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PARKER reizt den »Mann im Frack« Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Josuah Parker war konsterniert. Er weigerte sich entschieden, das zu glauben, was er sah. Mister Rander kam aus einem Cafe und hatte keine Ahnung, daß er im nächsten Augenblick niedergeschossen werden sollte. Die junge Dame hielt einen mächtigen Armeerevolver in der Hand, den sie gerade aus ihrer Umhängetasche gezogen hatte. Sie stand seitlich neben einer Kübelpalme und nahm bereits Maß. Es war eine Frage von Sekunden, bis der tödliche Schuß fiel. Josuah Parker sah sich genötigt, etwas für die Gesundheit seines Herrn zu tun. Die junge Frau konnte ihn nicht sehen. Parker stand hinter seinem hochbeinigen Monstrum und hatte gerade. die Verladepapiere für seinen Wagen geholt. Er handelte automatisch und routiniert, um den Mord zu verhindern. Der Bambusgriff seines Universal-Regenschirms schoß nach vorn und hakte sich hinter das Armgelenk der jungen Frau. Dann ein kurzer Ruck, und schon lag die Waffe auf dem Boden. Die junge Frau drehte sich überrascht um und starrte den Butler entsetzt an. »Waffen jeglicher Art sind nie ein Argument«, stellte Josuah Parker mißbilligend fest, »darf ich also um Mäßigung bitten, Madam?« Sie antwortete nicht, starrte ihn an. sah dann auf den Revolver hinunter und schlug die Hände vors Gesicht. Am Beben ihrer Schultern merkte Parker, daß sie weinte. »Darf ich Sie in den Wagen bitten?« redete der Butler weiter und öffnete den Schlag. Sie zögerte einen Moment, kam seinem Wunsch dann aber nach. Parker hob den Revolver auf und ließ ihn diskret verschwinden. Jetzt erst wurde Parker sich eines kleinen Wunders bewußt. Mike Rander, den er gerade aus dem Cafe hatte kommen sehen, konnte doch unmöglich sein junger Herr sein! Der Butler ging um die Kübelpalme herum und sah Mike Rander nach. Er befand sich in Begleitung eines etwa 35jährigen Mannes,
der eine randlose Brille trug. Beide Männer gingen auf einen am Straßenrand parkenden Bentley zu und nahmen im Wagen Platz. Der Fahrer ließ das luxuriöse Gefährt anrollen, das bald darauf in einer Seitenstraße verschwand. Parker war, immerhin so geistesgegenwärtig, sich das Wagenkennzeichen zu merken. »Ich bitte, mein Eingreifen entschuldigen zu wollen«, sagte Parker, als er am Steuer seines hochbeinigen Monstrums Platz genommen hatte, »die Schweizer Behörden sollen Mord nicht sonderlich schätzen, wie ich mir habe sagen lassen.« »Ich hätte ihn umgebracht«, sagte sein Gast mit fast monotoner Stimme, »ich hätte ihn umgebracht!« »Diesen Eindruck hatte ich allerdings auch«, bestätigte der Butler, »ich darf wohl unterstellen, daß Sie dafür besondere Gründe haben.« »Er hat meinen Bruder auf dem Gewissen«, erwiderte die junge Frau. Sie mochte etwa 30 Jahre alt sein, war mittelgroß, schlank und hatte ein etwas grob geschnittenes Gesicht. Dicke Tränensäcke unter den Augen sagten deutlich, daß sie bereits in der Vergangenheit sehr viel geweint haben mußte. »Sie kennen also den Mann, der das Cafe verließ?« »Und ob!« Sie nickte nachdrücklich. »Es handelt sich nicht zufällig um Mister Mike Rander?« fragte der Butler weiter, obwohl er es eigentlich sehr genau wußte. Es konnte nicht sein junger Herr sein. »Les Richmond«, kam die für den Butler erlösende Antwort, »das ist Les Richmond. Ich würde ihn unter Tausenden erkennen.« »Diesen Herrn hier, Madam?« Parker holte seine Brieftasche hervor und zeigte seinem Fahrgast ein Foto, auf dem Mike Rander deutlich zu erkennen war. »Les Richmond«, sagte die junge Dame prompt. Dann sah sie etwas verwirrt und mißtrauisch hoch. »Woher haben Sie das Bild? Kennen Sie Richmond? Arbeiten Sie etwa für ihn?« »Keineswegs«, gab der Butler zurück und steckte das Foto wieder weg, »der Herr auf dem Foto war Mister Mike Rander, seines Zeichens Anwalt und mein Herr.« »Ausgeschlossen!« »Mein Wort darauf«, antwortete’ der Butler, »aber ich kann Ihren Zweifel durchaus verstehen. Auch meine bescheidene Wenig-
keit wurde das Opfer einer Täuschung.« »Dann gleichen Richmond und Ihr Herr sich wie ein Ei dem anderen.« »Zu diesem Schluß erlaubte auch ich mir bereits zu kommen, Madam.« »Es… Es wäre ja schrecklich, wenn ich…« Sie redete nicht zu Ende und sah den Butler entsetzt an. »Ich ahne durchaus, woran Sie gerade gedacht haben«, erklärte Parker gemessen und verständnisvoll, »aber ich kann und darf Sie beruhigen, Madam. Mister Rander befindet sich zur Zeit in London.« »Sind Sie wirklich sicher?« fragte sie verwirrt. »Eigentlich nicht«, räumte Parker ehrlich ein, »auch ich glaubte tatsächlich, Mister Rander vor dem Cafe gesehen zu haben. Sie haben mich in der Tat, um ein Modewort zu verwenden, verunsichert. Wenn Sie erlauben, Madam, werde ich mich doch noch mal vergewissern.« * Eine gute Viertelstunde später verließ Josuah Parker aufatmend und erleichtert die Telefonzelle auf dem Hauptpostamt von Locarno. Er hatte gerade mit seinem jungen Herrn gesprochen und bestätigt bekommen, daß Mike Rander sich in London aufhielt. Und nach wie vor bestand auch keine Aussicht, daß Mike Rander nach Locarno kommen würde. Die Vorbereitungen zu einem wichtigen Prozeß hielten ihn zu Parkers Leidwesen in London fest. Dies war auch der Grund, warum Parker die reizvolle Stadt am Lago Maggiore verlassen wollte, wo er sich mit seinem jungen Herrn hatte treffen wollen. Sein hochbeiniger Wagen sollte zusammen mit ihm in einem Autoreisezug an die französische Küste geschafft werden. Was die junge Dame anbetraf, von der Parker selbstverständlich kurz berichtet hatte, so ließ Mike Rander ihm freie Hand. Parker wurde nicht gerade dringend in London erwartet. Mike Rander hatte ihm freigestellt, nach eigenem Ermessen zu handeln. Aufatmend und erleichtert schritt Parker also aus dem Postamt und begab sich gemessen hinüber zu seinem Wagen. Er hatte die Absicht, der jungen Dame ein wenig zu helfen. Er wollte ihr vor
allen Dingen die Mordabsicht ausreden. Er konnte es doch unmöglich zulassen, daß dieses weibliche Wesen sich für den Rest seines Lebens ruinierte. Parker erlebte eine peinliche Überraschung. Die junge Dame hatte sich empfohlen. Sie hatte seine Abwesenheit genutzt und den schweren Wagen verlassen. Zu Parkers Leidwesen hatte sie auch ihren schweren Armeerevolver mitgenommen, wie Parker schnell feststellte. Sie hatte also nach wie vor die Absicht, diesen Les Richmond niederzuschießen. Parker war wie elektrisiert. Er fühlte sich für die junge Dame voll verantwortlich und hielt es für seine Pflicht, die geplante Tat zu verhindern. Er wußte nicht, wo er die junge Frau suchen sollte. Aber dafür war ihm bekannt, wen die junge Frau niederschießen wollte. Er brauchte jetzt also nur noch Les Richmond zu suchen und zu finden. Vielleicht war es sogar angebracht, diesen Mann ein wenig vorzuwarnen. War Les Richmond tatsächlich solch ein Mann, wie die junge Dame ihn geschildert hatte? Hatte er den Bruder der jungen Dame wirklich auf dem Gewissen? Josuah Parker wollte gerade in. seinen hochbeinigen Wagen steigen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte. Dazu hörte er eine Stimme, die auf seinem Rücken einen echten Schauer auslöste… * »Mylady sehen mich überrascht«, sagte Josuah Parker, nachdem er sich zögernd umgedreht hatte. Er stand einer alten Dame gegenüber, die etwa sechzig Jahre zählte. Sie war groß, ein wenig vollschlank und glich einer modernen Walküre. Ihr faltenreiches Gesicht wurde beherrscht von einer ausgeprägten Adlernase und einem energischen Kinn. Die dunklen Augen hingegen wirkten gütig, waren aber sehr flink. Sie beobachteten ununterbrochen die Umgebung, wachsam und intelligent. Auf dem weißen Haar saß ein Hut, der eine mißglückte Kreuzung aus einem Tropenhelm und einem Südwester darstellte. »Keine unnötigen Floskeln«, sagte die alte Dame mit der dunklen und geschulten Stimme einer Bühnenheroine. »Wir sind schon
zu lange hinter Ihnen her…« Sie meinte sich und die junge, apart aussehende Rothaarige, die seitlich hinter ihr stand. Diese Rothaarige schien fünfundzwanzig Jahre alt zu sein und machte einen stets leicht besorgten Eindruck. »Mylady sind hinter meiner bescheidenen Person hergewesen?« fragte Parker vorsichtig. »Sie können sich bestätigen«, erwiderte die alte Dame, die eine echte Persönlichkeit war. Sie trug ein ungemein faltenreiches Jackenkleid, das wie ein Sack an ihr herunterhing. Ihre Füße steckten in großen derben Schuhen. »Ich wußte, daß Sie in Locarno sind«, sagte Parkers Gegenüber. Es handelte sich um Agatha Simpson und deren Gesellschafterin Kathy Porter. Parker hatte Lady Agatha vor knapp einer Woche in Spanien kennengelernt und sich geschworen, sie anschließend wie die Pest zu meiden. Die Aktivitäten der alten Dame waren ihm sehr nachhaltig auf die Nerven gegangen. Lady Agatha hatte sich nämlich intensiv an der Aufklärung eines Verbrechens beteiligt und den Butler dabei von einer Überraschung in die andere gehetzt. Parker dachte nur mit leichtem Grauen daran. »Sagen Sie ihm endlich schon, wozu wir ihn brauchen«, meinte Lady Simpson, sich an ihre rothaarige Gesellschafterin wendend, »aber fassen Sie sich kurz, Kindchen…« »Mylady glaubt, hier in Locarno einen Gangster entdeckt zu haben«, erklärte Kathy Porter zurückhaltend und ein wenig scheu. »Unsinn, Kindchen! Ich glaube nicht, ich weiß. Und diesem Schuft muß endlich das Handwerk gelegt werden!« »Die zuständigen Behörden, Mylady, werden sich dieses Falles mit Sicherheit annehmen«, erwiderte Parker schnell. »Papperlapapp«, fuhr Lady Simpson den Butler empört an. »Diesem Schwein ist mit normalen Mitteln nicht beizukommen.« »Aber Mylady!« warf Kathy Porter mahnend ein. »Ein Schwein werde ich immer ein Schwein nennen«, gab Lady Agatha ungeniert zurück. »Haben Sie sich bloß nicht so, Kindchen. Nun, Mister Parker, wie lautet Ihr Entschluß?« »Mister Rander erwartet mich in London zurück«, sagte Parker zufrieden. Sein Fluchtweg war offen. Sie konnte ihn diesmal nicht festnageln. »Ich werde mit ihm telefonieren«, entschied Lady Agatha reso-
lut, »ohne Ihre Hilfe werde ich diesen Kerl nicht zur Strecke bringen können.« »Ich fürchte, Mylady, daß Mister Rander auf meine Dienste kaum verzichten kann«, erwiderte Parker hastig. »Das lassen Sie mal meine Sorge sein«, gab Lady Simpson unternehmungslustig zurück. »Mit Mister Rander werde ich mich schon arrangieren; Sie wollen gar nicht wissen, um welches Schwein es sich handelt?« »Aber Lady Simpson…« schaltete Kathy Porter sich wieder mit vorwurfsvoller Stimme ein. »Ich sage, was ich denke!« Sie widmete sich wieder dem Butler. »Sagt Ihnen der Name Les Richmond etwas?« Parker gelang es, sein Gesicht unbeweglich zu halten. Diesen Namen hatte er erst vor einer halben Stunde aus einem anderen Mund gehört. »Bedaure, Mylady«, antwortete er nur. »Ein Immobilienhändler, der abbruchreife Häuserzeilen aufkauft und die Wohnungen dann zu horrenden Mieten anbietet.« »Ein leider sehr gängiges Verfahren, Mylady«, antwortete der Butler. »Richmond vermietet hauptsächlich an Auswanderer«, redete Lady Simpson weiter. »Er nutzt die Notlage dieser Familien schamlos aus. Er weiß nur zu gut, wie knapp Wohnungen sind, verlangt immens hohe Mietvorauszahlungen und läßt seine Mieter rücksichtslos an die frische Luft setzen, wenn sie nicht pünktlich zahlen können.« »Und diesen Mister Richmond, Mylady, haben Sie in Locarno entdeckt?« Er merkte, daß er sich wider Willen für das Thema erwärmte. »Richmond kennt kein Mensch«, berichtete Lady Simpson weiter, »er lebt in völliger Anonymität.« »Dennoch haben Sie ihn erkannt, Mylady?« »Was soll Ihre impertinente Frage?« fragte sie mit tragender, aber bereits leicht gereizter Stimme. »Halten Sie mich für eine alte Frau, die nicht mehr richtig denken kann?« »Dies, Mylady, würde ich mir nie erlauben.« »Richmond habe ich natürlich nicht gesehen«, erklärte Agatha Simpson in einem versöhnlicheren Ton, »dafür aber seinen Bevollmächtigten, einen gewissen Paul Lansing. Und wo dieser Lansing ist, kann Richmond nicht weit sein. Das habe ich nämlich
inzwischen herausgefunden. Haben Sie endlich verstanden, oder sind Sie wirklich so schwerfällig, wie Sie sich geben?« * Josuah Parker hatte sich in einen Spaziergänger verwandelt. Er lustwandelte über eine steile Hangstraße und steuerte einen bestimmten Punkt an. Natürlich hatte er Lady Simpson nicht entkommen können. Er hatte sich bereit erklärt, ihr ein wenig zu helfen. An einem interessanten Kriminalfall konnte ein Josuah Parker eben nicht vorübergehen. Er wäre sich sonst selbst untreu geworden. Agatha Simpson hatte ihm mit weiteren Einzelheiten dienen können. Sie war angeblich schon seit fast einem Jahr hinter diesem Les Richmond her. Sie schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, diesem Mann das Handwerk zu legen. Natürlich wußte Mylady, daß man einem Richmond mit legalen Mitteln nie beikommen würde. Dieser Immobilien-Hai bewegte sich hart am Rande der Legalität, blieb aber stets auf der richtigen Seite. Für den Butler war es ein Wink des Schicksals, daß Lady Simpson hinter jenem Mann her war, von dem die junge, schießwütige Dame gesprochen hatte. Es mußte sich also schon lohnen, sich mit Les Richmond zu beschäftigen. Zudem hoffte Parker, auf diese Art und Weise wieder auf seine Bekanntschaft zu stoßen, die er aus den Augen verloren hatte. Mylady hatte ihm die Adresse gegeben, unter der Paul Lansing zu finden war. Sie hatte damit bereits eine wichtige Vorarbeit geleistet, brauchte jetzt aber Parkers Hilfe, um zu Aktionen übergehen zu können. Parker hatte die Hälfte des steilen Weges hinter sich gebracht und legte an einer Steinmauer eine kleine Rast ein. Er sah von dieser Balustrade hinunter auf ein großes Hanggrundstück, auf dem sich ein moderner, flachgedeckter Bungalow befand, der nach sehr viel Geld roch. Trotz der modernen Bauweise machte dieser Bau einen abweisenden Eindruck. Er strömte eine Kälte aus, die Parker fast körperlich fühlte. Er fragte sich, was diesen Eindruck wohl auslöste. Und erst nach einigen Sekunden kam er hinter das Geheimnis dieses Bungalows. Die großen Glasflächen bestanden aus einem
Spezialglas. Von außen konnte man nicht in das Haus hineinsehen. Das Licht spiegelte sich in diesem Trickglas und warf die Helligkeit zurück. Das Haus schien unentwegt böse zu blinzeln. Parker wußte genau, wie man Zurückhaltung in Nervosität verwandeln konnte. Er dachte nicht daran, sich etwa zu verbergen. Genau das Gegenteil war der Fall! Er schritt an der Steinmauer entlang und benutzte ausgiebig, sein Fernglas. Er beobachtete durch dieses Glas sehr ungeniert und neugierig das Grundstück und machte sich dann anschließend Notizen. Er hoffte auf diese Art und Weise Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei war er mit seinen Gedanken bei Lady Simpson. Sie war wirklich eine bemerkenswerte und eigenwillige Dame. Sie war ungemein reich, die Witwe eines gewissen Lord John Simpson und mit hohen und höchsten Adelskreisen in England verwandt. Ihre Beteiligungen an Brauereien und Whiskybrennereien hatte sie in einer Stiftung verwandelt, die sich der Begabtenförderung junger Menschen widmete. Agatha war eine echte Globetrotterin, die durch die Welt zog und immer wieder Schlagzeilen lieferte. Sie pfiff auf die üblichen Konventionen und machte sich einen Spaß daraus, stets die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. Sie trat unentwegt und zielsicher vielen sogenannten Prominenten auf die Zehen und genoß das sichtlich. Hinter vorgehaltener Hand wurde sie mit dem Spitznamen die »Herzogin« belegt. Oder mit ausgesuchten Schimpfworten. Das hing allein davon ab, wie man mit Mylady zurechtkam. Parker rief sich zur Ordnung, als er oben auf der Hangstraße zwei Männer ausmachte, die langsam auf ihn zuschlenderten. Es schien sich um harmlose Urlauber zu handeln. Sie waren mit kräftigen Spazierstöcken ausgestattet und unterhielten sich lebhaft miteinander. Parker ließ sich jedoch nicht täuschen. Er konnte in Gesichtern lesen. Und in den Zügen dieser beiden angeblichen Urlauber standen Gewalt und Kälte. Er wußte sofort, daß er es mit berufsmäßigen Schlägern zu tun hatte. Selbstverständlich ließ der Butler sich nichts anmerken. Er gab sich nach wie vor neugierig und schaute durch sein Glas hinunter auf das Grundstück. Dann machte er sich wieder Notizen in einem kleinen Buch und gab sich ungemein geschäftig.
Eine knappe Minute später war Parker noch aktiver. Das hing mit den beiden Typen zusammen, die sich wortlos und ohne jede Vorwarnung auf ihn stürzten. Sie hatten die feste Absicht, ihn mit ihren Spazierstöcken zusammenzuschlagen. Sie hätten es sich hier auf dem schmalen Weg durchaus leisten können, denn Störungen waren nicht zu erwarten. Der schmale Weg lief an den hoch bewachsenen Grundstücken vorbei und konnte kaum eingesehen werden. Parker parierte den ersten, ihm zugedachten Schlag mit seinem Universal-Regenschirm, blockte den Schlag ab und ging dann mit der Spitze des Schirms in den Ausfall… * Der erste Schläger zog scharf die Luft ein, als Parker ihm die Spitze des Schirms gegen den Magen rammte. Der Schläger knickte ein, rang nach Luft und wurde kreideweiß im Gesicht. Der zweite Schläger wich überrascht zurück, holte dann aber weit aus Und wollte Parker niederknüppeln. Der Butler erwies sich als eleganter Degenfechter. Er parierte auch diesen Schlag. Dann warf er seinen Schirm fast spielerisch hoch und umfaßte die Spitze. Mit dem bleigefütterten Bambusgriff ging er zum Gegenangriff über. Der zweite Schläger verdrehte überrascht die Augen, als der Bambusgriff sich auf seine rechte Schulter legte. Übrigens sehr nachdrücklich. Derart, daß er seinen Spazierstock prompt verlor. Als er sich automatisch nach ihm niederbücken wollte, landete der bleigefütterte Bambusgriff auf seinem Hinterkopf. Worauf der Mann geradezu abenteuerlich schielte, dumpf stöhnte und sich auf den Boden setzte. Der erste Angreifer hatte sich von seinem Luftmangel inzwischen erholt und warf seinen Spazierstock weg. Er hatte wohl eingesehen, daß er die falsche Waffe benutzte, und hatte plötzlich ein Klappmesser in der Hand, dessen Klinge er hervorschnellen ließ. Er hätte besser darauf verzichtet, denn Parker haßte Schneidwaren dieser Art. Der Schläger fingierte und lauerte auf seine Chance. Parker zog sich mit seinem Regenschirm ein wenig zurück und
gab sich dabei scheinbar eine Blöße. Der Messerstecher warf sich sofort vor und stach zu… … was prompt in die Luft ging! Parker war geschickt zur Seite gewichen und revanchierte sich mit dem Bambusgriff. Der Messerstecher blieb für den Bruchteil einer Sekunde unbeweglich stehen. Dann ging ein Zittern durch seinen Körper, das eine gewisse Schwäche auslöste. Wenig später saß er neben seinem Partner auf dem Boden und nahm sichtlich übel. »Ich möchte doch sehr hoffen, meine Herren«, sagte Parker dann höflich und gemessen, »daß wir alle einem bedauerlichen Mißverständnis zum Opfer gefallen sind. Wenn Sie gestatten, möchte ich mich jetzt empfehlen.« Er lüftete seine schwarze Melone und verließ die niedrige Mauer, um hinunter in die Stadt zu gehen. Sein Ziel war erreicht. Er hatte ein gewisses Aufsehen erregt und durfte damit rechnen, daß es dabei vorerst auch blieb. Listigerweise hatte Parker nämlich seine Brieftasche am Tatort zurückgelassen. Er schien sie bei der Auseinandersetzung verloren zu haben. Er hoffte wenigstens, daß er diesen Eindruck erweckte… * »Ein gewisser Parker«, stellte Paul Lansing fest, der den Inhalt der gefundenen Brieftasche sortierte, »von Beruf Butler, Sir…« »Mir gefällt die Sache nicht«, erwiderte Richmond. »Der Mann ist auf mich angesetzt gewesen.« »Hier, Sir…« Lansing, der Mann mit der randlosen Brille und dem undurchdringlichen Gesicht, reichte seinem Chef ein Foto, auf das er gerade gestoßen war. »Das bin ja ich?« Les Richmond zuckte förmlich zusammen, als er das Bild in die Hand nahm. Er konnte selbstverständlich nicht wissen, daß er es mit Mike Rander zu tun hatte. Parker hatte dieses Foto seines jungen Herrn sehr absichtlich in die Brieftasche gesteckt. Es handelte sich um einen Schnappschuß, der nicht gerade deutlich war. Mike Rander stand auf einer Gangway und verließ einen Jumbo-Jet. Ihm hatte dieses Foto seinerzeit nicht gegolten, sondern einem Mitreisenden, den der junge Anwalt ver-
folgt hatte. Das Foto war damals von Parker aufgenommen worden und gehörte zu einem ganz anderen Fall, der längst abgeschlossen war. Doch jetzt ließ dieses Bild sich erfreulicherweise noch mal verwenden. »Das sind Sie tatsächlich, Sir«, pflichtete Lansing seinem Arbeitgeber bei. »Wann könnte die Aufnahme gemacht worden sein?« fragte sich Richmond halblaut. »Vor einem Monat, Sir, als Sie aus den Staaten kamen«, sagte Lansing. »Genau, Lansing. Das hier dürfte das erste Foto von mir sein.« »Sehr deutlich ist es gerade nicht, Sir.« »Dennoch! So nahe ist mir noch keiner auf den Pelz gerückt, Lansing. Tun Sie etwas gegen diesen Butler!« »Was denn, bitte, Sir…« »Sie verdienen bei mir ein Vermögen, Lansing«, erwiderte Richmond kalt. »Sie werden dafür bezahlt, daß Sie sich etwas einfallen lassen. Was, ist ihre Sache! Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt, oder?« »Okay, Sir.« Lansing nickte. »Überraschen Sie mich mit einem schnellen Ergebnis«, redete Richmond weiter. »Ich will auf keinen Fall durch die Gazetten geschleift werden, klar? Es bleibt dabei, meine Anonymität muß gewahrt bleiben.« »Ich werde mich sofort mit diesem Butler befassen.« »Vergattern Sie die beiden Idioten, die sich von diesem Mann haben hereinlegen lassen, Lansing! Sie haben noch eine Chance, ihren Fehler wieder hinzubiegen, und Sie ebenfalls!« Ohne sich weiter um Lansing zu kümmern, verließ Richmond den luxuriös eingerichteten Wohnraum seines Bungalows. Er merkte nicht, daß Lansing ihm verkniffen nachsah. Wie oft schon hatte Lansing seinen Job kündigen wollen! Doch es stimmte, er verdiente bei Richmond ein kleines Vermögen. Dafür mußte er sich aber die Hände schmutzig machen. Er hatte sich zwar daran gewöhnt, und es machte ihm nichts mehr aus. Doch die Behandlung durch Richmond reizte ihn von Monat zu Monat immer mehr. Lansing ging in die Diele des Hauses und stieg über die Treppe hinunter ins Souterrain des Bungalows. Hier waren die beiden Leibwächter Richmonds einquartiert, zwei Amerikaner namens
Mike Shelby und Haie Silver. Die beiden Profis wirkten leicht mitgenommen und lagen auf ihren Betten. Sie erhoben sich andeutungsweise, als Lansing eintrat. Sie litten noch sichtlich unter den Nachwirkungen eines gewissen Regenschirms. »Der Chef ist sauer«, sagte Lansing, »er hält euch für blutige Anfänger, die ihr Geld nicht wert sind. An eurer Stelle würde ich mir was einfallen lassen. Hier ist die Adresse, wo dieser Butler wohnt. Unterhaltet euch hoch mal mit ihm! Vielleicht während der Nacht. Der Mann ist bestimmt gut versichert und braucht seine Krankenhausrechnung nicht aus eigener Tasche zu bezahlen.« * »Nicht gerade ein Genieblitz, Mister Parker, aber vielleicht brauchbar«, kommentierte Agatha Simpson die Geschichte Parkers. Der Butler hatte Mylady im Hotel aufgesucht und von seinem Brieftaschentrick berichtet. »Möglicherweise haben Mylady andere Vorschläge zu machen«, erwiderte Parker beherrscht. »Sie nehmen zu schnell übel, Mister Parker«, sagte Lady Simpson wegwerfend, »ganz abgesehen davon, daß es verdammt unhöflich ist, eine alte Frau in die Enge zu treiben.« »Es ist damit zu rechnen, Mylady, daß: die beiden Schläger sich in der kommenden Nacht einfinden werden«, führte Parker aus, ohne auf die Worte der alten Dame einzugehen. »Und was wollen Sie tun? Ich werde auf jeden Fall dabeisein, Mister Parker…« »Aber Mylady!« warf Kathy Porter vorwurfsvoll ein. »Behandeln Sie mich nicht immer wie ein kleines Kind«, fauchte Agatha Simpson ihre Gesellschafterin an. »Natürlich werde ich dabeisein. So etwas werde ich mir nicht entgehen lassen. Ausgeschlossen!« »Ich möchte mir erlauben mitzuteilen, daß Mylady sich dann allein in meiner bescheidenen Behausung befinden dürfte.« »Was soll das heißen, Mister Parker?« »Selbstverständlich werde ich die Abwesenheit der beiden Schläger dazu benutzen, dem Bungalow. Mister Richmonds einen Besuch abzustatten.«
»Sie sind ein Filou, Mister Parker.« »Vielen Dank, Mylady.« »Und was wollen Sie in Richmonds Bungalow anstellen?« »Dies, Mylady, möchte ich dem Augenblick überlassen.« »Ich werde Sie dabei beraten, Mister Parker.« Agatha Simpson setzte sich sehr unternehmungslustig auf. »Davor, Mylady, möchte ich dringend abraten.« »Sie halten mich wohl ebenfalls für ein Kleinkind, wie?« Sie sah den Butler streng und empört zugleich an. »Keineswegs, Mylady«, widersprach Parker gemessen, »aber Ihr Einsatz, wenn ich es so ausdrücken darf, könnte und müßte auf einer anderen Ebene erfolgen.« »Die wäre?« Sie sah ihn gespannt an. »Ich denke an die gesellschaftliche Ebene, Mylady«, erklärte, der Butler höflich: »Ein Mann wie Mister Richmond wird hier in der Schweiz ganz sicher nicht wie ein Eremit leben.« »Sehr gut«, sagte Lady Simpson widerwillig und zögernd. »Da ist etwas dran, Mister Parker. Sie haben mich überredet, aber wehe Ihnen, wenn Sie mich nur hinhalten wollen. Dann werden Sie Ihr blaues Wunder erleben!« »Ich bin mir dessen wohlbewußt, Mylady«, erklärte Parker, der ihr jedes einzelne Wort voll abnahm und mit Schrecken an solche Möglichkeiten dachte… * Es dauerte sehr lange, bis ein Wagen Richmonds Grundstück verließ. Es ging auf drei Uhr morgens zu, als der Mercedes durch das Tor fuhr, um dann in schneller Fahrt hinter der Straßenbiegung zu verschwinden. Parker hatte im Licht der Torbeleuchtung deutlich gesehen, daß sich im Wagen die beiden Schläger befanden, die er mit seinem Regenschirm behandelt hatte. Sie waren demnach auf dem Weg, sich der Adresse zu nähern, die sie in seiner absichtlich zurückgelassenen Brieftasche gefunden hatten. Jetzt war also der Weg frei, Richmond den nächtlichen Besuch abzustatten. Das Tor war nach der Durchfahrt des Wagens von Lansing geschlossen worden. Es handelte sich um ein überraschend leichtes Tor, das höchstens anderthalb Meter hoch war und sich harmo-
nisch, in die Umgrenzungsmauer aus Bruchsteinen einfügte. Parker schloß daraus, daß Richmond sich elektronisch abgesichert haben mußte. Ein Mann wie Richmond, der seine Anonymität bisher so hartnäckig und erfolgreich verteidigt hatte, ein solcher Mann überließ sicher nichts dem Zufall. Wahrscheinlich waren im Garten und nahe um das Haus herum »Infraaugen« installiert, die jede Annäherung sofort meldeten. Diesen Augen galt es zu entgehen. Parker benutzte dazu eine reichlich unkonventionelle Methode. Er griff in eine der Innentaschen seines schwarzen Covercoats und zog eine Gabelschleuder hervor, wie sie von Halbwüchsigen nur zu gern und immer wieder verwendet wird. Es handelte sich selbstverständlich um eine Spezialkonstruktion, deren beide Gummistränge ungewöhnlich stark und leistungsfähig waren. Aus einer seiner vielen Westentaschen holte Parker das erste Geschoß für diese Zwille hervor. Es war eine mittelgroße Stahlmurmel, die selbst dicke Scheiben zu durchschlagen vermochte. Was sich auch als richtig erwies. Von der Straße aus schickte der Butler die erste Stahlmurmel auf die Luftreise. Der Erfolg war frappierend. Klirrend zerbarst die Scheibe neben der schweren, soliden Haustür. Parker wußte, daß dies vorerst reichen würde. Er zog sich in Deckung zurück und harrte der Dinge die sich unbedingt ereignen mußten. Er brauchte nicht lange zu warten. Licht flammte hinter der zerborstenen Scheibe auf, Sekunden später war der ganze parkähnliche Garten in gleißendes Licht getaucht. In der geöffneten Tür erschien Paul Lansing, der Sekretär Richmonds mit der randlosen Brille. Im Hintergrund war eine zweite Gestalt zu erkennen. Wahrscheinlich handelte es sich um Richmond selbst, der sich aber wohlweislich zurückhielt. Lansing zog sich in das Haus zurück, die Tür wurde geschlossen. Parker, der etwa dreißig Meter vor dem Tor am Steuer seines hochbeinigen Wagens saß, brauchte nicht lange zu warten, bis ein Streifenwagen der Polizei auf der Straße erschien. Richmond, vermutlich nervös geworden, hatte die Polizei alarmiert. Drei uniformierte Beamte stiegen aus, zwei von ihnen warteten ungeduldig vor dem Tor, bis Lansing geöffnet hatte.
Der dritte Beamte näherte sich Parkers Wagen und entdeckte den Butler am Steuer. »Gruezi, der Herr«, sagte der Beamte, »warten Sie hier schon lange?« »Zu lange«, erwiderte Parker und gähnte. »Auf wen, der Herr, wenn ich bitten darf?« Statt zu antworten, deutete der Butler gelangweilt auf den Hang. Ein steiler Treppenweg führte nach oben und endete zwischen mehr oder weniger schwach erleuchteten Bungalows, mit denen der Hang förmlich übersät war. »Haben Sie irgendwas Verdächtiges bemerkt, der Herr?« fragte der Beamte höflich weiter. »Ist denn was passiert?« wollte Parker wissen und stieg bereits aus. »Einbruchsversuch«, erwiderte der Beamte. »Dann muß das der Motorradfahrer gewesen sein, den ich gehört habe«, schwindelte Parker. »Einbruchsversuch, sagen Sie?« Er begleitete den Beamten bis zum geöffneten Tor des Richmond-Grundstücks und sah scheinbar neugierig zum Bungalow hinüber. »Warten Sie hier«, meinte der Beamte, »das heißt, kommen Sie mit! Sie müssen dem Inspektor sagen, was Sie gesehen haben.« »Aber nur zu gern«, antwortete Parker gemessen, »es wird mir ein Vergnügen sein, den Behörden zu dienen.« Er folgte dem Beamten. Sie näherten sich dem Haus und stießen unter dem Vordach mit Paul Lansing zusammen. »Ein Augenzeuge«, meldete der Beamte seinem Inspektor, »er hat einen Motorradfahrer gesehen.« Lansing musterte den Butler aus kalten Augen, die sehr wachsam und mißtrauisch waren. »Parker mein Name«, stellte der Butler sich vor und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Josuah Parker.« Dann lächelte er Lansing neutral an, der ihn überrascht und dann verstehend mit einem schnellen Blick taxierte. * Mike Shelby und Haie Silver näherten sich mit sehr gemischten Gefühlen der Adresse, die sie von Paul Lansing in die Hand ge-
drückt bekommen hatten. Sie dachten noch sehr intensiv an die Auseinandersetzung auf dem Hangweg und wußten als erfahrene Profis, daß diese Niederlage kein Zufall gewesen war. Die Adresse entpuppte sich als ein altes Haus, das im Stil des Tessin erbaut war. Shelby und Silver stiegen aus dem Mercedes und näherten sich vorsichtig diesem Gebäude, das in einer schmalen Gasse lag. Die Tür war für sie kein Hindernis. Silver beschäftigte sich kurz mit dem einfachen Schloß und trat dann sehr höflich und einladend zur Seite. Er wollte seinem Partner Shelby den Vortritt lassen. »Mach’ schon«, flüsterte Shelby, der nicht daran dachte, den Vorreiter zu spielen. Er wartete, bis Silver im dunklen Hausflur verschwand. Dann folgte er sehr vorsichtig, einen schallgedämpften Revolver in der Hand haltend. Die Orientierung war nicht sonderlich schwer. Im Souterrain des Hauses befanden sich nur Wirtschaftsräume, einige Keller und eine große Waschküche. Die Treppe führte hinauf ins Obergeschoß. Und hier stießen sie prompt auf eine Tür, an die man eine Visitenkarte geheftet hatte. »Das ist es«, flüsterte Silver, der den Namen Parker gelesen hatte. »Mach schon«, gab Shelby leise zurück. Er beschränkte sich auf das, was er bereits unten vor der Haustür gesagt hatte. Silver sah seinen Partner wütend an, untersuchte das Türschloß und schob den Nachschlüssel ein. Diesmal blieb er hartnäckig neben der geöffneten Tür stehen. Er hatte keine Lust, erneut voranzumarschieren. Shelby wartete ebenfalls. Zwischen beiden Schlägern entbrannte so etwas wie ein Nervenkrieg, den Shelby gewann. »Feiger Hund!« maulte Silver, der den Kopf tief zwischen die Schultern nahm und den Raum betrat. Nach wenigen Minuten wußte er, daß sie mit Zitronen gehandelt hatten. Das Zimmer war leer. »Versteh ich nicht«, sagte Silver, »wo kann der Kerl sich wohl ’rumtreiben?« »Wir warten, bis er zurückkommt«, entschied Shelby und ließ sich in einem einfachen Sessel nieder, »sieh dich mal um, Haie!« Licht war im Zimmer ausreichend vorhanden. Draußen auf der
Gasse gab es eine Laterne, die das Zimmer mitversorgte. Haie Silver legte seine Schußwaffe weg und befaßte sich verständlicherweise zuerst mal mit der schwarzen Reisetasche, die in der Nähe des Fensters auf einem Hocker stand. »Sieht gut aus, wie?« Er hatte in der Reisetasche eine kleine Stahlkassette entdeckt, die er triumphierend hochhielt. »Mach schon«, wiederholte Shelby seine stereotype Forderung. Silver schob einen seiner vielen Nachschlüssel ins Schloß und näherte sich mit der Kassette seinem Partner Shelby, der neugierig aufstand. »Geht ja wie geschmiert«, stellte Silver nach wenigen Sekunden fest, »gleich hab ich’s!« Sie beugten sich beide neugierig über die Kassette. Silver gab dem Nachschlüssel einen kleinen energischen Ruck, und schon sprang der Deckel der Kassette auf. Er sprang ungewöhnlich schnell auf und schien von einer starken Feder hochgedrückt zu werden. Und mit dem Hochschnellen des Deckels stäubte ein feines Pulver in die Luft, das einige Sensationen auslöste. Zuerst niesten die beiden Schläger ausgiebig, und zwar derart, daß es sie fast von den Beinen riß. Sie waren diesem Reiz hilflos ausgeliefert und kamen gegen die Flut der Tränen nicht an, die aus ihren Augen schossen. Silver hatte längst die Kassette aus der Hand verloren. Er schnappte immer wieder nach Luft, ließ sich durchschütteln und fiel dann erschöpft in einen der beiden Sessel. Shelby hatte es nicht weniger hart erwischt. Er hatte sich gegen den Kleiderschrank gelehnt und hielt sich an dessen Kante fest, um nicht in die Knie zu gehen. Er spürte eine seltsame Schwäche in den Gliedern, die langsam zu einer Lähmung wurde. Er rutschte an der Schranktür hinunter und landete auf seinen Knien. Sekunden später lag er auf dem Bettläufer und schloß erleichtert und ungemein müde die Augen. Eine seltsame Zufriedenheit hatte Besitz von ihm ergriffen. Diese Zufriedenheit kostete Silver bereits innig aus. Er rollte sich vor dem Waschbecken zusammen, tat ein paar tiefe Atemzüge und schloß die Augen. Er hatte nur noch den einen Wunsch, sich jetzt und hier gründlich auszuschlafen.
* Paul Lansing war zu klug, Parker laut zu verdächtigen. Der Sekretär des Immobilien-Hai Richmond hatte sich bereits wieder gefangen. Er wußte, wem er gegenüberstand und schaltete um. Er hatte den Butler taxiert und glaubte zu wissen, welche Taktik jetzt angebracht war. Die drei Polizeibeamten hatten den Hausflur verlassen und suchten das Grundstück ab. Lansing und Parker waren allein. »Ich könnte Sie reinlegen«, sagte Lansing ungeniert, »ich weiß sehr genau, wer die Scheibe zerschossen hat.« »Wissen ist Macht«, gab der Butler höflich zurück. »Sie sagen es, Parker.« »Mister Parker«, korrigierte der Butler gemessen. »Hat die kleine Palmer Sie engagiert?« erkundigte sich Lansing, der wieder gelassen wirkte. »Palmer?« Parker ahnte, wen Lansing meinte. »Ja, doch! Hetty Palmer. Die Kleine führt sich ja auf wie eine Rachegöttin.« »Hat sie nicht allen Grund dazu?« fragte Parker, als seien ihm alle Einzelheiten wohlvertraut. »Miß Palmer sitzt auf dem falschen Dampfer«, antwortete Lansing abfällig, »wir haben mit dem Tod ihres Bruders überhaupt nichts zu tun.« »Sind Sie sicher, daß es sich nicht um eine Schutzbehauptung handelt?« erkundigte sich der Butler. »Sie scheinen die Gerichtsakten nicht zu kennen«, erwiderte Lansing gelassen, »ich gebe Ihnen einen guten Rat, Mister Parker. Lassen Sie die Finger von der Palmer! Sie werden sich nur Ärger einhandeln. Miß Palmer rennt einer fixen Idee nach.« »Sie macht auf meine bescheidene Wenigkeit einen sehr entschlossenen Eindruck.« »Seit wann arbeiten Sie für die Palmer?« »Wieso sollte ich für Miß Palmer arbeiten?« wollte Parker wissen. »Das Foto in Ihrer Brieftasche«, erinnerte Lansing ungeniert. »Wann haben Sie das Foto von Mister Richmond geschossen?« »Sie befinden sich also im Besitz meiner Brieftasche?« wunderte sich Parker gekonnt. »Sie können Sie gern zurück haben, Parker. Sagen Sie, was will
die Palmer eigentlich?« »Mister Richmond zur Verantwortung ziehen«, entgegnete der Butler. »Haben Sie Einfluß auf sie?« »In einem speziellen Fall ergab sich das tatsächlich.« »Dann nutzen Sie ihn! Sie können sich eine fette Prämie verdienen, Mister Parker. Aber sorgen Sie dafür, daß diese hysterische Ziege zurück nach London geht! Sie macht hier die Pferde unnötig scheu.« »Sie denken an einen Vergleich!« Parker spielte seine Rolle sehr gut. Er bekam Informationen geliefert, mit denen er nicht gerechnet hatte. »Sie kann eine gewisse Abfindung von uns erhalten«, schlug Lansing vor. »Sagen wir 500 Pfund.« »Mister Richmond scheint seine Ruhe zu lieben:« »An Skandalen ist er nicht interessiert«, stellte Lansing fest. »Ihre Prämie würde sich auf sagen wir 100 Pfund belaufen. Ist das ein Angebot?« »Ich werde es Miß Palmer unterbreiten.« »Okay. Dann ist ja alles klar. Ich erwarte Ihren Anruf. Sagen Sie, warum haben Sie die Scheibe zerschossen? Das würde mich interessieren. Was haben Sie sich davon versprochen?« »Die Unterhaltung, in der wir uns zur Zeit befinden«, meinte der Butler höflich, »ein nützliches Verfahren, wie Sie zugeben müssen.« »Sie sind ein gerissener Bursche«, stellte Lansing fest. »Ich erlaube mir, Ihre Bemerkung als ein ausgesuchtes Kompliment zu betrachten«, gab der Butler höflich zurück. »Leider kann ich Ihnen solch ein Kompliment nicht zurückgeben.« »Wieso?« Lansings Augen verengten sich. »Erst durch Sie bin ich in den Genuß gekommen, von der Existenz Miß Palmers zu erfahren«, behauptete der Butler. »Demnach scheint es außer meiner bescheidenen Wenigkeit noch eine zweite Person zu geben, die sich nachdrücklich mit Mister Richmond befassen will. Dafür meinen Dank, Mister Lansing!« * »Setzen Sie sich, Mister Parker.«
Agatha Simpson frühstückte auf der Terrasse ihres Hotels und machte einen recht zufriedenen Eindruck. Neben ihr saß Kathy Porter, zurückhaltend und scheu wie immer. »Ich würde mir nie erlauben, Mylady, an Ihren Tisch…« »Reden Sie doch keinen Blödsinn«, antwortete Agatha Simpson, ihm das Wort abschneidend. »Setzen Sie sich! Ihr Herumstehen macht mich nervös. Haben Sie schon gefrühstückt?« »Danke, Mylady.« »Sie waren bei Richmond?« erkundigte sich Agatha Simpson neugierig, während Parker am Tisch Platz nahm. »In der Tat, Mylady! Zusammen mit drei Beamten der Schweizer Polizei.« Sie sah ihn aus großen, amüsierten Augen an und ließ sich berichten, was Parker erlebt hatte. »Warum haben Sie diesem Brillenträger verschwiegen, daß Sie diese Miß Palmer kennen?« wollte sie schließlich wissen. »Mister Richmonds Aktivitäten sollen dadurch tunlichst von der jungen Dame abgelenkt werden, Mylady.« »Nicht schlecht, ganz brauchbar«, entschied Mylady. »Hetty Palmer heißt sie also. Miß Porter, Sie werden sich darum kümmern. Stellen Sie fest, wo wir diese junge Frau treffen können!« Kathy Porter stand sofort auf, verließ den Tisch und verschwand im Hotel. »Mylady glauben, daß Miß Porter…?« »Sie kennen Kathy nicht«, meinte Agatha Simpson, »in spätestens einer Stunde wissen wir Bescheid. Sie ist sehr zäh…« »Dies wird auch Mister Richmond sein, Mylady.« »Darauf können Sie Gift nehmen, Mister Parker«, erwiderte Agatha Simpson burschikos. »Wir werden uns verdammt viel einfallen lassen müssen, wenn wir ihn fertigmachen wollen.« »Sie bestehen nach wie vor darauf, Mylady?« »Natürlich.« »Deuteten Mylady nicht an, daß mit rechtlichen Mitteln kaum etwas zu erreichen sein wird?« »Überhaupt nichts«, bestätigte die 60 Jahre alte Dame und nickte nachdenklich. »Richmond arbeitet im Rahmen der gültigen Gesetze. Aber was er daraus macht, das reizt mich bis aufs Blut!« »Wie gedenken Mylady, Mister Richmond außer Gefecht zu setzen?« wollte Parker wissen. »Kein Hund darf in Zukunft ein Stück Brot von ihm nehmen.«
Sie sah Parker flammend wie ein Racheengel an. »Ob Mister Richmond sich daraus etwas machen wird, Mylady? Ich darf darauf verweisen, daß er sehr zurückgezogen und in der Anonymität lebt.« »Verflixt!« Mehr sagte Agatha Simpson nicht. Doch ihre ganze Haltung drückte aus, daß sie die Sackgasse erkannt hatte, in der sie sich befand. Sie rutschte förmlich in sich zusammen und rührte unentwegt und wie geistesabwesend in ihrer Kaffeetasse herum. »Sie scheinen meine Hilflosigkeit sehr zu genießen«, fauchte sie den Butler schließlich an. »Mylady?« »Lassen Sie sich endlich etwas einfallen, Parker! Wie können wir Richmond packen?« »Man müßte seinen schwachen Punkt finden, Mylady.« »Und der könnte wo sein?« Sie sah ihn bereits wieder hoffnungsvoll an. »Bestimmt wird Miß Palmer Ihnen, Mylady, und meiner bescheidenen Wenigkeit weiterhelfen können.« »Richtig. Genau das meine ich«, behauptete Agatha Simpson. »Sie denken an ihren Bruder, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady!« »Warum sitzen Sie dann noch hier tatenlos herum?« meinte sie unternehmungslustig. »Wie ist das mit diesen beiden Individuen, die bei Ihnen einbrachen?« »Ich war so frei, Mylady, sie ein wenig zu beschäftigen.« »Können Sie sich nicht genauer ausdrücken, junger Mann?« grollte Agatha Simpson mit tiefer Stimme. »Ich bin keine Hellseherin.« »Ich habe den beiden Herren zur Besichtigung einer Waschküche verholfen«, präzisierte der Butler. »Wenn ich die Vorgänge dort richtig einschätze, werden sie doch jetzt ungemein zu tun haben.« Shelby und Silver waren restlos sauer. Sie befanden sich tatsächlich in einer Waschküche und waren nach ihrer automatischen Einschläferung in einem riesigen, gemauerten Spültrog aufgewacht. Selbstverständlich hatten sie sich sofort entfernen wollen, doch es gab da ein Hindernis, das sich nicht so leicht beseitigen ließ. Dieses Hindernis bestand aus zwei soliden Handschellen, die aus
Parkers Besitz stammten. Sowohl Silver als auch Shelby waren mit je einer Handschelle bedacht worden. Die freien Enden dieser Handschellen schlangen sich um das Rohr einer Wasserleitung, mit der der große Spültrog gefüllt werden konnte. Shelby und Silver hatten sich eingehend mit den Handschellen beschäftigt und sich nach geeigneten Hilfsmitteln umgesehen, um die lästigen Fesseln loszuwerden. Doch diese Hilfsmittel gab es nicht. Parker hatte wohlweislich alles weggeräumt, was dazu hätte dienen können. Die beiden Schlägertypen hätten natürlich laut und gellend um Hilfe rufen können, doch darauf hatten sie wohlweislich verzichtet. Und das hing wiederum damit zusammen, daß sie nicht genau wußten, ob ihre Namen im Fahndungsbuch der Schweizer Polizei standen. Shelby und Silver hatten in anderen Staaten einiges auf dem Kerbholz. Sie wollten daher kein unnötiges Risiko eingehen. So standen sie also in dem großen Trog und mühten sich ab, die Wasserleitung aus der Wand heraus zubrechen. Dann war es nämlich möglich, die Handschellen wenigstens einseitig abzuziehen und die Flucht zu ergreifen. Sie hatten sich im Moment nicht sehr viel zu sagen. Schimpfworte und Flüche fielen ihnen einfach nicht mehr ein. Sie hatten sich, was das anbetraf, bereits restlos verausgabt. Es war längst Morgen geworden. Freundliches Sonnenlicht fiel in die an sich düstere und feuchte Waschküche. Ihrer Schätzung nach hatten Shelby und Silver nach dem Öffnen der Kassette etwa drei Stunden tief und fest geschlafen. Und jetzt waren sie dabei, das Wasserrohr aus der Wand zu drehen. Verbissen und wütend zogen und zerrten sie an dem Wasserrohr, das teilweise unter Putz verlegt war und von starken Mauerhaken festgehalten wurde. Es handelte sich hierbei noch um echte, solide, handwerkliche Qualitätsarbeit, die aber keine ungeteilte Anerkennung fand, was Shelby und Silver anbetraf. In ihrem Eifer merkten sie nicht, daß das Wasserrohr oben unter der niedrigen Decke bedenkliche Bruchneigung zeigte. Und es dauerte auch nicht lange, bis die Leitung sich in eine gewaltige Dusche verwandelte. Innerhalb weniger Sekunden waren Shelby und Silver naß bis auf die Haut. Sie schnappten nach Luft, gurgel-
ten ausgiebig und spien Wasser, was das Zeug hielt. Sie verwandelten sich in nasse Lappen, die total eingewässert wurden. Das Wasser sammelte sich im Trog und stieg langsam an. Nach etwa zehn Minuten reichte es den beiden Schlägern bis an die Oberschenkel. Und da es sich um Quellwasser handelte, war dieses Naß sehr erfrischend, aber auch kalt. Die beiden Schläger niesten bereits und hatten das deutliche Gefühl, von unten herauf betäubt zu werden. In ihrer Verzweiflung zerrten sie noch wütender an dem bereits abgeknickten Wasserrohr. Sie schafften es, das Rohr restlos abzureißen. Aus der Dusche wurde ein mittelgroßer Wässerfall. Die Fluten ergossen sich wie ein Sturzbach auf sie herab. Sie duckten sich unter dem Ansturm des Wassers und vergaßen darüber gerade das Stück Rohr aus der Wand zu reißen, von dem sie nach wie vor festgehalten wurden. Das Wasser im Trog stieg rapide. Es hatte ihre Hüften bereits erreicht und vereiste edle Körperteile. Shelby und Silver hatten ihre Zurückhaltung längst aufgegeben. Zum Teufel mit dem Schweizer Fahndungsbuch! Sie schrien um Hilfe, tobten und gurgelten. Das Wasser hatte den Rand des Trogs erreicht und breitete sich bereits in der Waschküche aus. In einem zuerst schmalen Rinnsal, dann sich in einen Sturzbach verwandelnd, rauschten die Fluten gegen die Tür der Waschküche. Die verzweifelten und gellenden Hilferufe waren endlich gehört worden. Draußen vor der Tür hörte man Stimmen. Dann wurde die Tür aufgerissen und das aufgestaute Wasser gurgelte wie eine Flutwelle in das untere Treppenhaus. Zwei Retter, die sich eingefunden hatten, wurden hinweggespült und landeten zusammen mit der Sturzwelle draußen in der Gasse. Worauf nach der Feuerwehr und nach der Polizei gerufen wurde. Auf der Gasse bildete sich eine Gruppe neugieriger Zuschauer, die die Lage ausgiebig diskutierte. Einige Beobachter kamen zu dem kühnen Schluß, eine Quelle unter dem Haus habe sich mit Macht Bahn gebrochen. Andere wiederum sprachen von einem Wasserrohrbruch. Sie wurden allerdings niedergestimmt, denn so einfach wollte man es sich nicht machen.
Ein vorbeikommender Sektierer nutzte die Gelegenheit, seinen Brüdern und Schwestern den Untergang dieser verdorbenen Welt zu verkünden. Er wies auf die aus dem Haus strömenden Fluten und deutete diskret an, es könne sich möglicherweise um den Beginn einer neuen Sintflut handeln. Das alles bekamen Shelby und Silver aber nicht mit. Es hätte sie vielleicht ein wenig abgelenkt. So aber standen sie, steifgefroren, in dem Wassertrog und schnappten nach Luft, während das eiskalte Wasser auf sie herunterströmte. * Sie öffnete spaltbreit die Tür ihres Zimmers und starrte den Butler völlig entgeistert an. »Miß Palmer?« erkundigte sich Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Wie… wie haben Sie mich gefunden?« fragte die junge Frau. Vorsicht stahl sich in ihre Augen. »Dies, Madam, würde ich Ihnen gern unter bequemeren Umständen berichten«, sagte Parker, »hätten Sie etwas dagegen, mich in Ihr Zimmer zu lassen?« Sie hatte nichts dagegen, hakte die Sperrkette aus und öffnete die Tür. Parker sah, daß sie den Armeerevolver schußbereit in der rechten Hand hielt. »Ich darf mich noch mal vorstellen«, sagte Parker, »falls Sie meine bescheidene Wenigkeit vergessen haben sollten. Parker, Josuah Parker.« »Hetty Palmer.« Sie sah verlegen auf den Revolver und warf ihn dann auf das Bett, das in der Ecke des einfach eingerichteten Zimmers stand. Parker hatte die Adresse von Hetty Palmer vor knapp einer halben Stunde von Kathy Porter erfahren. Die Gesellschafterin von Agatha Simpson hatte dieses Problem erstaunlich schnell gelöst. Wie, das hatte sie nicht gesagt. Parker hatte sich sofort auf den Weg gemacht, Kontakt mit Miß Palmer herzustellen. Es ging ihm in erster Linie darum, die junge Frau vor Dummheiten zu bewahren. Und in Parkers Augen war
und blieb es eine ausgemachte Dummheit, Probleme mit Gewalt lösen zu wollen. »Sie hatten sich ein wenig zu schnell verabschiedet«, stellte Parker ohne jeden Vorwurf fest. »Ich will Sie nicht mit meinen Problemen belasten«, gab Hetty Palmer zurück, »Richmond ist allein meine Sache.« »Jetzt nicht mehr, Miß Palmer.« »Wie soll ich das verstehen?« »Wenn Sie gestatten, Miß Palmer, möchte ich mich ebenfalls mit Mister Richmond beschäftigen.« »Sie jetzt auch?« Hetty wirkte nicht überzeugt. »Kennen Sie die beiden Leibwächter Richmonds?« erkundigte sich der Butler. »Shelby und Silver.« Sie nickte. »Diese beiden Herren versuchten sich mir mit Gewalt zu nähern«, erklärte Parker. »Und warum?« »Weil ich mir die Freiheit genommen hatte, den RichmondBungalow zu beobachten.« »Stimmt das wirklich?« Sie blieb mißtrauisch und musterte ihn von oben bis unten. »Sie sehen aber sehr gesund aus, Mister Parker.« »Dafür dürften sich die Herren Shelby und Silver nicht sehr wohl fühlen«, meinte, Parker gemessen. »Weiß Mister Lansing, wo Sie wohnen, Miß Palmer?« »Er läßt die Pension hier beobachten.« »Hat er Ihnen irgendwann schon mal ein Angebot gemacht?« »Per Telefon!« Sie nickte. »Er will Richmond freikaufen, aber darauf lasse ich mich nicht ein.« »Warum, Miß Palmer, fürchtet er Sie?« Sie wandte sich halb um und sah zum Fenster hinaus. Sie schien sich noch nicht entschließen zu können, den Butler völlig einzuweihen. Dann aber gab sie sich einen Ruck, drehte sich zu Parker um und nickte. »Er weiß, daß ich gewisse Zusammenhänge sehr gut kenne«, sagte sie dann. »Ich kenne die Konstruktion seiner Firmen. Mein Bruder weihte mich damals ein, und ich weiß schließlich, daß er einige Beamten der Londoner Stadtverwaltung bestochen hat.« »Eine schwerwiegende Anschuldigung, Miß Palmer, für die Sie hoffentlich Beweise haben.«
»Ich kenne nur die Namen der beiden bestochenen Beamten. Aber das allein reicht schon. Sie haben Richmond gewisse Tips zugespielt.« »Ich fürchte, Miß Palmer, Ihnen nicht ganz folgen zu können«, behauptete der Butler, obwohl er bereits ahnte, wovon die junge Frau sprach. »Nun, die Sache ist doch sehr einfach«, erläuterte Hetty Palmer. »Richmond ließ und läßt sich gewisse Tips geben. Er erfährt unter der Hand, wo die Stadtverwaltung eines Tages bauen will. Straßen oder Wohnungen. Richmond kaufte und kauft also solche Grundstücke über Strohmänner auf und blockiert sie später solange, bis man seine Preise zahlt. Die Riesengewinne können Sie sich leicht ausrechnen.« »Ein wirkungsvolles Verfahren, das nicht nur in England geübt wird«, stellte Parker trocken fest. »Richmond weiß, daß mein Bruder mich informiert hat. Er weiß aber nicht, wieviel ich weiß. Und das macht ihn nervös. Normalerweise würde er mich überhaupt nicht zur Kenntnis nehmen.« »Sie haben keine Angst, daß Sie einem plötzlichen Unfall zum Opfer fallen könnten?« »Silver und Shelby, nicht wahr?« Sie nickte. »Ich habe natürlich vorgesorgt, Mister Parker. Falls mir etwas passiert, werden gewisse Unterlagen reden. Ich habe sie bei einem Anwalt deponiert.« »Eine Frage im Vertrauen, Miß Palmer. Warum nutzen Sie Ihr Wissen nicht, Richmond schon jetzt bloßzustellen?« »Wird das reichen?« gab Miß Palmer nachdenklich zurück. »Ich glaube einfach nicht daran. Richmond muß man schon härter kommen.« »Zum Beispiel mit einem Armeerevolver?« »Warum nicht? Er hat meinen Bruder auf dem Gewissen.« »Wie kam es zum Tod Ihres Bruders?« Bevor Hetty Palmer antworten konnte, wurde die Tür aufgetreten, plötzlich und brutal. Sie flog aus dem Schloß und klatschte gegen die Wand. Im Türrahmen standen zwei Männer, die wie Touristen aussahen. Statt der obligaten Fotoapparate hatten sie aber Pistolen in Händen, die mit Schalldämpfern versehen waren. *
Einer von ihnen, ein Mann mit einem spitzen Mausgesicht, entdeckte sofort den Armeerevolver auf der Bettdecke und nickte überrascht. Er nahm ihn in die Hand, wog ihn und untersuchte ihn routiniert. »Geladen«, sagte er zu seinem Partner. »Genau die richtige Kanone für uns.« Der Partner des Mannes mit dem Mausgesicht schloß gerade die Tür und wandte sich dann um. Er hatte eine hohe Stirnglatze und so gut wie keine Augenbrauen. Sein Gesicht wirkte dadurch ungewöhnlich und fast peinlich nackt. »Sind Sie sicher, meine Herren, sich im richtigen Zimmer zu befinden?« erkundigte sich Parker, während Hetty Palmer sich ängstlich zur Wand zurückzog. »Vollkommen sicher«, erwiderte der Mann mit dem nackten Gesicht, »gehen Sie rüber an die Wand, Parker!« »Sie kennen meine bescheidene Wenigkeit?« Parker tat erstaunt und geschmeichelt zugleich. Ihm war natürlich klar, in, wessen Auftrag diese beiden Männer handelten. Hinter der Aktion konnte nur Richmond stecken. Er kam zur Sache und wollte einen Schlußstrich ziehen. Parker begab sich gemessen zur Wand hinüber und hütete sich, irgend etwas zu unternehmen. Er hatte es mit ausgesuchten Profis zu tun, die man nicht überraschen konnte. »Darf ich unterstellen, daß Sie gegen die Herren Shelby und Silver ausgetauscht wurden?« stellte er seine nächste Frage, um Zeit zu gewinnen. »Sie reden zuviel«, stellte der Mann mit dem Mausgesicht fest. »Wir werden jetzt ’ne kleine Ausfahrt unternehmen«, sagte der Mann mit dem FKK-Gesicht. »Falls Sie unterwegs abhauen wollen, werden wir sofort schießen.« »Darf man wenigstens erfahren, um was es geht?« erkundigte sich Parker. »Wir brauchen ein paar Unterlagen«, erwiderte das Mausgesicht. »Miß Palmer wird uns sagen, wo wir sie finden können. Und Sie, Parker, werden die Papierchen dann holen und abliefern. Falls das nicht klappt, wird Miß Palmer bestimmt ein Unglück geschehen.« »Wenn Sie mich umbringen, werden die Unterlagen von allein reden«, rief Hetty Palmer ihnen zu.
»Sie scheinen nicht zu wissen, was Schmerzen sind«, erwiderte der Mann mit dem nackten Gesicht, »’ne Behandlung von dreißig Minuten, und Sie werden in allen Tonlagen singen, Miß Palmer. Machen Sie sich doch nichts vor!« »Gehen wir«, befahl das Mausgesicht. »Ihnen wird nichts passieren, falls richtig gespurt wird.« Daß dies eine ausgemachte Lüge war, lag auf der Hand. Die beiden Männer dachten nicht im Traum daran, ihre Opfer wieder freizugeben. Parker wußte das mit letzter Sicherheit. Sie hatten es mit Mördern zu tun, die mechanisch wie Roboter ihren Job taten. Gefühle irgendwelcher Art waren von diesen beiden Typen nicht zu erwarten. Hetty Palmer sah den Butler ängstlich und hilfesuchend an, als sie zur Tür gingen. Die beiden Gangster ließen sie nicht aus den Augen. Sie gingen nicht das geringste Risiko ein. Hetty Palmer schien endlich begriffen zu haben, auf was sie sich da eingelassen hatte. Sie wußte endlich, daß es um Leben und Tod ging. Sie schien Richmond bisher völlig unterschätzt zu haben. Sie verließen also das Zimmer, gingen durch den schmalen Korridor und erreichten die Treppe. Als sie hinuntermarschierten, kamen ihnen zwei Frauen entgegen. Eine von ihnen sah aus wie ein scheues Reh. Sie hatte rotes Haar und führte eine alte Dame an der Hand, die im Treppenhaus unsicher zu sein schien. Diese alte Dame mochte etwa sechzig Jahre zählen. Sie trug ein zerknittertes Jackenkleid und hielt einen altmodischen Pompadour in der Hand. Sie ächzte und stöhnte bei jeder geschafften Stufe. Sie stand ganz offensichtlich am Ende ihrer bescheidenen Kräfte. * Josuah Parker zuckte mit keiner Wimper, als er Agatha Simpson und Kathy Porter erkannte. Die beiden Gangster hatten die entgegenkommenden Frauen mit schnellen Blicken taxiert und für harmlos befunden. Sie gaben sich höflich und wichen seitlich zur Wand aus. Lady Simpson und ihre Gesellschafterin Kathy Porter waren mit hinaus zu Hetty Palmer gekommen, hatten aber ein Taxi benutzt.
Die alte Dame hatte darauf bestanden, für den Fall nämlich, daß Parker heimlich beschattet wurde. Wie richtig ihre Vorsicht war, erwies sich jetzt. Parker hoffte nur, daß Lady Agatha die tödliche Gefahr klar erkannte und sich hütete, etwas für die Befreiung zu tun. Die beiden Frauen hatten nicht die geringste Chance. »Oh, du lieber Himmel«, stöhnte Lady Agatha auf, als sie in Höhe des Mannes mit dem Mausgesicht stand. Sie taumelte, schnappte verzweifelt nach Luft und griff sich an den Kopf. Dabei schwang der Pompadour ebenfalls hoch. Sekundenbruchteile später senkte er sich auf den Kopf des Gangsters. Es gab einen unheimlichen hohlen Tön, als das mit Straß bestickte Handbeutelchen den Kopf des Mannes berührte. Der Gangster blieb wie erstarrt stehen, verdrehte die Augen und sackte dann blitzartig in sich zusammen. Der Mann mit dem FKKGesicht hatte den hohlen Ton gehört. Er wollte zur Waffe greifen, doch er hatte nicht mit dem scheuen, rothaarigen Reh gerechnet. Parker staunte ungemein und sichtlich, als Kathy Porter mit der Kante ihrer linken Hand zuschlug. Sie traf den Oberarm des Gangsters, der schmerzvoll auf jaulte und nicht mehr in der Lage war, seinen ganzen Arm zu bewegen. Ein zweiter Handkantenschlag, und der Mann mit dem nackten Gesicht wurde von einer plötzlichen Schwäche erfaßt. Er ging in die Knie, um dann über die Stufen hinunter auf den Treppenabsatz zu purzeln. Das alles geschah mit solch einer Schnelligkeit, wie Parker sie selten erlebt hatte. »Ich möchte nicht versäumen, mich bei Mylady zu bedanken«, sagte Parker. »Was wären Sie ohne uns?« fragte Agatha Simpson kriegerisch zurück. »Nehmen wir uns die beiden Kerle noch mal vor, Kathy.« »Aber Mylady…« antwortete die aparte Rothaarige. »Sie haben noch nicht genug«, versicherte Agatha kriegerisch. »Der Augenschein lehrt das Gegenteil, Mylady«, schaltete Parker sich ein. »Wenn Sie gestatten, werde ich die beiden Herren jetzt entwaffnen.« Parker begab sich hinunter zu den beiden Gangstern und zupfte ihnen die Schußwaffen aus ihren Schulterhalftern. Beide Männer waren besinnungslos. Auf dem Kopf des Mannes mit dem Maus-
gesicht bildete sich bereits eine ansehnliche Beule. »Ob ich nicht doch noch mal zulange?« rief Lady Agatha dem Butler zu. Sie schwang unternehmungslustig ihren Pompadour. Hetty Palmer, die bisher wie versteinert an der Wand stand, sah jetzt neugierig auf das bestickte Handbeutelchen. »Fragen Sie schon endlich«, knurrte Agatha Hetty Palmer an, »Sie wundern sich, wieso und warum ich dieses Subjekt niederschlagen konnte, nicht wahr?« »Ich kann’s noch immer nicht glauben«, gestand Hetty Palmer. »Dann sehen Sie mal meinen Glücksbringer an«, gab Agatha Simpson gutmütig zurück. Sie zog den Pompadour auf und holte ein Hufeisen hervor. »Den Kopf möchte ich sehen, der diesem Hufeisen gewachsen ist.« »Haben Mylady besondere Wünsche, was die beiden Herren betrifft?« fragte Parker höflich. »Muß ich denn alles allein machen?« erwiderte Lady Agatha leicht gereizt. »Lassen Sie sich gefälligst was einfallen, Mister Parker!« »Wie Mylady befehlen«, erwiderte Parker gemessen und beeindruckt zugleich. »Ich möchte schon jetzt dafür garantieren, daß sie für einige Zeit nicht mehr störend auftreten können.« * »Nachrichten aus London«, meldete Lansing, als er das Arbeitszimmer von Les Richmond betrat. »Unsere beiden V-Leute berichten von einer’ geplanten Umgehungsstraße im Westen.« »Was haben wir dort in der Hand, Lansing?« »Bis auf ein Altenheim alles, Mister Richmond.« »Einzelheiten, bitte«, verlangte Richmond knapp. »Es handelt sich um ein privates Altenheim«, erläuterte Lansing, der die Einzelheiten im Kopf hatte. »Zu diesem Heim gehört ein großer Park. Alles Privatbesitz eines gewissen Medley. Falls wir Haus und Grundstück bekommen, können wir den Bau der Umgehungsstraße später blockieren.« »Wann soll die Straße gebaut werden?« »In spätestens einem Jahr.« »Wird dieser Medley verkaufen?« wollte Richmond wissen. Er befand sich im Arbeitszimmer seines Bungalow und erinnerte ü-
berhaupt nicht an einen Immobilienhai. Richmond wirkte seriös und ehrbar. Er war aber das, was man einen »white-collarGangster« nannte, ein Mann mit weißem Kragen, der hart am Rande der Legalität arbeitete. Und diese Grenze bedenkenlos überschritt wenn er in der Anonymität bleiben konnte. »Medley ist ein starrköpfiger alter Herr«, berichtete Lansing weiter, »unsere Tochtergesellschaft in London hat bereits ihre Fühler ausgestreckt und nachgefragt. Medley wird regulär nicht verkaufen. Er gibt sich als Philanthrop, der seine Pensionsgäste nie an die frische Luft setzt.« »Was schlagen Sie vor, Lansing? Und hören Sie endlich damit auf, von unser zu reden. Es handelt sich um meine Gesellschaften, verstehen Sie. Um meine!« »Natürlich, Sir.« Lansing schluckte den Tadel herunter und hütete sich, seinen Ärger zu zeigen. Wie gern hätte er es Richmond mal gezeigt! Wie oft schon hatte er mit dem Gedanken gespielt, seinem Chef in den Rücken zu fallen! Er haßte diesen Richmond, der ihn fest in der Hand hatte. Das hing mit seiner, Lansings, Vergangenheit zusammen. Lansing lebte mit fremden Papieren und mit fremdem Namen. Er hieß in Wirklichkeit Latters und war wegen Totschlag angeklagt und verurteilt worden. Lansing, um bei diesem Namen zu bleiben, hatte seine langjährige Zuchthausstrafe von sich aus wesentlich abgekürzt und war eines Tages ausgebrochen. Er hatte sich nichts daraus gemacht, dabei zwei Wärter lebensgefährlich zu verletzen. Zehn Jahre war das inzwischen her. Lansing war nach seiner Flucht an Richmond geraten, der seine Karriere als Immobilien-Hai gerade begann. Richmond hatte sofort die Brauchbarkeit und Intelligenz von Lansing erkannt. Falsche Papiere sorgten dafür, daß der Mann unbesorgt ausreisen konnte. Seit dieser Zeit war Lansing die »Rechte Hand« Richmonds, ohne jede Chance, diesen Job aufkündigen zu können. Richmond hatte sich selbstverständlich abgesichert. Bei seinem Londoner Anwalt waren Dokumente hinterlegt, die die wahre Identität Lansings belegten. Lansing konnte also nicht wider den Stachel locken. Er mußte parieren und schlucken, was Richmond ihm vorsetzte. Versüßt wurde Lansing diese Gefangenschaft durch ein immens hohes Honorar. Richmond erhielt ihm die Illusion, daß Lansing
sich eines Tages mal als begüterter Mann irgendwo in der Welt niederlassen konnte. Wie brüchig diese Illusion allerdings war, hatte Lansing inzwischen längst erkannt. »Worauf warten Sie noch?« fragte Richmond ärgerlich, als die Antwort Lansings ausblieb. »Wie können Sie diesen Medley dazu überreden, seinen Besitz zu verkaufen?« »Psychoterror, Mister Richmond.« »Okay, aber ich weiß von nichts«, erwiderte Richmond sofort, »Einzelheiten fallen in Ihr Ressort, Lansing.« »Natürlich«, gab Lansing zurück, »ich werde es so machen wie seinerzeit in Kensington.« »Verschonen Sie mich doch mit Einzelheiten«, fuhr Richmond seinen Sekretär an, »lassen Sie Ihre Hunde von der Kette los und sorgen Sie dafür, daß wir dieses Altenheim kassieren können!« Lansing nickte nur. »Was ist mit Ihren Neuerwerbungen?« fragte Richmond weiter. »Das Problem Palmer-Parker muß vom Tisch. Ich will hier in Locarno meine Ruhe haben.« »Lasare und Feller dürften bereits soweit sein«, erwiderte Lansing optimistisch. »Sie haben sich sofort an die Arbeit gemacht.« »Unterschätzen Sie diesen Butler nicht, Lansing!« »Er hat gegen diese beiden Leute keine Chance«, behauptete Lansing lächelnd. »Sie sind absolute Spitze.« »Das haben Sie von Shelby und Silver auch behauptet, Lansing.« »Lasare und Feller sind besser«, gab Lansing zurück, »in ein paar Stunden haben wir die Unterlagen der Palmer, falls wirklich welche vorhanden sind. Und dann…« »Sie brauchen nicht weiterzureden«, unterbrach Richmond ihn mit einer knappen Handbewegung. »Was aus der Palmer und aus diesem Parker wird, werde ich ja wohl später in den Zeitungen lesen. Hauptsache, sie bereiten mir keinen Ärger mehr.« Richmond hatte gerade ausgesprochen, als er wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte. Was mit dem berstenden Zersplittern einer Fensterscheibe zusammenhing. *
»Sehr hübsch«, freute sich Lady Agatha, nachdem Parker die erste Stahlmurmel mittels seiner Gabelschleuder auf die Reise geschickt hatte. Anschließend steigerte sich Myladys Fröhlichkeit. Das anvisierte Fenster zersplitterte prompt und löste sich in eine Unzahl kleiner Scherben auf. Parker, Agatha Simpson und Kathy Porter befanden sich auf dem schmalen Hangweg und sahen hinunter auf den Bungalow von Les Richmond. Parker legte bereits eine neue Stahlmurmel in die Lederschlaufe der Zwille und wollte seinen zweiten Schuß lösen. »Sie teilen wohl nicht gern?« meinte Lady Simpson und nahm Parker die Gabelschleuder aus der Hand. »Selbstverständlich muß ich das ebenfalls versuchen.« »Aber Mylady«, tadelte Kathy Porter leise. »Schweigen Sie, Kindchen«, meinte Agatha Simpson gutgelaunt. »Sie dürfen später ja auch.« »Durch das Ziehen der beiden Gummistränge geben Mylady der Stahlmurmel die erforderliche Energie mit auf den Weg, um…« Parker kam nicht dazu, seine Erklärungen abzuschließen. »Schweigen Sie«, raunzte Mylady den Butler an. »Ich war auch mal jung und unbeschwert. Ich muß sogar ein recht schlimmes Kind gewesen sein, wie meine Erzieherinnen behaupten. Eine Schleuder ist mir nicht gerade unbekannt.« Wie wenig unbekannt eine Gabelschleuder für Agatha Simpson war, zeigte sich Sekunden später. Sie strammte sehr fachmännisch und kraftvoll die beiden Gummibänder, visierte kurz nach unten und beugte sich dann prüfend und abwartend über die Steinmauer. »Treffer!« konstatierte sie erleichtert und richtete sich wieder auf. »Nun, Mister Parker, was sagen Sie jetzt?« »Mylady haben nichts verlernt«, stellte der Butler fest. »Die nächste Murmel«, verlangte Agatha Simpson und streckte ihre Hand aus. »Wir wollen die Gelegenheit doch nutzen.« »Aber Mylady«, mahnte Kathy Porter. »Halten Sie endlich den Mund, dummes Ding«, fuhr Lady Simpson ihre Gesellschafterin gutgelaunt an. »Das macht Spaß, meine Liebe. Es handelt sich zudem noch um einen guten Zweck. Die Murmel, Mister Parker. Wie lange soll ich noch bitten?« Parker unterdrückte einen Seufzer und reichte Agatha Simpson das nächste Geschoß.
Die Sechzig jährige machte es sich diesmal nicht leicht. Ehrgeiz schien in ihr wach geworden zu sein. Sie verschmähte das große Fenster, das offensichtlich zum Salon gehörte. Sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf eine Kugellampe neben dem Swimmingpool. »Treffer!« murmelte sie zufrieden, nachdem die Kugellampe sich in Scherben aufgelöst hatte. »Die nächste Murmel, Mister Parker.« »Vielleicht sollte man nicht zu lange verweilen«, mahnte der Butler. »Sehen Sie das kleine, runde Fenster?« fragte sie, ohne auf seine Mahnung einzugehen, »das werde ich jetzt treffen.« Mylady strammte die Schleuder, visierte nach unten und löste die Stahlmurmel aus der Lederschlaufe. »Verdammt«, fluchte sie sehr ungeniert, als die Stahlmurmel knapp neben dem Fenster den Verputz des Bungalows ruinierte. »Sie werden mir solch ein Ding besorgen«, sagte sie dann, sich an den Butler wendend, »ungemein praktisch so etwas. Geräuschlos, aber sehr wirkungsvoll!« »Man sollte jetzt wohl das Feld räumen, Mylady«, warnte Parker. »Mister Richmond könnte inzwischen längst die Polizei alarmiert haben«, fügte Kathy Porter hinzu. »Dort das Fenster noch«, entschied Agatha Simpson und ließ sich von Parker ein weiteres Geschoß aushändigen. Dabei legte sie einen bewunderungswürdigen Eifer an den Tag. Parker war längst unruhig geworden. Er beobachtete den Hangweg nach beiden Seiten hin. Er konnte sich nicht vorstellen, daß ein Mann wie Richmond nur den Kopf einzog. »Verdammter Mist«, fluchte Lady Agatha in diesem Moment sehr undamenhaft. Was übrigens verständlich war. Sie hatte nämlich die Scheibe des Gewächshauses auf einem benachbarten Grundstück getroffen. Dann duckte sie sich schleunigst ab und verschwand hinter der Steinmauer. Aus dem Gewächshaus schoß nämlich ein Mann hervor, der sich suchend umsah und dabei laute Flüche ausstieß. Josuah Parker und Kathy Porter waren ebenfalls in Deckung gegangen. Sie glichen Halbwüchsigen, die einen Streich ausgeheckt hatten. Lady Simpson strahlte dennoch über ihr Gesicht. Sie schien diese Situation besonders zu genießen.
»Irgend jemand hat mich eben angestoßen«, erklärte sie eifrig, »sonst wäre das nicht passiert. Ich möchte wetten, Mister Parker, daß Sie es gewesen sind.« * »Tun Sie doch endlich was!« brüllte Richmond. Er hatte hinter einem der schweren Polsterstühle Deckung genommen und kam sich wie ausgeliefert vor. Lansing starrte immer noch entgeistert auf die zerbrochenen Fensterscheiben und begriff die Welt nicht mehr. Wer außer Parker konnte die Scheiben zertrümmert haben? Aber Parker mußte sich bereits um diese Zeit in der Hand seiner beiden Neuerwerbungen Lasare und Feller befinden. Lansing kroch unter dem Schreibtisch hervor und richtete sich vorsichtig auf. Dann lief er schnell zur Wand hinüber und schob sich an eines der zersplitterten Fenster heran. Er sah hinauf zum Hangweg, konnte dort aber nichts entdecken. »Sie können wieder aufstehen, Mister Richmond«, sagte er. »Die Gefahr scheint vorüber zu sein.« Richmond war kreideweiß im Gesicht. Zögernd erhob er sich, lief dann schnell hinüber in das angrenzende Zimmer und baute sich hier im Schutz einer Falttür auf. »Haben Sie etwas erkennen können?« wollte er dann wissen. »Nichts«, meldete Lansing. »Das muß doch dieser Butler gewesen sein«, schrie Richmond wütend, »dieser Parker, der längst außer Gefecht sein soll. Wie erklären Sie sich das, Lansing?« »Keine Ahnung«, erwiderte der Mann ehrlich und ratlos zugleich. »Das begreife ich einfach nicht.« »Sie begreifen verdammt wenig«, herrschte Richmond seine »Rechte Hand« an. »Dieser Kerl wird aus dem Verkehr gezogen! Klar?« »Das muß längst passiert sein«, behauptete Lansing. »Ich weiß doch, wer Lasare und Feller sind. Kältere Profis gibt es überhaupt nicht!« *
Von der Promenade aus waren sie nicht zu sehen. Dafür gerieten sie aber in das volle Blickfeld von etwa hundertfünfzig Touristen, die gerade von einer Rundfahrt auf dem See zurück zum Schiffsanlegeplatz kamen. Der kleine Dampfer erhielt eine gefährliche Schlagseite, als die Touristen nach Backbord rannten, um die beiden Sonnenanbeter besser sehen zu können. Feller, der Mann ohne Augenbrauen und mit dem daher nackten Gesicht, hatte sich dem Gedanken der Freikörperkultur voll und ganz angeschlossen. Sehr ungeniert sogar. Er lag unterhalb der Promenade auf den Steinen und bot seinen nackten Körper der Sonne. Diskreterweise hatte er sich auf den Bauch gelegt. Sein Partner Lasare der Mann mit Mausgesicht, bevorzugte dagegen den Rücken und war ebenfalls nackt wie das Gesicht seines Partners. Beide Männer lagen dicht beieinander und schienen tief und fest zu schlafen. Die Schlagseite des kleinen Ausflugdampfers verstärkte sich. Der Kapitän begriff erst nach wenigen Minuten, was die Schlagseite verursachte. Zuerst hatte er nämlich an ein Leck gedacht. Er griff hastig nach einem Megaphon und forderte seine Passagiere auf, sich auf Deck zu verteilen. Doch die Passagiere husteten ihm was. Sie amüsierten sich durch die Bank, von einigen prüden Mitreisenden mal abgesehen, die von einem Skandal sprachen, sich aber dennoch nicht entschließen konnten, nach Steuerbord zu gehen. Die beiden Anhänger der Freikörperkultur hörten und sahen nichts. Sie schliefen oder dösten entspannt vor sich hin und ließen sich von der Sonne bescheinen. Angelockt durch die gefährliche Schlagseite des kleinen Ausflugdampfers, hatten sich oben auf der Promenade bereits die ersten Neugierigen eingefunden. Sie fanden schnell heraus, wer sich knapp unter ihnen am Fuß der gemauerten Promenade in der Sonne aalte. Gelächter und Stimmen des Unmuts klangen auf. Weitere Neugierige fanden sich ein. Der Ausflugsdampfer schrammte gegen den Landungssteg und geriet gefährlich ins Wanken. Die Zuschauer ließen sich einfach nicht von der Reling vertreiben.
Die beiden sonnenhungrigen Männer unterhalb der Promenade störte das nicht. Was zu verstehen war, denn sie waren von einem gewissen Josuah Parker ein wenig präpariert worden. Ein gefahrloser Tiefschlaf war so garantiert. Dann erschienen die ersten Polizeibeamten auf der Bildfläche, die sich nur mühsam einen Weg bahnen konnten. Sie entdeckten die beiden Nackedeis und kletterten über die Brüstung der Promenade nach unten. Dabei rutschte einer von ihnen aus, strauchelte und landete im aufspritzenden Wasser des Lago Maggiore. Die Kommentare der Zuschauer fielen teils bissig, teils anerkennend aus. Über allem aber brandete Gelächter auf. Der badende Polizist rettete sich an Land und schüttelte sich wie ein nasser Hund. Dann kletterte er über die mächtigen Steine, die als Wellenbrecher vor der Promenade lagen, an die beiden Sonnenanbeter heran. Hier stieß er auf seinen Begleiter, der sich bereits mit LasareFeller befaßte. Er wollte die beiden Anhänger der Freikörperkultur wecken. Was ihm aber nicht recht gelang. Er erreichte allerdings, daß Feller sich umdrehte und seine Vorderseite präsentierte. Lasare hingegen wälzte sich schlaftrunken auf den Rücken und sorgte mit seiner nackten Vorderseite für weiteren Gesprächsstoff. * »Wieso hat Richmond Ihren Bruder umgebracht?« wollte Lady Simpson wissen. Sie befand sich in ihrer Hotelsuite. Durch die beiden geöffneten Balkonfenster konnte man weit hinaus auf den See blicken. Neben ihr am Teetisch saß Hetty Palmer, die von Josuah Parker hierhergebracht worden war. Kathy Porter, Myladys Gesellschafterin, war unterwegs, um gewisse Erkundigungen einzuholen, die sich auf Les Richmond bezogen. Josuah Parker hatte den Tee serviert und stand abwartend seitlich hinter Agatha Simpson. »Er hat’s indirekt getan«, berichtete Hetty Palmer. »Mein Bruder Norman hat Selbstmord begangen. Noch während seiner Untersu-
chungshaft. « »Wann war das?« wollte Lady Agatha wissen. Sie hielt sich nicht mit unnötigen Beileidsbekundungen auf. »Vor etwas über einem halben Jahr«, erwiderte Hetty Palmer automatisch. »Warum wurde Ihr Bruder in Untersuchungshaft genommen?« lautete Myladys nächste Frage. »Er wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt«, berichtete Hetty Palmer. »Doch dafür ist schon Richmond verantwortlich.« »Ihr Bruder, Miß Palmer, war für Richmond tätig?« schaltete sich der Butler ein. »Norman leitete eine Immobiliengesellschaft, die zu Richmonds Schweizer Holding gehört«, erzählte Hetty Palmer weiter, »er hatte sich auf eine Zeitungsanzeige hin gemeldet und wurde dann von Richmond eingestellt. Norman konnte die Gesellschaft sofort, übernehmen. Und zwar als verantwortlicher Leiter. Als er dann wenig später sah, welche Häuser er verwalten sollte, wollte er sofort aussteigen.« »Er sah sich wahrscheinlich sogenannten abbruchreifen Bruchbuden gegenüber, nicht wahr?« »Es handelte sich um die schlimmsten Slums, die man sich vorstellen kann«, berichtete Hetty Palmer weiter. »Die Bewohner waren und sind meist Einwanderer. Sie leben dort zusammengepfercht wie die Heringe in der Tonne.« »Und warum stieg Ihr Bruder nicht sofort aus?« wollte Lady Simpson wissen. Sie wirkte jetzt streng und unnachgiebig. »Norman wäre dann auf Schadenersatz verklagt worden. Das war eine der Klauseln im Vertrag. Er hätte für den Ausfall haften müssen, bis Richmond einen Vertreter gefunden hätte.« »Norman blieb also«; stellte Lady Simpson fest. »Norman versuchte den Bewohnern zu helfen«, erzählte Hetty Palmer weiter. »Er sorgte zuerst ’mal dafür, daß Mieteintreiber nicht mehr so brutal auftraten wie bisher. Dann setzte er sich für bessere, sanitäre Verhältnisse ein. Sie waren grauenhaft. Eine Toilette für bis zu zwei Dutzend Familien. Er leitete Reparaturen ein, aber Richmond, das heißt seine sogenannte Holding hier in der Schweiz, lehnte alles ab. Bereits getätigte Reparaturen mußte Norman aus eigener Tasche bezahlen. Und dann passierte die Geschichte mit dem Haus.« »Was passierte? Reißen Sie sich zusammen, Kind!« Agatha
Simpson wirkte nach wie vor streng. »Ein total überbelegtes Haus rutschte in sich zusammen. Dabei kamen drei Personen um. Norman als verantwortlicher Leiter der Immobiliengesellschaft wurde wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.« »Konnte Ihr Bruder nicht beweisen, daß er die Verhältnisse hatte ändern wollen?« fragte Lady Simpson. »Richmond, der dazu hier in der Schweiz verhört wurde, stritt ab, je von meinem Bruder informiert worden zu sein. Obwohl Norman ihm wenigstens fünfzig Briefe und gesonderte Vorschläge unterbreitet hatte. Richmond wollte das alles nie gesehen haben. Er zeigte sich sogar empört und ließ durchblicken, Norman habe seine Stellung als verantwortlicher Manager mißbraucht, Geld für Reparaturen abgezweigt und sich persönlich bereichert.« »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß er ein Schwein ist«, sagte Agatha Simpson ungeniert sich an den Butler wendend. »Ich habe höchstens noch untertrieben.« »Ich möchte mir erlauben, Mylady, fast beizupflichten«, räumte Josuah Parker ein. »Norman ertrug es einfach nicht, daß er indirekt den Tod von drei Menschen verschuldet hatte. Er nahm sich in der Zelle das Leben. Bitte, Lady Simpson, ersparen Sie mir Einzelheiten!« »Hätten die Bewohner der Slums nicht für Ihren Bruder aussagen können?« wollte Agatha Simpson wissen. »Sie standen und stehen unter Druck«, erklärte Hetty Palmer. »Wer will schon seine Wohnung verlieren, selbst wenn es sich nur um Löcher handelt? Sie kennen doch die Wohnraumknappheit. Richmond nutzt das schamlos aus.« »Wahrscheinlich nicht mehr lange«, sagte Lady Simpson, den Butler ansehend. »Wie denken Sie darüber, Mister Parker?« »Nicht mehr lange«, pflichtete Butler Parker bei. »Also, an die Arbeit«, stieß Agatha Simpson kriegerisch hervor und erhob sich. »Machen wir diesem Richmond ein wenig Dampf unter dem Hin…!« »Mylady!« reagierte Parker schnell und indigniert. »Haben Sie sich nur nicht so«, fuhr die alte Dame den Butler verächtlich an. »Ich wollte mich immerhin noch sehr vorsichtig ausdrücken!«
* Als die Polizeibeamten sich mit Lasare und Feller befassen wollten, wurden die beiden Vollprofis ohne jeden Übergang wach. Parkers Präparat war abgeklungen. Lasare und Feller gähnten langanhaltend und wurden sich eines leichten Fröstelns bewußt. Sie öffneten fast gleichzeitig die Augen und sahen sich Uniformen gegenüber, die sie aus der Seele heraus haßten. Polizei! Sie sprangen auf und schauten sich um. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung und Verwirrung hörten sie lautes Applaudieren, aber auch Schmährufe. Lasare und Feller konnten sich das anfänglich nicht erklären, zumal sie jede Menschenansammlungen haßten. Sie arbeiteten und bewegten sich lieber unauffällig. Erst mit einiger Spätzündung wurde ihnen bewußt, in welch einem peinlichen Zustand sie sich befanden. Lasare schob schnell beide ausgebreiteten Hände vor seine Scham und wurde am ganzen Körper rot vor Verlegenheit. Feller schaute sich verzweifelt nach seiner Kleidung um, doch er konnte weit und breit keine Textilien entdecken. In seiner Verzweiflung riß er dem pitschnassen Polizisten die Kopfbedeckung herunter und sicherte damit seine spezielle Extremität vor neugierigen Blicken. Dieser Akt der Verzweiflung wurde von den Zuschauern sowohl auf der Promenade als auch auf dem Ausflugsdampfer mit lautem Beifall belohnt. Die beiden Polizisten wollten zur Sache kommen und spulten ihre obligate Erklärung ab, nach der die beiden Männer sich als vorläufig festgenommen zu betrachten hätten. Sie hatten etwas dagegen. Lasare und Feller ergriffen die Flucht. Jetzt zeigte sich, aus welchem Holz sie geschnitzt waren. Sie gaben sich wirklich als Vollprofis. Sie begingen keineswegs den Fehler, die Promenade zu erklettern und sich unters Volk zu mischen. Nein, sie handelten taktisch richtig und stürzten sich in die Fluten des Lago Maggiore. Dieser Entschluß wurde einhellig von allen Zuschauern mit Beifallsgeschrei belohnt.
Der Dampfer erhielt noch mehr Schlagseite, weil jeder ganz genau die Flüchtenden betrachten wollte. An der Brüstung der Promenade entstand ein gefährliches Gedränge, bei dem es, wie sich später bei einem Notarzt zeigte, zu teilweise empfindlichen Prellungen und Quetschwunden kam. Die beiden Beamten konnten sich nicht entschließen, den Flüchtenden zu folgen. Die Zuschauer forderten die Polizisten zwar auf, sich an dem Wettschwimmen zu beteiligen, doch sie nahmen davon Abstand. Lasare und Feller kraulten inzwischen durchaus gekonnt auf den nahen Jachthafen zu. Die beiden Beamten rannten hinüber zum Dampfer und forderten den Kapitän auf, sofort wieder abzulegen und die Verfolgung aufzunehmen, ein Ansinnen, das der Mann auf der Brücke strikt ablehnte. Lasare und Feller hatten inzwischen ihr vorläufiges Ziel erreicht und schwangen sich bereits an Bord eines Motorbootes. Es dauerte nur knapp eine Minute, bis Lasare durch Kurzschließen den Motor in Betrieb setzen konnte. Dann ritt die beiden Männer irgendwie der Teufel. Sie preschten noch mal an dem dankbaren Publikum auf der Promenade vorbei und winkten. Dann schössen sie an dem Ausflugdampfer vorbei, grüßten erneut und setzten sich endgültig ab. Ihr Ziel war der Dunst auf dem See, in dem sie Sicherheit und Ruhe suchten. * Shelby und Silver machten einen sehr verschnupften und unterkühlten Eindruck. Sie hatten heimgefunden und waren von Lansing in Empfang genommen worden. Sie saßen in ihrem kleinen Wohnraum im Souterrain des Bungalows und behandelten sich ausgiebig mit Whisky. Dazu erzählten sie wechselseitig von ihren Erlebnissen. »Der Kerl hat uns ’reingelegt«, beschwerte sich Shelby, »er muß gewußt haben, daß wir kommen.« »Als, wir die Kassette aufstemmten, flog uns der ganze Mist um die Ohren«, berichtete Silver weiter, »und dann war’s auch schon aus mit uns.«
»Muß irgendein chemisches Zeug gewesen sein«, nahm Shelby den Faden wieder auf. »Als wir zu uns kamen, waren wir an der Wasserleitung festgekettet.« »Mit Handschellen«, fügte Silver elegisch hinzu, »um loszukommen, mußten wir die Wasserleitung aus der Wand reißen.« »Hat die Polizei euch geschnappt?« wollte Lansing wissen. Einzelheiten interessierten ihn nicht. »Das schon, aber wir sind wieder abgehauen«, sagte Shelby stolz, »schon während der Fahrt zur Wache.« »Hat man euch gesehen, daß ihr hier zum Bungalow gekommen seid?« »Ausgeschlossen«, beruhigte Silver den Sekretär Richmonds, »Wir sind zu Fuß gekommen, nachdem wir uns getrocknet hatten.« »Richmond tobt. Für ihn seid ihr erledigt«, versicherte Lansing den beiden Leibwächtern. »Ich mußte für Ersatz sorgen…« »Wen!?« wollte Shelby wissen. »Lasare und Feller. Ihr werdet Sie von Paris her kennen.« »Lasare und Feller?« Silver kicherte nervös. »Diese beiden Flaschen!?« »Die sind Spitze«, behauptete Lansing, »um diese Zeit dürften sie den Butler bereits vor ihren Kanonen haben.« Bevor die Diskussion über Lasare und Feller ausufern konnte, schrillte eine Glocke im Korridor des Souterrains, das Zeichen dafür, daß Richmond seinen Sekretär zu sehen wünschte. »Packt eure Klamotten und verschwindet«, sagte Lansing, bevor er den Raum verließ. »Ihr werdet ’ne Abfindung bekommen. Und ein paar Bleiladungen, falls ihr später Märchen erzählt.« Shelby und Silver sahen sich betreten an, nachdem Lansing gegangen war. Natürlich dachten sie nicht daran, später Schwierigkeiten zu machen. Sie wußten, wie lang Richmonds Arm sein konnte. Sie machten sich also daran, ihre wenigen Sachen zu packen. »Lasare und Feller«, sagte Shelby dazu verächtlich, »da hat Lansing sich aber was angelacht.« »Der wird ’ne Pleite erleben«, versicherte Silver ahnungsvoll, »eigentlich bin ich verdammt froh, daß wir uns absetzen können. Dieser Parker ist nicht mein Fall.« »Mir liegt die Type auch nicht«, erklärte Shelby, »der Mann arbeitet ja nicht mit fairen Mitteln.«
Sie drehten sich’ um, als Lansing in den Wohnraum zurückkehrte. »Packt wieder aus«, sagte Richmonds Sekretär. »Kommando zurück.« »Was soll das heißen?« fragte Shelby nervös. »Genau das möchte ich auch mal wissen«, fügte Silver hinzu. »Ihr werdet weitermachen«, erklärte Lansing, »zusammen mit Lasare und Feller…« »Sind die Spitzen etwa auch von diesem Butler ’reingelegt worden?« fragte Silver anzüglich. »So in etwa«, räumte Lansing widerwillig ein. »Sie haben eben Pech gehabt.« »Wie wir«, meinte Silver. »Zugegeben, der Butler ist raffiniert«, gab Lansing widerwillig zu. »Ab sofort macht ihr in konzertierte Aktion.« »Konzert?« Shelby schüttelte den Kopf. »Ich kann keine einzige Note lesen!« »Ich blas’ nur auf ’nem Kamm«, fügte Silver ehrlich hinzu, »und noch nicht mal besonders gut…« »Ihr werdet zusammenarbeiten«, erläuterte Lansing ungeduldig und verzichtete bewußt auf weitere Erklärungen, die die beiden Gangster doch nur überfordert hätten. »Ihr habt nur die eine Aufgabe, diesen Parker auszuschalen, klar? Dafür wird’s ’ne Sonderprämie geben.« »Mit Anfängern geben wir uns nicht gern ab«, meinte Shelby, dem der Kamm schwoll. »Wir sind doch keine Kindermädchen«, fügte Silver verächtlich hinzu. »Ihr seid dafür aber ausgemachte Dorftrottel«, fauchte Lansing die beiden Profis an. »Nur zusammen mit Lasare und Feller habt ihr überhaupt eine Chance, den Butler aufs Kreuz zu legen.« * »Berichten Sie, Kindchen, was Sie herausgefunden haben«, sagte Agatha Simpson eifrig, als Parker ihre Suite betreten hatte. Im großen Wohnraum befanden sich außer der alten Dame und Kathy Porter auch noch Hetty Palmer. Auf den Wunsch von Lady Agatha tun hatte sie ihr Quartier ge-
wechselt und war ins Hotel gezogen. Es verstand sich am Rande, daß sie Gast von Agathe Simpson war. Die alte Dame schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Hetty Palmer wohnte sicherer und hatte zudem keine Möglichkeit mehr, sich allein und unkontrolliert mit Richmond zu Befassen. Kathy Porter nickte dem Butler zu und wirkte scheu und zurückhaltend wie immer. »Brauchen Sie eine schriftliche Einladung? Worauf warten Sie noch?« Agatha Simpson sah ihre rothaarige, aparte Gesellschafterin ungeduldig an. »Mister Richmond besitzt eine Privatjacht hier auf dem See«, begann Kathy Porter, »eine Motorjacht, um genau zu sein. Er wird heute abend nach Ascona fahren. Und zwar in Begleitung einer kleinen Gesellschaft, unter der sich auch seine derzeitige Freundin und Favoritin befindet.« »Ein Playgirl«, fügte die Lady hinzu. »Sie stammt aus einer Seitenlinie der italienischen Renovas. An sich eine gute Familie, aber Gina ist und bleibt ein Außenseiter.« »Sucht Miß Gina aus irgendeinem Grund die Nähe Mister Richmonds?« fragte Parker. »Umgekehrt wird ein Schuh daraus«, meinte Agatha Simpson und lachte grimmig. »Richard sucht Gina. Er hofft, über sie Eingang zum Jet-Set zu gewinnen. Daran liegt ihm viel…« »Darf ich Mylady vorschlagen, ein wenig Schicksal zu spielen?« fragte Parker. »Dumme Frage, Mister Parker«, erwiderte die 60jährige Detektivin. »Wozu sind Sie wohl hier? Ich will doch sehr hoffen, daß Ihnen etwas Brauchbares einfallen wird.« »Ich werde mich bemühen, Mylady zufrieden zu stellen.« »Blamieren wir diesen Richmond bis auf die Knochen«, schlug Agatha Simpson vor. »Das wird diesen Burschen empfindlich treffen.« »Sie kennen die Motorjacht?« erkundigte Parker sich bei Kathy Porter. »Sie liegt im Jachthafen«, lautete ihre prompte Antwort, »und sie ist unbewacht, wie ich feststellen konnte.« »Gute Arbeit, Kindchen«, lobte Agatha Simpson ihre Gesellschafterin. »Aus Ihnen wird noch eine brauchbare Mitarbeiterin. Gilt auch für Sie, Mister Parker. Ihre Anlagen sind gar nicht so schlecht, wie ich zuerst dachte.«
»Vielen Dank, Mylady«, gab Parker zurück, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Er hatte die alte, kriegerische Dame längst liebgewonnen. Ihm gefiel ihre Burschikosität. »Könnte man vielleicht Ihre Gabelschleuder noch mal einsetzen?« erkundigte sich Lady Agatha. »Ich muß sagen, daß mir das Ding sehr gut gefallen hat.« »In diesem Fall würde ich Mylady eine andere Methode vorschlagen«, antwortete Parker. »Jedes Terrain erfordert seine speziellen Waffen, wenn ich es so ausdrücken darf.« * Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum auf dem Parkplatz stehen und stieg aus. Bevor er die hintere Wagentür öffnen konnte, war Kathy Porter bereits draußen. Sie hatte sich dem Jachthafen angepaßt. Kathy Porter trug Segelhosen, einen weiten Pulli und schien sich total verwandelt zu haben. Sie glich einem sportlichen Girl und bewegte sich mit einer Sicherheit und Selbstverständlichkeit, als gehöre sie hierher. Parker fiel auf, wie schnell und gründlich Kathy Porter sich verwandeln konnte. Ihre Grundhaltung war zwar die eines scheuen Rehs, aber mit wenigen Mitteln konnte sie sich in Rollen hineinversetzen, die man ihr voll abnahm. Kathy Porter hatte bereits im Wagen und während der Fahrt alles mit Parker durchgesprochen. Sie sollte vorausgehen und die Lage sondieren. Parker wollte an Bord der Richmond-Jacht ungestört arbeiten. Eine kleine Umhängetasche unternehmungslustig in der Luft schwenkend, betrat sie den Landesteg und ging zielbewußt auf die Richmond-Jacht zu. Ihre Verwandlungsfähigkeit war frappierend. Parker blieb neben dem hochbeinigen Wagen zurück und hatte Zeit, sich die Dinge noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Er bedauerte es nicht, sich mit Lady Simpson zusammengetan zu haben. Es war schon eine gute Sache, diesem Richmond das Handwerk zu legen. Vielleicht ließ sich sogar beweisen, daß Hetty Palmers Bruder unschuldig gewesen war. Auf jeden Fall aber mußten die Bestechungsaffären angeprangert werden.
Was dem Butler nicht aus dem Kopf ging, war die Tatsache, daß Richmond und sein junger Herr sich glichen wie ein Ei dem anderen. Diese Ähnlichkeit, die die von Zwillingen fast übertraf, spukte immer wieder in seinen Gedanken herum. Ließ sich daraus nicht Kapital schlagen? Würde Mike Rander unter Umständen einen Tag für Locarno herausschinden können? Die fast vollkommene Identität zwischen diesen beiden Personen mußte man einfach nutzen. Wie? Nun das war eine Frage der nahen Zukunft. Parkers Gedanken hatten sich noch nicht auf einen bestimmten Punkt konzentriert. Er rief sich zur Ordnung, als Kathy Porter wieder zurück zum Parkplatz kam. »Alles in Ordnung?« erkundigte sich Parker. »Der Niedergang zu den Kabinen ist verschlossen«, meldete Kathy sachlich. »Dieses Problem wird sich schnell lösen lassen«, versprach Josuah Parker. Er öffnete den Kofferraum seines Wagens und holte einen Picknick-Korb hervor. Er war ganz Butler, als er hinter Kathy Porter einherschritt. Nach knapp zehn Minuten befanden sie sich bereits in der großen’ Kabine der Motorjacht. Bei dem Boot handelte es sich um ein Meisterwerk italienischer Bootsbauer. Die große Kabine war luxuriös eingerichtet und glich einem modernen Salon. Außerdem waren unter Deck noch Toiletten- und Waschräume und eine kleine Pantry vorhanden. Während Kathy Porter oben an Deck Wache hielt, öffnete der Butler den vollgefüllten Picknick-Korb und machte sich an die Arbeit. Sein Plan stand längst fest. Es galt, Richmond den nächtlichen Ausflug zu vermiesen. Seine Gäste sollten sich nicht gerade freudig an die Ausfahrt nach Ascona erinnern. Josuah Parker brauchte etwa zehn Minuten, bis all seine Minen gelegt waren. Dann ging er zurück an Deck und sah sich nach Kathy Porter um. Zu seiner Überraschung konnte er sie nicht entdecken. Dafür hörte er aber vom Landungssteg her Stimmen und unterdrücktes Lachen. Parker beugte sich vorsichtig über die Reling der Motoracht und entdeckte auf dem Landungssteg zwei ihm nicht gerade unbekannte Männer. Lasare und Feller beugten sich über eine Frau, die ganz offensichtlich Kathy Porter war.
* Parker erstarrte. War Kathy Porter diesen beiden ausgekochten Gangstern direkt in die Arme gelaufen? War sie von ihnen erkannt und in die Zange genommen worden? Immerhin kannten sie sich von einem gewissen Treppenhaus her, als Lady Simpson mit ihrem Glücksbringer zugelangt hatte. Parker war wie elektrisiert. Er mußte sofort etwas für Kathy Porter tun. Sollte er die Gabelschleuder oder seinen Universal-Regenschirm einsetzen? Dieser Regenschirm hatte es in sich. Er war im Grunde nichts anderes als eine gut getarnte Präzisionswaffe. Der Schirmstock war der Lauf eines Blasrohres, dessen Pfeile mittels Preßluft verschossen werden konnten. Die Preßluftpatrone befand sich in einer Verdickung des Schirmstocks unter dem bleigefütterten Bambusgriff. Doch dann erkannte Parker seinen Irrtum und stellte seine innere Alarmklingel ab. Ihm war klargeworden, daß Kathy Porter absichtlich zu Boden gegangen sein mußte. Sie spielte das hilflose, aparte Mädchen, das sich von zwei Männern helfen lassen mußte. Mit diesem Trick hatte sie die beiden sich nähernden Gangstern abgefangen und für sich interessiert. Lasare und Feller schienen Kathy Porter nicht erkannt zu haben. Sie befaßten sich sehr intensiv mit ihrem linken Fußknöchel und genossen dabei offensichtlich Einblicke unter den Saum ihres an sich schon knappen Kleidchens. Anschließend hoben sie Kathy Porter auf und trugen sie zurück zum Parkplatz. Das Trio verschwand zwischen den vielen dort abgestellten Wagen. Josuah Parker verließ schnell die Motorjacht und trug seinen Picknick-Korb ebenfalls hinüber zum Parkplatz. Der Weg war frei. Doch Parker irrte sich. Sehr erheblich sogar! Er hatte seinen Wagen noch nicht ganz erreicht, als ihm ein ungemein harter Gegenstand in den Rücken gepreßt wurde. Parker wußte sofort Bescheid und rührte sich nicht. »Nicht durchdrehen, Alterchen«, hörte er dann hinter sich eine fast höfliche Stimme. »Ich habe ’nen Schalldämpfer aufge-
schraubt. – Nach dir kräht kein Hahn, wenn ich durchziehe!« * »Über kurz oder lang, wie es so treffend heißt, wird Mister Richmond Sie ausbooten«, sagte Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß. »Das laß mal unsere Sorge sein«, antwortete Lasare gelassen. Er saß hinter Parker und hatte seine Hand samt Schußwaffe durch die heruntergelassene Trennscheibe geschoben. Die Mündung des Schalldämpfers befand sich nur wenige Zentimeter von Parkers Genick entfernt. Im Fond saßen außer Lasare noch Feller und Kathy Porter. Die Gesellschafterin von Lady Agathe machte einen scheuen und ängstlichen Eindruck. Was wohl mit der Schußwaffe zusammenhing, die Feller auf sie gerichtet hatte. »Die Kleine hat doch tatsächlich angenommen, wir hätten sie nicht erkannt«, wunderte sich Feller. »Jeder macht Fehler«, ließ Parker sich vom Steuer her vernehmen. »Darf ich übrigens fragen, welche Strecke Sie bevorzugen?« »Bellinzona und dann vorher in die Val Verzasca«, kommandierte Lasare, »dort sind wir dann ganz unter uns.« »Sie haben den Auftrag, Miß Porter und meine bescheidene Wenigkeit zu töten?« erkundigte sich Parker gemessen. »Irgendwie sind wir natürlich sauer auf euch«, meinte Lasare. »Ich bin nachtragend wie ’n Elefant. Die Sache mit dem Sonnenbad kann ich einfach nicht vergessen.« »Zugegebenermaßen habe ich Ihr Schamgefühl etwas zu tief verletzt«, räumte der Butler ein. Er fuhr in Richtung Bellinzona, wie man es ihm aufgetragen hatte. Er hatte die Val Verzasca zwar noch nie befahren, wußte aber, daß es sich um ein einsames Gebirgstal handelte, das von den meisten Einwohnern nur während der Sommermonate bewohnt wurde. Er wußte von der großen Talsperre und von der verwegen angelegten Gebirgsstraße östlich des Staubeckens. Die Aussicht, diese Straße befahren zu müssen, paßte dem Butler durchaus, witterte er doch Möglichkeiten, die beiden Gangster auf irgendeine Art und Weise wieder loszuwerden. »Wir werden euer Schamgefühl mal testen«, ließ Feller sich
vernehmen und lachte leise auf. »Im See soll’s verdammt kalt sein, aber das könnt ihr uns dann sagen…« »Sie wollen Miß Porter zwingen, in den Stausee zu steigen?« fragte Parker. Es war immer gut, wenn man die Absichten seiner Gegner kannte. »Und dich ebenfalls, Alterchen«, gab Lasare zurück. »Von uns aus könnt ihr ein Wettschwimmen veranstalten.« »Und wir werden die Startschüsse dazu liefern«, freute sich Feller wieder im voraus. »Ich wette, wir alle werden verdammt viel Spaß haben.« * Agatha Simpson wirkte leicht nervös. Die alte Dame marschierte auf stämmigen Beinen durch den Wohnraum ihrer Hotelsuite und schien die Anwesenheit ihres Gastes völlig vergessen zu haben. Hetty Palmer saß in einem Sessel nahe der Balkontür und wagte nicht, sich zu rühren. Sie kannte bereits das Temperament ihrer Gastgeberin. »Sagen Sie doch endlich etwas«, herrschte Lady Agatha ihren Gast plötzlich an. »Ihr Schweigen geht mir auf die Nerven! Kathy und Parker müßten doch längst zurück sein.« »Vielleicht ist etwas dazwischen gekommen«, meinte Hetty Palmer. »Natürlich, was denn sonst!« Lady Simpson runzelte die Stirn und faßte dann einen Entschluß. »Sie werden hier im Hotel bleiben. Sie übernehmen die Stallwache. Ist das klar?« »Ja, Mylady.« Hetty war eingeschüchtert. »Und ich werde mich mal um diese jungen Leute kümmern«, entschied Agatha Simpson. Sie meinte eindeutig ihre Gesellschafterin, aber auch den Butler. Sie griff nach ihrem Pompadour und wog ihn samt dem Glücksbringer auf ihrer Hand. Vom Hotelbalkon aus beobachtete Hetty Palmer die Lady, die wenig später das Hotel verließ. Die alte Dame schritt energisch auf ein Taxi zu. Agatha Simpson war fest entschlossen, etwas für Kathy Porter und Josuah Parker zu unternehmen.
Insgeheim hatte sie sich längst eingestanden, daß Parker genau auf ihrer Wellenlänge sendete. Er war der Butler, nach dem sie sich schon seit vielen Jahren immer umgeschaut hatte. Doch so etwas wie Josuah Parker hatte sie nie finden können. Mochte Parker auch den Beruf eines Butlers ausüben, so zeichnete er sich doch durch hervorragende Intelligenz aus, die mit List und Improvisationstalent gekoppelt war. Parker entsprach genau ihrem Naturell. Er liebte das Abenteuer und ging einem kalkulierbaren Risiko nie aus dem Weg. Er teilte ihre Vorliebe für Kriminalfälle und war ein echter Partner. Insgeheim hoffte Lady Agatha, daß Mike Rander noch sehr lange in London festgehalten wurde. Sie spielte mit dem Gedanken, Parker in ihre Dienste zu nehmen. Falls er darauf einging, falls er sich nicht weiter an den Anwalt gebunden fühlte. Sie schreckte aus ihren Gedanken hoch, als das Taxi den Parkplatz des Jachthafens erreichte. Die rüstige Detektivin stieg aus, zahlte und marschierte auf ihren stämmigen Beinen hinunter zum Landungssteg. Sie beobachtete dabei eine große, festlich beleuchtete Motorjacht, die gerade Kurs auf den See nahm. Wenig später wußte Mylady Bescheid. Es handelte sich um die Jacht Richmonds, wie sie von einem Bootswärter gehört hatte. Richmond hatte seine Gesellschaft an Bord genommen und war vor knapp fünf Minuten losgefahren. Sein Ziel hieß Ascona. Josuah Parker und Kathy Porter konnten sich ihrer Ansicht nach unmöglich an Bord der Jacht befinden. Wo steckten sie also? Verfolgten sie eine andere Spur? Das schien ausgeschlossen, sonst hätten sie sich bestimmt telefonisch gemeldet. Ihnen mußte also tatsächlich etwas passiert sein. Lady Simpson faßte einen Entschluß. Wer anders als Richmond konnte Auskunft geben? Und genau dieser Richmond lief Ascona an. Lady Simpson kalkulierte, daß sie mit einem schnellen Wagen vor Richmond in Ascona sein konnte. Sie fand ein freies Taxi mit einem relativ jungen Fahrer. Sie nannte ihm das Ziel und verhieß ihm ein erstklassiges Trinkgeld, falls er die normale Fahrzeit unterbieten würde. Dann lehnte sie sich aufatmend in die Polster zurück und überlegte, wie sie Richmond dazu bringen konnte, ihr etwas über Kathy und Parker zu erzählen.
Mylady war fest entschlossen, sehr hartnäckig zu sein. * Die Straße durch die Val Verzasca war gut, aber schmal und ungemein kurvenreich. Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß, konnte das nur recht sein. Er hatte nämlich bestimmte Pläne, die mit dem Verlauf der Straße eng zusammenhingen. Die kleinen geduckt wirkenden Häuser mit Mauern aus groben Bruchsteinen waren durchweg unbewohnt, wie die geschlossenen Holzläden auswiesen. Gegenverkehr war so gut wie überhaupt nicht vorhanden. Parker, steigerte also vorsichtig das Tempo seines Wagens, der nur rein äußerlich betagt und altmodisch wirkte. Die Radaufhängung und die Federung waren nach seinen Vorstellungen völlig umgestaltet worden. Und unter der eckigen Motorhaube schlug das kräftige Herz eines Sechszylinders, der eigentlich für einen Jaguar gedacht war. Das hochbeinige Monstrum mit dem Fahrverhalten eines Tourensportwagens beschleunigte sanft und unmerklich. Die Insassen des Wagens bekamen das erst mit erheblicher Verspätung mit. »’runter mit dem Fuß vom Gaspedal«, schnauzte Lasare nervös, »wohl wahnsinnig geworden, wie?« Parker reagierte überhaupt nicht. Er trat das Gaspedal noch etwas tiefer durch. Der Sechszylinder fühlte sich animiert und zeigte, was in ihm steckte. Das hochbeinige Monstrum schoß vor und wurde von Parkers schwarz behandschuhten Händen elegant und gekonnt durch die Kurven gezogen. Die Häuser flogen förmlich am Wagen vorbei. »Weg vom Gas!« brüllte Lasare, dem sich die Nackenhaare sträubten. »Weg vom Gas, oder ich knall dir eine zwischen die Schultern!« »Dies würde sich zu einer Katastrophe auswachsen«, erwiderte der Butler höflich und gemessen. »Der Wagen würde mit Sicherheit vom Kurs abkommen.« Anschließend trat der Butler das Gaspedal noch weiter ein. Der Wagen warf sich nach vorn, der Motor nahm einen satten, röh-
renden Klang an. »Ich knall die Kleine ab, wenn Sie nicht sofort halten«, rief Feller keuchend. Er sah eine Kurve auf sich zukommen und glaubte nicht, daß der Wagen sie in diesem Tempo schaffen würde. Er schloß sicherheitshalber die Augen und hatte dichte Schweißperlen auf der Stirn, als der Wagen dann doch noch auf der Straße war. »Anhalten, oder die Kleine ist reif!«, schrie Feller, da bereits die nächste Kurve in Sicht kam. »Falls Sie schießen, ist das Leben auch für meine bescheidene Wenigkeit nicht mehr lebenswert«, behauptete Parker gemessen. »Ich würde dann das Steuer verreißen.« Mit einem gekonnten Powerslide ließ Parker sein hochbeiniges Monstrum durch die nächste Kurve rasen. Dann wuchs bereits vor ihnen die riesige Staumauer auf. Die Straße schwang nach Osten aus und stieg noch steiler an. Die Kurven wurden zahlreicher und enger. Parker kurvte mit seinem Wagen durch die Serpentinen und fühlte sich in seinem Element. Endlich konnte er mal ungestört fahren, ohne sich die obligaten Vorhaltungen seines jungen Herrn anhören zu müssen. Endlich konnte er zeigen, was er alles noch in Perfektion beherrschte. Es dauerte nur kurze Zeit, bis sie den Stausee erreicht hatten. Hier gab es einen Parkplatz, den Parker anvisierte. Er schien überhaupt nicht bemerkt zu haben, daß die beiden Gangster verdächtig ruhig geworden waren. Ein Blick in den Rückspiegel sagte ihm, daß sie Blut und Wasser schwitzten. Sie hatten die Waffen in ihren Händen längst vergessen. Sie stierten aus vor Angst und Grauen hervorquellenden Augen auf das Eisengeländer, das den Parkplatz zum See hin abgrenzte. Auf diese Balustrade hielt Parker genau zu, um den Wagen dann im letzten Moment gekonnt herumzureißen. Das hochbeinige Monstrum drehte sich wie auf Schmierseife um die eigene Achse und stand plötzlich still. Parker sah noch mal in den Rückspiegel und wußte genug. Er stieg gemessen aus und öffnete den hinteren rechten Wagenschlag. Zuerst rutschte Lasare benommen aus dem Wagen. Er brabbelte unverständliches Zeug und ließ sich widerstandslos entwaffnen. Als Parker ihn losließ, sackte der Mann in sich zusammen.
Die Todesangst hatte ihn weich gemacht. Feller ging es nicht wesentlich anders. Im Gegensatz zu Lasare umspielte allerdings ein ziemlich blödes Lächeln seine Lippen. Er wollte unentwegt etwas sagen, doch die Zunge und die Stimmbänder kündigten ihm den Dienst. Dann verdrehte Feller die Augen und rutschte am Wagen hinunter zu Boden. Im Gegensatz zu den beiden Gangstern stieg Kathy Porter wie selbstverständlich aus dem Fond und verschmähte die hilfreiche Hand des Butlers. »Das war erfrischend«, stellte sie fest, »aber warum haben Sie die beiden Gangster nicht schon unten in Locarno außer Gefecht gesetzt, Mister Parker?« »Eine gute Frage«, entschied der Butler freundlich. »Sie wollen die beiden Männer aussetzen, nicht wahr?« »Das ist der Grund, Miß Porter«, erwiderte der Butler gemessen, »in Locarno würden sie doch nur stören. Hier aber sind sie unter sich und werden es wahrscheinlich auch für längere Zeit bleiben. Die Stunde der Touristenbusse ist längst vorüber.« Die Sonne schickte sich gerade an, hinter den hohen Bergen zu verschwinden. Es wurde hier oben bereits empfindlich kühl. Ohne geeignetes Schuhwerk an den Füßen würden die beiden Gangster viele Stunden brauchen, um zurück nach Locarno zu kommen. * Les Richmond war gelöst wie selten. Er schien seine übliche Steifheit verloren zu haben. Er gab sich heiter, scherzte und war ein perfekter Gastgeber. An Bord seiner Motorjacht befand sich eine kleine, seiner Ansicht nach aber erlesene Gesellschaft. Da war selbstverständlich zuerst mal Gina Renova, um die er sich sehr bemühte. Sie war etwa 25 Jahre alt, schlank, groß und biegsam wie eine Gerte, hatte blauschwarzes Haar und ein aufregend geschnittenes Gesicht, das an das einer Siamkatze erinnerte. Sie war sexy bis in jedes Fingerglied und trug einen knöchellangen Rock, der bis zum rechten Oberschenkel hin geschlitzt war und bei jedem Schritt ihre langen, schlanken Beine zeigte. Unter der hauchdünnen Bluse waren ihre vollen Brüste nicht nur zu erahnen, sondern deutlich zu sehen.
Sie war der unbestrittene Mittelpunkt der kleinen Gesellschaft, die aus insgesamt einem Dutzend Frauen und Männern bestand. Es handelte sich um Mitglieder des sogenannten Jet-Set, Leuten also, die entweder über reichlich Geld verfügten oder aber als Spielgefährten dieser Personen dienten. Les Richmond hatte sich schon seit vielen Monaten darum bemüht, Zugang zu diesem Personenkreis zu bekommen. Geld hatte er wirklich mehr als genug. Zur Krönung fehlte ihm jetzt noch der Anschluß an den inneren Kreis der Geldbesitzer. Gina Renova behandelte Les Richmond ein wenig herablassend und ließ ihn sehr deutlich an ihrer Angel zappeln. Sie hatte natürlich längst herausgefunden, daß sie Richmond um den Finger wickeln konnte. Der Immobilien-Hai hatte diese kleine nächtliche Ausfahrt sorgfältig vorbereitet. Es gab erlesene kalte. Speisen, ausgezeichneten Sekt, hervorragenden Whisky und stimmungsvolle Musik. Der Schlußpunkt dieser nächtlichen Party sollte in einer Ufervilla bei Ascona stattfinden. Richmond hatte dieses Haus gemietet, das ganz auf intime Zweisamkeit eingestellt war. Richmond hatte schon kurz nach dem Auslaufen begriffen, daß alles nach Plan verlief. Man amüsierte sich, flirtete ungeniert miteinander und lobte ihn bereits als erstklassigen Gastgeber. Die leichten Mädchen und geldschweren Männer kamen mehr oder weniger zur Sache und genierten sich keineswegs voreinander. Die stimmungsvolle Beleuchtung in der großen Kabine und oben an Deck schuf genau die richtige Atmosphäre, um aus sich herauszugehen. Richmond und Gina hatten sich von der übrigen Gesellschaft getrennt und befanden sich auf dem oberen Ruderstand der Motorjacht. Hier waren sie allein und ungestört. Richmond hatte dafür gesorgt, daß sie nicht überrascht werden konnten. Sein Sekretär Paul Lansing befand sich mit an Bord und betätigte sich als eine Art Regisseur, der die Fäden zog und dafür zu sorgen hatte, daß keine Langeweile aufkam. Er hätte sich nicht anzustrengen brauchen, denn etwa dreißig Minuten nach dem Ablegen vom Landungssteg des Jachthafens überschlugen sich die Ereignisse. Lansing befand sich an Deck, von wo aus er sowohl den oberen Ruderstand als auch die Kabine überblicken konnte. Er rauchte eine Zigarette und mokierte sich insgeheim über die Pärchen un-
ten in der Kabine, die sich auf den Polstern räkelten und bereits handgreiflich geworden waren. Dann fiel sein Blick auf eines der jungen Spielmädchen, das von einem leicht angejahrten Mann nachdrücklich beschäftigt wurde. Wogegen es selbstverständlich nichts hatte, wie deutlich zu erkennen war. Dieses Spielmädchen aber richtete sich sehr plötzlich auf, schob den Galan energisch von sich und kratzte sich dann sehr ungeniert ihre rechte, nackte Schulter. Lansing war überrascht. Das Benehmen des Spielmädchens war etwas ungewöhnlich. Die Bewegungen sahen vulgär aus. Lansings Überraschung sollte sich aber noch steigern. Einer der männlichen Gäste, ein Reeder aus Griechenland, wie er wußte, befand sich noch in einer Art Clinch mit seiner Begleiterin. Doch dann löste er sich aus den Verschlingungen .und riß sich das Hemd vom Oberkörper… Zuerst glaubte Lansing an eine Art gewollten Striptease, doch als der Mann sich heftig zu kratzen begann, stieg in Lansing so etwas wie ein dumpfer Verdacht hoch. Er drückte sein Gesicht noch fester gegen die Scheibe und hörte jetzt die ersten spitzen Schreie der Frauen. Sie sprangen kurz hintereinander von ihren Polstern hoch und deuteten mit ausgestreckten Fingern auf die Kissen. Die Männer schienen ihre Gespielinnen völlig vergessen zu haben. Sie scheuerten und kratzten sich gegenseitig und rissen sich dabei ihre Kleidungsstücke vom Körper. Lansing schwitzte Blut und Wasser. Was dort unten in der Kabine vor sich ging, wußte er nicht. Er wußte aber, daß alles wieder mal an ihm hängen bleiben würde. Richmond würde ihn verantwortlich machen. Lansing lief zum Niedergang und rannte hinunter in die Kabine. »Verdammte Schweinerei«, fauchte ihn einer der männlichen Gäste an und deutete auf die Kissen. »Sehen Sie sich das mal an.« Lansing beugte sich vor und erstarrte. Ein Stoßtrupp von etwa dreißig roten Ameisen marschierte gerade in geschlossener Marschordnung über eines der Kissen hinweg und suchte nach Beute. »Komischer Witz«, sagte ein anderer Mann und trat Lansing in den Hintern.
Lansing fiel nach vorn, landete mit dem Gesicht in den Kissen und wurde sofort von einem anderen Stoßtrupp attackiert. Rote Ameisen umzingelten seine Nase und machten den Versuch, seine Nasenlöcher zu entern. »Ich bin total zerbissen«, kreischte ein junges Spielmädchen und präsentierte dem mühsam aufstehenden Lansing die zerkratzte, rote Schulter. »Mister Richmond«, rief Lansing geistesgegenwärtig aus und damit ein Stichwort liefernd. Er hatte die richtige Karte gesetzt. Seine Anregung wurde ohne Widerspruch aufgenommen. Die Männer stürmten zur Treppe, um ihren Gastgeber einzufangen. Lansing duckte sich und stahl sich davon. Ein Mauseloch, in das er hätte verschwinden können, wäre ihm jetzt passend gewesen. * Les Richmond hatte es geschafft. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt und küßte Gina. Sie duldete es, war aber nicht ganz bei der Sache. Sie hatte während der vergangenen Minuten nach unten gehorcht. Ihr war nicht entgangen, daß in der Kabine Stimmung herrschte. Wenig später stürmten einige Männer in den Ruderstand. Richmond wurde von Gina zurückgerissen und handelte sich einige Ohrfeigen ein. »Verdammt geschmacklos«, sagte einer der Männer und rubbelte seinen brennenden rechten Oberschenkel. »Das ist schon Körperverletzung«, stellte ein zweiter Gast fest und zerkratzte sich vor Pein seine nackte Brust. »Für solche Witze haben wir verdammt nichts übrig«, sagte ein dritter Mann und setzte seine Faust auf Richmonds Nase. Dann widmete er sich ausgiebig seiner brennenden Kehrseite, die von den roten Ameisen angeknabbert worden war. Man kam überein, Richmond in die Kabine zu bringen. Der Immobilien-Hai wußte nicht, was mit ihm geschah. Rohe Hände schleiften ihn vom Ruderstand hinunter auf Deck. Ein paar Fußtritte genügten, um ihn in die Kabine zu schicken. Er schrammte mit dem Bauch auf dem Teppich, wollte sich aufrichten und kam nicht dazu. Zwei seiner Gäste drückten ihn wie-
der auf den Teppich und zerrten ihn dann hinüber zu den schwellenden Polstern und Kissen. Was dann folgte, gab Richmond den Rest. Die aufgebrachten Männer genierten sich keineswegs, ihm die Hosen herunterzuziehen. Sie ignorierten sein Schamgefühl, als sie auch seinen Slip folgen ließen. Dann preßten sie ihn mit dem Gesäß in die Kissen und hielten ihn darauf fest. »Was… Was soll denn das?« entrüstete sich Richmond, der bis jetzt an einen derben Scherz geglaubt hatte. »Abwarten«, sagte ein Playgirl und rubbelte ihren nackten Rücken mit Wonne und Ausdauer gegen einen Türrahmen. »Gleich wird’s zünden«, verhieß ihm ein anderes Spielmädchen, das sich von ihrem Partner den Rücken scheuern ließ. Richmond verstand die Welt nicht mehr. Vor ihm standen die mehr oder weniger entblößten Gäste und kratzten sich verzweifelt die unmöglichsten Körperteile. Gina Renova war inzwischen informiert worden und wartete auf die Zündung. Dann zuckte Richmond zusammen. Die erste rote Waldameise hatte versuchsweise zugebissen. Weitere Bisse folgten. Die herumirrenden Stoßtrupps der Waldameisen verständigten sich auf geheimnisvolle Art und Weise untereinander. Sie formierten sich und eilten konzentrisch auf ihr Opfer zu. Richmond zuckte zusammen und wollte sich hochstemmen, wurde aber hart und nachdrücklich festgehalten. »Hilfe«, stöhnte Richmond. »Hilfe!« Die roten Waldameisen störten sich überhaupt nicht daran, was wohl auch mit gewissen Verständigungsschwierigkeiten zusammenhing. Sie hatten nacktes Fleisch vor sich und zwickten mit ihren kleinen Beißzangen munter drauflos. Richmond brüllte bereits. Die Ameisensäure war schließlich kein reiner Genuß. Sie brannte wie offenes Feuer. »Lansing« brüllte Richmond. »Hilfe!« Paul Lansing hustete ihm was, im übertragenen Sinn selbstverständlich. Er hatte sich in der kleinen Pantry eingeschlossen und hütete sich, Richmond zur Hilfe zu kommen. Der Immobilien-Hai brüllte jetzt aus vollem Hals. Die roten Waldameisen hatten jede Hemmung verloren und
nutzten ihre Chance. Sie hatten es mit einer Beute zu tun, die hilflos war und nicht weglaufen konnte. Die Bordgäste, die Richmond umstanden, schienen sich ohne Ausnahme in kleine Sadisten verwandelt zu haben. Sie dachten nicht daran, Richmond auszulassen. Aus glänzenden Augen schauten sie auf ihren Gastgeber hinunter, der auf glühenden Kohlen zu sitzen schien. Gina Renova tat sich besonders hervor. Sie hatte unter einem weiter entfernt liegenden Kissen einen Trupp Ameisen entdeckt, der wahrscheinlich noch nicht informiert worden war. Fast liebevoll kehrte sie mit ihrer Hand diese Insekten zusammen und trug sie zu Richmond hinüber. »Nein…«, schrie der Immobilien-Hai als er Ginas Absicht erkannte. »Doch!« gab sie kalt zurück und ließ die Ameisen auf seinen nackten Bauch fallen. Mit wilder Kraftanstrengung riß Richmond sich los und hetzte zum Niedergang, verfolgt von seinen aufgebrachten Gästen. Er erreichte das Deck, sah hinter sich die zu allem entschlossenen Verfolger und hechtete ins Wasser. * Agatha Simpson betrachtete die Motorjacht, die sich langsam Ascona näherte. Sie hatte das Taxi verlassen und dem Fahrer die Prämie überreicht. Der junge Mann hatte sich ehrlich angestrengt und die Strecke in Rekordzeit geschafft. Die Lady stand neben einer der Bänke am Kai der Piazza und schüttelte ein wenig konsterniert den Kopf, als die Jacht in seltsamen Schlangenlinien sich einem Landungssteg näherte. Von Bord war erstaunlicherweise keine Musik zu hören. Die Party schien nicht auf Hochtouren zu laufen. Nach dem Anlegemanöver, bei dem der Landesteg fast abgerissen worden war, strömte ein gutes Dutzend männlicher und weiblicher Gäste zum Kai. Sie rannten, als säße ihnen der Teufel im Nacken. Sie überquerten die Piazza und verschwanden in einem der nahen Hotels.
Es war Agatha Simpson nicht entgangen, daß die Gäste der Jacht einen mehr oder weniger mitgenommenen Eindruck machten. Lady Simpson wunderte sich darüber, wie vulgär und ungeniert sich die Frauen und Männer kratzten. Sie schienen insgesamt von einer geheimnisvollen Allergie erfaßt worden zu sein. Les Richmond hatte Lady Simpson nicht entdecken können. Er mußte sich also noch an Bord befinden. Lady Simpson überlegte nicht lange. Immerhin war sie hierhergekommen, um Richmond ein paar sehr eindringliche Fragen zu stellen, die sich auf Kathy Porter und Butler Parker bezogen. Der Landesteg vibrierte, als Agatha Simpson sehr energisch zur Jacht hinüberschritt. Der Pompadour an ihrer Hand mit dem darin befindlichen Glücksbringer schaukelte unternehmungslustig und einsatzbereit. Was sie wenig später unten in der Kabine entdeckte, ließ sie stutzen. Richmond lag auf dem Bauch und wurde von seinem Sekretär Lansing behandelt. Richmonds Kehrseite war nackt, aber rot wie die eines Pavians. Lansing schmierte gerade eine Salbe auf diese Röte, die Lady Simpson sich nicht erklären konnte. Die Kabine glich einem Chaos. Ein wilder Kampf schien hier stattgefunden zu haben. Auf dem Boden lagen Kissen und Polster herum. Geschirr und Gläser waren reihenweise zu Bruch gegangen. Speisereste hingen in den Gardinen vor den Bullaugen und klebten an Decken und Wänden. Richmond schien offensichtlich zu leiden. Lansing aber, das erkannte Lady-Agatha deutlich, grinste schadenfroh, zumal Richmond sein Gesicht nicht sehen konnte. Hin und wieder schlug Richmond mit einer wütenden Bewegung in die Polster oder auf die Kissen, die ihn umgaben. Er schien irgendwelche Kleintiere zu zerschmettern. Lady Simpson war unentschlossen. Sollte sie hinunter in die Kabine gehen und Richmond zur Rede stellen? Doch, sie wollte es! Sie marschierte um den Kabinenaufgang herum und erreichte den Niedergang. Als sie hinuntersteigen wollte, spürte sie plötzlich hinter sich eine Bewegung. Lady Agatha handelte augenblicklich. Der Pompadour schwang gekonnt herum, und der »Glücksbrin-
ger« knallte mit Wucht gegen eine Gestalt, die prompt zu Boden ging. Mylady nickte nachdrücklich. Wer es wagte, sie zu überraschen, mußte seinerseits mit Überraschungen rechnen. »Aber Mylady…« hörte sie in diesem Moment die vorwurfsvolle Stimme ihrer Gesellschafterin. »Kathy…?« Die alte Dame drehte sich vollends um und sah sich ihrer Begleiterin gegenüber. Kathy Porter deutete fast anklagend hinunter auf die Decksplanken. »Parker?« fragte Lady Simpson ungläubig und leise zugleich. Sie beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Mister Parker«, bestätigte Kathy Porter ebenso leise, aber auch zusätzlich noch besorgt. »Wir sind gerade angekommen und sahen, wie Sie an Bord gingen.« »Haben Sie sich nicht so«, fauchte Lady Agatha den Butler an, der sich endlich wieder rührte und vorsichtig nach der sich bildenden Kopfbeule faßte. »So schlimm kann’s doch gar nicht gewesen sein!« »Ich wurde nachdrücklich an ein auskeilendes Pferd erinnert«, gestand Josuah Parker beeindruckt. Er erhob sich vorsichtig und sah mißtrauisch auf den Pompadour in Agathas Hand. »Mylady schreiben eine ausgesprochen feste Handschrift.« »Nicht wahr?« freute sich Lady Simpson, »wenn ich mal zulange, wächst so leicht kein Gras mehr.« »Wollen wir nicht zurück an Land gehen?« schlug Kathy Porter vor. »Wieso denn?« gab Lady Agatha kriegerisch und unternehmungslustig zurück, »dort unten ist Richmond! Warum soll nicht auch er meinen Glücksbringer’ kennenlernen?« »Mister Richmond dürfte im Moment außerstande sein, Myladys Handschrift voll genießen zu können«, sagte der Butler hastig. »Er leidet mit Sicherheit unter den Nachwirkungen gewisser Insekten.« Parker war noch etwas weich in den Knien, als er zusammen mit Agatha Simpson und Kathy Porter über den Landungssteg zurück zum Kai und dann zur Piazza ging. Auch er litt noch unter gewissen Nachwirkungen, und die hingen mit einem Hufeisen. zusammen, das sich in Myladys Pompadour befand.
* »Nicht übel«, stellte Lady Agatha während der Rückfahrt fest, nachdem Parker seinen Bericht erstattet hatte. »Und woher hatten Sie diese Ameisen?« »Sie fanden sich außerhalb von Locarno in einem kleinen Waldstück«, sagte Parker. »Sie dürften ihre Schuldigkeit getan haben.« »Ich sagte ja schon, nicht besonders übel«, wiederholte Lady Simpson. »Richmond dürfte sich dadurch sehr unbeliebt gemacht haben.« »Man schien ihm zu grollen«, erwiderte der Butler. »Seine Partygäste verließen ungewöhnlich schnell seine Motorjacht.« »Diese Methode müßte sich ausweiten lassen«, sagte Agatha Simpson nachdenklich. »Wir müssen diesen Richmond völlig isolieren.« »In der Tat, Mylady«, pflichtete der Butler ihr bei. »Seine wenigen Freunde, aber vor allen Dingen seine Geschäftspartner müssen ihn meiden wie die Pest«, dachte Mylady laut weiter. »Wie Mylady meinen«, erwiderte Parker höflich. »Sagten Sie nicht, daß Richmond und Mister Rander sich gleichen wie ein Ei dem anderen?« »Dies, Mylady, entspricht den Tatsachen.« »So, so!« Lady Simpson nickte und überlegte dann still. Parker war gespannt, ob sie ebenfalls an gewisse Möglichkeiten dachte, mit denen er bereits gedanklich spielte. »Könnte Mister Rander sich nicht für einen Tag freimachen?« ließ Mylady sich dann schließlich vernehmen. »Dies, Mylady, müßte sich einrichten lassen.« »Mister Rander könnte dann als Richmond auftreten.« »Er müßte sich wie die Axt im Walde benehmen«, stellte Agatha Simpson fest. »Er müßte jedem auf die Füße treten, mit dem er in geschäftlicher Verbindung steht.« »Es gibt der Möglichkeiten viele, Mylady.« »Kathy«, wandte die alte Dame sich an ihre Gesellschafterin. »Finden Sie heraus, wann und wo Richmond seine nächste Party gibt! Liegt so etwas nicht in der Luft?« »Ich werde mich sofort darum kümmern, Mylady«, gab Kathy Porter zurück.
»Kennen Sie sich in Safes oder Tresoren aus?« wollte Lady Simpson dann von Parker wissen. »Ein wenig, Mylady.« »Sie sind also erstklassig auf diesem Gebiet«, stellte Lady Simpson kategorisch fest. »Vielen Dank, Mylady!« »Wo verwahrt ein Mann wie Richmond seine geschäftlichen Unterlagen?« fragte sich Lady Agatha laut, während sie durch die Nacht fuhren. Die Straße war breit und gut ausgebaut. Dennoch bevorzugte der Butler nur ein mittleres Tempo. Er wollte den Gedankenflug der alten energischen Dame nicht unterbinden. »Mister Richmond unterhält kein Büro«, warf Kathy Porter ein. »Er leitet seine Dachgesellschaft von seinem Wohnsitz aus.« »Dann muß es in seinem Bungalow entweder einen großen Safe oder einen Tresor geben«, erklärte die Lady nachdrücklich, »und in solch einem Behälter werden sich dann wohl auch die Unterlagen finden, nicht wahr, Mister Parker?« »Mylady denken an einen Einbruch?« erkundigte sich der Butler. »Papperlapapp«, fauchte Agatha kriegerisch. »Halten wir uns nicht mit dummen Wortklaubereien auf. Denken Sie daran, daß wir vielleicht die Bestechungsaffären aufdecken können. Ganz zu schweigen von Beweisen, daß Miß Palmers Bruder unschuldig war.« »Ein verlockender Gedanke, Mylady.« »Ich fühle mich jung wie nie zuvor«, erklärte Agatha Simpson unternehmungslustig. »Legen wir dieses Schwein also aufs Kreuz.« »Aber Mylady!« seufzte Kathy Porter leise und vorwurfsvoll, wovon die Sechzigjährige sich aber keineswegs beeindrucken ließ. * Les Richmond hatte eine sehr schlechte Nacht hinter sich. Auf dem Bauche liegend, war an Schlaf nicht zu denken gewesen. Die Ameisensäure hatte dicke Schwellungen und Quaddeln hervorgerufen. Lansing hatte sich genötigt gesehen, einen Arzt zu bemühen. Viel hatte dieser Spezialist nicht tun können. Er hatte kühlende Umschläge empfohlen und Richmond eine Spritze gesetzt.
Richmond beschäftigte sich im Morgengrauen mit einem gewissen Butler Parker. Dieser Mann hatte sich zu einem Gegner entwickelt, dem mit normalen Mitteln nicht beizukommen war. Parker entwickelte Taktiken, die Richmond völlig fremd waren. Er verzichtete auf nackte Gewalt und arbeitete mit den Mitteln der List. Er schien dabei die Waffe der Lächerlichkeit zu bevorzugen. Dieser Parker wußte sehr genau, daß man seine Gegner nur lächerlich machen brauchte, um sie außer Gefecht zu setzen. Da war die Sache mit Lasare und Feller… Sie hatten sich knapp nach Mitternacht zurückgemeldet und überwunde Füße geklagt. Sie waren stundenlang unterwegs gewesen, auf nackten Füßen, Parker hatte sich damit begnügt, ihnen die Schuhe wegzunehmen. Das hatte sich als schrecklicher herausgestellt als zum Beispiel ein paar Schüsse aus einem Revolver. Lasare und Feller wollten aussteigen. Wie übrigens auch die beiden Leibwächter Shelby und Silver. Alle vier Männer hatten es einfach mit der Angst zu tun bekommen. Sie fühlten sich diesem skurrilen Butler nicht gewachsen. Insgeheim konnte Richmond das gut verstehen. Er dachte an seine geplatzte Party und an die Blamage, die Parker ihm angetan hatte. Wie sollte er sich bei seinen Gästen nur entschuldigen? Würde man ihm überhaupt glauben? Der Sprung in die Welt des Jet-Sets war total mißlungen. Bei diesen Leuten durfte er sich vorerst nicht mehr sehen lassen. Gab es einen Weg, sich mit Parker zu arrangieren? War dieser Mann vielleicht zu kaufen? In Richmonds Vorstellungswelt gab es keinen Menschen, den man nicht kaufen konnte. Das alles war eine Frage des Kaufpreises. Natürlich hatte Richmond bereits mit dem Gedanken gespielt, die Schweiz vorerst zu verlassen und dem Butler aus dem Weg zu gehen. Er hatte diesen Gedanken schnell wieder fallenlassen, denn er war an den Wohnort in der Schweiz gebunden. Hier in seinem Bungalow, der bisher eine sichere Burg dargestellt hatte, befanden sich all seine geschäftlichen Unterlagen. Es handelt sich zum Teil um sehr heikle Aufzeichnungen, die nie in fremde Hände fallen durften. Sie mußten im Tresor bleiben, der sich unten im Keller befand. Dann war da diese Hetty Palmer. Diese Frau kannte nur ihre Rache. Sie wollte den Tod ihres Bru-
ders Norman klarstellen und dessen Unschuld beweisen. Norman Palmer hatte natürlich damals Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um für die Mieter seiner Gesellschaft bessere Bedingungen herauszuschlagen. Noch jetzt ärgerte Richmond sich darüber, daß er Norman Palmer eingestellt hatte. Dieser Bursche hatte sich sehr schnell als Weltverbesserer entpuppt, der keinen Sinn für Profit gehabt hatte. Seine Schuldgefühle schienen sehr stark entwickelt gewesen zu sein, sonst hätte er sich während der Untersuchungshaft nicht umgebracht. Die Tochtergesellschaft seiner Schweizer Holding wurde jetzt von einem Mann geleitet, der keine Bedenken kannte und spurte. Das waren wenigstens Mitarbeiter, auf die man sich verfassen konnte. Richmond konzentrierte seine abirrenden Gedanken wieder auf das Hauptproblem. Wie wurde er mit Parker und dieser hysterischen Palmer fertig? Weiteren Ärger konnte und wollte er sich nicht leisten. In den nächsten Tagen ging es um wichtige Dinge. Richmond wollte seine Gewinnrenditen steigernd einsetzen. Er wartete auf einige geldschwere Geschäftsleute, mit denen er gewisse Urlaubszentren am Mittelmeer aufziehen und finanzieren wollte, Geschäftsleute aus Deutschland, Frankreich und Italien. Er hatte diesen Geldgebern bereits konkrete Vorschläge unterbreitet und brauchte sie. Er, Richmond allein war nicht in der Lage, diese Ferienzentren zu finanzieren, das überstieg seine Mittel. Kamen diese Projekte zur Durchführung, brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen. Dann konnte er seriös werden und die Immobilienfirmen in England abstoßen. Dann hatten diese Wohnungsgesellschaften ihren Zweck erfüllt. Jetzt schien aber alles davon abzuhängen, daß dieser Parker sich nicht störend einschaltete. Der Butler mußte außer Gefecht gesetzt werden, falls er sich nicht kaufen ließ. Richmond stöhnte verhalten auf und veränderte vorsichtig seine Bauchlage. Die Bisse der roten Waldameisen brannten nach wie vor wie Feuer. Er hatte das Gefühl, daß sein Gesäß um das Doppelte angeschwollen war. *
Im Grunde ärgerte sich Lansing, als er ein paar Stunden später bei Richmond erschien, um ihm eine bestimmte Nachricht zu überbringen. Der Immobilien-Hai befand sich im großen Wohnraum seines Bungalows und hatte sicherheitshalber alle Jalousien vor den Fenstern heruntergelassen. Er hatte einfach Angst, noch mal mit rätselhaften Stahlmurmeln beschossen zu werden. »Was ist denn?« fuhr er seinen Sekretär ungnädig an. Richmond lag bäuchlings auf einem Ledersofa und blätterte in Geschäftsberichten. »Parker und die Palmer sind weggefahren«, meldete Lansing mit neutraler Stimme. Richmond brauchte ja nicht zu merken, daß Lansing das nicht sonderlich paßte. Lansing gönnte seinem Chef die Niederlagen am laufenden Band. »Weggefahren?« »Mit Sack und Pack«, berichtete Lansing weiter. »Shelby und Silver haben das eben per Telefon durchgegeben. Sie haben Locarno bereits in Richtung Bellinzona verlassen.« »Abgehauen?« wunderte sich Richmond und nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. »Was kann das bedeuten, Lansing? Ein neuer Trick?« »Kaum«, erwiderte Lansing. »Diese alte Fregatte ist übrigens mitgefahren. Samt ihrer Gesellschafterin.« »Da stimmt doch irgend etwas nicht«, zweifelte Richmond mißtrauisch. »Wieso räumen sie alle das Feld?« »Sie haben wahrscheinlich eingesehen, daß sie auf die Dauer keine Chance haben werden«, meinte Lansing. »Schön wär’s ja«, sagte Richmond, der wieder Hoffnung schöpfte. »Lassen Sie diese Amateure beobachten?« »Selbstverständlich«, gab Lansing zurück, »Shelby und Silver sitzen ihnen auf der Spur. Ich hab’ ihnen eingeschärft, daß sie sich nicht abhängen lassen dürfen.« »Sehr gut.« Richmond erhob sich mühsam und versuchte ein paar Schritte. »Dann könnten wir unsere Gäste ja kommen lassen.« »Ihre Gäste, Sir«, berichtigte Lansing laut und deutlich. »Sie nehmen wohl übel, wie?« Richmond grinste abfällig. »Ich war gereizt. Vergessen Sie’s!« »Soll ich also das Treffen arrangieren, Mister Richmond?« »Für den nächstmöglichen Termin hier in meinem Haus. Ich will
das Geschäft unter Dach und Fach bringen.« Als Lansing gegangen war, genehmigte sich Richmond einen Schluck Whisky. Jetzt, wo dieser Parker nicht mehr in der Stadt war, mußte die Pechsträhne doch endlich abreißen. * »Sie wissen hoffentlich, daß wir hartnäckig verfolgt werden«, sagte Lady Simpson nach vorn zu Parker, der seinen hochbeinigen Wagen über die ausgezeichnete Straße in Richtung Bellinzona lenkte. »Sehr wohl, Mylady.« »Gedenken Sie dagegen etwas zu tun?« »In der Tat, Mylady!« »Ich könnte mir vorstellen, daß wir den Wagen rammen«, schlug Agatha Simpson vor. »Vielleicht drängen Sie ihn auch von der Straße ab. Oder soll ich es mit Ihrer Gabelschleuder versuchen? Eine zertrümmerte Windschutzscheibe soll sehr hinderlich sein.« »In diesem Fall würde ich Mylady vorschlagen, es den Behörden zu überlassen, die Verfolger zu stoppen.« »Wie einfallslos, Mister Parker«, nörgelte Lady Agatha. »Sie scheinen sich, was Ihre Ideen anbetrifft, erschöpft zu haben.« »Wie Mylady meinen«, gab Parker höflich zurück. Er wollte nicht widersprechen, obwohl er es besser wußte. Dann fuhr er eine Tankstelle an, die rechts an der Straße lag. Als er das kleine Gebäude betrat, sah er sich vorsichtig nach dem Verfolgerwagen um. Der sportliche Fiat hatte bereits abgebremst und hielt etwa hundertfünfzig Meter unterhalb der Tankstelle am Straßenrand. Den beiden Insassen war es offensichtlich gleichgültig, ob man sie bemerkte oder nicht. Parker ließ sich die Erlaubnis für ein Telefonat geben. Während der Tankwart inzwischen den Reifendruck prüfte, wählte der Butler die Polizeinummer von Bellinzona. Er sagte nicht viel. Doch was er sagte, geschah mit Präzision und auch mit Phantasie. Dann legte er auf, bedachte den erfreuten Tankwart mit einem ansehnlichen Trinkgeld und setzte sich zurück ans Steuer.
»Was wird jetzt passieren?« wollte Lady Simpson neugierig wissen, als Parker den Wagen wieder auf die Straße lenkte. »Die Behörden von Bellinzona, Mylady, werden dem uns verfolgenden Fiat eine Streife entgegenschicken«, prophezeite Parker. »Sie werden hoffen, zwei von Interpol gesuchte Bankräuber stellen zu können.« »Du lieber Himmel! Und wenn es zu einer Schießerei kommt? Ich habe sicher nichts gegen solch ein Intermezzo, aber ich denke an die Beamten, Parker.« »Auf mögliche Schußwaffen, Mylady, deutete ich vorsichtshalber hin.« »Dann will ich mich mal überraschen lassen«, seufzte die alte Dame zufrieden auf. »Was wird passieren, wenn die beiden Verfolger gestellt worden sind?« »Da sie Waffen mit sich führen dürften, Mylady, ist damit zu rechnen, daß sie wenigstens für einige Tage festgehalten werden.« »Sehr gut, Parker!« Agatha Simpson nickte zufrieden. »Das müßte eigentlich reichen.« »Falls Miß Porter richtig informiert: wurde, Mylady.« »Wurden Sie das, Kindchen?« Lady Simpson wandte sich ihrer rothaarigen und aparten Gesellschafterin zu. »Mister Richmond plant für die nächsten Tage eine geschäftliche Zusammenkunft mit internationalen Geldgebern«, erklärte Kathy Porter mit sanfter Stimme. »Ich habe das aus erster Hand, Mylady. Nämlich von der Gouvernante eines jener Geldgeber. Mister Richmond plant die Errichtung großer Ferienzentren in Spanien und auf Korsika.« »Es geht eben doch nichts über gute Beziehungen«, sagte Lady Simpson und nickte ihrer Gesellschafterin wohlwollend zu. »Weiter so, Kindchen, in Ihnen steckt ein Talent.« Eine Viertelstunde später wurde Lady Simpson dann abgelenkt. Parker hatte sie auf zwei etwas zu neutral aussehende Wagen aufmerksam gemacht, in denen je drei energisch wirkende Touristen saßen. »Die Behörden«, hatte Parker dazu gesagt und das Tempo verlangsamt. Wie recht er hatte, sollte sich sehr schnell zeigen. Die beiden neutral aussehenden Wagen drehten nämlich plötzlich bei und bildeten eine Sperre in der ganzen Breite der Straße.
Der sportliche Fiat sah sich dieser Sperre überraschend gegenüber und mußte scharf gebremst werden. Die energisch aussehenden Touristen fielen förmlich aus ihren Wagen. Sie hielten – wenn auch diskret – Maschinenpistolen in Händen und liefen auf den Fiat zu. »Was für Feiglinge«, stellte Lady Simpson enttäuscht fest, als die beiden Insassen des Fiat mit erhobenen Händen aus ihrem Wagen stiegen und sich widerstandslos festnehmen ließen. Sie hatten eingesehen, daß gegen diese Maschinenpistolen kein Kraut gewachsen war. »Und so etwas nennt sich nun Gangster«, kommentierte Lady Agatha anschließend gereizt. »In Kriminalfilmen wissen sie sich wenigstens zu wehren!« * Die zweimotorige Privatmaschine lieferte eine glatte Landung, rollte auf der Landebahn aus und hielt dann knapp vor dem Hangar neben dem Gebäude und dem Turm der Flugleitung. Parker stand neben Hetty Palmer und ließ sie nicht aus den Augen. Sie merkte überhaupt nichts davon. Sie verschlang förmlich den jungen Mann, der wenig später aus der Maschine stieg und ihnen zuwinkte. »Richmond!« murmelte Hetty Palmer. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, ihr Gesicht nahm einen gespannten Ausdruck an. »Ist ein Irrtum ausgeschlossen?« erkundigte sich Parker leise bei seiner Begleiterin. »Ausgeschlossen! Das ist Richmond«, gab Hetty Palmer zurück. »Ich würde ihn unter Tausenden erkennen.« »So drückten Sie sich bereits schon mal aus«, erinnerte der Butler gemessen. »Natürlich handelt es sich um Mister Rander, um jeden Irrtum auszuschließen.« Er ging auf seinen jungen Herrn zu, der gerade mit einer Zubringermaschine von Zürich aus hierher nach Locarno gekommen war. Sie befanden sich auf dem Flugplatz Piano di Magadino an der Straße nach Lugano. Butler Parker konnte durchaus die Verwirrung von Hetty Palmer verstehen. Er selbst war beeindruckt. Mike Rander war Les Rich-
mond. Die äußerliche Übereinstimmung war frappierend. Die Natur hatte hier ein Double geliefert, wie man es sich perfekter nicht hätte vorstellen können. »Ich erlaube mir, Sie von ganzem Herzen zu begrüßen«, sagte Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Schön, Sie wiederzusehen«, erwiderte Rander lächelnd. »Ohne mich scheinen Sie auf die Dauer nicht auszukommen, wie?« »Dies, Sir, entspricht voll und ganz den Tatsachen.« »Ist das dort drüben Miß Palmer, Parker?« »Die Schwester jenes Norman Palmer, der während seiner Untersuchungshaft Selbstmord beging, Sir.« »Sie scheint mich nicht zu mögen, Parker.« »Sie muß und wird sich daran gewöhnen, Sir, daß Sie keineswegs Mister Richmond sind.« »Ist die Ähnlichkeit tatsächlich so stark?« »Noch stärker, Sir.« »Dann müßte der Plan klappen, wie?« »Davon, Sir, bin ich fest überzeugt.« Während sie miteinander redeten, gingen sie auf Hetty Palmer zu, die ihnen zögernd entgegenkam. »Rander«, stellte der Anwalt sich vor. »Ich kann’s einfach nicht glauben«, gab Hetty Palmer zurück. »Ich ebenfalls nicht«, gestand der junge Anwalt. »Soll es wirklich solch eine Ähnlichkeit geben?« »Sie werden erschrecken, Sir«, schaltete sich Parker ein. »Der Wagen wartet übrigens dort neben der Flugleitung.« Sie gingen zu Parkers hochbeinigem Monstrum hinüber und passierten dabei zwei Fluggäste, die mit der Maschine weiter nach Mailand fliegen wollten. Es handelte sich um zwei Männer. Einer von ihnen sah zu Rander herüber und grüßte dann vertraut. Rander grüßte sofort zurück. Er räusperte sich etwas betreten, als der Grüßende dann direkt auf ihn zukam. »Sagen Sie, Richmond, was haben Sie denn da auf der Jacht angestellt?« erkundigte sich der Mann dann lächelnd. »Da haben Sie aber mächtig ins Fettnäpfchen getreten.« »Sind Sie sicher?« fragte Rander vorsichtig zurück. »War sehr gewagt«, stellte der Mann fest. »Hoffentlich fällt die Rechnung dafür nicht zu hart aus.« »Man wird sehen«, erwiderte Rander vage. Er wunderte sich
darüber, mit welch einer Selbstverständlichkeit man ihn für diesen Les Richmond hielt. Parker und Hetty Palmer schienen also, was die Ähnlichkeit anbetraf, keineswegs übertrieben zu haben. Rander begann sich auf das zu freuen, was sein Butler sich für ihn ausgedacht hatte. * Es war dunkel geworden. Les Richmond trug einen Smoking und kontrollierte zusammen mit seinem Sekretär Lansing noch mal alle Vorbereitungen für das Arbeitsessen. Tage waren vergangen, seitdem seine beiden Leibwächter Shelby und Silver wie vom Erdboden verschwunden waren. Das hatte Richmond nervös gemacht, wenngleich sich seit dieser Zeit weder Parker noch Hetty Palmer gemeldet hatten. Was mochte inzwischen passiert sein? Wo mochten sich seine Gegner aufhalten? Hatten sie wirklich die Schweiz verlassen, weil ihnen der Boden unter den Füßen zu heiß geworden war? Doch ob nervös oder nicht, dieses Arbeitsessen hatte sich nicht mehr aufschieben lassen. Zuviel Geld stand auf dem Spiel. In knapp einer Stunde erwartete er seine kommenden Geschäftspartner, auf deren Beteiligungen er nicht verzichten konnte. Nur zusammen mit ihnen ließen sich die Pläne zur Errichtung von Ferienzentren verwirklichen. Lansing war es gelungen, diese Männer zeitlich unter einen Hut zu bringen. Sie würden zusammen mit ihren Frauen oder Freundinnen kommen. Und dafür hatte Richmond vorgesorgt. Ein Hotel hatte ein erlesenes kaltes Essen geliefert und in einem Nebenraum dekorativ aufgebaut. Und im Garten patrouillierten die beiden Gangster Lasare und Feller. Sie hatten die Aufgabe, alle eventuellen Störungen diskret, aber sehr nachdrücklich auszuschalten. Dieses Arbeitsessen mußte unbedingt ein voller Erfolg werden. Richmond wollte sein aus den Londoner Slums herausgepreßtes Geld endlich seriös anlegen. »Alles in Ordnung, Sir?« erkundigte sich Lansing, nachdem Richmond die Runde durch die Räume gemacht hatte. »Was fragen Sie mich?« erwiderte Richmond gereizt und nervös. »Sie haben das doch hier arrangiert, oder?«
»Natürlich, Sir.« Lippen zusammen. Lansing preßte die »Sie zeigen die Modelle erst nach dem Essen«, schärfte Richmond seinem Sekretär ein. »Wir warten damit, bis die Gäste in Stimmung sind.« Lansing nickte und war erleichtert, als sich die Türklingel meldete. Mit Richmond war es seit der Ameisenattacke auf der Jacht nicht mehr auszuhalten. Der Immobilien-Hai war sehr dünnhäutig geworden. Er schien noch immer unter den Nachwirkungen dieses Schocks zu stehen. »Jetzt schon?« fragte Richmond erstaunt und schaute auf seine Uhr. »Vielleicht einer Ihrer Partner, der ein Vorgespräch führen möchte.« »Worauf warten Sie denn noch?« herrschte Richmond seinen Sekretär an. »Machen Sie schon auf!« Lansing ging zur Tür und öffnete schwungvoll. Dann fiel sein Unterkiefer herab. Er schluckte und zweifelte nachdrücklich an seinem Verstand. Er sah sich nämlich genau dem Mann gegenüber, den er doch gerade erst im Salon verlassen hatte. * Les Richmond rief sich zur Ordnung, kontrollierte noch mal den Sitz seiner Smokingschleife und zündete sich dann lässig eine Zigarette an. Er lächelte versuchsweise und verließ den Salon. Man erwartete einen selbstsicheren Gastgeber, und diese Rolle wollte er jetzt gekonnt spielen. Schritte näherten sich dem Salon. »Hallo«, rief Richmond, streckte einladend seine Arme aus und ging seinem ersten Gast entgegen. Eine Sekunde später wurde das Lächeln zu einer Grimasse. Er sperrte den Mund auf und die Augen dazu. »Was soll diese Maskerade?« fragte der Gast, der den Salon betreten hatte. »A… Aber das k… kann doch nicht wahr sein«, stotterte Richmond entgeistert. »Das bin ja ich!« »Was soll der Unsinn«, herrschte ihn sein Ebenbild an. »Ich fin-
de das überhaupt nicht witzig.« »Sehr wohl, Sir«, antwortete der Butler, der hinter dem Gast erschien. Und dann, bevor Richmond gequält aufschreien konnte, legte sich ihm der Bambusgriff eines Universal-Regenschirms auf seinen Kopf. Richmond stöhnte und hatte es danach sehr eilig, sich auf dem kostbaren Teppich zur Ruhe zu begeben. »Sagenhaft«, meinte Rander und sah auf seinen Zwilling hinunter. »Solch eine Ähnlichkeit hätte ich mir nicht vorgestellt.« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich Mister Richmond sicher unterbringen«, sagte Parker. »Vergessen Sie diesen Lansing nicht«, erinnerte der Anwalt. »Ich glaube, Parker, daß das Doppelspiel klappen wird. Ziehen wir also eine Show ab, von der gewisse Leute noch nach Jahren sprechen werden!« * »Dieses nutzlose Herumsitzen macht mich verrückt«, stieß Lady Simpson hervor. »Parker hat einen großen Regiefehler begangen.« »Mylady?« fragte Kathy Porter nur. »Ich hätte ihm wertvolle Dienste leisten können« behauptete Agatha Simpson. Sie, ihre Gesellschafterin und Hetty Palmer befanden sich in einem Hotel in Bellinzona und sollten hier warten, bis der Coup in Richmonds Bungalow gelungen war. »Parker scheint mich für eine alte Frau zu halten, der man nichts mehr zutrauen kann.« »Aber Mylady«, erwiderte Kathy Porter vorwurfsvoll. »Besorgen Sie einen Wagen«, entschied die 60jährige. »Wir werden uns selbst einladen!« »Mylady…« »Keine Widerrede, Kindchen! In fünf Minuten will ich in einem Wagen sitzen. Ich muß einfach wissen, was .sich bei diesem Richmond tut.« »Darf ich mitkommen, Mylady?« erkundigte sich Hetty Palmer. »Sie bleiben hier«, entschied Mylady. »Einer muß ja schließlich das Telefon übernehmen, nicht wahr? Kathy, worauf warten Sie noch? Oder muß ich zu Fuß nach Locarno gehen?« Kathy Porter kannte Lady Simpson.
Es wäre sinnlos gewesen, der alten Dame ihre Absicht auszureden. Lady Simpson war so gut wie nie zu stoppen. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann wurde dies auch durchgeführt. Aber vielleicht war es richtig, den Butler zu warnen. Von der Hotelhalle aus rief Kathy Porter also die Nummer von Richmond an…Erleichtert atmete die Gesellschafterin, auf, als sie die Stimme des Butlers hörte. »Hier Kathy Porter«, meldete sie sich, »Mylady will zur Party kommen, Mister Parker. Was soll ich dagegen tun?« »Eine ausgezeichnete Idee«, sagte Parker zu ihrer Überraschung. »Die Dinge nehmen einen allseits guten Verlauf. Mylady dürfte das abgeben, was man gemeinhin das Salz in der Suppe nennt. Wir erwarten Sie mit Freude.« * Josuah Parker hatte aufgelegt und schritt gemessen zurück in den großen Salon. Bei gedämpftem, intimem Licht war die Stimmung ausgezeichnet. Man scherzte, unterhielt sich angeregt miteinander und fand sich gegenseitig sehr reizend. Mike Rander als Les Richmond entwickelte Charme und Witz. Es war offensichtlich, daß er einen leichten Schwips hatte. Parker, der die Getränke servierte, sorgte ununterbrochen für Nachschub. Ihm lag daran, die allgemeine Stimmung weiter anzuheizen. »Dreh’ ich nicht zu sehr auf?« erkundigte sich Rander vorsichtig bei Parker. »Ich möchte behaupten, Sir, daß Sie seit Jahren schon dem falschen Beruf nachgehen.« »Sie glauben, ich hätte als Schauspieler größere Chancen gehabt?« »Mit Sicherheit, Sir! Übrigens, Lady Simpson hat gerade ihr Kommen angekündigt.« »Dann warte ich besser noch etwas, Wie?« »Es dürfte sich empfehlen, Sir.« Parker schritt weiter und versorgte die Gäste mit Getränken. Mike Rander verstand es geschickt, präzisen Fragen zu gemeinsamen Zukunftsplänen aus dem Weg zu gehen. Selbstverständlich, kannte er die Materie nicht, mußte also auf der Hut sein.
Im übrigen wartete er auf die Ankunft von Lady Simpson. Parker schien sich von ihrem Erscheinen ebenfalls einiges zu versprechen. * Lady Simpson stieg aus dem Wagen und rauschte mit den Bewegungen und Gesten einer alten Bühnenheroine auf das Tor zu, das zu ihrer Überraschung verschlossen war. Diese Überraschung steigerte sich noch, als sie sich plötzlich einem bekannten Gesicht gegenübersah. Es verzog sich zu einem Ausdruck unsäglichen Staunens. Dann drehte sich Lasare auf dem Absatz um und ergriff die Flucht. Er hatte Lady Simpson erkannt und wollte im Haus Alarm schlagen. Richmond hatte ihm eingeschärft, auf keinen Fall mit Schußwaffen zu spielen. Seine Gäste durften nicht erfahren, in welch peinlicher Situation er sich befand. Lady Simpson war die Flucht des Gangsters nicht sehr angenehm. Kathy Porter kletterte bereits wie eine Pantherkatze über das Tor, um die Verfolgung aufzunehmen. Sie war auf keinen Fall mehr das scheue Reh. Ihre Wandlungsfähigkeit in Momenten der Gefahr war schon fast beängstigend. Doch sie hätte sich nicht anzustrengen brauchen. Mylady handelte! Und sie handelte zweckmäßig und durchaus gekonnt. Sie schwang, ihren Pompadour kreisförmig über den Kopf, um ihn dann auf die Luftreise zu schicken. Agatha Simpson beugte sich vor, um den Flug des kleinen. Handbeutels besser verfolgen zu können. Lasare war ahnungslos. Er rannte, und hinter ihm näherte sich der Pompadour, der jetzt Kontakt mit seinem Hinterkopf herstellte. Der Glücksbringer im Pompadour knallte gegen den Schädel des laufenden Gangsters, der plötzlich weich und schlaff wurde. Er stolperte, schlug einen halben Salto und blieb dann regungslos auf dem gepflegten Rasen liegen. »Na, bitte«, murmelte Lady Simpson zufrieden. »Wer sagt’s denn! Worauf warten Sie, Kindchen? Öffnen Sie das Tor! Oder soll ich alte Frau auch über das Tor steigen?«
Kathy Porter lächelte und sperrte auf. Lady Simpson nickte ihrer Gesellschafterin wohlwollend zu und marschierte dann in Richtung Bungalow. »Meinen Pompadour«, bat sie dann Kathy Porter, »und kümmern Sie sich um den anderen Burschen, Kindchen! Weit kann er nicht sein.« Kathy Porter hob den Pompadour auf und überreichte ihn Lady Simpson. Dann verschwand sie im weiträumigen, parkähnlichen Garten, um nach Feller zu suchen. Die pantherähnliche Geschmeidigkeit hatte sich noch nicht verloren. Mylady klingelte. »Oh…«, sagte der Butler erfreut, der öffnete »Mylady sind bereits da.« »Natürlich«, stellte Agatha Simpson ironisch fest. »Sonst könnte ich ja nicht vor Ihnen stehen. Räumen Sie dieses Subjekt draußen im Garten weg, Mister Parker! Es stört mein Schönheitsempfinden.« »Wie Mylady befehlen«, gab der Butler zurück. Er hatte verstanden. Lady Simpson schien wieder mal zugeschlagen zu haben. * »Wollen wir nicht endlich zur Sache kommen?« erkundigte sich Ernesto Capitale bei Mike Rander, den er selbstverständlich für seinen kommenden Partner Richmond hielt. »Meine Freunde und ich möchten etwas über Ihr Projekt hören.« Ernesto Capitale, aus Mailand gekommen, war Grundstücksspekulant, der mit der örtlichen Mafia zusammenarbeitete. Er war mittelgroß, fast fett zu nennen und hatte eine ansehnliche Stirnglatze. Er schwitzte vor Eifer. »Sie können den Hals wohl auch nicht voll genug bekommen, wie?« gab Mike Rander ironisch zurück. »Im Grunde kotzen Sie mich ja an, Capitale, aber Geld stinkt nicht.« Signor Capitale erstarrte. Er war durchaus für einen burschikosen Ton, aber das ging doch zu weit. »Na, hören Sie mal, Richmond«, sagte er nach Luft schnappend. »Halten Sie doch den Rand«, meinte der Anwalt und spielte den
leicht Angetrunkenen. »Warum können Sie Fettkloß denn nicht die Wahrheit vertragen?« »Mister Richmond!« schaltete sich Capitales Frau ein, eine hagere Blondine mit schmalem Mund. »Ein Wunder, daß Sie Gerippe nicht unter der Last ihres billigen Schmucks zusammenbrechen«, sagte Rander, sich nun an sie wendend. »Die Masse ersetzt bei Ihnen wohl den Geschmack, wie?« Lady Simpson war von Mike Rander am Eingang zum Salon erkannt worden. Für den Anwalt war das das Stichwort, mit seinen absichtlichen Beleidigungen loszulegen. Das alles war zusammen mit Josuah Parker durchgesprochen worden. »Richmond, Sie sind ja angetrunken«, mischte sich Karl Kossens ein, ein Deutscher aus dem Kölner Raum, der seine Millionen mit Wohnungen gemacht hatte. Kossens hatte es verstanden, Altbauwohnungen straßenweise aufzukaufen. Diese Altbauwohnungen hatte er dann, im Preis hochgetrieben und die Mieter zur Kasse gebeten. Im Grund arbeitete er nach dem Verfahren, das Richmond bevorzugte. »Und Sie sind einfach ein Schwein«, stellte Richmond fest, ein Richmond, wie ihn Kossens noch nie erlebt hatte. »Sie sind ja noch gerissener und dreckiger als ich…« »Jetzt ist aber Schluß!« herrschte Kossens seinen Gastgeber an. »Typen wie Sie und ich können nie Schluß machen«, sagte Rander mit gespielt schwerer Zunge. »Warum wollen wir sonst zusammenarbeiten?« »Ich gehe«, stellte Kossens fest. »Hauen Sie ab, Sie Miststück«, sagte Rander. »Sie widern mich an! Sie sind mir zu ähnlich…« Kossens Ehefrau wollte Rander ohrfeigen. Er hielt aber ihre Hand fest und schob sie dann nachdrücklich in einen Sessel. Und da Frau Kossens recht korpulent war, wimmerten die Federn laut und gequält. »Sie alte Putzfrau«, nörgelte Rander weiter. »Wann lassen Sie sich mal wieder liften? Ihre Falten kommen wieder durch.« Verständlicherweise war die gute Stimmung ein wenig beeinträchtigt. Man verstand Richmond nicht mehr. Warum stieß er solche Beleidigungen aus? »Richmond, halten Sie doch endlich den Mund«, flüsterte ein Mann, der wie ein überalterter Playboy aussah. Er befand sich in
Begleitung einer wasserstoffsuperoxydblonden Schönheit. Es handelte sich um einen Geschäftsfreund von Kossens, der in Deutschland sein Geld mit Gastarbeitern machte. Paul Mohler erwarb mit Vorliebe abbruchreife Häuser, die er mit Gastarbeitern überzubelegen pflegte. Seine Gewinne waren mehr als ansehnlich. »Sie alter Sklaventreiber«, raunzte Rander diesen Mann an. »Haben Sie sich doch nicht so! Von Ihnen könnte selbst ich ja noch lernen, so gerissen sind Sie. Wann werden Sie die städtische Kanalisation als Gastarbeiterwohnungen anbieten?« Mohler war wütend. Er trat Rander gegen das Schienbein, was der Anwalt nicht besonders gern hatte. Zur Revanche setzte Rander seine Faust unter das Kinn des überalterten Playboys. »Wir gehen!« entschied laut und deutlich Mister Henley, ein sehr seriös wirkender Mann von etwa 50 Jahren, der wie ein pensionierter Stabsoffizier aussah. »Wir haben es nicht nötig, uns diese Beleidigungen anzuhören.« »Spielen Sie sich bloß nicht auf, Henley«, erwiderte Rander genußvoll. »Sie sind doch nur eine einzige Fassade! Doch wie’s dahinter aussieht? Ich weiß Bescheid!« »Was wollen Sie damit andeuten?« schrie Henley seinen vermeintlichen Gastgeber an. »Sie mieser Ferienhauslieferant«, präzisierte Rander. »Die Hütten, die Sie für teures Geld an ahnungslose Käufer verhökern, zeichnen sich doch nur durch die Tapeten aus, die die Trümmer gerade noch zusammenhalten.« »Das werden Sie bereuen!« schrie Henley. »Bestimmt nicht«, erwiderte Rander glucksend vor Lachen. »Ich bin doch nicht so verrückt, Ihnen auch nur einen einzigen Quadratmeter abzukaufen.« Die Stimmung war tatsächlich gestört. Man rüstete zum Massenaufbruch, und sah sich dann plötzlich Lady Simpson gegenüber, die in der Tür stand. »Was für ein Geschmeiß«, stellte die alte Dame sachlich fest. »Butler! Butler! Öffnen Sie Fenster und Türen, damit der penetrante Geruch von Betrug und Raffgier abziehen kann.« »Wie Mylady befehlen«, antwortete Parker, der zurück ins Haus gekommen war. Er hatte die Zeit genutzt, Lasare vom Rasen abzuräumen.
Die aufgebrachten Gäste stürzten an Mylady vorbei und suchten das Weite. Sie wollten zurück zu ihren Wagen, die auf dem privaten Parkplatz vor dem Bungalow parkten, und erlebten eine böse Überraschung. In den diversen Reifen befand sich keine Luft mehr. »Sehr gut«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest, als die schimpfenden und wütenden Gäste sich zu Fuß aufmachten, die ungastliche Stätte zu verlassen. »Hoffentlich habe ich meine Befugnisse nicht überschritten, Lady Simpson«, entschuldigte sich Kathy Porter, die jetzt vor der Haustür erschien. Sie wirkte wieder scheu wie ein unschuldiges Reh. »Das waren Sie, Kindchen?« wunderte und freute sich Mylady. »Vielleicht hätte ich es besser nicht getan«, sagte Kathy Porter schuldbewußt. »Dafür würde ich Ihnen einen Kuß geben, falls Sie ein Mann wären«, lobte Mylady mit rollender Stimme. »Ihr Talent bildet sich immer weiter aus, Kindchen.« »Falls mich nicht alles täuscht, dürfte Mister Richmond damit gesellschaftlich und geschäftlich erledigt sein«, bemerkte Parker mit sichtlich zufriedener Stimme. »Der Hund muß noch gefunden werden, der ein Stück Brot von Richmond annimmt«, behauptete Agatha Simpson. »Und jetzt zur eigentlichen Aufgabe«, sagte Mike Rander, der natürlich vollkommen nüchtern war. »Hoffentlich finden wir die Unterlagen, die wir brauchen. Als Anwalt erkläre ich aber gleich, daß es ungesetzlich ist, was wir tun wollen.« »Papperlapapp«, erwiderte Mylady unternehmungslustig. »Wir passen uns ja. nur den Methoden dieses Subjektes Richmond an.« * »Tja, das war Pech«, meinte Anwalt Rander einige Stunden später, als sie zurück in das Hotel nach Bellinzona gefahren waren. »Alles klappte wunderbar, aber an den Tresor sind wir nicht herangekommen.« »Auf diesem Gebiet hätte ich Ihnen mehr zugetraut«, stellte Lady Simpson in Richtung Josuah Parker fest. »Sie scheinen doch
nicht so gut zu sein, wie behauptet wird.« »Wie Mylady meinen«, entgegnete der Butler nur. »Richmond trägt die Schlüssel zu diesem Tresor nicht mit sich herum«, faßte der Anwalt zusammen. »Der Bursche ist vorsichtiger als wir dachten.« »Ich hätte Dynamit genommen«, behauptete Lady Simpson kriegerisch. »Sicher, Lady Agatha«, antwortete Rander schmunzelnd. »Wahrscheinlich hätte es Ihnen auch nichts ausgemacht, das Haus noch zusätzlich in die Luft zu jagen.« »Sie kennen mich, Mister Rander«, freute sich die alte Dame und nickte nachdrücklich. »Fragt sich, wie wir an die Unterlagen herankommen wollen. Ohne sie können wir dieses Subjekt nicht endgültig aus dem Verkehr ziehen.« »Mylady dürfen, was das anbetrifft, auf die Eigengesetze gewisser Handlungsabläufe bauen«, ließ der Butler sich vernehmen. »Können Sie mir das mal im Klartext sagen?« Parkers Kollegin funkelte den Butler auffordernd an. »Mister Richmond dürfte der Boden unter den Füßen weggezogen worden sein«, erläuterte der Butler. »Er wird Locarno früher oder später verlassen. Verlassen müssen! Und wenn er diese Stadt aufgibt, Mylady, wird Richmond seine wichtigsten Handakten persönlich mitnehmen.« »Was meinen Sie, Mister Rander?« Lady Simpson wollte auch die Ansicht des Anwalts erfahren. »So wird es kommen«, sagte Rander und nickte. »Wir müssen nur den richtigen Zeitpunkt abwarten.« »Warum sitzen wir dann noch hier in Bellinzona herum?« fragte Lady Simpson. »Zurück nach Locarno! Lassen wir dieses Subjekt nicht aus den Augen!« »Dann wird es Zeit, mich zu verabschieden«, sagte Mike Rander. »Wenn ich mich beeile, komme ich in Zürich noch zurecht und erwische die Kursmaschine nach London.« »Wenn ich mir eine bescheidene Ansicht erlauben darf, Sir, so ist Ihre weitere Anwesenheit unbedingt erforderlich«, schaltete der Butler sich ein. »Ausgeschlossen«, erklärte Rander. »Ich werde in London dringend gebraucht. Denken Sie an den Prozeß, Parker! Ich habe schließlich noch einen Beruf.« »Warum brauchen wir Mister Rander 1 noch?« wollte Lady
Simpson wissen. »Ich darf mir erlauben, noch mal auf die Handakten zu verweisen«, erläuterte Parker. »Der Austausch ohne jede Gewaltanwendung ist nur dann möglich, wenn Mister Rander noch mal und erneut die Rolle Mister Richmonds übernimmt.« »Sie bleiben natürlich mein Gast«, entschied Lady Simpson prompt und sah den jungen Anwalt grimmig und energisch an. »Sie wollen eine alte Frau doch nicht unnötig enttäuschen, oder?« * »Wenn ich nur wüßte, was sich abgespielt hat«, fragte sich Les Richmond immer wieder. Er wanderte durch den Salon seines Bungalows und baute sich dann vor seinem Sekretär auf. »Sagen Sie endlich was, Lansing!« »Ich kann es noch immer nicht glauben, Sir, daß es Sie in doppelter Ausführung gibt«, erwiderte Lansing kopfschüttelnd. »Diese Ähnlichkeit gibt’s doch überhaupt nicht.« »Ich… Ich glaubte in einen Spiegel zu sehen«, räumte Richmond ein. »Und man hat dieses Double absichtlich ins Haus geholt. Aber warum?« »Sollte ich Ihre Gäste nicht doch anrufen und nachfragen?« schlug Lansing vor. »Auf keinen Fall! Ich hab’ einfach Angst davor«, erwiderte Richmond. »Irgend etwas braut sich zusammen. Und dann auch diese Lady Simpson. Warum kreuzten sie alle während der Party auf?« »Sie werden es früh genug wissen, Sir.« »Hauptsache, sie sind nicht an meinen Tresor herangekommen«, dachte Richmond halblaut. »Wenn sie den hatten öffnen wollen, so hatten sie Pech gehabt.« »Ich glaube, ich muß noch mal nach Lasare und Feller sehen«, entschuldigte sich Lansing. »Schicken Sie diese Trottel in die Wüste«, sagte Richmond wütend, »wie kann man sich nur von zwei Frauen außer Gefecht setzen lassen? Ich begreife das nicht!« »Lasare spricht von einem Eisenstück, daß ihm an den Kopf geflogen sein soll«, sagte Lansing. »Und Feller will von einer Frau mit einem Handkantenschlag erledigt worden sein.« »Weg mit diesen Trotteln! Besorgen Sie mir eine neue Leibwa-
che, Lansing!« »Sie wollen also hier in Locarno bleiben, Sir?« »Selbstverständlich! Das heißt, bis ich weiß, was sich hier im Bungalow abgespielt hat. Wissen Sie was, Lansing? Nach dem Frühstück fahre ich zu Capitale ins Hotel. Wir kennen uns sehr gut. Er muß mir sagen, was gelaufen ist.« Lansing nickte und ging dann hinunter ins Souterrain des Bungalows. Lasare lag auf seinem Bett und kühlte die dicke Beule am Hinterkopf. Feller pflegte seinen schmerzenden Nacken. Die beiden Spitzengangster machten einen mitgenommenen Eindruck. »Richmond braucht euch nicht mehr«, sagte Lansing, »ihr werdet natürlich euer Honorar bekommen.« »Hier bleiben wir keine Stunde länger als nötig«, sagte Lasare. »Wir sind doch nicht lebensmüde!« »Unser Zug geht gegen Mittag, dann ist Richmond uns los«, fügte Feller hinzu. »Die Betrogenen sind doch wir. Warum hat er uns nicht wenigstens angedeutet, mit wem wir es zu tun haben?« * »War’s wirklich so schlimm?« Lansing mußte wider Willen lächeln. »Noch schlimmer«, behauptete Lasare. »Dabei geht doch das ganze Selbstbewußtsein zum Teufel. Mit uns brauchen Sie nicht mehr zu rechnen, Lansing.« »Und wir können wenigstens noch von Glück sagen, daß wir nicht abserviert worden sind wie Shelby und Silver«. behauptete Feller. »Sie haben sich über einen Kontaktmann gemeldet«, konnte Lansing berichten. »Sie sitzen wegen verbotenen Waffenbesitzes. Danach wird man sie abschieben.« »Nichts wie weg«, erklärte Lasare und stand mühsam auf. »Holen Sie unser Geld, Lansing, dann warten wir gar nicht erst bis Mittag!« Lansing ging zurück und hinauf in den Bungalow. Sein Gefühl sagte ihm laut und deutlich, daß der Stern Richmonds von Stunde zu Stunde immer tiefer sank.
* Richmond hatte sich von der Rezeption aus telefonisch bei Capitale angemeldet. Der Italiener hatte Bescheid geben lassen, er würde hinunter in die Halle kommen. Richmond wanderte unruhig auf und ab und hatte kein Auge für die vielen Gäste, die bereits in der Lounge waren und die Halle bevölkerten. »Gleich werde ich es wissen«, sagte Richmond zu seinem Sekretär, der mitgekommen war. Dann lächelte er gewinnend und sah hinüber zum Lift, wo Capitale erschien. Der korpulente Italiener mit der hohen Stirnglatze kam auf ihn zu. Richmond beobachtete das Gesicht des Mannes und hoffte, daraus bereits gewisse Schüsse ziehen zu können. »Hallo, Mister Capitale«, sagte er dann erleichtert, als Capitales Gesicht sich zu einem maskenhaften Lächeln verzerrte. »Hallo, Richmond«, erwiderte Capitale und verabreichte Richmond eine schallende Ohrfeige. »Aber Mister Capitale?« Richmond hielt sich die getroffene Wange und wußte nicht, wie er reagieren sollte. »Und das hier von meiner Frau«, fügte. Signor Capitale hinzu und gab Richmond eine zweite Ohrfeige. In der Hotelhalle war es sehr ruhig geworden. Alles starrte auf die Szene, die eine Sensation versprach. »Lassen Sie sich doch erklären«, bat Richmond, der sich die andere Wange hielt. »Sie mieser Emporkömmling«, sagte Capitale verächtlich, wobei er seine eigene Herkunft völlig vergaß. »So etwas wie Sie sollte man aus der Stadt herausprügeln!« Dann drehte Capitale sich um und ging zurück zum Lift. »Sie sollten besser gehen, Sir«, murmelte Lansing leise. »Womöglich kommt er noch mal zurück!« * »Luft! Ich brauche Luft!« Richmond wußte nicht, wie er das Hotel verlassen hatte. Er befand sich wie in Trance. Die beiden Ohrfeigen brannten wie Feuer auf seinen Wangen. Seine Verwirrung war total. Was mochte sich in seinem Bungalow
abgespielt haben? Wie konnte er die Verwechslung richtig stellen? Er fühlte sich schon fast wie am Boden zerstört. Lansing genoß den ersten Zusammenbruch seines Gastgebers. Er hoffte auf weitere Ereignisse dieser Art, und er sollte in seinen Hoffnungen nicht enttäuscht werden! Auf der Uferpromenade vor dem Hotel stießen sie auf die Herren Mohler und Henley. Als sie Richmond erkannten, flüsterten sie sich etwas zu und nahmen dann Kurs auf den Immobilien-Hai. »Wie gut, daß ich Sie treffe«, sagte Richmond hastig. »Ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig, meine Herren.« »Nicht nötig«, sagte der alternde Playboy Mohler und trat Richmond gegen das Schienbein. »Das ist für den alten Sklaventreiber! Und das hier für die Kanalisation, die als Gastarbeiterwohnungen dienen soll!« Ein zweiter Fußtritt gegen das andere Schienbein machte deutlich, wie sehr Mohler sich beleidigt fühlte. Seine Vorliebe für Richmonds Schienbeine hatte nicht nachgelassen. »Ich möchte nicht zurückstehen«, erklärte Henley, der Mann, der wie ein pensionierter Stabsoffizier aussah. »Das hier ist für die Tapeten, die meine Ferienhäuser nur noch mühsam zusammenhalten!« Richmond schössen die Tränen in die Augen, als Henley ihm die Faust aufs Nasenbein setzte. Daher sah er nicht, daß die beiden Herren sich froh zunickten, um ihren Spaziergang dann in aller Ruhe fortzusetzen. »Taxi! Taxi!« rief Lansing, der sich ein Grinsen verbiß. »Wir sollten schleunigst zurück nach Hause fahren, Sir. Sonst laufen wir noch Kossens in die Arme.« »Ich bin ruiniert«, stöhnte Richmond. »Ich bin erledigt. Was habe ich denn getan? Wenn mir das wenigstens einer mal sagen würde.« Er hätte es aus erster Hand erfahren können, doch weder Josuah Parker noch Lady Simpson ließen sich sehen. Sie befanden sich in Parkers hochbeinigem Wagen und hatten die erfreulichen Szenen voll ausgekostet. *
»Wir wollten doch noch mal vorbeischauen«, sagte Kossens, der zusammen mit seiner Frau vor dem Tor zu Richmonds Bungalow stand. Richmond, der gerade aus dem Taxi gestiegen war, atmete erleichtert auf. Endlich Gäste, die ihm wohl bestimmte Vorfälle erklären konnten. Noch war nicht alles verloren. Er mußte Kossens klarmachen, daß ihn in der vergangenen Nacht ein Double vertreten hatte. Und zwar gegen seinen Willen. »Sie müssen mir unbedingt sagen, was passiert ist«, sagte Richmond hastig. »Ich habe überhaupt keine Ahnung. Ich stehe vor einem Rätsel!« »Sie nannten mich ein Miststück«, antwortete Kossens und trat Richmond ins Gesäß. »Mich nannten sie dagegen alte Putzfrau«, stellte Frau Kossens fest und bohrte ihm die Spitze ihres Sonnenschirms in den Magen. »Ich widere Sie an«, übernahm Kossens jetzt wieder die näheren Erläuterungen und lockerte mit seiner Faust einen der Schneidezähne von Richmond. »Ihrer Ansicht nach soll ich mich wieder mal liften lassen«, sagte Frau Kostens ungewöhnlich ruhig und zog ihm ihren Regenschirm über den Kopf. Richmond war bereits in sich zusammengesackt, während Lansing sicherheitshalber übers Tor kletterte und nach Lasare und Feller rief. »Widern wir uns also in Zukunft gegenseitig an«, schlug Kossens vor, wobei er nicht vergaß, sich mittels seiner Faust mit einem zweiten Schneidezahn zu beschäftigen. »Und das ist für die Falten, die in meinem Gesicht wieder durchkommen«, schloß Frau Kossens das intime Gespräch, Sie langte mit ihrem Sonnenschirm noch mal zu und schmetterte Richmond restlos zu Boden. »Hilfe!« stöhnte Richmond. Lansing winkte die beiden Gangster Lasare und Feller zu sich heran. Sie waren gerade ums Haus herumgekommen. »Der Chef«, sagte Lansing hastig. »Tut was! Er wird demontiert.« »Wieso sollen wir was tun?« fragte Lasare sehr ruhig. »Er hat uns doch ’rausgeschmissen und in die Wüste geschickt«, fügte Feller hinzu. »In fremde Dinge mischen wir uns grundsätzlich nicht ein, Lansing!«
* »Es war schon recht amüsant und erhebend«, berichtete Lady Simpson nach ihrer Rückkehr ins Hotel. »Richmond wurde von allen Beteiligten sehr nachdrücklich ins Gespräch gezogen.« »Ich möchte darauf verweisen, Sir, daß Sie sich sicherheitshalber vorerst nicht in der Öffentlichkeit zeigen«, warnte Parker. »Gewisse Partygäste dürften Sie verwechseln.« »Für Sie besteht überhaupt keine Gefahr mehr«, widersprach Agatha Simpson dem Butler. »Ab sofort dürfte Richmond von allen Beteiligten geschnitten werden.« »Das glaube ich allerdings auch«, meinte Rander lächelnd. »Wird Richmond sich jetzt absetzen?« »Diese Frage möchte ich bejahen, Sir.« »Hoffentlich wartet er damit nicht zu lange«, sagte Rander. »Wenn es eben klappt, möchte ich morgen schon zurück nach London.« »Sie werden und wollen doch nicht auf die Krönung des Unternehmens verzichten«, sagte Mylady, den Anwalt streng ansehend. »Kathy Porter wird uns umgehend informieren.« »Sie haben sie auf Richmonds Spur gesetzt?« »Ein sehr zuverlässiges Mädchen«, stellte Lady Simpson fest. »Aus ihr kann unter Umständen noch eine echte Amateurdetektivin werden.« »Hoffen wir also, daß Richmond die Nase voll hat«, seufzte Rander auf. »Dann besteht durchaus die Möglichkeit, Sir, Sie nach London zu begleiten«, schaltete Parker sich schnell ein. Er witterte eine Möglichkeit, Agatha Simpson zu entkommen. »Sie werden sich in London sehr langweilen«, warnte Rander seinen Butler. »Für mich ist es vorerst vorbei mit den Extratouren. Sie wissen doch, meine Anwaltskanzlei braucht mich dringend.« »Ein wenig Ruhe dürfte meiner bescheidenen Wenigkeit nicht schaden«, versicherte der Butler. Bevor Lady Simpson sich einschalten konnte, läutete das Telefon. Hetty Palmer, die sich ebenfalls im Hotelzimmer befand, hob den Hörer ab, um ihn dann kommentarlos an Parkers Kollegin
weiterzureichen. »Ja, Kindchen?« Lady Simpsons Stimme klang hoffnungsfroh und unternehmungslustig. Sie hörte einen Moment zu, nickte mehrfach und sagte dann: »Was Sie nicht sagen, Kathy! Das hört sich ja überraschend gut an. Wir werden kommen!« »Richmond?« fragte Rander, als Agatha den Hörer aufgelegt hatte. »Richmond«, bestätigte die kriegerische, alte Dame. »Kathy Porter rief vom Bahnhof aus an. Richmond und Lansing sind mit etwas Handgepäck gerade dort angekommen. Sie wollen wohl den Mittagszug nehmen.« »Wenn ich Sie noch mal bemühen darf, Sir?« Parker hatte sich seinem jungen Herrn zugewandt. »Aber gern«, meinte Rander lächelnd, »Richmond scheint zu ahnen, in welcher Zeitnot ich mich befinde.« * Richmond ließ den kleinen schwarzen Diplomatenkoffer nicht aus der Hand. Zu wertvoll war dessen Inhalt. Der Koffer enthielt gewisse Gehaltslisten. Auf diesen befanden sich die Namen der Personen, die von ihm entweder einmalig geschmiert worden waren, oder aber regelmäßige Schmiergelder bezogen. Diese Listen waren Gold wert. Wer sich einmal hatte bestechen lassen, der kam einem Les Richmond nicht mehr aus, der blieb an der Kette und mußte immer weitere Informationen liefern. In diesem kleinen schwarzen Aktenkoffer befanden sich aber auch jene Beweisstücke, die gegen Lansing gerichtet waren. Sie bewiesen seine wahre Identität und machten den Sekretär zu einem willfährigen Instrument. Josuah Parker beobachtete von der Straße aus den ImmobilienHai, der einen leicht angeschlagenen und niedergedrückten Eindruck machte. Lansing verließ ihn gerade und ging zu den Fahrkartenschaltern hinüber. Warum Richmond die Bahn bevorzugte, lag auf der Hand. Mitgenommen von den gerade geführten, diversen Unterhaltungen wollte Richmond sich wahrscheinlich in das Abteil eines Schlafwa-
gens zurückziehen und der Ruhe pflegen. Parker verließ seinen Beobachtungsposten und passierte Lady Simpson und Mike Rander, die in Deckung eines Zeitungskioskes standen. »Wohin will er denn?« erkundigte sich Lady Simpson. »Wir können uns auf ihn verlassen«, meinte Rander. Er sah seinem Butler nach, der unter den Arkaden einer nahen Häuserzeile verschwand. Dort gab es Geschäfte verschiedener Art. »Da wir gerade von Ihrem Butler sprechen«, nahm Lady Simpson den Faden wieder auf. »Sie sind sicher, daß Sie ihn nicht entlassen werden?« »Sehr sicher, Mylady.« »Ich würde ihn sonst sofort übernehmen!« »Fragen Sie Parker! Wenn er will, kann er natürlich gehen. Sie wissen ja längst, daß er kein Angestellter von mir ist. Er ist ein Freund!« »Ich weiß, ich weiß. Und das macht die Sache ja so schrecklich schwer. Er scheint etwas gegen mich zu haben.« »Vielleicht haben Sie sich bisher noch nicht eindeutig genug ausgedrückt, Lady Agatha. Bieten Sie ihm Kriminalfälle an! Und er wird Ihr Begleiter sein.« »Also, das kann ich ihm mit Sicherheit bieten. Was schleppt er denn dort heran?« »Einen schwarzen Aktenkoffer«, sagte Rander. »Er scheint einen kleinen Austausch vorzuhaben.« * Richmond stand am Bahnsteig und wartete auf die Rückkehr seines Sekretärs. Er hatte eine Art Zwischenbilanz gezogen. Mit dem Einstieg in den Jet-Set und in das große, seriöse Baugeschäft war es also nichts geworden. Neue Bindungen waren nicht zu knüpfen, dafür werden die Betroffenen schon sorgen, ob sie nun von roten Waldameisen gebissen worden waren, oder ob man sie in seinem Haus tief beleidigt haben mochte. Er mußte sich damit abfinden, Einzelgänger zu bleiben. Irgendwo in der Schweiz würde sich gewiß ein passendes Fleckchen finden lassen, um die Geschäfte in London noch nachdrücklicher betreiben zu
können. »Verzeihung!« sagte eine scheue Stimme, als Richmond überraschend hart angerempelt wurde. Er verlor das Gleichgewicht und gleichzeitig den Aktenkoffer aus der Hand. Sein rechter Arm und die Hand, die den Koffer hielt, waren wie gelähmt. Der Aktenkoffer purzelte zu Boden. »Oh, wie peinlich!« murmelte die scheue Stimme. Dann sah Richmond vor sich eine junge, aparte Rothaarige, die sich schnell bückte und ihm den schwarzen Aktenkoffer zurückreichte. Da Richmond seine rechte Hand nicht benutzen konnte, griff er mit der linken zu. Konsterniert sah er dann der jungen Rothaarigen nach, die bereits, zwischen den Reisenden verschwand. Sie schleppte eine große Reisetasche mit sich herum, in die sein Aktenkoffer glatt hineingepaßt hätte. Doch daran dachte Richmond im Moment nicht. Er beschäftigte sich mit seinem schmerzenden Arm, der noch immer wie lahm war. »Ist etwas passiert?« fragte Lansing, der zurückkam und das schmerzverzerrte Gesicht seines Chefs sah. »Mein Arm«, stöhnte Richmond. »Hat sich einer Ihrer Gäste noch mal sehen lassen?« mutmaßte Lansing schadenfroh. »Irgendeine Rothaarige.« »Rothaarige?« Lansing stutzte. Von Lasare und Feller wußte er nur zu gut von solch einer jungen Dame. Automatisch sah er auf den Aktenkoffer in der Hand seines Chefs und war beruhigt, denn der Koffer war noch vorhanden. »Steigen wir ein«, sagte Richmond elegisch. »Ich kann Locarno nicht mehr sehen.« »Moment mal.« Lansing stutzte, denn er hatte etwas entdeckt, was ihn alarmierte. Nämlich einen zweiten Richmond, der ebenfalls eine schwarze Aktentasche trug und ihm jetzt knapp zunickte. »Was ist denn?« fragte Richmond, der ahnungslos war. »Sind Sie wirklich Richmond?« fragte Lansing vorsichtig und mißtrauisch. »Sind Sie verrückt, Lansing?« fuhr Richmond seinen Sekretär an. Lansing zögerte mit der Antwort. Er wollte sich nicht festlegen. Er sah an dem vor ihm stehenden Richmond vorbei und hin-
über zu dem zweiten Richmond, der jetzt warnend den Zeigefinger hob und dann mit der Faust einen unsichtbaren Gegner niederschlug. Lansing begriff! Der vor ihm befindliche Richmond war das Double. Der Richmond hingegen, der neben der gußeisernen Säule des Bahnhofsdachs stand, war sein richtiger Chef. Und dieser Richmond zeigte ihm an, wie er sich verhalten sollte. Lansing schlug also zu. Trocken und hart! Richmond kickste überrascht auf, als ihn ein erster Magenhaken traf. Er knickte ein und fing sich Bruchteile von Sekunden später bereits den nächsten Schlag ein. Lansing legte alle Kraft in den Schlag, denn er wollte zumindest das Double hart treffen, wenn er an den richtigen Richmond schon nicht heran durfte. Richmond richtete sich auf, wollte ihm etwas zurufen, bekam aber den Mund geschlossen. Lansing legte all seinen Groll gegen den richtigen Richmond in die Schläge, und er hatte keine Ahnung, daß er genau den Mann traf, den er meinte, nämlich den originalen Richmond! Der zweite Richmond neben der gußeisernen Säule applaudierte ihm anerkennend und nickte dankbar. Dann lag der richtige Richmond zu Lansings Füßen und war groggy. »Verhaften Sie diesen Gauner«, sagte Lansing dann zu zwei herbeieilenden Bahnhofsbeamten. »Ein Schwindler, der sich für meinen Chef ausgibt…« Dann drehte Lansing sich schwer atmend zu dem anderen, seiner Ansicht nach richtigen Richmond um, doch der war verschwunden! Er schien vom Erdboden verschluckt worden zu sein. Lansing rannte den Bahnsteig entlang und prallte zurück, als er auf Lady Simpson stieß, die ihn kühl anlächelte und ihm applaudierte. Lansing rannte weiter und wurde bereits etwas unsicher. Er stieß auf Kathy Porter, die ihm scheu zulächelte, worauf Lansing sich leicht verfärbte. Hinter der nächsten Säule fand er Hetty Palmer. Auch sie applaudierte und deutete dann auf die nächste Säule, die Lansing hastig ansteuerte. »Gehe ich richtig in der Annahme, daß Sie Mister Richmond su-
chen?« erkundigte sich Josuah Parker, der plötzlich vor Lansing stand. »Na… Natürlich«, stotterte Paul Lansing. »Dieser Mister Richmond ist gerade verhaftet worden«, sagte Parker und deutete auf die beiden Beamten, die den richtigen Richmond abführten, wobei sie ihn halb tragen mußten, da er noch unter den Boxhieben litt. »Oder suchen Sie vielleicht jenen Mister Richmond?« erkundigte sich Parker und deutete über das seitliche Sperrgitter hinüber auf die Straße. Lansing erstarrte erneut. Ein anderer, zweiter Mister Richmond drehte sich gerade zu ihm um, lächelte breit und verschwand dann in einem Taxi. »Halt…!« brüllte Lansing und rannte zurück zu dem benommenen Richmond, der gerade in die Bahnhofswache getragen wurde. »Ein Irrtum! Ich habe den falschen Mann erwischt!« »Aha!« sagte einer der Beamten. »Der richtige ist draußen vor dem Bahnhof«, sagte Lansing hastig. »Das heißt, es ist genau umgekehrt. Das ist nämlich so…« Die beiden Beamten sahen sich in stillem Einverständnis an und drückten Lansing dann auf einen Stuhl. »Nun mal ganz ruhig«, sagte der Beamte dann in einem Ton, als habe er es mit einem geistig Verwirrten zu tun. »Tief durchatmen und entspannen! Das kommt ja alles wieder ins Lot.« »Sie Idiot!« brüllte Richmond, der sich etwas erholt hatte. Er war aufgesprungen, sah Lansing vor sich, der ihn nach allen Regeln der Kunst verprügelt hatte, und warf sich auf ihn. »Laß sie«, sagte der Beamte, als Lansing und Richmond sich verprügelten. »Solange sie kein Bahneigentum beschädigen, soll’s mir recht sein. So etwas beruhigt!« Lansing und Richmond hörten nicht sonderlich zu. Sie waren vollauf damit beschäftigt, sich gegenseitig die Meinung zu sagen, ungeschminkt und offen. * Josuah Parker sah der Maschine nach, die sich gerade vom Rollfeld abhob und an Höhe gewann. »Nur keine unnötige Rührung«, raunzte Lady Simpson ihn an.
»Sie werden ihn ja wiedersehen.« »In Mister Rander sah ich zeitweise eine Art Sohn, wie ich Mylady versichern darf«, gestand Josuah Parker. »In mir werden Sie mit Sicherheit nie eine Art Tochter erblicken können«, gab Agatha Simpson brummig zurück. »Reißen Sie sich los, Mister Parker!« »Wie Mylady meinen.« Parker schritt mit Agatha Simpson zurück zu seinem hochbeinigen Wagen, wo Kathy Porter sie, scheu wie immer, bereits erwartete. Parker dachte an seinen jungen Herrn, von dem er sich für eine längere Zeit verabschiedet hatte. Parker hatte eingesehen, daß ihm jetzt nur noch eine Lady Simpson die gewohnten und geliebten Abenteuer bieten konnte. Rander war beruflich einfach zu sehr in Anspruch genommen. Sein junger Herr war zusammen mit Hetty Palmer in Richtung Zürich unterwegs. In Richmonds Aktenkoffer hatten sich erfreulicherweise auch noch die Beweise dafür finden lassen, daß ihr Bruder Norman unschuldig gewesen war. Insgesamt reichte das Material im Aktenkoffer dafür aus, Richmond das schmutzige Handwerk zu legen. Mike Rander hatte zugesagt, die Unterlagen den Justizbehörden in London zu überreichen, ohne allerdings auf Einzelheiten einzugehen. Damit war der Immobilien-Hai und Gangster im Frack erledigt. Richmond brauchte nur noch darauf zu warten, bis man ihn den zuständigen Behörden überstellte. Die Liste der bestochenen Personen redete eine überdeutliche Sprache. Und Lansing, einmal unter seinem richtigen Namen bekannt, würde nicht zögern, seinen ehemaligen Chef noch zusätzlich zu belasten. Parker hatte, was das anbetraf, so seine Erfahrungen und daher auch keine Sorgen. Gauner belasteten sich mit Vorliebe gegenseitig. »Wird Ihr Wagen eine längere Fahrt durchhalten?« erkundigte sich Lady Simpson etwas skeptisch bei Parker. »Mylady werden zufrieden sein«, erwiderte Parker gemessen und würdevoll, während Kathy Porter in sich hineinlächelte. Sie hatte schließlich erfahren, was unter dem eckigen’ Blech steckte. »Dann genieren Sie sich nicht«, sagte Lady Agatha mit tragender Stimme, »zurück ins Hotel, Mister Parker und dann anschließend nach Norden!«
»Ein neuer Fall, Mylady?« fragte Parker hoffnungsvoll. »Wo eine Lady Simpson erscheint, wird es immer Verwicklungen geben«, verkündete die 60jährige optimistisch, eine Behauptung, der Parker auf keinen Fall widersprechen wollte. Er, verfügte ja bereits über einschlägige Erfahrungen, wie sich in der Vergangenheit gezeigt hatte. PARKER zwingt den Boß zu Boden Die Ausplünderung des Juweliergeschäftes hätte gar nicht stilechter sein können. Von zwei Motorrädern aus zerschlugen zwei Beifahrer die dicke Schaufensterscheibe. Dann rauschte ein offener Sportwagen heran, dessen Mitfahrer die Schätze kassierte. Dies alles spielte sich innerhalb von knapp 60 Sekunden ab, und zwar auf offener Straße unter den Augen einer vielköpfigen Zuschauermenge, die fasziniert mitging und beinahe begeistert war… Wie übrigens auch Josuah Parker, der zusammen mit Mike Rander und Vivi Carlson durch die Straße lustwandelte und sich dann die Außenaufnahmen für das französische Fernsehen ansah. Bis alle merkten, daß sie raffiniert hereingelegt worden waren… Parkers leichte Beschämung verwandelte sich in Bestürzung, als der Boß der Steinesammler ihm ans Leder wollte. Was sich hieraus ergab, müssen Sie einfach lesen! Josuah Parker, wie immer gegen Gewalt und Brutalität, mußte sich plötzlich sehr unkonventioneller Gangster erwehren, die hier in Paris ihren eigenen Stil entwickelt hatten… ENDE Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen neuen PARKERKrimi, der vor Spannung knistert und dennoch die Lachmuskeln ausgiebig kitzelt. Kenner wissen, warum sie PARKER lesen. Als Butler-Parker-Krimi bringen wir in Neuauflage demnächst die Nr. 94 PARKER und das Girl-Quartett ebenfalls von Günter Dönges.