Peter Schneider Einführung in die
Extragalaktische Astronomie und Kosmologie
Peter Schneider Einführung in die
Extragalaktische Astronomie und Kosmologie Mit 444 Abbildungen und 10 Tabellen
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Prof. Dr. Peter Schneider Argelander-Institut für Astronomie Universität Bonn Auf dem Hügel 71 53121 Bonn e-mail:
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Korrigierter Nachdruck 2008 ISBN 978-3-540-25832-2 e-ISBN 978-3-540-30589-7 Springer Berlin Heidelberg New York
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Umschlagbild: STScI-PRC03-01a: Galaxy Cluster Abell 1689, Hubble Space Telescope - Advanced Camera for Surveys Credit: NASA, N. Benitez (JHU), T. Broadhurst (Racah Institute of Physics/The Hebrew University), H. Ford (JHU), M. Clampin (STScI), G. Hartig (STScI), G. Illingworth (UCO/Lick Observatory), the ACS Science Team and ESA Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/ 2003/01/image/a
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Gedruckt auf säurefreiem Papier 55/3141/YL – 5 4 3 2 1 0
V
Vorwort Dieses Buch entwickelte sich aus dem Skriptum einer Vorlesung, die ich als zweiten Teil einer Einführungsvorlesung seit dem Jahre 2001 jährlich an der Universität Bonn gehalten habe. Die Vorlesung richtet sich an Studienanfänger, die in der Mehrzahl Astronomie als Nebenfach wählen; die meisten Hörer sind Studierende im ersten Jahr ihres Physik-Studiums, die zuvor schon den ersten Teil der Einführung besucht haben, in der Sterne und astronomische Grundbegriffe und Messmethoden behandelt werden. Die Vorlesung konzentriert sich daher ganz auf die extragalaktische Astronomie und Kosmologie, wobei zu Beginn die Milchstraße als eine typische Spiralgalaxie diskutiert wird. Um dieses Buch einem weiteren Leserkreis zu eröffnen, werden in einem Anhang kurz einige astronomische Grundbegriffe und die für das Verständnis des Stoffes relevanten Fakten des Strahlungsfelds und der Sterne zusammengestellt. Ziel der Vorlesung und damit auch dieses Buches ist, schon frühzeitig Studierende der Physik an die Astronomie heranzuführen. Da im ersten Studienjahr das physikalische Grundwissen nur eingeschränkt zu Verfügung steht, müssen viele Sachverhalte mit vereinfachenden Argumenten behandelt werden. Dennoch ist es erstaunlich, in welchem Umfang mit solchen Argumenten die moderne Extragalaktik nahegebracht werden kann. Die Vorlesung erstreckt sich über das gesamte hier präsentierte Material und ist deshalb recht umfangreich. Andererseits gestattet nur dieser Umfang, die Studierenden schon frühzeitig an die Front unseres astrophysikalischen Wissens heranzuführen; sie lernen deshalb auch viel darüber, was wir zur Zeit noch nicht wissen. Gerade dieser Aspekt erscheint mir von großer Bedeutung für die Rolle der Astrophysik in der PhysikAusbildung, da in anderen Teilgebieten die Grenzen unseres heutigen Wissens erst in einem viel späteren Stadium des Studiums sichtbar werden. Besonders die Aspekte der Kosmologie stoßen auf reges Interesse. Trotz des Stoffumfangs gelingt es der großen Mehrheit der Zuhörer, sich den Inhalt der Vorlesung anzueignen, wie wir aus den Vordiplomsprüfungen leicht ersehen können – und die
dazugehörige Statistik ist nicht klein: Mein Kollege Klaas de Boer und ich nehmen pro Jahr zusammen etwa 100 Vordiplomsprüfungen ab. Vereinzelten Beurteilungen der Studierenden, die Vorlesung sei zu umfangreich oder zu schwer, ist entgegenzuhalten, dass es keinen Grund gibt, warum eine Astronomie-Vorlesung weniger anspruchsvoll sein soll als eine Physik- oder Mathematik-Vorlesung. Warum ein Buch daraus erstellen? Bei der Konzeption der Vorlesung wurde mit schnell klar, dass ich nicht nach einem vorhandenen Lehrbuch vorgehen konnte (oder wollte). Deutschsprachige Lehrbücher über Astronomie gibt es nur wenige, und die vorhandenen behandeln die Extragalaktik nicht annähernd in dem Umfang und der Tiefe, wie ich mir die Vorlesung vorgestellt hatte. Aber auch im englischsprachigen Bereich ist die in Frage kommende Auswahl nicht groß. Während eine ganze Reihe sehr guter Einführungstexte auf dem Markt existieren, sind diese meist in ihrer technischen Behandlung eher zurückhaltend. Viele Dinge lassen sich jedoch besser erklären, wenn man (auch) ein technisches Argument anführen kann. Es ist daher die Hoffnung, mit diesem Text einen Bereich der modernen Astrophysik auf einem Niveau darzustellen, das der oben genannten Zielgruppe angepasst ist. Ziel ist weiterhin, die Extragalaktik so breit zu behandeln, dass dieses Buch die Leser in die Lage versetzt, entsprechende Fachliteratur zu lesen, so dass zumindest die Terminologie erläutert werden muss. Da praktisch sämtliche Fachliteratur auf Englisch geschrieben wird, habe ich wenig Sinn darin gesehen, die gesamte Fachterminologie auf Deutsch zu übersetzen, und wo dies geschieht, werden die englischen Begriffe gleichzeitig eingeführt. Aus dem gleichen Grund werden die gebräuchlichen Abkürzungen benutzt, die am Ende des Buches aufgelistet werden. Bei der Einführung in die Astronomie sehen sich die Studierenden mit zwei Problemen gleichzeitig konfrontiert: auf der einen Seite dem Verständnis astrophysikalischer Zusammenhänge – beispielsweise den Argumenten, die zu dem Schluss führen, dass die zentrale Maschine der Aktiven Galaxien ein Schwarzes
Vorwort VI
Loch ist; auf der anderen Seite der Vielzahl von neuen Begriffen, Klassifizierungen, die zum Teil nur als historischer Ballast zu betrachten sind. Als Beispiel sei hier die Klassifizierung der Supernovae angeführt, die zwar auf Beobachtungstatbeständen beruht, mit unserem heutigen Verständnis der verschiedenen SN-Typen aber wenig gemein hat; ein anderes Beispiel ist die Klassifikation der Aktiven Galaxien. In der Vorlesung habe ich versucht, die beiden Schwierigkeiten so weit wie möglich zu trennen, also deutlich zu machen, wann Fakten präsentiert werden, die zunächst mal einfach zur Kenntnis genommen werden sollen, und wann man einem astrophysikalischen Zusammenhang auf der Spur ist, wobei letzterer Aspekt stets deutlich mehr Raum einnahm als ersterer. Es ist zu hoffen, dass dieser Unterschied auch in dieser schriftlichen Niederlegung zu erkennen ist. Genau wie in der Vorlesung selbst wurde nicht der Versuch gemacht, erst die physikalischen Grundlagen zu behandeln, um sie dann ,,in einem zweiten Teil“ auf die Astrophysik anzuwenden. Stattdessen werden die wichtigsten Prozesse an der Stelle erläutert, wo sie zum ersten Mal zentral wichtig werden. Weiterhin wurde berücksichtigt, dass die Studierenden im ersten Studienjahr sehr schnell ihr physikalisches und mathematisches Wissen erweitern; aus diesem Grunde ist der Stoff zum Teil nach Schwierigkeit geordnet. So wird beispielsweise zunächst der homogene Kosmos besprochen und erst später die Prozesse der Strukturentwicklung, die zwischenzeitlich durch die Diskussion über Galaxienhaufen motiviert wurde. Das Thema und der Umfang dieses Buches implizieren, dass eine Auswahl des Materials notwendig ist und der Text nicht umfassend sein kann. Ich möchte daher an dieser Stelle bei den Kollegen um Verständnis bitten, die ,,ihr“ Gebiet nicht in dem Umfang hier wiederfinden, wie es der Bedeutung nach angemessen wäre. Ich habe mir ebenfalls die Freiheit erlaubt, mein persönliches Forschungsgebiet – die Gravitationslinsen – etwas überproportional zu betonen. Wenn es einer Rechtfertigung bedarf: Die Grundgleichungen der Linsentheorie sind genügend einfach, dass man bereits im frühen Stadium der Ausbildung diesen Effekt sehr gut erläutern kann. Viele Zuhörer sind nicht nur an den physikalischen Inhalten der Astronomie interessiert, sondern sind begeisterte Astronomen. Manche betreiben seit Jahren
die Astronomie als Hobby und sind fasziniert von den Geschehnissen außerhalb der Erde. Ich habe versucht, diese Faszination an einigen Stellen der Vorlesung aufleben zu lassen, etwa durch historische Schilderungen oder durch die Diskussion von bestimmten Beobachtungen oder Instrumenten. An einigen Stellen bot es sich selbstverständlich an, Erstaunen hervorzurufen, etwa bei der Schilderung von scheinbar überlichtschnellen Bewegungen – um dann durch die Erklärung dieses Phänomens der Superluminal Motion die Beobachtungstatsachen wieder in unser physikalischen Weltbild einzufügen. Aus diesem Grunde wird bei manchen Gelegenheiten der traditionell eher trockene Lehrbuchstil beiseite geschoben. Aber die eigentliche Faszination ergibt sich aus den Inhalten selbst – es ist immer wieder verblüffend zu erkennen, wie sehr unser Wissen über den Kosmos in den letzten Jahren gewachsen ist, wie Phänomene, die zunächst als Besonderheiten eingeordnet wurden, sich in ein Gesamtbild einfügen und wie weit das Modell des isotrop expandierenden Universums die kosmologischen Beobachtungen erklären kann. Auch auf die Gefahr hin, dass einige Abschnitte dieses Buches nach relativ kurzer Zeit überholt sein können, wurden auch Themen aufgenommen, die sich erst am Beginn einer sicherlich rasanten Entwicklung befinden – und wenn es gelingt, das Interesse der Leser an solchen Gebieten zu erwecken und in die Lage versetzt, neue Entwicklungen durch eigenes Literaturstudium zu verfolgen, dann hat dieses Buch sicherlich ein wichtiges Ziel erreicht. Die Erstellung des Vorlesungsskripts und dessen Erweiterung zu einem Buch wäre ohne die aktive Hilfe von zahlreichen Studierenden und Kollegen nicht möglich gewesen, denen ich hier danken möchte. Jan Hartlap, Elisabeth Krause und Anja von der Linden haben zahllose Verbesserungsvorschläge gemacht, unermüdlich Abbildungen erstellt bzw. herausgesucht, Tabellen geTEXt – bei ihnen bedanke ich mich ganz herzlich. Oliver Czoske, Thomas Erben und Patrick Simon haben das gesamte Manuskript sehr detailliert gelesen und unzählige konstruktive Kommentare dazu gemacht, die zur Verbesserung des Textes geführt haben. Klaas de Boer und Thomas Reiprich haben Teile des Buches gelesen und sehr hilfreich kommentiert. Bei der Suche nach Quellen der Abbildungen waren weiterhin Leonardo Casta˜neda, Martin Kilbinger, Jasmin Pielorz und Peter Watts von großer
Vorwort VII
Hilfe. Schließlich danke ich meinen Kollegen und Studenten, die mich immer wieder bei der Arbeit zu diesem Buch ermutigt und unterstützt haben, sowie Herrn Wolf Beiglböck und Herrn Ramon Khanna vom Springer-Verlag für deren Ermunterung und konstruktive Zusammenarbeit. Weiterhin bin ich auch allen Kollegen zu Dank verpflichtet, die mir gestattet haben, ihre Abbildungen hier zu verwenden, sowie den Pressestellen der Astronomischen Organisationen und Institute, die auf-
grund ihrer hervorragenden Arbeit zur Verbreitung astronomischen Wissens in der Öffentlichkeit unverzichtbare Dienste leisten und gleichzeitig eine reiche Quelle für Bildmaterial darstellen, von der ich auch hier vielfach Gebrauch gemacht habe. Stellvertretend seien erwähnt: Das European Southern Observatory (ESO), das Space Telescope Science Institute (STScI), das NASA/SAO/CXC-Archiv für Chandra-Daten und das Legacy Archive for Microwave Background Data Analysis (LAMBDA).
IX
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung und Überblick
2. Die Galaxis als Galaxie
1.1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5 1.2.6 1.2.7 1.2.8
Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unsere Galaxis als Galaxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Welt der Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Hubble Expansion des Weltalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktive und Starburst Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Voids, Galaxienhaufen und Dunkle Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weltmodelle und thermische Geschichte des Universums . . . . Strukturbildung und Galaxienentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosmologie als Triumph des menschlichen Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 4 6 9 11 13 15 18
1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6
Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie . . . . . . . . . . . . . Radioteleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Infrarot-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Optische Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . UV-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Röntgen-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gamma-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 20 24 26 31 32 33
2.1
Galaktische Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis . . . . Trigonometrische Parallaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sternstromparallaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Photometrische Entfernung; Extinktion und Rötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spektroskopische Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entfernungen von visuellen Doppelsternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entfernungen pulsierender Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.5 2.2.6 2.2.7 2.3 2.3.1 2.3.2
18
36 37 38 38 40 43 44 44
2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7
Struktur der Galaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Galaktische Scheibe: Sternverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Galaktische Scheibe: chemische Zusammensetzung und Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Galaktische Scheibe: Staub und Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die kosmische Höhenstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Galaktische Bulge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der sichtbare Halo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Entfernung zum Galaktischen Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46 47
2.4 2.4.1
Kinematik der Galaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Bestimmung der Geschwindigkeit der Sonne . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
48 51 53 55 55 56
Inhaltsverzeichnis X
3. Die Welt der Galaxien
2.4.2
Die Rotationskurve der Galaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4
Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gravitationslinseneffekt I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Galaktischer Mikrolinseneffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Surveys und Resultate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Variationen und Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 70 73 75
2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4
Das Galaktische Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wo ist das Galaktische Zentrum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der zentrale Sternhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Eigenbewegung von Sgr A∗ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 78 80 81 84
3.1 3.1.1 3.1.2
Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Morphologische Klassifikation: Die Hubble-Sequenz . . . . . . . . 88 Andere Arten von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5
Elliptische Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helligkeitsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammensetzung von Elliptischen Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . Dynamik von Elliptischen Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzeichen komplexer Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90 90 92 93 93 96
3.3 3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6
Spiralgalaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trends innerhalb der Spiralensequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helligkeitsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rotationskurven und Dunkle Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellare Population und Gasgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spiralstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korona von Spiralen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 98 98 100 102 103 104
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4
Skalierungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Tully–Fisher-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Faber–Jackson-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Fundamentalebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dn –σ-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104 104 107 107 109
3.5 3.5.1 3.5.2 3.5.3
Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Suche nach supermassiven Schwarzen Löchern . . . . . . . . . . Beispiele für SMBHs in Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenhang der SMBH-Masse mit Galaxieneigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109 110 111 113
3.6 3.6.1 3.6.2 3.6.3
Extragalaktische Entfernungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . Entfernung zur LMC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Cepheiden-Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundäre Entfernungsindikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 115 116 116
3.7
Leuchtkraftfunktion von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Inhaltsverzeichnis XI
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle
3.8 3.8.1 3.8.2 3.8.3 3.8.4
Galaxien als Gravitationslinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Gravitationslinseneffekt – Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele für Gravitationslinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungen des Linseneffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121 121 122 125 129
3.9 3.9.1 3.9.2 3.9.3 3.9.4 3.9.5 3.9.6 3.9.7
Populationssynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modellannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entwicklungswege im HRD; integriertes Spektrum . . . . . . . . . . . Farbentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sternbildungsgeschichte und Galaxienfarben . . . . . . . . . . . . . . . . . Metallizität, Staub, und HII Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spektren von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131 132 133 134 135 136 137 137
3.10
Chemische Entwicklung von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
4.1 4.1.1 4.1.2
Einleitung und grundlegende Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . 141 Grundlegende kosmologische Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Einfache Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7
Ein expandierendes Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Newtonsche Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kinematische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dynamik der Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modifikation durch die ART . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Materiekomponenten des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ,,Herleitung“ der Expansionsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion der Expansionsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
146 146 146 147 148 150 150 151
4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5
Konsequenzen der Friedmann-Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Notwendigkeit eines Big Bang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rotverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entfernungen in der Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezialfall: Das Einstein–de-Sitter-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153 153 156 158 160 161
4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6
Thermische Geschichte des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expansion in strahlungsdominierter Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entkopplung der Neutrinos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paarvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primordiale Nukleosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rekombination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
161 162 162 164 164 168 170
4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3
Erfolge und Probleme des Standardmodells . . . . . . . . . . . . . . . . Erfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme des Standardmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung des Standardmodells; Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171 172 172 175
Inhaltsverzeichnis XII
5. Aktive Galaxienkerne
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurze Geschichte der AGNs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlegende Eigenschaften von Quasaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quasare als Radioquellen; Synchrotron-Strahlung . . . . . . . . . . . . Breite Emissionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
179 179 180 180 184
5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5
Zoologie der AGNs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . QSOs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seyfert-Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Radiogalaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . OVVs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BL Lac-Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185 185 186 186 186 187
5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5
Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch . . . . . . . . . . . . . . . . Warum Schwarzes Loch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Akkretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Superluminal Motion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Argumente für SMBHs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Massenabschätzung des SMBH: die Eddington-Leuchtkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188 189 189 191 194
5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.4 5.4.5
Komponenten eines AGN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das IR, optische und UV-Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die breiten Emissionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schmale Emissionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Röntgenemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Host-Galaxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198 198 200 205 206 206
5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4
Familiäre Beziehungen der AGNs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinheitlichungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beaming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beaming auf großen Skalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jets bei höheren Frequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208 208 211 213 213
5.6 5.6.1 5.6.2 5.6.3
AGNs und Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die K-Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Leuchtkraftfunktion der QSOs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absorptionslinien in Quasaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 217 218 220
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3
Die Lokale Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Massenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Komponenten der Lokalen Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226 226 227 229
6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4 6.2.5
Galaxien in Haufen und Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Abell-Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leuchtkraftverteilung der Haufengalaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologische Klassifikation von Haufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Räumliche Verteilung der Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dynamische Masse von Haufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231 231 233 233 234 236
196
Inhaltsverzeichnis XIII
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter
6.2.6 6.2.7 6.2.8 6.2.9
Weitere Bemerkungen zur Haufendynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intergalaktische Sterne in Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Galaxiengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Morphologie-Dichte-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
237 239 240 241
6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5
Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Eigenschaften der Röntgenstrahlung . . . . . . . . . . . . . Modelle der Röntgenemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cooling Flows . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Sunyaev–Zeldovich-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Röntgenkataloge von Haufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
243 244 247 249 253 255
6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4
Skalierungsrelationen von Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . Masse-Temperatur-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Masse-Geschwindigkeitsdispersion-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . Masse-Leuchtkraft-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nah-Infrarot-Leuchtkraft als Massenindikator . . . . . . . . . . . . . . . .
257 257 259 259 260
6.5 6.5.1 6.5.2
Galaxienhaufen als Gravitationslinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Leuchtende Bögen (Arcs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Der Schwache Linseneffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265
6.6
Entwicklungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
7.1
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
7.2 7.2.1 7.2.2
Gravitative Instabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Lineare Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
7.3 7.3.1 7.3.2
Beschreibung der Dichtefluktuationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Korrelationsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Das Leistungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
7.4 7.4.1 7.4.2
Entwicklung der Dichtefluktuationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Das anfängliche Leistungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Anwachsen der Dichtestörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5
Nichtlineare Strukturbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modell des sphärischen Kollaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anzahldichte von Halos Dunkler Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Numerische Simulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Profil von Halos Dunkler Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Problem der Substruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7.6
Pekuliargeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
7.7
Der Ursprung der Dichtefluktuationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
8.1 8.1.1 8.1.2
Rotverschiebungssurveys von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 Rotverschiebungssurveys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
289 290 291 294 299 303
Inhaltsverzeichnis XIV
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung
8.1.3 8.1.4 8.1.5 8.1.6
Bestimmung des Leistungsspektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfluss von Pekuliargeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Winkelkorrelationen von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kosmische Pekuliargeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 318 320 321
8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4
Kosmologische Parameter aus Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . Anzahldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Baryonenanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die LSS der Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
323 323 324 325 325
8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4
Supernovae hoher Rotverschiebung und die kosmologische Konstante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sind SN Ia Standardkerzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtungen von SN Ia bei hohen Rotverschiebungen . . . . . Resultate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
326 326 327 328 329
8.4
Kosmische Scherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
8.5 8.5.1 8.5.2 8.5.3 8.5.4
Ursprung des Lymanα-Waldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das homogene intergalaktische Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phänomenologie des Lyα-Waldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modelle des Lyα-Waldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Lyα-Wald als kosmologisches Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . .
333 333 334 335 337
8.6 8.6.1 8.6.2 8.6.3 8.6.4 8.6.5
Winkelfluktuationen des CMB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ursprung der Anisotropie: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der CMB-Anisotropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fluktuationsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtungen der CMB-Anisotropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . WMAP: Präzisionsmessungen der CMB-Anisotropie . . . . . . . .
338 338 340 341 344 347
8.7 8.7.1 8.7.2
Kosmologische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Kosmologische Parameter mit WMAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Kosmische Harmonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.1.4
Galaxien bei hoher Rotverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lyman-Break-Galaxien (LBGs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Photometrische Rotverschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubble Deep Field(s) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natürliche Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
358 358 362 364 366
9.2 9.2.1 9.2.2 9.2.3
Neue Typen von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Starburst-Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Extremely Red Objects (EROs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Submillimeter-Quellen: Blick durch dicken Staub . . . . . . . . . . . .
369 369 371 374
9.3 9.3.1 9.3.2
Hintergrundstrahlung bei kleineren Wellenlängen . . . . . . . . 376 Der IR-Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Der Röntgenhintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
Inhaltsverzeichnis XV
9.4 9.4.1 9.4.2
Die Reionisation des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Die ersten Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 Der Reionisationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
9.5 9.5.1 9.5.2
Die kosmische Geschichte der Sternentstehung . . . . . . . . . . . . 384 Indikatoren für Sternentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Rotverschiebungsabhängigkeit der Sternentstehung: Das Madau-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
9.6 9.6.1 9.6.2 9.6.3
Galaxienentstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwartungen aus der Strukturbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bildung von Ellipsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Semi-analytische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.7
Gamma-Ray Bursts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
387 387 388 391
10. Ausblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Anhang A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld
B. Eigenschaften von Sternen
A.1
Die Größen des Strahlungsfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
A.2
Strahlungstransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
A.3
Schwarzkörper-Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
A.4 A.4.1 A.4.2 A.4.3 A.4.4
Das Magnitudensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scheinbare Helligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Filter und Farben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absolute Helligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bolometrische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B.1
Zustandsgrößen der Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
B.2
Spektralklasse, Leuchtkraftklasse und das Hertzsprung–Russell-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
B.3
Struktur und Entwicklung von Sternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421
414 414 414 416 416
C. Einheiten und Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 D. Literaturempfehlungen
D.1
Allgemeine Lehrbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
D.2
Speziellere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
D.3
Übersichtsartikel, Aktuelle Literatur und Journale . . . . . . . 428
E. Benutzte Akronyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 F. Quellennachweis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
1
1.
Einleitung und Überblick
1.1
Einleitung
Die Milchstraße, die Galaxie, in der wir leben, ist nur eine von vielen Galaxien; außerhalb der Milchstraße gibt es unzählige andere Sternsysteme, von denen viele sehr ähnliche Eigenschaften besitzen. In der Tat ist die Milchstraße, auch Galaxis genannt, eine recht durchschnittliche Vertreterin der Klasse der Spiralgalaxien, von denen zwei andere Beispiele in den Abb. 1.1 und 1.2 gezeigt sind. Dabei handelt es sich um Sternsysteme, bei denen die meisten Sterne in einer relativ dünnen Scheibe angeordnet sind. In unserer Milchstraße ist diese als langgestrecktes Band am Himmel zu erkennen. Neben solchen Scheibengalaxien gibt es eine zweite Klasse von leuchtkräftigen Sternsystemen, die Elliptischen Ga-
laxien, deren Eigenschaften sich in vieler Hinsicht von denen der Spiralen unterscheiden. Astronomen wissen erst seit weniger als hundert Jahren, dass Objekte außerhalb der Milchstraße existieren, dass unsere Welt also deutlich größer als diese ist. In der Tat sind Galaxien nur Inseln im Universum: Der Durchmesser unserer Galaxis ist sehr viel kleiner als der mittlere Abstand zwischen zwei leuchtkräftigen Galaxien. Die Entdeckung der Existenz anderer Milchstraßensysteme und ihrer vielfältigen Erscheinungsformen führte zu Fragen nach dem Ursprung der Galaxien und ihrer Entwicklung. Befindet sich etwas zwischen den Galaxien, oder ist dies leerer Raum? Gibt es neben den Galaxien weitere kosmische Objekte? Fragen dieser Art führten zur Erforschung des Universums als Ganzes und seiner Entwicklung: Ist unser Univer-
Abb. 1.1. Die Spiralgalaxie NGC 1232 sieht vielleicht so ähnlich aus wie unsere Milchstraße, von ,,oben“ betrachtet (face-on). Dieses mit dem VLT aufgenommene Bild misst 6. 8 × 6. 8, was bei einer Entfernung von ca. 30 Mpc einer Kantenlänge von 60 kpc entspricht. Wenn dies unsere Galaxis wäre, würden wir mitsamt des Sonnensystems in etwa 8.0 kpc Entfernung vom Zentrum der Galaxie um dieses mit einer Geschwindigkeit von ∼ 220 km/s kreisen und für einen Umlauf etwa 230 × 106 Jahre benötigen. Die kleine Galaxie links am Bildrand ist eine durch gravitative Gezeitenkräfte gestörte Begleitergalaxie
1. Einleitung und Überblick 2
Abb. 1.2. Wir sehen die Spiralgalaxie NGC 4013 von der Seite (edge-on); dieses Bild mag sich einem Beobachter darbieten, der unsere Milchstraße von der Seite betrachtet. Man sieht deutlich die Scheibe, in der eine Staubschicht den zentralen Bereich verdeckt. Weiterhin sieht man die zentrale Verdickung, den sog. Bulge der Galaxie. Wie später noch ausführlich diskutiert werden wird, sind (Spiral-)Galaxien wie diese umgeben von einem Halo aus Materie, der sich nur gravitativ bemerkbar macht, indem er z. B. die Rotationsgeschwindigkeit der Sterne und des Gases um das Zentrum der Galaxie maßgeblich beeinflusst
sum endlich oder unendlich, ändert es sich mit der Zeit, hat es einen Anfang und ein Ende? Solche Fragen nach dem Ursprung und der Geschichte der Welt haben die Menschheit seit Anbeginn fasziniert. Aber erst seit wenigen Jahrzehnten sind wir in der Lage, diese Fragen empirisch zu untersuchen. Sterne unserer Galaxis haben unterschiedliches Alter: während die ältesten ca. 12 Milliarden Jahre alt sind, findet auch heute noch Sternentstehung statt, etwa in dem bekannten Orion-Nebel. Unsere Galaxis hat sich offensichtlich mit der Zeit verändert. Um die Entstehung und Entwicklung unserer Galaxis zu verstehen, wäre ein Blick in ihre (und daher unsere) Vergangenheit sehr nützlich – leider ist das physikalisch nicht möglich. Aufgrund der endlichen Geschwindigkeit des Lichtes sehen wir jedoch weit entfernte Objekte zu einem früheren
Zeitpunkt, also von uns aus gesehen in der Vergangenheit. Man kann daher versuchen, solche Galaxien, die ,,damals“ unserer Galaxis sehr ähnlich waren, zu finden und zu untersuchen und somit die wesentlichen Aspekte der Geschichte der Galaxis zu rekonstruieren. Die Anfangsbedingungen für die Entwicklung unserer Galaxis werden wir zwar nie genau kennen, aber vielleicht die charakteristischen Bedingungen. Die Entwicklung aus solchen Anfangszuständen sollte dann zu Galaxien führen, die unserer ähnlich sind und die von außen beobachtbar sind. Andererseits kann man nur in unserer Galaxis die Physik der Galaxienentwicklung aus der Nähe studieren. Wir sind Zeitzeugen einer Epoche ungeheurer Entdeckungen in der Astronomie. Die technischen Möglichkeiten der Beobachtung und der Datenauswertung entwickeln sich zur Zeit in rasanter Weise. Zwei Beispiele sollen dies illustrieren. Im Jahre 1993 wurde das erste optische 10-Meter-Teleskop, das Keck-Teleskop, in Betrieb genommen. Dies war der erste Schritt in Richtung größerer Teleskope seit der Eröffnung des 5-Meter-Spiegels auf dem Mount Palomar im Jahre 1948. Zehn Jahre später waren bereits sieben Teleskope der 10-Meter Klasse in Betrieb, und in Kürze werden weitere hinzukommen. In den letzten Jahren haben sich dadurch unsere Möglichkeiten enorm verbessert, sehr entfernte und daher sehr lichtschwache Objekte zu finden und im Detail zu untersuchen. Als zweites Beispiel sei die Entwicklung und Größe optischer Detektoren genannt. Seit der Einführung von CCDs in der Astronomie Ende der 1970er Jahre, die dann größtenteils die Photoplatten als optische Detektoren ablösten, hat sich die Empfindlichkeit, die Genauigkeit und die Datenrate optischer Beobachtungen gewaltig erhöht. Während Ende der 1980er Jahre eine Kamera mit 10002 Bildelementen (Pixeln) als Weitwinkelinstrument galt, ging im Jahre 2003 mit Megacam eine erste Kamera in Betrieb, die (18 000)2 Pixel besitzt und ein Quadratgrad des Himmels mit 0.2 Winkelauflösung in einer Aufnahme ablichten kann. Eine solche Kamera liefert pro Nacht ca. 100 GB an Daten, deren Verarbeitung auf die Existenz schneller Rechner mit großen Speicherkapazitäten angewiesen ist. Doch nicht nur die optische Astronomie befindet sich in einer Zeit der großen Entwicklungen; in anderen Wellenlängenbereichen sind ebenfalls gewaltige instrumentelle Fortschritte erzielt worden, wobei die Observatorien im
1.1 Einleitung 3
Weltall eine ganz zentrale Rolle spielen. Darauf werden wir im Abschn. 1.3 näher eingehen. Diese technischen Entwicklungen haben auch zu einem ungeheuren Erkenntniszuwachs in der Astronomie geführt, und gerade die extragalaktische Astronomie und die Kosmologie haben davon besonders profitiert. Die großen Teleskope und die empfindlichen Instrumente haben den Blick in das ferne Universum eröffnet. Da aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit jeder Blick in die Ferne auch gleichzeitig ein Blick in die Vergangenheit ist, wurde dadurch das Studium von Objekten im frühen Universum möglich. Wir kennen heute Galaxien, die das Licht, das wir von ihnen beobachten, zu einem Zeitpunkt ausgesandt haben, als das Universum weniger als 10% des heutigen Weltalters besaß; diese befinden sich daher in einem Frühstadium ihrer Entwicklung. Dadurch kann die Entwicklung von Galaxien über kosmische Epochen verfolgt werden. Wir haben also die Möglichkeit, die Geschichte von Galaxien, und damit auch die unserer Milchstraße, zu untersuchen. So können wir studieren, zu welcher Zeit sich die meisten Sterne gebildet haben, die wir im lokalen Weltall beobachten, da die Sternentstehungsgeschichte bis hin zu sehr frühen kosmischen Epochen beobachtet werden kann. Dabei stellt sich übrigens heraus, dass ein Großteil der Sternentstehung unserem Blick verborgen bleibt und erst mit empfindlichen Fern-Infrarot-Weltraumteleskopen sichtbar wird. Zu den faszinierendsten Entdeckungen der letzten Jahre gehört die Erkenntnis, dass die meisten Galaxien in ihrem Zentrum ein Schwarzes Loch beherbergen, dessen Masse Millionen oder gar Milliarden Sonnenmassen beträgt – sog. Supermassive Schwarze Löcher. Zwar wurde schon seit der Entdeckung der Quasare im Jahre 1963 vermutet, dass die Energiegewinnung in diesen ultra-leuchtkräftigen Objekten nur mittels eines Supermassiven Schwarzen Loches funktionieren kann, doch die Präsenz solcher Schwarzen Löcher in normalen Galaxien ist eine relativ neue Erkenntnis. Noch überraschender war das Ergebnis, dass deren Masse sehr eng korreliert ist mit anderen Eigenschaften der jeweiligen Galaxien, ein klarer Hinweis darauf, dass die Entwicklung von Schwarzen Löchern und die ihrer Heimatgalaxien sehr eng zusammenhängen muss. Das detaillierte Studium von Galaxien und ihren Gruppierungen, den Galaxienhaufen, haben zu dem überraschenden Ergebnis geführt, dass diese Objekte er-
heblich mehr Masse enthalten, als wir in ihren Sternen und ihrem Gas sehen können. Untersuchungen der Dynamik solcher Systeme zeigen, dass nur etwa 10–20% ihrer Masse aus Sternen, Gas und Staub bestehen, die wir aufgrund ihrer Emission oder Absorption beobachten können. Der größte Teil ihrer Masse bleibt jedoch unserem Blick verborgen. Aus diesem Grunde erhielt diese den Namen Dunkle Materie. Die Dominanz Dunkler Materie in Galaxien und Galaxienhaufen, die sich allein aufgrund ihrer Schwerkraft bemerkbar macht, wurde in den letzten Jahren mit Radio-, optischen und Röntgenteleskopen etabliert und durch neue Untersuchungsmethoden weiter erhärtet und quantifiziert. Die Natur der Dunklen Materie ist eine der zentralen Fragen nicht nur der Astrophysik, sondern auch der fundamentalen Physik – jedenfalls dann, wenn diese Frage keine astronomische Lösung besitzt. Handelt es sich bei der Dunklen Materie um nichtleuchtende Himmelskörper, wie etwa ausgebrannte Sterne, oder um eine neue Form der Materie? Haben die Astronomen indirekt die Existenz eines neuen Elementarteilchens nachgewiesen, das bisher noch nicht in irdischen Labors gefunden wurde? Wenn es sich tatsächlich um neue Teilchen handelt, wovon inzwischen ausgegangen wird, sollten sie auch in unserer Milchstraße vorkommen, daher auch in unserer unmittelbaren Umgebung. In der Tat gibt es mittlerweile mehrere Experimente in unterirdischen Labors, die versuchen, die Konstituenten der Dunklen Materie mit hochempfindlichen und aufwendigen Messgeräten nachzuweisen. Physiker und Astronomen warten gespannt auf die Inbetriebnahme des neuen Teilchenbeschleunigers LHC am Europäischen Forschungszentrum CERN, mit dem ab dem Jahre 2007 deutlich höhere Energien erzielt werden können als bisher und mit dem die Hoffnung besteht, ein Elementarteilchen zu finden, welches als Kandidat für die Dunkle Materie in Frage kommt. Zweifelsohne ist als wichtigste Entwicklung der letzten Jahre die Etablierung eines Standardmodells der Kosmologie zu bewerten. Wir glauben heute, das Alter des Universums mit einer Genauigkeit von wenigen Prozent zu kennen – es beträgt t0 = 13.7 Gyr. Es hat sich aus einem sehr dichten und sehr heißen Zustand, dem Urknall, entwickelt, sich dabei ausgedehnt und abgekühlt. Noch heute lassen sich die Überbleibsel des Urknalls beobachten, zum Beispiel in Form des kosmischen Mikrowellenhintergrunds. Die genauen Beobachtungen
1. Einleitung und Überblick 4
dieser Hintergrundstrahlung, die etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall freigesetzt wurde, haben erheblich dazu beigetragen, dass wir den Inhalt unseres Kosmos heute recht genau zu kennen glauben. Dabei wirft diese Erkenntnis mehr Fragen auf als sie beantwortet: nur etwa 4% des Energieinhalts des Kosmos besteht aus Materie, die wir aus anderen Bereichen der Physik kennen, nämlich der baryonischen Materie, die im Wesentlichen aus Atomkernen und Elektronen besteht. Etwa 25% des Universums besteht aus Dunkler Materie, auf die wir schon in Galaxien und Galaxienhaufen gestoßen sind. Also dominiert die Dunkle Materie über die baryonische Materie auch auf kosmischen Skalen. Aber noch überraschender ist die Erkenntnis, dass etwa 70% des Universums aus etwas besteht, was wir heute wahlweise als Vakuumsenergie oder Dunkle Energie bezeichnen und die mit der von Albert Einstein eingeführten Kosmologischen Konstanten eng verknüpft zu sein scheint. Die Tatsache, dass mehrere Namen dafür existieren, soll keinesweg implizieren, dass wir eine Vorstellung davon hätten, was diese Dunkle Energie ist. Sie macht sich ausschließlich durch ihren Einfluss auf die kosmische Expansion bemerkbar und dominiert deren Dynamik in der heutigen Epoche. Versuche, die Dichte der Dunklen Energie aus der fundamentalen Physik abzuschätzen, sind bislang hoffnungslos gescheitert: eine Abschätzung der Vakuumsenergiedichte mittels der Quantenmechanik liefert einen Wert, der um 120 Größenordnungen über dem aus der Kosmologie abgeleiteten liegt! Auf absehbare Zeit wird die Dunkle Energie nur mit der beobachtenden Kosmologie zu untersuchen sein; ihr theoretisches physikalisches Verständnis liegt dabei vermutlich noch in ferner Zukunft. Die Existenz der Dunklen Energie stellt die momentan vielleicht größte Herausforderung an die fundamentale Physik dar. In diesem Buch werden die Objekte der extragalaktischen Astronomie vorgestellt, beginnend mit unserer Milchstraße, die als ,,typische“ Spiralgalaxie als Prototyp dieser Klasse von Sternsystemen zu betrachten ist. Das andere Hauptziel dieses Buches ist eine Darstellung der modernen astrophysikalischen Kosmologie, die gerade in den vergangenen Jahren sehr große Fortschritte erlebt hat. Methoden und Erkenntnisse werden dabei parallel behandelt. Neben der Vermittlung der Faszination, die von astronomischen Beobachtungen und kosmologischen Erkenntnissen ausgeht, liegen metho-
dische und physikalische Fragestellungen im Zentrum der Darstellung. Wir beginnen im nächsten Abschnitt mit einem kurzen Überblick über das Gebiet der Extragalaktik und der Kosmologie, der einerseits Appetit auf mehr machen soll, andererseits aber einige Fakten und Begriffe einführt, die im Folgenden benötigt werden, aber erst in späteren Kapiteln detailliert behandelt werden. In Abschn. 1.3 werden wir dann einige der wichtigsten Teleskope für die extragalaktische Astronomie kurz vorstellen.
1.2
Überblick
1.2.1
Unsere Galaxis als Galaxie
Unsere Milchstraße ist die einzige Galaxie, die wir im Detail untersuchen können: Wir können in ihr Einzelsterne auflösen und spektroskopisch untersuchen, detaillierte Studien der interstellaren Materie (interstellar medium, ISM) durchführen und dabei z. B. Eigenschaften von Molekülwolken und Sternentstehungsgebieten, sowie die Extinktion und Rötung durch Staub studieren. Auch kann man innerhalb der Milchstraße die lokale Dynamik von Sternen und Gaswolken und die Eigenschaften von Satelliten-Galaxien (wie die Magellanschen Wolken) beobachten. Und schließlich bietet sich mit dem Galaktischen Zentrum in nur 8 kpc1 Entfernung die einzigartige Möglichkeit, den zentralen Bereich einer Galaxie mit sehr hoher räumlicher Auflösung zu untersuchen. Nur durch ein detailliertes Verständnis unserer Galaxis kann man hoffen, die Eigenschaften anderer Galaxien zu verstehen. Dabei gehen wir natürlich implizit von der Annahme aus, dass die physikalischen Prozesse in anderen Galaxien nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten ablaufen wie ,,bei uns“. Wäre dies nicht der Fall, so hätte man kaum die Chance, die Physik anderer Objekte im Universum oder gar das Universum als Ganzes zu verstehen. Wir werden auf diesen Punkt bald zurückkommen. Wir werden daher zunächst die Eigenschaften unserer Galaxis untersuchen. Eines der zentralen Probleme 1 1 Parsec (1 pc) ist die gebräuchliche Entfernungseinheit in der Astronomie, wobei 1 pc = 3.086 × 1018 cm sind. Weiterhin benutzen wir 1 kpc = 103 pc, 1 Mpc = 106 pc, 1 Gpc = 109 pc. In Anhang C sind weitere häufig benutzten Einheiten und Konstanten zusammengestellt.
1.2 Überblick 5
Abb. 1.3. Schematische Struktur der Galaxis, bestehend aus der Scheibe, dem zentralen Bulge, in dem sich das Galaktische Zentrum befindet, sowie dem etwa sphärischen Halo, der die meisten Kugelsternhaufen beheimatet. Die Sonne umläuft das Galaktische Zentrum in etwa 8 kpc Entfernung
dabei (und überhaupt in der Astronomie) ist die Entfernungsbestimmung von Objekten, so dass wir mit dieser Thematik beginnen werden. Aus Untersuchungen der Stern- und Gasverteilung in der Milchstraße wird dann auf deren Struktur geschlossen. Man findet, dass unsere Galaxis aus mehreren Komponenten besteht: einer dünnen Stern- und Gasscheibe mit einem Radius von etwa 20 kpc und einer Skalenhöhe von ∼ 300 pc, in der sich auch die Sonne befindet, einer etwa 1 kpc dicken Scheibe, einem zentralen Bulge, wie man ihn auch bei anderen Spiralen sieht, und einem ungefähr sphärischen Halo, in dem sich die meisten Kugelsternhaufen und weitere alte Sterne befinden. Abbildung 1.3 zeigt eine schematische Darstellung unserer Milchstraße mit ihren verschiedenen Komponenten. Um einen besseren visuellen Eindruck zu erhalten, zeigen Abb. 1.1 und 1.2 zwei Spiralgalaxien, die eine ,,von oben“ betrachtet (face-on), die andere von der Seite (edge-on). Im ersten Fall ist die Spiralstruktur sehr deutlich zu erkennen. Die hellen Knoten in den Spiralarmen zeigen Gebiete, in denen junge, leuchtkräftige Sterne vor kurzem entstanden sind. Die Aufnahme zeigt einen deutlichen Farbgradi-
Abb. 1.4. Die obere Kurve ist die beobachtete Rotationskurve V(R) unserer Galaxis, also die Rotationsgeschwindigkeit um das Galaktische Zentrum als Funktion des Abstands. Die untere Kurve ist die Rotationskurve, die man aufgrund der beobachteten Sternmasse in der Galaxis vorhersagen würde. Die Differenz zwischen den beiden Kurven wird der Anwesenheit von Dunkler Materie zugeschrieben, in die die Scheibe der Milchstraße eingebettet ist
enten: Die Galaxie ist röter im Zentrum, während sie in den Spiralarmen am blauesten ist – während Spiralarme Orte aktueller Sternentstehung darstellen, sind zum Zentrum hin, speziell im Bulge, hauptsächlich alte Sterne vorhanden. Die Galaktische Scheibe rotiert, wobei ihre Rotationsgeschwindigkeit V(R) vom Abstand R vom Galaktischen Zentrum abhängt. Aufgrund der Lichtverteilung der Sterne und einem mittleren Masse-zu-LeuchtkraftVerhältnis der Sternpopulation kann man dann die Masse der Galaxis abschätzen (Gas und Staub repräsentieren weniger als ∼ 10% der Masse der Sterne) und mit der Rotationsgeschwindigkeit der Sonne um das Galaktische Zentrum vergleichen. Dabei stellt sich heraus, dass die Sonne sich schneller bewegt, als man aus der beobachteten Massenverteilung erwarten würde: Wenn M(R0 ) die Masse innerhalb einer Kugel um das Galaktische Zentrum mit Radius R0 ≈ 8 kpc ist, so folgt aus der Newtonschen Mechanik, dass die Rotationsgeschwindigkeit2 G M(R0 ) V0 = (1.1) R0 2 Wir
benutzen Standard-Notation: G bezeichnet die Newtonsche Gravitationskonstante, c die Lichtgeschwindigkeit.
1. Einleitung und Überblick 6
sein sollte.3 Aus der in Sternen sichtbaren Materie würde man eine Rotationsgeschwindigkeit von ∼ 160 km/s erwarten. Beobachtet wird aber V0 ∼ 220 km/s (siehe Abb. 1.4). Daraus, und aus dem Verlauf der Rotationskurve V(R) für größere Abstände R vom Galaktischen Zentrum, schließt man, dass unsere Galaxis wesentlich mehr Masse enthält als in Sternen vorhanden ist. Diese zusätzliche Masse wird als Dunkle Materie bezeichnet, deren physikalische Natur bislang unbekannt ist. Kandidaten dafür sind vor allem schwach-wechselwirkende Elementarteilchen, wie sie von einigen Teilchentheorien postuliert werden, aber noch nicht im Labor nachgewiesen werden konnten, aber auch makroskopische Objekte (also Himmelskörper) kommen im Prinzip in Frage, solange sie nur wenig Licht abstrahlen. Wir werden Experimente diskutieren, die solche makroskopischen Objekte identifizieren können und zu dem Schluss kommen, dass das Problem der Dunklen Materie höchstwahrscheinlich keine astronomische Lösung besitzt, sondern die Teilchenphysik den Schlüssel zur Lösung liefern wird. Die Sterne in den unterschiedlichen Komponenten unserer Galaxis haben verschiedene Eigenschaften, etwa hinsichtlich ihres Alters und ihrer chemischen Zusammensetzung. Aus der Interpretation dieses Sachverhalts kann man auf Aspekte der Entwicklung der Galaxis schließen. Das relativ junge Alter der Sterne in der dünnen Scheibe gegenüber der älteren Sternpopulation des Bulge deutet darauf hin, dass es verschiedene Stadien der Bildung unserer Milchstraße gegeben hat. Tatsächlich ist die Galaxis ein höchst dynamisches Objekt, das sich auch heute noch verändert. Wir sehen kaltes Gas, was auf die Galaktische Scheibe einfällt, sowie ausströmendes heißes Gas, und zur Zeit wird eine kleine Nachbargalaxie, die Sagittarius-Zwerggalaxie, vom Gezeitenfeld der Milchstraße zerrissen und wird mit ihr in (kosmologisch gesprochen) naher Zukunft verschmelzen. Wegen der Extinktion durch Staub kann man bei optischen Wellenlängen nicht weit durch die Scheibe unserer Galaxis hindurchschauen. Untersuchungen der unmittelbaren Umgebung des Galaktischen Zentrums sind daher nur bei anderen Wellenlängen möglich, 3 Streng
genommen gilt (1.1) nur für eine sphärisch symmetrische Massenverteilung. Die Rotationsgeschwindigkeit für eine abgeplattete Dichteverteilung weicht von dieser Relation allerdings nicht sehr stark ab, so dass wir diese Relation näherungsweise benutzen können.
insbesondere im infraroten (IR) und im Radiobereich des elektromagnetischen Spektrums (siehe auch Abb. 1.5). Das Galaktische Zentrum ist ein sehr komplexes Gebiet, das allerdings in den letzten Jahren dank – hinsichtlich Empfindlichkeit und Winkelauflösung – vielfach verbesserter IR-Beobachtungen studiert werden konnte. Eigenbewegungen, d. h. zeitlich sich ändernde Positionen an der Sphäre, von hellen Sternen in der Nähe des Zentrums konnten beobachtet werden; diese erlauben eine Bestimmung der Masse innerhalb eines Raumgebiets mit der Ausdehnung von ∼ 0.1 pc, M(0.1 pc) ∼ 3 × 106 M . Obwohl die Daten bislang keine völlig eindeutige Interpretation dieser Massenkonzentration erlauben, gibt es keine plausible Alternative zu der Schlussfolgerung, dass das Zentrum unserer Milchstraße ein Supermassives Schwarzes Loch (supermassive black hole, SMBH) etwa dieser Masse beherbergt. Dabei ist dieses SMBH weit weniger massiv als diejenigen, die man in vielen anderen Galaxien entdeckt hat. Allerdings können wir unsere Galaxis nicht ,,von außen“ betrachten. Dieser interne Standpunkt macht es schwierig, die globalen Eigenschaften unserer Galaxis zu verstehen: Die Struktur und Geometrie der Galaxis, z. B. ihrer Spiralarme, ist nur schwer von unserem Standort her zu erkennen. Weiterhin verbirgt die Extinktion durch Staub den Blick auf große Teile unserer Galaxis (siehe Abb. 1.6). Dadurch sind die globalen Eigenschaften der Galaxis (z. B. die Gesamtleuchtkraft) nur schwer messbar. Diese lassen sich viel besser ,,von außen“ betrachten, also bei anderen, ähnlichen Spiralgalaxien. Um die globalen und großräumigen Eigenschaften unserer Galaxis zu verstehen, ist ein Vergleich mit ähnlichen Galaxien, die wir in ihrer Gesamtheit untersuchen können, extrem hilfreich. Nur durch gemeinsames Studium unserer Galaxis und anderer Galaxien kann man hoffen, die physikalische Natur und die Entwicklung von Galaxien in der Zeit zu verstehen.
1.2.2
Die Welt der Galaxien
Wir erörtern als nächstes die Eigenschaften anderer Galaxien. Die beiden Haupttypen von Galaxien sind Spiralgalaxien (wie unsere Galaxis; siehe auch Abb. 1.7) und Elliptische Galaxien (Abb. 1.8); dane-
1.2 Überblick 7 Abb. 1.5. Die Galaktische Scheibe in neun verschiedenen Wellenlängen. Das Erscheinungsbild variiert stark zwischen den verschiedenen Aufnahmen; so ist beispielsweise die Verteilung des atomaren Wasserstoffs und des molekularen Gases deutlich stärker zur Galaktischen Ebene hin konzentriert als etwa die im Nah-Infraroten sichtbare Sternverteilung, die sehr deutlich die Anwesenheit des Bulges als zentrale Verdickung zeigt. Die Staubabsorption im Optischen ist ebenfalls klar zu erkennen und kann mit der in Abb. 1.2 verglichen werden
ben gibt es weitere Klassen von Galaxien wie die Irregulären und Zwerggalaxien, Aktive Galaxien, und Starburst-Galaxien, wobei letztere eine sehr große Sternbildungsrate verglichen mit normalen Galaxien aufweisen. Diese Klassen unterscheiden sich nicht nur in ihrem Erscheinungsbild, nach der sie klas-
sifiziert werden, sondern auch durch physikalische Eigenschaften wie Farbe (→ Sterninhalt), interne Rötung (→ Staubinhalt), Gehalt an interstellarem Gas, Rate der Sternentstehung, usw. Galaxien verschiedener Morphologie haben sich unterschiedlich entwickelt.
Abb. 1.6. Die Galaxie Dwingeloo 1 ist nur etwa 5 mal weiter von uns entfernt als unsere nächste große Nachbargalaxie, Andromeda, wurde aber erst in den 1990er Jahren entdeckt, da sie sich hinter dem Galaktischen Zentrum ,,versteckt“: Die Absorption in dieser Richtung, und die vielen leuchtkräftigen Sterne haben eine frühere Entdeckung verhindert. Die Galaxie wurde zunächst mit Radiobeobachtungen entdeckt. Die Abbildung zeigt ein mit dem Isaac Newton Telescope in den Bändern V, R und I aufgenommes Bild
1. Einleitung und Überblick 8 Abb. 1.7. NGC 2997 ist eine typische Spiralgalaxie, deren Scheibe etwa 45 Grad zu unserer Sichtlinie geneigt ist. Wie die meisten Spiralen hat sie zwei Spiralarme; diese sind wesentlich ,,blauer“ als andere Teile der Galaxie. Dies resultiert aus aktiver Sternentstehung in den Spiralarmen, so dass dort junge, heiße, also blaue Sterne vorhanden sind, während das Zentrum der Galaxie, insbesondere der Bulge, im Wesentlichen aus älteren Sternen besteht
Spiralgalaxien sind Sternsysteme, in denen auch heute noch aktive Sternentstehung stattfindet, während Ellipsen fast nur aus alten Sternen bestehen: Ihre Sternbildung muss daher schon vor langer Zeit abgeschlossen worden sein. Die S0-Galaxien, ein Zwischentyp, besitzen wie die Spiralgalaxien eine Scheibe, bestehen aber wie die Ellipsen fast nur aus alten – d. h. massearmen, kühlen – Sternen. Ellipsen und S0-Galaxien fasst man zusammen unter dem Begriff Frühtyp-Galaxien (early-type galaxies), während Spiralen als Spättyp-
Abb. 1.8. M87 ist eine sehr leuchtkräftige Elliptische Galaxie im Zentrum des Virgo-Haufens, in einem Abstand von etwa 18 Mpc. Der Durchmesser der Galaxie beträgt etwa 40 kpc; sie ist wesentlich massereicher als unsere Galaxis (M > 3 × 1012 M ). Diese Galaxie werden wir noch öfters betrachten: Sie ist nicht nur ein gutes Beispiel für eine zentrale Haufengalaxie, sondern ist auch ein Vertreter einer Familie von Galaxien, die als ,,Aktive Galaxien“ bezeichnet werden. Sie ist ein starker Radio-Strahler (Radioastronomen bezeichnen sie auch als Virgo A), und besitzt einen optischen Jet im Zentrum
1.2 Überblick 9
Galaxien (late-type galaxies) bezeichnet werden (diese Bezeichnungen sollen im übrigen keine Interpretation implizieren und existieren allein aus historischen Gründen). Die Scheiben von Spiralgalaxien rotieren differentiell, und aus ihrer Rotationsgeschwindigkeit lässt sich wie bei der Milchstraße mit dem Kepler-Gesetz (1.1) ihre Masse bestimmen. Man findet, dass die Rotationskurven von Spiralen nach außen hin nicht abfallen, wie man eigentlich aufgrund der Lichtverteilung erwartet. Wie unsere Galaxis enthalten Spiralgalaxien eine große Menge an Dunkler Materie; die sichtbare Materie ist eingebettet in einen Halo Dunkler Materie. Die Ausdehnung dieses Halos kann nur geschätzt werden, aber vieles deutet darauf hin, dass er sehr viel größer ist als die Ausdehnung der sichtbaren Materie: So ist z. B. die Rotationskurve flach bis hin zu den größten Radien, wo sie durch vorhandenes Gas noch vermessen werden kann. Das Studium der Dunklen Materie in Ellipsen ist komplizierter, aber inzwischen ist auch bei ihnen die Existenz eines Dunklen Halos nachgewiesen worden. Das Hertzsprung–Russel-Diagramm, bzw. das Farben-Helligkeits-Diagramm von Sternen (siehe Anhang B), hat sich für die stellare Astrophysik als vielleicht wichtigstes Diagramm erwiesen. Die Tatsache, dass die meisten Sterne sich entlang einer eindimensionalen Sequenz, der Hauptreihe, gruppieren, hat zu dem Schluss geführt, dass für die Hauptreihensterne die Leuchtkraft und die Oberflächentemperatur nicht voneinander unabhängige Größen sind, sondern die Eigenschaften solcher Sterne durch im Wesentlichen einen Parameter charakterisiert werden können: der Sternmasse. Wir werden sehen, dass auch die verschiedenen Eigenschaften von Galaxien nicht unabhängig voneinander sind, sondern dynamische Eigenschaften (wie etwa die Rotationsgeschwindigkeiten von Spiralen) mit der Leuchtkraft in einem engen Zusamenhang stehen. Diese Skalierungsrelationen sind daher von ähnlicher Bedeutung für das Studium von Galaxien wie das Hertzsprung–Russell-Diagramm für die Sterne. Weiterhin erweisen sie sich für die Entfernungsbestimmung von Galaxien als äußerst nützlich. Wie unsere Milchstraße scheinen auch andere Galaxien ein SMBH im Zentrum zu beherbergen. Das Verblüffende ist, dass die Masse des SMBH mit der Geschwindigkeitsverteilung der Sterne in den Ellip-
sen bzw. im Bulge von Spiralen sehr eng korreliert ist. Der physikalische Ursprung dieser Tatsache ist bisher noch nicht bekannt, sicherlich deutet sie aber auf eine enge gemeinsame Entwicklung der Galaxien und ihrer SMBH hin.
1.2.3
Die Hubble Expansion des Weltalls
Die Radialgeschwindigkeit von Galaxien, gemessen durch die Dopplerverschiebung von Spektrallinien (Abb. 1.9), ist für fast alle Galaxien positiv, d. h. sie scheinen sich von uns wegzubewegen. Edwin Hubble fand 1928, dass diese Fluchtgeschwindigkeit v umso größer ist, je weiter die Galaxien von uns entfernt sind. Er ermittelte eine lineare Relation (Abb. 1.10) zwischen der Radialgeschwindigkeit und der Entfernung der Galaxien, v = H0 D ,
(1.2)
wobei D die Entfernung einer Galaxie ist und die Proportionalitätskonstante H0 als Hubble-Konstante bezeichnet wird. Ihr Wert ist erst in den letzten Jahren mit mehreren Methoden (auf die später noch eingegangen wird) mit guter Genauigkeit ermittelt worden zu 60 km s−1 Mpc−1 H0 80 km s−1 Mpc−1 , (1.3) wobei der Fehlerbereich verschiedener Methoden (und Autoren) durchaus verschieden ist. Das Hauptproblem bei der Bestimmung von H0 ist die Messung absoluter Entfernungen von Galaxien, wohingegen DopplerVerschiebungen sehr gut messbar sind. Setzt man die Gültigkeit von (1.2) voraus, kann man die Radialgeschwindigkeit als Maß für die Entfernung von Galaxien heranziehen. Man definiert die Rotverschiebung z aus der Verschiebung von Spektrallinien, z :=
λobs − λ0 , λobs = (1 + z)λ0 , λ0
(1.4)
wobei λ0 die Wellenlänge eines spektralen Übergangs (im Ruhesystem des Emitters) und λobs die beobachtete Wellenlänge bezeichnet. Zum Beispiel ist für den Lyman-α Übergang (dem Übergang vom ersten angeregten Niveau zum Grundzustand) im Wasserstoffatom λ0 = 1216 Å. Für kleine Rotverschiebungen gilt v ≈ zc ,
(1.5)
1. Einleitung und Überblick 10 Abb. 1.9. Die Spektren von Galaxien zeigen charakteristische Spektrallinien, z. B. die H+K Linien des Kalziums. Allerdings besitzen diese Linien nicht die Wellenlängen, die man im Labor misst, sondern sind i. A. zum Roten hin verschoben. Dies ist hier anhand einiger Galaxien demonstriert, deren Entfernung von oben nach unten anwächst. Aufgrund der Verschiebung der Linien, interpretiert als Doppler-Effekt, kann man die Relativgeschwindigkeit der Galaxien zu uns bestimmen – diese ist umso größer, je weiter die Galaxie von uns entfernt ist
während für größere Rotverschiebungen diese Relation modifiziert werden muss, dann allerdings auch die Interpretation der Rotverschiebung.4 Die Kombination von
(1.2) und (1.5) ergibt zc D≈ ≈ 3000 z h −1 Mpc , H0
4 Die
sog. Pekuliargeschwindigkeit besitzen kann. Wir werden daher die Begriffe ,,Doppler-Verschiebung“ bzw. ,,Rotverschiebung“ und ,,Radialgeschwindigkeit“ je nach Zusammenhang benutzen, aber stets in dem Gedanken, dass beide durch die Verschiebung von Spektrallinien gemessen werden. Erst bei der Betrachtung des fernen Universums, bei denen die Doppler-Verschiebung durch die kosmische Expansion völlig dominiert wird, werden wir durchgängig von ,,Rotverschiebung“ sprechen.
Verschiebung von Spektrallinien ist die eigentliche Observable. Je nach Zusammenhang wird diese interpretiert als eine radiale Geschwindigkeit einer Quelle weg von uns – etwa wenn wir die Radialgeschwindigkeit von Sternen in unserer Milchstraße vermessen – oder aber als kosmologische ,,Fluchtgeschwindigkeit“, wie das beim Hubble-Gesetz der Fall ist. Diese beiden Interpretationen sind prinzipiell nicht zu trennen, da eine Galaxie nicht nur an der kosmischen Expansion teilnimmt, sondern zusätzlich auch eine
(1.6)
1.2 Überblick 11 Abb. 1.10. Das Hubble-Diagramm von 1929 zeigt die Radialgeschwindigkeit von Galaxien als Funktion ihrer Entfernung. Während die Fluchtgeschwindigkeit ,,einfach“ gemessen werden kann durch Bestimmung der Dopplerverschiebung von Spektrallinien, ist die genaue Bestimmung von Entfernungen sehr viel schwieriger; wir werden in Abschn. 3.6 Methoden zur Entfernungsbestimmung von Galaxien diskutieren. Hubble unterschätzte die Entfernungen deutlich, weswegen sein Wert der Hubble-Konstanten wesentlich zu groß war. Nur wenige und sehr nahe Galaxien zeigen eine Blauverschiebung, d. h. bewegen sich auf uns zu; eine davon ist Andromeda (= M31)
wobei die Ungenauigkeit, mit der H0 bekannt ist, durch h parametrisiert wird, wobei H0 = h 100 km s−1 Mpc−1 .
(1.7)
Entfernungsbestimmungen, die auf der Rotverschiebung basieren, enthalten daher immer den Faktor h −1 . Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass (1.5) und (1.6) nur für z 1 gelten; die Verallgemeinerung für größere Rotverschiebungen wird in Abschn. 4.3 besprochen. Dennoch gilt auch für größere Rotverschiebungen, dass z ein Maß für die Entfernung ist, basierend auf der Gültigkeit von (1.2).
1.2.4
Aktive und Starburst Galaxien
Eine spezielle Form von Galaxien sind die so genannten Aktiven Galaxien, die in ihrem Zentrum eine sehr starke Energiequelle besitzen (active galactic nuclei, AGNs). Die bekanntesten Vertreter dieser AGNs sind die Quasare, Objekte mit teilweise sehr hoher Rotverschiebung und exotischen Eigenschaften. Ihre Emissionslinien können extrem breit sein: Interpretiert man diese Linienbreite als Doppler-Verbreiterung, die aus Überlagerung der Linien von emittierendem Gas mit einer sehr breiten Geschwindigkeitsverteilung resultiert, so ergeben sich Geschwindigkeiten von typischerweise Δv ∼ 10 000 km/s. Auf optischen Aufnahmen erscheinen Quasare punktförmig – erst mit dem Hubble Space
Telescope (HST) ist es gelungen, bei einer größeren Anzahl von ihnen Struktur im Optischen zu entdecken (Abb. 1.11). Viele Eigenschaften von Quasaren sind ähnlich zu denen der Seyfert-Galaxien (vom Typ I), Galaxien mit einem sehr hellen Kern und ebenfalls sehr breiten Emissionslinien, und werden daher oft als extreme Mitglieder dieser Klasse interpretiert. Die Gesamtleuchtkraft von Quasaren ist extrem groß, einige von ihnen emittieren mehr als 1000 mal so viel Licht wie unsere Galaxis, und diese Strahlung kommt dabei aus einem sehr kleinen Raumgebiet, dessen Größe sich z. B. aus der Variabilität abschätzen lässt. Aufgrund dieser und anderer Eigenschaften, die in Kap. 5 besprochen werden, schließt man, dass die Kerne Aktiver Galaxien ein Supermassives Schwarzes Loch enthalten. Die Erzeugung der Strahlung findet statt, indem Materie auf dieses Loch zufällt (akkretiert) und dabei potentielle Gravitationsenergie in kinetische Energie umsetzt. Wenn diese kinetische Energie (z. B. in sog. Akkretionsscheiben) durch Reibung in innere Energie (also Wärme) umgesetzt werden kann, kann diese abgestrahlt werden – dies ist der effizienteste Prozess zur Energieerzeugung: Bezogen auf eine Einheitsmasse ist Akkretion auf Schwarze Löcher etwa 10 mal effektiver als die Kernfusion von Wasserstoff in Helium! AGNs zeigen oftmals Strahlung in einem sehr weiten Bereich des elektromagnetischen Spektrums, von Radiostrahlung bis hin zu Röntgen- und Gamma-Strahlung.
1. Einleitung und Überblick 12
Abb. 1.11. Der Quasar PKS 2349 befindet sich im Zentrum einer Galaxie, der Heimatgalaxie (oder Host-Galaxie) des Quasars. Die Diffraction Spikes (Beugungserscheinungen an der Aufhängung des Sekundärspiegels) in der Mitte des Objekts zeigen an, dass sich im Zentrum dieser Galaxie eine Punktquelle befindet, der eigentliche Quasar, der wesentlich heller ist als seine Heimatgalaxie (host galaxy). Die Galaxie zeigt deutliche Anzeichen einer Verzerrung, als große und
dünne Gezeitenarme klar zu sehen, die durch eine benachbarte Galaxie hervorgerufen wird. Diese Nachbargalaxie ist im rechten Bild direkt oberhalb des Quasars zu erkennen, ein Objekt etwa von der Größe der Großen Magellanschen Wolke. Hosts von Quasaren sind häufig gestört oder befinden sich im Verschmelzungsprozess mit anderen Galaxien (merging). Die beiden hier gezeigten Aufnahmen des gleichen Objekts haben unterschiedlichen Helligkeitskontrast
Während in Spiralgalaxien auch noch heute Sterne entstehen, Sternentstehung somit ein weit verbreitetes Phänomen ist, gibt es Galaxien, deren Sternentstehungsrate wesentlich größer ist als die ,,normaler“ Spiralen. Man spricht von einem burst of star formation, bzw. Starburst-Galaxien. Solche Sternentstehungsraten betragen typischerweise zwischen 10 und 300M /yr, während unsere Milchstraße nur etwa 2M /yr an Sternen neu erzeugt. Diese heftige Sternentstehung findet oft stark konzentriert in der Nähe des jeweiligen Galaxienzentrums statt. Starbursts werden wesentlich von
Störungen des Gravitationsfeldes von Galaxien beeinflusst oder gar erst angeregt, wie sie z. B. von Wechselwirkungen zwischen Galaxien hervorgerufen werden. Solche Starburst-Galaxien (siehe Abb. 1.12) sind extrem hell im fernen Infrarot (FIR); sie senden bis zu 98% ihrer gesamten Energie in diesem Spektralbereich aus. Dies geschieht durch Staubemission: Staub absorbiert bei diesen Galaxien den überwiegenden Teil der energetischen UV-Strahlung, die bei der Sternentstehung frei wird, und strahlt diese Energie als thermische Strahlung im FIR wieder ab.
Abb. 1.12. Arp 220 ist das leuchtkräftigste Objekt in unserem lokalen Universum. Sie wurde zunächst als pekuliäre Galaxie katalogisiert, dann entdeckte der Infrarot-Satellit IRAS die ungeheure Leuchtkraft im IR. Arp 220 ist der Prototyp der ultraluminous infrared galaxies (ULIRG). Diese NIR-Aufnahme mit dem HST zeigt die Struktur dieser Galaxie: zwei kollidierende Spiralgalaxien im Zentrum von Arp 220. Die dadurch hervorgerufenen Störungen des ISM lösen einen starburst aus; Staub in der Galaxie absorbiert den allergrößten Teil der UVStrahlung von den heißen Sternen und strahlt diese im IR wieder ab
1.2 Überblick 13
1.2.5
Voids, Galaxienhaufen und Dunkle Materie
Wechselwirkungen zwischen Galaxien (Abb. 1.13) werden begünstigt durch die Tatsache, dass Galaxien nicht zufällig verteilt sind. So zeigt zum Beispiel die Projektion der Galaxien am Himmel eine deutliche Struktur. Entfernungsmessungen von Galaxien erlauben weiterhin die Bestimmung ihrer drei-dimensionalen Verteilung. Dabei zeigt sich eine starke Korrelation der Galaxienpositionen: Es gibt Raumbereiche mit einer sehr großen Dichte von Galaxien, aber auch Regionen, in denen es fast keine Galaxien gibt. Letztere nennt man Löcher, voids. Solche voids können Durchmesser von bis zu 30h −1 Mpc besitzen. Galaxienhaufen (clusters of galaxies) sind gebundene Systeme von hundert und mehr Galaxien innerhalb eines Gebiets mit einem Durchmesser von ∼ 2h −1 Mpc. Haufen enthalten hauptsächlich Frühtyp-Galaxien, so dass sich in Haufengalaxien kaum noch Sterne bilden. Einige Galaxienhaufen erscheinen in der Projektion fast rund, andere zeigen eine stark elliptische oder irreguläre Verteilung von Galaxien; manchmal besitzen sie mehr als ein Zentrum. Der uns nächste Galaxienhaufen ist der Virgo-Haufen, in einer Entfernung von ∼ 18 Mpc; er ist ein Haufen mit irregulärer Galaxienverteilung. Der uns nächste reguläre Haufen ist Coma, mit einer Entfernung von ∼ 90 Mpc.5 Coma (Abb. 1.14) enthält etwa 5 Die
Entfernungen dieser beiden Galaxienhaufen sind nicht über die Rotverschiebung ermittelt worden, sondern durch direkte Methoden, die in Abschn. 3.6 diskutiert werden; diese direkten Messungen bilden eine der erfolgreichsten Methoden zur Bestimmung der Hubble-Konstanten.
Abb. 1.14. Der Coma-Galaxienhaufen befindet sich etwa 90 Mpc von uns entfernt und ist der nächste massereiche, reguläre Galaxienhaufen. Praktisch alle Objekte auf dieser Aufnahme sind Galaxien des Haufens – Coma enthält mehr als tausend leuchtkräftige Galaxien
1000 helle Galaxien, von denen 85% Frühtyp-Galaxien sind. Fritz Zwicky bestimmte 1933 die Radialgeschwindigkeiten der Galaxien in Coma und fand, dass ihre Dispersion etwa 1000 km/s beträgt. Aus der Gesamtleuchtkraft L aller seiner Galaxien kann man eine Masse des Haufens abschätzen: Wenn im Mittel die Sterne der Haufengalaxien ein ähnliches Masse-zu-Leuchtkraft-
Abb. 1.13. Zwei Spiralgalaxien wechselwirken miteinanden. NGC 2207 (links) und IC 2163 sind sich nicht nur in der Projektion sehr nahe, sondern die starken gravitativen Gezeitenkräfte, die sie aufeinander ausüben, sind durch die auffälligen Gezeitenarme klar sichtbar. Dieses Bild wurde mit dem Hubble Space Telescope aufgenommen
1. Einleitung und Überblick 14
Abb. 1.15. Der Galaxienhaufen Hydra A, links eine optische Aufnahme, rechts ein Bild, das mit dem Röntgen-Satelliten Chandra aufgenommen wurde. Der Haufen hat eine Rotverschiebung von z ≈ 0.054 und ist somit ca. 250 Mpc von uns
entfernt. Die Röntgenemission stammt von einem Gas, dessen Temperatur 40 × 106 K beträgt, im Zentrum des Haufens ist es um etwa 15% kühler
Verhältnis (M/L) wie unsere Sonne besitzen, dann würde man schließen: M = (M /L )L. Allerdings sind die Sterne in Frühtyp-Galaxien im Mittel etwas weniger massereich als die Sonne und haben daher ein etwas größeres M/L.6 Die obige Massenabschätzung muss daher um einen Faktor ∼ 10 erhöht werden. Zwicky verglich nun die so erhaltene Masse mit den Radialgeschwindigkeiten der Haufengalaxien relativ zu ihrem Mittelwert und stellte fest, dass die typische Galaxiengeschwindigkeit im Haufen wesentlich größer ist als die Entweichgeschwindigkeit vom Haufen, die sich aus der so bestimmten Masse ergibt. Die Galaxien des Haufens müssten daher eigentlich auf einer Zeitskala von etwa 109 Jahren auseinander fliegen, der Haufen sich auflösen. Da Coma aber als relaxierter, d. h. im Gleichgewicht befindlicher Haufen erscheint, dessen Alter daher deutlich größer sein sollte als die dynamische Zeitskala von 109 Jahren, schloss Zwicky daraus, dass der Coma-Haufen wesentlich mehr Masse enthält als die Summe der Massen der Haufengala-
xien. Unter Anwendung des Virialsatzes7 konnte er aus der Geschwindigkeitsverteilung der Galaxien die Masse des Haufens abschätzen. Dies war der erste deutliche Hinweis auf die Existenz Dunkler Materie! Röntgensatelliten haben später gezeigt, dass Galaxienhaufen starke Quellen von Röntgenstrahlung sind. Sie enthalten ein heißes Gas mit Temperaturen von 107 bis 108 K (Abb. 1.15). Die Temperatur des Gases ist ein weiteres Maß für die Tiefe des Potentialtopfes des Haufens: je heißer das Gas, desto tiefer muss der Potentialtopf sein, damit das Gas nicht entweicht. Die Massenabschätzungen aufgrund der Röntgentemperatur ergeben Werte, die gut vergleichbar sind mit denen aus der Geschwindigkeitsdispersion der Haufengalaxien und bestärken daher die Hypothese der Existenz
6 Wir
werden in Kapitel 3 noch sehen, dass für die Sterne in Spiralgalaxien im Mittel M/L ∼ 3M /L , während für Elliptische Galaxien ein größerer Wert anzusetzen ist, M/L ∼ 10M /L .
7 Der Virialsatz besagt in seiner einfachsten Form, dass für ein isoliertes dynamisches System in einem stationären Gleichgewichtszustand die kinetische Energie gerade die Hälfte des Betrags der potentiellen Energie beträgt, also
E kin =
1 |E pot | ; 2
(1.8)
insbesondere ist die Gesamtenergie E tot = E kin + E pot = E pot /2 = −E kin .
1.2 Überblick 15
eine zweite Klasse kosmischer Objekte, deren Masse von Dunkler Materie dominiert wird. Galaxienhaufen sind kosmologisch junge Gebilde: ihre dynamische Zeitskala kann man abschätzen als die Zeit, die eine Haufengalaxie benötigt, um einmal den Haufen zu durchqueren. Mit v ∼ 1000 km/s und einem Durchmesser von 2R ∼ 2 Mpc erhält man so tdyn ∼
Abb. 1.16. Die Galaxiengruppe HCG87 gehört zu der Klasse der sog. Kompakten Gruppen. Auf dieser HST-Aufnahme sieht man drei massereiche Galaxien dieser Gruppe, eine edgeon Spirale unten im Bild, eine Ellipse unten rechts, und eine weitere Spirale oben im Bild (die kleine Spirale im Zentrum gehört nicht zu der Gruppe). Die beiden unteren Galaxien haben eine Aktiven Galaxienkern, während die Spirale oben eine Sternentstehungsphase zu durchlaufen scheint. Die Galaxien der Gruppe sind so eng beieinander, dass sie sich in der Projektion beinahe berühren. Zwischen den Galaxien konnten Gasströme festgestellt werden: Die Galaxien stören sich gegenseitig, und dies kann Auslöser für die Aktivität im Kern und die Sternentstehung sein. Die Galaxien sind in einem gemeinsamen Gravitationspotential gebunden und werden sich auf kosmologisch kurzen Zeitskalen, nämlich in wenigen Orbits – wobei ein Orbit ca. 108 Jahre dauert – massiv stören und vermutlich verschmelzen. Solche Verschmelzungsprozesse sind für die Entwicklung der Galaxienpopulation von äußerster Bedeutung
Dunkler Materie in Galaxienhaufen. Eine dritte Methode zur Massenbestimmung von Haufen, der sog. Gravitationslinseneffekt, macht Gebrauch von der Tatsache, dass Licht im Schwerefeld abgelenkt wird. Diese Lichtablenkung an einer Massenkonzentration ist umso stärker, je größer die Masse ist. Aus der Beobachtung und Analyse dieses Gravitationslinseneffekts in Galaxienhaufen ergeben sich Werte für die Haufenmasse, die in Übereinstimmung mit den beiden anderen Methoden sind. Somit sind Galaxienhaufen neben den Galaxien
2R ∼ 2 × 109 yr ; v
(1.9)
wie wir später noch sehen werden, ist das Universum etwa 14 × 109 Jahre alt. In dieser Zeit haben Galaxien daher keine Gelegenheit, den Haufen oftmals zu durchqueren. Da Galaxienhaufen in diesem Sinne kosmologisch jung sind, enthalten sie im Prinzip noch Information über ihren Anfangszustand; die meisten Haufen hatten keine Zeit, vollständig zu relaxieren und einen Gleichgewichtszustand einzunehmen, der im Wesentlichen unabhängig von den Anfangsbedingungen ist. Dies kann man vergleichen mit dem Umlauf der Sonne um das Zentrum der Milchstraße, der etwa 2 × 108 Jahre dauert – Galaxien hatten also Zeit, ihren Gleichgewichtszustand anzunehmen. Neben massereichen Haufen von Galaxien gibt es Galaxiengruppen, die manchmal nur wenige leuchtkräftige Galaxien enthalten. Unsere Milchstraße ist selbst Teil einer solchen Gruppe, der Lokalen Gruppe, die weiterhin M31 (Andromeda) als dominante Galaxie und einige weit weniger leuchtkräftige Galaxien wie die Magellanschen Wolken enthält. Einige Galaxiengruppen sind sehr kompakt, d. h. ihre Galaxien sind auf engem Raum zusammen (Abb. 1.16). Wechselwirkungen zwischen diesen Galaxien bewirken, dass die Lebensdauer vieler dieser Gruppen wesentlich kleiner ist als das Weltalter; die Galaxien dieser Gruppen werden daher miteinander verschmelzen. 1.2.6
Weltmodelle und thermische Geschichte des Universums
Quasare, Galaxienhaufen und seit einiger Zeit sogar einzelne Galaxien werden auch bei sehr hohen Rotverschiebungen gefunden, bei denen das einfache Hubble-Gesetz (1.2) nicht mehr gilt. Es ist daher nötig, dieses zu verallgemeinern. Das verlangt die Betrachtung von Weltmodellen als Ganzes, die man auch als kosmologische Modelle bezeichnet. Die vorherrschende Kraft
1. Einleitung und Überblick 16
im Universum ist die Gravitation: Schwache und starke Wechselwirkung haben extrem kleine Reichweiten, und elektromagnetische Wechselwirkung spielt auf großen Skalen keine Rolle, da die kosmische Materie im Wesentlichen neutral ist – denn wenn sie es nicht wäre, würden sofort Ströme fließen, um Ladungsdichten auszugleichen. Die gültige Theorie der Gravitation ist die Allgemeine Relativitätstheorie (ART), die von Albert Einstein im Jahre 1915 formuliert wurde. Basierend auf den beiden Postulaten, dass (1) unser Platz im Universum von anderen Orten nicht ausgezeichnet ist und dass (2) die Verteilung der Materie um uns herum zumindest auf großen Skalen isotrop ist, kann man homogene und isotrope Weltmodelle (sogenannte Friedmann-Lemaître-Modelle) konstruieren, die den Gesetzen der ART genügen. Expandierende Weltmodelle, die die Hubble-Expansion enthalten, ergeben sich im Rahmen dieser Theorie ganz natürlich. Im Wesentlichen lassen sich diese Modelle durch drei Parameter beschreiben:
• der heutigen Expansionsrate des Universums, also •
der Hubble-Konstanten H0 , der heutigen mittleren Materiedichte des Universums, ρm , oftmals parametrisiert durch den dimensionslosen Dichteparameter Ωm =
8πG ρm , 3H02
(1.10)
• und der Dichte der sog. Vakuum-Energie, ausge-
drückt durch die Kosmologische Konstante Λ oder den entsprechenden Dichteparameter des Vakuums ΩΛ =
Λ . 3H02
(1.11)
Die Kosmologische Konstante wurde von Einstein ursprünglich eingeführt, damit seine ART auch stationäre Weltmodelle beschreiben kann. Nach der Entdeckung der Hubble-Expansion hat er die Einführung von Λ in seinen Gleichungen als seinen größten Irrtum bezeichnet. Durch die Quantenmechanik erhält Λ eine andere Interpretation, nämlich als Energiedichte des Vakuums. Die Werte der kosmologischen Parameter sind heute recht genau bekannt (siehe Kap. 8), wobei man Ωm ≈ 0.3 und ΩΛ ≈ 0.7 gefunden hat. Das Ergebnis eines von Null verschiedenen Wertes für ΩΛ kommt völlig unerwartet. Bislang sind sämtliche Versuche
gescheitert, einen Wert für ΩΛ aus der Quantenmechanik zu berechnen, der dem sich aus kosmologischen Beobachtungen ergebenden auch nur näherungsweise ähnlich ist. Tatsächlich geben einfache, plausible Abschätzungen einen Wert für Λ, der ∼ 10120 Mal größer ist als der beobachtete – eine wahrlich schlechte Abschätzung. Diese gewaltige Diskrepanz stellt gegenwärtig wohl eine der größten Herausforderungen an die fundamentale Physik dar. Entsprechend der Friedmann-Lemaître-Modelle war das Universum früher kleiner und heißer und hat sich im Zuge der Ausdehnung mit der Zeit abgekühlt. Man kann die Geschichte der kosmischen Expansion zurückverfolgen unter der Annahme der Gültigkeit der uns bekannten physikalischen Gesetze. Daraus ergibt sich das Urknall-Modell des Universums, nach dem unser Universum sich aus einem sehr dichten, sehr heißen Zustand, dem sog. Urknall (big bang) entwickelte. Dieses Weltmodell macht eine Reihe von Vorhersagen, die in überzeugender Weise verifiziert wurden: 1. Etwa 1/4 der baryonischen Materie des Universums sollte aus Helium bestehen, welches sich etwa 3 Minuten nach dem Urknall gebildet hat, während der Rest im Wesentlichen aus Wasserstoff besteht. Dies ist in der Tat der Fall: Der Massenanteil von Helium in Metall-armen Objekten, deren chemische Zusammensetzung nicht stark durch Sternentwicklungsprozesse modifiziert worden ist, beträgt etwa 24%. 2. Aus dem genauen Anteil von Helium kann man die Anzahl der Neutrino-Sorten bestimmen – je mehr Neutrino-Spezies existieren, um so größer ist der Anteil von Helium. Daraus wurde um 1981 abgeleitet, dass es drei Neutrino-Sorten geben sollte. Dieses Resultat wurde später durch BeschleunigerExperimente bestätigt. 3. Eine thermische Strahlung aus der heißen Frühphase des Universums sollte auch heute noch messbar sein. Vorhergesagt 1946 durch George Gamow, wurde sie 1965 von Arno Penzias und Robert Wilson entdeckt. Die entsprechenden Photonen konnten sich frei ausbreiten, nachdem das Universum auf etwa 3000 K abgekühlt war und das Plasma sich zu neutralen Atomen vereinigte, eine Epoche, die man als Rekombination bezeichnet. Aufgrund der kosmischen Expansion hat sich die Strahlung auf etwa
1.2 Überblick 17
T0 ≈ 2.73 K abgekühlt. Diese Mikrowellenstrahlung ist nahezu perfekt isotrop, wenn man von der Emission der Milchstraße absieht. Tatsächlich ergab die Messung des Satelliten COBE, dass es sich bei dem kosmischen Mikrowellenhintergrund (cosmic microwave background, CMB) um das genaueste jemals gemessene Schwarzkörperspektrum handelt. 4. Die heutigen Strukturen im Universum haben sich aus sehr kleinen Dichtefluktuationen des frühen Kosmos entwickelt. Die Keime der Strukturbildung mussten daher bereits in der Frühzeit der kosmischen Entwicklung vorhanden gewesen sein. Diese Dichtefluktuationen sollten daher auch sichtbar sein als kleine Temperaturfluktuationen im Mikrowellenhintergrund, der etwa 380 000 Jahre nach dem Urknall während der Rekombination freigesetzt worden ist. In der Tat hat COBE diese vorhergesagte Anisotropie zum ersten Mal entdeckt (siehe Abb. 1.17). Spätere Messungen, insbesondere die des Satelliten WMAP, haben die Struktur des Mikrowellenhintergrunds mit deutlich verbesserter Auflösung vermessen und dabei die Theorie der Strukturbildung im Universum im Detail verifiziert (siehe Kapitel 8.6). Da diese Vorhersagen in solch beeindruckender Weise bestätigt worden sind, werden wir ausschließlich dieses kosmologische Modell betrachten. Es gibt zur Zeit kein konkurrierendes Modell des Universums, das in so natürlicher Weise die grundsätzlichen kosmologischen Beobachtungen erklärt. Weiterhin scheint dieses Modell mit keiner grundlegenden Beobachtung der Kosmologie im Widerspruch zu stehen. Allerdings zeigt die Existenz einer von Null verschiedenen Vakuumenergiedichte, zusammen mit einem Wert für die Materiedichte ρm , der etwa das Sechsfache der mittleren Baryonendichte des Universum beträgt (wie man sie aus der Häufigkeit der im Urknall entstandenen chemischen Elemente ableiten kann), dass die physikalische Natur von etwa 95% des Inhalts unseres Universums bislang nicht verstanden worden ist. Die Photonen des CMB standen zum letzten Mal mit Materie durch physikalische Wechselwirkung in Kontakt, als das Universum etwa 3.8 × 105 Jahre alt war, aber auch bei den am weitesten entfernten Galaxien und Quasaren, die wir bisher kennen (z ∼ 6.5), ist deren Jugendlichkeit beeindruckend: wir sehen sie bei weniger als einem Zehntel des heutigen Weltalters! Die genaue
Abb. 1.17. Temperaturverteilung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds am Himmel, wie sie vom Satelliten COBE gemessen wurde. Das oberste Bild zeigt eine DipolVerteilung; diese stammt von der Bewegung der Erde relativ zum Ruhesystem des CMB. Wir bewegen uns mit einer Geschwindigkeit von ∼ 600 km/s relativ zu diesem System, und dies führt aufgrund des Doppler-Effekts zu einer Anisotropie der Größenordnung ΔT/T ∼ v/c ∼ 2 × 10−3 . Subtrahiert man diesen Anteil, ergibt sich die mittlere Karte, die deutlich die Emission der Galaktischen Scheibe zeigt. Da diese Emission eine andere spektrale Verteilung besitzt (sie ist kein Schwarzkörper mit T ∼ 3 K), kann man sie ebenfalls subtrahieren und erhält das untere Bild. Dies sind die primordialen Fluktuationen des CMB mit einer Amplitude von etwa ΔT/T ∼ 2 × 10−5
Relation zwischen dem Weltalter zur Zeit der Lichtemission und der beobachteten Rotverschiebung hängt von den kosmologischen Parametern H0 , Ωm und ΩΛ ab. Für den Spezialfall Ωm = 1 und ΩΛ = 0, genannt
1. Einleitung und Überblick 18
Einstein–de Sitter Modell, erhält man: t(z) =
1 2 . 3H0 (1 + z)3/2
(1.12)
Insbesondere ist das Weltalter heute (d. h. z = 0) in diesem Modell 2 t0 = ≈ 6.5 × 109 h −1 yr . (1.13) 3H0 Das Einstein–de Sitter (EdS) Modell ist das ,,einfachste“ Weltmodell, und wir werden es manchmal als Referenz benutzen, aber neueste Beobachtungen sprechen dafür, dass Ωm < 1 und ΩΛ > 0 ist. Die mittlere Dichte des Universums im EdS-Modell beträgt 3H02 ≈ 1.9 × 10−29 h 2 g cm−3 , 8πG sie ist also sehr, sehr klein! ρ0 = ρcr ≡
1.2.7
(1.14)
Strukturbildung und Galaxienentwicklung
Die geringe Amplitude der Anisotropien des CMB impliziert, dass die Inhomogenitäten zum damaligen Zeitpunkt sehr klein waren, während heute das Universum, zumindest auf Skalen von Galaxienhaufen, sehr starke Dichteschwankungen aufweist. Das Dichtefeld der kosmischen Materie muss sich also entwickelt haben. Diese Strukturentwicklung findet aufgrund der gravitativen Instabilität statt: Ein überdichtes Gebiet expandiert aufgrund der Eigengravitation langsamer als das Universum im Mittel, weshalb sich seine relative Überdichte noch verstärkt. Das Anwachsen von Dichtefluktuationen mit der Zeit bewirkt das Ausbilden großräumiger Strukturen. Es sorgt auch dafür, dass sich Galaxien und Haufen bilden. Unser oben skizziertes Weltmodell kann die Häufigkeit von Galaxienhaufen als Funktion der Rotverschiebung vorhersagen, die man dann mit Beobachtungen vergleichen kann. Dieser Vergleich kann zur Bestimmung der kosmologischen Parameter herangezogen werden. Eine weitere essentielle Schlussfolgerung aus der Kleinheit der CMB Anisotropien ist die Existenz Dunkler Materie auf kosmischen Skalen: Der größte Teil der kosmischen Materie ist Dunkle Materie, der Baryonenanteil an der Materiedichte ist 20% und 5% an der Energiedichte. Die Energiedichte des Universums ist von der Vakuumsenergie dominiert.
Leider ist die räumliche Verteilung der Dunklen Materie auf großen Skalen nicht direkt beobachtbar, wir sehen nur Galaxien bzw. ihre Sterne. Man erwartet vielleicht, dass Galaxien dort besonders häufig auftreten, wo auch die Dichte der Dunklen Materie besonders groß ist. Es ist aber keineswegs selbstverständlich, dass lokale Dichtefluktuationen der Galaxienanzahl und der Dichte Dunkler Materie streng proportional sind. Der Zusammenhang zwischen Dunkler und leuchtender Materie ist bislang nur näherungsweise verstanden. Dieser Zusammenhang muss letztendlich aus der Entwicklung von Galaxien begriffen werden: Eine große Dichte Dunkler Materie kann die Bildung von Galaxien begünstigen. Wir werden daher untersuchen, wie Galaxien entstehen und warum es verschiedene Sorten von Galaxien gibt. Mit anderen Worten, was entscheidet, ob eine sich bildende Galaxie zu einer Ellipse oder einer Spirale wird? Diese Frage ist nicht endgültig beantwortet, aber es wird vermutet, dass sich Ellipsen erst durch die Verschmelzung (merging) von Spiralen bilden. In der Tat sagt das Standard-Modell des Universums vorher, dass sich zunächst kleine Galaxien bilden; größere bilden sich erst später durch fortdauerndes merging kleinerer Einheiten. Die Entwicklung von Galaxien ist direkt beobachtbar: Galaxien hoher Rotverschiebung (d. h. kosmologisch junge Galaxien) sind in der Regel kleiner und blauer – die Sternentstehungsrate war zu früheren Zeiten im Universum deutlich größer als heute. Die Entwicklung der mittleren Farbe von Galaxien als Funktion der Rotverschiebung kann durch eine Mischung von Sternentstehung einerseits und Alterung der Sternpopulation andererseits erklärt werden.
1.2.8
Kosmologie als Triumph des menschlichen Geistes
Kosmologie, extragalaktische Astronomie, ja die gesamte Astrophysik ist ein heroisches Unterfangen des menschlichen Geistes und ein Triumph der Physik. Um das Universum zu verstehen, wenden wir physikalische Gesetze an, die unter ganz anderen Umständen empirisch gefunden wurden. Alle physikalischen Gesetze wurden ,,heute“ aufgestellt und basieren, mit Ausnahme der Allgemeinen Relativitätstheorie, auf Experimenten im Labormaßstab oder bestenfalls auf Beobachtungen
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 19
im Sonnensystem wie z. B. die Keplerschen Gesetze, die als Grundlage der Newtonschen Gravitationstheorie dienten. Haben wir a priori einen guten Grund anzunehmen, dass diese Gesetze auch in anderen Gebieten des Universums gelten, oder zu ganz anderen Zeiten? Dennoch scheint dies der Fall zu sein: Kernprozesse im frühen Universum scheinen nach den gleichen Gesetzen der starken Wechselwirkung abzulaufen, die wir hier und heute im Labor messen – andernfalls wäre die Vorhersage des 25%-igen Massenanteils von Helium nicht möglich. Die Quantenmechanik, die u. a. das Verhältnis der Wellenlängen atomarer Übergänge beschreibt, scheint auch bei sehr großen Entfernungen bzw. zu sehr frühen Zeiten gültig zu sein – selbst die am weitesten entfernten Objekte zeigen Emissionslinien im Spektrum, deren Frequenzverhältnis mit denen im Spektrum naher Objekte übereinstimmen und die von der Quantenmechanik so beschrieben werden. Bei weitem am größten ist der Triumph der Allgemeinen Relativitätstheorie. Sie wurde ursprünglich von Einstein entworfen, weil seine spezielle Relativitätstheorie es nicht ermöglichte, die Newtonsche Gravitation mit einzubeziehen. Zum damaligen Zeitpunkt (1915) gab es keine empirischen Befunde, die nicht mit der Newtonschen Gravitationstheorie beschreibbar waren. Dennoch entwickelte Einstein eine völlig neue Theorie der Gravitation aus rein theoretischen Gründen. Die korrekte Beschreibung der Lichtablenkung an der Sonne, die 1919 gemessen wurde, und der Periheldrehung des Merkur8 waren erste Erfolge der Theorie. Sie ermöglicht die Beschreibung des expandierenden Universums, was nach der Entdeckung von Hubble in 1928 notwendig wurde. Nur mit ihrer Hilfe kann die Geschichte des Kosmos rekonstruiert werden. Diese erscheint uns bekannt bis zurück in die Zeit, als das Universum etwa 10−6 Sekunden alt und etwa 1013 K heiß war. Auf dieser Beschreibung beruhen die oben erwähnten erfolgreichen Vorhersagen der Kosmologie. Andererseits beschreibt die Allgemeine Relativitätstheorie auch sehr viel kleinere Systeme mit sehr viel stärkeren Gravitationsfeldern, wie z. B. die von Neutronensternen und Schwarzen Löchern. Die Entdeckung eines Binärsystems bestehend aus zwei Neutronensternen, 8 Diese war bereits vor 1915 bekannt, aber es war nicht klar, ob sie viel-
leicht andere Ursachen haben könnte wie z. B. ein Quadrupolmoment der Massenverteilung der Sonne.
PSR 1913+16, hat in den vergangenen 20 Jahren sehr genaue Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie erlaubt, wie z. B. die Periheldrehung in diesem System und die Abnahme des Abstandes mit der Zeit wegen der Energieabstrahlung durch Gravitationswellen. Zusammengenommen wurde die Allgemeine Relativitätstheorie getestet auf Längenskalen von 1011 cm (die charakteristische Skala des Binärpulsars) bis hin zu 1028 cm, der Größe des heute sichtbaren Universums, also über 17 Größenordnungen – wahrlich ein beeindruckendes Ergebnis!
1.3
Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie
Extragalaktische Quellen – Galaxien, Quasare, Galaxienhaufen – sind weit entfernt. Das bedeutet, dass sie i. A. sehr lichtschwach erscheinen, selbst wenn sie intrinsisch leuchtkräftig sind, und unter sehr kleinem Winkeldurchmesser erscheinen können, trotz ihrer vielleicht großen linearen Ausdehnung. In der Tat gibt es genau drei extragalaktische Quellen, die mit dem bloßen Auge sichtbar sind: die Andromeda-Galaxie (M31), und die Große und Kleine Magellansche Wolke. Für die extragalaktische Astronomie benötigt man daher Teleskope mit großen Aperturen (Sammelflächen für Photonen) und hoher Winkelauflösung. Das gilt für alle Wellenlängenbereiche – von der Radioastronomie bis hin zur Gamma-Astronomie. Die Eigenschaften astronomischer Teleskope und ihrer Instrumente sind nach verschiedenen Kriterien zu bewerten, von denen die wichtigsten kurz erwähnt werden sollen. Die Beobachtungsempfindlichkeit gibt an, wie lichtschwach Quellen sein dürfen, um sie in gegebener Integrationszeit untersuchen zu können. Die Empfindlichkeit hängt sowohl von der Apertur des Teleskops als auch von der Effizienz des Instruments und der Sensitivität der Detektoren ab. So wurde beispielsweise die Empfindlichkeit optischer Teleskope um einen großen Faktor dadurch erhöht, dass die CCDs die Photoplatten zu Beginn der 1980er Jahre als Detektoren ablösten. Weiterhin hängt die Empfindlichkeit vom Himmelshintergrund ab: Das künstliche Licht bewohnter Regionen zwingt die optischen Teleskope in immer entlegenere Gebiete, in denen die Lichtverschmutzung minimiert ist; ähnlich ergeht es den Radioastronomen,
1. Einleitung und Überblick 20
die von Radiostrahlung der Telekommunikation erheblich beeinträchtigt werden. Die Winkelauflösung eines Teleskops gibt an, bis zu welchem Winkelabstand zwei Quellen an der Sphäre auf dem Detektor noch getrennt werden können. Bei beugungsbegrenzten Beobachtungen, wie etwa mit Radioteleskopen oder Teleskopen im Weltall, ist die Winkelauflösung Δθ durch den Durchmesser D des Teleskops bestimmt, wobei bei der Wellenlänge λ die Beziehung Δθ = λ/D gilt. Für optische und nah-Infrarot-Beobachtungen vom Boden aus ist in der Regel die Winkelauflösung durch die Turbulenz in der Atmosphäre begrenzt, wodurch sich die Wahl der Standorte für optische Teleskope auf hohen Bergen erklärt. Diese atmosphärischen Turbulenzen führen aufgrund der Szintillation zur einer Verschmierung der Bilder von astronomischen Quellen. Diesen Effekt nennt man Seeing. Bei der Interferometrie, bei der man die empfangene Strahlung mehrerer Teleskope vereinigt, ist die Winkelauflösung durch den Abstand der Teleskope bestimmt. Die spektrale Auflösung eines Instruments gibt die Fähigkeit zur Trennung unterschiedlicher Wellenlängen wieder. Der Durchsatz eines Teleskops ist insbesondere bei großen Himmeldurchmusterungen (Surveys) von Bedeutung. So ist etwa die Effizienz, mit der spektroskopische Durchmusterungen durchgeführt werden, von der Anzahl der simultan aufgenommenen Spektren abhängig, und spezielle
Multiplex-Spektrographen wurden für diese Zwecke gebaut. Die Effizienz bei photometrischen Surveys hängt von der simultan beobachtbaren Himmelsregion ab, also dem Gesichtsfeld einer Kamera. Im Folgenden seien einige der Teleskope aufgeführt, die für die (extragalaktische) Astronomie besonders relevant sind und auf die wir im Laufe dieses Buches immer wieder verweisen werden.
1.3.1
Radioteleskope
Außer bei optischen Wellenlängen ist die Atmosphäre der Erde nur bei sehr großen Wellenlängen durchlässig, den Radiowellen. Das Radiofenster der Atmosphäre ist bei kleinen Frequenzen bei etwa ν ∼ 10 MHz abgeschnitten, denn Strahlung größerer Wellenlänge als λ ∼ 30 m kann die Ionosphäre der Erde nicht durchqueren, sondern wird reflektiert. Unterhalb von etwa λ = 5 mm wird die Strahlung durch Sauerstoff und Wasserdampf der Atmosphäre immer stärker absorbiert, und unterhalb von etwa λ = 0.3 mm ist keine erdgebundene Beobachtung mehr möglich. Auf Radiostrahlung des Kosmos wurde die Menschheit erst aufmerksam, als sie ein nicht verschwindendes Rauschen in ihren Radioantennen vernahm. Mit der Identifikation dieser Quelle beauftragten die AT&T Bell
Abb. 1.18. ,,Janskys Karussell“. Durch Drehen in der Azimutal-Richtung konnte die grobe Richtung der Radioquellen festgestellt werden
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 21 Abb. 1.19. Mit einem Durchmesser von 305 Metern ist das Arecibo-Teleskop in Puerto Rico das größte Einzel-Teleskop; außerhalb der Wissenschaft wurde es bekannt durch den James Bond-Film Goldeneye. Der Nachteil der Konstruktion ist die Unbeweglichkeit. Nachführen ist nur begrenzt mit dem Sekundärspiegel möglich
Labs Karl Jansky, der dazu eine bewegliche Antenne (,,Janskys Karussell“, Abb. 1.18) baute. Nach einigen Monaten hatte Jansky neben Gewittern eine Störquelle festgestellt, die jeden Tag auf- und unterging. Allerdings folgte sie dabei nicht ganz dem Lauf der Sonne, die zuerst als Quelle vermutet wurde, sondern bewegte sich mit den Sternen. Jansky fand schließlich heraus, dass das Signal aus der Richtung des Milchstraßenzentrums kam. Dieses Resultat wurde 1933 veröffentlicht, aber markierte auch das Ende für Janskys Karriere als erster Radioastronom. Inspiriert von Janskys Entdeckung betrieb Grote Reber als erster wirkliche Astronomie mit Radiowellen. Nachdem AT&T ihn nicht einstellen wollte, baute er seine eigene Radio-,,Schüssel“ mit einem Durchmesser von fast zehn Metern in seinem Garten. Zwischen 1938 und 1943 erstellte Reber die ersten Himmelskarten im Radiobereich. Neben der starken Strahlung des Milchstraßenzentrums identifizierte er auch Quellen in Cygnus und Cassiopeia. Durch Rebers Untersuchungen und Veröffentlichungen wurde die Radioastronomie nach dem zweiten Weltkrieg ein anerkanntes Wissenschaftsgebiet. Das größte Radio(einzel)teleskop ist das AreciboTeleskop, das in Abb. 1.19 gezeigt ist. Dieses aufgrund seiner enormen Fläche sehr empfindliche Teleskop
entdeckte u. a. den ersten Pulsar in einem Doppelsternsystem, welches zu einem wichtigen ,,Testlabor“ für die Allgemeine Relativitätstheorie geworden ist. Ebenfalls wurde die Existenz von extra-solaren Planeten nachgewiesen – durch einen Planeten im Orbit um einen Pulsar. Für die extragalaktische Astronomie spielt Arecibo eine sehr wichtige Rolle bei der Messung der Rotverschiebung und Linienbreite von Spiralgalaxien, wie sie aufgrund der 21 cm Emission des neutralen Wasserstoffs bestimmt werden können (siehe Abschn. 3.4). Das Effelsberger 100-Meter-Radioteleskop des MaxPlanck-Instituts für Radioastronomie trug lange Zeit den Titel ,,größtes voll bewegliches Radioteleskop der Welt“, aber seit 2000 darf sich das neue Green Bank Telescope (das alte ist 1988 kollabiert) so nennen (siehe Abb. 1.20). Mit Effelsberg werden z. B. Sternentstehungsgebiete erforscht. Über Moleküllinien–Spektroskopie ist es möglich, deren Dichte und Temperatur zu messen. Bei der Sternentstehung spielen auch Magnetfelder eine Rolle, auch wenn noch viele Details dabei zu erforschen sind. Durch Messungen von polarisierter Radiostrahlung hat Effelsberg die Magnetfelder von vielen Spiralgalaxien kartiert. Weiterhin ist Effelsberg aufgrund seiner riesigen Sammelfläche ein wichtiges
1. Einleitung und Überblick 22
Abb. 1.20. Die zwei größten beweglichen Radioteleskope der Welt. Links: Das 100-Meter-Teleskop in Effelsberg wurde 1972 in Betrieb genommen. Es wird in einem Wellenlängenbereich von 3.5 mm bis 35 cm eingesetzt – dafür sind
18 verschiedene Empfangssysteme notwendig. Rechts: Das Green Bank Telescope hat keinen rotationssymmetrischen Spiegel; in einer Achse weist es einen Durchmesser von 100 Metern auf, in der anderen von 110 Metern
Element bei der Interferometrie mit großen Basislängen (s. u.). Aufgrund der großen Wellenlängen ist die Winkelauflösung selbst bei großen Radioteleskopen sehr grob. Daher hat man in der Radioastronomie schon früh begonnen, interferometrische Methoden zu verwenden. Dabei werden die Signale von mehreren Teleskopen miteinander korreliert, um ein Interferenzmuster zu erhalten. Durch Fourier-Transformation kann dann die Struktur der Quelle bestimmt werden. Man erhält dadurch die gleiche Auflösung wie die eines Einzelteleskops mit einem Durchmesser, der der größten Entfernung zwischen zwei der benutzten Teleskopen entspricht. Nach ersten interferometrischen Messungen in England (um 1960) und dem Bau des großen Westerbork Synthese-Radioteleskop in den Niederlanden um 1970 wurde das Very Large Array (VLA) in New Me-
xico (siehe Abb. 1.21) Ende der siebziger Jahre in Betrieb genommen. Damit erreichte man im Radiobereich eine vergleichbare Winkelauflösung, wie sie damals mit optischen Teleskopen erzielt wurde. Dadurch konnten erstmals Radio- und optische Aufnahmen bei gleicher Auflösung kombiniert und kosmische Objekte über mehrere stark getrennte Wellenlängenbereiche studiert werden. Mit dem VLA erlebte die Radioastronomie einen enormen Durchbruch, der sich u. a. in den Untersuchungen von AGNs niederschlug. Große, ausgedehnte Jets von Quasaren und Radiogalaxien konnten zum ersten Mal im Detail studiert werden (siehe Abschn. 5.1.2). Als weitere Interferometer sind hier das Westerbork-Array in den Niederlanden und das britische MERLIN zu erwähnen; bei letzterem werden sieben Teleskope zusammengeschaltet, deren maximaler Abstand 230 km beträgt.
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 23 Abb. 1.21. Das Very Large Array (VLA) in New Mexico besteht aus 27 Antennen mit einem jeweiligen Durchmesser von 25 Metern, welche auf Eisenbahnschienen verschoben werden können. Es wird in vier verschiedenen Konfigurationen genutzt, die sich durch die Abstände der Teleskope unterscheiden; ein Wechsel zwischen den Konfigurationen dauert ca. zwei Wochen
Im Radiobereich ist es auch möglich, völlig unabhängige und verschiedene Antennen als Interferometer zusammenzuschalten. So werden zum Beispiel für die Very Long Baseline Interferometry (VLBI) Radioteleskope auf der ganzen Welt genutzt, darunter auch Effelsberg und das VLA. In den USA wurde 1995 ein System von zehn baugleichen 25-Meter-Antennen ausschließlich für VLBI errichtet – das Very Long Baseline Array (VLBA). Man kann mit VLBI eine Winkelauflösung von besser als eine Millibogensekunde erreichen, daher wird es in der Extragalaktik vor allem zur Untersuchung von AGNs gebraucht. Durch VLBI haben wir viel über die zentralen Bereiche der AGNs gelernt, nicht zuletzt die Existenz scheinbarer Überlichtgeschwindigkeiten in diesen Quellen. Einige der bisher beschriebenen Radioteleskope können bis in den Millimeterbereich beobachten. Für kürzere Wellenlängen sind die Antennenoberflächen zu rau und spezielle Teleskope für Wellenlängen bei 1 mm und kürzer werden benötigt. Das 30-Meter Teleskop auf dem Pico Veleta (Abb. 1.22) bietet aufgrund seiner genauen Oberfläche die Möglichkeit, im Millimeterbereich zu beobachten, und wird insbesondere für Molekülspektroskopie bei diesen Frequenzen benutzt. Weiterhin wurden mit der Bolometer-Kamera MAMBO an diesem Teleskop bei 1.2 mm wichtige Beobachtungen von hoch-rotverschobenen Galaxien gemacht, ähnlich wie mit der SCUBA-Kamera (Sub-
millimeter Common-User Bolometer Array), welche am James Clerk Maxwell Telescope (JCMT; Abb. 1.23) auf dem Mauna Kea in Hawaii eingesetzt wird. Aufgrund seiner Größe und seines hervorragenden Standorts war das JCMT das in der Vergangenheit wohl wichtigste Teleskop für den Submillimeterbereich; es beobachtet bei Wellenlängen zwischen 3 mm und 0.3 mm. SCUBA, das erfolgreichste Instrument an diesem Teleskop, ermöglicht bei 850 μm, Sternentstehungsgebiete im Universum bei Rotverschiebungen größer als z = 1 zu beobachten, deren optische Emission praktisch völlig von Staub absorbiert wird. Um die winzigen Temperaturfluktuationen der kosmischen Hintergrundstrahlung zu vermessen, benötigt man extrem stabile Beobachtungsbedingungen sowie sehr rauscharme Empfänger. Um von der thermischen Strahlung der Atmosphäre möglichst wenig gestört zu sein, wurden Ballons und Satelliten gebaut. Der amerikanische Satellit COBE (Cosmic Background Explorer) hat zum ersten Mal die Anisotropien des CMB vermessen, wobei Wellenlängen von einigen Millimetern benutzt wurden. Zusätzlich wurde das Frequenzspektrum des CMB präzise vermessen. Der WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) Satellit hat wie COBE eine vollständige Himmelsdurchmusterung durchgeführt, aber mit deutlich verbesserter Winkelauflösung und Empfindlichkeit. Die ersten im
1. Einleitung und Überblick 24 Abb. 1.22. Das 30-Meter-Teleskop auf dem Pico Veleta, welches für den MillimeterBereich des Spektrums gebaut wurde. Dieses Teleskop befindet sich, wie alle Millimeter-Teleskope, auf einem Berg, um die Säulendichte von Wasser in der Atmosphäre zu minimieren
Abb. 1.23. Das JCMT hat eine Schüssel mit einem Durchmesser von 15 Metern. Sie wird von dem größten Einzelstück Gore-Tex geschützt, welches im Submillimeterbereich eine Durchlässigkeit von 97% hat
Februar 2003 veröffentlichten Ergebnisse von WMAP haben zu einem enormen Fortschritt in der Kosmologie geführt. Neben den Untersuchungen des CMB sind diese Missionen auch für die Millimeter-Astronomie von großer Bedeutung, denn neben der kosmischen Hintergrundstrahlung beobachten diese Satelliten natürlich auch die Mikrowellenstrahlung der Milchstraße und anderer Galaxien.
1.3.2
Infrarot-Teleskope
Im Wellenlängenbereich 1 μm λ 300 μm sind Beobachtungen von der Erdoberfläche nicht oder nur unter schwierigen Bedingungen möglich. Im NahInfraroten (NIR, 1 μm λ 2.4 μm) gibt es einige Fenster der Atmosphäre, die eine bodengebundene Beobachtung ermöglichen. Im mittleren Infrarot (MIR)
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 25
Abb. 1.24. Links: IRAS im Orbit (künstlerische Darstellung). Das Projekt war eine Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden, den USA und Großbritannien. IRAS wurde im Januar 1983 gestartet und beobachtete zehn Monate lang – dann war der Vorrat an flüssigem Helium verbraucht, der zur Kühlung der Detektoren notwendig
war. In dieser Zeit rasterte IRAS 96% des Himmels in vier Wellenlängen. Rechts: Der ISO-Satellit, ein Projekt der ESA, flog von 1995 bis 1998. Gegenüber IRAS hatte ISO einen größeren Wellenlängenbereich, eine höhere Auflösung und eine tausendmal höhere Empfindlichkeit
bei 2.4 μm λ 20 μm und im ferninfraroten Bereich (FIR, 20 μm λ 300 μm) sind Beobachtungen nur oberhalb der Atmosphäre möglich, d. h. von Ballons, hochfliegenden Flugzeugen oder Satelliten aus. Dabei müssen die Instrumente stark gekühlt werden, da sonst ihre eigene thermische Strahlung jedes Signal überstrahlen würde. Erste nennenswerte Beobachtungen im Ferninfraroten wurden mit dem Kuiper Airborne Observatory (KAO), einem Flugzeug, gemacht, welches mit einem 91 cm Spiegel in Höhen bis zu 15 km beobachten konnte. Der Durchbruch der IR-Astronomie kam jedoch erst mit dem Satelliten IRAS, dem InfraRed Astronomical Satellite (Abb. 1.24). Mit seinem 60 cm Teleskop erstellte IRAS im Jahre 1983 die erste IR-Himmelskarte bei 12, 25, 60 und 100 μm mit einer Winkelauflösung von 30 (bzw. 2 ) bei 12 (bzw. 100) μm und entdeckte dabei etwa eine Viertelmillion Punktquellen sowie etwa 20 000 ausgedehnte Quellen. Die Positionsgenauigkeit der Punktquellen von besser als ∼ 20 erlaubte die Identifikation der Objekte im optischen Bereich. Als
vielleicht wichtigste Entdeckung von IRAS sei hier die Identifikation von Galaxien erwähnt, die den größten Teil ihrer Energie im FIR-Bereich des Spektrum emittieren. Diese oft als IRAS-Galaxien bezeichneten Quellen haben eine hohe Sternbildungsrate, wobei das UV-Licht der jungen Sterne von Staub absorbiert und als thermische Strahlung im FIR reemittiert wird. IRAS hat etwa 75 000 solcher UltraLuminous IR Galaxies (ULIRGs) entdeckt. Im Gegensatz zur IRAS-Mission, deren Zielsetzung eine Himmelsdurchmusterung war, wurden mit dem Infrared Space Observatory ISO (Abb. 1.24) ausgewählte Objekte und Himmelsregionen im Wellenlängenbereich von 2.5 μm bis 240 μm beobachtet. Obgleich das Teleskop von ISO den gleichen Durchmesser hatte wie das von IRAS, ist die Winkelauflösung bei 12 μm etwa hundertmal besser als IRAS, dessen Auflösung durch die Größe der Bildelemente des Detektors begrenzt wurde. Die Empfindlichkeit von ISO überstieg die von IRAS um einen Faktor ∼ 1000. ISO trug vier Instrumente, jeweils zwei Kameras und zwei Spektrographen.
1. Einleitung und Überblick 26
Zu den wichtigsten Ergebnissen von ISO im extragalaktischen Bereich zählen die räumlich aufgelösten Beobachtungen der von Staub eingehüllten Sternentstehungsgebiete in ULIRGs. Obwohl die Mission beendet ist, geht die wissenschaftliche Auswertung der Daten in großem Umfang weiter, denn ISO-Daten sind bisher noch einzigartig im Infraroten. Allerdings wurde im Jahre 2003 ein neuer InfrarotSatellit gestartet (Spitzer Space Telescope), dessen Möglichkeiten weit über die von ISO hinausgehen. Mit seinem 85 cm Teleskop beobachtet Spitzer bei Wellenlängen zwischen 3.6 und 160 μm. Die IRAC (Infrared Array Camera) Kamera, die bei Wellenlängen unterhalb von ∼ 9 μm arbeitet, hat ein Gesichtsfeld von 5. 2 × 5. 2 und 256 × 256 Pixel, deutlich mehr als die hinsichtlich der Wellenlänge vergleichbare ISOCAM mit 32 × 32 Pixel. Die spektrale Auflösung des IRS Instruments (Infrared Spectrograph) im MIR liegt im Bereich von etwa R = λ/Δλ ∼ 100.
1.3.3
Optische Teleskope
Die Atmosphäre ist im optischen Bereich des elektromagnetischen Spektrums (0.3 μm λ 1 μm) durchlässig, so dass man vom Boden aus beobachten kann. Für die atmosphärischen Fenster im NIR-Bereich werden i. A. die gleichen Teleskope benutzt wie für die optische Astronomie, so dass wir hier zwischen den beiden Bereichen nicht unterscheiden werden. Obgleich optische Astronomie schon seit vielen Jahrzehnten betrieben wird, war deren Entwicklung in den letzten Jahren rasant. Dies ist verbunden mit einer ganzen Reihe von technischen Entwicklungen. Zum einen wurde 1993 mit dem 10-m Keck Telescope das erste optische Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von mehr als 6 Metern in Betrieb genommen. Der Bau solch großer Teleskope wurde ermöglicht durch die Entwicklung von adaptiver Optik zur Kontrolle der Spiegelfläche, denn Spiegel dieser Größe sind nicht mehr formstabil. Weiterhin wurde erkannt, dass ein Teil der Luftturbulenzen, die für das Seeing verantwortlich sind, durch das Teleskop und seine Kuppel selbst hervorgerufen wird. Durch Verbesserung der thermischen Bedingungen der Teleskope und der Kuppelstrukturen wurde eine Reduzierung des Seeings erreicht. Die bereits erwähnte Ablösung der Photo-
platten durch die CCDs und deren Verbesserungen haben zu einer Quanteneffizienz geführt, die mit nun ∼ 70% (maximal sogar bis über 90%) kaum noch steigerungsfähig ist. Der Durchsatz von optischen Teleskopen wurde enorm gesteigert, indem zum einen Weitwinkel-CCD-Kameras gebaut wurden, von denen die zur Zeit größten ein Gesichtsfeld von einem Quadratgrad einnehmen und ∼ 16 000 × 16 000 Pixel bei einer Pixelskala von ∼ 0.2 besitzen. Zum anderen wurden Multi-Objekt-Spektrographen gebaut, mit denen man die Spektren von vielen Objekten gleichzeitig aufnehmen kann – die größten von ihnen können mehrere hundert Quellen gleichzeitig spektroskopieren. Und schließlich wurde mit dem Hubble Space Telescope die räumliche Auflösung von optischen Beobachtungen um einen Faktor ∼ 10 gesteigert. Weitere Entwicklungen, die in naher Zukunft das Feld weiter revolutionieren werden, wie Interferometrie im nahen IR/Optischen und Aktive Optik, werden bald dazu kommen. Weltweit gibt es zur Zeit etwa 13 optische Teleskope der 4-Meter Klasse. Diese unterscheiden sich hauptsächlich bezüglich ihres Standorts und ihrer Instrumentierung. So ist etwa das Canada-France-Hawaii Telescope (CFHT) auf dem Mauna Kea (Abb. 1.25) aufgrund des vorzüglichen Seeings seit Jahren Spitzenreiter im Bereich der Weitwinkelphotometrie, was durch die Installierung von Megacam, einer Kamera mit 18 000 × 18 000 Pixel, unterstrichen wird. Das AngloAustralian Telescope (AAT) in Australien hingegen hat deutlich schlechteres Seeing und hat sich deshalb u. a. spezialisiert auf Multi-Objekt-Spektroskopie, wie etwa mit dem 2dF (two degree field) Instrument. Die meisten dieser Teleskope sind auch mit NIR-Instrumenten ausgestattet. Dabei spielt das New Technology Telescope (NTT; Abb. 1.26) eine besondere Rolle, weil es mit der SOFI-Kamera seit vielen Jahren ein NIR-Instrument besitzt, das neben einem großen Gesichtsfeld von ∼ 5 × 5 auch ausgezeichnete Bildqualität aufweist. Hubble Space Telescope. Um dem größten Problem der boden-gebundenen optischen Astronomie zu begegnen, spekulierte schon in den zwanziger Jahren der Raketenforscher Hermann Oberth über Teleskope im All, die von den Einflüssen der Erdatmosphäre nicht betroffen wären. 1946 griff der Astronom Lyman Spitzer
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 27 Abb. 1.25. Teleskope auf dem Mauna Kea, einem 4200 Meter hohen Berg in Hawaii. Vorne in der zylindrischen Kuppel ist das Subaru 8-m Teleskop, dahinter die beiden 10-m Keck-Teleskope. Die beiden großen Kuppeln in der Mitte beherbergen das Canada-France-Hawaii Telescope (CFHT, 3.6-m) und das 8-m Gemini-North. Das Teleskop unten rechts ist das 15-m James Clerk Maxwell sub-mm Teleskop (JCMT)
Abb. 1.26. Das La Silla-Observatorium der ESO in Chile. Im Vordergrund sieht man das New Technology Telescope (NTT), ein 3.5-m Prototyp des VLT. Die silbrig glänzende Kuppel ist das MPG/ESO 2.2-m Teleskop, das z. Zt. mit dem WideField-Imager, einer 80962 Pixel Kamera mit 0.5 Grad Gesichtsfeld, ausgestattet ist. Das Bild ist aufgenommen vom 3.6-m Teleskop, dem größten auf La Silla
diese Frage auf und erörterte die Möglichkeit und Durchführung eines solchen Projektes. Bereits kurz nach Gründung der NASA im Jahre 1958 wurde ein großes Weltraumteleskop als weitläufiges Ziel deklariert. Nach mehreren Machbarkeitsstudien und dem Einwilligen der ESA, sich an dem Projekt zu beteiligen, wurde das HST gebaut. Allerdings verzögerte sich der Start durch die Explosion des Space Shuttle ,,Challenger“ im Jahre 1986, so dass er erst am 24. April 1990 erfolgte. Kurze Zeit später wurde festgestellt, dass der 2.4 m Hauptspiegel zur falschen
Form geschliffen war. Dies wurde erst im Dezember 1993 durch die erste ,,servicing mission“ (eine Serie von Reparaturmissionen zum HST; siehe Abb. 1.27) durch eine Korrekturoptik behoben. Danach wurde das HST eines der erfolgreichsten und bekanntesten wissenschaftlichen Instrumente. Das HST besitzt zwei optische Kameras, die WFPC2 (Wide Field and Planetary Camera) und seit 2002 die ACS (Advanced Camera for Surveys); letztere hat ein Gesichtsfeld von 3. 4 × 3. 4, etwa doppelt so groß wie WFPC2, und 4000 × 4000 Pixel. Daneben gab es das STIS (Space Telescope
1. Einleitung und Überblick 28
Abb. 1.27. Links: Das HST am Shuttle-Ausleger-Arm während einer der Reperaturmissionen. Rechts: Das Hubble Deep Field (North), das im Dezember 1995 aufgenommen und einen
Monat später veröffentlich wurde. Zur Erstellung dieses bis dahin tiefsten Bildes des Himmels wurden Aufnahmen in vier verschiedenen Farbfiltern kombiniert
Imaging Spectrograph) Instrument, das vor allem im UV und bei kurzen optischen Wellenlängen operierte; wegen eines Defekts wurde STIS im Jahre 2004 abgeschaltet. Mit NICMOS (Near Infrared Camera and Multi Object Spectrograph) besitzt das HST auch ein NIR-Instrument. Die gegenüber der Erdoberfläche deutlich reduzierte Wärmestrahlung führte zu einem großen Fortschritt in der NIR-Astronomie, allerdings mit sehr kleinem Gesichtsfeld. Das HST hat wichtige Erkenntnisse über unser Sonnensystem und zur Sternentstehung geliefert, aber insbesondere für die extragalaktische Astronomie hat es Meilensteine gesetzt. Mit HST-Beobachtungen des Kerns von M87 konnte durch Messung der Doppler-Verschiebung der Gasemission indirekt darauf geschlossen werden, dass sich im Zentrum dieser Galaxie ein Schwarzes Loch mit 2 Milliarden Sonnenmassen befindet. Auch in anderen Galaxien und AGNs hat das HST inzwischen Schwarze Löcher nachgewiesen. Die enorm verbesserte Winkelauflösung erlaubte das Studium von Galaxien in bislang unbekanntem Detail. In
diesem Buch werden wir sehr häufig über Ergebnisse berichten, die vom HST gewonnen wurden. Der vielleicht wichtigste Beitrag des HST zur extragalaktischen Astronomie sind die Hubble Deep Fields. Forscher konnten den damaligen Direktor des Space Telescope Science Institutes, Robert Williams, dafür begeistern, das HST einen ,,leeren“ Teil des Himmels beobachten zu lassen, also ein Feld mit (fast) keinen Vordergrundsternen sowie ohne bekannte Galaxienhaufen. Dabei war zunächst nicht offensichtlich, ob man überhaupt etwas Interessantes sehen würde. Mit der Beobachtungszeit, die dem Direktor zur Vergabe zur Verfügung steht (,,director discretionary time“), wurde im Dezember 1995 zehn Tage lang ein solches Feld im Großen Bären anvisiert. Das Ergebnis war das Hubble Deep Field North (HDFN), einer der wichtigsten astronomischen Datensätze, der in Abb. 1.27 dargestellt ist. Durch das HDFN und seinem südlichen Gegenstück HDFS lassen sich Aussagen über die Frühstadien von Galaxien und ihre Entwicklung machen. Eine der ersten dieser Aussagen war die Feststellung, dass die
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 29 Abb. 1.28. Die beiden Keck-Teleskope auf dem Mauna Kea. Mit Keck I wurde im Jahre 1993 die Ära der großen Teleskope eingeläutet
meisten der frühen Galaxien als irregulär klassifiziert werden. Im Jahre 2002 wurde mit der damals neu installierten ACS Kamera das Hubble Ultra Deep Field (HUDF) aufgenommen, das nicht nur eine etwa doppelt so große Fläche aufweist wie das HDFN, sondern auch noch etwa eine Magnitude tiefer reicht, aufgrund der höheren Empfindlichkeit von ACS gegenüber WFPC2. Große Teleskope. Für mehr als 40 Jahre war das 5-Meter-Teleskop auf dem Mt. Palomar das größte Teleskop der (westlichen) Welt – das russische 6-mTeleskop hatte von Beginn an große Probleme. Seit 1993 gibt es eine neue Klasse von Teleskopen, von denen die beiden Keck-Teleskope (siehe Abb. 1.28) mit jeweils 10 Meter Spiegeldurchmesser die ersten waren. Der Standort der beiden Kecks auf dem 4200 m hohen Mauna Kea erlaubt beste Beobachtungsbedingungen während vieler Nächte pro Jahr, und dieser Gipfel ist die Heimat vieler Großteleskope. Auch das neue japanische 8-Meter Teleskop Subaru ist dort stationiert, genau wie die bereits erwähnten CFHT und JCMT. Die erhebliche Steigerung in der Empfindlichkeit durch Keck hat gerade im Bereich der Spektroskopie zu völlig neuen Erkenntnissen geführt, wie etwa bei der Absorptionslinien-Spektroskopie von Quasaren. Keck war ebenfalls an der spektroskopischen Verifizierung von unzähligen Galaxien mit Rotverschiebung z 3 beteiligt, die in der Regel so lichtschwach sind, dass man
sie mit kleineren Teleskopen nicht mehr untersuchen kann. Das bislang größte bodengebundene TeleskopProjekt war der Bau des Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO), bestehend aus 4 Teleskopen mit jeweils 8.2 m Durchmesser. Die ESO betreibt in Chile das La Silla Observatorium (siehe Abb. 1.26), fand aber einen geeigneteren Standort für das VLT, den Cerro Paranal (2600 m hoch). Dieser Berg liegt in der Atacama Wüste, einer der trockendsten Gegenden der Erde. Um Teleskope auf diesen Berg stellen zu können, musste seine Spitze zunächst abgetragen werden (Abb. 1.29). Im Gegensatz zu den Keck-Teleskopen, deren Hauptspiegel in 36 hexagonalen Elementen segmentiert sind, sind die Spiegel des VLT monolithisch, d. h. die bestehen aus einem Stück; allerdings sind sie sehr dünn, verglichen zum 5-m Spiegel auf dem Mount Palomar, viel zu dünn, um sich selbst gegen die (mit der Teleskopausrichtung sich ändernden) Gravitationskräfte zu stabilisieren. Die Form der Spiegel muss daher, genau wie bei den Kecks, elektronisch kontrolliert werden (siehe Abb. 1.30, rechts). Die monolithische Struktur der Spiegel liefert eine bessere Bildqualität als das Keck-Teleskop: die Punktbildfunktion ist wesentlich einfacher als beim Keck. Jedes der vier Teleskope hat 3 zugängliche Foci; dadurch können am VLT gleichzeitig 12 Instrumente montiert sein. Der Instrumentenwechsel findet
1. Einleitung und Überblick 30
Abb. 1.29. Das linke Bild zeigt eine Karte des Standorts des VLT auf dem Cerro Paranal. Dorthin gelangt man über Antofagasta, etwa zwei Flugstunden nördlich von Santiago de Chile. Von dort aus sind es weitere drei Stunden Fahrt (siehe Abb. 1.30). Rechts ist der Paranal während der Bauphase des
VLT zu sehen, im Bild-Vordergrund das Camp. Die Spitze des Berges wurde abgetragen, um einen flachen Platz (mit Durchmesser ∼ 300 m) zu erhalten, der groß genug für die Teleskope und die Einrichtungen für die optische Interferometrie (VLTI) ist
Abb. 1.30. Links: Transport eines der VLT-Spiegel von Antofagasta zum Paranal; praktisch der gesamte Weg führt durch eine extrem trockene Wüste, ein Großteil der Straße ist nicht geteert. Das VLT ist daher auch ein deutliches Beispiel dafür, dass Astronomen immer entlegenere Standorte aufsuchen, um bestmögliche Beobachtungsbedingungen zu bekommen. Rechts: Das Aktive-Optik-System am VLT: Jeder Spiegel wird an 150 Stellen gelagert; diese Lagerpunkte werden zur richtigen Deformation der Spiegel geregelt. Der Primärspiegel
ist stets so geformt, dass das Licht optimal fokussiert wird, und damit für die sich durch Drehung der Spiegel ändernden Schwerkräfte korrigiert. Bei der Adaptiven Optik hingegen wird die Wellenfront kontrolliert und das Spiegelsystem mit großer Frequenz so deformiert, dass sie nach Durchgang durch das optische System möglichst flach ist; damit kann für die sich ständig ändernden atmosphärischen Bedingungen korrigiert werden, und Bilder mit beugungsbegrenzter Auflösung können erzielt werden
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 31 Abb. 1.31. Das Paranal-Observatorium nach der Fertigstellung der Kuppeln für die vier VLT-Teleskope. Das Schienensystem im Vordergrund wurde für zusätzliche, kleinere Teleskope gebaut, die inzwischen gemeinsam mit den VLT-Teleskopen für Interferometrie-Beobachtungen im NIR eingesetzt werden
durch Umlenkspiegel statt. Die feste Montierung der Instrumente ermöglicht deren stabilen Betrieb. Mit dem VLT (Abb. 1.31) beginnt eine neue Form der Beobachtung an bodengebundenen optischen Großteleskopen. Während bisher ein Antragsteller bestimmte Nächte zugeteilt bekam, in denen er mit dem Teleskop beobachten konnte, wird das VLT hauptsächlich im sog. Service-Mode betrieben: Die Beobachtungen werden von lokalen Astronomen durchgeführt und die Daten an den antragstellenden Astronomen geschickt. Ein wesentlicher Vorteil dieser Methode besteht darin, dass besser auf spezielle Voraussetzungen an die Beobachtungsbedingungen eingegangen werden kann: Beobachtungen, die besonders gutes Seeing brauchen, können bei entsprechenden Wetterbedingungen durchgeführt werden. Die Erfolgschancen, einen nützlichen Datensatz zu erhalten, werden dadurch erhöht. Zur Zeit werden etwa die Hälfte aller Beobachtungen mit dem VLT im Service-Mode gemacht. Der andere Aspekt von Service-Observing ist, dass dem Astronomen die Reise erspart bleibt (siehe Abb. 1.30), dadurch aber auch das Erlebnis des Beobachtens verloren geht.
1.3.4
UV-Teleskope
Wellenlängen kürzer als λ 0.3 μm = 3000 Å können die Erdatmosphäre nicht durchdringen, sondern werden von der Ozonschicht absorbiert. Andererseits wird Strahlung mit Wellenlängen unterhalb von 912 Å von neutralem interstellarem Wasserstoff absorbiert. Der Bereich zwischen diesen Wellenlängen ist der UVBereich, in dem nur vom Weltall aus Beobachtungen möglich sind. Der IUE (International Ultraviolet Explorer) hat von 1978 bis 1996 beobachtet und war ein bemerkenswert produktives Observatorium. Das HST mit seinem sehr viel größeren Spiegel stellt den nächsten Schritt der UV-Astronomie dar, wobei allerdings nach dem Ausfall von STIS im Jahre 2004 kein UVInstrument mehr auf dem HST arbeitet. Das HST hat insbesondere bei der Spektroskopie von Quasaren im UV-Bereich sehr viele neue Erkenntnisse gewonnen, zum einen über die Quasare selbst, aber auch mittels der Absorptionslinien im Spektrum über das intergalaktische Medium in der Sichtlinie zu den Quellen. Der Satellit FUSE (Far Ultraviolet Spectroscopic Ex-
1. Einleitung und Überblick 32
plorer) wurde 1999 gestartet. Durch UV-Spektroskopie der Absorptionslinien von hellen Quasaren hat dieser Satellit eine Fülle an Information über den Zustand und die chemische Zusammensetzung des intergalaktischen Mediums geliefert. Während ein Großteil der Beobachtungen mit UV-Satelliten der hochaufgelösten Spektroskopie von Sternen und AGNs gewidmet war, wurde im Jahre 2003 mit dem GALEX-Satelliten eine Mission gestartet, deren Hauptziel die Erstellung von ausgedehnten photometrischen Surveys darstellt. GALEX beobachtet bei Wellenlängen 1350 Å λ 2830 Å und wird sowohl eine vollständige Himmelsdurchmusterung durchführen als auch kleinere Himmelsregionen mit längerer Belichtungszeit abbilden. Weiterhin werden einige spektroskopische Durchmusterungen erstellt. Die Ergebnisse von GALEX werden insbesondere für das Studium der Sternbildungsrate in nahen und fernen Galaxien von großer Bedeutung sein.
1.3.5
Röntgen-Teleskope
Wie oben erwähnt absorbiert das interstellare Gas Strahlung mit Wellenlängen unterhalb von 912 Å, der so genannten Lyman-Kante. Dies entspricht der Ionisationsenergie von Wasserstoff im Grundzustand, die 13.6 eV beträgt. Erst bei Energien, die etwa das Zehnfache betragen, wird das ISM wieder transparent – dort beginnt der Bereich der Röntgenastronomie. Bei ihr wird die Frequenz des Lichts üblicherweise nicht in Hertz (oder die Wellenlänge in μm) gemessen, sondern Photonen werden durch ihre Energie charakterisiert, gemessen in Elektronenvolt (eV). Die Anfänge der Röntgen-Astronomie liegen in den sechziger Jahren: Auf Raketen und Ballons montierte Teleskope, die eigentlich die Sonne im Röntgenbereich beobachten sollten, empfingen auch Signale von außerhalb des Sonnensystems. Mit UHURU, dem ersten Satelliten für rein kosmische Röntgenstrahlung, wurde 1970 die erste Röntgen-Himmelskarte erstellt, wobei etwa 340 Quellen entdeckt wurden. Mehrere Nachfolgemissionen erweiterten den Katalog an Punktquellen, besonders NASAs High Energy Astrophysical Observatory (HEAO-1), welches auch als erstes eine diffuse Röntgenhintergrundstrahlung detektierte. Für HEAO-2, auch bekannt als EINSTEIN, wurde zum ersten Mal ein
Wolter-Teleskop zur Abbildung benutzt, wodurch die Empfindlichkeit fast tausendmal erhöht wurde. Auch revolutionierte EINSTEIN die Röntgenastronomie durch seine hohe Winkelauflösung von etwa 2 im Bereich zwischen 0.1 bis 4 keV. Zu den großen Entdeckungen von EINSTEIN zählte die Röntgenstrahlung vieler Galaxienhaufen, mit der ein heisses Gas zwischen den Galaxien der Haufen nachgewiesen wurde, dessen Masse die der Sterne in den Galaxien deutlich übertraf. Der nächste große Schritt für die Röntgenastronomie war ROSAT (ROentgen SATellite; Abb. 1.32), der im Jahre 1990 gestartet wurde. Während der ersten sechs Monate der neun Jahre langen Mission produzierte ROSAT eine Himmelskarte mit weit höherer Auflösung als UHURU, der als ROSAT All Sky Survey bezeichnet wird. In ihm sind ca. 105 Einzelquellen nachgewiesen worden, die meisten von ihnen AGNs. In der darauf folgenden Phase der pointierten Beobachtungen untersuchte ROSAT unter anderem Galaxienhaufen und AGNs, wobei eines der beiden Instrumente (PSPC) spektrale Information im Bereich zwischen 0.1 und 2.4 keV lieferte und dabei eine Winkelauflösung von ∼ 20 besaß, während das andere (HRI) eine erheblich bessere Winkelauflösung hatte (∼ 3 ), aber keine spektrale Information erzielte. Mit dem japanischen ASCA (Advanced Satellite for Cosmology and Astrophysics) wurde 1993 ein Röntgensatellit gestartet, der in einem deutlich breiteren Energiebereich von 0.5 bis 12 keV beobachten konnte und Spektren besserer Auflösung lieferte, allerdings mit verminderter Winkelauflösung. Seit 1999 fliegen zwei neue leistungsstarke Satelliten: NASAs Chandra und ESAs XMM-Newton (X-ray Multi-Mirror Mission; siehe Abb. 1.32). Beide haben eine große Sammelfläche und eine hohe Winkelauflösung, aber auch in der Röntgenspektroskopie werden neue Maßstäbe gesetzt. Gegenüber ROSAT ist der Energiebereich dieser beiden Observatorien stark verbreitert, etwa zwischen 0.1 und 10 keV. Die Winkelauflösung von Chandra beträgt etwa 0.5 und ist damit zum ersten Mal mit der Auflösung optischer Teleskope vergleichbar. Diese Winkelauflösung hat bereits in den ersten Jahren des Betriebs zu großen Entdeckungen geführt, wie etwa scharfe Strukturen des Gases in Galaxienhaufen oder der Nachweis der Röntgenstrahlung von Jets von AGNs, die zuvor im Radiobereich beobachtet wurden. Weiterhin hat Chandra eine Klasse von Röntgenquellen entdeckt, die als Ultraluminous Compact
1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie 33
Abb. 1.32. Links: ROSAT, eine deutsch-amerikanischbritische Zusammenarbeit, flog von 1990 bis 1999. Die Beobachtungen fanden in einem Energiebereich zwischen 0.1 und 2.5 keV statt (weiche Röntgenstrahlung). Oben rechts: Chandra wurde im Juli 1999 gestartet. Der Energiebereich
der Instrumente liegt zwischen 0.1 und 10 keV. Durch einen sehr elliptischen Orbit sind lange Belichtungszeiten möglich. Unten rechts: XMM-Newton wurde im Dezember 1999 gestartet und soll zehn Jahre lang genutzt werden. Beobachtet wird zwischen 0.1 und 15 keV mit drei Teleskopen
X-ray Sources (ULXs) bezeichnet werden und bei denen es sich vermutlich um Prozesse bei der Bildung von Schwarzen Löchern handelt (Abschn. 9.6). Gegenüber Chandra besitzt XMM-Newton eine größere Empfindlichkeit, allerdings bei verminderter Winkelauflösung. Zu den wichtigsten Beobachtungen von XMM-Newton zu Beginn seines Betriebs zählt die Spektroskopie von AGNs und Galaxienhaufen.
(zum Glück für die Lebewesen auf der Erde) von der Erdatmosphäre absorbiert. Die ersten Beobachtungen (Ballons, Raketen, Satelliten) lieferten Flüsse von weniger als 100 Photonen. Gamma-Photonen können Energien im Bereich von GeV und darüber hinaus haben. Detailliertere Beobachtungen wurden mit den Satelliten SAS-2 und COS-B möglich. Sie erstellten eine Karte der Galaxis, bestätigten die GammaHintergrundstrahlung und beobachteten zum ersten Male Pulsare mit Gamma-Strahlung. Die ersten Gamma-Ray-Bursts (GRB) wurden in den siebziger Jahren detektiert – von amerikanischen Militärsatelliten. Jedoch schaffte es erst der italienisch-
1.3.6
Gamma-Teleskope
Die Existenz von Gamma-Strahlung wurde bereits in den fünfziger Jahren postuliert, jedoch wird auch sie
1. Einleitung und Überblick 34
Abb. 1.33. Links: Das Compton Gamma Ray Observatory (CGRO) am Shuttle-Ausleger. Der NASA-Satellit beobachtete von 1991 bis 2000. Aufgrund eines defekten Gyroskops wurde er schließlich abgeschaltet und zum kontrollierten
Verglühen in der Erdatmosphäre gebracht. Rechts: Das INTEGRAL-Observatorium der ESA, welches seit 2002 in Operation ist
niederländische Satellit BeppoSAX (1996 bis 2002), den ersten GRB zu lokalisieren; wir kommen darauf in Abschn. 9.7 zurück. Ein gewaltiger Fortschritt für die Hoch-EnergieAstronomie wurde mit dem Compton Gamma Ray Observatory (CGRO; Abb. 1.33) erzielt. Dieser Satellit wurde 1991 gestartet und beobachtete neun Jahre lang. Er trug vier verschiedene Instrumente, darunter das Burst And Transient Source Experiment (BATSE) und das Energetic Gamma Ray Experiment Telescope (EGRET). BATSE hat während seiner Lebensdauer mehr als 2000 GRBs entdeckt und ganz erheblich zur
Aufklärung der Natur dieser rätselhaften Gamma-Blitze beigetragen. EGRET hat u. a. viele AGNs bei sehr hohen Energien von oberhalb 20 MeV entdeckt, was auf ganz extreme Prozesse in diesen Quellen hindeutet. Der Nachfolger vom CGRO, INTEGRAL, wurde Ende 2002 als ESA-Mission mit einer russischen Proton-Rakete gestartet. Mit seinem Gewicht von zwei Tonnen ist er der schwerste bislang gestartete ESA-Satellit. Er beobachtet bei Energien von 15 keV bis 10 MeV im Gamma-Bereich, besitzt aber zusätzlich Instrumente für Beobachtungen im optischen und Röntgen-Bereich.
35
2. Die Galaxis als Galaxie Die Erde umkreist die Sonne, die wiederum das Zentrum unserer Milchstraße umkreist. Unsere Milchstraße, die Galaxis, ist die einzige Galaxie, in der wir physikalische Prozesse im Detail untersuchen können. Deshalb beginnt unser Streifzug durch die extragalaktische Astronomie in unserer Heimat, die wir erst einmal besser kennenlernen müssen, bevor wir uns in die Weiten des Weltalls begeben. Dies ist zum Verständnis anderer Galaxien unumgänglich.
2.1
Galaktische Koordinaten
Außerhalb von Städten kann man in klaren Nächten das Band der Milchstraße (Abb. 2.1) am Himmel eindrucksvoll betrachten. Diese Beobachtung legt nahe, dass die Verteilung der Sterne in der Galaxis im Wesentlichen eine dünne Scheibe darstellt. Dieser Eindruck bestätigt sich durch detaillierte Beobachtungen der Geometrie der Stern- und Gasverteilung. Die Form der Galaxis motiviert daher auf natürliche Weise die Einführung eines speziellen, ,,angepassten“ Koordinatensystems.
tischen Koordinaten und b sind Winkelkoordinaten an der Sphäre. Dabei bezeichnet b die Galaktische Breite, den Winkelabstand einer Quelle von der Galaktischen Ebene, wobei b ∈ [−90◦ , +90◦ ]. Der Großkreis b = 0◦ liegt daher gerade in der Galaktischen Scheibe. Die Richtung b = 90◦ steht senkrecht zur Scheibe und bezeichnet den Galaktischen Nordpol (North Galactic Pole, NGP), während b = −90◦ die Richtung zum Galaktischen Südpol (South Galactic Pole, SGP) bezeichnet. Die zweite Winkelkoordinate ist die Galaktische Länge , wobei ∈ [0◦ , 360◦ ]. Sie misst den Winkelabstand einer Quelle innerhalb der Scheibe zum Galaktischen Zentrum, das die Winkelkoordinaten b = 0◦ und = 0◦ hat. Als dritte Dimension kommt dazu noch die Entfernung, die ein Objekt von uns hat. Die Umrechnung der Positionen von Quellen zwischen diesen Galaktischen Koordinaten (b, ) und den äquatorialen Koordinaten (α, δ) erfolgt mittels sphärischer Trigonometrie.1 Die dafür notwendigen Umrechnungsformeln findet man in vielen Standardwerken. Wir wollen sie hier nicht reproduzieren,
Abb. 2.1. Eine ungewöhnliche optische Aufnahme der Milchstraße: aus vielen Einzelaufnahmen wurde eine Gesamtansicht der Galaxis, wie wir sie sehen, zusammengesetzt
Sphärische Galaktische Koordinaten (, b). Wir betrachten dazu ein sphärisches Koordinatensystem, dessen Zentrum sich ,,hier“ befindet, also am Ort der Sonne (siehe Abb. 2.2). Die Galaktische Ebene ist die Ebene der Galaktischen Scheibe, d. h. sie ist parallel zum Band der Milchstraße. Die beiden Galak-
1 Die
äquatorialen Koordinaten sind definiert durch die Erdachse und die Rotation der Erde. Die Schnittpunkte der Erdachse mit der Sphäre sind der nördliche bzw. südliche Himmelspol. Großkreise an der Sphäre durch diese beiden Pole, also Längenkreise, sind Kurven konstanter Rektaszension α. Kurven senkrecht dazu, entsprechend den Breitenkreisen, sind Kurven konstanter Deklination, wobei die beiden Pole sich bei δ = ±90◦ befinden.
2. Die Galaxis als Galaxie 36
entdeckt wurde – sie befindet sich bei kleinem b, also in der Zone of Avoidance.
Abb. 2.2. Im Zentrum des Galaktischen Koordinatensystems ist die Sonne; die Richtungen zum Galaktischen Zentrum und zum Galaktischen Nordpol sind ausgezeichnet und befinden sich bei = 0◦ und b = 0◦ , bzw. bei b = 90◦
weil heutzutage diese Umrechnung fast ausschließlich mittels Rechnerprogrammen durchgeführt wird. Stattdessen geben wir einige Beispiele (wobei die folgenden Zahlenangaben für die Epoche 2000 gelten). Die Position des Galaktischen Zentrums (bei = 0◦ = b) lautet in äquatorialen Koordinaten α = 17h 45.6m , δ = −28◦ 56. 2. Daraus schließt man unmittelbar, dass im Mai/Juni am La Silla Observatorium (dessen geographische Breite etwa −29◦ beträgt) das Galaktische Zentrum um Mitternacht nahe am Zenit steht. Aufgrund der hohen Sterndichte der Galaktischen Scheibe und der Extinktion durch Staub in der Scheibe ist dies also eine schlechte Zeit für extragalaktische Beobachtungen. Der Galaktische Nordpol hat die Koordinaten αGP = 192.85948◦ ≈ 12h 51m , δGP = 27.12825◦ ≈ 27◦ 7. 7. Zone of Avoidance. Wie bereits erwähnt, erschweren die Absorption durch Staub und die Anwesenheit heller Sterne die Beobachtungen extragalaktischer Quellen in Richtung der Scheibe. Die besten Beobachtungsbedingungen für die extragalaktische Astronomie finden sich deshalb bei großen |b|, während für |b| 10◦ die optische extragalaktische Astronomie sehr schwierig ist – man nennt sie deshalb oftmals ,,Zone of Avoidance“. Ein Beispiel ist die bereits in Abschn. 1.1 erwähnte Galaxie Dwingeloo 1 (siehe Abb. 1.6), die trotz ihrer unmittelbaren Nähe zu uns erst in den neunziger Jahren
Zylindrische Galaktische Koordinaten (R, θ, z). Während die oben eingeführten Winkelkoordinaten sich zur Beschreibung der Position einer Quelle relativ zur Galaktischen Scheibe eignen, werden wir zur Beschreibung der Geometrie der Milchstraße ein weiteres drei-dimensionales Koordinatensystem einführen, welches sich bei der Beschreibung der Kinematik und Dynamik der Milchstraße als äußerst nützlich erweisen wird. Es handelt sich dabei um ein zylindrisches Koordinatensystem, dessen Ursprung sich im Galaktischen Zentrum befindet (siehe auch Abb. 2.13). Die Radialkoordinate R misst den Abstand eines Objektes in der Scheibe vom Galaktischen Zentrum, während z die Höhe oberhalb der Scheibe angibt (Objekte mit negativen z befinden sich also ,,unterhalb“, d. h. südlich, der Galaktischen Scheibe). Beispielsweise hat die Sonne einen Abstand R ≈ 8 kpc vom Galaktischen Zentrum. Der Winkel θ misst den Winkelabstand eines Objektes in der Scheibe von der Position der Sonne, vom Galaktischen Zentrum aus betrachtet. Die Entfernung eines Objekts mit √ den Koordinaten R, θ, z vom Galaktischen Zentrum ist R2 + z 2 . Wäre die Materieverteilung der Milchstraße axial-symmetrisch, hinge die Dichte nur von R und z ab, nicht aber von dem Winkel θ. Da dies in guter Näherung zutrifft, ist dieses Koordinatensystem hervorragend für die physikalische Beschreibung der Galaxis geeignet.
2.2
Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis
Ein zentrales Problem der Astronomie ist die Bestimmung von Entfernungen. Die Position von Quellen an der Sphäre ergibt ein zwei-dimensionales Bild. Um dreidimensionale Information zu erhalten, ist die Messung der Entfernung notwendig. Weiterhin brauchen wir die Entfernung, um über physikalische Größen von Quellen etwas auszusagen. Wir können zwar den Winkeldurchmesser eines Objekts direkt beobachten, um aber den physikalischen Durchmesser zu erhalten, muss man die Entfernung kennen. Als weiteres Beispiel sei die Bestimmung der Leuchtkraft L einer Quelle erwähnt, die man aus dem beobachteten Fluss S nur mittels der
2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis 37
Entfernung D bestimmen kann, indem man L = 4πS D2
(2.1)
benutzt. Es ist nützlich, die Einheiten der hier auftretenden physikalischen Größen zu betrachten: Die Einheit der Leuchtkraft ist [L] = erg s−1 , während der Fluss die Einheit [S] = erg s−1 cm−2 hat. Der Fluss ist die Energie, die pro Zeiteinheit durch eine Einheitsfläche tritt (siehe Anhang A). Selbstverständlich werden die physikalischen Eigenschaften von Quellen durch die Leuchtkraft L charakterisiert, nicht durch den entfernungsabhängigen Fluss S. Wir werden daher in diesem Abschnitt verschiedene Methoden zur Bestimmung von Entfernungen innerhalb unserer Milchstraße kennenlernen. In Abschn. 3.6 wird dann die Entfernungsmessung extragalaktischer Quellen diskutiert. 2.2.1
Trigonometrische Parallaxe
Die nicht nur historisch wichtigste Methode der Entfernungsmessung beruht auf einem rein geometrischen Effekt und ist daher von physikalischen Annahmen nicht beeinflusst: die trigonometrische Parallaxe. Aufgrund der Bewegung der Erde um die Sonne verändern sich die Positionen naher Sterne an der Sphäre relativ zu denen sehr weit entfernter Quellen (wie etwa extragalaktischer Objekte, z. B. Quasare), die eine Art festes Koordinatensystem an der Sphäre festlegen (siehe Abb. 2.3). Im Laufe eines Jahres durchläuft die scheinbare Position eines nahen Sterns an der Sphäre eine Ellipse, deren große Halbachse als Parallaxe p bezeichnet wird. Das Achsenverhältnis dieser Ellipse hängt von der Richtung des Sterns relativ zur Ekliptik (der Ebene, die von den Bahnen der Planeten definiert wird) ab und ist nicht weiter von Interesse. Die Parallaxe hängt ab vom Radius r der Erdbahn, der eine Astronomische Einheit2 beträgt – also dem Abstand Erde–Sonne – und der Entfernung D des Sterns, r = tan p ≈ p , (2.2) D wobei wir im letzten Schritt p 1 benutzt haben und p, wie allgemein üblich, im Bogenmaß messen. 2 Genauer
gesagt ist die Erdbahn eine Ellipse, und eine Astronomische Einheit ist die große Halbachse dieser Bahn; sie beträgt 1 AU = 1.496 × 1013 cm.
Abb. 2.3. Illustration des Parallaxen-Effekts: Während des Umlaufs der Erde um die Sonne verschieben sich die scheinbaren Positionen naher Sterne am Himmel relativ zu der weit entfernter Quellen
Die trigonometrische Parallaxe wird benutzt, um die in der Astronomie übliche Einheit der Entfernung zu definieren: Ein Parsec (pc) ist die Entfernung einer hypothetischen Quelle, für die die Parallaxe gerade p = 1 beträgt. Mittels der Umrechnung von Bogensekunden auf Bogenmaß – 1 ≈ 4.848 × 10−6 – findet man p/1 = 206265 p, woraus sich für das Parsec ergibt 1 pc = 206 265 AU = 3.086 × 1018 cm .
(2.3)
Aus der gemessenen Parallaxe kann nun die Entfernung berechnet werden, D=
p −1 pc . 1
(2.4)
Zur Bestimmung von p muss die Position eines Objektes zu verschiedenen Zeiten des Jahres genau vermessen werden, um die durch seine scheinbare Position beschriebene Ellipse zu erhalten. Vom Boden aus sind dieser Methode durch die Atmosphäre Grenzen gesetzt, da diese aufgrund des Seeings zu einer
2. Die Galaxis als Galaxie 38
Verschmierung der Bilder von astronomischen Quellen führt, welche die Genauigkeit von Positionsmessungen beeinträchtigt. Deshalb ist diese Methode vom Erdboden beschränkt auf Parallaxen größer als ≈ 0.01. Die Entfernungsbestimmung mittels trigonometrischer Parallaxe vom Boden aus ist daher auf Sterne innerhalb von etwa 30 pc beschränkt. Eine Erweiterung der Anwendung dieser fundamentalen Methode zu kleineren p, und daher größeren Entfernungen, wurde durch den astrometrischen Satellit HIPPARCOS möglich. Dieser beobachtete zwischen November 1989 und März 1993 und vermaß dabei die Positionen und trigonometrischen Parallaxen von etwa 120 000 hellen Sternen, wobei die erreichten Genauigkeiten etwa ∼ 0.001 für die helleren Sterne betrug. Dadurch konnte diese Methode auf Sterne innerhalb von ∼ 300 pc ausgeweitet werden. Im Jahre 2012 soll der Satellit GAIA gestartet werden, der Nachfolger von HIPPARCOS. GAIA wird einen Katalog von ∼ 109 Sternen bis V ≈ 20 in vier Breitband- und elf Schmalbandfiltern erstellen und von ihnen die Parallaxen mit einer Genauigkeit von ∼ 2 × 10−4 Bogensekunden vermessen, wobei für hellere Sterne die Genauigkeit sogar sehr viel besser sein wird. Daher werden von ∼ 2 × 108 Sternen Entfernungen mit Genauigkeiten besser als 10% und Tangentialgeschwindigkeiten (siehe nächster Abschnitt) mit einer Genauigkeit von besser als 3 km/s bestimmt. 2.2.2
Eigenbewegungen
Sterne bewegen sich relativ zu uns, oder besser gesagt, relativ zur Sonne. Um die Kinematik der Milchstraße zu studieren, müssen wir in der Lage sein, die Geschwindigkeiten von Sternen zu vermessen. Dabei ist die radiale Komponente vr der Geschwindigkeit leicht über die Doppler-Verschiebung von Spektrallinien zu bestimmen, vr =
Δλ c , λ0
(2.5)
wobei λ0 die Ruhewellenlänge eines atomaren Übergangs bezeichnet und Δλ = λobs − λ0 die Verschiebung der Wellenlänge aufgrund der Relativgeschwindigkeit angibt. Man definiert das Vorzeichen der radialen Geschwindigkeit so, dass vr > 0 einer Bewegung von uns
weg gerichtet entspricht, also einer Rotverschiebung der Spektrallinien. Die Bestimmung der beiden anderen Geschwindigkeitskomponenten ist hingegen schwieriger. Die tangentiale Komponente vt der Geschwindigkeit ist messbar durch die Eigenbewegung (proper motion) von Objekten. Zusätzlich zu der durch die Parallaxe hervorgerufenen Bewegung ändern Sterne ihre Position an der Sphäre als Funktion der Zeit, weil sie sich relativ zu uns im Raum bewegen. Die Eigenbewegung μ ist daher eine Winkelgeschwindigkeit, die z. B. in Millibogensekunden pro Jahr (mas/yr) gemessen wird. Diese Winkelgeschwindigkeit hängt mit der tangentialen Geschwindigkeitskomponente über vt = Dμ oder
vt D μ = 4.74 km/s 1 pc 1 /yr (2.6)
zusammen. Daher kann man aus der Eigenbewegung und der Entfernung die Tangentialgeschwindigkeit bestimmen. Ermittelt man die Entfernung aus der trigonometrischen Parallaxe, so kann man (2.6) mit (2.4) kombinieren und erhält vt μ p −1 = 4.74 . (2.7) km/s 1 /yr 1 HIPPARCOS hat für ca. 105 Sterne Eigenbewegungen mit einer Genauigkeit von wenigen mas/yr gemessen; allerdings kann man diese nur mit Hilfe der Entfernungen in physikalische Geschwindigkeiten übersetzen. Die Eigenbewegung hat natürlich zwei Komponenten, entsprechend dem Betrag der Winkelgeschwindigkeit und ihrer Richtung an der Sphäre. Zusammen mit vr kann damit der drei-dimensionale Geschwindigkeitsvektor bestimmt werden. Aus der bekannten Geschwindigkeit der Erde um die Sonne kann daher der Geschwindigkeitsvektor v relativ zur Sonne berechnet werden, den man heliozentrische Geschwindigkeit nennt.
2.2.3
Sternstromparallaxe
Die Sterne eines (offenen) Sternhaufens haben alle eine sehr ähnliche Raumgeschwindigkeit. Daraus ergibt sich, dass auch ihre Eigenbewegungsvektoren ähnlich
2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis 39
Abb. 2.4. Der Effekt der Sternstromparallaxe ist ein Projektionseffekt; den gleichen kennt man von Eisenbahngleisen. Geschwindigkeitsvektoren, die von uns weg zeigen, scheinen aufeinander zu zu laufen und sich im Fluchtpunkt (Konvergenzpunkt) zu treffen. Die Verbindungslinie Beobachter– Fluchtpunkt ist dabei parallel zum Geschwindigkeitsvektor des Sternhaufens
Für große Zeiten werden sich alle Sterne in der gleichen Richtung nconv befinden, dem Konvergenzpunkt, der nur von der Richtung der Geschwindigkeit des Sternhaufens abhängt. Die Eigenbewegungen der Sterne ist daher so, dass sie sich alle auf diesen Konvergenzpunkt zu bewegen, d. h. nconv ist messbar aus der Richtung der Eigenbewegungen der Sterne des Haufens, somit also v/|v|. Andererseits kann man aus der (leicht messbaren) Radialgeschwindigkeit vr eine Komponente von v bestimmen. Mit diesen beiden Messungen ist der drei-dimensionale Geschwindigkeitsvektor v vollständig bestimmt, wie leicht zu zeigen ist: Sei ψ der Winkel zwischen der Sichtlinie n zu einem Stern des Haufens und v. Der Winkel ψ ist direkt bestimmbar aus dem Richtungsvektor n und dem Konvergenzpunkt, cos ψ = n · v/|v| = nconv · n. Mit v ≡ |v| erhält man dann vr = v cos ψ
;
vt = v sin ψ ,
und somit sein sollten. Wieweit die Richtungen der Eigenbewegung übereinstimmen, hängt von der Ausdehnung des Sternhaufens an der Sphäre ab. Ähnlich wie zwei Eisenbahnschienen, die zwar parallel verlaufen, die uns aber nicht parallel erscheinen, sondern beide auf einen Fluchtpunkt oder Konvergenzpunkt zulaufen, so sind auch die Vektoren der Eigenbewegung eines Sternhaufens nicht parallel, sondern laufen auf einen Konvergenzpunkt zu, wie in Abb. 2.4 skizziert ist. Wie man aus diesem Effekt die Entfernung zu dem Sternhaufen bestimmen kann, soll hier gezeigt werden. Wir betrachten einen Sternhaufen und nehmen an, dass alle Sterne die gleiche Raumgeschwindigkeit v besitzen. Die Position des i-ten Sterns als Funktion der Zeit wird dann beschrieben durch ri (t) = ri + vt ,
(2.8)
wobei ri die heutige Position ist, wenn der Zeitursprung t = 0 mit heute identifiziert wird. Der Richtungsvektor eines Sterns wird beschrieben durch den Einheitsvektor ri (t) ni (t) := . (2.9) |ri (t)| Daraus erkennt man, dass für große Zeiten, t → ∞, die Richtungsvektoren aller Sterne des Haufens gleich sind, v ni (t) → =: nconv . (2.10) |v|
vt = vr tan ψ .
(2.11)
Das bedeutet, die tangentiale Geschwindigkeit vt kann gemessen werden, ohne die Entfernung zum Stern des Haufens zu bestimmen. Andererseits ergibt (2.6) eine Beziehung zwischen der Eigenbewegung, der Entfernung und vt , so dass eine Entfernungsbestimmung zum Stern möglich ist, denn μ=
vt vr tan ψ = D D
→
D=
vr tan ψ . μ
(2.12)
Diese Methode gibt gute Entfernungsmessungen für Sternhaufen innerhalb ∼ 200 pc. Die Genauigkeit wird bestimmt durch die Messbarkeit der Eigenbewegung. Weiterhin sollte der Haufen einen genügend großen Bereich an der Sphäre einnehmen, damit der Konvergenzpunkt gut definiert ist. Zur Entfernungsbestimmung kann man über viele Sterne des Haufens mitteln, wenn man annimmt, dass die Ausdehnung des Haufens viel kleiner ist als sein Abstand von uns. Anwendungsbeispiele sind etwa die Hyaden, ein Haufen mit ca. 200 Sternen bei der mittleren Entfernung von D ≈ 45 pc, die Ursa-Major-Gruppe mit ca. 60 Sternen bei D ≈ 24 pc, und die Plejaden mit etwa 600 Sternen bei D ≈ 130 pc. Historisch war die Sternstromparallaxen-Entfernungsmessung zu den Hyaden extrem wichtig, denn
2. Die Galaxis als Galaxie 40
sie definierte die Entfernungsskala für alle anderen größeren Entfernungen. Anders ausgedrückt, sie war die unterste Sprosse der so genannten Entfernungsleiter, die wir in Abschn. 3.6 besprechen werden. Erst mit HIPPARCOS konnte die Entfernung der Hyaden-Sterne mittels der trigonometrischen Parallaxe gemessen werden, dabei sogar zwischen Sternen auf der ,,nahen“ und ,,fernen“ Seite des Haufens unterschieden werden – dieser Sternhaufen ist so nahe, dass die Annahme einer etwa gleichen Entfernung aller Sterne von uns keine gute Näherung mehr darstellt. Ein neuerer Wert für die mittlere Entfernung dieses Haufens ergibt: D¯ Hyaden = 46.3 ± 0.3 pc .
2.2.4
(2.13)
Photometrische Entfernung; Extinktion und Rötung
Im Farben-Helligkeits-Diagramm nehmen die meisten Sterne einen Platz auf der Hauptreihe ein. Dabei erhält man eine geeichte Hauptreihe aus Sternen mit gemessener trigonometrischer Parallaxe, also bekannter Entfernung. Mit Hilfe photometrischer Methoden kann man dann die Entfernung zu einem Sternhaufen bestimmen, wie hier gezeigt werden soll. Die Sterne eines Sternhaufens definieren ihre eigene Hauptreihe (für einige Sternhaufen ist das FarbenHelligkeits-Diagramm in Abb. 2.5 dargestellt); da sie sich alle bei der gleichen Entfernung befinden, ist die Hauptreihe definiert in einem Farben-HelligkeitsDiagramm, bei dem die scheinbare Helligkeit aufgetragen ist. Diese Hauptreihe kann mit einer geeichten Hauptreihe3 durch geeignete Wahl der Entfernung in Übereinstimmung gebracht werden, d. h. durch Anpassung des Entfernungsmoduls m − M, m − M = 5 log(D/pc) − 5 , wobei m die scheinbare und M die absolute Helligkeit bezeichnet. In der Praxis ist diese Methode nicht so einfach anzuwenden, denn die Position eines Sterns auf der Hauptreihe hängt nicht nur von seiner Masse ab, sondern auch von seinem Alter und seiner Metallizität. Außerdem definieren nur Sterne der 3 d. h. die Hauptreihe in einem Farben-Helligkeits-Diagramm, bei dem
die absolute Helligkeit aufgetragen ist
Abb. 2.5. Farben-Helligkeits-Diagramm für verschiedene Sternhaufen. Es kann zum einen zur Entfernungsbestimmung von Sternhaufen dienen, da die absoluten Helligkeiten der Hauptreihensterne bekannt sind (durch Eichung an nahen Haufen, insbesondere den Hyaden). Somit lässt sich durch vertikale ,,Verschiebung“ der Hauptreihe der Entfernungsmodul m − M bestimmen. Zum anderen kann aus dem FHD das Alter eines Sternhaufens abgeschätzt werden. Da leuchtkräftige Hauptreihensterne eine kleinere Lebensdauer auf der Hauptreihe besitzen als leuchtärmere, entspricht der Abknickpunkt der stellaren Sequenz (,,turn-off point“) von der Hauptreihe derjenigen Sternmasse, deren Verweildauer auf der Hauptreihe dem Alter des Sternhaufens entspricht. Entspechend ist auf der rechten Achse das Alter als Funktion der Position dieses Turn-Off-Punktes eingezeichnet; die Sonne wird die Hauptreihe nach etwa 10 × 109 Jahren verlassen
Leuchtkraftklasse V (also Zwerge) die Hauptreihe, aber die Leuchtkraftklasse ist ohne Spektroskopie nicht bestimmbar. Extinktion und Rötung. Ein weiteres großes Problem stellt die Extinktion dar. Durch Absorption und Streuung von Licht durch Staub ändert sich die Beziehung zwischen absoluter und scheinbarer Helligkeit: für gegebenes M wird durch die Absorption die scheinbare Helligkeit m größer, die Quelle erscheint also schwächer. Da die Extinktion wellenlängenabhängig ist, wird das Spektrum einer Quelle dadurch modifiziert, die
2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis 41
beobachtete Farbe eines Sterns ändert sich. Weil die Extinktion durch Staub immer mit einer solchen Verfärbung einher geht, kann man die Absorption ermitteln, wenn man genügend Information über die intrinsische Farbe einer Quelle oder eines Ensembles von Quellen besitzt. Wie diese Methode bei der Entfernungsbestimmung zu einem Sternhaufen genutzt wird, soll hier dargestellt werden. Wir betrachten hierzu die Strahlungstransportgleichung mit reiner Absorption bzw. Streuung (siehe Anhang A, d Iν = −κν Iν , ds
(2.14)
wobei Iν die spezifische Intensität bei der Frequenz ν bezeichnet, κν den Absorptionskoeffizienten und s die Entfernungskoordinate entlang des Lichtstrahls. Der Absorptionskoeffizient hat die Dimension einer inversen Länge. Die Gleichung (2.14) besagt, dass sich die Intensität eines Lichtstrahls auf einer Strecke ds um einen Betrag verringert, der proportional zur Intensität und zum Wegelement ds ist. Der Absorptionskoeffizient ist dabei als Proportionalitätskonstante definiert. Anders ausgedrückt wird auf der Strecke ds ein Bruchteil κν ds aller Photonen der Frequenz ν absorbiert oder aus dem Strahl gestreut. Die Lösung der Transportgleichung (2.14) erhält man, indem man sie in der Form d ln Iν = d Iν /Iν = −κν ds schreibt und von 0 bis s integriert, s ln Iν (s) − ln Iν (0) = − ds κν (s ) ≡ −τν (s) ,
Absorption vorhanden wäre. Wegen der Beziehung m = −2.5 log S + const, bzw. S ∝ 10−0.4m zwischen Fluss und Magnitude folgt dann Sν = 10−0.4(m−m 0 ) = e−τν = 10− log(e)τν , Sν,0 oder Aν := m − m 0 = −2.5 log(Sν /Sν,0 ) = 2.5 log(e) τν = 1.086τν .
(2.17)
Dabei ist Aν der Extinktionskoeffizient, der die Änderung der Magnitude m im Vergleich zu der ohne Absorption, m 0 , beschreibt. Da der Absorptionskoeffizient κν frequenzabhängig ist, ist die Absorption immer mit einer Verfärbung verbunden. Diese beschreibt man mit Hilfe des Farbexzess, der wie folgt definiert ist: E(X − Y) := A X − AY = (X − X 0 ) − (Y − Y0 ) = (X − Y) − (X − Y )0 . (2.18) Der Farbexzess beschreibt die Änderung des Farbindex (X − Y), gemessen in den beiden Filtern X und Y , die das jeweilige spektrale Fenster durch ihre Transmissionskurve definieren. Das Verhältnis A X /AY = τν(X) /τν(Y) hängt nur von den optischen Eigenschaften des Staubs ab, nämlich dem Verhältnis der Absorptionskoeffizienten bei den beiden hier betrachteten Frequenzbändern X und Y . Deshalb ist der Farbexzess proportional zum Extinktionskoeffizienten, AY E(X − Y) = A X − AY = A X 1 − ≡ A X R−1 , X AX
0
wobei im letzten Schritt die optische Tiefe τν definiert wurde, die frequenzabhängig ist. Daraus ergibt sich Iν (s) = Iν (0) e−τν (s) .
(2.15)
Die spezifische Intensität wird also um einen Faktor e−τ abgeschwächt verglichen zu dem Fall, dass keine Absorption stattfindet. Entsprechend gilt auch für den Strahlungsstrom Sν = Sν (0) e−τν (s) ,
(2.16)
wobei Sν den beim Beobachter im Abstand s von der Quelle gemessenen Fluss (oder Strahlungsstrom) bezeichnet und Sν (0) den Fluss der Quelle, wenn keine
(2.19) wobei wir im letzten Schritt den Proportionalitätsfaktor zwischen dem Extinktionskoeffizienten und dem Farbexzess eingeführt haben, der allein durch die Eigenschaften des Staubs und die Wahl der Filter bestimmt ist. Üblicherweise benutzt man den blauen und visuellen Filter (siehe Anhang A.4.2 für eine Beschreibung der häufig benutzten Filter) und schreibt A V = RV E(B − V) .
(2.20)
So findet man z. B. für den Staub in unserer Milchstraße die charakteristische Beziehung A V = (3.1 ± 0.1)E(B − V) .
(2.21)
2. Die Galaxis als Galaxie 42
Diese Relation ist kein universelles Gesetz, sondern der Proportionalitätsfaktor hängt von den Eigenschaften des Staubs ab, der beispielsweise von der chemischen Zusammensetzung und der Größenverteilung der Staubteilchen beeinflusst wird. Abbildung 2.6 zeigt die Wellenlängenabhängigkeit des Extinktionskoeffizienten für verschiedene Staubarten, entsprechend verschiedenen Werten von RV . Im optischen Bereich des Spektrums gilt ungefähr τν ∝ ν, d. h. blaues Licht wird stärker absorbiert (bzw. gestreut) als rotes, die Extinktion führt daher zur Rötung.4 In der Sonnenumgebung ist der Extinktionskoeffizient für Quellen innerhalb der Scheibe etwa Abb. 2.6. Wellenlängen-Abhängigkeit des Extinktionskoeffizienten Aν , normiert auf den Extinktionskoeffizienten A I bei λ = 9000 Å, für verschiedene Arten von Wolken, die durch den Wert von RV charakterisiert sind, also durch das Rötungsgesetz. Aufgetragen ist die inverse Wellenlänge, d. h. die Frequenz steigt nach rechts an. Die durchgezogene Kurve gibt die mittlere Extinktionskurve an. Gezeigt ist ebenfalls der Extinktionskoeffizient, wie er sich aus der Beobachtung eines einzelnen Sternes ergibt; man erkennt, dass das beobachtete Gesetz von den Modellrechnungen im Detail abweicht. Die kleinere Figur zeigt einen Ausschnitt bei relativ großen Wellenlängen, die dem NIR-Bereich des Spektrums entsprechen; bei diesen Wellenlängen hängt die Extinktion nur relativ schwach vom Wert RV ab
4 Mit dem hier Gelernten kann nun die Frage, warum ist der Himmel blau und die untergehende Sonne rot, leicht beantwortet werden.
Abb. 2.7. An der Molekülwolke Barnard 68 werden Extinktion und Rötung gut sichtbar: das linke Bild ist ein Komposit aus Aufnahmen in den optischen Filtern B, V, und I; in der Mitte der Wolke wird praktisch das gesamte Licht der Hintergrundsterne absorbiert, an den Rändern wird es geschwächt
und dabei sichtbar ins Rötliche verschoben. Für das rechte Bild wurden Aufnahmen in den Filtern B, I, und K verwendet (Rot entspricht hier dem nah-infraroten K-Filter); man erkennt deutlich, dass die Wolke bei längeren Wellenlängen durchlässiger ist
A V ≈ 1 mag
D , 1 kpc
(2.22)
doch diese Relation gibt bestenfalls eine ungefähre Abschätzung, denn der Absorptionskoeffizient kann lokal stark von diesem Gesetz abweichen, z. B. in Richtung von Molekülwolken (siehe etwa Abb. 2.7).
2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis 43
Zweifarben-Diagramm. Wir kommen nun zurück zur Entfernungsbestimmung eines Sternhaufens. Dazu ist es notwendig, die Stärke der Extinktion zu bestimmen, und dies kann nur mit Hilfe der Verfärbung geschehen. Dazu trägt man die Sterne des Haufens in ein Zweifarben-Diagramm ein, beispielsweise indem man die Farben (U-B) und (B-V ) auf den Achsen aufträgt (siehe Abb. 2.8). Auch in einem ZweifarbenDiagramm zeichnen die meisten Sterne eine Hauptreihe nach. Die wellenlängenabhängige Extinktion führt zu einer Verfärbung in beiden Farben und verschiebt die Position der Sterne in diesem Diagramm, wobei die Richtung des Verfärbungsvektors nur von den Eigenschaften des Staubs abhängt und als bekannt vorausgesetzt wird. Die Amplitude der Verschiebung hängt vom Extinktionskoeffizient ab. Diese Amplitude kann man nun bestimmen, wenn man auch im ZweifarbenDiagramm eine geeichte, ungerötete Hauptreihe zur Verfügung hat, die man aus der Untersuchung naher Sterne erhalten kann. Man kann somit aus der Verschiebung der beiden Hauptreihen die Rötung und damit die Extinktion bestimmen. Der wesentliche Punkt hier ist die Tatsache, dass das Zweifarben-Diagramm entfernungsunabhängig ist. Daher ergibt sich nun die folgende Prozedur zur Entfernungsbestimmung eines Sternhaufens mittels der Photometrie: Im ersten Schritt wird im ZweifarbenDiagramm durch eine Verschiebung der Hauptreihe entlang des Verfärbungsvektors bis zur Übereinstimmung mit der geeichten Hauptreihe die Verfärbung E(B − V) bestimmt, und mit (2.21) daher auch A V . Im zweiten Schritt wird durch vertikale Verschiebung der Hauptreihe im Farben-Helligkeits-Diagramm (d. h. in Richtung M) bis zur Übereinstimmung mit einer geeichten Hauptreihe der Entfernungsmodul bestimmt, und daraus wird die Entfernung abgelesen, gemäß m − M = 5 log(D/1 pc) − 5 + A .
2.2.5
(2.23)
Spektroskopische Entfernung
Aus dem Spektrum eines Sternes kann sowohl der Spektraltyp als auch die Leuchtkraftklasse bestimmt werden. Ersterer ergibt sich aus der Stärke der verschiedenen Absorptionslinien im Spektrum, während durch
Abb. 2.8. Zweifarben-Diagramm für Hauptreihensterne. Spektraltypen und absolute Helligkeiten sind angegeben. Schwarze Körper (T/103 K) würden auf der oberen Reihe liegen. Interstellare Verfärbung verschiebt Sternmessungen parallel zum eingezeichneten Rötungsvektor
die Breite der Linien die Leuchtkraftklasse definiert wird. Durch die Linienbreite kann die Oberflächenbeschleunigung des Sterns und somit sein Radius (genauer: M/R2 ) bestimmt werden. Aus Spektraltyp und Leuchtkraftklasse ergibt sich nun eindeutig die Position eines Sterns im HRD. Mittels Modellen der Sternentwicklung kann dann die absolute Helligkeit MV bestimmt werden. Weiterhin ergibt der Vergleich der beobachteten Farbe mit der theoretisch erwarteten den Farbexzess E(B − V), und daraus A V . Mit diesen Informationen kann die Entfernung bestimmt werden über V − A V − MV = 5 log (D/pc) − 5 .
(2.24)
2. Die Galaxis als Galaxie 44
2.2.6
Entfernungen von visuellen Doppelsternen
Das dritte Keplersche Gesetz für ein Zweikörperproblem gibt den Zusammenhang zwischen der Bahnperiode P eines Doppelsterns, den Massen m i der beiden Komponenten, und der großen Halbachse a der Ellipse, die der Abstandsvektor zwischen den beiden Sternen während einer Periode durchläuft, P2 =
4π 2 a3 . G(m 1 + m 2 )
(2.25)
Dieses Gesetz kann nun zur Bestimmung der Entfernung zu einem visuellen Doppelstern benutzt werden. Für einen solchen kann man die Periode P und den Winkeldurchmesser 2θ der Bahn direkt beobachten. Kennt man weiterhin die Masse der beiden Sterne, z. B. aufgrund der spektralen Klassifikation, dann kann a aus (2.25) bestimmt werden, und daraus die Entfernung mittels D = a/θ. 2.2.7
Entfernungen pulsierender Sterne
Verschiedene Arten pulsierender Sterne zeigen periodische Helligkeitsänderungen, wobei ihre Periode korreliert ist mit der Masse der Sterne und somit ihrer Leuchtkraft. Diese Periode-Leuchtkraft (PL)Beziehungen sind ideal zur Entfernungsmessung geeignet: Da die Bestimmung der Periode entfernungsunabhängig ist, kann man aus der Periode entsprechend der PL-Relation die Leuchtkraft ablesen. Somit ist die Entfernung aus der gemessenen Helligkeit direkt mit (2.24) gegeben, wenn man über Farbmessungen die Extinktion bestimmen kann. Die Existenz einer Beziehung zwischen Leuchtkraft und Pulsationsperiode erwartet man aufgrund einer einfachen physikalischen Betrachtung. Pulsationen sind im wesentlichen radiale Dichtewellen im Stern, die sich mit Schallgeschwindigkeit cs ausbreiten. Daher erwartet man, dass die Periode vergleichbar ist mit der Schalllaufzeit durch den Stern, P ∼ R/cs . Die Schallgeschwindigkeit cs in einem Gas ist von der Größenordnung der thermischen Geschwindigkeit der Gasteilchen, so dass kB T ∼ m p c2s , wobei m p die Protonenmasse und somit eine charakteristische Teilchenmasse des Sternplasmas darstellt und kB ist die Boltzmann-Konstante. Aufgrund des Virialtheorems
erwartet man, dass die gravitative Bindungsenergie des Sterns etwa doppelt so groß ist wie die kinetische (d. h. thermische) Energie, so dass, bezogen auf ein Proton, G Mm p ∼ kB T . R Fasst man nun diese Relationen zusammen, so erhält man für die Pulsationsperiode √ R mp R R3/2 P∼ ∼ √ ∼√ ∝ ρ¯ −1/2 , (2.26) cs kB T GM wobei ρ¯ die mittlere Dichte des Sterns bezeichnet. Dies ist ein bemerkenswertes Resultat – die Pulsperiode hängt nur von der mittleren Dichte ab. Weiterhin gilt für Sterne in etwa L ∝ M 3 ; betrachtet man nun Sterne 4 ), so gleicher Effektivtemperatur Teff (wobei L ∝ R2 Teff findet man R3/2 P ∝ √ ∝ L 7/12 , M
(2.27)
also eine Beziehung zwischen Periode und Leuchtkraft, nach der wir gesucht hatten. Es zeigt sich, dass für drei Sorten pulsierender Sterne gut definierte Perioden-Leuchtkraft-Relationen existieren:
• δ Cephei Sterne (klassische Cepheiden); dies sind
•
junge Sterne, die man in der Scheibenpopulation (also nahe der Galaktischen Ebene) und in jungen Sternhaufen findet. Aufgrund ihrer Position in oder nahe der Scheibe spielt Extinktion bei der Bestimmung ihrer Leuchtkraft immer eine wichtige Rolle. Um den Einfluss der Extinktion zu minimieren, ist die PL-Relation im Nah-IR (z. B. im K-Band, bei λ ∼ 2.4 μm) besonders nützlich. Weiterhin ist die Streuung der Perioden-Leuchtkraft Relation um so geringer, je langwelliger der benutzte Filter ist, wie das auch in Abb. 2.9 dargestellt ist, und die PL-Relation ist steiler, was zu einer genaueren Bestimmung der absoluten Helligkeit führt. W Virginis-Sterne, die man auch Population II-Cepheiden nennt (der Begriff der stellaren Population wird in Abschn. 2.3.2 näher erläutert). Dabei handelt es sich um massearme, metallarme Sterne, die sich im Halo unserer Galaxis, in Kugelsternhaufen und nahe am Galaktischen Zentrum befinden.
2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis 45 Abb. 2.9. Die Perioden-LeuchtkraftRelation für Galaktische Cepheiden, gemessen in drei verschiedenen Farbfiltern (B, V und I, von oben nach unten). Die absoluten Helligkeiten wurden korrigiert hinsichtlich der Extinktion durch Verwendung der Farben. Die Periode ist in Tagen angegeben. Offene und gefüllte Kreise zeigen Daten für Cepheiden, deren Entfernung auf verschiedene Arten bestimmt wurden; die drei mit Dreiecken bezeichneten Objekte haben variable Periode und wurden für die Erstellung der Perioden-LeuchtkraftRelation nicht herangezogen. Letztere ist durch die durchgezogenen Geraden dargestellt, deren funktionale Abhängigkeit in den Abbildungen angegeben ist. Die gestrichelten Geraden geben den Unsicherheitsbereich der PL-Relation an. Die PL-Relation wird steiler, wenn man rotere Farbfilter betrachtet
• RR Lyrae-Sterne, ebenfalls Sterne der Population II und daher metallarm, findet man im Halo, in Kugelsternhaufen und im Galaktischen Bulge. Ihre absolute Helligkeit ist auf ein schmales Intervall beschränkt, MV ∈ [0.5, 1.0], wobei der Mittelwert etwa 0.6 beträgt. Das macht sie natürlich zu guten Entfernungsindikatoren! Genauere Vorhersagen der Helligkeit werden durch folgende Abhängigkeit von
Metallizität und Periode ermöglicht, M K = − (2.0 ± 0.3) log(P/1d)
(2.28) + (0.06 ± 0.04)[Fe/H] − 0.7 ± 0.1 .
Metallizität. In der letzten Gleichung tritt die Metallizität eines Sternes auf, die wir nun genauer definieren
2. Die Galaxis als Galaxie 46
wollen. Zunächst bezeichnet man in der Astronomie alle Elemente, die schwerer als Helium sind, als Metalle. Diese Elemente, mit Ausnahme von Spuren von Lithium, werden nicht im frühen Universum erzeugt, sondern erst später im Innern von Sternen. Die Metallizität ist daher immer auch ein Maß für die chemische Entwicklung und Anreicherung, die das Material eines Sternes oder einer Gaswolke durchlebt haben. Man definiert für ein Element X den Metallizitätsindex eines Sterns n(X) n(X) [X/H] ≡ log − log , n(H) ∗ n(H)
was für die Messung der Hubble-Konstanten essentiell ist. Diese Aspekte werden wir im Detail in Abschn. 3.6 diskutieren.
2.3
Grob gesprochen besteht die Galaxis aus einer Scheibe, einer zentralen Verdickung, dem Galaktischen Bulge, und dem Galaktischen Halo, einer in etwa sphärischen Verteilung von Sternen und Kugelsternhaufen, die die Scheibe umgeben. Die Scheibe, deren Sterne das sichtbare Band der Milchstraße darstellen, enthält Spiralarme, wie man sie auch bei anderen Spiralgalaxien beobachtet. Die Sonne mit ihren Planeten umkreist das Galaktische Zentrum (Galactic Center, GC) annähernd auf einer Kreisbahn. Die Entfernung R0 zum GC ist nicht sehr genau bekannt, wie wir später noch besprechen werden. Um einen Referenzwert zu haben, hat die International Astronomical Union (IAU) den Wert für R0 im Jahre 1985 offiziell festgelegt,
(2.29) also den Logarithmus des Verhältnisses des relativen Anteils von X gegenüber Wasserstoff in dem Stern und in der Sonne, wobei n die Anzahldichte der jeweiligen Spezies bezeichnet. [Fe/H] = −1 bedeutet beispielsweise, dass Eisen nur ein Zehntel der solaren Häufigkeit hat. Als Metallizität Z bezeichnet man den Massenanteil aller Elemente schwerer als Helium; die Sonne hat etwa Z ≈ 0.02, so dass etwa 98% der Sonnenmasse aus Wasserstoff und Helium besteht. Die PL-Relationen sind nicht nur für Entfernungsbestimmungen in unserer Galaxis von entscheidender Bedeutung, sondern spielen auch in der Extragalaktik eine wichtige Rolle; insbesondere die Cepheiden als mit Abstand hellste der drei oben erwähnten Sternklassen sind auch in anderen Galaxien zu finden und zu beobachten. Sie bieten daher eine Möglichkeit, Entfernungen zu anderen Galaxien direkt zu bestimmen,
R0 = 8.5 kpc
Offizieller Wert, IAU 1985 , (2.30)
wobei neuere Untersuchungen ergeben, dass der wahre Wert etwas kleiner ist, etwa R0 ∼ 8.0 kpc. Der Durchmesser der Scheibe aus Sternen, Gas und Staub beträgt ≈ 50 kpc. Eine schematische Darstellung unserer Galaxis zeigt Abb. 1.3, und ihre wichtigsten Strukturparameter sind in Tabelle 2.1 zusammengefasst. sunken ist. σz ist die Geschwindigkeitsdispersion in Richtung senkrecht zur Scheibe
Tabelle 2.1. Parameter und charakteristische Werte für die Komponenten der Milchstraße. Die Skalenhöhe bezeichnet die Höhe über der Scheibe, bei der die Dichte auf 1/e abgeneutrales Gas
Struktur der Galaxis
dünne Scheibe
dicke Scheibe
Bulge
stellarer Halo 0.15
DM Halo
M (1010 M )
0.5
6
0.2 bis 0.4
1
L B (1010 L )
–
1.8
0.02
0.3
0.1
0
M/L B (M /L )
–
3
–
3
∼1
–
Durchm. (kpc) Form Skalenhöhe (kpc) σz
(km s−1 )
[Fe/H]
50
50
50
2
100
> 200
e−h z /z
e−h z /z
e−h z /z
Balken?
r −3.5
(a2 + r 2 )−1
0.13
0.325
1.5
0.4
3
2.8
7
20
40
120
100
–
> 0.1
−0.5 bis +0.3
−1.6 bis −0.4
−1 bis +1
−4.5 bis −0.5
–
2.3 Struktur der Galaxis 47
2.3.1
Die Galaktische Scheibe: Sternverteilung
Aus der Entfernungsmessung von Sternen in der Umgebung der Sonne kann man die dreidimensionale Verteilung der Sternpopulation ermitteln. Dabei zeigt sich, dass die Dichte der Sterne in Richtung senkrecht zur Galaktischen Scheibe in etwa einem Exponentialgesetz folgt, |z| , (2.31) n(z) ∝ exp − h wobei die Skalenhöhe h die charakteristische Dicke der jeweiligen Komponente angibt. Dabei zeigt sich, dass h für verschiedene Populationen von Sternen verschiedene Werte annimmt, so dass man von verschiedenen Komponenten der Galaktischen Scheibe spricht. Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen drei Komponenten: (1) Die junge dünne Scheibe (young thin disk) enthält den größten Anteil an Gas und Staub innerhalb der Galaxis, und in diesem Bereich findet auch momentan noch Sternentstehung statt. Die jüngsten Sterne befinden sich in der jungen dünnen Scheibe, deren Skalenhöhe etwa h ytd ∼ 100 pc beträgt. (2) Die alte dünne Scheibe (old thin disk) ist dicker und besitzt eine Skalenhöhe von etwa h otd ∼ 325 pc. (3) Die dicke Scheibe (thick disk) besitzt eine Skalenhöhe von h thick ∼ 1.5 kpc, wobei die Dichte der dicken Scheibe nur etwa 2% der gesamten Dichte in der Scheibenebene ausmacht. Die obige Einteilung ist nur grob und lässt sich weiter verfeinern, wenn man eine feinere Unterteilung der Sternklassen vornimmt. Das molekulare Gas, aus dem neue Sterne geboren werden, besitzt mit h mol ∼ 65 pc die geringste Skalenhöhe, gefolgt vom atomaren Gas, wie auch in der Abb. 1.5 sehr gut zu erkennen ist. Je jünger eine Sternpopulation ist, umso kleiner ist ihre Skalenhöhe. Eine weitere Charakterisierung der verschiedenen Sternpopulationen geschieht aufgrund der Geschwindigkeitsdispersion der Sterne, d. h. der Amplitude ihrer zufälligen Bewegungskomponenten. In erster Näherung umkreisen die Sterne der Scheibe das GC auf Kreisbahnen. Allerdings sind es keine perfekten Kreisbahnen, sondern sie haben neben der Kreisbahngeschwindigkeit (die in Sonnennähe etwa 220 km/s beträgt) zusätzliche zufällige Geschwindigkeitskomponenten. Formal definiert man die Komponenten der Geschwindigkeitsdispersion in folgender Weise: Sei f(v) d 3 v die Anzahldichte von Sternen (einer vorge-
gebenen Population) mit Geschwindigkeiten innerhalb des Volumenelements d 3 v um v im Vektorraum der Geschwindigkeiten an einem festen Ort. Wenn wir beispielsweise kartesische Koordinaten benutzen, v = (v1 , v2 , v3 ), dann ist f(v) d 3 v die Anzahl von Sternen mit der i-ten Geschwindigkeitskomponente im Intervall [vi , vi + dvi ], und d 3 v = dv1 dv2 dv3 . Die mittlere Geschwindigkeit v dieser Population ergibt sich aus der Verteilung mittels v = n −1 d 3 v f(v) v , wobei n = d 3 v f(v) Ê3
Ê3
(2.32) die Gesamtdichte der Sterne in der Population bezeichnet. Die Geschwindigkeitsdispersion σ beschreibt nun die mittleren quadratischen Abweichungen der Geschwindigkeiten von v. Für eine Komponente i des Geschwindigkeitsvektors definiert man die Dispersion σi durch σi2 = (vi − vi )2 = vi2 − vi 2
= n −1 d 3 v f(v) vi2 − vi 2 .
(2.33)
Ê3
Je größer σi , umso breiter ist die Verteilung der stochastischen Bewegungen. Die zufälligen Bewegungen der Sterne in Richtung senkrecht zur Scheibe sorgen erst für eine endliche Dicke der Population; sie sind einer thermischen Verteilung ähnlich. Entsprechend wirkt sie sich aus wie ein Druck, der sog. dynamische Druck der Verteilung. Dieser Druck bestimmt die Skalenhöhe der Verteilung, die ja der barometrischen Höhenformel entspricht. Je größer der dynamische Druck, d. h. je größer die Geschwindigkeitsdispersion σz senkrecht zur Scheibe, umso größer ist die Skalenhöhe h. Aus der Untersuchung der Sterne in der Sonnenumgebung findet man σz ∼ 16 km/s für Sterne jünger als ∼ 3 Gyr, entsprechend einer Skalenhöhe von h ∼ 250 pc, während Sterne älter als ∼ 6 Gyr eine Skalenhöhe von ∼ 350 pc und eine Geschwindigkeitsdispersion von σz ∼ 25 km/s besitzen. Die Dichteverteilung der gesamten Sternpopulation, die man aus Sternzählungen und Entfernungsbestimmungen erhält, lässt sich in guter Näherung beschreiben
2. Die Galaxis als Galaxie 48
durch
n(R, z) = n 0 e−|z|/h thin + 0.02e−|z|/h thick e−R/h R ; (2.34) dabei sind R und z die oben eingeführten Zylinderkoordinaten mit Ursprung im Galaktischen Zentrum und h thin ≈ h otd ≈ 325 pc die Skalenhöhe der dünnen Scheibe. Die Verteilung in radialer Richtung wird ebenfalls durch ein Exponentialgesetz beschrieben, wobei h R ≈ 3.5 kpc die Skalenlänge der Scheibe bezeichnet. Die Normierung der Verteilung ist gegeben durch n ≈ 0.2 Sterne/pc3 in der Sonnenumgebung im Bereich der absoluten Helligkeiten 4.5 ≤ MV ≤ 9.5. Die durch (2.34) beschriebene Verteilung ist nicht glatt bei z = 0 (sie hat dort einen Knick) und daher unphysikalisch. Um eine glatte Verteilung zu erhalten, die für große |z| einem Exponentialgesetz folgt, aber in der Scheibenebene glatt ist, modifiziert man dieses Verteilung etwas; zum Beispiel schreibt man für die Leuchtkraftdichte (die ja proportional zur Anzahldichte der Sterne ist) der alten dünnen Scheibe: L(R, z) =
L 0 e−R/h R , cosh2 (z/h z )
(2.35)
mit h z = 2h thin und L 0 ≈ 0.05L /pc3 . Die Sonne ist ein Mitglied der jungen dünnen Scheibe und befindet sich bei z = 30 pc oberhalb der Scheibenebene. 2.3.2
Die Galaktische Scheibe: chemische Zusammensetzung und Alter
Stellare Populationen. Die chemische Komposition der Sterne in der dünnen und der dicken Scheibe ist unterschiedlich: Es gibt die deutliche Tendenz, dass Sterne der dünnen Scheibe eine höhere Metallizität haben als die der dicken Scheibe. Die Metallizität der Sterne im Galaktischen Halo und im Bulge ist dagegen kleiner. Um diese Trends begrifflich zu fassen, unterscheidet man zwischen Sternen der Population I (Pop I), Sterne mit sonnenähnlicher Metallizität (Z ∼ 0.02), die sich hauptsächlich in der dünnen Scheibe befinden, und Sternen der Population II (Pop II), die metallarm sind (Z ∼ 0.001) und vorwiegend in der dicken Scheibe, im Halo und im Bulge vorkommen. In Wirklichkeit existiert ein weiter Bereich in Z, und die obigen Zahlen
geben nur charakteristische Werte an. Feinere Unterteilungen sind auch hier eingeführt worden, man spricht von ,,Extremer Population I“, ,,Mittlerer Population II“ usw. Die Populationen unterscheiden sich weiterhin in ihrem Alter (Sterne der Pop I sind jünger als die der Pop II), der Skalenhöhe (wie oben erwähnt) und der Geschwindigkeitsdispersion senkrecht zur Scheibe (σz ist größer bei Pop II Sternen als bei Pop I). Wir wollen hier versuchen, den Ursprung dieser unterschiedlichen Metallizitäten und ihren Zusammenhang mit der Skalenhöhe und dem Alter zu verstehen. Dazu beginnen wir mit einer kurzen Betrachtung desjenigen Phänomens, welches als Hauptursache für die Metallanreicherung das interstellaren Mediums verantwortlich ist. Metallizität und Supernovae. Supernovae (SNe) sind explosive Ereignisse. Innerhalb weniger Tage kann eine SN eine Leuchtkraft von 109 L erlangen, was einen erheblichen Bruchteil der Gesamtleuchtkraft einer Galaxie darstellt. Entsprechend ihrer spektralen Eigenschaften hat man die SNe in verschiedene Klassen eingeteilt: SN Typ I zeigen im Unterschied zu Typ II keine Balmerlinien des Wasserstoffs im Spektrum. Eine weitere Unterteilung der Typ I SNe basiert wiederum auf spektralen Eigenschaften: SN Ia zeigen starke SiII λ 6150 Å Emission, während die vom Typ Ib,c keine SiII Emission haben. Unser heutiges Verständnis dieses Phänomens weicht von dieser Klassifizierung ab.5 Aufgrund verschiedener Beobachtungsresultate, aber auch theoretischer Untersuchungen hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die SN Ia ein intrinsisch anderes Phänomen darstellen als die restlichen Typen. Für diese Interpretation ist insbesondere von Bedeutung, dass man SN Ia in allen Typen von Galaxien gefunden hat, während SN II und SN Ib,c nur in Spiralgalaxien und irregulären Galaxien erscheinen, und zwar in Gebieten, in denen vorzugsweise blaue Sterne sichtbar sind. Wie wir in Kapitel 3 noch sehen werden, besteht die Sternpo5 Diese Notation (Typ Ia, Typ II, usw.) ist charakteristisch für Phänomene, die bei man ihrer Entdeckung klassifizieren möchte, aber für die man zur Klassifizierung keine physikalische Interpretation besitzt. Andere Beispiele sind die Spektralklassen der Sterne, die ja nicht alphabetisch in der entsprechenden Hauptreihenmasse ist, oder etwa die Einteilung der Seyfert-Galaxien in Typ 1 und Typ 2. Wenn sich eine solche Notation einmal eingebürgert hat, bleibt sie meistens auch dann bestehen, wenn das Phänomen physikalisch aufgeklärt ist.
2.3 Struktur der Galaxis 49 Abb. 2.10. Chemische Schalenstruktur eines massereichen Sterns zum Ende seines Lebens. Die Elemente, die in den verschiedenen Brennstadien erzeugt wurden, sind in einer Art Zwiebelschalenstruktur angeordnet. Dies ist der Ausgangspunkt für eine Supernova-Explosion
pulation von Elliptischen Galaxien fast ausschließlich aus alten Sternen, während Spiralen auch junge Sterne enthalten. Daraus schließt man, dass das Phänomen der SN II und SN Ib,c mit jungen Sternpopulationen verknüpft ist, während die SN Ia in älteren Sternpopulation vorkommen. SN II und SN Ib,c sind Endstadien der Entwicklung massereicher ( 8M ) Sterne. Im Innern dieser Sterne fusionieren immer schwerere Elemente: wenn der Wasserstoff aufgebraucht ist, verbrennt Helium, danach Kohlenstoff, Sauerstoff usw. Diese Kette endet, wenn mit dem Eisen derjenige Atomkern erreicht ist, der die größte Bindungsenergie pro Nukleon besitzt. Danach kann durch Kernfusion keine weitere Energie erzeugt werden, und somit kann auch kein der Schwerkraft entgegenwirkender Druck aufrechterhalten werden. Der Stern kollabiert deshalb aufgrund seiner Eigengravitation. Dieser Gravitationskollaps schreitet fort, bis im Innern des Sterns bis zu 3-fache Atomkerndichte erreicht wird. Danach kommt es zum sog. ,,rebounce“: Eine Stoßwelle läuft nach außen, heizt das einfallende Material auf, und der Stern explodiert. Im Innern bleibt vermutlich ein kompaktes Objekt übrig, ein Neutronenstern oder möglicherweise ein Schwarzes Loch, je nach Masse des Eisenkerns. Solche Neutronensterne sind in einigen historisch verbürgten SNe als Pulsare sichtbar, und vermutlich sind sämtliche Neutronensterne in solchen Kernkollaps-Supernovae entstanden. Der größte Teil der bei der Bildung des kompakten Objekts freigesetzten Bindungsenergie wird in Form von Neutrinos abgestrahlt, nämlich etwa 3 × 1053 erg. Von der SN 1987A in der Großen Magellanschen Wolke wurden etwa 10 Neutrinos in unterirdischen Neutrinodetektoren nachgewiesen. Aufgrund der hohen Dichte im Sterninnern nach dem Kollaps werden selbst Neutrinos trotz ihres sehr kleinen Wirkungsquerschnitts
absorbiert und gestreut, so dass ein kleiner Teil ihres nach außen gerichteten Impulses zur Explosion der Sternhülle beitragen kann. Diese expandiert mit v ∼ 10 000 km/s, was einer kinetischen Energie von E kin ∼ 1051 erg entspricht. Davon werden wiederum nur etwa 1049 erg von der heißen Hülle in Photonenenergie umgesetzt und abgestrahlt – die in Photonen sichtbare Energie einer SN ist daher nur ein kleiner Bruchteil der insgesamt erzeugten Energiemenge. Durch die verschiedenen Stadien der Kernfusion im Vorläuferstern sind die chemischen Elemente in Schalen angeordnet, außen die leichten Elemente (H, He), weiter innen die schwereren (C, O, Ne, Mg, Si, Ar, Ca, Fe, Ni); siehe Abb. 2.10. Diese werden durch die Explosion an das interstellare Medium abgegeben, das sich dadurch chemisch anreichert. Dabei ist wichtig, dass aufgrund der nuklearen Brennketten im Wesentlichen nur solche Kerne erzeugt worden sind, die eine gerade Anzahl von Protonen und Neutronen enthalten, sog. α-Elemente. SN Ia sind aller Wahrscheinlichkeit nach Explosionen von Weißen Zwergen (white dwarfs, WDs). Diese kompakten Sterne, die als Endstadien von weniger massiven Sternen entstanden sind, erzeugen ihren inneren Druck nicht durch Kernfusion, sondern werden durch den sogenannten Entartungsdruck von Elektronen stabilisiert, einem quantenmechanischen Phänomen. Ein solcher Weißer Zwerg ist nur stabil, falls seine Masse nicht oberhalb einer Grenzmasse, der ChandrasekharMasse, liegt; diese beträgt etwa MCh ≈ 1.44M . Für M > MCh kann der Entartungsdruck der Gravitation nicht mehr standhalten. Falls nun Materie auf einen WD mit Masse unterhalb MCh fällt, wie das etwa in Binärsystemen durch Akkretion geschehen kann, erhöht sich seine Masse langsam und nähert sich der Grenzmasse an. Bei etwa M ≈ 1.3M beginnt im Innern Kohlen-
2. Die Galaxis als Galaxie 50
stoffbrennen, wobei etwa die Hälfte des Sterns zu Eisen, Kobalt und Nickel verbrannt wird. Die darauffolgende Explosion des Sterns reichert das ISM mit ∼ 0.6M Fe an, während der WD völlig zerrissen wird. Da SN Ia als Klasse wahrscheinlich sehr homogene Anfangsbedingungen haben (definiert durch die maximale Masse vor der einsetzenden Explosion), sind sie gute Kandidaten für Standardkerzen: alle SN Ia haben in etwa die gleiche Leuchtkraft. Wie wir später noch diskutieren werden (siehe Abschn. 8.3.1), ist dies nicht wirklich der Fall, aber trotzdem spielen SN Ia eine wichtige Rolle in der kosmologischen Entfernungsbestimmung und damit der Bestimmung kosmologischer Parameter. Diese Interpretation der verschiedenen SNe Typen erklärt, warum man die Kernkollaps-SNe nur in Galaxien findet, in denen noch Sterne entstehen, da es sich um die Endstadien massereicher, d. h. junger Sterne handelt, deren Lebensdauer nicht mehr als etwa 2 × 107 yr beträgt, während SN Ia in allen Galaxientypen vorkommen. Neben den SNe findet eine Metallanreicherung des interstellaren Mediums (ISM) auch in anderen Stadien der Sternentwicklung statt, etwa durch Sternwinde oder in Phasen, bei denen Sterne einen Teil ihrer Hülle abstoßen, die dann z. B. als Planetarischer Nebel sichtbar ist. Falls der Stern vor diesen Ereignissen konvektiv durchmischt wurde, so dass die in seinem Innern durch Kernfusion neu entstandenen Metalle in die Nähe der Sternoberfläche gelangen, werden dadurch diese Metalle an das ISM abgegeben. Alter-Metallizitäts-Beziehung. Wenn man annimmt, dass unsere Milchstraße zu Beginn ihrer Entwicklung eine chemische Zusammensetzung mit nur sehr geringem Metallgehalt besaß, so sollte die Metallizität eine starke Funktion des Alters sein. Mit jeder neuen Sterngeneration werden mehr Metalle erzeugt und zum Teil ans ISM durch Sternwinde und, hauptsächlich, durch SN-Explosionen abgegeben. Sterne, die sich später bilden, sollten daher einen höheren Metallgehalt besitzen als solche, die sich in der Frühphase der Galaxis gebildet haben. Man erwartet daher, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Alter eines Sterns und seiner Metallizität. Beispielsweise kann man unter dieser Annahme [Fe/H] als Indikator des Alters einer stellaren Popu-
lation hernehmen, wobei das Eisen vor allen Dingen in Supernovae vom Typ Ia produziert und freigesetzt wird. Neugebildete Sterne haben daher bei ihrer Geburt einen höheren Eisenanteil als ihre Vorgänger, und die jüngsten Sterne haben den höchsten Eisenanteil. In der Tat findet man [Fe/H] = −4.5 für extrem alte Sterne (d. h. 3 × 10−5 der solaren Eisenhäufigkeit), während [Fe/H] = 1 für sehr junge Sterne, deren Metallizität die der Sonne also erheblich übersteigen kann. Allerdings ist diese Alter-Metallizitäts-Beziehung nicht besonders eng. Zum einen treten SN Ia erst 109 Jahre nach der Bildung einer Sternpopulation auf (der genaue Wert ist nicht bekannt, da selbst bei Annahme der Gültigkeit des oben beschriebenen Szenarios für die SN Ia unklar ist, in welcher Form und in welchen Systemen die Akkretion von Material auf den Weißen Zwerg erfolgt, und wie lange es daher typischerweise dauert, bis die Grenzmasse erreicht wird). Zum anderen ist die Mischung des SN-Auswurfs im ISM nur lokal gewährleistet, so dass es große Inhomogenitäten des Werts von [Fe/H] bei gleichem Alter geben kann. Ein alternatives Maß für die Metallizität ist [O/H], denn Sauerstoff, ein α-Element, wird hauptsächlich in Supernova-Explosionen massereicher Sterne produziert und freigesetzt, beginnend ∼ 107 yr nach der Entstehung einer Sternpopulation, also quasi instantan. Charakteristische Werte für die Metallizität sind −0.5 [Fe/H] 0.3 in der dünnen Scheibe, während in der dicken Scheibe etwa −0.6 [Fe/H] −0.4 typisch ist. Daraus lässt sich schließen, dass die Sterne in der dünnen Scheibe signifikant jünger sind als in der dicken Scheibe. Dieses Ergebnis kann man nun unter Benutzung der Alter-Metallizitäts-Beziehung interpretieren. Entweder begann die Sternentstehung in der dicken Scheibe früher als in der dünnen Scheibe bzw. hat dort früher aufgehört, oder aber Sterne, die früher zur dünnen Scheibe gehörten, sind in die dicke Scheibe ,,gewandert“. Vieles spricht für die zweite Alternative. Zum einen ist nicht zu verstehen, warum das molekulare Gas, aus dem sich die Sterne bilden, zu früheren Zeiten eine deutlich breitere Verteilung gehabt haben sollte als heute, wo es eng um die Galaktische Ebene konzentriert ist. Zum andern ist die Verbreiterung einer ursprünglich engen Sternverteilung mit der Zeit ein erwarteter Effekt: Die Massenverteilung in der Scheibe ist nicht homogen, und Sterne spüren auf ihrem Umlauf um das Galak-
2.3 Struktur der Galaxis 51
tische Zentrum das durch andere Sterne, Spiralarme und massive Molekülwolken hervorgerufene inhomogene Gravitationsfeld. Diese Fluktuationen lenken die Sterne von ihrer Bahn ab, d. h. die Sterne erhalten durch diese lokalen Inhomogenitäten des Gravitationsfeldes eine zufällige Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Scheibe. In anderen Worten, die Geschwindigkeitsdispersion σz einer Sternpopulation wächst mit der Zeit an, wodurch sich die Skalenhöhe einer Population vergrößert. Im Gegensatz zu den Sternen behält das Gas durch Reibung seine dünne Verteilung um die Galaktische Ebene bei. Allerdings ist auch diese Interpretation nicht eindeutig, und ein anderes Szenario für die Bildung der dicken Scheibe ist denkbar, in dem sich die Sterne der dicken Scheibe außerhalb der Milchstraße gebildet haben und erst später durch Akkretion von Satellitengalaxien zum Bestandteil der Scheibe geworden sind. Für dieses Modell spricht u. a., dass die Rotationsgeschwindigkeit der dicken Scheibe um das Galaktische Zentrum um ∼ 50 km/s kleiner ist als die der dünnen Scheibe. Bei anderen Spiralen, in denen eine dicke Scheibenkomponente entdeckt und kinematisch untersucht wurde, ist die Diskrepanz der Rotationskurven zwischen dicker und dünner Scheibe teilweise noch deutlich größer, und in einem Fall scheint die dicke Scheibe gar in umgekehrter Richtung um das Zentrum der Galaxie zu rotieren. In einem solchen Fall wäre das oben skizzierte Modell der Entwicklung der dicken Scheibe durch kinematisches Aufheizen der Sterne in der dünnen Scheibe sicherlich nicht anwendbar. Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis. Die gesamte Sternmasse in der dünnen Scheibe beträgt etwa 6 × 1010 M , dazu kommen ∼ 0.5 × 1010 M in Staub und Gas. Andererseits ist die Leuchtkraft der Sterne in der dünnen Scheibe L B ≈ 1.8 × 1010 L . Daraus ergibt sich ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von M M ≈3 LB L
in dünner Scheibe .
(2.36)
Das M/L-Verhältnis in der dicken Scheibe ist größer, für diese gilt in etwa M ∼ 3 × 109 M und L B ≈ 2 × 108 L , so dass M/L B ∼ 15 in solaren Ein-
heiten. Die dicke Scheibe spielt also weder für die Massenbilanz der Scheibe, und noch weniger für die Gesamtleuchtkraft eine bedeutende Rolle. Würde man unsere Milchstraße von außen beobachten, so ergäbe sich für die Scheibe ein M/L von etwa 4 in solaren Einheiten; das ist ein für Spiralgalaxien charakteristischer Wert. Andererseits ist die dicke Scheibe als Diagnostik für die dynamische Entwicklung der Scheibe von unschätzbarem Wert. 2.3.3
Die Galaktische Scheibe: Staub und Gas
Die Spiralstruktur der Milchstraße und anderer Spiralgalaxien wird gezeichnet von sehr jungen Objekten wie etwa O- und B-Sterne und HII-Regionen, weshalb die Spiralarme sehr blau erscheinen. Offensichtlich findet die Sternentstehung in unserer Milchstraße vor allem in den Spiralarmen statt. Dort ziehen sich aufgrund ihrer Eigengravitation Molekülwolken zusammen und bilden neue Sterne. Im roten Licht sind die Spiralarme weit weniger prägnant. Die Emission im Roten ist dominiert von einer älteren Sternpopulation, und alte Sterne hatten Zeit, sich aus den Spiralarmen weg zu bewegen. Die Sonne befindet sich nahe an, aber nicht in einem Spiralarm, dem sog. Orion-Arm. Die Beobachtung von Gas in der Galaxis wird im Wesentlichen ermöglicht durch die 21 cm-Linienemission von HI (neutralem atomaren Wasserstoff) sowie der Emission von CO, dem zweithäufigsten Molekül nach H2 . Molekularer Wasserstoff ist ein symmetrisches Molekül und besitzt daher kein elektrisches Dipolmoment, weshalb es kein starker Strahler ist. Meistens wird angenommen, dass das Verhältnis von CO und H2 eine universelle Konstante ist (genannt der ,,X-Faktor“). Unter dieser Annahme kann die Verteilung von CO in die des molekularen Gases übersetzt werden. Die Milchstraße ist optisch dünn bei 21 cm, d. h. die 21 cmStrahlung wird auf dem Weg von der Quelle zum Beobachter nicht absorbiert, so dass atomares Gas in der gesamten Galaxis mit radioastronomischen Methoden beobachtet werden kann. Für die Untersuchung der Staubverteilung stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen zeigt sich der Staub durch die von ihm hervorgerufene Extinktion; diese kann quantitativ beispielsweise durch Sternzählungen oder durch Analysen der Verfärbung von Sternen untersucht werden (ein Beispiel dafür
2. Die Galaxis als Galaxie 52
Abb. 2.11. Die Staubverteilung der Galaxis, wie sie aus einer Kombination der IRAS- und COBE-Himmelskarten ermittelt wurde. In Galaktischen Koordinaten ist links der nördliche Galaktische Himmel dargestellt, rechts der südliche. Man erkennt
deutlich die Konzentration des Staubs hin zur Scheibenebene sowie Gebiete, in denen die Staubdichte besonders klein ist; diese Bereiche der Himmels eignen sich besonders für sehr tiefe extragalaktische Beobachtungen
ist in Abb. 2.7 zu sehen). Zum andern emittiert der Staub thermische Strahlung, die im FIR-Bereich des Spektrums beobachtbar ist und die mit verschiedenen Satelliten (wie etwa IRAS und COBE) abgebildet wurden. So wurde aus einer Kombination der Himmelskarten dieser beiden Satelliten bei verschiedenen Frequenzen die Galaktische Staubverteilung ermittelt. Die Temperatur des Staubes variiert in einem relativ kleinen Bereich zwischen ∼ 17 K und ∼ 21 K, aber selbst dieser kleine Unterschied bedingt Variationen der Staubemission bei gleicher Säulendichte um einen Faktor ∼ 5 bei einer Wellenlänge von 100 μm, weshalb Karten bei verschiedenen Frequenzen zur Bestimmung von Säulendichte und Temperatur benutzt werden müssen. Weiterhin muss zunächst das Zodiakallicht, das durch Reflektion der Sonnenstrahlung an Staub in unserem Sonnensystem hervorgerufen wird, subtrahiert werden. Dies ist wegen der unterschiedlichen spektralen Emission durch Multifrequenz-Daten möglich. Die resultierende Staubverteilung ist in Abb. 2.11 gezeigt, die nicht nur die Konzentration des Staubes um die Galaktische Ebene herum, sondern ebenfalls großskalige Anisotropien auch bei hohen Galaktischen Breiten zeigt. Diese hier gezeigte Staubkarte wird standardmä-
ßig für die Extinktionskorrektur bei Beobachtungen von extragalaktischen Quellen benutzt. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich für die Verteilung von Gas und Staub, dass beide stark zur Galaktischen Ebene hin konzentriert sind, insbesondere in den Spiralarmen, wo sie als Material zur Sternentstehung dienen. Molekularen Wasserstoff (H2 ) und Staub findet man im Wesentlichen bei 3 kpc R 8 kpc, innerhalb |z| 90 pc um die Galaktische Ebene. Hingegen ist die Verteilung von atomarem Wasserstoff (HI) bis zu großen Abständen vom GC hin zu beobachten (R 25 kpc), mit einer Skalenhöhe, die innerhalb der Sonnenbahn, R R0 , etwa 160 pc beträgt. Für große Abstände vom GC, R 12 kpc, ist die Skalenhöhe enorm vergrößert, auf etwa 1 kpc; weiterhin ist dort die Gasscheibe verbogen (warped). Der Ursprung des Warps ist unklar. Er könnte z. B. von dem Gravitationsfeld der Magellanschen Wolken herrühren. Die Masse in den beiden Komponenten des Wasserstoffs beträgt insgesamt etwa M(HI)≈ 4 × 109 M und M(H2 ) ≈ 109 M , d. h. die Gasmasse in unserer Galaxis beträgt weniger als ∼ 10% der Sternmasse. In der Sonnenumgebung ist die Dichte des Gases etwa ρ(Gas) ∼ 0.04M / pc3 .
2.3 Struktur der Galaxis 53
2.3.4
Die kosmische Höhenstrahlung
Das Magnetfeld der Galaxis. Wie viele andere kosmische Objekte enthält unsere Milchstraße ein Magnetfeld, dessen Eigenschaften mit einer Vielzahl von Methoden untersucht werden können. Einige davon seien hier kurz erwähnt:
• Polarisation von Sternlicht: Das Licht entfernter
•
•
Sterne ist zum Teil linear polarisiert, wobei der Polarisationsgrad stark korreliert ist mit der Extinktion bzw. der Verfärbung der Sterne. Das deutet darauf hin, dass die Polarisation mit dem Staub, der für die Extinktion verantwortlich ist, zusammenhängt. Das an Staubteilchen gestreute Licht ist teilweise linear polarisiert, wobei die Polarisationsrichtung von der Ausrichtung der Staubkörner abhängt. Wenn deren Ausrichtung zufällig verteilt wäre, würde sich die Überlagerung der gestreuten Strahlung von verschiedenen Staubteilchen zu einer verschwindenden Netto-Polarisation addieren. Da jedoch eine solche Polarisation gemessen wird, kann die Ausrichtung der Staubteilchen nicht zufällig sein, sondern muss über große Skalen kohärent sein. Eine solche kohärente Ausrichtung wird von einem großskaligen Magnetfeld geleistet, wobei die aus der Polarisationsrichtung messbare Ausrichtung der Staubteilchen die (projizierte) Richtung des Magnetfeldes angibt. Der Zeeman-Effekt: Die Energieniveaus eines Atoms ändern sich, wenn sich das Atom in einem Magnetfeld befindet. Dies gilt auch für die 21 cm-Linie des neutralen Wasserstoffs; dieser Übergang spaltet sich auf und diese Aufspaltung kann gemessen werden. Da diese Energieaufspaltung proportional zum Magnetfeld ist, kann so die Feldstärke bestimmt werden. Synchrotron-Strahlung: Wenn sich relativistische Elektronen in einem Magnetfeld bewegen, durchlaufen sie helikale (d. h. schraubenförmige) Bahnen, denn sie werden durch die Lorentz-Kraft beschleunigt, die senkrecht sowohl auf dem Geschwindigkeitsvektor der Teilchen als auch auf dem Magnetfeld steht. Da beschleunigte Ladungen elektromagnetische Strahlung emittieren, ist diese helikale Bewegung die Quelle der sog. SynchrotronStrahlung (die wir in Abschn. 5.1.2 noch genauer diskutieren werden). Diese Strahlung, die im Ra-
•
diobereich des Spektrums beobachtbar ist, ist linear polarisiert, wobei die Polarisationsrichtung von der Richtung des Magnetfeldes abhängt. Faraday-Rotation: Durchläuft polarisierte Strahlung ein magnetisiertes Plasma, so dreht sich dabei die Richtung der Polarisation. Der Rotationswinkel hängt quadratisch von der Wellenlänge der Strahlung ab, Δθ = RM λ2 ,
(2.37)
wobei sich das Rotationsmaß RM ergibt als Integral entlang des Sehstrahls zu einer Quelle über die Elektronendichte und der Komponente B des Magnetfeldes in Richtung des Sehstrahls, 81 rad RM = cm2
D
d n e B . pc cm−3 G
(2.38)
0
Die λ-Abhängigkeit erlaubt die Messung von RM und somit eine Abschätzung des Produkts aus Elektronendichte und Magnetfeld. Ist erstere bekannt, so ergeben sich unmittelbar Aussagen über B. Durch Messung des RM von Quellen unterschiedlicher Richtung und Entfernung kann daher das Magnetfeld der Galaxis untersucht werden. Die Anwendung der gerade besprochenen Methoden ergeben, dass es in der Scheibe unserer Milchstraße ein Magnetfeld gibt, dessen Stärke etwa 4 × 10−6 G beträgt und das im Wesentlichen den Spiralarmen folgt. Kosmische Strahlung. Während beinahe sämtliche Information über unseren Kosmos aus der empfangenen elektromagnetischen Strahlung erhalten wird, erreicht uns auch eine weitere Komponente, die energiereiche Höhenstrahlung, die als Kosmische Strahlung bezeichnet wird. Dabei handelt es sich überwiegend um elektrisch geladene Teilchen, also in erster Linie Elektronen und Kerne. Neben einer Teilchenstrahlung, die von energetischen Prozessen auf der Sonne erzeugt wird, gibt es eine deutlich höherenergetische Komponente, die von Quellen außerhalb des Sonnensystems stammen muss. Das Energiespektrum der Kosmischen Strahlung ist in guter Näherung ein Potenzgesetz: Der Fluss der Teilchen mit einer Energie oberhalb von E läßt sich als S(> E) ∝ E −q beschreiben, wobei q ≈ 1.7
2. Die Galaxis als Galaxie 54
beträgt. Allerdings gibt es Energieskalen, bei denen sich die Steigung dieses Spektrums leicht ändert: bei E ∼ 1015 eV wird das Spektrum etwas steiler, um für E 1018 eV wieder abzuflachen.6 Jedoch sind die Messungen des Spektrums bei diesen sehr hohen Energien sehr unsicher, da der Fluss dann derart stark abgefallen ist, dass nur sehr wenige Teilchen dort gemessen werden können. Um Teilchen auf solch hohe Energien zu beschleunigen, sind besonders energetische Prozesse nötig. Für Energien unterhalb von etwa 1015 eV gibt es sehr gute Gründe, Supernova-Überreste als Quelle der Strahlung anzunehmen. Die SN-Explosion treibt eine Stoßwelle7 in das ISM, deren anfängliche Geschwindigkeit ∼ 10 000 km/s beträgt. Plasma-Prozesse in einer solchen Stoßfront führen dazu, dass einige Teilchen zu sehr hohen Energien beschleunigt werden können. Die Theorie dieser diffusen Stoßbeschleunigung sagt vorher, dass das resultierende Spektrum dieser Teilchen einem Potenzgesetz folgt, dessen Steigung nur von der Stärke des Stoßes (d. h. dem Verhältnis der Dichten auf beiden Seiten der Stoßfront) abhängt und sehr gut mit der Steigung des beobachteten Spektrums der Kosmischen Strahlung übereinstimmt (wenn man weitere Propagationsprozesse in der Milchstraße berücksichtigt). Die Anwesenheit sehr hochenergetischer Elektronen in SN-Überresten ist direkt in Form ihrer Synchrotron-Strahlung zu beobachten, so dass man auch die Steigung des erzeugten Spektrums direkt untersuchen kann. Die so erzeugten Teilchen propagieren dann in der Galaxis, wobei sie sich aufgrund des Magnetfeldes auf komplizierten helikalen Bahnen bewegen. Aus diesem Grunde ist die Richtung, aus der uns ein Teilchen erreicht, nicht mit der Richtung seiner Quelle zu identifizieren. Das Magnetfeld 6 Diese
Energien können verglichen werden zu denen, die man in Teilchenbeschleunigern erzeugen kann: das LEP am CERN erreichte Energien von etwa ∼ 100 GeV = 1011 eV. 7 Stoßfronten sind Flächen in einer Gasströmung, wo sich die Zustandsparameter des Gases, wie Druck, Dichte und Temperatur diskontinuierlich ändern. Das Standardbeispiel für eine Stoßfront ist der Knall einer Explosion, bei der sich eine kugelförmige Stoßwelle vom Ort der Explosion nach außen hin ausbreitet. Ein weiteres Beispiel ist der Überschallknall, wie er etwa von Flugzeugen erzeugt wird, deren Geschwindigkeit größer als die Schallgeschwindigkeit ist. Solche Stoßfronten sind Lösungen der hydrodynamischen Gleichungen, und sie kommen in der Astrophysik häufig vor, etwa bei Explosionsphänomenen wie Supernovae oder bei schnellen (d. h. Überschall-)Strömungen, wie wir sie in AGNs kennenlernen werden.
sorgt auch dafür, dass die Teilchen die Milchstraße nicht auf ,,geradem Wege“ verlassen, sondern über längere Zeit (∼ 107 yr) gespeichert werden, bevor sie herausdiffundieren. Die Quellen der Teilchen zwischen ∼ 1015 eV und ∼ 1018 eV vermutet man ebenfalls in unserer Milchstraße, weil für diese die Magnetfeldstärke ausreicht, sie in der Galaxis zu halten. Allerdings kommen für Teilchen dieser Energien SN-Überreste wahrscheinlich als Quelle nicht in Frage; in der Tat ist der Ursprung dieser Strahlung weitestgehend unbekannt. Teilchen mit Energien oberhalb ∼ 1018 eV sind wahrscheinlich extragalaktischen Ursprungs. Der Krümmungsradius ihrer helikalen Bahnen im Magnetfeld der Galaxis ist größer als der Radius der Milchstraße, so dass sie nicht gespeichert werden können. Auch deren Ursprung ist nicht bekannt, aber AGNs stellen die wahrscheinlichsten Quellen dieser Teilchen dar. Schließlich ist eines der großen Rätsel der hochenergetischen Astrophysik der Ursprung der Kosmischen Strahlung mit E 1019 eV. Die Energie dieser Teilchen ist so groß, dass sie mit dem kosmischen Mikrowellenhintergrund wechselwirken können, dabei Pionen und andere Teilchen erzeugen und in diesem Prozess sehr stark an Energie verlieren. Solche Teilchen können nicht viel weiter als ∼ 10 Mpc durch das Universum propagieren, bevor sie einen Großteil ihrer Energie verloren haben. Daher sollten sich ihre Quellen in der nahen Umgebung der Milchstraße befinden. Da die Krümmung der Orbits solcher Teilchen sehr klein ist, sollte man im Prinzip in der Lage sein, ihren Ursprung in etwa zu identifizieren, denn innerhalb von 10 Mpc gibt es nicht allzuviele AGNs, die dafür in Frage kommen. Allerdings ist die Statistik dieser höchstenergetischen Strahlenteilchen so klein, dass bislang keine gut fundierten Aussagen möglich waren. Es ist interessant zu bemerken, dass die Energiedichten von Kosmischer Strahlung, dem Magnetfeld, der turbulenten Energie des ISM und der elektromagnetischen Strahlung der Sterne sehr vergleichbar sind, so als hätte sich ein Gleichgewicht dieser verschiedenen Komponenten eingestellt. Da diese Komponenten miteinander wechselwirken – so kann die turbulente Bewegung des ISM das Magnetfeld verstärken, umgekehrt beeinflusst das Magnetfeld die Bewegung des ISM sowie der Kosmischen Strahlung – ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich durch diese gegenseitigen Prozesse eine Gleichverteilung der Energiedichten einstellt.
2.3 Struktur der Galaxis 55
2.3.5
Der Galaktische Bulge
Der Bulge ist die zentrale Verdickung unserer Galaxis. Die Abb. 1.2 zeigt eine andere Spiralgalaxie von der Seite, deren Bulge deutlich zu erkennen ist. Die charakteristische Längenskala des Bulges beträgt ∼ 1 kpc. Wegen der starken Extinktion in der Scheibe ist der Bulge hauptsächlich im IR beobachtbar, z. B. mit den IRAS- und COBE-Satelliten, denn die Extinktion im Visuellen beträgt in Richtung des GC A V ∼ 28 mag! Es gibt aber einige Sichtlinien nahe zum GC, für die A V wesentlich kleiner ist, d. h. wo man im Optischen und nahen IR beobachten kann, z. B. Baades Fenster, welches sich ca. 4◦ unterhalb des GC bei ∼ 1◦ befindet und für das A V ∼ 2 mag beträgt (siehe auch Abschn. 2.6). Aus den Beobachtungen von COBE, aber auch aus den Galaktischen Mikrolinsenuntersuchungen (siehe Abschn. 2.5) wissen wir, dass unser Bulge die Form eines Balkens hat, dessen große Hauptachse etwa 30◦ von uns wegzeigt. Die Skalenhöhe des Bulge ist etwa 400 pc, wobei er eine Abplattung von ∼ 0.6 zeigt. Wie bei den exponentiellen Profilen, die die Lichtverteilung der Scheibe beschreiben, wird die funktionale Form der Helligkeitsverteilung im Bulge auch durch Beobachtungen anderer Spiralgalaxien nahegelegt, denn das Profil von deren Bulge ist selbstverständlich ,,von außen“ besser zu beobachten als das unserer Galaxis, wo wir ,,mitten drin“ leben. Das de Vaucouleurs-Profil. Das Helligkeitsprofil unseres Bulges lässt sich beschreiben durch das de Vaucouleurs-Gesetz, das die Flächenhelligkeit I als Funktion des Abstands R vom Zentrum angibt,
I(R) R 1/4 = −3.3307 log −1 ; Ie Re (2.39) dabei ist I(R) die Flächenhelligkeit, gemessen beispielsweise in [I] = L /pc2 . Re ist der Effektivradius, der so definiert ist, dass die Hälfte der Leuchtkraft innerhalb Re emittiert wird, Re ∞ 1 d R R I(R) = d R R I(R) . (2.40) 2 0
0
Diese Definition von Re führt auch zu dem numerischen Faktor auf der rechten Seite von (2.39). Wie man aus
(2.39) leicht erkennt, ist Ie = I(Re ) die Flächenhelligkeit am Effektivradius. Eine alternative Form des de Vaucouleurs-Gesetzes ist
I(R) = Ie exp −7.669 (R/Re )1/4 − 1 . (2.41) Wegen seiner mathematischen Form nennt man dies auch ein r 1/4 -Gesetz. Das r 1/4 -Gesetz fällt wesentlich langsamer ab für große R als ein Exponentialgesetz. Für den Galaktischen Bulge findet man einen Effektivradius von Re ≈ 0.7 kpc. Mit dem de Vaucouleurs-Profil ergibt sich durch Integration der Oberflächenhelligkeit der Zusammenhang zwischen Leuchtkraft, Effektivradius und Flächenhelligkeit, ∞ L=
d R 2πR I(R) = 7.215πIe Re2 .
(2.42)
0
Altersverteilung im Bulge. Sterne im Bulge überdecken einen weiten Metallizitätsbereich, −1 [Fe/H] +1, mit einem Mittelwert von etwa 0.3, d. h. die mittlere Metallizität ist etwa doppelt so groß wie die der Sonne. Das deutet auf einen Anteil einer relativ jungen Population hin. Ebenfalls befindet sich ca. 108 M molekulares Gas im Bulge. Andererseits findet man dort auch sehr metallarme RR Lyrae-Sterne, also alte Sterne. Allerdings ist die Trennung der Zugehörigkeit zwischen Bulge und Scheibe nicht einfach, so dass die junge Komponente auch ein Teil der inneren Scheibe sein könnte. Die Masse des Bulges beträgt in etwa M(bulge) ∼ 1010 M , und die Leuchtkraft ist L B (bulge) ∼ 3 × 109 L , woraus sich ein Masse-zu-LeuchtkraftVerhältnis von M M ≈3 im Bulge , L L
(2.43)
ergibt, also sehr ähnlich zur dünnen Scheibe.
2.3.6
Der sichtbare Halo
Der (sichtbare) Halo unserer Galaxis besteht aus etwa 150 Kugelsternhaufen und Feldsternen mit großer Geschwindigkeit senkrecht zur Galaktischen Ebene. Die alten Kugelsternhaufen mit [Fe/H] < −0.8 haben eine
2. Die Galaxis als Galaxie 56
angenähert sphärische Verteilung um das GC. Es gibt eine zweite Population von Kugelsternhaufen, die jüngere Sterne enthalten mit einer größeren Metallizität, [Fe/H] > −0.8. Diese besitzen eine flachere geometrische Verteilung und sind eventuell Teil der dicken Scheibe, da sie auch in etwa die gleiche Skalenhöhe wie diese besitzen. Die meisten Kugelsternhaufen haben √ einen Abstand r 35 kpc vom GC (wobei r = R2 + z 2 ), jedoch findet man auch einige mit r > 60 kpc. Bei diesen Abständen ist es schwer zu entscheiden, ob diese Objekte Teil der Galaxis sind oder aber gerade eingefangen werden aus unseren Nachbargalaxien, wie z. B. den Magellanschen Wolken. Man hat Feldsterne ebenfalls bis zu r ∼ 50 kpc gefunden, weshalb man für die Ausdehnung des sichtbaren Halos den Wert rhalo ∼ 50 kpc als charakteristisch annimmt. Die Dichteverteilung von metallarmen Kugelsternhaufen und Feldsternen im Halo wird durch n(r) ∝ r −3.5
(2.44)
beschrieben. Alternativ dazu kann man ein de Vaucouleurs-Profil an die Dichteverteilung anpassen, was dann zu einem Effektivradius von re ∼ 2.7 kpc führt. Bei großen Entfernungen von der Scheibe findet man ebenfalls neutralen Wasserstoff in Form von Wolken. Die meisten dieser (in der 21 cm-Linie sichtbaren) Wolken haben eine negative Radialgeschwindigkeit, bewegen sich also auf uns zu, teilweise mit Geschwindigkeiten von bis zu vr ∼ −400 km/s. Diese Hochgeschwindigkeitswolken (high-velocity clouds, HVCs) können nicht an der allgemeinen Galaktischen Rotation teilnehmen. Es gibt kaum Möglichkeiten, die Entfernungen dieser Wolken genauer zu bestimmen, weshalb ihr Ursprung und ihre Natur umstritten ist. Dabei gibt es jedoch eine Ausnahme: Der Magellansche Strom ist ein schmales Band von HI-Emission, welches den Magellanschen Wolken auf ihrem Orbit um die Galaxis folgt und vielleicht das Resultat einer nahen Begegnung mit der Milchstraße ist, die durch Gezeitenkräfte dieses Gas unseren Nachbargalaxien entrissen hat. 2.3.7
Die Entfernung zum Galaktischen Zentrum
Wie bereits erwähnt, ist unsere Entfernung zum GC relativ schwierig zu messen und daher nicht
genau bekannt. Das wesentliche Problem einer solchen Bestimmung ist die große Extinktion in der Scheibe, aufgrund derer man die Entfernung individueller Sterne nahe des GC nicht messen kann. Deshalb ist man auf indirekte Methoden angewiesen, von denen wir die gebräuchlichste hier erläutern wollen. Der sichtbare Halo unserer Milchstraße wird bevölkert von Kugelsternhaufen, aber auch von Feldsternen. Diese besitzen eine sphärische, oder allgemeiner, eine sphäroidale (d. h. abgeplattete) Verteilung. Das Zentrum dieser Verteilung ist offensichtlich das gravitative Zentrum der Milchstraße, um das herum die Haloobjekte sich bewegen. Wenn man nun die dreidimensionale Verteilung der Halopopulation vermessen kann, so sollte das geometrische Zentrum dieser Verteilung mit dem GC übereinstimmen. Diese Methode ist in der Tat anwendbar, da man aufgrund der ausgedehnten Verteilung der Haloobjekte diese bei relativ großen Galaktischen Breiten beobachten kann und daher von der Extinktion nur mäßig behindert wird. Wie wir in Abschn. 2.2 besprochen haben, ist die Entfernungsbestimmung von Kugelsternhaufen mit Hilfe der photometrischen Methode möglich. Andererseits findet man in Kugelsternhaufen auch RR Lyrae-Sterne, für die man die Methode der Perioden-Leuchtkraft-Relation benutzen kann. Somit kann die räumliche Verteilung der Kugelsternhaufen bestimmt werden. Allerdings ist die Anzahl von bekannten Kugelsternhaufen mit ca. 150 relativ gering, woraus sich ein großer statistischer Fehler für die Bestimmung ihres gemeinsamen Mittelpunkts ergibt. Sehr viel zahlreicher sind die RR Lyrae-Feldsterne im Halo, deren Entfernung mit der Perioden-Leuchtkraft-Relation photometrisch messbar ist. Der statistische Fehler bei der Bestimmung des Mittelpunkts ihrer Verteilung ist daher sehr viel geringer. Andererseits basiert die so bestimmte Entfernung zum GC alleine auf der Kalibration der Perioden-Leuchtkraft-Relation, und jede Unsicherheit dabei resultiert in einem systematischen Fehler für R0 . Hinzu kommen Effekte der Extinktion, die jedoch minimiert werden können, wenn die RR Lyrae im NIR beobachtet werden, was auch wegen der engeren Verteilung der absoluten Helligkeiten von RR Lyrae-Sternen im NIR vorteilhaft ist. Aus solchen Untersuchungen ergibt sich ein Wert von R0 ≈ 8.0 kpc (siehe Abb. 2.12).
2.4 Kinematik der Galaxis 57
Abb. 2.12. Die Anzahl von RR Lyrae-Sternen als Funktion der Entfernung, gemessen in einer Richtung, die bei = 0◦ und b = −8◦ nahe zum Galaktischen Zentrum verläuft. Nimmt man eine sphärisch symmetrische, nach innen hin konzentrierte Verteilung der RR Lyrae-Sterne an, so ist die Entfernung zum Galaktischen Zentrum mit dem Maximum dieser Verteilung zu identifizieren
2.4
Kinematik der Galaxis
Die Galaxis rotiert differentiell, also nicht wie ein starrer Körper. Das bedeutet, dass die Winkelgeschwindigkeit eine Funktion des Abstands R vom GC ist. Von ,,oben“ betrachtet, also vom NGP, findet die Rotation im Uhrzeigersinn statt. Um das Geschwindigkeitsfeld quantitativ zu beschreiben, führen wir im Folgenden Geschwindigkeitskomponenten im Koordinatensystem (R, θ, z) ein, wie in Abb. 2.13 dargestellt. Ein Körper mit der Bahnkurve [R(t), θ(t), z(t)] hat dann die Geschwindigkeitskomponenten dR dθ dz , V := R , W := . (2.45) dt dt dt Bespielsweise bewegt sich die Sonne nicht auf einer einfachen Kreisbahn um das GC, sondern momentan nach innen, U < 0, und mit W > 0, also entfernt sich von der Galaktischen Ebene. In diesem Abschnitt wollen wir die Rotation der Milchstraße untersuchen. Wir beginnen dabei mit der U :=
Abb. 2.13. Zylindrisches Koordinatensystem (R, θ, z) mit dem Galaktischen Zentrum im Ursprung; beachte: θ nimmt zu im Uhrzeigersinn, wenn die Scheibe von oben betrachtet wird. Die entsprechenden Geschwindigkeitskomponenten (U, V, W) eines Sterns sind angedeutet
Bestimmung der Geschwindigkeitskomponenten der Sonne. Danach widmen wir uns der Rotationskurve der Galaxis, also der Funktion V(R), und werden dabei auf ein erstaunliches Ergebnis stoßen. Da dieses Ergebnis von herausragender Bedeutung ist, werden wir die Methodik detailliert darstellen.
2.4.1
Bestimmung der Geschwindigkeit der Sonne
Local Standard of Rest. Um lokale Messungen mit dem Galaktischen Koordinatensystem (R, θ, z) in Verbindung zu bringen, definiert man den local standard of rest (LSR). Dies ist ein fiktives Ruhesystem, in dem Geschwindigkeiten gemessen werden. Dazu stellt man sich einen Punkt vor, der sich heute am Ort der Sonne befindet und eine perfekte Kreisbahn in der Scheibe vollführt. Die Geschwindigkeitskomponenten des LSR sind daher definitionsgemäß ULSR ≡ 0 ,
VLSR ≡ V0 ,
WLSR ≡ 0 ,
(2.46)
wobei V0 ≡ V(R0 ) die Kreisbahngeschwindigkeit am Ort der Sonne ist. Obwohl sich der LSR ständig ändert, ist die Zeitskala dieser Änderung (die Orbitperiode beträgt ∼ 230 × 106 yr) so groß, dass dieser Effekt vernachlässigt werden kann.
2. Die Galaxis als Galaxie 58
Pekuliargeschwindigkeit. Die Geschwindigkeit eines Objekts relativ zu der des LSR nennt man Pekuliargeschwindigkeit. Diese bezeichnet man mit v, und ihre Komponenten sind gegeben durch v ≡ (u, v, w) = (U − ULSR , V − VLSR , W − WLSR ) . = (U, V − V0 , W) (2.47) Die Sonnenbewegung relativ zum LSR bezeichnet man mit v . Wenn man v kennt, kann man Geschwindigkeitsmessungen relativ zur Sonne umrechnen in Geschwindigkeiten relativ zum LSR: sei Δv die Geschwindigkeit eines Sterns relativ zur Sonne, die mit den in Abschn. 2.2 besprochenen Methoden direkt messbar ist, so ist dessen Pekuliargeschwindigkeit v = v + Δv .
(2.48)
Pekuliargeschwindigkeit der Sonne. Wir betrachten nun ein Ensemble von Sternen in der unmittelbaren Sonnenumgebung und nehmen an, die Galaxis sei axialsymmetrisch und stationär. Unter diesen Annahmen bewegen sich dann gleich viele Sterne von innen nach außen wie umgekehrt, und gleich viele von oben nach unten wie von unten nach oben, so dass der Mittelwert der entsprechenden Pekuliargeschwindigkeitskomponenten verschwinden muss, u = 0 ,
w = 0 ,
erklärt sich aus der Feststellung, dass eine Kreisbahn eine größere Tangentialgeschwindigkeit hat als elliptische Bahnen mit ihrer Radialkomponente. Die Gleichung (2.50) drückt die Tatsache aus, dass die mittlere Rotationsgeschwindigkeit einer Sternpopulation um das Zentrum umso mehr von der entsprechenden Kreisbahngeschwindigkeit abweicht, je größer ihre Geschwindigkeitsdispersion in radialer Richtung ist. Man bezeichnet dieses Phänomen auch als asymmetrischen Drift. Aus der Mittelung von (2.48) über das betrachtete Ensemble folgt mit (2.49) und (2.50)
v = − Δu , −C u 2 − Δv , − Δw . (2.51) Um nun diese Relation auszuwerten, benötigt man noch die Konstante C. Dabei geht man so vor, dass man verschiedene Sternpopulationen betrachtet und für diese getrennt u 2 und Δv misst. Trägt man dann diese beiden Größen in ein Diagramm auf (siehe Abb. 2.14), so ergibt sich, wie mit (2.50) erwartet, ein linearer Zusammenhang, dessen Steigung gerade C ist und aus dem Diagramm abgelesen werden kann. Weiterhin kann man aus dem Schnittpunkt mit der Δv-Achse direkt v ablesen. Die anderen Komponenten ergeben sich durch einfache Mittelung und liefern das Ergebnis: v = (−10, 5, 7) km/s .
(2.52)
(2.49)
wobei die Klammern das Mittel über das betrachtete Ensemble bedeuten. Für die v-Komponente gilt dieses Argument nicht, denn der Mittelwert von v hängt von der Verteilung der Orbits ab: falls es nur kreisförmige Orbits in der Scheibe gäbe, dann wäre ebenfalls v = 0 (trivial, denn dann hätten alle Sterne v = 0), aber dies ist nicht der Fall. Aus der statistischen Betrachtung der Orbits im Rahmen der Stellardynamik folgt, dass v eng mit der Geschwindigkeitsdispersion der Sterne zusammenhängt: Je größer diese ist, um so mehr weicht v von Null ab. Man findet v = −C u 2 , (2.50) wobei C eine positive Konstante ist, die von der Dichteverteilung und der lokalen Geschwindigkeitsverteilung der Sterne abhängt. Das Vorzeichen in (2.50)
Abb. 2.14. Trägt man für Sterne der Sonnenumgebung die Geschwindigkeitskomponenten Δv = v − v gegen u 2 auf, kann man durch den linearen Zusammenhang v als xAchsenabschnitt und C als Steigung ablesen
2.4 Kinematik der Galaxis 59
Die Sonne bewegt sich also nach innen, nach oben, und schneller, als es einer Kreisbahn an ihrem Ort entspricht. Damit ist v bestimmt, so dass gemessene Sterngeschwindigkeiten bzgl. des LSR analysiert werden können. Allerdings ist damit noch nicht V0 bestimmt, die Rotationsgeschwindigkeit des LSR selbst. Geschwindigkeitsdispersion der Sterne. Bezogen auf den LSR kann man nun die Dispersion der Geschwindigkeit von Sternen messen, d. h. die mittlere quadratische Abweichung ihrer Geschwindigkeit von der Bewegung des LSR. Diese stellt sich als klein heraus für junge Sterne (z. B. A-Sterne), ist größer für ältere K-Riesen, und noch größer für alte, metallarme Rote Zwergsterne. Dazu gibt es eine sehr deutliche Geschwindigkeits-Metallizitäts-Beziehung. Verknüpft man diese nun mit der Metallizitäts-Alters-Beziehung, so ergibt sich, dass die ältesten Sterne die größten Pekuliargeschwindigkeiten besitzen, und diese ist sichtbar in allen drei Koordinaten. Dieses Resultat ist in Übereinstimmung mit dem in Abschn. 2.3.2 diskutierten Zusammenhang zwischen dem Alter von Sternpopulationen und deren Skalenhöhen, die ja mit der Geschwindigkeitsdispersion σz verknüpft ist. Asymmetrischer Drift. Betrachtet man Hochgeschwindigkeitssterne, so gibt es kaum welche mit v > 65 km/s, die also sehr viel schneller um das GC lau-
fen als der LSR, aber solche mit v < −250 km/s, deren Bahngeschwindigkeit dem Rotationssinn des LSR entgegengesetzt ist. Aufgetragen in einem (u-v)-Diagramm ergibt sich eine Verteilung, die für junge Sterne eng um u = 0 = v konzentriert ist, wie bereits oben beschrieben, und für ältere Sterne immer breiter wird. Für die ältesten Sterne, die der Halopopulation angehören, ergibt sich eine kreisförmige Einhüllende, deren Mittelpunkt bei u = 0 und v ≈ −220 km/s liegt (siehe Abb. 2.15). Nimmt man nun an, dass der Galaktische Halo, zu dem diese Hochgeschwindigkeitssterne gehören, nicht (oder nur sehr langsam) rotiert, dann ist die Asymmetrie der v-Verteilung allein auf die Rotation des LSR zurückzuführen, der Mittelpunkt der Einhüllenden ist dann also gerade bei −V0 . Daraus erhält man für die Bahngeschwindigkeit des LSR V0 ≡ V(R0 ) = 220 km/s .
(2.53)
Mit dieser Geschwindigkeit kann man dann die Masse der Galaxis innerhalb des Orbits der Sonne berechnen. Die Bedingung für eine Kreisbahn ist das Gleichgewicht zwischen der Zentrifugalbeschleunigung und der gravitativen Beschleunigung, V 2 /R = G M(< R)/R2 , so dass M(< R0 ) =
V02 R0 = 8.8 × 1010 M . G
(2.54)
Abb. 2.15. Die Bewegung der Sonne um das Galaktische Zentrum spiegelt sich im Asymmetrischen Drift wider: Während junge Sterne unserer Sonnenumgebung ähnliche Geschwindigkeiten, d. h. kleine Relativgeschwindigkeiten besitzen, haben die Mitglieder anderer Populationen (und anderer Milchstraßen-Komponenten) andere Geschwindigkeiten – für Halo-Objekte z. B. v = −220 km/s. Dadurch ergeben sich verschiedene Geschwindigkeitsellipsen in einem (u-v)-Diagramm
2. Die Galaxis als Galaxie 60
Weiterhin ergibt sich für die Umlaufzeit der Sonne (genauer, des LSR) um die Galaxis P=
2.4.2
2πR0 = 230 × 106 yr . V0
(2.55)
Koordinaten ΔV = V − V V (R0 /R) − V (D/R) cos − V0 = . −V (D/R) sin
Die Rotationskurve der Galaxis
Aus Beobachtungen der Geschwindigkeit von Sternen oder Gas um das GC lässt sich die Rotationsgeschwindigkeit V als Funktion des Abstands R vom GC bestimmen. In diesem Abschnitt beschreiben wir die Methodik, mit der diese Rotationskurve V(R) bestimmt wird und diskutieren das Resultat. Dazu betrachten wir ein Objekt im Abstand R vom GC auf einem kreisförmigen Orbit in der Galaktischen Ebene, das von der Sonne den Abstand D hat und sich bei der Galaktischen Länge befindet (siehe Abb. 2.16). In kartesischen Koordinaten mit Ursprung im GC findet man für dessen Orts- und Geschwindigkeitsvektor (hier werden nur die zwei Komponenten in der Galaktischen Ebene betrachtet, da die Bewegung in der Scheibe vorausgesetzt wird) sin θ cos θ r= R , V = r˙ = V(R) , cos θ − sin θ wobei θ den Winkel zwischen der Sonne und dem Objekt bezeichnet, wie er vom GC aus gesehen wird. Andererseits folgt aus Abb. 2.16, dass D sin r= . R0 − D cos
Abb. 2.16. Geometrische Herleitung zum Formalismus der differentiellen Rotation: vr = vr∗ − vr = v∗ sin ∗ − v sin , vt = vt∗ − vt = v∗ cos ∗ − v cos . Es gilt:
Setzt man nun die beiden Ausdrücke für r komponentenweise gleich, ergibt sich sin θ = (D/R) sin , cos θ = (R0 /R) − (D/R) cos . Vernachlässigen wir den Unterschied zwischen den Geschwindigkeiten der Sonne und des LSR, dann ist V ≈ VLSR = (V0 , 0) in diesem Koordinatensystem. Daher ist die Relativgeschwindigkeit zwischen dem betrachteten Objekt und der Sonne in kartesischen
R sin θ = D sin , R cos θ + D cos = R0 . Daraus folgt:
v∗ v − sin R R0 = (Ω − Ω0 )R0 sin , v∗ v v∗ − vt = R0 cos − D R R0 R = (Ω − Ω0 )R0 cos − ΩD .
vr = R0
2.4 Kinematik der Galaxis 61
Mit der Definition der Winkelgeschwindigkeit V(R) R erhält man für die Relativgeschwindigkeit R0 (Ω − Ω0 ) − Ω D cos ΔV = , −D Ω sin Ω(R) =
(2.56)
wobei Ω0 = V0 /R0 die Winkelgeschwindigkeit der Sonne ist. Die Radial- und Tangentialgeschwindigkeit dieser Relativbewegung ergibt sich nun durch Projektion von ΔV auf die Richtung parallel bzw. senkrecht zum Abstandsvektor, vr = ΔV ·
sin − cos
= (Ω − Ω0 )R0 sin , (2.57)
vt = ΔV ·
cos sin
= (Ω − Ω0 )R0 cos − Ω D . (2.58)
Eine rein geometrische Herleitung dieser Beziehungen wird in der Abb. 2.16 gegeben. Rotationskurve nahe R0 , Oortsche Konstanten. Mit der Gleichung (2.57) lässt sich durch Messung von vr die Winkelgeschwindigkeit Ω bestimmen, nicht aber der Abstand R, zu dem sie gehört, so dass Ω(R) durch Radialgeschwindigkeitsmessungen alleine nicht bestimmt werden kann. Kann man jedoch vr und zusätzlich die Eigenbewegung μ = vt /D von Sternen messen, so ist mit den obigen Gleichungen Ω und D bestimmt, und aus D und ergibt sich R = R02 + D2 − 2R0 D cos . Wegen der Extinktion kann diese Methode nicht bei großen D angewandt werden, denn wir nehmen ja an, dass wir in der Scheibe messen. Für kleine Abstände D R0 , was auch impliziert |R − R0 | R0 , kann man eine lokale Betrachtung durchführen, in der wir die obigen Gleichungen nur bis zur erster Ordnung in (R − R0 )/R0 betrachten. In dieser linearen Näherung gilt dΩ Ω − Ω0 ≈ (R − R0 ) , (2.59) dR |R0
wobei die Ableitung an der Stelle R = R0 auszuwerten ist. Daher wird dΩ R0 sin , vr = (R − R0 ) d R |R0 und weiterhin ist, mit (2.56),
dΩ R0 dV V R0 = − d R |R0 R d R |R0 R V0 dV ≈ − , d R |R0 R0 in nullter Ordnung in (R − R0 )/R0 . Aus der Kombination der beiden letzten Gleichungen folgt dann
dV V0 vr = − (R − R0 ) sin ; (2.60) d R |R0 R0 analog dazu erhält man
dV V0 vt = − (R − R0 ) cos − Ω0 D . d R |R0 R0 (2.61) Für |R − R0 | R0 folgt, dass R0 − R ≈ D cos ; setzt man dies in (2.60) und (2.61) ein, so erhält man vr ≈ A D sin 2 ,
vt ≈ A D cos 2 + B D , (2.62)
mit den Oortschen Konstanten
1 dV V0 A := − − , 2 d R |R0 R0
1 dV V0 B := − + . 2 d R |R0 R0
(2.63)
Das Radial- und Tangentialgeschwindigkeitsfeld relativ zur Sonne weist also eine Sinus-Kurve mit Periode π auf, wobei vt und vr um π/4 phasenverschoben sind. Dieses Verhalten des Geschwindigkeitsfeldes in der Sonnenumgebung wird in der Tat gemessen (siehe Abb. 2.17). Aus dem Fit an die Daten für vr ( ), vt ( ) bei Sternen gleicher Entfernung D können also A und B bestimmt werden, und damit auch V0 dV Ω0 = = A− B , = −(A + B) . R0 d R |R0 (2.64)
2. Die Galaxis als Galaxie 62
schwindigkeiten mit der Entfernung des Gases vom Galaktischen Zentrum zu verknüpfen. Dazu wird die Tangentialpunktmethode benutzt. Betrachten wir einen Sehstrahl bei fester Galaktischer Länge , mit cos > 0 (also ,,nach innen“), dann ist die Radialgeschwindigkeit vr entlang dieses Sehstrahls eine Funktion des Abstands D, entsprechend (2.57). Falls Ω(R) eine monoton fallende Funktion ist, erreicht vr ein Maximum, wenn der Sehstrahl tangential an der lokalen Kreisbahn verläuft und daher seine Entfernung R vom GC das Minimum Rmin annimmt. Dies ist der Fall (siehe Abb. 2.18) bei Abb. 2.17. Die Radialgeschwindigkeit vr ist bei fester Entfernung D von Sternen proportional zu sin 2 ; die Tangentialgeschwindigkeit vt ist eine lineare Funktion von cos 2 . Aus die Amplitude der Oszillationen lässt sich die Oortsche Konstante A bestimmen, und aus dem Mittelwert von vt erhält man B (siehe Gl. (2.62))
Aus den Oortschen Konstanten folgt also die Winkelgeschwindigkeit der Sonnenbahn und deren Ableitung, also die lokale kinematische Information. Würde unsere Galaxis starr rotieren, so dass Ω vom Radius unabhängig wäre, so folgte A = 0. Allerdings rotiert die Milchstraße differentiell, d. h. die Winkelgeschwindigkeit hängt vom Radius ab. Für A und B ergeben die Messungen A = (14.8 ± 0.8) km s−1 kpc−1 , B = (−12.4 ± 0.6) km s−1 kpc−1 .
(2.65)
Rotationskurve der Galaxis für R < R0 ; Tangentialpunktmethode. Um die Rotationskurve für Radien zu messen, die deutlich kleiner sind als R0 , muss man wegen der Extinktion in der Scheibe zu großen Wellenlängen übergehen. Man benutzt dazu die 21 cmEmissionslinie des neutralen Wasserstoffs, die man über sehr große Entfernungen beobachten kann, oder die Emission von CO im molekularen Gas. Diese Gaskomponenten sind in der Scheibe weit verbreitet und dabei auch stark zur Ebene hin konzentriert. Weiterhin ist die Radialgeschwindigkeit aufgrund des DopplerEffekts leicht zu messen. Da man aber die Entfernung einer Wasserstoffwolke nicht direkt bestimmen kann, benötigt man eine Methode, um gemessene Radialge-
D = R0 cos ,
Rmin = R0 sin .
(2.66)
Die maximale Radialgeschwindigkeit ist dort, entsprechend (2.57), vr,max = [Ω(Rmin ) − Ω0 ] R0 sin = V(Rmin ) − V0 sin ,
(2.67)
so dass man aus dem gemessenen Wert vr,max als Funktion der Richtung die Rotationskurve innerhalb von R0 bestimmen kann, V(R) =
R R0
V0 + vr,max (sin = R/R0 ) . (2.68)
Im optischen Spektralbereich ist diese Methode wegen der Extinktion nur lokal anwendbar, also nur für kleine D. Dies ist der Fall, wenn man beinahe tangential an die Bahnkurve der Sonne beobachtet, also wenn 0 < π/2 − 1 oder 0 < − 3π/2 1, oder | sin | ≈ 1, so dass R0 − Rmin R0 . Dann gilt in erster Ordnung in (R0 − Rmin ), mit (2.66), dV V(Rmin ) ≈ V0 + (Rmin − R0 ) d R |R0 dV = V0 − R0 (1 − sin ) , (2.69) d R |R0 so dass mit (2.67)
dV vr,max = V0 − dR
|R0
R0 (1 − sin )
= 2 A R0 (1 − sin )
, (2.70)
2.4 Kinematik der Galaxis 63 Abb. 2.18. Das ISM ist für 21 cm-Strahlung optisch dünn, dadurch können wir die 21 cm-Emission von HI-Gebieten aus der gesamten Galaxis empfangen. Durch die Bewegung einer HI-Wolke relativ zu uns wird die Wellenlänge verschoben, wodurch man die Radialgeschwindigkeit einer Wolke durch die Linienverschiebung bestimmen kann. Unter der Annahme, dass sich das Gas der Galaxis auf Kreisbahnen um das Galaktische Zentrum bewegt, ist zu erwarten, dass für die Wolke im Tangentialpunkt (Wolke 4) deren gesamte Geschwindigkeit auf die Radialgeschwindigkeit projiziert wird und dass diese zugleich die größte Radialgeschwindigkeit aufweist. Ist die Entfernung der Sonne zum Galaktischen Zentrum bekannt, können somit die Geschwindigkeit einer Wolke und ihr Abstand zum Galaktischen Zentrum bestimmt werden
wobei im letzten Schritt (2.63) benutzt wurde. Diese Relation kann ebenfalls für die Bestimmung der Oortschen Konstanten A benutzt werden. Um V(R) für kleinere R mit Hilfe der Tangentialpunktmethode zu bestimmen, muss man in Wellenlängenbereichen beobachten, in denen die Galaktische Scheibe transparent ist, also Radio-Emissionslinien von Gas. In Abb. 2.18 ist ein typisches Intensitätsprofil der 21 cm-Linie entlang eines Sehstrahls skizziert; entsprechend des Doppler-Effekts kann dies direkt in ein
Geschwindigkeitsprofil vr = (λ − λ0 )/λ0 umgerechnet werden. Es besteht aus mehreren Maxima, die von einzelnen Gaswolken stammen. Die Radialgeschwindigkeit jeder Wolke ist durch die Entfernung R der Wolke zum Galaktischen Zentrum bestimmt (solange das Gas der Galaktischen Rotation folgt), so dass die größte Radialgeschwindigkeit von Gas nahe dem Tangentialpunkt auftritt und mit vr,max ( ) identifiziert wird. Die Abb. 2.19 zeigt das beobachtete Intensitätsprofil der 12 CO-Linie als Funktion der Galaktischen Länge, aus
Abb. 2.19. Emission des 12 CO Gases in der Galaktischen Scheibe. Für jedes ist hier, integriert über den Bereich −2◦ ≤ b ≤ 2 (also sehr nahe an der Scheibenmitte), die Intensität der Emission in der − vr -Ebene aufgetragen. Da vr von der Entfernung entlang des jeweiligen Sichtstrahls abhängig ist, enthält dieses Diagramm Information über die Rotationskurve der Galaxis, sowie über die räumliche Verteilung des Gases. Die maximale Geschwindigkeit bei jedem ist recht gut definiert und bildet die Basis für die Tangentialpunktmethode
2. Die Galaxis als Galaxie 64
dem die Rotationskurve für R < R0 abgelesen werden kann. Mit der Tangentialpunktmethode, angewandt auf die 21 cm-Linie des neutralen Wasserstoffs oder auf Radio-Emissionslinien von Molekülen, kann man die Rotationskurve der Galaxis innerhalb der Sonnenbahn, R < R0 , vermessen!
Rotationskurve für R > R0 . Die Tangentialpunktmethode funktioniert nicht für R > R0 , weil für Sichtstrahlen mit π/2 < < 3π/2 die Radialgeschwindigkeit vr kein Maximum annimmt, denn der Sehstrahl ist ja auch nirgendwo parallel zur jeweiligen Tangente an die Galaktische Kreisbahn. Die Vermessung von V(R) für R > R0 erfordert vr Messungen von solchen Objekten, deren Entfernung man direkt bestimmen kann, z. B. Cepheiden, für die man die Perioden-Leuchtkraft-Relation (Abschn. 2.2.7) benutzt, oder O- und B-Sterne in HII-Regionen. Aus und D kann dann R berechnet und Ω(R) bzw. V(R) mit (2.57) bestimmt werden. Jedes Objekt mit bekanntem D und vr liefert dadurch einen Messpunkt für die Galaktische Rotationskurve. Es stellt sich heraus, dass die Rotationskurve für R > R0 nicht nach außen hin abfällt (siehe Abb. 2.20), wie man erwarten würde, da die Stern- und Gasdichte der Galaxis nach außen hin exponentiell abfällt
– siehe z. B. (2.34). Dieser steile radiale Abfall der sichtbaren Materie der Milchstraße impliziert eigentlich, dass M(R), die Masse innerhalb von R, für R > R0 beinahe konstant ist, weshalb ein Keplerscher Abfall der Geschwindigkeit V ∝ R−1/2 folgen sollte. Dies ist aber nicht der Fall; V(R) ist praktisch konstant für R > R0 , was darauf hindeutet, dass M(R) ∝ R ! Um eine konstante Rotationsgeschwindigkeit der Galaxis zu erhalten, muss es deshalb mehr Materie geben, als wir in Gas und Sternen beobachten. Die Milchstraße enthält neben Sternen und Gas noch eine weitere Materiekomponente, die die Masse für R R0 dominiert, die aber (bisher) nicht direkt beobachtet wurde. Ihre Anwesenheit ist allein aufgrund ihrer gravitativen Wirkung bekannt – sie wird daher als Dunkle Materie bezeichnet. In Abschn. 3.3.3 werden wir sehen, dass dies ein ganz allgemeines Phänomen ist: Die Rotationskurven von Spiralgalaxien sind flach für große Radien, bis hin zu dem maximalen Radius, wo sie beobachtet werden können: Spiralgalaxien enthalten Dunkle Materie. Die Natur der Dunklen Materie ist bislang unbekannt; grundsätzlich kann man zwischen zwei verschiedenen Modellen für die Dunkle Materie unterscheiden: (1) Astrophysikalische Dunkle Materie, bestehend aus kompakten Objekten – z. B. sehr massearme (und daher leuchtschwache) Sterne, wie etwa
Abb. 2.20. Rotationskurve der Milchstraße. Innerhalb des ,,solar circle“, also bei R < R0 , kann die Radialgeschwindigkeit recht genau mit der Tangentialpunktmethode bestimmt werden; die Messungen außerhalb sind mit größeren Fehlern behaftet
2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie 65
Weiße Zwerge, Braune Zwerge, Schwarze Löcher, usw. Solche Objekte haben den Namen MACHOs erhalten, der für ,,MAssive Compact Halo Objects“ steht. (2) Teilchenphysikalische Dunkle Materie, bestehend aus bislang unbekannten Elementarteilchen. Obwohl der Ursprung der astrophysikalischen Dunklen Materie nur schwer zu verstehen wäre (nicht zuletzt wegen der Baryonenhäufigkeit im Universum – siehe Abschn. 4.4.4 – oder der Metallizität des ISM), wäre eine direkte Unterscheidung zwischen beiden Möglichkeiten durch Beobachtungen äußerst interessant. Im nächsten Abschnitt werden wir eine Methode beschreiben, mit der untersucht werden kann, ob die Dunkle Materie in unserer Galaxis aus MACHOs besteht.
Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie
2.5
Bohdan Paczy´nski schlug 1986 vor, die mögliche Anwesenheit von MACHOs durch Mikrolinsenexperimente zu überprüfen. Wie wir gleich sehen werden, war das damals eine verwegene Idee, die allerdings inzwischen realisiert worden ist. In diesem Abschnitt werden wir insbesondere die Resultate dieser Suchen nach MACHOs zusammenfassen und diskutieren. Wir beginnen mit einer Beschreibung des Gravitationslinseneffekts und wenden ihn dann speziell auf die Suche nach MACHOs an. 2.5.1
Der Gravitationslinseneffekt I
Der Einsteinsche Ablenkwinkel. Licht wird, wie auch massive Teilchen, in einem Gravitationsfeld abgelenkt. Dies ist eine der spezifischen Vorhersagen der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie. Quantitativ sagt sie vorher, dass ein Lichtstrahl, der im Abstand ξ an einer Punktmasse M vorbeiläuft, um einen Winkel αˆ abgelenkt wird, der sich aus 4G M αˆ = 2 c ξ
(2.71)
ergibt, solange αˆ 1 gilt, was für den Fall schwacher Gravitationsfelder gewährleistet ist. Setzt man nun M =
M , R = R in die obige Relation ein, so ergibt sich für die Lichtablenkung am Sonnenrand αˆ ≈ 1.74 . Während einer Sonnenfinsternis ist diese Lichtablenkung im Jahre 1919 gemessen worden, als Verschiebung der scheinbaren Positionen von Sternen nahe der (abgedunkelten) Sonnenscheibe. Die Übereinstimmung mit dem von Einstein vorhergesagten Wert machte ihn ,,über Nacht“ weltberühmt, denn dies stellte die Allgemeine Relativitätstheorie vor ihre erste ernste Prüfung. Obwohl damals die Genauigkeit des Messwertes nur etwa ∼ 30% betrug, reichte dies zur Bestätigung der Einsteinschen Theorie aus. Bis heute ist die Vorhersage (2.71) mit etwa 0.1% Genauigkeit gemessen und die Einsteinsche Vorhersage bestätigt worden. Bald danach wurde die folgende Überlegung angestellt: Wenn die gravitative Lichtablenkung stark genug ist, würde das Licht einer weit entfernten Quelle an zwei Positionen des Himmels sichtbar sein – ein Lichtstrahl geht ,,rechts“, der andere ,,links“ an einer zwischen der Quelle und uns befindlichen Massenkonzentration vorbei, wie dies in Abb. 2.21 skizziert ist. Man nennt die astrophysikalischen Konsequenzen der gravitativen Lichtablenkung auch Gravitationslinseneffekt. Im Laufe dieses Buchs werden wir verschiedene Aspekte des Linseneffekts diskutieren und astrophysikalische Anwendungen besprechen. Die Sonne kann natürlich keine Mehrfachbilder weitentfernter Quellen erzeugen, da der maximale Ablenkwinkel αˆ sehr viel kleiner ist als der Winkelradius der Sonne, so dass zwei Lichtstrahlen, die ,,rechts“ und ,,links“ am Sonnenrand vorbeilaufen, durch Lichtablenkung nicht zur Konvergenz am Ort der Erde gebracht werden können. Die Sonne ist uns zu nahe bzw. zu groß, um Mehrfachbilder zu liefern. Die Lichtablenkung durch weiter entfernte Sterne (oder andere massive Himmelskörper) kann jedoch zur Bildung von Mehrfachbildern dahinter liegender Quellen führen. Linsengeometrie. Die Geometrie eines Gravitationslinsensystems ist in Abb. 2.22 dargestellt. Dabei werden Lichtstrahlen von einer Quelle im Abstand Ds (,,s“: source) betrachtet, die im Abstand ξ an einer Massenkonzentration (Linse, lens oder deflector) vorbeilaufen. Der Deflektor habe den Abstand Dd von uns. In
2. Die Galaxis als Galaxie 66
Abb. 2.21. Skizze eines Gravitationslinsensystems: Befindet sich zwischen uns und einer weit entfernten Quelle eine genügend massereiche Massenkonzentration, so kann es passieren, dass wir diese Quelle an zwei verschiedenen Positionen der Sphäre sehen
Abb. 2.22 bezeichnet η die wahre, zwei-dimensionale Position der Quelle in der Quellenebene und β die wahre Winkelposition der Quelle, also die Winkelposition, an der sie ohne den Effekt der Lichtablenkung sichtbar wäre, η . (2.72) β= Ds Die Position des Lichtstrahls in der Linsenebene wird mit ξ bezeichnet, und θ ist die entsprechende Winkelposition, θ=
ξ . Dd
(2.73)
Also ist θ die beobachtete Position der Quelle an der Sphäre, relativ zur Position des ,,Zentrums“ der Linse (= Ursprung des Koordinatensystems, ξ = 0). Dds ist der Abstand der Quellenebene von der Linsenebene. Solange die auftretenden Abstände sehr viel kleiner sind als der ,,Radius des Universums“ c/H0 ,
Abb. 2.22. Geometrie einer Gravitationslinse: Eine Quelle befinde sich im Abstand Ds von uns, eine Massenkonzentration im Abstand Dd . Man definiert sich eine ,,optische Achse“, die den Beobachter und das ,,Zentrum“ der Massenkonzentration verbindet; in der Verlängerung dieser Achse betrachten wir den Schnittpunkt mit der sog. Quellenebene, eine Ebene senkrecht zur optischen Achse im Abstand der Quelle; entsprechend ist die Linsenebene die Ebene senkrecht zur Sichtlinie zur Massenkonzentration im Abstand Dd von uns. Die Schnittpunkte der optischen Achse mit den Ebenen werden als Ursprung derer Koordinatensysteme gewählt. Die Quelle befinde sich am Punkte η in der Quellenebene; ein Lichtstrahl, der mit der optischen Achse einen Winkel θ einschließt, trifft die Linsenebene im Punkt ξ, und wird um den Winkel α(ξ) abgelenkt. All dies sind zwei-dimensionale Vekˆ toren. Die Bedingung, dass wir die Quelle in der Richtung θ beobachten, ist durch die Linsengleichung (2.74) gegeben, die aus dem Strahlensatz folgt
gilt Dds = Ds − Dd , und dies ist sicherlich für Anwendungen in unserer Galaxis und der Lokalen Gruppe der Fall. Für kosmologisch weit entfernte Quellen und Linsen gilt dies jedoch nicht mehr; wir werden darauf in Abschn. 4.3.3 zurückkommen. Linsengleichung. Aus der Abbildung kann man die Bedingung ablesen, dass ein Lichtstrahl von der Quelle uns aus der Richtung θ (oder aus ξ) erreicht, η=
Ds ξ − Dds α(ξ) , ˆ Dd
(2.74)
2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie 67
oder, nach Division durch Ds und Verwendung von (2.72) und (2.73): β=θ−
Dds α(D ˆ d θ) . Ds
(2.75)
Wegen des auftretenden Vorfaktors definiert man zweckmäßigerweise den reduzierten Ablenkwinkel Dds α(θ) := α(D ˆ d θ) , Ds
dann kann die Linsengleichung (2.77) für die Punktmassen-Linse mit dem Ablenkwinkel (2.78) geschrieben werden als
(2.76)
β = θ − θE2
Offensichtlich ist θE ein charakteristischer Winkel in dieser Gleichung, so dass man zweckmäßigerweise skaliert y :=
so dass die Linsengleichung (2.75) die einfache Form β = θ − α(θ)
(2.77)
annimmt. Der Ablenkwinkel α(θ) hängt von der Massenverteilung des Deflektors ab. In Abschn. 3.8 werden wir den Zusammenhang zwischen dem Ablenkwinkel und der Dichteverteilung einer allgemeinen Linse betrachten. Hier konzentrieren wir uns zunächst auf Punktmassen, was in den meisten Fällen eine gute Näherung für den Linseneffekt an Sternen darstellt. Für eine Punktmasse gilt – siehe (2.71) – |α(θ)| =
Dds 4 G M , Ds c2 Dd |θ|
4 G M Dds θ . c2 Ds Dd |θ|2
y = x−
x :=
θ . θE
x . |x|2
(2.80)
Die Lösungen dieser (nach Multiplikation mit x quadratischen) Gleichung sind x=
y 1 |y| ± 4 + |y|2 . 2 |y|
(2.81)
• Für jede Quellposition y besitzt die Linsengleichung
(2.78)
Explizite Lösung der Linsengleichung für eine Punktmasse. Die Linsengleichung für eine Punktmasse ist einfach genug, dass sie analytisch gelöst werden kann – d. h. für jede Quellposition β können die entsprechenden Bildpositionen θi ermittelt werden. Definieren wir den so genannten Einsteinwinkel der Linse, 4 G M Dds , c2 Ds Dd
;
Dadurch vereinfacht sich die Linsengleichung zu
Mehrfachbilder einer Quelle treten dann auf, wenn die Linsengleichung (2.77) für eine (wahre) Quellposition β mehrere Lösungen θi besitzt – in diesem Fall sieht man die Quelle an den Positionen θi an der Sphäre.
θE :=
β θE
Anhand dieser Lösung der Linsengleichung kann man sofort eine Reihe von Schlüssen ziehen:
oder, wenn wir die Richtung der Ablenkung berücksichtigen (der Ablenkwinkel zeigt immer hin zur Punktmasse), α(θ) =
θ . |θ|2
(2.79)
•
für eine Punktmassen-Linse zwei Lösungen – jede Quelle wird (jedenfalls formal) doppelt abgebildet. Dies liegt an der Divergenz des Ablenkwinkels für θ → 0. Diese Divergenz tritt in Wirklichkeit nicht auf wegen der Endlichkeit der geometrischen Ausdehnung der Linse (z. B. der Sternradius), denn selbstverständlich sind die Lösungen nur dann physikalisch relevant, wenn ξ = Dd θE |x| größer als der Sternradius ist. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass wir den Fall von starken Gravitationsfeldern explizit ausschließen, wie etwa die Lichtablenkung an einem Schwarzen Loch oder einem Neutronenstern, für die die Gleichung für den Ablenkwinkel modifiziert werden muss. Die beiden Bilder xi sind kollinear mit der Linse und der Quelle. Mit anderen Worten, Beobachter, Linse und Quelle definieren eine Ebene, und Lichtstrahlen von der Quelle, die den Beobachter erreichen, liegen ebenfalls in dieser Ebene. Eines der beiden Bilder befindet sich auf der gleichen Seite der Linse wie die Quelle (x · y > 0), das zweite Bild liegt auf der an-
2. Die Galaxis als Galaxie 68
•
•
deren Seite – wie in der Abb. 2.21 bereits angedeutet ist. Falls y = 0, die Quelle sich also genau hinter der Linse befindet, so ist der gesamte Kreis |x| = 1 oder |θ| = θE Lösung der Linsengleichung (2.80) – die Quelle erscheint dann als ringförmiges Bild. In diesem Fall wird durch Quelle, Linse und Beobachter keine Ebene mehr definiert, und das Problem wird vollständig axial-symmetrisch. Ein solches kreisförmiges Bild heißt Einstein-Ring. In der Tat sind ringförmige Bilder beobachtet worden, worüber wir mehr in Abschn. 3.8.3 berichten werden. Der Winkel-Durchmesser dieses Rings ist dann 2θE . Aus der Lösung (2.81) kann man leicht erkennen, dass der Abstand der beiden Bilder in etwa Δx = |x1 − x2 | 2 beträgt (solange |y| 1), also Δθ 2θE ; der Einstein-Winkel gibt daher den charakteristischen Bildabstand an. Situationen, in denen |y| 1 und daher der Winkelabstand deutlich größer als 2θE ist, sind astrophysikalisch wenig relevant, wie weiter unten gezeigt wird.
Verstärkungseffekt. Lichtbündel werden nicht nur als Ganzes abgelenkt, sondern unterliegen auch der differentiellen Ablenkung. Beispielsweise werden die Strahlen eines Lichtbündels, die sich näher an der Linse befinden, stärker abgelenkt als Strahlen auf der anderen Seite des Bündels. Die differentielle Lichtablenkung ist ein Effekt des Gezeitenanteils des Ablenkwinkels und ist in Abb. 2.23 skizziert. Durch die differentielle Ablenkung ändert sich der Raumwinkel, unter dem man die Quelle sieht. Sei ωs der Raumwinkel, unter dem man die Quelle sehen würde, wenn keine Linse vorhanden wäre, und ω der Raumwinkel, unter dem man ein Bild der Quelle tatsächlich sieht. Da die gravitative Lichtablenkung nicht mit Emission oder Absorption von Strahlung verbunden ist, bleibt die Flächenhelligkeit (oder spezifische Intensität) erhalten. Nun ist der Fluss einer Quelle gegeben als Produkt aus der Flächenhelligkeit und dem Raumwinkel. Weil der erstere dieser beiden Faktoren durch die Lichtablenkung nicht modifiziert wird, der Raumwinkel aber sehr wohl, ändert sich der beobachtete Fluss einer Quelle. Sei S0 der Fluss der ungelinsten Quelle und S der Fluss eines Bildes der Quelle, dann
Abb. 2.23. Lichtbündel werden differentiell abgelenkt; dadurch verändert sich die Querschnittsfläche der Lichtbündel. Die Folge davon ist, dass der Raumwinkel, unter dem man eine Quelle beobachtet, durch die gravitative Lichtablenkung modifiziert wird. In dem hier dargestellten Beispiel ist der beobachtete Raumwinkel AI /Dd2 größer als der, unter dem man die ungelinste Quelle beobachten würde, AS /Ds2 – das Bild der Quelle wäre also verstärkt
beschreibt μ :=
S ω = S0 ωs
(2.82)
die Flussänderung, die also durch eine Vergrößerung (oder Verkleinerung) des Bildes einer Quelle hervorgerufen wird. Man nennt diesen Effekt deshalb im Englischen magnification, während er im Deutschen trotzdem als Verstärkungseffekt bezeichnet wird.
2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie 69
Für Quellen und Bilder, die sehr viel kleiner sind als die charakteristische Skala der Linse, ist der Verstärkungsfaktor μ durch die differentielle Flächenverzerrung der Linsenabbildung (2.77) gegeben, −1 ∂β ∂βi −1 μ = det ≡ det , ∂θ ∂θ j
(2.83)
d. h. für kleine Quellen wird die Flächenverzerrung der Linsenabbildung durch die Determinante der lokalen Jacobi-Matrix beschrieben. Die Verstärkung kann so für jedes einzelne Bild der Quelle berechnet werden, und die totale Verstärkung einer Quelle, die sich als Verhältnis der Summe der Flüsse der einzelnen Bilder und dem Fluss der ungelinsten Quelle ergibt, ist die Summe der Verstärkungsfaktoren der einzelnen Bilder. Für eine Punktmassen-Linse ergeben sich die Verstärkungsfaktoren der beiden Bilder (2.81) zu 1 y y2 + 4 + μ± = ±2 . (2.84) 4 y y2 + 4 Daraus folgt, dass für das ,,+“-Bild μ+ > 1 für alle Quellpositionen y = |y|, während das ,,−“-Bild sowohl verstärkt als auch abgeschwächt sein kann, abhängig von y. Die Vergrößerung der beiden Bilder ist in Abb. 2.24 dargestellt, während die Abb. 2.25 diese Vergrößerung für mehrere unterschiedliche Quellpositionen y zeigt. Für y 1 ist μ+ 1 und μ− ∼ 0, woraus folgt: Falls Quelle und Linse nicht genügend gut ausgerichtet sind, ist das sekundäre Bild sehr stark abgeschwächt und das primäre Bild beinahe unverstärkt. Aus diesem Grunde sind solche Situationen mit y 1
Abb. 2.24. Illustration der Linsenabbildung durch eine Punktmasse M. Dargestellt ist die ungelinste Quelle S und die beiden Bilder I1 und I2 der gelinsten Quelle. Man sieht, die beiden Bilder nehmen einen anderen Raumwinkel ein als die ungelinste Quelle und haben im Übrigen eine andere Form. Der gestrichelte Kreis stellt den Einstein-Radius der Linse dar
von geringer Relevanz, weil dann nur ein praktisch unverstärktes Bild der Quelle zu beobachten ist. Für y → 0 divergieren die beiden Verstärkungsfaktoren, μ± → ∞. Der Grund dafür ist ein rein geometrischer, da in diesem Fall aus einer 0dimensionalen Punktquelle ein 1-dimensionales Bild, der Einstein-Ring, gebildet wird. Diese Divergenz ist natürlich unphysikalisch, denn unendliche Verstärkungen treten in Wirklichkeit nicht auf. Es gibt zwei Gründe, weshalb die Verstärkungen auch im Fall y = 0 endlich bleiben. Zum einen haben wirkliche Quellen eine endliche Ausdehnung, und für solche bleibt der Verstärkungsfaktor endlich. Zweitens, selbst wenn man
Abb. 2.25. Abbildung einer kreisförmigen Quelle mit radialem Helligkeitsprofil – hier durch Farben dargestellt – für verschiedene relative Positionen von Linse und Quelle. Von links nach rechts nimmt y ab, im rechten Bild ist y = 0, und ein Einstein-Ring bildet sich
2. Die Galaxis als Galaxie 70
eine Punktquelle vorliegen hätte, würden Welleneffekte des Lichtes (Interferenz) zu einem endlichen Wert von μ führen. Die Gesamtverstärkung einer Punktquelle durch eine Punktmassen-Linse ergibt sich als Summe der Verstärkungen (2.84), y2 + 2 μ(y) = μ+ + μ− = . y y2 + 4
2.5.2
(2.85)
Galaktischer Mikrolinseneffekt
Nach diesen theoretischen Überlegungen kehren wir zurück zum Ausgangspunkt unserer Diskussion, in der der Linseneffekt als eine mögliche Diagnostik für die Dunkle Materie in unserer Milchstraße betrachtet wurde, falls diese aus kompakten Massenkonzentrationen wie etwa sehr leuchtschwachen Sternen bestehen sollte. Bildaufspaltung. Betrachten wir als Linse einen Stern in unserer Galaxis, so erhält man aus (2.79) den Einsteinwinkel
M θE = 0.902 mas M Dd 1/2 × 1− Ds
1/2
Dd 10 kpc
−1/2
Verstärkungseffekt durch die Linse messbar sein sollte. Dazu überlegt man zunächst, dass die absolute Verstärkung nur dann beobachtbar ist, wenn der ungelinste Fluss der Quelle bekannt ist, und das ist er natürlich (für praktisch alle Quellen) nicht. Aber die Verstärkung – und damit der beobachtete Fluss – ändert sich zeitlich durch die Relativbewegungen von Quelle, Linse und uns. Damit ist der Fluss eine Funktion der Zeit, hervorgerufen durch die zeitlich variable Verstärkung. Charakteristische Zeitskala der Variation. Sei v eine typische transversale Geschwindigkeit der Linse, dann ist die Winkelgeschwindigkeit der Linse, wenn wir die Quelle und den Beobachter als ruhend betrachten, D −1 v v d = 4.22 mas yr−1 . θ˙ = Dd 200 km/s 10 kpc (2.87) Daraus ergibt sich als charakteristische Zeitskala für die Variabilität 1/2 M 1/2 θE Dd tE := = 0.214 yr M 10 kpc θ˙ 1/2 −1 v Dd × 1− . Ds 200 km/s (2.88)
. (2.86)
Da der Winkelabstand Δθ der beiden Bilder etwa 2θE ist, betragen typische Winkelabstände in Linsensystemen mit Galaktischen Sternen etwa eine Millibogensekunde (milliarcsecond, mas); solche Winkelabstände sind mit optischen Teleskopen zur Zeit (noch) nicht beobachtbar. Diese Einsicht ließ Einstein 1936 erklären, dass der Linseneffekt zwar vorkomme, aber unbeobachtbar sei.8 Verstärkung. Bohdan Paczy´nski stellte 1986 fest, dass die Bildaufspaltung zwar unbeobachtbar sei, aber der 8 Der Begriff ,,Mikrolinse“ stammt aus der Winkelskala (2.86), die im
Zusammenhang mit dem Linseneffekt auf Quasare für kosmologisch weit entfernte Linsen diskutiert wurde und für die sich Werte von etwa eine Mikro-Bogensekunde ergeben.
Diese Zeitskala ist von der Größenordnung eines Monats für Linsen mit M ∼ M und typischen Galaktischen Geschwindigkeiten, und daher ist dieser Effekt im Prinzip messbar. Im allgemeinen Fall, wenn Quelle, Linse und Beobachter sich bewegen, ist v als effektive Geschwindigkeit zu verstehen. Man kann daher alternativ die Bewegung der Quelle in ihrer Quellebene betrachten. Lichtkurven. Zumeist kann die Relativbewegung als linear betrachtet werden, so dass die Position der Quelle in der Quellenebene geschrieben werden kann als ˙ − t0 ) . β = β0 + β(t Unter Benutzung der skalierten Position y = β/θE erhält man für y = |y|: t − tmax 2 2 y(t) = p + , (2.89) tE
2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie 71
wobei p = ymin den minimalen Abstand von der optischen Achse angibt, tmax ist der Zeitpunkt, zu dem y = p diesen minimalen Wert annimmt, also wenn die Verstärkung μ = μ( p) = μmax maximal wird. Daraus ergibt sich mit (2.85) die Lichtkurve zu y2 (t) + 2 S(t) = S0 μ(y(t)) = S0 . y(t) y2 (t) + 4
(2.90)
Beispiele solcher Lichtkurven sind in Abb. 2.26 dargestellt. Sie hängen nur von 4 Parametern ab: dem Fluss der ungelinsten Quelle S0 , dem Zeitpunkt der maximalen Verstärkung tmax , dem kleinsten Abstand der Quelle von der optischen Achse p, und der charakteristischen Zeitskala tE . All diese Größen sind direkt aus einer Lichtkurve messbar: tmax aus der Position des Maximums der Lichtkurve, S0 ist der Fluss, der sich für große und kleine Zeiten ergibt, S0 = S(t → ±∞), oder S0 ≈ S(t) für |t − tmax | tE ; p ergibt sich aus dem maximalen Verstärkungsfaktor μmax = Smax /S0 durch Umkehrung von (2.85), und tE aus der Breite der Lichtkurve. Nur tE enthält astrophysikalisch relevante Information, denn der Zeitpunkt des Maximums, der ungelinste Fluss der Quelle und der minimale Abstand √ p geben keinerlei Auskunft über die Linse. Da tE ∝ M Dd /v, vereinigt diese Zeitskala Information über die Linsenmasse, die Abstände von Linse und Quelle und die transversale Geschwindigkeit: Nur die Kombination √ tE ∝ M Dd /v ist aus den Lichtkurven messbar, nicht aber Masse, Abstand und Geschwindigkeit einzeln. Die Idee von Paczy´nski lässt sich nun wie folgt formulieren: Wenn der Halo unserer Milchstraße (zum Teil) aus kompakten Objekten bestünde, so sollte eine entfernte kompakte Quelle von Zeit zu Zeit durch eines dieser MACHOs gelinst werden und daher charakteristische Flussveränderungen zeigen, die einer Lichtkurve ähnlich der in Abb. 2.26 entsprechen. Die Anzahldichte der MACHOs ist proportional zur Wahrscheinlichkeit oder Häufigkeit der Linsenereignisse, die charakteristische Masse der MACHOs proportional zum Quadrat der typischen Variationszeitskala tE . Man muss also ,,nur“ die Lichtkurven von genügend vielen Hintergrundquellen vermessen und aus diesen Linsenereignisse herausfiltern, um Information über die Population möglicher MACHOs im Halo zu gewinnen. Ein gegebenes Halomodell sagt die Dichteverteilung und die Vertei-
lung der Geschwindigkeiten der MACHOs vorher und kann so im Prinzip mit Beobachtungen statistisch verglichen werden. Allerdings stellt sich dabei das Problem der geringen Häufigkeit solcher Ereignisse. Wahrscheinlichkeit eines Linsenereignisses. Man betrachtet zweckmäßigerweise ein System von Vordergrund-Objekt und Hintergrund-Quelle als Lin√ sensystem, wenn p < 1, und damit μmax > 3/ 5 ≈ 1.34, d. h. wenn die relative Trajektorie der Quelle durch den Einsteinkreis der Linse läuft. Wenn der Dunkle Halo der Milchstraße vollständig aus MACHOs bestehen würde, wäre die Wahrscheinlichkeit, eine weit entfernte Quelle gelinst zu sehen (im Sinne |β| ≤ θE ), etwa 10−7 , wobei der genaue Wert von der Sehrichtung abhängt. Zu jedem Zeitpunkt wäre daher eine von ∼ 107 weit entfernten Quellen innerhalb des Einstein-Radius eines MACHOs in unserem Halo. Daraus ergibt sich als unmittelbare Konsequenz, dass die Lichtkurven von Millionen von Quellen beobachtet werden müssen, damit dieser Effekt nachgewiesen werden kann. Diese vielen Quellen müssen weiterhin in einem relativ kleinen Gebiet der Sphäre verteilt sein, so dass der gesamte Raumwinkel, den man regelmäßig photometrieren muss, und damit auch die Beobachtungszeit, überschaubar bleibt: viele solcher Quellen sollten im Gesichtsfeld der verwendeten Kamera enthalten sein. Die Sterne der Magellanschen Wolken bieten sich hierfür als Quellen an; diese stehen dicht an der Sphäre, sind aber noch in Einzelsterne auflösbar. Probleme und deren Lösung. Aus dieser Beobachtungsstrategie ergeben sich direkt eine ganze Reihe von Problemen, die bereits in der Arbeit von Paczy´nski angesprochen wurden. Zum einen bedeutet die Photometrie so vieler Quellen über viele Epochen hinweg eine riesige Datenmenge, die es zu bewältigen gilt, sowohl hinsichtlich der Datenreduktion als auch der Speicherung. Zweitens gibt es das Problem des ,,crowdings“: Die Sterne der Magellanschen Wolken stehen dicht am Himmel, so dass die Photometrie der einzelnen Sterne schwierig ist. Drittens besitzen Sterne auch eine intrinsische Variabilität – etwa 1% aller Sterne zeigen Flussvariationen. Diese intrinsischen Variationen müssen unterschieden werden von denen, die durch den Linseneffekt hervorgerufen werden, und aufgrund deren geringer Häufigkeit ist das mit der Su-
2. Die Galaxis als Galaxie 72
Abb. 2.26. Darstellung eines Galaktischen MikrolinsenEreignisses: Im linken, oberen Bild bewegt sich eine Quelle (dargestellt durch die offenen Kreise) hinter einer Punktmassenlinse; für jede Quellenposition ergeben sich zwei Bilder der Quelle, die jeweils durch die schwarzen Ellipsen dargestellt sind. Die Identifikation des jeweiligen Bildpaares mit der Quellenposition ergibt sich aus der Tatsache, dass in der Projektion die Quelle, die Linse und die beiden Bilder auf einer Geraden liegen, die für eine Quellenposition eingezeichnet ist. Der gestrichelte Kreis stellt den Einstein-Ring dar. Im linken, unteren Bild sind verschiedene Trajektorien der Quelle dargestellt, die jeweils durch den kleinsten projizierten Abstand p von der Linse charakterisiert sind. Die sich bei diesen Relativbewegungen ergebenden Lichtkurven, die sich aus der Gleichung (2.90) berechnen lassen, sind schließlich im Bild oben rechts dargestellt, für verschiedene Werte von p. Je kleiner p, umso größer ist der maximale Verstärkungsfaktor, hier in Magnitudines gemessen
che nach der Nadel im Heuhaufen vergleichbar. Als letzter Punkt sei hier noch erwähnt, dass man sicher gehen muss, dass das Experiment auch tatsächlich empfindlich genug ist, um Linsenereignisse zu entdecken. Ein ,,Kalibrationsexperiment“ wäre daher sehr wünschenswert. Angesichts solcher Probleme schien es deshalb verwegen, konkret an die Realisierung eines solchen Beobachtungsprogramms zu denken. Allerdings kam ein glücklicher Umstand zu Hilfe, nämlich die großartige Entspannung zwischen Ost und West Ende der 1980er Jahre. Physiker und Astrophysiker, die zum
Teil mit Aufgaben der nationalen Sicherheit beschäftigt waren, sahen nun die Möglichkeit, neuen Herausforderungen zu begegnen. Wissenschaftler in nationalen Laboratorien hatten darüber hinaus auch Zugang zu genügend Rechner- und Speicherkapazität, was einige der oben erwähnten Probleme relativierte. Stellte 1986 die erwartete Datenmenge noch ein großes Problem dar, so war sie wenige Jahre später handhabbar. Außerdem wurden Weitwinkelkameras realisiert, mit Hilfe derer man große Felder des Himmels simultan beobachten konnte. Es wurde Software entwickelt, die auf die Photometrie von Objekten in dichten Gebieten speziali-
2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie 73
siert ist, so dass man Lichtkurven vermessen konnte, selbst wenn individuelle Sterne auf den Aufnahmen nicht mehr klar getrennt werden. Die MikrolinsenLichtkurven haben eine charakteristische Form, die durch nur vier Parameter beschrieben wird. Weiterhin sollten die Lichtkurven symmetrisch und achromatisch sein, denn die Lichtablenkung ist unabhängig von der Frequenz der Strahlung. Darüber hinaus sollte wegen der kleinen Wahrscheinlichkeit eine Quelle eines Mikrolinsenereignisses nur einmal variieren, vorher und nachher einen konstanten Fluss zeigen, wohingegen intrinsische Variationen von Sternen oft periodisch und in fast allen Fällen chromatisch sind. Zuletzt bietet sich auch ein Kontrollexperiment an, denn die Linsenwahrscheinlichkeit in Richtung des Galaktischen Bulges ist bekannt, bzw. man kann durch die beobachtete Dichte der Sterne in der Scheibe eine untere Grenze dafür angeben. Führt man also ein Mikrolinsenexperiment in Richtung des Galaktischen Bulges durch, so muss man Linsenereignisse finden, wenn das Experiment genügend empfindlich ist. 2.5.3
Surveys und Resultate
Anfang der 1990er Jahre begannen zwei Kollaborationen (MACHO und EROS) mit der Suche nach Mikrolinsen-Ereignissen in Richtung der Magellanschen Wolken, eine weitere Gruppe (OGLE) startete eine Suche in Richtung des Galaktischen Bulges. Zu diesem Zweck wurden Felder in den jeweiligen SurveyGebieten regelmäßig beobachtet, typischerweise einmal pro Nacht, wenn die Wetterbedingungen dies erlaubten. Aus der Photometrie der Sterne in den Feldern wurden dann Lichtkurven für viele Millionen Sterne generiert und diese nach Mikrolinsenereignissen durchforstet. Im Jahre 1993 wurden die ersten Ereignisse von allen drei Gruppen berichtet. Die MACHO-Kollaboration hatte ein Ereignis in der Großen Magellanschen Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC) gefunden, die EROSGruppe derer zwei, während die OGLE-Gruppe ein Ereignis im Bulge beobachtet hatte. Die Lichtkurve des ersten MACHO-Ereignisses ist in der Abb. 2.27 dargestellt. Sie wurde in zwei unterschiedlichen Filtern aufgenommen, und der Fit an die Daten, entsprechend einer Standard-Lichtkurve (2.90), ist der gleiche für beide Filter, was zeigt, dass das Ereignis achromatisch ist. Zusammen mit der sehr gut passenden Form der
Abb. 2.27. Lichtkurve des ersten beobachteten MikrolinsenEreignisses in der LMC, in zwei Filtern. Die durchgezogene Kurve ist der beste Fit einer Mikrolinsenlichtkurve, wie durch (2.90) beschrieben, mit μmax = 6.86. Das Verhältnis der Verstärkungsfaktoren in beiden Filtern ist unten dargestellt und mit einem konstanten Wert von 1 verträglich. Einige der Messpunkte weichen signifikant von Kurve ab: entweder wurden Messfehler unterschätzt, oder aber dieses Ereignis ist komplizierter, als durch eine Punktmassen-Linse beschrieben wird – siehe Abschn. 2.5.4
Lichtkurve ist dies eine sehr starke Evidenz für die Mikrolinsen-Natur dieses Ereignisses. In den Jahren seit 1993 haben alle drei oben genannten Teams ihre Beobachtungen und Analysen fortgesetzt (Abb. 2.28), und weitere Gruppen haben die Suche nach Mikrolinsenereignissen aufgenommen, wobei verschiedene Sichtlinien gewählt wurden. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Experimente können wie folgt zusammengefasst werden: Man hat etwa 20 Ereignisse in Richtung der Magellanschen Wolken und von der Größenordnung Tausend in Richtung des Bulges gefunden. Aus der statistischen Auswertung der Daten hat sich ergeben, dass die Lin-
2. Die Galaxis als Galaxie 74
Abb. 2.28. Auf einem 8◦ × 8◦ -Bild der LMC sind die 30 Felder in rot eingezeichnet, die die MACHO-Gruppe in ∼ 5.5 Jahren nach Mikrolinsen-Ereignissen durchsucht hat; Aufnahmen wurden in zwei Filtern gemacht, um Achromatizität zu zeigen. Die Positionen von 17 Mikrolinsen-Ereignissen sind als gelbe Kreise dargestellt; diese wurden zur statistischen Analyse herangezogen
senwahrscheinlichkeit in Richtung des Bulges größer ist als ursprünglich erwartet. Dies ist dadurch zu erklären, dass unsere Galaxis einen Balken aufweist (siehe Kapitel 3). Dieser Balken ist auch in IR-Karten, wie sie vom Satelliten COBE aufgenommen wurden, gesehen worden. Ereignisse in Richtung des Bulges sind dominiert von Linsen, die sich selbst im Bulge befinden, und deren Säulendichte ist durch die Balkenform erhöht. Andererseits ist die Linsenwahrscheinlichkeit in Richtung der Magellanschen Wolken kleiner als erwartet für den Fall, dass der Halo vollständig aus MACHOs bestehen würde. Die Statistik der Linsenereignisse in Richtung der Magellanschen Wolken wird aufgrund der Analyse der MACHO-Kollaboration am besten dadurch erklärt, dass etwa 20% der Halomasse in MACHOs vorhanden ist und die charakteristische Masse der MACHOs etwa M ∼ 0.5M beträgt (siehe Abb. 2.29).
Abb. 2.29. Für ein bestimmtes Halomodell sind hier Wahrscheinlichkeitskonturen gezeichnet, als Funktion der charakteristischen MACHO-Masse M (hier mit m bezeichnet) und dem Massenanteil f des Halos in MACHOs. Dabei wurde entweder ein Halo der LMC berücksichtigt (lmc halo) oder nicht (no lmc halo), und zwei verschiedene Auswahlkriterien (A,B) für das statistisch vollständige Mikrolinsen-Sample wurden benutzt. In allen Fällen findet man M ∼ 0.5M , und f ∼ 0.2
Dieses Resultat ist nicht leicht zu interpretieren und war eine Überraschung. Hätte man ein Ergebnis von ∼ 100% gefunden, dann läge die Interpretation nahe, dass die Dunkle Materie in unserer Milchstraße aus kompakten Objekten besteht. Andererseits, wenn fast keine Linsenereignisse gefunden worden wären, dann stünde fest, dass MACHOs nicht zur Dunklen Materie beitragen. Aber das Ergebnis von 20% lässt keine eindeutige Interpretation zu. Weiterhin ist die ermittelte Massenskala nur schwer verständlich: Was könnten MACHOs mit M = 0.5M sein? Normale Sterne sind ausgeschlossen, denn die wären viel zu leuchtkräftig, als dass man sie nicht gesehen hätte. Auch Weiße Zwerge kommen nicht in Frage, denn um eine derart große Zahl von Weißen Zwergen als Endstadien der Sternentwicklung zu erzeugen, müsste die Sternbildungsrate in unserer Milchstraße, integriert über deren Lebensdauer, deutlich größer sein als man annimmt. In diesem Fall wären auch sehr viel mehr massivere Sterne entstanden, die durch Sternwinde und Supernova-Explosionen ihre erzeugten Metalle ans ISM abgegeben hätten. In einem solchen Szenario wäre daher der Metallgehalt des ISM deutlich größer als der gemessene. Die einzige Möglichkeit, dieser Argu-
2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie 75
mentation zu entkommen, ist die Hypothese, dass das Massenspektrum frisch geborener Sterne (die anfängliche Massenfunktion, initial mass function, IMF) in der Frühzeit der Milchstraße ein anderes war als heute beobachtet, wenn nämlich für jeden Stern mittlerer Masse (aus denen sich die Weißen Zwerge bilden) viel weniger Sterne hoher Masse (die für die Metallanreicherung des ISM verantwortlich sind) geboren worden wären als heute. Ein plausibles physikalisches Modell für ein solches Szenario fehlt allerdings und wäre auch schwerlich mit den Beobachtungen der Sternentstehung im frühen Universum verträglich. Neutronensterne scheiden ebenfalls aus, denn erstens sind sie zu massereich (typisch > 1M ), und zweitens entstehen sie bei Supernova-Explosionen, so dass das gerade angesprochene Metallizitätsproblem für Neutronensterne noch erheblich größer ist. Sind Schwarze Löcher eine Alternative? Das hängt davon ab, wie diese entstanden wären. Sie können nicht in SN-Explosionen entstehen, wiederum wegen des Metallizitätsproblems. Wenn sie allerdings in der Frühzeit des Universums entstanden wären (man spricht dann von primordialen Schwarzen Löchern), dann wäre dies in der Tat eine denkbare, wenn auch recht exotische Möglichkeit. Allerdings gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Interpretation der MACHO-Resultate nicht so einfach ist wie oben beschrieben. Wir haben ja argumentiert, dass nur die Kombination aus Linsenmasse, transversaler Geschwindigkeit und Entfernung, die in tE eingeht, gemessen werden kann. Das in Abb. 2.29 dargestellte Ergebnis basiert daher auf der statistischen Analyse der Linsenereignisse unter Annahme eines Halomodells, welches die Form und das radiale Dichteprofil des Halos beschreibt. Es gibt aber Mikrolinsenereignisse, bei denen mehr als nur tE gemessen werden kann – z. B. solche, bei denen ein Doppelstern als Linse fungiert oder solche, bei denen tE größer als etwa zwei Monate ist: In diesem Fall macht sich die Bahn der Erde um die Sonne bemerkbar, die ja keiner linearen Bewegung entspricht und daher zu Abweichungen von der Standard-Lichtkurve führt. Solche ,,Parallaxen-Ereignisse“ wurden in der Tat beobachtet.9 Drei solcher Ereignisse, in denen mehr als nur tE gemessen werden kann, sind in 9 Diese
Parallaxen-Ereignisse zeigen zudem, dass die Erde wirklich um die Sonne kreist – auch wenn dies keine wirklich neue Erkenntnis darstellt ...
Richtung der Magellanschen Wolken bekannt; in allen drei Fällen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Linse sich in den Magellanschen Wolken befindet (self-lensing) und nicht im Halo der Milchstraße. Wenn nun bei den drei Fällen, wo die Entartung zwischen Linsenmasse, Entfernung und transversaler Geschwindigkeit gebrochen werden kann, sich ergibt, dass die entsprechenden Linsen höchstwahrscheinlich keine MACHOs im Halo der Galaxis sind, dann liegt die Vermutung nahe, dass auch bei den meisten der anderen Mikrolinsenereignisse die Linse kein MACHO ist. Zur Zeit ist daher nicht klar, wie die Ergebnisse der Mikrolinsen-Surveys interpretiert werden sollen. Insbesondere ist nicht geklärt, wieviel selflensing zu den Ereignissen beitragen kann. Weiterhin sind die quantitativen Ergebnisse vom Halo-Modell abhängig. Die EROS-Kollaboration hatte eine etwas andere Beobachtungsstrategie als die MACHO-Gruppe, indem sie einige Felder mit sehr kurzem Zeitabstand beobachtete. Da die Dauer eines Linsenereignisses von der Masse der Linse wie ∝ M 1/2 abhängt – siehe (2.88) – konnten damit auch sehr kleine MACHO-Massen getestet werden. Die Abwesenheit von Linsenereignissen sehr kurzer Dauer erlaubte es dann, Grenzen an den Massenanteil solcher leichten MACHOs anzugeben, wie das in Abb. 2.30 aufgezeigt ist. Trotz dieser ungeklärten Situation, was die Interpretation der MACHO-Resultate angeht, muss betont werden, dass die Mikrolinsen-Surveys enorm erfolgreiche Experimente darstellen, denn sie haben genau das geleistet, was zu Beginn der Beobachtungen erwartet wurde: Sie haben die Linsenwahrscheinlichkeit in Richtung der Magellanschen Wolken und des Galaktischen Bulges vermessen. Dass die Verteilung der Linsen eine andere ist als erwartet, relativiert den Erfolg der Surveys in keinster Weise. 2.5.4
Variationen und Erweiterungen
Neben der Suche nach MACHOs haben die Mikrolinsen-Surveys weitere wichtige Ergebnisse erbracht bzw. werden sie in naher Zukunft noch erbringen. So kann beispielsweise die Sternverteilung innerhalb der Galaxis vermessen werden durch eine Untersuchung der Linsenwahrscheinlichkeit als Funktion der Blickrichtung. Man hat Tausende veränderlicher Sterne neu
2. Die Galaxis als Galaxie 76
Abb. 2.30. Aus den Beobachtungen der EROS-Kollaboration konnte ein großer Massenbereich als Kandidaten für MACHOs ausgeschlossen werden. Dargestellt ist der maximal erlaubte Anteil der Halomasse als Funktion der Masse M der MACHOs, als obere Schranke mit 95% Konfidenz. Dabei wurde ein Standard-Modell für die Massenverteilung des Galaktischen Halos angenommen, welches die Rotationskurve der Milchstraße gut beschreibt. Die verschiedenen Kurven zeigen verschiedene Phasen des EROS-Experiments, und sind getrennt nach Beobachtungen in Richtung der
LMC und der SMC aufgetragen. Die Experimente EROS 1 haben nach Mikrolinsenereignissen mit kurzen Zeitskalen gesucht, aber kein solches entdeckt; daraus ergeben sich die Schranken bei den kleinen Massen. Obere Schranken bei größeren Massen wurden durch die EROS 2-Experimente gewonnen. Die dicke durchgezogene Kurve stellt die aus den einzelnen Experimenten kombinierte obere Schranke dar. Hätte man kein einziges MACHO-Ereignis gefunden, wäre die obere Schranke durch die gepunktete Kurve gegeben
Abb. 2.31. Wenn ein Doppelstern als Linse wirkt, können wesentlich kompliziertere Lichtkurven auftreten. Links sind für fünf verschiedene relative Bewegungen einer Hintergrundquelle die Bahnen aufgezeichnet; die gestrichelte Kurve ist die sog. kritische Kurve, formal definiert als det(∂β/∂θ) = 0, und die durchgezogene Kurve ist das entsprechende Urbild der kritischen Kurve in der Quellenebene, genannt Kaustik.
Lichtkurven für diese 5 Bahnen sind rechts dargestellt. Wenn die Quelle die Kaustik überquert, wird der Verstärkungsfaktor μ sehr groß – formal unendlich, wenn die Quelle punktförmig wäre. Da sie eine endliche Ausdehnung besitzt, ist μ ebenfalls endlich – und aus maximalem μ beim Kaustik-Übergang kann man den Radius der Quelle messen, z. T. sogar deren Mitte-Rand-Verdunklung
2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie 77
entdeckt und genau vermessen; die umfangreichen und öffentlich zugänglichen Datenbanken der Surveys sind von enormem Wert für die stellare Astrophysik. Weiterhin wurden durch die Photometrie Kugelsternhaufen in der LMC identifiziert. Bei einigen Ereignissen kann der Radius und die Oberflächenstruktur entfernter Sterne sehr genau vermessen werden. Dies liegt daran, dass der Verstärkungsfaktor μ von der Position der Quelle abhängt. Es gibt Situationen, beispielsweise wenn ein Doppelstern als Linse fungiert (siehe Abb. 2.31), in denen die Abhängigkeit der Verstärkung von der Position in der Quellenebene sehr empfindlich ist. Da sich die Quelle – der Stern – relativ zum Sehstrahl Erde–Linse bewegt, werden ihre verschiedenen Regionen zu unterschiedlichen Zeiten verschieden verstärkt. Eine detaillierte Untersuchung der Lichtkurve solcher Ereignisse erlaubt dann die Rekonstruktion der Lichtverteilung auf der Sternoberfläche. Die Lichtkurve eines solchen Ereignisses ist in Abb. 2.32 dargestellt. Bei solchen Linsenereignissen kann die Quelle nicht mehr länger als Punktquelle angenommen werden, sondern ihre Lichtverteilung bestimmt Details der Lichtkurve. Dadurch taucht eine neue Längenskala im System auf, der Radius des Sterns. Mit dieser neuen Skala kann man die Entartung von M, v und Dd teilweise brechen, weshalb solche besonderen Ereignisse mehr Information enthalten als die ,,klassischen“. Auch die Lichtkurve in Abb. 2.27 ist vermutlich nicht durch einen Einzelstern als Linse hervorgerufen worden, sondern unter leichten Störungen durch einen Begleiter, was die Abweichungen der beobachteten Lichtkurve von einer einfachen Modelllichtkurve erklärt. Allerdings ist die Zeitüberdeckung der Lichtkurve nicht ausreichend, um die Parameter dieses Doppelsternsystems zu bestimmen. Detaillierte Lichtkurven mit sehr guter Zeitüberdeckung sind inzwischen gemessen worden, was durch ein Alarm-System ermöglicht wurde. Dabei werden Daten derjenigen Gruppen, die nach Mikrolinsenereignissen suchen, direkt nach der Beobachtung ausgewertet und potentielle Kandidatenereignisse über das Internet veröffentlicht. Andere Kollaborationen (wie z. B. die PLANET-Kollaboration) beobachten dann solche Systeme mit sehr guter Zeitüberdeckung, indem sie mehrere Teleskope benutzen, die über verschiedene geographische Längen verteilt sind und somit eine Beobachtung
Abb. 2.32. Lichtkurve eines Ereignisses, bei dem die Linse ein Doppelstern war. Die MACHO-Gruppe entdeckte dieses Ereignis und fand, dass es wahrscheinlich ein ,,binary-event“ sei. Die Daten hier sind von der PLANET-Kollaboration mit vier verschiedenen Teleskopen (Chile, Tasmanien, Australien, Südafrika) aufgenommen. Die zweite Kaustik-Überquerung ist hoch-aufgelöst (gezeigt als Vergrößerung in dem kleinen Diagramm) und erlaubt Rückschlüsse auf Größe und Helligkeitsverteilung des Quellsterns. Die beiden Kurven zeigen Fits einer Doppelsternlinse zu den Daten
der Ereignisse rund um die Uhr ermöglichen. Dadurch wurden Lichtkurven mit extrem guter Qualität vermessen. Man hofft, durch charakteristische Abweichungen in solchen Lichtkurven extra-solare Planeten entdecken zu können. Tatsächlich sind solche Mikrolinsenuntersuchungen die vielleicht realistischste Möglichkeit, in naher Zukunft Planeten kleiner Masse zu finden. Eine Erweiterung der Mikrolinsensuche wurde mit Hilfe des sog. ,,Pixellensing“ möglich. Bei dieser Methode wird nicht mehr die Lichtkurve eines einzelnen Sterns verfolgt, sondern aufgrund der hohen Dichte von Sternen, beispielsweise der Sterne der AndromedaGalaxie (M31), kann man nur die Helligkeit von Gruppen von Sternen vermessen, entsprechend der Winkelauflösung der Beobachtungen. Wird nun ein Stern durch ein Mikrolinsen-Ereignis verstärkt, so ändert sich die Helligkeit der entsprechenden Region in ähnlich charakteristischer Weise wie bei den oben besprochenen Linsenereignissen. Damit man solche Ereignisse identi-
2. Die Galaxis als Galaxie 78
fizieren kann, muss der Verstärkungsfaktor relativ groß sein, denn nur dann kann das Licht des gelinsten Sterns die lokale Helligkeit dominieren und daher als Ereignis sichtbar werden. Andererseits ist die Anzahl der photometrisch überwachten Sterne (pro Raumwinkel) größer als bei den Surveys, bei denen Einzelsterne überwacht werden, so dass Ereignisse großer Verstärkung auch häufiger vorkommen. Inzwischen haben einige Gruppen erfolgreich begonnen, nach Mikrolinsen-Ereignissen in M31 zu suchen. Die quantitative Analyse dieser Surveys ist dabei komplizierter als die der Suche in den Magellanschen Wolken. Andererseits sind die M31Experimente gleichzeitig für MACHOs im Halo unserer Milchstraße und dem von M31 empfindlich. Daher versprechen diese Surveys die Klärung der Frage, ob ein Teil der Dunklen Materie aus MACHOs besteht.
2.6
Das Galaktische Zentrum
Das Zentrum der Galaxis (Galactic center, GC; siehe Abb. 2.33) ist bei optischen Wellenlängen nicht beobachtbar, denn die Extinktion im V -Band beträgt ∼ 28 mag. Die Information über das GC stammt daher aus Radio-, IR-, und Röntgenstrahlung. Da das GC als Prototyp von Zentralgebieten von Galaxien aus der Nähe betrachtet werden kann, ist seine Untersuchung von großem Interesse für das Verständnis der Vorgänge, die sich in den Zentren von Galaxien abspielen. 2.6.1
Wo ist das Galaktische Zentrum?
Die Frage nach dem Zentrum unserer Milchstraße ist keineswegs trivial, denn der Begriff ,,Zentrum“ ist in der Tat nicht gut definiert. Ist es der Schwerpunkt der Galaxis, oder der Ort, um den herum die Sterne und das Gas kreisen? Glücklicherweise kann die Frage nach dem Zentrum trotzdem beantwortet werden, denn es gibt eine ausgezeichnete Quelle, die sich als solches aufdrängt, wie wir unten sehen werden. Zunächst einmal zeigen Radiobeobachtungen in Richtung des GC eine relativ komplexe Struktur, wie in der Abb. 2.34 dargestellt ist. Es existiert eine zentrale Scheibe von HI-Gas im Radiusbereich von einigen 100 pc bis etwa 1 kpc, deren Rotationsgeschwindigkeit eine Massenbestimmung M(R) für R 100 pc
Abb. 2.33. Optische Aufnahme in Richtung des Galaktischen Zentrums. Markiert sind einige Messier-Objekte: Gasnebel, wie M8, M16, M17, M20; Offene Sternhaufen, wie M6, M7, M18, M21, M23, M24 und M25; Kugelsternhaufen, wie M9, M22, M28, M54, M69 und M70. Markiert ist weiterhin das Galaktische Zentrum sowie die Galaktische Ebene als Linie. Besonders schön zu erkennen ist Baades Fenster, eine Richtung, in der die Extinktion wesentlich geringer ist als in der Umgebung, so dass man dort eine klar erhöhte Sterndichte sehen kann – deshalb wurden die Mikrolinsenbeobachtungen des Galaktischen Zentrum bevorzugt in Baades Fenster ausgeführt
erlaubt. Weiterhin gibt es Radio-Filamente, die sich senkrecht zur Galaktischen Scheibe erstrecken, sowie eine große Anzahl von Supernova-Überresten. Innerhalb etwa 2 kpc des Zentrums befinden sich etwa 3 × 107 M an atomarem Wasserstoff. Optische Aufnahmen zeigen in der Nähe des GC Gebiete, in denen die Extinktion deutlich geringer ist. Das bekannteste davon ist Baades Fenster – in dieser Region werden auch die meisten Mikrolinsen-Surveys in Richtung des Bulges durchgeführt. Weiterhin findet man im Zentral-
2.6 Das Galaktische Zentrum 79
Abb. 2.34. links: VLA-Großfeldaufnahme der Region um das Galaktische Zentrum; oben rechts: Sgr A, 20 cm-Kontinuum VLA-Aufnahme, der rote Punkt markiert Sgr A∗ , das Zentrum
bereich relativ viele Kugelsternhaufen sowie Gasnebel. In Röntgenaufnahmen (Abb. 2.35) sind eine Vielzahl von Röntgen-Doppelsternen zu erkennen, sowie diffuse Emission von heißem Gas. Die inneren 8 pc enthalten die Radioquelle Sgr A (Sagittarius A), die wiederum aus verschiedenen Komponenten besteht:
von Sgr A West; Mitte rechts: eine Vergrößerung von Sgr A West, gezeigt als 6-cm-Kontinuum VLA-Aufnahme; unten rechts: der zirkumnukleare Ring in HCN-Linienemission
• Einem zirkumnuklearen molekularen Ring in Form eines Torus, der sich zwischen 2 pc R 8 pc erstreckt und etwa 20◦ relativ zur Galaktischen Scheibe geneigt ist. Die Rotationsgeschwindigkeit dieses Rings beträgt etwa ∼ 110 km/s und ist praktisch unabhängig von R. Dieser Ring hat eine scharfe innere Kante; diese kann nicht aus einer Gleichge-
2. Die Galaxis als Galaxie 80
Abb. 2.35. Mosaik von Röntgenaufnahmen vom Galaktischen Zentrum, aufgenommen mit dem Chandra-Satelliten. Die Aufnahme umfasst ein Gebiet von etwa 130 pc × 300 pc (48 × 120 ). Das eigentliche GC, in dem ein Supermassives Schwarzes Loch vermutet wird, befindet sich in dem weißen Gebiet nahe der Bildmitte. Weiterhin sind auf dieser Aufnahme Hunderte von Weißen Zwer-
gen, Neutronensternen und Schwarzen Löchern zu sehen, die aufgrund von Akkretionsphänomenen im Röntgenbereich strahlen. Farben kodieren die Photonenenergie, von niederenergetisch (rot) zu hochenergetisch (blau). Die diffuse Emission, meist rötlich in der Aufnahme, stammt von diffusem, heißem Gas mit einer Temperatur von etwa T ∼ 107 K
wichtsströmung resultieren, denn interne turbulente Bewegungen würden diese Kante in kurzer Zeit (∼ 105 yr) auswaschen. Wahrscheinlich ist dies ein Zeugnis eines energetischen Ereignisses im Galaktischen Zentrum innerhalb der letzten ∼ 105 Jahre. Diese Interpretation wird auch durch andere Beobachtungen gestützt, z. B. durch die Klumpigkeit in Dichte und Temperatur. Sgr A East, eine nicht-thermische (Synchrotron-) Quelle mit schalenartiger Struktur. Vermutlich handelt es sich dabei um einen Supernova-Überrest (supernova remnant, SNR), dessen Alter zwischen 100 und 5000 Jahren beträgt. Sgr A West befindet sich etwa 1. 5 von Sgr A East entfernt. Es handelt sich um eine thermische Quelle, eine ungewöhnliche HII-Region mit spiralartiger Struktur. Sgr A∗ ist eine starke kompakte Radioquelle nahe des Zentrums von Sgr A West. Neuere Beobachtungen mit mm-VLBI zeigen, dass ihre Ausdehnung weniger als etwa 3 AU beträgt. Die Radioleuchtkraft ist L rad ∼ 2 × 1034 erg/s. Außer im mm und cm Bereich ist Sgr A∗ eine schwache Quelle. Da andere Galaxien oft eine kompakte Radioquelle in ihrem Zentrum besitzen, ist Sgr A∗ ein guter Kandidat für das Zentrum unserer Milchstraße.
im Radio-Bereich mit der im IR abgeglichen werden, d. h. die Position von Sgr A∗ ist auch im IR bekannt.10 Die Unsicherheit in den relativen Positionen beträgt nur ∼ 30 mas – bei einer angenommenen Entfernung der Sonne vom GC von 8 kpc entspricht dabei eine Bogensekunde 0.0388 pc, oder etwa 8000 AU.
•
• •
Durch Beobachtungen von Sternen, die eine RadioMaser-Quelle enthalten, konnte die Astrometrie des GC
2.6.2
Der zentrale Sternhaufen
Beobachtungen im K-Band (λ ∼ 2 μm) zeigen einen kompakten Sternhaufen, der auf Sgr A∗ zentriert ist. Dessen Dichte verhält sich wie ∝ r −1.8 im Entfernungsbereich 0.1 pc r 1 pc. Die in seinem Innern herrschende Sterndichte ist so groß, dass nahe Begegnungen von Sternen nicht selten sind. Es läßt sich abschätzen, dass ein Stern typischerweise in ∼ 106 Jahren eine nahe Begegnung erfahren sollte. Man erwartet daher, dass die Verteilung der Sterne ,,thermalisiert“ 10 Eine
Schwierigkeit der kombinierten Datenanalyse von Beobachtungen in verschiedenen Wellenbändern besteht darin, dass zwar die Astrometrie in jedem einzelnen Wellenband sehr genau bestimmt werden kann – z. B. jeweils im Radio- und IR-Bereich – aber die relative Astrometrie zwischen diesen Bereichen weniger gut bekannt ist. Um Karten verschiedener Wellenlängen präzise ,,aufeinander zu legen“, ist die Kenntnis genauer relativer Astrometrie notwendig. Diese kann man erhalten, wenn es eine Population von kompakten Quellen gibt, die in beiden Wellenlängen beobachtbar sind und deren Positionen sich gut bestimmen lassen.
2.6 Das Galaktische Zentrum 81
ist, was nichts anderes bedeutet, als dass die lokale Geschwindigkeitsverteilung der Sterne überall die gleiche ist, d. h. die Geschwindigkeitsdispersion ist eine Konstante. Für eine solche isotherme Verteilung erwartet man ein Dichteprofil n ∝ r −2 , was in guter Übereinstimmung mit der Beobachtung steht. Nun ergibt sich allerdings eine interessante Diskrepanz mit der Vorstellung einer isothermen Verteilung: Anstatt der erwarteten konstanten Dispersion σ der radialen Geschwindigkeiten der Sterne beobachtet man eine starke radiale Abhängigkeit, σ steigt an für kleinere r. Beispielsweise findet man σ ∼ 55 km/s bei r = 5 pc, aber σ ∼ 180 km/s bei r = 0.15 pc. Diese Diskrepanz deutet darauf hin, dass das Gravitationspotential, in dem sich die Sterne bewegen, nicht alleine von ihnen hervorgerufen wird. Der starke Anstieg von σ für kleine r impliziert aufgrund des Virialtheorems das Vorhandensein einer zentralen Massenkonzentration in diesem Sternhaufen. Seit etwa 10 Jahren können auch Eigenbewegungen von Sternen in diesem Sternhaufen mit Hilfe von Speckle-Methoden und Adaptiver Optik gemessen werden. Diese liefern eine beugungsbegrenzte Winkelauflösung, welche im K-Band etwa ∼ 0.15 am ESO/NTT (3.5 m) und ∼ 0.05 am Keck (10 m) beträgt. Von etwa 1000 Sternen innerhalb ∼ 10 von Sgr A∗ sind z. Zt. Eigenbewegungen bekannt. Die-
ser Durchbruch wurde unabhängig von zwei Gruppen erzielt, deren Ergebnisse in hervorragender Übereinstimmung miteinander sind. Für mehr als 30 Sterne innerhalb ∼ 5 von Sgr A∗ sind sowohl die Eigenbewegung als auch die Radialgeschwindigkeit bekannt, und damit ihre 3-dimensionale Geschwindigkeit. Die sich aus diesen Messungen ergebenden radialen und tangentialen Geschwindigkeitsdispersionen sind in guter Übereinstimmung miteinander, woraus man auf eine im wesentlichen isotrope Verteilung der Sternbahnen schließt, was das Studium der Dynamik dieses Sternhaufens erleichtert. 2.6.3
Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße
Einige Sterne innerhalb 0.6 von Sgr A∗ haben eine Eigenbewegung von mehr als 1000 km/s, wie in Abb. 2.36 gezeigt. Beispielsweise ist der Stern S1 nur 0.1 von Sgr A∗ entfernt und zeigt eine Eigenbewegung von 1470 km/s. Die Kombination der Geschwindigkeitsdispersion in radialer und tangentialer Richtung zeigt, dass sie entsprechend dem Kepler-Gesetz in Anwesenheit einer Punktmasse ansteigt, σ ∝ r −1/2 , bis hinunter zu r ∼ 0.01 pc. Inzwischen ist auch die Beschleunigung einiger Sterne im Sternhaufen gemessen worden, also die zeit-
Abb. 2.36. Eigenbewegung von Sternen im zentralen Bereich des GC. Verschiedenfarbige Pfeile kennzeichnen verschiedene Sterntypen. Das kleinere Bild zeigt Eigenbewegung des Sgr A∗ -Sternhaufens innerhalb einer halben Bogensekunde von Sgr A∗ ; der schnellste Stern (S1) hat eine Eigenbewegung von ∼ 1500 km/s
2. Die Galaxis als Galaxie 82 Abb. 2.37. Links ist der Orbit des Sterns S2 um Sgr A∗ dargestellt, wie er mit zwei verschiedenen Beobachtungskampagnen ermittelt wurde. Die Position von Sgr A∗ ist durch das Kreuz mit Kreis gekennzeichnet. Die einzelnen Punkte entlang des Orbits sind mit der Epoche der Beobachtung identifiziert. Im rechten Bild sind die Orbits einiger anderer Sterne dargestellt, deren Beschleunigung bereits gemessen wurden
liche Änderung der Eigenbewegung. Dabei stellt sich Sgr A∗ in der Tat als Brennpunkt der Orbits und somit als Massenzentrum heraus. Die Abb. 2.37 zeigt die Orbits einiger Sterne um Sgr A∗ . Ein großer Teil des Orbits des Sterns S2 konnte verfolgt werden, wobei maximale Geschwindigkeiten von über 5000 km/s beobachtet wurden. Die Exzentrizität des Orbits von S2 beträgt 0.87, und seine Periode ist ∼ 15.7 yr. Die minimale Entfernung dieses Sterns von Sgr A∗ beträgt nur 6 × 10−4 pc, oder etwa 100 AU! Aus der beobachteten Kinematik kann die Masse M(r) berechnet werden, siehe Abb. 2.38; diese Analyse ergibt, dass M(r) über den Bereich 0.01 pc r 0.5 pc im Wesentlichen konstant ist. Dieses aufregende Resultat deutet also klar auf die Anwesenheit einer Punktmasse hin, deren Masse zu M = (2.87 ± 0.15) × 106 M
(2.91)
bestimmt worden ist. Für größere Radien dominiert dann die Masse des Sternhaufens, der nahezu einer isothermen Verteilung folgt, mit einem Kernradius von ∼ 0.34 pc und einer zentralen Dichte von 3.6 × 106 M /pc3 . Dieses Resultat ist ebenfalls mit der Kinematik des Gases im Zentrum der Galaxis verträglich. Sterne sind aber viel sauberere kinematische Indikatoren, denn Gas kann, neben der Schwer-
kraft, auch von Magnetfeldern, Viskosität und anderen Prozessen beeinflusst werden. Die Kinematik der Sterne im zentralen Sternhaufen der Galaxis zeigt, dass unsere Milchstraße eine Massenkonzentration enthält, in der ∼ 3 × 106 M in einem Gebiet kleiner als 0.01 pc konzentriert sind. Es handelt sich hierbei mit großer Wahrscheinlichkeit um ein Schwarzes Loch im Zentrum unserer Galaxis, an der Position der kompakten Radioquelle Sgr A∗ .
Warum Schwarzes Loch? Wir haben die Massenkonzentration als ein Schwarzes Loch interpretiert; dies bedarf noch einiger Erläuterungen:
• Die Energie der zentralen Aktivität in QSOs, Radio-Galaxien und anderer AGNs stammt aus der Akkretion von Gas auf ein Schwarzes Loch (supermassive black hole, SMBH), wie wir in Abschn. 5.3 noch diskutieren werden. Daher wissen wir, dass mindestens eine Unterklasse von Galaxien ein SMBH in ihrem Zentrum hat. Weiterhin werden wir in Abschn. 3.5 sehen, dass viele ,,normale“ Galaxien, insbesondere Ellipsen, ein SMBH im Zentrum enthalten. Die Anwesenheit eines SMBH
2.6 Das Galaktische Zentrum 83
Abb. 2.38. Bestimmung der Masse M(r) innerhalb des Radius r von Sgr A∗ , gemessen durch Radialgeschwindigkeiten und Eigenbewegungen von Sternen des zentralen Haufens. Abschätzungen der Masse durch individuelle Sterne (S14, S2, S12) sind durch die Punkte mit Fehlerbalken links in der Figur angegeben. Die anderen Messpunkte ergeben sich aus der kinematischen Untersuchung der beobachteten Eigenbewegungen der Sterne, wobei verschiedene Methoden benutzt worden sind. Wie zu erkennen ist, ergeben diese Methoden
miteinander verträgliche Ergebnisse, so dass das hier gezeigte Massenprofil als robust angesehen werden kann. Die durchgezogene Kurve ist das am besten passende Modell, welches eine Punktmasse mit 2.9 × 106 M plus einem Sternhaufen mit zentraler Dichte von 3.6 × 106 M /pc3 darstellt (das Massenprofil dieses Sternhaufens ist als gestrichelt-gepunktete Kurve gezeigt). Die gestrichelte Kurve zeigt das Massenprofil eines Haufens mit einem sehr steilen Profil n ∝ r −5 und einer zentralen Dichte von 2.2 × 1017 M pc−3
im Zentrum unserer Galaxis wäre insofern nichts Außergewöhnliches. Um das radiale Massenprofil M(r) mit einer ausgedehnten Massenverteilung in Einklang zu bringen, müsste deren Dichteverteilung steiler sein als ∝ r −4 , also stark verschieden von der erwarteten isothermen Verteilung, deren Massenprofil ∝ r −2 verläuft, wie in Abschn. 2.6.2 diskutiert. Die Beobachtungen liefern jedoch keinerlei Hinweis auf das Anwachsen der Dichte des Sternhaufens nach innen mit einem derart steilen Profil. Aber selbst wenn ein so ultradichter Sternhaufen (mit einer zentralen Dichte von 4 × 1012 M /pc3 )
vorhanden wäre, könnte er nicht stabil sein, denn innerhalb von ∼ 107 Jahren würden ihn die häufigen Stöße zwischen den Sternen auflösen. Sgr A∗ selbst hat eine Eigenbewegung von kleiner als 20 km/s; es ist also das dynamische Zentrum der Milchstraße. Aufgrund der großen Geschwindigkeiten des umgebenden Sternhaufens würde man bei Äquipartition der Energie eine Masse von M 103 M für die Radioquelle ableiten (siehe auch Abschn. 2.6.4). Zusammen mit den engen oberen Schranken für deren Ausdehnung kann man dann eine untere Schranke für die Dichte von 1018 M /pc3 angeben.
•
•
•
2. Die Galaxis als Galaxie 84
Die Verfolgung der Sternorbits in den nächsten Jahren wird unser Bild von der Massenverteilung im GC weiter vervollständigen. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass sich der gravitative Einfluss des Schwarzen Loches auf die Bewegung von Sternen und Gas auf den innersten Bereich der Milchstraße beschränkt. Wie man der Abb. 2.38 entnimmt, dominiert die Gravitation des SMBH die Rotationskurve der Galaxis nur für R 2 pc – das ist ja gerade der Grund dafür, warum der Nachweis des SMBH so schwierig ist. Für größere Radien hat die Anwesenheit des SMBH keine Bedeutung für die Rotationskurve der Milchstraße. 2.6.4 Die Eigenbewegung von Sgr A∗ Durch eine sich über acht Jahre erstreckende Messreihe der Position von Sgr A∗ mittels VLBI konnte die Eigenbewegung dieser kompakten Radioquelle mit extremer Genauigkeit vermessen werden. Dazu wurde die Position von Sgr A∗ relative zu zwei kompakten extragalaktischen Radioquellen bestimmt. Diese sollten aufgrund ihrer großen Entfernung keine Eigenbewegungen zeigen, und die VLBI-Messungen zeigen, dass ihr Abstandsvektor zeitlich konstant ist. Die Positionen von Sgr A∗ über den beobachteten Zeitraum sind in Abb. 2.39 dargestellt. Aus der Abbildung ist zunächst deutlich zu erkennen, dass die Eigenbewegung von Sgr A∗ praktisch vollständig in der Galaktischen Ebene verläuft. Die Eigenbewegung senkrecht zur Galaktischen Ebene beträgt etwa 0.2 mas/yr, verglichen zur Eigenbewegung in der Galaktischen Ebene von 6.4 mas/yr. Nimmt man R0 = (8.0 ± 0.5) kpc als Entfernung zum GC an, so übersetzt sich diese Eigenbewegung in eine Bahngeschwindigkeit von 241 ± 15 km/s, wobei die Unsicherheit von dem genauen Wert von R0 dominiert wird (die Messungenauigkeit allein ergäbe einen Fehler von nur 1 km/s). Diese Eigenbewegung ist zu erklären allein aufgrund der Bewegung der Sonne um das GC, d. h. diese Messung gibt keinen Hinweis auf eine Bewegung der Radioquelle Sgr A∗ selbst. In der Tat ist die kleine Abweichung der Eigenbewegung von der Orientierung der Galaktischen Ebene durch die Pekuliargeschwindigkeit der Sonne relativ zum LSR erklärbar. Wenn man diese mit berücksichtigt, findet man als Geschwindigkeit von Sgr
Abb. 2.39. Die Position von Sgr A∗ zu verschiedenen Epochen, relativ zur Position im Jahre 1996. In sehr guter Näherung ist die Bewegung linear, wie durch die gestrichelte Ausgleichsgerade gezeigt ist. Zum Vergleich zeigt die durchgezogene Gerade die Orientierung der Galaktischen Ebene
A∗ senkrecht zur Galaktischen Scheibe v⊥ = (−0.4 ± 0.9) km/s. Die Komponente der Bahngeschwindigkeit in der Scheibe ist mit deutlich größerer Unsicherheit behaftet, da wir weder R0 noch die Rotationsgeschwindigkeit V0 des LSR besonders genau kennen. Die sehr kleine obere Schranke an v⊥ legt aber nahe, dass auch die Bewegung in der Scheibe sehr klein sein sollte. Unter der (deshalb plausiblen) Annahme, dass Sgr A∗ keine Pekuliargeschwindigkeit besitzt, kann man aus diesen Messungen das Verhältnis R0 /V0 mit bislang unerreichter Genauigkeit bestimmen. Diese Beobachtung ist auch deshalb so beeindruckend, weil man aus ihr recht direkte Argumente für
2.6 Das Galaktische Zentrum 85 ∗
die Masse von Sgr A erhalten kann. Da diese Radioquelle von ∼ 106 Sternen innerhalb einer Kugel von ∼ 1 pc Radius umgeben ist, so ist selbst bei einer statistisch isotropen Verteilung dieser Sterne die Netto-Beschleunigung auf das Zentrum nicht Null, sondern aufgrund der Diskretheit der Massenverteilung gibt es eine stochastische Kraft, die sich zeitlich aufgrund der Bahnbewegung der Sterne ändert. Die Radioquelle unterliegt daher dieser Kraft und wird durch sie beschleunigt. Diese Beschleunigung führt deshalb zu einer Bewegung von Sgr A∗ , und diese ist umso größer, je
kleiner die Masse der Quelle ist. Die sehr scharfen Grenzen an die Geschwindigkeit von Sgr A∗ erlauben, eine untere Schranke für deren Masse von 0.4 × 106 M herzuleiten. Diese Massenschranke ist zwar deutlich kleiner als die Masse des SMBH, welche aus den Sternorbits bestimmt wurde, aber es handelt sich hierbei um die Masse der Radioquelle selbst. Obwohl es beste Gründe gibt für die Annahme, dass Sgr A∗ mit dem SMBH übereinstimmt, ist diese neue Beobachtung der erste Beweis für eine große Masse der Radioquelle selbst.
87
3. Die Welt der Galaxien Die Erkenntnis, dass die Milchstraße nur eine Galaxie von vielen im Universum ist, ist jünger als 100 Jahre, obgleich viele Galaxien schon seit langem bekannt sind. So enthält etwa der Katalog von Charles Messier (1730–1817) 103 diffuse Objekte, z. B. M31, die Andromeda-Galaxie, als 31sten Eintrag im MessierKatalog. Später wurde der Katalog auf 110 Objekte erweitert. Der New General Catalog (NGC) wurde von John Dreyer (1852–1926) veröffentlicht und enthält knapp 8000 Objekte, die meisten davon Galaxien. Vesto Slipher erkannte 1912 durch Spektroskopie, dass Spiralnebel rotieren. Aber zu jener Zeit war die Natur dieser ausgedehnten Quellen, damals Nebel genannt, nicht bekannt; man wusste nicht, ob sie Teile unserer Milchstraße seien. Im Jahre 1920 kam es zu einer öffentlichen Debatte (the Great Debate) zwischen Harlow Shapley und Heber Curtis. Shapley vertrat die Ansicht, die Nebel seien Teil unserer Milchstraße, während Curtis argumentierte,
dass die Nebel außerhalb der Galaxis lokalisiert sein müssten. Die von den Kontrahenten vorgebrachten Argumente basierten zum Teil auf Annahmen, die sich hinterher als nicht haltbar erwiesen, sowie auf fehlerhaften Daten. Wir wollen auf diese Argumente, die u. a. mit der angenommenen Größe unserer Milchstraße verknüpft waren, hier nicht weiter eingehen, da die Frage nach der Natur der Nebel wenige Jahre später aufgeklärt werden konnte. 1925 entdeckte Edwin Hubble Cepheiden in Andromeda (M31). Unter Benutzung der Perioden-Leuchtkraft-Relation für diese pulsierenden Sterne (siehe Abschn. 2.2.7) leitete er eine Entfernung von 285 kpc ab. Dieser Wert war zwar um einen Faktor ∼ 3 kleiner als die heute bekannte Entfernung zu M31, zeigte aber klare Evidenz dafür, dass M31, und damit auch andere Spiralnebel, extragalaktischer Natur sind und wie unsere Milchstraße aus unzähligen Sternen bestehen. Die Schlussfolgerungen von Hubble wurden von seinen Zeitgenossen als schlüssig empfunden und
Abb. 3.1. Galaxien kommen in verschiedenen Formen und Größen vor, und sie befinden sich oftmals in Gruppen oder Galaxienhaufen. Dieser Haufen, ACO 3341, mit einer Rotverschiebung von z = 0.037, enthält eine Vielzahl von Galaxien verschiedener Typen und Helligkeiten
3. Die Welt der Galaxien 88
markieren den Beginn der Extragalaktischen Astronomie. Es ist kein Zufall, dass George Hale zu diesem Zeitpunkt begann, sich um die Finanzierung eines ehrgeizigen Projektes zu kümmern, und 1928 erhielt er sechs Millionen Dollar zum Bau des 5 Meter-Teleskops auf dem Mount Palomar, das im Jahre 1949 vollendet wurde. Dieses Kapitel behandelt Galaxien. Dabei beschränken wir uns hier auf ,,normale“ Galaxien im lokalen Universum. Galaxien bei großen Entfernungen, die sich zum Teil in einem sehr frühen Entwicklungsstadium befinden, werden in Kap. 9 besprochen. Weiterhin werden wir die Aktiven Galaxien, wie etwa die Quasare, erst in Kap. 5 diskutieren.
3.1
•
Klassifikation
Die Klassifikation von Objekten hängt von der Art der Beobachtungen ab. Dies ist natürlich auch bei Galaxien der Fall. Da historisch die optische Photometrie die erste Art der (Galaxien-)Beobachtung darstellt, ist die morphologische Klassifikation, die von Hubble stammt, auch heute noch am bekanntesten. Neben morphologischen Kriterien können auch Farbindizes, spektroskopische Befunde – basierend auf Emissionsoder Absorptionslinien – Breitband-Spektralverteilung (Galaxien mit/ohne Radio- und/oder Röntgenemission), oder andere Merkmale benutzt werden. 3.1.1
• Elliptische Galaxien (E’s), Galaxien mit nahezu el-
Morphologische Klassifikation: Die Hubble-Sequenz
Abbildung 3.2 zeigt das Klassifikationsschema von Hubble. Danach gibt es, grob gesprochen, drei Haupttypen von Galaxien:
•
liptischen Isophoten ohne deutliche Struktur. Diese werden unterteilt nach ihrer Elliptizität ≡ 1 − b/a, wobei a und b die große und kleine Halbachse bezeichnen. Man findet Ellipsen über einen relativ breiten Bereich in der Elliptizität, 0 ≤ 0.7. Es hat sich die Notation En für die Unterteilung der Ellipsen nach eingebürgert, wobei n = 10; d. h. eine E4-Galaxie hat ein Achsenverhältnis von b/a = 0.6, während E0’s kreisförmige Isophoten zeigen. Spiralgalaxien bestehend aus einer Scheibe mit Spiralarmstruktur und einer zentralen Verdickung (Bulge). Diese werden weiterhin in zwei Unterklassen unterteilt, normale Spiralen (S’s) und Balkenspiralen (SB’s). Innerhalb jeder dieser Unterklassen führt man eine Sequenz ein, die nach dem Helligkeitsverhältnis von Bulge und Scheibe geordnet ist und die mit a, ab, b, bc, c, cd, d bezeichnet wird. Objekte entlang dieser Sequenz werden häufig als Frühtyp- bzw. Spättyp-Spiralen bzw. Balkenspiralen benannt. Eine Sa-Galaxie wäre also vom ,,frühen“ Typ, eine SBc-Galaxie eine Spättyp-Balkenspirale. Dabei sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Bezeichnungen nichts über einen Entwicklungszustand der Objekte aussagen, sondern als rein historische Notation zu verstehen sind. Irreguläre Galaxien (Irr’s), Galaxien mit wenig (Irr I) oder keiner (Irr II) regulären Struktur. Die Klassifikation für Irr’s wird oft verfeinert; insbesondere wird die Spiralsequenz erweitert um die Klassen Sdm, Sm, Im und Ir (m steht für Magellansch; die Große Magellansche Wolke ist vom Typ SBm).
Als Übergang zwischen Ellipsen und Spiralen gibt es S0-Galaxien, auch Lenticulars genannt, linsenförmige Galaxien, die wiederum in S0 und SB0
Abb. 3.2. Die ,,Stimmgabel“ von Hubble zur Galaxienklassifikation
3.1 Klassifikation 89 Abb. 3.3. Das Spektrum eines Quasars (3C273) im Vergleich zu dem einer Elliptischen Galaxie. Während die Strahlung der Ellipse in einem sehr engen Frequenzbereich konzentriert ist, das weniger als zwei Dekaden in der Frequenz umfasst, ist die Abstrahlung des Quasars über das gesamte elektromagnetische Spektrum zu beobachten, und die Energie pro logarithmischen Frequenzintervals ist grob gesprochen konstant. Dies zeigt, dass das Licht des Quasars nicht als Überlagerung von Sternspektren zu verstehen ist, sondern aus ganz anderen Quellen und Strahlungsmechanismen stammen muss
eingeteilt werden, je nachdem, ob sie einen Balken besitzen oder nicht. Sie enthalten einen Bulge und einen großen umhüllenden Bereich von relativ unstrukturierter Helligkeit, der häufig als Scheibe ohne Spiralarme erscheint. Ellipsen und S0-Galaxien werden als Frühtyp-Galaxien, Spiralen als SpättypGalaxien bezeichnet, und auch diese Bezeichnungen sind rein historisch und bedeuten keineswegs einen Entwicklungsweg! Offensichtlich hängt die morphologische Klassifikation wenigstens teilweise von Projektionseffekten ab. Falls beispielsweise die räumliche Form einer Elliptischen Galaxie ein triaxialer Ellipsoid ist, so hängt die beobachtete Elliptizität von ihrer Orientierung relativ zur Sichtlinie ab. Auch ist ein Balken in einer Spirale, die wir von der Seite her (,,edge-on“) beobachten, nur schwer ausfindig zu machen. Neben den oben erwähnten Haupttypen von Galaxienmorphologien gibt es weitere, die sich nicht in das Hubble-Schema einordnen lassen. Viele davon werden vermutlich durch Wechselwirkungen zwischen Galaxien erzeugt (s. u.). Weiterhin gibt es Galaxien, deren Strahlungscharakteristika sich sehr stark von dem spektralen Verhalten der ,,normalen“ Galaxien unterscheiden, wie als nächstes diskutiert wird.
3.1.2
Andere Arten von Galaxien
Das Licht der oben besprochenen ,,normalen“ Galaxien stammt im Wesentlichen von Sternen. Daher ist die spektrale Verteilung der Strahlung von solchen
Galaxien hauptsächlich eine Überlagerung der Spektren ihrer Sternpopulation. In erster Näherung wird das Spektrum von Sternen durch eine Planck-Funktion (siehe Anhang A) beschrieben, welche alleine durch die Oberflächentemperatur des Sterns bestimmt ist. Der Temperaturbereich einer Sternpopulation erstreckt sich von einigen Tausend Kelvin bis hin zu wenigen Zehntausend Kelvin. Da weiterhin die Planck-Funktion ein gut lokalisiertes Maximum besitzt und von dort nach beiden Seiten stark abfällt, wird die meiste Energie solcher ,,normalen“ Galaxien in einem relativ engen Frequenzintervall abgestrahlt, das im optischen und NIR-Bereich des Spektrums liegt. Daneben gibt es auch andere Galaxien, deren Spektren nicht als Überlagerung von stellaren Spektren beschrieben werden können. Zum einen gibt es die Klasse der Aktiven Galaxien, die einen erheblichen Bruchteil ihrer Leuchtkraft nicht aus dem thermonuklearen Brennen in Sternen gewinnen, sondern aus gravitativer Energie, die durch den Einfall von Materie auf ein Supermassives Schwarzes Loch frei wird, wie in Abschn. 1.2.4 bereits angesprochen wurde. Die Aktivität dieser Objekte kann sich auf verschiedene Weise zeigen. Beispielsweise sind einige von ihnen sehr leuchtkräftig im Radio- und/oder Röntgenbereich des Spektrums (siehe Abb. 3.3) oder zeigen sehr starke Emissionslinien mit einer Breite von einigen Tausend km/s, wenn die Linienbreite als DopplerVerbreiterung interpretiert wird, also mit Δλ/λ = Δv/c. In vielen Fällen kommt der allergrößte Teil der Leuchtkraft aus einem sehr kleinen zentralen Bereich, dem Aktiven Kern, der dieser Klasse von Galaxien seinen
3. Die Welt der Galaxien 90
Namen verliehen hat. In Quasaren kann die zentrale Leuchtkraft durchaus die Größenordnung ∼ 1013 L erreichen, also etwa tausend Mal leuchtkräftiger als die gesamte Strahlung unserer Milchstraße. Wir werden die Aktiven Galaxien, ihre Phänomene und ihre physikalischen Eigenschaften in Kapitel 5 im Detail diskutieren. Ein weiterer Galaxientyp besitzt ebenfalls spektrale Eigenschaften, die ganz erheblich von denen ,,normaler“ Galaxien abweichen, nämlich die StarburstGalaxien. Normale Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße bilden neue Sterne mit einer Rate von ∼ 3M /yr, wie man beispielsweise aus den Balmer-Linien des Wasserstoffs erschließt, die aus HII-Regionen um junge heiße Sterne stammen. Elliptische Galaxien weisen im Gegensatz dazu eine sehr geringe oder keine Sternbildung auf. Es gibt aber Galaxien mit sehr viel größerer Sternentstehungsrate, die 100M /yr oder mehr betragen kann. Wenn sich viele junge Sterne bilden, so könnte man annehmen, dass diese Starburst-Galaxien sehr stark im Blauen bzw. im UV-Bereich strahlen, was dem Maximum der Planck-Funktion der massereichsten, leuchtkräftigsten Sternen entspricht. Diese Erwartung wird nur zum Teil erfüllt: Sternentstehung
findet in dichten Molekülwolken statt, die häufig auch einen großen Staubanteil besitzen. Falls der größte Teil der Sternentstehung unserem direkten Blick durch Staubabsorption verborgen bleibt, so werden diese Galaxien im Blauen nicht sonderlich auffallen. Durch die starke Strahlung der jungen, leuchtkräftigen Sterne heizt sich der Staub jedoch auf, und das absorbierte Sternlicht wird als thermische Staubstrahlung im Infrarot- und Submillimeter-Bereich des elektromagnetischen Spektrums abgestrahlt – diese Galaxien können daher im IR-Bereich extrem leuchtkräftig sein. Sie werden als ULIRGs (ultra-luminous infrared galaxies) bezeichnet. Wir werden die Phänomene der Starburst-Galaxien in Abschn. 9.2.1 näher beschreiben. Von besonderem Interesse ist die Beobachtung, dass die Sternentstehungsrate von Galaxien eng korreliert zu sein scheint mit ihren Wechselwirkungen untereinander – viele der ULIRGs sind stark wechselwirkende Galaxien (siehe Abb. 3.4).
3.2
Elliptische Galaxien
3.2.1
Unterteilung
Unter dem Oberbegriff der Elliptischen Galaxien (oder kurz Ellipsen) verbirgt sich eine breite Klasse von Galaxien, die sich hinsichtlich ihrer Leuchtkraft und Größe unterscheiden und von denen einige in Abb. 3.5 dargestellt sind. Eine grobe Unterteilung wird wie folgt vorgenommen:
• Normale Ellipsen: Diese Klasse besteht ihrerseits aus
• • Abb. 3.4. Dieses Mosaik von 9 HST-Aufnahmen zeigt verschiedene ULIRGs als Kollisionen von zwei oder mehreren Galaxien
Riesen-Ellipsen (giant ellipticals, gE’s), solchen mit mittlerer Leuchtkraft (E’s), und kompakten Ellipsen (compact ellipticals, cE’s), entsprechend einer absoluten Magnitude von MB ∼ −23 bis MB ∼ −15. Auch werden die S0’s oftmals dieser Klasse der Frühtyp-Galaxien zugeordnet. Zwergellipsen (dwarf ellipticals, dE’s), die sich von den cE’s durch deutlich kleinere Flächenhelligkeit und niedrigere Metallizität unterscheiden. cD Galaxien, extrem leuchtkräftige (bis zu MB ∼ −25) und große (bis zu R 1 Mpc) Galaxien, die man nur nahe der Zentren dichter Galaxienhaufen findet. Ihre Flächenhelligkeit nahe dem Zentrum ist
3.2 Elliptische Galaxien 91
Abb. 3.5. Verschiedene Typen von Elliptischen Galaxien. Oben links: die cD Galaxie M87 im Zentrum des VirgoGalaxienhaufens (Quelle: Digital Sky Survey); oben rechts: Centaurus A, eine Elliptische Riesengalaxie mit einer stark ausgeprägten Staubscheibe und einem Aktiven Galaxienkern;
unten links: die Galaxie Leo I gehört zu den 9 bekannten dwarf spheroidals der Lokalen Gruppe (Quelle: Michael Breite, www.skyphoto.de); unten rechts: NGC 1705, eine ZwergIrreguläre, zeigt Merkmale massiver Sternentstehung – einen Super-Sternhaufen und starke galaktische Winde
3. Die Welt der Galaxien 92 Tabelle 3.1. Charakteristische Werte für Elliptische Galaxien. D25 gibt den Durchmesser an, bei dem die Flächenhelligkeit auf 25 B-mag/arcsec2 gefallen ist, SN ist die ,,spezifische
Frequenz“, ein Maß für die Anzahl von Kugelsternhaufen bezogen auf die visuelle Leuchtkraft (siehe Gl. 3.13) und M/L ist das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis in solaren Einheiten
S0
cD
E
dE
dSph
BCD
MB
−17 bis −22
−22 bis −25
−15 bis −23
−13 bis −19
−8 bis −15
−14 bis −17
M(M )
1010 bis 1012
1013 bis 1014
108 bis 1013
107 bis 109
107 bis 108
∼ 109
10 bis 100
300 bis 1000
1 bis 200
1 bis 10
0.1 bis 0.5
<3
M/L B
D25 (kpc)
∼ 10
> 100
10 bis 100
1 bis 10
5 bis 100
0.1 bis 10
SN
∼5
∼ 15
∼5
4.8 ± 1.0
–
–
•
•
sehr hoch, und sie besitzen eine ausgedehnte diffuse Hülle sowie ein sehr großes M/L-Verhältnis. Blaue kompakte Zwerggalaxien: Diese ,,blue compact dwarfs“ (BCD’s) haben eine deutlich blauere Farbe (mit B − V zwischen 0.0 und 0.3) als die anderen Ellipsen, und im Gegensatz zu diesen enthalten sie relativ viel Gas. Zwergsphäroiden (dwarf spheroidals, dSph’s) besitzen eine sehr geringe Leuchtkraft und Flächenhelligkeit; sie wurden beobachtet bis hin zu MB ∼ −8. Aufgrund dieser Eigenschaften können sie bislang nur in der Lokalen Gruppe entdeckt werden.
Die Elliptischen Galaxien erstrecken sich also über einen enormen Bereich von mehr als 106 in Leuchtkraft und Masse, wie in Tabelle 3.1 zusammengestellt ist.
3.2.2
Helligkeitsprofil
Das Helligkeitsprofil normaler E’s und cD’s folgt über weite Bereiche dem de Vaucouleurs-Profil (2.39) bzw. (2.41), wie man in Abb. 3.6 erkennen kann. Dabei folgt der Effektivradius Re als Funktion von MB einer engen Sequenz (siehe Abb. 3.7). Im Vergleich dazu befinden sich die dE’s und dSph’s auf einer deutlich anderen Sequenz. Analoges gilt dann auch wegen des Zusammenhangs (2.42) zwischen Leuchtkraft, Effektivradius und zentraler Flächenhelligkeit für die mittlere Flächenhelligkeit μave (Einheit: B-mag/arcsec2 ) innerhalb von Re als Funktion von MB . Insbesondere sinkt mit steigender Leuchtkraft die Flächenhelligkeit bei normalen E’s, während sie für dE’s und dSph’s ansteigt. Das de Vaucouleurs-Profil passt am besten für normale E’s, während bei E’s mit besonders großer
Abb. 3.6. Oberflächenhelligkeitsprofil der Galaxie NGC 4472, angepasst durch ein de Vaucouleurs-Profil. Das de Vaucouleurs-Profil drückt einen linearen Zusammenhang zwischen dem Logarithmus der Intensität (d. h. linear in Magnituden) und r 1/4 aus; daher wird es auch als r 1/4 -Gesetz bezeichnet
(kleiner) Leuchtkraft das Profil nach außen hin langsamer (schneller) abfällt. Das Profil von cD’s ist viel ausgedehnter als durch ein de Vaucouleurs-Profil beschrieben wird (Abb. 3.8). Es scheint, als seien cD’s ähnlich zu E’s, aber eingebettet in einen sehr ausgedehnten, leuchtkräftigen Halo. Da cD’s nur in den Zentren massereicher Galaxienhaufen gefunden werden, muss es einen Zusammenhang geben zwischen dieser Morphologie und der Umgebung dieser Galaxien. Im Gegensatz zu diesen Klassen der Ellipsen werden diffuse dE’s oft besser durch ein exponentielles Profil beschrieben.
3.2 Elliptische Galaxien 93
Abb. 3.7. Links: Effektivradius Re aufgetragen gegen absolute Helligkeit MB ; für normale Ellipsen ist die Korrelation anders als für Zwerge. Rechts: mittlere Flächenhelligkeit μave
Abb. 3.8. Vergleich des Helligkeitsprofils einer cD-Galaxie, der Zentralgalaxie des Galaxienhaufens Abell 2670, mit einem de Vaucouleurs-Profil. Der Lichtexzess für große Radien ist deutlich zu erkennen
3.2.3
Zusammensetzung von Elliptischen Galaxien
Außer den BCD’s sind Elliptische Galaxien rot im Optischen, was auf eine alte Sternpopulation hindeutet. Ursprünglich dachte man, Ellipsen enthielten weder Gas noch Staub, doch inzwischen wurden beide Komponenten gefunden, allerdings mit deutlich kleinerem Anteil als in Spiralen. So wurde in einigen Ellipsen heißes Gas (∼ 107 K) aufgrund seiner Röntgenemission ent-
aufgetragen gegen MB ; für normale Ellipsen sinkt die Flächenhelligkeit mit steigender Leuchtkraft, für Zwerge steigt sie an
deckt, und man fand Hα-Emissionslinien von warmem (∼ 104 K) Gas, sowie auch kaltes Gas (∼ 100 K) in HI (21 cm) und CO-Moleküllinien. Viele der normalen Ellipsen enthalten sichtbaren Staub, der sich teilweise als Staubscheibe manifestiert. Die Metallizität von Ellipsen und S0-Galaxien steigt nach innen an, wie aufgrund von Farbgradienten zu erkennen ist. Auch in SO-Galaxien ist der Bulge roter als die Scheibe. Diese Zusammensetzung von Ellipsen, die sich deutlich von denen der Spiralgalaxien unterscheidet, muss in einem Modell der Entstehung und Entwicklung von Galaxien erklärt werden. Wir werden später noch sehen, dass die kosmische Entwicklung von Ellipsen ebenfalls anders verläuft als die der Spiralen.
3.2.4
Dynamik von Elliptischen Galaxien
Die Beobachtung der Morphologie von elliptischen Galaxien legt eine einfache Frage nahe: Warum sind Ellipsen abgeplattet? Eine einfache Erklärung wäre eine Rotationsabplattung, d. h. wie bei einer rotierenden selbstgravitierenden Gaskugel beult sich die Sternverteilung am Äquator aufgrund der Fliehkraft nach außen. Falls diese Erklärung zuträfe, müsste die Rotationsgeschwindigkeit vrot , die durch die relative Dopplerverschiebung von Absorptionslinien messbar ist, von vergleicharer Größenordnung sein wie die Geschwindigkeitsdispersion der Sterne σv , die durch
3. Die Welt der Galaxien 94
Abb. 3.9. Der Rotationsparameter vσrot / vσrot von v v iso Elliptischen Galaxien, hier bezeichnet als (V/σ)∗ , aufgetragen gegen die absolute Helligkeit. Die Punkte stehen für elliptische Galaxien, die Kreuze für Bulges von Scheibengalaxien
die Dopplerverbreiterung von Linien messbar ist. Genauer gesagt, kann man mit Hilfe der Stellardynamik zeigen, dass für die Rotationsabplattung einer axialsymmetrischen oblaten1 Galaxie vrot ≈ (3.1) σv iso 1− gelten muss, wobei der Index ,,iso“ auf die Annahme einer isotropen Geschwindigkeitsverteilung der Sterne hinweist. Man findet aber für leuchtkräftige Ellipsen in der Regel vrot σv , so dass die Rotation für deren Elliptizität nicht verantwortlich sein kann (siehe Abb. 3.9). Hinzu kommt, dass viele Ellipsen vermutlich triaxial sind, es also keine eindeutige Rotationsachse gibt. Leuchtkräftige Ellipsen sind daher i. A. nicht rotationsabgeplattet! Allerdings kann für weniger leuchtkräftige a ≥ b ≥ c die Längen der Hauptachsen eines Ellipsoid bezeichnen, dann nennt man diesen einen oblaten Sphäroiden (= Rotationsellipsoid), wenn a = b > c, während ein prolater Sphäroid durch a > b = c gekennzeichnet ist. Sind alle drei Achsen verschieden, dann spricht man von einem triaxialen Ellipsoiden. 1 Wenn
Ellipsen und für die Bulges von Scheibengalaxien die Rotationsabplattung eine wichtige Rolle spielen. Also stellt sich die Frage, wie eine stabile elliptische Verteilung von Sternen ohne Rotation möglich ist. Das Helligkeitsprofil von Ellipsen wird bestimmt durch die Verteilung der stellaren Orbits in ihnen. Dazu stelle man sich vor, dass das Gravitationspotential der Galaxie gegeben wäre. In diesem Potential verteilt man nun Sterne, deren Anfangspositionen und -geschwindigkeiten einer bestimmten Verteilung folgen. Falls diese Verteilung nicht isotrop im Geschwindigkeitsraum ist, ist die resultierende Lichtverteilung generell nicht sphärisch. Man könnte sich beispielsweise vorstellen, dass die Bahnebene der Sterne eine bevorzugte Richtung hätte, es aber gleich viele Orbits mit positivem Drehimpuls L z wie mit negativem gibt, so dass die Sternverteilung insgesamt keinen Drehimpuls und somit keine Rotation besitzt. Jeder Stern folgt seinem Orbit im Gravitationspotential, wobei es sich i. A. nicht um geschlossene Orbits handelt. Falls man eine Anfangsverteilung der Sternorbits wählt, bei der die statistischen Eigenschaften der Verteilung der Orbits zeitlich invariant sind, so erhält man ein stationäres System. Ist die Verteilung weiterhin so gewählt, dass die zugehörige Massenverteilung der Sterne gerade das ursprünglich gewählte Gravitationspotential hervorruft, hat man ein selbstgravitierendes Gleichgewichtssystem. Im Allgemeinen ist es ein schwieriges mathematisches Problem, solche selbstgravitierenden Gleichgewichtssysteme zu konstruieren. Relaxationszeitskala. Nun stellt sich die Frage, ob ein solches Gleichgewichtssystem auch zeitlich stabil bleiben kann. Man würde vielleicht erwarten, dass nahe Begegnungen von Paaren von Sternen die Verteilung der Orbits empfindlich stören können. Solche Zweier-Stöße könnten dann zu einer ,,Thermalisierung“ der Sternorbits führen. Um diese Frage zu untersuchen, muss man die Zeitskala solcher Stöße und der damit verbundenen Richtungsänderungen abschätzen. Wir betrachten dazu die Relaxationszeitskala durch Zweier-Stöße in einem System von N Sternen der Masse m, der Gesamtmasse M = Nm, einer Ausdehnung R und einer mittleren Sterndichte n = 3N/(4πR3 ). Wir definieren die Relaxationszeit trelax als die charakteristische Zeit, in der ein Stern durch Zweier-Stöße mit anderen Sternen seine Richtung um ∼ 90 Grad ändert;
3.2 Elliptische Galaxien 95
man findet durch eine einfache Betrachtung (s. u.), dass trelax ≈
R N , v ln N
(3.2)
oder trelax = tcross
N ln N
,
(3.3)
wobei tcross = R/v die charakteristische Zeit eines Sterns zum Durchqueren des Sternsystems ist. Wenn wir nun eine typische Galaxie betrachten, mit tcross ∼ 108 yr, N ∼ 1012 (also ln N ∼ 30), so ergibt sich, dass die Relaxationszeit sehr viel länger ist als das Weltalter, also Zweier-Stöße in der Entwicklung der Sternorbits keine Rolle spielen. Die Dynamik der Orbits wird allein bestimmt durch das großräumige Gravitationsfeld der Galaxie. Wir werden in Abschn. 7.5.1 einen Prozess beschreiben, der bei der Bildung von Galaxien ein Rolle spielt und der mit großer Wahrscheinlichkeit dafür verantwortlich ist, dass eine Gleichgewichtskonfiguration der Orbits eingenommen wird. Die Sterne verhalten sich also wie ein stoßfreies Gas: Elliptische Galaxien sind druckstabilisiert, und sie sind elliptisch, weil die Sternverteilung anisotrop im Geschwindigkeitsraum ist, was einem anisotropen Druck entspricht – wobei hier daran erinnert sei, dass der Druck eines Gases nichts anderes ist als der Impulstransport von Gasteilchen aufgrund ihrer thermischen Bewegung. Herleitung der Relaxationszeitskala durch Stöße. Wir betrachten den Vorbeigang eines Sterns an einem anderen, mit dem Stoßparameter b als der kleinsten Entfernung zwischen beiden. Der Stern erhält durch die gravitative Ablenkung eine Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Einfallgeschwindigkeit, (1) v⊥
≈ a Δt ≈
Gm b2
2b v
=
2Gm bv
,
(3.4)
wobei a die Beschleunigung bei der nächsten Annäherung und Δt die ,,Dauer des Stoßes“ ist, wobei letztere mit 2b/v abgeschätzt wurde (siehe Abb. 3.10). Durch Integration entlang der Orbits kann (3.4) genauer hergeleitet werden. Ein Stern erfährt viele Stöße, wobei sich die senkrechten Geschwindigkeitskomponenten akkumulieren; diese sind 2-dimensionale Vektoren senkrecht zur Einfallsrichtung. Nach einer Zeit t gilt dann
Abb. 3.10. Skizze zur Herleitung der dynamischen Zeitskala
(i) v⊥ (t) = i v⊥ . DerErwartungswert dieses Vektors be (i) trägt v⊥ (t) = i v⊥ = 0, da die Richtungen von
(i) v⊥ zufällig sind. Aber die mittlere quadratische Geschwindigkeit senkrecht zur Einfallsrichtung ist von Null verschieden, (i) ( j) (i) 2 2 |v⊥ | (t) = v⊥ · v⊥ = v⊥ = 0 , (3.5) ij
i
( j) (i) wobei wir v⊥ · v⊥ = 0 für i = j gesetzt haben, da die Richtungen unterschiedlicher Stöße unkorreliert sind. Die Geschwindigkeit v⊥ vollführt einen sog. random walk. Zur Berechnung der Summe wandeln wir diese in ein Integral um, wobei wir über alle Stoßparameter b integrieren müssen. In der Zeitspanne t sind alle Stoßpartner innerhalb db von b in einer Zylinderschale mit Volumen (2πb db) (vt) lokalisiert, so dass 2 (1) 2 |v⊥ | (t) = 2π b db v t n v⊥ 2 2Gm db = 2π vt n . (3.6) v b Das Integral kann nicht von 0 bis ∞ berechnet werden; es muss daher bei bmin und bmax abgeschnitten werden und ergibt dann ln(bmax /bmin ). Aufgrund der Endlichkeit der Sternverteilung ist bmax = R die natürliche Wahl. Weiterhin bricht unsere Näherung, die zu (3.4) geführt hat, spätestens dann zusammen, wenn (1) v⊥ von der gleichen Größenordnung ist wie v, so dass wir bmin = 2Gm/v2 setzen. Man findet damit bmax /bmin = Rv2 /(2Gm). Da bmin und bmax nur logarithmisch auftreten, ist die genaue Wahl unwichtig. Benutzt man als nächstes den Virialsatz, |E pot | = 2E kin , also G M/R = v2 , dann wird daraus bmax /bmin ≈ N. Daher gilt |v⊥ |2 (t) = 2π
2Gm v
2 v t n ln N .
(3.7)
3. Die Welt der Galaxien 96
die Relaxationszeit trelax durch Wir 2 definieren |v⊥ | (trelax ) = v2 , also diejenige Zeit, in der die senkrechte Geschwindigkeit etwa gleich der Einfallgeschwindigkeit ist: 2 2 v 1 1 2πnv 2Gm ln N 2 1 M R N 1 = ≈ , 2πnv 2Rm ln N v ln N
trelax =
(3.8)
woraus sich dann (3.3) ergibt.
3.2.5
Anzeichen komplexer Entwicklung
Für viele der normalen elliptischen Galaxien gilt, dass die Isophoten (also die Kurven konstanter Flächenhelligkeit) tatsächlich sehr gut durch Ellipsen approximiert werden können. Diese Ellipsen als Funktion der Flächenhelligkeit sind sehr genau konzentrisch, die Abweichungen des Mittelpunkts einer Isophote vom Mittelpunkt der Galaxie beträgt typischerweise 1% ihrer Ausdehnung. Allerdings variiert in vielen Fällen die Elliptizität mit dem Radius, es gibt also keinen einheitlichen Wert für . Hinzu kommt, dass viele Ellipsen einen so genannten Isophotentwist zeigen: Die Orientierung der großen Halbachse der Isophoten ändert sich mit dem Radius. Dies deutet darauf hin, dass Ellipsen keine Sphäroiden, sondern triaxiale Systeme sind (oder aber intrinsische Achsendrehung besitzen). Obwohl die Lichtverteilung von Ellipsen auf den ersten Blick recht einfach aussieht, stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, dass ihre Kinematik komplex sein kann. Beispielsweise sind Staubscheiben nicht notwendigerweise senkrecht zu einer Hauptachse orientiert, und die Staubscheibe kann entgegen der galaktischen Rotation rotieren. Zusätzlich können Ellipsen auch (schwache) Sternscheiben enthalten. Boxiness und Diskiness. Die Abweichung der Form der Isophoten von der einer Ellipse wird durch den sog. Boxiness-Parameter beschrieben. Dazu betrachten wir die Form einer Isophote. Falls diese durch eine Ellipse beschrieben wird, so gilt nach geeigneter Wahl des Koordinatensystems θ1 = a cos t, θ2 = b sin t, wobei a und b die beiden Halbachsen der Ellipse darstellen und t die Kurve parametrisiert. Der Abstand r(t) eines Punkts
Abb. 3.11. Skizze zur Veranschaulichung von boxiness und diskiness. Die durchgezogene Kurve zeigt eine Ellipse (a4 = 0), die gestrichelte Kurve eine disky-Ellipse (a4 > 0) und die gepunktete Kurve eine boxy-Ellipse (a4 < 0). Die Abweichungen der Isophotenform von einer Ellipse ist bei Elliptischen Galaxien wesentlich kleiner als hier skizziert
vom Zentrum lautet a2 + b2 a2 − b2 r(t) = θ12 + θ22 = + cos(2t) . 2 2 Abweichungen der Isophotenform von dieser Ellipse können nun in einer Taylor-Reihe entwickelt werden, wobei der Term ∝ cos(4t) die Korrektur niedrigster Ordnung beschreibt, die die Symmetrie der Ellipse bezüglich Spiegelung an beiden Koordinatenachsen beibehält. Die modifizierte Kurve wird dann beschrieben durch a4 cos(4t) a cos t θ(t) = 1 + , (3.9) r(t) b sin t mit der oben beschriebenen Funktion r(t). Der Parameter a4 beschreibt daher eine Abweichung von einer Ellipse; falls a4 > 0, so erscheint die Isophote eher scheibenartig (disky) und für a4 < 0 eher kastenartig (boxy – siehe Abb. 3.11). Man findet bei elliptischen Galaxien typischerweise |a4 /a| ∼ 0.01, also eine eher kleine Abweichung von der elliptischen Form. Korrelationen von a4 mit Eigenschaften der Ellipsen. Überraschenderweise findet man, dass der Parameter a4 /a mit anderen Eigenschaften von Ellipsen stark korreliert ist (siehe Abb. 3.12). Das Verhältnis vrot vrot (links oben in der Abb. 3.12) ist von σv / σv iso
3.2 Elliptische Galaxien 97 Abb. 3.12. Korrelation von a4 /a mit einigen Eigenschaften von Elliptischen Galaxien. 100a(4)/a (entspricht a4 /a) beschreibt die prozentuale Abweichung der Isophotenform von Ellipsen; negative Werte bezeichnen boxy Ellipsen, positive disky Ellipsen. Oben links ist ein Rotationsparameter aufgetragen (siehe Text, Gl. 3.1); unten links die Abweichungen von der mittleren Masse-zu-Leuchtkraft-Relation; oben rechts die Elliptizität; unten rechts die Radioleuchtkraft bei 1.4 GHz
der Größenordnung eins für disky Ellipsen (a4 > 0) und i. A. wesentlich kleiner als 1 für boxy Ellipsen. Daraus folgt, dass Diskies zum Teil rotationsabgeplattet sind, während die Abplattung der Boxies im Wesentlichen aus der anisotropen Verteilung der Sternorbits im Geschwindigkeitsraum herrührt. Das Masse-zuLeuchtkraft-Verhältnis ist ebenfalls mit a4 korreliert, Boxies (Diskies) haben ein größeres (kleineres) M/L im Kern als es dem mittleren Wert bei gleicher Leuchtkraft entspricht. Eine sehr starke Korrelation besteht zwischen a4 /a und der Radioleuchtkraft von Ellipsen: Während Diskies schwache Radiostrahler sind, zeigen Boxies eine breite Verteilung in L radio . Diese Korrelation tritt ebenso auf bei der Röntgenleuchtkraft, denn Diskies sind schwache Röntgenstrahler, aber Boxies haben eine breite Verteilung in L x . Diese Bimodalität wird noch deutlicher, wenn man von der Gesamt-Röntgenleuchtkraft die Strahlung von kompakten Quellen (z. B. Röntgen-Doppelsterne) subtrahiert, also nur die Röntgenleuchtkraft der diffusen Strahlung betrachtet. Auch in der Kinematik der Sterne unterscheiden sich Ellipsen mit unterschiedlichem Vor-
zeichen von a4 : Boxies besitzen oft Kerne, die sich entgegen der allgemeinen Rotationsrichtung drehen (counter-rotating cores), was bei Diskies kaum auftritt. Etwa 70% der Ellipsen sind Diskies. Der Übergang zwischen Diskies und S0-Galaxien ist vielleicht kontinuierlich, entlang einer Sequenz mit variierendem Scheiben-zu-Bulge Verhältnis. Shells und Ripples. Bei etwa 40% der FrühtypGalaxien, die sich nicht in Haufen befinden, wurden scharfe Unstetigkeiten in der Flächenhelligkeit entdeckt, eine Art Schalenstruktur (,,shells“ oder ,,ripples“). Diese bilden elliptische Bögen, die auf das Zentrum der Galaxie zentriert sind (siehe Abb. 3.13). Solche scharfen Kanten werden nur gebildet, wenn die zugehörige Verteilung der Sternorbits ,,kalt“ ist, d. h. sie muss eine kleine Dispersion aufweisen, weil sich andernfalls solche kohärenten Strukturen in kürzester Zeit ausschmieren würden. Zum Vergleich kann man Scheibengalaxien betrachten, die ja ebenfalls scharfe Strukturen enthalten, nämlich die dünne Sternscheibe. In der Tat haben die Sterne der Scheibe eine sehr
3. Die Welt der Galaxien 98 Abb. 3.13. Bei der Galaxie NGC 474, die hier mit zwei verschiedenen Kontrastdarstellungen zu sehen ist, findet man eine Reihe von scharfen elliptische Bögen um das Galaxienzentrum, die so genannten ripples oder shells. Der gezeigte Ausschnitt entspricht einer Kantenlänge von ca. 90 kpc
kleine Geschwindigkeitsdispersion, ∼ 20 km/s, verglichen mit der Rotationsgeschwindigkeit von etwa 200 km/s. Solche Besonderheiten der Ellipsen sind nicht etwa selten; so findet man bei beinahe der Hälfte der FrühtypGalaxien Anzeichen von Shells, und etwa ein Drittel besitzen boxy Isophoten. Boxiness, counter-rotating cores, und Shells und Ripples sind alles Anzeichen einer komplexen Entwicklung, die wahrscheinlich durch eine in der Vergangenheit stattgefundene Verschmelzung mit anderen Galaxien hervorgerufen wurde. Diese Interpretation werden wir in Kap. 9 weiter diskutieren.
3.3
Spiralgalaxien
3.3.1
Trends innerhalb der Spiralensequenz
Betrachtet man die Sequenz von Frühtyp-Spiralen (Sa’s bzw. SBa’s) zu Spättyp-Spiralen, so ergeben sich eine Reihe von Unterschieden, die zu ihrer Klassifikation herangezogen werden (siehe auch Abb. 3.14):
• ein abnehmendes Verhältnis zwischen den Leucht• •
kräften von Bulge und Scheibe, mit etwa L bulge /L disk ∼ 0.3 für Sa’s und ∼ 0.05 für Sc’s, ein zunehmender Öffnungswinkel der Spiralarme, von ∼ 6◦ für Sa’s zu ∼ 18◦ bei Sc’s, und die Helligkeitsstruktur entlang der Spiralarme nimmt zu: Sa’s haben eine ,,glatte“ Sternverteilung
entlang der Spiralarme, bei Sc’s ist die Lichtverteilung in Spiralarmen in helle Klumpen von Sternen und HII-Regionen aufgelöst. Dabei überdecken Spiralen einen wesentlich kleineren Bereich der absoluten Helligkeit (und Masse) als Elliptische Galaxien, sie sind beschränkt auf −16 M B −23 bzw. 109 M M 1012 M . Charakteristische Parameter der verschiedenen SpiralTypen sind in der Tabelle 3.2 zusammengefasst.
3.3.2
Helligkeitsprofil
Das Profil des Bulges von Spiralen folgt in guter Näherung einem de Vaucouleurs-Profil – siehe (2.39) und (2.41) – während die Scheibe einem exponentiellen Helligkeitsprofil folgt, wie dies auch in unserer Galaxis der Fall ist. Drückt man diese Verteilungen für die Flächenhelligkeit in μ ∝ −2.5 log(I) aus, gemessen in mag/arcsec2 , so erhält man
R 1/4 μbulge (R) = μe + 8.3268 −1 (3.10) Re und
R μdisk (R) = μ0 + 1.09 hr
.
(3.11)
Dabei ist μe die Flächenhelligkeit am Effektivradius, der so definiert ist, dass von innerhalb Re die Hälfte der Leuchtkraft stammt (siehe Gl. 2.40). Die zentrale Flächenhelligkeit und die Skalenlänge der Scheibe werden mit μ0 bzw. h r bezeichnet. Dazu muss man beachten,
3.3 Spiralgalaxien 99
Abb. 3.14. Typen von Spiralgalaxien. Oben links: M64, eine Sab-Galaxie; oben Mitte: M51, eine Sbc-Galaxie; oben rechts: M101, eine Sc-Galaxie; unten links: M83, eine SBa-Galaxie;
unten Mitte: NGC 1365, eine SBb-Galaxie; unten rechts: M58, eine SBc-Galaxie
Tabelle 3.2. Charakteristische Werte für Spiralgalaxien. Vmax ist die maximale Rotationsgeschwindigkeit, charakterisiert also den flachen Teil der Rotationskurve. Der Öffnungswinkel ist jener, unter welchem die Spiralarme abzweigen, also
der Winkel zwischen der Tangente an die Spiralarme und dem Kreis um das Zentrum der Galaxie, der durch den Tangentenpunkt verläuft. SN ist die spezifische Häufigkeit von Kugelsternhaufen, die in (3.13) definiert ist
MB M (M ) L bulge /L tot B Durchm. ( D25 , kpc) M/L B (M /L ) Vmax (km s−1 ) Vmax Bereich (km s−1 ) Öffnungswinkel μ0,B (mag arcsec−2 ) B − V Mgas /Mtot MH2 /MHI SN
Sa
Sb
Sc
Sd/Sm
Im/Ir
−17 bis −23 109 – 1012 0.3 5 – 100 6.2 ± 0.6 299 163 – 367 ∼ 6◦ 21.52 ± 0.39 0.75 0.04 2.2 ± 0.6 (Sab) 1.2 ± 0.2
−17 bis −23 109 – 1012 0.13 5 – 100 4.5 ± 0.4 222 144 – 330 ∼ 12◦ 21.52 ± 0.39 0.64 0.08 1.8 ± 0.3 1.2 ± 0.2
−16 bis −22 109 – 1012 0.05 5 – 100 2.6 ± 0.2 175 99 – 304 ∼ 18◦ 21.52 ± 0.39 0.52 0.16 0.73 ± 0.13 0.5 ± 0.2
−15 bis −20 108 – 1010 – 0.5 – 50 ∼1 – – – 22.61 ± 0.47 0.47 0.25 (Scd) 0.19 ± 0.10 0.5 ± 0.2
−13 bis −18 108 – 1010 – 0.5 – 50 ∼1 – 50 – 70 – 22.61 ± 0.47 0.37 – – –
3. Die Welt der Galaxien 100
dass μ0 nicht direkt messbar ist, denn μ0 ist nicht die zentrale Flächenhelligkeit der Galaxie, sondern nur ihres Scheibenanteils. Um μ0 zu bestimmen, wird daher das Exponentialgesetz (3.11) von außen hin zu R = 0 extrapoliert. Ken Freeman fand bei seiner Untersuchung einer Stichprobe von Spiralgalaxien das bemerkenswerte Ergebnis, dass die zentrale Flächenhelligkeit μ0 von Scheiben eine sehr geringe Dispersion aufweist, also für verschiedene Galaxien sehr ähnlich ist (Freeman’s law, 1970). Für Sa’s bis Sc’s ergibt sich ein Wert von μ0 = 21.52 ± 0.39 B − mag/arcsec2 , und für Sd-Spiralen und spätere Typen ist μ0 = 22.61 ± 0.47 B-mag/arcsec2 . Dieses Resultat wurde kontrovers diskutiert, etwa in Hinblick auf die Abhängigkeit des Ergebnisses von Auswahleffekten. Solche sind vielleicht naheliegend, denn das Erreichen von präziser Photometrie von Galaxien ist bei Objekten mit großer Flächenhelligkeit sicherlich sehr viel einfacher. Nach der Berücksichtigung von solchen Auswahleffekten bei der statistischen Analyse von Galaxiensamples bestätigt sich das Freeman Gesetz für ,,normale“ Spiralgalaxien. Es gibt aber Galaxien mit deutlich kleinerer Flächenhelligkeit, die low surface brightness galaxies (LSBs); diese scheinen eine separate Klasse von Galaxien zu bilden, deren Studium aufgrund der kleinen Flächenhelligkeit sehr viel schwieriger ist als das von normalen Spiralen. In der Tat ist die Flächenhelligkeit von LSBs sehr viel kleiner als die Helligkeit des Nachthimmels, so dass bereits das Auffinden dieser LSBs sehr problematisch ist und eine sehr präzise Datenbearbeitung und Subtraktion des Himmelhintergrunds verlangt.
3.3.3
nung der messbaren HI-Scheibe in der Regel deutlich größer ist als die Ausdehnung der Sternscheibe. Daher erstrecken sich Rotationskurven, die anhand der 21 cmLinie gemessen werden, typischerweise zu deutlich größeren Radien als die aus stellarer Spektroskopie. Wie unsere Galaxis rotieren auch andere Spiralen im Außenbereich sehr viel schneller, als man aufgrund des Keplergesetzes und der sichtbaren Materieverteilung erwarten würde (siehe Abb. 3.15). Die Rotationskurven von Spiralen fallen nicht ab für R ≥ h r , wie man aufgrund der Lichtverteilung erwartet, sondern bleiben im Wesentlichen flach. Daraus schließt man, dass Spiralen von einem Halo Dunkler Materie umgeben sind. Aus den Rotationskurven kann man die Dichteverteilung des Dunklen Halos ableiten. In der Tat kann man aus den Rotationskurven die Dichteverteilung der Dunklen Materie erschließen. Aus dem Kräftegleichgewicht zwischen Gravitation und Zentrifugalbeschleunigung folgt die Kepler-Rotation, v2 (R) = G M(R)/R ,
Rotationskurven und Dunkle Materie
Die Rotationskurven für andere Spiralgalaxien sind einfacher zu messen als die der Milchstraße, da wir jene ,,von außen“ beobachten können. Die Messungen erfolgen mittels des Doppler-Effekts, wobei man für die Inklination der Scheibe, also ihrer Orientierung relativ zum Sehstrahl, korrigieren muss. Den Inklinationswinkel erhält man aus dem beobachteten Achsenverhältnis der Scheibe unter der Annahme, dass Scheiben intrinsisch (bis auf die Spiralarme) axial-symmetrisch sind. Als ,,Probekörper“ stehen hauptsächlich Sterne und das HI-Gas der Galaxien zur Verfügung, wobei die Ausdeh-
Abb. 3.15. Beispiele von Rotationskurven von Spiralgalaxien. Alle verlaufen im äußeren Bereich flach und verhalten sich daher nicht so, wie man es aufgrund des Kepler-Gesetzes erwarten würde, falls die gesamte Masse der Galaxien aus leuchtender Materie bestünde. Auffällig ist auch, dass die Amplitude der Rotationskurve bei frühen Typen höher liegt als bei späten Typen
3.3 Spiralgalaxien 101
aus der man direkt die Masse M(R) innerhalb des Radius R erhält. Die Rotationskurve, die man aufgrund der sichtbaren Materie erwartet, ist2 2 vlum (R) = G Mlum (R)/R .
Mlum (R) lässt sich bestimmen, wenn man einen konstanten, plausiblen Wert für das Masse-zu-LeuchtkraftVerhältnis der leuchtenden Materie annimmt. Diesen Wert erhält man entweder aus der spektralen Lichtverteilung der Sterne, zusammen mit der Kenntnis der Eigenschaften stellarer Populationen, oder durch Anpassen des innersten Teils der Rotationskurve (für den der Anteil Dunkler Materie vernachlässigbar ist) unter der Annahme, dass M/L für die Sternpopulation unabhängig vom Radius ist. Nachdem dieser Schritt 2 vollzogen ist, kann man aus der Diskrepanz von vlum 2 und v den Verlauf der Dunklen Materie erhalten, 2 2 vdark = v2 − vlum = G Mdark /R, oder Mdark (R) =
R 2 2 v (R) − vlum (R) . G
(3.12)
Ein Beispiel für diese Dekomposition der Massenbeiträge ist in der Abb. 3.16 gezeigt. Das zugehörige Dichteprofil der Halos Dunkler Materie (Dark Matter Halo) scheint flach zu sein im Innenbereich und nach außen etwa wie R−2 abzufallen. Dabei ist bemerkenswert, dass ρ ∝ R−2 ein Massenprofil M ∝ R impliziert, d. h. die Masse des Halos steigt nach außen linear mit dem Radius an. Solange also die Ausdehnung des Halos nicht bestimmt ist, bleibt auch die Gesamtmasse einer Galaxie unbekannt. Da die beobachteten Rotationskurven bis zum größten Radius, wo die 21 cm-Emission noch gemessen werden kann, flach bleiben, kann man den Radius des dunklen Halos einschränken, Rhalo 30h −1 kpc. Um das Dichteprofil zu noch größeren Radien hin zu messen, bräuchte man andere beobachtbare Objekte im Orbit um die Galaxien. Als solche kommen SatellitenGalaxien in Frage, also Begleiter anderer Spiralen, wie es für die Milchstraße die Magellanschen Wolken 2 Diese Überlegung ist insofern
stark vereinfacht, da die angegebenen Beziehungen in dieser Form nur für sphärische Massenverteilungen gelten. Die Rotationsgeschwindigkeit, hervorgerufen durch eine flache (scheibenförmige) Massenverteilung, ist komplizierter; so wird z. B. für eine exponentielle Massenverteilung in einer Scheibe das Maximum von vlum bei ∼ 2.2h r erreicht, danach erfolgt der Keplersche Abfall, vlum ∝ R−1/2 .
Abb. 3.16. Die flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien können nicht durch sichtbare Materie alleine erklärt werden. Am Beispiel von NGC 3198 wird hier gezeigt, welche Rotationskurve aufgrund von sichtbarer Materie erwartet würde (Kurve ,,disk“). Um die beobachtete Rotationskurve zu erklären, muss es eine Komponente dunkler Materie geben (Kurve ,,halo“). Allerdings ist diese Dekomposition in Scheibenmasse und Halo nicht eindeutig, da man dazu das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis der Scheibe kennen müsste. In dem hier betrachteten Fall wurde die Annahme der ,,maximalen Scheibe“ gemacht, d. h. es wurde angenommen, dass der innerste Teil der Rotationskurve allein durch die sichtbare Materie in der Scheibe hervorgerufen wird
sind. Da man bei solchen Satelliten-Galaxien nicht davon ausgehen kann, dass sie sich auf Kreisbahnen um die Muttergalaxie bewegen, können nur Rückschlüsse auf statistischer Basis gezogen werden. Aus solchen Untersuchungen der relativen Geschwindigkeiten von Satelliten-Galaxien um Spiralen ergibt sich ebenfalls kein Anzeichen eines ,,Endes“ des Halos, was zu einer unteren Schranke des Radius von Rhalo 100h −1 kpc führt. Für Elliptische Galaxien ist die Massenbestimmung, und damit der Nachweis einer möglichen Komponente Dunkler Materie, deutlich komplizierter, da die Orbits ihrer Sterne sehr viel komplexer sind als in Spiralen. Insbesondere ist die Abschätzung der Masse von der Anisotropie der stellaren Orbits abhängig, die a priori nicht bekannt ist. Dennoch gelang in den letzten Jahren auch der zweifelsfreie Nachweis von Dunkler Materie in Ellipsen. Zum einen konnte mit detaillierten kinematischen Untersuchungen die Entartung zwischen der Anisotropie der Orbits und der Massen-
3. Die Welt der Galaxien 102
bestimmung gebrochen werden. Andererseits hat man bei einigen Ellipsen die Anwesenheit heißen Gases mit Hilfe von Röntgenemission festgestellt. Wie wir im Zusammenhang mit Galaxienhaufen in Abschn. 6.3 noch sehen werden, kann man aus der Temperatur des Gases die Tiefe des Potentialtopfes, und somit die Masse abschätzen. Beide Methoden ergeben, dass Ellipsen ebenfalls von einem Dunklen Halo umgeben sind. Der schwache Gravitationslinseneffekt, den wir in Abschn. 6.5.2 in anderem Zusammenhang diskutieren werden, bietet eine weitere Möglichkeit, die Massen von Galaxien bis hin zu sehr großen Radien zu bestimmen, wobei nicht einzelne Galaxien damit untersucht werden können, sondern die mittleren Masseneigenschaften einer Galaxienpopulation. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen bestätigen die große Ausdehnung Dunkler Halos bei Spiralen und Ellipsen. Korrelationen der Rotationskurven mit Galaxieneigenschaften. Form und Amplitude der Rotationskurven von Spiralen sind korreliert mit deren Leuchtkraft und Hubble-Typ. Je größer die Leuchtkraft einer Spirale, umso steiler steigt v(R) im Zentralbereich an, und umso größer ist die maximale Rotationsgeschwindigkeit vmax . Letzteres ist ein Ausdruck dafür, dass die Masse einer Galaxie mit der Leuchtkraft ansteigt. Als charakteristische Werte für die verschiedenen Hubble-Typen findet man vmax ∼ 300 km/s für Sa’s, vmax ∼ 175 km/s für Sc’s, während Irr’s ein sehr viel kleineres vmax ∼ 70 km/s haben. Bei gleicher Leuchtkraft ist vmax größer für frühere Spiraltypen. Allerdings ist die Form (nicht die Amplitude) der Rotationskurve verschiedener Hubble-Typen ähnlich, obwohl sie ein unterschiedliches Helligkeitsprofil besitzen, wie etwa aus dem Bulge/Scheiben-Verhältnis abzulesen ist. Dieser letzte Punkt ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Rotationskurven nicht allein durch die sichtbare Materie erklärt werden können. Aus diesen Resultaten ergeben sich einige offensichtliche Fragestellungen: Was ist die Natur der Dunklen Materie? Was ist das Dichteprofil der Dunklen Halos, wodurch wird es bestimmt, und wo ist der Rand eines Halos? Bedeutet die Tatsache, dass Galaxien mit vrot 100 km/s keine ausgeprägte Spiralstruktur besitzen, dass eine minimale Halomasse vorhanden sein muss, damit sich Spiralarme ausbilden?
Einige dieser Fragen werden wir später noch weiter untersuchen, aber eines sei schon hier festgestellt: Die Tatsache, dass der größte Teil der Masse einer Spiralgalaxie aus nicht-leuchtender Materie besteht, und wir daher nicht wissen, was diese Materie ist, wirft die Frage auf, ob diese unsichtbare Masse eine neue, bislang nicht bekannte Form der Materie ist, oder weniger exotische, normale (baryonische) Materie, die aus irgendeinem Grund nicht leuchtet (beispielsweise, weil sie keine Sterne gebildet hat). In Kap. 4 werden wir sehen, dass das Problem der Dunklen Materie nicht auf Galaxien beschränkt ist, sondern auch auf kosmologischer Skala klar erkennbar ist, und dass es sich nicht um baryonische Materie handeln kann. In den Rotationskurven von Spiralen zeigt sich daher die Existenz einer bislang unbekannten Materieform.
3.3.4
Stellare Population und Gasgehalt
Je ,,später“ der Hubble-Typ, umso blauer sind die Spiralen; so findet man etwa B − V ∼ 0.75 für Sa’s, 0.64 für Sb’s, 0.52 für Sc’s und 0.4 für Irr’s. Das bedeutet, dass der Anteil massereicher junger Sterne entlang der Hubble-Sequenz zu späteren Spiraltypen zunimmt. Diese Schlussfolgerung ist auch in Übereinstimmung mit dem Befund der Lichtverteilung entlang der Spiralarme, denn die hellen Knoten in den Spiralarmen von Sc’s zeigen deutlich aktive Sternentstehungsgebiete. Die Entstehung von Sternen benötigt Gas, und der Anteil der Gasmasse steigt an für spätere Typen, messbar etwa durch die 21 cm-Emission von HI sowie Hα- und CO-Emission. Das Verhältnis Mgas /Mtot beträgt etwa 0.04, 0.08, 0.16 und 0.25 für Sa’s, Sb’s, Sc’s und Irr’s. Dabei findet man zusätzlich, dass der Anteil von molekularem Gas relativ zur Gesamtgasmasse umso kleiner ist, je später der Hubble-Typ, während die Staubmasse weniger als 1% der Gasmasse beträgt. Der Staub in Verbindung mit heißen Sternen ist hauptverantwortlich für die Ferninfrarot (far infrared, FIR) Emission von Galaxien. Sc-Galaxien haben einen größeren Anteil an FIR-Strahlung als Sa’s, während Balkenspiralen eine stärkere FIR-Emission haben als normale Spiralen. Die FIR-Emission stammt von Staub, der von der UV-Strahlung heißer Sterne geheizt
3.3 Spiralgalaxien 103
wird und diese Energie in Form thermischer Strahlung emittiert. Man beobachtet einen deutlichen Farbgradienten in Spiralen: Sie sind roter im Innern und blauer nach außen. Dafür sind mindestens zwei Gründe anzuführen. Zum einen handelt es sich um einen Metallizitätseffekt, denn die Metallizität nimmt nach innen hin zu, und metallreiche Sterne sind roter als metallarme. Zweitens ist der Farbgradient eine Folge der Sternentstehung: Der Gasgehalt im Bulge ist kleiner als in der Scheibe, deshalb findet dort weniger Sternentstehung statt, so dass sich im Bulge i. A. eine ältere und daher rotere Sternpopulation befindet. Ferner findet man, dass die Metallizität von Spiralen mit der Leuchtkraft ansteigt. Die Anzahl der Kugelsternhaufen ist für frühere Typen und für leuchtkräftigere Galaxien größer. Man definiert die spezifische Häufigkeit von Kugelsternhaufen in einer Galaxie als deren Anzahl, normiert auf eine Galaxie mit absoluter Helligkeit MV = −15, indem man die beobachtete Anzahl Nt von Kugelsternhaufen in einer Galaxie mit visueller Leuchtkraft L V bzw. absoluter Helligkeit MV auf die einer hypothetischen Galaxie mit MV = −15 skaliert: S N = Nt
L 15 = Nt 100.4(MV +15) . LV
(3.13)
Falls die Anzahl der Kugelsternhaufen proportional zur Leuchtkraft (und somit in etwa der Sternmasse) einer
Galaxie wäre, dann würde S N = const gelten. Dies ist aber nicht der Fall: Für Sa’s und Sb’s findet man S N ∼ 1.2, für Sc’s S N ∼ 0.5. S N ist größer für Ellipsen, am größten für cD-Galaxien.
3.3.5
Spiralstruktur
Die Spiralarme sind die blauesten Gebiete von Spiralen und enthalten junge Sterne und HII-Regionen. Aus diesem Grunde ist der Helligkeitskontrast der Spiralarme umso größer, je kleiner die Wellenlänge der (optischen) Beobachtung ist. Insbesondere im blauen Filter tritt die Spiralstruktur sehr deutlich hervor, wie die Abb. 3.17 eindrucksvoll zeigt. Natürlich stellt sich die Frage, was Spiralarme eigentlich sind. Die vielleicht naheliegendste Möglichkeit, dass sie materielle Strukturen aus Sternen und Gas sind, die wie der Rest der Scheibe um das Zentrum rotieren, scheidet aus, denn aufgrund der differentiellen Rotation würden sich solche Spiralarme nach wenigen Umdrehungen um das Zentrum der Galaxie viel enger aufwickeln als das beobachtet ist. Man vermutet vielmehr, dass es sich um eine Wellenstruktur handelt, deren Geschwindigkeit nicht mit der materiellen Geschwindigkeit der Sterne zusammenfällt. Spiralarme sind quasi-stationäre Dichtewellen, also Gebiete höherer Dichte (vielleicht 10 bis 20% höher als in der lokalen Umgebung des Spiralarms). Wenn Gas
Abb. 3.17. Die Galaxie NGC 1300 im B-Filter (links) und im I-Filter (rechts). Die Spiralarme zeichnen sich sehr viel deutlicher im Blauen ab als im Roten. Auch die Enden des Balkens sind sehr viel prägnanter im Blauen – ein Anzeichen für eine erhöhte Sternentstehungsrate
3. Die Welt der Galaxien 104
beim Umlauf um das Zentrum der Galaxie in ein Gebiet höherer Dichte eintritt, wird es komprimiert, so dass Sternentstehung durch die Kompression von Molekülwolken in erhöhtem Maße möglich ist. Das erklärt die blaue Farbe der Spiralarme; da masseärmere (und damit rotere) Sterne länger leben, ist der Helligkeitskontrast der Spiralarme im roten Licht kleiner, während massereiche, blaue Sterne in Spiralarmen geboren werden und auch dort als SN explodieren. In der Tat findet man kaum blaue Sterne außerhalb der Spiralarme. Um diese Dichtewellen besser zu verstehen, betrachtet man etwa Wellen auf der Oberfläche eines Sees: Wellenberge bestehen zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus unterschiedlichen Flüssigkeitselementen, und die Wellengeschwindigkeit ist keineswegs die Geschwindigkeit der Flüssigkeit. 3.3.6
Korona von Spiralen?
Befindet sich im Halo von Spiralgalaxien ein heißes, ,,koronales“ Gas? Eine solche Gaskorona wird erwartet aufgrund der Entwicklung von Supernova-Überresten, die sich aus der Scheibe hinaus ausdehnen und damit heißes Gas in den Halo transportieren. Während man die Existenz solchen koronalen Gases schon lange vermutet hat, gelang der Nachweis über die Röntgenemission erst mit dem ROSAT-Satelliten: ROSAT detektierte ausgedehnte Röntgenemission von Spiralen. Die begrenzte Winkelauflösung machte aber die Unterscheidung diffuser Emission von einer Ansammlung diskreter Quellen sehr schwierig. Erst mit Chandra gelang der zweifelsfreie Nachweis des koronalen Gases in einigen Scheibengalaxien. Exemplarisch zeigt die Abb. 3.18 die Spiralgalaxie NGC 4631.
3.4
Skalierungsrelationen
Die kinematischen Eigenschaften von Spiralen und Ellipsen sind eng mit ihrer Leuchtkraft korreliert. Für Spiralen fand man die Tully–Fisher–Relation, für Ellipsen die Faber–Jackson–Relation, später die Fundamentalebene. Diese Skalierungsrelationen bilden ein enorm wichtiges Werkzeug für Entfernungsbestimmungen, wie wir in Abschn. 3.6 noch besprechen werden. Weiterhin stellen diese Skalierungsrelationen
Abb. 3.18. Die Spiralgalaxie NGC 4631. In Rot ist die optische (HST) Aufnahme dieser Galaxie gezeigt; die vielen hellen Emissionsgebiete zeigen Bereiche sehr aktiver Sternentstehung an. Die SN-Explosionen der massereichen Sterne schleudern heißes Gas in den Halo der Galaxie. Dieses Gas (mit einer Temperatur von T ∼ 106 K) emittiert Röntgenstrahlung, die als bläuliche diffuse Emission dargestellt ist; sie wurde mit dem Chandra-Satelliten aufgenommen. Das Bild hat eine Kantenlänge von 2. 5
eine Gesetzmäßigkeit der Galaxien dar, die von einem erfolgreichen Modell der Galaxienentwicklung erklärt werden müssen. Hier wollen wir diese Skalierungsrelationen beschreiben und den physikalischen Ursprung ihrer Gültigkeit diskutieren.
3.4.1
Die Tully–Fisher-Relation
Im Jahre 1977 fanden R. Brent Tully und J. Richard Fisher aus 21 cm-Beobachtungen, dass die maximale Rotationsgeschwindigkeit von Spiralen eng mit ihrer Leuchtkraft korreliert ist und der Relation α L ∝ vmax
(3.14)
folgt, wobei die Steigung der Tully–Fisher (TF)Relation etwa α ∼ 4 beträgt. Je größer die Wellenlänge
3.4 Skalierungsrelationen 105
Abb. 3.20. 21 cm-Profil der Galaxie NGC 7331. Bei jeweils 20% und 50% des Flussmaximums sind Punkte eingezeichnet; diese sind relevant zur Bestimmung der Linienbreite und der daraus resultierenden Rotationsgeschwindigkeit
Abb. 3.19. Die Tully–Fisher-Relationen für Galaxien der Lokalen Gruppe (Punkte), der Sculptor-Gruppe (Dreiecke) und der M81-Gruppe (Quadrate). Die ausgefüllten Symbole repräsentieren Galaxien, für die individuelle Distanzbestimmungen durch RR Lyrae, Cepheiden oder planetarische Nebel durchgeführt wurden. Für Galaxien mit offenen Symbolen wurde die durchschnittliche Entfernung der Gruppe benutzt. Die durchgezogene Linie ist ein Fit an ähnliche Daten für den Ursa-Major-Haufen zusammen mit den Daten für die Galaxien mit individuellen Distanzbestimmungen (ausgefüllte Symbole). Die Dispersion für die Sculptor-Gruppe ist auf deren Ausdehnung entlang der Sichtlinie zurückzuführen
des Filters, in dem die Leuchtkraft gemessen wird, umso kleiner ist die Streuung um die TF-Relation (siehe Abb. 3.19). Dies ist zu erwarten, da langwelligere Strahlung weniger beeinflusst ist von Staubabsorption und von der momentanen Sternentstehungsrate, die zwischen verschiedenen Spiralen stärker variieren kann. Weiterhin findet man, dass der Wert für α mit der Wellenlänge des Filters ansteigt; im Roten ist die TF-
Relation steiler. Im nahen Infrarot (z. B. im H-Band) beträgt die Streuung um die TF-Relation ca. 10%. Aus dieser engen Korrelation ergibt sich, dass durch eine Messung der Rotationsgeschwindigkeit von Spiralen deren Leuchtkraft recht genau abgeschätzt werden kann. Die Bestimmung der (maximalen) Rotationsgeschwindigkeit ist unabhängig von der Entfernung einer Galaxie. Vergleicht man nun die Leuchtkraft, wie sie aus der TF-Relation ermittelt wird, mit dem gemessenen Fluss, so kann man daher die Entfernung zur Galaxie bestimmen – ohne die Hubble-Relation zu benutzen! Die Messung von vmax erfolgt entweder durch eine räumlich aufgelöste Rotationskurve, indem man vrot (θ) vermisst, was bei relativ nahen Galaxien möglich ist, oder durch ein integrales Spektrum der 21 cm-Linie von HI, deren Doppler-Breite in etwa 2vmax entspricht (siehe Abb. 3.20). Die in Abb. 3.19 dargestellte TF-Relation ist mittels der Breite der 21 cm-Linie erstellt worden. Erklärung der TF-Relation. Die Formen der Rotationskurven von Spiralen sind insbesondere hinsichtlich ihres flachen Verlaufs einander sehr ähnlich. Die flache
3. Die Welt der Galaxien 106
Rotationskurve impliziert M=
2 vmax R , G
(3.15)
wobei hier der Abstand R vom Zentrum der Galaxie im flachen Teil der Rotationskurve gewählt wird, der genaue Wert aber nicht wichtig ist, solange v(R) ≈ const. Schreibt man (3.15) etwas um, −1 2 M vmax R L= , (3.16) L G und ersetzt R durch die mittlere Flächenhelligkeit I = L/R2 , so erhält man −2 M 1 4 L= vmax . (3.17) L G 2 I
legt zumindest Letzteres nahe. Da die Form der Rotationskurven für Spiralen untereinander sehr ähnlich erscheint, ist die radiale Verteilung des Verhältnisses von leuchtender und dunkler Materie vielleicht ebenfalls recht ähnlich zwischen Spiralen. Da aber M/L im Roten oder im NIR für eine Sternpopulation nicht stark von ihrem Alter abhängt, würde dann die Konstanz dieses Verhältnisses auch unter Einbeziehung der Dunklen Materie gelten. Obgleich die hier dargestellte Argumentation keinesfalls eine Herleitung der TF-Relation ist, so macht sie doch die Existenz einer solchen Skalierungsrelation plausibel.
Dies ist die TF-Relation falls M/L und I für alle Spiralen gleich ist. Das Freemansche Gesetz (Abschn. 3.3.2)
Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von Spiralen. Die Gesamtmasse von Spiralen ist nicht bestimmbar, da die Ausdehnung des Dunklen Halos unbekannt ist. Deshalb ist M/L nur innerhalb eines festen Radius messbar. Diesen definieren wir als den Radius R25 , bei dem die
Abb. 3.21. Links: Die in Sternen vorhandene Masse als Funktion der Rotationsgeschwindigkeit Vc für Spiralen. Diese Masse in Sternen wird aus der Leuchtkraft berechnet, indem man sie mit einem geeigneten Sternmasse-zu-LeuchtkraftVerhältnis multipliziert, das filterabhängig ist und aus Populationsmodellen berechnet werden kann. Das ist die ,,klassische“ TF-Relation. Quadrate und Kreise zeigen Galaxien, für die Vc mittels der Breite der 21 cm-Linie bzw. aus der räumlich aufgelösten Rotationskurve bestimmt wurde.
Die Farben der Symbole zeigen die Farbfilter, in denen die Leuchtkraft gemessen wurde: H (rot), K (schwarz), I (grün), B (blau). Rechts: Anstatt der Masse der Sterne ist hier die Summe aus Stern- und Gasmasse aufgetragen. Die Gasmasse wurde aus dem Fluss der 21 cm-Linie bestimmt, Mgas = 1.4MHI , korrigiert für Helium und Metalle; molekulares Gas trägt wenig zur Baryonenmasse bei. Die Kurve in beiden Figuren ist die TF-Relation mit Steigung α=4
3.4 Skalierungsrelationen 107 2
Flächenhelligkeit den Wert 25 mag/arcsec im B-Band annimmt;3 dann folgen Spiralen der Relation log
R25 kpc
= −0.249MB − 4.00 ,
(3.18)
unabhängig vom Hubble-Typ. Innerhalb von R25 findet man M/L B = 6.2 für Sa’s, 4.5 für Sb’s und 2.6 für Sc’s. Dieser Trend überrascht nicht, da späte Typen von Spiralen mehr junge, blaue und leuchtkräftige Sterne enthalten. Die baryonische TF-Relation. Die obige ,,Herleitung“ der TF-Relation beruhte auf der Annahme eines konstanten Werts für M/L, wobei M die Gesamtmasse (d. h. inklusive Dunkler Materie) ist. Angenommen, das Verhältnis von Baryonen und Dunkler Materie sei konstant, und weiterhin seien die Sternpopulationen der Spiralen ähnlich, so dass das Verhältnis von Sternmasse zu Leuchtkraft konstant sei. Selbst unter diesen Annahmen würde man die Gültigkeit der TF-Relation nur dann erwarten, wenn das Gas keinen oder nur einen geringen Anteil der Baryonenmasse ausmacht, da es nicht zur (optischen) Leuchtkraft beiträgt. Spiralen kleiner Masse enthalten aber einen erheblichen Gasanteil, weswegen man erwarten sollte, dass die TF-Relation für diese nicht mehr gilt. Tatsächlich findet man, dass Spiralen mit kleinem vmax 100 km/s deutlich von der TF-Relation abweichen – siehe Abb. 3.21(a). Da in etwa L ∝ M∗ , der Masse in Sternen, ist die TF-Relation eine Beziehung zwischen vmax und M∗ . Addiert man zu der Sternmasse die Masse des Gases, welche aus der Stärke der 21 cm-Linie erschlossen werden kann, so erhält man eine wesentlich bessere Korrelation, siehe Abb. 3.21(b); diese lautet Mdisk = 2 × 109 h −2 M
vmax 4 100 km/s
(3.19)
und gilt über 5 Größenordnungen in der Scheibenmasse Mdisk = M∗ + Mgas . Falls es keine weiteren Baryonen in Spiralen gibt (z. B. MACHOs), bedeutet diese enge Korrelation, dass das Verhältnis von Baryonen und Dunkler Materie in Spiralen über einen sehr weiten Massenbereich konstant ist. 3 Es
sei noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass die Flächenhelligkeit nicht von der Entfernung zu einer Quelle abhängt.
3.4.2
Die Faber–Jackson-Relation
Eine der TF-Relation analoge Beziehung für Elliptische Galaxien wurde von Sandra Faber und Roger Jackson gefunden. Sie stellten fest, dass die Geschwindigkeitsdispersion im Zentrum von Ellipsen, σ0 , mit deren Leuchtkraft skaliert (siehe Abb. 3.22),
Abb. 3.22. Die Faber–Jackson-Relation drückt eine Korrelation zwischen der Geschwindigkeitsdispersion und der Leuchtkraft von elliptischen Galaxien aus; sie kann aus dem Virial-Satz gefolgert werden
L ∝ σ04 , oder log(σ0 ) = −0.1MB + const .
(3.20)
Eine ,,Herleitung“ dieser FJ-Skalierungsrelation ist unter den gleichen Annahmen möglich wie bei der TF-Relation. Allerdings ist die Streuung von Ellipsen um diese Relation größer als die der Spiralen um die TF-Relation.
3.4.3
Die Fundamentalebene
Die TF- und FJ-Relationen bilden einen Zusammenhang zwischen der Leuchtkraft und einer kinematischen Größe von Galaxien. Wie bereits andiskutiert, gibt es verschiedene Korrelationen zwischen den Parametern von Elliptischen Galaxien. Daher stellt sich die Frage, ob es eine Relation zwischen beobachtbaren Größen von
3. Die Welt der Galaxien 108
Ellipsen gibt, um die die Streuung kleiner ist als um die FJ-Relation. Eine solche Beziehung wurde in der Tat gefunden und ist unter dem Namen Fundamentalebene bekannt. Um diese zu erläutern, betrachten wir die verschiedenen Korrelationen zwischen Parametern von Ellipsen. Wir haben in Abschn. 3.2.2 gesehen, dass der Effektivradius von normalen Ellipsen mit der Leuchtkraft korreliert ist (siehe Abb. 3.7), was eine Korrelation zwischen der Flächenhelligkeit und dem Effektivradius impliziert, Re ∝ I−0.83 , e
(3.22)
Daraus folgt, dass die Leuchtkraft und Ie korreliert sind, L ∝ Re2 Ie ∝ I−0.66 e
Ie ∝ L −1.5 .
(3.23)
Leuchtkräftigere Ellipsen haben also eine kleinere Flächenhelligkeit, wie auch in Abb. 3.7 schon gezeigt wurde. Die FJ-Relation korreliert L mit σ0 , der zentralen Geschwindigkeitsdispersion, weswegen auch σ0 , Ie und Re miteinander korreliert sind. Die Verteilung der Elliptischen Galaxien im drei-dimensionalen Parameterraum (Re , Ie , σ0 ) liegt nahe einer Fläche, die durch
(3.21)
wobei Ie die mittlere Flächenhelligkeit innerhalb des Effektivradius ist, L = 2πRe2 Ie .
oder
Re ∝ σ01.4 I−0.85 e
(3.24)
beschrieben wird. Durch Logarithmieren dieser Beziehung erhält man die Form log Re = 0.34 μe + 1.4 log σ0 + const ,
(3.25)
wobei μe die mittlere Flächenhelligkeit innerhalb Re ist, gemessen in mag/arcsec2 . Die Gleichung (3.25)
Abb. 3.23. Projektionen der Fundamentalebene auf verschiedene ZweiparameterEbenen. Oben links: der Zusammenhang zwischen Radius und mittlerer Flächenhelligkeit; oben rechts: Faber– Jackson-Relation; unten links: die Korrelation zwischen Flächenhelligkeit und Geschwindigkeitsdispersion stellt die Fundamentalebene in Ansicht dar; unten rechts: die Fundamentalebene von der Seite gesehen: Der lineare Zusammenhang zwischen Radius und einer Kombination aus Flächenhelligkeit und Geschwindigkeitsdispersion
3.5 Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien 109
definiert eine Ebene in diesem drei-dimensionalen Parameterraum, die als Fundamentalebene (fundamental plane, FP) bezeichnet wird. Verschiedene Projektionen dieser Fundamentalebene sind in Abb. 3.23 dargestellt.
Für ein de Vaucouleurs-Profil gilt im relevanten Radiusbereich etwa f(x) ∝ x −1.2 . Wertet man damit das Integral aus, so folgt
Wie kann diese verstanden werden? Die Masse innerhalb Re folgt aus dem Virialsatz, M ∝ σ02 Re . Kombiniert man dies mit (3.22), so ergibt sich
Wenn man nun Re durch die FP (3.24) ersetzt, so ergibt sich
L σ02 Re ∝ . M Ie
(3.26)
Diese Relation stimmt mit der FP in der Form (3.24) überein, falls σ02
L ∝ M Ie
σ01.4 I0.85 e
,
oder σ 0.6 M M 0.3 Re0.3 ∝ 00.15 ∝ 0.3 0.15 L Re L Ie gilt. Daher folgt die FP aus dem Virialsatz, falls M M ∝ M 0.2 bzw. ∝ L 0.25 (3.27) L L gilt, d. h. wenn das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis mit der Masse leicht ansteigt. Wie die TF-Relation ist die FP ein wichtiges Werkzeug zur Entfernungsbestimmung, wie später noch besprochen wird. 3.4.4
Dn –σ-Relation
In
Dn 2
2
D n /2
π = 2πIe
d R R f(R/Re ) 0 Dn/(2Re )
=
dx x f(x) .
2πIe Re2 0
(3.28)
Dn ∝ σ01.4 I−0.85 Ie0.8 . e Da wegen des angenommenen selbstähnlichen Helligkeitsprofils Ie ∝ Ie ist, folgt Dn ∝ σ01.4 Ie0.05 .
(3.29)
Dies impliziert, dass Dn fast unabhängig von Ie sein sollte und nur von σ0 abhängt. Die Dn –σ-Relation (3.29) beschreibt die Eigenschaften von Ellipsen wesentlich besser als die FJ-Relation und ist im Gegensatz zur FP eine Beziehung zwischen nur zwei Größen. Empirisch findet man, dass Ellipsen der normierten Dn –σ-Relation 1.33 σ0 Dn = 2.05 (3.30) kpc 100 km/s folgen und um sie mit einer relativen Breite von ca. 15% streuen.
3.5
Eine weitere Skalierungsrelation für Ellipsen von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Dn –σRelation. Man definiert Dn als den ,,Durchmesser“ einer Ellipse, innerhalb derer die mittlere Flächenhelligkeit In einem Wert von 20.75 mag/arcsec2 im B-Band entspricht. Wenn man nun annimmt, dass alle Ellipsen ein selbstähnliches Helligkeitsprofil besitzen, I(R) = Ie f(R/Re ), mit f(1) = 1, dann gilt für die Leuchtkraft innerhalb von Dn
Dn ∝ Re Ie0.8 .
Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien
Wie wir in Abschn. 2.6.3 gesehen haben, befindet sich im Zentrum der Milchstraße ein Schwarzes Loch. Weiterhin ist allgemein akzeptiert, dass die Energie für die AGN-Aktivität durch Akkretion von Materie auf ein Schwarzes Loch erzeugt wird (siehe Abschn. 5.3). Daher ergibt sich die Frage, ob alle (oder die meisten) Galaxien in ihrem Kern ein supermassives Schwarzes Loch (supermassive black hole, SMBH) enthalten. Dieser Frage werden wir in diesem Abschnitt nachgehen und zeigen, dass SMBHs sehr häufig vorkommen. Daraus ergeben sich dann weitere Fragen: Was unterscheidet eine ,,normale“ Galaxie von einem AGN? Ist es die Masse des Schwarzen Lochs, die Rate, mit der Material auf das SMBH akkretiert, oder ist es die Effizienz des Energieerzeugungsmechanismus?
3. Die Welt der Galaxien 110
Wir beginnen mit einer kurzen Diskussion, wie man nach SMBHs in Galaxien suchen kann, werden dann einige Beispiele von Entdeckungen solcher SMBHs vorstellen und danach einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Masse des SMBH und Eigenschaften der stellaren Komponente von Galaxien diskutieren.
3.5.1
Die Suche nach supermassiven Schwarzen Löchern
Wir beginnen mit der Frage, was eigentlich ein Schwarzes Loch ist. Eine technische Antwort lautet, dass ein Schwarzes Loch die einfachste Lösung der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie ist, die das Gravitationsfeld einer Punktmasse beschreibt. Weniger technisch – und für unsere Zwecke ausreichend – kann man sagen, dass ein Schwarzes Loch eine Punktmasse bzw. eine kompakte Massenansammlung ist, deren Ausdehnung kleiner als der Schwarzschild-Radius rS ist (s. u.). Die erste Diskussion von Schwarzen Löchern findet man bei Laplace (1795). Er stellte folgende Überlegung an: Verkleinert man den Radius r eines Himmelskörpers mit Masse M, so verändert sich die Fluchtgeschwindigkeit vesc von dessen Oberfläche, 2G M vesc = . r Als Gedankenexperiment stellt man nun fest, dass bei genügend kleinem Radius vesc gleich der Lichtgeschwindigkeit c wird; dies geschieht bei rS :=
2G M = 2.95 × 105 cm c2
M M
.
(3.31)
Der Radius rS heißt Schwarzschild-Radius zu Ehren von Karl Schwarzschild, der 1916 die PunktmassenLösung der Einsteinschen Feldgleichung entdeckte. Für unsere Zwecke definieren wir daher ein Schwarzes Loch als eine Massenkonzentration mit Radius kleiner als rS . Wir sehen, dass rS sehr klein ist, etwa 3 km für die Sonne, und für das SMBH im Galaktischen Zentrum beträgt rS ∼ 1012 cm. Bei einer Entfernung von D = R0 ≈ 8 kpc entspricht dies einem Winkelradius von ∼ 6 × 10−6 Bogensekunden. Die Beobachtungen sind zur Zeit noch weit davon
entfernt, Skalen der Größenordnung rS direkt zu untersuchen, wobei allerdings VLBI-Beobachtungen bei sehr kurzen Radiowellenlängen in absehbarer Zeit eine vergleichbare Winkelauflösung erreichen können. Aus den größten beobachteten Geschwindigkeiten von Sternen im GC von ∼ 5000 km/s sieht man, dass diese noch weit weg sind vom Schwarzschild-Radius. In Abschn. 5.3.3 werden wir zeigen, dass in AGNs relativistische Effekte direkt beobachtet werden und dort Geschwindigkeiten von der Größenordnung c tatsächlich vorkommen – was wiederum einen sehr direkten Hinweis auf ein SMBH darstellt. Wenn also selbst im GC, dem uns nächsten SMBH, der Schwarzschild-Radius deutlich kleiner als die erreichte räumliche Auflösung ist, wie kann man hoffen, in anderen Galaxien den Nachweis auf die Existenz eines SMBH zu führen? Wie im GC wird dieser Nachweis indirekt geführt werden müssen, indem man eine kompakte Massenkonzentration detektiert, die nicht mit der Massenansammlung der beobachteten Sterne kompatibel ist. Wir betrachten eine Massenkonzentration mit Masse M• im Zentrum einer Galaxie, deren charakteristische Geschwindigkeitsdispersion im zentralen Bereich σ betrage. Im Vergleich dazu ist die charakteristische Geschwindigkeit (z. B. die Keplersche Rotationsgeschwindigkeit) um ein SMBH im Abstand r √ gegeben durch G M• /r. Daraus folgt, dass sich für Abstände kleiner als −2 G M• M• σ rBH = ∼ 0.4 pc σ2 106 M 100 km/s (3.32) der Einfluss des SMBH auf die Kinematik der Sterne und des Gases in der Galaxie bemerkbar macht. Der zugehörige Winkel ist rBH θBH = (3.33) D −1 −2 M• σ D ∼ 0.1 , 6 10 M 100 km/s 1 Mpc wobei D die Entfernung zur Galaxie ist. Daraus folgt unmittelbar, dass die erfolgreiche Suche nach SMBHs sehr stark von der erreichbaren Winkelauflösung abhängt. Das HST hat einen riesigen Fortschritt auf diesem Gebiet erlaubt. Nur für relativ nahe Galaxien wird man erfolgreich nach SMBHs suchen können. Weiterhin erkennt man aus (3.33), dass mit steigendem Abstand D
3.5 Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien 111
und Geschwindigkeitsdispersion σ die Masse M• größer sein muss, damit bei gegebener Winkelauflösung ein SMBH nachgewiesen werden kann. Kinematische Evidenz. Die Anwesenheit eines SMBH macht sich innerhalb rBH bemerkbar durch ein Ansteigen der Geschwindigkeitsdispersion für r rBH , die dann etwa wie σ ∝ r −1/2 verlaufen sollte. Falls der innere Bereich der Galaxie rotiert, erwartet man weiterhin, dass auch die Rotationsgeschwindigkeit vrot wie ∝ r −1/2 nach innen ansteigt. Probleme beim Nachweis dieser Signaturen. Die praktischen Probleme der Beobachtung eines SMBH sind bereits oben erwähnt worden. Einerseits ist es die Winkelauflösung: Um einen Anstieg kinematischer Geschwindigkeiten messen zu können, muss die Winkelauflösung der Beobachtung besser als θBH sein. Weiterhin gibt es Projektionseffekte, denn man misst nur die Geschwindigkeitsdispersion der projizierten Verteilung. Diese Projektion ist weiterhin mit der Leuchtkraft der Objekte gewichtet. Hinzu kommt, dass
Abb. 3.24. Links ist ein HST-Bild des Kerns der Galaxie M84 zu sehen. M84 befindet sich im Virgo-Haufen, etwa 15 Mpc von uns entfernt. Das schmale Rechteck zeigt die Positionierung eines Spalts, durch den ein Spektrum des zentralen Bereichs mit dem STIS (Space Telescope Imaging Spectrograph)-Instrument des HST aufgenommen wurde. Dieses Langspalt-Spektrum ist rechts zu sehen; nach oben ist dort die Position entlang des Spalts aufgetra-
die Kinematik von Sternen kompliziert sein kann. Die beobachteten Werte für σ und vrot hängen von der Verteilung der Orbits und der Geometrie der Verteilung ab. Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Nachweis von SMBHs in den letzten Jahren gelungen, zum großen Teil dank der stark verbesserten Winkelauflösung optischer Teleskope (z. B. HST) und verbesserter kinematischer Modelle.
3.5.2
Beispiele für SMBHs in Galaxien
Die Abb. 3.24 zeigt ein Beispiel dieser kinematischen Methode. Ein Langspalt-Spektrum, das den Kern der Galaxie M84 überdeckt, zeigt deutlich, dass sich um den Kern herum sowohl die Rotationsgeschwindigkeit als auch die Geschwindigkeitsdispersion ändern; beide steigen dramatisch zum Zentrum hin an. Wie stark die Messbarkeit der kinematischen Evidenz für ein SMBH von der erreichbaren Winkelauflösung der Beobachtung abhängt, wird in Abb. 3.25 verdeutlicht. Ein weiteres
gen, nach rechts die Wellenlänge des Lichts, hier auch durch Farben illustriert. In der Nähe des Zentrums der Galaxie ändert sich die Wellenlänge plötzlich, die Rotationsgeschwindigkeit wird sehr viel größer und ändert ihr Vorzeichen auf der anderen Seite des Zentrums. Dies zeigt die Kepler-Rotation im zentralen Gravitationsfeld eines SMBH, dessen Masse zu M• ∼ 3 × 108 M abgeschätzt werden kann
3. Die Welt der Galaxien 112 Abb. 3.25. Rotationsgeschwindigkeit (unten) und Geschwindigkeitsdispersion (oben) als Funktion der Entfernung vom Zentrum entlang der großen Hauptachse der Galaxie NGC 3115. Die verschiedenfarbigen Symbole zeigen Beobachtungen mit verschiedenen Instrumenten. In blau sind die Ergebnisse von Beobachtungen mit dem CFHT zu sehen, deren Winkelauflösung 0. 44 betrugen. Das SIS-Instrument am CFHT mit aktiver Optik erlaubt eine etwa doppelt so gute Winkelauflösung; diese Ergebnisse sind hier in grün gezeichnet. Schließlich zeigen die roten Symbole die Resultate einer HST-Beobachtung mit dem Faint Object Spectrograph (FOS). Wie erwartet erkennt man deutlich die Erhöhung der Geschwindigkeitsdispersion zum Zentrum hin, wenn man die Winkelauflösung verbessert; noch dramatischer ist der Effekt bei der Rotationsgeschwindigkeit. Durch Projektionseffekte ist die gemessene zentrale Geschwindigkeitsdispersion kleiner als die wahre; für diesen Effekt kann man korrigieren. Nach dieser Korrektur ergibt sich ein zentraler Wert für σ von ∼ 600 km/s. Dieser Wert ist sehr viel größer als die Fluchtgeschwindigkeit von dem zentralen Sternhaufen, wenn dessen Masse nur aus Sternen bestehen würde – er würde in ∼ 2 × 104 Jahren auseinanderfliegen. Deshalb muss eine zusätzliche kompakte Massenkomponente mit M• ∼ 109 M vorhanden sein
Abb. 3.26. M87 ist seit langem einer der besten Kandidaten für ein SMBH im Zentrum. In dieser Figur ist die Lage des Spalts zu sehen, das Spektrum der [OII]Linie entlang des Spalts, wie in Abb. 3.24, und sechs Spektren, entsprechend sechs verschiedenen Positionen. Die daraus extrahierte Rotationskurve und ein kinematisches Modell ist oben rechts gezeigt
3.5 Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien 113
eindrucksvolles Beispiel ist der zentrale Bereich von M87, der zentralen Galaxie des Virgo-Galaxienhaufens. Der Anstieg der Rotationskurve und die Verbreiterung der Hα-Linie zum Zentrum hin ist in Abb. 3.26 gezeigt. Besonders spektakulär ist die Vermessung der Kepler-Bewegung im Zentrum der Seyfert-Galaxie NGC 4258. Diese enthält Wasser-Maser – das sind
sehr kompakte Quellen, die mit VLBI-Techniken sehr genau vermessen werden können (Abb. 3.27). Die Abweichungen von einer Kepler-Rotation im Feld einer Punktmasse mit M• ∼ 3.5 × 107 M betragen dort weit weniger als 1%. Die Maser-Quellen sind eingebettet in eine Akkretionsscheibe, deren Dicke weniger als 0.3% ihres Radius beträgt. Von diesen Maser-Quellen sind bereits Änderungen der Radialgeschwindigkeiten und Eigenbewegungen vermessen worden, so dass das Modell der Keplerschen Akkretionsscheibe weiter im Detail bestätigt werden konnte. Natürlich bieten all diese Beobachtungen keinen Beweis für die Existenz eines SMBH in diesen Galaxien, da die Quellen für die kinematische Evidenz noch weit vom Schwarzschild-Radius entfernt sind. Die Schlussfolgerung auf die Existenz eines SMBH ist eher die der fehlenden Alternative, wie dies ja auch schon beim GC erläutert wurde (Abschn. 2.6.3). Es gibt kein anderes plausibles Modell für die nachgewiesenen Massenkonzentrationen. Wie bei dem SMBH der Milchstraße kann man einen ultrakompakten Sternhaufen postulieren, aber der wäre nicht lange stabil. Aus der Existenz eines SMBH in unserer Galaxis und in AGNs ist daher die SMBH-Hypothese als Erklärung dieser Massenkonzentrationen sehr plausibel. 3.5.3
Abb. 3.27. Die Seyfert Galaxie NGC 4258 enthält in ihrem Zentrum eine Akkretionsscheibe, in der mehrere WasserMaser eingebettet sind. Im oberen Bild ist eine künstlerische Darstellung der verbogenen Scheibe und des Jets gezeigt, zusammen mit dem Linienspektrum der Maser-Quellen. Deren Positionen (mittleres Bild) und Geschwindigkeiten lassen sich mit VLBI Beobachtungen vermessen. So konnte das KeplerGesetz für die Rotation im Schwerefeld einer Punktmasse mit M• = 25 × 106 M im Innern dieser Galaxie verifiziert werden. Gezeigt ist zudem das best-passendste Modell der zentralen Scheibe. Das untere Bild ist eine 20 cm-Karte, die die großräumige Radiostruktur der Seyfert-Galaxie zeigt
Zusammenhang der SMBH-Masse mit Galaxieneigenschaften
Zur Zeit hat man in ca. 35 normalen Galaxien einen starken Hinweis auf ein SMBH gefunden und dessen Masse abschätzen können. Man kann deshalb untersuchen, wie M• mit den Eigenschaften der Galaxie zusammenhängt. Dabei hat sich eine ganz erstaunliche Korrelation offenbart. Es stellt sich heraus, dass M• mit der absoluten Helligkeit der Bulge-Komponente (oder der sphäroidalen Komponente) der Galaxie korreliert ist, in der sich das SMBH befindet (siehe Abb. 3.28, links). Dabei ist die Bulge-Komponente entweder der Bulge einer Spiralgalaxie, oder aber die gesamte Elliptische Galaxie. Diese Korrelation lässt sich beschreiben durch L B,bulge 1.11 M• = 0.93 × 108 M ; (3.34) 1010 L B sie ist zwar sehr signifikant, aber die Abweichungen der Messpunkte von diesem Potenzgesetz sind deut-
3. Die Welt der Galaxien 114 Abb. 3.28. Korrelation der SMBH-Masse M• mit der absoluten Helligkeit MB,bulge (links) und der Geschwindigkeitsdispersion σe (rechts) der Bulge-Komponente der Heimatgalaxie. Kreise (Quadrate, Dreiecke) gehören zu Messungen, die auf stellarer Kinematik (Gas-Kinematik, Maser-Scheiben) beruhen
lich größer als ihre Fehlerbalken. Eine andere Art, diese Korrelation auszudrücken, ergibt sich aus dem oben gefundenen Zusammenhang M/L ∝ L 0.25 – siehe (3.27) – 0.9 weswegen man diese Korrelation auch als M• ∝ Mbulge beschreiben kann. Eine noch bessere Korrelation existiert zwischen M• und der Geschwindigkeitsdispersion der BulgeKomponente, wie in Abb. 3.28 (rechts) zu erkennen ist. Als beste Beschreibung dieses Zusammenhangs ergibt sich 3.75 σe M• = 1.2 × 108 M , (3.35) 200 km/s wobei der genaue Wert des Exponenten etwas umstritten ist und ein etwas höherer Wert M• ∝ σ 4.75 vielleicht besser zu den Daten passt. Der Unterschied der Ergebnisse verschiedener Gruppen lässt sich teilweise auf die Definition der Geschwindigkeitsdispersion zurückführen, die für die Korrelation benutzt wird, insbesondere über welchen Bereich man diese misst. Das Erstaunliche ist, dass die Abweichungen der Messpunkte von dieser Korrelation mit den Fehlerbalken der Messungen von M• verträglich sind – es gibt also keinen Hinweis auf eine intrinsische Dispersion der M• –σ-Relation. Bislang ist der Ursprung dieser sehr engen Korrelation physikalisch nicht verstanden. Der vielleicht offensichtliche Gedanke, dass sich in der Umgebung eines Schwarzen Loches mit großer Masse die Sterne schneller bewegen sollten als bei einem SMBH mit kleinerem M• , ist nicht schlüssig, da die Masse des SMBH deutlich weniger als ein Prozent der Masse der BulgeKomponente beträgt und daher für das Gravitationsfeld, in dem die Sterne sich bewegen, einen vernachlässigba-
ren Beitrag liefert. Statt dessen muss diese Korrelation damit zusammenhängen, dass die sphäroidale Komponente einer Galaxie sich gemeinsam mit dem SMBH entwickelt. Ein besseres Verständnis dieses Zusammenhangs kann nur aus Modellen der Galaxienentwicklung kommen. Wir werden auf dieses Thema in Abschn. 9.6 weiter eingehen.
3.6
Extragalaktische Entfernungsbestimmungen
In Abschn. 2.2 haben wir Methoden zur Entfernungsbestimmung in unserer Galaxis diskutiert. Wir werden nun Entfernungsmessungen zu anderen Galaxien betrachten. Dazu sei bemerkt, dass das Hubble-Gesetz (1.2) eine Beziehung zwischen der Rotverschiebung und der Entfernung eines extragalaktischen Objekts angibt. Dabei ist die Rotverschiebung z aus der Verschiebung von Spektrallinien leicht zu messen. Aus diesem Grund liefert das Hubble-Gesetz (und dessen Verallgemeinerung – siehe Abschn. 4.3.3) eine einfache Methode zur Entfernungsbestimmung. Um es allerdings anwenden zu können, muss zunächst die Hubble-Konstante H0 bekannt sein, d. h. das HubbleGesetz muss zuerst geeicht werden. Zur Bestimmung der Hubble-Konstanten muss man daher Entfernungen unabhängig von der Rotverschiebung messen können. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass es neben der allgemeinen kosmischen Expansion, die im Hubble-Gesetz ihren Ausdruck findet, auch Pekuliarbewegungen von Objekten gibt, etwa die Bewegung von Galaxien in Galaxienhaufen oder die Bewegung
3.6 Extragalaktische Entfernungsbestimmungen 115
der Magellanschen Wolken um unsere Milchstraße. Diese Pekuliargeschwindigkeiten werden durch die Gravitationsbeschleunigung induziert, die sich aus der lokal inhomogenen Massenverteilung im Universum ergibt. So bewegt sich unsere Galaxis auf den VirgoGalaxienhaufen zu, einer dichten Ansammlung von Galaxien. Die gemessene Rotverschiebung, und daher die Doppler-Geschwindigkeit, ist eine Überlagerung aus der kosmischen Expansionsbewegung und der Pekuliargeschwindigkeit. CMB Dipol-Anisotropie. Die Pekuliargeschwindigkeit der Galaxis ist sehr genau bekannt: Die Strahlung des kosmischen Mikrowellenhintergrunds ist nicht völlig isotrop, sondern zeigt einen Dipolanteil. Dieser stammt aus der Bewegung der Sonne relativ zu dem Ruhesystem, in dem der CMB isotrop erscheint (siehe Abb. 1.17). In Richtung der Bewegung der Sonne erscheint der CMB aufgrund des Doppler-Effekts heißer, in der entgegengesetzten Richtung kühler als im Mittel. Die Analyse dieses Dipols des CMB erlaubt die Bestimmung unserer Pekuliarbewegung, woraus sich ergibt, dass die Sonne sich mit einer Geschwindigkeit von (368 ± 2) km/s relativ zum CMB-Ruhesystem bewegt. Weiterhin bewegt sich die Lokale Gruppe (siehe Abschn. 6.1) mit vLG ≈ 600 km/s relativ zum CMB-Ruhesystem. Entfernungsleiter. Damit die Rotverschiebung einer Quelle von der kosmischen Expansion dominiert wird, muss die kosmische Expansionsgeschwindigkeit v = cz = H0 D sehr viel größer sein als typische Pekuliargeschwindigkeiten. Dies bedeutet, um H0 bestimmen zu können, muss man zu großen Entfernungen gehen, damit die Pekuliargeschwindigkeiten unwichtig gegenüber H0 D werden. Eine direkte Entfernungsbestimmung weit entfernter Galaxien ist sehr schwierig. Deshalb bedient man sich traditionell einer Entfernungsleiter: Man bestimmt zunächst die absoluten Entfernungen naher Galaxien auf direkte Art. Mit Methoden, die relative Entfernungen genügend genau messen, kann dann die Entfernung weiter entfernter Systeme relativ zu nahen Galaxien bestimmt werden. Durch diese relativen Methoden werden dann Entfernungen von Galaxien bestimmt, die genügend weit entfernt sind, so dass deren Rotverschiebung vom Hubble-Fluss dominiert wird.
3.6.1
Entfernung zur LMC
Die Entfernung zur Großen Magellanschen Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC) kann durch verschiedene Methoden bestimmt werden. Beispielsweise kann man in der LMC Einzelsterne auflösen und beobachten, wie dies ja auch bei den MACHO-Experimenten (siehe Abschn. 2.5.2) durchgeführt wird. Da die Metallizität der LMC deutlich geringer ist als die der Galaxis, sind einige der in Abschn. 2.2 diskutierten Methoden nur nach einer Korrektur für Metallizitätseffekte durchführbar, so etwa die photometrische Entfernungsbestimmung oder die Anwendung der Perioden-Leuchtkraft-Relation für pulsierende Sterne. Die vermutlich beste Methode zur Bestimmung der Entfernung zur LMC ist eine rein geometrische. Die im Jahre 1987 explodierte Supernova SN1987A in der LMC beleuchtet einen nahezu perfekten elliptischen Ring (siehe Abb. 3.29). Dieser kommt dadurch
Abb. 3.29. Der Ring um die Supernova 1987A in der LMC wird von den Photonen der Explosion beleuchtet und damit zum Strahlen angeregt. Da er gegenüber der Sichtlinie geneigt ist, erscheint der kreisförmige Ring elliptisch. Das Aufleuchten des Rings geschah nicht instantan, wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit: Teile des Rings näher zu uns leuchteten früher als die Teile, die weiter entfernt sind. Aus der zeitlichen Verzögerung des Aufleuchtens kann man den Durchmesser des Rings bestimmen, und mit dem gemessenen Winkeldurchmesser des Rings die Entfernung zur SN 1987A – somit erhält man die Entfernung zur LMC
3. Die Welt der Galaxien 116
zustande, dass Material, welches vom Vorläuferstern der Supernova durch einen Sternwind herausgeschleudert wurde, durch die energetischen Photonen der SN-Explosion zum Leuchten angeregt wird. Die entsprechende Rekombinationsstrahlung setzt daher erst dann ein, wenn die Photonen der SN auf dieses Gas treffen. Da der beobachtete Ring mit ziemlicher Sicherheit intrinsisch kreisförmig ist und die beobachtete Elliptizität dadurch zustande kommt, dass er gegenüber der Sichtlinie geneigt ist, kann man aus der Beobachtung des Rings die Entfernung zur SN1987A ermitteln. Zunächst erhält man aus der Elliptizität des Rings seinen Inklinationswinkel. Dieser Ring wird von den Photonen der SN zum Leuchten angeregt, eine Zeit R/c nach der eigentlichen Explosion, wobei R sein Radius ist. Wir beobachten das Aufleuchten des Rings nicht gleichmäßig, denn das Licht von dem Teil des Rings, der näher bei uns ist, erreicht uns früher als das Licht von den weiter entfernten Teilen, so dass erst nach und nach der gesamte Ring sichtbar wurde. Aus der gemessenen Lichtlaufzeitverzögerung und dem Inklinationswinkel ergibt sich somit der physikalische Durchmesser des Rings. Vergleicht man diesen mit dem gemessenen Winkeldurchmesser von ca. 1.7, so kann man aus dem Verhältnis die Entfernung der SN1987A bestimmen, DSN 1987A ≈ 51.8 kpc ± 6% . Nimmt man nun an, dass die Ausdehnung der LMC entlang der Sichtlinie klein ist, so ist dieser Entfernungswert auch mit ,,der“ Entfernung zur LMC zu identifizieren. Dieser Wert ist auch mit anderen Abschätzungen kompatibel, die mit traditionelleren Methoden gewonnen wurden (wie etwa über die photometrische Methode mittels der Eigenschaften der Hauptreihe – siehe Abschn. 2.2.4).
3.6.2
Die Cepheiden-Entfernung
In Abschn. 2.2.7 haben wir die Perioden-LeuchtkraftRelation von pulsierenden Sternen diskutiert. Dabei stellten sich Cepheiden aufgrund ihrer Helligkeit als besonders nützlich heraus, da man diese auch in größeren Entfernung beobachten kann. Damit die PL-Relation der Cepheiden als gutes Entfernungsmaß benutzt werden kann, muss diese Relation zunächst geeicht werden. Eine solche Eichung
muss über ein möglichst großes Sample von Cepheiden bekannter Entfernung erfolgen. Für diesen Zweck eignen sich die Cepheiden der LMC, da man – siehe oben – die Entfernung zur LMC recht genau zu wissen glaubt und aufgrund der verhältnismäßig kleinen Ausdehnung der LMC entlang der Sichtlinie sich alle Cepheiden der LMC bei etwa der gleichen Entfernung befinden. Aus diesem Grunde wird die PL-Relation in der LMC geeicht; aufgrund der großen Zahl von Cepheiden, die dazu zur Verfügung stehen (und von denen viele in Mikrolinsen-Surveys gefunden wurden), sind die resultierenden statistischen Fehler klein. Es bleiben Unsicherheiten aufgrund von systematischen Fehlern, die sich durch die Metallizitätsabhängigkeit der PL-Relation ergeben; diese können durch Farbterme weitestgehend korrigiert werden, da die Farbe von Cepheiden von deren Metallizität abhängt. Aufgrund der hohen Winkelauflösung des HST sind individuelle Cepheiden in Galaxien bei Entfernungen bis hin zum Virgo-Galaxienhaufen sichtbar. In der Tat war die Bestimmung der Entfernung zu Virgo als zentraler Schritt zur Bestimmung der Hubble-Konstanten eines der großen wissenschaftlichen Ziele des HST. Mittels eines Hubble Key Projects wurden die Entfernungen von zahlreichen Spiralgalaxien im Virgohaufen bestimmt, indem in ihnen Cepheiden identifiziert und deren Perioden bestimmt wurden.
3.6.3
Sekundäre Entfernungsindikatoren
Der Virgohaufen mit einer gemessenen Entfernung von ca. 16 Mpc ist nicht weit genug von uns weg, um aus seiner Entfernung und der gemessenen Rotverschiebung die Hubble-Konstante direkt bestimmen zu können, da Pekuliargeschwindigkeiten bei diesen Entfernungen einen erheblichen Beitrag zur Rotverschiebung ergeben. Um zu größeren Entfernungen zu gelangen, bedient man sich einer Reihe von relativen Entfernungsindikatoren. Diese beruhen darauf, dass man das Entfernungsverhältnis von Galaxien bestimmt. Kennt man die Entfernung einer der beiden, kann man aus diesem Verhältnis die der anderen ermitteln. Mit dieser Vorgehensweise erstreckt man die Entfernungsbestimmungen zu größeren Distanzen. Wir stellen einige der wichtigsten sekundären Entfernungsindikatoren hier vor.
3.6 Extragalaktische Entfernungsbestimmungen 117
SN Ia. Supernovae vom Typ Ia stellen in guter Näherung Standard-Kerzen dar, wie wir in Abschn. 8.3.1 noch näher diskutieren werden. Dies bedeutet, dass die absoluten Helligkeiten von SN Ia innerhalb eines engen Bereichs liegen. Um den Wert dieser absoluten Helligkeit zu bestimmen, benötigt man die Entfernung von Galaxien, in denen SN Ia explodiert sind. Aus diesem Grunde hat man die Cepheiden-Methode speziell auf solche Galaxien angewandt und konnte daher die Helligkeit von SN Ia eichen. Da man SN Ia zu sehr großen Entfernungen hin sehen kann, erlauben sie Entfernungsmessungen auch bei solch großen Rotverschiebungen, bei denen das einfache Hubble-Gesetz (1.6) nicht mehr gültig ist, sondern im Rahmen eines kosmologischen Modells verallgemeinert werden muss (Abschn. 4.3.3). Wie wir noch sehen werden, bilden solche Messungen eines der wichtigsten Standbeine unseres kosmologischen Standardmodells. Fluktuationen der Flächenhelligkeit von Galaxien. Eine weitere Methode zur Bestimmung von Entferungsverhältnissen bildet die der Flächenhelligkeits-Variationen (surface brightness fluctuations). Sie beruht darauf, dass die Anzahl heller Sterne pro Flächenelement einer Scheibengalaxie fluktuiert – allein aufgrund des Poisson-Rauschens: Erwartet man N Sterne in einem bestimmten Flächenelement, √ √so treten relative Fluktuationen von N/N = 1/ N der Sternzahl auf. Diese sind als Fluktuationen der lokalen Flächenhelligkeit zu erkennen. Um zu sehen, dass sich dieser Effekt zur Entfernungsbestimmung eignet, betrachten wir ein festes Raumwinkelelement dω. Das entsprechende Flächenelement d A = D2 dω hängt quadratisch von der Entfernung D zur Galaxie ab; je größer die Entfernung, umso größer ist daher die Anzahl N der Sterne in diesem Raumwinkelelement, und umso kleiner sind die relativen Fluktuationen der Flächenhelligkeit. Aus dem Vergleich der Flächenhelligkeits-Fluktuationen verschiedener Galaxien lassen sich daher deren relative Entfernungen abschätzen. Wiederum muss diese Methode an Galaxien mit bekannter Cepheiden-Entfernung geeicht werden. Planetarische Nebel. Die Helligkeitsverteilung der Planetarischen Nebel in einer Galaxie scheint eine obere Schranke zu haben, die bei jeder Galaxie in etwa gleich ist (siehe Abb. 3.30). Wenn man in einer Galaxie ge-
Abb. 3.30. Helligkeitsverteilung der Planetarischen Nebel in Andromeda (M31), M81, drei Galaxien der Leo I Gruppe, und sechs Galaxien des Virgo-Haufens. Die aufgetrage absolute Helligkeit ist in der Emissionslinie bei λ = 5007 Å des zweifach ionisierten Sauerstoffs gemessen, in der ein großer Teil der Leuchtkraft eines Planetarischen Nebels abgestrahlt wird; diese charakteristische Eigenschaft wird auch zur Identifikation dieser Objekte in anderen Galaxien benutzt. Die Verteilung ist in allen Fällen mit praktisch der gleichen Leuchtkraftfunktion beschreibbar; diese scheint eine universelle Funktion in Galaxien zu sein. Daher kann man aus der Helligkeitsverteilung von Planetarischen Nebeln in einer Galaxie deren Entfernung bestimmen. Für die gezeigten Fits wurden die mit offenen Symbolen gekennzeichneten Punkte nicht benutzt; bei diesen Helligkeiten ist die Verteilungsfunktion vermutlich unvollständig
3. Die Welt der Galaxien 118
nügend viele Planetarische Nebel beobachten und ihre Helligkeit bestimmen kann, so erlaubt dies die Vermessung von deren Leuchtkraftfunktion, aus der wiederum die maximale scheinbare Helligkeit ermittelt wird. Auch hier kann durch Eichung an Galaxien mit bekannter Cepheiden-Entfernung aus dieser oberen Schranke der scheinbaren Helligkeit die absolute Helligkeit, und damit die Entfernung der Galaxie gemessen werden. Skalierungsrelationen. Die Skalierungsrelationen für Galaxien – Fundamental-Ebene für Ellipsen, Tully– Fisher-Relation für Spiralen (siehe Abschn. 3.4) – können in lokalen Gruppen von Galaxien bzw. im Virgo-Haufen geeicht werden, deren Entfernung durch Cepheiden bestimmt worden ist. Obgleich die Streuung dieser Skalierungsrelationen bei individuellen Galaxien ca. 15% beträgt, können solche statistischen Fluktuationen durch Betrachtung von mehreren Galaxien etwa gleicher Entfernung (wie bei Haufen und Gruppen) reduziert werden. Dies ermöglicht die Bestimmung der relativen Entfernungen zweier Galaxienhaufen. Resultierende Hubble-Konstante. Durch diese verschiedenen sekundären Entfernungsmaße kann dann insbesondere das Verhältnis der Entfernungen zum Virgo- und zum Coma-Galaxienhaufen gemessen werden. Zusammen mit der mittels Cepheiden ermittelten Entfernung zum Virgo-Haufen kann somit die Entfernung zum Coma-Haufen bestimmt werden. Dessen Rotverschiebung (z ≈ 0.023) ist groß genug, dass seine Pekuliargeschwindigkeit keinen wesentlichen Beitrag zur Rotverschiebung ergibt, sondern diese von der Hubble-Expansion dominiert wird. Durch Kombination der verschiedenen Methoden erhält man dann eine Entfernung zum Coma-Haufen von etwa 90 Mpc und daraus eine Hubble-Konstante von H0 = 72 ± 8 km/s/Mpc .
(3.36)
Der hier angegebene Fehler bezeichnet die statistische Unsicherheit in der Bestimmung von H0 . Daneben gibt es mögliche systematische Unsicherheiten, die in etwa die gleiche Größenordnung haben können. Dabei spielt vor allem die Entfernung zur LMC eine zentrale Rolle, da dies als unterste Sprosse der Entfernungsleiter alle weiteren Entfernungsbestimmungen beeinflusst. Wir werden später (Abschn. 8.7.1) sehen, dass man die Hubble-Konstante in einer völlig verschiedenen Weise
bestimmen kann und dass diese Methode einen Wert ergibt, der in verblüffender Übereinstimmung mit dem in (3.36) ist.
3.7
Leuchtkraftfunktion von Galaxien
Definition der Leuchtkraftfunktion. Die Leuchtkraftfunktion gibt an, wie die Mitglieder einer Klasse von Objekten bezüglich ihrer Leuchtkraft verteilt sind. Genauer gesagt ist die Leuchtkraftfunktion die Anzahldichte von Objekten (hier: Galaxien) bei einer bestimmten Leuchtkraft. Man definiert Φ(M) dM als die Anzahldichte von Galaxien mit absoluter Helligkeit im Intervall [M, M + d M]. Die Gesamtdichte von Galaxien ist dann ∞ ν= d M Φ(M) . (3.37) −∞
Entsprechend definiert man Φ(L) dL als die Anzahldichte von Galaxien mit Leuchtkraft zwischen L und L + dL. Hier sei explizit darauf hingewiesen, dass beide Definitionen der Leuchtkraftfunktion mit dem gleichen Symbol bezeichnet werden, obwohl sie unterschiedliche mathematische Funktionen darstellen, d. h. eine unterschiedliche funktionale Abhängigkeit besitzen. Es ist daher wichtig (und meistens nicht schwierig), aus dem jeweiligen Zusammenhang herauszufinden, welche dieser beiden Funktionen gemeint ist. Probleme bei der Bestimmung der Leuchtkraftfunktion. Auf den ersten Blick scheint die Aufgabe, die Leuchtkraftfunktion von Galaxien zu bestimmen, nicht besonders schwierig zu sein. Die Geschichte dieses Feldes zeigt allerdings, dass in der Praxis durchaus eine ganze Reihe von Problemen auftreten. Zunächst ist die Bestimmung der Leuchtkraft von Galaxien notwendig, wofür neben der Messung des Flusses auch Entfernungsbestimmungen benötigt werden. Für weit entfernte Galaxien ist die Rotverschiebung ein genügend verlässliches Maß der Entfernung, während für nahe Galaxien die in Abschn. 3.6 besprochenen Methoden benutzt werden müssen. Für nahe Galaxien tritt zusätzlich eine weitere Schwierigkeit auf, nämlich die großräumige Struktur der Galaxienverteilung. Um eine repräsentative Stichprobe von Galaxien zu erhalten, muss man genügend
3.7 Leuchtkraftfunktion von Galaxien 119
große Volumina betrachten, da die Galaxienverteilung auf Skalen von ∼ 100 h −1 Mpc stark strukturiert ist. Andererseits kann man besonders leuchtschwache Galaxien nur lokal beobachten, so dass eine Bestimmung von Φ(L) für kleine L immer auf lokale Galaxien zurückgreifen muss. Schließlich gibt es den sog. Malmquist Bias: In einer flussbegrenzten Stichprobe werden leuchtkräftige Galaxien immer überrepräsentiert sein, da man diese zu größeren Entfernungen hin sehen kann (und sie deshalb aus einem größeren Volumen stammen). Für diesen Effekt muss man stets korrigieren. Die Schechter-Leuchtkraftfunktion. Die globale Galaxienverteilung wird durch die SchechterLeuchtkraftfunktion gut angenähert, Φ(L) =
∗
Φ L∗
L L∗
α
exp −L/L ∗ ,
(3.38)
wobei L ∗ eine charakteristische Leuchtkraft darstellt, oberhalb derer die Verteilung exponentiell abfällt, α ist
die Steigung der Leuchtkraftfunktion für kleine L, und Φ ∗ gibt die Normierung der Verteilung an. Eine schematische Darstellung dieser Funktion ist in Abb. 3.31 gezeigt. In Magnituden ausgedrückt, sieht diese Funktion deutlich komplizierter aus. Beachtet man, dass jedem Intervall dL ein Intervall d M entspricht, mit dL/L = −0.4 ln 10 d M, und benutzt man Φ(L) dL = Φ(M) dM, so folgt dL = Φ(L) 0.4 ln 10 L (3.39) Φ(M) = Φ(L) dM ∗ = (0.4 ln 10)Φ ∗ 100.4(α+1)(M −M) (3.40) ∗ × exp −100.4(M −M) . Wie oben erwähnt ist die Bestimmung der Parameter der Schechter-Funktion schwierig; ein Satz von Parametern im blauen Band ist Φ ∗ = 1.6 × 10−2 h 3 Mpc−3 , MB∗ = −19.7 + 5 log h
Abb. 3.31. a) Leuchtkraftfunktion aus 13 Galaxienhaufen (Schechter, P.; ApJ 203, 297, 1976); für die gefüllten Kreise wurden auch cD-Galaxien berücksichtigt. b) schematische Darstellung der Schechter-Funktion
3. Die Welt der Galaxien 120
oder L ∗B = 1.2 × 1010 h −2 L , α = −1.07 .
(3.41)
Während das blaue Licht von Galaxien von der Sternentstehung stark beeinflusst wird, misst die Leuchtkraftfunktion bei roten Bändern die eher typische Sternverteilung. Im K-Band ergibt sich: Φ ∗ = 1.6 × 10−2 h 3 Mpc−3 , MK∗ = −23.1 + 5 log h , α = −0.9 .
(3.42)
Die Gesamtanzahldichte der Galaxien ist formal unendlich, wenn α ≤ −1, aber natürlich ist die Gültigkeit der Schechter-Funktion nicht zu beliebig kleinen L nachgewiesen. Im übrigen bleibt die Leuchtkraftdichte ∞ ltot =
dL L Φ(L) = Φ ∗ L ∗ Γ(2 + α)
(3.43)
0
beschränkt für α ≥ −2.4 Das Integral in (3.43) ist für α ∼ −1 dominiert von L ∼ L ∗ , weswegen n = Φ ∗ eine gute Abschätzung für die mittlere Dichte von L ∗ -Galaxien darstellt. Abweichungen der Leuchtkraftfunktion der Galaxien von der Schechter-Form werden oft gefunden. Weiterhin gibt es keinen erkennbaren Grund für die Gültigkeit einer derart einfachen Relation zur Beschreibung der Leuchtkraftverteilung von Galaxien. Obwohl die Schechter-Funktion eine gute Darstellung der Gesamtverteilung zu sein scheint, besitzt jeder Galaxientyp seine eigene Leuchtkraftfunktion, deren Form sich jeweils stark von der Schechter-Funktion unterscheidet – siehe Abb. 3.32. Spiralen z. B. haben eine relativ enge Verteilung in L, während die Elliptischen Galaxien eine viel breitere Verteilung besitzen, wenn man den gesamten Bereich der großen Ellipsen bis hin zu den Zwergellipsen betrachtet. Insbesondere dominie4 Γ(x)
Abb. 3.32. Die Leuchtkraftfunktionen verschiedener HubbleTypen für Feldgalaxien (oben) und Galaxien des VirgoGalaxienhaufens (unten). Gestrichelte Linien markieren Extrapolationen. Im Gegensatz zur Abb. 3.31 sind die leuchtkräftigen Galaxien nach links aufgetragen. Die SchechterLeuchtkraftfunktion der gesamten Galaxienverteilung setzt sich zusammen aus der Summe der Leuchtkraftverteilungen einzelner Galaxientypen, die jeweils stark von der Schechter-Funktion abweichen. Man erkennt, dass in Haufen die Zwerg-Ellipsen (dEs) den signifikanten Beitrag zur Galaxienverteilung bei schwachen Magnituden ausmachen, und Es und S0s zur Leuchtkraftfunktion am hellen Ende wesentlich stärker beitragen als im Feld; dieser Trend ist bei regulären Galaxienhaufen noch sehr viel stärker ausgeprägt
ist die Gamma-Funktion, die durch ∞
Γ(x) =
dy y
(x−1) −y
e
(3.44)
0
definiert ist. Für ganze, positive Zahlen gilt: Γ(n + 1) = n!. Man findet Γ(0.7) ≈ 1.30, Γ(1) = 1, Γ(1.3) ≈ 0.90. Aus diesem Grunde ist ltot ∼ Φ ∗ L ∗ eine gute Näherung für die Leuchtkraftdichte.
ren E’s bei großen L; zugleich wird das schwache Ende der Leuchtkraftfunktion von Zwergellipsen und Irr’s dominiert. Hinzu kommt die unterschiedliche Leuchtkraft-Verteilung von Haufen- bzw. Gruppengalaxien einerseits und Feldgalaxien andererseits. Die Tatsache, dass die Gesamtleuchtkraftfunktion durch so
3.8 Galaxien als Gravitationslinsen 121
eine einfache Gleichung wie (3.38) beschrieben werden kann, ist vermutlich zum Teil ,,Zufall“ (,,cosmic conspiracy“) und nicht einfach modellierbar.
3.8
Galaxien als Gravitationslinsen
In Abschn. 2.5 wurde der Gravitationslinseneffekt diskutiert, wobei wir uns dort auf die Lichtablenkung an Punktmassen konzentriert hatten. Der Linseneffekt von Sternen führt zu Bildaufspaltungen, die zu klein sind, als dass man sie mit existierenden Teleskopen auflösen könnte. Da die Bildaufspaltung proportional zur Wurzel der Linsenmasse ansteigt (2.79), ist der Winkelabstand der Bilder, wenn Galaxien als Gravitationslinsen auftreten, etwa eine Million mal größer als bei Sternen und sollte daher beobachtbar sein, wie bereits von Fritz Zwicky im Jahre 1937 vorhergesagt wurde. Tatsächlich wurden Mehrfachbilder von weitentfernten Quellen, zusammen mit der Galaxie, die für die Bildaufspaltung verantwortlich ist, gefunden. In diesem Abschnitt wollen wir zunächst diesen Effekt beschreiben, wobei wir an die Darstellung aus Abschn. 2.5.1 anknüpfen. Beispiele des Linseneffekts und seine vielfältigen Anwendungen werden dann weiter unten diskutiert.
3.8.1
Der Gravitationslinseneffekt – Teil II
Die Geometrie eines typischen Linsensystems ist in Abb. 2.21 bzw. in Abb. 3.33 skizziert. Die Beschreibung dieser Situation für eine beliebige Massenverteilung ergibt sich aus den folgenden Überlegungen. Falls das Gravitationsfeld schwach ist (was in allen hier behandelten Situationen der Fall ist), können die Effekte der Gravitation linearisiert werden.5 Daher kann 5 Um
die Stärke eines Gravitationsfeldes zu charakterisieren, betrachtet man das Gravitationspotential Φ. Die Größe Φ/c2 ist dimensionslos und eignet sich daher zur Unterscheidung von starken und schwachen Gravitationsfeldern. Φ/c2 1 gilt daher für schwache Felder. Eine andere Möglichkeit zur Charakterisierung besteht in der Anwendung des Virialsatzes: Befindet sich eine Verteilung von Massen im virialen Gleichgewicht, so gilt v2 ∼ Φ, und schwache Felder sind daher durch v2 /c2 1 gekennzeichnet. Da in Galaxien die charakteristischen Geschwindigkeiten ∼ 200 km/s betragen, ist für sie Φ/c2 10−6 . Die typischen Geschwindigkeiten von Galaxien in Galaxienhaufen betragen ∼ 1000 km/s, so dass dort Φ/c2 10−5 . In beiden Fällen sind die auftretenden Gravitationsfelder also schwach.
º
º
der Ablenkwinkel einer Linse, die aus mehreren Massenkomponenten besteht, durch eine Superposition der Ablenkwinkel der einzelnen Komponenten dargestellt werden, αˆi . (3.45) αˆ = i
Wir nehmen an, dass die ablenkende Masse eine kleine Ausdehnung L entlang der Sichtlinie besitzt, verglichen mit den Entfernungen zwischen Beobachter und Linse (Dd ) und zwischen Linse und Quelle (Dds ), L Dd und L Dds . Dann können alle Massenelemente als bei der gleichen Entfernung Dd befindlich betrachtet werden. Man spricht in einem solchen Fall von einer geometrisch dünnen Linse. Für den Fall einer Galaxie als Gravitationslinse ist dies sicherlich gegeben: Die Ausdehnung von Galaxien beträgt typischerweise ∼ 100 h −1 kpc, während die Entfernungen zur Linse und zur Quelle typischerweise ∼ Gpc betragen. Daher kann man (3.45) als Superposition von Einsteinwinkeln der Form (2.71) schreiben, 4Gm i ξ − ξi α(ξ) = , (3.46) ˆ c2 |ξ − ξi |2 i wobei ξi die Positionsvektoren der Massenelemente m i und ξ die Position des Lichtstrahls in der Linsenebene beschreiben. Für eine kontinuierliche Massenverteilung kann man die Linse gedanklich in Massenelemente der Masse dm = Σ(ξ) d 2 ξ aufteilen, wobei Σ(ξ) die Flächenmassendichte der Linse am Ort ξ beschreibt. Diese erhält man durch die Projektion der räumlichen Massendichte ρ entlang des Sehstrahls zur Linse. Somit kann der Ablenkwinkel (3.46) in ein Integral umgeformt werden, 4G α(ξ) = 2 ˆ c
d 2 ξ Σ(ξ )
ξ − ξ . |ξ − ξ |2
(3.47)
Dieser Ablenkwinkel wird nun in die Linsengleichung (2.75) eingesetzt, β=θ−
Dds α(D ˆ d θ) , Ds
(3.48)
wobei ξ = Dd θ den Zusammenhang zwischen der Position ξ des Lichtstrahls in der Linsenebene und seiner
3. Die Welt der Galaxien 122
Abb. 3.33. Zur Erinnerung noch einmal eine Skizze zur Linsengeometrie
scheinbaren Richtung θ angibt. Wir definieren den skalierten Ablenkwinkel wie in (2.76), Dds α(D ˆ d θ) , Ds so dass sich die Linsengleichung (3.48) schreiben lässt als (siehe Abb. 3.33) α(θ) =
β = θ − α(θ) , mit 1 α(θ) = π
d 2 θ κ(θ )
(3.49) θ − θ , |θ − θ |2
(3.50)
wobei Σ(Dd θ) Σcr die dimensionslose Flächenmassendichte und κ(θ) =
(3.51)
c2 Ds (3.52) 4πG Dd Dds die so genannte kritische Flächenmassendichte ist. Diese hängt nur von den Entfernungen zur Linse und zur Quelle ab. Obwohl Σcr eine Kombination von kosmologischen Entfernungen enthält, ist ihre Größenordnung sehr ,,menschlich“, Dd Dds −1 Σcr ≈ 0.35 g cm−2 . Ds 1 Gpc Σcr =
Eine Quelle ist an mehreren Positionen θ an der Sphäre sichtbar, also mehrfach abgebildet, wenn die Linsengleichung (3.49) für eine gegebene Quellposition β mehrere Lösungen θ hat. Aus einer genaueren Analyse dieser Linsengleichungen erhält man das folgende allgemeine Resultat:
Falls Σ ≥ Σcr an mindestens einem Punkt der Linse, so gibt es Quellpositionen β derart, dass eine Quelle bei β Mehrfachbilder besitzt. Daraus folgt sofort, dass κ ein ,,gutes“ Maß für die Linsenstärke ist. Eine Massenverteilung mit κ 1 überall ist eine schwache Linse, die keine Mehrfachbilder erzeugen kann, während eine mit κ 1 für bestimmte Bereiche von θ eine starke Linse darstellt. Der Verstärkungsfaktor μ eines Bildes, der durch die differentielle Lichtablenkung hervorgerufen wird, ist für Quellen, die klein sind gegenüber den charakteristischen Skalen der Linse, wie in (2.83) gegeben, −1 ∂β μ = det . ∂θ
(3.53)
Die Bedeutung des Gravitationslinseneffekts liegt in der Tatsache begründet, dass die gravitative Lichtablenkung unabhängig von der Art und dem Zustand der ablenkenden Materie ist. Daher ist er gleichermaßen empfindlich für Dunkle wie baryonische Materie, und unabhängig davon, ob sich die Materieverteilung in einem Gleichgewichtszustand befindet oder nicht. Der Linseneffekt ist daher speziell dazu geeignet, Massenverteilungen zu untersuchen, ohne dass dazu spezielle Annahmen über den Gleichgewichtszustand der Materie oder den Zusammenhang zwischen Dunkler und leuchtender Materie gemacht werden müssen.
3.8.2
Einfache Modelle
Axial-symmetrische Massenverteilungen. Die einfachsten Modelle für Gravitationslinsen sind solche mit axialer Symmetrie, für die Σ(ξ) = Σ(ξ) gilt, wobei ξ = |ξ| den Abstand eines Punktes vom Zentrum der Linse bezeichnet. In diesem Fall ist der Ablenkwinkel in radialer Richtung nach innen gerichtet, und es gilt αˆ =
4G M(ξ) , c2 ξ
(3.54)
wobei M(ξ) die Masse innerhalb des Radius ξ ist.
3.8 Galaxien als Gravitationslinsen 123
Entsprechend gilt für den skalierten Ablenkwinkel 1 m(θ) := 2 α(θ) = θ θ
θ
dθ θ κ(θ ) ,
(3.55)
0
wobei im letzten Schritt m(θ) als dimensionslose Masse innerhalb θ definiert wurde. Aufgrund der Parallelität von α und θ wird die Linsengleichung eindimensional, da man nur die radiale Koordinate betrachten muss, m(θ) β = θ − α(θ) = θ − . (3.56) θ Eine Illustration dieser eindimensionalen Linsenabbildung ist in Abb. 3.34 gezeigt. Beispiel: Punktmasse. Für eine Punktmasse M ist 4G M Dds , c2 Dd Ds daher wird die Linsengleichung für eine Punktmassenlinse aus Abschn. 2.5.1 reproduziert. m(θ) =
Beispiel: Isotherme Sphäre. In Abschn. 2.4.2 haben wir gesehen, dass unsere Milchstraße eine flache Rotationskurve zeigt, und aus Abschn. 3.3.3 wissen wir, dass auch andere Spiralen flache Rotationskurven besitzen. Dies deutet darauf hin, dass die Masse einer Galaxie proportional mit r anwächst, also ρ(r) ∝ r −2 , oder genauer σv2 ρ(r) = . (3.57) 2πGr 2 Dabei ist σv die ein-dimensionale Geschwindigkeitsdispersion der Sterne in dem Potential dieser Massenverteilung, falls die Sternorbits isotrop verteilt sind. Im Prinzip ist daher σv mittels Spektroskopie aus der Linienbreite messbar. Die durch (3.57) beschriebene Massenverteilung heißt singuläre isotherme Sphäre (SIS). Da dieses Massenmodell nicht nur für Untersuchungen des Linseneffekts eine bedeutende Rolle spielt, wollen wir seine Eigenschaften ein wenig genauer beleuchten. Die Dichte in (3.57) divergiert für r → 0 wie r −2 , so dass das Massenmodell nicht bis zum Zentrum der Galaxie angewandt werden kann. Allerdings zeigen die zentral steil ansteigenden Rotationskurven, dass der ,,Kernbereich“ der Massenverteilung, in dem der Dichteverlauf wesentlich von dem r −2 -Gesetz abweicht,
Abb. 3.34. Skizze einer axial-symmetrischen Linse. Im oberen Bild ist θ − α(θ) als Funktion des Winkelabstands θ vom Linsenzentrum aufgetragen, zusammen mit der Geraden β = θ. Die drei Schnittpunkte der Geraden bei festem β mit der Kurve θ − α(θ) ergeben die drei Lösungen der Linsengleichung. Das untere Bild deutet die Lage und Größe der Bilder am Himmel des Beobachters an. Dabei ist Q die ungelinste Quelle (die natürlich in Anwesenheit der Lichtablenkung nicht sichtbar ist!), und A, B1, B2 sind die beobachtbaren Bilder der Quelle. Die Größen der Bilder, und damit ihre Flüsse, sind sehr unterschiedlich; insbesondere ist das innere Bild B2 sehr schwach. Der Fluss von B2, relativ zu dem von A, hängt stark vom Kernradius der Linsengalaxie ab; ist dieser klein genug, wird der Fluss von B2 so klein, dass das dritte Bild unbeobachtbar wird. Für den speziellen Fall einer singulären isothermen Sphäre ist das innerste Bild abwesend
bei Galaxien klein sein muss. Weiterhin divergiert die Masse wie M(r) ∝ r für große r. Das Massenprofil muss also außen ,,abgeschnitten“ werden, um zu einer endlichen Gesamtmasse zu gelangen. Dieser
3. Die Welt der Galaxien 124
Abschneideradius ist vermutlich sehr groß ( 100 kpc bei L ∗ -Galaxien), denn die Rotationskurven sind flach mindestens bis zu dem Punkt, wo sie beobachtbar sind. Die SIS ist ein geeignetes, einfaches Modell für Gravitationslinsen über einen weiten Bereich des Radius, da sie grundlegende Eigenschaften von Linsensystemen (wie etwa den Bildabstand) recht gut wiederzugeben scheint. Die Flächenmassendichte erhält man aus der Projektion von (3.57) entlang der Sichtlinie, Σ(ξ) =
σv2 , 2Gξ
(3.58)
woraus sich die projizierte Masse M(ξ) innerhalb des Radius ξ ergibt zu ξ M(ξ) = 2π
dξ ξ Σ(ξ ) =
πσv2 ξ G
.
(3.59)
0
Daraus erhält man mit (3.54) den Ablenkwinkel, σ 2 v α(ξ) = 4π , ˆ c σ 2 D v ds α(θ) = 4π (3.60) ≡ θE . c Ds Der Ablenkwinkel an einer SIS ist also konstant und gleich θE , und er hängt quadratisch von σv ab; θE
Abb. 3.35. Geometrie einer ,,elliptischen“ Linse, wobei es nicht wichtig ist, ob die Massenverteilung elliptische Isodichtekonturen besitzt oder eine sphärische Massenverteilung durch ein externes Gezeitenfeld gestört ist. Rechts sind jeweils fünf verschiedene Quellpositionen relativ zum Linsenzentrum dargestellt, links die entsprechenden Bildpositionen. Je nach
heißt Einsteinwinkel der SIS. Die charakteristische Größenordnung des Einsteinwinkels ist 2 D σv ds , (3.61) θE = 1. 15 200 km/s Ds woraus sich ergibt, dass für massereiche Galaxien die Winkelskala für den Linseneffekt etwa eine Bogensekunde beträgt. Die Linsengleichung (3.56) lautet für eine SIS θ β = θ − θE , (3.62) |θ| wobei berücksichtigt wurde, dass der Ablenkwinkel für θ < 0 negativ ist, denn er ist stets nach innen gerichtet. Lösung der Linsengleichung für die singuläre isotherme Sphäre. Falls |β| < θE , besitzt die Linsengleichung zwei Lösungen, θ1 = β + θE ,
θ2 = β − θE .
(3.63)
Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wir β ≥ 0 an; dann ist θ1 > θE > 0, 0 > θ2 > −θE : Auf jeder Seite des Linsenzentrums befindet sich ein Bild der Quelle, und der Bildabstand beträgt 2 D σv ds Δθ = θ1 − θ2 = 2θE = 2. 3 . 200 km/s Ds (3.64)
Position der Quelle können 1, 3 oder 5 Bilder auftauchen. Die Kurven in den linken Figuren, also auf der Linsenebene, sind kritische Kurven, der Ort aller Punkte, für die μ → ∞; die Kurven in der Quellebene (rechts) sind Kaustiken, die Abbildung der kritischen Kurven mittels der Linsengleichung in die Quellebene
3.8 Galaxien als Gravitationslinsen 125
Der Bildabstand hängt also nicht von der Position der Quelle ab. Bei massereichen Galaxienlinsen ist er von der Größenordnung einer Bogensekunde. Für β > θE gibt es nur ein Bild der Quelle bei θ1 , also auf der gleichen Seite vom Linsenzentrum wie die ungelinste Quelle. Der Verstärkungsfaktor ergibt sich zu |θ/θE | μ(θ) = . (3.65) ||θ/θE | − 1| Falls θ ≈ θE , ist μ sehr groß; solche Lösungen der Linsengleichung treten für |β| θE auf, was bedeutet, dass Quellen nahe des Zentrums hoch verstärkt sein können. Falls β = 0, wird das Bild der Quelle zu einem Ring mit Radius θ = θE , ein sog. Einstein-Ring. Realistischere Modelle. In der Natur vorkommende Massenverteilungen werden nicht als wirklich symmetrisch erwartet. Die Elliptizität der Massenverteilung oder äußere Scherungskräfte (z. B. hervorgerufen durch benachbarte Galaxien) stören die Symmetrie. Dadurch ändern sich die Linseneigenschaften der Galaxie; beispielsweise können mehr als zwei Bilder auftreten. Die Abb. 3.35 illustriert die Linseneigenschaften solcher ,,elliptischen“ Massenverteilungen. Man erkennt z. B., dass Paare von Bildern, die beide hoch verstärkt sind, einen deutlich kleineren Bildabstand besitzen als dem Einstein-Radius der Linse entspricht. Dennoch ist der charakteristische Bildabstand immer noch von der Größenordnung (3.64).
3.8.3
Beispiele für Gravitationslinsen
Zur Zeit sind etwa 70 Gravitationslinsensysteme mit Galaxien als Linsen bekannt. Einige davon wurden eher zufällig entdeckt, die meisten jedoch in systematischen Suchen nach Linsensystemen. Die wichtigsten Linsensurveys sind: (1) Der HST Snapshot Survey: Die ∼ 500 leuchtkräftigsten Quasare wurden mit dem HST beobachtet, und 6 Linsensysteme wurden dabei identifiziert. (2) JVAS: Etwa 2000 helle Radioquellen mit flachem Radiospektrum (solche enthalten bevorzugt kompakte Radiokomponenten; siehe Abschn. 5.1.3) wurden mit dem VLA nach Mehrfachkomponenten abgesucht, wobei 6 Linsensysteme gefunden wurden. (3) CLASS: Wie bei JVAS wurden Radioquellen mit flachem Spektrum mit dem VLA nach Mehrfachkomponenten durchsucht,
wobei die Flussgrenze kleiner war als bei JVAS; dieser Survey enthält 15 000 Quellen, von denen bislang 13 als Linsen identifiziert wurden. In diesem Abschnitt sollen exemplarisch einige Linsensysteme diskutiert werden. QSO 0957+561, der erste Doppelquasar. Das erste Linsensystem wurde 1979 durch Walsh, Carswell & Weymann entdeckt, wobei die optische Identifikation einer Radioquelle zwei punktförmige optische Quellen zeigte (siehe Abb. 3.36). Beide stellten sich als Quasare heraus, die die gleiche Rotverschiebung von z s = 1.41 besitzen und dabei sehr ähnliche Spektren zeigen. Tiefe optische Aufnahmen des Feldes zeigten eine Elliptische Galaxie zwischen den beiden Quasaren, deren Rotverschiebung z d = 0.36 beträgt. Diese Galaxie ist so massereich und so nahe an Bild B der Quelle, dass sie einen Linseneffekt hervorrufen muss. Allerdings ist der beobachtete Bildabstand von Δθ = 6.1 deutlich größer, als man vom Linseneffekt einer Galaxie erwartet (3.64). Die Erklärung dafür liegt in der Tatsache, dass die Linsengalaxie sich in einem Galaxienhaufen befindet; die zusätzliche Linsenwirkung des Haufens addiert sich zu der der Galaxie, wodurch die große Bildaufspaltung hergestellt wird. Das Linsensystem QSO 0957+561 wurde in allen Wellenlängenbereichen (vom Radio- bis zum Röntgenbereich) beobachtet; die beiden Bilder des Quasars sind sich bei allen λ sehr ähnlich, inklusive der VLBI-Struktur (Abb. 3.37) – wie es auch den Erwartungen entspricht, da der Linseneffekt unabhängig von der Wellenlänge, also achromatisch ist. QSO PG1115+080. 1980 wurde der sog. Tripelquasar entdeckt, drei optische Quasare mit einem maximalen Winkelabstand von etwas unter 3 . Dabei war eine Komponente (A) wesentlich heller als die beiden anderen Bilder (B, C; siehe Abb. 3.38 links). In hochaufgelösten Aufnahmen zeigte sich dann, dass das hellste Bild in Wirklichkeit ein Doppelbild ist: A ist aufgespalten in A1 und A2. Der Winkelabstand dieser beiden etwa gleich hellen Bilder beträgt ∼ 0.5 und ist somit deutlich kleiner als die anderen Winkelabstände in diesem System. Die vier Quasarbilder haben eine Rotverschiebung von z s = 1.72, während die Rotverschiebung der Linse z d = 0.31 beträgt. Die Bildkonfiguration ist eine der von einer elliptischen Linse erwarteten, siehe Abb. 3.35.
3. Die Welt der Galaxien 126
Abb. 3.36. Oben: Optische Aufnahmen des Doppelquasars QSO 0957+561; links eine Aufnahme mit kurzer Belichtungszeit, auf der die beiden punktförmigen Bilder A,B des Quasars klar zu erkennen sind, rechts eine länger belichtete Aufnahme, die die Linsengalaxie G1 zwischen den beiden Quasarbildern zeigt. Mehrere weitere Galaxien (G2–G5) sind ebenfalls erkennbar; die Linsengalaxie befindet sich in einem
Galaxienhaufen bei z d = 0.36. Unten: Zwei Radiokarten von QSO 0957+561, aufgenommen mit dem VLA bei 6 cm (links) bzw. 3.6 cm (rechts). Die beiden Quasarbilder sind mit A,B gekennzeichnet, G ist Radiostrahlung der Linsengalaxie. Der Quasar hat einen Radio-Jet, der auf kleinen Skalen in beiden Bildern mittels VLBI untersucht wurde (siehe Abb. 3.37), der allerdings auf großen Skalen nur einfach abgebildet wird
3.8 Galaxien als Gravitationslinsen 127 Abb. 3.37. Oben: Millibogensekunden-Struktur der beiden Quasarbilder von QSO 0957+561, eine VLBI-Karte von Gorenstein et al. bei 13 cm. Beide Quasarbilder bestehen aus einer Kern-Jet-Struktur, und man sieht deutlich, dass sie spiegelsymmetrisch angeordnet sind, wie das von Linsenmodellen auch vorhergesagt wird. Unten: Spektren der beiden Quasarbilder QSO 0957+561A,B, aufgenommen mit der Faint Object Camera (FOC) auf dem HST. Die Ähnlichkeit der Spektren, insbesondere ihre identische Rotverschiebung, ist klarer Hinweis auf eine gemeinsame Quelle der beiden Quasar-Bilder. Die breite Lyα-Linie, in deren Flügel sich eine Nv-Linie befindet, ist praktisch immer die stärkste Emissionslinie in Quasaren
(Abb. 3.38 rechts). Die Quelle dieses Rings ist sehr viel röter als der Quasar selbst, denn es handelt sich hierbei um die Host-Galaxie des Quasars. Aus der Bildkonfiguration in solchen VierfachSystemen kann die Masse der Linse innerhalb dieser Bilder sehr genau abgeschätzt werden. Die vier Bilder des Linsensystems zeichnen einen Kreis um das Zentrum der Linsengalaxie nach, dessen Radius mit dem Einstein-Radius der Linse identifiziert werden kann. Daraus kann man unmittelbar die Masse der Linse innerhalb des Einstein-Radius bestimmen, denn aus der Linsengleichung (3.56) für symmetrische Linsen ergibt sich der Einstein-Radius, wenn man β = 0 setzt. Der Einstein-Radius ist daher die Lösung der Gleichung m(θ) , θ = α(θ) = θ oder 4G M(θE ) Dds m(θE ) = = θE2 . c2 Dd Ds Diese Gleichung wird am besten geschrieben als M(θE ) = π (Dd θE )2 Σcr
Mit der NIR-Kamera NICMOS auf dem HST wurden nicht nur die Quasarbilder und die Linsengalaxie gefunden, sondern auch ein fast vollständiger Einstein-Ring
:
(3.66)
Die Linsenmasse innerhalb θE ergibt sich daraus, dass die mittlere Flächenmassendichte innerhalb θE gerade gleich der kritischen Flächenmassendichte Σcr ist! Eine genauere Bestimmung der Linsenmassen ist mit Hilfe von detaillierten Linsenmodellen möglich; für 4-fach-Bildsysteme kann man die Massen bis auf wenige Prozent genau bestimmen – das sind die genauesten Massenbestimmungen der (extragalaktischen) Astronomie.
3. Die Welt der Galaxien 128 Abb. 3.38. Links ist eine NIR-Aufnahme von QSO 1115+080 gezeigt, aufgenommen mit der NICMOS-Kamera auf dem HST. Die Doppelstruktur von Bild A (das linke der QSO-Bilder) ist klar erkennbar, obwohl der Bildabstand zwischen den beiden A-Komponenten weniger als 0. 5 beträgt. Die Linsengalaxie ist ebenfalls klar erkennbar, sie hat eine wesentlich rötlichere Energieverteilung als die Quasarbilder. Im rechten Bild wurden die Quasarbilder und die Linsengalaxie subtrahiert. Übrig bleibt ein fast geschlossener Ring; das Licht der Host-Galaxie wird in einen Einstein-Ring abgebildet
QSO 2237+0305: Das Einstein-Kreuz. Ein spektroskopischer Survey naher Galaxien zeigte im Spektrum des Kerns einer nahen Spiralgalaxie einige ungewöhnliche Emissionslinien, die nicht von dieser Galaxie stammen konnten, sondern die von einem Quasar mit der Rotverschiebung z s = 1.7 emittiert werden. Hochaufgelöste Aufnahmen zeigten, dass sich um den Kern dieser Galaxie vier Punktquellen anordnen mit einem Bildabstand von Δθ ≈ 1.8 (Abb. 3.39). Deren Spektro-
skopie ergab, dass alle vier Bilder des gleichen Quasars sind (Abb. 3.40). Die Bilder in diesem System sind fast symmetrisch angeordnet; auch dies ist eine typische Linsenkonfiguration, wie sie durch elliptische Linsen hervorgerufen wird (siehe Abb. 3.35). Der Einstein-Radius der Linse beträgt θE ≈ 0.9, und die Massenbestimmung innerhalb dieses Radius ist mit ∼ 3% Genauigkeit möglich.
Abb. 3.39. Links: Im Zentrum einer nahen Spiralgalaxie befinden sich 4 Punktquellen, deren Spektren starke Emissionslinien zeigen. Die Aufnahme mit dem CFHT zeigt die Balkenstruktur im Innern der Linsengalaxie
sehr deutlich. Rechts: Eine HST/NICMOS-Aufnahme des Zentrums von QSO 2237+0305; die zentrale Quelle ist kein fünftes Quasarbild, sondern der helle Kern der Linsengalaxie
3.8 Galaxien als Gravitationslinsen 129
Abb. 3.40. Spektren der vier Bilder des Quasars 2237+0305, aufgenommen mit dem CFHT. Wie klar zu erkennen ist, sind die spektralen Eigenschaften dieser vier Bilder sehr ähnlich, was letztlich den Beweis erbringt, dass es sich um ein Linsensystem handelt. Die getrennte Spektroskopie dieser vier so eng beieinander liegenden Quellen ist extrem schwierig und nur bei besten Beobachtungsbedingungen zu erreichen
Einstein-Ringe. In den Abbildungen 3.41 und 3.42 sind zwei weitere Beispiele für Einstein-Ringe dargestellt. Im ersten Fall handelt es sich um eine Radiogalaxie, deren zwei Radio-Komponenten durch eine Linsengalaxie mehrfach abgebildet werden – die eine der beiden Radio-Quellen wird vierfach, die andere zweifach abgebildet. Im NIR ist die Radiogalaxie als vollständiger Einstein-Ring sichtbar. Dieses Beispiel zeigt sehr klar, dass die Bilder einer Quelle von der Größe der Quelle abhängen: Um einen Einstein-Ring zu erzeugen, benötigt man eine genügend ausgedehnte Quelle.
Der Quasar MG 1654+13 besteht im Radiobereich aus einer kompakten zentralen Quelle und zwei RadioLobes; wie wir in Abschn. 5.1.3 noch besprechen werden, ist dies eine typische Radio-Morphologie für Quasare. Einer der beiden Lobes besitzt eine ringförmige Struktur, wie man sie bis dahin noch nicht beobachtet hatte. Eine optische Aufnahme des Feldes zeigt zum einen den Quasar an der Position der kompakten Radio-Komponente, zum andern eine helle Elliptische Galaxie, die sich genau im Zentrum des ringförmigen Radio-Lobes befindet. Diese Galaxie hat eine deutlich kleinere Rotverschiebung als der Quasar und ist somit die Gravitationslinse, die für die Abbildung des Lobes in einen Einstein-Ring verantwortlich ist.
3.8.4
Anwendungen des Linseneffekts
Massenbestimmung. Wie bereits erwähnt, kann die Masse innerhalb der Mehrfachbilder direkt und teilweise sehr genau bestimmt werden. Da die Längenskala in der Linsenebene (bei gegebener Winkelskala) und Σcr von H0 abhängen, skaliert diese Massenbestimmung mit H0 . Beispielsweise findet man für QSO 2237+0305 eine Masse innerhalb von 0.9 von (1.08 ± 0.02)h −1 × 1010 M . Für die Linsengalaxie des Einstein-Rings im System MG 1654+13 (Abb. 3.42) ist eine noch genauere Bestimmung der Masse durchgeführt worden. Die Abhängigkeit von den anderen kosmologischen Parametern ist relativ schwach, insbesondere bei kleineren Rotverschiebungen von Quelle und Linse. Die meisten Linsengalaxien sind Frühtyp-
Abb. 3.41. Die Radioquelle 1938+666 stellt sich als Mehrfachbild dar (Konturen in der rechten Figur); dabei besteht die Quelle aus zwei Komponenten, wovon die eine vierfach, die andere zweifach abgebildet wird. Eine NICMOS/HST-Aufnahme im NIR (links, rechts als Graustufen) zeigt die Linsengalaxie im Zentrum eines EinsteinRings, der wiederum von der Host-Galaxie des Quasars stammt
3. Die Welt der Galaxien 130
Abb. 3.42. Der Quasar MG1654+13 besitzt neben dem kompakten Radiokern (Q) zwei Radio-Lobes (Keulen); der nördliche dieser Lobes ist mit C bezeichnet, während der südliche Lobe in einen Ring abgebildet wird. In Graustufen ist ein optisches Bild zu sehen, das neben dem Quasar bei Q (z s = 1.72) eine massive Vordergrundgalaxie bei z d = 0.25 zeigt, die für die Linsenabbildung in einen Ring verantwortlich ist. Die Masse der Galaxie innerhalb des Rings kann mit ∼ 1% Genauigkeit bestimmt werden
Bestimmung der Hubble-Konstanten. Die Lichtlaufzeiten entlang der verschiedenen Lichtwege (entsprechend der Mehrfachbilder) sind nicht gleich, da die Lichtwege einerseits unterschiedliche geometrische Länge aufweisen und die Lichtstrahlen andererseits unterschiedliche Tiefen des Gravitationspotentials der Linse durchqueren, was zu einem (allgemeinrelativistischen) Effekt der Zeitverzögerung führt. Der Unterschied der Lichtlaufzeiten Δt ist messbar, falls die Quelle intrinsisch variiert, denn die Variationen der Quelle werden in den verschiedenen Bildern zu verschiedenen Zeiten gesehen. Aus dieser Differenz der Ankunftszeit ist dann Δt bestimmbar. Man kann sich leicht überlegen, dass Δt von der Hubble-Konstanten bzw. der Größe des Universums abhängt. Falls das Universum doppelt so groß wäre wie unseres, wäre Δt ebenfalls doppelt so groß – siehe Abb. 3.43. Falls man also aus der Geometrie der Bildkonfiguration die Massenverteilung der Linse genügend gut modellieren kann, so ist aus der Messung der Lichtlaufzeitdifferenz die Hubble-Konstante bestimmbar. Bislang wurde Δt bei etwa 10 Linsensystemen gemessen (siehe Abb. 3.44 für ein Beispiel). Mit ,,plausiblen“ Linsenmodellen erhält man daraus Werte für die Hubble-Konstante, die mit anderen Messungen
Galaxien (Ellipsen), und die Bestimmung ihrer Masse führt zu dem Schluss, dass Ellipsen ebenfalls Dunkle Materie enthalten. Externer Einfluss. Detaillierte Linsenmodelle zeigen, dass die meisten Gravitationslinsen von einem äußeren Gezeitenfeld beeinflusst werden. Die Ursache dafür liegt in dem Umstand, dass sich Linsengalaxien oftmals in Gruppen von Galaxien befinden, die ebenfalls zur Lichtablenkung beitragen. In einigen Fällen sind andere Gruppenmitglieder direkt identifiziert worden. Aus der Stärke dieses externen Einflusses können Masseneigenschaften der zugehörigen Gruppe bestimmt werden.
Abb. 3.43. Linsengeometrie in zwei Universen mit verschiedener Hubble-Konstanten. Alle Observablen sind dimensionslos – Winkelabstände, Flussverhältnisse, Rotverschiebungen – außer der Lichtlaufzeitdifferenz. Diese ist im unteren Universum größer als im oberen; daher Δt ∝ H0−1 . Kann man nun Δt bestimmen, und besitzt ein gutes Modell der Massenverteilung der Linse, kann man aus der Messung von Δt die Hubble-Konstante ermitteln
3.9 Populationssynthese 131
Abb. 3.44. a) Optische Lichtkurven des Doppelquasars 0957+561 in zwei Farbfiltern; Lichtkurve von Bild A ist in rot dargestellt, die von Bild B in blau, wobei letztere um 417 Tage verschoben worden ist. Durch diese Verschiebung werden die beiden Lichtkurven zur Deckung gebracht – dieser Lichtlauf-
zeitunterschied von 417 Tagen ist auf etwa ±3 Tagen genau bestimmt. b) Radio-Lichtkurven von QSO 0957+561A,B bei 6 cm; aus diesen Radio-Messungen lässt sich ebenfalls Δt bestimmen, und der so erhaltene Wert ist mit dem aus optischen Daten erhaltenen kompatibel
(siehe Abschn. 3.6) verträglich sind, aber eine Tendenz zu etwas kleineren Werten von H0 als den durch das HST Key Project gemessenen (3.36) zeigen. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass die Massenverteilung von Linsengalaxien nicht eindeutig aus den Positionen der Mehrfachbilder bestimmt werden kann; daher bilden diese Bestimmungen von H0 bislang noch keine Präzisionsmessungen. Andererseits kann man aber aus Δt interessante Schlussfolgerungen über das radiale Massenprofil von Linsengalaxien ziehen, wenn man H0 als bekannt voraussetzt.
für Spiralen die Extinktion deutlich größer ist. Solche Untersuchungen erlauben auch, den Zusammenhang zwischen Extinktion und Rötung zu studieren und damit nach Abweichungen vom Galaktischen Rötungsgesetz (2.21) zu suchen. In der Tat ist die Proportionalitätskonstante in anderen Galaxien unterschiedlich, was an einer anderen Zusammensetzung des Staubes hinsichtlich der chemischen Elemente und der Größenverteilung der Staubteilchen liegt.
3.9 ISM in Linsengalaxien. Da man die gleiche Quelle auf verschiedenen Sichtlinien durch Linsengalaxien sieht, gibt der Vergleich der Farben und Spektren der einzelnen Bilder Auskunft über die Rötung und die Absorption durch Staub im ISM der Linsengalaxie. Aus diesen Untersuchungen konnte etwa gezeigt werden, dass die Extinktion in Ellipsen in der Tat sehr gering ist, wie man aus der geringen Menge interstellaren Mediums bei ihnen auch erwarten würde, während
Populationssynthese
Das Licht der ,,normalen“ Galaxien stammt von Sternen. Nun ist die Sternentwicklung weitestgehend verstanden, ebenso wie die Emission von Sternen aus der Theorie der Sternatmosphären. Falls man also die Verteilung der Anzahldichte von Sternen bezüglich ihrer Masse, chemischen Zusammensetzung und Entwicklungsstadium kennt, kann man das von ihnen emittierte Licht berechnen. Die Theorie der Populati-
3. Die Welt der Galaxien 132
onssynthese zielt darauf, das Spektrum von Galaxien als Superposition von Sternspektren zu verstehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Verteilung der Sterne mit der Zeit ändert; z. B. verlassen massereiche Sterne nach wenigen 106 Jahren die Hauptreihe, wodurch sich die spektrale Verteilung der Population mit der Zeit verändert. Die spektrale Energieverteilung einer Galaxie spiegelt somit die Geschichte der Sternentstehung und -entwicklung wider. Aus diesem Grund liefert die Berechnung verschiedener Sternentstehungsgeschichten und der Vergleich mit beobachteten Galaxienspektren wichtige Hinweise auf die Entwicklung von Galaxien. In diesem Abschnitt wollen wir einige Aspekte der Populationssynthese darstellen, die für das Verständnis von Galaxienspektren eine enorme Wichtigkeit erlangt haben.
3.9.1
Modellannahmen
Die Prozesse der Sternentstehung sind nicht im Detail geklärt; beispielsweise gibt es zur Zeit keine Möglichkeit, das Massenspektrum der Sterne zu berechnen, die sich gemeinsam in einer Molekülwolke bilden. Offensichtlich entstehen massereiche und massearme Sterne gemeinsam als junge (offene) Sternhaufen. Deren Massenspektrum ist aus der Beobachtung empirisch ermittelbar. Man definiert als initial mass function (IMF) die anfängliche Massenverteilung bei der Geburt der Sterne so, dass φ(m) dm den Anteil der Sterne im Massenintervall der Breite dm um m angibt, wobei die Verteilung normiert ist, m U dm m φ(m) = 1M . mL
Die Grenzen der Integration sind nicht scharf definiert; typischerweise setzt man m L ∼ 0.1M , da masseärmere Sterne keinen Wasserstoff zünden (und daher als Braune Zwerge gelten), und m U ∼ 100M , da schwerere Sterne nicht beobachtet werden, was u. a. auch schwierig wäre wegen ihrer sehr kurzen Lebensdauer. Weiterhin gibt es eine obere Schranke der Sternmasse, da Sterne mit größerer Masse als ∼ 100M nicht mehr stabil wären. Auch die Form der IMF ist mit Unsicherheiten behaftet;
meistens benutzt man die Salpeter-IMF, φ(m) ∝ m −2.35 .
(3.67)
Es ist auch keineswegs klar, ob es eine universelle IMF gibt, oder ob diese von spezifischen Bedingungen abhängt wie etwa der Metallizität, der Masse der Galaxie oder anderer Parameter. Die Salpeter-IMF scheint eine gute Beschreibung zu sein für Sterne mit M 1M , während für masseärmere Sterne die IMF flacher verläuft. Die Sternbildungsrate ist die Gasmasse, die pro Zeiteinheit in Sterne umgewandelt wird, ψ(t) = −
d Mgas . dt
Die Metallizität Z des ISM bestimmt die Metallizität der neugeborenen Sterne, und die Sterneigenschaften hängen wiederum von Z ab. Während der Sternentwicklung wird metallangereicherte Materie durch Sternwinde, Planetarische Nebel und SNe ans ISM abgegeben, so dass Z(t) eine ansteigende Funktion der Zeit ist. Diese chemische Anreicherung muss in der Populationssynthese selbstkonsistent mitberücksichtigt werden. Sei Sλ,Z (t ) die abgestrahlte Energie pro Wellenlängen- und Zeitintervall, normiert auf eine anfängliche Gesamtmasse von 1M , die von einer Gruppe von Sternen der anfänglichen Metallizität Z und des Alters t emittiert wird. Die Funktion Sλ,Z(t−t ) (t ), die diese Abstrahlung zum Zeitpunkt t beschreibt, berücksichtigt dabei die Entwicklungswege der Sterne im Hertzsprung–Russell-Diagramm (HRD) und ihre anfängliche Metallizität (d. h. zum Zeitpunkt t − t ), wobei sich letztere aus der chemischen Entwicklung des ISM der entsprechenden Galaxie ergibt. Dann ist die spektrale Gesamtleuchtkraft dieser Galaxie zur Zeit t gegeben durch t Fλ (t) = dt ψ(t − t ) Sλ,Z(t−t ) (t ) , (3.68) 0
also als Faltung der Sternentstehungsrate mit der spektralen Energieverteilung einer Sternpopulation. Insbesondere hängt Fλ (t) von der Geschichte der Sternentstehung ab.
3.9 Populationssynthese 133
3.9.2
Entwicklungswege im HRD; integriertes Spektrum
Zur Berechnung von Sλ,Z(t−t ) (t ) benötigt man Modelle der Sternentwicklung und der Sternatmosphären. Zur Erinnerung zeigt die Abb. 3.45(a) die Entwicklungswege im HRD. Jede Kurve zeigt den Ort eines Sterns einer bestimmten Masse im HRD und ist parametrisiert durch die Zeit seit seiner Geburt. Orte gleicher Zeit im HRD heißen Isochronen, die in Abb. 3.45(b) dargestellt sind. Mit fortschreitender Zeit gibt es immer weniger massereiche Sterne, weil diese die Hauptreihe schnell verlassen und als Supernova oder als Weißer Zwerg enden. Die Anzahldichte der Sterne entlang der Isochronen hängt von der IMF ab. Das Spektrum Sλ,Z(t−t ) (t ) ist dann die Summe der Spektren der Sterne auf einer Isochrone – siehe Abb. 3.46(b). Zu Beginn wird das Spektrum und die Leuchtkraft einer Sternpopulation von den massereichsten Sternen dominiert, die intensive UV-Strahlung emittieren. Doch
Abb. 3.45. a) Entwicklungswege im HRD von Sternen verschiedener Masse, gegeben durch Zahlen an den Kurven (in Einheiten M ). Die ZAMS (zero age main sequence) ist der Geburtsort der Sterne im HRD; ihre Entwicklung bewegt die Sterne weg von der Hauptreihe. Je nach Masse explodieren sie als SN (für M ≥ 8M ) oder enden als Weißer Zwerg (white dwarf, WD). Dazwischen wandern sie durch den Roten
schon nach ∼ 10 Jahren ist der Fluss unterhalb von 1000 Å stark vermindert und nach ∼ 108 Jahren kaum mehr vorhanden. Gleichzeitig steigt der Fluss im NIR an, da sich massereiche Sterne zu roten Überriesen entwickelt haben. Für 108 yr t 109 yr bleibt die Emission im NIR stark, während die energiereiche Strahlung zu immer größeren Wellenlängen hin weiter reduziert wird. Nach ∼ 109 yr übernehmen Rote Riesensterne (RGB-Sterne) die NIR-Produktion, und die UV-Strahlung nimmt nach ∼ 3 × 109 yr wieder zu durch blaue Sterne auf dem Horizontalast, auf dem sich Sterne nach der AGB-Phase hin entwickeln, sowie Weiße Zwerge, die bei ihrer Geburt heiß sind. Zwischen 4 und 13 × 109 Jahren findet nur eine sehr geringe Entwicklung des Spektrums statt. Von besonderer Wichtigkeit ist die bei etwa 4000 Å gelegene Kante, die nach wenigen 107 Jahren im Spektrum auftritt. Diese wird hervorgerufen durch die sich stark ändernde Opazität der Sternatmosphären bei die7
Riesen-Ast (red giant branch, RGB) und den asymptotischen Riesenast (AGB, asymptotic giant branch). b) Isochronen zu verschiedenen Zeitpunkten, die angegeben sind (in 109 Jahren); die obere Hauptreihe entvölkert sich wegen der schnellen Entwicklung der massereichen Sterne, während sich der Rote Riesen-Ast im Laufe der Zeit bevölkert
3. Die Welt der Galaxien 134
Abb. 3.46. a) Vergleich des Spektrums eines Hauptreihensterns mit einem Schwarzkörperspektrum gleicher effektiver Temperatur; die Opazität der Sternatmosphäre führt im UV/Optischen zu deutlichen Unterschieden. b) Spektrum ei-
ner Sternpopulation mit solarer Metallizität, die vor einer Zeit t instantan geboren wurde; t ist in Einheiten von 109 Jahren angegeben
ser Wellenlänge, u. a. bedingt durch starke Übergänge im einfach ionisierten Kalzium sowie den Balmerlinien des Wasserstoffs. Dieser ,,4000 Å-break“ ist eine der wichtigsten spektralen Eigenschaften von Galaxien!
blauen Sterne eine große Masse besitzen und sich daher schnell im HRD entwickeln. Aus dem gleichen Grund ist die Entwicklung in B–V schneller als die in V –K . Dazu sei bemerkt, dass diese Farbentwicklung auch in Sternhaufen verschiedenen Alters beobachtet wird. Das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis M/L nimmt ebenfalls zu mit der Zeit, denn M bleibt konstant, während L abnimmt. Wie in Abb. 3.47(b) gezeigt wird, ist das blaue Licht einer Sternpopulation stets von Hauptreihensternen dominiert, wobei in späteren Stadien auch Horizontalaststerne einen spürbaren Beitrag liefern. Die NIR-Strahlung wird anfänglich von Sternen dominiert, die im Zentrum Helium verbrennen (diese Klasse beinhaltet die Überriesenphase der massereichen Sterne), danach von AGB-Sternen und nach ∼ 109 yr von Roten Riesen. Hauptreihensterne bilden nie mehr als 20% des Lichtes im K -Band. Aus den nur kleinen zeitlichen Variationen von M/L K ergibt sich, dass die NIR-Leuchtkraft ein guter Indikator der gesamten Sternmasse ist; sie ist viel weniger abhängig vom Alter der Sternpopulation als die Leuchtkraft im blauen Licht.
3.9.3
Farbentwicklung
Oftmals sind keine detaillierten Spektren von Galaxien verfügbar, stattdessen aber photometrische Aufnahmen in verschiedenen Breitband-Filtern, denn die Beobachtungszeit für Spektroskopie ist um ein Vielfaches höher als für Photometrie. Hinzu kommt, dass mit den modernen Weitwinkelkameras die Photometrie vieler Galaxien gleichzeitig erhalten werden kann. Aus theoretisch berechneten Spektren können photometrische Werte berechnet werden, indem die Modellspektren mit den Filterfunktionen, d. h. den Transmissionskurven der bei der Beobachtung verwendeten Farbfiltern, multipliziert und über die Wellenlänge integriert werden (A.25). Die spektrale Entwicklung impliziert dabei eine Farbentwicklung, wie in Abb. 3.47(a) gezeigt wird. Zu Beginn ist die Farbentwicklung sehr schnell, die Population wird roter, wiederum weil die heißen,
3.9 Populationssynthese 135
Abb. 3.47. a) Die oberen zwei Graphen zeigen, für die gleiche Population wie in Abb. 3.46(b), die Farben B-V und V -K als Funktion des Alters; die unteren beiden Graphen zeigen das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis M/L in zwei Farbbändern, in Einheiten des solaren Wertes. Dabei zeigen die durchgezogenen Kurven das gesamte M/L (d. h. inklusive der Masse,
die wieder ans ISM abgegeben wird), während die gestrichelten Kurven das M/L der Sterne zeigen. b) Der Anteil der B(oben) und K -Leuchtkraft (unten) der verschiedenen Phasen der stellaren Entwicklung (CHeB: core helium burning stars; SGB: sub-giant branch)
3.9.4
wobei τ die charakteristische Dauer und tf der Zeitpunkt des Beginns der Sternbildung ist. Der letzte Faktor in (3.69) ist die Einheits-Stufenfunktion, H(x) = 1 für x ≥ 0, H(x) = 0 für x < 0, und drückt die Tatsache aus, dass ψ(t) = 0 für t < tf ist. Man hofft, mit diesem einfachen Modell die wesentlichen Aspekte der Sternpopulationen beschreiben zu können. Resultierende Modelle sind in einem Zwei-Farben-Diagramm in Abb. 3.48(a) aufgetragen. Aus dem Diagramm erkennt man, dass die Farben der Population stark von τ abhängen. So werden Galaxien für große τ nicht besonders rot, denn ihre Sternentstehungsrate, und somit der Anteil der massiven blauen Sterne, nimmt dann nicht genügend stark ab. Die Farben etwa von Sc-Spiralen sind nicht verträglich mit einer konstanten Sternentstehungsrate – es sei denn, das gesamte Licht von Spiralen wird stark gerötet durch
Sternbildungsgeschichte und Galaxienfarben
Bislang wurde die Entwicklung einer Population gleichen Alters (bezeichnet als instantaneous burst of star formation) betrachtet. Allerdings findet die Sternentstehung einer Galaxie über einen endlichen Zeitraum statt. Man erwartet, dass die Sternentstehungsrate mit der Zeit abnimmt, weil immer mehr Materie in Sternen gebunden ist und so nicht mehr zur Bildung neuer Sterne beitragen kann. Da man die Sternentstehungsgeschichte einer Galaxie nicht a priori kennt, muss man sie geeignet parametrisieren. Dafür hat sich ein ,,Standardmodell“ etabliert, das einer exponentiell abnehmenden Sternentstehungsrate, also ψ(t) = τ −1 exp [−(t − tf )/τ] H(t − tf ) ,
(3.69)
3. Die Welt der Galaxien 136
Staubabsorption (aber es gibt gute Gründe, warum dies nicht der Fall sein sollte). Um die Farben von Frühtyp-Galaxien zu erklären, muss τ 4 × 109 yr sein. Generell schließt man aus diesen Modellen, dass eine substantielle Rötung des Spektrums für t τ einsetzt. Da die Leuchtkraft einer Sternpopulation im blauen Spektralbereich sehr schnell mit dem Alter der Population abnimmt, während der Einfluss des Alters auf die Leuchtkraft bei großen Wellenlängen deutlich geringer ist, ergibt sich:
entstehungsgeschichten ψ(t) überlegen kann, mit denen die Farben der Galaxien ebenfalls modelliert werden können.
3.9.5
Metallizität, Staub und HII Regionen
Zu den Erfolgen dieses Standardmodells gehört, dass es die Farben der heutigen Galaxien erklären kann, deren Alter 10 Milliarden Jahre beträgt. Allerdings ist dieses Modell nicht eindeutig, da man sich andere Stern-
Die Vorhersagen des Modells hängen von der Metallizität Z ab – siehe Abb. 3.48(b). Kleines Z führt zu blaueren Farben und kleinerem M/L-Verhältnis der Sternpopulation. Das Alter und die Metallizität einer Sternpopulation sind entartet in dem Sinne, dass eine Erhöhung des Alters um einen Faktor X beinahe äquivalent ist zu einer Erhöhung der Metallizität um einen Faktor 0.65X, wenn man die Farbe einer Population betrachtet. Die Abschätzung des Alters einer Population aus den Farben wird daher stark von dem angenommenen Wert für Z beeinflusst. Allerdings kann die Entartung gebrochen werden, indem man mehrere Farben bzw. Information aus der Spektroskopie berücksichtigt.
Abb. 3.48. a) Entwicklung der Farben zwischen 0 ≤ t ≤ 17 × 109 yr einer Sternpopulation mit einer Entstehungsrate, die durch (3.69) gegeben ist, für fünf verschiedene Werte der charakteristischen Zeitskala τ (τ = ∞ ist Grenzfall einer konstanten Sternentstehungsrate) – siehe durchgezogene Kurven. Typische Farben für 4 verschiedene morphologische Typen von Galaxien sind eingetragen. Für jedes τ beginnt die Entwicklung unten links, also als blaue Population in beiden Farben. Im Fall konstanter Sternentstehungsrate wird die
Population nie roter als Irr’s; um rotere Farben zu erhalten, muss τ kleiner sein. Die gestrichelte Kurve verbindet Punkte mit t = 1010 yr auf den verschiedenen Kurven. Eine SalpeterIMF und solare Metallizität ist hier angenommen worden. Die Verschiebung der Farben bei doppelter Metallizität ist durch einen Pfeil angedeutet, ebenso für einen Extinktionskoeffizienten E(B–V ) = 0.1; beides macht Galaxien roter. b) Die Abhängigkeit der Farben und M/L von der Metallizität der Population
Die spektrale Verteilung des Lichts von Galaxien ist hauptsächlich bestimmt durch das Verhältnis der heutigen zur mittleren Sternentstehungsrate in der Vergangenheit, ψ(heute)/ ψ.
3.9 Populationssynthese 137
Eine mögliche intrinsische Staubabsorption ändert ebenfalls die Farben einer Population. Dieser Effekt ist nicht einfach in den Modellen zu berücksichtigen, denn er hängt nicht nur von den Eigenschaften des Staubs ab, sondern auch von der geometrischen Verteilung des Staubs und der Sterne. Beispielsweise macht es einen Unterschied, ob der Staub einer Galaxie homogen verteilt oder in einer Scheibe konzentriert ist. Empirisch findet man, dass Galaxien mit aktiver Sternbildung eine starke Extinktion besitzen, während normale Galaxien vermutlich nicht sehr stark durch die Extinktion beeinflusst sind, am wenigsten die Frühtyp-Galaxien (E/S0). Neben dem Sternlicht trägt auch die Emission von HII-Regionen zum Licht von Galaxien bei. Es stellt sich aber heraus, dass nach ∼ 107 yr diese Gasnebel-Emission kaum zu den Breitband-Farben der Galaxien beiträgt. Sie ist allerdings der Ursprung der Emissionslinien im Spektrum von Galaxien. Daher bilden die Emissionslinien eine Diagnostik für die Sternbildungsrate und die Metallizität einer Sternpopulation.
3.9.6 Zusammenfassung Nach diesem etwas längeren Abschnitt wollen wir die wichtigsten Ergebnisse der Populationssynthese noch einmal zusammenfassen:
• Mit einem einfachen Modell für die Sternentste• •
hungsgeschichte können die Farben der heutigen Galaxien gut modelliert werden. Die (meisten) Sterne der Elliptischen und S0Galaxien sind alt – je früher der Hubble-Typ, umso älter ist die stellare Population. Detaillierte Modelle der Populationssynthese geben Hinweise auf die Geschichte der Sternentstehung, und Vorhersagen des Modells können mit Beobachtungen von Galaxien bei hohen Rotverschiebungen (und daher kleinerem Alter) verglichen werden.
Die Ergebnisse der Populationssynthese werden uns noch viel beschäftigen. So werden wir sie benutzen, um die Farben von Galaxien bei verschiedenen Rotverschiebungen und die unterschiedlichen räumlichen Verteilungen von Frühtyp- und Spättyp-Galaxien (siehe Kapitel 6) zu interpretieren. Weiterhin werden wir
eine Methode kennenlernen, mittels der Farben die Rotverschiebung von Galaxien abschätzen zu können (photometrische Rotverschiebungen). Als Spezialfall dieser Methode werden wir die effiziente Selektion von Galaxien bei sehr hoher Rotverschiebung kennenlernen (Lyman-Break Galaxies, LBG’s, siehe Kapitel 9). Da sich die Farben und die Leuchtkraft einer Galaxie auch dann ändern, wenn keine Sternentstehung stattfindet, erlaubt das Verfolgen einer solchen passiven Entwicklung in die Vergangenheit, diesen passiven Alterungsprozess von Episoden der Sternentstehung und anderen Prozessen zu unterscheiden.
3.9.7
Spektren von Galaxien
Wir wollen zum Schluss dieses Abschnitts die Spektren von typischen Galaxien betrachten. Diese sind für sechs Galaxien unterschiedlichen Hubble-Typs in Abb. 3.49 dargestellt. Zum besseren Vergleich sind alle Spektren in einem Diagramm gezeichnet, wobei die logarithmische Flussachse beliebig normiert ist (da die Normierung die Form des Spektrums nicht beinflusst). Der allgemeine Trend dieser Spektren ist leicht zu erkennen: je später der Hubble-Typ, umso (1) blauer wird die gesamte spektrale Verteilung, (2) umso stärker werden die Emissionslinien, (3) umso schwächer werden die Absorptionslinien, und (4) umso kleiner wird der 4000 Å-Break in den Spektren. Diese Trends können wir auch nach dem oben Gesagten erwarten, wenn die Hubble-Sequenz als eine Reihung der Galaxien nach dem Alter ihrer Sternpopulation bzw. ihrer Sternbildungsrate betrachtet wird. Elliptische Galaxien und S0-Galaxien haben praktisch keine Sternentstehung, daher keine jungen Sterne, so dass die gesamte Energieverteilung von roten Sternen dominiert wird; weiterhin gibt es keine HII-Regionen, aus denen Emissionslinien stammen könnten. Die alte Sternpopulation erzeugt einen stark ausgeprägten 4000 Å-Break, der in etwa einem Sprung von einem Faktor ∼ 2 im Spektrum entspricht. Die Spektren von Ellipsen und S0-Galaxien sind dabei sehr ähnlich. Umgekehrt zeigen Sc-Spiralen und Irreguläre Galaxien ein von Emissionslinien dominiertes Spektrum, wobei insbesondere die Balmer-Linien des Wasserstoffs sowie Linien des Sauerstoffs und Stickstoffs hervortreten. Die relative Stärke dieser Linien ist charakteristisch
3. Die Welt der Galaxien 138 Abb. 3.49. Spektren von Galaxien verschiedener Typen, wobei der Fluss logarithmisch in beliebigen Einheiten dargestellt ist. Die Spektren sind geordnet entsprechend der Hubble-Sequenz, mit frühen Typen unten, und Spättyp-Galaxien oben
für HII-Regionen, so dass diese Emissionslinien größtenteils aus den ionisierten Gebieten um junge heiße Sterne stammen. Bei den Irregulären Galaxien ist das Spektrum beinahe vollständig durch das stellare Kontinuum von heißen Sternen und den Emissionslinien ihrer HII-Regionen dominiert, während bei Sc-Galaxien auch deutliche Beiträge von kühleren Sternen zu identifizieren sind. Die Spektren der Sa- und Sb-Galaxien bilden eine Art Übergang zwischen den Frühtyp-Galaxien und den Sc-Galaxien, und ihr Spektrum kann als Überlagerung einer alten stellaren Population, die ein rotes Kontinuum erzeugt, und einer jungen Population mit ihrem blaueren Kontinuum und den Emissionslinien beschrieben werden. Dies ist im Zusammenhang mit dem abnehmenden relativen Beitrag des Bulges in der Leuchtkraft bei späteren Spiraltypen zu sehen. Die hier kurz beschriebenen Eigenschaften der spektralen Lichtverteilung verschiedener Galaxientypen wird im Rahmen der Populationssynthese beschrieben und interpretiert. Dadurch wurde ein detailliertes Verständnis der stellaren Population von Galaxien als Funktion ihres Typs ermöglicht. Die Erweiterung sol-
cher Studien auf Spektren von Galaxien mit hoher Rotverschiebung ermöglicht dann Aussagen über die Entwicklungsgeschichte der stellaren Populationen.
3.10 Chemische Entwicklung von Galaxien Während ihrer Entwicklung ändert sich die chemische Zusammensetzung von Galaxien, so dass die beobachtete Metallizität von der Geschichte der Sternentstehung zeugt. Dabei erwartet man, dass die Metallizität Z mit der über die Lebensdauer einer Galaxie integrierten Sternentstehungsrate ansteigt. Wir wollen hier ein einfaches Modell der chemischen Entwicklung einer Galaxie diskutieren, welches einige der prinzipiellen Aspekte beleuchtet. Dabei gehen wir davon aus, dass bei der Entstehung einer Galaxie zum Zeitpunkt t = 0 keine Metalle vorhanden waren, so dass Z(0) = 0. Weiterhin enthielt die Galaxie bei ihrer Geburt keine Sterne, weswegen sämtliche baryonische Materie in Form von Gas
3.10 Chemische Entwicklung von Galaxien 139
vorlag. Zusätzlich betrachten wir die Galaxie als geschlossenes System, aus dem kein Gas entweichen kann oder durch spätere Akkretion oder Verschmelzungsprozesse hinzukommt. Schließlich nehmen wir an, dass die Zeitskalen der Sternentwicklungsprozesse, die zur Metall-Anreicherung des ISM der Galaxie führen, sehr klein sind gegenüber der Entwicklungszeitskala der Galaxie. Unter diesen Annahmen kann man nun eine Relation zwischen der Metallizität und dem Gasanteil der Galaxie herleiten. Von der Gesamtmasse einer neu entstehenden Sternpopulation wird ein Teil durch Supernova-Explosionen und Sternwinde wieder an das ISM abgegeben. Wir definieren diesen Anteil als R, so dass der Bruchteil α = (1 − R) einer neu gebildeten Sternpopulation in den Sternen eingeschlossen bleibt, d. h. nicht mehr an der weiteren chemischen Entwicklung des ISM teilnimmt. Der Wert von α hängt von der IMF der Sternpopulation ab und kann mit den Modellen der Populationssynthese berechnet werden. Weiterhin sei q das Verhältnis der von einer Sternpopulation erzeugten und wieder an das ISM abgegebenen Masse an Metallen relativ zur anfänglichen Gesamtmasse der Population. Man definiert den Ertrag (yield) y = q/α als das Verhältnis der von einer Sternpopulation erzeugten und wieder an das ISM abgegebenen Metallmasse relativ zu der Masse, die in der Sternpopulation eingeschlossen bleibt. Der Wert des Ertrags kann ebenfalls aus der Populationssynthese berechnet werden. Wenn ψ(t) die Sternbildungsrate als Funktion der Zeit ist, so ist die Masse aller in der Geschichte der Galaxie gebildeten Sterne gegeben durch t (3.70) S(t) = dt ψ(t ) , 0
und die Gesamtmasse, die in den Sternen eingeschlossen bleibt, ist s(t) = αS(t). Da wir angenommen hatten, dass die Baryonen ein geschlossenes System bilden, ist die Summe aus Gasmasse g(t) und Sternmasse s(t) eine Konstante, nämlich die Baryonenmasse der Galaxie, dg ds g(t) + s(t) = Mb ⇒ + =0. (3.71) dt dt Die Masse der Metalle im ISM ist gZ; diese ändert sich dadurch, dass Sterne gebildet werden, wodurch die Masse des ISM, damit auch die seiner Metalle abnimmt. Andererseits werden durch die Prozesse der
Sternentwicklung Metalle wieder ans ISM zurückgegeben. Unter der oben gemachten Annahme, dass die Zeitskalen dieser Sternentwicklung klein sind, findet diese Rückgabe quasi ,,instantan“ statt. Die von den Sternen ans ISM abgegebenen Metalle setzen sich zusammen aus den Metallen, die bei der Entstehung der stellaren Population bereits vorhanden waren – davon kommt ein Bruchteil R zurück – sowie den neu gebildeten Metallen. Zusammen ergibt sich daher für die Gesamtmasse der Metalle im ISM d(gZ) = ψ (RZ + q) − Zψ , dt wobei der letzte Term die Rate der Metallmasse angibt, die dem ISM durch Sternentstehung entzogen wird, und der erste Term den Rückgewinn an Metallen durch die Sternentwicklung darstellt. Wegen dS/dt = ψ kann man dies auch schreiben als d(gZ) = (R − 1)Z + q = q − αZ . dS Teilt man diese Gleichung durch α und benutzt s = αS sowie die Definition des Ertrags y = q/α, so erhält man d(gZ) dg dZ = Z +g = y− Z . (3.72) ds ds ds Aus (3.71) folgern wir dg/ds = −1 und d Z/ds = −d Z/dg, so dass sich eine einfache Gleichung für die Metallizität ergibt, dZ dZ = = −y dg d ln g g(t) ⇒ Z(t) = −y ln = −y ln(μg ) , Mb g
(3.73)
wobei μg = g/Mb der Anteil der Baryonen ist, der sich im ISM befindet, und wir die Integrationskonstante so gewählt haben, dass zu Beginn bei μg = 1 die Metallizität Z = 0 war. Aus dieser Beziehung sehen wir nun, dass mit abnehmendem Gasanteil einer Galaxie die Metallizität ansteigen soll, wobei im Rahmen unseres einfachen Modells dieser Anstieg nur vom Ertrag y abhängt. Da y aus der Populationsynthese berechnet werden kann, ist (3.73) eine wohlbestimmte Relation. Vergleicht man (3.73) mit den Beobachtungen von Galaxien, so findet man durchaus starke Abweichungen von dieser Relation, die besonders für massearme Galaxien sehr deutlich sind. Während die Annahme der instantanen Entwicklung des ISM relativ gut ge-
3. Die Welt der Galaxien 140
rechtfertigt ist, wissen wir aus der Strukturbildung im Universum (Kap. 7), dass Galaxien beileibe keine isolierten Systeme sind: Ihre Masse wird fortlaufend durch Akkretion und Verschmelzungsprozesse verändert, während andererseits die durch Supernovae an das ISM abgegebene kinetische Energie gerade bei massearmen Galaxien zu einem Ausströmen des ISM führt, weil dort das Gas nicht genügend stark gravitativ gebunden ist. Aus den beobachteten Abweichungen von der Relation (3.73) kann man daher Rückschlüsse über diese Prozesse erhalten. Auch aus Beobachtungen in unserer Milchstraße finden wir ein weiteres Indiz dafür, dass das oben skizzierte Modell der chemischen Entwicklung zu einfach ist. Dabei handelt es sich um das Problem der
G-Zwerge. Das oben beschriebene Modell sagt vorher, dass etwa die Hälfte der heute vorhandenen Fund G-Hauptreihensterne eine Metallizität unterhalb eines Viertels der solaren Metallizität besitzen sollten. Diese Sterne haben eine lange Lebensdauer auf der Hauptreihe, so dass viele von den heute dort beobachtbaren Sternen aus der Frühzeit der Galaxis stammen und entsprechend unserem Modell eine sehr geringe Metallizität aufweisen sollten. Tatsächlich aber zeigen nur sehr wenige dieser Sterne eine solch geringe Metallizität. Diese Diskrepanz ist viel zu groß, als dass man sie durch Auswahleffekte erklären könnte. Vielmehr zeigt diese Beobachtung, dass die chemische Entwicklung unserer Galaxis komplizierter war, als das einfache Modell vorhersagt.
141
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle Wir wenden uns nun der Betrachtung des Universums als Ganzem zu: Nicht mehr einzelne Objekte (wie Galaxien) sollen hier diskutiert werden, sondern der Raum und die Zeit, in dem diese Objekte sich befinden. Diese Betrachtungen werden dann zu einem Weltmodell führen, dem Modell unseres Kosmos. In diesem Kapitel werden wir Aspekte der homogenen Kosmologie behandeln; wie wir noch sehen werden, kann das Universum in erster Näherung als homogen angenommen werden. Diese Tatsache scheint auf den ersten Blick der Beobachtung zu widersprechen, dass die Welt um uns herum hochgradig inhomogen und strukturiert ist. Die Annahme der Homogenität ist daher sicher nicht auf kleinen Skalen gültig. Jedoch sind die Beobachtungen damit verträglich, dass gemittelt über große Skalen das Universum homogen ist. Aspekte der inhomogenen Kosmologie, also der Bildung und Entwicklung von Strukturen im Universum, werden wir später in Kapitel 7 betrachten.
4.1
Einleitung und grundlegende Beobachtungen
Die Kosmologie ist eine besondere Wissenschaft. Um dies einzusehen, vergegenwärtigen wir uns den typischen Weg des Erkenntnisgewinns in den Naturwissenschaften. Dieser beginnt in der Regel mit der Beobachtung einer Gesetzmäßigkeit, beispielsweise dass die Fallstrecke h eines Steins quadratisch mit der Fallzeit t zusammenhängt, h = (g/2)t 2 . Dieser Zusammenhang wird dann auch für andere Gegenstände gefunden, man findet ihn an verschiedenen Orten der Erde, und so formuliert man diesen Zusammenhang als ,,Gesetz“ des freien Falls. Dabei ist die Proportionalitätskonstante g/2 in diesem Gesetz stets die gleiche. Dieses Gesetz bewährt sich durch die Vorhersage, wie ein Gegenstand fällt, und wann immer man diese Vorhersage überprüft, trifft sie zu (natürlich vernachlässigen wir in diesem einfachen Beispiel den Luftwiderstand). Zusammenhänge werden zu physikalischen Gesetzen, wenn die mit ihnen gemachten Vorhersagen sich immer und immer wieder bestätigen; die Gültigkeit eines solchen Gesetzes wird als umso
stärker betrachtet, je diverser diese Überprüfungen stattgefunden haben. Das Fallgesetz wurde nur auf der Erdoberfläche überprüft (und ist auch nur dort mit dieser Proportionalitätskonstante gültig; streng genommen gilt auch dies nicht, denn der Wert der Proportionalitätskonstanten ist leicht ortsabhängig), während das Newtonsche Gravitationsgesetz das Fallgesetz beinhaltet, aber auch das Fallgesetz auf der Mondoberfläche und die Bewegung der Planeten um die Sonne beschreibt. Hätte man nur einen Stein zur Verfügung, so wüsste man nicht, ob das Fallgesetz eine Eigenschaft dieses speziellen Steins oder von allgemeinerer Gültigkeit wäre. Die Kosmologie entspricht in gewisser Weise jenem letzten Beispiel: Wir haben nur ein Universum, das wir beobachten können. Gesetzmäßigkeiten, die wir in unserem Kosmos erkennen, können wir nicht an anderen Universen überprüfen. Es gibt daher auch nicht die Möglichkeit, eine Eigenschaft des Universums als ,,typisch“ zu bezeichnen – wir haben keinerlei Statistik, auf die sich eine solche Aussage empirisch stützen könnte. Trotz dieser besonderen Situation haben wir enorme Fortschritte im Verständnis unseres Universums gemacht, wie hier und in späteren Kapiteln beschrieben wird. Kosmologische Beobachtungen sind im Allgemeinen schwierig, da der größte Teil des Universums (und damit die meisten Quellen im Kosmos) sehr weit von uns weg ist. Aufgrund der großen Entfernungen sind diese Quellen daher sehr lichtschwach. Daraus erklärt sich die Tatsache, dass ein großer Teil des Erkenntnisgewinns mit der Entwicklung großer Teleskope und empfindlicher Detektoren einhergeht. Vieles von dem, was wir heute über das ferne Universum wissen, wurde beispielsweise erst ermöglicht durch die neue Generation von optischen Teleskopen der 8-Meter-Klasse. Der wichtigste Aspekt für die Beobachtungen in der Kosmologie ist jedoch die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes. Eine Quelle im Abstand D sehen wir heute in einem Zustand, in dem sie Δt = (D/c) jünger war als heute. Der heutige Zustand des Universums ist nur sehr lokal beobachtbar. Die Kehrseite dieses Effekts ist jedoch von
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 142
entscheidender Bedeutung: Die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit erlaubt es, in die Vergangenheit zu schauen! Galaxien im Abstand von 10 Milliarden Lichtjahren sehen wir in einer Entwicklungsstufe, als das Universum nur etwa ein Drittel des heutigen Weltalters besaß. Wir können zwar nicht die Vergangenheit unserer Milchstraße beobachten, aber die von anderen Spiralgalaxien studieren, und wenn es gelingt, solche darunter zu identifizieren, die sich im Laufe der kosmischen Entwicklung zu Objekten ähnlich unserer Galaxis herausbilden werden, dann kann man viel über die typische Entwicklungsgeschichte von solchen Spiralen aussagen. Die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit in einem euklidischen Raum, in dessen Ursprung r = 0 wir uns heute (t = t0 ) befinden, impliziert, dass wir nur solche Raum-Zeit-Punkte sehen können, für die gilt: |r| = c(t0 − t); ein beliebiger Raum-Zeit-Punkt (r, t) ist unbeobachtbar. Die Menge der Raum-Zeit-Punkte, die die Relation |r| = c(t0 − t) erfüllen, nennt man auch unseren rückwärtigen Lichtkegel. Die Tatsache, dass wir nur den Teil des Universums sehen können, der sich auf unserem rückwärtigen Lichtkegel befindet, impliziert, dass wir nur dann eine Chance haben, durch Beobachtungen das Universum zu verstehen, wenn dessen Struktur ,,einfach“ ist. Zum Glück scheint unser Universum eine im Wesentlichen einfache Struktur zu besitzen.
Abb. 4.1. Der APM-Survey: Galaxienverteilung in einem ca. 100 mal 50 Grad großen Feld um den Galaktischen Südpol. Die Intensitäten der Pixel sind skaliert mit der Anzahl der Galaxien pro Pixel, also der an der Sphäre projizierten Galaxiendichte. Die ,,schwarzen Löcher“ sind nicht untersuchte Gebiete um helle Sterne, Kugelsternhaufen, etc.
4.
5.
6. 4.1.1
Grundlegende kosmologische Beobachtungen
Wir beginnen mit einer kurzen Liste von Beobachtungen, die sich für die Kosmologie als besonders wichtig herausgestellt haben. Aus diesen Beobachtungstatsachen werden wir dann sofort einige Schlussfolgerungen ziehen können; andere Beobachtungen werden später im Rahmen eines kosmologischen Modells zu erklären sein. 1. Nachts ist der Himmel dunkel (Olbers-Paradoxon). 2. Gemittelt über große Winkelskalen sind lichtschwache Galaxien (z. B. solche mit R > 20) am Himmel gleichförmig verteilt (siehe Abb. 4.1). 3. Bis auf ganz wenige Ausnahmen von sehr nahen Galaxien (z. B. Andromeda=M31) zeigen die Spektren von Galaxien eine Rotverschiebung; die allermeis-
7.
8.
ten Galaxien bewegen sich von uns weg mit einer Geschwindigkeit, die linear mit der Entfernung der Galaxie anwächst (Hubble-Gesetz; siehe Abb. 1.10). In fast allen kosmischen Objekten (z. B. Gasnebel, Hauptreihensterne) beträgt der Massenanteil von Helium etwa 25–30%. Die ältesten Sternhaufen in unserer Galaxis haben ein Alter von ∼ 12 Gyr = 12 × 109 yr (siehe Abb. 4.2). Es gibt eine Mikrowellenstrahlung (kosmischer Mikrowellenhintergrund, cosmic microwave background radiation, CMB), die uns aus allen Richtungen erreicht. Diese Strahlung ist bis auf sehr kleine, aber ungemein wichtige Fluktuationen der relativen Stärke ∼ 10−5 isotrop. Das Spektrum des CMB entspricht, soweit bisher gemessen, einer perfekten Schwarzkörperstrahlung, d. h. einer Planck-Strahlung mit Temperatur T0 = 2.728 ± 0.004 K – siehe Abb. 4.3. Die Anzahldichte von Radioquellen bei hoher Galaktischer Breite folgt nicht dem einfachen Gesetz N(> S) ∝ S−3/2 (siehe Abb. 4.4).
4.1.2
Einfache Schlussfolgerungen
Wir wollen zunächst aus den oben aufgezählten Beobachtungstatsachen einige einfache Schlüsse ziehen, die
4.1 Einleitung und grundlegende Beobachtungen 143
Abb. 4.2. Links: Farben-Helligkeits-Diagramm des Kugelsternhaufens M 5. Die verschiedenen Bereiche in diesem Diagramm sind gekennzeichnet. A: Hauptreihe; B: Roter Riesenast; C: hier passiert der He-Flash; D: Horizontalast; E: Schwarzschild-Lücke im Horizontalast; F: Weiße Zwerge, unterhalb des Pfeils. Dort wo die Hauptreihe zum Roten Riesenast abknickt (der so genannte ,,Turn-Off Point“) befinden sich gerade noch Sterne der Masse, für die das Lebensalter auf der Hauptreihe gleich dem Alter des Kugelsternhaufens ist. Aus der Lage dieses Turn-Offs kann man daher das Alter des Sternhaufens bestimmen, wenn man sie mit Modellrechnungen der Sternentwicklung vergleicht. Im rechten
Bild sind Isochronen (Kurven von Sternen gleichen Alters) für verschiedene Alterswerte des Kugelsternhaufens 47 Tucanae eingezeichnet. Aus solchen Untersuchungen ergibt sich, dass die ältesten Sternhaufen in unserer Milchstraße etwa 13 Milliarden Jahre alt sind, wobei dieser Wert von verschiedenen Gruppen leicht unterschiedlich bestimmt wird – Details der Sternentwicklung können hier eine Rolle spielen. Weiterhin hängt das ermittelte Alter auch von der Entfernung der Haufen ab; die Revision dieser Entfernungen durch den HIPPARCOS Satelliten etwa hat die Abschätzung des Alters um ca. 2 Milliarden Jahre nach unten korrigiert
Abb. 4.3. CMB-Spektrum, aufgetragen als Intensität gegen Frequenz, gemessen in Wellen pro Zentimeter. Die durchgezogene Linie zeigt das erwartete Spektrum eines schwarzen Körpers der Temperatur T = 2.728 K. Die Fehlerbalken dieser Daten, die mit dem FIRAS-Instrument an Bord von COBE gemessen wurden, sind so klein, dass die Datenpunkte nicht von der theoretischen Kurve unterschieden werden können
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 144
Entfernungen r integriert werden, aber das Integral ∞ ∞ dω ω = dr = 4π 2 n ∗ R∗2 dr dr 0
Abb. 4.4. Zählungen der Radioquellen als Funktion des Flusses, normiert durch die ,,Euklidische“ Erwartung N(S) ∝ S−5/2 , was den integrierten Zählungen N(> S) ∝ S−3/2 entspricht. Ergebnisse sind für drei verschiedene Frequenzen angegeben. Man sieht, dass die Zählungen klar von der Euklidischen Erwartung abweichen
uns dann dazu motivieren werden, das kosmologische Modell zu entwickeln. Dabei beginnen wir zunächst mit der Annahme eines unendlichen, euklidischen, statischen Universums und werden zeigen, dass dies sofort zu einem Widerspruch mit den Beobachtungen (1) und (8) führt. Das Olbers-Paradoxon (1): Wir können zeigen, dass in einem solchen Universum der Himmel nachts hell wäre – ungemütlich hell sogar. Dazu sei n ∗ die mittlere Anzahldichte von Sternen, die laut Annahme konstant in Raum und Zeit ist, und R∗ ihr mittlerer Radius. Eine Kugelschale mit Radius r und Dicke dr um uns herum enthält 4πr 2 dr n ∗ Sterne. Jeder dieser Sterne nimmt einen Raumwinkel von πR∗2 /r 2 ein, also nehmen die Sterne in der Kugelschale insgesamt den Raumwinkel dω = 4πr 2 dr n ∗
R∗2 π = 4π 2 n ∗ R∗2 dr r2
(4.1)
ein. Wie man sieht, ist dieser Wert unabhängig vom Radius r der Kugelschale, da der Raumwinkel eines Einzelsterns ∝ r −2 sich gerade mit dem Volumen der Kugelschale ∝ r 2 kompensiert. Um nun den gesamten Raumwinkel aller Sterne in einem statischen euklidischen Universum zu berechnen, muss (4.1) über alle
0
divergiert! Formal bedeutet dies, dass die Sterne einen unendlichen Raumwinkel einnehmen, was natürlich physikalisch keinen Sinn ergibt. Der Grund für diese Divergenz ist darin zu sehen, dass wir den Effekt von sich überlappenden Sternscheiben an der Sphäre nicht berücksichtigt haben. Diese Betrachtung zeigt jedoch, dass der Himmel von Sternscheiben vollständig gefüllt wäre, d. h. aus jeder Richtung, entlang jeder Sichtlinie würde uns Sternlicht erreichen. Da die spezifische Intensität Iν entfernungsunabhängig ist (die Flächenhelligkeit der Sonne ist von der Erde aus betrachtet die gleiche, die ein Beobachter sähe, der sich sehr viel näher an der Sonnenoberfläche aufhielte), wäre der Himmel ∼ 104 K heiß; glücklicherweise ist er es nicht! Quellenzählungen (8): Betrachten wir als Nächstes eine Population von Quellen mit räumlich und zeitlich konstanter Leuchtkraftfunktion, d. h. sei n(> L) die räumliche Anzahldichte von Quellen mit Leuchtkraft größer als L. In einer Kugelschale mit Radius r und Dicke dr um uns herum befinden sich 4πr 2 dr n(> L) Quellen mit einer Leuchtkraft > L. Da der beobachtete Fluss S mit der Leuchtkraft über L = 4π r 2 S zusammenhängt, ist die Anzahl von Quellen mit Fluss > S in dieser Kugelschale gegeben als d N(> S) = 4πr 2 dr n(> 4π r 2 S), und die gesamte Zahl von Quellen mit Fluss > S ergibt sich aus der Integration über den Radius der Kugelschalen, ∞ N(> S) = dr 4π r 2 n(> S 4π r 2 ) . 0
Die Änderung der √ L= √ Integrationsvariablen auf S 4π r 2 , oder r = L/(4πS), mit dr = dL/(2 4πL S) ergibt dann: ∞ dL L N(> S) = n(> L) √ 4πS 2 4πL S 0
=
1 S−3/2 16π 3/2
∞ dL
√
L n(> L) .
(4.2)
0
Daraus sieht man, dass unabhängig von der Leuchtkraftfunktion die Quellenzählungen in einem solchen
4.1 Einleitung und grundlegende Beobachtungen 145 −3/2
Universum N(> S) ∝ S wären, im Widerspruch zu den Beobachtungen. Aus diesen beiden Widersprüchen – das OlbersParadoxon und die nicht-euklidischen Quellenzählungen – schließen wir also, dass mindestens eine der Annahmen falsch sein muss. Unser Universum kann nicht euklidisch, unendlich und statisch sein. Der Hubble-Fluss, d. h. die Rotverschiebung der Galaxien, deutet auf ein nicht-statisches Universum hin. Das Alter von Sternhaufen (5) zeigt, dass das Universum mindestens 12 Gyr alt sein muss, denn das Weltalter kann nicht kleiner sein als das der ältesten Objekte. Interessanterweise ergeben die Altersabschätzungen von Kugelsternhaufen einen Wert, der sehr ähnlich der Hubble-Zeit H0−1 = 10 h −1 Gyr ist. Diese Übereinstimmung suggeriert, dass die HubbleExpansion direkt mit der Entwicklung des Universums zusammenhängen könnte. Die über große Skalen gemittelt isotrop erscheinende Galaxienverteilung (2) und die CMB-Isotropie (6) legen nahe, dass auf großen Winkelskalen das Universum um uns herum isotrop ist. Wir werden daher zunächst ein Weltmodell betrachten, welches das Universum um uns herum als isotrop beschreibt. Wenn wir zusätzlich davon ausgehen, dass unser Ort im Kosmos nicht vor anderen Orten ausgezeichnet ist, so folgt aus der Annahme der Isotropie um uns sofort, dass das Universum von jedem Punkt aus gesehen isotrop erscheint. Aus der Isotropie um jeden Punkt folgt dann unmittelbar die Homogenität des Universums, wie in der Abb. 4.5 erläutert ist. Zusammengenommen bezeichnet man die Annahme der Homogenität und Isotropie des Universums auch als kosmologisches Prinzip. Wir werden sehen, dass ein auf dem kosmologischen Prinzip basierendes Weltmodell in der Tat eine exzellente Beschreibung vieler Beobachtungstatsachen liefert. Allerdings kann die Homogenität prinzipiell nicht beobachtet werden, da Beobachtungen weit entfernter Gebiete (oder Objekte) diese zu früheren Zeiten zeigen. Falls das Universum sich zeitlich entwickelt, wie es die obigen Betrachtungen nahe legen, können Entwicklungseffekte nicht direkt von räumlichen Variationen getrennt werden. Die Annahme der Homogenität ist natürlich auf kleinen Skalen hinfällig: Wir sehen Strukturen im Universum wie Galaxien und Galaxienhaufen, es gibt sogar Ansammlungen von Galaxienhaufen, sog. Superhaufen.
Abb. 4.5. Aus der Isotropie um zwei Punkte folgt die Homogenität: Ist das Universum um B isotrop, so ist die Dichte gleich in C, D, und E. Indem man Kugeln mit unterschiedlichen Radien um A konstruiert, wird gezeigt, dass der Bereich innerhalb der gezeichneten Kugelschale um A homogen sein muss. Mit Schalen, die groß genug sind, kann man so Homogenität für das ganze Universum folgern
Rotverschiebungs-Surveys haben Strukturen entdeckt, die sich über ∼ 100 h −1 Mpc erstrecken. Allerdings gibt es keine Hinweise auf Strukturen im Kosmos auf Skalen 100 Mpc. Diese Länge können wir vergleichen mit einer charakteristischen Skala des Universums, die sich wiederum aus der Hubble-Konstanten ergibt. Wenn H0−1 ein charakteristisches Weltalter angibt, so kann Licht in dieser Zeit die Strecke c/H0 zurücklegen. Daraus erhält man als charakteristische Größe des Universums (genauer müsste man sagen: des beobachtbaren Universums) den Hubble-Radius RH :=
c = 2997 h −1 Mpc : Hubble-Länge . H0 (4.3)
3 Das Hubble-Volumen ∼ RH kann also sehr viele Strukturen der Größe ∼ 100 h −1 Mpc enthalten, so dass es immer noch sinnvoll ist, von einem im Mittel homogenen Universum auszugehen. In diesem homogenen Universum gibt es dann Dichtestörungen, die mit den beobachteten großskaligen Strukturen zu identifizieren sind; diese werden im Detail in Kapitel 7 betrachtet. Aber in erster Näherung kann man für die Beschreibung des Universums als Ganzes diese Dichtestörungen vernachlässigen. Daher werden wir als Nächstes Weltmodelle betrachten, die auf dem kosmologischen Prinzip beruhen, d. h. in denen für alle
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 146
Beobachter (oder von jedem Punkt aus betrachtet) das Universum gleich aussieht. Homogene und isotrope Weltmodelle sind die einfachsten kosmologischen Lösungen der Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART); man kann daher zumindest untersuchen, wie weit solch einfache Modelle mit den Beobachtungen verträglich sind. Wie wir noch sehen werden, folgen aus dem kosmologischen Prinzip die in Abschn. 4.1.1 erwähnten Beobachtungstatsachen.
4.2
unten werden wir darauf noch etwas näher eingehen. Trotz dieser Tatsache kann man erwarten, dass die Newtonsche Beschreibung eine im Wesentlichen korrekte ist: In einem homogenen Universum ist jedes kleine Raumgebiet charakteristisch für das ganze Universum; kennt man die Entwicklung eines kleinen Raumgebiets, so kennt man aufgrund der Homogenität die Geschichte des gesamten Universums. Auf kleinen Skalen aber ist die Newtonsche Betrachtung gerechtfertigt. Daher werden wir, ausgehend vom kosmologischen Prinzip, räumlich homogene und isotrope Weltmodelle zunächst im Rahmen der Newtonschen Gravitation betrachten.
Ein expandierendes Universum 4.2.2
Die grundlegende Kraft im Universum ist die Gravitation: Nur die Gravitationskraft und elektromagnetische Kräfte wirken auf großen Längenskalen. Da die kosmische Materie im Mittel neutral ist, spielen elektromagnetische Kräfte auf großen Skalen keine Rolle, so dass nur die Gravitation als treibende Kraft im Universum in Frage kommt. Die Gesetze der Gravitation werden beschrieben durch die von A. Einstein im Jahre 1915 entwickelte Allgemeine Relativitätstheorie (ART). Diese enthält die Newtonschen Gravitationsgesetze als Spezialfall für schwache Gravitationsfelder und ,,kleine“ Skalen. Die Newtonsche Gravitationstheorie hat sich hervorragend bewährt, beispielsweise bei der Beschreibung der Planetenbewegungen. Daher liegt der Versuch nahe, ein kosmologisches Weltmodell auf der Basis der Newtonschen Gravitation zu entwerfen. Wir werden dies als ersten Schritt auch darstellen; diese Newtonsche Kosmologie ist nämlich nicht nur aus didaktischer Sicht äußerst nützlich, sondern man kann auch begründen, warum der Newtonsche Kosmos viele Aspekte der relativistisch korrekten Kosmologie richtig beschreibt. 4.2.1
Newtonsche Kosmologie
Die Beschreibung eines gravitativen Systems mittels der ART ist dann nötig, wenn die betrachteten Längenskalen mit dem Krümmungsradius der Raumzeit vergleichbar sind; dies ist in unserem Universum sicherlich der Fall. Auch wenn hier nicht erklärt werden kann, was ,,der Krümmungsradius des Universums“ ist, so sollte doch plausibel sein, dass er von etwa der gleichen Größenordnung wie der Hubble-Radius RH ist. Weiter
Kinematische Beschreibung
Mitbewegte Koordinaten. Wir betrachten eine homogene Kugel und erlauben eine radiale Expansion (oder Kontraktion) der Kugel, aber so, dass ρ(t) räumlich homogen bleibt. Die Dichte kann aufgrund der Expansion oder Kontraktion zeitlich variieren. Dazu wählen wir einen Zeitpunkt t = t0 und führen zu diesem Zeitpunkt ein räumliches Koordinatensystem x ein, dessen Ursprung sich im Mittelpunkt der Kugel befindet. Ein Teilchen in dieser Kugel mit der Position x zur Zeit t0 hat zu einem anderen Zeitpunkt t die räumliche Koordinate r(t), die sich aus der Expansion der Kugel ergibt. Da die Expansion radial ist, oder anders ausgedrückt, der Geschwindigkeitsvektor eines Teilchens am Ort r(t) parallel zu r sein muss, ist die Richtung von r(t) konstant. Da r(t0 ) = x, bedeutet dies, dass r(t) = a(t) x .
(4.4)
Die Funktion a(t) kann nur von der Zeit t abhängen; wegen der radialen Expansion alleine könnte a im Prinzip auch eine Funktion von |x| sein, aber die Erhaltung der Homogenität der Dichte ρ impliziert, dass a räumlich konstant sein muss. Die Funktion a(t) heißt kosmischer Skalenfaktor; wegen r(t0 ) = x gilt a(t0 ) = 1 .
(4.5)
Der Wert von t0 ist beliebig, wir wählen t0 = heute. Teilchen (oder Beobachter), die sich entsprechend (4.4) bewegen, heißen mitbewegte Beobachter (comoving observers), und x ist die mitbewegte (comoving) Koordinate. Die Weltlinie (r, t) jedes mitbewegten Beobachters ist durch x eindeutig gegeben, (r, t) = [a(t)x, t].
4.2 Ein expandierendes Universum 147
Expansionsrate. Die Geschwindigkeit eines solchen mitbewegten Teilchens erhält man aus der zeitlichen Ableitung seines Ortes, d da a˙ v(r, t) = r(t) = x ≡ a˙ x = r ≡ H(t) r , dt dt a (4.6) wobei im letzten Schritt die Expansionsrate H(t) :=
a˙ a
(4.7)
definiert wurde. Die Wahl der Notation ist nicht zufällig, da H sehr eng mit der Hubble-Konstanten verknüpft ist. Dazu betrachten wir die Relativgeschwindigkeit zweier mitbewegter Teilchen an den Positionen r und r + Δr, die sich direkt aus (4.6) ergibt: Δv = v(r + Δr, t) − v(r, t) = H(t) Δr .
(4.8)
Die Relativgeschwindigkeit ist daher proportional zum Abstandsvektor, und die Proportionalitätskonstante H(t) hängt nur von der Zeit, nicht aber vom Ort der beiden Teilchen ab. Offensichtlich ist (4.8) dem Hubble-Gesetz v = H0 D
(4.9)
sehr ähnlich, bei dem v die Relativgeschwindigkeit einer Quelle im Abstand D von uns ist. Daher spezialisiert sich (4.8) auf das Hubble-Gesetz zum Zeitpunkt t = t0 mit H0 ≡ H(t0 ), oder anders ausgedrückt, (4.8) ist die Verallgemeinerung von (4.9) für einen beliebigen Zeitpunkt. Es sagt aus, dass jeder Beobachter, der mit der Kugel expandiert, um sich herum ein isotropes Geschwindigkeitsfeld beobachtet, das dem Hubble-Gesetz folgt. Da wir heute eine Expansion beobachten – Quellen bewegen sich von uns weg – ist H0 > 0, und a(t ˙ 0 ) > 0. 4.2.3
Dynamik der Expansion
Die obige Diskussion beschreibt die Kinematik der Expansion; um jedoch den zeitlichen Verlauf der Funktion a(t) zu erhalten, und damit auch die Bewegung mitbewegter Beobachter und die Entwicklung der Dichte der hier betrachteten Kugel, muss eine dynamische Betrachtung durchgeführt werden. Die Entwicklung der Expansionsrate wird durch die Eigengravitation der Kugel bestimmt; von dieser erwartet man, dass sie die Expansionsgeschwindigkeit abbremst.
Bewegungsgleichung. Wir betrachten daher eine Kugelschale mit Radius x zur Zeit t0 , entsprechend einem Radius r(t) = a(t) x für ein beliebiges t. Die Masse M(x), die von dieser mitbewegten Kugelschale eingeschlossen wird, ist konstant in der Zeit und beträgt 4π 4π ρ0 x 3 = ρ(t) r 3 (t) 3 3 4π ρ(t) a3 (t) x 3 , = (4.10) 3 wobei ρ0 mit der Massendichte des heutigen (t = t0 ) Universums zu identifizieren ist. Die Dichte ist eine Funktion der Zeit und aufgrund der Massenerhaltung umgekehrt proportional zum Volumen der Kugel, M(x) =
ρ(t) = ρ0 a−3 (t) .
(4.11)
Die Gravitationsbeschleunigung eines Teilchens auf dieser Kugelschale ist G M(x)/r 2 und nach innen gerichtet; daraus ergibt sich die Bewegungsgleichung des Teilchens zu d2r G M(x) 4πG ρ0 x 3 = − = − , (4.12) dt 2 r2 3 r2 oder nach der Substitution r(t) = x a(t) eine Gleichung für a, r¨(t) ≡
a(t) ¨ =
r¨(t) 4πG ρ0 4πG =− =− ρ(t) a(t) . 2 x 3 a (t) 3 (4.13)
Diese Bewegungsgleichung ist unabhängig von x! Die Dynamik der Expansion, ausgedrückt durch a(t), wird daher allein von der Materiedichte bestimmt. ,,Energieerhaltung“. Eine weitere Möglichkeit, die Dynamik der expandierenden Kugel auszudrücken, ergibt sich durch den Energieerhaltungssatz: Die Summe aus kinetischer und potentieller Energie ist zeitlich konstant. Diese Energieerhaltung kann direkt aus (4.13) hergeleitet werden. Dazu wird (4.13) mit 2a˙ multipliziert, und die resultierende Gleichung kann nach der Zeit integriert werden, da d(a˙2 )/dt = 2a˙a¨ und d(−1/a)/dt = a/a ˙ 2 ist: a˙2 =
8πG 1 8πG ρ0 − Kc2 = ρ(t) a2 (t) − Kc2 ; 3 a 3 (4.14)
dabei ist Kc2 eine Integrationskonstante, die später interpretiert wird. Nach Multiplikation mit x 2 /2 kann
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 148
(4.14) geschrieben werden als x2 v2 (t) G M − = −Kc2 , 2 r(t) 2 was nun so interpretiert werden kann, dass die kinetische + potentielle Energie (pro Einheitsmasse) eines Teilchens auf der Kugelschale eine Konstante ist; daher drückt (4.14) in der Tat die Energieerhaltung aus. Die letzte Gleichung ergibt auch sofort eine Interpretation der Integrationskonstante: K ist proportional zur Gesamtenergie eines mitbewegten Teilchens, und daher ist die Geschichte der Expansion von K abhängig. Das Vorzeichen von K charakterisiert das qualitative Verhalten der kosmischen Expansionsgeschichte.
• Wenn K < 0, so ist die rechte Seite von (4.14) im-
•
•
mer positiv; da da/dt > 0 heute, bleibt da/dt > 0 für alle Zeiten, oder mit anderen Worten, das Universum expandiert ewig weiter. Wenn K = 0, so ist die rechte Seite von (4.14) immer positiv, d. h. da/dt > 0 für alle Zeiten, das Universum expandiert ebenfalls ewig, aber so, dass da/dt → 0 für t → ∞ – der Grenzwert der Expansionsgeschwindigkeit für t → ∞ ist Null. Wenn K > 0, so wird die rechte Seite von (4.14) gleich Null wenn a = amax = (8πGρ0 )/(3Kc2 ); für diesen Wert von a ist da/dt = 0, die Expansion hört auf. Danach kehrt sich die Expansion um in eine Kontraktion, das Universum rekollabiert wieder.
Im Spezialfall K = 0, der ewig expandierende Weltmodelle von denen trennt, die in der Zukunft wieder rekollabieren, hat das Universum heute eine Dichte, die kritische Dichte genannt wird und die aus (4.14) durch Spezialisierung auf t = t0 mit H0 = a(t ˙ 0 ) abgelesen werden kann: 3H02 ρcr := = 1.88 × 10−29 h 2 g/cm3 . 8πG
(4.15)
Offensichtlich ist ρcr eine charakteristische Dichte des heutigen Universums. Wie in vielen Situationen in der Physik ist es sinnvoll, physikalische Größen durch dimensionslose Parameter auszudrücken, so etwa die wahre Dichte des Universums heute. Man definiert daher den Dichteparameter Ω0 :=
ρ0 ; ρcr
(4.16)
K > 0 entspricht dabei Ω0 > 1, und K < 0 entspricht Ω0 < 1. Daher ist Ω0 einer der zentralen kosmologischen Parameter, dessen Bestimmung erst in letzter Zeit gelungen ist, worauf wir später sehr ausführlich eingehen werden. Hier sei allerdings erwähnt, dass die in Sternen sichtbare Materie nur wenig zur Dichte des Universums beiträgt, Ω∗ 0.01. Aber wie wir schon bei den Rotationskurven von Spiralgalaxien gesehen haben, gibt es klare Hinweise auf Dunkle Materie, die im Prinzip den Wert von Ω0 dominieren kann. 4.2.4
Modifikation durch die ART
Die Newtonsche Betrachtungsweise enthält fast alle wesentlichen Aspekte der homogenen und isotropen Weltmodelle; ansonsten hätten wir sie nicht so ausführlich diskutiert. Die meisten der obigen Gleichungen bleiben auch in der relativistischen Kosmologie gültig, wenngleich sie dort anders interpretiert werden müssen. Insbesondere muss das Bild der expandierenden Kugel revidiert werden – dieses Bild impliziert, dass es einen ,,Mittelpunkt“ des Universums gibt. Ein solches Bild widerspricht daher implizit dem kosmologischen Prinzip, nach dem kein Punkt vor anderen ausgezeichnet ist – unser Universum hat weder einen Mittelpunkt, noch expandiert es von einem ausgezeichneten Punkt weg! Allerdings taucht das Bild der Kugel in den entscheidenden Gleichungen gar nicht mehr auf: Die Gleichung (4.11) für die Entwicklung der Dichte des Universums und die Gleichungen (4.13) und (4.14) für die Entwicklung des Skalenparameters a(t) enthalten keine Größen mehr, die auf eine Kugel Bezug nehmen. Die ART modifiziert die Newtonsche Theorie in mehrfacher Hinsicht:
• Aufgrund der Speziellen Relativitätstheorie wissen wir, dass Masse und Energie äquivalent sind, entsprechend Einsteins berühmter Relation E = m c2 . Daraus folgt, dass in die Bewegungsgleichungen nicht nur die Materiedichte eingehen kann. Beispielsweise hat ein Strahlungsfeld wie der CMB eine Energiedichte, und aufgrund obiger Äquivalenz muss diese in den Expansionsgleichungen auftreten. Wir werden unten sehen, dass wir ein solches Strahlungsfeld als Materie mit Druck charakterisieren können. Der Druck wird dann explizit in der Bewegungsgleichung für a(t) auftauchen.
4.2 Ein expandierendes Universum 149
• Die zunächst von Einstein aufgestellte Feldgleichung
•
der ART erlaubte keine Lösung, die einem homogenen, isotropen und statischen Kosmos entspricht. Da Einstein (wie die meisten seiner Zeitgenossen) von einem statischen Universum ausging, modifizierte er seine Feldgleichungen, indem er einen zusätzlichen Term einführte, die Kosmologische Konstante. Die Interpretation der Expansion wird völlig geändert: Nicht die Teilchen (oder Beobachter) expandieren voneinander weg, und das Universum ist keine expandierende Kugel, sondern der Raum selbst expandiert. Insbesondere ist die Rotverschiebung keine Doppler-Rotverschiebung, sondern selbst eine Eigenschaft expandierender Raum-Zeiten. Allerdings kann man sich lokal die Rotverschiebung immer noch als Doppler-Effekt vorstellen, ohne einen großen konzeptionellen Fehler zu machen.
Die ersten zwei Aspekte werden im Folgenden näher erläutert. Erster Hauptsatz der Thermodynamik. Wenn Luft komprimiert wird, etwa beim Aufpumpen eines Reifens, so erwärmt sie sich. Die Temperatur steigt, entsprechend daher die thermische Energie der Luft. In der Sprache der Thermodynamik wird diese Tatsache durch den ersten Hauptsatz beschrieben: Die Änderung der inneren Energie dU bei einer (adiabatischen) Volumenänderung dV ist die Arbeit dU = −P dV , wobei P der Druck des Gases ist. Aus den Gleichungen der ART, angewandt auf einen homogenen isotropen Kosmos, folgt eine Relation, die in völliger Analogie zu diesem Hauptsatz lautet: d 2 3 da3 c ρ a = −P . dt dt
(4.17)
Dabei ist ρ c2 die Energiedichte, d. h. für ,,normale“ Materie ist ρ die Massendichte, und P ist der Druck der Materie. Betrachten wir nun ein konstantes mitbewegtes Volumenelement Vx , so ändert sich dessen physikalisches Volumen V = a3 (t)Vx aufgrund der Expansion. Deshalb ist a3 = V/Vx das Volumen, und c2 ρ a3 die Energie in dem Volumen, jeweils dividiert durch Vx . Zusammengenommen stellt (4.17) den ersten Hauptsatz der Thermodynamik in einem expandierenden Universum dar.
Die Friedmann-Lemaître-Expansionsgleichungen. Als Nächstes geben wir die Gleichungen für den Skalenfaktor a(t) an, wie sie sich aus der ART für ein homogenes isotropes Universum ergeben; danach werden wir diese Gleichungen aus den oben angegebenen Relationen herleiten – dabei werden wir sehen, dass die Modifikationen durch die ART in der Tat relativ gering sind, wie auch aufgrund des Arguments, dass ein kleiner Ausschnitt eines homogenen Universums den gesamten Kosmos charakterisiert, zu erwarten war. Aus den Feldgleichungen der ART folgen die Bewegungsgleichungen 2 8πG a˙ Kc2 Λ = ρ− 2 + a 3 a 3 und a¨ 4πG =− a 3
ρ+
3P Λ + , c2 3
(4.18)
(4.19)
wobei Λ die bereits erwähnte von Einstein eingeführte Kosmologische Konstante ist. Gegenüber den Gleichungen (4.13) und (4.14) sind diese beiden Gleichungen an zwei Stellen verändert: Zum einen taucht die Kosmologische Konstante in beiden Gleichungen auf, zum andern enthält die Bewegungsgleichung (4.19) nun einen Druckterm. Die Kosmologische Konstante. Als Einstein den ΛTerm in seine Gleichungen einführte, tat er es nur, um eine statische Lösung der resultierenden Expansionsgleichungen zu erhalten. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass (4.18) und (4.19) ohne den Λ-Term keine Lösung mit a˙ = 0 zulassen, sehr wohl aber kann mit dem Λ-Term eine solche Lösung gefunden werden (die nicht weiter relevant ist, da wir heute ja wissen, dass das Universum expandiert). Einstein hatte keine gute physikalische Interpretation für diese Konstante, und nachdem die Expansion des Universums von Hubble entdeckt wurde, verwarf er sie wieder. Aber nachdem ,,der Geist einmal aus der Flasche war“, blieb die Kosmologische Konstante der Kosmologie erhalten, und die Ansichten der Kosmologen über Λ änderte sich häufig in den letzten 90 Jahren. Um die Jahrtausendwende wurden Beobachtungen durchgeführt, die uns eine von Null verschiedene Kosmologische Konstante sehr nahelegen, d. h. wir glauben heute, dass Λ = 0.
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 150
Allerdings wurde auch die physikalische Interpretation der Kosmologischen Konstante modifiziert. Aus der Quantenmechanik folgt, dass selbst ein völlig leerer Raum, ein so genanntes Vakuum, eine endliche Energiedichte besitzen kann, die Vakuumsenergie. Der Wert dieser Vakuumsenergiedichte ist für physikalische Messungen außerhalb der Gravitation nicht von Belang, denn solche Messungen stellen nur Energieänderungen fest. Beispielsweise ist die Energie eines Photons, das bei einem atomaren Übergang emittiert wird, die Energiedifferenz zwischen zwei Zuständen des Atoms, so dass man die absolute Energie eines Zustands immer nur bis auf eine additive Konstante messen kann. Nur in der Gravitation taucht die Gesamtenergie auf, da diese aufgrund von E = m c2 einer Masse entspricht. Man stellt nun fest, dass die Kosmologische Konstante einer endlichen Vakuumsenergiedichte äquivalent ist – die Gleichungen der ART, und damit auch die Expansionsgleichungen, ändern sich durch diese neue Interpretation nicht. Wir wollen diese Tatsache im Folgenden erläutern. 4.2.5
Die Materiekomponenten des Universums
Beginnend mit der Energieerhaltungsgleichung (4.14) wollen wir nun die relativistisch korrekten Expansionsgleichungen (4.18) und (4.19) herleiten. Die einzige Änderung gegenüber der Newtonschen Behandlung in Abschn. 4.2.3 wird sein, dass andere Materieformen zugelassen werden. Die wesentlichen Komponenten des Universums lassen sich beschreiben als druckfreie Materie, Strahlung und Vakuumsenergie. Druckfreie Materie. Der Druck eines Gases wird bestimmt durch die thermische Bewegung seiner Konstituenten. Moleküle der Luft bei normaler Temperatur bewegen sich mit einer Geschwindigkeit, die in etwa der Schallgeschwindigkeit von ∼ 300 m/s entspricht. Für ein solches Gas gilt P ρc2 , so dass der Druck natürlich gravitativ völlig unbedeutend ist. Man bezeichnet eine Substanz mit P ρc2 in der Kosmologie als (druckfreie) Materie, auch kosmologischer Staub genannt,1 und benutzt die Näherung 1 Die
Bezeichnung Staub sollte nicht verwechselt werden mit dem Staub, der für die Extinktion von Licht verantwortlich ist – der Begriff ,,Staub“ in der Kosmologie bezeichnet lediglich Materie mit P = 0.
Pm = 0, wobei der Index ,,m“ für matter steht. Die Konstituenten der (druckfreien) Materie bewegen sich mit Geschwindigkeiten, die sehr viel kleiner als c sind. Strahlung. Falls diese Bedingung nicht mehr erfüllt ist, also die thermischen Geschwindigkeiten nicht vernachlässigbar gegenüber der Lichtgeschwindigkeit sind, ist auch der Druck nicht mehr länger klein gegen ρc2 . Für den Grenzfall, dass die thermische Geschwindigkeit gerade gleich der Lichtgeschwindigkeit ist, spricht man von ,,Strahlung“. Ein Beispiel dafür ist natürlich die elektromagnetische Strahlung, insbesondere die Photonen des CMB. Ein weiteres Beispiel wären andere Teilchen mit verschwindender Ruhemasse. Aber auch für Teilchen endlicher Masse sind die thermischen Geschwindigkeiten sehr nahe bei c, wenn die thermische Energie eines Teilchens sehr viel größer ist als die Ruheenergie, kB T mc2 . In diesen Fällen ist der Druck mit der Dichte über die Zustandsgleichung für Strahlung (,,radiation“), 1 Pr = ρr c2 , 3 verknüpft.
(4.20)
Vakuumsenergie. Die Zustandsgleichung für eine Vakuumsenergie besitzt eine sehr merkwürdige Form, die sich aus dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik ergibt. Da die Energiedichte ρv des Vakuums zeitlich und räumlich konstant ist, folgt aus (4.17) sofort die Beziehung Pv = −ρv c2 .
(4.21)
Die Vakuumsenergie besitzt daher negativen Druck. Diese ungewöhnliche Form der Zustandsgleichung kann man sich auch auf folgende Weise plausibel machen: Betrachte die Änderung eines Volumens V , welches nur Vakuum enthält. Da die innere Energie U ∝ V ist, daher eine Vergrößerung um dV eine Erhöhung von U impliziert, besagt der erste Hauptsatz dU = −P dV , dass P negativ sein muss. 4.2.6 ,,Herleitung“ der Expansionsgleichung Ausgehend von der Energieerhaltungsgleichung (4.14) sind wir nun in der Lage, die Expansionsgleichungen
4.2 Ein expandierendes Universum 151
(4.18) und (4.19) herzuleiten. Zu diesem Zweck differenzieren wir beide Seiten von (4.14) nach der Zeit und erhalten 8πG 2 ρ˙ a + 2 a a˙ ρ . 2 a˙ a¨ = 3 Als Nächstes führen wir die Differentiation in (4.17) aus, und erhalten daraus ρa ˙ 2. ˙ 3 + 3ρa2 a˙ = −3Pa2 a/c Diese Relation wird nun benutzt, um in der obigen Gleichung den Term mit ρ˙ zu ersetzen; daraus folgt 4πG 3P a¨ =− ρ+ 2 . (4.22) a 3 c Diese Herleitung zeigt also, dass sich der Druckterm in der Bewegungsgleichung ergibt, wenn man die Energieerhaltung mit dem ersten Hauptsatz koppelt. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass der erste Hauptsatz in der Form (4.17) explizit auf der speziell-relativistischen Äquivalenz zwischen Materie und Energie beruht. Setzt man diese Äquivalenz aber voraus, so kann man in der Tat die Friedmann-Gleichungen aus der Newtonschen Kosmologie erhalten, wie aufgrund der Diskussion zu Beginn von Abschn. 4.2.1 zu erwarten ist. Nun betrachten wir die drei oben genannten Komponenten im Kosmos und schreiben die Dichte und den Druck als Summe von Staub, Strahlung und Vakuumsenergie, ρ = ρm + ρr + ρv = ρm+r + ρv ,
P = Pr + Pv ,
wobei wir mit ρm+r die Dichte in Materie und Strahlung zusammengefasst haben, und in der zweiten Gleichung von der Druckfreiheit des Staubes Gebrauch machten, Pm = 0, so dass Pm+r = Pr . Setzen wir nun die erste dieser Gleichungen in (4.14) ein, so ergibt sich in der Tat die erste Friedmann-Gleichung (4.18), wenn dort die Dichte ρ mit ρm+r identifiziert wird (also der Dichte in ,,normaler Materie“), und wenn ρv =
Λ . 8πG
(4.23)
Weiterhin setzen wir die obigen Zerlegungen von Dichte und Druck in die Bewegungsgleichung (4.22) ein und erhalten sofort (4.19), wenn wir dort ρ und P mit ρm+r und Pm+r = Pr identifizieren. Wir erhalten also beide Friedmann-Gleichungen aus dieser Betrachtung; die Dichte und der Druck, wie sie in den Friedmann-Gleichungen auftreten, beziehen sich
dabei auf ,,normale“ Materie, also auf sämtliche Materie mit Ausnahme des Λ-Beitrags. Alternativ kann man die Λ-Terme in den Friedmann-Gleichungen weglassen und dafür die Vakuumsenergiedichte und ihren Druck explizit in P and ρ mit aufnehmen. 4.2.7
Diskussion der Expansionsgleichungen
Nach der obigen Herleitung der Expansionsgleichungen werden wir hier die Konsequenzen dieser Gleichungen diskutieren. Dazu betrachten wir als Erstes die Entwicklung der kosmischen Dichte in den verschiedenen Komponenten; diese folgt aus (4.17). Für druckfreie Materie ergibt sich sofort ρm ∝ a−3 , in Übereinstimmung mit (4.11). Setzt man in (4.17) die Zustandsgleichung (4.20) für Strahlung ein, so ergibt sich die Abhängigkeit ρr ∝ a−4 . Die Energiedichte des Vakuums ist eine zeitliche Konstante. Daraus folgt ρm (t) = ρm,0 a−3 (t) ; ρr (t) = ρr,0 a−4 (t) ; ρv (t) = ρv = const , (4.24) wobei der Index ,,0“ den heutigen Zeitpunkt t = t0 andeutet. Die a−4 -Abhängigkeit der Strahlungsdichte hat folgende physikalische Ursache: Wie bei der Materie ändert sich die Anzahldichte der Photonen ∝ a−3 , da die Zahl der Photonen in einem mitbewegten Volumen unverändert bleibt. Allerdings werden Photonen durch die kosmische Expansion rotverschoben; sie ändern ihre Wellenlänge λ proportional zu a (siehe Abschn. 4.3.2). Da die Energie eines Photons E = h P ν beträgt (h P : Plancksches Wirkungsquantum) und ν = c/λ, ändert sich die Energie jedes Photons durch die kosmische Expansion wie a−1 , so dass die Energiedichte der Photonen sich ∝ a−4 entwickelt. In Analogie zu (4.16) definieren wir die dimensionslosen Dichteparameter für Materie, Strahlung und Vakuum, Ωm =
ρm,0 ; ρcr
Ωr =
ρr,0 ; ρcr
ΩΛ =
ρv Λ = , ρcr 3H02 (4.25)
so dass Ω0 = Ωm + Ωr + ΩΛ . Wir kennen die heutige Zusammensetzung des Universums inzwischen recht gut. Die Materiedichte von 2
der Literatur werden verschiedene Definitionen für Ω0 benutzt; oftmals wird dort die Bezeichnung Ω0 für Ωm gewählt.
2 In
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 152
Galaxien (inklusive ihrer dunklen Halos) entspricht Ωm 0.02, abhängig von der – weitestgehend unbekannten – Ausdehnung ihrer dunklen Halos. Dieser Wert ist daher eine untere Schranke für Ωm . Die Untersuchung von Galaxienhaufen, die wir in Kapitel 6 besprechen, ergibt eine untere Schranke von Ωm 0.1. In Kapitel 8 schließlich wird gezeigt, dass Ωm ∼ 0.3. Im Vergleich dazu ist die Energiedichte der Strahlung heute sehr viel kleiner. Sie wird dominiert durch die Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung und die Neutrinos aus dem frühen Universum, wie weiter unten noch erläutert wird. Für den Dichteparameter in Strahlung erhalten wir dann Ωr ∼ 4.2 × 10−5 h −2 ,
(4.26)
so dass im heutigen Universum die Energiedichte der Strahlung sehr viel geringer ist als die der Materie. Aus den Gleichungen (4.24) ergibt sich allerdings, dass das Verhältnis zwischen Materie und Strahlung zu früheren Zeiten ein anderes war, da sich ρr mit a schneller entwickelt als ρm , ρr (t) ρr,0 1 Ωr 1 = = . ρm (t) ρm,0 a(t) Ωm a(t)
(4.27)
Strahlung und Staub hatten also die gleiche Energiedichte zu einer Epoche, in der der Skalenfaktor
−1 Ωr = 4.2 × 10−5 Ωm h 2 Ωm
Geschichte, spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung der Strukturen im Universum, wie wir in Kapitel 7 noch sehen werden. Mit ρ = ρm+r = ρm,0 a−3 + ρr,0 a−4 und (4.25) kann man die Expansionsgleichung (4.18) schreiben als H 2 (t) = (4.29) 2 Kc 2 −4 −3 −2 H0 a (t)Ωr + a (t)Ωm − a (t) 2 + ΩΛ . H0 Die Spezialisierung dieser Gleichung auf heute, mit H(t0 ) = H0 und a(t0 ) = 1, liefert dann den Wert der Integrationskonstante K , 2 2 H0 H0 K= (Ω0 − 1) ≈ (Ωm + ΩΛ − 1) ; c c (4.30) diese ergibt sich also aus den Dichteparametern der Materie und des Vakuums und der oben erwähnten Tatsache Ωr Ωm . K hat die Dimension (Länge)−2 ; im Rahmen der ART wird K interpretiert als Krümmung des Universums zum heutigen Zeitpunkt, oder genauer: Der homogene, isotrope drei-dimensionale Raum zur Zeit t = t0 hat die Krümmung K . Je nach Vorzeichen von K sind die folgenden Fälle zu unterscheiden:
• Falls K = 0, ist der Raum bei einer festen Zeit t euklidisch, d. h. flach. √
• Falls K > 0, kann 1/ K als Krümmungsradius eines
betrug. Dieser Wert des Skalenfaktors, und damit verbunden die entsprechende Epoche in der kosmischen
sphärischen Raumes interpretiert werden – das zweidimensionale Analogon wäre eine Kugeloberfläche. Wie bereits in Abschn. 4.2.1 spekuliert, beträgt laut (4.30) die Größenordnung des Krümmungsradius c/H0 .
Abb. 4.6. Zwei-dimensionale Analoga zu den drei möglichen Raumkrümmungen. In einem Universum mit positiver Krümmung (K > 0) ist die Winkelsumme im Dreieck größer als
180◦ , in einem negativ gekrümmten Universum (K < 0) ist sie kleiner als 180◦ , und in einem flachen Universum ist die Winkelsumme gleich 180◦
aeq =
(4.28)
4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion 153
• Falls K < 0, nennt man den Raum hyperbolisch – das zwei-dimensionale Analogon wäre dann die Oberfläche eines Sattels (siehe Abb. 4.6). Die ART setzt also die Raumkrümmung in Zusammenhang mit der Dichte des Universums. Tatsächlich ist dies der zentrale Aspekt der ART, die die Geometrie der Raumzeit mit dem Materieinhalt verknüpft. Allerdings sagt die Einsteinsche Theorie nichts über die Topologie der Raumzeit aus, insbesondere also nicht über die Topologie des Universums.3 Falls das Universum eine einfache Topologie besitzt, dann ist es im Falle K > 0 endlich, während es für K ≤ 0 unendlich ist. In beiden Fällen aber ist es unbegrenzt (vergleiche: eine Kugeloberfläche ist zwar ein endlicher aber unbegrenzter Raum). Mit (4.29) und (4.30) erhält man schließlich die Expansionsgleichung in der Form 2 a˙ = H 2 (t) a = H02 a−4 (t)Ωr + a−3 (t)Ωm + a−2 (t)(1 − Ωm − ΩΛ ) + ΩΛ
.
(4.31)
4.3
Konsequenzen der Friedmann-Expansion
Aus den kosmischen Expansionsgleichungen ergeben sich eine Reihe direkter Konsequenzen, von denen einige hier diskutiert werden sollen. Insbesondere werden wir als erstes zeigen, dass das Universum zu einem frühen Zeitpunkt sich aus einem sehr dichten und heißen Zustand heraus entwickelt haben muss, den wir als Urknall bezeichnen. Als Nächstes werden wir den Skalenfaktor a mit einer Observablen, der Rotverschiebung, verknüpfen und dann erläutern, welche Bedeutung der Begriff ,,Entfernung“ in der Kosmologie besitzt. 3 Eine
Zylinderoberfläche ist ebenfalls ein ,,flacher Raum“, genau wie eine Ebene, da die Winkelsumme in einem Dreieck auf einem Zylinder ebenfalls 180◦ beträgt. Aber offensichtlich besitzt die Zylinderoberfläche eine andere Topologie als die Ebene, insbesondere gibt es geschlossene ,,Geraden“ – wenn man auf einem Zylinder senkrecht zu seiner Achse loswandert, käme man nach endlicher Zeit wieder an seinem Ausgangspunkt zurück.
4.3.1
Die Notwendigkeit eines Big Bang
Die Terme auf der rechten Seite von (4.31) haben unterschiedliche Abhängigkeit von a:
• Für sehr kleine a dominiert der erste Term, das Universum ist dann strahlungsdominiert.
• Für etwas größeres a aeq dominiert der zweite Term, der Staub- (oder Materie-)Term.
• Falls K = 0 wird für größere a der dritte Term do•
minieren, der auch als Krümmungsterm bezeichnet wird. Für sehr große a dominiert die kosmologische Konstante, falls diese von Null verschieden ist.
Die Differentialgleichung (4.31) kann man im Allgemeinen nicht analytisch lösen, wobei allerdings die numerische Lösung für a(t) unproblematisch ist. Wir können jedoch das Verhalten der Funktion a(t) qualitativ untersuchen und dabei die wesentlichen Aspekte der Expansion verstehen. Aus der Hubble-Expansion schließen wir, dass a(t ˙ 0 ) > 0 ist, d. h. a ist heute eine wachsende Funktion der Zeit. Die Gleichung (4.31) besagt, dass a(t) ˙ > 0 für alle Zeiten, es sei denn, die rechte Seite von (4.31) verschwindet für einen Wert von a, da sich das Vorzeichen von a˙ nur an einer Nullstelle der rechten Seite umkehren kann. Falls H 2 = 0 für einen Wert von a > 1, kommt die Expansion zum Stillstand, und danach rekollabiert das Universum. Andererseits, falls H 2 = 0 für einen Wert a = amin mit 0 < amin < 1, hatte sich bei amin das Vorzeichen von a˙ geändert; zu diesem Zeitpunkt hat sich ein kollabierendes Universum in ein expandierendes umgekehrt. Welche dieser Möglichkeiten realisiert ist, hängt von den Dichteparametern ab. Man findet im Einzelnen (siehe auch Abb. 4.7):
• Falls Λ = 0, so ist H 2 > 0 für alle a ≤ 1, während das Verhalten für a > 1 von Ωm abhängt: –
H 2 > 0 für alle a, falls Ωm ≤ 1 (bzw. K ≤ 0): Das Universum expandiert für alle Zeiten. Dieses Verhalten erwarten wir aus der Newtonschen Betrachtung, denn falls K ≤ 0, ist die kinetische Energie einer jeden Kugelschale größer als der Betrag der potentiellen Energie, d. h. die Expansionsgeschwindigkeit übersteigt die Fluchtgeschwindigkeit, und die Expansion kommt nicht zum Stillstand.
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 154
Modelle, bei denen es in der Vergangenheit einen minimalen Wert von a gegeben hat, können aber durch Beobachtungen ausgeschlossen werden (siehe Abschn. 4.3.2).
Abb. 4.7. Klassifikation der kosmologischen Modelle. Die Gerade verbindet Modelle ohne Raumkrümmung (Ωm + ΩΛ = 1), die offene (K < 0) und geschlossene (K > 0) Modelle trennt. Die beinahe horizontale Kurve trennt Modelle, die ewig expandieren, von solchen, die in ferner Zukunft rekollabieren. Modelle in der oberen linken Ecke haben eine Expansionsgeschichte, bei der a nie nahe 0 war, also keinen Big Bang hatten; bei solchen Modellen gibt es eine maximale Rotverschiebung von Quellen, die für zwei Fälle angedeutet ist. Da Ωm > 0.1 ist, und wir Quellen mit Rotverschiebungen > 6 beobachtet haben, sind diese Modelle auszuschließen
Falls Ωm > 1 (K > 0), so verschwindet H 2 für a = amax = Ωm /(Ωm − 1). Das Universum erreicht dann eine maximale Expansion bei dem Skalenfaktor amax , danach rekollabiert es wieder. Newtonsch gesprochen ist die Gesamtenergie jeder Kugelschale negativ, so dass diese gravitativ gebunden ist. Falls die Kosmologische Konstante Λ > 0, ist die Diskussion etwas komplizierter: – Falls Ωm < 1, expandiert das Universum für alle a > 1. – Hingegen hängt für Ωm > 1 der zukünftige Verlauf von a(t) von ΩΛ ab: ist nämlich ΩΛ klein genug, so gibt es wiederum ein amax , bei dem die Expansion zum Stillstand kommt und sich danach umkehrt; andernfalls, falls ΩΛ groß genug ist, findet ewige Expansion statt. – Falls ΩΛ < 1, so ist H 2 > 0 für alle a ≤ 1. – Falls jedoch ΩΛ > 1, so ist es im Prinzip möglich, dass H 2 = 0 für ein a = amin < 1. Solche
Bis auf den letzten Fall, der ausgeschlossen werden kann, kommen wir also zu dem Ergebnis, dass a zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit wenigstens formal den Wert a = 0 angenommen haben muss. Zu diesem Zeitpunkt war die ,,Größe des Universums“ verschwindend klein. Für a → 0 divergiert sowohl die Materiedichte als auch die Strahlungsdichte, so dass dieser Zustand eine singuläre Dichte besitzen muss. Den Zeitpunkt mit a = 0, und die Entwicklung aus diesem Zustand heraus, nennt man den Urknall oder Big Bang. Diesen Zeitpunkt (a = 0) wählt man zweckmäßigerweise als Ursprung der Zeit, so dass t mit dem Weltalter zu identifizieren ist, der Zeit seit dem Big Bang. Wie noch gezeigt wird, sind die Vorhersagen des Big Bang-Modells in beeindruckender Weise mit den Beobachtungen in Übereinstimmung. Für den speziellen Fall verschwindender Vakuumsenergie ist die Expansionsgeschichte in Abb. 4.8 für drei Werte der Krümmung skizziert.
–
•
Abb. 4.8. Der Skalenfaktor a(t) als Funktion der kosmischen Zeit t, für drei Modelle mit verschwindender Kosmologischer Konstante, ΩΛ = 0. Geschlossene Modelle (K > 0) errreichen ein Maximum der Expansion und rekollabieren danach. Offene Modelle (K ≤ 0) expandieren dagegen ewig, und das Einstein–de-Sitter-Modell mit K = 0 trennt diese beiden Fälle voneinander. In allen Fällen geht der Skalenfaktor in der Vergangenheit gegen Null; dieser Zeitpunkt wird als Urknall bezeichnet und definiert den Ursprung der Zeitachse
4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion 155
Um zu charakterisieren, ob die Expansion des Universums heute abgebremst wird oder aber gar beschleunigt stattfindet, definiert man den Abbremsparameter q0 := −a¨ a/a˙2 ,
(4.32)
wobei die rechte Seite bei t = t0 zu berechnen ist. Mit (4.19) und (4.31) folgt q0 = Ωm /2 − ΩΛ .
(4.33)
Für den Fall ΩΛ = 0 ist q0 > 0, a¨ < 0, d. h. die Expansion wird abgebremst, wie das ja auch aufgrund der Gravitation erwartet wird. Falls jedoch ΩΛ genügend groß ist, kann der Abbremsparameter negativ werden und sich daher die Expansion des Universums beschleunigen. Dieses der Intuition widersprechende Verhalten liegt natürlich in dem negativen Druck der Vakuumsenergie begründet. Nur ein negativer Druck kann zu einer beschleunigten Expansion führen – genauer gesagt lesen wir aus (4.22) ab, dass P < −ρc2 /3 sein muss, damit a¨ > 0 sein kann. In der Tat glauben wir heute, dass das Universum sich zur Zeit beschleunigt ausdehnt, daher also die Kosmologische Konstante deutlich von Null verschieden ist. Weltalter. Das Weltalter bei einem gegebenen Skalenfaktor a folgt aus dt = da(da/dt)−1 = da/(a H). Diese Relation kann nun integriert werden, 1 t(a) = H0
a
da a−2 Ωr + a−1 Ωm
0
+ (1 − Ωm − ΩΛ ) + a2 ΩΛ
(4.34) −1/2
,
wobei der Beitrag der Strahlung für a aeq vernachlässigt werden kann, denn dieser ist nur relevant für sehr kleine a, daher nur für einen sehr kleinen Bruchteil der kosmischen Zeit. Um das heutige Weltalter t0 zu erhalten, setzt man a = 1 in (4.34). Für Modelle mit verschwindender Raumkrümmung K = 0 und solche mit Λ = 0 ist t0 als Funktion von Ωm in Abb. 4.9 dargestellt. Das qualitative Verhalten der kosmologischen Modelle ist charakterisiert durch die Dichteparameter Ωm und ΩΛ , während die Hubble-Konstante H0 ,,nur“ ein Skalierungsfaktor ist. Heute werden hauptsächlich zwei Familien von Modellen betrachtet:
Abb. 4.9. Oben: Skalenfaktor a(t) als Funktion der kosmischen Zeit, hier skaliert als (t − t0 )H0 , für ein Einstein– de-Sitter-Modell (Ωm = 1, ΩΛ = 0, gepunktete Kurve), ein offenes Universum (Ωm = 0.3, ΩΛ = 0; gestrichelte Kurve), und ein flaches Universum kleiner Dichte (Ωm = 0.3, ΩΛ = 0.7; durchgezogene Kurve). Zum heutigen Zeitpunkt ist t = t0 und a = 1. Unten: Weltalter in Einheiten der HubbleZeit H0−1 für flache Weltmodelle mit K = 0 (Ωm + ΩΛ = 1, durchgezogene Kurve) und solche mit verschwindender kosmologischer Konstanten (gestrichelter Kurve); man sieht, dass für flache Universen mit kleinem Ωm (also großem ΩΛ = 1 − Ωm ) t0 deutlich größer als H0−1 sein kann
• Modelle ohne kosmologische Konstante, Λ = 0; die
•
Schwierigkeit, einen ,,vernünftigen“ Wert für Λ aus der Teilchenphysik zu begründen, ist in manchen Fällen Grund genug zur Annahme, dass die Vakuumsenergie exakt verschwindet. Allerdings gibt es sehr starke Hinweise darauf, dass tatsächlich Λ = 0. Modelle, für die Ωm + ΩΛ = 1, d. h. K = 0. Diese ,,flachen“ Modelle werden von sog. Inflationären Modellen bevorzugt, die wir etwas weiter unten andiskutieren werden.
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 156
• Ein Spezialfall ist das Einstein–de-Sitter-Modell, •
Ωm = 1, ΩΛ = 0; für dieses ist t0 = 2/(3H0 ) ≈ 6.7 h −1 × 109 yr. Für viele Weltmodelle ist t0 größer als das Alter der ältesten Sternhaufen und daher kompatibel mit deren Altersbestimmung; das Einstein–de-Sitter-Modell ist allerdings nur dann mit dem Sternalter verträglich, wenn H0 sehr klein wäre.
Die Werte der kosmologischen Parameter sind inzwischen recht gut bekannt; wir werden sie hier ohne weitere Diskussion als Referenz angeben und ihre Bestimmung im weiteren Verlauf dieses Kapitels bzw. in Kapitel 8 diskutieren. Die Werte sind etwa Ωm ∼ 0.3 ; ΩΛ ∼ 0.7 ; h ∼ 0.7 .
(4.35)
man H da dλ dv = = dr = H dt = . (4.36) λ c c a Die Relation dλ/λ = da/a kann nun leicht integriert werden, denn offensichtlich besitzt die Gleichung dλ/da = λ/a die Lösung λ = Ca, wobei C eine Konstante ist. Diese wird bestimmt durch die Wellenlänge λobs des Lichtes, die wir heute (d. h. bei a = 1) beobachten, so dass λ(a) = a λobs
(siehe Abb. 4.10). Die Wellenlänge bei der Emission beträgt dann λe = a(te )λobs . Andererseits ist die Rotverschiebung z definiert als (1 + z) = λobs /λe . Daraus ergibt sich nun der gesuchte Zusammenhang 1+z =
4.3.2
Die Rotverschiebung
Das Hubble-Gesetz beschreibt einen Zusammenhang zwischen der Rotverschiebung, oder der radialen Komponente der Relativgeschwindigkeit, und der Entfernung eines Objekts von uns. Weiterhin besagt (4.6), dass jeder Beobachter ein lokales Hubble-Gesetz beobachtet, wobei die Expansionsrate H(t) von der kosmischen Epoche abhängt. Wir wollen nun einen Zusammenhang herleiten zwischen der Rotverschiebung einer Quelle, die direkt beobachtet werden kann, und der kosmischen Zeit t bzw. dem Skalenfaktor a(t), an dem eine Quelle das Licht emittiert hat, welches wir heute beobachten. Dazu betrachten wir einen Lichtstrahl, der uns heute erreicht. Entlang dieses Lichtstrahls stellen wir uns fiktive Beobachter vor. Wir parametrisieren diesen Lichtstrahl mit der kosmischen Zeit t, und zu einer Epoche te sei er von einer Quelle emittiert worden. Zwei mitbewegte Beobachter entlang dieses Lichtstrahls mit relativer Entfernung dr voneinander sehen ihre relative Bewegung aufgrund der kosmischen Expansion entsprechend (4.6), dv = H(t) dr, und messen sie als Rotverschiebung des Lichtes, dλ/λ = dz = dv/c. Das Licht benötigt die Zeit dt = dr/c, um vom einen zum anderen Beobachter zu gelangen. Weiterhin ergibt sich aufgrund der Definition des Hubble-Parameters, a˙ = da/dt = H a, der Zusammenhang dt = da/(H a). Verknüpft man nun diese Beziehungen, so findet
(4.37)
1 a
(4.38)
zwischen der Observablen z und dem Skalenfaktor a, der über (4.34) mit der kosmischen Zeit verknüpft ist. Die gleiche Relation kann man ebenfalls aus der Betrachtung von Lichtstrahlen in der ART herleiten. Die Beziehung zwischen Rotverschiebung und Skalenfaktor ist von ganz entscheidender Bedeutung für die Kosmologie, denn die Rotverschiebung ist für die meisten weit entfernten Quellen die einzige Entfernungsinformation, die wir messen können. Falls der Skalenfaktor eine monotone Funktion der Zeit ist, d. h. falls die rechte Seite von (4.31) für alle a ∈ [0, 1] von Null verschieden ist, so ist auch z monoton in t. In diesem Fall (und der entspricht dem Universum, in dem wir leben) sind a, t und z gleich gute Maße für die Entfernung einer Quelle von uns.
Abb. 4.10. Aufgrund der kosmischen Expansion werden Photonen rotverschoben, d. h. ihre Wellenlänge, gemessen von einem mitbewegten Beobachter, wächst mit dem Skalenfaktor a an
4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion 157
Lokales Hubble-Gesetz. Für nahe Quellen gilt das Hubble-Gesetz: Aus (4.8) und v ≈ zc folgt z=
H0 hD D≈ für z 1 , c 3000 Mpc
(4.39)
wobei D die Entfernung einer Quelle mit Rotverschiebung z ist. Diese entspricht einer Lichtlaufzeit von Δt = D/c. Andererseits ist aufgrund der Definition des Hubble-Parameters Δa = (1 − a) ≈ H0 Δt, wobei a der Skalenfaktor zur Zeit t0 − Δt ist, und wir haben a(t0 ) = 1 und H(t0 ) = H0 benutzt. Daraus folgt D = (1 − a)c/H0 . Unter Benutzung von (4.39) findet man nun z = 1 − a, oder a = 1 − z, was in linearer Näherung mit (4.38) übereinstimmt, da (1 + z)−1 = 1 − z + O(z 2 ). Wir folgern also, dass die allgemeine Relation (4.38) das lokale Hubble-Gesetz als Spezialfall enthält. Energiedichte in Strahlung. Eine weitere Konsequenz von (4.38) ist die Abhängigkeit der Strahlungsdichte vom Skalenparameter. Wie bereits erwähnt ist die Anzahldichte der Photonen ∝ a−3 , wenn wir annehmen, dass Photonen weder erzeugt noch vernichtet werden. Anders ausgedrückt, die Anzahl der Photonen in einem mitbewegten Volumenelement ist dann konstant. Aufgrund von (4.38) ändert sich die Frequenz ν eines Photons durch die kosmische Expansion, und da die Energie eines Photons ∝ ν ist, E γ = h P ν ∝ 1/a, nimmt die Energiedichte der Photonen ab wie ρr ∝ n E γ ∝ a−4 . Daher folgt aus (4.38) das Resultat (4.24). Kosmischer Mikrowellenhintergrund. Wenn wir annehmen, dass das Universum zu einem Zeitpunkt t1 eine Schwarzkörperstrahlung der Temperatur T1 enthalten hat, so kann man mittels der Relation (4.38) die Entwicklung dieser Photonenpopulation mit der Zeit untersuchen. Dazu sei daran erinnert, dass die Planck-Funktion Bν (A.13) die Strahlungsenergie einer Schwarzkörperstrahlung angibt, die pro Sekunde, Einheitsfläche, Frequenzintervall und Einheitsraumwinkel durch eine Fläche tritt. Daraus ergibt sich die Anzahldichte d Nν von Photonen im Frequenzintervall zwischen ν und ν + dν als d Nν 4π Bν 8πν2 1 = = 3 . dν c hPν c exp h P ν − 1 kB T1
(4.40)
Zu einem späteren Zeitpunkt t2 > t1 hat sich das Universum um einen Faktor a(t2 )/a(t1 ) ausgedehnt. Ein Beobachter bei t2 sieht daher die Photonen um einen Faktor (1 + z) = a(t2 )/a(t1 ) rotverschoben, d. h. ein Photon mit der Frequenz ν bei t1 wird dann mit der Frequenz ν = ν/(1 + z) gemessen. Das ursprüngliche Frequenzintervall dν transformiert sich entsprechend zu dν = dν/(1 + z). Die Anzahldichte der Photonen nimmt mit der dritten Potenz des Skalenfaktors ab, so dass d Nν = d Nν /(1 + z)3 . Zusammen ergibt sich daher für die Anzahldichte d Nν von Photonen im Frequenzintervall zwischen ν und ν + dν d Nν d Nν /(1 + z)3 = dν dν/(1 + z) 1 8π(1 + z)2 ν 2 1 = 2 h P (1+z)ν (1 + z) c3 −1 exp kB T1 =
8πν 2 1 , c3 exp h P ν − 1 kB T2
(4.41)
wobei im letzten Schritt T2 = T1 /(1 + z) gesetzt wurde. Die Verteilung (4.41) hat die gleiche Form wie (4.40), nur mit einer um den Faktor (1 + z)−1 reduzierten Temperatur. Falls sich zu einem früheren Zeitpunkt eine Planck-Verteilung der Photonen eingestellt hat, so bleibt diese während der kosmischen Expansion erhalten. Der CMB ist, wie wir oben gesehen haben, eine solche Schwarzkörper-Strahlung mit einer Temperatur von heute T0 = TCMB ≈ 2.73 K. Wie wir weiter unten zeigen werden, stammt diese Strahlung aus der Frühphase des Kosmos. Daher ist es sinnvoll, von der ,,Temperatur des Universums“ als Funktion der Rotverschiebung zu sprechen; diese beträgt T(z) = T0 (1 + z) = T0 a−1 ,
(4.42)
d. h. das Universum war früher heißer als heute. Für die Energiedichte eines Planck-Spektrums gilt ρr = aSB T 4 ≡
π 2 kB4 153 c3
T4 ,
(4.43)
so dass sich ρr in Übereinstimmung mit (4.24) wie (1 + z)4 = a−4 verhält.
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 158
Ganz allgemein kann man zeigen, dass die spezifische Intensität Iν sich durch Rotverschiebung verändert entsprechend I Iν = ν 3 ; 3 ν (ν )
(4.44)
dabei ist Iν die spezifische Intensität heute bei der Frequenz ν, und Iν ist die spezifische Intensität bei der Rotverschiebung z bei der Frequenz ν = (1 + z)ν. Abschließend sei noch einmal betont, dass sich mit (4.38) alle Relationen sowohl als Funktion von a als auch von z schreiben lassen. Beispielsweise erhält man das Weltalter als Funktion von z durch Ersetzung der oberen Integrationsschranke, a → (1 + z)−1 , in (4.34). Die Notwendigkeit eines Big Bangs. In Abschn. 4.3.1 hatten wir diskutiert, dass der Skalenfaktor irgendwann in der Vergangenheit den Wert a = 0 angenommen hatte. Bei dieser Argumentation, die zwangsläufig auf die Notwendigkeit eines Urknalls hinausläuft, blieb noch eine Lücke bestehen, nämlich die Möglichkeit, dass zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit a˙ = 0 war, das Universum dort also von einem kollabierenden in einen expandierenden Zustand überging. Diese Möglichkeit ist nur dann gegeben, wenn ΩΛ > 1 ist und der Dichteparameter in Materie genügend klein ist (siehe Abb. 4.7). In diesem Fall nimmt a in der Vergangenheit einen minimalen Wert ein. Dieser hängt sowohl von Ωm als auch von ΩΛ ab. Beispielsweise ist für Ωm > 0.1 der Wert amin > 0.3. Da jedoch ein minimaler Wert für a eine maximale Rotverschiebung implizieren würde, z max = 1/amin − 1, wir inzwischen Quasare und Galaxien mit z > 6 beobachtet haben, und der Dichteparameter Ωm > 0.1 ist, ist ein solches Modell ohne Big Bang ausgeschlossen.
4.3.3
Entfernungen in der Kosmologie
In den vorangegangenen Abschnitten wurden mehrere Entfernungsmaße diskutiert. Aufgrund der Monotonie der auftretenden Funktionen bilden a, t, oder z jeweils eine Möglichkeit, Objekte nach ihrer Entfernung zu ordnen. Ein Objekt mit höherer Rotverschiebung z 2 ist weiter entfernt als eines mit z 1 < z 2 , in dem Sinne, dass Licht einer Quelle bei z 2 von Gas in einem Objekt bei z 1 absorbiert werden kann, aber nicht umgekehrt.
Das Objekt mit Rotverschiebung z 1 steht zwischen uns und dem Objekt bei z 2 . Je weiter eine Quelle von uns weg ist, umso länger braucht das Licht, um zu uns zu gelangen, umso früher wurde es emittiert, umso kleiner ist a, umso größer ist z. Da z als einzige dieser Größen direkt beobachtbar ist, werden Entfernungen in der extragalaktischen Astronomie fast immer durch z ausgedrückt. Aber wie kann man eine Rotverschiebung in eine Entfernung übersetzen, die die Dimension einer Länge besitzt? Anders gefragt, wie viele Megaparsec ist eine Quelle der Rotverschiebung z = 2 von uns entfernt? Die Antwort darauf ist komplizierter, als die Frage suggeriert. Für sehr kleine Rotverschiebungen kann man die lokale Hubble-Relation (4.39) benutzen, doch die gilt nur für z 1. In euklidischen Räumen ist die Entfernung zwischen zwei Punkten eindeutig definiert, und es gibt mehrere ,,Messvorschriften“, diese Entfernung zu bestimmen. Zwei Beispiele sollen hier genannt werden. Eine Kugel mit Radius R im Abstand D nimmt einen Raumwinkel ω = πR2 /D2 ein. Kennt man den Radius, so kann man D mittels dieser Relation messen. Als Zweites betrachten wir eine Quelle mit Leuchtkraft L im Abstand D, deren Fluss dann S = L/(4πD2 ) ist. Wiederum kann man bei bekannter Leuchtkraft die Entfernung aus dem Fluss ermitteln. Wenn man etwa mit diesen beiden Methoden die Entfernung zur Sonne bestimmen würde, kämen innerhalb der Messgenauigkeit die gleichen Werte für die Entfernung heraus – so sind diese beiden Messvorschriften ja auch definiert worden. In nicht-euklidischen Räumen wie etwa unserem Universum ist das nicht länger der Fall. Die Äquivalenz verschiedener Entfernungsmaße wurde nur im euklidischen Raum sichergestellt, und es gibt daher keinen Grund, die Gültigkeit dieser Äquivalenz in einer gekrümmten Raumzeit zu erwarten. In der Kosmologie benutzt man die gleichen Messvorschriften für ,,Entfernung“ wie im euklidischen Raum, jedoch ergeben die verschiedenen Definitionen unterschiedliche Ergebnisse. Die beiden wichtigsten Entfernungsdefinitionen sind:
• Winkelentfernung (angular-diameter distance): Wie oben betrachte man eine Quelle mit Radius R, beobachtet unter dem Raumwinkel ω; dann definiert man
4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion 159
die Winkelentfernung als DA (z) =
R2 π ω
Mattig-Relation DA (z) =
.
(4.45)
• Leuchtkraftentfernung (luminosity distance): Wir betrachten eine Quelle mit Leuchtkraft L und Fluss S und definieren deren Leuchtkraftentfernung als DL (z) =
L . 4π S
(4.46)
Diese Entfernungen stimmen lokal (für z 1) überein (auf kleinen Skalen macht sich die Krümmung der Raumzeit nicht bemerkbar). Weiterhin sind sie eindeutige Funktionen der Rotverschiebung. Diese kann man explizit berechnen, allerdings benötigt man dazu einige Werkzeuge der ART, die uns hier nicht zur Verfügung stehen. Die Entfernungs-RotverschiebungsRelationen hängen von den kosmologischen Parametern ab; Abb. 4.11 zeigt die Winkelentfernung für verschiedene Modelle. Für Λ = 0 ergibt sich die berühmte
c 2 (4.47) 2 H0 Ωm (1 + z)2 × Ωm z + (Ωm − 2) 1 + Ωm z − 1 .
Insbesondere ist DA nicht notwendigerweise eine monotone Funktion von z. Um diesen Aspekt besser zu verstehen, betrachten wir die Geometrie auf einer Kugeloberfläche. Zwei Großkreise auf der Erde sollen sich am Nordpol unter dem Winkel ϕ 1 schneiden – es sind also Längenkreise. Wir können nun die Entfernung L zwischen den beiden Großkreisen als Funktion der Entfernung vom Nordpol messen, welches die Länge der auf beiden Großkreisen senkrecht stehenden Verbindungslinie ist. Die Entfernung D vom Nordpol wird gemessen als Strecke entlang eines der beiden Großkreise. Wenn θ die geographische Breite ist (θ = π/2 am Nordpol, θ = −π/2 am Südpol), so findet man L = Rϕ cos θ, wobei R den Erdradius bezeichnet. L verschwindet am Nordpol, wird maximal am Äquator (wo θ = 0) und wird am Südpol wieder Null – klar, da sich die beiden Längenkreise dort ebenfalls schneiden. Weiterhin ist D = R(π/2 − θ), z. B. ist die Entfernung zum Äquator D = Rπ/2, ein Viertel des Erdumfangs. Lösen wir die letzte Relation nach θ auf, so ergibt sich für den Abstand L = Rϕ cos(π/2 − D/R) = Rϕ sin(D/R). Als Winkelentfernung auf der Erdoberfläche definieren wir nun DA (D) = L/ϕ = R sin(D/R), in völliger Analogie zu der obigen Definition. Daraus ergibt sich, dass für Werte von D, die sehr viel kleiner sind als der Krümmungsradius R der Kugel, DA ≈ D gilt, für größere D allerdings weicht DA erheblich von D ab. Insbesondere ist DA keine monotone Funktion von D, sondern erreicht für D = πR/2 ein Maximum. Ganz allgemein gilt für den Zusammenhang zwischen Winkelentfernung und Leuchtkraftentfernung die Relation DL (z) = (1 + z)2 DA (z) .
Abb. 4.11. Winkelentfernung gegen Rotverschiebung für verschiedene Kosmologien. Durchgezogene Kurven zeigen Modelle ohne Vakuumenergie; gestrichelte Kurven zeigen flache Modelle mit Ωm + ΩΛ = 1. Für beide Fälle werden Resultate für Ωm = 1, 0.3, und 0 gezeigt
(4.48)
Vielleicht stellt sich der Leser nun die Frage, welche dieser Entfernungen denn nun die richtige sei. Die Frage ist allerdings nicht sinnvoll, es gibt nicht die Entfernung, sondern man muss in der Kosmologie die oben definierten Messvorschriften beachten. Die Wahl einer Entfernungsdefinition hängt davon ab, wozu diese Entfernung benutzt werden soll. Will man
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 160
etwa den Durchmesser einer Quelle aus dem beobachteten Winkeldurchmesser berechnen, benötigt man die Winkelentfernung, denn so ist sie ja definiert. Will man hingegen aus der Rotverschiebung und der beobachteten Helligkeit einer Quelle deren Leuchtkraft bestimmen, muss man die Leuchtkraftentfernung anwenden. Aufgrund der Definition der Winkelentfernung (Länge/Winkeldurchmesser) sind dies die relevanten Entfernungen, die in der Gravitationslinsengleichung (3.48) auftauchen. Eine Aussage der Art, dass sich eine Quelle ,,im Abstand von 3 Milliarden Lichtjahren“ von uns befindet, ist inhaltslos, solange nicht dazu gesagt wird, um welche Entfernung es sich denn nun handelt. In der Abb. 4.12 ist ein Hubble-Diagramm dargestellt, das sich bis zu großen Rotverschiebungen erstreckt, wobei hier die hellsten Galaxien in Galaxienhaufen als angenäherte Standardkerzen benutzt wurden. Für konstant angenommene intrinsische Leuchtkraft
dieser Galaxien ist die scheinbare Helligkeit ein Maß für die Entfernung, wobei die Leuchtkraftentfernung DL (z) zur Berechnung des Flusses als Funktion der Rotverschiebung benutzt werden muss. Wir stellen hier ohne Herleitung kurz einige Ausdrücke zusammen, die man für die Berechnung von Entfernungen in allgemeinen Friedmann-LemaîtreModellen benötigt. Dazu definieren wir zunächst die Funktion ⎧ √ √ ⎪ K>0 ⎨ 1/ K sin( K x) f K (x) = x K =0 , ⎪ √ ⎩ √ 1/ −K sinh( −K x) K < 0 wobei K der Krümmungsskalar (4.30) ist. Die mitbewegte radiale Entfernung x einer Quelle bei der Rotverschiebung z lässt sich berechnen aus dx = a−1 dr = −a−1 c dt = −c da/(a2 H), und daher mit (4.31) c (4.49) x(z) = H0 1 da × . aΩm + a2 (1 − Ωm − ΩΛ ) + a4 ΩΛ (1+z)−1
Die Winkelentfernung ist dann gegeben als 1 f K [x(z)] (4.50) 1+z und kann somit für alle Rotverschiebungen und kosmologische Parameter durch (i. A. numerische) Integration von (4.49) berechnet werden. Die Leuchtkraftentfernung ergibt sich dann aus (4.48). Die Winkelentfernung zu einer Quelle bei Rotverschiebung z 2 , wie sie von einem Beobachter der Rotverschiebung z 1 < z 2 gemessen würde, lautet 1 DA (z 1 , z 2 ) = f K [x(z 2 ) − x(z 1 )] . (4.51) 1 + z2 Dies ist die Entfernung, die in den Gleichungen der Gravitationslinsentheorie als Dds benötigt wird. Insbesondere gilt DA (z 1 , z 2 ) = DA (z 2 ) − DA (z 1 ). DA (z) =
Abb. 4.12. Ein modernes Hubble-Diagramm: Für mehrere Galaxienhaufen ist die scheinbare K-Band-Helligkeit der hellsten Haufengalaxie gegen die Fluchtgeschwindigkeit, gemessen als Rotverschiebung z = Δλ/λ, aufgetragen (Punkte). Falls diese Galaxien alle die gleiche Leuchtkraft besitzen, ist die scheinbare Helligkeit ein Maß ihrer Entfernung. Für kleine Rotverschiebungen zeigen die Kurven das lineare Hubble-Gesetz (4.9), bei denen z ≈ v/c gilt, während bei größeren Rotverschiebungen Modifikationen dieses Gesetzes notwendig werden. Die durchgezogene Kurve entspricht einer konstanten Leuchtkraft der Galaxien bei allen Rotverschiebungen, während die beiden anderen Kurven Entwicklungseffekte der Leuchtkraft berücksichtigen, entsprechend den Modellen der Populationssynthese (Abschn. 3.9), wobei zwei unterschiedliche Epochen der Sternentstehung in diesen Galaxien angenommen wurden. Diesem Diagramm liegt ein kosmologisches Modell mit Abbremsparameter q0 = 0 zugrunde (siehe 4.33)
4.3.4
Spezialfall: Das Einstein–de-Sitter-Modell
Zum Abschluss dieses Abschnitts wollen wir ein spezifisches Modell des Universums kurz etwas genauer
4.4 Thermische Geschichte des Universums 161
betrachten, nämlich ein Modell mit ΩΛ = 0 und verschwindender Krümmung, K = 0, so dass Ωm = 1 (wir vernachlässigen hier die Strahlungskomponente, die ja nur zu sehr frühen Zeiten, also bei kleinem a, zur Expansion wesentlich beiträgt). Dieses Modell heißt Einstein–de-Sitter-(EdS)-Universum. Lange Zeit war dies das bevorzugte Modell der Kosmologen, weil die Inflation (siehe Abschn. 4.5.3) K = 0 vorhersagt und weil ein endlicher Wert der Kosmologischen Konstante als ,,unnatürlich“ galt. Inzwischen wissen wir, dass Λ = 0, wir leben also nicht in einem EdS-Universum. Dennoch gibt es mindestens einen guten Grund, dieses Modell etwas näher zu betrachten, da sich mit diesen Parametern die Gleichungen der Expansion vereinfachen und man einfache, explizite Ausdrücke für die oben eingeführten Größen angeben kann. Diese erlauben dann Abschätzungen, die für andere Modellparameter nur mittels numerischer Integration möglich sind. Die resultierende Expansionsgleichung a˙ = H0 a−1/2 kann leicht gelöst werden, indem wir ansetzen a = (Ct)β . Einsetzen in die Gleichung liefert die Lösung 3 H0 t 2/3 . (4.52) a(t) = 2 Das Weltalter ergibt sich daraus, indem wir a = 1 setzen, zu t0 = 2/(3H0 ). Das gleiche Ergebnis erhält man auch sofort aus (4.34), wenn man dort die Parameter auf die eines EdS-Modells spezialisiert. Mit H0 ≈ 70 km s−1 Mpc−1 ergibt sich ein Wert von etwa 10 Gyr, etwas zu klein, um mit dem Alter der ältesten Sternhaufen kompatibel zu sein. Die Winkelentfernung (4.45) im EdS-Universum erhält man durch Spezialisierung der Mattig-Relation (4.38) auf Ωm = 1 als 2c 1 1 DA (z) = 1− √ , H0 (1 + z) 1+z 2c 1 DL (z) = (1 + z) 1 − √ , (4.53) H0 1+z wobei im letzten Schritt (4.48) benutzt wurde.
4.3.5
Zusammenfassung
Nach diesen beiden längeren Abschnitten sollen die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengestellt werden:
• Beobachtungen sind verträglich damit, dass un-
•
•
•
•
ser Universum auf großen Skalen um uns herum isotrop und homogen ist. Das kosmologische Prinzip postuliert die Homogenität und Isotropie des Universums. Die Allgemeine Relativitätstheorie erlaubt homogene und isotrope Weltmodelle. In ihrer Sprache liest sich das kosmologische Prinzip so: ,,Es gibt eine Familie von Lösungen der Einsteinschen Feldgleichung, so dass eine Schar von mitbewegten Beobachtern die gleiche Geschichte des Universums sehen; für jeden von diesen ist das Universum isotrop.“ Die Form dieser Friedmann-Lemaître-Weltmodelle ist charakterisiert durch den Dichteparameter Ωm und die Kosmologische Konstante ΩΛ , die Größe durch die Hubble-Konstante H0 . Die kosmologischen Parameter bestimmen die Expansionsrate des Universums als Funktion der Zeit. Der Skalenfaktor a(t) des Universums ist eine bis heute monoton ansteigende Funktion; das Universum war früher kleiner, dichter und heißer. Es muss einen Zeitpunkt gegeben haben, wo a → 0, genannt Big Bang. Die Zukunft der Expansion hängt von Ωm und ΩΛ ab. Die Expansion des Universums bedingt eine Rotverschiebung von Photonen; je weiter eine Quelle von uns entfernt ist, umso stärker werden deren Photonen rotverschoben.
4.4
Thermische Geschichte des Universums
Wegen T ∝ (1 + z) – siehe (4.42) – war das Universum früher heißer. Beispielsweise betrug die Temperatur bei der Rotverschiebung z = 1100 etwa T ∼ 3000 K, und bei noch höherer Rotverschiebung, z = 109 , betrug T ∼ 3 × 109 K, also mehr als im Innern von Sternen. Man kann daher energetische Prozesse wie etwa Kernfusion im frühen Universum erwarten. In diesem Abschnitt sollen die wesentlichen Prozesse im frühen Universum beschrieben werden. Dabei werden wir annehmen, dass die Naturgesetze sich zeitlich nicht geändert haben. Dies ist bei weitem keine triviale Annahme – nichts garantiert uns, dass Wirkungsquerschnitte der Kernphysik vor 13 Milliarden Jahren die
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 162
gleichen waren wie heute. Falls sie sich aber in dieser Zeit geändert haben sollten, bietet die Kosmologie die einzige Möglichkeit, dies herauszufinden. Ausgehend von der Annahme der zeitlich unveränderten physikalischen Gesetze werden wir die Konsequenzen des im letzten Abschnitt entwickelten Big Bang-Modells studieren und diese dann mit Beobachtungen vergleichen. Nur dieser Vergleich ist in der Lage, den Erfolg des Modells zu überprüfen. Diesem Abschnitt seien noch einige Bemerkungen vorangeschickt. (1) Temperatur und Energie lassen sich ineinander umrechnen, da kB T die Dimension einer Energie hat. Wir benutzen dafür das Elektronenvolt, abgekürzt eV, und benutzen zur Umrechnung 1 eV = 1.1605 × 104 kB K. Man kann die Temperatur also in Energieeinheiten angeben, wovon wir unten auch häufig Gebrauch machen werden. (2) Die Elementarteilchen-Physik ist für Energien unterhalb ∼ 1 GeV sehr gut verstanden. Für sehr viel höhere Energien sind unsere Kenntnisse der Physik deutlich unsicherer. Wir beginnen die Beschreibung der thermischen Geschichte des Kosmos daher bei Energien unterhalb von 1 GeV. (3) Die statistische Physik und Thermodynamik von Elementarteilchen wird durch die Quantenmechanik beschrieben. Dabei unterscheidet man zwischen Bosonen, Teilchen mit ganzzahligem Spin (wie z. B. dem Photon) und Fermionen, Teilchen mit halbzahligem Spin (wie z. B. Elektronen, Protonen und Neutrinos). (4) Wenn Teilchen sich im thermodynamischen und chemischen Gleichgewicht befinden, ist ihre Anzahldichte und ihre Energieverteilung allein durch die Temperatur gegeben – z. B. ist die Planck-Verteilung (A.13), und daher auch die Energiedichte der Photonen (4.43), allein eine Funktion von T . Die notwendige Bedingung für das Erreichen eines chemischen Gleichgewichts ist die Möglichkeit, dass Teilchen erzeugt und vernichtet werden können, wie etwa bei der e+ -e− -Paarerzeugung und -Vernichtung (Annihilation). 4.4.1
Expansion in strahlungsdominierter Phase
Wie oben erwähnt – siehe (4.28) – ist im frühen Universum, d. h. für Rotverschiebungen z z eq , mit
−1 z eq = aeq − 1 ≈ 23 900 Ωm h 2 ,
(4.54)
die Energiedichte der Strahlung dominant. Diese ist ρr ∝ T 4 , wobei der Vorfaktor von der Anzahl der relativistischen Teilchensorten (das sind solche, für die kB T mc2 gilt) abhängt. Wegen T ∝ 1/a und daher ρr ∝ a−4 dominiert dann die Strahlung in der Expansionsgleichung (4.18). Diese kann gelöst werden, indem man ein Potenzgesetz ansetzt, a(t) ∝ t β , und dies in die Expansionsgleichung einsetzt. Daraus erhält man 3 1/2 a∝t , t= , t ∝ T −2 32πGρ in strahlungsdominierter Phase , (4.55) wobei die Proportionalitätskonstante wiederum von der Anzahl der relativistischen Teilchensorten abhängt. Da unter der Annahme des thermodynamischen Gleichgewichts diese bekannt ist, ist der Verlauf der frühen Expansion durch (4.55) eindeutig gegeben. Dies ist dadurch begründet, dass für frühe Zeitpunkte weder der Krümmungsterm noch die Kosmologische Konstante eine Rolle spielen, denn diese machen sich erst in der späteren Phase der kosmischen Entwicklung bemerkbar.
4.4.2
Entkopplung der Neutrinos
Wir beginnen unsere Betrachtung des Universums bei einer Temperatur von T ≈ 1012 K, entsprechend ∼ 100 MeV. Diese Energie kann verglichen werden mit den Ruhemassen verschiedener Teilchen: Proton, m p = 938.3 MeV/c2 , Neutron, m n = 939.6 MeV/c2 , Elektron, m e = 511 keV/c2 , Myon, m μ = 140 MeV/c2 . Protonen und Neutronen (also die Baryonen) sind zu schwer, als dass sie bei der betrachteten Temperatur erzeugt werden könnten. Daher müssen alle Baryonen, die es heute gibt, damals schon vorhanden gewesen sein. Auch Paare von Myonen können nicht mehr effizient in der Reaktion γ + γ → μ+ + μ− erzeugt werden, da die
4.4 Thermische Geschichte des Universums 163
Temperatur, und somit die typischen Photonenenergien, nicht groß genug sind. Die Myonen sind instabil und zerfallen in Elektronen (bzw. Positronen) und Neutrinos. Bei der betrachteten Temperatur sind also folgende relativistische Teilchensorten vorhanden: Elektronen und Positronen, Photonen, Neutrinos und ihre Antiteilchen. Diese tragen zur Strahlungsdichte ρr bei. Die Masse der Neutrinos ist nicht genau bekannt, aber seit kurzem wissen wir, dass sie eine sehr kleine, aber endliche Ruhemasse besitzen. Wie in Abschn. 8.7 erläutert wird, kann man aus der Kosmologie sehr scharfe Grenzen an die Neutrinomasse erhalten, die z. Zt. bei unterhalb 1 eV liegen. Für die Zwecke dieser Diskussion können sie also als masselos betrachtet werden. Zusätzlich zu den relativistischen Teilchen gibt es noch nichtrelativistische Teilchen, zum einen Protonen und Neutronen, zum anderen vermutlich die Konstituenten der Dunklen Materie. Wir nehmen an, dass diese aus schwach-wechselwirkenden Teilchen (weakly interacting massive particles, WIMPs) bestehen, deren Ruhemasse größer als ∼ 100 GeV ist, da bis zu diesen Energien die WIMPs in irdischen Beschleunigerlabors noch nicht gefunden wurden. Unter dieser Annahme sind die WIMPs nichtrelativistisch bei den betrachteten Energien und tragen somit, genau wie die Baryonen, praktisch nicht zur Energiedichte bei. Bis auf die WIMPs befinden sich alle diese Teilchen im Gleichgewicht, z. B. durch die folgende Reaktionen: e± + γ ↔ e± + γ : Comptonstreuung, e+ + e− ↔ γ + γ : Paarerzeugung und Annihilation, ν + ν¯ ↔ e+ + e− : Neutrino-Antineutrino-Streuung, ν + e± ↔ ν + e± : Neutrino-Elektron-Streuung. Reaktionen mit Baryonen werden erst später betrachtet. Die Energiedichte zu dieser Zeit beträgt π 2 (kB T)4 , 30 c3 woraus sich ergibt – siehe (4.55) – −2 T . t ≈ 0.3 s 1 MeV ρ = ρr = 10.75
(4.56)
Damit die Teilchen miteinander im Gleichgewicht bleiben, müssen die obigen Reaktionen genügend häufig
ablaufen. Der physikalische Zustand – nämlich die Temperatur – ändert sich fortlaufend, so dass sich die Teilchen in einem sich kontinuierlich veränderndem Gleichgewicht einstellen müssen. Dies ist nur dann möglich, wenn die mittlere Zeit zwischen zwei Reaktionen sehr viel kürzer ist als die Zeitskala, auf der sich die Gleichgewichtsbedingungen ändern. Letztere ist durch die Expansion vorgegeben; das bedeutet, dass die Reaktionsraten (Anzahl der Reaktionen pro Teilchen pro Zeiteinheit) größer sein müssen als die kosmische Expansionsrate H(t), damit die Teilchen im Gleichgewicht bleiben. Die Reaktionsraten Γ sind proportional zum Produkt aus der Anzahldichte n der Teilchen und dem Wirkungsquerschnitt σ der betrachteten Reaktion. Beide nehmen mit der Zeit ab: Einerseits nimmt die Anzahldichte n ∝ a−3 ∝ t −3/2 wegen der Expansion ab. Andererseits sind die Wirkungsquerschnitte für die schwache Wechselwirkung, die für die Reaktionen, an denen Neutrinos beteiligt sind, verantwortlich ist, energieabhängig. Es gilt angenähert σ ∝ E 2 ∝ T 2 ∝ a−2 . Zusammen ergibt sich also Γ ∝ nσ ∝ a−5 ∝ t −5/2 , während die Expansionsrate nur wie H ∝ t −1 abfällt. Zu frühen Zeiten waren die Reaktionsraten größer als die Expansionsrate, die Teilchen daher im Gleichgewicht, während zu einem späteren Zeitpunkt die Reaktionen nicht mehr schnell genug ablaufen, damit das Gleichgewicht aufrechterhalten werden kann. Aus dem Wirkungsquerschnitt der schwachen Wechselwirkung kann man den Zeitpunkt bzw. die Temperatur des Übergangs berechnen, 3 Γ T ≈ , H 1.6 × 1010 K so dass für T 1010 K die Neutrinos nicht mehr mit den anderen Teilchen im Gleichgewicht sind. Nach diesem Zeitpunkt bewegen sie sich ohne weitere Wechselwirkung, bis zum heutigen Tage. Den Prozess des Abkoppelns von den anderen Teilchen nennt man auch Ausfrieren; die Neutrinos frieren bei T ∼ 1010 K aus. Beim Ausfrieren hatten sie eine thermische Verteilung, mit der gleichen Temperatur wie die anderen Teilchensorten, die weiterhin miteinander im Gleichgewicht bleiben. Wegen der fehlenden Wechselwirkung behalten die Neutrinos ihre thermische Verteilung bei, natürlich mit abnehmender Temperatur T ∝ 1/a, bis zum heutigen Zeitpunkt. Diese Betrachtung liefert die Vorhersage, dass die Neutrinos, die sich etwa eine Sekunde
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 164
nach dem Urknall vom Rest der Materie entkoppelt haben, noch heute im Universum zu finden sind, mit einer Anzahldichte von 113 cm−3 pro Neutrinosorte und einer Temperatur von 1.9 K (dieser Wert wird unten begründet). Allerdings sind diese Neutrinos wegen ihres extrem geringen Wirkungsquerschnitts bei diesen Energien nur sehr schwer nachweisbar. Durch das Ausfrieren der Neutrinos ändert sich zunächst nichts an der Expansion, die weiterhin nach (4.56) verläuft.
4.4.3
Paarvernichtung
Für Temperaturen kleiner als ∼ 5 × 109 K, oder kB T ∼ 500 keV, können Elektron-Positron-Paare nicht mehr effizient erzeugt werden, da nicht mehr genügend viele Photonen mit Energien oberhalb der Paarerzeugungsschwelle von 511 keV existieren. Die Annihilation e+ + e− → γ + γ läuft allerdings weiterhin ab, und aufgrund des großen Wirkungsquerschnitts der Annihilation nimmt die Dichte der e+ e− -Paare sehr schnell ab. Durch die Paarvernichtung gelangt zusätzliche Energie in das Photonengas, die ursprünglich als kinetische Energie und Ruheenergie der e+ e− -Paare vorhanden war. Deshalb verändert sich die Photonenverteilung, und da die Photonen weiterhin eine Planck-Verteilung besitzen, verändert sich deren Temperatur – relativ zu derjenigen, die sie ohne die Annihilation hätte. Da die Neutrinos zu diesem Zeitpunkt bereits entkoppelt sind, profitieren sie nicht von der zusätzlichen Energie, so dass nach der Annihilation die Photonentemperatur die der Neutrinos übersteigt. Aus der Thermodynamik dieses Prozesses berechnet man die Änderung der Photonentemperatur zu T (nach Annihilation) 1/3 11 = T (vor Annihilation) 4 1/3 11 = Tν . 4
(4.57)
Dieses Temperaturverhältnis bleibt danach erhalten, so dass die Neutrinos eine um (11/4)1/3 ∼ 1.4 niedrigere Temperatur haben als die Photonen – auch heute noch. Dieses Ergebnis hatten wir bereits oben vorweggenom-
men. Auch wurde bei der Abschätzung von ρr,0 in (4.26) die Energiedichte der Neutrinos mitberücksichtigt; es gilt ρr,0 = 1.68ρCMB,0 . Nach der Annihilation gilt das Expansionsgesetz −2 T t = 0.55 s , (4.58) 1 MeV d. h. durch die Annihilation ändert sich die Konstante in dieser Relation, verglichen mit (4.56), weil sich die Anzahl der relativistischen Teilchensorten reduziert hat. Weiterhin bleibt nach der Annihilation auch das Verhältnis von Baryonendichte und Photonendichte konstant. Erstere wird parametrisiert durch den Dichteparameter Ωb = ρb,0 /ρcr in Baryonen (heute), letztere ist durch T0 bestimmt: η :=
nb nγ
= 2.74 × 10−8 Ωb h 2 .
(4.59)
Vor der Annihilation gab es etwa so viele Elektronen und Positronen wie Photonen, nach der Annihilation sind fast alle Elektronen zerstrahlt – aber nicht alle, denn es müssen genau so viele Elektronen übrigbleiben wie Protonen existieren, damit das Universum elektrisch neutral bleibt. Daher ist das Verhältnis von Elektronen zu Photonen ebenfalls durch η gegeben, oder genauer gesagt, etwa 0.8η, da η sowohl Protonen als auch Neutronen beinhaltet.
4.4.4 Primordiale Nukleosynthese Protonen und Neutronen können sich zu Atomkernen zusammenfinden, wenn die Temperatur und die Dichte des Plasmas groß genug ist. Im Innern von Sternen sind diese Bedingungen für die Kernfusion gegeben. Die hohen Temperaturen in der Frühzeit des Universums legen nahe, dass sich auch dort Atomkerne gebildet haben können. Wie wir hier diskutieren werden, haben sich in den ersten wenigen Minuten nach dem Urknall einige der leichtesten Atomkerne gebildet. Die quantitative Betrachtung dieser primordialen Nukleosynthese (Big Bang Nucleosynthesis, BBN) wird die Beobachtung (4) aus Abschn. 4.1.1 erklären. Proton-zu-Neutron-Verhältnis. Wie bereits erwähnt spielen die Baryonen (oder Nukleonen) wegen ihrer
4.4 Thermische Geschichte des Universums 165
geringen Dichte keine Rolle für die Dynamik der Expansion im frühen Universum. Die wichtigsten Reaktionen, mit denen sie mit dem Rest der Teilchen im chemischen Gleichgewicht bleiben, sind p+e ↔ n+ν , p + ν¯ ↔ n + e+ , n → p + e + ν¯ ; letztere ist der Zerfall des freien Neutrons, der eine Zerfallszeitskala von τn = 887 s hat, während die ersten beiden Reaktionen das Protonen/NeutronenVerhältnis im Gleichgewicht halten, solange diese Reaktionen schneller ablaufen als die Expansionszeitskala. Die Gleichgewichtsverteilung ist gegeben durch den Boltzmann-Faktor, nn Δm c2 = exp − , (4.60) np kB T wobei Δm = m n − m p = 1.293 MeV/c2 den Massenunterschied von Neutron und Proton angibt. Neutronen sind also etwas schwerer als Protonen, ansonsten wäre auch der Neutronenzerfall nicht möglich. Die Gleichgewichtsreaktionen werden selten, nachdem die Neutrinos ausgefroren sind, denn die obigen Reaktionen beruhen auf der schwachen Wechselwirkung, also der gleichen, die Neutrinos im chemischen Gleichgewicht halten. Zum Zeitpunkt der Entkoppelung der Neutrinos ist n n /n p ≈ 1/3. Danach stehen Protonen und Neutronen nicht mehr im Gleichgewicht, ihr Verhältnis wird nicht länger durch (4.60) beschrieben, sondern wird nun durch den Zerfall des freien Neutrons auf der Zeitskala τn modifiziert. Damit bis heute überhaupt noch Neutronen übrigbleiben, müssen diese schnell in Atomkernen gebunden werden. Deuteriumbildung. Der einfachste zusammengesetzte Kern ist das Deuterium (D), bestehend aus einem Proton und einem Neutron, mit der Bildungsreaktion p+n → D+γ . Die Bindungsenergie von D beträgt E b = 2.225 MeV, wobei diese Energie also nur etwas größer ist als m e c2 und Δm – alle diese Energien sind vergleichbar groß. Die Deuteriumbildung ist eine Reaktion der starken Wechselwirkung und läuft daher sehr effizient ab.
Jedoch ist zum Zeitpunkt der Entkopplung der Neutrinos und der Paarvernichtung T nur wenig kleiner als E b . Dieser Umstand hat eine wesentliche Konsequenz: Weil die Photonen so viel zahlreicher sind als die Baryonen, gibt es genügend viele energetische Photonen im Wien-Schwanz der Planck-Verteilung mit E γ ≥ E b , die gebildetes D durch Photodissoziation wieder zerstören. Erst wenn die Temperatur deutlich niedriger wird, kB T E b , kann Deuterium in größerer Menge vorhanden sein. Wie man mittels der entsprechenden Bilanzgleichungen ausrechnen kann, übersteigt die Bildungsrate von Deuterium die Vernichtungsrate durch Photonen etwa bei TD ≈ 8 × 108 K, und t ∼ 3 min; bis zu diesem Zeitpunkt ist daher ein Teil der Neutronen zerfallen, und das Verhältnis beträgt dann n n /n p ≈ 1/7. Danach geht alles sehr schnell: Wegen der starken Wechselwirkung werden praktisch alle Neutronen zunächst in D gebunden. Doch sobald D in merklicher Dichte vorhanden ist, bildet sich daraus Helium (He4 ), ein Kern mit großer Bindungsenergie (∼ 28 MeV), der deshalb auch nicht mehr durch Photodissoziation zerstört werden kann. Bis auf einen kleinen (aber, wie wir später sehen werden, für uns sehr wichtigen) Rest verwandelt sich sämtliches Deuterium in He4 . Man bezeichnet daher die Abhängigkeit der Heliumbildung von der kleinen Bindungsenergie von D als ,,Flaschenhals der Kernsynthese“. Helium-Häufigkeit. Die Anzahldichte von Heliumkernen lässt sich nun berechnen, da praktisch sämtliche vorhandenen Neutronen in He4 gebunden werden. Zunächst ist n He = n n /2, da jeder Heliumkern zwei Neutronen enthält. Weiterhin ist die Anzahldichte von Protonen nach der Heliumbildung n H = n p − n n , da in He4 genau so viele Protonen wie Neutronen gebunden sind. Daraus folgt für den Massenanteil Y von He4 an der Baryonendichte: Y=
2(n n /n p ) 4n He 2n n = = ≈ 0.25 , 4n He + n H np + nn 1 + (n n /n p ) (4.61)
wobei im letzten Schritt das obige Verhältnis für n n /n p ≈ 1/7 bei TD eingesetzt wurde. Aus dieser Überlegung folgt also:
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 166
Etwa 1/4 der baryonischen Masse im Universum sollte als He4 gebunden sein! Dies ist eine robuste Vorhersage der Big-Bang-Modelle und in hervorragender Übereinstimmung mit der Beobachtung! Der Heliumanteil im Universum kann später durch Kernfusion in Sternen geändert werden, und dabei werden auch schwerere Kerne (,,Metalle“) gebildet. Beobachtungen von wenig prozessiertem Material (also solchem mit geringem Metallgehalt) zeigen, dass dort in der Tat Y ≈ 0.25! Die Abb. 4.13 zeigt das Ergebnis einer quantitativen Berechnung der BBN, wobei der Massenanteil einiger Elemente als Funktion der Zeit bzw. der Temperatur aufgetragen ist.
ist die Zusammensetzung der baryonischen Komponente des Universums also etwa wie folgt: 25% der baryonischen Masse befindet sich in Helium-Kernen, 75% in Wasserstoff-Kernen (also Protonen), und es gibt Spuren von D, He3 und Li7 . Schwerere Atomkerne können sich nicht bilden, weil es keine stabilen Kerne der Massenzahl 5 und 8 gibt und deshalb bei Stößen zwischen zwei Helium-Kernen oder einem Proton und einem Helium-Kern keine neuen stabilen Kerne gebildet werden. Dreier-Stöße zwischen den vorhandenen Kernen sind viel zu selten, als dass sie zur Kernsynthese
Abhängigkeit der primordialen Häufigkeiten von der Baryonendichte. Am Ende der ersten drei Minuten
Abb. 4.13. Die Entwicklung der Häufigkeiten der leichten, während der BBN gebildeten Elemente, als Funktion der Temperatur (untere Achse) und der kosmischen Zeit t (obere Achse). Die Abnahme der Neutronenhäufigkeit in den ersten ∼ 3 Minuten ist bedingt durch den Neutronenzerfall. Die Dichte von Deuterium steigt sehr steil an – verbunden mit einem steilen Abfall der Neutronendichte – und erreicht ein Maximum bei t ∼ 3 min, weil dann dessen Dichte zur effizienten Bildung von He4 ausreicht; nur wenige Deuterium-Kerne finden keinen Reaktionspartner mehr und bleiben als Rest mit einem Massenanteil von ∼ 10−5 zurück. Nur wenige andere leichte Kerne werden im Urknall gebildet, vor allem He3 und Li7
Abb. 4.14. BBN-Vorhersagen der primordialen Häufigkeiten leichter Elemente als Funktion der heutigen Baryonendichte (ρb,0 , untere Achse) und des entsprechenden Dichteparameters Ωb , wobei h = 0.65 angenommen wurde. Die vertikale Ausdehnung der Rechtecke gibt die gemessenen Werte dieser Häufigkeiten an (oben: He4 , Mitte: D, unten: Li7 ); die horizontale Ausdehnung ergibt sich durch den Überlapp dieser Bereiche mit den aus theoretischen Modellen berechneten Kurven. Die durch die drei Elemente erlaubten Werte von Ωb überlappen, dargestellt durch den vertikalen Streifen. Die Deuterium-Messungen geben die stärksten Einschränkungen an Ωb
4.4 Thermische Geschichte des Universums 167
beitragen könnten. Die Dichte in He4 und D hängt von der Baryonendichte im Universum ab, wie Abb. 4.14 und folgende Überlegungen zeigen:
• Je größer die Baryonendichte Ωb , also je größer das
•
Baryon-zu-Photon-Verhältnis η (4.59), umso früher kann sich D bilden, d. h. umso weniger Neutronen sind zerfallen, was wiederum ein größeres n n /n p Verhältnis ergibt. Daraus folgt mit (4.61), dass Y mit steigendem Ωb anwächst. Ein ähnliches Argument gilt für die Häufigkeit von Deuterium: Je größer Ωb , umso größer ist die Baryonendichte bei der Umwandlung von D in He4 , und daher ist die Umwandlung effizienter und vollständiger. Das bedeutet, dass dann weniger Deuterium-Kerne keinen Reaktionspartner für die Heliumbildung finden, und daher weniger übrigbleiben, d. h. der Anteil von D wird dadurch geringer.
Der Baryonenanteil im Universum. Aus Messungen der primordialen Häufigkeiten von He4 und D und deren Vergleich mit detaillierten Rechnungen der Kernsynthese im frühen Universum kann daher η bzw. Ωb bestimmt werden (siehe Abb. 4.14), wobei der Anteil von Deuterium ein besonders empfindliches Maß für Ωb ist. Messungen der relativen Stärke der Lyα-Linien von H und D, deren Übergangsfrequenzen aufgrund der unterschiedlichen Kernmasse leicht verschieden sind, in QSO-Absorptionssystemen (siehe Abschn. 5.6.3) ergeben D/H ≈ 3.4 × 10−5 . Da das Gas in diesen Systemen chemisch wenig prozessiert ist und daher das D/HVerhältnis sehr nahe am primordialen Wert liegen sollte, folgt daraus Ωb h 2 ≈ 0.02 .
(4.62)
Da die Hubble-Konstante H0 ∼ 70 km s−1 Mpc−1 , also h ∼ 0.7 beträgt, ist Ωb ≈ 0.04! Da jedoch Ωm > 0.1 ist, bedeutet dieses Ergebnis, dass die Baryonen nur einen kleinen Teil der Materie im Universum darstellen können. Der größte Teil der Materie ist nicht-baryonische Dunkle Materie! WIMPs als Dunkle Materie. Wir erhalten also aus der BBN den klaren Hinweis auf Dunkle Materie auf kosmologischen Skalen. Während bei der Diskussion
der Rotationskurven von Spiralgalaxien nicht ausgeschlossen werden konnte, dass die Dunkle Materie aus Baryonen besteht, zeigt die BBN, dass dies nicht der Fall sein kann. Wie bereits oben erwähnt, ist der beste Kandidat als Konstituent der Dunklen Materie ein bisher noch nicht bekanntes Elementarteilchen, ein WIMP. Tatsächlich können wir aus den obigen Betrachtungen Einschränkungen an die Eigenschaften eines solchen Teilchens erhalten. Wenn das WIMP schwach wechselwirkend ist, wird es ähnlich entkoppeln wie die Neutrinos. Falls dessen Masse m WIMP kleiner als die Entkopplungstemperatur (T ∼ 1 MeV) ist, war das WIMP beim Ausfrieren relativistisch, und damit seine Anzahldichte die gleiche wie die der Neutrinos, n = 113 cm−3 . Daher kann man den zugehörigen Dichteparameter ausrechnen, m WIMP ΩWIMP h 2 = , (4.63) 91.5 eV solange m WIMP 1 MeV. Diese Gleichung gilt natürlich auch für die Neutrinos mit m ν 1 MeV. Da sicherlich Ωm < 2 ist, folgt aus (4.63), dass es kein stabiles, schwach wechselwirkendes Teilchen im Massenbereich zwischen 100 eV m 1 MeV geben kann! Insbesondere kann keines der drei Neutrinos eine Masse in diesem Bereich besitzen. Bis vor kurzem waren diese Einschränkungen an die Masse der μ- und τNeutrinos um viele Größenordnungen besser als die aus Laboruntersuchungen, und erst die Messungen der Neutrino-Oszillationen in Verbindung mit Laborschranken an die νe -Masse ergaben eine bessere Eingrenzung. Aus der Strukturbildung im Universum, die in Kapitel 7 besprochen wird, wissen wir heute, dass Neutrinos keinen dominanten Anteil an der Dunklen Materie haben können und daher m ν 1 eV sein muss. Falls das WIMP schwerer ist als 1 MeV, entkoppelt es zu einem Zeitpunkt, zu dem es bereits nichtrelativistisch ist. Dann ändert sich die Abschätzung seiner Anzahldichte und damit die Relation (4.63). Insbesondere gilt, wenn die WIMPMasse die des Z-Bosons (m Z = 91 GeV) übersteigt, ΩWIMP h 2 (m WIMP /1 TeV)2 ; dies bedeutet, dass eine WIMP-Masse von einigen Hundert GeV gerade zu einem ΩWIMP ≈ Ωm ∼ 0.3 führen würde. Die nächste Generation von Teilchenbeschleunigern, speziell der Large Hadron Collider am CERN, der in 2007 seinen Betrieb aufnehmen soll, kann ein solches Teilchen im Labor nachweisen, falls es denn existiert. In der Tat
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 168
sagt die vielleicht erfolgversprechendste Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik – das Modell der Supersymmetrie – vorher, dass es ein stabiles Teilchen mit einer Masse von einigen hundert GeV geben sollte, das Neutralino. Wir haben in der Behandlung der BBN implizit angenommen, dass es nicht mehr als drei (relativistische, d. h. mit m ν < 1 MeV) Neutrino-Familien gibt. Falls Nν > 3, ändern sich die quantitativen Vorhersagen aus der BBN, denn dann verläuft die Expansion schneller [siehe (4.55)], weil ρ(T) größer ist, so dass weniger Zeit bis zum Abkühlen auf TD vergeht – daher zerfallen weniger Neutronen und der Heliumgehalt steigt. Aus der BBN wurde schon vor 1990 (allerdings mit einigermaßen großen Unsicherheiten) geschlossen, dass Nν = 3. Im Jahre 1990 wurde aus dem Zerfall des Z-Bosons der Wert Nν = 3 im Labor bestätigt. Um die Schlussfolgerung auf einen dominanten Anteil nicht-baryonischer Materie zu umgehen, wurden inhomogene Modelle der BBN untersucht, doch ergeben sich auch mit ihnen zu kleine Werte von Ωb , so dass sie keine Alternative darstellen. 4.4.5
Rekombination
Nach ca. 3 Minuten ist die BBN abgeschlossen. Das Universum ist dann etwa T ∼ 8 × 108 K heiß, besteht aus Photonen, Protonen, Helium-Kernen, Spuren anderer leichter Elemente und Elektronen; hinzu kommen Neutrinos, die gemeinsam mit den Photonen die Energiedichte und damit die Expansionsrate dominieren, und (wahrscheinlich) WIMPs. Bis auf die Neutrinos und die WIMPs haben alle Teilchensorten die gleiche Temperatur, was durch Wechselwirkung der geladenen Teilchen mit den Photonen, die eine Art ,,Wärmebad“ darstellen, erreicht wird. Bei z = z eq ≈ 23 900 Ωm h 2 beginnt die Materie (d. h. der Staub), die Energiedichte im Universum, und damit die Expansionsrate, zu dominieren. In (4.31) ist danach der zweite Term der größte, also H 2 ≈ H02 Ωm /a3 . Indem wir wieder ein Potenzgesetz ansetzen, a ∝ t β , erhalten wir durch Einsetzen β = 2/3, und damit 2/3 3 a(t) = Ωm H0 t für aeq a 1 . 2 (4.64)
Dieses Verhalten gilt so lange, bis entweder der Krümmungsterm oder, falls dieser Null ist, der Λ-Term zu dominieren beginnt. Nach weiterer Abkühlung können sich die freien Elektronen mit den Kernen zu neutralen Atomen verbinden. Man nennt diesen Prozess Rekombination, obwohl dies ein etwas irreführender Begriff ist: Da das Universum bis dahin vollständig ionisiert war, handelt es sich nicht um eine Rekombination – aber der Begriff hat sich eingebürgert. Die Rekombination zwischen Elektronen und Kernen konkurriert mit der Ionisation neutraler Atome durch energetische Photonen (Photoionisation); die Ionisation durch Stöße ist dagegen völlig unwichtig, weil η – (4.59) – so klein ist. Da Photonen so viel zahlreicher sind als Elektronen, muss mit dem gleichen Argument wie bei der Bildung von Deuterium die Abkühlung bis weit unter die Ionisationstemperatur fortschreiten, bevor sich neutrale Atome effizient bilden können. Die Ionisationsenergie des Wasserstoffs beträgt χ = 13.6 eV, entsprechend einer Temperatur T > 105 K, aber aus oben genanntem Grund muss T erst auf ∼ 3000 K sinken, bevor der Ionisationsgrad Anzahldichte der freien Elektronen x= Anzahldichte der insgesamt vorh. Protonen (4.65) deutlich unter 1 fällt. Für Temperaturen T > 10 K ist x ≈ 1, praktisch alle Elektronen sind ungebunden. Erst bei z ∼ 1300 ist x merklich von 1 verschieden. Der Beginn der Rekombination kann wiederum durch eine Gleichgewichtsbetrachtung beschrieben werden, die auf die sog. Saha-Gleichung führt, 4
1−x ≈ 3.84 η x2
kB T m e c2
3/2
exp
χ kB T
,
die den Ionisationsgrad als Funktion der Temperatur beschreibt. Allerdings ist nach dem Einsetzen der Rekombination die Annahme des thermodynamischen Gleichgewichts nicht mehr gerechtfertigt, wie folgende Überlegung ergibt: Jede Rekombination direkt in den Grundzustand setzt ein Photon der Energie E γ > χ frei. Diese Photonen können jedoch andere bereits rekombinierte (also neutrale) Atome ionisieren. Aufgrund des großen Wirkungsquerschnitts der Photoionisation geschieht dies
4.4 Thermische Geschichte des Universums 169
auch, so dass für jede Rekombination in den Grundzustand ein neutrales Atom ionisiert wird, der Netto-Effekt also verschwindet. Die Rekombination kann aber auch schrittweise erfolgen, erst in einen angeregten Zustand, danach geht das Atom durch Strahlungsübergänge in den Grundzustand über. Jede solche Rekombination setzt beim Übergang vom ersten angeregten Zustand in den Grundzustand ein Lyα-Photon frei. Dieses LyαPhoton wird sofort ein anderes Atom vom Grundzustand in den ersten angeregten Zustand heben, von dem aus die Ionisationsenergie nur noch χ/4 beträgt. Dadurch können also netto keine Atome im Grundzustand erzeugt werden, und da die Dichte von Photonen mit E γ > χ/4 sehr viel größer ist als die mit E γ > χ, sind angeregte Atome deutlich einfacher zu ionisieren, was dann auch wieder geschieht. Also ist auch diese stufenweise Rekombination kein Weg zu einem kleinen Ionisationsgrad. Diese Prozesse führen dazu, dass die kleine Störung des Planck-Spektrums durch Rekombinationsstrahlung (im Bereich χ kB T ) die Rekombination erschwert. Diese Störungen des Planck-Spektrums können nicht schnell genug ausgeglichen werden – im Gegensatz zu Gasnebeln wie HII-Regionen, bei denen die Lyα-Photonen aufgrund der endlichen Geometrie entkommen können. Die Rekombination findet letztendlich über einen sehr seltenen Prozess statt, dem Zwei-Photonen-Zerfall des ersten angeregten Zustands. Dieser ist zwar etwa 108 mal seltener als der direkte Lyα-Übergang, erzeugt aber zwei Photonen, die beide nicht mehr energetisch genug sind, um ein Atom vom Grundzustand aus anregen zu können. Dieser 2γ -Übergang ist also eine Senke energetischer Photonen. Die Betrachtung aller relevanten Prozesse in einer Bilanzgleichung ergibt für den Ionisationsgrad im relevanten Rotverschiebungsbereich 800 z 1200 −3
x(z) = 2.4 × 10
Ωm h 2 z 12.75 . (4.66) Ωb h 2 1000
Der Ionisationsgrad ist also eine sehr starke Funktion der Rotverschiebung, denn über einen relativ kleinen Rotverschiebungsbereich ändert sich x von 1 – vollständiger Ionisation – zu x ∼ 10−4 , wo dann praktisch nur noch neutrale Atome vorhanden sind. Allerdings
ist die Rekombination nicht vollständig. Ein kleiner Ionisationsgrad von x ∼ 10−4 bleibt übrig, da die Rekombinationsrate für kleine x kleiner wird als die Expansionsrate – ein paar Kerne finden nicht schnell genug ein Elektron, bevor die Dichte des Universums zu klein wird. Aus (4.66) kann man die optische Tiefe für die Thompson-Streuung (Streuung von Photonen an freien Elektronen) berechnen, τ(z) = 0.37
z 14.25 , 1000
(4.67)
die praktisch unabhängig von den kosmologischen Parametern ist. Aus (4.67) folgt, dass sich Photonen von z ∼ 1000 (der ,,last-scattering surface“) bis heute ausbreiten, ohne wesentlich mit der Materie zu wechselwirken – jedenfalls solange die Wellenlänge größer als 1216 Å ist. Für Photonen kleinerer Wellenlänge ist der Wirkungsquerschnitt für die Absorption an neutralen Atomen groß. Wenn wir diese sehr energetischen Photonen hier vernachlässigen – ihre Energie ist 10 eV, verglichen mit Trec ∼ 0.3 eV, also weit im Wien-Schwanz der Planck-Verteilung – so folgern wir, dass sich die Photonen, die im frühen Universum vorhanden waren, bis heute ungestört ausbreiten können. ,,Damals“ besaßen sie ein Planck-Spektrum, und wie wir in Abschn. 4.3.2 diskutiert haben, bleibt die Verteilung ein Planck-Spektrum, nur mit sich änderndem T – diese Photonen sollten also heute rotverschoben im Mikrowellenbereich zu beobachten sein. Die Betrachtung des frühen Universums sagt eine thermische Strahlung aus dem Urknall vorher, wie von George Gamow 1946 erkannt wurde – der kosmische Mikrowellenhintergrund; der CMB ist daher ein sichtbares Überbleibsel des Big Bang. Der CMB wurde 1965 durch Arno Penzias & Robert Wilson entdeckt (siehe Abb. 4.15), die dafür 1978 den Physik-Nobelpreis erhielten. Der Satellit COBE hat Anfang der 90er Jahre das Spektrum des CMB sehr genau vermessen – es ist der genaueste je gemessene Schwarzkörper (siehe Abb. 4.3). Aus der oberen Schranke von Abweichungen vom Planck-Spektrum kann man sehr enge Grenzen an mögliche spätere Energie-Einspeisung
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 170
4.4.6 Zusammenfassung Auch diesen längeren Abschnitt wollen wir kurz zusammenfassen: Abb. 4.15. Die ersten Zeilen des Artikels von Penzias & Wilson 1965, ApJ 142, 419
in das Photonengas und damit an energetische Prozesse im Universum erhalten.4 Wir haben hier nur die Rekombination von Wasserstoff betrachtet. Da Helium eine höhere Ionisationsenergie besitzt, rekombiniert es früher als Wasserstoff. Obwohl die Rekombination einen relativ scharfen Übergang darstellt, besagt (4.67), dass wir Photonen aus einer Rekombinationsschicht endlicher Dicke (Δz ∼ 60) erhalten. Dieser Aspekt wird später noch von Bedeutung sein. Das Gas im intergalaktischen Medium bei kleineren Rotverschiebungen ist hochgradig ionisiert. Wäre das nicht der Fall, könnten wir keine UVPhotonen von Quellen großer Rotverschiebung erhalten (,,Gunn–Peterson-Test“, siehe Abschn. 8.5.1). Heute sind Quellen mit z > 6 bekannt, und von diesen sehen wir auch Photonen auf der blauen Seite der Lyα-Linie. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss das Universum fast vollständig ionisiert worden sein, denn ansonsten würden diese Photonen durch Photoionisation von neutralem Wasserstoff absorbiert. Dies bedeutet, irgendwann zwischen z ∼ 1000 und z ∼ 6 muss eine Reionisation des intergalaktischen Mediums stattgefunden haben, vermutlich durch eine erste Generation von Sternen oder durch die ersten AGNs. Die Ergebnisse des neuen CMB-Satelliten WMAP legen eine Reionisations-Rotverschiebung von z ∼ 17 nahe. Wir werden in Abschn. 8.7 näher darauf eingehen.
• Unser Universum begann aus einem sehr dich-
•
•
•
•
4 Beispielsweise
gibt es einen Röntgen-Hintergrund (X-ray background, XRB), eine zunächst als isotrop gemessene Strahlung. Eine mögliche Erklärung dafür war lange Zeit ein heißes intergalaktisches Medium bei einer Temperatur von kB T ∼ 40 keV, welches Bremsstrahlung emittiert. Ein solches heißes intergalaktisches Gas würde allerdings das Spektrum des CMB durch Streuung der CMB-Photonen an energetischen Elektronen (inverse Compton-Streuung) modifizieren und ist als Quelle des XRB durch COBE ausgeschlossen worden. Nach den Beobachtungen der Röntgensatelliten ROSAT, Chandra und XMM-Newton mit ihrer guten Winkelauflösung wissen wir, dass der XRB eine Überlagerung der Strahlung von diskreten Quellen ist, hauptsächlich AGNs.
•
ten, sehr heißen Zustand, dem sog. Urknall (Big Bang); kurz darauf bestand es aus einer Mischung der verschiedendsten Elementarteilchen, die alle miteinander wechselwirkten. Nachdem sich das Universum durch die Expansion soweit abgekühlt hat, dass nur noch die uns vertrauten Teilchen übrig geblieben sind (Elektronen, Protonen, Neutronen, Neutrinos, und Photonen), kann man die Geschichte des Universums im Detail untersuchen. Wegen ihrer schwachen Wechselwirkung und der abnehmenden Dichte wechselwirken die Neutrinos sehr wenig bei Temperaturen unterhalb von ∼ 1010 K, man sagt, sie ,,entkoppeln“. Bei T ∼ 5 × 109 K annihilieren Elektronen und Positronen zu Photonen, wegen der niedrigen Temperatur findet dann keine Paarerzeugung mehr statt. Protonen und Neutronen wechselwirken und bilden zunächst Deuterium-Kerne; sobald T ∼ 109 K werden diese nicht mehr von den hochenergetischen Photonen zerstört. Weitere Kernreaktionen erzeugen im wesentlichen Helium-Kerne. Etwa 25% der Masse in Nukleonen wird zu He umgewandelt, Spuren von Lithium werden erzeugt, aber keine schwereren Elemente. Bei etwa T ∼ 3000 K verbinden sich die Protonen und Helium-Kerne mit den Elektronen, und das Universum wird neutral (man sagt, es ,,rekombiniert“). Danach können sich die Photonen ungehindert ohne Wechselwirkung ausbreiten. Die Photonen besitzen nach der Rekombination eine Schwarzkörperverteilung (d. h. ein thermisches Spektrum, oder eine Planck-Verteilung). Durch die Expansion ändert sich die Temperatur, T ∝ (1 + z)−1 , nicht jedoch die Planck-Eigenschaft der spektralen Verteilung. Nach der Rekombination ist die Materie im Universum fast vollständig neutral. Allerdings wissen wir aus Beobachtungen von Quellen sehr hoher Rotverschiebung, dass das intergalaktische Medium im Wesentlichen vollständig ionisiert ist für z 6. Irgendwann vor z > 6 muss das Universum daher ionisiert worden sein. Dieser Effekt ist nicht mehr im
4.5 Erfolge und Probleme des Standardmodells 171
Rahmen der strikt homogenen Weltmodelle zu erklären, sondern muss im Rahmen der Strukturbildung im Universum und der Bildung der ersten Sterne und AGNs untersucht werden. Wir werden diese Aspekte in Abschn. 9.4 diskutieren.
4.5
Erfolge und Probleme des Standardmodells
Zum Abschluss dieses Kapitels wollen wir den Inhalt unseres hier dargestellten kosmologischen Modells bewerten; wir betrachten dazu seine Erfolge, aber auch scheinbare Probleme, und zeigen Wege auf, wie diese möglicherweise zu verstehen sind – wie immer in den Naturwissenschaften bilden Probleme mit einem ansonsten sehr erfolgreichen Modell oftmals den Schlüssel für neue, tiefergehende Erkenntnisse. 4.5.1
Erfolge
Das oben beschriebene Standardmodell des FriedmannLemaître-Universums hat viele beeindruckende Erfolge vorzuweisen:
• Es sagt vorher, dass relativ wenig prozessiertes (d. h.
•
• •
metallarmes) Gas einen Heliumanteil von ∼ 25% haben sollte, in hervorragender Übereinstimmung mit den Beobachtungen. Es sagt vorher, dass Quellen mit niedriger Rotverschiebung näher bei uns sind als solche größerer Rotverschiebung.5 Daher muss, modulo Pekuliargeschwindigkeiten, eine Absorption von Strahlung von Quellen großer Rotverschiebung bei kleineren Rotverschiebungen erfolgen, und bislang ist noch kein einziges Gegenbeispiel gefunden worden. Es sagt die Existenz des Mikrowellenhintergrunds vorher, der dann auch gefunden wurde. Es sagt die richtige Anzahl von Neutrino-Familien vorher, wie durch den Zerfall des Z-Bosons bestätigt wurde.
Weitere Erfolge werden dann besprochen, wenn wir die Strukturentwicklung im Universum diskutieren. 5 Wir
ignorieren an dieser Stelle Pekuliarbewegungen, die eine zusätzliche (Doppler-)Rotverschiebung erzeugen können; diese sind typischerweise 1000 km/s und daher meist klein gegenüber der kosmologischen Rotverschiebung.
º
Ein gutes physikalisches Modell ist immer auch falsifizierbar. Auch in dieser Hinsicht ist das FriedmannLemaître-Universum ein sehr gutes Modell, denn durch eine einzige Beobachtung könnte dieses Modell mindestens in große Schwierigkeiten geraten, wenn nicht gar zu Fall gebracht werden. Es wäre mit dem Modell unverträglich, 1. wenn der Helium-Gehalt einer Gaswolke oder eines Sterns mit kleiner Metallizität deutlich unter 25% betrüge; 2. wenn man feststellen würde, dass eines der Neutrinos eine Ruhemasse von 100 eV hätte; 3. wenn der Wien-Teil des CMB gegenüber dem Planck-Spektrum eine kleinere Amplitude hätte; 4. wenn eine Quelle mit Emissionslinien bei z e Absorptionslinien mit z a z e besäße; 5. wenn die kosmologischen Parameter so wären, dass t0 10 Gyr. Zu (1): Während der Helium-Gehalt sich durch die Sternentwicklung erhöhen kann, indem Wasserstoff zu Helium fusioniert wird, verbrennt seinerseits nur ein kleiner Bruchteil von Helium in Sternen. Bei diesem Prozess werden natürlich schwerere Elemente erzeugt. Eine Gaswolke oder ein Stern mit kleiner Metallizität kann daher nicht aus Material bestehen, wo Helium vorher vernichtet wurde, so dass sein Helium-Anteil mindestens den Wert aus der BBN haben muss. Zu (2): Ein solches Neutrino würde zu Ωm > 2 führen, in scharfem Widerspruch zu den abgeleiteten Modellparametern. Zu (3): Es ist zwar möglich, durch energetische Prozesse im Universum zusätzliche Photonen zu erzeugen, so dass der Wien-Teil des summierten Spektrums größer sein kann als der einer Planck-Funktion, es ist aber thermodynamisch nicht möglich, dem Wien-Teil Photonen zu entnehmen. Zu (4): Eine solche Beobachtung würde die Rotverschiebung als monotones Maß der relativen Entfernung in Frage stellen und daher einen der Pfeiler des Modells beseitigen. Zu (5): Unsere Kenntnisse der Sternentwicklung reichen aus, das Alter der ältesten Sterne mit mindestens 20% Genauigkeit zu bestimmen. Ein Weltalter unterhalb von ∼ 10 Gyr wäre unverträglich mit dem Alter von Kugelsternhaufen – diese müssen jünger sein als das Weltalter, d. h. die Zeit seit dem Urknall.
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 172
Obwohl diese Vorhersagen seit mehr als 30 Jahren bekannt sind, ist bislang keine Beobachtung gemacht worden, die das Standardmodell widerlegt. Dabei hat es zu jeder Zeit Astronomen gegeben, die dem Standardmodell gegenüber kritisch eingestellt waren und die daher versucht haben, eine solche, das Modell in große Schwierigkeiten bringende Entdeckung zu machen – sie ist aber bislang nicht gemacht worden (was nicht heißt, dass in der Literatur solche Ergebnisse nicht zu finden sind, sie hielten aber einer genaueren Prüfung nicht stand). Es ist diese leichte Falsifizierbarkeit und das Fehlen eines entsprechenden Beobachtungsbefunds, die zusammen mit den oben genannten Erfolgen das FriedmannLemaître-Modell zum Standardmodell der Kosmologie haben werden lassen. Alternative kosmologische Modelle sind entweder bereits durch Beobachtungen ausgeschlossen worden (wie z. B. die ,,steady-state Kosmologie“), oder aber sind nicht vorhersagekräftig – zurzeit gibt es keine ernsthafte Alternative zum Standardmodell. 4.5.2
Probleme des Standardmodells
Neben diesen Erfolgen gibt es einige Aspekte dieses Modells, die zumindest weiter zu hinterfragen sind. Wir betrachten zwei Probleme des Standardmodells etwas genauer, das Horizont-Problem und das Problem der Flachheit. Horizonte. Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts impliziert, dass wir nur einen endlichen Ausschnitt des Universums überhaupt beobachten können, nämlich die Regionen, von denen aus das Licht uns in der Zeit t0 erreichen konnte. Da t0 ≈ 13.5 Gyr, hat – grob gesprochen – das für uns sichtbare Universum einen Radius von 13.5 Milliarden Lichtjahren. Bereiche des Universums, die weiter von uns entfernt sind, bleiben bis heute für uns unbeobachtbar. Es gibt also einen Horizont, über den hinaus wir nicht schauen können. Solche Horizonte gibt es nicht nur für uns: Zu einem früheren Zeitpunkt t war die Größe des Horizonts etwa ct, also kleiner als heute. Wir wollen diesen Aspekt nun quantitativ beschreiben. Im Zeitintervall dt legt das Licht die Strecke c dt zurück, wobei dies bei dem Skalenfaktor a einem
mitbewegten (comoving) Längenintervall dx = c dt/a entspricht. Seit dem Urknall bis zur Zeit t (bzw. bis zur Rotverschiebung z) kann das Licht eine mitbewegte Entfernung von t rH,com (z) =
c dt a(t)
0
zurücklegen. Mit da/(aH), so dass
a˙ = da/dt
(1+z) −1
rH,com (z) =
folgt
c da . H(a)
dt = da/a˙ =
(4.68)
a2 0
Falls z eq z 0, kommt der Hauptbeitrag des Integrals von Zeiten (oder Werten von a), in denen Staub die Expansionsrate H dominiert. Dann ist nach √ (4.31) H(a) ≈ H0 Ωm a−3/2 , und mit (4.68) ergibt sich dann
rH,com (z) ≈ 2
c 1 √ H0 (1 + z)Ωm
für
z eq z 0 . (4.69)
Für frühere √ Phasen, z z eq , ist H strahlungsdominiert, H(a) ≈ H0 Ωr /a2 , und dann ergibt (4.68)
rH,com (z) ≈
H0
c 1 √ Ωr (1 + z)
für
z z eq . (4.70)
Je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, um so kleiner wird die mitbewegte Länge des Horizonts, wie auch zu erwarten war. Speziell betrachten wir nun den Zeitpunkt der Rekombination, z rec ∼ 1000, für den (4.69) gilt (siehe Abb. 4.16). Der mitbewegten Länge rH,com entspricht die physikalische Eigenlänge (proper length) von rH,prop = a rH,com , somit also
4.5 Erfolge und Probleme des Standardmodells 173
Das bedeutet, die Horizontlänge bei der Rekombination nimmt heute einen Winkel von etwa einem Grad am Himmel ein. Das Horizont-Problem: Da sich kein Signal schneller als Licht ausbreiten kann, bedeutet (4.72), dass die CMB-Strahlung aus zwei Richtungen, die mehr als etwa ein Grad getrennt sind, aus Gebieten stammt, die bis zu dem Zeitpunkt, als die CMB-Photonen das letzte Mal mit Materie wechselwirkten, nicht im kausalen Kontakt standen – d. h., diese beiden Gebiete konnten nie miteinander Information austauschen, z. B. über ihre Temperatur. Trotzdem ist ihre Temperatur gleich, denn der CMB ist bis auf kleine Anisotropien der relativen Amplitude ∼ 10−5 isotrop! Abb. 4.16. Das Horizont-Problem: Der Raumbereich, der vor der Rekombination im kausalen Kontakt stand, hat einen sehr viel kleineren Radius als die räumliche Entfernung zwischen zwei Bereichen, von denen aus uns der CMB erreicht. Daher stellt sich die Frage, woher diese beiden Bereiche voneinander ,,wissen“, welche Temperatur sie haben. Im Rahmen des inflationären Modells jedoch standen diese Bereiche in der Frühzeit des Universums miteinander im kausalen Kontakt, so dass sie ihre Temperaturen ,,abgleichen“ konnten
c Ω −1/2 (1 + z rec )−3/2 (4.71) H0 m als Horizontlänge bei der Rekombination. Man kann nun ausrechnen, welchem Winkel am Himmel diese Länge entspricht, rH,rec , θH,rec = DA (z rec ) rH,prop (z rec ) = 2
wobei DA die Winkelentfernung (4.45) zur ,,last scattering surface“ des CMB ist. Mit (4.47) findet man für z 1, dass im Falle ΩΛ = 0 DA (z) ≈
c 2 H0 Ωm z
für
z1,
so dass θH,rec ≈
√ Ωm Ωm ∼ ∼ Ωm 2◦ für ΩΛ = 0 . z rec 30 (4.72)
Dichteparameter als Funktion der Rotverschiebung. Wir haben die Dichteparameter Ωm und ΩΛ definiert als heutige Dichte, dividiert durch die kritische Massendichte ρcr heute. Man kann diese Definitionen verallgemeinern: Falls wir zu einem anderen Zeitpunkt existierten, hätten die Dichten und die Hubble-Konstante andere Werte, und wir kämen zu anderen Werten für die Dichteparameter. Daher definieren wir den totalen Dichteparameter für eine beliebige Rotverschiebung Ω0 (z) =
ρm (z) + ρr (z) + ρv , ρcr (z)
(4.73)
wobei die kritische Dichte ρcr ebenfalls eine Funktion der Rotverschiebung ist, ρcr (z) =
3H 2 (z) . 8πG
(4.74)
Setzt man nun (4.24) in (4.73) ein, so findet man 2 H0 Ωm Ωr Ω0 (z) = + + Ω . Λ H a3 a4 Unter Benutzung von (4.31) ergibt sich daraus 1 − Ω0 (z) = F [1 − Ω0 (0)] ,
(4.75)
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 174
wobei Ω0 (0) der totale Dichteparameter heute ist, und 2 H0 . (4.76) F= a H(a) Aus (4.75) kann man nun zwei wichtige Schlussfolgerungen ziehen. Da F > 0 für alle a, bleibt das Vorzeichen von Ω0 − 1 stets erhalten und ist daher zu allen Zeiten das gleiche wie heute. Weil das Vorzeichen von Ω0 − 1 das gleiche ist wie das der Krümmung, siehe (4.30), bleibt das Vorzeichen der Krümmung des Universum erhalten: Ein flaches Universum ist zu allen Zeiten flach, ein geschlossenes Universum mit K > 0 ist zu allen Zeiten positiv gekrümmt. Die zweite Schlussfolgerung ergibt sich durch die Betrachtung des Faktors F zu frühen kosmischen Epochen, z. B. bei z z eq , also im strahlungsdominierten Universum. Dort gilt mit (4.31) 1 F= , Ωr (1 + z)2 so dass für sehr frühe Zeiten F sehr klein wird. Beispielsweise bei z ∼ 1010 , der Epoche des Ausfrierens der Neutrinos, ist F ∼ 10−15 . Heute ist Ω0 von der Größenordnung 1, aber nicht notwendigerweise genau 1. Aus Beobachtungen wissen wir, dass 0.1 Ω0 (0) 2 ist, wobei dies eine sehr großzügige Abschätzung ist (seit den neueren CMB-Messungen können wir dieses Intervall auf etwa [0.97,1.04] einschränken), also |1 − Ω0 (0)| 1. Da F so klein wird für große Rotverschiebungen, bedeutet dies, dass Ω0 (z) sehr sehr nahe bei 1 gewesen sein muss, z. B. bei z ∼ 1010 musste |Ω0 − 1| 10−15 gelten. Flatness-Problem: Damit der totale Dichteparameter heute von der Größenordnung 1 sein kann, muss er zu sehr frühen Zeiten extrem nahe bei 1 gewesen sein, das bedeutet, dass eine sehr präzise ,,Feinabstimmung“ dieser Größe notwendig war. Diesen Aspekt kann man sich sehr gut anhand eines anderen physikalischen Beispiels klarmachen. Wenn wir ein Objekt in die Höhe werfen, so dauert es ein paar Sekunden, bis es wieder den Erdboden erreicht, umso länger, je größer die Wurfgeschwindigkeit ist. Wollen wir die Flugzeit verlängern, muss die Anfangsgeschwindigkeit erhöht werden, etwa mit einer Kanone; damit kann die Flugzeit auf bis zu etwa einer Minute
vergrößert werden. Angenommen, wir wollten, dass ein Objekt frühestens nach einem Tag wieder hinabstürzt, dann muss es mit einer Rakete hochgeschossen werden. Nun wissen wir aber, dass, wenn die Anfangsgeschwindigkeit der Rakete den Wert der Fluchtgeschwindigkeit von vesc ∼ 11.2 km/s übersteigt, sie für immer dem Schwerefeld der Erde entkommt, also nicht zurückfällt. Falls die Anfangsgeschwindigkeit aber deutlich unter vesc liegt, fällt das Objekt in deutlich weniger als einem Tag zurück. Man muss die Anfangsgeschwindigkeit also sehr genau wählen, damit das Objekt zurückkehrt, aber mindestens einen Tag lang fliegt. Das Flatness-Problem ist dazu völlig analog. Wäre Ω0 bei z ∼ 1010 nicht so extrem nahe bei 1 gewesen, so wäre das Universum schon lange wieder rekollabiert, oder aber hätte sich deutlich stärker ausgedehnt, als dies der Fall ist. Die Konsequenzen wären in beiden Fällen katastrophal für die Entwicklung von Leben im Universum. Im ersten Fall wäre die Gesamtlebensdauer des Universums sehr viel kürzer, als man zur Bildung der ersten Sterne, der ersten Planetensysteme benötigte, so dass sich in einer solchen Welt kein Leben bilden könnte. Im zweiten Fall wäre aufgrund der extremen Expansion die Bildung von Strukturen im Universum verhindert gewesen, d. h. auch in einem solchen Universum könnte sich kein Leben gebildet haben. Diese Betrachtung kann folgendermaßen interpretiert werden: Wir leben in einem Universum, das zu einem sehr frühen Zeitpunkt einen sehr fein abgestimmten Dichteparameter hatte, da sich nur in einem solchen Universum Leben bildet und es Astronomen gibt, die die Flachheit des Universums untersuchen. In anderen denkbaren Universen gäbe es das nicht. Eine solche Betrachtungsweise wäre nur dann sinnvoll, wenn es eine große Anzahl von Universen gäbe – dann sollten wir uns nicht allzusehr wundern, in einem von denen zu leben, wo diese anfängliche Feinabstimmung stattfand – in allen anderen gäbe es uns und die Frage nach den kosmologischen Parametern ja nicht. Diese Betrachtungsweise nennt man das anthropische Prinzip. Es kann entweder als ,,Erklärung“ für die Flachheit unseres Universums betrachtet werden, oder aber als Kapitulation – als ein Aufgeben vor der Lösung der Frage nach der Ursache für die Flachheit des Universums. Das obige Beispiel hilft, einen weiteren Aspekt der kosmischen Expansion zu verstehen. Falls die Rakete
4.5 Erfolge und Probleme des Standardmodells 175
eine sehr lange Flugzeit haben, aber nicht aus dem Schwerefeld der Erde entkommen soll, muss ihre Anfangsgeschwindigkeit sehr sehr nahe bei vesc liegen. Mit anderen Worten, die Summe aus kinetischer und potentieller Energie muss betragsmäßig sehr viel kleiner sein als beide Komponenten. Dies gilt auch für einen Großteil der anfänglichen Flugbahn. Unabhängig von dem genauen Wert der Flugzeit kann man daher den Beginn der Trajektorie sehr gut durch den Grenzfall v0 = vesc approximieren, bei dem die Gesamtenergie gerade Null ist. Übertragen auf die Hubble-Expansion liest sich das so: Unabhängig von den genauen Werten der kosmologischen Parameter kann zu Beginn der Expansion stets der Krümmungsterm vernachlässigt werden (wie wir ja auch bereits oben gesehen haben). Das liegt daran, dass unser Universum nur dann das heutige Alter erreichen kann, wenn in seiner Frühzeit die potentielle und kinetische Energie betragsmäßig fast genau gleich waren, d. h. der Krümmungsterm in (4.14) sehr viel kleiner war als die beiden anderen Terme. 4.5.3
Erweiterung des Standardmodells; Inflation
Wir wollen das Horizont- und das Flatness-Problem hier zunächst aus einer anderen, technischeren Sicht betrachten. Die Einsteinschen Feldgleichungen der ART, deren Lösung hier als Weltmodell beschrieben worden ist, sind ein System gekoppelter partieller Differentialgleichungen. Wie stets bei Differentialgleichungen sind die Lösungen bestimmt (1) durch das Gleichungssystem selbst und (2) durch die Anfangsbedingungen. Wenn z. B. bei t = 1 s die Anfangsbedingungen so sind, wie sie hier beschrieben wurden, dann gibt es die beiden obigen ,,Probleme“ nicht. Aber warum sind die Bedingungen bei t = 1 s so, dass sie ein homogenes, isotropes, fast flaches Modell erlauben? Die Menge der homogenen und isotropen Lösungen der EinsteinGleichung ist vom Maße Null (d. h. fast alle Lösungen der Einstein-Gleichung sind nicht homogen und isotrop), sie sind also sehr speziell. Die Sichtweise, dass die Anfangsbedingungen ,,nun einmal so waren“, ist natürlich unbefriedigend, da sie nichts erklärt. Neben dem anthropischen Prinzip kann eine Antwort auf diese Frage nur so lauten: Noch frühere Prozesse (mit bekannter oder bislang unbekannter Physik) haben zu solchen ,,Anfangsbedingungen“ geführt, es gibt also einen physikalischen Grund dafür. Einen solchen Grund glauben
die Kosmologen in dem Modell der Inflation gefunden zu haben. Inflation. Anfang der 80er Jahre wurde ein Modell entwickelt, welches diese beiden Probleme (und einige andere mehr) physikalisch löst. Dazu stellt man zunächst fest, dass die physikalischen Gesetze der Elementarteilchen gut bekannt sind bis hin zu Energien ∼ 100 GeV, denn diese wurden experimentell mit Beschleunigern überprüft. Für größere Energien sind die Teilchen und ihre Wechselwirkungen unbekannt. Dies bedeutet, dass die Geschichte des Universums, wie oben skizziert, nur ab Energien von etwa 100 GeV als gut gesichert gelten kann. Die Extrapolation zu noch früheren Zeiten (also bis zum Urknall) ist deutlich unsicherer. Aus der Teilchenphysik erwartet man neue Phänomene bei der Energieskala der ,,Grand Unified Theories“ (GUTs), etwa bei 1014 GeV, entsprechend t ∼ 10−34 s. Im Szenario der Inflation nimmt man an, dass bei sehr frühen Zeiten die Vakuumsenergiedichte sehr viel größer war als heute, so dass dann ΩΛ die Hubble-Expansion dominiert hat. Dann folgt aus (4.18), √ dass a/a ˙ ≈ Λ/3. Das impliziert eine exponentielle Expansion des Universums, Λ a(t) = C exp t . (4.77) 3 Offensichtlich kann diese exponentielle Expansion (oder inflationäre Phase) nicht ewig andauern: nimmt man an, dass es zu einem Phasenübergang kommt, bei dem die Vakuumsenergiedichte in normale Materie und Strahlung umgewandelt wird, stoppt die exponentielle Expansion, und die normale Friedmann-Entwicklung des Universums beginnt. Die Abb. 4.17 skizziert die Expansionsgeschichte des Universums im inflationären Modell. Inflation löst das Horizont-Problem. Während der In√ flation ist H(a) = Λ/3 konstant, so dass das Integral (4.68) für die mitbewegte Horizontlänge formal divergiert. Daraus folgt, dass durch die inflationäre Phase der Horizont beliebig groß werden kann, abhängig von der Dauer der exponentiellen Expansion. Zur Illustration betrachten wir ein sehr kleines Raumgebiet mit Ausdehnung L < cti zur Zeit ti ∼ 10−34 s vor Beginn der Inflation, welches im kausalen Kontakt ist. Durch die Inflation dehnt es sich um ein Vielfaches aus, z. B. um
4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle 176
Abb. 4.17. Während einer inflationären Phase, die hier durch den grauen Balken angedeutet ist, expandiert das Universum exponentiell; siehe (4.77). Diese Phase wird beendet, wenn durch einen Phasenübergang die Vakuumsenergie in Materie und Strahlung umgewandelt wird, und danach das Universum normale Friedmann-Expansion durchläuft
einen Faktor ∼ 1040 ; aus ursprünglich L ∼ 10−24 cm werden dann am Ende der inflationären Phase bei tf ∼ 10−32 s etwa 1016 cm. Die danach (für t > tf ) erfolgende ,,normale“ kosmische Expansion dehnt dieses Raumgebiet bis heute um einen weiteren Faktor ∼ 1025 aus, auf ∼ 1041 cm – und dies ist wesentlich größer als das heutige sichtbare Universum, also als c/H0 ! Nach diesem Szenario war also das gesamte heute sichtbare Universum vor Beginn der Inflation in kausalem Kontakt, so dass die Homogenität der physikalischen Bedingungen bei der Rekombination, und daher die beinahe perfekte Isotropie des CMB, durch kausale Prozesse gewährleistet werden kann. Die Inflation löst auch das Flatness-Problem. Durch die gewaltige Ausdehnung wird jede ursprüngliche Krümmung ,,weggeglättet“ (siehe Abb. 4.18). Formal sieht man dies so, dass während der inflationären Phase ΩΛ =
Λ =1, 3H 2
und da angenommen wird, die inflationäre Phase dauere lange genug, so dass Vakuumsenergie gegen deren Ende
Abb. 4.18. Durch die gewaltige Ausdehnung während der Inflation wird auch ein Universum mit Raumkrümmung wie ein flaches Universum aussehen
völlig dominiert, ist dann Ω0 = 1, das Universum ist also in extrem guter Näherung flach. Daher macht das inflationäre Modell des sehr frühen Universums die Vorhersage, dass auch heute noch sehr genau Ω0 = 1 gilt (alle anderen Werte für Ω0 würden wiederum einer ,,Feinabstimmung“ bedürfen), das Universum also flach ist. Die physikalischen Einzelheiten des inflationären Szenarios sind nicht genau bekannt, insbesondere versteht man nicht, wie der Phasenübergang am Ende der inflationären Phase zustande kommt und warum er nicht bereits früher stattgefunden hat. Aber die beiden oben dargestellten (und weitere) Erfolge lassen eine inflationäre Phase im Universum als sehr plausibles Bild erscheinen. Wie wir noch sehen werden, ist die Vorhersage eines flachen Universums seit kurzem sehr gut überprüft und hat sich in der Tat bestätigt. Weiterhin bietet das inflationäre Modell eine natürliche Erklärung für den Ursprung der Dichteschwankungen im Universum, die als Keime der Strukturbildung schon zu frühen Epochen vorhanden gewesen sein mussten. Wir werden diese Aspekte in Kapitel 7 weiter verfolgen.
177
5. Aktive Galaxienkerne Das Licht von normalen Galaxien im optischen und nahen infraroten Licht ist dominiert von Sternen (und zu geringerem Teil von Gas und Staub). Es handelt sich dabei um thermische Strahlung, da sich das emittierende Plasma in den Sternatmosphären im Wesentlichen im thermischen Gleichgewicht befindet. In erster Näherung lassen sich die spektralen Eigenschaften eines Sterns durch ein Planck-Spektrum beschreiben, dessen Temperatur von der Masse des Sterns und seinem Entwicklungszustand abhängt. Wie wir in Abschn. 3.9 gesehen haben, kann man das Spektrum von Galaxien gut als Überlagerung von Sternspektren beschreiben. Die Temperatur von Sternen variiert über einen relativ kleinen Bereich, man findet kaum Sterne mit T 40 000 K, und solche mit T 3000 K tragen aufgrund ihrer geringen Leuchtkraft kaum zum Spektrum einer Galaxie bei. Daraus folgt, dass die Lichtverteilung einer Galaxie in erster Näherung beschreibbar ist als eine Überlagerung von Planck-Spektren aus einem Temperaturbereich, der in etwa einer Dekade entspricht. Da das Planck-Spektrum eine sehr enge Energieverteilung um das Maximum bei h P ν ∼ 3kB T besitzt, ist das Spektrum einer Galaxie im Wesentlichen auf einen Bereich zwischen ∼ 4000 Å und ∼ 20 000 Å beschränkt. Es gibt aber Galaxien, deren Energieverteilung sehr viel breiter ist. Einige von ihnen zeigen signifikante Emission im gesamten Bereich von Radio-Wellenlängen bis hin zum Röntgen- und gar Gamma-Bereich (siehe Abb. 3.3). Diese Emission stammt von einem meistens sehr kleinen zentralen Gebiet einer solchen Aktiven Galaxie, welches man als Aktiven Galaxienkern (Active Galactic Nucleus, AGN) bezeichnet. Das optische Spektrum dreier AGNs ist in der Abb. 5.1 dargestellt. Einige der AGNs (z. B. die Quasare) gehören zu den leuchtkräftigsten Quellen im Universum, und sie sind bis zu den größten gemessenen Rotverschiebungen (z ∼ 6) beobachtet worden. Die Leuchtkraft von Quasaren kann das Tausendfache der Leuchtkraft von normalen Galaxien übersteigen, und diese Leuchtkraft kommt aus einem sehr kleinen Raumgebiet, r ≤ 1 pc. Die optischen/UV-Spektren von Quasaren sind dominiert von einer Vielzahl von starken und sehr breiten Emissionslinien, die zum Teil von hochionisierten Ato-
Abb. 5.1. Optische Spektren dreier AGNs. Im oberen Bild ist das Spektrum eines Quasars mit Rotverschiebung z ∼ 2 dargestellt, welches die charakteristischen breiten Emissionslinien aufweist. Die stärksten davon sind Lyα des Wasserstoffs, die CIV-Linie und die CIII]-Linie des dreifach bzw. zweifach ionisierten Kohlenstoffs (wobei die eckige Klammer bedeutet, dass es sich um einen halbverbotenen Übergang handelt; dies wird in Abschn. 5.4.2 näher erläutert). Das mittlere Bild zeigt das Spektrum einer nahen Seyfert-Galaxie von Typ 1; hier sind sowohl sehr breite Emissionslinien als auch schmale Linien, insbesondere des zweifach ionisierten Sauerstoffs, zu erkennen. Im Gegensatz dazu zeigt das unten dargestellte Spektrum einer Seyfert-Galaxie von Typ 2 nur relativ schmale Emissionslinien
5. Aktive Galaxienkerne 178
Abb. 5.2. Zusammengesetztes Spektrum aus einem Sample von 718 individuellen QSOs, die dem Large Bright Quasar Survey entnommen sind. Dieses ,,mittlere“ Spektrum hat ein deutlich besseres Signal-zu-Rausch-Verhältnis und eine größere Wellenlängenüberdeckung als individuelle Spektren. Es wurde aus den einzelnen Quellspektren erstellt, indem diese auf die Wellenlänge im Ruhesystem der Quellen transformiert wurden. Die stärksten Linien sind gekennzeichnet
men stammen (siehe Abb. 5.2 und 5.3). Prozesse in AGNs gehören zu den energiereichsten in der Astrophysik. Die enorme Bandbreite des Spektrums von AGNs deutet darauf hin, dass die Strahlung nicht-thermischer
Natur ist. Wir werden später diskutieren, dass in AGNs Prozesse vonstatten gehen, die hochenergetische Teilchen erzeugen, welche für die Emission der Strahlung verantwortlich sind. Nach einer Einleitung, in der kurz die Geschichte der Entdeckung von AGNs und ihre grundlegenden Eigenschaften dargestellt werden, stellen wir in Abschn. 5.2 die wichtigsten Untergruppen der AGN-Familie vor. In Abschn. 5.3 werden wir Argumente zusammenstellen, weshalb die Energie eines AGN aus der Akkretion von Materie auf ein supermassives Schwarzes Loch (SMBH) stammt. Insbesondere werden wir das Phänomen scheinbar überlichtschneller Bewegung kennenlernen. Danach widmen wir uns der Betrachtung der unterschiedlichen Komponenten eines AGN, aus denen die Strahlung in den verschiedenen Wellenbändern stammt. Von besonderer Wichtigkeit sind die im folgenden diskutierten Modelle der Vereinheitlichung der AGNs. Wir werden sehen, dass die scheinbar so unterschiedlichen Erscheinungsformen von AGNs zum großen Teil auf geometrische bzw. Projektionseffekte zurückzuführen sind. Abschließend beschäftigen wir uns mit den AGNs als kosmologische Sonden; da sie aufgrund ihrer gewaltigen Leuchtkraft bis zu sehr hohen Rotverschiebungen hin beobachtet werden kön-
Abb. 5.3. Vergrößerung des in Abb. 5.2 dargestellten zusammengesetzten Spektrums von QSOs. Hier sind auch schwächere Linien zu erkennen. Deutlich zeigt sich der Abfall des spektralen Flusses auf der blauen Seite der LyαLinie, der durch den Lyα-Wald (Abschn. 5.6.3) hervorgerufen wird. Die gestrichelte Kurve zeigt das mittlere Kontinuum, während die gepunktete Kurve Linienkomplexe von einfach ionisiertem Eisen zeigt, dessen Liniendichte so groß ist, dass diese bei der hier gezeigten spektralen Auflösung zu einem quasi-Kontinuum verschmelzen
5.1 Einleitung 179
nen, erlauben diese Beobachtungen Rückschlüsse auf Eigenschaften des frühen Universums.
5.1
Einleitung
5.1.1
Kurze Geschichte der AGNs
Bereits im Jahre 1908 wurden starke und breite Emissionslinien in NGC 1068 entdeckt, aber erst die systematische Untersuchung von Carl Seyfert im Jahre 1943 lenkte die Aufmerksamkeit der Astronomen auf diese neue Klasse von Galaxien. Der Kern dieser Seyfert-Galaxien besitzt eine extrem große Flächenhelligkeit, wie das in Abb. 5.4 demonstriert ist, und das Spektrum ihres Zentralbereichs ist dominiert von Emissionslinien sehr hoher Anregung. Einige dieser Linien sind extrem breit (siehe Abb. 5.1). Interpretiert man die Linienbreite als Dopplerverbreiterung, Δλ/λ = Δv/c, so ergeben sich Werte bis zu Δv ∼ 8500 km/s als volle Linienbreite. Die hohe Anregungsenergie einiger Atome, von denen diese Spektrallinien stammen, zeigt, dass sie nur von Photonen angeregt werden können, die energetischer sind als die Photonen von jungen Sternen, die für die Ionisation von HII-Regionen verantwortlich sind. Die Linien des Wasserstoffs sind oftmals breiter als andere Spektrallinien. Die meisten der von Seyfert aufgeführten Galaxien sind Spiralen, aber es findet sich auch eine cD-Galaxie in seinem Katalog. Im Jahre 1959 argumentierte Lodewijk Woltjer, dass die Ausdehnung der Kerne von Seyfert-Galaxien nicht größer sein kann als r 100 pc, da sie auf optischen Aufnahmen
als Punktquelle erscheinen, d. h. sie sind räumlich nicht aufgelöst. Falls das Gas, welches die Linien emittiert, gravitativ gebunden ist, muss der Zusammenhang GM v2 r zwischen der zentralen Masse M(< r), dem Abstand r und der typischen Geschwindigkeit v gelten. Letztere erhält man aus der Linienbreite, typischerweise v ∼ 1000 km/s. Deshalb ergibt sich aus r 100 pc sofort eine Massenabschätzung, r M 1010 M : (5.1) 100 pc Entweder ist r ∼ 100 pc, was eine enorme Massenkonzentration im Zentrum dieser Galaxien impliziert, oder r ist viel kleiner als die abgeschätzte obere Schranke, was dann eine enorme Energiedichte innerhalb des AGN impliziert. Ein wesentlicher Schritt in der Geschichte der AGNs wurde eingeläutet durch die 3C- und 3CRRadiokataloge, die etwa um 1960 fertiggestellt wurden. Dabei handelt es sich um Durchmusterungen des nördlichen (δ > −22◦ ) Himmels bei 158 MHz und 178 MHz mit einer Flussgrenze von Smin = 9 Jy (1 Jy = 10−23 erg s−1 cm−2 Hz−1 ). Viele dieser 3CQuellen konnten mit relativ nahen Galaxien identifiziert werden, aber die schlechte Winkelauflösung der Radioteleskope bei diesen kleinen Frequenzen und die daraus resultierende große Positionsungenauigkeit der entsprechenden Quellen machte die Identifikation mit einem optischen Gegenstück sehr schwierig. Wenn sich innerhalb der Positionsungenauigkeit keine nahe, auffällige Galaxie auf optischen Photoplatten befand, galt die Quelle zunächst als nicht identifiziert.1 Thomas Matthews und Allan Sandage zeigten 1963, dass 3C48 eine punktförmige (,,stellar-like“) Quelle mit m = 16 mag ist. Sie besitzt ein komplexes optisches Spektrum, bestehend aus einem blauen Kontinuum und starken, breiten Emissionslinien, die allerdings keinen atomaren Übergängen zugeordnet werden konnten, somit also als nicht identifizierbar galten! Im gleichen Jahr 1 Die vollständige optische Identifikation des 3CR-Katalogs, die durch
Abb. 5.4. Drei Aufnahmen der Seyfert-Galaxie NGC4151 mit nach rechts zunehmender Belichtungszeit. Bei kurzen Belichtungen erscheint die Quelle punktförmig, bei längerer Belichtungszeit ist die Galaxie zu erkennen
die enorm verbesserte Winkelauflösung interferometrischer Radiobeobachtungen und damit deutlich verbesserter Positionsgenauigkeit ermöglicht wurde, konnte erst in den 90er Jahren abgeschlossen werden – einige dieser leuchtkräftigen Radioquellen sind sehr schwache optische Quellen.
5. Aktive Galaxienkerne 180
gelang es Maarten Schmidt mit Hilfe einer Mondbedeckung die Radioquelle 3C273 mit einer punktförmigen optischen Quelle zu identifizieren, die ebenfalls starke und breite Emissionslinien bei ungewöhnlichen Wellenlängen zeigte. Ihm gelang die Identifikation der Emissionslinien mit der Balmer-Serie des Wasserstoffs, aber mit einer für die damalige Zeit extrem hohen Rotverschiebung von z = 0.158. Setzt man die Gültigkeit des Hubble-Gesetzes voraus und interpretiert man die Rotverschiebung als kosmologische Rotverschiebung, so befindet sich 3C273 bei der großen Entfernung von D ∼ 500 h −1 Mpc. Diese riesige Entfernung impliziert dann eine absolute Helligkeit der Quelle von M B = −25.3 + 5 log h, d. h. sie ist ∼ 100 Mal heller als normale (Spiral)galaxien. Da die optische Quelle nicht aufgelöst war sondern punktförmig erschien, muss diese enorme Leuchtkraft aus einem kleinen Raumgebiet stammen. Nach verbesserter Bestimmung der Positionen von Radioquellen wurden danach in kurzer Folge viele solcher Quasare (quasi-stellar radio source = quasars) identifiziert, deren Rotverschiebungen zum Teil noch deutlich größer waren als die von 3C273. 5.1.2
Grundlegende Eigenschaften von Quasaren
Wir wollen im Folgenden einige der wichtigsten Eigenschaften von Quasaren zusammenstellen. Obwohl Quasare nicht die einzige Klasse von AGNs darstellen, konzentrieren wir uns zunächst auf sie, da sie die meisten Eigenschaften anderer AGNs in sich vereinigen. Wie bereits erwähnt, wurden Quasare durch die Identifikation von Radioquellen mit punktförmigen optischen Quellen gefunden. Quasare strahlen bei allen Wellenlängen zwischen dem Radiobereich bis hin zum Röntgenbereich. Der Fluss der Quelle variiert, und zwar bei (fast) allen Frequenzen, wobei die Zeitskala der Variation von Objekt zu Objekt verschieden ist und ebenfalls von der Wellenlänge abhängt. Dabei findet man im allgemeinen, dass die Zeitskala der Variationen umso kleiner und ihre Amplitude umso größer ist, je höher die Frequenz der betrachteten Strahlung. Das optische Spektrum ist sehr blau, die meisten Quasare mit Rotverschiebung z 2 haben U − B < −0.3 (zum Vergleich: nur heiße Weiße Zwerge haben einen ähnlich blauen Farbindex). Neben diesem blauen Kon-
tinuum weist das optische Spektrum als Besonderheit sehr breite Emissionslinien auf. Dabei handelt es sich um Linien von Übergängen mit zum Teil sehr hoher Ionisationsenergie (siehe Abb. 5.3). Das Kontinuumspektrum eines Quasars ist oftmals stückweise beschreibbar durch ein Potenz-Gesetz der Form Sν ∝ ν−α ,
(5.2)
wobei α der Spektralindex ist. α = 0 entspricht einem flachen Spektrum, während α = 1 ein Spektrum beschreibt, bei dem die gleiche Energie pro logarithmischem Frequenzintervall emittiert wird. Schließlich sei noch einmal die häufig hohe Rotverschiebung der Quasare hervorgehoben. 5.1.3
Quasare als Radioquellen; Synchrotron-Strahlung
Die Morphologie von Quasaren im Radiobereich hängt von der betrachteten Frequenz ab und ist oftmals sehr komplex, bestehend aus ausgedehnten und einer kompakten Quellkomponente. Die ausgedehnte Quelle ist meistens als Doppelquelle zu beobachten, in Form zweier Radiokeulen (radio lobes), die mehr oder weniger symmetrisch um die optische Position des Quasars platziert sind. Diese Lobes sind oftmals mit der zentralen Kernkomponente durch Jets verbunden, dünne Emissionsstrukturen, die vermutlich mit dem Energietransport vom Kern zu den Lobes zusammenhängen. Dabei sind die auftretenden Längenskalen oftmals beachtlich, die Gesamtausdehnung im Radiobereich kann bis zu 1 Mpc betragen. Die Position des optischen Quasars stimmt mit der der kompakten Radioquelle überein, deren Winkelausdehnung 1 beträgt und teilweise nicht einmal mit VLBI-Methoden aufgelöst werden kann, so dass die Ausdehnung dieser Quellen 1 mas ist, entsprechend r 1 pc. Auch dieser große dynamische Bereich der Ausdehnung von Quasaren ist extrem. Klassifikation der Radioquellen. Ausgedehnte Radioquellen werden oft in zwei Klassen eingeteilt: Fanaroff–Riley-Typ I (FR I) sind nahe des Kerns am hellsten, und die Flächenhelligkeit fällt nach außen ab. Sie haben eine typische Leuchtkraft von L ν (1.4 GHz) 1032 erg s−1 Hz−1 . Im Gegensatz dazu
5.1 Einleitung 181
nimmt die Flächenhelligkeit von Fanaroff–Riley-Typ II Quellen (FR II) nach außen hin zu, und ihre Leuchtkraft ist im Allgemeinen größer als die von FR I-Quellen, L ν (1.4 GHz) 1032 erg s−1 Hz−1 . Jeweils ein Beispiel für diese beiden Klassen ist in der Abb. 5.5 gezeigt. FR II-Radioquellen besitzen häufig Jets, ausgedehnte lineare Strukturen, die den kompakten Kern mit einem der
Radio-Lobes verbinden. Die Jets zeigen häufig innere Struktur und Knicke. Ihr Erscheinungsbild deutet an, dass sie vom Kern ausgehend Energie zur Radiokeule transportieren; eines der beeindruckendsten Beispiele dafür ist in der Abb. 5.6 dargestellt. Die Jets sind nicht symmetrisch. Oftmals sieht man nur einen Jet, und wenn zwei Jets beobachtet wer-
Abb. 5.5. Radiokarten bei λ = 6 cm für zwei Radiogalaxien: oben M84, eine FR I-Radioquelle, unten 3C175, eine FR IIQuelle. Die Radiostrahlung von M84 ist zum Zentrum hin am stärksten und nimmt nach außen hin ab, während die auffälligsten Komponenten von 3C175 die beiden Radio-Lobes sind. Der rechte Radio-Lobe ist mit dem kompakten Kern durch einen langen und sehr dünnen Jet verbunden; auf der Gegenseite ist kein Jet (Counter-Jet) erkennbar
Abb. 5.6. Die Radiogalaxie NGC 6251, mit nach unten hin steigender Winkelauflösung. Auf großen Skalen (und niedrigen Frequenzen) dominieren die beiden Radio-Lobes, während für höhere Frequenzen der Kern und die Jets klar hervortreten. NGC 6251 hat einen Counter-Jet, aber mit deutlich geringerer Leuchtkraft als der Hauptjet. Selbst bei der höchsten Auflösung mit VLBI ist noch Struktur zu erkennen. Die Jets haben einen sehr kleinen Öffnungswinkel, sie sind daher stark kollimiert
5. Aktive Galaxienkerne 182
den, ist meistens einer von ihnen (der ,,Counter-Jet“) viel schwächer als der andere. Die relative Stärke von Kern, Jet und ausgedehnten Komponenten variiert zwischen Quellen und innerhalb der gleichen Quelle mit der Frequenz, weil diese Komponenten einen unterschiedlichen Spektralindex besitzen. Aus diesem Grunde zeigen Radio-Kataloge von AGNs starke Auswahleffekte, denn Kataloge, die bei niedrigen Frequenzen erstellt werden, selektieren bevorzugt Quellen mit steilem Spektrum, d. h. mit dominanten ausgedehnten Strukturen, während solche, die bei hohen Frequenzen selektieren, Kerndominierte Quellen mit flachem Spektrum bevorzugt enthalten.2 Synchrotronstrahlung. Das Radiospektrum folgt (stückweise) einem Potenzgesetz der Form (5.2), wobei α ∼ 0.7 für die ausgedehnten Komponenten und α ∼ 0 für die kompakte Kernkomponente (core) ist. Die Radiostrahlung ist oftmals linear polarisiert, wobei die ausgedehnte Radioquelle einen Polarisationsgrad von bis zu 30% oder gar mehr erreichen kann. Die spektrale Form und der hohe Grad der Polarisation wird so interpretiert, dass die Radiostrahlung durch Synchrotron-Emission relativistischer Elektronen zustande kommt. Dabei vollführen Elektronen im Magnetfeld eine helikale, also schraubenartige Bewegung, sie werden daher durch die Lorentz-Kraft kontinuierlich beschleunigt. Da beschleunigte Ladungen elektromagnetische Strahlung emittieren, führt diese Bewegung der Elektronen zu einer Emission. Aufgrund ihrer Wichtigkeit für das Verständnis der Radiostrahlung von AGNs wollen wir im Folgenden einige Aspekte der Synchrotronstrahlung darstellen. Wir können diese Strahlung wie folgt charakterisieren. Falls ein Elektron die Energie E = γ m e c2 besitzt, ist die charakteristische Frequenz der Emission 3γ 2 eB B νc = ∼ 4.2 × 106 γ 2 Hz , (5.3) 4πm e c 1G wobei B die Magnetfeldstärke, e die Elektronenladung und m e = 511 keV/c2 die Masse des Elektrons bezeichnet. Der Lorentzfaktor γ , und somit die Energie eines 2 Aus
diesem Grunde haben sich die Radio-Surveys für Gravitationslinsensysteme, die in Abschn. 3.8.3 erwähnt worden sind, auf Quellen mit flachem Spektralindex konzentriert, weil diese von der kompakten Kern-Komponente dominiert werden und daher Mehrfach-Systeme besser als solche erkannt werden können.
Elektrons, hängt mit seiner Geschwindigkeit v über 1 γ := 1 − (v/c)2
(5.4)
zusammen. Für Frequenzen deutlich unterhalb von νc ist das Spektrum eines einzelnen Elektrons ∝ ν1/3 , während es für größere Frequenzen exponentiell abfällt. In erster Näherung kann man das Spektrum eines einzelnen Elektrons als quasi-monochromatisch beschreiben. Die Synchrotronstrahlung eines einzelnen Elektrons ist linear polarisiert, wobei die Richtung der Polarisation von der projizierten Richtung des Magnetfelds auf die Sphäre abhängt. Der Polarisationsgrad der Strahlung eines Ensembles von Elektronen hängt von der Komplexität des Magnetfelds ab: Wenn das Magnetfeld homogen ist in dem Raumbereich, aus dem die Strahlung gemessen wird, dann kann die beobachtete Polarisation bis zu 75% betragen. Falls aber das mit der Teleskopkeule gemessene Raumgebiet ein komplexes Magnetfeld enthält, dessen Richtung sich innerhalb dieses Gebiets stark ändert, so heben sich die Polarisationen teilweise auf, und der beobachtete Grad der linearen Polarisation ist deutlich reduziert. Um Strahlung bei cm-Wellenlängen (ν ∼ 10 GHz) zu erzeugen, benötigt man bei Magnetfeldern der Stärke B ∼ 10−4 G etwa γ ∼ 105 , d. h. die Elektronen müssen hoch-relativistisch sein! Damit man Teilchen bei so hohen Energien erhält, müssen sehr effiziente Teilchenbeschleunigungs-Prozesse im Innern von Quasaren ablaufen. Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass wir Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung beobachten (siehe Abschn. 2.3.4), deren Energien noch deutlich größer sind. Die meisten der kosmischen Strahlenteilchen werden vermutlich in den Stoßfronten von Supernova-Überresten erzeugt. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass die energetischen Elektronen in Quasaren (und anderen AGN) ebenfalls durch solche ,,diffuse Schockbeschleunigung“ zustande kommen, wobei die Stoßfronten nicht durch SupernovaExplosionen hervorgerufen werden, sondern durch andere hydrodynamische Phänomene. Wie wir später noch sehen werden, haben wir klare Hinweise auf Strömungsgeschwindigkeiten in AGNs, die deutlich über der Schallgeschwindigkeit des Plasmas liegen, so dass die Voraussetzung für das Entstehen von Stoßfronten gegeben ist.
5.1 Einleitung 183
Das Potenzgesetz der Synchrotronstrahlung wird dann erzeugt, wenn die relativistischen Elektronen ebenfalls ein Potenzgesetz besitzen (siehe Abb. 5.7). Falls N(E) d E ∝ E −s d E die Anzahldichte der Elektronen mit Energie zwischen E und E + d E darstellt, so ergibt sich ein Index des Potenzgesetzes der resultierenden Strahlung von α = (s − 1)/2, d. h. die Steigung des Potenzgesetzes der Elektronen bestimmt die spektrale Form der resultierenden Synchrotron-Emission. Insbesondere ergibt sich ein Index von α = 0.7, wenn s = 2.4. Eine Elektronenverteilung mit N(E) ∝ E −2.4 ist der Energieverteilung der kosmischen Strahlung in unserer Galaxis sehr ähnlich, was ein weiteres Indiz dafür sein kann, dass der gleiche oder zumindest ein ähnlicher Mechanismus für die Erzeugung dieses Energiespektrums verantwortlich ist. Für niedrige Frequenzen ist das SynchrotronSpektrum selbstabsorbiert, d. h. die optische Tiefe gegenüber der Absorption durch den Synchrotronprozess ist nahe oder größer als Eins. In diesem Fall wird das Spektrum flacher und kann sogar für kleine ν ansteigen. Im Grenzfall großer optischer Tiefe bezüglich Selbstabsorption ergibt sich Sν ∝ ν2.5 für ν → 0. Die ausgedehnten Radiokomponenten sind optisch dünn bei cm-Wellenlängen, so dass α ∼ 0.7, während die kompakte Kernkomponente oftmals optisch dick und
Abb. 5.7. Elektronen bei einer festen Energie emittieren ein Synchrotron-Spektrum, wie es jeweils durch eine der Kurven dargestellt ist; das Maximum der Strahlung befindet sich etwa bei νc (5.3). Die Überlagerung vieler solcher Spektren, entsprechend einer Energieverteilung der Elektronen, wird zu einem Potenzspektrum, wenn die Verteilung der Elektronen in der Energie ein Potenzspektrum ist
daher selbstabsorbiert ist, α ∼ 0, oder gar ,,invertiert“, α < 0. Durch die Abstrahlung verlieren die Elektronen an Energie; aus diesem Grund ,,kühlen“ die Elektronen und sind daher nur eine beschränkte Zeit in der Lage, bei der durch (5.3) beschriebenen Frequenz zu emittieren. Die über alle Frequenzen integrierte abgestrahlte Leistung eines Elektrons mit dem Lorentzfaktor γ ist P=−
4 e4 B 2 γ 2 dE = . dt 9 m 2e c3
(5.5)
Die charakteristische Zeit, über die ein Elektron seine Energie verliert, ergibt sich dann aus seiner Energie E = γm e c2 und seiner Energieverlustrate E˙ = −P als γ −1 B −2 E 5 tcool = = 2.4 × 10 yr . P 104 10−4 G (5.6) Für relativ niederfrequente Radiostrahlung ist diese Lebensdauer lang oder vergleichbar mit dem Alter von Radioquellen. Wie wir aber später noch sehen werden, wird auch hochfrequente Synchrotronstrahlung beobachtet, für die tcool deutlich kleiner ist als das Alter einer Quellkomponente, so dass die entsprechenden relativistischen Elektronen lokal erzeugt werden müssen. Dies bedeutet, dass die Teilchenbeschleunigungsprozesse nicht nur im innersten Kern eines AGN ablaufen müssen, sondern auch in den ausgedehnten Quellkomponenten. Da die charakteristische Frequenz (5.3) der Synchrotron-Strahlung von einer Kombination des Lorentzfaktors γ und des Magnetfelds B abhängt, kann man diese beiden Größen nicht getrennt bestimmen. Es ist daher sehr schwierig, das Magnetfeld einer Synchrotron-Quelle abzuschätzen. Meistens bedient man sich der (plausiblen) Annahme der Gleichverteilung der Energiedichte in Magnetfeld und relativistischen Teilchen, d. h. man nimmt an, dass die Energiedichte B 2 /(8π) des Magnetfeldes in etwa mit der Energiedichte dγ n e (γ) γm e c2 der relativistischen Elektronen übereinstimmt. Diese Gleichverteilung ist in etwa gegeben zwischen den kosmischen Strahlen in unserer Galaxis und deren Magnetfeld. Eine weitere Möglichkeit besteht
5. Aktive Galaxienkerne 184
darin, das Magnetfeld so abzuschätzen, dass die Gesamtenergie von relativistischen Elektronen und Magnetfeld bei gegebener Leuchtkraft einer Quelle minimiert wird. Der sich dabei ergebende Wert für B stimmt praktisch mit dem überein, den man aus der Gleichverteilungsannahme erhält.
5.1.4
Linienbreite als Doppler-Verbreiterung betrachtet, mit Δλ/λ0 = Δv/c. Breite Emissionslinien in Quasaren haben oftmals eine FWHM von ∼ 10 000 km/s, schmalere Emissionslinien immerhin noch mehrere 100 km/s. Also sind auch die ,,schmalen“ Emissionslinien immer noch breit verglichen mit typischen Geschwindigkeiten in normalen Galaxien.
Breite Emissionslinien
Das Spektrum von Quasaren im UV- und im optischen Bereich zeichnet sich aus durch die Anwesenheit von starken und sehr breiten Emissionslinien. Typischerweise treten als Linien die der Balmer-Serie sowie Lyα des Wasserstoffs, und Metalllinien von Ionen wie MgII, CIII, CIV auf3 – diese erscheinen praktisch in allen Quasar-Spektren. Hinzu kommen eine ganze Reihe weiterer Emissionslinien, die nicht immer in jedem Spektrum zu beobachten sind (Abb. 5.2). Um die Stärke einer Emissionslinie zu charakterisieren, definiert man die Äquivalentbreite Wλ einer Linie als Sl (λ) − Sc (λ) Fline ≈ , (5.7) Wλ = dλ Sc (λ) Sc (λ0 ) wobei Sl (λ) den gesamten spektralen Fluss im Bereich der Linie und Sc (λ) den spektralen Fluss der Kontinuumsstrahlung bezeichnet, interpoliert über den Wellenlängenbereich der Linie. Fline ist der Gesamtfluss in der Linie und λ0 ihre Wellenlänge. Wλ ist also die Breite des Wellenlängen-Intervalls, über das man das Kontinuum integrieren müsste, um den gleichen Fluss wie den der Linie zu erhalten. Die Äquivalentbreite ist daher ein Maß für die Stärke einer Linie relativ zum Kontinuum. Die Breite einer Linie wird wie folgt charakterisiert: nach Subtraktion des Kontinuums, interpoliert über den Wellenlängenbereich der Linie, wird die Breite bei der Hälfte der maximalen Linienintensität gemessen. Diese Breite Δλ wird als FWHM bezeichnet (full width at half maximum). Man kann die Breite entweder in Å angeben oder in km/s, wenn man die 3 Die Ionisationsstufen eines Elements werden durch römische Ziffern
bezeichnet. Ein neutrales Atom erhält die ,,I“, ein einfach ionisiertes Atom die ,,II“, usw. CIV bezeichnet daher den dreifach ionisierten Kohlenstoff.
Rotverschiebung. Quasar-Surveys sind stets flusslimitiert, d. h. man versucht, alle Quasare in einem bestimmten Bereich des Himmels zu finden, deren Fluss einen bestimmten Grenzwert überschreitet. Nur durch ein solches Selektionskriterium sind die erhaltenen Stichproben statistisch aussagekräftig. Zusätzlich können weitere Kriterien für die Auswahl von Quellen herangezogen werden, wie etwa Farbe, Variabilität, Radiostrahlung oder Röntgenfluss. Radio-Surveys sind beispielsweise durch Sν > Slim bei einer spezifizierten Wellenlänge definiert. Die optische Identifikation solcher Radioquellen ergibt, dass Quasare eine sehr breite Rotverschiebungsverteilung besitzen. Für Jahrzehnte waren Quasare die einzigen Quellen mit z > 3. Wir werden später noch andere Surveys für AGNs besprechen. In der Ausgabe von 1993 des Katalogs von Hewitt & Burbidge sind 7236 Quellen verzeichnet, wobei dieser Katalog eine ganze Palette unterschiedlichster AGNs enthält. Obgleich in keinster Weise statistisch wohldefiniert, gibt dieser Katalog einen Eindruck von der Breite der Rotverschiebungs- und Helligkeitsverteilung der AGN (siehe Abb. 5.8). Die Leuchtkraftfunktion von Quasaren erstreckt sich über einen sehr großen Bereich in der Leuchtkraft, beinahe drei Größenordnungen in L. Sie ist steil am hellen Ende und deutlich flacher bei kleineren Leuchtkräften (siehe Abschn. 5.6.2). Dies kann mit der Leuchtkraftfunktion von Galaxien verglichen werden, die durch eine Schechter-Funktion beschrieben wird (siehe Abschn. 3.7). Während auch bei ihnen am leuchtschwachen Ende der Verteilung ein relativ flaches Potenzgesetz die Verteilung beschreibt, fällt die Schechter-Funktion für große L exponentiell ab, aber die der Quasare fällt nur wie ein Potenzgesetz ab. Aus diesem Grunde findet man auch Quasare, deren Leuchtkraft um ein Vielfaches größer ist als diejenige Leuchtkraft, bei der der Knick in der Leuchtkraftfunktion auftritt.
5.2 Zoologie der AGNs 185
Abb. 5.8a,b. Die Rotverschiebungsverteilung (a) und Helligkeitsverteilung (b) der QSOs aus dem Hewitt & Burbidge-Katalog von 1993. Diese Verteilungen sind statistisch nicht aussagekräftig, zeigen aber die Breite der Verteilungen. Der Abfall der Häufigkeiten für z ≥ 2.3 ist
5.2
Zoologie der AGNs
Quasare sind nur die leuchtkräftigsten Vertreter der AGN-Klasse. Seyfert-Galaxien sind ein anderes schon früher bekanntes Beispiel. Tatsächlich fasst man unter dem Begriff AGN eine breite Klasse von Objekten zusammen, denen eine starke, nicht-thermische Emission im Kern einer Galaxie (Heimatgalaxie, oder Host Galaxy) gemein ist. Wir werden in diesem Abschnitt die wichtigsten dieser AGNs aufzählen. Dabei ist wichtig, sich stets daran zu erinnern, dass die Art der Beobachtung die Klassifizierung der Quellen mitbestimmt. Wir kommen auf diesen Punkt gegen Ende des Abschnitts noch zurück. Die hier zu besprechende Klassifikation der AGNs ist auf den ersten Blick sehr verwirrend. Die verschiedenen Klassen beschreiben zunächst nur unterschiedliche Erscheinungsformen der AGNs, sagen aber nicht unbedingt etwas über die physikalische Natur dieser Quellen aus. Wie wir in Abschn. 5.5 diskutieren werden, hängt die Erscheinungsform eines AGN im Rahmen der vereinheitlichter Modelle sehr stark von der Orientierung
ein Auswahleffekt: Viele QSO-Surveys beginnen mit einer Farbselektion, typischerweise U − B < −0.3; wenn z ≥ 2.3, gelangt die starke Lyα-Emissionslinie in den B-Filter, in diesem Farbindex wird der QSO dann roter und fällt damit durch die Farbselektion
der Quelle relativ zum Sehstrahl ab. Wir werden dann die Gelegenheit haben, Ordnung in die Vielfalt der Klassen zu bringen. 5.2.1
QSOs
Die außergewöhnlich blaue Farbe der Quasare legte die Möglichkeit nahe, nach ihnen nicht nur im Radiobereich, sondern auch im Optischen zu suchen, also nach punktförmigen Quellen mit sehr blauem U − B Farbindex. Solche auf der Photometrie basierende Suchen waren sehr erfolgreich. In der Tat fand man viel mehr solcher Quellen, als aufgrund der Radiozählungen erwartet werden konnte. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten dieser Quellen im Radio-Bereich des Spektrums nicht (oder kaum) sichtbar waren. Man nennt solche Quellen radioruhig. Ihre optischen Eigenschaften sind von denen der Quasare praktisch ununterscheidbar. Insbesondere besitzen sie eine blaue optische Energieverteilung (natürlich, denn das war ja das Suchkriterium!), starke und breite Emissionslinien und im Allgemeinen eine hohe Rotverschiebung.
5. Aktive Galaxienkerne 186
Diese Quellen, abgesehen von ihren Radioeigenschaften, verhalten sich also wie Quasare. Man bezeichnete sie deshalb als radioruhige Quasare, oder aber als quasi-stellar objects, QSOs. Diese Terminologie ist heute nicht mehr so gebräuchlich, weil die klare Zweiteilung in Quellen mit und ohne Radio-Emission nicht mehr gilt. Auch radioruhige Quasare zeigen Radioemission, wenn man sie nur mit genügender Empfindlichkeit beobachtet; sie sind daher eher ,,radioleise“. In der neueren Terminologie summiert man unter dem Begriff QSO sowohl die Quasare als auch die radioruhigen QSOs. Es gibt etwa 10 mal mehr radioruhige QSOs als Quasare. Die QSOs sind die leuchtkräftigsten Vertreter der AGNs. Ihre Kernleuchtkraft kann das Tausendfache von L ∗ -Galaxien erreichen, sie überstrahlen damit ihre Host-Galaxie und erscheinen auf optischen Aufnahmen punktförmig. Für QSOs mit kleinerem L wurden mit dem HST die Host-Galaxien entdeckt und räumlich aufgelöst (siehe Abb. 1.11). Unserem heutigen Verständnis nach sind AGNs die aktiven Kerne von (ansonsten normalen?) Galaxien. 5.2.2
Seyfert-Galaxien
Die zuerst bekannten AGNs waren die SeyfertGalaxien. Ihre Leuchtkraft ist wesentlich kleiner als die von QSOs. Sie sind als Spiralgalaxien auf optischen Aufnahmen identifizierbar, besitzen aber einen außergewöhnlich hellen Kern (Abb. 5.4), dessen Spektrum starke und breite Emissionslinien aufweist. Man unterscheidet zwischen Seyfert-Galaxien vom Typ 1 und Typ 2: Seyfert 1-Galaxien haben sowohl sehr breite als auch schmalere Emissionslinien, wobei ,,schmaler“ hier immer noch mehrere Hundert km/s bedeutet, also eine deutlich größere Breite, als es normalen Geschwindigkeiten in Galaxien (wie etwa Rotationsgeschwindigkeiten) entspricht. Seyfert 2-Galaxien haben nur die schmaleren Linien. Später fand man dann, dass auch Zwischenstufen existieren – man spricht beispielsweise von Seyfert 1.5 und Seyfert 1.8-Galaxien – in denen sehr breite Linien zwar vorhanden, aber viel schwächer sind als in Seyfert 1-Galaxien. Der Prototyp einer Seyfert 1-Galaxie ist NGC 4151 (siehe Abb. 5.4), während NGC 1068 eine typische Seyfert 2-Galaxie darstellt.
Das optisches Spektrum von Seyfert 1-Galaxien ist dem von QSOs sehr ähnlich. Es gibt einen fließenden Übergang zwischen (radioruhigen) QSOs und Seyfert 1. Formal trennt man diese beiden Klassen von AGNs bei einer absoluten Helligkeit von M B = −21.5 + 5 log h. Die Trennung von Seyfert 1-Galaxien und QSOs ist historisch bedingt, denn diese beiden Kategorien wurden aufgrund der unterschiedlichen Methoden der Entdeckung beider Typen eingeführt. Hingegen scheint es keinen grundlegenden physikalischen Unterschied zu geben außer der unterschiedlichen Kernleuchtkraft. Oftmals fasst man beide Klassen zusammen unter dem Begriff Typ 1-AGNs. 5.2.3
Radiogalaxien
Radiogalaxien sind Elliptische Galaxien mit Aktivitäten im Kern. Sie waren die ersten Quellen, die aufgrund der frühen Radio-Surveys mit optischen Quellen identifiziert werden konnten. Charakteristisch für Radiogalaxien sind die Prototypen Cygnus A oder Centaurus A. Ähnlich wie bei Seyfert-Galaxien unterscheidet man bei Radiogalaxien solche mit (broad-line radio galaxies, BLRG) und ohne (narrow-line radio galaxies, NLRG) breite Emissionslinien. Im Prinzip kann man die beiden Typen von Radiogalaxien als radiolaute Seyfert 1- und Seyfert 2-Galaxien betrachten, wobei die Morphologie der Host-Galaxie allerdings unterschiedlich ist. Ebenfalls scheint es einen fließenden Übergang von BLRG und Quasaren zu geben, wiederum getrennt durch die optische Leuchtkraft wie bei den Seyfert-Galaxien. Neben der Klassifizierung der Radiogalaxien bezüglich ihres optischen Spektrums in BLRG und NLRG unterscheidet man sie hinsichtlich ihrer RadioMorphologie; wie schon in Abschn. 5.1.2 diskutiert, teilt man die Radioquellen ein in FR I und FR II Quellen. 5.2.4
OVVs
Eine Unterklasse von QSOs zeichnet sich durch sehr starke und kurzzeitige Variabilität der optischen Strahlung aus. Dabei kann der Fluss solcher Quellen, die man als Optically Violently Variables (OVVs) bezeichnet, auf Zeitskalen von Tagen um einen erheblichen Bruchteil variieren (siehe Abb. 5.9). Neben dieser starken Variabilität zeichnen sich OVVs durch die relativ
5.2 Zoologie der AGNs 187
Abb. 5.9. Quasare, BL Lac-Objekte und Seyfert-Galaxien zeigen deutliche Variabilität bei den verschiedensten Wellenlängen. Oben links ist die Lichtkurve der Seyfert 1 IRAS 13225−3809 im Röntgenlicht dargestellt (beobachtet mit ROSAT); auf Zeitskalen von Tagen variiert die Quelle oftmals um mehr als einen Faktor 20. Die Radio-Lichtkurve von BL Lacertae bei λ = 3.8 cm über einen Zeitraum von 28 Jahren ist unten links dargestellt. Die Variationen solcher OVVs erscheinen als eine Reihe von Ausbrüchen, die sich teilweise überlappen (siehe z. B. den Ausbruch von 1981). Die mit dem Satelliten IUE beobachtete UV-Variation von NGC 5548, ei-
ner Seyfert 1-Galaxie, ist bei drei Wellenlängen unten rechts dargestellt; Variationen bei diesen Frequenzen erscheinen in Phase, aber die Amplitude ist größer, wenn man zu kleineren Wellenlängen geht. Simultan dazu wurden die Linienstärken dreier breiter Emissionslinien dieser Seyfert 1 gemessen, die oben rechts dargestellt sind. Dabei zeigt sich, dass Linien mit hohem Ionisationspotential, wie CIV, größere Amplituden zeigen als solche mit niedrigem Ionisationspotential, wie MgII. Aus der relativen zeitlichen Verschiebung von Linienvariabilität und Kontinuumfluss kann man die Größe der Broad Line Region abschätzen – siehe Abschn. 5.4.2
hohe Polarisation ihres optischen Lichts aus, welche typischerweise einige Prozent beträgt, während die normale Polarisation von QSOs unterhalb von ∼ 1% liegt. OVVs sind in der Regel starke Radiostrahler. Neben ihrer optischen Leuchtkraft variiert die Strahlung auch in anderen Wellenlängenbereichen, wobei die Zeitskala umso kürzer und die Amplitude umso größer ist, je kürzer die Wellenlänge des Lichtes ist.
sich um AGNs mit sehr stark variierender Strahlung, wie bei den OVVs, aber ohne die starken Emissionsoder Absorptionslinien. Wie bei den OVVs ist die optische Strahlung der BL Lacs ebenfalls stark polarisiert. Da man bei BL Lacs keine Emissionslinien im Spektrum beobachtet, ist die Bestimmung ihrer Rotverschiebung oftmals schwierig oder gar unmöglich. In einigen Fällen sind im Spektrum Absorptionslinien zu erkennen, von denen man vermutet, dass sie von der Host-Galaxie des AGN stammen und die dann mit der Rotverschiebung des BL Lac identifiziert werden. Die optische Leuchtkraft einiger BL Lacs kann um mehrere Magnituden variieren, wenn sich die Beobach-
5.2.5
BL Lac-Objekte
Die Klasse der AGNs, die man als BL Lac-Objekte (oder kurz: BL Lacs) bezeichnet, ist benannt nach der prototypischen Quelle BL Lacertae. Es handelt
5. Aktive Galaxienkerne 188 Abb. 5.10. Variabilität des Blazars 3C279 im Röntgenbereich (unten) und in der γ -Strahlung, bei Photonenenergien oberhalb von 100 MeV; auf Zeitskalen von wenigen Tagen variiert die Leuchtkraft um einen Faktor ∼ 10
Tabelle 5.1. Überblick der Klassifikation der Aktiven Galaxienkerne
Beispiel Galaxientyp L/L MBH /M Radiostrahlung Strahlung im Optischen/ NIR Röntgenstrahlung Gammastrahlung Variablität
Normale Galaxie
Radiogalaxie
Seyfert-Galaxie
Quasar
Blazar
Milchstraße Spirale < 104 2.6 × 106 schwach vollständig absorbiert schwach schwach unbekannt
M87, Cygnus A Ellipse, Irreguläre 106 − 108 3 × 109 Kern, Jets, Lobes alte Sterne, Kontinuum stark schwach Monate-Jahre
NGC 4151 Spirale 108 − 1011 106 − 109 nur ≈ 5% radiolaut breite Emissionslinien stark mäßig Stunden-Monate
3C273 Irreguläre 1011 − 1014 106 − 109 nur ≈ 5% radiolaut breite Emissionslinien stark stark Wochen-Jahre
BL Lac, 3C279 Ellipse? 1011 − 1014 106 − 109 stark, schnell variabel schwache oder keine Linien stark stark Stunden- Jahre
tung auf genügend lange Zeiträume erstreckt. Besonders beachtenswert ist die Tatsache, dass in Zeiten kleiner Leuchtkraft manchmal Emissionslinien erkennbar sind, und in solchen Epochen erscheint ein BL Lac dann wie ein OVV. Aus diesem Grunde fasst man die OVVs und die BL Lacs zusammen in die Klasse der Blazare. Alle bekannten Blazare sind Radioquellen. Neben ihrer heftigen Variabilität zeigen Blazare auch hochenergetische und stark variable γ -Strahlung (Abb. 5.10). Die Tabelle 5.1 fasst die grundlegenden Eigenschaften der verschiedenen AGN-Klassen zusammen.
5.3
Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch
Schon mehrmals wurde erwähnt, dass die Energieerzeugung in AGNs mittels eines supermassiven Schwarzen
Loches (SMBH) erfolgen muss. In diesem Abschnitt wollen wir die Argumente für diese Schlussfolgerung aufzeigen. Dazu stellen wir zunächst noch einmal einige der relevanten fundamentalen Beobachtungstatsachen für AGNs zusammen.
• Die Ausdehnung einiger Radioquellen in AGNs be-
•
trägt bis zu 1 Mpc. Aus dieser Längenskala kann man eine untere Schranke für die Dauer der Aktivität im Kern dieser Objekte ableiten, denn selbst wenn sich die Radioquelle vom Kern her mit beinahe Lichtgeschwindigkeit ausdehnen würde, wäre das Lebensalter einer solchen Quelle τ 107 yr. Leuchtkräftige QSOs haben eine Leuchtkraft bis zu L bol ∼ 1047 erg/s. Nimmt man an, dass sich die Leuchtkraft nicht substantiell über den Lebenszeitraum der Quelle ändert, so kann man aus der Leuchtkraft und dem Mindestalter eine
5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch 189
Gesamtenergie abschätzen, E 1047 erg/s × 107 yr ∼ 3 × 1061 erg ,
•
(5.8)
wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass die Annahme einer im Wesentlichen unveränderten Leuchtkraft nicht unbedingt gerechtfertigt ist. Einige AGNs variieren auf Zeitskalen von einem Tag um mehr als 50% in ihrer Leuchtkraft. Aus dieser Variabilitätszeitskala kann man eine obere Schranke für die Ausdehnung der Quelle angeben, denn eine Quelle kann ihre Leuchtkraft substantiell nur auf solchen Zeitskalen ändern, auf der die Quelle als Ganzes, oder zumindest ein großer Teil ihres Emissionsgebiets, in kausalem Kontakt steht (sonst weiß das ,,eine Ende“ der Quelle ja nicht, dass das ,,andere Ende“ gerade variiert). Daraus ergibt sich, dass die charakteristische Ausdehnung der zentralen Quelle R 1 Lichttag ∼ 3 × 1015 cm beträgt.
5.3.1
Warum Schwarzes Loch?
Wir werden nun die oben genannten Beobachtungen verknüpfen und daraus ableiten, dass die prinzipielle Energiegewinnung in AGNs gravitativer Natur sein muss. Dazu stellen wir zunächst fest, dass die effizienteste ,,klassische“ Methode der Energieerzeugung die Kernfusion ist, wie sie in Sternen abläuft. Wir machen daher die provisorische Annahme (die bald zu einem Widerspruch führen wird), dass die Energieerzeugung in AGNs durch thermonukleare Prozesse vonstatten geht. Bei der Verbrennung von Wasserstoff zu Eisen, dem Kern mit der größten Bindungsenergie pro Nukleon, werden 8 MeV/Nukleon frei, oder 0.008 m p c2 pro Nukleon. Die maximale Effizienz der Kernfusion ist daher 0.8%, wobei wir als den Massenanteil des ,,Brennstoffs“ definieren, der in Energie umgewandelt wird, entsprechend E = mc2 .
(5.9)
Um durch Kernfusion eine Energie von E = 3 × 1061 erg zu erzeugen, braucht man eine Gesamtmasse m an Brennstoff, die gegeben ist durch m=
E ∼ 4 × 1042 g ∼ 2 × 109 M , c2
(5.10)
wobei wir die in (5.8) abgeschätzte Energie eingesetzt haben. Falls also die Energie des AGN durch Kernfusion erzeugt worden ist, muss die Masse m [genauer: (1 − )m] als ,,Schlacke“ im Innern des AGN übriggeblieben sein. Der Schwarzschild-Radius dieser Masse ist aber (siehe Abschn. 3.5.1) 2Gm 2G M m = 2 c c2 M m = 3 × 105 cm ∼ 6 × 1014 cm , M
rS =
d. h. der Schwarzschild-Radius der ,,nuklearen Asche“ ist von der gleichen Größenordnung wie die obige Abschätzung der Ausdehnung der zentralen Quelle. Dieses Argument zeigt, dass gravitative Effekte eine entscheidende Rolle spielen müssen – die Annahme der thermonuklearen Energiegewinnung hat sich als falsch erwiesen, da ihre Effizienz zu klein ist. Der einzige bekannte Mechanismus mit größerem ist die gravitative Energiegewinnung. Beim Einfall von Materie auf ein zentrales Schwarzes Loch wird potentielle Energie in kinetische Energie umgesetzt. Falls es gelingt, einen Teil der nach innen gerichteten Bewegungsenergie in innere Energie (Wärme) umzuwandeln und diese dann abzustrahlen, dann kann größer sein als das der thermonuklearen Prozesse. Aus der Theorie der Akkretion auf Schwarze Löcher folgt, dass die maximale Effizienz dieses Akkretionsprozesses ∼ 6% beträgt für ein SMBH, welches nicht rotiert (man bezeichnet ein Schwarzes Loch, welches keinen Drehimpuls besitzt, auch als Schwarzschild-Loch), und ∼ 29% für ein SMBH mit maximal erlaubtem Drehimpuls. 5.3.2
Akkretion
Aufgrund seiner astrophysikalischen Relevanz, nicht nur im Zusammenhang mit AGNs, wollen wir nun den Prozess der Akkretion etwas genauer betrachten. Gas, das in ein Schwarzes Loch einfällt, verliert seine potentielle Energie, die zunächst in kinetische Energie umgesetzt wird. Falls der Einfall durch nichts behindert wird, fällt das Gas in das Loch, ohne dass es Energie abstrahlen kann. Im Allgemeinen erwartet man, dass das Gas Drehimpuls besitzt. Dadurch kann es nicht direkt auf das SMBH fallen, da es eine Drehimpulsbarriere
5. Aktive Galaxienkerne 190
gibt. Durch Reibung mit anderen Gasteilchen und dem damit verbundenen Impulsaustausch wird sich das Gas in einer Scheibe ansammeln, die senkrecht zur Richtung seines Drehimpulsvektors orientiert ist. Man erwartet, dass die Reibungskräfte im Gas sehr viel kleiner sind als die Gravitationskraft. Deshalb wird die Scheibe lokal etwa mit der Keplergeschwindigkeit rotieren. Da aber eine Keplerscheibe differentiell rotiert (d. h. die Winkelgeschwindigkeit hängt vom Radius ab), sorgt die innere Reibung für eine Aufheizung des Gases in der Scheibe. Gleichzeitig wird durch diese Reibung die Rotationsgeschwindigkeit etwas abgebremst, wodurch das Material nach innen strömt. Die Energie zum Heizen des Gases der Scheibe stammt wiederum aus diesem Einströmen – nämlich der Umsetzung der potentiellen Energie in kinetische Energie, die dann durch Reibung in innere Energie (Wärme) verwandelt wird. Entsprechend dem Virialsatz wird die Hälfte der freigesetzten potentiellen Energie in kinetische Energie umgesetzt; diese ist im hier betrachteten Fall die Rotationsenergie der Scheibe. Die andere Hälfte der potentiellen Energie kann in innere Energie umgewandelt werden. Wir wollen diesen Prozess nun quantitativ näherungsweise beschreiben. Wenn eine Masse m vom Radius r + Δr nach r fällt, wird eine Energie ΔE =
G M• m˙ Δr , 2r 2
ΔL = 2 × 2πr Δr σSB T 4 (r)
T(r) =
wobei m˙ die Akkretionsrate bezeichnet, also diejenige Masse, die pro Zeiteinheit auf das Loch einfällt. Diese ist im stationären Zustand vom Radius unabhängig, da sich ansonsten bei bestimmten Radien Materie ansammeln würde: Durch jeden Zylinder strömt pro Zeiteinheit gleich viel Materie.
G M• m˙ 8πσSB r 3
1/4 .
Eine genauere Herleitung betrachtet die Dissipation durch Reibung explizit und berücksichtigt die Tatsache, dass ein Teil der erzeugten Energie zum Aufheizen des Gases benutzt wird, wobei die entsprechende Wärmeenergie ebenfalls transportiert wird. Es ergibt sich aber bis auf einen Korrekturfaktor das gleiche Resultat, T(r) =
3G M• m˙ 8πσSBr 3
1/4 ,
(5.13)
das im Bereich r rS gültig ist. Skaliert man nun r mit dem Schwarzschild-Radius rS , so ergibt sich T(r) =
(5.11)
(5.12)
ab, wobei der Faktor 2 daher stammt, dass die Scheibe zwei Seiten hat. Die Kombination von (5.11) und (5.12) liefert für die Temperatur der Scheibe die radiale Abhängigkeit
G M• m Δr G M• m G M• m − ≈ r r + Δr r r
frei, wobei M• die Masse des SMBH bezeichnet und wir annehmen, dass diese Masse das Gravitationspotential dominiert, also die Selbstgravitation der Scheibe vernachlässigbar ist. Die Hälfte dieser Energie wird in Wärme umgewandelt, E heat = ΔE/2. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Energie lokal abgestrahlt wird, dann beträgt die zugehörige Leuchtkraft ΔL =
Falls die Scheibe optisch dick ist, entspricht die lokale Abstrahlung der eines schwarzen Körpers. Der Ring zwischen r und r + Δr strahlt dann die Leuchtkraft
3G M• m˙ 8πσSB rS3
1/4
r rS
−3/4
.
Durch Ersetzen von rS im ersten Faktor mit (3.31) lässt sich dies auch schreiben als T(r) =
3c6 64πσSB G 2
1/4
m˙ 1/4 M•−1/2
r rS
−3/4
.
(5.14) Aus dieser Betrachtung ergeben sich direkt eine ganze Reihe von Schlussfolgerungen. Am überraschendsten ist vielleicht die Unabhängigkeit des Temperaturprofils der Scheibe vom detaillierten Mechanismus der Dissipation, da die Gleichungen die Viskosität nicht explizit enthalten. Dieser Umstand ermöglicht quantitative Vorhersagen aus dem Modell der geometrisch dünnen, optisch dicken Akkretions-
5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch 191
scheibe.4 Die Temperatur der Scheibe nimmt nach innen hin zu, wie zu erwarten war, und zwar ∝ r −3/4 . Die Gesamtemission der Scheibe ist daher in erster Näherung eine Überlagerung von Schwarzkörperstrahlern, bestehend aus Ringen bei verschiedenen Radien mit verschiedenen Temperaturen. Aus diesem Grunde hat das resultierende Spektrum keine Planck-Form, sondern eine sehr viel breitere Energieverteilung. Für ein festes Verhältnis r/rS steigt die Temperatur mit der Akkretionsrate an, was wiederum erwartet werden kann: Da die lokale Abstrahlung ∝ T 4 und die lokal dissipierte Energie ∝ m, ˙ muss T ∝ m˙ 1/4 sein. Weiterhin fällt für ein festes Verhältnis r/rS die Temperatur mit steigender Masse M• des Schwarzen Loches ab. Das bedeutet, dass die maximal erreichbaren Temperaturen der Scheiben umso niedriger sind, je massereicher das Schwarze Loch ist. Dieser Umstand ist vielleicht unerwartet und erklärt sich dadurch, dass die Gezeitenkräfte für festes r/rS mit steigendem M• abnehmen. Vor allem folgt aus diesem Umstand, dass die maximale Temperatur der Scheibe in AGNs sehr viel niedriger ist als bei Akkretionsscheiben stellarer Quellen. Akkretionsscheiben um Neutronensterne und stellare Schwarze Löcher strahlen im harten Röntgenbereich und sind als Röntgen-Binärquellen (X-ray binaries) bekannt. Die thermische Strahlung der Scheibe in AGNs erstreckt sich dagegen nur bis in den UV-Bereich (s. u.). 5.3.3
Superluminal Motion
Neben den Betrachtungen über die Energiegewinnung ergibt sich ein weiterer Hinweis auf SMBHs im Zentrum von AGNs durch die Beobachtung von Relativbewegungen zwischen Quellkomponenten mit scheinbarer Überlichtgeschwindigkeit. Diese Beobachtungen der 4 Der
physikalische Mechanismus, der für die Viskosität verantwortlich ist, ist unbekannt. Die molekulare Viskosität ist viel zu klein, um als primärer Prozess in Frage zu kommen. Vielmehr wird die Viskosität vermutlich durch Turbulenzen in der Scheibe oder durch Magnetfelder erzeugt, die sich durch die differentielle Rotation aufwickeln und dadurch verstärken, so dass diese Felder als effektive Reibungskraft wirken können. Weiterhin können hydrodynamische Instabilitäten als Quelle der Viskosität dienen. Obwohl die hier dargestellten Eigenschaften der Akkretionsscheibe – Leuchtkraft und Temperaturprofil – nicht vom speziellen Mechanismus der Viskosität abhängen, sind andere Eigenschaften sehr wohl von ihr bestimmt. So hängt z. B. das zeitliche Verhalten von Scheiben bei Störungen, die für die Variabilität einiger Binärsysteme verantwortlich sind, von der Größe der Viskosität ab; aus der Beobachtung solcher Systeme kann man dann die Viskosität abschätzen.
zentralen Radiokomponenten von AGNs werden hauptsächlich mit VLBI-Methoden gemacht, da diese die höchsten Winkelauflösungen bereitstellen. Dabei wird eine zeitliche Abhängigkeit der relativen Winkelpositionen von Quellkomponenten gemessen, die, wenn man die Winkelgeschwindigkeit in eine transversale räumliche Geschwindigkeit umrechnet, häufig zu Werten > c führt (Abb. 5.11). Diese überlichtschnellen Bewegungen haben bei ihrer Entdeckung eine gewisse Unruhe hervorgerufen. Insbesondere haben sie anfänglich Zweifel daran genährt, dass die Rotverschiebung von QSOs aus der kosmischen Expansion herrührt – denn nur in diesem Fall lässt sich von der Rotverschiebung auf die Entfernung der Quelle schließen, die wiederum benötigt wird, um die beobachtete Winkelgeschwindigkeit in eine lineare Geschwindigkeit umzurechnen. Wir betrachten zwei Quellkomponenten (z. B. den Radiokern und eine Komponente im Jet), die mit dem zeitlich variablen Winkelabstand θ(t) beobachtet werden. Falls D die Entfernung zur Quelle bezeichnet, so ist die scheinbare Relativbewegung der beiden Komponenten vapp =
dr dθ =D , dt dt
(5.15)
wobei r = Dθ der transversale Abstand der beiden Komponenten ist. Der letzte Ausdruck in (5.15) zeigt, dass vapp direkt beobachtbar ist, falls die Entfernung D als bekannt vorausgesetzt wird. VLBI-Beobachtungen von kompakten Radioquellen ergeben häufig Werte für vapp , die größer als c sind! Charakteristische Werte für Quellen mit dominanter Kernkomponente betragen vapp ∼ 5c (siehe Abb. 5.11). Aber nach der Speziellen Relativitätstheorie kommen Geschwindigkeiten > c nicht vor! Es überrascht daher nicht, dass der Effekt der überlichtschnellen Bewegungen (Superluminal Motion) bei seiner Entdeckung zu unterschiedlichen Erklärungen Anlass gegeben hat. Inzwischen wurde Superluminal Motion auch durch optische Beobachtungen von Jets gemessen, wie in Abb. 5.12 gezeigt ist. Als mögliche Erklärung wurde u. a. vorgeschlagen, dass die kosmologische Interpretation der Rotverschiebungen falsch sein könnte, da sich bei hinreichend kleinem D aus (5.15) Geschwindigkeiten unterhalb der Lichtgeschwindigkeit ergeben. Plausible alternative Er-
5. Aktive Galaxienkerne 192
Abb. 5.12. Auch im Optischen können scheinbare Überlichtgeschwindigkeiten nachgewiesen werden: der optische Jet in M87, basierend auf HST-Aufnahmen über einen Zeitraum von etwa vier Jahren. Die Winkelgeschwindigkeit der Komponenten beträgt bis zu 23 mas/yr. Unter der Annahme, dass die Entfernung zu M87 D = 16 Mpc beträgt, ergeben sich Geschwindigkeiten der Komponenten von bis zu ∼ 6c
Abb. 5.11. Scheinbare Überlichtgeschwindigkeiten von Quellkomponenten im Radio-Jet der Quelle 3C120. VLBABeobachtungen dieser Quelle sind hier bei 16 verschiedenen Epochen (angegeben durch die Zahlen links von der jeweiligen Radiokarte) gezeigt, aufgenommen bei 7 mm Wellenlänge. Die Ellipse unten links deutet die Radiokeule des VLBA-Interferometers und damit die Winkelauflösung bei diesen Beobachtungen an. Bei der Entfernung von 3C120 von 140 Mpc entspricht eine Millibogensekunde einer Strecke von 0.70 pc. Die vier Geraden, die mit l, o, t und u bezeichnet sind, verbinden gleiche Quellkomponenten zu verschiedenen Epochen. Die lineare Bewegung dieser Komponenten ist deutlich zu erkennen. Aus der so beobachteten Winkelgeschwindigkeit der Komponenten ergeben sich scheinbare transversale Geschwindigkeiten im Bereich zwischen 4.1c und 5c
klärungen für die beobachtete Rotverschiebung von QSOs gibt es jedoch nicht, und die mehr als 40 Jahre der Beobachtung von QSOs haben immer wieder bestätigt, dass die Rotverschiebung ein exzellentes Maß für die Entfernung der Quellen darstellt – siehe Abschn. 4.5.1. Allerdings besagt die Relativitätstheorie nur, dass sich Signale nicht mit Geschwindigkeiten > c ausbreiten können. Es ist leicht, ein Gedankenexperiment zu konstruieren, in dem überlichtschnelle Geschwindigkeiten erzeugt werden: Man betrachte etwa einen Laserstrahl oder eine Taschenlampe, die senkrecht zu ihrer Symmetrieachse rotiert. Der entsprechende Lichtpunkt auf einem Schirm verändert seine Position mit einer Geschwindigkeit, die proportional zur Rotationsgeschwindigkeit und zum Abstand des Schirms von der Lichtquelle ist. Macht man letzteren nur groß genug, kann man ,,leicht“ einen überlichtschnellen Lichtpunkt auf dem Schirm erzeugen. Allerdings transportiert der Lichtpunkt kein Signal entlang seiner Bahn. Ein solcher Bildschirmeffekt könnte also die über-
5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch 193
lichtschnellen Bewegungen in kompakten Radioquellen erklären, aber was ist der ,,Schirm“, und was der ,,Laserstrahl“? Die allgemein anerkannte Erklärung der scheinbar überlichtschnellen Bewegungen kombiniert sehr schnelle Bewegungen von Quellkomponenten mit der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Dazu betrachten wir eine Quellkomponente, die sich mit der Geschwindigkeit v im Winkel φ relativ zum Sehstrahl bewegt (siehe Abb. 5.13). Wir wählen den Ursprung der Zeit t = 0 beliebig, z. B. als den Zeitpunkt, an dem sich die bewegte Komponente nahe an der Kernkomponente der Quelle befindet. Zum Zeitpunkt t = te befindet sich die Quelle dann im Abstand v te von der ursprünglichen Position; der beobachtbare Abstand ist davon die
transversale Komponente, Δr = v te sin φ . Da die Quelle zum Zeitpunkt te einen kleineren Abstand zur Erde hat als bei t = 0, benötigt das Licht entsprechend etwas weniger Zeit, uns zu erreichen. Photonen, die zu den Zeitpunkten t = 0 und t = te emittiert werden, erreichen uns mit einem Zeitabstand von v te cos φ = te (1 − β cos φ) , Δt = te − c wobei wir v β := (5.16) c als Geschwindigkeit in Einheiten der Lichtgeschwindigkeit definiert haben. Aus (5.15) ergibt sich dann die scheinbare Geschwindigkeit, vapp =
Δr v sin φ = . Δt 1 − β cos φ
(5.17)
Aus dieser Gleichung lassen sich direkt einige Schlüsse ziehen. Die scheinbare Geschwindigkeit vapp ist eine Funktion der Richtung der Bewegung relativ zur Sichtlinie und der wahren Geschwindigkeit der Komponente. Für einen festen Wert von v tritt die maximale Geschwindigkeit vapp auf, wenn (sin φ)max =
1 , γ
(5.18)
wobei wir den Lorentz-Faktor γ = (1 − β 2 )−1/2 bereits in (5.4) definiert hatten. Der entsprechende Wert der maximalen scheinbaren Geschwindigkeit ist dann
vapp max = γ v . (5.19)
Abb. 5.13. Erklärung der Superluminal Motion: Eine Quellkomponente bewegt sich mit Geschwindigkeit v im Winkel φ relativ zum Sehstrahl. Wir betrachten die Emission von Photonen zu zwei Zeitpunkten t = 0 und t = te ; Photonen, die bei t = te emittiert werden, erreichen uns eine Zeit Δt = te (1 − β cos φ) später als die bei t = 0 emittierten. Der scheinbare Abstand der Quellpositionen zu den beiden Zeitpunkten ist Δr = vte sin φ; daraus ergibt sich die scheinbare Geschwindigkeit am Himmel von vapp = Δr/Δt = v sin φ/(1 − β cos φ)
Da γ für Werte von v → c beliebig groß wird, kann daher die scheinbare Geschwindigkeit ebenfalls sehr viel größer als c werden, auch wenn die wahre Geschwindigkeit v – wie von der Speziellen Relativitätstheorie verlangt – kleiner als c ist. In der Abb. 5.14 ist vapp als Funktion von φ dargestellt, für verschiedene Werte des Lorentz-Faktors γ . Damit bei einem Winkel φ Werte mit vapp > c auftreten, muss β>
1 1 ≥ √ ≈ 0.707 sin φ + cos φ 2
5. Aktive Galaxienkerne 194
Abb. 5.14. Scheinbare Geschwindigkeit βapp = vapp /c einer Quellkomponente, die sich mit Lorentz-Faktor γ in einem Winkel φ relativ zur Sichtlinie zu uns bewegt, für vier verschiedene Werte von γ . Über einen weiten Bereich in θ ist βapp > 1, treten also scheinbare Überlichtgeschwindigkeiten auf. Die maximalen Werte für βapp ergeben sich, wenn sin φ = 1/γ
gelten. Superluminal Motion ist also eine Folge der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Ihr Auftreten impliziert, dass Quellkomponenten in Radiojets von AGNs auf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Nun findet man in verschiedenen Situationen, dass die Ausflussgeschwindigkeiten in astronomischen Objekten von der Größenordnung der jeweiligen Fluchtgeschwindigkeiten sind. Beispiele dafür sind etwa der Sonnenwind, Sternwinde im Allgemeinen, oder Jets von Neutronensternen, wie in dem berühmten Beispiel von SS433 (bei dem die Jet-Geschwindigkeit 0.26 c beträgt). Wenn also die Ausströmgeschwindigkeiten von Jets in AGNs nahe an der Lichtgeschwindigkeit sind, so sollten die Jets in einem Bereich entstehen, bei dem die Fluchtgeschwindigkeit ebenfalls diese Größe hat. Die einzigen Objekte, die genügend kompakt sind und daher dafür in Frage kommen, sind Neutronensterne oder Schwarze Löcher. Da die zentrale Masse in AGNs wesentlich größer ist als die maximale Masse eines Neutronensterns, kommt nur ein SMBH als zentrales Objekt in Frage. Diese Argumentation liefert zusätzlich die Aussage, dass die Jets in AGNs sehr nahe am Schwarzschild-Radius des SMBH gebildet und beschleunigt werden müssen. Die Prozesse, die zur Bildung der Jets führen, sind immer noch ein Gegenstand intensiver Forschung. Mit
großer Wahrscheinlichkeit spielen Magnetfelder eine ganz zentrale Rolle. Solche Felder können in der Akkretionsscheibe verankert sein, sie werden durch die differentielle Rotation der Scheibe aufgewickelt und verstärken sich dadurch. Die aufgewickelten Feldlinien können dann wie eine Art Feder wirken, die Plasma entlang der Rotationsachse der Scheibe wegbeschleunigt. Weiterhin gibt es die Möglichkeit, Rotationsenergie aus einem rotierenden Schwarzen Loch zu extrahieren, wobei auch hier die Magnetfelder die zentrale Rolle spielen. Wie stets in der Astrophysik sind detaillierte Vorhersagen in Situationen, wo Magnetfelder eine dominante dynamische Bedeutung haben (wie z. B. bei der Sternentstehung), äußerst schwierig, denn die entsprechenden gekoppelten Gleichungen für das Plasma und das magnetische Feld sind extrem schwer zu lösen. 5.3.4
Weitere Argumente für SMBHs
Ein Schwarzes Loch ist nicht nur die einfachste Lösung der Gleichungen der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern ebenfalls der natürliche Endzustand einer sehr kompakten Massenverteilung. Das Auftreten von SMBHs ist daher aus theoretischer Sicht etwas sehr Plausibles. Die in den letzten Jahren vermehrt gefundenen Hinweise auf SMBHs in den Zentren von normalen Galaxien (siehe Abschn. 3.5) liefern zusätzliche Argumente für SMBHs in AGNs als deren zentrale Objekte. Weiterhin findet man, dass die Richtung der Jets auf Millibogensekunden-Skala, wie sie mit VLBI beobachtet werden, praktisch identisch ist mit der Richtung von Jets auf sehr viel größeren Skalen und mit der Richtung zu den entsprechenden Radio-Lobes. Diese Lobes besitzen oftmals einen riesigen Abstand vom Kern, was auf die große Lebensdauer der Quelle hinweist. Die zentrale Maschine muss also ein ,,Langzeitgedächtnis“ besitzen, denn die Ausströmrichtung ist stabil über ∼ 107 yr. Ein rotierendes SMBH ist ein ideales Gyroskop, welches eine Richtung durch seinen Drehimpulsvektor festlegt. Röntgen-Beobachtungen einer Eisenlinie mit Ruheenergie h P ν = 6.35 keV in Seyfert-Galaxien geben einen klaren Hinweis darauf, dass die Emission aus einem Bereich einer Akkretionsscheibe innerhalb weniger Schwarzschild-Radien von einem SMBH stammt. Ein Beispiel dafür ist in Abb. 5.15 dargestellt. Die Form
5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch 195 Abb. 5.15. Die spektrale Form der breiten Eisenlinie in der Seyfert 1-Galaxie MCG-6-30-15, wie sie mit dem ASCASatelliten aufgenommen wurde. Falls das Material, das die Linie emittiert, in Ruhe wäre, sähe man eine schmale Linie bei h P ν = 6.35 keV. Man sieht, dass die Linie (a) breit ist, (b) starke Asymmetrie aufweist und (c) zu kleineren Energien hin verschoben ist. Ein Modell für diese Linienform, basierend auf einer Scheibe um ein Schwarzes Loch, die im Radiusbereich rS ≤ r ≤ 20rS strahlt, ist in Abb. 5.16 szizziert
Abb. 5.16. Das Profil der breiten Eisenlinie wird hervorgerufen durch eine Kombination von Doppler-Verschiebung, relativistischem Beaming und der gravitativen Rotverschiebung. Links ist die beobachtete Energie der Linie als Funktion der Position auf einer rotierenden Scheibe durch Farben gekennzeichnet; dabei ist die Energie am rechten Rand der Scheibe, der sich auf uns zu bewegt, blauverschoben, während der linke Teil der Scheibe rotverschobene Strahlung emittiert. Neben diesem Dopplereffekt wird die gesamte Strahlung rotverschoben, da die Photonen aus einem tiefen Potentialtopf entkommen müssen; diese gra-
vitative Rotverschiebung ist umso stärker, je kleiner der Radius der Emission ist. Die Linienform eines ringförmigen Ausschnitts der Scheibe (gestrichelte Ellipsen) ist in den rechten Abbildungen gezeigt. Dabei ist oben die Form der Linie aufgetragen, die man erhielte, wenn keine relativistischen Effekte im Spiel wären. Darunter ist das Linienprofil unter Berücksichtigung des Doppler-Effektes und des beaming [siehe Gl. (5.30)] aufgetragen. Das Linienprofil wird durch die gravitative Rotverschiebung zu kleineren Energien verschoben, so dass sich insgesamt das untere Profil ergibt
5. Aktive Galaxienkerne 196
der Linie wird durch eine Kombination eines starken Doppler-Effekts durch hohe Rotationsgeschwindigkeiten in der Scheibe sowie dem starken Gravitationsfeld des Schwarzen Lochs hervorgerufen, wie dies in der Abb. 5.16 erläutert wird. Diese Eisenlinie kann man nicht nur in individuellen AGNs nachweisen, sondern auch im mittleren Spektrum eines Ensembles von AGNs. In einer tiefen (∼ 7.7 × 105 s) XMM-Newton-Aufnahme des Lockman-Feldes, einem Gebiet mit sehr kleiner Galaktischer Wasserstoff-Säulendichte, konnte eine große Zahl von AGNs identifiziert und spektroskopisch verifiziert werden. Das Röntgenspektrum dieser AGNs im Energiebereich zwischen 0.2 und 3 keV sowie zwischen 8 und 20 keV (jeweils im Ruhesystem des AGN) wurde durch ein Potenzgesetz und eine intrinsische Absorption modelliert. Das Verhältnis des gemessenen Spektrums jedes einzelnen AGN und des angepassten Modellspektrums wurde dann über die AGN-Population gemittelt, nachdem die Spektren in das Ruhesystem der jeweiligen Quelle transformiert wurden. Wie in der Abb. 5.17 gezeigt ist, zeigt dieses Verhältnis sehr deutlich die Präsenz einer starken und breiten Linie. Die Form dieser ,,mittleren“ Emissionslinie kann sehr gut durch die Emission einer Akkretionsscheibe um ein Schwarzes Loch modelliert werden, wobei die Strahlung aus einem Bereich zwischen ∼ 3 und ∼ 400 Schwarzschildradien
herstammt. Die Stärke der Eisenlinie zeigt eine hohe Metallizität des Gases in diesen AGNs.
Abb. 5.17a,b. Das Verhältnis der Röntgenspektren von AGNs und einem angepassten Potenzgesetz, gemittelt über 53 Typ-1 AGNs (a) und 41 Typ-2 AGNs (b). Die grauen bzw. schwarzen Messpunkte stammen von zwei verschiedenen Detektoren des XMM-Newton-Observatoriums. In beiden AGN-Samples ist
eine breite relativistische Eisenlinie zu erkennen; bei den Typ2 AGNs ist zusätzlich noch eine schmale Linienkomponente bei 6.4 keV zu identifizieren. Die Stärke der Linie deutet an, dass die mittlere Eisenhäufigkeit in diesen Quellen etwa das Dreifache der solaren Häufigkeit beträgt
5.3.5
Erste Massenabschätzung des SMBH: die Eddington-Leuchtkraft
Die Strahlungskraft. Wie wir gesehen haben, findet die primäre Energieerzeugung in AGNs durch die Akkretion von Materie auf ein SMBH statt, wobei der größte Teil der Energie im innersten Bereich, also nahe am Schwarzschild-Radius, erzeugt wird. Die im zentralen Bereich erzeugte Strahlung propagiert nach außen und kann dabei mit der einfallenden Materie über Absorption oder Streuung wechselwirken. Durch diese Wechselwirkung von nach außen gerichteter Strahlung mit Materie wird Impuls der Strahlung auf die Materie übertragen, d. h. es wirkt eine nach außen gerichtete Strahlungskraft auf die einfallende Materie. Damit die Materie überhaupt auf das SMBH einfallen kann, muss diese Strahlungskraft kleiner sein als die Gravitationskraft. Diese Bedingung übersetzt sich in eine minimale Masse, die das SMBH besitzen muss, um bei gegebener Leuchtkraft die Kraftbilanz zu dominieren. Wir betrachten ein vollständig ionisiertes Gas, so dass die Wechselwirkung von Strahlung mit diesem einströmenden Plasma im Wesentlichen durch die Streuung von Photonen mit den freien Elektronen statt-
5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch 197
findet, die man als Thomson-Streuung bezeichnet. Die mittlere Strahlungskraft auf ein Elektron beim Radius r ist dann Frad = σT
L , 4π r 2 c
(5.20)
wobei σT =
8π 3
e2 m e c2
2
= 6.65 × 10−25 cm2
(5.21)
den Thomsonschen Wirkungsquerschnitt (in cgsEinheiten) bezeichnet. Dieser Wirkungsquerschnitt ist unabhängig von der Frequenz der Photonen. Um (5.20) herzuleiten, stellt man zunächst fest, dass der Fluss S = L/(4πr 2 ) die durch eine Einheitsfläche im Abstand r von der zentralen Quelle pro Zeiteinheit durchfließende Energie der Strahlung ist. Damit ist S/c der durch diese Einheitsfläche pro Zeit durchströmende Impuls der Photonen, also der Strahlungsdruck, da der Photonenimpuls durch Photonenenergie dividiert durch die Lichtgeschwindigkeit gegeben ist. Der Impulsübertrag auf ein Elektron pro Zeiteinheit, also die Strahlungskraft, ist daher gegeben durch σT S/c. Man erkennt aus (5.20), dass die Strahlungskraft die gleiche Radiusabhängigkeit hat wie die Gravitationskraft, ∝ r −2 , so dass das Verhältnis der beiden Kräfte vom Radius unabhängig ist. Eddington-Leuchtkraft. Damit Materie einfallen kann – die Voraussetzung für die Energieerzeugung – muss die Strahlungskraft kleiner sein als die Gravitationskraft. Für jedes Elektron existiert ein Proton (diese beiden Teilchensorten sind elektromagnetisch aneinander gekoppelt), und die Gravitationskraft pro Elektron-Proton-Paar ist gegeben durch (wobei wir die um fast 2000 Mal kleinere Masse des Elektrons vernachlässigen können) Fgrav =
G M• m p . r2
Die Bedingung Frad < Fgrav für die Dominanz der Gravitation lautet daher G M• m p σT L < , 2 4π r c r2
(5.22)
oder 4πGcm p M• σT M• 38 erg/s , ≈ 1.3 × 10 M
L < L edd :=
(5.23)
wobei wir die Eddington-Leuchtkraft L edd eines Schwarzen Loches der Masse M• definiert haben. Da σT unabhängig von der Photonenfrequenz ist, ist die Leuchtkraft in der obigen Betrachtung immer als bolometrische Leuchtkraft zu verstehen. Damit Akkretion überhaupt stattfinden kann, muss L < L edd sein. Man beachte, dass die EddingtonLeuchtkraft proportional zu M• ist. Das obige Argument kann man umkehren: Falls die Leuchtkraft L beobachtet wird, kann man daraus L edd > L folgern, oder aber σT L 4πGcm p L M . ≈ 8 × 107 1046 erg/s
M• > Medd :=
(5.24) Aus der Leuchtkraft kann man daher eine untere Schranke für die Masse des SMBH ableiten. Für leuchtkräftige AGNs, wie etwa QSOs, erhält man typische Massen von M• 108 M , während für Seyfert-Galaxien untere Schranken von M• 106 M gelten. Das SMBH in unserer Galaxis könnte also im Prinzip eine Seyfert-Galaxie mit Energie versorgen. In der Betrachtung, die zur Definition der EddingtonLeuchtkraft führte, wurde implizit angenommen, dass die Emission der Strahlung isotrop ist. Im Prinzip kann man das obige Argument einer maximalen Leuchtkraft umgehen und damit Leuchtkräfte größer als die Eddington-Leuchtkraft erhalten, wenn die Emission sehr stark anisotrop ist. Ein geometrisches Bild dafür wäre etwa die Akkretion in einer Scheibe in der Äquatorialebene und die Emission des größten Teils der Strahlung entlang der Polachsen (siehe Abb. 5.18). In der Tat wurden Modelle dieser Art konstruiert und gezeigt, dass man das Eddington-Limit dadurch umgehen kann, aber um keinen sehr großen Faktor. Die Möglichkeit der anisotropen Emission hat eine weitere sehr wichtige Konsequenz. Um aus dem beobachteten Fluss einer Quelle die Leuchtkraft abzuleiten, benutzt man die
5. Aktive Galaxienkerne 198
Abb. 5.18. Vorstellung vom innersten Bereich der Akkretionsscheibe. Durch die hohen Temperaturen im Innersten kann der Druck dominiert werden vom Strahlungsdruck innerhalb der Scheibe, der dann den ,,normalen“ Gasdruck übersteigt. Dies führt zu einem Aufblähen zu einer dicken Scheibe. Strahlung vom dicken Teil der Scheibe kann dann auf den dünnen Teil der Scheibe treffen und dort reflektiert werden. Diese Reflektion ist eine plausible Erklärung der Röntgenspektren von AGNs
Beziehung L = 4πDL2 S, die implizit auf der Annahme einer isotropen Emission beruht. Wenn aber die Abstrahlung anisotrop ist und daher von der Richtung zum Beobachter abhängt, dann kann die wahre Leuchtkraft deutlich von derjenigen abweichen, die man unter der Annahme der isotropen Emission ableitet. Wir werden später noch genauer auf die Evidenz für eine anisotrope Abstrahlung eingehen. Eddington-Akkretionsrate. Falls die Umsetzung der einfallenden Masse in Energie mit der Effizienz geschieht, kann man die Akkretionsrate bestimmen, 1 L M L ; (5.25) m˙ = 2 ≈ 0.18 c 1046 erg/s 1 yr da die maximale Effizienz von der Größenordnung ∼ 0.1 ist, impliziert dies bei sehr leuchtkräftigen QSOs Akkretionsraten von typischerweise einigen Sonnenmassen pro Jahr. Misst man L in Einheiten der Eddington-Leuchtkraft, so ergibt sich mit (5.23) L 1.3 × 1038 erg/s M• L m˙ = ≡ m˙ edd , 2 L edd c M L edd (5.26) wobei im letzten Schritt die Eddington-Akkretionsrate definiert wurde, L edd 1 m˙ edd = 2 ≈ 2 × 10−9 M• yr−1 . (5.27) c
Anwachsrate der Masse des SMBH. Die EddingtonAkkretionsrate ist die maximale Akkretionsrate, falls isotrope Emission angenommen wird, und sie hängt von der angenommenen Effizienz ab. Wir können nun eine charakteristische Zeit abschätzen, in der die Masse des SMBH signifikant anwächst, durch M• L −1 5 × 108 yr , (5.28) ≈ tevo := m˙ L edd d. h. selbst bei effizienter Energieerzeugung ( ∼ 0.1) kann die Masse des SMBH auf kosmologisch kurzen Zeitskalen durch Akkretion stark anwachsen. Dies ist aber nicht der einzige Mechanismus, der SMBHs großer Masse erzeugen kann, sondern sie können auch bei der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher mit jeweils kleinerer Masse gebildet werden, wie man das nach der Verschmelzung zweier Galaxien erwarten würde, wenn beide Partner ein SMBH im Zentrum besessen haben. Wir werden später diesen Punkt noch genauer diskutieren.
5.4
Komponenten eines AGN
Im Gegensatz zu Sternen, die eine einfache Geometrie besitzen, erwartet man in AGNs mehrere Quellkomponenten mit verschiedener, eventuell ziemlich komplexer geometrischer Anordnung, die die verschiedenen Komponenten des Spektrums erzeugen, wie sie in der Abb. 5.19 skizziert sind. Akkretionsscheiben und Jets in AGN sind klare Hinweise auf deutliche Abweichungen von der sphärischen Symmetrie in diesen Quellen. Die Relation zwischen den Quellkomponenten und den entsprechenden spektralen Komponenten ist nicht immer offensichtlich, aber eine Kombination von theoretischen Überlegungen und detaillierten Beobachtungen hat zu teilweise recht befriedigenden Modellen geführt. 5.4.1
Das IR, optische und UV-Kontinuum
In Abschn. 5.3.2 haben wir eine Akkretionsscheibe betrachtet, deren charakteristische Temperatur aus (5.14) folgt, 1/4 m˙ T(r) ≈ 6.3 × 105 K m˙ edd −1/2 −3/4 M• r × . (5.29) 108 M rS
5.4 Komponenten eines AGN 199
Abb. 5.19. Skizze des typischen spektralen Verlaufs eines QSOs; dabei wird unterschieden zwischen radiolauten (gestrichelt) und radioruhigen (durchgezogen) QSOs. Aufgetragen ist νSν (in beliebigen Einheiten), so dass ein flacher Verlauf des Spektrums gleiche Energie pro logarithmischen Frequenzintervallen entspräche. Am deutlichsten sticht der Big Blue Bump heraus, ein breites Maximum im UV bis hin zum weichen Röntgenbereich des Spektrums. Weiterhin sieht man ein weniger deutlich ausgeprägtes Maximum im IR. Zu höheren Energien im Röntgenbereich steigt das Spektrum an – typischerweise ∼ 10% der Gesamtenergie wird im Röntgenbereich abgestrahlt
Die thermische Emission einer Akkretionsscheibe mit diesem Temperaturverlauf ergibt ein breites Spektrum mit einem Maximum im UV-Bereich. Das Kontinuumsspektrum von QSOs zeigt tatsächlich einen deutlichen Anstieg zum UV, bis hin zu der Grenze der beobachtbaren Wellenlängen, d. h. λ 1000 Å (wobei dies die beobachtete Wellenlänge ist; QSOs mit großer Rotverschiebung kann man bei erheblich kleinerer Wellenlänge im Ruhesystem des QSOs beobachten). Für Wellenlängen λ ≤ 912 Å setzt photoelektrische Absorption des neutralen Wasserstoffs im ISM der Galaxis ein, weshalb unsere Milchstraße für diese Strahlung undurchlässig ist. Erst bei deutlich höheren Frequenzen, nämlich im weichen Röntgenbereich (h P ν 0.2 keV), kann man den extragalaktischen Himmel wieder beobachten. Wenn die UV-Strahlung eines QSOs im Wesentlichen von einer Akkretionsscheibe stammt, wie das wegen des beobachteten Anstiegs des Spektrums zum UV hin zu vermuten ist, so stellt sich die Frage,
ob man diese thermische Emission der Scheibe auch noch im Röntgenbereich wiederfindet, so dass das Spektrum über den unbeobachtbaren Bereich zwischen 13 eV h P ν 0.2 keV mit einem solchen Akkretionsscheibenspektrum interpoliert werden kann. Dies scheint in der Tat der Fall zu sein. Das Röntgenspektrum von QSOs zeigt oftmals einen sehr einfachen Verlauf in Form eines Potenzgesetzes, Sν ∝ ν−α , wobei α ∼ 0.7 ein charakteristischer Wert ist. Das Spektrum folgt diesem Potenzgesetz allerdings erst ab Energien von ∼ 0.5 keV, und für kleinere Energien ist der spektrale Fluss größer als durch die Extrapolation des Potenzspektrums von höheren Energien vorhergesagt wird. Eine Interpretation dieses Befundes besteht nun darin, dass man annimmt, die Quelle der Röntgenemission produziere ein einfaches Potenzspektrum und der zusätzliche Fluss bei kleinen Röntgenenergien stamme von der thermischen Emission der Akkretionsscheibe (siehe Abb. 5.19). Vermutlich gehören daher diese beiden spektralen Eigenschaften – der Anstieg des Spektrums hin zum UV und der Überschuss der Strahlung im weichen Röntgenbereich – zusammen und sind die beiden Flügel eines breiten Maximums der Energieverteilung, welches sich selbst im für uns nicht beobachtbaren spektralen Bereich befindet. Man nennt dieses Maximum den Big Blue Bump (BBB). Die Beschreibung des BBB ist mittels detaillierter Modelle von Akkretionsscheiben möglich (Abb. 5.20). Allerdings ist dafür die Annahme eines lokalen Planckspektrums an jeder Stelle der Scheibe zu einfach, da die Struktur der Akkretionsscheibe komplizierter ist. Die spektralen Eigenschaften einer Akkretionsscheibe müssen an jedem Radius durch eine ,,Atmosphäre“, ähnlich wie bei Sternen, modelliert werden. Neben dem BBB gibt es zusätzlich ein weiteres Maximum im MIR (IR-Bump). Dieser ist beschreibbar als thermische Emission von warmem Staub (T 2000 K). Weiter unten werden wir weitere Hinweise auf solchen Staub auch aus anderen Beobachtungen diskutieren. Das optische Kontinuum von Blazaren ist gegenüber den Seyfert-Galaxien und den QSOs verschieden. Es zeichnet sich häufig durch einen spektralen Verlauf aus, der in sehr guter Näherung einem Potenzgesetz folgt, und ist stark variabel und polarisiert. All dies deutet darauf hin, dass es sich vorwiegend um nichtthermische Strahlung handelt. Der Ursprung dieser
5. Aktive Galaxienkerne 200
Abb. 5.20. Spektrum des QSOs PKS0405−123 bei z = 0.57 (Datenpunkte mit Fehlerbalken) vom NIR- über den sichtbaren bis hin zum UV-Bereich, und ein Modell für dieses Spektrum (durchgezogene Kurve). Dieses setzt sich zusammen aus der Strahlung einer Akkretionsscheibe, die den Big Blue Bump hervorruft und deren Spektrum aus drei unterschiedlichen Radius-Bereichen auch getrennt gezeigt ist, dem Balmer-Kontinuum und einem unterliegenden Potenzspektrum, welches etwa aus der Synchrotron-Emission stammen kann
Strahlung ist daher vermutlich nicht in einer Akkretionsscheibe zu finden, sondern man vermutet, dass diese Strahlung aus den relativistischen Jets stammt, die wir bereits im Radio-Bereich kennengelernt haben und deren Synchrotronstrahlung sich bis hin zu optischen Wellenlängen erstreckt. Diese Annahme konnte in vielen Fällen durch die (HST-)Beobachtung optischer Strahlung von Jets untermauert werden (siehe Abb. 5.12 und Abschn. 5.5.4). 5.4.2
Die breiten Emissionslinien
Charakteristika der Broad Line Region. Eines der überraschenden Charakteristika von AGNs ist die Existenz sehr breiter Emissionslinien. Als Dopplergeschwindigkeiten interpretiert ergeben sich Werte für die Breite der Geschwindigkeitsverteilung der Komponenten im Emissionsgebiet von Δv 10 000 km/s (oder Δλ/λ 0.03). Es kann sich dabei nicht um eine thermische Linienverbreiterung handeln, da dann kB T ∼ m p (Δv)2 /2 ∼ 1 MeV, oder T ∼ 1010 K wäre – bei solchen Temperaturen gibt es keine Emissionsli-
nien mehr, weil die Atome dann vollständig ionisiert wären (ganz abgesehen davon, dass bei solchen Temperaturen ein Plasma e+ e− -Paare effizient erzeugen würde und die entsprechende Annihilationslinie bei 511 keV in der Gamma-Strahlung eventuell sichtbar wäre). Daher interpretiert man die beobachtete Linienbreite als Doppler-Verbreiterung. Das Gas, welches diese Linien emittiert, hat demnach großskalige Geschwindigkeiten von etwa 10 000 km/s. Solch hohe Geschwindigkeiten deuten auf die Anwesenheit eines starken Gravitationsfeldes hin, wie es etwa nahe an einem SMBH existiert. Wenn die Emission der Linien durch Gas geschieht, welches sich im Abstand r von einem SMBH bewegt, dann ergeben sich charakteristische Geschwindigkeiten von −1/2 G M• c r =√ , vrot ∼ r 2 rS so dass sich für Bewegungen mit v ∼ c/30 eine radiale Entfernung ergibt von r ∼ 500 . rS Die Dopplerverbreiterung der breiten Emissionslinien kann also durch Keplersche Rotation bei Radien von etwa 1000 rS erzeugt werden. Diese Abschätzung beruht zwar auf der Annahme einer Rotationsbewegung, aber die Einfallgeschwindigkeit beim freien Fall unterscheidet sich von der Rotationsgeschwin√ digkeit um nicht mehr als einen Faktor 2, so dass für diese grobe Abschätzung der kinematische Zustand des emittierenden Gases unerheblich ist, solange nur die Gravitation für das Vorhandensein der hohen Geschwindigkeiten verantwortlich ist. Man bezeichnet den Bereich, in dem die breiten Emissionslinien erzeugt werden, als die Broad Line Region (BLR). Die Dichte des Gases in der BLR kann man aus den beobachteten Linien abschätzen. Dazu stellt man zunächst fest, dass unter den breiten Linien sowohl erlaubte Übergänge, wie etwa Lyα, MgII und CIV, als auch halbverbotene (z. B. CIII], NIV]) vorkommen, aber keine Linien von verbotenen Übergängen. Die Unterscheidung von erlaubten, halbverbotenen und verbotenen Übergängen erfolgt mittels der quantenmechanischen Übergangswahrscheinlichkeiten bzw. der sich daraus ergebenden mittleren Zeit für einen spontanen Strahlungsübergang. Bei den erlaubten Übergängen
5.4 Komponenten eines AGN 201
handelt es sich um elektrische Dipolstrahlung, die eine große Übergangswahrscheinlichkeit besitzt und deren Lebensdauer im angeregten Zustand daher typischerweise nur 10−8 s beträgt. Bei verbotenen Übergängen ist die Zeitskala deutlich größer, typischerweise 1 s, weil deren quantenmechanische Übergangswahrscheinlichkeit deutlich geringer ist. Halbverbotene Übergänge besitzen eine Lebensdauer, die zwischen diesen Werten liegt. Um die verschiedenen Arten der Übergänge zu kennzeichnen, benutzt man bei verboten Übergängen eine Doppelklammer, wie bei [OIII], während halbverbotene Übergänge durch eine einfache Klammer gekennzeichnet werden, etwa bei CIII]. Ein angeregtes Atom kann entweder durch spontane Emission eines Photons oder durch Stöße mit anderen Atomen durch Energieabgabe in den Grundzustand übergehen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Strahlungsübergang ist durch atomare Parameter bestimmt, während die Stoßabregung von der Dichte des Gases abhängt. Falls die Dichte des Gases groß ist, ist die mittlere Zeit zwischen zwei Stößen sehr viel kleiner als die mittlere Lebensdauer von verbotenen oder halbverbotenen Strahlungsübergängen, so dass die entsprechenden Linienphotonen nicht beobachtet werden.5 Aus der Abwesenheit von verbotenen Linien erhält man daher eine untere Schranke an die Gasdichte, und das Vorhandensein halbverbotener Linien beschränkt die Dichte nach oben. Um dieses Argument von der chemischen Zusammensetzung des Gases möglichst unabhängig machen zu können, benutzt man für diese Abschätzungen Übergänge des gleichen Elements, was allerdings nicht immer möglich ist. Aus der Anwesenheit von CIII] und der nichtbeobachteten [OIII]-Linie ergibt sich mittels Modellrechnungen eine Dichteabschätzung von n e ∼ 3 × 109 cm−3 . Weiterhin kann man aus den Ionisationsstufen der Elemente, aus denen die Linien stammen, eine Temperatur abschätzen, die typischerweise T ∼ 20 000 K beträgt. Detaillierte Photoionisationsmodelle der BLR sind sehr erfolgreich und können Details von Linienverhältnissen sehr gut wiedergeben. Wiederum kann man aus der Dichte des Gases und seiner Temperatur das Emissionsmaß berechnen (d. h. 5 Damit
verbotene Linienübergänge sichtbar werden, muss die Gasdichte sehr klein sein. Solche kleinen Dichten kann man im Labor nicht herstellen, so dass verbotene Linien in Laborspektren tatsächlich nicht beobachtet werden können, also ,,verboten“ sind.
die Anzahl der Linienphotonen pro Volumenelement). Aus der beobachteten Linienstärke und der Entfernung zum AGN kann man dann die Anzahl der insgesamt emittierten Linienphotonen berechnen und nach Division durch das Emissionsmaß das Volumen bestimmen, welches das emittierende Gas einnimmt. Dabei stellt sich heraus, dass dieses Volumen sehr viel kleiner ist als das gesamte Volumen (∼ r 3 ) der BLR. Daraus folgert man, dass die BLR nicht homogen mit Gas gefüllt ist, sondern einen sehr kleinen Füllfaktor hat. Das Gas, aus dem die breiten Linien stammen, nimmt nur etwa 10−7 des Volumens der BLR ein, ist also in ,,Wolken“ konzentriert. Geometrisches Bild der BLR. Aus den oben beschriebenen Überlegungen erhält man also die Vorstellung, dass die BLR Gas-,,Wolken“ mit einer charakteristischen Teilchendichte von n e ∼ 109 cm−3 enthält. In diesen Wolken finden Heizungs- und Kühlungsprozesse statt. Der vermutlich wesentliche Kühlungsprozess ist die beobachtete Emission in Form von breiten Emissionslinien. Die Heizung des Gases geschieht durch die energetische Kontinuumsstrahlung des AGN, die das Gas photoionisiert, ähnlich wie in Galaktischen Gaswolken. Die Differenz zwischen der Energie eines Photons und der Ionisationsenergie ergibt die Energie des von ihm freigesetzten Elektrons, die dann durch Stöße thermalisiert wird und daher zur Aufheizung des Gases führt. Im stationären Zustand ist die Heizrate gerade gleich der Kühlung, und aus dieser Gleichgewichtsbedingung ergibt sich die Temperatur, die sich in den Wolken einstellt. Aus dem Vergleich von Kontinuumsstrahlung und Linienemission erhält man den Bruchteil der ionisierenden Kontinuumsphotonen, die von den Wolken der BLR absorbiert werden. Dieser ergibt sich zu etwa 10%. Falls die Wolken optisch dick sind, was der Fall ist, so ist der Bruchteil der absorbierten Kontinuumsphotonen gleichzeitig der Anteil des Raumwinkels, den die Wolken, von der zentralen Kontinuumsquelle her betrachtet, einnehmen. Aus dem Füllfaktor und diesem eingenommenen Raumwinkel kann man dann die charakteristische Größe der Wolken abschätzen, wobei sich typische Werte von etwa 1011 cm ergeben. Weiterhin kann man mit diesen Überlegungen die Anzahl von Wolken in der BLR abschätzen, wobei sich etwa 1010 als typischer Wert herausstellt.
5. Aktive Galaxienkerne 202
Die charakteristische Geschwindigkeit der Wolken entspricht der Linienbreite, also mehrere Tausend km/s. Allerdings ist die Kinematik der Wolken unbekannt. Wir wissen nicht, ob diese um das SMBH rotieren, ob sie einfallen oder ausströmen, oder ob sie eine eher chaotische Bewegung vollführen. Es ist auch denkbar, dass es innerhalb der BLR verschiedene Gebiete gibt, deren kinematische Eigenschaften sich voneinander unterscheiden. Eine direkte Methode zur Untersuchung der Ausdehnung der BLR stellt das Reverberation Mapping dar. Dabei macht man sich zunutze, dass die Heizung und die Ionisation des Gases in der BLR aus der Kontinuumsemission des AGN stammt. Da die UV-Strahlung von AGNs variiert, erwartet man eine entsprechende Variation der physikalischen Bedingungen innerhalb der BLR. Abnehmender Kontinuumsfluss sollte in diesem Bild dann zu einem kleineren Linienfluss führen, wie dies in Abb. 5.21 auch gezeigt ist. Da die BLR eine endliche Ausdehnung hat, wird die Variabilität in den Linien etwas zeitverzögert zu beobachten sein. Diese Zeitverzögerung Δt ist mit der Lichtlauf-
zeit durch die BLR zu identifizieren, Δt ∼ r/c. Anders ausgedrückt, die BLR ,,weiß“ erst nach einer Zeit Δt, dass die Kontinuumsquelle variiert hat. Aus der beobachteten korrelierten Variabilität von Kontinuums- und Linienstrahlung kann man Δt für verschiedene Linienübergänge bestimmen und daher die entsprechenden Werte für r abschätzen. Solche Untersuchungen des Reverberation Mappings sind extrem aufwendig, da man das Kontinuumslicht und gleichzeitig die Linienflüsse von AGNs über einen langen Zeitraum kontinuierlich überwachen muss. Die hier relevanten Zeitskalen betragen typischerweise Monate für Seyfert 1-Galaxien (siehe Abb. 5.22). Zur Durchführung solcher Messreihen sind koordinierte Kampagnen an vielen Observatorien notwendig, da man möglichst lückenlose Lichtkurven aufnehmen muss und vom lokalen Wetter an einem Observatorium dabei nicht abhängig sein will. Aus den Ergebnissen solcher Kampagnen und der Korrelation der Lichtkurven im UV-Kontinuum und den verschiedenen Linienflüssen (Abb. 5.23) erhält man das Bild einer inhomogenen BLR, die einen breiten Bereich in r einnimmt und da-
Abb. 5.21. Links ist das UV-Spektrum der Seyfert 1-Galaxie NGC 5548 zu zwei verschiedenen Epochen aufgetragen, in denen die Quelle stark bzw. schwach strahlte. Man erkennt deutlich, dass nicht nur die Kontinuumsstrahlung in dieser Quelle variiert, sondern auch die Stärke der Emissionslinien. Rechts ist der Fluss des Kontinuums bei ∼ 1300 Å, der CIV-Linie bei λ = 1549 Å, und der HeII-Linie bei λ = 1640 Å aufgetragen, als Funktion des Flusses im nahen UV, zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb einer 8-monatigen Beobachtungskampagne mit dem IUE
5.4 Komponenten eines AGN 203 Abb. 5.22. Lichtkurve von NGC 5548 über einen Zeitraum von 8 Monaten, bei verschiedenen Wellenlängen. Im linken Bild sind das, von oben nach unten, das Kontinuum bei λ = 1350 Å, λ = 1840 Å und λ = 2670 Å, die breiten starken Emissionslinien Lyα und CIV, sowie die optische Lichtkurve. Im rechten Bild sind die Linienstärken der schwächeren Linien NV bei λ = 1240 Å, SiIV+OIV] bei λ = 1402 Å, HeII bei λ = 1640 Å, CIII] bei λ = 1909 Å und MgII bei λ = 2798 Å dargestellt
bei geschichtet ist. Die Ausdehnung der BLR skaliert mit der Leuchtkraft des AGN. Die Ionisationsstruktur der BLR variiert mit r; je größer die Ionisationsenergie von Übergängen, umso kleiner ist der entsprechende Radius r. Für die Seyfert 1-Galaxie NGC 5548 findet man Δt ∼ 12 d für Lyα, etwa Δt ∼ 26 d für CIII] und ca. 50 d für MgII. Das mag auch nicht verwundern, da die Stärke des Ionisationsflusses mit kleinerem r zunimmt. Weiterhin sind die relativen Flussvariatio-
nen bei Linien höherer Ionisationsenergie größer, wie das auch in Abb. 5.9 zu erkennen ist. Dieses Bild ist auch damit verträglich, dass die Breite der verschiedenen Linien unterschiedlich ist: Linien der höheren Ionisationsstufen sind breiter. Weiterhin haben Linien höherer Ionisationsenergie gegenüber den schmaleren Emissionslinien eine systematisch zum Blauen hin verschobene mittlere Rotverschiebung. Dies deutet auf eine radiale Bewegung der Wolken hin, zusammen mit ei-
5. Aktive Galaxienkerne 204 Abb. 5.23. Die verschiedenen Lichtkurven aus Abb. 5.22 werden korreliert mit dem Kontinuumfluss bei λ = 1350 Å. Die AutoKorrelationsfunktion ist als durchgezogene Kurve in den mittleren Figuren zu sehen, das andere sind Kreuz-Korrelationen. Man sieht, dass das Maximum der Korrelation nach positiven Zeiten hin verschoben ist – Variationen im Kontinuumfluss spiegeln sich nicht simultan in den Emissionslinien wider, sondern erst nach einer zeitlichen Verzögerung. Diese zeitliche Verzögerung entspricht der Lichtlaufzeit vom ,,Zentrum“ des AGN zu den Wolken der BLR, in denen die entsprechenden Linien emittiert werden. Je kleiner der Ionisationsgrad des entsprechenden Ions, umso größer ist die Verzögerung. So erhält man für Lyα eine Verzögerung von 12 Tagen, für CIII] 26 Tage, und für MgII etwa 50 Tage, wobei letzterer Wert nicht genau bestimmt werden kann, da die relativen Flussvariationen dieser Linie klein sind und daher die Korrelationfunktion ein recht flaches Maximum aufweist
ner intrinsischen Absorption eines Teils der BLR durch dazwischenliegendes absorbierendes Material. Als einfaches aber keineswegs einziges Bild bietet sich hier eine ausströmende Bewegung der Wolken in der BLR an, wobei wir diejenigen Wolken, die sich von uns aus gesehen ,,hinter“ der Akkretionsscheibe befinden, durch
Absorption nur abgeschwächt sehen können. Dadurch wird die empfangene Linienstrahlung von den Wolken dominiert, die sich auf uns zubewegen, weswegen sie systematisch blauverschoben ist. Die Natur der Wolken in der BLR ist unbekannt. Ihre kleine Ausdehnung und ihre hohe Temperatur implizie-
5.4 Komponenten eines AGN 205
ren, dass sie auf sehr kurzen Zeitskalen verdampfen, wenn sie nicht stabilisiert werden. Daher müssen diese Wolken sich entweder stets erneuern oder aber stabilisiert werden, entweder durch externen Druck, z. B. eines sehr heißen aber dünnen Mediums in der BLR zwischen den Wolken, Magnetfelder, oder gar gravitativ. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die ,,Wolken“ die ausgedehnten Atmosphären von Sternen sind, was allerdings eine sehr große (zu große?) Gesamtmasse der BLR implizieren würde.
Neben den breiten Emissionslinien, die in QSOs, Seyfert 1-Galaxien und BLRGs auftreten, zeigen die meisten AGNs (außer den BL Lacs) schmalere Emissionslinien. Deren typische Breite beträgt etwa 400 km/s, also wesentlich schmaler als die Linien der BLR, aber dennoch wesentlich breiter als charakteristische Geschwindigkeiten in normalen Galaxien. In Analogie zur BLR bezeichnet man das Gebiet, in dem diese Linien erzeugt werden, als Narrow Line Region (NLR). Von den Linien der NLR ist neben Lyα und CIV die verbotene [OIII]-Linie bei λ = 5007 Å am stärksten. Das Auftreten von verbotenen Linien zeigt, dass die Dichte
des Gases in der NLR wesentlich kleiner ist als in der BLR. Aus Abschätzungen in Analogie zu denen in der BLR können die charakteristischen Eigenschaften der NLR bestimmt werden, wobei aufgrund der Ausdehnung der NLR von ∼ 100 pc kein Reverberation Mapping durchgeführt werden kann. Aufgrund dieser Ausdehnung der NLR erwartet man keine Variabilität der Linienintensitäten auf den der Beobachtung zugänglichen Zeitskalen, und diese wurden auch nicht gefunden. Aus den Linienverhältnissen von erlaubten und verbotenen Linien folgt n e ∼ 103 cm−3 für die typische Dichte des Gases, aus dem die Linien stammen. Die charakteristische Temperatur des Gases ergibt sich ebenfalls aus Linienverhältnissen, T ∼ 16 000 K, ist also etwas niedriger als in der BLR. Der Füllfaktor ist ebenfalls deutlich kleiner als eins und beträgt etwa 10−2 . Daher ergibt sich auch das Bild von ,,Wolken“ in der NLR. Wie bei der BLR sind die Eigenschaften der NLR nicht homogen, sondern variieren mit r. Da die Ausdehnung der NLR in Seyfert-Galaxien von der Größenordnung r ∼ 100 pc ist, kann man sie für nahe Seyfert-Galaxien räumlich auflösen. Die Morphologie der NLR ist sehr interessant: Sie ist nicht sphärisch, sondern erstreckt sich in zwei kegelförmigen
Abb. 5.24. Bild der Seyfert-Galaxie NGC 5728; links eine großskalige Aufnahme, die die Scheibengalaxie zeigt, rechts eine HST-Aufnahme des zentralen Bereichs im Filter einer schmalen Emissionslinie. Diese Aufnahme zeigt die räumlich aufgelöste NLR. Man sieht, dass diese nicht sphärisch
ist, sondern im Wesentlichen aus zwei Kegeln besteht. Daraus schließt man, dass die ionisierende Strahlung des AGN nicht isotrop, sondern bevorzugt entlang zweier Richtungen, senkrecht zur Scheibe der Galaxie (und damit vermutlich senkrecht zur zentralen Akkretionsscheibe) emittiert wird
5.4.3
Schmale Emissionslinien
5. Aktive Galaxienkerne 206
Bereichen (Abb. 5.24). Es scheint, als ob die Ionisation der NLR durch die Kontinuumsstrahlung des AGN nicht isotrop, sondern stark richtungsabhängig ist. 5.4.4
Die Röntgenemission
Da man erwartet, dass die energiereichste Strahlung eines AGN ganz in der Nähe des SMBHs erzeugt wird, ist die Röntgenemission von AGNs besonders interessant, um das Innerste dieser Objekte zu erproben. Tatsächlich ist die Variabilität auf sehr kurzen Zeitskalen (siehe Abb. 5.9) ein deutliches Zeichen für eine kleine Ausdehnung der Röntgenquelle. In erster Näherung ist das Röntgenspektrum charakterisiert durch ein Potenzgesetz Sν ∝ ν−α mit Steigung α ∼ 0.7. Bei Energien h P ν 10 keV liegt das Spektrum über der Extrapolation dieses Potenzgesetzes, ist also flacher. Zu kleineren Röntgenenergien hin scheint das Spektrum steiler als das Potenzgesetz anzusteigen, was vermutlich auf den blauen Teil des BBB zurückzuführen ist, wie bereits oben erwähnt. Neben dieser Kontinuumsstrahlung findet man im Röntgenbereich Emissions- und Absorptionslinien, wobei die stärksten Linien von hochionisiertem Eisen stammen. Die Empfindlichkeit und spektrale Auflösung der neuen Röntgenteleskope Chandra und XMMNewton haben die Röntgenspektroskopie von AGNs enorm befördert; die Abb. 5.25 zeigt ein Beispiel für die Qualität solcher Spektren.
Die Röntgenemission von Seyfert 1- und Seyfert 2Galaxien ist sehr unterschiedlich. Im Energiebereich des Röntgensatelliten ROSAT (0.1 keV ≤ h P ν ≤ 2.4 keV) wurden deutlich mehr Seyfert 1-Galaxien entdeckt als Seyfert 2. Die Ursache dafür wurde mit Chandra und XMM-Newton aufgeklärt. Diese beiden Satelliten sind, im Gegensatz zu ROSAT, bis zu Energien von h P ν ∼ 10 keV empfindlich und haben Seyfert 2Galaxien in großer Zahl nachgewiesen. Allerdings ist deren Spektrum von dem der Seyfert 1-Galaxien verschieden, denn es ist zu kleinen Röntgenenergien hin abgeschnitten. Das Spektrum deutet auf die Anwesenheit eines Absorbers hin, dessen Säulendichte im Wasserstoff 1022 cm−2 beträgt, in einigen Fällen sogar um Größenordnungen mehr. Wir werden dieses Faktum im Rahmen von Vereinheitlichungsmodellen (Abschn. 5.5) der AGN benutzen. 5.4.5
Die Host-Galaxie
Wie schon der Begriff ,,Aktive Galaxienkerne“ impliziert, werden AGNs als zentrale ,,Maschine“ in ansonsten ziemlich normalen Galaxien betrachtet. Diese Aktivität im Kern wird durch die Akkretion von Materie auf ein SMBH gespeist. Da scheinbar alle Galaxien (zumindest diejenigen mit einer sphäroidalen Komponente) ein SMBH beherbergen, ist die Frage der Aktivität die nach der Akkretionsrate. Was also macht eine Seyfert-Galaxie zu einer solchen, warum sind die
Abb. 5.25. Röntgenspektrum des Quasars IRAS 13349+2438 (z = 0.108), aufgenommen mit dem XMM-Satelliten. Verschiedene Absorptionslinien sind gekennzeichnet
5.4 Komponenten eines AGN 207
meisten SMBHs praktisch inaktiv? Und wodurch gelangt Material in die Nähe des SMBH, um dann als Brennstoff zur Verfügung zu stehen? Lange Zeit war nicht klar, ob auch QSOs in einer Galaxie beheimatet sind. Ihre große Leuchtkraft macht es schwierig, die umgebende Galaxie auf Aufnahmen zu erkennen, wenn diese vom Boden aus gemacht werden und die Auflösung durch das Seeing auf ∼ 1 begrenzt ist. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurden zum ersten Mal die umgebenden Galaxien von einigen QSOs abgebildet, aber erst mit dem HST wurde es möglich, von den Host-Galaxien der QSOs deutliche
Aufnahmen zu erhalten (siehe Abb. 5.26) und sie damit eindeutig in die Klasse der galaktischen Kerne mit aufzunehmen. Dabei stellt sich heraus, dass die HostGalaxien von QSOs oftmals stark gestört sind, z. B. durch Gezeitenwechselwirkung mit anderen Galaxien oder gar durch Verschmelzungsprozesse. Diese Störungen des Gravitationspotentials werden als essentiell angesehen, damit Gas die Drehimpulsbarriere überwinden und ins Zentrum der Galaxie gelangen kann. Gleichzeitig scheinen solche Störungen auch die Sternentstehungsrate enorm ansteigen zu lassen, da auch Starburst-Galaxien sehr häufig durch Störungen und
Abb. 5.26. HST-Aufnahmen von QSOs. In allen Fällen ist deutlich die Host-Galaxie zu erkennen, während der QSO selbst als (zentrale) Punktquelle in diesen Bildern zu sehen ist. Oben links: PG 0052+251 befindet sich im Zentrum einer anscheinend normalen Spiralgalaxie. Unten links: PHL 909 befindet sich anscheinend im Zentrum einer normalen Ellipse. Mitte oben: Der QSO IRAS 04505−2958 ist offensichtlich Teil einer Kollision zweier Galaxien und wird vielleicht von dem aufgrund von Gezeitenkräften herausgerissenen Mate-
rial der Galaxien mit Energie versorgt. Um den QSO-Kern herum befindet sich ein Gebiet aktiver Sternentstehung. Auch PG 1012+008 (Mitte unten) ist Teil eines Paares verschmelzender Galaxien. Rechts oben: Die Host-Galaxie des QSOs 0316−346 scheint gerade einen Gezeitenarm einzufangen. Rechts unten: Der QSO IRAS 13218+0552 scheint in einer Galaxie zu liegen, die gerade einen Verschmelzungprozess durchlaufen hat
5. Aktive Galaxienkerne 208
Wechselwirkungen charakterisiert sind. Es scheint also ein enger Zusammenhang zwischen der AGN-Aktivität und Starbursts zu existieren. Aus den optischen oder NIR-Aufnahmen von QSOs (siehe Abb. 5.26) wird die Frage nicht eindeutig beantwortet, ob QSO-Hosts Spiralen oder Ellipsen sind.
5.5
Familiäre Beziehungen der AGNs
5.5.1
Vereinheitlichungsmodelle
In Abschn. 5.2 wurden die verschiedenen Typen der AGNs aufgelistet. Dabei hat sich gezeigt, dass es viele Eigenschaften gibt, die ihnen gemeinsam sind, doch es existieren auch deutliche Unterschiede. Daher liegt die Frage nahe, worin sich die verschiedenen Typen von AGNs unterscheiden, also warum einige als Broad Line Radio Galaxies erscheinen, andere dagegen als BL LacObjekte. Die Frage zielt natürlich auf die physikalischen Unterschiede der Klassen der AGNs. Gemeinsamkeiten. Als Gemeinsamkeiten bei allen AGN vermutet man ein SMBH als zentrale Maschine im Zentrum der Host-Galaxie und dazu eine Akkretionsscheibe, durch die das Loch gefüttert wird. Das legt nahe, eine Klassifizierung bezüglich M• und der Akkretionsrate m, ˙ oder, vielleicht relevanter, des Verhältnisses m/ ˙ m˙ edd durchzuführen. M• gibt über die EddingtonLeuchtkraft die maximale (isotrope) Leuchtkraft des SMBHs an, während das Verhältnis m/ ˙ m˙ edd die Akkretionsrate relativ zur maximal möglichen beschreibt. Weiterhin legen die beobachteten Eigenschaften, insbesondere der scheinbar fließende Übergang zwischen den verschiedenen Klassen, nahe, dass radioruhige Quasare und Seyfert-Typ 1-Galaxien sich im Wesentlichen nur in ihrer zentralen Leuchtkraft unterscheiden. Daraus würde man folgern, dass sie einen ähnlichen Wert für m/ ˙ m˙ edd haben sollten, sich aber in M• unterscheiden. Eine analoge Argumentation gilt vielleicht auch für den Übergang von BLRG zu den radiolauten Quasaren. Der Unterschied zwischen diesen beiden Klassen besteht vielleicht in der Natur der Host-Galaxie: Radiogalaxien sind (und radiolaute QSOs sind in?) Elliptische Galaxien, Seyfert-Galaxien sind (und radioruhige QSOs sind in?) Spiralen. Es scheint auch eine Korrelation zwischen der Leuchtkraft des AGN und der Host-Galaxie zu geben, was man aufgrund der Korrelation zwi-
schen der Masse des SMBH und den Eigenschaften der Galaxie in ,,normalen Galaxien“ (Abschn. 3.5.3) auch erwarten würde, wenn die Leuchtkraft des AGN mit der entsprechenden Eddington-Leuchtkraft stark korreliert ist. Als weitere Frage stellt sich, inwieweit die Blazare und die Seyfert 2-Galaxien in dieses Schema hineinpassen. Anisotrope Abstrahlung. Im Rahmen des Modells eines SMBH plus einer Akkretionsscheibe gibt es einen weiteren Parameter, der einen Einfluss auf die beobachteten Charakteristika eines AGN haben wird, nämlich den Winkel zwischen der Rotationsachse der Scheibe und der Richtung, aus der wir den AGN beobachten. Dazu ist zu bemerken, dass es viele Hinweise darauf gibt, dass die Abstrahlung eines AGN nicht isotrop ist, sein Erscheinungsbild also abhängig ist von dieser Richtung. Dazu gehören u. a. der beobachtete Ionisationskegel in der NLR (siehe Abb. 5.24) und die Morphologie der Radioemission, denn die Radio-Lobes und Jets definieren eine Vorzugsachse. Weiterhin hat unsere Diskussion der Superluminal Motion gezeigt, dass die beobachteten überlichtschnellen Bewegungen nur dann zustande kommen, wenn die Richtung der Bewegung der Quellkomponenten nahe an der Richtung des Sehstrahls verläuft. Das Röntgenspektrum vieler AGNs zeigt intrinsische (photoelektrische) Absorption, die durch große Säulendichten von Gas hervorgerufen werden, wobei dieser Effekt hauptsächlich bei SeyfertGalaxien vom Typ 2 auftritt. Aufgrund dieser deutlichen Hinweise ist es naheliegend, die Abhängigkeit des Erscheinungsbildes eines AGN von der jeweiligen Sehrichtung zu untersuchen. So könnte beispielsweise der Unterschied zwischen Seyfert 1- und Seyfert 2-Galaxien im Wesentlichen in der Orientierung des AGNs relativ zur Sichtlinie bestehen. Breite Emissionslinien im polarisierten Licht. In der Tat hält eine weitere Beobachtung der Anisotropie der Emission einen Schlüssel zum Verständnis der Relation zwischen den AGN-Typen bereit, der die gerade geäußerte Vermutung stützt. Die Galaxie NGC 1068 hat keine breiten Emissionslinien und wird daher als Seyfert 2-Galaxie eingruppiert. Ein optisches Spektrum von NGC 1068 im polarisierten Licht zeigt hingegen breite Emissionslinien (Abb. 5.27), wie man sie bei einer Seyfert 1-Galaxie finden würde. Offensichtlich
5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs 209
Abb. 5.27. Spektrum der Seyfert 2-Galaxie NGC 1068. Im oberen Bild ist der Gesamtfluss dargestellt, der neben dem Kontinuum schmale Emissionslinien (insbesondere [OIII] bei λ = 5007 Å und λ = 4959 Å) zeigt. Im polarisierten Licht (unten) sieht man jedoch breite Emissionslinien (wie Hβ und Hγ ), wie sie für eine Seyfert 1-Galaxie typisch sind. Man schließt daher darauf, dass im durch Streuung polarisierten Licht die BLR sichtbar wird; daher sieht man die BLR nur über einen ,,Umweg“
besitzt die Galaxie eine BLR, die allerdings nur im polarisierten Licht zu sehen ist. Die Photonen, die von der BLR emittiert werden, sind zunächst unpolarisiert. Eine Polarisation kann jedoch durch Streuung des Lichtes zustande kommen, wobei die Richtung senkrecht zu den Richtungen von einfallendem und gesteutem Photon eine Vorzugsrichtung definiert, die dann die Richtung der Polarisation vorgibt. Die Interpretation dieser Beobachtung (siehe Abb. 5.28) besteht nun darin, dass NGC 1068 eine BLR besitzt, aber der direkte Blick auf sie für uns durch absorbierendes Material verdeckt ist. Dieser Absorber
umgibt aber die BLR nicht in allen Richtungen, sondern nimmt vom zentralen Kern aus betrachtet einen Raumwinkel < 4π ein. Unter dieser Annahme wäre die BLR von einer anderen Richtung aus zu sehen. Falls Photonen von der BLR an Staub oder Elektronen in der Weise gestreut werden, dass wir die gestreute Strahlung sehen können, dann wäre also im gestreuten Licht die BLR sichtbar. Das direkte Licht vom AGN überstrahlt das gestreute Licht völlig, weswegen letzteres im totalen Fluss nicht erkannt werden kann. Aber durch die Streuung wird die Strahlung auch polarisiert. Im polarisierten Licht wird die (unpolarisierte) direkte Strahlung unterdrückt, so dass man im gestreuten Licht die BLR sehen kann. Diese Interpretation wird weiterhin gestützt durch eine starke Korrelation der räumlichen Verteilung der Polarisation und der Farbe der Strahlung in NGC 1068 (siehe Abb. 5.29). Dies lässt den Schluss zu, dass der Unterschied zwischen Seyfert 1- und Seyfert 2-Galaxien in der Orientierung der Akkretionsscheibe und damit der Orientierung des absorbierenden Materials relativ zu unserem Sehstrahl besteht. Aus dem Zahlenverhältnis von Seyfert 1- zu Seyfert 2-Galaxien (welches etwa 1:2 beträgt) kann man den Bruchteil des Raumwinkels abschätzen, der vom AGN aus betrachtet unseren direkten Blick auf die BLR behindert. Dieses Verhältnis besagt dann, dass ca. 2/3 des Raumwinkels ,,versperrt“ ist. Ein solches Abblocken des Lichtes kann durch Staub erreicht werden. Man nimmt an, dass sich Staub in der Ebene der Akkretionsscheibe in Form eines ,,dicken Torus“ befindet (siehe Abb. 5.28 und Abb. 5.30 für ein suggestives Bild dieser Geometrie). Suche nach Typ 2-QSOs. Wenn also der Unterschied zwischen Seyfert-Galaxien vom Typ 1 und Typ 2 alleine durch ihre Orientierung hervorgerufen wird, und gleichzeitig der Unterschied zwischen Seyfert 1-Galaxien und QSOs im Wesentlichen einer der absoluten Leuchtkraft ist, so stellt sich Frage, ob es ein leuchtkräftiges Analogon zu den Seyfert 2-Galaxien gibt, eine Art Typ 2-QSO. Bis vor wenigen Jahren wurden solche Typ 2QSOs nicht beobachtet, was darauf schließen ließ, dass entweder wegen der hohen Leuchtkräfte in QSOs kein Staubtorus vorhanden ist (somit also keine Typ 2-QSOs existieren), oder aber Typ 2-QSOs sich als solche nicht leicht identifizieren lassen.
5. Aktive Galaxienkerne 210
Abb. 5.28. Skizze zur momentanen Vorstellung der Vereinheitlichung der AGN-Typen. Die eigentliche Akkretionsscheibe ist umgeben von einem dicken Torus, der Staub enthält und daher den Blick auf das Zentrum des AGN versperrt. Schaut man in Scheibenrichtung, ist daher der direkte Blick auf das Kontinuum und die BLR blockiert, während man sie
aus Richtungen näher an der Symmetrieachse der Scheibe direkt sehen kann. Der Unterschied zwischen Seyfert 1 (und BLRG) und Seyfert 2 (und NLRG) ist daher allein durch die Orientierung relativ zur Sichtlinie gegeben. Schaut man direkt entlang der Jet-Achse, erscheint der AGN als Blazar
Abb. 5.29. Die Konturen zeigen die Farbe der optischen Emission in der Seyfert 2-Galaxie NGC 1068, nämlich das Verhältnis der Flüsse im U-Band und im R-Band. Die Striche geben Stärke und Orientierung der Polarisation des B-Band-Lichtes an. Das Zentrum der Galaxie befindet sich bei Δα = 0 = Δδ. An dem Maximum der Bläulichkeit, links oberhalb des Zentrums, ist die Polarisation am stärksten und senkrecht zur Verbindungslinie zum Galaxienzentrum; dies ist die Polarisationsrichtung, die durch lokale Streuung an Elektronen erwartet wird. Dort also, wo die Streuung am stärksten ist, sieht man den größten Anteil des direkten Lichtes vom AGN, und das optische Spektrum von AGN ist wesentlich blauer als das Sternlicht von Galaxien
Inzwischen ist allerdings diese Frage eindeutig entschieden worden, da die neuen Röntgensatelliten Chandra und XMM-Newton die Population der Typ
2-QSOs identifiziert haben. Aufgrund der hohen Säulendichte des Wasserstoffs, der gemeinsam mit dem Staub in einem Torus verteilt ist, wird die niederener-
5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs 211 Abb. 5.30. Die Elliptische Galaxie NGC 4261. Links ist eine optische Aufnahme dieser Galaxie zu sehen, zusammen mit der in Orange gezeigten Radiostrahlung. Der innerste Bereich der Galaxie ist rechts in einer HST-Aufnahme zu sehen. Der Jet ist praktisch senkrecht zur zentralen Gasund Staubscheibe, was in Einklang mit den theoretischen Vorstellungen im Rahmen des Vereinheitlichungsmodells steht
getische Röntgenstrahlung entlang des Sehstrahls zum Zentrum dieser Quellen fast vollständig durch den photoelektrischen Effekt absorbiert. Diese Quellen waren daher mit ROSAT (E ≤ 2.4 keV) nicht sichtbar, aber der Energiebereich von Chandra und XMM-Newton bis 10 keV erlaubt die Röntgendetektion und Identifikation solcher Typ 2-QSOs. Als weitere Kandidaten für Typ 2-QSOs kommen die ULIRGs in Frage, bei denen die extreme IR-Leuchtkraft von großen Mengen warmen Staubs emittiert wird, der entweder von sehr starker Sternentstehung oder aber von einem AGN geheizt wird. Da die ULIRGs vergleichbare Gesamtleuchtkräfte wie die QSOs besitzen, wäre letztere Interpretation möglich. In der Tat ist die Unterscheidung zwischen beiden Möglichkeiten in individuellen ULIRGs nicht einfach zu treffen, und man findet Hinweise sowohl auf starke Sternentstehung als auch auf nicht-thermische Emission (etwa in Form von Röntgenemission) in vielen dieser Quellen. Dieser Befund weist darauf hin, dass starke Sternentstehung und die Akkretion auf ein SMBH in vielen Objekten verknüpfte Prozesse sind. Für beide Prozesse sind große Mengen an Gas notwendig, und die Tatsache, dass sowohl Starburst-Galaxien als auch AGNs häufig in wechselwirkenden Galaxien gefunden werden, wo-
bei durch diese Störung des Gravitationsfeldes Gas in das Zentrum der Galaxie einströmen kann, legt einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen nahe. Als Nächstes wollen wir untersuchen, wie die Blazare in dieses vereinheitlichte Schema passen. Einen ersten Hinweis darauf liefert die Tatsache, dass alle Blazare Radioquellen sind. Weiterhin haben wir mit unserer Interpretation der Superluminal Motion gesehen, dass deren Erscheinung und scheinbare Geschwindigkeit von der Orientierung der Quelle zu uns abhängt und eine relativistische Bewegung von Quellkomponenten voraussetzt. Um eine Interpretation des Blazar-Phänomens zu erhalten, der in das obige Schema hineinpasst, müssen wir uns zunächst mit einem Effekt beschäftigen, der sich aus der Speziellen Relativitätstheorie ergibt. 5.5.2
Beaming
Durch die relativistischen Geschwindigkeiten der Quellkomponenten relativ zu uns kommt ein weiterer Effekt zustande, den man als Beaming bezeichnet. Darunter versteht man den Effekt, dass der beobachtete Fluss einer Quelle, die sich bewegt, von ihrem Bewegungszustand relativ zum Beobachter abhängt. Ein Aspekt dieses Phänomens ist die Dopplerverschiebung
5. Aktive Galaxienkerne 212
im Frequenzraum: Der gemessene Fluss bei einer gegebenen Frequenz ist allein schon deshalb von dem einer unbewegten Quelle verschieden, weil der gemessenen Frequenz einer Doppler-verschobene Frequenz im Ruhesystem der Quelle entspricht. Ein weiterer Effekt, den man mittels der Speziellen Relativitätstheorie erhält, besteht darin, dass eine bewegte Quelle, die in ihrem Ruhesystem isotrop emittiert, eine anisotrope Abstrahlung hat, deren Winkelverteilung von ihrer Geschwindigkeit abhängt. Die Strahlung wird bevorzugt in Richtung des Geschwindigkeitsvektors der Quelle (also in Vorwärtsrichtung) emittiert, so dass eine Quelle dem Beobachter heller erscheint, wenn sie sich auf ihn zubewegt. Wir haben in Abschn. 4.3.2 die Relation (4.44) zwischen der Strahlungsintensität im Ruhesystem der Quelle und derjenigen im System des Beobachters bereits erwähnt. Diese impliziert aufgrund der starken Dopplerverschiebung, dass eine sich auf uns zu bewegende Quelle um einen Faktor 2+α 1 (5.30) D+ = γ(1 − β cos φ) heller erscheint als die ruhende Quelle, wobei α der Spektralindex ist; β = v/c, φ als Winkel zwischen dem Geschwindigkeitsvektor der Quellkomponente und dem Sehstrahl zwischen Quelle und uns, und der LorentzFaktor γ = (1 − β 2 )−1/2 wurden bereits in Abschn. 5.3.3 definiert. Schon für relativ schwach-relativistische Geschwindigkeiten (β ∼ 0.9) kann dies ein bedeutend großer Faktor sein, d. h. die Strahlung des relativistischen Jets kann sehr verstärkt erscheinen. Als weitere Konsequenz dieses Beamings findet man, dass, falls es einen zweiten Jet gibt, der sich von uns wegbewegt (der sog. Counter-Jet), dessen Strahlung um einen Faktor 2+α 1 D− = (5.31) γ(1 + β cos φ) abgeschwächt ist relativ zur nicht-bewegten Quelle. Offensichtlich erhält man D− aus D+ , indem man den Winkel φ durch φ + π ersetzt, da sich der Counter-Jet in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Insbesondere ist dann das Helligkeitsverhältnis von Jet und Counter-Jet D+ 1 + β cos φ 2+α = , (5.32) D− 1 − β cos φ und dieser Faktor kann leicht mehrere Hundert betragen oder mehr (Abb. 5.31). Das große Flussverhältnis
Abb. 5.31. Der Logarithmus des Flussverhältnisses von Jet und Counter-Jet (5.32) ist als Funktion des Winkels φ aufgetragen, für verschiedene Werte des Lorentz-Faktors γ . Schon bei relativ kleinen Werten von γ nimmt dieses Verhältnis einen großen Wert an, wenn φ nahe 0 liegt, aber selbst bei φ ∼ 30◦ ist dieses Verhältnis immer noch sehr groß. Diese Figur zeigt also den Doppler-Favouritism und erklärt, warum in den meisten kompakten Radio-AGNs nur ein Jet sichtbar ist, nicht aber der Counter-Jet
(5.32) bei relativistischen Jets ist die kanonische Erklärung dafür, dass VLBI-Jets praktisch immer einseitig sind; man bezeichnet diesen Effekt auch als ,,DopplerFavouritism“ – der auf uns zu zeigende Jet wird aufgrund des Beaming-Effekts und der daraus resultierenden Vergrößerung seines Flusses bevorzugt beobachtet. Beaming und das Blazar-Phänomen. Wenn wir ziemlich genau entlang der Jet-Achse blicken und der Jet relativistisch ist, kann dessen Strahlung sämtliche andere Strahlung des AGN überscheinen, weil D+ dann sehr groß werden kann. Speziell wenn sich die gebeamte Strahlung bis ins Optische/UV des Spektrums erstreckt, kann auch die Linienemission überstrahlt werden, und die Quelle erscheint uns als BL Lac-Objekt. Wenn die Linienstrahlung nicht völlig überstrahlt wird, kann die Quelle als OVV erscheinen. Die Synchrotron-Natur des optischen Lichts ist dann auch die Erklärung für die optische Polarisation von Blazaren. Der starke Beaming-Faktor bietet auch eine natürliche Erklärung für die schnelle Variabilität von Blazaren. Falls die Geschwindigkeit der emittierenden Komponente nahe der Lichtgeschwindigkeit ist,
5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs 213
β 1, dann können bereits sehr kleine Veränderungen der Jet-Geschwindigkeit oder der Jet-Richtung den Doppler-Faktor D+ merklich ändern. Solche kleinen Richtungsänderungen erwartet man, weil es keinen Grund für ein glattes Ausströmen von Material entlang des Jets mit konstanter Geschwindigkeit gibt. Weiterhin haben wir argumentiert, dass Magnetfelder für die Erzeugung und die Kollimation von Jets mit großer Wahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle spielen. Diese Magnetfelder sind aufgewickelt (toroidal), und emittierendes Plasma kann den Feldlinien auf helikalen Orbits wenigstens teilweise folgen (siehe Abb. 5.32). Beaming erklärt also die Dominanz der Strahlung der Jet-Komponente, wenn diese relativistisch ist und damit die Abwesenheit oder relative Schwäche von Emissionslinien; gleichzeitig erhält man dadurch ein plausibles Bild für die starke Variabilität der Blazare. Die relative Stärke der Kernemission und der ausgedehnten Radio-
emission hängt dabei stark von der Blickrichtung ab. Bei Blazaren erwartet man die Dominanz der Kernemission, wie sie auch beobachtet wird. 5.5.3
Als Konsequenz dieses Modells ergibt sich, dass auch die Jets auf kpc-Skala, wie sie vor allem mit dem VLA beobachtet werden, zumindest semi-relativistisch sein müssen: Auch kpc-Jets sind meistens einseitig und dabei stets auf der gleichen Seite des Kerns wie der VLBI-Jet auf pc-Skala. Wenn also die Einseitigkeit des VLBI-Jets durch das Beaming und dem damit verbundenen Doppler-Favouritism einer ansonsten intrinsisch symmetrischen Quelle hervorgerufen wird, so muss die entsprechende Einseitigkeit der großskaligen Jets die gleiche Ursache haben, was für diese ebenfalls relativistische Geschwindigkeiten impliziert. Diese müssen nicht ganz so nahe bei c liegen wie für die Komponenten, die Superluminal Motion zeigen, aber doch einige Zehntel der Lichtgeschwindigkeit betragen. Weiterhin folgt, dass der kpc-Jet sich auf uns zu bewegt und daher sich näher an uns befindet als der Kern des AGN; das Umgekehrte gilt für den Counter-Jet. Diese Vorhersage kann man empirisch überprüfen, und sie wurde durch Polarisationsmessungen bestätigt; die Strahlung des Counter-Jets durchquert das ISM der Host-Galaxie, wobei sie eine zusätzliche Faraday-Rotation erfährt (siehe Abschn. 2.3.4). In der Tat wird beobachtet, dass die Faraday-Rotation des Counter-Jets systematisch größer ist als die des Jets, was sich dadurch erklären lässt, dass sich der Counter-Jet ,,hinter“ der Host-Galaxie befindet, wir diesen also durch das Gas der Galaxie beobachten. 5.5.4
Abb. 5.32. Darstellung des relativistischen Jet-Modells. Die Beschleunigung des Jets auf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit wird vermutlich durch eine Kombination sehr starker Gravitationsfelder in der Nähe des SMBH und starker Magnetfelder, die durch ihre Verankerung in der Akkretionsscheibe schnell rotieren, hervorgerufen. Stoßfronten innerhalb des Jets führen zu Beschleunigungsprozessen relativistischer Elektronen, die dann dort stark strahlen und als ,,Blobs“ in den Jets sichtbar sind. Durch die Rotation der Akkretionsscheibe, in der die Magnetfeldlinien verankert sind, erhalten die Feldlinien eine charakteristische Schraubenform. Man vermutet, dass dieser Prozess für die Bündelung (Kollimation) des Jets verantwortlich ist
Beaming auf großen Skalen
Jets bei höheren Frequenzen
Optische Jets. Wir haben in Abschn. 5.1.2 die Jets besprochen, wie sie im Radiobereich des Spektrums beobachtbar sind, und in Abschn. 5.3.3 wurde beschrieben, wie ihre relativistische Bewegung durch zeitliche Strukturänderungen nachgewiesen wird. Allerdings sind die Jets nicht nur bei Radiofrequenzen zu beobachten, sondern sie emittieren auch bei deutlich kürzeren Wellenlängen. In der Tat wurden die ersten beiden Jets im Optischen entdeckt, nämlich im QSO 3C273 (Abb. 5.33) und in der Radiogalaxie M87 (Abb. 5.34), als lineare Quelle, die vom Kern der jeweiligen Galaxie radial nach außen zeigt. Mit der
5. Aktive Galaxienkerne 214
Abb. 5.33. Jets sind nicht nur im Radio-Bereich sichtbar, sondern manchmal auch bei anderen Wellenlängen. Links ein HST-Bild des Quasars 3C273, mit dem punktförmigen Quasar im Zentrum und (blau dargestellt) jetförmige optische Emis-
sion, räumlich koinzident mit dem Radio-Jet (rot dargestellt). Rechts ein Röntgenbild dieses Quasars, aufgenommen mit dem Chandra-Satelliten; der Jet ist also auch bei sehr hohen Energien sichtbar
Abb. 5.34. Links oben eine Radiokarte der zentralen Galaxie M87 im Virgo-Galaxienhaufen, rechts oben eine HSTAufnahme der gleichen Region. Der Radio-Jet ist auch im Optischen erkennbar. Im unteren Bild ist eine VLBI-Karte des zentralen Gebiets zu sehen; der Jet bildet sich inner-
halb weniger 1017 cm vom Kern der Galaxie, der vermutlich ein Schwarzes Loch mit M• ∼ 3 × 109 M enthält. Direkt im Zentrum ist der Öffnungswinkel des Jets wesentlich größer als weiter draußen; das deutet darauf hin, dass er erst in etwas größerer Entfernung kollimiert wird
5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs 215
Inbetriebnahme des VLA (Abb. 1.21) als empfindliches und hochauflösendes Radiointerferometer wurde die Entdeckung und Untersuchung von Hunderten von Jets bei Radiofrequenzen möglich. Das HST hat aufgrund seiner einzigartigen Winkelauflösung seinerseits eine Vielzahl an Jets im Optischen entdeckt (siehe auch Abb. 5.12). Diese befinden sich auf der gleichen Seite der entsprechenden AGNs wie der Hauptjet der Radioquelle. Optische Gegenstücke der Counter-Jets wurden bislang nicht gefunden. Die optischen Jets sind dabei stets kürzer, schmaler und strukturierter als die Radio-Jets. Das Spektrum der optischen Jets ist ein Potenzgesetz (5.2), ähnlich wie im Radiobereich, mit einem Index α, der i. A. ein etwas steileres Spektrum beschreibt. In einigen Fällen konnte auch eine lineare Polarisation der optischen Strahlung von ∼ 10% nachgewiesen werden. Nimmt man hinzu, dass die Knoten im optischen und im Radio-Jet sehr gut miteinander übereinstimmen, so kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass auch die optische Strahlung Synchrotron-Emission ist. Dieser Schluss wird weiterhin durch die annähernde Konstanz des Flussverhältnisses von Radio- und optischer Strahlung entlang der Jets untermauert. Wie in Abschn. 5.1.3 erwähnt, verlieren die relativistischen Elektronen, die die Synchrotronstrahlung erzeugen, aufgrund ihrer Abstrahlung an Energie. In vielen Fällen ist die Kühlzeit (5.6) der Elektronen, die für die Radiostrahlung verantwortlich sind, größer als die Strömungszeit des Materials vom zentralen AGN entlang des Jets, insbesondere wenn diese Strömung (semi-)relativistisch ist. Daher ist es möglich, dass die relativistischen Elektronen in der unmittelbaren Nähe des AGN erzeugt bzw. beschleunigt werden und dann mit dem Jet von dort aus transportiert werden. Für die Elektronen, welche die optische Synchrotron-Strahlung produzieren, ist dies jedoch nicht der Fall, da die Kühlzeit nur tcool ∼ 103 (B/10−4 G)−3/2 yr für Emission bei optischen Wellenlängen beträgt. Selbst wenn die relativistischen Elektronen in einem (semi-)relativistischen Jet transportiert werden, kann der Transportweg nicht länger als etwa ∼ 1 kpc sein, bevor sie ihre Energie verloren haben. Die beobachtete Länge der optischen Jets ist allerdings sehr viel größer. Aus diesem Grunde können die entsprechenden Elektronen nicht im AGN selbst beschleunigt worden sein, sondern müssen im Jet ,,lokal“ erzeugt werden. Die Knoten der Jets, bei de-
nen es sich vermutlich um Stoßfronten der Strömung handelt, werden als Ort der Beschleunigung relativistischer Teilchen vermutet. Quantitative Abschätzungen der Kühlzeit werden durch den unbekannten BeamingFaktor (5.30) erschwert. Da die optischen Jets alle einseitig sind und zum größten Teil in Radioquellen mit einem flachen Spektrum beobachtet werden, wird i. A. ein sehr großer Beaming-Faktor vermutet. Zurückgerechnet auf das Ruhesystem der Elektronen ergibt sich dadurch eine niedrigere Frequenz der emittierten Strahlung sowie eine kleinere Leuchtkraft. Da letztere für die Abschätzung der Magnetfeldstärke herangezogen wird (etwa durch das Argument der Gleichverteilung der Energie), ändert sich auch dadurch die abgeschätzte Kühlzeit. Röntgenstrahlung von Jets. Eine Überraschung war die Entdeckung vieler der in Radiobereich identifizierten Jets auch im Röntgenlicht, wie sie mit dem Chandra-Satelliten beobachtet wurden (Abb. 5.35). Diese Entdeckung und die starke Korrelation der räumlichen Verteilung der Radio-, optischen und Röntgenstrahlung impliziert, dass alle aus den gleichen Gebieten des Jets stammen müssen, d. h. dass die Ursachen ihrer Emission miteinander verknüpft sind. Wie wir diskutiert haben, stammt die Radiostrahlung und die optische Strahlung aus der Synchrotron-Emission, der Abstrahlung relativistischer Elektronen in einem Magnetfeld. Die gleichen Elektronen, die für die Radioemission verantwortlich sind, können mittels der ,,inversen“ Compton-Streuung Röntgenphotonen erzeugen. Dabei werden niederenergetische Photonen durch Stöße mit relativistischen Elektronen auf sehr viel höhere Energien gestreut – ein Photon der Frequenz ν kann nach der Streuung mit einem Elektron der Energie γm e c2 eine Frequenz ν = γ 2 ν besitzen. Da als charakteristische Lorentz-Faktoren bei der Synchrotronstrahlung in Radiojets γ ∼ 104 auftreten, können diese gleichen Elektronen durch inverse Compton-Streuung die Radiophotonen in den Röntgenbereich hineinstreuen. Man nennt diesen Effekt auch Synchrotron-Selbst-Compton Strahlung. Alternativ können die relativistischen Elektronen auch optische Photonen des AGNs streuen, wobei dazu weniger energiereiche Elektronen notwendig wären. Auch der allgegenwärtige CMB kommt als Quelle der Photonen für den inversen Compton-Effekt in Frage und ist wahr-
5. Aktive Galaxienkerne 216
Abb. 5.35. Röntgenaufnahmen von AGN-Jets. Links ist eine Chandra-Aufnahme des Jets im QSO PKS 1127−145 zu sehen, dem Konturen der Radioemission (1.4 cm, VLA) überlagert wurden. Die Richtung des Jets und seine Unterstruktur ist in beiden Wellenlängenbereichen sehr ähnlich; das legt die
Interpretation nahe, dass die Strahlung durch die gleiche Population relativistischer Elektronen hervorgerufen wird. Rechts ein Chandra-Bild der Aktiven Galaxie Centaurus A; hier ist der Jet zu erkennen, sowie eine große Anzahl kompakter Quellen, die als Röntgen-Doppelsterne interpretiert werden
scheinlich in vielen Fällen die Ursache der beobachteten Röntgenstrahlung. Allerdings ist das inverse Compton-Modell nicht für alle Röntgenjets ohne große Probleme anwendbar. Beispielsweise wurde in den Knoten des Jets in M87 eine Variabilität dieser Röntgenemission beobachtet, was auf eine sehr kurze Kühlzeit der Elektronen
hinweist. Da die Elektronen einen sehr viel größeren Lorentz-Faktor γ besitzen müssen, wenn die Strahlung einer gegebenen Frequenz aus der Synchrotronstrahlung stammt als beim inversen Compton-Prozess, wäre deren Kühlzeit tcool (5.6) auch viel kürzer. In solchen Quellen, die typischerweise FR I-Radioquellen sind, ist daher vermutlich der Synchrotron-Prozess selbst für
Abb. 5.36. Ein Versuch zur Vereinheitlichung der verschiedenen AGN-Typen, indem sie nach dem Drehimpuls des Schwarzen Lochs und nach der Orientierung relativ zur Sichtlinie geordnet sind. Je kleiner der Winkel zwischen der Symmetrieachse des AGN (also etwa der seiner Akkretionsscheibe) und der Sichtlinie ist, umso mehr dominiert
die Strahlung der Jet-Komponente. Weiterhin ist die relative Stärke der Radioemission in diesem speziellen Modell mit dem Drehimpuls des Schwarzen Lochs verknüpft. Die hier gezeigte Klassifikation ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, wobei die Abhängigkeit von der Orientierung als allgemein akzeptiert gilt
5.6 AGNs und Kosmologie 217
die Röntgenemission verantwortlich. Dies impliziert einerseits sehr kurze Kühlzeitskalen und daher die erhöhte Notwendigkeit einer lokalen Beschleunigung der Elektronen, andererseits ist die notwendige Energie der Elektronen sehr groß, ∼ 100 TeV. Welche Beschleunigungsprozesse dafür in Frage kommen, ist zurzeit ungeklärt. Abschließend sei bemerkt, dass die Versuche, die verschiedenen Klassen der AGN zu vereinheitlichen, recht erfolgreich sind. Das Schema der Vereinheitlichung ist allgemein akzeptiert, auch wenn einige Details immer noch in der Diskussion sind. Ein spezielles Modell ist in Abb. 5.36 skizziert.
5.6
AGNs und Kosmologie
AGNs, insbesondere QSOs, sind bis zu sehr großen Rotverschiebungen hin sichtbar. Seit ihrer Entdeckung 1963 haben QSOs fast durchgehend den Rotverschiebungsrekord gehalten, nur in den letzten Jahren wechselten sich QSOs und Galaxien als Rekordhalter immer wieder ab. Man kennt bislang mehrere hundert QSOs mit z ≥ 4, und die Zahl derjenigen mit z > 5 wächst stetig, seitdem ein Suchkriterium zum Auffinden dieser Objekte gefunden wurde. Es liegt daher nahe, QSOs als kosmologische Sonden zu betrachten, also zu fragen, was man aus Beobachtungen von QSOs über das Universum lernen kann. Beispielsweise ist eine der spannenden Fragen, wie sich die QSO-Population mit der Rotverschiebung entwickelt – gab es bei hohen Rotverschiebungen, also in der Frühzeit des Kosmos, genau so viele QSOs wie heute? 5.6.1
Die K-Korrektur
Um diese Frage zu beantworten, benötigt man die Leuchtkraftfunktion der QSOs und ihre Rotverschiebungsabhängigkeit. Wie bei Galaxien definiert man Φ(L, z) dL als die räumliche Anzahldichte von QSOs mit einer Leuchtkraft zwischen L und L + dL. Man bezieht Φ meistens auf ein mitbewegtes Volumenelement, so dass eine QSO-Population, die sich intrinsisch nicht entwickeln würde, ein z-unabhängiges Φ hätte. Eines der Probleme, die hier auftreten, ist die Frage, welche Leuchtkraft hier mit L gemeint ist. Das Problem besteht darin, dass eine optische Beobachtung von na-
hen QSOs die Leuchtkraft im optischen Bereich des Spektrums misst, während die gleiche Beobachtung für Quasare hoher Rotverschiebung die Strahlung im harten UV-Bereich detektiert – aufgrund der Rotverschiebung. Eine prinzipiell denkbare Möglichkeit wäre, die bolometrische Leuchtkraft zu benutzen, doch dies ist keine praktikable Idee, da sie wegen der sehr breiten spektralen Energieverteilung von AGNs nur sehr schwer (wenn überhaupt) messbar ist. Man bräuchte dafür Beobachtungen bei allen Frequenzen, vom Radio- bis hin zum Gamma-Bereich, und offensichtlich kann man solche Beobachtungen nur für einzelne ausgewählte Quellen erhalten. Das gleiche Problem stellt sich natürlich bei allen Quellen großer Rotverschiebung. Wenn man beispielsweise die Leuchtkraft von Galaxien bei hoher Rotverschiebung mit der von nahen Galaxien vergleichen will, so muss man sich stets darüber bewusst sein, dass man bei gleicher beobachteter Wellenlänge unterschiedliche spektrale Bereiche im Ruhesystem der Galaxien misst. Will man etwa die optische Emission von Galaxien bei z ∼ 1 untersuchen, so benötigt man Beobachtungen im NIR-Bereich des Spektrums. Deshalb bleibt häufig nichts anderes übrig, als die Leuchtkraft in einem spektralen Band zu benutzen und den oben genannten Effekt so gut wie möglich dadurch zu kompensieren, dass man die Beobachtungen in mehreren Bändern durchführt. Legt man sich z. B. auf den blauen Filter fest, der seine maximale Effizienz bei ∼ 4500 Å hat, so kann man die Leuchtkraft im Blauen mit diesem Filter bei nahen Objekten vermessen, während man bei Objekten der Rotverschiebung z ∼ 1 die intrinsisch blaue Leuchtkraft mit dem I-Band Filter erhält, und für noch größere Rotverschiebungen müssen die Beobachtungen ins nahe IR ausgedehnt werden. Die dabei auftretenden Probleme der Beobachtung und der zugehörigen Korrekturen für die unterschiedlichen Empfindlichkeitsprofile der Filter sind nicht zu unterschätzen und bilden stets eine Quelle systematischer Unsicherheiten. Eine alternative Möglichkeit ist es, die Beobachtungen nur in einem (oder wenigen) Filtern durchzuführen und für den Effekt der Rotverschiebung näherungsweise zu korrigieren. Wir hatten in Abschn. 4.3.3 verschiedene Entfernungsmaße in der Kosmologie definiert. Insbesondere definiert die Beziehung S = L/(4πDL2 ) zwischen dem beobachteten Fluss S und der Leuchtkraft L einer Quelle
5. Aktive Galaxienkerne 218
die Leuchtkraftentfernung DL . Dabei beziehen sich sowohl der Fluss als auch die Leuchtkraft auf bolometrische, d. h. über alle Frequenzen integrierte Größen. Der gemessene spektrale Fluss Sν hängt aufgrund der Rotverschiebung mit der spektralen Leuchtkraft L ν bei der Frequenz ν = ν(1 + z) zusammen, wobei man findet (1 + z)L ν Sν = . (5.33) 4πDL2 Diese Relation schreiben wir nun in etwas anderer Form, Lν L ν (1 + z) , (5.34) Sν = 4πDL2 L ν wobei der erste Faktor von der gleichen Form ist wie beim Zusammenhang zwischen den bolometrischen Größen, während der zweite Faktor für die spektrale Verschiebung korrigiert. Dieser Faktor wird als KKorrektur bezeichnet. Offensichtlich hängt diese vom Spektrum der Quelle ab, d. h. um die K-Korrektur einer Quelle zu ermitteln, muss man deren Spektrum kennen. Weiterhin hängt dieser Faktor von dem verwendeten Filter ab. Da in der optischen Astronomie Magnituden als Maß der Helligkeit verwendet werden, schreibt man (5.34) meistens in der Form m int = m obs + K(z) mit
K(z) = −2.5 log
L ν (1 + z) , Lν
(5.35)
wobei m int die gemessene Magnitude in Abwesenheit der Rotverschiebung wäre, während m obs die tatsächlich gemessene Helligkeit beschreibt. Die K-Korrektur ist natürlich nicht nur für QSOs relevant, sondern, wie bereits erwähnt, für alle Objekte mit großer Rotverschiebung, also insbesondere auch für Galaxien. 5.6.2
Die Leuchtkraftfunktion der QSOs
Die Zählungen von QSOs ergeben die Anzahldichte N(> S) von QSOs mit einem Fluss größer als S. Dabei findet man für große Flüsse ein Verhalten von etwa N(> S) ∝ S−2 , während für kleinere Flüsse die Quellenzählungen wesentlich flacher verlaufen. Der Fluss, bei dem steile Zählungen in flachere übergehen, entspricht einer scheinbaren Helligkeit von etwa B ∼ 19.5. Bis zu dieser Magnitude findet man etwa 10 QSOs pro Quadratgrad.
Aus den QSO-Zählungen, verbunden mit der Messung der Rotverschiebung der QSOs, kann man die Leuchtkraftfunktion Φ(L, z) bestimmen. Dabei ist, wie oben schon definiert, Φ(L, z) dL die Anzahldichte (im mitbewegten Volumenelement) von QSOs bei der Rotverschiebung z mit einer Leuchtkraft zwischen L und L + dL. Es gibt zwei wesentliche Probleme bei der Bestimmung der Leuchtkraftfunktion. Zum einen folgt aus der obigen Diskussion, dass ein fester Wellenlängenbereich, in dem die Helligkeit gemessen wird, je nach Rotverschiebung der QSOs verschiedenen Bereichen in ihren intrinsischen Spektren entsprechen. Für diesen Effekt muss man korrigieren, wenn man die Anzahldichte von QSOs oberhalb einer gegebenen Leuchtkraft in einem bestimmten Frequenzintervall zwischen lokalen und entfernten QSOs vergleichen will. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist die Annahme einer universellen spektralen Form von QSOs; diese Annahme ist in der Tat über begrenzte Bereiche (z. B. im optischen und UV-Bereich) recht gut erfüllt. Dieses universelle Spektrum erhält man durch Mittelung über Spektren einer großen Zahl von QSOs. Mit dessen Hilfe kann dann eine sinnvolle K-Korrektur für QSOs als Funktion der Rotverschiebung berechnet werden. Die zweite Schwierigkeit bei der Bestimmung von Φ(L, z) liegt darin, QSO-Samples zu konstruieren, die vollständig sind. Da QSOs punktförmig sind, können sie von Sternen nur durch Farbeigenschaften und nachfolgender Spektroskopie unterschieden werden. Weil aber die Sterndichte sehr viel größer ist als die der QSOs, ist die Auswahl von QSO-Kandidaten durch Farbselektion und die nachfolgende spektroskopische Verifikation sehr zeitaufwendig. Erst neuere Surveys, die große Flächen des Himmels mit mehreren Filtern abgebildet haben, sind bei der Farbselektion und der anschließenden Verifikation so erfolgreich, dass sehr große Samples von QSOs erzeugt werden konnten. Eine enorme Vergrößerung statistisch wohldefinierter QSOSamples wurde durch die beiden großen Surveys mit dem 2dF-Spektrographen und dem Sloan Digital Sky Survey erreicht, die wir im Zusammenhang mit Rotverschiebungssurveys von Galaxien in Abschn. 8.1.2 diskutieren werden. Die sich aus solchen Untersuchungen ergebende Leuchtkraftfunktion wird typischerweise wie folgt
5.6 AGNs und Kosmologie 219
parametrisiert: Φ∗ Φ(L, z) = ∗ L (z)
L ∗ L (z)
α
L + ∗ L (z)
β −1
;
(5.36) d. h. für festes z ist Φ ein Doppel-Potenzgesetz in L. Bei L L ∗ (z) überwiegt der erste Term in der eckigen Klammer in (5.36), falls α > β, und dann ist Φ ∝ L −α . Andererseits überwiegt der zweite Term für L L ∗ (z), so dass dann Φ ∝ L −β gilt. Typische Werte für die Koeffizienten lauten etwa α ≈ 3.9, β ≈ 1.5. Die charakteristische Leuchtkraft L ∗ (z), bei der sich die Abhängigkeit von L ändert, hängt sehr stark von der Rotverschiebung ab. Ein guter Fit an die Daten für z 2 wird erreicht durch L ∗ (z) = L ∗0 (1 + z)k ,
(5.37)
mit k ≈ 3.45, wobei der Wert von k von den angenommenen Dichteparametern Ωm und ΩΛ abhängt. Diese Näherung ist gültig für z 2, während für größere Rotverschiebungen L ∗ (z) weniger stark mit z zu variieren scheint. Die Normierungskonstante ergibt sich zu Φ ∗ ≈ 5.2 × 103 h 3 Gpc−3 , und L ∗0 entspricht etwa MB = −20.9 + 5 log h. Aus dieser Form der Leuchtkraftfunktion, die in Abb. 5.37 auch durch Beobachtungsdaten dargestellt ist, ergeben sich eine Reihe von Schlussfolgerungen. Die Leuchtkraftfunktion von QSOs ist wesentlich breiter als die von Galaxien, die ja für große L exponentiell abfällt. Die empfindliche Abhängigkeit der charakteristischen Leuchtkraft L ∗ (z) von der Rotverschiebung zeigt eine sehr starke kosmologische Entwicklung der Leuchtkraftfunktion. Beispielsweise ist L ∗ (z) bei z ∼ 2 etwa 50 mal größer als heute. Weiterhin gilt für große Leuchtkräfte Φ ∝ [L ∗ (z)]α−1 L −α , das heißt die räumliche Anzahldichte leuchtkräftiger QSOs war bei z ∼ 2 mehr als 1000 mal größer als heute (siehe Abb. 5.38). Für Rotverschiebungen z 3 scheint sich die Entwicklung der QSO-Population wieder umzukehren, d. h. die räumliche Dichte nimmt dann scheinbar wieder ab, wobei der genaue Wert von z, bei dem die QSO-Dichte ihr Maximum erreicht, wegen der Schwierigkeiten, ein vollständiges Sample von QSOs bei hoher Rotverschiebung zu bekommen, noch etwas unsicher ist. Da einer Rotverschiebung z ∼ 3 eine Epoche entspricht, in der das Universum nur ca. 20% des heutigen Weltalters besaß (der genaue Wert hängt von den
Abb. 5.37. Die Leuchtkraftfunktion von QSOs in sechs Rotverschiebungsintervallen zwischen 0.4 ≤ z ≤ 2.1, wie aus dem 2dF QSO Redshift Survey aus der Spektroskopie von über 23 000 QSOs bestimmt worden ist. Die gepunkteten Kurven stellen den besten Fit an die Daten dar, der mit einem Doppelpotenzgesetz wie in (5.36) erzielt wird, wobei für die Selektionsfunktion des Surveys korrigiert wurde. Man erkennt deutlich die Zunahme der QSO-Dichte mit wachsender Rotverschiebung. Die gestrichelte Linie stellt die formale Grenze zwischen Seyfert-Galaxien und QSOs dar
Abb. 5.38. Die relative Dichte von QSOs als Funktion des Weltalters. Man sieht, dass die QSO-Dichte ein deutliches und schmales Maximum annimmt, entsprechend einer Rotverschiebung von etwa z ∼ 2.5; zu noch größeren Rotverschiebungen scheint die Dichte wieder abzunehmen. Diese Figur legt nahe, von einer QSO-Epoche zu sprechen
5. Aktive Galaxienkerne 220
kosmologischen Parametern ab), scheint es eine Art QSO-Epoche gegeben zu haben, in dem Sinne, dass die QSO-Population sich schnell gebildet hat und dann größtenteils bis heute wieder erloschen ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Leuchtkraftfunktion der QSOs zu interpretieren. Eine davon besteht darin, dass die Leuchtkraft eines jeden QSOs mit der Zeit variiert, in Einklang mit der Entwicklung von L ∗ (z). Mit großer Wahrscheinlichkeit ist diese Interpretation aber falsch, da sie impliziert, dass ein leuchtkräftiger QSO stets ein solcher ist. Obwohl die Effizienz der Energieumwandlung in Strahlung bei der Akkretion deutlich größer als beim thermonuklearen Brennen sein kann, würde sich trotzdem in diesem Fall eine extrem große Masse ansammeln, die dann als Masse des SMBH bei lokalen QSOs vorhanden sein müsste.6 Massenabschätzungen von M• in QSOs ergeben aber selten Werte oberhalb von ∼ 3 × 109 M . Es ist aber keineswegs klar, dass eine gegebene Quelle immer ein QSO ist: Eine Quelle kann als QSO aktiv sein für eine begrenzte Zeit und danach wieder als normale Galaxie erscheinen. Beispielsweise ist es möglich, dass praktisch jede massereiche Galaxie ein potentieller AGN ist. Diese Vermutung wird natürlich dadurch gestützt, dass anscheinend jede massive Galaxie ein zentrales SMBH besitzt. Wird das SMBH durch akkretierende Materie gefüttert, so erscheint diese Galaxie als AGN. Wenn aber kein Material mehr nachgeliefert wird, kann der Kern nicht strahlen, und die Galaxie ist nicht länger aktiv. Unsere Milchstraße mag ein Beispiel für diesen Effekt sein, denn obwohl die Masse des SMBH im Zentrum der Galaxis ausreicht, eine AGN-Leuchtkraft von mehr als 1044 erg/s zu erzeugen, wenn man dessen Eddington-Leuchtkraft (5.23) betrachtet, ist die beobachtete Leuchtkraft viele Größenordnungen kleiner. AGNs befinden sich oft in der Nähe von anderen Galaxien, was dahingehend interpretiert werden kann, dass aufgrund der Störung des Gravitationsfeldes einer Galaxie durch eine andere die Bahnen des Gases innerhalb der Hostgalaxie des QSO gestört werden, das ISM kann dann in das Zentrum der gestörten Galaxie strömen und dort teilweise akkretiert werden – ,,das Monster beginnt zu leuchten“. Sollte dies der Fall sein, besagt 6 Vergleiche
hierzu die Abschätzung in Abschn. 5.3.1, wobei die Lebensdauer statt 107 yr hier das Weltalter, also ∼ 1010 yr beträgt.
die Leuchtkraftfunktion (5.36) nichts über die Entwicklung individueller AGNs, sondern nur etwas über die Population als Ganzes. Die Interpretation der z-Entwicklung ist naheliegend. Der Anstieg der QSO-Dichte mit der Rotverschiebung stammt in diesem Bild daher, dass in früheren Phasen des Universums wesentlich mehr Wechselwirkungen zwischen Galaxien und Verschmelzungsprozesse stattgefunden haben als heute. Andererseits ist der Abfall bei sehr großen z zu erwarten, da sich die SMBHs in den Galaxienzentren erst bilden müssen, und offensichtlich geschieht dies in den ersten ∼ 109 Jahren nach dem Urknall. 5.6.3
Absorptionslinien in Quasaren
Die optischen/UV-Spektren von QSOs sind zum wesentlichen Teil durch starke Emissionslinien charakterisiert. Daneben zeigen sie aber auch Absorptionslinien, die wir bislang noch nicht erwähnt haben. Abhängig von der Rotverschiebung des QSOs, dem Wellenlängenbereich des Spektrums und der spektralen Auflösung können QSO-Spektren eine große Vielzahl von Absorptionslinien aufweisen. Für diese gibt es im Prinzip mehrere mögliche Ursachen. Zum einen können sie durch absorbierendes Material im AGN selbst oder in seiner Host-Galaxie hervorgerufen werden, also eine intrinsische Ursache haben, zum anderen können sie auf dem langen Weg zwischen dem QSO und uns durch Gas auf der Sichtlinie erzeugt werden. Wir werden sehen, dass es verschiedene Sorten von Absorptionslinien gibt und beide Möglichkeiten tatsächlich auch vorkommen. Die Untersuchung von Absorptionslinien, die nicht aus dem QSO selbst stammen, liefert daher Information über das Gas im Universum, und für diese Zwecke ist ein QSO in erster Linie eine sehr weit entfernte helle Lichtquelle, die man zum Durchleuchten dieses Gases benutzt. Die Identifikation einer Spektrallinie mit einem Linienübergang und einer Rotverschiebung ist i. A. nur dann möglich, wenn mindestens zwei Linien bei der gleichen Rotverschiebung vorkommen; daher sind Doppellinien besonders nützlich, wie z. B. die von MgII (λ = 2795 Å und λ = 2802 Å) und CIV (λ = 1548 Å und λ = 1551 Å). Das Spektrum praktisch jeden QSOs mit großer (Emissions)Rotverschiebung z em zeigt schmale Absorptionslinien von CIV und MgII mit Absorptions-
5.6 AGNs und Kosmologie 221
rotverschiebung z abs < z em . Falls das Spektrum sich zu kürzeren Wellenlängen erstreckt als die beobachtete Lyα-Emissionslinie des QSOs, dann gibt es zahllose schmale Absorptionslinien bei λobs λobs (Lyα) = (1 + z em )1216 Å. Die Ansammlung dieser Absorptionslinien bezeichnet man als Lyα-Wald (Lyα forest). In ca. 15% aller QSOs findet man sehr breite Absorptionslinien, deren Breite die der breiten Emissionslinien zum Teil deutlich übersteigen kann.
•
Klassifikation von QSO-Absorptionslinien. Die unterschiedlichen Absorptionslinien in QSOs werden unterteilt in Klassen, entsprechend ihrer Wellenlänge und ihrer Breite.
• Metall-Systeme: Dabei handelt es sich im Allgemeinen um schmale Absorptionslinien, von denen MgII und CIV am häufigsten auftreten (und am leichtesten zu identifizieren sind), aber daneben gibt es auch eine ganze Reihe von Linien anderer Elemente (Abb. 5.39). Die Rotverschiebung dieser Absorptionslinien beträgt 0 < z abs < z em , sie werden daher durch Material entlang der Sichtlinie hervorgerufen und sind nicht mit dem QSO assoziiert. Ein Metall-System besteht in der Regel aus vielen verschiedenen Linien verschiedener Ionen bei der gleicher Rotverschiebung. Aus der Linienstärke
Abb. 5.39. Spektrum des QSOs 1331+17 mit z em = 2.081, aufgenommen mit dem Multi-Mirror-Telescope in Arizona. Im Spektrum sind eine ganze Serie von Absorptionslinien zu erkennen, die alle mit einem System bei z abs = 1.776
•
kann die Säulendichte der absorbierenden Ionen abgeleitet werden. Für angenommene chemische Zusammensetzung und Ionisationsgrad des Gases kann dann die entsprechende Säulendichte im Wasserstoff bestimmt werden. Man erhält aus diesen Abschätzungen für solche Metall-Systeme typische Werte von 1017 cm−2 NH 1021 cm−2 , wobei die untere Grenze von der Empfindlichkeit der spektralen Beobachtung abhängt. Assoziierte Metall-Systeme: Diese Systeme haben ganz ähnliche Charakteristika wie die oben erwähnten normalen Metall-Systeme, aber ihre Rotverschiebung beträgt z abs ∼ z em . Da solche Systeme überhäufig vorkommen, verglichen mit einer statistischen z-Verteilung der Metall-Systeme, interpretiert man diese Systeme als zum QSO selbst gehörig. Daher ist der Absorber mit dem QSO physikalisch assoziiert und kann z. B. durch die Absorption in der Host-Galaxie des QSOs oder in mit ihm assoziierten Galaxien erzeugt werden. Lyα-Wald: Die Vielzahl von Linien bei λ < (1 + z em ) 1216 Å, wie sie etwa in Abb. 5.40 zu sehen ist, wird interpretiert als Lyα-Absorption durch Wasserstoff entlang der Sichtlinie zum QSO. Die statistischen Eigenschaften dieser Linien sind in jedem QSO praktisch die gleichen und scheinen nur von der Rotverschiebung der Lyα-Linien, nicht aber von
identifiziert werden können. Die zugehörige Lyα-Linie bei λ ≈ 3400 Å ist sehr breit; sie gehört zu den gedämpften Lyα-Linien
5. Aktive Galaxienkerne 222
Abb. 5.40. Keck-Spektrum des Lymanα-Waldes des QSO1422+231, eines QSOs bei z = 3.62 – im Übrigen ein durch den Linseneffekt vierfach abgebildeter QSO. Die Wellenlängenauflösung beträgt etwa 7 km/s. Auf der blauen Seite der Lyα-Emissionslinie zeigen sich eine große Vielzahl
z em abzuhängen. Diese Interpretation wird bestätigt durch die Tatsache, dass man für beinahe jede der Linien im Lyα-Wald auch die entsprechende Lyβ-Linie findet, wenn die Qualität und der Wellenlängenbereich des beobachteten Spektrums dies zulassen. Den Lyα-Wald unterteilt man weiter hinsichtlich der Stärke der Absorption in schmale Linien, LymanLimit-Systeme und in gedämpfte Lyα-Systeme. Die schmalen Lyα-Linien werden hervorgerufen durch absorbierendes Gas mit Säulendichten des neutralen Wasserstoffs von NH 1017 cm−2 . Die LymanLimit-Systeme erhalten ihren Namen dadurch, dass bei Säulendichten von NH 1017 cm−2 neutraler Wasserstoff die Strahlung bei λ 912 Å (im Ruhesystem des Wasserstoffs) praktisch völlig absorbiert, wobei diese Photonen den Wasserstoff ionisieren (Abb. 5.41). Falls ein solches System sich bei z limit im Spektrum eines QSOs befindet, wird das Spektrum für λ < (1 + z limit ) 912 Å praktisch vollständig unterdrückt. Gedämpfte (damped) Lyα-Systeme entstehen, falls die Säulendichte im neutralen Wasserstoff NH 1021 cm−2 beträgt; dann wird die Absorptionslinie aufgrund des Dämpfungsflügels des Voigt-Profils sehr breit.7 7 Das Voigt-Profil φ(ν) einer Linie, das die spektrale Energieverteilung
der Photonen um die zentrale Frequenz ν0 der Linie angibt, ist die Faltung des intrinsischen Linienprofils, welches als Lorentz-Profil dargestellt wird, φL (ν) =
Γ/4π 2 , (ν − ν0 )2 + (Γ/4π)2
mit der Maxwellschen Geschwindigkeitsverteilung der Atome in einem thermischen Gas der Temperatur T . Daraus ergibt sich das
von schmalen Absorptionlinien des neutralen Wassenstoffs im intergalaktischen Medium, deren statistische Analyse Information über die Gasverteilung im Kosmos liefert (siehe Abschn. 8.5)
• Breite Absorptionslinien: Bei etwa 15% der QSOs findet man im Spektrum sehr breite Absorptionslinien bei etwas kleinerer Rotverschiebung als z em (Abb. 5.42). Die Linien zeigen ein Profil, wie es typisch ist für Quellen mit ausströmendem Material und etwa von Sternwinden erzeugt wird. Im Gegensatz zu diesen ist allerdings die Dopplerbreite der Linien bei den broad absorption line (BAL)-QSOs ein erheblicher Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit. Interpretation. Die Metall-Systeme mit deutlich von z em verschiedener Rotverschiebung stammen entweder aus überdichten Regionen im intergalaktischen Raum, oder sie sind mit entlang der Sichtlinie befindlichen Galaxien(halos) assoziiert. In der Tat scheinen Voigt-Profil zu φ(ν) =
Γ 4π 2
∞ dv −∞
√ m/2πkB T exp −mv2 /2kB T , (ν − ν0 − ν0 v/c)2 + (Γ/4π)2
(5.38)
wobei sich das Integral über die Geschwindigkeitskomponente entlang des Sehstrahls erstreckt. In diesen Gleichungen ist Γ die intrinsische Breite der Linie, die sich aus der natürlichen Breite (die mit der Lebensdauer der atomaren Zustände zusammenhängt) und der Druckverbreiterung ergibt, und m ist die Masse des Atoms, die zusammen mit der Temperatur T des Gases die Maxwellsche Geschwindigkeitsverteilung bestimmt. Wenn die natürliche Linienbreite klein ist gegenüber der thermischen Breite, so dominiert im Zentrum der Linie das Doppler-Profil, d. h. für Frequenzen nahe ν0 wird das Linienprofil durch eine Gauss-Funktion gut approximiert, während in den Linienflügeln das Lorentz-Profil dominiert. Um die Linienflügel, bei denen φ(ν) klein ist, beobachten zu können, muss die optische Tiefe groß sein. Dies ist für die gedämpften Lyα-Systeme der Fall.
5.6 AGNs und Kosmologie 223
Abb. 5.41. Ein Lyman-Limit-System entlang der Sichtlinie zum QSO 2000−330 absorbiert praktisch sämtliche Strahlung
Abb. 5.42. Spektren dreier BAL-QSOs, QSOs mit breiten Absorptionslinien. Auf der ,,blauen“ Seite jeder starken Emissionslinie befindet sich eine sehr breite Absorption, wie sie etwa von ausströmendem Material erzeugt werden kann; solche Linienformen, natürlich mit sehr viel geringerer Breite, findet man in Spektren von Sternen mit starken Winden
MgII-Systeme stets mit einer Galaxie bei der gleichen Rotverschiebung verbunden zu sein. Aus der Statistik der Winkelabstände dieser assoziierten Galaxien zum QSO und der Rotverschiebungen ergibt sich die charakteristische Ausdehnung des Gashalos solcher Galaxien
mit Wellenlänge λ ≤ 912 Å im Ruhesystem des Absorbers, hier rotverschoben bei etwa 4150 Å
Abb. 5.43. Ein VLT-Spektrum des QSO SDSS 1030+0524, der mit z = 6.28 eine der z. Zt. höchsten QSORotverschiebungen besitzt. Die blaue Seite der LyαEmissionslinie und das daran anschließende Kontinuum wird fast völlig weggefressen vom dichten Lyα-Wald
zu ∼ 25 h −1 kpc. Bei den CIV-Systemen scheint die Ausdehnung sogar noch größer zu sein, ∼ 40 h −1 kpc. Der Lyα-Wald wird hervorgerufen durch die diffuse intergalaktische Verteilung von Gas. Wir werden in Abschn. 8.5 auf die Modelle des Lyα-Waldes und seine kosmologische Relevanz noch näher eingehen (siehe auch Abb. 5.43).
5. Aktive Galaxienkerne 224
Die breiten Absorptionslinien stammen von Material des AGN selbst, wie man aufgrund ihrer Rotverschiebung und der enormen Breite unmittelbar schließen kann. Da die Rotverschiebung der breiten Absorptionslinien etwas kleiner als die der Emissionslinien ist, bewegt sich das absorbierende Material auf uns zu. Die Vorstellung ist, dass es sich um mit hoher Geschwindigkeit ausströmendes Material handelt. BAL-QSOs (broad absorption line QSOs) sind praktisch immer radioruhig. Die Stellung der BAL-QSOs innerhalb der AGN-Familie ist unklar. Eine plausible Interpretation besagt, dass die BAL-Eigenschaft von der Orientierung des QSOs abhängt. In diesem Fall wäre jeder QSO ein BAL, wenn man ihn aus der ,,richtigen“ Richtung beobachten würde.
Diskussion. Die meisten Absorptionslinien in QSOSpektren sind mit dem AGN-Phänomen nicht physikalisch verknüpft. Sie bieten uns vielmehr eine Gelegenheit, die Materie auf dem Sehstrahl zum QSO zu untersuchen. Der Lyα-Wald wird exemplarisch in Abschn. 8.5 in dieser Hinsicht diskutiert. Weiterhin hat die Absorptionsspektroskopie von QSO mit UVSatelliten den Nachweis eines sehr heißen Gases im Halo unserer Milchstraße erbracht, und sie bietet eine der wenigen Möglichkeiten, das intergalaktische Medium zu untersuchen, wenn dessen Temperatur von der Größenordnung ∼ 106 K ist. Da sich vermutlich der größte Teil der Baryonen heute in dieser Gasphase befindet, ist dieser Nachweis von sehr großem kosmologischen Interesse.
225
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen Die Galaxien sind nicht gleichförmig im Raum verteilt, sondern zeigen die Tendenz, sich in Galaxiengruppen (galaxy groups) und Galaxienhaufen (clusters of galaxies) zusammenzufinden. Dieser Effekt ist bereits in der Projektion der hellen Galaxien an der Sphäre deutlich zu erkennen (siehe Abb. 6.1 und 6.2). Die Milchstraße
Abb. 6.1. Die Galaxienverteilung am nördlichen Himmel, wie sie im Lick-Katalog enthalten ist. Dieser Katalog enthält Galaxienzählungen in ,,Pixeln“ von jeweils 10 × 10 . Man sieht deutlich, dass die Verteilung der Galaxien an der Sphäre keineswegs homogen ist, sondern starke Strukturen aufweist
Abb. 6.2. Die Verteilung aller Galaxien heller als B < 14.5 an der Sphäre
ist selbst Mitglied einer Gruppe, der Lokalen Gruppe (Abschn. 6.1), d. h. wir leben in einem lokal überdichten Gebiet des Universums. Es gibt einen fließenden Übergang zwischen Gruppen und Haufen. Sie werden in der Anzahl der Galaxien unterschieden, die zu ihnen gehören. Grob gesprochen handelt es sich um Gruppen, wenn die Galaxienansammlung aus N 50 Mitgliedern besteht, die sich innerhalb einer Sphäre mit einem Durchmesser von D 1.5h −1 Mpc befinden. Haufen haben N 50 Mitglieder und einen Durchmesser von D 1.5h −1 Mpc. Eine formalere Definition eines Haufens wird weiter unten gegeben. Jeweils ein Beispiel für eine Gruppe und einen Haufen sind in der Abb. 6.3 dargestellt. Galaxienhaufen sind die massereichsten gravitativ gebundenen Strukturen im Universum. Typische Werte für die Masse betragen M 3 × 1014 M für massereiche Haufen, und M ∼ 3 × 1013 M ist charakteristisch für Gruppen, wobei der gesamte Massenbereich von Gruppen und Haufen den Bereich 1012 M M 1015 M einnimmt. Ursprünglich wurden Galaxienhaufen aufgrund der in ihnen versammelten Galaxien charakterisiert. Wir wissen heute, dass diese Galaxien zwar die optische Erscheinung von Haufen bestimmen, aber die in ihnen enthaltene Masse nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtmasse von Haufen ausmacht. Mit der Entwicklung der Röntgenastronomie stellte man fest, dass Galaxienhaufen intensive Quellen von Röntgenstrahlung sind, die von einem heißen Gas (T ∼ 3 × 107 K), das sich zwischen den Galaxien befindet, emittiert wird. Dieses intergalaktische Gas (intracluster medium, ICM) enthält mehr Baryonen als die in den Galaxien sichtbaren Sterne. Aus der Dynamik der Galaxien, den Eigenschaften der Röntgenemission von Haufen sowie deren Gravitationslinseneffekt schließt man auf die Existenz von Dunkler Materie in Galaxienhaufen, die, ähnlich wie bei Galaxien, die Masse der Haufen dominiert. Galaxienhaufen spielen eine sehr wichtige Rolle in der beobachtenden Kosmologie. Zum einen sind sie, wie schon erwähnt, die massereichsten gebundenen und relaxierten Strukturen im Universum und zeichnen daher die deutlichsten Maxima der großräumigen Struktur
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 226 Abb. 6.3. Links: HCG40, eine kompakte Gruppe von Galaxien, mit dem Subaru-Teleskop auf dem Mauna-Kea aufgenommen. Rechts: der Galaxienhaufen Cl 0053−37, aufgenommen mit dem WFI am ESO/MPG 2.2 Meter-Teleskop
des Universums nach. Ihre kosmologische Entwicklung zeugt deshalb von der Entwicklung dieser großräumigen Strukturen. Weiterhin bilden Haufen und Gruppen aufgrund ihrer großen Galaxiendichte ideale Laboratorien für das Studium von Wechselwirkungen zwischen Galaxien und deren Auswirkungen auf die Galaxienpopulation. Beispielsweise gibt die Tatsache, dass man Elliptische Galaxien bevorzugt in Haufen findet, einen Hinweis auf den Einfluss der lokalen Galaxiendichte auf die Morphologie und Entwicklung von Galaxien.
6.1
kräftigste Mitglied der Lokalen Gruppe ist die Große Magellansche Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC; siehe Abb. 6.5), die sich gemeinsam mit der Kleinen Magellanschen Wolke (Small Magellanic Cloud, SMC) im Abstand von ∼ 50 kpc (bzw. ∼ 60 kpc für die SMC) um die Milchstraße bewegt. Beide sind Satellitengalaxien der Milchstraße und gehören zur Klasse der Irregulären Galaxien (wie ca. 11 weitere Mitglieder der Lokalen Gruppe). Die anderen Mitglieder der Lokalen Gruppe sind Zwerggalaxien,
Die Lokale Gruppe
Die Galaxiengruppe, deren Mitglied die Milchstraße ist, nennt man die Lokale Gruppe (Local Group). Innerhalb einer Entfernung von ∼ 1 Mpc der Galaxis sind etwa 35 Galaxien bekannt; diese sind in der Tabelle 6.1 aufgelistet. Eine Skizze ihrer räumlichen Verteilung ist in der Abb. 6.4 gezeigt. 6.1.1
Phänomenologie
Die Milchstraße (Milky Way, MW), M31 (Andromeda) und M33 sind die drei Spiralgalaxien der Lokalen Gruppe, und sie sind auch deren leuchtkräftigste Mitglieder. Die Andromeda-Galaxie befindet sich in einer Entfernung von 770 kpc von uns. Das nächst leucht-
Abb. 6.4. Schematische Verteilung der Galaxien in der Lokalen Gruppe, mit der Milchstraße im Zentrum der Figur
6.1 Die Lokale Gruppe 227 Tabelle 6.1. Die Mitglieder der Lokalen Gruppe. Angegeben ist der Name der Galaxie, ihr Typ, die absolute Helligkeit im B-Band, ihre Position an der Sphäre, sowohl in Rektaszension und Deklination als auch in Galaktischen Koordinaten, ihre Galaxie
Typ
Milchstraße LMC SMC Sgr I Fornax Sculptor Dwarf Leo I Leo II Ursa Minor Draco Carina Sextans M31 M32=NGC 221 M110=NGC 205 NGC 185 NGC 147 And I And II And III Cas = And VII Peg = DDO 216 Peg II = And VI LGS 3 M33 NGC 6822 IC 1613 Sagittarius WLM IC 10 DDO 210, Aqr Phoenix Dwarf Tucana Leo A = DDO 69 Cetus Dwarf
Sbc I-II Ir III-IV Ir IV-V dSph? dE0 dSph dSph dSph dSph dSph dSph dSph Sb I-II dE2 dE5p dE3p dE5 dSph dSph dSph dSph dIr/dSph dSph dIr/dSph Sc II-III dIr IV-V dIr V dIr V dIr IV-V dIr IV dIr/dSph dIr/dSph dSph dIr V dSph
Entfernung von der Sonne und ihre Radialgeschwindigkeit. Eine Skizze ihrer räumlichen Anordnung wird in der Abb. 6.4 gezeigt
MB
RA/Dec.
, b
−20.0 −18.5 −17.1
1830 − 30 0524 − 60 0051 − 73 1856 − 30 0237 − 34 0057 − 33 1005 + 12 1110 + 22 1508 + 67 1719 + 58 0640 − 50 1010 − 01 0040 + 41 0039 + 40 0037 + 41 0036 + 48 0030 + 48 0043 + 37 0113 + 33 0032 + 36 2326 + 50 2328 + 14 2351 + 24 0101 + 21 0131 + 30 1942 − 15 0102 + 01 1927 − 17 2359 − 15 0017 + 59 2044 − 13 0149 − 44 2241 − 64 0959 + 30 0026 − 11
0,0 280, −33 303, −44 6, −14 237,−65 286, −84 226, +49 220, +67 105, +45 86, +35 260, −22 243, +42 121, −22 121, −22 121, −21 121, −14 120, −14 122, −25 129, −29 119, −26 109, −09 94, −43 106, −36 126, −41 134, −31 025, −18 130, −60 21, +16 76, −74 119, −03 34, −31 272, 68 323, −48 196, 52 101, −72
−12.0 −9.8 −11.9 −10.1 −8.9 −9.4 −9.4 −9.5 −21.2 −16.5 −16.4 −15.6 −15.1 −11.8 −11.8 −10.2 −12.9 −11.3 −9.8 −18.9 −16.0 −15.3 −12.0 −14.4 −16.0 −10.9 −9.8 −9.6 −11.7 −10.1
die sehr klein und leuchtschwach sind. Aufgrund ihrer kleinen Leuchtkraft und ihrer kleinen Flächenhelligkeit wurden viele der bekannten Mitglieder der Lokalen Gruppe erst in den letzten Jahren entdeckt. So wurde im Jahre 1997 die Antlia-Galaxie gefunden, die eine zwergsphäroidale Galaxie ist. Ihre Leuchtkraft ist etwa 104 Mal kleiner als die der Milchstraße. Viele der Zwerggalaxien gruppieren sich um die Galaxis und um M31; man nennt sie Satellitengalaxien. Um die Milchstraße verteilen sich LMC, SMC und 9 Zwerggalaxien, mehrere davon im sog. Magellanschen Strom (siehe Abb. 6.6), einem langen Band
D (kpc)
vr (km/s)
8 50 63 20 138 88 790 205 69 79 94 86 770 730 730 620 755 790 680 760 690 760 775 620 850 500 715 1060 945 660 950 405 870 800 775
0 270 163 140 55 110 168 90 −209 −281 229 230 −297 −200 −239 −202 −193 — — — — — — −277 −179 −57 −234 −79 −116 −344 −137 56 — — —
aus neutralem Wasserstoff, das vor ∼ 2 × 108 yr durch Gezeitenwechselwirkung mit der Galaxis aus den Magellanschen Wolken herausgerissen wurde. Der Magellansche Strom enthält etwa 2 × 108 M an neutralem Wasserstoff. 6.1.2
Massenabschätzung
Wir wollen hier eine einfache Abschätzung der Masse der Lokalen Gruppe darstellen, aus der hervorgehen wird, dass sie deutlich massereicher ist, als man aus der beobachteten Leuchtkraft der sich in ihr befindlichen Galaxien schließen würde.
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 228
Abb. 6.5. Aufnahme der Großen Magellanschen Wolke (LMC) mit dem CTIO 4 m-Teleskop
M31 gehört zu den ganz wenigen Galaxien, deren Spektrum eine Blauverschiebung zeigen. Andromeda und die Milchstraße bewegen sich daher mit einer Relativgeschwindigkeit von v ≈ 120 km/s aufeinander zu. Dieser Wert ergibt sich aus der Relativgeschwindigkeit v ≈ 300 km/s von M31 zur Sonne und der Bewegung der Sonne um das Galaktische Zentrum. Zusammen mit der Entfernung von D ∼ 770 kpc zu M31 kommt man daher zu dem Schluss, dass beide Galaxien auf einer Zeitskala von ∼ 6 × 109 yr miteinander kollidieren werden (wenn wir die transversale Komponente der Relativgeschwindigkeit außer Acht lassen). Die Leuchtkraft der Lokalen Gruppe wird von der Milchstraße und M31 dominiert, die zusammen etwa 90% der gesamten Leuchtkraft erzeugen. Falls die Massendichte der Lichtverteilung folgt, sollte daher auch die Dynamik der Lokalen Gruppe von diesen beiden Galaxien dominiert sein. Man kann deshalb versuchen, aus der Relativbewegung dieser beiden Galaxien ihre Masse und damit die Masse der Lokalen Gruppe abzuschätzen. In der Frühzeit des Universums waren die Galaxis und M31 nahe beieinander und nahmen an der HubbleExpansion teil. Ihre gegenseitige Gravitationsanziehung bremste die relative Fluchtgeschwindigkeit ab, bis sie zum Stillstand kam – zu einem Zeitpunkt tmax , bei dem diese beiden Galaxien die maximale Entfernung rmax voneinander hatten. Von da an bewegten sie sich aufeinander zu. Die Relativgeschwindigkeit v(t) und der Abstand r(t) folgen aus der Energieerhaltung v2 GM = −C , 2 r
(6.1)
Abb. 6.6. HI-Karte einer großen Himmelsregion, welche die Magellanschen Wolken enthält. Diese Karte stammt aus einem großen HI-Survey, der mit dem Parkes-Teleskop in Australien durchgeführt wurde und der etwa ein Viertel des südlichen Himmels mit einer Pixelgröße von 5 und einer Geschwindigkeitsauflösung von ∼ 1 km/s enthält. Emission von Gas mit Galaktischer Geschwindigkeit wurde bei dieser Karte herausgenommen. Neben der HI-Emission der Magellanschen Wolken selbst ist Gas zwischen ihnen zu erkennen, die Magellansche Brücke, sowie der Magellansche Strom, der mit den Magellanschen Wolken über die ,,interface region“ verbunden ist. In Richtung der Bahnbewegung der Magellanschen Wolken um die Milchstraße findet man ebenfalls Gas, den ,,leading arm“
wobei M die Summe der Massen von Milchstraße und M31 bezeichnet und C eine Integrationskonstante ist. Diese kann bestimmt werden, wenn man in (6.1) den
6.1 Die Lokale Gruppe 229
Zeitpunkt der maximalen Separation einsetzt, bei dem r = rmax und v = 0. Daraus folgt sofort C=
GM . rmax
Da v = dr/dt, ist (6.1) eine Differentialgleichung für r(t), 1 dr 2 1 1 = GM − . 2 dt r rmax Diese kann gelöst werden mit der Anfangsbedingung r = 0 bei t = 0. Für unsere Zwecke reicht eine näherungsweise Betrachtung aus. Löst man die Gleichung nach dt auf, so kann man durch Integration eine Beziehung zwischen rmax und tmax erhalten, rmax tmax dr tmax = dt = √ √ 2G M 1/r − 1/rmax 0
0
3/2
π rmax = √ . (6.2) 2 2G M Da die Differentialgleichung symmetrisch bezüglich der Vertauschung v → −v ist, findet die Kollision bei 2tmax statt. Schätzt man die Zeit von heute bis zur Kollision dadurch ab, dass man die relative Geschwindigkeit als konstant zwischen jetzt und der Kollision annimmt, so folgt r(t0 )/v(t0 ) = D/v = 770 kpc/120 km/s, und man erhält 2tmax ≈ t0 + D/v oder D t0 + , (6.3) 2 2v wobei t0 unser heutiges Weltalter bezeichnet. Zusammen mit (6.2) ergibt sich daher v2 GM GM G M 1 πG M 2/3 = − = − . (6.4) 2 r rmax r 2 tmax tmax ≈
Setzt man nun die Werte r(t0 ) = D und v = v(t0 ) ein, so erhält man die Masse M, M ∼ 3 × 1012 M ,
(6.5)
wobei t0 ≈ 14 × 109 yr angenommen wurde. Die Masse ist sehr viel größer als die beobachtete Masse in Sternen und Gas in den beiden Galaxien. Diese Massenabschätzung ergibt für die Lokale Gruppe ein Masse-zuLeuchtkraft-Verhältnis von M/L ∼ 70 M /L . Daraus ergibt sich ein zusätzlicher Hinweis auf Dunkle Materie, da wir nur etwa 5% dieser Masse in der Milchstraße
und Andromeda sehen. Eine weitere Massenabschätzung der Milchstraße folgt aus der Kinematik der Bewegung des Magellanschen Stroms, die ebenfalls M/L 80M /L ergibt. 6.1.3
Weitere Komponenten der Lokalen Gruppe
Eine der interessantesten Galaxien der Lokalen Gruppe ist die Sagittarius-Zwerggalaxie, die erst im Jahre 1994 entdeckt wurde. Diese ist auf optischen Aufnahmen nicht, oder nur sehr schwer, als Überdichte von Sternen sichtbar, u. a. weil sie sich in Richtung des Galaktischen Bulges befindet. Sie wurde durch eine kinematische Untersuchung von Sternen in Richtung des Bulges entdeckt, bei der eine kohärente Gruppe von Sternen gefunden wurde, deren Geschwindigkeit sich deutlich von der der Bulge-Sterne abhebt. Weiterhin sind die zu dieser Überdichte gehörenden Sternen durch eine sehr viel geringere Metallizität ausgezeichnet, die sich in ihren Farben widerspiegelt. Die Sagittarius-Zwerggalaxie befindet sich nahe der Galaktischen Ebene in einem Abstand von etwa 16 kpc vom Galaktischen Zentrum, beinahe in der direkten Verlängerung unserer Sichtlinie zum GC. Diese Nähe impliziert, dass auf ihrem Orbit um die Milchstraße starke Gezeitenkräfte wirksam sein müssen; diese führen dazu, dass die SagittariusZwerggalaxie im Laufe der Zeit langsam zerrissen wird. Tatsächlich wurde in den letzten Jahren ein relativ dünnes Band von Sternen um die Milchstraße gefunden, die sich auf dem Orbit der Sagittarius-Galaxie befinden, ähnliche chemische Zusammensetzung haben wie ihre Sterne, und die als durch Gezeitenkräfte herausgetrennte Sterne interpretierbar sind. Weiterhin wurden Kugelsternhaufen identifiziert, die vermutlich früher zur Sagittarius-Zwerggalaxie gehörten, aber durch die Gezeitenkräfte aus ihr herausgerissen wurden und nun Teil der Kugelhaufen-Population im Galaktischen Halo sind. Kompakte Hochgeschwindigkeitswolken (compact high velocity clouds, CHVCs) sind Hochgeschwindigkeitswolken (siehe Abschn. 2.3.6) mit einem Winkeldurchmesser von 1◦ . Die Entfernung dieser Wolken ist nur schwer zu bestimmen, da sie anscheinend keine Sterne enthalten, für die man Methoden der Entfernungsbestimmung anwenden könnte. In denjenigen Fällen, wo man im Spektrum eines Hintergrundobjekts eine Absorptionslinie bei der
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 230
gleichen Geschwindigkeit wie die durch die 21-cmLinie gemessene Radialgeschwindigkeit der Wolke beobachtet, kennt man eine obere Schranke der Entfernung, nämlich die Entfernung des Objekts, in dessen Spektrum die Absorptionslinie gefunden wurde. Indirekte Argumente liefern zum Teil recht große Abschätzungen der Entfernung von einigen Hundert kpc. Falls ihre Entfernung wirklich so groß ist, deuten die Rotationskurven der CHVCs, d. h. ihre differentiellen Einfallgeschwindigkeiten, auf große Massen der Wolken hin. In diesem Modell würden CHVCs einen großen Anteil Dunkler Materie enthalten, M ∼ 107 M , also sehr viel mehr als die Masse des neutralen Wasserstoffs ausmacht. CHVCs wären dann weitere eigenständige Mitglieder der Lokalen Gruppe und besäßen eine Masse, die der von Zwerggalaxien nicht unähnlich wäre, deren Sternentstehung aber irgendwie unterdrückt worden ist, so dass sie keine oder kaum Sterne enthalten. Dieses Modell der CHVCs ist allerdings umstritten und seine Bestätigung oder Falsifizierung wäre von großem kosmologischen Interesse, wie wir später noch näher begründen werden. Falls es eine Konzentration von CHVCs um die Milchstraße gibt bei den Entfernungen, von denen in diesem Modell ausgegangen wird, so sollte es eine ähnliche Konzentration um unsere Schwestergalaxie M31 geben. Eine intensive Suche nach diesen Systemen wird zur Zeit durchgeführt. Während man HVCs um M31 gefunden hat, war die Suche nach CHVCs bislang erfolglos, so dass man wahrscheinlich von einer relativ geringen Entfernung der Galaktischen CHVCs von ∼ 50 kpc ausgehen muss. In diesem Fall wären sie keine Objekte mit großer Masse. Umgebung der Lokalen Gruppe. Die Lokale Gruppe ist in der Tat eine Konzentration von Galaxien: Während sie ca. 35 Mitglieder innerhalb von ∼ 1 Mpc enthält, werden die nächsten Galaxien erst in der SculptorGruppe gefunden, die etwa 6 Mitglieder besitzt und sich in einer Entfernung von D ∼ 1.8 Mpc befindet. Die nächste Galaxiengruppe danach ist die M81Gruppe mit ∼ 8 Galaxien bei D ∼ 3.1 Mpc, deren beide prominentesten Galaxien in Abb. 6.7 dargestellt sind. Als weitere nahe Assoziationen von Galaxien innerhalb 10 Mpc von uns sind zu nennen: die Centaurus-
Abb. 6.7. M81 (links) und M82 (rechts), zwei Galaxien der M81-Gruppe, die etwa 3.1 Mpc entfernt ist. Diese beiden Galaxien bewegen sich umeinander, wobei die entsprechende gravitative Wechselwirkung die heftige Sternentstehung in M82 bewirkt haben könnte – M82 ist einer der Prototypen der Starburst-Galaxien
Gruppe mit 17 Mitgliedern und D ∼ 3.5 Mpc, die M101-Gruppe mit 5 Mitgliedern und D ∼ 7.7 Mpc, die M66- und M96-Gruppen, die zusammen 10 Mitglieder enthalten und sich bei D ∼ 9.4 Mpc befinden, sowie die NGC 1023-Gruppe mit 6 Mitgliedern bei D = 9.6 Mpc. Die hier genannte Anzahl von Mitgliedern bezieht sich natürlich nur auf die bekannten Galaxien. Zwerggalaxien, wie etwa Sagittarius, sind bei den Entfernungen dieser Gruppen nur schwer nachweisbar. Die meisten Galaxien befinden sich innerhalb von Gruppen. Es gibt sehr viel mehr Zwerggalaxien als leuchtkräftige Galaxien, und Zwerggalaxien befinden sich bevorzugt in der Nähe von größeren Galaxien. Einige Mitglieder der Lokalen Gruppe sind so schwach, dass man solche Galaxien kaum außerhalb der Lokalen Gruppe beobachten könnte. Eine große Galaxienkonzentration war schon im 18. Jahrhundert bekannt (W. Herschel) – der VirgoHaufen. Seine Galaxien nehmen ein etwa 10◦ × 10◦ großes Gebiet am Himmel ein, und seine Entfernung beträgt D ∼ 16 Mpc. Der Virgo-Haufen besteht aus etwa 250 großen Galaxien und mehr als 2000 kleineren. In der Klassifikation von Galaxienhaufen wird Virgo als ein irregulärer Haufen eingeordnet. Der uns nächste reguläre massive Galaxienhaufen ist der ComaHaufen (siehe Abb. 1.14), in einer Entfernung von etwa D ∼ 90 Mpc.
6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen 231
6.2
Galaxien in Haufen und Gruppen
6.2.1
Der Abell-Katalog
George Abell erstellte einen 1958 veröffentlichten Katalog von Galaxienhaufen, indem er Gebiete am Himmel mit einer Überdichte von Galaxien identifizierte. Diese Identifikation führte er visuell auf den Photoplatten des Palomar Observatory Sky Surveys (POSS) durch, einem photographischen Atlas des nördlichen (δ > −30◦ ) Himmels.1 Dabei sparte er die Galaktische Scheibe aus, weil dort aufgrund der Extinktion und der hohen Sterndichte die Beobachtung von Galaxien deutlich problematischer ist. Abells Kriterien und sein Katalog. Die Kriterien für Abell für die Existenz eines Haufens bezogen sich auf die Überdichte der Galaxien innerhalb eines bestimmten Raumwinkels. Nach diesen Kriterien enthält ein Haufen ≥ 50 Galaxien im Magnitudenintervall m 3 ≤ m ≤ m 3 + 2, wobei m 3 die scheinbare Helligkeit der dritthellsten Galaxie des Haufens ist.2 Diese Galaxien müssen sich innerhalb eines Kreises mit einem Winkelradius von 1. 7 θA = (6.6) z 1 Der
POSS, oder genauer, der erste Palomar Sky Survey, besteht aus 879 Paaren von Photoplatten, aufgenommen in zwei Farbbändern, und deckt den nördlichen Himmel bei Deklinationen −30◦ ab. Er wurde 1960 fertiggestellt. Die Abdeckung des südlichen Teils des Himmels wurde in Form des ESO/SERC Southern Sky Surveys im Jahre 1980 abgeschlossen, wobei dieser Survey etwa zwei Magnituden tiefer ist (B 23, R 22) als der POSS. Die Photoplatten beider Surveys wurden digitalisiert und bilden den Digitized Sky Survey (DSS), der den gesamten Himmel abdeckt. Ausschnitte aus dem DSS kann man direkt im Internet erhalten, wobei der gesamte DSS ein Datenvolumen von ca. 600 GB besitzt. Zurzeit wird der zweite Palomar Sky Survey (POSS-II) durchgeführt, der gegenüber dem ersten etwa eine Magnitude tiefer gehen wird und dabei Daten in drei (anstatt zwei) Farbbändern aufnimmt. Dies wird voraussichtlich der letzte photographische Himmelsatlas sein, denn durch die Entwicklung großer CCD-Kameras können solche Surveys nun auch digital erstellt werden. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Sloan Digital Sky Survey, den wir in anderem Zusammenhang in Abschn. 8.1.2 diskutieren werden. 2 Der Grund für die Wahl der dritthellsten Galaxie besteht darin, dass die Leuchtkraft der hellsten Galaxie von Haufen zu Haufen stark variieren kann. Noch wichtiger ist die Tatsache, dass die hellste Galaxie in der betrachteten Himmelsregion eine nicht zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit hat, nicht zum Haufen zu gehören, sondern sich bei kleineren Abständen von uns zu befinden.
²
º
º
befinden, wobei z die abgeschätzte Rotverschiebung ist. Diese wird durch die Annahme ermittelt, dass die Leuchtkraft der zehnthellsten Galaxie eines Haufens in allen Haufen gleich sei. Die ,,Kalibration“ dieser Entfernung wird mittels Haufen mit bekannter Rotverschiebung erreicht. θA heißt Abell-Radius eines Haufens und entspricht einem physikalischen Radius von RA ≈ 1.5h −1 Mpc. Die so abgeschätzte Rotverschiebung soll für die Selektion der Abell-Haufen im Bereich 0.02 ≤ z ≤ 0.2 liegen. Die untere Schranke ist so gewählt, dass ein Haufen auf einer Photoplatte (∼ 6◦ × 6◦ ) des POSS zu finden ist und sich nicht über mehrere Platten erstreckt, was die Suche schwieriger gestalten würde, u. a. weil die Empfindlichkeit der einzelnen Platten verschieden ist. Die obere Schranke der Rotverschiebung wurde wegen der Empfindlichkeitsgrenze der Photoplatten gewählt. Der Abell-Katalog enthält 1682 Haufen, die alle diese Kriterien erfüllen. Zusätzlich listet er 1030 Haufen auf, die während der Suche entdeckt wurden, die aber nicht alle Kriterien erfüllen (die meisten von ihnen enthalten zwischen 30 und 49 Galaxien). Eine Erweiterung dieses Katalogs auf den südlichen Himmel wurde von Abell, Corwin & Olowin 1989 veröffentlicht. Dieser ACO-Katalog enthält einschließlich des ursprünglichen Katalogs insgesamt 4076 Haufen. Ein weiterer wichtiger Haufen-Katalog stellt der Zwicky-Katalog (1961– 68) dar, der mehr Haufen enthält, dessen Selektionskriterien aber als weniger verlässlich eingeschätzt werden. Probleme der optischen Haufensuche. Die Selektion von Galaxienhaufen aufgrund einer Überdichte von Galaxien an der Sphäre ist natürlich nicht unproblematisch, insbesondere wenn man die dadurch erzeugten Kataloge für statistische Zwecke auswerten möchte. Ein ,,idealer“ Katalog sollte zwei Merkmale besitzen: Zum einen sollte er vollständig sein, in dem Sinne, dass alle Objekte, die den Selektionskriterien genügen, in dem Katalog enthalten sind. Zum zweiten sollte er ,,zuverlässig“ sein, d. h. er sollte keine Objekte enthalten, die nicht in den Katalog gehören, weil sie die Kriterien nicht erfüllen (sog. false positives). Der Abell-Katalog ist weder vollständig noch zuverlässig; wir wollen hier kurz diskutieren, warum dies auch keinesfalls zu erwarten ist. Ein Galaxienhaufen ist ein drei-dimensionales Objekt, während die Galaxienzählung notwendigerweise auf der Projektion der Galaxienpositionen am Himmel
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 232
basiert. Dadurch sind Projektionseffekte unvermeidlich: Zufällige, durch Projektion zustande kommende Überdichten an der Sphäre können somit leicht als Haufen klassifiziert werden. Der umgekehrte Effekt ist ebenfalls möglich: Durch Fluktuationen der Anzahl von Vordergrundgalaxien kann ein Haufen hoher Rotverschiebung zu einer insignifikanten – und daher unentdeckten – Fluktuation reduziert werden. Natürlich sind nicht alle als solche klassifizierten Mitglieder eines Haufens tatsächlich Galaxien im Haufen, denn auch hier spielen Projektionseffekte eine wichtige Rolle. Weiterhin ist die Abschätzung der Rotverschiebung einigermaßen grob. In der Zwischenzeit wurde eine Spektroskopie vieler Abell-Haufen durchgeführt, wobei sich zeigte, dass die von Abell gewählte Methode der Rotverschiebungsabschätzung einen Fehler von ca. 30% hat – erstaunlich gut, wenn man die Grobheit der Annahmen betrachtet! Der Abell-Katalog basiert auf einer visuellen Untersuchung von Photoplatten und ist daher z. T. subjektiv. Heute kann man die Abell-Kriterien mittels digitalisierter Aufnahmen objektiv in einer automatisierten Suche anwenden. Dabei stellt sich heraus, dass die Ergebnisse nicht allzu unterschiedlich sind. Die visuelle Suche ist demnach mit großer Sorgfalt durchgeführt worden
und stellt eine phantastische Leistung dar. Aus diesem Grunde und trotz der oben diskutierten potentiellen Probleme werden der Abell- und der ACO-Katalog immer noch sehr häufig benutzt. Abell 851 ist der 851ste Eintrag des Katalogs, auch als A851 bezeichnet (A851 ist mit einer Rotverschiebung von z = 0.41 der entfernteste der Abell-Haufen). Abell-Klassen. Die Abell- und ACO-Kataloge unterteilen Haufen in sog. Richness- und Entfernungsklassen. Tabelle 6.2 gibt die Kriterien für die RichnessKlassen an, während Tabelle 6.3 die Entfernungsklassen auflistet. Die Unterteilung findet in 6 Richness-Klassen statt, die mit 0 bis 5 bezeichnet werden, entsprechend der Anzahl der Haufenmitglieder. Richness-Klasse 0 hat zwischen 30 und 49 Mitglieder und gehört somit nicht zum eigentlichen Haufen-Katalog. Aus der Tabelle 6.2 erkennt man, dass die Anzahl der Haufen mit steigender Richness-Klasse sehr schnell abnimmt, es gibt also nur wenige Haufen mit sehr vielen Haufengalaxien. Dabei sei noch einmal daran erinnert, dass der Raumwinkel, aus dem die Abell-Haufen stammen, etwa 2/3 der gesamten Sphäre einnimmt. Es gibt also in der Tat nur sehr wenige sehr reiche Haufen (mit Rotverschiebung 0.2).
Tabelle 6.2. Definitionen der Richness-Klassen. N ist die Anzahl von Haufengalaxien mit Magnituden zwischen m 3 und m 3 + 2, wobei m 3 die Helligkeit der dritthellsten Haufengalaxie ist. Richness class R
N
Anzahl in Abells Katalog
(0) 1 2 3 4 5
(30–49) 50–79 80–129 130–199 200–299 ≥ 300
(≥ 1000) 1224 383 68 6 1
Tabelle 6.3. Definitionen der Entfernungs-Klassen. m 10 gibt die Magnitude der zehnthellsten Haufengalaxie an. EntfernungsKlasse
m 10
geschätzte durchschnittliche Rotverschiebung
1 2 3 4 5 6
13.3–14.0 14.1–14.8 14.9–15.6 15.7–16.4 16.5–17.2 17.3–18.0
0.0283 0.0400 0.0577 0.0787 0.131 0.198
Anzahl in Abells Katalog mit R ≥ 1 9 2 33 60 657 921
6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen 233
Die Unterteilung in die 7 Entfernungsklassen basiert auf der scheinbaren Magnitude der zehnthellsten Galaxie, entsprechend der Rotverschiebungsabschätzung der Haufen. Deshalb gibt die Entfernungsklasse eine grobe Abschätzung der Entfernung an. 6.2.2
Leuchtkraftverteilung der Haufengalaxien
Wie in Abschn. 3.7 für die gesamte Galaxienpopulation definiert man die Leuchtkraftfunktion der Galaxien eines Haufens. Bei vielen Haufen stellt die Schechter-Leuchtkraftfunktion (3.38) einen sehr guten Fit an die Daten dar, wenn man die jeweils hellste Galaxie vernachlässigt (siehe Abb. 3.32 für den VirgoGalaxienhaufen). Die Steigung α am leuchtschwachen Ende ist nicht leicht bestimmbar, weil die Projektionseffekte umso stärker werden, je schwächer die betrachteten Galaxien sind. Außerdem scheint die Steigung α in verschiedenen Haufen unterschiedlich zu sein, aber auch hier ist nicht völlig klar, ob die entsprechenden Resultate durch in verschiedenen Haufen unterschiedlich starke Projektionseffekte beeinflusst werden. So ist bisher noch nicht endgültig geklärt, ob die Leuchtkraftfunktion bei L L ∗ steil ansteigt oder nicht, also ob es viel mehr leuchtschwache Galaxien gibt als ∼ L ∗ -Galaxien (man vergleiche dazu den Galaxiengehalt der Lokalen Gruppe). L ∗ ist für viele Haufen sehr ähnlich, weshalb die Entfernungsabschätzung durch die scheinbare Helligkeit von Haufenmitgliedern einigermaßen verlässlich ist. Allerdings gibt es eine Reihe von Haufen mit einem stark abweichenden Wert von L ∗ . Viele Haufen enthalten cD-Galaxien im Zentrum, wobei diese sich von großen Ellipsen in mehrerer Hin-
sicht unterscheiden. Sie haben eine sehr ausgedehnte stellare Hülle, deren Größe R ∼ 100 kpc übersteigen kann und deren Flächenhelligkeit weit oberhalb der eines de Vaucouleurs-Profils liegt (siehe Abb. 3.8). Man findet cD-Galaxien nur im Zentrum von Haufen oder Gruppen, also nur in Gebieten sehr stark erhöhter Galaxiendichte. Viele cD-Galaxien haben Mehrfachkerne, die ansonsten bei anderen Haufenmitgliedern recht selten sind. 6.2.3
Morphologische Klassifikation von Haufen
Haufen werden auch aufgrund der Morphologie ihrer Galaxienverteilung klassifiziert. Es werden mehrere solcher Klassifikationen benutzt, von denen eine in der Abb. 6.8 dargestellt ist. Da es sich um eine Beschreibung des visuellen Eindrucks der Galaxienverteilung handelt, ist die genaue Klasse eines Haufens nicht von besonders großem Interesse. Eine grobe Einteilung jedoch vermittelt eine Idee über den Zustand eines Haufens, ob er sich in einem dynamischen Gleichgewicht befindet oder ob er gerade durch einen Verschmelzungsprozess mit einem anderen Haufen stark gestört worden ist. Deshalb unterscheidet man vor allen Dingen zwischen regulären und irregulären Haufen, und denen, die ,,dazwischen liegen“, die also weder regulär, noch völlig irregulär sind; natürlich sind die Übergänge zwischen den Klassen fließend. Reguläre Haufen sind kompakt, irreguläre Haufen dagegen ,,offen“ (Zwickys Unterscheidungsmerkmal). Diese morphologische Einteilung weist in der Tat auf physikalische Unterschiede zwischen den Haufen hin, wie die Korrelationen zwischen der Morphologie und anderen Eigenschaften von Galaxienhaufen zei-
Abb. 6.8. Grobe Klassifikation von Haufen, nach Rood & Sastry: cD sind solche, die von einer zentralen cD-Galaxie dominiert werden, B enthalten ein Paar von hellen Galaxien im Zentrum. L sind Haufen mit einer fast linearen Anordnung der dominanten Galaxien, C haben einen einzelnen Kern von Galaxien, F sind Haufen mit abgeflachter Galaxienverteilung, und I sind Haufen mit irregulärer Verteilung
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 234
gen. So findet man, dass reguläre Haufen völlig von Frühtyp-Galaxien (Ellipsen und S0-Galaxien) dominiert werden, während irreguläre Haufen einen fast so großen Spiralen-Anteil enthalten wie die allgemeine Verteilung von Feldgalaxien. Reguläre Haufen werden sehr häufig von einer cD-Galaxie im Zentrum dominiert, und die zentrale Galaxiendichte ist dort sehr hoch. Im Gegensatz dazu sind irreguläre Haufen wesentlich weniger dicht im Zentrum. Irreguläre Haufen zeigen oft eine starke Substruktur, die bei regulären Haufen selten zu finden ist. Weiterhin haben reguläre Haufen eine große Richness, während irreguläre Haufen weniger Haufenmitglieder besitzen. Zusammenfassend kann man dies so interpretieren, dass sich reguläre Haufen in einem relaxierten Zustand befinden, wohingegen irreguläre Haufen noch in einer Entwicklung sind. 6.2.4 Räumliche Verteilung der Galaxien Die meisten regulären Haufen zeigen eine zentrierte Dichteverteilung der Haufengalaxien, d. h. die Galaxiendichte nimmt nach innen hin stark zu. Falls der Haufen nicht zu elliptisch ist, kann diese Dichteverteilung als sphärisch symmetrisch angenommen werden. Zu beobachten ist nur die projizierte Dichteverteilung N(R). Diese hängt mit der drei-dimensionalen Anzahldichte n(r) zusammen über die Relation ∞ N(R) = −∞
dz n
R2 + z 2
∞ =2 R
dr r n(r) , √ r 2 − R2 (6.7)
wobei im zweiten Schritt eine einfache Transformation der Integrationsvariablen von der Sichtlinienkoordinate √ z auf den drei-dimensionalen Radius r = R2 + z 2 durchgeführt wurde. Natürlich kann man keine Funktion N(R) beobachten, sondern nur Punkte (die Positionen der Galaxien), die in bestimmter Weise verteilt sind. Man kann N(R) durch eine Glättung der Punktverteilung erhalten, wenn die Anzahldichte der Galaxien genügend groß ist. Alternativ betrachtet man parametrisierte Formen von N(R) und passt die Parameter an die Beobachtung der Galaxienpositionen an. Dieser zweite Weg wird meistens beschritten, weil er robustere Resultate liefert. Eine parametrisierte Verteilung muss mindestens fünf Parameter enthalten, damit wenigstens die wesentlichen
Charakteristika eines Haufens beschrieben werden können. Zwei dieser Parameter geben die Position des Haufenzentrums am Himmel an. Ein weiterer Parameter wird benutzt, um die Amplitude der Dichte zu beschreiben, wofür man z. B. die zentrale Dichte N0 = N(0) angeben kann. Eine charakteristische Skala eines Haufens ist der ,,Kernradius“ rc , den man üblicherweise so definiert, dass bei R = rc die projizierte Dichte auf die Hälfte des zentralen Wertes abgefallen ist, N(rc ) = N0 /2. Schließlich benötigt man einen Parameter, der angibt, ,,wo der Haufen aufhört“; der Abell-Radius RA ist eine erste Näherung für einen solchen Parameter. Bei den parametrisierten Haufenmodellen kann man unterscheiden zwischen solchen, die physikalisch motiviert sind, und anderen, die rein mathematischer Natur sind. Ein Beispiel für letzteres ist das de VaucouleursProfil, das nicht aus dynamischen Modellen heraus abgeleitet wird. Wir betrachten als Nächstes eine Klasse von Verteilungen, die aus einem dynamischen Modell stammen. Isotherme Verteilungen. Diese Modelle beruhen auf der Annahme, dass die Geschwindigkeitsverteilung der Masseteilchen (dies können sowohl die Galaxien des Haufens sein als auch Teilchen der Dunklen Materie) eines Haufens lokal einer Maxwell-Verteilung folgen, also ,,thermalisiert“ sind. Wie die spektroskopische Untersuchung der Häufigkeitsverteilung der Radialgeschwindigkeiten von Haufengalaxien ergibt, ist dies keine schlechte Annahme. Nimmt man weiterhin an, dass das Massenprofil des Haufens dem der Galaxien folgt (oder umgekehrt) und dass die ,,Temperatur“ (bzw. die Geschwindigkeitsdispersion) der Verteilung nicht vom Radius abhängt (so dass man eine isotherme Verteilung der Galaxien vorliegen hat), so ergibt sich eine ein-parametrige Schar von Modellen, die sog. isothermen Sphären. Diese kann wie folgt physikalisch beschrieben werden. Im Gleichgewicht muss der Druckgradient gerade gleich der Gravitationsbeschleunigung sein, so dass dP G M(r) = −ρ , dr r2
(6.8)
wobei ρ(r) die Dichte der Verteilung, z. B. die Dichte der Galaxien, angibt. Über ρ(r) = m n(r) verknüpft
6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen 235
man diese Massendichte mit der Anzahldichte n(r), wobei m$ die mittlere Teilchenmasse bezeichnet. r M(r) = 4π 0 dr r 2 ρ(r ) ist die Masse des Haufens innerhalb des Radius r. Durch Differentiation von (6.8) erhält man d r2 d P + 4πGr 2 ρ = 0 . (6.9) dr ρ dr Der Zusammenhang zwischen dem Druck und der Dichte lautet P = nkB T . Andererseits ist die Temperatur mit der Geschwindigkeitsdispersion der Teilchen verknüpft, m 2 3 (6.10) kB T = v , 2 2 wobei v2 die mittlere quadratische Geschwindigkeit ist, also die Geschwindigkeitsdispersion, wenn man die mittlere vektorielle Geschwindigkeit Null setzt. Letztere Annahme bedeutet, dass der Haufen nicht rotiert oder kontrahiert bzw. expandiert. Falls T (bzw. v2 ) unabhängig von r ist, gilt 2 v dρ dρ dP kB T dρ = = = σv2 , m dr dr 3 dr dr
(6.11)
wobei σv2 die ein-dimensionale Geschwindigkeitsdispersion ist, also z. B. die Geschwindigkeitsdispersion in Richtung der Sichtlinie, die man durch die Rotverschiebung der Haufengalaxien messen kann. Falls die Geschwindigkeitsverteilung einer isotropen (Maxwell-)Verteilung entspricht, ist die eindimensionale Geschwindigkeitsdispersion gerade 1/3 der drei-dimensionalen Geschwindigkeitsdispersion, wegen v2 = σx2 + σ y2 + σz2 , oder σv2
2 v = . 3
(6.12)
Mit (6.9) ergibt sich daraus d dr
σv2 r 2 dρ + 4πGr 2 ρ = 0 . ρ dr
(6.13)
Singuläre isotherme Sphäre. Die Differentialgleichung (6.13) für ρ(r) kann im Allgemeinen nicht
analytisch gelöst werden. Die physikalisch sinnvollen Randbedingungen sind ρ(0) = ρ0 , also die zentrale Dichte, und (dρ/dr)|r=0 = 0, damit das Dichteprofil im Zentrum flach verläuft. Eine spezielle analytische Lösung der Differentialgleichung existiert allerdings: Durch Einsetzen findet man, dass ρ(r) =
σv2 2πGr 2
(6.14)
die Gleichung (6.13) löst. Diese Dichteverteilung heißt singuläre isotherme Sphäre und ist uns schon bei der Diskussion von Gravitationslinsenmodellen in Abschn. 3.8.2 begegnet. Dieses Verteilung hat eine divergierende Dichte bei r → 0 und eine unendliche Gesamtmasse, M(r) ∝ r. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass diese Dichteverteilung für große Radien genau diejenige ist, die man zur Erklärung der flachen Rotationskurven von Galaxien braucht. Numerische Lösungen von (6.13) mit den oben genannten Randbedingungen (also einem flachem Kern) ergeben, dass die zentrale Dichte und der Kernradius miteinander über ρ0 =
9σv2 4πGrc2
(6.15)
verknüpft sind. Diese physikalischen Lösungen von (6.13) vermeiden daher die unendliche Dichte der singulären isothermen Sphäre. Allerdings fallen auch diese Lösungen wie ρ ∝ r −2 nach außen hin ab, besitzen also ebenfalls eine divergierende Masse. Der Ursprung dieser Massendivergenz ist leicht zu verstehen, da diese isothermen Verteilungen auf der Annahme beruhen, dass die Geschwindigkeitsverteilung isotherm, also Maxwellsch mit räumlich konstanter Temperatur ist. Eine Maxwell-Verteilung hat Flügel, sie enthält also Teilchen mit beliebig hoher Geschwindigkeit. Da die Verteilung als stationär angenommen wird, dürfen solche Teilchen nicht ,,entkommen“, so dass ihre Geschwindigkeit kleiner sein muss als die Fluchtgeschwindigkeit aus dem Gravitationspotential des Haufens. Für eine Maxwell-Verteilung lässt sich das aber nur durch unendliche Gesamtmasse erreichen. King-Modelle. Um das Problem der divergenten Gesamtmasse zu beseitigen, führt man selbst-gravitierende
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 236
dynamische Modelle mit abgeschnittener Geschwindigkeitsverteilung ein. Diese werden als King-Modelle bezeichnet, können aber nicht analytisch dargestellt werden. Allerdings existiert eine analytische Näherungsformel für den zentralen Bereich des Massenprofils: ρ(r) = ρ0
2 −3/2 r 1+ . rc
(6.16)
Mit (6.7) erhält man daraus die projizierte Flächenmassendichte Σ(R) = Σ0
2 −1 R 1+ rc
mit Σ0 = 2ρ0rc . (6.17)
Auch der analytische Fit (6.16) des King-Profils hat eine divergente Gesamtmasse, allerdings ist diese Divergenz ,,nur“ logarithmisch. Diese analytischen Modelle für die Dichteverteilung der Galaxien in Haufen sind natürlich nur Näherungen, da die Galaxienverteilung in Haufen oftmals stark strukturiert ist. Weiterhin sind diese dynamischen Modelle nur dann auf die Galaxienverteilung anwendbar, wenn die Galaxiendichte der Materiedichte folgt. Nun stellt man aber fest, dass die Verteilung der Galaxien in Haufen oftmals vom jeweiligen Galaxientyp abhängig ist. Der Anteil der Frühtyp-Galaxien (Es und S0s) ist häufig im Zentrum des Haufens am höchsten. Daraus sollte man zumindest als Möglichkeit ableiten, dass die Galaxien nicht wie die Materie in Haufen verteilt sind. Ein typischer Wert für den Kernradius beträgt etwa rc ∼ 0.25h −1 Mpc. 6.2.5
Dynamische Masse von Haufen
Die obige Betrachtung hat die Geschwindigkeitsverteilung von Haufengalaxien mit dem Massenprofil des Haufens verknüpft, und dadurch haben wir physikalische Modelle für die Dichteverteilung erhalten. Das impliziert die Möglichkeit, aus den beobachteten Geschwindigkeiten der Haufengalaxien auf die Masse bzw. das Massenprofil eines Haufens zu schließen. Diese Methode der Massenbestimmung soll hier kurz vorgestellt werden. Dazu betrachten wir zunächst die dynamische
Zeitskala von Haufen, definiert als die Zeit, die eine typische Galaxie benötigt, um den Haufen einmal zu durchqueren, tcross ∼
RA ∼ 1.5h −1 × 109 yr , σv
(6.18)
wobei als (ein-dimensionale) Geschwindigkeitsdispersion σv ∼ 1000 km/s angenommen wurde. Die dynamische Zeitskala tcross ist kleiner als das Weltalter. Daraus schließt man, dass Galaxienhaufen gravitativ gebundene Systeme sind. Wären sie es nicht, würden sie sich auf einer Zeitskala tcross auflösen. Wegen tcross t0 nimmt man viriales Gleichgewicht an, also die Gültigkeit des Virialtheorems, so dass im zeitlichen Mittel 2E kin + E pot = 0 ; dabei sind E kin =
(6.19)
1 m i vi2 ; 2 i
E pot = −
1 Gm i m j 2 i= j rij (6.20)
die kinetische bzw. die potentielle Energie der Haufengalaxien, m i ist die Masse der i-ten Galaxie, vi der Betrag ihrer Geschwindigkeit und rij der räumliche Abstand zwischen der i-ten und j-ten Galaxie. Der Faktor 1/2 in der Definition von E pot taucht auf, weil jedes Galaxienpaar in der Summe doppelt vorkommt. Man definiert die Gesamtmasse des Haufens als M := mi , (6.21) i
sowie die massengewichtete Geschwindigkeitsdispersion 2 1 v := m i vi2 (6.22) M i und den gravitativen Radius ⎛ ⎞−1 mi m j ⎠ . rG := 2M 2 ⎝ r ij i = j
(6.23)
Daraus erhält man für die kinetische und potentielle Energie E kin =
M 2 v ; 2
E pot = −
G M2 , rG
(6.24)
6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen 237
und mit dem Virialtheorem (6.19) ergibt sich die Massenabschätzung r G v2 M= . G
(6.25)
Übergang zu projizierten Größen. Die obige Herleitung benutzt die drei-dimensionalen Abstände ri der Galaxien vom Haufenzentrum, die allerdings nicht beobachtbar sind. Um diese Gleichungen anwenden zu können, müssen sie auf die projizierten Abstände umgeschrieben werden. Falls die Galaxienpositionen und die Richtung der Geschwindigkeitsvektoren der Galaxien unkorreliert sind, wie das z. B. bei einer isotropen Geschwindigkeitsverteilung der Fall ist, gilt 2 v = 3σv2 , ⎛ ⎞−1 mi m j π ⎠ , rG = RG mit RG = 2M 2 ⎝ 2 R ij i = j (6.26) wobei Rij den projizierten Abstand zwischen den Galaxien i und j bezeichnet. Die Größen σv und RG sind direkt beobachtbar, und somit kann die Gesamtmasse des Haufens bestimmt werden. Man findet M=
3πRG σv2 2G
= 1.1 × 1015 M
2 σv 1000 km/s
RG 1 Mpc
. (6.27)
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass diese Massenabschätzung nicht mehr von den Massen m i der Einzelgalaxien abhängt – die Galaxien sind daher quasi Testteilchen des Gravitationspotentials. Da σv ∼ 1000 km/s und RG ∼ 1 Mpc typisch für reiche Galaxienhaufen sind, findet man eine charakteristische Masse von ∼ 1015 M für reiche Haufen. Das ,,missing mass“ Problem bei Galaxienhaufen. Aus M und der Anzahl N der Galaxien kann man dann eine charakteristische Masse m = M/N der leuchtkräftigen Galaxien berechnen. Diese Masse stellt sich als sehr groß heraus, m ∼ 1013 M . Alternativ kann man
M mit der optischen Gesamtleuchtkraft der Haufengalaxien vergleichen, L tot ∼ 1012 –1013 L , woraus dann das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis berechnet werden kann. Die sich daraus ergebenden charakteristischen Werte sind M M ∼ 300 h . (6.28) L tot L Dieser Wert übersteigt das M/L-Verhältnis von Frühtyp-Galaxien um mindestens einen Faktor 10. Daraus schloss Fritz Zwicky schon 1933 (durch Untersuchung des Coma-Haufens), dass Galaxienhaufen mehr Masse enthalten müssen als in Galaxien sichtbar ist – der Beginn des missing mass Problems. Wie wir weiter unten noch sehen werden, hat sich dieses Problem inzwischen fest etabliert, denn auch andere Methoden zur Bestimmung von Haufenmassen ergeben vergleichbar große Werte und zeigen, dass der Hauptanteil der Masse in Galaxienhaufen aus nichtbaryonischer, Dunkler Materie besteht. Die in Galaxien sichtbaren Sterne machen weniger als etwa 5% der Gesamtmasse von Galaxienhaufen aus.
6.2.6 Weitere Bemerkungen zur Haufendynamik In Bezug auf obige Argumentation stellt sich natürlich die Frage, ob die Anwendung des Virialtheorems noch gerechtfertigt ist, wenn der Hauptanteil der Masse sich nicht in Galaxien befindet. Die Herleitung bleibt in dieser Form gültig, solange die räumliche Verteilung der Galaxien der Verteilung der Gesamtmasse folgt. Die dynamische Massenbestimmung kann beeinflusst werden durch eine anisotrope Geschwindigkeitsverteilung der Haufengalaxien und durch die möglicherweise nicht-sphärische Massenverteilung des Haufens. In beiden Fällen sind die Projektionseffekte, die sich im sphärisch-symmetrischen Fall relativ leicht behandeln lassen, deutlich komplizierter. Auch dies ist ein Grund für die Notwendigkeit von alternativen Massenbestimmungen. Zweikörperstöße von Galaxien in Haufen sind dynamisch unwichtig, wie man aus der entsprechenden Relaxationszeitskala (3.3) ablesen kann, trelax = tcross
N , ln N
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 238
die viel größer als das Weltalter ist. Die Bewegung von Galaxien wird daher vom kollektiven Gravitationspotential des Haufens bestimmt. Die Geschwindigkeitsdispersion der verschiedenen Galaxientypen ist in etwa gleich, und es gibt auch keine klare Tendenz einer Abhängigkeit von σv von der Leuchtkraft der Galaxien. Daraus erkennt man, dass die Galaxien im Haufen nicht ,,thermalisiert“ sind, da das bedeuten würde, dass sie alle die gleiche mittlere kinetische Energie hätten, also σv ∝ m −1/2 gelten müsste. Auch diese Tatsache lässt darauf schließen, dass Stöße der Galaxien untereinander dynamisch irrelevant sind; vielmehr wird die Geschwindigkeitsverteilung der Galaxien durch kollektive Prozesse bei der Bildung der Haufen bestimmt. Violent relaxation. Der Prozess, der dabei eine wichtige Rolle spielt, heißt violent relaxation. Darunter versteht man das sehr schnelle Erreichen des virialen Gleichgewichts beim gravitativen Kollaps einer Massenkonzentration. Der Grund dafür besteht in kleinskaligen Dichteinhomogenitäten der kollabierenden Materie, die entsprechende Fluktuationen des Gravitationsfeldes bewirken. Diese streuen dann die einfallenden Teilchen, wodurch die Dichteinhomogenitäten weiter verstärkt werden. Die Fluktuationen des Gravitationsfeldes wirken wie Streuzentren für die Materie. Weiterhin sind diese Fluktuationen des Feldes zeitlich variabel, so dass ein Energieaustausch zwischen den Teilchen stattfinden kann. Im statistischen Mittel erhalten dadurch die Galaxien die gleiche Geschwindigkeitsverteilung. Wie man durch Simulationen bestätigen kann, findet dieser Prozess auf der Zeitskala von tcross statt, also etwa gleich schnell wie der Kollaps selbst. Dynamische Reibung. Ein weiterer wichtiger Prozess für die Dynamik von Galaxien in Haufen ist die dynamischen Reibung (dynamical friction). Das einfachste Bild der dynamischen Reibung erhält man aus folgender Betrachtung: Wenn ein massives Teilchen der Masse m sich durch eine statistisch homogene Verteilung von Masseteilchen bewegt, so verschwindet aufgrund der Homogenität die Gravitationskraft, welches das Teilchen spürt. Da aber dieses Teilchen Masse besitzt, zieht es die anderen Masseteilchen an, sorgt also dafür, dass die Verteilung inhomogen wird. Wenn sich das Teilchen nun bewegt, werden sich durch sein Gravitationsfeld die anderen Teilchen langsam in Richtung
der Trajektorie des Teilchens bewegen. Die dadurch zustande kommende Inhomogenität der Massenverteilung wird aufgrund der Trägheit der Materie derart sein, dass sich eine Überdichte der Materieverteilung entlang der Teilchenbahn bildet, wobei die Dichte auf der der Geschwindigkeit entgegengesetzten Seite (also ,,hinter“ dem Teilchen) größer sein wird als in der Richtung der Bewegung (siehe Abb. 6.9). Dadurch bildet sich ein Gravitationsfeld aus, das zu einer Beschleunigung entgegen der Bewegungsrichtung des Teilchens führt, das Teilchen wird dadurch also abgebremst. Da diese Polarisation des Mediums durch die Gravitation des Teilchens hervorgerufen wird, die proportional zu seiner Masse ist, wird die Beschleunigung ebenfalls proportional zu m sein. Weiterhin wird ein schnelles Teilchen eine geringere Polarisation des Mediums hervorrufen als ein langsames, weil jedes Massenelement des Mediums die Gravitation des Teilchen dann eine kürzere Zeit spürt und dadurch das Medium weniger polarisiert wird. Zusätzlich befindet sich das Teilchen im Mittel ,,weiter weg“ von der Dichteansammlung auf seiner rückwärtigen Bahn und verspürt daher eine geringere Beschleunigung, wenn es schneller ist. Zusammengefasst ergibt sich dann die Abhängigkeit dieser dynamischen Reibung zu mρv dv ∝− , dt |v|3
(6.29)
wobei ρ die Massendichte des Mediums bezeichnet. Angewandt auf Haufen bedeutet dies, dass die massereichsten Galaxien die stärkste dynamische Reibung
Abb. 6.9. Das Prinzip der dynamischen Reibung. Durch die Masse eines Teilchens (hier groß dargestellt) wird die umgebende Materie zur Bahn des Teilchens hin beschleunigt. Dadurch bildet sich auf der rückwärtigen Seite seines Orbits eine Überdichte, deren Gravitationskraft das Teilchen abbremst
6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen 239
erleiden, so dass diese signifikante Abbremsung erfahren können, wodurch sie tiefer in den Potentialtopf sinken. Die massereichsten Haufengalaxien sollten sich daher um das Haufenzentrum konzentrieren, so dass eine räumliche Trennung der Galaxienpopulation entsprechend ihrer Masse (mass segregation) stattfindet. Falls die dynamische Reibung über eine genügend lange Zeitskala wirken kann, können die massiven Haufengalaxien im Zentrum zu einer Galaxie verschmelzen. Dies wird als mögliche Erklärung für die Entstehung von cD-Galaxien herangezogen. Dynamische Reibung spielt auch bei anderen dynamischen Prozessen der Astrophysik eine wichtige Rolle. Beispielsweise erleiden die Magellanschen Wolken bei ihrem Orbit um die Milchstraße ebenfalls eine dynamische Reibung und verlieren daher kinetische Energie. Der Orbit wird also im Laufe der Zeit kleiner werden, und in ferner Zukunft werden diese beiden Satellitengalaxien mit der Galaxis verschmelzen. Tatsächlich ist die dynamische Reibung wohl für die Verschmelzungsprozesse bei der Entwicklung der Galaxienpopulation von entscheidender Bedeutung, und wir werden darauf in Abschn. 9.6 zurückkommen.
6.2.7
Intergalaktische Sterne in Galaxienhaufen
Der Raum zwischen den Galaxien in einem Haufen ist angefüllt mit heißem Gas, wie aus Röntgenbeobachtungen zu sehen ist. In den letzten Jahren hat sich zusätzlich herausgestellt, dass es zwischen den Galaxien auch Sterne gibt. Der Nachweis einer solchen intergalaktischen Sternpopulation ist auf den ersten Blick sehr überraschend, denn unsere Vorstellung von der Entstehung von Sternen geht ja davon aus, dass sie sich nur in den dichten Zentren von Molekülwolken bilden können. Da sich zwischen den Galaxien keine Molekülwolken befinden, können sich Sterne nicht im intergalaktischen Raum selbst bilden. Aber dies ist auch nicht notwendig, denn Sterne können durch die Wechselwirkung von Galaxien in Haufen den Galaxien entrissen werden und danach eine intergalaktische Population bilden. Das Schicksal der Sterne ist also vergleichbar mit dem des interstellaren Mediums, das in den Galaxien durch Prozesse der Sternentwicklung mit Metallen angereichert wird, bevor es aus den Galaxien herausgerissen wird und zum intergalaktischen Medium in den Haufen
beiträgt, da die erhebliche Metallizität des ICM anders nicht zu verstehen ist. Die Beobachtung des optischen Lichts in Galaxienhaufen, und damit der Nachweis dieser stellaren Population, ist äußerst schwierig. Obgleich erste Hinweise schon durch Messungen mit Photoplatten gewonnen wurden, ist die Flächenhelligkeit dieser Komponente in Haufen so gering, dass selbst mit CCD-Detektoren ihre Beobachtung eine extreme Herausforderung darstellt. Um dies zu quantifizieren, sei hier bemerkt, dass die Flächenhelligkeit dieser diffusen Lichtkomponente bei einigen Hundert kpc vom Haufenzentrum in etwa 30 mag arcsec−2 beträgt. Dies muss verglichen werden mit der Helligkeit des Nachthimmels, die etwa 21 mag arcsec−2 im V-Band beträgt. Daraus folgt, dass man den Einfluss des Nachthimmels auf deutlich besser als ein Promille korrigieren muss, damit die intergalaktische stellare Komponente in Haufen sichtbar wird. Weiterhin müssen die Galaxien des Haufens, sowie Vordergrund- und Hintergrundobjekte, auf den Aufnahmen maskiert werden, damit das Profil dieser diffusen Komponente messbar wird. Dies ist natürlich nur bis zu einer bestimmten Grenzhelligkeit möglich, bis zu der man Einzelobjekte identifizieren kann. Die Existenz schwächerer Quellen muss durch statistische Methoden berücksichtigt werden, die wiederum die Leuchtkraftfunktion der Galaxien beinhalten. Die diffuse Lichtkomponente ist am besten durch eine statistische Superposition der Bilder vieler Galaxienhaufen sichtbar. Statistische Fluktuationen des Himmelshintergrunds bzw. Unsicherheiten der Bestimmung des Flatfields3 mitteln sich dann heraus. Bei diesen Untersuchungen findet man für die Lichtverteilung im Innern von Haufen ein r −1/4 -Gesetz, d. h. man misst das Helligkeitsprofil der zentralen Galaxie. Für Radien größer als etwa 50 kpc übersteigt das Helligkeitsprofil die Extrapolation des de VaucouleursProfils und ist bis zu sehr großen Entfernungen von den Haufenzentren nachgewiesen worden. Diese Tatsache ist in Verbindung mit der Existenz von cD-Galaxien zu sehen, die ja gerade durch diesen Helligkeitsex3 Das
Flatfield einer Aufnahme (genauer: des Systems aus Teleskop, Filter und Detektor) ist definiert als die Abbildung einer homogen ausgeleuchteten Fläche, so dass im Idealfall jedes Pixel des Detektors das gleiche Signal anzeigt. Dies ist nicht der Fall, da die Empfindlichkeit der individuellen Pixel unterschiedlich ist. Aus diesem Grunde misst das Flatfield diese Empfindlichkeitsverteilung der Pixel, die dann bei der Bildanalyse berücksichtigt werden muss.
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 240
zess definiert wurden. Die Trennung zwischen diffuser Lichtkomponente und dem ausgedehnten Lichtprofil einer cD-Galaxie ist nicht leicht möglich, aber die großen Entfernungen vom Haufenzentrum, bei denen die diffuse Komponente nachgewiesen wurde, schließen aus, dass die zugehörigen Sterne gravitativ an die zentrale Haufengalaxie gebunden sind. Neben dieser diffusen Komponente konnten in einigen benachbarten Galaxienhaufen auch Einzelsterne bzw. Planetarische Nebel nachgewiesen werden, die nicht einer Haufengalaxie zugeordnet werden können. Die diffuse Haufenkomponente macht in etwa 10% des gesamten optischen Lichts eines Galaxienhaufens aus. Modelle der Galaxienentwicklung in Haufen sollten daher in der Lage sein, diese Beobachtungen zu erklären.
Ansammlungen von Galaxien, die Abells Kriterien nicht erfüllen, sind meist Galaxiengruppen. Gruppen sind daher die Fortsetzung von Haufen mit weniger Mitgliedern und daher vermutlich auch geringerer Masse, kleinerer Geschwindigkeitsdispersion und klei-
nerer Ausdehnung. Die Trennung zwischen Gruppen und Haufen ist zumindest zum Teil willkürlich und wurde von Abell so festgesetzt, um bei der Identifikation von Haufen nicht allzusehr von Projektionseffekten beeinflusst zu werden. Gruppen sind natürlich schwieriger zu finden als Haufen, da das Überdichtekriterium bei ihnen deutlich mehr durch Projektionseffekte von Vordergrund- und Hintergrund-Galaxien beeinflusst wird als bei Haufen. Eine besondere Klasse von Gruppen sind die kompakten Gruppen, Ansammlungen von (meist wenigen) Galaxien mit sehr kleinem projizierten Abstand. Die bekanntesten Beispiele für kompakte Gruppen sind Stephans Quintett und Seyferts Sextett (siehe Abb. 6.10). Im Jahre 1982 wurde ein Katalog von 100 kompakten Gruppen (Hickson Compact Groups, HCGs) veröffentlicht, wobei eine Gruppe aus vier und mehr hellen Mitgliedern besteht. Auch sie wurden auf den Photoplatten des POSS selektiert, wiederum mit einem reinen Überdichtekriterium. Der Median der Rotverschiebungen der HCGs beträgt etwa z = 0.03. Beispiele für optische Aufnahmen von HCGs sind in den Abb. 6.3 und 1.16 zu finden.
Abb. 6.10. Links: Stephans Quintett, auch als Hickson Compact Group 92 bekannt, ist eine sehr dichte Ansammlung von Galaxien, mit einem Durchmesser von etwa 80 kpc. Rechts: Seyferts Sextett, eine Ansammlung von scheinbar sechs Galaxien, die sehr eng an der Sphäre beieinanderstehen. Nur vier Galaxien (a–d) sind allerdings
Galaxien der Gruppe; die Spiralgalaxie (e) befindet sich bei deutlich größerer Entfernung von uns. Ein weiteres ursprünglich als Galaxie klassifiziertes Objekt ist keine Galaxie, sondern ein Gezeitenarm (tidal tail), der durch die Wechselwirkung der Galaxien in der Gruppe herausgeschleudert wurde
6.2.8 Galaxiengruppen
6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen 241
In neuerer Zeit wurden Galaxiengruppen in spektroskopischen Surveys selektiert. Damit war ein drei-dimensionales Überdichtekriterium anwendbar, welches Projektionseffekte wesentlich reduziert und die Detektion von Gruppen auch in Gebieten höherer mittlerer Galaxiendichte erlaubt. Die Geschwindigkeitsdispersion von Gruppen ist wesentlich kleiner als die von Haufen, typische Werte sind etwa σv ∼ 300 km/s. Kompakte Gruppen haben eine Lebensdauer, die sehr viel kleiner als das Weltalter ist. Die dynamische Zeitskala beträgt tdyn ∼ R/σv ∼ 0.02 H0−1 , ist also klein gegenüber t0 ∼ H0−1 . Durch die dynamische Reibung (siehe Abschn. 6.2.6) verlieren Galaxien in diesen Gruppen Bahnenergie und nähern sich daher dem dynamischen Zentrum, wo Wechselwirkungen und Verschmelzungen mit anderen Gruppengalaxien stattfinden. In der Tat zeigen etwa 40% der Galaxien von HCGs Anzeichen von Wechselwirkungen. Da die Lebensdauer von kompakten Gruppen kleiner als das Weltalter ist, müssen sie sich vor nicht allzu langer Zeit gebildet haben. Falls wir nicht in einer speziellen Ära der kosmischen Geschichte leben, müssen sich daher auch noch heute solche Gruppen bilden. Aus dynamischen Untersuchungen findet man, dass – ge-
Abb. 6.11. Der zahlenmäßige Anteil von Galaxien unterschiedlicher Morphologie ist aufgetragen, links als Funktion der lokalen Galaxiendichte, rechts für Galaxien in Haufen als Funktion des mit dem Virialradius skalierten Abstands vom Haufenzentrum. Galaxien wurden in vier verschiedene Klassen unterteilt. Die ,,early-types“ enthalten hauptsächlich Ellipsen, ,,intermediate-types“ sind vor allem S0-Galaxien,
nau wie bei Haufen – die Gesamtmasse von Gruppen wesentlich größer ist als die Summe der Masse der Galaxien; ein typisches Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis ist M/L ∼ 50h (in solaren Einheiten), vergleichbar mit der Lokalen Gruppe. Der Anteil von Spiralen in Gruppen ist, wie auch in Haufen, geringer als ihr Anteil an Feldgalaxien, wobei der Anteil an Spiralgalaxien mit steigendem σv der Gruppe abnimmt. Ebenfalls wie Haufen sind auch Galaxiengruppen Röntgenstrahler, die ebenfalls ein heißes intergalaktisches Gas enthalten, allerdings mit niedrigeren Temperaturen und kleinerer Metallizität als bei Haufen. 6.2.9 Die Morphologie-Dichte-Relation Wie bereits mehrmals erwähnt, ist die Mischung von Galaxientypen in Haufen von der isolierter Galaxien recht verschieden: Während ca. 70% der Feldgalaxien Spiralen sind, dominieren in den Haufen, speziell in den inneren Bereichen, die Frühtyp-Galaxien. Weiterhin ist der Anteil an Spiralen in einem Haufen vom Abstand zum Haufenzentrum abhängig und steigt für größere r an. Offensichtlich beeinflusst die lokale Dichte die morphologische Mischung von Galaxien.
,,early und late Discs“ sind vor allem Sa- bzw. Sc-Spiralen. In beiden Fällen ist eine deutliche Abhängigkeit der Galaxienmischung als Funktion der Dichte bzw. des Abstands vom Haufenzentrum zu erkennen. In den beiden Histogrammen ist jeweils oben die Anzahl von Galaxien in den verschiedenen Bins aufgetragen
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 242
Allgemeiner kann man sich die Frage stellen, ob die Mischung der Galaxienpopulation von der lokalen Galaxiendichte abhängt. Während frühe Studien dieses Effekts oftmals auf Galaxien in und um Haufen beschränkt waren, erlauben die neuen extensiven Rotverschiebungssurveys wie der 2dFGRS und der SDSS (siehe Abschn. 8.1.2) eine systematische Untersuchung dieser Frage mit einem sehr großen und sorgfältig ausgewählten Galaxiensample. Die morphologische Klassifikation solcher großen Samples geschieht mittels automatisierter Software, die im Wesentlichen die Lichtkonzentration der Galaxien vermessen. Ein Vergleich der so klassifizierten Galaxien mit einer visuellen Klassifikation ergibt sehr gute Übereinstimmung. Als Beispiel einer solchen Untersuchung sind in Abb. 6.11 Resultate aus dem Sloan Digital Sky Survey gezeigt. Aufgrund der Photometrie im SDSS wurden die Galaxien morphologisch klassifiziert und in vier Klassen unterteilt, entsprechend den Elliptischen Galaxien, S0-Galaxien, sowie frühen (Sa) und späten (Sc) Spiraltypen. In diese Betrachtung wurden nur solche Galaxien mit einbezogen, für die spektroskopisch die Rotverschiebung gemessen wurde. Dadurch kann die räumliche Galaxiendichte abgeschätzt werden. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die gemessene Rotverschiebung eine Überlagerung der kosmischen Expansion und der Pekuliargeschwindigkeit einer Galaxie ist. Insbesondere in Galaxienhaufen kann die Pekuliargeschwindigkeit recht große Werte annehmen (∼ 1000 km/s). Aus diesem Grunde wurde am Ort jeder Galaxie des Samples die Flächenanzahldichte von denjenigen Galaxien bestimmt, deren Rotverschiebung innerhalb von ±1000 km/s der Zielgalaxie liegt. Die linke Figur in Abb. 6.11 zeigt den Anteil der verschiedenen Galaxienklassen als Funktion dieser lokalen Galaxiendichte. Man erkennt eine sehr deutliche Abhängigkeit speziell des Anteils der späten Spiralen von der lokalen Dichte: In Gebieten hoher Galaxiendichte machen Sc-Spiralen weniger als 10% der Galaxien aus, während ihr Anteil in Gebieten kleiner Dichte ca. 30% beträgt. Zusammen reduziert sich der Anteil von Spiralen von ∼ 65% im Feld auf etwa 35% in Gebieten hoher Galaxiendichte. Im Gegenzug nimmt der Anteil an Ellipsen und S0-Galaxien zu höheren Dichten hin zu, wobei der Anstieg bei den Ellipsen am stärksten ist.
Im rechten Teil der Abb. 6.11 wurde die Mischung der Galaxienmorphologien als Funktion des Abstands zum Zentrum des nächsten Galaxienhaufen aufgetragen, wobei der Abstand mit dem Virialradius des entsprechenden Haufens skaliert wurde. Wie erwartet sieht man auch hier eine sehr starke Abhängigkeit des Anteils von Ellipsen und Spiralen von diesem Abstand. Sc-Spiralen sind mit nur noch 5% in der Nähe von Haufenzentren zu finden, während der Anteil von Ellipsen und S0-Galaxien nach innen hin stark zunimmt. Diese beiden Diagramme in Abb. 6.11 sind natürlich nicht unabhängig voneinander: Ein Gebiet mit einer großen Galaxiendichte hat eine große Wahrscheinlichkeit, sich in der Nähe eines Haufenzentrums zu befinden, und das Umgekehrte gilt entsprechend. Es ist daher nicht unmittelbar klar, ob die Mischung der Galaxienmorphologien primär von der jeweiligen Umgebungsdichte der Galaxien abhängt oder durch morphologische Transformationen im Innern von Galaxienhaufen zustande kommt. Eine genauere Betrachtung der Abb. 6.11 kann einen Hinweis darauf geben, welche physikalischen Prozesse für die Abhängigkeit der morphologischen Mischung von der Umgebungsdichte verantwortlich sind. Dazu betrachten wir zunächst den rechten Teil der Abbildung. Man kann drei unterschiedliche Bereiche im Radius daraus erkennen: für R Rvir ist der Anteil der verschiedenen Galaxientypen im Wesentlichen konstant. Im mittleren Bereich, 0.3 R/Rvir 1, steigt der Anteil von S0-Galaxien nach innen stark an, während der Anteil der späten Spiralen entsprechend abnimmt. Dieses Resultat ist mit der Interpretation verträglich, dass in den äußeren Bereichen von Galaxienhaufen den Spiralen das Gas abhanden kommt (etwa aufgrund der Bewegung durch das intergalaktische Medium) und diese sich dann in passive S0-Galaxien verwandeln. Unterhalb von R 0.3Rvir nimmt der Anteil von S0Galaxien stark ab, während der Anteil der Ellipsen deutlich ansteigt. Tatsächlich ist das Verhältnis der Anzahldichte von S0-Galaxien zu Ellipsen eine unterhalb von R 0.3Rvir nach innen hin sehr stark abfallende Funktion. Als Funktion der lokalen Galaxiendichte (in der linken Figur) ist ein ähnliches Verhalten zu erkennen, wobei es auch hier zwei charakteristische Werte der Galaxiendichte zu geben scheint, bei denen sich die morphologische Mischung der Galaxien deutlich ändert. Interessanterweise scheint sich die Beziehung
6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen 243
Abb. 6.12. Röntgenaufnahme des Coma-Haufens mit dem ROSAT-PSPC (links) und dem XMM-EPIC (rechts). Die Feldgröße links ist 2.7◦ × 2.5◦ . Bemerkenswert ist das sekundäre Maximum der Röntgenemission rechts unterhalb des
Haufenzentrums, was zeigt, dass auch der reguläre ComaHaufen sich nicht vollständig im Gleichgewicht befindet, sondern vermutlich durch die Akkretion einer Galaxiengruppe sich dynamisch entwickelt
zwischen Morphologie und Dichte zwischen z = 0.5 und dem lokalen Universum kaum zu entwickeln.
6.3
Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen
Eine der wichtigsten Entdeckungen des im Jahre 1970 gestarteten UHURU-Röntgensatelliten war das Auffinden der Röntgenstrahlung von massereichen Galaxienhaufen. Durch den Einstein-Satelliten wurde ab 1978 auch von masseärmeren Haufen und Gruppen Röntgenstrahlung entdeckt. Drei Beispiele für die Röntgenemission von Galaxienhaufen sind in den Abb. 6.12–6.14 dargestellt. Die Abb. 6.12 zeigt den Coma-Galaxienhaufen, aufgenommen mit zwei verschiedenen Röntgenobservatorien. Obgleich Coma als vollständig relaxierter Haufen galt, zeigt die Röntgenstrahlung deutliche Unterstruktur. Der Haufen RXJ 1347−1145 (Abb. 6.13) gilt als der leuchtkräftigste Haufen im Röntgenbereich. Die Abschätzung einer großen Masse für diesen Haufen ergibt sich auch aus der Analyse der Arcs (siehe Abschn. 6.5), die in Abb. 6.13 sichtbar sind. Schließlich zeigt die Abb. 6.14 die Röntgenemission superponiert auf einem optischen
Abb. 6.13. RXJ 1347−1145 ist der leuchtkräftigste Galaxienhaufen im Röntgenbereich. Codiert in Farben ist eine ROSAT/HRI-Aufnahme dieses Haufens, welche die Verteilung des intergalaktischen Gases zeigt, überlagert auf eine optische Aufnahme des Haufens. Die beiden Pfeile zeigen Giant Arcs, durch den Gravitationslinseneffekt stark verzerrte Bilder von Hintergrundgalaxien
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 244 Abb. 6.14. Der Galaxienhaufen MS1054−03 besitzt mit z = 0.83 die größte Rotverschiebung der Haufen im Einstein Medium Sensitivity Survey, der aus Beobachtungen mit dem Einstein-Satelliten erstellt wurde (siehe Abschn. 6.3.5). Rechts ist eine Aufnahme des Haufens mit dem HST zu sehen, während links eine optische Aufnahme mit dem 2.2-Meter-Teleskop der Universität Hawaii zu sehen ist, und die Röntgenemission des Haufens, gemessen mit dem ROSAT-HRI, in Blau darübergelegt wurde
Bild des Haufens MS 1054−03, der sich bei der Rotverschiebung z = 0.83 befindet und den wir weiter unten noch häufiger als Beispiel heranziehen werden.
6.3.1
Allgemeine Eigenschaften der Röntgenstrahlung
Galaxienhaufen sind neben den AGNs die hellsten extragalaktische Röntgenquellen. Ihre charakteristische Leuchtkraft beträgt L X ∼ 1043 bis hin zu ∼ 1045 erg/s für die massereichsten Haufen. Dabei ist die Röntgenstrahlung von Haufen räumlich ausgedehnt, sie kommt also nicht von einzelnen Galaxien. Der räumliche Bereich, aus dem die Emission stammt, kann 1 Mpc und sogar größer sein. Weiterhin ist die Röntgenstrahlung von Haufen nicht variabel auf den Zeitskalen, über die man sie beobachtet hat ( 30 yr). Dies ist auch nicht zu erwarten, wenn sie aus einem so ausgedehnten Gebiet stammt. Kontinuum-Strahlung. Das Spektrum der Strahlung lässt auf optisch dünne thermische Bremsstrahlung (frei-frei-Strahlung) eines heißen Gases schließen. Dabei handelt es sich um Strahlung, die durch die Beschleunigung von Elektronen im Coulombfeld der
Protonen und Atomkerne hervorgerufen wird. Da beschleunigte elektrisch geladene Teilchen Strahlung emittieren, führen solche Steuprozesse zwischen Elektronen und Protonen in einem ionisierten Gas zur Abstrahlung. Aufgrund der spektralen Eigenschaften der Emission kann man die Temperatur des Gases in Galaxienhaufen bestimmen, die für Haufen im Massenbereich zwischen ∼ 1014 M und ∼ 1015 M im Bereich von 107 K bis 108 K liegen, oder entsprechend zwischen 1 keV und 10 keV. Die Bremsstrahlungs-Emissivität wird beschrieben durch 32πZ 2 e6 n e n i 2π ff ν = e−h P ν/kB T gff (T, ν) , 3m e c3 3kB Tm e (6.30) wobei e die Elementarladung, n e und n i die Dichte der Elektronen und Ionen, Z die Ladung der Ionen und m e die Elektronenmasse bezeichnet. Die Funktion gff heißt Gaunt-Faktor und ist ein quantenmechanischer Korrekturfaktor, der von der Größenordnung 1 ist, oder genauer 3 9kB T gff ≈ √ ln . 4h P ν π
6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen 245
Das durch (6.30) beschriebene Spektrum ist also flach für h P ν kB T und exponentiell abfallend für h P ν kB T , wie dies auch in der Abb. 6.15 dargestellt ist. Die Temperatur des Gases in massereichen Haufen beträgt typischerweise T ∼ 5 × 107 K, oder kB T ∼ 5 keV – Röntgen-Astronomen geben Temperaturen und Frequenzen meistens in keV an (siehe Anhang C). Für ein thermisches Plasma mit solaren Häufigkeiten ergibt sich die Gesamtemission zu ∞ =
dν νff
ff
0
−27
≈ 3.0 × 10
T n e 2 erg cm−3 s−1 . 1 K 1 cm−3 (6.31)
Die Energie- und Winkelauflösung der Röntgensatelliten vor Chandra und XMM-Newton, die beide 1999 gestartet wurden, ließen keine detaillierten Untersuchungen der räumlichen Abhängigkeit der Gastemperatur zu. Daher wird in Modellen oftmals angenommen, dass T räumlich konstant ist. Allerdings zeigen die Ergebnisse dieser beiden neuen Satelliten, dass diese Annahme in vielen Fällen nicht gerechtfertigt ist, sondern deutliche Temperaturgradienten vorhanden sind. Linienstrahlung. Die Annahme, dass die Röntgenstrahlung aus einem heißen, diffus verteilten Gas (intra-cluster gas) stammt, wird durch die Entdeckung von Linien-Emission bestätigt. Die stärkste Linie in massereichen Haufen befindet sich bei Energien etwas unterhalb von 7 keV: Dies ist die Lymanα-Linie des 25fach ionisierten Eisens (also dem Eisen-Kern mit nur einem Elektron). Etwas weniger ionisiertes Eisen hat einen starken Übergang bei etwas kleineren Energien von E ∼ 6.4 keV. Später wurden auch andere Linien im Röntgenspektrum von Haufen entdeckt. Dabei gilt, dass es umso weniger Linienemission gibt, je heißer das Gas ist, das Gas daher umso vollständiger ionisiert ist. Die Röntgenstrahlung von Haufen mit relativ niedrigen Temperaturen, kB T 2 keV, kann von Linienstrahlung hochionisierter Atome (C, N, O, Ne, Mg, Si, S, Ar, Ca) dominiert sein (siehe Abb. 6.15). Die Emissivität eines thermischen Plasmas mit solarer Häufigkeit kann im Bereich 105 K T 4 × 107 K grob angenähert werden
Abb. 6.15. Röntgenemission eines heißen Plasmas. Im oberen Bild ist das Bremsstrahlungs-Spektrum bei drei verschiedenen Gastemperaturen gezeigt; die Strahlung von heißerem Gas erstreckt sich zu höheren Photonenenergien, und oberhalb E ∼ kB T wird das Spektrum exponentiell abgeschnitten. Im mittleren Bild sind zusätzlich die atomaren Übergänge und Rekombinationsstrahlung mit berücksichtigt. Diese zusätzlichen Strahlungsmechanismen werden bei kleineren T immer wichtiger, wie aus der T = 1 keV Kurve zu erkennen ist. Im unteren Bild wird dann zusätzlich die Photoabsorption betrachtet, mit unterschiedlichen Säulendichten in Wasserstoff und einer Metallizität von 0.4 in solaren Einheiten. Diese Absorption schneidet das Spektrum zu kleinen Energien hin ab
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 246
durch ≈ 6.2 × 10−19
−0.6
T 1K
ne 1 cm−3
2
erg cm−3 s−1 . (6.32)
Die Gleichung (6.32) berücksichtigt sowohl frei-freiEmission als auch Linienstrahlung. Verglichen mit (6.31) findet man eine andere Temperaturabhängigkeit: Während für die Bremsstrahlung die Emissivität ∝ T 1/2 verläuft, steigt die Emissivität bei kleineren Temperaturen wieder an, wenn Linienstrahlung wichtig wird. Es soll besonders darauf hingewiesen werden, dass die Emissivität quadratisch von der Dichte des Plas-
Abb. 6.16. Konturen der Flächenhelligkeit der Röntgenstrahlung für vier verschiedene Gruppen bzw. Haufen: Oben links die Galaxiengruppe NGC5044, mit einer Rotverschiebung von z = 0.009, einer Röntgentemperatur von T ≈ 1.07 keV und einer Virialmasse von M200 ≈ 0.32h −1 × 1014 M . Oben rechts die Gruppe MKW4, mit z = 0.02, T ≈ 1.71 keV und M200 ≈ 0.5h −1 × 1014 M . Unten links
mas abhängt, da sowohl Bremsstrahlung als auch die für die Linienemission verantwortliche Stoßanregung Zweiteilchen-Prozesse sind. Daraus folgt, dass man die räumliche Verteilung des Gases kennen muss, um aus der Röntgenleuchtkraft die Masse des heißen Gases abzuschätzen. Wie wir später noch sehen werden, erfüllen Galaxienhaufen eine Reihe von Skalierungsrelationen, und man findet empirisch einen Zusammenhang zwischen Gasmasse und Röntgenleuchtkraft, aus der man dann die Gasmasse abschätzen kann. Morphologie der Röntgenstrahlung. Die Morphologie der Röntgenstrahlung kann grob eingeteilt werden in
der Galaxienhaufen A 0754, mit z = 0.053, T ≈ 9.5 keV und M200 ≈ 13.1h −1 × 1014 M . Unten rechts der Galaxienhaufen A 3667, mit z = 0.056, T ≈ 7.0 keV und M200 ≈ 5.6h −1 × 1014 M . Die Röntgendaten stammen von ROSAT, die optischen Aufnahmen sind dem Digitized Sky Survey entnommen. Diese Haufen sind Teil des HIFLUGCS-Surveys, den wir in Abschn. 6.3.5 näher besprechen werden
6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen 247
reguläre und irreguläre Haufen, wie bereits bei der Einteilung der Galaxienverteilung. In der Abb. 6.16 sind Röntgenkonturen superponiert auf optischen Aufnahmen von vier Galaxienhaufen bzw. -gruppen dargestellt, die einen weiten Bereich in Haufenmasse und Röntgentemperatur abdecken. Reguläre Haufen haben eine glatte Helligkeitsverteilung, zentriert auf das optische Zentrum des Haufens, und eine nach außen hin abfallende Flächenhelligkeit. Reguläre Haufen haben charakteristischerweise eine große Röntgenleuchtkraft L X und hohe Temperaturen. Hingegen können irreguläre Haufen mehrere Helligkeitsmaxima besitzen, die oftmals jeweils auf Haufengalaxien oder Untergruppen von Haufengalaxien zentriert sind. Irreguläre Haufen haben teilweise ebenfalls eine große Temperatur, was man als Folge von Verschmelzungsprozessen zwischen Haufen interpretiert, bei denen das Gas durch Stoßfronten aufgeheizt wird. Es zeigt sich der Trend, dass für Haufen mit einem größeren Anteil von Spiralen L X und T kleiner sind. Irreguläre Haufen haben auch eine kleinere zentrale Galaxiendichte im Vergleich zu regulären Haufen. Galaxienhaufen, die eine zentrale dominante Haufengalaxie besitzen, zeigen häufig einen starken zentralen Peak der Röntgenemission. Die Röntgenemission weicht oftmals von einer axialen Symmetrie ab, weshalb die Annahme, dass Haufen sphärisch symmetrisch sind, nicht gut begründet ist. 6.3.2
Modelle der Röntgenemission
Hydrostatische Annahme. Um aus der beobachteten Röntgenstrahlung von Haufen Schlüsse auf die Eigenschaften des intergalaktischen (intra-cluster) Mediums und auf die Massenverteilung des Haufens zu erhalten, muss die Verteilung des Gases modelliert werden. Dazu betrachten wir zunächst die Schallgeschwindigkeit im Haufengas, P nkB T kB T cs ≈ = = ∼ 1000 km s−1 , ρg ρg μ mp wobei P den Gasdruck, ρg die Dichte des Gases und n die Anzahldichte der Gasteilchen bezeichnet. Man definiert die mittlere molekulare Masse m μ := (6.33) mp
als die mittlere Masse eines Gasteilchens in Einheiten der Protonenmasse, so dass ρg = n m = nμm p . Für ein vollständig ionisiertes Wasserstoffgas wäre μ = 1/2, da man dann ein Proton und ein Elektron pro ∼ Protonenmasse hat. Da das Haufengas auch Helium und schwerere Elemente enthält, ist μ ∼ 0.63. Die Schalllaufzeit durch den Haufen beträgt tsc =
2RA ∼ 7 × 108 yr cs
und ist für einen Haufen mit T ∼ 108 K wesentlich kleiner als die Lebensdauer des Haufens, die in etwa mit dem Weltalter abgeschätzt werden kann. Da die Schalllaufzeit die Zeitskala angibt, in der ein Druckungleichgewicht ausgeglichen wird, kann sich das Gas in einem hydrostatischen Gleichgewicht befinden, für das die Gleichung ∇ P = −ρg ∇Φ
(6.34)
gilt, wobei Φ das Gravitationspotential bezeichnet. Die Gleichung (6.34) besagt, dass die Gravitationskraft gerade durch die Druckkraft kompensiert wird. Im sphärisch-symmetrischen Fall, für den alle Größen nur vom Radius r abhängen, gilt dann dΦ G M(r) 1 dP =− =− , ρg dr dr r2
(6.35)
wobei M(r) die Masse innerhalb des Radius r ist. Dabei ist M(r) die gesamte eingeschlossene Masse, d. h. nicht nur die Gasmasse, da die gesamte Masse das Potential Φ bestimmt. Setzt man nun P = nkB T = ρg kB T/(μm p ) in (6.35) ein, so ergibt sich M(r) = −
kB Tr 2 Gμm p
d ln ρg d ln T + dr dr
.
(6.36)
Diese Gleichung ist von zentraler Wichtigkeit für die Röntgenastronomie von Galaxienhaufen, da sie besagt, dass aus dem radialen Verlauf von ρg und T das Massenprofil M(r) bestimmt werden kann. Falls es also gelingt, Dichte- und Temperaturprofil zu vermessen, so kann die Masse des Haufens, und somit die Gesamtdichte, als Funktion des Radius vermessen werden. Allerdings sind diese Messungen mit Schwierigkeiten behaftet. ρg (r) und T(r) müssen aus der Röntgenhelligkeit und der spektralen Temperatur bestimmt werden,
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 248
unter Benutzung der Bremsstrahlungsemissivität (6.30). Natürlich sind diese nur projiziert beobachtbar, in Form der Flächenhelligkeit ∞ ν (r) r Iν (R) = 2 dr √ , (6.37) r 2 − R2 R
aus der dann durch Deprojektion die Emissivität und damit Dichte und Temperatur bestimmt werden müssen. Weiterhin waren die Winkel- und Energieauflösung der Röntgenteleskope vor XMM-Newton und Chandra nicht ausreichend, um sowohl ρg (r) als auch T(r) genügend genau zu vermessen, außer für die uns nächsten Haufen. Aus diesem Grunde wird die Massenbestimmung häufig unter weiteren vereinfachenden Annahmen durchgeführt. Isotherme Gasverteilung. Aus dem radialen Verlauf von I(R) kann man (r) durch Inversion von (6.37) bestimmen. Da aufgrund von (6.30) für h P ν kB T die spektrale Bremsstrahlungsemissivität nur schwach von T abhängt, kann man aus (r) den radialen Verlauf der Gasdichte ρg erhalten. Der Röntgensatellit ROSAT war für Strahlung mit 0.1 keV E 2.4 keV empfindlich, so dass die von ihm detektierten Röntgenphotonen typischerweise aus dem Bereich h P ν kB T stammten. Nimmt man nun an, dass die Gastemperatur räumlich konstant ist, T(r) = Tg , so vereinfacht sich (6.36), und man kann aus dem Dichteprofil des Gases das Massenprofil des Haufens bestimmen. Das β-Modell. Weit verbreitet ist das Anpassen der Röntgendaten an das so genannte β-Modell. Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass das Dichteprofil der gesamten Materie (dunkle und leuchtende) durch eine isotherme Verteilung gegeben ist, d. h. es wird angenommen, dass die Temperatur des Gases vom Radius unabhängig ist und gleichzeitig die Massenverteilung des Haufens durch das isotherme Modell beschrieben wird, das im Abschn. 6.2.4 besprochen wurde. Aus (6.8) und (6.11) erhält man dann für die Gesamtdichte ρ d ln ρ 1 GM =− 2 2 . (6.38) dr σv r Andererseits reduziert sich (6.36) im isothermen Fall auf d ln ρg μm p G M =− . (6.39) dr kB Tg r 2
Ein Vergleich von (6.38) und (6.39) zeigt dann, dass ρg (r) ∝ [ρ(r)]β
mit
β :=
μm p σv2 kB Tg
(6.40)
gelten muss, die Gasdichte also einer Potenz der Gesamtdichte folgen muss. Dabei hängt der Index β von dem Verhältnis der dynamischen Temperatur, gemessen durch σv , und der Gastemperatur ab. Benutzt man nun die King-Näherung für die isotherme Massenverteilung – siehe (6.16) – als Modell für die Verteilung der Gasmasse, so erhält man ρg (r) = ρg0
2 −3β/2 r 1+ , rc
(6.41)
wobei ρg0 die zentrale Gasdichte ist. Das Helligkeitsprofil der Röntgenemission dieses Modells ist dann, entsprechend (6.37),
2 −3β+1/2 R I(R) ∝ 1 + . rc
(6.42)
Die Röntgenemission vieler Haufen kann gut mit diesem Profil beschrieben werden4 und ergibt Werte für rc von 0.1 bis 0.3h −1 Mpc und einen Wert für den Index β = βfit ≈ 0.65. Andererseits kann β mittels der Definition (6.40) aus der Gastemperatur Tg und der Geschwindigkeitsdispersion der Galaxien σv gemessen werden, wobei sich typische Werte von β = βspec ≈ 1 ergeben. Einen solchen Wert würde man auch erwarten, wenn die Massen- und Gasverteilung beide isotherm wären. Sie sollten dann die gleiche Temperatur einnehmen, die bei der Entstehung des Haufens festgelegt wird. Die Tatsache, dass sich die beiden so bestimmten Werte von β unterscheiden (die sog. β-Diskrepanz), ist bisher noch nicht im Detail verstanden. Die gemessenen Werte für βfit hängen häufig vom Winkelbereich ab, über den das Helligkeitsprofil gefittet wird; je weiter dieser Bereich, umso größer wird βfit , also umso 4 Es sei darauf hingewiesen, dass das Gleichungspaar (6.41) und (6.42) gültig ist unabhängig von der Gültigkeit der Annahmen, unter denen (6.41) erhalten wurde. Falls die beobachtete Röntgenemission sehr gut durch (6.42) beschrieben wird, so kann man daraus auch das Gasmassenprofil (6.41) erhalten, unabhängig von der Richtigkeit der vorher gemachten Annahmen.
6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen 249
kleiner die Diskrepanz. Weiterhin sind die Temperaturmessungen von Haufen oftmals nicht sehr genau, da man die emissionsgemittelte Temperatur misst, die wegen der quadratischen Abhängigkeit der Emissivität von ρg von den Bereichen der größten Gasdichte dominiert wird. Zusätzlich macht die Unabhängigkeit von νff von T für h P ν kB T die Messung von T schwierig. Erst mit Chandra und XMM-Newton kann auch die Röntgenemission bei Energien bis zu E 10 keV vermessen werden, was zu deutlich verbesserten Temperaturmessungen führt. Solche Untersuchungen haben gezeigt, dass das Gas nicht wirklich isotherm ist. Die Temperatur nimmt typischerweise zum Zentrum hin und nach außen ab, während über einen größeren Bereich im Radius die Temperatur einigermaßen konstant ist. Allerdings findet man auch viele Haufen, bei denen die Temperaturverteilung in keinster Weise radialsymmetrisch ist, sondern sehr starke Unterstruktur besitzt. Schließlich sei als weitere mögliche Ursache für die β-Diskrepanz erwähnt, dass die Geschwindigkeitsverteilung der Galaxien, mit denen σv gemessen wird, anisotrop sein kann. Neben all dieser Kritik an der Gültigkeit des βModells muss allerdings auch erwähnt werden, dass numerische Simulationen von Galaxienhaufen, die neben der Dunklen Materie auch das Gas mit betrachten, wiederholt zu dem Schluss gelangt sind, dass die Massenbestimmung von Galaxienhaufen mittels des β-Modells mit einer Genauigkeit von besser als ∼ 20% möglich sein sollte, wobei allerdings verschiedene gasdynamische Simulationen zu durchaus unterschiedlichen Resultaten gelangen. Aus der Messung der Röntgenemission erfolgt eine Massenabschätzung von Galaxienhaufen. Man findet, in Übereinstimmung mit der dynamischen Methode, dass Haufen sehr viel mehr Masse enthalten als in Galaxien sichtbar ist. Dabei ist die Gasmasse des intergalaktischen Mediums deutlich zu klein, um die fehlende Masse zu erklären. Diese Gasmasse beträgt etwa 15% der Gesamtmasse eines Haufens. Die Masse von Galaxienhaufen ist zu etwa 3% in Form von Sternen in Galaxien enthalten, zu ca. 15% im intergalaktischen Gas, während der Rest, also ∼ 80%, aus Dunkler Materie besteht, die somit die Masse von Haufen dominiert.
6.3.3
Cooling Flows
Bei der Untersuchung des intergalaktischen Mediums haben wir ein hydrostatisches Gleichgewicht angenommen, dabei aber den Effekt vernachlässigt, dass das Gas durch seine Emission abkühlt, also innere Energie verliert. Aus diesem Grunde kann ein einmal eingestelltes hydrostatisches Gleichgewicht nicht über beliebig große Zeiten aufrechterhalten bleiben. Um herauszufinden, ob diese Kühlung des Gases einen dynamisch wichtigen Effekt darstellt, muss man die Zeitskala der Abkühlung betrachten. Diese Kühlzeit stellt sich als sehr groß heraus, u tcool := ff −1 T 1/2 ne g 10 ≈ 8.5 × 10 yr , −3 −3 8 10 cm 10 K (6.43) wobei u = (3/2)nkB Tg die Energiedichte des Gases und n e die Elektronendichte ist. Die Kühlzeit ist also fast überall im Haufen länger als die Hubble-Zeit, weswegen ein hydrostatisches Gleichgewicht ermöglicht wird. Allerdings kann im Zentrum von Haufen die Dichte so groß sein, dass tcool t0 ∼ H0−1 gilt. Dort kann das Gas also effizient kühlen, wobei sich sein Druck verringert. Das wiederum impliziert, dass das hydrostatische Gleichgewicht dann zumindest in der Nähe des Zentrums nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Um das Druckgleichgewicht wieder herzustellen, muss das Gas nach innen strömen und sich dabei komprimieren. Es sollte also zu einem nach innen gerichteten Massenfluss kommen, und die dadurch erfolgende Erhöhung der Dichte beschleunigt die Kühlung. Da für ein relativ kühles Gas die Emissivität (6.32) mit abnehmender Temperatur zunimmt, sollte dieser Prozess sehr schnell zu einer starken Kompression und Abkühlung des Gases im Zentrum von dichten Haufen führen. Die dadurch erzeugte Verdichtung des Gases führt zu einer starken Erhöhung der Röntgenemission, da ff ∝ n 2e . Als Ergebnis dieses Prozesses sollte sich also eine radiale Dichte- und Temperaturverteilung einstellen, deren Druckverteilung im Wesentlichen unverändert bleibt. In der Abb. 6.17 ist das kühlere Gas im Zentrum des Centaurus-Haufens gut zu erkennen. Diese sog. Cooling Flows sind im Zentrum massiver Haufen tatsächlich beobachtet worden, in der Form eines scharfen zentralen Maximums in I(R). Es muss
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 250
Abb. 6.17. Chandra-Aufnahme des Centaurus-Haufens; die Größe des Feldes ist 3 × 3 . Durch die exzellente Winkelauflösung des Chandra-Satelliten kann die Komplexität der Morphologie der Röntgenemission von Haufen untersucht werden. Farben zeigen Photonenenergien an, von niedrigen zu hohen Energien in Rot, Gelb, Grün und Blau. Der relativ kühle innere Bereich kann das Ergebnis eines Cooling-flows sein
betont werden, dass bislang keine Einströmbewegungen (also ,,Flows“) gemessen wurden, was aufgrund der Kleinheit ihrer erwarteten Geschwindigkeit auch sehr schwierig wäre. Die Menge an kühlendem Gas kann beträchtlich sein, wobei die Modelle Werte von bis zu mehreren 100M /yr vorhersagen. Allerdings wissen wir seit den spektroskopischen Beobachtungen mit XMM-Newton, dass diese sehr großen Kühlraten von den Modellen stark überschätzt worden sind. Was passiert mit dem kühlenden Gas? Das so abgekühlte Gas muss sich im Innern eines Haufens ansammeln, aber trotz der erwarteten großen Massen an kaltem Gas wurden keine eindeutigen Hinweise darauf gefunden. In Haufen mit einer cD-Galaxie kann das kühlende Gas innerhalb der Hubble-Zeit einen beträchtlichen Anteil der Masse dieser Galaxie ausmachen. Es stellt sich daher die Frage, ob cD-Galaxien durch Akkretion in Cooling Flows entstanden sind. In diesem Fall würde sich das Gas in der cD-Galaxie in Sterne
verwandeln. Die Sternentstehungsrate dieser zentralen Galaxien ist aber sehr viel geringer als die Rate, mit der das Haufengas entsprechend der ,,alten“ Modelle von Cooling Flows kühlt. Die Empfindlichkeit und spektrale Auflösung, die mit XMM erreicht werden kann, hat das Bild der Cooling Flows erheblich modifiziert. Im Standardmodell der Cooling Flows kühlt das Gas von der Temperatur des Haufens bis zu Temperaturen deutlich unterhalb von 1 keV ab. In diesem Prozess werden eine Vielzahl von atomaren Linien emittiert, die durch mit T sinkender Ionisationsstufe z. B. des Eisens erzeugt werden. Abb. 6.18 zeigt im oberen Bild das erwartete Spektrum eines Cooling Flows, bei dem sich Gas von der Haufentemperatur Tg ≈ 8 keV auf T = 0 abkühlt, wobei eine chemische Zusammensetzung von 1/3 der solaren Häufigkeit angenommen wurde. In der mittleren Figur ist dieses theoretische Spektrum mit dem Spektrum des Haufens Abell 1835 verglichen, wobei sehr deutliche Diskrepanzen zu erkennen sind. Im unteren Bild wurde das Modell dahingehend modifiziert, dass das Gas nur bis hinunter auf T = 3 keV abkühlt; dieses Modell ist deutlich besser mit dem beobachteten Spektrum verträglich. Kühleres Gas wurde also im Innern von Haufen inzwischen direkt spektroskopisch nachgewiesen. Allerdings sind die Temperaturmessungen durch die Röntgenspektroskopie deutlich verschieden von dem, was man erwarten würde. Die obige Argumentation würde implizieren, dass es in dem Gas zu einer drastischen Kühlung kommt, weil der Prozess der Kompression und der Kühlung sich für immer kleinere Tg beschleunigen sollte. Man erwartet daher, Gas bei allen Temperaturen unterhalb der Temperatur des Haufens zu finden. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein: Während man Gas mit Tg 1 keV findet, scheint es kein Gas bei noch kleineren Temperaturen zu geben, obwohl die Cooling Flow-Modelle die Existenz solchen Gases vorhersagen. Es scheint so etwas wie eine minimale Temperatur zu geben, unter die das Gas nicht abkühlen kann, oder aber die Menge des Gases, das bis hinunter zu T = 0 kühlen kann, ist deutlich kleiner als die Erwartungen aus dem Cooling Flow-Modell. Diese kleinere Massenrate von Gas, das vollständig abkühlt, könnte dann auch kompatibel sein mit den Sternentstehungsraten in den zentralen Galaxien der Haufen. In der Tat hat man inzwischen eine Korrela-
6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen 251 Abb. 6.18. Im oberen Bild ist ein Modellspektrum eines Cooling Flows gezeigt, bei dem Gas von 8 keV auf T = 0 abkühlt. Die starken Linien des FeXVII sind zu erkennen. Im mittleren Bild wurde dieses Modell mit dem Spektrum von Abell 1835 superponiert, wobei klare Diskrepanzen erkennbar sind, insbesondere die Abwesenheit starker Emissionslinien des FeXVII. Erlaubt man aber dem Gas nicht, unterhalb von 3 keV abzukühlen (unteres Bild), so ist die Übereinstimmung mit der Beobachtung deutlich verbessert
tion zwischen kühlendem Gas und den Bereichen der Sternentstehung in Haufen nachgewiesen. Die aus den XMM-Beobachtungen abgeschätzten Kühlraten sind mit der Rate der Sternentstehung im zentralen Bereich von Haufen verträglich. Eine Möglichkeit zur Erklärung der deutlich unterdrückten Kühlung in Cooling Flows besteht in der Feststellung, dass viele Galaxienhaufen im Zentrum eine aktive Galaxie beherbergen, deren Aktivität, z. B. in Form von (Radio-)Jets, das ICM beeinflussen kann. Beispielsweise kann durch den Jet Energie auf das ICM übertragen werden, wodurch das ICM geheizt wird. Durch diese Heizung wird vielleicht verhindert, dass die Temperatur des Gases beliebig weit sinken kann. Diese Hypothese findet Unterstützung darin, dass man
viele Haufen kennt, in denen ein zentraler AGN deutlichen Einfluss auf das ICM zeigt – siehe Abb. 6.19. Plasma des Jets scheint das Röntgenstrahlung emittierende Gas lokal zu verdrängen. Durch Reibung und Mischung an der Grenzfläche zwischen dem Jet und dem ICM wird letzteres sicherlich geheizt. Allerdings ist unklar, ob diese Erklärung für alle Haufen gültig ist, da nicht jeder Haufen, in dem man ein sehr kaltes ICM erwartet, auch einen sichtbaren AGN besitzt. Andererseits ist dies nicht unbedingt ein Argument gegen die Hypothese eines AGN als Heizung, da AGNs oftmals eine beschränkte Aktivitätszeit haben und je nach Akkretionsrate an- und wieder abgeschaltet sein können. Das Gas in einem Haufen kann also sehr wohl von einem AGN geheizt worden sein, auch wenn dieser zum
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 252
jetzigen Zeitpunkt (d. h. dem Zeitpunkt der Beobachtung) selbst nicht mehr aktiv ist. Ein weiteres Beispiel für scheinbar unterdichte Gebiete im Röntgengas einer Gruppe ist in der Abb. 6.20 dargestellt. In der Tat sind Galaxienhaufen exzellente Laboratorien für hydrodynamische und plasmaphysikalische Prozesse auf großen Skalen. Man beobachtet in ihnen Stoßfronten, etwa beim Verschmelzen zweier Haufen, Kühlfronten (die in der Hydrodynamik auch Kontaktdiskontinuitäten genannt werden) und die Propagation von Schallwellen. Ein prominentes Beispiel ist der in der Abb. 6.21 dargestellte Galaxienhaufen 1E 0657−56, der ,,bullet cluster“. Rechts vom Haufenzentrum ist eine starke und relativ kompakte Röntgenemission (,,bullet“) zu erkennen, weiter rechts davon eine bogenförmige Diskontinuität der Flächenhelligkeit. Aufgrund der Temperaturverteilung auf beiden Seiten dieser Diskontinuität stellt man fest, dass es sich um eine Stoßfront
Abb. 6.19. Ein ROSAT-HRI-Bild des zentralen Gebietes des Perseus-Haufens, mit der zentralen Galaxie NGC 1275. Diese ist das Zentrum der Radio- und Röntgenemission, die hier in Konturen bzw. in der Farbkarte dargestellt sind. Deutlich zu erkennen ist der Einfluss der Radio-Jets auf die Röntgenemission – am Ort der Radiokeulen ist die Röntgenemission stark unterdrückt
handelt: offensichtlich bewegt sich der ,,bullet“ mit etwa v ∼ 3500 km/s von links nach rechts durch das intergalaktische Medium des Haufens. Die Interpretation dieser Beobachtung besteht nun darin, dass wir hier Zeuge einer Verschmelzung zweier Haufen sind, wobei ein weniger massereicher Haufen nach rechts durch den massereicheren Haufen durchgelaufen ist; der ,,bullet“ ist dann zu verstehen als das Gas im zentralen Gebiet des masseärmeren Haufens, welches immer noch recht kompakt ist. Diese Interpretation wird eindrucksvoll gestützt durch die Gruppierung von Galaxien rechts von der Stoßfront, die vermutlich ehemals die Mitgliedsgalaxien im masseärmeren Haufen waren. Durchquert dieser Haufen den massereicheren, so verhalten sich seine Galaxien und die Dunkle Materie stoßfrei, während das Gas durch die Reibung mit dem Gas des massereichen Haufens abgebremst wird: Die Galaxien und die Dunkle Materie können sich also schneller durch den Haufen bewegen, das Gas hinkt hinterher.
Abb. 6.20. Auch Galaxiengruppen sind Röntgen-Strahler, allerdings schwächere als Haufen; auch ist die Temperatur des ICM kleiner als bei Haufen. Diese 4 × 4 -Chandra-Aufnahme zeigt HCG 62. Zu beachten ist die Komplexität der Röntgenemission, sowie die beiden symmetrisch angeordneten Gebiete, die praktisch frei von heißem ICM erscheinen – vielleicht Löcher, wie sie durch Jets der zentralen Galaxie dieser Gruppe (NGC 4761) freigeblasen wurden
6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen 253
Abb. 6.21. Der Galaxienhaufen 1E 0657−56 ist ein Musterbeispiel eines verschmelzenden Haufens. Links ist eine Chandra-Aufnahme des Haufens gezeigt, rechts die Superposition der Röntgenkonturen auf eine optische R-BandAufnahme, die mit dem NTT der ESO gewonnen wurde. Das Bemerkenswerteste der Röntgenkarte ist die kompakte Region rechts (westlich) vom Haufenzentrum (diese verleiht dem Haufen den Namen ,,bullet cluster“), sowie der
scharfe Sprung der Flächenhelligkeit weiter rechts davon. Aus der Untersuchung des Helligkeitsprofiles und der Verteilung der Röntgentemperatur ergibt sich, dass es sich hier um eine Stoßfront handelt, die sich mit etwa zweieinhalbfacher Schallgeschwindigkeit, also mit v ∼ 3500 km/s, durch das Gas bewegt. Rechts von dieser Stoßfront ist eine Gruppierung von Galaxien zu erkennen
6.3.4
sche Photonen dafür hinzukommen. Dieser Effekt heißt Sunyaev–Zeldovich-Effekt (SZ-Effekt). Er wurde 1970 vorhergesagt und ist inzwischen in vielen Haufen vermessen worden.
Der Sunyaev–Zeldovich-Effekt
Die Elektronen des heißen Gases in einem Galaxienhaufen können Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung streuen. Die optische Tiefe für diese ComptonStreuung ist zwar relativ klein, dennoch ist dieser Effekt beobachtbar und von großer Bedeutung für die Untersuchung von Haufen, wie wir nun diskutieren werden. Ein Photon, welches sich durch einen Galaxienhaufen auf uns zu bewegt, wird nach der Streuung eine andere Richtung erhalten und uns nicht erreichen. Da die kosmische Hintergrundstrahlung aber isotrop ist, wird – statistisch gesehen – für jedes Photon des CMB, das aus dem Sichtstrahl herausgestreut wird, ein anderes hineingestreut, wodurch die Gesamtzahl der Photonen, die uns erreichen, erhalten bleibt. Allerdings ändert sich durch die Streuung mit den heißen Elektronen die Energie der Photonen ein wenig, denn nach der Streuung haben sie (im Mittel) eine höhere Frequenz. Durch die Compton-Streuung wird daher im Mittel Energie von den Elektronen auf die Photonen übertragen (siehe Abb. 6.22). Insgesamt führt diese Streuung also dazu, dass die Zahl niederenergetischer Photonen relativ zu dem Planck-Spektrum reduziert wird und höherenergeti-
Abb. 6.22. Die Auswirkungen des Sunyaev–ZeldovichEffekts auf die kosmische Hintergrundstrahlung: Die gestrichelte Linie stellt das normale CMB-Spektrum (PlanckVerteilung) dar, die durchgezogene das Spektrum, nachdem die Strahlung eine Wolke heißer Elektronen passiert hat. Die Stärke des Effekts ist in dieser Abbildung sehr stark vergrößert dargestellt
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 254
Das Spektrum des CMB, gemessen in Richtung eines Galaxienhaufens, weicht vom PlanckSpektrum ab; der Grad der Abweichung hängt von der Temperatur des Haufengases und seiner Dichte ab. Aus dem Rayleigh–Jeans-Bereich des CMBSpektrums, also bei Wellenlängen größer als etwa 1 mm, werden durch den SZ-Effekt Photonen weggestreut. Die Änderung der spezifischen Intensität im RJ-Teil ergibt sich zu ΔIνRJ = −2y , IνRJ
(6.44)
wobei y=
kB Tg dl σT n e m e c2
8π mit σT = 3
e2 m e c2
2
(6.45) der Compton-y-Parameter und σT der ThomsonWirkungsquerschnitt für Elektronenstreuung ist. Offensichtlich ist y proportional zur optischen Tiefe gegenüber Compton-Streuung, die sich als Integral über n e σT entlang der Sichtlinie ergibt. Weiterhin ist y proportional zur Gastemperatur, weil diese den mittleren Energieübertrag pro Streuung bestimmt. Insgesamt ist y proportional zum Integral über den Gasdruck entlang der Sichtlinie durch den Haufen.
Abb. 6.23. Sunyaev–Zeldovich-Karten von 3 Galaxienhaufen mit 0.37 < z < 0.55. Dargestellt ist die Temperaturdifferenz des gemessenen CMB relativ zur mittleren CMB-Temperatur (oder, bei fester Frequenz, die Differenz der Strahlungsintensität). Die schwarze Ellipse in jedem Bild gibt die Größe des instrumentellen Beams an. Für jeden der hier gezeigten Haufen ist die räumliche Abhängigkeit des SZ-Effekts klar zu
Die Beobachtung des SZ-Effekts bietet eine weitere Möglichkeit zur Untersuchung des Gases in Haufen. Kann man beispielsweise den SZ-Effekt räumlich auflösen, was mit radiointerferometrischen Methoden inzwischen geschieht (siehe Abb. 6.23), erhält man aufgelöste Information über die Dichte- und Temperaturverteilung. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Abhängigkeit von der Temperatur und der Gasdichte eine andere ist als bei der Röntgenemission. Wegen der quadratischen Abhängigkeit der Emissivität im Röntgenbereich ist die Röntgenleuchtkraft nicht nur von der Gesamtmasse des Gases abhängig, sondern auch von dessen räumlicher Verteilung. Kleinskalige Klumpung des Gases würde z. B. die Röntgenemission stark beeinflussen. Im Gegensatz dazu ist der SZ-Effekt linear in der Gasdichte und daher deutlich unempfindlicher gegenüber Inhomogenitäten des ICM. Die nächste Generation von Radioteleskopen, die im mm-Bereich des Spektrums operieren, wird SZ-Surveys durchführen und so nach Galaxienhaufen aufgrund des SZ-Effekts suchen. Von diesen Surveys erwartet man eine besonders nützliche Stichprobe von Galaxienhaufen, da dieses Selektionskriterium von Haufen nicht von der detaillierten Gasverteilung abhängt. Weiterhin zeigen (6.44) und (6.45), dass der SZ-Effekt von der Rotverschiebung der Haufen unabhängig ist, solange die Änderung der CMB-Temperatur räumlich aufgelöst wird. Aus diesem Grunde erwartet man von den SZ-Surveys, dass sie viele Galaxienhaufen bei großen Rotverschiebungen finden.
erkennen. Da der SZ-Effekt proportional zur Elektronendichte ist, kann man den Massenanteil von Baryonen in Haufen messen, wenn man andererseits die Gesamtmasse des Haufens aus dynamischen Methoden oder aus der Röntgentemperatur kennt. Die Untersuchung der hier gezeigten Haufen ergibt als Massenanteil des intergalaktischen Gases f g ≈ 0.08 h −1
6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen 255
Entfernungsbestimmung. Über lange Zeit wurde der SZ-Effekt hauptsächlich in Zusammenhang mit der Möglichkeit betrachtet, mit ihm Entfernungen von Galaxienhaufen, und damit die Hubble-Konstante, messen zu können. Wir wollen hier schematisch zeigen, wie der SZ-Effekt in Verbindung mit der Röntgenemission eine Bestimmung der Entfernung eines Haufens erlaubt. Die Änderung der CMB-Intensität hat die Abhängigkeit |ΔIνRJ | ∝ n e L Tg , IνRJ wobei L die Ausdehnung des Haufens entlang der Sichtlinie ist. Um diese Relation zu erhalten, haben wir die Integration in (6.45) durch Multiplikation mit L ersetzt, was die richtige funktionale Abhängigkeit widerspiegeln soll. Andererseits besitzt die Flächenhelligkeit der Röntgenstrahlung die Abhängigkeit IX ∝ Ln 2e . Aus diesen beiden Relationen kann n e eliminiert werden. Da man Tg aus dem Röntgenspektrum messen kann, bleibt dann noch die Abhängigkeit |ΔIνRJ | ∝ L IX . IνRJ Nimmt man nun an, dass der Haufen sphärisch ist, so ist die Ausdehnung L entlang der Sichtlinie gleich seiner transversalen Ausdehnung R = θDA , wobei θ seine Winkelausdehnung und DA die Winkelentfernung (4.45) zum Haufen bezeichnet. Unter dieser Annahme gilt dann RJ 2 R L ΔIν 1 DA = ∼ ∝ . (6.46) θ θ IνRJ IX Man kann also die Winkelentfernung aus dem gemessenen SZ-Effekt, der Röntgentemperatur des ICM und der Flächenhelligkeit im Röntgenbereich bestimmen. In der Praxis ist diese Methode natürlich komplizierter, als sie hier dargestellt wurde, wird aber zur Entfernungsbestimmung von Haufen benutzt. Insbesondere ist die Annahme einer gleichen Ausdehnung des Haufens entlang und senkrecht der Sichtlinie bei jedem einzelnen Haufen nicht gut gerechtfertigt, aber bei einem Sample von Haufen wird man erwarten, dass diese Annahme im Mittel gültig ist. Daher ist der SZ-Effekt eine weitere Methode der Entfernungsbestimmung, die unabhängig von der Rotverschiebung des Haufens ist, und ist somit zur Messung der Hubble-Konstanten geeignet.
Diskussion. Man kann die berechtigte Frage stellen, ob diese Methode aufgrund der in ihr eingehenden Annahmen konkurrenzfähig ist mit der Bestimmung der Hubble-Konstanten mittels der Entfernungsleiter und den Cepheiden. Die gleiche Frage stellt sich auch für die Bestimmung von H0 mit Hilfe der Lichtlaufzeitverzögerung bei Gravitationslinsen, die wir in Abschn. 3.8.4 besprochen haben. In beiden Fällen ist die Antwort auf die Frage die gleiche: Vermutlich werden beide Methoden nicht zu einer ähnlich genauen Bestimmung der Hubble-Konstanten führen, wie sie mit dem Hubble Key Project – und den Winkelfluktuationen des CMB (siehe Abschn. 8.6) – offensichtlich erreicht worden ist. Dennoch sind beide Methoden von großem Wert für die Kosmologie. Zum einen beinhaltet die Entfernungsleiter eine ganze Reihe von Sprossen. Es muss nur eine dieser Sprossen eine bislang unentdeckte Systematik enthalten, um den resultierenden Wert für H0 zu verfälschen. Weiterhin misst das Hubble Key Project die Expansionsrate im lokalen Universum, typischerweise innerhalb von ∼ 100 Mpc (der Entfernung zum ComaHaufen). Wir werden noch sehen, dass das Universum Inhomogenitäten auf diesen Längenskalen enthält. Es könnte also durchaus sein, dass wir in einem etwas überdichten oder unterdichten Gebiet des Universums leben, in dem die Hubble-Konstante vom globalen Wert abweicht. Demgegenüber misst sowohl der SZ-Effekt als auch die Linsenmethode die Hubble-Konstante auf wirklich kosmischen Skalen, und beide Methoden tun dies in einem Schritt – es gibt also keine Entfernungsleiter. Deshalb sind diese beiden Methoden von großer Bedeutung zur zusätzlichen Bestätigung der Messung von H0 . Hinzu kommt ein Aspekt, den man nicht unterschätzen darf: Selbst wenn sich aus den Messungen der Hubble-Konstanten ein gleicher oder ähnlicher Wert ergibt wie der aus dem Hubble Key Project, hat man immer noch etwas Entscheidendes gelernt, nämlich dass die lokale Hubble-Konstante mit der auf kosmischen Skalen gemessenen übereinstimmt – dies ist eine Vorhersage des kosmologischen Modells, die dadurch eindrucksvoll getestet werden kann. 6.3.5
Röntgenkataloge von Haufen
Galaxienhaufen wurden ursprünglich mit optischen Methoden als Überdichte von Galaxien an der Sphäre selektiert. Wie wir bereits diskutiert haben, können
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 256
dabei Projektionseffekte eine entscheidende Rolle spielen, wie etwa zufällige Überdichten der projizierten Galaxienverteilung, die nicht zu einer räumlichen Überdichte gehören. Dazu kommt die Überlagerung von Vordergrund- und Hintergrundgalaxien, welche diese optische Selektion umso schwieriger gestalten, je weiter die Haufen von uns entfernt sind. Eine verlässlichere Selektion von Haufen ist durch ihre Röntgenemission möglich, da das heiße Röntgengas einen tiefen Potentialtopf signalisiert, also tatsächlich eine drei-dimensionale Materieansammlung, so dass Projektionseffekte praktisch vernachlässigbar sind. Die Röntgenemission ist ∝ n 2e , was wiederum Projektionseffekte unwahrscheinlich macht. Hinzu kommt, dass die Röntgenemission, insbesondere ihre Temperatur, ein sehr gutes Maß für die Masse von Haufen zu sein scheint, wie wir weiter unten noch darstellen werden. Die Selektion von Haufen geschieht zwar nicht über ihre Temperatur, sondern entsprechend der Röntgenleuchtkraft, aber auch L X ist ein guter Indikator für die Haufenmasse (siehe Abschn. 6.4). Der erste interessante Röntgenkatalog von Galaxienhaufen war der EMSS (Extended Medium Sensitivity Survey) Katalog. Für ihn wurden Archiv-Aufnahmen des Einstein-Satelliten dahingehend untersucht, ob es neben dem primären Target der jeweiligen Beobachtung weitere Quellen innerhalb des Bildfeldes gab. Diese wurden zusammengestellt und mit optischen Methoden, d. h. mit Photometrie und Spektroskopie, untersucht. Der EMSS-Katalog enthält 835 Quellen, wovon die
meisten AGNs sind, aber er enthält auch 104 Galaxienhaufen. Darunter gibt es 6 Haufen mit Rotverschiebung ≥ 0.5; der entfernteste davon ist MS1054−03 bei z = 0.83 (siehe Abb. 6.14). Da die Einstein-Aufnahmen unterschiedliche Belichtungszeiten haben, ist der EMSS kein strikt flusslimitierter Katalog. Aber da das Flusslimit für jede Aufnahme bekannt ist, kann man daraus die Leuchtkraftfunktion von Haufen bestimmen. Dieselbe Methode wie beim EMSS wurde von verschiedenen Gruppen auf Archiv-Aufnahmen von ROSAT angewandt, woraus einige Kataloge von röntgenselektierten Haufen entstanden sind. Die Selektionskriterien der verschiedenen Gruppen, und damit der resultierenden Kataloge, unterscheiden sich. Da ROSAT ein empfindlicherer Satellit war als der Einstein-Satellit, enthalten diese Kataloge eine größere Anzahl von Haufen, auch solche bei größerer Rotverschiebung (Abb. 6.24). Weiterhin führte ROSAT eine Durchmusterung des gesamten Himmels durch, den ROSAT All Sky Survey (RASS).5 Der RASS enthält etwa 105 Quellen, die über den ganzen Himmel verteilt sind. Die Identifikation von ausgedehnten Quellen im RASS (im Gegensatz zu nicht-ausgedehnten – man erwartet etwa 5 Mal so viele AGNs wie Haufen) ergab ebenfalls einen Haufenkatalog, der aufgrund der relativ kurzen Belichtungszeit des RASS die hellsten Hau5 Der RASS ist der wohl auf absehbare Zeit einzige All Sky Survey mit einem abbildenden Röntgenteleskop, nachdem mehrere Projekte, eine solche Durchmusterung bei höheren Energien durchzuführen, gescheitert sind bzw. angehalten wurden.
Abb. 6.24. (a): ChandraAufnahme eines 6 × 6 -Feldes mit zwei Galaxienhaufen bei hoher Rotverschiebung. (b): Ein 2 × 2 -Feld mit einem der links gezeigten Haufen (RX J0849+4452) in B, I, und K, sowie mit Konturen der Röntgenemission
6.4 Skalierungsrelationen von Galaxienhaufen 257
fen enthält. Wiederum ist die Belichtungszeit im RASS keine Konstante, sondern seine Beobachtungsstrategie führte dazu, dass insbesondere die Gebiete um den nördlichen und südlichen ekliptikalen Pol besonders lange belichtet wurden (siehe Abb. 6.25). Einer der Haufenkataloge, der aus dem RASS extrahiert wurde, ist der HIFLUGCS-Katalog. Er besteht aus den 63 Röntgen-hellsten Haufen und ist ein strikt flussbegrenzter Survey, mit f X (0.1–2.4 keV) ≥ 2.0 × 10−11 erg s−1 cm−1 . Dabei wurde die Galaktische Ebene ausgespart, |b| ≥ 20◦ , sowie weitere Regionen um die Magellanschen Wolken und den Virgo-Galaxienhaufen.
Der erweiterte HIFLUGCS-Survey enthält zusätzlich noch weitere Haufen, für die eine gute Messung des Helligkeitsprofils und der Röntgentemperatur vorliegen. Aus der Leuchtkraftfunktion von Röntgenhaufen kann dann über die Relation zwischen L X und der Haufenmasse, die wir im nächsten Abschnitt diskutieren werden, eine Massenfunktion erstellt werden. Wie wir in Abschn. 8.2 noch im Detail erläutern werden, ist die Massenfunktion von Galaxienhaufen ein wichtiger Indikator für kosmologische Parameter.
6.4
Skalierungsrelationen von Galaxienhaufen
Wir haben bei der Untersuchung von Galaxien festgestellt, dass diese verschiedene Skalierungsrelationen erfüllen, wie etwa die Tully–Fisher-Relation. Diese haben sich als äußerst nützlich erwiesen, nicht nur zur Entfernungsbestimmung von Galaxien, sondern auch, weil jedes erfolgreiche Modell der Galaxienentwicklung die beobachteten Skalierungsrelationen erklären können muss. Es ist daher von großem Interesse zu untersuchen, ob Galaxienhaufen ebenfalls solche Skalierungsrelationen erfüllen. Dabei werden wir sehen, dass die Röntgeneigenschaften der Haufen eine zentrale Rolle spielen.
6.4.1
Abb. 6.25. Oben: Gesamtbelichtungszeit im ROSAT All Sky Survey, als Funktion der Position. An den ekliptikalen Polen ist die Belichtungszeit am größten, bedingt durch die Beobachtungsstrategie. Wegen der Südatlantischen Anomalie ist die Belichtungszeit im Norden i.A. größer als im Süden. Unten: Der Röntgenhimmel, wie er im RASS beobachtet wurde. Die Farbe spiegelt die Form der spektralen Energieverteilung wider, wobei Blau Quellen mit härterem Spektrum andeutet
Masse-Temperatur-Beziehung
Man erwartet, dass die räumliche Ausdehnung, die Geschwindigkeitsdispersion der Galaxien, die Temperatur des Röntgengases und dessen Leuchtkraft umso größer sein sollten, je massereicher ein Haufen ist. In der Tat leitet man aus theoretischen Überlegungen die Existenz von Relationen zwischen diesen Größen ab. Die Röntgentemperatur T gibt die thermische Energie pro Gasteilchen an, die bei Haufen im virialen Gleichgewicht proportional zur Bindungsenergie sein sollte, M T∝ . r Da diese Relation auf dem Virialtheorem beruht, sollte r derjenige Radius sein, innerhalb dessen die Materie des Haufens virialisiert ist. Man nennt diesen Wert für r den
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 258
(6.48)
Radius r500 aufgetragen, innerhalb dessen die mittlere Überdichte 500 Mal der kritischen Dichte ist. Die gemessenen Werte zeigen eine sehr starke Korrelation, und die verschiedenen Kurven in der Abbildung sind Ausgleichsgeraden, die ein Potenzgesetz der Form M = AT α beschreiben. Die genauen Werte der beiden Fit-Parameter hängen von der Auswahl der Haufen ab; insbesondere zeigt der rechte Teil der Abb. 6.26, dass Galaxiengruppen (also ,,Haufen“ mit kleiner Masse und Temperatur) unterhalb der Ausgleichsgeraden liegen, die sich aus den Haufen größerer Masse ergeben. Beschränkt man sich auf Haufen mit M ≥ 5 × 1013 M , so ergibt sich als bester Fit kB T 1.58 M500 = 3.57 × 1013 M , (6.49) 1 keV
Diese Relation kann nun mit Beobachtungen überprüft werden, wenn man eine Stichprobe von Galaxienhaufen mit gemessener Temperatur und mit den Methoden aus Abschn. 6.3.2 bestimmter Masse betrachtet. Ein Beispiel dafür ist in der Abb. 6.26 dargestellt, wo für Haufen des erweiterten HIFLUGCS-Samples die Masse gegen die Temperatur aufgetragen ist. Da die Masse für kleinere Radien besser zu bestimmen ist als die Virialmasse, wurde hier die Masse M500 innerhalb des
mit einer Unsicherheit von etwas mehr als 10%. Diese Relation kommt der aus theoretischen Überlegungen hergeleiteten, M ∝ T 1.5 sehr nahe. Die Beziehung (6.49) erhält man sowohl aus dem Haufensample, bei dem die Masse mit einem isothermen β-Modell bestimmt wurde, als auch aus den Haufen, bei denen das gemessene radiale Temperaturprofil T(r) bei der Bestimmung der Masse mit einbezogen werden konnte (siehe Gl. 6.36), mit nur kleinen Variationen der Parameter. Beschränkt man sich nur auf Haufen
Abb. 6.26. Für Galaxienhaufen des erweiterten HIFUGCSSamples (siehe Abschn. 6.3.5) ist hier die Masse innerhalb einer mittleren Überdichte von 500 gegen die Röntgentemperatur aufgetragen, wobei eine Hubble-Konstante von h = 0.5 angenommen wurde. Im linken Bild wurde für die Massenbestimmung ein isothermes β-Modell benutzt, während im rechten Bild das radiale Temperaturprofil T(r) zur Bestimmung der Masse mittels (6.36) herangezogen wurde. Die meisten Temperaturmessungen stammen vom ASCASatelliten. Die durchgezogene und die strich-gepunktete
Kurve im linken Bild zeigen den besten Fit an die Daten, wobei bei letzterer nur die Haufen des eigentlichen HIFLUGCSSamples benutzt wurden. Im rechten Bild ist die gepunktete Kurve ein Fit an alle dort gezeigten Daten, während die durchgezogene Kurve nur Haufen mit Masse ≥ 5 × 1013 M berücksichtigt. In beiden Bildern zeigt die obere gestrichelte Kurve die Massen-Temperatur-Relation, wie sie aus einer Simulation mit vereinfachter Gasphysik erhalten wurde – die Steigung stimmt mit der beobachteten überein, aber die Amplitude ist deutlich zu groß
Virialradius rvir . Aus theoretischen Überlegungen zur Bildung von Haufen (siehe Kapitel 7) findet man, dass der Virialradius rvir derjenige ist, innerhalb dessen die mittlere Massendichte des Haufens etwa δvir ≈ 200 Mal so hoch ist wie die kritische Dichte ρcr des Universums. Die Masse innerhalb von rvir nennt man Virialmasse Mvir , die aufgrund dieser Definition Mvir =
4π 3 δvir ρcr rvir 3
(6.47)
beträgt. Fasst man die beiden obigen Relationen zusammen, erhält man T∝
Mvir 2 2/3 ∝ rvir ∝ Mvir . rvir
6.4 Skalierungsrelationen von Galaxienhaufen 259
mit Temperaturen oberhalb von 3 keV, so ergibt sich eine Steigung von 1.48 ± 0.1, in sehr guter Übereinstimmung mit der theoretischen Erwartung. Deutlich steilere Masse-Temperatur-Relationen ergeben sich unter Einschluss der Galaxiengruppen, die daher dem oben skizzierten Skalierungsargument nicht im Detail folgen. Die Röntgentemperatur von Galaxienhaufen scheint ein sehr genaues Maß für deren Virialmasse zu liefern, besser als die Geschwindigkeitsdispersion (s. u.).
im Haufen erschließen kann. Solche Ausreißer müssen identifiziert werden, wenn man die Skalierungsrelation zwischen Masse und Geschwindigkeitsdispersion anwenden möchte. 6.4.3
Masse-Leuchtkraft-Beziehung
Die gesamte aus der Bremsstrahlung stammende Röntgenleuchtkraft ist proportional zum Quadrat der Gasdichte sowie dem Gasvolumen; sie sollte sich daher verhalten wie 3 ∝ ρg2 T 1/2 Mvir . L X ∝ ρg2 T 1/2 rvir
Durch die neuen Röntgenobservatorien wird es möglich sein, diese Masse-Temperatur-Beziehung noch genauer zu prüfen, und die ersten schon erhaltenen Ergebnisse bestätigen das oben genannte Resultat, wobei die erhöhte Genauigkeit der Messungen zu noch kleinerer Dispersion der Messwerte um das Potenzgesetz führen. 6.4.2 Masse-GeschwindigkeitsdispersionBeziehung Ebenfalls kann die Geschwindigkeitsdispersion der Galaxien im Haufen mit der Masse in Beziehung gesetzt werden: Aus (6.25) folgt 3rvir σv2 . G Zusammen mit T ∝ σv2 folgt dann Mvir =
Mvir ∝ σv3 .
(6.50)
(6.51)
Diese Relation kann man nun an solchen Haufen überprüfen, von denen die Masse mittels der Röntgenmethode bestimmt und für die die Geschwindigkeitsdispersion der Haufengalaxien gemessen wurde. Alternativ kann man die Beziehung T ∝ σv2 testen. Es stellt sich heraus, dass im Wesentlichen diese Relationen für beobachtete Haufen erfüllt sind. Allerdings ist die Korrelation zwischen σv und M nicht so eng wie die M-T -Relation. Weiterhin gibt es zahlreiche Haufen, die sehr weit weg von dieser Korrelation liegen. Dabei handelt es sich um Galaxienhaufen, die nicht relaxiert sind, wie man aus der Geschwindigkeitsverteilung der Haufengalaxien (die dann stark von einer Maxwell-Verteilung abweicht) oder der bimodalen oder noch komplexeren Verteilung der Galaxien
(6.52)
−3 Schätzt man nun die Gasdichte ab durch ρg ∼ Mg rvir = −3 f g Mvir rvir , wobei f g = Mg /Mvir den Gasanteil an der Gesamtmasse des Haufens bezeichnet, so erhält man mit (6.48) 4/3 . L X ∝ f g2 Mvir
(6.53)
Diese Relation muss modifiziert werden, wenn die Röntgenleuchtkraft in einem festen Energieintervall gemessen wird. Insbesondere für Beobachtungen mit ROSAT, der nur niederenergetische Photonen unterhalb 2.4 keV messen konnte, haben die empfangenen Photonen typischerweise E γ < kB T , so dass die gemessene Röntgenleuchtkraft unabhängig von T wird. Deshalb erwartet man eine modifizierte Skalierungsrelation zwischen der mit ROSAT gemessenen Röntgenleuchtkraft L <2.4 keV und der Haufenmasse, L <2.4 keV ∝ f g2 Mvir .
(6.54)
Auch diese Skalierungsrelation kann empirisch überprüft werden, wie dies in der Abb. 6.27 gezeigt ist, wobei hier die Röntgenleuchtkraft im Energiebereich des ROSAT-Satelliten aufgetragen ist. Zunächst erkennt man, dass Galaxienhaufen in der Tat eine starke Korrelation zwischen der Leuchtkraft und der Masse besitzen, die Streuung aber deutlich größer ist als bei der Masse-Temperatur-Relation.6 Die Temperatur des intergalaktischen Gases ist also ein besserer Indikator für die Masse als die Röntgenleuchtkraft und die Geschwindigkeitsdispersion der Haufengalaxien. Wenn 6 Dabei
muss allerdings bedacht werden, dass die Bestimmungen von L X und M voneinander unabhängig sind, während in die Massenbestimmung die Temperatur explizit eingeht, so dass die Messung dieser beiden Größen miteinander korreliert sind.
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 260
Abb. 6.27. Für die Galaxienhaufen des vergrößerten HIFLUGCS-Samples ist hier die Röntgenleuchtkraft im Energiebereich des ROSAT-Satelliten gegen die Masse der Haufen aufgetragen. Die gefüllten Punkte zeigen die Haufen des eigentlichen HIFLUGCS-Samples. Für das gesamte Sample und das eigentliche HIFLUGCS-Sample ist mit der durchgezogenen bzw. gestrichelten Kurve ein best-passendstes Potenzgesetz eingezeichnet
man allerdings die Steigung der Relation aus den Messdaten bestimmt, so ergibt sich in etwa L <2.4 keV ∝ M 1.5 , anstatt des erwarteten Verhaltens, L <2.4 keV ∝ M 1.0 . Offensichtlich sind die obigen Skalierungsargumente nicht gültig, wenn man einen konstanten Gasanteil f g annimmt. Diese Diskrepanz zwischen theoretischer Erwartung und den Beobachtungen ist in mehreren Stichproben von Galaxienhaufen gefunden worden und gilt als gut etabliert. Eine Erklärung für diese Diskrepanz wird darin gesucht, dass das intergalaktische Gas nicht nur durch den gravitativen Einfall des Gases in den Potentialtopf des Haufens geheizt worden ist, sondern dass noch andere Quellen der Heizung vorhanden waren oder noch vorhanden sind. Für ,,kühlere“, masseärmere Haufen sollte diese Heizung einen größeren Effekt bewirken als für sehr massereiche Haufen, was etwa die in Abb. 6.27 zu sehende Abweichung der Haufen mit kleinem M von der Masse-LeuchtkraftRelation der massereichen Haufen erklären könnte. Wie schon in unserer Diskussion der Cooling Flows in Abschn. 6.3.3 diskutiert wurde, ist ein AGN im Innern des Haufens eine mögliche Heizquelle. Auch die Heizung und die zusätzliche kinetische Energie durch Supernovae in den Haufengalaxien gilt als mögliche Quelle von zusätzlicher Heizung des intergalaktischen Gases.
Es ist offensichtlich, dass eine Lösung dieses Rätsels eine bessere Einsicht in die Entstehung und Entwicklung der Gaskomponente von Galaxienhaufen geben wird. Trotz dieser Diskrepanz zwischen den einfachen Modellen und der Beobachtung zeigt die Abb. 6.27 eine klare Korrelation zwischen Masse und Leuchtkraft, die daher empirisch benutzt werden kann, nachdem sie kalibriert worden ist. Obgleich die Temperatur ein besseres Maß für die Haufenmasse ist, wird man in vielen Fällen auf die Beziehung ziwschen Masse und Röntgenleuchtkraft zurückgreifen müssen, da die Bestimmung der Leuchtkraft (in einem festen Energiebereich) wesentlich einfacher ist als die Messung der Temperatur, für die deutlich längere Belichtungszeiten notwendig sind.
6.4.4 Nah-Infrarot-Leuchtkraft als Massenindikator Während die optische Leuchtkraft von Galaxien nicht nur von der Sternmasse abhängt, sondern auch von der Geschichte der Sternentstehung, ist das Licht im NIR von letzterer wesentlich unabhängiger; die NIRLeuchtkraft ist ein recht verlässliches Maß für die Gesamtmasse in Sternen. Daher könnte man erwarten, dass die NIR-Leuchtkraft eines Haufens sehr stark korreliert ist mit der gesamten Sternmasse des Haufens, und wenn diese eine enge Korrelation mit der Haufenmasse besitzt, dann kann die NIR-Leuchtkraft zur Abschätzung von Haufenmassen herangezogen werden. Der Two Micron All Sky Survey (2MASS) bietet zum ersten Mal die Gelegenheit, eine solche Untersuchung an einer großen Stichprobe von Galaxienhaufen vorzunehmen. Dazu wählt man Galaxienhaufen aus, deren Masse mit Röntgenmethoden bestimmt wurden, und misst von diesen die K-Band-Leuchtkraft der Haufengalaxien. Die Abb. 6.28 zeigt das resultierende Masse-Leuchtkraft-Diagramm für 93 Galaxienhaufen und -gruppen innerhalb von r500 , wobei die Masse aus der Röntgentemperatur der Haufen (dargestellt auf der oberen Achse) mittels (6.49) bestimmt wurde. Es zeigt sich eine erstaunlich enge Korrelation zwischen diesen beiden Größen, die durch ein Potenzgesetz der Form 0.69 L 500 M500 = 3.95 1012 L 2 × 1014 M
(6.55)
6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen 261
Quellen in zwei Galaxienhaufen mit großer Rotverschiebung (siehe Abb. 6.29 und 6.30). Die Natur dieser Quellen war zunächst unbekannt; sie erhielten den Namen Arcs, oder Giant Luminous Arcs, was zunächst keine Interpretation implizierte. Verschiedene Hypothesen für die Herkunft der Arcs wurden aufgestellt, wie etwa die Emission von Stoßfronten im ICM, die von explosiven Ereignissen stammen sollten. All diese Szenarien wurden widerlegt, nachdem die Spektroskopie des Arcs im Haufen Abell 370 zeigte, dass die Quelle eine viel größere Rotverschiebung besitzt als der Haufen
Abb. 6.28. Die Korrelation zwischen K-Band-Leuchtkraft und der Masse von Galaxienhaufen, gemessen jeweils innerhalb des Radius, innerhalb dessen die mittlere Dichte des Haufens das 500-fache der kritischen Dichte des Universums beträgt. Die Haufenmasse wurde aus der Relation zwischen Masse und Temperatur bestimmt
beschreibbar ist, wobei eine Hubble-Konstante von h = 0.7 angenommen wurde. Die Streuung der einzelnen Haufen um dieses Potenzgesetz beträgt etwa 32%, wobei zumindest ein Teil dieser Streuung aus den Unsicherheiten der Bestimmung der Masse herrührt – die intrinsische Streuung ist daher sogar noch geringer. Dieses Resultat ist daher potentiell von großer Bedeutung für zukünftige Studien von Galaxienhaufen und befördert die NIR-Leuchtkraft als eine konkurrenzfähige Methode zur Bestimmung von Haufenmassen, was in Hinblick auf die nächste Generation von NIRWeitwinkelinstrumenten (wie etwa VISTA auf dem Paranal) von starkem Interesse ist.
6.5
Galaxienhaufen als Gravitationslinsen
6.5.1
Leuchtende Bögen (Arcs)
1986 entdeckten zwei Gruppen unabhängig voneinander merkwürdige, langgestreckte, bogenförmige
Abb. 6.29. Der Galaxienhaufen A 370 mit Rotverschiebung z = 0.375 war einer der beiden ersten, in denen 1986 Giant Luminous Arcs gefunden wurden. Diese HST-Aufnahme zeigt den Arc sehr deutlich; er ist etwa 20 lang, orientiert tangential zum Haufenzentrum (das sich etwa in der Mitte zwischen den beiden hellen Haufengalaxien befindet), und nach innen gekrümmt. Erst mit dem HST hat man erkennen können, wie dünn diese Arcs sind. Auf dieser Aufnahme sind noch mehrere andere Linseneffekte sichtbar, z. B. eine Hintergrundgalaxie, die dreifach abgebildet wird. Der Arc gehört zu einer Galaxie bei z s = 0.724
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 262
Abb. 6.30. Der Galaxienhaufen Cl 2244−02 bei Rotverschiebung z = 0.33 war der zweite Haufen, in dem ein Arc entdeckt wurde; die Spektroskopie dieses Arcs ergab eine Rotverschiebung der zugehörigen Quelle von z s = 2.24 – zum damaligen Zeitpunkt die wohl erste normale Galaxie mit Rotverschiebung > 2. Diese Aufnahme wurde mit der IR-Kamera ISAAC am VLT aufgenommen. Oberhalb des Arcs sieht man eine weitere, stark elongierte Quelle, die vermutlich ebenfalls von einer Galaxie mit sehr großer Rotverschiebung stammt
selbst. Der Arc ist also eine Hintergrundquelle, die dem Gravitationslinseneffekt des Haufens unterliegt. Durch die differentielle Lichtablenkung wird das Lichtbündel der Quelle derart verzerrt, dass solche langgestreckten bogenförmige Bilder erzeugt werden können. Die Entdeckung, dass Galaxienhaufen als starke Gravitationslinsen wirken können, war damals eine Überraschung. Aufgrund des Wissens über die Massenverteilung von Haufen, das man vor ROSAT durch Röntgenuntersuchungen hatte, schätzte man ab, dass die zentrale Flächenmassendichte von Haufen nicht ausreichend groß wäre, damit starke Effekte der gravitativen Lichtablenkung vorkommen könnten. Diese falsche Abschätzung der zentralen Massendichte in Haufen beruhte auf Analysen mit dem β-Modell, das, wie wir oben andiskutiert haben, von sehr stark vereinfachenden Annahmen ausgeht.7 7 Eine
weitere Lehre, die man sofort aus der Entdeckung der Arcs ziehen konnte, war eine hinsichtlich der Psychologie von Forschern. Nachdem die ersten Beobachtungen von Arcs publiziert wurden, haben mehrere Astronomen ihre eigenen Aufnahmen dieser beiden Haufen nochmal betrachtet und die Arcs auf ihnen auch deutlich entdeckt. Der Grund, warum dieses sehr viel früher aufgenommene
Arcs sind also stark verzerrte und hoch verstärkte Bilder von Galaxien hoher Rotverschiebung. In einigen massereichen Haufen wurden mehrere Arcs gefunden, wobei die einzigartige Winkelauflösung des HST eine ganz entscheidende Rolle spielte. Einige dieser Arcs sind so dünn, dass sie selbst mit HST in ihrer Breite nicht aufgelöst werden können, was daher ein extremes Längen-zu-Breitenverhältnis anzeigt. Bei vielen Arcs wurden weitere Bilder der gleichen Quelle entdeckt, die manchmal als ,,counter arcs“ bezeichnet werden. Die Identifikation von Mehrfachbildern geschieht entweder durch optische Spektroskopie (dies ist i. A. schwierig, da ein Arc hochverstärkt ist, andere Bilder der gleichen Quelle aber viel weniger verstärkt und daher schwächer sind; außerdem ist Spektroskopie von schwachen Quellen sehr zeitaufwändig), Mehrfarbenphotometrie (alle Bilder der gleichen Quelle sollten die gleichen Farben besitzen) oder durch morphologische Gemeinsamkeiten. Linsenmodelle. Das einfachste Massenmodell für Galaxienhaufen als Linsen ist wiederum die singuläre isotherme Sphäre (SIS). Dieses Linsenmodell wurde in Abschn. 3.8.2 bereits besprochen. Deren charakteristische Winkelskala ist durch den Einstein-Radius (3.60) gegeben, oder 2 D σv ds . (6.56) θE = 28.8 1000 km/s Ds Sehr hohe Verstärkungen (und Verzerrungen) von Bildern treten nur nahe am Einstein-Radius auf. Daher ist sofort eine erste Massenabschätzung eines Haufens möglich, indem man den Abstand des Arcs vom Haufenzentrum mit dem Einstein-Radius identifiziert. Dadurch wird die projizierte Masse des Haufens innerhalb des Einstein-Radius nach (3.66) bestimmt. Da Galaxienhaufen im Allgemeinen nicht sphärisch symmetrisch sind und signifikante Unterstruktur enthalten können, ist diese Massenabschätzung nicht sehr genau; man schätzt ab, dass sie mit etwa 30% Unsicherheit Phänomen nicht vorher publiziert wurde, kann so erklärt werden, dass man sich der Realität dieser Quellen nicht so ganz sicher war. Es besteht eine gewisse Tendenz, Phänomene, die unerwartet in Daten vorkommen, nicht in dem Maße wahrzunehmen wie etwa erwartete Ergebnisse. Allerdings gibt es auch Forscher, die genau das Gegenteil tun und selbst von der Theorie erwartete Phänomene in außergewöhnlicher Art interpretieren.
6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen 263
behaftet ist. Modelle mit asymmetrischer Massenverteilung sagen eine Vielzahl von möglichen Morphologien der Arcs und der Lage ihrer Mehrfachbilder vorher, wie dies für eine elliptische Linse in der Abb. 6.31 gezeigt ist. Sind mehrere Arcs in einem Haufen entdeckt worden, oder weitere Bilder der Quelle eines Arcs, so kann man detaillierte Massenmodelle für solche Haufen untersuchen. Die Genauigkeit dieser Modelle hängt von der Anzahl und Lage der beobachteten Linsenbilder ab, also etwa wie viele Arcs und wie viele Mehrfachbildsysteme für die Modellierung zur Verfügung stehen. Die resultierenden Massenmodelle sind zwar nicht eindeutig, aber robust: Haufen mit vielen Linsenbildern haben sehr gut bestimmte Masseneigenschaften wie
Abb. 6.31. Verzerrungen durch den Linseneffekt eines elliptischen Potentials als Funktion der Position der Quelle. Das erste Bild zeigt die Quelle selber. Das zweite Bild gibt zehn Positionen der Quelle in der Quellenebene (nummeriert von 1 bis 10) relativ zur Linse an. Die durchgezogenen Linien zeigen die inneren und äußeren Kaustiken. Die Bilder 3 bis 12 zeigen die inneren und äußeren kritischen Kurven sowie die resultierenden Bilder der Quelle
etwa die Masse und das Massenprofil innerhalb der Radien, bei denen Arcs gefunden werden, die Elliptizität der Massenverteilung und ihre Unterstruktur. In der Abb. 6.32 sind zwei Galaxienhaufen dargestellt, die mehrere Arcs enthalten. Lange Zeit war A 2218 derjenige Haufen, der als Musterbeispiel für die Existenz vieler Arcs in einem einzigen Galaxienhaufen hergehalten hat. Nach der Installation der ACS-Kamera auf dem HST wurde 2002 eine spektakuläre Aufnahme des Haufens A 1689 erhalten, auf dem über 100 Arcs und Mehrfachbilder identifiziert werden konnten. Ausschnitte aus dieser Aufnahme, die auch als Cover dieses Buches dient, sind in der Abb. 6.33 gezeigt. Für Galaxienhaufen, die ein derart reiches Inventar an Linsenphänomenen aufweisen, können sehr detaillierte Massenmodelle erstellt werden. Solche Massenmodelle haben eine Vorhersagekraft, weshalb die Modellierung iterativ erfolgen kann. An die Beobachtung der deutlichsten Linsenbilder (Giant Arcs oder klar erkennbare Mehrfachbilder) wird ein erstes, einfaches Massenmodell angepasst. Dieses Modell sagt i. A. weitere Bilder derjenigen Quelle vorher, die den Arc erzeugt. In der Nähe der so vorhergesagten Position wird nach einem Gegenbild gesucht, wobei man die Morphologie der Lichtverteilung und die Farbe benutzt. Wenn das erste Modell nicht allzuweit von der Wirklichkeit entfernt ist, so wird ein solches Gegenbild auch gefunden. Die genaue Position dieses neuen Bildes gibt dann eine weitere Einschränkung an das Linsenmodell, das dann verfeinert wird. Dieses neue Modell sagt dann weitere Mehrfachbildsysteme vorher, usw. Mit diesem Verfahren ergeben sich teilweise sehr detaillierte Modelle. Da die Linseneigenschaft eines Haufens von der Entfernung bzw. der Rotverschiebung der Quelle abhängt, kann man aus der Identifikation von Mehrfachsystemen in Haufen mit einem detaillierten Massenmodell die Rotverschiebung von gelinsten Quellen vorhersagen. Diese Vorhersagen können dann durch Spektroskopie verifiziert werden, und die Erfolge dieser Methode geben Vertrauen in die Genauigkeit der Linsenmodelle. Resultate. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchungen von Arcs und Mehrfachbildern in Haufen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Masse von Galaxienhaufen ist in der Tat sehr viel größer als die Masse der leuchtenden Materie. Die Lin-
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 264 Abb. 6.32. Oben: Der Galaxienhaufen A 2218 (z d = 0.175) enthält eines der spektakulärsten Arc-Systeme. Die meisten der hier sichtbaren Galaxien gehören zu dem Haufen, und die Rotverschiebung vieler der stark verzerrten Arcs ist inzwischen gemessen worden. Unten: Der Galaxienhaufen Cl 0024+17 (z = 0.39) enthält ein reiches System von Arcs. Diese sind hier als bläuliche, in tangentialer Richtung zum Haufenzentrum langgestreckte Bögen zu erkennen. Die drei Arcs links vom Haufenzentrum, und der Arc rechts vom und näher am Haufenzentrum, sind Bilder der gleichen Hintergrundgalaxie, deren Rotverschiebung z = 1.62 beträgt. Ein weiteres Bild der gleichen Quelle wird nahe am Haufenzentrum gefunden. Zu beachten ist auch die gleiche Morphologie (,,Brezel“-förmig) dieser Bilder
senmethode ergibt eine Masse, die in recht guter Übereinstimmung mit den aus der Röntgenmethode und dynamischen Methoden bestimmten Massen ist. Allerdings ist der Kernradius von Haufen, d. h. die Skala, auf der das Massenprofil innen abflacht, deutlich kleiner als der aus den Röntgenbeobachtungen bestimmte. Typische Werte sind etwa rc ∼ 30h −1 kpc, im Gegensatz zu ∼ 150h −1 kpc aus der Röntgenmethode. Dieser Unterschied bewirkt eine Diskrepanz der Massenbestimmung beider Methoden auf Skalen unterhalb von ∼ 200h −1 kpc. Dabei muss betont werden, dass die Massenbestimmung durch Arcs und Mehrfachbilder im Prinzip wesentlich genauer ist, da keine Annahmen über die Symmetrie der Massenverteilung, hydrostatisches Gleichgewicht des Röntgengases oder einer isothermen
Temperaturverteilung gemacht werden müssen. Andererseits misst der Linseneffekt die Masse in Zylindern, da nur die projizierte Massenverteilung in der Linsengleichung auftritt, während die Röntgenmethode die Masse in Kugeln bestimmt. Die Umrechnung zwischen beiden ist mit Unsicherheiten behaftet, insbesondere für Haufen, die deutlich von der sphärischen Geometrie abweichen. Die Überschätzung des Kernradius durch die Röntgenmethode war der wesentliche Grund dafür, dass die Entdeckung der Arcs überraschend war, da Haufen mit den aus den frühen Röntgenuntersuchungen bestimmten Kernradien in der Tat keine starken Gravitationslinsen wären. Das Auftreten von Arcs alleine zeigt daher schon, dass der Kernradius klein sein muss.
6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen 265 Abb. 6.33. Der Galaxienhaufen Abell 1689 hat das reichste System von Arcs und Mehrfachbildern, das bisher gefunden worden ist. Mit einer tiefen ACS-Aufnahme dieses Haufens konnten bislang mehr als hundert solcher gelinsten Bilder nachgewiesen werden. Diese Abbildung zeigt sechs Ausschnitte aus dieser Aufnahme, auf denen verschiedene Arcs zu erkennen sind, teilweise mit extremen Längen-zuBreiten-Verhältnis, was auf sehr große Verstärkungsfaktoren hindeutet
Eine genauere Analyse von Galaxienhaufen mit Cooling Flows zeigt, dass in diesen Haufen das aus dem Röntgengas abgeschätzte Massenprofil mit den Beobachtungen der Arcs verträglich ist. Solche Haufen gelten als dynamisch relaxiert, so dass bei ihnen die Annahme des hydrostatischen Gleichgewichts gut begründet ist. Allerdings muss die Röntgenanalyse die Existenz eines Cooling Flows und das dadurch modifizierte Profil der Röntgenemission explizit beinhalten und damit deutlich über ein β-Modell hinausgehen. Haufen ohne Cooling Flows sind dynamisch deutlich komplexer. Neben der Diskrepanz in der Massenbestimmung ergeben auch die Bestimmungen des Massenzentrums mit den beiden Methoden unterschiedliche Resultate bei solchen unrelaxierten Haufen. Dies deutet darauf hin, dass das Gas seit der letzten starken Wechselwirkung bzw. einem Verschmelzungsprozess nicht genügend Zeit hatte, sich in einen Gleichgewichtszustand zu begeben. Die Massenverteilung von Haufen enthält häufig signifikante Substruktur. Galaxienhaufen, in denen Arcs beobachtet werden, sind oftmals nicht relaxiert. Diese Haufen befinden sich noch in der dynamischen Entwicklung, es sind dynamisch junge Systeme, deren Alter nicht viel größer sein kann als tcross , oder die vor nicht allzu langer Zeit durch einen Verschmelzungsprozess in ihrem Gleichgewicht gestört worden sind. Für solche Haufen ist daher die Röntgenmethode nicht gut fundiert, da die Annahmen der Symmetrie und des Gleichgewichts nicht erfüllt sind. Aus den Linsenmodellen stellt man fest, dass, falls der Haufen eine zentrale
cD-Galaxie besitzt, die Orientierung der Massenverteilung der der cD-Galaxie folgt. Daraus schließt man, dass die Entwicklung der cD-Galaxie eng verknüpft sein muss mit der Entwicklung des Haufens, z. B. durch die Akkretion eines Cooling Flows auf die cD-Galaxie. Die Form der Massenverteilung ist oftmals sehr ähnlich der der Galaxienverteilung und der Röntgenemission. Die Untersuchung von Galaxienhaufen mit der Gravitationslinsenmethode ergibt eine dritte, völlig unabhängige Methode zur Massenbestimmung von Haufen. Mit ihr wird bestätigt, dass die Masse von Haufen wesentlich größer ist als die sichtbare Materie in Sternen und im intergalaktischen Gas. Hieraus schließt man, dass Galaxienhaufen von Dunkler Materie dominiert sind. 6.5.2
Der Schwache Linseneffekt
Das Prinzip des Schwachen Linseneffekts. Wir hatten in Abschn. 3.8 gesehen, dass durch die gravitative Lichtablenkung Lichtbündel nicht nur als Ganzes abgelenkt werden, sondern die differentielle Lichtablenkung auch zur Verzerrung von Lichtbündeln führt. Diese differentielle Lichtablenkung führt z. B. dazu, dass Quellen heller erscheinen, als sie ohne den Linseneffekt wären. Die oben diskutierten Arcs sind ein sehr gutes Beispiel für diese Verzerrungen und die entsprechenden Verstärkungen.
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 266
Wenn es einige Hintergrundquellen gibt, die so extrem verzerrt werden, dass sie als Giant Luminous Arcs sichtbar sind, so ist es plausibel, dass es sehr viel mehr Hintergrundgalaxien geben sollte, die weniger stark verzerrt werden. Diese befinden sich dann typischerweise bei größeren Winkelabständen vom Haufenzentrum, wo der Linseneffekt schwächer ist als am Ort der Arcs. Ihre Verzerrung ist dann so schwach, dass man sie nicht mehr in jedem einzelnen Galaxienbild identifizieren kann, da die intrinsische Lichtverteilung von Galaxien nicht kreisförmig ist. Aber die Verzerrung benachbarter Galaxienbilder sollte sehr ähnlich sein, da deren Lichtbündel durch ein ähnliches Gravitationsfeld propagieren. Durch Mittelung über viele solche Galaxienbilder kann dann die Verzerrung gemessen werden (siehe Abb. 6.34), da die intrinsische Orientierung von Galaxien zufällig ist, also keine Vor-
Abb. 6.34. Das Prinzip des schwachen Linseneffekts ist hier in einer Simulation demonstriert. Durch den Gezeitenanteil des Gravitationsfeldes eines Haufens werden die Formen der Bilder von dahinterliegenden Galaxien (Ellipsen) verzerrt, und wie bei den Arcs richten sich die Galaxienbilder im Mittel tangential zum Haufenzentrum aus. Durch lokale Mittelung über die Elliptizitäten der Galaxienbilder kann dann eine lokale Abschätzung des Gezeitenfeldes gewonnen werden (Striche – deren Richtung gibt die Orientierung des Gezeitenfeldes an, die Länge dessen Stärke). Aus diesem Gezeitenfeld kann dann die projizierte Massenverteilung rekonstruiert werden
zugsrichtung aufweist. Spätestens seit den Resulaten aus dem Hubble Deep Field (Abb. 1.27) wissen wir, dass der Himmel dicht bedeckt ist von kleinen und lichtschwachen Galaxien. Auf tiefen optischen Aufnahmen sollte man deshalb eine große Anzahldichte solcher Galaxien finden, die sich hinter einem Galaxienhaufen befinden und deren Form für die Messung des Schwachen Linseneffekts des Haufens benutzt werden kann. Die durch die Mittelung erhaltene Verzerrung spiegelt den Gezeitenanteil des lokalen Gravitationsfeldes des Haufens wider. Diesen bezeichnet man in diesem Zusammenhang als Scherung. Sie ist durch die Projektion des Gezeitenanteils des Gravitationsfeldes entlang der Sichtlinie gegeben. Die Scherung ergibt sich als Ableitung des Ablenkwinkels, wobei der Ablenkwinkel (3.47) linear von der Flächenmassendichte der Linse abhängt. Daher ist es möglich, aus der gemessenen Scherung völlig parameterfrei die Flächenmassendichte von Galaxienhaufen zu rekonstruieren: Man kann also die (Dunkle) Materie in Haufen dadurch abbilden. Beobachtungen. Da die Messung der Scherung auf der Mittelung von Bildelliptizitäten von entfernten Galaxien beruht, erfordert diese Methode des Schwachen Linseneffekts (weak lensing) optische Aufnahmen mit möglichst großer Dichte von Galaxien. Dies impliziert erstens, dass die Aufnahmen sehr tief sein müssen, damit man zu möglichst schwachen Magnituden vordringen kann. Da aber sehr schwache Galaxien weit weg sind und daher eine kleine Winkelausdehnung besitzen, muss zweitens die Aufnahme bei sehr guten Beobachtungsbedingungen aufgenommen werden, damit man die Form von Galaxienbildern genau vermessen kann und nicht alle durch das Seeing zu kreisförmigen Bildern ausgeschmiert werden. Typisch für die Anwendung dieser Methode sind Aufnahmen mit Teleskopen der 4-Meter-Klasse von ein bis drei Stunden. Dabei erhält man eine Dichte von ca. 30 Galaxien pro Quadratbogenminute (also 105 pro Quadratgrad), von denen man die Form gut genug vermessen kann. Das entspricht einer Grenzhelligkeit von etwa R ∼ 25. Das Seeing der Aufnahme sollte ∼ 0.8 nicht überschreiten, damit man die Effekte des Seeings noch korrigieren kann. Systematische Beobachtungen des Schwachen Linseneffekts wurden erst in den letzten Jahren durch die
6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen 267
Abb. 6.35. Links ist das Gezeiten- (oder Scherungs)feld des Haufens Cl 0024+17 zu sehen, rechts die mittels des Schwachen Gravitationslinseneffektes rekonstruierte Flächenmassendichte. Die hellen Galaxien dieses Haufens folgen
der Verteilung der (Dunklen) Materie; die Orientierung der Isodichte-Konturen ist die gleiche wie die Orientierung des Lichts im Zentrum des Haufens
Entwicklung von Weitwinkelkameras8 praktikabel. Die Verbesserung des Kuppel-Seeings bei vielen Teleskopen, wobei von den besten Teleskopen an den besten Observatorien regelmäßig ein Seeing von unterhalb 1 erreicht wird, und die Entwicklung spezieller Software zur Datenanalyse, spezialisiert auf die Vermessung der Form von extrem lichtschwachen Galaxienbildern und ihrer Korrektur für Effekte des Seeings und der Anisotropie der Punktbildfunktion, haben systematische Beobachtungen des Schwachen Linseneffekts ermöglicht. Massenrekonstruktion von Galaxienhaufen. Mittels dieser Methode hat man die Massendichte mehrerer Haufen rekonstruiert. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen stellen sich wie folgt dar: Das Zentrum der Massenverteilung stimmt mit dem optischen Beispiele für solche Kameras sind etwa die ∼ 12000 × 8000-Pixel-Kamera CFH12k, montiert am Canada-France-Hawaii Telescope (CFHT) oder der Wide Field Imager (WFI), eine ∼ (8000)2 -Pixel-Kamera am ESO/MPG 2.2-Meter-Teleskop auf La Silla. Im Jahre 2003 wurde die erste Quadratgrad-Kamera am CFHT montiert, Megacam, die immerhin ∼ (18000)2 Pixel besitzt. Eine weitere Quadratgrad-Kamera wird mit OmegaCAM am neugebauten VLT Survey Telescope (VST) der ESO im Jahre 2006 in Betrieb gehen. 8 Prominente
Abb. 6.36. Radiales Massenprofil des Galaxienhaufens Abell 2218. Die Punkte mit Fehlerbalken sind Massenabschätzungen aus dem Schwachen Linseneffekt, die durchgezogene und gestrichelte Linie sind Modelle (isotherme Sphäre) mit unterschiedlichen Geschwindigkeitsdispersionen. Das Kreuz gibt eine Massenabschätzung aufgrund der Luminous Arcs an, das Dreieck eine aufgrund der Masse der zentralen cD-Galaxie
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 268
Abb. 6.37. Untersuchung des Galaxienhaufens MS 1054−03 mittels des Schwachen Linseneffektes. Links oben ist eine bodengebundene Aufnahme zu sehen; das Feld ist 7. 5 × 7. 5 groß. Auf dieser Aufnahme werden ca. 2400 schwache Objekte detektiert, von denen die meisten Galaxien hoher Rotverschiebung sind. Aus den gemessenen Elliptizitäten der Galaxien lässt sich das Gezeitenfeld des Haufens und daraus die projizierte Massenverteilung Σ(θ) rekonstruieren, wie links unten dargestellt; diese ist hier durch die schwarzen Konturlinien angegeben, während die weißen Konturen
die gemittelte Lichtverteilung der Haufengalaxien angibt. Ein Mosaik von HST-Aufnahmen erlaubt, die Elliptizitäten von wesentlich mehr Galaxien und mit größerer Genauigkeit zu vermessen. Das Gezeitenfeld aus diesen Messungen ist rechts oben dargestellt und die rekonstruierte Flächenmassendichte rechts unten. Man sieht deutlich, dass der Haufen stark strukturiert ist, mit drei Dichtemaxima, die Gebieten heller Haufengalaxien entsprechen. Dieser Haufen scheint sich gerade erst durch Verschmelzung kleinerer Einheiten zu bilden
Zentrum des Haufens überein (siehe Abb. 6.35). Wenn Röntgeninformation vorhanden ist, so ist die Massenverteilung im Allgemeinen auf dem Röntgenmaximum zentriert. Die Form der Massenverteilung – z. B. ihre
Elliptizität und Orientierung – ist der Verteilung der hellen Haufengalaxien in den meisten Fällen sehr ähnlich. Der Vergleich des aus dieser Methode ermittelten Massenprofils mit dem aus Röntgendaten bestimmten
6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen 269
Abb. 6.38. Der Galaxienhaufen Cl 0939+4713 (A851) ist der Haufen mit der größten Rotverschiebung im Abell-Katalog. Das HST-Bild oben links wurde kurz nach der Reparatur des HST 1994 aufgenommen; in dieser Aufnahme ist Norden nach unten. Daraus wurde die Massenverteilung des Haufens rekonstruiert, wie sie oben rechts zu sehen ist. Man erkennt, dass die Verteilung heller Galaxien und der (Dunklen) Mate-
rie sehr ähnlich sind: Die Zentren stimmen überein, es gibt ein sekundäres Maximum der Licht- und Materieverteilung, sowie ein ausgeprägtes Minimum, an dem auch keine hellen Galaxien zu erkennen sind. Dieser Haufen zeigt auch starken Linseneffekt, wie im unteren Bild zu sehen ist: Ein DreifachBildsystem bei z ≈ 3.98 und ein Arc mit z = 3.98 wurden dort spektroskopisch bestätigt
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 270
zeigt eine gute Übereinstimmung, und innerhalb eines Faktors von ∼ 1.5 ergeben sich die gleichen Resultate (siehe Abb. 6.36 für ein Beispiel). Auch durch den Schwachen Linseneffekt erkennt man in einigen Haufen eine Unterstruktur der Massenverteilung (Abb. 6.37), die sich nicht in allen Fällen in der Verteilung der Haufengalaxien widerspiegelt, aber im Allgemeinen gibt es eine gute Übereinstimmung zwischen Licht und Masse (Abb. 6.38). Aus diesen Linsenuntersuchungen findet man ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis für Haufen, das mit dem aus Röntgenuntersuchungen übereinstimmt, also etwa M/L ∼ 250h in solaren Einheiten. Es gibt aber Galaxienhaufen, die von diesem mittleren Wert sehr stark abweichen: Zwei unabhängige Untersuchungen haben gezeigt, dass der Haufen MS 1224+20 ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von M/L ≈ 800h in solaren Einheiten besitzt, also mehr als doppelt so groß, wie man normalerweise in Haufen findet. Die Ähnlichkeit der Massenverteilung und der Galaxienverteilung ist alles andere als selbstverständlich, da
der Linseneffekt die gesamte Massenverteilung misst, also hauptsächlich die Dunkle Materie von Galaxienhaufen. Die Ähnlichkeit der Verteilungen bedeutet, dass die Galaxien in Haufen im Wesentlichen der Verteilung der Dunklen Materie zu folgen scheinen, wobei es allerdings Ausnahmen gibt. Die Linsensuche nach Galaxienhaufen. Mit dem Schwachen Linseneffekt kann man nicht nur die Massenverteilung bekannter Haufen vermessen, sondern auch nach Haufen suchen. Massenkonzentrationen erzeugen um sich herum ein tangentiales Scherungsfeld, nach dem gezielt gesucht werden kann. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass man damit Haufen allein aufgrund ihrer Masseneigenschaften (im Gegensatz zu ihrer Lichtemission) detektieren kann. Insbesondere Haufen mit besonders kleinem Gas- oder Galaxiengehalt könnten so nachgewiesen werden, falls es solche gibt. Mit dieser Methode wurden bereits einige Galaxienhaufen entdeckt – siehe Abb. 6.39. Weitere Kandidaten
Abb. 6.39. Links oben: eine VLT/FORS1Aufnahme, die im Rahmen eines Surveys von ,,empty fields“ aufgenommen wurde. Rechts oben ist die Massenrekonstruktion zu sehen, wie sie mittels des Schwachen Linseneffekts aus den optischen Daten gewonnen wurde. Klar zu erkennen ist ein Maximum der Massenverteilung; betrachtet man dieses Gebiet auf der optischen Aufnahme, so erkennt man dort eine Konzentration von Galaxien. Hiermit wurde also erstmals ein Galaxienhaufen aufgrund seiner Linseneigenschaft entdeckt. Unten: Ähnlich wie oben wurde hier ein Galaxienhaufen aufgrund seines Linseneffekts entdeckt. Links eine optische Weitwinkel-Aufnahme, gewonnen mit der Big Throughput Camera, rechts die Massenrekonstruktion. Der Peak in der Massenrekonstruktion stimmt mit einer Konzentration von Galaxien überein. Spektroskopische Messungen ergeben, dass diese einen Galaxienhaufen bei z = 0.276 bilden
6.6 Entwicklungseffekte 271
existieren, in dem Sinne, dass man aufgrund des Scherungssignals anscheinend deutliche Massenkonzentrationen gefunden hat, die aber auf optischen Aufnahmen nicht mit einer Konzentration von Galaxien zu identifizieren sind. Die Aufklärung der Natur dieser Linsensignale ist von enormer Wichtigkeit: Falls es tatsächlich Massenkonzentrationen gibt, die etwa Haufenmassen entsprechen, die aber keine leuchtkräftigen Galaxien enthalten, dann müssten die Modelle der Galaxienentwicklung revidiert werden. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass es sich bei den (jedenfalls formal) signifikanten Signalen um statistische Ausreißer sowie um Projektionseffekte handelt. Zusammen mit der Suche nach Galaxienhaufen mittels des SZ-Effekts (Abschn. 6.3.4) stellt der Schwache Linseneffekt eine gegenüber den traditionellen Methoden verschiedene und interessante Alternative zum Auffinden von Massenkonzentrationen dar.
Haufen – denn bei z ∼ 1 beträgt das Weltalter nur etwa die Hälfte des heutigen. Man sollte daher vielleicht eine Entwicklung von Haufeneigenschaften erwarten. Leuchtkraftfunktion. Zunächst betrachten wir die mitbewegte Anzahldichte von Haufen als Funktion der Rotverschiebung, oder genauer, die Entwicklung der Leuchtkraftfunktion von Haufen mit z. Wie die Abb. 6.40 zeigt, sind solche Entwicklungseffekte nicht sehr ausgeprägt, und nur bei den größten Leuchtkräften bzw. den massereichsten Haufen ist eine Entwicklung sichtbar. Diese zeigt sich darin, dass bei hoher Rotverschiebung Haufen mit sehr großer Leuchtkraft oder sehr großer Masse seltener sind als heute. Die Interpretation und die Bedeutung dieser Tatsache wird später diskutiert (siehe Abschn. 8.2.1).
Da man Galaxienhaufen inzwischen auch bei Rotverschiebungen z ∼ 1 und größer entdecken und untersuchen kann, stellt sich die Frage, ob diese Haufen die gleichen Eigenschaften besitzen wie die lokalen
Butcher–Oemler-Effekt. In Kapitel 3 hatten wir festgestellt, dass sich Frühtyp-Galaxien vornehmlich in Haufen und Gruppen befinden, während Spiralen im Wesentlichen Feldgalaxien sind. Beispielsweise enthält ein massereicher Haufen wie Coma nur zu etwa 10% Spiralen, der Rest der leuchtkräftigen Galaxien sind Ellipsen oder S0-Galaxien (siehe auch Abschn. 6.2.9). Neben der morphologischen Unterscheidung sind die Farben von Galaxien für ihre Charakterisierung sehr
Abb. 6.40. Röntgen-Leuchtkraftfunktion von Galaxienhaufen, wie sie in der Region um den Ekliptikalen Nordpol (NEP), dem Gebiet mit der längsten Belichtungszeit des ROSAT All Sky Surveys (siehe Abb. 6.25), gefunden wurden. Aufgetragen ist d N/d L X , die (mitbewegte) Anzahldichte pro Leuchtkraftintervall, für Haufen mit 0.02 ≤ z ≤ 0.3 (links) bzw. 0.3 ≤ z ≤ 0.85 (rechts); die Leuchtkraft wurde aus dem
Fluss im Energiebereich der Photonen von 0.5 keV bis 2 keV ermittelt. Die drei verschiedenen Kurven geben die lokale Leuchtkraftfunktion von Haufen an, wie sie in anderen Haufensurveys bei kleiner Rotverschiebung gefunden wurde. Man sieht, dass die Entwicklungseffekte der Leuchtkraftfunktion relativ klein sind und erst bei großen L X sichtbar werden
6.6
Entwicklungseffekte
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 272
nützlich: Frühtyp-Galaxien (Ellipsen und S0-Galaxien) haben wenig aktuelle Sternentstehung und bestehen daher hauptsächlich aus alten, daher massearmen, daher kühlen Sternen. Sie sind also rot, während Spiralen aktuelle Sternentstehung aufweisen und daher blauer sind. Der Anteil von blauen Galaxien in nahen Haufen ist sehr klein. Butcher und Oemler stellten fest, dass sich dies ändert, wenn man Galaxienhaufen bei höheren Rotverschiebungen betrachtet: Diese enthalten einen größeren Anteil von blauen Galaxien, also von Spiralen (siehe
Abb. 6.41). Das bedeutet, dass sich die Galaxienmischung mit der Zeit ändert. In Haufen müssen Spiralen mit zunehmender kosmischer Zeit seltener werden, z. B. sich in Frühtyp-Galaxien umwandeln. Eine plausible Möglichkeit ist, dass Spiralen ihr interstellares Gas verlieren. Da sie sich mit großer Geschwindigkeit durch das intergalaktische Gas (das die Röntgenstrahlung emittiert) bewegen, kann das ISM der Galaxien weggerissen werden und sich mit dem ICM vermischen. Dies ist allein schon daher plausibel, weil das ICM eine hohe Metallizität besitzt; diese Metalle können nur aus einer Sternpopulation kommen, also aus dem angereicherten Material des ISM von Galaxien. Weitere Hinweise auf Transformationen zwischen Galaxientypen werden später noch besprochen. Farben-Helligkeits-Diagramm. Trägt man die Farbe von Haufengalaxien gegen ihre Helligkeit auf, so findet man eine sehr gut definierte, fast waagerechte Sequenz (Abb. 6.42). Diese rote Sequenz (Red Cluster Sequence, RCS) wird bevölkert von den Frühtyp-Galaxien des Haufens. Die Streuung der Frühtyp-Galaxien um diese Sequenz ist sehr gering, was darauf schließen lässt, dass alle Frühtyp-Galaxien eines Haufens beinahe die
Abb. 6.41. Butcher–Oemler-Effekt: Im oberen Diagramm ist der Anteil von blauen Galaxien f b in einem Sample von 295 Galaxienhaufen als Funktion der Rotverschiebung des Haufens aufgetragen, wobei offene (gefüllte) Kreise Haufen mit photometrischer (spektroskopischer) Rotverschiebungsinformation bezeichnen. Das untere Diagramm zeigt eine Auswahl von Haufen mit spektroskopisch bestimmter Rotverschiebung und gut definierter Red Cluster Sequence. Zur Bestimmung von f b müssen Vordergrund- und Hintergrundgalaxien mittels Kontrollfeldern statistisch subtrahiert werden, was auch zu negativen Werten von f b führen kann. Man erkennt eine deutliche Zunahme von f b mit der Rotverschiebung, und eine Ausgleichsgerade durch die Datenpunkte ergibt f b = 1.34z − 0.03
Abb. 6.42. Farben-Helligkeits-Diagramm des Galaxienhaufens Abell 2390, aufgenommen mit dem HST. Stern-Symbole repräsentieren Frühtyp-Galaxien, wie sie aus der Morphologie identifiziert wurden, während die Diamanten andere Galaxien des Feldes darstellen. Die Red Cluster Sequence ist sehr deutlich erkennbar
6.6 Entwicklungseffekte 273
Abb. 6.43. Die Radiogalaxie LBDS 53W091 hat eine Rotverschiebung von z = 1.552 und besitzt eine sehr rote Lichtverteilung (R − K ≈ 5.8). Optische Spektroskopie der Galaxie ergibt die spektrale Lichtverteilung der UV-Emission im Ruhesystem der Galaxie. Das UV-Licht einer Sternpopulation wird fast vollständig von Sternen der Hauptreihe erzeugt – siehe Abb. 3.47. Oben links wird das Spektrum von LBDS 53W091 mit dem von verschiedenen F-Sternen verglichen; man erkennt, dass F6-Sterne die Lichtverteilung der Galaxie fast perfekt wiedergeben. Im unteren Bild sind synthetische Spektren aus Rechnungen der Populationssynthese mit dem beobachteten Spektrum verglichen. Eine Popula-
tion mit einem Alter von etwa 4 Gyr gibt den besten Fit an das beobachtete Spektrum; dieses ist auch mit der Lebensdauer von F6 Sternen vergleichbar: Die leuchtkräftigsten (noch existierenden) Sterne dominieren die Lichtverteilung einer Sternpopulation im UV. Zusammen ergibt sich also, dass diese Galaxie bei z = 1.552 mindestens 3 Gyr alt sein muss – anders ausgedrückt: Das Weltalter bei z = 1.55 muss mindestens 3 Gyr betragen. Im oberen rechten Bild ist das Weltalter bei z = 1.55 als Funktion von H0 und ΩΛ (für Ωm + ΩΛ = 1) dargestellt. Diese eine Galaxie ergibt daher signifikante Einschränkungen an die kosmologischen Parameter
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 274
gleiche, nur leicht von der Leuchtkraft abhängige Farbe haben. Noch überraschender ist vielleicht, dass die Farben-Helligkeits-Diagramme verschiedener Haufen gleicher Rotverschiebung eine sehr ähnliche rote Sequenz definieren: Haufengalaxien gleicher Rotverschiebung und gleicher Leuchtkraft besitzen praktisch die gleiche Farbe. Vergleicht man diese rote Sequenz bei Haufen verschiedener Rotverschiebung, so findet man, dass die rote Sequenz von Haufengalaxien umso röter ist, je größer die Rotverschiebung ist. In der Tat ist die Charakterisierung der roten Sequenz so genau, dass man allein aus dem Farben-Helligkeits-Diagramm eines Haufens die Rotverschiebung abschätzen kann, wobei man eine typische Genauigkeit von Δz ∼ 0.1 erzielt. Dabei hängt die Genauigkeit der abgeschätzten Rotverschiebung stark von der Wahl der Farbfilter ab: Da die wichtigste spektrale Signatur von Frühtyp-Galaxien der 4000 Å-Sprung ist, kann die Rotverschiebung dann am genauesten bestimmt werden, wenn diese Kante gerade zwischen zwei der benutzten Farbbänder fällt. Diese so gut definierte rote Sequenz ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Entwicklung von Galaxien. Aus Abschn. 3.9 wissen wir, dass die Zusammensetzung einer Sternpopulation von dem Massenspektrum bei ihrer Geburt (der initial mass function, IMF) und ihrem Alter abhängt: Je älter eine Population ist, umso roter wird sie. Die Tatsache, dass Haufengalaxien bei gleicher Rotverschiebung alle in etwa die gleiche Farbe aufweisen, deutet darauf hin, dass ihre
Sternpopulationen alle etwa gleich alt sind. Das einzige ausgezeichnete Alter ist aber das Weltalter selbst. Tatsächlich ist die Farbe von Haufengalaxien damit verträglich, dass ihre Sternpopulationen in etwa so alt sind wie das Weltalter bei der jeweiligen Rotverschiebung. Dies erklärt auch, warum die rote Sequenz bei höheren Rotverschiebungen zu blaueren Farben hin verschoben ist – dort war das Weltalter kleiner, die Sternpopulation war daher jünger. Dieser Effekt ist natürlich insbesondere bei großen Rotverschiebungen von Bedeutung. Die Tatsache, dass das Farben-HelligkeitsDiagramm der Frühtyp-Galaxien in Haufen nicht flach verläuft, sondern leuchtkräftigere Galaxien etwa roter sind, stammt aus der Abhängigkeit der Galaxienfarben von der Metallizität ihrer Sternpopulation. Je größer die Galaxienleuchtkraft, und daher ihre Sternmasse, umso größer ist auch ihre Metallizität. Tatsächlich kann man aus den Farben von Haufengalaxien sehr enge obere Schranken an deren Sternentstehung in jüngerer Zeit erhalten. Die Farbe von Haufengalaxien bei hoher Rotverschiebung gibt sogar interessante Einschränkungen an kosmologische Parameter – nur solche Modelle sind akzeptabel, die ein Weltalter (bei der jeweiligen Rotverschiebung) haben, das größer als das abgeschätzte Alter der Sternpopulation ist. Ein interessantes Beispiel dafür ist in Abb. 6.43 zu sehen. Aus diesen Beobachtungen schließt man daher, dass die Sterne, die sich in Haufengalaxien befinden, sich
Abb. 6.44. Der Galaxienhaufen MS1054−03, aufgenommen mit dem HST, ist der weitest entfernte Haufen des EMSSRöntgensurveys (z = 0.83). Die rötlichen Galaxien im linken Bild bilden eine beinahe lineare Struktur. Dieser Haufen ist keineswegs sphärisch, er ist nicht relaxiert. Die kleineren Bilder rechts zeigen Details der Aufnahme, auf denen Verschmelzungen von Galaxien sichtbar sind: In diesem Haufen kann das Merging von Galaxien direkt beobachtet werden
6.6 Entwicklungseffekte 275
Galaxienhaufen bei sehr hohen Rotverschiebungen. Die Suche nach Haufen bei hohen Rotverschiebungen ist von großem kosmologischen Interesse. Wie in Abschn. 7.5.2 gezeigt wird, ist die Anzahldichte von Haufen als Funktion von z stark vom kosmologischen Modell abhängig. Es besteht daher also eine Möglichkeit, kosmologische Parameter mit der Statistik von Galaxienhaufen einzuschränken. Die Suche nach Haufen im Optischen (also der Galaxienüberdichte) wird bei hohen z aufgrund der Projektionseffekte sehr viel schwieriger. Dennoch haben
mehrere Gruppen mit dieser Technik Haufen bei z ∼ 0.8 entdecken können. Insbesondere kann man die Überdichte von Galaxien in einem drei-dimensionalen Raum untersuchen, wenn man neben den Winkelkoordinaten auf der Sphäre noch die Farbe der Galaxien mitberücksichtigt. Wegen der roten Haufensequenz (Red Cluster Sequence) ist die Überdichte in diesem Raum sehr viel ausgeprägter als in der Himmelsprojektion allein. Projektionseffekte spielen eine wesentlich geringere Rolle bei einer Röntgensuche nach Haufen. Mit empfindlichen Röntgensatelliten wie ROSAT wurden einige Haufen mit z ∼ 1.2 gefunden (siehe Abb. 6.24). Die neuen Röntgensatelliten Chandra und XMM-Newton sind noch empfindlicher. Man erwartet daher, dass Haufen bei noch höherer Rotverschiebung gefunden werden können; ein Beispiel eines Haufens bei z = 1.393 ist in Abb. 6.45 gezeigt. Dieses Beispiel zeigt, dass eine Kombination von tiefen Röntgenaufnahmen mit optischen und NIR-Beobachtungen eine effiziente Methode
Abb. 6.45. Der Galaxienhaufen XMMU J2235.2−2557 wurde im Gesichtsfeld einer XMM-Newton-Aufnahme entdeckt, die eine andere Quelle als eigentliches Ziel hatte. Das linke Bild zeigt die Röntgenkonturen, superponiert auf einer R-Band Aufnahme, während das rechte Bild den zentralen Ausschnitt zeigt, diesmal einer K-Band Aufnahme überlagert. Galaxien im Feld zeigen eine Red Cluster Sequence,
wenn die Farbe in R − z gemessen wird. Die Symbole bezeichnen Galaxien mit Rotverschiebung 1.37 < z < 1.40. Die starke Röntgenquelle rechts oberhalb des Haufens ist eine Seyfert-Galaxie bei kleinerer Rotverschiebung. Der Haufen ist der zurzeit am weitesten entferne Röntgen-selektierte Haufen, besitzt eine Temperatur von ∼ 6 keV und eine Geschwindigkeitsdispersion von σ ∼ 750 km/s
zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Universum gebildet haben. Das bedeutet aber nicht zwangsweise, dass die Galaxien selbst ebenso alt sind, denn durch Verschmelzungsprozesse (siehe Abb. 6.44) können sich Galaxien ineinander transformieren. Das ändert die Morphologie der Galaxien, besagt aber zunächst nichts über deren Sternpopulationen.
6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen 276
Abb. 6.46. Die am weitesten entfernte bekannte Gruppierung von Galaxien: Das Gebiet um die Radiogalaxie TN J1338−1942 (z = 4.1) wurde nach Galaxien gleicher Rotverschiebung untersucht; 20 solcher Galaxien wurden mit
dem VLT gefunden (eingekreist im linken Bild). Für 10 dieser Galaxien sind rechts die Spektren dargestellt; die LyαEmissionslinie ist in allen klar zu erkennen. Galaxiengruppen bilden sich also bereits in der Frühphase des Universums
zur Erstellung einer Stichprobe von entfernten Haufen darstellt. Auch durch optische Methoden können Galaxienkonzentrationen mit sehr hoher Rotverschiebung gefunden werden. Ein Ansatz dazu besteht in der Annahme, dass sich leuchtkräftige AGNs hoher Rotverschiebung in Gebieten stark erhöhter Dichte aufhalten, wie man das aus Modellen der Galaxienentwicklung auch erwarten würde. Aus der Rotverschiebung des AGNs ergibt sich dann die Rotverschiebung der Galaxien, nach denen man in seiner Umgebung suchen sollte. Tatsächlich sind solche Suchen recht erfolgreich; man kann sie etwa mit Schmalbandfilter-Photometrie
durchführen, wobei der Filter auf die rotverschobene Lyα-Linie zentriert wird. Kandidaten müssen danach spektroskopisch verifiziert werden. Ein Beispiel für eine starke Galaxienkonzentration bei z = 4.1 ist in der Abb. 6.46 gezeigt. Allerdings ist die starke räumliche Konzentration noch nicht ausreichend, um von einem Galaxienhaufen zu sprechen, denn es ist keineswegs klar, ob es sich hierbei um ein gravitativ gebundenes System von Galaxien (und entsprechender Dunkler Materie) handelt. Vielmehr gelten solche Galaxienkonzentrationen als Vorläufer von Galaxienhaufen, die sich erst in der zukünftigen kosmischen Entwicklung zu gebundenen Systemen entwickeln.
277
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 7.1
Einleitung
In Kapitel 4 haben wir homogene Weltmodelle diskutiert und das Standard-Modell der Kosmologie vorgestellt. Es basiert auf dem kosmologischen Prinzip, der Annahme eines (räumlich) homogenen und isotropen Universums. Die Annahme der Homogenität ist natürlich nur auf großen Skalen gerechtfertigt, denn wir beobachten, dass das Universum auf kleinen Skalen inhomogen ist – denn sonst gäbe es keine Galaxien oder Sterne. Die Verteilung der Galaxien am Himmel ist nicht gleichförmig oder zufällig (siehe Abb. 6.1), sondern sie bilden Galaxienhaufen und -gruppen. Auch Galaxienhaufen sind nicht gleichförmig verteilt, sondern korreliert; sie finden sich zusammen zu Superhaufen (superclusters). Die drei-dimensionale Verteilung von Galaxien, wie sie aus Rotverschiebungsdurchmusterungen gewonnen wird, zeigt eine interessante großräumige Struktur, wie dies in der Abb. 7.1 anhand des two-degree-Field Galaxy Redshift Surveys (2dFGRS) demonstriert ist. Auch noch größere Strukturen wurden entdeckt. Die Great Wall ist eine Galaxienstruktur mit einer Ausdehnung von ∼ 100h −1 Mpc, die in einem Rotverschiebungssurvey von Galaxien gefunden worden ist (Abb. 7.2). Solche Surveys haben auch zur Entdeckung
der sog. Voids geführt, beinahe sphärische Gebiete, die praktisch keine (hellen) Galaxien enthalten und deren Durchmesser typischerweise 50h −1 Mpc beträgt. Die Entdeckung solch großskaliger Inhomogenitäten wirft die Frage auf, ob es vielleicht noch größere Strukturen im Universum gibt, oder präziser: Gibt es eine Skala derart, dass über sie gemittelt das Universum homogen erscheint? Die Existenz einer solchen Skala ist eine Voraussetzung dafür, dass die homogenen Weltmodelle eine realistische Beschreibung des mittleren Verhaltens des Universums liefern. Es gibt z. Zt. keine Anzeichen für Strukturen mit linearer Dimension 100h −1 Mpc, wie man auch aus der Abb. 7.1 erkennen kann. Also scheint das Universum im Wesentlichen homogen zu sein, wenn man über Skalen von R ∼ 200h −1 Mpc mittelt. Diese ,,Homogenitätsskala“ muss man mit dem Hubble-Radius RH ≡ c/H0 ≈ 3000h −1 Mpc vergleichen. Daraus folgt also R c/H0 , so dass es nach dieser Mittelung noch [(c/H0 )/R]3 ∼ (15)3 ∼ 3000 unabhängige Volumenelemente pro Hubble-Volumen gibt. Das rechtfertigt die Näherung eines homogenen Weltmodells in der Behandlung der mittleren Geschichte des Universums. Auf kleinen Skalen ist das Universum inhomogen. Hinweise dafür bieten die am Himmel projizierte Galaxienverteilung, die 3-dimensionale Galaxienverteilung,
Abb. 7.1. Die Verteilung der Galaxien im vollständigen 2dF-Galaxiensurvey; in radialer Richtung ist die Fluchtgeschwindigkeit bzw. die Rotverschiebung aufgetragen, als Winkel die Rektaszension. In diesem Survey sind weit mehr als 350 000 Spektren aufgenommen worden, und die Verteilung von mehr als 200 000 Galaxien mit verlässlicher Rotverschiebung ist hier eingezeichnet. Die Daten des vollständigen Surveys sind öffentlich zugänglich
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 278
werden, wachsen Dichtestörungen mit der Zeit an. Man definiert den relativen Dichtekontrast δ(r, t) :=
Abb. 7.2. Die Great Wall: In einem RotverschiebungsSurvey von Galaxien mit einer Fluchtgeschwindigkeit von cz ≤ 15 000 km/s wurde eine Galaxienstruktur entdeckt, die sich bei der Rotverschiebung cz ∼ 6000 km/s und in der Rektaszension zwischen 9h ≤ α ≤ 16h befindet. Dargestellt sind Galaxien mit 8.5◦ ≤ δ ≤ 42◦
wie sie aus Rotverschiebungssurveys ermittelt wird, die Existenz von Galaxienhaufen, Superhaufen, ,,Great Walls“ und Voids. Zusätzlich zeigt die Anisotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung (CMB), mit relativen Fluktuationen von ΔT/T ∼ 10−5 , dass das Universum schon bei der Rotverschiebung z ∼ 1000 kleine Inhomogenitäten aufgewiesen hat, auf die wir noch genauer in Abschn. 8.6 eingehen werden. In diesem Kapitel wird die Entwicklung von solchen Dichteinhomogenitäten und ihre Beschreibung untersucht.
7.2
Gravitative Instabilität
7.2.1
Überblick
Die Kleinheit der CMB-Anisotropie (ΔT/T ∼ 10−5 ; siehe Abschn. 8.6) legt nahe, dass die Dichteinhomogenitäten bei der Rotverschiebung z ∼ 1000 – denn aus dieser Zeit stammen die CMB-Photonen – sehr kleine Amplituden hatten. Heute sind die Amplituden der Dichteinhomogenitäten wesentlich größer; beispielsweise enthält ein massereicher Galaxienhaufen innerhalb eines Radius von ∼ 1.5h −1 Mpc mehr als 200 Mal so viel Masse wie eine mittlere Kugel dieses Radius im Universum. Dabei handelt es sich daher nicht mehr um kleine Dichtefluktuationen. Offensichtlich ist das Universum im Laufe seiner Entwicklung inhomogener geworden; wie wir sehen
ρ(r, t) − ρ(t) ¯ , ρ(t) ¯
(7.1)
wobei ρ(t) die mittlere kosmische Materiedichte im ¯ Universum zur Zeit t bezeichnet. Aus der Definition von δ liest man sofort ab, dass δ ≥ −1, da ρ ≥ 0. Die Kleinheit der CMB-Anisotropie legt nahe, dass |δ| 1 bei z ∼ 1000. Das Gravitationsfeld der mittleren Massendichte ρ(t) kontrolliert die Dynamik ¯ der kosmischen Hubble-Expansion, während Dichtefluktuationen Δρ(r, t) = ρ(r, t) − ρ(t) ¯ ein zusätzliches Gravitationsfeld erzeugen. Wir werden uns hier nur für sehr schwache Gravitationsfelder interessieren, für die die Newtonsche Beschreibung der Gravitation anwendbar ist. Da die Poisson-Gleichung, welche die Beziehung zwischen der Materiedichte und dem Gravitationspotential angibt, linear ist, kann man die Effekte der homogenen Materieverteilung und der Dichtefluktuationen getrennt behandeln. Das Gravitationsfeld der gesamten Materieverteilung ist dann die Summe des Feldes der mittleren Materieverteilung und dem der Dichtefluktuationen. Betrachten wir ein Gebiet, in dem Δρ > 0, also δ > 0 ist, so ist dort das Gravitationsfeld stärker als im kosmischen Mittel. Ein überdichtes Gebiet erzeugt ein stärkeres Gravitationsfeld, als es der mittleren Hubble-Expansion entspricht. Durch diese zusätzliche Selbstgravitation expandiert das überdichte Gebiet langsamer als die mittlere Hubble-Expansion. Wegen der verlangsamten Expansion nimmt die Dichte in diesem Gebiet auch langsamer ab als im kosmischen Mittel, ρ(t) ¯ = (1 + z)3 ρ0 = a−3 (t)ρ0 , und daher steigt der Dichtekontrast dort an. Dies wiederum impliziert, dass die relative Dichte anwächst, diese erzeugt ein noch stärkeres Gravitationsfeld ... es ist offensichtlich, dass dies eine instabile Situation darstellt. Man kann natürlich auch umgekehrt argumentieren: In einem unterdichten Gebiet mit δ < 0 ist das dort erzeugte Gravitationsfeld schwächer als im kosmischen Mittel und daher die Selbstgravitation schwächer, als es der Hubble-Expansion entspricht. Dort wird die Expansion weniger stark gebremst als im kosmischen Mittel, das unterdichte Gebiet expandiert schneller als die HubbleExpansion, und dadurch nimmt die Dichte dort schneller
7.2 Gravitative Instabilität 279
ab als im Mittel. Dadurch nimmt der Dichtekontrast ab, d. h. δ wird negativer mit der Zeit.
schrieben durch die Flüssigkeitsnäherung, wobei das Geschwindigkeitsfeld dieser Flüssigkeit v(r, t) sei.1
Dichtefluktuationen wachsen zeitlich an aufgrund ihrer Selbstgravitation; überdichte Gebiete erhöhen mit der Zeit ihren Dichtekontrast, unterdichte Gebiete verkleinern ihren Dichtekontrast. In beiden Fällen wächst |δ| an. Dieser Effekt der gravitativen Instabilität führt daher zu einem Anwachsen der Dichtefluktuationen mit der Zeit. Die Entwicklung der Strukturen im Universum wird mit diesem Modell der gravitativen Instabilität beschrieben.
Bewegungsgleichungen. Das Verhalten dieser Flüssigkeit wird beschrieben durch die Kontinuitätsgleichung ∂ρ + ∇ · (ρ v) = 0 , (7.2) ∂t die besagt, dass Materie erhalten bleibt: Die Dichte nimmt ab, wenn die Flüssigkeit ein divergentes Geschwindigkeitsfeld hat (also Teilchen voneinander weg strömen); umgekehrt führt ein konvergentes Geschwindigkeitsfeld zur Erhöhung der Dichte. Weiterhin gilt die Euler-Gleichung ∂v ∇P + (v · ∇) v = − − ∇Φ , (7.3) ∂t ρ die die Impulserhaltung und das Verhalten der Flüssigkeit unter dem Einfluss von Kräften beschreibt. Die linke Seite von (7.3) ist die zeitliche Ableitung der Geschwindigkeit, die von einem Beobachter gemessen würde, der mit der Strömung schwimmt, denn ∂v/∂t ist die Ableitung an einem festen Raumpunkt, während die gesamte linke Seite von (7.3) die zeitliche Ableitung der Geschwindigkeit, gemessen entlang der Strömungskurve, ist. Diese wird beeinflusst vom Druckgradienten und vom Gravitationsfeld Φ, welches die Poisson-Gleichung erfüllt,
Im Rahmen dieses Modells kann man die Entwicklung der Strukturen im Universum verstehen. Wir werden in diesem Kapitel die Strukturbildung quantitativ beschreiben. Dazu gehört zum einen die Untersuchung der zeitlichen Entwicklung von Dichtestörungen, zum andern eine statistische Beschreibung solcher Dichtefluktuationen. Wir werden dann sehen, dass die Entwicklung der Inhomogenitäten direkt beobachtbar ist, dass also das Universum bei höheren Rotverschiebungen weniger inhomogen war als es heute ist. Da die Entwicklung der Störungen vom kosmologischen Modell abhängt, werden wir zu untersuchen haben, ob man diese Entwicklung nicht zur Abschätzung kosmologischer Parameter benutzen kann, und wir werden diese Frage in Kapitel 8 positiv beantworten. Schließlich werden wir die Frage nach dem Ursprung der Dichtefluktuationen anreißen.
7.2.2
Lineare Störungstheorie
Wir betrachten zunächst das Anwachsen von Dichtestörungen. Dabei werden wir uns zunächst auf Längenskalen konzentrieren, die sehr viel kleiner als der Hubble-Radius sind. Auf solchen Skalen kann dieses Anwachsen im Rahmen der Newtonschen Gravitationstheorie beschrieben werden. Erst bei Dichtestörungen auf Längenskalen, die von der Größenordnung des Hubble-Radius sind, spielen Krümmungseffekte der Raumzeit und daher Effekte der Allgemeinen Relativitätstheorie eine Rolle. Weiterhin nehmen wir zur Vereinfachung an, dass die Materie im Universum nur aus Staub (also druckfreier Materie) besteht, dessen Dichte ρ(r, t) sei. Der Staub werde be-
∇ 2 Φ = 4πGρ .
(7.4)
Da wir hier nur Staub betrachten, verschwindet der Druck, P ≡ 0. Diese drei Gleichungen zur Beschreibung einer selbstgravitierenden Flüssigkeit können i. A. nicht gelöst werden. Wir werden allerdings zeigen, dass eine spezielle und kosmologisch relevante exakte Lösung gefunden werden kann und dass im 1 Streng
genommen kann der kosmische Staub nicht als Flüssigkeit beschrieben werden, denn die Materie wird als stoßfrei angenommen. Das bedeutet, zwischen den einzelnen Teilchen des Staubs findet keine Wechselwirkung statt außer der Gravitation. Zwei Ströme von solchem Staub können sich also durchdringen. Diese Situation kann nun verglichen werden mit der einer Flüssigkeit, in der die Moleküle miteinander durch Stöße wechselwirken. Diese Stöße bewirken, dass die Geschwindigkeitsverteilung der Moleküle an jedem Ort in etwa eine Maxwell-Verteilung annimmt, mit einer wohldefinierten mittleren Geschwindigkeit, die dann die Strömungsgeschwindigkeit an diesem Punkt darstellt. Eine solche eindeutige Geschwindigkeit gibt es bei Staub nicht. Allerdings sind zu frühen Zeiten, wenn die Abweichungen vom Hubble-Fluss noch sehr klein sind, keine Mehrfachströme zu erwarten, so dass in diesem Fall das Geschwindigkeitsfeld eindeutig gegeben ist.
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 280
aufgrund der Expansion. Ebenfalls schreibt man das Geschwindigkeitsfeld in der Form r a˙ v(r, t) = r + u , t , (7.5) a a wobei u(x, t) eine Funktion der mitbewegten Koordinate x ist. In (7.5) beschreibt der erste Term die homogene Hubble-Expansion, während der zweite Term die Abweichungen von dieser homogenen Expansion beschreibt. Aus diesem Grunde nennt man u die Pekuliargeschwindigkeit.
Abb. 7.3. Wachstumsfaktor D+ für drei verschiedene kosmologische Modelle, als Funktion des Skalenfaktors a (links) und als Funktion der Rotverschiebung (rechts). Deutlich zu sehen ist, wie schnell D+ für wachsende Rotverschiebungen im EdS-Modell relativ zu den Modellen kleiner Dichte abfällt
Rahmen einer Linearisierung des Gleichungssystems Näherungslösungen für |δ| 1 konstruiert werden können. Hubble-Expansion. Die spezielle exakte Lösung ist die Strömung, die wir schon in Kapitel 4 kennen gelernt haben: der homogen expandierende Kosmos. Durch Einsetzen in die obigen Gleichungen kann man leicht zeigen, dass v(r, t) = H(t)r eine Lösung der Gleichungen ist, wenn ρ homogen ist, der Gleichung (4.11) genügt und die Friedmann-Gleichung (4.13) für den Skalenfaktor gilt. Solange der Dichtekonstrast |δ| 1, sind die Abweichungen des Geschwindigkeitsfeldes von der Hubble-Expansion klein. Man erwartet daher, dass für diesen Fall solche Lösungen der obigen Gleichungen relevant sind, die nur wenig von der homogenen Lösung abweichen. Es ist zweckmäßig, das Problem in mitbewegten Koordinaten zu betrachten; wie in (4.4) definiert man daher r = a(t) x . Im homogenen Kosmos ist x für jedes Materieteilchen konstant, und seine räumliche Position r ändert sich nur
Umschreiben der Flüssigkeitsgleichungen auf mitbewegte Koordinaten. Wir zeigen hier, wie die obigen Gleichungen in mitbewegten Koordinaten lauten. Dazu sei zuerst bemerkt, dass die partielle Ableitung ∂/∂t in (7.2) eine Ableitung nach der Zeit bei festem r bedeutet. Wenn die Gleichungen in mitbewegten Koordinaten geschrieben werden sollen, muss man diese partielle zeitliche Ableitung in eine solche umschreiben, bei der dann x festgehalten wird. Beispielsweise gilt r ∂ ∂ ρ(r, t) = ρx ,t ∂t r ∂t r a ∂ a˙ = ρx (x, t) − x · ∇x ρx (x, t) , ∂t x a (7.6) wobei ∇x der Gradient bezüglich mitbewegter Koordinaten ist und wir die Funktion ρx (x, t) ≡ ρ(ax, t) definiert haben. Nach Ausführung der Umrechnungen wird (7.2) zu 1 ∂ρ 3a˙ + ρ + ∇ · (ρu) = 0 , ∂t a a
(7.7)
wobei von nun an alle räumlichen Ableitungen bezüglich x zu nehmen sind, wir nun ρ ≡ ρx und δ ≡ δ(x, t) setzen und die partielle zeitliche Ableitung bei festem x zu verstehen ist. Setzt man nun ρ = ρ(1 ¯ + δ) und benutzt ρ¯ ∝ a−3 , wird (7.7) zu ∂δ 1 + ∇ · [(1 + δ) u] = 0 . ∂t a
(7.8)
Entsprechend schreibt man das Gravitationspotential Φ als Φ(r, t) =
2π 2 G ρ(t)|r| + φ(x, t) ; ¯ 3
(7.9)
7.2 Gravitative Instabilität 281
der erste Term ist das Newtonsche Potential für eine homogene Massendichte, während φ die PoissonGleichung für die Dichteinhomogenitäten erfüllt, ∇ 2 φ(x, t) = 4πGa2 (t)ρ(t)δ(x, t) . ¯
(7.10)
Dann wird die Euler-Gleichung (7.3) zu a˙ 1 ∂u u · ∇ 1 + u + u = − ∇ P − ∇φ , ∂t a a a ρ¯ a
(7.11)
wobei (4.13) benutzt wurde. Linearisierung. Im homogenen Fall ist δ ≡ 0, u ≡ 0, φ ≡ 0, ρ = ρ, ¯ und aus (7.7) folgt dann ρ˙¯ + 3H ρ¯ = 0, was für P = 0 auch sofort aus (4.17) folgt. Wir suchen nun Näherungslösungen des obigen Gleichungssystems, die nur eine kleine Abweichung von dieser homogenen Lösung beschreiben. Aus diesem Grunde betrachten wir nur Terme der Gleichungen, die von erster Ordnung in den kleinen Parametern δ und u sind, d. h. wir vernachlässigen Terme, die uδ oder die Geschwindigkeit u quadratisch enthalten. Nach dieser Linearisierung kann man die Pekuliargeschwindigkeit u und das Gravitationspotential φ aus den Gleichungen eliminieren2 und erhält damit eine Differentialgleichung zweiter Ordnung für den Dichtekontrast δ, ∂ 2 δ 2a˙ ∂δ = 4πG ρδ + ¯ . ∂t 2 a ∂t
(7.12)
Dabei ist bemerkenswert, dass diese Gleichung weder Ableitungen nach den räumlichen Koordinaten enthält, noch die Koeffizienten der Gleichung von x abhängen. Deshalb hat (7.12) Lösungen der Form δ(x, t) = D(t) δ˜ (x) , d. h. die räumliche und die zeitliche Abhängigkeit faktorisieren in diesen Lösungen. Dabei ist δ˜ (x) eine beliebige Funktion des Ortes, und die Funktion D(t) erfüllt die Gleichung 2a˙ D¨ + D˙ − 4πG ρ(t) ¯ D=0. a
(7.13)
2 Dazu wird die linearisierte Form der Gleichung (7.8), ∂δ/∂t + a−1 ∇ ·
u = 0 nach der Zeit differenziert und mit der Divergenz der linearisierten Form der Gleichung (7.11) für den druckfreien Fall, ∂u/∂t + Hu = −a−1 ∇φ, verknüpft. Schließlich wird der Laplace-Operator auf φ durch die Poisson-Gleichung (7.10) ersetzt.
Der Wachstumsfaktor. Die Differentialgleichung (7.13) hat zwei linear unabhängige Lösungen. Man kann zeigen, dass eine davon mit der Zeit anwächst, während die andere mit der Zeit abfällt. Wenn zu einem frühen Zeitpunkt beide funktionalen Abhängigkeiten vorhanden gewesen sind, so wird nach einiger Zeit die anwachsende Lösung dominieren, während die mit t fallende Lösung irrelevant wird. Wir betrachten deshalb nur diese anwachsende Lösung, die als D+ (t) bezeichnet wird, und normieren diese so, dass D+ (t0 ) = 1. Daraus folgt für den Dichtekontrast δ(x, t) = D+ (t) δ0 (x) .
(7.14)
Aus dieser mathematischen Betrachtung können bereits eine ganze Reihe von Schlüssen gezogen werden. Als erstes zeigt die Lösung (7.14), dass in der linearen Störungstheorie die räumliche Form der Dichtefluktuationen in mitbewegten Koordinaten eingefroren ist und nur ihre Amplitude anwächst. Der Wachstumsfaktor (growth factor) D+ (t) der Amplitude gehorcht einer einfachen Differentialgleichung, die für jedes kosmologische Modell leicht gelöst werden kann.3 Entsprechend D+ (t0 ) = 1 wäre δ0 (x) die Verteilung der Dichtefluktuationen heute, wenn die Entwicklung in der Tat bis heute linear verlaufen würde. Man bezeichnet δ0 (x) daher als linear extrapoliertes Dichtefluktuationsfeld. Allerdings bricht die lineare Näherung zusammen, wenn |δ| von der Größenordnung 1 wird. Dann sind die oben vernachlässigten Terme nicht mehr klein und müssen berücksichtigt werden. Das Problem wird dann wesentlich schwieriger und ist analytisch nicht mehr handhabbar, sondern man ist i. A. auf numerische Verfahren zur Untersuchung des Anwachsens von Dichtestörungen angewiesen. Nebenbei sei noch einmal bemerkt, dass bei großen Dichtestörungen die Flüssigkeitsnäherung nicht mehr gültig ist und dass wir bisher ein materiedominiertes Universum angenommen haben. Zu frühen Zeiten, d. h. für z z eq (siehe Gl. 4.54), ist diese Annahme nicht mehr gegeben, und die obi3 Man
kann zeigen, dass für beliebige Werte der Dichteparameter in Materie und Vakuumsenergie der Wachstumsfaktor die Form D+ (a) ∝
H(t) H0
a 0
da
3/2 Ωm /a + ΩΛ a2 − (Ωm + ΩΛ − 1)
besitzt, wobei der Proportionalitätsfaktor aus der Bedingung D+ (t0 ) = 1 bestimmt wird.
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 282
gen Gleichungen müssen für diese frühen Epochen modifiziert werden. Beispiel: Einstein–de-Sitter-Universum. Für den speziellen Fall eines Universums mit Ωm = 1, ΩΛ = 0 kann man (7.13) explizit lösen. In diesem Fall ist a(t) = (t/t0 )2/3 , so dass 3H02 t −2 a˙ 2 = , und ρ(t) ; ¯ = a−3 ρcr = a 3t 8πG t0 weiterhin ist in diesem Modell t0 H0 = 2/3, so dass sich (7.13) spezialisiert auf 4 2 D¨ + D˙ − 2 D = 0 . (7.15) 3t 3t Diese Gleichung kann leicht gelöst werden, indem man als Ansatz D ∝ t q probiert.4 Einsetzen in (7.15) ergibt eine quadratische Gleichung für q, 4 2 q(q − 1) + q − = 0 , 3 3 mit den Lösungen q = 2/3 und q = −1. Die letztere Lösung entspricht zeitlich abnehmenden Fluktuationen und soll daher nicht weiter betrachtet werden. Also finden wir für das Einstein–de-Sitter-Universum die wachsende Lösung 2/3 t D+ (t) = = a(t) , (7.16) t0 d. h. in diesem Fall ist der Wachstumsfaktor gleich dem Skalenfaktor. Bei anderen kosmologischen Parametern ist das nicht mehr der Fall, aber das qualitative Verhalten ist sehr ähnlich und ist für drei Modelle in Abb. 7.3 dargestellt. Insbesondere können Fluktuationen seit der Rekombination bei z ∼ 1000, woher die CMB-Photonen stammen, bis heute um etwa einen Faktor ∼ 1000 anwachsen. Evidenz für Dunkle Materie auf kosmischen Skalen. Heute ist sicherlich δ 1 auf Skalen von Galaxienhaufen (∼ 2 Mpc) und δ ∼ 1 auf Skalen von Superhaufen (∼ 10 Mpc). Daher sollte man wegen (7.14) in Verbindung mit Abb. 7.3 δ 10−3 bei z = 1000 erwarten, damit diese Störungen bis heute auf nichtlineare Strukturen anwachsen können. Aus diesem Grunde würde 4 Dieser
Ansatz wird nahegelegt, weil die Gleichung (7.15) äquidimensional in t ist, d. h. jeder Term hat die Dimension von D/(Zeit)2 .
man ebenfalls erwarten, dass die CMB-Fluktuationen von ähnlicher Größenordnung sind, ΔT/T 10−3 . Beobachtet wird aber ΔT/T ∼ 10−5 . Die zugehörigen Dichtefluktuationen können bis heute nicht genügend stark anwachsen, um nichtlineare Strukturen zu bilden. Dieser Widerspruch kann durch die Dominanz von Dunkler Materie aufgelöst werden, denn da Photonen nur mit der baryonischen Materie wechselwirken, sagt die CMB-Anisotropie (zumindest auf Winkelskalen unterhalb von ∼ 1◦ ) im Wesentlichen etwas über deren Dichtekontrast aus. Die Dunkle Materie kann bei der Rekombination einen größeren Dichtekontrast haben und Potentialtöpfe bilden, in die nach der Rekombination die Baryonen ,,hineinfallen“ können.
7.3
Beschreibung der Dichtefluktuationen
Wir wollen nun die Frage untersuchen, wie man ein inhomogenes Universum beschreibt. Diese Aufgabe klingt zunächst einfacher, als sie in Wirklichkeit ist. Denn man muss sich im Klaren darüber sein, dass das Ziel einer solchen theoretischen Beschreibung nicht sein kann, die vollständige Funktion δ(x, t) für ein bestimmtes Universum zu beschreiben. Kein Modell des Universums wird etwa die Materieverteilung in der Nähe der Milchstraße im Detail beschreiben können. Zum Beispiel wird kein Modell, ausgehend von den physikalischen Gesetzen, vorhersagen können, dass sich im Abstand von ∼ 800 kpc von der Galaxis eine weitere massereiche Spiralgalaxie befindet. Was man bestenfalls erhoffen kann, ist eine Vorhersage der statistischen Eigenschaften der Materieverteilung, wie beispielsweise die mittlere Anzahldichte von Galaxienhaufen oberhalb einer bestimmten Masse, oder die Wahrscheinlichkeit, dass es innerhalb eines Abstands von 800 kpc einer massereichen Spiralgalaxie eine weitere gibt. Genauso können numerische Modellrechnungen des Universums (s. u.) nicht unser Universum reproduzieren, sondern bestenfalls kosmologische Modelle erzeugen, die die gleichen statistischen Eigenschaften wie unser Universum besitzen. Nun ist ziemlich offensichtlich, dass es eine sehr große Menge statistischer Eigenschaften des Dichtefeldes gibt, die wir alle betrachten können und von
7.3 Beschreibung der Dichtefluktuationen 283
denen wir hoffen, dass sie durch das richtige Modell der Strukturbildung im Universum quantitativ erklärt werden. Damit überhaupt Fortschritt erzielt werden kann, muss man die statistischen Eigenschaften ,,sortieren“ oder klassifizieren. Wie kann man die statistischen Eigenschaften eines Dichtefeldes beschreiben? Man betrachtet zwei Universen, deren Dichtefelder δ die gleichen statistischen Eigenschaften haben, als äquivalent. Man könnte sich dann vorstellen, ein ganzes (statistisches) Ensemble von Universen zu betrachten, deren Dichtefelder alle die gleichen statistischen Eigenschaften haben, wobei jede einzelne Funktion δ(x) verschieden ist. Man bezeichnet dieses statistische Ensemble als Zufallsfeld, und jede spezielle Verteilung, die alle entsprechenden statistischen Eigenschaften besitzt, als Realisation des Zufallfeldes. Ein Beispiel mag diese Konzepte verdeutlichen. Wir betrachten die Wellen auf einem großen See. Die statistischen Eigenschaften der Wellen – etwa wie viele gibt es mit einer bestimmten Wellenlänge, und wie groß ist ihre Amplitude – hängen von der Form des Sees, seiner Tiefe und der Stärke und Richtung des Windes ab, der über seine Oberfläche streift. Wenn wir nun annehmen, die Windverhältnisse ändern sich zeitlich nicht, dann sind die statistischen Eigenschaften der Wasseroberfläche zeitlich konstant. Das heißt aber keineswegs, dass die Amplitude der Oberfläche als Funktion des Ortes konstant ist. Vielmehr bedeutet es, dass zwei Photographien der Oberfläche, die zu verschiedenen Zeiten aufgenommen werden, statistisch nicht unterschieden werden können: Die Verteilung der Amplituden der Wellen wird die gleiche sein, und es gibt keine Möglichkeit zu entscheiden, welche der beiden Aufnahmen zuerst gemacht wurde. Mit genügend genauer Kenntnis der Topographie und der Windverhältnisse wird man die Verteilung der Amplituden der Wellen berechnen können, aber es gibt keinerlei Möglichkeit, die Amplitude der Wasseroberfläche als Funktion des Ortes zu einem bestimmten Zeitpunkt vorherzusagen. Jede Aufnahme des Sees ist eine Realisierung des Zufallsfeldes, welches durch die statistischen Eigenschaften der Wellen charakterisiert ist. 7.3.1
Korrelationsfunktionen
Galaxien sind nicht zufällig im Raum verteilt, sondern befinden sich häufig in Gruppen, Haufen oder größe-
ren Strukturen. Anders ausgedrückt bedeutet das, dass die Wahrscheinlichkeit, am Ort x eine Galaxie zu finden, nicht unabhängig davon ist, eine Galaxie in der Nähe von x zu finden. Es ist wahrscheinlicher, eine Galaxie in der Nähe einer anderen Galaxie zu finden als an einem beliebigen Punkt. Dieses Phänomen wird so beschrieben, dass man zwei Punkte x und y betrachtet und zwei Volumenelemente dV an diesen beiden Orten. Falls n¯ die mittlere Dichte von Galaxien ist, so ist die Wahrscheinlichkeit, im Volumenelement dV um x eine Galaxie zu finden, P1 = n¯ dV , unabhängig von x, wenn wir annehmen, dass das Universum statistisch homogen ist. Wir wählen dV so, dass P1 1, die Wahrscheinlichkeit also verschwindend gering ist, in diesem Volumenelement zwei oder mehr Galaxien zu finden. Die Wahrscheinlichkeit, eine Galaxie im Volumenelement dV am Ort x und gleichzeitig eine Galaxie im Volumenelement dV am Ort y zu finden, ist dann
2 (7.17) P2 = n¯ dV 1 + ξg (x, y) . Wenn die Verteilung der Galaxien unkorreliert wäre, dann ergäbe sich die Wahrscheinlichkeit P2 einfach als Produkt der Wahrscheinlichkeiten P1 , am Ort x und am Ort y jeweils eine Galaxie in den Volumenelementen dV zu finden, P2 = P12 . Da die Verteilung aber korreliert ist, gilt diese einfache Beziehung nicht, sondern muss korrigiert werden, wie dies in (7.17) geschehen ist. Durch (7.17) wird die Zwei-Punkt-Korrelationsfunktion (oder oftmals kurz: Korrelationsfunktion) der Galaxien ξg (x, y) definiert. Analog dazu kann auch die Korrelationsfunktion der gesamten Materie definiert werden durch ρ(x) ρ(y) = ρ¯ 2 [1 + δ(x)] [1 + δ(y)] = ρ¯ 2 (1 + δ(x) δ(y)) =: ρ¯ 2 [1 + ξ(x, y)] ,
(7.18)
da der Mittelwert (oder Erwartungswert) δ(x) = 0 für alle Orte x. In diesen Gleichungen bedeuten die spitzen Klammern eine Mittelung über ein Ensemble von Verteilungen, die alle die gleichen statistischen Eigenschaften besitzen. In unserem Beispiel des Sees würde man die
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 284
Korrelationsfunktion der Wellenamplituden an den Orten x und y beispielsweise so ermitteln, dass man sehr viele Photographien seiner Oberfläche betrachtet und das Produkt der Amplituden an diesen beiden Orten über diese Realisationen mittelt. Da das Universum als statistisch homogen betrachtet wird, kann ξ nur von der Differenz x − y abhängen, nicht aber von x und y individuell. Weiterhin kann aufgrund der angenommenen statistischen Isotropie des Universums ξ nur vom Abstand r = |x − y| abhängen, nicht aber von der Richtung des Abstandsvektors x − y. Daher ist ξ = ξ(r) nur eine Funktion des Abstands zweier Punkte. Bei einem homogenen Zufallsfeld kann dann die Ensemble-Mittelung durch ein räumliches Mittel ersetzt werden, d. h. man kann die Korrelationsfunktion bestimmen, indem man über sehr viele Paare von Punkten mit gegebenem Abstand r das Produkt der Dichten mittelt. Die Äquivalenz des Ensemble-Mittels und des räumlichen Mittels bezeichnet man als Ergodizität des Zufallfeldes. Nur sie erlaubt die Messung der Korrelationsfunktion (und aller anderen statistischen
Eigenschaften) in unserem Universum, da wir ja nur eine – unsere – Realisation dieses gedachten Ensembles beobachten können. Aus den gemessenen Korrelationen zwischen Galaxienpositionen, wie man sie aus spektroskopischen Rotverschiebungssurveys von Galaxien bestimmt (siehe Abschn. 8.1.2), findet man für Galaxien mit Leuchtkraft ∼ L ∗ etwa die Relation (siehe Abb. 7.4) −γ r ξg (r) = , (7.19) r0 wobei r0 5h −1 Mpc die Korrelationslänge bezeichnet und die Steigung etwa γ 1.8 beträgt. Diese Beziehung ist näherungsweise gültig über einen Abstandsbereich von 2h −1 Mpc r 30h −1 Mpc. Die Korrelationsfunktion bietet also eine Möglichkeit, die Struktur der Verteilung der Materie im Universum zu charakterisieren. Neben dieser Zwei-Punkt-Korrelationsfunktion kann man auch Korrelationen höherer Ordnung definieren und kommt dann zu allgemeinen n-Punkt-Korrelationsfunktionen. Diese sind allerdings schwieriger durch Beobachtungen zu ermitteln. Man kann zeigen, dass die statistischen Ei-
Abb. 7.4. Die Korrelationsfunktion ξg von Galaxien, wie sie aus dem Las Campanas Redshift Survey ermittelt worden ist. In der oberen Abbildung ist ξg für kleine bis mittlere Abstände zu sehen, in der unteren für große Abstände. Gestrichelte und gepunktete Kurven sind jeweils für den nördlichen bzw. südlichen Teil des Surveys, während die gefüllten Dreiecke die Korrelationsfunktion aus der Kombination beider angeben. Ein Potenzgesetz mit Steigung γ = 1.52 ist zum Vergleich eingezeichnet (dicke durchgezogene Kurve)
7.4 Entwicklung der Dichtefluktuationen 285
genschaften eines Zufallsfeldes vollständig durch die Menge aller n-Punkt-Korrelationen bestimmt sind.
7.3.2
Das Leistungsspektrum
Eine alternative (und äquivalente) Beschreibung der statistischen Eigenschaften eines Zufallfeldes, und somit der Struktur im Universum, ist das Leistungsspektrum (power spectrum) P(k). Grob gesprochen beschreibt das Leistungsspektrum P(k) den Grad der Struktur als Funktion der Längenskala L 2π/k; je größer P(k), umso größer ist die Amplitude der Fluktuationen auf der Längenskala 2π/k. Dabei ist k eine Wellenzahl. In anderen Worten, man zerlegt die Dichtefluktuationen in eine Summe von ebenen Wellen in der Form δ(x) = ak cos(x · k) mit Wellenvektor k und Amplitude ak , und das Leistungsspektrum P(k) beschreibt die Verteilung der Amplituden mit gleichem k = |k|. Technisch gesprochen handelt es sich um eine Fouriertransformation. Zurück zum Beispiel der Wellen einer Wasseroberfläche stellt man fest, dass es eine charakteristische Wellenlänge L c gibt, die sich u. a. aus der Windgeschwindigkeit ergibt. In diesem Fall besitzt das Leistungsspektrum ein ausgeprägtes Maximum bei k = 2π/L c . Das Leistungsspektrum P(k) und die Korrelationsfunktion hängen direkt über eine Fouriertransformation zusammen; formal ergibt sich ∞ P(k) = 2π
dr r 2
sin kr ξ(r) , kr
(7.20)
0
also als Integral über die Korrelationsfunktion, mit einem von k ∼ 2π/L abhängenden Gewichtsfaktor. Man kann diese Relation auch invertieren und ξ(r) aus P(k) berechnen. Im Allgemeinen reicht das Leistungsspektrum nicht aus, um die statistischen Eigenschaften des Zufallsfeldes eindeutig zu beschreiben – ebenso wie auch die Korrelationsfunktion ξ(r) nur eine unvollständige Charakterisierung darstellt. Es gibt aber Zufallsfelder, so genannte Gaußsche Zufallsfelder, die durch P(k) eindeutig bestimmt sind. Solche Gaußschen Zufallsfelder spielen in der Kosmologie eine große Rolle, weil man annimmt, dass zu sehr frühen Epochen das Dichtefeld dieser Gaußschen Statistik gehorcht.
7.4
Entwicklung der Dichtefluktuationen
P(k) und ξ(r) hängen beide von der kosmologischen Zeit bzw. der Rotverschiebung ab, da sich das Dichtefeld im Universum zeitlich entwickelt. Man schreibt daher die Abhängigkeit von t explizit, P(k, t) und ξ(r, t). Nun hängt nach (7.20) P(k, t) linear mit ξ(r, t) zusammen, und ξ wiederum hängt quadratisch vom Dichtekontrast δ ab. Wenn wir x als mitbewegten Abstandsvektor auffassen, so kennen wir die Zeitabhängigkeit von δ(x, t) aus (7.14), δ(x, t) = D+ (t)δ0 (x). Daher ist im Rahmen der Gültigkeit von (7.14) 2 ξ(x, t) = D+ (t) ξ(x, t0 ) ,
(7.21)
und dementsprechend 2 2 P(k, t) = D+ (t) P(k, t0 ) =: D+ (t) P0 (k) ,
(7.22)
wobei k eine mitbewegte Wellenzahl ist. Es sei nochmals betont, dass diese Relationen nur gelten im Rahmen der Newtonschen, linearen Störungstheorie in der materiedominierten Phase des Universums, auf die wir uns bei der Betrachtung in Abschn. 7.2.2 beschränkt hatten. Gleichung (7.22) besagt, dass die Kenntnis von P0 (k) ausreicht, um das Leistungsspektrum P(k, t) für alle Zeiten zu kennen, wiederum im Rahmen der linearen Störungstheorie.
7.4.1
Das anfängliche Leistungsspektrum
Das Harrison–Zeldovich-Spektrum. Es mag zuerst so erscheinen, als sei P0 (k) eine willkürlich wählbare Funktion, aber ein Ziel der Kosmologie ist es, dieses Leistungsspektrum zu berechnen und es mit der Beobachtung zu vergleichen. Bereits vor mehr als dreißig Jahren wurden Argumente entwickelt, die funktionale Form des anfänglichen Leistungsspektrums festzulegen. Die Expansion des Universums folgt zu frühen Zeiten einem Potenzgesetz, a(t) ∝ t 1/2 in der strahlungsdominierten Ära. Es gab damals keine natürliche Längenskala im Universum, mit der man eine Wellenlänge vergleichen könnte. Die einzigen mathematischen Funktionen, die von einer Länge abhängen, aber keine
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 286
charakteristische Skala enthalten, sind Potenzgesetze, so dass man zu sehr frühen Zeiten P(k) ∝ kn
(7.23)
erwarten sollte. Schon vor vielen Jahren argumentierten Harrison, Zeldovich und andere aufgrund von Skalierungsrelationen, dass n = 1 sein sollte – das Spektrum (7.23) mit n = 1 nennt man daher Harrison–ZeldovichSpektrum. Beispielsweise kann man einen Zeitpunkt ti irgendwann nach Abschluss der Inflation wählen und schreiben 2 P(k, ti ) = D+ (ti ) A k ,
(7.24)
wobei A eine Normierungskonstante ist, die nicht aus der Theorie bestimmt werden kann, sondern durch Beobachtungen festgelegt werden muss. Nimmt man die Gültigkeit von (7.22) an, so würde gelten P0 (k) = A k . Die Transferfunktion. Allerdings muss diese Relation aus verschiedenen Gründen modifiziert werden. In der linearen Störungstheorie, die zu δ(x, t) = D+ (t) δ0 (x) führte, haben wir die Gültigkeit der Newtonschen Dynamik angenommen, allein die materiedominierte Epoche des Universums betrachtet und Druckterme vernachlässigt. Die Entwicklung von Störungen verläuft jedoch anders im strahlungsdominierten Kosmos, abhängig auch von der Skala der Störungen im Vergleich zur Länge des Horizonts, so dass ein Korrekturterm eingeführt werden muss von der Form P0 (k) = A k T 2 (k) .
die Dunkle Materie aus schwach-wechselwirkenden Elementarteilchen besteht, ist der Unterschied zwischen CDM und HDM von der Masse m der Teilchen abhängig. Falls m die Relation mc2 kB T(teq ) kB × 2.73 K (1 + z eq ) = kB × 2.73 K × 23 900 Ωm h 2 ∼ 6Ωm h 2 eV erfüllt, handelt es sich um CDM, während die umgekehrte Ungleichung die HDM charakterisieren würde; beispielsweise gehören die Neutrinos zur HDM. Die wichtige Unterscheidung zwischen HDM und CDM folgt aus den nachfolgenden Überlegungen. Falls die Dichtefluktuationen auf einer bestimmten Skala zu groß werden, bricht die lineare Störungstheorie zusammen und (7.25) gilt nicht mehr. Dann weicht das wahre heutige Leistungsspektrum P(k, t0 ) von P0 (k) ab. Trotzdem ist die Größe P0 (k) auch in diesem Fall nützlich zu betrachten – man nennt sie dann das linear extrapolierte Leistungsspektrum. 7.4.2
Im Rahmen der linearen Newtonschen Störungstheorie der ,,kosmischen Flüssigkeit“ gilt δ(x, t) = D+ (t) δ0 (x). Modifikationen dieses Verhaltens sind aus mehreren Gründen notwendig:
• Falls die Dunkle Materie aus relativistischen Teil-
(7.25)
T(k) heißt Transferfunktion; diese kann für jedes kosmologische Modell berechnet werden, wenn man den Materieinhalt des Universums spezifiziert. Insbesondere hängt T(k) von der Natur der Dunklen Materie ab. Man unterscheidet zwischen Kalter Dunkler Materie (cold dark matter, CDM) und Heißer Dunkler Materie (hot dark matter, HDM). Diese beiden Arten der Dunklen Materie unterscheiden sich hinsichtlich der thermischen Geschwindigkeiten ihrer Konstituenten zum Zeitpunkt teq , wo Materie und Strahlung die gleiche Dichte hatten. Die Teilchen der CDM waren zu diesem Zeitpunkt nicht-relativistisch, während die der HDM Geschwindigkeiten der Größenordnung c besaßen. Falls
Anwachsen der Dichtestörungen
•
•
chen besteht, werden diese nicht im Potentialtopf einer Dichtekonzentration gravitativ gebunden. Sie können in diesem Fall frei strömen, entkommen somit dem Potentialtopf und lösen diesen dabei auf, falls sie selbst die Materieüberdichte dominieren. Daraus folgt sofort, dass sich für HDM keine kleinskaligen Dichtestörungen bilden können. Für CDM dagegen tritt dieser Effekt nicht auf. Bei Rotverschiebungen z z eq dominiert die Strahlung im Universum. Weil dann das Expansionsgesetz a(t) stark verschieden ist von dem in der materiedominierten Phase, ändert sich auch die Anwachsrate der Dichtefluktuationen. Wie in Abschn. 4.5.2 diskutiert wurde, gibt es einen Horizont der mitbewegten Ausdehnung rH,com (t). Physikalische Wechselwirkungen können nur auf Skalen kleiner als rH,com (t) stattfinden. Die Newtonsche Störungstheorie ist sicherlich nicht mehr gültig für Fluktuationen mit Längenskalen L ∼ 2π/k
7.4 Entwicklung der Dichtefluktuationen 287
rH,com (t), und man muss lineare Störungstheorie im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie betrachten. CDM und HDM. Aus dem ersten dieser Punkte schließt man sofort, dass es einen klaren Unterschied geben muss zwischen der Strukturbildung und -entwicklung in HDM- und CDM-Modellen. In HDM-Modellen werden kleinskalige Fluktuationen durch das freie Strömen der relativistischen Teilchen ausgewaschen, d. h. das Leistungsspektrum wird für große k vollständig unterdrückt, was sich dadurch ausdrückt, dass die Transferfunktion T(k) exponentiell abfällt für große k. Im Rahmen einer solchen Theorie bilden sich sehr große Strukturen zuerst, und Galaxien können sich erst später durch Fragmentation aus den großen Strukturen bilden. Ein solches Szenario der Strukturbildung ist aber im Widerspruch mit Beobachtungen, denn wir sehen Galaxien und QSOs schon bei z ∼ 6. Heiße Dunkle Materie führt zu einer Strukturbildung, die der beobachteten nicht entspricht; man kann daher HDM als dominante Komponente der Dunklen Materie ausschließen. Deshalb wird heute allgemein angenommen, dass die Dunkle Materie kalt ist. Die Erfolge des CDM-Szenarios beim Vergleich zwischen Modell und Beobachtung rechtfertigen dies, wie wir noch erläutern werden. Im Rahmen der linearen Störungstheorie wachsen die Fluktuationen auf jeder Skala, oder mit jeder Wellenzahl, voneinander unabhängig an. Dies gilt nicht nur im Newtonschen Fall, sondern bleibt auch in Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie gültig, solange die Fluktuationsamplituden klein sind. Man kann daher das Verhalten auf einer (mitbewegten) Längenskala unabhängig von allen anderen Skalen betrachten. Störungen mit einer mitbewegten Skala L sind zu sehr frühen Zeiten größer als der (mitbewegte) Horizont, und erst für z < z enter (L) ist der Horizont größer als die betrachtete Skala L. Dabei ist die Rotverschiebung z enter (L) definiert durch die Gleichung rH,com (z enter (L)) = L ,
(7.26)
also als diejenige Rotverschiebung, bei der der (mitbewegte) Horizont gleich der (mitbewegten) Län-
genskala L ist. Man sagt, bei z enter (L) tritt die betrachtete Störung in den Horizont ein, wobei der Prozess eigentlich umgekehrt verläuft – der Horizont wächst über die Störung hinaus. Die relativistische Störungstheorie ergibt, dass Dichtefluktuationen der Skala L anwachsen, solange L > rH,com ist, und zwar ∝ a2 , falls die Strahlung dominiert (also für z > z eq ), und ∝ a, wenn die Materie dominiert (also bei z < z eq ). Frei strömende Teilchen oder Druckgradienten können das Anwachsen auf Skalen oberhalb der Horizontlänge nicht behindern, denn entsprechend der Definition des Horizonts können sich physikalische Wechselwirkungen – wie etwa Druck oder freiströmende Teilchen – nicht auf Skalen ausbreiten, die größer als die Horizontlänge sind. Qualitatives Verhalten der Transferfunktion. Das Verhalten des Anwachsens einer Dichtestörung der Skala L für z < z enter (L) hängt von z enter selbst ab. Falls z eq z enter (L) ist, kann die Fluktuation in der Epoche z eq z z enter (L) nicht anwachsen. In dieser Periode wird die Energiedichte im Universum von der Strahlung dominiert, und die resultierende Expansionsrate verhindert ein effizientes Anwachsen der Störung, die erst für z z eq wieder wachsen kann. Falls z enter (L) z eq , also die Störungen in der materiedominierten Epoche des Universums in den Horizont eintreten, wachsen diese Störungen wie in Abschn. 7.2.2 beschrieben an, also δ ∝ D+ (t). Daraus ergibt sich, dass es eine ausgezeichnete Längenskala L 0 gibt, nämlich die, für die z eq = z enter (L 0 )
(7.27)
gilt, oder c 1 L 0 = rH,com (z eq ) = √ 2H0 (1 + z eq )Ωm −1
c 1 √ 12 Ωm h 2 Mpc , √ 2H0 23 900 Ωm h (7.28) wobei der Ausdruck für rH,com (z) die Relation (4.69) verallgemeinert und (4.54) für z eq benutzt wurde. Dichtefluktuationen mit L > L 0 treten in den Horizont ein, nachdem die Materie die Energiedichte im Universum dominiert; ihr Anwachsen wird also nicht behindert durch eine Phase der Strahlungsdominanz. Im Gegensatz dazu treten Dichtefluktuationen mit
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 288
L < L 0 zu einem Zeitpunkt in den Horizont ein, wo die Strahlung dominiert. Diese können dann zunächst nicht weiter anwachsen, so lange z > z eq gilt, und erst in der materiedominierten Epoche steigt ihre Amplitude wieder an. Ihr relatives Anwachsen bis heute ist also kleiner als für Fluktuationen mit L > L 0 (siehe Abb. 7.5). Die quantitative Betrachtung dieser Effekte erlaubt es, die Transferfunktion T(k) zu berechnen. Im Allgemeinen muss dies numerisch geschehen, aber es gibt sehr genaue Näherungsformeln. Zwei Grenzfälle sind analytisch leicht handhabbar, T(k) ≈ 1 für k 1/L 0 , T(k) ≈ (kL 0 )−2 für k 1/L 0 ;
(7.29)
entscheidend ist jedoch: Im Rahmen des CDM-Modells kann die Transferfunktion, und damit mittels (7.25) auch das Leistungsspektrum der Dichtefluktuationen als Funktion der Längenskala und der Rotverschiebung berechnet werden, bis auf die Amplitude, die aus Beobachtungen ermittelt werden muss.
Abb. 7.5. Eine Dichtestörung, die in der strahlungsdominierten Epoche des Universums in den Horizont eintritt, kann danach so lange nicht weiter anwachsen, bis die Materie den Energieinhalt des Universums dominiert. Im Vergleich zu einer Störung, die erst in der materiedominierten Epoche in den Horizont eintritt, ist daher die Amplitude der kleineren Störung um einen Faktor (aeq /aenter )2 unterdrückt, was das qualitative Verhalten (7.29) der Transferfunktion erklärt
Der Formparameter. Die Transferfunktion hängt von der Kombination kL 0 ab, also von k(Ωm h 2 )−1 . Da mittels der Rotverschiebung bestimmte Entfernungen in Einheiten von h −1 Mpc gemessen werden, hängt die Form der Transferfunktion, also auch das Leistungsspektrum, von Γ = Ωm h ab. Man bezeichnet Γ als den Formparameter (shape parameter) des Leistungsspektrums und benutzt ihn manchmal als freien Parameter, anstatt ihn mit Ωm h gleichzusetzen. Eine detaillierte Betrachtung zeigt, dass Γ auch von Ωb abhängt, aber da Ωb entsprechend der primordialen Nukleosynthese (siehe Abschn. 4.4.4) klein ist (Ωb 0.05), ist dieser Einfluss relativ gering und wird oftmals vernachlässigt. Falls die Galaxienverteilung der Verteilung der Dunklen Materie folgt, kann man aus ihr die Korrelationsfunktion bzw. das Leistungsspektrum bestimmen. Sowohl aus der an der Sphäre projizierten Verteilung der Galaxien (Winkelkorrelationsfunktion) als auch aus deren drei-dimensionaler Verteilung (die aus Rotverschiebungssurveys bestimmt wird) findet man Werte im Bereich Γ ∼ 0.15–0.25. Aus T(k) ≈ 1 für kL 0 1 findet man mit (7.25), dass P(k) ∝ k für kL 0 1. Dieses Verhalten ist mit den CMB-Anisotropiemessungen von COBE auf großen Skalen verträglich, wie wir in Kapitel 8 noch im Detail erläutern werden. In Abb. 7.6 ist das Leistungsspektrum für mehrere kosmologische Modelle aufgetragen, die sich in den Dichteparametern, dem Formparameter und der Normierung des Leistungsspektrums unterscheiden. Die dünnen Kurven zeigen P(k), wie man es aus der linearen Störungstheorie berechnet, während die dickeren Kurven das Leistungsspektrum unter Berücksichtigung der nichtlinearen Strukturentwicklung darstellen. Die dargestellten Leistungsspektren haben eine charakteristische Wellenzahl, bei der sich die Steigung von P(k) ändert, und diese ist durch ∼ 2π/L 0 gegeben, wobei die charakteristische Länge L 0 in (7.28) definiert wurde. Neben reinen CDM- und (allerdings durch Beobachtungen ausgeschlossenen) HDM-Modellen gibt es solche, die von CDM dominiert sind, die aber einen (kleinen) Beitrag von HDM haben; solche werden als mixed dark matter (MDM)-Modelle bezeichnet. Ein solcher kleiner Beitrag ist inzwischen durch die endliche Ruhemasse der Neutrinos tatsächlich Teil des Modells, denn diese impliziert 0 < Ων 1. Dadurch wird T(k) dahingehend verändert, dass kleine Skalen (d. h.
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 289
Abb. 7.6. Das heutige Leistungsspektrum der Dichtefluktuationen für CDM-Modelle. Die Wellenzahl k ist in Einheiten von H0 /c gegeben, und (c/H0 )3 P(k) ist dimensionslos. Die verschiedenen Kurven unterscheiden sich in den kosmologischen Parametern: EdS hat Ωm = 1, ΩΛ = 0; OCDM hat Ωm = 0.3, ΩΛ = 0; ΛCDM hat Ωm = 0.3, ΩΛ = 0.7; die Zahlen in den Klammern bedeuten (σ8 , Γ), wobei σ8 die noch später zu besprechende Normierung des Leistungsspektrums angibt und Γ der Formparameter ist. Die dünnen Kurven entsprechen dem linear nach heute extrapolierten Leistungsspektrum P0 (k), während die dicken Kurven die nichtlineare Entwicklung berücksichtigen
große k) im Leistungsspektrum etwas unterdrückt werden. Wir werden später noch sehen, dass man aufgrund der Beobachtungen des Leistungsspektrums die Ruhemasse der Neutrinos sehr gut einschränken kann, und in der Tat ergeben kosmologische Beobachtungen die bei weitem besten Massenschranken an die Neutrinos. Dichteverteilung der Baryonen. Die Entwicklung der Dichtefluktuationen der Baryonen unterscheidet sich von der der Dunklen Materie. Der wesentliche Grund dafür besteht in der Wechselwirkung der Baryonen mit den Photonen: Obwohl für z < z eq die Materiedichte dominiert, ist die Dichte der Baryonen auch noch längere Zeit danach kleiner als die der Strahlung, etwa bis zur Rekombination. Da Photonen und Baryonen durch Photonenstreuung an freien Elektronen, die wiederum elektromagnetisch an Protonen und Helium-Kerne gekoppelt sind, miteinander wechselwirken und die Strahlung nicht in die Potentialtöpfe der Dunklen Materie hineinfallen kann, werden Baryonen ebenfalls daran gehindert. Die Baryonen sind also dem
Druck der Photonen ausgesetzt. Die Dichteverteilung der Baryonen ist daher sehr viel glatter als die der Dunklen Materie. Erst nach der Rekombination entfällt die Wechselwirkung mit den Photonen, und die Baryonen können dann in die Potentialtöpfe der Dunklen Materie fallen, d. h. einige Zeit später wird die Verteilung der Baryonen und der Dunklen Materie sehr ähnlich sein. Die lineare Theorie der Entwicklung von Dichtefluktuationen bricht spätestens dann zusammen, wenn |δ| ∼ 1; deshalb gelten die obigen Gleichungen für das Leistungsspektrum P(k, t) ebenfalls nur dann, wenn die entsprechenden Fluktuationen klein sind. Es existieren aber inzwischen sehr genaue Näherungsformeln für P(k, t), die auch für den nichtlinearen Bereich gültig sind. Für einige kosmologische Modelle ist das nichtlineare Leistungsspektrum in Abb. 7.6 dargestellt.
7.5
Nichtlineare Strukturbildung
Die lineare Störungstheorie ist nur begrenzt anwendbar; insbesondere ist die Entwicklung von Strukturen wie z. B. Galaxienhaufen nicht mit der linearen Störungstheorie erfassbar. Man könnte nun auf die Idee kommen, die Gleichungen (7.2–7.4) zu höheren Ordnungen in den ,,kleinen“ Größen δ und |u| zu entwickeln und somit nichtlineare Störungstheorie zu betreiben. Tatsächlich gibt es dazu eine relativ umfangreiche Literatur, wo dies auch durchgeführt worden ist. Es ist aber zu bemerken, dass man mit dieser höheren Störungstheorie die Dichtefluktuationen zwar zu etwas größeren Werten von |δ| verfolgen kann, aber der Erfolg dieser Theorie rechtfertigt i. A. den großen mathematischen Aufwand nicht. Hinzu kommt, dass die Flüssigkeitsnäherung nicht mehr gültig ist, wenn sich gravitativ gebundene Systeme bilden, weil dann Mehrfachströmungen auftreten, wie bereits erwähnt. Es gibt allerdings analytische Beschreibungen, die die nichtlineare Evolution der Massenverteilung im Universum in einigen Grenzfällen wiedergeben. Ein spezielles und sehr wichtiges solches nichtlineares Modell soll hier betrachtet werden. Im Allgemeinen muss die nichtlineare Strukturentwicklung allerdings mit numerischen Methoden studiert werden, und wir werden einige Aspekte solcher numerischen Simulationen diskutieren.
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 290
7.5.1
Modell des sphärischen Kollaps
Wir betrachten innerhalb eines expandierenden Universums ein sphärisches Gebiet, dessen Dichte ρ(t) gegenüber der mittleren kosmischen Dichte ρ(t) ¯ erhöht ist, ρ(t) = [1 + δ(t)] ρ(t) ¯ ,
(7.30)
wobei wir den Dichtekontrast δ wie in (7.1) definiert benutzt haben. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass die Dichte innerhalb der Kugel homogen ist; doch werden wir später sehen, dass dies keine wirkliche Einschränkung bedeutet. Für kleine t sei die Dichtestörung klein, so dass sie zunächst linear anwächst, δ(t) ∝ D+ (t), solange δ 1 ist. Wenn wir einen solchen frühen Zeitpunkt ti betrachten, so dass δ(ti ) 1, dann ist δ(ti ) = δ0 D+ (ti ), wobei δ0 der linear nach heute extrapolierte Dichtekontrast ist. Dabei sei nochmals bemerkt, dass δ0 = δ(t0 ), da letzterer durch die nichtlineare Entwicklung bestimmt ist. Sei Rcom der anfängliche mitbewegte Radius der überdichten Kugel; solange δ 1, ändert sich der mitbewegte Radius nur sehr wenig. Die Masse innerhalb der betrachteten Kugel ist M=
4π 3 4π 3 Rcom ρ0 (1 + δi ) ≈ R ρ0 , 3 3 com
(7.31)
da der physikalische Radius R = aRcom und ρ¯ = ρ0 /a3 ist. Das bedeutet, es gibt eine eindeutige Relation zwischen dem mitbewegten Radius und der Masse dieser Kugel, unabhängig von der Wahl von ti und von δ0 , solange nur δ(ti ) = δ0 D+ (ti ) 1 gewählt wird. Wegen der erhöhten Gravitationskraft wird die Kugel etwas langsamer expandieren als das Universum als Ganzes, und dies führt zu einer Erhöhung des Dichtekontrasts, was wiederum die Expansionsrate weiter verlangsamt relativ zur kosmischen Expansionsrate. Tatsächlich sind die Bewegungsgleichungen für den Radius der Kugel identisch mit den FriedmannGleichungen für die kosmische Expansion, nur dass die Kugel ein anderes effektives Ωm hat als das Universum im Mittel. Falls die anfängliche Dichte genügend groß ist, kommt die Expansion der Kugel zum Stillstand, d. h. R(t) erreicht ein Maximum; danach kollabiert die Kugel wieder. Sei tmax der Zeitpunkt der maximalen Expansion, so fällt die Kugel zum Zeitpunkt tcoll = 2tmax theoretisch
auf einen Punkt zusammen. Die Relation tcoll = 2tmax folgt aus der Zeitsymmetrie der Bewegungsgleichung: Die Zeit bis zur maximalen Expansion ist gleich der Zeit von dort bis zum Kollaps. Die Frage, ob die Expansion der Kugel zum Stillstand kommt, hängt vom Dichtekontrast δ(ti ) bzw. δ0 ab – vergleiche die Diskussion der Expansion des Universums in Abschn. 4.3.1 – und vom kosmischen Hintergrundmodell. Spezialfall: Einstein–de-Sitter-Universum. Für den Spezialfall Ωm = 1 und ΩΛ = 0 kann man dieses Verhalten analytisch leicht quantifizieren, weswegen dieser Fall hier gesondert behandelt wird. In diesem Universum ist jede Kugel mit δ0 > 0 ein ,,geschlossenes Universum“ und wird daher irgendwann rekollabieren. Damit der Kollaps vor einem Zeitpunkt t1 stattfindet, muss allerdings δ(ti ) bzw. δ0 einen Grenzwert überschreiten. Beispielsweise benötigt man für einen Kollaps mit tcoll ≤ t0 eine linear extrapolierte Überdichte von δ0 ≥ δc =
3 (12π)2/3 1.69 . 20
(7.32)
Allgemeiner findet man, dass δ0 ≥ δc (1 + z) gelten muss, damit der Kollaps schon vor der Rotverschiebung z stattgefunden hat. Violent Relaxation und viriales Gleichgewicht. Natürlich fällt die Kugel nicht wirklich auf einen Punkt zusammen. Dies wäre nur dann der Fall, falls die Kugel perfekt homogen und die Teilchen der Kugel eine perfekte radiale Bewegung ausführen würden. Tatsächlich wird es innerhalb einer solchen Kugel kleinskalige Dichte- und gravitative Fluktuationen geben. Diese führen zu einer Abweichung der Teilchenbahnen von perfekten radialen Orbits, ein Effekt, der umso wichtiger wird, je größer die Dichte der Kugel wird. Die Teilchen ,,streuen“ an diesen Fluktuationen des Gravitationsfeldes und virialisieren; dieser Prozess der violent relaxation wurde bereits in Abschn. 6.2.6 beschrieben und findet auf kleinen Zeitskalen statt, in etwa der dynamischen Zeitskala, also der Zeit, die die Teilchen brauchen, um einmal die Kugel zu durchqueren. In diesem Fall ist die Virialisierung praktisch abgeschlossen zum Zeitpunkt tcoll . Dann befindet sich die Kugel im vi-
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 291
rialen Gleichgewicht, und ihre mittlere Dichte beträgt danach ρ = (1 + δvir ) ρ(t ¯ coll ) , wobei
−0.6 (1 + δvir ) 178Ωm
(7.33)
ist.5 Diese Beziehung ist der Grund, weshalb man beispielsweise bei einem Galaxienhaufen sagt, dass das virialisierte Gebiet eine Sphäre ist, deren mittlere Dichte ∼ 200 Mal der kritischen Dichte ρcr des Universums zum Zeitpunkt des Kollaps ist. Eine weitere Schlussfolgerung aus dieser Betrachtung ist, dass ein massereicher Galaxienhaufen mit einem Virialradius von 1.5 h −1 Mpc aus dem Kollaps eines Gebietes stammt, dessen mitbewegter Radius etwa sechs Mal größer war, also knapp 10 h −1 Mpc. Man bezeichnet eine solche virialisierte Massenkonzentration Dunkler Materie als Halo Dunkler Materie. Wir haben bisher den Kollaps einer homogenen Kugel betrachtet. Aus den oben dargestellten Überlegungen kann man sich leicht davon überzeugen, dass dieses Modell auch noch dann gültig ist, wenn die Kugel einen radialen Dichtegradienten besitzt, etwa wenn die Dichte nach außen hin abnimmt. Dadurch nimmt auch der anfängliche Dichtekontrast als Funktion des Radius nach außen hin ab. In diesem Fall kollabieren die inneren Teile der Kugel schneller als die äußeren, es bildet sich zuerst ein Halo kleinerer Masse, und erst später, wenn auch die äußeren Gebiete kollabiert sind, entsteht ein Halo größerer Masse. Daraus folgt, dass Halos mit anfänglich kleiner Masse durch Akkretion weiterer Materie an Masse zunehmen. Das sphärische Kollapsmodell ist ein einfaches Modell für die nichtlineare Entwicklung einer Dichtestörung im Universum. Obgleich sehr vereinfacht, gibt es die wesentlichen Züge des gravitativen Kollaps wieder, wie sie auch in numerischen Simulation gefunden werden. 5 Dieses
Ergebnis erhält man aus der Energieerhaltung und dem Virialsatz. Die Gesamtenergie E tot der Kugel ist eine Konstante, und zum Zeitpunkt der maximalen Ausdehnung allein durch die dann enthaltene gravitative Bindungsenergie der Kugel gegeben, da in diesem Moment die Expansionsgeschwindigkeit, und damit die kinetische Energie, verschwindet. Andererseits folgt aus dem Virialsatz, dass im virialen Gleichgewicht E kin = −E pot /2, und zusammen mit der Energieerhaltung E tot = E kin + E pot kann dann E pot im Gleichgewicht berechnet werden, und daher auch der Radius und die Dichte der kollabierten Kugel.
7.5.2
Anzahldichte von Halos Dunkler Materie
Press–Schechter-Modell. Das Modell des sphärischen Kollaps erlaubt eine näherungsweise Berechnung der Anzahldichte von Halos Dunkler Materie in Abhängigkeit von deren Masse und ihrer Rotverschiebung; dieses Modell wird Press–Schechter-Modell genannt. Wir betrachten dazu ein Dichtefluktuationsfeld δ0 (x), welches Fluktuationen auf allen Skalen aufweist, entsprechend dem Leistungsspektrum P0 (k). Angenommen, wir glätten dieses Feld mit einer mitbewegten Glättungslänge R, indem wir es mit einer Filterfunktion dieser Skala falten. In unserem Beispiel der Wellen auf einem See könnten wir eine Aufnahme der Oberfläche des Sees durch eine Milchglasscheibe betrachten, wodurch alle Konturen auf kleinen Skalen verschwimmen würden. Dann sei δ R (x) das so geglättete, linear nach heute extrapolierte Dichtefluktuationsfeld. Dieses Feld weist keine Fluktuationen auf Skalen R auf, denn über diese wurde ja gemittelt. Jedes Maximum von δ R (x) entspricht einem Peak mit einer charakteristischen Skala R, und entsprechend (7.31) gehört zu diesem Maximum ein Massenpeak der Masse M ∼ (4πR3 /3)ρ0 . Falls die Amplitude δ R des Dichtemaximums genügend groß ist, wird eine Kugel mit (mitbewegtem) Radius R um den Peak vom linearen Wachstum der Dichtefluktuationen abkoppeln und nichtlinear anwachsen. Ihre Expansion wird dann zum Stillstand kommen und danach rekollabieren. Dieser Prozess findet in ähnlicher Weise statt wie im sphärischen Kollapsmodell und wird durch dieses angenähert beschrieben. Der zum Kollaps notwendige Dichtekontrast δ R ≥ δmin lässt sich für jedes kosmologische Modell und für jeden Zeitpunkt berechnen. Falls die statistischen Eigenschaften von δ0 (x) Gaußsch sind – was aus vielen verschiedenen Gründen erwartet wird – sind alle statistischen Eigenschaften des Fluktuationsfeldes δ0 durch das Leistungsspektrum P(k) festgelegt, und man kann die Anzahldichte von Dichtemaxima mit δ R ≥ δmin berechnen und daher die (mitbewegte) Anzahldichte n(M, z) von relaxierten Halos Dunkler Materie im Universum als Funktion der Masse M und der Rotverschiebung z bestimmen. Das Massenspektrum. Die wichtigsten Resultate dieses Press–Schechter-Modells kann man leicht erläutern
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 292
(siehe Abb. 7.7). Die Anzahldichte von Halos mit Masse M hängt natürlich von der Amplitude der Dichtefluktuationen δ0 ab – d. h. von der Normierung des Leistungsspektrums P0 (k). Daher kann die Normierung von P0 (k) durch den Vergleich der Vorhersage des Press–Schechter-Modells mit der beobachteten Anzahldichte von Galaxienhaufen festgelegt werden, wie wir noch in Abschn. 8.2.1 diskutieren werden. Man spricht in diesem Fall von der ,,Haufennormierung des Leistungsspektrums“ (cluster-normalized power spectrum). Weiterhin findet man, dass je größer M, umso kleiner ist n(M, z). Dies folgt sofort aus der obigen Betrachtung, denn zu größerem M gehört eine größere Glättungslänge R. Die Anzahl der Maxima mit
Abb. 7.7. Aus dem Press-Schechter-Modell berechnete Anzahldichte von Halos Dunkler Materie mit Masse > M. Die mitbewegte Anzahldichte der Halos ist für drei verschiedene Rotverschiebungen gezeigt, z = 0 (jeweils obere Kurven), z = 0.33 und z = 0.5 (jeweils untere Kurven), für drei verschiedene kosmologische Modelle: einem Einstein–de Sitter-Modell (durchgezogene Kurven), einem offenen Modell mit Ωm = 0.3 und ΩΛ = 0 (gepunktete Kurven) sowie einem flachen Universum kleiner Dichte, mit Ωm = 1 − ΩΛ = 0.3 (gestrichelte Kurven). Die Normierung des Dichtefluktuationsfeldes wurde so gewählt, dass in allen Modellen die Anzahldichte der Halos mit M > 1014 h −1 M mit der lokalen Anzahldichte von Galaxienhaufen übereinstimmt. Zu beachten ist die dramatische z-Entwicklung im EdS-Modell
fester Amplitude δmin nimmt aber mit größerer Glättungslänge ab. Für große M fällt n(M, z) exponentiell ab, da genügend hohe Peaks bei großer Glättungslänge sehr selten werden. Daher gibt es sehr wenige Haufen mit einer Masse 2 × 1015 M . Aus der Abb. 7.7 entnehmen wir, dass die Anzahldichte von Haufen mit M 1015 M heute etwa 10−7 Mpc−3 beträgt, der mittlere Abstand zweier solcher Haufen daher größer ist als 100 Mpc, was verträglich ist mit der Beobachtung, dass der nächste massereiche Haufen (Coma) etwa 90 Mpc von uns entfernt ist. Der notwendige Dichtekontrast δmin für einen Kollaps vor der Rotverschiebung z ist eine Funktion von z, wie wir oben gesehen haben. Insbesondere gilt für das Einstein–de-Sitter-Universum δmin 1.69(1 + z). Im Allgemeinen ist δmin = δc /D+ (z), wobei δc und D+ (z) jeweils vom kosmologischen Modell abhängen. Das bedeutet, die Rotverschiebungsabhängigkeit von δmin ist abhängig vom kosmologischen Modell und wird im Wesentlichen durch den Wachstumsfaktor D+ (z) beschrieben. Da D+ (z) bei festem z [wir erinnern daran, dass D+ (0) = 1 laut Definition] größer ist für kleinere Ωm (siehe Abb. 7.3), ist das Verhältnis der Anzahldichte von Halos bei Rotverschiebung z zu der heutigen, n(M, z)/n(M, 0), umso größer, je kleiner Ωm ist. Für Haufenmassen (M ∼ 1015 M ) ist die Entwicklung dieses Verhältnisses im Einstein–de-Sitter-Modell dramatisch, während sie in offenen und in flachen, Λ-dominierten Universen weniger stark ausfällt (siehe Abb. 7.7). Durch einen Vergleich der Anzahldichte von Galaxienhaufen bei hoher Rotverschiebung und der von heute kann man daher Einschränkungen an Ωm und in gewisser Weise auch an ΩΛ erhalten. Schon wenige sehr massereiche Haufen bei z 0.5 reichen aus, um das Einstein–de-Sitter-Modell mit diesem Argument auszuschließen. In der Tat ist die Existenz des Haufens MS1054−03 (Abb. 6.14), dessen Masse mit dynamischen Methoden, durch die Röntgenemission und mittels des Linseneffekts vermessen wurde – siehe Kapitel 6 – beinahe bereits ausreichend, das Einstein–de-Sitter-Modell zu falsifizieren (siehe Abb. 7.8). Allerdings gibt es mindestens ein Problem dieser Methode, nämlich die genügend genaue Massenbestimmung von entfernten Haufen und zusätzlich die Feststellung, dass sie relaxiert sind und daher vom Press–Schechter-Modell berücksichtigt werden. Eben-
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 293
die Massenfunktion in geschlossener Form dargestellt werden, γ/2 ρcr Ωm γ M n(M, z) = √ π M 2 M ∗ (z) γ M × exp − , (7.34) M ∗ (z) wobei γ = 1 + n/3 ∼ 0.5, und M ∗ (z) ist die zabhängige Massenskala, oberhalb derer das Massenspektrum exponentiell abgeschnitten wird. Für Massen deutlich unterhalb von M ∗ (z) ist das Press–SchechterMassenspektrum im Wesentlichen ein Potenzgesetz in M. Die charakteristische Massenskala M ∗ (z) hängt von der Normierung des Leistungsspektrums sowie seinem zeitlichen Anwachsen ab, M ∗ (z) = M0∗ [D+ (z)]2/γ = M0∗ (1 + z)−2/γ , (7.35) Abb. 7.8. Erwartete (mitbewegte) Anzahldichte von Galaxienhaufen mit Masse > 8 × 1014 h −1 M innerhalb eines (mitbewegten) Radius von R < 1.5h −1 Mpc, für flache kosmologische Modelle und verschiedene Werte des Dichteparameters Ωm . Die Normierung des Leistungsspektrums in den Modellen wurde so gewählt, dass sie die heutige Haufendichte in etwa richtig wiedergeben. Die eingezeichneten Punkte stammen aus Beobachtungen von Galaxienhaufen verschiedener Rotverschiebung – obgleich die Fehlerbalken bei hoher Rotverschiebung sehr groß sind, scheint ein Universum hoher Dichte ausgeschlossen zu sein
falls ist die Vollständigkeit des lokalen Haufensamples ein mögliches Problem. Ein Spezialfall. Um einen konkreten Eindruck vom Press–Schechter-Massenspektrum zu erhalten, betrachten wir den Spezialfall, dass das Leistungsspektrum P0 (k) als Potenzgesetz geschrieben werden kann, P0 (k) ∝ kn . Aus der Abb. 7.6 entnimmt man, dass dies über einen weiten Bereich von k eine recht gute Beschreibung ergibt, wenn man sich entweder auf Skalen weit oberhalb oder weit unterhalb des Maximums von P0 konzentriert. Die Längenskala, bei der P0 das Maximum annimmt, ist in etwa durch (7.28) gegeben. Wie wir weiterhin aus der Abb. 7.6 ablesen können, ist die nichtlineare Entwicklung, auf die sich ja das Press–Schechter-Modell bezieht, nur für Skalen deutlich kleiner als dieses Maximum relevant, so dass die Annahme des Potenzgesetzes eine brauchbare Näherung darstellt, mit n ∼ −1.5. In diesem Fall kann
wobei der letzte Ausdruck für ein Einstein–de-SitterUniversum gilt. Die charakteristische Massenskala wächst also im Laufe der Zeit an und beschreibt im Wesentlichen die Massenskala, auf der die Massenverteilung im Universum bei der gegebenen Rotverschiebung gerade nichtlinear wird. Das Press–Schechter-Modell beschreibt weiterhin eine sehr allgemeine Eigenschaft der Strukturbildung in einem CDM-Modell, nämlich dass sich Strukturen – etwa Dunkle Halos – kleiner Masse zu frühen Zeiten bilden, während große Massenansammlungen sich erst später entwickeln. Der Grund dafür liegt in der Form des Leistungsspektrums P(k), wie es in (7.25) zusammen mit der asymptotischen Form (7.29) der Transferfunktion T(k) beschrieben ist. Man bezeichnet ein solches Modell auch als hierarchische Strukturbildung, oder als ,,bottom-up“ Szenarium. Darin verschmelzen kleine, früh gebildete Strukturen sich später zu großen Strukturen. Vergleich mit numerischen Simulationen. Das Press– Schechter-Modell ist sehr einfach und beruht auf Annahmen, die im Detail eigentlich nicht zu rechtfertigen sind. Dennoch sind dessen Vorhersagen in verblüffender Übereinstimmung mit der aus numerischen Simulationen erhaltenen Anzahldichte von Halos, und dieses 1974 veröffentlichte Modell hat beinahe 25 Jahre die Dichte von Halos mit einer Genauigkeit vorhergesagt, wie sie in numerischen Simulationen nur schwer zu erreichen war. Erst seit Mitte der 1990er
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 294
Abb. 7.9. Das Massenspektrum der Halos Dunkler Materie ist hier für fünf verschiedene Rotverschiebungen aufgetragen, wie es aus der Millennium-Simulation (über die wir weiter unten noch näher eingehen werden – siehe Abb. 7.12) bestimmt wurde (Punkte mit Fehlerbalken). Die durchgezogenen Kurven beschreiben eine Näherungsformel für das Massenspektrum, die aus anderen Simulationen bestimmt worden ist und die offensichtlich eine exzellente Beschreibung der Simulationsergebnisse darstellt. Für z = 0 und z = 10 ist als gepunktete Kurve das Press–Schechter-Modell eingetragen, welches die Häufigkeit sehr massereicher Halos unterschätzt, während die Dichte von masseärmeren Halos überschätzt wird
Jahre konnten die Genauigkeit und die Statistik von numerischen Simulationen der Strukturbildung soweit verbessert werden, dass sich signifikante Diskrepanzen mit dem Press–Schechter-Modell ergaben. Allerdings wurde auch die analytische Beschreibung verfeinert; anstelle des sphärischen Kollaps kann man den realistischeren ellipsoiden Gravitationskollaps betrachten, wodurch die Anzahldichte von Halos gegenüber dem Press–Schechter-Modell modifiziert wird. Dieses verfeinerte Modell stellt sich dann wiederum als sehr genaue Näherung der numerischen Resultate dar, wie dies etwa in Abb. 7.9 demonstriert ist, so dass wir heute eine gute Beschreibung von n(M, z) besitzen, die die Resultate von numerischen Simulationen sehr präzise wiedergibt. 7.5.3
Numerische Simulationen
Analytische Betrachtungen – wie etwa die lineare Störungstheorie oder das sphärische Kollapsmodell –
können nur Grenzfälle der Strukturentwicklung beschreiben. Die gravitative Dynamik ist im Allgemeinen zu kompliziert, um im Detail analytisch untersucht zu werden. Aus diesem Grunde wurden schon seit langer Zeit Versuche zur Simulation der Strukturentwicklung mittels numerischer Methoden unternommen. Die Resultate solcher Simulationen haben zu einem ganz erheblichen Teil dazu beigetragen, das CDMModell als das Standard-Modell der Kosmologie zu etablieren, weil nur mit ihnen die Vorhersagen dieses Modells von denen anderer Modelle quantitativ unterschieden werden konnten. Natürlich haben die enormen Entwicklungen im Harwarebereich zu entsprechenden Fortschritten in den Simulationen geführt; hinzu kommen die stetig verbesserten numerischen Algorithmen, die immer höhere räumliche Auflösungen der Simulationen erlauben. Da das Universum von Dunkler Materie dominiert wird, reicht es oftmals aus, das Verhalten dieser Dunklen Materie zu berechnen und daher die Gravitation als einzigen wirkenden Prozess zu betrachten. Erst in den letzten Jahren ist die Rechnerkapazität soweit gestiegen, dass man auch hydrodynamische Prozesse näherungsweise mit berücksichtigen und daher auch die baryonische Komponente des Universums verfolgen kann. Zusätzlich kann man in solchen Simulationen den Strahlungstransport mitrechnen und damit auch den Einfluss von Strahlung auf die Heizung und Kühlung der baryonischen Komponente betrachten. Das Prinzip der Simulationen. Repräsentative Teilchen der Dunklen Materie. Wir wollen hier eine kurze Beschreibung des Prinzips solcher Simulationen geben, wobei wir uns auf die Dunkle Materie allein beschränken werden. Natürlich kann man in solchen Simulationen nicht die einzelnen Teilchen der Dunklen Materie verfolgen; da diese vermutlich aus Elementarteilchen besteht, die daher eine große Anzahldichte besitzen, könnte man nur einen extrem kleinen, mikroskopischen Ausschnitt des Universums so simulieren. Vielmehr untersucht man das Verhalten der Dunklen Materie im expandierenden Universum, indem man die Teilchen der Dunklen Materie durch Körper der Masse M repräsentiert und annimmt, dass sich solche ,,makroskopischen“ Teilchen so wie die Teilchen der Dunklen Materie in einem Volumen V = M/ρ verhalten. Effektiv entspricht das der Annahme, die Dunkle
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 295
Materie bestünde aus Teilchen der Masse M. Diese Annahme kann im Detail nicht richtig sein, weswegen eine gewisse Modifikation später eingeführt werden muss. Wahl des numerischen Volumens. Der nächste Punkt, über den man sich sofort klar sein muss ist, dass man nicht das gesamte räumliche Volumen des Universums (das ja möglicherweise unendlich ist) simulieren kann, sondern nur einen repräsentativen Ausschnitt davon. Typischerweise wählt man einen mitbewegten Würfel der Kantenlänge L. Damit dieser Ausschnitt auch tatsächlich repräsentativ ist, sollte die lineare Ausdehnung L größer sein als die größten beobachteten Strukturen im Universum. Andernfalls würde man den Einfluss von großskaligen Fluktuationen vernachlässigen. Beispielsweise findet man wenig Struktur im Universum auf Skalen 200 h −1 Mpc, so dass L = 200 h −1 Mpc ein guter Wert für die mitbewegte Ausdehnung des Würfels ist. Da der numerische Aufwand mit der Anzahl von Stützstellen oder Gitterpunkten, an denen man etwa die Gravitationskraft berechnet (siehe unten), skaliert und durch die Geschwindigkeit und Speicherkapazität des Rechners beschränkt ist, impliziert die Wahl von L unmittelbar auch die Längenskala der numerischen Auflösung. Weiterhin ist die Gesamtmasse innerhalb des numerischen Volumens ∝ Ωm L 3 , so dass bei gegebener maximaler Teilchenzahl auch die minimale Masse bestimmt ist, die durch die Simulationen aufgelöst werden kann. Periodische Randbedingungen. Da die Gravitationskraft auf ein Teilchen in der Nähe des Randes des Würfels auch von Materie außerhalb des Würfels beeinflusst wird, kann man nicht einfach so tun, als wäre das Gebiet außerhalb des Würfels ,,leer“. Man muss daher Annahmen über die Materieverteilung außerhalb des numerischen Volumens machen. Da man annimmt, auf Skalen > L sei das Universum praktisch homogen, setzt man den Würfel periodisch fort – beispielsweise lässt man ein Teilchen, dass sich durch die obere Seite aus dem Würfel herausbewegt, direkt durch die untere Seite wieder eintreten. Die Massenverteilung (und daher auch das Kraftfeld) ist in diesen Simulationen also periodisch, mit Periode L. Diese Annahme der Periodizität wirkt sich auf die Ergebnisse der Massenverteilung auf Skalen aus, die vergleichbar mit L sind; daher sollte
sich die quantitative Auswertung der Resultate aus den Simulationen auf Skalen L/2 beschränken. Softening length. Mit diesen Annahmen kann nun die Bewegungsgleichung aller Teilchen betrachtet werden. Die Kraft auf das i-te Teilchen ist M 2 (r j − ri ) Fi = , (7.36) |r j − ri |3 j =i also die Summe der Kräfte aller anderen Teilchen, wobei diese periodisch fortgesetzt werden. Dieser Aspekt klingt auf dem ersten Blick schwieriger, als er praktisch ist, wie weiter unten noch erläutert wird. Insbesondere schließt dieses Kraftgesetz ein, dass zwei Teilchen stark stoßen können, z. B. ihre Richtung in einer Kollision um 90◦ ändern können, wenn sie nur nahe genug zusammenkommen. Dieser Effekt ist natürlich eine Folge des Ersetzens der Teilchen Dunkler Materie durch makroskopische ,,Teilchen“ der Masse M. Wie wir in Abschn. 3.2.4 gesehen haben, ist die typische Relaxationszeit eines Systems ∝ N/ ln N, und da die Masse in dem numerischen Volumen durch L festgelegt ist, ist N ∝ 1/M. Würde man also die Teilchenmasse reduzieren und entsprechend N erhöhen, reduzierte sich die Häufigkeit von starken Stößen, wobei allerdings durch die Numerik hier Grenzen gesetzt sind. Um für das Artefakt der starken Kollisionen zu korrigieren, modifiziert man das Kraftgesetz für kleine Abstände, so dass solche starken Stöße nicht vorkommen können. Die Längenskala, unterhalb derer das Kraftgesetz modifiziert (,,aufgeweicht“) wird und von ∝ 1/r 2 abweicht, wird softening length genannt und wird gewählt als etwa dem mittleren Abstand zweier Teilchen der Masse M – je kleiner M, umso kleiner ist die softening length. Diese gibt dann auch eine Grenze an die räumliche Auflösung der Simulationen: Skalen kleiner oder vergleichbar der softening length sind nicht aufgelöst, und das Verhalten auf diesen kleinen Skalen wird von numerischen Artefakten begleitet. Die Berechnung des Kraftfelds. Die Berechnung der Kraft auf die einzelnen Teilchen durch eine Summation wie in (7.36) ist nicht praktisch durchführbar, wie folgende Überlegung zeigt. Angenommen, die Simulation verfolge 108 Teilchen, dann müssten 1016 Summanden in (7.36) berechnet werden – für jeden Zeitschritt. Das ist selbst mit den leistungsfähigsten Rechnern nicht
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 296
durchführbar. Um dieses Problem zu bewältigen, muss eine genäherte Berechnung der Kraft gemacht werden. Dazu stellt man zunächst fest, dass die Kraft auf das ite Teilchen, die von dem j-ten Teilchen ausgeübt wird, nicht sehr empfindlich gegenüber leichten Variationen des Abstandsvektors ri − r j ist, solange diese Variationen sehr viel kleiner sind als der Abstand selbst. Mit Ausnahme der nächstgelegenen Teilchen kann man daher die Kraft auf das i-te Teilchen berechnen, indem man ein Gitter in dem betrachteten Würfel einführt und die Teilchen der Simulation auf den jeweils nächstgelegenen Gitterpunkt verschiebt.6 Dadurch ergibt sich eine diskrete Massenverteilung auf einem regulären Gitter. Das Kraftfeld dieser Massenverteilung kann dann mit der Methode der Fast Fourier Transform (FFT) berechnet werden, einem schnellen und effizienten Algorithmus. Allerdings ergibt sich durch die Einführung des Gitters eine untere Schranke der räumlichen Auflösung der Kraft; diese wird oft so gewählt, dass sie mit der softening length übereinstimmt. Da der Gitterabstand ebenfalls die natürliche Auflösung der Kraft angibt, wählt man diesen in etwa gleich dem mittleren Abstand zweier Teilchen, so dass die Anzahl die Gitterpunkte typischerweise von der gleichen Größenordnung gewählt werden sollte wie die Anzahl der Teilchen. Eine solche Methode wird als PM (particle-mesh) bezeichnet. Um zu besserer räumlicher Auflösung zu gelangen, kann man die Wechselwirkung eng benachbarter Teilchen getrennt betrachten. Dieser Anteil der Kraft muss dann natürlich zunächst aus dem Kraftfeld, wie es durch die FFT berechnet wird, herausgenommen werden. Diese Art der Kraftberechnung heißt P3 M (particle-particle particle-mesh) Methode. Anfangsbedingungen und Entwicklung. Die Anfangsbedingungen der Simulationen werden bei sehr hohen Rotverschiebungen gesetzt. Man verteilt die Teilchen dann so, dass das Leistungsspektrum der resultierenden Massenverteilung gerade dem theoretisch bekannten (linearen) Leistungsspektrum P(k, z) entspricht. Die Bewegungsgleichungen der Teilchen mit dem oben beschriebenen Kraftfeld werden dann in der Zeit integriert. Die Wahl des Zeitschritts in dieser Integration ist dabei kritisch. Dies erkennt man 6 In
Wirklichkeit wird die Masse eines Teilchens auf die 8 benachbarten Gitterpunkte verteilt, wobei die relative Verteilung der Masse von der Entfernung des Teilchens von diesen Gitterpunkten abhängt.
daraus, dass die Kraft auf Teilchen mit relativ nahen Nachbarn sich schneller ändert als die auf ziemlich isolierte Teilchen. Entweder wird daher der Zeitschritt so gewählt, dass er für erstere Teilchen kurz genug ist – das ist aber rechenzeitaufwendig – oder aber die Zeitschritte werden für verschiedene Teilchen individuell variiert, was die deutlich effizientere Strategie ist. Für verschiedene Zeitpunkte der Entwicklung werden dann die Teilchenpositionen und -geschwindigkeiten abgespeichert; diese Resultate können dann analysiert werden. Beispiele von Simulationen. Die Größe der Simulationen, gemessen an der Anzahl der berechneten Teilchen, ist in den letzten Jahren mit der Kapazität der Rechner und der Entwicklung effizienter Algorithmen enorm angestiegen; in modernen Simulationen können 5123 Teilchen oder gar mehr verfolgt werden. Ein Beispiel für solche Simulationen ist in Abb. 7.10 dargestellt, bei denen die Strukturentwicklung in vier verschiedenen kosmologischen Modellen berechnet wurde. Die Parameter der Simulationen sowie die Anfangsbedingungen (d. h. die anfängliche Realisation des Zufallsfeldes) wurden so gewählt, dass die sich ergebenden Dichteverteilungen heute (bei z = 0) möglichst ähnlich sind; dadurch kann man die Abhängigkeit der Entwicklung des Dichtefeldes mit der Rotverschiebung von den kosmologischen Parametern besonders klar erkennen. Simulationen wie diese haben durch den Vergleich mit Beobachtungen in erheblichem Maße zur Erkenntnis beigetragen, dass die Materiedichte in unserem Universum deutlich kleiner ist als die kritische Dichte. Massereiche Galaxienhaufen besitzen eine sehr kleine Anzahldichte, wie man etwa daraus erkennt, dass der uns nächstgelegene massereiche Haufen (Coma) etwa 90 Mpc entfernt ist. In Simulationen, wie sie in Abb. 7.10 gezeigt sind, ist das Simulationsvolumen noch zu gering, um gute statistische Aussagen über solche seltenen Massenkonzentrationen erhalten zu können. Dies war einer der Gründe, weswegen wesentlich größere Volumina simuliert wurden. Die Hubble-Volume-Simulationen (siehe Abb. 7.11) benutzen einen numerischen Würfel mit einer Kantenlänge von 3000h −1 Mpc, also nicht viel kleiner als das heute sichtbare Universum. Diese Simulation ist vor allem zum Studium der statistischen Eigenschaften sehr mas-
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 297
Abb. 7.10. Simulationen der Verteilung der Dunklen Materie im Universum, für vier verschiedene kosmologische Modelle: Ωm = 0.3, ΩΛ = 0.7 (ΛCDM), Ωm = 1.0, ΩΛ = 0.0 (SCDM und τCDM) und Ωm = 0.3, ΩΛ = 0 (OCDM). Die beiden Einstein–de Sitter-Modelle unterscheiden sich durch den Γ -Parameter, der die Form des Leistungsspektrums P(k) angibt. Für jedes der Modelle ist die Materieverteilung bei drei verschiedenen Rotverschiebungen dargestellt, z = 3, z = 1 und heute, z = 0. Während die Materieverteilung heute in allen vier Modellen sehr ähnlich aussieht
(so sind die Modellparameter gewählt worden), unterscheiden sie sich deutlich bei hoher Rotverschiebung. Man sieht z. B., dass im SCDM-Modell bei hoher Rotverschiebung deutlich weniger Struktur ausgebildet ist als bei den anderen Modellen. Aus der Untersuchung der Materieverteilung bei hohen Rotverschiebungen kann man daher zwischen den verschiedenen Modellen unterscheiden. Bei diesen Simulationen der VIRGO-Kollaboration wurden 2563 Teilchen verfolgt; die Kantenlänge des Simulationsvolumens ist ∼ 240h −1 Mpc
sereicher Strukturen geeignet, wie etwa die Verteilung von Galaxienhaufen. Andererseits bedingt das große Volumen, zusammen mit den Einschränkungen an die insgesamt berechenbaren Teilchen, dass die Massenund Längenauflösung dieser Simulation zum Studium von Galaxien nicht ausreicht.
Die zur Zeit (2005) bei Weitem größte Simulation ist die Millennium-Simulation für ein kosmologisches Modell mit Ωm = 0.25, ΩΛ = 0.75, einer Normierung des Leistungsspektrums von σ8 = 0.9 und der Hubble-Konstanten h = 0.73. Dabei wurde ein Würfel der Kantenlänge 500h −1 Mpc als Volumen benutzt
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 298
Bereich von ∼ 105 ergibt. Die resultierende Verteilung der Materie bei z = 0 in jeweils 15h −1 Mpc dicken Schichten ist in Abb. 7.12 gezeigt, wobei die lineare Skala von einer Darstellung zur nächsten sich um jeweils einen Faktor vier unterscheidet. Dabei wurde auf einen Bereich um einen massereichen Galaxienhaufen hin vergrößert, der mitsamt seiner reichen Unterstruktur im obersten Diagramm zu erkennen ist, ebenso wie die Filamente der Materieverteiung, an deren Kreuzungspunkten sich die massereichen Halos bilden. Die Massenverteilung der Millennium-Simulation sind für zahlreiche verschiedene Untersuchungen von großem Interesse, und wir werden in Kapitel 9 noch einige Resultate diskutieren.
Abb. 7.11. Die Hubble-Volume-Simulationen: Simuliert wurde eine (3000h −1 Mpc)3 große Box, mit 109 Teilchen, wobei ein ΛCDM-Modell mit Ωm = 0.3 und ΩΛ = 0.7 gewählt wurde. Dargestellt ist die Projektion der Dichteverteilung einer 30h −1 Mpc dicken Schicht dieses Würfels. Simulationen dieser Art können benutzt werden, um die statistischen Eigenschaften der Materieverteilung im Universum auf großen Skalen zu analysieren. Das Kreissegment in der linken unteren Ecke stellt etwa die Größe des CfA-Rotverschiebungssurveys (vgl. Abb. 7.2) dar
und (2160)3 ≈ 1010 Teilchen verfolgt, deren Masse jeweils 8.6 × 108 h −1 M beträgt. Mit diesen Parametern kann man einerseits die Halos von Galaxien auflösen, andererseits ist das Volumen genügend groß, dass man eine große Zahl von massereichen Haufen in der Simulation findet und deren Entwicklungsgeschichte verfolgt werden kann. Die räumliche Auflösung der Simulation ist ∼ 5h −1 kpc, so dass sich ein linearer dynamischer
Analyse der numerischen Resultate. Die Analyse der numerischen Ergebnisse ist beinahe ebenso aufwendig wie die Simulationen selbst, denn die Positionen und Geschwindigkeiten von ∼ 109 Teilchen alleine ergeben noch keinen Erkenntnisgewinn. Man muss daher zunächst mit konkreten Fragestellungen diese numerischen Resultate analysieren. Offensichtlich kann man aus der räumlichen Verteilung der Teilchen das (nichtlineare) Leistungsspektrum P(k, z) der Materieverteilung berechnen; aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen wurden die in Abb. 7.6 dargestellten analytischen Fit-Formeln erstellt. Weiterhin kann man in den numerischen Resultaten nach Voids suchen und mit der beobachteten Häufigkeit und typischen Größe von Voids vergleichen. Andererseits kann man nach kollabierten Massenkonzentrationen suchen und die Anzahldichte von diesen mit den Vorhersagen des Press–Schechter-Modells und den Beobachtungen vergleichen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Press–Schechter-Massenfunktion zwar die wesentlichen Aspekte des Massenspektrums erstaunlich präzise wiedergibt, aber noch genauere Formeln für das Massenspektrum von Halos wurden aus den Simulationen erstellt (siehe Abb. 7.9). Allerdings ist die Identifikation eines Halos und die Bestimmung seiner Masse aus den Positionen und Geschwindigkeiten der Teilchen keineswegs trivial, und verschiedene Methoden werden dafür benutzt. Beispielsweise kann man sich auf räumliche Überdichten von Teilchen konzentrieren und definiert einen Halo als ein sphärisches Gebiet, innerhalb dessen die mittlere Dichte gerade das 200-fache der kritischen Dichte beträgt – diese Definition eines
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 299 Abb. 7.12. Die Verteilung der Materie in jeweils 15h −1 Mpc dicken Schichten, wie sie in der Millennium-Simulation berechnet wurde
Halos wird durch das sphärische Kollapsmodell nahegelegt. Andererseits kann man auch solche Teilchen einem Halo zuordnen, die gravitativ gebunden sind, was unter Benutzung der Teilchengeschwindigkeiten zu ermitteln ist. Der direkte Kontakt zwischen den Ergebnissen der Simulationen Dunkler Materie mit beobachteten Eigenschaften des Universums benötigt ein Verständnis über den Zusammenhang der Dunklen Materie mit der leuchtenden Materie. Beispielsweise können Halos Dunkler Materie in den Simulationen nicht ohne weiteres mit der beobachteten Verteilung von Galaxien verglichen werden. Auf diese Aspekte werden wir später noch genauer eingehen.
7.5.4
Profil von Halos Dunkler Materie
In durch numerische Simulationen generierten Massenverteilungen kann man, wie bereits oben erwähnt, Halos Dunkler Materie identifizieren. Neben der Anzahldichte von Halos als Funktion ihrer Masse und der Rotverschiebung kann man auch das radiale Massenprofil untersuchen, falls ein Halo durch genügend viele Teilchen der Dunklen Materie repräsentiert wird – dies ist also eine Frage der Massenauflösung der Simulationen. Dabei hat sich ein erstaunliches Ergebnis herausgestellt, nämlich dass Halos eine Art universelles Dichteprofil besitzen. Dieses Resultat wollen wir hier kurz beschreiben.
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 300
Wenn wir einen Halo so definieren wie oben beschrieben, also als sphärisches Gebiet, innerhalb dessen die mittlere Dichte ∼ 200 Mal der kritischen Dichte bei der betrachteten Rotverschiebung ist, dann ist die Masse M des Halos mit seinem (Virial-)Radius r200 wie folgt verknüpft: M=
4π 3 r 200 ρcr (z) . 3 200
Da die kritische Dichte bei der Rotverschiebung z durch ρcr (z) = 3H 2 (z)/(8πG) gegeben ist, kann dies umgeschrieben werden, M=
3 100r200 H 2 (z) , G
(7.37)
d. h. es existiert ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Masse und Radius des Halos. Das NFW-Profil. Das über Kugelschalen gemittelte Dichteprofil von Halos scheint eine universelle funktionale Form zu besitzen, wie zuerst von Julio Navarro,
Carlos Frenk & Simon White in einer Reihe von Arbeiten Mitte der 1990er Jahre berichtet wurde. Dieses NFW-Profil wird beschrieben durch ρ(r) =
ρs , (r/rs )(1 + r/rs )2
(7.38)
wobei ρs die Amplitude des Dichteprofils und rs einen charakteristischen Radius angibt. Für r rs ist ρ ∝ r −1 , während für r rs das Profil wie ρ ∝ r −3 verläuft. Daher ist rs derjenige Radius, wo sich die Steigung des Dichteprofils ändert (siehe Abb. 7.13). ρs kann ausgedrückt werden durch rs , denn entsprechend der Definition von r200 gilt 3 ρ¯ = 200ρcr (z) = 3 4πr200 1 = 3ρs 0
r200 4πr 2 dr ρ(r) 0
2
dx x , c x (1 + cx)2
(7.39)
Abb. 7.13. Aus acht verschiedenen kosmologischen Simulationen ist das Dichteprofil des jeweils massereichsten und masseärmsten Halos als Funktion des Radius gezeigt, zusammen mit dem besten Fit entsprechend dem Dichteprofil (7.38). Die kosmologischen Modelle entsprechen einem EdS-Modell (hier mit SCDM bezeichnet), einem ΛCDM-Modell, und verschiedenen Modellen, deren Leistungsspektrum lokal als Potenzgesetz, P(k) ∝ k n , angenommen wurde. Die Pfeile geben die softening length im Gravitationsgesetz für die jeweiligen Halos an; der größte Teil des Profils ist also sehr gut numerisch aufgelöst
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 301
wobei im letzten Schritt die Integrationsvariable nach x = r/r200 geändert und der Konzentrationsindex c :=
r200 rs
(7.40)
definiert wurde. Je größer c, umso stärker ist die Masse im Innern konzentriert. Die Gleichung (7.39) impliziert, dass ρs durch ρcr (z) und c ausgedrückt werden kann, und nach Ausführung der Integration in (7.39) ergibt sich ρs =
200 c3 ρcr (z) . 3 ln(1 + c) − c/(1 + c)
Da M durch r200 bestimmt ist, wird das NFW-Profil parametrisiert durch r200 (oder der Masse des Halos) und der Konzentration c, welche die Form der Verteilung angibt. Aus den Simulationen findet man, dass der Konzentrationsindex c stark mit der Masse und der Rotverschiebung des Halos korreliert ist; man findet in etwa c ∝ M −1/9 (1 + z)−1 .
Dieses Resultat kann man unter der Annahme eines universellen Dichteprofils auch aus analytischen Skalierungsargumenten erhalten. In der Abb. 7.14 ist das Dichteprofil Dunkler Halos als Funktion des skalierten Radius r/r200 aufgetragen, wobei nun die ähnliche Form der Profile in den verschiedenen Simulationen sehr gut zu erkennen ist, sowie die Abhängigkeit des Konzentrationsindex von der Halomasse sichtbar wird. Der Bereich, über den das Profil (7.38) die Dichteverteilung von numerisch simulierten Halos beschreibt, ist beschränkt nach außen hin durch den Virialradius r200 , während im zentralen Bereich von Halos die numerische Auflösung nicht ausreicht und daher (7.38) für sehr kleine r mit den Simulationen nicht überprüft werden kann. Der letzte Punkt betrifft etwa 1% der Halomasse.
Verallgemeinerung. Allerdings gibt es bislang noch kein gutes analytisches Argument für die Existenz eines solchen universellen Dichteprofils und insbesondere nicht für die spezielle funktionale Form des NFW-Profils. Tatsächlich finden andere numerische Si-
Abb. 7.14. Die Dichteprofile aus Abb. 7.13, diesmal in skalierten Einheiten dargestellt: die Dichte ist skaliert durch die kritische Dichte, der Radius durch r200 . Durchgezogene (gestrichelte) Kurven entsprechen Halos kleiner (großer) Masse – Halos kleiner Masse sind also relativ dichter nahe des Zentrums und haben einen größeren Konzentrationsindex c
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 302
mulationen ein leicht verschiedenes Dichteprofil, was sich schreiben lässt als ρ∝
(r/rs
)α
1 , (1 + r/rs )3−α
mit α ∼ 1.5, wohingegen das NFW-Profil durch α = 1 charakterisiert ist. Der Grund für den Unterschied zwischen den verschiedenen Simulationen ist bislang nicht endgültig geklärt, aber vermutlich ist das Dichteprofil im zentralen Bereich (der numerisch schwer aufzulösen ist) komplizierter als ein Potenzgesetz. Einig sind sich die verschiedenen Forschergruppen aber in der Form des Profils ∝ r −3 für große Radien. Vergleich mit Beobachtungen. Der Vergleich dieser theoretischen Profile mit einem beobachteten Dichteprofil ist keineswegs einfach, denn man kann ja das Dichteprofil Dunkler Materie nicht direkt beobachten. Weiterhin ist ρ(r) in normalen Spiralgalaxien bei kleinen Radien von baryonischer Materie dominiert (beispielsweise bei der Milchstraße besteht etwa die Hälfte der Materie innerhalb von R0 aus Sternen und
Gas), so dass nur wenig Aufschluss über ρDM im zentralen Bereich erhalten werden kann. Im Allgemeinen nimmt man an, dass Galaxien mit sehr kleiner Flächenhelligkeit (low surface brightness galaxies, LSBs) bis hin zum Zentrum von Dunkler Materie dominiert werden. Die Rotationskurven von LSB-Galaxien sind nicht in Übereinstimmung mit den Erwartungen des NFW-Modells (Abb. 7.15); insbesondere geben sie keinen Hinweis auf eine Kuspe der Dichteverteilung (also ρ → ∞ für r → 0) im Zentrum. Diese Diskrepanz kann zum Teil durch die endliche Winkelauflösung der 21 cm-Messungen der Rotationskurven erklärt werden, sowie durch eine kompliziertere Kinematik dieser Galaxien, deren dynamisches Zentrum auch nur schwer exakt feststellbar ist. Dennoch könnte sich dieses Resultat als ein ernsthaftes Problem für das CDM-Modell erweisen – diese potentielle Diskrepanz muss daher aufgeklärt werden. Als weitere Komplikation kommt hinzu, dass nicht nur baryonische Materie im Innern von Galaxien (und Haufen) vorhanden ist und zur Dichte beiträgt, sondern diese Baryonen im Laufe der kosmischen Ent-
Abb. 7.15. Die Rotationskurven in den NFW-Dichteprofilen von Abb. 7.13, in Einheiten der Rotationsgeschwindigkeit bei r200 . Alle Kurven steigen zunächst an, erreichen ein Maximum, um danach wieder abzufallen; über einen weiten Bereich im Radius sind die Rotationskurven annähernd flach. Die durchgezogenen Kurven stammen direkt aus der Simulation, gestrichelte Kurven zeigen die aus dem NFW-Profil erwarteten Rotationskurven. In diesen skalierten Einheiten haben Halos kleiner Masse eine relativ größere maximale Rotationsgeschwindigkeit
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 303
wicklung auch das Dichteprofil der Dunklen Materie modifiziert haben. Baryonen sind dissipativ, können kühlen, eine Scheibe bilden und nach innen akkretieren. Die Änderung der daraus resultierenden Dichteverteilung der Baryonen durch dissipative Prozesse führt zu einer zeitlichen Änderung des Gravitationspotentials, auf das auch die Dunkle Materie reagiert. Das Profil Dunkler Materie in Galaxien wird daher gegenüber den reinen Dark Matter-Simulationen modifiziert. Trotz dieser Schwierigkeiten stellt sich heraus, dass die Röntgendaten vieler Haufen mit einem NFW-Profil kompatibel sind; ebenfalls zeigen Untersuchungen des Schwachen Linseneffekts (siehe Abschn. 6.5.2), dass ein NFW-Massenprofil die Scherungsdaten sehr gut beschreiben können. In Abb. 7.16 ist gezeigt, dass auch der radiale Verlauf der Galaxiendichte in Haufen im Mittel einem NFW-Profil folgt, wobei der mittlere Konzentrationsindex mit c ≈ 3 kleiner ist, als er für das Massenprofil von Haufen erwartet wird. Eine Interpretation dieses Ergebnisses ist, dass die Galaxienverteilung in Haufen weniger stark konzentriert ist als die Dichte der Dunklen Materie.
7.5.5
Das Problem der Substruktur
Wie wir im nächsten Kapitel noch detailliert ausführen werden, erweist sich das CDM-Modell der Kosmologie als enorm erfolgreich bei der Beschreibung und Vorhersage von kosmologischen Beobachtungen. Gerade weil dieses Modell diese Erfolge erzielen konnte und daher als Standardmodell gilt, neben dem kaum noch alternative Modelle diskutiert werden, sind Resultate von besonderem Interesse, die nicht ohne weiteres in dieses Standardmodell hineinpassen. Die oben erwähnten Rotationskurven von LSB-Galaxien gehören zu diesen Resultaten. Entweder findet man eine gute Erklärung für die scheinbare Diskrepanz zwischen den Beobachtungen mit den Vorhersagen des CDM-Modells – in diesem Fall hätte dieses Modell eine weitere Hürde zur Demonstration seiner Gültigkeit überwunden und könnte somit weiter bestätigt werden. Oder aber Resultate dieser Art zeigen die Notwendigkeit von Erweiterungen des CDM-Modells auf, woraus wir dann neue physikalische Erkenntnisse gewinnen würden.
Abb. 7.16. Die gemittelte Galaxienverteilung in 93 nahen Galaxienhaufen als Funktion des projizierten Abstands vom Haufenzentrum. Galaxien wurden im NIR selektiert, und die Massen der Haufen, und somit r200 , wurden aus Röntgendaten bestimmt. Aufgetragen ist hier die projizierte Anzahldichte von Haufengalaxien, gemittelt über die verschiedenen Haufen, gegen den skalierten Radius r/r200 . Im oberen Bild wurde das Galaxiensample in leuchtkräftige und leuchtschwächere Galaxien unterteilt, im unteren Bild wurde das Haufensample entsprechend der Haufenmasse unterteilt. Die durchgezogenen Kurven geben jeweils einen Fit mit dem projizierten NFW-Profil an, der sich in allen Fällen als exzellente Beschreibung herausstellt. Der Konzentrationsindex ist mit c ≈ 3 in allen Fällen etwa der gleiche und damit kleiner, als für das Massenprofil von Haufen erwartet wird
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 304
Sub-Halos von Galaxien und Galaxienhaufen. Neben den Rotationskurven von LSB-Galaxien gibt es eine weitere Beobachtung, die jedenfalls auf den ersten Blick nicht in das Bild des CDM-Modells hineinpassen will. Aus den numerischen Simulationen der Strukturbildung ergibt sich, dass ein Halo der Masse M zahlreiche Halos mit sehr viel kleinerer Masse enthält, sog. Sub-Halos. Ein Halo mit der Masse eines Galaxienhaufens beispielsweise enthält Hunderte oder gar Tausende von Halos mit Massen, die mehrere Größenordnungen klei-
Abb. 7.17. Dichteverteilung zweier simulierter Halos Dunkler Materie. Im oberen Bild hat der Halo eine Virialmasse von 5 × 1014 M und entspricht daher einem Galaxienhaufen. Der Halo im unteren Bild hat eine Masse von 2 × 1012 M und repräsentiert eine massereiche Galaxie. Man erkennt in beiden Fällen die Präsenz von Unterstruktur der Massenverteilung, die bei einem Galaxienhaufen mit den einzelnen Haufengalaxien identifiziert werden kann. Die Substruktur in einer Galaxie ist nicht ohne Weiteres mit beobachtbaren Quellen identifizierbar; man würde erwarten, dass es sich hierbei um Satelliten-Galaxien handelt, aber diese sind deutlich seltener als die hier gefundenen Unterstrukturen. Abgesehen von der Längenskala (und damit auch der Massenskala) sehen die beiden Halos qualitativ sehr ähnlich aus
ner sind. In der Tat sollte man dies auch erwarten, denn Galaxienhaufen enthalten Unterstruktur, die in Form der Haufengalaxien auch direkt sichtbar ist. Im oberen Teil der Abb. 7.17 ist die Simulation eines Haufens und seiner Substruktur dargestellt, und diese Massenverteilung sieht in der Tat so aus, wie man sich die Verteilung in einem Galaxienhaufen vorstellt. Weiterhin zeigt die Abb. 7.17 im unteren Teil die Simulation eines Halos der Masse ∼ 2 × 1012 M , der einer massereichen Galaxie entspricht. Wie man erkennen kann, zeigt auch deren Massenverteilung eine große Anzahl von Sub-Halos. Tatsächlich lassen sich die beiden Massenverteilungen fast nicht unterscheiden, außer in ihrer Skalierung der Gesamtmasse.7 Das Vorhandensein von Substruktur über einen sehr weiten Bereich in der Masse ist eine direkte Folge der hierarchischen Strukturbildung, bei der Objekte größerer Masse jeweils kleinere Strukturen enthalten, die sich früher in der kosmischen Entwicklung gebildet haben. Während man die Unterstruktur in Haufen leicht mit den Haufengalaxien identifizieren kann, stellt sich die Frage, womit die Sub-Halos der Galaxien identifiziert werden sollen. Diese besitzen ein breites Massenspektrum, wie in Abb. 7.18 dargestellt ist. Einige solcher Sub-Halos können in unserer Milchstraße erkannt werden, nämlich die bekannten Satellitengalaxien, wie etwa die Magellanschen Wolken. In ähnlicher Weise können die Satellitengalaxien der Andromeda-Galaxie mit SubHalos identifiziert werden. Wie wir aber in Abschn. 6.1 gesehen haben, kennt man weniger als 40 Mitglieder der Lokalen Gruppe – während die numerischen Simulationen Hunderte von Satellitengalaxien in der Galaxis vorhersagen. Das scheinbare Fehlen von beobachtbaren Sub-Halos wird als weiteres mögliches Problem der CDM-Modelle angesehen. Allerdings muss man sich stets vergegenwärtigen, dass die Simulationen nur die Massenverteilung, nicht aber die (der Beobachtung zugängliche) Lichtverteilung vorhersagen. Eine Möglichkeit, die scheinbare Diskrepanz aufzulösen, besteht nun darin, dass diese 7 Der Grund dafür liegt in der in Abschn. 7.5.2 diskutierten Eigenschaft des Leistungsspektrums der Dichtefluktuationen, nämlich dass P(k) über einen weiten Bereich in k durch ein Potenzgesetz dargestellt werden kann. Ein solches Potenzgesetz besitzt keine charakteristische Skala. Aus diesem Grund skalieren die Eigenschaften von Halos großer und kleiner Masse, wie dies in der Abb. 7.17 auch deutlich zu erkennen ist.
7.5 Nichtlineare Strukturbildung 305
Abb. 7.18. Anzahldichte der Sub-Halos als Funktion ihrer Masse. Dabei wird die Masse ausgedrückt durch die entsprechende Keplersche Rotationsgeschwindigkeit vc und gemessen als Verhältnis zur entsprechenden Rotationsgeschwindigkeit des großen Halos. Die Kurven zeigen diese Anzahldichte von Sub-Halos mit Rotationsgeschwindigkeit ≥ vc jeweils für einen Halo mit Haufen- bzw. Galaxienmasse. Die beobachtete Anzahl der Sub-Halos (d. h. die Galaxien) des Virgo-Haufens sind als offene Kreise mit Fehlerbalken eingezeichnet, ebenso wie die Anzahl der Satellitengalaxien der Milchstraße als Punkte. Man erkennt, dass die Simulationen die Anzahldichte von Haufengalaxien recht gut beschreiben, aber dass es deutlich weniger Satellitengalaxien um die Galaxis gibt, als von einem CDM-Modell vorhergesagt wird
Sub-Halos zwar existieren, aber die meisten von ihnen nicht oder nur schwach leuchten. Was auf dem ersten Blick wie eine billige Ausrede aussieht, ist in Wirklichkeit in den Modellen zur Entstehung und Entwicklung von Galaxien enthalten. Wie in Abschn. 9.6.3 näher besprochen wird, können Halos mit Massen unterhalb ∼ 109 M nur sehr schwer eine ansehnliche stellare Population entwickeln. Die meisten Halos unterhalb dieser Masse sollten daher aufgrund ihrer geringen Leuchtkraft kaum nachweisbar sein. In diesem Bild wären zwar die Sub-Halos in Galaxien vorhanden, wie es die CDMModelle vorhersagen, aber die meisten von ihnen wären wirklich ,,dunkel“.
Evidenz für die Existenz der CDM-Substruktur in Galaxien. In der Tat gibt es einen direkten Hinweis auf die Anwesenheit von Substruktur in der Massenverteilung von Galaxien, der aus Gravitationslinsensystemen stammt. Wie wir in Abschn. 3.8 gesehen haben, lässt sich die Bildkonfiguration von Mehrfachquasaren durch ein einfaches Massenmodell für die Gravitationslinse beschreiben. Konzentriert man sich auf Systeme mit vier Bildern einer Quelle, bei denen auch die Position der Linse beobachtet werden konnte (etwa mit dem HST), so hat ein einfaches Massenmodell für die Linse weniger freie Parameter als die anzupassenden Koordinaten der beobachteten Quasarbilder. Trotzdem ist es bis auf ganz wenige Ausnahmen möglich, die Winkelpositionen der Bilder mit einem solch einfachen Modell mit großer Genauigkeit zu beschreiben. Dies ist ein nicht-triviales Resultat, denn bei einigen Linsensystemen sind aufgrund von VLBI-Beobachtungen die Bildpositionen mit einer Unsicherheit von weniger als 10−4 Bogensekunden bekannt, bei einem Bildabstand der Größenordnung 1 . Dieses Resultat zeigt daher, dass einfache Linsenmodelle die Massenverteilung der Linsengalaxien auf Skalen des Bildabstands recht gut beschreiben. Neben den Bildpositionen sagen solche Linsenmodelle auch die Verstärkungsfaktoren μ der einzelnen Bilder vorher. Das Verhältnis der Verstärkungsfaktoren zweier Bilder sollte daher mit dem Flussverhältnis dieser Bilder der Hintergrundquelle übereinstimmen. Das erstaunliche Ergebnis der Linsenuntersuchungen ist nun, dass zwar die Bildpositionen (fast) aller VierfachSysteme mit einem einfachen Massenmodell sehr genau beschreibbar sind, aber bei keinem von ihnen können mit dem gleichen Modell die Flussverhältnisse der Bilder reproduziert werden! Die vielleicht einfachste Erklärung dieser Tatsache, dass nämlich die verwendeten einfachen Massenmodelle der Linse nicht richtig sind und man andere Linsenmodelle benutzen sollte, scheidet in vielen der beobachteten Systeme aus. Einige dieser Systeme enthalten nämlich zwei oder drei Bilder der Quelle, die sehr nahe beieinander stehen und von denen man daher weiß, dass sie in der Nähe einer kritischen Kurve positioniert sind. In einem solchen Fall kann man das Verstärkungsverhältnis analytisch recht genau abschätzen; insbesondere hängt es dann nicht mehr von der genauen Form des verwendeten Linsenmodells ab. Die
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 306
Abb. 7.19. 8.5 GHz-Karte des Linsensystems 2045+265. Die Quelle bei z s = 1.28 wird von der Linse bei z d = 0.867 vierfach abgebildet (Komponenten A–D), während Komponente E Emission der Linse ist, wie aus dem unterschiedlichen Radiospektrum ersichtlich ist. Aufgrund der Eigenschaften der Gravitationslinsenabbildung kann man zeigen, dass jedes ,,glatte“ Massenmodell der Linse vorhersagt, dass der Fluss von B etwa gleich der Summe der Flüsse der Komponenten A und C sein sollte. Offensichtlich ist diese Gesetzmäßigkeit in diesem Linsensystem stark verletzt, denn B ist schwächer als A und C. Diese Tatsache kann nur durch kleinskalige Struktur der Massenverteilung in der Linsengalaxie erklärt werden
Existenz solcher ,,universellen Eigenschaften“ der Linsenabbildung schließt also aus, dass es andere einfache (d. h. ,,glatte“) Massenmodelle gibt, die die Flussverhältnisse beschreiben können. Ein Beispiel dafür ist in der Abb. 7.19 dargestellt. Die natürliche Erklärung dieser Flussdiskrepanzen besteht darin, dass die Linse neben einem großskaligen, glatten Massenprofil kleinskalige Unterstruktur in der Dichte enthält. Dafür kämen bei Spiralgalaxien etwa die Spiralarme in Frage, die ja eine kleinskalige Störung eines ansonsten glatten Massenprofils darstellen. Nun sind die meisten Linsengalaxien aber Ellipsen. Die Sub-Halos, die vom CDM-Modell vor-
hergesagt werden, könnten dann die Unterstruktur der Massenverteilung darstellen. Dazu sei zunächst angemerkt, dass eine kleinskalige Störung des Massenprofils den Ablenkwinkel der Linse nur leicht ändert, während die Verstärkung μ deutlich stärker modifiziert werden kann. In der Tat konnte mit Hilfe von Simulationen gezeigt werden, dass Linsengalaxien, die die vom CDM-Modell postulierten Sub-Halos besitzen, eine sehr ähnliche statistische Verteilung der Diskrepanzen der Flussverhältnisse vorhersagen, wie sie bei den beobachteten Linsensystemen auch auftreten. Weiterhin zeigen diese Simulationen, dass ein spezielles Bild der Quelle im statistischen Mittel deutlich abgeschwächt werden sollte gegenüber den Vorhersagen der einfachen, glatten Linsenmodelle, ebenfalls in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Beobachtungen. Schließlich sollten in dem Fall, dass ein relativ massereicher Sub-Halo nahe einem der Bilder positioniert ist, auch diese Bildposition etwas verschoben sein im Vergleich zum glatten Massenmodell, und dieser Effekt ist in zwei Linsensystemen auch direkt nachgewiesen worden: In diesen Fällen existiert ein Sub-Halo in der Linsengalaxie, der genügend Masse besitzt, um Sterne gebildet zu haben und daher beobachtet werden konnte. Dessen Einfluss auf den Verstärkungsfaktor und die Bildposition konnte direkt nachgewiesen werden (siehe Abb. 7.20). Aus diesen Gründen ist es wahrscheinlich, dass Galaxien Sub-Halos enthalten, wie es das CDM-Modell vorhersagt, aber die meisten Sub-Halos, insbesondere die mit kleiner Masse, kaum Sterne enthalten und daher nicht sichtbar sind.
7.6
Pekuliargeschwindigkeiten
Wie bereits an verschiedenen Stellen erwähnt, folgen kosmische Quellen nicht exakt der allgemeinen Hubble-Expansion, sondern besitzen darüber hinaus eine Pekuliargeschwindigkeit. Abweichungen vom Hubble-Fluss kommen durch lokale Gravitationsfelder zustande, und solche Felder wiederum werden durch lokale Dichtefluktuationen erzeugt. Diese führen unweigerlich zu einem Beschleunigungsfeld, welches auf die Materie wirkt und somit Pekuliargeschwindigkei-
7.6 Pekuliargeschwindigkeiten 307
Abb. 7.20. Rechts ist eine H-Band-Aufnahme des Linsensystems MG 2016+112 gezeigt, bestehend aus einer Linsengalaxie im Zentrum, sowie vier Bildern der Hintergrundquelle, von denen die beiden südlichen in dieser Aufnahme beinahe verschmolzen sind. Links sind von diesen Komponenten die VLBI-Karten dargestellt; die Radioquelle besteht aus einem kompakten Kern und einer Jet-Komponente, wie in den Bildern A und B klar zu erkennen ist. Die VLBI-Karte der Komponente C zeigt in der Tat, dass es sich um ein Doppelbild der Quelle handelt, in dem Kern
und Jet-Komponente jeweils zweifach auftreten. Jedes glatte Massenmodell der Linsengalaxie sagt vorher, dass der Abstand C12–C11 etwa gleich dem Abstand C13–C2 sein sollte, was offensichtlich der Beobachtung widerspricht. In diesem Fall ist die Substruktur der Massenverteilung sogar sichtbar: Wenn man die schwache Emission südlich der Komponente C, wie sie im rechten Bild zu erkennen ist, als Massenkomponente im Linsenmodell mit einbezieht, so lassen sich die Abstände der Komponenten im Bild C gut modellieren
ten erzeugt. In numerischen Simulationen werden die Pekuliargeschwindigkeiten der einzelnen Teilchen automatisch mitberechnet. In diesem kurzen Abschnitt wollen wir die großräumigen Pekuliargeschwindigkeiten betrachten, wie sie aus der linearen Störungstheorie hergeleitet werden können. Da die räumliche Abhängigkeit des Dichtekontrasts δ zeitlich konstant ist, δ(x, t) = δ0 (x) D+ (t) – siehe (7.14) – hat der Beschleunigungsvektor g im Rahmen der linearen Störungstheorie eine konstante Richtung. Deshalb erhält man die Pekuliargeschwindigkeit in der Form u(x) ∼ dt g(x, t) ,
wobei wir die Funktion
und sie ist parallel zu g(x). Quantitativ ergibt sich für heute, also t = t0 , der Zusammenhang zwischen Geschwindigkeits- und Beschleunigungsfeld 2 u(x) = f(Ωm ) g(x) , (7.41) 3H0 Ωm
f(Ωm ) :=
a(t) d D+ D+ (t) da
(7.42)
definiert haben. Es stellt sich heraus, dass die Funktion f(Ωm ) für t = t0 durch eine sehr einfache und ge0.6 naue Näherung dargestellt werden kann, f(Ωm ) ≈ Ωm . Diese wurde zunächst für den Fall ΩΛ = 0 gefunden, aber es stellt sich heraus, dass eine kosmologische Konstante diesen Zusammenhang nur wenig beeinflusst. Bringt man Korrekturen hinsichtlich ΩΛ an, so ergibt sich eine etwas genauere Näherung, ΩΛ Ωm 0.6 f ≈ Ωm + 1+ . (7.43) 70 2 Aus der Kleinheit des letzten Terms sieht man, dass die Korrekturen durch Λ tatsächlich gering sind, weshalb 0.6 man meistens f = Ωm setzen kann. Andererseits ist g(x) der Gradient des Gravitationspotentials, g ∝ −∇φ. Daraus folgt, dass u(x)
7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum 308
ein Gradientenfeld ist, d. h. es existiert eine skalare Funktion ψ(x), so dass u = ∇ψ, wobei der Gradient bezüglich der mitbewegten Raumkoordinate x genommen wird. Deswegen ist ∇ · g ∝ −∇ 2 φ ∝ −δ, so dass auch ∇ · u ∝ −δ; dabei wurde die Poisson-Gleichung (7.10) benutzt. Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so ergibt sich für heute 0.6 ∇ · u(x) = −H0 Ωm δ0 (x) .
(7.44)
Wir wollen dieses Ergebnis noch etwas genauer herleiten und beginnen mit der linearisierten Form der Gleichung (7.8), ∂δ 1 + ∇ ·u = 0 , ∂t a
(7.45)
wobei hier und im Folgenden der Gradient immer bzgl. mitbewegter Koordinaten zu nehmen ist. Wegen der Faktorisierung (7.14) von δ(x, t) folgt sofort ∂δ D˙ + δ. = ∂t D+ Kombiniert man diese Gleichung mit (7.45) und definiert wie oben u = ∇ψ, so ergibt sich D˙ + 1 d D+ δ = −a a˙ δ D+ D+ da 0.6 = −a H(a) f(Ωm )δ ≈ −a H(a) Ωm δ , (7.46)
∇ 2 ψ = ∇ · u = −a
wobei die oben definierte Funktion f(Ωm ) hier benutzt wurde. Diese Poisson-Gleichung für ψ kann gelöst werden, und durch Gradientenbildung kann daraus das Pekuliargeschwindigkeitsfeld berechnet werden, Ω 0.6 y−x u(x, t) = m a H(a) d 3 y δ(y, t) . 4π |y − x|3 (7.47) Die Gleichung (7.47) besagt, dass das Geschwindigkeitsfeld aus dem Dichtefeld bestimmt werden kann. Könnte man das Dichtefeld im Universum beobachten, so erhielte man aus den obigen Relationen direkt eine Vorhersage des zugehörigen Geschwindigkeitsfeldes. Dieses hängt von der Materiedichte Ωm ab, so dass man aus einem Vergleich mit dem beobachteten Geschwindigkeitsfeld daraus den Wert für Ωm abschätzen kann. Wir kommen darauf in Abschn. 8.1.6 zurück.
7.7
Der Ursprung der Dichtefluktuationen
Wir haben in Abschn. 4.5.3 gesehen, dass das Horizontund das Flatness-Problem der normalen FriedmannLemaître-Entwicklung des Universums gelöst werden können, wenn man eine frühe Phase der sehr schnellen – exponentiellen – Ausdehnung des Kosmos postuliert. Durch diese inflationäre Phase des Universums werden jegliche anfänglichen Krümmungen des Raumes durch die gewaltige Ausdehnung weggeglättet, und weiterhin sorgt die exponentielle Expansion dafür, dass unser gesamtes heute sichtbares Universum vor der inflationären Phase in kausalem Kontakt gestanden hat. Diese beiden Aspekte des inflationären Modells sind so attraktiv, dass die meisten Kosmologen heutzutage die Inflation als Teil des Standardmodells betrachten, selbst wenn die Physik der Inflation nicht im Detail bekannt ist. Das inflationäre Modell hat eine weitere Eigenschaft, welche als sehr vielversprechend angesehen wird. Durch die ungeheure Ausdehnung des Universums werden mikroskopische Skalen zu makroskopischer Dimension aufgeblasen. Die großräumigen Strukturen im heutigen Universum entsprechen mikroskopischen Skalen vor und während der inflationären Phase. Aufgrund der Quantenmechnik wissen wir, dass die Materieverteilung nicht wirklich homogen sein kann, sondern Quantenfluktuationen unterworfen ist, wie das beispielsweise durch die Heisenbergsche Unschärferelation ausgedrückt wird. Diese kleinen Quantenfluktuationen werden durch die Inflation zu großskaligen Fluktuationen der Dichte. Aus diesem Grunde bietet das inflationäre Modell auch eine natürliche Erklärung für das Auftreten der anfänglichen Dichtefluktuationen. Tatsächlich kann man diese Überlegungen auch quantitativ weiterführen und versuchen, das anfängliche Leistungsspektrum dieser Fluktuationen zu berechnen. Das Ergebnis solcher Untersuchungen hängt ein wenig von den Details des jeweils betrachteten inflationären Modells ab. Übereinstimmend jedoch sagen diese Modelle vorher, dass das ursprüngliche Leistungsspektrum eine Form haben sollte, die dem Harrison–ZeldovichSpektrum sehr ähnlich ist. In diesem Sinne kann man aus der Vermessung des Leistungsspektrums das Modell der Inflation direkt testen.
7.7 Der Ursprung der Dichtefluktuationen 309
Die verschiedenen inflationären Modelle unterscheiden sich auch in der Vorhersage der relativen Stärke der Fluktuationen der Raum-Zeit, die nach der Inflation vorhanden sein sollten. Solche Fluktuationen sind nicht direkt mit Dichteschwankungen verbunden, sondern sind eine Folge der Allgemeinen Relativitätstheorie, nach der die Raum-Zeit selbst eine dynamische Größe ist. Eine Konsequenz daraus ist die Existenz von Gravitationswellen. Obwohl bisher noch keine Gravitationswellen direkt nachgewiesen wurden, zeigt die Untersuchung des Doppelpulsars PSR J1915+1606, dass es solche Wellen gibt.8 Primordiale Gravitationswellen stellen daher eine Möglichkeit dar, zwischen verschiedenen Modellen der Inflation empirisch zu unterscheiden. Solche Gravitationswellen hinterlassen einen Abdruck in der Polarisation des kosmischen Mikrowellenhintergrunds, der im Prinzip messbar ist. Eine
Satelliten-Mission, die diese Messungen erlauben soll, wird zurzeit geplant. 8 Der Doppelpulsar PSR J1915+1606 wurde 1974 entdeckt. Durch die Bahnbewegung des Pulsars und seines Begleitstern werden nach der Allgemeinen Relativitätstheorie Gravitationswellen abgestrahlt. Dadurch verliert dieses System an Bahnenergie, so dass die Größe des Orbits mit der Zeit schrumpft. Da Pulsare exzellente Uhren darstellen und Zeitmessungen mit extremer Präzision durchgeführt werden können, kann man die Änderung der Bahnbewegung sehr genau verfolgen und mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie vergleichen. Die phantastische Übereinstimmung von Theorie und Beobachtung kann als sicherer Beweis für die Existenz von Gravitationswellen betrachtet werden. Für die Entdeckung des Doppelpulsars und die detaillierten Untersuchungen dieses Systems wurden Russell Hulse und Joseph Taylor 1993 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet.
311
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter In den Kapiteln 4 und 7 haben wir die wesentlichen Aspekte des kosmologischen Standardmodells beschrieben. Zusammen mit den erworbenen Kenntnissen über Galaxien, Galaxienhaufen und AGNs sind wir nun in der Lage, die Bestimmung der verschiedenen kosmologischen Parameter diskutieren zu können. Dabei werden wir eine Reihe von Methoden kennen lernen, wobei jede für sich für die Abschätzung von kosmologischen Parametern nützlich ist, und wir werden die entsprechenden Ergebnisse dieser Methoden angeben. Der wichtigste Aspekt dieses Kapitels wird sein, dass wir heute für alle kosmologischen Parameter mehr als eine unabhängige Abschätzung haben und so die Bestimmung dieser Parameter eine große Redundanz besitzt. Dieser Aspekt an sich ist deutlich wichtiger für die Kosmologie als die präzisen Werte der Parameter selbst, denn er wirkt gleichsam als Test der Konsistenz des kosmologischen Modells. Wir wollen diesen Aspekt an einem Beispiel verdeutlichen. In Abschn. 4.4.4 haben wir diskutiert, wie man aus der primordialen Nukleosynthese und der Beobachtung des Verhältnisses von Deuterium zu Wasserstoff im Universum die kosmische Baryonendichte bestimmen kann. Diese Bestimmung beruht also auf der Richtigkeit unserer Vorstellung von der thermischen Geschichte des frühen Universums sowie der Gültigkeit der Gesetze der Kernphysik kurz nach dem Urknall. Wie wir später sehen werden, kann die Baryonendichte auch aus den Winkelfluktuationen der kosmischen Hintergrundstrahlung abgeleitet werden, wobei man dafür die im letzten Kapitel behandelte Strukturbildung in einem CDM-Modell als Grundlage benötigt. Falls unser Standardmodell des Universums nicht stimmig wäre, gäbe es keinen Grund, warum diese beiden so bestimmten Dichten in hervorragender Übereinstimmung miteinander sein sollten wie sie es sind. Aus diesem Vergleich erhält man deshalb nicht nur einen genaueren Wert als mit jeder einzelnen Methode, sondern die Übereinstimmung ist eine starke Aussage über die Gültigkeit des Standardmodells. Wir beginnen in Abschn. 8.1 mit der Beobachtung der großräumigen Materieverteilung, der Large-Scale Structure (LSS). Die großräumige Struktur der Materieverteilung kann nicht direkt vermessen werden, sondern
nur die der sichtbaren Galaxien. Falls man annimmt, dass die Galaxienverteilung wenigstens ungefähr (dies werden wir später noch genauer spezifizieren) der Verteilung der Dunklen Materie folgt, kann man aus ihr das Leistungsspektrum der Dichtefluktuationen abschätzen, welches wiederum von den kosmologischen Parametern abhängt, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben. Danach werden wir die für die kosmologischen Parameter relevanten Aspekte der Galaxienhaufen in Abschn. 8.2 zusammenfassen. In Abschn. 8.3 werden Supernovae vom Typ Ia als Werkzeuge der Kosmologie behandelt und ihr HubbleDiagramm betrachtet. Da SN Ia als Standardkerzen gelten, gibt ihr Hubble-Diagramm Aufschluss über die Dichteparameter Ωm und ΩΛ . Aus diesen Beobachtungen wurde um 1998 zum ersten Mal ein deutlicher Hinweis auf eine von Null verschiedene Kosmologische Konstante erhalten. Danach werden wir in Abschn. 8.4 den Linseneffekt der LSS untersuchen, mit dessen Hilfe man Information direkt über die LSS der Materie erhalten kann, ohne Annahmen hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Materie und Galaxien machen zu müssen. In der Tat kann dieser Zusammenhang mittels des Linseneffekts direkt untersucht werden. Als Nächstes wenden wir uns in Abschn. 8.5 den Eigenschaften des intergalaktischen Mediums zu, wobei insbesondere der Lyman-α-Wald in den Spektren von QSOs als kosmologische Sonde vorgestellt werden soll. Schließlich beschäftigen wir uns in Abschn. 8.6 mit der Diskussion der Anisotropie des kosmischen Mikrowellenhintergrunds, in der wir insbesondere zeigen werden, dass aus den Beobachtungen des CMB und dessen Analyse sehr umfangreiche und genaue Informationen über die kosmologischen Parameter zu erhalten sind. Insbesondere werden wir über die neuesten und Aufsehen erregenden Ergebnisse zu den CMB-Anisotropien berichten und die aus ihnen gewonnenen Erkenntnisse zusammen mit den Resultaten der anderen Methoden betrachten. Aus dieser Kombination können dann die Parameter des kosmologischen Modells spezifiziert werden; dieses kosmologische Standardmodell beschreibt beinahe sämtliche kosmologisch relevanten Beobachtungen selbstkonsistent.
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 312
8.1
Rotverschiebungssurveys von Galaxien
8.1.1
Einleitung
Die inhomogene großräumige Verteilung der Materie, wie sie in Kapitel 7 beschrieben wurde, ist nicht direkt beobachtbar, da sie zum größten Teil aus Dunkler Materie besteht. Falls man annehmen könnte, dass die Verteilung von Galaxien die darunterliegende Verteilung der Dunklen Materie treu nachzeichnet, so könnte man mit der Beobachtung der Galaxienverteilung im Universum direkt die Eigenschaften der LSS studieren. Es gibt gute Gründe, warum diese Annahme nicht ganz unplausibel ist. Beispielsweise sehen wir eine große Dichte von Galaxien in Galaxienhaufen, und mit den in Kapitel 6 diskutierten Methoden kann man verifizieren, dass Haufen auch eine starke Konzentration der Masse darstellen. Rein qualitativ ist diese Annahme daher begründet. Wir werden sie weiter unten etwas modifizieren. Auf alle Fälle erscheint die Verteilung der Galaxien an der Sphäre inhomogen zu sein und großräumige Strukturen aufzuweisen, und da die Galaxien sich aus dem allgemeinen kosmischen Dichtefeld heraus entwickelt haben, sollten sie Information über dieses beinhalten. Es ist daher von großem Interesse, die Eigenschaften der Galaxienverteilung zu untersuchen und zu quantifizieren. Dazu gibt es zwei prinzipielle Möglichkeiten: Durch photometrische Durchmusterungen des Himmels kann die zwei-dimensionale Verteilung der Galaxien an der Sphäre beobachtet werden. Will man die dritte Ortskoordinate ebenfalls bestimmen, so muss mittels Spektroskopie der Galaxien ihre Rotverschiebung bestimmt werden, denn daraus kann unter Benutzung des Hubble-Gesetzes die Entfernung berechnet werden. Es ist offensichtlich, dass man aus der drei-dimensionalen Verteilung deutlich mehr über die statistischen Eigenschaften der Galaxienverteilung lernen kann, so dass Rotverschiebungssurveys von besonderem Interesse sind. Die graphische Darstellung der Galaxienpositionen wird mittels sog. Wedge-Diagramme erzielt. Diese stellen den Sektor eines Kreises dar, mit der Milchstraße im Zentrum, die Radialkoordinate ist proportional zu
Abb. 8.1. Der CfA-Rotverschiebungssurvey, in äquatorialen Koordinaten. Dieses ,,Wedge-Diagramm“ zeigt in radialer Richtung die Fluchtgeschwindigkeit cz bis zu 12 000 km/s, während der Polarwinkel die Rektaszension angibt. Die Great Wall erstreckt sich von 9h bis 15h . Die Überdichte bei 1h und cz = 4000 km/s ist der Pisces-Perseus-Superhaufen
z (bzw. cz – dadurch wird die Entfernung in km/s gemessen), und der Polarwinkel des Diagramms stellt eine Winkelkoordinate am Himmel (z. B. die Rektaszension) dar, wobei ein Intervall in der zweiten Winkelkoordinate betrachtet wird. Ein Beispiel eines solchen Wedge-Diagramms ist in Abb. 8.1 zu sehen.
8.1.2
Rotverschiebungssurveys
Die Durchführung von Rotverschiebungssurveys ist eine sehr zeitaufwändige Aufgabe im Vergleich zu photometrischen Durchmusterungen, da die Aufnahme eines Spektrums sehr viel mehr Beobachtungszeit verlangt als die bloße Bestimmung der scheinbaren Helligkeit einer Quelle. Die Geschichte der Rotverschiebungssurveys ist daher, wie in so vielen anderen Gebieten der Astronomie, von der Entwicklung von Teleskopen und Instrumenten getrieben. Die Einführung von CCDs in der Astronomie zu Beginn der 80er Jahre steigerte deutlich die Empfindlichkeit und Genau-
8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien 313
igkeit optischer Detektoren und erlaubte dadurch die Durchführung von Rotverschiebungssurveys mit mehreren Tausend Galaxien im nahen Universum (siehe Abb. 8.1). Die Benutzung eines Einzelspalts im Spektrographen implizierte, dass bei jeder Beobachtung nur eine oder sehr wenige Galaxien spektroskopiert werden konnte. Die Situation änderte sich mit der Einführung von Spektrographen mit großer Multiplexität, die speziell für Rotverschiebungssurveys entwickelt wurden und mit denen viele (bis zu Tausend) Objekte im Gesichtsfeld gleichzeitig spektroskopiert werden können.
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schmalen Streifen von jeweils 80 Länge und 1.5 Breite, wobei mit Entfernungen bis zu ∼ 60 000 km/s dieser Survey deutlich tiefer ist als der CfA-RedshiftSurvey. Die Verteilung der Galaxien ist in Abb. 8.2 dargestellt. Man erkennt dort die typische Blasen- oder Wabenstruktur. Galaxien sind verteilt auf Filamenten, die ihrerseits große Gebiete umgeben, in denen es beinahe keine Galaxien gibt – die bereits erwähnten Voids. Die Galaxienverteilung zeigt eine sehr ähnliche Struktur wie die aus numerischen Simulationen erzeugte Ver-
Strategie von Rotverschiebungssurveys. Ein solcher Survey wird im Wesentlichen durch zwei Kriterien definiert. Zum einen seine Geometrie: Man wählt einen Himmelsausschnitt, in dem der Survey durchgeführt werden soll. Das zweite ist die Auswahl von Objekten in dieser Region, für die ein Spektrum aufgenommen werden soll. Aus praktischen Gründen wählt man in fast allen Fällen Objekte nach ihrer Helligkeit aus, d. h. man spektroskopiert Galaxien heller als eine vorgegebene Grenzhelligkeit. Diese bestimmt die Anzahldichte von Galaxien im Survey, aber auch die notwendige Belichtungszeit. Zur Anwendung des zweiten Kriteriums ist als Ausgangspunkt ein photometrischer Katalog von Quellen nötig. Dieses Kriterium kann dann in einigen Fällen weiter verfeinert werden. Beispielsweise kann eine Mindestausdehnung des Objekts vorgegeben werden, um Sterne auszuschließen. Der Spektrograph kann Einschränkungen an die Objektauswahl ergeben; z. B. kann man mit Multi-Objekt-Spektrographen häufig keine zwei Quellen spektroskopieren, die sich zu nahe sind. Beispiele von Rotverschiebungssurveys. In den 80er Jahren wurde der Center for Astrophysics (CfA)Survey durchgeführt, der die Rotverschiebungen von über 14 000 Galaxien im nahen Universum vermessen hat (Abb. 8.1). Die größten Entfernungen der Galaxien entsprechen etwa cz ∼ 15 000 km/s. Eines der spektakulären Ergebnisse des CfA-Surveys war die Entdeckung der ,,Great Wall“, einer riesigen Struktur in der Galaxienverteilung (siehe auch Abb. 7.2). Der Las Campanas Redshift Survey (LCRS), durchgeführt in der ersten Hälfte der 90er Jahre, bestimmte die Rotverschiebung von über 26 000 Galaxien in sechs
Abb. 8.2. Der Las Campanas Redshift Survey besteht aus jeweils drei Feldern am Nord- und Südgalaktischen Pol; jedes dieser Felder ist ein Streifen mit 1.5◦ Breite und 80◦ Länge. Der Survey enthält insgesamt etwa 26 000 Galaxien, und der Median der Rotverschiebung ist etwa 0.1. Die jeweils drei Streifen zeigen die Verteilung der Galaxien an der Sphäre, während das Wedge-Diagramm für die Galaxien mit gemessener Rotverschiebung die Rektaszension gegen Entfernung von der Milchstraße angibt, gemessen in Einheiten von 1000 km s−1
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 314
teilung der Dunklen Materie (siehe etwa Abb. 7.12). Weiterhin erkennt man aus der Verteilung, dass es keine Strukturen gibt, die von der typischen Ausdehnung des Surveys sind. Mit dem LCRS wurde daher eine Skala untersucht, die größer ist als diejenige, auf der noch signifikante Struktur in der Materieverteilung vorhanden ist. Somit enthält das Survey-Volumen des LCRS einen repräsentativen Ausschnitt des Universums. Eine andere Art der Rotverschiebungssurveys wurde durch die Himmelsdurchmusterung des IRASSatelliten (siehe Abschn. 2.3.1) ermöglicht. Bei diesen IRAS-Surveys wurde die Auswahl von Objekten, für die Spektren aufgenommen wurden, aus dem Fluss bei 60 μm bestimmt, wie er vom IRAS-Satelliten in seiner (fast) vollständigen Himmelsdurchmusterung gemessen wurde. Verschiedene Rotverschiebungssurveys basieren auf dieser Auswahl und unterscheiden sich durch den gewählten Grenzfluss; entsprechend gibt es z. B. den 2 Jy-Survey (also S60 μm ≥ 2 Jy), oder den 1.2 JySurvey. Die beiden QDOT- und PSCz-Surveys haben eine Flussgrenze von S60 μm ≥ 0.6 Jy, wobei QDOT eine von sechs zufällig ausgewählten Galaxien des IRASSamples spektroskopiert hat, während PSCz praktisch vollständig ist und ∼ 15 500 Rotverschiebungen enthält. Einer der Vorteile dieser IRAS-Surveys besteht darin, dass der FIR-Fluss praktisch unbeeinflusst von Galaktischer Absorption ist, während bei der Auswahl der Galaxien durch optische Photometrie dieser Effekt korrigiert werden muss. Weiterhin ist der PSCz ein ,,all-sky“ Survey und enthält somit die Galaxienverteilung in einer Kugel um uns herum, so dass man ein vollständiges Bild der lokalen Galaxienverteilung erhält. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass es sich hier um einen bestimmten Typ von Galaxien handelt, nämlich bevorzugt solche mit einem hohen Staubanteil und aktiver Sternentstehung, die zur Heizung des Staubes führt. Der Canada-France Redshift Survey (CFRS) spektroskopierte schwache Galaxien mit 17.5 ≤ I ≤ 22.5, bei denen der Median der Rotverschiebung etwa 0.5 beträgt. Der Katalog enthält 948 Objekte, von denen 591 Galaxien sind. Mit diesem Survey, durchgeführt mit einem Multi-Objekt-Spektrographen am CFHT (siehe Abschn. 1.3.3), der bis zu etwa 100 Spektren simultan aufnehmen konnte, wurde das Studium der Entwicklung von Galaxien, wie etwa ihrer Leuchtkraftfunktion oder der Sternentstehungsrate, sowie der Abhängigkeit
der Korrelationsfunktion von der Rotverschiebung zum ersten Mal ermöglicht. Der 2dF-Survey und der Sloan Digital Sky Survey. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der ersten Rotverschiebungssurveys legten deutlich umfangreichere Surveys nahe, mit denen man die Statistik der Galaxienverteilung verbessern konnte, indem man über erheblich größere Volumina im Universum mittelte. Weiterhin würde die Untersuchung der Galaxienverteilung bei höheren Rotverschiebungen es auch ermöglichen, eine Entwicklung in der Verteilung der Galaxien zu messen. Mit u. a. diesen Zielsetzungen wurden zwei sehr umfangreiche Rotverschiebungssurveys durchgeführt, der 2 degree Field Galaxy Redshift Survey (2dFGRS) und der Sloan Digital Sky Survey (SDSS). Der 2dFGRS wurde mit einem eigens dafür gebauten Spektrographen durchgeführt, bei dem mittels Lichtleitern bis zu 400 Spektren gleichzeitig aufgenommen werden, wobei die Quellen auf einem Feld mit einem Durchmesser von zwei Grad verteilt sein können. Dieser Spektrograph wurde am 4 m-Anglo Australian Telescope montiert. Die Positionierung der Lichtleiter auf die zu spektroskopierenden Objekte wird von einem Roboter vorgenommen. Das Gebiet des Surveys umfasst zwei große zusammenhängende Himmelsregionen von 75◦ × 15◦ und 75◦ × 7.5◦ , sowie 100 weitere zufällig verteilte Felder. Der photometrische Ausgangskatalog war der APM-Galaxienkatalog, der durch Digitalisierung von Photoplatten erstellt wurde. Die Grenzgröße der Galaxien, für die ein Spektrum aufgenommen wurde, beträgt etwa B 19.5, wobei dieser Wert hinsichtlich der Galaktischen Extinktion korrigiert wurde. Der 2dFGRS wurde fertiggestellt und enthält die Rotverschiebungen von über 230 000 Galaxien (siehe Abb. 7.1). Die Spektren und Rotverschiebungen sind inzwischen öffentlich erhältlich. Die wissenschaftliche Ausbeute dieses großen Datensatzes ist bereits jetzt sehr beeindruckend, wie wir weiter unten noch darstellen werden. Für den SDSS wurde sogar eigens ein 2.5 MeterTeleskop gebaut, das mit zwei Instrumenten ausgestattet ist. Zum einen wird eine Kamera mit 30 CCDs etwa ein Viertel des Himmels in fünf photometrischen Bändern beobachten und damit die mit Abstand größte photometrische Durchmusterung mit CCDs durchführen. Die dabei anfallende Datenmenge ist enorm und bedarf
8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien 315
eines riesigen Aufwands zur Bearbeitung und Speicherung dieser Daten. Für diesen photometrischen Sloan Survey wurde ein neues photometrisches System entwickelt, dessen fünf Filter (u, g, r, i, z) so gewählt wurden, dass ihre Transmissionskurven möglichst wenig überlappen (siehe Anhang A.4). Die Auswahl von Objekten zur Spektroskopie wird dann mittels dieser photometrischen Information durchgeführt. Die MultiObjekt-Spektroskopie basiert wie beim 2dF-Survey ebenfalls auf Lichtleitern, die in zuvor gestanzte Löcher in Metallplatten manuell eingeführt werden. Mit ca. 640 simultan aufgenommenen Spektren ist die Strategie ähnlich wie beim 2dFGRS. Das Ziel des spektroskopischen Surveys ist die Gewinnung von etwa einer Million Galaxienspektren. In regelmäßigen Abständen werden die Datenprodukte des SDSS öffentlich zugänglich gemacht, und zurzeit (2005) ist der Survey etwa zur Hälfte publiziert. Auch für den SDSS gilt, dass bereits die bisherige wissenschaftliche Ausbeute sehr reichhaltig ist und sich nicht allein auf Rotverschiebungssurveys von Galaxien beschränkt. Insbesondere werden die photometrischen Daten für eine große Vielzahl von anderen Galaktischen und extragalaktischen Projekten benutzt. Sowohl der 2dF-Survey als auch SDSS spektroskopieren neben Galaxien auch QSOs, die aufgrund ihrer optischen Farben ausgewählt werden; so entstanden die bei weitem umfangreichsten QSO-Surveys.
8.1.3
Man parametrisiert den Zusammenhang zwischen Dunkler Materie und Galaxien mit dem sog. linearen Bias-Faktor b; er wird definiert durch Δn Δρ = bδ , (8.1) =b δg := ρ¯ n¯ wobei n¯ die mittlere Dichte der betrachteten Galaxienpopulation und Δn = n − n¯ die Abweichung der lokalen Anzahldichte von Galaxien von ihrer mittleren Dichte bezeichnet. Der Bias-Faktor ist also das Verhältnis zwischen der relativen Überdichte von Galaxien und der Dunklen Materie. Ein solcher linearer Zusammenhang ist nicht strikt aus der Theorie begründbar. Er ist aber ein plausibler Ansatz für Skalen, auf denen das Dichtefeld linear ist. Der Bias-Faktor b kann im Prinzip abhängen vom Typ der Galaxie, der Rotverschiebung und von der betrachteten Längenskala. Die Definition (8.1) ist im statistischen Sinn zu verstehen: In einem betrachteten Volumen V erwartet man im Mittel N¯ = n¯ V Galaxien, beobachtet seien N = n V , d. h. Δn N − N¯ n − n¯ = = = b δV , n¯ V n¯ N¯ wobei δV der Dichtekontrast der Dunklen Materie ist, gemittelt über das Volumen V . Unter der Annahme von linearem Biasing kann man dann von den statistischen Eigenschaften der Galaxienverteilung auf die der Materie schließen. Ein physikalisches Modell für das Biasing ist in Abb. 8.3 skizziert.
Bestimmung des Leistungsspektrums
Wir kehren nun zur Frage zurück, wie man aus der beobachteten Galaxienverteilung die Verteilung der (Dunklen) Materie im Universum bestimmen kann. Falls Galaxien die Verteilung der Dunklen Materie getreu nachzeichnen, kann man das Leistungsspektrum der Dunklen Materie aus der Galaxienverteilung ermitteln. Da jedoch die Entstehung und die Entwicklung von Galaxien nicht genau genug verstanden sind, um den Zusammenhang zwischen ihnen und der Dunklen Materie quantitativ vorhersagen zu können (jedenfalls nicht ohne eine ganze Reihe von Modellannahmen), ist diese Annahme nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Beispielsweise könnte es sein, dass es eine Schwelle der lokalen Dichte der Dunklen Materie gibt, unterhalb derer Galaxienentstehung nicht stattfinden kann oder zumindest stark behindert ist.
Normierung des Leistungsspektrums. In Abschn. 7.4.2 haben wir gezeigt, dass im Rahmen des CDM-Modells das Leistungsspektrum der Dichtefluktuationen bis auf die Normierung vorhergesagt werden kann; die Normierung muss allerdings empirisch bestimmt werden. Eine nützliche Weise, diese zu parametrisieren, besteht in dem Parameter σ8 . Dieser ergibt sich durch folgende Beobachtung: Betrachtet man Kugeln mit Radius R = 8h −1 Mpc, so findet man, dass optisch-selektierte Galaxien auf dieser Skala eine Fluktuationsamplitude von etwa 1 haben, ) * Δn 2 2 σ8,g := ≈1, (8.2) n¯ 8
wobei die Mittelung über verschiedene Kugeln mit gleichem Radius von R = 8h −1 Mpc erfolgt. Entsprechend
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 316
Abb. 8.3. Die Skizze stellt ein bestimmtes Modell des Biasing dar. Das eindimensionale Dichteprofil der Materie sei durch die durchgezogene Kurve gegeben, wobei es sich als Superposition einer langwelligen Fluktuation (dargestellt durch die gestrichelte Kurve) und einer kleinskaligen Fluktuation ergibt. Wenn man annimmt, dass Galaxien sich nur dort bilden können, wo das Dichtefeld einen bestimmten Wert überschrei-
tet, hier als Gerade eingezeichnet, dann sind die Galaxien in diesem Dichteprofil dort lokalisiert, wo sie durch Pfeile angedeutet sind. Offensichtlich sind die Positionen der Galaxien hochgradig korreliert; sie bilden sich nur dort, wo die großskalige Fluktuation ein Maximum besitzt. Die Korrelation der Galaxien in diesem Bild ist auf kleinen Skalen deutlich größer als die Korrelation des darunterliegenden Dichtefeldes
definiert man durch σ82 = δ2 8
Wie wir in Abschn. 7.4.2 gesehen haben, wird im Rahmen von CDM-Modellen die Form von P(k) durch den Formparameter Γ = h Ωm beschrieben. Der Vergleich der Form des Leistungsspektrums von Galaxien mit dem von CDM-Modellen ergibt Γ ∼ 0.25 (siehe Abb. 8.4); wegen Γ = hΩm deutet dieses Resultat auf ein Universum kleiner Dichte hin. Aus dem 2dFGRS wurde das Leistungsspektrum von Galaxien mit deutlich größerer Genauigkeit vermessen, als dies vorher möglich war. Da ein konstantes b nicht erwartet werden kann im nichtlinearen Bereich, d. h. auf Skalen unterhalb von ∼ 10h −1 Mpc, werden beim Vergleich mit Leistungsspektren von CDM-Modellen nur solche linearen Skalen verwendet. Da der Dichteparameter Ωm relativ klein zu sein scheint, spielt die baryonische Dichte eine merkliche Rolle in der Form der Transferfunktion (siehe Gl. 7.25), die neben Γ auch von Ωb abhängt. Die Messgenauigkeit der Galaxienverteilung im 2dFGRS ist gut genug, um für diese Abhängigkeit empfindlich zu sein. In Abb. 8.5 ist das gemessene Leistungsspektrum der Galaxien aus dem 2dFGRS dargestellt, zusammen mit CDM-Modellen mit unterschiedlichem Formparameter Γ , sowohl für den Fall, dass die Baryonendichte in der Transferfunktion vernachlässigt wurde, als auch mit dem Wert von Ωb , der sich aus der primordialen Nukleosynthese ergibt (siehe Abschn. 4.4.4). Betrachtet man Modelle, in denen Ωb ein freier Parameter ist, so ergeben sich zwei Bereiche im
(8.3)
die Dispersion des über Kugeln mit R = 8h −1 Mpc gemittelten Dichtekontrasts der Dunklen Materie. Aus der Definition (8.1) des Bias-Faktors ergibt sich dann σ8 =
σ8,g 1 ≈ . b b
(8.4)
Wegen dieses einfachen Zusammenhangs hat es sich eingebürgert, σ8 als Parameter für die Normierung des Leistungsspektrums zu benutzen.1 Falls b = 1, also Galaxien treu der Materie folgen würden, dann wäre σ8 ≈ 1. Falls b nicht allzu verschieden von 1 ist, so sieht man, dass Dichtefluktuationen auf einer Skala von ∼ 8h −1 Mpc heute gerade nichtlinear werden. Auf größeren Skalen ist die Entwicklung des Dichtekontrastes angenähert durch die lineare Störungstheorie beschreibbar. Form des Leistungsspektrums. Nimmt man an, dass b nicht von der betrachteten Längenskala abhängt, kann man aus dem Leistungsspektrum Pg (k) der Galaxien die Form des Leistungsspektrums der Dunklen Materie ermitteln, während die Amplitude von b abhängt. gesagt betrachtet man σ8 als Normierung des linear nach heute extrapolierten Leistungsspektrums P0 (k), so dass der Zusammenhang (8.4) etwas modifiziert werden muss. 1 Genauer
8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien 317
Abb. 8.4. Links ist das Leistungsspektrum von Galaxien dargestellt, wobei Δ2 (k) ∝ k3 P(k) eine dimensionslose Beschreibung des Leistungsspektrums ist; es wurde aus einer ganzen Reihe von Galaxiensurveys bestimmt. Rechts sind Modellspektren für Δ(k) aufgetragen, wobei Γ
von 0.5 (oberste Kurve) bis 0.2 (unterste Kurve) variiert; die Daten der verschiedenen Surveys wurden hier geeignet gemittelt. Man erkennt, dass ein Wert des Formparameters Γ ∼ 0.25 sehr gut zu diesen Beobachtungen passt
Abb. 8.5. Links: Das aus dem 2dFGRS gemessene Leistungsspektrum der Galaxienverteilung, hier ausgedrückt durch Δ2 (k) ∝ k3 P(k), sowie Leistungsspektren von CDMModellen mit unterschiedlichem Formparameter Γ = Ωm h, einmal mit dem Wert für die Baryonendichte, wie sie aus der primordialen Nukleosynthese (BBN) bestimmt wurde (durchgezogene Kurven), als auch für Modelle ohne Baryonen (gestrichelte Kurven). Der Wert der Hubble-Konstanten sowie die Steigung n = 1 des primordialen Leistungsspektrums wurden angenommen. Ein sehr guter Fit der Beobachtungs-
daten ergibt sich mit Γ ≈ 0.2. Rechts: Konfidenz-Konturen in der Ωm h–Ωb /Ωm -Ebene. Es zeigen sich zwei Bereiche des Parameterraums, die eine gute Anpassung der Daten ergeben. Der obere Bereich ist mit keinen anderen kosmologischen Messungen verträglich. Im Gegensatz dazu ist der untere Bereich im Parameterraum in hervorragender Übereinstimmung mit Messungen aus der BBN (siehe Abschn. 4.4.4), dem Baryonenanteil in Galaxienhaufen (siehe Abschn. 8.2.3) und den Messungen der Anisotropie des CMB (siehe Abschn. 8.6)
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 318
Parameterraum, die das Leistungsspektrum der Galaxienverteilung gut wiedergeben (siehe Abb. 8.5). Einer der beiden Bereiche zeichnet sich durch einen sehr großen Baryonenanteil der Materiedichte aus, sowie einen sehr großen Wert für Ωm h. Diese Parameterwerte sind mit praktisch keiner anderen Bestimmung kosmologischer Parameter verträglich. Andererseits ergibt sich eine gute Anpassung an die Form des Leistungsspektrums für Γ = Ωm h = 0.18 ± 0.02 , Ωb /Ωm = 0.17 ± 0.06 . (8.5) Wie in der Abb. 8.5 dargestellt ist und wie wir unten noch zeigen werden, sind diese Werte der Parameter in sehr guter Übereinstimmung mit denen, die man aus anderen kosmologischen Beobachtungen erhält. Vergleicht man die Leistungsspektren von zwei verschiedenen Typen von Galaxien miteinander, so sollten diese proportional zueinander (und zum Leistungsspektrum der Dunklen Materie) sein, aber ihre Amplituden können sich unterscheiden, wenn ihre Bias-Faktoren unterschiedlich sind. Der Vergleich der Leistungsspektren von roten und blauen Galaxien im 2dFGRS zeigt einerseits, dass diese tatsächlich eine sehr ähnliche Form aufweisen, was die Annahme eines linearen Biasing auf großen Skalen unterstützt, andererseits ist der BiasFaktor der roten Galaxien etwa um einen Faktor 1.4 größer als der der blauen. Dieses Resultat ist nicht ganz unerwartet, weil sich rote Galaxien bevorzugt in Galaxienhaufen aufhalten, während blaue Galaxien kaum in massereichen Haufen zu finden sind. Daher scheinen die roten Galaxien den Dichtekonzentrationen der Dunklen Materie sehr viel deutlicher zu folgen als die blauen Galaxien.
8.1.4
Einfluss von Pekuliargeschwindigkeiten
Galaxien im Universum bewegen sich nicht nur aufgrund der Hubble-Expansion, sondern besitzen zusätzlich noch eine Pekuliargeschwindigkeit. Die Pekuliargeschwindigkeit der Milchstraße ist durch den CMB-Dipol messbar (siehe Abb. 1.17). Wegen dieser Pekuliargeschwindigkeiten ist die beobachtete Rotverschiebung einer Quelle die Überlagerung der kosmischen Expansionsgeschwindigkeit und
der Pekuliargeschwindigkeit v entlang der Sichtlinie, c z = H0 D + v .
(8.6)
Da die Pekuliargeschwindigkeit die Messung der beiden anderen Raumkoordinaten (Winkelpositionen) nicht beeinflusst, verzerrt sie die Position der Galaxien in den Wedge-Diagrammen, relativ zu den wahren Positionen, durch eine Verschiebung in radialer Richtung. Da nur die Rotverschiebung messbar ist, i. A. aber nicht die wahre Entfernung D, ist die gemessene drei-dimensionale Position einer Quelle durch die Winkelkoordinaten und die Rotverschiebungsentfernung cz v s= = D+ (8.7) H0 H0 gegeben. Man nennt den durch diese drei Koordinaten aufgespannten Raum den Rotverschiebungsraum. Insbesondere erwartet man, dass in diesem Rotverschiebungsraum die Korrelationsfunktion der Galaxien nicht isotrop ist. Das bekannteste Beispiel für diesen Effekt sind die ,,Fingers of God“. Dazu betrachten wir die Galaxien eines Haufens. Diese befinden sich in einem kleinen Raumgebiet, also alle bei etwa der gleichen Entfernung D und innerhalb eines kleines Raumwinkels an der Sphäre. Aufgrund der hohen Geschwindigkeitsdispersion der Galaxien erstrecken sie sich aber über einen breiten Bereich in s, was in einem Wedge-Diagramm als langgestreckte, auf uns zu zeigende Strukturen leicht zu erkennen ist (siehe Abb. 7.2). Massenkonzentrationen kleinerer Dichte haben einen gegenteiligen Effekt: Galaxien, die sich näher bei uns befinden als diese Überdichte, bewegen sich auf diese Konzentration zu, also von uns weg, so dass deren Rotverschiebungsentfernung s größer ist als ihr wahrer Abstand D. Umgekehrt ist die Pekuliarbewegung von Galaxien hinter der Massenkonzentration auf uns zugerichtet, weshalb deren s kleiner ist als ihr wahrer Abstand. Betrachtet man nun Galaxien, die auf einer Kugelschale um diese Massenkonzentration angeordnet sind, dann wird die Kugel im physikalischen Raum zu einem entlang der Sichtlinie abgeplatteten Ellipsoid im Rotverschiebungsraum. Dieser Effekt ist in Abb. 8.6 illustriert. Aufgrund der durch die Pekuliargeschwindigkeiten hervorgerufenen Verzerrung zwischen dem physikalischen Raum und dem Rotverschiebungsraum, die sich
8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien 319 Abb. 8.6. Einfluss der Pekuliargeschwindigkeiten auf die Position von Galaxien im Rotverschiebungsraum. Links oben sind Galaxien (Punkte) mit Kurven verbunden, die sich in Wirklichkeit auf Kugelschalen befinden; die Erklärung dazu ist unten gegeben: Auf großen Skalen fallen die Galaxien auf einen Galaxienhaufen ein, uns näher stehende Galaxien bewegen sich von uns weg und erscheinen dadurch im Rotverschiebungsraum entfernter, als sie es wirklich sind. Der Haufen selbst erzeugt einen ,,Finger of God“. Im rechten oberen Bild ist der gleiche Effekt zu sehen für den Fall, dass sich der Haufen nahe bei uns (kleiner Kreis Mitte unten) befindet
in der Transformation (8.7) der radialen Ortskoordinate (also der entlang der Sichtlinie) widerspiegelt, ist die Korrelationsfunktion der Galaxien im Rotverschiebungsraum nicht mehr isotrop. Der Grund dafür ist der Zusammenhang zwischen dem Dichtefeld und dem entsprechenden Pekuliargeschwindigkeitsfeld. Spezialisiert man (7.47) auf die heutige Epoche und benutzt den Zusammenhang (8.1) zwischen dem Dichtefeld der Materie und dem der Galaxien, so erhält man H0 y−x u(x) = β d 3 y δg (y) , (8.8) 4π |y − x|3
wobei wir die Größe β :=
0.6 Ωm b
(8.9)
definiert haben. Dieser Zusammenhang zwischen dem Dichtefeld der Galaxien und der Pekuliargeschwindigkeit gilt im Rahmen der linearen Störungstheorie unter der Annahme des linearen Biasing. Die Anisotropie der Korrelationsfunktion wird nun durch diese Korrelation zwischen u(x) und δg hervorgerufen, und die Stärke der Anisotropie hängt von dem Parameter β ab. Da die Kor-
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 320
digkeitsfeld folgen, sondern aufgrund kleinskaliger gravitativer Wechselwirkungen eine Geschwindigkeitsdispersion σp besitzen. Eine quantitative Interpretation der Anisotropie der Korrelationsfunktion muss diesen Effekt, der ein zusätzliches ,,Verschmieren“ der Position von Galaxien im Rotverschiebungsraum entlang der Sichtlinie hervorruft, mit berücksichtigen. Der Wert, den man für β ableitet, hängt daher mit σp zusammen. Beide Werte können simultan bestimmt werden, indem man die beobachtete Korrelationsfunktion mit Modellen unterschiedlicher Werte von β und σp vergleicht. Dies ergibt dann Konfidenzregionen in der β-σp -Ebene, die ein deutliches Minimum der entsprechenden χ 2 Funktion aufweisen, weshalb beide Parameter simultan abgeschätzt werden können. Man erhält als besten Schätzwert β = 0.51 ± 0.05 ; Abb. 8.7. Die 2-Punkt-Korrelationsfunktion ξg , wie sie aus dem 2dFGRS gemessen wurde, ist als Funktion des transversalen Abstands σ und des radialen Abstands π im Rotverschiebungsraum aufgetragen; durchgezogene Kurven bezeichnen Werte konstanten ξ. Die gestrichelten Kurven zeigen die gleiche Korrelationsfunktion, wie sie aus einer kosmologischen Simulation unter Berücksichtigung der kleinskaligen Geschwindigkeiten ermittelt wurden. Das Abflachen der Verteilung für große Abstände und die Fingers of God sind klar zu erkennen
relationsfunktion anisotrop ist, gilt dies genau so für das Leistungsspektrum. In der Tat ist die Anisotropie der Korrelationsfunktion messbar, und ist für den 2dFGRS in Abb. 8.7 dargestellt (wobei in dieser Abbildung die übliche Konvention benutzt wurde, dass der transversale Abstand als σ, der longitudinale im Rotverschiebungsraum mit π bezeichnet wird). Man erkennt deutlich die Abplattung der Kurven gleicher Korrelationsstärke entlang der Sichtlinie für Abstände 10h −1 Mpc, bei denen das Dichtefeld noch linear ist, während bei kleinen Abständen sehr deutlich der finger-of-god-Effekt zu erkennen ist. Diese Abplattung bei großen Abständen hängt aufgrund von (8.8) direkt von β ab, weshalb β aus dieser Anisotropie bestimmt werden kann. Allerdings muss dabei zusätzlich berücksichtigt werden, dass Galaxien nicht strikt dem kosmischen Geschwin-
8.1.5
σp ≈ 520 km/s .
(8.10)
Winkelkorrelationen von Galaxien
Die Vermessung der Korrelationsfunktion oder des Leistungsspektrums ist nicht nur mit extensiven Rotverschiebungssurveys von Galaxien möglich, die ja erst seit relativ kurzer Zeit zur Verfügung stehen, sondern man kann die Korrelationseigenschaften von Galaxien auch aus ihrer Winkelposition an der Sphäre bestimmen: Aus der drei-dimensionalen Korrelation der Galaxien im Raum folgt, dass ihre Winkelpositionen ebenfalls korreliert sind. Diese Winkelkorrelationen sind ja bereits in der Projektion der hellen Galaxien an der Sphäre direkt sichtbar (siehe Abb. 6.2). Die Winkelkorrelationsfunktion w(θ) ist definiert in Analogie zur drei-dimensionalen Korrelationsfunktion ξ(r) (siehe Abschn. 7.3.1): Wenn man zwei Raumwinkelelemente dω bei θ1 und θ2 betrachtet, so ist die Wahrscheinlichkeit, in dem bei θ1 eine Galaxie zu finden, P1 = n¯ dω, wobei n¯ die mittlere Dichte der Galaxien (mit wohldefinierten Eigenschaften, wie etwa der minimalen Grenzhelligkeit) an der Sphäre bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit, eine Galaxie um θ1 und eine weitere um θ2 zu finden, ist dann P2 = (n¯ dω)2 [1 + w(|θ1 − θ2 |)] ,
(8.11)
wobei wir bereits die statistische Homogenität und Isotropie der Galaxienverteilung ausgenutzt haben,
8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien 321
aufgrund derer die Korrelationsfunktion w nur vom Betrag des Winkelabstands abhängt. Die Winkelkorrelationsfunktion w(θ) hängt natürlich sehr eng zusammen mit der drei-dimensionalen Korrelationsfunktion ξg der Galaxien. Weiterhin ist w(θ) abhängig von der Rotverschiebungsverteilung der betrachteten Galaxien; je breiter diese Verteilung ist, umso weniger Paare von Galaxien findet man bei gegebenem Winkelabstand, die sich auch im dreidimensionalen Raum nahe und daher korreliert sind. Das bedeutet, je breiter die Rotverschiebungsverteilung der Galaxien, umso kleiner ist die erwartete Winkelkorrelation. Der Zusammenhang zwischen w(θ) und ξg (r) ist gegeben durch die Limber-Gleichung, die in ihrer einfachsten Form geschrieben werden kann als w(θ) = dz p2 (z) d(Δz) ⎛ ⎞ 2 d D × ξg ⎝ [DA (z)θ]2 + (Δz)2 ⎠ , (8.12) dz wobei DA (z) der Winkelabstand (4.45) ist, p(z) die Rotverschiebungsverteilung der Galaxien beschreibt und d D das physikalischen Entfernungsintervall angibt, das einem Rotverschiebungsintervall dz entspricht, c da dD c d D = −c dt = − ⇒ = . aH dz (1 + z) H(z) Lange bevor umfangreiche Rotverschiebungssurveys durchgeführt wurden, konnte man die Korrelation w(θ) vermessen. Da sie linear mit ξg zusammenhängt, und ξg wiederum vom Fluktuationsspektrum der Materie und dem Bias-Faktor abhängt, konnte man gemessene Winkelkorrelationen mit kosmologischen Modellen vergleichen. Aus solchen Untersuchungen ergaben sich bereits seit längerer Zeit Hinweise auf einen kleinen Wert des Formparameters Γ = Ωm h von etwa 1/4 (siehe Abb. 8.4), der mit einem Einstein–de-SitterUniversum unverträglich ist. Die Abb. 8.8 zeigt w(θ) für vier Magnitudenintervalle, wie sie vom SDSS gemessen wurde. Man erkennt, dass w(θ) über einen weiten Winkelbereich einem Potenzgesetz folgt, wie man das aus (8.12) und der Tatsache, dass ξ(r) einem Potenzgesetz folgt, auch erwarten würde.2 Weiterhin zeigt die Abbil2 Es ist leicht zu zeigen, dass ein Potenzgesetz ξ(r) ∝ r −γ eine Winkelkorrelation w(θ) ∝ θ −(γ −1) impliziert.
Abb. 8.8. Die Winkelkorrelationsfunktion w(θ) in den vier Magnitudenintervallen 18 < r ∗ < 19, 19 < r ∗ < 20, 20 < r ∗ < 21 und 21 < r ∗ < 22, wie sie aus den ersten photometrischen Daten des SDSS gemessen wurde, zusammen mit Potenzgesetz-Fits der Daten über den Winkelbereich 1 ≤ θ ≤ 30 ; die Steigung ist in allen Fällen sehr nahe bei θ −0.7
dung, dass w(θ) umso kleiner ist, je leuchtschwächer die Galaxien sind, da schwächere Galaxien im Mittel eine größere Rotverschiebung haben und eine breitere Rotverschiebungsverteilung einnehmen. 8.1.6
Kosmische Pekuliargeschwindigkeiten
Die Beziehung (8.8) zwischen dem Dichtefeld der Galaxien und der Pekuliargeschwindigkeit kann noch in einem weiteren Zusammenhang benutzt werden. Dazu nehmen wir an, die Entfernung von Galaxien könnte unabhängig von ihrer Rotverschiebung bestimmt werden. Dies ist im relativ lokalen Universum durch sekundäre Entfernungsmaße (wie etwa die Skalierungsrelationen von Galaxien) möglich. Aus dieser Entfernung kann man nun mit Hilfe der Rotverschiebung die radiale Komponente der Pekuliargeschwindigkeit bestimmen, v = cz − H0 D . Um Werte von v in der Größenordnung ∼ 500 km/s messen zu können, muss D mit einer relativen
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 322
Genauigkeit von v cz bestimmt werden. Falls die Entfernungsmessung ca. 10% Genauigkeit besitzt, so begrenzt dies die
Abb. 8.9. Das Pekuliargeschwindigkeitsfeld und das daraus abgeleitete Dichtefeld in unserer näheren Umgebung. Die Entfernungen sind hier als Fluchtgeschwindigkeit in Einheiten von 1000 km/s angegeben. Die Massenkonzentration links, auf die die Geschwindigkeitsvektoren gerichtet sind, ist der Great Attractor, rechts ist der Pisces-Perseus-Supercluster. Durch Vergleich dieser so rekonstruierten Massenverteilung mit der Verteilung der Galaxien kann man β bestimmen; solche Untersuchungen haben zunächst relativ große Werte für β ergeben, neuere Ergebnisse zeigen eher β ∼ 0.5. Da der BiasFaktor für unterschiedliche Typen von Galaxien verschieden sein kann, kann auch β von der Sorte der betrachteten Galaxien abhängen; man findet z. B., dass IRAS-Galaxien kleineres β, und daher auch kleineres b besitzen als optisch selektierte Galaxien
Entfernung cz/H0 ∼ 100 Mpc, entsprechend einer Expansionsgeschwindigkeit cz ∼ 6000 km/s, so dass das Pekuliargeschwindigkeitsfeld nur relativ lokal messbar ist. Die Messung von D erfolgt typischerweise mit der Tully–Fisher-Relation für Spiralen und der Fundamental-Ebene oder der Dn -σ-Relation für Ellipsen. Meist wendet man diese Messungen auf Gruppen von Galaxien an, die daher in etwa die gleiche Entfernung haben, da dadurch die Genauigkeit der gemeinsamen (oder mittleren) Entfernung verbessert werden kann. Nun ermöglicht der Zusammenhang (8.8), aus dem gemessenen Dichtefeld der Galaxien das Pekuliar-
Abb. 8.10. Eine Aufnahme in Richtung des Great Attractors. Dieses Bild hat die Größe von einem halben Grad Seitenlänge und wurde mit dem WFI am ESO/MPG 2.2 Meter-Teleskop auf La Silla aufgenommen. Die Richtung ist nur etwa 7◦ von der Galaktischen Scheibe entfernt. Deshalb ist die Sterndichte auf dieser Aufnahme extrem hoch (man kann etwa 200 000 Sterne auf dieser Aufnahme finden), und die Extinktion in der Scheibe der Milchstraße bewirkt, dass man sehr viel weniger schwache Galaxien hoher Rotverschiebung auf dieser Aufnahme findet als auf vergleichbaren Aufnahmen bei hoher Galaktischer Breite. Dennoch ist eine große Zahl von Galaxien zu erkennen (grünlich), die zu einem gewaltigen Galaxienhaufen gehören (ACO 3627, Entfernung etwa 80 Mpc), der vermutlich den Hauptbeitrag zum Great Attractor liefert
8.2 Kosmologische Parameter aus Galaxienhaufen 323
geschwindigkeitsfeld vorherzusagen, was dann mit den gemessenen Pekuliargeschwindigkeiten verglichen werden kann – wobei dieser Zusammenhang von β abhängt. Daher kann aus diesem Vergleich β abgeschätzt werden. Auch die Umkehrung dieser Methode ist möglich, man kann aus dem Pekuliargeschwindigkeitsfeld das Dichtefeld ermitteln und mit der beobachteten Galaxienverteilung vergleichen. Ein solcher Vergleich ist in Abb. 8.9 dargestellt. Die Messung des Pekuliargeschwindigkeitsfeldes führte Mitte der 80er Jahre dazu, dass man auf eine Massenkonzentration schloss, die das lokale Geschwindigkeitsfeld beeinflussen sollte, die allerdings nicht mit einer großen Konzentration von Galaxien identifiziert werden konnte. Diese Massenkonzentration (sie erhielt den Namen ,,Great Attractor“) lag etwa in der Richtung zum Galaktischen Zentrum, weshalb sie nicht direkt beobachtet werden konnte. Mit modernen Weitwinkelkameras wurde inzwischen in dieser Richtung ein massereicher Galaxienhaufen beobachtet – siehe Abb. 8.10.
8.2
Kosmologische Parameter aus Galaxienhaufen
Als massereichste und größte gravitativ gebundene und relaxierte Objekte im Universum sind Galaxienhaufen von besonderem Wert für die Kosmologie. In diesem Abschnitt wollen wir einige Methoden erläutern, mit Hilfe derer man aus der Beobachtung von Galaxienhaufen kosmologische Parameter abgeleitet hat. 8.2.1
Anzahldichte
Wir haben in Abschn. 7.5.2 gesehen, dass für ein gegebenes kosmologisches Modell die Anzahldichte von Halos als Funktion der Masse und der Rotverschiebung berechnet werden kann. Das legt nun nahe, die beobachtete Anzahldichte von Galaxienhaufen mit diesen Modellergebnissen zu vergleichen und daraus Schlüsse zu ziehen. Wie wir in Kapitel 6 gesehen haben, wird die Selektion von Haufen mittels ihrer Röntgenemission zurzeit als die zuverlässigste Methode betrachtet. Die in Abschn. 6.3.5 beschriebenen Haufenkataloge können
daher für den Vergleich mit den Modellvorhersagen für die Anzahldichte von Halos herangezogen werden. Damit dies auch durchgeführt werden kann, müssen die Massen der Haufen bestimmt werden. Wir haben in Kapitel 6 mehrere Methoden der Massenbestimmung besprochen. Da eine sehr detaillierte Massenbestimmung nur für einzelne Haufen möglich ist, nicht jedoch für ein großes Sample, wie es für den statistischen Vergleich benötigt wird, bedient man sich normalerweise der in Abschn. 6.4 diskutierten Skalierungsrelationen. Dabei spielt die Relation (6.52) zwischen der Röntgentemperatur, der Röntgenleuchtkraft und der Virialmasse eine zentrale Rolle. Diese Skalierungsrelationen werden dann an solchen Haufen geeicht, für die eine detaillierte Massenbestimmung durchgeführt wurde. Der Vergleich der Anzahldichte von beobachteten Haufen mit der Halodichte kosmologischer Modelle kann nun entweder im lokalen Universum durchgeführt werden oder als Funktion der Rotverschiebung. Im ersten Fall erhält man aus diesem Vergleich die Normierung des Leistungsspektrums, also σ8 , bei gegebener Materiedichte Ωm . Genauer gesagt ist die Anzahldichte 0.5 von Halos von der Kombination σ8 Ωm abhängig, wobei der genaue Wert des Exponenten von Ωm vom Massenbereich der betrachteten Halos abhängt. Die Untersuchung von Haufenkatalogen, wie sie aus dem ROSAT All Sky Survey (RASS) erstellt wurden, ergibt etwa den Wert 0.5 σ8 Ωm ≈ 0.5 ,
(8.13)
wobei die Hauptunsicherheit in diesem Wert von der Kalibrierung der Skalierungsrelationen stammt. Die Entartung zwischen Ωm und σ8 kann gebrochen werden, wenn man die Rotverschiebungsentwicklung der Anzahldichte von Haufen betrachtet. Wie wir in Abschn. 7.2.2 gesehen haben, hängt die Anwachsrate D+ der Dichtestörungen von den kosmologischen Parametern ab. Für ein Universum kleiner Dichte ist der Wachstumsfaktor D+ bei hoher Rotverschiebung deutlich größer als in einem Einstein–de-Sitter-Universum. Daher ist die erwartete Anzahldichte von Haufen bei hohen Rotverschiebungen in einem EdS-Universum deutlich geringer als in einem mit kleiner Dichte, wenn man die Haufendichte heute als bekannt voraussetzt. In der Tat erwartet man in einem EdS-Universum praktisch keine Haufen großer Masse bei z 0.5 (siehe Abb. 7.7), während die Entwicklung der Anzahldichte von Haufen
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 324
in Universen mit kleinem Ωm wesentlich moderater verläuft. Die Tatsache, dass sehr massereiche Haufen mit Rotverschiebungen z > 0.5 gefunden werden, ist daher nicht verträglich mit einem kosmologischen Modell hoher Materiedichte.
Das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von kosmischen Quellen scheint im Mittel eine wachsende Funktion ihrer Masse zu sein. Wir haben in Kapitel 3 gesehen, dass M/L für Spiralen kleiner ist als für Ellipsen, dass weiterhin M/L für Ellipsen mit ihrer Masse ansteigt, dass Gruppen, wie etwa die Lokale Gruppe, ein M/L ∼ 100h besitzen, und dass M/L für Galaxienhaufen einige Hundert beträgt, jeweils in solaren Einheiten gemessen. Aus dieser Sequenz sehen wir, dass M/L mit der Skala der Messungen ansteigt. Geht man zu Skalen, die noch größer sind als Galaxienhaufen – Superhaufen beispielsweise – so scheint M/L nicht weiter anzu-
steigen, sondern einen Sättigungswert angenommen zu haben (siehe Abb. 8.11). Wenn man daher annimmt, dass Haufen charakteristisch sind für das mittlere M/L-Verhältnis im Universum, kann man die mittlere Dichte des Universums ρ0 aus der gemessenen Leuchtkraftdichte L und dem M/L-Verhältnis für Haufen bestimmen, M L; ρ0 = L dabei beziehen sich L und L auf ein festes Frequenzintervall, z. B. die Strahlung im B-Band. L lässt sich etwa durch die Bestimmung der lokalen Leuchtkraftfunktion von Galaxien messen. Daraus ergibt sich dann in etwa M/LB Ωm = . (8.14) 1200 h Da inzwischen mehrere Methoden zur Bestimmung der Masse von Haufen existieren (siehe Kapitel 6) und L messbar ist, kann man (8.14) zur Abschätzung von Ωm auf Haufen anwenden. Dabei ergibt sich typischerweise Ωm ∼ 0.2, also ein etwas kleinerer Wert
Abb. 8.11. Das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis M/L scheint eine Funktion der Längenskala oder Massenskala kosmischer Objekte zu sein. Der leuchtende Bereich von Spiralen hat in etwa M/L ∼ 3 (alles hier in solaren Einheiten von M /L ), der von Ellipsen etwa von M/L ∼ 10. Allerdings haben Galaxien einen Halo Dunkler Materie, so dass die Masse, und daher M/L von Galaxien sehr viel größer ist als im sichtbaren Bereich gemessen. Aus der Dynamik von Paaren von Galaxien kann ebenfalls eine Masse abgeschätzt werden, was zu typisch M/L ∼ 50 bei Galaxien führt. Galaxiengrup-
pen und Haufen besitzen ein noch größeres M/L-Verhältnis, sie sind also besonders stark von Dunkler Materie dominiert und erreichen M/L ∼ 250. Wenn das M/L-Verhältnis in Haufen dem mittleren M/L im Universum entspricht, so kann man aus der Leuchtkraftdichte auf die Materiedichte des Universums schließen und erhält so einen Wert von Ωm ∼ 0.2. Nur einige frühere Untersuchungen der großräumigen Pekuliarbewegungen im Universum gaben einen Hinweis auf noch größeres M/L, aber neuere Ergebnisse scheinen dies nicht zu bestätigen
8.2.2
Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis
8.2 Kosmologische Parameter aus Galaxienhaufen 325
für Ωm verglichen mit dem aus anderen Methoden. Aber diese Methode ist vermutlich weniger verlässlich als die anderen beschriebenen: L ist nicht leicht zu bestimmen (z. B. wurde die Normierung der SchechterLeuchtkraftfunktion in den letzten Jahren erheblich revidiert und ist nicht besser als ∼ 20% bekannt), und das M/L-Verhältnis in Haufen muss nicht repräsentativ sein – beispielsweise läuft die Galaxienentwicklung in Haufen anders ab als für eine ,,mittlere“ Galaxie. 8.2.3
Baryonenanteil
Wie wir in Kapitel 6 diskutiert haben, bestehen Galaxienhaufen größtenteils aus Dunkler Materie. Nur ca. 15% ihrer Masse ist baryonischer Natur, wobei davon der Hauptanteil vom heißen intergalaktischen Gas stammt. Der Baryonenanteil von Haufen scheint innerhalb der Messgenauigkeit nicht zwischen verschiedenen Haufen zu variieren, sondern einen konstanten Wert zu besitzen. Die Existenz eines solchen universellen Baryonenanteils würde man auch erwarten, denn da Haufen große Gebilde darstellen, ist es schwer vorstellbar, dass die Mischung aus Baryonen und Dunkler Materie in Haufen vom kosmischen Mittel stark abweicht. Ein massereicher Galaxienhaufen, dessen Virialradius heute ∼ 1.5 Mpc beträgt, hat sich durch gravitative Kontraktion aus einem mitbewegten Volumen gebildet, dessen lineare Ausdehnung sich zu etwa ∼ 10 Mpc bemisst. Effekte wie etwa SupernovaExplosionen oder andere Ausströmphänomene, wie sie bei Galaxien wirksam sind und deren Baryonenmasse verringern können, sind bei Haufen aufgrund ihrer Größe nicht effektiv genug. Nimmt man daher an, dass der Baryonenanteil f b in Haufen für das Universum repräsentativ ist, so kann man den Dichteparameter des Universums bestimmen, da ja die Baryonendichte aus der primordialen Nukleosynthese (siehe Abschn. 4.4.4) als bekannt vorausgesetzt werden kann. Daraus ergibt sich Ωm Ωb Ωm ≈ Ωb ≈ ≈ 0.3 . (8.15) Ωb fb
8.2.4
Die LSS der Galaxienhaufen
Unter der Annahme, dass die Galaxien der Verteilung der Dunklen Materie folgen, kann man aus ihrer räum-
lichen Verteilung auf die statistischen Eigenschaften der Verteilung Dunkler Materie schließen, wie z. B. deren Leistungsspektrum. Zumindest auf großen Skalen, bei denen die Strukturentwicklung bis heute noch nahezu linear verläuft, scheint diese Annahme gerechtfertigt, wenn man zusätzlich noch einen Bias-Faktor erlaubt. Es ist daher nahe liegend, auch die großräumige Verteilung von Galaxienhaufen zu betrachten, denn auch diese sollte auf linearen Skalen der Verteilung der Dunklen Materie folgen, allerdings mit einem vermutlich unterschiedlichen Bias-Faktor. Der ROSAT All Sky Survey (siehe Abschn. 6.3.5) hat die Zusammenstellung einer homogenen Stichprobe von Galaxienhaufen erlaubt, mit deren Hilfe eine solche Analyse der großräumigen Verteilung von Haufen erstmals möglich war. Die Abb. 8.12 zeigt, dass das Leistungsspektrum von Haufen die gleiche Form aufweist wie das von Galaxien, jedoch mit einer deutlich
Abb. 8.12. Das Leistungsspektrum von Galaxien (offene Symbole) und Galaxienhaufen des REFLEX-Surveys (gefüllte Symbole). Die beiden Leistungsspektren haben im Wesentlichen die gleiche Form, unterscheiden sich aber durch einen konstanten Faktor. Dieser Faktor gibt das Quadrat des Verhältnisses der Bias-Faktoren zwischen optisch selektierten Galaxien und Röntgenhaufen an. Insbesondere auf großen Längenskalen ist die Vermessung des Leistungsspektrums mit Haufen von Bedeutung
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 326
größeren Normierung. Das in dieser Abbildung dargestellte Verhältnis der beiden Leistungsspektren beruht auf den unterschiedlichen Bias-Faktoren für Galaxien und Haufen, bclusters ≈ 2.6bg . Daher hat das Leistungsspektrum für Haufen eine etwa (2.6)2 höhere Amplitude als das von Galaxien. Da Galaxienhaufen wesentlich seltener vorkommen als Galaxien, müssen die ihnen entsprechenden Dichtemaxima der Dunklen Materie eine höhere Schwelle besitzen als die für Galaxien, so dass sich in dem Biasing-Modell, das in Abb. 8.3 illustriert wurde, eine stärkere Korrelation ergibt. Die Untersuchung des Leistungsspektrums mittels Haufen ist besonders für große Skalen interessant, um eine weitere Messung des Formparameters Γ = Ωm h zu erhalten. Zusammen mit der Anzahldichte von Haufen ergeben sich aus ihren Korrelationseigenschaften Werte von Ωm ≈ 0.34 und σ8 ≈ 0.71.
8.3
Supernovae hoher Rotverschiebung und die kosmologische Konstante
8.3.1
Sind SN Ia Standardkerzen?
Wie in Abschn. 2.3.2 bereits erwähnt, vermutet man, dass Supernovae vom Typ Ia Explosionsprozesse von Weißen Zwergen sind, die durch Akkretion zusätzlicher Materie eine kritische Grenzmasse überschreiten. Diese sollte für alle SN Ia gleich sein, weshalb es zumindest plausibel ist, dass sie alle die gleiche Leuchtkraft besitzen. Wenn dies der Fall wäre, so wären sie ideal als Standardkerzen geeignet, denn aufgrund ihrer großen Leuchtkraft kann man sie auch bei großen Entfernungen erkennen und vermessen. Es stellt sich aber heraus, dass SN Ia nicht wirklich Standardkerzen sind, denn ihre maximale Leuchtkraft variiert von Objekt zu Objekt, mit einer Dispersion von etwa 0.4 mag im Blauen. Dies ist im oberen Diagramm der Abb. 8.13 zu erkennen. Wenn SN Ia Standardkerzen wären, so lägen die Messpunkte alle auf einer Geraden, wie es das Hubble-Gesetz beschreibt. Man erkennt deutlich die Abweichungen vom Hubble-Gesetz, die erheblich größer sind als die photometrischen Messfehler. Nun zeigt sich aber eine starke Korrelation zwischen der Leuchtkraft und der Form der Lichtkurve von SN Ia: Solche größerer maximaler Leuchtkraft zeigen
Abb. 8.13. Das Hubble-Diagramm für relativ nahe SN Ia. Aufgetragen ist die gemessene Fluchtgeschwindigkeit cz als Funktion des Entfernungsmoduls der einzelnen Supernovae. Im oberen Teil der Abbildung wurde angenommen, dass alle Quellen die gleiche Leuchtkraft besitzen. Wenn dies zuträfe, sollten sie alle auf der Geraden liegen, die aus dem HubbleGesetz folgt. Offensichtlich ist die Streuung beträchtlich. Unten wurden die Leuchtkräfte mittels der sog. MLCSMethode korrigiert; dadurch werden die Abweichungen vom Hubble-Gesetz dramatisch kleiner – die Dispersion reduziert sich von 0.42 mag auf 0.15 mag
einen langsameren Abfall der Lichtkurve, von ihrem Maximum aus gemessen. Weiterhin wird die beobachtete Leuchtkraft möglicherweise durch Extinktion in ihrer Heimatgalaxie beeinflusst, zusätzlich zur Extinktion in der Milchstraße. Aufgrund der einhergehenden Rötung der spektralen Verteilung kann man diesen Effekt aus den beobachteten Farben der SN erschließen. Zusammen ergibt sich daraus die Möglichkeit, aus den beobachteten Lichtkurven in mehreren Filtern eine empirische Korrektur der maximalen Leuchtkraft vorzunehmen, die sowohl die Korrelation der Breite der Lichtkurve mit der beobachteten Leuchtkraft als auch die Extinktion berücksichtigt. Diese Korrektur wurde an
8.3 Supernovae hoher Rotverschiebung und die kosmologische Konstante 327
einem Sample von SN Ia kalibriert, bei denen die Entfernung ihrer Heimatgalaxien sehr genau bekannt ist. Nach dieser Korrektur folgen die SN Ia dem HubbleGesetz sehr viel genauer, wie im unteren Teil der Abb. 8.13 zu sehen ist. Die verbleibende Streuung um die Hubble-Relation beträgt nur noch σ = 0.15 mag. Die Abb. 8.14 zeigt den Erfolg dieser Korrektur anhand der Lichtkurven einiger SN Ia, die sehr verschiedene maximale Leuchtkräfte und Breiten besitzen, aber nach der Korrektur beinahe identisch erscheinen. Das linke Diagramm in Abb. 8.14 legt nahe, dass die Lichtkurven der SN Ia im Wesentlichen durch eine ein-parametrige Schar von Funktionen beschreibbar ist und dass dieser Parameter aus der Form, speziell der Breite der Lichtkurven abgelesen werden kann. Dadurch werden die SN Ia standardisierbare Kerzen, d. h. aus der Beobachtung der Lichtkurven in mehreren Bändern kann man ihre maximale Leuchtkraft bestimmen. Da der beobachtete Fluss einer Quelle von der Leuchtkraft und der Leuchtkraftentfernung DL abhängt, letztere aber neben der Rotverschiebung auch vom kosmologischen Modell abhängt, kann man SN Ia zur Bestimmung kosmologischer Parameter benutzen, indem man mit ihnen die Leuchtkraftentfernung bei verschiedenen Rotverschiebungen misst. Dazu ist es notwendig, SN Ia bei höheren Rotverschiebungen, bei denen die Abweichungen vom linearen Hubble-Gesetz sichtbar werden, zu finden und zu beobachten.
8.3.2
Abb. 8.14. Links: B-Band-Lichtkurven von verschiedenen SN Ia; man erkennt, dass die Form der Lichtkurven und die maximale Leuchtkraft der SN Ia sich voneinander deutlich unterscheiden. Empirisch wurde eine Transformation gefunden,
deren Parameter durch die Breite der Lichtkurve beschrieben ist. Mittels dieser Transformation können die verschiedenen Lichtkurven miteinander zur Deckung gebracht werden, wie die rechte Darstellung zeigt
Beobachtungen von SN Ia bei hohen Rotverschiebungen
Eine effiziente Strategie zum Auffinden solcher Ereignisse wurde entwickelt, und zwei große internationale Teams haben jeweils einen umfangreichen Survey für SN Ia bei hohen Rotverschiebungen durchgeführt. Zwei photometrische Aufnahmen des gleichen Feldes, aufgenommen mit einem zeitlichen Abstand von etwa vier Wochen, werden verglichen und nach Quellen untersucht, die in der zuerst genommenen Aufnahme nicht erkennbar waren, aber auf der späteren sichtbar sind. Von diesen Kandidaten werden dann unmittelbar Spektren aufgenommen, um die Natur der Quelle als SN Ia zu verifizieren. Danach werden diese Quellen intensiv photometriert, um möglichst genaue und gut überdeckte Lichtkurven zu erhalten. Damit diese Beobachtungsstrategie durchführbar ist, muss die Teleskopzeit für die Spektroskopie und die nachfolgende Photometrie gesichert sein, bevor die Kandidatensuche beginnt. Diese Art der Surveys verlangt daher eine sehr gut geplante Strategie und Koordination an verschiedenen Teleskopen. Da SN Ia bei hohen Rotverschiebungen sehr lichtschwach sind, müssen die neuen Teleskope der 8 MeterKlasse für die Spektroskopie eingesetzt werden. Beide Teams waren erfolgreich im Auffinden von entfernten SN Ia. In ihren ersten großen Kampagnen, deren Ergebnisse 1998 veröffentlicht wurden, wurden
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 328
Quellen bis zu Rotverschiebungen von z 0.8 gefunden und analysiert. In der Zwischenzeit wurden weitere SN Ia gefunden, teilweise mit Rotverschiebungen ≥ 1. Große Fortschritte wurden auch durch Beobachtungen mit dem HST erzielt. Dabei gelang es u. a., eine SN Ia bei Rotverschiebung z = 1.7 zu finden. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Schlussfolgerungen beider Teams in hervorragender Übereinstimmung sind. Da sie etwas unterschiedliche Methoden zur Korrektur der maximalen Helligkeit benutzen, bedeutet diese Übereinstimmung einen signifikanten Test der systematischen Unsicherheiten dieser Methode.
8.3.3
Resultate
Als erstes Ergebnis sei hier erwähnt, dass die Breite der Lichtkurve bei SN Ia höherer Rotverschiebung größer ist als bei lokalen Objekten. Das wird auch erwartet, da aufgrund der Rotverschiebung sich die beobachtete Breite um einen Faktor (1 + z) ändert. Diese Abhängigkeit konnte sehr gut bestätigt werden und zeigt somit direkt die Transformation des Eigenzeit-Intervalls als Funktion der Rotverschiebung. Trägt man die beobachteten Helligkeiten in ein Hubble-Diagramm ein, kann man denjenigen Satz von kosmologischen Parametern suchen, der die Abhängigkeit der beobachteten Helligkeit m obs von der Rotverschiebung am besten wiedergibt – siehe Abb. 8.15. Vergleicht man die maximale Helligkeit der gemessenen SN Ia bzw. ihren Entfernungsmodul mit derjenigen, die man in einem leeren Universum (Ωm = 0 = ΩΛ ) erwarten würde, so ergibt sich ein wahrlich überraschendes Ergebnis (siehe Abb. 8.16). Betrachtet man zunächst nur SN mit z 1, so findet man, dass diese schwächer sind, als selbst ein leeres Universum beschreiben würde. Dabei sei bemerkt, dass entsprechend (4.13) ein solches Universum mit konstanter Rate expandiert. Die Leuchtkraftentfernung in einem solchen Universum ist daher größer als in jedem anderen Universum mit verschwindender Kosmologischer Konstante. Man kann die Leuchtkraftentfernung nur dadurch vergrößern, dass das Universum in der Vergangenheit langsamer expandierte als heute, die Expansion sich mit der Zeit also beschleunigt! Aus (4.19) folgt, dass eine solche beschleunigte Expansion nur
Abb. 8.15. Entfernungsmodul der nahen und entfernten SN Ia, bestimmt aus dem korrigierten maximalen Fluss der Quelle. Diamantsymbole repräsentieren Supernovae, die vom Boden aus gefunden wurden, Punkte sind solche, die mit dem HST entdeckt wurden. Besonders bemerkenswert ist die kleine Streuung der Messwerte um die Kurve, die einem kosmologischen Modell mit Ωm = 0.29, ΩΛ = 0.71 entspricht
möglich ist, wenn ΩΛ > 0. Dieses 1998 zuerst publizierte Resultat bedeutete eine Trendwende in unserem physikalischen Weltbild, ging man doch bis dahin davon aus, dass die Kosmologische Konstante den Wert Null haben sollte. In den Jahren seither wurde dieses Ergebnis mit immer detaillierteren Untersuchungen erhärtet. Insbesondere wurde das Sample der SN Ia vergrößert und (mit Hilfe des HST) auf größere Rotverschiebungen ausgedehnt. Dadurch konnte gezeigt werden, dass sich für z 1 der Trend umkehrt und die SN Ia wieder heller werden, als sie in einem leeren Universum erscheinen würden (siehe Abb. 8.16). Für solch große Rotverschiebungen dominiert dann die Materiedichte des Universums, weil diese sich wie (1 + z)3 verhält, im Gegensatz zur konstanten Vakuumsenergie. Die entsprechenden Einschränkungen an die kosmologischen Parameter Ωm und ΩΛ sind in der Abb. 8.17 dargestellt und mit denen verglichen, die 1998 erzielt werden konnten. Wie aus den Konfidenz-Konturen ersichtlich ist, sind die SN Ia-Daten nicht verträglich mit einem Universum ohne Kosmologische Konstante. Ein Einstein–de-Sitter-Modell ist vollkommen ausgeschlossen, aber auch ein Modell mit Ωm = 0.3 (ein Wert, den man aus den Rotverschiebungssurveys ableitet) und ΩΛ = 0 ist mit diesen Daten keinesfalls kompatibel.
8.3 Supernovae hoher Rotverschiebung und die kosmologische Konstante 329
Abb. 8.16. Die Differenz der maximalen Helligkeit von SN Ia und der in einem leeren Universum (Ωm = 0 = ΩΛ ) erwarteten. Diamantsymbole repräsentieren Ereignisse, die vom Boden aus gefunden wurden, Punkte zeigen die mit dem HST entdeckten. Im oberen Bild sind die individuellen SN Ia gezeigt, im unteren sind sie in Rotverschiebungs-Bins zusammengefasst. Ein leeres Universum entspräche der gepunkteten
Aus diesen Resultaten schließen wir also auf eine nichtverschwindende Komponente im Universum, die durch ihren negativen Druck eine beschleunigte Expansion hervorruft. Die einfachste Form dieser Dunklen Energie ist die Vakuumsenergie oder die Kosmologische Konstante. Andere Formen der Dunklen Energie, mit einer modifizierten Zustandsgleichung P = w ρ c2 , mit −1/3 > w > −1 – wobei w = −1 gerade einer Kosmologischen Konstanten entspricht – werden z. Zt. diskutiert. Einschränkungen an w, die in absehbarer Zukunft nur aus astronomischen Beobachtungen kommen können, werden helfen, die physikalische Natur der Dunklen Energie aufzuklären. 8.3.4
Diskussion
Die Entdeckung, dass das Hubble-Diagramm von SN Ia nicht verträglich ist mit einem Universum, dessen Va-
Geraden, Δ(m − M) = 0. Die gestrichelte Kurve entspricht einem kosmologischen Modell mit Ωm = 0.27, ΩΛ = 0.73. Weiterhin sind Modellkurven für Universen mit konstanter Beschleunigung eingezeichnet; diese physikalisch nicht gut motivierten Modelle können, ebenso wie Modelle mit ,,grauem Staub“ (bei dem die Extinktion als wellenlängenunabhängig angenommen wird), ausgeschlossen werden
kuumsenergie verschwindet, kam überraschend und war der erste direkte Hinweis auf die Existenz der Dunklen Energie. Die von Einstein einst eingeführte, dann wieder verworfene Kosmologische Konstante scheint in der Tat einen von Null verschiedenen Wert zu haben. Diese weitreichende Schlussfolgerung, mit ihren Konsequenzen für die fundamentale Physik, muss selbstverständlich kritisch hinterfragt werden. Welche Möglichkeiten gibt es, die Beobachtungen zu erklären, ohne eine beschleunigte Expansion des Universums zu verlangen? Entwicklungseffekte. Die obige Analyse basiert auf der impliziten Annahme, dass SN Ia im Mittel alle die gleiche maximale (korrigierte) Leuchtkraft besitzen, unabhängig von ihrer Rotverschiebung. Wie bei anderen Arten von Quellen, mit denen man ein HubbleDiagramm konstruieren und aus diesem im Prinzip kosmologische Parameter ableiten kann, besteht die große Schwierigkeit, Effekte der Raumzeit-Krümmung von Entwicklungseffekten zu unterscheiden. Eine z-
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 330
abhängen, und diese wiederum von der Rotverschiebung. Obwohl es vermutlich unmöglich ist zu beweisen, dass solche Entwicklungseffekte nicht auftreten, oder zumindest geringer sind als die Effekte der Kosmologie, kann man nach Unterschieden der SN Ia bei kleinen und großen z suchen. So konnte beispielsweise eindrucksvoll demonstriert werden, dass die Spektren von SN Ia bei hohen Rotverschiebungen denen von nahen Objekten sehr ähnlich sind, so dass keine Entwicklungseffekte in den Spektren nachgewiesen werden konnten. Weiterhin ist die Zeit bis zum Erreichen des Maximums unabhängig von z [wenn man die Zeitdilatation (1 + z) berücksichtigt].
Abb. 8.17. Aus den gemessenen Helligkeiten und den daraus bestimmten Werten für die Leuchtkraftentfernung sind hier Konfidenzbereiche in der Ωm -ΩΛ -Ebene aufgetragen. Die durchgezogenen Konturen resultieren aus 157 SN Ia, die auch in Abb. 8.16 aufgetragen sind, während die gepunkteten Konturen die Resultate aus dem Jahr 1998 repräsentieren. Gestrichelte Kurven zeigen kosmologische Modelle mit gleichem Abbremsparameter q0
abhängige Entwicklung der SN Ia, in der Art, dass sie mit wachsendem z leuchtschwächer werden, könnte den gleichen Effekt in einem Hubble-Diagramm haben wie eine beschleunigte Expansion. Auf den ersten Blick erscheint eine solche Entwicklung unwahrscheinlich, da ja nach jetzigem Verständnis die Explosion eines Weißen Zwerges nahe der Chandrasekhar-Masse für sie verantwortlich ist und diese nur von fundamentalen physikalischen Konstanten abhängt. Andererseits könnte die exakte Masse, bei der die Explosion stattfindet, durchaus von der chemischen Zusammensetzung des Weißen Zwerges
Extinktion. Die Korrektur der Leuchtkraft in Bezug auf Extinktion in ihrer Heimatgalaxie und der Milchstraße wird durch die Rötung ermittelt. Der Zusammenhang zwischen Extinktion und Rötung hängt von den Eigenschaften des Staubes ab – wenn diese sich mit z entwickeln, könnte diese Korrektur systematisch falsch werden. Um diesen Aspekt zu überprüfen, kann man sich getrennt solche SN Ia anschauen, die in FrühtypGalaxien stattfinden, in denen es nur sehr wenig Staub gibt, und mit Ereignissen in Spiralgalaxien vergleichen. Bei diesem Test stellt man keinen systematischen Unterschied fest, weder bei Ereignissen mit großer Rotverschiebung noch bei nahen SN Ia. Eine Möglichkeit, die diskutiert wurde, ist die Existenz von ,,grauem Staub“, also solchem, dessen Absorption wellenlängenunabhängig ist. In einem solchen Fall würde sich die Extinktion nicht durch Rötung bemerkbar machen. Allerdings fehlt für diese Hypothese jegliche theoretische Erklärung der physikalischen Natur der Staubpartikel. Durch die Beobachtung von SN Ia mit z 1 zeigt sich außerdem, dass das Verhalten ihrer Helligkeit mit einem Λ-Universum verträglich ist, während man für ein Szenario mit ,,grauem Staub“ eine monoton wachsende Abschwächung der Helligkeit mit der Rotverschiebung, relativ zu einem leeren Universum, erwarten würde. Obwohl es nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass die Ergebnisse der SN Ia-Untersuchungen von systematischen Effekten beeinflusst sind, die die kosmologischen Effekte vortäuschen, verliefen alle bisherigen Tests für solche Systematiken negativ. Aus diesem Grunde ergeben die Resultate einen sehr starken Hinweis auf ein Universum mit endlicher Vakuumsener-
8.4 Kosmische Scherung 331
gie. Die Bestätigung dieser Schlussfolgerung mittels der CMB-Anisotropien (siehe Abschn. 8.6) ist in der Tat beeindruckend.
Lichtbündel werden beim Durchgang durch die inhomogene Materieverteilung im Universum abgelenkt und deformiert, wobei die Deformation aus dem Gezeitenfeld der inhomogen verteilten Materie stammt. Wie schon im Zusammenhang mit der Rekonstruktion der Massenverteilung von Galaxienhaufen besprochen wurde (siehe Abschn. 6.5.2), kann man aus Messungen der Form der Bilder von weit entfernten Galaxien dieses Gezeitenfeld vermessen und dadurch Rückschlüsse auf die Materieverteilung erhalten. Dieser Effekt, der als Kosmische Scherung bezeichnet wird, ist in Abb. 8.18 skizziert. Im Gegensatz zu Galaxienhaufen, wo das
Gezeitenfeld einigermaßen stark ist, erzeugt die großräumige Verteilung der Materie im Universum ein sehr viel kleineres Gezeitenfeld: Ein typischer Wert dieser Scherung beträgt etwa 1% auf Winkelskalen von wenigen Bogenminuten. Das Scherungsfeld ergibt sich aus der Projektion des drei-dimensionalen Gezeitenfeldes entlang der Sichtlinie. Daher kann man aus der statistischen Analyse der Bildformen weit entfernter Galaxien statistische Aussagen über die Dichteinhomogenitäten im Universum erhalten. Beispielsweise kann man die Zwei-PunktKorrelationsfunktion von Bildelliptizitäten vermessen. Diese ist verknüpft mit dem Leistungsspektrum P(k) der Materieverteilung. Vergleicht man daher die Messungen der Kosmischen Scherung mit kosmologischen Modellen, so erhält man Aussagen über die kosmologischen Parameter, ohne Annahmen über den Zusammenhang zwischen leuchtender Materie (Galaxien) und Dunkler Materie machen zu müssen.
Abb. 8.18. Wenn Lichtbündel durch das Universum propagieren, werden sie von der inhomogenen Materieverteilung beeinflusst; sie werden abgelenkt und die Form und Größe ihrer Querschnittsfläche verändern sich. Dies ist schematisch hier dargestellt – Lichtbündel von Quellen auf der entfernten Seite des Würfels propagieren durch die großräumige Materieverteilung des Universums, und wir sehen die Bilder der Quellen verzerrt. Insbesondere sind die Bilder von kreisförmigen Quellen in erster Näherung elliptisch. Da die Materieverteilung auf großen Skalen organisiert ist, ist
die durch die Lichtablenkung hervorgerufene Bildverzerrung kohärent; die Verzerrung zweier benachbarter Lichtbündel ist sehr ähnlich, so dass die beobachteten Elliptizitäten benachbarter Galaxien statistisch korreliert sind. Aus der statistischen Analyse der Formen von Galaxienbildern kann man Rückschlüsse über die statistischen Eigenschaften der Materieverteilung im Universum erhalten; die Elliptizitäten der Bilder von weit entfernten Quellen stehen somit in engem Zusammenhang mit der (projizierten) Materieverteilung im Universum, wie im rechten Bild dargestellt ist
8.4
Kosmische Scherung
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 332
Da die erwarteten Effekte sehr klein sind, müssen zur Messung systematische Effekte, wie etwa die Anisotropie der Punktbildfunktion oder Verzerrungen der Teleskopoptik, sehr gut verstanden sein, und man muss diese korrigieren. Die Probleme sind im Prinzip die gleichen wie bei der Massenrekonstruktion von Galaxienhaufen durch den Schwachen Linseneffekt, nur deutlich diffiziler, weil das zu messende Signal erheblich kleiner ist. Im März 2000 haben vier Gruppen quasi simultan die ersten Messungen der Kosmischen Scherung veröffentlicht, im Herbst 2000 wurde eine weitere Messung publiziert, die mit Beobachtungen am VLT erhalten wurde. Seitdem haben mehrere Teams weltweit erfolgreich Messungen der Kosmischen Scherung durchgeführt, wobei eine Vielzahl von Teleskopen benutzt wurde, inklusive des HST. Für diese Erfolge war die Entwicklung von Weitwinkelkameras sowie von spezieller Datenanalyse-Software verant-
Abb. 8.19. Messungen der Kosmischen Scherung. Aufgetragen ist die Dispersion der Scherung, ermittelt aus den Elliptizitäten schwacher und kleiner Galaxienbilder auf tiefen CCD-Aufnahmen, als Funktion der Winkelskala. Daten verschiedener Teams sind mit unterschiedlichen Symbolen dargestellt. Zum Beispiel stammt MvWM+ aus einem VLT-Projekt, und vWMR+ aus einem großen Survey (VIRMOS-Descartes) am CFHT; für dieses Projekt wurden die Bilder von ca. 450 000 Galaxien analysiert. Die Kurven zeigen Vorhersagen der Kosmischen Scherung für verschiedene kosmologische Modelle
wortlich. Einige der frühen Ergebnisse sind in Abb. 8.19 zusammengefasst. Durch einen Vergleich dieser Messergebnisse mit theoretischen Modellen kann man kosmologische Parameter einschränken; ein Beispiel dafür ist in Abb. 8.20 gezeigt. Zurzeit besteht eine Quelle der Unsicherheit dieser kosmologischen Interpretation in der nicht genügend guten Kenntnis der Rotverschiebungsverteilung der schwachen Galaxien, die für diese Messungen herangezogen werden. In den kommenden Jahren wird sich diese Unsicherheit erheblich reduzieren, da extensive Rotverschiebungssurveys von schwachen Galaxien mit der neuen Generation von Multi-ObjektSpektrographen an Teleskopen der 10-Meter-Klasse durchgeführt werden. In erster Linie wird durch die Kosmische Scherung eine Kombination aus der Materiedichte Ωm und der
Abb. 8.20. Aus der Analyse der Daten in Abb. 8.19 kann man durch Vergleich mit Modellen kosmologische Parameter einschränken; hier sind Konfidenzkonturen in der Ωm -σ8 Parameterebene gezeigt, wobei ΩΛ = 0 angenommen wurde; ΩΛ hat relativ geringen Einfluss auf die Vorhersage der Scherung. Die Daten legen ein Universum geringer Dichte nahe. Die z. Zt. größte Unsicherheit in der quantitativen Analyse der Scherungsdaten liegt in der noch unzureichend bekannten Rotverschiebungsverteilung der schwachen Galaxien
8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes 333
Normierung σ8 des Dichtefluktuationsspektrums bestimmt, wie das auch in Abb. 8.20 zu erkennen ist. Die beinahe bestehende Entartung dieser beiden Parameter hat in etwa die gleiche funktionale Form wie bei der Anzahldichte von Galaxienhaufen, da die Materieverteilung auf vergleichbaren physikalischen Längenskalen mit beiden Methoden untersucht wird. Für einen angenommenen Wert von Ωm = 0.3 kann man daher σ8 einschränken, wobei die Werte verschiedener Gruppen sich leicht unterscheiden, aber innerhalb der Fehlerbereiche mit σ8 ≈ 0.8 verträglich sind.
8.5
Ursprung des Lymanα-Waldes
Wir hatten in Abschn. 5.6.3 gesehen, dass im Spektrum eines jeden QSOs eine große Anzahl von Absorptionslinien zu sehen sind, die sich bei Wellenlängen kürzer als der Lyα-Emissionslinie des QSOs befinden. Der größte Teil dieser Absorptionslinien stammt aus dem Lyα-Übergang von neutralem Wasserstoff, der sich auf der Sichtlinie zur Quelle befindet. Da die Absorption in Form eines Linienspektrums auftritt, ist der absorbierende Wasserstoff nicht homogen verteilt. Ein homogenes intergalaktisches Medium mit einem Anteil an neutralem Wasserstoff würde sich durch Kontinuumsabsorption bemerkbar machen. In diesem Abschnitt werden wir zunächst diese Kontinuumsabsorption untersuchen, danach einige Beobachtungsbefunde zum Lyα-Wald (Lyα forest) zusammentragen und dann erläutern, warum das Studium dieses Lyα-Waldes uns Information über die kosmologischen Parameter liefert. 8.5.1
Das homogene intergalaktische Medium
Wir fragen zunächst, ob ein Teil der Baryonen im Universum in einem homogenen intergalaktischen Medium vorliegen kann. Diese Frage kann beantwortet werden durch den Gunn–Peterson-Test. Neutraler Wasserstoff absorbiert Photonen bei einer Ruhewellenlänge von λ = λLyα = 1216 Å. Photonen eines QSOs mit Rotverschiebung z QSO haben irgendwo auf dem Sehstrahl zwischen uns und dem QSO die Wellenlänge λLyα ,
−1 falls sie vom QSO mit λLyα 1 + z QSO < λ < λLyα emittiert werden. Ist hingegen die Wellenlänge bei der Emission > λLyα , kann die Strahlung nirgendwo auf dem Weg zu uns durch neutralen Wasserstoff absorbiert
werden. Daher sollte zwischen der roten und der blauen Seite der Lyα-Emissionslinie des QSOs ein Sprung in der Kontinuumsstrahlung sichtbar sein – dies ist der Gunn–Peterson-Effekt. Die optische Tiefe für die Absorption ist für Modelle mit ΩΛ = 0 gegeben durch n HI (z)/cm−3 τ = 4.14 × 1010 h −1 , (8.16) √ (1 + z) 1 + Ωm z wobei n HI (z) die Dichte von neutralem Wasserstoff bei der Absorptionsrotverschiebung z bezeichnet, mit (1 + z) = λ/λLyα < (1 + z QSO ). Ein solcher Sprung im Kontinuum von QSOs über deren Lyα-Emissionslinie, mit Amplitude S(blue)/S(red) = e−τ , ist bei QSOs mit z 5 nicht beobachtet worden. Enge Schranken an die optische Tiefe konnten durch detaillierte spektroskopische Beobachtungen gewonnen werden, etwa τ < 0.05 bei z 3 und τ < 0.1 bis z ∼ 5. Bei noch höheren Rotverschiebungen wird die Beobachtung sehr schwierig, weil der Lyα-Wald dann so dicht wird, dass kaum noch Kontinuumsstrahlung zwischen den einzelnen Absorptionslinien sichtbar ist (siehe z. B. Abb. 5.40 für einen QSO mit z QSO = 3.62). Aus der oberen Schranke für die optische Tiefe erhält man Grenzen an die Dichte von neutralem Wasserstoff, n HI (comoving) 2 × 10−13 h cm−3 oder ΩHI 2 × 10−8 h −1 . Daraus folgert man, dass es kaum homogen verteilte baryonische Materie im intergalaktischen Medium gibt, oder aber dass der Wasserstoff praktisch vollständig ionisiert ist. Nun kennen wir aber die mittlere Dichte von Wasserstoff aus der primordialen Nukleosynthese – diese ist viel größer als obige Schranken, so dass der Wasserstoff praktisch vollständig ionisiert vorliegen muss. Wir werden in Abschn. 9.4 noch diskutieren, wie diese Reionisation des intergalaktischen Mediums zustande gekommen ist. In den letzten Jahren sind QSOs mit Rotverschiebungen > 6 entdeckt worden, nicht zuletzt durch sorgfältige Farbselektion aus den Daten des Sloan Digital Sky Surveys (siehe Abschn. 8.1.2). Das Spektrum eines dieser QSOs ist in Abb. 5.43 dargestellt. Bei diesem QSO erkennt man, dass auf der blauen Seite der Lyα-Emissionslinie praktisch keine Strahlung mehr detektiert wird. Nach dieser Entdeckung wurde spekuliert, ob man die Rotverschiebung gefunden hat, bei der das
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 334
Universum reionisiert worden ist. Allerdings ist die Situation hier komplizierter. Zum einen ist der Lyα-Wald bei diesen Rotverschiebungen so dicht, dass die Linien überlappen und daher nicht unmittelbar auf eine homogene Absorption geschlossen werden kann. Zweitens hat man bei QSOs noch höherer Rotverschiebung Strahlung auf der blauen Seite der Lyα-Emissionslinie gesehen. Wie wir gleich noch sehen werden, ist die Reionisation des Universums vermutlich bei deutlich höherer Rotverschiebung als z ∼ 6 erfolgt. 8.5.2
Phänomenologie des Lyα-Waldes
Neutraler Wasserstoff im IGM wird beobachtet im Lyα-Wald. Zur Beobachtung dieses Lyα-Waldes sind hochaufgelöste Spektren von QSOs notwendig, da die typische Breite der Linien sehr klein ist; sie entspricht einer Geschwindigkeitsdispersion von ∼ 20 km/s. Um Spektren mit hoher Auflösung und gutem Signal-zuRausch-Verhältnis zu erhalten, wählt man sehr helle QSOs aus. Die Entwicklung von Teleskopen der 10-m-Klasse hat dieses Feld enorm vorangebracht. Wie bereits erwähnt, ist die Liniendichte des Lyα-Waldes eine starke Funktion der AbsorptionsRotverschiebung. So findet man für die Anzahldichte der Lyα-Absorptionslinien mit Äquivalentbreite (im Ruhesystem des Absorbers) W ≥ 0.32 Å bei z 2 dN (8.17) ∼ k(1 + z)γ , dz mit γ ∼ 2.5, k ∼ 4, was eine starke Entwicklung mit z impliziert. Für kleinere Rotverschiebungen, bei denen sich der Lyα-Wald im UV-Bereich des beobachteten Spektrums befindet und daher deutlich schwieriger (und nur mit UV-empfindlichen Satelliten wie dem IUE und dem HST) zu beobachten ist, ist die Entwicklung langsamer, und die Anzahldichte weicht dort von obigem Potenzgesetz ab. Aus der Linienstärke und -breite kann man die HI-Säulendichte NHI einer Linie bestimmen. Die Anzahldichte von Linien als Funktion von NHI ist dN −β ∝ NHI , (8.18) d NHI mit β ∼ 1.6. Dieses Potenzgesetz beschreibt die Verteilung in einem weiten Bereich 1012 cm−2 NHI 1022 cm−2 , also auch für Ly-Limit-Systeme und gedämpfte Lyα-Systeme.
Die Temperatur des absorbierenden Gases ist ebenfalls aus der Linienbreite abschätzbar. Als typische Werte ergeben sich ∼ 104 K bis 2 × 104 K, wobei diese allerdings modellabhängig sind. Der Proximity-Effekt. Die statistischen Eigenschaften des Lyα-Waldes hängen nur von der Rotverschiebung der Absorptionslinien ab, nicht aber von der Rotverschiebung des QSO, in dessen Spektrum sie gemessen werden. Das würde man natürlich auch so erwarten, wenn die Absorption physikalisch nicht mit dem QSO zusammenhängt, und diese Beobachtungstatsache ist einer der wichtigsten Hinweise auf einen intergalaktischen Ursprung der Absorption. Allerdings gibt es einen Effekt in der Statistik der Lyα-Absorptionslinien, der doch direkt mit dem QSO zusammenhängt. Man findet nämlich, dass die Anzahldichte von Lyα-Absorptionslinien bei denjenigen Rotverschiebungen, die nur etwas kleiner sind als die Emissions-Rotverschiebung des QSO, kleiner ist als die mittlere Absorptionsliniendichte bei gleicher Rotverschiebung. Dieser Effekt deutet darauf hin, dass der QSO doch einen Einfluss auf die Absorptionslinien hat, wenngleich auch nur in seiner unmittelbaren Nähe; aus diesem Grunde nennt man dies den Proximity-Effekt. Die Erklärung dieses Effekts folgt direkt aus der Betrachtung des Ionisationszustandes des Wasserstoffs. Das Gas wird ionisiert durch energetische Photonen, die einen ionisierenden Strahlungshintergrund bilden und von heißen Sternen und AGNs stammen. Ionisierter Wasserstoff kann andererseits rekombinieren, und der Ionisationsgrad ergibt sich aus dem Gleichgewicht zwischen diesen beiden Prozessen. Die Anzahl der Photoionisationen von Wasserstoffatomen pro Volumenelement und Zeiteinheit ist proportional zur Dichte der neutralen Wasserstoffatome und ist gegeben durch n˙ ion = ΓHI n HI ,
(8.19)
wobei ΓHI , die Photoionisationsrate, proportional zur Dichte der ionisierenden Photonen ist. Die entsprechende Zahl von Rekombinationen pro Volumen und Zeit ist proportional zur Dichte von Protonen und Elektronen, n˙ rec = α n p n e ,
(8.20)
8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes 335
wobei der Rekombinationskoeffizient α von der Temperatur des Gases abhängt. Da das intergalaktische Medium fast völlig ionisiert ist und daher n HI n p = n e ≈ n b gilt (wir vernachlässigen den Beitrag von Helium in dieser Betrachtung), folgt für die Dichte des neutralen Wasserstoffs im Gleichgewicht zwischen Ionisation und Rekombination α 2 n HI = n . (8.21) ΓHI p Daraus erkennt man, dass n HI umgekehrt proportional zur Anzahldichte ionisierender Photonen ist. Das intergalaktische Medium in der Nähe des QSO sieht aber nicht nur den ionisierenden Hintergrund, sondern zusätzlich noch die energetische Strahlung des QSO selbst. Daher ist der Ionisationsgrad von Wasserstoff in der unmittelbaren Nähe des QSO größer, wodurch geringere Lyα-Absorption dort stattfinden kann. Da der Beitrag des QSOs zur ionisierenden Strahlung von der Entfernung des Gases vom QSO abhängt (∝ r −2 ) und das Spektrum des QSOs beobachtbar ist, kann man aus der Untersuchung des Proximity-Effekts die Intensität der ionisierenden Hintergrundstrahlung als Funktion der Rotverschiebung abschätzen. Dieser Wert kann dann verglichen werden mit der gesamten ionisierenden Strahlung, die die QSOs und junge Sternpopulationen bei der entsprechenden Rotverschiebung emittieren. Dieser Vergleich, in den die Leuchtkraftfunktion der AGNs und die Sternbildungsrate des Universums eingehen, liefert eine gute Übereinstimmung, was das Modell für den Proximity-Effekt bestätigt.
8.5.3
Modelle des Lyα-Waldes
Seit der Entdeckung des Lyα-Waldes wurden verschiedene Modelle zur Erklärung seiner Natur entwickelt. Seit etwa Mitte der 90er Jahre hat sich ein Modell etabliert, das direkt mit der Entwicklung der großräumigen Struktur im Universum verknüpft ist. Das ,,alte“ Modell des Lyα-Waldes. Davor wurden Modelle entwickelt, in denen der Lyα-Wald von quasi-statischen Wasserstoffwolken hervorgerufen wird. Diese Wolken (Lyα clouds) wurden postuliert, was zunächst aufgrund der diskreten Absorptionslinien als natürliches Bild gelten durfte. Aus der Statistik der
Anzahldichte von Linien konnte man dann deren Eigenschaften (wie Radius und Dichte) einschränken. Falls die Linienbreite eine thermische Geschwindigkeitsverteilung der Atome widerspiegelt, kann darüber hinaus die Temperatur und daher mit dem Radius auch die Masse der Wolken (etwa unter Benutzung des Dichteprofils einer isothermen Sphäre) abgeleitet werden. Die Schlussfolgerung aus solchen Betrachtungen war, dass solche Wolken sofort verdampfen würden, es sei denn, sie befinden sich gravitativ gebunden in einem Halo Dunkler Materie (Mini-Halo Modell), oder sie werden durch den Druck eines heißen intergalaktischen Mediums zusammengehalten.3 Das neue Bild des Lyman-α-Waldes. Seit einigen Jahren gibt es ein neues Paradigma für die Natur des Lyα-Waldes. Dieses wurde durch die Fortschritte hydrodynamischer kosmologischer Simulationen ermöglicht. Wir haben in Kapitel 7 die Strukturbildung untersucht und uns dort vorwiegend auf die Dunkle Materie konzentriert. Nachdem das Universum bei z ∼ 1100 neutral wurde und daher die baryonische Materie nicht mehr länger dem Photonendruck unterlag, waren die Baryonen genau wie die Dunkle Materie allein der Gravitation ausgesetzt; daher ist das Verhalten der Baryonen und der Dunklen Materie sehr ähnlich, bis zu dem Zeitpunkt, wo die Baryonen durch Heizung (z. B. durch Photoionisation) und Kompression signifikante Druckkräfte entwickeln. Die räumliche Verteilung der Baryonen im intergalaktischen Medium folgt also der der Dunklen Materie, was auch durch numerische Simulationen bestätigt wird. In diesen Simulationen geht die Intensität der ionisierenden Strahlung ein, wie sie etwa aus dem Proximity-Effekt abgeschätzt werden kann. Abbildung 8.21 zeigt als Ergebnis einer solchen Simulation die Verteilung der Säulendichte des neutralen Wasserstoffs. Diese zeigt eine ähnliche Struktur wie die Verteilung der Dunklen Materie, allerdings aufgrund der quadratischen Abhängigkeit der Dichte des neutralen Wasserstoffs von der Baryonendichte – siehe (8.21) – einen größeren Kontrast.
3 Die
letztere Annahme konnte spätestens durch die COBEMessungen des Spektrums des CMB ausgeschlossen werden, da ein solches heißes intergalaktisches Medium durch Compton-Streuung der CMB-Photonen zu Abweichungen des CMB-Spektrums von der Planck-Form führen würde.
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 336
Abb. 8.22. Eines der Spektren ist ein Ausschnitt des LyαWaldes im QSO 1422+231, das andere ein simuliertes Spektrum; die beiden sind statistisch so ähnlich, dass man sie nicht unterscheiden kann – welches ist welches? Abb. 8.21. Säulendichte von neutralem Wasserstoff, berechnet aus einer kombinierten Simulation der Dunklen Materie und des Gases. Die Größe des hier dargestellten Würfels ist 10h −1 Mpc (mitbewegt). Berechnet man die Lyα-Absorption von Photonen beim Durchgang durch so einen simulierten Würfel, kann man simulierte Spektren des Lyα-Waldes erhalten, und diese statistisch mit beobachteten Spektren vergleichen
Aus der so simulierten Verteilung des neutralen Gases können nun synthetische Absorptionslinienspektren berechnet werden. Dabei werden die Temperatur des Gases sowie seine Pekuliargeschwindigkeit benutzt, die sich ebenfalls aus der Simulation ergibt. Ein solches synthetisches Spektrum ist in Abb. 8.22 dargestellt, zusammen mit einem gemessenen Lyα-Spektrum. Diese beiden Spektren sind statistisch praktisch identisch, in dem Sinne, dass die Dichte der Linien, ihre Verteilung bezüglich Breite und optischer Tiefe und ihre Korrelationseigenschaften gleich sind. Aus diesem Grunde liefert die kosmische Strukturentwicklung eine natürliche Erklärung für den Lyα-Wald, ohne dass es zusätzlicher freier Parameter oder Annahmen bedarf. In diesem Modell ist die Entwicklung von d N/dz hauptsächlich durch die Hubble-Expansion und die daraus resultierende Änderung des Ionisationsgrades des intergalaktischen Mediums gegeben. Neben den Korrelationseigenschaften der LyαLinien in einem individuellen QSO-Spektrum kann man
auch die Absorptionsspektren von QSOs korrelieren, die einen kleinen Winkelabstand voneinander besitzen. In einem solchen Fall verlaufen die Lichtstrahlen nahe beieinander. Falls der neutrale Wasserstoff Korrelationen auf Skalen besitzt, die größer sind als der transversale Abstand dieser beiden Sichtlinien zu den QSOs, so sollten korrelierte Lyα-Absorptionslinien in den beiden Spektren beobachtbar sein. In der Tat stellt sich heraus, dass die Absorptionsspektren von QSOs Korrelationen zeigen, wenn deren Winkelentfernung genügend klein ist. Die daraus ermittelten Korrelationslängen betragen 100h −1 kpc, in Übereinstimmung mit den Resultaten aus numerischen Simulationen. Insbesondere sind die Sichtlinien der verschiedenen Bilder von mehrfach abgebildeten QSOs in Gravitationslinsensystemen sehr eng beieinander, so dass die Korrelation der Absorptionslinien in diesen Spektren sehr gut verifiziert werden kann. Als weiteres Ergebnis dieser Untersuchungen findet man, dass sich der größte Teil (∼ 85%) der baryonischen Materie bei 2 z 4 im Lyα-Wald befindet, hauptsächlich in Systemen mit 1014 cm−2 NHI 3 × 1015 cm−2 . Wir sehen also praktisch das vollständige Inventar der Baryonen bei diesen hohen Rotverschiebungen. Bei kleineren Rotverschiebungen ist dies nicht mehr der Fall. Tatsächlich beobachten wir im lokalen Universum nur einen Bruchteil der vorhandenen Baryonen, etwa in Sternen oder im intergalaktischen Gas in Galaxienhaufen. Theoretisch erwartet
8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes 337
man, dass die meisten Baryonen sich heute in Form von intergalaktischem Gas, etwa in Galaxiengruppen, befinden. Dieses Gas hat eine Temperatur zwischen ∼ 105 K und ∼ 107 K und ist daher nur sehr schwer nachzuweisen: Bei diesen Temperaturen ist das Gas fast völlig ionisiert, so dass es sich nicht in Absorptionsspektren bemerkbar macht; andererseits ist die Temperatur (und Dichte) zu niedrig, als dass man signifikante Röntgenemission erwarten kann.4 8.5.4
Der Lyα-Wald als kosmologisches Werkzeug
Die oben erwähnten Simulationen des Lyα-Waldes ergeben, dass die meisten Linien aus Gebieten stammen, bei denen die Gasdichte ρg 10ρ¯ g beträgt. Die Dichte des Gases ist also relativ klein, etwa verglichen zur mittleren Gasdichte in einer Galaxie. Die Temperatur des Gases, welches für die Absorption verantwortlich ist, beträgt etwa ∼ 104 K. Bei diesen Dichten und Temperaturen sind Druckkräfte klein gegenüber den Gravitationskräften, so dass das Gas recht genau der Dichteverteilung der Dunklen Materie folgt. Aus der Statistik der Absorptionslinien kann man daher 4 Obwohl
der Wasserstoff in diesem intergalaktischen Medium aufgrund der Ionisation nicht nachweisbar ist, können Linien von Metall-Ionen mit hoher Ionisationsstufe in UV-Absorptionsspektren beobachtet werden, wie etwa Linien von OVI, also des fünffach ionisierten Sauerstoffs. Um aus diesen Linien auf die Baryonendichte zu schließen, benötigt man Annahmen über die Temperatur des Gases sowie seiner Metallizität. Die neuesten Resultate, die hauptsächlich mit dem UV-Satelliten FUSE gewonnen wurden, sind mit der Vorstellung kompatibel, dass der Hauptanteil der Baryonen sich heute in diesem warm-heißen intergalaktischen Medium befinden.
die statistischen Eigenschaften der Verteilung Dunkler Materie erschließen. Genauer gesagt, spiegelt die Zwei-Punkt-Korrelationsfunktion der Lyα-Linien das Dichtefluktuationsspektrum im Universum wider und kann daher zur Messung des Leistungsspektrums P(k) benutzt werden. Wir betrachten einige Aspekte dieser Methode etwas detaillierter. Die Temperatur des intergalaktischen Gases ist nicht homogen, da sich Gas bei Kompression aufheizt. Dichtes Gas (bei gleicher Rotverschiebung) ist also heißer als die mittlere Temperatur T0 der Baryonen. Solange die Kompression adiabatisch verläuft, hängt T im Wesentlichen von der Dichte ab, T = T0 (ρg /ρ¯ g )α , wobei T0 und der Exponent α von der Ionisationsgeschichte und dem Spektrum der ionisierenden Photonen abhängt. Typische Werte sind 4000 K T0 10 000 K und 0.3 α 0.6. Die Dichte von neutralem Wasserstoff ist durch (8.21) gegeben, also durch n HI ∝ ρg2 T −0.7 /ΓHI , wobei hier die Temperaturabhängigkeit der Rekombinationsrate berücksichtigt wurde. Da die Temperatur von der Dichte abhängt, findet man für die optische Tiefe für Lyα-Absorption β ρg τ=A , (8.22) ρ¯ g wobei β = 2 − 0.7α ≈ 1.6, und der Vorfaktor hängt von der betrachteten Rotverschiebung, der Ionisationsrate ΓHI sowie der mittleren Temperatur T0 ab. In der Abb. 8.23 ist die Verteilung der optischen Tiefe und der Gasdichte dargestellt, wie sie aus einer hydrodynamischen Simulation entnommen sind. Wie man im rechten Bild erkennt, folgt die Verteilung der Relation
Abb. 8.23. Optische Tiefe gegen Gasdichte, aus einer kosmologischen Simulation. Jeder Punkt stellt eine Sichtlinie durch eine Gasverteilung dar, wie sie etwa in Abb. 8.21 gezeigt ist. In der rechten Abbildung wurden Pekuliarbewegungen des Gases vernachlässigt; in diesem Fall folgen die Punkte der Relation (8.22) sehr genau. Auch unter Berücksichtigung der Pekuliarbewegung und der thermischen Linienverbreiterung (links) folgen die Punkte im Mittel dieser Beziehung
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 338
(8.22) sehr eng, was bedeutet, dass der größte Teil des Gases nicht durch Stoßfronten geheizt worden ist, sondern durch adiabatische Kompression. Auch wenn man die Pekuliarbewegung des Gases und die thermische Verbreiterung berücksichtigt, wie das im linken Bild geschehen ist, folgt die Verteilung immer noch im Mittel sehr gut der analytischen Relation. Daher kann man aus der beobachteten Verteilung von τ auf die Verteilung der Gasüberdichte ρg /ρ¯ g schließen. Diese ist, wie oben begründet, im Wesentlichen die gleiche wie die entsprechende Überdichte der Dunklen Materie. Aus einem Absorptionslinienspektrum kann man Pixel für Pixel τ(λ) bestimmen, wobei λ wegen λ = (1 + z) 1216 Å eine Entfernung entlang des Sehstrahls ergibt (jedenfalls wenn Pekuliargeschwindigkeiten vernachlässigt werden). Aus τ(λ) folgt dann mit (8.22) die Überdichte als Funktion dieser Entfernung, und daher ein ein-dimensionaler Schnitt durch die Dichtefluktuationen. Die Korrelationseigenschaften dieser Dichte werden durch das Leistungsspektrum der Materieverteilung bestimmt, welches dadurch vermessen werden kann.
8.6
Beobachtungen wurden diese aber nicht gefunden. Die daraus erwachsenden oberen Schranken für die Anisotropie waren eines der Argumente, die Mitte der 80er Jahre dazu führten, dass die Existenz von Dunkler Materie auf kosmischen Skalen immer mehr ins Bewusstsein der Kosmologen drang, denn wie wir gleich noch sehen werden, sind in einem Universum, das von Dunkler Materie dominiert ist, die erwarteten Fluktuationen des CMB auf kleinen Winkelskalen deutlich geringer als in einem rein baryonischen Universum. Erst der COBE-Satellit hat im Jahre 1992 Temperaturfluktuationen des CMB beobachtet (Abb. 1.17). Seit etwa 2000 gelangen empfindliche und signifikante Messungen der CMB-Anisotropie auch von Ballons und mit Teleskopen am Boden. Wir werden zunächst die Physik der CMBAnisotropien beschreiben, bevor wir uns mit den Messergebnissen und ihrer Interpretation beschäftigen. Wie wir sehen werden, hängt die CMB-Anisotropie von praktisch allen kosmologischen Parametern ab, wie Ωm , Ωb , ΩΛ , ΩHDM , H0 , der Normierung σ8 und dem Formparameter Γ des Leistungsspektrums. Deshalb kann eine genaue Vermessung der Winkelverteilung des CMB und ihr Vergleich mit theoretischen Erwartungen im Prinzip all diese Parameter bestimmen.
Winkelfluktuationen des CMB
Der kosmische Mikrowellenhintergrund besteht aus Photonen, die bei z ∼ 1000 das letzte Mal mit Materie wechselgewirkt haben. Da bereits zu diesem Zeitpunkt das Universum inhomogen gewesen sein muss, damit sich die heute im Universum vorhandenen Strukturen bilden konnten, würde man erwarten, dass diese räumlichen Inhomogenitäten sich in einer (kleinen) Anisotropie des CMB widerspiegeln, denn die Richtungsverteilung der CMB-Temperatur reflektiert die Materieinhomogenitäten bei der Rotverschiebung der Entkopplung von Strahlung und Materie. Seit der Entdeckung des CMB im Jahre 1965 wurde nach solchen Anisotropien gesucht. Unter der Annahme, dass die Materie im Universum aus Baryonen besteht, erwartete man relative Fluktuationen der CMBTemperatur von ΔT/T ∼ 10−3 auf Skalen von einigen Bogenminuten, damit die heute beobachteten Dichtefluktuationen mit denen bei z ∼ 1000 im Rahmen der Theorie der gravitativen Instabilität in Einklang gebracht werden konnten. Trotz immer empfindlicherer
8.6.1
Ursprung der Anisotropie: Überblick
Die CMB-Anisotropien spiegeln die Bedingungen des Universums bei der Rekombination wider, also bei etwa z ∼ 1000. Temperaturfluktuationen, die sich daraus ergeben, nennt man primäre Anisotropien. Weiterhin propagieren die Photonen des CMB durch das Universum, und auf diesem Weg können sie eine ganze Reihe von Störungen erleiden, die wiederum ihre Temperaturverteilung ändern können. Diese Effekte führen dann zu den sekundären Anisotropien. Die wesentlichen Effekte für die primären Anisotropien sind die folgenden:
• Die Inhomogenitäten des Gravitationspotentials bewirken, dass Photonen, die aus Gebieten höherer Dichte stammen, aus einem Potentialtopf entkommen müssen. Sie verlieren dabei Energie und werden dadurch rotverschoben (gravitative Rotverschiebung). Dieser Effekt wird zum Teil dadurch kompensiert, dass neben der gravitativen Rotver-
8.6 Winkelfluktuationen des CMB 339
•
•
•
schiebung auch eine gravitative Zeitverzögerung auftritt, so dass ein Photon, das aus einem überdichten Gebiet stammt, etwas früher, also bei einer etwas höheren Temperatur des Universums, gestreut wurde als ein Photon aus einem Gebiet mit mittlerer Dichte. Beide Effekte treten stets zusammen auf. Man fasst sie zusammen unter dem Begriff Sachs–Wolfe-Effekt. Dessen Aufteilung in zwei Prozesse ist nur im Rahmen einer vereinfachten Beschreibung notwendig; eine allgemein relativistische Beschreibung des Effekts ergibt beide Prozesse gleichzeitig. Wir haben gesehen, dass Dichtefluktuationen stets mit Pekuliargeschwindigkeiten der Materie einhergehen. Daher folgen die Elektronen, die die CMB-Photonen das letzte Mal streuen, nicht der reinen Hubble-Expansion, sondern besitzen eine zusätzliche Geschwindigkeit, die eng mit den Dichtefluktuationen zusammenhängt (vergleiche Abschn. 7.6). Dadurch gibt es einen Dopplereffekt: Streuen die Photonen mit Gas, das sich von uns schneller wegbewegt, als es der Hubble-Expansion entspricht, werden die Photonen zusätzlich rotverschoben, was dann zu einer Reduzierung der Temperatur aus dieser Richtung führt. In Gebieten höherer Dichte der Dunklen Materie ist auch die Baryonendichte erhöht. Auf Skalen größer als der Horizontskala bei der Rekombination (siehe Abschn. 4.5.2) folgt die Verteilung der Baryonen der der Dunklen Materie. Auf kleineren Skalen macht sich allerdings der Druck der Baryonen-PhotonenFlüssigkeit bemerkbar, denn vor der Rekombination sind diese beiden Komponenten durch ThomsonStreuung eng gekoppelt. Die Baryonen werden bei ihrer Verdichtung adiabatisch komprimiert und dadurch heißer, so dass in Gebieten höherer Baryonendichte ihre Temperatur (und deshalb auch die der an sie gekoppelten Photonen) erhöht ist. Die Kopplung zwischen Baryonen und Photonen ist nicht exakt, denn aufgrund der endlichen freien Weglänge von Photonen können sich diese beiden Komponenten auf kleinen Skalen entmischen. Das impliziert, dass Temperaturfluktuationen auf kleinen Längenskalen durch die Diffusion der Photonen ausgeschmiert werden können. Dieser Prozess wird als Silk-Damping bezeichnet und sorgt dafür, dass es auf Winkelskalen unterhalb von etwa 5 nur sehr kleine primäre Fluktuationen gibt.
Es ist klar, dass die ersten drei dieser Effekte miteinander gekoppelt sind. Insbesondere auf Skalen > rH,com (z rec ) kompensieren sich die ersten beiden Effekte teilweise. Obwohl die Energiedichte der Materie bei der Rekombination größer ist als die der Strahlung (siehe Gl. 4.54), ist die Energiedichte der BaryonenPhotonen-Flüssigkeit von der der Strahlung dominiert, so dass es sich um eine relativistische Flüssigkeit handelt. Schallgeschwindigkeit beträgt daher √ Deren √ cs ≈ P/ρ ≈ c/ 3. Der starke Druck in dieser Flüssigkeit sorgt dafür, dass in ihr Oszillationen auftreten. Das Gravitationspotential der Dunklen Materie ist die treibende Kraft, der Druck die rücktreibende Kraft. Diese Oszillationen, die nur auf Skalen unterhalb des Schallhorizonts bei der Rekombination auftreten können, führen dann zu adiabatischer Kompression und Eigenbewegungen der Baryonen, somit zu Anisotropien der Hintergrundstrahlung. Sekundäre Anisotropien stammen u. a. aus folgenden Effekten:
• Thomson-Streuung der CMB-Photonen: Da das
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Universum heutzutage transparent ist für optische Photonen (denn wir sehen Objekte mit z > 6), muss es zwischen z ∼ 1000 und z ∼ 6 reionisiert worden sein, vermutlich durch Strahlung der ersten Sterngeneration und/oder durch die ersten QSOs. Nach dieser Reionisation sind wieder freie Elektronen vorhanden, die dann die CMB-Photonen streuen können. Da die Thomson-Streuung im Wesentlichen isotrop ist, ist die Richtung eines Photons nach der Streuung beinahe unabhängig von seiner Einfallsrichtung. Das bedeutet, Photonen, die gestreut werden, tragen keine Information mehr über die Temperaturfluktuationen des CMB. Die gestreuten Photonen bilden daher eine isotrope Strahlungskomponente mit der mittleren Temperatur des CMB. Der Haupteffekt, der sich daraus ergibt, ist eine Reduzierung der Temperaturanisotropien um den Bruchteil der Photonen, die eine solche Streuung erleiden. Bei der Propagation der Photonen zu uns durchlaufen sie ein Universum, in dem Strukturbildung stattfindet. Dadurch ändert sich das Gravitationspotential mit der Zeit. Falls dieses zeitlich konstant wäre, könnten Photonen in einen Potentialtopf hineinlaufen und aus diesem wieder entkommen, wobei sich insgesamt ihre Frequenz relativ zu Photonen,
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 340
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die im homogenen Universum propagieren, dadurch nicht ändern würde. Diese ,,Erhaltung“ der Photonenenergie ist aber nicht mehr gegeben, wenn das Potential zeitlich variiert. Nun kann man zeigen, dass für ein Einstein–de-Sitter-Modell das pekuliare Gravitationspotential φ (7.10) zeitlich konstant ist5 und somit durch die Propagation im sich entwickelnden Universum keine Netto-Frequenzverschiebung auftritt. Für alle anderen kosmologischen Modelle tritt dieser Effekt aber auf; man nennt ihn den integrierten Sachs–Wolfe-Effekt. Die gravitative Ablenkung der CMB-Photonen, hervorgerufen durch das Gravitationsfeld der kosmischen Dichtefluktuationen, führt zu einer Richtungsänderung der Photonen. Das bedeutet, dass zwei Sehstrahlen, die beim Beobachter den Winkel θ einschließen, bei der Rekombination einen physikalischen Abstand haben, der aufgrund der gravitativen Lichtablenkung von DA (z rec )θ verschieden sein kann. Dadurch wird die Korrelationsfunktion der Temperaturfluktuationen ,,verschmiert“. Dieser Effekt ist auf kleinen Winkelskalen relevant. Der Sunyaev–Zeldovich-Effekt, den wir im Zusammenhang mit Galaxienhaufen in Abschn. 6.3.4 besprochen haben, hat natürlich ebenfalls einen Einfluss auf die Temperaturverteilung des CMB. Photonen entlang von Sichtlinien, die durch Galaxienhaufen verlaufen, werden teilweise durch das heiße Gas in diesen Haufen gestreut, so dass in diesen Richtungen eine Temperaturänderung stattfindet. Dabei ist zu beachten, dass in Richtung von Haufen die gemessene Strahlungsintensität bei kleinen Frequenzen erniedrigt wird, während sie bei hohen Frequenzen größer ist. Der SZ-Effekt kann daher im Prinzip in den CMB-Daten erkannt werden, wenn die Messungen über einen genügend breiten Frequenzbereich stattfinden.
8.6.2 Beschreibung der CMB-Anisotropie Korrelationsfunktion und Leistungsspektrum. Um die statistischen Eigenschaften der Winkelverteilung der CMB-Temperatur zu charakterisieren, kann man, sieht man aus (7.10) aus der Abhängigkeit ρ¯ ∝ a−3 und δ ∝ D+ = a für ein EdS-Modell.
5 Dies
wie bei den Dichtefluktuationen, die Zwei-PunktKorrelationsfunktion der Temperatur an der Sphäre benutzen. Dazu definiert man die relativen Temperaturfluktuationen T (n) = [T(n) − T0 ] /T0 , wobei n ein Einheitsvektor ist, der die Richtung an der Sphäre beschreibt, und T0 die mittlere Temperatur des CMB. Die Korrelationsfunktion der Temperaturfluktuationen ist dann definiert als C(θ) = T (n) T (n ) ,
(8.23)
wobei über alle Paare von Richtungen n und n gemittelt wird, die den Winkelabstand θ haben. Wie bei der Beschreibung der Dichtefluktuationen im Universum hat sich auch beim CMB eingebürgert, anstelle der Korrelationsfunktion das Leistungsspektrum der Temperaturfluktuationen zu betrachten. Wir erinnern uns (siehe Abschn. 7.3.2), dass das Leistungsspektrum P(k) der Dichtefluktuationen als Fourier-Transformierte der Korrelationsfunktion definiert war. Die exakt gleiche Definition kann man allerdings beim CMB nicht anwenden. Der Unterschied besteht darin, dass die Dichtefluktuationen auf einem (im relevanten Längenbereich angenähert) flachen Raum definiert sind. In einem solchen Raum sind die einzelnen Fouriermoden (ebene Wellen) orthogonal, so dass man das Feld δ(x) eindeutig in solche Fouriermoden zerlegen kann. Im Gegensatz dazu sind die Temperaturfluktuationen T auf der Sphäre definiert. Das Analogon zu den Fouriermoden in einem flachen Raum sind die Kugelflächenfunktionen auf der Sphäre, ein vollständiger, orthogonaler Satz von Funktionen, nach denen man T (n) entwickeln kann.6 Auf kleinen Winkelskalen, bei denen die Sphäre als lokal flach angesehen werden kann, reduzieren sich die Kugelflächenfunktionen wiederum auf Fouriermoden. Das Leistungsspektrum der Temperaturfluktuationen, meistens ausgedrückt als ( + 1)C , beschreibt dann die Amplitude der Fluktuationen auf einer Winkelskala θ ∼ π/ = 180◦ / . = 1 beschreibt die Dipol-Anisotropie, = 2 die Quadrupol-Anisotropie, usw. 6 Die Kugelflächenfunktionen treten in vielen Problemen der mathematischen Physik auf, so etwa bei der quantenmechanischen Behandlung des Wasserstoff-Atoms oder allgemeiner, bei allen sphärisch symmetrischen physikalischen Problemen.
8.6 Winkelfluktuationen des CMB 341
Projektion. Die Temperaturfluktuationen des CMB an der Sphäre ergeben sich aus der Projektion, d. h. der Integration entlang der Sichtlinie, der dreidimensionalen Temperaturfluktuationen, wie sie oben diskutiert worden sind. Diese Integration muss ebenfalls die sekundären Effekte, also die der Propagation der Photonen von z ∼ 1000 zu uns berücksichtigen. Insgesamt erscheint dies als eine relativ komplizierte Aufgabe, die im Übrigen Aspekte der Allgemeinen Relativitätstheorie explizit betrachten muss, da zwei Richtungen, die mehr als ∼ 1◦ voneinander getrennt sind, bei der Rekombinationen einen Abstand haben, der größer als die damalige Horizontlänge ist – somit spielt die Krümmung der Raumzeit explizit eine Rolle. Allerdings sind die physikalischen Phänomene, die hier berücksichtigt werden müssen, (fast) alle linearer Natur. Das bedeutet, obwohl die entsprechenden Gleichungssysteme kompliziert sind, kann man sie trotzdem ,,einfach“ lösen, denn die Lösung von linearen Gleichungen ist mathematisch kein wirkliches Problem. Es gibt allgemein zugängliche Software-Pakete (z. B. CMBFAST), die das Leistungsspektrum C für jede Kombination der kosmologischen Parameter berechnen. 8.6.3
Das Fluktuationsspektrum
Fluktuationen auf großen Skalen. Um die wesentlichen Merkmale der CMB-Fluktuationen zu erläutern, stellen wir zunächst fest, dass es eine charakteristische Längenskala bei z rec gibt, nämlich die Horizontlänge. Diese ist durch (4.71) gegeben. Der Horizont nimmt für kosmologische Modelle mit ΩΛ = 0 einen Winkel ein von – siehe (4.72) – θH,rec ≈ 1.8◦ Ωm . Dieser Winkel ändert sich für Modelle mit kosmologischer Konstante; falls das Universum flach (Ωm + ΩΛ = 1) ist, findet man θH,rec ≈ 1.8◦ ,
(8.24)
mit einer sehr kleinen Abhängigkeit von der Materie−0.1 dichte, etwa ∝ Ωm . Wie wir gleich sehen werden, ist dieser Horizontwinkel direkt beobachtbar. Auf Skalen θH,rec dominiert der Sachs–WolfeEffekt, denn Oszillationen der Baryonen-PhotonenFlüssigkeit können nur auf Skalen unterhalb der
Horizontlänge auftreten. Aus diesem Grunde reflektiert das CMB-Winkelspektrum C direkt das Fluktuationsspektrum P(k) der Materie. Insbesondere erwartet man für ein Harrison–Zeldovich-Spektrum, P(k) ∝ k, dass ( + 1)C ≈ const
für
180◦ 100 , θH,rec
und die Amplitude der Fluktuationen ergibt direkt die Amplitude von P(k). Dieser flache Verlauf des Fluktuationsspektrums für n = 1 wird durch den integrierten Sachs–Wolfe-Effekt modifiziert. Schall-Horizont und Akustische Peaks. Auf Winkelskalen < θH,rec sieht man Fluktuationen, die vor der Rekombination innerhalb des Horizonts waren, und daher können auf diesen Skalen physikalische Effekte wirken. Wie bereits erwähnt, ist die Flüssigkeit der Baryonen und Photonen dominiert von der Energiedichte der Photonen. Deren Druck verhindert, dass die Baryonen in die Potentialtöpfe der Dunklen Materie hineinfallen. Statt dessen bilden sich Oszillationen. Da die Energiedichte von Photonen, also von relativistischen Teilchen, dominiert wird, ist diese Flüssigkeit relativistisch, und die Schallgeschwindigkeit beträgt √ cs ≈ c/ 3. Deshalb ist die größte Wellenlänge, bei der eine Welle eine volle Oszillation bis zur Rekombination vollführen kann, √ λmax trec cs = rH (trec )/ 3 . (8.25) Man nennt diese Größe den Schall-Horizont. Er ent√ spricht einer Winkelskala von θ1 ≈ θH,rec / 3 ∼ 1◦ , oder 1 ∼ 200 für ein flaches kosmologisches Modell mit Ωm + ΩΛ = 1. Diese Oszillationen erzeugen durch den Dopplereffekt und adiabatische Kompressionen Temperaturfluktuationen, die im Winkelspektrum C sichtbar sein sollten. Daher sollte ( + 1)C ein Maximum aufweisen bei 1 ∼ 200; weitere Maxima erwartet man etwa bei ganzzahligen Vielfachen von 1 . Diese Maxima im Winkelspektrum heißen Acoustic Peaks (oder auch Doppler peaks); ihre -Werte und Amplituden sind die wichtigsten kosmologischen Diagnostiken aus den CMB-Anisotropien. Silk-Damping. Da die Rekombination nicht instantan, sondern über einen endlichen Bereich in der Rotverschiebung stattfindet, kommen Photonen des CMB aus einer Schale endlicher Dicke zu uns. Betrachtet man
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 342
eine Längenskala, die viel kleiner ist als die Dicke der Schale, so befinden sich mehrere Maxima und Minima von T innerhalb dieser Schale entlang einer Sichtlinie. Aus diesem Grunde werden die Temperaturfluktuationen auf diesen kleinen Skalen bei der Integration entlang der Sichtlinie weggemittelt. Dabei ist die Dicke der Rekombinationsschale etwa gleich der Diffusionslänge der Photonen, und daher ist dieser Effekt auf den gleichen Winkelskalen relevant wie das oben erwähnte SilkDamping. Das bedeutet, auf Skalen 5 ( 2500) erwartet man eine Dämpfung des Winkelspektrums und daher sehr kleine (primäre) Temperaturfluktuationen auf solch kleinen Skalen. Modellabhängigkeit des Fluktuationsspektrums. In Abb. 8.24 sind Leistungsspektren der CMBFluktuationen gezeigt, wobei von einem Referenzmodell ausgehend verschiedene kosmologische Parameter variiert werden. Zunächst einmal sieht man, dass das Spektrum im Wesentlichen durch drei verschiedene Bereiche in (oder im Winkel) charakterisiert wird. Für 100 ist ( + 1)C eine relativ flache
Funktion, wenn man – wie in der Abbildung – ein Harrison–Zeldovich-Spektrum annimmt. Im Bereich 100 sind dann lokale Maxima und Minima des Spektrums zu sehen, die von den akustischen Oszillationen stammen. Für 2000 nimmt die Amplitude des Leistungsspektrums sehr stark ab aufgrund des Silk-Dampings. Abbildung 8.24(a) zeigt die Abhängigkeit des Leistungsspektrums von der Krümmung des Universums, also von Ωtot = Ωm + ΩΛ . Man erkennt, dass die Krümmung zwei wesentliche Einflüsse auf das Spektrum hat: Zum einen verschieben sich die Positionen der Minima und Maxima, also der Doppler-Peaks, zum andern verändert sich das Spektrum für 100. Dieser letzte Effekt kommt durch den integrierten Sachs– Wolfe-Effekt zustande, denn je stärker das Weltmodell gekrümmt ist, umso stärker sind die zeitlichen Variationen des pekuliaren Gravitationspotentials φ. Die Verschiebung der akustischen Peaks ist im Wesentlichen eine Folge der Änderung der Geometrie des Universums: Die Größe des Schall-Horizonts hängt nur schwach von der Krümmung ab, aber die Win-
Abb. 8.24. Abhängigkeit der CMB-Fluktuationen von kosmologischen Parametern. In allen Fällen ist das Referenzmodell beschrieben durch Ωm + ΩΛ = 1, ΩΛ = 0.65, Ωb h 2 = 0.02, Ωm h 2 = 0.147 und einer Steigung des primordialen Dichtespektrums n = 1, entsprechend dem Harrison–Zeldovich-Spektrum. In den vier Darstellungen wird jeweils einer dieser vier Parameter variiert, während die anderen drei festgehalten werden
8.6 Winkelfluktuationen des CMB 343
kelentfernung DA (z rec ) ist eine empfindliche Funktion der Krümmung, so dass die Winkelskala, die dem Schall-Horizont entspricht, sich entsprechend ändert. Für flache Modelle ist in Abb. 8.24(b) die Abhängigkeit von der kosmologischen Konstanten dargestellt. Man erkennt, dass ΩΛ nur einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Positionen der akustischen Peaks hat, so dass diese in der Tat im Wesentlichen von der Krümmung des Universums abhängen. Der wichtigste Einfluss von ΩΛ ist der bei kleinen : Für ΩΛ = 0 verschwindet der integrierte Sachs–Wolfe-Effekt, so dass dann das Leistungsspektrum flach ist (für n = 1), während größere ΩΛ zu einem immer stärkeren integrierten Sachs–Wolfe-Effekt führen. Der Einfluss der Baryonendichte ist in Abb. 8.24(c) gezeigt. Eine Erhöhung der Baryonendichte hat zur Folge, dass die Amplitude des ersten Doppler-Peaks ansteigt, während die des zweiten dabei geringer wird. Allgemein steigt die Amplitude der ungeradzahligen Doppler-Peaks an, die der geradzahligen reduziert sich mit steigendem Ωb h 2 . Weiterhin tritt die Dämpfung der Fluktuationen schon bei kleineren (also größeren Winkelskalen) ein, wenn Ωb reduziert wird, weil dann die freie Weglänge der Photonen ansteigt und daher größerskalige Fluktuationen ausgewaschen werden können. Schließlich zeigt die Abb. 8.24(d) die Abhängigkeit der Temperaturfluktuationen vom Dichteparameter Ωm h 2 . Änderungen dieses Parameters bewirken sowohl eine Verschiebung der Positionen
als auch Änderungen der Amplituden der einzelnen Doppler Peaks. Aus dieser Diskussion geht klar hervor, dass in den Temperaturfluktuationen des CMB eine enorme Menge an Information über die kosmologischen Parameter enthalten ist. Wenn es also gelingt, diese zu vermessen, erhält man sehr gute Einschränkungen an diese Parameter. In der Abb. 8.25 sind die sekundären Effekte der CMB-Anisotropien dargestellt und verglichen mit dem oben benutzten Referenzmodell. Neben dem schon ausführlich diskutierten integrierten Sachs–Wolfe-Effekt ist vor allen Dingen der Einfluss der freien Elektronen nach der Reionisation des Universums zu nennen. Durch die Streuung der CMB-Photonen an diesen Elektronen wird im Wesentlichen die Amplitude der Fluktuationen auf allen Skalen reduziert, und zwar um einen Faktor e−τ , wobei τ die optische Tiefe gegenüber Thomson-Streuung bezeichnet. Diese hängt von der Rotverschiebung der Reionisation ab, denn je früher das Universum wieder ionisiert wurde, umso größer ist τ. Weiterhin erkennt man aus der Abb. 8.25, dass bei kleinen Winkelskalen die gravitative Lichtablenkung und der Sunyaev–Zeldovich-Effekt dominant werden. Letzterer kann aufgrund seiner speziellen Frequenzabhängigkeit identifiziert werden, während der Linseneffekt von den anderen Quellen der Anisotropie nicht direkt getrennt werden kann.
Abb. 8.25. Die obere Kurve in beiden Abbildungen zeigt das Spektrum der primären Temperaturfluktuationen für das gleiche Referenzmodell, das in Abb. 8.24 verwendet wurde, während die anderen Kurven den Einfluss der sekundären Anisotropien darstellen. Auf großen Winkelskalen (kleinem ) ist der integrierte Sachs–Wolfe-Effekt (ISW) dominant, während der Einfluss der gravitativen Lichtablenkung (lensing) und des
Sunyaev–Zeldovich-Effekts (SZ) bei großen dominiert. Auf mittleren Winkelskalen macht sich die Streuung der Photonen an den freien Elektronen im intergalaktischen Gas (suppression) bemerkbar, die nach der Reionisation des Universums vorhanden sind. Andere sekundäre Effekte, die in diesen Figuren eingezeichnet sind, sind deutlich kleiner als die oben erwähnten und daher hier von geringerem Interesse
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 344
8.6.4 Beobachtungen der CMB-Anisotropie Um zu verstehen, warum zwischen der Entdeckung des CMBs 1965 und der ersten Messung von CMBFluktuationen 1992 so viel Zeit verstrichen ist, muss man bedenken, dass die Fluktuationen von der relativen Größenordnung ∼ 2 × 10−5 sind. Daraus ergibt sich eine enorme Anforderung an die Genauigkeit von solchen Beobachtungen. Die Hauptschwierigkeit der Messungen vom Boden aus ist die Emission der Atmosphäre. Um diese zu vermeiden, oder wenigstens zu minimieren, sind Satellitenexperimente oder Beobachtungen von Ballons aus notwendig. Es überrascht daher nicht, dass der Satellit COBE als erstes CMB-Fluktuationen nachweisen konnte.7 Neben der Vermessung der Temperaturverteilung an der Sphäre (siehe Abb. 1.17) mit einer Winkelauflösung von ∼ 7◦ hat COBE auch gezeigt, dass der CMB der perfekteste Schwarzkörper ist, der je gemessen wurde. Das von COBE gemessene Leistungsspektrum für 20 war beinahe flach und daher mit dem Harrison–Zeldovich-Spektrum verträglich. Galaktischer Vordergrund. Die gemessene Temperaturverteilung der Strahlung ist eine Überlagerung der CMB-Anisotropie und der Emission von Galaktischen (und extragalaktischen) Quellen. Diese VordergrundEmission dominiert in der Nähe der Galaktischen Scheibe, wie man in der Abb. 1.17 deutlich erkennen kann, und scheint wesentlich schwächer zu sein bei hohen Galaktischen Breiten. Allerdings kann die Vordergrundstrahlung aufgrund des unterschiedlichen spektralen Verhaltens identifiziert und subtrahiert werden. Dazu stellt man fest, dass der Galaktische Vordergrund im Wesentlichen aus drei Komponenten besteht: Synchrotron-Strahlung von relativistischen Elektronen in der Galaxis, thermische Staubstrahlung und Bremsstrahlung von heißem Gas. Die SynchrotronStrahlung hat ein Spektrum etwa wie Iν ∝ ν−0.8 , während der Staub sehr viel wärmer ist als 3 K und daher im für CMB-Messungen interessanten Bereich ein spektrales Verhalten wie etwa Iν ∝ ν3.5 zeigt. Die Bremsstrahlung besitzt im relevanten Spektralbereich 7 mit
Ausnahme der Dipol-Anisotropie, die von der Pekuliarbewegung des Sonnensystems her stammt und eine Amplitude von ∼ 10−3 besitzt; diese wurde bereits früher identifiziert
ein flaches Spektrum, Iν ≈ const. Dies kann verglichen werden mit dem Spektrum des CMB, das im Rayleigh–Jeans-Bereich die Form Iν ∝ ν2 annimmt. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, aus der gemessenen Intensitätsverteilung die Vordergrund-Emission herauszurechnen. Zum einen kann man durch Beobachtungen bei mehreren Frequenzen das Spektrum der Mikrowellenstrahlung an jedem Punkt untersuchen und dabei die drei oben erwähnten Vordergrundkomponenten identifizieren und subtrahieren. Als zweite Möglichkeit bietet sich die Berücksichtigung externer Datensätze an. Die Synchrotron-Strahlung ist bei größeren Wellenlängen wesentlich stärker; aus einer Karte des Himmels bei Radiofrequenzen kann man daher die Verteilung der Synchrotron-Strahlung erhalten und auf deren Beitrag bei den für die CMB-Messungen benutzten Frequenzen schließen. In ähnlicher Weise kann die Infrarot-Emission des Staubes, wie sie z. B. mit dem IRAS-Satelliten vermessen wurde (siehe Abb. 2.11), dazu benutzt werden, die Staubemission der Galaxis im Mikrowellenbereich zu erhalten. Schließlich erwartet man, dass Gas, welches Bremsstrahlung emittiert, ebenfalls starke Balmer-Emission von Wasserstoff zeigt, weswegen man aus einer Hα-Karte des Him-
Abb. 8.26. Die Antennentemperatur (∝ Iν ν−2 ) des CMB und der drei im Text diskutierten Vordergrund-Komponenten, als Funktion der Frequenz. Die 5 Frequenzbänder von WMAP sind eingezeichnet. Die gestrichelten Kurven geben die mittlere Antennentemperatur der Vordergrundstrahlung auf den 77% bzw. 85% des Himmels an, in denen die CMBAnalyse durchgeführt wurde. Man erkennt, dass die beiden hochfrequenten Kanäle nicht von der Vordergrund-Emission dominiert werden
8.6 Winkelfluktuationen des CMB 345
mels die Bremsstrahlung vorhersagen kann. Beide Möglichkeiten, die Bestimmung des Vordergrunds aus Multi-Frequenzdaten des CMB-Experiments und die Benutzung von externen Daten, werden angewandt, um eine möglichst vordergrundfreie Karte des CMB zu erhalten – wie das in Abb. 1.17 unten ja auch gelungen zu sein scheint. Die optimale Frequenz zur Messung der CMBAnisotropien ist dort, wo die Vordergrund-Emission gerade ein Minimum hat; dies ist etwa bei 70 GHz der
Fall (siehe Abb. 8.26), also gerade ein spektraler Bereich, der vom Boden aus sehr schwer zugänglich ist.
Abb. 8.27. Im Jahre 2000 veröffentlichten zwei Gruppen die Daten ihrer CMB-Beobachtungen, BOOMERANG und MAXIMA. Hier sind die BOOMERANG-Daten gezeigt. Man sieht links die Temperaturverteilung bei 90 GHz, 150 GHz und 240 GHz, rechts unten die für 400 GHz. In den oberen beiden Figuren auf der rechten Seite sind die Temperaturkarten von jeweils zwei Frequenzen voneinander subtrahiert. Diese Differenzkarten weisen wesentlich kleinere Fluktuationen auf als die individuellen Karten. Dies
ist damit verträglich, dass der größte Teil der Strahlung vom CMB stammt, und nicht etwa von Galaktischer Strahlung, die eine andere Frequenzverteilung besäße und daher in den Differenzkarten deutlich zum Vorschein käme. Für die Fluktuationsanalyse der Temperaturverteilung wurde nur der Bereich innerhalb des gestrichelten Rechtecks benutzt, um Randeffekte zu vermeiden. Das Fluktuationsspektrum, das aus den Differenzkarten berechnet wurde, ist mit reinem Rauschen verträglich
Von COBE zu WMAP. In den Jahren nach der COBEMission haben verschiedene Experimente Messungen der Anisotropie vom Boden aus unternommen, wobei dabei das Hauptaugenmerk auf kleineren Winkelskalen lag. Um ca. 1997 verdichtete sich die Evidenz für die Anwesenheit des ersten Doppler-Peaks, aber die Fehler-
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 346
balken der einzelnen experimentellen Resultate waren zu groß, um diesen Peak klar zu lokalisieren. Der Durchbruch kam dann im März 2000, als zwei Gruppen ihre Ergebnisse zu den Messungen der CMB-Anisotropie veröffentlichten: BOOMERANG und MAXIMA. Beides waren Ballon-Experimente, die jeweils ein großes Gebiet des Himmels bei verschiedenen Frequenzen beobachteten. In Abb. 8.27 sind die Karten des BOOMERANG-Experiments dargestellt. Beide Experimente haben eindeutig den ersten Doppler-Peak vermessen und bei ≈ 200 lokalisiert. Daraus konnte geschlossen werden, dass wir in einem beinahe flachen Universum leben – die Analyse der Daten ergab etwa Ωm + ΩΛ ≈ 1 ± 0.1. Weiterhin wurden zumindest deutliche Anzeichen des zweiten Doppler-Peaks gesehen. Im April 2001 wurden dann verfeinerte CMBAnisotropie-Messungen von drei Experimenten veröffentlicht, BOOMERANG, MAXIMA und DASI. Bei den beiden ersteren handelte es sich um die gleichen
Beobachtungsdaten wie im Jahr zuvor, die jedoch einer verbesserten Analyse unterzogen wurden. Das so vermessene Fluktuationsspektrum der Temperatur ist in Abb. 8.28 dargestellt und zeigt, dass die Lage der drei ersten Doppler-Peaks somit bestimmt war. Der Stand der Messungen der CMB-Anisotropie Ende 2002 ist in der Abb. 8.29 dargestellt. In der linken Abbildung sind die Ergebnisse einer Vielzahl von Experimenten individuell aufgezeichnet, die rechte Abbildung zeigt den gewichteten Mittelwert dieser Experimente. Wie man auf den ersten Blick vielleicht nicht vermuten würde, sind die Ergebnisse all der in der linken Abbildung gezeigten Experimente miteinander kompatibel, in dem Sinne, dass sie statistisch verträglich sind innerhalb der jeweils angegebenen Fehlerbalken mit dem Leistungsspektrum, das sich nach dem gewichteten Mittel ergibt. Aus diesem so gemittelten Leistungsspektrum kann man nun dasjenige kosmologische Modell bestim-
Abb. 8.28. Spektrum der Winkelfluktuationen des CMB, gemessen mit dem BOOMERANG-Ballon; diese Resultate wurden im Jahre 2002 publiziert, basierend auf den gleichen Daten wie die zuvor publizierten Resultate, aber mit einer verbesserten Analyse. Dargestellt sind die Koeffizienten ( + 1)C als Funktion der ,,Wellenzahl“ bzw. der Multipolordnung ∼ 180◦ /θ. Deutlich sind die ersten drei akustischen Peaks zu erkennen, die aus den Oszillationen der Photonen-Baryonen-,,Flüssigkeit“ zur Zeit der
Rekombination stammen. In der rechten Abbildung sind Winkelspektren einiger kosmologischer Modelle eingezeichnet, die die CMB-Daten am besten fitten. Das Modell ,,weak“ (durchgezogene Kurve) benutzt die Einschränkung 0.45 ≤ h ≤ 0.90, t0 > 10 Gyr, und hat ΩΛ = 0.51, Ωm = 0.51, Ωb h 2 = 0.022, h = 0.56, entsprechend t0 = 15.2 Gyr. Die kurz-gestrichelte Kurve (,,strong H0 “) macht die stärkere Einschränkung h = 0.71 ± 0.08 und hat ΩΛ = 0.62, Ωm = 0.40, Ωb h 2 = 0.022, h = 0.65, entsprechend t0 = 13.7 Gyr
8.6 Winkelfluktuationen des CMB 347
Abb. 8.29. Diese Abbildung fasst den Stand der CMBAnisotropie-Messungen zum Ende des Jahres 2002 zusammen. Links sind die Resultate der einzelnen Experimente gezeigt, rechts das aus ihnen durch gewichtete Mittelung
berechnete ,,beste“ Spektrum der Fluktuationen mit den entsprechenden Fehlerbalken, sowie dem am besten passenden kosmologischen Modell
men, welches diese Daten am besten beschreibt. Unter der Annahme eines flachen Modells ergibt sich ΩΛ = 0.71 ± 0.11, eine Baryonendichte von Ωb h 2 = 0.023 ± 0.003, in hervorragender Übereinstimmung mit dem Wert, den man aus der primordialen Nukleosynthese erhält (siehe Gl. 4.62), und der Spektralindex der primordialen Dichtefluktuationen wird eingeschränkt auf n = 0.99 ± 0.06, also in der Tat sehr nahe an dem Harrison–Zeldovich-Wert von 1. Weiterhin wird die Hubble-Konstante abgeschätzt zu h = 0.71 ± 0.13, wiederum in hervorragender Übereinstimmung mit dem Wert, den man aus der lokalen Untersuchung mittels der Entfernungsleiter bestimmt und der von dieser Messung vollkommen unabhängig ist. Diese Übereinstimmungen sind wahrlich beeindruckend, wenn man sich noch einmal die Annahmen unseres kosmologischen Modells vor Augen führt.
dessen Name verliehen wurde. WMAP ist nach COBE erst das zweite Experiment, welches die Mikrowellenstrahlung des gesamten Himmels vermisst. Im Vergleich zu COBE hat WMAP einen breiteren Frequenzbereich, indem er bei fünf (anstatt drei) Frequenzen misst, eine deutlich verbesserte Winkelauflösung (abhängig vom Frequenzband, etwa 20 , gegenüber ∼ 7◦ ), und außerdem ist WMAP in der Lage, die Polarisation des CMB zu vermessen. Die Ergebnisse des ersten Jahres der Messungen von WMAP wurden im Februar 2003 veröffentlicht. Diese exzellenten Resultate haben unser kosmologisches Weltmodell soweit verfestigt, dass wir heute von dem Standardmodell der Kosmologie sprechen können. Die wichtigsten Ergebnisse von WMAP sollen hier diskutiert werden.
8.6.5
WMAP: Präzisionsmessungen der CMB-Anisotropie
Im Juni 2001 wurde der Microwave Anisotropy Probe Satellit gestartet, dem zu Ehren von David Wilkinson
Vergleich mit COBE. Da WMAP nach COBE der erste Satellit ist, der den gesamten Himmel im relevanten Frequenzbereich abbildet, ist nun zum ersten Mal eine Verifizierung der COBE-Messungen möglich. In der Abb. 8.30 sind Himmelskarten von COBE und von WMAP dargestellt. Man bemerkt zum einen die dramatisch bessere Winkelauflösung der WMAP-Karte. Andererseits ist klar zu erkennen,
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 348
stätigung der Messungen von COBE ist in der Tat sehr beeindruckend.
Abb. 8.30. Vergleich der CMB-Messungen mit COBE (oben) und WMAP (unten), nach Abzug des Dipols, der von der Bewegung der Sonne relativ zum Ruhesystem des CMB herrührt. Die enorm gesteigerte Winkelauflösung von WMAP ist leicht zu erkennen. Obwohl diese beiden Karten bei unterschiedlichen Frequenzen aufgenommen wurden, ist die Ähnlichkeit der Temperaturverteilung klar zu sehen und wurde quantitativ nachgewiesen. Hiermit konnten die COBE-Resultate zum ersten Mal unabhängig überprüft werden
dass diese beiden Karten sich sehr ähnlich sind, wenn man sie mit der gleichen Winkelauflösung betrachten würde. Diesen Vergleich kann man quantitativ vollziehen, indem man die WMAP-Karte durch Glättung auf die COBE-Auflösung ,,verschmiert“. Da WMAP nicht bei den gleichen Frequenzen misst wie COBE, wurden dazu die WMAP-Karten zwischen zwei Frequenzen auf die COBE-Frequenz interpoliert. Dieser Vergleich zeigt dann, dass die beiden Karten innerhalb des jeweiligen Rauschens völlig identisch sind, mit Ausnahme eines einzigen Punktes innerhalb der Galaktischen Scheibe. Diesen kann man dadurch verstehen, dass das für die Interpolation benutzte angenommene Spektrum an dieser Stelle vom wirklichen Spektrum dieser Quelle abweicht. Diese Be-
Kosmische Varianz. Bevor wir die Ergebnisse von WMAP weiterdiskutieren, wollen wir hier den Begriff der kosmischen Varianz erläutern. Das Winkelspektrum der CMB-Anisotropien wird quantifiziert durch die Multipol-Koeffizienten C . So drückt etwa C1 die Stärke des Dipols aus. Der Dipol hat insgesamt drei Komponenten; beispielsweise können wir diese beschreiben durch eine Amplitude und zwei Winkel, die uns eine Richtung auf der Sphäre beschreiben. Entsprechend hat der Quadrupol fünf unabhängige Komponenten, und generell gilt, dass (2 + 1) unabhängige Komponenten zu C beitragen. Die Modelle des CMB bestimmen den Erwartungswert der Amplitude der einzelnen Komponenten C . Will man nun Messungen des CMB mit diesen Modellen vergleichen, so muss man sich darüber im Klaren sein, dass wir nie einen Erwartungswert messen können, sondern nur den Mittelwert der Komponenten, die zu C beitragen. Da es nur fünf unabhängige Komponenten des Quadrupols gibt, ist die erwartete statistische √ Abweichung des Mittelwerts vom Erwartungswert C2 / 5. Im Allgemeinen ist die statistische Abweichung des Mittelwerts von C vom Erwartungswert C . ΔC = √ 2 + 1
(8.26)
Im Gegensatz zu vielen anderen Situationen, wo man die statistischen Unsicherheiten verringern kann, indem man eine größere Stichprobe untersucht, kann man dies im Fall des CMB nicht machen: Wir haben nur einen Mikrowellenhimmel, den wir beobachten können! Wir können also kein Ensemble von Mikrowellenkarten zusammentragen, sondern sind auf die Karte unseres Himmels allein angewiesen. Ein Beobachter woanders im Universum sieht einen anderen CMB-Himmel und misst daher andere C -Werte, weil sein CMB-Himmel einer anderen Realisation des Zufallsfeldes [welches durch das Leistungsspektrum P(k) der Dichtefluktuationen spezifiziert ist] entspricht. Das bedeutet, (8.26) ist eine fundamentale Grenze der statistischen Genauigkeit, die auch durch instrumentelle Verbesserungen nicht unterschritten werden kann. Dieser Effekt heißt kosmische Varianz. Die Messgenauigkeit von WMAP für jeden Wert von 350 ist besser
8.6 Winkelfluktuationen des CMB 349
als die kosmische Varianz (8.26). Daher ist das mit ihm gemessene Fluktuationsspektrum für 350 ,,definitiv“, d. h. weitere Verbesserungen der Genauigkeit in diesem Winkelbereich liefern keine zusätzliche kosmologische Information (allerdings können in zukünftigen Messungen natürlich mögliche systematische Effekte nachgeprüft werden). Das Fluktuationsspektrum. Da WMAP in fünf verschiedenen Frequenzen misst, kann man im Prinzip die Galaktische Vordergrundstrahlung vom CMB separieren, aufgrund unterschiedlichen spektralen Verlaufs. Dabei kann man sich weiterhin externer Datensätze bedienen, wie das in Abschn. 8.6.4 beschrieben wurde. Diese zweite Methode wird bevorzugt, weil durch die Verwendung von Multifrequenz-Daten zur Vordergrundsubtraktion die Rauscheigenschaften der resultierenden CMB-Karte sehr kompliziert werden. Die Bereiche, wo die Vordergrundemission besonders stark ist – hauptsächlich in der Galaktischen Scheibe – werden bei der Bestimmung der C nicht berücksichtigt; ebenso werden bekannte Punktquellen aus der Karte ,,herausgeschnitten“. Das resultierende Fluktuationsspektrum ist in Abb. 8.31 dargestellt. In dieser Abbildung sind nicht die einzelnen C aufgezeichnet, sondern die Fluktuationsamplituden wurden in -Bins gemittelt. Die durchgezogene Kurve zeigt das erwartete Fluktuationsspektrum in einem ΛCDM-Universum, dessen Parameter später noch quantitativ diskutiert werden. Der graue Bereich um dieses Modellspektrum gibt die Breite der kosmischen Varianz an, entsprechend (8.26), modifiziert hinsichtlich des benutzten Binnens. Die erste Feststellung ist, dass das gemessene Fluktuationsspektrum hervorragend mit dem Modell übereinstimmt. Es gibt praktisch keine statistisch signifikanten Abweichungen der Messpunkte von dem Modell. Kleinere Abweichungen, die zu erkennen sind, erwartet man als statistische Ausreißer. Die Übereinstimmung der Daten mit dem Modell ist in der Tat spektakulär: Trotz seines enormen Entdeckungspotentials hat WMAP ,,nur“ das bestätigt, was man bereits vorher aus anderen Messungen erschlossen hat. Die Ergebnisse von WMAP haben daher das kosmologische Modell eindrucksvoll bestätigt und gleichzeitig die Genauigkeit der Parameterwerte deutlich verbessert.
Abb. 8.31. Als zentrales Ergebnis der WMAP-Messungen ist im oberen Bild das Fluktuationsspektrum der CMBTemperatur (TT) und im unteren Bild das Leistungsspektrum der Korrelation zwischen der Temperaturverteilung und der Polarisation (TE) dargestellt. Neben den WMAPDatenpunkten, die hier gebinnt aufgezeichnet sind, sind bei größeren auch die Ergebnisse zweier weiterer CMBExperimente (CBI und ACBAR) eingezeichnet. Die Kurve zeigt das am besten passende ΛCDM-Modell, und der graue Bereich um sie herum zeigt die Kosmische Varianz an. Die große Amplitude des Punktes im TE-Spektrum bei kleinem zeigt eine unerwartet große Polarisation auf großen Winkelskalen, die auf eine frühe Reionisation des Universums schließen lässt
Der einzige Messpunkt, der signifikant vom Modell abweicht, ist der des Quadrupols, = 2. Schon in den COBE-Messungen war die Amplitude des Quadrupols kleiner als erwartet, wie dies in Abb. 8.29 erkennbar ist. Misst man dieser Abweichung physikalische Signifikanz bei, so ist diese Diskrepanz vielleicht ein Schlüssel zu möglichen Erweiterungen des kosmologischen Standardmodells, und bereits kurz nach Veröffentlichung der WMAP-Resultate wurde eine Reihe von Arbeiten publiziert, die nach einer Erklärung für die niedrige
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 350
Quadrupol-Amplitude suchten. Eine andere Art der Erklärung liegt darin, dass für die Analyse des Winkelspektrums ca. 20% des Himmels ausgespart wurden, darunter vor allen Dingen natürlich die Galaktische Scheibe. Die Vordergrundemission ist ebenfalls zur Scheibe hin konzentriert, und es ist nicht auszuschließen, dass diese auch in den Bereichen der Sphäre, die nicht ausgeschnitten wurden, einen merklichen Einfluss haben kann. Dieser Einfluss würde sich vor allem im Spektrum bei kleinen auswirken. Anomalien in der Ausrichtung der Multipole kleiner Ordnung wurden tatsächlich in den Daten gefunden. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es daher wahrscheinlich keinen Grund anzunehmen, dass die kleine Quadrupol-Amplitude von kosmologischer Relevanz ist.
der Wahrscheinlichkeit ab, dass ein CMB-Photon seit der Rekombination gestreut worden ist, also von der optischen Tiefe bezüglich der Thomson-Streuung. Da diese von der Rotverschiebung abhängt, bei der das Universum reionisiert worden ist, kann man aus der Polarisation diese Rotverschiebung erschließen. Im unteren Teil der Abb. 8.31 ist das Leistungsspektrum der Korrelation zwischen der Temperaturverteilung und der Polarisation aufgezeichnet. Dabei stellt sich für kleine ein überraschend hoher Wert heraus. Diese Messung ist die wahrscheinlich unerwartetste Entdeckung in den WMAP-Daten des ersten Jahres, denn sie erfordert eine sehr frühe Reionisation des Universums, z ion ∼ 17, also deutlich früher, als man etwa aus den Spektren von QSOs mit z 6 erschließt.
Polarisation des CMB. Die kosmische Hintergrundstrahlung ist eine Schwarzkörperstrahlung und daher unpolarisiert. Trotzdem wurden Polarisationsmessungen des CMB unternommen und eine endliche Polarisation festgestellt. Dieser Effekt soll hier erläutert werden. Die Streuung von Photonen an freien Elektronen ändert nicht nur die Richtung der Photonen, sondern sorgt auch für eine lineare Polarisation der gestreuten Strahlung. Die Richtung der Polarisation ist senkrecht zu der Ebene, die von dem einfallenden und gestreuten Photon aufgespannt wird. Betrachten wir eine Region, in der es freie Elektronen gibt. Photonen aus dieser Richtung sind nun entweder ohne Streuung von der Epoche der Rekombination zu uns propagiert, oder sie wurden durch die freien Elektronen in unsere Richtung gestreut. Durch diese Streuung wird die Strahlung im Prinzip polarisiert. Grob gesprochen sind Photonen, die von ,,links“ oder ,,rechts“ auf dieses Gebiet eingetroffen sind, in NordSüd-Richtung polarisiert, während die von ,,oben“ oder ,,unten“ eingefallenen Photonen nach der Streuung eine Polarisation in Ost-West-Richtung zeigen. Falls der CMB von den streuenden Elektronen aus gesehen isotrop wäre, gäbe es genau so viele Photonen von rechts und links wie von oben und unten, so dass die NettoPolarisation gerade verschwinden würde. Allerdings sehen die streuenden Elektronen ihren CMB-Himmel in der gleichen Weise anisotrop, wie wir das auch tun; deshalb hebt sich die Polarisation nicht exakt auf. Dieses Bild impliziert, dass die CMB-Strahlung polarisiert sein kann. Der Grad der Polarisation hängt von
Zukunft der CMB-Messungen. Bevor wir nun die kosmologischen Parameter diskutieren, die sich aus den WMAP-Daten ergeben, wollen wir kurz die Aussichten der CMB-Messungen in den Jahren nach 2005 andeuten. Zum einen wird WMAP noch einige Jahre weiter messen, die Genauigkeit der Messungen dadurch verbessern und insbesondere die Resultate des ersten Jahres überprüfen. Weiterhin ist das Leistungsspektrum der Polarisation selbst bisher (April 2005) noch nicht veröffentlicht worden, so dass auch hier neue Erkenntnisse (oder eine weitere Bestätigung des Standard-Modells) zu erwarten sind, insbesondere hinsichtlich der Reionisationsrotverschiebung. Wie schon bei COBE werden die WMAP-Daten für viele Jahre ein reicher Quell der Erkenntnis sein. Ballon- und bodengebundene Experimente werden CMB-Messungen auf kleinen Winkelskalen durchführen und somit die Resultate von WMAP zu größeren hin erweitern. Die Fortschritte solcher Messungen waren in den letzten Jahren bereits enorm und lassen hervorragende Ergebnisse für die nahe Zukunft erwarten. Schließlich wird voraussichtlich in 2008 der ESA-Satellit PLANCK gestartet, dessen Frequenzbereich zwischen 30 GHz und 850 GHz liegt und dessen Winkelauflösung etwa 5 betragen wird; wie WMAP wird auch PLANCK eine volle Himmelskarte aufnehmen. Neben der Vermessung des CMB wird diese Mission sehr interessante astrophysikalische Ergebnisse produzieren; man erwartet beispielsweise, dass PLANCK etwa 104 Galaxienhaufen aufgrund des Sunyaev–Zeldovich-Effekts entdecken wird.
8.7 Kosmologische Parameter 351
Vor allem die präzise Vermessung des ersten DopplerPeaks, zusammen mit der Betrachtung des Gesamtspektrums, erlaubt eine sehr scharfe Einschränkung für die Abweichung des kosmologischen Modells von einem mit verschwindender Krümmung. In Abb. 8.32 sind die Konfidenzbereiche in der Ωm -ΩΛ -Ebene aufgezeichnet, die man aus den CMB-Daten (WMAP, kombiniert mit Messungen bei kleinerem Winkelskalen, im Folgenden WMAPext genannt) alleine oder in Kombination mit SN Ia und/oder der Bestimmung von H0 aus dem Hubble Key Project (siehe Abschn. 3.6.2) erhält. Wie
schon in den in Abschn. 8.6.4 vorgestellten früheren CMB-Messungen zeigen die Resultate von WMAP, dass die Abweichungen von Ωm + ΩΛ von 1 sehr klein sind. Aus diesem Grund betrachten wir die anderen kosmologischen Parameter unter der Annahme eines flachen Universums, Ωm + ΩΛ = 1. Das WMAP-Team hat einen sechs-dimensionalen kosmologischen Parameterraum betrachtet, der aufgespannt wird durch die Amplitude A der Dichtefluktuationen (diese Amplitude ist direkt verknüpft mit σ8 , aber wird bei deutlich größeren Skalen als 8h −1 Mpc gemessen, da die CMBDaten von solch großen Skalen bestimmt werden), der Steigung n des primordialen Fluktuationsspektrums (mit n = 1 für ein Harrison–Zeldovich-Spektrum), der optischen Tiefe τ gegenüber Thomson-Streuung nach der Reionisation des Universums, der skalierten Hubble-Konstanten h, sowie den Dichteparametern Ωm h 2 und Ωb h 2 . Tabelle 8.1 zeigt die am besten passenden Werte dieser Parameter, wobei vier verschiedene Datenkombinationen verwendet wurden: WMAP allein, WMAP zusammen mit Messungen der CMBFluktuationen auf kleineren Winkelskalen (WMAPext), WMAPext zusammen mit den Resultaten des 2dFGRS, und die Kombination aus WMAPext, 2dFGRS und Lyα-Wald-Ergebnissen. Betrachten wir zunächst die CMB-Resultate alleine, so findet man, dass n sehr nahe bei eins liegt, und somit das primordiale Fluktuationsspektrum dem Harrison–Zeldovich-Spektrum sehr ähnlich sein muss – in Übereinstimmung mit den Vorhersagen inflationärer
Tabelle 8.1. Die sechs grundlegenden Parameter, die aus den WMAP-Daten bestimmt wurden, wobei ein flaches kosmologisches Modell (Ωm + ΩΛ = 1) angenommen wurde. A ist die Amplitude und n die Steigung des primordialen Leistungsspektrums, und τ ist die optische Tiefe 2 /ν ist ein statistisches bezüglich Thomson-Streuung. χeff Maß für die Übereinstimmung des besten Modells mit
den Daten. Die verschiedenen Spalten zeigen die FitParameter unter Benutzung der WMAP-Daten allein und der Kombination mit CMB-Messungen bei kleineren Winkelskalen (WMAPext), zusätzlich mit dem Leistungsspektrum des 2dFGRS (WMAPext+2dFGRS), und zusätzlich unter Benutzung des Leistungsspektrums aus dem Lyα-Wald (WMAPext+2dFGRS+Lyα)
8.7
Kosmologische Parameter
Lange Zeit war die Bestimmung der kosmologischen Parameter eine der großen Herausforderungen der Kosmologie, und viele verschiedene Methoden wurden ersonnen und angewandt, um H0 , Ωm , ΩΛ etc. zu bestimmen. Bis vor einigen Jahren ergaben diese verschiedenen Methoden Ergebnisse mit relativ großen Fehlerbalken, die sich teilweise auch nicht gegenseitig überlappten. In den letzten Jahren hat sich diese Situation jedoch grundlegend geändert, wie in den vorangegangenen Abschnitten bereits diskutiert wurde. Die Messungen von WMAP bilden einen vorläufigen Höhepunkt in der Bestimmung der kosmologischen Parameter, und wir beginnen diesen Abschnitt mit der Darstellung dieser Ergebnisse.
8.7.1
A n τ h Ωm h 2 Ωb h 2 2 /ν χeff
Kosmologische Parameter mit WMAP
WMAP
WMAPext
WMAPext+2dFGRS
WMAPext+2dFGRS+Lyα
0.9 ± 0.1 0.99 ± 0.04 0.166+0.076 −0.071 0.72 ± 0.05 0.14 ± 0.02 0.024 ± 0.001 1429/1341
0.8 ± 0.1 0.97 ± 0.03 0.143+0.071 −0.062 0.73 ± 0.05 0.13 ± 0.01 0.023 ± 0.001 1440/1352
0.8 ± 0.1 0.97 ± 0.03 +0.073 0.148−0.071 0.73 ± 0.03 0.134 ± 0.006 0.023 ± 0.001 1468/1381
+0.08 0.75−0.07 0.96 ± 0.02 0.117+0.057 −0.053 0.72 ± 0.03 0.133 ± 0.006 0.0226 ± 0.0008 ...
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 352
Abb. 8.32. 1σ und 2σ-Konfidenzbereiche (dunkelgraue und hellgraue Flächen) in der Ωm -ΩΛ -Ebene. Oben links sind alleine die WMAP-Daten verwendet worden. Oben rechts wurden die WMAP-Daten mit CMB-Messungen bei kleineren Winkelskalen kombiniert (WMAPext). Im linken unteren Bild wurden die WMAPext-Daten mit der Bestimmung
der Hubble-Konstanten aus dem HST Key Projekt kombiniert, wobei die Konfidenzbereiche, die man aus den SN Ia-Messungen erhält, nur zum Vergleich eingezeichnet sind. Unten rechts wurden die SN Ia-Daten zusätzlich mit einbezogen. Die gestrichelte Linie zeigt jeweils Modelle mit verschwindender Raumkrümmung, Ωm + ΩΛ = 1
Modelle (siehe Abschn. 7.7). Der Wert der HubbleKonstanten ist mit h = 0.73 ± 0.05 in exzellenter Übereinstimmung mit dem aus dem Hubble Key Project bestimmten Wert. Die abgeleitete Baryonendichte Ωb h 2 ist ebenfalls in hervorragender Übereinstimmung mit dem Wert, den man aus der primordialen Nukleosynthese erhalten hat. Kombiniert man die in der Tabelle angegebenen Werte für Ωm h 2 und h, so erhält man einen Wert für Γ = Ωm h, der mit dem aus der Galaxienverteilung des 2dFGRS (siehe Gl. 8.5) in sehr guter Übereinstimmung ist. Dabei muss man sich nochmals vergegenwärtigen, dass es sich um völlig unabhängige Methoden zur Bestimmung dieser Parameter handelt.
Die Messung des integrierten Sachs–Wolfe-Effekts im Fluktuationsspektrum ist eine von den Supernovae Resultaten unabhängige Verifikation eines von Null verschiedenen Werts für ΩΛ . In der Tat kann man den physikalischen Ursprung dieses Effekts direkt nachweisen, da der integrierte Sachs–Wolfe-Effekt als Resultat der zeitlichen Entwicklung des Gravitationspotentials bei relativ kleinen Rotverschiebungen (wo der Einfluss einer kosmologischen Konstante spürbar wird) auftritt. Er sollte daher direkt korreliert sein mit großskaligen Überdichten der Materie, die sich unter der Annahme eines Bias-Modells durch die Verteilung von Galaxien oder Galaxienhaufen beobachten lassen. Korrelationen
8.7 Kosmologische Parameter 353 Abb. 8.33. Das Leistungsspektrum der Dichtefluktuationen im Universum, wie es mit verschiedenen Methoden vermessen worden ist, wobei hier wiederum Δ2 (k) ∝ k3 P(k) aufgetragen ist. Zu beachten ist, dass hier die kleinen Längenskalen (bzw. große k) links sind. Geht man von großen zu kleinen Längenskalen, so sind die hier gezeigten Resultate aus Untersuchungen der CMB-Fluktuationen, der Anzahldichte von Galaxienhaufen, der großräumigen Verteilung von Galaxien, der Kosmischen Scherung und der Statistik des Lyα-Waldes. Man erkennt, dass das Leistungsspektrum eines ΛCDM-Modells diese Daten über einen sehr großen Skalenbereich beschreibt
etwa der leuchtkräftigen Elliptischen Galaxien, wie man sie über sehr große Bereiche der Sphäre durch photometrische Methoden (siehe Abschn. 9.1.2) im Sloan Digital Sky Survey beobachten kann, mit der Temperaturverteilung des CMB geben deutliche Hinweise darauf, dass die Temperaturfluktuationen auf großen Winkelskalen den Sachs–Wolfe-Effekt beinhalten und stellen somit einen direkten Nachweis von ΩΛ = 0 dar. Die große Überraschung der WMAP Ergebnisse ist der hohe Wert für τ, der insbesondere aus dem TELeistungsspektrum abgeleitet wird. Dieser Wert von τ impliziert, dass das Universum bereits bei einer relativ großen Rotverschiebung von z ∼ 17 reionisiert worden ist. Die Kombination der CMB-Resultate mit denen aus der großräumigen Verteilung von Galaxien und der Statistik des Lyα-Waldes erlaubt die Vermessung des Leistungsspektrums zu kleineren Längenskalen, wie in Abb. 8.33 dargestellt ist. Das erlaubt eine bessere Einschränkung der kosmologischen Parameter. Aus der Tabelle 8.1 entnehmen wir, dass in der Tat diese Kombination die Fehlerbereiche einiger Parameter verkleinert, wobei dies insbesondere für Ωm h 2 der Fall ist. Von Bedeutung ist vor allem, dass die Werte der Parameter sich durch die Kombination nur im Bereich
ihrer aus den CMB-Daten ermittelten Fehler ändern, was bedeutet, dass die verschiedenen Datensätze miteinander (und dem flachen ΛCDM-Modell) kompatibel sind. Aus den primären Parametern können nun weitere abgeleitet werden; diese sind in Tabelle 8.2 aufgeführt. Aus den kombinierten Daten ergibt sich als bester Wert für die Gesamtdichte des Universums Ωm + ΩΛ = 1.02 ± 0.02 ,
(8.27)
in hervorragender Übereinstimmung mit der Vorhersage des inflationären Modells. Weiterhin kann man den Anteil an Heißer Dunkler Materie einschränken, wobei die kleinskaligen Beobachtungen (die hier aus dem Lyα-Wald stammen) von besonderer Wichtigkeit sind, da HDM das Leistungsspektrum auf kleinen Skalen abschwächt. Man erhält mit 2σ-Signifikanz Ων h 2 < 0.0076 ,
(8.28)
was für die Neutrinomasse eine scharfe obere Schranke von m ν < 0.23 eV impliziert. Dies ist eine deutlich stärkere Einschränkung, als sie zurzeit aus Labormessungen erhalten werden kann. Neben dem Lyα-Wald kann auch die Kosmische Scherung für Messungen auf kleinen Skalen herangezogen werden, wie in Abb. 8.34 demonstriert ist.
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 354 Tabelle 8.2. Kosmologische Parameter, wie sie aus den CMBDaten (WMAP) und ihrer Kombination mit dem 2dFGRS und dem Lyα-Wald abgeleitet werden. Dabei ist z ion die Rotverschiebung der Reionisation des Universums (wobei angenommen wird, dass die Reionisation homogen und vollständig vonstatten ging), z rec die Rotverschiebung der Rekombination (das ist die Rotverschiebung, bei der die z-Verteilung der letzten Streuung der CMB-Photonen ihr Maximum annimmt), z eq ist die Rotverschiebung, bei der Materie und Strahlung gleiche Energiedichte besaßen, n b ist die heutige Anzahldichte von Baryonen und η ist das Zahlenverhältnis der Baryonen zu Photonen
h σ8 0.6 σ8 Ωm Ωb Ωm t0 z ion z rec z eq nb η
8.7.2
WMAP
WMAPext+2dFGRS+Lyα
0.72 ± 0.05 0.9 ± 0.1 0.44 ± 0.10 0.047 ± 0.006 0.29 ± 0.07 13.4 ± 0.3 Gyr 17 ± 5 1088+1 −2 3454+385 −392 (2.7 ± 0.1) × 10−7 cm−3 +0.4 (6.5−0.3 ) × 10−10
0.71+0.04 −0.03 0.84 ± 0.04 0.38+0.04 −0.05 0.044 ± 0.004 0.27 ± 0.04 13.7 ± 0.2 Gyr 17 ± 4 1089 ± 1 3233+194 −210 (2.5 ± 0.1) × 10−7 cm−3 +0.3 (6.1−0.2 ) × 10−10
Abb. 8.34. Die Abbildung zeigt die Komplementarität der CMB-Daten mit denen der Kosmischen Scherung. Die Konfidenzbereiche beider Methoden einzeln in der Ωm -σ8 -Ebene sind beinahe orthogonal, so dass eine Kombination beider Methoden zu einer deutlich kleineren Region erlaubter Parameterpaare führt
Kosmische Harmonie
Die Ergebnisse von WMAP haben im Wesentlichen keine Überraschungen hervorgebracht, mit Ausnahme der hohen optischen Tiefe τ. Diese Tatsache allein ist schon überraschend, denn aufgrund der hohen Empfindlichkeit und Winkelauflösung dieses Satelliten wäre es durchaus denkbar gewesen, dass das gemessene Fluktuationsspektrum Hinweise auf Diskrepanzen mit unserem Standard-Modell ergeben hätte. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Wir sind daher in einer Situation, wo die wesentlichen kosmologischen Parameter nicht nur mit einer noch vor wenigen Jahren undenkbaren Genauigkeit bestimmt worden sind, sondern jeder einzelne dieser Parameter ist mit mehr als einer unabhängigen Methode gemessen worden, was die Selbstkonsistenz des Modells eindrucksvoll bestätigt.
• Hubble-Konstante. H0 ist mit der Entfernungsleiter, speziell den Cepheiden, im Rahmen des Hubble Key Projects bestimmt worden. Der daraus resultierende Wert ist in hervorragender Übereinstimmung mit dem, der sich aus der CMB-Anisotropie ergeben hat.
•
•
•
Andere Abschätzungen von H0 ergeben vergleichbare Werte. Obgleich die Bestimmung von H0 mittels der Lichtlaufzeitdifferenz bei Gravitationslinsen und mittels des SZ-Effekts typischerweise etwas kleinere Werte ergeben, sind diese im Rahmen der erwarteten statistischen Fehler und der schwer zu kontrollierenden systematischen Effekte mit den Werten aus dem Hubble Key Project und den CMB-Messungen verträglich. Beitrag der Baryonen zur Gesamtdichte. Das Verhältnis Ωb /Ωm wurde aus dem Baryonenanteil von Galaxienhaufen, den Rotverschiebungssurveys und aus den CMB-Fluktuationen bestimmt, in sehr guter Übereinstimmung, Ωb /Ωm ≈ 0.15. Baryonendichte. Der aus der primordialen Nukleosynthese und der Beobachtung der Deuteriumhäufigkeit in Lyα-Systemen bestimmte Wert von Ωb h 2 ist durch die WMAP-Messungen ebenfalls eindrucksvoll bestätigt worden. Materiedichte. Nimmt man den Wert für H0 als bekannt an, so wurde Ωm durch die Galaxienverteilung in Rotverschiebungssurveys, dem CMB und der Entwicklung der Anzahldichte von Galaxienhaufen bestimmt.
8.7 Kosmologische Parameter 355
• Vakuumsenergie. Die durch die CMB-Messungen
•
•
erhaltenen sehr engen Schranken an die Krümmung der Universums und die daraus folgenden Schranken an die Abweichung von Ωm + ΩΛ von Eins ergeben ΩΛ aus den Messungen von Ωm und dem integrierten Sachs–Wolfe-Effekt. Diese sind in ausgezeichneter Übereinstimmung mit dem Wert aus den SN Ia-Messungen, wie in Abb. 8.35 dargestellt ist. Normierung des Leistungsspektrums. Da die CMB-Fluktuationen das Leistungsspektrum bei großen Längenskalen messen, ist die aus ihnen bestimmte Normierung des Leistungsspektrums nur unter sehr guter Kenntnis der Form von P(k) mit dem Wert von σ8 zu vergleichen. Da allerdings die Form von P(k) im Rahmen von CDM-Modellen durch die genaue Bestimmung der anderen kosmologischen Parameter sehr gut eingeschränkt ist, erhält man aus den CMB-Messungen einen Wert von σ8 , der in exzellenter Übereinstimmung ist mit dem, den man aus der Anzahldichte von Galaxienhaufen und der kosmischen Scherung erhält (siehe Abb. 8.34). Weiterhin sind diese Werte verträglich mit denen aus dem Pekuliargeschwindigkeitsfeld der Galaxien. Allerdings betragen die Unsicherheiten in σ8 der individuellen Methoden jeweils etwa ±10%, so dass σ8 der z. Zt. vielleicht am wenigsten genau bestimmte kosmologische Parameter ist. Weltalter. Das aus den WMAP-Daten abgeleitete Weltalter von t0 ≈ 13.4 × 109 yr ist kompatibel mit dem Alter von Kugelsternhaufen und den ältesten Weißen Zwergen in unserer Galaxis.
Die Beobachtungsergebnisse, die in diesem Kapitel beschrieben wurden, haben die Ära der Präzisionskosmologie eingeläutet. Während zweifelsohne die Genauigkeit der einzelnen kosmologischen Parameter in den nächsten Jahren durch neue Beobachtungsergebnisse weiter verbessert wird, wird sich das Interesse der Kosmologie zunehmend nach Beobachtungen des frühen Universums hin verschieben. Das Studium der Entwicklung kosmischer Strukturen, der Bildung von Galaxien und Haufen, die Geschichte der Reionisation des Universums wird weiter in das Zentrum kosmologischer Forschung rücken. Ein weiteres zentrales Ziel künftiger kosmologischer Forschung wird die Untersuchung der Dunklen Ma-
Abb. 8.35. In diesem Bild sind die erlaubten Parameterpaare Ωm und ΩΛ dargestellt, wie sie durch die CMB-Anisotropie, die SN Ia-Messungen und die z-Entwicklung der Anzahldichte von Galaxienhaufen bestimmt wurden. Da die einzelnen Konfidenzbereiche deutlich unterschiedliche Richtungen in dieser Parameterebene besitzen, kann man durch ihre Kombination diese Parameter deutlich besser einschränken als mit jeder einzelnen Methode. Die Kleinheit der individuellen Konfidenzbereiche und die Tatsache, dass sie sich überlappen, zeigen in eindrucksvoller Weise die Selbstkonsistenz unseres kosmologischen Modells
terie und der Dunklen Energie bleiben. Insbesondere Letztere lässt sich auf absehbare Zeit nur im Weltall untersuchen. Aufgrund der enormen Bedeutung einer nicht-verschwindenden Dunklen Energie für die fundamentale Physik wird das Studium ihrer Eigenschaften im Zentrum des Interesses nicht nur der Astrophysiker stehen. Eine erfolgreiche Theorie zur Beschreibung der Dunklen Energie wird vermutlich einen bedeutenden Durchbruch im Verständnis fundamentaler Physik erfordern. Die Suche nach den Konstituenten der Dunklen Materie wird die Physik in den nächsten Jahren beschäf-
8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter 356
tigen. Experimente sowohl in zukünftigen Beschleunigern (z. B. dem LHC am CERN) als auch die direkte Suche nach Teilchen, die als Kandidaten für die Dunkle Materie in Frage kommen, sind Erfolg versprechend. In jedem Fall wird durch die Dunkle Materie (falls sie
wirklich aus Elementarteilchen besteht) ein neuer Bereich der Teilchenphysik eröffnet. Kosmologie und Elementarteilchenphysik kommen sich aus diesen Gründen immer näher; insbesondere ist das Universum das größte und billigste Laboratorium für die Teilchenphysik.
357
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung Im vorangegangenen Kapitel haben wir dargestellt, in welcher Weise die kosmologischen Parameter bestimmt werden können und welche Fortschritte in den letzten Jahren dabei erzielt wurden. Dabei könnte der Eindruck entstehen, mit der Bestimmung der Werte für Ωm , ΩΛ usw. befände sich die Kosmologie in einem Endstadium. In der Tat sahen es die Kosmologen über mehrere Jahrzehnte als ihre vordringlichste Aufgabe an, die Dichteparameter und die Expansionsrate des Universums zu bestimmen, und dieses Ziel ist nun vermutlich zum größten Teil erreicht worden. Von dort ausgehend, wird die zukünftige Entwicklung des Feldes sich voraussichtlich in zwei Richtungen bewegen. Zum einen wird man die Natur der Dunklen Materie und der Dunklen Energie aufzuklären versuchen und auf dem Wege dahin neue Erkenntnisse über die fundamentale Physik gewinnen. Zum andern aber ist astrophysikalische Kosmologie mehr als die Bestimmung einiger Parameter: Wir wollen verstehen, wie sich das Universum aus einem sehr primitiven Anfangszustand heraus zu dem entwickelt hat, was wir um uns herum beobachten – Galaxien verschiedener Morphologie, die großräumige Struktur ihrer Verteilung, Galaxienhaufen und Aktive Galaxien. Wir wollen die Entstehung der Sterne und der Metalle studieren, genauso wie die Prozesse, die das intergalaktische Medium reionisiert
haben. Beim Studium dieser Prozesse sind nun die Randbedingungen sehr gut festgelegt. Während bis vor einigen Jahren Modelle etwa der Galaxienentwicklung die kosmologischen Parameter frei variieren konnten, weil diese bis dahin nicht genau genug bestimmt waren, so muss heute ein erfolgreiches Modell mit den Parametern des Standardmodells zu Vorhersagen gelangen, die mit den Beobachtungen kompatibel sind. Es gibt daher sehr viel weniger Freiheit beim Erstellen solcher Modelle. Um es mit anderen Worten auszudrücken: Die Bühne, auf der sich die Bildung und Entwicklung von Objekten und Strukturen abspielt, ist bereitet, und wir können nun das kosmische Schauspiel beobachten. Die Fortschritte der letzten Jahre haben es erlaubt, das Universum auch bei sehr großen Rotverschiebungen zu untersuchen, wobei insbesondere instrumentelle Entwicklungen verantwortlich waren. Ein Indikator dieser Entwicklungen ist die wachsende maximale Rotverschiebung von Quellen, die beobachtet wurden; als Beispiel zeigt die Abb. 9.1 das Spektrum eines QSO mit der Rotverschiebung z = 6.43. Wir kennen heute eine ganze Reihe von Galaxien mit Rotverschiebung z > 6, d. h. wir sehen die Objekte zu einem Zeitpunkt, als das Universum weniger als 10% seines heutigen Alters besaß. Neben größeren Teleskopen, die uns diese tiefen
Abb. 9.1. Das Spektrum eines QSO mit der hohen Rotverschiebung z = 6.43: Diese Quelle wurde, wie viele andere QSOs hoher Rotverschiebung, im Sloan Digital Sky Survey entdeckt und mit dem KeckTeleskop spektroskopiert. Man erkennt deutlich die rotverschobene Lyα-Linie, deren blaue Seite von intergalaktischer Absorption ,,weggefressen“ wird. Beinahe die gesamte Strahlung blauer als die Lyα-Linie wird absorbiert, nur die Emission der LyβLinie sticht noch hervor. Für λ ≤ 7200 Å ist der Fluss des QSOs mit Null verträglich; die intergalaktische Absorption ist zu stark
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 358
Aufnahmen des Universums ermöglichen, ist insbesondere die Erschließung neuer Wellenlängenbereiche für das Studium des entfernten Universums von großer Bedeutung. Dies erkennt man beispielsweise daran, dass die optische Strahlung einer Quelle bei der Rotverschiebung z ∼ 1 ins NIR rotverschoben ist, weshalb die Nahinfrarot-Astronomie für Galaxien mit z 1 etwa die gleiche Bedeutung hat wie die optische Astronomie im nahen Universum. Die Entwicklung der SubmillimeterAstronomie hat uns den Blick auf Quellen erlaubt, die wegen starker Staubabsorption dem optischen Blick fast völlig entzogen sind. Wir wollen in diesem Kapitel einen Eindruck von der Astronomie im fernen Universum vermitteln und dabei einige interessante Aspekte beleuchten, die für das Verständnis der Entwicklung unseres Universums von besonderer Bedeutung sind. Da sich dieses Forschungsgebiet in rasanter Entwicklung befindet, können wir dieses Feld hier nur schwerpunktmäßig behandeln. Wir beginnen in Abschn. 9.1 mit der Diskussion von Methoden, mit denen Galaxien hoher Rotverschiebung gezielt gesucht werden können, und werden uns dann einer Methode widmen, mit der man die Rotverschiebung von Galaxien allein aufgrund photometrischer Information in mehreren Bändern (also der Farben dieser Objekte) bestimmen kann. Diese Methode findet u. a. ihre Anwendung bei den tiefen Himmelsaufnahmen, die mit dem HST gewonnen wurden, und wir werden einige dieser HST-Surveys beschreiben. Schließlich werden wir die Bedeutung von Gravitationslinsen als ,,natürliche Teleskope“ herausstellen, die uns aufgrund des Verstärkungseffekts einen tieferen Blick ins Universum erlauben. Die Erschließung neuer Wellenlängenbereiche erlaubt die Entdeckung neuartiger Quellen; in Abschn. 9.2 werden Galaxienpopulationen vorgestellt, die mittels sub-mm- und NIR-Beobachtungen identifiziert wurden und deren Beziehung zu den bekannten Galaxientypen aufgeklärt werden muss. In Abschn. 9.3 werden wir darstellen, dass es neben dem CMB auch noch bei anderen Wellenlängen ,,Hintergrundstrahlung“ gibt, deren Natur aber von der des CMB sehr verschieden ist. Die Frage, wann und durch welche Prozesse das Universum reionisiert wurde, wird in Abschn. 9.4 diskutiert. Danach werden wir in Abschn. 9.5 auf die Geschichte der kosmischen Sternentstehung eingehen und dabei feststellen, dass das Universum bei Rotverschiebungen z 1 ein sehr viel aktiveres war als es
heute ist – in der Tat sind die meisten Sterne, die im heutigen Universum zu beobachten sind, bereits in der ersten Hälfte der kosmischen Geschichte gebildet worden. Dieser empirische Befund ist einer der Aspekte, die man im Rahmen von Modellen der Galaxienentstehung und -entwicklung zu erklären versucht. Wir werden in Abschn. 9.6 einige Aspekte dieser Modelle und ihre Verbindung zu Beobachtungen beleuchten. Schließlich werden wir die einst sehr rätselhaften Gamma-RayBurst-Quellen diskutieren, explosive Ereignisse, von denen erst seit 1997 bekannt ist, dass es sich um extragalaktische Quellen handelt.
9.1
Galaxien bei hoher Rotverschiebung
Wir wenden uns in diesem Abschnitt zunächst der Frage zu, wie man weit entfernte Galaxien finden und sie dann als solche auch identifizieren kann. Die Eigenschaften der so gefundenen Galaxien kann man dann mit denen von Galaxien im lokalen Universum vergleichen, wie wir sie in Kapitel 3 beschrieben haben. Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob Galaxien bei hohem z, also kleinem Weltalter, ähnlich wie lokale Galaxien aussehen oder ob sie ganz andere Eigenschaften besitzen. Beispielsweise würde man vielleicht erwarten, dass sich die Masse und Leuchtkraft von Galaxien mit der Rotverschiebung entwickelt. Untersucht man die Galaxienpopulation als Funktion der Rotverschiebung, kann man die globale kosmische Sternentstehung verfolgen und etwa untersuchen, wann sich die meisten Sterne gebildet haben, die man heute sieht, und wie sich die Dichte von Galaxien als Funktion der Rotverschiebung verändert. Einige dieser Fragen werden wir in diesem und den folgenden Abschnitten untersuchen.
9.1.1
Lyman-Break-Galaxien (LBGs)
Bis etwa 1995 waren nur wenige Galaxien mit z > 1 bekannt; die allermeisten davon waren Radiogalaxien, die durch optische Identifikation von Radioquellen gefunden wurden. Die weitest entfernte ,,normale“ Galaxie mit z > 2 war bis dahin die Quelle des Giant Luminous Arc in Cl 2244−02 (siehe Abb. 6.30). Weit entfernte Galaxien sind lichtschwach, und deshalb stellt sich die
9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung 359
Frage, wie man Galaxien bei hohem z überhaupt finden kann. Die naheliegendste Antwort auf diese Frage ist vielleicht, dass man ein Sample von lichtschwachen Galaxien spektroskopieren sollte. Diese Methode ist allerdings nicht praktikabel, denn Galaxien mit R 22 haben z 0.5, und Spektren von Galaxien mit R > 22 sind mit 4-Meter-Teleskopen nur unter sehr großem Zeitaufwand zu erhalten. Weiterhin besteht auch das Problem der Nadel im Heuhaufen: Die meisten Galaxien bei R 24.5 haben z 2 (was vor 1995 nicht bekannt war), wie sollte man also den kleinen Anteil derer mit noch höherer Rotverschiebung finden? Eine systematischere Methode, die angewandt wurde, ist die Schmalband-Photometrie. Da Wasserstoff das häufigste Element im Universum ist, kann man erwarten, dass ein Teil der Galaxien eine LyαEmissionslinie aufweist (wie es etwa alle QSOs tun). Durch den Vergleich einer Himmelsaufnahme in einem Schmalbandfilter, zentriert auf eine Wellenlänge λ, und einem breiten Filter, ebenfalls in etwa auf λ zentriert, kann man nach dieser Emission gezielt suchen. Falls eine Galaxie bei z ≈ λ/(1216 Å) − 1 eine starke Lyα-Emissionslinie zeigt, sollte sie im SchmalbandFilter relativ zu anderen Quellen im Feld besonders hell sein, verglichen zum Breitband-Filter. Diese Suche nach Lyα-Emissionslinien-Galaxien war bis Mitte der 90er Jahre praktisch erfolglos, u. a. weil man nicht wusste, was man erwarten sollte, z. B. wie leuchtschwach Galaxien mit z ∼ 3 sein würden. Den Durchbruch brachte eine Methode, die als Lyman-Break-Methode bekannt wurde. Da Wasserstoff so häufig und der Ionisations-Wirkungsquerschnitt so groß ist, kann man erwarten, dass Photonen mit λ < 912 Å sehr stark von neutralem Wasserstoff im Grundzustand absorbiert werden. Deshalb haben Photonen mit λ < 912 Å eine geringe Wahrscheinlichkeit, aus einer Galaxie zu entkommen, ohne vorher absorbiert zu werden. Weiterhin kommt die intergalaktische Absorption ins Spiel. Wir hatten im Abschn. 5.6.3 gesehen, dass jedes QSO-Spektrum einen Lyα-Wald und Lyman-LimitAbsorption zeigt. Intergalaktisches Gas absorbiert einen Großteil der Photonen, die von einer hochrotverschobenen Quelle mit λ < 1216 Å emittiert werden, und praktisch alle Photonen mit Ruhewellenlänge λ 912 Å. Wie auch in Abschn. 8.5.2 diskutiert
wurde, wird diese Absorption mit zunehmender Rotverschiebung stärker. Zusammengenommen ergibt sich daher, dass Spektren von Galaxien mit hoher Rotverschiebung bei λ = 1216 Å eine deutliche Änderung – eine Kante (,,break“) – zeigen sollten, und Strahlung mit λ 912 Å sollte durch intergalaktische Absorption und durch Absorption im interstellaren Medium von Galaxien selbst so stark unterdrückt sein, dass nur ein sehr kleiner Bruchteil der ionisierenden Photonen zu uns gelangen kann. Daraus ergibt sich eine Strategie zum Auffinden von Galaxien mit z 3. Wir betrachten dazu drei Breitbandfilter mit zentralen Wellenlängen λ1 < λ2 < λ3 , deren spektrale Empfindlichkeiten nicht (oder nur wenig) in der Wellenlänge überlappen. Falls λ1 (1 + z) 912 Å λ2 ist, sollte eine Galaxie, die junge Sterne enthält, relativ blau bei der Messung in den Filtern λ2 und λ3 erscheinen, aber praktisch unsichtbar sein im Filter λ1 – aufgrund der Absorption fällt sie aus dem λ1 -Filter heraus (,,drop-out“; siehe Abb. 9.2). Deshalb nennt man Galaxien, die so entdeckt werden, Lyman-
Abb. 9.2. Prinzip der Lyman-Break-Methode: Das Histogramm zeigt das synthetische Spektrum einer Galaxie bei z = 3.15, erzeugt mit Modellen der Populationssynthese; das Spektrum ist das eines QSOs bei etwas höherer Rotverschiebung. Man erkennt deutlich den Abfall des Spektrums für λ ≤ 912(1 + z) Å. Die drei gestrichelten Kurven sind Filterfunktionen dreier Farbfilter, so gewählt, dass einer (Un ) keine Photonen mit Wellenlängen oberhalb des Lyman-Breaks durchlässt. Die Farbe dieser Galaxie wäre also blau in G − R, aber sehr rot in Un − G
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 360
Abb. 9.3. Oben: Eine U-Band Dropout-Galaxie; in den beiden roteren Filtern ist sie klar zu erkennen, sie verschwindet aber praktisch völlig im U-Filter. Links: In einem einzigen CCDFeld findet man eine große Zahl von Kandidaten für LymanBreak-Galaxien. Sie sind hier mit Kreisen gekennzeichnet; ihre Dichte beträgt in etwa 1 pro Quadratbogenminute
Break-Galaxien (LBG) oder Dropouts. Ein Beispiel dafür ist in Abb. 9.3 gezeigt. Die Methode wurde erstmals 1996 in großem Stil angewandt, wobei die in Abb. 9.2 dargestellten Filter benutzt wurden. Wie man der Abb. 9.4 entnimmt, ist die erwartete Position einer Galaxie mit z ∼ 3 in einem Zweifarben-Diagramm mit diesem Filtersatz beinahe unabhängig vom Typ und der Sternentstehungsgeschichte der Galaxie. Quellen in dem relevanten Bereich des Zweifarben-Diagramms sind daher sehr gute Kandidaten für Galaxien mit z ∼ 3. Die Verifikation der Rotverschiebung muss mittels Spektroskopie geschehen, wobei der entscheidende Punkt darin besteht, dass durch die Farbselektion von Kandidaten die Erfolgs-
Abb. 9.4. Entwicklung von Galaxien im (G − R) – (Un – G) Zwei-Farben-Diagramm, für verschiedene Galaxientypen. Alle Entwicklungswege starten bei z = 0, und die Symbole auf den Kurven deuten Intervalle Δz = 0.1 an. Die Farben der Galaxientypen sind sehr verschieden, aber für z ≥ 2.7 stimmen die Entwicklungswege der verschiedenen Galaxientypen praktisch überein – eine Folge der Lyα-Absorption des intergalaktischen Mediums. Eine Farbselektion von Galaxien im Bereich zwischen der gepunkteten und gestrichelten Kurve sollte daher Galaxien mit z ≥ 3 auswählen. In der Tat hat sich diese Selektion von Kandidaten als sehr erfolgreich herausgestellt; mehr als 1000 Galaxien mit z ∼ 3 wurden bislang spektroskopisch verifiziert
quote pro aufgenommenem Spektrum sehr hoch ist, so dass die spektroskopische Teleskopzeit sehr effizient zum Auffinden von entfernten Galaxien benutzt werden kann. Mit der Inbetriebnahme des Keck-Teleskops (und später auch anderer 10-m-Klasse-Teleskopen) wurde die Spektroskopie von Galaxien mit B 25 möglich (siehe Abb. 9.5). Bisher wurden mehr als 1000 Galaxien mit 2.5 z 3.5 mit dieser Methode gefunden und spektroskopisch verifiziert.
9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung 361 Abb. 9.5. Spektren zweier Galaxien bei z ∼ 3, die mittels der U-Dropout-Methode gefunden wurden. Unter den Spektren ist das – zur entsprechenden Rotverschiebung hin verschobene – Spektrum einer nahen Starburst-Galaxie (NGC 4214) aufgetragen; man erkennt, dass die Galaxien bei z ∼ 3 sehr ähnliche Spektren wie heutige Galaxien aufweisen. Eine der beiden U-Dropouts zeigt eine starke Lyα-Emissionslinie, die andere dagegen Absorption bei der entsprechenden Wellenlänge
Aus den in Abb. 9.5 gezeigten Spektren erkennt man auch, dass nicht alle Galaxien, die die Selektionskriterien erfüllen, eine Lyα-Emissionslinie zeigen, was eine der Erklärungen für den fehlenden Erfolg der früheren Suche nach Galaxien hoher Rotverschiebung mit Schmalbandfiltern liefert. Die Spektren der hochrotverschobenen Galaxien, die mit dieser Methode gefunden werden, sind denen von Starburst-Galaxien bei kleinen Rotverschiebungen sehr ähnlich. Offensichtlich handelt es sich bei den so selektierten Galaxien um solche, in denen aktive Sternentstehung vonstatten geht. Das gewählte Selektionskriterium bevorzugt natürlich diese Quellen, denn Sternentstehung sorgt einerseits für ein
blaues Spektrum bei (Ruhe-)Wellenlängen oberhalb von 1216 Å, andererseits ist die Leuchtkraft von Galaxien im UV-Bereich stark von der Sternentstehungsrate abhängig. Betrachtet man nun die räumliche Verteilung dieser Galaxien, so findet man eine große Korrelationsamplitude. Die Struktur der großräumigen Verteilung der Galaxien ist also bereits im frühen Universum sichtbar. Vergleicht man die Korrelationsfunktion der Galaxien bei z ∼ 3 mit der Korrelation der Materie, wie sie sich in CDM-Modellen ergibt, so findet man einen deutlich größeren Wert des Bias-Faktors b (siehe Abschn. 8.1.3) bei diesen entfernten Objekten. Aus der Interpreta-
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 362 Abb. 9.6. Galaxie bei z = 5.74, die im Schmalbandfilter (oben links) und im I- und z-Band zu erkennen ist, lokalisiert durch die beiden Striche, aber keinerlei Fluss in den drei Filtern kleinerer Wellenlänge zeigt
tion des Biasing schließt man daher, dass solche LBGs relativ seltene Ereignisse im frühen Universum darstellen, d. h. sie entsprechen relativ massereichen Dunklen Halos. In einigen Feldern ist die Korrelation in der Winkelposition und der Rotverschiebung so groß, dass man vermutlich die Galaxien sieht, die sich in der Zukunft zu einem Galaxienhaufen zusammenfinden werden – also eine Art Proto-Cluster. In der Abb. 6.46 hatten wir bereits einen solchen Proto-Cluster gezeigt. Durch Variation des Filtersatzes können Dropouts auch bei größeren Wellenlängen gefunden werden, entsprechend höheren Rotverschiebungen. Die Auswahl bei größeren z sorgt für eine immer dominantere Rolle des Lyα-Waldes, der ja mit steigender Rotverschiebung schnell dichter wird. Diese Methode funktioniert gut bis z ∼ 4.5, wobei man dann von B-Dropouts spricht. Wesentlich höhere Rotverschiebungen sind vom Boden aus mit dieser Methode schwer zugänglich. Zum einen werden die Galaxien mit wachsender Rotverschiebung immer lichtschwächer, so dass deren Beobachtung zunehmend problematischer wird. Zum anderen muss man zu immer roteren Filtersätzen greifen. Bei solch großen Wellenlängen wird aber der Nachthimmel deutlich heller, was den Nachweis von sehr schwachen Objekten weiter erschwert. Wenn man etwa eine Galaxie mit Rotverschiebung z = 5.5 mit dieser Methode nachweisen möchte, so befindet sich die Lyα-Linie bei λ ≈ 7900 Å, also mitten im I-Band, so dass zur effizienten Anwendung der Dropout-Methode nur der I-
und z-Band-Filter bzw. dann NIR-Filter zur Verfügung stehen (siehe Abb. 9.6 für ein Beispiel einer DropoutGalaxie mit sehr großer Rotverschiebung), bei denen die Helligkeit des Nachthimmels sehr problematisch ist. Weiterhin sind Dropout-Galaxien bei solch hohen Rotverschiebungen, wenn sie denn gefunden werden, aufgrund ihrer sehr geringen Helligkeit nur noch sehr schwer spektroskopisch zu verifizieren. Allerdings werden wir später noch sehen, dass diese Dropout-Methode auch noch bei deutlich höheren Rotverschiebungen als z ∼ 4 spektakuläre Erfolge erzielt hat, wobei auch hier das HST eine zentrale Rolle spielt.
9.1.2
Photometrische Rotverschiebungen
Die Lyman-Break-Technik ist ein spezieller Fall einer Methode, durch Mehrfarben-Photometrie die Rotverschiebung von Galaxien (und QSOs) abzuschätzen. Sie funktioniert, weil es eine Kante im Spektrum bei λ = 912 Å bzw. λ = 1216 Å gibt. Aber Galaxienspektren zeigen weitere Charakteristika. Wie wir in Abschn. 3.9 im Detail diskutiert haben, ist die Breitband-Energieverteilung im Wesentlichen eine Superposition von Sternstrahlung. Eine Sternpopulation mit Alter 108 yr weist einen 4000 Å-Break auf, da durch plötzliche Änderung der Opazität bei etwa 4000 Å das Spektrum der meisten Sterne eine Kante bei dieser Wellenlänge zeigt (siehe Abb. 3.46). Daher ist die Strahlung einer Sternpopulation bei λ < 4000 Å ge-
9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung 363
ringer als bei λ > 4000 Å; dies gilt insbesondere für Frühtyp-Galaxien (siehe Abb. 3.49). Nimmt man nun an, dass die Sternentstehungsgeschichten von Galaxien nicht allzu vielfältig sind, so sollten Galaxien in einem mehrdimensionalen Farbendiagramm nicht jeden beliebigen Platz einnehmen, sondern auf bestimmte Bereiche konzentriert sein. Dabei spielen der 4000 Å-Break und die Lyα-Kante eine zentrale Rolle, wie dies in der Abb. 9.7 illustriert ist. Sind die charakteristischen Bereiche im Farbraum identifiziert, in denen sich die (meisten) Galaxien befinden, so kann man aus den Farben allein eine Rotverschiebung von Galaxien abschätzen, da deren beobachtete Farben von ihrer Rotverschiebung abhängen. Diesen Schätzwert nennt man photometrische Rotverschiebung.
Abb. 9.7. Im unteren Bild ist nochmal das Prinzip der Dropout-Methode illustriert, für eine Galaxie mit z ∼ 3.2. Während der Lyman-α-Wald einen Teil des Spektrums zwischen (Ruhewellenlänge) 912 Å und 1216 Å absorbiert, verschwindet der Fluss praktisch komplett unterhalb von 912 Å. Durch Benutzung anderer Filterkombinationen (oben) kann man auch Galaxien bei anderen Rotverschiebungen effizient selektieren; in dem Beispiel einer Galaxie bei z = 1 macht man sich den 4000 Å-Break zunutze, der in Sternpopulationen nach einigen 107 yr auftritt und als eine der wichtigsten Signaturen für die Methode der photometrischen Rotverschiebung gilt
Genauer gesagt benutzt man eine Reihe von Standard-Spektren von Galaxien (sog. Templates), die man entweder aus beobachteten Galaxien auswählt oder durch Populationssynthese berechnet. Jedes dieser Template-Spektren kann dann in der Wellenlänge rotverschoben werden, wodurch sich eine K-Korrektur ergibt. Für jedes Template-Spektrum und jede Rotverschiebung können die erwarteten Farben der Galaxien bestimmt werden, indem die Spektren mit den Transmissionsfunktionen der verwendeten Filter multipliziert und integriert werden (siehe Gl. A.25). Dieser Satz von Farben kann dann mit den beobachteten Farben von Galaxien verglichen werden, und derjenige Satz, der den Beobachtungen am nächsten kommt, ergibt dann eine Abschätzung nicht nur der Rotverschiebung, sondern auch des Galaxientyps. Der Vorteil dieser Methode ist, dass VielfarbenPhotometrie deutlich weniger zeitaufwändig ist als die Spektroskopie individueller Galaxien. Weiterhin kann diese Methode im Prinzip zu sehr viel schwächeren Magnituden hin ausgedehnt werden als spektroskopische Rotverschiebungen. Der Nachteil der Methode tritt zutage, wenn nicht genügend Farben vorliegen, da dann extreme Ausreißer (also völlig falsches z) auftreten können. Im Allgemeinen gilt, je mehr photometrische Bänder zur Verfügung stehen und je kleiner die Fehler der gemessenen Helligkeiten sind, umso genauer ist die abgeschätzte Rotverschiebung. In der Regel sind vier bis fünf photometrische Bänder nötig, um brauchbare Abschätzungen der Rotverschiebung zu erhalten. Insbesondere sind für die Verlässlichkeit der photometrischen Rotverschiebungen Daten über einen möglichst großen Bereich in der Wellenlänge nützlich, so dass eine Kombination von optischen und NIR-Filtern angestrebt werden sollte. Der Erfolg dieser Methode hängt auch vom Typ der Galaxien ab. Wie wir schon in Abschn. 6.6 gesehen haben, belegen Frühtyp-Galaxien aufgrund ihrer alten Sternpopulation bei jeder Rotverschiebung eine relativ wohldefinierte Farben-Helligkeits-Sequenz (die sich in Galaxienhaufen als Red Cluster Sequence manifestiert), so dass die Rotverschiebung dieses Galaxientyps aufgrund von Farbinformation sehr zuverlässig abgeschätzt werden kann. Dies gilt allerdings nur so lange, wie der 4000 Å-Break zwischen zwei der verwendeten Filter fällt. Bei z 1 ist dies im optischen Spektralbereich nicht mehr der Fall. Andere Galaxientypen zeigen grö-
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 364
Abb. 9.8. Photometrische Rotverschiebung, aufgetragen gegen die spektroskopische Rotverschiebung von Galaxien im HDF-North. Photometrische Daten in vier optischen und zwei NIR-Bändern wurden hier benutzt. Man sieht, wie genau die photometrische Rotverschiebung sein kann – die Genauigkeit hängt ab von der photometrischen Genauigkeit in den einzelnen Filtern, der Anzahl der verwendeten Filter, der Rotverschiebung, dem Galaxientyp, aber auch von den Details der benutzten Analysemethode
ßere Variationen ihrer spektralen Energieverteilung, die etwa von der Geschichte der Sternentstehung abhängt. Besonders für statistische Zwecke sind die photometrischen Rotverschiebungen sehr nützlich, etwa in Situationen, in denen die genaue Rotverschiebung jeder einzelnen Galaxie einer Stichprobe nicht relevant ist. Jedoch kann man bei der Benutzung genügend vieler Filter eine Genauigkeit der Rotverschiebung von Δz ∼ 0.03(1 + z) erhalten, wie das in Abb. 9.8 durch den Vergleich photometrischer Rotverschiebungen mit spektroskopisch bestimmten Rotverschiebungen von Galaxien im Feld des HDF-North demonstriert wird.
9.1.3
Hubble Deep Field(s)
Im Jahre 1995 wurde ein bis dahin einmaliges Beobachtungsprogramm mit dem HST durchgeführt. Eine tiefe Aufnahme mit der Wide Field/Planetary Camera 2
Abb. 9.9. Das Hubble Deep Field (North), die bis dahin mit Abstand tiefste Himmelaufnahme. Das HST hat etwa 10 Tage lang Ende 1995 dieses Feld beobachtet, in vier verschiedenen Filtern; die reduzierten Daten wurden am 15.1.1996 weltweit öffentlich gemacht. Auf dieser Aufnahme, die insgesamt ca. 5 Quadratbogenminuten umfasst, sind etwa 3000 Galaxien zu sehen, die sich über einen weiten Rotverschiebungsbereich erstrecken
(WFPC2) auf dem HST, die ein ∼ 5.3 arcmin2 großes Feld ergibt, wurde in vier Filtern (U300 , B450 , V606 und I814 ) mit insgesamt etwa 10 Tagen Beobachtungszeit aufgenommen. Dabei entstand die bis dahin tiefste Himmelsaufnahme, wie sie in Abb. 9.9 dargestellt ist. Das Feld der Beobachtung wurde speziell so gewählt, dass keine hellen Objekte darin lagen; weiterhin war die Position des Feldes so ausgesucht, dass das HST kontinuierlich in diese Richtung schauen konnte, wofür aufgrund seines Orbits um die Erde nur zwei relativ kleine Bereiche des Himmels in Frage kamen. Eine weitere Besonderheit dieses Programms war, dass die Daten sofort nach ihrer Reduktion weltweit öffentlich gemacht wurden. Astronomen in aller Welt konnten daher direkt diese Daten wissenschaftlich analysieren und mit Daten in anderen Frequenzbereichen vergleichen bzw. eigene Nachbeobachtungen durchführen. Diese Art der schnellen Veröffentlichung von Beobachtungsdaten war bis dahin nicht üblich, hat jedoch seine Nachahmung gefunden. Selten hat ein Datensatz eine große Ge-
9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung 365
meinde von Astronomen so inspiriert und motiviert wie dieser. Dieses Hubble Deep Field (North) – HDF(N) – wurde bei praktisch allen zugänglichen Wellenlängen nachbeobachtet und ist die best untersuchte Region am extragalaktischen Himmel. Das Feld enthält ∼ 3000 Galaxien, 6 Röntgenquellen, 16 Radioquellen und weniger als 20 Sterne. Für mehr als 150 Galaxien in diesem Feld wurden spektroskopisch die Rotverschiebungen bestimmt, und etwa 30 mit z > 2 gefunden. Nie zuvor konnten Galaxienzählungen bis hin zu so schwachen Magnituden vorgenommen werden, wie das im HDF-N möglich war (siehe Abb. 9.10); mehrere Hundert Galaxien pro Quadratbogenminute konnten in diesem Feld photometriert werden.
Abb. 9.10. Galaxienzählungen aus dem HDF und anderen Surveys. Gefüllte Symbole stammen aus dem HDF, offene Symbole aus bodengebundenen Daten. Die Kurven zeigen Vorhersagen von Modellen, in denen sich die Spektren der Galaxien nicht ändern – die Zählungen liegen deutlich oberhalb dieser Modelle: Die Galaxienpopulation entwickelt sich klar. Man beachte, dass die Zählungen in den verschiedenen Farbfiltern wegen der besseren Sichtbarkeit der Resultate gegeneinander um jeweils einen Faktor 10 verschoben wurden
Detaillierte spektroskopische Nachbeobachtungen wurden von mehreren Gruppen durchgeführt, und dadurch wurde das HDF u. a. zum Kalibrationsfeld für photometrische Rotverschiebungen (siehe etwa Abb. 9.8). Die meisten Galaxien im HDF sind viel zu schwach, als dass man sie spektroskopieren könnte, wodurch man bei diesem Feld vielfach auf photometrische Rotverschiebungen angewiesen ist. Später (1998) wurde ein weiteres HDF aufgenommen, diesmal am südlichen Himmel. Im Gegensatz zum HDF-N, das als möglichst leer ausgewählt wurde, befindet sich im HDF-S ein QSO. Dessen Absorptionsspektrum kann mit den Galaxien des HDF-S verglichen werden, so dass man dabei etwas über den Zusammenhang von QSO-Absorptionslinien und Galaxien lernt. Zusätzlich zur WFPC2-Kamera wurden im HDF-S auch die inzwischen installierten Kameras STIS (51 × 51 Gesichtsfeld, wobei der CLEAR ,,Filter“ benutzt wurde, der eine sehr breite spektrale Empfindlichkeit besitzt; insgesamt ist STIS deutlich empfindlicher als WFPC2) und NICMOS (eine NIR-Kamera mit maximal 51 × 51 Gesichtsfeld) eingesetzt. Im Jahre 2002 wurde eine weitere Kamera auf dem HST installiert: Die Advanced Camera for Surveys (ACS) hat mit 3. 4 Kantenlänge ein ca. doppelt so großes Gesichtsfeld wie WFPC2, dabei nur halb so große Pixel (0.05), was der Winkelauflösung des HST besser angepasst ist, und sie ist daher für Surveys bestens geeignet. Mit dem Hubble Ultra Deep Field wurde die bislang (und voraussichtlich noch für einige Jahre) tiefste Himmelsaufnahme erzielt und im Jahre 2004 veröffentlicht (siehe Abb. 9.11). Das HUDF ist in allen Filtern nochmal um etwa eine Magnitude tiefer als das HDF. Die Tiefe der ACS-Aufnahmen in Kombination mit den relativ roten Filtern, die zur Verfügung stehen, bieten die Möglichkeit, Dropout-Kandidaten bei der Rotverschiebung z ∼ 6 zu identifizieren; mehrere davon wurden bereits spektroskopisch verifiziert. Der große wissenschaftliche Erfolg der tiefen HST-Aufnahmen, gerade auch in Kombination mit Daten anderer Teleskope und der Bereitschaft, solche Daten der wissenschaftlichen Gemeinschaft für Multifrequenz-Analysen zur Verfügung zu stellen, hat zu weiteren HST-Surveys Anlass gegeben. Das Projekt GOODS (The Great Observatories Origins Deep Survey) ist eine gemeinsame Beobachtungskampagne verschiedener Observatorien, zentriert auf zwei Fel-
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 366 Abb. 9.11. Das Hubble Ultra Deep Field, ein ∼ 3. 4 × 3. 4 großes Feld, das mit der ACS-Kamera aufgenommen wurde. Die Grenzhelligkeit, bis zu der man Quellen auf diesem Bild detektieren kann, ist noch einmal eine Magnitude schwächer als für das HDF. Mehr als 10 000 Galaxien sind auf der Aufnahme erkennbar, viele davon bei Rotverschiebungen z ≥ 5
der von jeweils ∼ 16 × 10 Größe, die in vier Filtern mit der ACS-Kamera aufgenommen wurden. Eine dieser beiden Regionen umfasst das HDF-N, das andere ein Feld, welches unter dem Namen Chandra Deep Field South (CDF-S) bekannt ist. Chandra hat beide GOODS-Felder mit einer Gesamtbelichtungszeit von ∼ 1 × 106 s bzw. ∼ 2 × 106 s beobachtet. Weiterhin hat auch das Spitzer-Observatorium diese beiden Felder mit langer Belichtungszeit beobachtet. Mehrere bodengebundene Observatorien haben sich ebenfalls an diesem Survey beteiligt, u. a. ist eine ultratiefe Weitwinkelaufnahme (∼ 30 × 30 ) auf dem CDF-S zentriert. Diese Daten sowie Datenprodukte (wie etwa Objektkataloge, Farbinformation usw.) sind alle öffentlich zugänglich
und haben bereits nach kurzer Verfügbarkeit zu einer großen Zahl von wissenschaftlichen Ergebnissen geführt. Noch größere Surveys mit dem HST (GEMS, ein Feld von 30 × 30 zentriert auf dem CDF-S, sowie der 2 deg2 COSMOS-Survey) werden die Statistik der mit dem HUDF und GOODS erzielten Ergebnisse weiter verbessern.
9.1.4
Natürliche Teleskope
Galaxien bei hohen Rotverschiebungen sind lichtschwach und daher schwer zu spektroskopieren. Aus diesem Grunde untersucht man im Detail diejenigen,
9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung 367
die am hellsten sind, also bei jedem z im Wesentlichen die leuchtkräftigsten – dadurch gibt es einen unerwünschten, aber kaum zu vermeidenden Auswahleffekt. Beispielsweise sind die Lyman-Break-Galaxien bei z ∼ 3, von denen die Rotverschiebung spektroskopisch verifiziert wurden, in etwa die leuchtkräftigsten ihrer Art. Die Empfindlichkeit unserer Teleskope reicht meist nicht aus, eine eher typische Galaxie mit z ∼ 3 spektroskopisch zu untersuchen. Der Verstärkungseffekt durch Gravitationslinsen kann entscheidend zur scheinbaren Helligkeit von Quellen beitragen. Gravitationslinsen wirken dann als natürliche (und billige!) Teleskope. Beispiele sind etwa Arcs in Galaxienhaufen: Viele von ihnen haben eine sehr große Rotverschiebung, sind um einen Faktor 5 verstärkt und daher ∼ 1.5 mag heller, als sie ohne den Linseneffekt erscheinen würden (siehe Abb. 9.12). Dazu sei bemerkt, dass ein Faktor 5 in der Verstärkung einem Faktor 25 in der spektroskopischen Belichtungszeit entsprechen würde!1 Ein extremes Beispiel für diesen Effekt ist die Galaxie cB58 mit z = 2.72, die in Abb. 9.13 dargestellt ist. Sie wurde hinter einem Galaxienhaufen gefunden und wird um einen Faktor ∼ 30 verstärkt. Somit erscheint sie um mehr als drei Magnituden heller als eine typische Lyman-Break-Galaxie. Aus diesem Grunde existieren 1 Dieser
Faktor 25 ist der Unterschied zwischen einer Beobachtung, die man machen kann, und einer, die unmöglich ist. Während ein Beobachtungsantrag für ein Spektrum mit 3 Stunden Belichtungszeit auf einem 8-Meter-Teleskop durchaus erfolgreich sein kann, wäre einer mit 75 Stunden hoffnungslos zum Scheitern verurteilt.
Abb. 9.12. Eine besonders interessante Möglichkeit, Galaxien bei hoher Rotverschiebung zu untersuchen, bietet der starke Linseneffekt in Galaxienhaufen. Da eine Gravitationslinse das Licht von dahinterliegenden Galaxien verstärken kann (durch Vergrößerung des Raumwinkels), kann man erwarten, scheinbar hellere Galaxien großer Rotverschiebung hinter Haufen zu finden. Hier ist eine HST-Aufnahme des Haufens Abell 2390 dargestellt, auf der verschiedene Linsensysteme sichtbar sind. Links ist der zentrale Bereich dieses Haufens gezeigt. Drei Systeme des starken Linseneffekts in diesem Haufen sind oben in einer Vergrößerung dargestellt. In der Mitte ist der sog. ,,straight arc“, dessen Rotverschiebung etwa 0.91 beträgt. Rechts und links ist jeweils ein Mehrfach-Bildsystem gezeigt, durch Buchstaben gekennzeichnet; die zwei zu diesen Bildern gehörenden Quellen haben eine Rotverschiebung von 4.04 und 4.05
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 368
Abb. 9.13. Das linke Bild wurde mit dem Hubble Space Telescope aufgenommen und zeigt den Galaxienhaufen MS 1512+36, dessen Rotverschiebung z = 0.37 beträgt. Rechts oberhalb der zentralen Haufengalaxie befindet sich ein ausgedehntes und sehr bläulich wirkendes Objekt, welches mit einem Pfeil gekennzeichnet ist. Diese Quelle gehört nicht zum Haufen, sondern ist mit ihrer Rotverschiebung von z = 2.72 eine Hintergrundgalaxie. Mit diesem HST-Bild konnte nachgewiesen werden, dass diese Galaxie durch den Haufen stark gelinst und dabei um einen Faktor ∼ 30 verstärkt wird. Diese
Lyman-Break-Galaxie ist aufgrund dieser Verstärkung die hellste normale Galaxie bei Rotverschiebung z ∼ 3, was für detaillierte spektroskopische Untersuchungen genutzt werden kann. Die rechte Figur zeigt einen kleinen Ausschnitt aus einem hochaufgelösten VLT-Spektrum dieser Galaxie. Der Lyα-Übergang der Galaxie befindet sich bei λ = 4530 Å und ist als breite Absorption zu erkennen. Absorptionslinien bei kürzeren Wellenlängen stammen aus dem Lyα-Wald entlang dieser Sichtlinie (durch vertikale Striche gekennzeichnet) oder Metalllinien der Galaxie selbst (durch Pfeile markiert)
Abb. 9.14. Ein Ausschnitt aus dem Galaxienhaufen Abell 2218 (z = 0.175), aufgenommen in vier verschiedenen Farbfiltern mit dem HST. Diese Region wurde ausgewählt, weil dort für Quellen sehr großer Rotverschiebung der Verstärkungsfaktor durch den Gravitationslinseneffekt sehr groß ist, wie man durch ein detailliertes Massenmodell dieses Haufens ermittelt hat, das aufgrund der Vielzahl von Arcs und Mehrfachbildern (Abb. 6.32) konstruiert werden konnte. Die Linien zeigen die kritischen Kurven dieser Linse für Quellrotverschiebungen von z = 5, 6.5 und 7 an. Ein Doppelbild einer
ausgedehnten Quelle ist im NIR-Bild (rechts) deutlich zu erkennen; dieses Doppelbild ist bei den kürzeren Wellenlängen nicht detektiert – die erwartete Position ist durch zwei Ellipsen in den beiden linken Bildern eingezeichnet. Die Richtung der lokalen Scherung, d. h. der Bildverzerrung, ist im zweiten Bild von rechts eingetragen; die beobachtete Elongation der beiden Bilder a und b stimmt mit diesem Scherungsfeld überein. Zusammen mit der Photometrie dieser beiden Bilder ergibt sich eine Rotverschiebung zwischen z = 6.8 und z = 7 für die Quelle des Doppelbildes
9.2 Neue Typen von Galaxien 369
von dieser Quelle die detailliertesten Spektren aller Galaxien mit z ∼ 3. Man kann argumentieren, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass die scheinbar leuchtkräftigsten Quellen einer bestimmten Quellpopulation durch den Linseneffekt in ihrem Fluss verstärkt werden. Die scheinbar leuchtkräftigste IRAS-Galaxie F 10214+47 ist durch den Linseneffekt einer Vordergrundgalaxie um einen Faktor ∼ 50 verstärkt (der genaue Wert hängt von der Wellenlänge ab, da die intrinsische Struktur und Größe der Quelle von der Wellenlänge abhängt, die Verstärkung daher differentiell ist). Ein weiteres Beispiel sind die QSOs B 1422+231 und APM 08279+5255, die trotz ihrer großen Rotverschiebungen zu den hellsten QSOs gehören. In beiden Fällen sind Mehrfachbilder des QSOs entdeckt worden, die den Linseneffekt verifizieren. Die Verstärkung, und daher die Helligkeit, macht diese Quellen zu bevorzugten Objekten für spektroskopische Untersuchungen hinsichtlich von Absorptionslinien. Die schon erwähnte Lyman-BreakGalaxie cB58 ist ein weiteres Beispiel. Als ein wichtiges Ergebnis solcher Untersuchungen hochrotverschobener Quellen sei genannt, dass diese bereits eine hohe Metallhäufigkeit besitzen, woraus man schließt, dass die Sternentstehung offensichtlich schon sehr früh im Universum begonnen haben muss. Auf diesen Punkt werden wir später noch weiter eingehen. Man macht sich diesen Verstärkungseffekt auch ganz bewusst zu Nutze, indem man nach sehr hoch-rotverschobenen Quellen in Feldern um Galaxienhaufen herum sucht. Bei einem massereichen Haufen weiß man, dass weit entfernte Quellen, die sich hinter dem Zentrum des Haufens befinden, substantiell verstärkt werden. Es überrascht daher nicht, dass einige der am weitesten entfernten Galaxien durch eine systematische Suche nach Dropout-Galaxien nahe der Zentren von massereichen Haufen gefunden wurden. Ein Beispiel dafür ist in der Abb. 9.14 gezeigt, wo eine Galaxie mit z ∼ 7 durch den Haufen Abell 2218 (siehe Abb. 6.32) doppelt abgebildet und dabei um einen Faktor ∼ 25 verstärkt wurde.
9.2
Neue Typen von Galaxien
Die oben diskutierten Lyman-Break-Galaxien sind nicht die einzigen Galaxien, die man bei hohen Rotverschiebungen erwarten sollte. Wie bereits argumentiert, sind
die LBGs im Wesentlichen Galaxien mit aktiver Sternentstehung. Mehr noch, die UV-Strahlung der neuen heißen Sterne muss auch aus den Galaxien entweichen können. Nun wissen wir von Beobachtungen im nahen Universum, dass ein Großteil der Sternentstehung dem direkten Blick verborgen ist, weil das Gebiet der Sternentstehung von Staub umgeben ist. Dieser heizt sich durch die Absorption der UV-Strahlung auf und gibt diese Energie in Form von thermischer Strahlung im FIR-Bereich des Spektrums wieder ab. Solche Galaxien bei hohen Rotverschiebungen würde man sicherlich mit der Lyman-Break-Methode nicht finden können. Die Öffnung neuer Wellenlängenfenster erlaubt einen Zugang zu anderen Typen von Galaxien. Wir wollen zwei von ihnen hier etwas näher betrachten, die EROs (Extremely Red Objects) und die submm-Quellen, die häufig auch als SCUBA-Galaxien bezeichnet werden, da sie mit dem SCUBA-Bolometer erstmals in großer Zahl beobachtet wurden. Vorher aber wollen wir Starburst-Galaxien im relativ lokalen Universum betrachten. 9.2.1
Starburst-Galaxien
Eine Klasse von Galaxien, die sog. Starburst-Galaxien, haben eine gegenüber ,,normalen“ Galaxien stark erhöhte Sternentstehungsrate. Während unsere Milchstraße etwa 3M /yr an neuen Sternen bildet, können Starbursts bis zum Hundertfachen dieser Rate erzeugen. Staub, der durch heiße Sterne geheizt wird, strahlt im FIR, so dass Starbursts sehr starke FIR-Emitter sind. Viele wurden durch den IRASSatelliten entdeckt (,,IRAS-Galaxien“), diese werden auch als ULIRGs (Ultra Luminous InfraRed Galaxies) bezeichnet. Die Ursache der stark erhöhten Sternbildung ist vermutlich die Wechselwirkung mit anderen Galaxien bzw. das Ergebnis von Verschmelzungsprozessen, wie dies in beeindruckender Weise anhand der verschmelzenden Galaxien der ,,Antennen“ beobachtet werden kann (siehe Abb. 9.15). In diesem Galaxienpaar werden zurzeit Sterne und Sternhaufen in sehr großer Zahl produziert. Die Aufnahmen zeigen eine große Anzahl von Sternhaufen mit charakteristischer Masse von 105 M , die zum Teil mit dem HST räumlich aufgelöst werden können. Weiterhin können auch besonders leuchtkräftige Einzelsterne (Überriesen) beobachtet werden. Das
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 370
Abb. 9.15. Die Antennen-Galaxien, links in EchtfarbenDarstellung, rechts zeigt die rötliche Farbe die Hα-Emission. Dieses Paar verschmelzender Galaxien (siehe auch Abb. 1.13 und Abb. 3.4 für andere Beispiele verschmelzender Galaxien) erzeugt eine ungeheure Menge an jungen Sternen. Sowohl die UV-Emission (bläulich im linken Bild) als auch
die Hα-Strahlung (rötlich im rechten Bild) wird als Indikator der Sternentstehung betrachtet. Die einzelnen Knoten heller Emission sind nicht Einzelsterne, sondern Sternhaufen, mit typischerweise 105 M ; allerdings können auch individuelle Sterne (rote und blaue Überriesen) aufgelöst werden
Alter der Sterne und Sternhaufen überspannt einen breiten Bereich und hängt von der Position innerhalb der Galaxien ab. So beträgt das Alter der dominanten Population typischerweise 5 bis 10 Myr, wobei die Tendenz zu beobachten ist, dass die jüngsten Sterne in der Nähe starker Staubabsorption zu finden sind. Es werden aber auch Populationen mit einem Alter von 100 bzw. 500 Millionen Jahren gefunden; letztere stammt vermutlich aus der Zeit der ersten Begegnung dieser beiden Galaxien, die zum Ausschleudern der Gezeitenarme geführt hat. Durch den Satelliten ISO konnte gezeigt werden, dass die aktivsten Gebiete der Sternentstehung in den optischen Aufnahmen nicht zu sehen sind, weil sie völlig von Staub umgeben sind. Eine Karte bei 15 μm zeigt den von jungen Sternen aufgeheizten heißen Staub (siehe Abb. 9.16), wobei diese IR-Emission deutlich antikorreliert ist mit der optischen Strahlung. Offensichtlich erhält man nur durch die Kombination der
optischen und IR-Aufnahmen ein vollständiges Bild der Sternentstehung in solchen Galaxien. Mit Chandra konnte gezeigt werden, dass StarburstGalaxien eine reiche Population von sehr leuchtkräftigen kompakten Röntgenquellen (Ultraluminous Compact X-ray Sources, oder ULXs) enthalten (Abb. 9.17). Ähnliche Quellen, aber mit kleinerer Leuchtkraft, findet man auch in der Milchstraße, wobei es sich dann um Binärsysteme handelt, von denen eine Komponente ein kompakter Stern ist (Weißer Zwerg, Neutronenstern oder Schwarzes Loch). Die Röntgenemission stammt aus der Akkretion von Materie (des Begleitsterns) auf die kompakte Komponente. Die ULXs in den Starbursts sind teilweise jedoch so leuchtkräftig, dass die notwendige Masse der kompakten Sterne weit oberhalb M liegt, wenn man als obere Schranke für die Leuchtkraft die Eddington-Leuchtkraft ansetzt (siehe Gl. 5.23). Daraus schließt man, dass entweder die Emission dieser Quellen stark anisotrop, also
9.2 Neue Typen von Galaxien 371
Abb. 9.16. Die Antennen-Galaxien: Dem optischen HST-Bild sind Konturen der IR-Emission bei 15 μm, wie sie von ISO gemessen wurden, überlagert. Die stärkste IR-Emission stammt aus optisch dunklen Gebieten; ein großer Teil der Sternentstehung in diesem Galaxienpaar (und in anderen Galaxien?) ist durch optische Aufnahmen nicht zu sehen, da sie durch Staubabsorption verdeckt wird
(in Richtung unserer Sichtlinie) gebeamt ist, oder aber es handelt sich um Schwarze Löcher mit Massen von bis zu ∼ 200M . In diesem Fall könnten wir Zeuge der Bildung von Supermassiven Schwarzen Löchern in diesen Starbursts sein. Diese letztere Interpretation wird auch dadurch unterstützt, dass sich die ULXs in der Nähe des Zentrums ihrer Galaxien aufhalten – diese BHs könnten also durch dynamische Reibung in das Zentrum der Galaxien hineinspiralieren und dort zu einem SMBH verschmelzen. Dies ist eines der möglichen Szenarien für die Entstehung der SMBHs in Galaxienkernen, auf das wir in Abschn. 9.6.3 zurückkommen werden. 9.2.2
Extremely Red Objects (EROs)
Wie bereits an verschiedenen Stellen erwähnt, ist die Population von Galaxien, die man in einem Survey findet, von den Selektionskriterien abhängig. So findet man mit der Lyman-Break-Methode vor allem Galaxien hoher Rotverschiebung, die aktive Sternentstehung zeigen und somit für Wellenlängen oberhalb von Lyα eine blaue Farbverteilung besitzen. Die Entwicklung von NIR-Detektoren hat die Suche nach
Galaxien bei größeren Wellenlängen erlaubt. Von besonderem Interesse sind hier Surveys von Galaxien im K-Band, dem langwelligsten vom Boden aus zugänglichen Beobachtungsfenster (mit Ausnahme des Radiobereichs). Der NIR-Bereich ist von besonderem Interesse, da die Leuchtkraft von Galaxien bei diesen Wellenlängen nicht von jungen Sternen dominiert wird. Wie wir in Abb. 3.47 gesehen haben, hängt die K-Band-Leuchtkraft nur schwach vom Alter einer Sternpopulation ab und ist somit ein verlässliches Maß für die gesamte Sternmasse einer Galaxie. Betrachtet man nun Galaxien mit kleinem K-BandFluss, so findet man entweder Galaxien mit kleiner Sternmasse bei niedrigen Rotverschiebungen, oder aber Galaxien hoher Rotverschiebung mit großer optischer Leuchtkraft. Da aber die Leuchtkraftfunktion von Galaxien relativ flach ist für L L ∗ , erwartet man aufgrund des größeren Volumens bei größeren z, dass letztere die Surveys dominieren. In der Tat finden K-Band-Surveys eine breite Rotverschiebungsverteilung der Galaxien. In Abb. 9.18 ist die z-Verteilung der Galaxien im K20Survey gezeigt. Dieser Survey hat in zwei Feldern mit zusammen 52 arcmin2 Objekte mit K s < 20 selektiert, wobei Ks ein Filter bei einer etwas kürzeren Wellenlänge als der ,,klassische“ K-Filter ist. Dabei wurden nach Ausschluss von Sternen und Typ 1-AGNs 489 Galaxien gefunden, und für 480 von ihnen konnte die Rotverschiebung bestimmt werden. Der Median der Rotverschiebung in diesem Survey liegt bei etwa z ≈ 0.8. Betrachtet man die Galaxien in einem (R-K ) vs. K Farben-Helligkeits-Diagramm (Abb. 9.19), so findet man eine Population von besonders roten Galaxien, also solchen mit großem R − K . Diesen Objekten hat man die Bezeichnung Extremely Red Objects (EROs) gegeben; etwa 10% der Galaxien in K-selektierten Surveys bei schwachen Magnituden sind EROs, die typischerweise durch R − K > 5 definiert werden. Die spektroskopische Untersuchung dieser Galaxien stellt eine große Herausforderung dar, denn ein Objekt mit K = 20 und R − K > 5 hat notwendigerweise R > 25, d. h. es ist extrem lichtschwach im optischen Spektralbereich. Die Verfügbarkeit von Teleskopen der 10-Meter-Klasse hat in den letzten Jahren die Spektroskopie dieser Objekte ermöglicht. Dabei stellt sich heraus, dass in der Klasse der EROs verschiedene Arten von Objekten vorkommen. Dazu
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 372
Abb. 9.17. Ultraluminous Compact X-ray Sources (ULXs) in Starburst-Galaxien. Oben links: die diskreten Quellen in den Antennen-Galaxien; die Bildgröße beträgt 4 × 4 . Unten links: Optische Aufnahme (großes Bild) und Chandra-Bild der Starburst-Galaxie NGC 253. Vier der ULXs sind innerhalb eines Kiloparsecs vom Zentrum der Galaxie angesiedelt. Die Röntgenaufnahme ist 2. 2 × 2. 2. Oben rechts: 5 × 5
Chandra-Aufnahme der Starburst-Galaxie M82; die diffuse Strahlung (rot) stammt von Gas mit T ∼ 106 K, das vom Starburst geheizt wird und aus dem zentralen Gebiet der Galaxie herausströmt. Es wird vermutet, dass M82 in den letzten 108 yr eine Kollision mit dem Begleiter M81 (siehe Abb. 6.7) hatte, wodurch der Starburst initiiert wurde. Unten rechts: die Leuchtkraftfunktion der ULXs in einigen Starburst-Galaxien
überlegen wir zunächst, welche Ursachen eine solch rote Spektralverteilung haben kann. Zum einen kann es sich dabei um alte Elliptische Galaxien handeln, deren 4000 Å-Break zur roten Seite des R-Band-Filters rot-
verschoben wurde, also typischerweise um Ellipsen bei z 1.0. Damit diese Galaxien genügend rot sind, um das Selektionskriterium für EROs zu erfüllen, müssen sie schon bei dieser Rotverschiebung eine alte Stern-
9.2 Neue Typen von Galaxien 373
Abb. 9.18. Die Rotverschiebungsverteilung von Galaxien mit K s < 20, wie sie im K20-Survey gemessen wurde. Das schattierte Histogramm zeigt die Galaxien, deren Rotverschiebung allein mit photometrischen Methoden bestimmt worden ist. Der Bin bei z < 0 enthält die 9 Galaxien, für die keine zBestimmung möglich war. Der Peak bei z ∼ 0.7 stammt von zwei Galaxienhaufen in den Feldern des K20-Surveys
population besitzen, was eine große Rotverschiebung der Sternentstehung in diesen Objekten impliziert (etwa z form 2.5). Als zweite Möglichkeit für großes R − K kommt Staubrötung in Frage; solche EROs könnten daher aktiv sternbildende Galaxien sein, deren optisches Licht durch Staubextinktion stark abgeschwächt ist. Wenn diese Galaxien sich bei einer Rotverschiebung von z ∼ 1 befinden, so entspricht dem gemessenen R-Band-Fluss eine Emission im UV-Bereich des Spektrums, wo die Extinktion sehr effizient ist. Durch spektroskopische Untersuchungen findet man, dass beide Typen von EROs in etwa gleicher Häufigkeit vorkommen. Die Hälfte der EROs sind daher Elliptische Galaxien, die schon bei z ∼ 1 eine mit heutigen Ellipsen vergleichbare Leuchtkraft besitzen und die schon damals von einer alten Sternpopulation dominiert wurden. Die andere Hälfte sind Galaxien mit aktiver Sternentstehung, die keinen 4000 Å-Break zeigen, dafür aber die Emissionslinie des [OII] bei λ = 3727 Å, was ein
Abb. 9.19. Das Farben-Helligkeits-Diagramm R-K als Funktion von K für Objekte in zehn Feldern um Galaxienhaufen. Man erkennt, dass für schwache Magnituden (etwa ab K ≥ 19) eine Population von Quellen sichtbar wird, die eine sehr rote Farbe (etwa R − K ≥ 5.3) besitzen. Diese Objekte werden als EROs bezeichnet
deutliches Zeichen für Sternentstehung darstellt. Die Untersuchung der EROs mit sehr tiefen Radiobeobachtungen bestätigt den hohen Anteil an Galaxien mit hoher Sternentstehungsrate. Benutzt man die enge Korrelation von Radioemissivität mit der FIR-Leuchtkraft von Galaxien, so stellt sich ein erheblicher Anteil von EROs als ULIRGs bei z ∼ 1 heraus. EROs zeigen eine sehr starke räumliche Korrelation, deren Interpretation für die passiven Ellipsen und die mit aktiver Sternentstehung verschieden sein kann. Für Erstere ist die Korrelation damit verträglich, dass sich diese EROs in Galaxienhaufen befinden bzw. in überdichten Gebieten, die zukünftig zu einem Haufen kollabieren werden. Die Korrelation der EROs mit aktiver Sternentstehung lässt sich wohl nicht durch eine Haufenmitgliedschaft erklären, könnte aber die gleiche Ursache haben wie die Korrelation der LBGs. Die Anzahldichte von passiven EROs, also alten Ellipsen, ist erstaunlich groß, verglichen mit den Erwartungen aus dem Modell der hierarchischen Strukturbildung, das in Abschn. 9.6 näher dargestellt wird.
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 374
9.2.3
Submillimeter-Quellen: Blick durch dicken Staub
Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die FIR-Emission von heißem Staub einer der besten Indikatoren für die Sternentstehung. Allerdings ist diese nur mit Satelliten zu beobachten, wie z. B. den IRAS- und ISO-Satelliten. Die Staubemission hat ihr Maximum etwa bei 100 μm, was vom Erdboden aus unbeobachtbar ist. Geht man zu etwas größeren Wellenlängen, so finden sich Bereiche, in denen die Atmosphäre Beobachtungen zulässt, so beispielsweise im Submillimeter-Bereich bei 450 μm und 850 μm. Allerdings hängen die Beobachtungsbedingungen extrem stark von dem in der Atmosphäre befindlichen Wasserdampf ab, so dass man sich auf sehr trockene und hoch gelegene Standorte begeben muss. In diesem Submillimeter (sub-mm)-Bereich kann man dann den langwelligen Bereich der thermischen Staubstrahlung beobachten, wie das etwa in Abb. 9.20 dargestellt ist. Seit etwa 1998 hat die sub-mm-Astronomie einen enormen Aufschwung erfahren, indem zwei Instrumente in Betrieb gingen: SCUBA, welches bei 450 μm
Abb. 9.21. Die Aufnahme zeigt ein 20 × 17 großes Feld im Bereich des COSMOS-Surveys, wie es mit dem 117Kanal Max-Planck Bolometer Array (MAMBO) am IRAM 30 Meter-Teleskop auf dem Pico Veleta beobachtet wurde. Kodiert in Farbe ist hier das Signal-zu-Rausch-Verhältnis dieser Karte, wobei das Rauschniveau etwa 0.9 mJy pro 11 -Beam beträgt. Etwa ein Dutzend Quellen mit S/N ≥ 4 sind hier zu erkennen
und 850 μm misst und ein 5 arcmin2 großes Gesichtsfeld hat, und MAMBO, welches bei bei 1300 μm beobachtet. Beides sind Bolometer-Arrays, mit zunächst jeweils 37 Bolometern. Beide Instrumente wurden auf eine deutlich größere Zahl von Bolometern aufgerüstet. Die Abb. 9.21 zeigt eine 20 × 17 Aufnahme eines Feldes, welches sich in der Region des COSMOS-Surveys befindet. Das Spektrum von Staub bei diesen Wellenlängen ist ein Rayleigh–Jeans-Spektrum, modifiziert mit der Emissivitätsfunktion, die von den Eigenschaften des Staubes (chemische Zusammensetzung, Verteilung der Staubkorngröße) abhängt; typischerweise findet man Sν ∝ ν2+β
Abb. 9.20. Spektrale Energieverteilung einiger staubiger Galaxien mit bekannter Rotverschiebung z (Symbole) und zwei Modellspektren (Kurven). Vier Typen von Galaxien sind unterschieden: (I): IRAS-Galaxien mit kleinem z; (S): leuchtkräftige sub-mm-Galaxien; (L): weit entfernte Quellen, die durch den Gravitationslinseneffekt verstärkt und mehrfach abgebildet werden; (H): AGNs. Nur einige Quellen in Linsensystemen (vermutlich wegen differentieller Verstärkung) und AGNs weichen signifikant von den Modellspektren ab
mit β ∼ 1.5 .
Dieses steile Spektrum bedingt eine sehr starke negative K-Korrektur (siehe Abschn. 5.6.1) für Wellenlängen im sub-mm-Bereich: Bei fester beobachteter Wellenlänge wird die Ruhewellenlänge immer kleiner, wenn man Quellen höherer Rotverschiebung beobachtet, und dort ist die Emissivität größer. Wie Abb. 9.22 zeigt, bewirkt dieses spektrale Verhalten, dass der Fluss im sub-mm-Bereich nicht notwendigerweise mit der Rotverschiebung abnimmt. Für z 1 dominiert zunächst die 1/D2 -Abhängigkeit des Flusses, so dass Quellen
9.2 Neue Typen von Galaxien 375
Abb. 9.22. Fluss von staubigen Galaxien als Funktion der Rotverschiebung, bei fester bolometrischer Leuchtkraft, bei λ = 850 μm (durchgezogene Kurven) und λ = 175 μm (ge-
strichelte Kurven). Rechts variiert der Index β der Staubemission, während die Staubtemperatur Td = 38 K festgehalten wurde, links ist β = 1.5 und die Temperatur variiert
bei fester Leuchtkraft bis z ∼ 1 schwächer werden mit wachsendem z. Aber zwischen z ∼ 1 und z ∼ z flat bleibt der sub-mm-Fluss als Funktion der Rotverschiebung beinahe konstant oder nimmt gar zu mit z, wobei z flat von der Staubtemperatur Td abhängt; für Td ∼ 40 K gilt z flat ∼ 8. Erst für z > z flat nimmt der Fluss dann rapide ab, weil durch die Rotverschiebung sich dann die Ruhefrequenz jenseits des Maximums des Staubspektrums verschoben hat. Ein im sub-mm-Bereich flussbegrenztes Sample von Galaxien sollte daher eine sehr breite z-Verteilung haben. Die Staubtemperatur beträgt etwa Td ∼ 20 K für Spiralen mit kleinem z, aber Td ∼ 40 K ist eher typisch für Galaxien mit aktiver Sternentstehung bei höherer Rotverschiebung. Je höher Td , umso kleiner ist der sub-mm-Fluss bei fester bolometrischer Leuchtkraft. Die Zählungen von sub-mm-Quellen bei hohen Galaktischen Breiten ergaben eine sehr viel höhere Dichte als vorhergesagt wurde; man findet in etwa für die Dichte der Quellen als Funktion des Grenzflusses S bei der Wellenlänge λ = 850 μm −1.1 S N(> S) 7.9 × 103 deg−2 . (9.1) 1 mJy
Die Identifikation dieser Quellen stellte sich zunächst als äußerst schwierig dar, denn aufgrund der relativ schlechten Winkelauflösung von SCUBA und MAMBO konnten die Quellen nur mit einer Genauigkeit von ∼ 15 lokalisiert werden. Innerhalb eines Fehlerkreises mit diesem Radius existieren sehr viele schwache Galaxien, die auf tiefen optischen Aufnahmen identifiziert werden können. Weiterhin besagt Abb. 9.22, dass diese Quellen typischerweise eine relativ hohe Rotverschiebung besitzen sollten, daher also im Optischen schwach sind. Erschwerend kommt die Rötung durch den gleichen Staub hinzu, der die sub-mm-Emission hervorruft. Schließlich gelang die Identifikation der Quellen über ihre Radiostrahlung, denn etwa die Hälfte der im sub-mm-Bereich selektierten Quellen kann in sehr tiefen Radio-Beobachtungen bei 1.4 GHz identifiziert werden. Da der Radio-Himmel sehr viel weniger bevölkert ist als der optische und man mit dem VLA bei λ = 20 cm eine Auflösung von ∼ 1 erreicht, ist die optische Identifikation einer Radioquelle verhältnismäßig einfach. Ein Beispiel für diesen Prozess der Identifikation ist in Abb. 9.23 gezeigt. Mit der genauen Radioposition einer sub-mm-Quelle kann dann die op-
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 376
Abb. 9.23. Die sub-mm-Galaxie SMM J09429+4658. Die drei rechten Bilder haben jeweils 30 Kantenlänge, zentriert auf das Zentrum der Fehlerbox der 850 μm-Beobachtung; das kleinere Bild links ist die Differenz zweier HST-Aufnahmen, die die Staubschicht der Spiralgalaxie H1 zeigt. Das zweite Bild von links zeigt die R-Band-Aufnahme, mit Konturen der SCUBA 850 μm-Emission überlagert, das zweite von rechts eine I-Band-Aufnahme, superponiert mit den Kon-
turen der Radioemission bei 1.4 GHz, und rechts ist eine K-Band-Aufnahme. Die Radiokonturen zeigen Emission von der Galaxie H1 (z = 0.33), aber auch schwächere Emission genau im Zentrum der sub-mm-Karte. Im K-Band findet man dann auch eine NIR-Quelle (H5) an genau dieser Position. Welche dieser beiden Quellen die sub-mm-Quelle ist, bleibt zunächst unklar, aber das Verhältnis von sub-mm zu 1.4 GHz Emission wäre atypisch, wenn H1 die sub-mm-Quelle wäre
tische Identifikation durchgeführt werden. In der Tat handelt es sich meist um sehr schwache optische Quellen, deren Spektroskopie daher sehr schwierig und zeitaufwändig ist. Eine weitere Methode, die Rotverschiebung abzuschätzen, ergibt sich aus der spektralen Energieverteilung, wie sie in Abb. 9.20 gezeigt wird. Da dieses Spektrum beinahe universell zu gelten scheint, kann man aus dem Flussverhältnis bei 1.4 GHz und 850 μm eine Art photometrische Rotverschiebung abschätzen, die in vielen Fällen relativ genaue Werte liefert. Bis zum Jahre 2004 wurden für etwa 100 submm-Quellen die Rotverschiebungen bestimmt, deren Median etwa z¯ ∼ 2.5 beträgt. Bei einigen der Quellen konnte eine AGN-Komponente als Grund für die Heizung des Staubes nachgewiesen werden, aber i. A. scheinen die energetischen Photonen von neugeborenen Sternen zu stammen. Die optische Morphologie und die Anzahldichte der sub-mm-Quellen legt die Vermutung nahe, dass wir in den sub-mm-Galaxien die Entstehung von Elliptischen Galaxien beobachten.
sums, nämlich die thermische Strahlung aus der Zeit vor der Rekombination. Wie wir in Abschn. 8.6 ausführlich diskutiert haben, steckt der CMB voll von Informationen über unseren Kosmos. Daher kann man fragen, ob es auch in anderen Wellenlängenbereichen eine Hintergrundstrahlung gibt, die ähnlich nützlich für die Kosmologie ist. Der Neutrino-Hintergrund, der als thermische Verteilung aller drei Neutrinosorten mit T ≈ 1.9 K vorhanden sein sollte und aus der Frühzeit des Urknalls stammt (siehe Abschn. 4.4.2), wird auf längere Zeit hin unentdeckt bleiben, wegen des sehr geringen Wirkungsquerschnitts dieser niederenergetischen Neutrinos. In der Tat wurde neben dem CMB auch in anderen Wellenlängenbereichen eine scheinbar isotrope Strahlung gefunden (Abb. 9.24), die in Anlehnung an den CMB als ,,Hintergrundstrahlung“ bezeichnet wird. Damit soll allerdings nicht impliziert werden, dass es sich um eine kosmische Hintergrundstrahlung handelt. Denn aus der thermischen Geschichte des Universums (siehe Abschn. 4.4) erwartet man keine optische oder Röntgenstrahlung aus der Frühzeit des Universums. Daher war lange Zeit nicht bekannt, was der Ursprung dieser verschiedenen Strahlungshintergründe sein kann. Zunächst fanden die ersten Röntgensatelliten einen Röntgenhintergrund (Cosmic X-ray Background, CXB). Der COBE-Satellit fand darüber hinaus eine
9.3
Hintergrundstrahlung bei kleineren Wellenlängen
Der kosmische Mikrowellenhintergrund (CMB) ist ein Überbleibsel aus der heißen Phase unseres Univer-
9.3 Hintergrundstrahlung bei kleineren Wellenlängen 377
9.3.1
Abb. 9.24. Spektrum kosmischer Hintergrundstrahlung, aufgetragen als νIν gegen Wellenlänge. Neben dem CMB gibt es Hintergrundstrahlung im Radiobereich (CRB), im Infraroten (CIB), im Optischen/UV (CUVOB), im Röntgenbereich (CXB) und bei Gammaenergien (CGB). Mit Ausnahme des CMB ist es wahrscheinlich, dass die Hintergrundstrahlung als Superposition der Strahlung diskreter Quellen aufzufassen ist
scheinbar isotrope Strahlung im FIR, den InfrarotHintergrund (Cosmic Infrared Background, CIB). In dem hier betrachteten Kontext bezeichnen wir als Hintergrundstrahlung einfach den mittleren Fluss in einem Frequenzband, wie er bei hohen Galaktischen Breiten gemessen wird. Wenn also von einem optischen Hintergrund hier gesprochen wird, so ist damit die Summe der Strahlung aller Galaxien und AGNs pro Raumwinkelelement gemeint. Die Interpretation einer solchen Hintergrundstrahlung hängt von der Empfindlichkeit und der Winkelauflösung der verwendeten Teleskope ab. Wenn man sich etwa vorstellt, man würde den Himmel mit einer optischen Kamera aufnehmen, die eine Winkelauflösung von nur einer Bogenminute besitzt, dann wäre an den meisten Stellen des Himmels eine relativ isotrope Strahlung zu sehen, nur unterbrochen von einigen sehr hellen oder sehr großen Galaxien. Bei Verbesserung der Winkelauflösung werden immer mehr Einzelquellen sichtbar – gipfelnd in den Beobachtungen der Ultra Deep Fields – und der Hintergrund kann dann als Summe der Strahlung von Einzelquellen identifiziert werden. Ähnlich zu diesem Gedankenexperiment kann man sich daher die Frage stellen, ob der CXB oder der CIB ebenfalls als Superposition der Strahlung von diskreten Quellen zu verstehen ist.
Der IR-Hintergrund
Beobachtungen von Hintergrundstrahlung im Infraroten sind sehr schwierig. Zum einen sind absolute Flussmessungen wegen der thermischen Emission des Detektors problematisch. Zudem ist die Emission von interplanetarem Staub (und dem interstellaren Medium unserer Milchstraße) viel stärker als der Fluss von extragalaktischen Quellen. Aus diesem Grunde ist das absolute Niveau des Infrarot-Hintergrunds nur mit relativ großen Unsicherheiten bestimmt worden, wie das in Abb. 9.25 dargestellt ist. Der ISO-Satellit hat ca. 10% des CIB bei λ = 175 μm in diskrete Quellen auflösen können. Weiterhin scheint im sub-Millimeter-Bereich (etwa bei 850 μm) fast der gesamte CIB von diskreten Quellen zu stammen, die hauptsächlich aus staubreichen Sternentstehungsgebieten bestehen (siehe Abschn. 9.2.3, wo wir die Quellenpopulation im sub-mm-Bereich diskutiert haben). Jedenfalls gibt es bislang keinen Hinweis darauf, dass der CIB einen anderen Ursprung hat als die Emission von einer Population diskreter Quellen, vor allem Starburst-Galaxien bei hoher Rotverschiebung. Das weitere Auflösen der Hintergrundstrahlung in diskrete Quellen wird durch künftige FIR-Satelliten, wie etwa Herschel, ermöglicht werden.
Abb. 9.25. Messungen und Schranken an den CIB. Quadratische Symbole sind untere Grenzen, die man aus der Integration beobachteter Quellzählungen erhält, Rauten sind obere Schranken aus Fluktuationsmessungen; andere Symbole zeigen absolute Flussmessungen. Der schattierte Bereich kennzeichnet die momentanen Beobachtungsgrenzen für den CIB
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 378
9.3.2
Der Röntgenhintergrund
In den 70er Jahren wurden von den ersten Röntgensatelliten nicht nur eine Reihe extragalaktischer Röntgenquellen (wie AGNs und Galaxienhaufen) entdeckt, sondern auch eine scheinbar isotrope Strahlungskomponente, der CXB. Dessen Spektrum ist ein sehr hartes Potenzspektrum, welches oberhalb einer Energie von ∼ 40 keV abgeschnitten ist, und lässt sich in etwa beschreiben durch E −0.3 Iν ∝ E exp − , (9.2) E0 mit E 0 ∼ 40 keV. Der Ursprung dieser Strahlung war zunächst unbekannt, da die spektrale Form verschieden
Abb. 9.26. Im linken Bild ist der Gesamtfluss von diskreten Quellen mit individuellem Fluss > S im Energiebereich 2 keV ≤ E ≤ 10 keV dargestellt (dicke Kurve), zusammen mit dem Unsicherheitsbereich (zwischen den beiden dünnen Kurven). Diese Daten stammen im Wesentlichen aus einer 3 × 105 s Aufnahme des Chandra Deep Fields. Die gestrichelten Kurven zeigen verschiedene Messungen des Flusses des CXB in diesem Energieintervall; je nachdem, welchen dieser Werte man zugrunde legt, wurden im Chandra Deep Field zwischen 60% und 90% des CXB in diesem Energiebereich in diskrete Quellen aufgelöst. Im rechten Bild ist für 84 Quellen des Chandra Deep Fields mit gemessener Rotverschiebung der ,,Härteindex“ HR [,,hardness ratio“; gibt das Verhältnis von Photonen im Energiebereich 2 keV ≤ E ≤ 10 keV zu denen mit 0.5 keV ≤ E ≤ 2 keV an, HR = (S>2 keV − S<2 keV )/(S>2 keV + S<2 keV )] als Funk-
ist von den Spektren der bis dahin bekannten Quellen. Beispielsweise konnte man dieses Spektrum nicht als Überlagerung der Spektren von bis dahin bekannten AGNs erzeugen. ROSAT, mit seiner verglichen zu früheren Satelliten (wie etwa Einstein) deutlich besseren Winkelauflösung und Empfindlichkeit, hat mit einigen sehr tiefen Aufnahmen die Quellenzählungen zu sehr viel kleineren Flussgrenzen hin erweitert. Dadurch wurde es möglich zu zeigen, dass mindestens 80% des CXB im Energiebereich zwischen 0.5 keV und 2 keV von diskreten Quellen stammt, wobei die überwiegende Mehrzahl davon AGNs sind. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass der gesamte CXB bei diesen niedrigen Rönt-
tion der Rotverschiebung angegeben. Man erkennt den Trend, dass HR mit der Rotverschiebung abnimmt; dieser Trend wird erwartet, wenn das Röntgenspektrum der AGNs durch intrinsische Absorption beeinflusst wird. Die verschiedenen gestrichelten Kurven zeigen den erwarteten Wert von HR von einer Quelle mit intrinsischem Potenzspektrum Iν ∝ ν−0.7 , die durch eine absorbierende Schicht der Wasserstoff-Säulendichte NH betrachtet wird. Da niederenergetische Photonen durch den photoelektrischen Effekt stärker absorbiert werden als höherenergetische, wird das Spektrum durch die Absorption härter, also flacher, d. h. HR steigt dadurch an (siehe auch die untere Figur in Abb. 6.15). Dieser Effekt ist umso kleiner, je größer die Rotverschiebung ist, da dann die Photonenenergie bei der Emission um einen Faktor (1 + z) größer ist
9.4 Die Reionisation des Universums 379
genenergien von diskreten Quellen stammt, und die Beobachtungen mit XMM-Newton scheinen dies auch zu bestätigen. Aber das Röntgenspektrum von normalen AGNs ist verschieden von (9.2), nämlich wesentlich steiler (etwa wie Sν ∝ ν−0.7 ). Wenn diese AGNs also den größten Teil des CXB bei niedrigen Energien produzieren, können die gleichen AGNs nicht den CXB bei höheren Energien erzeugen. Subtrahiert man die spektrale Energie der mit ROSAT gefundenen AGNs vom Spektrum des CXB (9.2), so erhält man ein noch härteres Spektrum, das dann dem eines thermischen Bremsstrahlungsspektrums sehr ähnelt. Daher wurde über lange Zeit vermutet, dass der CXB bei höheren Energien durch ein heißes intergalaktisches Gas, mit Temperaturen von kB T ∼ 30 keV, erzeugt wird. Dieses Modell wurde aber durch die präzise Vermessung des thermischen Spektrums des CMB durch COBE ausgeschlossen, denn ein solches heißes Gas, das den CXB erzeugen könnte, würde deutlich sichtbare Abweichungen des CMB vom Planck-Spektrum hervorrufen, nämlich durch den inversen Compton-Effekt (der gleiche Effekt, der den SZ-Effekt in Galaxienhaufen hervorruft – siehe Abschn. 6.3.4). Inzwischen ist die Natur des CXB auch bei höheren Energien im Wesentlichen aufgeklärt worden (siehe Abb. 9.26), hauptsächlich durch sehr tiefe Beobachtungen des Satelliten Chandra, wie etwa das in Abb. 9.27 gezeigte Chandra Deep Field South. Die mit ihm durchgeführten Quellenzählungen haben etwa 75% des CXB im Energiebereich von 2 keV ≤ E ≤ 10 keV in diskrete Quellen aufgelöst. Die meisten dieser Quellen sind wiederum AGNs, aber typischerweise mit einem deutlich härteren (d. h. flacheren) Spektrum als diejenigen AGNs, die den niederenergetischen CXB produzieren. Solch ein flaches Röntgenspektrum kann man durch photoelektrische Absorption erhalten, die Photonen näher an der Ionisationsenergie effektiver absorbiert als höherenergetische Photonen. Entsprechend dem in Abschn. 5.5 diskutierten Klassifikationsschema der AGNs sind dies Typ 2-AGNs, also Seyfert 2-Galaxien und QSOs mit starker intrinsischer Selbstabsorption. Dabei sei in Erinnerung gerufen, dass erst Chandra die Typ 2-QSOs entdeckt hat – daher ist es kein Zufall, dass der gleiche Satellit auch den energetischen CXB auflösen konnte.
Abb. 9.27. Das Chandra Deep Field South, eine tiefe Röntgenaufnahme eines 16 × 16 -Feldes und einer Belichtungszeit von 106 s – eine der tiefsten jemals erzielten Röntgenaufnahmen. Die meisten der hier sichtbaren Quellen sind AGNs, aber auch Galaxien, Gruppen und Haufen werden hier entdeckt. Die Energie der Photonen ist durch die Farbe kodiert, von niedrigen zu höheren Energien rot, gelb und blau. Eine der Quellen in diesem Feld ist ein sehr weit entfernter QSO vom Typ-2. Die radiale Variation der PSF in diesem Feld zeigt sich durch die zum Rand hin vergrößerte Ausdehnung einzelner Quellen
9.4
Die Reionisation des Universums
Nach der Rekombination bei z ∼ 1100 war das intergalaktische Gas neutral, mit einer Restionisation von nur ∼ 10−4 . Wenn das Universum neutral geblieben wäre, könnten wir keine Photonen empfangen, die auf der blauen Seite der Lyα-Linie einer Quelle emittiert wurden, da der Absorptionswirkungsquerschnitt für Lyα-Photonen zu groß ist (siehe Gl. 8.16). Weil wir aber solche Photonen von QSOs sehen (wie etwa in den Spektren der z > 5.7-QSOs in Abb. 9.28 erkennbar ist) und die scharfen Grenzen an die Stärke des Gunn–Peterson-Effekts (Abschn. 8.5.1) einen erwähnenswerten Anteil von homogen verteiltem neutralen Gas im intergalaktischen Medium für z 5 ausschließen, muss das Universum zwischen der Rekombination
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 380
leicht zu geben – die Reionisation muss durch Photoionisation zustande gekommen sein. Stoßionisation kommt dafür nicht in Frage, da das IGM dazu sehr heiß sein müsste, was aber z. B. wegen des perfekten PlanckSpektrums des CMB ausgeschlossen werden kann – die Argumente sind die gleichen wie die oben benutzten, um ein heißes IGM als Quelle des CXB auszuschließen. Deshalb ist die nächste Frage, woher die energetischen Photonen stammen, die zur Ionisation des IGM geführt haben. Zwei Arten von Quellen kommen dafür in Frage, heiße Sterne oder AGNs. Zurzeit ist nicht eindeutig geklärt, welche davon für die (bzw. den Hauptanteil der) Reionisation verantwortlich ist, da unser Verständnis für die Bildung von Supermassiven Schwarzen Löchern dazu nicht ausreicht, aber vermutlich besteht die Hauptquelle der Photoionisation aus der ersten Generation heißer Sterne. 9.4.1
Abb. 9.28. Spektren von fünf QSOs mit Rotverschiebung z > 5.7, wie sie mit Multiband-Daten aus dem Sloan Digital Sky Survey gefunden wurden. Die Position der wichtigsten Emissionslinien ist jeweils eingezeichnet. Beachtenswert ist insbesondere der bei einigen dieser QSOs völlig verschwundene Fluss auf der blauen Seite der Lyα-Emissionslinie, der einen vollständigen Gunn–Peterson-Effekt signalisiert. Allerdings tritt dieser Effekt nicht bei allen QSOs vollständig auf, was auf starke Variationen der Dichte von neutralem Wasserstoff im intergalaktischen Medium bei diesen hohen Rotverschiebungen hindeutet: Entweder ist die Wasserstoffdichte sehr unterschiedlich entlang verschiedener Sehstrahlen, oder der Ionisationsgrad variiert stark
und der Rotverschiebung z ∼ 6.5, bei der sich etwa die weitest entfernten Quellen befinden, reionisiert worden sein. Aus den Ergebnissen von WMAP ergibt sich, dass die Reionisation bereits bei sehr großer Rotverschiebung, z ∼ 17, stattgefunden haben sollte. Daraus ergibt sich die Frage, wie diese Reionisation stattgefunden hat, insbesondere welcher Prozess dafür verantwortlich ist. Die Antwort auf die letzte Frage ist
Die ersten Sterne
Das Verständnis der Reionisation hängt daher direkt mit der Frage nach der ersten Generation von Sternen zusammen. Im lokalen Universum findet Sternentstehung in Galaxien statt; somit muss man untersuchen, wann sich die ersten Galaxien bilden konnten. Aus der Theorie der Strukturentstehung kann man mit Hilfe etwa des Press–Schechter-Modells das Massenspektrum von Halos bei vorgegebener Rotverschiebung berechnen. Zwei Bedingungen sind notwendig, damit sich Sterne in diesen Halos bilden können. Zum einen muss das Gas in die Dunklen Halos einfallen können. Da dieses Gas eine endliche Temperatur besitzt, können Druckkräfte den Einfall in einen Potentialtopf behindern. Zum anderen muss dieses Gas auch in der Lage sein, weiter zu kühlen, um sich dabei zu Wolken zu verdichten, in denen dann Sterne gebildet werden können. Wir betrachten diese beiden Bedingungen nun im Folgenden. Die Jeans-Masse. Wir können mit einem einfachen Argument abschätzen, unter welchen Bedingungen die Druckkräfte den Einfall des Gases in den Potentialtopf nicht verhindern können. Dazu betrachten wir ein leicht überdichtes sphärisches Gebiet mit Radius R, dessen Dichte nur etwas oberhalb der mittleren kosmischen Materiedichte ρ¯ liegt. Wenn diese Kugel
9.4 Die Reionisation des Universums 381
homogen mit Baryonen gefüllt ist, so ist die gravitative Bindungsenergie des Gases in etwa G MMb |E grav | ∼ , R wobei M und Mb die Gesamtmasse und die baryonische Masse der Kugel bezeichnen. Die thermische Energie des Gases berechnet sich aus der kinetischen Energie pro Teilchen, multipliziert mit der Anzahl von Teilchen im Gas, oder E th ∼ c2s Mb , wobei cs ≈
kB Tb μm p
die Schallgeschwindigkeit des Gases und somit etwa die mittlere Geschwindigkeit der Gasteilchen ist, und μm p bezeichnet die mittlere Masse der Teilchen im Gas. Damit das Gas im Gravitationsfeld gebunden ist, muss die gravitative Energie des Gases größer sein als die thermische Energie, |E grav | > E th , was zu der Bedingung G M > c2s R führt. Da wir eine nur etwas überdichte Region angenommen haben, gilt die Beziehung M ∼ ρ¯ R3 zwischen Masse und Radius der Kugel. Aus diesen letzten beiden Beziehungen kann man den Radius eliminieren, woraus sich dann die Bedingung ergibt 2 3/2 c 1 . M> s (9.3) G ρ¯ Als Resultat dieser einfachen Überlegung finden wir daher, dass die Masse des Halos eine gewisse Grenzgröße überschreiten muss, damit das Gas dorthin einfallen kann. Eine genauere Betrachtung liefert die Bedingung, dass 3/2 π 5/2 c2s 1 M > MJ ≡ (9.4) 6 G ρ¯ sein muss. Dabei haben wir im letzten Schritt die JeansMasse definiert, die die minimale Masse eines Halos für den gravitativen Einfall von Gas beschreibt. Die Jeans-Masse hängt ab von der Temperatur des Gases, ausgedrückt durch die Schallgeschwindigkeit cs , und von der mittleren kosmischen Dichte ρ. ¯ Letztere lässt sich als Funktion der Rotverschiebung leicht ausdrücken, ρ(z) = ρ¯ 0 (1 + z)3 . ¯
Die Temperatur der Baryonen hat eine etwas kompliziertere Abhängigkeit von der Rotverschiebung. Für genügend hohe Rotverschiebungen sorgt der nach der Rekombination verbleibende Rest an freien Elektronen (das Gas hat einen Ionisationsgrad von ∼ 10−4 ) dafür, dass die baryonische Komponente durch Compton-Streuung thermisch an die kosmische Hintergrundstrahlung gekoppelt ist. Dies ist der Fall für Rotverschiebungen z z t , wobei 2/5 Ωb h 2 z t ≈ 140 ; 0.022 also ist Tb (z) ≈ T(z) = T0 (1 + z) für z z t . Für kleinere Rotverschiebungen wird die Dichte der Photonen zu klein, um diese Kopplung aufrecht zu erhalten, und die Baryonen kühlen durch die Expansion adiabatisch ab, 2/3 so dass für z z t in etwa gilt: Tb ∝ ρb ∝ (1 + z)2 . Aus dieser Temperaturabhängigkeit kann nun die Jeans-Masse in Abhängigkeit von der Rotverschiebung erhalten werden. Für z t z 1000 ist MJ von z unabhängig, da cs ∝ T 1/2 ∝ (1 + z)1/2 und ρ¯ ∝ (1 + z)3 , und beträgt −1/2 Ωm h 2 MJ = 1.35 × 105 M , (9.5) 0.15 während für z z t mit Tb 1.7 × 10−2 (1 + z)2 K gilt: 2 −1/2 3 Ωm h MJ = 5.7 × 10 0.15 2 −3/5 Ωb h 1 + z 3/2 × M . (9.6) 0.022 10 Kühlung des Gases. Das Jeans-Kriterium ist eine notwendige Bedingung für die Bildung von Protogalaxien. Damit sich Sterne bilden können, muss das Gas in den Halos in der Lage sein zu kühlen. Dabei tritt die Besonderheit auf, dass es sich bei den ersten Galaxien um metallfreies Gas handelt, so dass keine Metalllinien zur Kühlung beitragen können. Dies bedeutet, die Kühlung kann nur über Zustände des Wasserstoffs stattfinden. Da aber der erste angeregte Zustand von atomarem Wasserstoff eine hohe Energie besitzt (die des Lyα-Übergangs, also E ∼ 10.2 eV), ist diese Kühlung erst oberhalb T 2 × 104 K effizient. Die Halos, die sich bei hoher Rotverschiebung bilden, sind aber so massearm, dass ihre Virialtemperatur deutlich unterhalb
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 382
dieser Energieskala liegt. Deshalb ist atomarer Wasserstoff für diese ersten Halos ein sehr ineffizienter Kühler, und das Gas kann daher nicht mit der Sternentstehung beginnen. Helium hilft in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht, denn das gleiche Problem der hohen Anregungstemperatur besteht auch hier. Das sich aus diesen Überlegungen ergebende Problem ist durch die Entdeckung der frühen Reionisation durch WMAP gegenüber der vorher abgeschätzten Rotverschiebung der Reionisation weiter verschärft worden. Erst in den letzten Jahren ist erkannt worden, dass molekularer Wasserstoff eine extrem wichtige Kühlungskomponente darstellt. Trotz der sehr kleinen Übergangswahrscheinlichkeiten dominiert H2 bei Temperaturen unterhalb von T ∼ 104 K die Kühlrate des primordialen Gases – siehe Abb. 9.29 –, wobei der genaue Wert der Temperatur von der Häufigkeit von H2 abhängt. Mit Hilfe von H2 kann das Gas in Halos kühlen, deren Virialtemperatur etwa Tvir 3000 K übersteigt,
Abb. 9.29. Kühlrate als Funktion der Temperatur eines Gases, welches aus atomarem und molekularem Wasserstoff (zu 0.1%) und aus Helium besteht. Die durchgezogene Kurve ist die Kühlung aus dem atomaren Gas, die gestrichelte die aus molekularem Wasserstoff; letzterer ist also extrem wichtig für Temperaturen unterhalb 104 K. Bei wesentlich kleineren T kann Gas nicht kühlen, d. h. Sternentstehung kann nicht stattfinden
entsprechend einer Masse von M 104 M (wobei die genauen Werte von der Rotverschiebung abhängen). In diesen Halos können sich also Sterne bilden. Diese Sterne sind allerdings von den uns bekannten sicherlich verschieden, da sie keine Metalle enthalten. Dadurch ist die Opazität des Sternplasmas sehr viel geringer. Solche Sterne, die bei gleicher Masse vermutlich eine erheblich größere Temperatur und Leuchtkraft besitzen (und daher eine kürzere Lebensdauer), nennt man Population III-Sterne. Sie sind aufgrund ihrer hohen Temperatur sehr viel effizientere Quellen von ionisierenden Photonen als Sterne mit normaler Metallizität. 9.4.2 Der Reionisationsprozess Die energetischen Photonen dieser Sterne sind nun in der Lage, den Wasserstoff in ihrer Umgebung zu ionisieren. Deutlich wichtiger jedoch ist ein weiterer Effekt: Die Bindungsenergie von H2 beträgt nur 11.26 eV. Da das Universum transparent ist für Photonen mit Energien unterhalb von 13.6 eV, können Photonen mit 11.26 eV ≤ E γ ≤ 13.6 eV über sehr weite Strecken propagieren und dabei den molekularen Wasserstoff dissoziieren. Das bedeutet, sobald sich in einer Region des Universums die ersten Sterne gebildet haben, wird der molekulare Wasserstoff in der Umgebung zerstört, und weitere Sternentstehung wird zunächst verhindert.2 Bald nachdem sich Sterne der Population III gebildet haben, werden sie als Supernova explodieren. Dabei werden die in ihnen erzeugten Metalle ans intergalaktische Medium abgegeben, so dass eine erste Anreicherung des IGM dadurch stattgefunden hat. Die kinetische Energie, die durch die SNe an das Gas innerhalb des Halos abgegeben wird, kann die gravitative Bindungsenergie des Gases übersteigen, so dass das Gas des Halos weggeblasen werden kann und dadurch weitere Sternentstehung verhindert wird. Ob dieser Effekt tatsächlich zu gasfreien Halos führt oder aber die freigewordene Energie abgestrahlt werden kann, hängt von der Geometrie der Sternentstehungsgebiete ab. Es ist jedoch zu vermuten, dass in denjenigen Halos, in denen die erste Sterngeneration entstanden ist, 2 Um sämtliches H 2
im Universum zu zerstören, benötigt man weniger als 1% des Photonenflusses, der für die Reionisation notwendig ist.
9.4 Die Reionisation des Universums 383 4
die weitere Sternbildung erheblich unterdrückt wird, insbesondere weil sämtlicher molekularer Wasserstoff zerstört worden ist. Es ist davon auszugehen, dass die durch diese ersten SN-Explosionen erzeugten Metalle wenigstens zum Teil mit dem Gas aus den Halos in das intergalaktische Medium herausgeschleudert werden und es somit anreichern. Auf eine sehr frühe Metallbildung schließt man aus der Tatsache, dass Quellen selbst bei sehr hoher Rotverschiebung (etwa QSOs mit z ∼ 6) bereits eine Metallizität besitzen, die etwa ein Zehntel der solaren Metallizität beträgt. Weiterhin findet man auch im Lyα-Wald Gas mit einer nichtverschwindenden Metallizität. Da der Lyα-Wald durch das intergalaktische Medium erzeugt wird, muss dieses also angereichert sein. Damit Gas in Halos ohne molekularen Wasserstoff kühlen kann, muss deren (Virial)Temperatur also etwa
10 K übersteigen (siehe Abb. 9.29). Halos dieser Masse bilden sich in großer Anzahl bei Rotverschiebungen um z ∼ 10, wie das etwa aus dem Press–Schechter-Modell folgt (siehe Abschn. 7.5.2). In diesen Halos kann dann die Sternentstehung effizient stattfinden; die ersten Protogalaxien bilden sich. Diese ionisieren das umgebende IGM, in Form einer HII-Region, wie das in der Abb. 9.30 skizziert ist. Diese HII-Regionen dehnen sich aus, da immer mehr ionisierende Photonen erzeugt werden, und wenn die Halodichte genügend groß ist, werden diese HII-Regionen überlappen. Wenn das geschehen ist, ist das IGM ionisiert, die Reionisation also abgeschlossen. Wir kommen daher zu dem Schluss, dass die Reionisation ein Zwei-Stufen-Prozess ist. In einer ersten Phase bilden sich Population III-Sterne durch die Kühlung des Gases durch molekularen Wasserstoff, der dann durch genau diese Sterne vernichtet wird. Erst zu einer späteren Epoche und in massereicheren Halos findet die
Abb. 9.30. Links eine Skizze der Geometrie der Reionisation: Relativ massearme Halos kollabieren zuerst, eine erste Sterngeneration ionisiert und heizt das Gas in den Halos. Durch diese Heizung erhöht sich die Temperatur so stark (auf etwa T ∼ 104 K), dass Gas aus den Potentialtöpfen entweicht; diese Halos bilden vielleicht nie wieder effizient Sterne. Erst wenn etwas massivere Halos kollabiert sind, kann die Sternentstehung stabil vonstatten gehen. Ionisierende Photonen dieser ersten heißen Sterngeneration erzeugen HII-Regionen um die
Halos, der Beginn der Reionisation. Die Regionen, in denen Wasserstoff ionisiert ist, wachsen an, bis sie überlappen; zu diesem Zeitpunkt steigt der Fluss ionisierender Photonen stark an. Rechts ist das mittlere Spektrum der Photonen zu Beginn der Reionisationsepoche dargestellt; dabei wurde angenommen, dass der Fluss der Strahlungsquelle einem Potenzgesetz folgt (gestrichelte Kurve). Photonen, deren Energie größer als die von Lyα-Photonen ist, werden sehr stark unterdrückt, weil sie effizient absorbiert werden
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 384
Kühlung durch atomaren Wasserstoff statt und führt dann zur Reionisation. Dazu sei bemerkt, dass nur ein kleiner Bruchteil der Baryonen in heißen Sternen brennen muss, um sämtlichen Wasserstoff zu ionisieren, wie man leicht abschätzen kann: Bei der Fusion von vier H-Kernen (Protonen) zu He werden ca. 7 MeV pro Nukleon frei; man benötigt aber nur 13.6 eV pro Wasserstoffatom zur Ionisation. Weiterhin sei nochmals bemerkt, dass der sehr dichte Lyα-Wald bei QSOs hoher Rotverschiebung kein Anzeichen dafür ist, dass man sich der Rotverschiebung der Reionisation genähert hat, denn es reicht ein sehr kleiner Anteil neutraler Atome (etwa 1%), um eine große optische Tiefe für Lyα-Photonen zu erhalten. Die direkte Beobachtung der Reionisation ist vermutlich recht schwierig; eine Vorstellung davon ist in Abb. 9.31 skizziert. Wir haben uns hier auf die Ionisation von Wasserstoff beschränkt und das Helium nicht betrachtet. Die Ionisationsenergie von Helium ist größer als die des Wasserstoffs, so dass dessen vollständige Ionisation später stattfinden wird. Aus der statistischen Analyse des Lyα-Waldes und der Untersuchung von HeliumAbsorptionslinien in QSOs mit hoher Rotverschiebung schließt man auf eine Reionisationsrotverschiebung von z ∼ 3.2 für das Helium. Mit dem Next Generation Space Telescope (das nun den Namen James Webb Space Telescope, JWST, trägt) hofft man, die ersten Quellen im Universum beobachten zu können; dieses Weltraumteleskop mit 6.5 m Durchmesser wird für Wellenlängen zwischen 1 und 5 μm optimiert sein.
9.5
Die kosmische Geschichte der Sternentstehung
Das oben beschriebene Szenario für die Reionisation ist in groben Zügen wohl nahe an der Wirklichkeit, wobei Details immer noch intensiv diskutiert werden. Insbesondere kann man nur mit relativ starken Modellannahmen die Sternentstehungsrate des Universums als Funktion der Rotverschiebung berechnen, da dazu viele physikalische Prozesse beitragen; wir werden im nächsten Abschnitt darauf näher eingehen. Andererseits ist es in den letzten Jahren gelungen, Galaxien auch bei sehr hohen Rotverschiebungen zu beobachten, wodurch es möglich geworden ist, empirisch die Sternentstehungsrate bis zu großen Rotverschiebungen hin zu verfolgen. 9.5.1
Indikatoren für Sternentstehung
Wir definieren die Sternentstehungsrate (Star Formation Rate, SFR) als die Masse der Sterne, die sich pro Jahr bilden, typischerweise angegeben in M /yr. Für unsere Milchstraße ist SFR ∼ 2M /yr. Da die Signaturen für die Sternentstehung nur von den massereichen Sternen stammen, muss man, um die gesamte SFR zu erhalten, deren Bildungsrate nach kleiner Masse hin extrapolieren, indem man eine IMF (Initial Mass Function; siehe Abschn. 3.9.4) annimmt, wofür man typischerweise eine Salpeter-IMF zwischen 0.1M ≤ M ≤ 100M wählt. Wir führen hier zunächst die wichtigsten Indikatoren für die Sternentstehung auf:
• Emission im fernen Infrarot (FIR). Dies ist Strahlung von warmem Staub, der durch heiße junge Sterne geheizt wird. Aus Beobachtungen ergibt sich als Zu-
Abb. 9.31. Skizze zur möglichen Beobachtung der Reionisation: Licht eines weitentfernten QSO durchquert ein teilweise ionisiertes Universum; an den Stellen, wo es HII-Regionen durchquert, kommt Strahlung durch – an den entsprechenden Wellenlängen ist Fluss sichtbar. Wenn die HII-Regionen dann überlappen, wird der ,,normale“ Lyα-Wald gebildet
9.5 Die kosmische Geschichte der Sternentstehung 385
sammenhang zwischen der FIR-Leuchtkraft und der SFR etwa SFRFIR L FIR ∼ . M /yr 5.8 × 109 L
• Radio-Emission von Galaxien. Es gibt eine sehr enge Korrelation der Radioleuchtkraft von Galaxien mit der Leuchtkraft im FIR, über viele Zehnerpotenzen der jeweiligen Leuchtkräfte. Da L FIR ein guter Indikator für die Sternentstehungsrate ist, sollte dies auch für die Radiostrahlung gelten (wobei von der Radioemission eines möglichen AGN hier abgese-
Abb. 9.32. Korrelationen der Sternentstehungsraten, wie sie aufgrund von Beobachtungen in verschiedenen Wellenlängenbereichen abgeleitet wurden. In allen vier Diagrammen zeigt die gestrichelte Kurve die Identität; wie leicht zu erkennen ist, scheinen die Sternentstehungs-Indikatoren Hα-Leuchtkraft
hen werden muss). Die Radiostrahlung von normalen Galaxien stammt im Wesentlichen aus SupernovaÜberresten (SNRs). Da SNe aus dem Kernkollaps von massereichen Sternen in einer Sternpopulation sehr schnell nach Beginn der Sternentstehung auftreten, ist die Strahlung von Supernova-Überresten ein beinahe instantaner Indikator der SFR. Wiederum aus Beobachtungen findet man SFR1.4 GHz L 1.4 GHz . ∼ M /yr 8 4 × 1027 erg s−1 Hz−1
und UV-Strahlung die SFR zu unterschätzen. Da Strahlung bei diesen Wellenlängen von Staub absorbiert werden kann und die Menge des warmen Staubs wahrscheinlich von der SFR selbst abhängt, kann man für diesen Effekt korrigieren, wie die durchgezogenen Kurven in den vier Figuren zeigen
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 386
• Hα-Emission. Diese Linienemission stammt aus den
•
HII-Regionen, die sich um junge heiße Sterne bilden. Als Abschätzung für die SFR benutzt man L Hα SFRHα ∼ . M /yr 1.3 × 1041 erg s−1 UV-Strahlung. Diese wird nur von heißen jungen Sternen emittiert und zeigt daher die SFR der jüngsten Vergangenheit an, mit SFRUV L UV ∼ . M /yr 7.2 × 1027 erg s−1 Hz−1
Jede dieser Abschätzungen ist in individuellen Galaxien recht ungenau, wie man erkennen kann, wenn man die Abschätzungen der SFR aus verschiedenen Methoden miteinander vergleicht (siehe Abb. 9.32). So werden beispielsweise Hα- und UV-Photonen leicht vom Staub in der Galaxie bzw. in den Sternentstehungsgebieten selbst absorbiert, weswegen obige Relationen für diese Selbstabsorption korrigiert werden sollten. Eine solche Korrektur ist aus der beobachteten Rötung möglich; weiterhin erwartet man, dass je größer die Staubabsorption ist, umso stärker ist die Leuchtkraft im FIR, was dann zu Abweichungen von der linearen Relation SFRFIR ∝ SFRUV führt. Nach einer entsprechenden Korrektur ergeben die Werte der SFR aus den verschiedenen Indikatoren recht ähnliche Werte, aber immer noch mit einer einigermaßen großen Streuung. 9.5.2
Rotverschiebungsabhängigkeit der Sternentstehung: Das Madau-Diagramm
Man definiert die Dichte der Sternentstehung ρ∗ als die Masse der neugebildeten Sterne pro Jahr in einem (mitbewegten) Volumen, typischerweise gemessen in M yr−1 Mpc−3 . Daher gibt ρ∗ als Funktion der Rotverschiebung an, wann sich wie viele Sterne gebildet haben. Mit der Sternbildungsdichte kann etwa die Frage untersucht werden, ob die Sternentstehung erst bei relativ kleinen Rotverschiebungen begonnen hat, oder ob die Bedingungen im Universum so waren, dass sich schon sehr früh Sterne haben effizient bilden können. Untersuchungen der SFR in Galaxien mit obigen Indikatoren, sowie den Quellenzählungen solcher sternbildender Galaxien, erlauben eine Bestimmung von ρ∗ . Die Darstellung dieser Ergebnisse (Abb. 9.33) wird
Abb. 9.33. Sternbildungsdichte als Funktion der Rotverschiebung, wobei die verschiedenen Symbole unterschiedliche Indikatoren zur Bestimmung der Sternbildungsrate bezeichnen. Unter dem Namen ,,Madau-Diagramm“ bekannt, zeigt diese Figur die Geschichte der Sternentstehung im Universum. Deutlich ist der Abfall für z < 1 zu erkennen; zu höheren Rotverschiebungen hin scheint ρ∗ praktisch konstant zu bleiben. Die Kurve ist ein empirischer Fit an die Daten
,,Madau-Diagramm“ genannt. Etwa um 1996 konnten Piero Madau und Kollegen erstmals aus den LymanBreak-Galaxien die SFR bei hohen Rotverschiebungen bestimmen, wobei diese ersten Berechnungen die intrinsische Extinktion vernachlässigten. Korrigiert man für diese (hier war die Entwicklung der SubmillimeterAstronomie extrem wichtig, wie wir in Abschn. 9.2.3 gesehen haben), findet man ein beinahe konstantes ρ∗ für z 1, aber einen Abfall um etwa einen Faktor 10 von z ∼ 1 bis heute. Daraus folgt, dass die meisten Sterne in unserer Nachbarschaft sich schon bei hoher Rotverschiebung gebildet haben, die Sternbildung war früher wesentlich aktiver als heute. Obgleich die Rotverschiebungs-integrierte Sternbildungsrate und die aus Galaxiensurveys bestimmte Massendichte von Sternen, wie sie in der Abb. 9.34 gezeigt sind, voneinander leicht abweichen, ist der Grad der Übereinstimmung sehr befriedigend, wenn man bedenkt, welche Annahmen in die Bestimmung beider Größen eingehen (neben der oben diskutierten Unsicherheiten in der Beobachtung der Sternbildungsrate ist speziell die Form der IMF der neugebildeten Sterne für die Bestimmung der Massendichte in Sternen zu erwähnen). In der Tat besagt die Abb. 9.34, dass wir praktisch die Bildung der gesamten heute vorhandenen Sterndichte bereits beobachtet haben.
9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung 387
Abb. 9.34. Die Entwicklung der Massendichte in Sternen, wie sie aus verschiedenen Galaxiensurveys ermittelt worden ist, während die durchgezogene Kurve die integrierte Sternbildungsrate aus der Abb. 9.33 angibt
Man kann ein einfaches Argument dafür erhalten, dass ein bedeutender Teil der kosmischen Sternentstehung in Quellen stattfindet, die unserem optischen Blick verborgen sind. Aus der Abb. 9.25 entnimmt man, dass die Stärke des FIR-Hintergrunds von der gleichen Größenordnung ist wie die des optischen/UV-Hintergrunds. Letztere stammt von Sternentstehungsgebieten, aus denen heraus energetische optische/UV-Photonen entkommen können und die man als Starbursts beobachten kann, während der CIB aus den staubhaltigen Regionen der sub-mm-Quellen stammt. In der Tat scheint sich mehr als die Hälfte der kosmischen Sternentstehung in solchen Staubgebieten zu verbergen.
9.6
Galaxienentstehung und Entwicklung
Die weiter oben dargestellten Beobachtungen von Galaxien bei hohen Rotverschiebungen sollten auf den ersten Blick vermuten lassen, dass wir die Entstehung und Entwicklung von Galaxien inzwischen sehr gut verstanden haben, da wir Galaxien bis hin zu z ∼ 6 studieren können. Dies ist aber nur bedingt der Fall, denn während wir bei beinahe jeder Rotverschiebung eine große Anzahl von Galaxien gefunden haben, ist die Beziehung zwischen den Galaxien unterschiedlicher Rotverschiebung nicht einfach zu verstehen. Dies liegt vor allem daran, dass unterschiedliche Selektionskriterien benutzt werden müssen.
Dieser Aspekt soll an einem Beispiel erläutert werden. Man findet aktiv sternbildende Galaxien mit z 2.5 sehr effizient mit dem Lyman-Break-Kriterium, allerdings nur solche, die wenig Staubrötung erleiden. Aktiv sternbildende Galaxien bei z ∼ 1 werden als EROs entdeckt, wenn sie durch Staub nur genügend gerötet sind. Die Beziehung zwischen diesen beiden Galaxienpopulationen hängt natürlich davon ab, wie groß der Anteil von Galaxien ist, deren Sternentstehung von einer dichten Staubregion umgeben ist. Um dies herauszufinden, müsste man Lyman-BreakGalaxien bei z ∼ 1 oder EROs bei z ∼ 3 finden. Beides ist zurzeit aber fast unmöglich, bei Ersteren, weil der Lyman-Break sich dann im UV-Bereich des Spektrums befindet und wir kein genügend empfindliches UVObservatorium zur Verfügung haben, bei Letzteren, weil die dem R-Band entsprechende Ruhewellenlänge so klein ist, dass praktisch keine optische Strahlung von diesen Galaxien sichtbar und daher Spektroskopie dieser Objekte unmöglich wäre. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass Galaxien mit 1.3 z 2.5 nur schwer zu entdecken sind, weil dann im optischen Bereich des Spektrum fast keine spektroskopischen Indikatoren mehr zu sehen sind – sowohl der 4000 ÅBreak als auch die λ = 3727 Å-Linie von [OII] sind dann ins NIR rotverschoben, genauso wie die BalmerLinien des Wasserstoffs. Man nennt deshalb diesen Bereich der Rotverschiebung den ,,redshift desert“. Es ist daher schwer zu verfolgen, wie sich die einzelnen Populationen bei den verschiedenen Rotverschiebungen zueinander entwickeln. Stellen etwa die LBGs bei z ∼ 3 ein frühes Stadium der heutigen Ellipsen (und der passiven EROs bei z ∼ 1) dar, oder handelt es sich um Frühstadien von Spiralgalaxien? Die gerade genannten Schwierigkeiten begründen, warum ein Verständnis der Entwicklung der Galaxienpopulation nur im Rahmen von Modellen möglich ist, innerhalb derer die verschiedenen Beobachtungstatsachen interpretiert werden müssen. Einige Aspekte davon werden in diesem Abschnitt diskutiert. 9.6.1
Erwartungen aus der Strukturbildung
Kosmologische N-Teilchen-Simulationen sagen die Entwicklung der Verteilung der Dunklen Materie als Funktion der Rotverschiebung voraus, insbesondere das Entstehen von Halos und ihre Verschmelzungsprozesse.
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 388
Zu Beginn der Entwicklung folgt das Gas der Dunklen Materie. Sobald das Gas aber dicht genug wird, spielen physikalische Effekte wie Heizung durch Dissipation, Reibung und Kühlung eine wichtige Rolle. Da die Dunkle Materie diesen Prozessen nicht unterliegt, werden das Verhalten und die räumliche Verteilung beider Komponenten unterschiedlich. In einem CDM-Modell bilden sich Halos kleiner Masse zuerst; erst später können sich massereichere Halos bilden. Dieses ,,bottom-up“-Szenario der Strukturbildung folgt aus der Form des Leistungsspektrums der Dichtefluktuationen, welches wiederum durch die Art der Dunklen Materie – nämlich Kalter Dunkler Materie – bestimmt wird. Die Bildung von Halos immer größerer Masse erfolgt durch Verschmelzungsprozesse (merging) von Halos kleinerer Masse. Solche Verschmelzungsprozesse sind direkt beobachtbar; die Antennen (siehe Abb. 9.15) sind nur ein besonders prominentes Beispiel. Merging sollte besonders häufig in Gebieten vorkommen, in denen die Galaxiendichte groß ist, also etwa in Galaxienhaufen. Wie die Abb. 6.44 exemplarisch zeigt, findet man in Galaxienhaufen hoher Rotverschiebung eine große Anzahl von solchen Verschmelzungsprozessen. Falls das Gas in einem Halo effizient kühlen kann, können Sterne gebildet werden, wie wir bereits im Rahmen der Reionisation diskutiert haben. Da die Kühlung ein Zwei-Körper-Prozess ist, d. h. die Kühlrate pro Volumenelement ∝ ρ2 ist, kann nur dichtes Gas effizient kühlen. Zunächst erwartet man, dass das Gas, welches wie der Halo Dunkler Materie einen endlichen Drehimpuls besitzt, sich aufgrund dessen und durch seine Dissipation in einer Scheibe ansammelt. Das Gas in der Scheibe erreicht dann Dichten, bei denen die Sternentstehung effizient stattfinden kann. Auf diese Weise kann man die Entstehung von Scheibengalaxien, also den Spiralen, qualitativ verstehen. 9.6.2 Die Bildung von Ellipsen Während man die Bildung von Scheibengalaxien auf relativ natürliche Art qualitativ verstehen kann, ist die Frage nach der Entstehung von Ellipsen deutlich schwieriger zu beantworten. Da die Sterne in Ellipsen eine sehr große Geschwindigkeitsdispersion aufweisen, kann das Gas, aus denen sie sich gebildet haben, nicht erst durch Dissipation in einer Scheibe
kinematisch kalt geworden sein. Andererseits ist es schwierig zu verstehen, wie die Sternentstehung ohne diese durch Dissipation hervorgerufene Verdichtung des Gases ablaufen kann. Wir haben in Abschn. 3.4.3 gesehen, dass die Eigenschaften der Ellipsen sehr gut durch die Fundamentalebene beschrieben werden. Weiterhin findet man, dass die Entwicklung der Fundamentalebene mit der Rotverschiebung praktisch vollständig durch passive Entwicklung der Sternpopulation zu erklären ist. In gleicher Weise haben wir in Abschn. 6.6 festgestellt, dass die Ellipsen eines Haufens einer sehr gut definierten Farben-Helligkeits-Relation (der Red Cluster Sequence) folgen, was auf ein ähnliches Alter der Sternpopulation in den Ellipsen hinweist. Ein Vergleich der Farben der Sternpopulation von Ellipsen mit Modellen der Populationssynthese lässt auf ein sehr hohes Alter der Sterne in Ellipsen schließen, wie in Abb. 3.48 dargestellt ist. Ein einfaches Modell kann diese Beobachtungstatsachen zusammenfassend beschreiben, nämlich das des monolithischen Kollaps. In dieser Beschreibung wird das Gas eines Halos beinahe instantan in Sterne verwandelt, dabei das Gas aufgebraucht, so dass später keine weiteren Generationen von Sternen entstehen können. Damit Ellipsen gleicher Rotverschiebung alle die fast gleiche Farbe besitzen, muss diese Bildung bei relativ hoher Rotverschiebung stattgefunden haben, z 2, so dass die Ellipsen alle gleich alt sind. Dieses Szenario setzt also voraus, dass die Bildung der Sterne schnell genug geschieht, bevor sich das Gas in einer Scheibe hat ansammeln können, wobei allerdings der Prozess der Sternentstehung in diesem Bild nicht erklärt wird. Vielmehr erwartet man aus dem hierarchischen Modell der Strukturentstehung, dass massereiche Galaxien sich aus kleineren Einheiten durch Merging bilden. Wir betrachten dazu, was beim Verschmelzen zweier Halos bzw. zweier Galaxien wohl geschehen mag. Offensichtlich hängt der Ausgang eines Mergers von mehreren Parametern ab, wie etwa der relativen Geschwindigkeit, dem Stoßparameter, dem Drehimpuls und insbesondere dem Massenverhältnis der beiden verschmelzenden Halos. Wenn eine kleine Galaxie mit einer massereichen verschmelzt, so erwartet man, dass sich die Eigenschaften der dominanten Galaxie nur wenig ändern: Der Dunkle Halo erhält etwas mehr Masse durch den Begleiter, dessen Sterne sich zu der Sternpopulation
9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung 389
der massereichen Galaxie einfach addieren. Ein solcher ,,minor merger“ findet zurzeit in der Milchstraße statt, wo die Sagittarius-Zwerggalaxie vom Gezeitenfeld der Galaxis zerrissen wird und deren Sterne als zusätzliche Population der Milchstraße hinzukommen. Diese Population hat ihrerseits eine relativ kleine Geschwindigkeitsdispersion und bildet einen ,,kalten“ Strom von Sternen, der durch seine kinematischen Eigenschaften als solcher auch entdeckt werden kann. Die großskalige Struktur der Galaxis wird durch einen solchen ,,minor merger“ wenig beeinflusst. Dies ist allerdings anders bei einem Verschmelzungsprozess, bei dem die Massen beider Partner vergleichbar sind. Bei einem solchen ,,major merger“ werden sich die Galaxien völlig verändern. Die Scheibe wird zerstört, d. h. die Scheibenpopulation erhält eine große Geschwindigkeitsdispersion und kann zu einer sphäroidalen Komponente werden. Weiterhin werden die Gasorbits gestört, was zu extremer Sternentstehung (starbursts) führen kann (wie z. B. in den AntennenGalaxien). Durch die Störung der Gasorbits kann das SMBH in den Zentren der Galaxien gefüttert werden und somit die AGN-Aktivität in Gang gesetzt werden, wie wir das vermutlich bei der in Abb. 9.35 dargestellten Galaxie Centaurus A sehen. Aufgrund der Heftigkeit der Wechselwirkung wird ein Teil der Materie aus den Galaxien herausgeschleudert, und diese Sterne und entsprechendes Gas sind als Gezeitenarme in optischen Aufnahmen bzw. durch die 21-cm-Emission des neutralen Wasserstoffs beobachtbar. Aus diesen Überlegungen, die auch durch numerische Simulationen bestätigt werden, erwartet man, dass aus einem solchen ,,major merger“ eine Elliptische Galaxie entstehen kann. Durch die Heftigkeit der Wechselwirkung wird das Gas entweder herausgeschleudert oder aber so stark aufgeheizt, dass weitere Sternentstehung behindert wird. Dieses Szenario für die Entstehung von Ellipsen wird aus den Modellen der Strukturbildung erwartet. Es hat eine ganze Reihe von Erfolgen zu verbuchen. Beispielsweise liefert es die natürliche Erklärung für den Butcher–Oemler-Effekt (siehe Abschn. 6.6), der besagt, dass Galaxienhaufen größerer Rotverschiebung einen größeren Anteil an blauen Galaxien enthalten. Durch die in Haufen wegen der hohen Galaxiendichte besonders häufigen Mergers werden solche blauen Galaxien zunehmend in Frühtyp-Galaxien verwandelt. Allerdings
Abb. 9.35. Die Galaxie Centaurus A: Die optische Aufnahme ist in Graustufen dargestellt, die Konturen zeigen die Radiostrahlung, und in Rot wird die Infrarot-Aufnahme mit dem ISO-Satelliten dargestellt. Die ISO-Karte zeigt die Staubverteilung, die anscheinend einer Balkenspirale entspricht; es scheint also, als beherberge diese Elliptische Galaxie eine Spirale, die vom Gravitationsfeld der Ellipse stabilisiert wird. Vermutlich wurde diese Galaxie in einem Merger gebildet; dieser kann auch für die AGN-Aktivität verantwortlich sein
können Galaxien in Haufen ihr Gas auch dadurch verlieren, dass sie sich durch das heiße intergalaktische Medium bewegen und das Gas durch den Staudruck weggerissen wird. Die Tatsache, dass der Anteil von Ellipsen in Haufen einigermaßen konstant bleibt als Funktion der Rotverschiebung, aber die Häufigkeit von S0-Galaxien mit abnehmendem z zunimmt, deutet auf die Wichtigkeit des letztgenannten Prozesses als Erklärung des Butcher–Oemler-Effekts hin. In diesem Fall wird das Gas der Scheibe weggerissen, es findet keine Sternentstehung mehr statt, und die Spiralgalaxie hat sich in eine Scheibengalaxie ohne aktuelle Sternentstehung verwandelt – also in eine Galaxie, die die wesentlichen Züge von S0-Galaxien zeigt (siehe Abb. 9.36). Andererseits haben wir in Abschn. 3.2.5 gesehen, dass viele Ellipsen Anzeichen komplexer Entwicklung zeigen, die als Überbleibsel solcher Mergers gedeutet werden können. Es ist daher denkbar, dass die Bildung von Ellipsen in Galaxiengruppen stattfin-
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 390
Abb. 9.36. NGC 4650A, eine Polar-Ring-Galaxie, aufgenommen mit dem HST. Solche Galaxien besitzen neben ihrer Scheibe einen Ring von leuchtendem Material, der von den Polachsen der Scheibe geschnitten wird. Die wahrscheinlichste Erklärung für die Entstehung solcher besonderen Galaxien ist eine in der Vergangenheit stattgefundene gewaltige Kollision zweier Galaxien; die Scheibe könnte die ursprüngliche Scheibe der massiveren der beiden Stoßpartner sein, während die weniger massive Galaxie zerrissen und deren Material auf einen Polarorbit um die massivere Galaxie gezwungen wurde, wo sich dann neue Sterne gebildet haben, die hier als bläuliche Knoten heller Emission sichtbar sind. Da der polare Ring sich weit im Halo der anderen Galaxie befindet, kann man dessen Materieverteilung durch die Kinematik des Rings zu großen Radien hin vermessen
det durch heftige Verschmelzungsprozesse, und diese dann durch das Merging von Gruppen zu Haufen der Haufenpopulation zugefügt werden. Allerdings hat dieses Modell auch seine Probleme. Eines davon besteht in der Tatsache, dass Verschmelzungsprozesse von Galaxien auch noch bei kleinen Rotverschiebungen stattfinden. Die dabei geborenen Ellipsen wären also relativ jung, was nur schwer in Einklang zu bringen ist mit der oben getroffenen Feststellung eines hohen Alters von Ellipsen. Allerdings findet man Ellipsen ja vorzugsweise in Galaxienhaufen, und deren Mitglieder sind bereits gasarme Galaxien. Beim Verschmelzen solcher Galaxien bildet sich zwar als Endprodukt eine Ellipse, aber ein mit dem Verschmelzen verbundener Starburst kann mangels Gas nicht stattfinden. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass das ,,Alter von Ellipsen“ sich auf das der stellaren Population bezieht – die Sterne in Ellipsen sind alt, nicht notwendigerweise die Galaxien selbst. Die Leuchtkraftfunktion von roten Galaxien bis z ∼ 1 ist nicht sehr verschieden von ihrer lokalen Leuchtkraftfunktion, während sich die von blauen Galaxien sehr stark entwickelt. Daraus schließt man, dass die
Bildung von Ellipsen bereits sehr früh abgeschlossen worden ist. Wie auch bereits das Madau-Diagramm (Abb. 9.33) zeigt, findet der größte Teil der Sternentstehung bei hohen Rotverschiebungen statt, während das lokale Universum vergleichsweise ruhig ist. In einem Universum mit kleiner Dichte besagt auch die Zeitentwicklung des Wachstumsfaktors D+ (z), dass die kosmische Entwicklung sich nach z ∼ 1 deutlich verlangsamt hat, die meisten Mergers also bei höherer Rotverschiebung stattfinden. In der Tat steigt der Anteil von irregulären und pekuliaren Galaxien mit schwächer werdender Magnitude und daher im Mittel größerer Rotverschiebung an. Tatsächlich scheint die Entwicklung von massereichen Ellipsen sogar noch früher als z ∼ 1 vonstatten gegangen zu sein. Die in Abb. 6.43 gezeigte Radiogalaxie war bis vor Kurzem die am weitesten entfernte bekannte Elliptische Galaxie, mit einer Rotverschiebung von z = 1.55. Nun wurden in dem K20-Survey (siehe Abschn. 9.2.2) vier EROs mit Rotverschiebung 1.6 ≤ z ≤ 1.9 entdeckt. Die spektroskopische Verifikation dieser Objekte ist äußerst schwierig, weil sie zum einen im optischen Spektralbereich sehr lichtschwach sind (R 24), zum anderen weil bei diesen Rotverschiebungen keine klaren spektralen Signaturen im Optischen vorhanden sind. Die Rotverschiebung wurde bestimmt durch eine Korrelation der Spektren mit dem Spektrum der bereits erwähnten Galaxie LBDS 53W091 (Abb. 6.43). Die Spektren dieser Galaxien lassen sich im Rahmen der Populationssynthese (Abschn. 3.9) mit einer etwa ein bis zwei Gyr alten stellaren Population erklären und ähneln den Spektren der EROs bei z ∼ 1, wobei das genaue Alter der Population von der angenommenen Metallizität abhängt. Aus HST-Bildern dieser Objekte ergibt sich ein starker Hinweis darauf, dass es sich auch morphologisch um Frühtyp-Galaxien handelt. Die aus der NIR-Helligkeit abgeleitete Sternmasse in diesen Galaxien ist M∗ 1011 M , sie sind also vergleichbar mit Elliptischen Galaxien im heutigen Universum. Obwohl es sich um eine kleine Anzahl von Objekten handelt, kann man daraus die Dichte von massereichen Frühtyp-Galaxien bei diesen hohen Rotverschiebungen abschätzen, die sich als vergleichbar mit der Dichte von massereichen sternbildenden Galaxien bei ähnlicher Rotverschiebung herausstellt. Dies bedeutet, dass im Universum bei z ∼ 2 nicht nur ein großer Teil
9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung 391
der heute sichtbaren Sterne erzeugt wurde (Abb. 9.34), sondern ein etwa gleich großer Teil der Sterne war bereits damals als alte Sternpopulation vorhanden. Die kosmische Massendichte der Sterne in diesen FrühtypGalaxien beträgt etwa 10% der heutigen Dichte in Systemen mit Sternmassen oberhalb von ∼ 1011 M . Das frühe Erscheinen von massereichen Ellipsen bei solch hoher Rotverschiebung mit der beobachteten Anzahldichte ist nur schwer mit hierarchischen Modellen der Galaxienentwicklung zu erklären, denen wir uns als Nächstes zuwenden. 9.6.3 Semi-analytische Modelle Man kann versuchen, die obigen qualitativen Betrachtungen in größerem Detail auch quantitativ zu verstehen. Dies kann nicht mittels einer kosmologischen hydrodynamischen Simulation geschehen: Die physikalischen Prozesse, die die Entstehung von Sternen in Galaxien bestimmen, finden auf sehr kleinen Längenskalen statt, während die Entwicklung von Strukturen, die z. B. die Merging-Rate bestimmt, auf kosmologischen Skalen stattfindet. Es ist daher unmöglich, beide Skalen in einer Simulation gemeinsam zu behandeln. Weiterhin sind die physikalischen Gesetze, die das Verhalten des Gases bestimmen (hydrodynamische Prozesse wie Stoßfronten und Reibung; Strahlungsprozesse) zu kompliziert, um sie in detaillierten Simulationen zu modellieren, außer in solchen, die eine einzelne Galaxie betrachten. Hinzu kommt, dass viele der Prozesse noch nicht genügend gut verstanden sind, um sie von physikalischen Grundgleichungen her berechnen zu können, wobei die Sternentstehung nur ein Beispiel ist, wenn auch vielleicht das wichtigste. Um Fortschritte zu erzielen, kann man unser Unwissen über Einzelheiten geeignet und plausibel parametrisieren, so dass die wesentlichen Aspekte dadurch beschrieben werden können. Solche semi-analytischen Modelle der Galaxienentwicklung haben in den letzten Jahren sehr zum Verständnis und zur Interpretation von Beobachtungen beigetragen. Wir werden einige der Eigenschaften solcher Modelle hier diskutieren. Merger-Bäume. Im CDM-Modell bilden sich massereiche Halos durch das Verschmelzen von Halos kleinerer Masse. Eine Erweiterung der Press– Schechter-Theorie (siehe Abschn. 7.5.2) erlaubt es, die
Abb. 9.37. Ein typischer Merger-Baum, wie er in dem hierarchischen CDM-Modell der Strukturbildung erwartet wird. Die Zeitachse läuft von oben nach unten. Ein massereicher Halo zum heutigen Zeitpunkt t0 hat sich durch das Verschmelzen von vielen Halos kleinerer Masse gebildet, wie das hier angedeutet ist. Als Zeitpunkt der Bildung dieses Halos definiert man die Zeit tf , bei der einer der Subhalos die Hälfte der heutigen Masse des eigentlichen Halos angenommen hat
statistischen Eigenschaften dieser Verschmelzungsgeschichte von Halos zu berechnen. Mit ihrer Hilfe ist es daher möglich, für einen Halo der heutigen Masse M ein statistisches Ensemble von solchen Verschmelzungsgeschichten zu erzeugen. Jeder einzelne Halo wird dabei durch einen Merger-Baum (merger tree; siehe Abb. 9.37) dargestellt. Alternativ dazu kann man solche Merger-Bäume auch aus numerischen Simulationen der Strukturentstehung extrahieren. Die statistischen Eigenschaften der Halos der Masse M bei einer Rotverschiebung z erhält man durch die Betrachtung des Ensembles der Merger-Bäume. Jeder einzelne MergerBaum gibt dann die Verschmelzungsprozesse an, die zur Bildung des jeweiligen Halos geführt haben. Kühlprozesse und Sternentstehung. In einem Halo, der zu einem gegebenen Zeitpunkt keinen Verschmelzungsprozess durchläuft, kann Gas kühlen, wobei sich die Kühlrate aus der chemischen Zusammensetzung des Gases und seiner Dichte ergibt. Neben atomarer Strahlung ist auch die Bremsstrahlung (Frei-frei-Strahlung)
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 392
dabei relevant, insbesondere für höhere Temperaturen. Ist die Dichte groß genug und die Kühlung effizient, kann sich Gas in Sterne verwandeln. Die Sternbildung wird parametrisiert durch einen Proportionalitätsfaktor zwischen der Sternentstehungsrate und der Rate, mit der das Gas kühlt. Die sich bildenden Sterne werden einer ,,Scheibenkomponente“ zugerechnet. Rückkopplung (Feedback). Kurz nach der Bildung von Sternen werden die massereicheren von ihnen als Supernova explodieren. Dadurch wird das Gas wieder geheizt, da die Strahlung der SN-Explosion und insbesondere die kinetische Energie auf das Gas übertragen werden. Dabei wird die Menge des Gases, welches effizient kühlen kann, verringert, umso mehr, je größer die Sternentstehungsrate ist. Es kommt daher zu einer Selbstregulierung der Sternentstehung, die verhindert, dass sämtliches Gas in einem Halo sich in Sterne verwandelt. Diese Art der Selbstregulierung durch den Feedback der Supernovae (und in gewissem Umfang auch der Winde der massereichsten Sterne) sorgt beispielsweise dafür, dass in unserer Milchstraße die Sternentstehung moderat ist, anstatt dass sich das gesamte Gas in der Scheibe an der Sternentstehung beteiligt. Unterdrückung von Galaxien kleiner Masse. Neben der Heizung durch den oben beschriebenen FeedbackProzess kann das Gas in einem Halo auch von der intergalaktischen UV-Strahlung geheizt werden, die aus den AGNs stammt und die für die Aufrechterhaltung der hohen Ionisation des intergalaktischen Mediums verantwortlich ist (siehe Abschn. 8.5). Diese Strahlung hat zwei Auswirkungen auf das Gas: Zum einen wird das Gas durch die stattfindende Photoionisation geheizt, zum anderen wird dadurch der Ionisationsgrad des Gases in Halos erhöht. Beide Effekte wirken in die gleiche Richtung, denn beide erschweren die effiziente Kühlung des Gases und damit die Sternentstehung. Für Halos großer Masse ist die intergalaktische UV-Strahlung von geringer Bedeutung, weil die entsprechende Heizrate deutlich kleiner ist als die durch Dissipation des Gases hervorgerufene. Aber bei Halos kleiner Masse ist dieser Effekt wichtig. Die Heizung des Gases kann dann groß genug sein, dass der entstehende Druck den Einfall des Gases in das Gravitationspotential des Dunklen Halos verhindert. Aus diesem Grunde erwartet man,
dass Halos kleiner Masse einen geringeren Baryonenanteil haben, als es der kosmischen Mischung von f b = Ωb /Ωm entspricht. Der jeweilige Wert des Baryonenanteils hängt von den Details der Mergergeschichte eines Halos ab. Quantitative Untersuchungen ergeben eine mittlere Baryonenmasse von fb M M¯ b = 3 , 1 + (21/3 − 1)MC /M
(9.7)
wobei MC ∼ 109 M eine charakteristische Masse ist, unterhalb derer der Baryonenanteil in Halos unterdrückt ist. Für Halomassen MC entspricht der Baryonenanteil dem kosmischen Mittel. Der geringere Baryonenanteil von Halos kleiner Masse wird auch erwartet wegen der unterschiedlichen Form des Massenspektrums von Halos, wie es durch das Press–Schechter-Modell beschrieben wird, und der Form der Leuchtkraftfunktion von Galaxien. Erstere verhält sich für Massen unterhalb von M ∗ etwa wie ∝ M −2 , während die Leuchtkraftfunktion etwa wie ∝ L −1 verläuft. Diese unterschiedliche funktionale Form ist mit einem konstanten Masse-zu-LeuchtkraftVerhältnis nicht verträglich. Ein weiterer Prozess der Unterdrückung von Baryonen in Halos kleiner Masse ist der Feedback; die Übertragung der kinetischen Energie von SN-Explosionen auf das Gas kann einen Teil des Gases aus dem Potentialtopf des Halos herausschleudern, und dieser Effekt ist umso effizienter, je kleiner die Bindungsenergie des Gases, d. h. je kleiner die Halomasse ist. Die Unterdrückung der Entstehung von Galaxien kleiner Masse durch die hier erwähnten Effekte ist eine mögliche Erklärung für das in Abschn. 7.5.5 diskutierte Problem der CDM-Substruktur in Galaxienhalos. In diesem Modell wären die CDM-Subhalos zwar vorhanden, hätten aber keine effiziente Sternentstehungsgeschichte durchlaufen können – sie wären daher dunkel. Major Mergers. Im Rahmen der semi-analytischen Modelle entsteht bei einem ,,major merger“, der etwa durch das Massenverhältnis der verschmelzenden Halos (z. B. größer als 1:3) definiert ist, eine sphäroidale Sternpopulation – die Scheibenpopulationen der beiden verschmelzenden Galaxien werden so weit dynamisch geheizt, dass sie zusammen eine Elliptische Galaxie bilden. Das Gas in beiden Komponenten wird auf die
9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung 393
Virialtemperatur des entstehenden Halos geheizt, was die künftige Sternentstehung unterdrückt. Minor Mergers. Sind die Massen der beiden verschmelzenden Komponenten sehr verschieden, so wird das Gas der kleineren Komponente im Wesentlichen auf den massereicheren Halo akkretieren, es kann dann wiederum kühlen und Sterne bilden. Dadurch kann sich eine neue Scheibenpopulation formieren. In diesem Modell ist daher eine Spiralgalaxie dadurch entstanden, dass zu frühen Zeiten sich der Bulge durch einen ,,major merger“ gebildet hat und die Stern- und Gasscheibe durch minor Mergers und Gasakkretion später ausgebildet wurde. Der Bulge einer Spirale ist daher in diesem Bild nichts anderes als eine kleine Ellipse, wie das ja auch durch die sehr ähnlichen Charakteristika von Bulges und Ellipsen nahegelegt wird. Das Verschmelzen der beiden Komponenten findet nicht instantan statt, sondern weil die kleinere Galaxie im Allgemeinen einen endlichen Bahndrehimpuls besitzt, wird sie zunächst in einem Orbit um die massereiche Komponente landen. Ein Beispiel dafür ist etwa die Sagittarius-Zwerggalaxie, aber auch die Magellanschen Wolken werden in ferner Zukunft mit der Milchstraße in dieser Weise verschmelzen. Durch dynamische Reibung verliert die Satellitengalaxie an Bahnenergie, und der Gezeitenanteil des Gravitationsfeldes entreißt ihr Sterne, Gas und Dunkle Materie; der Magellansche Strom (siehe Abb. 6.6) ist vermutlich Folge dieses Prozesses. Erst nach mehreren Orbits – deren Zahl von den Anfangsbedingungen und dem Massenverhältnis abhängt – verschmilzt die Satellitengalaxie mit der großen. Resultate der semi-analytischen Modelle. Die freien Parameter der semi-analytischen Modelle – wie etwa die Sternbildungseffizienz oder der Anteil der Energie von SNe, der auf das Gas übertragen wird – werden durch den Vergleich mit Beobachtungen festgelegt. Obwohl diese Modelle zu einfach sind, um im Detail die Prozesse der Galaxienentwicklung zu verfolgen, sind sie sehr erfolgreich in der Beschreibung der wesentlichen Aspekte der Galaxienpopulation und werden fortlaufend verfeinert. Beispielsweise sagt dieses Modell voraus, dass Galaxien in Haufen im Wesentlichen aus alten Sternpopulationen bestehen, weil dort schon recht früh in der kosmischen Geschichte die Verschmel-
zungsprozesse abgeschlossen wurden und somit später kein Gas für die Sternentstehung mehr zur Verfügung steht. Die Abb. 9.38 zeigt das Ergebnis eines solchen Modells, wobei hier die Mergergeschichte der einzelnen Halos direkt aus der numerischen Simulation entnommen wurde und somit auch die Positionen der einzelnen Galaxien beschrieben werden. Durch den Vergleich der Resultate solcher semianalytischen Modelle mit beobachteten Eigenschaften von Galaxien und ihrer räumlichen Verteilung kann man die Modelle immer weiter verfeinern und somit zu realistischeren Beschreibungen derjenigen Prozesse gelangen, die man in parametrisierter Form in die Modelle einbezieht. Dieser Vergleich ist von zentraler Bedeutung, um Forschritte im Verständnis der komplexen Vorgänge bei der Entwicklung von Galaxien zu erzielen, die man weder durch die Beobachtung im Detail studieren, noch durch grundlegende Simulationen beschreiben kann. Als ein Resultat solcher Modelle ist in der Abb. 9.39 die Korrelationsfunktion von Galaxien dargestellt und mit der beobachteten Korrelationsfunktion aus dem 2dFGRS verglichen. Die Übereinstimmung zwischen dem Modell und den Beobachtungen ist sehr befriedigend; beide zeigen ein beinahe perfektes Potenzgesetz. Insbesondere weicht die Korrelationsfunktion der Galaxien für kleine Abstände deutlich von der Korrelationsfunktion der Dunklen Materie ab, was einen skalenabhängigen Bias-Faktor impliziert. Es stellt sich die Frage, welche Prozesse in der Entwicklung von Galaxien zu einem so perfekten Potenzgesetz führen, also weshalb sich der Bias-Faktor gerade so verhält, um ξg diese einfache Form zu geben. Die Antwort darauf ergibt sich, wenn man getrennt leuchtkräftige und leuchtschwächere Galaxien, oder solche mit und ohne aktueller Sternbildung untersucht – für diese Unterpopulationen von Galaxien ist ξg jeweils kein Potenzgesetz. Aus diesem Grund ist die einfache Form der Korrelationsfunktion, wie sie in der Abb. 9.39 gezeigt ist, vermutlich eher ein Zufall (,,cosmic conspiracy“). Ein weiteres Ergebnis solcher Modelle ist in der Abb. 9.40 gezeigt, die ebenfalls aus der MillenniumSimulation (siehe Abschn. 7.5.3) stammt. Dort ist einer der massereichsten Halos Dunkler Materie in dieser Simulation bei der Rotverschiebung z = 6.2 gezeigt, zusammen mit der Massenverteilung in diesem Raumgebiet bei der Rotverschiebung z = 0. In beiden Fällen
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 394
ist neben der Verteilung der Dunklen Materie auch die aus semi-analytischen Modellen generierte Galaxienverteilung dargestellt. Massereiche Halos, die sich früh in der kosmischen Geschichte bildeten, finden sich heute vorzugsweise in den Zentren sehr massereicher Galaxienhaufen wieder. Wenn man nun annimmt, dass die leuchtkräftigen QSOs bei z ∼ 6 in den massereichsten Halos dieser Epoche beheimatet sind, so folgt daraus, dass diese nun als zentrale Galaxien von Haufen weiterleben. Dies mag eine Erklärung dafür sein, warum so viele zentrale dominante Haufengalaxien AGN-Aktivität zeigen, wenn auch aufgrund kleinerer Akkretionsraten mit geringerer Leuchtkraft. Im Rahmen dieser Modelle werden auch Vorhersagen gemacht über die statistische Entwicklung von SMBHs in Galaxienkernen. Wenn zwei Galaxien verschmelzen, werden nach einiger Zeit auch ihre SMBHs miteinander verschmelzen, wobei die entsprechende Zeitskala zurzeit nur schwer zu berechnen ist. Wegen des anfänglich großen Bahndrehimpulses befinden sich zu Beginn des Mergers die beiden SMBHs auf einem Orbit mit großem Abstand. Durch dynamische Reibung (siehe Abschn. 6.2.6) aufgrund der vorhandenen
Abb. 9.39. Die aus der Millennium-Simulation in Verbindung mit semi-analytischen Modellen der Galaxienentwicklung berechnete Korrelationsfunktion der Galaxien bei z = 0 (Punkte), verglichen mit der beobachteten Korrelationsfunktion aus dem 2dFGRS (Rauten mit Fehlerbalken). Die gestrichelte Kurve zeigt die Korrelationsfunktion der Materie
Abb. 9.38. Links ist die aus einer N-Körper-Simulation resultierende Verteilung der Dunklen Materie dargestellt. Die in ihr identifizierten Halos Dunkler Materie wurden dann als Ort der Galaxienentstehung modelliert – die Entstehung der Halos und ihre Verschmelzungsgeschichte kann ja in den Simulationen verfolgt werden. Mittels semi-analytischer Modelle wurden die für das Gas und die Sternbildung wichtigen Prozesse in den Halos beschrieben, woraus sich
dann ein Modell für die Verteilung der Galaxien ergibt. Im rechten Bild sind solche Modellgalaxien als farbige Punkte dargestellt, wobei die Farbe der Punkte die spektrale Farbe der Galaxien angibt: Blau steht für Galaxien mit aktiver Sternentstehung, Rot für Galaxien, die gegenwärtig keine neuen Sterne mehr bilden; Letztere sind in Galaxienhaufen besonders häufig – in Übereinstimmung mit Beobachtungen
9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung 395
Abb. 9.40. Aus der Millennium-Simulation (siehe Abb. 7.12) ist hier einer der massereichsten Halos bei z = 6.2 in den oberen Bildern dargestellt, sowie die entsprechende Verteilung dieses Raumgebiets bei z = 0 in den unteren Bildern. Dieser frühe massereiche Halo befindet sich also heute im Zentrum eines sehr massereichen Galaxienhaufens. In den linken Abbildungen ist die Massenverteilung dargestellt, wäh-
rend die rechten Figuren die Galaxienverteilung zeigt, wie sie aus einem semi-analytischen Modell berechnet wurden. Galaxien bei z = 6.2 sind alle blau, da deren Sternpopulation jung sein muss, während bei z = 0 die meisten Galaxien eine alte Sternpopulation besitzen, wie das hier durch die rote Farbe gekennzeichnet ist. Es ist jeweils die projizierte Verteilung eines Würfels mit mitbewegter Kantenlänge von 10h −1 Mpc gezeigt
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 396
(Dunklen) Materie verliert das Paar der SMBHs nach der Verschmelzung der Galaxien an Bahnenergie, so dass sich die beiden Schwarzen Löcher einander annähern. Da dieser Prozess relativ lange dauert und eine massereiche Galaxie neben wenigen Major Mergers viele Minor Mergers durchlebt, ist es denkbar, dass in Galaxien viele Schwarze Löcher, die sich ursprünglich im Kern von massearmen Satellitengalaxien befanden, heute noch in relativ großem Abstand vom Zentrum ihre Orbits durchlaufen. In diesem Modell gibt es Phasen in der Entwicklung von Galaxien, in denen sich nahe des Zentrums zwei SMBHs befinden. Es gibt eine Reihe von Hinweisen, dass man solche Galaxien beobachtet, beispielsweise gibt es Galaxien mit zwei Aktiven Kernen. Auch gibt es eine Klasse von Radioquellen, die eine Xförmige Morphologie zeigen (anstatt der üblichen bipolaren Struktur), was durch Paare von SMBHs gedeutet werden kann. Eine weitere Signatur eines Binärsystems von SMBHs wäre eine Periodizität der Emission, die die Bahnperiode widerspiegelt. Bei einigen AGNs wurden periodische Helligkeitsvariationen in der Tat entdeckt, wobei der Blazar OJ 287 mit einer Periode von 11.86 Jahren das bekannteste Beispiel darstellt. Der Massenzuwachs von SMBHs im Laufe der kosmischen Geschichte hat dann zwei verschiedene Ursachen, zum einen die Verschmelzung mit anderen masseärmeren SMBHs als Folge von Mergers, zum anderen die Akkretion von Gas, die zur Aktivität der SMBHs führt. Hierarchische Modelle der Galaxienentwicklung mit ihren zentralen SMBHs können sowohl unter bestimmten Annahmen die Korrelation (siehe Abschn. 3.5.3) zwischen der Masse des SMBHs und den Eigenschaften der sphäroidalen stellaren Komponente reproduzieren als auch die integrierte AGN-Leuchtkraft und die rotverschiebungsabhängige Leuchtkraftfunktion der AGNs erfolgreich modellieren. Beim Verschmelzen zweier SMBHs findet in der Endphase eine intensive Emission von Gravitationswellen statt. Das Weltraumprojekt LISA, welches voraussichtlich im Jahre 2013 gestartet wird, ist in der Lage, praktisch im gesamten sichtbaren Universum die Gravitationswellenstrahlung von solchen Verschmelzungsprozessen zu beobachten. Es wird daher dann möglich sein, die Mergergeschichte von Galaxien direkt zu verfolgen.
9.7
Gamma-Ray Bursts
Im Jahre 1968 entdeckten Spionagesatelliten zur Überwachung von Atomtest-Abkommen γ -Blitze, wie man sie von nuklearen Explosionen erwartet. Allerdings stellten diese Satelliten fest, dass diese Blitze nicht von der Erde kamen, sondern von der entgegengesetzten Richtung – diese γ -Blitze waren also ein kosmisches Phänomen. Da es sich um geheime Satelliten handelte, wurden diese Ergebnisse nicht sofort, sondern erst 1973 veröffentlicht. Diese Quellen erhielten den Namen Gamma-Ray Bursts (GRB). Die Blitze haben sehr unterschiedliche Dauer, von einigen Millisekunden bis zu ∼ 100 s, und unterscheiden sich stark in ihrer jeweiligen Lichtkurve (siehe Abb. 9.41). Sie werden im Energiebereich von ∼ 100 keV bis zu mehreren MeV und teilweise noch höheren Energien beobachtet. Die Natur der GRBs war zunächst völlig unklar, denn die Positionsbestimmung durch die Satelliten war viel zu ungenau, als dass man sie mit einer optischen Quelle hätte identifizieren können. Die Winkelauflösung dieser γ -Detektoren betrug viele Grad (teilweise 2π Raumwinkel). Eine genauere Position wurde aus der Ankunftszeit der Bursts bei verschiedenen Satelliten bestimmt, aber die Fehlerbox war immer noch viel zu groß, um die Quelle in anderen Spektralbereichen zu suchen. Das lange Zeit favorisierte Modell beinhaltete Akkretionsphänomene auf Neutronensternen. Falls deren Entfernung D ∼ 100 pc beträgt, dann wäre die entsprechende Leuchtkraft etwa L ∼ 1038 erg/s, also etwa die Eddington-Leuchtkraft eines Neutronensterns. Weiterhin gab es Anzeichen für Absorptionslinien in GRBs bei etwa 40 keV und 80 keV, die als Zyklotron-Absorption gedeutet wurde und die dann einem Magnetfeld von ∼ 1012 Gauss entsprechen würde – wiederum ein charakteristischer Wert für das Magnetfeld von Neutronensternen. Ein wesentlicher Durchbruch gelang mit dem BATSE-Experiment auf dem Compton Gamma Ray Observatory, mit dem über acht Jahre lang GRBs entdeckt wurden, mit einer Rate von etwa einem pro Tag. Aus der Statistik dieser GRBs ergab sich, dass GRBs isotrop am Himmel verteilt sind (siehe Abb. 9.42), und dass die Flussverteilung N(> F) vom F −1.5 -Gesetz bei kleinen Flüssen deutlich abweicht. Diese beiden Re-
9.7 Gamma-Ray Bursts 397
Abb. 9.41. Gamma-Lichtkurven von einigen Gamma-Ray Bursts; man beachte die verschiedenen Zeitskalen. Es scheint, als seien all diese Lichtkurven sehr unterschiedlich
sultate bedeuteten das Ende der Modelle, die GRBs mit Neutronensternen in unserer Milchstraße in Verbindung brachten, wie aus folgendem Argument ersichtlich ist: Neutronensterne sind zur Scheibe der Galaxis hin konzentriert, und deshalb sollte die Verteilung der GRBs
eine deutliche Anisotropie besitzen – es sei denn, die typische Entfernung der Quellen wäre sehr klein ( 100 pc). Dann wäre die Verteilung möglicherweise isotrop, aber die Flussverteilung müsste notwendigerweise dem Gesetz N(> F) ∝ F −3/2 folgen, wie man
9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung 398
es für eine homogene Quellenverteilung erwartet und wie wir in Abschn. 4.1.2 diskutiert haben. Da dies nicht der Fall ist, wird eine andere Verteilung der Quellen benötigt, und somit auch eine andere Art von Quellen. Die einzige Möglichkeit, eine isotrope Verteilung zu erhalten, sind Quellen bei Entfernungen, die deutlich größer sind als die Entfernung zum Virgo-Haufen, denn sonst würde man in dieser Richtung eine Überdichte sehen, also D 20 Mpc. Darüber hinaus besagt die Abweichung vom N(> F) ∝ F −3/2 -Gesetz, dass wir bis ,,zum Rand“ der Verteilung schauen, also sollte die typische Entfernung von GRBs einer relativ hohen Rotverschiebung entsprechen. Dies impliziert, dass die gesamte Energie der Bursts E ∼ 1051 bis zu 1054 erg sein muss. Diese Energie entspricht der Ruhemasse Mc2 eines Sternes! Der größte Teil dieser Energie wird innerhalb von ∼ 1 s abgestrahlt, und in dieser Zeitspanne sind GRBs leuchtkräftiger als alle anderen γ -Quellen im Universum zusammengenommen! Mit dem Röntgensatelliten Beppo-SAX ist im Februar 1997 die Identifikation eines GRB in einem anderen Wellenlängenbereich geglückt. Innerhalb weniger Stunden nach dem Burst beobachtete Beppo-SAX das Feld der GRB-Fehlerbox und entdeckte eine transiente Quelle, wodurch die Positionsungenauigkeit auf wenige Bogenminuten reduziert werden konnte. Eine optische Beobachtung dieses Feldes fand dann ebenfalls eine transiente Quelle, so dass die Position dieses GRB nun sehr genau bestimmt war. Die Strahlung eines GRB, nachdem der eigentliche Burst abgeschlossen ist, nennt man Afterglow (Nachleuchten). Inzwischen sind viele solcher GRB-Afterglows entdeckt worden. Die optische Identifikation erlaubt die Spektroskopie dieser Quellen und daher die Bestimmung der Rotverschiebung. GRB treten in Galaxien mit großer Rotverschiebung auf, typischerweise z ∼ 1 oder größer. In einem Fall wurde ein optischer Burst entdeckt mit der phantastischen Helligkeit von V ∼ 9 mag etwa 30 Sekunden nach dem GRB, und das bei der Rotverschiebung z = 1.6! Diese Quelle war also für eine kurze Zeit scheinbar leuchtkräftiger als jeder Quasar im Universum. Daher sind GRBs auch im Optischen sehr hell während oder kurz nach dem Ausbruch bei sehr hohen Energien. Nun kannte man zwar die Entfernung der Quellen und daher deren Leuchtkraft; erstaunlicherweise
Abb. 9.42. Die Verteilung der Gamma-Ray Bursts an der Sphäre, die von BATSE, einem Instrument an Bord des CGRO-Satelliten, innerhalb der etwa neunjährigen Mission aufgenommen worden sind; insgesamt sind hier 2704 GRBs dargestellt. Die Farbe der Symbole spiegelt die beobachtete Stärke (Fluence, oder Energie pro Fläche) der Bursts wider. Man erkennt, dass die Verteilung in hohem Maße isotrop am Himmel ist
war aber auch dadurch die Natur der GRB immer noch nicht geklärt. Ein Modell der GRBs beschreibt ihr Emissionsverhalten, inklusive der Afterglows, recht genau. In diesem Feuerball-Modell entsteht die Strahlung in einem relativistischen Ausfluss mit einem Lorenz-Faktor γ ≥ 100 von Elektron-Positron-Paaren. Wie aber dieser Feuerball zustande kommt, was also die physikalische Ursache des GRB ist, darüber gibt es verschiedene Hypothesen. Eine davon besagt, dass ein GRB durch Verschmelzung zweier Neutronensterne oder eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch zustande kommt. Die Emission ist dann vermutlich hochgradig anisotrop, daher kann die Abschätzung der Leuchtkraft aus dem beobachteten Fluss fehlerhaft sein. Die Entdeckung der Koinzidenz zweier GRBs mit Supernova-Explosionen legt alternativ nahe, dass es sich bei GRBs um besonders energetische Sternexplosionen handelt, sog. Hypernovae. Sicherlich werden in den nächsten Jahren ein Großteil der Geheimnisse der GRBs aufgedeckt werden. Dazu wurde im November 2004 der Satellit SWIFT gestartet, der auf die Entdeckung und Identifikation von GRBs spezialisiert ist. Dieser Satellit trägt drei Instrumente: ein Weitwinkel-Gamma-Teleskop, das die GRBs entdeckt, ein Röntgenteleskop sowie ein UV-optisches
9.7 Gamma-Ray Bursts 399
Teleskop. Innerhalb weniger Sekunden nach der Entdeckung eines GRB richtet sich der Satellit auf den Burst aus, so dass er mit den beiden letztgenannten Teleskopen beobachtet werden kann und somit seine genaue Position fixiert wird. Diese Information wird dann sofort
zu Boden gefunkt, wo andere Teleskope den Afterglow verfolgen können. Man erwartet, mit SWIFT etwa 100 GRBs pro Jahr zu entdecken und somit eine deutlich verbesserte Statistik ihrer Afterglow-Lichtkurven und ihrer Rotverschiebungen zu erhalten.
401
10. Ausblicke Wir beenden dieses Buch mit einem Ausblick auf die nächsten Jahre der extragalaktischen Astronomie und Kosmologie, so wie sie sich im Jahre 2005 darstellt. Die (extragalaktische) Astronomie verdankt ihre Fortschritte den ständig verbesserten instrumentellen Möglichkeiten und der Verfeinerung unseres theoretischen Verständnisses astrophysikalischer Prozesse. Es ist ohne Schwierigkeiten vorauszusehen, dass sich die instrumentelle Entwicklung auch in der nahen Zukunft rasant fortsetzen und dadurch ein ständig verbessertes Studium der kosmischen Objekte ermöglicht wird. Hier seien nur einige Beispiele genannt. Die Größe von Weitwinkelkameras hat im Jahre 2003 mit Megacam am CFHT zum ersten Mal den Wert von ∼ (20 000)2 Pixeln erreicht und erlaubt damit, ein Quadratgrad des Himmels mit der dem Seeing an den besten Observatorien angepassten Auflösung gleichzeitig zu beobachten (siehe Abb. 10.1). Weitere ähnliche Instrumente die-
Abb. 10.1. Weitwinkelkameras, eingesetzt an Teleskopen mit exzellenten atmosphärischen Bedingungen, können von einer großen Zahl von Objekten gleichzeitig detaillierte Aufnahmen erzeugen, wie hier mittels der CFH12K-Kamera am CFHT demonstriert ist. Die Zahlen geben die Anzahl der dargestellten Pixel an, wobei die Pixelgröße 0. 2 beträgt
ser Art befinden sich kurz vor der Fertigstellung, wie etwa OmegaCAM, eine Quadratgrad-Kamera am neugebauten VLT Survey Telescope auf dem Paranal. Auch die Entwicklung von NIR-Detektoren ist rasant und wird schon sehr bald den Betrieb von Weitwinkelkameras im Nah-Infraroten erlauben. So wird 2007 das 4-Meter-Teleskop VISTA auf dem Paranal in Betrieb gehen, welches mit einer Weitwinkel-NIR-Kamera ausgestattet sein wird. Die Kombination von tiefen und weiten optischen und NIR-Bildern wird zu enormen Entwicklungen in der Astronomie führen, etwa im Bereich der Galaxiensurveys, für die dann sehr genaue photometrische Rotverschiebungen bestimmt werden können, sowie für den schwachen Gravitationslinseneffekt und die Suche nach sehr seltenen Objekten. Weiterhin hat sich im Laufe eines Jahrzehnts die zur Verfügung stehende Spiegelfläche von optischen Großteleskopen vervielfacht (siehe Abb. 10.2), und bereits jetzt sind etwa 10 Teleskope der 10-Meter-Klasse in Betrieb – das Erste davon, Keck I, wurde erst im Jahre 1993 fertig. Hinzu kommt, dass die Entwicklung von adaptiver Optik es erlauben wird, vom Boden aus eine beugungsbegrenzte Winkelauflösung zu erreichen (Abb. 10.3). Als weiterer Schritt der Verbesserung der Winkelauflösung wird sich in den nächsten Jahren zunehmend die optische und NIR-Interferometrie entwickeln. So sind etwa die beiden Keck-Teleskope (Abb. 1.28) so montiert, dass sie für die Interferometrie genutzt werden können. Die vier Teleskope des VLT können sowohl untereinander als auch mit kleineren Zusatzteleskopen zu einem Interferometer zusammengekoppelt werden (Abb. 1.31). Schließlich wird mit dem Bau des Large Binocular Telescope (LBT), zweier 8.4 Meter-Teleskope, die auf einer gemeinsamen Plattform montiert sind und die speziell für die Interferometrie konstruiert wurden, eine neue Ära der hochauflösenden optischen Astronomie beginnen. Das Hubble Space Telescope hat sich als das vermutlich erfolgreichste astronomische Observatorium aller Zeiten herausgestellt. Dieser Erfolg ist durch die gegenüber bodengebundenen Teleskopen enorm gesteigerte Winkelauflösung und die reduzierte Helligkeit des Nachthimmels, gerade bei den größeren Wellen-
402 Abb. 10.2. Darstellung der Spiegelfläche der großen optischen Teleskope, links auf der Nordhalbkugel, rechts auf der Südhalbkugel der Erde. Die gesamte Lichtsammelfläche optischer Teleskope hat sich in den letzten zehn Jahren vervielfacht; nimmt man die Entwicklung der Detektoren dazu, ist leicht zu erkennen, warum die beobachtende Kosmologie solche Fortschritte gemacht hat und immer noch macht
Abb. 10.3. Die Verbesserung der Winkelauflösung als Funktion der Zeit. Die obere Kurve beschreibt die Winkelauflösung, die man im beugungsbegrenzten Fall erreichen würde, wobei einige der historisch bedeutsamen Teleskope eingetragen sind. Die untere Kurve zeigt die tatsächlich erreichte Winkelauflösung; diese ist im Wesentlichen beschränkt durch atmosphärische Turbulenz (Seeing), so dass nicht die Größe der Teleskope, sondern vor allem die Qualität der Observatorien die entscheidende Rolle spielt. Man sieht, dass die Eröffnung der Observatorien auf dem Mount Palomar, auf Mauna Kea, La Silla und Paranal zu erheblichen Sprüngen in der Auflösung geführt hat; ein weiterer Sprung wurde durch das HST geschafft. Die nächsten wesentlichen Verbesserungen werden durch adaptive Optik und Interferometrie erreicht
10. Ausblicke 403
längen, zu erklären. Die Wichtigkeit des HST für die extragalaktische Astronomie begründet sich auch aus der vor dem Start des HST weitgehend unbekannten Natur von Galaxien großer Rotverschiebung: Diese sind klein und haben deshalb eine große Flächenhelligkeit, woraus sich der Vorteil der exzellenten Winkelauflösung des HST ergibt. Die durch verschiedene Service-Missionen an Bord des HST gebrachten neuen Instrumente haben die Leistungsfähigkeit des Observatoriums stets verbessert. Umso mehr ist die Entscheidung der NASA, keine Service-Mission mehr zu starten, eine große Enttäuschung für die optische (und UV-) Astronomie. Allerdings ist das Nachfolgeobservatorium des HST bereits in intensiver Planung und soll nach derzeitigem Stand (Mai 2005) im Jahre 2011 gestartet werden. Dieses Next Generation Space Telescope (das den Namen James Webb Space Telescope – JWST – erhielt) wird mit 6.5 Metern Durchmesser deutlich empfindlicher als HST sein (siehe Abb. 10.4). Weiterhin wird JWST für NIR-Wellenlängen (1 bis 5 μm) optimiert sein und daher insbesondere Quellen bei sehr großen
Abb. 10.4. Künstlerische Darstellung des 6.5 Meter James Webb Space Telescope. Der Spiegel ist segmentiert und durch einen Schild von der Sonneneinstrahlung geschützt und dadurch auf ∼ 35 K passiv gekühlt; dies erlaubt NIRBeobachtungen mit bislang unbekannter Empfindlichkeit
Rotverschiebungen beobachten können, deren Sternlicht ins NIR rotverschoben ist. Bereits jetzt beobachtet das im Jahre 2003 gestartete Spitzer Space Telescope den Infrarot-Himmel mit erheblich verbesserter Empfindlichkeit gegenüber früheren Instrumenten. Insbesondere erhofft man sich durch das JWST, die ersten Galaxien und die ersten AGNs zu beobachten und somit diejenigen Quellen zu identifizieren, die für die Reionisation des Universums verantwortlich sind. JWST wird neben einer NIR-Kamera, die bis zu Wellenlängen von 0.6 μm empfindlich sein wird, einen Multi-Objekt-Spektrographen haben, der für die spektroskopische Untersuchung von Galaxiensamples bei hohen Rotverschiebungen optimiert ist und die Empfindlichkeit aller vorher vorhandenen Instrumente um einen riesigen Faktor übertreffen wird. Weiterhin wird JWST ein MIR-Instrument tragen, welches für Photometrie und Spektroskopie im Wellenlängenbereich 5 μm ≤ λ ≤ 28 μm entwickelt wird. Für die Röntgenastronomie wird zurzeit ein neuartiges Observatorium geplant, dessen Brennweite so groß ist, dass man zwei Satelliten dazu benötigt: Der eine trägt das Spiegelsystem, während der andere die Instrumente beheimatet. Damit ein solches System funktioniert, muss die Entfernung zwischen beiden Satelliten stets genau gleich gehalten werden, was eine technologische Herausforderung im Formationsflug darstellt. Solch einen Formationsflug muss man auch beherrschen, um künftige IR-Interferometer im Weltall betreiben zu können. Mit diesem Next Generation X-ray Telescope (NGXT) wird man Galaxienhaufen auch bei den größten Rotverschiebungen beobachten und das Studium von AGNs zu deutlich niedrigeren Leuchtkräften ausdehnen können. Insbesondere wird man damit die Physik des Gases in der unmittelbaren Nähe von Schwarzen Löchern im Detail untersuchen können. Im Infrarotbereich wird ab 2006 durch SOFIA (Stratospheric Observatory for Infrared Astronomy) eine langfristige Beobachtungsplattform für ca. 20 Jahre geschaffen. Dabei handelt es sich um ein 2.7-Meter Teleskop, welches in einer eigens dafür umgerüsteten Boing 747 in einer Höhe von ca. 13 km fliegen wird und somit im Bereich von 5 bis 300 μm beobachten kann. SOFIA ist daher ein Nachfolgeprojekt des Kuiper Airborne Observatory. Im Ferninfraroten wird voraussichtlich im Jahre 2008 das Herschel-Teleskop
10. Ausblicke 404
von der ESA gestartet; mit seinem 3.5 Meter-Spiegel ist dieses Teleskop im betrachteten Wellenlängenbereich um ein Vielfaches empfindlicher als alles bisher Dagewesene. Herschel wird zusammen mit dem PlanckSatelliten gestartet, der uns ein noch detaillierteres Bild des Mikrowellenhimmels liefern wird als WMAP, und insbesondere aufgrund der sehr viel breiteren spektralen Empfindlichkeit nicht nur eine kosmologisch sehr bedeutsame Mission sein wird, sondern mit seiner Himmelsdurchmusterung auch vielen anderen Bereichen der Astronomie nutzen wird – die Entdeckung von Galaxienhaufen durch den Sunyaev–Zeldovich-Effekt sei beispielhaft genannt. Auch im Radiobereich des Spektrums stehen revolutionäre Entwicklungen bevor. Zum einen wird durch neue mm- und sub-mm-Teleskope wie etwa APEX die Staubemission von Sternentstehungsgebieten sehr viel besser beobachtbar als bisher. APEX wird einen Sunyaev–Zeldovich-Survey für Galaxienhaufen durchführen und somit eine alternative Strategie für die Suche nach Haufen realisieren – es bildet in dieser Hinsicht eine Brücke zu Planck. Dabei erwartet man insbesondere eine große Zahl von Haufen mit hoher Rotverschiebung. Zum Ende dieser Dekade hin wird dann ALMA (Atacama Large Millimeter Array, Abb. 10.5), ein Interferometer mit 64 Antennen, errichtet sein und mit sehr viel größerer Empfindlichkeit und phantastisch verbesserter Winkelauflösung den sub-mm-Himmel beobachten. Die Errichtung von Teleskopen in der Antarktis wird wegen der dortigen Trockenheit der Atmosphäre die Infrarot- und sum-mm-Astronomie weiter befördern.
Bei noch größeren Wellenlängen wird sich ebenfalls eine rasante technische Entwicklung ergeben; es werden zurzeit Radioteleskope konzipiert, deren Antennenkeulen digital im Rechner erzeugt werden. Solche digitalen Radiointerferometer erlauben nicht nur eine sehr viel bessere Empfindlichkeit und Winkelauflösung, sondern ermöglichen die Beobachtung vieler Quellen gleichzeitig. LOFAR wird voraussichtlich der Prototyp eines solchen Instrumentes, das bei Frequenzen unterhalb von etwa 200 MHz beobachten wird. Später wird mit dem Square Kilometer Array (SKA) eine sehr viel größere Anlage konzipiert, was dann zu einer wahren Revolution der Radioastronomie führen wird. Die Grenzen dieser Instrumente sind nicht mehr durch die Eigenschaften der einzelnen Antennen beschränkt, sondern durch die Kapazität der Rechner, mit denen die Daten analysiert werden. Um diese digitalen Radiointerferometer entsprechend ihrer Möglichkeiten zu nutzen, wird eine gewaltige Entwicklung der Hardware und Software der Rechneranlagen erforderlich sein. Neue Fenster der astronomischen Beobachtung werden geöffnet. Bereits heute sind die ersten Gravitationswellenantennen gebaut, und ihre nächste Generation wird voraussichtlich Signale von relativ nahen Supernova-Explosionen entdecken können. Mit LISA wird insbesondere die Verschmelzung von SMBHs im gesamten sichtbaren Universum möglich, wie oben bereits erwähnt. Riesige Neutrino-Detektoren werden das Feld der Neutrino-Astronomie eröffnen und beispielsweise Prozesse im Innersten von AGNs direkt beobachten können. Observatorien zum Studium von Kosmischer Strahlung werden gebaut, wobei seit 2004
Abb. 10.5. Künstlerische Darstellung des Atacama Large Millimeter Array (ALMA), das zurzeit auf dem 5000 Meter hohen Llano de Chajnantor in Chile gebaut wird. Die 64 Antennen mit jeweils 12 Metern Durchmesser, betrieben im interfe-
rometrischen Modus, werden aufgrund der Sammelfläche und der exzellenten atmosphärischen Bedingungen an diesem Standort eine völlig neue Epoche der Millimeter-Astronomie eröffnen
10. Ausblicke 405
das Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien betrieben wird, welches vor allem die höchstenergetische Strahlung untersuchen soll. Neben diesen Fortschritten im instrumentellen Bereich schreitet auch die Entwicklung der Theorie stetig voran. Dabei ist die Rechnerkapazität für numerische Simulationen nur ein Aspekt, wenngleich ein wichtiger. Neue Ansätze der Modellierung und der Modellbildung sind nicht minder von Bedeutung. Die enge Verzahnung von Theorie, Modellierung und Beobachtung wird eine immer stärkere Bedeutung gewinnen, weil die Komplexität der Datensätze immer mehr der Modellierung und Simulation zu ihrer quantitativen Interpretation bedarf. Die Herausforderungen für die nächsten Jahre werden sicherlich einerseits in der Erschließung des sehr weit entfernten Universums liegen, dem Studium der Entwicklung kosmischer Objekte und Strukturen bei sehr hohen Rotverschiebungen, bis hin zur Reionisation des Universums. Um die dort neu gewonnenen Erkenntnisse mit dem Wissen über unser lokales Universum zu verknüpfen und damit ein schlüssiges Gesamtbild des Kosmos zu entwerfen, werden sowohl umfangreiche theoretische Untersuchungen vonnöten sein als auch extensive Beobachtungen in einem möglichst breiten Wellenlängenbereich. Andererseits wird sich mit dem Astrometrie-Satelliten GAIA die einmalige Chance bieten, Kosmologie in unserer Milchstraße zu betreiben. So können mit GAIA z. B. die oben genannten Sternströme nachgewiesen werden, die sich beim Zerreißen von Satellitengalaxien in der Vergangenheit der Milchstraße gebildet haben. Die mit GAIA gewonnenen Erkenntnisse werden uns auch dem detaillierten Verständnis anderer Galaxien näher bringen. Die zweite große Herausforderung der nächsten Jahre besteht in der fundamentalen Physik, die der Kosmologie zugrunde liegt. Aus der Beobachtung von Galaxien und Galaxienhaufen, aber auch der Bestimmung der kosmologischen Parameter wurde die Existenz der Dunklen Materie nachgewiesen. Da es keine plausible astrophysikalische Erklärung ihrer Natur gibt, handelt es sich vermutlich um eine neue Form von Elementarteilchen. Zwei verschiedene Strategien zum Auffinden dieser Teilchen werden zurzeit verfolgt: zum einen wird versucht, diese Teilchen, die sich auch in der Umgebung des Sonnensystems befinden sollten, direkt in Labors nachzuweisen, die sich tief unter der Erde oder in Tunnels befinden, um gegen die kosmi-
sche Strahlung abgeschirmt zu sein. Mehrere solcher Experimente, die aufgrund der zu erreichenden Empfindlichkeitsgrenzen technisch extrem herausfordernd sind, befinden sich zurzeit in Betrieb und werden den Parameterraum der WIMPS in Masse und Wirkungsquerschnitt in den nächsten Jahren eingrenzen, wobei das Modell der Dichteverteilung der Dunklen Materie in unserer Milchstraße eingeht. Zum anderen wird nach dem Jahr 2007 der Large Hadron Collider am Forschungszentrum CERN einen neuen Energiebereich der Elementarteilchenphysik zugänglich machen, wobei man Hinweise darauf erwartet, ob das Modell der Supersymmetrie als Erweiterung des Standardmodells der Teilchenphysik gültig ist. In der Tat hofft man, das leichteste supersymmetrische Teilchen, das Neutralino, zu finden, welches dann ein ausgezeichneter Kandidat für die Dunkle Materie wäre. Während für die Natur der Dunklen Materie zumindest plausible Ideen existieren, die in den kommenden Jahren empirisch überprüft werden können, stellt die aus der Kosmologie erschlossene und von Null verschiedene Dichte der Dunklen Energie die fundamentale Physik vor ein noch größeres Rätsel. Obwohl man aus der Quantenmechanik erwarten würde, dass es eine Vakuumsenergie gibt, ist die abgeschätzte Dichte dieser Energie so ungeheuer viel größer als die kosmologische Dichte ρΛ , dass diese Interpretation der Dunklen Energie zunächst nicht plausibel erscheint. Als Kosmologe könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Dunkle Energie nichts anderes ist als die ursprünglich von Einstein eingeführte Kosmologische Konstante, die dann als zusätzliche Naturkonstante in den Grundgleichungen der Physik auftauchen würde. Vom physikalischen Standpunkt aus jedoch wäre es deutlich befriedigender, wenn sich die Natur der Dunklen Energie aus den Gesetzen der fundamentalen Physik ableiten ließe. Die oben erwähnte ungeheure Diskrepanz der Größenordnungen zeigt, dass wir zurzeit noch weit entfernt sind von einem physikalischen Verständnis der Dunklen Energie. Man darf vermuten, dass dazu eine Theorie entwickelt werden muss, die die Quantenphysik und die Gravitationsphysik vereinheitlicht. Das Erstellen einer solchen Quantengravitation stellt sich jedoch als enorm problematisch heraus. Andererseits ist die Dichte der Dunklen Energie so gering, dass sie sich nur auf den allergrößten Längenskalen bemerkbar macht, was die
10. Ausblicke 406
Notwendigkeit weiterer astronomischer und kosmologischer Experimente impliziert. Um die Natur der Dunklen Energie zu testen, insbesondere um zu untersuchen, ob die Dichte der Dunklen Energie eine Konstante ist oder aber mit der Rotverschiebung variiert, sind zurzeit zwei Ansätze am vielversprechendsten: zum einen das Studium des Hubble-Diagramms von Typ-Ia-Supernovae, und zum anderen die Kosmische Scherung. Um die Empfindlichkeit dieser beiden kosmologischen Proben um ein Vielfaches zu verbessern, wird zurzeit eine Satellitenmission geplant, die mittels Weitwinkel-Vielfarbenphotometrie diese beiden Methoden zur präzisen Anwendung bringen soll. Weiterhin gibt es mehrere Projekte zum Bau von Weitwinkelkameras an großen bodengebundenen Telekopen, die u. a. die Anwendung dieser beiden Methoden zum Ziel haben – darunter das Large Synoptic Survey Telescope, ein 8-Meter-Teleskop mit einer ∼ 7-Quadratgrad-Kamera. Obwohl die Inflation inzwischen Bestandteil des Standardmodells der Kosmologie ist, hat man die physikalischen Prozesse der inflationären Phase bisher nicht verstanden. Die Tatsache, dass verschiedene feldtheoretische Modelle der Inflation zu sehr ähnlichen kosmologischen Konsequenzen führen, ist einerseits sehr positiv: Vom Standpunkt der Kosmologie sind die Details der Inflation nicht unmittelbar relevant, solange nur die exponentielle Ausdehnung stattgefunden hat. Andererseits stellt diese Tatsache jedes Studium der inflationären Prozesse vor große Probleme, da sich verschiedene Modelle in ihren empirischen Konsequenzen nur wenig unterscheiden. Als vielversprechendste Probe der Inflation gilt die Polarisation der kosmischen Mikrowellenstrahlung, weil mit ihr untersucht werden kann, ob und in welchem Maße bei der Inflation Gravitationswellen erzeugt wurden, was ein Unterscheidungsmerkmal der verschiedenen inflationären Modelle darstellt. In der Ära nach dem Planck-Satelliten wird man sich sicherlich einer Mission zuwenden, die diese Polarisation mit genügender Genauigkeit vermessen kann. Diese letztgenannten drei Aspekte sind die vielleicht besten Beispiele, dass Fortschritte in der Kosmologie und der fundamentalen Physik nur in einer engen Zusammenarbeit zwischen der theoretischen Elementarteilchenphysik, der experimentellen Teilchenphysik und der Astronomie zu erzielen sein werden. Zum Schluss, und für einige Leser vielleicht zu spät, soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass
in diesem Buch von der Voraussetzung ausgegangen wurde, dass die physikalischen Gesetze, wie wir sie kennen, für die Interpretation von kosmischen Phänomenen herangezogen werden können. Wir haben keinen Beweis dafür, dass diese Annahme korrekt ist, aber die Erfolge dieser Vorgehensweise rechtfertigen diese Annahme im Nachhinein: Wenn diese Annahme grob verletzt wäre, gäbe es keinen Grund für die Übereinstimmung der Werte der kosmologischen Parameter, die mit grundsätzlich verschiedenen Methoden und daher unter Einbeziehung unterschiedlicher physikalischer Prozesse gewonnen wurden. Der Preis für die Akzeptanz des sich daraus ergebenden Standardmodells ist allerdings hoch, verlangt sie doch, dass wir die Dominanz von Dunkler Materie und Dunkler Energie im Universum als Faktum hinnehmen. Nicht jeder Kosmologe ist bereit, diesen Preis zu akzeptieren; so stellte etwa M. Milgrom die Hypothese auf, zur Erklärung der flachen Rotationskurven von Spiralgalaxien sei nicht etwa die Existenz Dunkler Materie heranzuziehen, sondern es könnte auch sein, dass das Newtonsche Gravitationsgesetz auf Skalen von 10 kpc nicht mehr gültig sei – immerhin ist es auf diesen Skalen und den damit zusammenhängenden kleinen Beschleunigungen nicht getestet worden. Seine Modified Newtonian Dynamics (MOND) stellt daher eine logisch mögliche Alternative zum Postulat Dunkler Materie auf Galaxienskalen dar. In der Tat bietet MOND u. a. eine Erklärung für die Tully–Fisher-Relation von Spiralen. Es gibt verschiedene Gründe, warum nur wenige Astrophysiker diesen Ansatz weiterverfolgen. Legt man den zusätzlichen freien Parameter innerhalb MOND so fest, dass die Rotationskurven von Spiralen ohne Dunkle Materie reproduziert werden, dann kann diese Theorie die Dynamik von Galaxien in Galaxienhaufen nicht ohne die Existenz von Dunkler Materie erklären. Allerdings sind die Konsequenzen von MOND noch deutlich weitreichender: Falls das Gravitationsgesetz vom Newtonschen Gesetz abweichen würde, so wäre auch die Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie in Frage gestellt, die das Newtonsche Kraftgesetz als Grenzfall kleiner Gravitationsfelder enthält. Die Allgemeine Relativitätstheorie liegt aber den Weltmodellen zugrunde; wird ihre Gültigkeit in Zweifel gezogen, so verliert man gleichzeitig die Basis der kosmologischen Modelle, und somit die Übereinstimmung der
10. Ausblicke 407
quantitativen Resultate aus den verschiedenartigen kosmologischen Tests, wie wir sie in Kapitel 8 beschrieben haben. Die Akzeptanz von MOND fordert einen noch höheren Preis als die Existenz von Dunkler Materie. Dieses Beispiel zeigt, dass die Infragestellung eines einzelnen Aspekts des Standardmodells zur Konsequenz hat, dass das ganze Modell ins Wanken gerät. Dies bedeutet nicht, dass es nicht etwa andere kosmologische Modelle geben kann, die ebenso wie das Standardmodell die relevanten Beobachtungen widerspruchsfrei erklären können, sondern dass eine unterschiedliche Interpretation eines Einzelaspekts nicht isoliert betrachtet werden darf, und stattdessen in seinem Zusammen-
hang gesehen werden muss. Selbstverständlich ist dies problematisch für die Verfechter alternativer Modelle, denn während die überwiegende Mehrheit der Kosmologen hart daran arbeitet, das Standardmodell zu verifizieren, zu verfeinern und zu einem Gesamtbild zu kommen, sind die Forschergemeinden der alternativen Modelle klein und daher nicht in der Lage, ein überzeugendes umfassendes Modell der Kosmologie zusammenzufügen. Diese Tatsache findet ihre Rechtfertigung in den Erfolgen des Standardmodells, in der Übereinstimmung von Beobachtungen mit den Vorhersagen dieses Modells, wie zuletzt durch die Resultate von WMAP.
Anhang
411
A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld In diesem Anhang wollen wir die wichtigsten Eigenschaften eines Strahlungsfelds kurz zusammenfassen. Dabei gehen wir davon aus, dass der Leser mit diesen Größen bereits in anderem Zusammenhang in Berührung gekommen ist.
A.1
Die Größen des Strahlungsfeldes
Das elektromagnetische Strahlungsfeld wird beschrieben durch die spezifische Intensität Iν , die wie folgt definiert ist: Man betrachtet ein Flächenelement d A; die Strahlung, die aus einem Raumwinkelelement dω um eine Richtung, die durch den Einheitsvektor n beschrieben wird, im Frequenzbereich zwischen ν und ν + dν pro Zeitintervall dt durch diese Fläche strömt, ist gegeben durch d E = Iν d A cos θ dt dω dν ,
(A.1)
wobei θ den Winkel zwischen der Richtung n des Lichtes und dem Normalenvektor des Flächenelements beschreibt. Daher ist d A cos θ die in Richtung des einfallenden Lichtes projizierte Fläche. Die spezifische Intensität hängt dabei vom betrachteten Ort (und, bei zeitabhängigen Strahlungsfeldern, von der Zeit), der Richtung n und der Frequenz ν ab. Aufgrund der Definition (A.1) ist die Dimension von Iν Energie pro Fläche, Zeit, Raumwinkel und Frequenz, und wird typischerweise in der Einheit erg cm−2 s−1 ster−1 Hz−1 gemessen. Die spezifische Intensität einer kosmischen Quelle gibt ihre Flächenhelligkeit an. Der spezifische Nettofluss, der durch das Flächenelement strömt, ergibt sich aus der Integration der spezifischen Intensität über alle Raumwinkel, Fν = dω Iν cos θ . (A.2) Der Fluss, den wir von einer Quelle an der Sphäre empfangen, ist ebenfalls so definiert, nur dass kosmische Quellen in der Regel einen sehr kleinen Raumwinkel einnehmen und wir deshalb den Faktor cos θ in (A.2) weglassen können; in diesem Zusammenhang wird der spezifische Fluss auch mit Sν bezeichnet. In diesem
Anhang (und nur hier!) werden wir jedoch die Bezeichnung Sν für eine andere Größe reservieren. Der Fluss wird gemessen in der Einheit erg cm−2 s−1 Hz−1 . Falls das Strahlungsfeld isotrop ist, so verschwindet Fν : In diesem Fall strömt gleichviel Strahlung in beiden Richtungen durch die Fläche. Die mittlere spezifische Intensität Jν ist definiert als Mittelwert von Iν über alle Winkel, 1 dω Iν , Jν = (A.3) 4π so dass für ein isotropes Strahlungsfeld Iν = Jν ist. Die spezifische Energiedichte u ν hängt mit Jν über uν =
4π Jν c
(A.4)
zusammen, wobei u ν die Energie des Strahlungsfelds pro Volumenelement und Frequenzintervall ist und daher in erg cm−3 Hz−1 gemessen wird. Die Gesamtenergiedichte der Strahlung erhält man durch Integration von u ν über die Frequenz. In gleicher Weise erhält man die Intensität der Strahlung durch Integration von Iν über ν.
A.2
Strahlungstransport
Entlang der Ausbreitungsrichtung eines Lichtstrahls ist die spezifische Intensität konstant, solange keine Emissions- oder Absorptionsprozesse stattfinden. Wenn s die Länge entlang eines Lichtstrahls misst, so drückt man obige Tatsache aus durch d Iν =0. ds
(A.5)
Eine direkte Konsequenz dieser Gleichung ist, dass die Flächenhelligkeit einer Quelle unabhängig von ihrer Entfernung ist. Der beobachtbare Fluss einer Quelle hängt von ihrer Entfernung ab, weil der Raumwinkel, unter dem man eine Quelle beobachtet, mit dem Quadrat des Abstands abnimmt, Fν ∝ D−2 (siehe Gl. A.2). Durch Emission und Absorption (bzw. durch Streuung von Licht) kann sich die spezifische Intensität ent-
A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld 412
lang eines Lichtstrahls ändern. Diese Effekte werden beschrieben durch die Strahlungstransportgleichung d Iν = −κν Iν + jν . (A.6) ds Der erste Term beschreibt die Absorption von Strahlung und besagt, dass die auf einem Streckenintervall ds absorbierte Strahlung proportional zur einfallenden Strahlung ist. Der Proportionalitätsfaktor ist der Absorptionskoeffizient κν , der die Einheit cm−1 trägt. Der Emissionskoeffizient jν beschreibt die dem Lichtstrahl durch Emissionsprozesse zugefügte Energie und trägt die Einheit erg cm−3 s−1 Hz−1 ster−1 ; es ist daher die pro Volumenelement, Zeitintervall, Frequenzintervall und Raumwinkel emittierte Strahlungsenergie. Absorptions- und Emissionskoeffizient beinhalten sowohl echte Absorptions- und Emissionsprozesse als auch die Streuung von Strahlung. In der Tat kann man die Streuung von Photonen betrachten als Absorption, auf die sofort eine Emission eines Photons folgt. Die optische Tiefe τν entlang eines Lichtstrahls wird als Integral über den Absorptionskoeffizient definiert, s τν (s) =
ds κν (s ) ,
(A.7)
Diese Gleichung hat eine einfache Interpretation. Wenn die einfallende Intensität Iν (0) ist, so ist diese nach einer optischen Tiefe τν durch Absorption auf den Wert Iν (0) exp (−τν ) abgefallen. Andererseits wird dem Lichtstrahl durch Emission Energie zugefügt, wobei auch diese zwischen dem Ort der Emission und dem betrachteten Punkt bei τν durch Absorption abgeschwächt wird. Wir haben im Zusammenhang mit (A.10) von einer formalen Lösung des Strahlungstransports gesprochen. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass sowohl der Absorptions- als auch der Emissionskoeffizient vom Zustand der Materie abhängt, durch die die Strahlung propagiert, und dieser Zustand in vielen Situationen vom Strahlungsfeld selbst abhängt. So hängen etwa κν und jν von der Temperatur der Materie ab, diese wiederum durch Heizungs- und Kühlungsprozesse von dem Strahlungsfeld, in dem sie sich befindet. Im Allgemeinen muss man daher ein gekoppeltes System von Gleichungen lösen: zum einen die Strahlungstransportgleichung, zum anderen die Zustandsgleichung der Materie. Daraus ergeben sich in vielen Situationen sehr komplexe Probleme, auf die wir hier aber nicht weiter eingehen wollen.
s0
wobei s0 einen Referenzpunkt auf dem Lichtstrahl bezeichnet, von dem aus die optische Tiefe gemessen wird. Dividieren wir (A.6) durch κν und benutzen den Zusammenhang dτν = κν ds, um die optische Tiefe als neue Variable entlang des Lichtstrahls einzuführen, so lässt sich die Strahlungstransportgleichung schreiben als d Iν = −Iν + Sν , dτν wobei wir die Quellfunktion
(A.8)
jν (A.9) κν als Quotient von Emissions- und Absorptionskoeffizienten definiert haben. In dieser Form können wir die Strahlungstransportgleichung formal lösen; wie man durch Einsetzen sofort nachprüfen kann, gilt Sν =
Iν (τν ) = Iν (0) exp (−τν ) τν
+ dτν exp τν − τν Sν (τν ) . 0
A.3
Schwarzkörper-Strahlung
Für Materie, die sich im thermischen Gleichgewicht befindet, ist die Quellfunktion Sν allein eine Funktion der Temperatur T der Materie, Sν = Bν (T ) , oder jν = Bν (T ) κν ,
(A.11)
unabhängig von der Zusammensetzung des Mediums (Kirchhoffsches Gesetz). Wir betrachten nun Strahlung, die durch Materie im thermischen Gleichgewicht bei konstanter Temperatur T propagiert. Da Sν = Bν (T ) in dieser Materie konstant ist, können wie die Lösung (A.10) in der Form Iν (τν ) = Iν (0) exp (−τν ) τν
+ Bν (T ) dτν exp τν − τν
(A.12)
0
= Iν (0) exp (−τν ) + Bν (T ) 1 − exp (−τν ) (A.10)
schreiben. Daraus folgt, dass für genügend große τν gilt: Iν = Bν (T ). Die Strahlung in Materie im thermi-
A.3 Schwarzkörper-Strahlung 413
schen Gleichgewicht wird durch die Funktion Bν (T ) beschrieben, wenn die optische Tiefe genügend groß ist, unabhängig von der Zusammensetzung der Materie. Ein Spezialfall dieser Situation ist durch einen Hohlraum gegeben, dessen undurchsichtige Wände bei einer konstanten Temperatur T gehalten werden. Aufgrund der Undurchsichtigkeit der Wände ist deren optische Tiefe Unendlich, so dass das Strahlungsfeld im Hohlraum durch Iν = Bν (T ) gegeben ist. Dies gilt auch, wenn der Raum mit Materie gefüllt ist, solange sich diese im thermischen Gleichgewicht bei der Temperatur T befindet. Deshalb nennt man dieses Strahlungsfeld auch Hohlraumstrahlung. Die Funktion Bν (T ) wurde im Jahre 1900 von Max Planck aufgestellt und heißt ihm zu Ehren Planck-Funktion; sie lautet Bν (T ) =
2h P ν3 1 , c2 eh P ν/kB T − 1
(A.13)
wobei h P = 6.625 × 10−27 erg s das Plancksche Wirkungsquantum bezeichnet und kB = 1.38 × 10−16 erg K−1 die Boltzmann-Konstante ist. Die Form des Spektrums kann aus der statistischen Physik abgeleitet werden. Schwarzkörper-Strahlung ist definiert durch Iν = Bν (T ), und thermische Strahlung durch Sν = Bν (T ). Thermische Strahlung konvergiert zur Schwarzkörper-Strahlung für große optische Tiefen. Die Planck-Funktion hat ihr Maximum bei h P νmax ≈ 2.82 , kB T
(A.14)
d. h. die Frequenz des Maximums ist proportional zur Temperatur; diese Eigenschaft bezeichnet man als Wiensches Verschiebungsgesetz. Man kann dieses Gesetz auch in praktischen Einheiten darstellen, νmax = 5.88 × 1010 Hz
T . 1K
(A.15)
Man kann die Planck-Funktion auch in Abhängigkeit der Wellenlänge λ = c/ν schreiben, so dass Bλ (T ) dλ = Bν (T ) dν, Bλ (T ) =
2h P c2 /λ5 . exp (h P c/λkB T ) − 1
(A.16)
Zwei Grenzfälle der Planck-Funktion sind von besonderem Interesse. Für kleine Frequenzen, h P ν kB T , kann man die Entwicklung der Exponentialfunktion in
Abb. A.1. Die Planck-Funktion (A.13) für verschiedene Temperaturen T . Aufgetragen ist Bν (T ) als Funktion der Frequenz ν, wobei große Frequenzen nach links aufgetragen sind (also große Wellenlängen nach rechts). Der exponentiell abfallende Wien-Teil des Spektrums ist links zu erkennen, der Rayleigh–Jeans Teil rechts. Die Form des Spektrums im Rayleight–Jeans Teil ist unabhängig von der Temperatur, die jedoch die Amplitude bestimmt
(A.13) für kleine Argumente benutzen. Der führende Term dieser Entwicklung führt dann zu Bν (T ) ≈ BνRJ (T ) =
2ν2 kB T , c2
(A.17)
was man die Rayleigh–Jeans-Näherung der PlanckFunktion nennt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass die Rayleigh–Jeans-Gleichung die Planck-Konstante nicht enthält, und dieses Gesetz war bereits bekannt, bevor Planck seine exakte Gleichung herleitete. Im anderen Grenzfall sehr großer Frequenzen, h P ν kB T , wird
A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld 414
der Exponentialfaktor im Nenner von (A.13) sehr viel größer als eins, und man erhält 2h P ν3 −h P ν/kB T e , (A.18) c2 was man die Wien-Näherung der Planck-Funktion nennt. Die Energiedichte der Schwarzkörperstrahlung hängt natürlich nur von der Temperatur ab und wird aus dem Integral über die Planck-Funktion berechnet, Bν (T ) ≈ BνW (T ) =
∞
4π c
u=
dν Bν (T ) =
4π B(T ) = a T 4 , c
(A.19)
0
wobei wir die Frequenz-integrierte Planck-Funktion ∞ B(T ) =
dν Bν (T ) =
ac 4 T 4π
(A.20)
Größenklasse 1 zugeordnet, schwächere Sterne erhielten höhere Größenklassen. Da die scheinbare Helligkeit, die wir mit unserem Auge wahrnehmen, sich etwa logarithmisch mit dem Strahlungsstrom verhält (wie dies auch beim Gehörsinn der Fall ist), stellen die Größenklassen eine logarithmische Flussskala dar. Um diese visuell ermittelten Helligkeiten in den historischen Katalogen mit einem quantitativen Maß zu verknüpfen, wurde das System der Größenklassen in der optischen Astronomie beibehalten, nur wurde es präzise definiert. Da es keine historischen astronomischen Beobachtungen in anderen Wellenlängenbereichen gibt, weil diese dem bloßen Auge nicht zugänglich sind, trägt alleine die optische Astronomie den historischen Ballast der Größenklassen.
A.4.1 Scheinbare Helligkeit
0
definiert haben, und die Konstante a hat den Wert 8π 5 kB4 = 7.56 × 10−15 erg cm−3 K−4 . (A.21) 15c3 h 3P
a=
Der Fluss, der von der Oberfläche eines Schwarzen Körpers ausgeht, ist gegeben durch ∞ F=
∞ dν Fν = π
0
dν Bν (T ) = πB(T ) = σSB T 4 , 0
(A.22) wobei die Stefan–Boltzmann-Konstante den Wert ac 2π 5 kB4 = 4 15c2 h 3P = 5.67 × 10−5 erg cm−2 K−4 s−1
σSB =
(A.23)
hat.
A.4
Das Magnitudensystem
Optische Astronomie ist sehr viel älter als die Verfügbarkeit quantitativer Messmethoden. Helligkeiten von Sternen wurden bereits vor mehr als 2000 Jahren katalogisiert, und ihre Beobachtung geht bis in die Antike zurück. Dabei wurden die Sterne in Größenklassen eingeteilt, die hellsten von ihnen wurden der
Man beginnt mit einem relativen Maßsystem, indem man zwei Quellen betrachtet, die die Flüsse S1 und S2 haben. Die scheinbaren Magnituden oder scheinbaren Helligkeiten der beiden Quellen, m 1 und m 2 , verhalten sich dann wie S1 S1 m 1 − m 2 = −2.5 log ; = 10−0.4(m 1 −m 2 ) . S2 S2 (A.24) Dies bedeutet, dass die hellere Quelle ein kleinere scheinbare Helligkeit hat als die schwächere: je größer die scheinbare Helligkeit, umso schwächer ist eine Quelle.1 Der Faktor 2.5 in dieser Definition ist so gewählt worden, damit das Magnituden-System möglichst gut mit den visuell bestimmten Größenklassen übereinstimmt. Ein Unterschied von |δm| = 1 entspricht einem Flussverhältnis von ∼ 2.51, ein Flussverhältnis von einem Faktor 10 bzw. 100 entspricht einer Differenz von 2.5 bzw. 5 Größenklassen.
A.4.2 Filter und Farben Da optische Beobachtungen mit einer Kombination von Filter und Detektorsystem durchgeführt werden und die 1 Diese Konvention ist natürlich verwirrend, gerade für jemanden, der sich eben mit der Astronomie vertraut macht, und führt immer wieder zu Konfusionen und Fehlern, sowie zu Kommunikationsproblemen mit Nichtastronomen – aber da muss man durch!
A.4 Das Magnitudensystem 415
Flussverhältnisse i. A. von der Wahl der Filter abhängen (weil die spektrale Energieverteilung der Quellen verschieden sein kann), definiert man die scheinbaren Magnituden für jeden dieser Filter. Die üblichsten Filter sind in der Abb. A.2 dargestellt und in der Tabelle A.1 aufgelistet, zusammen mit ihrer charakteristischen Wellenlänge und der Breite der Transmission. Man definiert für einen Filter X die scheinbare Magnitude m X , die man häufig auch als X schreibt. So gilt etwa für den B-Band-Filter m B ≡ B. Als nächstes muss man definieren, wie die Größenklassen in den verschiedenen Filtern aufeinander bezogen sind, damit man die Farbindizes von Quellen definieren kann. Dazu benutzt man eine bestimmte Klasse von Sternen, Hauptreihensterne des Spektraltyps A0, für die der Stern Vega ein Prototyp ist. Für einen solchen Stern soll gelten U = B = V = R = I = . . . , d. h. jeder Farbindex für einen solchen Stern wird als Null definiert.
Zur Präzision dieser Definitionen sei TX (ν) die Transmissionskurve des Filter-Detektor-Systems. TX (ν) gibt an, welcher Bruchteil der einfallenden Photonen der Frequenz ν vom Detektor registriert wird. Die scheinbare Helligkeit einer Quelle mit spektralem Fluss Sν ist dann $ dν TX (ν) Sν $ m X = −2.5 log + const. , (A.25) dν TX (ν) wobei die Konstante wiederum über Vergleichssterne bestimmt werden muss. Eine weitere gebräuchliche Magnitudendefinition stellt das AB-System dar. Im Gegensatz zu den Vega-Magnituden wird hier kein Sternspektrum als Standard festgelegt, sondern eines mit konstantem Fluss bei allen Frequenzen, Sνref = SνAB = 2.89 × 10−21 erg s−1 cm−2 Hz−1 . Dieser Wert ist so gewählt, dass A0-Sterne wie Vega im originalen Johnson-V-Band die gleiche Magnitude haben wie
Abb. A.2. Transmissionskurven verschiedener Filter-Detektor-Systeme; von oben nach unten sind aufgetragen: Die Filter der NICMOS-Kamera und der WFPC2 auf dem HST, das Washington FilterSystem, die Filter des EMMI-Instruments am NTT der ESO, die Filter am WFI am ESO/MPG 2.2 m-Teleskop sowie des SOFI-Instruments am NTT und die Johnson-Cousins Filter. Im unteren Diagramm sind die Spektren dreier Sterne unterschiedlicher Effektivtemperatur aufgetragen
A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld 416 Tabelle A.1. Für einige der gängigsten Filtersysteme – Johnson, Strömgren und die Filter des Sloan Digital Sky Surveys –
ist die zentrale (oder genauer: effektive) Wellenlänge und die Breite der Filter angegeben
Johnson
U
B
V
R
I
J
H
K
L
M
λeff (nm) Δλ (nm)
367 66
436 94
545 85
638 160
797 149
1220 213
1630 307
2190 39
3450 472
4750 460
Strömgren
u
v
b
y
βw
βn
λeff (nm) Δλ (nm)
349 30
411 19
467 18
547 23
489 15
489 3
SDSS
u’
g’
r’
i’
z’
λeff (nm) Δλ (nm)
354 57
477 139
623 138
762 152
913 95
im AB-System, m AB V = m V . Aus (A.25) folgt für die Umrechnung zwischen den beiden Systemen $ dν TX (ν) SνAB Vega AB m X − m X = −2.5 log $ Vega dν TX (ν) Sν =: m AB→Vega . (A.26) Für die dem Johnson-Filtersatz nachempfundenen Filter am Wide Field Imager der ESO ergeben sich so z. B. die folgenden Vorschriften: UAB = UVega + 0.80; BAB = BVega − 0.11; VAB = VVega ; RAB = RVega + 0.19; IAB = IVega + 0.59. A.4.3 Absolute Helligkeit Die scheinbare Magnitude einer Quelle sagt zunächst nichts über ihre Leuchtkraft aus, da man zu deren Bestimmung neben dem Strahlungsstrom (d. h. dem Fluss) auch die Entfernung D kennen muss. Sei L ν die spezifische Leuchtkraft einer (isotrop emittierenden) Quelle, d. h. die pro Einheitszeit und pro Einheitsfrequenzintervall abgestrahlte Energie, so ist der Fluss gegeben durch Lν . (A.27) 4πD2 Während die scheinbare Helligkeit ein Maß für Sν (bei der dem benutzten Filter zugehörigen Frequenz ν) angibt, möchte man ein entsprechendes Maß für L ν
angeben, welches die physikalische Eigenschaft der Quelle selbst beschreibt. Man führt zu diesem Zweck die absolute Magnitude oder absolute Helligkeit ein und bezeichnet sie mit M X , wobei sich X wieder auf den verwendeten Filter bezieht. M X ist gleich der scheinbaren Magnitude einer Quelle, wenn diese sich gerade in einer Entfernung von 10 pc von uns befindet. Die absolute Helligkeit einer Quelle ist unabhängig von ihrer Entfernung. Aus (A.27) folgt für die Beziehung zwischen scheinbarer und absoluter Helligkeit D m X − M X = 5 log −5 ≡ μ , (A.28) 1 pc wobei wir im letzten Schritt den Entfernungsmodul μ definiert haben. Dieser ist daher ein logarithmisches Maß für die Entfernung einer Quelle, μ = 0 für D = 10 pc, μ = 10 für D = 1 kpc und μ = 25 für D = 1 Mpc. Die Differenz zwischen scheinbarer und absoluter Helligkeit ist von der Wahl des Filters unabhängig und gleich dem Entfernungsmodul, solange keine Extinktion vorhanden ist. Im allgemeinen Fall wird diese Differenz durch den filterabhängigen Extinktionskoeffizient modifiziert – siehe Abschn. 2.2.4.
Sν =
A.4.4 Bolometrische Größen Die Gesamtleuchtkraft L einer Quelle ist das Integral der spezifischen Leuchtkraft L ν über alle Frequenzen.
A.4 Das Magnitudensystem 417
Entsprechend ist der Gesamtfluss S einer Quelle das Frequenzintegral über den spezifischen Fluss Sν . Man definiert die scheinbare bolometrische Helligkeit m bol als logarithmisches Maß des Gesamtflusses, m bol = −2.5 log S + const. ,
(A.29)
wobei die Konstante wiederum durch Vergleichssterne bestimmt wird. Entsprechend definiert man die absolute bolometrische Helligkeit wie in (A.28) über den Entfernungsmodul. Die absolute bolometrische Helligkeit hängt von der (bolometrischen) Leuchtkraft L einer Quelle wie folgt ab: Mbol = −2.5 log L + const.
(A.30)
Die Konstante kann man z. B. über die Eigenschaften der Sonne festlegen: deren scheinbare bolometrische Helligkeit ist m bol = −26.83, und der Entfernung von einer Astronomischen Einheit entspricht ein Entfernungsmodul von μ = −31.47. Daraus ergibt sich die absolute bolometrische Helligkeit der Sonne zu Mbol = m bol − μ = 4.74 mag ,
(A.31)
so dass man (A.30) schreiben kann als L , Mbol = 4.74 − 2.5 log L und die Leuchtkraft der Sonne beträgt
(A.32)
L = 3.85 × 1033 erg s−1 .
(A.33)
Der direkte Zusammenhang zwischen bolometrischer Helligkeit und Leuchtkraft einer Quelle ist in der Praxis nur schwer auszunutzen, da man die scheinbare bolometrische Helligkeit (oder den Fluss S) einer Quelle in den meisten Fällen nicht beobachten kann. Für die Beobachtung einer Quelle vom Boden aus steht nur ein sehr begrenztes Frequenzfenster zur Verfügung. Dennoch möchte man auch in diesen Fällen die Leuchtkraft einer Quelle quantifizieren können. Bei Quellen mit als bekannt vorausgesetztem Spektrum, wie etwa bei vielen Sternen, kann man aus Beobachtungen bei optischen Wellenlängen den Fluss zu größeren und kleineren Wellenlängen hin extrapolieren und somit m bol abschätzen. Bei Galaxien oder AGNs, die eine sehr viel breitere und viel mehr Variationen zwischen verschiedenen Objekten unterworfene Spektralverteilung besitzen, ist dies nicht möglich. In diesem Fall vergleicht man den Fluss einer Quelle in einem bestimmten Spektralbereich mit dem Fluss, den die Sonne bei gleicher Entfernung und im gleichen Spektralbereich hätte. Wenn M X die absolute Helligkeit einer Quelle gemessen im Filter X ist, dann ist die X-Band Leuchtkraft dieser Quelle definiert als L X = 10−0.4(M X −MX ) L X .
(A.34)
Wenn man also von der ,,blauen Leuchtkraft einer Galaxie“ spricht, so ist diese wie in (A.34) definiert zu verstehen.
419
B. Eigenschaften von Sternen In diesem Anhang fassen wir die wichtigsten Eigenschaften von Sternen zusammen, die für das Verständnis des Stoffes in diesem Buch benötigt werden. Diese knappe Abhandlung ersetzt natürlich nicht das Studium eines Lehrbuchs, in dem die Physik der Sterne ausführlich behandelt wird.
B.1
Zustandsgrößen der Sterne
Sterne sind in guter Näherung Gaskugeln, in deren Innerem durch thermonukleare Prozesse leichte Atomkerne in schwerere umgewandelt werden (vor allem Wasserstoff in Helium) und dadurch Energie erzeugt wird. Das äußere Erscheinungsbild eines Sterns ist zunächst charakterisiert durch seinen Radius R und seine charakteristische Temperatur T . Die Eigenschaften eines Sterns sind vor allem von seiner Masse M abhängig. In erster Näherung kann die spektrale Energieverteilung der Emission eines Sterns durch ein Schwarzkörperspektrum beschrieben werden. Dies bedeutet, dass die spezifische Intensität Iν in dieser Näherung durch ein Planck-Spektrum (A.13) gegeben ist. Die Leuchtkraft L eines Sterns ist die pro Zeiteinheit abgestrahlte Energie. Falls das Spektrum der Sterne durch ein Planck-Gesetz beschrieben würde, so hinge die Leuchtkraft von der Temperatur und dem Radius ab wie L = 4πR2 σSB T 4 ,
(B.1)
wobei wir von (A.22) Gebrauch gemacht haben. Allerdings weicht das Spektrum von Sternen vom Schwarzkörperspektrum ab (siehe Abb. 3.46). Man definiert die Effektivtemperatur Teff eines Sterns als die Temperatur, die ein Schwarzkörper haben müsste, um bei gleichem Radius die Leuchtkraft des Sterns abzustrahlen, also L 4 σSB Teff ≡ . (B.2) 4πR2 Die Leuchtkraft der Sterne umfasst einen riesigen Bereich; die schwächsten sind ∼ 104 mal leuchtschwächer als die Sonne, während die leuchtkräftigsten ∼ 105 mal soviel Energie pro Zeit abstrahlen. Diese Variation der Leuchtkraft kommt entweder zustande durch
eine Variation im Radius oder durch unterschiedliche Temperaturen. Aus der Farbe der Sterne wissen wir, dass Sterne unterschiedliche Temperatur besitzen: es gibt blaue Sterne, die wesentlich heißer sind als die Sonne, und sehr viel kühlere Sterne. Die Temperatur eines Sterns kann man aus seiner Farbe abschätzen: Aus dem Verhältnis der Flüsse bei zwei unterschiedlichen Wellenlängen oder, äquivalent dazu, aus dem Farbindex X − Y ≡ m X − m Y in zwei Filtern X und Y bestimmt man die Temperatur Tc , die ein Schwarzkörper haben müsste, um den gleichen Farbindex zu zeigen. Man nennt Tc die Farbtemperatur eines Sternes. Falls das Spektrum eines Sterns ein Planck-Spektrum wäre, so gälte Tc = Teff , aber im Allgemeinen unterscheiden sich diese beiden Temperaturen.
B.2
Spektralklasse, Leuchtkraftklasse und das Hertzsprung–Russell-Diagramm
Die Spektren der Sterne kann man anhand der in ihnen vorhandenen Spektrallinien von Atomen (und bei kühlen Sternen auch Molelülen) klassifizieren. Aufgrund der Linienstärken und ihrer Verhältnisse wurde die Harvard-Sequenz der Sternspektren eingeführt. Diese Spektralklassen folgen einer Sequenz, die mit den Buchstaben O, B, A, F, G, K, M bezeichnet wird; daneben gibt es einige weitere Spektralklassen, die wir hier nicht erwähnen wollen. Dieser Sequenz entspricht eine Sequenz der Farbtemperatur von Sternen: O-Sterne sind besonders heiß (ca. 50 000 K), M-Sterne mit ∼ 3500 K sehr viel kühler. Um eine feinere Unterteilung zu erhalten, wird jede Spektralklasse mit einer Ziffer zwischen 0 und 9 versehen. Ein A1-Stern hat ein sehr ähnliches Spektrum wie ein A0-Stern, während das Spektrum eines A5-Sterns etwa gleich viele Gemeinsamkeiten mit einem A0- wie mit einem F0-Stern hat. Trägt man für Sterne, deren Entfernungen und daher auch absoluten Helligkeiten man bestimmen kann, den Spektraltyp gegen die absolute Helligkeit auf, ergibt sich in einem solchen Hertzsprung–RussellDiagramm (HRD) eine auffallende Verteilung der
B. Eigenschaften von Sternen 420
Sterne. Anstatt der Spektralklasse kann man auch die Farbe von Sternen auftragen, typischerweise B − V . Das so erhaltene Farben-Helligkeits-Diagramm (color-magnitude diagram, CMD) ist einem HRD im Wesentlichen äquivalent, basiert aber allein auf photometrischen Daten. Ein anderes aber sehr ähnliches Diagramm trägt die Leuchtkraft gegen Effektivtemperatur auf. In der Abb. B.1 ist ein Farben-Helligkeits-Diagramm aufgezeichnet, wie es durch den HIPPARCOSSatelliten erhalten wurde. Anstatt diesen zweidimensionalen Parameterraum einigermaßen gleichmäßig auszufüllen, gibt es charakteristische Bereiche in einem solchen Farben-Helligkeits-Diagramm, in denen fast alle Sterne zu finden sind. Die meisten Sterne
Abb. B.1. Farben-Helligkeits-Diagramm für 41 453 Einzelsterne, deren Parallaxe mit besser als 20% Genauigkeit mit dem HIPPARCOS-Satelliten bestimmt wurden. Da die hier gezeigten Sterne unvermeidlich starken Auswahleffekten unterliegen, die nahe und leuchtkräftige Sterne bevorzugen, repräsentiert die relative Anzahldichte der Sterne nicht deren wirkliche Häufigkeit. Insbesondere ist die untere Hauptreihe sehr viel stärker bevölkert, als dies hier zum Ausdruck kommt
befinden sich auf einem dünnen Band, welches als Hauptreihe bezeichnet wird. Dieses erstreckt sich von frühen Spektralklassen (O, B) bei großen Leuchtkräften (,,oben links“) hin zu späten Spektraltypen (K, M) mit kleinen Leuchtkräften (,,unten rechts“). Von dieser Hauptreihe nach ,,rechts oben“ abzweigend gibt es den Bereich der Roten Riesen, unterhalb der Hauptreihe bei frühen Spektralklassen und bei sehr viel kleinerer Leuchtkraft als der Hauptreihe den Bereich der Weißen Zwerge. Die Tatsache, dass sich die meisten Sterne auf einer ein-dimensionalen Sequenz – der Hauptreihe – aufhalten, ist sicherlich eine der wichtigsten Entdeckungen der Astronomie, denn sie besagt, dass die Eigenschaften von Sternen auf der Hauptreihe im wesentlichen von einem Parameter bestimmt werden: der Masse dieser Sterne. Da es bei gleichem Spektraltyp und somit gleicher Farbtemperatur (und etwa gleicher Effektivtemperatur) Sterne sehr unterschiedlicher Leuchtkraft gibt, folgert man sofort, dass diese Sterne unterschiedliche Radien besitzen, wie man aus (B.2) ablesen kann. Sterne auf dem Roten Riesenast mit ihrer viel größeren Leuchtkraft als Hauptreihensterne gleicher Spektralklasse haben daher einen sehr viel größeren Radius als die entsprechenden Hauptreihensterne. Diesen Größeneffekt kann man auch spektroskopisch erkennen: Die Schwerebeschleunigung eines Sterns auf seiner Oberfläche ist GM g= 2 , (B.3) R und aus Berechnungen von Sternatmosphären wissen wir, dass die Breite von Spektrallinien von der Schwerebeschleunigung an der Oberfläche abhängt: je kleiner die Schwerebeschleunigung, umso schmaler sind die stellaren Absorptionslinien. Es gibt daher einen Zusammenhang zwischen der Linienbreite und dem Radius eines Sterns. Da der Radius eines Sterns – für festen Spektraltyp oder Effektivtemperatur – die Leuchtkraft festlegt, kann man aus der Schärfe der Linien die Leuchtkraft bestimmen. Für die Eichung dieser Beziehung muss man Sterne bekannter Entfernung heranziehen. Basierend auf der Schärfe von Spektrallinien teilt man die Sterne in Leuchtkraftklassen ein: Leuchtkraftklasse I nennt man Überriesen, die der Leuchtkraftklasse III Riesen, Hauptreihensterne werden als Zwerge bezeichnet und haben Leuchtkraftklasse V; dazu gibt es Helle
B.3 Struktur und Entwicklung von Sternen 421
B.3
Abb. B.2. Schematisches Farben-Helligkeits-Diagramm, in dem die Spektralklassen und Leuchtkraftklassen eingezeichnet sind
Riesen (II), Unterriesen (IV) und Unterzwerge (VI). Jedem Stern im Hertzsprung–Russell-Diagramm (HRD) kann man eine Leuchtkraftklasse und Spektralklasse zuordnen (Abb. B.2). Die Sonne ist ein G2-Stern der Leuchtkraftklasse V. Kennt man die Entfernung und daher auch die Leuchtkraft eines Sterns und kann zusätzlich über die Linienbreite die Schwerebeschleunigung ermitteln, so erhält man aus diesen Größen die Masse eines Sterns. Dabei stellt sich heraus, dass für Hauptreihensterne die Leuchtkraft eine steile Funktion der Sternmasse ist, die man durch L ≈ L
M M
3.5 (B.4)
näherungsweise beschreiben kann. Ein Hauptreihenstern mit M = 10M ist daher ∼ 3000 Mal leuchtkräftiger als unsere Sonne.
Struktur und Entwicklung von Sternen
Sterne sind in sehr guter Näherung sphärisch symmetrisch. Die Struktur eines Sterns wird daher beschrieben durch den radialen Verlauf der Zustandsgrößen des Sternplasmas. Diese sind die Dichte, der Druck, die Temperatur und die chemische Zusammensetzung der Materie. Über fast die gesamte Lebensdauer eines Sterns befindet sich das Plasma im hydrostatischen Gleichgewicht, so dass Druckkräfte und Gravitationskräfte gerade gleich sind. Im Zentrum von Sternen ist die Dichte und Temperatur so groß, dass thermonukleare Reaktionen in Gang gesetzt werden. In Hauptreihensternen wird Wasserstoff zu Helium fusioniert, also vier Protonen zu einem 4 He-Kern zusammengefügt. Dabei werden pro erzeugtem Heliumkern 26.73 MeV an Energie freigesetzt. Ein Teil dieser Energie wird in Form von Neutrinos erzeugt, die aufgrund ihres sehr kleinen Wirkungsquerschnitts aus dem Stern ungehindert entkommen und daher nicht zur Strahlungserzeugung beitragen.1 Die Energieerzeugungsrate ist für Temperaturen unterhalb von etwa 15 × 106 K, bei denen die Reaktionskette über die sog. pp-Kette verläuft, ungefähr proportional zu T 4 . Bei höheren Temperaturen setzt eine weitere Reaktionskette ein, der sog. CNO-Zyklus, dessen Energieerzeugungsrate eine sehr viel stärkere Temperaturabhängigkeit besitzt, etwa proportional zu T 20 . Die im Innern erzeugte Energie wird nach außen transportiert, wo sie in Form elektromagnetischer Strahlung freigesetzt wird. Dieser Energietransport kann auf zwei verschiedene Arten stattfinden. Zum einen 1 Der
Nachweis der Neutrinos von der Sonne in irdischen Detektoren war der endgültige Beweis für den Mechanismus der Energieerzeugung durch Fusionsprozesse. Allerdings war die gemessene Rate an Elektron-Neutrinos von der Sonne nur etwa halb so groß, wie man es aufgrund der Sonnenmodelle erwartet hat. Dieses solare Neutrinoproblem hat die Physiker und Astrophysiker über Jahrzehnte beschäftigt und war der erste Hinweis darauf, dass Neutrinos eine endliche Ruhemasse besitzen, da Elektron-Neutrinos sich dadurch auf dem Weg von der Sonne zu uns in andere Neutrinosorten umwandeln können. Inzwischen sind diese Neutrinooszillationen bestätigt worden: Neutrinos besitzen eine sehr kleine aber endliche Ruhemasse. Für ihre Forschungen auf dem Gebiet der solaren Neutrinos erhielten Raymond Davis und Masatoshi Koshiba 2002 die Hälfte des PhysikNobelpreis. Die andere Hälfte ging an Ricardo Giacconi für seine Pionierleistungen auf dem Gebiet der Röntgenastronomie.
B. Eigenschaften von Sternen 422
kann die Energie durch Strahlungstransport nach außen gelangen, zum anderen durch makroskopische Strömungsbewegungen des Sternplasmas. Diesen zweiten Mechanismus des Energietransports nennt man Konvektion; dabei steigen heiße Gaselemente nach oben auf, kühlere sinken gleichzeitig ab. Der Prozess ist ähnlich dem, der beim Erhitzen von Wasser auf einer Herdplatte vonstatten geht. Welcher dieser beiden Prozesse für den Energietransport verantwortlich ist, hängt von der Temperaturschichtung im Stern ab. Die Bereiche der Radien eines Sterns, in denen der Energietransport durch Konvektion geschieht, nennt man Konvektionszonen. Da innerhalb der Konvektionszonen das Sternmaterial durchmischt wird, ist dort die chemische Zusammensetzung homogen. Insbesondere können durch Konvektion die durch Kernfusion erzeugten chemischen Elemente durch den Stern transportiert werden. Sterne beginnen ihr Leben mit einer homogenen chemischen Zusammensetzung, die sich aus der Zusammensetzung der Molekülwolke ergibt, aus der sie sich gebildet haben. Wenn deren Masse etwa 0.08M übersteigt, reichen die Temperatur und der Druck im Innern aus, um die Fusion von Wasserstoff in Helium zu beginnen. Gaskugeln mit einer Masse unterhalb von ∼ 0.08M erreichen diese Bedingungen nicht, und diese Objekte – man nennt sie Braune Zwerge – sind daher im eigentlichen Sinne keine Sterne.2 Beim Beginn der Kernfusion befindet sich der Stern auf der anfänglichen Hauptreihe (Zero-Age Main Sequence, ZAMS) im HRD (siehe Abb. B.3). Die Energieerzeugung durch Fusion von Wasserstoff in Helium ändert die chemische Zusammensetzung im Sterninnern; der Wasserstoffgehalt nimmt in dem Maße ab wie der Heliumanteil zunimmt. Diese Phase des zentralen Wasserstoffbrennens hat daher eine endliche Lebensdauer. Grob geschätzt ändern sich die Bedingungen in einem Stern merklich, wenn etwa 10% des Wasserstoffvorrats aufgebraucht worden ist. Aus diesem Kriterium kann man nun die Lebensdauer eines Sterns auf der Hauptreihe abschätzen. Die in dieser Phase insgesamt 2 Falls die Masse eines Braunen Zwergs ∼ 0.013M
übersteigt, reicht die zentrale Dichte und Temperatur aus, um Deuterium (schwerer Wasserstoff) in Helium zu fusionieren. Die Häufigkeit von Deuterium ist jedoch um mehrere Zehnerpotenzen kleiner als die des normalen Wasserstoffs, so dass der Brennstoffvorrat eines Braunen Zwergs sehr gering ist.
Abb. B.3. Ein theoretisches Temperatur-LeuchtkraftDiagramm für Sterne. Die durchgezogene Kurve ist die ZAMS, auf der Sterne ihr zentrales Wasserstoffbrennen beginnen. Dargestellt sind die Entwicklungswege dieser Sterne, deren Masse angegeben ist. Die schraffierten Bereiche markieren Phasen, in denen die Entwicklung langsam verläuft und in denen daher viele Sterne beobachtet werden
erzeugte Energie lässt sich ausdrücken als E MS = 0.1 × Mc2 × 0.007 ,
(B.5)
wobei Mc2 die Ruhemassenenergie des Sterns ist, von der ein Anteil von 0.1 in Helium fusioniert wird, und dies geschieht mit einer Effizienz von 0.007. Anders ausgedrückt wird bei der Fusion von vier Protonen in einen Heliumkern eine Energie freigesetzt, die etwa 0.007 × 4m p c2 beträgt, wobei m p die Protonenmasse bezeichnet. Insbesondere besagt (B.5), dass die während der Hauptreihenphase insgesamt erzeugte Energie proportional zur Masse des Sterns ist. Andererseits wissen wir von (B.4), dass die Leuchtkraft eine steile Funk-
B.3 Struktur und Entwicklung von Sternen 423
tion der Sternmasse ist. Die Lebensdauer eines Sterns auf der Hauptreihe tMS kann man abschätzen, indem man die zur Verfügung stehende Energie E MS mit dem Produkt aus Leuchtkraft und Lebensdauer gleichsetzt. Daraus ergibt sich tMS =
E MS M/M ≈ 8 × 109 yr L L/L −2.5 M ≈ 8 × 109 yr . M
(B.6)
Aus dieser Betrachtung erhält man das Ergebnis, dass Sterne hoher Masse sehr viel schneller ihr Leben auf der Hauptreihe beenden als Sterne kleiner Masse. Die Sonne wird sich etwa acht bis zehn Milliarden Jahre auf der Hauptreihe aufhalten, wobei sie etwa die Hälfte dieser Zeit bereits hinter sich gebracht hat. Die Lebensdauer von sehr leuchtkräftigen Sternen, wie etwa den O- und B-Sternen, beträgt dagegen nur einige Millionen Jahre, bevor sie die Hauptreihe verlassen. Im Laufe ihrer Hauptreihen-Entwicklung bewegen sich die Sterne im HRD nur wenig von der ZAMS weg, hin zu etwas größeren Leuchtkräften und etwas kleineren Effektivtemperaturen. Weiterhin können insbesondere die massereichen Sterne durch Sternwinde einen Teil ihrer anfänglichen Masse verlieren. Die Entwicklung nach der Hauptreihe hängt von der Sternmasse ab. Sehr massearme Sterne, M 0.7M , haben eine Lebensdauer auf der Haupreihe, die das Weltalter übersteigt, und sie können sich daher noch nicht von der Hauptreihe wegentwickelt haben. Für massereiche Sterne, M 2.5M , folgt auf das zentrale Wasserstoffbrennen der Hauptreihe zunächst eine relativ kurze Phase, in der die Wasserstofffusion zu Helium in einer Schale des Sterns, also außerhalb des Zentrums, verläuft. In dieser Phase bewegt sich der Stern im HRD rasch nach ,,rechts“, hin zu kleineren Temperaturen, wobei er sich stark ausdehnt. Danach steigen die Dichte und Temperatur im Zentrum so weit an, dass Helium in Kohlenstoff fusionieren kann. Es gibt dann eine zentrale Helium-Brennzone und eine Schalenquelle, in der Wasserstoff verbrannt wird. Sobald das Helium im Kern verbrannt ist, bildet sich eine zweite Schalenquelle der Heliumfusion. Dabei wird der Stern
zum Roten Riesen oder Überriesen, wobei er in Form eines Sternwindes einen Teil seiner Masse an das ISM abgibt. Der weitere Entwicklungsweg hängt von diesem Massenverlust ab. Ein Stern mit einer Anfangsmasse M 8M entwickelt sich zum Weißen Zwerg, wie wir weiter unten noch diskutieren werden. Für Sterne mit Anfangsmasse M 2.5M verläuft das Heliumbrennen im Kern explosiv; es kommt zum sog. Helium-Flash. Dabei wird ein großer Teil seiner Masse abgestoßen, wonach eine neue stabile Gleichgewichtskonfiguration eingenommen wird, in der eine Helium-Schalenquelle neben der WasserstoffSchalenquelle brennt. Der Stern entwickelt sich dabei unter Vergrößerung seines Radius zum Roten Riesen und Überriesen und bewegt sich im HDR auf dem asymptotischen Riesenast (asymptotic giant branch, AGB). Die Konfiguration in der Helium-Schalenquelle ist instabil, so dass das Brennen in Form von Pulsen stattfindet. Dabei kommt es nach einiger Zeit zum Abstoßen der Hülle des Sterns, die dann als Planetarischer Nebel sichtbar wird. Der verbleibende Zentralstern bewegt sich dabei nach links im HRD, d. h. seine Temperatur steigt stark an (auf über 105 K), während sein Radius kleiner wird. Schließlich bewegt er sich im HRD nach unten, verliert etwas an Temperatur, und verringert seinen Radius um mehrere Größenordnungen: Ein Weißer Zwerg ist entstanden, dessen Masse etwa 0.6M und dessen Radius etwa dem der Erde entspricht. Ist die Anfangsmasse des Sterns 8 M , wird die Dichte und Temperatur im Innern so groß, dass auch der Kohlenstoff als zentrale Quelle fusionieren kann. Die weitere Entwicklung hin zu einer KernkollapsSupernova wird in Abschn. 2.3.2 beschrieben. Die verschiedenen Phasen der stellaren Entwicklung geschehen unterschiedlich schnell; dies bedeutet, dass Sterne bestimmte Bereiche im HRD sehr schnell durchlaufen. Aus diesem Grunde findet man diese Entwicklungsstadien im HRD nie oder nur selten. Andererseits gibt es langandauernde Entwicklungsstadien, wie die Hauptreihe oder den Roten Riesenast, so dass die entsprechenden Bereiche in einem beobachteten HRD mit vielen Sternen besetzt sind.
425
C. Einheiten und Konstanten In diesem Buch haben wir, neben astronomischen Einheiten, durchgehend das Gaußsche cgsSystem der Einheiten benutzt, in dem Längen in cm, Massen in g und Energien in erg gemessen werden; dieses System der Einheiten ist in der Astronomie üblich. In diesen Einheiten ist die Lichtgeschwindigkeit c = 2.998 × 1010 cm s−1 , die Massen von Proton, Neutron und Elektron sind m p = 1.673 × 10−24 g, m n = 1.675 × 10−24 g und m e = 9.109 × 10−28 g. Als Längeneinheit in der Astronomie wird häufig die Astronomische Einheit, also die mittlere Entfernung von Erde und Sonne benutzt, 1 AU = 1.496 × 1013 cm, sowie das Parsec, 1 pc = 3.086 × 1018 cm. Ein Jahr hat 1 yr = 3.156 × 107 s. Massen werden typischerweise auch in Sonnenmassen gemessen, 1M = 1.989 × 1033 g, und die bolometrische Leuchtkraft der Sonne beträgt L = 3.846 × 1033 erg s−1 . In cgs-Einheiten beträgt der Wert der Elementarladung e = 4.803 × 10−10 cm3/2 g1/2 s−1 , und die
Einheit der Magnetfeldstärke ist das Gauß, wobei 1 G = 1 g1/2 cm−1/2 s−1 = 1 erg1/2 cm−3/2 . Röntgenastronomen messen Energien in Elektronenvolt, wobei 1 eV = 1.602 × 10−12 erg ist. Weiterhin kann man Temperaturen in Energieeinheiten messen, da kB T die Dimension einer Energie trägt. Es gilt der Zusammenhang 1 eV = 1.161 × 104 kB K. Da wir die Boltzmann-Konstante kB immer in Kombination mit einer Temperatur benutzen, benötigen wir ihren eigentlichen Wert nie. Ähnliches gilt auch für die Gravitationskonstante, die immer in Kombination mit einer Masse benutzt wird. Es gilt G M c−2 = 1.495 × 105 cm. Die Frequenz ν eines Photons ist verknüpft mit seiner Energie über h P ν = E, und es gilt der Zusammen14 −1 hang 1 eV h −1 = 2.418 × 1014 Hz. P = 2.418 × 10 s Entsprechend schreibt man die Wellenlänge λ = c/ν = h P c/E in der Form hPc = 1.2400 × 10−4 cm = 12 400 Å . 1 eV
427
D. Literaturempfehlungen Im Folgenden sollen einige Empfehlungen für ein weiteres Literatur-Studium der Astrophysik genannt werden. Die allgemeinen Lehrbücher sind insbesondere für diejenigen Leser als Lektüre zu empfehlen, die bisher wenig mit Astronomie in Berührung gekommen sind. Die Auswahl der hier aufgelisteten Literatur ist sehr subjektiv und spiegelt den Geschmack des Autors wider.
Das vor kurzem erschienene Buch
• M.H. Jones & R.J.A. Lambourne: An Introduction to Galaxies and Cosmology, Cambridge University Press, Cambridge, 2003 behandelt den in diesem Buch beschriebenen Themenkreis und kann ebenfalls sehr empfohlen werden.
D.2 D.1
Speziellere Literatur
Allgemeine Lehrbücher
Deutschsprachige Lehrbücher über Astronomie gibt es nur wenige. Mein Favorit ist
• A. Unsöld & B. Baschek: Der Neue Kosmos, Springer-Verlag, Berlin, 2002; daneben soll erwähnt werden
• A. Weigert, H.J. Wendker & L. Wisotzki: Astronomie und Astrophysik, Wiley-VCH, Berlin, 2004. Eine sehr nützliche allgemeine Einführung in die Astronomie ist das für die gymnasiale Oberstufe konzipierte Schulbuch
• K. de Boer, D. Fürst et al.: Astronomie, Paetec Gesellschaft für Bildung und Technik mbH, Berlin, 2001.
Zu den einzelnen Themenbereichen, die in diesem Buch behandelt wurden, gibt es jeweils spezifische Monographien und Lehrbücher, von denen im Folgenden einige speziell empfohlen werden sollen. Astrophysikalische Prozesse:
• M. Harwit: Astrophysical Concepts, SpringerVerlag, New-York, 1988,
• G.B. Rybicki & A.P. Lightman: Radiative Proces• • •
ses in Astrophysics, John Wiley & Sons, New York, 1979, F. Shu: The Physics of Astrophysics I: Radiation, University Science Books, Mill Valley, 1991, F. Shu: The Physics of Astrophysics II: Gas Dynamics, University Science Books, Mill Valley, 1991, S.N. Shore: The Tapestry of Modern Astrophysics, Wiley-VCH, Berlin, 2002, D.E. Osterbrock: Astrophysics of Gaseous Nebulae and Active Galactic Nuclei, University Science Books, Mill Valley, 1989.
Die englischsprachige Literatur ist deutlich vielfältiger, variiert aber sehr stark hinsichtlich des Niveaus der Darstellung. Hier kann nur eine sehr kleine Auswahl allgemeiner Lehrbücher erwähnt werden. Eine ausgezeichnete und wenig technische Darstellung der gesamten Astronomie ist das Buch
Galaxien und Gravitationslinsen:
• F. Shu: The Physical Universe: An Introduction
• L.S. Sparke & J.S. Gallagher: Galaxies in the Uni-
to Astronomy, University Science Books, Sausalito, 1982.
verse: An Introduction, Cambridge University Press, Cambridge, 2000, J. Binney & M. Merrifield: Galactic Astronomy, Princeton University Press, Princeton, 1998, R.C. Kennicutt, Jr., F. Schweizer & J.E. Barnes: Galaxies: Interactions and Induced Star Formation, Saas-Fee Advanced Course 26, Springer-Verlag, Berlin, 1998,
Ein ebenfalls exzellentes Lehrbuch der Astrophysik in ihrer ganzen Breite ist
• B.W. Carroll & D.A. Ostlie: An Introduction to Modern Astrophysics, Addison Wesley, Reading, 1996.
•
• •
D. Literaturempfehlungen 428
• F. Combes, P. Boiss´e, A. Mazure & A. Blanchard: Galaxies and Cosmology, Springer-Verlag, 2001, • P. Schneider, J. Ehlers & E.E. Falco: Gravitational Lenses, Springer-Verlag, New York, 1992. • C.S. Kochanek, P. Schneider & J. Wambsganss: Gravitational Lensing: Strong, Weak & Micro, Lecture Notes of the 33rd Saas-Fee Advanced Course, G. Meylan, P. Jetzer & P. North (Eds.), Springer-Verlag, Berlin, 2005. Aktive Galaxien:
• B.M. Peterson: An Introduction to Active Galac• • •
tic Nuclei, Cambridge University Press, Cambridge, 1997, R.D. Blandford, H. Netzer & L. Woltjer: Active Galactic Nuclei, Saas-Fee Advanced Course 20, Springer-Verlag, 1990, J. Krolik: Active Galactic Nuclei, Princeton University Press, Princeton, 1999, J. Frank, A. King & D. Raine: Accretion Power in Astrophysics, Cambridge University Press, Cambridge, 2002.
Kosmologie:
• J.A. Peacock: Cosmological Physics, Cambridge University Press, Cambridge, 1999,
• T. Padmanabhan: Structure formation in the Uni• • • •
verse, Cambridge University Press, Cambridge, 1993, E.W. Kolb and M.S. Turner: The Early Universe, Addison Wesley, 1990, P.J.E. Peebles: Principles of Physical Cosmology, Princeton University Press, Princeton, 1993, G. Börner: The Early Universe, Springer-Verlag, Berlin, 2003 , A.R. Liddle and D.H. Lyth: Cosmological Inflation and Large-Scale Structure, Cambridge University Press, Cambridge, 2000.
um sich eingehender über ein spezielles Gebiet zu informieren. Es gibt eine Reihe von Journalen und Reihen, in denen exzellente Übersichtsartikel publiziert werden. Dazu gehören Annual Reviews of Astronomy and Astrophysics (ARA&A) und Astronomy & Astrophysics Reviews (A&AR), die ausschließlich astronomische Artikel publizieren. In Physics Reports (Phys. Rep.) und Reviews of Modern Physics (RMP) findet man häufig ebenfalls astronomische Übersichtsartikel. Solche werden weiterhin in den Niederschriften von internationalen Schulen und in den Proceedings von Konferenzen publiziert. Speziell erwähnt werden sollen hier die Lecture Notes der Saas-Fee Advanced Courses, sowie die Carnegie Observatories Astrophysics Series, deren Proceedings elektronisch unter http://www.ociw.edu/ociw/symposia/series
frei zugänglich sind. Ein sehr nützliches Archiv für Übersichtsartikel auf den in diesem Buch behandelten Gebieten ist die Knowledgebase for Extragalactic Astronomy and Cosmology, zu finden unter http://nedwww.ipac.caltech.edu/level5. Astronomische Originalarbeiten werden in den entsprechenden Fachjournalen publiziert; die überwiegende Zahl der in diesem Buch gezeigten Abbildungen stammen aus diesen Journalen. Die wichtigsten von ihnen sind Astronomy & Astrophysics (A&A), The Astronomical Journal (AJ), The Astrophysical Journal (ApJ), Monthly Notices of the Royal Astronomical Society (MNRAS) und Publications of the Astronomical Society of the Pacific (PASP). Daneben gibt es eine Reihe von kleineren, regionalen oder spezialisierten Journalen, wie etwa die Astronomischen Nachrichten (AN), Acta Astronomica (AcA), oder Publications of the Astronomical Society of Japan (PASJ). Einige astronomische Artikel werden auch in den Journalen Nature und Science veröffentlicht. The Physical Review D enthält eine zunehmende Zahl von Arbeiten über astrophysikalische Kosmologie. Das Astrophysical Data System (ADS) der NASA, zugänglich über das Internet z. B. unter http://cdsads.u-strasbg.fr/abstract service.html,
D.3
Übersichtsartikel, Aktuelle Literatur und Journale
Neben solchen Büchern sind Übersichtsartikel zu einem bestimmten Themenkreis von besonderem Interesse,
http://adsabs.harvard.edu/abstract service.html,
ist der beste Zugang zu diesen (und vielen anderen) Journalen. Neben Suchfunktionen für Autoren und Stichworten bietet ADS u. a. auch direkten Zugang zu älteren Artikeln, die gescannt wurden. Der Zugang zu neueren Arbeiten ist beschränkt auf IP-Addressen,
D.3 Übersichtsartikel, Aktuelle Literatur und Journale 429
denen eine Subskription zu den jeweiligen Journalen zugeordnet ist. Ein elektronisches Archiv für Preprints von Artikeln ist über http://arxiv.org/archive/astro-ph
frei erreichbar. Dieses Archiv existiert seit 1992, und eine zunehmende Zahl von Artikeln wird dort abge-
legt. Speziell auf den Gebieten der extragalaktischen Astronomie und der Kosmologie sind wohl etwa 90% der in den wichtigsten Journalen erscheinenden Artikel auf astro-ph zu finden; auch findet man in diesem Archiv eine große Zahl von Übersichtsartikeln. astroph ist zur primären Informationsquelle für Astronomen geworden.
431
E. Benutzte Akronyme In diesem Anhang stellen wir einige der benutzten Abk¨urzungen zusammen, sowie Hinweise auf die Abschnitte, in denen diese Abk¨urzungen eingef¨uhrt bzw. erl¨autert werden.
CfA CFHT CFRS
2dF(GRS)
2 Degree Field Galaxy Redshift Survey (Abschn. 8.1.2) ACBAR Arcminute Cosmology Bolometer Array Receiver (Abschn. 8.6.5) ACO Abell, Corwin & Olowin (Galaxienhaufenkatalog, Abschn. 6.2.1) ACS Advanced Camera for Surveys (HSTInstrument) AGB Asymptotic Giant Branch (Abschn. 3.9.2) AGN Active Galactic Nuclei (Kap. 5) ALMA Atacama Large Millimeter Array (Kap. 10) APEX Atacama Pathfinder Experiment (Kap. 10) ART Allgemeine Relativit¨atstheorie AU Astronomical Unit BAL Broad Absorption Line (-Quasar, Abschn. 5.6.3) BATSE Burst And Transient Source Experiment (CGRO-Instrument, Abschn. 9.7) BBB Big Blue Bump (Abschn. 5.4.1) BBN Big Bang Nucleosynthesis (Abschn. 4.4.4) BCD Blue Compact Dwarf (Abschn. 3.2.1) BH Black Hole (Abschn. 5.3.5) BLR Broad Line Region (Abschn. 5.4.2) BLRG Broad Line Radio Galaxy (Abschn. 5.2.3) BOOMERanG Balloon Observations Of Millimetric Extragalactic Radiation and Geophysics (Abschn. 8.6.4) CBI Cosmic Background Imager (Abschn. 8.6.5) CCD Charge Coupled Device CDM Cold Dark Matter (Abschn. 7.4.1) CERN Conseil European pour la Recherch´e Nucleaire
CGRO CHVC CIB CLASS CMB CMD COBE CTIO DASI EdS EMSS EPIC EROS
ESA ESO FFT FHD FIR FJ FOC FORS
Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics Canada-France-Hawaii Telescope (Abschn. 1.3.3) Canada-France Redshift Survey (Abschn. 8.1.2) Compton Gamma Ray Observatory (Abschn. 1.3.5) Compact High Velocity Cloud (Abschn. 6.1.3) Cosmic Infrared Background (Abschn. 9.3.1) Cosmic Lens All-Sky Survey (Abschn. 3.8.3) Cosmic Microwave Background (Abschn. 8.6) Color Magnitude Diagramm (Anhang B) Cosmic Background Explorer (Abschn. 8.6.4) Cerro Tololo Inter-American Observatory Degree Angular Scale Interferometer (Abschn. 8.6.4) Einstein–de Sitter (Abschn. 4.3.4) Extended Medium Sensitivity Survey (Abschn. 6.3.5) European Photon Imaging Camera (XMM-Newton Instrument) Exp´erience pour la Recherche d’Objets Sombres (Mikrolinsen-Kollaboration, Abschn. 2.5) European Space Agency European Southern Observatory (Abschn. 1.3.3) Fast Fourier Transform (Abschn. 7.5.3) Farben-Helligkeits-Diagramm (Anhang B Far Infrared Faber-Jackson (Abschn. 3.4.2) Faint Object Camera (HST-Instrument) Focal Reducer / Low Dispersion Spectrograph (VLT-Instrument)
E. Benutzte Akronyme 432
FOS FP FR(I/II) FWHM GC GRB GUT Gyr HB HCG HDF(N/S) HDM HEAO HRD HRI HST HVC IAU ICM IGM IMF IoA IR IRAS ISM ISO IUE JCMT JVAS JWST KAO LBG LCRS
Faint Object Spectrograph (HST-Instrument) Fundamental Plane (Abschn. 3.4.3) Faranoff-Riley Type (Abschn. 5.1.2) Full Width Half Maximum Galactic Center (Abschn. 2.3, 2.6) Gamma-Ray Burst (Abschn. 1.3.5, 9.7) Grand Unified Theory (Abschn. 7.4.1) Gigayear = 109 Jahre Horizontal Branch (Horizontalast) Hickson Compact Group (Galaxiengruppenkatalog, Abschn. 6.2.8) Hubble Deep Field (North / South) (Abschn. 1.3.3, 9.1.3) Hot Dark Matter (Abschn. 7.4.1) High Energy Astrophysical Observatory (Abschn. 1.3.5) Hertzsprung-Russell Diagram (Anhang B) High Resolution Imager (ROSATInstrument) Hubble Space Telescope (Abschn. 1.3.3) High Velocity Cloud (Abschn. 2.3.6) International Astronomical Union Intra-Cluster Medium (Kap. 6) Intergalactic Medium (Abschn. 8.5.2) Initial Mass Function (Abschn. 3.9.1) Institute of Astronomy (Cambridge) Infrared (Abschn. 2.3.1) Infrared Astronomical Observatory (Abschn. 2.3.1) Interstellar Medium Infrared Space Observatory (Abschn. 2.3.1) International Ultraviolet Explorer James Clerk Maxwell Telescope (Abschn. 1.3.1) Jodrell Bank-VLA Astrometric Survey (Abschn. 3.8.3) James Webb Space Telescope (Kap. 10) Kuiper Airborne Observatory (Abschn. 2.3.1) Lyman-Break Galaxies (Abschn. 9.1.1) Las Campanas Redshift Survey (Abschn. 8.1.2)
LHC LISA LMC LOFAR LSB LSR LSS MACHO
MAMBO MAXIMA MDM MIR MLCS MMT MS MW NAOJ NFW NGC NGP NICMOS NIR NLR NLRG NOAO NRAO NTT OGLE
OVV PL
Large Hadron Collider Laser Interferometer Space Antenna (Kap. 10) Large Magellanic Cloud Low Frequency Array (Kap. 10) Low Surface Brightness Galaxy (Abschn. 7.5.4) Local Standard of Rest (Abschn. 4.2.1) Large-Scale Structure (Kap. 8) Massive Compact Halo Object (sowie gleichnamige Kollaboration, Abschn. 2.5) Max-Planck Millimeter Bolometer (Abschn. 9.3.2) Millimeter Anisotropy Experiment Imaging Array (Abschn. 8.6.4) Mixed Dark Matter (Abschn. 7.4.2) Mid-Infrared Multi-Color Light Curve Shape (Abschn. 8.3.1) Multi-Mirror Telescope Main Sequence (Hauptreihe) Milky Way National Astronomical Observatory of Japan Navarro, Frenk & White (-Profil, Abschn. 7.5.4) New General Catalog (Kap. 3) North Galactic Pole (Abschn. 2.1) Near Infrared Camera and Multi-Object Spectrometer (HST-Instrument) Near Infrared Narrow Line Region (Abschn. 5.4.3) Narrow Line Radio Galaxy (Abschn. 5.2.3) National Optical Astronomy Observatory National Radio Astronomy Observatory New Technology Telescope Optical Gravitational Lensing Experiment (Mikrolinsen-Kollaboration, Abschn. 2.5) Optically Violently Variable (Abschn. 5.2.4) Period-Luminosity (Abschn. 2.2.7)
E. Benutzte Akronyme 433
PLANET
PN POSS PSF PSPC QSO RASS RCS REFLEX RGB ROSAT SAO SCUBA SDSS SFR SGP SIS SKA SN(e) SNR SMC SMBH STIS
Probing Lensing Anomalies Network (Mikrolinsen-Kollaboration, Abschn. 2.5) Planetary Nebula Palomar Observatory Sky Survey Point Spread Function (Punktbildfunktion) Position-Sensitive Proportional Counter (ROSAT-Instrument) Quasi-Stellar Object (Abschn. 5.2.1) ROSAT All Sky Survey (Abschn. 6.3.5) Red Cluster Sequence (Abschn. 6.6) ROSAT-ESO Flux-Limited X-Ray survey Red Giant Branch (Abschn. 3.9.2) Roentgen Satellite (Abschn. 1.3.5) Smithsonian Astrophysical Observatory Submillimeter Common-User Bolometer Array (Abschn. 1.3.1) Sloan Digital Sky Survey (Abschn. 8.1.2) Star Formation Rate (Abschn. 9.5.1) South Galactic Pole (Abschn. 2.1) Singular Isothermal Sphere (Abschn. 3.8.2) Square Kilometer Array (Kap. 10) Supernova(e) (Abschn. 2.3.2) Supernova Remnant Small Magellanic Cloud Supermassive Black Hole (Abschn. 5.3) Space Telescope Imaging Spectrograph (HST-Instrument)
STScI SZ TF UDF ULIRG ULX UV VLA VLBI VLT VST WD WIMP WFI
WFPC2 WMAP XMM XRB ZAMS
Space Telescope Science Institute (Abschn. 1.3.3) Sunyaev-Zeldovich (-Effekt, Abschn. 6.3.4) Tully-Fisher (Abschn. 3.4) Ultra Deep Field (Abschn. 9.1.3) Ultraluminous Infrared Galaxy (Abschn. 9.2.1) Ultraluminous Compact X-ray Source (Abschn. 9.2.1) Ultraviolett Very Large Array (Abschn. 1.3.1) Very Long Baseline Interferometer (Abschn. 1.3.1) Very Large Telescope (Abschn. 1.3.3) VLT Survey Telescope (Abschn. 6.2.5) White Dwarf (Abschn. 2.3.2) Weakly Interacting Massive Particle (Abschn. 4.4.2) Wide Field Imager (Kamera am ESO/MPG 2.2m Teleskop, La Silla, Abschn. 6.5.2) Wide Field and Planetary Camera 2 (HST-Instrument) Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (Abschn. 8.6.5) X-ray Multi-Mirror Mission (Abschn. 1.3.5) X-Ray Background (Abschn. 9.3.2) Zero Age Main Sequence (Abschn. 3.9.2)
435
F. Quellennachweis der Abbildungen Kapitel 1
vey.html http://www.atnf.csiro.au/database/ astro_data/ 2.4Gh_Southern
1.1 Credits: ESO
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[email protected] References: Dame, T. M., Hartmann, Dap, & Thaddeus, P. 2001, Astrophysical Journal, 547, 792. Online data access: CO data (1987 Dame et al. composite survey) from ADC archives: ftp://adc.gsfc.nasa.gov/pub/adc/ archives/catalogs/8/8039/
1.2 Credits: NASA, The NICMOS Group (STScI, ESA) and The NICMOS Science Team (Univ. of Arizona) 1.5 Quelle: http://adc.gsfc.nasa.gov/mw/ mmw_product.html#viewgraph Credits: NASA’s Goddard Space Flight Center Radio Continuum (408 MHz): Data from groundbased radio telescopes (Jodrell Bank Mark I and Mark IA, Bonn 100-meter, and Parkes 64meter). Credits: Image courtesy of the NASA GSFC Astrophysics Data Facility (ADF). Reference: Haslam, C. G. T., Salter, C. J., Stoffel, H., & Wilson, W. E. 1982, Astron. Astrophys. Suppl. Ser., 47, 1. Online data access: http://www.mpifrbonn.mpg.de/survey.html Atomic Hydrogen: Leiden-Dwingeloo Survey of Galactic Neutral Hydrogen using the Dwingeloo 25-m radio telescope. contact/credit: Dap Hartmann,
[email protected] References: Burton, W. B. 1985, Astron. Astrophys. Suppl. Ser., 62, 365 Hartmann, Dap, & Burton, W. B., ,,Atlas of Galactic Neutral Hydrogen,“ Cambridge Univ. Press, (1997, book and CD-ROM). Kerr, F. J., et al. 1986, Astron. Astrophys. Suppl. Ser. Online data access: http://adc.gsfc.nasa.gov/ adc-cgi/cat.pl?/catalogs/8/8054 Radio Continuum (2.4–2.7 GHz): Data from the Bonn 100-meter, and Parkes 64-meter radio telescopes. contact/credit: Roy Duncan,
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F. Quellennachweis der Abbildungen 436
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1.13 Quelle: http://heritage.stsci.edu/1999/41/ index.html Credits: STScI and The Hubble Heritage Project 1.14 Quelle: www.noao.edu/image_gallery/html/ im0118.html Credits: NOAO/AURA/NSF 1.15 Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/0087/ Credits: Optisch: La Palma/B. McNamara/Röntgen: NASA/CXC/SAO 1.16 Quelle: http://heritage.stsci.edu/1999/31/ index.html Credits: STScI und das Hubble Heritage Project 1.17 Quelle: http://aether.lbl.gov/www/projects/cobe/ COBE_Home/DMR_Images.html Credits: COBE/DRM Team, NASA 1.18 Quelle: http://www.nrao.edu/imagegallery/php/ level3.php?id=107 Credits: NRAO/AUI 1.19 Quelle: http://www.naic.edu/public/about/photos/ hires/ao004.jpg courtesy of the NAIC - Arecibo Observatory, a facility of the NSF. Photo by David Parker / Science Photo Library 1.20 links: Quelle: http://www.mpifr-bonn.mpg.de/ public/images/100m.html Credits: Max Planck Institut für Radioastronomie 1.20 rechts: Quelle: http://www.nrao.edu/imagegallery/ php/level3.php?id=412 Credits: NRAO/AUO 1.21 Quelle: http://webdbnasm.si.edu/tempadmin/ whatsNew/whatsNewImages/sCredits: NRAO/AUO
1.10 Quelle: E. Hubble; Proc. Nat. Academy Sciences 15, No. 3, March 15, 1929 Credits: PNAS
1.22 Quelle: http://www.mpifr-bonn.mpg.de/staff/ bertoldi/mambo/intro.html Credits: Max Planck Institut für Radioastronomie
1.11 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/ newsdesk/archive/releases/1996/35/image/b Credits: John Bahcall (Institute for Advanced Study, Princeton) and NASA
1.23 Quelle: http://outreach.jach.hawaii.edu/ pressroom/2003-scuba2cfi/jcmt.jpg Credits: Joint Astronomy Centre
1.12 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/ newsdesk/archive/releases/1997/17/image/a Credits: Rodger Thompson, Marcia Rieke, Glenn Schneider (University of Arizona) and Nick Scoville (California Institute of Technology), and NASA
1.24 links: Quelle: http://www.spitzer.caltech.edu/ about/earlyhist.shtml Credits: Courtesy NASA/IPAC 1.24 rechts Quelle: http://www.esa.int/esaSC/ 120396_index_1_m.html Credits: ESA / www.esa.int
F. Quellennachweis der Abbildungen 437
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2.8 Credits: Unsöld Baschek, Der Neue Kosmos, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2002 2.9 Quelle: Tammann et al, 2003, A&A 404, 423, p. 436 Credits: G.A. Tammann, Astronomisches Institut der Universität Basel, 2.10 Credits: Unsöld Baschek, Der Neue Kosmos, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2002 2.11 Credits: Schlegel, D.J., Finkbeiner, D.P. & Davis, M., ApJ 1999, 500, 525, 2.12 Quelle: Reid 1993, ARA&A 31, 345, p.355 Credits: Reprinted, with permission, from the Annual Review of Astronomy & Astrophysics 2.14 nach Caroll & Ostlie, 1995 2.18 Introduction to Modern Astrophysics. Addison– Wesley 2.19 Credits: Englmaier & Gerhard 1999, MNRAS 304, 512, p. 514
1.32 rechts unten: sXMM: Quelle: http://sci.esa.int/ science-e/www/area/index.cfm?fareaid=23 Credits: ESA / www.esa.int
2.20 Credits: Clemens 1985, ApJ 295, 422, p. 429
1.33 links: Quelle: http://cossc.gsfc.nasa.gov/images/ epo/gallery/cgro/ Credits: NASA
2.23 Credits: Schneider, Ehlers & Falco 1992, Gravitational Lensing, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 2002
1.33 rechts: Quelle: http://www.esa.int/esaSC/ 120374_index_1_m.html Credits: ESA / www.esa.int
Kapitel 2 2.1 Quelle: http://belplasca.de/Astro/ milchstrasse.html Credits: Stephan Messner, Sternwarte Brennerpass 2.5 Quelle: http://www.ociw.edu/research/ sandage.html Credits: Allan Sandage, The Observatories of the Carnegie Institution of Washington 2.6 Quelle: Draine 2003, ARA&A 41, 241 Credits: Reprinted, with permission, from the Annual Review of Astronomy & Astrophysics 2.7 Credits: ESO
2.21 Credits: Wambsganss 1998, Living Review in Relativity 1, 12
2.24 Quelle: Paczynski 1996, ARA&A 34, 419, p.424 Credits: Reprinted, with permission, from the Annual Review of Astronomy & Astrophysics 2.25 Credits: Wambsganss 1998, Living Review in Relativity 1, 12 2.26 Quelle: Paczynski 1996, ARA&A 34, 419, p.425,426,427 Credits: Reprinted, with permission, from the Annual Review of Astronomy & Astrophysics 2.27 Quelle: Alcock et al. 1993, Nature 365, 621 Credits: Charles R. Alcock, Harvard-Smithonian Center for Astrophysics 2.28 Quelle: Alcock et al. 2000, ApJ 542, 281, p. 284 Credits: Charles R. Alcock, Harvard-Smithonian Center for Astrophysics
F. Quellennachweis der Abbildungen 438
2.29 Quelle: Alcock et al. 2000, ApJ 542, 281, p. 304 Credits: Charles R. Alcock, Harvard-Smithonian Center for Astrophysics
3.4 Quelle: NASA, K. Borne, L. Colina, H. Bushouse & R. Lucas Credits: Kirk Borne, Goddard Space Flight Center, Greenbelt, MD 20771, USA
2.30 Credits: Afonso et al., 2003, A&A 400, 951, p. 955
3.5 oben links: Quelle: http://archive.eso.org/dss - dss 12.23.28.0.gif Credits: ESO
2.31 Quelle: Paczynski 1996, ARA&A 34, 419, p. 435,434 Credits: Reprinted, with permission, from the Annual Review of Astronomy & Astrophysics 2.32 Credits: Albrow et al. 1999, ApJ 512, 672, p. 674 2.33 Credits: W. Keel (U. Alabama, Tuscaloosa), Cerro Tololo, Chile 2.34 links Quellen: Links: N.E. Kassim, aus LaRosa et al. 2000, AJ 119, 207, Credits: Produced at the U.S. Naval Research Laboratory by Dr. N.E. Kassim and collaborators from data obtained with the National Radio Astronomy’s Very Large Array Telescope, a facility of the National Science Foundation operated under cooperative agreement with Associated Universities, Inc. Basic research in radio astronomy at the Naval Research Laboratory is supported by the U.S. Office of Naval Research 2.34 rechts oben: Credits: Plante et al. 1995, ApJ 445, L113 2.34 rechts Mitte: Credits: Image courtesy of NRAO/ AUI; National Radio Astronomy Observatory 2.34 rechts unten: Credits: Image courtesy of Leo Blitz and Hat Creek Observatory 2.35 Credits: NASA/UMass/D.Wang et al. 2.36 Credits: Genzel 2000, astro-ph/0008119, p.18 Credits: Reinhard Genzel, MPE 2.37 Credits: Schödel et al., 2003, ApJ 596, 1015, p.1024 2.38 Credits: Schödel et al., 2003, ApJ 596, 1015, p.1027 2.39 Credits: Reid & Brunthaler 2004, ApJ 616, 872, p. 875
Kapitel 3 3.1 Credits: ESO 3.2 Credits: Kormendy & Bender 1996, ApJ 464, 119
3.5 oben rechts: Credits: ESO 3.5 unten links: Credits: Leo I, Michael Breite, www.skyphoto.de 3.5 unten rechts: Quelle: http://hubblesite.org/ newscenter/newsdesk/archive/releases/2003/07/ Image Credit: NASA, ESA, and The Hubble Heritage Team (STScI/AURA) Acknowledgment: M. Tosi (INAF, Osservatorio Astronomico di Bologna) 3.6 Credits: Kim et al. 2000, MNRAS 314, 307 3.7 Credits: Bender et al. 1992, ApJ 399,462 3.8 Credits: Schombert 1986, ApJS 60, 603 3.9 Credits: Davies et al. 1983, ApJ 266, 41 3.12 Credits: Kormendy & Djorgovski 1989, ARA&A 27, 235 3.13 Credits: Schweizer & Seitzer 1988, ApJ 328, 88 3.14 Quelle: http://www.ing.iac.es/PR/science/ galaxies.html / Isaac Newton Group of Telescopes Image Credits: Links oben: NGC4826s.jpg / ING Archive and Nik Szymanek. Mitte oben: m51_v3s.jpg / Javier Méndez (ING) and Nik Szymanek (SPA). Rechts oben: m101s.jpg / Peter Bunclark (IoA) and Nik Szymanek. Rechts unten: johan9ss.jpg / Johan Knapen and Nik Szymanek. 3.14 Links unten, Mitte unten: Image Credits: ESO 3.15 Credits: Rubin et al. 1978, ApJ 225, L107 3.16 Credits: van Albada et al. 1985, ApJ 295, 305 3.17 Credits: Aguerri et al. 2000, A&A 361, 841 3.18 Quelle: http://chandra.harvard.edu/press/ 01_releases/press_071901.html Image Credit: Xray: NASA/CXC/UMass/D.Wang et al. / Optical: NASA/HST/D.Wang et al. 3.19 Quelle: Pierce & Tully 1992, ApJ 387, 47 Credits: Robin Phillips, www.robinphillips.net
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3.44 rechts: Credits: Haarsma et al. 1997, ApJ 479, 102 3.45 Credits: Charlot, Lecture Notes in Physics Vol. 470, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York, 1996
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3.34 Credits: Young et al., ApJ 241,507
Kapitel 4
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6.35 Scherungsfeld und Massenrekonstruktion, C. Seitz, LMU München
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7.17 Credits: Moore et al. 1999, ApJ 524, L19
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9.7 Credits: Adelberger 1999, astro-ph/9912153
9.9 Credits: R. Williams (STScI), the Hubble Deep Field Team and NASA 9.10 Quelle: Ferguson et al, 2000, ARA&A38, 667 Credits: Reprinted, with permission, from the Annual Review of Astronomy & Astrophysics, by Annual Reviews www.annualreviews.org” 9.11 Quelle: Space Telescope Science Institute, NASA Credits: S. Beckwith & the HUDF Working Group (STScI), HST, ESA, NASA 9.12 Credits: http://serweb.oamp.fr/kneib/hstarcs/ hst_a2390.html Jean-Paul Kneib, Laboratoire d’Astrophysique de Marseille 9.13 links: Copyright Stella Seitz, LMU München 9.13 rechts: Credits: ESO 9.14 Credits: Kneib et al., 2004, ApJ 607, 697 9.15 Credits: Whitmore et al. 1999, AJ 116, 1551 9.16 Quelle: http://www.casca.ca/lrp/ch5/en/ chap520.html Bild ist Teil der Canadischen Denkschrift Astronomie, ,,The Origins of Structures in the Universe“ Courtesy Christine Wilson, McMaster University 9.17 links: Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/ 2001/0120true/index.html Credits: NASA/SAO/ G.Fabbiano et al.
F. Quellennachweis der Abbildungen 445
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9.17 unten rechts: Quelle: http://chandra.harvard.edu/ photo/2001/0120true/lum_functions.jpg Credit: SAO/CXC/A.Zezas 9.18 Credits: Cimatti et al., 2002, A&A 391, L1 9.19 Credits: Smith et al. 2002, astro-ph/0201236 9.20 Quelle: Blain et al. 1999, astro-ph/9908111 9.21 Credits:F. Bartoldi, MPIfR
9.40 Credits: Springel et al., 2005, nature 435, 629 9.41 Quelle: http://heasarc.gsfc.nasa.gov/docs/objects/ grbs/grb_profiles.html Credits: J.T. Bonnell, GLAST Science Support Center, NASA Goddard Space Flight Center, Greenbelt, Maryland, USA 9.42 Quelle: http://www.batse.msfc.nasa.gov/batse/ grb/skymap/images/fig2_2704.pdf Michael S. Briggs, NASA
Kapitel 10
9.22 Quelle: Blain et al. 1999, astro-ph/9908111 9.23 Quelle: Blain et al. 1999, astro-ph/9908111 9.24 Credits: Hauser & Dwek, ARA&A 2001 39, 249 9.25 Credits: Hauser & Dwek, astro-ph/0105539 9.26 Quelle: Tozzi et al. 2001, ApJ 562, 42 Credits: 9.27 Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/ cdfs/Cdfs_scale.jpg Credits: NASA/JHU/AUI/ R.Giacconi et al. 9.28 Credits: Fan et al., 2004, AJ 128, 515 9.29 Credits: Barkana & Loeb 2000, astro-ph/0010468 9.30 Credits: Barkana & Loeb 2000, astro-ph/0010468
10.1 Quelle: http://www.cfht.hawaii.edu/Instruments/ Imaging/CFH12K/images/NGC34 86-CFH12KCFHT-1999.jpg Credits: Dr. Jean-Charles Cuillandre, Canada-France-Hawaii Telescope Corporation, Hawaii, USA 10.2 Credits: ESO 10.3 Credits: ESO 10.4 Quelle: http://jwstsite.stsci.edu/gallery/ telescope.shtml Credits: Courtesy of Northrop Grumman Space Technology 10.5 Quelle: http://www.eso.org/outreach/press-rel/ pr-2003/pr-04-03.html Credits: ESO
9.31 nach: Barkana & Loeb 2000, astro-ph/0010468 9.32 Credits: Hopkins et al. 2001, AJ 122, 188 9.33 Credits: Bell 2004, astro-ph/0408023 9.34 Credits: Bell 2004, astro-ph/0408023 9.35 Credits: Mirabel et al. 1998,astro-ph/9810419 9.36 Quelle: http://antwrp.gsfc.nasa.gov/apod/ ap990510.html Credits: J. Gallagher (UW-M) et al. & the Hubble Heritage Team (AURA/ STScI/ NASA) 9.37 Credits: Lacey & Cole 1993, Mon. Not. R. Astron. Soc. 262, 627–649
Anhang A A.1 Quelle: T. Kaempf & M. Altmann, Sternwarte der Universität Bonn A.2 aus Girardi et al. 2002, A&A 195, 391
Anhang B B.1 Quelle: ESA Web Page des Hipparcos-Projekts B.2 Quelle: http://de.wikipedia.org B.3 aus Maeder & Meynet 1989, A&A 155, 210
447
Sachverzeichnis
A Abbremsparameter 155 Abell-Katalog siehe Galaxienhaufen AB-Magnituden 415 Absorptionskoeffizient 412 Absorptionslinien in Quasarspektren 220–224, 333, 365 – Klassifikation 221–222 – Lymanα-Wald siehe Lymanα-Wald – Metallsysteme 221, 222 Acoustic Peaks 341 adaptive Optik 81 Advanced Camera for Surveys (ACS) 27 Akkretion 11, 189–191, 250, 370 Akkretionsscheibe 190–191, 194, 198 Aktive Galaxien 11, 89, 177–217 – Absorptionslinien siehe Absorptionslinien – Big Blue Bump (BBB) 199, 206 – BL Lac-Objekte 212 – Blazare 188, 199, 211 – breite Absorptionslinien 222, 224 – breite Emissionslinien 179, 180, 184, 200 – Broad Absorption Lines (BAL) 221 – Broad Line Region (BLR) 200–205, 209 – Energieerzeugung 109 – Host-Galaxie 185–187, 208 – in Galaxienhaufen 251 – Klassifikation 185–187, 208 – Leuchtkraftfunktion 184, 218–220 – Narrow Line Region (NLR) 205–206 – OVV (Optically violently variable) 186–187, 212 – QSO (quasi-stellar object) 185, 186 – Quasare 11, 180–186 – Radioemission 180–184, 208 – Radiogalaxien 186
– Röntgenemission 208, 215, 378, 379 – Schwarzes Loch 188–198 – Seyfert-Galaxien 11, 179, 194 – Typ 2-QSO 209, 379 – Variabilität 180, 186, 187, 189, 202, 206, 212 – Vereinheitlichungsmodelle 185, 208–217 Aktiver Galaxienkern (AGN) 89, 177 ALMA 404 Alter-Metallizitäts-Beziehung 55 Anglo-Australian Telescope (AAT) 26 Anromeda-Galaxie (M31) 15, 87 anthropisches Prinzip 174 APEX 404 Äquivalentbreite 184, 334 Arecibo-Teleskop 21 ASCA 32 Astronomische Einheit 37 Asymmetrischer Drift 58, 59 asymptotischer Riesenast (AGB) 423
B Baades Fenster 55, 78 Balken 55, 89 Baryonen 4, 162, 164, 167, 336, 354 Beaming 211–213 BeppoSAX 34, 398 beschleunigte Expansion des Universums 155, 328 Biasing 315, 318, 325, 326, 361 Big Bang siehe Urknall bolometrische Helligkeit siehe Helligkeit BOOMERANG 346 Bosonen 162 Boxiness in Elliptischen Galaxien 96 Braune Zwerge 422 4000 Å-Break 133, 362, 363, 372, 387 Breite einer Spektrallinie 184
Bremsstrahlung 244–245 Bulge 55 Butcher–Oemler-Effekt 271, 389
C Canada-France Redshift Survey (CFRS) 314 Canada-France-Hawaii Telescope (CFHT) 26, 314 Center for Astrophysics (CfA)-Survey 313 Cepheiden 44 – als Entfernungsindikator 46, 64, 116 – Perioden-Leuchtkraft Relation 44, 116 Chandra 32, 104, 206, 215, 249, 366, 370, 379 Chandrasekhar-Masse 49, 330 chemische Entwicklung 50, 138–140 COBE 23, 52, 169, 338, 344, 347 Cold Dark Matter (CDM) 286 – Substruktur 392 Coma-Galaxienhaufen 118 Compton Gamma Ray Observatory (CGRO) 34, 396 Comptonstreuung – inverse 170, 215, 253, 379 COSMOS-Survey 366
D Dn –σ-Relation 109 de Vaucouleurs-Gesetz 92, 98 Deuterium 165 – in QSO Absorptionslinien 167 – priomordiales 167 Dichtefluktuationen im Universum 277–309 – Ursprung 308–309 Dichtekontrast 278, 290 Dichteparameter 151, 155, 173, 325, 332, 338, 347, 351, 353, 354
Sachverzeichnis 448 Diskiness in Elliptischen Galaxien 96 Dopplerbreite 11, 89, 200 Doppler-Effekt 38 Doppler-Favouritism 212 Drop-out Technik siehe Lyman-Break Technik Dunkle Energie 4, 150, 328, 329, 355, 405–406 Dunkle Materie 3, 64, 102, 167–168, 355, 405 – im Universum 18, 167, 282, 338 – in Galaxien 100, 101 – in Galaxienhaufen 14, 225, 249 – kalte und heiße Dunkle Materie 353, 388 dynamische Reibung 238, 241, 393, 394 dynamischer Druck 47
E Eddington-Akkretionsrate 198 Eddington-Leuchtkraft 208, 370, 396 Effektivradius Re 55, 92, 108 Effektivtemperatur 419, 420 Effelsberg-Radioteleskop 21 Eigenbewegung 38, 81 Einstein–de-Sitter-Modell siehe Universum Einstein-Radius θE siehe Gravitationslinsen Einstein-Satellit 32, 243, 256 Emissionskoeffizient 412 Energiedichte eines Strahlungsfelds 411 Entfernungen in der Kosmologie 156, 158–160, 217 Entfernungsbestimmung 114, 255 – extragalaktischer Objekte 105, 114–118 Entfernungsleiter 115 Entfernungsmodul 40, 328, 416, 417 Expansionsrate 147 Extended Medium Sensitivity Survey (EMSS) 256 Extinktion 40, 330 – Extinktion und Rötung 40, 330 – Extinktionskoeffizient 41, 416 Extremely Red Object (ERO) 371–373, 387, 390
F Fanaroff–Riley Klassifikation 180, 186 Faraday-Rotation 53, 213 Farben-Helligkeits-Diagramm 40, 371, 420 Farbexzess 41 Farbfilter 414–416 Farbindex 41, 415 Farbtemperatur 419 Feedback 392 Fermionen 162 Fingers of God 318, 320 Flächenhelligkeitsfluktuationen 117 Flatfield 239 Flatness-Problem 174, 176, 308 Fluss 411 Formparameter Γ 288, 316, 318, 321, 326, 338 Freeman-Gesetz 100 Friedmann-Gleichung 149, 290 Friedmann-Lemaître-Modell 16, 149 Frühtyp-Galaxien 89 Fundamentalebene 107–109, 322, 388 FUSE 31
G GAIA 38, 405 Galaktische Koordinaten 35–36 Galaktische Pole 35 Galaktisches Zentrum 6, 78–85 – Entfernung 46, 56 – Schwarzes Loch 81–85 Galaxien 6–9, 87–140 – cD-Galaxien 90, 92, 233, 239, 250, 265 – chemische Entwicklung 138–140 – Elliptische Galaxien 88, 90–98 Anzeichen komplexer Entwicklung 96–98, 389 Dunkle Materie 101 Dynamik 93–96 Entstehung 388–391 Sternorbits 94 Zusammensetzung 93 – Halos 100 – Helligkeitsprofil 92, 98
– IRAS-Galaxien 25, 369 – Irreguläre Galaxien 88, 226 – low surface brightness Galaxien (LSBs) 100, 302 – Lyman-Break-Galaxien 367, 387 – S0-Galaxien 88, 389 – Satelliten-Galaxien 101, 227 – Skalierungsrelationen 104–109, 118, 321 – sphäroidale Komponente 113, 114 – Spiralgalaxien 88, 98–104 Bulge 98, 103 Dunkle Materie 100 Frühtyp-Spiralen 98 Korona 104 Rotationskurve 100–102, 104, 105 Spättyp-Spiralen 98 Spiralstruktur 103–104 Stellare Populationen 102 – Starburst-Galaxien 12, 90, 207, 361 – Substruktur 304–306, 392 – ULIRG (Ultra luminous infrared galaxy) 25, 90, 211, 369 – Zweifarben-Diagramm 360 – Zwerggalaxien 90, 92, 226 Galaxienentwicklung 18, 387–396 Galaxiengruppen 15, 225, 230, 240–241 – kompakte Gruppen 240, 241 Galaxienhaufen 13, 225–276, 323–326 – Anzahldichte 323–324, 333 – Baryonenanteil 325 – Beta-Modell 262 – Coma 13 – Cooling Flows 249–252, 265 – Dunkle Materie 225, 237, 249, 325 – Entfernungsklasse 232, 233 – Entwicklungseffekte 271–276 – Farben-Helligkeits-Diagramm 272 – Galaxienpopulation 389 – Galaxienverteilung 234–236 – HIFLUGCS-Katalog 257, 258 – intergalaktische Sterne 239–240 – intracluster Medium 225, 239, 243 – Kataloge 231, 255–257, 323 – Kernradius 234, 235 – Klassifikation 233–234 – Leuchtkraftfunktion 257, 271 – Massenbestimmung 236–237, 247,
Sachverzeichnis 449 249, 259, 263, 267, 323 – Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis 237, 270 – Normierung des Leistungsspektrums 292, 323, 326 – Projektionseffekte 232, 256 – Richness-Klasse 232 – Röntgenstrahlung 14 – Skalierungsrelationen 257–261, 323 – Virgo 13 GALEX 32 Gamma Ray Bursts 396–399 – Afterglows 398 – Feuerball-Modell 398 Geschwindigkeitsdispersion 47 – in Galaxien 93, 114, 123 – in Galaxienhaufen 234, 235 Gezeitenarme 370, 389 GOODS-Projekt 365 Gravitationslinsen 65, 121–131 – Einstein-Radius 124, 127, 262 – Einstein-Ring 68, 125, 127, 129 – Galaxien als Linsen 121–131 – Galaxienhaufen als Linsen 261–271, 367 – Hubble-Konstante 130, 255 – Kosmische Scherung 331–333 – kritische Flächenmassendichte 122, 127 – Luminous Arcs 261–265, 358 – Massenbestimmung 127, 129 – Mehrfachbilder 65, 67, 122, 125–129, 262, 336, 369 – Mikrolinseneffekt 65–78 – Punktmassenlinsen 67–70, 123 – Scherung 266 – Schwacher Linseneffekt 102, 265–271, 331–333, 340 – Substruktur 305–306 – Suche nach Galaxienhaufen 270 – Verstärkungseffekt 68–70, 122, 366–369 Gravitationswellen 309, 396 gravitative Instabilität 278–282 Great Attractor 323 Great Wall 277, 313 Größenklassen 414 Großräumige Struktur des Universum 308, 312 – Galaxienverteilung 312–323
– Leistungsspektrum 285–289, 292, 308, 315–320, 331, 337, 340 – Numerische Simulationen 294–299 Gunn–Peterson-Test 333, 379 G-Zwerg-Problem 140
H Halos Dunkler Materie 101, 291–294, 387 – Anzahldichte 291–294, 323–324, 380 – Substruktur 303–306 – universelles Massenprofil 299–303 Harrison–ZeldovichFluktuationsspektrum 285, 308, 341, 347 Hauptreihe 40, 420, 422 HEAO-1 32 Helium-Häufigkeit 142, 167 Helligkeit – absolute Helligkeit 416 – bolometrische Helligkeit 416–417 – scheinbare Helligkeit 414–416 Helligkeit des Nachthimmels 239, 362 Herschel-Satellit 377, 403 Hertzsprung-Russell-Diagramm (HRD) 132, 133 hierarchische Strukturbildung 293, 304, 373, 387–388 Hintergrundstrahlung 376–379 – Infrarot-Hintergrund (CIB) 387 – ionisierender Photonen 335 HIPPARCOS 38, 419 Hochgeschwindigkeitswolken (HVC) 56, 229 Hohlraumstrahlung 413 Horizont 172–173, 287 Horizontlänge 173, 341 Horizont-Problem 173, 175, 308 Hot Dark Matter (HDM) 286 Hubble Deep Field(s) 28, 364–366 Hubble Space Telescope (HST) 26, 110, 215, 262, 362, 401 Hubble-Gesetz 9, 114, 147, 157, 327 Hubble-Konstante 9, 114, 116, 118, 155, 347, 354 Hubble-Radius 145
I Inflation 175–176, 308–309, 406 Initial Mass Function (IMF) 75, 132, 384 INTEGRAL 34 integrierter Sachs–Wolfe-Effekt (ISW) 340, 341, 343, 352 Interferometrie 22 intergalaktisches Medium 333–334, 337, 359, 379, 382 IRAS 25, 52, 314, 344, 369, 374 ISO 25, 370, 374, 377 Isochronen 133 isotherme Sphäre 123, 234–236, 248, 262 IUE 31
J James Clerk Maxwell Telescope (JCMT) 23 James Webb Space Telescope (JWST) 403 Jets 181, 194, 200, 212–217, 251
K Keck-Teleskope 26, 29, 360, 401 King-Modelle 236, 248 Kirchhoffsches Gesetz 412 K-Korrektur 374 Konvektion 422 Konzentrationsindex des NFW-Profils 301 Korrelationsfunktion 283–285, 288, 318, 320, 340, 361, 393 Korrelationslänge 284 kosmische Strahlung 53–54, 182 – Beschleunigung 54 kosmische Varianz 348–349 kosmischer Mikrowellenhintergrund 3, 17, 142, 253, 338, 376 – Dipol 115, 318 – Entdeckung 169, 338 – Fluktuationen 278, 311, 338–350 – Messung der Anisotropie 344–350 – Polarisation 309, 350 – primäre Anisotropien 338–339 – sekundäre Anisotropien 338–340, 343
Sachverzeichnis 450 – Spektrum 379, 380 – Temperatur 157 – Ursprung 169 Kosmologie 15, 18, 141–176, 277–309, 311–355 – Dichtefluktuationen 145, 277–309, 337 – Expansionsgleichung 147, 149–156 – Expansionsrate 147, 156 – homogene Weltmodelle 141–176 – Komponenten des Universums 150–151 – Krümmungsskalar 152 – Newtonsche Kosmologie 146–148 – Strukturbildung 17, 18, 279, 387 Kosmologische Konstante 4, 16, 149, 328, 347, 352 kosmologische Parameter, Bestimmung 292, 311–355, 357 kosmologisches Prinzip 145, 146 Kugelsternhaufen 55, 103 Kühlfront 252 Kühlung von Gas 381, 388, 391 – und Sternentstehung 381, 391
L Las Campanas Redshift Survey (LCRS) 313 Leistungsspektrum, Normierung 292, 315, 333, 338, 355 Leuchtkraft – bolometrische 417 – in einem Filterband 417 Leuchtkraftentfernung 159, 160, 327, 328 Leuchtkraftfunktion 118 – von Galaxien 118–121, 233, 324, 371, 390, 392 – von Quasaren 218–220, 335 Leuchtkraftklasse 419–421 Lichtablenkung siehe Gravitationslinsen Lichtkegel 142 Limber-Gleichung 321 linear extrapoliertes Dichtefluktuationsfeld 281 linear extrapoliertes Leistungsspektrum 286
Linienübergänge: erlaubte, verbotene, halbverbotene 205 LISA 396, 404 Local Standard of Rest (LSR) 57 LOFAR 404 Lokale Gruppe 15, 225–230 – Galaxieninhalt 226–227 – Massenabschätzung 227–229 Lorentz-Faktor 193 Lymanα-Wald 221, 353, 359, 383, 384 – als kosmologisches Werkzeug 337–338 – gedämpfte Lyα-Systeme 222, 334 – Lyman-Limit-Systeme 222, 334 Lyman-Break-Galaxien siehe Galaxien Lyman-Break-Methode 362, 387
M MACHOs 65, 71–75 Madau-Diagramm 390 Magellansche Wolken 15, 71, 226 – Entfernung 115 Magellanscher Strom 56, 227, 393 Magnituden 414–417 Malmquist Bias 119 MAMBO 23 mass segregation 239 Massenspektrum von Halos Dunkler Materie 291–294, 298 Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis 51, 134, 229, 324 – von Galaxien 97, 101, 106, 109 – von Galaxiengruppen 241 – von Galaxienhaufen 324–325 MAXIMA 346 Merger-Baum 391 MERLIN 22 Messier-Katalog 87 Metallizität 45–46, 48, 50, 132, 138 Milchstraße – Bulge 55 – chemische Zusammensetzung 48 – dicke Scheibe 47, 50–51 – dunkler Halo 6, 71, 74 – dünne Scheibe 47, 50 – Gas 47, 51–52, 224 – Halo 55–56
– Kinematik 57–65 – Magnetfeld 53 – Rotationskurve 60–65 – Scheibe 47–52 – Staubverteilung 51, 52 – Struktur 5, 46–56 – Zentrum siehe Galaktisches Zentrum Millennium-Simulation 297, 393 mitbewegte Koordinaten 146, 280 mitbewegter Beobachter 146, 156 Mixed Dark Matter (MDM) 288 Modified Newtonian Dynamics (MOND) 406
N Near Infrared Camera and Multi Object Spectrograph (NICMOS) 28 Neutrinos 49, 163, 164 – Ausfrieren 162–164 – Massen 167, 288, 353 – Sonneneutrinos 421 – Strahlungskomponente des Universums 164 Neutronensterne 49, 75 New General Catalog (NGC) 87 New Technology Telescope (NTT) 26
O Olbers-Paradoxon 142, 144 Oortsche Konstanten 61, 62 optische Tiefe 41, 412
P Paarerzeugung und -vernichtung 162, 163 Palomar Observatory Sky Surveys (POSS) 231 Parsec 37 passive Entwicklung einer Sternpopulation 137 Pekuliarbewegung 114, 116 Pekuliargeschwindigkeit 58, 280, 306–308, 318–323 Periode-Leuchtkraft-Beziehung 44, 45, 56, 115, 116 photometrische Rotverschiebung 362–365
Sachverzeichnis 451 Pico Veleta-Teleskop 23 PLANCK 350 Planck 404 Planck-Funktion 157, 413 Planetarische Nebel 50, 423 – als Entfernungsindikator 117 Polarisation 53 Population III-Sterne 382, 383 Populationssynthese 131–137, 388 Press–Schechter-Modell 298, 380, 391 primordiale Nukleosynthese (BBN) 16, 164–168, 311 – Baryonendichte des Universum 325 Proto-Cluster 362, 373 Proximity-Effekt 334 pulsierende Sterne 44
Q Quellenzählung in einem euklidischen Universum 144 Quellfunktion 412
R Radialgeschwindigkeit 38 Rayleigh–Jeans-Näherung 374, 413 Reaktionsrate 163 Red Cluster Sequence (RCS) 272, 275, 363, 388 redshift desert 387 Reionisation 170, 333, 334, 339, 350, 353, 379–384 Rekombination 16, 168–170, 339, 379 Relaxationszeitskala 94–96, 237 Reverberation Mapping 202 Röntgen-Binärquellen 191 Röntgen-Hintergrund (XRB) 32, 170 ROSAT 32, 104, 256, 259, 323, 378 ROSAT All Sky Survey (RASS) 256 Rotationsabplattung 94, 97 Rotationsmaß 53 Rote Riesen 420, 423 Rotverschiebung 9, 142 – kosmologische Rotverschiebung 156–158, 191 Rotverschiebungsraum 318 Rotverschiebungssurveys von Galaxien
145, 312–323 RR Lyrae-Sterne 45, 56
S Sachs–Wolfe-Effekt 339, 341 Sagittarius-Zwerggalaxie 6, 229, 389 Schall-Horizont 339, 341, 342 Schechter-Leuchtkraftfunktion 119, 233, 325 Schmalband-Photometrie 359 Schwarze Löcher 110, 194 – Binärsysteme und Merging 394, 396 – im Galaktischen Zentrum 6, 81–85, 197, 220 – in AGNs 82, 188–198, 380 – in Galaxien 3, 9, 109–114, 194, 206, 220, 371, 394–396 – Schwarzschild-Radius 110, 189, 196 – Skalierung mit Galaxieneigenschaften 3, 113–114, 208 Schwarzkörper-Strahlung – Energiedichte 414 Schwerebeschleunigung eines Sterns 420 SCUBA 23 Seeing 20, 26, 37 sekundäre Entfernungsindikatoren 116–118, 321 Shells und Ripples 97 Silk-Damping 339, 342 Skalenhöhe der Galaktischen Scheibe 47 Skalenlänge der Galaktischen Scheibe 48 Sloan Digital Sky Survey (SDSS) 218, 242, 314–315, 321, 353 SOFIA 403 SOFI-Kamera 26 Spättyp-Galaxien 89 Spektralklasse 419–421 spezifische Energiedichte eines Strahlungsfelds 411 spezifische Intensität 158, 411 sphärisches Kollapsmodell 290–291 Spiralarme 98, 103 – als Dichtewellen 103 Spitzer Space Telescope 26, 366
Square Kilometer Array (SKA) 404 Standardkerzen 50, 117, 326–327 Staub 42, 209 – Extinktion und Rötung 41, 330, 373 – infrarot-Emission 52, 90, 102, 199, 211, 369, 374 – warmer Staub 199, 211, 370, 374 Stefan–Boltzmann-Gesetz 414 stellare Populationen 47, 48 Sternbildungsrate (SFR) 384–386 Sternentstehung 51, 374, 380, 384–386, 388 – kosmische Geschichte 384–387 – Sternentstehungsrate 90, 132, 207, 335, 384 – und Galaxienfarbe 135, 275, 363, 387 Sternentwicklung 388 Sternstromparallaxe 38–40 stoßfreies Gas 95 Stoßfront 54, 182, 215, 252 Strahlungstransportgleichung 41, 411–412 Subaru-Teleskop 29 Sunyaev–Zeldovich-Effekt 340, 343 Superhaufen 277, 324 Superluminal Motion 191–194, 208, 211 Supernovae 48, 423 – als Entfernungsindikator 50, 117, 326–331 – Klassifikation 48–49 – Metallanreicherung des ISM 48–50, 383 – SN1987A 49, 115 Supernovaüberreste 54 SWIFT 398 Synchrotronselbstabsorption 183 Synchrotron-Selbst-Compton Strahlung 215 Synchrotronstrahlung 53, 182–184, 200, 215
T Tangentialgeschwindigkeit 38 Tangentialpunktmethode 62–64 thermische Strahlung 413 Thomson-Streuung 197, 339, 343 Transferfunktion 286–289, 316
Sachverzeichnis 452 trigonometrische Parallaxe 37–38 Tully–Fisher-Relation 322 Two-Degree-Field Survey 218, 277, 316, 320
U Ultraluminous Compact X-ray Sources (ULXs) 370 Universum – Alter 3, 145, 154, 155 – Dichte 16, 18, 353, 354 – Dichtefluktuationen 18, 277–309 – Dichteparameter 148, 156, 167, 173, 324, 325, 332 – Einstein–de Sitter-Modell 18, 156, 160, 282, 292 – Expansion 9, 146, 147, 162, 280 – kritische Dichte 148, 173, 300 – Skalenfaktor 146, 153 – Standardmodell 3, 171–175, 303, 311, 347 – thermische Geschichte 161–171 Urknall 3, 16, 153, 154, 158
V Vakuumenergie siehe Dunkle Energie Verfärbungsvektor 43
Verschmelzung von Galaxien 140, 207, 369, 387–390 Very Large Array (VLA) 22, 215, 375 Very Large Telescope (VLT) 29 Very Long Baseline Array (VLBA) 23 Very Long Baseline Interferometry (VLBI) 23 violent relaxation 238, 290 Virgo-Galaxienhaufen 115, 116, 118 Virialradius 258 Virialsatz 14, 190, 236 VISTA 401 VLT Survey Telescope (VST) 401 Voids 13, 277, 298, 313 Voigt-Profil 222
W Wachstumsfaktor D+ 292, 323 Wechselwirkung von Galaxien 90, 220 Wedge-Diagramm 312, 318 Weiße Zwerge 49, 74, 330, 420, 423 Weitwinkelkameras 267, 401 Weltalter 17, 155, 274, 355 Wide Field and Planetary Camera
(WFPC2) 27 Wien-Näherung 414 Wiensches Verschiebungsgesetz 413 WIMPs 163, 167–168, 405 Winkelentfernung 158, 160 Winkelkorrelationen von Galaxien 320–321 WMAP 23, 170, 347–353, 380
X X-Faktor 51 XMM-Newton 32, 206, 249
Y Yield 139
Z Zeeman-Effekt 53 Zeitdilatation 330 Zero Age Main Sequence (ZAMS) 422 Zone of Avoidance 36 Zufallsfeld 282–283 – Gausssches Zufallsfeld 285 Zwei-Photonen-Zerfall 169