Butler Parker Neu Nr. 302
Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker reizt di...
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Butler Parker Neu Nr. 302
Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker reizt die Chef-
Etage
Als das zweite Hinweisschild auf ein Restaurant namens »Swan« am Straßengraben erschien, räusperte sich Agatha Simpson explosionsartig. Sie machte Butler Parker klar, daß ihr Kreislauf in Begriff war, in sich zusammenzubrechen. »Es könnte natürlich auch mein Blutzucker sein«, fügte sie hinzu. »Ich will mich nicht festlegen, Mister Parker.« »Mylady sehen sich außerstande, bis nach London durchzufahren?« fragte Josuah Parker höflich.
Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und bewegte das ehemalige Londoner Taxi durch die Dunkelheit.Man hatte Henley-onThames gerade passiert und befand sich auf einer recht einsamen Landstraße, die Parker aus Gründen der Abkürzung bevorzugte. »Diese Fahrt halte ich auf keinen Fall mehr durch«, behauptete Lady Agatha. »Ich muß unbedingt eine Kleinigkeit zu mir nehmen, Mister Parker. Oder wollen Sie mich etwa umbringen?«
Die Hauptpersonen: Don Dragsler Joe Ketting Ernie Catlin Horace Pickett
richtet Parties und Morde aus. badet in Kartoffeln. lockt mit einer Brieftasche. liefert dem Butler die genauen Adressen und spielt sie ihm geschickt zu. Agatha Simpson frönt am liebsten ihrer Spezialität (Ohrfeigen), auch wenn die Freundschaft mit Sir Charles auf dem Spiel steht. Vern Boltman, Ricardo machen ihren Mafia-Ausflug an die Themse, Clapster und Art Ruskin wobei selbst Spitzengangster Lehrgeld zahlen.
»Dies, Mylady, liegt keineswegs in meiner Absicht«, gab der Butler gelassen zurück. Er war ein altersloser, fast schlanker Mann, etwas über mittelgroß und bot das Bild eines hochherrschaftlichen englischen Butlers. Agatha Simpson hingegen war eine majestätische Erscheinung, die das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte. Sie war füllig und verfügte über eine sonore Stimme, vergleichbar einer Bühnen-Heroine. Sie saß im Fond des hochbeinigen,
eckigen Wagens und nahm gerade ein drittes Hinweisschild zur Kenntnis. In diesem Augenblick wußte sie, daß sie sterben würde. Sie erklärte dies jedenfalls mit immer schwächer werdender Stimme. »Könnten Mylady möglicherweise noch einige Minuten warten?« erkundigte sich Josuah Parker. Es gab nichts, was diesen Mann aus der Ruhe brachte. »Womit soll ich denn warten?« fragte sie. »Mit dem erwähnten Akt des Sterbens, Mylady. Falls es genehm ist, könnte man auf schnellstem Weg den bereits mehrfach gepriesenen Gasthof ansteuern.« »Hoffentlich werde ich die Zeit noch durchstehen«, gab die ältere Dame zurück. »Etwas Roastbeef, eine kleine Nierenpastete und vielleicht ein kleines Stück Apfelkuchen müßten eigentlich schon reichen.« Sie aß unverschämt gern, obwohl sie ununterbrochen strenge Diät hielt, wie sie behauptete. Parker hatte ihren sogenannten körperlichen Zusammenbruch natürlich erwartet. Er war eindeutig vom ersten Hinweisschild auf den ländlichen Gasthof ausgelöst worden. Der Butler lenkte sein betagt aussehendes Gefährt in eine schmale Zufahrtstraße und brauchte nicht lange, bis im Licht der Scheinwerfer der Gasthof zu sehen war. Es handelte sich um einen alten Fachwerkbau, der selbst bei dieser Beleuchtung ausgesprochen malerisch wirkte. Die Lichter des Wagens erfaßten die bleiverglasten Scheiben, das sicher schon alte Schild über dem Eingang und dann noch einen Mann, der auf einer Bank rechts davon saß und gerade aufstand. Der Dreißigjährige war mittelgroß und schlank, trug einen modisch geschnittenen Anzug, rückte sich den Hut tiefer in die Stirn und breitete die Arme aus. Josuah Parker hielt an und bemühte sich nach draußen. Er lüftete höflich die schwarze Melone.
»Muß man Ihre Armbewegung als ablehnende Geste interpretieren?« fragte er. »Muß man«, gab der Mann zurück. »Wir haben geschlossen.« »Obwohl heute Dienstag ist?« »Was hat das mit dem Dienstag zu tun?« wollte der Mann wissen. Er war aus dem Scheinwerferlicht getreten und baute sich vor dem Butler auf. »Diversen Hinweistafeln auf der Landstraße ist zu entnehmen, daß man Mittwochs geschlossen hat.« Parkers Rede war überaus korrekt, was auch seinen Tonfall betraf. »Wir haben eben heute zu«, stellte der Mann klar. »Papperlapapp«, schaltete sich Lady Agatha in diesem Augenblick ein. »Ich brauche einen Cognac für meinen Kreislauf, junger Mann.« »Ein paar Meilen weiter ist der nächste Gasthof«, lautete die Antwort. »Das hier, junger Mann, ist mein Gasthof«, entschied Lady Agatha. Sie war nicht gewillt, sich so ohne weiteres abspeisen zu lassen, setzte ihre majestätische Fülle in Bewegung und ignorierte ihr Gegenüber. »Halt, gehen Sie nicht weiter«, forderte der Mann umgehend. »Heute ist hier dicht.« »Wollen Sie mich etwa aufhalten?« reagierte Lady Agatha empört. »Worauf Sie sich verlassen können.« Der Mann verstellte der älteren Dame mehr als leichtsinnig den Weg und ... stöhnte einen Moment später betroffen. Agatha Simpson hatte wenig damenhaft zugetreten, ungeniert und kraftvoll. Sie hatte das linke Schienbein des Mannes erwischt und nickte schadenfroh, als der Getroffene auf dem noch intakten Bein hüpfte. »Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau zu
belästigen«, raunzte sie. »Ich könnte sonst ärgerlich werden.« Der Mann, der sich inzwischen von seiner ersten Überraschung erholt hatte, schien den Hinweis der Lady Agatha nicht gehört zu haben. Er beging den nächsten Fehler und langte durchaus profihaft unter die linke Seite seines Sakkos.
Butler Parker war im Grund gegen jede Eskalation. Dennoch sah er sich gezwungen, mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes gezielt und dosiert zuzuschlagen. Da dieser Schirmgriff mit Blei ausgegossen war, reichte ein kurzes Antippen völlig aus, den Mann von den Beinen zu bringen. Er sackte in sich zusammen und blieb vor Myladys nicht gerade kleinen Füßen liegen. »Daß Sie immer gleich übertreiben müssen, Mister Parker. Kommen Sie, ich werde mir dieses Gesindel aus der Nähe ansehen.« Parkers Herrin war nicht zu bremsen. Lady Agatha kannte weder Angst noch Vorsicht. Sie fühlte sich als einmalig begabte Kriminalistin und witterte überall und stets aufregende Abenteuer. Animiert schritt sie zum Eingang des Gasthofes, setzte dabei ihren perlenbestickten Pompadour in Bewegung und übersah, daß hinter den Frontfenstern tatsächlich kein Licht brannte. Josuah Parker schloß zu ihr auf, um sie wieder mal vor Schaden zu bewahren. Er kannte ihr Ungestüm nur zu gut. Die Tür war nicht verschlossen. Der Butler drückte sie vorsichtig auf und übernahm die Führung durch eine kleine
Halle, deren niedrige Decke von mächtigen Balken geziert wurde. Agatha Simpson, die dicht hinter ihm war, sog geradezu schnaufend die Luft ein. Parker wußte, was sie roch, nämlich frischen Bratenduft, der die ganze Halle füllte. Er folgte einem Lichtschein in der Tiefe der Halle, hörte das Klappern von Geschirr, dann Stimmen und schließlich Schritte. Vorsichtig pirschte er sich an eine nur angelehnte Tür heran und blickte in einen Korridor, in dem gerade zwei Männer mit großen Tabletts erschienen. »Vielleicht eine geschlossene Gesellschaft, Mylady«, sagte er leise zu Agatha Simpson. »Sie wird es nicht mehr lange sein«, kündigte die Energische nicht gerade leise an. »Für eine erschöpfte Dame wird man doch wohl noch eine Kleinigkeit abzweigen können, oder?« Mylady war nicht zu bremsen. Sie überholte den Butler, marschierte durch den Korridor, der mit Sandsteinplatten ausgelegt war, und blickte dann geradezu lüstern in einen mittelgroßen Saal, in dem ein festlich gedeckter Tisch stand. Daran saßen ausschließlich mehr oder weniger beleibte Männer, die keineswegs begriffen, wer da erschien. »Guten Abend, die Herren«, dröhnte Lady Agathas Organ in das Stimmengewirr und löste unmittelbar darauf eine Art Totenstille aus. Alle Gäste am Tisch wandten sich der Korpulenten zu, die ungemein charmant lächelte. »Man erlaubt sich, einen wunderschönen Abend zu wünschen«, fügte der Butler hinzu und lüftete höflich die schwarze Melone. »Wer ... Wer sind denn Sie?« fragte jetzt einer von den Männern und stand schnell auf. Er war mittelgroß, hatte einen Bauch und ein sehr gerötetes Gesicht. Seine Glatze war ausgeprägt. Er trug einen Smoking, kam um. den Tisch herum und winkte den übrigen Gästen beruhigend zu.
»Mylady benötigt umgehend eine kleine Erfrischung«, sagte Josuah Parker und deutete eine Verbeugung an. »Die Anfänge eines Kreislaufkollapses, wenn Sie verstehen ...« »Wie sind Sie eigentlich reingekommen?« fragte der Bauchinhaber, der Mylady und den Butler inzwischen erreicht hatte. Er schien sehr nervös zu sein. »Stellen Sie gefälligst keine dummen Fragen«, polterte Agatha Simpson los. »Reichen Sie mir erst mal einen Cognac. Sehen Sie denn nicht, wie schlecht es mir geht?« »Kommen Sie nach vorn«, bat der Mann mit Bauch beschwörend. »Sie sollen bekommen, was Sie nötig haben, Lady, wirklich.« »Das hört sich schon besser an«, fand die ältere Dame und nickte wohlwollend. »Es geht doch, wenn man nur will.« Der Mann komplimentierte Parker und Mylady in die Halle zurück und deutete auf eine Sitzgruppe neben dem Kamin. »Sie werden sofort bedient, wirklich. Wir feiern unser ... äh ... ja, wir feiern unser Firmenjubiläum.« »Keine Einzelheiten«, meinte Agatha Simpson und ließ sich nieder. »Wir werden nicht weiter stören.« »Sie sind mit dem Wagen unterwegs?« fragte der Mann. »Ich werde wohl kaum mit einem Hubschrauber gekommen sein«, raunzte Lady Simpson. »Stellen Sie keine so dummen Fragen, sondern schicken Sie mir Ihren Kellner.« »Alles zu Ihrer Zufriedenheit«, versicherte der Bauchige und wieselte davon. Lady Agatha blickte sich im Halbdunkeln der Halle zufrieden um und nickte danach Parker zu. »Mir geht es bereits wesentlich besser«, sagte sie. »Sie können sich selbstverständlich auch etwas bestellen, zum Beispiel ein Glas Eiswasser oder so. Sie wissen, daß Sie noch fahren müssen.«
»Falls Mylady einverstanden sind, wird meine Wenigkeit eine Inspektion der Küche vornehmen«, sagte Parker. Er wartete diese Erlaubnis allerdings nicht ab, sondern ging sofort zurück in Richtung Korridor und entdeckte dort den bauchigen Mann, der sich mit zwei Gästen mehr als lebhaft unterhielt. Seine Gesprächspartner redeten wütend auf ihn ein. Dann winkte einer von ihnen einen Kellner heran und deutete in Richtung Parker, den er natürlich nicht sehen konnte. Der Butler zog sich zurück und baute sich neben der Tür auf, die bald darauf bereits vorsichtig aufgedrückt wurde. Der Kellner erschien und hielt eine Schußwaffe in der rechten Hand. Es handelte sich um eine Automatic mit einem überlangen Schalldämpfer. Parker verzichtete auf jede Höflichkeit und setzte erneut den Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes ein. Der Mann brach sofort in sich zusammen und warf ungewollt die Waffe weg. Sie wäre mit letzter Sicherheit auf den Sandsteinplatten aufgeschlagen, doch Parker reagierte bemerkenswert schnell. Er versetzte einer Kokosmatte einen gezielten Tritt und veranlaßte sie auf diese Weise, über die Steinplatten in die Tiefe der Empfangshalle zu schlittern. Als die Automatic zur Landung ansetzte, lag die Kokosmatte genau richtig, nahm die Waffe auf und dämpfte den Fall. »Ist da wer?« erkundigte sich Lady Agatha, die ein Geräusch gehört hatte. »Mister Parker, sind Sie es?« »In der Tat, Mylady«, antwortete der Butler. »man scheint die Absicht gehabt zu haben, Mylady auf eine seltsame Art bedienen zu wollen.«
»Was soll das heißen?« Agatha Simpson wuchtete ihre Fülle hoch und kam dabei an der Matte vorüber. Sie stolperte natürlich prompt über die Waffe, beförderte sie mit Schwung von der weichen Unterlage und ließ sie über die Steinplatten segeln. Das Schießeisen landete scheppernd an der Wand. »Was soll das?« grollte die Detektivin. »Nach Lage der Dinge scheint man hier ein mehr als seltsames Firmenjubiläum zu feiern«, beantwortete der Butler die Frage. »Statt einer Erfrischung wollte man Mylady eine Automatic servieren.« »Wie interessant!« Sie machte sofort einen animierten Eindruck. »Und was schließe ich daraus?« »Die Sicherheitsnormen dieser Firma dürften ungemein hochgesteckt sein, Mylady.« »Ich sollte mit diesen Männern ein sehr ernstes Wort reden«, überlegte sie halblaut. »Vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt, Mylady«, schlug der Butler vor. »Momentan ist es angeraten, das sprichwörtliche Weite zu suchen.« »Ausgeschlossen! Eine Lady Simpson räumt niemals das Feld ...« »Aus Gründen einer Taktik, die Mylady allein bestimmen.« »Das hört sich allerdings schon besser an«, sagte sie und ging hinüber zur Eingangstür. »Man sollte möglicherweise einen Nebenausgang benutzten, Mylady.« »Dann bieten Sie mir gefälligst etwas Entsprechendes an, Mister Parker«, verlangte sie. »Überzeugt haben Sie mich noch längst nicht.« Josuah Parker übernahm die Führung und öffnete eine Tür, die neben einer kleinen Rezeptions-Theke zu sehen war. Er drängte seine Herrin in den dahinter liegenden Raum, querte
die Halle und öffnete die Eingangstür, die er dann angemessen laut ins Schloß zurückwarf. Er hatte die Rezeption noch nicht ganz erreicht, als zwei weitere Kellner in die Halle stürmten. Sie hatten das Zufallen der Tür gehört und gingen davon aus, daß die beiden Besucher sie gerade benutzt hatten. Parker verschwand in dem Raum, in dem Mylady stand. »Sie werden mich selbstverständlich wieder mal in die Irre führen«, mäkelte sie. »Man kennt das ja, Mister Parker.« »Der Zufall sollte in der Tat schon auf Myladys Seite sein«, gab der Butler zurück. »Die Dinge treiben einem Höhepunkt zu, der nur in Umrissen abzuschätzen ist.«
Der Bauchinhaber verteidigte sich aufgeregt und widersprach zwei anderen Jubiläumsteilnehmern, die nicht identisch waren mit jenen, die Parker zusammen mit ihm im Korridor gesehen hatte. Diese beiden Festteilnehmer waren nicht weniger aufgeregt als der bauchige Mann. Einer der beiden Männer trug einen sorgfältig zurechtgestutzten Oberlippenbart, der zweite eine randlose Brille, die auf einer erstaunlichen Knollennase thronte. » ... verantwortlich für unsere Sicherheit«, blaffte der Brillenträger den Bauchigen an. »Laß dir sagen, daß das hier stümperhaft war.« »Ich habe einen Spitzenmann vor's Haus gestellt«, antwortete der Bauchige wütend. »Und warum hat er die beiden Tölpel ins Haus gelassen?« wollte der Bartträger wütend wissen. »Ich weiß es nicht, verdammt«, fuhr ihn der Bauchige an.
»Nur keine Aufregung, Freunde, das renkt sich alles ein. Meine Leute sind bereits draußen und machen Treibjagd auf die beiden Typen.« »Das waren keine Zufallsbesucher«, sagte der Träger der Knollennase und zwang sich zur Ruhe. »Niemals«, pflichtete ihm der Bartmensch bei. »Die haben immerhin einen unserer Leute auf den Boden geschickt.« »Das waren reine Zufallsgäste«, verteidigte sich der Bauchige nachdrücklich. »Genau so und nicht anders sahen die doch aus.« Parker hatte genug gehört. Er wußte, daß Mylady und er unter Zeitdruck standen. Man machte also Treibjagd auf Agatha Simpson und ihn. Das konnte nur bedeuten, daß man es mit Männern zu tun hatte, die zur Unterwelt gehörten. Man mußte also schnell und diskret diesen Gasthof verlassen und zum Wagen zurückkehren. Natürlich mußte man dieses Fahrzeug bereits entdeckt haben, daran bestand kein Zweifel. Und sicher war, daß man es jetzt bewachen würde. Parker war froh, daß er beim Aussteigen automatisch die interne Sicherheitsanlage eingeschaltet hatte. Ein Öffnen der Wagentüren war unmöglich. Dazu hätte man starkes Werkzeug gebraucht. Die drei Männer verließen den Raum, in dem sie sich unterhalten hatten, und gaben damit den weiteren Fluchtweg frei. Agatha Simpson schien zu spüren, wie brandgefährlich die Situation war. Sie verzichtete auf jeden Kommentar und folgte ihrem Butler dichtauf. Wie gereizt sie aber innerlich war, konnte man an den Pendelbewegungen des perlenbestickten Pompadours ablesen. Parker öffnete eine weitere Tür und blickte prüfend in einen
langgestreckten Raum, in dem das Porzellan des Gasthofes aufbewahrt wurde. Es stand in langen Regalen an den Wänden und lud zur Benutzung ein. Aus Instinkt nahm Parker einige bauchige Milchkännchen und gab seiner Herrin damit ein Beispiel. Auch sie bediente sich ungeniert und bewaffnete sich mit zwei Zuckerdosen und einer Teekanne. Wie Parker Mylady kante, hoffte sie nun, die Souvenirs auch einsetzen zu können. Sie brauchte nicht lange zu warten. Plötzlich wurde hinter ihr die Tür aufgerissen. Ein weiterer Gast erschien auf der Bildfläche und blieb überrascht stehen. Dieser Mann hatte eine dicke Warze am rechten Kinn, die allerdings gerade überdeckt wurde. Lady Agatha hatte eine der beiden Zuckerdosen geopfert und sie dem Mann kraftvoll an den Kopf geworfen. Da sie leidenschaftlich, aber schlecht Golf spielte, war ihre Oberarmmuskulatur entsprechend gut ausgebildet. Der Wurf fiel deshalb vehement aus. Der Getroffene produzierte einen erstickten Kickser, faßte an sein Kinn, verdrehte die Augen und fiel dann gegen ein Regal. Da er nicht gerade schlank war, brachte er einige Regalbretter aus der Halterung und sorgte dafür, daß sich Porzellan aller Art über ihn ergoß. Parker hörte das Scheppern und Klirren selbst dann noch, als Mylady und er bereits im Freien waren. Die beiden Zufallsgäste befanden sich inmitten einer Anzahl geparkter, teurer Nobelkarossen und gingen hier erst mal in Deckung. Das Scheppern des Porzellans sorgte dafür, daß einige Gestalten aus dem rückwärtigen Garten herbeieilten und im Haus verschwanden. Man nahm sich nicht die Zeit, die Wagen zu kontrollieren. »Jetzt könnten auch Sie endlich mal etwas tun«, meinte die ältere Dame in Richtung Parker. »Knacken Sie einen der Wagen, Mister Parker. Mir wäre ein Rolls durchaus angenehm.
Es muß doch hier in der Gegend noch andere Gasthöfe geben, denke ich.«
»Und Sie wurden fündig?« fragte Mike Rander später. Agatha Simpson und Butler Parker waren im altehrwürdigen Fachwerkhaus in Shepherd's Market eingetroffen. »Mylady speiste nach diesem Intermezzo in einem SchnellRestaurant«, beantwortete der Butler die Frage, da seine Herrin beschäftigt war. Er hatte ihr einen mitternächtlichen Imbiß serviert, nur eine Kleinigkeit, wie sie es nannte. Lady Agatha erfreute sich an kaltem Braten, Toast und etwas Geflügelbrust. Mike Rander, vierzig, groß und schlank, erinnerte an einen bekannten James-Bond-Darsteller. Seine Bewegungen waren lässig und drückten schon fast so etwas wie Phlegma aus. Er war in Begleitung von Kathy Porter, die im Haus der älteren Dame als Sekretärin und Gesellschafterin fungierte. Kathy Porter war ebenfalls etwas über mittelgroß, gertenschlank und eine attraktive Erscheinung. Auf den ersten Blick erinnerte sie wegen ihrer braunen Haare mit dem Rotstich an ein etwas scheues Reh, doch dieser Eindruck täuschte. Sie konnte zu einer Pantherkatze werden, wenn sie angegriffen wurde. »Ich hatte die Situation selbstverständlich im Griff«, behauptete Lady Agatha und nahm genußvoll einen Schluck Rotwein. »Ich deckte Mister Parker den Rücken, als er die beiden Subjekte ausschaltete, die den Wagen bewachten.« »Mittels der Gabelschleuder- war dies auf keinen Fall ein Problem«, machte der Butler deutlich. »Aber man muß natürlich unterstellen, daß die Teilnehmer an der erwähnten Jubiläumsfeier sich das Kennzeichen des Wagens gemerkt
haben dürften.« »Davon sollten Sie ausgehen, Parker«, antwortete der Anwalt lächelnd. »Und auch davon, daß sich bald eine Menge Ärger einstellen wird.« »Mir kommt da gerade eine Idee«, ließ Mylady in sonorer Rede wissen. »Ich habe vor einiger Zeit einen recht hübschen Kriminalfilm gesehen, in dem es auch eine Jubiläumsfeier gab. Teilnehmer daran waren Spitzengangster! Ich hoffe, Ihnen ist bereits ein Licht aufgegangen.« »Es brannte bereits, Mylady«, sagte Rander. »Ihr Spürsinn hat Sie direkt in eine Geheimsitzung eines Gangster-Syndikats geführt.« »Das muß mit meinem Horoskop zusammenhängen«, redete sie weiter. »Für den heutigen Tag sagte es mir interessante Begegnungen voraus.« »Und Horoskope lügen nicht«, erwiderte der Anwalt. »Unsinn, mein Junge.« Sie lächelte wissend. »Ich glaube selbstverständlich nicht an solch einen Humbug. Aber sicherheitshalber lese ich es jeden Tag. Man kann ja schließlich nie wissen.« »Die Gangster wissen, daß man sie identifizieren kann«, warf Kathy Porter ein. »Deshalb dürfte man die Treibjagd auf Sie veranstaltet haben.« »Dann muß sich unter den Teilnehmern wenigstens eine Person befunden haben, die auf keinen Fall genannt werden möchte«, fügte Mike Rander hinzu. »Wie auch immer, mein Junge, ich bin sehr zufrieden mit mir«, stellte die Detektivin fest. »Dieser langweilige Kammermusikabend in Henley fand doch noch einen erfreulichen Abschluß.« »Sie besuchten ein Kammerkonzert?« wunderte sich Kathy. »Notgedrungen, meine Liebe«, bedauerte Lady Agatha. »In
Oxford fand schließlich für mich eine Ehrung statt.« »Davon wußten wir ja gar nichts«, war nun auch Mike Rander erstaunt. »Nicht der Rede wert«, meinte sie abfällig. »Man überreichte mir eine Ehrenplakette.« »Wegen Ihrer Studentenstiftung?« fragte Kathy. »Wahrscheinlich«, sagte die ältere Dame. »Ich habe nicht so genau hingehört, meine Liebe. Und was diesen Preis betrifft, wäre mir Bargeld wesentlich lieber gewesen. Kathy Porter und Mike Rander tauschten schnell einen Blick. Sie kannten die Sparsamkeit der Agatha Simpson, die oft an Geiz erinnerte. Die ältere Dame warf das Geld aber mit vollen Händen zum Fenstern hinaus, wenn es um ihr Hobby ging, sich als Kriminalistin zu betätigen. Auch sonst konnte sie durchaus spendabel sein. Doch bei Kleinigkeiten achtete sie verbissen auf jeden Penny. Trinkgeld kannte sie grundsätzlich nicht. »Haben wir in dieser Nacht noch was von den Jubiläumsfreunden zu erwarten?« fragte Rander und wandte sich an Parker. »Wohl kaum, Sir«, lautete die Antwort des Butlers. »Man wird erst noch feststellen müssen, wie gefährlich Mylady sich erweist.« »Ich hoffe doch sehr, daß man das inzwischen genau weiß«, entgegnete sie prompt. »Natürlich wird man noch in dieser Nacht versuchen, mein Haus zu stürmen, Mister Parker.« »Man wird Mylady vorbereitet finden«, erklärte der Butler. »Darauf können Sie sich verlassen.« Sie nickte nachdrücklich. »Mir entgeht nichts, das garantiere ich diesen Subjekten.«
Lady Agatha gab sich ungewöhnlich charmant. Sie breitete die Arme aus und bedachte McWarden mit gewinnendem Lächeln. Ihre an sich sehr dunkle Stimme schien mit Honig behandelt worden zu sein. »Mein lieber McWarden«, sagte sie. »Es ist immer wieder schön, Sie hier in meinem Haus zu sehen, auch wenn Sie unlängst schon in Ruhestand gehen wollten.« »Wie war das?« Der Chief-Superintendent stutzte, wurde leicht unsicher, erinnerte sich aber an Töne dieser Art. Normalerweise nutzte Lady Agatha jede Gelegenheit, ihn zu reizen. Dennoch kam der Yard-Beamte immer wieder nach Shepherd's Market, um sich Rat zu holen. Er leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit dem organisierten Verbrechen befaßte. Er war dem Innenministerium direkt unterstellt und schätzte als erstklassiger Kriminalist dennoch Parkers diskrete Hilfe. Dafür nahm er die mehr oder weniger deutlichen Anzüglichkeiten der Lady Simpson gern in Kauf. Der Fünfundfünfzigährige, mit deutlich ausgeprägtem Bauch und mit Basedowaugen Behaftete erinnerte stets an eine leicht gereizte Bulldogge, die im Augenblick allerdings völlig irritiert war. »Mister Parker wird Ihnen umgehend einen Drink servieren«, redete die Hausherrin weiter. »Sie brauchen sich allerdings ja nicht gerade zu betrinken.« »Moment mal, Mylady«, verwahrte McWarden sich mißtrauisch. »Sie laden mich ein, Sie bieten mir einen Drink an? Was wollen Sie von mir?«
»Wie leicht man doch mißverstanden wird«, seufzte die ältere Dame tragisch. »Ich hatte einfach das Bedürfnis, einen guten alten Freund zu sehen.« »Okay, was kann ich also für Sie tun, Mylady?« wollte McWarden wissen. Er nahm in einem der alten und tiefen Ledersessel vor dem großen Kamin. Platz und sah Agatha Simpson erwartungsvoll an. »Vielleicht hat Mister Parker ein paar Fragen an Sie, mein lieber McWarden«, sagte die Detektivin. »Aber so genau weiß ich das nicht.« »Der Sherry, Sir«, meldete Parker und reichte McWarden auf einem Silbertablett ein Glas. »Im Grund handelt es sich um eine Auskunft allgemeiner Art.« »Über dienstliche Dinge kann ich prinzipiell keine Auskunft geben«, schickte der Chief-Superintendent sofort voraus. »Indiskretionen, Sir, werden selbstverständlich nicht erwartet«, gab der Butler zurück. »Aber könnte es sein, daß man im Yard, speziell in Ihrem Dezernat, sich zur Zeit ganz besonders mit bereits bestehenden kriminellen Zusammenschlüssen befaßt?« »Worauf wollen Sie hinaus, Mister Parker?« McWarden stellte das Glas ab und blickte den Butler an. »Besteht ein vager Verdacht, Sir, daß es eventuell zu einem großen Zusammenschluß der bestehenden Organisationen kommen könnte?« »Warum klopfen Sie auf diesen Busch?« fragte der ChiefSuperintendent. »Nach privaten Informationen scheint man solch einen Zusammenschluß zu planen, Sir«, bluffte der Butler. »Die sogenannte Unterwelt scheint die Absicht zu haben, ihre Unternehmungen zu koordinieren.« »Wer hat davon berichtet? Wissen Sie mehr? Ich brauche
Einzelheiten, Mister Parker.« McWarden war wie elektrisiert. Oder er tat wenigstens so. »Beantworten Sie erst mal Mister Parkers Frage«, schaltete Lady Agatha sich ein. Sie schaffte es, ihren zuerst grollenden Unterton in freundliches Säuseln übergehen zu lassen. »Nun ja, Zusammenschlüsse werden immer wieder mal versucht«, antwortete der Chief-Superintendent vorsichtig. »Bisher konnten wir das aber stets verhindern.« »Gibt es eine bestimmte Person, Sir, die solch einen Zusammenschluß energisch vorantreibt?« erkundigte sich der Butler. »Und ob es den gibt.« McWarden nickte. »Don Dragsler heißt der Mann. Er zieht die Fäden. Dragsler ist ein brandgefährlicher Bursche, obwohl man ihm das nicht ansieht. Er hat einen Party-Service aufgezogen und mischt mit in der Schickeria der Stadt.« »Man müßte eigentlich mal eine hübsche Party veranstalten, Mister Parker«, ließ die ältere Dame sich nachdenklich vernehmen. »Eine Anregung, Mylady, die man in die Tat umsetzen sollte«, antwortete Josuah Parker. »Ich habe absolut nichts dagegen, wenn Sie sich mit Dragsler befassen«, sagte McWarden, »aber lassen Sie sich warnen, Mylady, dieser Mann ist kein üblicher Durchschnitt, der nimmt alles auf die Hörner, was sich ihm in den Weg stellt. Er selbst macht sich natürlich nie die Finger schmutzig, dafür hat er seine Handlanger.« »Ich denke, ich werde mich jetzt ein wenig zurückziehen«, erklärte Lady Agatha und stand auf. McWarden trank aus und erhob sich ebenfalls. Er nahm ein huldvolles Kopfnicken der Lady entgegen und wartete, bis sie im Korridor des Obergeschosses verschwunden war. Dann wandte er sich an den Butler.
»Unter uns, Mister Parker«, sagte er leise. »Sie haben doch was aufgeschnappt, nicht wahr?« »Sie dürfen versichert sein, daß man Sie rechtzeitig ins Bild setzen wird, Sir«, erklärte der Butler. »Darf man bei Gelegenheit mal einen mehr oder weniger flüchtigen Blick in Ihre sogenannte Täter-Kartei werfen?« »Jederzeit, Mister Parker.« McWarden lächelte flüchtig. »Ich höre schon heraus, daß sich da etwas anbahnt.« »Es ist Ihnen unbenommen, Sir, sich Gedanken zu machen«, lautete Parkers höfliche Antwort.
Agatha Simpson blickte sich geradezu lüstern um. In der Vorhalle des Bürohauses hingen bunte Schautafeln, auf denen in Groß- und Nahaufnahme die Angebote des PartyAusrichters abgelichtet waren. Rehrücken, Hummer, Fleischpasteten, aufgeschnittene Braten aller Art, Krebse, diverse Gemüsebeilagen und Desserts in den kühnsten Kombinationen luden dazu ein, hier schleunigst eine Bestellung aufzugeben. »Man wird fragen müssen, Mister Parker, ob man Proben mitnehmen kann«, sagte Agatha Simpson und leckte sich die Lippen. »Vergessen Sie nicht, sich danach zu erkundigen.« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, antwortete Parker. »Möglicherweise wird aber Mister Dragsler kaum in der Verfassung sein, entsprechende Fragen zu beantworten.« »Papperlapapp, Mister Parker, man muß nur nachdrücklich genug sein«, entschied sie. »Hier also residiert dieses Subjekt,
das ein kriminelles Monopol errichten will?« »So deutete Chief-Superintendent McWarden an, Mylady.« Der Butler schritt würdevoll voraus. Am angewinkelten linken Unterarm hing sein altväterlich gebundener UniversalRegenschirm. »Zu Mister Dragsler«, sagte Parker zu dem Portier, der bereits seine rundum verglaste Loge verlassen hatte und ihnen entgegenkam. »Das wird schwer sein«, erwiderte der etwa dreißigjährige Mann, der einen sehr wachen Eindruck machte. »Sie sind angemeldet?« »Eine Lady Simpson empfängt man auch ohne Anmeldung«, raunzte die ältere Dame den jungen Mann an. »Wo also finde ich Mister Draggel, oder wie immer er heißen mag?« »Mister Dragsler«, korrigierte der junge Mann. »Sie möchten den Party-Service in Anspruch nehmen? Ich empfehle Ihnen, sich deshalb mit Mister Ketting in Verbindung zu setzen. Er ist zuständig für den Service.« »Wie denke ich darüber, Mister Parker?« Sie wandte sich an ihren Butler. »Mylady sind durchaus geneigt, sich mit dem erwähnten Herrn zu unterhalten«, erwiderte Parker. Ihm kam es darauf an, erst mal in die Tiefe des Hauses zu gelangen. »Ich werde Mister Ketting sofort verständigen.« Der junge Mann ging geschmeidig zurück in seine verglaste Loge und telefonierte kurz. Er schien nicht zu wissen, wer Lady Simpson und Butler Parker waren. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich ein etwa vierzigjähriger Mann sehen ließ. Er trug einen weißen Kittel, strahlte Lady Agatha an und bat sie dann in den Besprechungsraum. Auf dem Weg dorthin erkundigte er sich nach der Zahl der Gäste, die zu bedienen wären.
»Wir stellen selbstverständlich nicht nur die Speisen«, sagte er. »Je nach Umfang der Bestellung werden hauseigene Köche diese Speisen aufstellen, dekorieren und servieren. Auf Wunsch liefern wir selbstverständlich auch das benötigte Porzellan.« »Ich kaufe niemals die Katze im Sack«, erklärte Agatha Simpson. »Ich werde mir Ihre Küche ansehen und auch ein paar Kostproben nehmen, junger Mann.« »An wie viele Personen haben Sie gedacht, Madam?« fragte der Service-Sachverständige. »Mister Parker, welchen Rahmen würde ich abstecken?« erkundigte sich die auf Partygäste erpichte Dame umgehend bei ihrem Butler. »Mylady denken an etwa hundert Personen«, bluffte Josuah Parker. »Kein Problem für uns«, sagte der Spezialist und lächelte. »Wegen einiger intimer Dinge müssen Mylady allerdings noch mit Mister Dragsler sprechen«, redete der Butler weiter. »Es geht um eine heikle Gästeliste.« »Ich verstehe nicht recht«, erwiderte der Party-Ausrichter. »Darum muß ich ja mit Mister Dalgster reden«, grollte die ältere Dame. »Mister Dragsler, Madam«, korrigierte der Mann erneut. »Wenn Sie gestatten, werde ich schnell erfragen, ob er sich noch im Haus befindet.« Er wandte sich ab und beschäftigte sich mit dem Hausapparat. Daher bekam er nicht mit, daß Myladys Pompadour kreisende Bewegungen aufgenommen hatte. Als er plötzlich einen feinen Luftzug im Nacken verspürte, war es für ihn bereits zu spät, eine Reaktion einzuleiten.
»Er lief direkt in meinen Pompadour«, behauptete die ältere Dame und blickte ausgesprochen schadenfroh auf den PartyMann, der bereits auf dem Boden lag. »Man wird zu einem späteren Zeitpunkt passende Worte der Entschuldigung finden«, schlug Josuah Parker vor. »Daran brauchen Sie mich aber wirklich nicht zu erinnern«, gab sie zurück. »Er hätte ja schließlich besser aufpassen können. Wie komme ich jetzt zu diesem Subjekt, das das Monopol aufziehen will?« »Wenn Mylady meiner Wenigkeit folgen wollen?« Parker schritt gemessen voraus, öffnete eine Tür im Hintergrund des Besprechungsraumes und betrat einen Gang, der vor einer Betontreppe endete, die sicher als Feuertreppe gedacht war. »Kein Fahrstuhl, Mister Parker?« entrüstete sich die Detektivin. »Dazu müßten Mylady erst in die Empfangshalle zurück«, gab der Butler eine Begründung. »Und dann würde man Mylady mit letzter Sicherheit ausmachen.« »Nun gut, eine Lady Simpson kann auch Opfer bringen«, erklärte sie mit einem tragischen Unterton in der Stimme. »Ich möchte nur wissen, ob man mir das eines Tages danken wird, Mister Parker.« »Man wird den Einsatz Myladys erneut rühmen müssen«, behauptete Josuah Parker und erstieg die erste Treppe. Seine Herrin folgte und schnaufte ein wenig. Die majestätische Fülle
erwies sich als ein wenig leistungshemmend, dennoch hielt die Lady tapfer durch. »Erinnern Sie mich daran, daß ich meine Diät noch verstärken muß«, sagte sie schließlich. »Gehen Sie schon mal weiter, Mister Parker, ich brauche eine kleine Denkpause.« »Darf man sich nach Myladys Kreislauf erkundigen?« »Den wollte ich gerade erwähnen«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie haben entsprechend vorgesorgt.« Josuah Parker griff in die Innentasche seines schwarzen Covercoats und holte eine flache Flasche hervor, die mit Leder umspannt war. Er schraubte den ovalen Verschluß ab und füllte einen doppelten Cognac ab. »Sehr schön«, meinte sie, nachdem sie den Inhalt genossen hatte. »Lassen Sie mir das Mittel hier, es kann sein, daß ich noch ein paar Tropfen brauche.« Butler Parker lüftete die schwarze Melone, bevor er weiterging. Ungemein leichtfüßig stieg er nach oben. Nach seinen Erfahrungen befanden sich die Chefräume stets im obersten Stockwerk. Er erreichte die vierte Etage, öffnete vorsichtig eine weiß lackierte Stahltür und blickte in einen viereckigen Korridor, der mit dickem Spannteppich ausgelegt war. Parker durchquerte diesen Gang und hielt auf eine Tür zu, wo ein Schild mit dem Namen Don Dragsler angebracht war. Er trat ein, ohne vorher anzuklopfen. Eine junge Vorzimmerdame, sehr blond und sehr üppig in den Konturen, blickte den Butler völlig überrascht an. »Man erlaubt sich, einen schönen guten Morgen zu wünschen«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone. »Mister Dragsler dürfte bereits mehr als ungeduldig auf meine Wenigkeit warten.« »Da... Davon weiß ich aber gar nichts«, gab sie zurück und
stand auf. »Wer sind Sie denn?« »Der neue Butler, mit Verlaub«, erwiderte Parker. »Moment, ich werde Sie sofort anmelden. Wie ist Ihr Name?« »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich vor. Die attraktive Blondine nickte und ging zu einer Verbindungstür. Dort klopfte sie kurz an und öffnete dann. Sie bekam nicht mit, daß Parker ihr unmittelbar folgte. Er erkannte den bauchigen Mann mit der Glatze auf den ersten Blick. Er war identisch mit jenem, der im Gasthof offensichtlich den Vorsitz der sogenannten Jubiläumsfeier geführt hatte.
»Sie?!« Don Dragsler blickte den Butler entgeistert an. Die Blondine zog sich diskret zurück und schloß die Tür hinter sich. »Man behauptet durchaus nicht zu Unrecht, daß die Welt klein ist«, schickte Parker voraus und näherte sich dem Schreibtisch, hinter dem Don Dragsler saß. -»Hoffentlich nahm die Jubiläumsfeier noch einen recht glücklichen Verlauf.« »Woher wissen Sie? Ich meine, wer hat Sie ...? Verdammt, was wollen Sie von mir?« Dragsler kam um den Schreibtisch herum und hatte bereits wieder ein gerötetes Gesicht. »Es ist eine verdammte Unverschämtheit, einfach hier aufzukreuzen«, regte Dragsler sich auf. »Ich habe große Lust, Sie wegen Hausfriedensbruchs anzuzeigen. Wissen Sie eigentlich, was Sie da draußen an Schaden angerichtet haben?« »Mylady und meine Wenigkeit störten offenbar eine mehr
als vertrauliche Besprechung, Mister Dragsler.« »Eine, äh, Jubiläumsfeier meiner Firma«, behauptete Dragsler. »Und was wollen Sie jetzt?« »Ihre Festteilnehmer waren erstaunlicherweise bewaffnet«, meinte der Butler. »Eine Behauptung, mehr nicht«, fuhr Dragsler ihn an. »Wie wollen Sie das beweisen?« »Eine Beweisführung durch meine Wenigkeit ist nicht beabsichtigt, Mister Dragsler«, erklärte der Butler höflich. »Was wollen Sie denn sonst?« rätselte Dragsler. »Woher kennen Sie mich überhaupt?« »Ein gutes Personengedächtnis gehört zu den Selbstverständlichkeiten meiner Profession, Mister Dragsler.« »Personengedächtnis? Wen wollen Sie denn erkannt haben?« »Neben Ihnen noch einige andere Personen, Mister Dragsler.« »Ach so, jetzt verstehe ich endlich. Sie erwarten Geld von mir, nicht wahr?« Dragsler ging ohne jede Schwierigkeiten in die von Parker gestellte Falle. »Eine kleine Aufbesserung des momentanen Salärs wäre in der Tat nicht zu verachten, Mister Dragsler.« »Und an was haben Sie so gedacht?« wollte Dragsler wissen. Er ging zu schnell auf Parkers Vorstellung ein und erkundigte sich noch nicht mal nach den Personen, die Parker erkannt haben wollte. »Selbstverständlich bestimmen Sie allein die Summe, Mister Dragsler«, meinte Parker. »Gut, tausend Pfund«, gab der Party-Ausrichter zurück und wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu. Er schickte sich an, die Lade zu öffnen und legte dabei eine gewisse Hast an den Tag.
Parker war klar, wonach Dragsler greifen wollte. In der Lade befand sich bestimmt eine Schußwaffe, die der Mann einzusetzen gedachte, doch der Butler war mit dieser Reaktion natürlich nicht einverstanden. Er griff nach seinem Universal-Regenschirm und hob ihn in die Waagerechte. Unmittelbar darauf schoß ein kleiner, bunt gefiederter Pfeil vorn aus der Spitze, durchquerte den Raum und senkte sich in den Unterarm von Don Dragsler, der wie unter einem Peitschenhieb zusammenzuckte und dann völlig entgeistert auf das seltsame Geschoß starrte. »Guter Gott«, schnaufte er und ließ einen bereits ergriffenen Gegenstand los, der polternd in die Lade zurück fiel. »Mit Ihrer Erlaubnis, Mister Dragsler!« Parker schritt durchaus gemessen nach vorn und barg erst mal die Schußwaffe, die tatsächlich vorhanden war. Dann zog er den kleinen Pfeil aus dem Unterarm und ließ ihn fast beiläufig in den Falten des altväterlich gebundenen Schirmes verschwinden. Dragsler schwitzte bereits, ließ sich schwer in seinen Drehsessel fallen und blickte dann auf seinen Arm. »Sie und die Freunde Ihrer Firma scheinen zu Gewalttätigkeiten zu neigen«, stellte Parker fest. »Das Brennen im Muskelfleisch Ihres Unterarmes sollten Sie übrigens nicht unbedingt als den Beginn einer Vergiftung deuten, Mister Dragsler.« »Vergiftung?« hechelte der Mann und rutschte noch mal zusätzlich in sich zusammen. »Vielleicht eine kleine Muskellähmung, die sich aber bald wieder geben wird«, versicherte Parker ihm. »Sie planen also erneut, eine Art Monopol zu errichten, diesmal jedoch unter Beteiligung auswärtiger Personen, um sie mal so zu nennen..« »Mono ... Monopol? Wie kommen Sie denn darauf?« verwahrte sich Dragsler und schob sich ein wenig hoch.
»Sie hatten immerhin sachkundige und auch kapitalstarke Personen zur Jubiläumsfeier eingeladen, die nicht gerade aus London stammen«, tippte der Butler an. »Der Akzent dieser Personen war nicht zu überhören.« »Mir wird schlecht«, gab Dragsler zurück und rutschte wieder in sich zusammen. Er schwitzte stark. »Verbindliche Grüße an die ausländischen Kapitalgeber, Mister Dragsler«, redete Parker weiter, um dann die schwarze Kopfbedeckung zu lüften. »Sicher werden Sie Ihre Freunde umgehend ins Bild setzen. Man wünscht noch einen positiven Verlauf des Tages.« Josuah Parker verließ Dragslers Privatbüro und nickte der üppigen Blondine zu, die arglos vor ihrer Schreibmaschine saß und tippte. Wenig später mußte Parker dann zur Kenntnis nehmen, daß Lady Simpson nicht mehr auf der Feuertreppe war!
Josuah Parker sorgte sich. Er wußte um das fast jugendliche Temperament seiner Herrin, die keine Vorsicht kannte. Nur zu gern stürzte sie sich in jede Auseinandersetzung. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß einer Lady Simpson etwas passieren könnte. Parker stieg weiter nach unten und dachte an Joe Ketting, den man im Besprechungszimmer zurückgelassen hatte. War dieser Mann wider Erwarten schneller zu sich gekommen, als zu erwarten war? Hatte er Lady Agatha vielleicht abgefangen? Parker erreichte das Erdgeschoß und hörte plötzlich lautstarkes Scheppern von Porzellan und Kochtöpfen. Damit war für ihn bereits alles klar. Einen solchen Lärm konnte nur Lady Simpson verursachen. Wahrscheinlich hatte sie mit
traumwandlerischer Sicherheit den Weg zur Küche gefunden und betätigte sich nun dort. Parker brauchte diesem Lärm nur zu folgen. Seine Vermutung bestätigte sich. Als er von der Feuertreppe aus einen Stichkorridor hinter sich gelassen hatte, stand er vor einer Pendeltür, in die eine ovale Glasscheibe eingelassen war. Durch diese Scheibe war Mylady zu sehen, die gerade für klare Verhältnisse gesorgt hatte. Zwei Köche saßen auf dem gekachelten Boden und machten einen desorientierten Eindruck. Einer von ihnen war damit beschäftigt, sich einen nicht gerade kleinen Kochtopf vom Kopf zu zerren. Um ihn herum lag Gemüse aller Art, das den Kochprozeß noch nicht hinter sich hatte. Der zweite Koch hing mit seinem Kopf fast in einer geöffneten Bratröhre und hielt ein Stück Fleisch in den Händen. Lady Agatha aber beherrschte die Situation. Sie hatte ein elektrisches Messer in der linken Hand und hielt damit Joe Ketting in Schach. Der Party-Spezialist saß in einer nicht gerade kleinen Wanne, in der sich bereits geschälte Kartoffeln befanden. Er bog sich weit zurück und starrte wie hypnotisiert auf das summende Messer. »Wagen Sie es nicht noch mal,- eine hilflose Frau belästigen zu wollen«, raunzte Lady Agatha den Mann an. »Ich habe große Lust, Sie ein wenig zu tranchieren.« »Machen Sie keinen Blödsinn, Lady«, stöhnte Ketting. »Das war doch alles nur ein Mißverständnis.« »Sie wollten mich bedrohen«, fauchte die ältere Dame. »Sie wollten mir eine Suppenkelle über den Kopf ziehen.« »Niemals wirklich, Lady«, versicherte Ketting und schielte nach dem surrenden Messer.
»Darf man seine bescheidene Hilfe anbieten?« fragte der Butler, als er die Küche betrat, die modern und großzügig eingerichtet war. Seinen Party-Service nahm Don Dragsler eindeutig ernst, wie zu sehen war. Seine Firma war nicht nur als Fassade gedacht. »Ich komme allein zurecht, Mister Parker«, sagte sie. »Stellen Sie sich vor, was mir passiert ist.« »Es gab Mißverständnisse, Mylady?« »Ich wollte nur einen Blick in diese Küche tun«, redete sie aufgebracht weiter, »und mich vergewissern, ob es hier auch hygienisch einwandfrei zugeht.« »Nach Lage der Dinge dürften alle Anforderungen erfüllt werden, Mylady«, versicherte Parker. »Wer hat wen niedergeschlagen?« rief Joe Ketting vorsichtig dazwischen. Er arbeitete sich aus der Wasserwanne hoch und stand dann wie ein begossener Pudel zwischen den geschälten Kartoffeln, die übergeschwappt waren. »Keine Diskussion«, entschied Lady Agatha unwirsch. »Seien Sie in Zukunft gefälligst etwas vorsichtiger, junger Mann. Wie sieht es nun mit Kostproben aus? Ich möchte schließlich wissen, was ich geliefert bekomme. Ein Päckchen wird reichen, denke ich.« Während das Messer nach wie vor surrte, während die beiden Köche vorsichtig aufstanden, traf die ältere Dame eine kleine Auswahl. Solch eine Gelegenheit konnte sie sich einfach nicht entgehen lassen.
»Seine Party-Küche ist gut«, urteilte die Detektivin
anderthalb Stunden später. Sie befand sich in der großen Wirtschaftsküche ihres Fachwerkhauses und betrachtete die Kostproben, die man ihr mitgegeben hatte. Wohlgefällig blickte sie auf ein ansehnliches Stück Roastbeef, auf einen mittelgroßen Lammbraten, auf einen Hummer und auf einen glasierten Schweinerücken. Sie war dabei zu versuchen und bediente sich ausgiebig. Dann wandte sie sich an Josuah Parker, der bereits von Mylady getestete Proben in einen Kühlschrank packte. »Ich war wieder mal zu bescheiden«, stellte sie fest, »und hätte noch ein paar Kleinigkeiten mehr mitnehmen sollen.« »Mylady werden mit Sicherheit früher oder später noch mal die Küche des Mister Dragsler besuchen«, gab Parker zurück. »Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, daß Mister Dragsler schon bald zu einem massiven Gegenbesuch erscheinen wird.« »Schade, daß ich mich mit diesem Subjekt nicht unterhalten konnte«, bedauerte die ältere Dame. »Ich hätte ihn gezwungen, die Wahrheit zu sagen.« »Mister Dragsler räumte mehr ein, Mylady, als er sich eingestehen wird«, entgegnete Josuah Parker. »Er muß davon ausgehen, daß Mylady sehr genau wissen, wer die übrigen Personen sind, die an der sogenannten Jubiläumsfeier teilnahmen.« »Und wer könnten diese Personen sein, Mister Parker?« fragte sie und befaßte sich eingehend mit einer Nierenpastete, die sie ebenfalls als kleine Kostprobe mitgenommen hatte. »Möglicherweise Repräsentanten der kriminellen Szene aus den USA oder vom Kontinent, Mylady.« »Sie hätten eigentlich ein Foto von diesen Subjekten schießen müssen«, mäkelte sie. »Ein Foto wäre in der Tat gerade jetzt ungemein hilfreich«,
gab Josuah Parker höflich-geduldig zurück. »Aber Mylady können davon ausgehen, daß man früher oder später die Namen der betreffenden Personen in Erfahrung bringen wird.« »Nun gut.« Sie war beruhigt. »Ich gelte also als Störfaktor für diese Gangster, nicht wahr?« »Treffender könnte man dies wirklich nicht umschreiben, Mylady.« »Man wird also versuchen, mich als Augenzeugin umzubringen.« »Mylady sehen den harten Tatsachen wieder mal fest ins Auge.« »Sehr schön.« Sie nickte. »Selbstverständlich werde ich zurückschlagen, Mister Parker. Leiten Sie alles Erforderliche dazu ein.« Sie griff nach einer gut gefüllten Dessertschale und verließ die Küche. In der Tür blieb sie kurz stehen und wandte sich zu ihrem Butler um. »Ich werde jetzt ein wenig über die einzuschlagende Taktik meditieren«, behauptete sie, »und möchte nur im Ausnahmefall gestört werden, Mister Parker.« Der Butler deutete eine Verbeugung an und widmete sich dann den Kostproben. Er verstaute sie im Kühlschrank und begab sich danach ins Erdgeschoß des altehrwürdigen Hauses, das auf den ausgedehnten Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden war. Er hatte die große Wohnhalle noch nicht ganz erreicht, als das Telefon diskret surrte. Parker hob ab und meldete sich. »Dragsler hier«, reagierte die Stimme des Party-Ausrichters. Sie bemühte sich um Neutralität und wollte eine gewisse Vertraulichkeit herstellen. »Darf man sich nach dem Befinden Ihrer werten Hand erkundigen?« fragte der Butler.
»Vergeben und vergessen, Mister Parker«, behauptete Dragsler. »Ich kann ja im Grund verstehen, warum Sie so reagierten. Ich wollte schließlich eine Waffe aus der Lade ziehen.« »Ihr Verständnis ist beglückend, Sir.« »Wirklich, Parker, ohne jede Ironie.« Dragsler wurde noch vertraulicher. »Hören Sie, wir sprachen von einer Art, na, sagen wir, Schweigegeld. Ich halte mein Angebot aufrecht.« »Falls meine Wenigkeit sich recht erinnerten, Mister Dragsler, erwähnten Sie fünftausend Pfund«, gab der Butler zurück. »Wie war das? Fünftausend?« Man hörte, wie Dragsler leicht schluckte. »Oder sollten es siebentausend Pfund gewesen sein?« »Stop, Parker, stop!« Dragsler rang sich ein Lachen ab. »Okay, fünftausend Pfund. Dafür vergessen Sie aber für immer diese Jubiläumsfeier.« »Ein Angebot, Mister Dragsler, das man sich durch den Kopf gehen lassen sollte.« »Es gibt eine Alternative«, redete der Party-Ausrichter weiter. »Wollen Sie jetzt die obligate Drohung erwähnen, Mister Dragsler?« »Ich höre, daß Sie bereits verstanden haben, Parker. Für die fünftausend Pfund verlange ich natürlich eine Gegenleistung.« »Sie machen meine Wenigkeit neugierig, Mister Dragsler.« »Sie werden eine Quittung unterschreiben, aus der deutlich hervorgeht, daß Sie während der Jubiläumsfeier für mich hier in der Stadt eine Party ausgerichtet haben.« »Darf man Sie höflichst daran erinnern, daß Lady Simpson durchaus anders aussagen wird?«
»Ihre Lady ist nicht das Problem, Parker, Sie sind es«, entgegnete Dragsler eindringlich. »Ich weiß inzwischen sehr genau, wer Sie sind.« »Wann und wo soll diese Scheinquittung unterschrieben werden?« »Gegen Mittag, Parker. Sagen wir, genau um elf Uhr im >Picknick<. Sie werden das Lokal ja kennen, oder?« »Es ist meiner Wenigkeit wohl vertraut, Mister Dragsler.« »Sie brauchen keine Tricks zu befürchten. Ich bin daran interessiert, die ganze Sache möglichst geräuschlos über die Bühne zu bringen.« »Eine durchaus lobenswerte Absicht, Mister Dragsler. Man wird pünktlich erscheinen.« Parker legte auf und wunderte sich gar nicht über diesen Anruf. Dragsler stand unter starkem Druck. Seine Teilnehmer an der angeblichen Jubiläumsfeier bestanden sicher auf einer endgültigen Lösung. Und diese Lösung konnte für einen Gangster nur ein gezielter Schuß sein. Man wollte ihn so schnell wie möglich umbringen und gar nicht erst darauf warten, bis er im >Picknick< erschien. Wahrscheinlich hatte man schon einen Spezialisten aktiviert und ihn vor dem Haus der Agatha Simpson aufgestellt. Dragsler setzte auf Parkers Neugier und wollte ihn zumindest vor die Tür locken, um dann den tödlichen Schuß abfeuern zu können. Bis zur vereinbarten Zeit waren es noch etwas über dreißig Minuten. Diese Zeit wollte der Butler nutzen, bevor er sich in voller Größe, dem wartenden Schützen zeigte.
Über Parkers linkem Unterarm hing eine Art Plastiksack, der
sich unvermittelt füllte, als der Butler das Rändelrad eines kleinen Stahlzylinders bewegte. Preßluft schoß zischend in die Plastikhülle, die sich erstaunlich schnell in eine Kopie des Butlers verwandelte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis Parker seinen luftgefüllten Doppelgänger prüfend mustern konnte. Josuah Parker war zufrieden. Selbst die schwarze Melone war vorhanden. Sie war Bestandteil dieser Plastikhülle, die einen aufgemalten schwarzen Zweireiher, einen weißen Eckkragen und einen schwarzen Binder trug. Parker hatte sich diese zusammenlegbaren Doppelgänger schon vor geraumer Zeit von einer Spezialfirma herstellen lassen. In der Vergangenheit waren die aufgeblasenen Kopien schon mehrfach Lebensretter gewesen. Der Butler öffnete die Haustür und benutzte seinen Universal-Regenschirm, um der Kopie das Rückgrat zu stärken. Er schob und dirigierte seinen Doppelgänger an die Tür heran und... wunderte sich nicht, als unmittelbar darauf Parker Nr. 2 zerplatzte. Der Schütze jenseits der Durchgangsstraße hatte reagiert. Die Fetzen der Plastikhülle sanken zu Boden. Parker schloß wieder die Tür und ging zur Tagesordnung über. Er kümmerte sich nicht weiter um den potentiellen Mörder. Nicht umsonst hatte er sich etwas Zeit gelassen. Sie war von ihm genutzt worden, um einen gewissen Horace Pickett zu verständigen. Dieser Mann war in früheren Jahren mal ein ungewöhnlich geschickter Taschendieb gewesen, bis er eines Tages die Brieftasche eines Mafioso an sich gebracht hatte. Da sich in dieser Brieftasche Interna aus dem Geschäftsleben der Mafia befanden, geriet Horace Pickett in akute Lebensgefahr. Erst Josuah Parker gelang es, Pickett vor unkorrigierbarem Schaden zu bewahren. Seit dieser Zeit stand der ehemalige Eigentumsverteiler auf
der richtigen Seite des Gesetzes. Er war inzwischen fast zu einem echten Mitarbeiter geworden und machte sich eine Ehre daraus, für Parker und Lady Agatha tätig zu sein. Parker ging ans Telefon und wählte die Nummer des PartyAusrichters. Joe Ketting meldete sich und sog die Luft scharf ein, als der Butler seinen Namen nannte. »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie das Sitzbad überstanden haben«,- sagte Parker. »Würden Sie die Freundlichkeit haben und Mister Dragsler dahingehend unterrichten, daß meine Wenigkeit seinen Mordanschlag als ausgesprochen unfreundlichen Akt betrachtet?« »Ich ... Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, behauptete Joe Ketting. »Dafür wird Mister Dragsler um so besser verstehen«, redete der Butler weiter. »Richten Sie ihm doch freundlicherweise weiterhin aus, daß man seinen unfreundlichen Akt zum Anlaß nehmen wird, ihn bei Gelegenheit noch mal zu besuchen.« »Hören Sie, Mister Parker, ich hab' wirklich keine Ahnung, um was es geht«, log Ketting. »Aber warum wollen Sie da Sachen hochschaukeln, die sich nicht lohnen?« »Die Jubiläumsgäste Mister Dragslers werden aus verständlichen Gründen nach wie vor darauf bestehen, daß Mylady und meine Wenigkeit ausgeschaltet werden, wie es in Ihrem Jargon wohl zu heißen pflegt.« »Wieso Jubiläumsgäste?« tippte Ketting an. »Einigen ausländischen Besuchern ist es sicher mehr als peinlich, daß man sie in der Nähe von London gesehen hat«, meinte Josuah Parker. Er bluffte jetzt auch Ketting gegenüber. Es konnte ja sein, daß Dragsler seinen Mitarbeiter nicht eingeweiht hatte. In diesem Fall aber wußte Ketting jetzt Bescheid und konnte sein Wissen nutzbringend an den richtigen Mann bringen.
»Okay, ich werde Mister Dragsler Bescheid sagen«, erwiderte Ketting. »Um welche ausländischen Besucher handelt es sich denn? Wie gesagt, ich weiß überhaupt nicht, um was es geht.« »Man wird Sie sicher rechtzeitig ins Bild setzen«, vermutete der Butler. »Man wünscht noch einen erfolgreichen Tag. Mister Dragsler befindet sich übrigens keineswegs in einer beneidenswerten Situation, um dies vielleicht noch zu erwähnen.« »Wie soll ich denn das nun wieder verstehen?« Ketting tat ahnungslos. »Mister Dragsler muß damit rechnen, daß sein Leben ab sofort nicht mehr in den gewohnten Bahnen verlaufen wird«, erklärte Josuah Parker. »Er hat mit durchaus handfesten Überraschungen zu rechnen.« Bevor Ketting antworten konnte, legte Josuah Parker auf. Er ging nun fest davon aus, daß die Gegenseite verunsichert war und schien gespannt, wie Don Dragsler reagieren würde.
»Ich hatte gehofft, Mister Parker, daß Sie kommen würden«, sagte Chief-Superintendent McWarden und kam dem Butler entgegen. »Hier können wir uns ja vielleicht etwas deutlicher unterhalten.« McWarden befand sich in seinem Dienstzimmer, das höchst einfach eingerichtet war. Auf Statussymbole legte er keinen Wert. Der Chief-Superintendent verzichtete allerdings nicht auf moderne Kommunikationsmittel, wie deutlich zu sehen war. Auf einem Beistelltisch neben dem eigentlichen Arbeitstisch stand ein Computer. Darüber hinaus gab es eine umfangreiche
Telefonanlage und ein Funksprechgerät. »Hoffentlich ließ meine bescheidene Wenigkeit nicht zu lange auf sich warten«, meinte Parker. Er nahm den angebotenen Platz und setzte sich. Seinen UniversalRegenschirm lehnte er gegen die Schreibtischplatte, die schwarze Melone fand auf seinem Schoß Platz. »Stapeln Sie nicht unnötig tief, Mister Parker«, forderte McWarden ihn auf. »Von Wenigkeit kann ja nun wirklich keine Rede sein.« »Man sollte sich tunlichst nicht unnötig hoch einstufen, Sir.« »Ich weiß es und Sie wissen es ebenfalls, Mister Parker, daß Sie es gar nicht nötig haben, als Butler zu arbeiten.« »Ein Beruf, der fast schon Berufung ist, Sir.« »Sie könnten längst der Chef einer großen Detektei sein.« »Eine Bürde, Sir, die meine Wenigkeit überfordern würde.« Parker ließ sich nicht aus seiner Reserve locken. »Sie könnten auch ein erfolgreicher Kaufmann sein. Oder von mir aus auch Politiker oder sonst was, Mister Parker.« »Man sollte seine bescheidenen Kräfte nicht überschätzen, Sir.« »Ich höre schon, daß Sie nicht antworten wollen, Mister Parker. Warum dienen Sie eigentlich, wo Sie doch ohne weiteres befehlen könnten? Danach muß ich Sie endlich mal fragen, Mister Parker, Ich hatte das schon immer vor.« »Meine Wenigkeit fühlt sich Mylady zutiefst verpflichtet.« »Ohne Sie wäre Lady Simpson allerdings ziemlich, nun, sagen wir, hilflos, Mister Parker.« »Sie übertreiben freundlicherweise, Sir.« »Oder ist es die uneingeschränkte Freiheit, die Sie genießen?« »Freiheit, Sir?« Josuah Parker beugte sich vor.
»Sie können doch tun und lassen, was immer Sie wollen.«
»Eine interessante Sicht der Dinge, Sir.«
»Und Sie können auch über schier unerschöpfliche Gelder
verfügen.« »Wobei Sparsamkeit immer das höchste Gebot sein wird.« »Schön, Sie wollen nicht reden, Mister Parker.« Der ChiefSuperintendent lehnte sich zurück. »Wissen Sie, eigentlich beneide ich Sie. Sie sind an keine Dienstvorschriften gebunden. Sie brauchen keinem Rechenschaft abzulegen.« »Meine Wenigkeit wird darüber intensiv nachdenken. Darf man daran erinnern, daß Sie meinen Besuch erwarteten?« »Sie fragten nach geplanten Zusammenschlüssen innerhalb der Unterwelt«, schickte McWarden voraus, »und Sie fragten sicher nicht ohne Grund.« »Sie hingegen, Sir, nannten wohl ebenfalls kaum ohne triftigen Grund den Namen Dragsler.« »Womit wir beim Thema sind, Mister Parker.« McWarden hatte endgültig umgeschaltet und verzichtete auf weitere private Fragen. »Ich habe gehört, daß ein Zusammenschluß tatsächlich geplant wird. Konkretes weiß ich allerdings nicht.« »Versuche, die Unterwelt zu organisieren, gab es bereits in der Vergangenheit, Sir.« »Und platzten, Mister Parker. Aber diesmal sieht es so aus, als würde man von Übersee aus solch einen Zusammenschluß organisieren wollen. Wir sind hier im Yard in höchster Alarmbereitschaft.« »Sollte man unterstellen, Sir, daß die Mafia diesmal einen Versuch wagt?« »Das ist unsere Sorge, Mister Parker.« Der ChiefSuperintendent nickte. »Unsere Kollegen aus den Staaten haben uns mitgeteilt, daß einige Spitzenmanager der Mafia ausgereist sind. Sie sind in Italien auch angekommen, doch
dann verlor sich ihre Spur. Wir haben Grund zur Annahme, daß diese Spitzenmanager inzwischen hier in London sind.« »Gibt es in diesem Zusammenhang möglicherweise Namen, Sir?« »Natürlich, Mister Parker. Ich sollte Ihnen eigentlich mal zeigen, wie wir das hier mit unserem Zentral-Computer halten. Sind Sie interessiert?« »Technische Dinge vermögen meine Wenigkeit zu begeistern, Sir.« Der Chief-Superintendent beugte sich vor und schaltete den Computer ein. Dann lehnte er sich zurück und beobachtete den Butler. Parker blickte auf den Bildschirm, auf dem nacheinander steckbriefähnliche Personenbeschreibungen und dazugehörige Fotos zu sehen waren. McWarden schien sie bereits abrufbereit gespeichert zu haben. Parker las Namen und sah Fotos, die in langsamer Folge wechselten. Er zuckte natürlich mit keiner Wimper, als plötzlich ein ihm bekanntes Gesicht erschien. Auf dem Bildschirm erkannte er sofort den Mann mit dem schmalen Oberlippenbart, den er im Gasthof mit Dragsler gesehen hatte. Dann folgten weitere Steckbriefe, die ihm nichts sagten. Dennoch prägte er sich die Namen auch dieser Personen ein. Plötzlich tauchte erneut ein bekanntes Gesicht auf. Diesmal zeigte der Bildschirm den Mann mit der Knollennase und der randlosen Brille. McWarden hatte sich voll auf den Butler konzentriert und hoffte auf Reaktionen, doch Josuah Parker hatte seine Züge völlig unter Kontrolle. Er bot das glatte, ausdruckslose Gesicht eines professionellen Pokerspielers. »Nun, fündig geworden?« erkundigte sich der ChiefSuperintendent, als die Steckbrief-Serie abgelaufen war. Seine
Stimme klang eindeutig enttäuscht. »Fündig geworden, Sir?« erkundigte sich der Butler. »Sie gehen davon aus, daß meine Wenigkeit eines der Gesichter erkannt hat?« »Davon gehe ich allerdings aus, Mister Parker«, bestätigte der Chief-Superintendent und nickte nachdrücklich. »Ich wette, ein paar von diesen Personen sind Ihnen schon mal über den Weg gelaufen.« »Darüber müßte man intensiv nachdenken, Sir. Ein alter, müder und relativ verbrauchter Mann braucht Zeit zur Muße.« »Mir wäre schon verdammt viel geholfen, wenn ich wüßte, daß einige der Personen in London eingetroffen sind.« »Dies sollten Sie grundsätzlich nicht ausschließen, Sir.« »Verdammt, Sie sind doch gekommen, um sich Klarheit zu verschaffen.« »Es handelte sich mehr oder weniger um einen Höflichkeitsbesuch, Sir.« »Falls Sie ein Gesicht erkannt haben sollten, Mister Parker, falls Sie Kontakt mit solch einer Person hatten, so lassen Sie sich warnen. Diese Leute sind Mörder! Sie bringen natürlich nicht selbst um, aber sie lassen das sehr präzise ausführen. Sie werden von hochkarätigen Killern begleitet, die mit Sicherheit nicht aussehen wie Typen aus der Unterwelt, Mister Parker. Das ist es ja, was uns Sorgen macht: Hier sollen amerikanische Gangstermethoden eingeführt werden. Je schneller wir zupacken können, desto geringer sind die Chancen für diese Gangster, sich hier einzunisten.« »Man sollte den Anfängen in der Tat wehren, Sir«, bestätigte der Butler und erhob sich. »Es war ungemein anregend, was Sie meiner Wenigkeit darboten, um es mal so auszudrücken.« »Und ich bin beruhigter als vor wenigen Stunden«, erwiderte der Chief-Superintendent. »Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Aber noch mal: Seien Sie verdammt vorsichtig, die begleitenden Killer sehen nicht aus wie Filmgangster. Wir kennen sie noch nicht mal, wir wissen nur, daß es sie gibt.« »Man wird in der Tat eine gewisse Vorsicht walten lassen müssen«, entgegnete der Butler, der mit wichtigen Informationen vollgepackt war, die der Chief-Superintendent ihm zugespielt hatte.
Butler Parker stellte den hochbeinigen Wagen in die Tiefgarage eines Warenhauses und schritt dann gemessen zu den Fahrstühlen, die die Kunden hinauf zum Warenangebot schafften. Seitdem er den Yard verlassen hatte, wußte er, daß man ihn beschattete. Seine Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf einen MiniCooper, der ihm hartnäckig gefolgt war. Am Steuer dieses Kleinwagens saß ein Mann von schätzungsweise vierzig Jahren, der einen durchaus unkriminellen Eindruck machte. Parker aber dachte an McWardens Warnung. Der Chief-Superintendent hatte eindringlich darauf verwiesen, daß die Killer der ausländischen Touristen völlig unauffällig wirkten. Vorsicht war also angebracht, zumal Parker sich hier mit Horace Pickett treffen wollte. Noch vom Yard aus hatte der Butler sich mit dem ehemaligen Eigentumsübertrager entsprechend verabredet. Parker stieß die Stahltür zum Treppenhaus auf, wartete, bis sie in den Rahmen zurückschlug, und blieb dann seitlich an der Wand stehen. Der Mini-Cooper war ihm zwar nicht in die Tiefgarage gefolgt, doch dies mochte inzwischen geschehen sein. Es
dauerte nicht lange, bis die Stahltür schwungvoll aufgestoßen wurde. Wenig später erschien der Mini-Cooper-Fahrer, dessen Gesicht Parker sich genau eingeprägt hatte. Der Mann ging sofort zu den beiden geschlossenen Fahrstuhltüren und hatte es sehr eilig. Parker legte die Spitze seines Universal-Regenschirmes auf die Wirbelsäule des Mannes, der erstaunlich prompt und routiniert reagierte. Er blieb nämlich sofort wie angewurzelt stehen und hob beide Arme. »Okay, Sie haben mich erwischt«, sagte der Mann dann. »Ich hätte vorsichtiger sein müssen.« »Sie befinden sich in akuter Lebensgefahr«, warnte Parker den Mann. »Falls es Sie gelüstet, eine falsche Bewegung zu machen, müßte man aktiv werden.« »Schon gut, schon gut«, gab der Mann zurück. »Ich weiß immer genau, wann ich verloren habe. Wie soll's jetzt weitergehen?« Während er noch fragte, duckte er sich blitzschnell und wandte sich um. Er war schnell, doch Parker noch mehr. Er hatte mit solch einem Überraschungsangriff gerechnet und grüßte auf seine spezielle Weise. Er lüftete die schwarze Melone und setzte ihre Wölbung auf die Nasenspitze des Angreifers. Da die Innenseite der Kopfbedeckung mit Stahlblech ausgefüttert war, verformte sich die Nase und sorgte für nachhaltigen Tränenfluß. Der Mann stöhnte, vergaß seine Absicht, nach der Waffe zu greifen, riß die Hände hoch und lehnte sich zurück gegen die Betonwand des Treppenhauses. Parker blieb auf der Hut. Erneut zeigte sich, wie richtig er den Verfolger eingeschätzt hatte. Der mittelgroße, ein wenig dickliche Mann gab keineswegs auf. Er hatte seine Reaktion absichtlich übertrieben, um Parker in Sicherheit zu wiegen. Ohne
Übergang drückte er sich von der Betonwand ab und ging den Butler erneut an. Daraufhin benutzte Parker den bleigefütterten Bambusgriff seines Regendaches und setzte ihn auf die Stirnpartie des Angreifers. Diesmal war die Reaktion echt. Der Mann seufzte nachhaltig, ging in die Knie und rutschte an der Betonwand hinunter. Parker bückte sich und entdeckte in einer Schulterhalfter einen kurzläufigen Revolver, den er in der linken Manteltasche seines schwarzen Covercoats verschwinden ließ. Erstaunlicherweise besaß der Mann eine Brieftasche, die einen wohlgefüllten Eindruck machte. Parker nahm sie natürlich an sich, um sie später genauer zu durchsuchen. Dann ging er in die Tiefgarage zurück, setzte sich in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr auf die Straße. Diesmal ließ er den Wagen auf der Rückseite eines Behördengebäudes stehen und steckte einen plastikumschweißten Ausweis an die Innenseite der Windschutzscheibe. Dieser Ausweis machte deutlich sichtbar, daß das Fahrzeug dem staatlichen Museumswesen gehörte. Parker hatte sich diesen sehr dekorativen Nachweis selbst ausgestellt und wußte aus Erfahrung, wie wirkungsvoll er war.
Der Butler brauchte nur knapp fünf Minuten zu warten, bis der ihm bereits bekannte Mini-Cooper aus der Tiefgarage kam. Der Fahrer machte einen leicht angeschlagenen Eindruck und hatte kein Auge für seine nähere Umgebung. Natürlich hatte er die Verfolgung abgebrochen. Parkers Wagen stand nicht mehr in der Tiefgarage, somit mußte er
davon ausgehen, daß sein Objekt es vorgezogen hatte, sich abzusetzen. Aber genau das war eben nicht der Fall! Butler Parker wartete, bis der kleine Wagen im Verkehrsgewühl verschwunden war. Dann schritt er gemessen und würdevoll zurück zum Haupteingang des Warenhauses, mischte sich unter die vielen Besucher und benutzte eine Rolltreppe zum Dachgeschoß. Hier wurde er bereits von einem Mann erwartet, der wie ein pensionierter Offizier aussah, einen Trenchcoat trug und sich straff hielt. Es war der an die sechzig Jahre alte Horace Pickett, der noch sehr sportlich wirkte. »Entschuldigen Sie die kleine, aber sicher irritierende Verspätung, Mister Pickett«, sagte Parker, nachdem man sich begrüßt hatte. »Meine Wenigkeit hatte mit einem Verfolger zu tun, der inzwischen gründlich abgeschüttelt sein dürfte.« »War es wirklich nur dieser eine Verfolger?« fragte Pickett. Er war Fachmann auf diesem Gebiet. »Möglicherweise hat man natürlich überlappend gearbeitet und meiner Wenigkeit nur einen Köder zur Ablenkung angeboten«, beantwortete der Butler die Frage. »Man sollte das Beisammensein also so kurz wie möglich gestalten, Mister Pickett. Sie bringen Nachrichten?« »Frisch aus den Ofen«, bestätigte Horace Pickett. Die beiden Männer hatten in einer Nische Platz genommen, die neben einer Pendeltür eingerichtet war. Hinter dieser befand sich, wie Parker bereits bemerkt hatte, der Durchgang zum Küchenbereich des Warenhaus-Restaurants. »Ihre Freunde konnten den Schützen also ermitteln, Mister Pickett?« »Auf Anhieb«, erwiderte der ehemalige Eigentumsverteiler. »Der Kerl stand im Treppenhaus eines Bürogebäudes schräg
gegenüber der Einfahrt zu Myladys Haus. Nach dem Schuß setzte er sich über einen Hinterhof ab, stieg in einen bereits wartenden Morris und fuhr nach Wapping.« »Ein in neuester Zeit recht gern gewählter Unterschlupf«, meinte der Butler. »Weil dort gebaut und abgerissen wird, was das Zeug hält«, sagte Pickett und nickte. »Man kennt die Hafengegend kaum wieder. Die Spekulanten haben Hochkonjunktur.« »Man weiß also, wo der Schütze sich versteckt hält, Mister Pickett?« »Er verschwand in einem Neubau, in dem Büros eingerichtet sind«, berichtete der Mann weiter. »Meine Freunde kamen leider nicht näher an den Kerl heran, dafür beschäftigten sie sich aber mit dem Fahrer des Morris.« »Der sicher einen festen Wohnsitz haben dürfte.« »Der Fahrer des Morris wohnt in Stepney und stellte seinen Wagen im Hof eines Herrenfriseur-Salons ab. Man kann sicher davon ausgehen, daß er eine gewisse Beziehung zu diesem Salon hat, denn er wurde wenig später vorn im Ladenlokal gesehen und trug einen weißen Kittel.« Josuah Parker ließ sich die genaue Adresse geben und erkundigte sich nach Neuigkeiten in der kriminellen Szene. »Es herrscht eine verdächtige Ruhe«, sagte Pickett. »Alles scheint den Kopf einzuziehen. Die nackte Angst geht wieder mal um. Man traut sich gegenseitig nicht über den Weg und scheint auf etwas zu warten. Ich kann hier nur eine Stimmung wiedergeben.« »Nach Lage der Dinge soll die Unterwelt zu einem Monopolbetrieb zusammengefaßt werden«, klärte der Butler sein Gegenüber auf. »Entsprechende Betreiber sollen aus den USA auf dem Umweg über Italien angereist sein.« »Dann wird bald Blut fließen«, prophezeite Pickett, »die
örtlichen Bosse werden sich nicht so ohne weiteres vereinnahmen lassen.« »Die zuständigen Behörden sind mit der Entwicklung keineswegs einverstanden, Mister Pickett. Auch sie fürchten Blutvergießen und Bandenkriege.« »Wollen Sie sich allein auf diese Spezialisten stürzen, Mister Parker?« »Eine offene Feldschlacht, um diesen Begriff mal zu benutzen, gilt es natürlich zu vermeiden, Mister Pickett. Meine Wenigkeit möchte allerdings an einen gewissen David erinnern, der sich gegen eine Person namens Goliath durchzusetzen verstand.« »Sie können fest auf mich zählen, Mister Parker, ich spiele da mit«, versicherte Pickett dem Butler. »Man sollte zu den Mitteln der List greifen«, erklärte Parker, nachdem er kurz und dankend genickt hatte. »Es bieten sich da in der Tat einige Möglichkeiten an.« »Kennen Sie diese Leute aus den Staaten, Mister Parker?« »Sie kreuzten per Zufall den Weg meiner Wenigkeit«, bestätigte der Butler. »Und da man weiß, wer Sie sind, Mister Parker, dürfte Ihr Todesurteil bereits gesprochen worden sein«, warnte Pickett eindringlich. »Warum locken Sie die Spezialisten nicht aus der Stadt heraus? Draußen auf dem Land sind diese Großstadt-Haie doch ziemlich hilflos.« »Eine Methode, die bereits oft durchaus erfolgreich war«, meinte der Butler. »Man sollte kein Mittel unversucht lassen. Ihre Vermutung war übrigens durchaus richtig, als Sie von zusätzlichen Verfolgern sprachen.« »Sind welche aufgetaucht?« fragte Pickett. Selbstverständlich nahm er nicht den Kopf herum, um Ausschau nach Verfolgern zu halten. Pickett war ein Mann, der
sich in den Praktiken des Metiers voll und ganz auskannte. »Es handelt sich um zwei Gäste, die Sie und meine Wenigkeit bereits ausgespäht haben«, redete Parker weiter. »Sie werden gleich am Tisch vor der Nische Platz nehmen.« »Ich werde ab sofort mein Aussehen ändern müssen«, antwortete Pickett fast beiläufig. »Eine Maßnahme, die durchaus zu empfehlen ist«, fand auch der Butler. »Man wird sich an Sie zu erinnern wissen.« »Sollen wir die beiden Kerle sofort angehen?« »Es könnte dadurch ein sinnloser Schußwechsel ausgelöst werden, der unschuldige Gäste nur gefährdet, Mister Pickett.« »Warum sind die beiden Kerle nicht erschienen, als Sie in der Tiefgarage waren, Mister Parker? « »Die beiden Herren dürften bereits im Warenhaus auf meine Wenigkeit gewartet haben«, vermutete Parker. »Falls Zeit bleiben sollte, wird man sie nach ihren Beweggründen fragen. Kann man sich auf Ihre Schnelligkeit verlassen, Mister Pickett?« »Ich denke schon, Mister Parker.« Pickett lächelte. »Wir nehmen die Pendeltür, nicht wahr?« »Keineswegs und mitnichten, Mister Pickett«, widersprach der Butler. »Im aufkommenden Nebel wird man das Restaurant auf völlig regulärem Weg verlassen, womit die beiden Herren sicher kaum rechnen.« Parker hielt inzwischen eine weiche Plastikkapsel in der linken Hand, die aus einer seiner Westentaschen stammte. In dieser perforierten Kapsel befand sich eine Glasampulle, die er mit den Fingern zerdrückte. Wenige Augenblicke später kollerte die Kapsel über den Boden genau auf den Tisch zu, an dem die beiden Verfolger saßen.
Die Chemikalie aus der Glasampulle reagierte fast explosionartig mit dem Sauerstoff in der Luft. Knapp vor dem kleinen Tisch schoß eine Nebelwolke hoch, die eine fast schon massive Wand bildete. Die beiden Männer sprangen auf, wie man am Umstürzen ihrer Stühle hörte. Rufe und Schreie im Restaurant wurden laut. Parker und Pickett hatten bereits die Nische geräumt. Der Butler stieß mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes gegen die Pendeltür und sorgte für Bewegung. Dann verschwand er mit Horace Pickett in einer Gruppe von Restaurant-Gästen. Die beiden Männer arbeiteten sich durch die Nebelwand und entdeckten selbstverständlich die Pendeltür, die noch heftig schwang. Für die Verfolger war alles klar. Durch diese Tür konnte sich ihr Opfer nur abgesetzt haben. Sie hechteten förmlich auf die Tür, kollidierten mit einem Kellner, der gerade aus dem Restaurant kam, schleuderten ihn zur Seite und waren dann verschwunden. »Sie hätten die beiden Kerle ohne weiteres festnageln können, Mister Parker«, sagte Pickett, als er mit dem Butler das Restaurant ohne jede Hast verließ. »Man wird ihnen mit Sicherheit später noch mal begegnen«, lautete die Antwort. »Sie, Mister Pickett, sollten jetzt vielleicht möglichst schnell einen Rollen Wechsel vornehmen.« »Ich bin bereits weg«, sagte der ehemalige Eigentums Verteiler. »Sie wissen ja, wo Sie mich erreichen können. Ich stehe Gewehr bei Fuß.« Pickett nickte dem Butler zu und brauchte nur wenige
Augenblicke, bis er im Gewühl neugieriger Besucher untergetaucht war. Die Nebelwand im Restaurant war dünner geworden. Die Besucher hatten inzwischen erkannt, daß keine Gefahr vorlag. Zögernd und diskutierend ging man an die Tische zurück. Josuah Parker schritt gemessen und würdevoll zur Möbelabteilung des Warenhauses, die sich vor dem Zugang zum Restaurant befand. Er baute sich neben einem üppig verzierten Wohnzimmerschrank auf und wartete auf das Erscheinen der Verfolger. Es ging ihm darum, ihnen eine Lektion zu erteilen. Und sie kamen ... Einer von ihnen wischte sich mit PapierServietten eine gelbe Creme vom Jackett, der zweite fischte die Reste eines Paprikasalates aus dem Haar. Die beiden Verfolger hatten inzwischen herausgefunden, daß sie auf einer falschen Fährte waren. Parker verließ die Deckung und lüftete grüßend die schwarze Melone. Die beiden Männer, fast gleich groß, fast schlank und je etwa dreißig Jahre alt, blieben wie angewurzelt stehen, als sie Parker bemerkten. Mit soviel Unverfrorenheit hatten sie sicher nicht gerechnet. Sie setzten sich fast gemeinsam in Bewegung und witterten eine zweite Möglichkeit, mit dem Butler auftragsgemäß in Kontakt zu kommen. In der Möbelabteilung gab es naturgemäß nur wenig Publikumsverkehr. Man war quasi unter sich. Parker war bereits wieder verschwunden. Er hatte sich vorher kurz orientiert und wußte, in welchen Winkeln die ausgestellten Möbel aufgebaut waren. Er kannte die schmalen Durchgänge und Passagen und hatte sogar Dekorationswände ausgespäht, die sich verschieben ließen. Natürlich wollten die beiden Verfolger kein unnötiges Aufsehen erregen. Sie trennten sich, benahmen sich fast schon
zu unauffällig und wollten den Butler in die Zange nehmen. Einer von ihnen hielt bereits eine schallgedämpfte Automatic in der rechten Hand. Er legte ein Taschentuch über die Waffe, um sie zu tarnen. Parker lockte die beiden Männer geschickt immer tiefer in die Möbelabteilung, in der wirklich nur wenige Besucher waren. Als sich die Teppichabteilung ankündigte, blieb der Butler hinter einem Pfeiler stehen und aktivierte seine Gabelschleuder. Sie stammte aus der Innentasche seines Covercoats und glich auf den ersten Blick der Zwille eines Halbwüchsigen. Parkers Gabelschleuder aber verfügte über einen pistolenartigen Griff, über Stahlgabeln und über besonders starke Gummistränge. In der Lederschlaufe lag bereits eine Ton-Erbse, die nur darauf wartete, ihr Ziel endlich erreichen zu können. Parker schoß, fast ohne zu zielen. Die Ton-Erbse jagte fast geräuschlos durch die Luft und setzte sich auf den Hals des Waffenträgers. Der Mann sackte sofort zusammen und blieb mit dem Oberkörper auf einem Teppichstapel liegen. Die Waffe löste sich aus seiner Hand und schlitterte unter einen arabischen Hocker. Der zweite Verfolger erschien. Er hatte eindeutig die Orientierung verloren und suchte nach Parker, der bereits wieder verschwunden war, um neben einer Dekorationswand erneut aufzutauchen. Auch dieser Mann hielt eine schallgedämpfte Pistole in der Hand. Aber nicht lange, wie sich zeigte. Parkers zweite Tonmurmel landete treffsicher im Ziel, platzte auf der Stirn des Mannes und ließ ihn in den Knien weich werden. Wie von einem unsichtbaren Aufwärtshaken getroffen, fiel der Mann nach hinten und machte es sich auf einer großen Truhe bequem, die einem mittelalterlichen Original nachempfunden war. Dadurch wurde der Butler zu einer kleinen Improvisation angeregt.
Butler Parker sorgte erst mal für allgemeine Ablenkung. Mittels seiner Zwille und zweier Ton-Erbsen zerschoß er in der Möbelabteilung eine Neonröhre und eine ballonartige Lampe. Nachdem der Splitterregen niedergegangen war, beschäftigte sich nicht nur das zuständige Personal mit diesem Zwischenfall. Auch die Besucher der Möbelabteilung beeilten sich, die Glasscherben in Augenschein zu nehmen. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Butler sich ganz nach Belieben betätigen konnte. Er schleifte die beiden besinnungslosen Männer so an die Truhe heran, daß er sie ohne körperliche Anstrengung in den Behälter packen konnte. Danach entlud er die beiden Waffen, stopfte sie in die freien Zwischenräume und benutzte seinen Spezial-Spray, um die Männer außer Gefecht zu setzen. Dieser Spezial-Spray stammte aus einem kleinen Aluminiumzylinder, der wie ein Mundzerstäuber aussah. Eine kleine Dosis reichte bereits, um beiden Männern einen Schlaf von wenigstens einer halben Stunde Dauer zu bescheren. Anschließend schloß Parker den gewölbten Deckel und sicherte den Verschluß mit einer Kordel, die von einer Dekorationswand stammte. Gemessen und würdevoll schritt er dann zur Rolltreppe, begab sich eine Etage tiefer und belegte eine Telefonzelle. Er rief den Yard an und ließ sich mit dem diensttuenden Beamten verbinden. Er machte ihn mit verstellter, aber akzentuierter Stimme auf eine Truhe aufmerksam, die in einem bestimmten
Warenhaus in der Innenstadt zwei Gangster beherberge. Er legte auf, als man seinen Namen erfragte, verließ das Warenhaus und begab sich wieder zu seinem hochbeinigen Monstrum. Kein Mensch war auf den Gedanken gekommen, sich für seinen Wagen zu interessieren, obwohl der Parkplatz nur für Behördenfahrzeuge reserviert war. Parker steuerte sein Gefährt auf die Straße und verzichtete darauf, die Ankunft der Polizei abzuwarten. Nur zu gern hätte er noch den Stadtteil Wapping aufgesucht, doch die Zeit drängte. Lady Agatha würde ihre Meditation bald beenden. Sie wartete dann auf einen kleinen Imbiß, und der Butler wollte sie pünktlich bedienen. Vielleicht war es sogar gut, nicht sofort bei dem Mordschützen aufzutauchen. Dieser Mann, der Parkers Doppelgänger zerfetzt hatte, sollte sich in seinem Bürohaus sicher fühlen. Dies galt auch für den Mann, der den Morris gesteuert hatte und den Picketts Freunde in Stepney bis zu einem Friseursalon verfolgt hatten. Übereifer konnte jetzt nur schädlich sein. In Shepherd's Market angekommen, stieß er auf Kathy Porter und Mike Rander, die das Büro des Anwalts in der nahen Curzon Street gerade verlassen hatten. »Hallo, Parker«, fragte der Anwalt burschikos«, gibt es Neuigkeiten?« »Meine Wenigkeit verbrachte einen recht anregenden Aufenthalt in einem Warenhaus«, beantwortete der Butler die Frage in seiner gewohnt höflichen Form. »Bei dieser Gelegenheit kam es zu oberflächlichen Kontakten mit einigen Mitgliedern der Unterwelt.« »Man ist bereits konzentriert hinter Ihnen her?« Rander blickte den Butler erwartungsvoll an. »Man bemühte sich, Sir«, erwiderte Parker. »Es blieb allerdings bei Versuchen, die man nur als dilettantisch bezeichnen kann.«
»Jetzt untertreiben Sie aber sicher«, warf Kathy Porter ein und lächelte amüsiert. »Keineswegs und mitnichten, Miß Porter.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. »Bisher scheint die Gegenseite nur so etwas wie eine Vorhut ins Feld geschickt zu haben. Zur eigentlichen Treibjagd wird man sicher selbst einladen müssen.«
»Sonderlich geschickt war dies alles natürlich nicht«, mäkelte die ältere Dame herum, als der Butler seinen Bericht beendet hatte, »aber immerhin, Mister Parker, Sie haben wenigstens eine Brieftasche, die mich weiterbringen wird.« Die passionierte Detektivin ärgerte sich natürlich darüber, daß sie einige Abenteuer versäumt hatte. Dennoch verzehrte sie mit großem Appetit den Imbiß und wirkte danach ungemein animiert. Es drängte sie, sich endlich wieder betätigen zu können. »Ich finde, daß Mister Parker viel erreicht hat«, widersprach Kathy Porter übrigens der älteren Dame. »Wir wissen, wo man den Schützen finden kann und kennen die Adresse des MorrisFahrers, Mylady.« »Unwichtige Details, Kindchen«, behauptete Agatha Simpson. »Was werden diese beiden Subjekte schon bringen? Aber gut, ich werde bei Gelegenheit nach Wapping und auch nach Stepney fahren. Ich weiß bereits jetzt, meine Liebe, daß dies reine Benzinverschwendung sein wird, werde mich aber auf diesen Party-Lümmel konzentrieren. Er hält die Fäden in der Hand. Und er wird mir Rede und Antwort stehen!« »Sollte man nicht mal einen Blick in die Brieftasche werfen?« schlug Mike Rander vor. »Erstaunlich ist doch, daß
er neben seiner Waffe eine Brieftasche besaß.« »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte meine Wenigkeit Ihr Erstaunen teilen«, warf Josuah Parker ein, während er die erbeutete Brieftasche aufklappte. »Normalerweise pflegen Spezialisten der Unterwelt sich vor einem Einsatz der persönlichen Habe zu entledigen.« »Was haben wir denn da?« fragte die ältere Dame und blickte neugierig auf den Inhalt der Brieftasche, den der Butler auf dem Tisch ausbreitete. Es gab einige Getränke-Quittungen, die in einer bestimmten Nachtbar ausgestellt worden waren, dazu kam die Wochenabrechnung eines Hotels. Schließlich waren da noch Banknoten und ein kurzer Brief, dessen Kopf den Namen eines Hotels in Brighton nannte. »Spuren wie für eine Schnitzeljagd, Parker«, sagte der Anwalt. »Manche Leute sind eben besonders unvorsichtig«, tadelte die ältere Dame. »Überdeutliche Hinweise«, äußerte Mike Rander lächelnd. »Oder wirklich nur bodenloser Leichtsinn?« fragte Kathy Porter. »Man wird diesen Hinweisen nachgehen müssen, Miß Porter«, antwortete der Butler. »Eine andere Möglichkeit bietet sich nicht an.« »Was steht denn in diesem Brief?« fragte Agatha Simpson, deren linke Hand mit den Banknoten spielte. Von Geld wurde die Dame des Hauses magnetisch angezogen. »Eine gewisse Maud Lemless teilt einem Mister Ernie Catlin mit, sie habe zwei Doppelzimmer in ihrem Strandhotel reserviert und freue sich auf ihre Gäste. Es handelt sich um eine Buchungs-Bestätigung, wenn man so will«, sagte der Butler. »Miß oder Mistreß Lemless dürfte die Besitzerin des Strandhotels > Sonnen-Garten < sein, wie es hier heißt.«
»Das läßt sich schnell feststellen«, meinte Kathy Porter. »Ich werde anrufen, dann wissen wir genau Bescheid.« »Es handelt sich um ein Ferngespräch, meine Liebe«, protestierte die ältere Dame. »Was das alles wieder kostet!« »Eine Ausgabe, die sich lohnen wird, Mylady«, tröstete Kathy Porter. Sie notierte sich die Rufnummer des Hotels, die auf dem Briefkopf angegeben war, und ging dann in die angrenzende Bibliothek. »Ernie Catlin ist demnach also der Fahrer des Mini-Cooper, den Sie in der Tiefgarage erwischt haben«, machte der Anwalt klar. »Auf den Quittungen ist der Name Catlin allerdings nicht vertreten.« »Möglicherweise wollte man die Spur nicht zu deutlich auslegen, Sir«, gab Josuah Parker zurück. »Wovon wird hier eigentlich die ganze Zeit über geredet?« entrüstete sich Lady Agatha plötzlich. »Welche Spuren stehen hier zur Debatte?« »Mylady dürften selbstverständlich nicht entgangen sein, daß die Brieftasche Hinweise enthält, die man mit deutlichen Spuren gleichsetzen muß.« »Das merkte ich auf den ersten Blick«, schwindelte sie wie stets. »Man will Mylady in eine Falle locken«, bemerkte der Butler, »und bietet drei Möglichkeiten an.« »Aha.« Sie lehnte sich zurück. »Da wäre erst mal die Nachtbar, Mylady, dann das Hotel, von dem die Wochenabrechnung stammt, und schließlich das Strandhotel in Brighton.« »Ich habe alle Details im Kopf, Mister Parker«, behauptete sie, »und besitze das Gedächtnis eines Computers.« »Selbstverständlich sollte man auch bodenlosen Leichtsinn nicht ausschließen«, meinte der Butler. »Miß Porter verwies
freundlicherweise darauf.« »Sollte es sich um eine Falle handeln, Parker, dann hat dieser Mini-Cooper-Fahrer sich in der Tiefgarage absichtlich überraschen lassen«, warf der Anwalt ein. »Ein sonderliches Risiko ging er kaum ein, Sir, zumal zwei weitere Männer im Warenhaus selbst warteten. Die Gegenseite scheint gewisse Eventualitäten einkalkuliert zu haben.« »Ich habe es eben mit gerissenen Leuten zu tun«, stellte die Detektivin mit Genugtuung fest. »Man weiß bereits, wie gefährlich ich bin, Mister Parker.« Bevor der Butler antworten konnte, erschien Kathy Porter wieder. Sie nickte, als sie zum mächtigen Kamin kam, vor dem die Gesprächsrunde saß. »Maud Lemless ist die Inhaberin des Strandhotels«, bestätigte sie, »Und ist ausgebucht, wie sie mir am Telefon sagte. Sie hat kein Zimmer mehr frei.« »Weil alle Räume von diesen Gangstern belegt worden sind«, vermutete Lady Agatha. »Ich denke, ich werde in nächster Zeit nach Brighton fahren, Mister Parker.«
Der Friseursalon in Stepney gehörte keineswegs zur Spitzenklasse seiner Zunft. Er war in einem grauen Backsteingebäude untergebracht und bediente Damen und Herren, wie zu lesen war. Die nähere Region zeichnete sich durch eine gewisse Schäbigkeit aus. Reichtum war hier mit Sicherheit nicht vorhanden, auch nicht Wohlhabenheit. Am Nachmittag erschien eine junge, einfach gekleidete Frau im Lokal, orientierte sich kurz und betrat den Seitenraum, in dem die Damen bedient wurden. Die junge Frau trug neben ihrem billigen Kleid ein Kopftuch und hielt eine
Einkaufstasche in der Hand, aus der Sellerieknollen ragten. Der Betreiber des Salons war ein älterer Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren. Er trug einen leicht angeschmuddelten Friseurkittel und erkundigte sich nach den Wünschen der Frau, deren strähniges braunes Haar einen deutlichen Rotstich zeigte. Sie wünschte eine Ondulation, ließ sich in einem Behandlungsstuhl nieder und griff nach einem älteren Magazin. Die Friseuse kam hinter einem Vorhang hervor. Schätzungsweise war sie fünfundzwanzig. Die weißblonde Frau zeigte üppige Formen, die von den Knöpfen des Kittels nur mühsam gebändigt wurden. Sie kaute mit Andacht auf einem Kaugummi und ließ wenig Begeisterung erkennen, sich mit der Kundin zu befassen. Wenige Minuten später tönte erneut die Türklingel. Diesmal erschien ein älterer Mann im Salon. Er schlurfte in die Herrenabteilung und rauchte dabei eine Zigarre, deren Wolken leichte bis mittelschwere Hustenanfälle auslösten. Dieser Mann trug eine billige Nickelbrille. Seine Kleidung bestand unter dem zerschlissenen Raglanmantel aus einem grauen Anzug, der sicher aus dritter Hand stammte. Der Friseur blickte kurz auf seinen Kunden und deutete dann auf einen der ebenfalls drei vorhandenen Bedienungsstühle. »Haarschnitt«, verlangte der Mann, »aber nur die Spitzen. Ich muß auf 'ne Hochzeit.« »Hier in der Gegend?« fragte der Friseur. »Stepney«, lautete die kurze Erwiderung. »Gehört Ihnen der Wagen draußen?« »Welcher Wagen?« wollte der Friseur wissen. »Morris oder so«, meinte der Kunde. »Eben haben einige Bengel die Frontscheibe eingeworfen.« »Frontscheibe? Morris?« Der Friseur reagierte wie elektrisiert und warf das bereit gehaltene Umhängetuch auf
einen freien Sitz. Dann lief er schnell zur Tür des Ladens und ging nach draußen. »Haben Sie keinen zweiten Friseur?« fragte der Kunde. Er hatte sich an die Friseuse gewandt und stand gleichzeitig auf. »Hier sin' nur der Chef und ich«, erklärte sie. »Mehr wirft die Bruchbude nich' ab.« »Sie haben keine Aushilfe?« wollte der Kunde fast gelangweilt wissen. »Manchmal schon, meistens am Wochenende«, sagte die Friseuse. »Dann springt der Sohn vom Chef ein.« Für weitere Fragen blieb keine Zeit. Der Betreiber des Salons kehrte zurück und blickte den Kunden irritiert an. »Welchen Wagen haben Sie eigentlich gemeint? Mein Morris ist in Ordnung.« »Es handelt sich um jenen Morris, mit dem ein Mann chauffiert wurde, der ein sogenannter Killer ist«, antwortete der Kunde überaus höflich und ohne jeden Akzent. »Über dieses Thema sollte man sich vielleicht ein wenig ausführlicher unterhalten.«
Mit diesem Vorschlag war der Haar-Stylist gar nicht einverstanden. Wie gut er allerdings verstanden hatte, bewies seine schnelle Reaktion. Er langte nach einem Rasiermesser, klappte es gekonnt auf und wollte seinen Kunden attackieren. Josuah Parker sah keine Veranlassung mehr, seine Tarnung beizubehalten. Er hatte absichtlich Maske gemacht, um sich im Salon erst mal in aller Ruhe zu orientieren. Er liebte es, immer wieder
mal in eine andere Haut zu schlüpfen, um seine Gegner abzulenken, zu irritieren und zu täuschen. Als er das Rasiermesser sah, reagierte er auf seine unverwechselbare Art. Parker nahm fast gelassen einen großen Zerstäuber in die Hände und bedachte den Haarkünstler mit einem stark duftenden Wasser, in dem viel Alkohol enthalten war. Der Stylist in Sachen Haarschmuck schloß umgehend die Augen und verlor die Orientierung. Er fuchtelte mit dem Rasiermesser in der Luft herum, schlug dann mit der scharfen Klinge wilde Schnitte durch die Luft und gab sich der Hoffnung hin, auf diese Weise den Butler vielleicht treffen zu können. Parker blickte in die angrenzende Damenabteilung. Auch dort tat sich inzwischen einiges. Die üppige Blondine befand sich auf dem Weg zu einer Hintertür, doch die Kundin war mit dieser Absetzbewegung überhaupt nicht einverstanden. Die einfach gekleidete Frau glitt geschmeidig aus dem Behandlungsstuhl und warf eine Handvoll Lockenwickler in Richtung Tür, die die Friseuse schon fast erreicht hatte. Diese Lockenwickler erwiesen sich als übles Gleitmittel. Die Friseuse stolperte, fiel gegen die Tür, die sie schon aufgerissen hatte, rutschte zu Boden, richtete sich wieder auf und griff die Kundin an, die sich jedoch wirkungsvoll zu wehren verstand. Sie hatte eine Spraydose mit Haarfestiger mitgebracht und besprühte die üppige Blondine damit ausgiebig. Sie schloß die Augen wie ihr Chef in der Herrenabteilung, hustete, spuckte dann im wahrsten Sinn des Wortes Gift und Galle und kreischte in schrillem Diskant. Die Kundin erstickte das Protestgeschrei auf wirkungsvolle Art. Sie benutzte das weite Umhängetuch, das man ihr über die Schultern gelegt hatte, schlug es über den Kopf der Friseuse
und wickelte dann deren Oberkörper fest ein. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Friseuse hilflos zwischen zwei Behandlungsstühlen saß. »Wenn Sie gestatten, Miß Porter, möchte meine Wenigkeit Ihnen zu dieser Aktion gratulieren«, sagte Parker zu der einfachen Frau. »Vielen Dank«, antwortete Kathy Porter, die ebenfalls Maske gemacht hatte. Sie war zur Rückendeckung des Butlers in den Salon gegangen. »Es gibt einen Sohn, Miß Porter«, erinnerte der Butler wieder in seiner üblichen Sprechweise. »Bei ihm könnte es sich um den Fahrer des Mordschützen handeln.« Während Parker noch sprach, wurde die Tür energisch geöffnet. Ein etwa dreißigjähriger Mann stürzte in den Salon und blieb wie angewurzelt stehen. Dann blickte er auf das eingeschnürte Bündel am Boden und wollte sich schleunigst wieder absetzen. Parker war jedoch dagegen. Er besprühte den jungen Mann mit dem bereits bewährten Gesichtswasser, während Kathy Porter sich des Haarfestigers bediente, um den Sohn des Haar-Stylisten festzunageln. Der junge Mann schnappte verzweifelt nach Luft und taumelte in Richtung Kathy. Dabei stieß er wütende Laute aus. Er hörte erst auf damit, als Kathy Porter ihn in einen Behandlungsstuhl drückte. »Wenn Sie meine Wenigkeit kurz entschuldigen wollen, Miß Porter«, bat Josuah Parker. Er ging zurück zu dem Haarkünstler, der das Rasiermesser weggeworfen hatte und sich intensiv die Augen rieb. Er sah den Butler in Umrissen und wollte sich erneut auf ihn stürzen. »Sie aktivieren völlig unnötig Ihre Energienerven«, meinte der Butler. »Einer kurzen Unterhaltung sollten Sie nicht abgeneigt sein. Darf man Sie in die Damenabteilung bitten?«
Der Friseur ging auf diese Bitte nicht ein und langte nun zur Abwechslung nach einer Schere. Parker war an einem Haarschnitt überhaupt nicht interessiert, wich geschickt zurück und lockte den Mann so in die Damenabteilung des Salons. Als man hier angekommen war, erschien Kathy und bedachte den Haarkünstler mit einem trockenen Handkantenschlag. Daraufhin hatten Parker und Kathy Porter einige Mühe, den Mann auf einen Sessel zu hieven. Kathy ging zur Ladentür und drehte ein an der Scheibe befestigtes Schild herum. Auf diesem war zu lesen, daß der Salon vorübergehend geschlossen wäre. Als Kathy zurückkehrte, schloß sie den Vorhang zur Damenabteilung und sorgte dafür, daß von der Straße aus keine Beobachtung möglich war. »Zur Sache nun«, schickte der Butler voraus und widmete sich dem Sohn des Haarkünstlers. »Meine Wenigkeit geht davon aus, daß Sie mir einiges zu sagen haben werden.«
Aus einer Tasche des zu weiten Raglanmantels zauberte Josuah Parker eine Rolle Verpackungsband, das aus zäher und sehr haftender Kunststoff-Folie bestand. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er den Friseur, dessen Sohn und schließlich auch die Onduliererin auf den Behandlungsstühlen festgeklebt hatte. Kathy Porter half ihm dabei mit geschickter Hand. Die drei Haar-Stylisten waren noch zu benommen, um sich gegen diese Aktion zur Wehr zu setzen. Der Sohn des Friseurs starrte aus rot unterlaufenen Augen in den etwas blinden Spiegel über dem Haarwaschbecken und kreuzte dann seinen Blick mit Parker.
Der Senior des Hauses hielt die Augen geschlossen und war in sich zusammengerutscht. Nur seine Unterarme, auf den Stuhllehnen mit Packband befestigt, hielten ihn einigermaßen aufrecht. Die Ondulierkünstlerin, wieder befreit von dem Umhängetuch, rutschte nervös auf dem Stahlsitz herum. Sie beobachtete dabei Kathy Porter, die einige Scheren sortierte. »Darf man noch mal an den Morris erinnern, den Sie chauffierten«, meinte Parker zu dem Junior. »Sie fuhren einen Mann von Shepherd's Market wohin, wenn man fragen darf?« »Sie ... Sie müssen mich verwechseln«, log der junge Mann. »Ich fahr' doch keine Leute durch die Gegend. Bin ich vielleicht Taxifahrer?« »Dieses Thema sollte man nicht weiter vertiefen«, schlug Josuah Parker vor und nickte Kathy Porter zu. »Die Haarschneidemaschine, Miß Porter.« »Moment mal, was haben Sie vor?« per Dreißigjährige verfügte über einen wallenden Haarschopf, der bis in den Nacken reichte. »Es war schon immer der Wunsch meiner Wenigkeit, eine neue Frisur zu kreieren«, erwiderte der Butler und hielt die Haarschneidemaschine hoch, die Kathy ihm gerade gereicht hatte. Er schaltete das Gerät ein und nickte dem Junior zu. »Neu ... Neue Frisur?« stotterte der junge Mann und blickte den Butler entsetzt an. »Möglicherweise werden Sie im nachhinein geradezu begeistert sein.« Parker näherte sich mit der summenden Maschine der wilden Haarpracht, die vor Pomade glänzte und nach Jasmin roch. Der Junior bot den Hals zur Seite und wollte seinen Kopfschmuck in Sicherheit bringen. Dann aber stöhnte er verhalten auf, denn Parker hatte den Scherkopf der kleinen Maschine am
Haaransatz aufgelegt. »Meiner Wenigkeit geht es nur darum, Ihr Erinnerungsvermögen zu stimulieren«, beruhigte Parker den Junior. »Wahrscheinlich wird es voll revitalisiert sein, sobald man erst mal eine kleine Schneise angelegt hat.« »Nein, nein ... nein«, stöhnte der um seine Löwenmähne Fürchtende. »Ich red' ja schon.« »Sie sollten zur Kenntnis nehmen, daß man Sie keineswegs unter Druck zu setzen gedenkt«, stellte der Butler klar. »Ich hab' da 'nen Mann herumgefahren«, räumte der Junior ein. Er sprach schnell, seine Worte überstürzten sich fast. »Ich geb's ja zu, Mann. Ich hab' den nach Soho gebracht.« Diese Aussage war eine faustdicke Lüge, wie Parker wußte. Horace Picketts Freunde hatten schließlich genau beobachtet, daß der Morris-Fahrer den Mordschützen nach Wapping transportiert hatte, wo der Mann dann in einem neuen Bürohaus verschwand. Parker begann mit dem Anlegen der Haarschneise. Der Junior heulte gequält und schüttelte sich. »Sie wollten etwas sagen?« erkundigte sich der Butler und nahm die Haarschneidemaschine vom Nacken. »Nach Wapping hab' ich den Typ gebracht«, sagte der Junior hastig und blickte in den Spiegel, »nach Wapping. Ehrenwort!« »Und mit welchem Namen sprachen Sie ihn an?« »Harry Brown«, lautete die Antwort. Parker war jetzt klar, daß dieser Name nicht stimmte, doch darauf kam es nicht an. Er fragte, in wessen Auftrag man diesen Harry Brown nach Shepherd's Market gebracht habe. »Das hab' ich für Ernie Catlin gemacht«, lautete die überraschende Antwort. Parker ließ sich nicht anmerken, daß er diesen Namen bereits kannte. Der Träger war der MiniCooper-Benutzer aus der Tiefgarage des Warenhauses. Ernie
Catlin hatte eine Brieftasche bei sich gehabt, in der sich Getränke-Quittungen und eine Wochenrechnung eines kleinen Hotels in Whitechapel befanden. »Ernie Catlin«, wiederholte der Butler den Namen. »Welchem Beruf geht Mister Catlin nach, und wo könnte man ihn finden?« »Er wohnt hier in Stepney«, antwortete der Junior, um dann mit einer genauen Adresse zu dienen. Von dem kleinen Hotel im Whitechapel sagte er kein Wort.
»Sie waren wieder mal nicht konsequent genug, Mister Parker«, tadelte die ältere Dame ihren Butler, der mit Kathy Porter nach Shepherd's Market gekommen war. »Ich hätte diesem Lümmel den Kopf völlig kahl geschoren.« »Ein Versäumnis, Mylady, das man vielleicht schon bald korrigieren kann«, erwiderte der Butler. »Aus Zeitgründen beeilten Miß Porter und meine Wenigkeit sich, Mister Catlin aufzusuchen.« »Aha! Und wer ist dieser Catting?« »Mister Ernie Catlin«, korrigierte der Butler in gewohnter Höflichkeit. »Es handelt sich bei dieser Person um den Fahrer des Mini-Cooper, den man in der Tiefgarage des Warenhauses stellen und dessen Brieftasche man an sich nehmen konnte.« »Ich weiß«, wehrte sie ungehalten ab. »Ich habe alle Details abrufbereit im Kopf, Mister Parker. Sie fuhren also zu diesem Subjekt?« »Um feststellen zu müssen, Mylady, daß Mister Catlin nicht zu erreichen war«, berichtete Josuah Parker weiter. »Mister Ernie Catlin hat laut Auskunft eines Nachbarn vor einigen
Wochen sein Apartment gekündigt und ist verzogen.« »Dann wohnt er jetzt also in diesem kleinen Hotel in Whitechapel, wie?« schaltete Mike Rander sich ein. »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Sir«, pflichtete der Butler dem Anwalt bei. »Die Hoteladresse ist bekannt.« »Ich werde mir dieses Subjekt umgehend kaufen«, entschied die Detektivin, die wieder mal einen unternehmungslustigen Eindruck machte. »Was treibt dieser Lümmel?« »Mister Ernie Catlin gibt sich als Handelsvertreter aus und verkauft Trockenblumen-Gestecke, Mylady.« »Auf was Gangster nicht alles kommen«, wunderte sich Mylady. »Ich werde ihm die Trockenblumen bald um die Ohren schlagen, Mister Parker. Was plane ich sonst noch?« »Mylady gehen davon aus, daß das kleine Hotel in Whitechapel sicher eine Falle darstellt.« »Das wußte ich sofort«, behauptete sie in gewohnter Weise. »Man wird sich diesem Hotel also in vorsichtiger Art nähern müssen.« »Dabei aber nicht übertreiben«, schränkte sie sofort ein. »Sonst bin ich durchaus einverstanden.« »Danach sollte man versuchen, den Mordschützen in Wapping zu, stellen, Mylady.« »Weiß ich inzwischen genau, wo dieser Lümmel zu finden ist?« »Der Sohn des Friseurs konnte mit einigen interessanten Hinweisen dienen. Inzwischen dürfte er jedoch den erwähnten Mordschützen gewarnt haben.« »An Ihrer Stelle wäre ich sofort nach Wapping gefahren und hätte dieses Subjekt ausgehoben, Mister Parker. Sie sind manchmal sehr unentschlossen und übervorsichtig.« »Der Mordschütze wird überwacht, Mylady«, meinte der
Butler. »Mister Pickett und seine Freunde haben diese Arbeit übernommen. Sie wurden noch vom Friseursalon aus entsprechend informiert.« »Der gute Pickett«, sinnierte sie halblaut und lächelte fast versonnen. »Ich müßte ihn eines Tages mal zum Tee einladen, Mister Parker. Erinnern Sie mich bei Gelegenheit daran.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker deutete eine Verbeugung an. »Dann war da doch noch etwas mit Brighton«, erinnerte die ältere Dame. »Hoffentlich haben Sie die Einzelheiten noch im Kopf, Mister Parker?« »Eine gewisse Miß Maud Lemless bestätigte in einem Brief an Mister Catlin, sie hätte zwei Doppelzimmer reserviert. Sie ist, wie man inzwischen durch einen Rückruf von Miß Porter weiß, die Betreiberin eines Strandhotels namens SonnenGarten.« »Richtig.« Sie tat so, als wäre ihr das alles wohlbekannt. »Die Treibjagd kann beginnen. Im Grund ist es völlig gleichgültig, wo ich zuerst beginne. Ich werde überall gebraucht.«
Das kleine Hotel in Whitechapel sah solide und sauber aus. Es lag in einer relativ ruhigen Straße mit vielen kleinen Geschäftslokalen. Es war dem Ring der britischen Handelsvertreter angeschlossen und beherbergte in der Mehrzahl Reisende, die in London zu tun hatten und preiswert wohnen wollten. Am Spätnachmittag traf ein Vauxhall ein, dessen Kennzeichen auf Birmingham verwies. Am Steuer des Wagens
saß ein älterer Mann, der wie ein typischer Handlungsreisender aussah. Er trug einen zerknitterten, schlecht sitzenden Anzug, derbe Schuhe mit bereits schiefen Absätzen und stemmte einen großen Musterkoffer aus seinem Wagen. Der Mann hatte ein volles Gesicht mit Hamsterbacken und grauem Schnurrbart und mochte um die fünfundfünfzig sein. Mit kurzen, schnellen Schritten trug er seinen Musterkoffer über die drei Stufen zum Hoteleingang hinauf, mühte sich mit der Tür ab und schnaufte, als er die Rezeption erreichte. »Badser, Bristol, Porzellan waren«, sagte er zu dem Portier. »Ich brauche für vier Tage ein Zimmer, möglichst keines über der Küche.« »Mister Badser«, wiederholte der Portier, der den neuen Gast mit schnellem Blick abtaxiert hatte, »Mister Badser, ich fürchte, daß wir nicht mehr viel anzubieten haben.« »Ich will nicht viel, ich will nur ein Zimmer«, gab der Handlungsreisende zurück und gähnte unverhohlen. »In Zukunft werde ich vorher anrufen und buchen. Ich habe die Tour London übernommen.« »Ich hätte da noch ein Zimmer, Mister Badser«, lautete die hoffnungsfrohe Antwort. »Vierte Etage, unter dem Dach, aber sauber und ruhig.« »Ist bereits genommen.« Der Handlungsreisende machte einen erleichterten Eindruck. »Sagen Sie, wo kann man sich hier mal schnell die Hände waschen? Ich sitze seit einigen Stunden am Steuer.« »Drüben, neben der Bar.« Der Portier deutete in den Hintergrund der kleinen Halle. Der Handlungsreisende nickte und machte sich auf den Weg. Als er hinter einer Ecke des Korridors verschwunden war, kam der Portier um den Tresen herum und interessierte sich äußerst fachmännisch für den Musterkoffer. Er ließ die beiden Metallschlösser aufschnappen und warf einen Blick ins Innere
des Behältnisses. Er entdeckte Kataloge, Bestellblocks und Einzelmuster. Das alles war sauber verpackt und wurde von Laschen festgehalten. Als der Handlungsreisende zurückkehrte, war die Inspektion bereits beendet. Der Portier reichte dem neuen Gast den Zimmerschlüssel und nickte ihm zu. »Einen Moment noch, bitte«, rief er dem Mann nach. »Gibt's Schwierigkeiten?« wollte der Ankömmling wissen. »Sind Sie vielleicht mit einem Mister Catlin verabredet?« »Catlin ...? Catlin ...? Wie kommen Sie darauf? Wer sollte das sein?« »Auch ein Handlungsreisender«, meinte der Portier. »Er wohnt seit etwa zwei Wochen hier.« »Ich kenne keinen Catlin«, sagte der neue Gast. »Hat er etwa meinen Namen genannt?« »Das nicht, er sprach aber von einem Kollegen aus dem Westen. Mister Catlin wohnt auf Ihrer Etage, Zimmer sechsunddreißig.« »Warum auch nicht?« Der Handlungsreisende nahm wieder den Musterkoffer zur Hand und ging zum Fahrstuhl, der einen zwar abgenutzten Eindruck machte, ihn jedoch sicher in die vierte Etage trug. Im Zimmer angekommen, ließ der Mann sich in einen Sessel fallen und streckte erst mal die Beine aus. Josuah Parker war mit seinem Auftritt in dem kleinen Hotel in Whitechapel mehr als zufrieden. Man schien seine Maske als Handlungsreisender voll akzeptiert zu haben, dennoch hatte man ihn als Neuankömmling auf Ernie Catlin hingewiesen. Der Verdacht, daß dieses Zimmer Nr. 36 eine Falle war, ließ sich nicht mehr von der Hand weisen. Wahrscheinlich fragte der Portier jeden neuen Gast, ob er vielleicht mit einem gewissen Ernie Catlin verabredet wäre. Und nicht umsonst fügte er wohl in allen Fällen auch noch die
Zimmernummer hinzu, um den Weg in die Falle auch sicher zu machen. Ob der Portier nur im Auftrag handelte oder gar Bescheid wußte, stand auf einem anderen Blatt. Der Hinweis auf Catlin war der eindeutige Beweis dafür, daß die Brieftasche nichts anderes gewesen war als ein Köder. Und der gesamte Inhalt dieser Brieftasche diente dazu, diese Falle schmackhaft zu machen. Wie mochte diese Falle aussehen? Wartete dort ein Spezialist? Hatte man ein raffiniertes Schießgerät aufgebaut? Nun, Parker war nicht der Mann, der etwas überstürzte. Ihm genügte es zu wissen, daß er auf dem richtigen Weg war, um an die Bosse heranzukommen, die in London ein Monopol aufziehen wollten. Es klopfte an der Tür. »Herein«, rief der angebliche Handlungsreisende und richtete sich ein wenig auf. Er war gespannt, was sich ereignen würde.
»Ich bringe die Handtücher«, sagte der Portier, als er eintrat. Er blickte sich neugierig um. »Prächtig«, meinte der Handlungsreisende. »Können Sie mir noch einen Gefallen tun?« »Bestimmt, Mister Badser, wenn ich dazu nicht zu viel Zeit brauche, die Rezeption unten ist sonst nicht besetzt.« »Sie könnten mit mir zu diesem Mister Catlin gehen.« »Ich glaube, er ist außer Haus, Mister Badser, aber er müßte eigentlich innerhalb der nächsten halben Stunde zurückkommen. Das ist so seine Zeit. Er ist pünktlich wie ein
Maurer.« »Also Zeit genug, um einen Blick in sein Zimmer zu werfen?« »Wie soll ich denn das verstehen?« »Sie haben doch bestimmt einen Generalschlüssel, nicht wahr?« »Das schon, aber... Hören Sie, Sir, in unserem Hotel ist so etwas nicht üblich.« »Sie werden eine Ausnahme machen«, antwortete der Handlungsreisende und hielt plötzlich eine Pistole in der linken Hand. Der Schalldämpfer war von beachtlicher Länge. »Was soll das bedeuten?« fragte der Portier überflüssigerweise. »Sie werden die Tür zum Zimmer sechsunddreißig öffnen«, verlangte der Butler. Er gab sich nicht als Josuah Parker zu erkennen. »Sind Sie wahnsinnig, Mann?« Der Portier blickte gebannt auf die Schußwaffe. »Die Hotelleitung feuert mich glatt, wenn das bekannt wird.« »Es könnte unter uns bleiben.« »Wer sind Sie eigentlich?« »Ein Handlungsreisender, der sich auskennt«, erwiderte Parker im Tonfall der vorgetäuschten Person. »Falls Sie mit dem Gedanken spielen, mich angreifen zu wollen, werden Sie anschließend einen Notarzt brauchen.« »Hören Sie, warum warten Sie nicht, bis Mister Catlin wieder zurück ist?« Der Portier wollte eindeutig Zeit schinden. »Gehen wir«, erklärte Parker knapp. »Sie werden die Zimmertür öffnen, mehr wird gar nicht verlangt.« »Mann, wer sind Sie wirklich? Hören Sie, ich kann die Tür nicht öffnen, ich hab'...«
»Was hindert Sie daran?« unterbrach Parker ihn.
»Catlin hat ein Steckschloß eingesetzt.«
»Das ich mir aus der Nähe ansehen werde. Kommen Sie!«
Der Portier merkte, daß er im Moment keine Chance hatte.
Parker dirigierte den Mann vorsichtig aus dem Zimmer, trieb ihn über den Korridor und deutete mit dem überlangen Lauf der Pistole auf die Zimmertür. »Ich gebe Ihnen eine Minute Zeit, dann ist die Tür geöffnet«, meinte Josuah Parker in kühlem Ton. »Falls Sie es bis dahin nicht geschafft haben, werden Sie Ärger mit Ihrem linken Knie bekommen.« »Ich... Ich kann die Tür nicht öffnen.« Der Portier schwitzte, seine Hände vibrierten. Er wich zurück. »Sie haben noch vierzig Sekunden Zeit.« »Verstehen Sie doch, ich kann die Tür nicht öffnen«, wiederholte der Portier. »Wenn ich's mache, bin ich geliefert.« »Dreißig Sekunden«, zählte der Butler ungerührt. Er ahnte längst, warum der Portier sich sperrte. »Wenn ich's mache, bekomme ich eine Schrotladung ab«, stöhnte der Mann, der jetzt die sprichwörtliche Katze aus dem Sack ließ. »Verstehen Sie doch, hinter der Tür ist 'ne Schrotkanone!« »Die für wen gedacht ist?« »Für so einen komischen Butler«, gestand der Portier. »Der wird hier erwartet. Für den is' die Schrotladung gedacht.« »Wer hat die Falle gebaut?« Parker konnte sehr knappe Fragen stellen, wenn es seine Maske erforderte. »Catlin«, lautete die Antwort. »Kennen Sie den vielleicht? Moment mal, sind Sie etwa dieser Butler?« »Wo findet man Catlin?« wollte Parker wissen, ohne auf die
Frage des Portiers einzugehen. »Ich weiß das nicht und ... Stop, machen Sie keinen Blödsinn, Mann, ich red' ja schon. Catlin wohnt im Nebenhaus.« »Haben Sie ihn dahingehend verständigt, daß ein neuer Gast eingetroffen ist?« »Ich... Ich hab' ihn angerufen«, räumte der Portier ein und nickte. »Will er kommen?« »Er wollt' mal 'nen Blick auf Sie werfen, Mann. Sind Sie der Butler?« »Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte der Butler sich jetzt vor. »Schließen Sie auf, wir wollen die Schrotladung zünden!« Der Portier hatte Mühe, das Schloß aufzusperren. Er brauchte einige Zeit dazu. »Drehen Sie jetzt den Türknauf«, lautete der nächste Befehl des Butlers. Der Portier arbeitete mit der Vorsicht eines Chirurgen, drehte den Türknauf und wich dann seitlich aus. Er blieb an der Wand neben der Tür stehen und beobachtete den Butler, der nach einem Hocker langte, der in einer Wandnische stand. Parker nahm ihn hoch und warf ihn kraftvoll gegen die Tür, die sofort aufschwang.
Dumpf dröhnte der Schuß. Die Schrotkugeln zerfetzten das Türblatt aus leichtem Sperrholz. Splitter und Mörtel wirbelten durch die Luft. Haarscharf an Parker vorüber pfiffen einige
Schrotkugeln und rissen die gegenüberliegende Korridorwand auf. Der Portier war in den Knien weich geworden und rutschte an der Wand zu Boden. Parker warf einen Blick ins Zimmer, in dem der Staub wirbelte. Zweieinhalb bis drei Meter entfernt von dem, was die Tür mal gewesen war, stand ein aus der Richtung gerutschter Aktenbock. Auf diesem lag eine Schrotflinte mit abgesägtem Lauf. Sie war mit Packband und Schnur auf der behelfsmäßigen Lafette festgezurrt worden. Über einige Ringhaken, die man in die Zimmerwand gedreht hatte, führte eine Schnur von der Tür bis zum Abzug. Es handelte sich dabei um ein zwar einfaches, aber äußerst sinnvolles System, wie sich gerade gezeigt hatte. »Bender... Bender?« war in diesem Moment eine Stimme von der Treppe zu vernehmen, die um den Fahrstuhlschacht führte. »Hier«, rief Parker, bevor der Portier antworten konnte. »Alles geklappt?« Die Stimme kam immer näher. »Alles okay«, erwiderte der Butler und wartete, bis Ernie Catlin oben im Korridor erschien. Der Gangster bremste jäh seinen optimistischen Schwung, als er die Pistole in der Hand des Handlungsreisenden erblickte. »So sieht man sich wieder«, meinte der Butler. »Sie sollten Ihre Scheu ablegen und nähertreten.« »Butler... Parker?!« Catlins Stimme klang ungläubig. »In der Tat«, bestätigte der Handlungsreisende. »Aus guten Gründen hielt meine Wenigkeit es für angeraten, das Äußere zu verändern.« »Das... Das glaube ich nicht, nee, das sind Sie nicht!« Ernie Catlin schüttelte den Kopf. »Sie werden sich damit abfinden müssen, Mister Catlin«,
sagte der Butler in seiner bekannt höflichen Art. »Sie haben sich außerordentliche Mühe gegeben, meine Wenigkeit in das oft zitierte Jenseits zu befördern.« »Wieso ... Verdammt... Wieso sind Sie mir auf die Schliche gekommen?« fragte Ernie Catlin und schüttelte nach wie vor den Kopf. »Ihre Fährte war ein wenig überdeutlich«, meinte Josuah Parker. »Wie Sie sicher wissen, ist die Rede von der Füllung Ihrer Brieftasche, die man in der Tiefgarage fand.« »Ich hab' von dem da nichts gewußt«, log Ernie Catlin, der näher gekommen war, da Parker ihn durch einen Wink mit der Waffe dazu eingeladen hatte. »Eine verständliche Schutzbehauptung«, meinte Parker. »Sie montierten und justierten das Schrotgewehr in wessen Auftrag, Mister Catlin?« »Damit habe ich überhaupt nichts zu tun.« »Man wird Mister Don Dragsler anvertrauen, daß Sie auf ihn verwiesen haben«, schickte der Butler voraus. »Mister Dragsler wird keinen Moment daran zweifeln.« »Ich ... Ich habe doch überhaupt nichts gesagt«, empörte sich Catlin. »Mister Dragsler wird Ihnen das kaum glauben, Mister Catlin«, befürchtete Parker. »Er wird Ihnen vor allen Dingen kaum etwas antun können, sofern Sie umgehend das sichere Weite aufsuchen, Mister Catlin.« »Wen soll ich aufsuchen?« »Das Weite«, wiederholte der Butler. »Sie haben noch Zeit und Gelegenheit, die Stadt zu verlassen, bevor die Spezialisten aus den Staaten Treibjagd auf Sie machen.« »Sie wollen mich abhauen lassen?« Catlin hatte verstanden. »Dafür erwartet meine Wenigkeit eine kleine Gegenleistung, wie Sie sicher verstehen werden.«
»Okay, Parker, was muß ich tun?« Catlin setzte sich in Gedanken bereits ab. »Kann ich auch abhauen?« wollte der Portier schüchtern wissen. »Sie können gemeinsam Ihren Ausflug unternehmen«, antwortete Josuah Parker, um sich dann wieder Catlin zuzuwenden. »Wo sind die Herren aus den Staaten hier in London abgestiegen?« »Dragsler hat sie untergebracht«, lautete die Antwort. »Er und Ketting haben für Quartier gesorgt.« »Aber nich' hier in London«, fügte der Portier eilfertig hinzu. »Das weiß ich genau. Die wohnen im Süden der Stadt, irgendwo auf dem Land. Das hab' ich mitbekommen.« »Und bei welcher Gelegenheit?« »Als Ketting von hier aus angerufen hat.« »Sie werden mein Mißtrauen verstehen«, erwiderte der Butler. »Warum sollte Mister Ketting vom Hotel aus angerufen haben?« »Das Hotel gehört doch Dragsler«, sagte der Portier. »Zuerst waren die Leute aus den Staaten hier, aber dann sind sie ausgezogen.« »Eine genaue Ortsangabe wäre für Sie ungemein hilfreich«, riet der Butler eindringlich. »Brighton«, sagte Catlin. »Sie warten da in einem Hotel auf den Rückmarsch. Die wollten erst mal in Deckung gehen, bis hier alles mit Ihnen über die Bühne gegangen war, ja? Können wir jetzt abhauen? « »Der Schuß hat erstaunlicherweise, hier im Hotel so gut wie keine Reaktion ausgelöst«, wunderte sich der Butler. »Die hier wohnenden Gäste haben bestimmt keinen Schuß gehört«, meinte der Portier und lächelte flüchtig. »Geräusche dieser oder ähnlicher Art scheint man
berufsmäßig zu ignorieren.« »Können wir jetzt endlich verschwinden?« fragte Catlin ungeduldig. »Meine Wenigkeit wird Sie nach unten bringen«, entgegnete der Butler. »Man wird dieses gastliche Haus gemeinsam verlassen, wenn es recht ist.« Catlin und der Portier gingen voraus, dicht gefolgt von Parker. Im Hotel herrschte eine ungewöhnliche Ruhe. Die Gäste des Hauses gehörten mit Sicherheit zur kriminellen Szerie, sonst hätten sie anders reagiert. Während des Weges nach unten ins Erdgeschoß passierte nichts. Als man die Halle betrat, blieb Catlin dann aber wie angewurzelt stehen. Er sah vor sich eine mehr als stattliche, geradezu majestätische Erscheinung, die einen perlenbestickten Pompadour schwang. Auf dem weißgrauen Haar der Dame, die sicher das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, saß ein skurriles Hutgebilde, das an einen verunglückten Topfkuchen erinnerte. »Sind das die beiden Subjekte, die Sie umbringen wollten?« dröhnte die sonore Stimme Agatha Simpsons. »Dem ist kaum zu widersprechen, Mylady«, antwortete der Butler. »meine Wenigkeit sicherte ihnen eine Art freies Geleit zu.« »Papperlapapp«, setzte sie hinzu, unwirsch und sogar ein wenig aufgebracht. »Das freie Geleit hatten die Subjekte bis hierher! Aber jetzt schalte ich mich ein, Mister Parker. Ich lasse es grundsätzlich nicht zu, daß man meinen Butler umbringen will. In dieser Beziehung bin ich ausgesprochen empfindlich.«
»Das wird Mister McWarden sein«, freute sich die ältere Dame. Sie befand sich im kleinen Salon ihres altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd's Market und hatte gerade ihr Dinner beendet. Sie labte sich noch an einer Portion Eis, die mit heißen Himbeeren übergössen war. Mylady hatte sich nicht geirrt. Der Chief-Superintendent, dem Parker geöffnet hatte, grüßte die ältere Dame und warf einen Blick auf die mächtige Eisportion. »Spezielle Diät?« fragte McWarden dann anzüglich. »Nur Wasser und Luft«, erwiderte Agatha Simpson und deutete auf die Eiskugeln. »Und dazu natürlich frisches Obst, das ja bekanntlich gesund ist, nicht wahr? Sie haben wieder mal Schwierigkeiten, mein lieber McWarden? Sie kommen nicht weiter?« »Verrückte Dinge haben sich getan«, schickte der ChiefSuperintendent voraus und nahm am Tisch Platz, nachdem die Hausherrin eine kaum erkennbare, einladende Geste gemacht hatte. »Da wurde zuerst mal in einem kleinen Hotel in Whitechapel eine Tür förmlich zerfetzt.« »Wie uninteressant«, stichelte Agatha Simpson prompt. »Durch einen Schrotschuß, Mylady«, berichtete McWarden. »Wir fragen uns, wer diese Tür öffnen sollte.« »Befassen Sie sich neuerdings mit zerschossenen Türen, mein lieber McWarden?« fragte Lady Agatha selbstgefällig.
»Wir wurden durch einige Anrufe aus der Nachbarschaft auf dieses kleine Hotel aufmerksam gemacht«, erklärte McWarden, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Ein Anruf aus dem Hotel erfolgte nicht.« »Wurden dazu Gründe angegeben, Sir?« schaltete Josuah Parker sich ein. »Keiner wollte diesen Schuß gehört «haben«, meinte ChiefSuperintendent. »Aber uns wunderte dies kaum noch, als wir eine Überprüfung der Hotelgäste vornahmen. Es handelte sich bis auf eine Ausnahme nur um Männer, die sich als Reisende ausgeben, tatsächlich aber zur Unterwelt gehören. Sie stammen aus allen großen Städten der Insel und haben in unserer Kartei bereits Namen.« »Man könnte fast schlußfolgern, Sir, daß man sich zu einer Art Kongreß eingefunden hat.« »Diesen Eindruck habe ich auch, Mister Parker«, bestätigte der Chief-Superintendent und nickte. »Zwei dieser Gäste waren außer Haus. Wir fanden sie in der Truhe eines Warenhauses.« »Wiederholen Sie das bitte noch mal, mein lieber McWarden«, bat Agatha Simpson und tat überrascht. »Die beiden Gäste lagen in der Truhe eines Warenhauses in der City«, sagte McWarden, der Myladys Bitte nur zu gern nachkam. »Sie waren bestens verschnürt und zeigten uns sogar ihre Schußwaffen.« »Manche Leute haben erstaunliche Gewohnheiten«, wunderte sich gekonnt die ältere Dame. »Sie waren natürlich gegen ihren Willen in diese Truhe gesperrt worden, Mylady, aber sie wollten uns nicht sagen, wem sie das zu verdanken hatten.« »Haben Sie diese Subjekte eingesperrt?« »Wie zwei andere Leute, Mylady.« McWarden nickte. »Einmal handelt es sich angeblich um einen Portier genau
jenes Hotels, in dem der Schrotschuß abgefeuert wurde, dann um einen Hotelgast, der eindeutig Ernie Catlin heißt.« »Fanden Sie die in einer zweiten Truhe?« Agatha Simpson lächelte wissend, ein wenig boshaft und schadenfroh. »Diese beiden Männer erregten öffentliches Ärgernis, Mylady«, gab der Chief-Superintendent zurück. »Augenzeugen berichteten, daß sie hier in der Nähe im Green Park herumtollten und ausgesprochen schmutzige Lieder sangen. Und das in kurzen Unterhosen. Sie waren total betrunken, als sie von Polizeibeamten aus dem Verkehr gezogen wurden. Dabei sprachen sie immer wieder von einem Butler, der sie angeblich unter Alkohol gesetzt haben soll.« »Was Leute sich so zusammenreden«, entrüstete sich die Lady. »Wird man die beiden Lüstlinge einsperren?« »Für ein paar Tage schon«, wußte McWarden und lächelte nun ebenfalls. »Danach wird man ihnen eine saftige Geldstrafe aufbrummen. Falls sie die nicht zahlen können, müssen sie die Strafe absitzen.« »Sehr vernünftig«, fand Lady Agatha. »Unerhört, sich in kurzen Unterhosen in einem Park herumzutreiben. Wo bleiben da Sitte, Anstand und Moral, mein guter McWarden?« »Ich dachte, das alles könnte Sie eventuell interessieren, Mylady«, hoffte McWarden. »Wie. denke ich darüber, Mister Parker?« Agatha Simpson sah ihren Butler abwartend an. Dann runzelte sie die Stirn. Parker hielt auf einem Silbertablett zwei Mokkatassen bereit. »Der Mokka«, kündigte Parker sicherheitshalber an. »Sie sollten dieses starke Gebräu nicht trinken, McWarden«, sagte sie hastig zu ihrem Besucher. »Ihr Herz könnte Schwierigkeiten machen, während mir hingegen zwei Mokka wirklich nichts ausmachen.« »Mir ebenfalls nicht«, antwortete der Chief-Superintendent
genußvoll. »Herzlichen Dank für die Einladung, Mylady!« Sie blickte Josuah Parker an und bedachte ihn mit einem mehr als nur tiefgekühlten Blick. Sie fürchtete wieder mal um ihr Vermögen.
»Wir haben da einen Mann im Visier, der nach Ihrem Anruf Hals über Kopf das Bürohaus verließ«, sagte Horace Pickett zu Butler Parker. »Er setzte sich in ein Taxi und ließ sich nach Soho bringen. Dort verschwand er in einem Sonnen-Studio.« »Hatte besagte Person Gepäck bei sich?« fragte Parker. Er hatte sich mit dem ehemaligen Eigentumsverteiler in der City getroffen. Es war kurz vor Mitternacht, und der Butler genoß das Glück, allein zu sein. Lady Agatha arbeitete angeblich an ihrem Bestseller und wollte eine einmalig gute Idee zu Papier bringen. Tatsächlich aber saß sie vor dem Fernsehgerät und sah sich eine Mitternachts-Show an. Großzügig hatte sie darauf verzichtet, ihren Butler zu begleiten, worüber er nicht gerade unglücklich war. Die beiden Männer standen an einer Steinbrüstung, hinter der die Themse sich gerade mit Flutwasser füllte. Parker war inzwischen wieder wie üblich gekleidet. »Der Mann trug eine Reisetasche, auf der Flugaufkleber waren«, beantwortete Pickett die Frage des Butlers. »Diese Aufkleber waren sicher sehr deutlich auszumachen.« »Das ist richtig, Mister Parker.« Pickett nickte. »Wurde die Beobachtung des Bürohauses beendet, nachdem die erwähnte Person das Taxi bestieg?« »Natürlich nicht.« Pickett schmunzelte.
»Demnach wurde noch eine zweite Person beobachtet, Mister Pickett.« Parkers Stimme drückte aus, daß er Bescheid wußte. »Richtig, es wurde eine zweite Person beobachtet«, antwortete Horace Pickett. »Sie haben sofort mit einem Täuschungsmanöver gerechnet, Mister Parker, nicht wahr?« »Im Lauf der Zeit lernt man gewisse Praktiken der Unterwelt kennen, Mister Pickett. Diese zweite Person war ohne jedes Gepäck und schlenderte wahrscheinlich in das nächstbeste Restaurant. « »Haargenau, Mister Parker. Und von diesem Restaurant aus setzte er sich dann ab, doch wir ließen ihn nicht aus den Augen.« »Sein momentaner Aufenthalt ist bekannt?« »Er fuhr ebenfalls nach Soho, Mister Parker. Und jetzt sitzt er in einem Nachtclub, von dem aus man das Sonnen-Studio genau einsehen kann. Sie wußten sofort, daß der erste Mann mit der Reisetasche nur ein Lockvogel ist?« »Die Flugaufkleber rundeten den vagen Verdacht meiner Wenigkeit ab«, erwiderte der Butler. »Man sollte dem Mordschützen jetzt einen Besuch abstatten, Mister Pickett. Über ihn dürfte man dann an seine Auftraggeber herankommen.« »Wissen Sie in etwa, wo die abgestiegen sein könnten, Mister Parker?« »Die genaue Adresse dürfte von Mister Dragsler zu erfahren sein«, gab Josuah Parker zurück. »Aber man sollte davon ausgehen, daß sie sich auf das sogenannte flache Land zurückgezogen haben.« »Sie kennen diese Besucher aus den Staaten, nicht wahr?« »Einige Gesichter dürfte man sofort wiedererkennen«, bestätigte der Butler. »Deshalb bemüht man sich auch darum,
Mylady und meine Wenigkeit mundtot zu machen.« »Hoffentlich versucht man nicht, Myladys Haus zu stürmen.« »Miß Porter und Mister Rander sind in Shepherd's Market zurückgeblieben, um Mylady vor Schaden zu bewahren«, vertraute Parker seinem Gesprächspartner an. »Mit einem direkten Überfall dürfte allerdings kaum zu rechnen sein. Die Gegenseite weiß sicher sehr wohl, wie gut das Haus abgeschirmt ist. Man wird sich umfassend orientiert haben.« Butler Parker ging zu seinem hochbeinigen Monstrum. Horace Pickett schloß sich ihm an und wunderte sich wieder mal darüber, wie geschickt Parker sich in die Gedankenwelt und in die Taktiken der Gegenseite hineinzuversetzen verstand. Einen Mann wie ihn konnte man nicht austricksen.
Picketts Freunde hatten ganze Arbeit geleistet. Sie warteten vor einem Pub, hielten Biergläser in Händen und machten einen durchschnittlichen Eindruck. Als Parker und Pickett erschienen, brachten sie ihre Gläser zurück zur Theke und schlenderten ein Stück die Straße hinunter. Vor einem Tordurchgang blieben sie stehen und zündeten sich Zigaretten an. Worte oder längere Hinweise brauchte man nicht auszutauschen. Josuah Parker wußte bereits Bescheid. Er schritt gemessen und würdevoll durch den Torweg, erreichte einen Hinterhof und entdeckte neben einer Batterie von Mülltonnen eine kleine Remise. Er schaute sich in ihr etwas um und fand den »Notausgang« des Privatclubs. Dabei handelte es sich um eine rostige Tür aus Eisenblech, deren Angeln und Schloß allerdings gut geölt
waren. Mit seinem Spezialbesteck brauchte Parker nur wenige Augenblicke, bis er das Schloß dazu brachte, sich freudig zu öffnen. Der Butler betrat einen zweiten Hinterhof und stand bereits auf der Rückseite des Privatclubs. Er setzte auf Pickett, der auf der Straße zurückgeblieben war, um die Aufmerksamkeit des Mordschützen zu binden. Pickett und einige seiner Freunde würden jetzt vor dem Sonnen-Studio massiert auftauchen und dort für einigen Wirbel sorgen. Der Mordschütze wurde auf diese Art und Weise beschäftigt Parker überquerte den kleinen Hinterhof, fand eine nur oberflächlich abgeschlossene Tür, öffnete sie in bewährter Manier und stand dann in einem Treppenhaus. Wo mochte der Mordschütze sich postiert haben? Von wo aus hatte er den besten Überblick? Von welchem Fenster aus konnte er den Eingang zum Sonnen-Studio unter Feuer nehmen? Die Häuser in dieser Straße standen sehr dicht, die Dächer gingen förmlich ineinander über und waren durchweg flach. Ein Mörder hielt sich also wohl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im obersten Geschoß auf, um nach seinen Todesschüssen über die Dächer zu flüchten. Parker stieg ohne jede Hast nach oben und erreichte eine zweite Tür aus Eisenblech, hinter der sich der Dachboden befand. Er bückte sich hinunter zum Schlüsselloch und hatte bereits wenig später den Geruch von Tabakrauch in der empfindlichen Nase. Der Mordschütze rauchte wohl sicher aus Langeweile. Natürlich hatte der Mann die Tür von innen gesichert. Anders konnte der Butler es sich gar nicht vorstellen. Ein Profi würde kaum auf solch eine Vorsichtsmaßnahme verzichten, um nicht überrascht zu werden. Sobald die Tür ohne sein Wissen geöffnet wurde, war mit Alarm zu rechnen.
Josuah Parker hatte natürlich vorgesorgt. Aus einer Tasche seines schwarzen Covercoats zog er einen kleinen Stahlzylinder, an dessen Austrittsöffnung ein dünner Gummischlauch befestigt war. Es handelte sich um eine Patrone zur Aufnahme von Propangas. Dieser Zylinder, der aus einem Arbeits-Set zum Hartlöten stammte, war von Parker mit einer Spezial-Gasmischung gefüllt worden. Er öffnete das kleine Ventil, schob den dünnen Gummischlauch durch das Schlüsselloch und setzte auf den penetranten Brandgeruch, der pausenlos in den Dachboden strömte. Es konnte nicht lange dauern, bis der Mordschütze alarmiert wurde. Der Mann mußte notgedrungen zur Tür gehen und nachschauen. Es dauerte nur eine knappe Minute, bis Parker hinter der Eisenblechtür ein feines Scharren vernahm. Der Mordschütze war dabei, eine Sicherung abzuräumen. Dann dauerte es nur noch wenige Sekunden, bis die Tür aufgezogen wurde. Parker hatte den Stahlzylinder samt Gummischlauch längst wieder in seinem schwarzen Covercoat verschwinden lassen. Er hielt seinen Universal-Regenschirm einsatzbereit und wartete darauf, daß der Mordschütze sich weiter vorwagte. Dann schlug Parker wie beiläufig zu. Der Mann seufzte tief und nachhaltig, fiel auf die Knie und verlor dabei eine mit Schalldämpfer ausgerüstete Automatic. Er rollte auf die Seite und zeigte ein völlig harmloses Gesicht. Dem Besitzer dieser Miene hätte man durchaus einen Gebrauchtwagen abgekauft in dem sicheren Gefühl, nicht übervorteilt zu werden.
Als der Mann wieder zu sich kam, saß er vor einem Holzbalken, der zur Dachkonstruktion gehörte. Er umarmte diese senkrecht aufsteigende Stütze. Seine Hände wurden von einem Paar Handschellen aus Parkers Privatbesitz zusammengehalten. »Hoffentlich wurden Sie von meiner Wenigkeit nicht unnötig stark getroffen«, sagte Parker und lüftete grüßend die schwarze Melone. »Sie gaben sich übrigens alle Mühe, Ihre Spuren zu verwischen.« Sie haben mich doch noch reingelegt«, antwortete der Mann. Er war Mittelgroß, fast schlank und machte einen vertrauenerweckenden Eindruck. Er hatte ein rundliches Gesicht, dunkle, freundliche Augen und trug einen diskret gemusterten Straßenanzug, »Es war in der Tat ein interessantes Katz-und-Maus-Spiel«, erwiderte Josuah Parker. »Der manipulierte Brandgeruch scheint Ihre Wachsamkeit völlig überdeckt zu haben.« »Wie Sie's gemacht haben, weiß ich nicht«, lautete die Antwort, »aber es war clever, Parker.« »Man braucht sich gegenseitig wohl nichts vorzumachen«, schickte der Butler voraus. »Sie schossen bereits schon mal auf meine Wenigkeit und hatten die feste Absicht, es zu wiederholen.« »Sie werden ja inzwischen das Gewehr entdeckt haben«, meinte der Mordschütze und blickte hinüber zu einem Dachvorsprung. An der oberflächlich verputzten Wand lehnte ein Präzisionsgewehr mit überlanger Zieloptik. »Ihr Schuß wäre tödlich gewesen«, räumte Parker ein. »Nach Ihren Auftraggebern braucht man wohl nicht zu fragen.« »Wäre sinnlos, Parker. Ich verrate niemand. Das gehört zum Geschäft.«. »Ihre Auftraggeber sind bekannt«, entgegnete der Butler
höflich. »Sie brauchten sich also noch nicht mal zu bemühen.« »Ein billiger Bluff, Parker.« Der Mordschütze rückte sich auf dem Boden zurecht. »Es handelt sich um die Herren Vern Boltman, Ricardo Clapster und Art Ruskin.« »Erwarten Sie jetzt eine Reaktion von mir, Parker?« »Aber nein«, wehrte der Butler ab. »Die Identität dieser drei Personen konnte einwandfrei ermittelt werden. Sie dürfen nicht vergessen, daß Lady Simpson und meine Wenigkeit ungewollt die Teilnehmer an einer Jubiläumsfeier beobachten konnten.« »Und anschließend haben Sie bestimmt im Polizei-Computer nachgesehen, wie?« »Man sollte die moderne Technik nicht grundsätzlich verdammen«, fand der Butler. »Im Zusammenhang mit der erwähnten Jubiläumsfeier sollte man natürlich keineswegs den Namen des Mister Dragsler übergehen. Er war der Ausrichter dieser intimen Feier und dürfte inzwischen darüber nicht mehr froh sein. Man wird Mister Dragsler Leichtsinn, Schlamperei und Unvorsichtigkeit vorwerfen.« »Warum denn das?« Der Mordschütze rutschte wieder nach vorn und suchte nach einem besseren Halt am Holzbalken. »Es hätte einfach nicht passieren dürfen, daß Mylady und meine Wenigkeit in diese Feier förmlich hineinplatzten, um es mal so volkstümlich auszudrücken.« »Verdammt, wer sind Sie eigentlich?« sinnierte der Mordschütze halblaut und bedachte Parker mit abschätzendem Blick. »Sie sehen aus, als könnten Sie kein Wässerchen trüben, aber Sie haben es faustdick hinter den Ohren.« »Wenn Sie gestatten, wird meine Wenigkeit Ihre Worte als ein Kompliment aus berufenem Mund betrachten.« »Sie haben mich reingelegt! Das hat bisher noch keiner hinbekommen. Ich hatte schließlich ganz schöne Sicherungen
eingebaut.« »Nachdem man Sie vom Friseursalon aus alarmiert hatte, wurden Sie überwacht. Verständlicherweise nahm meine Wenigkeit Ihren Köder nicht an.« »Sie meinen den Mann mit der Reisetasche, ja?« Der Mordschütze grinste amüsiert. »Wie soll's jetzt weitergehen? Sie werden die Polizei verständigen?« »Eine der sich anbietenden Möglichkeiten.« Parker deutete ein Nicken an. »Den Schuß in Shepherd's Market können Sie mir nicht nachweisen, Parker. Da benutzte ich ein anderes Gewehr«, schickte der Mordschütze in sachlichem Ton voraus. »Und hier in Soho habe ich noch nicht geschossen. Okay, man wird mir verbotenen Waffenbesitz ankreiden, aber das ist nicht die Welt.« »Sie haben meiner Wenigkeit einen Vermittlungsvorschlag zu machen?« »Ich werde meinen Auftrag zurückgeben, Parker, und das Land verlassen. Wie denken Sie darüber?« »Mylady würde dies meiner Wenigkeit nie verzeihen.« »Ich würde meine Zusage einhalten, Parker. Überlegen Sie sich das verdammt genau.« »Meine Wenigkeit hätte im Fall Ihrer Rückreise nur einen einzigen Gegner weniger.« »Was meinen Sie damit? « Der Mordschütze blickte den Butler gespielt verständnislos an. »Außer Ihnen gibt es noch weitere Spezialisten, die die Herren Boltman, Clapster und Ruskin mit hierher nach London gebracht haben.« »Das ist richtig«, pflichtete der Mann dem Butler ohne weiteres bei, »aber Sie brauchen dann wenigstens nicht mehr mit mir zu rechnen.«
»Mylady wird da sicher anders urteilen«, wußte Josuah Parker. »Sie sollten Myladys Entscheidung abwarten. Wenn Sie gestatten, wird man Ihnen nun eine kleine Entspannung einräumen.« Der Mordschütze erblickte plötzlich in Parkers linker, schwarz behandschuhter Hand eine kleine Sprayflasche. Bevor er den Kopf abwenden konnte, legte sich ein feiner Feuchtigkeitsfilm auf sein Gesicht. Der Mann schnaufte, schüttelte sich, entspannte sich dann nachhaltig und schlief nach wenigen Sekunden ein.
»Und was wurde aus dem Subjekt aus dem Sonnen-Studio?« fragte die ältere Dame am anderen Morgen, als Parker ihr das Frühstück servierte. »Mister Pickett und meine bescheidene Wenigkeit baten den betreffenden Herrn ebenfalls hierher nach Shepherd's Market, Mylady.« »Soll das etwa heißen, daß ich auch diesen Lümmel verpflegen muß?« entrüstete sie sich umgehend. »Was das alles wieder kostet, Mister Parker! Ich muß schließlich mit jedem Penny rechnen.« »Auch die Person aus dem Sonnen-Studio gehört zu jenen Spezialisten, die die drei Besucher aus den Staaten begleiteten«, fuhr der Butler fort, ohne auf Myladys Klage einzugehen. »Wie heißen diese Gangster noch?« wollte sie wissen. Sie ließ sich ohne weiteres ablenken. »Es handelt sich um Vern Boltman, Ricardo Clapster und Art Ruskin, Mylady. Sie sind identisch mit jenen Personen, die Mylady im ländlichen Gasthof ausspähten.«
»Es wird höchste Zeit, daß ich diese drei Subjekte stelle, Mister Parker. Leiten Sie die erforderlichen Maßnahmen ein.« »Der Mordschütze müßte in etwa wissen, wo seine Auftraggeber sich aufhielten, Mylady.« »Aufhalten«, korrigierte sie. »Die drei Besucher dürften inzwischen ihr Domizil gewechselt haben, Mylady. Ihnen muß längst bekannt sein, daß zwei ihrer Begleiter Myladys Treibjagd zum Opfer fielen.« »Genau das wollte ich gerade sagen«, behauptete sie postwendend. »Mafiosi sind schließlich keine Anfänger, Mister Parker, daran sollten Sie immer denken.« »Mylady könnten ja möglicherweise die beiden Gäste des Hauses einer intensiven Befragung unterziehen.« »Sofort.« Sie nickte und zeigte Begeisterung. »Sie wissen, daß ich über eine ganz besondere Verhörtechnik verfüge.« »Mylady sind auch auf diesem Gebiet einzigartig.« Josuah Parker deutete eine Verbeugung an. »Ich weiß«, bedankte sie sich lächelnd und zeigte Wohlwollen.« Der eine hat es, der andere eben nicht. So etwas kann man nicht lernen. Kommen Sie! Sie können wieder mal etwas von mir lernen.« Lady Agatha und Parker begaben sich ins Souterrain des Hauses und von dort aus in den Trakt, in dem sich die diversen Gästezimmer befanden. Das gesamte Erdgeschoß stand auf den uralten Gewölben der einstigen Abtei, die ein wahres Labyrinth bildeten. Um hierher zu gelangen, brauchte man spezielle Ortskenntnisse. Erst nach dem Passieren eines echten Geheimganges erreichte man die Räume, die durchaus komfortabel eingerichtet waren und an die Zimmer eines gediegenen Hotels erinnerten. Die Gäste verfügten hier über einen kombinierten Wohn
und Schlafraum und über ein Bad mit allen sanitären Einrichtungen. »Mylady sollten vielleicht erst mal jene Person kontaktieren, die das Sonnen-Studio besuchte«, empfahl Parker. »Sie macht einen labilen Eindruck, wenn man es so sagen darf.« »Aha. Und was stelle ich mir darunter vor?« »Besagte Person dürfte inzwischen über gewisse Entzugserscheinungen klagen, Mylady. In den Taschen fand sich Kokain.« »Sehr schön.« Sie nickte. »Ich werde dieses Subjekt zur Ordnung rufen.«
Das Subjekt saß auf der Bettcouch, hatte sich eng an die hintere Ecke am Kopfende gedrückt und blickte Mylady und Parker aus großen, gehetzten Augen an. Der Mann schwitzte, atmete schnell und flach. Parker sah auf den ersten Blick, daß dieser Gangster bereits im Vorhof seiner Hölle war. »Ich will hier raus«, sagte er und streckte die Beine aus. Er schob sich an den Rand der Bettcouch und stand auf. »Sie können mich hier nicht festhalten. Das ist ungesetzlich.« Er stammte eindeutig aus den Staaten, wie an seiner Aussprache zu hören war. Er musterte die ältere Dame und blickte dann auf den Butler. Er schüttelte den Kopf und schien nicht zu verstehen, was mit ihm geschehen war. »Mylady geruhen, einige Fragen an Sie zu richten«, schickte Josuah Parker voraus. »Ich will raus hier«, brauste der Mann auf. »Wie bin ich überhaupt hier reingekommen?«
»Meine Wenigkeit war so frei, Sie hierher zu bitten«, erwiderte der Butler höflich. »Zum Zeitpunkt dieser Bitte befanden Sie sich in einem Sonnen-Studio in Soho, wenn Sie sich vielleicht erinnern.« »Sie ... Sie haben mich da niedergeschlagen«, sagte der Mann erregt. »In Ausführung einer Notwehr«, fuhr Parker fort. »Sie hatten die Absicht, meine Wenigkeit mittels einer Schußwaffe niederzustrecken.« »Das müssen Sie mir erst mal beweisen. Sie ... Sie haben meine Taschen durchsucht.« »Und zwei Briefchen mit Kokain gefunden«, erklärte der Butler. »Sie waren einfach nicht zu übersehen.« »Kokain? Quatsch, das war mein Traubenzucker«, behauptete der Mann aufgebracht. »Mit Traubenzucker kann selbstverständlich jederzeit gedient werden, wenn Sie unbedingt darauf Wert legen«, meinte Josuah Parker. »Jetzt aber zur Sache, junger Mann«, schaltete die Detektivin sich ein und musterte den schwitzenden Mann mit kühlem Blick. Sie beobachtete, daß er die Hände ineinander verschränkte, wieder löste, mit den Fingern spielte, die Gelenke knacken ließ und sich dann unvermittelt mit den Händen durch das schweißnasse Gesicht fuhr. »Sie sind natürlich süchtig«, stellte Lady Agatha fest. »Ich sehe so etwas auf den ersten Blick.« »Unsinn, ich hab' die Grippe«, erwiderte der Partner des Mordschützen. »Mister Parker, Sie sollten dem Mann gleich eine heiße Zitrone bringen«, schlug Agatha Simpson vor. »Dieses gute alte Hausmittel wird auch hier wirken.« »Okay, ich bin süchtig«, lenkte der Mann ein und blickte die
ältere Dame geradezu bittend an. »Lassen Sie mich raus, sonst gehe ich kaputt.« »Brauchen Sie wirklich nur Kokain?« erkundigte sich Parker. »Auch hin und wieder 'nen Schuß«, erwiderte der Mann. »Verdammt, warum diese blöden Fragen? Wenn Sie was aus mir rausholen wollen, brauche ich die beiden Briefchen. Vorher red ich nicht, darauf können Sie Gift nehmen.« »Ihrem Vorschlag wird man wohl kaum entsprechen«, entgegnete der Butler, »hätten Sie denn möglicherweise Bemerkenswertes zu sagen?« »Sie sind doch hinter meinem Partner her, ja? Ich weiß, wo Sie ihn finden können.« »Mylady ist bereits informiert.« »Unmöglich, keiner kennt sein Versteck, nur ich.« »Er bewohnt ein weiteres Gästezimmer hier im Haus«, erklärte Josuah Parker. »Falls gewünscht, könnten Sie jederzeit zu ihm ziehen.« »Das... Das glaube ich einfach nicht. Nee, kann nicht stimmen. Der ist zu clever, um sich erwischen zu lassen.« »Was hätten Sie sonst noch an Informationen anzubieten?« Josuah Parker wechselte die Gesprächsrichtung. »Zuerst die beiden Briefchen, sonst hören Sie überhaupt nichts von mir.« »Damit ist das Gespräch für mich beendet, junger Mann«, funkte Myladys Stimme dazwischen. »Eine Lady Simpson läßt sich niemals erpressen. Ich habe große Lust, Sie zu ohrfeigen.« Er drehte durch, sprang von der Bettcouch und wollte die energische Dame attakieren. Doch solch einen Versuch hätte er besser nicht gewagt. Lady Agatha war nämlich eine streitbare Amazone, die sehr undamenhaft zulangen konnte und dem Mann aus dem Sonnen-Studio auch prompt eine ihrer
gefürchteten Maulschellen verabreichete. Er wurde voll getroffen, flog zur Seite, klatschte gegen die Wand des Gästezimmers und sackte dann an ihr zu Boden. Dort angekommen, brach er Plötzlich in Weinen aus, zitterte am ganzen Leib und geiferte im nächsten Augenblick schon wieder. Er belegte Mylady mit wüsten Schimpfworten und verlangte nach seinem Kokain. »Wie denke ich darüber, Mister Parker? Wäre es unmoralisch, mit diesen Briefchen Informationen herauszulocken?« Sie sah den Butler erwartungsvoll an. »Mylady verabscheuen solche Methoden, zumal sie wirklich unmoralisch wären«, gab Josuah Parker zurück. »Papperlapapp«, schwächte sie ab. »Der gute Zweck heiligt die Mittel.« »Eine Behauptung, Mylady, die stets und immer wieder zutiefst mißbraucht wird. Als Pfadfinderin lehnen Mylady solche Machenschaften eindeutig ab.« »Tatsächlich?« wunderte sie sich. »Ich bin aber durchaus bereit, eine Ausnahme zu machen.« »Mylady wären nicht mehr Mylady, die man bewundert und verehrt.« »Das ist allerdings richtig«, gab sie zurück und nickte wohlwollend.« Man muß sich immer treu bleiben. Was aber fällt mir sonst noch ein?« »Mylady planen sicher, der Chef-Etage der Gangster einen weiteren Besuch abzustatten.« »Der Chef-Etage?« reagierte sie irritiert. »Mylady denken in diesem Zusammenhang an Mister Don Dragsler, der die Jubiläumsfeier plante und ausrichtete«, erklärte Parker in vollendeter Geduld und Höflichkeit.« »Und die beiden Subjekte, die ich hier in meinem Haus kostenlos verköstige?« entrüstete sie sich. »Ich kann mir solche
Ausgaben einfach nicht leisten. Gerade Sie müßten das doch wissen, Mister Parker!« »Chief-Superintendent McWarden wäre sicher erfreut, wenn Mylady ihm die beiden Gäste überstellen würden.« »Kann ich beweisen, daß sie mich ermorden wollten?« Sie überging wie selbstverständlich, daß Parker hätte das Opfer sein sollen. Als Mylady und Parker das Gästezimmer verlassen wollten, raffte der Partner des Mordschützen sich noch mal auf. Nach seiner Schimpfkanonade war er still geworden, doch nun redete er plötzlich wie ein Wasserfall. »Mylady verstehen kein Wort«, ermahnte Parker den Gast. »Diese Schweine... Diese verdammten Schweine«, schrie der Mann, »die haben uns verheizt... Die haben uns überhaupt nicht gesagt, was wirklich los ist. Die hatten von 'nem Kinderspiel gesprochen, die haben gesagt, das ginge glatt über die Bühne.« »Sprechen Sie möglicherweise von Mister Dragsler?« erkundigte sich der Butler. »Von Boltman«, lautete die überraschende Antwort. »Aber dieser verdammte Hund hält sich ja aus allem raus und läßt uns die Dreckarbeit machen. Aber nich' mit mir!« »Wo kann ich dieses Subjekt finden?« wollte die Detektivin umgehend wissen. »Ich werde es ohrfeigen, das verspreche ich Ihnen, junger Mann.« »Haben Sie doch eben schon gesagt«, gab der Partner des Mordschützen zurück. »Die hocken in der Chef-Etage und sahnen nur ab.« »Und wo könnte man diese erwähnte sogenannte Chef-Etage finden?« schaltete Josuah Parker sich ein. Der Mann rutschte wieder in sich zusammen und schien seine restlichen Energien verbraucht zu haben. Dann
antwortete er stoßweise, sehr undeutlich und zusammenhanglos. Parker gab sich große Mühe, diesen Ausführungen zu folgen. »Sie sind sicher, daß man hier eine Party ausrichtet?« Agatha Simpson blickte interessiert um sich. Sie saß mit Butler Parker im Speisesaal eines Luxus-Restaurants im Stadtteil Chelsea und konzentrierte sich auf die Speisekarte. Es war Mittag geworden. Ihr Magen verlangte nach einer kleinen Stärkung, und sie war durchaus damit einverstanden, daß Parker sie hierher gebracht hatte. »Der Kokain-Abhängige, Mylady, nannte ausdrücklich und wiederholt dieses Restaurant«, beantwortete der Butler die Frage. »Mister Dragslers Firma richtet hier keine Party aus, wie Mylady bereits treffend bezweifelten, sondern Mister Dragsler pflegt hier mit seinen Gästen zu speisen.« »Ob er kommt oder nicht, Mister Parker, ich werde zuerst mal eine Kleinigkeit zu mir nehmen.« »Der Kokain-Abhängige erwähnte ferner, die Herren Boltman, Clapster und Ruskin wären bereits einige Male hier in diesem Restaurant gewesen.« »Bringt mich das weiter, Mister Parker?« wollte sie nun wissen. »Es wäre doch reiner Zufall, wenn diese Subjekte ausgerechnet jetzt hier erscheinen würden.« »Treffender hätten Mylady es gar nicht auszudrücken vermocht, wenn meiner Wenigkeit dieses bescheidene Urteil überhaupt erlaubt sein sollte«, erwiderte Josuah Parker. »Die Herren Boltman, Clapster und Ruskin dürften inzwischen die Öffentlichkeit scheuen.« »Das sind doch die Lümmel von der Jubiläumsfeier, nicht wahr?« vergewisserte sie sich. »Die wichtigsten Touristen aus der Chef-Etage der Staaten«, beantwortete Parker die Frage und deutete ein Nicken an. »Es
handelt sich um jene Personen, die zusammen mit Mister Dragsler hier in London ein Monopol in Sachen Kriminalität bilden wollen.« »Ich weiß«, tat sie beflissen. »Ich wollte mich nur vergewissern, ob Sie auch nicht die Übersicht verloren haben, Mister Parker. Dieser Fall ist für Sie vielleicht doch etwas zu kompliziert.« »Er fordert die letzte Konzentration meiner Wenigkeit, Mylady.« »Ich wußte es«, sagte sie sehr zufrieden. »Sollten Sie also Fragen haben, dann genieren Sie sich nicht, wenden Sie sich nur an mich.« »Ohne Mylady wäre kein Fall zu lösen.« Parkers Gesicht blieb glatt und ausdruckslos. »Das ist richtig.« Sie litt keineswegs an Unterschätzung und nickte zustimmend, wollte sich dann aber wirklich in das Studium der Speisekarte vertiefen. Dabei fiel ihr Blick zufällig auf zwei Gäste, die gerade das Restaurant betraten. Es handelte sich um dubios ausehende junge Männer in Lederkleidung, die mit Ziernieten förmlich übersät war. »Sie werden für ihre Maskerade aber teuer bezahlen müssen«, spöttelte die ältere Dame. »Man scheint die Absicht zu hegen, provozieren zu wollen, Mylady.« Parker verfolgte den Weg der beiden Nietenträger mit seinem Blick. Die jungen Männer drückten zwei befrackte Kellner ziemlich ruppig zur Seite und hielten genau auf den Tisch zu, an dem Mylady und Butler Parker saßen. Dabei grinsten sie herablassend-spöttisch. »Prima, altes Mädchen, daß Sie uns eingeladen haben«, sagte der erste von ihnen und nahm ungeniert Platz. Er sprach laut und scheppernd und war sich seiner körperlichen Stärke
wohl bewußt. »Gegen 'nen kleinen Happen haben wir überhaupt nichts«, meinte der zweite Mann und setzte sich ebenfalls. »So was bekommt man nicht alle Tage geboten.«
»Sie dürften mit Sicherheit mehr als nur oberflächlich angetrunken sein«, schaltete Josuah Parker sich ein. Er hatte längst nach seinem Universal-Regenschirm gegriffen und vergewisserte sich, daß einige Sekt- und Weinkühler in erreichbarer Nähe standen. »Wir rülpsen aber nicht«, versicherte der erste Schläger und grinste. Dann allerdings entließ er die Luft in seinem Magen mit mächtigem Laut, der fast die Weingläser auf dem Tisch ins Klingen brachte. »Un' wir haben auch ganz saubere Fingernägel«, versicherte der zweite Schläger. Er hielt plötzlich ein Messer in der Hand und putzte mit der Spitze ausgiebig die ölverschmierten Nägel. Parker sah sich gezwungen, den beiden Männern Manieren beizubringen.
Er tat es auf seine bekannt diskrete Art. »Vielleicht wählen Sie bereits eine Speise, die Ihren Geschmacksnerven zusagt«, schlug er vor und reichte dem ersten Nietenträger die schwere, in Leder gebundene Karte. Der Mann nahm sie verdutzt entgegen und blickte den Butler
irritiert an. Mit solch einem Entgegenkommen hatte er ganz sicher nicht gerechnet. Im Hintergrund des Restaurants räumten einige Gäste fluchtartig ihre Sitze und zogen sich zurück. Einige Kellner und der Geschäftsführer berieten aufgeregt, was zu tun wäre. Noch hoffte man wohl, ohne nachhaltigen Ärger aus der Situation herauszukommen. Der Nietenträger, der von Parker animiert worden war, sich ein passendes Gericht auszusuchen, sah dann plötzlich nichts mehr. Dies hing eindeutig mit dem Sektkühler zusammen, den Parker ihm über den Kopf gestülpt hatte. Der Mann brüllte auf, als der Metallhut sich seiner Kopfform anpassen wollte. Er ließ die Speisekarte fallen, griff mit beiden Händen nach dieser improvisierten Haube und wollte sie entfernen, doch der Butler war dagegen. Mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines UniversalRegenschirmes klopfte er auf den Sektkühler und trieb ihn noch tiefer bis über die Ohren des Mannes, der das Gleichgewicht verlor und mit seinem Stuhl nach hinten kippte. Dabei griff er haltsuchend nach vorn, erfaßte die Decke aus schwerem Damast und riß sie von der Tischplatte. Das bereitstehende Porzellan und zwei nicht gerade billige Leuchter wurden ihres Gleichgewichtes beraubt und landeten scheppernd auf dem Boden. Lady Agatha hatte nicht nur interessiert zugesehen. Sie setzte die Speisekarte auf den Kopf des zweiten Schlägers und langte nach einem weiteren Sektkühler. Sie genierte sich keineswegs, Parkers Handlungsweise zu kopieren, rammte das Metallgefäß über die Ohren des Mannes und benutzte ihren perlenbestickten Pompadour als Vorschlaghammer. Mit zwei energischen Schlägen sorgte sie dafür, daß auch noch die Nase des Nietenträgers im Sektkühler verschwand.
Josuah Parker kümmerte sich um seinen speziellen Gast, half ihm hoch und drückte ihn auf einen Stuhl. Dann beugte er sich zu ihm hinunter und erkundigte sich nach weiteren Wünschen. Der Mann sagte einiges, was aber Agatha Simpson schon nicht mehr verstehen konnte. Dann schaffte er es, den Sektkühler hochzudrücken. Als sein Blick frei war, blickte er den Butler entgeistert an, stand auf und zog sich zurück. Sein Partner irrte noch umher, stieß gegen einen Tisch, der prompt umfiel, stolperte über einen Stuhl und prallte dann mit seinem Begleiter zusammen, der endlich dafür sorgte, daß der Mann seinen Metallhut los wurde. »Die Herren haben gewählt?« fragte der Butler höflich und legte sich den Griff seines Regenschirmes über den angewinkelten linken Unterarm. Die beiden Schläger hoben abwehrend die Arme, zogen sich weiter zurück, erblickten dann die Kellner und den Geschäftsführer, die plötzlich Mut bekommen hatten, und ergriffen die Flucht. Das Personal des Restaurants witterte Morgenluft und nahm die Verfolgung auf. Im vorderen Teil des Luxus-Restaurants kam es so zu einem Stau. Gäste, die eintreten wollten, wurden abgedrängt und sorgten ungewollt für weitere Verwirrung. »Sehr hübsch«, meinte die ältere Dame zufrieden. »Solch eine Art der Vorspeise lasse ich mir jederzeit gefallen.« »Eine ausgezeichnete Inszenierung«, urteilte der Butler, der stehengeblieben war. »Darf man Mylady bitten, meiner Wenigkeit umgehend zu folgen?« »Ausgeschlossen«, entgegnete sie grollend. »Ich fühle mich hier äußerst wohl.« »Dieses Wohlbefinden, Mylady, könnte sehr bald Schaden nehmen«, sagte Parker. »Vor dem Restaurant sind einige Spezialisten der Chef-Etage eingetroffen.«
»Woher wollen Sie denn das wissen?« mokierte sie sich. »Einer der beiden Nietenträger berichtete gerade darüber, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers, die seine Herrin völlig verblüffte.
»Eines der beiden Subjekte soll mich gewarnt haben?« wunderte sich Agatha Simpson nachhaltig. Sie hatte mit Josuah Parker das Restaurant durch den Hinterausgang verlassen und blickte ihren Butler ungläubig an. »In der Tat, Mylady«, erwiderte der Butler. »Die beiden Nietenträger gehören eindeutig zum Bekanntenkreis des Mister Horace Pickett.« »Einen vagen Verdacht hatte ich allerdings.« Sie tat plötzlich wie informiert. »Meine Wenigkeit bat Mister Pickett, Mylady abschirmen zu lassen«, fuhr Parker fort und geleitete die ältere Dame durch eine Mauerpforte in eine schmale Gasse. »Ich wußte also, daß ich hier überfallen werden würde?« Die Frageform war nur angedeutet. »Die Gegenseite ging davon aus, daß einer der beiden Spezialisten aussagen würde«, erläuterte Josuah Parker. »Man konnte also einkalkulieren, daß Mylady und meine Wenigkeit im Restaurant erscheinen würden. Dementsprechend sorgte man für zusätzliche Mordschützen, wie Mylady natürlich sofort erkannten.« »Man muß für so etwas eben eine Witterung haben«, lobte sie sich schamlos, »und muß immer einen Schritt vorausdenken, Mister Parker. Nun, auch Sie werden das eines
Tages noch lernen.« »Unter Myladys Anleitung wird meine Wenigkeit dieses Ziel sicher in Bälde erreichen.« »Was ist jetzt mit den Subjekten, die mich im Restaurant erledigen wollten, Mister Parker? Ich werde sie natürlich umgehend zur Rede stellen.« »Sie dürften inzwischen verzweifelt nach Mylady fahnden, um ihren Auftrag zu erledigen.« Josuah Parker hatte seinen Satz gerade beendet, als er die füllige Lady Agatha ohne jede Vorwarnung ruckartig wegdrückte. Sie landete hinter einem Schuppen, kämpfte mit ihrer verrutschten Hutschöpfung und blickte ihren Butler sehr gereizt an. »Zwei Killer, Mylady«, flüsterte Parker. »Wenn schon«, entrüstete sie sich. »Ich bitte mir etwas mehr Rücksichtnahme aus!« Parker griff in eine der Innentaschen seines schwarzen Covercoats und holte seine Gabelschleuder hervor. Er wählte eine hart gebrannte Tonmurmel als Geschoß und ging sofort zum Angriff über. Blitzschnell, fast ohne zu zielen, setzte er die Tonmurmel ab. Sie jagte durch die schmale Gasse auf die beiden Männer zu, die wachsam und konzentriert näher kamen. Sie hielten zwar keine Waffen in Händen, doch Parker ging davon aus, daß es sich um Killer handelte, die blitzschnell schießen konnten. Einer von ihnen konnte es dann vorerst nicht mehr ... Er schien von einem unsichtbaren Pferd erwischt worden zu sein. Wie durch einen mächtigen Huftritt flog der Mann nach hinten und landete krachend auf dem Katzenkopf-Pflaster. Sein Partner blieb jäh stehen und duckte sich, hatte aber bereits eine Pistole in der Hand. Er wußte nicht, woher diese Wirkung kam, denn er hatte nichts gehört und war völlig
verunsichert. Er blickte kurz auf seinen Partner hinunter, machte sich noch kleiner und streckte sich dann voll aus. Die zweite Tonmurmel hatte getroffen! Der Killer verlor die Waffe, fiel auf die Stirn und rollte dann auf die linke Seite. Die Tonmurmel hatte sein Genick erwischt und ihn außer Gefecht gesetzt. »Ich werde mir bei Gelegenheit ebenfalls eine Zwille zulegen, Mister Parker«, erklärte die passionierte Detektivin und wollte ihre Deckung verlassen. Sie war voll bei der Sache. Situationen dieser Art gefielen ihr sehr. »Mylady sollten damit rechnen, daß es vielleicht noch eine dritte Person gibt«, warnte Parker. »Papperlapapp«, gab sie zurück. »Sie übertreiben wieder mal. Mein Gefühl sagt mir klar und deutlich, daß dieser Zwischenfall been ...« Mitten im Wort zuckte sie zusammen und spuckte. Ein Geschoß, von einem Schalldämpfer fast völlig zur Lautlosigkeit verurteilt, war dicht neben ihr ins Holz des Schuppens geschlagen. Staub und Holzmehl wirbelten um ihr Gesicht. Lady Agatha ging unwillkürlich in die Knie. »Eine Unverschämtheit«, entrüstete sie sich. »Das kann man mit einer Lady Simpson nicht machen!« »Eine dritte Person, die sich im Hintergrund hielt, Mylady«, deutete Parker den Schuß. »Wie gut, daß ich damit rechnete«, meinte sie umgehend. »Ich kenne doch die Tücke dieser Subjekte, Mister Parker. Was werde ich jetzt unternehmen?« »Mylady planen sicher, das Feld zu räumen.« »Ausgeschlossen, Mister Parker.« Sie blickte ihn flammend an. »Mister Picketts Bekannte warten nur darauf, die drei Spezialisten verfolgen zu können.«
»Bis hin zur Chef-Etage.« Diesmal hatte sie sofort verstanden und nickte zustimmend. »Und wenn auch nur auf Umwegen, Mylady«, fügte Josuah Parker höflich hinzu. »Mylady könnten den taktischen Rückzug dort über den Parkplatz fortsetzen.« »Folgen Sie mir, Mister Parker«, erklärte sie. »Ich werde Sie aus dieser Gefahrenzone sicher herausbringen. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen!«
»Nun, Mister Parker, habe ich Ihnen zuviel versprochen?« Agatha Simpson saß inzwischen im Fond des hochbeinigen Monstrums und machte einen selbstzufriedenen Eindruck. »Meine Wenigkeit ist Mylady in der Tat zu tiefstem Dank verpflichtet«, entgegnete Josuah Parker, der den Wagen durch die Innenstadt steuerte. »Ohne Myladys Ortskenntnisse wäre das taktische Manöver mit Sicherheit mißlungen.« »Natürlich«, antwortete sie. »Und wenn ich den Wagen auch nicht auf Anhieb gefunden habe, so täuscht das, Mister Parker. Ich habe absichtlich einige Umwege genommen.« »Eine andere Interpretation würde sich noch nicht mal andeutungsweise aufdrängen«, meinte Parker, ohne das Gesicht zu verziehen. Natürlich hatte Lady Agatha sich überhaupt nicht ausgekannt und war in die totale Irre gelaufen. Parker hatte sogar darauf gesetzt, denn ihm war es darauf angekommen, den drei Spezialisten der Chef-Etage einen Vorsprung zu verschaffen. Sie hatten sich deshalb in aller Ruhe
absetzen können und wurden jetzt von Horace Picketts Freunden diskret überwacht. »Eine Frage, Mister Parker«, ließ Agatha Simpson sich nach einer kleinen Pause vernehmen. »Stets zu Myladys Diensten.« »Woher wußten Sie eigentlich, daß die beiden Schlägertypen von Pickett postiert worden waren?« »Einer von ihnen zeigte den Anfangsbuchstaben Mister Pickets auf seiner Lederweste, ein vereinbartes Zeichen.« »Richtig, das fiel mir sofort auf«, schwindelte sie prompt. »Ich ließ mich keinen Moment täuschen. Wohin fahre ich jetzt übrigens?« »Mylady beabsichtigten, Mister Dragsler erneut einen Besuch abzustatten.« »Richtig«, bestätigte sie. »Das ist doch dieses Subjekt mit der gar nicht so schlechten Partyküche, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady. Mister Dragsler richtete die bewußte Jubiläumsfeier aus, die Myladys mit ihrer Gegenwart beehrten.« »Ich denke, ich werde mir nach diesem Besuch noch einige weitere Kostproben einpacken lassen«, sagte sie und leckte sich fast lüstern die Lippen. »Mylady rechnen natürlich damit, daß Mister Dragsler die Stadt verlassen haben könnte, nachdem die diversen Anschläge auf Mylady fehlschlugen.« »Ich werde schon herausfinden, wo dieser Lümmel sich versteckt hält«, wußte sie bereits im vorhinein. »Sie kennen ja meine einmalige Verhörtechnik.« »Der kein Gegner gewachsen ist, Mylady.« Parker blickte sicherheitshalber erneut in den Rückspiegel seines Privatwagens, doch von Verfolgern war weit und breit nichts zu sehen. Die Gegenseite war eindeutig in Unordnung geraten.
Die Chefs aus den Staaten hatten sich diese ZusammenschlußVerhandlungen sicher reichlich unkomplizierter vorgestellt. Drüben in den Staaten waren sie es gewohnt, ihre Absichten mit roher Gewalt durchzusetzen. Hier in London aber befanden sie sich auf fremdem Boden und hatten bereits einige wichtige Spezialisten verloren. Sie mußten sich inzwischen sehr unsicher fühlen. Befanden diese Männer aus der US-Chefzentrale sich noch in London? Das war die entscheidende Frage! Fühlten sie sich noch in dieser ihnen so fremden Stadt sicher? Hatten sie es wirklich vorgezogen, sich aufs flache Land zu begeben? Hinweise darauf waren bereits gegeben worden. Parker hatte sie sich gut gemerkt. Der Butler dachte an die Brieftasche des Mini-CooperFahrers aus der Tiefgarage. Außer den Getränke-Quittungen und der Wochenabrechnung für ein Zimmer hatte er in dieser Brieftasche noch eine Hotelzimmer-Bestätigung aus Brighton entdeckt. Eine Maud Lemless hatte zwei Doppelzimmer im Strandhotel »SonnenGarten« reserviert. Handelte es sich auch in diesem Fall nur um eine Spur, die vor die Läufe einiger Spezialisten führen sollte? Oder war den Gegnern hier ein kapitaler Fehler unterlaufen? Lohnte sich eine Fahrt nach Brighton? Spielten die drei Männer aus der ChefEtage dort an der See die harmlosen Touristen? »Der Party-Service«, meldete Parker, als er das Bürohaus erreichte, das man ja bereits kannte. Er hielt und orientierte sich kurz. Prompt erschien aus einem nahen Torweg ein Radfahrer. Der alte Herr auf dem Sattel des Zweirades mühte sich redlich ab, das Gleichgewicht zu halten. Er war schlank, trug Knickerbocker alten Stils, hatte eine Nickelbrille auf und einen zerbeulten Traveller-Hut.
Es war Horace Pickett, der von Parker hierher beordert worden war. Als der Radfahrer endlich ein wenig Tempo aufgenommen hatte, nahm er den Hut ab und schob ihn in seine Sportjacke. »Nun, Mister Parker, was habe ich bemerkt?« wollte die Detektivin wissen. Auch sie blickte sich prüfend um. »Die Vögel sind ausgeflogen, Mylady, um es mal volkstümlich zu umschreiben«, erwiderte der Butler. »Mylady werden dem Party-Service wohl dennoch einen Besuch abstatten, wie zu vermuten ist.«
Der etwa dreißigjährige Portier wurde förmlich vom Stuhl katapultiert, als er Lady Agatha und den Butler ausmachte. Er kam aus seiner Pförtnerloge und rang sich ein höflich-neutrales Lächeln ab. »Zu Mister Dragsler«, sagte der Butler gemessen. »Er ist zusammen mit Mister Ketting geschäftlich unterwegs und kommt erst in drei Tagen wieder zurück.« »Ich sehe es Ihren Augen an, daß Sie mich schamlos anlügen«, reagierte die ältere Dame unwirsch. »Mister Dragsler und Mister Ketting sind geschäftlich in Liverpool«, sagte der Portier, der sich inzwischen gefaßt hatte. »Die genaue Adresse kenne ich allerdings nicht. Vielleicht versuchen Sie es in drei Tagen noch mal.« »Und wer leitet momentan die Geschäfte?« fragte Josuah Parker. »Niemand«, gab der Portier zurück. »Mehr kann ich nicht sagen.« »Demnach ist Mister Dragsler unerreichbar?«
»Erst in drei Tagen wird er wieder zurück sein.« Der junge Mann lächelte schadenfroh. »Aber das sagte ich Ihnen ja bereits schon.« »Und die Herren Boltman, Clapster und Ruskin?« fügte der Butler seiner Frage an. »Die kenne ich nicht. Tut mir wirklich leid.« »Mister Dragsler könnte nicht zufällig einen Abstecher nach Brighton unternehmen?« »Brighton? Keine Ahnung.« Der Mann schien mit dieser Frage nichts anfangen zu können. Während des Frage- und Antwortspiels war Josuah Parker gemessen weitergegangen und hatte den Portier ins Schlepptau genommen. Der Butler stand jetzt vor dem Eingang zur Pförtnerloge. »Mylady erwähnten bereits, daß Mylady sich angelogen fühlen«, sagte Parker. Und prompt nahm die ältere Dame diesen Hinweis auf. »Dafür sollte ich Sie ohrfeigen«, meinte sie grimmig. Der Portier wich einen halben Schritt zurück, um sich außer Reichweite zu bringen. Parker nutzte die wenigen Sekunden, als der Portier abgelenkt wurde, und warf einen kleinen Gegenstand in den nahen Papierkorb an der Tür zur Pförtnerloge. Dieser Gegenstand war kaum größer als eine Olive, jedoch grau-weiß gefärbt. Er verschwand mühelos im Abfallpapier und paßte sich seiner engen Umgebung ausgezeichnet an. »Mylady wird in einer Viertelstunde noch mal zurückkehren und erneut nach Mister Dragsler fragen«, schickte der Butler voraus. »Bis dahin sollten Sie sich noch mal gründlich überlegen, ob Sie vielleicht nicht doch wissen, wo Mister Dragsler erreichbar ist.« »Ich weiß schon jetzt, daß ich auch nachher nichts weiß.«
Der Portier grinste wieder. Er geleitete Lady Simpson und Parker zurück zur Tür und warf sie hinter ihnen nachdrücklich ins Schloß. »Sie geben immer zu schnell auf, Mister Parker«, tadelte die Detektivin, als sie mit ihm zum hochbeinigen Monstrum ging. »Als Kriminalist braucht man Geduld, Hartnäckigkeit und Ausdauer.« »Und vielleicht hin und wieder einen Mini-Sender, Mylady«, entgegnete der Butler gemessen. »Mini-Sender?« fragte sie und blieb ruckartig stehen. »Besagter Mini-Sender, Mylady, liegt im Papierkorb der Pförtnerloge«, erklärte der Butler. »Nicht gerade völlig ungeschickt«, räumte sie widerwillig ein. »Mylady gehen davon aus, daß der Portier bereits dabei ist, einen Anruf zu tätigen.« »Und wie erfahre ich, was dieses Subjekt sagt?« Sie schaute ihren Butler triumphierend an. »Ein Sender allein genügt ja schließlich nicht.« »Ein etwaiges Gespräch wird bereits automatisch im Wagen aufgezeichnet«, sagte der Butler höflich. »Mit etwas Glück gewinnen Mylady brauchbare Erkenntnisse.«
»Ich werde mir das Gespräch noch mal anhören«, meinte die ältere Dame eine halbe Stunde später. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und winkte Parker zu. Er beobachtete diese Geste im Rückspiegel und wiederholte die Tonbandaufzeichnung über die bordinterne Lautsprecheranlage.
Sie befand sich auf einer handelsüblichen Kassette und konnte über das Laufwerk des Wagenradios abgespielt werden. Man hörte zuerst das Klicken der Wählscheibe, dann ein Räuspern und schließlich die Stimme des Portiers. »Hier ist Randy, Chef«, hörte die Detektivin. »Eben war die alte Schachtel da und auch ihr verrückter Butler... Die haben sich nach Ihnen und den drei Leuten aus den Staaten erkundigt ... Äh, ich meine, nach den drei Kunden natürlich ... Klar doch! Ich hab' denen gesagt, Sie wären rüber nach Liverpool gefahren und kämen erst in drei Tagen wieder zurück... Klar, waren die sauer, Chef, aber sie sind dann wieder abgehauen ... War übrigens gut, daß Sie abgehauen sind ... Ich glaub', daß das Büro unter Beobachtung steht... Nee, gesehen hab' ich nichts, aber ich hab' da so ein komisches Gefühl in der Magengegend ... Die wollen noch mal zurückkommen ... 'Soll ich was aufziehen? Okay, also nichts! Halt, da war noch was ... Der komische Butler hat nach Brighton gefragt, ob Sie dahin 'nen Abstecher machen würden ... Wie war das? Ich soll das langsam zugeben, wenn die noch mal zurückkommen? Verstanden, also Brighton. Okay, ich habe verstanden, Chef. Ende!« »Er nannte mich eindeutig eine alte Schachtel, Mister Parker«, machte Lady Agatha grimmig klar. »Sie sollten wenden und sofort wieder zurückfahren. Solch eine Frechheit kann ich nicht durchgehen lassen.« »Mylady denken aber auch daran, die Telefonnummer ermitteln zu lassen«, antwortete der Butler. »Ununterbrochen«, sagte sie. »Können Sie die gewählte Nummer herausfinden?« »Man könnte sie in der Tat herauszählen, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers. »Aber die Taktik verbietet es, diese Nummer dann auch zu wählen.« »Unsinn, Mister Parker, ich werde mich entschuldigen und
behaupten, eine falsche Nummer gedreht zu haben.« »Die Gegenseite würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Verdacht schöpfen, Mylady.« »Dann werde ich Ihnen ein anderes Verfahren vorschlagen«, schickte sie voraus. »Ich warte auf Ihre Alternative, Mister Parker.« »Die Post könnte da ein wenig behilflich sein, Mylady.« »Wird sie mir den Namen des Anschluß-Besitzers nennen?« »Für Chief-Superintendent McWarden wäre es mehr als einfach, an diesen Namen heranzukommen, Mylady.« »Ausgeschlossen, Mister Parker.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Der gute McWarden kann von mir den bereits gelösten Fall bekommen, aber seine Mithilfe lehne ich ab. Er schmückt sich sonst wieder mal mit fremden Federn.« »Es bliebe noch der Weg, Mister Pickett zu bemühen.« »Der gute Pickett«, sagte sie und lächelte plötzlich, »wird er an diese Nummer herankommen können?« »Da wären noch die drei Spezialisten, die Mylady erschießen wollten«, erinnerte der Butler. »Diese Personen müßten inzwischen ihre Absetzbewegung beendet haben.« »Halt, Mister Parker, mir kommt da gerade eine Idee«, rief die Detektivin und schob ihre Fülle aus den Polstern nach vorn. »Ich kenne doch den guten Sir Charles vom Innenministerium. Er wird diese Nummer für mich heraussuchen, sonst kündige ich ihm die Freundschaft.« »Ohne Mylady wäre dieser Fall niemals zu lösen«, antwortete der Butler, der äußerst zufrieden war, daß seine Herrin von sich aus auf diese Verbindung hingewiesen hatte. So brauchte er es wenigstens nicht zu tun. Dennoch hielt er an der nächsten Telefonzelle, die in Sicht kam, und setzte sich telefonisch mit Horace Pickett in Verbindung.
»Ich hatte schon auf Ihren Anruf gewartet, Mister Parker«, sagte der ehemalige Eigentumsüberträger. »Meine Bekannten haben die drei Killer beschattet. Sie sind nach Wapping gefahren, und zwar zu den Whitbys Docks.« »Sie können sicher mit einer genauen Adresse dienen, Mister Pickett.« »Die drei Killer wohnen in dem neuen Apartmenthaus neben der alten Whitby-Brauerei, Mister Parker, im dritten Stock. Früher war das Apartmenthaus mal ein Lagerhaus für Tee.« »Das reicht völlig, Mister Pickett, um sofort aktiv werden zu können«, antwortete der Butler. »Stehen Sie mit Ihren Bekannten noch in Verbindung?« »Die kann ich sofort anrufen, die sind noch draußen in Wapping. Kann ich was tun?« »Es wäre recht hilfreich zu wissen, Mister Pickett, wer sonst noch in diesem Apartmenthaus wohnt und wer der Eigentümer ist. Ihre Freunde sollten aber ungewöhnlich vorsichtig zu Werke gehen.« Parker verabredete mit Pickett einen weiteren Anruf und ging dann zu Mylady zurück, die im Wagen bereits ungeduldig wartete. »Nun zu Sir Charles«, sagte sie. »Sie werden sehen, Mister Parker, daß ich Ihnen in spätestens einer halben Stunde sagen kann, mit wem dieser Lümmel von einem Portier gesprochen hat. Was wären Sie ohne mich?«
»Mit diesem Sir Charles werde ich noch ein ernstes Wort reden müssen«, grollte die ältere Dame wenig später. Sie hatte von einem italienischen Restaurant aus versucht, ihn zu erreichen, um sich mit ihm zu verabreden. Doch Sir Charles
war nicht zu erreichen. Er war in Paris und würde erst in einigen Tagen wieder zurückkommen. »Möglicherweise geht es auch ohne seine Hilfe, Mylady«, meinte der Butler. »Mister Pickett ist bereits tätig, um Mylady mit Informationen zu versorgen.« »Was hat Sir Charles in Paris zu suchen, wenn ich ihn hier brauche?« ärgerte sie sich. »Ich denke, ich werde bei Gelegenheit mal mit dem Premier reden.« »Falls Mister Picketts Freunde erfolgreich sind, Mylady, wird man den Telefonanschluß nicht mehr benötigen«, beruhigte der Butler seine Herrin. »Die Dinge scheinen in Wapping ihrem Höhepunkt zuzutreiben.« Was dann durchaus stimmte, wie sich zeigte. Während Mylady die Gelegenheit nutzte und im italienischen Restaurant schnell eine Kleinigkeit zu sich nahm, rief Parker den ehemaligen Eigentumsverteiler an. »Sehr gute Nachrichten, Mister Parker«, berichtete Pickett. »Das Apartment-Haus gehört einem gewissen Don Dragsler. Ich denke, damit werden Sie etwas anfangen können.« »Eine Nachricht, die man nur als hervorragend bezeichnen kann und muß«, erwiderte der Butler. »Gibt es sonst noch verwertbare Neuigkeiten?« »Das Apartmenthaus ist nur teilweise bewohnt«, sagte Pickett. »Es ist noch im Ausbau. Die drei Killer aus den Staaten wohnen darin. Und oben in der fünften Etage sind drei Apartments vermietet worden. Erst vor wenigen Wochen. Eingezogen sind dort drei oder vier Personen, und zwar ohne Gepäck, wie meine Bekannten erfuhren. Das passierte vor wenigen Tagen. Diese Leute lassen sich kaum blicken, telefonieren aber sehr oft.« »Man wird sich in knapp einer Stunde sehen«, schlug der Butler vor und vereinbarte dann mit Pickett einen Treffpunkt in
der Nähe der Whitby Docks. Dann legte er auf und informierte Lady Agatha, die gerade damit beschäftigt war, den Rest einer reichlich belegten Pizza zu sich zu nehmen. »Und welche Schlußfolgerungen ziehe ich aus diesen Angaben, Mister Parker?« wollte sie wissen, nachdem der Butler sie ins Bild gesetzt hatte. »Die Herren aus der US-Chef-Etage dürften sich im erwähnten Apartmenthaus einlogiert haben, Mylady.« »Und dort werde ich sie dann ausräuchern.« Sie nickte freudig. »Endlich mal eine kleine Abwechslung, Mister Parker.« »Nach Lage der Dinge dürften Mylady dort auch die Herren Dragsler und Ketting antreffen.« »Hoffentlich wissen Sie diese beiden Personen auch richtig einzuordnen«, sorgte sie sich. »Mister Dragsler ist der Betreiber des Party-Service, Mylady, Mister Ketting seine rechte Hand.« »Ich weiß, ich weiß«, sagte sie in fast beleidigtem Ton. »Mir sind selbst die unwichtigsten Details bekannt, Mister Parker. Eine Lady Simpson vergißt nie etwas. Aber zur Sache: Wie werde ich dieses Apartmenthaus stürmen? Ich hoffe, Sie haben sich darüber bereits Gedanken gemacht.« »Da Mylady die rohe Gewalt eines möglicherweise blutigen Feuergefechtes ablehnen, werden Mylady sicher wieder mal zu einer List greifen.« »So etwas liegt mir ganz besonders«, lobte sie sich ungeniert und nickte wohlwollend. »Machen Sie mir also entsprechende Vorschläge, Mister Parker, ich werde sie dann objektiv prüfen.«
Die drei Killer aus der engsten Umgebung der drei Chefs aus den Staaten schöpften keinen Verdacht, als ein schnauzbärtiger älterer Mann aus dem Fahrstuhl stieg und sich erst mal in aller Ruhe eine Pfeife anzündete. Dieser etwa fünfundfünfzigjährige Mann trug eine zerschlissene Lederjacke, eine ölverschmierte Mütze und blickte fast angewidert auf seinen Werkzeugkasten, aus dem Hanffäden hervorkamen. Erst dann schien er die drei Männer wahrzunehmen, die es sich auf dem Treppenabsatz notdürftig bequem gemacht hatten. Bei diesen handelte es sich um die Killer, die Mylady und den Butler gejagt hatten. Sie schirmten eindeutig den Aufgang zur fünften und damit letzten Etage ab. »Sin' meine Kollegen schon da?« fragte der Schnauzbärtige, als seine Pfeife brannte. »Von wem seid ihr denn?« »Wir gehören nach oben«, erwiderte der Wortführer der drei Männer. »Warum is' der Fahrstuhl blockiert?« wollte der Schnauzbärtige wissen. »Keine Ahnung, Mann, hauen Sie endlich ab!« »Moment mal, ich bin hier, um die Heizung zu überprüfen«, meinte der Handwerker und deutete in einen Korridor. »Hau' ab und schmeiß dich auf die Heizung«, blaffte der Mann ihn an. »Du störst hier nur, klar?« »Okay, dann mal los.« Der Schnauzbärtige klappte den Werkzeugkasten auf und schlurfte dann allerdings ohne ihn in den Korridor. Die drei Männer auf dem Treppenabsatz hörten das Öffnen und Zuschlagen von Türen, dann sehr unmelodisches Pfeifen und ... litten plötzlich unter einem kollektiven Hustenanfall. Zuerst handelte es sich um oberflächliches Hüsteln, das dann in seehundartiges Bellen überging. Aus diesem gemeinsamen
Bellen erwuchs ein Husten im Chor, das die drei Killer durchschüttelte. Natürlich wurden sie mißtrauisch, stiegen die restliche Treppe hoch und wollten sich schleunigst absetzen. Doch sie schafften es nicht mehr und blieben vor den beiden Schächten des Fahrstuhls liegen, der blockiert war. Sie zappelten noch ein wenig herum und gaben dann Ruhe. Der Schnauzbärtige erschien wieder auf der Bildfläche. Auf seiner Nase saß eine Klammer, wie sie zu einem Tauchretter gehörte. Und der Installateur atmete eindeutig durch eine Zigarre, die er mit den Lippen fest umschloß. Dieser seltsame Monteur schloß den Werkzeugkasten und trug ihn hinauf zu den drei Killern, die inzwischen eingeschlafen waren. Der Monteur ging zielstrebig vor. Er brauchte nur wenige Augenblicke, bis er das Yale-Schloß einer Tür geknackt hatte, hinter der der Korridor zu den frisch gemieteten Apartments lag. Er drückte vorsichtig die Tür auf, schob den Werkzeugkasten leise in den Korridor und zog die Tür wieder zu. Anschließend begab er sich über die Treppe nach unten in die vierte Etage und ging auf Lady Agatha zu, die ihn erwartungsvoll anblickte. »Mylady sollten sich vielleicht noch ein wenig gedulden«, schlug der Schnauzbärtige dann vor. »Nach den bekannten Erfahrungswerten dauert es etwa sechs bis sieben Minuten, bis das Reizmittel sich völlig ausgebreitet hat.« »Dann werde ich diese Lümmel gebührend .empfangen«, kündigte die ältere Dame äußerst munter an und versetzte ihren perlenbestickten Pompadour in kreisende Bewegung. »Mister Parker, ich denke, ich bin einigermaßen zufrieden mit Ihnen!«
»Die Herren aus der Chef-Etage«, sagte Parker nach zehn Minuten und führte Lady Agatha in eines der drei Apartments. Dragsler und seine rechte Hand Ketting hingen in Sesseln und blickten das Duo aus Shepherd's Market aus glasigen Augen an. Agatha Simpson warf einen Blick auf sie und kümmerte sich dann um drei weitere Männer, die im benachbarten Zimmer auf dem Boden lagen und ebenfalls schliefen. . Selbst Mylady erkannte die drei Männer auf Anhieb wieder. Einer von ihnen trug einen Oberlippenbart, der zweite hatte eine ausgeprägte Knollennase und zeigte eine verrutschte Brille, und der dritte Mann präsentierte eine dicke Warze am rechten Kinn. Es handelte sich um die drei Chefs aus den USA, die an der Jubiläumsfeier teilgenommen hatten. Parker hatte ausgiebig gelüftet, bevor er Lady Agatha heraufgebeten hatte. Sie konnte sich ungeniert bewegen und mehr als zufrieden sein. Dennoch runzelte sie die Stirn. »Eigentlich hatte ich mir das hier erheblich anders vorgestellt«, mäkelte sie. »Diese Subjekte würden ja überhaupt nichts merken, wenn ich sie ohrfeigte.« »Vorerst mit Sicherheit nicht, Mylady. Der Reizstoff aus dem Werkzeugkasten dürfte noch ein wenig vorhalten.« »Und was geschieht jetzt mit diesen Leuten?« »Man wird sie ausweisen, falls nicht Haftbefehle und Auslieferungsanträge vorliegen, Mylady. Es ist allerdings sicher, daß der Traum von einem Monopol vorerst ausgeträumt sein dürfte.«
»Vergessen Sie nicht, die beiden Lümmel aus meinen Gästezimmern wegzuschaffen«, erinnerte sie ihren Butler. »Nein, nein, Mister Parker, hier muß noch etwas geschehen.« »Mylady hegen besondere Wünsche?« Josuah Parker sah inzwischen wieder wie üblich aus. »Bringen Sie wenigstens einen dieser Lümmel wieder zu sich, Mister Parker. Diesen Party-Lümmel dort.« »Mister Don Dragsler, Mylady.« »Wie auch immer er heißen mag«, meinte sie unbarmherzig. »Er hat Ohrfeigen verdient und soll sie auch bekommen. Man macht nicht ungestraft Jagd auf eine Lady Simpson!« »Wie Mylady zu wünschen belieben.« Parker deutete eine Verbeugung an. »Sie haben doch hoffentlich nicht den guten McWarden benachrichtigt, oder?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady.« »Sehr schön«, meinte sie und wurde freundlicher. »Das ist also das Ende dieses Mafia-Ausfluges nach London.« »Treffender hätten Mylady es gar nicht ausdrücken können«, gab Josuah Parker zurück. »Mylady waren wieder mal überwältigend.« »Ich weiß«, sagte sie schlicht und einfach. »So, und jetzt werde ich nachsehen, ob es hier keine Hausbar gibt, Mister Parker. Mein Kreislauf braucht unbedingt eine kleine Stärkung.« »Im übernächsten Raum, Mylady«, erwiderte der Butler. »Meine Wenigkeit entdeckte dort einen Cognac französischer Herkunft, der Mylady ausgezeichnet munden müßte.«
Nächste Woche erscheint Butler Parker Band 303 Curd H. Wendt
PARKER schockt die Kobra Chefredakteur Gilbert Morrison steht am Rand der Verzweiflung. Seit Tagen hat es keine Ausgabe der MORNING NEWS mehr gegeben. Inzwischen ist auch die Polizei überzeugt: die dauernden Störungen der Druckmaschine sind nur durch Sabotage zu erklären. Aber wer hat ein Interesse daran, das Erscheinen des Blattes zu verhindern? Lord Batterfield, der Eigentümer der Zeitung, will den Betrieb schließen und die Belegschaft entlassen. Da meldet sich ein Unbekannter am Telefon und behauptet, der geheimnisvolle Saboteur zu sein. Er verlangt von Chefredakteur Morrison 100.000 Pfund. Butler Parker hat Mühe, seine Herrin davon abzubringen, sich das Geldpaket unter den Arm zu klemmen und den Erpresser im Nahkampf zu stellen. Dieser Bursche hat ganz andere Pläne... Die 2. Story von Curd H. Wendt! Wieder Spannung und Humor mit Butler Parker - jetzt immer jede Woche!
Scan Layout und Korrektur by Larentia / Juli 2003