PARKER Stürmt den Lunapark Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
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PARKER Stürmt den Lunapark Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Josuah Parker war alles andere als begeistert. Er saß in einem Wagen der riesigen Achterbahn und mußte sich notgedrungen bewegen lassen. Aus Vergnügen dieser Art machte er sich nicht viel. Von sich aus wäre er nie auf den Gedanken gekommen, sich solch kindlichen Vergnügen hinzugeben. Doch Mike Rander und Vivi Carlson hatten darauf bestanden, diese Fahrt zu unternehmen. Parker hatte sich gefügt. Der Wagen, in dem er saß, hatte den höchsten Punkt der Achterbahn erreicht und wurde langsamer. Von hier oben aus hatte der Butler einen weiten Überblick über den großen Lunapark und über Brighton. Die Silhouette des Seebades an der Ostküste Englands hatte sich kaum verändert. Sie wirkte immer noch etwas altväterlich und plüschbezogen. Parker schloß ergeben die Augen, als der Wagen sich senkte und erneut in Schwung kam. Er hörte vor sich das helle Auflachen von Vivi Carlson, die neben seinem jungen Herrn saß und sich offensichtlich amüsierte. Parker hielt sich mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms die schwarze Melone fest und wartete ergeben darauf, daß die Fahrt zu Ende ging und der Ausflug nach Brighton seinen Abschluß fand. Er war von Anfang an gegen dieses Wochenende gewesen. Brighton, das war für ihn gleichbedeutend mit Touristen und Feriengästen, mit Lärm und Hektik, mit billigem, organisiertem Vergnügen und mit Gefahr, die vor allen von zwei Herren drohte, die sich Cleveland und Longless nannten. Es handelte sich um zwei Spezialisten, die ein Gangstersyndikat auf Anwalt Rander und ihn angesetzt hatte. Cleveland und Longless hatten den Auftrag, Mike Rander und Josuah Parker für immer aus dem Verkehr zu ziehen. Es handelte sich dabei um eine Retourkutsche, die der Boß des Syndikats bespannt hatte. Seinerzeit in den Staaten, hatten Rander und Parker diesem Gangsterboß eine mehr als empfindliche Schlappe zugefügt. Dafür sollten sie jetzt zur Kasse gebeten werden. Im Trubel dieses Seebads hatten Killer es sehr leicht, ihren Auftrag auszuführen. Und gegen einen versteckt angebrachten Schuß wußte auch ein Josuah Parker kein Gegenmittel. Parker nahm zur Kenntnis, daß Vivi Carlson, Mike Randers Sekretärin, sich jetzt gegen Randers Schulter lehnte, während Rander seinen rechten Arm um Vivis
Schulter schlang. Diese Geste des Vertrautseins ließ Parkers linke Augenbraue hochsteilen. Etwas mehr Zurückhaltung wäre ihm lieber gewesen. Im übrigen kam er sich vor wie auf einem Präsentierteller. Er versetzte sich in die Lage von Gangstern, die den Auftrag hatten, tödliche Schüsse anzubringen. Wie leicht hatten solche Leute es doch, hier zu schießen. *** Cleveland und Longless, die beiden Spezialisten des Syndikats, hatten Posten bezogen. Sie standen an der hinteren Seite eines Schaubudenzelts und konnten von hier aus die Achterbahn übersehen. Gegen Sicht wurden sie zusätzlich von einer Reihe von Wohnwagen geschützt, die den Schaustellern gehörten. „Irgendwie kriege ich Sodbrennen, wenn ich die beiden Typen sehe“, stellte Longless gerade fest. Er war eine Art Riesenbaby mit einem gutmütigen, runden Gesicht und kleinen, fast lustig wirkenden Augen. Wie ein Gangster sah er ganz sicher nicht aus. Mittelgroß, schlank, fast zierlich wirkte dagegen Cleveland, der Leiter dieses Unternehmens. Cleveland war ein ausgesprochener Frauentyp, sah sympathisch und vertrauenerweckend aus. Er hatte als Theoretiker die Aufgabe übernommen, das Riesenbaby Longless auszubilden. Der alte Longless, der Boß des Syndikats, hatte ihm seinen Sohn anvertraut. Longless junior sollte endlich ein wertvolles Glied in der Gesellschaft des Syndikats werden. Bisher hatte Longless junior sich nur auf diversen Colleges herumgetrieben und Prüfungsdurchfälle produziert. „Sobald das Duo aussteigt, knipsen wir es ab, klar“, ordnete Cleveland sachlich an. „Ich schieß' mich auf Parker ein, Junge, und du darfst dir seinen Brötchengeber Rander vornehmen.“ „Und... Und was ist mit der Puppe?“ wallte Longless junior eifrig wissen. „Die Kleine steht nicht im Auftragsbuch“, antwortete Cleveland fast streng. „Ohne Lieferschein kann sie passieren.“ „Prima“, freute sich Longless sichtlich. „Nur keine Privatgefühle“, warnte Cleveland seinen rundlichen Schützling, „diesmal muß die Glocke werden, Junge, sonst macht dein Daddy uns zur Sau!“ Longless schien überhaupt nicht zuzuhören. Fasziniert sah er zur Achterbahn hinüber und streckte jetzt plötzlich seinen Arm aus. „Parkers Melone“, rief er dazu wie elektrisiert, „sieh doch mal... Wie 'ne fliegende Untertasse!“ Longless, das Riesenbaby, hatte nicht übertrieben. Packers schwarze Melone hatte sich selbständig gemacht. Der Fahrtwind hatte sie von Parkers Kopf geblasen. Die Melone segelte jetzt in weichen Kurven hinunter zu Boden. Sie verschwand irgendwo zwischen den Wohnwagen und Schaubuden.
„Sagenhaft“, flüsterte Cleveland fast andächtig. „Was Besseres hätte uns gar nicht passieren können!“ „Bist du sicher?“ erkundigte sich Longless, der nicht begriffen hatte. „Klar doch“, antwortete Cleveland optimistisch. „Was wird Parker tun? Na!? Streng' dich nicht unnötig an, ich werde es dir sagen. Er wird sich die fliegende Untertasse holen. Und dann sind wir dran, Junge. Kimme — Korn —Schuß!“ „Natürlich“, bestätigte Longless jetzt schnell. „Daddy wird mit uns zufrieden sein.“ *** „Ich bitte mich für einen kurzen Moment entschuldigen zu wollen, Sir“, sagte Parker, als er zusammen mit Rander und Vivi Carlson die Achterbahn verließ. „Meine jetzt fehlende Kopfbedeckung zwingt zu einer nicht eingeplanten Fahndung.“ „Nehmen Sie sich nur Zeit, Parker!“ Rander lächelte lausbubenhaft. Er schien froh darüber zu sein, daß er seinen Butler wenigstens für ein paar Minuten los wurde. „Aber fahnden Sie bitte nur nach Ihrer Melone, ja?“ „Wie darf ich Ihre Bemerkung interpretieren, Sir?“ „Ich lebe in der steten Sorge, Sie könnten wieder mal über einen Kriminalfall stolpern“, meinte der Anwalt. „Ich werde mich in Ihrem Sinn bemühen, Sir“, gab Josuah Parker steif und korrekt zurück. „Darf ich meinerseits um Vorsicht bitten?“ „Natürlich. Aber was befürchten Sie?“ „Ich denke an die Herren Cleveland und Longless, Sir. Sie könnten die Spur aufgenommen haben.“ , „In Ordnung. Machen Sie sich keine Sorgen!“ Er wandte sich an Vivi Carlson. „Kommen Sie, Miß Carlson! Wir haben die echte Chance, uns ohne Aufsicht für ein paar Minuten bewegen zu können. So etwas soll man voll auskosten.“ Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verließ Rander und Vivi Carlson. Er hatte sich sehr gut gemerkt, wo seine Kopfbedeckung gelandet war. Er wollte sich beeilen, um seinen jungen Herrn und Miß Carlson so schnell wie möglich wieder unter Sichtkontrolle zu bekommen. Sein inneres Alarmsystem hatte sich nämlich gemeldet. Die Glocke hatte angesprochen. Gefahr, akute Gefahr sogar, lag in der Luft. Die beiden Killer Cleveland und Longless konnten demnach nicht weit sein. Parker schritt gemessen hinüber zu den Wohnwagen, wo seine schwarze Melone liegen mußte. Er passierte den Schlußpunkt einer langen Zeile von Schaubuden und betrat eine schmale Gasse, die von den Rückseiten dieser Schaubuden und den dort abgestellten Wohnwagen gebildet wurde. ***
„Mensch, Junge, satter kann ein Ziel gar nicht sein“, freute sich Cleveland. Er stand mit seinem Schützling Longless zwischen zwei hintereinander stehenden Wohnwagen. Er und Longless hatten ihre schallgedämpften Pistolen längst gezogen und entsichert. Parker schien ahnungslos. Er lustwandelte gemessen auf sie zu und marschierte förmlich in die Mündungen ihrer Feuerwaffen hinein. Ein Fehlschuß war so gut wie ausgeschlossen. Selbst ein Anfänger mußte treffen. „Ich bin heute am Drücker“, sagte Longless und schob sich vor seinen Ausbilder. „Ausgeschlossen“, protestierte Cleveland scharf, „ich erinnere dich an deine letzte Pleite. Der Schuß ist was für 'nen Fachmann.“ „Du bist verdammt unfair“, beschwerte sich Longless, ließ sich aber ab- und zurückdrängen. „Du hemmst meine Entwicklung.“ „Entwickle dich an Rander! Der gehört dir. Schnauze! Er kommt!“ Clevelands Gesicht wurde maskenhaft starr. Innerlich bebte er vor Aufregung. Dieser Schuß mußte sitzen, sonst verspielte er seine ganze Autorität. Langsam hob er den Lauf seiner Pistole und nahm Druckpunkt. Das Ziel wurde von Sekunde zu Sekunde immer größer. Es war wirklich nicht mehr zu verfehlen. *** Parker blieb plötzlich stehen. Er hatte zwar seine Melone entdeckt, aber das war es nicht. Oberhalb der am Boden liegenden Kopfbedeckung sah er einen kleinen Teddybär, um dessen Hals eine rosa Schleife gebunden war. Bei diesem Bärchen handelte es sich um eine Normalausgabe. Der kleine Bär stand wie verloren auf dem Querbalken eines Schaubudengerüstes und schien dort vergessen worden zu sein. Er war brandneu und sah untadelig aus. Parker langte zuerst nach seiner Melone, holte eine kleine Bürste aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers und bürstete seine Kopfbedeckung gründlich ab. Nachdem er sie sich aufgesetzt hatte, langte er nach dem Teddybär und betrachtete ihn von allen Seiten. Es war vielleicht eine nette Geste, ihn später Miß Carlson zu überreichen. Parker war ahnungslos. Ganz in seiner Nähe befanden sich zwei Syndikat-Killer, die sich ihre Abschußprämie verdienen wollten. *** „Worauf wartest du noch?“ wunderte sich Longless, der seitlich neben seinem Ausbilder stand und vor Ungeduld zappelte.
„Gleich!“ murmelte Cleveland und korrigierte die Richtung der Waffe. Er sah den Butler vor sich, der sich gerade mit einem kleinen Teddybären befaßte. Cleveland war mißtrauisch geworden. Parker tat nie etwas ohne Grund. Was sollte dieser Teddybär in seiner Hand bedeuten? Handelte es sich um irgendeinen faulen Trick? Parker war so etwas zuzutrauen. Weder Cleveland noch Longless hatten bemerkt, daß ein Wohnwagenfenster hinter ihnen offenstand. Wie wichtig dies war, sollte sich sehr bald zeigen. Clevelands Zeigefinger, der Druckpunkt genommen hatte, krümmte sich weich und konsequent durch. Doch genau in diesem Augenblick erschien oben im Wohnwagenfenster eine Waschschüssel, die energisch ausgekippt wurde. Sie wurde dabei von zwei nackten, stämmigen Frauenarmen gehalten. Und diese Arme gehörten einer Schaubudenbesitzerin, die gerade den Abwasch gespült hatte. Der Wasserschwall ergoß sich klatschend über Clevelands' Kopf. Cleveland, überrascht, verriß seinen schallgedämpften Schuß. Das Geschoß ploppte weit über Parkers Kopf hinweg und verlor sich im Gestänge der Achterbahn. Hier landete es in einem Holzbalken, ohne weiteren Schaden anzurichten. Cleveland wandte sich jetzt blitzschnell zu Longless um. Auch der war von dem Aufklatschen des Wasserschwalls überrascht worden. Anschließend vollführte Longless eine Pantomime, die man als bühnenreif bezeichnen mußte. Er lachte lautlos, schlug sich vor Begeisterung auf die Oberschenkel und deutete mit ausgestrecktem, rechtem Arm auf Clevelands Gesicht. Seine Pantomime war übrigens berechtigt, denn Cleveland sah gar nicht gut aus. Über seinem linken Auge hing ein nasser, ausgefranster Spüllappen, der bis hinunter zur Nase reichte. Um Clevelands linkes Ohr ringelte sich eine Kartoffelschale und in seinem Hemdkragen steckte ein klitschnasser, zerfaserter Zigarrenstummel. Erst jetzt war oben aus dem Fenster die Warnung „Achtung“ zu hören, die vielleicht ein wenig zu spät gekommen war. Cleveland hatte das dumpfe Gefühl, von seinem Schützling ausgelacht zu werden. „Idiot!“ knurrte er Longless an, der sich jetzt vor stummem Lachen krümmte. In diesem Moment verlor Cleveland den Rest seiner Fassung. Er trat blitzschnell nach Longless aus, verfehlte ihn allerdings, da sein Sichtvermögen durch den Spüllappen immer noch entscheidend behindert wurdet Mitgerissen vom Schwung des Fußtrittes verlor Cleveland daraufhin das Gleichgewicht und landete rücklings in der Wasserlache zu seinen Füßen. Hoch spritzte das Dreckwasser auf. Longless erlitt daraufhin einen zusätzlichen Lachanfall, aber er zog sich dabei sicherheitshalber etwas zurück. Er hatte das sichere Gefühl, daß sein Ausbilder etwas sauer war.
*** Josuah Parker hatte dieses Intermezzo nicht mitbekommen. Er schritt bereits steif und würdevoll zurück auf den Rummelplatz und suchte nach seinem jungen Herrn. Den Teddybär hielt er unter dem angewinkelten Arm. Er wußte nicht, daß er von zwei Männern beobachtet wurde, die auf den ersten Blick hin durchschnittlich aussahen. Sie waren mittelgroß, etwa 30 Jahre alt und schlank. Ihre Augen allerdings waren kalt und stets abschätzend. Die beiden Männer hießen Hale und Buddy. Sie hatten den Butler beim Verlassen der Wohnwagengasse entdeckt und folgten ihm jetzt geschickt. „Drüben vor der Schießbude“, sagte Hale nervös, „da muß es klappen.“ „Natürlich wird's klappen“, erwiderte Buddy gelassen. Sie gingen etwas schneller und verringerten den Abstand zwischen sich und Josuah Parker. Der Butler, nach wie vor ahnungslos, bewegte sich tatsächlich auf einen Schießstand zu, vor dem er seinen jungen Herrn und Vivi Carlson ausgemacht hatte. „Darf ich hoffen, Sir, daß Sie eine gute Strecke hatten?“ erkundigte er sich wenig später bei Mike Rander und lüftete dazu seine Melone. „Fehlanzeige auf der ganzen Linie“, gab Rander lächelnd zurück und legte das Gewehr aus der Hand, „mit diesen Flinten scheint irgend etwas nicht zu stimmen.“ „Wollen Sie nicht Ihr Glück versuchen, Mister Parker?“ Vivi Carlson wandte sich an den Butler und schmunzelte. „Ich hätte so gern einen Teddybär.“ „Den ich mir hiermit zu überreichen erlaube.“ Parker präsentierte ihr den gefundenen Bären und verbeugte sich. „Oh, Mister Parker ... Extra für mich gekauft?“ Vivi Carlson griff nach dem kleinen Kerl und streichelte ihn. „Der Wahrheit die Ehre, um eine alte Spruchweisheit zu zitieren“, erwiderte Parker, „ich fand dieses Stofftier im Balkenwerk einer Schaubude. Es ist selbstverständlich zu fragen, ob man es nicht beim zuständigen Fundamt abliefern müßte.“ „Was meinen Sie, Mister Rander?“ Vivi sah den Anwalt lächelnd an. „Dürfen wir um Ihren juristischen Rat bitten?“ „Fundamt!“ erklärte Rander beiläufig und griff wieder nach dem Schießbudengewehr. „Ich werde Ihnen einen Bär schießen, Miß Carlson!“ *** „Über deine Lacherei werden wir uns später unterhalten“, sagte Cleveland und zwang sich zur Ruhe. „Du hast aber auch zum Brüllen ausgesehen“, antwortete Longless. „Mensch, brech' dir bloß keine Verzierung ab!“ „Wir werden darüber noch reden“, wiederholte Cleveland, der immer noch sauer war, „jetzt steht aber erst Parker auf der Liste.“
„Moment mal, du willst es noch mal versuchen?“ „Natürlich, seine Karte ins Jenseits ist gebucht. Ich laß' sowas nicht verfallen.“ Sie beobachteten Mike Rander, Vivi Carlson und den Butler, die nach wie vor an der Schießbude zu sehen waren. Sie waren jetzt umlagert von einer stetig wachsenden Zuschauermenge. „Da muß doch irgendwas laufen“, sagte Longless. „Hauptsache, sie bleiben am Tresen stehen“, gab Cleveland zurück, „ich hab' da 'ne bestimmte Idee, Junge!“ „Nicht schon wieder“, entrutschte es Longless. Er biß sich auf die Lippen, als er den strafenden Blick seines Ausbilders sah. „Schon gut, Clevie. Wie zäumen wir den Gaul diesmal auf?“ „Mit 'nem ganz einfachen Trick, Longie. Los, ab durch die Mitte! Ich will das Erfolgstelegramm noch heute abschicken.“ Longless folgte seinem Ausbilder, der zwischen zwei Schaubuden verschwand. Dann marschierten die beiden Superkiller etwa 50 Meter an der Rückfront der Schaubuden entlang, bis Cleveland stehenblieb. „Sperr' mal deine Lauscher auf!“ verlangte er, „was hörst du?“ „Krach!“ „Quatsch. Ich meine, was hörst du hinter dieser Bude?“ „Mensch, Clevie!“ Longless' Augen weiteten sich vor Bewunderung. Er hatte begriffen. „Eben“, gab Cleveland wie selbstverständlich zurück. „Man muß nur Einfälle haben. Reich' mir mal dein Taschenmesser, Junge, damit ich das Ziel aufnehmen kann.“ *** „Ich hab's genau gesehen, Buddy“, sagte Hale aufgeregt, „die Kleine hat jetzt den Teddybär.“ „Nicht mehr lange, Hale.“ „Sollen wir 'ne Show abziehen?“ „Ich bin mehr für die elegante Tour“, entschied Buddy, „schon mal was von 'nem Double gehört?“ „Du willst...?“ „ .. .'n Double besorgen, Hale. Teddybären gibt's hier überall zu kaufen. Wir besorgen uns so'n Tier und tauschen es aus. Klar?“ Sie schlenderten zu einem Verkaufsstand, der mit Spielwaren und Scherzartikeln aller Art vollgestopft war. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Buddy fand einen Teddybär, der ebenfalls eine rote Halsschleife besaß. „So, und jetzt nehmen wir den Tausch vor“, sagte Buddy danach, „die Kleine wird überhaupt nicht merken, was gespielt wird. Alles nur 'ne Frage der Geschicklichkeit.“
Sie schoben sich an die neugierigen Zuschauer heran, die den Schießstand umlagerten. Sie drängten sich durch die Menge und erreichten endlich den Tresen. Vivi Carlson stand neben Mike Rander. Sie hatte den Teddybär mit der roten Schleife neben sich auf den Tresen gestellt. Sie paßte nicht weiter auf und beobachtete genau wie Rander den Butler, der gerade wieder mit dem Luftgewehr nach Trophäen schoß. Neben ihm auf dem Tresen lagerten etwa vier Dutzend Papierblumen aller Größen und Farben. Parker hatte sie bereits abgeschossen und erbeutet. Der Inhaber der Schießbude schaute nervös-mißmutig auf den Butler, der gerade wieder das Gewehr in Schußposition brachte. „Sie ruinieren mich“, flüsterte er Parker zu, „hören Sie auf, Sir! Ein Pfund, wenn Sie sofort aufhören!“ „Dies wird ohnehin jetzt der Fall sein. Ich brauche nur noch einen kleinen Teddybär!“ „Ich schenk' ihn Ihnen!“ keuchte der Schießbudenbesitzer. „Sie beleidigen meinen ausgeprägten Sportgeist“, erklärte Parker und stutzte ein wenig. In Höhe jener Tonröhrenschnüre, die die Teddybären festhielten, erschien eine Messerspitze, die die rückwärtige Zeltleinwand vorsichtig aufschlitzte. Parkers Computer arbeitete sofort auf Hochtouren. Dies konnte kein Zufall sein. Hier mußten geschickte Hände am Werk sein, um die Voraussetzungen für einen Mordanschlag zu erfüllen. Parker konzentrierte sich auf die Messerspitze, die jetzt verschwand. Dafür erschien im Schlitz eine runde, schwarze Öffnung. Worauf Parker keine Zeit verlor. *** „Finger weg!“ schnauzte Cleveland, als Longless sich vordrängen wollte. „Du bist heute nicht in Form“, behauptete Longless. Cleveland hatte gerade die Zeltwand eingeschnitten und brachte seine schallgedämpfte Pistole in Position. Sein mörderischer Plan war genial einfach. Während der Butler auf Papierblumen oder sonstige Trophäen schoß, wollte er scharf zurückschießen. Und zwar genau in das Herz des Butlers. Bei der entstehenden Massenverwirrung, bei der ausbrechenden Panik hatten er und Longless es dann leicht, sich abzusetzen. Effektiver konnte kein Plan sein. Cleveland kümmerte sich nicht weiter um den Einspruch seines Schützlings. Er brannte darauf, die Scharte auszuwetzen. Longless mußte deutlich gezeigt werden, wer der Boß war, sonst wurde der Junge noch übermütig. Vorsichtig schob Cleveland die Mündung des Schalldämpfers an den Schlitz heran und steckte ihn millimeterweise durch. Dann bewegte er mit dem linken Zeigefinger die Leinwand etwas zur Seite, um richtig zielen zu können. Im gleichen Moment stöhnte er auf.
Hastig zog er den linken Finger zurück, dessen Kuppe sich rosa färbte und prompt anschwoll. Bevor Cleveland sich auf diesen Zwischenfall einzustellen vermochte, erhielt die Pistole einen harten Schlag und wurde ihm aus der Hand gedrückt. „Ist was?“ erkundigte sich Longless ahnungslos. „Mein Finger!“ stöhnte Cleveland und steckte ihn in den Mund. Er sah jetzt aus wie ein kleines, trotziges Kind. Er senkte die rechte Hand; Longless konnte deutlich sehen, wie aus der Mündung der Waffe ein kleiner Bleibrocken herausfiel, der ursprünglich mal eine Luftgewehrkugel gewesen war. *** Parker legte das Luftgewehr aus der Hand und drehte sich zu Mike Rander um. „Bitte, Sir“, sagte er, „ich bestehe darauf, diesen Schießstand sofort zu verlassen!“ Rander kannte seinen Butler nur zu gut. Er stellte keine Fragen. Er wußte, daß Josuah Parker etwas beobachtet hatte, was lebensgefährlich sein konnte. Er griff nach Vivis Arm und zog sie vom Tresen weg. „Oh, mein Teddy!“ sagte sie und griff nach Parkers Geschenk. Dabei kollidierte ihre Hand mit der von Buddy, der gerade dabei war, den Teddybär auszutauschen. Vivi riß ihren Bären an sich und wurde dann abgedrängt. Sie wurde von Parker und Rander in die Mitte genommen. Auch sie stellte keine Fragen. Sie arbeitete schon lange genug für den jungen Anwalt, um genau zu wissen, daß irgendwas vorgefallen war. „Scheibe!“ stellte Buddy wütend fest. Es war ihm nicht gelungen, sein Double auszutauschen. „Anfänger“, schnaufte Hale, „ich werd's der Kleinen jetzt aus der Hand reißen!“ Buddy nickte und beeilte sich, zu dem Trio aufzuschließen. Rander, Vivi Carlson und Josuah Parker hielten auf den Ausgang des Lunaparks zu. Hale und Buddy schlossen dichter auf. Noch hatten sie eine echte Chance, an den Teddybären heranzukommen, den Vivi Carlson im Arm trug. Buddy wollte den Austausch mit einem absichtlichen Rempler vornehmen. Die junge Frau sollte den Bären aus dem Arm verlieren. Er würde sich dann höflich nach ihm bücken und ihr den falschen Stoffbären ausliefern. Er lief also los, als sei er hinter der letzten Straßenbahn her und rempelte Vivi Carlson tatsächlich sehr gekonnt. Ein Taschendieb hätte es nicht geschickter machen können. Vivi verlor auch tatsächlich den Teddybär, der auf dem Boden landete. Buddy bückte sich hastig nach ihm, doch er hatte Pech, was mit Parkers Höflichkeit und Aufmerksamkeit zusammenhing. Parker bückte sich nämlich eine Spur schneller. Buddys Stirn stieß gegen die Wölbung von Parkers Melone. Und das zahlte sich für Buddy gar nicht aus. Die Wölbung war nämlich mit Stahlblech gefüttert. Gegen diesen wirksamen Schutz war kein Kraut gewachsen,
und Buddy sah plötzlich Sterne und wurde schwach in den Beinen. Er verlor für einen Moment die Übersicht, setzte sich dann aber durch. „Ich bedaure meine Unaufmerksamkeit ungemein“, sagte Parker und half dem Mann wieder hoch. „Darf ich damit rechnen, daß Sie meine Entschuldigung annehmen werden?“ Buddy murmelte ein nicht gerade nettes Wort in sich hinein und taumelte davon. „Ihr Teddybär, Sir!“ Parker hatte das Stofftier aufgehoben, das Buddy verloren hatte. Der Butler überreichte ihn mit einer höflichen Geste und lüftete dazu seine schwarze Melone. „Scheibe“, sagte Hale, als Buddy zu ihm zurückkam. „Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Warum hast du dich eigentlich anschließend hingesetzt?“ Buddy verzichtete auf eine Antwort und rieb sich die schmerzende Stirn, auf der sich- bereits eine dicke Beule abzeichnete. *** „Darf ich jetzt endlich erfahren, was los ist?“ Vivi Carlson und Mike Rander standen in einem Bus. Vivi sah dem hochbeinigen Wagen des Butlers nach, der gerade hinter einer Straßenecke verschwand. „Cleveland und Longless“, antwortete der junge Anwalt. „Parker konnte im letzten Moment noch einen Mordanschlag vereiteln.“ „Davon habe ich überhaupt nichts mitbekommen.“ „Ich leider auch nicht. Aber wir können uns auf Parkers Beobachtung verlassen, Miß Carlson.“ „Lenkt er mit seinem Wagen jetzt die Verfolger ab?“ fragte sie. „Gut getippt“, entgegnete Rander lächelnd. „Parker möchte, daß wir ungeschoren zurück in unsere Pension kommen.“ Rander und Vivi Carlson stiegen bereits an der übernächsten Station wieder aus und benutzten ein Taxi, um sich hinüber zur Seeseite bringen zu lassen. Den Rest zur Strandpension wollten sie dann zu Fuß zurücklegen. Sie wollten sich der Pension nur sehr vorsichtig nähern. Sie wußten nicht, daß sie die ganze Zeit über beschattet wurden. Es handelte sich um die beiden dubiosen Gentlemen Hale und Buddy. Sie hatten es noch immer nicht aufgegeben, die beiden Bären gegeneinander auszutauschen. Der Bär in Vivi Carlsons Arm schien für sie sehr wichtig zu sein. Als Rander und Vivi die Höhe des Seepiers erreicht hatten, trat Buddy aus seiner Reserve hervor. Er stand plötzlich dicht hinter Rander und preßte ihm seine in der Jackettasche befindliche Hand gegen den Rücken. „Wir regen uns nicht auf“, sagte er dazu drohend, „wir tun so, als wäre überhaupt nichts passiert.“ Rander blieb wie erstarrt stehen.
Es handelte sich weder um Clevelands noch Longless' Stimme. Das hatte er sofort gehört. Aber hatten sich die beiden Dauerkiller aus den Staaten etwa Verstärkung kommen lassen? War Parkers Ablenkungsmanöver sinnlos gewesen?“ „Was wollen Sie?“ fragte er und nickte Vivi beruhigend zu. „Sagen wir Ihnen draußen auf dem Pier, klar. Meine Kanone hat übrigens Kaliber 45. Hoffentlich wissen Sie damit was anzufangen!“ Rander und Vivi marschierten notgedrungen hinüber auf den langen Seepier, der weit ins Meer hineinragte. Am Ende dieses Piers gab es einen Pavillon, der um diese Zeit bereits geschlossen war. Der Pier war kaum besucht. Das aufgekommene Wetter mit Windböen hatte die meisten Besucher vertrieben. Hale und Buddy fühlten sich als Herren der Situation. Sie hätten vielleicht schon hier den Austausch der beiden Stofftiere vornehmen können, aber Buddy wollte ganz sichergehen. Jetzt ging es ihm zusätzlich darum, unbequeme Zeugen aus dem Weg zu schaffen. Er wußte, was er seinem Job und seinem Chef schuldig war. Vivi Carlson ängstigte sich selbstverständlich. Es wäre ihr lieber gewesen, Parker wäre bei ihnen geblieben. Für gefährliche Situationen hatte er ja bisher immer Auswege gefunden. „Nur nicht einschlafen, Leute“, ermahnte Buddy Mike Rander und Vivi Carlson. „Wir haben's ja gleich geschafft“, fügte Hale sanft hinzu, „ihr werdet sehen, daß wir ganz nette Leute sind.“ Mike Rander zerbrach sich den Kopf darüber, wie er die beiden Männer überlisten könnte. Ohne Vivi Carlsons Anwesenheit hätte er es riskiert, doch so sah die Sache anders aus. Er konnte und durfte seine Sekretärin nicht gefährden. Sie marschierten immer weiter in Richtung Pavillon. Der Wind war noch steifer und böiger geworden. Die Brandung schlug und donnerte gegen die schweren Stützen der Pier. Inzwischen waren sie allein auf weiter Flur. Von Besuchern war nichts mehr zu entdecken. „So, und jetzt wollen wir mal“, sagte Buddy, als sie eine breite Treppe erreicht hatten, die hinunter zur See führte. Es handelte sich um eine Anlegestelle, die im hochgehenden Wasser bedenklich schaukelte und überspült wurde. „Dann darf ich wohl um den Bären bitten“, schaltete sich Hale ein und baute sich vor Vivi Carlson auf. „Was ist mit ihm?“ fragte Vivi verdutzt. Sie reichte Hale den Teddybären. „Nicht neugierig werden, Schwester“, gab Hale grinsend zurück, „sowas zahlt sich nie aus.“ „Die Treppe 'runter“, befahl Buddy. Rander zögerte einen kurzen Moment und sah auf den Landungssteg. Ihm wurde klar, daß man Vivi und ihn umbringen wollte. *** In diesem Moment wurde Vivi ohnmächtig.
Sie verdrehte die Augen und rutschte haltlos in sich zusammen. Hart schlug sie auf die schweren Holzbahlen. Hale sprang überrascht zur Seite. Er behinderte dabei seinen Partner Buddy, dessen Revolver, den er inzwischen ungeniert in der rechten Hand hielt, zur Seite geschoben wurde. Mike Rander setzte alles auf eine Karte. Er riß sein linkes Bein hoch und rammte es gegen Hales Magen. Der Gangster schnappte nach Luft und flog auf die Planken des Piers. Buddy riß seine Waffe herum und wollte einen Schuß auf Mike Rander anbringen, doch er hatte nicht mit Vivi Carlson gerechnet. Sie war keineswegs ohnmächtig, sondern erwies sich als ungemein aktiv. Sie griff nach Buddys rechtem Bein und zog kraftvoll daran, worauf Buddy das Gleichgewicht verlor. Der Schuß ging zwar noch los, doch er pfiff wirkungslos hinauf zum grauen Himmel. Zu einem zweiten Schuß kam Buddy nicht mehr. Mike Rander fühlte mit seiner Faust nach der Kinnspitze des Gangsters. Buddy verdrehte die Augen und verlor erheblich an Übersicht. Eine zweite Fühlungnahme von Randers Faust brachte ihn gefährlich nahe an das Geländer der Pier. Bevor Buddy sich aufbauen konnte, untersuchte Randers Faust die Magenpartie des Mannes. Buddys Füße erhoben sich daraufhin um zwei bis drei Zentimeter von den Planken. Er bekam das Übergewicht und stürzte rücklings über das Geländer hinunter ins Wasser. Der Wind verwehte seinen Entsetzensschrei. Hale hatte sich inzwischen erhoben, doch er traute sich nicht mehr, etwas zu unternehmen. Vivi hielt die Schußwaffe in der Hand, die Buddy verloren hatte. „Kann er schwimmen?“ erkundigte sich Rander bei Hale und deutete hinunter in die Richtung, die Buddy genommen hatte. „Keine ... Keine Ahnung“, stotterte Hale. „Dann würde ich an Ihrer Stelle mal nachsehen“, redete Rander weiter, sehr ruhig, aber dafür auch entschlossen. „Ich... ich kann bestimmt nicht schwimmen“, stotterte Hale. „Dann nehmen Sie sich einen Rettungsring mit“, schlug Mike Rander vor und deutete auf einen Pfosten neben der nach unten führenden Treppe. Dort hing tatsächlich ein Rettungsring, der nur aus seiner Halterung gelöst zu werden brauchte. Eine an sich sehr einfache Sache, doch Hales Hände zitterten. Nachdem er den Rettungsring in Händen hielt, schluckte er nervös. „Bitte schön“, sagte Rander und deutete hinunter ins Wasser, „versuchen Sie's mit einem Fußsprung!“ Hale schluckte, starrte auf die Schußwaffe in Vivis Hand, dann hinunter ins Wasser und wieder auf die Schußwaffe. Zögernd und umständlich stieg er dann über das Geländer. „Gute Reise“, wünschte der Anwalt und ließ sich von Vivi Carlson die Waffe geben. Worauf Hale tief Luft holte und sprang. Seine Reise war nicht gerade als glücklich zu bezeichnen, denn er hielt sich nicht an Randers Empfehlung, es mit
einem Fußsprung zu versuchen. Während des Gleitflugs wurde er leicht instabil, was die Fluglage anbetraf. Er landete mit einem veritablen Bauchplatscher im Wasser. „Parker wird uns beneiden“, sagte Rander. Er sah nach unten und stellte fest, daß Hale inzwischen im Rettungsring hing und sich verzweifelt abmühte, zum Landungssteg zu kommen, auf dem sich Buddy inzwischen befand. „Was mag mit dem Bär nur los sein?“ fragte Vivi Carlson nachdenklich, „normalerweise bringt man dafür doch keine Menschen um!“ *** „Nun?“ erkundigte sich Rander, als Parker durch die Verbindungstür das Pensionszimmer des Anwalts betrat. „Ein Stoffbär mit Inhalt“, stellte der Butler würdevoll fest. Während er noch sprach, präsentierte er Rander und Vivi Carlson den kleinen Bären, dessen Kopf er abgenommen hatte. „Es handelt sich bei diesem Inhalt um den keineswegs zu verachtenden Betrag von 500 Pfund!“ Rander sah sich die Banknoten an, die Parker jetzt auf den Tisch legte. „Donnerwetter“, meinte Rander und pfiff leise, „ganz schön.“ „Dieser Betrag erklärt die Hartnäckigkeit der beiden Verfolger“, erläuterte Parker, „man darf und muß wohl davon ausgehen, daß sie zurückkommen werden.“ „Richtig.“ Mike Rander nickte. „Das Versteck, in dem Sie den Bären gefunden haben, muß so etwas wie ein toter Briefkasten gewesen sein.“ „Ich erlaube mir, Sir, Ihnen beizupflichten.“ „Rechnen Sie mit einer Spionagegeschichte?“ fragte Vivi Carlson, die interessiert zugehört hatte. „Vielleicht“, sagte der Anwalt, „wie denken Sie darüber, Parker?“ „Man sollte den Dingen auf den Grund gehen, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf.“ „Man sollte sich an die zuständigen Behörden wenden“, widersprach Mike Rander. „Ich darf darauf verweisen, Sir, daß die Gangster dann sofort untertauchen werden“, meinte der Butler würdevoll, „besser wäre es, ihnen eine Falle zu stellen.“ „Wie ich Sie kenne, haben Sie längst den passenden Plan parat, oder?“ Mike Rander lächelte wissend. „In der Tat, Sir! Zumal man erwarten darf, daß die beiden Gentlemen sich noch in dieser Nacht um das Stofftier bemühen werden.“ „Dann lassen Sie mal hören, Parker. Aber vorher möchte ich wissen, ob sie unsere Dauerschatten Cleveland und Longless entdeckt haben.“
„Mit absoluter Sicherheit, Sir. Mir fiel dabei auf, daß Mister Clevelands linker Zeigefinger einen ansehnlichen Verband trägt. Die Luftgewehrkugel scheint dieses Körperglied ein wenig mitgenommen zu haben.“ *** „Nee, also das hätte ich ihr nicht zugetraut“, beschwerte sich Longless leise und auch ein wenig empört, „sie muß doch damit rechnen, daß sie beobachtet wird!“ „Verdammt keß“, stellte Cleveland fest und schluckte. Er und sein Schützling standen jenseits der Straße hinter dichtem Gesträuch und beobachteten die Pension, in der Rander, Vivi Carlson und Parker wohnten. Sie hatten einige Zeit gebraucht, bis sie Parkers Wagen vor dieser Strandvilla entdeckt hatten. Jetzt wußten sie mit letzter Sicherheit, daß sie wieder Kontakt mit ihren Opfern hatten. Longless' Empörung bezog sich auf ein Fenster, hinter dem Licht brannte. Im Schein einer Lampe war eine junge Frau zu sehen, die sich gerade entkleidete und dabei attraktive Körperformen zeigte. Es handelte sich um Vivi Carlson, die wohl zu Bett gehen wollte. *** Nicht weit von ihnen entfernt hatten sich zwei andere Männer aufgebaut. Es handelte sich um die Gangster Hale und Buddy. Sie standen hinter einer Gartenmauer und schauten dem ungewollten, aber sehr deutlichen Striptease interessiert zu. Sie hatten das Gemeinschaftsbad inzwischen innerlich verarbeitet und brannten darauf, endlich zur Sache zu kommen. „Wenn wir schon 'rauf in den Bau klettern, sollten wir uns auch die beiden Typen vornehmen“, sagte Hale. „Nicht jetzt“, sagte Buddy und schüttelte den Kopf, „erst müssen wir den Bär haben. Sobald wir ihn abgeliefert haben, können wir ja noch mal zurückkommen.“ „Donnerwetter“, stieß Hale aus und schob seinen Kopf etwas weiter nach vorn, „jetzt hat sie bestimmt nur noch Haut an. Sieh' dir das an!“ Seine Beobachtungsgabe war erstaunlich. Die junge Frau hinter dem Fenster ging gerade langsam und irgendwie aufreizend zur Seite und streifte sich dabei offensichtlich ihren Büstenhalter ab. Wenig später verlosch das Licht hinter der Scheibe. „Schieben wir uns langsam 'ran an den Bau“, schlug Buddy vor, „und keine Dummheiten, Hale! Jetzt geht es erst um das Stofftier. Finger weg von der Kleinen!“ *** „Moment mal, Junge!“
Cleveland hielt Longless fest, der gerade das Versteck verlassen wollte. Er bog einige Zweige zur Seite und deutete hinüber zur Strandvilla. „Einbrecher“, stellte Longless fest. „Ist denn das zu glauben? Die Burschen haben aber auch wirklich keinen Respekt vor fremdem Eigentum.“ „Sowas sollte man doch glatt den Bullen melden“, entrüstete sich auch Cleveland, „wo kommen wir denn da hin, wenn man diese miesen Burschen arbeiten läßt!“ „Knipsen wir sie doch einfach ab“, schlug Longless vor und griff bereits nach seiner schallgedämpften Pistole. „Dein Rechtsgefühl in allen Ehren“, meinte Cleveland mit strafendem Blick, „aber was soll die Munitionsverschwendung? Wenn die Burschen 'runterfallen, gibt's genau den Krach, den wir nicht brauchen.“ Er hatte vollkommen richtig beobachtet. Einer der beiden Einbrecher hatte sich unter einem kleinen Balkon aufgebaut, der zweite kletterte am Spalier der Wand nach oben und schwang sich dann über die Brüstung. „Was ist denn mit Parker los?“ beschwerte sich Longless nervös. „Pennt er? Er ist doch sonst immer auf Draht.“ Der Mann, der den Balkon erreicht hatte, beschäftigte sich inzwischen mit der Glasfüllung der Tür. „Parker läßt tatsächlich nach“, sagte Cleveland, griff aber unbewußt gleichzeitig nach seinem verbundenen linken Zeigefinger und dachte an das Geschoß, das dieser angeblich nachlassende Butler auf ihn abgefeuert hatte. „Gleich ist er drin“, kommentierte Longless inzwischen, „wenn er der kleinen Blonden was tut, ist er geliefert!“ Die beiden Killer aus den Staaten, losgeschickt, um Rander und Parker zu erledigen, entwickelten ein überaus differenziertes Bild von Recht und Unrecht. Parker hätte seine helle Freude daran gehabt. *** Hale schob sich vorsichtig in das Erkerzimmer und lauschte. Tiefe Ruhe herrschte dort. Die junge Dame, die er eben noch beobachtet hatte, schien fest zu schlafen. Am liebsten wäre er hinüber zum Bett gegangen und hätte die Decke zurückgeschlagen. Sie mußte seiner Ansicht nach nackt in den Kissen liegen. Solch einen Anblick ließ er sich normalerweise nicht entgehen. Er huschte auf leisen Sohlen ans Bett und warf einen prüfenden Blick auf die Schlafende. Sie hatte ihm den Rücken zugewendet und sich bis zum Hals zugedeckt. Ihr langes, schwarzes Haar lag auf der Bettdecke. Innerlich seufzend wandte Hale sich ab und schaltete seine Taschenlampe ein. Mit dem scharf gebündelten Strahl suchte er nach dem Stofftier.
Der Bär saß in einem Sessel und lud zum Zugreifen ein. Hale vergewisserte sich, daß er den richtigen Bären mit der roten Schleife vor sich hatte. Er, zupfte, den Kopf ab und faßte in die Bauchhöhlung des kleinen Raubtieres. Seine, Fingerkuppen ertasteten Papier. Banknoten! Das war es, was er hatte fühlen wollen. Hale schob sich den Teddybär unter den Leibriemen seiner Hose und stahl sich dann vorsichtig zurück zur Tür. Mit einem letzten Blick des Bedauerns zum Bett hin schlüpfte er zurück nach draußen auf den Balkon und kletterte am Spalier nach unten. „Alles klar?“ fragte Buddy. „Bestens“, gab Hale zurück, „die Kleine hat überhaupt nichts gemerkt. Wir können abschwirren.“ Die beiden Gangster stahlen sich zurück zur Straße und passierten wenig später das Versteck, das die beiden Dauerkiller Cleveland und Longless bezogen hatten. „Was mögen sie nur gestohlen haben?“ fragte Longless, als sie auf einen parkenden Wagen am Ende der Straße zugingen. „Warum sind sie ausgerechnet bei der Kleinen eingestiegen?“ erklärte Cleveland, nicht weniger nachdenklich als sein Schützling. „Junge, wie denkst du denn über 'ne kleine Nebenaktion?“ „Soll ich sie umlegen?“ fragte Longless sofort eifrig. Er brannte darauf, endlich mal zum Schuß zu kommen. Die graue Theorie, die Cleveland ihn bisher gelehrt hatte, widerte ihn schon lange an. „Später, Longie, später“, beruhigte Cleveland seinen Pflegebefohlenen, „erst finden wir mal 'raus, wo die beiden Figuren vor Anker gehen, dann kannst du immer noch Blei verspritzen.“ *** „Ich bedanke mich für Ihre freundliche Mitarbeit, Madam“, sagte Parker zu diesem Zeitpunkt. Er befand sich in Vivi Carlsons Zimmer und beugte sich gerade über das Bett. Dann schlug er erstaunlich ungeniert die Zudecke zurück und griff nach der dort liegenden Frau. Er nahm, um ganz genau zu sein, einen Stöpsel, den er entfernte. Worauf die junge Dame sich unter Zischen verkleinerte, bis sie nur noch eine leere Hülle war. Parker schob sich die Dame unter den Arm und ging hinüber in Mike Randers Zimmer. „Ich möchte vermelden, Sir“, sagte er dann, „daß der Teddybär inzwischen abgeholt wurde.“ „Hätten Sie nicht besser einen Ihrer Minisender eingesetzt?“ erkundigte sich der Anwalt. „Man möchte ja schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat.“ „Im Prinzip, Sir, möchte ich Ihnen beipflichten“, antwortete der Butler in gewohnt knapper Ausdrucksweise, „in diesem speziellen Fall aber dürfte damit zu
rechnen sein, daß die beiden Herren sich früher oder später wieder einfinden werden.“ „Sobald sie den falschen Inhalt entdeckt haben, nicht wahr?“ Vivi Carlson lächelte. „In der Tat, Madam“, gab der Butler zurück, „sie werden auf keinen Fall das sein, was man gemeinhin entzückt zu nennen pflegt.“ „Rechnen Sie noch in dieser Nacht mit einer Rückkehr?“ wollte Mike Rander wissen. „Man sollte sich zumindest darauf einrichten, Sir. Wenn Sie erlauben, werde ich spezielle Vorbereitungen treffen.“ „In Ordnung“, schloß der Anwalt, „hoffentlich haben wir die Geschichte bald hinter uns. Ich darf daran erinnern, daß wir hier für ein paar Tage Ferien machen wollten.“ „Sehr wohl“, sagte Parker höflich, „ich darf wohl jetzt schon versichern, daß Sie sich dieser Tage in Brighton des öfteren erinnern werden!“ *** „Sieht aber verdammt harmlos aus“, stellte Longless enttäuscht fest. Er und Cleveland hatten die beiden Gangster Hale und Buddy geschickt verfolgt. Die Männer waren in einem Fotogeschäft verschwunden, dessen Ladentür wie auf ein Stichwort hin von innen geöffnet worden war. „Was harmlos aussieht, hat's meistens in sich“, klärte Cleveland seinen Schützling auf, „scheint da drüben die Zentrale des Unternehmens zu sein.“ „Sollen wir mal Kundschaft spielen?“ tippte Longless bei seinem Ausbilder an. „Natürlich, aber nicht jetzt“, wehrte Cleveland ab, „warten wir mal ab, wie lange sie drinbleiben werden.“ „Ich komme mir fast wie'n Privatschnüffler vor“, sagte Longless nachdenklich. „Spezialisten wie wir müssen alle Fachrichtungen beherrschen“, meinte Cleveland in dozierendem Tonfall. „Ohne Fleiß kein Preis!“ *** „War 'ne Kleinigkeit“, sagte Buddy und reichte seinem Gegenüber den Teddybär. Der Mann war mittelgroß, dicklich und etwa 50 Jahre alt. Lindsay besaß eine ausgeprägte Stirnglatze, die er jetzt in Falten legte. Diese Faltenbildung hing mit den Scheinen zusammen, die er dem Teddybären gerade entnommen hatte. „Was soll der Quatsch?“ erregte sich Lindsay, „schön, ihr habt euren Spaß gehabt, aber jetzt 'raus mit den Scheinchen!“ „Scheinchen?“ Buddy beugte sich vor und fuhr so hastig zurück, als habe er ein Gespenst gesehen. „Das ... das sind ja Papierschnitzel“, staunte Hale nach einem Blick auf die angeblichen Banknoten.
„Schnelldenker“, sagte Lindsay verächtlich, „wo sind die Pfundnoten, Leute?“ „Die muß dieser verdammte Butler ausgetauscht haben“, sagte Buddy wütend. „Wer?“ „Das ist 'ne längere Geschichte“, schickte Buddy voraus, um seinem Chef Lindsay dann alles zu erzählen. Lindsay hörte aufmerksam zu. Er rieb sich das Kinn, als Buddy geendet hatte. „Zufall oder Absicht?“ fragte er sich dann halblaut. „Funkt uns da einer zwischen oder ist da einer 'reingestolpert?“ „Der Bursche auf dem Seepier hat sich benommen wie'n Profi“, stellte Hale fest, „und die kleine Blonde war besser als Emma Peel!“ „Konkurrenz?“ tippte Buddy bei seinem Chef an. „Sieht so aus“, erwiderte Lindsay, „ich werde mal 'n Köder auswerfen.“ „Jetzt? Um diese Zeit?“ „Wetten, daß sie auf einen Anruf warten?“ fragte Lindsay gereizt, „paßt mal auf!“ *** „Bei Mister Rander“, meldete sich Parker, nachdem er den Telefonhörer abgenommen hatte. „Hier ist der Zoo, Abteilung Bärenzwinger“, war Lindsays Stimme zu hören, „wir haben Schwierigkeiten mit der Verdauung.“ „Sollte Ihr Bär an einer Art Magenstörung leiden?“ erkundigte sich Josuah Parker mitfühlend. „Haargenau“, kam Lindsays Antwort, „er hat was Falsches gegessen.“ „Sie erhoffen sich von meiner bescheidenen Wenigkeit ein Rezept?“ „Richtig, Parker! Und zwar umgehend. Sonst könnte der Bär wütend werden. Bringen Sie das Medikament sofort zum Parkplatz vor dem Bahnhof! Noch etwas, kommen Sie allein, sonst wird Ihrer Emma Peel bald was passieren! Haben wir uns verstanden?“ „Sie drückten sich mit letzter Klarheit aus“, lobte Parker seinen Gesprächspartner, „ich werde mich sofort auf den Weg machen.“ Der Butler legte auf und wandte sich an Mike Rander und Vivi Carlson, die über den angeschlossenen Verstärker mitgehört hatten. Parker sah seinen jungen Herrn erwartungsvoll an. „Das ist natürlich eine Falle“, warnte Rander. „Gewiß, Sir, doch eine erkannte Gefahr ist nach der geltenden Spruchweisheit bereits nur noch eine halbe Gefahr!“ „Ich werde mitkommen.“ ***
„Darf ich auf Miß Carlson verweisen“, antwortete Parker, „man sollte Madam nicht unbeschützt und allein im Haus zurücklassen.“ Buddy und Hale hatten sich auf dem Bahnhofsvorplatz hinter einem Bauzelt aufgebaut und warteten auf Parkers Ankunft. Um diese späte Nachtzeit war der Vorplatz verwaist und leer. Auf dem angrenzenden Parkplatz standen nur noch wenige Autos. „Er kommt!“ sagte Buddy plötzlich und lockerte seine Schußwaffe in der Halfter. „Denk' an die Warnung vom Chef“, erwiderte Hale nervös, „vielleicht hat der Knilch die Polente alarmiert.“ „Alles in Ordnung“, meinte Buddy und suchte das Bahnhofsvorgelände ab, „er ist allein. Sobald er hier vorbeikommt, stoppe ich ihn. Während ich mit ihm quassele, machst du dich von der anderen Seite an ihn 'ran, klar?“ „Und dann ab durch die Mitte“, freute sich Hale schon jetzt, „den drück' ich solange unter Wasser, bis er das Atmen vergißt.“ Die beiden Gangster konzentrierten sich auf das näherkommende Fahrzeug. Der hochbeinige Wagen des Butlers rollte fast gemessen und ohne jede Hast heran. Er wurde noch langsamer, als er den Vorplatz erreicht hatte und bremste ab; als Buddy plötzlich im Scheinwerferlicht erschien und abwinkte. Hale machte seine Sache sehr gut. Er hatte sich mit Buddy auf eine gemeinsame Taktik geeinigt. Er riß die hintere Wagentür auf und schlüpfte in den Fond. Gleichzeitig zog er seine Schußwaffe und richtete sie auf den Butler, der nach wie vor steif und würdevoll, als habe er einen Ladestock verschluckt, am Steuer saß. „Nicht nervös werden, Alterchen“, „bleib stehen, bis mein Kumpel an Bord ist!“ „Ich werde mich nach Ihren Wünschen richten“, versprach der Butler und wartete, bis auch Buddy nach hinten in den Wagen geschlüpft war. „Und jetzt ab die Post“, rief Buddy dem Butler zu und schloß die hintere Tür, „wir wär's denn mit 'ner kostenlosen Rundfahrt?“ „Welches Fahrtziel wäre Ihnen denn genehm?“ erkundigte sich Josuah Parker. „'raus zum Seepier“, rief Hale und wollte den Lauf seiner Schußwaffe gegen Parkers Nacken pressen. Er merkte erst jetzt, daß das schmale Schiebefenster in der Trennscheibe zwischen Fahrersitz und Fond geschlossen war. „Wenn schon“, sagte Buddy, als Hale ihn darauf aufmerksam machte, „die Scheibe möchte ich sehen, die bei dem Kaliber hier nicht zu Bruch geht!''' Während er redete, hob er seine großkalibrige Schußwaffe. „Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, so würde ich eine gewisse Vorsicht anempfehlen“, ließ Parkers Stimme sich in diesem Moment über den Lautsprecher vernehmen. „Die Scheiben vor ihnen bestehen aus Panzerglas. Beim Lösen eines Schusses dürfte mit diversen Querschlägern zu rechnen sein!“ ***
„Dann lassen Sie Ihre Ausbeute mal sehen“, meinte Anwalt Rander, als Parker sich nach geraumer Zeit zurückgemeldet hatte. „Wissen wir jetzt, wer die beiden Gangster sind?“ „Es handelt sich um die Herren Hale Cloring und Buddy Etnams“, berichtete der Butler. „Sie sind Angestellte eines gewissen Mister Norman Lindsay, der seinerseits Inhaber eines Fotogeschäfts ist.“ „Hört sich noch unverdächtig an“, stellte Mike Rander fest. „In der Tat, Sir“, gab Josuah Parker zurück, „beide Mitarbeiter des gerade erwähnten Mister Lindsay waren die Besitzer von großkalibrigen Schußwaffen, die ich selbstverständlich sicherstellte.“ „Natürlich!“ Rander schmunzelte. „Man sollte den kommenden Vormittag dazu benutzen, Sir, dem Fotogeschäft des Mister Lindsay einen Besuch abzustatten.“ „Einverstanden“, entgegnete der Anwalt, „falls der Mann dann noch im Laden ist. Seine beiden Mitarbeiter könnten ihn gewarnt haben.“ „Dazu dürften sie innerhalb der nächsten Stunden kaum eine Möglichkeit haben“, berichtete Parker würdevoll weiter, „im Augenblick befinden sie sich in einem erholsamen Tiefschlaf. Erwachen sie, werden sie gewisse Hemmungen haben, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.“ „Was haben Sie sich denn diesmal einfallen lassen?“ wollte Mike Rander wissen. „Ich war so frei, Sir, die natürliche Schambarriere auszuspielen, die jedem Menschen anhaftet. Ich bin sicher, daß Sie mit meiner bescheidenen Wenigkeit zufrieden sein werden!“ *** Buddy Etnams wurde wach. Ihn fror. Er richtete sich auf und brauchte einige Zeit, um sich zurechtzufinden. Er befand sich in einer Baugrube und saß auf einem dicken Kabelstrang. Um ihn herum waren die senkrechten Erdwände dieser Baugrube. Und ihm gegenüber hockte Hale im Sand. Buddy rieb sich die Augen und stutzte sichtlich. Sein Partner Hale war nämlich splitternackt. Buddy schluckte und schaute an sich hinunter. Er wußte plötzlich, warum er fror. Er war nämlich ebenfalls nackt. Und weit und breit konnte er nichts von seiner oder Hales Kleidung entdecken. Hastig sprang er auf und sah hoch. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, daß sich über ihren Köpfen ein spitzgiebliges Bauzelt spannte, dessen Seiten wohlverschnürt waren. „Hale! Hale!“ rief er seinen Partner an. „Los, komm' schon an Deck!“ Hale murmelte einige unverständliche Worte und wollte sich zusammenrollen, um sein Schläfchen fortzusetzen. Als Buddy ihn jedoch ohrfeigte, erwachte er.
„Was. . . was ist denn mit dir los?“ fragte er, als er Buddy musterte, „sind wir auf 'nem Gelände für Freikörperkultur gelandet?“ „Parker hat uns 'reingelegt.“ „Da muß was mit dem Wagen gewesen sein“, erinnerte sich Hale schwach. „Da war was mit dem Wagen“, erklärte Buddy wütend, „er hat irgendein Schlafgas auf uns losgelassen.“ „So ein unfairer Hund“, beschwerte sich Hale prompt, „aber warum hat er uns die Textilien weggenommen?“ „Er will uns damit irgendwie festnageln, aber da hat er sich gründlich geschnitten!“ Buddy richtete sich auf und kletterte hoch zum Zelt. Dabei hatte er das Gefühl, von vielfältigen Geräuschen umspült zu werden. Er erreichte den Asphalt, auf dem die Seiten des Bauzeltes standen, und spähte durch einen Spalt nach draußen. Er verfärbte sich sichtlich und stöhnte leise auf. „Was ist los?“ rief Hale nach oben. „Ich werde verrückt“, prophezeite Buddy und wartete, bis Hale neben ihm am Zeltspalt erschien. „Das... das darf doch nicht wahr sein! Das kann er doch nicht machen“, stöhnte Hale, nachdem er ebenfalls einen Blick nach draußen geworfen hatte. Was sich ihren leicht verschreckten Augen bot, war wirklich zum Stöhnen. Ein lebhafter Auto- und Publikumsverkehr umspülte das Bauzelt. Da es genau vor dem Bahnhofseingang stand, war überhaupt nicht daran zu denken, sich heimlich davonzustehlen. Die beiden nackten Männer hätten mit Sicherheit einiges Aufsehen erregt. „Das .. das hat er absichtlich getan“, stellte Hale naiv fest. „Natürlich!“ fauchte Buddy, „wenn der Bautrupp nicht kommt, können wir hier warten, bis es dunkel wird.“ *** Hale und Buddy zuckten wie unter einem Peitschenhieb zusammen, als hinter ihnen eine wohlvertraute Stimme zu hören war. „Etwas heißer Tee wird Ihnen möglicherweise guttun“, sagte Parker, der sich dem Bauzelt von der anderen Seite aus genähert hatte. Während er noch sprach, schob er eine Thermosflasche ins Zelt. „Mit einem opulenten Frühstück, meine Herren, kann ich allerdings nicht dienen.“ Sie fuhren herum und starrten den Butler an, der jetzt höflich seine schwarze Melone lüftete. „Dafür bringe ich dich um“, schwor Buddy halblaut. „Ich... ich auch!“ versicherte Hale, besaß aber die Geistesgegenwart, hastig nach der Thermosflasche zu greifen.
„Ich kann Ihren Unmut durchaus verstehen“, räumte der Butler gemessen ein, „auf der anderen Seite sollten Sie aber auch Verständnis für meine bescheidene Wenigkeit aufbringen. Immerhin war es Ihre erklärte Absicht, mich umzubringen.“ „Beschaffen Sie uns sofort Kleidung“, schnauzte Buddy. „Dies dürfte Ihr Problem sein“, stellte Parker ruhig fest. „Bei der Gelegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, daß der Bautrupp hier in der Grube erst übermorgen seine Arbeit wieder aufnehmen wird. Ich war so frei, mich bei der Bauverwaltung zu erkundigen.“ „Das stehe ich nicht durch“, stöhnte Hale, während er sich hastig einen Becher Tee verabreichte. „Nun gut“, schlug Parker vor, „dann werde ich wenigstens dafür sorgen, daß das Zelt abgebaut wird. Wenn Sie gestatten, werde ich das in die Hände nehmen. Besonders schwer scheint das Gestell ja nicht zu sein!“ „Sind Sie wahnsinnig?“ keuchte Buddy, „dann kann man uns ja sehen.“ „Sie scheinen daran nicht sonderlich interessiert zu sein. Nun, ich erlaube mir, Ihnen einen Handel vorzuschlagen.“ „Der wäre?“ Buddy schob sich näher an den Butler heran und musterte dessen schwarze Kleidung. Die Farbe entsprach zwar keineswegs seinem Geschmack, doch zur Not ließ es sich darin wohl aushalten. Er hatte die Absicht, Parker zu überrumpeln und sich dessen Kleidung zu bedienen. „Wer zahlte wofür die 500 Pfund, die sich im Stofftier befanden?“ „Keine Ahnung!. Wirklich nicht! Auuu!“ Er hatte blitzschnell nach Parkers schwarzem Zweireiher gegriffen und sich dafür einen Schlag mit dem bleibeschwerten Bambusgriff von Parkers Regenschirm eingehandelt. „Welchem Beruf geht Mister Lindsay tatsächlich nach?“ „Wissen wir nicht“, schnaufte Hale, „wir sind nur seine Angestellten.“ „Wie oft mußten Sie in der Vergangenheit kleine Stofftiere aus toten Briefkästen abholen?“ „Schnauze!“ zischte Buddy seinen Partner Hale an, der gerade antworten wollte. „Demnach also häufiger“, stellte der Butler höflich fest. „Mehr wollte ich zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Ich werde mir erlauben, Mister Lindsay von Ihnen zu grüßen. Ich wünsche Ihnen noch einen erholsamen Tag!“ „Das . . das können Sie doch nicht machen“, jaulte Hale, als Parker sich zurückzog. „Möchten Sie, daß ich Ihnen etwas Lektüre verschaffe?“ erkundigte sich Parker. „Wo sind unsere Kleider?“ brüllte Buddy. „Ich werde sie Mister Lindsay überstellen“, versprach der Butler, bevor sein Oberkörper aus dem Bauzelt verschwand. Hale und Buddy sahen sich ziemlich hoffnungslos an. Ein Entwischen war bei dem herrschenden Betrieb auf dem Bahnhofsvorplatz unmöglich. Sie mußten tatsächlich warten, bis es dunkel wurde. Und bis dahin würden noch qualvoll lange Stunden vergehen.
Sie kletterten zurück nach unten und sprachen dem heißen Tee zu. Dabei entwickelten sie völlig neue Methoden, einen Menschen umzubringen. Ihnen war Phantasie und Sachverstand nicht abzusprechen. *** Parker betrat das Fotogeschäft und sah sich in dem ärmlich eingerichteten Laden um. Außer der Theke gab es zwei altmodisch aussehende Glasvitrinen, in denen billige Apparate ausgestellt waren. An den Wänden hingen Fotos von Brautpaaren und Porträtaufnahmen. Das alles wirkte hausbacken und irgendwie verstaubt. Norman Lindsay war, falls er selbst diese Aufnahmen gemacht hatte, kein Meister seines Fachs. Parker betätigte die Thekenglocke und wartete auf Lindsay. Im Zimmer hinter dem Tresen rührte sich nichts. Parker ging um die Theke herum und drückte mit der Spitze seines UniversalRegenschirms die Tür auf. Er schaute in eine Art Büro hinein. Da war ein alter Schreibtisch, zwei deckenhohe, offene Regale und ein alter Geldschrank, dessen Tür weit geöffnet war. Auf dem Boden lagen Fotos, Papiere und Prospekte herum. „Mister Lindsay?“ rief Parker. Als keine Antwort erfolgte, betrat er das kleine Büro und stolperte beinahe über den am Boden liegenden Mann, der ganz offensichtlich tot war. Eine nähere Untersuchung zeigte, daß dieser Mann aus nächster Entfernung erschossen worden war. Er war entweder überrascht worden oder aber mußte seinen Mörder gut gekannt haben. Parker untersuchte die Tür, die aus dem Büro in einen Korridor führte. Sie war unverschlossen. Er schaute in den Gang hinein, schloß die Tür und sperrte ab. Dank der schwarzen Handschuhe, die er fast ständig trug, brauchte er sich wegen etwaiger Fingerabdrücke keine Sorgen zu machen. Parker sah sich dann intensiver im Fotogeschäft und im Büro um. Ein Zweifel war ausgeschlossen. Der Mörder mußte etwas gesucht haben. Ob er dieses Etwas auch gefunden hatte, stand natürlich auf einem anderen Blatt. Parker verlor keine Zeit damit, sich irgendwelchen Spekulationen hinzugeben. Er befaßte sich erst mal mit dem schmalen und langen Holzkasten, in dem Fototaschen untergebracht waren. Er sah sich die betreffenden Fotos in diesen Taschen an. Er wollte auf diese Weise herausfinden, wie der Ermordete gearbeitet hatte. Die Bilder in den Taschen entsprachen den Aufnahmen an den Wänden. Es handelte sich durchweg um hausbacken aussehende Pärchen, Einzelpersonen und Gruppen. Norman Lindsay schien so etwas wie ein Landfotograf gewesen zu sein. Ein Mann also, der von Haus zu Haus zieht und sich anbietet. Hinzu kamen Aufnahmen von Festivitäten aller Art: Gruppenaufnahmen von offensichtlich leicht
animierten oder angetrunkenen Vereinsmitgliedern. Parker fiel auf, daß die Hintergründe dieser Fotos häusliche Stuben, Bierfestzelte und Schulzimmer waren. Er wollte den Aufbewahrungskasten schon wieder zurückschieben, als ihm ein Gedanke kam. Er holte sein schmales, schwarz gebundenes Notizbuch hervor und trug darin die Namen der Kunden ein, die er auf den Fototaschen fand. Er begnügte sich mit einem Dutzend Namen, um nicht unnötig Zeit zu verlieren. Anschließend suchte er nach dem Atelier des Mannes. Irgendwo mußte Norman Lindsay ja die Fotos entwickelt und vergrößert haben, irgendwo mußte sich seine Ausrüstung befinden. Dazu betrat Parker den Korridor und fand am Ende dieses Ganges eine Tür, auf der Labor stand. Der Raum war verschlossen, stellte für Parker aber kein Problem dar. Mit seinem kleinen Spezialbesteck kitzelte er ein wenig das unkomplizierte Schloß, das sich daraufhin beeilte, schleunigst aufzugehen. Das Labor bot ebenfalls keine Sensationen. Die Geräte waren alt. Parker entdeckte eine alte Plattenkamera mit Messingbeschlägen und einem Balg, der oft geflickt war. Ein Fachmuseum hätte dafür sicher einiges Interesse gezeigt. Parker entdeckte eine angejahrte deutsche Kamera, deren Lederbezug verkratzt und abgegriffen war, und er fand dann zu seiner Überraschung hinter einigen Kartons Vergrößerungspapier ein einsames Objektiv., Dieses Objektiv in einer halb geöffneten Ledertasche alarmierte ihn förmlich. Es gehörte selbstverständlich weder zur alten deutschen Kamera, noch zur Plattenkamera. Es war modernster Bauart. Es handelte sich um ein 5linsiges Teleobjektiv japanischer Herstellung. Parker wog es nachdenklich in der Hand. Wozu hatte Lindsay dieses Teleobjektiv gebraucht? Es hatte immerhin ein kleines Vermögen gekostet und wurde wirklich nur von Profis der Branche verwendet. Wo war die dazugehörige japanische Kamera? Parker suchte, doch er fand sie nicht. Er wollte gerade zurück in den Laden gehen, als er von weither das typische Geräusch eines Polizeifahrzeugs wahrnahm. Daraufhin änderte er seine Absicht und schritt gemessen durch den Korridor hinaus auf die Straße. Als er die ersten Schritte getan hatte, preschte das Polizeifahrzeug heran und hielt vor dem Fotogeschäft. Irgendein aufmerksamer Beobachter mußte die zuständigen Behörden alarmiert haben. *** „Sie hätten das Teleobjektiv zurücklassen müssen“, tadelte Mike Rander seinen Butler, der in die Strandvilla zurückgekehrt war und Bericht erstattet hatte.
„Ich bin mir meiner Verfehlung durchaus und vollkommen bewußt“, entschuldigte sich Josuah Parker, „ich muß in einem verständlichen Anfall von Verwirrung gehandelt haben.“ „Ausgerechnet Sie, Parker!“ Rander schmunzelte und sah sich dann das Teleobjektiv genauer an. „Aber es stimmt schon. Dieses Objektiv paßt nicht zu dem Laden, wie Sie ihn mir geschildert haben.“ „Besitzt Mister Lindsay eine Privatwohnung?“ erkundigte sich Vivi Carlson. „Gewiß, Miß Carlson.“ Parker nickte. „Leider konnte ich nicht die notwendige Zeit erübrigen, mich dort umzusehen. Die Polizei traf etwas zu früh ein.“ „Von wem mag sie alarmiert worden sein?“ „Ich denke in diesem Zusammenhang an die Herren Cleveland und Longless, die meiner bescheidenen Wenigkeit wahrscheinlich einen Streich spielen wollten.“ „Sie sind uns noch auf den Fersen?“ „Mit letzter Sicherheit, Sir.“ Parker hatte sich an seinen jungen Herrn gewandt, der am Fenster seines Pensionszimmers stand und auf die Straße hinunter sah. „Könnte man diese beiden Dauerschatten nicht für einige Zeit außer Gefecht setzen?“ tippte Rander an. „Der Wahrheit die Ehre, Sir, es wird mir ein ausgesprochenes Vergnügen sein.“ „Und was werden wir im Hinblick auf Lindsay unternehmen?“ „Ich möchte mir die Freiheit nehmen, Sir, Sie und Miß Carlson zu einem Ausflug einzuladen.“ „Mit anderen Worten, Sie wollen die Adressen abklappern, die Sie sich aufgeschrieben haben?“ „Gewiß. Sir. Sie sind im Moment unser einziger Anhaltspunkt. Der Mörder Norman Lindsays dürfte inzwischen wissen, daß wir den Inhalt des Stoffbären kennen. Diese Tatsache dürfte auch der Grund für den Mord gewesen sein.“ „Sie hoffen natürlich, verfolgt zu werden, nicht wahr?“ „Für diesen Fall werde ich mir erlauben, einige spezielle Vorbereitungen zu treffen, Sir.“ *** Sie saßen in einem Minicooper und beobachteten das Haus. „Wir hätten Parker im Fotoladen abfangen sollen“, meinte Longless mißmutig, „das war die Chance unseres Lebens!“ „Anfänger“, gab Cleveland verächtlich zurück, „das war doch eine raffinierte Falle! Er wollte uns nur in den Bau 'reinlocken, Junge.“ „Und was machen wir jetzt?“ „Du siehst ja, daß sie 'ne kleine Ausfahrt machen. Für unterwegs fällt uns schon was Passendes ein. Sieh' mal hier!“ Während er noch sprach, präsentierte er seinem Schützling eine Handgranate. „Wo hast du denn das Ei her?“ wunderte sich Longless sichtlich und mißtrauisch zugleich.
„Hab' ich mir auf dem schwarzen Markt besorgt“, erklärte Cleveland, „das Ding stammt frisch aus 'nem Munilager der Armee. Du sollst mal sehen, wie sie 'rauf in die Wolken starten werden, wenn ich das Ding 'rüberlange.“ „Sie fahren los!“ meldete Longless plötzlich und beugte sich etwas vor. „Es wird ihre letzte Reise werden“, verhieß Cleveland optimistisch. „Ich hab's im Gefühl, daß es diesmal klappen wird. Dein Daddy wird Bauklötze staunen.“ Der Minicooper setzte sich in Bewegung und folgte in diskretem Abstand dem hochbeinigen Monstrum des Butlers. Parkers Wagen war ein ehemaliges Taxi aus London, das nach seinen speziellen Wünschen völlig umgebaut worden war. Nur die äußere, eckige und hochbeinige Form war beibehalten worden. Hier in England fiel Parkers Privatwagen überhaupt nicht auf. Er glich schließlich den vielen Taxis, die die Straßen bevölkerten. „Wollen die zum Bahnhof?“ wunderte sich Longless, der am Steuer des Minicoopers saß. „Quassle nicht“, sagte Cleveland, „laß dich bloß nicht abschütteln, Junge. Der Verkehr wird immer dichter.“ *** „Sie wissen hoffentlich, daß wir verfolgt werden, ja?“ Rander, der zusammen mit Vivi im Fond von Parkers Wagen saß, hatte sich mehrfach diskret umgedreht. „Es handelt sich um einen grauen Minicooper, Baujahr 69“, meldete der Butler prompt vom Steuer her, „der rechte, vordere Kotflügel ist ein wenig eingedrückt.“ „Okay, genau den Wagen meine auch ich“, sagte Rander lächelnd. „Cleveland und Longless dürften mal wieder aktiv werden wollen.“ „In wenigen Minuten, Sir, werden die beiden Herren mit letzter Sicherheit den Überblick verlieren.“ Wie Parker das erreichen wollte, war bald zu erkennen. Er hatte den Bahnhofsvorplatz mit seiner großen Denkmalsinsel erreicht. Hier wurde Kreisverkehr abgewickelt, der recht verwirrend war. Sternförmig liefen einige Hauptstraßen auf die Denkmalinsel zu. Die Autos kreisten um diesen Platz herum, bevor sie in die Straßen ihrer Wahl wieder einbiegen wollten. Es verstand sich von selbst, daß sich unter diesen Wagen sehr viele reguläre Taxis befanden. Ungemein viele sogar. Parker fädelte sich in den turbulenten Kreisverkehr ein und wechselte gekonnt die Fahrspuren. Sein hochbeiniges Monstrum verschmolz mit dem Verkehr. *** „Rechts 'rüber!“ kommandierte Cleveland aufgeregt, „beeil' dich doch, Junge! Nein, jetzt nach links... Rechts!“
„Was denn nun?“ schimpfte Longless, der den Minicooper steuerte. „Moment, ich habe ihn wieder im Visier.“ Er riß seinen Mini rechts in eine Fahrspur und handelte sich damit ein wütendes Hupkonzert ein. „Ich sehe den Schlitten nicht mehr“, hechelte Longless verwirrt. „Links 'rüber!“ schrie Cleveland, und Longless reagierte prompt. Dabei schrammte er den Kotflügel eines sehr teuren Rover. „Nee, doch nach rechts. Da ist er!“ Clevelands Stimme jauchzte und triumphierte. Er war sicher, Parkers hochbeiniges Monstrum entdeckt zu haben. Longless tat, wie ihm gesagt wurde. Worauf hinter ihm einige Bremsen knirschten. „Gib doch Gas!“ brüllte Cleveland, der die Orientierung wieder verloren hatte, „dahinten stochert er herum. Drück' auf die Tube, Longie!“ Longless stand der Schweiß auf der Stirn. Er kam sich vor wie in einem Irrgarten. Die Kommandos seines Ausbilders wechselten derart schnell, daß er einfach nicht nachkommen konnte. „Aber jetzt!“ schnaufte Cleveland und deutete nach vorn, „da ist er. Schnell, nach rechts!“ Was Longless prompt besorgte. Cleveland erhielt Bruchteile einer Sekunde später einen derben Stoß in den Rücken. Longless beugte sich weit und tief über das Steuer. Der Mini wurde wie von einer riesigen, unsichtbaren Faust zur Seite gedrückt. Dazu schepperte Blech, klirrte Glas und kreischten Bremsen. „Wir heben ab“, brüllte Cleveland und hielt sich krampfhaft am Haltegriff fest. „Hilfe!“ stöhnte Longless. Er hatte in den Rückspiegel gesehen und wußte alles. Fast auf dem Rücksitz befand sich der massige Kühler eines schweren Lastwagens. Aus ihm zischten weiße Dampfwolken in den Mini hinein. Diese Dampfwolken hatten ungehinderten Zutritt, da die Rückfront des Mini vom LKWKühler aufgeschnitten worden war. Der Mini hing windschief auf den Stoßstangenhörnern des Trailers. „Ich... ich glaube, wir haben'n Unfall gebaut“, erklärte Longless betroffen. Dann lauter: „Du Idiot! Konntest du nicht aufpassen?“ „Wer fährt denn, he?“ brüllte Cleveland gereizt zurück, „schnapp' dir in Zukunft 'nen Tretroller! Du kannst ja überhaupt nicht...!“ Cleveland war nicht mehr in der Lage, seinen Satz zu beenden. Was mit einem untersetzten, stämmigen Mann zusammenhing, der die Wagentür auf Clevelands Seite öffnete. Dieser Mann, übrigens der Fahrer des LKW, langte in den Mini und zerrte Cleveland nach draußen. Dann wurde der Kopf des Killers in schnelle Pendelbewegungen versetzt, die ihren Grund darin hatten, daß der Lkw-Fahrer Cleveland systematisch ohrfeigte. Longless hatte gerade noch etwas schadenfroh gegrinst, doch das änderte sich sehr schnell.
Auch seine Wagentür wurde aufgerissen. Der Beifahrer des LKW-Kapitäns setzte seine geballte Faust auf die Nase von Longless, der daraufhin echte Tränen vergoß. Wie durch einen Wasserschleier sah Longless dann einen Bobby, der entschlossen, aber nicht zu schnell zur Unfallstelle kam. Der Bobby nahm sich Zeit. Da er diesen Anfänger aus dienstlichen Gründen nicht selbst ein paar saftige Ohrfeigen verabreichen durfte, bediente er sich im übertragenen Sinn der beiden LKW-Fahrer. *** „Sehr effektiv“, meinte Anwalt Rander lächelnd. Er und Vivi Carlson passierten gerade die Unfallstelle und sahen, wie die beiden Dauerkiller zur Ordnung gerufen wurden. Parker nickte andeutungsweise und griff nach einem der vielen Hebel auf dem Armaturenbrett. Ein leichtes Klicken, und schon klappte das Taxischild vorn auf dem Aufbau des Wagens um und fuhr zurück in einen Schlitz des Daches. Jetzt war Parkers Wagen wieder ein Privatfahrzeug. „Eigentlich tun sie mir schon fast leid“, sagte Vivi Carlson, die aber ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. „Ich darf darauf verweisen, Miß Carlson, daß es sich um Syndikat-Killer handelt“, stellte Parker vom Steuer her fest. „Zugegebenermaßen benehmen sie sich nicht gerade sehr geschickt.“ „Wogegen ich nichts einzuwenden habe“, sagte Mike Rander. „Hauptsache, „wir haben sie erst mal abgeschüttelt, Miß Carlson.“ „Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich jetzt hinaus aufs Land fahren“, meinte Parker, „weitere Verfolger — ich denke an den Mörder Mister Lindsays — sollten erwünscht sein!“ „Mal sehen, ob Ihre Rechnung aufgeht.“ Rander nickte nachdenklich. „Vergessen wir darüber nicht den Lunapark, Parker. Dort ist schließlich der Teddybär abgestellt worden.“ „In der Tat ein wichtiger Hinweis, Sir“, räumte Josuah Parker ein, „der Spender der 500 Pfund könnte dort durchaus zu suchen sein.“ „Ob Mister Parker beobachtet wurde, als er den Teddybär aus seinem Versteck holte?“ schaltete Vivi Carlson sich ein. „Eine sehr berechtigte Frage“, stellte Parker sofort, fest, „der Überbringer des Stofftieres hätte dies leicht bewerkstelligen können. Ein Rummelplatz, um im Volksjargon zu sprechen, bietet alle Möglichkeiten, ungesehen und unerkannt zu bleiben.“ Während das Trio sich unterhielt,, hatte der hochbeinige Wagen bereits eine breite Ausfallstraße erreicht, die hinaus aufs Land führte. Der Verkehr ließ schon nach wenigen Kilometern erheblich nach, das Fahren wurde zu einem echten Vergnügen.
„Was versprechen Sie sich vom Abklappern der Kundenadressen?“ wollte Rander wissen. „Es gilt, Sir, das Leben und Wirken des verblichenen Mister Lindsay zu rekonstruieren“, antwortete Parker. „Er arbeitete aller Wahrscheinlichkeit nach als ambulanter Fotograf. Aber nicht nur mit der Plattenkamera, sondern auch mit einem erstklassigen Teleobjektiv. Dieser Widerspruch muß eine Erklärung finden.“ *** „Natürlich kenne ich Lindsay“, sagte der Kneipenwirt, „er kommt so alle drei bis vier Wochen hier durch und fotografiert.“ Parker, Vivi Carlson und Mike Rander saßen in einem gemütlichen Gasthof in der Nähe von Chichester. Eine grobe Auswertung jener Adressen, die Parker sich im Fotogeschäft aufgeschrieben hatte, machte deutlich, daß Lindsay hier in der Gegend besonders häufig gearbeitet hatte. „Mister Lindsay befaßt sich vor allen Dingen mit Porträtaufnahmen und Gruppenbildern?“ erkundigte sich Rander. „Warum fragen Sie ihn nicht selbst?“ meinte der Gastwirt und schaltete auf Mißtrauen um. „Es handelt sich um einen ansehnlichen Geldbetrag, der für Mister Lindsay bestimmt ist“, warf Josuah Parker ein. „Ach so, jetzt verstehe ich. Er hat irgendeinen Preis gewonnen?“ „So könnte man es ausdrücken“, antwortete Parker zurückhaltend. „Sie werden verstehen, daß wir im Augenblick noch nicht mit Einzelheiten aufwarten dürfen und können.“ „Wie kommen Sie auf ein Preisausschreiben?“ wunderte sich Rander gespielt. „Weil Lindsay doch davon träumt, mal eines Tages ganz groß 'rauszukommen“, erzählte der kleine, rundliche Gastwirt. Seine Bewegungen waren lebhaft, seine Augen flink und schnell. „Im Grund führt er doch ein Doppelleben.“ „Doppelleben?“ echote Rander. „Doppelleben!“ bestätigte der Gastwirt. „Seine täglichen Brötchen verdient er sich mit Familienaufnahmen, Paßbildern und Schulklassenaufnahmen, in Wirklichkeit aber ist er ein Künstler!“ „In der Tat“, antwortete Parker sehr neutral und zurückhaltend. „Sie werden ja seine Aufnahmen von seltenen Tieren und Pflanzen kennen“, berichtete der Gastwirt weiter, „ich habe ein paar davon gesehen, erstklassig, sage ich Ihnen. Sagenhaft!“ „Sie sagen es!“ pflichtete Rander ihm höflich bei. „Er pflegt bei Ihnen abzusteigen?“ „Wenn er hier in der Gegend zu tun hat, immer.“ „Und er benutzte stets seine alte Plattenkamera? „ „Ein vorsintflutliches Ding, wie? Sie haben den Kasten schon gesehen?“
„In der Tat“, gestand Parker. „Für einen Laien ist es unbegreiflich, wie er mit diesem Gerät so wertvolle Aufnahmen machen konnte.“ „Er ist eben ein Künstler. Sagen Sie, im Vertrauen, welchen Preis hat er denn gewonnen?“ „Dies unterliegt noch der Schweigepflicht“, wehrte der Butler die Neugier des Mannes ab und sah automatisch zur Tür hinüber, die jetzt aufgedrückt wurde. Zwei Männer in grauen Overalls betraten den Schankraum und bauten sich am Tresen auf. Der Wirt beeilte sich, zu seinen neuen Kunden zu kommen und zapfte Bier. „Von seltenen Tier- und Pflanzenaufnahmen, Sir, war in Mister Lindsays Geschäftsräumen nichts zu sehen“, stellt Parker fest. „Er führte eben ein Doppelleben“, meinte Vivi Carlson ironisch. „Fassen wir mal zusammen“, schlug Mike Rander vor. „Lindsay erscheint hier an der Küste mit einer alten Plattenkamera, betätigt sich als ambulanter Fotograf, zeigt dem Wirt aber erstklassige Tier- und Pflanzenfotos.“ „... und erhielt auf dem Umweg über einen toten Briefkasten 500 Pfund“, fügte der Butler hinzu. „Wobei man nicht vergessen sollte, daß er zwei Gangster beschäftigte, die Mister Rander und mich umbringen wollten“, schloß Vivi Carlson. „Ein äußerst vielseitiger Mann!“ „Sehen wir uns die anderen Adressen an“, schlug der junge Anwalt vor, „die Sache wird immer interessanter und rätselhafter.“ Sie zahlten und setzten sich zurück in Parkers hochbeinigen Wagen. Als sie losfuhren, dauerte es nur wenige Sekunden, bis die beiden Männer vom Tresen draußen neben ihrem Kombi erschienen und ganz offensichtlich die Verfolgung aufnahmen. *** „Sie wollen über Mister Lindsay schreiben?“ fragte der Farmer erstaunt. „Sie wundern sich darüber?“ war Mike Randers Gegenfrage. Er, Vivi Carlson und Josuah Parker hatten eine dritte Adresse erreicht. Es handelte sich um einen Bauernhof, der sich ganz auf Milchwirtschaft umgestellt hatte. Vom Haus aus sah man hinaus auf die grünen, saftigen Weiden mit dem gescheckten Vieh. Die Farm befand sich in den Ausläufern der Downs, einer sympathischen Hügellandschaft. „Was ist denn so interessant an ihm?“ wollte der Farmer wissen. „Mister Lindsay befaßt sich mit seltenen Tieren und Pflanzen dieser Gegend“, erläuterte Mike Rander. „Ach so, das!“ Der Farmer, ein Mann von knapp 40 Jahren, lächelte amüsiert. „Ist sein Steckenpferd. Aber ob er ausgerechnet hier was findet,' ist' ne andere Sache.“ „Sie kennen Mister Lindsay gut?“
„Er kreuzt hin und wieder hier auf und fragt nach Aufträgen, aber wer läßt sich schon alle vier Wochen fotografieren?“ „Wir interessieren uns vor allen Dingen für seine alte Plattenkamera, die ja ein Kuriosum sein soll“, schaltete Vivi Carlson sich ein. „Der alte Kasten!“ Der Farmer lächelte. „Der gehört doch in ein Museum.“ „Aber Mister Lindsay hütet ihn wie seinen Augapfel, wie wir uns sagen ließen.“ Rander bot seinem Gegenüber eine Zigarette an und reichte Feuer. „Und wie er ihn hütet! Er läßt ihn nicht einen Moment aus den Augen.“ „Man sagt, daß er keine moderne Kamera besitzt?“ erkundigte sich Mike Rander. „Ich habe ihn auch schon mal danach gefragt“, erzählte der Farmer, „aber er schwört auf das alte Ding. Scheint 'ne Macke von ihm zu sein. Mit dem Ding würde ich nie durch das Gelände traben. Viel ist hier ohnehin nicht zu holen. Hinter den Hügeln dahinten ist Sense.“ „Wieso?“ wollte Mike Rander wissen. „Sperrbezirk der Armee!“ Rander und sein Butler tauschten einen schnellen Blick. „Sperrbezirk?“ wiederholte der Anwalt. „Manövergelände“, präzisierte der Farmer arglos. „Was sie dort treiben, weiß ich nicht, man hört nur den Krach der Motoren.“ *** Die beiden Männer in grauen Overalls standen neben ihrem Kombi und beobachteten durch schwere Ferngläser den hochbeinigen Wagen vor dem Farmhaus. „War zu erwarten, daß sie sich 'ranpirschen würden“, sagte der größere. Er hieß Jack und machte einen sachlichen, selbstbewußten Eindruck. „Dann wird's aber langsam Zeit“, antwortete Ritchie, der andere Mann. Er war wie sein Partner etwa 30 Jahre alt, aber schlank und wirkte nervös. „Hättest du das Kundenbuch mitgenommen, wären wir aus dem Schneider“, sagte Jack, „aber Schwamm drüber, Ritchie, Hauptsache, sie haben sich noch nicht mit der Polizei in Verbindung gesetzt.“ „Bist du sicher?“ „Vollkommen, sonst hätten wir's hier schon mit dem Geheimdienst zu tun, verlaß dich darauf.“ „Wann starten wir die Aktion?“ „Sobald sie 'runter zur Küste fahren. Wir stoppen sie in den Serpentinen.“ Jack und Ritchie stiegen zurück in ihren Kombi und wendeten den Wagen. Dann machten sie sich auf den Weg, um dem Trio eine tödliche Falle zu stellen. Es war ihnen durchaus zuzutrauen, daß sie es mit der linken Hand schafften. ***
„Die ersten Konturen dürften zu erkennen sein, Sir“, stellte Josuah Parker fest, als sie das Farmhaus verließen. „Mister Lindsays Kundschaft wird sich in allen Fällen um militärische Sperrbezirke gruppieren.“ „Also Militärspionage?“ tippte Vivi Carlson an. „Sieht tatsächlich danach aus. Ich denke an das Teleobjektiv. Ich denke an den toten Briefkasten.“ „Man sollte sich mit gewissen militärischen Behörden in Verbindung setzen, Sir, um in Erfahrung zu bringen, welche Dinge im Sperrbezirk getätigt werden.“ „Richtig!“ Rander nickte. „Ich habe da einige Beziehungen, die ich nutzen werde. Was hat sich übrigens hinter uns getan? Wir werden doch hoffentlich beschattet, oder?“ „Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, Sir“, meldete Josuah Parker. „Ich darf an die beiden Herren erinnern, die graue Overalls tragen.“ „Die Männer aus der Gastwirtschaft?“ wunderte sich Vivi Carlson. „Sehr wohl, Madam“, gab der Butler zurück, „meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte es sich um echte Profis handeln.“ „Dann haben wir ja noch was zu erwarten, oder?“ „In der Tat, Sir! Es ergibt sich die Frage, ob wir diese Herausforderung annehmen sollen oder nicht?“ „Was schlagen Sie denn vor?“ „Ein Kontakt ist dringend notwendig. Über diese beiden Herren dürfte man am schnellsten an jene Seite herankommen, die die 500 Pfund gezahlt hat.“ „Damit hätten Sie's ja wieder mal geschafft“, seufzte Mike Rander gespielt auf. „Ich ahnte es schon, als wir nach Brighton fuhren. Sie scheinen mit der Unterwelt ein Spezialabkommen geschlossen zu haben.“ „Sie lassen meine bescheidene Wenigkeit erröten“, sagte Parker, „ich bin allerdings glücklich, Ihnen, Sir, hin und wieder einen interessanten Kriminalfall offerieren zu können.“ „Hin und wieder?“ Rander verdrehte die Augen. „Sagen Sie doch lieber permanent, Parker. Wann rechnen Sie denn mit einem Kontakt?“ „Innerhalb der kommenden halben Stunde, Sir. Ich darf darauf verweisen, daß der Weg zurück zur Küste über eine Art Paß und dann über einige Serpentinen führt. Falls ich die beiden Herren richtig einschätze, werden Sie sich diese Möglichkeit nicht entgehen lassen.“ „Sie haben hoffentlich schon das richtige Gegenmittel parat, Parker, oder?“ ,,Ich habe mir in der Tat bereits einige Gedanken gemacht, Sir!“ „Und die sehen wie aus?“ „Falls Sie einverstanden sind, Sir, würde ich eine kleine Maskerade vorschlagen.“ Als Mike Rander bejahend genickt hatte, entwickelte der Butler seinen Plan, der sich wieder mal durch Einfachheit und Schläue auszeichnete. Mike Rander hatte das Gefühl, daß dieser Plan nicht schlecht war, sofern die beiden Männer mitspielten.
*** „Sie kommen!“ stellte Jack gelassen fest. Er setzte das Fernglas ab und griff nach seinem Gewehr. „Zieh' jetzt die Show ab, Ritchie! Und übertreibe nicht. Die Sache muß vollkommen normal wirken!“ Ritchie nickte. Er baute sich neben dem Kombi auf, der offensichtlich in den Straßengraben gerutscht war. Ritchie griff nach der Automatik in seiner Schulterhalfter und lockerte sie. Dann baute er sich am Heck des Wagens auf und nahm das Zündholzbriefchen in die Hand. Der Plan der beiden Gangster war sehr einfach. Sie hatten etwas Benzin auf die Straße gegossen und wollten es in dem Moment anzünden, in dem Parkers hochbeiniger Wagen hinter der Kurve erschien. Dann sollte Ritchie auf Parkers Wagen zulaufen und mit den Armen in der Luft herumrudern. Jeder Autofahrer würde in solch einer Situation anhalten und zu Hilfe eilen. Das war dann genau der Zeitpunkt, in dem die beiden Gangster ihre Opfer erledigen wollten. Parkers Wagen war inzwischen in einer kleinen Senke des Passes verschwunden, mußte aber bald wieder auftauchen. Das war nur eine Frage von wenigen Minuten. Doch der hochbeinige Wagen ließ sich erstaunlicherweise nicht sehen. Er schien aus irgendeinem unerfindlichen Grund angehalten worden zu sein. Ritchie sah nervös hinüber zu Jack, der sich oberhalb der angeblichen Unfallstelle hinter dicken Steintrümmern versteckt hatte. „Wo bleibt der Schlitten?“ rief er seinem Partner zu. „Muß gleich kommen.“ Jack winkte beruhigend in Richtung Ritchie und verschwand wieder hinter dem dicken Steinbrocken. Er ließ sich durch die kleine Verzögerung nicht aus der Ruhe bringen. Parkers Wagen mußte hier vorbeikommen! Ritchie wanderte unruhig auf und ab und blieb dann plötzlich wie angewurzelt stehen. „Jack... Jack!“ rief er zum Versteck seines Partners hinüber, „da vorn muß was passiert sein. Sieh' doch mal!“ Ritchie meinte die schwarze Rauchwolke, die jetzt hinter der Serpentine zu sehen war und die ganz offensichtlich auf einen Unfall hindeutete. *** Josuah Parker sah interessiert, aber auch sehr gelassen zu, wie die beiden Gangster zurück in ihren Kombi hüpften. Der Wagen — das zeigte sich deutlich — war keineswegs von der Straße abgekommen, er war nur als Falle so postiert worden. Der Kombi preschte auf die Serpentinen zu und hatte es sehr eilig. Er jagte durch die engen Kurven hinauf zum Paß, der allerdings kein Alpenformat aufzuweisen
hatte. Es handelte sich mehr um einen flachen Einschnitt in einem hügeligen Gelände. Dann sahen sie Parkers hochbeinigen Wagen. Er brannte offensichtlich. Die Motorhaube war in dicke, schwarze Rauchwolken gehüllt. Das hochbeinige Monstrum schien mit dem Kühler gegen einen schweren Begrenzungsstein gerammt worden zu sein. Eingehüllt in Qualm und Rauch waren — halb im Graben und halb am Straßenrand —-zwei menschliche Gestalten zu erkennen. Der Kombi hielt, die beiden Gangster Jack und Ritchie sprangen aus dem Wagen und rannten zu dem qualmenden Wagen. Parker sah deutlich, daß sie dabei ihre Schußwaffen nicht vergessen hatten. Sie witterten wohl eine günstige Gelegenheit, um sich ihrer Gegner endgültig zu entledigen. Parker hatte seinen Standort inzwischen verändert und befand sich in günstiger Schußposition. Endlich hatte er wieder mal die Gelegenheit, seinen Universal-Regenschirm einzusetzen. Der Schirmstock war hohl und nichts anderes als ein Waffenlauf, den er sowohl mit Blasrohrpfeilen wie auch mit echten Geschossen füttern konnte. In diesem Fall hatte er sich für Blasrohrpfeile entschieden, die mittels Preßluft auf die Reise geschickt wurden. Parker visierte Jack an und löste den ersten Pfeil. Jack, der die beiden am Boden liegenden Figuren noch nicht ganz erreicht hatte, zuckte plötzlich zusammen und griff nach seinem rechten Oberschenkel. Total überrascht starrte er dann auf den bunt gefiederten Pfeil, der etwa Stricknadelgröße hatte. „Ritchie!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme, „Ritchie!“ Sein Partner bremste den Schwung ab und drehte sich zu Jack um. „Hier!“ stöhnte Jack und wurde bereits weich in den Knien. Das Pfeilspitzengift tat bereits seine Wirkung. In Jacks Körper breitete sich eine wohlige Müdigkeit aus. Und zwar derart schnell, daß er kaum noch die Augen offenzuhalten vermochte. „Was... was ist denn das?“ stotterte Ritchie und starrte auf den Blasrohrpfeil in Jacks Hand. Er hatte seinen Satz gerade beendet, als er ebenfalls zusammenfuhr, als sei er von einem Rieseninsekt gestochen worden. Er griff zur linken Gesäßhälfte und starrte jetzt ebenfalls auf einen Blasrohrpfeil. „'ne Falle“, stellte er überflüssigerweise fest und wollte sich absetzen. Er kam nicht weit, Nach drei, vier Schritten knickte er in den Knien ein und rollte sich anschließend auf dem Asphalt zusammen. Er glich einem satten Säugling, der sich zum Schlaf niedergelegt hat. ***
„Was machen wir mit diesen beiden Kerlen?“ wollte Rander zehn Minuten später wissen. Parker hatte die Figuren zusammengerollt, nachdem er ihnen die Luft genommen hatte. Er verstaute die menschengroßen Gummipuppen im Kofferraum seines Wagens. Er hatte die Rauchpatrone unter dem Kühler entfernt und dann seinen jungen Herrn und Vivi Carlson begrüßt, die aus ihrer Deckung im Gelände zurückgekommen waren. „Ich würde Sie sehr gern befragen“, gestand Parker höflich. „Sie dürften der Schlüssel zu jenem Mann sein, der Mister Lindsay die bewußten 500 Pfund zahlte.“ „Glauben Sie, daß die beiden Gangster reden werden?“ Vivi Carlson war skeptisch. „Ich sehe mir mal den Kombi an“, antwortete Rander. Parker nickte und durchsuchte die Taschen der Tiefschläfer. Die gefundenen Gegenstände reichte er Vivi Carlson, die eine Grobsichtung vornahm. Parker hatte die beiden Gangster natürlich längst vom Asphalt geschafft. Jack und Ritchie schliefen jetzt im freien Gelände und waren von der Straße aus nicht zu sehen. „Sieht so aus, als gehörten sie zum Lunapark“, berichtete Mike Rander, der vom Kombi zurückgekommen war, „im Wagen sind eine Menge Plakate, die für eine Hochseiltruppe werben.“ ,Das ist in der Tat bemerkenswert“, sagte der Butler, „hat diese Truppe einen Namen, Sir?“ „Die Wolkenstürmer“, wenn ich richtig gelesen habe.“ „Genau“, bestätigte Vivi Carlson und wies auf die persönlichen Gegenstände der beiden Männer, die vor ihm im Gras lagen. „Jack Colloway und Richard Stork“, las Rander, der sich die Brieftaschen der Gangster vornahm, „wohnhaft in London ... Artisten ... Die Adresse werde ich mir notieren. Hier, ein paar Rechnungen, die von Firmen in Brighton ausgestellt worden sind. Wäschereirechnung ... Pensionsrechnung.“ „Erstaunliche Artisten“, stellte Parker gemessen fest, „in Sachen Schußwaffen scheinen die beiden Herren Spitzenklasse zu sein.“ „Und wie wollen Sie die Kerle aushorchen, Parker?“ Rander wandte sich an seinen Butler. „Sie glauben doch wohl nicht, daß sie reden werden.“ „Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich mir etwas einfallen lassen.“ Natürlich erlaubte Mike Rander. Er kannte die wohlgefüllte Trickkiste seines Butlers und verließ sich auf sie. *** Als Jack zu sich kam, hatte er leichte Kopfschmerzen. Er rieb sich die Schläfen und erinnerte sich plötzlich. Er sprang hoch, als sei er von einer Tarantel gestochen worden, und sah sich blitzschnell nach allen Seiten um. Jack war erleichtert.
Er lag neben dem Kombi im Gras. Und dicht neben ihm begann Ritchie sich bereits zu rühren. Der Kombi stand auf einem kleinen Parkplatz unterhalb der Serpentinen und machte einen intakten Eindruck. Von Parkers Wagen aber weit und breit nichts zu sehen. „Ritchie! Ritchie!“ sagte Jack und rüttelte seinen Partner vollends wach, „komm schon!“ „Was... was ist denn eigentlich los?“ wunderte sich Ritchie und setzte sich hoch. „'reingelegt hat er uns“, beschwerte sich Jack grollend, „und wir haben uns wie blutige Anfänger benommen. Er hat genau mit dem Trick gearbeitet, den wir uns ausgedacht hatten!“ „War da nicht was mit 'nem Blasrohrpfeil?“ erinnerte sich Ritchie schwach. „Und ob! Dafür werde ich dem Burschen noch was erzählen.“ „Wieso hat er uns?“ „Die Pfeile müssen irgendein Schlafgift gehabt haben“, kombinierte Jack nicht schlecht, „aber die werden wir uns bald aus der Nähe ansehen. Jetzt nichts wie weg!“ „Der Chef wird ganz schön sauer sein“, glaubte Ritchie zu wissen. „Und sich wieder beruhigen“, meinte Jack wegwerfend, „auf jeden Fall wissen wir jetzt, daß wir's mit Profis zu tun haben. Und das ist schon 'ne Menge wert!“ Sie waren aufgestanden und gingen zum Kombi hinüber. Als Jack, der sich ans Steuer gesetzt hatte, den Motor starten wollte, röhrte der Anlasser zwar, doch der Motor ging darauf nicht weiter ein. „Wetten, daß er den Schlitten sabotiert hat?“ meinte Ritchie mißgelaunt. „Kommt alles auf die Rechnung“, schwor Jack und ließ die Motorhaube aufspringen. Dann machten er und Ritchie sich daran, nach dem Fehler zu suchen. „Verteilerfinger“, erinnerte Jack. „Ist da!“ rief Ritchie, der sich tief über den Motor gebeugt hatte. „Zündkerzen?“ fragte Jack weiter an. „Vorhanden“, meldete Ritchie gereizt. „Zündkabel?“ „Sind auch da“, verkündete Ritchie, „verdammt, ich möchte bloß wissen, was er verändert hat!“ Er tauchte wieder hoch und zündete sich eine Zigarette an. „Ich will dir mal was sagen“, meinte er dann zu Jack, „wir sollten schleunigst abhauen und verschwinden. Und das werde ich auch dem Chef sagen.“ „Wegen diesem alten Knilch?“ wunderte sich Jack. „Schön, er hat uns 'reingelegt, aber das passiert ja nicht noch mal.“ „Der Kerl hat mehr auf dem Kasten, als wir ahnen.“ „Übertreib' bloß nicht!“ „Hier ist doch ohnehin nichts mehr zu holen. Wer soll denn jetzt die Fotos schießen? Lindsay ist weg vom Fenster.“ „Überlaß' das dem Chef“, antwortete Jack, „ich glaube, er wollte hier in der Gegend ohnehin Schluß machen. Jetzt ist Plymouth an der Reihe.“
„Haben wir da schon einen Kontaktmann?“ „Natürlich. Du kennst doch den Chef. Der plant im voraus!“ „Habe ich heute gemerkt“, meinte Ritchie wütend, „noch so 'ne Panne, und ich steige aus. Ich habe keine Lust, Dauergast in 'nem Zuchthaus zu werden.“ *** „Die Qualität der Übertragung möchte ich als bemerkenswert bezeichnen“, sagte Josuah Parker zu diesem Zeitpunkt. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums und stellte gerade das Autoradio ab, das er durch einen versteckt angebrachten Schalter auf die Frequenz jener „Wanze“ eingestellt hatte, die er im Kombi der beiden Gangster zurückgelassen hatte. Bei dieser „Wanze“ handelte es sich um einen Minisender, der nicht größer war als eine reife Kirsche. In diesem Apparat befand sich eine Batterie, die für viele Stunden für die notwendige Energie sorgte. Es gab zudem eine Art Relais, das dafür sorgte, daß das Gerät nur dann auf Sendung ging, wenn die Schwingungen der menschlichen Sprache das superkleine Mikrofon trafen. Dadurch würde unnötiger Energieverbrauch vermieden. Parker, ein Erfinder aus Leidenschaft, stellte solche und ähnliche Geräte in seiner Bastelstube her. „Jetzt dürften die Karten auf dem Tisch liegen“, meinte Mike Rander. Er saß mit Vivi Carlson im Fond des Wagens, der seinerseits in einem kleinen Feldweg geparkt worden war. Die Serpentinen lagen etwa zwei Kilometer hinter ihnen. „Spionage“, sagte Vivi Carlson. „Eindeutig“, führte Mike Rander weiter aus. „Der Hinweis auf Plymouth sagt alles. Er ist einer der wichtigsten Kriegshäfen der Insel.“ .....wie Southampton“, fiel Vivi ihm ins Wort. „Falls man solche Häfen beobachtet, lohnt sich in der Tat die Anschaffung eines Teleobjektivs“, ließ der Butler sich vernehmen. „Wir müssen den Geheimdienst verständigen“, erklärte Mike Rander mit Nachdruck. „Gewiß, Sir“, erwiderte Parker mit neutraler Stimme. „Könnten wir die Agenten nicht selbst ausheben?“ tippte Vivi Carson an. „Ein ungemein erfreulicher Aspekt“, sagte Parker sofort und nickte. „Daß Sie sofort einverstanden sind, kann ich mir natürlich vorstellen“, sagte Rander lächelnd, „aber wir könnten dabei in Teufels Küche geraten. Militärspionage ist eine verflixt heikle Sache!“ „Eine reizvolle Aufgabe, Sir, wenn ich es so ausdrücken darf. Sollten die Dinge sich zuspitzen, ist eine Information immer noch angebracht.“ „Sehen Sie denn den Wald vor lauter Bäumen nicht?“ Rander verdrehte die Augen in gespielter Verzweiflung. „Haben Sie mal addiert, wer inzwischen alles hinter uns her ist? Cleveland und Longless vom Gangstersyndikat in den Staaten.
Dann Hale Cloring und Buddy Etnams, die den Teddybär verfolgten. Und schließlich jetzt Jack Colloway und Ritchie Stork. Danke, mir reicht's!“ *** Die Dame war etwa 60 Jahre alt und hatte das Gesicht eines wachsamen Waldspechts. Die kleinen, schwarzen Vogelaugen wanderten unentwegt über den Bahnhofsvorplatz. Sie saß auf einer Bank in einer kleinen Anlage und strickte. Auf ihrem Kopf saß ein kleines Hütchen, das an eine umgedrehte Puddingschüssel erinnerte. Doch nach einiger Zeit strickte die ältere Dame nicht mehr. Fasziniert starrte sie auf das Bauzelt, das etwa 20-30 Meter von ihr entfernt auf dem Asphalt stand und sich gerade deutlich bewegte. Sie griff nach ihrem Lederbeutel, der die Handtasche ersetzte und holte eine Brille hervor. Natürlich, sie hatte sich nicht getäuscht. Das Bauzelt bewegte sich gerade wieder und marschierte ganz offensichtlich auf sie zu. Worüber die Dame sich ein wenig wunderte. Der starke Verkehr umfloß weiterhin das Zelt, das jetzt still stand. Die 60jährige redete sich eine Täuschung ein und wollte die Brille gerade wieder abnehmen, als das Bauzelt sich erneut bewegte. Einige Autos wurden dadurch irritiert und legten sich in scharfe Kurven. Die Dame erhob sich von der Bank und behielt die Brille auf, Sie ging ein wenig zur Seite und hielt Ausschau nach der Baugrube, über die das Zelt sich bisher gespannt hatte. Diese Baugrube war deutlich zu sehen. Einige Abdeckbretter schlossen sie notdürftig zur Straße hin ab. Da! Das Zelt marschierte konsequent auf die Anlage zu. Es schien wie von Geisterhand bewegt zu werden. Worüber die ältere Dame sich nicht mehr beruhigen konnte. *** „Das ist doch heller Wahnsinn“, keuchte Hale, der hinter seinem Partner Buddy marschierte. „Das kann nicht gutgehen!“ . „Ich muß weg, sonst drehe ich durch“, keuchte Buddy zurück. Er war wie Hale noch immer splitternackt. Die grausam lange Zeit in der Baugrube hatte seine Nervenenden restlos zerfasert. Er wollte jetzt um jeden Preis hinüber zur nahen Anlage und sich dort mit einigen belaubten Büschen und Zweigen notdürftig bekleiden. Dann wollte er ein Taxi anhalten und das Weite suchen. „Sind wir schon da?“ flüsterte Hale nach vorn.
„Bald“, schnaufte Buddy, der sich unter das Rohrgestänge des Bauzelts gewuchtet hatte, „nur noch 20 Meter.“ „Irgendwann kracht ein Wagen in die Baugrube“, unkte Hale nervös. Er sah dicht vor sich den schweißnassen, nackten Rücken seines Partners und auch dessen erstaunlich riesiges Gesäß. „Ein paar Sekunden noch“, hörte er Buddys Stimme, „die Sache klappt, Hale.“ „Ohhh!“ fluchte Hale plötzlich auf und strauchelte. „Verdammter Mist!“ Er war mit seinem linken Fuß auf einer kleinen Öllache ausgerutscht, wodurch das Bauzelt erheblich ins Wackeln geriet. Buddy konnte es gerade noch halten. „Paß doch auf!“ schimpfte Buddy, „gleich muß die Kiste klappen. Die letzten Meter nehmen wir im Laufschritt!“ Hale schickte nach vielen Jahren wieder ein Stoßgebet zum Himmel. Wenn jetzt eine Panne passierte, waren sie geliefert. Dann befanden sie sich nämlich nackt und bloß auf einem verkehrsreichen Platz, ohne Aussicht auf irgendeine Deckung. *** Die ältere Dame mit den schwarzen, schnellen Vogelaugen war bis an den Rand der kleinen Grünanlage gekommen und ließ das wandernde Zelt nicht aus den Augen. Und dieses Zelt bewegte sich jetzt nicht mehr vorsichtig, sondern lief direkt auf sie zu. Der Rand der Grünanlage war erreicht. Die Dame schwang ihren Lederbeutel und trat ans Zelt heran. Sie riß es vorn auf und stieß dann einen derart gellenden Schrei aus, daß die Tauben auf den Simsen des Bahnhofsgebäudes hastig davonstoben. „Hiiilfe!“ schrie sie dann, doch sie fiel zu Hales und Buddys Enttäuschung keineswegs in Ohnmacht. Sie fühlte sich im Gegenteil durchaus herausgefordert und betrachtete die beiden nackten Männer unter dem Bauzelt als einen persönlichen Angriff auf ihre Würde und ihr Schamgefühl. Also drosch sie mit dem Lederbeutel auf die total verwirrten Gangster ein. Da sich im Lederbeutel ein Marmeladenglas und ein dicker Schlüsselbund befanden, entpuppte dieser Lederbeutel sich als böse Schlagwaffe. Buddy erhielt einen ersten Hieb auf die Stirn und rutschte zurück gegen Hale. Der Kumpan verlor das Gleichgewicht, als Buddys nackter Rücken und die verlängerte Körperhälfte sich gegen sein Gesicht drückten. Er schnappte nach Luft, wurde zu Boden geworfen, rappelte sich wieder hoch und schob dabei unwillkürlich seinen Kopf nach vorn, worauf die ältere Dame erneut zulangte. Vom Marmeladenglas getroffen, heulte Hale auf und legte sich auf den nackten Bauch von Buddy, der seinerseits gerade wieder aufstehen wollte. Darüber war das gellende „Hiiilfe“ der älteren Dame zu hören, die sich aber sehr gut selbst zu helfen wußte. Es kam, wie es kommen mußte.
Als Hale und Buddy sich zurückziehen wollten, kippte das Bauzelt, weshalb es auf dem Bahnhofsvorplatz lebendig wurde. Der Kreisverkehr brach völlig zusammen. Es war erstaunlich, was zwei nackte Männer schafften, deren Körperformen noch nicht mal sonderlich attraktiv waren. Ein LKW-Fahrer wurde irritiert, daß er zu scharf auf die Bremse stieg. Zwei Personenwagen fuhren auf. Eine Dame von etwa 40 Jahren, die gerade Fahrschule machte, verriß derart das Steuer, daß sie anschließend mitsamt Wagen und Fahrlehrer vor dem Tresen einer Kneipe parkte. Sie merkte erst erheblich später, daß sie dabei souverän die Vorfahrt mißachtet und die große Schaufensterscheibe durchfahren hatte. Ein Kiesfahrer geriet in leichte Verwirrung, nachdem er scharf gebremst hatte, um die beiden Nackedeis nicht zu rammen. Er betätigte den falschen Hebel und kippte etwa 3 Tonnen Bausand auf den Asphalt, womit einige andere Fahrer nicht gerechnet hatten. Sie wurden von den abrutschenden Sandmassen fast zugedeckt. Ein Bobby, der auf dem Bahnhofsvorplatz stand, blies vergeblich in seine Trillerpfeife. Er brachte keinen Ton zustande und war nicht in der Lage, seinen Beobachtungsposten zu verlassen. Er war wie gelähmt. Derweil rannten Hale und Buddy im Zick-Zack durch den Kreisverkehr, völlig verwirrt übrigens, denn das Kreischen diverser Bremsen, das Hupen und Dröhnen der Warnsignale wurde von Sekunde zu Sekunde lauter. Sie hatten die Hände vor ihre primären Geschlechtsmerkmale gebracht, wie es sich korrekterweise auch gehörte, und sie steuerten die rettende Baugrube an, um sich hier schamvoll zu verstecken. Doch dieser Ort der Zuflucht war noch weit. Was einmal damit zusammenhing, daß sie die Richtung verloren hatten, zum anderen aber auch, weil sie von der älteren Dame verfolgt wurden, die ihren schweren Lederbeutel schwang. Dann endlich, nachdem es noch zu drei weiteren Auffahrunfällen gekommen war, hüpften die beiden Gangster in die Grube, die ja nur notdürftig abgedeckt war. Sie waren total erschöpft und duckten sich ängstlich, als die Verfolgerin oben am Rand der Grube erschien. „Das sind keine Jungenstreiche mehr“, stellte die ältere Dame entrüstet fest und drohte nach unten, wo Hale und Buddy sich angstvoll zusammenzogen. „Ich werde die Polizei holen!“ „Hilfe!“ keuchte Hale und streckte seine Arme nach oben, worauf die Dame einen mittelschweren Hustenanfall bekam, denn Hale hatte sich mit dieser flehentlichen Geste ungewollt entblößt. „Sie ... Sie Exhibitionist!“ stammelte die 60jährige entsetzt, „wie können Sie mir das antun!“
Dann griff sie nach einer der Bretterbohlen, um auf Hale und Buddy einzudreschen, die wie Häschen in der Grube hockten und vor Verwirrung zitterten. *** „Die feine englische Tour war das aber gerade nicht“, meinte Anwalt Rander einige Stunden später, nachdem er die Mittagszeitungen überflogen hatte. „Brighton hat seine Sensation. Zwei nackte Männer im Kreisverkehr. Exhibitionisten verursachen Massenunfall. Neuer Trick von Sexual Verbrechern! Das sind Überschriften, Parker, auf die Sie sich etwas einbilden können!“ Mike Rander grinste und reichte die Zeitungen an Vivi Carlson weiter. „Die Zeitungsfotos zeichnen sich durch Diskretion und Humor aus“, fügte der Butler hinzu. „Ich darf an dieser Stelle vermerken, Sir, daß die beiden Herren Hale und Buddy damit für ein paar Tage sichergestellt sein dürften.“ „Sie glauben nicht, daß Hale und Buddy unsere Namen ins Spiel bringen werden?“ fragte Rander. „Auf keinen Fall, Sir! Ich gehe davon aus, daß sie über dieses Thema schweigen werden. Darüber hinaus dürften die Behörden von sich aus früher oder später herausfinden, daß sie Angestellte des ermordeten Mister Lindsay waren.“ „Demnach sind zwei unserer Gegner erst mal hinter Schloß und Riegel“, pflichtete Rander seinem Butler bei. „Bleiben noch Cleveland und Longless, Colloway und Stork.“ „In der Tat, Sir!“ „Die vier Typen sind gefährlich genug.“ „Man sollte auf der Hut sein, Sir, vor allen Dingen draußen im Lunapark.“ „Sie wollen sich den Chef der ,Wolkenstürmer' ansehen?“ „Ein kleines Gespräch könnte nicht schaden, Sir.“ „Wann gehen wir?“ erkundigte sich Rander unternehmungslustig. „Wäre es nicht ratsam, Sir, bei Miß Carlson zu bleiben?“ „Sie wollen wieder mal 'ne Solotour abziehen, wie?“ „Es ist sicherer, Sir. Falls meiner bescheidenen Wenigkeit etwas zustoßen sollte, könnten Sie mich entsetzen.“ „Überredet“, meinte Rander lächelnd, „falls Sie in einer Stunde nicht zurück sind, werde ich eine Hilfsarmee ausrüsten. Passen Sie auf sich auf, Sie werden noch gebraucht, Parker!“ *** „Noch mal schafft er den Taxitrick nicht“, schwor Longless, der am Steuer des Minicooper saß.
Die beiden Syndikat-Killer befanden sich wieder auf freiem Fuß, nachdem sie von der Polizei ausgiebig verhört worden waren. Sie hatten den angerichteten Schaden in bar bezahlt, was ein erhebliches Loch in ihre Kasse gerissen hatte. Sie waren auf den Butler noch schlechter zu sprechen als sonst. Sie brannten darauf, es ihm heimzuzahlen. Es ging längst nicht mehr um den strikten Auftrag des Syndikats. Das hier war inzwischen zu einer persönlichen Sache zwischen ihnen und Parker geworden. Sie wollten es endlich wissen. Es mußte sich zeigen, wer cleverer und geschickter war. „Ich möchte bloß wissen, was er jetzt wieder auf der Pfanne hat“, sagte Cleveland und überprüfte den Zustand seiner schallgedämpften Waffe. „Wär's vielleicht nicht besser, wenn wir uns jetzt den Anwalt vorknöpfen würden?“ fragte Longless vorsichtig. Er hatte nicht viel Lust, sich wieder mit dem Butler anzulegen. „Der Butler ist aber die Hauptnummer“, stellte Cleveland fest. „Haben wir ihn, haben wir auch Rander. Los, laß dich bloß nicht abhängen!“ Der Minicooper, der nach dem Unfall einen ramponierten Eindruck machte, war motorisch noch vollkommen in Ordnung und konnte dem hochbeinigen Monstrum des Butlers ohne Mühe folgen. „Der will doch nicht 'rüber zum Lunapark?“ wunderte sich Longless nach zehn Minuten. „Dem ist alles zuzutrauen“, stellte Cleveland fest, „hoffentlich tut er's. Jetzt, um diese Zeit, ist der Rummelplatz wie leergefegt. Da sind wir unter uns, Junge. Da können wir voll aufdrehen!“ „Parker aber auch“, gab Longless zu bedenken. „Vielleicht will er uns nur in 'ne Falle locken!“ „Uns doch nicht!“ gab Cleveland großspurig zurück. „Da müßte er schon früher aufstehen.“ „Vielleicht hat er's getan“, erwiderte Longless, „wenn ich's mir richtig überlege, Clevie, dann hat mein Daddy genau den falschen Mann erwischt, um mich ausbilden zu lassen.“ „Meinst du mich damit?“ „Nein, Parker. Daddy hätte sich auch einen leichteren Gegner aussuchen können.“ „In spätestens 'ner halben Stunde wirst du anders reden“, versprach Cleveland selbstsicher, „dann nämlich, wenn wir Parker umgepustet haben.“ *** Der umzäunte Lunapark war um diese Zeit nur durch ein Tor zu erreichen, das mit Maschendraht bespannt war. Dieses Tor wurde von einem älteren Mann bewacht, der ungebetene Besucher fernhalten sollte.
„Ich erlaube mir, einen ausgesprochen guten Tag zu wünschen“, begrüßte Parker den Mann und lüftete dazu seine schwarze Melone. „Wie und wo erreiche ich den Leiter der Wolkenstürmer?“ „Herbert Owen?“ „In der Tat!“ “Da haben Sie aber Glück. Der ist vor 'ner halben Stunde gekommen. Gehen Sie 'rüber zu den Wohnwagen! Owen wohnt in einem Trailer. Das Ding ist knallrot gestrichen. Gar nicht zu verfehlen.“ „Die Wolkenstürmer treten hier im Lunapark auf?“ „Die müssen Sie sich mal unbedingt ansehen. Absolute Spitzenklasse. Sie werden Bauklötze staunen!“ „Ich stelle mit Vergnügen fest, daß Sie sich sehr gut auskennen.“ Parker nickte wohlwollend. „Sind Ihnen vielleicht auch die Herren Jack Colloway und Richard Stork bekannt?“ „Klar. Die spielen so 'ne Art Mädchen für alles.“ „Sie sind keine Artisten?“ „Nee, mehr Handlanger, verstehen Sie? Die machen den Auf- und Abbau, die Reklame und fahren die Trailer.“ „Vielen Dank!“ Parker deutete eine knappe Verbeugung an und lüftete dazu seine schwarze Melone. Dann setzte er sich zurück in sein hochbeiniges Monstrum und fuhr quer durch den Lunapark hinüber zu den Wohnwagen. Das Gelände war um diese Zeit wie ausgestorben. Die Schaubuden und Stände waren geschlossen und eingehüllt in graues Segeltuch. Von irgendwoher war Hämmern zu hören, wahrscheinlich wurde etwas ausgebessert. Ein sanfter Wind trieb Papierreste und Unrat durch die leeren Gassen. Parker bot sich ein melancholisches Bild, in dem aber auch eine gewisse Drohung lag. Die Szenerie wirkte unheimlich und unwirklich. Er brauchte nicht lange nach dem knallroten Trailer zu suchen. Der große, zweiachsige Wohnwagen stand an der linken Seite des Camps, wo die Wagen der Schausteller zusammengezogen waren. Neben diesem modernen und sicher nicht gerade billigen Trailer stand ein Jaguar. „Habe ich das Vergnügen, Mister Owen gegenüberzustehen?“ erkundigte sich der Butler, nachdem er hinauf zur Tür des Wohnwagens geschritten war und diese geöffnet hatte. Ein etwa 50jähriger Mann, mittelgroß, drahtig und energisch wirkend, sah ihn überrascht an, um dann zu nicken. „Mein Name ist Parker. Josuah Parker“, stellte der Butler sich vor, „ich habe die Ehre und das Vergnügen, für Mister Rander als Butler arbeiten zu können.“ „Owen“, stellte der Drahtige sich vor. Sein Gesicht war gebräunt und von tiefen Falten durchzogen. Dennoch sah Owen anziehend aus. „Was kann ich für Sie tun, Mister Parker?“ „Ich komme wegen Mister Lindsay“, erläuterte der Butler gemessen. „Ich darf wohl unterstellen, daß dieser Name Ihnen etwas sagt.“
„Tut mir leid, keine Ahnung, wen Sie meinen.“ Owen deutete auf einen Sessel, blieb selbst aber vor einem eingebauten Wandschrank stehen. Der Wohnwagen war übrigens luxuriös eingerichtet: Edelhölzer an den Wänden, Teppiche auf dem Boden, Ledersessel und ein Schreibtisch, der aus einer Kapitänskajüte stammen mußte. „Dann möchte ich auf Ihre Mitarbeiter Colloway und Stork verweisen“, wechselte der Butler das Thema. „Sie sind doch noch bei Ihnen beschäftigt, nicht wahr?“ „Was ist mit ihnen?“ „Sie sind, wenn ich es so ausdrücken darf, für meine Begriffe zu anhänglich, was meine Person anbetrifft.“ „Ich verstehe kein Wort.“ Owen schüttelte ein wenig ratlos den Kopf. „Ich sah mich gezwungen, sie sehr nachdrücklich daran zu hindern, meine bescheidene Person weiterhin zu beschatten und zu verfolgen!“ „Können Sie sich nicht deutlicher ausdrücken?“ „Sollte ich, Mister Owen?“ „Natürlich, ich weiß nämlich nicht, worauf Sie hinaus wollen, Mister Parker. Sie behaupten also, Jack und Ritchie, ich meine Colloway und Stork, seien hinter Ihnen her? Warum?“ „Weil ich mir die Freiheit nahm, privat in Sachen Mister Lindsay zu ermitteln.“ „Jetzt verstehe ich überhaupt kein Wort mehr!“ Owen schüttelte ratlos den Kopf. „Wer ist dieser Lindsay?“ „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Spion“, stellte Parker fest. „Dann sollten Sie das der Polizei melden.“ „Sie haben keine Sorge, daß auch die Existenz Ihrer beiden Mitarbeiter Colloway und Stork bekannt wird?“ „Wenn die Dreck am Stecken haben, sollen sie zur Verantwortung gezogen werden. Sagen Sie, wer sind Sie wirklich, Mister Parker? Geheimdienst oder Privatdetektiv? „ „Ich übe den Beruf eines Butlers aus“, erklärte Parker höflich. „In meiner reichlich bemessenen Freizeit befasse ich mich allerdings leidenschaftlich mit der Aufklärung von Kriminalfällen.“ „Mit Erfolg?“ „Ohne unbescheiden sein zu wollen, Mister Owen, kann und muß ich sagen, daß die Erfolgsquote sich wirklich sehen lassen kann.“ „Haben Sie nicht Angst, eines Tages auf der Strecke zu bleiben?“ „Diesen Nervenkitzel koste ich in der Tat gründlich aus, Mister Owen.“ „Na bitte“, sagte Owen und hatte plötzlich eine Automatik in der Hand, „dann kosten Sie mal! Sehr viel Zeit werden Sie nämlich nicht mehr haben.“ ***
„Hast du das gerade mitbekommen?“ staunte Longless und zog hastig seinen Kopf zurück. „Parker in der Falle“, freute sich Cleveland und grinste. „Sowas hat schon fast Seltenheitswert, Junge!“ „Er hat sich doch tatsächlich 'reinlegen lassen“, wunderte sich Longless sichtlich. Seine Stimme klang enttäuscht. „Los, weg von hier! Wir hängen uns erst draußen vor dem Lunapark an den Schlitten 'ran.“ Die beiden Superprofis aus den Staaten hatten von der Ecke eines Wohnwagens aus die Szene am Trailer genau beobachten können. Parker war über die Treppe hinunter zu seinem hochbeinigen Wagen geschritten. Und hinter ihm hatte sich ein drahtiger Mann mit Ledergesicht befunden, in dessen Hand eine schallgedämpfte Automatik gewesen war. Die Szene war eindeutig für jeden Fachmann: Parker hatte sich überrumpeln lassen und sollte jetzt beiseite geschafft werden. Die beiden Vollprofis beeilten sich, zurück zu ihrem Mini zu kommen. Longless setzte sich ans Steuer und preschte los. Es war selbstverständlich für die Burschen, sich an Parker anzuhängen. „Ob Parker hochgenommen werden soll?“ fragte Longless, während sie vor dem Lunapark auf Parkers hochbeiniges Monstrum warteten. „Ist doch klar!“ „Wer mag der Bursche sein, der ihn 'reingelegt hat?“ „Darum werden wir uns später kümmern.“ „Sagenhafte Chance für uns“, redete Longless weiter. „Parker bekommt seine Himmelfahrt, und wir brauchen noch nicht mal 'nen Finger krumm zu machen.“ „Moment mal!“ Cleveland sah seinen Schützling und Lehrling strafend an. „Parker ist unser Mann! Willst du dich mit fremden Federn schmücken?“ „Hauptsache, Parker ist geschafft!“ „Hast du denn überhaupt keine Moral?“ tadelte Cleveland, „ich sage es noch mal, Parker ist unser Mann! Da hat sich keiner 'reinzumischen, klar?“ „Mich interessiert nur der Effekt.“ „Dein Daddy hätte dich besser erziehen sollen“, meinte Cleveland vorwurfsvoll. „Wir sind auf ihn angesetzt worden, und da mischt kein anderer mit.“ „Schon gut, schon gut!“ wehrte Longless tief beschämt ab, „war ja auch nur 'ne flüchtige Idee. Weil Parker uns bisher immer entwischt ist.“ „Wir werden uns gleich an ihn und seinen Entführer anhängen“, erklärte Cleveland. „Wenn's dann soweit ist, übernehmen wir den Butler.“ „Wo bleibt Parkers Kiste denn?“ wunderte sich Longless. „Nur nicht nervös werden“, grinste Cleveland mahnend. „Geduld ist 'ne Tugend, Junge.“ „Ob's vielleicht 'ne zweite Ausfahrt aus dem Rummelplatz gibt?“ „Verdammt!“ stieß Cleveland hervor, „das hätte uns gerade noch gefehlt. Los, presch noch mal 'rein! Parker darf uns nicht entwischen!“
Sie fuhren mit dem Mini zurück auf dem Rummelplatz, vorbei an dem alten Torwächter, der dem ramponierten Wagen irritiert nachschaute. *** „Sie übernehmen das Steuer“, sagte Owen, als sie auf Parkers hochbeinigen Wagen zugingen, „und keine Mätzchen, Parker! Ich würde sofort schießen!“ „Sie können sich auf meine bescheidene Wenigkeit fest verlassen“, antwortete Parker. Er nahm am Steuer Platz, worauf Owen sich etwas erstaunt umsah. „Wo ist denn der Beifahrersitz wunderte er sich. „Dieser Sitz ist durch ein zusätzliches Armaturenbrett ersetzt worden“, erläuterte der Butler. „Sie werden im Fond Platz nehmen müssen.“ „Komischer Wagen“, sagte Owen zögernd, „wozu brauchen Sie ein zweites Armaturenbrett? Wozu sind die vielen Schalter und Kipphebel?“ „Eine kleine Marotte meinerseits“, sagte Parker ausweichend. Owen nickte und stieg dann hinten im Wagen ein. Er beugte sich aber sofort vor und drückte den Lauf seiner Waffe gegen Parkers Rücken. „Richtung Chichester“, ordnete er dann an, „ich sage rechtzeitig, wann und wo Sie abbiegen müssen.“ „Darf ich fragen, ob Sie meine bescheidene Person umbringen wollen?“ „Unsinn!“ Owen lachte leise. „Ihr Taktgefühl ist außerordentlich gut entwickelt“, meinte der Butler. „Sie sind also der Chef der Agenten, die unter dem Deckmantel einer Hochseiltruppe arbeitet?“ „So ungefähr“, meinte Owen gutgelaunt, „eine bessere Tarnung könnte ich mir gar nicht vorstellen. Fahren Sie schon los, Parker!“ „Mit dem Motor scheint einiges nicht zu stimmen“, behauptete der Butler, während er den Anlasser betätigte, der dumpf röhrte, den Motor aber nicht anspringen ließ. „Keine Mätzchen!“ warnte Owen erneut. „Wenn Sie nicht in zehn Sekunden fahren, können Sie sich abschreiben!“ Parker nickte und ließ seine rechte Hand über das zusätzlich angebrachte Armaturenbrett wandern. Er legte einen kleinen Kipphebel um und gab damit die vorher absichtlich blockierte Zündung frei. Der Motor war sofort da, satt und vornehm röhrend. „Na also!“ Owen nickte zufrieden, „wer sagt's denn, Parker.“ Er ließ sich zurück auf den Sitz gleiten, hielt seine Waffe aber nach wie vor auf den Butler gerichtet. Owen, der Parkers Wagen nicht kannte, fühlte sich vollkommen sicher. Der Rücken des Butlers war im Falle eines Falles nicht zu übersehen und ein riesengroßes Ziel. Owen sah allerdings nicht, was Parkers Füße taten. Der Butler trat nämlich auf einen kleinen Knopf, der im Bodenbrett des Wagens angebracht war.
Gleichzeitig legte er einen Kipphebel unter dem normalen Armaturenbrett um. Da er schaltete, fiel diese Bewegung überhaupt nicht auf. Synchron zu diesen Bewegungen tat sich dann einiges. Zuerst schnellte die schmale Trennscheibe zwischen Fahrersitz und Fahrgastraum blitzschnell nach oben und machte die Gesamttrennscheibe schußdicht. Ebenso blitzschnell schoß eine Stahlnadel aus dem Polstersitz nach oben und bohrte sich rammend in das Gesäß des Fahrgastes. Owen brüllte auf und löste ungewollt einen Schuß, der im Wagenboden verschwand. Dann interessierte Owen sich nicht mehr für seine Schußwaffe. Es war sein mißhandeltes Gesäß, das ihn intensiv beschäftigte. Er war bei dem Einstich nach oben gefahren und mit dem Kopf gegen das Dach geschlagen. Benommen war er zurückgefallen und hatte sich dummerweise erneut in die spitze Nadel gesetzt. Diese beiden Einstiche hatten es in sich, wie sich zeigte. Owen verdrehte bereits die Augen und ließ sie dann rotieren. Das Präparat, mit dem die Nadelspitze bestrichen war tat schnell seine Wirkung. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Owen tief und fest schlief. *** Parker verließ sein hochbeiniges Monstrum und schloß den Wagen ab. Dann begab er sich zurück in den Wohnwagen, um ihn gründlich zu durchforschen. Er hoffte Indizien dafür zu finden, daß Owen der Chef der Agentengruppe war. Bevor er sich aber an die Arbeit machte, warf er einen prüfenden Blick durch ein Fenster nach draußen. Er wollte nicht überrascht werden. Er wußte nicht, wann Owens Mitarbeiter Jack und Ritchie zurückkamen. Sein Aus- und Rundblick lohnte sich. Er entdeckte die beiden Dauerschatten Cleveland und Longless, die am Ende der Wohnwagengasse auftauchten und sich an den Trailer heranschoben. Parker wollte nicht gestört werden, daher unternahm er etwas aus dem Handgelenk heraus. Er war ja ein Meister der Improvisation, der es verstand, harmlose Dinge blitzschnell umzufunktionieren. Parker lief ohne Hast hinüber zum Eingang und beschäftigte sich einen Moment mit der Treppe, die hinauf in den Trailer führte. Er war in der Lage, seinen Universal-Regenschirm als Hebel einzusetzen, wobei sich wieder mal zeigte, wie wertvoll Parkers Schirm war. *** „Sieh an, sieh an!“ 'murmelte Cleveland, als er und Longless den hochbeinigen Wagen des Butlers passierten. Sie hatten im Fond Herbert Owen entdeckt. Der Mann schien tief und friedlich zu schlafen. Dabei störte kaum, daß er eine schallgedämpfte Schußwaffe in der Hand hielt.
„Dieser blöde Trottel“, mokierte sich Longless kopfschüttelnd, „läßt sich einfach 'reinlegen!“ „Komm endlich“, rief Cleveland ihm leise zu. „Parker ist im Trailer. Diesmal haben wir ihn am Haken!“ Sie hatten die Treppe erreicht, die hinauf zur Tür des großen Wohnwagens führte. Sie nickten sich gegenseitig zu und marschierten einträchtig nach oben. Selbstverständlich hatten sie längst ihre Schußwaffen in den Händen. Sie wollten kein Risiko eingehen. Sie wußten schließlich aus Erfahrung, wie listenreich der Butler war. Sie nahmen leise und vorsichtig eine Stufe nach der anderen und erreichten auf diese Weise die Mitte der Treppe, die plötzlich schlagartig unter ihrem Gewicht nachgab und zu Boden stürzte. Cleveland und Longless hatten ja nicht wissen können, daß Josuah Parker die Treppe aus ihren Ösen gehakt hatte. Sie donnerte also hinunter und ramponierte die beiden Killer erheblich. Cleveland schlug mit der Stirn auf und wurde augenblicklich ohnmächtig. Longless geriet mit seinem üppig gepolsterten Kinn auf eine Kante und konnte ebenfalls ausgezählt werden. Was Parker allerdings nicht tat, es hätte seiner vornehmen Art wohl auch nicht entsprochen. Er erschien nur oben an der Tür und sah interessiert auf die beiden schlafenden Dauerkiller. Er überlegte sich, wie und wo er die beiden Männer unterbringen konnte. Er war nämlich nach wie vor daran interessiert, ungestört nach Beweisen suchen zu können. Was Parker sich mal in den Kopf gesetzt hatte, das führte er auch aus. *** Der alte Torwächter hatte bisher gekonnt vor sich hingedöst und schreckte auf, als ein irritierendes Geräusch seine Gehörgänge traf. Lief da nicht ein Karussell? Jetzt, um diese Zeit? Der Mann erhob sich von seinem Hocker und marschierte dem Geräusch nach, das von Schritt zu Schritt immer lauter wurde. Der Torwächter kam um eine Schaubude herum und blieb beeindruckt stehen. Er sah sich einem Vergnügungsgerät gegenüber, das auf vollen Touren lief. Es handelte sich um viele kleine Zeppeline, die an langen Schwenkarmen befestigt waren. Diese Schwenkarme hoben und senkten sich in unregelmäßigen Abständen. Einem Sturzflug folgte ein fast senkrechtes Hochsteigen. Wie gesagt, dieses Gerät lief auf vollen Touren, aber nicht sinnlos. Es gab immerhin zwei Fahrgäste an Bord zweier Zeppeline. Es handelte sich — der Torwächter sah es deutlich — um ein Riesenbaby und um einen schlanken, dunkelblonden, eigentlich recht sympathisch aussehenden Mann.
Beide Fahrgäste schienen das Vergnügen noch nicht recht auskosten zu können, denn sie machten einen schlafenden Eindruck. Was sich nach wenigen Sekunden allerdings prompt änderte. Das Riesenbaby kam zuerst zu sich, sah sich verwirrt um und stieß dann einen gellenden Schrei aus, als sein Zeppelin zu einem Sturzflug ansetzte. Von diesem gellenden Schrei geweckt, wandte der Dunkelblonde sich zu dem Riesenbaby um und klammerte sich dann eisern an der Bordwand seines Zeppelins fest, der steil nach oben zog. „Hiiilfe!“ brüllte das Riesenbaby, als sein Zeppelin sich abrupt anhob. „Abstellen!“ brüllte der dunkelblonde, junge Mann, als sein Luftschiff steil nach unten sauste. Der Torwächter fühlte sich überfordert. Wie sollte er helfen? Er kannte den Mechanismus dieses Karussells nicht. Dennoch schritt er tapfer hinüber zur Schaltbühne, die in einem Kassenwagen untergebracht war und drückte auf sämtliche Knöpfe, die für ihn erreichbar waren. Worauf die Sturz- und Steilflüge immerhin musikalisch untermalt wurden. Up, up and away ertönte es aufdröhnend und trommelfellmassierend. Eine passendere Begleitmusik hätten Cleveland und Longless sich nicht wünschen können. *** Longless fühlte, daß sein Magen revoltierte. Sich an den Bordwänden festklammernd, würgte er bereits. Er hörte die Untermalungsmusik und sah plötzlich wieder den Boden auf sich zurasen. In diesem Moment machte sein Magen nicht mehr mit. Er spielte verrückt und gab von sich, was er besaß. Cleveland hatte sich auf dem Bodenbrett seiner Gondel zusammengekauert und die Augen geschlossen. Er hoffte, auf diese Art und Weise dem Schwindelgefühl begegnen zu können. Doch das Heben und Senken, das schnelle Drehen der Gondel um die Längsachse machten ihn restlos fertig. Er saß rückwärts wie sein Schützling Longless und fühlte sich hundeelend. Er wartete sehnsüchtig darauf, daß das Gerät endlich abgestellt wurde; Cleveland glaubte, sich in einem NASA-Test zu befinden. *** Der alte Mann vom Rummelplatztor suchte indessen verzweifelt nach dem Hebel, um das Karussell abzuschalten. Er hätte sich die Arbeit ersparen können. Parker hatte nämlich vorgesorgt, was ihm als leidenschaftlicher Bastler nicht schwergefallen war.
Er hatte den Schalter kurzgeschlossen. Bevor dieser Fehler nicht gefunden wurde, mußten die Zeppeline sich unentwegt drehen. Was der Butler schließlich auch beabsichtigt hatte. Nun, Josuah Parker befand sich inzwischen längst wieder im Trailer und durchsuchte den Wohnwagen. Er ging systematisch vor, wurde aber auf der ganzen Linie enttäuscht. Herbert Owen war sicher ein vorsichtiger Agentenchef, der seine Ware nicht leichtsinnig herumliegen ließ. Dennoch mußte er der Empfänger jener Fotos sein, die Lindsay für ihn geschossen hatte. Wo befanden sich diese Aufnahmen? Hatte Owen sie bereits weitergegeben? War er nur eine Schaltstation? Vielleicht war es bequemer, Owen selbst zu fragen. Zudem war von weither bereits das Signal eines Streifenwagens der Polizei zu vernehmen. Es wurde Zeit, den Rummelplatz zu verlassen. Parker begab sich gemessen zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum und setzte sich ans Steuer. Dann fuhr er langsam und auf Umwegen zurück zum Tor. Unterwegs hatte er Zeit genug, einen Blick auf die Zeppeline zu werfen, die sich nach wie vor unermüdlich drehten, hoben und wieder senkten. Er sah in zwei Gondeln je einen Mann. Und diese Männer winkten und gestikulierten herum, als genössen sie die Freifahrt. *** Ein von der Polizei alarmierter und herbeigeschaffter Elektriker brauchte etwa zwanzig Minuten, bis er den Fehler entdeckt hatte. Danach war alles nur noch eine Kleinigkeit. Die Rotation der Zeppeline wurde langsamer, dann blieben die Silbergondeln stehen. Man bemühte sich zuerst um Longless. Vier kräftige Männer waren nötig, um das Riesenbaby aus der Gondel zu zerren und es dann auch anschließend zu stützen. Longless brach immer wieder in den Knien ein. Er hatte jedes Gleichgewicht verloren und murmelte Worte, die man beim besten Willen nicht verstand. Im Fall Cleveland reichten zwei Männer, ihn aus dem Zeppelin zu bergen. Als man Cleveland versuchsweise losließ, drehte er sich um seine Längsachse und schritt dann in wilden Kurven von dannen. Er übersah dabei den Pfosten einer nahen Schaubude und kollidierte mit ihr. Erst danach fand er etwas Ruhe, wenngleich der Schaum vor seinem Mund nicht ganz zu übersehen war. Die Streifenbeamten, eben noch mitfühlend, reagierten allerdings sauer, als sie in den Zeppelinen je eine schwere Schußwaffe fanden. Diese Beiladung hatten sie nun wirklich nicht erwartet. Sie schwärmten aus und fingen die beiden Flieger wieder ein. Cleveland und Longless ließen alles mit sich geschehen. Sie waren vorerst gebrochen an Leib und Seele. Als man sie unabsichtlich hart an den Gondeln
vorbeiführte, stießen sie Schreie aus und schlugen um sich. Sie schienen gegen dieses an sich nette Spielgerät einiges zu haben. *** „Das ist doch Kidnapping“, sagte Mike Rander, als Josuah Parker seine Geschichte beendet hatte. „Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich widersprechen“, antwortete der Butler gemessen. „Ich beabsichtige keineswegs, Mister Owen über ein gewisses Zeitmaß hinaus festzuhalten. Zudem befindet er sich im Moment in einer körperlichen Verfassung, die es ihm nicht erlaubt, sich fortzubewegen.“ „Wo steckt Owen denn jetzt?“ Rander und Vivi Carlson, die sich im Pensionszimmer des Anwalts befanden, sahen den Butler erwartungsvoll an. „In einem kleinen Park innerhalb von Brighton, Sir.“ „Dann bin ich ja beruhigt“, seufzte Rander. „Sie wissen ja, was auf Entführung steht.“ „Mister Owen kann nach seinem Erwachen mit wenigen Schritten eine öffentliche Telefonzelle erreichen“, erläuterte der Butler weiter. „Jetzt begreife ich! Sie rechnen damit, daß er sofort telefonieren wird, wenn er erst mal wieder zu sich gekommen ist.“ „Ich hoffe es zumindest, Sir. Zumal seine Schuhe abhanden gekommen sind. Ich fand sie erstaunlicherweise im Wagen, nachdem ich Mister Owen im Park abgesetzt hatte.“ „Wie er die Treter von den Füßen bekam, wissen Sie natürlich nicht, oder?“ „Nun, Sir“, räumte Parker ein wenig beschämt ein, „möglicherweise sind dabei meine Hände im Spiel gewesen. Genau erinnere ich mich allerdings nicht.“ „Dank der fehlenden Schuhe wird er tatsächlich telefonieren müssen“, sagte Vivi, sich sichtlich amüsierend, „und Sie, Mister Parker, werden dieses Gespräch natürlich mitbekommen, nicht wahr?“ „Dafür ist tatsächlich Sorge getragen worden“, antwortete Josuah Parker, „man sollte auf Empfang gehen, wenn ich es so ausdrücken darf. Nach meiner privaten Berechnung müßte das Telefonat bald erfolgen.“ Während Parker noch redete, hatte er seine unförmige Zwiebel-Taschenuhr aus der Westentasche geholt und das Zifferblatt befragt. Dann schritt er hinüber zu einem kleinen Koffertransistor und schaltete ihn ein. *** Herbert Owen war zu sich gekommen und hatte einen dumpfen Kopf. Er rieb sich die Schläfen und spürte dabei — sehr irritiert übrigens — eine gewisse Kühle an den Füßen, die seine Zehen umwehte. Als er hinuntersah, fuhr er zusammen. Seine Füße waren nackt!
Er schob sie schamvoll unter die Bank, auf der er saß, und sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Dabei fiel sein Blick prompt auf die öffentliche Telefonzelle, von der Josuah Parker gesprochen hatte. Das war die Rettung! Herbert Owen, der Chef der Wolkenstürmer huschte wie eine Maus hinüber in die Zelle und ließ die Tür aufatmend hinter sich ins Schloß fallen. Dann wählte er eine bestimmte Nummer und wartete ungeduldig, bis auf der Gegenseite abgehoben wurde. „Owen hier“, sagte er, „Latimer? Okay. Hol' mich sofort ab! Ja, abholen. Ich stehe in einer Telefonzelle im SeaPark. Stell' keine Fragen, sondern beeil' dich! Haben Jack und Ritchie sich schon zurückgemeldet? Nein? Okay, jetzt geht's erst mal um mich. Mach' dich sofort auf den Weg!“ Herbert Owen legte auf und dachte an Parker. Er begriff noch immer nicht ganz, wie es zu diesem peinlichen Zwischenfall hatte kommen können. Dabei rieb er sich gedankenvoll jene Stelle im Gesäß, die von der Nadel gekitzelt worden war. Er gestand sich, diesen Butler völlig unterschätzt zu haben. Er hatte versucht, ihn quasi mit der linken Hand aus dem Weg zu schaffen. Das mußte jetzt anders werden! Und es war gut, daß der Butler nicht mit der Polizei zusammenarbeitete. Owen spürte instinktiv, daß sein Gegner ihn in dieser Beziehung nicht belogen hatte. Er hatte es wahrscheinlich mit einem skurrilen Burschen zu tun, der auf eigene Faust Kriminalfälle lösen wollte. Sollte er halt dran sterben! Owen wartete ungeduldig, bis der erwartete Wagen vor der Telefonzelle erschien. Es handelte sich um einen Sunbeam, an dessen Steuer Norman Latimer saß, ein etwa 40jähriger Mann, der ein wenig korpulent wirkte und aussah wie ein Märchenonkel aus dem Fernsehen: vertrauenerweckend, jovial, freundlich und lustig. *** Die beiden Insassen des Sunbeam achteten verständlicherweise überhaupt nicht auf das Taxi, das ihnen folgte. Taxis dieser Bauart gab es in Brighton in Hülle und Fülle. Am Steuer dieses Wagens saß Josuah Parker, der sich in Anbetracht der allgemeinen Lage dazu durchgerungen hatte, die schwarze Melone abzunehmen, denn er wollte nicht unbedingt erkannt werden. Nach Owens Telefonanruf hatte er sich in sein hochbeiniges Monstrum gesetzt und war hinüber zum nahen Sea-Park gefahren, wo er sich bis zur Ankunft des Sunbeam aufgebaut hatte. Er wollte feststellen, wohin Owen jetzt fuhr und wer dieser Mister Latimer war. Um den kleinen Minisender brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Zu dieser Zeit war er sicher schon von seinem jungen Herrn aus der Telefonzelle geborgen
worden. Parker hatte den Kleinstsender oberhalb der Zellentür versteckt. Die Übertragung war übrigens ausgezeichnet gewesen. Lange dauerte die Fahrt nicht. Der Sunbeam mit Latimer am Steuer hielt vor einem Haus, das Parker nicht ganz unbekannt war. Es handelte sich um den Bau, in dessen Erdgeschoß das Fotogeschäft des inzwischen ermordeten Norman Lindsay untergebracht war. Latimer und Owen stiegen aus und verschwanden im Hauseingang. Josuah Parker fuhr ein Stück weiter, stellte sein Taxi in einer Seitenstraße ab und lustwandelte zu Fuß zurück zum Haus. Der Laden war geschlossen. Rechts vom Hauseingang befanden sich einige Firmenschilder, die Parker interessiert musterte. Den Namen Latimer fand er ohne Mühe. Laut Firmenschild befaßte dieser Mann sich mit Ölgemälden aus Künstlerhand, wie es hieß. Worunter Parker sich alles und gar nichts vorstellen konnte. Aus taktischen Gründen verzichtete der Butler darauf, sich bei Mister Latimer vorzustellen. Er schritt zurück zu seinem Wagen, ließ das Taxischild auf dem Dach im Schlitz verschwinden und fuhr als Privatwagen ins Hotel, wo er Mike Rander Bericht erstattete. „Ölgemälde aus Künstlerhand?“ Rander lächelte amüsiert. „Was kann man sich denn darunter vorstellen?“ „Dies, Sir, wird noch zu ermitteln sein“, antwortete Parker. „Müssen wir wohl, Parker, denn wir dürften auf einer verflixt heißen Spur sein. Ich habe meine Beziehungen zu Regierungsstellen genutzt. Wissen Sie, was auf dem Manövergelände getestet wird?“ „Darf ich Panzer vermuten, Sir?“ „Sie dürfen und Sie können's auch! Neue Panzertypen der Armee. Alles streng geheim. Dafür schien Lindsay sein Teleobjektiv eingesetzt zu haben.“ „Unter anderem, Sir.“ „Sie vermuten noch mehr?“ „Ich möchte auf die wichtigsten und größten Kriegshäfen Englands hinweisen“, sagte Parker. „Southampton, Portsmouth und Plymouth. Auf den letzten der gerade erwähnten Häfen verwiesen die Herren Jack Colloway und Ritchie Stork.“ „Die Lage scheint klar zu sein“, meinte Rander und nickte, „diese Wolkenstürmer sind eine Artistengruppe, die in der Nähe kriegswichtiger Anlagen auftritt. Bei der Gelegenheit werden die Fotos geschossen, die man gut an andere Staaten verkaufen kann.“ „Haben Sie vergessen, daß Mister Lindsay hier in Brighton wohnt?“ mischte Vivi Carlson sich in die Unterhaltung ein. „Ein richtiger Hinweis, Miß Carlson“, räumte der Anwalt sofort ein. „Wir müssen wohl davon ausgehen, daß Owen überall so eine Art von hauptamtlichen Mitarbeitern hat. Hier in Brighton Lindsay, der für das Manövergelände und für den Kriegshafen Portsmouth zuständig war.“
„Demnach müßte sich in Plymouth ein anderer Fotograf befinden, oder?“ Vivi sah ihren Chef erwartungsvoll an. „Genau“, bestätigte Parker, „und ich wette, auch dort gibt es so eine LindsayAusgabe. Ich meine einen Fotografen, der über Land geht und Familienaufnahmen macht.“ „Wie denken Sie darüber, Mister Parker?“ wollte Vivi Carlson vom Butler wissen. „Ich erlaube mir, Madam, Ihnen grundsätzlich beizupflichten“, antwortete Butler Parker, „möchte aber hinzufügen, daß der Austausch der Fotos und die Bezahlung dieser Aufnahmen auf diversen Rummelplätzen stattzufinden scheint.“ „Rummelplätze sind ein unverdächtiges Pflaster“, warf Mike Rander ein. „Falls nicht ein Mister Parker zufällig solch einen präparierten Teddybären findet“, sagte Vivi Carlson lachend. „Bliebe die Frage, wer der Abnehmer und Kunde des Mister Owen ist“, schloß Parker die Überlegung. „Mister Latimer oder ein noch Unbekannter?“ „Wie ich Sie kenne, Parker, werden Sie auch dieses kleine Problem noch lösen“, sagte Mike Rander, „wobei wichtig sein dürfte, daß wir Beweise brauchen und keine Theorien!“ *** Die beiden Vollprofis Cleveland und Longless waren schlechter Laune. Sie hatten die Luftreise in den kleinen Zeppelinen halbwegs überstanden, fühlten sich aber für den Rest des Tages nicht sonderlich fit. Einmal, weil sie von der Polizei einem längerem Verhör unterzogen worden waren, zum anderen, weil ihre Mägen noch immer rebellierten. Sie hatten sich in ihr Quartier zurückgezogen, einer durchschnittlich aussehenden Strandpension. Sie lagen auf ihren Betten und sinnierten laut. „Warum stecken wir nicht auf?“ fragte Longless seinen Ausbilder, „Daddy wird dafür Verständnis haben. Er muß einsehen, daß wir restlos frustriert sind.“ „Wahnsinn!“ gab Cleveland zurück, „für sowas hat dein Daddy kein Verständnis, Junge. Zugegeben, Parker hat ein paar Mal Glück gehabt, aber das muß sich eines Tages ändern.“ „Glaubst du wirklich daran, Clevie?“ „Nee!“ gestand Cleveland, „aber es soll doch noch Wunder geben.“ „Ich laß' mich überraschen. Sag' mal, warum fällt uns eigentlich nichts ein? Vielleicht sollten wir unsere Taktik ändern.“ „Mach mal Vorschläge, Junge!“ Clevelands Stimme klang hoffnungslos. „Und wenn wir die kleine Blonde hopsnehmen, so als Köder in der Falle?“ „Hatten wir schon mal“, sagte Cleveland abwinkend, „und das war uns nicht gerade gut bekommen.“ „Warum engagieren wir nicht richtige Killer?“ tippte Longless an.
„Mann!“ Cleveland richtete sich auf und nickte anerkennend. „Keine schlechte Idee, Junge! Vielleicht haben die mehr Glück als wir. Und was deinen Daddy betrifft, so braucht der davon nichts zu erfahren!“ „Natürlich nicht“, erwiderte Longless schnell, „der würde uns sonst die Hölle heiß machen. Sag' mal, Clevie, was mögen Killer pro Stück eigentlich kosten?“ „Wir werden uns mal umhören“, versprach Cleveland, „vielleicht finden wir auf dem Rummelplatz eine Type, die dringend Geld braucht!“ *** Es war später Nachmittag geworden. Der Lunapark hatte seine Pforten geöffnet. Die Lichtreklamen brannten bereits und tauchten alles in magisch-buntes Licht. Darüber hüpften die Synkopen der Musik, die aus vielen Lautsprechern geliefert wurde. Die ersten Menschentrauben bewegten sich an den Ständen, Schaubuden und Karussells vorbei. „Beginn der Vorstellung in einer halben Stunde“, berichtete Parker, der zu seinem jungen Herrn zurückgekommen war. Rander und Parker sahen sich auf dem riesigen Rummelplatz um. Vivi Carlson war aus Gründen der Sicherheit in der Strandvilla zurückgelassen worden. Sie sollte sich mit der Polizei und einer bestimmten Behörde in London in Verbindung setzen, falls Rander und Parker nicht alle Stunde anriefen und sich meldeten. Rander und Parker hatten also noch etwas Zeit und schauten sich interessiert um. Sie nahmen eine Dame ohne Unterleib zur Kenntnis, sahen sich einen Boxschaukampf an, ließen sich die Zukunft voraussagen und amüsierten sich bei einem Magier. Was ihre Zukunft betraf, so hatte die Wahrsagerin erklärt, ihnen würde keineswegs etwas passieren, falls sie vorsichtig wären, eine Voraussage, die sich nicht gerade durch Originalität auszeichnete. Dann war es soweit. Die Vorstellung der Wolkenstürmer begann in wenigen Minuten. Es war für Rander und Parker klar, sich diese Artisten anzusehen. Vielleicht trafen sie dabei auf bekannte Gesichter. Zwei hohe Stahlmasten hielten ein gestrafftes Seil, auf dem die Artisten sich produzierten. Sie zeigten eine erstklassige Arbeit, die immer wieder von Beifall unterstützt wurde. Es handelte sich um sechs Leute, zwei Frauen und vier Männer, alle in weißen, hautengen Trikots. „Eine perfekte Tarnung“, sagte Rander, „die Artisten da oben auf dem Seil wissen ganz sicher nicht, was Owen wirklich treibt.“ „Die Herren Jack Colloway und Ritchie Stork sind eingetroffen, meldete Parker anschließend, „sie haben sich rechts unten am Mast aufgebaut.“ Rander nickte. Die beiden Männer, die auf der Serpentinenstraße von Parker überlistet worden waren, standen am Fuß des rechten Stahlmastes und betätigten sich als Assistenten.
Sie trugen eine Art Uniform und mimten Handlanger für die Artisten. Sie sahen völlig unverdächtig aus. Wenig später gesellte sich Herbert Owen zu ihnen. Er hatte sich einen Smoking angezogen und rief per Mikrofon und Lautsprecheranlagen die einzelnen Luftnummern aus. Er besorgte das mit gekonnter Routine und Fachwissen. Er verstand tatsächlich etwas von der Luftakrobatik und sah ebenfalls nicht aus wie ein Agent. Parker und Rander schoben sich näher an Herbert Owen heran, bis er sie einfach sehen mußte. Owen zuckte mit keiner Wimper. Auch dann nicht, als Josuah Parker höflich seine schwarze Melone lüftete und sich andeutungsweise verbeugte. Etwas später jedoch, als seine Artisten hoch in der Luft eine Pyramide auf dem Seil bauten, flüsterte er seinen beiden Mitarbeitern Jack und Ritchie etwas zu, worauf sie in der Menge der Zuschauer verschwanden. , „Auf zum fröhlichen Jagen“, meinte Rander, der zusammen mit Parker sehr gut beobachtet hatte, „jetzt soll es uns wohl an den Kragen gehen, Parker.“ „Dieser Ihrer Meinung möchte ich mich auf jeden Fall anschließen“, antwortete der Butler gemessen. „Man sollte dafür Sorge tragen, daß die beiden Herren vorerst nicht mehr agieren. Sie könnten sonst zu lästig werden.“ „Haben Sie sich schon einen Plan zurechtgelegt?“ „Die englischen Behörden pflegen scharf zu reagieren, Sir, falls eine Erregung öffentlichen Ärgernisses vorliegt. Diese Tatsache gilt es zu nutzen.“ „Ich lasse mich überraschen, Parker.“ Mike Rander schmunzelte. „Sie haben sich bestimmt wieder etwas Nettes ausgedacht.“ *** „Verdammt, wie soll man denn da zu 'nem gezielten Schuß kommen?“ Jack Colloway ärgerte sich ungemein. Immer dann, wenn er seine Waffe heimlich auf Rander und Parker richten wollte, verschwanden die Opfer in irgendeiner dichten Menschentraube. „Ob die Lunte gerochen haben?“ meinte Ritchie Stork. „Unmöglich!“ Jack Colloway konnte sich das nicht vorstellen, „die entwickeln nur ein ungeheures Schwein. Aber nicht mehr lange!“ ' „Da! Sie verschwinden im Zelt!“ Ritchie wies auf Rander und Parker, die gerade mit einem Schub gut gelaunter Besucher in einer Schaubude verschwanden, in der laut Riesenaufschrift sich eine Teufelsröhre drehte. „Haargenau richtig“, freute sich Jack bereits im voraus, „von der Röhre aus können sie sofort in die Hölle fahren!“ Sie beeilten sich, Anschluß zu halten. ***
Josuah Parker wartete, bis sie im Zelt waren. Jack und Ritchie sahen sich hastig nach allen Seiten um und suchten nach ihren Opfern. Als sie in Richtung Parker schauten, verschwand der Butler wie zufällig durch den Zeltschlitz, der als Notausgang diente. Draußen wurde er bereits von seinem jungen Herrn erwartet. „Sie dürften in wenigen Sekunden auftauchen“, meldete Parker höflich, „im verständlichen Eifer des Gefechts werden sie nicht hinreichende Vorsicht walten lassen.“ Rander und Parker bauten sich links und rechts vom Notausgang auf und brauchten wirklich nicht lange zu warten. Nach etwa fünf Sekunden erschien Jack. Er setzte sich sofort auf den Boden, nachdem Parker den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf Colloways Hinterkopf gelegt hatte. Er blieb nicht lange allein. Ritchie Stork preschte eiligst hinter seinem Partner her und gesellte sich zu ihm. Die Begegnung mit Parkers Regenschirm bekam auch ihm nicht gut. „Und jetzt?“ erkundigte sich Rander gutgelaunt. Sie waren übrigens unter sich, denn sie befanden sich in einer schmalen Zeltgasse, die für den normalen Publikumsverkehr nicht frei war. „Man müßte die beiden Herren jetzt ein wenig präparieren“, erläuterte der Butler, „die anschließende Fahrt durch die Geisterbahn soll für sie zu einem echten Erlebnis werden!“ „Geisterbahn?“ Rander staunte. „Geisterbahn, Sir“, wiederholte der Butler und wies auf die Rückseite eines großen Zeltbaus. Durch die Leinwand waren seltsame, irre Laute und Geräusche zu hören, die an Kreischen, Stöhnen und Wimmern erinnerten. „Daher also der Umweg durch die Teufelsröhre, wie?“ „Dieser Umweg bot sich förmlich an“, antwortete Parker, „in etwa zehn Minuten dürften die Herren Colloway und Stork bereits in einem Streifenwagen der Polizei sitzen.“ *** Die Vorstellung der' Hochseiltruppe war beendet. Herbert Owen hatte sein Mikrofon weggehängt und suchte nach seinen beiden Mitarbeitern Jack und Ritchie. Seiner Schätzung nach mußten sie inzwischen zum Zuge gekommen sein. Hier auf dem Rummelplatz konnte es ja nicht schwer sein, zwei Menschen umzubringen. Gelegenheit dazu bot sich. Herbert Owen suchte nach einem Menschenauflauf. Er hoffte, daß Rander und Parker bereits geschafft worden waren. Sie mußten um diese Zeit schon irgendwo auf dem Boden liegen, umlagert von neugierigen Menschen. Er blieb plötzlich wie angewurzelt stehen.
Er hatte laut und deutlich den spitzen Aufschrei einer Frau gehört. Sie mußte die beiden Leichen entdeckt haben. Owen schob sich eilig durch die Menschenmenge und steuerte die Vorderfront der Geisterbahn an. Von dorther war der spitze Aufschrei gekommen. Und die ersten Neugierigen strömten bereits auf das Schauzelt zu und versammelten sich vor dem Eingang. Eine Frau im mittleren Alter wurde von Zuschauern umlagert. Sie deutete aufgeregt hinauf zum Eingang. Auf den Schienen der Geisterbahn tauchten jetzt schnell hintereinander einige kleine Wagen auf, deren Insassen hastig ausstiegen, sich aber erwartungsvoll und neugierig auf der Treppe aufbauten. Sie schienen auf irgendein bestimmtes Ereignis zu warten. Sie müssen die beiden Leichen gesehen haben, sagte sich Herbert Owen in gespannter Erwartung,' Jack und Ritchie haben es geschafft. War ja eigentlich klar! Die Jungens sind Profis und kennen sich aus. Gegen die haben Amateure einfach keine Chance. Weitere Kleinwagen liefen oben auf der Eingangsbühne der Geisterbahn aus. Die Insassen verließen ebenfalls hastig und erwartungsvoll ihren fahrbaren Untersatz und gesellten sich zu den Neugierigen. Irgendwie wurde es still, obwohl die Lautsprecher nach wie vor dröhnten und Musik ausspien. Der Kassierer der Geisterbahn hatte sein Häuschen verlassen und beugte sich neugierig vor. Er sah nach links hinüber zum Vorhang, durch den die Wagen kamen. Seine beiden Hilfskräfte knieten erfreulicherweise nieder, um den Zuschauern nicht die Sicht zu verwehren. Dann schrie die Frau erneut auf. Spitz und grell. Ein Geisterwagen rollte durch den sich teilenden Vorhang und blieb dann genau mitten auf der Bühne stehen. Ein Aufschrei ging durch die Menge. Owen aber stöhnte betroffen auf. Was sich seinen mehr als erstaunten Augen bot, war durchaus geeignet, tiefe Resignation auszulösen. In dem Fahrzeug saßen nämlich seine beiden Handlanger Jack Colloway und Ritchie Stork. Sie schienen bester Laune zu sein und lachten halbirr vor sich hin. Sie klatschten sich gegenseitig auf die Oberschenkel und schienen von der neugierigen Menge überhaupt nichts zu sehen. Jack und Ritchie benahmen sich wie Kinder. Sie schubsten sich gegenseitig, kicherten und streckten den Zuschauern, die sie jetzt entdeckt hatten, ihre Zungen heraus. Sie schnitten Fratzen und zeigten ihnen zwischendurch die lange Nase. Owen erstarrte. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Was war mit seinen beiden Leuten passiert? Hatten sie sich vollaufen lassen? Hatten sie Rauschgift genommen?
Die Zuschauer johlten und kreischten vor Vergnügen. Sie genossen diese improvisierte Vorstellung, zumal die beiden Männer in dem Geisterbahnwagen splitternackt waren. *** „Elfeinhalb Minuten“, stellte Mike Rander lächelnd fest, als der erste Streifenwagen der Polizei vor der Geisterbahn eintraf. „Ich bitte die anderthalb Minuten zu entschuldigen“, antwortete der Butler gemessen, „ich hatte allerdings die Qualität des Dargebotenen erheblich unterschätzt.“ Rander und Parker hatten sich im Hintergrund aufgebaut und dem Schauspiel zugesehen. Jack Colloway und Ritchie Stork waren von Parker geschickt präpariert worden. Dazu hatte Parker eine Art Taschenparfümzerstäuber verwendet, dessen Inhalt eine Flüssigkeit enthielt, die einen synthetischen Rausch erzeugte. Wie gut dieses Sprühmittel war, zeigte sich gerade. Jack und Richie sahen zwei uniformierte Polizeibeamte auf sich zumarschieren und wurden ausgesprochen unmutig und unflätig. Sie fühlten sich gestört und sprangen auf, um den Kampf mit den Uniformen aufzunehmen. Das Publikum — inzwischen angewachsen auf gut und gern 200 Zuschauer — feuerte die beiden nackten Kämpfer an. Jack und Ritchie fühlten sich dadurch zusätzlich animiert und droschen auf die etwas irritierten Beamten mit Fäusten ein. Erst als ein zweiter und dann ein dritter Streifenwagen erschien, sanken die Chancen von Jack und Ritchie. Nach einem letzten Aufbäumen ließen sie sich notgedrungen Handschellen an- und Decken umlegen. Anschließend wurden sie abgeführt, wobei sie sich wieder sichtlich freuten. „Die sind wir erst mal los“, meinte Anwalt Rander, als die Streifenwagen sich entfernten und das Publikum sich zerstreute. „Wie die Herren Hale und Buddy“, pflichtete Parker seinem jungen Herrn bei. „Ich hoffe, Sir, Sie waren mit mir zufrieden.“ „Sehr“, antwortete Mike Rander lachend, „irgendwie bin ich immer froh, daß Sie auf meiner Seite stehen, Parker. Als Gegner hätte ich Sie nicht sehr gern.“ „Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann“, schämte Parker sich sichtlich. „Wenn ich mir einen Rat erlauben darf, so sollte man sich jetzt ein wenig mit Mister Norman Latimer beschäftigen. Er scheint ein interessanter Mann zu sein.“ *** Die beiden Profikiller Cleveland und Longless befanden sich wieder einmal auf dem Kriegspfad. Sie hatten ihr moralisches Tief überwunden und waren zu neuen Taten bereit. Im Lunapark schlichen sie etwas scheu und hastig an dem Karussell vorbei, dessen
Zeppeline sich drehten, hoben und senkten. Cleveland und Longless hielten Ausschau nach einem geeigneten Duo, dem sie die Erledigung Randers und Parkes anvertrauen konnten. Was sich als nicht gerade leicht herausstellte. Plötzlich blieb Cleveland wie angewurzelt stehen. „Rander und Parker“, flüsterte er fast andächtig. „Nichts wie weg“, reagierte Longless hastig. „Äh... Ich meine natürlich, 'ran an den Feind, Clevie!“ „Nur nichts übereilen“, warnte Cleveland unnötigerweise, denn Longless zeigte dazu wirklich keine Neigung. „Vielleicht will er uns nur wieder in 'ne Falle bugsieren“, überlegte Longless laut. „Sehr richtig“, stimmte Cleveland, zu, „vorsichtig folgen, Junge!“ Sie hängten sich an Rander und Parker, die ahnungslos zu sein schienen. Dieses Duo schritt an den Schaubuden, Ständen und Karussells vorbei und näherte sich dem Ausgang. „Sieht verdammt günstig aus“, stellte Longless schließlich fest und griff nach seiner Ersatzschußwaffe. „Kann alles Trick sein“, warnte Cleveland erneut, „ich habe keine Lust, wieder Pilot zu spielen. Mir reicht es noch immer. Wenn ich die Zeppeline nur sehe, wird mir schon schlecht.“ Sie sorgten für einen gehörigen Abstand und blieben sofort stehen, als Parker und Rander sich umschauten. Hatten sie ihre Verfolger bemerkt? „Alarm“, keuchte Cleveland. „Nichts wie weg!“ fügte Longless hastig hinzu, „verschieben wir es auf ein andermal.“ Die beiden Killer, mit ihren Nerven restlos fertig, rückten aus und mischten sich unters Volk. Dabei waren sie wirklich nicht entdeckt worden. Rander und Parker waren nach wie vor ahnungslos. „Gerade noch mal gutgegangen“, seufzte Longless wenig später. „Ich muß in aller Kürze mal zu 'nem Psychiater“, meinte Cleveland und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Bei mir muß irgendeine Feder gerissen sein. Sobald ich Parkers Melone nur sehe, arbeiten meine Schweißdrüsen!“ „Und ich friere dann immer“, stellte Longless betroffen fest, „weißt du was, Clevie... zu dem Psychiater werde ich mitgehen. Ich brauche eine Spezialberatung!“ *** Vor dem Fotogeschäft, das nach wie vor geschlossen war, stand der Sunbeam des Norman Latimer. Angekoppelt an ihn war ein Wohnwagen mittlerer Größe. Parker und Rander, die sich dem Haus zu Fuß genähert hatten, sahen in das Innere des Wohnwagens und fuhren fast entsetzt wieder zurück. Was sich ihren Augen bot, war geeignet, eine Gänsehaut zu erzeugen.
An den Innenwänden hingen, dicht an dicht, Ölgemälde aus Meisterhand! Es handelte sich um Ölschinken primitivster Machart: Waldstücke, Gebirgsszenen mit obligatem Hirschwild, Madonnen, die teils segneten oder nur herumlagerten und schließlich Zigeunerinnen mit verwegenem Dekollete. Diese Machwerke entstammten mit letzter Sicherheit einem Fließbandverfahren. Von Meister- oder Künstlerhand konnte überhaupt keine Rede sein. Auf dem Wagenboden stapelten sich weitere Bilder dieser Art. Es war sonnenklar, womit Latimer handelte, nämlich mit Primitivbildern, die er wohl auf dem flachen Land an den Mann brachte. Rander und Parker hatten sich gerade in einen nahen Torweg begeben, als Latimer erschien und sich ans Steuer seines Sunbeam setzte. Er schien auf Verkaufsfahrt gehen zu wollen. „Können wir uns das entgehen lassen?“ meinte Rander. „Davon würde ich in der Tat abraten“, erwiderte Parker. „Eine kleine Ausfahrt wird nicht schaden!“ Sie gingen zurück zu Parkers hochbeinigem Monstrum und nahmen die Verfolgung der Ölschinken auf. Innerhalb des Weichbildes der Stadt brauchten sie sich nicht sonderlich in acht zu nehmen, denn Parker hatte das Taxischild ausfahren lassen. Zu Parkers und Randers Überraschung dauerte die Fahrt nicht lange. Sie endete vor dem Bahnhof, wo Latimer sein Gespann geschickt in eine Parktasche steuerte. Dann stieg er aus dem Sunbeam und begab sich nach hinten zum Wohn- und Verkaufswagen. Er schloß die Tür und holte ein großes, fast viereckiges Paket hervor, das gut verschnürt war. Es mußte sich um verpackte Ölbilder handeln, denn die Maße stimmten durchaus. Latimer trug das große, aber sehr flache Paket in den Bahnhof und begab sich zur Gepäckabfertigung, wo er das Paket aufgab. Die Formalitäten waren schnell beendet. Latimer ging zurück zu seinem Wagen. „Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Sir, so würde ich empfehlen, Mister Latimer zu folgen“, bat Parker, „ich hingegen möchte versuchen, mir die verpackten Bilder anzusehen.“ „Aber keine Ungesetzlichkeiten“, sorgte sich Rander. „Ich werde mir ein Taxi nehmen. Wir treffen uns in der Strandpension, klar?“ Er beeilte sich, nach draußen zu kommen, während Parker gemessen hinüber zum Gepäckschalter schlenderte. *** „Städtische Hygiene-Inspektion“, stellte Josuah Parker sich mit würdevoller Stimme vor und lüftete dazu seine schwarze Melone. Der schnauzbärtige Mann hinter dem Gepäckschalter hüstelte leicht und beeilte sich dann, schleunigst die kleine Sperre zu öffnen, die in den Arbeitsraum führte.
Es war Parkers Selbstverständlichkeit, die überzeugte, seine gemessenen Bewegungen und die Ausstrahlung, die er besaß. Der Schnauzbart kam überhaupt nicht auf den Gedanken, er könnte beschwindelt werden. „Leiden Sie unter Durchzug?“ erkundigte sich Parker bei dem Mann, der daraufhin fast dankbar nickte. „Dachte es mir“, antwortete Parker und zog sein schwarzes, abgegriffenes Notizbuch hervor, um sich einige Vermerke zu machen. „Und wie sind Sie mit den herrschenden Lichtverhältnissen zufrieden?“ „Unter der Kanone“, behauptete der Schnauzbart. „Ein paar Birnen mehr unter der Decke könnten nicht schaden.“ Parker machte sich erneut Notizen und schlenderte zu den Regalen hinüber, die mit Gepäck- und Versandstücken aller Art dicht gefüllt waren. „Ungeziefer?“ forschte der Butler dann. „Silberfische“, gab der Schnauzbart zurück, „aber dagegen ist kein Kraut gewachsen. Die Wände sind einfach zu feucht.“ „Silberfische?“ entrüstete sich Parker, „warum ist das nie gemeldet worden? Dies spottet doch jeder Beschreibung.“ Er hatte inzwischen sein Ziel erreicht und stand vor dem großen Paket, das Latimer aufgegeben hatte. Völlig ungeniert räumte der Butler dieses Paket zur Seite, um angeblich die Wand hinter dem Regal prüfen zu können. Bei der Gelegenheit schrieb er sich die Adresse auf dem Paket ab. Latimers Sendung war für einen Roy Atkins in London bestimmt. Laut Adresse wohnte er in einem östlichen Vorort. „Sie werden von mir hören“, sagte Parker nach getaner Arbeit, „und immer rechtzeitig die Hände waschen, haben Sie verstanden?“ „Hände waschen“, wiederholte der Schnauzbart beeindruckt. „Nur so wehrt man Viren und Bakterien“, behauptete Parker noch zusätzlich, bevor er sich wieder empfahl. „Ich wünsche Ihnen noch einen erholsamen Tag!“ Parker ging zurück zu seinem hochbeinigen Wagen und nahm Richtung auf die Strandpension, in der Rander, Vivi Carlson und er abgestiegen waren. Es galt zu überlegen, ob man nicht einen kleinen Abstecher nach London unternahm. *** „Ich habe es im Gefühl, daß sich in diesem Paket nicht nur Bilder befinden“, sagte Vivi Carlson eine knappe Stunde später, als sie alle in Mike Randers Zimmer versammelt waren. „Was vermuten Sie denn sonst noch im Paket?“ wollte Mike Rander wissen. „Fotos“, sagte Vivi Carlson wie selbstverständlich, „Fotos, die Lindsay geschossen hat.“ „Die kann man aber einfacher verschicken“, entgegnete der Anwalt skeptisch. „Aber nicht unverdächtiger“, erklärte Vivi Carlson. „Was sagen Sie dazu, Parker?“ Rander wandte sich an seinen Butler.
„Es würde meine bescheidene Wenigkeit in der Tat interessieren, einen kurzen Blick in das Paket tun zu können.“ „Wir sind doch keine Posträuber!“ „Mir ging es ja auch nur um einen kurzen Blick, Sir.“ „An dieses Paket kommen wir nie heran. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Parker! Was die Post mal in Händen hat, rückt sie nur an den Empfänger wieder heraus.“ „Ich hätte möglicherweise eine Idee, wie man dies dennoch arrangieren könnte.“ „Kann ich mir vorstellen. Dieses Problem reizt Sie natürlich, nicht wahr?“ „In der Tat, Sir! Und ich habe bereits eine Vorstellung, wie man einen Erfolg verbuchen könnte.“ *** Der Zug für London war eingelaufen und wartete auf seine Weiterfahrt. Die Fahrgäste stiegen aus oder ein, auf dem Bahnsteig herrschte ein dichtes Gewimmel und Gedränge. Unter den vielen Menschen befand sich auch Josuah Parker, der ein fast rechteckiges, großes, aber flaches Paket trug. Es glich dem des Mister Latimer fast aufs Haar. Parker schritt nach vorn zu den beiden Gepäckwagen. Zwei Männer waren damit beschäftigt, die Pakete und anderes Sperrgut in einen Postwagen zu befördern. Latimers Paket lag noch auf dem Gepäckkarren. Doch nicht mehr lange. Als die beiden Männer zurück zum Karren kamen, deutete der Butler mit erhobenem Regenschirm nach vorn zur Lokomotive, worauf die Packer automatisch ebenfalls in diese Richtung schauten. Und nicht merkten, wie Parker schnell und geschickt sein Double unterbrachte. Als die beiden Männer sich erstaunt und irritiert dem Butler zuwandten, lüftete Parker seine schwarze Melone und schritt von dannen. Er hatte das Double auf den Gepäckkarren gelegt und Latimers Paket unter dem Arm. Das alles war mit der Schnelligkeit und Geschicklichkeit eines Taschenspielers, geschehen. „Pech gehabt, wie?“ fragte Mike Rander, der in Parkers Wagen vor dem Bahnhof wartete. „Keineswegs, Sir“, meldete der Butler würdevoll, „der Austausch gelang ohne weiteres.“ „Eigentlich ist das schon kriminell“, stellte der Anwalt fest. „Der Eigentümer wird sein Eigentum mit Sicherheit zurückerhalten“, beruhigte der Butler seinen jungen Herrn. „Wenn Sie erlauben, so sollte man jetzt den Inhalt des Originalpakets kontrollieren.“ Parker war nach hinten in den Fond des Wagens gestiegen und half seinem jungen Herrn, das Packpapier zu entfernen. Dann sahen sie sich einem leicht entblößten Schutzengel in Öl gegenüber, der seine Hände segnend über die Köpfe
zweier Kinder hielt. Hinzu gesellte sich dann noch eine Madonna, die mit einem Palmenzweig wedelte und schließlich ein röhrender Hirsch vor einer Schweizer Gebirgslandschaft. „Sieht enttäuschend aus“, stellte Mike Rander fest. „Von Fotos keine Spur.“ „Man sollte sich den Rückseiten dieser Gemälde widmen, Sir.“ Während der Butler noch sprach, drehte er nacheinander die einzelnen Bilder um und untersuchte sehr sorgfältig die Rahmen. Es dauerte etwa dreieinhalb Minuten, bis er fündig geworden war. „Wenn ich also bitten darf, Sir!“ Parker präsentierte seinem jungen Herrn lange, bereits entwickelte Filmstreifen. Nach grober Schätzung enthielten die vier Filmstreifen etwa 120 Aufnahmen in der Größe 24 mal 36. „Donnerwetter“, meinte Rander, der die Filmstreifen gegen das Licht hielt. „Das ist es, Parker! Volltreffer! Wenn das keine Beweise sind.“ „Erlauben Sie, Sir!“ Parker nahm den ersten Streifen in die Hand und sah sich die Bilder an. Obwohl es sich um Negative handelte, waren die Motive leicht zu erkennen: Panzer auf einem Versuchsgelände, Details dieser Panzer, dann ein großes U-Boot, das in einem Hafen an einer Boje festgemacht hatte und wahrscheinlich zur Kategorie der Atom-U-Boote gehörte, schließlich Nahaufnahmen von Raketenzerstörern. „Und hier, Parker!“ Randers Stimme hatte sich außerordentlich belebt. „Raketenstellungen ... Getarnte und enttarnte Batterien ... Großaufnahmen.“ „Man muß und sollte Miß Carlson gratulieren“, sagte der Butler würdevoll. „Dank ihrer Anregung besitzen Sie und meine Wenigkeit, Sir, Beweismaterial, mit dem sich jedes Gericht zufrieden geben wird.“ „Abwarten“, schränkte Rander den Optimismus seines Butlers ein, „das stimmt erst, wenn Latimer sich zu diesen Fotos bekennt.“ „Dies, Sir, wird er mit Sicherheit tun“, antwortete der Butler, „dann nämlich, wenn Mister Atkins in London die Filme vermißt.“ „Bei Mister Rander“, meldete sich der Butler, nachdem das Telefon geläutet und er abgehoben hatte. „Oh, Mister Owen. Was kann ich für Sie tun?“ „Nun passen Sie mal genau auf, Parker“, sagte Owen am anderen Ende der Leitung, „ersparen wir uns Details. Sie wissen, was ich meine. Ich muß mich mit Ihnen unterhalten.“ „Sollte Mister Atkins in London die Sendung moniert haben?“ fragte Parker höflich. „Nichts davon am Telefon“, sagte Owen, „haben Sie Lust, mit mir zu verhandeln?“ „Und was sagt Mister Latimer zu Ihrem Vorschlag?“ „Der wird dabeisein.“ „Wann und wo wünschen Sie meine bescheidene Wenigkeit zu sehen?“ „Sagen wir, draußen in meinem Wohnwagen?“ „Um wieviel Uhr?“
„In einer Stunde, dann sind wir ungestört. Der Rummel schließt gerade.“ „Sie können meine bescheidene Wenigkeit erwarten, Mister Owen. Ich hoffe, Sie sind in der Lage, Ihr Temperament zu zügeln. Gewisse Dinge werde ich nämlich nicht mit mir herumtragen!“ „Brauchen Sie auch nicht. Ehrenwort, daß nichts passieren wird! Ich will mich ja mit Ihnen einigen.“ Parker legte auf und wandte sich Mike Rander zu, der über den angeschlossenen Verstärker mitgehört hatte. „Oberfaul“, stellte der Anwalt fest, „Sie glauben diesem Owen hoffentlich kein Wort.“ „Natürlich nicht, Sir. Dennoch möchte ich dieser Einladung Folge leisten.“ „Wollen Sie sehenden Auges in eine Falle laufen?“ „In Anbetracht der Wichtigkeit dieses Falles, Sir, sollte man gewisse Risiken auf sich nehmen.“ „Dann werde ich mit einiger Verspätung selbstverständlich nachkommen.“ „Wie Sie wünschen, Sir!“ Parker nickte andeutungsweise. „Ich darf aber darauf verweisen, daß hier in der Pension vielleicht Mister Latimer erscheinen wird, um seinerseits aktiv zu werden. Es könnte sich also durchaus lohnen zu bleiben.“ „Überredet, Parker.“ Rander lachte leise auf. „Ihre Überzeugungskunst ist einmalig, aber das wissen Sie ja wohl!“ *** „Natürlich weiß er restlos Bescheid“, sagte etwa zu diesem Zeitpunkt Herbert Owen zu seinem Partner Latimer. „Wir haben diesen skurrilen Burschen die ganze Zeit über unterschätzt.“ „Dann wird's aber höchste Zeit, daß er von der Bildfläche verschwindet“, antwortete Latimer scharf. „Das liegt jetzt bei uns. Jack und Ritchie sitzen in U-Haft, wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Sagenhaft, wie Parker sie ausgetrickst hat!“ „Wie wollen wir vorgehen? Er wird in 'ner Stunde hier bei dir im Trailer sein.“ „Wir werden ihm Geld anbieten, das heißt, ich werde das tun. Du fährst 'raus zur Strandpension und knöpfst dir Rander und die kleine Blondine vor.“ „Was ist dieser Rander für 'n Typ, Herbert?“ „Junger Sportsmann. Die Kleine ist harmlos. Du wirst leichtes Spiel haben.“ „Soll ich sie umlegen?“ „Natürlich, wir dürfen kein weiteres Risiko eingehen! Ich halte Parker solange hin, bis du wieder zurück bist. Zusammen werden wir den Butler wohl schaffen, oder?“ „Natürlich“, erklärte Latimer wie selbstverständlich. „Ihr hättet mich schon viel früher alarmieren sollen, dann wäre es nicht so weit gekommen.“ „Vertu' dich bloß nicht mit Parker!“ warnte Owen. „Das ist ein verdammtes Schlitzohr.“
Norman Latimer lächelte ironisch. Das, was Owen von Butler Parker berichtet hatte, gehörte in das Gebiet der Märchen. So gut kannte kein Mensch sein. Latimer war zu dem Schluß gekommen, daß Owen durch diese schamlosen Übertreibungen sein eigenes Versagen vertuschen wollte. Er machte sich auf den Weg, Mike Rander und Vivi Carlson kurz zu erledigen. Das konnte doch nur eine harmlose Kleinigkeit sein. *** „Das ist Latimer“, sagte Mike Rander und zeigte nach unten, „jetzt sind Sie an der Reihe, Vivi!“ Vivi Carlson war nicht wiederzuerkennen. Sie trug eine schwarze Perücke, ein schwarzes Seidenfähnchen und eine niedliche, kleine weiße Schürze, wie sie von Stubenmädchen und Kammerkätzchen bevorzugt wird. Vivi ging nach unten ins Treppenhaus der Strandpension und wartete darauf, daß Latimer klingelte. Was er wenige Minuten danach auch wirklich tat. Latimer wollte sich die Sache so einfach wie möglich machen. Was wollte man schon gegen ihn ausrichten? Mit einer schußbereiten Pistole in der Tasche war seiner Ansicht nach jedes Problem aus dem Handgelenk heraus zu erledigen. „Hallo, Süße“, begrüßte er Vivi Carlson, die die Tür öffnete und einen Knicks absolvierte. „Mister Rander im Zimmer?“ „Jawohl, Sir ... Erste Etage, Zimmer 12!“ „Das ist für dich, Kleines“, sagte Latimer großzügig und drückte ihr eine Münze in die Hand. Sie nahm sie entgegen, wobei ihr Ring den Mittelfinger Latimers streifte. „Autsch!“ Latimer war überrascht und schrie. „Oh, mein Ring!“ entschuldigte sich Vivi gespielt naiv. „Soll ich schnell ein Pflaster holen, Sir?“ „I wo, Süße!“ Latimer faßte unter ihr Kinn. „Sowas wirft einen ausgewachsenen Mann doch nicht um.“ Er ging hinüber zur Treppe, während Vivi Carlson in einem Seitenzimmer hinter der Eingangstür verschwand. Durch den Türspalt beobachtete sie Latimer, der inzwischen die Treppe erreicht hatte. Er schien getrunken zu haben. So wenigstens sah es aus. Er schwankte leicht, erreichte den Handlauf der Treppe und stützte sich auf dem Geländer ab. Mit sichtlich schweren Füßen arbeitete er sich dann über die Stufen nach oben. Er schaffte sechs davon, dann verdrehte er die Augen, stieß einen leichten Seufzer aus und rutschte haltlos in sich zusammen. Sich überschlagend, kugelte er zurück in den Eingangskorridor und blieb auf der Matte vor der Treppe regungslos liegen.
Vivi kam aus dem Zimmer und betrachtete versonnen den Ring, den Parker ihr überlassen hatte. Vorsichtig zog sie ihn vom Finger, denn sie wußte, wie gefährlich er war. Er war nämlich von Parker präpariert worden. Zwei kleine Dornen, mit bloßem Auge kaum zu sehen, enthielten ein ungemein schnell wirkendes Schlafgift. Wie gut dieses Präparat war, hatte Latimer gerade am eigenen Leib erlebt. „Alles in Ordnung?“ rief Rander oben von der Treppe her. „Abholbereit“, meldete Vivi Carlson und nahm die schwarze Perücke ab. „Laut Mister Parker wird er jetzt mindestens vier Stunden schlafen.“ *** Owen war wie elektrisiert, als er Parker entdeckte. Owen hatte sich an einem Fenster seines großen Wohnwagens aufgebaut und beobachtete die Zeltgasse, die zum Trailer führte. Diesen Weg mußte Parker nehmen. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Parker vom Wohnwagen aus durch einen gezielten Schuß zu erledigen, diesen Gedanken aber dann doch aufgegeben. Der Mord an Parker hätte zu leicht beobachtet werden können. Es war schon besser, den Butler im Trailer zu erledigen, ohne jeden Zeugen. Wo blieb Parker? Eben hatte er noch den Oberkörper des Butlers weit hinten an der Zeltgasse gesehen, jetzt war alles wieder leer. Ob Parker Bedenken hatte, zu ihm zu kommen? Hatte auch ein Butler Parker Angst? Die Vorstellung, daß es so sein könnte, beflügelte Owen. Um Parker also die vermeintliche Angst zu nehmen, verließ Owen den Wohnwagen, stieg über die Treppe nach unten auf den schäbigen Rasen und baute sich in der Zeltgasse so auf, daß Parker ihn unbedingt sehen mußte. Was auch der Fall war, doch anders, als Owen es sich vorgestellt hatte. Er hörte plötzlich hinter sich ein Geräusch, drehte sich blitzschnell um und sah sich Parker gegenüber, der höflich seine schwarze Melone lüftete. „Wo... Woher kommen denn Sie?“ wunderte sich Owen, „ich habe Sie doch gerade da hinten gesehen?“ „Es handelte sich um eines meiner Double“, erklärte Parker wie selbstverständlich. „Eine aufblasbare Gummipuppe!“ „Verdammt!“ stieß Owen wütend hervor. „Tragen Sie es mit Humor und Fassung“, meinte Parker höflich. „Sollten wir jetzt nicht zum Thema kommen, Mister Owen. Ich bin auf Ihr Angebot sichtlich gespannt.“ ***
„Diesmal klappt es“, behauptete Cleveland, der sich zusammen mit Longless im Lunapark befand. Sie hatten ihn von der Strandpension aus verfolgt und wollten zum Schuß kommen. Sie hatten alle inneren Reserven mobilisiert und waren sicher, ihren Tiefpunkt überwunden zu haben. Der Lunapark war geschlossen, obwohl erst Nachmittag war, was aber mit dem britischen System des Bank-Holidays zusammenhing. An diesem Tag ruhten sämtliche Veranstaltungen, also auch der Betrieb auf dem Rummelplatz. „Wir knipsen ihn vom Fenster aus ab“, schwor Longless und setzte eine Maschinenpistole zusammen. „Volles Rohr“, bestätigte Cleveland, dessen Optimismus sich deutlich steigerte, „von Parker darf nichts übrig bleiben, Junge. Halt' voll drauf!“ Sie pirschten sich auf leisen Sohlen an den großen Trailer heran, fast gierig darauf, endlich mal einen Erfolg verbuchen zu können. *** „Ich brauche Ihnen doch nichts mehr vorzumachen“, sagte Owen lässig und lächelnd zugleich. „Sie haben die Bilder gesehen, also wissen Sie doch Bescheid!“ „Für welche Großmacht spionieren Sie?“ wollte der Butler wissen. „Für jede, falls sie nur anständig bezahlt“, lautete Owens ausweichende Antwort. „Warum ließen Sie Mister Lindsay erschießen?“ „Du lieber Himmel, Parker, ist das denn so wichtig? Er war zu einer echten Gefahr geworden. So etwas liquidiert man eben.“ „Er war aber doch einer Ihrer wertvollsten Mitarbeiter, oder irre ich mich?“ „Er war einer von vielen, Parker. Lindsays gibt es genug. Man muß sich nur etwas umsehen. Ich habe ihn als Fotograf angeheuert, aber er kann ersetzt werden.“ „Wie Mister Latimer?“ „Wie Latimer“, antwortete Owen wegwerfend, „er tingelt mit seinen Ölschinken durch die Lande.“ „ ... und zwar bevorzugt er Landstriche, die militärisch interessant sind, nicht wahr?“ „Richtig, Parker, aber warum unterhalten wir uns über diese Selbstverständlichkeiten? Verstehe ich nicht. Ich möchte Ihnen ein tolles Angebot machen. Sie sind ein erstklassiger Mann, warum treten Sie nicht bei mir ein? Sie können ein Vermögen machen.“ „Dazu müßte ich mehr wissen, Mister Owen. Ist Mister Roy Atkins in London Ihr Auftraggeber?“ „Mein Kontaktmann zu den Käufern, Parker. Der Boß bin ich!“ „Ich bewundere in der Tat Ihre ausgezeichnete Tarnung“, stellte Josuah Parker fest. „Als Chef der Artistentruppe reisen Sie durch die Lande. Sie bieten auf der einen Seite bewundernswerte Artistik, auf der anderen Seite setzen Sie Ihre Mitarbeiter ein und lassen sich Fotoserien von militärischen Geheimnissen herstellen.“
„Der Mensch muß halt leben.“ Owen lachte amüsiert. „Kommen Sie mir nur nicht mit Moral! Darauf pfeife ich.“ „Diese Absicht lag mir fern“, gab der Butler gemessen zurück. „Seit wann betreiben Sie das Metier des Agenten?“ „Seit einigen Jahren schon. Und bisher klappte alles wie am Schnürchen. Bis ausgerechnet Sie auf diesen verdammten Teddybären stießen!“ „Das dürfte die übliche Form der Materialübergabe gewesen sein, nicht wahr?“ „Richtig. Auf diese Art und Weise bezahlte und bezahle ich meine Mitarbeiter, die mich selbst gar nicht zu kennen brauchen.“ „Und wie erhielten Sie die Fotos?“ „Ebenfalls durch Stofftiere. Sie haben das Bärchen mit dem Zaster erwischt. Einen Tag früher, und Sie hätten einen Film aus dem Tier herausholen können.“ „Ich hätte noch eine Frage, Mister Owen.“ „Jetzt bin ich erst mal an der Reihe, Parker. Wie sind Sie darauf gekommen, daß irgend etwas nicht stimmte? Ich meine, über den gefundenen Bären hinaus?“ „Ich fand in Mister Lindsays Fotolabor ein Teleobjektiv, das keineswegs zu den altertümlichen Dingen paßte, mit denen er scheinbar arbeitete.“ „Verdammt! Das müssen meine Jungens übersehen haben.“ „Jack Colloway und Ritchie Stork, nicht wahr?“ „Okay. Das mit dem Teleobjektiv ist ja klar. Lindsay brauchte so ein Ding, um sich die Geheimvorgänge heranholen zu können. Und raten Sie mal, wo er die moderne Kamera mit den Zusatzobjektiven versteckte?“ „In der alten Plattenkamera, nicht wahr?“ „ „Gut“, sagte Owen und nickte zufrieden. „Sie können wenigstens kombinieren. Wer paßt schon auf einen Fotografen auf, der mit 'ner Plattenkamera arbeitet? Perfekte Tarnung!“ „Werden Sie jetzt die beiden Lindsay»-Mitarbeiter Hale und Buddy übernehmen?“ „Uninteressant für mich. Zu dämlich, diese beiden Typen! Sollen sich von mir aus zum Teufel scheren.“ „Und Ihre Mitarbeiter Jack und Ritchie?“ „Die pauke ich leicht wieder 'raus. Und nun zu Ihnen, Parker, wollen Sie einsteigen? Sie können sich bei mir eine goldene Nase verdienen!“ Bevor Parker antworten konnte, ratterte plötzlich eine Maschinenpistole los. Parker ließ sich daraufhin diskret auf dem Boden nieder. Owen aber sprang auf und brüllte wie am Spieß. Er konnte von Glück sagen, daß die Geschoßgarbe richtungsmäßig nicht stimmte. Die Kugeln schlugen in die Wandschränke und stanzten Löcher in die Möbel. Ein gewisser Longless schien sehr schlecht gezielt zu haben. *** „Sense!“ sagte Longless zufrieden und setzte die Maschinenpistole ab.
„Bist du sicher?“ fragte Cleveland mißtrauisch. „Sense“, wiederholte Longless wie selbstverständlich. „Wenn ich mal am Drücker bin, bleibt kein Auge trocken, Clevie. Fragt sich, wer besser von wem lernen sollte.“ Er kümmerte sich nicht weiter um seinen Ausbilder, sondern schritt über die Treppe hinauf zur Tür des Wohnwagens. Er wollte nachsehen, was er angerichtet hatte. Cleveland wartete, bis Longless im Wohnwagen verschwunden war. Dann erst folgte er zögernd. Ihm graute vor dem Blutbad, das er gleich sehen würde. Er schalt sich einen Narren, daß er Longless hatte schießen lassen. „Longie... Longie!“ rief er, als er im ersten Teil des Wohnwagens stand. „Hier“ antwortete undeutlich die Stimme seines Schützlings, worauf Cleveland weiter durchging und einen Schlag auf den Kopf erhielt, der ihn sofort zu Boden schickte. Parker, der diesen Schlag ausgeführt hatte, sah auf Cleveland und Longless hinunter und schüttelte dann den Kopf. „Sie benehmen sich wie böse Kinder“, sagte er dann zu Owen, der nach wie vor sehr verwirrt war. „Man sollte sie zur Ordnung rufen, und zwar sehr nachdrücklich!“ *** Geräuschvoll drehte sich die Teufelsröhre. Beide offene Seiten waren mit den dazugehörigen Schutzgittern fest verschlossen. Die Riesentrommel glich einer Zementtrommel mit Inhalt. „Schön, das ist also die Teufelsröhre“, stellte Mike Rander fest. Er und Vivi Carlson waren telefonisch zum Lunapark bestellt worden, den sie vor wenigen Minuten erreicht hatten. „Und was wollten Sie uns zeigen, Parker?“ „Darf ich empfehlen, Sir, sich den Inhalt dieser Riesentrommel mal aus der Nähe anzusehen?“ Rander nickte Vivi Carlson ermunternd zu. Dann gingen sie näher an die Röhre heran und warfen einen Blick durch das Schutzgitter in die Trommel. Worauf Rander einen mittelschweren Hustenanfall erlitt, der mit einem erschütternden Lachen zusammenhing. Vivi Carlson prustete heraus und wischte sich wenig später die Tränen aus den Augen. In der Trommel befanden sich die beiden Dauerkiller Cleveland und Longless. Sie wurden von der Trommel herumgewirbelt und stießen dabei nicht nur gegeneinander, sondern behinderten auch einen gewissen Herbert Owen in seiner Bewegungsfreiheit. Die drei Gangster wurden von den schnellen Drehungen der Trommel hochgenommen, bis sie durch die Schwerkraft wieder hinunter in Richtung Boden fielen. Dann riß die Trommelwand sie wieder hoch, und das Spiel wiederholte sich erneut.
„Wie lange sind sie bereits in diesem Teufelsding?“ erkundigte sich Rander fast mitfühlend. „Seit einer knappen halben Stunde“, berichtete Josuah Parker. „Ich sah mich zu dieser Maßnahme gezwungen, da ich sonst kein Behältnis finden konnte, in dem ich die drei Herren sicher verwahren konnte.“ „Natürlich“, sagte Rander ironisch. „Zu Beginn der Trommelfahrt beschwerten die Herren sich lautstark und wortreich“, berichtete Parker weiter, „inzwischen aber scheinen sie sich an dieses Durchschütteln gewöhnt zu haben.“ „Sind Sie sicher, Parker?“ „Beschwerden wurden seit etwa fünfzehn Minuten nicht mehr laut“, erläuterte der Butler. „Die von mir inzwischen alarmierte Polizei wird kaum Schwierigkeiten haben, die drei Herren festzunehmen.“ „Und was ist mit den Beweisen?“ fragte Rander. „Ich besitze eine Tonbandaufzeichnung, die alle Einzelheiten erklärt“, erwiderte der Butler gemessen. „Die Behörden dürften ungemein zufrieden sein.“ Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als von weither die Sirene eines Polizeifahrzeugs zu hören war. „Sollte man das Teufelsding nicht abstellen?“ erkundigte sich Rander bei seinem Butler. „Warum den Herren die Freude nehmen?“ meinte Josuah Parker. „Sie geben sich einem Vergnügen hin, an das sie noch nach Jahren intensiv denken werden. Zudem ist mir ein kleines Mißgeschick passiert, als ich die Trommel einschaltete. Ich provozierte fast ungewollt einen Kurzschluß, durch den die Rotation sich vorerst nicht abstellen läßt. Mit einer weiteren Stunde Bewegungstherapie werden die Herren sich noch abfinden müssen!“ ENDE
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Butler Parker Die nächste Butler-Parker-Story von Günter Dönges erscheint als Nr. 120 unter dem Titel:
PARKER gipst die Haie ein Als Neuauflage lesen Sie die Nr. 88, ebenfalls von Günter Dönges, unter dem Titel:
PARKER staubt das Goldkind ab