerven verlieren«, dachte Ludwig und versuchte, die Schranktür von innen zu schließen. Er hörte tapsende Schritte. Sie kam! »Wenn sie vor dem Schrank steht, -28-
stoße ich die Tür auf und überrumpele sie!« dachte er. Jetzt! Ludwig warf sich mit aller Kraft von innen gegen die Schranktür. Doch der erwartete Widerstand blieb aus. Mit enormem Poltern schlug Ludwig der Länge nach in seine Spielzeugkiste. Als er den Kopf hob, sah er neben sich das Poltergeistmädchen. Sie hatte die Hände in die Seiten gestammt und schüttelte den Kopf. »Oberpoltertoll!« sagte sie. »An die Nummer hab’ ich noch gar nicht gedacht!« Ludwig hielt sich den schmerzenden Kopf. Er konnte sich kaum bewegen. Rums packte ihn an den Schultern und hievte ihn aufs Bett. »Jetzt weiß ich, wer mir aus der Patsche hilft!« sagte sie und machte ein grübelndes Gesicht. Ludwig fühlte sich völlig benommen. »Bitte lass mich leben!« flüsterte er. »Ich will auch alles tun, was du willst!« Rums sah ihn erstaunt an und kratzte sich mit ihren langen Fingernägeln am Kopf. »Prima! Dann möchte ich als erstes, dass du mich heute Nacht bei dir schlafen lässt!« »Was?« Ludwig schnellte empor. »In meinem Bett?« »Unter deinem Bett, wenn’s recht ist«, sagte Rums und gähnte. Ludwig sank zurück in seine Kissen. Es war ihm natürlich nicht recht. Aber hatte er eine Wahl? Jedenfalls war er sich sicher, dass er diese Nacht kein Auge zutun würde.
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Der Poltergeist kehrt zurück Als Ludwig am nächsten Morgen aufwachte, tat ihm der Kopf immer noch weh. Er war also doch eingeschlafen, obwohl unter seinem Bett ein Poltergeist lag! Oder hatte er nur geträumt? Mit den Fingern tastete er die Stirn ab und stellte fest, dass er direkt unter dem Haaransatz eine dicke Beule hatte. Er hatte also nicht geträumt. Vorsichtig beugte er sich über die Bettkante und spähte unters Bett. Nichts! Ludwig atmete auf. Doch als er auf seinen Wecker schaute, entdeckte er auf dem Nachtschrank einen Zettel. »Hallo Ludwig!« – stand darauf. »Ich hole dich heute Abend um elf Uhr ab. Rums.« Ludwig erschrak. Gestern Nacht hatte er vielleicht Glück gehabt. Heute ging es ihm bestimmt an den Kragen. Ludwig zog sich an und lief hinunter in die Küche. Die Eltern saßen schon am Frühstückstisch. »Was machst du denn für ein besorgtes Gesicht?« wollte seine Mutter wissen und sie goss ihm eine Tasse Kakao ein. »Ach nichts!« sagte Ludwig. »Sag mal, was ist denn das für eine Beule?« fragte sie und strich ihm über die Stirn. Ludwig zog seinen Kopf weg. »Ich bin aus dem Bett gefa llen«, brummte er. Er konnte ihnen unmöglich von Rums erzählen. Sie würden sagen, er habe zuviel ferngesehen. »Soso!« sagte der Vater. »Na, deine Ferien fangen ja gut an!« »Das kannst du laut sagen«, dachte Ludwig und stand auf. Er holte sein Skateboard aus der Garage und ging hinaus auf die Straße. Aber das Skateboardfahren wollte ihm keinen rechten Spaß machen. Er musste ständig an heute abend denken und daran, dass er Rums ein Versprechen gegeben hatte. Gleichzeitig überlegte er ununterbrochen, wie er es verhindern konnte, dass der Poltergeist ihn um elf Uhr abholte. »Und wenn ich einfach nicht da bin?« dachte Ludwig plötzlich. »Wenn ich mich verstecke, so dass sie mich gar nicht findet?« Ludwig beschloss, dass das zwar keine besonders anständige, aber -30-
zumindest eine Notlösung war. Um zehn Uhr sagte er den Eltern Gute Nacht und verzog sich in sein Zimmer. Um viertel vor elf kletterte er aus dem Fenster und versteckte sich im Gartenhäuschen. Sorgfältig verriegelte er die Tür von innen. Dann setzte er sich auf Vaters Rasenmäher und wartete. Bis zwölf Uhr wollte er hier hocken bleiben. Solange würde Rums sicherlich nicht auf ihn warten. Von der Kirchturmuhr schlug es elf. Ludwig lauschte in die Dunkelheit des Gartens hinaus. Der Hund des Nachbarn schlug an. Sonst war kein Geräusch zu hören. Doch plötzlich knackte und raschelte es hinter dem Rasenmäher. Mäuse? Ludwig griff nach seiner Taschenlampe und leuchtete hinter sich den Raum ab. Da stand Rums. Sie blinzelte im Strahl der Taschenlampe und grinste. Über ihren Schultern hing der graue Mantel, den sie am Abend zuvor auf dem Schoß gehalten hatte. In ihren Händen hielt sie einen zweiten Mantel. »Einen schönen guten Abend!« sagte sie und setzte sich auf die Werkzeugbank. »Nein!« rief Ludwig total überrascht. Wie, um alles in der Welt, war sie hereingekommen? »B-bist du durch die Wand gekommen?« »Nee, durchs Fenster!« sagte Rums mit herablassender Stimme. Das Fenster! Wie hatte er das bloß vergessen können. Der Vater lehnte es meistens nur an, damit die Luft im Gartenhäuschen nicht stickig wurde. »Ein nettes Plätzchen hast du dir da ausgesucht«, brummte Rums und sah sich um. »Iiich bin gern abends hier«, stotterte Ludwig. »Ddda hat man seine Ruhe!« Rums sprang von der Werkzeugbank. »Wollen wir?« fragte sie mit wildem Blick. »Äh, ich weiß nicht, wohin denn, eigentlich muss ich ins Bett!« »Quatsch Bett!« rief Rums und hielt ihm den Mantel hin. »Wir müssen ins Schloss, nicht ins Bett! Es gibt allerdings noch ein Problem«, fügte sie nachdenklich hinzu. Ein Problem? Ludwig starrte sie an. Schon allein dass sie da war, war ein Problem. Und er wusste ja noch nicht einmal, was sie mit ihm -31-
vorhatte. Ludwig fühlte sich hundeelend. »Pass auf!« sagte Rums. »Heute ist Polterabend im Schloss.« »Eine Hochzeit?« rief Ludwig verblüfft. Er kannte diesen Ausdruck nur von Hochzeiten. Rums schüttelte den Kopf. »Bei uns Poltergeistern gibt es einmal im Monat so einen Polterabend im Schloss. Der Ältestenrat bestimmt dann, welcher Poltergeist sich auch wirklich Poltergeist nennen darf.« »Verstehe ich nicht«, gab Ludwig ehrlich zu. »Bist du denn nur ein halber Poltergeist?« »Das ist ein Schimpfwort!« Rums wurde sehr böse. Aber gleich darauf hatte sie sich wieder beruhigt. »Egal. Viel wichtiger ist, dass du aussiehst wie ein richtiger Poltergeis t, wenn wir zusammen dorthin gehen.« »Jetzt ist es dann also soweit«, dachte Ludwig erschrocken. »Jetzt wird sie mich zu einem von ihnen machen.« Und er zweifelte keine Sekunde daran, dass Rums jeden Moment irgendetwas Schreckliches mit ihm anstellen würde. Er hatte sowas oft genug im Fernsehen gesehen. Auch in seinen Büchern standen viele blutrünstige Geschichten über Poltergeister. »Was hast du denn jetzt mit mir vor?« Beinahe bleib ihm die Stimme weg. »Das weiß ich noch nicht«, gab Rums zu. »Am besten, wir fangen mit den Haaren an.«
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Das Schloss Rums legte ihren Mantel ab, Sie griff ins Regal und fischte nach einer Dose mit Holzleim. »Nein!« rief Ludwig entsetzt. »Ach komm!« brummte Rums, »das tut doch nicht weh!« Rums öffnete die Dose und bestrich Ludwigs Haare mit dem Holzleim. Dann wuselte sie ihm mit ihren hageren Fingern so lange im Haar herum, bis es nach allen Richtungen abstand. »Sehr schön!« sagte Rums zufrieden, »das kommt der Sache schon näher. Jetzt brauchen wir Kreide für dein Gesicht.« »Kreide?« Ludwig verstand überhaupt nichts, Der Holzleim begann, auf der Kopfhaut zu jucken. Sicherlich war das Zeug gesundheitsschädlich. Und wahrscheinlich musste er sich die Haare ganz kurz schneiden, wenn sie mit ihm fertig war, Wenn er dann überhaupt noch lebte! Ludwig zitterte am ganzen Leib. Rums verrieb ein Stück Kreide in Ludwigs Gesicht. »Damit du nicht so lebendig aussiehst«, erklärte sie. »Und jetzt wackel nicht so herum!« Ludwig schloss die Augen. »Über eines solltest du dir im Klaren sein«, sagte Rums sehr ernst. »Der Aufenthalt im Schloss kann sehr gefährlich für dich werden. Mein Bruder hasst Menschen!« Ludwig sagte gar nichts mehr. Er hockte zusammengekauert auf dem Rasenmäher, sah aus wie der leibhaftige Tod und fühlte sich auch schon mehr tot als lebendig. Rums klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter, so dass er nach vorn kippte. »Kopf hoch!« sagte sie aufmunternd. »Wenn das heute nacht gelingt, bin ich deine beste Freundin, darauf kannst du Gift nehmen!« Ludwig wusste nicht, was heute nacht gelingen sollte. Er wusste nur, dass er kein Gift nehmen würde. Ein wenig Mut fasste er dann aber doch. Rums hatte gesagt, dass sie seine Freundin sein wollte. Also musste er vielleicht doch nicht sterben? Wie sie kurz darauf zum Schloss gekommen waren, wusste er nicht zu sagen. Rums hatte ihm einfach den Mantel -33-
übergeworfen, ihn bei seiner Hand gefasst und schon standen sie vor dem Schlossportal. Jetzt duckten sie sich hinter ein niedriges, mit Efeu bewachsenes Mäuerchen. Die große Freitreppe vor dem Portal war mit Laternen beleuchtet, Überall tummelten sich seltsame Gestalten in grauen Kapuzenmänteln. Sie standen in kleinen Gruppen zusammen, unterhielten sich oder gingen eiligen Schrittes die Treppe hinauf. Dabei gab es jedesmal ein klapperndes Geräusch, denn sie trugen alte hölzerne Schuhe. Ludwig entdeckte, dass die Gestalten unter ihren Mänteln seltsame Dinge verbargen. Er erkannte Ketten und Rasseln, eine Gestalt trug gar ein ganzes Sortiment Teller unter dem Arm. »Sind das alles Poltergeister?« fragte er im Flüsterton. Rums nickte. »Hab keine Angst«, sagte sie leise, »ich gebe schon Acht, dass dir nichts passiert.« Ludwig merkte, dass seine Angst vor Rums langsam nachließ. Trotzdem zitterte er am ganzen Körper. »Da hinten kommt mein Bruder!« flüsterte Rums. Ludwig spähte vorsichtig um den Mauervorsprung. Eine große, hagere Gestalt kam auf die Freitreppe zu, Rums’ Bruder hatte lange Eisenketten am Arm hängen. Beim Näherkommen konnte Ludwig sein Gesicht erkennen. Seine Augen waren schwarz umrandet. Sein Blick war wild und entschlossen. Er hob die Nase und schnupperte in die Nachtluft. Dann verschwand er durch das Portal. Ludwig lief ein kalter Schauer den Rücken herunter. »Das war Trampel«, flüsterte Rums und Ludwig hatte das Gefühl, dass selbst sie sich vor ihrem Bruder fürchtete. »Wenn du ihm in die Hände fällst, dann Prost Mahlzeit!« Ludwig schluckte. »Ist er – ist er so gefährlich?« »Er mag einfach überhaupt keine Menschen, das ist alles.« Drei weitere Gestalten näherten sich der Freitreppe. Sie gingen sehr langsam und schlurfend. »Das ist der Ältestenrat«, sagte Rums und zog Ludwig tief in die Dunkelheit des Mauervorsprungs. »Vor dem musst du heute abend poltern!« »Ich?« rief Ludwig heiser. Rums presste ihm die Hand auf -34-
den Mund. Als die drei Gestalten im Portal verschwunden waren, lockerte sie den Druck ihrer Hand. »Bist du verrückt? Der Ältestenrat darf am allerwenigsten wissen, dass ein Mensch im Schloss ist!« Ludwig starrte sie an. Langsam rutschte er an der Mauer herunter auf den Po und blieb sitzen. »Ich will heim!« sagte er kleinlaut. »Nix da!« zischte Rums sehr energisch. »Du musst für mich poltern, damit die mich endlich aus dem Schloss rauslassen!« »Wer, die?« fragte Ludwig. »Na, der Ältestenrat!« »Aber du bist doch gar nicht im Schloss! Du treibst dich doch überall rum, sogar in meinem Zimmer!« »Aber ohne Erlaubnis. Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich abgehauen bin.« »Und wenn wir heute abend poltern?« wollte Ludwig wissen. »Wenn du richtig oberpoltertoll Krach machst«, fügte Rums hinzu. »Dann darfst du dich frei in der Gegend herumbewegen, sonst nicht?« »Du hast es kapiert!« brummte Rums. »Warum polterst du dann nicht selbst?« fragte Ludwig wütend. Da wurde Rums Stimme auf einmal ganz traurig. »Weil mein Bruder sagt, dass ich nicht gut genug bin. Ich bin schon dreimal durch die Prüfung gefallen!« Ludwig seufzte. Rums sah ihn bittend an. »Im Schabernack-Treiben hab’ ich eine Eins gekriegt«, rief sie. »Im Aufsagen meines Stammbaums auch. Aber Poltern verabscheue ich echt. Ich kann’s einfach nic ht, verstehst du?« Ludwig verstand das. Er war in der Schule auch keine Leuchte. In Mathematik hatte er auf dem letzten Zeugnis sogar eine Fünf gekriegt. »Also gut«, sagte er schließlich. »Ich werde dir helfen. Aber nur, wenn du mir versicherst, dass mir auch wirklich nichts passiert!« »Hab’ ich doch schon längst«, rief Rums mit strahlenden Augen. »Dann also los!« »Ja! Ja! Ja!« murmelte Ludwig und war dennoch sehr -35-
beunruhigt. »Dann also los.«
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Die Prüfung Ludwig und Rums schlichen sich durchs dunkle Hauptportal. »Niemand wird dich unter dem Mantel vermuten«, flüsterte Rums, »vertrau mir!« Ludwig hielt sich an ihrem Mantel fest. Nur ein paar Kerzen verbreiteten ein schummriges Licht. Sie kamen in eine Halle, in der es modrig roch. Überall drängten sich Poltergeister in Gruppen zusammen. Sie sprachen irre viel und schnell. Ludwig konnte nicht ein einziges Wort aufschnappen. Einige Poltergeister drehten sich nach ihnen um und grüßten Rums. Ludwig blickte einfach auf den steinernen Boden und verbarg sich hinter Rums’ Rücken. Plötzlich löste sich eine Gestalt aus einer der Gruppen und kam auf sie zu. Ludwig sah kurz auf und erstarrte. Es war Trampel! Zielstrebig kam er ihnen entgegen. Rums wollte Ludwig an Trampel vorbeischieben, der aber hielt sie am Arm fest. »Na, kleines Schwesterchen«, sagte er spöttisch, »du glaubst doch nicht etwa, dass du die Prüfung heute bestehst!« Ludwig zog seine Kapuze tief ins Gesicht. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. »Abwarten«, sagte Rums. »Warum so siegessicher?« fragte Trampel und verzog sein bleiches Gesicht zu einem misstrauischen Grinsen. »Jetzt lass mich durch!« sagte Rums, »Ich bin gleich an der Reihe!« Sie wollte sich an ihm vorbeischieben, aber Trampel packte sie abermals am Arm. »Eigenartig«, sagte er und konnte seinen Blick nicht von Ludwig abwenden. »Findest du nicht auch, dass es hier nach Holzleim und Seife stinkt?« »Ich hab’ mich ausnahmsweise mal gewaschen«, sagte Rums schnell. Trampel ließ ihren Arm los. Als Rums und Ludwig das Ende der Halle erreicht hatten, bemerkte Ludwig, dass Trampel ihnen immer noch hinterher blickte. »Er hat was gemerkt!« flüsterte er aufgeregt, »Hat er nicht«, versuchte ihn Rums zu beruhigen. »Hat er doch!« -37-
»Hat er nicht!« Am liebsten wäre Ludwig davongelaufen. Stattdessen schob ihn Rums durch eine geöffnete Tür in einen großen Saal, der auch nur mit Kerzenlicht beleuchtet war. Ludwig hätte niemals gedacht, dass es so viele Poltergeister gab. Sie meisten von ihnen saßen auf langen Bänken oder Stühlen, schwiegen und schienen auf etwas Bedeutsame s zu warten. Auf einem Podest in der Mitte des Saals hockten drei Gestalten, Ludwig erkannte die Drei vom Ältestenrat. Plötzlich erzitterte die Saaldecke unter einem ungeheuren Poltern. Der Kronleuchter an der Decke begann, hin und her zu schwanken. Doch keiner der Anwesenden verzog eine Miene. Ludwig starrte mit offenem Mund zur Saaldecke, aber Rums zog ihn zurück in die Halle. »Was war das? Ein Erdbeben?« »Pff!« sagte Rums geringschätzend. »Ein mittelmäßiger Polterauftritt. Komm, wir müssen nach oben!« Rums drängte Ludwig über eine schmale Stiege in die obere Etage. Hier war der Krach fast unerträglich. Die beiden blieben vor der Tür stehen, hinter der es so heftig polterte. »Wenn der da drin fertig ist, bist du dran!« rief Rums. »Wie bitte?« schrie Ludwig. Er verstand kein Wort, so laut war es hier oben. »Gleich bist du an der Reihe«, brüllte Rums und zeigte auf die Tür. »Und dein Bruder? Wird der auch hier oben sein?« »Keine Angst, der hört sich das Spektakel von unten an. Der hat die Prüfung schon vor ein paar Jahren bestanden!« Plötzlich brach das Poltern ab. »Jeder Prüfling hat zehn Minuten, um zu zeigen, was er kann«, raunte Rums Ludwig ins Ohr. »Verstecken wir uns hinter diesem Vorhang!« Ludwig spähte durch ein Mottenloch im Vorhang. Die Tür zum Prüfungsraum öffnete sich und ein junger Poltergeist huschte die Stiege hinunter. »Jetzt bist du dran!« sagte Rums. Als Ludwig den Raum betrat, holte er tief Luft. »Ist das eine Turnhalle?« fragte er verblüfft. Überall standen Geräte umher, wie man sie aus Sporthallen kennt. Böcke, ein Trampolin, eine -38-
Sprossenwand und Sprungbretter. Von der Decke hingen lange Kletterseile. »Du kannst hier machen, was du willst«, sagte Rums. »Hauptsache, du machst viel, viel Krach!« Und sie wandte sich zur Tür. »Willst du mich etwa allein lassen?« rief Ludwig erschrocken. »Ich gehe runter und verstecke mich irgendwo im Saal«, sagte Rums, »Ich muss doch sehen, wie der Ältestenrat reagiert!« Da bekam es Ludwig mit der Angst zu tun. »Ich will hier nicht allein bleiben!« rief er aufgeregt, »Ich weiß doch überhaupt nicht, wie man richtig Krach macht!« »Oh bitte, bitte, lieber Ludwig, lass mich jetzt nicht im Stich«, flüsterte Rums verzweifelt. »Ich bin schon dreimal durch die Prüfung gefallen und ich bin mir sicher, dass du es für mich schaffen wirst!« Ludwig sah, wie Rums hinausrannte und die Tür hinter sich zuschlug. Er war allein. Allein mit all den Turngeräten.
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Trampel »Wie macht man Krach?« fragte sich Ludwig hilflos und wanderte durch den Raum. Er erinnerte sich, dass seine Mutter oft mit ihm geschimpft hatte, wenn er zu laut gewesen war. Aber jetzt, wo er Krach machen sollte, wollte ihm einfach nicht einfallen, wie das ging. Plötzlich hörte er ein Knarren von der Tür. Ludwig sah, wie die Tür einen Spalt breit geöffnet wurde. Ob Rums wohl zurückkam, um ihm beim Poltern zu helfen? Wieder knarrte die Tür. »Rums?« rief Ludwig vorsichtig. Da schob sich eine Gestalt durch den Türspalt ins Zimmer. Aber es war nicht Rums. Es war Trampel! »Hab ich es mir doch gleich gedacht!« sagte Trampel mit scharfer Stimme und schloss hinter sich die Tür. »Klick«, machte es. Er drehte den Schlüssel herum und ließ ihn in seiner tiefen Manteltasche verschwinden. Er grinste Ludwig ziemlich böse an und machte einen Schritt auf ihn zu. Ludwig ging sofort ein Stück zurück. »Hier riecht’s nach Seife«, sagte Trampel mit funkelnden Augen. »So riecht kein Poltergeist. So riechen Menschen. Ich mag überhaupt keine Menschen!« Ludwig hatte das Gefühl, als müsse er sich jeden Moment in die Hose machen. Er blickte sich um nach einer Fluchtmöglichkeit. Der Raum war groß und hoch, hatte aber kein einziges Fenster. Rums hatte sich im großen Saal in der Menge versteckt. Wenn so viele Poltergeister im Schloss versammelt waren, gab es meistens ein Getrampel, das man bis in den Park hinaus hörte. Aber gerade in diesem Augenblick war es mucksmäuschenstill im Saal. In dem schummrigen Kerzenlicht sah Rums, dass alle Augen zur Saaldecke gerichtet waren. Spannung lag in der Luft. Die meisten wussten, dass Rums schon dreimal durch die Prüfung gefallen war. Rums zog die Kapuze ihres Mantels tief ins Gesicht und wartete. Entweder es glückte oder es glückte nicht. Aber Rums war fest davon überzeugt, dass Ludwig -40-
Poltertalent hatte. Schließlich hatte sie es gehört, als er aus seinem Kleiderschrank herausgepoltert war! Plötzlich begann der Kronleuchter an der Decke des Saals zu zittern. Ein kräftiges Poltern kam aus dem oberen Zimmer. Dann nahm das Krachen, Bumsen und Trampeln zu. »Ludwig poltert wie zwei Poltergeister auf einmal!« dachte Rums verblüfft. Und tatsächlich ging auch schon ein bewunderndes Raunen durch den Saal. Rums warf einen vorsichtigen Blick zum Ältestenrat. Die drei hageren Gestalten saßen mit offenen Mündern auf ihren Stühlen und staunten. Der Kronleuchter an der Saaldecke schwang bereits so heftig hin und er, dass er jeden Augenblick herunterkrachen würde. »Das ist nicht möglich!« dachte Rums, »so laut kann niemand poltern!« Und plötzlich hatte Rums einen schlimmen Verdacht. Sie bahnte sich einen Weg durch die staunende Menge und lief zur Tür. Von hier aus konnte sie die Stuhlreihen sehen, auf denen ganz besonders talentierte Poltergeister ihren Stammplatz eingenommen hatten. Ein Stuhl war nicht besetzt. Es war Trampels Platz, wie sie es vermutet hatte! »Verdammter Mist!« Wie der Blitz verließ Rums den Saal und rannte die Stiege hinauf zum Prüfungsraum. Und dabei hatte sie Ludwig doch versprochen, dass Trampel nicht hier sein würde, dass ihm nichts geschehen konnte, weil sie auf ihn aufpasste! Von unten aus dem Saal hörte sie Gratulation und Geschrei. Der Ältestenrat war begeistert. Rums hatte schon richtig gehört. So konnte einfach niemand allein poltern. Ludwig rannte, sprang, hopste über alle Turngeräte und Trampel verfolgte ihn ohne Mitleid. Ludwig rannte um sein Leben, aber er wusste nicht, wie lange er die Verfolgungsjagd noch aushalten würde. Doch dann geschah etwas, womit Ludwig nicht gerechnet hatte. Er war mit letzter Kraft ein Seil hinaufgeklettert. Jetzt hing er ganz oben unter der Decke und sah, wie Trampel ihm nachkletterte. Schon war er zwei Meter unter ihm und versuchte, nach seinen Füßen zu -41-
greifen. Mutig hangelte sich Ludwig zum nächsten Seil hinüber, ließ das erste los und rutschte, so schneit er konnte, hinab zum Boden. Er war völlig erschöpft. Er wusste nicht mehr, wohin er fliehen sollte. Da sah er plötzlich am Boden Trampels Mantel liegen. Er musste ihn dort verloren haben, Ludwig sah hinauf zu dem wild dreinblickenden Poltergeist, der direkt unter der Decke am Seil hing und sich festklammerte. Das Seil schwang hin und her. Ludwig griff nach Trampels Mantel. Dort, tief in der Tasche, musste sich der Zimmerschlüssel befinden. »Wirf mir meinen Mantel hoch!« rief Trampel mit scharfer Stimme. »Hot ihn dir«, sagte Ludwig und verstand nicht, wieso Trampel nicht schon längst heruntergeklettert war, »Gib mir meinen Mantel!« sagte Trampel wieder, Aber diesmal klang seine Stimme bittend, ja fast ein wenig ängstlich. Ludwig starrte nach oben. Und jetzt begriff er, dass Trampel nicht herunterkommen konnte. In seinen Augen lag Angst! »Das gibt’s doch nicht!« dachte Ludwig erstaunt. »Der starke Trampel klettert ein Seil hinauf und traut sich nicht wieder herunter?« Es klopfte wild an der Zimmertür. »Ludwig, ich bin es!« hörte er Rums rufen. Ludwig griff in die Manteltasche und zog den Schlüssel heraus. Schnell lief er zur Tür und öffnete sie. Da stand Rums und sah ihn erschrocken an. »Ist Trampel etwa hier?« Sie blickte sich im Zimmer um. »Ich habe ihn nämlich unten nicht gesehen, und da habe ich schon das Schlimmste befürchtet!« Ludwig deutete mit dem Finger unter die Zimmerdecke. »Da oben hängt er!« Rums glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. »Er will seinen Mantel«, flüsterte Ludwig und hielt Trampels Mantel fest umklammert. Jetzt begriff auch Rums, was geschehen war. »Er traut sich nicht runter«, lachte sie, »mein starker Bruder traut sich nicht runter!« Aber plötzlich wurde sie ernst. »Hat er dir etwas getan?« Ludwig schüttelte den Kopf. »Noch nicht!«
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Rums nickte. Sie lief zum Seilende, das langsam hin und her schwankte und verschränkte die Arme. »Wie geht’s denn da oben?« »Pah!« rief Trampel. »Pah!« »Dein Glück«, sagte Rums, »dass meinem Freund nichts passiert ist!« »Dein Freund!« rief Trampel ärgerlich. »Dein Freund ist ein Mensch. Du hast getrickst. Ich hoffe, du hast die Prüfung nicht bestanden!« »Doch!« rief Rums stolz. »Und zwar mit Auszeichnung!« »Pah!« sagte Trampel wieder. »Das werde ich dem Ältestenrat sagen!« »Wirst du nicht!« sagte Rums, »es sei denn, du willst ewig da oben bleiben.« »Gib mir meinen Mantel«, jammerte Trampel, »ich kann mich kaum noch festhalten!« »Schwöre, dass du nichts verraten wirst!« Trampel zögerte. »Oder willst du, dass ich allen erzähle, was für ein Angsthase du bist?« Trampel brummte irgendetwas vor sich hin. »Wie bitte?« schrie Rums. Ludwig musste kichern. »Ich schwöre!« sagte Trampel. »Und jetzt gib mir meinen Mantel!« Triumphierend wandte sich Rums an Ludwig. »Er braucht den Mantel, um sich runterzuwünschen. Du weißt doch, dass man sich mit dem Mantel überall hinwünschen kann. Warum hast du deinen nicht benutzt?« »Ich hatte es völlig vergessen!« sagte Ludwig verwirrt. »Komm«, sagte Rums und legte ihren Arm um Ludwigs Schultern. »Ich bringe dich heim! Und der da oben kann warten, bis ich zurück bin.« Kurz darauf saßen Rums und Ludwig auf dem Bett in Ludwigs Zimmer. Ludwig kniff die Augen zusammen. »Das ging aber schnell!« seufzte er, »Mit dem Mantel geht alles«, -43-
erklärte Rums. »Ich werde ihn dir hier lassen. Als Geschenk. Ich bin so froh, dass du die Prüfung für mich bestanden hast! Vielen Dank!« Und sie umarmte Ludwig. Ludwig wurde ganz verlegen. »Also eigentlich hast du die Prüfung wegen Trampel bestanden«, murmelte er. »Ohne ihn hätte ich niemals soviel Krach gemacht!« Rums lachte. »Sehe ich dich wieder?« fragte Ludwig. Eigentlich fand er es schade, dass Rums nicht bei ihm bleiben konnte. Rums hüllte sich in ihren Mantel und zwinkerte ihm zu. »Jemand, der mir so viel geholfen hat, der hat noch etwas gut bei mir!« Und dann war sie verschwunden.
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Kapitel 3 Geschichten zum Gesundwerden
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Das schiefe Bärchen Oma Plotterbeck verdiente sich etwas Geld dazu, indem sie in ihrem kleinen Lädchen selbstgemachte Teddybären verkaufte. Doch eines Tages arbeitete sie an einem, der sich nicht so richtig fertig stellen lassen wollte. Beim Ausstopfen drehte er sich immer hin und her. Beim Annähen von Ohren, Augen, Nase und Mund verrutschte immer wieder die Nadel, so dass alles ein wenig schief saß. Sogar die Arme und die Beine standen ein bisschen schief in die Gegend. Dadurch, dass nichts an der richtigen Stelle saß, sah das kleine Bärchen ziemlich komisch aus. »Oh je, den werde ich wohl nicht mehr verkaufen können«, dachte Oma Plotterbeck. Trotzdem setzte sie ihn zu den anderen gut gelungenen Bären auf das Regal. Aber dort fiel nur noch mehr auf, dass er eigentlich ziemlich misslungen war, Sie wollte ihn gerade wieder herunternehmen und fortwerfen, als ein kleines Mädchen schüchtern ihren Laden betrat. »Guten Tag«, sagte sie leise. »Ich würde sehr gerne einen kleinen Teddybären kaufen. Ich habe aber nur vier Mark. Kann ich dafür einen haben?« »Aber sicher«, freute sich Oma Plotterbeck. »Ich denke, da habe ich zufällig genau den richtigen für dich!« Sie zeigte dem kleinen Mädchen das schiefe Bärchen, das lustig mit seinen schiefen Ärmchen und seinen Beinchen hin- und herwackelte. Das Mädchen war begeistert und kaufte den Bären. Sie drückte ihn fest in ihre Arme und lief dann ganz schnell nach Hause. Er war doch viel schöner als all die anderen, die da so gerade in einer Reihe gesessen hatten und einer wie der andere aussahen. Sie hatte sich wirklich den schönsten Bären auf der ganzen Welt gekauft!
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Der kleine Hase Fridolin Es war einmal ein kleiner Hase namens Fridolin, der wohnte mit seinen Eltern und seinen sechs Brüdern in einer gemütlichen Hasenhöhle in der Nähe des Flusses. Fridolin war das jüngste der sieben Hasenkinder und somit auch das kleinste. Jeden Morgen lief er als erstes zum Spiegel und schaute nach, ob seine Ohren wieder ein Stück größer geworden waren. Doch es tat sich nichts, Fridolins Ohren blieben immer kleiner als die seiner Geschwister. Darüber war der kleine Hase sehr betrübt und probierte alles Mögliche aus, um die Ohren größer werden zu lassen, Doch es half nichts, Fridolin blieb ein Kurzohrhase. Die anderen Hasenkinder ärgerten Fridolin und sagten, man müsse nur fest genug an seinen Ohren ziehen, dann würden sie bestimmt länger werden. Und so zogen sie den kleinen Hasen bei jeder Gelegenheit an den Ohren und hänselten ihn. Eines Tages nun aber ging Fridolin in den Wald, um seinen Freund, das Streifenhörnchen, zu besuchen. Die Mutter sagte, als er losging: »Pass ja auf, dass der Fuchs dich nicht fängt!« Fridolin versprach es und machte sich auf den Weg. Den ganzen Nachmittag spielten Fridolin und das Streifenhörnchen nun Verstecken, Als es schon dunkel wurde, sagte Fridolin: »Nur noch eine Runde, dann muss ich nach Hause.« Also versteckte er sich hinter den Wildrosen. Plötzlich raschelte es im Gestrüpp und der Fuchs pirschte sich wachsam näher. Er schnupperte und wusste sofort, dass ganz in der Nähe ein Hase sein musste. Doch Fridolin legte seine kleinen Ohren an, so dass der Fuchs ihn nicht entdecken konnte. Das Streifenhörnchen aber ahnte die Gefahr, raschelte ein Stück weiter weg im Gebüsch und lenkte so den Fuchs auf eine falsche Fährte. Als dieser näher kam, kletterte es geschwind auf einen Baum und machte ihm von oben freche Grimassen. Fridolin aber war längst schon wieder in der Höhle am Fluss und von diesem Tag an hat er sich nie -47-
wieder über seine kleinen Ohren beschwert.
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Das Glühwürmchen und der kleine Zwerg Zwerg Willibald ging durch den Wald, um Kräuter zu sammeln. Zwerge tun das, damit sie Medizin für kranke Tiere machen können. Willibald war ein fleißiger Zwerg und hatte schon jede Menge Kräuter gesammelt, als es plötzlich zu regnen anfing. Willibald legte sich unter einen Fliegenpilz und fing an, die Wurzel zu essen, die er sich als Wegzehrung mitgenommen hatte. Es regnete sehr lange und Willibald aß alles auf einmal auf. Vom Essen müde geworden, schloss er die Augen und schlief ein. Als er wieder aufwachte, war es bereits dunkel geworden und Willibald musste sich beeilen, um nach Hause zu kommen. Mit seinem letzten Streichholz zündete er seine Laterne an und lief los. Unglücklicherweise stolperte der kleine Zwerg und seine Laterne erlosch. Nun saß da der Zwerg mitten im Wald und wusste nicht mehr, wie er nach Hause kommen sollte. Da hörte er ganz in der Nähe das Rufen einer Eule. Willibald brüllte so laut er nur konnte: »Hallo Eule, bitte hilf mir, bitte hilf mir.« Da Eulen nicht nur gut hö ren, sondern auch nachts hervorragend sehen können, hatte sie den kleinen Zwerg bald entdeckt. Als Willibald ihr von seinem Missgeschick erzählte, versprach sie ihm zu helfen. Sie flog davon und kam nach kurzer Zeit mit einem Glühwürmchen wieder. Für den kleinen Glühwurm war es eine Ehre, dem Zwerg helfen zu können und so kletterte es in seine Laterne und leuchtete ihm auf seinem Heimweg.
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Der alte Zar Es war einmal ein alter Zar, der wurde krank und glaubte niemandem, dass er mit dem Leben davonkäme. Er hatte aber drei Söhne, die waren darüber betrübt und gingen hinunter in den Schlossgarten und weinten. Da begegnete ihnen ein alter Mann, der fragte sie nach ihrem Kummer. Da erzählten sie, ihr Vater wäre so krank, dass er wohl sterben müsse, nichts wolle ihm helfen. Der Alte sprach: »Ich weiß ein Mittel, das ist das Wasser des Lebens, wenn er davon trinkt, so wird er wieder gesund. Es ist aber schwer zu finden.« Da sagte der älteste Sohn: »Ich will es schon finden«, ging zu dem kranken Vater und bat ihn, er möchte ihm erlauben auszuziehen und das Wasser des Lebens zu suchen, das ihn allein heilen könne. »Nein«, sprach der Zar, »dabei sind zu große Gefahren; lieber will ich sterben.« Er bat aber so lange, bis es der Vater ihm erlaubte. Der Zarensohn dachte auch in seinem Herzen: »Hol ich das Wasser, so bin ich meinem Vater der Liebste und erbe das Reich.« Also machte er sich auf und als er eine Zeit lang fortgeritten war, stand da ein Zwerg auf dem Weg, der rief ihn an und sprach: »Wohin so geschwind?« – »Du Knirps,« sagte der Zarensohn ganz stolz, »das brauchst du nicht zu wissen.« und ritt weiter. Das kleine Männchen aber war zornig geworden und hatte einen bösen Wunsch getan. Als nun der Zarensohn fortritt, kam er in eine tiefe Bergschlucht und je weiter er kam, desto enger taten sich die Berge zusammen. Schließlich war der Weg so eng, dass er keinen Schritt weiter konnte und auch das Pferd konnte er nicht wenden. Er selber konnte nicht absteigen und musste da eingesperrt stehen bleiben. Indessen wartete der kranke Zar auf ihn, aber er kam nicht und kam nicht. Da sagte der zweite Zarensohn: »So will ich ausziehen und das Wasser suchen.« Er dachte bei sich: »Das ist mir eben recht, denn ist mein Bruder tot, so fällt das Reich mir zu.« Der Zar -50-
wollte anfangs auch ihn nicht ziehen lassen, musste es aber schließlich doch zulassen. Der Zarensohn zog also gleichen Weges fort und begegnete demselben Zwerg, der hielt ihn wieder an und fragte: »Wohin so geschwind?« – »Du Knirps,« sagte der hochmütige Zarensohn, »das brauc hst du nicht zu wissen.« und ritt in seinem Stolz fort. Aber der Zwerg verwünschte ihn und er geriet wie der andere auch in eine Bergschlucht und konnte nicht vorwärts und rückwärts. So geht’s aber den Hochmütigen. Wie nun auch der zweite Zarensohn ausblieb, sagte der jüngste, er wolle ausziehen und das Wasser holen und der Vater musste auch ihn endlich gehen lassen. Wie er nun dem Zwerg auf dem Weg begegnete und der fragte: »Wohin so geschwind?« antwortete er ihm: »Ich suche das Wasser des Lebens, weil mein Vater todkrank ist.« – »Weißt du denn, wo es zu finden ist?« – »Nein«, sagte der Zarensohn bekümmert. »So will ich es dir sagen, weil du mir eine ordentliche Antwort gegeben hast. Es quillt aus einem Brunnen, in einem verwunschenen Schloss und damit du dorthin gelangst, gebe ich dir eine eiserne Rute und zwei Laib Brot. Mit der Rute schlage dreimal an das eiserne Tor des Schlosses, so wird es aufspringen. Innen werden dann zwei Löwen liegen und den Rachen aufsperren, wenn du ihnen aber das Brot hineinwirfst, wirst du sie stillen. Dann beeile dich und hol von dem Wasser des Lebens, ehe es zwölf schlägt, sonst geht das Tor wieder zu und du bist eingesperrt.« Da dankte ihm der Zarensohn und nahm die Rute und das Brot, ging hin und alles war so, wie der Zwerg es gesagt hatte. Als die Löwen besänftigt waren, ging er in das Schloss hinein und fand einen schönen großen Saal. Darin waren verwunschene Zarensöhne, denen zog er die Ringe ab. Dann nahm er ein Schwert und ein Brot, die da lagen. Und weiter kam er in ein Zimmer, darin war eine Prinzessin, die freute sich, als sie ihn sah, küsste ihn und sagte, er habe sie erlöst und solle ihr ganzes Reich haben. In einem Jahr solle er kommen und die Hochzeit -51-
mit ihr feiern. Dann sagte sie ihm auch noch, wo der Brunnen mit dem Lebenswasser sei, er müsse sich aber beeilen und daraus schöpfen, ehe es zwölf schlage. Da ging er weiter und kam endlich in ein Zimmer, darin stand ein schönes, frisch gedecktes Bett und weil er müde war, wollte er sich erst ein wenig ausruhen. Also legte er sich hin und schlief ein. Als er aber erwachte, schlug es drei Viertel auf Zwölf. Da sprang er ganz erschrocken auf, lief zu dem Brunnen und schöpfte sich einen Becher voll, der daneben stand. Dann machte er, dass er fortkam. Wie er eben zum eisernen Tor hinausging, da schlug’s zwölf und das Tor fuhr so heftig zu, dass es ihm noch ein Stück von der Ferse wegnahm. Er aber war froh, dass er das Wasser des Lebens hatte und ging heimwärts und wieder an dem Zwerg vorbei. Als dieser das Schwert und das Brot sah, sprach er: »Damit hast du großes Gut gewonnen, mit dem Schwert kannst du ganze Heere schlagen, das Brot aber wird niemals alle.« Da dachte der Zarensohn, ohne seine Brüder wolle er nicht zum Vater nach Hause kommen und sprach: »Lieber Zwerg, kanns t du mir nicht sagen, wo meine zwei Brüder sind? Die sind vor mir ausgezogen, um das Wasser des Lebens zu finden und sind nicht wiedergekommen.« »Zwischen zwei Bergen sind sie eingeschlossen«, sprach der Zwerg, »dahin habe ich sie verwünscht. weil sie so übermütig waren.« Da bat der junge Zarensohn so lange, bis sie der Zwerg wieder losließ, aber er sprach noch: »Hüte dich vor ihnen, denn sie haben ein böses Herz!« Wie sie nun kamen, da freute er sich und erzählte ihnen, wie es ihm ergangen war, dass er das Wasser des Lebens gefunden, einen Becher voll mitgenommen und eine schöne Prinzessin erlöst habe, Die wollte ein Jahr lang auf ihn warten, dann sollte Hochzeit gehalten werden und er bekäme ein großes Reich. Danach ritten sie zusammen fort und gerieten in ein Land, wo Hunger und Krieg waren und der Fürst glaubte schon, er würde -52-
an der Not zu Grunde gehen. Da ging der Zarensohn zu ihm, gab ihm das Brot und damit speiste und sättigte er sein ganzes Reich. Dann gab ihm der Zarensohn auch noch das Schwert und damit schlug er die Heere seiner Feinde und konnte nun in Ruhe und Frieden leben. Da nahm der Zarensohn sein Brot und sein Schwert wieder zurück und die drei Brüder ritten weiter; sie kamen aber noch in zwei Länder, wo Hunger und Krieg herrschte und da gab der Zarensohn den Fürsten jedesmal sein Brot und sein Schwert und so hatte er schließlich drei Reiche gerettet. Danach setzten sie sich auf ein Schiff und fuhren übers Meer. Während der Fahrt sprachen die beiden ältesten Söhne unter sich: »Der jüngste hat das Wasser gefunden und wir nicht. Dafür wird ihm unser Vater das Reich geben, das uns gebührt und er wird uns unser Glück wegnehmen.« Da wurden sie rachsüchtig und verabredeten, dass sie ihn überlisten wollten. Sie warteten aber, bis er einmal fest einge schlafen war, dann gossen sie das Wasser des Lebens aus dem Becher und nahmen es an sich; ihm aber gossen sie bitteres Meerwasser hinein. Als sie nun daheim ankamen, brachte der jüngste dem kranken Vater seinen Becher, damit er daraus trinken und gesund werden sollte. Kaum aber hatte er ein wenig von dem bitteren Meerwasser getrunken, da wurde er noch kränker als zuvor. Und wie er darüber jammerte, kamen die beiden ältesten Söhne. Sie klagten den jüngsten an und sagten, er habe ihn vergiften wollen. Sie aber hätten das rechte Wasser des Lebens gefunden und mitgebracht, worauf sie es dem Zar reichten. Und kaum hatte er davon getrunken, so fühlte er, dass seine Krankheit schwand und er wieder stark und gesund wurde, wie in jungen Jahren. Danach gingen die beiden zu dem jüngsten Sohn, machten sich über ihn lustig und sagten: »Nun, hast du das Wasser des Lebens gefunden? Du hast die Mühe gehabt und wir den Lohn. Du hättest besser aufpassen sollen, denn wir haben es dir genommen, als du auf dem Meer eingeschlafen -53-
warst. Nach einem Jahr holt sich einer von uns deine schöne Prinzessin, aber wage es ja nicht, dem Vater davon zu erzählen. Er glaubt dir ja doch nicht und wenn du ein Wort sagst, dann wirst du dein Leben verlieren. Schweigst du aber, so soll es dir geschenkt sein.« Der alte Zar aber war zornig über seinen jüngsten Sohn und glaubte, dieser habe ihm nach dem Leben getrachtet. Also ließ er den Hof versammeln und ein Urteil fällen, das besagte, dass der jüngste Zarensohn heimlich erschossen werden sollte. Als der Zarensohn nun einmal auf die Jagd ritt, musste des Zaren Jäger mitgehen. Als sie ganz allein draußen im Wald waren und der Jäger so traurig aussah, sagte der Zarensohn zu ihm: »Lieber Jäger, was fehlt dir?« Und der Jäger sprach: »Ich kann es dir nicht sagen und sollte es doch.« Da sprach der Zarensohn: »Sag es nur frei heraus, was es ist, ich will dir verzeihen.« »Ach«, sagte der Jäger, »ich soll Euch totschießen, der Zar hat es mir befohlen.« Da erschrak der Zarensohn und sprach: »Lieber Jäger, lass mich leben, ich gebe dir mein kostbares Gewand, gib du mir dafür dein schlechtes.« Der Jäger sagte: »Das will ich gerne tun, ich hätte doch nicht nach Euch schießen können.« Da nahm der Jäger die Kleider des Zarensohnes und der Zarensohn die Kleider des Jägers und ging fort in den Wald hinein. Nach einer Weile, da kamen beim alten Zaren drei Wagen mit Geschenken, Gold und Edelsteinen für den jüngsten Sohn an. Sie waren von den drei Fürsten geschickt, denen der Zarensohn das Schwert und das Brot geliehen hatte, womit sie die Feinde geschlagen und ihr Land ernährt hatten. Das ging dem alten Zaren zu Herzen und dachte, sein Sohn könnte doch unschuldig gewesen sein. Er sprach zu seinen Leuten: »Ach, wäre er noch am Leben, es tut mir herzlich leid, dass ich ihn habe töten lassen.« »So habe ich ja Recht getan«, sprach der Jäger, »ich habe ihn nicht erschießen können.« Und er erzählte dem Zaren, wie es -54-
zugegangen war. Da war der Zar froh und ließ im ganzen Reich bekannt machen, sein Sohn solle wieder nach Hause kommen, er werde ihn in Gnaden aufnehmen. Die Prinzessin aber ließ eine Straße vor ihrem Schloss bauen, die war ganz golden und glänzend. Sie sagte ihren Leuten, wer darauf zu ihr geritten käme, das wäre der Richtige und den sollten sie einlassen. Derjenige aber, der neben der Straße einherkäme, wäre nicht der Richtige und den sollten sie auch nicht hereinlassen. Als nun die Zeit bald um war, dachte der Älteste, er wolle sich eilen, um zur Prinzessin zu gehen und sich als ihr Erlöser ausgeben, denn dann bekäme er sie zur Gemahlin und das Reich dazu. Also ritt er fort. Als er vor das Schloss kam und die schöne goldene Straße sah, dachte er, das sei jammerschade darauf zu reiten, lenkte ab und ritt rechts nebenher. Als er vor das Tor kam, sagten die Leute zu ihm, er wäre nicht der Richtige und sollte wieder fortgehen. Bald darauf machte sich der zweite Zarensohn auf den Weg. Als er zur goldenen Straße kam und das Pferd schon einen Fuß darauf gesetzt hatte, dachte er, da darfst du nicht drüber reiten. Er lenkte ab und ritt links nebenher. Als er vor’s Tor kam, sagten die Leute auch zu ihm, er sei nicht der Richtige und solle fortreiten. Als nun das Jahr um war, wollte der dritte Zarensohn aus dem Wald zu seiner Liebsten reiten und bei ihr sein Leid vergessen. Also machte er sich auf den Weg und dachte immer an sie und bemerkte so die goldene Straße gar nicht. Er ritt mit seinem Pferd mitten darüber und als er vor das Tor kam, wurde es aufgetan und die Prinzessin empfing ihn mit Freuden. Er sagte, er sei ihr Erlöser und der Herr des Reiches. Es wurde Hochzeit gehalten und es herrschte große Freude im ganzen Reich. Als die Hochzeit vorbei war, erzählte die Prinzessin dem Zarensohn, dass der alte Zar ihm verziehen habe. Da ritt er hin und sagte seinem Vater alles, wie seine Brüder ihn betrogen und er doch dazu geschwiegen habe. Der alte Zar wollte die Brüder -55-
strafen, aber sie hatten sich mit Schiffen über das Meer aus dem Staub gemacht und kehrten nie wieder.
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Die Geschichte von dem kleinen Biber, der Zahnschmerzen hatte Unten am Fluss lebte einmal ein kleiner Biber namens Otto. Otto hatte schon seit Tagen furchtbare Zahnschmerzen. Er konnte gar nicht mehr an Bäumen nagen oder kleine Äste im Mund knirschen lassen. Bei jedem Bissen tat der böse Zahn so weh, dass Otto es bis in die linke Hinterpfote spürte. Die Bibermutter gab ihrem Jüngsten eine kleine Gewürznelke, die er zerkauen sollte. »Nelken helfen bei Zahnschmerzen«, sagte die Mutter zu Otto. Also kaute Otto den ganzen Nachmittag auf der Nelke herum, doch die Zahnschmerzen wurden nicht besser. Als ihm auch noch übel wurde, lief er traurig zu seiner Mutter und sagte: »Mama, die Nelke hilft überhaupt nicht und schmeckt ganz fürchterlich. Mir ist so schlecht, was soll ich nur tun?« Und Otto legte seinen Kopf in den Schoß der Mutter und fing bitterlich zu weinen an. Da dachte die Bibermama: »Es hilft alles nichts, der böse Zahn muss raus!« Sie kraulte Otto am Nacken und sagte zu ihm: »Komm, Otto, ich zieh dir den bösen Zahn!« Doch Otto wehrte sich mit Vorder- und Hinterpfoten, denn das Letzte, was er nun gebrauchen konnte, war, dass seine Mutter ihm den Zahn zog. Die Bibermutter aber wusste sich zu helfen und gab Otto etwas kaltes Wasser direkt von der Quelle. »Das musst du jetzt ordentlich gurgeln, Otto!« sagte die Bibermutter zu ihrem Sohn, Otto gurgelte brav und für kurze Zeit ließ der Schmerz nach. Otto freute sich und sagte: »Mama, du brauchst den Zahn nicht mehr zu ziehen, die Schmerzen sind schon wieder weg!« Da schmunzelte die Bibermutter, nahm einen Apfel und sagte: »Hier, als Belohnung für deine Tapferkeit. Du kannst ja jetzt wieder ordentlich zubeißen!« Und Otto nahm freudig den roten Apfel und biss so fest er konnte hinein. Der böse Zahn aber, der vorher schon heftig gewackelt hatte, blieb einfach im Apfel -57-
stecken, ohne dass Otto es merkte.
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Der kranke König Es war einmal ein sehr reicher und gütiger König, den alle Untertanen gern hatten. So hätte er eigentlich glücklich sein können, doch war er von einem bösen Leiden befallen: Nach jedem Satz, den er sagte, musste er niesen und davon konnten ihn auch die berühmtesten Ärzte nicht heilen. Eines Tages kam eine alte Frau zu dem königlichen Schloss und verlangte, beim König vorzusprechen. Als sie vor dem König stand, verriet sie ihm, dass eine bestimmte blaue Blume ihn von seiner Krankheit heilen könne. So erzählte sie ihm: »Die blaue Blume wächst weit, weit weg, hinter dem neunten Berg, und nur ein Zwillingspärchen kann sie finden.« Daraufhin schickte der König Boten aus, welche ein kluges Zwillingspärchen finden sollten. Da Franz und Franzi dem König am besten gefielen, wurden sie von ihm losgeschickt, die blaue Blume zu suchen. Und so machten sich die beiden Kinder auf den Weg und als sie den ersten Berg hinter sich hatten, begegneten sie einem Wolf, der sie vom Weg abbringen wollte. Doch die beiden Kinder kannten die Geschichte von Rotkäppchen und dem bösen Wolf und deshalb wussten sie, dass man Wölfen auf gar keinen Fall trauen darf. Sie ließen sich also nicht vom Weg abbringen und gingen weiter, bis sie an ein Knusperhäuschen kamen, in dem eine böse Hexe Hänsel und Gretel gefangen hielt. Franz und Franzi machten einen großen Bogen um das Hexenhaus und liefen schnell weiter. Kurze Zeit später begegneten sie im Wald einem kleinen Männlein, das um ein Feuer hüpfte und sang: »Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich…« Mit dem arglistigen Rumpelstilzchen wollten Franz und Franzi erst recht nichts zu tun haben und so verließen sie den Wald und kamen am Abend in ein kleines -59-
Haus, in dem noch Licht brannte. Sie klopften und ein junges Mädchen öffnete ihnen die Tür und als es die beiden Kinder sah, ließ es sie herein. Alle anderen schliefen bereits, nur das Mädchen namens Aschenputtel arbeitete noch in der Küche. Und da es ein gutes Herz hatte, ließ es die Kinder in der warmen Küche schlafen. Am nächsten Tag machten sich Franz und Franzi wieder auf den Weg, um die blaue Blume zu suchen. Gegen Mittag verspürten sie großen Durst. Als ihnen kurz darauf aber eine alte Bauersfrau mit einem Korb saftiger roter Äpfel begegnete, nahmen sie keinen der Äpfel, weil sie in der Alten die Stiefmutter Schneewittchens vermuteten. Am Abend kamen sie tatsächlich hinter dem siebten Berg zu den sieben Zwergen, von denen sie sehr freundlich empfangen wurden. Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, legten sie sich schlafen. Am nächsten Tag kamen sie endlich über den neunten Berg. Dort stand ein großer Apfelbaum, der den Kindern zurief: »Rüttelt mich und schüttelt mich, meine Äpfel sind alle reif!« Da die beiden Kinder die Geschichte von Frau Holle kannten, schüttelten sie die Äpfel vom Baum und sammelten sie auf. Da erschien auch schon Frau Holle und Franz und Franzi erkannten in ihr die alte Frau, die dem König von der blauen Blume erzählt hatte. Sie pflückte die Blume und gab sie dem Zwillingspärchen. Dann rief sie eine junge Wildgans herbei, die die beiden Kinder zurück zum königlichen Schloss flog. Als sie dort ankamen, brachten sie dem König die blaue Blume und als dieser an ihr roch, musste er zum letzten Mal niesen.
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Der unverschämte Kuchendieb Frau Müller hatte im Krankenhaus eine Bekannte besucht und es blieb ihr noch etwas Zeit, bis der nächste Bus kam. Also beschloss sie, in der Cafeteria eine Tasse Kaffee zu trinken und ein Stück Kuchen zu essen. Das Cafe war ziemlich voll, deshalb setzte sie sich zu einem Herrn an den Tisch. Sie stellte Tasse und Teller ab, hängte ihre Tasche auf und setzte sich, um in aller Ruhe Kaffee und Kuchen zu genießen. Das war ja unglaublich! Da hatte doch tatsächlich jemand von ihrem Kuchen abgebissen! Das konnte ja nur der Herr von gegenüber gewesen sein. So eine Unverschämtheit! Sie starrte den Mann vorwurfsvoll an und überlegte, was sie nun tun sollte. Da sie nicht auf ihren Kuchen verzichten wollte, aß sie das Stück auf und trank ihren Kaffee dazu. Der Mann starrte sie mit anklagender Miene an und schließlich stand er auf, um sich selbst ein Stück Kuchen zu kaufen. Als sie fertig war, warf sie dem Mann einen letzten vernichtenden Blick zu, nahm sein Kuchenstück und biss demonstrativ eine Ecke davon ab. Nun waren sie quitt! Als sie zu Hause ankam, öffnete sie ihre Tasche, um die Einkäufe auszupacken. Und was sah sie da? Ihr Kuchenstück! Es war ihr in die Einkaufstasche gerutscht.
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Die Geschichte, wie das Känguru seinen Schwanz bekam Miriam, das graue Känguru und Eddi, der kleine Beutelbär, waren früher Menschen und Freunde. Lange schon lebten sie miteinander, aber jeder besorgte seine Geschäfte auf seine Weise. Eddi hatte sich eine kleine Hütte gebaut, um sich vor Wind und Regen zu schützen, ein Platz, wo er auch in kalten Nächten warm schlafen konnte. Miriam dagegen schlief lieber unter den hohen Bäumen, wo sie ein kühler Lufthauch umwehte. Nun gelang es Miriam zwar manchmal, Eddi unter den hellen Sternenhimmel zu locken, doch eigentlich fühlte sich der behäbige Beutelbär nur wohl, wenn er dicht zusammengerollt in seiner Hütte lag und friedlich schnarchte. Hin und wieder verspottete ihn das Känguru deshalb, doch ansonsten vertrugen sich die beiden gut und verbrachten einen schönen Sommer miteinander. Dann kam der Winter und nachts fegte nun ein bitterkalter Wind über das Land. Das Känguru kauerte zitternd in einer Erdmulde und versuchte vergeblich, sich warm zu halten. Es war stolz darauf, dem harten Wetter zu trotzen, während der kleine Beutelbär ängstlich in seiner Hütte lag. Bald darauf begann es heftig zu regnen und der Sturm trieb eisige Sturzbäche daher, so dass Miriam bald ganz durchnässt war. Je heftiger das Unwetter tobte, um so verlockender erschien ihm nun die muffige Hütte des Beutelbärs. Der Raum schien erfüllt von der wohligen Wärme des Feuers und bei dem Gedanken an den erholsamen Schlaf im Trockenen hielt es Miriam schließlich nicht mehr aus. Es kämpfte sich durch Wind und Regen zu der Hütte durch und klopfte. »Wer ist da?« rief eine verschlafene Stimme. »Ich bin es«, rief das Känguru verzweifelt, »ich bin ganz nass und mir ist entsetzlich kalt. Lass mich in deine Hütte.« -62-
»Oh nein, du kannst nicht Miriam sein«, lachte Eddi. »Miriam schläft doch so gerne draußen. Ich glaube, du versuchst mich zu täuschen.« »Hör end lich auf, dich über mich lustig zu machen«, rief das Känguru erbost. »Es ist kalt und ich friere.« »Daran bist du selbst schuld«, antwortete der Beutelbär. »Ich wollte dir ja helfen, eine eigene Hütte zu bauen. Aber du hast mich ja nur ausgelacht und gesagt, es sei feige, sich vor dem bisschen Wind und Regen zu verstecken. Außerdem ist meine Hütte zu klein für zwei.« Ohne noch weiter zu bitten, zwängte sich Miriam durch den schmalen Eingang und sagte: »Rück beiseite, damit ich mich trocknen kann.« »Du bist ja ganz nass und außerdem will ich jetzt schlafen«, knurrte Eddi. »Wenn du schon reinkommen musst, dann nimm mir wenigstens nicht auch noch meinen Platz weg. Stell dich da an die Wand.« Missmutig brummte Eddi, rollte sich vor dem Feuer zusammen und schlief weiter. Das Känguru aber stand in einer Ecke gedrängt, genau da, wo ein breiter Spalt in der Wand war. Der Wind blies durch das Loch und unablässig tropfte der Regen durch den Spalt auf das Känguru. Während Eddi friedlich vor sich hin schnarchte, kreisten in Miriams Kopf finstere Gedanken, wie sie sich an ihrem Freund rächen könnte. Am Morgen humpelte das Känguru nach draußen, suchte einen flachen Stein und stapfte zu der Hütte zurück. In der Zwischenzeit war Eddi erwacht, blinzelte verschlafen in die Runde und wunderte sich, dass seine Freundin schon so früh auf war. Doch dann stieß er einen Entsetzensschrei aus, denn vor ihm stand Miriam mit dem Stein. Das Känguru holte aus und traf den Beutelbär mit dem Stein so heftig an der Stirn, dass diese ganz platt gequetscht war. Dabei lachte es böse und rief: »Das ist die Strafe dafür, dass du den treuen Freund so gering geschätzt hast. Von jetzt an sollst du auf ewig eine flache Stirn -63-
haben.« Eddi schwor der einstigen Gefährtin bittere Rache und schnitzte sich einen Speer, befestigte einen Widerhaken an der Spitze und nahm seine Schleuder. Dann machte er sich auf die Suche nach Miriam. Er fand das Känguru beim Wasserloch, wo es gierig trank und nichts um sich herum wahrnahm. Eddi legte den Speer in die Schleuder und traf damit das Hinterteil des ahnungslosen Kängurus. Miriam schrie auf und versuchte vergeblich, den Speer abzuschütteln. Altes Ziehen und Zerren half nichts. Der Beutelbär lachte hämisch und rief: »Als Rache für deinen heimtückischen Überfall hast du jetzt einen Schwanz bekommen.« Dann verkroch sich der Beutelbär wieder, doch das Känguru hat den Schwanz bis heute behalten.
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Kapitel 4 Gute-Nacht-Geschichten
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Als das Sandmännchen einmal verschläft Eines Abends, als das Sandmännchen gerade von seinem Rundgang durch die Kinderzimmer zurückkommt, überlegt es, wie viel Sand wohl noch in seinem Säckchen ist. Es bindet das Säckchen auf, doch plötzlich muss es niesen und dabei fliegt ihm so viel Sand in die Augen, dass es herzhaft gähnt und einschläft, Es schläft die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag, sogar am Abend wacht es nicht auf. So findet es ein kleiner Wichtel, der vergeblich versucht, das Sandmännchen aufzuwecken. »Was soll ich denn jetzt nur machen?« jammert der kleine Wichtel. Doch da kommt ihm eine Idee. Schnell ruft er alle Vöglein zusammen und sagt: »Liebe Vöglein, könnt ihr nicht heute einmal den Schlafsand in die Augen der Kinder streuen? Das Sandmännchen schläft tief und fest, ich kann es nicht aufwecken.« »Aber gerne!« antworten die Vöglein, nehmen den Schlafsand in ihre Schnäbel und fliegen zu den Kindern, die alle noch wach in ihren Bettchen liegen und nicht einschlafen können. Kaum haben die Vöglein den Sand verteilt, schlummert ein Kind nach dem anderen sanft ein. Und so ist es zu erklären, warum an diesem Tag alle Kinder vor den Vögeln schlafen gehen.
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Der kleine Floh Zwack war ein kleiner Floh und arbeitete in einem Flohzirkus. Die Leute klatschten und jubelten ihm zu, wenn er auftrat, Eines Tages hatte er das ständige Hin- und Herziehen des Wägelchens satt und er beschloss, in die Welt hinauszuziehen. Er wollte der Star in einem großen Zirkus und von der ganzen Welt bejubelt werden. Nach der letzten Vorstellung sprang er einfach einer Frau auf den Kopf und ließ sich hinaustragen. Als die Frau ihn jedoch entdeckte, jubelte sie nicht mehr und schlug nach ihm. Zwack konnte sich im letzten Moment noch durch einen Sprung auf einen Hund retten. Die Lust auf die große weite Welt war ihm mittlerweile vergangen und er kehrte so schnell er konnte zu seinem Zirkus zurück. Der Zirkusdirektor war hoch erfreut über die Rückkehr von Zwack. Und am nächsten Abend war Zwack schon wieder der große Star in der Manege.
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Der Frosch im Marmeladenglas Es war einmal ein kleiner Frosch, der war so faul, dass er bestimmt verhungert wäre, wenn ihn die anderen Frösche nicht gelegentlich mit Fliegen versorgt hätten. Der faule Frosch bedankte sich damit, dass er ihnen die unglaublichsten Geschichten erzählte, die meisten davon waren natürlich erfunden. Doch mit der Zeit gingen dem Frosch die Geschichten aus und er dankte dem Himmel, als er eines Tages ein weggeworfenes Marmeladenglas im Fluss schwimmen sah. Er hüpfte hinein und schwamm nun in dem Glas immer weiter auf dem Fluss. Als es Abend wurde, landete er an einer Stelle, wo der Fluss einen Bogen machte. Da waren natürlich auch Frösche und denen konnte er wieder die alten Geschichten erzählen. Die Frösche waren hellauf begeistert und dankten dem Frosch im Marmeladenglas mit reichlich Futter. Und so schwamm der faule Frosch jeden Tag mit seinem Marmeladenglas ein Stückchen weiter auf dem Fluss und erzählte immer neuen Fröschen die alten Geschichten. Seine einzige Angst war nun nur noch, dass ihm eines Tages das Marmeladenglas zu klein werden könnte.
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Das Märchen vom Dümmling Es war einmal ein Mann, der hatte drei Söhne, der jüngste aber war ein Dümmling. Eines Tags sprach der älteste: »Vater, ich will in den Wald gehen, Holz hauen.« – »Lass das bleiben«, antwortete der Vater, »du kommst sonst mit einem verbundenen Arm heim.« Der Sohn aber achtete nicht darauf, dachte, er wisse sich schon zu hüten, steckte einen Kuchen in die Tasche und ging hinaus. In dem Walde begegnete ihm ein graues altes Männchen, das sagte: »Gib mir doch ein Stück von dem Kuchen, den du in der Tasche hast, ich bin so hungrig.« Der kluge Sohn aber sprach: »Was soll ich dir meinen Kuchen geben, dann hab ich selber nichts, pack dich deiner Wege!« und ging fort mit seiner Axt und fing an einen Baum zu behauen, nicht lange aber, da hieb er fehl, die Axt fuhr ihm in den Arm und er musste heimgehen und sich verbinden lassen. Das war aber von dem alten grauen Männchen gekommen. Darauf ging der zweite Sohn in den Wald, wo ihn das Männchen auch um ein Stück Kuchen ansprach. Er schlug’s ihm aber auch ab und hieb sich dafür ins Bein, dass er sich nach Haus tragen lassen musste. Endlich ging der Dümmling hinaus, das Männchen sprach ihn wie die anderen um ein Stück Kuchen an. »Da hast du ihn ganz«, sagte der Dümmling und gab ihn hin. Da sagte das Männchen: »Hau diesen Baum ab, so wirst du etwas finden.« Der Dümmling hieb da zu und als der Baum umfiel, saß eine goldene Gans darunter. Er nahm sie mit sich und ging in ein Wirtshaus und wollte da übernachten, blieb aber nicht in der großen Stube, sondern ließ sich eine allein geben, da setzte er seine Gans mitten hinein. Die Wirtstöchter sahen die Gans und waren neugierig und hätten gar zu gern eine Feder von ihr gehabt. Da sprach die älteste: »Ich will einmal hinaufgehen und wenn ich nicht bald wiederkomme, so geht ihr mir nach.« Darauf ging sie zu der Gans, wie sie aber kaum die Feder -69-
berührt hat, bleibt sie daran hängen; weil sie nun nicht wieder herunterkam, ging ihr die zweite nach und wie sie die Gans sieht, kann sie gar der Lust nicht widerstehen, ihr eine Feder auszuziehe n; die älteste rät ihr ab, was sie kann, das hilft aber alles nichts, sie fasst die Gans an und bleibt an der Feder hängen. Die dritte Tochter, nachdem sie unten lange gewartet hatte, ging endlich auch hinauf, die anderen riefen ihr zu, sie sollte um Himmels Willen der Gans nicht zu nahe kommen, sie hörte aber gar nicht drauf, meinte, eine Feder müsse sie haben und bleibt auch dran hängen. Am anderen Morgen nahm der Dümmling die Gans auf seinen Arm und ging fort, die drei Mädchen hingen fest und mussten hinter ihm drein. Auf dem Feld begegnete ihnen der Pfarrer: »Pfui, ihr garstigen Mädchen, was lauft ihr dem jungen Burschen so öffentlich nach, schämt euch doch!« Damit fasste er eine bei der Hand und wollte sie zurückziehen, wie er sie aber angerührt hatte, blieb er an ihr auch hängen und musste nun selber hintendrein laufen. Nicht lang, so kam der Küster: »Ei! Herr Pfarrer, wo hinaus so geschwind? Heute ist noch eine Kindtaufe!« Er lief auf ihn zu, fasste ihn beim Ärmel, blieb aber auch hängen. Wie die fünf so hintereinanderher marschierten, kamen zwei Bauern mit ihren Hacken vom Feld, der Pfarrer rief ihnen zu, sie sollten sie losmachen, kaum aber hatten sie den Küster nur angerührt, so blieben sie hängen und waren ihrer nun sieben, die dem Dümmling mit der Gans nachliefen. Er kam darauf in eine Stadt, da regierte ein König, der hatte eine Tochter, die war so ernsthaft, dass sie niemand zum Lachen bringen konnte. Da hatte der König ein Gesetz gegeben, wer sie lachen machen könnte, der sollte sie heiraten. Der Dümmling, als er das hörte, ging mit seiner Gans und ihrem Anhang vor die Königstochter; wie diese den Aufzug sah, fing sie überlaut an zu lachen und wollte gar nicht wieder aufhören. Er verlangte sie nun zur Braut, aber der König machte allerlei Einwendungen und sagte, er müsste ihm erst einen Mann bringen, der einen -70-
Keller voll Wein austrinken könnte. Da ging er in den Wald und auf der Stelle, wo er den Baum abgehauen hatte, sah er einen Mann sitzen, der machte ein gar betrübtes Gesicht, der Dümmling fragte, was er sich so sehr zu Herzen nähme? »Ei! Ich bin so durstig und kann nicht genug zu trinken kriegen, ein Fass Wein hab ich zwar ausgeleert, aber was ist ein Tropfen auf einen heißen Stein?« – »Da kann ich dir helfen«, sagte der Dümmling, »komm nur mit mir, du sollst satt haben.« Er führte ihn in des Königs Keller, der Mann machte sich über die großen Fässer, trank und trank, dass ihm die Hüften weh taten und ehe ein Tag herum war, hatte er den ganzen Keller ausgetrunken. Der Dümmling verlangte nun seine Braut, der König aber ärgerte sich, dass ein schlechter Bursch, den jedermann einen Dümmling nannte, seine Tochter davontragen sollte und machte neue Bedingungen: er müsste ihm erst einen Mann schaffen, der einen Berg voll Brot aufessen könnte. Der Dümmling ging wieder in den Wald, da saß auf des Baumes Platz ein Mann, der schnürte sich den Leib mit einem Riemen zusammen, machte ein grämliches Gesicht und sagte: »Ich habe einen ganzen Backofen voll Brot gegessen, aber was hilft das, bei meinem großen Hunger, ich spür doch nichts davon im Leib und muss mich nur zuschnüren, wenn ich nicht Hungers sterben soll.« Wie der Dümmling das hörte, war er froh und sprach: »Steig auf und geh mit mir, du sollst dich satt essen.« Er führte ihn zu dem König, der hatte alles Mehl aus dem ganzen Reich zusammenfahren und einen ungeheuren Berg davon backen lassen, der Mann aber aus dem Wald stellte sich davor und in einem Tag und einer Nacht war der ganze Berg verschwunden. Der Dümmling forderte wieder seine Braut, der König suchte noch einmal Ausflucht und verlangte ein Schiff, das zu Land wie zu Wasser fahren könnte; schaffte er aber das, dann solle er gleich die Prinzessin haben. Der Dümmling ging noch einmal in den Wald, da saß das alte -71-
graue Männchen, dem er seinen Kuchen gegeben hatte und sagte: »Ich hab für dich getrunken und gegessen, ich will dir auch das Schiff geben, das alles tu ich, weil du barmherzig mit mir gewesen bist.« Da gab er ihm das Schiff, das zu Land und zu Wasser fuhr und als der König das sah, musste er ihm seine Tochter geben. Da wurde die Hochzeit gefeiert und er erbte das Reich und lebte noch lange Zeit vergnügt mit seiner schönen Gemahlin.
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Die hässliche Raupe Es war im Frühling letzten Jahres, da kroch die kleine Raupe Imelda munter durch das Blättergestrüpp, als plötzlich ein Frosch vor ihr saß. Der Frosch sah die kleine Raupe und rief: »He, was bist du denn für ein hässliches Geschöpf?« Die kleine Raupe blickte ihn mit großen Augen an und sagte traurig: »Ich bin Imelda, die kleine Raupe! Warum sagst du so etwas Böses zu mir?« Der Frosch lachte: »Ich sag doch nur die Wahrheit!« Dann hüpfte der grüne Geselle weiter zum Teich. Kurz danach kam ein Grashüpfer vorbei, sah die Raupe und sagte: »He, was bist du denn nur für ein hässliches Geschöpf?« Die kleine Raupe blickte ihn mit großen Augen an und sagte traurig: »Ich bin Imelda, die kleine Raupe! Warum sagst du so etwas Böses zu mir?« Doch auch der Grashüpfer hatte kein Mitleid mit dem kleinen Tier und sagte garstig: »Die Wahrheit musst du schon verkraften.« Dann hüpfte er weiter und ließ die kleine Raupe traurig zurück. Schließlich kam auch noch ein kleiner Igel vorbei, besah sich die Raupe und sagte laut zu sich selbst: »Nein, die mag ich nicht fressen, die ist mir viel zu hässlich!« Da weinte die kleine Raupe große Tränen, kroch unter ein Blatt und bedauerte sich selbst, Plötzlich spiegelte sich in dem kleinen Tränensee auf dem Boden ein wunderschönes Geschöpf. Das unbekannte Tier sagte: »He, kleine Raupe, weine nicht! Du musst immer daran denken: wer zuletzt lacht, lacht am besten. Warte nur noch ein Weilchen und du wirst sehen, dass dich alle um deine Schönheit beneiden werden.« Die kleine Raupe blickte den Schmetterling, der zu ihr gesprochen hatte, ungläubig an, zuckte die Schultern und wartete ab. Eines Morgens aber geschah etwas Merkwürdiges mit der kleinen hässlichen Raupe. Sie wusste selbst nur, dass sie sehr lange geschlafen hatte. Doch als sie auf das Blumenblatt kriechen wollte, da merkte sie, dass sie plötzlich fliegen konnte. -73-
Und überhaupt, sah sie gar nicht mehr wie Imelda, die hässliche Raupe, aus. Sie blickte in einen Tautropfen und sah darin einen wunderschönen Schmetterling. Da wusste Imelda, was geschehen war, denn von diesem Ereignis hatte ihr bereits früher die Mutter erzählt, doch Imelda hatte es mit der Zeit einfach vergessen.
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Das Märchen vom alten Großvater Es war einmal ein sehr alter Mann, der konnte kaum gehen, seine Knie zitterten, er hörte und sah nicht viel und hatte auch keine Zähne mehr. Wenn er nun bei Tisch saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe auf das Tischtuch und es floss ihm auch etwas wieder aus dem Mund. Sein Sohn und dessen Frau ekelten sich davor und deswegen musste sich der alte Großvater endlich hinter den Ofen in die Ecke setzen und sie gaben ihm sein Essen in ein irdenes Schüsselchen und noch dazu nicht einmal satt, da sah er betrübt nach dem Tisch und die Augen wurden ihm nass. Einmal auch konnten seine zittrigen Hände das Schüsselchen nicht festhalten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau schalt, er aber sagte nichts und seufzte nur. Da kauften sie ihm ein hölzernes Schüsselchen für ein paar Heller, daraus musste er nun essen: wie sie nun da so sitzen, so trägt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zusammen. »Was machst du da?« fragte der Vater. »Ei«, antwortete das Kind, »ich mach ein Tröglein, daraus sollen Vater und Mutter essen, wenn ich groß bin.« Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an, fingen endlich an zu weinen, holten sofort den alten Großvater an den Tisch und ließen ihn von nun an immer mitessen, sagten auch nichts, wenn er ein wenig verschüttete.
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Der Löwenzahn Als der Winter vorüber war und auch die Pflanzen in der Erde aus ihrem Schlaf erwachten, gab es für den kleinen Löwenzahn keinen Grund zur Freude. Da lag doch tatsächlich dort, wo letztes Jahr noch freier Himmel über ihm gewesen war, ein mächtiger Stein. Der kleine Löwenzahn gab sich alle Mühe, doch es gelang ihm nicht, das schwere Hindernis beiseite zu schaffen, Da kam zufällig eine kleine Ameise vorbei, bemerkte den traurigen Blick der kleinen Pflanze und fragte: »He, warum freust du dich nicht, der Frühling kommt?« Da erklärte ihr der Löwenzahn die missliche Lage und die Ameise versprach, ihm zu helfen, Sie verschwand und kam nach einer kle ine Weile mit tausend weiteren Ameisen zurück. Diese gruben einen Gang unter dem Stein hindurch, durch den der Löwenzahn dann ins Freie wachsen konnte. Und tatsächlich stand im Frühjahr nur wenige Zentimeter neben dem Stein ein kleiner Löwenzahn, um den jederzeit erstaunlich viele Ameisen krabbelten.
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Das treue Pferd Es hatte ein Bauer ein treues Pferd, das war alt geworden und konnte keine Dienste mehr tun. Da wollte ihm sein Herr nichts mehr zu fressen geben und sprach: »Brauchen kann ich dich freilich nicht mehr, zeigst du dich aber noch so stark, dass du mir einen Löwen hierher bringst, so will ich dich behalten, jetzt aber mach dich fort aus meinem Stall.« Und damit jagte er es weit ins Feld. Das Pferd war traurig und ging in den Wald, um dort ein wenig Schutz vor dem Wetter zu suchen. Da begegnete ihm der Fuchs und sprach: »Was lässt du so den Kopf hängen und gehst so einsam herum?« »Ach«, sagte das Pferd, »Geiz und Treue wohnen nicht in einem Haus. Mein Herr hat vergessen, was ich ihm alles in so vielen Jahren getan habe und weil ich nicht mehr recht ackern kann, will er mir kein Futter mehr geben und hat mich fortgejagt. Er hat gesagt, wenn ich so stark wäre, dass ich ihm einen Löwen brächte, wollte er mich behalten, aber er weiß wohl, dass ich das nicht kann.« Der Fuchs sprach: »Da will ich dir helfen, leg dich nur hin, streck dich aus und reg dich nicht, als wärst du schon tot.« Das Pferd tat, was der Fuchs verlangte. Der Fuchs aber ging zum Löwen, der seine Höhle nicht weit davon hatte und sprach: »Da draußen liegt ein totes Pferd, komm doch mit hinaus, da kannst du eine fette Mahlzeit halten.« Der Löwe ging mit und als sie bei dem Pferd standen, sprach der Fuchs: »Hier hast du es doch nicht nach deiner Gemächlichkeit. Weißt du was? Ich will es mit dem Schweif an dich binden, da kannst du es in deine Höhle ziehen und in aller Ruhe verzehren.« Dem Löwen gefiel der Rat und er stellte sich hin, damit ihm der Fuchs das Pferd anknüpfen könne und hielt auch fein still. Der Fuchs aber band mit des Pferdes Schweif dem Löwen die Beine zusammen und drehte und schnürte alles so stark, dass es mit keiner Kraft zu -77-
zerreißen war. Als er nun sein Werk vollendet hatte, klopfte er dem Pferd auf die Schultern und sprach: »Zieh, Schimmel, zieh!« Da sprang das Pferd auf und zog den Löwen mit sich fort. Der Löwe fing an zu brüllen, dass die Vögel in dem ganzen Wald vor Schrecken aufflogen, aber das Pferd ließ ihn brüllen, zog und schleppte ihn über das Feld vor seines Herren Tür. Als der Herr das sah, besann er sich eines Besseren und sprach zu dem Pferd: »Du sollst bei mir bleiben und es gut haben.« und gab ihm satt zu fressen, bis es starb.
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Die drei Esel Es waren einmal zwei arme Leute, die wohnten in einer ärmlichen Hütte im Wald und manchmal war es arg schlecht um sie bestellt. Sie hatten aber drei Söhne, von denen hieß der jüngste Aschenhans, weil er den ganzen Tag nur in der Asche stocherte. Eines Tages sagte der älteste Sohn, er wolle in die Welt hinaus, um sein Brot zu verdienen. Die Eltern waren einverstanden und so zo g er von dannen. Als er schon eine Weile unterwegs war, kam er an den Hof des Königs. Dieser stand gerade draußen auf der Treppe und fragte den jungen Burschen, wo er denn hinwolle. »Ich suche einen Dienst, Herr«, sagte der Bursche. Da fragte ihn der König, ob er nicht bei ihm dienen wolle. »Wenn du meine drei Esel den ganzen Tag hüten kannst und mir am Abend sagen kannst, was sie essen und trinken, dann sollst du die Prinzessin haben und das halbe Königreich dazu. Kannst du es aber nicht, so soll es dir übel ergehen.« Der älteste Sohn meinte, das sei eine leichte Arbeit und es werde ihm bestimmt gelingen. Am Morgen des nächsten Tages ließ der Stallknecht die drei Esel laufen. Der junge Bursche lief ihnen nach, über Berge und Täler, durch Wiesen und Wälder. Als er ihnen eine Zeitlang nachgelaufen war, wurde er müde und war das Hüten satt. Da stand er plötzlich an einem Felsen, vor dem eine alte Frau saß und spann. Als sie den Jungen erblickte, der keuchend und schwitzend den Eseln nachgelaufen war, rief sie: »Komm her, mein Junge, lass dich lausen!« Das ließ sich der Junge nicht zweimal sagen, setzte sich nieder, legte seinen Kopf in ihren Schoß, ließ sich den ganzen Tag von ihr lausen und widmete sich dem Nichtstun. Als es Abend wurde, sagte er: »Ich kann jetzt genauso gut wieder nach Hause gehen, am Königshof habe ich nichts mehr -79-
zu suchen.« Doch die Alte antwortete: »Warte bis es dunkel wird, dann kommen die Esel wieder hier vorbei und du kannst mit ihnen zum Königshof laufen. Niemand wird merken, dass du den ganzen Tag hier gelegen hast, anstatt die Esel zu hüten.« Als die Esel nun tatsächlich kamen, gab sie dem Jungen einen Krug mit Wasser und eine Hand voll Moos und befahl ihm, dem König zu sagen, dies sei es, was die Esel essen und trinken würden. Als er nun mit den Eseln wieder am Hof ankam, fragte der König: »Hast du die Esel brav gehütet?« Der Junge nickte und so fragte der König: »Dann sag mir, was sie essen und trinken!« Der Junge zeigte dem König das Wasser und das Moos, dieser merkte den Schwindel und wurde so böse, dass er befahl, den Jungen vom Hof zu jagen. So kehrte der älteste Sohn wieder nach Hause zurück und schwor sich, nie wieder bei einem König zu dienen. Am nächsten Tag sagte der zweite Sohn, er wolle in die Welt hinaus, um sein Glück zu versuchen. Die Eltern versuchten ihn aufzuhalten, doch nichts konnte ihn umstimmen. So zog er in die Welt hinaus und als er den ganzen Tag gegangen war, kam er an den Hof des Königs. Auch diesmal stand der König auf den Stufen seines Schlosses und fragte den Jungen, wo er hinwolle. Als der Junge antwortete, er suche einen Dienst, da bot ihm der König an, er könne bei ihm dienen und seine drei Esel hüten. Und dann versprach er dem Jungen den gleichen Lohn und die gleiche Strafe wie zuvor dem älteren Bruder. Der Junge erklärte sich bereit und meinte, es könne nicht so schwierig sein, die Esel zu hüten und dem König zu erzählen, was sie essen und trinken. Am nächsten Morgen ließ der Stallknecht die Esel laufen und der Junge lief ihnen nach. Und es erging ihm, wie es auch schon vorher seinem Bruder ergangen war. Als er müde wurde, kam er an einen Felsen, vor dem eine alte Frau saß. Sie rief ihm zu: »Komm her, mein schöner Knabe, lass dich lausen!« Der Junge hatte nichts dagegen und verbrachte so den ganzen Tag mit -80-
Nichtstun. Als die Esel am Abend wieder an dem Felsen vorbeikamen, gab die Alte ihm eine Hand voll Moos und einen Krug mit Wasser, die er dem König zeigen sollte. Als nun der König fragte: »Kannst du mir sagen, was meine Esel essen und trinken?« und der Junge ihm das Moos und das Wasser zeigte, da wurde der König zornig und jagte ihn vom Hof, wie er es zuvor auch schon bei seinem Bruder getan hatte. Der Junge lief nach Hause und erzählte, wie es ihm ergangen sei und er schwor sich, nie wieder zu dienen, Am nächsten Morgen nun beschloss der jüngste Sohn, der Aschenhans, in die Welt zu ziehen. Auch er wolle versuchen, die drei Esel des Königs zu hüten. Also zog er in die Welt und als er den ganzen Tag gegangen war, kam auch er an den Hof des Königs. Der König fragte ihn, wohin er wolle. Als der Aschenhans sagte, er suche einen Dienst, da wollte der König wissen, woher er käme. Aschenhans erzählte von seinen Brüdern und der König rief: »Diese Schurken! Wenn du der Bruder der beiden bist, dann taugst du auch nicht viel!« Doch Aschenhans bat den König, es trotzdem mit ihm zu versuchen. Der König willigte ein und am nächsten Morgen trieb der Stallknecht wieder die drei Esel aus dem Stall und der Aschenhans lief ihnen nach. Nach einer Weile kam auch er an den Felsen, an dem die alte Frau saß und spann. Sie rief ihm zu: »Komm her, mein schöner Junge, lass dich lausen!« Doch Aschenhans rief: »Scher dich zum Teufel!« Er hielt sich am Schwanz eines Esels fest und als sie an dem Felsen vorbei waren, sagte der Esel: »Setz dich auf meinen Rücken, wir haben noch einen weiten Weg vor uns!« Nach kurzer Zeit fragte der Esel: »Siehst du etwas?« Als Aschenhans verneinte, lief er noch ein Stück weiter und fragte dann wieder: »Siehst du jetzt etwas?« Aber Aschenhans verneinte und so lief der Esel weiter. So ging es einige Zeit und plötzlich fragte der Esel wieder: »Siehst du immer noch nichts?« »Doch«, sagte Aschenhans, »ich sehe etwas Weißes, es sieht aus wie der Stumpf einer Birke.« Der Esel antwortete: »Ja, da -81-
gehen wir hinein.« Als sie an dem Stumpf ankamen, fasste der älteste Esel ihn an und bog ihn zur Seite, so dass eine Tür zum Vorschein kam. Hinter dieser Tür war ein kleines Zimmer und in dem war nichts als ein kleiner Herd und ein paar Schemel. Hinter der Tür aber hingen ein großes, rostiges Schwert und ein Krug. Der Esel fragte: »Kannst du das Schwert schwingen?« Aschenhans versuchte es, aber es gelang ihm nicht. Da gab ihm der Esel aus dem Krug zu trinken und nun konnte er das Schwert schwingen, als sei nichts leichter als das, »Nimm das Schwert mit dir!« befahl ihm der Esel. »Am Tag deiner Hochzeit sollst du uns allen die Ohren kürzen, damit wir wieder Prinzen werden, denn das waren wir früher, Wir sind die Brüder der Prinzessin, die deine Frau werden soll, wenn du dem König sagst, was wir essen und trinken. Eine böse Fee hat uns verzaubert. Wenn du uns die Ohren kürzer geschnitten hast, musst du sie an den Schwanz des Esels legen, zu dem sie gehören, dann ist der Zauber gebrochen!« Aschenhans versprach es und sie liefen weiter. Als sie nun ein Stück gelaufen waren, fragte der Esel: »Siehst du etwas?« Als Aschenhans verneinte, liefen sie weiter. Nach einer Weile fragte der Esel wieder: »Siehst du nun etwas?« »Nein, gar nichts«, sagte Aschenhans und sie setzten ihren Ritt fort. Nach langer Zeit fragte der Esel: »Siehst du immer noch nichts?« »Doch«, sagte Aschenhans, »ich sehe etwas Blaues, aber es ist weit entfernt.« »Das ist ein Fluss, über den müssen wir hinüber«, antwortete ihm der Esel. Als sie den Fluss überquert hatten, fragte der Esel abermals, ob Aschenhans nichts sähe. »Doch«, antwortete dieser, »ich sehe in der Ferne etwas Schwarzes, das sieht aus wie der Turm einer Kirche.« »Da müssen wir hinein«, sagte der Esel. Als die Esel auf den -82-
Kirchhof kamen, wurden sie wieder zu Menschen. Sie trugen prächtige Kleider und sahen alle aus, als seien sie eines Königs Söhne. Sie betraten die Kirche und nahten sich dem Priester, der am Altar stand und ihnen nun Brot und Wein gab. Auch Aschenhans betrat die Kirche. Er sah, wie der Priester seine Hände auf die Köpfe der Prinzen legte und sie segnete. Dann verließen sie die Kirche wieder und Aschenhans folgte ihnen. Er nahm jedoch einen Krug mit Wein und ein Stück des heiligen Brotes mit sich. Als die drei Prinzen auf den Kirchhof traten, wurden sie wieder zu Eseln. Aschenhans kletterte auf den Rücken des jüngsten Esels und sie liefen den gleichen Weg zurück, den sie gekommen waren, diesmal aber viel, viel schneller. Als sie am Abend zum Schloss zurückkamen, war es fast dunkel und der König wartete bereits auf sie. »Hast du meine Esel brav gehütet?« fragte er den Aschenhans. Dieser antwortete: »So gut ich konnte.« »Dann kannst du mir wohl sagen, was sie essen und trinken?« fragte der König. Aschenhans zeigte dem König den Wein und das heilige Brot. Da sagte der König: »Ja, du hast sie treu gehütet. Die Prinzessin und das halbe Reich sollen dir gehören.« So wurde die Hochzeit gefeiert, doch als sie beim Festmahl saßen, stand Aschenhans auf und ging in den Stall hinunter. Er schnitt der Reihe nach jedem Esel die Ohren ein Stück kürzer und legte die Ohren an den Schwanz des Esels, zu dem sie gehört hatten. So wurden alle drei wieder zu Prinzen und sie folgten dem Aschenhans zur Hochzeitstafel. Der König war so froh, dass er Aschenhans umarmte und küsste und auch die Prinzessin gewann ihn noch lieber als zuvor. Der König sprach: »Nach meinem Tod sollst du auch die andere Hälfte meines Reiches bekommen, meine Söhne können sich selbst Länder erwerben, nun wo sie wieder Prinzen sind.« Ihr könnt euc h sicher denken, wieviel Jubel und Fröhlichkeit bei dieser Hochzeit herrschten.
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Der Löwe in der Falle Am Rande des Urwaldes lebte einmal ein junger Löwe, der nichts lieber tat, als die Affen zu erschrecken und auf die Bäume zu jagen. Doch einmal, als es ihm wieder gelungen war, sich unbemerkt anzuschleichen, um mit fürchterlichem Gebrüll den Affen Angst einzujagen, passierte es: Der Löwe stürzte in eine Fallgrube, die Menschen ausgehoben und hervorragend getarnt hatten. Da jubelten die Affen, sprangen von den Bäumen und tanzten um die Grube herum, weil sie ja nun nichts mehr zu befürchten hatten. Sie schnitten dem Feind von einst Grimassen und verspotteten ihn als Dummkopf und Tölpel. Schließlich aber sagte der älteste Affe: »Wir haben Mitleid mit dir, Löwe, und könnten dir wohl aus der Grube helfen. Doch du musst schwören, uns in Zukunft in Frieden zu lassen!« Der Löwe war natürlich sofort einverstanden und schwor, in Zukunft einen großen Bogen um die kleinen Gesellen zu machen. Da schleppten die Affen starke Äste und Zweige heran, banden sie mit Schlingpflanzen zusammen und ließen sie zu dem Löwen in die Grube hinunter. Nun konnte dieser daran emporklettern und war gerettet. Der Löwe bedankte sich bei den hilfreichen Affen und von diesem Tag an jagte er nie wieder anderen Tieren Angst und Schrecken ein, sondern half, wo er nur konnte.
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Kapitel 5 Hexengeschichten
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Die weiße und die schwarze Braut Eine Frau ging mit ihrer Tochter und Stieftochter über das Feld, um Futter zu schneiden. Da kam der liebe Gott als ein armer Mann zu ihnen und fragte: »Wo führt der Weg ins Dorf?« »Ei«, sprach die Mutter, »such ihn selbst!« Und die Tochter setzte noch hinzu: »Habt ihr Sorge, dass ihr ihn nicht findet, so bringt euch doch einen Wegweiser mit.« Die Stieftochter aber sprach: »Armer Mann, ich will dich führen, komm mit mir!« Da erzürnte der liebe Gott über Mutter und Tochter, wendete ihnen den Rücken zu und verwünschte sie, dass sie sollten schwarz werden wie die Nacht und hässlich wie die Sünde. Der armen Stieftochter aber war Gott gnädig und ging mit ihr. Als sie nah am Dorf waren, sprach er einen Segen über sie und sagte: »Wähl dir drei Sachen aus, die will ich dir gern gewähren.« Da sprach das Mädchen: »Ich möchte schön werden wie die Sonne!« Alsbald wurde sie weiß und schön wie der Tag. »Dann möchte ich einen Geldbeutel haben, der nie leer wird!« Auch den gab ihr der liebe Gott, sprach aber: »Vergiss das Beste nicht, meine Tochter!« Sie sagte: »Ich wünsche mir zum dritten das ewige Himmelreich nach meinem Tode.« Das wurde ihr zugesagt und der liebe Gott schied von ihr. Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hause kam und sah, dass sie beide kohlschwarz und hässlich waren, die Stieftochter aber weiß und schön, wurde sie im Herzen noch böser und hatte nur im Sinn, wie sie ihr ein Leid antun könnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bruder namens Reginald, den sie sehr liebte und ihm erzählte sie alles, was geschehen war. Der Bruder malte nun die Schwester und hing das Bild in seiner Stube in des Königs Schloss auf, bei dem er Kutscher war. Er blieb jeden Tag davor stehen und dankte Gott für das Glück seiner lieben Schwester. Nun war aber gerade dem König, bei dem er diente, die -86-
Gemahlin verstorben, welche so schön gewesen war, dass man keine finden konnte, die ihr glich und der Prinz war darüber in tiefer Trauer. Die Hofdiener sahen indessen, wie der Kutscher täglich vor dem schönen Bild stand und missgönnten es ihm und meldeten es dem König. Da ließ dieser das Bild vor sich bringen und sah, dass es in allem seiner verstorbenen Frau glich und noch schöner war, so dass er sich unsterblich verliebte. Er fragte also den Kutscher, wen das Bild darstellte. Als der Kutscher sagte, dass es eine Schwester wäre, entschloss sich der König, keine andere als diese zur Gemahlin zu nehmen. Er gab dem Kutscher Wagen, Pferde und prächtige Goldkleider und schickte ihn fort, seine erwählte Braut abzuholen. Wie der Kutscher mit der Botschaft ankam, freute sich seine Schwester, allein die Schwarze ärgerte sich über alle Maße vor Eifersucht und sprach zu ihrer Mutter: »Was helfen nun all eure Künste, da Ihr mir kein solches Glück verschaffen könnt!« Da sagte die Alte: »Sei still, ich will dir es schon zuwenden.« Durch ihre Hexenkünste trübte sie dem Kutscher die Augen, dass er halb blind war und der Weißen verstopfte sie die Ohren, dass sie schwer hörte. Darauf stiegen sie in den Wagen, erst die Braut in den herrlichen königlichen Kleidern, dann die Stiefmutter mit ihrer Tochter und der Kutscher saß auf dem Bock um zu fahren. Wie sie eine Weile gereist waren, rief der Kutscher: »Deck dich zu, mein Schwesterlein, dass Regen dich nicht nässt, dass Wind dich nicht bestäubt, dass du fein schön zum König kommst!« Die Braut fragte: »Was sagt mein lieber Bruder?« »Ach«, sprach die Alte, »er hat gesagt, du solltest dein güldenes Kleid ausziehen und es deiner Schwester geben.« Da zog sie es aus und tat es der Schwarzen an, die gab ihr dafür einen schlechten grauen Kittel. So fuhren sie weiter, über ein Weilchen rief der Bruder wieder: »Deck dich zu, mein Schwesterlein, dass Regen dich nicht -87-
nässt, dass Wind dich nicht bestäubt, und du fein schön zum König kommst!« Die Braut fragte: »Was sagt mein lieber Bruder?« »Ach«, sprach die Alte, »er hat gesagt, du solltest deine güldene Haube abtun und deiner Schwester geben.« Da tat sie die Haube ab und der Schwarzen auf und saß im bloßen Haar. So fuhren sie weiter. Nach einer Weile rief der Bruder: »Deck dich zu, mein Schwesterlein, dass Regen dich nicht nässt. dass Wind dich nicht bestäubt, und du fein schön zum König kommst!« Die Braut fragte: »Was sagt mein lieber Bruder?« »Ach«, sprach die Alte, »er hat gesagt, du mögest einmal aus dem Wagen sehen.« Sie fuhren aber gerade über ein tiefes Wasser. Wie nun die Braut aufstand und aus dem Fenster sah, da stießen sie die beiden anderen hinaus, dass sie gerade ins Wasser fiel. Sie versank, aber in demselben Augenblick stieg eine schneeweiße Ente hervor und schwamm den Fluss hinab. Der Bruder hatte gar nichts davon gemerkt und fuhr den Wagen weiter, bis sie an den Hof kamen. Da brachte er dem König die Schwarze als seine Schwester und meinte auch sie wäre es, weil es ihm trüb vor den Augen war und er doch die Goldkleider schimmern sah. Der König, wie er die grundlose Hässlichkeit an seiner vermeintlichen Frau erblickte, wurde sehr böse und befahl, den Kutscher in eine Grube zu werfen, die voll Ottern und Schlangen war. Die alte Hexe aber wusste den König doch so zu bestricken und ihm die Augen zu verblenden, dass er sie und ihre Tochter behielt und zu sich nahm, bis dass sie ihm ganz leidlich vorkam und er sich wirklich mit ihr verheiratete. Einmal abends saß die schwarze Braut dem König auf dem Schoß, als eine weiße Ente zum Gossenstein in die Küche geschwommen kam und zum Küchenjungen sagte: »Jüngelchen mach Feuer an, dass ich meine Federn wärmen kann!« -88-
Das tat der Küchenjunge und machte ihr ein Feuer auf dem Herd. Da kam die Ente, schüttelte sich, setzte sich daneben und strich sich die Federn mit dem Schnabel zurecht. Während sie so saß und sich wohltat, fragte sie: »Was macht mein Bruder Reginald?« Der Küchenjunge antwortete: »Liegt tief bei Ottern und Schlangen.« Sie fragte: »Was macht die schwarze Hex im Haus?« Der Küchenjunge antwortete: »Die sitzt warm in Königs Arm.« Die Ente sagte: »Dass Gott erbarm!« Dann schwamm sie den Gossenstein wieder hinaus. Den folgenden Abend kam sie wieder und stellte dieselben Fragen und am dritten Abend noch einmal. Da konnte es der Küchenjunge nicht länger übers Herz bringen und sagte dem König alles. Der König aber ging den ändern Abend hin und wie die Ente den Kopf durch den Gossenstein hereinstreckte, nahm er sein Schwert und hieb ihr den Hals durch, da wurde sie auf einmal zum schönsten Mädchen und glich genau dem Bild, das der Bruder von ihr gemacht hatte. Der König aber war voll Freuden und weil sie ganz nass dastand, ließ er ihr köstliche Kleider bringen. Als sie sie angetan hatte, erzählte sie ihm, wie sie in den Fluss geworfen worden war und die erste Bitte, die sie tat, war, dass ihr Bruder aus der Schlangenhöhle heraus geholt werde, welches auch gleich geschah. Aber der König ging in die Kammer, wo die alte Hexe saß und fragte: »Was verdient die, welche das und das tut?« und erzählte den ganzen Hergang. Die Alte war verblendet und merkte nichts und sprach: »Die verdient, dass man sie nackt auszieht und in ein Fass mit Nägeln legt und vor das Fass ein Pferd spannt und das Pferd in alle Welt schickt.« Alles das geschah nun an ihr und ihrer schwarzen Tochter. -89-
Der König heiratete die schöne Braut und belohnte den treuen Bruder, indem er ihn zu einem reichen und angesehenen Mann machte.
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Das seltsame Licht Es war einmal ein Soldat, der dem König lange Jahre treu gedient hatte. Als aber der Krieg zu Ende war und der Soldat aufgrund zahlreicher Verletzungen nicht weiter dienen konnte, sprach der König zu ihm: »Du kannst nach Hause gehen, ich brauche dich nicht mehr. Du bekommst den Lohn nicht weiter, denn Geld erhält nur der, der mir dafür Dienste leistet.« Nun wusste der Soldat nicht, wovon er leben sollte und ging voll Sorgen den ganzen Tag, bis er abends in einen Wald kam. Er sah in der Finsternis ein Licht und als er näher kam, sah er ein Haus, in dem eine Hexe wohnte. »Gib mir ein Lager für die Nacht und ein wenig Essen und Trinken«, sprach der Soldat. »Oho«, antwortete die Hexe, »wer gibt denn einem dahergelaufenen Soldaten etwas? Doch ich will barmherzig sein und dich aufnehmen, wenn du tust, was ich verlange.« »Was verlangst du?« fragte der Soldat. »Dass du mir morgen meinen Garten umgräbst.« entgegnete die Hexe. Der Soldat war einverstanden und arbeitete den ganzen nächsten Tag mit aller Kraft, konnte aber vor Abend nicht fertig werden. Da sprach die Hexe: »Ich sehe wohl, dass du heute nicht fertig wirst. Doch will dich noch eine Nacht aufnehmen, dafür sollst du mir aber morgen ein Fuder Holz spalten und klein machen!« Der Soldat brauchte dazu den ganzen Tag und abends schlug ihm die Hexe vor, noch eine weitere Nacht zu bleiben. »Morgen habe ich nur eine kleine Arbeit für dich. Hinter meinem Haus ist ein alter, wasserloser Brunnen. In den ist mir ein Licht gefallen, das blau scheint und nicht verlischt. Das hol mir wieder heraus!« Am ändern Morgen führte ihn die Hexe zu dem Brunnen und ließ ihn in einem Korb herunter Er fand das blaue Licht und gab ihr ein Zeichen, dass sie ihn wieder hinaufziehen sollte. Sie zog ihn in die Höhe, als er aber nahe am Rand war, wollte sie ihm das blaue Licht abnehmen. »Nein«, sprach der Soldat, der ihre Vorhaben ahnte, »das Licht bekommst du erst, wenn ich wieder -91-
mit beiden Füßen auf dem Boden stehe.« Da wurde die Hexe wütend, ließ ihn wieder hinunter in den Brunnen fallen und ging fort. Der arme Soldat fiel auf den festen Boden und das blaue Licht schien immer noch. Er sah, dass er dem Tode wohl nicht entgehen würde und saß eine Weile ganz traurig, bis er zufällig in seiner Tasche seine Tabakspfeife fand, die noch halb gestopft war. Er zündete sie an dem blauen Licht an und fing an zu rauchen. Als der Dampf sich in der Höhle verteilt hatte, stand plötzlich ein kleines schwarzes Männchen vor ihm und fragte: »Herr, was befiehlst du?« Der Soldat fragte verwundert: »Was habe ich dir zu befehlen?« Darauf sagte das Männchen, es müsse alles tun, was er ihm befehle. »Gut«, sprach der Soldat, »hilf mir aus dem Brunnen!« Das Männchen führte ihn durch einen unterirdischen Gang, vergaß aber nicht, das blaue Licht mitzunehmen. Unterwegs kamen sie an den Schätzen der Hexe vorbei und der Soldat nahm so viel Gold mit, wie er tragen konnte. Als er oben war, sprach er zu dem Männchen: »Geh, fessle die alte Hexe und bring sie vor das Gericht!« Es dauerte nicht lange, da kam die Hexe auf einem wilden Kater mit furchtbarem Geschrei vorbeigeritten und kurz darauf war das Männchen zurück. Es sprach: »Es ist alles getan, die Hexe hängt schon am Galgen. Was befiehlst du nun?« »Im Auge nblick nichts«, sprach der Soldat, »aber sei da, wenn ich dich rufe!« Darauf sprach das Männchen: »Du brauchst nur deine Pfeife an dem blauen Licht anzuzünden und schon stehe ich vor dir.« Mit diesen Worten verschwand der Kleine. Der Soldat kehrte in die Stadt zurück, aus der er gekommen war, ging in den besten Gasthof und ließ sich schöne Kleider machen und sein Zimmer so prächtig wie möglich einrichten. Als es fertig war und der Soldat Quartier bezogen hatte, rief er das schwarze Männchen und sprach: »Ich habe dem König treu gedient, aber er hat mich fortgeschickt und hungern lassen. -92-
Dafür will ich nun Rache nehmen.« Der Kleine fragte, was er tun solle. »Abends, wenn die Königstochter schläft, bring sie hierher, sie soll meine Magd sein!« Darauf sprach das Männchen: »Das ist ein Leichtes für mich, aber für dich kann es gefährlich werden. Wenn das herauskommt, wird es dir schlimm ergehen!« Als es zwölf geschlagen hatte, ging die Tür auf und das Männchen trug die Königstochter herein. Der Soldat befahl der Königstochter, die Stube zu kehren und als sie damit fertig war, befahl er ihr, ihm die Stiefel auszuziehen. Er warf sie ihr ins Gesicht und sie musste sie aufheben, reinigen und glänzend machen. Die Königstochter tat alles, was er befahl stumm und mit halb geschlossenen Augen, aber ohne Widerstreben. Beim ersten Hahnenkrähen brachte das Männchen sie wieder ins Schloss zurück. Am anderen Morgen stand die Königstochter auf, ging zu ihrem Vater und erzählte ihm, sie hätte einen seltsamen Traum gehabt: »Ich wurde durch die Straßen fortgetragen und in das Zimmer eines Soldaten gebracht. Dem musste ich als Magd dienen, die Stube kehren und die Stiefel putzen. Es war nur ein Traum, doch ich bin so müde, als hätte ich das wirklich alles getan.« Der König empfahl ihr, die Tasche voll Erbsen zu stecken und ein Loch hineinzuschneiden. Würde sie wieder abgeholt werden, so fielen die Erbsen heraus und ließen eine Spur auf der Straße. Doch das Männchen hatte das mit angehört und als es die Königstochter in der nächsten Nacht abholte, streute es in allen Straßen Erbsen und die Königstochter musste wieder bis zum Hahnenkrähen Mägdedienste bei dem Soldaten verrichten. Als des Königs Leute am anderen Morgen die Spur der Königstochter verfolgen sollten, fanden sie in allen Straßen Erbsen und so war es vergeblich, Da sprach der König: »Wir müssen uns etwas anderes ausdenken. Behalte deine Schuhe an, ehe du dich schlafen legst. Und bevor du von dort zurückkehrst, verstecke einen davon, ich werde ihn schon ausfindig machen.« -93-
Doch das schwarze Männchen hatte auch dies gehört und als der Soldat abends verlangte, es solle die Königstochter herbeitragen, riet es ihm ab und sagte, gegen diese List wüsste es kein Mittel und wenn der Schuh bei ihm gefunden würde, so könnte es ihm schlimm ergehen. »Tu was ich dir sage!« befahl der Soldat und die Königstochter musste auch in er dritten Nacht wie eine Magd arbeiten, doch bevor sie zurückgetragen wurde, versteckte sie einen Schuh unter dem Bett. Am anderen Morgen ließ der König in er ganzen Stadt den Schuh seiner Tochter suchen. Er wurde bei dem Soldaten gefunden und dieser, der sich auf Drängen des kleinen Männchens hin auf den Weg gemacht hatte, wurde bald eingeholt und ins Gefängnis geworfen. Bei der Flucht hatte er das blaue Licht und das Gold vergessen und hatte nur noch einen Dukaten in der Tasche. Wie er nun mit Ketten belastet am Fenster des Gefängnisses stand, sah er einen seiner Kameraden vorbeigehen, Er sprach zu ihm: »Sei so gut und hol mir das kleine Bündelchen, das ich im Gasthaus habe liegen lassen. Ich gebe dir einen Dukaten dafür.« Der Kamerad brachte das Verlangte und sobald der Soldat wieder allein war, steckte er seine Pfeife an und das schwarze Männchen erschien. Es sprach: »Sei ohne Furcht! Geh, wohin sie dich führen und lass alles geschehen! Nimm aber das blaue Licht mit!« Am anderen Tag wurde der Soldat vor den Richter geführt und obwohl er nichts Böses getan hatte, wurde er zum Tode verurteilt. Als er hinausgeführt wurde, bat er den König um einen letzten Gefallen. »Was für einen?« fragte der König. »Dass ich auf dem Weg noch eine Pfeife rauchen darf!« sprach der Soldat. »Du kannst drei rauchen«, antwortete der König, »aber glaube nicht, dass ich dir das Leben schenke!« Der Soldat zog die Pfeife hervor und zündete sie an dem blauen Licht an. Als etwas Rauch aufgestiegen war, stand das kleine Männchen da, hatte einen Knüppel in der Hand und sprach: »Was befiehlst -94-
du, Herr?« »Schlag die falschen Richter und ihre Häscher nieder und verschone auch den König nicht, der mich so schlecht behandelt hat!« Da fuhr das Männchen wie der Blitz hin und her und wen es mit dem Knüppel nur anrührte, der fiel zu Boden. Der König bekam Angst und um sein Leben zu behalten gab er dem Soldaten das Reich und die Königstochter zur Frau.
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Die weiße Taube Es fuhr einmal ein armes Dienstmädchen mit seiner Herrschaft durch einen großen Wald und als sie mitten darin waren, kamen Räuber aus dem Dickicht hervor und ermordeten jeden, den sie fanden. Da kamen alle um, bis auf das Mädchen, das in der Angst aus dem Wagen gesprungen war und sich hinter einem Baum verborgen hatte. Als die Räuber mit ihrer Beute fort waren, trat es herbei und sah das große Unglück. Es fing bitterlich an zu weinen und sagte: »Was soll ich armes Mädchen nun anfangen? Ich weiß nicht, wie ich aus dem Wald wieder herauskomme, keine Menschenseele wohnt darin und ich muss gewiss verhungern.« Es ging herum und suchte einen Weg, konnte aber keinen finden. Als es Abend wurde, setzte es sich unter einen Baum, befahl sich Gott und wollte da sitzen bleiben und nicht weggehen, egal was geschehe. Als es aber eine Weile da gesessen hatte, kam ein weißes Täubchen zu ihm geflogen und hatte ein kleines goldenes Schlüsselchen im Schnabel. Es legte dem Mädchen das Schlüsselchen in die Hand und sprach: »Siehs t du dort den großen Baum? Daran ist ein kleines Schloss, das schließ mit dem Schlüsselchen auf und du wirst genug Essen finden und keinen Hunger mehr leiden.« Da ging das Mädchen zu dem Baum, schloss ihn auf und fand Milch in einem kleinen Schüsselchen und Weißbrot dazu, so dass es sich satt essen konnte. Als es satt war, sprach es: »Jetzt ist die Zeit, wo die Hühner daheim auffliegen. Ich bin so müde, könnte ich mich doch auch in mein Bett legen!« Da kam das Täubchen wieder und brachte ein anderes goldenes Schlüsselchen im Schnabel und sagte: »Schließ dort den Baum auf, so wirst du ein Bett finden!« Das Mädchen schloss auf und fand ein schönes, weiches Bettchen. Es betete zum lieben Gott, er möchte es behüten in der Nacht, legte sich hin und schlief ein. -96-
Am Morgen kam das Täubchen zum dritten Mal, brachte wieder ein Schlüsselchen und sprach: »Schließ dort den Baum auf, da wirst du Kleider finden!« Und als das Mädchen aufschloss, fand es Kleider mit Gold und Edelsteinen besetzt, so herrlich, wie keine Königs tochter sie hat. So lebte das Mädchen eine Zeitlang und das Täubchen kam alle Tage und sorgte für alles, was es brauchte und das war ein stilles, gutes Leben. Einmal aber kam das Täubchen und sprach: »Willst du mir einen Gefallen tun?« »Von Herzen gern«, sagte das Mädchen. Da sprach das Täubchen: »Ich will dich zu einem kleinen Häuschen führen, da geh hinein, mittendrin am Herd wird eine alte Frau sitzen und ›Guten Tag‹ sagen. Gib ihr keine Antwort, egal was sie sagt, sondern geh weiter zu der Tür zu ihrer Rechten. Öffne die Tür und du wirst in eine Stube kommen, wo eine Menge Ringe auf dem Tisch liegen. Da sind viele prächtige Ringe mit glitzernden Steinen herbei, die lass aber liegen und bring mir einen schlichten, der auch dabei sein muss, so schnell du kannst!« Das Mädchen ging zu dem Häuschen und trat ein. Da saß eine Alte, die machte große Augen, als sie es erblickte und sprach: »Guten Tag, mein Kind!« Das Mädchen gab ihr keine Antwort und ging auf die Tür zu. »Wohin?« rief die Alte und fasste es beim Rock und wollte es festhalten. »Das ist mein Haus, da darf niemand hinein, wenn es mir nicht recht ist.« Aber das Mädchen schwieg, machte sich von ihr los und ging in die Stube hinein. Da lagen nun auf dem Tisch jede Menge Ringe, die ihm vor den Augen glitzerten und glimmerten. Es warf sie durcheinander und suchte nach dem schlichten Ring, konnte ihn aber nicht finden. Wie es so suchte, sah es die Alte, die daherschlich und mit einem Vogelkäfig in der Hand fort wollte. Das Mädchen ging auf sie zu, nahm ihr den Käfig aus der Hand und wie es ihn aufhob und hineinsah, saß ein Vogel darin, der den schlichten Ring im Schnabel hatte. Es nahm den Ring und lief froh damit zum Haus hinaus und dachte, das weiße Täubchen würde kommen, um den -97-
Ring zu holen. Doch das Täubchen kam nicht. Das Mädchen lehnte sich an einen Baum, um auf das Täubchen zu warte und wie es so da stand, da war ihm, als wäre der Baum weich und biegsam und senke seine Zweige herab. Auf einmal schlangen sich die Zweige um es herum und waren Arme. Als es sich umsah, war der Baum ein schöner Mann, der es umarmte, herzlich küsste und sagte: »Du hast mich erlöst und aus der Gewalt der Alten befreit, die eine böse Hexe ist. Sie hatte mich in einen Baum verwandelt und jeden Tag war ich für ein paar Stunden eine weiße Taube. Solange sie den Ring besaß, konnte ich meine menschliche Gestalt nicht wieder erhalten.« Da standen auch seine Diener und Pferde neben ihm, die die Alte auch in Bäume verwandelt hatte. Sie fuhren alle fort ins ein Reich, denn er war ein Königssohn und sie heirateten und lebten glücklich.
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Der kluge Bäcker Es war einmal ein großes Königreich, in dem lebte ein kluger Bäckergeselle. Nun trug es sich eines Tages zu, dass der König demjenigen seine Tochter versprach, der das Königreich von den drei bösen Mächten befreien konnte. In dem Königreich lebten nämlich eine alte, bucklige Hexe, ein böser Zauberer und ein starker, grausamer Riese, Um das Königreich zu befreien, brauchte man drei Haare von der Hexe, den Zauberstab des Zauberers und einen Zahn des grausamen Riesen. Viele Prinzen und Ritter versuchten sich an der schwierigen Aufgabe, doch sie kehrten nie wieder zurück. Eines Tages, als schon niemand mehr daran glaubte, dass das Königreich gerettet würde, da trat der Bäckergeselle vor den König und sagte: »Eure Majestät, ich will mein Glück versuchen und das Reich von dem bösen Fluch befreien. Gebt mir ein Pferd und drei Tage Zeit, so will ich Euch die Haare, den Zauberstab und den Zahn schon bringen!« Der König dachte bei sich: »Nun, um einen Bä cker ist es nicht schade, soll er sein Glück doch versuchen.« Also bekam der Bäcker das Pferd, ritt nach Hause und machte sich an die Arbeit. Zuerst machte er einen köstlichen Teig und backte daraus einen Pfefferkuchen, den er mit Baldrian füllte. Dann rollte er den Teig zu einer dünnen Stange, backte sie und färbte sie schwarz. Mit Zuckerguss machte er die obere Spitze der Teigstange weiß, so dass sie gerade aussah wie ein Zauberstab. Schließlich backte er ein Brot, so groß wie das Rad eines Wagens. Das ließ er lange genug in der Backstube liegen, bis es so hart war, dass man es unmöglich essen konnte. Dann lud er alles auf das Pferd und ritt los. Am ersten Tag kam er zu der kleinen Hütte, in der die Hexe hauste. Er klopfte mutig an und rief: »Pfefferkuchen, leckere Pfefferkuchen! Die besten Pfefferkuchen der Weit!« Da öffnete die Hexe neugierig -99-
und sagte: »Was? Deine Pfefferkuchen sollen besser sein als die, die ich mache? Das glaube ich nicht!« Und schon nahm die Alte den Pfefferkuchen, den der Bäcker ihr gab, biss hinein und fiel augenblicklich in einen tiefen, festen Schlaf. Da riss der Bäcker ihr geschwind drei Haare aus und machte, dass er fort kam. Am zweiten Tag kam er zu dem Schloss des Zauberers, klopfte an und verlangte, den Zauberer zu sprechen. Als er endlich vor ihm stand, sagte er: »Ich bin der größte Zauberer der Welt und fordere dich zu einem Zauberwettstreit heraus! Lehnst du ab, bist du ein Feigling!« Da konnte der Zauberer nicht anders und willigte ein. Der Bäcker sagte: »Ich kann mit einer Hand einen Stein zerquetschen, dass das Wasser aus ihm herausläuft!« Der Zauberer schüttelte ungläubig den Kopf und begehrte, den Zaubertrick zu sehen. Der Bäcker aber nahm aus seiner Tasche heimlich einen alten Käse, zerquetschte ihn und das Wasser lief über seine Hand und tropfte auf den Boden. Nun nahm der Zauberer einen Stein vom Boden, drückte und quetschte ihn soviel er nur konnte, doch kein Tropfen Wasser lief aus seiner Hand. Da hatte der Zauberer verloren, doch er bat den Bäcker, ihm doch den Zaubertrick zu verraten. Da sagte der Bäcker: »Das liegt nur an meinem besonderen Zauberstab. Mit ihm schaffe ich alles, was. ich nur will!« Da wollte der Zauberer den vermeintlichen Zauberstab unbedingt besitzen und bot dem Bäcker reichlich Geld dafür. Der Bäcker nahm das Angebot an, sagte aber: »Ich lasse dir meinen Zauberstab, aber du musst mir dafür deinen geben, damit ich auf dem Heimweg noch zaubern kann.« Dem Zauberer war das recht und so tauschten sie ihre Zauberstäbe; der Bäcker aber machte sich schleunigst aus dem Staub. Am dritten Tag kam der Bäcker zu der Höhle, in der der Riese wohnte. Er stellte sich vor den Eingang der Höhle und rief: »Frisches Brot zu verkaufen, frisches Brot!« Und weil Riesen ständig riesigen Hunger haben, kam dieser auch sofort aus der -100-
Höhle und sagte: »Ist dein Brot auch wirklich frisch? Wenn nicht, verspeise ich dich, du Wicht!« Der Bäcker nickte eifrig und gab dem Riesen ein kleines, frisches Brot, Das schlang der Vielfraß im Nu herunter und stürzte sich, ohne zu fragen, auf das große Brot, das der Bäcker auf dem Pferderücken hatte. Er biss gierig hinein und weil das Brot so hart war, verlor er, ohne es zu merken, einen Zahn. Da drehte sich der Riese fuchsteufelswild herum und schrie den Bäcker an: »Das soll frisches Brot sein, du garstiges Lügenmaul! Jetzt fresse ich dich auf!« Da aber sprach der Bäcker: »Das Brot war gar nicht für dich gedacht, aber du musstest es ja unbedingt essen, ohne vorher zu fragen. Das bist du nun selbst schuld! Und wenn du jetzt nicht auf der Stelle still bist, verwandele ich dich in einen Höhlenzwerg.« Bei diesen Worten fuchtelte der Bäcker aufgeregt mit dem Zauberstab, so dass der Riese sich fürchtete und schnell in seiner Höhle verschwand. Der Bäcker aber nahm den Zahn aus dem harten Brot und ritt so schnell er konnte zum Königshof. Als er dort ankam, zeigte er dem König die Haare der Hexe, den Stab des Zauberers und den Zahn des Riesen. Und weil er nun das Königreich erlöst hatte, gab ihm der König die Prinzessin zur Frau.
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Das Märchen vom halben Hahn In einem Dorf an der Küste des Meeres lebte ein armer Fischer mit seinen beiden Kindern, Peter und Lieschen. Als der Fischer eines Tages starb, standen die beiden Kinder ganz allein in der weiten Welt; niemand wollte sie zu sich nehmen. Als sie den alten Vater begraben hatten, wollten sie sich das Erbe teilen. Die Erbschaft war nun allerdings nicht besonders groß, es waren nur noch zwei Hühner und ein Hahn da. Jeder bekam also ein Huhn, wie aber sollten sie nun den Hahn unter sich teilen? Lieschen schlug vor, den Hahn durchzuschneiden, so dass jeder eine Hälfte bekäme. Peter war einverstanden und so teilten sie den Hahn. Peter bekam die Hälfte mit dem Kopf, Lieschen die mit dem Schwanz, Lieschen rupfte nun ihren Teil, tat ihn in den Topf und ließ ihn sich gut schmecken. Da kam plötzlich eine Hexe durch den Schornstein in die Hütte und sagte zu Peter: »Tue deine Hälfte nicht in den Topf. Ich will sie verzaubern und dann wird sie alles für dich tun, was du dir wünschst.« Die Hexe nahm ihren Zauberstab, bestrich die Hahnenhälfte damit und murmelte dabei allerlei Zaubersprüche. Dann verschwand sie wieder durch den Schornstein, so schnell wie sie gekommen war. »Das ist ja alles gut und schön«, sagte Peter zu Lieschen, »aber was sollen wir nun mit der Hahnenhälfte machen?« Lieschen, die sehr klug war, sagte: »Wenn wir Geld haben, können wir uns alles kaufen, was wir brauchen. Wir wollen den halben Hahn in das Schloss des Königs schicken, da soll er uns drei Säcke mit Goldstücken holen.« Sofort machte sich der halbe Hahn auf dem Weg zum Schloss. Unterwegs begegnete er zwei Dieben, die ihn erstaunt fragten: »Du halber Hahn, wo willst du denn hin?« »Ins königliche Schloss«, antwortete der halbe Hahn. »Können wir dich begleiten?« fragten die Diebe. Der Hahn -102-
erlaubte es und sagte: »Ja, aber kriecht unter meine Federn!« Die beiden Diebe versteckten sich also unter dem Gefieder des halben Hahns. Kurze Zeit später begegneten dem halben Hahn zwei Füchse. Die Füchse fragten erstaunt: »Halber Hahn, wo willst du denn hin?« Der Hahn antwortete ihnen und als auch die Füchse ihn begleiten wollten, da sprach er: »Ich erlaube es euch, aber kriecht unter meine Federn!« Das taten die Füchse und so setzte der halbe Hahn seinen Weg zum Schloss fort. Nach einer Weile kam der halbe Hahn an einem großen Wasser vorbei. Auch das Wasser wollte den Hahn zum Schloss des Königs begleiten und so forderte der Hahn das Wasser auf, sich ebenfalls unter seinem Gefieder zu verstecken. Kurz darauf kam der halbe Hahn zu dem königlichen Schloss, klopfte an und sagte dem Diener, er wolle drei Säcke mit Goldstücken. Der Diener brachte diese Forderung dem König, der aber befahl, den halben Hahn zu den anderen Hühnern zu sperren. Da tat der Diener dann auch, aber als es Nacht wurde, befahl der halbe Hahn den Füchsen, die Hühner aufzufressen. Die Füchse taten dies nur zu gern. Am nächsten Morgen sah der Diener die Bescherung, eilte zu dem König und berichtete ihm, was in der Nacht geschehen war. Da sagte der König: »Fangt den halben Hahn und sperrt ihn in den Pferdestall!« Der Diener tat wie ihm geheißen. In der Nacht aber befahl der halbe Hahn den Dieben, die Pferde zu stehlen und mit ihnen davonzureiten. Als der König am nächsten Morgen erfuhr, was in der Nacht geschehen war, sagte er erbost: »Steckt den halben Hahn in einen glühenden Ofen!« Aber kaum war der halbe Hahn in dem Ofen, da strömte das Wasser unter seinen Federn hervor und im Nu war das Feuer erloschen. Der halbe Hahn krähte belustigt und der König rief verzweifelt: »Gebt dem verfluchten Tier, was es haben will, sonst verdirbt es mich und mein ganzes Schloss.« Der halbe Hahn bekam also die drei Säcke mit Goldstücken und eilte wieder zu Peter und Lieschen, die nun reich und ohne Sorgen -103-
viele, viele Jahre vergnügt lebten. Der halbe Hahn aber war nun immer bei ihnen und wurde von ihnen gehegt und gepflegt.
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Kapitel 6 Klassische Kindermärchen
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Hänsel und Gretel Es war einmal ein armer Holzfäller, der vor einem großen Wald wohnte, der hatte kein Geld und nur das Nötigste zu essen für seine Frau und seine zwei Kinder, Hänsel und Gretel. Einmal konnte er selbst das nicht mehr schaffen und wusste sich nicht zu helfen in seiner Not. Wie er sich abends vor Sorge in seinem Bett herumwälzte, da sagte seine Frau zu ihm: »Mann, hör auf mich, morgen früh nimm die beiden Kinder, gib jedem noch ein Stück Brot, dann führ sie hinaus in den Wald, mitten hinein, wo er am dicksten ist, mach ihnen ein Feuer an, und dann geh weg und lass sie dort, denn wir können sie nicht länger ernähren.« »Nein, Frau«, sagte der Mann, »Das bring ich nicht übers Herz, meine eigenen Kinder zu den wilden Tieren zu führen, die sie bald in dem Wald zerreißen würden.« Die Frau aber sprach: »Wenn Du das nicht tust, müssen wir alle miteinander verhungern.« Da ließ sie ihm keine Ruhe, bis er endlich ja sagte. Die zwei Kinder waren auch noch wach vor Hunger und hatten alles gehört, was die Mutter zum Vater gesagt hatte. Gretel fing erbärmlich an zu weinen. Hänsel aber sprach: »Sei still, Gretel, und gräm Dich nicht. Ich will uns helfen.« Dann stand er auf, zog sich an und schlich hinaus. Da schien der Mond hell, und die weißen Kieselsteine glänzten wie Silber. Hänsel bückte sich und machte seine Hosentaschen ganz voll davon, so viel nur hinein wollte, dann ging er zurück ins Haus: »Tröste Dich, Gretel, und schlaf nur ruhig.« legte sich wieder ins Bett und schlief ein. Morgens früh, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kam die Mutter und weckte sie alle beide: »Steht auf ihr Kinder, wir wollen in den Wald gehen, da habt ihr jedes ein Stücklein Brot, aber hebt es Euch für den Mittag auf.« Gretel nahm das Brot unter ihre Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte, dann machten sie sich auf den Weg in den Wald hinein. Wie sie -106-
ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte zum Haus zurück, bald darauf wieder und immer wieder. Der Vater sprach: »Hänsel, was guckst Du zurück und hältst Dich auf, lauf lieber weiter.« »Ach, Vater, ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen.« Die Mutter sprach: »Du Narr, das ist nicht dein Kätzchen, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint.« Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen auf den Weg geworfen. Wie sie mitten im Wald angekommen waren, sprach der Vater: »Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, damit wir nicht frieren.« Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Dann steckten sie es an und wie die Flamme recht groß brannte, sagte die Mutter: »Nun legt euch ans Feuer und schlaft, wir wollen in den Wald und das Holz fällen, wartet, bis wir wiederkommen und euch abholen.« Hänsel und Gretel saßen an dem Feuer bis Mittag, dann aß jedes sein Stücklein Brot, und dann wieder bis zum Abend, aber Vater und Mutter blieben aus, und niemand wollte kommen und sie abholen. Wie es nun finstere Nacht wurde, fing Gretel an zu weinen, aber Hänsel sprach: »Wart nur, bis der Mond aufgegangen ist.« Und als der Mond aufgegangen war, fasste er die Gretel bei der Hand, da lagen die Kieselsteine wie Silber und schimmerten und zeigten ihnen den Weg. Da gingen sie die ganze Nacht durch, und wie es Morgen war, kamen sie wieder beim Haus ihrer Eltern an. Der Vater freute sich von Herzen, als er seine Kinder wiedersah, denn er hatte sie ungern allein gelassen, die Mutter stellte sich auch, als wenn sie sich freute, heimlich aber war sie böse. Nicht lange danach war wieder kein Brot im Hause und Hänsel und Gretel hörten, wie abends die Mutter zum Vater sagte: »Einmal haben die Kinder den Weg zurück gefunden und -107-
da habe ich es gut sein lassen, aber jetzt ist wieder nichts außer einem halben Laib Brot im Haus, Du musst sie morgen noch tiefer in den Wald führen, dass sie nicht wieder heim kommen können, sonst müssen wir alle verhungern.« Dem Mann gefiel das nicht und er gedachte, es wäre doch besser, wenn du den letzten Bissen mit deinen Kindern teilst, aber weil er es einmal getan hatte, so durfte er nicht nein sagen. Hänsel und Gretel hörten wiederum das Gespräch ihrer Eltern, Hänsel stand auf und wollte wieder Kieselsteine auflesen, aber wie er an die Tür kam, da hatte die Mutter sie zugeschlossen. Doch tröstete er Gretel und sprach: »Schlaf nur Gretel, der liebe Gott wird uns schon helfen.« Morgens früh erhielten sie ihr Stücklein Brot, noch kleiner als das vorige Mal. Auf dem Weg bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still und warf ein Bröcklein auf die Erde. »Was bleibst Du immer stehen, Hänsel, und guckst Dich um? Geh weiter.« sagte der Vater. »Ach, ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dach und will mir Ade sagen.« Die Mutter sagte: »Du Narr, das ist nicht dein Täubchen, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.« Hänsel aber zerbröckelte all sein Brot und warf die Bröcklein auf den Weg. Die Mutter aber führte sie noch tiefer in den Wald hinein, wo sie noch nie gewesen waren, da sollten sie wieder einschlafen bei einem großen Feuer und abends wollten die Eltern kommen und sie abholen. Zu Mittag teilte Gretel ihr Brot mit Hänsel, weil der seins auf den Weg gestreut hatte; der Mittag verging und der Abend verging, aber niemand kam zu den armen Kindern. Hänsel tröstete die Gretel und sagte: »Warte, wenn der Mond aufgeht, dann seh ich die Bröcklein Brot, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Hause.« Der Mond ging auf, aber als Hänsel nach den Bröcklein sah, da waren sie weg. Die vielen tausend Vögel in dem Wald hatten sie gefunden und aufgepickt. Hänsel meinte jedoch den Weg nach -108-
Hause allein zu finden und zog Gretel mit sich, aber sie verirrten sich bald in der großen Wildnis und gingen die Nacht und den ganzen Tag, da schliefen sie vor Müdigkeit ein. Sie gingen noch einen Tag, aber sie kamen nicht aus dem Wald heraus und waren so hungrig, denn sie hatten nichts zu essen außer ein paar Beeren, die auf der Erde standen. Am dritten Tage gingen sie wieder bis zum Mittag, da kamen sie an ein Häuslein, das war ganz aus Brot gebaut und war mit Kuchen bedeckt und die Fenster waren aus hellem Zucker. »Da wollen wir uns niedersetzen und uns satt essen.« sagte Hänsel, »Ich will vom Dach essen, iss du vom Fenster, Gretel, das ist schön süß für dich.« Hänsel hatte schon ein gutes Stück vom Dach und Gretel schon ein paar runde Fensterscheiben gegessen und brach sich eben eine neue aus, da hörten sie eine feine Stimme, die von innen rief: »Knusper, knusper, knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?« Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, dass sie alles fallen ließen, was sie in der Hand hielten, und gleich darauf sahen sie aus der Tür eine kleine steinalte Frau schleichen. Sie wackelte mit dem Kopf und sagte: »Ei, ihr lieben Kinder, wo seid ihr denn hergelaufen, kommt herein mit mir, ihr sollt es gut haben.« fasste sie beide bei der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da wurde gutes Essen aufgetragen: Pfannkuchen mit Zucker, Äpfeln und Nüssen, und dann wurden zwei schöne Bettlein bereitet, da legten sich Hänsel und Gretel hinein und meinten, sie wären wie im Himmel. Die Alte aber war eine böse Hexe, die lauerte den Kindern auf und hatte, um sie zu locken, ihr Brothäuslein gebaut, und wenn eines in ihre Gewalt kam, dann machte sie es tot, kochte es und aß es, das war ihr wie ein Festtag. Da war sie nun recht froh, wie Hänsel und Gretel ihr zugelaufen kamen. Früh, ehe die Kinder aufgewacht waren, stand sie schon auf, ging an ihre Bettlein, und wie sie die zwei da so lieblich ruhen sah, freute sie sich und -109-
dachte, das wird ein guter Bissen für dich sein. Sie packte Hänsel und steckte ihn in einen kleinen Stall und wie er da aufwachte, war er von Gittern umschlossen, wie man junge Hühnlein einsperrt, und er konnte nur ein paar Schritte gehen. Das Gretel aber schüttelte sie und rief: »Steh auf, du Faulenzerin, hol Wasser, geh in die Küche und koch gut zu essen, dort steckt dein Bruder in einem Stall, den will ich erst fett machen, und wenn er fett ist, dann will ich ihn essen. Jetzt sollst du ihn füttern.« Gretel erschrak und weinte, musste aber tun, was die Hexe verlangte. Da wurde nun jeden Tag dem Hänsel das beste Essen gekocht, damit er fett werden sollte, Gretel aber bekam nichts als die Krebsschalen und jeden Tag kam die Alte und sagte: »Hänsel, streck Deine Finger heraus, damit ich fühlen kann, ob Du bald fett genug bist.« Hänsel aber streckte ihr immer ein Knöchlein heraus, da wunderte sie sich, dass er gar nicht zunehmen wollte. Nach vier Wochen sagte sie eines Abends zu Gretel: »Sei flink, geh und trag Wasser herbei, dein Brüderchen mag nun fett genug sein oder nicht, morgen will ich es schlachten und sieden, ich will in der Zwischenzeit den Teig vorbereiten, dass wir auch dazu backen können.« Da ging Gretel mit traurigem Herzen und trug das Wasser, worin Hänsel gesotten werden sollte. Früh morgens musste Gretel aufstehen, Feuer anmachen und den Kessel mit Wasser aufhängen. »Gib nun Acht, bis es siedet.« sagte die Hexe, »Ich will Feuer in dem Backofen machen und das Brot hineinschieben.« Gretel stand in der Küche, weinte bittere Tränen und dachte, hätten uns doch besser die wilden Tiere im Wald gefressen, so wären wir zusammen gestorben und müssten nun nic ht das Herzeleid tragen, und ich müsste nicht selber das Wasser zum Tod meines lieben Bruders sieden, du lieber Gott, hilf uns armen Kindern aus der Not. Da rief die Alte: »Gretel, komm gleich einmal her zu dem Backofen!« wie Gretel kam, sagte sie: »Guck hinein, ob das Brot schon hübsch braun und gar ist, meine Augen sind -110-
schwach, ich kann nicht so weit sehen, und wenn du auch nicht kannst, so setz dich auf das Brett, so will ich Dich hineinschieben, da kannst du darin herumgehen und nachsehen.« Sobald aber Gretel darin war, wollte sie die Tür zumachen und Gretel sollte in dem heißen Ofen backen, denn sie wollte sie auch aufessen. Das dachte die böse Hexe und darum hatte sie Gretel gerufen. Gott gab es aber Gretel ein und sie sagte: »Ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll, zeig es mir erst, setz dich darauf, ich will dich hineinschieben.« Und die Alte setzte sich auf das Brett und weil sie leicht war, schob Gretel sie hinein so weit sie konnte, dann machte sie geschwind die Tür zu und steckte den eisernen Riegel vor. Da fing die Alte in dem heißen Backofen an zu jammern, Gretel aber lief fort und die Hexe musste elendiglich verbrennen. Gretel lief zum Hänsel, machte ihm sein Türchen auf, Hänsel sprang heraus, und sie herzten einander und waren froh. Das ganze Häuschen war voll von Edelgesteinen und Perlen, davon füllten sie ihre Taschen, gingen fort und fanden den Weg nach Hause. Der Vater freute sich, als er sie wiedersah, er hatte keinen vergnügten Tag gehabt, seit seine Kinder fort waren, und war nun ein reicher Mann. Die Mutter aber war gestorben.
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Rotkäppchen Es war einmal ein süßes Mädchen, die hatte jeder lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wusste gar nicht, was sie dem Kind noch alles geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen aus rotem Samt, und weil ihm das so gut stand und es auch nichts anderes mehr tragen wollte, hieß es nur noch das Rotkäppchen. Da sagte einmal seine Mutter zu ihm: »Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, die bring der Großmutter hinaus, sie ist krank und schwach, da wird sie sich daran laben. Sei hübsch artig und grüß sie von mir. Geh auch ordentlich und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und du zerbrichst das Glas, dann hat die kranke Großmutter nichts. Und hüte dich vor bösen Tieren!« Rotkäppchen versprach der Mutter recht gehorsam zu sein. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war und fürchtete sich nicht vor ihm. »Guten Tag, Rotkäppchen.« »Schönen Dank, Wolf.« »Wo willst du so früh hinaus, Rotkäppchen?« »Zur Großmutter.« »Was trägst du unter der Schürze?« »Die Großmutter ist krank und schwach, da bring ich ihr Kuchen und Wein, gestern haben wir gebacken, da soll sie sich dran stärken.« »Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?« »Noch eine gute Viertelstunde in den Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten stehen die Nusshecken, das wirst du ja wissen.« sagte Rotkäppchen. Der -112-
Wolf dachte bei sich, das ist ein guter, fetter Bissen für mich, wie fängst du es an, dass du den kriegst? »Rotkäppchen, höre,« sagte er, »hast du die schönen Blumen nicht gesehen, die im Wald stehen.? Warum guckst du nicht einmal um dich, ich glaube, du hörst gar nicht darauf, wie die Vöglein lieblich singen? Du gehst ja nur für dich dahin, als wenn du im Dorf in die Schule gingest, und es ist so lustig draußen im Wald.« Rotkäppchen schlug die Augen auf und sah, wie die Sonne durch die Bäume gebrochen war und alles voller schöner Blumen stand, da dachte es; Ei, wenn ich meiner Großmutter einen schönen Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb sein, Es ist noch früh, ich komme noch rechtzeitig an und es sprang in den Wald und suchte Blumen. Und wenn es eine gepflückt hatte, meinte es, dort stünde noch eine schönere und lief danach immer tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradewegs zum Haus der Großmutter und klopfte an die Türe. »Wer ist draußen?« »Das Rotkäppchen, ich bringe dir Kuchen und Wein, mach mir auf.« »Drück nur auf die Klinke, ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen!« rief die Großmutter, Der Wolf drückte auf die Klinke und die Tür sprang auf. Da ging er hinein, geradezu an das Bett der Großmut ter und verschluckte sie. Dann nahm er ihre Kleider, zog sie an, setzte sich ihre Haube auf, legte sich in das Bett und zog die Vorhänge zu. Rotkäppchen aber war herumgelaufen nach Blumen, und erst als es so viel hatte, dass es keine mehr tragen konnte, machte es sich auf den Weg zur Großmutter. Wie es ankam, stand die Türe auf, Darüber wunderte es sich und wie es in die Stube kam, sah es so seltsam darin aus, dass es dachte: Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir’s heute zu Mute? Ich bin doch sonst so ge rne bei der Großmutter. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück. Da lag die Großmutter und hatte die Haube -113-
tief ins Gesicht gezogen und sah so wunderlich aus. »Großmutter, was hast du für große Hände?« »Damit ich dich besser hören kann.« »Großmutter, was hast du für große Augen?« »Damit ich dich besser sehen kann.« »Großmutter, was hast du für große Hände?« »Damit ich dich besser packen kann.« »Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul?« »Damit ich dich besser fressen kann.« Da sprang der Wolf aus dem Bett, sprang auf das arme Rotkäppchen und verschlang es. Wie der Wolf das Rotkäppchen gefressen hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, sehr laut zu schnarchen. Der Jäger ging gerade vorbei und dachte, wie kann eine alte Frau so schnarchen, du musst einmal nachsehen. Da trat er hinein und wie er vor das Bett kam, da lag der Wolf darin, den er so lange gesucht hatte. Der hatte gewiss die Großmutter gefressen, vielleicht ist sie ja noch zu retten, ich will nicht schießen, dachte der Jäger. Da nahm er eine Schere und schnitt dem Wolf den Bauch auf und wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten und wie er noch ein wenig geschnitten hatte, da sprang das Mädchen heraus und rief: »Ach, wie war ich erschrocken, was war es so dunkel in dem Bauch vom Wolf!« Und dann kam die Großmutter auch lebendig heraus. Rotkäppchen aber holte große schwere Steine, damit füllten sie dem Wolf den Bauch und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, dass er tot umfiel. Da waren alle drei vergnügt. Der Jäger nahm den Pelz vom Wolf. Die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte. Und Rotkäppchen dachte bei sich; du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Weg ab in den Wald laufen, wenn es dir die Mutter verboten hat. -114-
Des Kaisers neue Kleider Es war einmal ein Kaiser, der so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, dass er all sein Geld dafür ausgab um recht herausgeputzt zu sein. Er kümmerte sich nic ht um seine Soldaten und sein Volk, kümmerte sich nicht um Theater und liebte es nicht in den Wald zu fahren, außer um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages und ebenso wie man von einem König sagte, er ist im Rat, so sagte man hier immer: »Der Kaiser ist in der Garderobe!« In der großen Stadt in der er wohnte, ging es sehr munter her. An jedem Tag kamen viele Fremde an und eines Tages kamen auch zwei Betrüger, die gaben sich für Weber aus und sagten, dass sie den schönsten Stoff, den man sich denken könne, zu weben verstanden. Die Farben und das Muster seien nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die aus dem Stoff genäht würden, sollten die wunderbare Eigenschaft besitzen, dass sie für jeden Menschen unsichtbar seien, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei. ›Das wären prächtige Kleider‹, dachte der Kaiser, ›wenn ich solche hätte, könnte ich ja dahinter kommen, welche Männer zu dem Amt, das sie haben, nicht taugen. Ich könnte die Kluge n von den Dummen unterscheiden! Ja, dieser Stoff muss sogleich für mich gewebt werden!‹ Er gab den beiden Betrügern viel Geld, damit sie ihre Arbeit beginnen sollten. Sie stellten auch zwei Webstühle auf, taten, als ob sie arbeiteten, aber sie hatten nicht das Geringste auf dem Stuhl. Trotzdem verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold. Das steckten sie aber in ihre eigene Tasche und arbeiteten an den leeren Stühlen bis spät in die Nacht hinein. ›Nun möchte ich doch wissen, wie weit sie mit dem Stoff sind!‹ dachte sich der Kaiser, aber es war ihm beklommen zu -115-
Mute, wenn er daran dachte, dass keiner, der dumm sei oder schlecht zu seinem Amte tauge, es sehen könne. Er glaubte zwar, dass er für sich selbst nichts zu fürchten brauchte, aber er wollte doch erst einen anderen vorschicken, um zu sehen, wie es damit stehe. Alle Menschen in der ganzen Stadt wussten, welche besondere Kraft der Stoff hatte. Und alle waren begierig zu sehen wie schlecht oder dumm ihr Nachbar sei. ›Ich will meinen alten, ehrlichen Minister zu den Webern senden‹, dachte der Kaiser. ›Er kann am besten beurteilen, wie der Stoff aussieht, denn er hat Verstand und keiner versieht sein Amt besser als er!‹ Nun ging der alte, gute Minister in den Saal hinein, wo die zwei Betrüger saßen und an den leeren Webstühlen arbeiteten. ›Gott behüte uns!‹ dachte der alte Minister und riss die Augen auf. ›Ich kann ja nichts sehen!‹ Aber das sagte er nicht. Beide Betrüger baten ihn näher zu treten und fragten, ob es nicht ein hübsches Muster und schöne Farben seien. Dann zeigten sie auf den leeren Stuhl und der arme, alte Minister fuhr fort, die Augen aufzureißen, aber er konnte nichts sehen, denn es war ja nichts da. ›Herr Gott‹, dachte er, ›sollte ich dumm sein? Das habe ich nie geglaubt und das darf kein Mensch wissen! Sollte ich nicht für mein Amt taugen? Nein, es geht nicht an, dass ich erzähle, ich könne den Stoff nicht sehen!‹ »Nun, Sie sagen nichts dazu?« fragte der eine von den Webern. »Oh, es ist niedlich, ganz allerliebst!« antwortete der alte Minister und sah durch seine Brille. »Dieses Muster und diese Farben! – Ja, ich werde dem Kaiser sagen, dass es mir sehr gefällt!« »Nun, das freut uns!« sagten beide Weber und darauf benannten sie die Farben mit Namen und erklärten das seltsame Muster. Der alte Minister merkte gut auf, damit er dasselbe sagen könne, wenn er zum Kaiser zurückkomme und das tat er -116-
auch. Nun verlangten die Betrüger mehr Geld, mehr Seide und mehr Gold zum Weben. Sie steckten alles in ihre eigenen Taschen, auf den Webstuhl kam kein Faden, aber sie fuhren fort wie bisher an den leeren Stühlen zu arbeiten. Der Kaiser sandte bald wieder einen anderen tüchtigen Staatsmann hin, um zu sehen, wie es mit dem Weben stehe und ob der Stoff bald fertig sei. Es erging ihm aber genau wie dem ersten, er guckte und guckte, weil aber außer dem Webstuhl nichts da war, so konnte er nichts sehen. »Ist das nicht ein ganz besonders prächtiges und hübsches Stück Stoff?« fragten die beiden Betrüger und zeigten und erklärten das prächtige Muster, das gar nicht da war. ›Dumm bin ich nicht‹, dachte der Mann; ›Es ist also mein Amt, zu dem ich nicht tauge! Das wäre seltsam genug, aber das muss man sich nicht anmerken lassen!‹ Daher lobte er den Stoff, den er nicht sah, und versicherte ihnen seine Freude über die schönen Farben und das herrliche Muster. »Ja, es ist ganz allerliebst!« sagte er zum Kaiser. Alle Menschen in der Stadt sprachen von dem prächtigen Stoff. Nun wollte der Kaiser ihn selbst sehen, während er noch auf dem Webstuhl war. Mit einer ganzen Schar auserwählter Männer, unter denen auch die beiden ehrlichen Staatsmänner waren, die schon früher da gewesen waren, ging er zu den beiden listigen Betrügern hin, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne Faser oder Faden. »Ja, ist das nicht prächt ig?« sagten die beiden ehrlichen Staatsmänner, »Wollen Eure Majestät sehen, welches Muster, welche Farben?« Und dann zeigten sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, dass die anderen den Stoff wohl sehen könnten. ›Was!‹ dachte der Kaiser; ›ich sehe gar nichts! Das ist ja erschrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht dazu, Kaiser zu -117-
sein? Das wäre das Schrecklichste, was mir begegnen könnte!‹ »Oh, es ist sehr hübsch.« sagte er dann, »Es hat meinen allerhöchsten Beifall!« Und er nickte zufrieden und betrachtete den leeren Webstuhl. Er wollte nicht sagen, dass er nichts sehen könne. Das ganze Gefolge, was er mit sich hatte guckte und guckte, aber es bekam nicht mehr heraus als alle anderen, aber sie sagten genau wie der Kaiser: »Oh, das ist aber hübsch!« Und sie rieten ihm, diese neuen prächtigen Kleider das erste Mal bei dem großen Fest, das bevorstand, zu tragen. »Es ist herrlich, niedlich, ausgezeichnet!« ging es von Mund zu Mund und man schien allerseits innig erfreut darüber. Der Kaiser verlieh jedem der Betrüger ein Ritterkreuz, um es in das Knopfloch zu hängen und den Titel Hofweber. Die ganze Nacht vor dem Morgen, an dem das Fest stattfinden sollte, waren die Betrüger auf und hatten sechzehn Lichter angezündet, damit man sie auch recht gut bei ihrer Arbeit beobachten konnte. Die Leute konnten sehen, dass sie stark beschäftigt waren, des Kaisers neue Kleider fertig zu machen. Sie taten, als ob sie das Zeug aus dem Webstuhl nähmen, sie schnitten in die Luft mit großen Scheren, sie nähten mit Nähnadeln ohne Faden und sagten zuletzt: »Sieh, nun sind die Kleider fertig!« Der Kaiser mit seinen Beamten kam selbst und beide Betrüger hoben den einen Arm in die Höhe, gerade als ob sie etwas hielten und sagten: »Seht, hier sind die Hosen, hier ist das Kleid, hier ist der Mantel!« und so weiter. »Es ist so leicht wie Spinnweben; man sollte glauben, man habe nichts auf dem Körper, aber das ist gerade die Schönheit dabei!« »Ja!« sagten alle Beamten, aber sie konnten nichts sehen, denn es war gar nichts da. »Belieben Eure Kaiserliche Majestät Ihre Kleider abzulegen,«, sagten die Betrüger, »so wollen wir Ihnen die neuen hier vor dem großen Spiegel anziehen!« Der Kaiser legte seine Kleider ab und die Betrüger stellten sich, als ob sie ihm ein jedes Stück der neuen Kleider anzogen, -118-
die fertig genäht sein sollten, und der Kaiser wendete und drehte sich vor dem Spiegel. »Ei, wie gut sie kleiden, wie herrlich sie sitzen!« sagten alle. »Welches Muster, welche Farben! Das ist ein kostbarer Anzug!« »Draußen stehen sie mit dem Thronhimmel, der über Eurer Majestät getragen werden soll!« meldete der Oberzeremonienmeister. »Seht, ich bin ja fertig!« sagte der Kaiser. »Sitzt es nicht gut?« Dann wendete er sich nochmals zum Spiegel; denn es sollte so aussehen, als ob er seine Kleider noch einmal betrachtete. Die Kammerherren, die das Recht hatten die Schleppe zu tragen, griffen mit den Händen gegen den Fußboden als ob sie die Schleppe heben würden, sie gingen und taten als hielten sie etwas in der Luft. Sie wagten es nicht, es sich anmerken zu lassen, dass sie nichts sehen konnten. So ging der Kaiser unter dem prächtigen Thronhimmel und alle Menschen auf der Straße und in den Fenstern sprachen: »Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich! Welche Schleppe er am Kleide hat! Wie schön sie sitzt!« Keiner wollte es sich anmerken lassen, dass er nichts sah; denn dann hätte er ja nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre sehr dumm gewesen, Keine Kleider des Kaisers hatten solches Glück gemacht wie diese. »Aber er hat ja gar nichts an!« sagte endlich ein kleines Kind. »Hört die Stimme der Unschuld!« sagte der Vater. Und der eine zischelte dem anderen zu, was das Kind gesagt hatte. »Aber er hat ja gar nichts an!« rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben. Aber er dachte bei sich: ›Nun muss ich durchhalten.‹ Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.
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Kapitel 7 Koboldgeschichten
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Der kleine weiße Kobold Ein König verirrte sich auf der Jagd, da trat ein kleiner weißer Kobold vor ihn: »Herr König, wenn ihr mir eure jüngste Tochter geben wollt, so will ich euch wieder aus dem Wald führen.« Der König sagte es in seiner Angst zu, das Männchen brachte ihn auf den Weg, nahm dann Abschied und rief noch nach: »In acht Tagen komm ich und hol meine Braut.« Daheim aber war der König traurig über sein Versprechen, denn die jüngste Tochter hatte er am liebsten; das sahen ihm die Prinzessinnen an und wollten wissen, was ihm Kummer mache? Da musste er’s endlich gestehen, er habe die jüngste von ihnen einem kleinen weißen Waldkobold versprochen und der komme in acht Tagen und hole sie ab. Sie sprachen aber, er solle guten Muts sein, den Kobold wollten sie schon an der Nase herumführen. Danach als der Tag kam, kleideten sie eine Kuhhirtstochter mit ihren Kleidern an, setzten sie in ihre Stube und befahlen ihr: »Wenn jemand kommt und will dich abholen, so gehst du mit!« Sie selber aber gingen alle aus dem Hause fort. Kaum waren sie weg, so kam ein Fuchs in das Schloss und sagte zu dem Mädchen: »Setz dich auf meinen rauen Schwanz, wir reiten hinaus in den Wald!« Das Mädchen setzte sich dem Fuchs auf den Schwanz und so trug er es hinaus in den Wald; wie sie aber auf einen schönen grünen Platz kamen, wo die Sonne recht hell und warm schien, sagte der Fuchs: »Steig ab und laus mich!« Da Mädchen gehorchte, der Fuchs legte seinen Kopf auf ihren Schoß und wurde gelaust; bei der Arbeit sprach das Mädchen: »Gestern um die Zeit war’s doch schöner in dem Wald!« – »Wie bist du in den Wald gekommen?« fragte der Fuchs. – »Ei, da hab ich mit meinem Vater die Kühe gehütet.« – »Also bist du nicht die Prinzessin! Setz dich auf meinen rauen Schwanz, wir laufen zurück in das Schloss!« Da trug sie der Fuchs zurück und sagte zum König: »Du hast mich betrogen, das ist eine Kuhhirtstochter, in acht Tagen komm ich wieder und -121-
hol mir deine.« Am achten Tage aber kleideten die Prinzessinnen eine Gänsehirtstochter prächtig an, setzten sie hin und gingen fort. Da kam der Fuchs wieder und sprach: »Setz dich auf meinen rauen Schwanz, wir reiten hinaus in den Wald!« Wie sie in dem Wald auf den sonnigen Platz kamen, sagte der Fuchs wieder: »Steig ab und laus mich.« Und als das Mädchen den Fuchs lauste, seufzte es und sprach: »Wo mögen jetzt meine Gänse sein!« – »Was weißt du von Gänsen?« – »Ei, die hab ich alle Tage mit meinem Vater auf die Wiesen getrieben.« – »Also bist du nicht des Königs Tochter! Setz dich auf meinen rauen Schwanz, wir laufen zurück in das Schloss!« Der Fuchs trug sie zurück und sagte zum König: »Du hast mich wieder betrogen, das ist eine Gänsehirtstochter, in acht Tagen komm ich noch einmal und wenn du mir dann deine Tochter nicht gibst, so soll dir’s übel gehen.« Dem König wurde Angst und wie der Fuchs wieder kam, gab er ihm die Prinzessin. »Setz dich auf meinen rauen Schwanz, wir reiten hinaus in den Wald!« Da musste sie auf dem Schwanz des Fuchses hinausreiten und als sie auf den Platz im Sonnenschein kamen, sprach er auch zu ihr: »Steig ab und laus mich!« Als er ihr aber seinen Kopf auf den Schoß legte, fing die Prinzessin an zu weinen und sagte: »Ich bin eines Königs Tochter und soll einen Fuchs lausen, saß ich jetzt daheim in meiner Kammer, so könnt ich meine Blumen im Garten sehen!« Da hörte der Fuchs, dass er die rechte Braut hatte, verwandelte sich in den kleinen weißen Kobold und das war nun ihr Mann, bei dem musste sie in einer kleinen Hütte wohnen, ihm kochen und nähen und es dauerte eine gute Zeit. Der Kobold aber tat ihr alles zuliebe. Einmal sagte der Kobold zu ihr: »Ich muss fortgehen, aber es werden bald drei weiße Tauben geflogen kommen, die werden ganz niedrig über die Erde hinstreifen, davon fang die mittlere und wenn du sie hast, schneid ihr gleich den Kopf ab, hüt’ dich aber, dass du keine andere ergreifst als die mittlere, sonst entsteht ein großes -122-
Unglück daraus.« Das Männchen ging fort; es dauerte auch nicht lang, so kamen drei weiße Tauben dahergeflogen. Die Prinzessin gab Acht, ergriff die mittlere, nahm ein Messer und schnitt ihr den Kopf ab. Kaum aber lag der auf dem Boden, so stand ein schöner junger Prinz vor ihr und sprach: »Mich hat eine Fee verzaubert, sieben Jahr lang sollt ich meine Gestalt verlieren und sodann als eine Taube an meiner Gemahlin vorbeifliegen, zwischen zwei anderen, da müsse sie mich fangen und mir den Kopf abhauen und fange sie mich nicht, oder eine unrechte und ich sei einmal vorbeigeflogen, so sei alles vorbei und keine Erlösung mehr möglich: darum hab ich dich gebeten, ja recht Acht zu haben, denn ich bin der weiße Kobold und du meine Gemahlin.« Da war die Prinzessin vergnügt und sie gingen zusammen zu ihrem Vater und als der starb, erbten sie das Reich.
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Die tanzenden Kobolde Ein Schneider und ein Goldschmied wanderten einmal zusammen und eines Abends, als die Sonne hinter den Bergen unterging, hörten sie ferne Musik, die immer deutlicher wurde. Sie klang ungewohnt, aber so anmutig, dass die beiden ihre Müdigkeit vergaßen und rasch vorwärts schritten. Als der Mond schon aufgegangen war, kamen sie zu einem Hügel, auf dem eine Menge kleiner Männer und Frauen sic h bei den Händen hielten und froh im Tanz herumwirbelten. Dazu sangen die Kobolde auf das Lieblichste und das war die Musik, die die beiden gehört hatten In der Mitte saß ein alter Kobold, der etwas größer war als die anderen und trug einen bunten Rock. Sein eisgrauer Bart hing ihm über die Brust herab. Die beiden Wanderer bleiben voll Verwunderung stehen und sahen dem Treiben zu. Da winkte ihnen der Alte, sie sollten in den Kreis eintreten und die kleinen Kobolde machten bereitwillig Platz, Der Goldschmied, der einen Buckel hatte und wie alle Buckligen keck genug war, trat in den Kreis. Der Schneider hielt sich zunächst noch zurück, doch als er das lustige Treiben sah, fasste er sich ein Herz und folgte dem Goldschmied. Bald darauf schloss sich der Kreis wieder und die kleinen Leute sangen und tanzten freudig weiter. Der Alte aber nahm auf einmal ein Messer, wetzte es und blickte sich dann nach den Fremden um. Die beiden Wanderer fürchteten sich, doch eh sie sich besinnen konnten, hatte er Alte ihnen in höchster Geschwindigkeit Haare und Bart weggeschoren. Als der Alte danach den beiden freundlich, wie als Lob für ihr Stillhalten, auf die Schulter klopfte, verschwand ihre Angst. Der Alte zeigte nun mit dem Finger auf einen Haufen Kohlen und bedeutete ihnen, sich die Taschen damit zu füllen. Die beiden Wanderer taten wie ihnen geheißen, wenn sie auch nicht wussten, was sie mit den Kohlen anfangen sollten. Dann gingen sie weiter, um sich ein Nachtlager zu suchen. Als -124-
sie ins Tal kamen, schlug es zwölf Uhr und im selben Augenblick verstummte der Gesang und alles war verschwunden und der Hügel lag verlassen im Mondschein. Die beiden Wanderer fanden eine Herberge und deckten sich auf einem Strohlager mit ihren Mänteln zu, vergaßen aber, die Kohlen vorher herauszunehmen. Ein schwerer Druck auf ihre Glieder weckte sie früh auf und als sie in ihre Taschen griffen, trauten sie ihren Augen nicht, denn aus den Kohlen war reines Gold geworden und auch Haare und Barte waren wieder in aller Fülle vorhanden. So waren die beiden nun reiche Leute, doch weil der Goldschmied in seiner Habsucht die Taschen besser mit Kohlen gefüllt hatte als der Schneider, besaß er nun doppelt so viel Gold wie dieser. Und weil die Habsucht dem Goldschmied keine Ruhe ließ, schlug er dem Schneider vor, noch einen Tag zu bleiben und am Abend wieder auf den Hügel zu gehen, um sich noch größere Schätze zu holen. Der Schneider wollte jedoch nicht und sagte: »Ich habe genug und bin zufrieden, Ich werde Meister, heirate meine Liebste und bin ein glücklicher Mann.« Doch weil er dem Goldschmied einen Gefallen zu tun, wollte er den Tag noch bleiben. Abends hängte sich der Goldschmied noch ein paar Taschen um, um recht viel einsacken zu können und machte sich dann auf den Weg zu dem Hügel. Er fand alles wie in der vorigen Nacht und deckte sich ordentlich mit Kohlen ein, dann kehrte er glücklich in die Herberge zurück, legte sich schlafen und deckte sich mit seinem Mantel zu. »Auch wenn das Gold drückt«, sprach er, »ich will es schon ertragen!« Dann schlief er und glaubte, am nächsten Tag ein steinreicher Mann zu sein. Als er am anderen Morgen die Augen öffnete, erhob er sich rasch, um nach dem Gold zu sehen, doch er fand nichts als schwarze Kohlen. »Nun«, dachte er bei sich, »noch bleibt mir das Gold von letzter Nacht!« Doch wie erschrak er, als auch das nur noch schwarze Kohlen waren. Er schlug sich mit der Hand an die Stirn und da fühlte er, -125-
dass sein Kopf ganz kahl war und dass auch sein Bart nicht mehr angewachsen war. Doch damit war es noch nicht genug, denn zu seinem Buckel auf dem Rücken hatte er nun noch einen zweiten auf der Brust bekommen. Der Goldschmied erkannte die Strafe seiner Habgier und fing laut an zu weinen. Der Schneider, der davon wach wurde, tröstete den Unglücklichen, so gut er konnte: »Du bist mein Gefährte auf der Wanderschaft gewesen, nun sollst du auch bei mir bleiben und mit von meinem Schatz zehren.« Der Schneider hielt Wort, aber der arme Goldschmied musste sein ganzes Leben lang die beiden Buckel tragen und den Kopf mit einer Mütze bedecken.
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Goldsternchen Es war einmal ein armer Bauer, der lebte mit seiner Frau und einem Dutzend Kinder in einer armseligen Hütte. Als der Hunger und die Not eines Tages zu groß wurden, wusste er sich schließlich keinen anderen Rat mehr, nahm sein letztes Geld zusammen und kaufte davon einen Strick, um sich daran zu erhängen. Er ging in den Wald und suchte sich einen starken Ast, doch gerade als er die Schlinge knüpfen wollte, stand plötzlich ein schwarzes Männchen vor ihm und sagte: »Tu es nicht!« Der Bauer nahm erschrocken die Schlinge von dem Ast und im gleichen Augenblick verschwand der geheimnisvolle schwarze Kobold. Da warf der Bauer den Strick erneut um den Ast, doch wieder erschien der schwarze Kobold und sagte: »Habe ich es dir nicht gesagt? Tu es nicht!« Der Bauer gehorchte ihm nun, nahm den Strick und ging nach Hause. Doch unterwegs dachte er bei sich: »Warum tue ich das nur? Zu Hause verhungere ich und die Meinen mit mir, da bereite ich doch lieber selbst meinem Leben ein Ende.« Also warf er erneut die Schlinge über einen starken Ast, doch wieder erschien der schwarze Kobold und fragte verärgert: »Warum tust du nicht, was ich dir sage?« »Was nützt es mir denn?« fragte der Bauer traurig. »Wir müssen ja doch alle sterben, auch wenn ich Euch jetzt gehorche.« Der schwarze Kobold aber antwortete ihm: »Nein, ihr werdet nicht verhungern. Ich werde dir so viel Geld geben, wie du dir wünschst. Dafür musst du mir aber etwas geben, das es in deinem Haus gibt, von dem du aber nichts weißt.« Der Bauer überlegte nic ht lange, denn er wusste nicht, was es in seinem Haus geben sollte, von dem er nichts wusste. Also willigte er in das Geschäft ein, der schwarze Kobold überreichte ihm einen großen schweren Sack voller Dukaten und der Bauer -127-
bedankte sich überschwänglich. Als er sich auf den Heimweg machte, rief ihm der schwarze Kobold nach: »Vergiss dein Versprechen nicht! In sieben Jahren werde ich mir das holen, von dem du jetzt nichts weißt.« Da lachte der Bauer nur und antwortete: »In meinem Haus gibt es nichts zu holen und sollte doch etwas da sein, so kannst du es getrost haben.« Als der Bauer nun mit dem Geld nach Hause kam, begrüßte ihn seine Frau freudig, denn sie hatte soeben ihr jüngstes Töchterchen zur Welt gebracht. Es hatte goldene Haare und trug einen goldenen Stern auf der Stirn. »Das Goldsternchen hat uns wohl Glück gebracht«, sagte die Bäuerin, doch ihr Mann war sehr betrübt, denn nun wusste er, was der schwarze Kobold vorhin im Wald gemeint hatte. Die Zeit verging und Goldsternchen wuchs zu einem wunderschö nen Mädchen heran. An seinem siebten Geburtstag hielt eine schwarze Kutsche vor dem Haus des Bauern und der schwarze Kobold stieg heraus und sagte: »Bauer, nun sollst du dein Versprechen einlösen. Ich bin gekommen, um dein Töchterchen zu holen.« Vergeblich flehten die Eltern den schwarzen Kobold an, ihnen das Kind zu lassen, doch Goldsternchen musste in die Kutsche steigen und schon sauste der schwarze Kobold mit ihm davon. Sie fuhren lange durch einen dunklen, dichten Wald und kamen schließlich an ein großes schwarzes Schloss. Dort sprach der schwarze Kobold zu dem Mädchen: »In diesem Schloss sind hundert Zimmer. Du darfst jedes von ihnen betreten, nur das hundertste nicht. Wenn du es doch tust, wird’s dir schlimm ergehen.« Er gab Goldsternchen den Schlüsselbund und sprach weiter: »In sieben Jahren komme ich wieder um nach dem Rechten zu sehen.« Goldsternchen ging es nicht schlecht in dem schwarzen Schloss. Sie kam durch alle neunundneunzig Zimmer und an das hundertste dachte sie nicht einmal. Die sieben Jähre vergingen wie im Flug und als sie auf den Tag herum waren, da kam der schwarze Kobold wieder und fragte Goldsternchen: »Warst du -128-
in dem hundertsten Zimmer?« Das Goldsternchen antwortete ihm wahrheitsgemäß: »Nein.« »Du hast gut daran getan, mir zu gehorchen. Ich werde nun wieder gehen und nach weiteren sieben Jahren wiederkommen. Wenn du mir auch dieses Mal gehorchst, wird es dir gut ergehen. Gehorchst du aber nicht, wird dich schlimmes Unheil ereilen.« Auch diese sieben Jahre vergingen wie im Flug und schon kam der Tag, an dem der schwarze Kobold zurückkommen wollte. Goldsternchen freute sich darauf, dass dieser sie loben und belohnen würde. Doch plötzlich erklang aus dem verbotenen Zimmer eine liebliche Musik. Da konnte sie nicht widerstehen. Sie öffnete die Tür und erschrak: In dem Zimmer saßen zwölf schwarze Männer an einem Tisch. Der dreizehnte Mann aber stand hinter der Tür und rief klagend: »Goldsternchen, was hast du nur getan?« Zitternd vor Angst fragte Goldsternchen: »Was soll ich jetzt nur tun?« »Du darfst niemandem sagen, was du hier gesehen oder hier gehört hast. Du musst schweigen, was auch immer geschehen mag. Nur so kannst du deine Schuld wieder gut machen«, antwortete der dreizehnte Mann. Rasch schloss Goldsternchen die verbotene Tür, denn sie hörte bereits die schwarze Kutsche in den Hof des Schlosses einfahren. Der schwarze Kobold ging geradewegs auf Goldsternchen zu und fragte streng: »Was hast du in dem verbotenen Zimmer gesehen?« Er wusste nämlich bereits, was geschehen war. Goldsternche n aber schwieg. »Wenn du mir nicht antworten willst, dann schweige eben. Von nun an sollst du stumm sein. Nur mit mir wirst du in Zukunft noch sprechen können«, sagte der schwarze Kobold verärgert. Dann jagte er Goldsternchen aus dem Schloss und das Mädche n ging, so weit die Beine es tragen konnten. Schließlich kam Goldsternchen zu einer schönen grünen -129-
Wiese. Sie ließ sich dort im Gras nieder und weinte, bis sie vor Erschöpfung einschlief. Es war aber gerade ein Prinz in dieser Gegend auf der Jagd. Als er das schöne schlafende Mädchen sah, verliebte er sich sofort in die Unbekannte. Er erkannte bald, dass sie stumm war, trotzdem setzte er sie auf sein Pferd, nahm sie mit auf sein Schloss und heiratete sie. Goldsternchen lebte nun glücklich an der Seite des Prinzen. Es war noch kein Jahr vergangen, da brachte Goldsternchen einen Jungen zur Welt, der wie sie goldene Haare hatte und einen goldenen Stern auf der Stirn trug. Alle freuten sich sehr über das schöne Kind, doch in derselben Nacht noch erschien der schwarze Kobold am Bett der Prinzessin und sprach böse: »Was hast du in dem verbotenen Zimmer gesehen? Wenn du nicht antwortest, dann bleibt auch dein Kind stumm.« Doch die Prinzessin schwieg beharrlich und so kam es, dass der kleine Prinz stumm blieb. Der kleine Prinz wuchs heran und an seinem siebten Geburtstag fuhr eine prächtige weiße Kutsche in den Hof des Schlosses ein. Der Kutsche entstieg ein weißer Kobold, der Goldsternchen zu sehen wünschte. Als er der stummen Prinzessin gegenüberstand sprach er: »Du warst sieben Jahre stumm und hast das Versprechen, das du dem dreizehnten Mann gegeben hast, gehalten. So will ich dich und dein Kind von dem bösen Fluch erlösen. Ab heute sollt ihr wieder sprechen können.« Mit diesen Worten verschwand der weiße Kobold mit ihrer Kutsche und das Böse hatte keine Macht mehr über Goldsternchen.
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Der blaue Kobold Der König auf Schloss Hartenstein hatte eine Köchin, die war sehr tüchtig und kochte die herrlichsten Speisen. Aber sie war eine böse Person und niemand von den Küchenjungen konnte sie leiden. Weil sie aber dick und stark war, wagte keiner, sich über sie zu beschweren. Das Küchenpersonal musste viel aushalten, bis Sebastian, der neue Küchenjunge, kam. Die Köchin, die Frau Fischer hieß, behandelte ihn zunächst genauso schlecht wie alle anderen. Morgens um vier jagte sie ihn aus den Federn und erst um Mitternacht durfte er ins Bett. Der arme Junge musste hart schuften, wurde dauernd gescholten und bekam sogar die eine oder andere Ohrfeige. Sebastian hatte nun aber eine alte Großmutter, die zaubern konnte. Als die Köchin ihn nun eines Tages losschickte, um Besorgungen zu machen, da lief der Junge rasch in das Waldhäuschen zu seiner Großmutter. Er erzählte der alten Frau, wie es ihm im Schloss erging und fragte dann: »Was kann man denn tun, damit die böse Köchin aufhört, uns so zu quälen?« Die Großmutter dachte kurz nach, dann antwortete sie: »Warte, Sebastian, ich gebe dir etwas, das euch helfen wird.« Sie nahm eine große blaue Schüssel und füllte sie mit Wasser. Dann schüttete sie ein blaues Pulver hinein und das Wasser wurde ganz blau. Dann schälte sie eine Kartoffel, warf sie in das blaue Wasser, rührte alles mit einer Schwanenfeder um und murmelte dabei einen Zauberspruch. Sebastian starrte gebannt in die Schüssel, aus der plötzlich ein blauer Kobold heraussprang. Sein Körper sah aus wie eine Kartoffel. Der kleine Kobold grinste, klatschte in die Hände und sah die alte Großmutter fragend an. Die Großmutter aber lachte und sagte zu Sebastian: »Der ist genau richtig für dich. Nimm den kleinen Kobold und steck ihn in deine Tasche. Sobald du im Schloss bist, stell ihn -131-
auf eines der Regale in der Küche. Den Rest macht er schon selbst.« Sebastian bedankte sich bei der Großmutter, steckte den Kobold ein und lief zum Schloss zurück. Als er in die Schlossküche kam, stellte er den Kobold unbemerkt hinter einen Topf auf das Regal. Da drehte sich Frau Fischer zornig um und schimpfte: »Wo bist du nichtsnutziger Kerl so lange gewesen?« Doch ehe Sebastian antworten konnte, rief eine Stimme vom Regal herunter: »He, Köchin, sei gefälligst nicht so böse!« Frau Fischer war so verblüfft, dass sie kein Wort herausbrachte. Der blaue Kobold schaute hinter dem Topf hervor und zog eine Grimasse. Da schrie die Köchin: »Komm sofort da runter! Was hast du überhaupt in meiner Küche zu suchen?« Aber der Kobold rührte sich nicht von der Stelle, schlug mit dem Deckel gegen den Topf und rief erneut: »He, Köchin, warum hast du denn so schlechte Laune?« Die Küchenjungen schauten vergnügt zu, denn bisher hatte es noch niemand gewagt, so mit Frau Fischer zu sprechen. Die Köchin ging zum Wandregal und wollte den Kobold greifen. Doch der nahm eine Gabel und stach sie in den Finger. Dann stieß er alle Töpfe und Pfannen vom Regal und es gab einen entsetzlichen Lärm. Die Köchin wurde sehr wütend und nahm eine Zeitung, um damit nach dem Wicht zu schlagen. Sie schlug so fest zu, dass drei wettere Töpfe zu Boden fielen, von dem Kobold aber war nichts mehr zu sehen. »So, der wäre erledigt«, sagte Frau Fischer zufrieden. Doch das war ein Irrtum. Der Kobold stand jetzt auf dem Küchentisch, genau hinter ihrem Rücken. Er nahm einen Krug mit Milch und schüttete der Köchin die Milch über den Kopf. Die Köchin wurde immer zorniger und warf mit einem großen Kohlkopf nach dem blauen Kobold. Doch Frau Fischer traf nicht den Kobold, sondern die Küchenuhr, die mit großem Lärm zu Boden fiel und zerschellte. Der Kobold aber tänzelte auf dem Tisch und rief: »Eine böse Köchin bist du, nein wirklich, ganz , -132-
ganz böse!« Als sich Frau Fischer zum Tisch umdrehte, flog ihr ein rohes Ei ins Gesicht. Weil der Kobold darüber so arg lachen musste, hatte er Angst, die Köchin könnte ihn erwischen und versteckte sich in einem Korb, Als Frau Fischer den Unhold nicht mehr sah, schrie sie die Küchenjungen an: »Was steht ihr da herum und glotzt? Geht an die Arbeit und wer den blauen Kobold fängt, bringt ihn zu mir!« Doch natürlich dachte keiner der Jungen daran, den Kobold zu fangen. Und schon ertönte wieder die Stimme: »Böse Köchin, nein, so eine böse Köchin!« Die Köchin entdeckte den Kobold im Korb, holte den Korb vom Regal, doch der Kleine war längst herausgesprungen und lief in die Vorratskammer. Dabei rief er vergnügt: »Du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht!« Frau Fischer folgte dem Kobold in die Vorratskammer, doch darauf hatte der nur gewartet. Kaum betrat sie die Kammer, flogen ihr die Würste um die Ohren und ein Stück Butter landete auf ihrem Kopf. So ging es den ganzen Tag lang bis zum Abend. Der Köchin aber gelang es nicht, den Kobold zu fangen. Er übergoss sie mit Wasser, bewarf sie mit Äpfeln und Eiern, löste ihr die Schnürsenkel, so dass sie darüber stolperte und verstreute schließlich so viel Pfeffer, dass die Köchin aus dem Niesen nicht mehr herauskam. Frau Fischer war am Ende ihrer Kräfte und schluchzte: »Warum ist dieser schreckliche Kobold hier?« Da sagte Sebastian mutig: »Ich glaube, er soll dich bestrafen, weil du uns so schlecht behandelst.« Der blaue Kobold tanzte auf dem Tisch und rief: »Genau richtig, ja, ja, genau richtig!« Frau Fischer jammerte weiter. »Ich werde mich bestimmt bessern, wenn er nur endlich verschwindet!« Sebastian versprach, sein Bestes zu versuchen. Er wusste genau, was er zu tun hatte, denn seine Großmutter hatte es ihm gezeigt. So nahm er eine Nelke aus der Tasche und hielt sie dem -133-
Kobold unter die Nase, Dieser roch daran und kam neugierig näher. Sofort packte Sebastian den Kobold und steckte ihn in die Tasche. Dann brachte er ihn zu seiner Großmutter zurück, bei der er von diesem Tag an ganz brav alle Töpfe und Pfannen blank putzte. Die Köchin aber war nie mehr böse, denn sie fürchtete, der blaue Kobold könne zurückkehren und sie erneut quälen.
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Die Erlösung der schönen Königstochter Es war einmal ein armer Bauer, der war arm und hatte viele Kinder. Eines Tages nun, als er mit seinem jüngsten Sohn in den Wald hinausging, trat plötzlich ein grüner Waldkobold aus dem Gebüsch, grüßte freundlich und sprach: »Wir haben den gleichen Weg, wir könnten ein Stück zusammen gehen.« Dem Bauern war’s recht und so unterhielten sie sich und der Bauer erzählte von seiner Armut. Da sprach der Waldkobold: »Nun, wenn ihr so viele Mäuler zu stopfen habt, so will ich den Jungen zu mir nehmen. Ihr würdet noch einen guten Handel dabei machen. Ich gebe Euch einen Beutel Gold dafür.« Der Bauer schlug den Handel aus, wollte er doch sein eigenes Kind nicht verkaufen, Da bat ihn der Fremde, ihm den Jungen wenigstens für vier Jahre zu überlassen, er wollte das gleiche Geld dafür geben. Da die Not des Bauern groß war, willigte er ein und so blieb der Junge bei dem Fremden. Der Waldkobold ging mit dem Jungen immer weiter in den Wald hinein, bis sie schließlich an einen Felsen kam, der sich von selbst öffnete, als der Waldkobold daran klopfte. Sie durchschritten eine Kammer nach der anderen, bis sie zuletzt in eine kamen, in der ein schönes großes Bett stand. »Hier wirst du wohnen«, sagte der Kobold, »und du sollst es gut bei mir haben, wenn du tust, was ich dir sage. Neben dieser Kammer ist noch ein Zimmer, darin steht ein Bett wie dieses. Doch wage dich nicht, die Tür zu öffnen oder dich in das Bett zu legen. Auch sollst du nie um Mitternacht schlafen.« Der Waldkobold verließ den Jungen, kam aber alle vier Tage, um nach dem Rechten zu sehen. So lebte der Junge einige Zeit und es fehlte ihm an nichts, doch eines Tages überkam ihn die Neugier. Er öffnete die Tür zu der verbotenen Kammer, doch darin befand sich nichts, außer dem Bett und einem Haufen alter Schuhe. Der Junge lachte laut und begann, einen Schuh nach -135-
dem anderen aus dem Fenster zu werfen. Kaum aber landete der erste Schuh im Garten, begann dieser zu sprechen und sagte: »Danke, du hast uns erlöst.« Der Junge warf nun alle Schuhe hinunter in den Garten, schloss dann die Kammer wieder ab und ging in sein Zimmer zurück. Am nächsten Tag kam der Waldkobold zurück. Er wusste sofort, was geschehen war und tadelte den Jungen sehr. Der Junge nahm sich nun vor, die Gebote des Waldkobolds nicht mehr zu übertreten, doch eines Tages packte ihn wieder die Neugier: »Was wird wohl geschehen, wenn ich mich in das verbotene Bett lege?« Als es Nacht wurde, öffnete er die Tür zur Nebenkammer und legte sich schnell in das Bett. Kaum aber lag er darin, da erhob sich ein furchtbarer Lärm und ein Gepolter, dass ihm Angst und Bange wurde. Bald erkannte er allerlei teuflische Gestatten, die ihn wütend angrinsten. Doch er ließ sich nicht verjagen, zog sich die Decke über die Ohren und blieb standhaft. Um Mitternacht klopfte es an der Tür, doch der Junge antwortete nicht. Da öffnete sich die Tür von selbst und ein schönes junges Mädchen trat herein, kam langsam zu dem Bett und legte sich neben den Jungen. »Du hast gut daran getan, keine Antwort zu geben und das wilde Gepolter nicht zu beachten. Komm morgen wieder und bleib mutig und standhaft, was auch passieren mag.« Als Mitternacht vorüber war, verließ das Mädchen das Zimmer wieder und auch das Poltern und Schreien verstummte. In der folgenden Nacht legte sich der Junge wieder in das Bett und es trug sich zu, wie am vorherigen Abend. Als die dritte Nacht gekommen war und der Junge abermals in dem verbotenen Bett lag, erschienen ihm die teuflischen Geister wieder, aber diesmal waren es noch viel mehr als in den Nächten zuvor und sie waren noch viel scheußlicher als die anderen. Der Lärm und das Gepolter waren fast unerträglich, doch der Junge blieb mutig. Um Mitternacht erschien zum dritten Mal das junge Mädchen und bat ihn, nur noch diese eine -136-
Nacht auszuharren. Nach Mitternacht legte sich der Lärm und auch die Teufelsgestalten verschwanden. Doch plötzlich verwandelte sich alles und der Junge fand sich in einem prächtigen Schloss wieder. Neben dem Bett saß ein alter Mann mit langem weißen Haar und sprach: »Ich bin ein alter König und habe vor vielen hundert Jahren diese Prinzessin dem Bösen verschrieben.« Er stand auf, umarmte die Prinzessin, die durch den Mut des Jungen erlöst worden war. Da kamen plötzlich alle Schuhe, die der Junge aus dem Fenster geworfen hatte, zum Fenster hereingeflogen und verwandelten sich in Edelleute. Nun waren alle erlöst und das Böse hatte seine Macht über das königliche Schloss verloren. Der Junge aber heiratete die schöne Prinzessin und holte auch seine Eltern und seine Geschwister zu sich auf das königliche Schloss, so dass sie nie mehr Hunger leiden mussten.
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Kapitel 8 Lustige Geschichten
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Die kluge Katze Eines Tages begegnete die Katze im Wald dem Herrn Fuchs, und weil sie dachte, er sei gescheit und habe viel Erfahrung, grüßte sie ihn freundlich und sprach: »Guten Tag, lieber Herr Fuchs, wie geht es Euch? Wie schlagt Ihr Euch durch in dieser teuren Zeit?« Der Fuchs betrachtete die Katze hochmütig und wusste lange nicht, ob er eine Antwort geben sollte oder nicht. Schließlich sprach er: »O du armseliger Bartputzer, du buntscheckiger Narr, du Hungerleider und Mäusejäger, was fällt dir denn ein? Du unterstehst dich, zu fragen wie es mir geht? Was hast du gelernt? Wie viele Künste verstehst du?« Die Katze antwortete bescheiden: »Ich verstehe nur eine einzige Kunst.« Neugierig fragte der Fuchs, um welche Kunst es sich dabei handle und die Katze antwortete: »Wenn die Hunde mich jagen, so kann ich auf einen Baum springen und mich retten.« Da schaute sie der Fuchs mitleidig an und sagte: »Ist das etwa alles? Ich bin Herr über hundert Künste und habe außerdem noch einen Sack voll Listen. Ich habe Erbarmen mit dir, komm mit, ich will dir zeigen, wie man den Hunden entgeht.« In diesem Moment kam ein Jäger mit vier Hunden heran und die Katze sprang flink auf einen Baum, wo sie sich in dem Laub versteckte. Dem Fuchs aber rief sie zu: »Bindet den Sack auf, Herr Fuchs, bindet den Sack auf!« Doch die Hunde hatten den Fuchs bereits gepackt und hielten ihn fest. Da rief die Katze aus ihrem sicheren Versteck: »Ei, Herr Fuchs, Ihr seid mit Euren hundert Künsten nicht weit gekommen. Hättet Ihr auf den Baum springen können wie ich, so wäre es jetzt nicht um Euer Leben geschehen.«
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Eulenspiegels Abenteuer als Schneidergeselle In Berlin arbeitete Eulenspiegel als Schneidergeselle. Als er in der Werkstatt saß, sagte der Meister zu ihm: »Geselle, wenn du nähst, dann nähe so, dass man es nicht sieht.« Eulenspiegel befolgte die Anweisung des Meisters, stand auf, nahm Nadel und Stoff und kroch damit unter eine große Waschschüssel. Der Meister sah das und fragte: »Was hast du denn jetzt vor?« Eulenspiegel antwortete: »Meister, ihr selbst habt gesagt, ich soll so nähen, dass man es nicht sieht und unter der Waschschüssel sieht es eben niemand.« Da sprach der Schneider: »Wie dumm von dir. Hör auf damit und komm unter der Waschschüssel hervor. Nähe so, dass man es sehen kann!« Das ging drei Tage gut, dann aber war der Meister abends müde. Es lag jedoch noch ein Mantel da, der war fertig bis auf die Ärmel und so sprach der Meister zu Eulenspiegel: »Wirf die Ärmel noch an den Mantel und dann geh zu Bett!« Eulenspiegel versprach es und der Meister ging zu Bett. Eulenspiegel aber hing den Mantel an einen Haken und warf die Ärmel abwechselnd an den Mantel. So ging es die ganze Nacht bis zum nächsten Morgen. In der Frühe stand der Meister auf, ging in die Schneiderstube und sah, wie Eulenspiegel mit den Ärmeln nach dem Mantel warf. Der Schneider schaute sich Eulenspiegels Treiben verblüfft an und sprach: »Was soll das jetzt wieder?« Da antwortete ihm Eulenspiegel ganz ernst: »Das ist kein Spaß. Ich werfe die ganze Nacht die Ärmel an den Mantel, aber sie wollen einfach nicht kleben. Ihr hättet mich ruhig schlafen schicken können, das war verlorene Arbeit.« Der Meister sprach: »Ist es etwas meine Schuld, dass du mich falsch verstanden hast? Ich meinte natürlich, du solltest die Ärmel an den Mantel nähen.« So zankten sie nun miteinander, -140-
bis Eulenspiegel seine Sachen packte und den Schneider verließ.
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Der dumme Ziegenbock Ein Fuchs fiel in einen tiefen Brunnen und konnte sich nicht selbst heraushelfen. Da kam ein durstiger Ziegenbock zum Brunnen und als er den Fuchs sah, fragte er ihn: »Ist das Wasser gut?« Der Fuchs verschwieg, dass er in die Tiefe hinabgestürzt war und antwortete: »Das Wasser ist ganz klar und schmeckt ausgezeichnet; komm nur auch herab!« Das tat der Ziegenbock auch und als er seinen Durst gelöscht hatte, fragte er: »Und wie kommen wir jetzt wieder aus dem Brunnen heraus?« Der Fuchs antwortete ihm: »Das lass ruhig meine Sorge sein. Du stellst dich auf die Hinterbeine, stemmst die Vorderbeine gegen die Wand und streckst deinen Hals aus. Dann werde ich über deinen Rücken und deine Hörner nach oben klettern und dir auch heraushelfen.« Der Ziegenbock tat, was der Fuchs ihm aufgetragen hatte und kurz darauf war dieser oben am Brunnenrand. Dort hüpfte er vor Freude über die geglückte Befreiung, doch als der Ziegenbock ihn ermahnte, nun auch ihm herauszuhelfen, da rief der Fuchs spöttisch: »Hättest du in deinem Kopf so viel Verstand, wie du Haare in deinem Bart hast, so wärst du nicht in den Brunnen hinuntergestiegen ohne zu überlegen, wie du wieder nach oben kommst!«
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Der zänkische Schneider Es war einmal ein zänkischer Schneider, dessen Frau war gut, fleißig und fromm, konnte es ihrem Mann aber niemals recht machen. Was sie auch tat, er war unzufrieden, brummte, schimpfte, raufte und schlug sie. Als die Obrigkeit davon hörte, ließ sie den Schneider vorführen und ins Gefängnis werfen, damit er sich bessern sollte. Nach einer Zeit wurde er wieder freigelassen, musste aber versprechen, seine Frau nicht mehr zu schlagen, sondern in Frieden mit ihr zu leben und Lieb und Leid mit ihr zu teilen, wie es sich für Eheleute gehört. Das ging eine Zeit lang gut, dann aber geriet der Schneider wieder in seine alte Weise, war mürrisch und zänkisch und weil er seine Frau nicht schlagen durfte, wollte er sie bei den Haaren packen und raufen. Die Frau aber entkam ihm auf den Hof hinaus, wo ihr der Schneider mit Elle und Schere hinterher jagte und mit allem was er zur Hand hatte, nach ihr warf. Wenn er sie traf, so lachte er, wenn er sie aber verfehlte, so tobte und wetterte er. Das trieb er so weiter, bis die Nachbarn der Frau zu Hilfe kamen. Der Schneider wurde wieder vor die Obrigkeit geführt und an sein Versprechen erinnert. Darauf sagte er: »Liebe Herren, ich habe mein Versprechen gehalten, sie nicht geschlagen und Lieb und Leid mit ihr geteilt.« Da fragte der Richter, wie das möglich wäre, da sie schon wieder so über ihn klage. Der Schneider entgegnete: »Ich habe sie nicht geschlagen, sondern ihr nur, weil sie so seltsam aussah, die Haare mit der Hand gekämmt. Sie aber ist mir entflohen und hat mich böswillig verlassen. Da bin ich ihr nachgelaufen und habe, um sie an ihre Pflicht zu erinnern, nachgeworfen, was ich gerade zur Hand hatte. Ich habe auch Lieb und Leid mit ihr geteilt, denn so oft ich sie getroffen habe, war es mir lieb und ihr leid. Habe ich sie aber verfehlt, so war es ihr lieb, mir aber leid.« -143-
Die Richter waren jedoch mit dieser Antwort nicht zufrieden und ließen ihm seinen verdienten Lohn auszahlen.
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Der kluge Sohn der Schildbürgerin In Schilda lebte eine Frau, die hatte einen ganz besonders klugen Sohn namens Paul. Als Paul nun seine Lehre erfolgreich beendet hatte, ging er auf Wanderschaft. Also packte die Schildbürgerin den Ranzen für die Wanderschaft und ermahnte ihren Sohn, immer recht freundlich zu allen Menschen zu sein. Paul war kaum vor dem Stadttor angelangt, da traf er einen Trupp Soldaten, die einen Räuber gefangen hatten. Sie waren gerade dabei, den Verbrecher ins Gefängnis zu führen. Nun erinnerte sich Paul an die Worte der Mutter, zog den Hut vor dem Taugenichts und grüßte ihn freundlich. Die Soldaten gerieten darüber in Zorn und jagten den Schildbürger davon. Traurig kehrte Paul zu seiner Mutter zurück und erzählte, was vorgefallen war. Die Mutter schüttelte den Kopf und sagte: »Du bist ein Dummkopf, Paul! Wenn du wieder einem solchen Trupp begegnest, musst du rufen: ›Lebenslänglich ins Zuchthaus mit dem Verbrecher!‹« Paul merkte sich die Worte der Mutter und ging wieder auf Wanderschaft. Nun traf es sich, dass der Schildbürger einer Hochzeitsgesellschaft begegnete. Und um diesmal alles richtig zu machen, wies er auf den Bräutigam und schrie: »Lebenslänglich ins Zuchthaus mit dem Verbrecher!« Da empörte sich die Hochzeitsgesellschaft und verfolgte Paul bis vor das Haus seiner Mutter. Am liebsten hätten sie ihn grün und blau geschlagen. Die Mutter war entsetzt über den Aufruhr vor dem Haus und fragte, was passiert sei. Paul erzählte ihr alles und sie sagte: »Ach, Dummerchen, du hättest dem Bräutigam zurufen müssen: ›Lust und Freude ist in dein Haus gekommen!‹« Das merkte sich Paul nun und ging wieder in die Fremde. Als er nun schon weit von seiner Heimatstadt entfernt war, kam er an einen Bauernhof, auf dem ein Feuer ausgebrochen war. Als Paul den traurigen -145-
Bauern sah, rief er freudig: »Lust und Freude sind in dein Haus gekommen!« So viel vermeintliche Schadenfreude erzürnte den Bauer trotz seines Kummers und er hetzte seinen Hund auf den Fremden. Paul rannte so schnell er konnte heimwärts. Als er bei der Mutter ankam und alles erzählt hatte, sagte diese: »Paul, Paul, das gibt es doch gar nicht. Du hättest einen Eimer Wasser nehmen müssen und versuchen, den Brand zu löschen!« Paul schrieb es sich hinter die Ohren und zog wieder fort. Nun kam er an einer lustigen Gesellschaft vorbei, die vor einer Gaststätte saß und Rast machte. Paul zögerte nicht, griff einen Eimer mit Wasser und kippte das kühle Nass über die Gesellschaft. Das gab ein Geschrei und einen Aufruhr, so dass Paul sich beeilte, heimwärts zu kommen, Die Mutter bedauerte ihren Sohn wege n seiner Dummheit und sagte: »Du hättest zu den fröhlichen Zechern sagen müssen: ›Für mich auch ein Fläschchen, aber von der besten Sorte!‹« Paul ging nun ein letztes Mal in die Welt hinaus und kam an einem Bauern vorbei, der Jauche aufs Feld fuhr. Da rief der Dummkopf, wie es ihm die Mutter aufgetragen hatte: »Für mich auch ein Fläschchen, aber von der besten Sorte!« Der Bauer grinste hämisch und rief zurück: »Kein Problem, junger Mann! Das sollst du bekommen. Solch ein edles Parfüm findest du nirgendwo auf der Welt wieder. Selbst der König hat solch eines nicht!« Dankbar nahm Paul das Fläschchen und war froh, diesmal offensichtlich keinen Fehler gemacht zu haben. Eilig kehrte er zu der Mutter zurück und sagte: »Liebe Mutter, ich habe dir etwas mitgebracht! Solch ein wohl riechendes Parfüm hat nicht einmal der König!« Nun, wie es dem armen Paul dann ergangen ist, könnt ihr euch wohl denken.
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Die kleine Flunkernase Tina tat nichts lieber, als auf dem Nachhauseweg von der Schule zu trödeln. Es war nun schon zwei Uhr nachmittags und die Mutter wartete mit dem Essen. Die Schule war bereits seit zwei Stunden aus und es regnete in Strömen. Die Mutter wusste zwar, dass ihre Tochter gerne trödelte, doch zwei Stunden Verspätung bei diesem Wetter, das traute sie selbst Tina nicht zu. Endlich kam Tina mit ihren verschmutzten Gummistiefeln und dem nassen Schirm in die Küche. »Wie siehst du denn aus?« rief die Mutter entsetzt, als sie die total durchnässte Tochter sah. »Der Schirm ist an allem schuld!« behauptete Tina, die noch völlig außer Atem war. Die Mutter sah ihre Tochter zweifelnd an und sagte: »Was war denn los, Tina? Erzähl es mir!« Da begann Tina zu erzählen: »Also, als ich aus der Schule kam, da fegte ein riesiger Sturm über den Schulhof, der unter meinen Schirm fuhr und mich mehrere hundert Meter hoch in die Luft hob. Der Wind trug mich über alle Häuser hinweg bis an den Fluss. So einen Sturm hast du bestimmt noch nicht erlebt, ehrlich, ich schwöre dir, es war ein riesiges Unwetter. Ja, und schließlich hat mich der Wind an der alten Brücke am Ende des Dorfes abgesetzt, du weißt schon, wo der Tierpark ist, und da musste ich den ganzen Weg bis nach Hause laufen und deshalb ist es später geworden!« Die Mutter sah ihre Tochter an, schmunzelte und sagte: »Nein, Tina, also wirklich, was für Abenteuer du aber auch erlebst! Das ist ja kaum zu glauben! Gib mir jetzt erst mal deine schmutzigen Kleider. Ich mache dir einen warmen Kakao, du bist vom Flug durch die Luft sicher ganz unterkühlt!« Dabei lächelte die Mutter ihre Tochter verständnisvoll an und zwinkerte mit dem linken Auge. Schließlich kannte sie ja ihre kleine Flunkernase nur zu gut und wusste, dass die Trödelei -147-
keine böse Absicht war.
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Der Riese und der Schuhmacher Es war einmal ein böser Riese, der niemanden auf der Welt leiden konnte. Aber die Bewohner von Mieselbach konnte er am wenigsten leiden. Irgendwann beschloss er, sie loszuwerden. In der Nähe von Mieselbach floss ein Fluss, den wollte der Riese aufstauen und die Stadt überfluten. Für einen Riesen ist es keine schwierige Übung einen Fluss zu stauen, er musste nur eine Riesenschaufel Erde an der richtigen Stelle abladen. Doch der Riese war recht dumm und anstatt die Erde erst in Mieselbach auf die Schaufel zu laden, lud er sie schon vor seiner Höhle auf. Da es ein heißer Tag war und auch Riesen müde werden, ging es immer langsamer vorwärts und schließlich stieß er sich seinen Zeh an einem Stein und stolperte, so dass die ganze Erde von der Schaufel fiel. Als er sie mühsam wieder aufgeladen hatte, wusste er nicht mehr so recht, in welche Richtung er musste und so kam er vom Weg ab. »Ich habe mich wohl verlaufen«, sagte der Riese zu sich selbst, setzte sich an den Straßenrand und wartete, bis jemand vorbeikäme, den er nach dem Weg fragen könnte. Und schon kurze Zeit später kam ein Schuhmacher des Wegs, der in Mieselbach Schuhe abgeholt hatte, die er reparieren sollte. Da hörte der Schuhmacher plötzlich eine Stimme: »He, du, wie weit ist es bis Mieselbach?« Der Schuhmacher blickte überrascht nach oben und sah den Riesen mit der Schaufel Erde am Straßenrand sitzen. Er überlegte kurz und dachte bei sich: ›Mmh, was mag der Riese wohl mit der Schaufel Erde vorhaben? Sicher nichts Gutes!‹ Laut aber sagte er: »Warum fragst du?« Da antwortete der Riese in seiner Einfalt: »Ich will den Fluss aufstauen und die Stadt überschwemmen, damit alle Einwohner ertrinken.« Der Schuhmacher war aber nicht auf den Kopf gefallen und so fragte er den Riesen: »Weißt du denn, wie weit -149-
es bis Mieselbach ist?« Der Riese verneinte und weil er nicht nur dumm, sondern auch noch recht faul war, sagte er: »Ich hoffe, es ist nicht mehr weit.« Der Schuhmacher schüttelte besorgt den Kopf und sagte: »Ich muss dich enttäuschen. Ich komme gerade von dort. Es ist ein weiter, weiter Weg.« Dann schüttete er seinen Sack aus, in dem die Schuhe waren, die er zur Reparatur abgeholt hatte. »Sieh nur, so viele Schuhe habe ich auf dem Weg von Mieselbach bis hierher schon durchgelaufen.« sagte er und zeigte auf die Schuhe. Der Riese starrte ihn ungläubig an, aber als der Schuhmacher beteuerte, dies sei die Wahrheit, jammerte er: »So weit kann ich die Erde unmöglich noch tragen! Was mache ich denn jetzt?« Da antwortete der Schuhmacher: »Ach, lass die Erde doch einfach hier liegen, geh nach Hause und halt ein Nickerchen. So wichtig ist Mieselbach doch nicht.« Der Riese stimmte ihm zu, kippte die Erde von der Schaufel und ging nach Hause. Jetzt ist an der Stelle, wo der Schuhmacher den Riesen traf, zwar ein großer Hügel, doch die Leute von Mieselbach hat der Riese zum Glück vergessen.
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Der faule Hans Hans war faul und obwohl er nichts weiter zu tun hatte, als täglich seine Ziege auf die Weide zu treiben, so jammerte er dennoch jeden Abend, wenn er nach Hause kam: »Es ist wirklich eine schwere Last und ein mühselige Geschäft, jahrein, jahraus so eine Ziege bis in den Spätherbst aufs Feld zu treiben. Wenn man wenigstens noch dabei schlafen könnte! Aber nein, man muss aufpassen, dass sie die jungen Bäume nicht beschädigt, durch die Hecke in eine Garten dringt oder gar davonläuft. Wie soll man da zur Ruhe kommen und sich des Lebens freuen?« Jeden Abend überlegte er, wie er sich dieser Arbeit entledigen könnte, doch lange Zeit fiel ihm einfach nichts ein. Plötzlich aber fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er rief: »Ich weiß, was ich tue! Ich heirate die dicke Suse, die hat auch eine Ziege und kann meine mithüten, so brauche ich mich nicht länger damit zu quälen.« So erhob sich der faul Hans und machte sich auf den Weg quer über die Straße zu den Eltern der dicken Suse. Dort hielt er um die Hand ihrer arbeitsamen und tugendreichen Tochter an. Die Eltern überlegten nicht lange, sondern meinten: »Gleich und gleich gesellt sich gern«, und so willigten sie ein. So wurde die dicke Suse seine Frau und trieb die beiden Ziegen aus. Hans hatte nun ein gutes Leben und brauchte sich von keiner Arbeit mehr zu erholen, nur von seiner eigenen Faulheit. Nur hin und wieder ging er mit der dicken Suse hinaus ins Feld und sagte: »Es ist nur, damit du die Ruhe hinterher wieder zu schätzen weißt.« Doch die dicke Suse war nicht minder faul als Hans und so sprach sie eines Tages: »Lieber Hans, warum sollen wir uns das Leben versauern und unsere schöne Jugendzeit verschwenden. Ist es nicht besser, wir tauschen die beiden Ziegen, die uns jeden Morgen mit ihrem Meckern im Schlaf -151-
stören, beim Nachbarn gegen einen Bienenstock ein? Den stellen wir hinter das Haus an einen sonnigen Platz und brauchen uns nicht weiter darum zu kümmern. Die Bienen brauchen wir nicht zu hüten, die finden den Weg von selbst und sammeln Honig, ohne dass wir die geringste Arbeit damit haben.« »Du hast sehr vernünftig gesprochen«, sagte Hans, »und außerdem schmeckt Honig besser als Ziegenmilch und lässt sich auch länger aufbewahren.« Der Nachbar war mit dem Tausch einverstanden und die Bienen flogen unermüdlich aus und ein und im Herbst konnte Hans einen ganzen Krug Honig herausnehmen. Den Krug stellten sie auf ein Brett im Schlafzimmer und weil sie fürchteten, er könnte ihnen gestohlen werden, holte sich die dicke Suse einen starken Haselstock und legte ihn neben das Bett, um ungebetene Gäste vom Bett aus verjagen zu können. Der faule Hans stand nicht gerne vor Mittag auf und eines Morgens, als er noch in den Federn lag und von dem langen Schlaf ausruhte, sprach er zur Suse: »Es ist besser, wir tauschen den Honig gegen eine Gans mit einem jungen Gänslein, bevor du ihn ganz aufgegessen hast.« Da erwiderte Suse: »Aber nicht eher, bis wir ein Kind haben, das die Gänse hütet. Soll ich mich etwa mit den Gänsen plagen und meine Kräfte unnötigerweise verbrauchen?« »Meinst du«, sagte Hans, »der Junge würde die Gänse hüten? Die Kinder gehorchen heutzutage den Eltern nicht mehr.« »Oh«, antwortete Suse, »dem soll es schlecht ergehen, wenn er nicht tut, was ich sage. Einen Stock will ich nehmen und ihm mit ungezählten Schlägen die Haut gerben! Siehst du, so will ich auf ihn losschlagen.« Indem sie das sagte griff sie nach dem Stock, holte aus und traf unglücklicherweise den Honigkrug. Der Krug zerbrach und der schöne Honig floss auf den Boden. Da sagte Hans: »Da liegt nun die Gans mit dem Gänslein und braucht nicht gehütet zu werden. Aber welch ein Glück, dass -152-
mir der Krug nicht auf den Kopf gefallen ist. Wir haben allen Grund, mit unserem Schicksal zufrieden zu sein.« Dann griff er nach einer Scherbe, in der noch etwas Honig war und sagte: »Den Rest, Frau, wollen wir uns noch gut schmecken lassen und uns dann von dem Schrecken erholen. Was macht’s, wenn wir heute etwas später aufstehen, der Tag ist noch lang genug.« »Ja«, entgegnete Suse, »man kommt immer noch rechtzeitig. Weißt du, eine Schnecke war einmal zu einer Hochzeit eingeladen, machte sich auf den Weg, kam aber erst zur Kindstaufe an. Vor dem Haus stürzte sie dann noch über den Zaun und sagte ›Eilen tut nicht gut!‹«
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Der Dümmling und die hilfreichen Tiere Zwei Königssöhne gingen einmal auf Abenteuer aus und gerieten in ein wildes, wüstes Leben, so dass sie gar nicht wieder nach Haus kamen. Der jüngste, der auch der Dümmste war, ging aus und suchte seine Brüder; wie er sie fand, spotteten sie seiner, dass er sich mit seiner Einfalt durch die Welt schlagen wolle, da sie zwei doch nicht durchkämen und sie wären doch viel klüger. Da zogen sie miteinander fort und kamen an einen Ameisenhaufen, die zwei ältesten wollten ihn aufwühlen und sehen, wie die kleinen Ameisen in der Angst herumkröchen und ihre Eier forttrügen; aber der Dümmling sagte: »Lasst die Tiere in Frieden, ich mag nicht, dass ihr sie stört.« Dann gingen sie weiter und kamen an einen See, auf dem schwammen viele, viele Enten; die zwei Brüder wollten ein paar fangen und braten, aber der Dümmling sagte wieder: »Lasst die Tiere doch in Frieden, ich mag nicht, dass ihr sie tötet.« Endlich kamen sie an ein Bienennest, darin war so viel Honig, dass er am Stamm herunterlief; die zwei wollten Feuer unter den Baum legen, dass die Bienen erstickten und sie den Honig wegnehmen könnten. Der Dümmling hielt sie aber wieder ab und sprach: »Lasst die Tiere in Frieden, ich mag nicht, dass ihr sie verbrennt.« Da kamen die drei Brüder in ein Schloss, wo in den Ställen lauter steinerne Pferde standen, auch war kein Mensch zu sehen und sie gingen durch alle Säle, bis sie vor eine Tür ganz am Ende kamen, davor hingen drei Schlösser; es war aber mitten in der Türe ein Lädlein, dadurch konnte man in die Stube sehen. Da sahen sie ein graues Männchen an einem Tische sitzen, das riefen sie einmal, zweimal, aber es hörte nicht; endlich riefen sie zum dritten Mal und da stand es auf und kam heraus. Es sprach kein Wort, fasste sie aber an und führte sie zu einem reich -154-
gedeckten Tisch und als sie gegessen hatten, führte es jeden in ein eigenes Schlafgemach. Am nächsten Morgen kam es zu dem Ältesten, winkte ihm und brachte ihn zu einer steinernen Tafel, darauf standen die drei Aufgaben geschrieben, wodurch das Schloss erlöst werden konnte. Die erste war: In dem Wald unter dem Moos lagen die tausend Perlen der Königstochter, die mussten aufgesucht werden und vor Sonnenuntergang durfte nicht eine einzige fehlen, sonst wurde der, welcher es unternahm, zu Stein. Der Prinz ging hin und suchte den ganzen Tag, als aber der Tag zu Ende war, hatte er erst hundert gefunden und wurde in einen Stein verwandelt. Am folgenden Tag unternahm der zweite Bruder das Abenteuer; er wurde aber wie der Älteste zu Stein, weil er nicht mehr als zweihundert gefunden hatte. Endlich kam auch an den Dümmling die Reihe, der suchte im Moos, es war aber so schwer, die Perlen zu finden und ging so langsam, da setzte er sich auf einen Stein und weinte. Und wie er so saß, kam der Ameisenkönig, den er einmal gerettet hatte mit fünftausend Ameisen und es dauerte gar nicht lang, so hatten die die Perlen miteinander gefunden und auf einen Haufen getragen. Die zweite Aufgabe aber war, den Schlüssel zu der Schlafkammer der Prinzessin aus dem See zu holen. Wie der Dümmling zum See kam, schwammen die Enten, die er einmal gerettet hatte, heran, tauchten unter und holten den Schlüssel aus der Tiefe. Die dritte Aufgabe aber war die schwerste: aus den drei schlafenden Töchtern des Königs sollte die jüngste und die liebste herausgesucht werden, sie glichen sich aber vollkommen und waren durch nichts zu unterscheiden, außer dass die Älteste ein Stück Zucker, die Zweite Sirup, die Jüngste einen Löffel voll Honig gegessen hatte und es war bloß an dem Hauch zu -155-
erkennen, welche den Honig gegessen hatte. Da kam aber die Bienenkönigin von den Bienen, die der Dümmling vor dem Feuer geschützt und versuchte den Mund von allen dreien, zuletzt blieb sie auf dem Mund sitzen, der Honig gegessen hatte und so erkannte der Prinz die rechte und da war aller Zauber vorbei, alles war aus dem Schlaf erlöst und wer von Stein war, erhielt seine menschliche Gestalt wieder. Der Dümmling vermählte sich mit der Jüngsten und Liebsten und wurde König nach ihres Vaters Tod; seine zwei Brüder aber mit den beiden ändern Schwestern.
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Wie Eulenspiegel Schuhe sammelte Als Till Eulenspiegel schon ein aufgeweckter junger Kerl war, spannte er einmal ein Seit von seinem Haus zu einem Haus am anderen Flussufer der Saale. Er verkündete den Leuten, er wolle auf diesem Seil spazieren, wenn jeder von ihnen ihm seinen linken Schuh gebe. Die Leute warteten neugierig auf das Kunststück und gaben Till eifrig ihre Schuhe. Eulenspiegel zog nun alle linken Schuhe auf eine Schnur und stieg damit auf das Seil. Er setzte sich in die Mitte und betrachtete die gaffende Menge von oben herab. Nach einer Weile rief her: »Schaut mal alle her!« Dabei ließ er alle Schuhe in die Menge purzeln und die Leute stürzten sich verärgert auf den großen Schuhhaufen und wühlten so wild darin herum, dass niemand mehr seinen Schuh finden konnte. Eulenspiegel aber betrachtete sich den Aufruhr vergnügt von oben und lachte schallend. Während sich die Leute unten noch um ihre Schuhe zankten, schlich sich Eulenspiegel heimlich wieder in sein Haus und ließ sich vier Wochen nicht mehr auf der Straße sehen. Das war auch besser so, denn mancher, der seinen Schuh nicht wiederbekommen hatte, wartete nur darauf, den Schelm in die Finger zu bekommen und ihm eine ordentliche Lektion zu erteilen.
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Kapitel 9 Magische Geschichten
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Der gläserne Sarg Ein armer Schneider kam auf seiner Wanderschaft in einen Wald und weil er den Weg nicht kannte, verirrte er sich. Als es dunkel wurde, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in der gruseligen Einsamkeit ein Lager zu suchen. Das Moos wäre zwar ein weiches Bett gewesen, da er sich aber vor den wilden Tieren fürchtete, stieg er in den Gipfel einer hohen Eiche, um dort zu übernachten. Er dankte Gott, dass er sein Bügeleisen dabei hatte, denn sonst hätte ihn der Wind weggeweht. Nachdem er einige Stunden ängstlich in dem hohen Baum zugebracht hatte, erblickte er plötzlich in geringer Entfernung den Schein eines Lichtes. Der Schneider meinte, dort eine menschliche Wohnung zu finden, wo er besser aufgehoben wäre als auf dem Baum. Er kletterte vorsichtig herunter und machte sich auf den Weg zu dem Lichtschein. Er kam zu einem kleinen Haus, das aus Rohr und Binsen geflochten war. Der Schneider klopfte mutig an und die Tür öffnete sich und ein kleines, altes, eisgraues Männchen mit einem Kleid aus bunten Lappen stand vor ihm. Es fragte mit schnarrender Stimme: »Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« Der Schneider antwortete: »Ich bin ein armer Schneider, den die Nacht hier in der Wildnis überrascht hat. Ich bitte Euch, mich bis morgen in Eurer Hütte aufzunehmen.« Doch der Alte erwiderte: »Geh deiner Wege, mit Landstreichern will ich nichts zu tun haben. Such dir woanders einen Unterschlupf!« Mit diesen Worten wollte das Männchen wieder im Haus verschwinden, doch der Schneider hielt es am Rockzipfel fest und bat so flehentlich, dass der Alte, der so böse gar nicht war, sich erbarmte und den Schneider in sein Haus aufnahm. Er gab ihm zu essen und zeigte ihm dann in einer Ecke sein Nachtlager. Der müde Schneider schlief sofort ein und wäre am Morgen auch noch gar nicht aufgestanden, hätte ihn nicht ein fürchterlicher Lärm aus dem Schlaf geschreckt. Er hörte ein heftiges Brüllen und Schreien, zog sich hastig an und eilte vor -159-
die Tür. Dort sah er einen wunderschönen Hirschen und einen schwarzen Stier, die heftig miteinander kämpften. Der Schneider wusste lange nicht, welcher von beiden siegen würde, doch schließlich stieß der Hirsch seinem Gegner das Geweih in den Leib und der Stier sank mit entsetzlichem Brüllen tot zur Erde. Der Schneider stand völlig unbeweglich, als plötzlich der Hirsch auf ihn zukam und ihn, bevor er fliehen konnte, mit seinem Geweih aufgabelte. Der Schneider wusste gar nicht, wie ihm geschah, denn in schnellem Lauf ging es über Stock und Stein, Berg und Tal, Wiese und Wald. Endlich hielt der Hirsch vor einer hohen Felsenwand an und ließ den Schneider sanft herabfallen. Der Schneider brauchte eine Zeit lang, um wieder zur Besinnung zu kommen. Als er sich wieder erholt hatte, stieß der Hirsch plötzlich sein Geweih mit aller Gewalt gegen eine Tür im Felsen, die auch sofort aufsprang. Aus der Tür schlugen Flammen hervor und anschließend folgte ein großer Dampf, der den Hirsch den Augen des Schneiders entzog. Der Schneider wusste nicht, was er tun sollte, da hörte er auf einmal eine Stimme, die sprach: »Tritt ohne Furcht herein, dir soll kein Leid geschehen.« Er zögerte zwar zunächst, doch dann trat er durch die Eisentür in einen großen geräumigen Saal, dessen Decke, Wände und Boden aus glänzenden Quadratsteinen bestanden, auf denen unbekannte Zeichen eingehauen waren. Der Schneider betrachtete alles voller Bewunderung und schickte sich dann an, wieder hinauszugehen. Doch da ertönte erneut die Stimme und sprach: »Tritt auf den Stein in der Mitte des Saales und auf dich wartet großes Glück.« Der Schne ider war inzwischen so mutig, dass er der Stimme gehorchte und auf den Stein trat. Dieser gab aber nach und sank langsam in die Tiefe hinunter. Der Schneider war nun in einem Saal, der so groß war wie der vorige, in dem es nun aber mehr zu betrachten und zu bewundern gab. In den Wänden waren Vertiefungen, in denen Gefäße von durchsichtigem Glas standen, die mit farbigem Spiritus oder mit einem bläulichen -160-
Rauch gefüllt waren. Auf dem Boden des Saales standen zwei große gläserne Kästen, die sofort die Neugier des Schneiders weckten. Er trat an einen der beiden heran und sah darin ein Schloss mit Ställen und Scheunen. Alles war klein, aber sorgfältig gearbeitet und schien von einer kunstreichen Hand geschnitzt zu sein. Da ließ sich die Stimme abermals hören und befahl ihm, sich nun zu dem zweiten Kasten umzudrehen. Darin sah der Schneider ein Mädchen von außergewöhnlicher Schönheit. Es lag wie im Schlafe und seine langen blonden Haaren hüllten es wie ein Mantel ein. Die Augen waren fest geschlossen, doch die lebhafte Gesichtsfarbe und ein Band, das von dem Atem hin und her bewegt wurde, ließen keinen Zweifel daran, dass das Mädchen noch lebte. Der Schneider betrachtete das schöne Mädchen mit klopfendem Herzen, als dieses plötzlich die Augen aufschlug und bei seinem Anblick freudig rief: »Meine Befreiung naht! Geschwind, hilf mir aus meinem Gefängnis! Wenn du den Riegel an dem gläsernen Sarg wegschiebst, bin ich erlöst.« Der Schneider tat wie ihm geheißen und die Schöne stieg heraus und lief in die Ecke des Saals, wo sie sich in einen weiten Mantel hüllte. Dann setzte sie sich auf einen Stein, rief den Schneider zu sich, gab ihm einen Kuss auf den Mund und sprach: »Mein lang ersehnter Befreier, der Himmel hat dich zu mir geführt und meinem Leid ein Ende gemacht. Nun soll dein Glück beginnen. Du bist der vom Himmel bestimmte Gemahl und sollst, von mir geliebt und mit allen irdischen Gütern überhäuft, in ungetrübter Freude dein Leben verbringen. Setz dich und lass mich dir mein Schicksal erzählen. Ich bin die Tochter eines reichen Grafen. Meine Eltern starben, als ich noch sehr jung war und so wuchs ich bei meinem älteren Bruder auf. Wir liebten uns so innig, dass wir beschlossen, nie zu heiraten, sondern bis ans Ende unseres Lebens zusammen zu bleiben. In unserem Haus war an Gesellschaft nie Mangel und eines Abends kam ein Fremder in -161-
unser Schloss geritten und bat unter dem Vorwand, den nächsten Ort nicht mehr erreichen zu können, um ein Nachtlager. Wir nahmen ihn auf und er unterhielt uns beim Abendessen mit seinem Gespräch und seinen Erzählungen. Mein Bruder hatte ein solches Wohlgefallen an ihm, dass er den Fremden bat, noch einige Tage bei uns zu bleiben und dieser willigte ein. Wir begaben uns erst spät in der Nacht zu Bett, dem Fremden wurde ein Zimmer gewiesen und ich eilte müde in die weichen Federn meines Bettes. Kaum war ich eingeschlafen, wachte ich durch eine zarte und liebliche Musik wieder auf. Weil ich nicht wusste, woher sie kam, wollte ich mein Kammermädchen rufen, doch ich brachte zu meinem Erstaunen keinen Ton hervor. Da sah ich plötzlich den Fremden in mein Zimmer eintreten, obwohl es durch zwei Türen fest verschlossen war. Er erklärte mir, dass er durch Zauberkräfte die Musik habe erklingen lassen und nun in mein Zimmer gekommen sei, um mir Herz und Hand anzubieten. Meine Abneigung gegen seine Zauberkünste aber war so groß, dass ich ihn keiner Antwort würdigte. Zornig drohte er mir, sich zu rächen und Mittel zu finden, um meinen Hochmut zu strafen, dann verließ er das Zimmer. Ich lag die ganze Nacht wach und schlief erst am Morgen ein. Als ich erwachte, wollte ich meinem Bruder von den Ereignissen der letzten Nacht berichten, doch ein Diener sagte mir, er sei schon bei Tagesanbruch mit dem Fremden auf die Jagd geritten. Ich ahnte Schlimmes, kleidete mich an und ritt mit einem Diener in vollem Galopp zu dem Wald. Der Diener stürzte unterwegs und konnte mir nicht folgen. Ich ritt weiter und sah kurze Zeit später den Fremden mit einem schönen Hirschen an der Leine auf mich zukommen. Aus den Augen des Tieres flossen große Tränen und ich fragte den Fremden, wo er meinen Bruder gelassen habe und wie er zu dem Hirsch gekommen sei. Statt mir zu antworten, brach er in lautes Gelächter aus und zornig schoss ich mit meiner Pistole auf ihn. Doch die Kugel -162-
prallte an ihm ab und tötete statt dessen mein Pferd. Ich stürzte zur Erde und der Fremde murmelte einige Worte, woraufhin ich das Bewusstsein verlor. Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich in diesem gläsernen Sarg. Der Zauberer erschien noch einmal und sagte, dass er meinen Bruder in einen Hirschen verwandelt, mein Schloss verkleinert in den anderen Glaskasten eingeschlossen und meine Leute in Rauch verwandelt und in Glasflaschen gebannt hätte. Wenn ich nun seine Frau würde, so erklärte er mir, sei es für ihn ein Leichtes, den Zauber wieder aufzuheben. Ich aber gab ihm wiederum keine Antwort, worauf er verschwand und mich in meinem Gefängnis zurückließ. Ich fiel in einen tiefen Schlaf und sah im Traum einen jungen Mann, der mich befreite. Als ich nun die Augen öffnete und dich sah, wusste ich meinen Traum erfüllt. Hilf mir, den Zauber zu bannen. Zuerst müssen wir den Glaskasten, in dem sich mein Schloss befindet, auf jenen breiten Stein heben.« Der Stein hob sich daraufhin mit der Schönen und dem Schneider in die Höhe. Sie kamen in den oberen Saal und gelangten von dort leicht ins Freie. Die Schöne öffnete den Glaskasten und das Schloss dehnte sich in größter Schnelligkeit zu seiner natürlichen Größe aus. Dann kehrten sie in die unterirdische Gruft zurück und trugen die mit Rauch gefüllten Gefäße ins Freie. Kaum wurden die Gefäße geöffnet, drang der blaue Rauch heraus und verwandelte sich in lebendige Menschen. Doch die Freude des schönen Mädchens wurde noch viel größer, als der Bruder in menschlicher Gestalt aus dem Wald kam. Noch am selben Tag heiratete die Schöne den glücklichen Schneider.
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Rumpel, der Poltergeist Als der gute Mond eines Abends durch das Dachfenster in die Bodenkammer des alten Hauses schaute, sah er etwas sehr Merkwürdiges. Da sprang ein kleiner, dünner Kerl umher und warf alle Schachteln, Töpfe und Pfannen durcheinander. Dem Störenfried schien das Gepolter außerordentlichen Spaß zu machen. Das ärgerte den Mond, denn er liebte die nächtliche Stille und so rief er hinunter: »He, du! Was machst du denn da?« »Was ich mache? Unfug natürlich!« kicherte der kleine Kerl und ließ sich nicht weiter stören. »Wer bist du und was in aller Welt soll dieser Lärm mitten in der Nacht?« fragte der Mond streng. »Ich bin Rumpel, der Poltergeist! Es macht mir eben Spaß nachts herumzupoltern.« Der kleine Kerl stieß eine Kanne um und es schepperte so laut, dass der Mond unwillig den Kopf schüttelte. »Hör sofort mit dem Lärm auf, du ungezogener Kerl! Weißt du denn nicht, dass alles still und ruhig sein soll, wenn ich erscheine?« Der kleine Poltergeist grinste frech, rollte ein paar Äpfel über den Bretterboden und rief trotzig: »Was du nicht sagst, alter Meckeronkel! Hier oben ist es den ganzen Tag über still, da mache ich eben in der Nacht ein bisschen Lärm. Oder fällt dir vie lleicht etwas Besseres ein?« Der Mond war zwar über die respektlose Art des Poltergeistes verärgert, doch trotzdem überlegte er, ob sich nicht eine andere Tätigkeit für den Poltergeist finden ließe. Schließlich sagte er: »Alle Menschen und Tiere schlafen jetzt. Warum schläfst du nicht auch?« Rumpel sprang empört in die Höhe, trampelte schließlich auf dem Boden herum und schrie: »Schlafen? Ich soll jetzt schlafen? Ich habe den ganzen Tag geschlafen, ich bin nicht müde.« »Nun gut«, sagte der Mond, »dann hältst du es wie die Eulen, aber die müssen nachts Nahrung suchen. Warum suchst du dir -164-
nichts zu essen?« Rumpel lachte den Mond aus und rief: »Essen? Alberner Vorschlag! Ich schlucke hin und wieder etwas Staub, trinke ein paar Tropfen Wasser aus der Regenrinne. Mehr brauche ich nicht. Du musst mir schon etwas Interessanteres vorschlagen, du langweiliges Mondgesicht!« Daraufhin streckte Rumpel dem Mond die Zunge heraus und tobte noch heftiger in der Dachkammer als zuvor. Der Mond war verärgert über den frechen Be ngel und zog sich beleidigt eine Wolke vors Gesicht. Solche Beschimpfungen war er nicht gewohnt. Am nächsten Abend schaute der Mond nicht in die Dachkammer, da er dort den frechen Poltergeist wusste. Lieber sah er durch ein Fenster im zweiten Stock, wo eine alte Dame wohnte, die keinen unnützen Lärm veranstaltete. Doch diesmal saß sie nicht wie sonst in ihrem Stuhl und las, sondern trippelte ruhelos durch das Zimmer und murmelte: »Wo ist nur meine Brille? Wo habe ich sie nur hingelegt?« Ohne die Brille konnte die alte Frau nicht lesen und Lesen war doch ihre Lieblingsbeschäftigung. Sie suchte unruhig weiter und vom vielen Suchen zitterten ihr schon die Hände: »Vor kurzem lag sie noch auf dem Nachttischchen, das weiß ich genau!« Da rief der Mond ihr zu: »Die Brille liegt immer noch dort, nur ist sie durch eine Zeitung verdeckt!« Zu dumm, dass die alte Frau den Mond nicht hören konnte. Die alte Frau tat dem guten Mond leid, schließlich war sie eine alte Bekannte von ihm, Da kam ihm plötzlich eine Idee: Das wäre eine sinnvolle Beschäftigung für den kleinen Poltergeist! Er könnte nachts all die Dinge suchen, die die alte Frau tagsüber verlegt hatte. Der Mond war sehr zufrieden mit dieser Idee und leuchtete in die Bodenkammer, wo er sofort den kleinen Poltergeist erblickte. »He, he, Poltergeist! Ich bin es, der Mond! Ich hätte eine Beschäftigung für dich, die zudem sehr nützlich ist.« Rumpel spitzte seine Koboldohren und ließ sich neugierig erklären, worum es bei dieser Beschäftigung ging. Der Mond erklärte: »Du sollst in der Wohnung im zweiten Stock -165-
nach Dingen suchen, die verlorengegangen sind. Das wird dir Spaß machen und die alte Frau wird sehr glücklich sein, wenn sie am nächsten Morgen alle ihre Sachen wieder vorfindet. Was meinst du?« Der Mond blickte den Poltergeist erwartungsvoll an. Rumpel dachte kurz nach, kratzte sich an den Ohren und sagte: »Nun, die Idee ist gar nicht schlecht, altes Mondgesicht. Ich wühle für mein Leben gern in Schubladen und Schränken. Das könnte mir Spaß machen! Wann soll ich mit dem Suchen anfangen?« »Du kannst gleich anfangen«, sagte der Mond. »Die Lesebrille, die die alte Frau verzweifelt sucht, liegt auf dem Nachttischchen, den Kellerschlüssel musst du selbst suchen. Viel Glück!« Rumpel schlüpfte durch einen Spalt ins Treppenhaus und war schon kurz danach in der Wohnung im zweiten Stock. Für Poltergeister ist das ja keine Schwierigkeit. Die alte Frau war so müde, dass sie wie ein Murmeltier schlief und von dem Treiben des kleinen Poltergeistes nichts hörte. Der kramte in der Wohnung herum, hatte seinen Spaß und fand dabei allerlei Dinge, die die Frau schon lange suchte: einen silbernen Kaffeelöffel, einen Flaschenkorken, zwei Briefmarken und außerdem natürlich die Lesebrille und den Kellerschlüssel. Der Poltergeist legte alles auf den Küchentisch, wo es die alte Frau auf jeden Fall sehen würde. Am nächsten Morgen schrie die alte Frau vor Freude laut auf, als sie alle vermissten Dinge auf dem Tisch liegen sah. »Das kann nur ein Engel gewesen sein!« rief sie glücklich. Am Abend lobte der Mond den kleinen Poltergeist: »Du warst sehr tüchtig! Wer hätte gedacht, dass so ein frecher Poltergeist etwas so Sinnvolles vollbringen kann. Bravo, kleiner Rumpel!« Rumpel hopste fröhlich in der Dachkammer herum und grinste von einem Ohr zum anderen, denn schließlich hatte ihn bisher noch nie jemand gelobt und erst recht hatte ihn noch niemand für einen Engel gehalten. -166-
Herr Glückspilz Sein richtiger Name war eigentlich Herr Pilz. Doch da er ständig besonders aufregende und schöne Dinge erlebte, wurde er von allen nur »Herr Glückspilz« genannt. Als er sich gerade auf dem Heimweg von seiner Arbeit befand, fing es an sehr stark zu regnen. Da er keinen Regenschirm dabei hatte, rannte er in ein Geschäft, um sich einen zu kaufen. Der Verkäufer begrüßte ihn und sagte: »Sie können wählen zwischen einem gewöhnlichen Schirm, der nur den Regen abhält und einem besonderen, der Zauberkräfte hat.« Herr Glückspilz überlegte nicht lange und entschied sich selbstverständlich für den Zauberschirm. Als er das Geschäft verlassen hatte, wollte er den Schirm öffnen. Er hakte und klemmte etwas, doch schließlich ging er auf. In diesem Moment erhoben sich beide einige Meter in die Luft. Herr Glückspilz klammerte sich am Griff fest und rief laut aus: »Das ist ja toll!« Er flog an vielen Geschäfts- und Bürofenstern vorbei. Überall beobachtete er die Menschen, wie sie sich in aller Eile Regenmäntel und Hüte anzogen. Herr Glückspilz dachte: »All das brauche ich nun nicht mehr.« Voller Begeisterung und gut gelaunt streichelte er den Schirmgriff. Ganz langsam segelte er nun wieder etwas herunter. Doch der Schirm hielt ihn gerade so weit über dem Boden, dass er die nasse und schmutzige Straße nicht berührte. »Wird meine Frau nachher staunen, wenn ich von oben bis unten trocken und nicht mit verdreckten Schuhen und ganz durchnässt nach Hause komme!« dachte Herr Glückspilz vergnügt. So ließ er sich von seinem Zauberschirm gemütlich und sicher nach Hause tragen. Herr Glückspilz hatte seinem Namen wieder alle Ehre gemacht.
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Das Gespenst, das vor sich selbst Angst hatte In einem großen alten Schloss lebte einmal das kleine Gespenst Benjamin. Benjamin spukte für sein Leben gern durch das alte, zum Teil verlassene, Gemäuer. In der anderen Schlosshälfte wohnte nämlich noch der Graf mit seiner Familie. Eines Tages wurde es Benjamin zu langweilig, einfach nur herumzuspuken, ohne dass sich jemand dabei fürchtete. Also ging er in den bewohnten Teil des Schlosses und stellte dort den größten Unfug an. Er versteckte die Schlüssel, verrückte Möbel, ließ Bilder von den Wänden fallen und zerbrach auch den Spiegel im Flur. Zu Spiegeln hatte Benjamin sowieso ein ganz besonderes Verhältnis. Gespenster können sich nämlich nicht in einem Spiegel sehen und auch die Menschen können Gespenster nicht sehen, wenn sie in einen Spiegel schauen. Eines Nachts aber trieb es Benjamin nun besonders bunt, Er klaute allen Schlossbewohnern die Bettdecken, so dass sie alle einen fürchterlichen Schnupfen bekamen. »Jetzt reicht’s!« sagte der Graf verärgert und schnupfte vor sich hin. »Wir müssen etwas gegen dieses Gespenst unternehmen!« So beratschlagte die Grafenfamilie, wie sie es dem Gespenst heimzahlen könnte. »Ich habe eine Idee!« sagte Frederik, der jüngste Sohn des Grafen. Er flüsterte seinem Vater etwas ins Ohr und beide fingen vor Schadenfreude an zu kichern. Frederik nahm ein altes Betttuch und schnitt zwei Löcher für die Augen aus. Dann stellte er den Rahmen des zerbrochenen Spiegels in den Hausflur, versteckte sich und wartete ab. Als nun Benjamin kurz nach Mitternacht wieder seine Runde durch das Schloss drehte, kam er auch an dem vermeintlichen Spiegel vorbei. In dem Augenblick, als Benjamin an dem Spiegel vorbeischwebte, stellte sich Frederik mit dem Betttuch über dem Kopf in den Rahmen. -168-
Benjamin erschrak ganz fürchterlich und stammelte aufgeregt: »Wwwas ist das denn?« »Ich bin dein Spiegelbild, du Holzkopf!« antwortete das vermeintliche Gespenst im Spiegel. Benjamin fürchtete sich nun noch viel mehr und sagte: »Ich muss ernsthaft krank sein, ich sehe ja schon Gespenster im Spiegel!« Frederik kicherte, doch als Benjamin große Kullertränen über die Wange rollten, da hatte der kleine Junge Mitleid mit dem einsamen Gespenst. Er trat aus dem Rahmen, zog das Betttuch vom Kopf und tröstete das kleine Gespenst: »He, das war doch bloß ich, das Gespenst im Spiegel! Du bist nicht krank!« Da fiel Benjamin ein Stein vom Herzen. Er freundete sich schnell mit Frederik an und von nun an spukten die beiden gemeinsam durch das alte Schloss.
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Der arme Fischer Es lebte einmal ein armer Fischer zusammen mit seiner Frau und seinen zehn Kindern in einem sehr kleinen Fischerdorf. Jede Nacht fuhr er mit seinem kleinen Boot zum Fischen hinaus aufs Meer, doch wenn es dann Morgen wurde, hatte er im Netz gerade so viele Fische, dass es reichte, um Frau und Kinder satt zu bekommen. Als er das Boot an den Strand zog, bemerkte der Fischer eine kleine runde Flasche, die sich in dem Netz verfangen hatte. Die Flasche war zwar verschlossen, schien aber leer zu sein. Neugierig zog der Fischer den Korken heraus, roch daran und fiel wie von Geisterhand gestoßen rücklings in den Sand. Als er aufblickte, sah er vor sich eine Nebelgestalt, die aus der Flasche zu kommen schien. Der Flaschengeist sagte: »Du hast mich aus meinem Gefängnis, der Flasche, befreit. Dafür hast du einen Wunsch frei. Aber überlege dir gut, was du dir wünschst!« Der Fischer ging nachdenklich nach Hause und überlegte den ganzen Tag, was er sich von dem Geist wohl wünschen könnte. Vielleicht ein Schloss? Oder etwa große Reichtümer? Als es Abend wurde, ging er an den Strand um mit dem kleinen Boot wieder aufs Meer hinauszufahren. Der Flaschengeist wartete schon und fragte: »Nun, Fischer, hast du dir einen Wunsch überlegt?« Der Fischer nickte und weil er von bescheidener Art war, sagte er: »Was soll ich mir schon wünschen! Ich bin schon zufrieden, wenn du mir jeden Tag mein Netz mit Fischen füllst!« Und schon in dieser Nacht fing der Fischer so viele Fische wie noch nie zuvor. Und weil nun jede Nacht das Netz fast überquoll, hatte er mehr als genug für sich und seine Familie und konnte die restlichen Fische für gutes Geld auf dem Markt verkaufen.
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Johanna und Johannes Es war einmal ein altes Schloss, mitten in einem großen Wald, drinnen wohnte eine alte Frau ganz allein, das war eine Zauberin. Am Tage machte sie sich zur Katze oder zur Nachteule, des Abends aber wurde sie wieder ordentlich wie ein Mensch gestaltet. Sie konnte das Wild und die Vögel herbeilocken und dann schlachtete sie’s, kochte und briet es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloss nahe kam, so musste er stille stehen und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach. Wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein, in die Kammern des Schlosses. Sie hatte wohl siebentausend solcher Körbe mit so raren Vögeln im Schlosse. Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Johanna; sie war schöner als alle anderen Mädchen, die war einem schönen Jüngling namens Johannes versprochen. Sie waren in den Brauttagen und sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern. Damit sie nun vertraut zusammen reden konnten, gingen sie in den Wald spazieren. »Hüte dich«, sagte Johannes, »dass du nicht so nahe an das Schloss kommst!« Es war ein schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes und die Turteltaube sang kläglich auf den alten Maibuchen. Johanna weinte zuweilen, setzte sich hin in den Sonnenschein und klagte. Johannes klagte auch; sie waren so bestürzt, als wenn sie hätten sterben sollen; sie sahen sich um, waren irre und wussten nicht, wohin sie nach Haus gehen sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg und halb war sie unter: Johannes sah durchs Gebüsch und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich, er erschrak und wurde bang. Johanna sang: »Mein Vöglein mit dem Ringlein rot befreie mich aus meiner -171-
Not!« Johannes sah nach Johanna. Johanna war in eine Nachtigall verwandelt, die sang Zicküth! Zicküth! Eine Nachteule mit glühenden Augen flog dreimal um sie herum und schrie dreimal Schuhhuhuhu! Johannes konnte sich nicht regen; er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen, nicht reden, nicht Hand noch Fuß regen, Nun war die Sonne untergegangen; die Eule flog in einen Strauch und gleich darauf kam eine alte krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager, große rote Augen, krumme Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, fing die Nachtigall und trug sie auf der Hand fort. Johannes konnte nichts sagen, nicht von der Stelle kommen; die Nachtigall war fort, endlich kam das Weib wieder und sagte mit dumpfer Stimme: »Grüß dich, Zachiel! Wenn’s Möndel ins Körbel scheint, bind los, Zachiel, zu guter Stund!« Da wurde Johannes los; er fiel vor dem Weib auf die Knie und bat, sie möge ihm Johanna wieder geben; aber sie sagte, er solle sie nie wieder haben und ging fort. Er rief, er weinte, er jammerte, aber alles umsonst. Johannes ging fort und kam endlich in ein fremdes Dorf; da hütet er die Schafe lange Zeit. Oft ging er rund um das Schloss herum, aber nicht zu nahe dabei; endlich träumte er einmal des Nachts, er fand eine blutrote Blume, in deren Mitte eine schöne große Perle war; die Blume brach er ab, ging damit zum Schlosse; alles, was er mit der Blume berührte, wurde von er Zauberei frei; auch träumte er, er hätte seine Johanna dadurch wieder bekommen. Des Morgens, als er erwachte, fing er an, durch Berg und Tal zu suchen, ob er eine solche Blume fände; er suchte bis an den neunten Tag, dann fand er die blutrote Blume am Morgen. In der Mitte war ein großer Tautropfen, so groß wie die schönste Perle. Diese Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schloss. Wie er auf hundert Schritte nahe zum Schloss kam, da wurde er nicht fest, sondern ging fort bis ans Tor. Johannes freute sich, berührte die Pforte mit der Blume und sie sprang -172-
auf; er ging hinein, durch den Hof, horchte, wo er die vielen Vögel vernahm. Endlich hörte er’s; er ging und fand den Saal, darin war die Zauberin und fütterte die Vögel in den siebentausend Körben. Wie sei den Johannes sah, wurde sie böse, sehr böse, schalt, spie Gift und Galle gegen ihn aus, aber sie konnte auf zwei Schritte nicht an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie und ging, besah die Körbe mit den Vögeln; da waren aber viele hundert Nachtigallen; wie sollte er nun seine Johanna wieder finden? Indem er so zusah, merkte er, dass die Alte heimlich ein Körbchen mit einem Vogel nahm und damit nach der Türe ging. Flugs sprang er hinzu, berührte das Körbchen mit der Blume und auch das alte Weib; nun konnte sie nicht mehr zaubern und Johanna stand da, hatte ihn um den Hals gefasst, so schön, wie sie ehemals war. Da machte er auch alle die andern Vögel wieder zu Jungfrauen und ging er mit seiner Johanna nach Hause und sie lebten lange vergnügt zusammen.
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Der Froschprinz Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. In seinem Hof aber stand ein Brunnen mit schönem klaren Wasser. An einem heißen Sommertag ging die Älteste hinunter und schöpfte sich ein Glas voll heraus. Als sie es aber so ansah und gegen die Sonne hielt, sah sie, dass es trüb war. Das kam ihr ganz ungewohnt vor und sie wollte es wieder hineinschütten. Da regte sich aber ein Frosch in dem Wasser, streckte den Kopf in die Höhe und sprang auf den Brunnenrand und sagte zu ihr: »Wenn du willst mein Schätzchen sein, will ich dir geben hell, hell Wässerlein.« »Ei, wer will Schatz von einem garstigen Frosch sein«, rief die Prinzessin und lief fort. Sie sagte ihren Schwestern, dass unten am Brunnen ein wunderlicher Frosch sei, der das Wasser trüb mache. Da wurde die zweite neugierig, ging hinunter und schöpfte sich ein Glas voll. Das war aber wieder so trüb, dass sie es nicht trinken wollte. Der Frosch war wieder auf dem Rand und sagte: »Wenn du willst mein Schätzchen sein, will ich dir geben hell, hell Wässerlein.« »Das fehlte mir noch«, sagte die Prinzessin und lief fort. Schließlich kam die dritte Prinzessin, schöpfte auch Wasser, aber es erging ihr nicht besser und der Frosch sprach auch zu ihr: »Wenn du willst mein Schätzchen sein, will ich dir geben hell, hell Wässerlein.« »Ja doch! Ich will schon dein Schätzchen sein«, sagte die Prinzessin, »schaff mir nur reines Wasser.« Sie dachte aber: »Was schadet dir das, du kannst es ihm ja versprechen, so ein dummer Frosch kann doch niemals dein Schatz sein.« Der Frosch aber war wieder ins Wasser gesprungen und als sie zum -174-
zweiten Mal schöpfte, da war das Wasser so klar, dass die Sonne darin blinkte. Die Prinzessin trank sich satt und brachte ihren Schwestern noch mit hinauf: »Warum ward ihr so einfältig und habt euch vor dem Frosch dort gefürchtet?« Danach dachte die Prinzessin nicht weiter daran und legte sich abends vergnügt ins Bett. Wie sie ein Weilchen da lag und noch nicht eingeschlafen war, da hörte sie auf einmal etwas an der Türe krabbeln und das sang: »Mach mir auf! Mach mir auf! Königstochter, jüngste, weißt du nicht, was du gesagt, als ich in dem Brünnchen saß, du wolltest auch mein Schätzchen sein, gab ich dir hell, hell Wässerlein.« »Ei! Da ist ja mein Schatz, der Frosch,« sagte die Prinzessin, »nun, weil ich’s ihm versprochen habe, so will ich ihm aufmachen.« Sie stand auf, öffnete ihm ein bisschen die Tür und legte sich wieder hin. Der Frosch hüpfte ihr nach, legte sich unten ins Bett zu ihren Füßen und als die Nacht vorüber war und der Morgen graute, da sprang er wieder herunter und zur Tür hinaus. Am anderen Abend, als die Prinzessin wieder im Bett lag, krabbelte es und sang wieder an der Türe. Die Prinzessin machte auf und der Frosch lag wieder unten zu ihren Füßen, bis es Tag wurde. Am dritten Abend kam er wieder und die Prinzessin sagte: »Das ist das letzte Mal, dass ich dir aufmache. In Zukunft tue ich es nicht mehr.« Da sprang der Frosch unter ihr Kopfkissen und die Prinzessin schlief ein. Als sie am Morgen aufwachte, da stand ein schöner junger Prinz vor ihr, der sagte, dass er der verzauberte Frosch gewesen sei und dass sie ihn erlöst habe, weil sie versprochen hatte, sein Schatz zu sein. Da gingen sie beide zum König, der gab ihnen gerne seinen Segen und es wurde eine große Hochzeit gehalten. Die zwei anderen Schwestern aber ärgerten sich, dass sie den Frosch nicht zum Schatz genommen hatten.
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Kapitel 10 Riesengeschichten
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Das Riesenspielzeug Auf einer Burg, die an einem hohen Berg bei einem Wasserfall lag, lebten große Riesen. Einmal ging das Riesenfräulein herab ins Tal und wollte sehen, wie es da unten aussieht. Sie kam bis zu einem vor dem Wald gelegenem Ackerfeld, das gerade von den Bauern bestellt wurde. Sie blieb vor Verwunderung stehen und schaute den Pflug, die Pferde und Leute an, denn all das war neu für sie. »Ei«, sagte sie, »das nehm’ ich mir mit.« Da kniete sie nieder zur Erde, breitete ihre Schürze aus, strich mit der Hand über das Feld, fing alles zusammen und tat es in ihre Schürze hinein. Nun lief sie ganz vergnügt nach Hause, den Felsen hinauf springend, wo der Berg so steil ist, dass ein Mensch mühsam klettern muss, da machte sie nur einen Schritt und war oben. Der Riesenvater saß gerade am Tisch, als sie eintrat. »Ei, mein Kind«, sprach er, »was bringst du da, die Freude schaut dir ja aus den Augen heraus.« Sie machte geschwind ihre Schürze auf und ließ ihn hineinblicken. »Was hast du so Zappeliges darin?« – »Ei, Vater, hübsches Spielzeug! So etwas Schönes habe ich noch nie gehabt.« Darauf nahm sie eins nach dem anderen heraus und stellte es auf den Tisch: den Pflug, die Bauern mit ihren Pferden; lief herum, schaute es an, lachte und schlug vor Freude in die Hände, wie sich die kleinen Wesen darauf hin und her bewegten. Der Vater aber sprach: »Kind, das ist kein Spielzeug, da hast du was Schönes angerichtet! Geh sofort und trag es wieder hinab ins Tal.« Das Fräulein weinte, es half aber nichts. »Die Bauern sind kein Spielzeug«, sagte der Ritter ernst: »Ich mag es nicht, dass du mir nicht gehorchst; sammle nur alles vorsichtig wieder ein und trag es an den Platz, wo du es hergenommen hast. Bebaut der Bauer nicht seinen Acker, so haben wir auf unserer Burg bald nichts mehr zu essen.« -177-
Das Riesen-Kegelspiel Es war einmal ein mutiger Mann, der auf einen Berg kletterte ist. Oben sah er die ungeheuer großen Riesen herumspazieren und Kegel spielen. Einer der Riesen fragte ihn, ob er, wenn er sie schon besuchen käme, mitmachen wolle? Das hat er dann auch getraut. Und nach vollendetem Spiel hat einer der Riesen dem fremden Gast als Andenken einen der Kegel geschenkt, den er denn auch in seinen Rucksack getan. Als er wieder ins Tal gekommen war, hat er von dem Handel erzählt und seinen hölzernen Kegel zeigen wollen; da ist der Kegel aus purem Gold gewesen.
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Riesen-Schabernack Vor langer Zeit gab es in den Bergen einen Riesen, der gerne Schabernack mit den Menschen trieb. Er tat aber niemandem ein Übel und hatte nur seinen Spaß mit den Leuten. Wenn Wanderer in das Gebirge gingen und etliche Tage oben bleiben mussten, nahmen sie allerlei Proviant mit, brieten und kochten ihre Speisen, Da kam von Zeit zu Zeit der Bergriese, nahm ihnen die gekochten Speisen weg, legte einen Spieß voll Kröten, Eidechsen und anderem Ungeziefer an ihre Stelle, lachte sie aus und ging davon. Wenn die Bauern, über das Gebirge gehen mussten, und Butter, Eier oder andere Sachen zu Markte trugen, kam der Riese, unterhielt sich mit ihnen, verspottete sie aber auch und nahm ihnen aus den Körben, was sie trugen. Dafür legte er Steine hinein, dass sie schwer zu tragen hatten. Wenn sie dann auf ihn schimpften und nicht darauf achteten, so gab er ihnen alle Sachen wieder.
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Der Riesenesel Ein Glaser, der über das Gebirge ging und von der schweren Last des Glases auf seinem Rücken müde geworden war, sah sich nach einem Sitz um auf dem er ein wenig ausruhen konnte. Was geschah? Der schlaue Riese verwandelte sich in einen runden Klotz auf dem Weg. Der Glaser setzte sich fröhlich darauf. Doch währte seine Freude nicht allzu lange, denn der runde Klotz rollte auf einmal unter dem Glaser weg, so dass der arme Kerl mitsamt dem Glase zu Boden fiel und alle Scheiben in viele tausend Stücke zerbrachen, Doch der betrübte Glaser fing bitterlich an zu weinen, aber er musste weitergehen. Als er nun ein Stück Weges gegangen war, erschien ihm der Riese in Gestalt eines Menschen und fragte, warum er so weine. Darauf erzählte der Glaser die Geschichte, wie er nur auf diesem Block ein wenig ausruhen wollte, da wäre er von diesem mitsamt dem Glase heruntergefallen und hätte alles Glas, das ihn acht Taler gekostet hatte, zerbrochen. Er wüsste nicht, wie er diesen Schaden wieder ersetzen könne. Hierauf redete der mitleidige Riese ihm zu, er wolle dem armen Mann helfen, so dass er in kurzer Zeit den Schaden wieder ersetzt hätte und noch einen Gewinn dazu erhielte. Weiter erzählte der Riese, dass er der verwandelte Block war und sich dann aus Schabernack weggerollt hatte. Doch solle der Glaser nur guten Mutes ein. Er, der Riese, wolle sich jetzt in einen Esel verwandeln; diesen solle der Glaser mit sich führen und im Tal an einen Müller verkaufen, doch wenn er das Geld von dem Müller bekomme, solle er sich schnell wieder auf den Weg machen. Was geschah? Der Riese wurde zum Esel; der Glaser setzte sich darauf und ritt ins Tal. Dort verkaufte er den Esel für neun Taler an einen Müller und machte sich schnell wieder auf seinen Weg. -180-
Der Esel wurde in den Stall des Müllers gesperrt. Der Knecht des Müllers wollte ihm Heu zu fressen geben, aber da fing der Esel plötzlich an zu reden: »Ich fresse kein Heu, nur Gebratenes und Gebackenes.« Als der Knecht dies hörte, rannte er vor Angst davon, und erzählte dem Müller von dem sprechenden Esel. Das wunderte den Müller sehr. Aber als er zum Stall kam, war der Esel verschwunden. Der Riese hatte nicht nur dem armen Glaser geholfen, er hatte auch dem Müller ne un Taler dafür abgenommen, dass dieser viel zu teures Mehl verkaufte.
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Die Riesin Es war einmal eine Riesin, die nur Tierfelle als Kleider trug und mit einer Ofengabel aß, weil sie so groß war. Als Halskette trug sie eine Kuhglocke an einem Sattelgurt. Ihr Hunger war so groß, dass sie eine ganze Ziege auf einmal essen konnte. Sie war aber keine böse Frau, nur ein wenig allein, und so suchte sie die Gesellschaft der Menschen, um manchen Spaß mit ihnen zu treiben. Am Vorabend des Dreikönigstages, durchzog sie die Dörfer und schenkte den braven Kindern Nüsse und Süßigkeiten, unfolgsame Kinder nahm sie aber mit sich und knirschte dabei mit ihren langen Zähnen, Darum gaben ihr die Leute auch Speck, Wurst oder Mehl, damit sie die Kinder nicht mit in ihre Höhle nahm, wo sie sehr hart arbeiten mussten. An diesem Tage wurden im ganzen Land Speisen vor die Tür gestellt, damit die Riesin sich satt essen konnte. Aß sie alles auf, so gab es ein gutes Jahr. Ließ sie Speisen stehen, so wurde die Ernte schlecht. Manchmal trieb sie ihren Schabernack mit einem ganzen Dorf. Sie spannte eine dicke Kette um das Dorf, so dass die Leute weder hinaus noch hinein können. Erst durch allerlei Gaben und Geschenke wurde der Bann gelöst. Aber sie meinte es niemals böse, sie war eben nur eine große Riesin mit einem Riesenhunger.
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Der hässliche Riese und der Bauer Zu einem Bauer kam einmal ein Riese, der so schrecklich groß und hässlich war, dass es dem Bauer bei seinem Anblick kalt über den Rücken lief. Der Riese hatte so große Augen, dass er die Lider wie Balken mit der Hand hochheben musste, um den Weg zu sehen. »Du«, sagte er zu dem erschrockenen Bauer, »ich kann meine Augen nicht mehr so lange offen halten und finde den Weg nach Hause nicht. Geh, führe mich hinauf zu meiner Wohnung, du wirst dafür eine gute Belohnung bekommen.« Der Bauer gehorchte; weil er aber vor dem Riesen große Angst hatte, nahm er seinen größten Stock mit, der eine dicke Eisenspitze hatte. So stiegen sie miteinander zur Höhe hinauf, der Bauer voran und hinterher der Riese, der sich an dem Stock festhielt. Als sie schon den Wald hinter sich hatten und über eine Wiese gingen, wollte der Riese rasten. »Nun, du hast mich schon recht gut geführt«, sagte er und schob seine Augenbalken in die Höhe, »ich fände jetzt wohl allein weiter, weil ich aber nichts bei mir habe, um dich zu belohnen, so musst du noch ein Stück mit mir gehen.« Danach schritt er weiter. Endlich blieb er vor einem Busch, der an einem Felsblock stand, stehen, schob den Felsen weg und nun sah der Bauer den Eingang zu einer Höhle. Der Riese winkte und der Bauer ging hinter ihm hinein. Zuerst kamen sie in eine Höhle, die leer war, dann in einen größeren Raum. Da lagen viele Schuhe umher, Sohlen, Leder, fertige und halbfertige Stiefel und es sah aus, als ob alles nur auf den Meister wartete. »Jetzt bringe ich, was ich dir versprochen habe«, sagte der Riese. »Bleib da, verlange aber selbst keinen Lohn!« Danach ging er weg und ließ den Bauer allein. Der sah sich in der Höhle um und sagte zu sich selbst: »Was braucht er denn lange zu suchen, es ist ja genug da. So ein Paar Stiefel könnte ich sehr gut brauchen!« Da kam der Riese wieder auf ihn -183-
zu und sagte: »Warum hast du dir selbst den Lohn gewählt? Schau, hättest du es nicht getan, so hätte ich dir das Ganze hier gegeben!« und er hielt ihm einen großen, goldgelben Karfunkel hin. »So aber bekommst du nur das«, sagte er und gab ihm ein kleines Steinlein, das aber noch immer ein Königreich wert war. »Das Paar Schuhe, das du willst, kannst du haben. Aber wohlgemerkt! Geh nie damit auf den Friedhof!« setzte er hinzu. Der Bauer dankte und wollte gehen, aber der Riese sagte: »Halte deinen Finger her, ich will sehen, wie stark die jetzige Welt ist!« Der Bauer sah den Riesen misstrauisch an, überlegte einen Augenblick und hielt ihm die Spitze seines Bergstockes hin. Der Riese fasste sie und zerdrückte sie wie Butter. »Sie ist gar nicht so schwach«, sagte er, »aber unsere Leute waren doch weit stärker.« Darauf ging der Bauer fröhlich heim. Viele Jahre trug er die Schuhe, die ihm der Riese geschenkt hatte, Da musste er zu einer Beerdigung gehen, vergaß aber das Verbot und betrat mit den Schuhen den Friedhof. Als er heimkam, hatte er statt der Schuhe nur Lumpen an den Füßen.
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Der Riese und die Königstochter Es war einmal eine Königstochter, um die ein gewaltiger Riese warb. Aus Furcht vor der Stärke und der Macht des Riesen sagte der König sie ihm zu. Weil die Prinzessin aber schon einen anderen Liebsten hatte, widersetzte sie sich dem Bräutigam und dem Befehl ihres Vaters. Der König wurde sehr wütend und setzte die Hochzeit mit dem Riesen gleich auf den nächsten Tag an. Mit weinenden Augen klagte die Prinzessin das ihrem Liebsten, der zu schneller Flucht riet. Es war aber schwer zu entfliehen, die Ställe des Königs waren verschlossen und alle Stallmeister ihm treu ergeben. Zwar stand der ungeheure Rappe des Riesen in einem für ihn eigens erbauten Stalle, wie sollte aber eine schwache Frauenhand das riesige Untier leiten und lenken? Und wie war ihm beizukommen, da es an einer gewaltig dicken Kette lag, die ihm als Halfter diente und dazu mit einem großen Schlosse behangen war, dessen Schlüssel der Riese bei sich trug? Der Liebste half aber aus, er stellte eine Leiter ans Pferd und hieß die Königstochter hinaufsteigen; dann tat er einen mächtigen Schwerthieb auf die Kette, dass sie aufsprang, schwang sich selbst hinten auf und in einem Flug ging es auf und davon. Die kluge Jungfrau hatte ihre Juwelen mitgenommen, dazu ihres Vaters goldene Krone auf das Haupt gesetzt. Während sie nun forteilten, fiel es dem Riesen ein, in dieser Nacht auszureiten. Der Mond schien hell und er stand auf, sein Ross zu satteln. Erstaunt sah er den Stall leer, es gab Lärm im ganzen Schlosse und als man die Königstochter aufwecken wollten, war sie auch verschwunden. Ohne sich lange zu besinnen, bestieg der Bräutigam das erste beste Pferd und jagte über Stock und Block. Ein großer Spürhund witterte den Weg, den die Verliebten genommen hatten; nahe am Wald kam der Riese hinter sie. -185-
Da hatte aber auch die Jungfrau den Verfolger erblickt, wendete den Rappen flugs und sprengte waldein, bis ein Abgrund ihren Weg durchschnitt. Der Rappe stutzte einen Augenblick und die Liebenden waren in großer Gefahr. Sie blickte nach hinten, in strengem Galopp nahte der Riese, da stieß sie mutig dem Rappen in die Rippen. Mit einem gewaltigen Sprung setzte er über und die Liebenden waren gerettet. Denn das Pferd des nacheilenden Riesen sprang zu kurz, weil der Riese so schwer war und beide fielen in den Abgrund. Auf der anderen Seite stand die Königstochter und tanzte vor Freude. Doch hatte sie im Taumel des Sprungs die Krone verloren, die in den Abgrund gefallen war. Und dort liegt sie noch heutzutage, von einem großen Hund mit glühenden Augen bewacht.
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Der junge Riese Ein Bauer hatte einen Sohn, der war so groß wie ein Daumen und wurde gar nicht größer und wuchs in vielen Jahren nicht haarbreit. Einmal wollte der Bauer ins Feld gehen und pflügen, da sagte der Kleine: »Vater, ich will mit hinaus.« »Nein,« sprach der Vater, »bleib du nur hier, draußen bist du zu nichts Nutz, du könntest mir auch verloren gehen.« Da fing der Däumling an zu weinen, und wollte der Vater Ruhe haben, musste er ihn mitnehmen. Also steckte er ihn in die Tasche und auf dem Felde tat er ihn wieder heraus und setzte ihn in eine frische Furche, Wie er da so saß, kam über den Berg ein großer Riese daher. »Siehst du dort den großen Riesen?« sagte der Vater und wollte den Kleinen erschrecken, damit er artig wäre, »der kommt und holt dich.« Der Riese aber hatte lange Beine, und wie er noch ein paar Schritte getan hatte, da war er bei der Furche, nahm den kleinen Däumling heraus und ging mit ihm fort. Der Vater stand dabei, konnte vor Schreck kein Wort sprechen und glaubte, sein Kind wäre nun verloren, so dass er es niemals wiedersehen würde. Der Riese aber nahm den Däumling mit sich und gab ihm zu essen nach Riesenart und der Däumling wuchs und wurde groß und stark wie ein Riese. Als zwei Jahre herum waren, ging der alte Riese mit ihm in den Wald und wollte seine Kräfte ausprobie ren und sprach: »Zieh dir da eine Gerte heraus!« Da war der Knabe schon so stark, dass er einen jungen Baum mit den Wurzeln aus der Erde riss. Der Riese aber dachte, das müsse noch besser werden und nahm ihn wieder mit. Er ernährte ihn zwei weitere Jahre, und als er ihn da in den Wald führte, damit er seine Kräfte versuchen konnte, riss er schon einen viel größeren Baum heraus. Das war aber dem Riesen noch nicht genug und er ernährte ihn noch zwei Jahre, ging dann mit ihm in den Wald und sprach: »Nun reiß einmal eine ordentliche Gerte -187-
aus!« Da riss der Junge den dicksten Eichenbaum aus der Erde, dass es nur so krachte und es war nur ein Spaß für ihn. Als der alte Riese das sah, sprach er: »Nun ist’s gut, du hast ausgelernt.« und führte ihn zurück zu dem Acker, wo er ihn geholt hatte. Sein Vater pflügte gerade wieder, da ging der junge Riese auf ihn zu und sprach: »Siehst du wohl Vater, wie es gekommen ist, ich bin dein Sohn.« Da erschrak der Bauer und sagte: »Nein, du bist nicht mein Sohn, geh weg von mir!« »Freilich bin ich dein Sohn. Lass mich einmal pflügen, ich kann es so gut wie du!« »Nein, du bist nicht mein Sohn, du kannst auch nicht pflügen. Geh nur weg von mir!« Weil er sich aber vor dem großen Mann fürchtete, ließ er den Pflug los, ging weg und setze sich zur Seite ans Land. Da nahm der Junge das Geschirr und wollte pflügen, aber er drückte bloß mit der einen Hand so gewaltig darauf, dass der Pflug tief in die Erde ging. Der Bauer konnte das nicht mit ansehen und rief ihm zu: »Wenn du pflügen willst, musst du nicht so gewaltig drücken, das Land wird nicht ordentlich.« Der Junge aber spannte sich selber vor den Pflug und sagte: »Geh nur nach Hause, Vater, und sag der Mutter, sie soll eine rechte Schüssel voll zu essen kochen; ich will derweil den Acker schon pflügen.« Da ging der Bauer heim und bestellte es bei seiner Frau und die kochte eine tüchtige Schüssel voll. Der Junge aber pflügte das Land, zwei Morgen Feld, ganz allein, und dann spann er sich auch selbst vor die Egge und eggte alles mit zwei Eggen zugleich. Wie er fertig war, ging er in den Wald und riss zwei Eichenbäume aus, legte sie sich auf die Schultern und hinten und vorn je eine Egge und ein Pferd dazu und trug das alles wie ein Bündel Stroh nach Hause. Wie er in den Hof kam, kannte ihn seine Mutter nicht und fragte: »Wer ist der entsetzliche große Mann?« Der Bauer sagte: »Das ist unser Sohn.« Sie sprach: »Nein, unser Sohn ist das niemals, so groß haben wir keinen gehabt, unserer war ein kleines Ding: geh nur weg, wir -188-
wollen dich nicht!« Der Junge aber schwieg still, zog seine Pferde in den Stall, gab ihnen Hafer und Heu und brachte alles in Ordnung. Und wie er fertig war, ging er in die Stube, setzte sich auf die Bank und sagte: »Mutter, nun hätte ich Lust zu essen. Ist’s bald fertig?« Da sagte sie ja, getraute sich nicht ihm zu widersprechen und brachte zwei große, große Schüsseln voll herein, davon wären sie und ihr Mann acht Tage satt geworden. Er aber aß sie allein auf und fragte, ob sie nicht mehr hätten. »Nein,« sagte sie, »das ist alles, was wir haben.« »Das war ja nur zum Schmecken, ich muss noch mehr haben.« Da ging sie hin und setzte einen großen Schweinekessel voll über das Feuer und als es gar war, trug sie es herein. »Nun, da ist noch ein bisschen«, sagte er und aß das alles noch hinein, es war aber doch nicht genug. Da sprach er: »Vater , ich sehe wohl, dass ich bei euch nicht satt werde. Wenn du mir aber einen Eisenstab verschaffst, der so stark ist, dass ich ihn nicht vor meinen Knien zerbrechen kann, so will ich wieder gehen.« Da war der Bauer froh, spannte seine zwei Pferde vor den Wagen, fuhr zum Schmied und holte einen Stab so groß und dick, wie ihn die zwei Pferde nur fahren konnten. Der Junge aber nahm ihn vor die Knie und ratsch! zerbrach er ihn wie eine Bohnenstange in der Mitte entzwei. Der Vater spannte dann vier Pferde vor und holte einen Stab so groß und dick, wie ihn die vier Pferde fahren konnten. Den nahm der Sohn auch, knickte ihn vor dem Knie entzwei, warf ihn hin und sprach: »Vater, du kannst mir nicht helfen, du musst besser vorspannen und einen stärkeren Stab holen.« Da spannte der Vater acht Pferde vor und holte einen so großen und dicken Stab, wie ihn die acht Pferde nur fahren konnten. Wie der Sohn den bekam, brach er gleich oben ein Stück ab und sagte: »Vater, ich sehe, du kannst mir doch keinen Stab anschaffen, ich will dann so weggehen.« -189-
Da ging er fort und gab sich für einen Schmiedegesellen aus. Er kam in ein Dorf, darin wohnte ein Schmied, der war ein Geizkragen, gönnte keinem Menschen etwas und wollte nur alles haben. Zu dem trat er nun in die Schmiede und fragte ihn, ob er keinen Gesellen brauche. »Ja«, sagte der Schmied und sah ihn an und dachte: »Das ist ein tüchtiger Kerl, der wird gut vorschlagen und sein Brot verdienen.« »Wieviel Lohn willst du haben?« »Gar keinen Lohn will ich haben«, sagte er, »nur alle vierzehn Tage, wenn die anderen Gesellen bezahlt werden, will ich dir zwei Hiebe geben, die musst du aushalten.« Da war der Geizkragen von Herzen zufrieden und dachte, damit viel Geld zu sparen, Am anderen Morgen sollte der fremde Geselle zuerst vorschlagen, wie aber der Meister den glühenden Stab bringt und er den ersten Schlag tut, da fliegt das Eisen auseinander, und der Amboss sinkt in die Erde, so tief, dass sie ihn gar nicht wieder herausbringen konnten. Da wurde der Geizkragen böse und sagte: »Ei was, dich kann ich nicht brauchen, du schlägst gar zu fest. Was willst du für einen Zuschlag haben?« Da sprach er: »Ich will dir nur einen ganz kleinen Hieb geben, weiter nichts.« Und er hob seinen Fuß auf und gab ihm einen Tritt, dass der Schmied über vier dicke Heuballen hinweg flog. Darauf nahm er den dicksten Eisenstab aus der Schmiede als einen Stock in die Hand und ging weiter. Als er eine Weile so gegangen war, kam er zu einem Amt und fragte den Amtmann, ob er keinen Großknecht brauche. Ja, sagte der Amtmann, er könnte einen brauchen, er sehe aus wie ein tüchtiger Kerl, der schon was taugte, wie viel Jahreslohn er haben wolle. Da sprach er wieder, er wolle gar keinen Lohn, aber alle Jahre wolle er ihm drei Hiebe geben, die müsse er aushalten. Damit war der Amtmann einverstanden, denn auch er war ein Geizkragen. Am ändern Morgen sollten die Knechte in den Wald fahren um Holz zu hacken, und die anderen waren schon auf, er aber lag noch im Bett. Da rief ihn einer an: »Nun -190-
steh auf, es ist Zeit, wir wollen ins Holz, du musst mit!« »Ach,« sagte er ganz grob und trotzig, »geht ihr nur hin, ich komme doch eher wieder als ihr alle miteinander.« Da gingen die anderen zum Amtmann und erzählten ihm, der riesige Großknecht liege noch im Bett und wolle nicht mit ins Holz fahren. Der Amtmann sagte, sie sollten ihn noch einmal wecken und ihn die Pferde vorspannen lassen. Der Großknecht sprach aber wie vorher: »Geht ihr nun hin, ich komme eher wieder als ihr alle miteinander.« Darauf blieb er noch zwei Stunden liegen, dann stieg er endlich aus den Federn, holte sich aber erst zwei Scheffel Erbsen vom Boden, kochte sie und aß sie in guter Ruhe. Und wie das alles geschehen war, ging er hin, spannte die Pferde vor und fuhr ins Holz. Kurz vor dem Holz war ein Hohlweg, wo er durch musste, da fuhr er den Wagen erst vorwärts, dann mussten die Pferde still halten, und er ging hinter den Wagen und nahm Bäume und Reisig und machte da einen großen Verhau, so dass kein Pferd durchkommen konnte. Wie er nun vor das Holz kam, fuhren die andern eben mit ihren beladenen Wagen heraus und wollten heim. Da sprach er zu ihnen: »Fahrt nur hin, ich komme doch eher als ihr nach Hause.« Er aber fuhr nur ein bisschen ins Holz und riss gleich zwei von den allergrößten Bäumen aus der Erde. Die lud er auf den Wagen und drehte ihn um. Als er vor den Verhau kam, standen die anderen noch da und konnten nicht durch. Da sprach er: »Seht ihr wohl, wärt ihr bei mir geblieben, wärt ihr ebenso gerade nach Hause gekommen und hättet noch eine Stunde schlafen könne.« Er wollte nun zufahren , aber seine vier Pferde, die konnten sich nicht durcharbeiten. Da spannte er sie aus, legte sie oben auf den Wagen, spannte sich selber vor, zog alles durch und das ging so leicht, als hätte er Federn geladen. Wie er drüben war, sprach er zu den ändern: »Seht ihr wohl, ich bin eher durchgekommen als ihr.« und fuhr fort und die andern mussten stehen bleiben. In dem Hof aber nahm er einen Baum in -191-
die Hand und zeigt ihn dem Amtmann und sagte: »Ist das nicht ein schönes Klafterstück?« Da sprach der Amtmann zu seiner Frau: »Der Knecht ist gut, auch wenn er lange schläft, ist er doch eher wieder da als die anderen.« Nun diente er dem Amtmann ein Jahr. Als das herum war und die anderen Knechte ihren Lohn bekamen, sprach er, nun war’s Zeit, er wolle sich auch gerne seinen Lohn nehmen. Dem Amtmann aber wurde Angst, weil er die Hiebe bekommen sollte und er bat ihn, er möge sie ihm schenken. Lieber wolle er selbst Großknecht werden und der Knecht solle Amtmann sein. »Nein,« sprach dieser, »ich will kein Amtmann werden. Ich bin Großknecht und will’s auch bleiben. Ich will aber austeilen, was vereinbart war.« Der Amtmann wollte ihm nun alles geben, was er verlangte, aber es half alles nichts; der Großknecht sagte zu allem nein. Da wusste sich der Amtmann keinen Rat und bat ihn um vierzehn Tage Frist; er wolle sich auf etwas besinnen. Da sprach der Großknecht, die Frist solle er haben. Der Amtmann rief alle seine Schreiber zusammen, die sollten sich beraten und ihm einen Rat geben. Die besannen sich lange. Endlich sagten sie, man müsste den Großknecht umbringen. Er sollte große Mühlsteine um den Brunnen im Hof anfahren lassen und dann dem Knecht befehlen, in den Brunnen zu steigen und diesen zu reinigen. Wenn der Knecht im Brunnen wäre, wollten sie ihm die Mühlsteine auf den Kopf werfen. Der Rat gefiel dem Amtmann und da wurde alles eingerichtet und die größten Mühlsteine herangefahren. Wie nun er Großknecht im Brunnen stand, rollten sie die Steine hinab, und sie schlugen hinunter, dass das Wasser in die Höhe spritzte. Da glaubten sie, der Kopf wäre ihm eingeschlagen. Er aber rief: »Jagt doch die Hühner vom Brunnen weg, die scharren da oben im Sand und werfen mir die Körner in die Augen, dass ich nichts sehen kann.« Da rief der Amtmann: »Seht! Seht!« und tat, als scheuche er die Hühner weg. Als nun der Großknecht fertig war, stieg er herauf und sagte: »Seht her, ich hab doch ein -192-
schönes Halsband um!« Das waren die Mühlsteine, die er als Halsband um den Hals trug. Wie der Amtmann das sah, wurde ihm wieder Angst, denn der Großknecht wollte ihm nun seinen Lohn geben. Da bat er wieder um vierzehn Tage Bedenkzeit und ließ die Schreiber zusammenkommen. Die gaben ihm den Rat, er solle den Großknecht in die verwünschte Mühle schicken und ihm auftragen, dort in der Nacht Korn zu mahlen, denn da sei noch kein Mensch morgens lebendig herausgekommen. Der Anschlag gefiel dem Amtmann. Also rief er den Großknecht noch am selben Abend und sagte, er solle acht Säcke Korn in die Mühle fahren und in der Nacht noch mahlen, sie hätten es nötig. Da ging der Großknecht auf den Boden und tat zwei Säcke in seine rechte Tasche, zwei in die linke, vier nahm er auf den Rücken und ging so nach der verwünschten Mühle. Der Müller aber sagte ihm, bei Tag könne er recht gut da mahlen, aber nicht in der Nacht, denn die Mühle sei verwünscht und wer da hineingegangen sei, der sei am nächsten Morgen tot darin aufgefunden worden. Er sprach: »Ich will schon durchkommen. Macht euch nur fort, legt euch aufs Ohr!« Darauf ging er in die Mühle und schüttete das Korn auf und wie es bald elf schlagen wollte, ging er in die Müllerstube und setzte sich auf die Bank. Kaum hatte er da gesessen, ging die Tür auf und eine große Tafel kam herein. Auf die Tafel stellten sich Wein und Braten und viel gutes Essen, alles wie von selbst, denn es war niemand da, der es auftrug. Dann rückten sich die Stühle herbei, aber es kamen keine Leute. Auf einmal jedoch sah er Finger, die hantierten mit den Messern und Gabeln und legten Speisen auf die Teller, aber sonst konnte er nichts sehen. Nun war er hungrig und sah die Speisen, da setzte er sich auch an die Tafel und aß mit und ließ sich’s gut schmecken. Als er aber satt war und die anderen ihre Schüsseln auch ganz leer gemacht hatten, da gingen auf einmal alle Lichter aus. Und wie es nun stockfinster war, bekam er so etwas wie eine Ohrfeige ins Gesicht. Da -193-
sprach er: »Wenn noch einmal so etwas kommt, dann teile ich auch aus.« Und wie er zum zweiten Mal eine bekam, da schlug er gleichfalls zu. Und so ging das die ganze Nacht, er ließ sich nicht erschrecken und schlug eifrig um sich herum. Bei Tagesanbruch aber hörte alles auf. Als der Müller aufgestanden war, wollte er nach ihm sehen und wunderte sich, dass er noch lebte. Da sprach der Riese: »Ich habe Ohrfeigen bekommen, aber ich habe auch Ohrfeigen ausgeteilt und mich satt gegessen.« Der Müller freute sich und sagte, nun wäre die Mühle erlöst und er wollte ihm gerne zur Belohnung viel Geld geben. Der Riese sprach aber: »Geld will ich nicht, ich habe doch genug.« Dann nahm er sein Mehl auf den Rücken, ging nach Hause und sagte dem Amtmann, er habe die Sache erledigt und wolle nun seinen vereinbarten Lohn haben. Wie der Amtmann das hörte, wurde ihm erst recht Angst und er wusste weder ein noch aus. Er ging in der Stube auf und ab, und die Schweißtropfen liefen ihm die Stirn herunter. Da machte er das Fenster auf, um ein wenig frische Luft zu atmen. Aber eh er sich’s versah, hatte ihm der Großknecht einen Tritt gegeben, dass er durch’s Fenster in die Luft hinein flog, immer weiter fort, bis ihn niemand mehr sehen konnte. Da sprach der Großknecht zur Frau des Amtmanns, nun müsse sie den andern Hieb hinnehmen. Die sagte aber: »Ach nein, ich kann’s nicht aushalten.« und machte ein Fenster auf, weil ihr die Schweißtropfen die Stirn herunterliefen. Da gab ihr der Großknecht gleichfalls einen Tritt, dass auch sie hinaus flog, noch viel höher als ihr Mann. Der rief ihr zu: »Komm doch zu mir!« Sie aber rief: »Komm du doch zu mir, ich kann nicht zu dir.« und sie schwebten da in der Luft und keiner konnte zum anderen. Und ob sie da noch schweben, das weiß man nicht, der junge Riese aber nahm seine Eisenstange und ging weiter.
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Kapitel 11 Rittergeschichten
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Der verwunschene Ritter Ein alter Holzhacker ging früh am Morgen in den Wald zur Arbeit. Dort gesellte sich ein kleines Männchen zu ihm, das ein Gespräch mit dem alten Mann anfing. Es erkundigte sich über alle Angelegenheiten des Holzhackers in Haus und Familie. Nachdem dieser Vertrauen gefasst hatte, fragte das Männchen: »Hast du an alles gedacht, was zu deinem Haus gehört?« »Natürlich«, antwortete der Holzhacker, »Ich habe dir alles genannt, was zu meinem Haushalt gehört.« Da fragte das Männchen listig: »Wenn es aber etwas gibt, woran du nicht gedacht hast, dürfte ich mir das dann nehmen?« Der Holzhacker war sich seiner Sache ganz sicher und so willigte er ein. Er hatte aber seine älteste Tochter vergessen, die erst an diesem Tag wieder nach Hause zurückgekehrt war, nachdem sie eine Weile in einer fremden Stadt gelebt hatte. Am nächsten Morgen fuhr ein Wagen, der von zwei Drachen gezogen wurde, vor dem Haus des Holzhackers vor. Im Wagen saß eine Schlange, welche der ältesten Tochter befahl einzusteigen. Kaum war diese eingestiegen, erhob sich der Wagen in die Lüfte. Schließlich kamen sie in einen Wald, in dem die Schlange eine wunderschöne Wohnung hatte, vor der der Wagen anhielt. Als die Schlange mit dem Mädchen die Wohnung betrat, verwandelte sie sich in das Männchen, das dem Holzhacker am vorigen Tag im Wald begegnet war. Mit gutmütiger Miene sprach das Männchen: »Fürchte dich nicht, ich habe dich hierher gebracht, damit du mich erlöst. Sobald das geschehen ist, lasse ich dich wieder frei.« Das Mädchen fragte, was es tun müsse, um das Männchen zu erlösen. Darauf sprach dieses: »Du musst sieben Abende nacheinander in einem Gebetbuch lesen, ohne aufzuschauen. Dabei wird dein Mut auf eine harte Probe gestellt. Lass dich nicht aus der Fassung bringen, bis die sieben Abende vergangen -196-
sind.« Das Mädchen versprach, sein Bestes zu tun. Als sie nun am ersten Abend las, nahten sich ihr allerlei schaurige Gestalten. Sie trieben den ganzen Abend ihr Unwesen, doch das Mädchen blickte nicht einmal von dem Buch auf. Am zweiten Abend wurde das schauerliche Treiben noch viel schlimmer, die Fenster wurden aufgerissen und die Gestalten schlugen ihr das Buch zu, damit sie nicht mehr lesen sollte. Doch das Mädchen öffnete das Buch immer wieder, ohne den Blick davon abzuwenden und las weiter. Mit jedem Abend wurde das Treiben schrecklicher und furchterregender, doch das Mädchen sah auch, dass die Schlange schon fast ganz Mensch geworden war. Am siebenten Abend aber kam unerwartet die Schwester des Mädchens zu Besuch und so konzentrierte sich das Mädchen nicht mehr auf das Lesen und das fast erlöste Wesen war wieder ganz zur Schlange geworden. Die Schlange sprach nun zu dem Mädchen: »So kannst du mich nun nicht mehr erlösen. Es gibt aber noch eine letzte Möglichkeit. Geh weiter in den Wald hinein, bis du zu eine m großen, fünfstöckigen Schloss kommst. Was immer der Herr dieses Schlosses von dir verlangt, tue es. Nimm aber diese Feder mit, sie wird dir von Nutzen sein, wenn du Hilfe brauchst.« Das Mädchen steckte die Feder ein und machte sich auf den Weg zu dem Schloss. Als sie dort ankam, fragte sie den Herrn des Schlosses, ob sie nicht einen Dienst bei ihm finden könne. Dieser sprach zu ihr: »Ich nehme dich in Dienst, doch du musst in einer Viertelstunde fünf große Pferdeställe und ebenso viele Kuhställe reinigen. Wenn es dir gelingt, so bekommst du zum Lohn dafür dieses Schloss. Wenn du es aber nicht schaffst, wird es dir übel ergehen.« Das Mädchen versprach, die Ställe in der vorgeschriebenen Zeit zu reinigen. Als sie jedoch in die Ställe kam, sah sie eine große Menge Dünger übereinandergelagert, Sie wusste sich keinen Rat, wie sie dies alles in einer Viertelstunde schaffen sollte, doch -197-
plötzlich fiel ihr wieder die Feder ein. Sie nahm die Feder hervor und sprach: »Liebe Feder, hilf mir, den Dünger aus dem Stall zu bringen.« Im Nu rollte der Dünger wie von Geisterhand bewegt hinaus und alle Ställe waren in Windeseile gereinigt. Nun trat das Mädchen vor den Herrn und verlangte seinen Lohn, Dieser überzeugte sich, dass die Ställe gut und ordentlich gereinigt waren und in diesem Augenblick war die Schlange erlöst und kam als herrlicher Ritter in den Hof geritten. Der Ritter und das Mädchen heirateten und lebte noch viele Jahre sehr glücklich in dem großen Schloss.
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Der Mondsee Wo jetzt der Mondsee liegt, stand vor Zeiten auf einem Hügel eine Burg und weit umher lagen schöne Äcker und Wiesen. Der Burgherr und seine Frau hatten ein mildes Herz und taten den Armen viel Gutes. Nach und nach entstand um den Burghügel eine Ortschaft und in ihrer Mitte wurde eine Kirche gebaut. Der letzte Burgherr war aber grausam und beutegierig, überfiel und beraubte die Burgen der ändern Ritter und steckte sie in Brand. Aber die Strafe blieb nicht aus. Einst erschien dem Priester des Ortes im Traum die Gottesmutter und hieß ihn die Bewohner auffordern, den Ort zu verlassen, denn der Zorn des Herrn ruhe schwer darauf. Am nächsten Tag tat der Priester, wie ihm befohlen worden war. Er rief die Leute zusammen, erzählte ihnen seinen Traum und trug ihnen auf, so rasch, wie es nur ginge aus der Gegend zu fliehen. Sie waren auch sogleich dazu bereit, nahmen ihre Habe und zogen fort, bis sie in die Gegend des heutigen Ortes Mondsee kamen; hier ließen sie sich nieder. Der Ritter hatte von seiner Burg aus dem Zug der Leute nachgesehen, dabei aber aus vollem Halse gelacht und das Volk albern und furchtsam genannt. Dann verbrachte er den Tag inmitten seiner Zechgenossen und trank mit ihnen im Übermaß. Da zog sich abends ein schreckliches Gewitter zusammen, das wurde immer heftiger und stand bald über der Bur g. Aber die Leute darin hatten keine Sorge und zechten weiter. Da fuhr auf einmal ein fürchterlicher Blitz durch die Luft und am Gemäuer der Burg hinunter, dass sie erzitterte; ein Donner folgte dem ändern, die Erde begann furchtbar zu beben und der Boden, auf dem die Burg stand, senkte sich immer tiefer und tiefer. Aus den Spalten der Erde quoll unablässig Wasser hervor und erfüllte die Höhlungen des versunkenen Erdreiches. Von dem Ritter und seinen Gesellen blieb keine Spur mehr zurück.
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Der See, der so entstand, hatte eine mondförmige Gestalt und bekam davon seinen Namen. Wenn das Wetter recht trocken ist und der Wasserspiegel ruhig liegt, sieht man, so heißt es, die Spitze des Kirchturms der versunkenen Ortschaft.
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Der verzauberte König Das alte Schloss, das in einer wüsten Wald- und Berggegend lag, sollte aufs Neue gebaut und wiederhergestellt werden. Als die Werkmeister und Bauleute die Trümmer und Grundfesten untersuchten, fanden sie Gänge, Keller und Gewölbe unter der Erden in großer Menge, mehr als sie gedacht, in einem Gewölbe saß ein gewaltiger König im Sessel, glänzend und schimmernd von Edelgestein, und ihm zur Rechten stand unbeweglich eine holde Jungfrau, die hielt dem König das Haupt, gleich als ruhte es in ihren Händen. Als sie nun vorwitzig und beutegierig näher traten, wandelte sich die Jungfrau in eine Schlange, die Feuer spie, so dass alle weichen mussten. Sie berichteten aber ihrem Herrn von der Begebenheit, welcher bald zu dem Gewölbe ging und die Jungfrau bitterlich seufzen hörte. Der Ritter trat mit seinem Hund in die Höhle, in der sich Feuer und Rauch zeigte, so dass der Ritter etwas zurückwich und seinen Hund, der vorausgelaufen war, für verloren hielt. Das Feuer verlosch, und wie er sich von neuem näherte, sah er, dass die Jungfrau seinen Hund unbeschädigt im Arme hielt, und eine Schrift an der Wand, die ihm verriet, wie er den König erlösen könnte. Er sollte die Jungfrau, die ja eine Schlange war, zur Frau nehmen, und wenn er sie küsste, würde der König erlöst. Der mutige Ritter zögerte nicht und freite um die Hand der Jungfrau. Die Jungfrau willigte ein, und wie er sie küsste, hatte er eine giftige Schlange im Arm. Sie tat ihm aber nichts, sondern verwandelte sich langsam in ein wunderschönes Mädchen. Die Starre fiel von dem verzauberten König ab und er wurde wieder zum Menschen. Der König war gütig und großherzig und belohnte den Ritter reich für seinen Mut, eine Schlange zu küssen. Der Ritter fand Gefallen an dem schönen Mädchen, und die beiden lebten -201-
glücklich bis an ihr Ende.
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Der mutige Ritter Reginald Es war einmal ein reicher König, der war so reich, dass er glaubte, sein Reichtum könne gar nicht enden. Da lebte er in Saus und Braus, spielte auf goldenem Brett und mit silbernen Kegeln und als das eine Zeitlang gewährt hatte, da nahm sein Reichtum ab und danach verpfändete er eine Stadt und ein Schloss nach dem ändern und endlich blieb nichts mehr übrig, als ein altes Waldschloss. Dahin zog er nun mit der Königin und den drei Prinzessinnen und sie mussten sich kümmerlich erhalten und hatten nichts mehr als Kartoffeln, die kamen alle Tage auf den Tisch. Einmal wollte der König auf die Jagd, um vielleicht einen Hasen zu schießen, steckte sich also die Tasche voll Kartoffeln und ging aus. Es war aber in der Nähe ein großer Wald, in den wagte sich kein Mensch, weil fürchterliche Dinge erzählt wurden, was einem alles darin begegne: Bären, die die Menschen auffräßen, Adler, die die Augen aushackten, Wölfe, Löwen und alle grausamen Tiere. Der König aber fürchtete sich kein bisschen und ging geradezu hinein. Anfangs sah er gar nichts, große mächtige Bäume standen da, aber es war alles still. Als er so eine Weile herumgegangen und hungrig geworden war, setzte er sich unter einen Baum und wollte seine Kartoffeln essen. Da kam auf einmal aus dem Dickicht ein Bär hervor, trabte gerade auf ihn los und brummte: »Was unterstehst du dich, bei meinem Honigbaum zu sitzen? Das sollst du mir teuer bezahlen!« Der König erschrak, reichte dem Bären seine Kartoffeln und wollte ihn damit besänftigen. Der Bär aber fing an zu sprechen: »Deine Kartoffeln mag ich nicht, ich will dich selber fressen und davon kannst du dich nicht erretten, außer dass du mir deine älteste Tochter gibst. Wenn du das aber tust, geb ich dir noch obendrein einen Zentner Gold.« Der König, in der Angst gefressen zu werden, sagte: »Die sollst du haben, lass mich nur in Frieden.« Da wies ihm der Bär den Weg und -203-
brummte noch hintendrein: »In sieben Tagen komm ich und hol meine Braut.« Der König ging getrost nach Hause und dachte: »Der Bär wird doch nicht durch ein Schlüsselloch kriechen können und weiter soll gewiss nichts offen bleiben.« Da ließ er alle Tore verschließen, die Zugbrücken aufziehen und forderte seine Tochter auf, guten Mutes zu sein. Damit sie aber recht sicher vor dem Bärenbräutigam war, gab er ihr ein Kämmerlein hoch unter der Zinne; darin sollte sie versteckt bleiben, bis die sieben Tage herum seien. Am siebten Morgen aber ganz früh, wie noch alles schlief, kam ein prächtiger Wagen, mit sechs Pferden bespannt und von vielen gold gekleideten Reitern umringt, zu dem Schloss gefahren und wie er davor war, ließen sich die Zugbrücken von selber herab und die Schlösser sprangen ohne Schlüssel auf. Da fuhr der Wagen in den Hof und ein junger schöner Prinz stieg heraus und wie der König von dem Lärm aufwachte und zum Fenster hinaus sah, sah er, wie der Prinz schon seine älteste Tochter oben aus dem verschlossenen Kämmerlein geholt hatte und eben in den Wagen hob und er konnte ihr nur noch nachrufen: »Ade! Du Fräulein traut, fahr hin, du Bä renbraut!« Sie winkte ihm mit ihrem weißen Tüchlein noch aus dem Wagen und dann ging’s fort, als wäre der Wind vorgespannt, immer in den Zauberwald hinein. Dem König aber war es recht schwer um’s Herz, dass er seine Tochter an einen Bären hingegeben hatte und weinte drei Tage mit der Königin, so traurig war er. Am vierten Tag aber, als er sich ausgeweint hatte, dachte er, was geschehen sei, sei nun einmal nicht zu ändern und stieg hinab in den Hof. Da stand eine Kiste von Ebenholz und war gewaltig schwer zu heben. Alsbald fiel ihm ein, was ihm der Bär versprochen hatte und er machte sie auf. Da lag ein Zentner Gold darin und glimmerte und flimmerte. Wie der König das Gold erblickte, war er getröstet und löste seine Städte und sein Reich ein und fing das vorige Wohlleben von vorne an. Das -204-
dauerte so lang, wie der Zentner Gold reichte. Danach musste er wieder alles verpfänden und auf das Waldschloss zurückziehen und Kartoffeln essen. Der König hatte noch einen Falken, den nahm er eines Tages mit hinaus auf das Feld und wollte mit ihm jagen, damit er etwas Besseres zu essen bekam. Der Falke stieg auf und flog auf den dunklen Zauberwald zu, in den sich der König nicht mehr traute; kaum aber war er dort, so schoss ein Adler hervor und verfolgte den Falken, der zum König flog. Der König wollte mit seinem Spieß den Adler abhalten, der Adler aber packte den Spieß und zerbrach ihn wie ein Schilfrohr, dann zerdrückte er den Falken mit einer Kralle, die ändern aber hackte er dem König in die Schulter und rief: »Warum störst du mein Luftreich, dafür sollst du sterben oder du gibst mir deine zweite Tochter zur Frau!« Der König sagte: »Ja, die sollst du haben, aber was gibst du mir dafür?« – »Zwei Zentner Gold,« sprach der Adler, »und in sieben Wochen komm ich und hol sie ab.« Dann ließ er ihn los und flog fort in den Wald. Der König war betrübt, dass er seine zweite Tochter auch einem wilden Tier verkauft hatte und traute sich nicht, ihr etwas davon zu sagen. Sechs Wochen waren herum, in der siebten ging die Prinzessin hinaus auf einen Rasenplatz vor der Burg. Da kam auf einmal ein prächtiger Zug von schönen Rittern und zuvorderst ritt der Allerschönste. Der sprang ab und rief: »Schwing, schwing dich auf, du Fräulein traut, komm mit, du schöne Adlerbraut!« Und eh sie ihm antworten konnte, hatte er sie schon aufs Ross gehoben und jagte mit ihr in den Wald hinein, als fliege ein Vogel. In der Burg warteten sie lange auf die Prinzessin, aber die kam nicht und kam nicht. Da erinnerte sich der König endlich, dass er sie einmal in der Not einem Adler versprochen hatte und der werde sie geholt haben. Als aber bei dem König die Traurigkeit ein wenig herum war, fiel ihm das Versprechen des Adlers ein und er ging hinab und fand auf dem Rasen zwei -205-
goldene Eier, jedes einen Zentner schwer. »Wer Gold hat, ist fromm genug«, dachte er und schlug sich alle schweren Gedanken aus dem Sinn. Da fing das lustige Leben von neuem an und dauerte so lange, bis die zwei Zentner Gold durchgebracht waren. Dann kehrte der König wieder in das Waldschloss zurück und die Prinzessin, die noch übrig war, musste die Kartoffeln sieden. Der König wollte keine Hasen im Wald und keine Vögel in er Luft mehr jagen, aber einen Fisch hätte er gerne gegessen. Da musste die Prinzessin ein Netz stricken; damit ging er zu eine m Teich, der nicht weit von dem Wald entfernt lag. Weil ein Boot darauf war, setzte er sich hinein und warf das Netz. Da fing er auf einen Zug eine Menge schöner rotgefleckter Forellen. Wie er aber damit ans Land wollte, stand das Boot fest und er konnte es nicht los bekommen; er konnte sich anstellen, wie er wollte. Da kam auf einmal ein gewaltiger Walfisch dahergeschnaubt: »Was fängst du mir meine Untertanen weg? Das soll dich dein Leben kosten!« Dabei sperrte er seinen Rachen auf, als wollte er den König samt dem Boot verschlingen. Wie der König den entsetzlichen Rachen sah, verlor er allen Mut. Da fiel ihm seine jüngste Tochter ein und er rief: »Schenk mir das Leben und du sollst meine jüngste Tochter haben!« – »Meinetwegen,« brummte der Walfisch, »ich will dir auch etwas dafür geben. Gold habe ich nicht, das ist mir zu schlecht, aber der Grund meines Sees ist mit Zahlperlen gepflastert, davon will ich dir drei Säcke voll geben. Im siebten Monat komm ich und hol meine Braut.« Dann tauchte er unter. Der König trieb nun ans Land und brachte seine Forellen heim. Aber als sie gebacken waren, wollte er keine davon essen und wenn er seine Tochter ansah, die einzige, die ihm noch übrig war und die schönste und liebste von allen, da war’s ihm, als zerschnitten tausend Messer sein Herz. So gingen sechs Monate herum und die Königin und die Prinzessin wussten nicht, was dem König fehlte, der in all der Zeit keine vergnügte -206-
Miene machte. Im siebten Monat stand die Prinzessin gerade im Hof vor einem Röhrbrunnen und ließ ein Glas volllaufen, da kam ein Wagen mit sechs weißen Pferden und ganz silbernen Leuten angefahren und aus dem Wagen stieg ein Prinz, so schön, dass sie ihr Lebtag keinen schöneren gesehen hatte und bat sie um ein Glas Wasser. Und wie sie ihm das reichte, das sie in der Hand hielt, umfasste er sie und hob sie in den Wagen und dann ging’s wieder zum Tor hinaus über das Feld nach dem Teich zu. »Ade, du Fräulein traut, fahr hin, du schöne Walfischbraut!« Die Königin stand am Fenster und sah den Wagen noch in der Ferne und als sie ihre Tochter nicht sah, fiel’s ihr schwer aufs Herz und sie rief und suchte nach ihr allenthalben. Sie war aber nirgends zu hören und zu sehen. Da war es gewiss und sie fing an zu weinen und der König gestand ihr nun, ein Walfisch werde sie geholt haben, dem habe er sie versprechen müssen und darum sei er immer so traurig gewesen. Er wollte sie auch trösten und erzählte ihr von dem großen Reichtum, den sie dafür bekommen würden. Die Königin wollte aber nichts davon wissen und sagte, ihr einziges Kind sei ihr lieber, als alle Schätze der Welt. Während der Walfischprinz die Prinzessin geraubt hatte, hatten seine Diener drei mächtige Säcke in das Schloss getragen; die fand der König an der Tür stehen und als er sie aufmachte, waren sie vo ll schöner großer Zahlperlen, so groß, wie die dicksten Erbsen. Da war er auf einmal wieder reich und reicher, als er je gewesen war. Er löste seine Städte und Schlösser ein, aber das Wohlleben fing er nicht wieder an, sondern war still und sparsam und wenn er daran dachte, wie es seinen drei lieben Töchter bei den wilden Tieren ergehen mochte, die sie vielleicht schon aufgefressen hatten, verging ihm alle Lust. Die Königin aber wollte sich gar nicht trösten lassen und weinte mehr Tränen um ihre Tochter als der Walfisch Perlen dafür gegeben hatte. Endlich wurde sie ein wenig stiller und -207-
nach einiger Zeit war sie wieder ganz vergnügt, denn sie brachte einen schönen Knaben zur Welt und weil Gott das Kind so unerwartet geschenkt hatte, wurde es Reginald, das Wunderkind, genannt, Der Knabe wurde groß und stark und die Königin erzählte ihm oft von seinen drei Schwestern, die in dem Zauberwald von drei Tieren gefangengehalten wurden. Als er sechzehn Jahre alt war, verlangte er von dem König Rüstung und Schwert und als er es nun erhalten hatte, wollte er auf Abenteuer ausgehen, segnete seine Eltern und zog fort. Ritter Reginald zog aber geradezu nach dem Zauberwald und hatte nichts anderes im Sinn, als seine Schwestern zu suchen. Anfangs irrte er lange in dem großen Wald herum, ohne einem Menschen oder einem Tier zu begegnen. Nach drei Tagen aber sah er vor einer Höhle eine junge Frau sitzen und mit einem jungen Bären spielen; einen anderen, ganz jungen, hatte sie auf ihrem Schoß liegen. Reginald dachte: »Das ist gewiss meine älteste Schwester«, ließ sein Pferd zurück und ging auf sie zu: »Liebste Schwester, ich bin dein Bruder, der Ritter Reginald, und bin gekommen, um dich zu besuchen.« Die Prinzessin sah ihn an und da er ganz ihrem Vater gleich war, zweifelte sie nicht an seinen Worten, erschrak sehr und sprach: »Ach liebster Bruder, eile und lauf fort, was du kannst, wenn dir dein Leben lieb ist. Kommt mein Mann, der Bär, nach Hause und findet dich, so frisst er dich ohne Barmherzigkeit.« Reginald aber sprach: »Ich fürchte mich nicht und weiche auch nicht von dir, bis ich weiß, wie es um dich steht.« Als die Prinzessin sah, dass er nicht zu bewegen war, führte sie ihn in ihre Höhle. Die war finster und wie eine Bärenwohnung: auf der einen Seite lag ein Haufen Laub und Heu, worauf der Alte und seine Jungen schliefen, aber auf der anderen Seite stand ein prächtiges Bett, von rotem Zeug mit Gold, das gehörte der Prinzessin. Sie hieß ihn unter das Bett zu kriechen und reichte ihm etwas zu essen hinunter. Es dauerte nicht lange, so kam der Bär nach Hause: »Ich wittere, wittere -208-
Menschenfleisch.« und wollte seinen dicken Kopf unter das Bett stecken. Die Prinzessin aber rief: »Sei ruhig, wer soll hier hineinkommen!« – »Ich habe ein Pferd im Wald gefunden und gefressen«, brummte er und hatte noch eine blutige Schnauze davon. »Dazu gehört ein Mensch und den riech ich«, sagte er und wollte wieder unter das Bett. Da gab sie ihm einen Fußtritt in den Leib, dass er einen Purzelbaum machte, auf sein Lager ging, die Tatze ins Maul nahm und einschlief. Alle sieben Tage war der Bär in seiner natürlichen Gestalt und ein schöner Prinz und seine Höhle ein prächtiges Schloss und die Tiere im Wald waren seine Diener. An einem solchen Tag hatte er die Prinzessin abgeholt. Schöne junge Frauen kamen ihr vor dem Schloss entgegen, es war ein herrliches Fest und sie schlief in Freuden ein, aber als sie erwachte, lag sie in einer dunklen Bärenhöhle und ihr Gemahl war ein Bär geworden und brummte zu ihren Füßen und nur das Bett und alles, was sie angerührt hatte, blieb in seinem natürlichen Zustand unverwandelt, So lebte sie sechs Tage in Leid, aber am siebten wurde sie getröstet und da sie nicht alt war und nur der eine Tag ihr zugerechnet wurde, so war sie zufrieden mit ihrem Leben. Sie hatte ihrem Gemahl zwei Prinzen geboren, die waren auch sechs Tage lang Bären und am siebten in menschlicher Gestalt. Sie steckte sich jedesmal ihr Bettstroh voll von den köstlichsten Speisen, Kuchen und Früchten, davon lebte sie die ganze Woche und der Bär war ihr auch gehorsam und tat, was sie wollte. Als Reginald erwachte, lag er in einem seidenen Bett, Diener kamen, um ihm aufzuwarten und ihm die reichsten Kleider anzuziehen, denn es war gerade der siebte Tag. Seine Schwester mit den zwei schönen Prinzen und sein Schwager Bär traten ein und freuten sich über seine Ankunft. Da war alles in Pracht und Herrlichkeit und der ganze Tag voll Lust und Freude. Am Abend aber sagte die Prinzessin: »Lieber Bruder, nun mach, dass du fortkommst. Mit Tagesanbruch nimmt mein Gemahl wieder Bärengestalt an und wenn er dich morgen noch hier -209-
findet, kann er seiner Natur nicht widerstehen und frisst dich auf.« Da kam der Prinz Bär und gab ihm drei Bärenhaare und sagte: »Wenn du in Not bist, so reib daran und ich will dir zur Hilfe kommen.« Darauf nahmen sie Abschied und Ritter Reginald stieg in einen Wagen, der mit sechs Rappen bespannt war und fuhr fort. So ging es über Stock und Stein, bergauf und bergab, ohne Ruh und Rast bis gegen Morgen, als der Himmel anfing grau zu werden. Da lag Rit ter Reginald auf einmal auf der Erde und Ross und Wagen waren verschwunden und beim Morgenrot erblickte er sechs Ameisen, die dahin galoppierten und eine Nussschale zogen. Reginald sah, dass er noch immer in dem Zauberwald war und wollte seine zweite Schwester suchen. Wieder drei Tage irrte er umsonst in der Einsamkeit, am vierten hörte er einen großen Adler daherrauschen, der sich auf einem Nest niederließ. Reginald stellte sich ins Gebüsch und wartete, bis dieser wieder wegflog. Nach sieben Stunden erhob er sich auch wieder in die Höhe. Da kam Reginald hervor, trat vor den Baum und rief: »Liebste Schwester, bist du droben, so lass mich deine Stimme hören. Ich bin Ritter Reginald, dein Bruder, und bin gekommen, um dich zu besuchen!« Da hörte er es herunterrufen: »Bist du es, Reginald, mein liebster Bruder, den ich noch nicht gesehen habe, so komm herauf zu mir!« Reginald wollte hinaufklettern, aber der Stamm war zu dick und glatt. Dreimal versuchte er es, aber umsonst. Da fiel eine seidene Strickleiter hinab, auf der stieg er bald zu dem Adlernest; das war stark und fest. Seine Schwester saß unter einem Thronhimmel von rosenfarbener Seide und auf ihrem Schoß lag ein Adlerei. Das hielt sie warm und wollte es ausbrüten. Sie küssten sich und freuten sich, aber nach einer Weile sprach die Prinzessin: »Nun eile, liebster Bruder, dass du fortkommst. Sieht dich der Adler, mein Gemahl, so hackt er dir die Augen aus und frisst dir das Herz ab, wie er es bei drei deiner Diener getan hat, die dich im Wald suchten.« Reginald sagte: »Nein, ich bleibe hier, bis -210-
dein Gemahl verwandelt wird.« – »Das geschieht erst in sechs Wochen, doch wenn du es aushalten kannst, steck dich in den Baum, der innen hohl ist, ich will dir alle Tage Essen hinunterreichen.« Reginald kroch in den Baum, die Prinzessin ließ ihm alle Tage Essen hinunter und wenn der Adler wegflog, kam er herauf zu ihr. Nach sechs Wochen geschah die Umwandlung. Da erwachte Reginald wieder in einem Bett wie schon bei seinem Schwager Bär, nur dass alles noch viel prächtiger war und er lebte sieben Tage bei dem Adlerprinz in aller Freude. Am siebten Abend nahmen sie Abschied, der Adler gab ihm drei Adlerfedern und sprach: »Wenn du in Not bist, so reib daran und ich will dir zu Hilfe kommen.« Dann gab er ihm Diener mit, die ihm den Weg zeigten. Als aber der Morgen kam, waren sie auf einmal fort und Reginald in einer furchtbaren Wildnis auf einer hohen Felswand allein. Reginald blickte um sich, da sah er in der Ferne den Spiegel eines großen Sees, auf dem eben die ersten Sonne nstrahlen glänzten. Er dachte an seine dritte Schwester und dass sie dort war. Da fing er an hinabzusteigen und arbeitete sich durch Büsche und zwischen Felsen hindurch. Drei Tage verbrachte er damit und verlor oft den See aus den Augen, aber am vierten Morgen gelangte er hin. Er stellte sich an das Ufer und rief: »Liebste Schwester, bist du darin, so lass mich deine Stimme hören. Ich bin Ritter Reginald, dein Bruder, und bin gekommen, um dich zu besuchen.« Aber es antwortete niemand und alles war ganz still. Er bröselte Brotkrumen ins Wasser und sprach zu den Fischen: »Ihr lieben Fischlein, geht hin zu meiner Schwester und sagt ihr, dass Ritter Reginald da ist und zu ihr will.« Aber die rot gefleckten Forellen schnappten das Brot auf und hörten nicht auf seine Worte. Dann sah er ein Boot und warf seine Rüstung ab, behielt nur sein blankes Schwert in der Hand, sprang in das Schiff und ruderte fort. So war er lange gerudert, als er einen Schornstein von -211-
Bergkristall über dem Wasser ragen sah, aus dem ein angenehmer Geruch hervorstieg. Reginald ruderte darauf zu und dachte, da unten wohne gewiss seine Schwester. Dann setzte er sich in den Schornstein und rutschte hinab. Die Prinzessin erschrak recht, als sie auf einmal ein paar Menschenbeine im Schornstein zappeln sah. Bald kam ein ganzer Mann herunter und gab sich als ihr Bruder zu erkennen. Sie freute sich von Herzen, dann aber war sie betrübt und sagte: »Der Walfisch hat gehört, dass du mich aufsuchen willst und hat geklagt, wenn du kämest und er sei ein Walfisch, dann könne er seiner Begierde, dich zu fressen, nicht widerstehen und würde mein kristallenes Haus zerbrechen, so dass auch ich in den Wasserfluten umkommen würde.« – »Kannst du mich nicht so lange verstecken, bis die Zeit kommt, wo der Zauber vorbei ist?« – »Ach nein, wie soll das gehen, siehst du nicht, die Wände sind alle aus Kristall und ganz durchsichtig.« Doch sann sie und sann und endlich fiel ihr die Holzkammer ein. Da legte sie das Holz so künstlich, dass von außen nichts zu sehen war und da hinein versteckte sie den Ritter. Bald darauf kam der Walfisch und die Prinzessin zitterte wie Espenlaub. Er schwamm ein paarmal um das Kristallhaus und als er ein Stückchen von Reginalds Rüstung aus dem Holz hervorschauen sah, schlug er mit dem Schwanz, schnaubte gewaltig und wenn er mehr gesehen hätte, hätte er gewiss das Haus eingeschlagen. Jeden Tag kam er einmal und schwamm darum, bis endlich im siebten Monat der Zauber aufhörte. Da befand sich Reginald in einem Schloss, welches an Pracht sogar das des Adlers übertraf und mitten auf einer schönen Insel stand. Nun lebte er einen ganzen Monat mit seiner Schwester und seinem Schwager in aller Lust, als der aber zu Ende war, gab ihm der Walfisch drei Schuppen und sprach: »Wenn du in Not bist, so reib daran und ich will dir zu Hilfe kommen.« Er ließ ihn wieder ans Ufer fahren. Der Ritter zog darauf sieben Tage in der Wildnis weiter und sieben Nächte schlief er unter freiem Himmel. Da erblickte er -212-
ein Schloss mit einem Stahltor und einem mächtigen Schloss daran. Vorn aber ging ein schwarzer Stier mit funkelnden Augen und bewachte den Eingang. Reginald ging auf ihn los und gab ihm auf den Hals einen gewaltigen Hieb, aber der Hals war aus Stahl und das Schwert zerbrach daran, als wäre es Glas. Er gebrauchte seine Lanze, aber die zerknickte wie ein Strohhalm und der Stier fasste ihn mit den Hörnern und warf ihn in die Luft, dass er an den Ästen eines Baumes hängen blieb. Da besann sich Reginald in der Not auf die drei Bärenhaare, rieb sie in der Hand und in dem Augenblick kam ein Bär dahergetrabt, kämpfte mit dem Stier und zerriss ihn. Aber aus dem Bauch des Stieres flog ein Entenvogel in die Höhe und eilig weiter. Da rieb Reginald die drei Adlerfedern und alsbald kam ein mächtiger Adler durch die Luft, verfolgte den Vogel, der gerade zu einem Weiher floh, schoss auf ihn herab und zerfleischte ihn. Aber Reginald hatte gesehen, wie er noch ein goldenes Ei hatte ins Wasser fallen lassen. Da rieb er die drei Fischschuppen in der Hand, gleich kam ein Walfisch geschwommen, verschluckte das Ei und spie es an Land. Reginald nahm es und schlug es mit einem Stein auf: da lag ein kleiner Schlüssel darin und das war der Schlüssel, der die Stahltür öffnete. Und wie er sie nur damit berührte, sprang sie von selber auf und er trat ein. Auch vor den anderen Türen schoben sich die Riegel von selbst zurück und er trat in sieben prächtige, hell erleuchtete Kammern. In der letzten Kammer lag eine Jungfrau auf einem Bett und schlief. Die Jungfrau war aber so wunderschön, dass er ganz geblendet davon war. Er wollte sie aufwecken, was aber vergebens war, denn sie schlief so fest, als wäre sie tot. Da schlug er vor Zorn auf eine schwarze Tafel, die neben dem Bett stand. In dem Augenblick erwachte die Jungfrau, fiel aber gleich wieder in den Schlaf zurück. Da nahm er die Tafel und warf sie auf den steinernen Boden, so dass sie in tausend Stücke zersprang. Kaum war das geschehen, so schlug die Jungfrau die Augen hell auf und der Zauber war -213-
gelöst. Sie war aber die Schwester von den drei Schwägern Reginalds und weil sie einem gottlosen Zauberer ihre Liebe versagt hatte, hatte er sie in den Todesschlaf gesenkt und ihre Brüder in Tiere verwandelt. Das sollte so lange andauern, wie die schwarze Tafel unversehrt blieb. Ritter Reginald führte die Jungfrau heraus und als er vor das Tor kam, ritten von drei Seiten seine Schwager heran und waren nun erlöst. Und mit ihnen kamen ihre Frauen und Kinder und die Adlerbraut hatte das Ei ausgebrütet und ein schönes Fräulein auf dem Arm. Da zogen sie alle zu dem alten König und der alten Königin und das Wunderkind brachte seine drei Schwestern mit nach Haus und vermählte sich bald mit der schönen Jungfrau. Da war Freude und Lust in allen Ecken und nun ist die Geschichte aus.
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Kapitel 12 Geschichten zum Staunen
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Eulenspiegel und der gelehrige Esel Als Eulenspiegel nach Erfurt kam, rühmte er sich dort der großen Taten, die er schon vollbracht habe. Die Professoren der Universität hatten schon viel von seinen Streichen gehört und wollten nicht, dass es ihnen so ging wie vielen anderen. Sie beschlossen daher, Eulenspiegel einen Esel in die Lehre zu geben, denn er hatte sich damit gerühmt, jedem in kürzester Zeit Lesen und Schreiben beibringen zu können, Eulenspiegel willigte ein und erbat sich etwas Zeit, da ein Esel keine vernünftige Kreatur sei. Die Professoren waren einverstanden und bewilligten ihm für das Kunststück eine Lehrzeit von zwanzig Jahren. Eulenspiegel nahm den Esel mit sich und zog mit ihm in eine Herberge. Er legte dem Esel ein altes Buch in die Futterkrippe und legte zwischen jedes Blatt Haferkörner. Der Esel wendete die Blätter mit dem Maul, fraß den Hafer, der dazwischen lag und wenn er keinen Hafer mehr fand, so schrie er lauthals: »I A, I A!« Da ging Eulenspiegel zu den Professoren und sprach: »Verehrte Herren, wann wollt Ihr einmal die Fortschritte meines Schülers begutachten?« Die Professoren waren erstaunt über die frühzeitigen Erfolge und folgten dem Eulenspiegel sehr gespannt in den Stall, in dem der Esel stand. Das arme Vieh hatte den ganzen Tag noch nichts zu fressen bekommen und wartete sehnsüchtig auf seinen Hafer. Eulenspiegel legte ihm nun wieder das Buch vor und sobald es in der Krippe lag, blätterte der Esel hin und her und suchte den Hafer. Als er aber nichts fand, begann er laut zu schreien: »I A, I A!« Da sagte Eulenspiegel zu den Professoren: »Nun, meine Herren, Sie sehen selbst, die zwei Vokale I und A, die kann er schon. Er wird sicher einmal ein schlauer Esel!« -216-
Wie man das Fürchten lernt Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheit, der jüngste aber dumm. Wenn nun etwas zu tun war, so musste es der älteste immer ausrichten. Sollte er jedoch in der Nacht über einen Kirchhof gehen, so fürchtete er sich. Der jüngste aber konnte nicht begreifen was es heißen sollte, wenn der ältere Bruder sagte »Es gruselt mir!« Als nun der Vater eines Tages zu dem jüngsten sagte, er müsse auch etwas lernen, um sein Brot zu verdienen, so antwortet dieser, er wolle das Fürchten lernen. Bald danach kam der Küster zu Besuch und der Vater klagte ihm seinen Kummer mit dem jüngsten Sohn: »Denkt Euch, als ich ihn fragte, womit er sein Brot verdienen wollte, hat er gar verlangt, das Gruseln zu lernen.« Da entgegnete der Küster, wenn es weiter nichts sei, das Gruseln könne er bei ihm schon lernen. Er solle den Jungen zu ihm lassen, er werde ihn schon abhobeln. Der Vater war einverstanden und der Küster nahm den Jungen in sein Haus. Nach ein paar Tagen weckte er ihn nach Mitternacht und ließ ihn in den Kirchturm steigen und die Glocken läuten. Er ging jedoch heimlich vor und als der Junge oben war, sich umdrehte und das Glockenseil fassen wollte, so sah er auf der Treppe eine weiße Gestalt stehen. Der Junge rief: »Wer da?« aber die Gestalt gab keine Antwort. »Gib Antwort«, rief der Junge, »oder mach, dass du fortkommst, du hast hier in der Nacht nichts zu suchen!« Der Küster aber bewegte sich nicht und der Junge rief noch zweimal und drohte, das Gespenst die Treppe hinabzuwerfen. Als der Küster nicht reagierte, nahm der Junge Anlauf und stieß das Gespenst die Treppe hinab, dass es unten in einer Ecke liegen blieb. Dann läutete er die Glocke, ging heim, legte sich in sein Bett und schlief ein. Die Küsterfrau indessen wartete auf ihren Mann, aber der wollte nicht wiederkommen. Schließlich weckte sie den Jungen und fragte ihn, ob er wisse, wo ihr Mann geblieben sei. Er verneinte, erzählte aber, was im Kirchturm -217-
geschehen war. Die Frau sprang sofort auf und fand ihren Mann, der in einer Ecke lag, jammerte und ein Bein gebrochen hatte. Die Küsterfrau eilte mit lautem Geschrei zu dem Vater des Jungen und forderte ihn auf, den Taugenichts aus dem Haus zu schaffen. Der Vater schalt den Jungen, dieser beteuerte seine Unschuld und fasste den Entschluss, auszugehen und das Gruseln zu lernen. Dem Vater war’s einerlei, er gab dem Jungen fünfzig Taler und bat ihn, nicht zu sagen, wo er her sei und wer sein Vater sei, denn er müsse sich seiner schämen. Am nächsten Morgen ging der Junge hinaus auf die Landstraße und sprach immer vor sich: »Wenn’s mir nur gruselte! Wenn’s mir nur gruselte!« Das hörte ein Mann und sagte zu ihm, als sie nicht weit von einem Galgen waren: »Siehst du, dort ist der Baum, wo sieben mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen: setz dich darunter und warte, bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.« Der Junge sagte, das sei ein Leichtes und versprach dem Mann seine fünfzig Taler, wenn er so das Gruseln lerne. Er ging zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Weil es ihm kalt war, machte er ein Feuer an, doch der Wind blies so stark, dass er trotz des Feuers fror. Als der Wind die Gehängten gegeneinander stieß, dass sie sich hin und her bewegten, so dachte er: Du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren. So legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem anderen ab und holte sie alle sieben herunter. Dann schürte er das Feuer und setzte die Toten rundherum, damit sie sich wärmen sollten. Als das Feuer ihre Lumpen ergriff und die Toten sich nicht regten, wurde der Junge böse und sprach: »Wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen.« und so hängte er einen nach dem anderen wieder auf. Am ändern Morgen kam der Mann und wollte seine fünfzig Taler abholen. Er fragte den Jungen, ob er nun wisse, was Gruseln sein. »Nein«, antwortete dieser, »woher sollte ich es -218-
wissen. Die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, dass sie die paar alten Lappen, die sie am Leibe haben, brennen ließen.« Da sah der Mann, dass er die fünfzig Taler nicht bekommen würde und ging fort. Der Junge ging weiter und kam in ein Wirtshaus, wo er wieder laut sprach: »Wenn’s mir nur gruselte! Wenn’s mir nur gruselte!« Der Wirt erzählte ihm darauf von einem Schloss in der Nähe, wo einer wohl lernen könnte, was das Gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Derjenige, der es wagen wollte, erhalte die schöne Königstochter zur Frau. Der Junge wollte es wagen, trat vor den König und dieser sagte: »Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und das darfst du mit ins Schloss nehmen.« Der Junge bat um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge in das Schloss und machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setze sich auf die Drehbank. Gegen Mitternacht kamen plötzlich zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprung herbei und sahen ihn mit feurigen Augen ganz wild an. Als sie sich ein Weilchen gewärmt hatten, sprachen sie: »Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?« Er antwortet: »Warum nicht, aber zeigt einmal eure Pfoten her!« Sie streckten die Krallen aus, er packte sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. Dann schlug er sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Doch da kamen immer mehr schwarze Katzen und Hunde an glühenden Ketten, die schrieen gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wo llten es ausmachen. Er fasste sein Schnitzmesser und haute auf sie los. Ein Teil sprang weg, die anderen schlug er tot und warf sie in den Teich. Danach war er müde und wollte ein wenig schlafen. In einer Ecke entdeckte er ein großes Bett und legte sich hinein. Als er aber die Augen schließen wollte, fing das Bett von selbst an zu fahren und fuhr im ganzen Schloss herum. Die Fahrt -219-
wurde immer wilder und plötzlich hopp hopp! kippte es um, das Unterste zuoberst, dass es wie ein Berg auf ihm lag. Er stieg heraus und sagte: »Nun mag fahren, wer Lust hat!« Er legte sich ans Feuer und schlief bis zum nächsten Morgen. Die zweite Nacht ging er abermals in das Schloss und machte sich wieder ein Feuer an. Um Mitternacht kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihn hin. Da forderte er sich auch noch die zweite Hälfte und kurz darauf kam mit tosendem Gepolter die andere Hälfte auch herab. Plötzlich fuhren die beiden Stücke zusammen und ein gräulicher Mann saß auf seinem Platz. Der Junge schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab und die holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe und spielten Kegel. Der Junge spielte mit und um zwölf Uhr war alles verschwunden. Er legte sich hin und schlief ruhig ein. In der dritten Nacht kamen sechs große Männer und brachten eine Totenlade hereingetragen. Sie stellten den Sarg auf die Erde, er ging hin und nahm den Deckel ab. In dem Sarg lag ein toter Mann. Er fühlte sein Gesicht, aber es war kalt wie Eis. Der Junge beschloss, den Mann zu wärmen. Er setzte ihn erst ans Feuer, dann legte er ihn zu sich ins Bett. Nach einer Weile wurde der Tote warm und fing an, sich zu regen. Der Tote hub an und schrie: »Jetzt will ich dich erwürgen.« Da hob der Junge ihn auf, warf ihn wieder in den Sarg und machte den Deckel zu. Die sechs Männer kamen erneut und nahmen den Sarg mit sich fort. Der Junge aber sagte: »Es will mir nicht gruseln, hier lerne ich’s mein Lebtag nicht.« Da trat ein Mann herein, der sah fürchterlich aus und war größer als alle anderen. Er sprach: »O du Wicht, nun sollst du bald lernen, was Gruseln ist, denn du sollst sterben.« Dann wollte er ihn packen, doch der Junge sprach: »Sachte, sachte, mach dich nicht so breit, so stark wie du bin ich auc h und wohl noch stärker.« Das wollte der Alte sehen und versprach, ihn -220-
gehen zu lassen, wenn er stärker sei. Sie gingen durch dunkle Gänge zu einem Schmiedefeuer, der Alte nahm eine Axt und schlug den Amboss mit einem Schlag in die Erde. Da ging der Junge zu dem anderen Amboss und weil der Alte sich neben ihn stellte, klemmte der Junge seinen Bart mit einem Hieb in den Amboss ein. Dann fasste er eine Eisenstange und schlug auf den Alten los, bis der wimmerte und versprach, ihm große Reichtümer zu geben. Er führte ihn in einen Keller, in dem drei Kisten mit Gold standen: ein Teil gehörte den Armen, ein Teil dem König und der dritte Teil gehörte nun ihm. Indem schlug es zwölf und der Alte verschwand. Am anderen Morgen kam der König und sprach: »Du hast das Schloss erlöst und sollst meine Tochter heiraten.« Das freute den Jungen, doch wusste er immer noch nicht, was Gruseln ist. Die Hochzeit wurde gefeiert und so lieb er seine Gemahlin auch hatte, sagte er doch immer: »Wenn’s mir nur gruselte!« Die Kammerjungfer ging schließlich hinaus zum Bach und ließ sich einen ganzen Eimer voll Regenwürmer holen. Nachts als der junge König schlief, musste seine Gemahlin ihm die Decke wegziehen und den Eimer mit dem kalten Wasser und den Regenwürmern über ihn schütten. Da wachte er auf und rief: »Ach, was gruselt mir, was gruselt mir, liebe Frau!«
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Das verschmitzte Bäuerlein Es war einmal ein kluges und verschmitztes Bäuerlein, von dessen Streichen man lange und viel erzählen könnte. Die schönste Geschichte aber ist, wie es den Teufel einmal zum Narren hielt. Das Bäuerlein hatte eines Tages seinen Acker bestellt und rüstete sich zur Heimfahrt, als es bereits zu dämmern begann. Da erblickte es mitten auf seinem Acker einen Haufen feuriger Kohlen, auf denen ein kleiner schwarzer Te ufel saß. Das Bäuerlein fragte: »Du sitzt wohl auf einem Schatz?« »Jawohl«, entgegnete der Teufel »auf einem Schatz, der mehr Gold und Silber enthält, als du in deinem ganzen Leben gesehen hast.« Da sagte das Bäuerlein: »Der Schatz liegt auf meinem Feld und gehört deshalb mir.« Da antwortete der Teufel: »Er soll dir gehören, wenn du mir zwei Jahre lang die Hälfte von dem gibst, was dein Acker hervorbringt. Geld habe ich genug, aber ich sehne mich nach den Früchten der Erde.« Das Bäuerlein ging auf den Handel ein, sagte aber: »Damit es keinen Streit beim Teilen gibt, soll dir das gehören, was über der Erde liegt, und ich nehme das, was unter der Erde liegt.« Der Teufel war einverstanden, doch das listige Bäuerlein säte Rüben. Als nun die Zeit der Ernte kam, erschien der Teufel und wollte seine Frucht abholen. Er fand jedoch nichts als welke gelbe Blätter, während das Bäuerlein vergnügt die Rüben ausgrub. Da sprach der Teufel: »Einmal hast du nun den Vorteil gehabt, aber für das nächste Mal soll das nicht gelten. Nun soll dir das gehören, was über der Erde wächst, und mir gehört das, was unter der Erde ist.« Das Bäuerlein erklärte sich einverstanden, säte nun aber statt Rüben Weizen. Als die Frucht reif war, ging das Bäuerlein auf den Acker und schnitt die Halme bis zur Erde ab. Als der Teufel kam, fand er nichts als Stoppeln und fuhr wütend in eine Felsenschlucht hinab. »So -222-
muss man die Füchse prellen«, sprach das Bäuerlein und ging, um sich seinen Schatz zu holen.
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Der Sack der Weisheit Es waren einmal zwei Brüder, die lebten beide im Soldatenstand, doch der eine war reich, der andere arm. Da wollte der Arme sich aus der Not helfen, zog den Soldatenrock aus und wurde Bauer. Also grub und hackte er sein Stückchen Acker und säte Rübsamen. Der Samen ging auf und es wuchs da eine Rübe, die wurde groß und stark und zusehends dicker und wollte gar nicht aufhören zu wachsen, so dass sie eine Fürstin der Rüben hätte sein können, denn nimmer war so eine gesehen und wird auch nimmer gesehen werden. Zuletzt war sie so groß, dass sie allein einen ganzen Wagen anfüllte und zwei Ochsen daran ziehen mussten. Der Bauer wusste nicht, was er damit anfangen sollte und ob es ein Glück oder Unglück wäre. Endlich dachte er, verkaufst du sie, was wirst du großes dafür bekommen und willst du sie selber essen, so tun die kleinen Rüben denselben Dienst. Du willst sie dem König bringen und ihn verehren. Also lud er sie auf den Wagen, spann zwei Ochsen vor, brachte sie an den Hof und schenkte sie dem König. »Ei«, sagte der König, »was ist das für ein seltsames Ding? Mir ist viel Wunderliches vor die Augen gekommen, aber so ein Ungetüm noch nicht. Aus was für Samen mag die gewachsen sein? Oder es gerät nur dir und du bist ein Glückskind.« »Ach nein«, sagte der Bauer, »ein Glückskind bin ich nicht. Ich bin ein armer Soldat, der sich nicht mehr nähren konnte und deshalb den Soldatenrock an den Nagel hing und das Land bebaute. Ich habe noch einen Bruder, der ist reich und Euch, Herr König, auch wohl bekannt. Ich aber, weil ich nichts habe, bin von aller Welt vergessen.« Da empfand der König Mitleid mit ihm und sprach: »Deine Armut ist vorbei. Du sollst so von mir beschenkt werden, dass du deinem reichen Bruder gleich kommst.« Also schenkte er ihm eine Menge Gold, Acker, -224-
Wiesen und Herden und machte ihn steinreich, so dass des ändern Bruders Reichtum gar nicht damit verglichen werden konnte. Als dieser hörte, was sein Bruder mit einer einzigen Rübe erworben hatte, beneidete er ihn und sann hin und her, wie er sich auch ein solches Glück zuwenden könnte. Er wollte es aber noch viel gescheiter anfangen, nahm Gold und Pferde und brachte sie dem König, denn er meinte, der würde ihm ein viel größeres Gegengeschenk machen, denn wenn sein Bruder schon für eine Rübe so viel bekommen hatte, was würde er ihm erst für so schöne Dinge alles geben. Der König nahm das Geschenk und sagte, er wüsste ihm nichts wieder zu geben, das rarer und besser wäre, als die große Rübe. Also musste der Reiche seines Bruders Rübe auf einen Wagen legen und nach Hause fahren lassen. Daheim wusste er nicht, an wem er seinen Ärger und Zorn auslassen sollte, bis ihm böse Gedanken kamen und er beschloss, seinen Bruder zu töten. Er gewann Mörder, die mussten sich in einen Hinterhalt stellen und darauf ging er zu seinem Bruder und sprach: »Lieber Bruder, ich weiß einen heimlichen Schatz, den wollen wir miteinander heben und teilen.« Der andere ließ sich das gefallen und ging ohne Argwohn mit. Als sie aber hinauskamen, stürzten die Mörder über ihn her, banden ihn und wollten ihn an einen Baum hä ngen. Als sie gerade dabei waren, erscholl aus der Ferne lauter Gesang und Hufschlag, dass ihnen der Schrecken in den Leib fuhr und sie Hals über Kopf ihren Gefangenen in den Sack steckten, am Ast hinaufwanden und hängen ließen. Er aber arbeitete darin, bis er ein Loch im Sack hatte, wodurch er den Kopf stecken konnte. Darauf ergriffen sie die Flucht. Wer aber des Weges daher kam, war nichts anderes als ein fahrender Schüler, ein junger Geselle, der fröhlich sein Lied singend durch die Straße ritt. Wie der oben nun merkte, dass einer unter an ihm vorbeiging, rief er: »Sei mir gegrüßt zu guter -225-
Stunde!« Der Schüler guckte sich überall um, wusste aber nicht, wo die Stimme herschaute, Endlich sprach er: »Wer ruft mir zu?« Da antwortete es aus dem Wipfel: »Erhebe deine Augen, ich sitze hier oben im Sack der Weisheit. In kurzer Zeit habe ich große Dinge gelernt, dagegen sind alle Schulen ein Wind. Noch ein wenig, so werde ich ausgelernt haben, herabsteigen und weiser sein als alle Menschen. Ich verstehe die Gestirne- und Himmelszeichen, das Wehen aller Winde und den Sand im Meer, Heilung der Krankheit, die Kräfte der Kräuter, Vögel und Steine. Wärst du einmal darin, du würdest fühlen, was für Herrlichkeit aus ihm fließt.« Der Schüler, wie er das alles hörte, staunte und sprach: »Gesegnet sei die Stunde, wo ich dich gefunden. Könnte ich nicht auch ein wenig in den Sack kommen?« Oben der antwortete. als täte er es nicht gern: »Eine kleine Weile will ich dich wohl hineinlassen für Lohn und gute Worte, aber du musst noch eine Stunde warten, es ist ein Stück übrig, das ich erst lernen muss.« Als der Schüler ein wenig gewartet hatte, war ihm die Zeit zu lang und er bat, dass er doch möge hineingelassen werden, sein Durst nach Weisheit wäre gar zu groß. Da stellte sich der oben, als gäbe er endlich nach und sprach: »Damit ich aus dem Haus der Weisheit heraus kann, musst du den Sack am Strick herunterlassen, dann kannst du hinein.« Also ließ der Schüler ihn herunter, band den Sack auf und befreite ihn, dann rief er selber: »Nun zieh mich recht geschwind hinauf!« und wollte gerade stehend in den Sack hineingehen. »Halt!« sagte der andere, »So geht das nicht!« und packte ihn beim Kopf, steckte ihn rücklings in den Sack, schnürte zu und zog den Jünger der Weisheit am Strick nach oben und schwenkte ihn in der Luft: »Wie steht’s mein lieber Geselle? Siehe, schon fühlst du, dass dir die Weisheit kommt und machst gute Erfahrung. Sitze also fein ruhig, bis du klüger wirst!« Damit stieg er auf des Schülers Pferd und ritt fort.
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Der Dreschflegel vom Himmel Es zog einmal ein Bauer mit seinen zwei Ochsen zum Pflügen auf den Acker, Als er ankam, fingen den beiden Tieren die Hörner an zu wachsen und als er nach Hause wollte, waren sie so groß geworden, dass sie nicht mehr durch das Tor hinein konnten. Da kam gerade ein Metzger daher, dem überließ er die Ochsen und sie schlossen einen Handel. Er sollte dem Metzger ein Maß Rübsamen bringen und der wollte ihm dann für jedes Korn einen Taler geben. Der Bauer ging nun nach Hause, packte ein Maß Rübsamen auf den Rücken und machte sich auf den Weg zum Metzger. Unterwegs aber verlor er aus dem Sack ein Körnchen. Der Metzger bezahlte, wie es ausgehandelt worden war, doch hätte der Bauer das Körnchen nicht verloren, so hätte er einen Taler mehr gehabt. Als er nun wieder den Weg zurückging, war aus dem Korn ein Baum gewachsen, der bis an den Himmel reichte. Da dachte der Bauer bei sich: »Weil jetzt die Gelegenheit gerade da ist, musst du doch sehen, was die Engel da oben machen und ihnen einmal in die Augen gucken.« So stieg er hinauf und sah, dass die Engel Hafer droschen. Wie er so zuschaute merkte er, dass der Baum, auf dem er stand, anfing zu wackeln. Als er hinunterblickte sah er, dass eben einer dabei war, den Baum zu fällen. Da dachte der Bauer, wenn du da herabstürztest, das wäre bös, und in seiner Not wusste er sich keinen anderen Rat, als aus der Spreu vom Hafer, die haufenweise da lag, einen Strick zudrehen. Dann griff er noch nach einer Hacke und einem Dreschflegel, die da im Himmel herumlagen und ließ sich an dem Strick herunter. Unten auf der Erde aber kam er in ein tiefes Loch und so war es ein Glück, dass er die Hacke dabei hatte, denn damit hackte er sich eine Treppe. Er stieg die Treppe hinauf in die Höhe und brachte den Dreschflegel als Beweis mit, so dass niemand an seiner -227-
Erzählung zweifeln konnte.
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Der listige Fuchs Der Fuchs begleitete einmal den Wolf und musste alles tun, was der Wolf wollte, weil er viel schwächer war. Er wäre diesen nun gern los gewesen, denn der Wolf war ein Nimmersatt und nie zufrieden. Als sie eines Tages wieder gemeinsam durch den Wald gingen, sprach der Wolf: »Rotfuchs, schaff mir was zu fressen herbei, oder ich fresse dich!« Da antwortete der Fuchs: »Ich kenne einen Bauernhof, wo ein paar junge Lämmer sind. Wenn du Lust hast, holen wir uns eins.« Der Wolf war einverstanden. Sie gingen zu dem Hof, der Fuchs stahl das Lämmlein, brachte es dem Wolf und machte sich davon. Der Wolf fraß das Lämmlein, aber weil es ihm noch nicht genug war, machte er sich selbst noch einmal auf, um noch ein Lämmlein zu stehlen. Er stellte sich dabei jedoch so ungeschickt an, dass die Mutter des Lämmleins es merkte und zu schreien anfing. Die Bauern kamen, fanden den Wolf und schlugen ihn fürchterlich. Als der Wolf hinkend und heulend bei dem Fuchs ankam, beklagte er sich bitterlich: »Du hast mich schön angeführt, Ich wollte mir noch ein Lamm holen, da haben mich die Bauern erwischt und windelweich geschlagen.« Der Fuchs aber antwortete ihm: »Warum bist du auch so ein Nimmersatt!« Am anderen Tag gingen sie wieder ins Feld und der gierige Wolf sprach erneut: »Rotfuchs, schaff mir was zu fressen herbei, oder ich fresse dich!« Da antwortete der Fuchs: »Ich kenne ein Bauernhaus, da backt die Frau heute abend Pfannkuchen, die wollen wir uns holen.« Sie gingen dorthin und der Fuchs schlich um das Haus herum und schnupperte so lange, bis er die Schüssel mit den Pfannkuchen gefunden hatte. Dann nahm er sechs Stück heraus und brachte sie dem Wolf. Er selbst aber ging seiner Wege. Der Wolf verschlang gierig die Pfannkuchen und sprach: »Sie schmecken nach mehr!« Er ging zu dem Bauernhaus und riss die -229-
Schüssel herunter, so dass sie zersprang. Der Lärm rief die Bauersfrau aus dem Haus und als sie den Wolf sah, rief sie ihre Leute, und die schlugen ihn so, dass er mit zwei lahmen Beinen laut heulend beim Fuchs ankam. Dem machte er auch sogleich bittere Vorwürfe: »Was hast du mich so garstig übers Ohr gehauen! Die Bauern haben mich erwischt und furchtbar verprügelt.« Der Fuchs aber antwortete ihm nur: »Warum bis t du auch so ein Nimmersatt!« Am dritten Tag waren sie wieder zusammen unterwegs und der Wolf hinkte mühsam vorwärts, Unterwegs sprach er wieder: »Rotfuchs, schaff mir was zu fressen herbei oder ich fresse dich selber auf!« Der Fuchs antwortete ihm: »Ich kenne einen Mann, der hat geschlachtet, und das gesalzene Fleisch liegt in einem Fass im Keller. Das wollen wir uns holen.« Nun sprach der Wolf aber: »Ich will diesmal gleich mitgehen, damit du mir hilfst, wenn ich nicht fort kann.« Dem Fuchs war das recht und er zeigte dem Wolf die Schliche und Wege, über die sie endlich in den Keller gelangten. Da war nun ein Fass voll Fleisch und der Wolf machte sich gleich daran und dachte: »Bis ich aufhöre, hat’s Zeit.« Der Fuchs ließ es sich auch gut schmecken, doch er lief oft zu dem Loch, durch das sie in den Keller gelangt waren, und versuchte, ob er noch schmal genug wäre, um da durchzuschlüpfen. Da sprach der Wolf: »Lieber Fuchs, sag mir doch, warum du so hin und her rennst und dauernd durch das Loch schlüpfst?« Der listige Fuchs antwortete ihm: »Ich muss doch sehen, ob niemand kommt. Und du, friss nicht so viel!« Aber der Wolf wollte nicht eher aufhören, bis das Fass leer wäre. Da kam plötzlich der Bauer, der die Sprünge des Fuchses gehört hatte, in den Keller, Der Fuchs war sofort mit einem Satz draußen, doch der Wolf hatte in der Zwischenzeit so viel gefressen, dass er zu dick geworden war und nicht mehr durch das Loch passte und stecken blieb. Der Bauer schlug den Wolf mit seinem Knüppel tot und der Fuchs sprang munter in den Wald und war froh, dass er den alten Nimmersatt los war. -230-
Wie Eulenspiegel bei einem Kaufmann diente Eulenspiegel hatte einmal einen Dienst bei einem reichen Kaufmann angenommen und dieser nahm ihn zunächst auf eine seiner Reisen mit. Bevor sie in die Stadt fuhren, sagte der Kaufmann zu Eulenspiegel: »Spann an, pass auf den Weg auf und sieh dich nicht um!« Als sie nun ein Stück mit dem Wagen gefahren waren, löste sich das Hintergestell. Eulenspiegel aber sah sich nicht um, sondern fuhr alleine weiter. Der Kaufmann, der auf dem hinteren Gestell saß, rief laut nach ihm, doch Eulenspiegel hörte nicht auf das Geschrei und fuhr weiter. So musste der Kaufmann hinter ihm herlaufen, bis ihm die Zunge fast auf den Boden hing. Als sie am Abend wieder zu Hause ankamen, sprach der Kaufmann verärgert: »Diese Nacht kannst du noch hier bleiben, aber am Morgen räum’ das Haus, denn du bist ein durchtriebener Schalk!« Sobald der Kaufmann am nächsten Morgen das Haus verlassen hatte, begann Eulenspiegel das Haus zu räumen. Er trug Stühle, Tische, Bänke und was er sonst noch tragen konnte, hinaus auf die Straße. Die Nachbarn starrten verwundert zu dem Haus hinüber und riefen den Kaufmann herbei. Dieser brüllte Eulenspiegel schon von weitem an und fragte, was der Unsinn solle. Doch Eulenspiegel antwortete ganz ernsthaft: »Herr, Ihr selbst habt mir gestern abend befohlen, das Haus zu räumen. Ich tue nichts anderes!« Der Kaufmann räumte sein ganzes Hab und Gut wieder ins Haus und Eulenspiegel machte, dass er fortkam.
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Kapitel 13 Tiergeschichten
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Das hässliche junge Entlein An einem schönen Sommertag brütete eine Ente im hohen Gras ihre Jungen aus. Endlich platzte ein Ei nach dem anderen und die jungen Entenküken kamen zum Vorschein, eines schöner als das andere, Schließlich blieb nur noch ein Ei übrig, Als dieses schließlich platzte, kam, oh Schreck, ein großes, hässliches Entenküken heraus. Die Ente besah es kritisch und watschelte dann mit all ihren Küken zum nahen Teich. Das hässliche Entlein schwamm ebenso gut wie die and eren und da die Ente sehr gutmütig war, hatte sie alle ihre Kinder gleich lieb. Dann beschloss sie, mit ihren Kleinen zum Entenhof zu schwimmen. Dort wurden die Küken der Reihe nach vorgestellt und die anderen Enten waren entzückt von den kleinen Entenkindern, nur das eine große Entenküken gefiel ihnen gar nicht, Sie verspotteten und ärgerten es und eine der Enten biss es sogar in den Nacken. Das hässliche Entlein wurde immer trauriger und lief eines Tages einfach davon. Es kam zu dem großen Moor, wo die Wildenten wohnten. Doch auch die fanden das Entenküken abstoßend hässlich und jagten es davon. Zwei junge Wildgänse aber nahmen das Entlein freundlich bei sich auf, Eines Tages aber knallte es furchtbar und die beiden Gänse fielen tot zu Boden. Das Entlein erschrak furchtbar, als plötzlich ein großer Jagdhund vor ihm stand. Doch der beachtete das Entlein nicht weiter und lief davon. So machte sich das Entlein auf den Weg und kam, als es schon dunkel wurde, an ein kleines Häuschen, in dem eine alte Frau mit ihrer Katze und ihrem Huhn lebte. Dort blieb es einige Zeit, doch schon bald packte es die Sehnsucht nach Wasser, Luft und Sonne und so machte es sich wieder auf den Weg. Doch nun kam der Herbst und es wurde immer kälter, so dass für das Entlein eine schwere Zeit begann. Eines Abends, als -233-
gerade die Sonne wunderschön unterging, kam ein Schwarm Schwäne vorbeigeflogen. Das Entlein spürte eine große Liebe zu den fremden Vögeln und es wurde ihm ganz eigenartig ums Herz. Als der Winter kam, wurde es so kalt, dass das Wasser zu gefrieren begann. Unermüdlich schwamm das Entlein zwischen den Eisschollen hin und her, um das Wasser vor dem Zufrieren zu bewahren, aber bald wurde es müde und das Eis schloss es ein. Am nächsten Morgen kam ein Bauer vorbei, sah das arme Entlein und weil er Mitleid hatte, nahm er es mit zu sich nach Hause. Dort erholte sich das Entlein zusehends, doch als die Kinder mit ihm spielen wollten, erschrak es furchtbar und fiel in den Rahmtopf. Die Frau des Bauern war sehr erbost darüber und jagte es aus dem Haus. So stand dem armen Entlein ein harter Winter bevor. Aber endlich wurde es wieder wärmer und der Frühling kam. Die Sonne schien warm und die Vögel zwitscherten. Das Entlein breitete seine Flügel aus und ohne zu wissen, wie ihm geschah, landete es in einem großen Garten. Auf dem Teich in der Mitte dieses Gartens schwammen drei weiße, wunderschöne Schwäne. Als sie das Entlein erblickten, kamen sie näher. Das Entlein ängstigte sich ein wenig und beugte demütig seinen Kopf. Doch was sah es da in dem klaren Wasser? Es war gar kein hässliches Entlein mehr, sondern selbst ein wunderschöner Schwan. Es war zwar in einem Entenhof geboren worden, doch hatte die Entenmutter ein Schwanenei ausgebrütet. Die drei Schwäne nahmen ihren neuen Gefährten freundlich auf und streichelten ihn mit den Flügeln. Da kamen zwei Kinder in den Garten und als sie den neuen Schwan sahen, jubelten sie vor Freude über seine Schönheit. Sie fütterten die Schwäne mit Brot und Korn und liefen dann zu ihrer Mutter, um ihr von dem Neuankömmling zu erzählen. »Er ist der schönste Schwan von allen!« riefen sie. Da steckte der neue Schwan seinen Kopf verschämt unter den Flügel und war -234-
vor Glück ganz verwirrt, denn das hätte er sich nicht träumen lassen.
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Zimba, der kleine Löwe Zimba, der kleine Löwe und das Äffchen Charly sitzen unter einem großen Baum im Dschungel. Auf einem Baum krächzt Cora, der Papagei: »Ihr hättet mich sehen sollen, als ich noch im Zirkus aufgetreten bin! Ich war die Sensation jeder Vorstellung!« Da seufzt Zimba, der kleine Löwe: »Ich will auch im Zirkus auftreten!« »Dann musst du dich aber beeilen«, krächzt Cora, »denn bald kommen die Leute vom Zirkus, um sich Tiere auszusuchen.« Zimba und Charly üben nun jeden Tag und schon bald schlagen sie Purzelbäume und Saltos und jonglieren mit Apfelsinen und Kokosnüssen. Doch Cora meint: »Ihr müsst euch etwas Besonderes einfallen lassen, das gibt es alles schon!« Zimba ist darüber sehr traurig, doch Charly hat eine Idee: »Du musst lernen, auf einem Seil zu tanzen, denn einen Löwen auf dem Seil hat es noch nie gegeben.« »Ich auf einem Seil?« kreischt Zimba erschrocken, aber es bleibt ihm wohl oder übel keine andere Möglichkeit. Er klettert auf einen Baum und tastet sich vorsichtig auf das schwankende Seil vor. Schon nach dem ersten Schritt liegt er wieder auf dem Boden. Das geht noch einige Male so und Cora, der Papagei, ruft dauernd: »Einen Löwe auf einem Seil, das gibt es nicht!« Einige Zeit später ist es dann soweit, die Zirkusleute sind angekommen. Der Zirkusdirektor kommt mit seinem Gehilfen Peppino, um eine ganz besondere Sensation zu suchen. Peppino zeigt auf eine Giraffe, die einen richtigen Knoten in ihren langen Hals macht. Der Zirkusdirektor ist zwar begeistert, doch ist ihm die Giraffe noch immer nicht sensationell genug. Da zeigt ihm Peppino einen Elefanten, der ein Lied trompetet. Doch der Direktor ist noch immer nicht ganz zufrieden. In diesem Augenblick springen Zimba und Charly auf das Seil und zeigen die tollsten Kunststücke. Der Zirkusdirektor ist -236-
begeistert und sagt: »Ich muss schon sagen, ein Löwe auf einem Seil, das ist wirklich eine Sensation.« Also dürfen Zimba und Charly sofort mit in die Stadt zum Zirkus und es dauert nicht lange, da ist Zimba eine Berühmtheit.
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Die neugierige Giraffe In einem Land am Meer lebte einmal eine Giraffe, die sehr neugierig war. Da sie ihren Kopf immer nach allen Seiten reckte und streckte, wurde ihr Hals immer länger und länger. Schließlich war er so lang geworden, dass sie eines Nachts, als sie sich im Schlaf streckte, mit dem Kopf an die Sterne stieß. Durch den Stoß kamen viele Sterne aus dem Gleichgewicht und fielen auf die Erde herunter. Einige Sterne fielen ins Wasser, das nun wunderschön beleuchtet war. Doch weil die Sterne das Wasser nicht vertragen konnten, verloschen sie nach und nach und im Meer war es bald wieder so dunkel, wie es vorher gewesen war. Der andere Teil der Sterne fiel in die Wüste und leuchtete und glitzerte nun im Wüstensand. Doch die Wüstentiere fürchteten, die Welt könnte anfangen zu brennen und so schickten sie die Elefanten zum Meer Wasser holen, um die Sterne auszulöschen. So liefen nun die Elefanten immer hin und her, von der Wüste zum Meer und vom Meer zur Wüste. Sie spritzten das Wasser im hohen Strahl aus ihren Rüsseln und morgens um fünf Uhr waren end lich alle Sterne ausgelöscht. Die Giraffe aber sagte leise zu sich: »Gott sei Dank hat niemand gemerkt, dass das alles meine Schuld war!« Und sie schwor sich, nie mehr neugierig zu sein. Und während sie so ihren Gedanken nachging, da wurde ihr Hals immer kürzer und kürzer. Zwar blieb er am Ende immer noch einige Meter lang, doch jeder meinte nun, das müsse so sein. Die Giraffe freute sich sehr und legte sich erschöpft in den Sand, um noch ein wenig zu schlafen. Schließlich hatte sie wegen der Aufregung nur drei Stunden geschlafen und drei Stunden Schlaf sind eindeutig zu wenig für eine Giraffe.
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Die Bremer Stadtmusikanten Es war einmal ein Mann, der hatte einen treuen Esel, der viele Jahre lang die Säcke unverdrossen zur Mühle getragen hatte. Doch nun war der Esel alt und seine Kräfte gingen zu Ende, so dass er zur Arbeit immer untauglicher wurde. Der Herr überlegte also, den Esel aus dem Futter zu schaffen, doch dieser merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach Bremen, Dort, so meinte er, könne er ja Stadtmusikant werden. Als er so ein Weilchen gegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Weg liegen, der erbärmlich japste. »Was japst du denn so, Packan?« fragte der Esel. »Ach«, sprach der Hund, »ich bin alt und werde jeden Tag schwächer. Mein Herr hat mich wollen totschlagen, weil ich auf der Jagd nicht mehr fort kann und so habe ich Reißaus genommen. Aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?« Der Esel schlug ihm vor, mit nach Bremen zu gehen und ebenfalls Stadtmusikant zu werden. Er wolle Laute spielen, der Hund solle die Pauken schlagen. Der Hund war einverstanden und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, da trafen sie eine Katze, die am Weg saß und ein Gesicht machte wie drei Tage Regenwetter. Der Esel fragte: »Was ist dir denn in die Quere gekommen, alter Bartputzer?« »Wer kann lustig sein, wenn es ihm an den Kragen geht?« entgegnete die Katze. »Weil ich nun alt werde und lieber hinter dem Ofen sitze als nach Mäusen zu jagen, hat mich meine Frau ersäufen wollen. Ich bin geflohen, doch wo soll ich nun hin?« Der Esel schlug ihr vor mit nach Bremen zu gehen und ebenfalls Stadtmusikant zu werden. Die Katze ging mit. Kurz darauf kamen die drei an einem Hof vorbei. Auf dem Tor saß ein Hahn und schrie aus Leibeskräften. Der Esel sprach: »Du schreist einem durch Mark und Bein, was hast du vor?« »Weil morgen zum Sonntag Gäste kommen, hat die Hausfrau -239-
der Köchin gesagt, sie wollte mich morgen in der Suppe essen und da soll ich mir heute abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus vollem Hals, so lange ich kann.« Der Esel entgegnete: »Etwas Besseres als den Tod findest du überall. Du hast eine gute Stimme und wenn wir zusammen musizieren, so wird es gut sein. Geh mit uns nach Bremen!« Der Hahn war einverstanden und sie gingen alle vier zusammen fort. Sie konnten Bremen aber nicht in einem Tag erreichen und so machten sie abends in einem Wald Rast und wollten dort übernachten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen Baum, die Katze kletterte in die Äste, der Hahn aber flog bis in die Spitze, wo es am sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal gut um und es schien ihm, als sähe er in der Ferne ein Fünkchen brennen und so rief er seinen Gesellen zu, in der Nähe müsste ein Haus sein, denn es sche ine ein Licht. Der Esel sprach: »So müssen wir uns aufmachen und hingehen, denn dies ist eine schlechte Herberge.« Also machten sie sich auf den Weg und bald wurde das Licht immer größer, bis sie vor ein hell erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel näherte sich dem Fenster und schaute hinein. »Was siehst du, Grauschimmel?« fragte der Hahn. »Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken und Räuber sitzen daran und lassen sich’s wohl sein«, antwortete der Esel. Da beratschlagten die Tiere, wie sie es anfangen müssten, um die Räuber hinauszujagen. Der Esel stellte sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster, der Hund sprang auf des Esels Rücken, die Katze kletterte auf den Hund und der Hahn flog schließlich auf den Kopf der Katze. Auf ein Zeichen hin fingen sie alle an Musik zu machen: der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn krähte. Dann stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein. Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe und meinten, ein Gespenst käme herein und in ihrer Furcht flohen sie in den Wald hinaus. Die vier Gesellen setzten sich an den Tisch und aßen nach Herzenslust von dem, was -240-
übriggeblieben war. Als sie mit dem Essen fertig waren, suchte sich jeder eine Schlafstelle. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Tür, die Katze auf den Herd und der Hahn setzte sich auf den Hahnenbalken und so schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht vorbei war und die Räuber sahen, dass kein Licht mehr im Haus war, sprach der Hauptmann: »Wir hätten uns nicht ins Bockshorn jagen lassen sollen!« Er befahl einem, ins Haus zu gehen und es zu untersuchen. Der Räuber fand alles still, aber als er ein Streichholz an den glühenden Kohlen anzünden wollte, da waren das die funkelnden Augen der Katze, die ihm ins Gesicht sprang und spie und kratzte. Der Räuber erschrak gewaltig und wollte zur Hintertür hinaus. Da aber lag der Hund und als der Räuber hinauswollte, sprang er auf und biss ihn ins Bein. Als er über den Hof lief, gab ihm der Esel noch einen kräftigen Schlag mit dem Hinterfuß und der Hahn, der von dem Lärm wach geworden war, rief vom Balken herab: »Kikeriki!« Da lief der Räuber, so schnell er konnte, zu den ändern zurück und berichtete seinem Hauptmann: »In dem Haus sitzt eine gräuliche Hexe, die hat mich angefaucht und mir mit ihren langen Fingern das Gesicht zerkratzt. Vor der Tür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen und auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungeheuer, das hat mit einer Holzkeule auf mich eingeschlagen. Und da oben auf dem Dach, da sitzt der Richter, der rief ›Bringt mir den Schelm her!‹ Da machte ich, dass ich fortkam!« Von da an trauten sich die Räuber nicht mehr in das Haus und den vier Bremer Musikanten gefiel es dort so gut, dass sie nicht wieder herauswollten.
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Der Fuchs und der Ziegenbock Ein Fuchs fiel in einen tiefen Brunnen und konnte sich nicht selbst heraushelfen. Da kam ein durstiger Ziegenbock zum Brunnen und als er den Fuchs sah, fragte er ihn: »Ist das Wasser gut?« Der Fuchs verschwieg, dass er in die Tiefe hinabgestürzt war und antwortete: »Das Wasser ist ganz klar und schmeckt ausgezeichnet; komm nur auch herab!« Das tat der Ziegenbock auch und als er seinen Durst gelöscht hatte, fragte er: »Und wie kommen wir jetzt wieder aus dem Brunnen heraus?« Der Fuchs antwortete ihm: »Das lass ruhig meine Sorge sein. Du stellst dich auf die Hinterbeine, stemmst die Vorderbeine gegen die Wand und streckst deinen Hals aus. Dann werde ich über deinen Rücken und deine Hörner nach oben klettern und dir auch heraushelfen.« Der Ziegenbock tat, was der Fuchs ihm aufgetragen hatte und kurz darauf war dieser oben am Brunnenrand. Dort hüpfte er vor Freude über die geglückte Befreiung, doch als der Ziegenbock ihn ermahnte, nun auch ihm herauszuhelfen, da rief der Fuchs spöttisch: »Hättest du in deinem Kopf so viel Verstand, wie du Haare in deinem Bart hast, so wärst du nicht in den Brunnen hinuntergestiegen ohne zu überlegen, wie du wieder nach oben kommst!«
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Lumpis Geheimnis Du glaubst ein kleiner Dackel hat keine Geheimnisse? Da irrst du dich aber! Lumpi jedenfalls hat ein Geheimnis, das nicht einmal sein allerbester Freund, der Förster, kennt. Und das kam so: Sie waren eines Tages zusammen im Wald unterwegs. Lumpis kleiner Ball, mit dem er immer spielte, kullerte vor ihm her, doch plötzlich war er verschwunden. Lumpi stand vor einem Loch, das in die Erde hinunterführte. Er steckte seine Schnauze hinein und schnupperte. Komischer Geruch! Auf einmal tauchte aus dem Loch eine kleine schwarze Nase auf und schließlich kam ein kleines, rostrotes Tier zum Vorschein. Ein Fuchs! Doch es war nicht nur ein Fuchs, sondern vier kleine Füchse. Lumpi freute sich, denn die Füchse hatten seinen Ball mitgebracht und nun spielten Lumpi und die vier Füchslein gemeinsam mit dem Ball. Dabei vergaßen sie völlig die Zeit und als Lumpi sich endlich auf den Heimweg machte, war es schon dunkel. Als er am Försterhaus ankann, wartete der Förster bereits ungeduldig und rief: »Lumpi, wo hast du dich nur so lange herumgetrieben?« Aber Lumpi verriet nichts, wedelte mit dem Schwanz und bellte »Wauwau«. Das aber verstand der Förster nicht und deshalb hat er auch nie den Fuchsbau gefunden. Der ist Lumpis Geheimnis.
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Der ängstliche Hase Es war einmal ein kleiner Hase, der schlief unter einer großen, schönen Palme, Plötzlich wachte er auf und dachte: »Was wird aus mir, wenn eines Tages die Welt untergeht?« In diesem Augenblick ließ ein kleiner Affe versehentlich eine Kokosnuss von der Palme herunterfallen. Mit lautem Krach fiel die Kokosnuss direkt neben dem Hasen auf den Boden. Dieser erschrak fürchterlich, sprang auf und rief: »Rette sich, wer kann! Die Welt geht unter!« So rannte er querfeldein und schrie aus Leibeskräften. So sah ihn ein anderer Hase und fragte: »Warum läufst du denn so schnell?« Der ängstliche Hase sah ihn entsetzt an und rief: »Ja, weißt du es denn nicht? Die Welt geht unter!« Da lief ihm der zweite Hase, so schnell er konnte, hinterher. Jeder Hase, den sie unterwegs trafen, schloss sich ihnen an und so rannten bald Hunderte von Hasen um ihr Leben. Bald schlossen sich auch die anderen Tiere den Hasen an, doch sie kamen nicht weit, da stellte sich ihnen der Löwe, der König der Tiere, in den Weg und brüllte. Die Tiere blieben erschrocken stehen und der Löwe fragte: »Warum flieht ihr?« Die Tiere antworteten ihm: »Die Welt geht unter, wir müssen fort von hier!« Der Löwe schüttelte den Kopf und fragte: »Wer von euch hat es gesehen?« Ein Tier nach dem anderen verneinte und so blieb am Schluss nur noch der ängstliche kleine Hase übrig und er erzählte dem Löwen, wie sich alles zugetragen hatte. Der Löwe lief mit dem Hasen zu der Palme, sah die Kokosnuss und rief: »Eine Kokosnuss fällt auf den Boden und du Angsthase glaubst, die Welt geht unter! Lauf zu den anderen zurück und erzähl’ ihnen die Wahrheit über deinen Weltuntergang!« Wäre der Löwe nun nicht so weise gewesen, liefen die Tiere wohl heute noch.
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Stachel, der kleine Igel Es war einmal ein kleiner Igel mit dem Namen Stachel, der lebte mit seiner Familie im Brombeergestrüpp. Er war dick und kugelrund wie alle Igel. Als er eines Tages durch die Hecken streifte, lief ihm eine Spitzmaus über den Weg. Stachel machte einen Satz, um die Maus zu fangen, doch das kleine Tier war schneller und verschwand im Mauseloch. Da dachte der kleine Igel bei sich: »Was bin ich doch für ein dicker, träger Kerl! Alle Igel sind plump und ungeschickt. Wenn ich doch nur so schlank wie eine Spitzmaus wäre!« Als er nach Hause kam, sagte Stachel zu seiner Igelmama: »Ab heute rühre ich keinen Bissen mehr an, denn ich will so schlank wie eine Spitzmaus werden.« Die Igelmama erschrak gewaltig und sagte: »Oh je, was für Ideen du hast! Ein Igel wird niemals so schlank und flink wie eine Spitzmaus sein. Überhaupt sind Spitzmäuse kein Umgang für kleine Igel. Sie ist viel zu mager, halt dich lieber an die dicken, fetten Kröten!« Stachel aber entgegnete: »Kröten sind hässlich! Sie sind hässlich, weil sie dick sind. Spitzmäuse dagegen sind schlank, flink und von schöner Gestalt.« Die Igelmama schüttelte verärgert den Kopf und machte sich über ihr Essen her. Stachel aber saß neben ihr und rührte keinen Bissen an. Der kleine Igel fastete, trank nur klares Bachwasser und aß jeden dritten Tag eine unreife Pflaume, um am Leben zu bleiben. Denn verhungern wollte er schließlich auch nicht. So wurde er jeden Tag dünner und bald war er so schwach, dass er nicht mehr richtig geradeaus gehen konnte. Aber Stachel glaubte, nun erst richtig schön zu sein. Als er eines Tages wieder durch das Gebüsch schwankte und sich vor Schwäche kaum noch auf den Beinen halten konnte, stand plötzlich ein Fuchs vor ihm. Der kleine Igel erschrak so furchtbar, dass er vergaß, sich zusammenzurollen. Der Fuchs stieß ihn mit der Schnauze an -245-
und Stachel fiel auf den Rücken. Der kleine Igel glaubte, nun habe sein letztes Stündlein geschlagen und zitterte am ganzen Leib. Der Fuchs aber beschnupperte den mageren Igel, schüttelte den Kopf und sprach: »Nein, den fresse ich nicht! Das ist ja nur noch Haut und Knochen. Bestimmt hat er eine Krankheit. Ich verderbe mir meinen Magen doch nicht mit schlechter Kost.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und trottete davon. Stachel aber raffte sich auf, nahm alle seine Kraft zusammen und lief so schnell er konnte nach Hause. Dort schaute er die Igelmama mit großen Augen an und sagte: »Gib mir ganz schnell ganz viel zu essen, damit ich wieder zu Kräften komme!« Dann erzählte der kleine Igel von seiner Begegnung mit dem Fuchs und von diesem Tag an fraß und fraß er, dass es eine Freude war.
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Dumbos Abenteuer Auf einer Urwaldlichtung in Afrika stand der kleine Elefant Dumbo. Seine Mutter war von Großwildjägern gefangen worden. Dumbo konnte noch entkommen und war tief in den Wald hineingelaufen. Er hatte natürlich sehr große Angst, so ganz allein und weinte dicke Elefantentränen. Dumbo merkte jedoch nicht, dass er von allen Seiten beobachtet wurde, denn in dem Urwald lebten noch mehr Tiere. Diese hatten aber vor ihm, dem kleinen Elefanten, Angst. Obwohl Dumbo ja noch recht klein war, war er doch um einiges größer als alle anderen Tiere. Als er sich umdrehte und gerade weiterlaufen wollte, standen plötzlich fünf kleine Neger vor ihm, die ihn überrascht anstarrten. Nach einer Weile nahm der kleinste von ihnen all seinen Mut zusammen, ging auf Dumbo zu und streichelte ihn sanft über den Kopf: »Du siehst sehr traurig aus, kleiner Elefant. Möchtest du nicht mit uns kommen und mit uns spielen?« Natürlich wollte Dumbo das und so setzte er ein Negerlein nach dem anderen auf seinen Rücken und zog mit ihnen fort. Sie gingen zu der kleinen Hütte, die am Ufer eines Flusses stand, Dort spielten sie den ganzen Tag und keiner von ihnen war noch traurig. Eines Tages aber geschah ein großes Unglück. Es waren wieder Elefantenjäger unterwegs und Dumbo war unvorsichtig und wurde gefangen. Die fünf kleinen Neger wollten sich das nicht gefallen lassen und beschlossen, Dumbo zu befreien. So kamen sie eines Tages ans Meer und an der Küste sahen sie ein großes Segelschiff, zu dem ein kleines Ruderboot unterwegs war, um Dumbo an Bord zu bringen. Die fünf kleinen Neger beratschlagten, was nun zu tun sei. Als es Nacht wurde, schwammen sie zu dem Boot und versteckten sich dort. Nach einigen Tagen gab es einen heftigen Sturm und das Schiff sank. Die fünf kleinen Negerlein konnten Dumbo gerade noch -247-
befreien und schwammen auf seinem Rücken an die Küste einer kleinen Insel. Der Sturm legte sich und das Meer war wieder ruhig. Sie sammelten am Strand die wenigen Sachen ein, die noch von Bord übrig geblieben waren. Dann gingen sie auf Entdeckungsreise und merkten, dass sie auf einer wunderschönen Insel gestrandet waren. Zunächst bauten sie sich eine Hütte, in der sie vor Regen und Sturm geschützt waren. Sie bauten den ganzen Tag lang, bis sie abends vor Erschöpfung einschliefen. Am nächsten Tag feierten sie ein großes Fest und lachten und tanzten vergnü gt. Und am Abend saßen sie am Strand, betrachteten den guten alten Mond und freuten sich über ihre neue Heimat – ohne Elefantenjäger.
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Der gekrönte Floh Vor langer Zeit lebte ein König, der nichts widerwärtiger fand als Flöhe und Läuse. Damals gab es noch kein Insektenspray gegen Ungeziefer, so dass sich auch Könige mit Floh- und Läusestichen plagen mussten. Nur dieser eine König blieb nahezu verschont. Er stieg jeden Abend samt seiner Kleider und seiner Krone in ein königliches Bad. Hatte sich nun ein Floh in seiner Kleidung verirrt, so stieg das Tier sofort aus den Kleidern heraus, denn Flöhe mögen Wasser überhaupt nicht. Der Floh wurde dann im Nu von den königlichen Kammerjägern gefangen und Ihre Majestät konnte ruhig und unbelästigt schlafen. Die Nachricht von dem König, der niemals gestochen wurde, verbreitete sich schnell unter Mensch und Tier. Eines Tages fasste ein Floh den Entschluss, genau diesen König mit seinen Stichen zu plagen. Dies war gar nicht so einfach, angesichts der königlichen Kammerjäger. Der Floh sprang in das besonders dicke, volle Haar des Königs und verhielt sich mucksmäuschenstill. Sogar als er fast von der Krone zerquetscht wurde, gab er keinen Mucks von sich. Als nun der König am Abend mit seinen Kleidern ins Bad stieg, hatte der Floh Angst, dass der König sich vielleicht auch die Haare waschen würde. Dies geschah jedoch nicht, so dass der Floh unbehelligt auf dem Kopf des Königs blieb. Kaum hatte der König sein Nachtgebet gesprochen und sich zu Bett gelegt, da sprang der Floh, der mittlerweile großen Hunger verspürte, aus den Haaren heraus und biss den König in den Finger. Der König brüllte vor Schmerz und die Kammerjäger eilten herbei. Sie prüften das königliche Nachtgewand, fanden jedoch nichts. Der tapfere Floh nämlich saß schon längst wieder in einer königlichen Locke. Eine ganze Woche lang trieb der Floh sein Spielchen mit -249-
König, Kammerjägern und Insektenfachleuten, Doch dann wurde er übermütig und biss den König in die Nase. Der König bekam den Floh zu fassen und rief triumphierend: »Hab’ ich dich endlich! Jetzt werde ich dich zertreten!« Doch dann fiel dem König ein, dass der Floh ja von königlichem Blute war, da er ihn gebissen hatte. Ein Gesetz bestimmte damals, dass jeder, der von königlichem Blute war am Hof freie Kost erha lten musste. »Gesetz ist Gesetz«, dachte der König und rief seinen Kammerdiener. Dieser sollte den Floh zum Goldschmied bringen und ihm eine goldene Krone und einen goldenen Käfig machen lassen. Von nun an wurde der Floh einmal täglich vom König höchstpersönlich gefüttert, indem er ihm seinen Finger in den Käfig steckte. Die Nachricht von dem Floh mit der goldenen Krone verbreitete sich schnell und so wurde der mutige Quälgeist von allen bewundert.
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Der Goldfisch Susi hat ihren Goldfisch »Salomon« getauft. Salomon ist ihr größter Schatz. An einem schönen Morgen in den Sommerferien geht Susi zu ihrer Freundin Lisa spielen. Sie geht gleich nach Salomons Fütterung los. Zunächst spielen die beiden Mädchen mit ihren Puppen, dann aber will Susi Verstecken spielen. Lisas Bruder spielt auch mit. Susi versteckt sich im Kleiderschrank und macht die Tür hinter sich zu. Plötzlich knackt es im Schrank und sie hält ein weiches Tierfell in der Hand. Vor Schreck dreht sie sich im Kreis und findet das Schlüsselloch nicht mehr. Da wird es auf einmal hinter ihr hell und Lisas Bruder steht vor dem Schrank. Bald schon ist Susis Angst vergessen. Als sie nach Hause kommt, sitzt der Kater Maunz vor Salomons Glas und angelt mit der Pfote nach Susis Liebling. Im letzten Moment kann sie den hungrigen Kater verjagen. »Armer kleiner Salomon«, sagt Susi und denkt an die Angst, die sie selbst in dem dunklen Schrank hatte. Sie fasst den Entschluss, den Goldfisch nicht länger einzusperren und setzt ihn in den großen Teich im Park.
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Die Maus Franziska Franziska war eine ganz besondere Maus. Sie war sehr klein und ausgesprochen klug und wohnte mit den anderen Mäusen zusammen auf einem großen Rübenfeld. Dort hätte sie nun eigentlich glücklich sein können, doch sie wollte etwas Besseres: »Ich will nicht mein ganzes Leben lang mit den dummen Feldmäusen zusammen leben und auf dem Land versauern.« Sie überlegte jeden Tag, wie sie es besser haben könnte und wartete auf eine Gelegenheit, von dem Rübenfeld zu verschwinden. Diese Gelegenheit kam, als die Rüben geerntet wurden. Die Rüben wurden in große Leinensäcke gefüllt und einer der Säcke hatte ein Loch, das gerade so groß war, dass Franziska hindurchklettern konnte. So fuhr Franziska mit den Rüben in die Stadt. Als sie aus ihrem Versteck kam, erschrak sie sehr, denn obwohl es Abend war, war alles hell erleuchtet. Franziska sah sich um und stellte fest, dass sie in einem großen Supermarkt gelandet war. Sie wagte gar nicht, in der Gemüseabteilung ein bisschen zu naschen, aus Furcht, entdeckt zu werden. Doch der Supermarkt war leer und die Verkäuferinnen waren längst heimgegangen. Endlich kam die kleine Maus an die Ladentür und durch einen kleinen Spalt zwängte sie sich auf die Straße hinaus. Doch auch dort war es nicht dunkel. Überall brannten große Lampen und alle Schaufenster waren hell erleuchtet, Franziska schlich an den Hauswänden vorbei, bis sie schließlich eine offene Tür bemerkte, die in einen dunklen Keller führte. Doch das mit dem dunklen Keller war ein Irrtum. Überall flackerten Lichter auf, laute Musik dröhnte durch den Raum und Franziska sah viele Menschen, die wild umherhüpften. Die kleine Maus wusste nichts von Diskotheken und glaubte, die Menschen seien Höhlenbewohner, die hier im Dunkeln hausten. -252-
Vorsichtig bewegte sich Franziska vorwärts und musste Acht geben, von den Absätzen der Schuhe nicht zertreten zu werden. Als die Gefahr nun einmal besonders groß war, sprang Franziska einer Frau ans Bein, Die Frau schrie entsetzt auf und in dem Lokal gab es ein großes Gekreische. Die kleine Maus stürzte ängstlich nach draußen und beruhigte sich erst wieder, als sie unter einer Brücke im Dunkeln saß. Sie kroch einem Landstreicher, der unter der Brücke seinen Rausch ausschlief, ins Hosenbein, ohne dass dieser etwas davon merkte. Hier konnte sie warm und ruhig bis zum nächsten Morgen schlafen und sich dann frisch und erholt wieder auf den Weg machen. Franziska erlebte noch viele Abenteuer in der großen Stadt, doch das Glück, das sie sich von einem Leben als Stadtmaus erhofft hatte, blieb aus. Öfter dachte die kleine Maus wehmütig an das ruhige, einfache Leben auf dem Rübenfeld und eines Tages beschloss sie, dorthin zurückzukehren. Es war ein langer schwerer Weg, bis sie wieder zu Hause war. Dort berichtete Franziska stolz von dem aufregenden Leben als Stadtma us und die anderen Feldmäuse hörten ihr mit offenen Schnäuzchen und großen Knopfaugen bewundernd zu.
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Kapitel 14 Geschichten zum Träumen
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Der Traumvogel Sicher hast du dich schon oft gefragt, woher die Träume kommen und warum manche Träume in Erfüllung gehen und manche nicht. Nun, die Erklärung dafür ist der Traumvogel. Der Traumvogel hat herrliche bunte Federn, die in allen erdenklichen Farben leuchten. Und jedesmal, wenn der Traumvogel eine seiner Federn verliert, dann fällt ein Traum auf die Erde. Das sind die Träume, die uns nachts durch unseren Schlaf begleiten. Die Farben der Federn haben aber auch eine Bedeutung für den Inhalt des Traums. Die blauen Federn bedeuten Luftträume. Luftträume sind Träume, die uns in die Zukunft tragen, Träume, die uns etwas über die unendliche Weite der Welt erzählen. Wenn eine grüne Feder auf die Erde fällt, dann träumen wir von Blumen, Wäldern und Wiesen. Rote Federn bedeuten Abenteuerträume. Wenn eine rote Feder herunterfällt, träumen wir von abenteuerlichen Reisen, von ge heimnisvollen Plätzen und großen Entdeckungen. Die allerwichtigsten Federn aber sind die weißen Federn. Wenn du eine weiße Feder findest, dann hebe sie auf und lege sie abends unter dein Kopfkissen. Denn die weißen Federn sind Wunschfedern und der Traum, den du in dieser Nacht träumst, wird irgendwann einmal in Erfüllung gehen.
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Die Sonnenmutter Es war vor vielen, vielen Jahren. Da war der Wolkenkönig noch jung und lebte mit dem Sonnenkönig in guter Freundschaft. Das aber änderte sich an jenem Nachmittag, als der Sonnenkönig dem Wolkenkönig begegnete und zu ihm sagte: »Ich war heute in einem Land, wo es in der Nacht fürchterlich geregnet hatte. Ich musste mich gewaltig anstrengen, um die Erde wieder zu trocknen. Die armen Leute hätten sonst eine Missernte gehabt. Sei doch so gut und schicke deinen Gehilfen Regen heute Nacht einmal nicht dorthin!« »Das werde ich doch tun!« entgegnete der Wolkenkönig. »Ich will, dass es in diesem Land neun Wochen hintereinander regnet.« »Warum willst du das den armen Leuten antun?« fragte ihn der Sonnenkönig. »In dem Land«, so knurrte der Wolkenkönig, »herrscht ein König, der eine wunderschöne Tochter hat. Ich wollte sie zur Frau haben, doch er hat mich abgewiesen. Nun will ich allen beweisen, wie mächtig ich bin. Ich nehme alle meine Gehilfen, den Regen, den Wind, den Blitz, den Donner, den Hagel und den Schnee mit und lasse alle auf einmal los.« Der Sonnenkönig aber widersprach ihm: »Die armen Leute haben dir doch nichts getan! Wenn ihr König dich beleidigt hat, so darfst du sie nicht dafür büßen lassen!« »Das ist mir egal!« grollte der Wolkenkönig, »wer will es mir denn verbieten?« »Ich!« antwortete der Sonnenkönig. »So? Das wollen wir doch erst mal sehen!« schimpfte der Wolkenkönig und verschwand. Obwohl er sehr müde war, kehrte der Sonnenkönig um und erreichte noch vor dem Wolkenkönig das Land. Als der mit all seinen Gehilfen ankam, konnte er jedoch nichts ausrichten, denn -256-
die Sonne schien so heiß, dass alle nur knapp dem Feuertod entkamen. Der Wolkenkönig bebte vor Zorn und flüchtete mit seinen Gehilfen ins höchste Gebirge der Welt, um sein Glück ein andermal zu versuchen. Aber jeder Versuch misslang. »Ich habe eine Idee!« sagte eines Tages der Wind. »Ihr wisst doch, dass der Sonnenkönig morgens als kleines Kind in die Welt hinausfliegt, mittags ein Mann wird und abends als schwacher Greis zurückkehrt, um im Schoß seiner Mutter zu schlafen. Kann er das nicht, so bleibt er ein kraftloser Greis. Wir müssen also nur die Sonnenmutter entführen, dann kann ihr Sohn uns nicht mehr schaden!« Die anderen fanden das eine großartige Idee und der Wolkenkönig machte sich auf den Weg zur Wohnung der Sonnenmutter. Unterwegs verwandelte er sich in ein schönes, graues Pferd und als er schließlich bei der Sonnenmutter ankam, sprach er: »Guten Tag, liebe Frau, ich bin das Windpferd. Dein Sohn, der Sonnenkönig, schickt mich. Er braucht deine Hilfe! Du sollst zu ihm kommen, denn er ist in einem überschwemmten Land und ist am Ende seiner Kraft. Er will eine Stunde in deinem Schoß schlafen und neue Kraft sammeln.« »Das ist zwar merkwürdig«, antwortete die Sonnenmutter, »mein Sohn ließ mich noch nie zu sich kommen, aber wenn du es sagst, wird es wohl seine Richtigkeit haben! Bring mich sofort zu ihm!« Mit diesen Worten bestieg sie das Pferd, das sich vor einer finsteren Höhle wieder in den Wolkenkönig zurückverwandelte und die Sonnenmutter darin einsperrte. Als nun der Sonnenkönig am Abend müde nach Hause kam, fand er seine Mutter nicht. Er konnte nicht in ihrem Schoß schlafen und neue Kräfte sammeln und so war er am nächsten Morgen zu schwach um aufzustehen. Die Sonne schien nicht mehr, es war überall dunkel und der Wolkenkönig konnte sein Unwesen treiben. Doch die Freude des Wolkenkönigs dauerte nicht lange. Die Sonnenmutter ließ sich Nägel wachsen und grub sich aus der -257-
Höhle heraus. Schnell eilte sie zu ihrem Sohn, der endlich wieder in ihrem Schoß schlafen konnte und so neue Kraft gewann. Frisch flog er am nächsten Morgen in die Welt hinaus und vertrieb den Wolkenkönig. Seit dieser Zeit hat die Freundschaft zwischen dem Wolkenkönig und dem Sonnenkönig für immer aufgehört.
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Eine unruhige Nacht Eines Abends, kurz vor dem Schlafengehen, kam die Mutter in Michaels Zimmer. Dort herrschte ein riesiges Durcheinander und die Mutter sagte entsetzt: »Aber Michael, willst du etwa deine ganzen Spielsachen einfach über Nacht auf dem Fußboden liegen lassen? Räum bitte auf, bevor du schlafen gehst!« Doch Michael war viel zu müde zum Aufräumen und ging so zu Bett. Die Mutter rügte ihn und sagte: »Schäme dich, aber du wirst schon sehen…!« Gähnend dachte Michael darüber nach, was die Mutter wohl damit gemeint haben könnte, doch da fielen ihm auch schon vor Müdigkeit die Augen zu. In der Nacht aber wurde er von einem Riesenlärm geweckt. Da fuhr das Feuerwehrauto klingelnd durch das Zimmer, dicht gefolgt von dem Polizeiwagen mit Blaulicht und Sirene. Da schrie der Teddy entsetzt auf: »Hilfe, au, au, das Feuerwehrauto hat mich überfahren, Hilfe!« Als die Autos schließlich auch noch über all seine Bilderbücher fuhren, wird Michael böse: »Aufhören, Mutti hat ja recht, ich räume in Zukunft abends die Spielsachen auf!« Plötzlich war es ganz still im Zimmer. Verblüfft stellte Michael fest, dass es schon heller Morgen war. Hatte er das alles etwa nur geträumt?
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Die Traumschule Laura besuchte am Nachmittag ihre Tante Sofie. Als sie das Wohnzimmer betrat, standen dort schon eine Tasse Kakao und ein Stück Kuchen für sie bereit. Tante Sofie fragte ihre Nichte: »Na, Laura, erzähl mir von deinem ersten Tag in der Schule! Ich bin schon sehr gespannt. War es schön?« »Oh, ja«, antwortete Laura, »es war ganz toll! Die Lehrerin hatte noch ihr Nachthemd an, weil sie verschlafen hatte. Wir fanden das ganz lustig, aber die Eltern meinten, es gehöre sich nicht, im Nachthemd in die Schule zu kommen.« »Nun, da haben die Eltern ja auch recht«, meinte Tante Sofie, »so etwas gehört sich nun wirklich nicht.« »Es war aber wirklich ein schönes Nachthemd«, antwortete Laura, »es war weiß mit roten Bärchen und mit vielen Schleifen. Und dann war da noch ein Junge, der hatte zwei weiße Mäuse mitgebracht, die krabbelten auf dem Pult herum. Die eine Maus kletterte an dem Tintenfass hoch und plumpste auch prompt hinein. Als die Lehrerin sie wieder herausholte, war sie ganz schwarz, Doch die schwarze Maus sprang auf ihr Nachthemd und machte überall schwarze Tintenflecke. Da lachte einer von den Vätern und zur Strafe hat ihn die Lehrerin zehn Minuten in die Ecke gestellt, damit er sich schämt. Die anderen mussten dann turnen und Purzelbäume schlagen, auch die Eltern.« Tante Sofie blickte ihre Nicht ungläubig an und sagte: »Das ist doch nicht zu fassen! Auf so eine Schule schicken dich deine Eltern? Das müsste verboten werden!« Laura ließ sich nicht beirren und erzählte fröhlich weiter: »Zum Schluss hat die Lehrerin jedem eine Schultüte geschenkt. In meiner Tüte waren ganz viele Bonbons, Schokolade, Kekse, eine Puppe, ein grüner Ball, ein Paar Rollschuhe, eine Luftmatratze, ein Spielzeugauto, eine Märchenkassette und ein Märchenbuch und…« Da unterbrach Tante Sofie ihre Nichte und sagte: »Laura, du -260-
schwindelst ja! So eine Schule gibt es nirgendwo, nicht einmal im Traum!« »Doch«, sagte Laura, »natürlich gibt es so eine Schule im Traum. Ich habe es doch selbst heute nacht geträumt.« Tante Sofie schüttelte den Kopf und sagte: »Aber Laura, ich wollte doch nicht deine Träume hören, sondern wissen, wie dein erster Schultag war.« Da kicherte Laura vergnügt und antwortete: »Der ist doch erst morgen, Tante Sofie! Aber bestimmt wird es genauso lustig wie in meinem Traum.«
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Eine unheimliche Nacht Ich musste abends immer um sieben Uhr ins Bett. Da ich meistens sehr müde war, schlief ich immer bald ein. Einmal wachte ich gegen Mitternacht plötzlich durch ein Geräusch auf. Was war denn das? Ich hörte ein Atmen und ein Stöhnen, Mir wurde ganz unhe imlich und ich zog meine Bettdecke über den Kopf. Als das Stöhnen für einen Augenblick verstummte, bekam ich Mut. Ich stand auf und schaltete das Licht an. Zuerst sah ich ängstlich atmend unter meinem Bett nach. Als ich dort nichts fand, untersuchte ich den Kleiderschrank. Aber auch da entdeckte ich nichts. Als ich gerade wieder ins Bett gehen wollte, fiel mir ein, dass ich noch nicht hinter den Vorhang geguckt hatte. Ich blickte durch den Spalt und sah, wie sich die Wäsche im Wäschekorb bewegte. Zuerst wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Vorsichtig nahm ich einen Pullover und ein Shirt heraus. Und wen sah ich da? Lukas, unseren vier Monate alten Hund! Schnell brachte ich ihn in sein Körbchen zurück und konnte nun endlich weiterschlafen.
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Der kleine Maulwurf, der nicht schlafen konnte Es war einmal ein kleiner Maulwurf namens Buddel, der mit seiner Familie unter einer Kuhweide wohnte. Eines Abends, es muss Vollmond gewesen sein, konnte Buddel nicht einschlafen. Er rollte sich hin und her, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Da ging Buddel zu seiner Mutter und klagte ihr sein Leid. Die Maulwurfmama sagte: »Leg dich hin und zähl Schafe, das hilft!« Also ging Buddel Schafe zählen. Fünf Minuten später stand er wieder vor seiner Mutter und sagte traurig: »Das funktioniert nicht! Die Schafe springen auf meine schönen Erdhügel, das kann ich nicht leiden!« Da sagte die Maulwurfmama: »Nun, gut, ich gebe dir eine Tasse Milch und reibe dir einen Apfel klein. Das hilft bestimmt!« Doch auch das half nicht, denn Buddel hatte nun einen viel zu dicken Bauch, um einschlafen zu können. »Vielleicht hilft es, wenn ich dich hinter dem rechten Ohr kraule?« sagte die Mutter. Doch immer wenn sie dachte, Buddel schlafe nun, strahlte er sie an und sagte: »Ich bin noch wach, Mama!« Da las sie ihm eine Geschichte vor – und noch eine und noch eine. Doch auch die Geschichten halfen nicht: Buddel konnte einfach nicht einschlafen! Die Maulwurfmama versuchte es mit einer Kissenschlacht und mit Füßekitzeln, mit Kuscheln und Wuscheln, doch nichts half. Nicht einmal ein Schlaflied konnte Buddel müde stimmen. Da sagte die Maulwurfmama: »Buddel, ich glaube, ich muss im großen Maulwurfbuch nachlesen, was man gegen deine Schlaflosigkeit tun kann.« Sie nahm ein Buch, blätterte darin und las vor: »Man nehme: einen Löffel Zucker, zwei Stückchen zerriebene Schokolade, etwas Himbeergelee, einen Löffel Schokoladenpudding, eine Tasse Kakao, drei Pfirsichscheiben und etwas Apfelmus. Das Ganze serviere man mit einem großen Glas Zitronenlimonade. -263-
Nun, das werde ich dir jetzt machen, Buddel! Wäre doch gelacht, wenn du dann nicht einschläfst.« Als sie sich umdrehte, hörte sie ein zufriedenes Schnaufen und Buddel, der kleine Maulwurf, träumte glücklich von dem großen Festmahl.
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Die Prinzessin auf der Erbse Vor langer Zeit lebte einmal ein Prinz glücklich mit seinen Eltern in einem wunderschönen Schloss. Eines Tages sagte sein Vater zu ihm: »Ich werde im Laufe der Jahre auch nicht jünger und das Regieren fällt mir immer schwerer. Du wirst nach mir sicher ein guter Nachfolger sein, doch ein König braucht auch eine Königin. Also suche dir eine Frau!« Der Prinz beschloss also, in die Welt zu ziehen und sich eine Braut zu suchen. Er wollte aber nur eine echte Prinzessin zur Frau nehmen. Aber eine Prinzessin zu finden, die ihm gefiel, war gar nicht so einfach, wie er geglaubt hatte. Prinzessinnen gab es zwar genug auf der Welt, aber irgendwie stimmte bei jeder irgendetwas nicht und sie war dann eben doch keine wirkliche Prinzessin. So kehrte der Prinz nach einer langen Reise erfolglos wieder nach Hause zurück. Eines Abends zog ein schreckliches Unwetter über der Stadt zusammen und es blitzte und donnerte und regnete in Strömen. Da klopfte es plötzlich an das Schlosstor und der alte König ging selbst, um aufzumachen. Draußen stand eine klitschnasse Prinzessin, die vom Wind ganz zerzaust war. Der König ließ sie eintreten und bot ihr an ein heißes Bad zu nehmen. Als die Prinzessin dann beim Abendessen an der königlichen Tafel Platz nahm, da gefiel sie dem Prinzen so außerordentlich gut, dass er sich gleich in sie verliebte. Doch er zweifelte, ob sie eine richtige Prinzessin sei und auch die alte Königin wollte sich ganz sicher sein. So holte die alte Königin aus der Speisekammer eine Erbse und legte sie ganz zuunterst in das Bett, in dem die Prinzessin in der Nacht schlafen sollte. Dann legte sie noch weiche Betten darüber, so dass von der Erbse nichts mehr zu sehen war, Doch als sich die Prinzessin müde von dem anstrengenden Tag in die Kissen des weichen Bettes legte, da konnte sie einfach keine Ruhe finden. Die Erbse, die unter all den Decken lag, drückte sie so entsetzlich, dass ihr -265-
Rücken am nächsten Morgen ganz grün und blau war. Als die alte Königin davon erfuhr, sprach sie zu ihrem Sohn: »Dieses Mädchen kannst du ruhig heiraten, so feinfühlig kann nur eine wirkliche Prinzessin sein!« Da war der Prinz überglücklich und hielt um die Hand der schönen Prinzessin an. Sie feierten eine prächtige Hochzeit und die Erbse liegt noch heute auf einem roten Samtkissen in der Schatzkammer des Schlosses.
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Sterntaler Es war einmal ein kleines Mädchen, dem waren Vater und Mutter gestorben. Es war so arm, dass es kein Dach mehr über dem Kopf hatte und auch nichts mehr anzuziehen hatte, als die Kleider, die es am Leib trug. So wanderte es in die Welt hinaus und ein mitleidiger Mensch, dem das kleine Mädchen von Herzen leid tat, schenkte ihm ein Stück Brot. Als es so wanderte, begegnete ihm ein armer, alter Mann, der sprach: »Ach, gutes Kind, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.« Das kleine Mädchen, das ein gutes Herz hatte, gab dem alten Mann sein Brot und sagte. »Gott segne es dir und beschütze dich!« Dann ging es weiter und war froh, dass es dem Mann hatte helfen können. Kurze Zeit später begegnete ihm ein kleines Kind, das schrecklich fror und sagte: »Ich friere so entsetzlich und mein Köpfchen ist schon ganz kalt. Kannst du mir nicht deine Mütze geben?« Da nahm das Mädchen seine Mütze ab, gab sie dem Kind und ging weiter seines Weges. Nach einer Weile begegnete ihm wieder ein Kind, das hatte kein Leibchen an und jammerte: »Ich friere so entsetzlich, bitte hilf mir doch!« Da gab das Mädchen auch sein Leibchen her und schließlich verschenkte es auch noch sein Röckchen. Es wurde immer dunkler und das Mädchen kam in einen dichten Wald. Da kam noch ein Kind, das bat um ein Hemdlein. Und weil es sowieso dunkel war, gab das gute Mädchen auch noch sein Hemdlein her und stand nun selbst einsam und frierend in dem finsteren Wald. Auf einmal aber fielen goldene Sterne vom Himmel und als sie auf der Erde ankamen, da waren die Sterne lauter goldene Taler. Und plötzlich hatte es auch wieder ein Kleidchen an, das war noch viel feiner und schöner als das, welches es verschenkt hatte. -267-
Nun sammelte das gutherzige Mädchen glücklich die goldenen Taler ein und hatte ausgesorgt für den Rest seines Lebens.
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König Drosselbart Ein König hatte eine Tochter, die war wunderschön, aber so stolz und übermütig, dass sie aus Eigensinn einen Freier nach dem ändern abwies und Spott mit ihnen trieb. Der König ließ einmal ein großes Fest anstellen und lud dazu alle heiratslustigen Männer ein, die wurden in eine Reihe nach ihrem Rang und Stand geordnet, erst kamen die Könige, dann die Herzöge, Fürsten, Grafen und Barone, zuletzt die Edelleute, da wurde die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie immer etwas auszusetzen. Besonders machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn krumm gewachsen war, da sagte sie: »Ei, der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel.« Seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart. Als nun der alte König sah, dass seine Tochter nichts tat, als über die Leute zu spotten, erzürnte er so, dass er schwor, sie sollte den erstbesten Bettler nehmen, der vor die Tür käme. Eines Tages fing ein Spielmann an zu singen unter ihrem Fenster, den hieß der König gleich hereinkommen und so schmutzig er war, musste sie ihn als ihren Bräutigam anerkennen, ein Pfarrer wurde alsbald gerufen und die Trauung ging vor sich. Wie die Trauung vollzogen war, sprach der König zu seiner Tochter: »Es schickt sich nun nicht weiter, dass du hier im Schloss bleibst, du kannst nur mit deinem Mann fortziehen.« Da zog der Bettelmann mit der Königstochter fort, unterwegs kamen sie durch einen großen Wald und sie fragte den Bettelmann: »Ach, wem gehört der schöne Wald?« – »Der gehört dem König Drosselbart, hättest du ihn genommen, so war er dein!« – »Ich arme Jungfer zart, ach hätt’ ich doch genommen den König Drosselbart!« Darauf kamen sie durch eine Wiese: »Wem gehört wohl die schöne grüne Wiese?« – »Sie gehört dem König Drosselbart, hättest du ihn genommen, so war sie -269-
dein!« – »Ich arme Jungfer zart, ach hätt’ ich doch genommen den König Drosselbart!« Endlich kamen sie durch eine Stadt: »Wem gehört wohl die schöne große Stadt?« – »Sie gehört dem König Drosselbart, hättest du ihn genommen, so war sie dein!« »Ich arme Jungfer zart, ach hätt’ ich doch genommen den König Drosselbart!« Der Spielmann wurde ganz mürrisch, dass sie sich immer einen ändern Mann wünschte und sich gar nichts aus ihm machte; endlich so kamen sie an ein kleines Häuschen: »Ach Gott, was für ein Häuselein, wem mag das elende, winzige Häuschen sein?« Der Bettelmann sagte: »Das Haus ist unser Haus, wo wir wohnen, mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, dass du mir mein Essen kochst, ich bin ganz müde.« Die Königstochter aber verstand nichts vom Kochen und der Mann musste ihr mithelfen, so ging es noch so leidlich und wie sie gegessen hatten, legten sie sich ins Bett schlafen. Des Morgens aber musste sie ganz früh aufstehen und arbeiten und so war’s ein paar Tage schlecht genug, bis der Mann endlich sagte: »Trau, so geht’s nicht länger, dass wir hier zehren und nichts verdienen, du sollst Körbe flechten.« Da ging er hinaus und schnitt Weiden, sie aber musste anfangen Körbe zu flechten, die harten Weiden stachen ihr aber die Hände wund. »Ich sehe, du kannst das nicht,« sagte der Mann, »so spinn lieber, das wird wohl besser gehen.« Da saß sie und spann, aber ihre Finger waren so zart, dass der harte Faden ihr bald tief hineinschnitt und das Blut daran herunterlief: »Du taugst zu keiner Arbeit richtig.« sagte der Mann verdrießlich, »Ich will einen Topfhandel anfangen und du sollst auf dem Markt die Ware feilhalten und verkaufen.« Das erste Mal ging’s gut, die Leute kauften der schönen Frau gern Töpfe ab und bezahlten, was sie forderte, ja viele bezahlten und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Wie nun alles verkauft war, handelte der Mann eine Menge neues Geschirr ein und sie saß wieder damit auf dem Markt und hoffte auf guten Gewinn, da -270-
kam ein betrunkener Husar dahergeritten, mitten in die Töpfe hinein, so dass sie in tausend Scherben sprangen. Da fürchtete sich die Frau und getraute sich den ganzen Tag nicht heimzugehen und als sie nun endlich nach Hause ging, war der Bettelmann auf und davon. So lebte sie einige Zeit ganz armselig und in großer Dürftigkeit, da kam ein Mann und lud sie zu einer Hochzeit, sie wollte sich allerlei von dem Überfluss mitbringen und eine Zeitlang davon leben, sie tat also ihr Mäntelchen um und nahm einen Topf darunter und steckte eine große lederne Tasche an. Auf der Hochzeit aber war alles prächtig und vollauf, ihren Topf füllte sie mit Suppe und ihre Tasche mit Brocken. Sie wollte nun damit fortgehen, aber einer von en Gästen verlangte, sie solle mit ihm tanzen, sie sträubte sich aus allen Kräften, das half aber nichts, er fasste sie an und sie musste mit fort. Da fiel nun gleich der Topf, dass die Suppe auf die Erde floss und die vielen Brocken sprangen aus der Tasche. Als das die Gäste sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten; sie war so beschämt, dass sie sich lieber tausend Meter unter die Erde gewünscht hätte und sprang zur Türe und wollte entfliehen. Auf der Treppe aber holte sie ein Mann ein und führte sie zurück und wie sie ihn ansah, da war das der König Drosselbart, der sprach: »Ich und der Bettelmann sind eins und ich bin auch der Husar gewesen, der dir die Töpfe entzweigeritten hat; und das alles ist nur dir zur Besserung und zur Strafe geschehen, weil du mich damals verspottet hast, jetzt aber soll unsere Hochzeit gefeiert werden.« Da kamen auch ihr Vater und der ganze Hof und sie wurde prächtig geputzt nach ihrem Stand und das Fest war ihre Vermählung mit dem König Drosselbart.
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Die weiße Taube Vor eines Königs Palast stand ein prächtiger Birnbaum, der trug jedes Jahr die schönsten Früchte, aber wenn sie reif waren, wurden sie in einer Nacht alle geholt und kein Mensch wusste, wer es getan hatte. Der König aber hatte drei Söhne, davon wurde der jüngste für einfältig gehalten und hieß der Dümmling; da befahl er dem ältesten, er solle ein Jahr lang alle Nacht unter dem Birnbaum wachen, damit der Dieb einmal entdeckt werde. Der tat das auch und wachte alle Nacht, der Baum blühte und war ganz voll von Früchten und wie sie anfingen reif zu werden, wachte er noch fleißiger und endlich waren sie ganz reif und sollten am ändern Tage abgebrochen werden. In dieser letzten Nacht aber überfiel ihn ein Schlaf und er schlief ein und als er aufwachte, waren alle Früchte fort und nur die Blätter noch übrig. Da befahl der König dem zweiten Sohn ein Jahr zu wachen, dem ging es nicht besser, als dem ersten. In der letzten Nacht konnte er sich des Schlafes gar nicht erwehren und am Morgen waren die Birnen alle abgebrochen. Endlich befahl der König dem Dümmling ein Jahr zu wachen, darüber lachten alle, die an des Königs Hof waren. Der Dümmling aber wachte und in der letzten Nacht wehrte er den Schlaf ab, da sah er, wie eine weiße Taube geflogen kam, eine Birne nach der ändern abpickte und forttrug. Und als sie mit der letzten fortflog, stand der Dümmling auf und ging ihr nach; die Taube flog aber auf einen hohen Berg und verschwand auf einmal in einem Felsenritz. Der Dümmling sah sich um, da stand ein kleines graues Männchen neben ihm, zu dem sprach er: »Gott segne dich!« – »Gott hat mich gesegnet in diesem Augenblick durch diese deine Worte,« antwortete das Männchen, »denn sie haben mich erlöst, steig du in den Felsen hinab, da wirst du dein Glück finden.« Der Dümmling trat in den Felsen, viele Stufen führten ihn -272-
hinunter und wie er unten hin kam, sah er die weiße Taube ganz von Spinnweben umstrickt und zugewebt. Wie sie ihn aber erblickte, brach sie hindurch und als sie den letzten Faden zerrissen, stand eine schöne Prinzessin vor ihm, die hatte er auch erlöst und sie wurde seine Gemahlin und er ein reicher König und regierte sein Land mit Weisheit.
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Die Prinzessin in der Höhle Es war einmal ein König, der hatte nur eine einzige Tochter. Die Prinzessin war wunderschön und von freundlichem Wesen und jeder, der sie sah, schloss sie gleich in sein Herz. Als die Prinzessin nun erwachsen war, da fanden sich viele Prinzen ein, die um die Hand der Königstochter anhielten. Unter ihnen war auch ein Prinz aus einem anderen Königreich und mit dem verstand sich die Prinzessin so gut, dass die beiden schließlich unzertrennlich waren. Nun geschah es aber, dass in dem Königreich ein Krieg ausbrach und der Feind mit einem großen Heer in das Land einfiel. Da der König eine Niederlage fürchtete, ließ er seine Tochter in einer Erdhöhle im Wald verstecken, um sie dort für die Dauer des Krieges zu schützen. Er gab ihr ausreichend Lebensmittel mit und ein Mädchen und ein Hund leisteten ihr Gesellschaft. Auch einen Hahn schickte er mit in die Höhle, der sollte ihnen den Wechsel von Tag und Nacht anzeigen. Nun zog der König mit dem jungen Prinzen in den Krieg, doch bevor sich die Prinzessin von ihrem Geliebten trennte, sprach sie: »Ich fürchte, wir werden uns so leicht nicht wiederfinden. Versprich mir, dass du dich mit keiner anderen vermählst, die nicht die Flecken aus diesem Handtuch waschen und dieses Goldgewebe zu Ende weben kann.« Sie gab dem Prinzen das Handtuch und das Gewebe und er versprach, ihre Worte nie zu vergessen. Dann zog er fort, um das Königreich gegen den Feind zu verteidigen. Doch das Glück meinte es nicht gut mit dem König und sein Heer erlitt eine Niederlage nach der anderen. Schließlich fiel der alte König im Kampf und der junge Prinz musste in sein eigenes Reich zurückkehren. Darauf zogen die Feinde über das eroberte Land, verwüsteten und mordeten, wo sie nur konnten und schließlich wusste niemand mehr, wo sich die Prinzessin befand und ob sie noch lebte. -274-
Die beiden Jungfrauen aber lebten sieben Jahre in der Erdhöhle und nun wurden ihnen die Nahrungsmittel knapp. Sie beschlossen, den Hahn zu schlachten, doch von diesem Tag an wussten sie nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war. Schließlich starb das junge Mädchen, das der Prinzessin Gesellschaft geleistet hatte und die Königstochter war nun in der dunklen Höhle allein. Schließlich nahm sie ein Messer und bohrte ohne Unterlass in dem Dach, bis sie schließlich eine Öffnung zustande brachte, durch die sie aus der Erdhöhle gelangte. Sie zog die Kleider des Mädchens an, rief den Hund und wanderte durch den Wald. Nach langer Zeit kam sie zu einem alten Mann, der Kohlen im Wald brannte. Sie bat ihn, sie in seine Dienste zu nehmen und ihr etwas zu essen zu geben. Der alte Mann tat ihr den Gefallen und während die Prinzessin nun die Kohlen brannte, da erzählte er ihr, dass der alte König im Kampf gefallen war. Die Königstochter war sehr betrübt und nach ein paar Tagen riet ihr der Köhler, sie solle doch versuchen, sich einen Dienst am Königshof zu suchen. So machte sie sich auf den Weg und kam einen See, der so groß war, dass sie nicht wusste, wie sie hinüberkommen sollte. Da sprang plötzlich ein Wolf aus dem Gebüsch und sagte: »Gib mir deinen Hund, dann bringe ich dich heil über das Wasser!« Die Prinzessin wagte nicht, dem Wolf sein Begehren abzuschlagen und dieser fraß den Hund in einem Nu. Dann hieß er die Prinzessin, auf seinen Rücken zu klettern und schwamm mit ihr über den See. Am anderen Ufer aber war ein prächtiger Königshof, in dem der junge Prinz regierte, der sich in früheren Tagen mit der Prinzessin verlobt hatte. Nachdem der junge König sieben Jahre vergeblich auf seine frühere Braut gewartet hatte, war es nun an der Zeit, eine neue Braut zu finden. So ließ er bekannt geben, dass diejenige Königin werden sollte, die das Goldgewebe der Prinzessin vo llenden und die Flecken aus dem Handtuch waschen könne. Da kamen viele Jungfrauen aus allen -275-
Teilen des Landes, doch keine konnte die gestellte Aufgabe lösen. Die Prinzessin aber war unterdessen in den Dienst einer reichen Jungfrau eingetreten, die ebenfalls auf dem Weg zu dem Königshof war, um die Aufgabe zu lösen. So kamen die beiden Frauen am Königshof an und die vornehme Jungfrau sollte das Goldgewebe des Königs vollenden. Doch wie sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht. Eines Tages aber setzte sich die Prinzessin daran und webte ein gutes Stück daran. Das sah die Jungfrau und hieß ihre Dienerin nun, das Gewebe zu vollenden. Niemand am Königshof aber wusste, dass nicht die vornehme Frau, sondern ihre Dienerin das Gewebe vollendet hatte. Der König wollte nun einmal sehen, wie die Frau an dem Gewebe arbeitete, doch immer wenn er kam, stand der Webstuhl still und die Jungfrau sagte ihm, sie könne nicht arbeiten, wenn er ihr zuschaue. Der König gab sich damit zufrieden und die erste Aufgabe galt als gelöst. Nun sollte die Jungfrau die Flecken aus dem Handtuch waschen, doch je mehr sie wusch, desto dunkler wurde das Tuch. Da nahm die verkleidete Prinzessin das Tuch, wusch es und die Flecken wurden sogleich schwächer. Die Jungfrau hieß also ihre Dienerin, auc h das Handtuch für sie zu waschen, Der König aber ging oft in das Frauengemach, um zu sehen, wie es mit dem Tuch stehe, doch immer wenn er kam, stand die Arbeit still und dem König kam das seltsam vor. Er fragte die Frau also, warum sie nie wasche, wenn er da sei und die antwortete listig: »Herr, ich kann das Tuch nicht waschen, wenn ich Goldringe am Finger habe.« Das sah der König ein und es dauerte nicht lange, da waren die Flecken aus dem Handtuch gewaschen und die fremde Jungfrau hatte alle Bedingungen des Königs erfüllt. Nun herrschte große Freude im Land und die Hochzeit wurde verkündet. Doch am Hochzeitstag erkrankte die Braut plötzlich und konnte nicht mit den übrigen Gästen in die Kirche reiten. Da sie nun aber niemand die Ursache ihrer Krankheit wissen -276-
lassen wollte, bat sie ihre Dienerin, statt ihrer als Braut in die Kirche zu reiten. Die verkleidete Prinzessin willigte ein, hüllte sich in das Brautgewand und schmückte sich mit goldenen Ringen, Niemand aber wusste, dass die Dienerin statt der Herrin zur Hochzeit kam. Nun fand die Trauung statt und als die Ringe gewechselt waren, nahm der König einen Silbergürtel und legte ihn kunstvoll um den Leib der jungen Königin. Dann zogen sie zum Königshof und die Hochzeit wurde mit großer Pracht gefeiert. Die Prinzessin aber eilte zu ihrer Herrin, tauschte mit ihr die Kleider und niemand hatte etwas von der Verwechslung gemerkt. Als nun aber der König und die Königin am Abend allein waren und zu Bett gehen wollten, da sprach der König: »Sag, wo hast du denn den Gürtel, den ich dir vor der Kirche gab?« Die Braut aber wusste nichts von dem Gürtel und sagte schließlich verlegen: »Den habe ich meiner Dienerin gegeben.« Da wusste der König, dass sie log und ließ die Dienerin zu sich bringen, Und tatsächlich trug das Mädchen den Gürtel und das Schloss war so kunstvoll, dass niemand als der König es öffnen konnte. Der König erkannte nun in dem Mädchen seine rechte Braut und die Hochzeitsgäste freuten sich mit dem glücklichen Paar, das sich nach so vielen Jahren wieder gefunden hatte.
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Kapitel 15 Zaubergeschichten
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Der vergessliche Zauberer Vor langer Zeit lebte einmal ein Zauberer, der ganz furchtbar vergesslich war. Wenn er morgens aufstand, vergaß er zu frühstücken, wenn er Durst hatte, vergaß er, vor dem Trinken etwas in den Becher zu gießen, wenn er müde war, vergaß er sich vor dem Schlafen ins Bett zu legen und wenn er schlief, vergaß er zu träumen. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer mit der Vergesslichkeit des Zauberers und einmal hätte er sogar fast vergessen, dass er ein Zauberer war. So beschloss er eines Tages, ein Mittel gegen die Vergesslichkeit zu erfinden. Zunächst aber musste er seinen Zauberstab suchen, weil er natürlich vergessen hatte, wo er ihn am Abend vorher hingelegt hatte. Als er ihn schließlich gefunden hatte, da fehlte das große Zauberbuch. Der Zauberer suchte und suchte und suchte. Schließlich fand er es im Backofen, den er, dem Himmel sei Dank, vergessen hatte anzustellen. Als er nach zwei Tagen endlich alles zusammengesucht hatte, da hatte er doch glatt vergessen, was er eigentlich zaubern wollte. Und deshalb gibt es bis zum heutigen Tage immer noch kein Mittel gegen Vergesslichkeit.
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Der Zauberberg Es waren einmal zwei Brüder, der eine war reich, der andere arm. Der Reiche aber gab dem Armen nichts und er musste sich vom Kornhandel kümmerlich ernähren. Da ging es ihm oft so schlecht, dass er für seine Frau und Kinder kein Brot hatte. Einmal fuhr er mit seinem Karren durch den Wald und sah zur Seite einen großen kahlen Berg. Und weil er den noch nie gesehen hatte, wunderte er sich, hielt still und betrachtete ihn. Wie er so stand, kamen zwölf Riesen und weil er glaubte, es seien Räuber, schob er seinen Karren ins Gebüsch und stieg auf einen Baum. Dort wartete er ab, was geschehen würde. Die Riesen gingen vor den Berg und riefen: »Watzmann, tu dich auf!« Alsbald öffnete sich der Berg in der Mitte, die zwölf Riesen gingen hinein und der Berg schloss sich wieder hinter ihnen. Nach kurzer Zeit öffnete sich der Berg erneut und die Riesen kamen, mit schweren Säcken beladen, wieder heraus. Als sie wieder im Freien waren sprachen sie: »Watzmann, tu dich zu!« Der Berg fuhr wieder zusammen und die zwölf Riesen gingen fort. Als sie verschwunden waren, stieg der Arme vom Baum herunter und weil er neugierig war, was wohl im Berg verborgen war, ging er davor und sprach: »Watzmann, tu dich auf!« Und der Berg öffnete sich. Der Arme trat hinein und sah eine Höhle voll Silber und Gold und Perlen und Edelsteine wie Korn aufgeschüttet. Der Arme wusste nicht, was er tun sollte und ob er sich von den Schätzen nehmen dürfte. Er packte schließlich die Taschen mit Gold, Edelsteine und Perlen aber ließ er liegen. Er verließ den Berg und sprach: »Watzmann, tu dich zu!« Der Berg schloss sich und der Mann fuhr mit seinem Karren nach Hause. Nun hatte er keine Sorgen mehr und konnte mit seinem Gold für seine Frau und Kinder Brot und Wein kaufen. Der Mann lebte fröhlich und redlich, gab den Armen und tat -280-
jedermann Gutes. Als das Gold aufgebraucht war, ging er zu seinem Bruder, lieh sich einen kleinen Karren und holte sich erneut von dem Gold. Die großen Schätze jedoch rührte er nicht an. Auch beim dritten Male borgte er sich bei seinem Bruder einen kleinen Karren. Der Reiche war jedoch schon lange neidisch über das Vermögen und den Haushalt seines Bruders und konnte nicht begreifen, woher der Reichtum kam und wozu der Bruder den Karren brauchte. Er dachte sich eine List aus, bestrich den Boden mit Pech und als er ihn wieder bekam, war ein Goldstück darin hängen geblieben. Bald darauf ging er zu seinem Bruder und fragte ihn: »Was hast du mit dem Karren gefahren?« »Korn und Gerste«, sagte der andere. Daraufhin holte sein Bruder das Goldstück hervor und drohte, wenn er ihm nicht die Wahrheit sage, so wolle er ihn vor Gericht bringen. Nun erzählte der andere alles und der Reiche ließ sofort den Wagen anspannen, um sich die anderen Schätze zu holen. Als er vor den Berg kam rief er: »Watzmann, tu dich auf!« Der Berg öffnete sich und der Reiche ging hinein. Er sah die Reichtümer in der Höhle und wus ste lange nicht, wozu er zuerst greifen sollte. Endlich lud er so viele Edelsteine auf, wie er tragen konnte und wollte sie hinausbringen. Weil aber sein Herz und Sinn voll von den Schätzen waren, hatte er den Namen des Berges vergessen und rief, weil der Berg so kahl war: »Kahlkopf, tu dich auf!« Das war aber nicht der rechte Name und der Berg blieb natürlich verschlossen. Dem Reichen wurde Angst, doch je länger er überlegte, um so mehr verwirrten sich seine Gedanken. Am Abend öffnete sich der Berg und die zwölf Riesen kamen herein. Als sie den Reichen in der Höhle sahen, waren sie froh und riefen: »Vogel, haben wir dich endlich. Meinst du, wir hätten nicht gemerkt, dass du schon zweimal hier warst. Wir konnten dich nicht fangen, aber nun kommst du nicht mehr heraus.« Der Reiche rief: »Ich war’s nicht. Mein Bruder war’s!« Aber es half alles nichts, er musste ein ganzes Jahr lang für die -281-
Riesen arbeiten und ihre Edelsteine polieren.
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Der verzauberte Prinz Es ging einmal ein Mädchen durch einen großen Wald, da kam ein Schwan auf es zugegangen, der hatte ein Knäuel Garn und sprach zu ihm: »Ich bin kein Schwan, sondern ein verzauberter Prinz, aber du kannst mich erlösen, wenn du das Knäuel Garn abwickelst, an dem ich fortfliege; doch hüte dich, dass du den Faden nicht zerreißt, sonst komm ich nicht bis in mein Königreich und werde nicht erlöst; wickelst du aber das Knäuel ganz ab, dann bist du meine Braut.« Das Mädchen nahm das Knäuel und der Schwan stieg auf in die Luft und das Garn wickelte sich leichtlich ab. Es wickelte und wickelte den ganzen Tag und am Abend war schon das Ende des Fadens zu sehen, da blieb er unglücklicherweise an einem Dornstrauch hängen und brach ab. Das Mädchen war sehr betrübt und weinte, es wollt’ auch Nacht werden, der Wind ging so laut in dem Wald, dass ihm Angst wurde und es anfing zu laufen, was es nur konnte. Und als es lang gelaufen war, sah es ein kleines Licht, darauf eilte es zu und fand ein Haus und klopfte an. Ein altes Mütterchen kam heraus, das verwunderte sich, wie es sah, dass ein Mädchen vor der Türe war: »Ei mein Kind, wo kommst du so spät her?« – »Gebt mir doch heut Nacht eine Herberge,« sprach es, »ich habe mich im Wald verirrt; auch ein wenig Brot zu essen.« – »Das ist ein schweres Ding,« sagte die Alte, »ich gab’s dir gern, aber mein Mann ist ein Menschenfresser, wenn der dich findet, so frisst er dich auf, da ist keine Gnade; doch wenn du draußen bleibst, fressen dich die wilden Tiere, ich will sehen, ob ich dir helfen kann.« Da ließ sie es herein und gab ihm ein wenig Brot zu essen und versteckte es dann unter dem Bett. Der Menschenfresser aber kam allemal vor Mitternacht, wenn die Sonne ganz untergegangen ist, nach Haus und ging morgens, ehe sie aufsteigt, wieder fort. Es dauerte nicht lange, so kam er herein: »Ich wittre, ich wittre Menschenfleisch!« sprach er und suchte in der Stube, endlich -283-
griff er auch unter das Bett und zog das Mädchen hervor: »Das ist noch ein guter Bissen!« Die Frau aber bat und bat, bis er versprach, es die Nacht über noch leben zu lassen und morgen erst zum Frühstück zu essen. Vor Sonnenaufgang aber weckte die Alte das Mädchen: »Eil dich, dass du fortkommst, eh mein Mann aufwacht, da schenk ich dir ein golden Spinnrädchen, das halt in Ehren. Ich heiße Sonne.« Das Mädchen ging fort und kam abend s an ein Haus, da war alles, wie am vorigen Abend und die zweite Alte gab ihm beim Abschied eine goldene Spindel und sprach: »Ich heiße Mond.« Und am dritten Abend kam es an ein drittes Haus, da schenkte ihm die Alte einen goldenen Haspel und sagte: »Ich heiße Stern und der Prinz Schwan, obgleich der Faden noch nicht ganz abgewickelt war, war schon so weit, dass er in sein Reich gelangen konnte, dort ist er König und hat sich schon verheiratet und wohnt in großer Herrlichkeit auf dem Glasberg; du wirst heute abend hinkommen, aber ein Drache und ein Löwe liegen davor und bewahren ihn, darum nimm das Brot und den Speck und besänftige sie damit.« So geschah es dann auch. Das Mädchen warf den Ungeheuern das Brot und den Speck in den Rachen, da ließen sie es durch und es kam bis an das Schlosstor, aber in das Schloss selber ließen es die Wächter nicht hinein. Da setzte es sich vor das Tor und fing an auf seinem goldenen Rädchen zu spinnen; die Königin sah von oben zu, ihr gefiel das schöne Rädchen und sie kam herunter und wollte es haben. Das Mädchen sagte, die Königin solle es haben, wenn sie erlauben wollte, dass es eine Nacht neben dem Schlafzimmer des Königs zubrächte. Die Königin sagte es zu und das Mädchen wurde hinaufgeführt, was aber in der Stube gesprochen wurde, das konnte man alles in dem Schlafzimmer hören. Wie es nun Nacht wurde und der König im Bett lag, sang das Mädchen: »Denkt der König Schwan noch an seine versprochene Braut Julian? Die ist gegangen durch Sonne, Mond und Stern, durch -284-
Löwen und durch Drachen: will der König Schwan denn gar nicht erwachen?« Aber der König hörte es nicht, denn die listige Königin hatte sich vor dem Mädchen gefürchtet und ihm einen Schlaftrunk gegeben, da schlief er so fest und hätte das Mädchen nicht gehört und wenn es vor ihm gestanden wäre. Am Morgen war alles verloren und es musste wieder vor das Tor, da setzte es sich hin und spann mit seiner Spindel, die gefiel der Königin auch und es gab sie unter derselben Bedingung weg, dass es eine Nacht neben des Königs Schlafzimmer zubringen dürfe. Da sang es wieder: »Denkt der König Schwan nicht an seine versprochene Braut Julian? Die ist gegangen durch Sonne, Mond und Stern, durch Löwen und durch Drachen: will der König Schwan denn gar nicht erwachen?« Der König aber schlief wieder fest von einem Schlaftrunk und das Mädchen hatte auch seine Spindel verloren. Da setzte es sich am dritten Morgen mit seinem goldenen Haspel vor das Tor und haspelte, Die Königin wollte auch die Kostbarkeit haben und versprach dem Mädchen, es sollte dafür noch eine Nacht neben dem Schlafzimmer bleiben. Es hatte aber den Betrug gemerkt und bat den Diener des Königs, er möge diesem heut abend was anderes zu trinken geben. Da sang es noch einmal: »Denkt der König Schwan nicht an seine versprochene Braut Julian? Die ist gegangen durch Sonne, Mond und Stern, durch Löwen und durch Drachen: will der König Schwan denn gar nicht erwachen?« Da erwachte der König, wie er ihre Stimme hörte, erkannte sie und fragte die Königin: »Wenn man einen Schlüssel verloren hat und ihn wiederfindet, behält man dann den alten oder den neu gemachten?« Die Königin sagte: »Ganz gewiss den alten.« – »Nun, dann kannst du meine Gemahlin nicht länger sein, ich habe meine erste Braut wieder -285-
gefunden.« Da musste am ändern Morgen die Königin wieder zu ihrem Vater wieder und der König vermählte sich mit seiner rechten Braut und sie lebten so lang vergnügt, bis sie gestorben sind.
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Der Zauberer und das kluge Mädchen Es war einmal ein Zauberer, der stand mitten in einer großen Menschenmenge und vollbrachte Wunderdinge. Da ließ er auch einen Hahn einherschreiten, der hob einen schweren Balken und trug ihn, als wäre er federleicht. Nun war da aber ein Mädchen, das hatte eben ein vierblättriges Kleeblatt gefunden und war dadurch klug geworden, so dass kein Blendwerk vor ihm bestehen konnte. Es sah, dass der Balken nichts anderes war als ein Strohhalm. Da rief es: »Ei, ihr Leute seht ihr nicht, das ist bloß ein Strohhalm und kein Balken, was der Hahn da trägt.« Alsbald verschwand der Zauber, und die Leute sahen, was es war und jagten den Hexenmeister mit Schimpf und Schande fort. Der aber sprach voll Zorn innerlich: »Ich will mich schon rächen!« Nach einiger Zeit hielt das Mädchen Hochzeit, und ging in einem großen Zug über das Feld nach dem Ort, wo die Kirche stand. Auf einmal kamen sie an einen stark angeschwollenen Bach, über den weder eine Brücke noch ein Steg führte. Da war die Braut flink, hob ihre Kleider auf und wollte durchwaten. Wie sie nun eben im Wasser so steht, ruft ein Mann neben ihr – und das war der Zauberer – ganz spöttisch: »Ei, wo hast du deine Augen, dass du das für ein Wasser hältst.« Da gingen ihr die Augen auf und sie sah, dass sei mit ihren aufgehobenen Kleidern mitten in einem blau blühenden Flachsfeld stand. Da sahen es auch alle anderen und jagten sie mit Schimpf und Gelächter fort.
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Die sechs Diener Es war einmal eine alte Königin, die war aber eine Zauberin und hatte die allerschönste Tochter unter der Sonne, wenn aber ein Freier kam, so gab sie ihm etwas zu lösen auf und konnte er es nicht herausbringen, so gab es keine Gnade, er musste niederknien und der Kopf wurde ihm abgeschlagen. Bald nun geschah es, dass ein Königssohn um sie werben wollte, aber sein Vater ließ es nicht zu und sprach: »Nein, gehst du hin, so kommst du nicht wieder zurück.« Da legte sich der Prinz nieder und wurde sterbenskrank sieben Jahre lang. Weil nun der Vater sah, dass er doch verloren wäre, sprach er: »Zieh hin, vielleicht bist du glücklich!« Alsbald war er gesund, stand auf von seinem Lager und machte sich auf den Weg. Nun musste er auch durch einen Wald, darin sah er einen Mann auf der Erde liegen, der war gewaltig dick und ordentlich ein kleiner Berg. Der Mann rief ihn aber an und fragte, ob er ihn wollte zum Diener haben. Der Prinz sprach: »Was soll ich mit so einem dicken Mann anfangen? Wie bist du nur so dick geworden?« »Oh, das ist noch gar nichts, wenn ich mich recht auseinander tue, bin ich noch dreitausendmal so dick!« »Da komm mit mir«, sagte der Prinz. Die zwei gingen weiter und fanden einen anderen, der lag auf der Erde und hatte das Ohr auf den Rasen gelegt. »Was machst du da?« sprach der Prinz. »Ei! Ich horche, denn ich kann das Gras wachsen hören und alles, was sich in der Welt zuträgt und darum werde ich der Horcher genannt.« »Sag mir, was geschieht eben an der alten Zauberin Hof?« »Es wird einem Freier der Kopf abgeschlagen, ich hör das Schwert sausen.« »Komm mit mir«, sprach der Prinz und sie zogen zu dritt -288-
weiter. Da fanden sie einen, der lag da und war ganz lang, so dass sie eine gute Strecke gehen mussten, bis sie von seinen Füßen bis zum Kopf kamen. »Warum bist du so lang?« fragte der Prinz. »Oh«, sagte er, »wenn ich mich ausstrecke, so bin ich noch dreitausendmal so lang und größer als der höchste Berg auf Erden.« »Komm mit mir«, sprach der Prinz. Da gingen die vier weiter und fanden einen, der saß da mit verbundenen Augen. Der Prinz fragte: »Warum hast du ein Tuch vor den Augen?« »Ei«, sprach er, »was ich mit meinen Augen ansehe, das springt voneinander, darum darf ich sie nicht offen lassen.« »Komm mit mir«, sagte der Prinz. Da gingen die fünf weiter und fanden einen, der lag mitten im heißen Sonnenschein und fror und zitterte am ganzen Leib so dass ihm kein Glied still stand. Der Prinz fragte: »Wie frierst du so im Sonnenschein?« »Ach«, sprach der Mann, »je heißer es ist, desto mehr friere ich und je kälter es ist, desto heißer wird mir und mitten im Eis kann ich’s vor Hitze und mitten im Feuer vor Kälte nicht ausholten.« »Komm mit mir«, sprach der Prinz. Da gingen die sechs weiter und fanden einen Mann, der stand da und schaute sich um über alle Berge hinaus. »Wonach schaust du?« fragte er Prinz. Da sprach er: »Ich habe so helle Augen, dass ich damit weit über Berge und Wälder und durch die ganze Welt hinaus sehen kann.« »Komm mit mir«, sagte der Prinz, »so einer fehlt mir noch!« Nun zogen die sieben in die Stadt ein, wo die schöne und gefährliche Jungfrau lebte. Der Prinz aber ging vor die alte Zauberin und sprach, er wollte um ihre Tochter werben. »Ja«, sagte sie, »dreimal will ich dir eine Aufgabe stellen, lösest du jede, so ist die Prinzessin dein. Die erste Aufgabe ist, dass du mir einen Ring wiederbringst, den ich ins rote Meer habe fallen lassen.« Der Prinz sagte: »Die Aufgabe will ich lösen.« und rief -289-
seinen Diener mit den hellen Augen und der schaute ins Meer bis auf den Grund und sah den Ring da neben einem Stein liegen. Danach kam der Dicke, der setzte seinen Mund ans Meer und ließ die Wellen hineinlaufen und trank es aus, dass es trocken wurde wie eine Wiese. Da bückte sich der Lange nur ein wenig und holte den Ring mit der Hand heraus. Der Prinz aber brachte ihn der Alten. Die sprach mit Verwunderung: »Ja, das ist der rechte Ring. Eine Aufgabe hast du gelöst, aber nun kommt die zweite. Siehst du dort auf der Wiese vor meinem Schloss, da weiden dreihundert fette Ochsen, Die musst du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren und darfst nicht mehr als einen einzigen Gast dazu einladen und unten im Keller, da liegend dreihundert Fässer Wein, die musst du dabei austrinken und bleibt ein Tropfen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.« Der Prinz sprach: »Das will ich vollbringen.« und setzte den Dicken als seinen Gast zu sich, der aß die dreihundert Ochsen auf, so dass kein Haar übrig blieb und trank den Wein dazu gleich aus den Fässern selber, ohne dass er ein Glas nötig hatte. Als die alte Zauberin das sah, staunte sie und sprach zum Prinzen: »So weit hat’s keiner gebracht, aber es ist noch die dritte Aufgabe nötig.« und dachte, ich will dich schon berücken. »Heut abend bring ich dir die Jungfrau auf die Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber hüte dich vor dem Einschlafen. Ich komme Schlag zwölf Uhr und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.« Der Prinz dachte: »Das ist so schwer nicht, ich will wohl meine Augen nicht zutun.« Doch Vorsicht ist immer gut und als die schöne Jungfrau abends zu ihm geführt wurde, hieß er alle seine Diener hereinkommen und der Lange musste sich um sie herumschlingen und der Dicke sich vor die Türe stellen, dass keine lebendige Seele herein konnte. Da saßen sie und die schöne Jungfrau sprach kein Wort, aber der Mond schien durch das Fenster auf ihr Angesicht, dass er ihre wunderbare -290-
Schönheit sehen konnte, Sie wachten auch alle miteinander bis elf Uhr, da ließ die Zauberin einen Schlummer auf ihre Augen fallen, den sie nicht abwehren konnten. Sie schliefen alle hart ein bis Viertel vor zwölf und als sie erwachten, war die Prinzessin fort und von der Alten entrückt. Der Prinz und die Diener jammerten, aber der Horcher sprach: »Seid einmal still!« Er horchte und sagte: »Sie sitzt in einem Felsen dreihundert Stunden von hier und klagt über ihr Schicksal.« Da sprach der Lange: »Ich will helfen.« und nahm den mit den verbundenen Augen auf den Rücken und plötzlich standen sie vor dem verwunschenen Felsen. Da nahm der Lange dem ändern die Binde ab. Kaum hatte der den Felsen angeschaut, zersprang er gleich in tausend Stücke und der Lange holte die Prinzessin aus der Tiefe und schwang sich mit ihr in drei Minuten zurück. Schlag zwölf kam die Zauberin und glaubte, den Prinzen ganz gewiss allein und in Schlaf versenkt zu finden, aber er war munter und ihre Tochter saß in seinem Arm. Nun musste sie zwar stillschweigen, aber es war ihr leid und die Prinzessin kränkte es auch, dass einer sollte gewonnen haben und daher ließ sie am ändern Morgen dreihundert Malter Holz zusammensetzen und sprach zum Prinzen, er hätte zwar die Aufgaben gelöst, ehe sie ihn aber heirate, verlange sie, dass jemand sich mitten in das Holz setzte, wenn es angezündet wäre und das Feuer aushalte. Dabei dachte sie, wenn die Diener ihm auch alles täten, würde sich doch keiner für ihn verbrennen und aus Liebe zu ihr würde er sich selbst hineinsetzen und dann wäre sie frei. Wie aber die Diener das hörten, sprachen sie: »Wir haben alle etwas getan, nur der Frostige noch nicht.« und nahmen ihn und trugen ihn ins Holz hinein und steckten es dann an. Da hub das Feuer an und brannte drei Tage, bis alles Holz verzehrt war und als es verlosch, stand der Frostige mitten in der Asche und zitterte wie Espenlaub und sprach. »So habe ich mein Lebtag nicht gefroren und wenn es länger gedauert hätte, wäre ich erstarrt.« -291-
Nun musste sich die schöne Jungfrau mit dem Prinzen vermählen, als sie aber zu der Kirche fuhren, sprach die Zauberin: »Ich kann es nicht zulassen.« und schickte ihr Kriegsvolk nach, das sollte alles niedermachen und ihr die Tochter zurückbringen. Der Horcher aber hatte die Ohren gespitzt und alles angehört, was die Alte gesprochen hatte und sagte es dem Dicken. Der spie einmal oder zweimal hinter den Wagen und da entstand ein großes Wasser, in dem die Kriegsvölker stecken blieben. Als sie nicht zurückkamen, schickte die Alte bewaffnete Reiter, aber der Horcher hörte sie kommen und band dem einen die Augen auf, der guckte die Feinde ein bisschen scharf an und sie sprangen auseinander wie Glas. Da fuhren sie ungestört weiter und als sie in der Kirche verheiratet und eingesegnet waren, nahmen die sechs Diener ihren Abschied und wollten weiter ihr Glück in der Welt versuchen.
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Das Märchen vom Prinzen mit den goldenen Haaren Vor langer Zeit lebte einmal ein Prinz, der war so schön und gut, dass sich seine Eltern nicht an ihm satt sehen konnten und liebevoll auf alles achteten, was er tat. Der Prinz hatte goldene Haare und einen goldenen Bart und niemand hat je etwas Schöneres gesehen. Der Prinz wurde größer und stärker und seine Eltern beschlossen, es sei an der Zeit, dass sich der Prinz eine Braut suchte. »Suche dir aus, welche dir gefällt«, sagten sie, »wir werden jede mit offenen Armen freudig empfangen!« »Das will ich tun«, antwortete der Prinz, »aber wenn ich keine finde, die mir gleicht, dann nehme ich keine, egal wie schön oder reich sie auch sein mag.« Da ließen seine Eltern ein Bild von dem Prinzen anfertigen, hingen es in allen Straßen auf und forderten alle Mädchen, die dem Prinzen glichen, auf, sich zu dem königlichen Schloss zu begeben. In allen Städten des Reiches wurden die Bilder des Prinzen aufgehängt und so sah es auch die jüngste Tochter eines Kaufmanns, die sich in das Bild des Prinzen verliebte. Sie sagte: »Ich gleiche dem Prinzen ganz!« Von nun an überlegte sie Tag und Nacht, was sie tun sollte, denn sie scheute sich, es ihrem Vater zu sagen. Und noch weniger traute sie sich, an den königlichen Hof zu gehen. In ihrem Kummer vertraute sie sich ihrer Freundin an, die eine große Zauberin war. Diese riet ihr, sich drei Haare von seinem Kopf und seinem Bart zu beschaffen, sie mit etwas Asche in einen Topf zu legen, es ein wenig sieden zu lassen, dann werde sich der Prinz in eine Taube verwandeln. Dann müsse sie nur noch ihr Fenster öffnen, eine Schale mit Wasser in die Mitte des Zimmers stellen und schon käme der Prinz herbeigestürmt. Als nun der Kaufmann wenige Tage später in die Hauptstadt reiste, fragte er seine Töchter: »Was soll ich euch mitbringen -293-
von der Reise?« Die Älteste wollte ein schönes Kleid, die zweite eine goldene Kette, die Jüngste aber sprach: »Ich möchte nur drei Kopf- und Barthaare von unserem Königssohn, damit wäre ich schon zufrieden.« »Das soll in Ordnung gehen.« sagte der Kaufmann, »Jeder Narr hat seine eigenen Ideen. Du wirst sehen, ich bringe dir, was du dir wünschst!« Als der Kaufmann seine Geschäfte in der Stadt erledigt hatte, besorgte er die Geschenke für seine Töchter. So kaufte er ein Kleid, eine goldene Kette und ging schließlich zu dem Barbier des Prinzen, um ihn um die Kopf- und Barthaare für die jüngste Tochter zu bitten. Der Barbier tat dem Kaufmann den Gefallen und besorgte ihm die gewünschten Haare. Als der Kaufmann nach Hause kam, brachte er jeder seiner Töchter, was sie sich gewünscht hatte. Die Jüngste aber war überglücklich, verschwand in ihrem Zimmer, kleidete sich wie eine Königin und tat, was die Zauberin ihr geraten hatte. Kaum hatte sie die Schale mit Wasser in die Mitte des Zimmers gestellt, da kam auch schon eine Taube herbeigeflogen, tauchte in das Wasser und verwandelte sich in den Prinzen mit den goldenen Haaren. »Was willst du von mir?« fragte der Prinz. »Warum hast du mich in solcher Eile herbeigerufen?« Da fasste sich die Kaufmannstochter ein Herz und sagte: »Ich habe Euer Bild gesehen und weil ich glaube, Euch zu gleichen, habe ich Euch zu mir gerufen, denn ich wagte es nicht, an Euren Hof zu kommen.« Da sah der Prinz sie freundlich an und sagte: »Ja, wirklich, du gleichst mir! Du gefällst mir sehr, dich will ich heiraten!« Sie sprachen noch eine Weile miteinander und am Ende erlaubte ihr der Prinz, ihn am nächsten Sonntag wieder zu rufen. Die älteste Schwester aber hatte an der Tür gelauscht und weil sie neidisch war, überlegte sie, wie sie ihrer Schwester dieses Glück nehmen könnte. Es gelang ihr, die beiden anderen Schwestern am Sonntag von dem Haus fernzuhalten, dann kleidete sie sich wie eine Prinzessin und tat alles, wie sie es bei -294-
ihrer jüngeren Schwester beobachtet hatte. Sie vergaß aber, das Fenster zu öffnen und das Wasserbecken in die Mitte des Zimmers zu stellen. Die Taube schlug sich am Fenster blutig und als sie endlich durch das zerbrochene Fenster ins Zimmer kam, suchte sie das Wasserbecken vergeblich. Zornig gurrend flog sie davon, aber auf dem Fußboden des Zimmers blieben Scherben und Blutspuren zurück. Das Mädchen sammelte erschrocken die Scherben auf und wusch das Blut weg, doch das Fenster blieb zerbrochen. Als nun die jüngste Tochter nach Hause kam, merkte sie sofort, was geschehen war und weinte bitterlich. »Der schöne Prinz ist nun tödlich verletzt und gewiss gibt es keinen Arzt auf der Welt, der ihm helfen kann!« jammerte sie unglücklich. Am nächsten Tag verkleidete sie sich als Arzt und machte sich auf den Weg zu dem königlichen Schloss, um zu sehen, ob sie dem Prinzen helfen könne. Sie ging den ganzen Tag und als es Abend wurde, begann sie, sich in dem dunklen Wald zu fürchten. Sie stieg auf einen großen Baum, um dort oben die Nacht zu verbringen. Um Mitternacht hörte sie plötzlich Stimmen unter dem Baum und erblickte vier Hexen, die um ein Feuer saßen und sich aufwärmten. Da sprach die eine der Hexen: »Der arme Prinz mit den goldenen Haaren, er ist wirklich ernsthaft erkrankt. Wisst ihr gar nicht, wie man ihm helfen könnte?« »O doch«, antwortete die älteste Hexe, »es müsste nur jemand mit dem Blut der Schlange, die im Garten des Königs unter einem Stein liegt, ein wenig Salbe sieden, den Kopf des Prinzen damit bestreichen und er wäre wieder geheilt. Nur eine solche Salbe nämlich hat die Kraft, die Glasscherben aus der Stirn des Prinzen zu ziehen. Doch keiner der Ärzte weiß etwas davon.« Das Mädchen auf dem Baum hatte genug gehört und als es hell wurde, stieg es vom Baum und machte sich eilig auf den Weg zum Schloss. Als sie in der Stadt ankam, erfuhr sie, dass die Ärzte den Prinzen bereits aufgegeben hatten. Der königliche Palast stand jedoch jedem offen, der meinte, den Prinzen heilen -295-
zu können. Das Mädchen ging sofort hin, trat vor den König und versprach, den Prinzen heilen zu können. »Ich erlaube Euch gerne, den Prinzen zu sehen. Ihr seid zwar noch etwas jung für einen guten Arzt, doch wir werden ja sehen.« Als sie den Prinzen so krank da liegen sah, wollte sie in Tränen ausbrechen, doch sie hielt sich zurück und befahl, ihm für die Nacht ein fiebersenkendes Mittel zu geben. Am nächsten Morgen ließ sie die Schlange im Garten suchen und töten und ihr Blut zu Salbe sieden. Damit bestrich sie den Kopf des Prinzen und es dauerte nur wenige Tage, da waren alle Glasscherben herausgekommen und der Prinz war wieder gesund. Der König und die Königin konnten dem vermeintlichen Arzt nicht genug danken und der König sagte: »Schade, dass Ihr nicht ein Mädchen seid; dann hätten wir Euch unseren Sohn zum Gemahl gegeben, denn Ihr seht ihm ganz ähnlich, Da Ihr aber nun mal ein Mann seid, so wünscht Euch, was immer Ihr wollt, Ihr werdet es bekommen.« »Ich will nichts, außer ein Pferd von Eurem Sohn, eine Locke von seinen Haaren und auch sein goldenes Waschbecken.« Der König wunderte sich zwar über diese außergewöhnlichen Wünsche, aber er gab ihr alles und sie ritt vergnügt nach Hause. Einige Tage darauf schloss sie sich wieder in ihrem Zimmer ein, öffnete das Fenster, stellte das goldene Wasserbecken in die Mitte des Zimmers und tat mit den Haaren des Prinzen, wie ihr die Zauberin einst geraten hatte. Und gleich darauf kam die Taube mit einem Schwert unter den Flügeln herbei, tauchte in das Wasserbecken und verwandelte sich in den Prinzen, der mit zornigem Blick und dem Schwert in der Hand vor ihr stand. Er fragte wütend: »Warum rufst du mich wieder, nachdem du mich das letzte Mal so verletzt hast? Siehst du dieses Schwert? Damit wollte ich dich durchbohren, doch ich will dir noch einmal verzeihen. Heiraten aber werde ich dich niemals!« Da erzählte sie ihm, wie sich alles zugetragen hatte und wie sie ihn geheilt hatte. Der Prinz glaubte ihr nicht und sie sagte: »Seht nur, hier ist Eure Haarlocke, dort steht Euer goldenes -296-
Wasserbecken und hinten im Stall steht Euer Pferd. Das alles hat man mir zum Dank für Eure Heilung geschenkt!« Der Prinz sah, dass sie die Wahrheit sagte und so reichte er ihr die Hand und vermählte sich mit ihr. Vierzehn Tage später wurde die Hochzeit gefeiert und die beiden waren glücklich und zufrieden ihr ganzes Leben lang. Ihr größtes Glück aber war, dass sie nicht nur an äußerer Schönheit, sondern auch an innerer Tugend gleich waren.
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Kapitel 16 Zwergengeschichten
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Die Zwergenhochzeit Ein Spielmann ging einmal durch den Wald. In der Nähe eines Schlösschens begegnete ihm ein seltsames Männlein. Es hatte ein braunes Gesicht und seine Haare und sein Bart waren wie die grünen Pflanzen des Waldes. Es war so klein, dass es dem Spielmann nur bis ans Knie reichte. »Wohin gehst du?« fragte der Zwerg den Spielmann. »Ins Dorf«, antwortete dieser, »dort ist eine Hochzeit und da soll ich Geige spielen.« »Lass die Hochzeit sein.« sagte der Zwerg, »die werden auch ohne dich tanzen. Komm mit mir, ich habe heute auch meine Hochzeit, da sollst du mir aufspielen.« Der Zwerg führte ihn zu einem Bach und ging mit ihm in das Wasser. Sie kamen zu einem Tor, das sich von selber öffnete und dann in einen Saal, der mit Zweigen und grünen Pflanzen geschmückt war. Viele Zwerge mit ihren Zwerginnen am Arm schritten durch eine Tür herein und der Tanz begann. Der Spielmann fiedelte den ganzen Tag, so dass ihm seine Finger weh taten; endlich hatten die Zwerge genug und verließen den Saal. Der letzte aber kam auf ihn zu und sagte: »Fordere keinen Lohn und sage, du wärst mit dem zufrieden, was in der Besenkammer hinter dem Besen liegt.« Es dauerte nicht lange, da kam der Zwergenbräutigam wieder und fragte, was er denn für die Musik schuldig sei. »Ich bin mit dem zufrieden, was in der Besenkammer hinter dem Besen liegt«, antwortete der Spielmann. »Gut gewählt«, sagte lachend der Zwerg, »es sind nur drei Taler. Nimm sie dir, bewahre sie aber gut auf und so oft du Geld wünschst, schlage auf die Tasche und du hast so viel, wie du willst.« Darauf führte das Männchen den Geiger aus dem Saal und sogleich stand er wieder neben dem Bach auf der Wiese. Er -299-
wusste nicht gleich, ob er wach war oder träumte. Als er aber um sich sah, erblickte er das Schlösschen und weiter weg den Kirchturm des Dorfes. Er ging weiter, da kam ein Reiter auf einem prächtigen Schimmel vorüber. »Was kostet der Schimmel?« fragte der Spielmann. »Hundert Taler«, war die Antwort. Da schlug der Spielmann voller Erwartung auf die Tasche, in der die drei Taler waren und sofort fühlte er, dass sie schwer wurde. Er holte die hundert Taler heraus und kaufte den Schimmel. Von nun an schlug der Spielmann fleißig auf seine Tasche und war bald ein reicher Mann. Er war aber großzügig mit seinem Reichtum, half den Armen und den Menschen im Dorf, wo er konnte. Den frisch verheirateten Zwerg sah er nie wieder.
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Der Zwerg und die Wunderblume Ein junger aber armer Schäfer hütete seine Schafe am Fuß eines großen Berges, auf dem eine mächtige Burg stand. Er trieb sie traurig den Berg hinauf, konnte sich nicht freuen, weil er so arm war und nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Auf dem Gipfel fand er eine wunderschöne Blume, wie er noch nie eine gesehen hatte, pflückte sie und steckte sie sich an den Hut, um seiner Braut ein Geschenk damit zu machen. Wie er so weiterging, fand er oben auf der alten Burg ein Gewölbe offen stehen, bloß der Eingang war etwas verschüttet. Er trat hinein, sah viel kleine glänzende Steine auf der Erde liegen und steckte seine Taschen ganz voll damit. Nun wollte er wieder ins Freie, als eine dumpfe Stimme erklang: »Vergiss das Beste nicht!« Er wusste nicht, wie ihm geschah und lief voller Angst aus dem Gewölbe. Kaum sah er die Sonne und seine Herde wieder, schlug die Tür, die er vorher gar nicht gesehen hatte, hinter ihm zu. Als der Schäfer nach seinem Hut gr iff, stand auf einmal ein Zwerg vor ihm. Er hatte ein grünes Röcklein an und trug einen lustigen Hut mit einer langen Feder, die fröhlich auf- und abwippte. Der Schäfer sah, dass der Zwerg gütige Augen hatten und verlor seine Angst. Mit hoher dünner Stimme fragte der Zwerg: »Wo hast du die Wunderblume, die du gefunden hast?« Der Schäfer griff an seinen Hut, aber die Blume war nicht mehr da. »Verloren«, sagte er da betrübt. »Dir war sie bestimmt«, sprach der Zwerg, »und sie ist mehr wert als die ganze Burg.« Als der Schäfer zu Hause in seine Taschen griff, waren die glimmernden Steine lauter Goldstücke. Die Blume aber ist verschwunden und wird von den Bergleuten bis auf heutigen Tag gesucht, nicht nur in den Gewölben der Burg nicht allein, sondern im ganzen Gebirge, aber niemand konnte sie finden. Der Zwerg wurde nie wieder -301-
gesehen.
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Schneewittchen und die sieben Zwerge Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel, da saß eine schöne Königin an einem Fenster, das hatte eine n Rahmen von schwarzem Ebenholz, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rote in dem Weißen so schön aussah, dachte sie: »Hätte ich doch ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie dieser Rahmen aus Ebenholz.« Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, so weiß wie der Schnee, so rot wie das Blut und so schwarz wie Ebenholz und darum wurde es das Schneewittchen genannt. Die Königin war die Schönste im ganzen Land, und gar stolz auf ihre Schönheit. Sie hatte auch einen Spiegel, vor den trat sie jeden Morgen und fragte: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Da sprach das Spieglein jedes Mal: »Ihr, Frau Königin, seid die Schönste im ganzen Land.« Und da wusste sie, dass niemand schöner auf der Welt war, und das war ihr ganz recht so. Schneewittchen aber wuchs heran und als es sieben Jahre alt war, war es so schön, dass es selbst die Königin an Schönheit übertraf und als diese ihren Spiegel fragte: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Sagte der Spiegel: »Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen ist noch tausendmal schöner als Ihr!« Wie die Königin den Spiegel so sprechen hörte, wurde sie blass vor Neid, und von da an hasste sie das Schneewittchen, -303-
und wenn sie es ansah und daran dachte, dass sie durch seine Schuld nicht mehr die Schönste auf der Welt war, kehrte sich ihr das Herz herum. Da ließ ihr der Neid keine Ruhe und sie rief einen Jäger und sagte zu ihm: »Führe das Schneewittchen hinaus in den Wald an einen weiten abgelegenen Ort, da stech’s tot, und zum Beweis bring mir seine Lunge und seine Leber mit, die will ich mit Salz kochen und essen.« Der Jäger nahm das Schneewittchen und führte es hinaus, wie er aber das Messer gezogen hatte und eben zustechen wollte, da fing es an zu weinen und bat so sehr, er möge ihm sein Leben lassen, es wolle nie wieder zurückkommen, sondern in den Wald fortlaufen. Der Jäger hatte Mitleid, weil es so schön war, und er dachte: »Die wilden Tiere werden es doch bald gefressen haben, ich bin froh, dass ich es nicht zu töten brauche.« Und weil gerade ein junges Wildschwein gelaufen kam, stach er es nieder, nahm Lunge und Leber heraus und brachte sie als Beweis der Königin mit, die kochte sie mit Salz und aß sie auf und meinte sie hätte Schneewittchens Lunge und Leber gegessen. Schneewittchen aber war in dem großen Wald mutterseelenallein, so dass ihm recht Angst wurde und es fing an zu laufen und zu laufen über die spitzen Steine, und durch die Dornen den ganzen Tag; endlich, als die Sonne untergehen wollte, kam es zu einem kleinen Häuschen. Das Häuschen gehörte sieben Zwergen, die waren aber nicht zu Haus, sondern in das Bergwerk gegangen. Schneewittchen ging hinein und fand alles klein, aber niedlich und reinlich: da stand ein Tischlein mit sieben kleinen Tellern, dabei sieben Löfflein, sieben Messerlein und Gäbelein, sieben Becherlein, und an der Wand standen sieben Bettlein nebeneinander frisch gedeckt. Schneewittchen war hungrig und durstig, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüse und Brot, trank aus jedem Gläschen einen Tropfen Wein, und weil es so müde war, wollte es sich schlafen legen. Da probierte es die sieben Bettlein nacheinander, kein’s war ihm aber recht, bis auf das siebente, in -304-
das legte es sich und schlief ein. Als es Nacht wurde, kamen die sieben Zwerge von ihrer Arbeit heim und steckten ihre sieben Lichtlein an, da sahen sie, dass jemand in ihrem Haus gewesen war. Der Erste sprach: »Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?« Der Zweite: »Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?« Der Dritte: »Wer hat von meinem Brötchen genommen?« Der Vierte: »Wer hat von meinem Gemüschen gegessen?« Der Fünfte: »Wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?« Der Sechste: »Wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?« Der Siebente: »Wer hat aus meinem Becherlein getrunken?« Danach sah der Erste sich um und sagte: »Wer hat in mein Bettchen getreten?« Der Zweite: »Ei, in meinem hat auch jemand gelegen?« und so alle weiter bis zum Siebenten, wie der nach seinem Bettchen sah, da fand er das Schneewittchen darin liegen und schlafen. Da kamen die Zwerge alle gelaufen und schrieen vor Verwunderung. Sie holten ihre sieben Lichtlein herbei und betrachteten das Schneewittchen. »Ei du mein Gott! Ei du mein Gott!« riefen sie, »Was ist das schön!« Sie hatten große Freude an ihm, weckten es auch nicht auf und ließen es in dem Bettlein liegen; der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Freunden, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als nun Schneewittchen aufwachte, fragten sie es, wer es sei und wie es in ihr Haus gekommen wäre, da erzählte es ihnen, wie seine Mutter es umbringen wollte, der Jäger ihm aber das Leben geschenkt habe, und wie es den ganzen Tag gelaufen und endlich zu ihrem Häuslein gekommen sei. Da hatten die Zwerge Mitleid und sagten: »Wenn du unseren Haushalt machen und kochen, nähen, waschen und stricken willst, auch alles ordentlich und reinlich hältst, sollst du bei uns bleiben und es soll dir an nichts fehlen. Abends kommen wir nach Haus, da muss das Essen fertig sein, am Tage aber sind wir im Bergwerk und graben Gold, da bist du allein; hüte dich nur vor der Königin und lass niemanden herein.« -305-
Die Königin aber glaubte, sie sei wieder die Allerschönste im Land, trat morgens vor den Spiegel und fragte: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Da antwortete der Spiegel aber wieder: »Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen, über den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als Ihr!« Wie die Königin das hörte, erschrak sie und sah wohl, dass sie betrogen worden war und der Jäger Schneewittchen nicht getötet hatte. Nun sann sie von neuem nach, wie sie es umbringen könnte, denn so lange der Spiegel nicht sagte, sie wäre die schönste Frau im ganzen Land, hatte sie keine Ruhe. Sie verkleidete sich selber als eine alte Krämerin, färbte ihr Gesicht, damit sie kein Mensch erkannte und ging hinaus vor das Zwergenhaus. Sie klopfte an die Tür und rief: »Macht auf, macht auf, ich bin die alte Krämerin, die gute Ware für euch hat.« Schneewittchen guckte aus dem Fenster: »Was hast du denn?« – »Schnürriemen, liebes Kind«, sagte die Alte und holte einen hervor, der war von gelber, roter und blauer Seide geflochten: »Willst du den haben?« – »Ei ja!« sprach Schneewittchen und dachte, die gute alte Frau kann ich wohl hereinlassen, die meint’s ehrlich; riegelte also die Türe auf und kaufte den Schnürriemen. »Aber dein Kleid ist so locker geschnürt,« sagte die Alte, »komm ich will dich einmal besser schnüren.« Schneewittchen stellte sich vor sie, da nahm die Alte den Schnürriemen und schnürte und schnürte es so fest, dass ihm der Atem verging, und es leblos hinfiel. Danach war die Königin zufrieden und ging fort. Bald darauf wurde es Nacht, da kamen die sieben Zwerge nach Haus, die erschraken recht, als sie ihr liebes Schneewittchen auf der Erde liegen fanden, als wäre es tot. Sie hoben es in die Höhe, da sahen sie, dass es so fest geschnürt war, schnitten den Schnürriemen entzwei, da atmete es erst, und -306-
dann wurde es wieder lebendig. »Das ist niemand gewesen als die Königin,« sprachen sie, »die hat dir das Leben nehmen wollen, hüte dich und lass keinen Menschen mehr herein.« Die Königin aber fragte ihren Spiegel: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Der Spiegel antwortete: »Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen, über den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als Ihr!« Sie erschrak, weil Schneewittchen wieder lebendig geworden war. Danach sann sie den ganzen Tag und die Nacht, wie sie es doch noch fangen wollte, und machte einen giftigen Kamm, verkleidete sich in eine ganz andere Gestalt, und ging wieder hinaus. Sie klopfte an die Tür, Schneewittchen aber rief: »Ich darf niemanden hereinlassen.« Da zog sie den Kamm hervor, und als Schneewittchen den blinken sah und es auch jemand ganz Fremdes war, so machte doch auf, und kaufte ihr den Kamm ab. »Komm ich will dich auch kämmen!« sagte die Krämerin, kaum aber steckte der Kamm dem Schneewittchen in den Haaren, da fiel es nieder und war tot. »Nun wirst du liegen bleiben.« sagte die Königin und ihr Herz war ihr leicht geworden und sie ging heim. Die Zwerge aber kamen zur rechten Zeit, sahen was geschehen war, und zogen den giftigen Kamm aus den Haaren, da schlug Schneewittchen die Augen auf und war wieder lebendig und versprach den Zwergen, es wollte gewiss niemand mehr einlassen. Die Königin aber stellte sich vor ihren Spiegel: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Der Spiegel antwortete: »Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen, über den sieben Bergen, bei den -307-
sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als Ihr!« Als das die Königin wieder hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn: »So soll das Schneewittchen noch sterben, und wenn es mein Leben kostet!« Dann ging sie in ihre heimlichste Stube und da machte sie einen giftigen, giftigen Ap fel, äußerlich war er schön und rotbackig und jeder, der ihn sah, bekam Lust ihn zu essen. Darauf verkleidete sie sich als Bauersfrau, ging vor das Zwerghaus und klopfte an, Schneewittchen guckte und sagte: »Ich darf keinen Menschen einlassen, die Zwerge haben mir’s verboten.« »Nun, wenn Ihr nicht wollt!« sagte die Bäuerin, »kann ich Euch nicht zwingen, meine Äpfel will ich schon loswerden, da, einen will ich Euch zur Probe schenken.« »Nein, ich darf auch nichts geschenkt nehmen, die Zwerge wollen’s nicht haben.« »Ihr mögt Euch wohl fürchten, da ich will den Apfel entzwei schneiden und die Hälfte essen, den schönen roten Backen sollt Ihr haben!« Der Apfel war aber so gemacht, dass nur die rote Hälfte vergiftet war. Da sah Schneewittchen, dass die Bäuerin selber davon aß, und sein Hunger danach wurde immer größer, da ließ es sich endlich die andere Hälfte durchs Fenster reichen und biss hinein, kaum aber hatte es einen Bissen im Mund, so fiel es tot zur Erde. Die Königin aber freute sich, ging nach Haus und fragte den Spiegel: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Da antwortete er: »Ihr, Frau Königin, seid die schönste Frau im Land.« »Nun hab ich endlich Ruhe,« sprach sie, »da ich wieder die Schönste im Lande bin.« Die Zwerglein kamen abends aus den Bergwerken nach Haus, da lag das liebe Schneewittchen auf dem Boden und war tot. Sie schnürten es auf und sahen, ob sie nichts Giftiges in seinen -308-
Haaren fänden, es half aber alles nichts, sie konnten es nicht wieder lebendig machen. Sie legten es auf eine Bahre, setzten sich alle sieben daran, weinten und weinten drei Tage lang, dann wollten sie es begraben, da sahen sie aber, dass es noch frisch und gar nicht wie eine Tote aussah, und dass es auch seine schönen roten Wangen noch hatte. Da ließen sie einen Sarg aus Glas machen, legten es hinein, dass man es recht gut sehen und bewundern konnte, schrieben auch mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und einer blieb jeden Tag zu Haus und bewachte es. So lag Schneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und war noch so weiß wie Schnee und so rot wie Blut und wenn es die Äuglein hätte öffnen können, wären sie so schwarz gewesen wie Ebenholz, denn es lag da, als ob es schlief. Einmal kam ein junger Prinz zu dem Zwergenhaus und wollte darin übernachten. Wie er in die Stube kam und Schneewittchen in dem Glassarg liegen sah, auf das die sieben Lichtlein so recht ihren Schein warfen, konnte er sich nicht satt an seiner Schönheit sehen, und las die goldene Inschrift und sah, dass es eine Königstochter war. Da bat er die Zwerglein, sie sollten ihm den Sarg mit dem toten Schneewittchen verkaufen, die wollten aber um alles Gold nicht. Da bat er sie, sie mögen es ihm schenken, er könne nicht leben ohne es zu sehen, und er wolle es so hoch halten und ehren, wie sein Liebstes auf der Welt. Da waren die Zwerglein mitleidig und gaben ihm den Sarg, der Prinz aber ließ ihn in sein Schloss tragen, und ließ ihn in seine Stube setzen, er selber saß den ganzen Tag dabei und konnte die Augen nicht abwenden. Wenn er ausgehen musste und konnte Schneewittchen nicht sehen, wurde er traurig und er konnte auch keinen Bissen essen, wenn der Sarg nicht neben ihm stand. Die Diener aber, die den Sarg immer herumtragen mussten, waren böse darüber und einer machte einmal den Sarg auf, hob Schneewittchen in die Höhe und sagte: »Wegen eines toten Mädchens werden wir den ganzen Tag geplagt.« Und er gab ihm -309-
mit der Hand einen Stoß in den Rücken. Da fuhr ihm der giftige Apfel, den es gesessen hatte, aus dem Hals und da war Schneewittchen wieder lebendig, Da ging es hin zu dem Prinzen, der wusste gar nicht, was er vor Freude tun sollte, als sein liebes Schneewittchen lebendig war, und sie setzten sich zusammen an die Tafel und aßen und tranken miteinander in Freuden. Am nächsten Tag wurde die Hochzeit mit dem Prinzen gefeiert, und Schneewittchens böse Mutter auch eingeladen, Am Morgen trat sie wie immer vor den Spiegel und sprach: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?« Da antwortete er: »Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen, über den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen ist noch tausendmal schöner als Ihr!« Als sie das hörte, erschrak sie sehr. Doch trieb sie der Neid auf die junge Königin zu der Hochzeit. Doch wie sie ankann, sah sie, dass es Schneewittchen war. Da wurden eiserne Pantoffeln im Feuer glühend gemacht, die musste sie anziehen und darin tanzen und ihre Füße wurden jämmerlich verbrannt und sie durfte nicht aufhören, bis sie sich zu Tode getanzt hatte. Schneewittchen und ihr Prinz waren glücklich miteinander, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
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