Butler � Parker � Nr. 399 � 399
Edmund Diedrichs �
Parker demaskiert � den ›Teufel‹ �
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Butler � Parker � Nr. 399 � 399
Edmund Diedrichs �
Parker demaskiert � den ›Teufel‹ �
2
»Ich werde mich jetzt zurückziehen und ein wenig meditieren, Mister Parker.« Lady Agatha erhob sich vom Frühstückstisch im kleinen Salon des altehrwürdigen Fachwerkhauses in Shepherd’s Market. »Rufen Sie mich, wenn Sie mit dem Diner soweit sind.« Sie wandte sich ab und steuerte die große Freitreppe an, die nach oben in ihre privaten Räume führte. Parker hatte einige neue Video-Filme besorgt und im Studio bereitgelegt. »War übrigens etwas bei der Post, das ich sehen sollte?« erkundigte sich die ältere Dame, schon auf der ersten Stufe stehend. Der Butler hielt ein silbernes Tablett in den Händen, auf dem ein großer Umschlag lag. »Die Geschäftspost hat meine Wenigkeit bereits nach kurzer Sichtung an Mister Rander weitergegeben«, informierte Parker sie. »Miß Porter war so freundlich, die Briefe abzuholen.« Lady Agatha nickte geistesabwesend und starrte auf den schwarzen Umschlag, der einen scharfen Kontrast zum glänzenden Silber des Tabletts bildete. Irgendwie sah der Umschlag düster, fast schon bedrohlich aus, fand sie und griff danach. Die Hauptpersonen: Lady Elizabeth Farrington sorgt sich um das Seelenheil ihrer Nichte. Robert Stilweit und John Willis werden als Gehilfen des ›Satans‹ auf zünftige Weise ausgeschaltet. Bill Mason macht als Journalist die ›Teuflischen‹ lächerlich. Cecil Maiden nennt sich Finanzberater und möchte sein Konto aufbessern. 3
Sir Robert Gladstone hat Pech im Spiel und will sich auf ›teuflische‹ Weise sanieren. Lady Agatha besteht darauf, Teufelsanbeterin zu werden. Josuah Parker treibt gewissen Leuten ihren Irrglauben aus. »Warum haben Sie ihn nicht geöffnet?« wunderte sie sich und riß das Kuvert auf. »Übrigens ist keine Briefmarke drauf, wie kommt der Umschlag hierher?« »Vermutlich dürfte ein Bote ihn gebracht haben, Mylady. Dies und der Umstand, daß der Brief den nicht zu übersehenden Hinweis »persönlich« trägt, veranlaßte meine bescheidene Wenigkeit, von einem Öffnen abzusehen.« »Papperlapapp, Mister Parker. Ich habe keine Geheimnisse vor ihnen.« Die ältere Dame hatte einen Bogen aus dem Umschlag gezogen und las stirnrunzelnd den Text. »Was halte ich davon, Mister Parker?« wollte sie wissen und reichte das Geschriebene an ihren Butler weiter. Parker nahm den Inhalt zur Kenntnis, ohne eine Miene zu verziehen. Lady Agatha beobachtete ihn aufmerksam, konnte aber seinem unbewegten Gesicht keine Stellungnahme ablesen. Die passionierte Detektivin räusperte sich und tippte mit der Fingerspitze auf das Papier. »Lesen Sie den Text noch mal vor, Mister Parker, vielleicht kommt mir dann eine Eingebung.« Mylady schloß die Augen, um sich zu konzentrieren. »Sehr verehrte Dame, sehr geehrter Herr«, rezitierte Parker mit gemessener Stimme. »Reichtum, Glück, Macht, immerwährendes Leben, wer träumt nicht davon? Die Alltagshülle abstreifen, in ein neues, anregendes Leben eintauchen? Warten Sie nicht länger, schließen Sie sich einer Vereinigung von Menschen an, 4
die wie Sie das Ungewöhnliche suchen und bereit sind, jede Herausforderung anzunehmen, um die graue Masse hinter sich zu lassen und sich über sie zu erheben. Wir kommen in den nächsten Tagen auf Sie zu, denn Sie gehören zu den Auserwählten!« »Die Unterschrift«, ließ sich die Hausherrin vernehmen, nachdem sie den Text in sich aufgenommen hatte. »Wie lautet die, Mister Parker, lesen Sie die so wie ich?« »Der Unterzeichner nennt sich ›Der Satan‹, Mylady«, erwiderte der Butler. »Ein etwas ungewöhnlicher Name, wenn man dies anmerken darf.« »Sehr interessant«, fand sie und runzelte nachdenklich die Stirn. »Was soll das Ganze sein, Mister Parker, ein dummer Scherz, eine besonders raffinierte neue Werbung? Was meine ich dazu?« »Vielleicht sollte Mylady den erwähnten Kontakt abwarten«, schlug Parker höflich vor. »Der wird ja bereits für die nahe Zukunft avisiert.« »Ich werde diesen seltsamen Brief in meine Meditationen einbeziehen«, kündigte sie an und stieg die Freitreppe hinauf. »Möglicherweise kann ich etwas Ähnliches in meinem Roman verwenden, die Leser lieben ja das Geheimnisvolle.« »Mylady dürften damit voll im Trend liegen, wie der Volksmund sagen würde«, bestätigte der Butler, ohne eine Miene zu verziehen. Er wartete, bis seine Herrin in ihrem Zimmer verschwunden war und die Eröffnungsmusik eines Videos den Beginn von Myladys Meditation ankündigte. Josuah Parker legte das Tablett zur Seite und begab sich mit dem mysteriösen Brief in seine Privaträume im Souterrain des altehrwürdigen Fachwerkhauses, um ihn näher zu prüfen. *
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»Gehst du immer noch deinem äh… Hobby nach, Agatha?« erkundigte sich die Besucherin, die sich überraschend zum Tee eingefunden hatte. Lady Elizabeth Farrington war eine hochgewachsene, knochige Dame um die Sechzig und weitläufig mit der Hausherrin verwandt. »Was meinst du mit meinem Hobby?« gab Lady Agatha zurück und beobachtete stirnrunzelnd, wie sich ihre Verwandte bereits den dritten Keks innerhalb weniger Minuten in den Mund steckte. »Nun ja, ich meine deine Detektivspielerei«, wurde die Besucherin deutlicher und sah Lady Agatha mit den Augen zwinkernd an. »Das ist weder Spielerei noch Hobby, meine Liebe, ich betreibe die Kriminalistik ernsthaft und vor allem erfolgreich, im Gegensatz zu unserer Polizei, die mich immer um Hilfe angeht, wenn sie nicht weiterkommt. Ist es nicht so, Mister Parker?« »In der Tat, Mylady.« Josuah Parker, der stocksteif und hochaufgerichtet hinter dem Sessel seiner Herrin stand, gab die höfliche Bestätigung. »Hast du einen bestimmten Grund, danach zu fragen?« wollte Lady Agatha wissen. Sie sah ihre Verwandte schon wieder zu den Keksen greifen, und räusperte sich mißbilligend. Lady Elizabeth ließ sich davon nicht beeindrucken. Sie bediente sich großzügig, indem sie gleich mehrere Kekse auf ihren Teller legte, und klopfte anschließend der Hausherrin den Rücken, als diese einen mittelschweren Hustenanfall erlitt. »Bist du erkältet, Agatha?« erkundigte sie sich mitfühlend. »Ich kenne da ein ausgezeichnetes Mittel, wenn ich dir…« »Ich bin nicht erkältet«, unterbrach die Detektivin sie und winkte unwirsch ab. »Irgendwelche Mittel brauche ich nicht. Sie können übrigens abräumen, Mister Parker, ich denke, wir sind fertig.« 6
»Laß die Kekse ruhig noch stehen«, bat die Besucherin. »Sie sind wirklich köstlich.« »Die sollten eigentlich die ganze Woche reichen«, grollte die Hausherrin. »Heute ist ja schon Freitag«, tröstete ihre Verwandte sie und setzte die Tasse ab. »Aber nun zum Grund meines Besuches, meine liebe Agatha, ich hätte eine höchst private Sache mit dir zu besprechen. Ich fürchte, ich brauche deine Hilfe.« »Familienprobleme interessieren mich nicht«, winkte die Detektivin sofort ab. »Da bist du bei mir an der falschen Adresse, Elizabeth.« »Es ist aber eine sehr delikate Angelegenheit, und sie fällt genau in dein Fachgebiet.« Lady Elizabeth war nicht bereit, so schnell aufzugeben. »Hat dir jemand die Zuckerdose gestohlen oder dein Personal heimlich im Weinkeller genascht, meine Liebe?« spottete Agatha. »Ich befasse mich grundsätzlich nur mit wirklich großen Fällen, Kleinigkeiten kannst du ruhig der Polizei überlassen.« »Aber ich bitte dich, Agatha, es ist eine schlimme Sache.« Lady Elizabeth beugte sich vor und legte ihrer Verwandten die Hand auf den Unterarm. »Hör mich erst mal an, danach kannst du immer noch ablehnen.« »Was sage ich dazu, Mister Parker?« wandte sich die passionierte Detektivin an den Butler. »Ein durchaus vernünftiger Vorschlag, Mylady«, stimmte Parker der Ansicht Lady Elizabeth’ zu. »Also gut, ich höre mir dein Problem an«, entschied Lady Agatha und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Aber ich sage gleich, du darfst dir keine großen Hoffnungen machen. Ich bin anspruchsvoll, was meine Fälle betrifft.« »Es ist sehr vertraulich, Agatha«, flüsterte die Besucherin und warf einen beziehungsreichen Blick auf den Butler, der mit aus7
drucksloser Miene hinter seiner Herrin stand. »Ich habe vor Mister Parker keine Geheimnisse«, klärte die Detektivin ihre Besucherin auf. »Aber ich kann doch nicht vor deinem Butler unsere Familienprobleme…« Lady Elizabeth brach hilflos ab und schüttelte den Kopf. »Ich werde anschließend ohnehin Mister Parker um seine Meinung fragen, meine Liebe.« Lady Agatha lächelte ihre Verwandte freundlich an. »Ich pflege mich mit ihm in solchen Dingen zu besprechen.« »Du besprichst dich mit deinem Butler? O Gott!« Lady Elizabeth sah aus, als stünde sie kurz vor einem Schlaganfall. Sie sah von Parker zu ihrer Verwandten und zurück und konnte es nicht fassen. Lady Agatha zeigte unverhohlen ihre Schadenfreude. »Also erzählst du mir jetzt, was du auf dem Herzen hast oder nicht?« grollte sie und funkelte ihre Cousine an. »Das… das ist mir aber sehr peinlich«, gestand die hagere Dame und wand sich förmlich vor Verlegenheit. »Es geht um Jane«, begann sie dann. »Ich fürchte, sie ist in eine üble Sache geraten.« Josuah Parker servierte der Besucherin einen Cognac, um die offensichtlich angegriffenen Nerven zu stabilisieren. Er nickte seiner Herrin, die ihn mit eisigem Blick musterte, freundlich zu und trat vom Tisch zurück. Seiner Miene war keine Gefühlsregung anzusehen. Er nahm wieder hinter Myladys Sessel Aufstellung und konzentrierte sich auf den Fortgang der ein wenig umständlichen Schilderung. »Was meinst du mit übler Sache?« erkundigte sich die Hausherrin ungeduldig. »Komm endlich zur Sache, Elizabeth, ich bin eine vielbeschäftigte Frau.« »Sie… sie hat sich einem Satanskult angeschlossen, Agatha«, 8
platzte die Besucherin heraus, schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte leise vor sich hin und war nicht in der Lage, weiterzusprechen. »Ach, wirklich? War da nicht erst vor kurzem etwas in dieser Richtung, Mister Parker?« »Mylady erhielten mit der heutigen Post das Schreiben eines gewissen Misters Satan, der Mylady aufforderte, die sogenannte Alltagshülle abzustreifen und in ein neues Leben einzutauchen.« »Nun, meine Liebe, hat Lady Jane ihre Alltagshülle abgestreift?« wandte sich die Hausherrin an ihre schluchzende Besucherin. »Sie… sie muß verrückt geworden sein«, stieß Lady Elizabeth hervor und schneuzte sich in ein kunstvoll besticktes Tuch. »Dieser Satan hat sie sicher behext, Agatha, ich flehe dich an, rette das Kind!« »Servieren Sie Lady Elizabeth noch einen kleinen Cognac, Mister Parker«, forderte Lady Agatha ihren Butler auf und beugte sich interessiert vor. »Vielleicht bahnt sich hier ein neuer Fall an.« * »Wie bitte?« Mike Rander sah die ältere Dame ungläubig an. Die Hausherrin hatte den Anwalt und Kathy Porter, die offiziell noch immer als ihre Gesellschafterin und Sekretärin galt, obwohl sie überwiegend in der Kanzlei des Anwalts tätig war, zum Dinner herübergebeten. Agatha Simpson hatte soeben anschaulich ihren neuen Fall geschildert und erntete dafür schieres Unverständnis und Ungläubigkeit auf Seiten ihrer Zuhörer. »Das gibt’s doch nicht«, pflichtete Kathy Porter Mike Rander bei und schüttelte gleichfalls den Kopf. »Also nochmal«, bat der Anwalt und wandte sich an den But9
ler, der hinter dem Sessel seiner Herrin stand und bis jetzt kein Wort gesagt hatte. »Wenn ich richtig verstanden habe, existiert hier in London, mitten in einer Weltmetropole, eine Art Satanskult, ja?« »Was keinesfalls so ungewöhnlich sein dürfte, Sir«, bemerkte Parker gemessen. »Ähnliches hört man aus New York, Los Angeles, Paris, Hamburg oder anderen großen Städten. Es dürfte sich hierbei um einen Auswuchs unserer sogenannten Zivilisation handeln oder um eine Flucht vor derselben.« »Wohl eher das letztere, Parker«, überlegte Mike Rander. »Aber so richtig kann ich’s noch immer nicht glauben. So etwas scheint eher ins finstere Mittelalter als in unsere aufgeklärte Zeit zu passen.« »Ich stelle mir das sehr interessant vor«, überlegte die Hausherrin. »Ich denke, ich werde mich dieser Bewegung anschließen, zumal man mich ausdrücklich dazu eingeladen hat.« »Wie das, Mylady?« Kathy Porter sah ihre Brötchengeberin erstaunt an. »Erzählen Sie, Mister Parker«, forderte die ältere Dame den Butler auf. »Man schrieb Mylady an und forderte sie auf, ihre Alltagshülle abzustreifen«, begann Parker würdevoll. »Hört sich nach der Reklame eines Modehändlers an, Parker«, spottete Mike Rander. »Nicht ganz, Sir«, konterte Parker gemessen. »Der Verfasser des Schreibens, ein gewisser Mister Satan, forderte Mylady im weiteren Verlauf des Textes auf, in ein neues Leben einzutauchen und sich über die breite Masse zu erheben, um sie zu beherrschen.« »Meine Güte, Mylady, ich wußte ja, daß Sie einen interessanten Bekanntenkreis haben, aber daß selbst der Satan dazu zählt, ist mir neu«, stichelte Kathy Porter. 10
»Nun ja, ich bin tatsächlich kein Alltagsmensch«, behauptete die Lady. »Insofern ist es eigentlich nur folgerichtig, daß mich dieser Teufel angeschrieben hat.« »War ein Absender angegeben, vielleicht die Hölle?« erkundigte sich der Anwalt anzüglich. Allmählich fand er Gefallen an diesem Thema, das doch entschieden von der Norm abwich. »Seien Sie nicht albern, mein lieber Junge«, verwies die Hausherrin ihn ärgerlich in die Schranken. »Natürlich war kein Absender angegeben, damit ich ihm keinen Besuch abstatten kann. Auch dieser Satan fürchtet mich, das dürfte doch wohl klar sein.« »Aber er hat Sie doch eingeladen, sich ihm anzuschließen«, warf Kathy Porter ein. »Irgendwann muß er Ihnen also eine Adresse angeben, unter der er zu treffen ist.« Lady Agatha musterte ihre Gesellschafterin nachsichtig. »Kindchen, Sie müssen noch viel lernen«, stellte sie freundlich fest. »Wahrscheinlich wird man mich an einen Treffpunkt bestellen, von wo ich abgeholt werde. Man wird mir dann sicher die Augen verbinden, damit ich nicht mitbekomme, wohin man mich führt. Und wenn man mir die Binde wieder abnimmt, werde ich diesem sonderbaren Teufel gegenüberstehen.« »Und das werden Sie sich gefallen lassen?« staunte Mike Rander. »Natürlich nicht, mein Junge, ich werde die Binde so lockern, daß ich irgendwie durchsehen kann«, antwortete sie prompt. »Außerdem wird mich Mister Parker beschatten. Ich hoffe, er verliert mich nicht aus den Augen, damit er mir später sagen kann, wo sich der Aufenthaltsort dieses Lümmels befindet.« »Mister Parker ist ein erfahrener Beschatter, er wird Sie nicht aus den Augen verlieren«, war sich die junge Frau sicher und zwinkerte dem Butler zu. »Immerhin haben wir es hier mit teuflischen Mächten zu tun«, 11
gab die Hausherrin zu bedenken. »Man wird sich bemühen, auch diesen gewachsen zu sein«, versprach Josuah Parker gemessen. »Zurück zu dieser Lady Jane«, bat der junge Anwalt. »Welche Beobachtungen hat ihre Tante denn gemacht, die darauf schließen lassen, daß sie sich einem solchen Satanskult angeschlossen hat, mal vorausgesetzt, sowas gibt’s wirklich.« »Sie hat sich als Anhänger ein Kreuz fertigen lassen, das sie verkehrt herum an ihrer Halskette trägt«, berichtete die Hausherrin und nickte nachdenklich. »Das ist typisch für solche Leute, sie wollen dadurch die christliche Religion verhöhnen.« »Sie kennen sich ja bestens aus, Mylady«, lobte Mike Rander sie. »Ich weiß genau Bescheid«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest. »Ich habe viele Gruselromane gelesen, da wird sowas genau beschrieben. Und neulich erst hat Mister Parker mir einen netten Horrorfilm besorgt, in dem sowas auch vorkam.« »Gibt es noch weitere Anzeichen?« wollte Kathy Porter wissen. »Lady Jane hat von Bekannten ihre privaten Räume neu gestalten lassen«, berichtete der Butler. »Laut ihrer Tante sind sämtliche Wände schwarz angestrichen und mit geheimnisvollen Zeichen versehen worden. Auch die Fußböden wurden entsprechend umgestaltet.« »Muß ja schön scheußlich aussehen«, bemerkte Mike Rander und schüttelte sich. »Sonst noch was?« »Sie hört seit einigen Wochen Musik, die man nach Auskunft von Lady Elizabeth nur als ausgesprochen dissonant bezeichnen kann und muß«, fuhr Parker fort. »Dazu soll man Räucherstäbchen abbrennen und seltsame Tänze aufführen.« »Kommt mir alles nicht so dramatisch vor«, brummte der Anwalt. »Woher weiß die Tante das denn so genau, ich meine, die Sache mit dem Tanz zum Beispiel?« 12
»Elizabeth hat durchs Schlüsselloch gesehen«, stellte Lady Agatha zufrieden fest. »Schließlich hat sie dem Kind gegenüber eine Aufsichtspflicht.« »Wie alt ist das Kind denn?« Kathy Porter lächelte die ältere Dame bei dieser Frage unschuldig an. »Um die Dreißig, Kindchen«, überlegte die Detektivin. »Das dürfte hinkommen, denke ich.« »Naja, da ist sie tatsächlich in einem Alter, in dem sie noch nicht selbst auf sich aufpassen kann«, gab der Anwalt ihr recht. »Machen Sie sich über mich lustig, mein Junge?« Lady Agatha sah Mike Rander pikiert an. »Das würde ich mir nie erlauben, Mylady«, wehrte Mike Rander ab und hob die Hände. »Aber ehrlich gesagt, das alles überzeugt mich nicht so recht. Könnte es nicht sein, daß Ihre Verwandte… pardon, ein wenig… äh, weltfremd ist und Dinge interpretiert, die sie selbst nicht kennt?« »Das wäre natürlich möglich, mein Junge.« Die Hausherrin nickte dem Anwalt freundlich zu. »Lady Elizabeth hatte schon als Kind eine üppige Phantasie. Das kommt davon, wenn man nur umsorgt wird und sich selbst um nichts zu kümmern braucht. Ich habe sie immer für ein wenig verwirrt gehalten.« »Und trotzdem nehmen Sie ihr diese Geschichte ab?« staunte Kathy Porter. »Fahren Sie fort, Mister Parker, ich höre zu. Vielleicht fällt mir dabei etwas ein.« »Sehr wohl, Mylady«, stimmte der Butler ihr zu und verneigte sich andeutungsweise. »Lady Elizabeth durchsuchte heimlich die Räume ihrer Nichte und entdeckte dabei Dinge, die ihren Argwohn erregten. Sie setzte sich mit einem Geistlichen in Verbindung und konfrontierte den Gottesmann mit diesen Dingen, als Lady Jane abwesend war.« »Ist ja nicht gerade die feine englische Art«, kommentierte 13
Mike Rander das Vorgehen. »Wie dem auch sei, Sir, unter anderem fand man eine ansehnliche Bibliothek über den Satanskult, Ausrüstungsgegenstände wie Ketten, schwarze Umhänge und Masken sowie einen kleinen Altar, der ein auf dem Kopf stehendes Kreuz trug. Der Reverend war daraufhin sicher, es mit einer Teufelsanbeterin zu tun zu haben und verließ Lady Elizabeth Haus fluchtartig.« »Hat er nicht versucht, ihr zu helfen?« erkundigte sich Kathy Porter erstaunt. »Man zeigte offensichtliche Anzeichen von Furcht und Panik, Miß Porter«, fuhr Parker fort. »Der Reverend empfahl Lady Elizabeth, den Bischof zu verständigen und um Hilfe zu bitten.« »Na, das war ja ein unerschrockener Streiter für den wahren Glauben«, lächelte Mike Rander. »Und was haben Sie jetzt vor, Mylady? Wie wollen Sie diesem Satan auf den Leib rücken?« »Ich werde mich seiner Sekte anschließen«, verkündete Agatha Simpson und nickte energisch. »Ich habe Mister Parker bereits gebeten, mir einschlägige Literatur und Filme zu beschaffen. Die werde ich ausgiebig studieren. Einen schwarzen Umhang habe ich auch schon.« »Na, dann kann’s ja losgehen«, lästerte der Anwalt. »Haben Sie auch daran gedacht, daß die Sache gefährlich werden kann?« »Mein Junge, ich will doch nicht an ein langweiliges Subjekt geraten. Dieser Lümmel wird sich hoffentlich einiges einfallen lassen, um mich zu unterhalten.« »Oder um Sie aus dem Verkehr zu ziehen, Mylady«, warnte Kathy Porter und sah die Hausherrin besorgt an. »Ich habe mir bereits Knoblauch besorgt, das hilft gegen den Teufel«, verkündete sie und sah sich triumphierend im Kreis der Anwesenden um. »Ich dachte, das wäre nur bei Vampiren so«, gab Mike Rander spöttisch zurück. »Ich bilde mir ein, ich hätte das mal in einem 14
Graf-Dracula-Film gesehen.« »Tatsächlich?« Lady Agatha runzelte nachdenklich die Stirn. »Was sage ich dazu, Mister Parker?« »Mister Rander dürfte sich recht entsinnen, Mylady«, informierte der Butler sie. »Auch meine bescheidene Wenigkeit neigt zu der Ansicht, daß Knoblauch nur gegen sogenannte Blutsauger eingesetzt werden kann und muß.« »So«, zeigte sie sich skeptisch. »Und was ist mit Silberkugeln oder geweihtem Wasser?« »Man wird sich kundig machen«, versprach Parker. »Hoffentlich hat der Kerl wenigstens einen Pferdefuß«, seufzte die Hausherrin, während sie sich erhob, um sich in ihre privaten Gemächer zu begeben und dort die Filme zu studieren. »Ich will nicht auch noch in diesem Punkt enttäuscht werden.« »Sollte sich besagter Mister Satan melden, wird meine bescheidene Wenigkeit ihn danach fragen«, sagte der Butler. »Gegebenenfalls könnte man den Herrn ersuchen, sich entsprechend auszurüsten.« »Ich bitte darum, Mister Parker.« Die ältere Dame nickte ihrem Butler vertrauensvoll zu und verließ den kleinen Salon. »Mal ehrlich, Parker, was halten Sie von dieser komischen Sache?« erkundigte sich Mike Rander, nachdem die Detektivin gegangen war. »Glauben Sie wirklich an diesen Blödsinn?« »In gewisser Weise schon, Sir«, räumte Parker gemessen ein. »Allerdings geht meine bescheidene Wenigkeit davon aus, daß es sich hierbei um eine geschickte Inszenierung von jemandem handelt, der handfeste finanzielle Interessen verfolgen dürfte.« »Was heißen soll?« Rander sah den Butler erwartungsvoll an. »Man hat Mylady angeschrieben, und man weiß von Lady Jane«, stellte Josuah Parker gemessen fest. »Beide gehören derselben Gesellschaftsschicht an.« »Und vor allem, beide verfügen über Geld«, erkannte Kathy 15
Porter, worauf Parker hinaus wollte. »Das meinen Sie, stimmt’s?« »In der Tat, Miß Porter. Man sollte herausfinden, inwieweit vermögende Mitbürger bereits von jenem Mister Satan als Anhänger rekrutiert wurden.« »Und vor allen Dingen, ob sie seitdem gewisse finanzielle Transaktionen vorgenommen haben«, setzte Mike Rander diese Überlegungen fort. »Das ist ein Punkt, um den ich mich kümmern kann, sobald Sie mir Namen nennen, Parker.« »Man wird sich bemühen, in Kürze damit dienen zu können«, versprach der Butler, der schon gewisse Vorstellungen über sein Vorgehen hatte. * »Was ist denn, Mister Parker?« Lady Agatha fühlte sich gestört, als der Butler an ihre Tür klopfte. »Mylady haben Besuch erhalten«, teilte Parker höflich mit. Die Hausherrin drehte sich zu ihm um und sah ihn verärgert an. »Ich wünsche niemanden zu sehen.« »Wie Mylady befehlen.« Parker verzog keine Miene. »Allerdings hatte meine bescheidene Wenigkeit den Eindruck, daß die beiden Herren möglicherweise etwas mit jenem Brief zu tun haben, den Mylady kürzlich erhielten.« »Sie meinen den von diesem Teufel?« zeigte sich die ältere Dame plötzlich interessiert. »In der Tat, Mylady. Allerdings äußerten die Herren noch nicht den Grund ihres Besuches, sie harren nach wie vor an der Tür Myladys Entscheidung.« »Gut, Mister Parker, ich werde die Leute empfangen. Sie müssen sich aber noch einen Augenblick gedulden. Ich sehe mir gerade die Schlüsselszene eines Films an, woraus ich wichtige 16
Anregungen für mein Drehbuch ableite.« »Man wird die Herren entsprechend unterrichten«, gab der Butler gemessen zurück. »Sie dürfen Ihnen eine Kleinigkeit anbieten«, zeigte sich die Detektivin unerwartet großzügig. »Nehmen Sie den billigen Sherry, Mister Parker, von dem ich bei Neueröffnung des Supermarkts einen Karton eigens für Besuch mitgenommen habe.« »Man ist im Bilde«, bestätigte der Butler und zog sich zurück. Seit geraumer Zeit pflegte die ältere Dame Zeitungen und Werbezettel auf besonders günstige Einkaufsmöglichkeiten hin zu studieren. Dabei kam es ihr keineswegs darauf an, hinsichtlich der Artikel einen Bedarf zu haben, sie legte vielmehr Wert darauf, soviel wie nur möglich zu sparen. Parker hatte zu diesem Zweck einige Kellerräume freigeräumt und mit Regalen versehen, um nicht benötigte Einkäufe zu lagern. »Bitte, meine Herren.« Parker stand im verglasten Vorflur und bat die beiden Besucher herein. »Mylady wird Sie in wenigen Minuten empfangen«, teilte er mit, während sie an ihm vorbei die geräumige Wohnhalle betraten. »Sie beendet nur eine angefangene Arbeit und steht Ihnen dann zur Verfügung.« »Das ist außerordentlich freundlich«, lächelte der ältere der beiden und nickte dem Butler höflich zu. Es handelte sich um einen schlanken, hochgewachsenen Mann mit asketischen Gesichtszügen und silbergrauen Haaren, die sorgfältig frisiert waren. Seine dunklen Augen machten einen wachen und – wie Parker fand – irgendwie »verzehrenden« Eindruck. Sein Begleiter! war rein körperlich das genaue Gegenteil. Er hatte eine rundliche Figur und ein volles Gesicht mit aufgeworfenen Lippen und eingefallenen Augen, unter denen dicke Tränensäcke hingen. Er machte den Eindruck eines Menschen, der den schönen Seiten des Lebens gegenüber sehr aufgeschlossen war. Er mochte etwa Mitte Dreißig sein, während der asketisch 17
wirkende Mann sicher die Fünfzig überschritten hatte. »Darf man den Herren eine Erfrischung anbieten?« erkundigte sich Parker… »Eigentlich…« begann der hochgewachsene, schlanke Mann, wurde aber sogleich von seinem rundlichen Begleiter unterbrochen. »Sehr gern, vielen Dank.« Parker verbeugte sich und entfernte sich in Richtung Küche. Dort angekommen, schaltete er eine Übertragungsanlage ein, die ihm über ein in der Wohnhalle installiertes Mikrophon die Unterhaltung der Neuankömmlinge lieferte. Die Übertragung war so klar und deutlich, als stünde Parker direkt neben den beiden Männern. »Daß Sie sich nicht ein einziges Mal zusammenreißen können, Willis«, beklagte sich eine Stimme, die Parker als die des Asketen identifizierte. »Können Sie nicht mal auf einen Drink verzichten? Wir sind schließlich nicht zum gemütlichen Plausch gekommen, sondern um einen Brief abzuholen. Wir wollen hier nicht anwachsen.« »Regen Sie sich doch nicht so auf, Mann«, erwiderte die Stimme des Rundlichen. »Sie haben auch Ihre Schwächen, oder?« Die Stimme des Sprechers gab ein meckerndes Lachen von sich. »Alles zu seiner Zeit«, zischte der hochgewachsene Silberhaarige. »Übrigens frage ich mich, ob es wirklich nötig ist, das Schreiben zurückzufordern. Wenn ich mich hier so umsehe, muß die Frau eine Menge Geld haben.« »Da haben Sie verdammt recht, Stilwell. Wir könnten hier recht nett absahnen, denke ich.« »Leider hat der Chef anders entschieden«, seufzte der Asket. »Warum eigentlich?« erkundigte sich der Rundliche. »Ich verstehe immer noch nicht so ganz, was das zu bedeuten hat.« »Er hat sich über die alte Dame hier erkundigt. Angeblich soll 18
sie nicht so ganz ohne sein und beschäftigt sich mit Kriminalfällen, die sie aufzuklären versucht.« »Na und? Jeder hat seine Macken«, gab sein Partner zurück. »Sicher, das Dumme ist nur, sie soll dabei recht erfolgreich sein. Es heißt, sie hätte schon einige schwere Jungs hinter Schloß und Riegel gebracht, und die Polizei sucht sogar ihren Rat. Außerdem soll sie beste Beziehungen nach oben haben.« »Kann ich mir gar nicht vorstellen, ich meine, das mit den aufgeklärten Fällen«, staunte sein Begleiter. »Ich denke, die Tante ist weit über sechzig?« »Stimmt schon, aber da sehen Sie wieder mal, daß Leistungsfähigkeit nicht unbedingt ‘ne Altersfrage ist. Im übrigen sei es weniger die Alte selbst, die die Aufklärung betreibt, sondern ihr Butler. Der Kerl soll mit allen Wassern gewaschen sein.« »Was denn, dieser harmlose, stocksteife Bursche, der uns eingelassen hat?« »Genau der. Wir dürfen uns nicht täuschen, der Mann soll es faustdick hinter den Ohren haben. Jedenfalls ist der Chef der Meinung, daß es falsch war, dieser Lady eine Einladung zu schicken. Er befürchtet, daß sie neugierig wird und uns nachspioniert.« »Na und? Dann muß sie eben verschwinden, das sollte doch wohl kein Problem sein, oder?« Der Rundliche lachte auf. »Übung im Verschwinden lassen haben wir genug, auf zwei mehr oder weniger kommt es jedenfalls nicht an.« »Schon richtig. Aber sehen wir erst mal, daß wir den Brief wieder kriegen, danach geht’s weiter. Wir erstatten dem Chef Bericht, und der entscheidet dann, was zu tun ist.« Parker hatte genug gehört. Er schaltete die Übertragungsanlage ab und kehrte mit einem beladenen Tablett in die Wohnhalle zurück. »Man hofft, daß die Herren nicht zu lange warten mußten«, 19
entschuldigte er sich, während er das Tablett auf einen Tisch stellte. »Man wollte frischgebrühten Kaffee und Tee anbieten, und das nahm etwas Zeit in Anspruch.« »Ich bitte Sie, kein Problem«, lächelte der Asket. »Wir haben uns in der Zwischenzeit unterhalten. Ihre Chefin scheint nicht gerade unvermögend zu sein, nicht wahr?« fuhr er in vertraulichem Ton fort und zwinkerte dem Butler verschwörerisch zu. »Ich meine, wenn man sich hier so umsieht…« »Mylady hat ihr Auskommen, wie man so zu sagen pflegt«, bestätigte Parker, während er Getränke und Gebäck servierte. »Übrigens erscheint sie gerade, wenn man Sie darauf aufmerksam machen darf.« Josuah Parker nickte in Richtung der großen Freitreppe, die Lady Agatha herabkam. Die Hausherrin hatte sich fein gemacht und trug ein langwallendes Kleid, das ihre üppige Figur wie ein Zelt umhüllte. An ihrem Handgelenk schwang ein Beutel, wie ihn die Damen der Jahrhundertwende zur Aufbewahrung ihrer Utensilien benutzten. In ihrem grauen Haar steckte eine Nadel, die bedenklich an einen Spieß erinnerte, der größeres Bratgut mühelos aufnahm. Die sichtlich beeindruckten Besucher sprangen auf die Füße und sahen der walkürenhaften Gestalt entgegen. »Ich bin Lady Simpson«, stellte sich die Hausherrin vor und musterte ihre Gäste lächelnd. Ihre baritonal gefärbte Stimme ließ die beiden Besucher zusammenzucken. * »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich die Hausherrin in aufgeräumtem Ton. »Gestatten Sie, daß wir uns vorstellen, Mylady«, gab der Asket 20
zurück und deutete auf seinen Begleiter. »Das ist Mister John Willis, mein Name ist Robert Stilwell. Wir sind gekommen, um ein kleines Mißverständnis aufzuklären.« »Servieren Sie unseren lieben Gästen doch von dem alten Sherry«, bat die Detektivin sich an den Butler wendend. Dann wies sie auf zwei Sessel ihrem Platz gegenüber und bat ihre Besucher, sich zu setzen. »Von was für einem Mißverständnis sprechen Sie?« wollte sie wissen und lächelte huldvoll. »Lassen Sie mich etwas weiter ausholen«, bat Stilwell, der Asket. »Wir gehören einer gewissen Gemeinschaft an, die sich der Erforschung gewisser… nun, sagen wir, außergewöhnlicher Erscheinungen widmet. In diesem Zusammenhang untersuchen wir den Einfluß gewisser Kulte auf unsere Mitmenschen.« »Sie gehören also einer Sekte an«, übersetzte die ältere Dame die Rede ihres Gastes und nickte verständnisvoll. »Sie brauchen nicht um den heißen Brei herumzureden, junger Mann. Ich habe für alles Verständnis und weiß Bescheid.« »Sie wissen…« Der rundliche Besucher namens Willis starrte die Detektivin aus großen Augen verwundert an und wandte sich dann an seinen Partner. »Haben Sie gehört, Stilwell, sie weiß schon alles«, murmelte er und rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her. »Ach, halten Sie doch die Klappe«, fauchte der Asket und warf seinem Kollegen einen eisigen Blick zu. »Könnten Sie das näher erklären, Mylady?« bat er, sich wieder Agatha Simpson zuwendend. »Sie sind doch Teufelsanbeter, nicht wahr?« wurde die Hausherrin konkret. »Streiten Sie das gar nicht erst ab, eine Lady Simpson täuscht man nicht.« Der Asket lachte amüsiert, allerdings klang es ein wenig gekünstelt, wie Parker fand, der stocksteif und hochaufgerichtet hinter seiner Herrin stand. 21
»Wir befassen uns mit der Erforschung übersinnlicher Phänomene, in dem Zusammenhang beschäftigen wir uns allerdings auch mit dem Satanskult, um es klar zu sagen«, erläuterte Stilwell. »Wir möchten herausfinden, was moderne und völlig normale Menschen dazu bringt, den Satan anzubeten.« »Haben Sie bereits gewisse Ergebnisse hinsichtlich dieses interessanten Punktes vorzuweisen?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. »Noch nicht, Mister Parker, wir stehen erst am Anfang unserer Forschung«, gab Stilwell zurück. Parker verzog keine Miene, mit einer ähnlichen Antwort hatte er gerechnet. Er fragte sich allerdings, woher der Gast seinen Namen kannte, denn vorgestellt hatte er sich nicht, das stand ihm als Butler nicht zu. Woher also wußte der Mann, wie er hieß? »Sie kennen Mister Parker?« hakte auch die Detektivin ein. »Wie? Aber nein, wie kommen Sie darauf? Ach so, der Name!« Stilwell fuhr sich nervös mit der Hand über den Mund. Er sah ein, daß er einen Fehler begangen hatte, und wußte nicht, wie er ihn aus der Welt schaffen konnte. »Ihr Butler war so freundlich, sich vorzustellen, nicht wahr?« murmelte er, hilflos seinen Begleiter anblickend. »Stimmt«, bestätigte der Mann und nickte heftig. »Wie dem auch sei«, ging Lady Agatha schließlich über diese Frage hinweg. »Was wollen Sie also von mir?« »Ihnen würde da versehentlich ein Schreiben zugestellt, das wir gerne wiederhaben würden«, wurde Robert Stilwell deutlich. »Es ist nicht für Sie bestimmt, eine Verwechslung, Sie verstehen?« »Keineswegs.« Agatha Simpson schüttelte entschieden den Kopf. »Auf dem Umschlag stand klar und deutlich mein Name, nicht wahr, Mister Parker?« 22
»In der Tat, Mylady«, stimmte der Butler ihr zu. »Wie gesagt, eine Verwechslung, wir meinten jemand anderen, mit ähnlichem Namen«, blieb der Asket hartnäckig. »Wir würden es nie und nimmer wagen, Sie zu belästigen, Mylady.« »Das tun Sie ja nicht«, beruhigte die Hausherrin ihn. »Im Gegenteil, ich fand Ihren Brief hochinteressant. Ich erwäge ernsthaft, mich auch mit dieser Materie zu beschäftigen.« »Wirklich?« Der Rundliche sah seinen asketischen Kollegen vielsagend an und rieb sich nervös die Hände. »Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, daß das für Sie geeignet ist, Mylady. Man muß schon eine gewisse Neigung verspüren, sich mit derartigen Dingen zu befassen, Sie verstehen?« »Die spüre ich schon seit langem«, behauptete die ältere Dame und sah ihre Gäste verklärt an. »Ich merke deutlich, daß es da mehr geben muß als nur das, was gewöhnliche Sterbliche wahrnehmen. Ich möchte mich über die Masse erheben, aus meiner Hülle schlüpfen und das Außergewöhnliche erleben. Habe ich das nicht schon immer gesagt, Mister Parker?« »Mylady fühlen sich seit langem berufen, in eine andere Bewußtseinsebene aufzusteigen«, bestätigte der Butler gemessen. Die beiden Besucher sahen sich betreten an. Mit dieser Entwicklung des Gesprächs hatten sie nicht gerechnet. »Äh, nun ja, trotzdem, Mylady«, meldete sich der Asket wieder zu Wort. »Den Brief müssen wir erst mal wiederhaben, danach sehen wir weiter. Wir melden uns dann bei Ihnen, wir müssen das mit unserem äh… Projektleiter durchsprechen. Sie verstehen?« »Sie meinen, Sie müssen erst Ihren Hohepriester um Erlaubnis fragen«, zeigte sich die Hausherrin in die Materie eingeweiht. »Auf jeden Fall möchte ich Novizin werden, so nennt man das ja wohl in Ihren Kreisen. Keine Widerrede, ich bestehe darauf.« 23
Agatha Simpson lehnte sich in ihrem Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Zufrieden betrachtete sie die beiden Männer vor sich, die sich alles andere als wohl in ihrer Haut zu fühlen schienen. * »Wir werden aufbrechen, Mister Willis«, wandte sich der asketisch wirkende Mann an seinen rundlichen Begleiter und erhob sich. Er sah die Hausherrin an und lächelte dünn. »Wie Sie selbst sagten, Mylady, wir werden wegen Ihres Wunsches unseren äh… Vorgesetzten konsultieren müssen«, bemerkte er und streckte ihr die Hand zum Abschied entgegen. »Ich erwarte dann also demnächst Ihre Antwort«, freute sich die ältere Dame und nickte nachdrücklich. »Mister Parker wird Ihnen meine Telefonnummer aufschreiben.« »Das ist nicht nötig, die werden wir im Telefonbuch suchen«, reagierte der Asket und sah Lady Agatha tief in die Augen. Der rundliche Mann wandte sich an den Butler und nickte anerkennend. »Wirklich sehr hübsch hier«, bemerkte er und sah sich interessiert um. »Wahrscheinlich schon sehr alt dieses Haus, nicht wahr?« »In der Tat, Sir«, bestätigte Parker höflich. Der Rundliche hatte sich näher geschoben und stand genau vor Lady Agatha und dem Asketen, so daß sein breiter Rücken die beiden fast vollständig für Parker verdeckte. Plötzlich meldete sich die innere Alarmanlage des Butlers. Da der Mann mit hängenden Armen vor ihm stand und ihn nur schweigend anlächelte, mußte seine Herrin sich in Gefahr befinden. Parker trat einen Schritt zur Seite, um Mylady wieder ins Blickfeld zu bekommen. Sofort reagierte der rundliche Mann und versperrte erneut die Sicht. Er breitete die Arme aus und 24
sah den Butler an. »Es muß herrlich sein, in einem solchen Haus zu leben«, deklamierte er und seufzte. Der Butler nickte knapp, tat so, als würde er einen Schritt nach links treten, und wartete die Reaktion seines Gegenübers ab. Die erfolgte prompt. Der Untersetzte folgte Parkers vorgetäuschtem Schritt und bewegte sich gleichfalls nach links. Im gleichen Augenblick schob sich Parker rechts an ihm vorbei und sah seine Herrin und den Asketen. Der hagere, hochgewachsene Mann hatte den Kopf vorgestreckt und bohrte seines Blick in Myladys Augen. »Ich geben Ihnen den Brief sofort«, hörte der Butler die Hausherrin mit einer Stimme sagen, die er an ihr nicht kannte. Die ältere Dame schien wie in Trance zu sein und sprach monoton und tonlos. Josuah Parker nahm das Silbertablett zur Hand, das er auf einem Beistelltisch abgelegt hatte, und hob es entschlossen an. Einen Moment später ließ er es auf den Tisch zwischen seiner Herrin und dem asketischen Mann fallen. Das Tablett landete scheppernd auf der Tischplatte. Lady Agatha erschrak, riß die Augen auf und schüttelte benommen den Kopf. Der Asket fluchte unterdrückt und drehte sich gereizt zu Parker um. »Verdammt, können Sie nicht aufpassen?« fragte er, während er die Hände sinken ließ, die er in Schulterhöhe gehalten hatte. »Man bittet um Verzeihung, Sir«, entschuldigte Parker sich. »Die Ungeschicklichkeit eines alten, müden und relativ verbrauchten Mannes, wie man hinzufügen möchte.« »Ich muß mich entschuldigen, ich hätte Sie nicht so anfahren dürfen«, gab der Asket zurück und lächelte verkrampft. Die ältere Dame fuhr sich mit der Hand über die Augen und schüttelte erneut den Kopf. »Ich fühle mich so seltsam, Mister Parker, als hätte man mich betäubt«, stellte sie fest und sah ihn 25
verwundert an. »Stellen Sie sich vor, einen Moment lang wußte ich nicht, wer ich bin.« »Das liegt sicher am Wetter«, vermutete der Rundliche. »Es ist schwül draußen. Mancher hat Probleme mit dem Kreislauf und gerät in Schwierigkeiten.« »Mylady wollten Mister Stilwell den erwähnten Brief aushändigen«, erinnerte Parker seine Herrin höflich, um ihr Verhalten zu prüfen. »Davon kann keine Rede sein. Wie kommen Sie darauf, Mister Parker?« wunderte Sie sich. »Ich will diesem Verein beitreten, also brauchen sie auch die Einladung nicht zurück.« »Genauso ist es, Mylady«, bestätigte der Hagere und nickte höflich. »Dennoch sollten Mylady dieses Schreiben überreichen«, beharrte Parker. »Was möglicherweise mit einem kleinen Trick zusammenhängt, den Mister Stilwell anzuwenden beliebte und der Myladys Benommenheit verursachte.« »Sie scherzen«, murmelte Stilwell und lächelte gequält. »Wovon reden Sie eigentlich, Mister Parker? Ich verstehe kein Wort.« Die Hausherrin war noch leicht verwirrt und wußte nicht, was sie von der Situation zu halten hatte. »Mister Stilwell versuchte Mylady – wie es in der Sprache der Experten heißt – zu hypnotisieren«, klärte der Butler seine Herrin auf. »Mylady sollte unter dem Einfluß der erwähnten Hypnose das besagte Schreiben zurückgeben, auf das die Herren so großen Wert zu legen scheinen.« »Wie bitte?« Lady Agatha sah Parker aus großen Augen an. »Das kann doch wohl nicht wahr sein, oder?« »Bedauerlicherweise doch, Mylady«, blieb Parker standhaft. Der asketische Mann schob die Hand unter sein Jackett und hielt plötzlich eine Sprühdose in der Hand. Auch sein Kollege war aktiv geworden und hatte sich mit einer flachen Pistole aus26
gerüstet, die er auf die Detektivin und den Butler richtete. »Tut mir wirklich leid, Mylady, aber Ihr Butler hat das völlig richtig gesehen«, stellte der Hagere mit eisiger Stimme fest. »Wenn er nicht das verdammte Tablett hätte fallen lassen, so daß Sie bei dem Lärm erwachten, wären wir schon längst mit dem Brief verschwunden.« »Sie geben es also zu?« grollte Agatha Simpson und sah ihn empört an. »Selbstverständlich, warum nicht?« Der Mann mit der Sprühdose grinste, amüsiert und richtete den Behälter auf ihr Gesicht. »Jetzt ist genug geschwafelt, rücken Sie den Brief raus! Klar?« »Darf man davon ausgehen, daß diese Dose ein Betäubungsmittel enthält, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. »Nicht ganz, Parker«, freute sich der Asket. »Es handelt sich um eine Lösung, die schmerzhafte Verbrennungen der Haut und dauerhafte Narben verursacht. Wir benutzen dieses Mittel manchmal, um Neuzugänge von gewissen Notwendigkeiten zu überzeugen.« »Sie wollen mich also verunstalten?« vergewisserte sich die ältere Dame erregt. »Nur, wenn Sie nicht endlich die Einladung zurückgeben. Meine Geduld ist am Ende«, gab der Mann mit der Sprühdose zurück und hob den Behälter. Er richtete ihn auf den Tisch zwischen sich und der Hausherrin und drückte auf den Knopf der Verteilerdüse. Ein feiner Strahl traf das Holz des Tischrahmens und platzte dort auseinander. Von der getroffenen Stelle stieg ein dünner Rauchfaden hoch und verbreitete einen ätzenden Geruch. An der Aufschlagstelle wurde das Holz förmlich weggefressen, ein ausgefranster Krater wurde sichtbar. Ein Tropfen der Flüssigkeit hatte das silberne Tablett benetzt und die bis dahin makellos schimmernde Oberfläche mit einer 27
häßlichen, schwarzen Stelle versehen. Sie sah aus wie ein Brandfleck, der sich in das edle Metall geätzt hatte. * Der ›Sprüher‹ schien einen Augenblick abgelenkt, als sich die Türglocke meldete. Diese Unaufmerksamkeit nutzte der Butler, stellte unauffällig einen Fuß vor die Gehwerkzeuge des Asketen und legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn diskret nach vorn zu drücken. Der Mann mit der Sprühdose geriet aus dem Gleichgewicht und streckte einen Arm vor, um sich am Tisch zu stützen. Parker erwies sich als höflicher Mensch und bot seine Hilfe an. Er nahm dem verdutzten Mann die Sprühdose ab, damit er die Hände frei hatte, und ließ anschließend seine behandschuhte Rechte in die Halsbeuge des Mannes fallen, um ihn zu einem erholsamen Schlaf zu überreden. Der verhinderte Sprüher seufzte und beugte sich Parkers Argument. Er rutschte in sich zusammen und wurde behutsam auf den Tisch gebettet. Parker ergriff das Tablett, das sich förmlich zu einem Einsatz anbot. Er riß es hoch, drehte sich um und… ließ es wie einen Diskus auf den Rundlichen rasen, der dem seltsamen Geschoß entgeistert entgegensah. Einen Moment später lag die Pistole des Mannes auf dem Teppich. »Das wurde aber auch Zeit, Mister Parker«, mokierte sich die ältere Dame und hob die Sprühdose auf. »Ich dachte schon, ich müßte mal wieder alles allein machen.« »Meine Wenigkeit wartete nur auf den günstigsten Moment, Mylady«, gab der Butler gemessen zurück. »Schließlich wollte man vermeiden, daß Mylady mit dem Inhalt der Sprühdose in Berührung kommen.« 28
»Mir wäre schon nichts passiert«, winkte sie ab und musterte interessiert die erbeutete Dose. »Wer hat übrigens geklingelt? Sehen Sie bitte mal nach, Mister Parker.« »Mister Rander, Mylady, er kommt wegen der Unterschrift unter ein geschäftliches Dokument«, meldete Parker etwas später. »Mister Rander wartet im kleinen Salon, Mylady.« »Na schön, das wird ja nicht allzulange dauern«, seufzte sie und warf den beiden Besuchern einen eisigen Blick dazu. »Danach werde ich mich ausgiebig mit den Lümmeln unterhalten, Mister Parker, sie dürfen sich auf einiges gefaßt machen«, kündigte sie an und verließ die Halle. Parker nahm die Sprühdose, die seine Herrin auf dem Beistelltisch deponiert hatte, und stellte sie auf das Silbertablett, das er inzwischen wieder aufgehoben hatte. Dann schritt er gemessen zur Tür und verließ gleichfalls die Halle. Er hatte die Absicht, den Sprühbehälter in sein privates Labor zu bringen, wo er ihn später einer eingehenden Prüfung unterziehen wollte. Der Asket war erwacht und richtete sich stöhnend auf. Der Rundliche stand neben ihm und griff ihm hilfreich unter die Achseln, um ihn hochzuziehen. Hatte der Butler sie etwa vergessen? Die beiden Männer sahen sich sichernd um und lauschten auf die Geräusche im Haus. Dann nickten sie sich zu und huschten zur Tür. Einen Augenblick später fiel die schwere Haustür krachend hinter ihnen ins Schloß. Josuah Parker stand in der Küche vor einem kleinen Monitor und beobachtete aufmerksam den »Auszug« der Besucher. Er sah, wie sie über den Vorplatz des altehrwürdigen Fachwerkhauses huschten und in einer Seitenstraße untertauchten. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er übrigens auch einen älteren Herrn, der seinen Hund spazierenführte und hinter den beiden Männern in der Straße verschwand. 29
»Da bin ich wieder«, verkündete Lady Agatha, als sie in die Halle zurückkam. Zufrieden registrierte sie den Cognacschwenker und das Kaffeegeschirr auf dem Tisch. Sie nahm einen herzhaften Schluck, setzte den Schwenker ab und rieb sich unternehmungslustig die Hände. »Für die beiden Strolche werde ich mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen, Mister Parker«, kündigte sie an. »Ich mag es nicht, wenn man versucht, mich zu hypnotisieren, auch wenn es nie und nimmer gelungen wäre. Wo haben Siel die Lümmel hingeschafft?« »Es gab leider eine bedauerliche Panne, Mylady«, unterrichtete der Butler sie gemessen. »Während sich meine bescheidene Wenigkeit in der Küche aufhielt und die Gäste in dieser Zeit unbeaufsichtigt waren, haben sie die Initiative ergriffen und sich empfohlen.« »Aber, Mister Parker, wie konnten Sie die Lümmel denn allein lassen? Warum haben Sie sie nicht gefesselt?« »Ein Versäumnis, das man zutiefst bedauert«, reagierte der Butler zerknirscht. »Ich verstehe das nicht.« Die Hausherrin schüttelte den Kopf. »Kaum läßt man Sie mal allein, schon passiert etwas. Wann werden Sie endlich dazulernen, Mister Parker?« »Man glaubte allerdings, einen entsprechenden Hinweis Myladys erhalten zu haben«, fuhr Parker gemessen fort. »Was wollen Sie damit sagen?« Agatha Simpson sah Parker verständnislos an. »Mylady erkannten natürlich, daß eine Befragung der beiden Herren wahrscheinlich keine nennenswerten Ergebnisse erbracht hätte«, gab Parker zu bedenken. »Das ist natürlich richtig«, räumte sie ein und nickte mit dem Kopf. »Fahren Sie fort, Mister Parker, ich will sehen, ob Sie meinen Plan in allen Einzelheiten verstehen.« »Mylady setzten entschieden mehr Hoffnung auf eine Verfol30
gung der Herren, denen man durch eine gewisse Unaufmerksamkeit die Möglichkeit zur Flucht einräumte«, erläuterte der Butler weiter das Konzept Myladys, das sie bis zu diesem Augenblick selbst noch nicht in Umrissen kannte. »Ausgezeichnet, Mister Parker«, lobte sie und nickte huldvoll. »Und wer verfolgt die Strolche?« »Mister Pickett und zwei seiner überaus tüchtigen Neffen sind so frei«, informierte Parker sie. »Meine bescheidene Wenigkeit ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, Mister Pickett bereits beim Eintreffen der Herren entsprechend zu instruieren.« »Stimmt, Mister Parker, gleich als ich die Galgenvögel sah, wußte ich Bescheid und legte meinen Plan fest. Ich hoffe, Mister Pickett wird in Kürze melden, wohin die beiden Lümmel geflohen sind.« »Mister Pickett wird Mylady umgehend Bericht erstatten, sobald erste Ergebnisse vorliegen«, bestätigte der Butler und schenkte seiner Herrin Cognac nach. Er war mit dem Verlauf der Dinge durchaus zufrieden. Die seltsamen Besucher hatten mit Sicherheit nicht gemerkt, daß ihre »Flucht« alles andere als zufällig war und würden Pickett und seine sogenannten Neffen zu einer Adresse führen, die weitere Anhaltspunkte bot. Parker beschloß, sich noch eingehender mit der Materie zu beschäftigen und in seinem Privatlabor intensive Abwehrmaßnahmen auszutüfteln, die geeignet waren, auch »satanischen Kräften« standzuhalten. * »Sehr passend, Mister Parker«, fand die Detektivin, als man sich
zwei Stunden später in der Nähe eines alten, halbverfallenen
und ungepflegten Friedhofes befand. Die Gräber waren zum Teil
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eingestürzt, und die wenigen noch vorhandenen Grabsteine standen schief oder waren bereits umgestürzt. Unkraut und Büsche wucherten wild und verwandelten den Gottesacker in eine kaum passierbare Dschungellandschaft. Hinter dem Friedhof verliefen die Geleise einer Kleinbahn. Flache, graue Häuser erhoben sich entlang des Bahndammes und präsentierten das Bild eines tristen Stadtteiles der wohl bald Sanierungsgebiet würde. Unweit des kleinen Bahnhofes erwartete Horace Pickett die Detektivin und ihren Butler. Er hatte sich in die dunkle Nische eines kleinen Cafes zurückgezogen und erhob sich höflich, als seine Gäste an seinen Tisch geführt wurden. Der junge Mann, der Lady Agatha und Josuah Parker am Friedhof erwartet und dann zum Cafe gebracht hatte, war einer von Picketts sogenannten Neffen, die zusammen mit dem ehemaligen Eigentumsumverteiler Myladys vormittägliche Besucher verfolgt hatten. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht selbst bereits erwartet habe«, bemerkte Pickett, nachdem er Agatha Simpson und den Butler begrüßt hatte. »Aber ich wollte die Zeit nutzen und hier meine Informationen komplettieren. Solche Lokale sind manchmal wahre Fundgruben für Neuigkeiten.« »Der Friedhof da draußen entspricht genau meinen Erwartungen, Mister Pickett«, freute sich die ältere Dame. »Ist das der Ort, an dem die Lümmel verschwunden sind?« »Mehr oder weniger, Mylady.« Pickett lächelte freundlich. »Sie betraten ein kleines Haus, in dem früher mal der für diesen Bezirk zuständige Reverend wohnte. Allerdings steht es schon lange leer, wie mir gesagt wurde. Die Siedlung wurde einer benachbarten Kirchengemeinde zugeordnet, so daß kein Bedarf mehr für einen eigenen Pfarrer bestand.« »Und trotzdem verschwanden die Lümmel im ehemaligen 32
Pfarrhaus?« wunderte sich Lady Agatha und sah sich suchend um. Parker verstand die Unruhe seiner Herrin und steuerte bereits den Tresen an, hinter dem ein hemdsärmeliger, glatzköpfiger Mann lustlos in einer Zeitung blätterte. Wenige Augenblicke später kam er mit einem Tablett zurück und servierte Kaffee und Kuchen. »Der sieht aber nicht gerade sehr frisch aus«, monierte sie und musterte die angebotenen Backwaren kritisch. »Dies war auch der Eindruck meiner bescheidenen Person, Mylady«, gestand Parker. »Leider war nichts anderes erhältlich. Immerhin hat man den Kuchen zum günstigen Preis erwerben können.« Lady Agatha vergaß ihre Abneigung gegen den Kuchen und schob sich beherzt ein Stück in den Mund. »Was weiß man zu berichten, Mister Pickett?« erkundigte sich Parker. »Hier sind durchweg ältere, einfache Menschen ansässig«, berichtete der ehemalige Eigentumsumverteiler. »Manche von ihnen sind ihr Leben lang nicht aus der Gegend gekommen. Der ehemalige Friedhof mitsamt der aufgegebenen Pfarrei wird mit einem gewissen Mißtrauen betrachtet.« »Was konkret heißen dürfte?« fragte Parker nach. »Man fürchtet ein wenig die Gegend und sucht sie zu meiden. Man ist abergläubig, um genau zu sein.« »Ein Umstand, der entscheidend dazu beigetragen haben dürfte, daß sich die Anhänger dieses Satanskults hier ein Quartier oder einen Treffpunkt geschaffen haben«, vermutete Parker. »So sehe ich das auch, Mister Parker«, pflichtete Horace Pickett ihm bei. »Ich habe mich bei einigen Leuten als Meinungsforscher ausgegeben. Man teilte mir bei der Gelegenheit hinter vorgehaltener Hand mit, daß man des öfteren nachts auf dem Friedhof 33
seltsame Gestalten beobachtet habe. Die Leute behaupten steif und fest, daß es dort spukt.« Die ältere Dame legte eine kleine Pause beim Verzehr ihres Backwerks ein und lachte amüsiert. »Da kann man wieder mal sehen, wie leicht die Leute zu manipulieren sind. Die Strolche nutzen den Aberglauben bedauernswerter Menschen aus, um schmutzigen Geschäften nachzugehen.« »Die welcher Art sind, Mylady?« wollte Horace Pickett wissen. »Ist Ihnen Näheres bekannt?« »Ich bitte Sie, Mister Pickett, das weiß jedes Kind, was Sektierer treiben.« Lady Agatha lachte spöttisch. »Orgien, Ausschweifungen, was denn sonst?« »Das wäre natürlich möglich«, nickte der ehemalige Eigentumsumverteiler und sah sie nachdenklich an. »Haben Sie nicht auch eine Einladung bekommen, dieser Sekte beizutreten, Mylady?« »Allerdings, Mister Pickett.« Die Detektivin nickte. »Jetzt erschienen ja die beiden Lümmel, um den Brief zurückzuholen. Anscheinend traut man mir keine Orgie zu.« »Eine schockierende Vorstellung, Mylady auch nur andeutungsweise mit einer solchen Veranstaltung in Verbindung zu bringen«, fand der Butler. »Sehr richtig, Mister Parker, das geht wirklich zu weit«, pflichtete sie ihm umgehend bei. »Wo kämen wir hin, wenn jeder eine einmal ausgesprochene Einladung wieder zurücknimmt? Aber ich werde mich nicht abweisen lassen und an einer Orgie teilnehmen, ob es diesen Teufelsanbetern nun gefällt oder nicht.« »Mylady könnten möglicherweise mit Dingen konfrontiert werden, die unsittlich und anstößig sind«, warnte Josuah Parker gemessen. »Das will ich doch sehr hoffen, Mister Parker.« Lady Agathas Wangen hatten eine leichte Rötung angenommen. Ihre Augen blitzten förmlich bei dem Gedanken daran. »Schließlich will ich 34
mich entrüsten können, ich hoffe die Lümmel geben sich Mühe und enttäuschen mich nicht.« »Myladys Opferbereitschaft kann nicht genug gerühmt werden«, lobte Parker ungeniert. »Falls Mylady es sich doch noch anders überlegen, wäre meine bescheidene Wenigkeit bereit, eine derartige Veranstaltung aufzusuchen und anschließend Bericht zu erstatten. Auf diese Weise würden Myladys Sinne nicht von mit Sicherheit sehr derben und vulgären Eindrücken beleidigt.« »Das kann ich auf keinen Fall zulassen, Mister Parker«, lehnte sie umgehend ab und hob mahnend einen Zeigefinger. »Es bedarf innerer Festigkeit und Abgeklärtheit, um solche Dinge unbeschadet zu beobachten. Da bin ich mir nicht sicher, ob ich Ihnen dies zumuten kann. Ich möchte nicht, daß Sie seelischen Schaden nehmen, Mister Parker.« »Mylady beschämen meine bescheidene Wenigkeit«, erwiderte der Butler und verneigte sich höflich. * Bei dem ehemaligen Pfarrhaus handelte es sich um ein zweistöckiges, um die Jahrhundertwende errichtetes Gebäude. Die ehemals weißgekalkte Fassade hatte im Laufe der Zeit einen schmutziggrauen Ton angenommen. Wilder Efeu rankte vom Boden bis unter das Dach und verlieh dem Haus einen wildromantischen Anstrich. Einige Fensterscheiben waren zerbrochen, und Glasreste bedeckten den unkrautüberwucherten Vorplatz. Lady Agatha war entzückt. »Das sieht schön gruselig aus«, fand sie und musterte das Haus. Dann setzte sie sich mit der Entschlossenheit einer außer Kontrolle geratenen Dampfwalze in Bewegung und legte die Hand auf die Türklinke. »Mylady könnten bereits erwartet werden«, warnte Parker, der 35
seiner Herrin folgte. »Vielleicht sollte meine bescheidene Wenigkeit vorgehen, um das Terrain zu sondieren.« »Papperlapapp, Mister Parker, glauben Sie denn, ich hätte Angst?« Lady Agatha lachte und drückte die Tür energisch auf. Einen Moment später stand sie in einer dichten Staubwolke, die sie von Kopf bis Fuß einhüllte. Der Staubwolke war ein heftiger Knall vorausgegangen, der Josuah Parker zunächst eine Sprengladung befürchten ließ. Dann aber drang aus dem Staubschleier Myladys Stimme in Form von Hüsteln, und er atmete erleichtert auf. »Da sehen Sie mal, wie ich in Form bin, Mister Parker«, stellte die Detektivin fest und wedelte mit der Hand die letzten Staubpartikel zur Seite. Agatha Simpson deutete dann mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Haustür, die nun zu ihren Füßen lag und ein wenig aus der Form geraten war. Sie machte keinen stabilen Eindruck mehr und bestand nur noch aus mehr oder weniger losen Brettern. Als Mylady die Klinke gedrückt und gleichzeitig nach innen geschoben hatte, hatte sich die bis dahin recht solide wirkende Tür schlicht aus den Angeln gelöst und war in den dahinterliegenden Raum gefallen. Dabei war jener explosionsartige Knall entstanden, den man mit Sicherheit im weiten Umkreis gehört hatte. »Mylady sind bewundernswert«, fand der Butler und musterte die Scharniere am Türrahmen. Es war offensichtlich, daß die Tür nur locker eingehängt war und zwangsläufig in den Raum fallen mußte, sobald jemand die Klinke oberflächlich berührte. »Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel«, fuhr die ältere Dame munter fort und betrat den kleinen Vorflur. »Man wird sich bemühen, Myladys Beispiel nachzueifern«, versprach Josuah Parker. »Allerdings sollten Mylady freundli36
cherweise berücksichtigen, einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann vor sich zu haben.« »Nun ja, Mister Parker, ich kann natürlich nicht von Ihnen verlangen, immer fit zu sein«, winkte sie großzügig ab. »Aber wenn Sie sich Mühe geben, können Sie mehr aus sich herausholen.« Josuah Parker verzichtete auf eine Antwort. Seine suchenden Augen hatten einen Gegenstand entdeckt, der seiner Meinung nach nicht in ein ehemaliges und schon lange vergessenes Pfarrhaus paßte. An der Decke hing eine altertümlich wirkende Lampe, die aus mehreren Armen bestand, auf denen verstaubte Glaskuppeln saßen. Der Stab, von dem die vier Arme abgingen, endete in einer facettenreichen Glaskugel, die dem Butler verdächtig erschien. Er ging langsam unter der Lampe hindurch und lüftete seine schwarze Melone, um sich flüchtig über das Haar zu streichen. Anschließend setzte er die Kopfbedeckung wieder auf und blieb abwartend hinter seiner Herrin stehen. Der Augenblick ohne Kopfbedeckung hatte ihm genügt. Das Innere der Melone enthielt nämlich einen Spiegel, der es ihm erlaubte, die Facettenkugel der Lampe unauffällig zu mustern. Die Position der Glaskugel hatte sich verändert, wie Parker sofort festgestellt hatte. Sie hatte sich verschoben und saß nicht mehr gerade auf dem verchromten Stab. Sie hatte sich gedreht und wies eindeutig in Richtung der beiden Neuankömmlinge. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Kamera, die Eindringlinge beobachten sollte. Wohin übertrug sie ihre Bilder? Der Butler beschloß, äußerste Vorsicht walten zu lassen und ein waches Auge auf seine Herrin zu haben, obwohl das ohnehin zu seinen Grundtugenden gehörte. Er hatte allerdings das Gefühl, hier besonders trickreichen Gegnern gegenüberzustehen, die sich einiges hatten einfallen lassen, um gewisse Neugie37
rige abzuschrecken. »Die Lümmel sind durch die Tür da verschwunden«, meldete sich die Detektivin zu Wort und wies auf die deutlich sichtbaren Fußabdrücke im dichten Staub auf dem Boden. Lady Agatha wartete Parkers Antwort nicht ab und stieß die besagte Tür auf. Seiner Herrin zu folgen, obwohl er selbst die unübersehbaren Abdrücke auf dem Boden als sehr auffällig und entschieden zu einladend empfand, war für Parker unabdingbares Gebot. Die Detektivin setzte gerade einen Fuß über die Schwelle, als der Butler reagierte. Seine innere Alarmanlage signalisierte unmittelbar bevorstehende Gefahr. Er griff nach dem Arm seiner Herrin und riß Mylady entschlossen zurück. Die ältere Dame schrie überrascht auf und verlor den Halt unter den Füßen. Parker hatte inzwischen einen Arm andeutungsweise um ihre füllige Taille geschlungen und bewahrte Agatha Simpson vor einem Fall. Er zog seine Herrin in den Vorflur zurück und half ihr auf die Füße. »Was hat das zu bedeuten, Mister Parker?« protestierte sie und funkelte mit den Augen. »Ich muß mich sehr über Ihr Benehmen wundern. Ich hoffe, Sie haben mir eine Erklärung anzubieten, sonst müßte ich sehr ungehalten werden.« »Man bittet Mylady für das Vorgehen um Verzeihung«, entschuldigte sich Parker. »Aber es lag meiner bescheidenen Wenigkeit daran, Mylady vor einem möglicherweise folgenschweren Sturz zu bewahren.« »Papperlapapp. Warum sollte ich denn stürzen?« erkundigte sie sich mißtrauisch und sah ihren Butler zweifelnd an. »Man hat eine heimtückische Falle installiert, Mylady«, informierte Parker sie und führte sie zu der offenstehenden Tür. »Das war mir schon klar«, behauptete sie und blickte in den Raum hinter der Tür. »Ich wollte nur testen, ob Sie es auch 38
bemerkt haben, Mister Parker. Wo ist die Falle nun, wissen Sie das auch?« Sie spähte durch die offene Tür und suchte vergeblich nach der erwähnten Falle. »Wenn Mylady freundlicherweise gestatten?« Parker hatte einen kleinen, aber ungemein massiven und entsprechend schweren Beistelltisch ergriffen, der an einer Wand des Vorflures stand, und schleppte ihn zu der offenen Tür. Er hob den Tisch an, hielt ihn über die Dielenbretter direkt hinter dem Eingang und ließ ihn fallen. Der Tisch krachte auf die Bodenbretter und verursachte beachtlichen Lärm. Es splitterte, Staub wallte auf und verdichtete sich zu einer massiven Wand. Als sich die Wolke gelegt hatte, gähnte direkt hinter der Tür ein riesiges, ausgefranstes Loch im Boden. Lady Agatha trat vor und sah beeindruckt in den dunklen Abgrund. Sie räusperte sich mehrmals und trat vorsichtig zurück. »Wie dem auch sei, Mister Parker«, Agatha Simpson richtete sich entschlossen auf. »Eine Lady Simpson legt man nicht so leicht herein, wie Sie sehen. Allerdings ist diese Falle eine ausgemachte Unverschämtheit, für die die Urheber büßen müssen. Außerdem haben sie meinen Kreislauf durcheinander gebracht.« Parker verstand den Hinweis. Er bediente sich einer lederumhüllten Taschenflasche, in dessen als Verschlußkappe dienendem silbernen Becher er einen ausgezeichneten französischen Cognac servierte. Mylady stärkte sich, als ein markerschütternder Schrei durchs Haus gellte. Sie ließ den silbernen Becher fallen und sah stirnrunzelnd auf ihren Butler. »Ihre Nerven sind nicht die allerbesten, Mister Parker«, stellte sie fest und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Parker, der sich während des Schreis im Prinzip nicht gerührt, 39
sondern nur unauffällig nach der Quelle geforscht hatte, wunderte sich keineswegs über die Bemerkung. »Wie meinen Mylady?« erkundigte er sich höflich, ohne daß sich ein Muskel in seinem glatten Gesicht rührte. »Sie haben sich ja fast zu Tode erschrocken«, amüsierte sich die Detektivin. »Dabei haben Sie mich angestoßen, und der Becher ist heruntergefallen, aber ich trage Ihnen das nicht nach.« »Mylady sind zu gütig«, sagte Parker und deutete eine Verbeugung an. »Sicher haben Mylady auch die Ursache des Schreis ermittelt.« »Dies dürfte ja außer Frage stehen, Mister Parker.« Die ältere Dame stemmte die Arme in die Hüften und sah ihren Butler empört an. »In diesem Haus wird jemand gefoltert, und ich werde den armen Teufel aus den Klauen seiner Peiniger befreien. Ich hoffe, ich habe schon einen Plan, Mister Parker.« »Mylady lassen sich natürlich auf gar keinen Fall täuschen«, schickte, der Butler voraus. »So ist es, Mister Parker«, nickte sie und bemühte sich, nachdenklich dreinzuschauen. »Sie wissen, worauf ich hinauswill, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady.« Parker nickte höflich. »Mylady wußten sofort, daß dieser Schrei künstlicher Natur war und von einem Tonband oder einer anderen technischen Hilfsquelle stammt«, erläuterte Parker gemessen. »Ach, wirklich?« wunderte sie sich und sah ihn überrascht an. »Dabei klang der Schrei so echt, daß er jedem einen kalten Schauer über den Rücken jagen konnte«, stellte sie fest, um sich gleich darauf zu korrigieren. »Was natürlich nicht für mich gilt, Mister Parker. Wie Sie schon richtig gesagt haben, habe ich sofort gewußt, daß das nur ein billiger Trick ist.« »Mylady täuschen zu wollen, ist ein vergebliches Unterfangen«, wußte Parker als passende Antwort. 40
»Genau.« Sie nickte energisch und wollte noch etwas hinzufügen, wurde aber durch ein neues Geräusch unterbrochen. Tiefes Stöhnen drang durch das verlassene Haus und endete schließlich in einem erstickten Röcheln. Anschließend folgte heftiges Schluchzen, das in einen langgezogenen Klagelaut mündete, ehe es verstummte. Lady Agatha räusperte sich energisch. Dann sah sie den Butler an und nickte mit ihrem blassen Gesicht, was allerdings auch eine Folge der diffusen Lichtverhältnisse sein konnte. »Wie ich schon sagte, Mister Parker, mit billigen Psycho-Tricks bin ich nicht zu beeindrucken«, verkündete sie. Sie schien sich eine leichte Erkältung zugezogen zu haben, denn ihre Stimme klang ungewöhnlich rauh und heiser, wie der Butler fand. »Bestehen Mylady darauf, vorzugehen?« erkundigte er sich höflich. Lady Agatha gab sich den Anschein angestrengten Nachdenkens, dann entschied sie sich. »Ich will nicht so sein«, meinte sie schließlich und nickte Parker vertrauensvoll zu. »Ich weiß doch, wie sehr Sie darauf brennen, die Vorhut machen zu dürfen, Mister Parker.« »Mylady werden nicht enttäuscht sein«, versprach Parker und schritt an seiner Herrin vorbei, die bereitwillig Platz machte und dabei unbewußt aufatmete, aber dies übersah der Butler diskret. * »Mylady gehen sicher davon aus, wieder in eine Falle gelockt zu werden«, warnte der Butler, dem nicht entging, wie unternehmungslustig sich Agatha Simpson gebärdete. »Natürlich, Mister Parker, wie sonst sollte ich aus der Sicht dieser Strolche zu stoppen sein?« Lady Agatha lachte verschmitzt und drückte entschlossen die Klinke nieder. »Ich rechne mit 41
einer Bombe«, verkündete sie, während sie heftig an dem Griff rüttelte. »Aber auch das wird mich nicht aufhalten.« Sie runzelte nachdenklich die Stirn und verstärkte ihre Bemühungen, aber die Tür dachte nicht daran, nachzugeben. »Nun gut, Mister Parker, für die Kleinigkeiten sind ja ohnehin Sie zuständig«, resignierte sie schließlich und trat zurück. »Ich bin gespannt, ob es Ihnen gelingt, die Tür zu öffnen.« »Man bedankt sich für Myladys Vertrauen«, gab Parker würdevoll zurück und zog ein Instrument aus der Tasche, das entfernt jenem Werkzeug ähnelte, mit denen Pfeifenraucher ihre Tabakkocher zu reinigen pflegen. Das Schloß zeigte sich außerordentlich angetan von den Bemühungen des Butlers. Schon nach einer Minute ließ es sich überreden und gab freudig auf. »Nicht schlecht, Mister Parker, aber es war ja auch ein relativ einfaches Schloß«, kommentierte Mylady und nickte huldvoll. Der Butler verzichtete darauf, diese Ansicht zu korrigieren. Das Schloß war nämlich ein hochmodernes, ausgesprochen kompliziertes Gebilde und hatte eigentlich nichts in einer simplen Kellertür zu suchen. Parker schob vorsichtig die Kellertür auf und bediente sich anschließend eines uralten Tricks. Er hatte in einer Ecke der ehemaligen Küche einen Besen entdeckt und benutzte diesen, um den Stiel mit der daran hängenden Melone durch die Türöffnung zu schieben. Parker schwenkte den Stiel samt Kopfbedeckung mehrmals hin und her, ohne allerdings eine Reaktion damit herauszufordern. »Wenn sich Mylady freundlicherweise noch einen Augenblick gedulden würden?« bat er. Parker hatte seine Melone wieder aufgesetzt. Den Besen hielt er allerdings nach wie vor in der Hand um ihn ein zweites Mal als Gefahrendetektor einzusetzen. »Was ist denn nun noch, Mister Parker?« grollte die Detektivin. 42
»Wenn Mylady einem müden, alten und relativ verbrauchten Mann einige – wie der Volksmund sagt – Marotten verzeihen könnten?« Der Butler stieß den Besenstiel energisch auf die erste Stufe der Treppe. »Was hat das zu bedeuten?« amüsierte sich die ältere Dame und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Mister Parker, Sie leiden an Verfolgungswahn. Aber gut, wenn Ihnen danach besser ist.« Der Butler verzichtete auf eine Antwort. Er stand auf der ersten Stufe und klopfte systematisch eine nach der anderen ab. In der Mitte der Treppe wurde er schließlich fündig. Der Besenstiel krachte auf die fünfte Stufe von oben und löste diese in ihre Bestandteile auf. Es krachte und splitterte, der Besenstiel bohrte sich scheinbar mühelos durch das Holz. Staub und Späne bildeten einen undurchdringlichen Vorhang, der den unteren Teil der Treppe jeglichen Blicken entzog. Als wieder Klarsicht herrschte, erkannte Parker im Schein seiner Kugelschreiberlampe, daß in der Mitte der Treppe ein großes Loch klaffte, durch das mit Sicherheit ein Mensch hindurchfallen könnte. Unter dem Loch schimmerte etwas im Schein des gebündelten Lichtstrahls, und Parker stieg vorsichtig zwei Stufen tiefer, um sich zu orientieren. Unter dem gezackten Loch lag ein Brett, das man mit Nägeln gespickt hatte, deren Spitzen nach oben zeigten und jeden, der durch die angesägte Stufe gebrochen wäre, übel verletzt hätten. Parker beugte sich vor und angelte mit seinem UniversalRegenschirm nach dem tückischen Brett. »Gut, daß ich einen Riecher habe«, stellte die Detektivin fest, während sie das Brett in den Händen drehte. »Wofür man Mylady verbindlichsten Dank sagen möchte«, versicherte Parker, ohne eine Miene zu verziehen. »Die Hinterlist dieser Lümmel beginnt mich zu ärgern, Mister 43
Parker«, fuhr sie fort. »Was sind das nur für Sitten, hier Nagelbretter für eventuelle Verfolger auszulegen! Ich bin doch kein Fakir!« »Mylady ziehen aus der Wahl solcher Mittel sicher ihre Schlüsse«, vermutete Parker gemessen. »Und ob, Mister Parker, das ist wirklich sehr aufschlußreich«, stimmte sie ihm sofort zu und gab sich den Anschein tiefen Nachdenkens. »Und was schließe ich daraus?« erkundigte sie sich etwas später ungeduldig, als sie merkte, daß der Butler nicht daran dachte, näher darauf einzugehen. »Mylady gehen davon aus, es mit kriminellen Neulingen zu tun zu haben«, gab Parker zurück. »Sonst hätte man bestimmt auf konventionelle Mittel zurückgegriffen, um sich eventuelle Verfolger vom Leib zu halten.« »Richtig, Mister Parker, genau darauf wollte ich hinaus«, nickte sie und war sich sicher, daß sie das auch gedacht und gemeint hatte. »Allerdings sind solche Amateure gerade deshalb gefährlich, Sie sollten sie auf keinen Fall unterschätzen«, fuhr sie fort und hob mahnend den Zeigefinger. »Man dankt Mylady für diesen ungemein wertvollen Hinweis«, zeigte sich Parker für die Warnung erkenntlich und stieg vorsichtig hinab. Die ältere Dame folgte ihm auf dem Fuß und brachte die Treppe in Schwierigkeiten. Die altersschwachen Stufen ächzten unter der Belastung und erwogen, sich dem Beispiel der fünften Stufe anzuschließen und gleichfalls einzubrechen. Parker hatte die Treppe hinter sich gebracht und drehte sich um, um seiner Herrin zu helfen. Im Schein seiner Lampe war ein schmaler, feuchtschimmernder Gang zu erkennen, der sich hinter einer Biegung verlor. Die Luft war modrig und feucht und schien sich wie ein nasses Tuch um die Schleimhäute zu legen. 44
»Gibt es hier denn kein Licht?« monierte die Detektivin und hielt sich an Parkers Ärmel fest. »Ich bin ja nicht anspruchsvoll, Mister Parker, aber gewisse Mindestanforderungen sollte man schon stellen dürfen.« »Bedauerlicherweise ist nirgendwo eine Lichtquelle zu entdecken«, mußte Parker seine Herrin enttäuschen. »Möglicherweise gelangt man jedoch hinter dem Gang in Räume, die mit Licht ausgestattet sind.« Lady Agatha wollte ihre Unbekümmertheit und Forschheit einsetzen und den Butler energisch vorwärtsdrücken. Da stieß sie einen unterdrückten Schrei aus. »Mylady haben Probleme?« erkundigte sich Parker, während er sich umdrehte und die Umgebung seiner Herrin ausleuchtete. »Ich bin eben hinterrücks angegriffen worden«, behauptete sie und sah sich nervös um. »Etwas flog haarscharf an meinem Kopf vorbei und streifte mich noch. Außerdem habe ich zwei glühende Augen gesehen.« »Möglicherweise nahm eine aufgeschreckte Fledermaus mit Mylady Kontakt auf«, vermutete Parker, während er den schmalen Gang mit der Kugelschreiberlampe absuchte und dabei besonders auf die Decke achtete. Lady Agatha atmete erleichtert auf. »Fledermäuse sind ja harmlos, nicht wahr? Sie sollen sogar recht nützlich sein.« »In der Tat, Mylady«, bestätigte Parker gemessen. »Bedauerlicherweise werden diese erstaunlichen Tiere immer mehr verdrängt und müssen um die Erhaltung ihrer Art fürchten.« »Neulich sah ich mir einen Dracula Film an, in dem auch Fledermäuse vorkamen«, erinnerte sich die Detektivin und lachte amüsiert. »Stellen Sie sich vor, die waren so groß wie ein Adler und griffen Menschen an. Im Film verbissen sie sich im Hals ihrer Opfer und tranken deren Blut.« »Ein ebenso geschmackloser wie absolut unzutreffender Einfall 45
der Filmindustrie«, urteilte der Butler. »Solche Wesen existieren nur in der Phantasie der sogenannten Kunstschaffenden.« »So ist es, Mister Parker, in Wirklichkeit gibt es so etwas gar nicht.« Lady Agatha schloß dieses Thema ab und wollte weitergehen, als plötzlich ihr Hutgebilde vom Kopf gefegt wurde. Gleichzeitig spürte sie wie etwas Scharfes ihren Hals streifte. Ein rauhes Krächzen war zu hören, und die Luft schien von heftigen Flügelschlägen bewegt zu werden. »Sie sind absolut sicher, was diese Tiere betrifft, Mister Parker?« erkundigte sich die ältere Dame und blieb stehen. »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, bestätigte der Butler und ließ blitzschnell seinen Schirm hochsteigen. Der Bambusgriff legte sich um einen dunklen Schatten, der sich von der Decke gelöst hatte und im Begriff war, auf sie herabzustoßen. Parker zog den Schirm an und hielt einen Augenblick später eine riesige Fledermaus in Händen. Lady Agatha wich einen Schritt zurück und räusperte sich. »Haben Sie dieses Tier unter Kontrolle, Mister Parker?« erkundigte sie sich besorgt. »Ich möchte nicht, daß Ihnen etwas zustößt, ich müßte mir sonst Vorwürfe machen.« »Dazu besteht kein Anlaß, Mylady«, wehrte Parker ab und untersuchte die angriffslustige Fledermaus. »Wie Mylady schon angedeutet haben, handelt es sich auch hierbei um eine Illusion.« »Ein Trick also, um ängstliche Naturen zu beeindrucken. Da sind die Lümmel aber bei mir an der falschen Adresse.« Parker legte die Fledermaus, die im wesentlichen aus Pappe, Stoff, Glasaugen und künstlichen Krallen aus Blumendraht bestand, beiseite und versorgte die winzige Wunde seiner Herrin mit einem Pflaster, das er aus den unergründlichen Taschen seines Covercoats zog. Anschließend hob er Myladys Kopfbedeckung auf, säuberte sie und gab sie seiner Herrin zurück. »Mylady sollten allerdings etwas gegen eine mögliche Wund46
infektion unternehmen«, schlug er vor und zog die lederumhüllte Taschenflasche hervor. »Mit solchen Dingen ist nicht zu spaßen, wenn man dies bemerken darf.« »Ich fühle mich tatsächlich ein wenig schwindelig«, gestand sie und setzte sich ihren Hut mit schwungvoller Geste auf. »Ich denke, ich nehme vorsichtshalber eine erhöhte Dosis, nicht wahr?« »Dazu ist unbedingt zu raten«, stimmte Parker ihr zu und schenkte nach. »Wie hat sich diese Attrappe eigentlich bewegen können, Mister Parker, haben Sie das schon herausgefunden?« erkundigte sie sich zwischen zwei Schlucken. »Man bediente sich einer Nylonschnur, die quer durch den Gang gespannt ist«, stellte Parker fest und hakte sein Regendach in den nahezu unsichtbaren Faden. »An dieser Nylonschnur ließ man die vermeintliche Fledermaus auf die Benutzer des Ganges herabstürzen, so daß der Eindruck entstehen mußte, es mit einem echten Tier zu tun zu haben.« »Und wie wurde das Ganze ausgelöst? Wissen Sie das auch schon?« »In der Tat, Mylady. Beim Betreten des Ganges zerriß man einen weiteren Faden, der die Fledermaus an der Decke arretierte. Durch ein Bleigewicht, das unter ihr befestigt war, wurde sie förmlich in Bewegung ›gestürzt‹. Auf der anderen Seite des Ganges prallte sie gegen einen Gummipuffer und wurde in die entgegengesetzte Richtung geschickt.« »Nicht schlecht, aber leicht zu durchschauen, nicht wahr?« kommentierte sie und schob die vermeintliche Fledermaus mit dem Fuß beiseite. *
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Sie standen in einem langen Kellerraum und starrten auf einen Monitor, der auf einem altarähnlichen Stein stand. An den Wänden blakten schwarze Kerzen und spendeten diffuses, unheimlich wirkendes Licht. Sich ständig verändernde Schatten wuchsen im flackernden Licht der Kerzen auf und fielen wieder zusammen. Josuah Parker hatte die Tür zu dem geheimnisvollen Raum lautlos geöffnet. Die beiden Männer vor dem Monitor bemerkten zunächst nichts. Sie sahen gespannt auf den Fernsehschirm und den Kopf, der von dort auf sie herabblickte. Agatha Simpson drängte den Butler beiseite und warf einen neugierigen Blick in den unheimlichen Raum. Dann zuckte sie zusammen und wich unwillkürlich zurück. Sie schluckte trocken und sah Parker betroffen an. Der Butler nickte ihr höflich zu und warf selbst einen Blick in den Raum und auf den flackernden Bildschirm. Er sah den Kopf, der ihm von dort direkt entgegenzustarren schien. Parker nahm ihn zur Kenntnis und wunderte sich nicht im geringsten. Gefühlsregungen gleich welcher Art ziemten sich nicht für einen hochherrschaftlichen, englischen Butler, gleich was er zu sehen oder zu hören bekam. Vom Bildschirm sah der Kopf eines Ziegenbocks auf die davor stehenden Männer herab und sprach zu ihnen. »Was habe ich denn da gesehen, Mister Parker?« erkundigte Lady Agatha sich, nachdem sie sich einigermaßen erholt hatte. »Bitte schildern Sie Ihre Beobachtung. Ich möchte mich vergewissern, daß ich mich nicht geirrt habe.« »Mylady denken an eine sogenannte Sinnestäuschung?« fragte Parker höflich. »So in etwa«, räumte sie ein und runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich habe etwas gesehen, was ich nicht so recht glauben kann.« 48
»Meine bescheidene Person dürfte dieselbe Beobachtung gemacht haben, Mylady«, gab Parker leise zurück. »Man sah einen Ziegenbock, der sich auf elektronischem Weg den von Mylady Verfolgten mitteilte.« »Also doch«, murmelte die ältere Dame und seufzte. »Und wie erkläre ich mir das, Mister Parker? Ich hoffe, es gibt eine Erklärung dafür.« »Eine ungemein echt wirkende Maske, Mylady«, erläuterte Parker gemessen. »Die Wirkung ist in der Tat beeindruckend, wie man einräumen muß.« »Und warum gerade diese Maske, Mister Parker? Ich hatte erwartet, einen Teufel anzutreffen, aber sowas…« »Besagter Teufel wird sehr oft als Ziegenbock dargestellt, Mylady«, informierte Parker seine Herrin. »Es ist sozusagen eine Standard-Maske. Diese Tiergestalt spielt in der Mythologie der sogenannten Teufelsanbeter eine große Rolle.« »Aber nicht mehr lange«, kündigte sie an und straffte sich. »Ich werde diesem widerlichen Bock die Hufe langziehen, Mister Parker, ich lasse mich nicht gern auf den Arm nehmen.« »Das ist allgemein bekannt«, stimmte Parker ihr höflich zu. »Ich werde ihn bei den Hörnern packen und in aller Öffentlichkeit nach Scotland Yard zerren«, fuhr sie fort und lächelte grimmig. Lady Agatha schritt zur Zwischentür, die Parker wieder geschlossen hatte, und legte die Hand auf die Klinke. »Öffnen Sie, Mister Parker«, forderte sie. »Ich werde diesen Teufelsanbetern zeigen, daß sie mich mehr zu fürchten haben als diesen lächerlichen Steinbock.« »Mylady werden wie immer ungemein überzeugend sein«, vermutete der Butler und öffnete die Tür. * 49
»Man wünscht einen schönen guten Tag«, grüßte Josuah Parker höflich, während er hinter seiner Herrin den seltsamen Keller betrat. Lady Agatha verzichtete auf Höflichkeit und stand bereits hinter den beiden überraschten Männern. »Sie?« stammelte der Asket namens Robert Stilwell und schluckte trocken. »Wie… wie kommen Sie denn hierher?« wollte der rundliche John Willis wissen und wischte sich mit einem Tuch über die schweißnasse Stirn. »Haben Sie denn geglaubt, Sie könnten mir entkommen, Sie Lümmel?« grollte die Detektivin und stemmte die Arme in die beeindruckenden Hüften. »Außerdem schulden Sie mir noch eine Antwort. Wissen Sie inzwischen, wann ich in Ihren Verein eintreten kann?« »Ah…nein…also, das ist so…« begann der Asket und warf einen hilfesuchenden Blick auf den Monitor. Josuah Parker sah gleichfalls auf den Bildschirm. Er rechnete damit, daß der Raum durch verborgene elektronische Kameras mit Infraroteinrichtung überwacht wurde und war gespannt auf die Reaktion des Ziegenbocks. »Wer sind diese Leute?« meldete sich in diesem Augenblick prompt die Stimme vom Monitor. Stilwell und Willis sahen hoch und blickten ängstlich auf ihren Herrn und Meister. Sie legten die Hände zusammen und verbeugten sich devot. Bevor sie antworten konnten, übernahm bereits Parker die Vorstellung. »Sie haben die Ehre, Lady Agatha Simpson vor sich zu sehen«, gab er höflich zurück. »Meine bescheidene Wenigkeit genießt den Vorzug, als Butler in Myladys Diensten zu stehen.« »Was wollen Sie hier? Wie sind Sie hereingekommen?« ver50
langte der Ziegenbock, dessen Stimme tatsächlich entfernt an ein Meckern erinnerte, barsch. »Man erlaubte sich, Ihren Mitarbeitern zu folgen«, informierte Parker die seltsame Erscheinung auf dem Monitor höflich. »Was sich als nicht allzu schwierig erwies, wie man anmerken möchte. Ihre Mitarbeiter zeichnen sich nicht durch überragende Fähigkeiten aus«, fügte Parker hinzu, dem es darauf ankam, den Träger der Ziegenbockmaske zu provozieren. »Das sind nichts als dumme, wertlose Lakaien«, kam prompt die Antwort. »Glauben Sie nur nicht, daß diese Leute typisch für meine Anhängerschaft sind, Mann. Im übrigen haben Sie Glück gehabt, weiter nichts, aber damit ist es jetzt vorbei.« »Soll und muß man diese Äußerung als Drohung betrachten, Sir?« erkundigte sich Parker höflich. »Vergessen Sie, was Sie bislang von uns mitbekommen haben, dann leben Sie ruhiger«, riet der Ziegenbock. »Ihnen wurde versehentlich eine Einladung zugestellt. Derjenige, der dafür verantwortlich ist, wird seine Strafe bekommen. Aber Sie sollten sich anderen Dingen zuwenden, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist. Wir legen keinen Wert auf Ihr Interesse.« »So leicht lasse ich mich nicht abspeisen, Sie Lümmel.« Die Detektivin schüttelte entschieden den Kopf. »Sie haben mir eine Einladung zukommen lassen, und ich bestehe darauf. Ich möchte als Novizin aufgenommen werden. Und wagen Sie ja nicht, mir meinen Wunsch abzuschlagen, ich werde sonst ungemütlich.« »Wollen Sie mir drohen?« amüsierte sich der Mann mit der Ziegenbockmaske. »Das könnte sich schnell als Bumerang erweisen. Ich bin keiner von jenen stupiden Kleinkriminellen, mit denen Sie bisher zu tun hatten, Mylady.« »Sie haben sich über Mylady informiert?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. 51
»Habe ich, aber besonders beeindruckt bin ich nicht«, erwiderte der Bock. »War das eine Beleidigung, Mister Parker?« Lady Agatha nahm im Vorgriff auf kommende Ereignisse ihren Pompadour mit dem darin befindlichen Glücksbringer vom Unterarm und wog ihn nachdenklich in der Hand. »Möglicherweise, Mylady«, wiegelte der Butler ab. »Na also!« Die Detektivin nickte zufrieden und holte aus. Der Handbeutel mit dem als Glücksbringer deklarierten Hufeisen bekam Schwung und schoß nach vorn. Er beschrieb eine Steigkurve, zischte auf den Monitor zu und flog in die flimmernde Scheibe. Die Implosion riß das Gerät auseinander. Kunststoff- und Glassplitter sausten durch die Luft. Der Knall, mit dem der Monitor auseinanderflog, ließ die beiden Sektierer erschrocken zusammenzucken und sich auf den Boden werfen. »Sehr hübsch, finden Sie nicht auch, Mister Parker?« kommentierte die ältere Dame das Ergebnis ihrer Bemühungen und sah sich nach weiteren Betätigungsfeldern um. Bevor sie aber fündig wurde, erloschen die Kerzen, und es war stockfinster im Raum. »Gibt es hier kein Licht?« mokierte sich die Detektivin. Parker verzichtete auf eine Antwort, griff nach dem Arm seiner Herrin und führte sie höflich, aber entschieden zur Seite. Er rechnete damit, daß der Mann mit der abstoßenden Bocksmaske inzwischen längst weitere Hilfstruppen in Gang gesetzt hatte, die mit Sicherheit bald eintrafen, wenn sie nicht schon im Haus waren. »Was ist denn, Mister Parker?« flüsterte die ältere Dame. Der Butler hörte ein schabendes Geräusch, das er nicht einzuordnen wußte, und zog seine Herrin zur Tür, durch die sie gekommen waren. Im gleichen Augenblick wurde eine rotglimmende Lichtsäule sichtbar, die scheinbar aus dem Nichts in der 52
Mitte des Raumes in die Höhe wuchs und den Keller mit unheimlich wirkendem, flackerndem Licht versorgte. Um die Lichtsäule waberte eine Art gelblicher Nebel, der gleichfalls aus dem Boden zu dringen schien. Parker bemerkte, daß der Altar, auf dem der Monitor gestanden hatte, verschwunden war und an dessen Stelle sich die unheimliche Lichtsäule erhob. Lady Agatha war stehengeblieben und sah zu der seltsamen Erscheinung hinüber. Sie räusperte sich und war offensichtlich beeindruckt, wie der Butler mit einem schnellen Seitenblick bemerkte. Die Lichtsäule veränderte ihre Gestalt, floß auseinander und verwandelte sich in eine breite Lichtwand. Dann ertönte ein hallender Gong, aus der Lichtwand sprühten Sterne wie von einem Feuerwerk. Gleich darauf trat eine seltsame Gestalt aus dem Licht heraus in den Keller. Sie trug wie die Erscheinung auf dem Monitor einen Bockskopf als Maske und hatte ihre Figur mit einem wallenden, schwarzen Mantel umhüllt, der mit geheimnisvollen goldenen Zeichen bedeckt war. In der Hand hielt die Erscheinung ein Gerät, das einer großen Gabel ähnelte. Die Gestalt kam langsam auf die ältere Dame und den Butler zu und lachte laut und meckernd. Sie richtete die Gabel auf die beiden unerwünschten Eindringlinge und schien sie aufspießen zu wollen. Auf den Spitzen der Zinken tanzten bläuliche Blitze, die leise knisterten. Hinter dieser Erscheinung trat eine zweite Gestalt aus der Lichtwand, dann eine dritte. Auch diese trugen lange schwarze Umhänge. Ihre Gesichter waren von schwarzen Masken verhüllt, auf die sie mit fluoreszierender weißer Farbe Totenschädel aufgetragen hatten. In den Händen hielten sie lange Stöcke, die sie zuschlagbereit ganz offensichtlich gegen die Lady und den 53
Butler einsetzen wollten. »Außerordentlich beeindruckend, meine Herren«, fand Parker und lüftete andeutungsweise die Melone. »Eine Vorstellung wie diese verfehlt ganz gewiß nicht ihre Wirkung auf simple Gemüter.« »Was soll denn dieser Mummenschanz?« erkundigte sich die Detektivin und lachte. »Glauben Sie ernsthaft, Sie könnten mir damit imponieren?« Die seltsamen Gestalten verzichteten auf eine Antwort und kamen schweigend näher. Die kleinen, bläulichen Blitze an den Gabelzinken knisterten jetzt intensiver und schienen jeden Augenblick von der Gabel springen zu wollen, um die beiden ungebetenen Besucher zu attackieren. Aus den Augenwinkeln bemerkte Parker, daß sich die Herren Stilwell und Willis wieder erholt hatten und gleichfalls einzugreifen beabsichtigten. Sie hielten große Latten in den Händen und versuchten, sich an einer Seitenwand entlangzudrücken, um in den Rücken von Lady Agatha und Parker zu gelangen. Die Tür hinter ihnen war noch verschlossen. Im Moment sah der Butler allerdings keine Möglichkeit, sie zu öffnen. Er hatte registriert, daß sie, obwohl sie von ihm offen gelassen wurde, inzwischen ins Schloß gefallen war. So rechnete er damit, daß man sie von außen arretiert hatte. * »Das haben Sie mit Absicht gemacht, Mister Parker«, meinte die ältere Dame eine halbe Stunde später. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, wie Parkers Privatwagen respektvoll von Freund und Feind genannt wurde, und rieb sich die leicht geröteten Augen. Der Butler hatte, als die Angreifer im Keller des ehemaligen 54
Pfarrhauses immer weiter vorrückten, einen seiner Spezialkugelschreiber zum Einsatz gebracht und damit seine Gegner auf unkonventionelle Weise außer Gefecht gesetzt. Zuvor hatte er allerdings seine Herrin gebeten, sich umzudrehen und die Augen zu schließen, aber diesem Wunsch war die Detektivin nur teilweise nachgekommen. Zwar hatte sie sich, wenn auch protestierend, abgewandt, aber sie hatte es nicht lassen können, über die Schulter zurückzublicken. Das erwies sich als folgenschwer. Der Butler hatte nämlich die beiden Hälften des Kugelschreibers gegeneinander verdreht und auf diese Weise aktiviert. Dann hatte er die Spezialanfertigung den Angreifern entgegengeworfen, sich selbst umgedreht und die Augen geschlossen. Zehn Sekunden später war die Miniatur-Magnesiumbombe explodiert und hatte den Keller in grellweißes Licht gehüllt, das alles zu durchdringen schien. Die Angreifer schrien auf und warfen sich geblendet zu Boden. Sie rissen die Hände vor ihre überanstrengten Augen und wimmerten leise. Als sich der Butler nach wohlkalkulierter Wartezeit wieder umwandte, um das Resultat seiner Bemühungen zu begutachten, hatte er das Gefühl, das nach wie vor intensive Licht würde seine Lider durchdringen. Hinter ihm war Mylady damit beschäftigt, sich die Augen zu reiben. Heftig kämpfte sie gegen das weiße Licht an. Daraufhin hatte der Butler seine Herrin zum Wagen geführt und mit Augentropfen versorgt, die die Wirkung der Blendbombe linderten. Dann war er in den Keller zurückgekehrt und hatte den Mann mit der Bocksmaske überredet, ihn zu begleiten. Die übrigen vier Männer ließ er zurück, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß sie keinen ernsthaften Schaden erlitten hatten. 55
»Wie meinen, Mylady?« fragte Parker höflich, während er das ehemalige Londoner Taxi in Bewegung setzte und in Richtung City steuerte. »Warum haben Sie mich nicht gewarnt?« fragte sie vom Rücksitz her. »Ich könnte jetzt blind sein, Mister Parker, haben Sie das bedacht?« »Durchaus, Mylady«, versicherte Parker. »Die chemische Zusammensetzung wurde so dosiert, daß keine Schäden zurückbleiben, sondern nur eine vorübergehende Sehstörung eintritt.« »Trotzdem hätten Sie mich warnen müssen«, ließ sie sich nicht abschütteln. »Möglicherweise überhörten Mylady meinen diesbezüglichen Hinweis«, vermutete Parker. »Nun gut, Mister Parker, ich will nicht weiter auf diesem Thema herumreiten. Haben Sie die Strolche sichergestellt?« »Nur den Herrn mit der Bocksmaske, Mylady. Die anderen Herren ließ meine Wenigkeit zurück, da sie ohnehin nur bedeutungslose Statisten sein dürften. Mister Stilwell und Mister Willis kennen Mylady zudem bereits von ihrem Besuch in Shepherd’s Market.« »Dieser Mann mit der seltsamen Maske ist der eigentliche Teufel, nicht wahr, Mister Parker? Aber damit wäre ja der Fall bereits abgeschlossen.« »Mylady gehen davon aus, daß der besagte Gentleman lediglich eine Marionette ist, die vorgeschickt wurde, um den eigentlichen ›Satan‹ zu vertreten. Dieser dürfte sich nach wie vor im Hintergrund halten, um von dort die vielzitierten Fäden zu ziehen und sich nicht selbst in Gefahr zu bringen. Mylady beabsichtigen möglicherweise, diesen Mann aus der Reserve zu locken und zum persönlichen Erscheinen zu provozieren.« »So ist es, Mister Parker. Was genau schwebt mir vor?« erkundigte sie sich. 56
»Mylady gedenken, Mister Satan eine peinliche Blamage zuzufügen«, erwiderte Parker. »Man sollte das Auge der Öffentlichkeit darauf lenken, um ihre Wirkung zu vervielfältigen.« * Josuah Parker blieb vor einem Bobby stehen und lüftete höflich seine schwarze Melone. Man befand sich in der Nähe des Trafalgar Square. Eine große Normaluhr an einem hochaufragenden Bürogebäude zeigte in Digitalziffern sechs Uhr an. Im Osten stieg gerade die Sonne über die City, um die ersten Strahlen des Tages herabzuschicken. »Was kann ich für Sie tun, Sir?« Der Bobby musterte den Mann vor sich prüfend und nickte zufrieden. Dieser Anblick versöhnte ihn mit seinem immer unerfreulicher werdenden Dienst, der ihn tagtäglich mit Fixern, Stadtstreichern und Trunkenbolden konfrontierte. Der Mann war die Verkörperung bester englischer Tugenden schlechthin. Er trug einen schwarzen Zweireiher mit einem blütenweißen Hemd und schwarzem Binder, auf Hochglanz gewienerte Schuhe und auf dem Kopf die traditionelle Melone, die immer mehr aus dem Straßenbild verschwand. Am rechten Unterarm dieser so erfreulichen Erscheinung hing ein gleichfalls schwarzer Regenschirm, wie der Bobby bemerkte. »Man möchte keinesfalls als intolerant und rückständig erscheinen, Sir«, schickte Josuah Parker voraus und nickte dem Uniformierten freundlich zu. »Aber es sollte auch heute noch Werte geben, die respektiert und geachtet werden. Dazu zählen einige unserer Vorfahren, wie man hinzufügen möchte.« »Da haben Sie zweifellos recht, Sir«, stimmte der Bobby ihm zu. »Haben Sie einen bestimmten Grund, dieses Thema anzusprechen?« 57
»In der Tat, Sir.« Josuah Parker drehte sich um und wies mit der Schirmspitze in Richtung Trafalgar Square. »Mister Nelson hat sich zweifellos historische Verdienste erworben, die ihn unvergeßlich machen«, fuhr er fort. »Es ist bedauerlich, daß es dennoch Mitbürger gibt, die sein Andenken beschmutzen.« »Wie meinen Sie das, Sir?« Der Bobby horchte auf und blickte in die angegebene Richtung, in der, wie er natürlich nur zu gut wußte, das Denkmal des seligen Admirals Nelson stand. »Gerade in diesem Augenblick ist ein offensichtlich nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte befindlicher Gentleman dabei, Lord Nelsons Denkmal in ungebührlicher Weise zu attackieren, Sir. Dieses frevelhafte Verhalten muß jeden anständigen Engländer empören. Wenn man dies hinzufügen darf. Zumal der Frevler seltsam gekleidet ist und obszöne Äußerungen von sich gibt.« Der Bobby setzte sich bereits in Bewegung. »Das werden wir gleich haben, Sir«, versprach er. »Ich werde es nicht dulden, daß ein angetrunkener Lümmel unseren Nationalhelden beleidigt.« »Eine sehr lobenswerte Einstellung«, sagte Parker, lüftete die Melone und ging zu seinem hochbeinigen Monstrum zurück, das in der Nähe parkte. Auf dem Beifahrersitz hatte sich Mike Rander bequem zurückgelehnt und erwartete den Butler. »Na, haben Sie alles in die Wege geleitet, Parker?« erkundigte er sich lächelnd. Der Anwalt konnte sich diesen burschikosen Ton durchaus erlauben. Bis vor einigen Jahren hatte er in den Vereinigten Staaten gelebt und dort die juristischen Interessen britischer Firmen vertreten. Während jener Zeit hatte ihm ein gewisser Josuah Parker als Butler gedient und in so manchen haarsträubenden Kriminalfall verwickelt. Als Rander dann nach England zurückgekehrt war, übernahm er die Vermögensverwaltung für eine gewisse Lady Agatha Simpson, und Parker trat als Butler in deren Dienste, so daß die 58
beiden Männer auch weiterhin zusammenarbeiten konnten. »In der Tat, Sir«, gab Parker zurück, während er das ehemalige Londoner Taxi startete und in Richtung Square lenkte. »Man hat sich erlaubt, außer einem Vertreter des Gesetzes auch Mister Bill Mason zu verständigen. Mister Mason betätigt sich als freier Journalist und hat beste Beziehungen zu den führenden Blättern des Landes.« »Ich kenne seinen Namen«, erinnerte sich Mike Rander lächelnd. »Hin und wieder bringt er auch eine eigene Fernsehsendung, die sich mit Skandalen und Affären befaßt, nicht wahr?« »In der Tat, Sir. Mister Mason dürfte die Gewähr dafür bieten, daß dieser Vorfall eine entsprechende Verbreitung findet.« »Besteht nicht die Gefahr, daß sich die Satansanbeter dann an ihm rächen, Parker?« »Man wird sich wohl eher an die Urheber der Affäre halten, Sir. Aber man sollte diesen Punkt natürlich nicht ganz außer acht lassen. Mister Pickett dürfte dafür Sorge tragen, daß einer seiner Neffen ständig ein wachsames Auge auf Mister Mason hat.« * »Ich habe einen Drohbrief erhalten, Mister Parker«, berichtete Bill Mason zwei Tage später. Der Journalist, ein gemütlich wirkender, rundlicher Mann um die Vierzig, dessen Haare schon etwas schütter wurden, saß dem Butler in einem kleinen Pub in der Nähe der Fleet Street gegenüber. Parker hatte Mason gebeten, ihn sofort zu benachrichtigen, falls er etwas von der Satanssekte hörte. Mason hatte im Anschluß an einen Television-Bericht über den Vorfall am Nelson-Denkmal und in nachfolgenden Interviews verkündet, er 59
würde sich näher mit dem Unwesen des neu aufgekommenen Kultes beschäftigen, um vor allem die Drahtzieher bloßzustellen. Die öffentliche Ankündigung gefiel dem Butler nicht, aber er konnte sie auch nicht verhindern. Er neigte keinesfalls dazu, die Sekte zu unterschätzen und wußte, daß sich der Reporter in akuter Gefahr befand. »Sie haben das bewußte Schreiben mitgebracht, Mister Mason?« erkundigte sich Parker höflich. »Hier ist es.« Bill Mason schob Parker ein mit Schreibmaschine beschriebenes Blatt Papier über den Tisch und lehnte sich zurück. Er machte nicht den Eindruck eines Mannes, der sich fürchtete. Auch in der Vergangenheit hatte er Schreiben ähnlicher Art erhalten, die ihn davon abhalten sollten, ein bestimmtes Thema weiter zu verfolgen. Einmal allerdings hatte er seine Gegner unterschätzt und war in eine üble Falle geraten, die nach dem Willen der Verursacher tödlich für ihn werden sollte. Nur dem entschlossenen Eingreifen Josuah Parkers war es zu verdanken gewesen, daß er überlebt hatte und seine Gegner hinter Gitter gebracht wurden. Parker las den Brief langsam durch und nickte. Ähnliches hatte er erwartet. Der Schreiber nahm Bezug auf die Ankündigung des Journalisten und warnte ihn nachdrücklich, sie zu verwirklichen. Andernfalls würde er ein ›teuflisches‹ Ende finden, wie der Verfasser versprach, der als ›Satan‹ unterzeichnete. »Nicht schlecht, was?« bemerkte Mason trocken, nachdem Parker das Schriftstück zurückgegeben hatte. »Sie sollten diesen Brief auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen, Mister Mason«, warnte der Butler. »Eine solche Unterschätzung könnte in der Tat tödlich enden.« »Sie nehmen diesen Humbug ernst?« erkundigte sich Mason nachdenklich, während er dem Kellner winkte. »In der Tat, Sir. Man hat bereits Bekanntschaft mit dieser Sekte 60
gemacht und geht davon aus, daß sie weder Mittel noch Wege scheut, ihre Pläne zu verfolgen.« »Ich glaube einfach nicht, daß erwachsene Menschen einen derartigen Unfug mitmachen.« Bill Mason schüttelte den Kopf. »Und dann noch erfolgreiche Leute, von denen man meinen sollte, daß sie im Leben stehen und vernünftig denken. Einfach nicht zu fassen, sowas.« »Sekten dieser Art sind keineswegs neu, Sir. In der Regel handelt es sich um relativ unbedeutende kleine Zirkel, die nur in begrenztem Rahmen ihre Phantasien ausleben. Von Zeit zu Zeit entstehen aber auch größere Zusammenschlüsse, die durchaus irdische Ziele verfolgen.« »Naja, ist mal was anderes, auch ‘ne Abwechslung für meine Zuschauer«, freute sich Mason. Parker kam nicht dazu, zu antworten. Er wurde durch einige Neuankömmlinge abgelenkt, die das Pub betraten und sich lärmend verteilten. Es handelte sich um sechs jüngere Männer, die die übliche Freizeitkleidung aus Jeans und T-Shirts trugen und einen unverfänglichen Eindruck machten. Sie steuerten einen großen Tisch in der Ecke an, der unweit von dem stand, an dem Parker und der Journalist saßen. Sie ließen sich unter beträchtlicher Lärmentfaltung nieder und vertieften sich in die Karte. Mason hatte die Neuankömmlinge nur kurz gemustert, dann hatte er bereits wieder das Interesse verloren. Die Tür öffnete sich erneut, und ein einzelner Mann trat ein. Er sah aus wie ein Büroangestellter, der sich schnell einen Drink gönnen wollte, bevor er nach Hause ging. Er trug einen schäbig wirkenden braunen Anzug, der an den Ellenbogen und Knien reichlich speckig aussah und glänzte, eine ältere Krawatte und Schuhe mit abgetretenen Absätzen – das Urbild des kleinen, erfolglosen Mannes, der sich Tag für Tag in irgendeinem Büro 61
abrackerte. Er setzte sich an die Theke und bestellte sich mit leiser Stimme ein Bier. Die jungen Männer, die bei seinem Eintritt aufgesehen hatten, senkten die Köpfe wieder über die Karte. Sie hatten den Hageren mit dem schäbigen Anzug taxiert und taten ihn als unbedeutend ab. Der Butler horchte auf seine innere Stimme und stellte fest, daß die Alarmanlage noch funktionierte. Sie begann sich wieder zu aktivieren und deutete auf eine nicht mehr allzu ferne Gefahr hin. Auch der Schäbige an der Theke wies daraufhin. Es handelte sich nämlich um einen Neffen Horace Picketts, der mit der Bewachung des Reporters beauftragt war. Sein Auftauchen konnte nur bedeuten, daß die jungen Männer den Journalisten verfolgt hatten und hier im Pub zur Sache kommen wollten. Wieder trat ein neuer Gast ein. Er war stämmig gebaut in Designer-Jeans und teuer wirkender Nappalederjacke. Die jungen Männer hatten sich entschieden und gaben ihre Bestellung auf. Sie warteten nicht, bis die Bedienung an ihren Tisch kam, sondern riefen ihre Wünsche einfach zur Theke hinüber. Die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste richtete sich auf die Schreihälse. Niemand achtete auf den neueingetretenen Gast… nur Parker. Der Butler behielt den Mann in der teuren LederJacke im Auge und wunderte sich nicht im geringsten, daß er sich der Tür zuwandte und daran manipulierte. Dann drückte er die Klinke probeweise nieder, nickte zufrieden und begab sich lächelnd zur Theke. * »Haben Sie eine Art Gesellschaftsraum, in dem man kleine Fei62
ern oder Besprechungen abhalten kann?« erkundigte sich der Mann. »Haben wir, Sir, sogar einen sehr schönen«, beteuerte der Wirt und deutete mit dem Kinn auf eine Tür im Hintergrund. »Wollen Sie mal reinschauen?« »Ja, gern, ich plane nämlich ein Betriebsfest, wegen einer Beförderung, Sie verstehen?« »Natürlich, Sir«, dienerte der Wirt, während er sich umdrehte und einen Schlüssel vom Haken nahm. »Man sollte sich auf gewisse Unannehmlichkeiten einstellen, Sir«, empfahl Josuah Parker, während er beobachtete, wie der Mann in der Lederjacke dem Wirt zur Tür im Hintergrund des Lokals folgte. »Wie kommen Sie darauf, Mister Parker?« Der Journalist sah sich forschend um, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. »Die jungen Leute am Nachbartisch dürften keineswegs harmlos sein«, fuhr Josuah Parker gemessen fort, während er seinem Gegenüber freundlich zunickte, als hätte er eine nebensächliche Bemerkung gemacht. »Jener Herr in der Lederjacke dort hinten dürfte ihr Anführer sein, der ihren Einsatz leiten wird.« »Sie sehen Gespenster, Mister Parker. Ich kann weder an den jungen Männern noch an dem Typ in der Lederjacke etwas Verdächtiges ausmachen.« Bill Mason lachte amüsiert und schüttelte den Kopf. Der stämmige Mann in der Lederjacke sah in den Raum hinein, den ihm der Wirt aufgeschlossen hatte, und nickte zufrieden. »Ausgezeichnet«, stellte er fest. »Den nehme ich.« »Wann, Sir?« erkundigte sich der Wirt diensteifrig und rieb sich unwillkürlich die Hände. »Jetzt sofort, mein Freund«, erklärte der Mann in der Lederjacke und ging zu einem Tisch, an dem drei ältere Männer sich 63
leise unterhielten. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mal kurz mit anzufassen?« erkundigte sich der Stämmige bei ihnen. »Es dauert nicht lange, und ich gebe gern ‘ne Lage dafür aus.« Die Gefragten sahen sich? einen Moment an, dann nickten sie und schoben ihre Stühle zurück. Einen Augenblick später waren sie zusammen mit dem Lederjackenträger im angrenzenden Raum verschwunden. Zwei der jungen Männer an dem runden Tisch in der Ecke erhoben sich und steuerten auf die Toilettentür zu. Im letzten Moment änderten sie die Richtung und verschwanden gleichfalls in dem die Raum, in dem die fünf Männer verschwunden waren. Bill Mason sah ihnen stirnrunzelnd nach. »Was wollen die denn da drin?« murmelte er. »Man wird den Wirt und die drei übrigen Gäste verwahren wollen«, vermutete Parker. »Anschließend dürfte man das Gespräch mit Ihnen suchen.« »Meinen Sie wirklich?« Der Journalist schluckte trocken und war sichtlich beunruhigt. Ein weiterer junger Mann erhob sich und schlenderte zur Theke. Er ließ sich auf einem Hocker nieder und griff nach einem Bierglas. Einen Augenblick später hatte er es angehoben und den Inhalt seinem Nachbarn über den Kopf gegossen. »Du gefällst mir nicht, Kumpel, warum verschwindest du nicht und gehst nach Hause?« Bill Mason wollte aufstehen und dem schäbig Gekleideten an der Theke zu Hilfe eilen, aber Parker hielt ihn zurück. Der Ober, der gerade mit einem Tablett voller Biergläser zum runden Ecktisch unterwegs war, stellte es ab und wollte gleichfalls eingreifen. Plötzlich stand einer der jungen Männer neben ihm und schob 64
ihn in Richtung Nebenraum. Einen Augenblick später war er darin verschwunden. An seiner Stelle erschienen der Lederjackenträger und die beiden anderen jungen Männer wieder, die kurz zuvor darin verschwunden waren. Der Mann in der Lederjacke verschloß den Raum und warf den Schlüssel in den Mülleimer hinter der Theke. »Ist viel gemütlicher, wenn man unter sich ist«, stellte er fest und sah zu Parker und Mason herüber. Dann drehte er sich wieder um und sah zu dem Begossenen hinüber, der sich gerade mit einem Tuch über den Kopf fuhr und die Haare trocknete. »Wirf ihn endlich raus«, befahl er dem jungen Mann daneben. »Er will noch nicht«, stellte er fest und legte dem Hageren eine Hand auf die Schulter. Dann wollte er ihn vom Hocker kippen und auf diese Weise »überreden«, nun endlich zu gehen. Doch der Hagere in dem schäbigen Anzug war damit nicht einverstanden. Er wirbelte plötzlich auf seinem Hocker herum, ließ die Rechte durch die Luft zischen und traf den Angreifer neben sich mit einer schulmäßig geschlagenen Handkante. Der Rowdy war ehrlich beeindruckt, nahm seine Hand von der Schulter des so harmlos Aussehenden, starrte ihn einen Augenblick ungläubig an und… sank langsam neben dem Hocker zu Boden. Der Lederjackenträger blickte verdutzt auf seinen Schläger, der sich inzwischen auf dem Linoleum ausgestreckt hatte und nicht mehr ansprechbar war. Dann wirbelte er herum und stieß die Faust in die Luft. Das war das Zeichen für die übrigen Männer. Sie griffen in die Taschen, die sie neben ihrem Tisch abgestellt hatten, und brachten Masken zum Vorschein. Dann sprangen sie auf und kamen auf den Tisch zu, an dem der Butler und der Reporter saßen. Sie trugen jetzt Teufelsfratzen. In den Händen hielten sie kurze Metallstäbe, die seltsam knisterten. 65
Der Mann in der Lederjacke kümmerte sich nicht weiter um seine Leute. Er war überzeugt, daß sie mühelos mit ihren Gegnern fertig wurden, und widmete sich selbst dem schäbig gekleideten, vermeintlichen Angestellten, der ihm ausdruckslos entgegensah. Er zog ein Messer und ließ die Klinge herausspringen. »Jetzt wollen wir uns mal von Mann zu Mann unterhalten«, kündigte er an und sprang vor. * »Die Herren sind zu einem Maskenball unterwegs?« erkundigte sich Josuah Parker höflich und nickte den anrückenden »Teufeln« freundlich zu. »Dir vergeht gleich dein komischer Humor«, versprach der vordere »Teufel«. »Wenn wir mit euch fertig sind, habt ihr erst mal ‘n paar Wochen lang Gelegenheit, im Hospital über soviel Blödheit nachzudenken.« »Sie sind möglicherweise mit den Herren Stilwell und Willis bekannt?« setzte der Butler seine Befragung fort, ohne sich von den Anrückenden beeindrucken zu lassen. »Wer soll das denn sein?« erkundigte sich einer von ihnen und blieb stehen. »Verdammt, ihr sollt da kein Rate- und Antwortspiel veranstalten, sondern die beiden auseinandernehmen«, brüllte der Lederjackenträger von der Theke her. Er hatte sich einen Augenblick umgedreht, um den Stand der Dinge zu erkunden. Dabei ließ er den vermeintlichen Angestellten aus den Augen, dem er sich mit dem Messer widmen wollte. Einen Moment später war er entwaffnet. Der Unscheinbare in dem schäbigen Anzug hatte sein Handgelenk gepackt und drehte es mit erstaunlicher Kraft unbarmherzig nach außen. Der Mann in der Lederjacke schrie auf, dann ließ er sein Messer fal66
len. Der Hagere sprang vom Hocker und zog ihm die Arme auf den Rücken. Einen Augenblick später klickten Handschellen, und der Lederjackenträger stand mit dem Rücken zur Theke. Ein zweites Paar Handschellen verband das erste mit einer massiven Stange, die rund um den Tresen lief. Parker, der die Szene mitverfolgt hatte, lüftete die Melone und nickte dem Hageren anerkennend zu. »Eine beeindruckende Vorstellung, Mister Sanderson«, fand er. Tom Sanderson, einer der zahlreichen Neffen Horace Picketts, nickte zurück. »Gern geschehen, Mister Parker. Kann man übrigens helfen?« »Das wird nicht nötig sein, Mister Sanderson«, bedankte sich der Butler. »Wenn Sie statt dessen vielleicht die Freundlichkeit hätten, im Nebenraum nach dem Rechten zu sehen?« »He, Moment mal, was geht hier vor?« Der vordere »Teufel« starrte verblüfft von Parker zu Sanderson und wieder zurück und schüttelte den gehörnten Kopf. »Ihr beide kennt euch?« »In der Tat, Sir«, gab der Butler gemessen zurück. »Mister Sanderson war so freundlich, Sie auf Ihrem Weg hierher zu eskortieren.« »Ach, so ist das also?« Der »Teufel« hob seine Schlagwaffe und stürzte vor. Parker zog den Journalisten von seinem Stuhl hoch und dirigierte ihn tiefer in den Gastraum hinein. »Sie sollten den Kontakt mit den Schlagstöcken der Herren Teufel vermeiden, Sir«, empfahl er. »Sie dürften über einen Hochleistungsakku elektrisch geladen sein und vorübergehende Lähmungen hervorrufen.« »Du kennst dich ja aus, Opa«, applaudierte ihm ein anderer und schob einen Tisch beiseite, der ihm im Weg stand. »Hast du so’n Ding schon mal zu spüren bekommen?« »Man hatte bislang noch nicht das Mißvergnügen, Sir«, gab 67
Parker zurück und hielt im nächsten Augenblick einen Feuerlöscher in den Händen. Dieser hatte bisher an der Wand neben dem Tresen gehangen und sich für einen Einsatz förmlich angeboten. Parker zog den Sicherungsstift aus dem Griff und aktivierte das Gerät. Dann trat er etwas zurück, um einen besseren Überblick zu gewinnen. Er preßte die beiden Griffhälften zusammen. Der den »Teufeln« entgegengehaltene Schlauch straffte sich. Aus der Düse schoß ein scharfgebündelter, weißer Strahl und legte sich auf den Elektroschocker. Dann wanderte der Strahl höher und befaßte sich mit Hals und Gesicht des Angreifers. Der junge Mann schrie und verstummte abrupt, als weißer Löschschaum in seinen Rachen drang. Er ließ seinen ElektroSchlagstock fallen, wandte sich um, taumelte halbblind gegen seine »Mitteufel« und brachte einen von ihnen zu Fall. Er wischte sich die Augen oberflächlich frei und peilte die Toilette an. »Mann, das ist ja echt Spitze.« Bill Mason klatschte begeistert in die Hände. Er sah sich nach einer Waffe um und blickte rein zufällig auf die Pendeltür, die in die Küche des Pubs führte. »Bin gleich wieder da«, verkündete er und verschwand. Parker richtete die Düse auf die übrigen ›Teufel‹ und verhalf ihnen zu schaumiger Überraschung. Leider reichte der Inhalt des Löschers nicht für alle. Die beiden letzten ›Teufel‹ hatten nur wenige Spritzer abbekommen und waren in ihrem Tatendrang nur oberflächlich gehemmt. »Da bin ich wieder, Mister Parker«, verkündete der Journalist. Er hatte sich in der Küche eine Bratpfanne ausgeliehen und schwang sie unternehmungslustig. Einer der ›Teufel‹ kam ihm zu nahe und mußte einsehen, daß Bill Mason die besseren Argumente hatte. Er stöhnte laut, befühlte kurz eine rapid wachsende Beule und legte sich schlafen. 68
Josuah Parker hob in der Zwischenzeit den Universal-Regenschirm an und zielte kurz. Von Preßluft getrieben, zischte ein kleiner, buntgefiederter Pfeil aus der Spitze des Regendachs und bohrte sich liebevoll in einen ›teuflischen‹ Oberschenkel. Derartige Waffen schienen in der ›Hölle‹ unbekannt oder zumindest nicht sehr beliebt zu sein. Der Getroffene warf seinen Elektro-Schlagstock hinter sich, griff mit beiden Händen nach dem Pfeil und traute sich doch nicht, ihn herauszuziehen. Er starrte gequält auf den Butler und schluchzte. Die Tränen rannen unter der Teufelsmaske hervor und machten den furchterregenden Eindruck zunichte, den die Fratze ansonsten auf schlichte Gemüter ausübte. Josuah Parker legte den Schirm beiseite und griff in die Innentaschen seines Covercoats. Er brachte eine große Rolle Industrieklebeband zum Vorschein, mit dem er die Satansanbeter auf höchst irdische Weise zu fesseln gedachte. * Das Lyzeum lag südlich von London und galt als sehr exklusiv. Um hier aufgenommen zu werden, mußten die Eltern der Schülerinnen nicht nur in der Lage sein, das horrende Schulgeld zu bezahlen, sondern außerdem über einen angesehenen Namen und gute Beziehungen verfügen. Es war am frühen Vormittag, als Parkers hochbeiniges Monstrum an dem ausgedehnten Schulgelände vorbeirollte und in einem Wäldchen verschwand. Dem ehemaligen Londoner Taxi folgte ein kleiner Lieferwagen, an dessen Steuer der ehemalige Eigentumsumverteiler Horace Pickett saß. Diesem Lieferwagen wiederum fuhr der Granada des Journalisten Bill Mason hinterher, der Neues von einer gewissen Sekte aufzunehmen gedachte. 69
»Eine Bekannte von mir hat diese Schule besucht«, bemerkte Lady Agatha, die im Fond des hochbeinigen Monstrums saß. »Ich kann nicht behaupten, daß ihr das gut bekommen ist. Sie strotzt von Vornehmheit und zitiert bei jeder Gelegenheit ihre ehemaligen Lehrerinnen.« »Sie waren nicht hier, Mylady?« fragte Mike Rander lächelnd vom Beifahrersitz herüber. »Wo denken Sie hin, mein lieber Junge, ich hatte zum Glück sehr vernünftige Eltern.« Die ältere Dame schüttelte sich bei dieser Zumutung noch nachträglich. »Na, dann wird es ja eine wahre Freude für Sie sein, wenn unsere kleine Inszenierung über die Bühne geht«, vermutete Kathy Porter, die neben der Detektivin saß. »Und ob, Kindchen!« Agatha Simpson strahlte förmlich bei dem Gedanken daran. »Vor allem freue ich mich auf die Gesichter der Lehrkräfte, die sind mit Sicherheit noch genauso blasiert wie damals.« »Also Mylady, wenn das Ihre Cousine hören würde!« Mike Rander schnalzte gespielt mit der Zunge. »Deren Enkelinnen sind doch auch hier, oder?« »Ach ja, die armen Mädchen.« Lady Agatha seufzte tief. »Die Mutter wollte die Mädchen ja eigentlich auf eine moderne Schule schicken, aber meine Cousine hat sich wieder mal durchgesetzt. Die Mädchen tun mir aufrichtig leid.« »Na, dann werden sie wenigstens heute morgen mal was erleben, vorausgesetzt, sie sind auf dem Sportplatz«, meinte Mike Rander und lachte leise. »Die lieben Kleinen haben mir sogar den Plan des Schulgeländes besorgt«, freute sich die ältere Dame. »Was haben Sie denn gesagt, wozu Sie den brauchen?« wollte Kathy Porter wissen. »Für einen kleinen Scherz. Ich habe ihnen eine nette Überra70
schung versprochen, und sie freuen sich schon sehr darauf.« »Werden die Kleinen Sie nicht verraten, Mylady?« sorgte sich der Anwalt. »Aber nicht doch, mein Junge, sie lieben ihre Tante Agatha über alles und sind im übrigen für jede Abwechslung dankbar. Sie ahnen ja nicht, wie langweilig und hoffnungslos so eine Anstalt für junge Mädchen sein kann.« »Wie alt sind denn die lieben Kleinen, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter. »Fünfzehn und sechzehn, Kindchen. Und sie müssen noch fünf beziehungsweise vier weitere Jahre auf dieser gräßlichen Schule aushalten.« »Man befindet sich am Einsatzort, Mylady«, meldete in diesem Augenblick der Butler von vorn. Parker hatte das hochbeinige Monstrum auf eine Waldlichtung gelenkt und dort gewendet. Einen Moment später schoben sich der kleine Lieferwagen mit Horace Pickett am Steuer und der Granada des Journalisten neben das ehemalige Londoner Taxi. »Sehr schön.« Lady Agatha reckte sich und stieß die Fondtür auf. Parker stand schon daneben und half seiner Herrin ins Freie. »Wo ist der Sportplatz, Mister Parker?« wollte die Detektivin wissen und sah sich suchend um. »Das Sportgelände beginnt wenige Meter hinter jenen Bäumen dort, Mylady«, informierte Parker sie und deutete auf eine Baumgruppe jenseits der Lichtung. Lady Agatha machte einen unternehmungslustigen Eindruck. Sie ging um den Lieferwagen herum, öffnete die Flügeltüren und spähte in den dunklen Laderaum. »Ihr Einsatz, meine Herren«, verkündete sie munter und sah zu, wie die »Teufel« von Horace Pickett und drei seiner »Neffen« einschließlich des hageren Mannes namens Tom San71
derson ausgeladen wurden. Auch der Mann mit den Designer-Jeans und der teuren Nappajacke wurde auf die Lichtung gestellt. Er blinzelte in das helle Licht, das durch die umstehenden Bäume fiel, und wandte sich dann wütend an den Butler. »Was soll das alles, Mann? Dafür werden Sie teuer bezahlen. Das ist ‘ne lupenreine Entführung, was meinen Sie, wieviel Jahre Knast Sie dafür kriegen?« »Halten Sie gefälligst den Mund, Sie Lümmel!« fuhr die ältere Dame ihn an. Der Anführer des Schlägertrupps zuckte zusammen und preßte die Lippen aufeinander. Die resolute Dame vor ihm machte nicht gerade den Eindruck, als wäre mit ihr gut Kirschen essen. * »Wenn Sie freundlicherweise eine Geruchsprobe nehmen würden?« bat Josuah Parker und hielt dem Anführer des Schlägertrupps eine kleine Sprühdose entgegen. Er hatte den Mann etwas abseits geführt, um die anderen Herren nicht zu warnen. »Was soll denn das?« wehrte der Mann mit der teuren Lederjacke und wich vorsichtshalber zurück. Parker hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Er nickte seinem Gegenüber freundlich zu und drückte auf den Sprühknopf. Ein feiner, kaum sichtbarer Nebel trat aus der Düse und steuerte zielstrebig auf das Gesicht des Oberschlägers zu. Der Nebel legte sich auf die Schleimhäute des Mannes und entfaltete sofort seine segensreiche Wirkung. Der eben noch so mürrische und abweisende Mann wurde mit einem Mal locker und zugänglich. Seine Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln, und sein Körper entspannte sich. Er wippte auf den Fußballen und summte einen bekannten 72
Schlager vor sich hin. »Darf man sich nach Ihrem werten Befinden erkundigen, Sir?« bat Parker um Auskunft. »Ich fühl mich sauwohl, Mann, ich könnte Bäume ausreißen«, wurde der Butler, umgehend informiert. Der lächelnde Oberschläger, dessen Name Fred Collins war, wie Parker seinen Papieren entnehmen konnte, improvisierte auf dem weichen, moosbewachsenen Boden einige Tanzschritte und schnippte dazu mit den Fingern. »Wenn Sie hier freundlicherweise auf meine bescheidene Wenigkeit warten würden?« bat Parker, während er bereits wieder zur Lichtung strebte. »Aber klar doch, alter Knabe, nichts, was ich lieber täte«, versprach Collins und probierte eine neue Melodie. »Meine Güte, Parker, das ist ja ein wahres Teufelszeug«, staunte Mike Rander, während er die Schlägertruppe beobachtete, die ausgelassen fröhlich über die Lichtung tollte und immer wieder in schallendes Gelächter ausbrach. »Zum Glück habe ich Sie nicht zum Gegner«, lächelte Horace Pickett, der mit seinen »Neffen« auf den Fortgang der Ereignisse wartete. »Wenn man die Herren bitten darf?« Parker bahnte sich einen Weg zwischen den Bäumen hindurch und stand wenige Augenblicke später vor einem Stacheldrahtzaun, der einen massiven Eindruck machte und das Schulgelände gegen den Wald hin abgrenzte. Auf dieses Hindernis war der Butler selbstverständlich vorbereitet. Er zog einen Seitenschneider aus einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats und kappte den Draht. In Gedanken notierte er sich die Sachbeschädigung und nahm sich vor, sofort nach Rückkehr in das altehrwürdige Fachwerkhaus in Shepherd’s Market einen entsprechenden Scheck auszustellen 73
und an die Schule zu schicken. Hinter dem Zaun erstreckte sich eine gepflegte Rasenfläche. Auf der gegenüberliegenden Seite konnte man mehrere große Gebäude erkennen. Etwa in der Mitte zwischen Waldrand und Gebäuden waren Sportanlagen zu sehen, auf denen gerade diverse Wettkämpfe ausgetragen wurden. Von Zeit zu Zeit, wenn der Wind drehte und in Richtung Wald wehte, waren das Geschrei und die Anfeuerungsrufe der Akteure zu hören. Lady Agatha walzte einige Büsche nieder und trat neben den Butler. »Na bitte, alles so, wie auf dem Plan angegeben«, stellte sie zufrieden fest und wandte sich der kleinen Karawane zu, die hinter ihr aus dem Wald trat. Sie krümmte den Zeigefinger und winkte dem Anführer der »Teuflischen«. »Ziehen Sie sich aus, Sie Lümmel, ich will sehen, was Sie zu bieten haben«, herrschte sie ihn an. »Ich hoffe, ich werde nicht enttäuscht.« »Ich mache regelmäßig Bodybuilding, ich bin topfit«, grinste der Oberschläger und begann, sich zu entkleiden. »Die anderen auch«, sagte die Detektivin und sah interessiert zu, wie sich die jungen Männer entblätterten. »Drehen Sie sich, um, Kindchen, der Anblick ist nichts für zarte Gemüter«, bat sie Miß Porter fürsorglich. »Keine Angst, Mylady, ich habe schon einen nackten Mann gesehen.« Kathy lachte unterdrückt. »Wirklich, Kindchen?«, staunte die Detektivin und musterte ihre Gesellschafterin und Sekretärin stirnrunzelnd. »Das genügt, meine Herren«, ertönte hinter ihrem Rücken Parkers Stimme. Kathy Porter kicherte und preßte sich die Faust gegen den Mund. Mike Rander zog es vor, sich einige Schritte zurückzuziehen und unbeobachtet einem Heiterkeitsausbruch hinzugeben. 74
Horace Pickett und seine Neffen drehten sich um und waren plötzlich sehr an der Schönheit des hinter ihnen liegenden Wäldchens interessiert. »Besonders aufregend ist das ja nicht«, stellte die ältere Dame fest und musterte fachkundig den Oberkörper eines jungen Schlägers. Sie stach ihm den gestreckten Zeigefinger in den Solarplexus und registrierte zufrieden sein erschrockenes Japsen. »Sie müssen mehr für Ihre Bauchmuskulatur tun, junger Freund«, stellte sie fest und drohte ihm mit dem Zeigefinger. Lady Agatha schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und setzte ihre Inspektion fort. * Die Lehrerin im grauen Trainingsanzug, die den Weitsprung überwachte, sah zufällig zum Waldrand hinüber und erstarrte. Sie fühlte eine Ohnmacht nahen und suchte eine Sitzgelegenheit. Mit letzter Kraft erreichte sie einen bunten Klappstuhl und ließ sich nieder. Die Schülerinnen waren in Ekstase geraten, schrien wild durcheinander und schlugen sich gegenseitig auf die Schultern. Eine jüngere Lehrerin, die weiter hinten den Staffellauf überwachte, kam herüber und baute sich neben ihrer älteren Kollegin auf. Kurz darauf gesellten sich zwei weitere Lehrkräfte hinzu. Sie spähten angespannt den näherkommenden Gestalten entgegen. »Die… die haben ja kaum was an«, japste die ältliche Dame. »Also, der Knabe ganz vorn ist nicht unflott gebaut«, stellte die Staffellauf-Überwacherin sachkundig fest. »Der Junge dahinter sieht auch recht flockig aus«, bemerkte die Kollegin rechts von ihr. 75
»Ich muß doch sehr bitten!« Die ältliche Dame drehte sich empört um. »Was tragen die Jungs denn für entsetzliche Masken?« wunderte sich eine Lehrerin. »Sieht so aus, als wenn sie sich als Teufel verkleidet hätten«, bemerkte die Kollegin, die sich bis vor wenigen Minuten mit dem Hundert-Meter-Lauf beschäftigt hatte. Dann waren sie heran, tanzten ausgelassen um die Mädchen herum und stießen mit ihren Gabeln nach ihnen, die allerdings aus Weichplastik waren. Josuah Parker hatte Verletzungen vermeiden wollen und »seine Teufel« deshalb mit diesen Kinderspielzeugen ausgerüstet, die er am frühen Morgen in einem bekannten City-Kaufhaus erstanden hatte. »Wer seid ihr denn?« erkundigte sich eine kesse Blondine und stellte ihre beeindruckende Figur dem Oberteufel in den Weg. »Wir kommen direkt aus der Hölle«, informierte sie der Mann namens Fred Collins. »Wie wär’s mit ‘nen Tänzchen, bevor ich dich ins Fegefeuer entführe, Süße?« * »Also wirklich, zu meiner Zeit hätten wir es nicht gewagt, uns so schamlos zu benehmen«, mokierte sich Agatha Simpson und preßte das Fernglas, das Parker in weiser Voraussicht mitgebracht hatte, fest gegen ihre Augen. »Ich nehme Ihnen gern das Glas ab, dann brauchen Sie sich nicht länger dieses unsittliche Treiben anzusehen«, schlug Kathy Porter vor und streckte ihre Hand aus. »Unsinn, Kindchen, wie soll ich mich denn empören, wenn ich nichts sehe?« wehrte die ältere Dame ab und stieß einen Schrei aus. 76
»Was ist denn, Mylady?« erkundigte sich Kathy Porter besorgt und zwinkerte dem Anwalt, der neben ihr stand, lächelnd zu. Der Reporter hatte ein Stativ im Boden verankert und darauf eine Kamera mit armlangem Teleobjektiv montiert. Der Motorwinder summte leise vor sich hin und zog ein Bild nach dem anderen am Objektiv vorbei. »Junge, Junge, das gibt ‘n pikantes Filmchen«, freute sich Bill Mason und schnalzte genießerisch mit der Zunge. »Das reinste Sodom und Gomorrha«, urteilte die Detektivin mit strenger Stimme. »Es ist nicht zu fassen.« »Was war denn eben, Mylady?« wiederholte Kathy Porter ihre Frage. »Das kann ich unmöglich sagen, Kindchen, ich bin bei diesem Anblick schamrot angelaufen«, wehrte die ältere Dame ab. »Da, schon wieder!« Sie schnaufte empört. »Aber das ist ja Maureen!« entrüstete sie sich anschließend und setzte den Feldstecher ab. »Was ist denn nun? Sagen Sie schon!« drängte Kathy. »Sie hat einen der Teufel in den… na Sie wissen schon… gekniffen«, murmelte sie und wandte sich verschämt ab. »In den Allerwertesten, meinen Sie?« präzisierte Mike Rander genüßlich. »Genau, mein Junge, dabei ist das Kind erst sechzehn.« Lady Agatha riß das Fernglas erneut an die Augen und spähte hindurch. »Ein Glück, sie hat von ihm abgelassen«, atmete sie erleichtert auf und gab das Fernglas an Josuah Parker zurück, der stocksteif und hochaufgerichtet hinter ihr gestanden hatte. »Darf ich auch mal, Mister Parker?« bat Kathy Porter und streckte die Hand nach dem Glas aus. »Sehr gern, Miß Porter.« Der Butler reichte ihr den gewünschten Gegenstand und nickte freundlich. »Junge, die gehen aber ran«, stellte sie einen Moment später 77
fest und kicherte amüsiert. »Wer? Wie? Was?« machte sich Mylady bemerkbar und sah ihre Gesellschafterin drängend an. »Wer macht was, Kindchen? Sagen Sie es mir. Womöglich muß ich eingreifen, um das Schlimmste zu verhindern.« »Ihr Mittel scheint ja echt aufzuputschen, Mister Parker«, stellte Kathy Porter fest und kicherte erneut. »Diese ›Teufel‹ sind jedenfalls ganz schön in Form.« »Einfach empörend das Ganze!« Lady Agatha rang die Hände. »Da hinten kommt die Polizei.« »Man war so frei, einen entsprechenden Hinweis Myladys in die Tat umzusetzen, Mylady«, bekannte der Butler. * »Das kann ich nicht glauben«, sagte der Streifenführer und starrte auf das Bild, das sich seinen Augen bot. »Ich muß träumen«, stimmte sein Stellvertreter zu und säuberte vorsichtshalber die Brille. Inzwischen hatten die Mädchen einen Kreis gebildet, im dem die aufgedrehten »Teufel« ausgelassen tanzten. »Meine Herren, ich flehe Sie an, greifen Sie doch endlich ein!« beschwor die entsetzte Pädagogin die Polizisten und deutete aufgeregt in Richtung des neckischen Ringelreihens. »Tja, dann wollen wir mal«, machte der Streifenführer sich und seinen Männern Mut und stürzte sich unerschrocken ins Getümmel. * »Man heißt Sie herzlich willkommen, Sir«, grüßte Josuah Parker den Besucher, der an der Haustür klingelte. 78
»Danke. Mylady ist wohl da, wie?« fragte Superintendent McWarden. »Den Tee pflegt Mylady nicht zu versäumen«, antwortete der Butler und öffnete die Tür zum kleinen Salon. »Für Mylady ist die Teezeit eine heilige britische Tradition, die es zu bewahren gilt.« »Mein lieber McWarden«, rief die ältere Dame ihm aufgekratzt entgegen. »Gerade eben sprachen wir von Ihnen, ist das nicht ein Zufall? Ich fragte Mister Parker, wann Sie das letzte Mal hier waren, das muß ja schon eine Ewigkeit her sein.« »Zwei Wochen, um genau zu sein, Mylady«, gab McWarden zurück und ließ sich in einen Sessel der Hausherrin gegenüber fallen. McWarden, fünfundfünfzig und kompakt gebaut, ähnelte mit den leicht vorstehenden Basedowaugen stets einer leicht gereizten Bulldogge. Er galt als einer der fähigsten Kriminalisten im Yard und leitete ein Sonderdezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens. In dieser Eigenschaft unterstand er direkt dem Innenministerium. McWarden zählte sich zu den Freunden des Hauses und kam immer wieder gern, wenn er in seinen Fällen mit konventionellen Mitteln nicht weiter kam. Er schätzte die ungenierte Art und Weise, mit der die ältere Dame vorging, vor allem aber den Ideen- und Trickreichtum des Butlers. Dafür nahm er gern die Sticheleien in Kauf, mit denen ihn die Hausherrin bedachte. Josuah Parker schenkte dem Gast Kaffee ein. »Kaffee ist gar nicht gut für die Nerven«, behauptete die Hausherrin und wiegte den Kopf. »Nehmen Sie nicht zuviel davon, mein lieber McWarden, Mister Parker verdünnt ihn gern mit etwas Wasser, wenn er zu stark sein sollte.« »Vielen Dank, er ist genau richtig, Mylady«, wehrte der ChiefSuperintendent ab, der Agatha Simpsons ausgeprägte Sparsam79
keit nur zu gut kannte. »Die Medizin, Mylady«, meldete Parker und servierte seiner Herrin ein seltsam geformtes kleines Glas. Lady Agatha betrachtete die braune Flüssigkeit mißtrauisch und roch daran. »Guter Gott, Mister Parker, was ist denn das? Wollen Sie mich vergiften?« »Keinesfalls und mitnichten, Mylady. Es handelt sich hierbei um einen hochwirksamen, sogenannten Kräuterlikör, der aus Germany importiert wurde. Der Händler schwor, daß er den Magen beruhigt.« Sie wog das Glas unentschlossen in der Hand. Dann entschied sie sich. »Eine Lady Simpson kennt keine Furcht«, kommentierte sie und trank den Inhalt des Glases, Agatha Simpson lehnte sich zurück und spürte deutlich eine angenehme Leichtigkeit. »Sie sind rein zufällig hier, mein lieber McWarden?« »Nicht ganz, Mylady.« McWarden schob seinen Teller zurück und musterte die Detektivin ausdruckslos. »Wo waren Sie heute morgen, wenn man fragen darf?« erkundigte er sich. »Mister Parker, können Sie sich daran erinnern?« gab sie die Frage vorsichtshalber an den Butler weiter. Josuah Parker hatte beim Eintreten des Chief-Superintendenten bemerkt, daß eine zusammengerollte Zeitung in seinem Jackett steckte und ging davon aus, daß es sich um das Extrablatt einer Londoner Zeitung handelte. Außerdem kannte er den stets erstklassigen Informationsstand des Yard-Mannes und erinnerte sich daher sofort. »Mylady hielt sich am Vormittag außerhalb von London auf, um eine Privatschule für Mädchen zu besichtigen«, erläuterte er gemessen. »Aha, will sie wieder zur Schule gehen?« wurde McWarden ironisch. »Es handelt sich um entfernte Verwandte, Sir, für die sie ein 80
entsprechendes Institut sucht«, gab Parker höflich zurück. »Leider wird diese Schule nicht in Frage kommen, Mylady ist der Ansicht, daß man dort die Aufsichtspflicht den Schutzbefohlenen gegenüber vernachlässigt.« »Wirklich?« staunte die Hausherrin und musterte Parker stirnrunzelnd. »Ich meine natürlich, genauso war es, mein lieber McWarden, was ich dort gesehen und erlebt habe, also nein!« Sie stöhnte und richtete den Blick zur Decke. Der Chief-Superintendent griff in seine Innentasche und brachte das von Parker vermutete Extrablatt zum Vorschein. Er schlug es auf und schob es der Hausherrin über den Tisch. »Es muß toll hergegangen sein«, freute er sich, »und Mylady waren mal wieder mitten drin.« »Mylady geriet rein zufällig in jenen Vorfall, Sir«, nahm Parker seine Herrin in Schutz. »Mylady versuchte sogar, einige Polizeibeamte aus peinlicher Situation zu retten.« »Die armen Kerle waren mit den Nerven fertig«, teilte McWarden mit. »Sie zitterten noch Stunden danach wie Espenlaub und erhielten Beruhigungsspritzen.« »Warum denn?«, wunderte sich die Hausherrin. »So schlimm war es nun auch wieder nicht.« »Immerhin hatte man sie fast ausgezogen, und sowas passiert auf einer vornehmen Privatschule, nicht zu glauben!« »Sie sollten mit Ihren Leuten mehr Sport treiben, mein lieber McWarben«, tadelte die Detektivin. »Ich werde Ihre Anregung an den zuständigen Kollegen weitergeben. Aber viel mehr interessieren mich die sogenannten Teufel, die festgenommen wurden.« »Junge Männer, die sich einen dummen Streich erlaubt haben«, winkte die Hausherrin ab. »Absolut uninteressant, wenn Sie mich fragen.« »Sie waren mit einer unseren Ärzten unbekannten Droge 81
behandelt worden«, fuhr der Chief-Superintendent fort und sah Parker forschend an. »Diese unbekannte Droge muß den euphorischen Schub bewirkt haben, den die Ärzte bei den Burschen feststellten.« »Die Wirkung dürfte sich wohl umgehend verflüchtigen«, vermutete Parker. »Sie kennen nicht zufällig die Formel diese Mittels, Mister Parker?« fragte McWarden. »Unsere Mediziner würden sich sehr dafür interessieren.« »Sollte sie meiner bescheidenen Wenigkeit zufällig zu Ohren kommen, wird man sie Ihnen umgehend zur Kenntnis bringen, Sir«, versprach der Butler gemessen. »Was diese Teufel betrifft, Sie hatten nicht zufällig in letzter Zeit Kontakt mit äh… na ja, mit Teufelsanbetern?« »Wie bitte?« Lady Agatha beugte sich vor. »Ich habe mich sicher verhört, oder?« »Bitte, Mylady, mir ist nicht nach Scherzen zumute, außerdem habe ich auch die Sendung gesehen, in der Mister Parker seinen Kommentar dazu gab«, erwiderte McWarden. »Was sage ich dazu, Mister Parker?« erkundigte sich die Hausherrin. »Möglicherweise kam ein solcher Kontakt tatsächlich zustande«, formulierte Parker sehr vorsichtig. »Man müßte noch mal intensiv in sich horchen, um die Erinnerung zu fördern.« »Tun Sie das, Mister Parker, die Sache brennt mir nämlich auf den Nägeln. Es gibt anscheinend eine neue, mächtige Satanssekte, und die geht über Leichen, kann ich Ihnen sagen. Vier Tote haben wir bisher, und allesamt aus den sogenannten besseren Kreisen. Alle vier haben ihr Vermögen kurz vor dem Tod einer obskuren Kultgesellschaft überschrieben, und wir befürchten, daß noch mehr auf uns zukommt.« »Dürfte man nähere Einzelheiten hören?« bat Parker und 82
nickte McWarden gemessen zu. * Lady Elizabeth Farrington hatte sich telefonisch bei Lady Agatha nach dem Stand der Dinge erkundigt und bei dieser Gelegenheit ihre Cousine zum Dinner eingeladen. Die Detektivin hatte angenommen, wenn auch unter gewissem Vorbehalt, wie sie Josuah Parker auf der Fahrt zum Familiensitz der Farringtons anvertraute. »Hoffentlich gibt es dort etwas Anständiges auf den Tisch«, sorgte sie sich, während sie es sich im Fond des ehemaligen Londoner Taxis bequem machte. »Elizabeth ist schrecklich geizig, die läßt ihre Köchin nur billige Sonderangebote einkaufen, können Sie sich das vorstellen, Mister Parker?« Der Butler verzog bei dieser Information keine Miene. Er versagte es sich auch, Myladys eigene Vorliebe für Sonder- und Eröffnungsangebote zu erwähnen, der sie sich seit geraumer Zeit mit wahrer Hingabe widmete. »Sie wird doch wohl daran denken, daß ich strenge Diät halte?« fügte die ältere Dame hinzu und runzelte besorgt die Stirn. »Nicht, daß dieses Dinner meine Gesundheit gefährdet.« »Das dürfte kaum zu erwarten sein, Mylady«, tröstete Parker sie. »Ein einziges, nicht diätgerechtes Mahl dürfte keinen bleibenden Schaden anrichten.« »Hoffentlich, Mister Parker, hoffentlich.« Die Detektivin war nicht so ganz überzeugt. »Wissen Sie, billige Sachen taugen nichts, da fehlen häufig die Spurenelemente und Vitamine«, erläuterte sie sachkundig und nickte heftig. »Lady Elizabeth dürfte sich keineswegs die Blöße geben, Mylady ein Menü aus der Dose zu servieren«, vermutete Parker. »Sie kennen diese Frau nicht, Mister Parker. Schon um einen 83
Penny zu sparen, würde sie weit fahren, um dort zu kaufen, wo es billiger ist.« Lady Agatha seufzte. »Nun ja, ich werde mich damit abfinden müssen, und dieses eine Mal wird mir wohl nicht schaden. Nur gut, daß ich nicht so bin, ich finde Geiz gräßlich.« Eine halbe Stunde später war das Ziel erreicht. Lady Farringtons Anwesen lag wenige Meilen nördlich von London in einem parkähnlichen Gelände. Die Besitzerin selbst empfing die Ankommenden an der großen Freitreppe. »Wie schön, daß du da bist, meine Liebe«, begrüßte Elizabeth Farrington ihre Cousine und umarmte sie flüchtig. Parker schenkte sie ein distanziertes Kopfnicken und bat dann ins Innere des Hauses. »Oh, hallo, Tante Agatha«, grüßte eine junge Frau um die Dreißig und winkte der Detektivin munter zu. Neben ihr saß ein hagerer Mann gleichen Alters, der düster in die Gegend starrte. Die junge Frau deutete mit dem Kinn in seine Richtung und stellte ihn oberflächlich vor. »Cecil Maiden, ein Freund des Hauses.« Lady Elizabeth korrigierte sofort. »Ein Freund von dir, meinst du wohl, meine Liebe«, bemerkte sie mit spitzer Stimme und warf dem jungen Mann einen mißbilligenden Blick zu. »Du hast ja noch einen richtigen Butler«, staunte Lady Jane, die junge Frau, und musterte Josuah Parker neugierig. »Sowas kann ich mir nicht leisten, das Personal ist zu teuer heutzutage«, ließ sich die Hausherrin säuerlich vernehmen. »Bei mir serviert eine Küchenhilfe, das genügt völlig, finde ich. Dein Butler kann sich in die Küche setzen und etwas Tee und Suppe geben lassen, Agatha.« »Mister Parker bleibt hier, ich brauche ihn«, informierte die Detektivin unverzüglich ihre Cousine. »Wie du willst«, reagierte die Hausherrin pikiert und betätigte 84
eine Klingel. Wenige Augenblicke später rollte eine ältere Frau den Servierwagen herein, auf dem diverse Schüsseln standen. »Wenn Sie gestatten, wird man Ihnen behilflich sein«, wandte sich Parker an die Frau und übernahm den Servierwagen. Einen Moment später stand er neben Lady Elizabeth und legte ihr formvollendet vor. »Es geht doch nichts über einen gutdressierten Lakaien«, ließ sich Lady Janes Begleiter vernehmen und grinste hämisch. »Ich muß doch sehr bitten, Cecil«, wies die Hausherrin ihn zurecht und errötete leicht. »Sie scheinen sich nach einer Ohrfeige zu sehnen junger Mann«, vermutete Lady Agatha, die Cecil Maiden gegenübersaß und warf ihm einen scharfen Blick zu. »Aber Agatha!« Lady Elizabeth gefiel der Verlauf der Tischkonversation ganz und gar nicht. Sie blickte hilflos umher und wußte nicht so recht, was sie von allem halten sollte. »Cecil meint es nicht so«, beschwichtigte die junge Frau und legte dem jungen Mann eine Hand auf den Unterarm. »Er liebt es halt, andere zu schockieren.« »Ich meine es genau so, wie ich es gesagt habe«, brummte Cecil und wischte ihre Hand beiseite. Josuah Parker verzichtete darauf, den jungen Mann zurechtzuweisen. Als Butler überhörte er die Anzüglichkeiten diskret und legte auch diesem Gast formvollendet und würdevoll vor. Dann trat er zurück und nahm hinter seiner Herrin Aufstellung. Während die Herrschaften speisten, hatte Parker Gelegenheit, die Anwesenden einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, was er mit der gebotenen Zurückhaltung besorgte. Lady Jane war eine junge Frau, die man nach heute gültigen Maßstäben durchaus als attraktiv bezeichnen konnte. Sie hatte ein ebenmäßig geschnittenes Gesicht, schulterlange, pechschwarze Haare und eine schlanke Figur. Allerdings schien 85
sie mit der Kunst des Schminkens nicht so recht vertraut. Sie favorisierte die Farbe Schwarz und hatte reichlich aufgetragen. Ihre Lippen stachen wie ein dicker Balken in ihrem Gesicht ab. Die Augen waren ebenfalls umrandet und schienen aus tiefen Höhlen zu blicken. Auch ihr Begleiter hatte sich geschminkt. Lippen und Augenpartie Waren in gleicher Weise wie bei Lady Jane behandelt worden. Zusätzlich hatte er sich mit einem Kohlestift schwarze Streifen an die Schläfen gemalt. Seine Haare trug er streichholzkurz. Parker registrierte, daß beide tätowierte Unterarme hatten, wie man beim Essen mühelos sehen konnte, wenn sich die Ärmel verschoben. Auch schienen sie den gleichen Geschmack zu haben, was Schmuck betraf. Kurz, völlige Übereinstimmung schien vorzuherrschen. »Ich habe übrigens meinen Wagen verschenkt«, teilte Lady Jane im Verlauf der Konversation ihrer Tante wie beiläufig mit. »Und warum? Er war doch sehr teuer!« wunderte sich Lady Elizabeth und sah von ihrem Teller auf. »Ein lächerliches und überflüssiges Statussymbol«, ließ sich Cecil Maiden vernehmen. »Aber trotzdem, hättest du ihn nicht verkaufen können, wenn du ihn schon nicht mehr haben wolltest?« gab Lady Elizabeth etwas verwirrt zurück. »Was ist schon Geld, Tantchen, es gibt Wichtigeres«, winkte Lady Jane ab. »Ich bin froh, daß ich die Protzkiste los bin. Ich habe mir dafür einen Mini zugelegt, der tut’s auch.« »Was hattest du denn für einen Wagen?« mischte sich Lady Agatha ein. »Einen Jaguar«, gab die junge Frau bereitwillig Auskunft. »Der dreißigtausend Pfund gekostet hat und noch kein Jahr alt ist«, ärgerte sich Lady Elizabeth und warf ihrer Nichte einen eisigen Blick zu. 86
»Sie denken immer nur ans Geld, das ist einfach widerlich«, leistete sich Cecil Maiden einen Kommentar dazu und grinste. »Solange Sie sich in meinem Haus befinden, sollten Sie Ihre Zunge im Zaum halten«, wies Lady Elizabeth ihn scharf zurecht. »Ich lasse mich nicht in meinen eigenen vier Wänden beleidigen. Ist das klar?« »Wir gehen ohnehin gleich«, bemerkte Lady Jane und sah ihre Tante vorwurfsvoll an. »Du brauchst Cecil also nicht mehr lange zu ertragen. Möchte nur mal wissen, warum du ihn nicht leiden kannst.« »Da könnte ich dir eine lange Liste zusammenstellen, mein Kind«, gab die Hausherrin sauer zurück. »Wenn Mylady gestatten, wird sich meine bescheidene Wenigkeit für ein paar Minuten zurückziehen«, wandte sich Josuah Parker an seine Herrin, während die Küchenhilfe dabei war, den Tisch abzuräumen. »Wollen Sie in die Küche, um sich an den Resten gütlich zu tun?« erkundigte sich Cecil Maiden spöttisch. »Man möchte sich ein wenig die Beine vertreten, Sir«, informierte der Butler ihn gemessen. Dann fuhr der vorlaute junge Mann entsetzt zurück. Direkt vor seinen Händen, die auf dem Tisch lagen, war ein Saucenlöffel auf die Damastdecke gefallen und hatte seine Fingerspitzen noch berührt. Lady Agatha hatte sich dieses Instrument vom Servierwagen geangelt und als Schlagwaffe eingesetzt. »Sagte ich nicht, Sie sollen sich nicht mit mir anlegen?« erkundigte sie sich grollend. »Ich… äh… wieso… ich habe doch gar nichts zu Ihnen gesagt, oder?« Cecil Maiden blickte die energische Dame an und schüttelte den Kopf. »Sie haben Mister Parker beleidigt und damit mich gemeint, das habe ich wohl verstanden«, machte Agatha Simpson ihren 87
Standpunkt deutlich. »Und ich sagte Ihnen bereits, daß Sie gern eine Ohrfeige haben können, nicht wahr?« »Äh, ja, ich meine…« »Also, möchten Sie geohrfeigt werden?« wollte die Detektivin wissen und betrachtete prüfend ihre Handfläche. »Nein, das ist eine Mißverständnis, bitte entschuldigen Sie«, stammelte der junge Mann und lief dabei rot an. Er musterte die ihm gegenüber sitzende ältere Dame wütend und preßte die Lippen zusammen. * Elizabeth Farrington hatte ihre Gäste verabschiedet und ihrer Cousine nachgewinkt, während das ehemalige Londoner Taxi den schmalen Kiesweg zum Haupttor des Anwesens hinabrollte. Kurz zuvor waren Lady Jane und Cecil Maiden aufgebrochen und hatten mit dem Mini der jungen Frau das Grundstück verlassen. »Geben Sie Gas, Mister Parker«, forderte Lady Agatha aus dem Fond, »sonst bekommen wir nie den Anschluß an die jungen Leute.« »Man möchte vermeiden, daß die Herrschaften die Verfolgung bemerken, Mylady«, gab Parker gemessen zurück. »Papperlapapp, Mister Parker, wenn Sie vorsichtig sind, merken die Leute auch nichts.« »Man hat Vorsorge getroffen, die jungen Herrschaften nicht zu verlieren«, versicherte der Butler und legte einen der zahlreichen Hebel auf dem Armaturenbrett um. Sofort glomm eine grüne Kontrolleuchte auf, und aus den Lautsprechern drang in regelmäßigen Abständen ein Piep-Geräusch. »Was ist das, Mister Parker?« erkundigte sich die Detektivin 88
und beugte sich vor, um über die vordere Sitzbank auf das Armaturenbrett zu sehen. »Man hat sich erlaubt, den vorausfahrenden Wagen mit einem sogenannten Peilsender zu versehen, Mylady«, erläuterte der Butler. »Mittels dieses Senders wird es Mylady möglich sein, Lady Jane und Mister Maiden ohne Furcht vor möglicher Entdeckung verfolgen zu können.« »Nicht unbegabt, Mister Parker«, lobte sie und lehnte sich entspannt zurück. »Habe ich nicht erst kürzlich empfohlen, eine derartige Anlage einzubauen?« überlegte sie. »In der Tat, Mylady«, stimmte Parker ungeniert zu. »Da sehen Sie mal wieder, wie schnell sich Kreativität und fortschrittliches Denken auszahlen«, stellte Agatha Simpson zufrieden fest. »Ohne meine Ideen hätten wir sie wahrscheinlich längst verloren.« »Dies wäre durchaus möglich, Mylady«, räumte Parker ein, während er einen Blick auf die optische Anzeige der Überwachungsanlage warf. Auf ihr konnte er die Richtung ablesen, in der sich der Peilsender entfernte, sowie die ungefähre Geschwindigkeit, mit der dies geschah. »Nach dem Dinner war ich mit Lady Elizabeth einige Minuten allein«, berichtete die ältere Dame. »Dabei hat sie mir interessante Dinge anvertraut.« Mylady räusperte sich laut und fuhr dann fort. »Der Leiter der Bank, bei der die Familie Konten unterhält, hat sie kürzlich aufgesucht und über gewisse Transaktionen Lady Janes unterrichtet, weil er sie seltsam und besorgniserregend fand«, sagte sie. »Das war natürlich nicht korrekt, aber er kennt Lady Elizabeth seit Jahrzehnten persönlich und fühlt sich ihr verpflichtet.« »Und welche Transaktionen erregten das Mißtrauen dieses Gentleman?« erkundigte sich Josuah Parker höflich. »Die junge Lady hat sämtliche Konten aufgelöst und sich das 89
Geld in bar auszahlen lassen«, teilte die ältere Dame mit. »Der arme Mann mußte das Geld extra aus London von der Zentrale anfordern, er verfügte gar nicht über so viel in bar.« »Könnte man einen Betrag hören, Mylady?« »Es geht um eine halbe Million Pfund, Mister Parker«, entgegnete die Detektivin. »Stellen Sie sich das mal vor, soviel Geld, und das Kind schleppt alles in einem billigen Plastikkoffer weg. Und der Laffe war natürlich auch dabei.« »Mylady sprechen von Mister Cecil Maiden?« vergewisserte sich Parker. »Richtig, und ich kann Ihnen sagen, dieser junge Springinsfeld kommt mir sehr seltsam vor. Wie kann man sich als Mann nur schminken?« Lady Agatha schüttelte sich bei der Erinnerung an Cecil Maidens Aussehen und stöhnte unterdrückt. »Zum Glück«, fuhr sie fort, »ist dieses Geld nur ein geringer Teil von Lady Janes Erbe. Der größere Teil ist fest angelegt und kann ohne Zustimmung Elizabeth’s und des Testamentsvollstreckers nicht verflüssigt werden. Lady Jane erhält die Zinsen und Erträge aus diesen Anlagen in monatlichen Abschlägen überwiesen.« »Wer ist der Testamentsvollstrecker der jungen Dame?« wollte Josuah Parker wissen. »Mylady denken daran, daß sowohl dieser Gentleman als auch Lady Elizabeth in Gefahr sein könnten, wenn sich Lady Jane tatsächlich dieser Sekte verschrieben hat und diese den Wunsch haben sollte, auch die fest angelegten Vermögenswerte zu erwerben.« »Daran dachte ich auch, Mister Parker«, ließ die ältere Dame ihn mit deutlicher Verblüffung in der Stimme hören. »Trat Lady Jane möglicherweise schon mal an ihre Tante mit dem Wunsch heran, auch an diesen Teil ihres Vermögens zu gelangen?« »Nun ja, vor kurzem hat sie ihre Tante angesprochen und 90
gemeint, sie würde sich demnächst gern mit dem Testamentsvollstrecker treffen, um darüber zu sprechen«, fiel der Detektivin ein. »Sie wollte einen eigenen Finanzberater mitbringen, der diese Anlagen beurteilen soll.«, Lady Agatha machte eine kleine Pause und räusperte sich. »Und stellen Sie sich vor, der Finanzberater ist dieser seltsame Jüngling, der heute auch da war, Mister Hayden.« »Mister Cecil Maiden, Mylady«, korrigierte Parker den Namen des jungen Mannes. »Welche Qualifikationen besitzt Mister Maiden dafür, ist das bekannt?« »Angeblich hat er Wirtschaftswissenschaften studiert und kurze Zeit bei einer Unternehmensberatung gearbeitet«, sagte sie. »Demnächst will er eine eigene Firma aufmachen.« »Mylady wurde zufällig auch der Name des Testamentsvollstreckers genannt?« wiederholte Parker seine Frage, die er kurz vorher schon gestellt hatte. »Den habe ich sogar schriftlich«, gab die Detektivin stolz zurück und suchte in ihrem Handbeutel. »Elizabeth hat mir ein Schreiben von ihm mitgegeben, damit ich die Adresse habe.« Sie fischte einen Briefbogen aus dem Pompadour und las vor: »Ein Sir Robert Gladstone in London, sagt Ihnen der Name etwas, Mister Parker?« »Zufälligerweise, Mylady.« Parker hatte den Namen erst kürzlich gehört und erinnerte sich. »Mister Gladstone ist nicht ganz unumstritten, was gewisse Geldanlagen betrifft, heißt es in Börsenkreisen, Mylady. Man sagt, er habe seinen Kunden einige Anlagefonds empfohlen, die nicht eben im Ruf stehen, übermäßig seriös zu sein.« »Sie meinen, er rät seinen Kunden, ihr Geld in windige Geschäfte zu stecken, die nichts wert sind?« kam die ältere Dame auf den Punkt. »Genauso dürfte es sein, Mylady. Man munkelt auch davon, 91
daß einige Gesellschaften, die er weiterempfiehlt, ihm selbst gehören und lediglich von Strohmännern verwaltet werden. Man darf aber darauf verweisen, daß es sich hierbei lediglich um Börsenklatsch handelt, den ein Bekannter meiner bescheidenen Person kürzlich mitzuteilen geruhte. Sir Robert ist zum augenblicklichen Zeitpunkt keinesfalls Gegenstand irgendwelcher Ermittlungsverfahren.« »Das ändert sich hiermit«, teilte die Detektivin ihm kurz und bündig mit. »Ab sofort ermittle ich. Dieser Lümmel hat Kundengelder veruntreut und dann die Sekte aufgezogen, um die Konten ausgleichen zu können«, wußte sie. »Es steht ihm wahrscheinlich eine Prüfung ins Haus, und er muß zusehen, daß er die Gelder wieder hereinholt.« »Eine durchaus bestechende Theorie«, fand Parker. »Möglicherweise haben Mylady hiermit den Schlüssel zu diesem Fall entdeckt, wenn man sich diese Bemerkung gestatten darf.« »Dürfen Sie, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte und verschränkte die Arme vor der üppigen Brust. Sie hatte den Fall bereits so gut wie gelöst und brauchte nur noch einige mehr oder weniger unbedeutende Beweise. * »Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu sagen, Mister Parker, daß Sie wieder mal einen Riesenfehler begangen haben«, äußerte die ältere Dame eine Stunde später. »Wenn Mylady möglicherweise etwas deutlicher werden könnten?« Parker und seine Herrin befanden sich im Londoner Süden in einer schmalen, kaum befahrenen Seitenstraße. Der Mini mit Lady Jane Farrington und Cecil Maiden hatte die Straße kurz zuvor passiert und war auf den Hof einer stillgelegten Schule eingebogen, der in einen Parkplatz umfunktioniert 92
worden war. Parker hatte daraufhin den Block einmal umrundet und dann das ehemalige Londoner Taxi in der bewußten Seitenstraße gestoppt. »Sie verfolgen wieder mal das falsche Objekt«, monierte die Detektivin. »Ich kann hier nichts sehen, das auch nur entfernt auf den Versammlungsort von Sektenanhängern deuten könnte.« »Mylady lassen sich natürlich auf gar keinen Fall vom äußeren Anschein täuschen«, wußte Parker. »Mylady pflegen stets und grundsätzlich hinter die Kulissen zu sehen und sich nicht von einer Fassade blenden zu lassen.« »Nun ja, das ist natürlich richtig«, räumte sie zögernd ein. »Was vermute ich also, Mister Parker?« »Mylady denken daran, daß hier nur ein zentraler Sammelpunkt besteht, von dem aus der eigentliche Versammlungsort angesteuert wird«, vermutete Parker. »Mylady gehen davon aus, daß aus Gründen der Tarnung die Sektenanhänger in einer Art Sammeltransport von hier aus weitergelangen.« »Wirklich«, staunte sie, um gleich darauf zögernd zu nicken. »Nun ja, so in etwa habe ich mir das vorgestellt«, behauptete sie. »Eine Lady Simpson läßt sich nicht hinters Licht führen.« »Standen auf diesem Parkplatz eigentlich noch andere Wagen?« erkundigte sich die ältere Dame. »Ich meine, ich hätte beim Vorbeifahren einige Luxuswagen gesehen, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady. Man konnte ein gutes Dutzend kostspieliger Fahrzeuge entdecken, aber auch eine Reihe sogenannter Jedermanns-Modelle.« »Ich gehe also davon aus, daß die Benutzer dieser Fahrzeuge von hier aus zur eigentlichen Versammlung geschafft werden?« vergewisserte sie sich. »Auf welche Weise kann das geschehen, Mister Parker, ich meine, man wird sich ja wohl kaum Taxis kommen lassen, oder?« 93
»In dem Fall könnte der Versammlungsort kaum geheim bleiben, Mylady«, erinnerte Parker Agatha Simpson an den Sinn dieser Verfahrensweise. »Man wird die Herrschaften mit einem Bus fortschaffen, zum Beispiel mit diesem dort.« Während Parker noch sprach, bog ein Reisebus in die Straße ein und verschwand auf dem Parkplatz. Er rollte an dem hochbeinigen Monstrum vorbei und es war deutlich zu sehen, daß die Seitenfenster mit Gardinen verhängt waren. Die Rückfenster waren mit schwarzer Farbe beschichtet und undurchsichtig gemacht worden. »Auf meinen Instinkt ist eben Verlaß«, triumphierte die ältere Dame. »Habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, daß Lady Jane zu einen Treffen dieser Sekte unterwegs ist, Mister Parker?« »Mehr oder weniger, Mylady«, räumte Parker ein, der sich überhaupt nicht über die Äußerung seiner Herrin wunderte, die noch vor wenigen Minuten das Gegenteil behauptet hatte. »Jetzt bin ich mal gespannt, wo die Reise hingeht«, freute sich die Detektivin auf die kommenden Ereignisse. »Ich wette, wir landen auf einem Friedhof, wo die Teufelsanbeter ihrem Irrglauben huldigen.« Parker verzichtete auf eine Antwort. Hinter ihnen war am Ende der Straße ein dunkler Rolls-Royce aufgetaucht, der majestätisch vorbeiglitt und gleichfalls auf dem ehemaligen Schulhof verschwand. Kaum war der Luxuswagen in den Hof eingebogen, erschien ein weiteres Fahrzeug. Es handelte sich um einen ungepflegt wirkenden Granada, der mit vier Männern besetzt war. Dieser Wagen blieb unweit der Einfahrt zum Parkplatz stehen und schien zu warten. »Das gefällt mir gar nicht, Mister Parker«, beschwerte sich die ältere Dame umgehend. »Was macht dieser Wagen dort? Er wird mich nur behindern.« »Es dürfte sich dabei um Mitarbeiter des sogenannten Satans 94
handeln, Mylady«, vermutete der Butler. »Die Herren werden die Aufgabe haben, dem Bus zu folgen und eventuelle Verfolger abzublocken.« »Lassen Sie sich etwas einfallen, Mister Parker«, verlangte sie. »Ich habe nicht die Absicht, mich von diesen Lümmeln behindern zu lassen.« »Wie Mylady zu meinen geruhen.« Parker drückte die Tür auf und begab sich ins Freie. »Wo wollen Sie denn hin?« fragte die altere Dame verwundert. »Der Bus kann doch jeden Augenblick abfahren, Mister Parker, jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um sich die Füße zu vertreten.« »Man ist umgehend zurück, Mylady«, versprach der Butler und setzte sich würdevoll in Bewegung. * Josuah Parker schritt gemessen zur Einfahrt des Parkplatzes und rechnete fest mit einer Reaktion der Granada-Insassen. Die ließ auch nicht auf sich warten. Die Scheibe auf der Fahrerseite wurde herabgekurbelt, und ein Zuruf stoppte den Butler. »He, Moment mal!« rief eine scharfe Stimme, und eine Hand winkte ihm gebieterisch aus dem Granada zu. Parker blieb stehen und drehte sich nach dem Rufer um. Er sah scheinbar verwirrt zu dem Wagen hinüber und schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Erneut winkte der Fahrer, und Parker setzte sich zögernd wieder in Bewegung. Einen Augenblick später stand er neben dem Fahrer und lüftete grüßend die Melone. »Man hat den Eindruck, daß Sie Kontakt mit meiner bescheidenen Wenigkeit aufzunehmen wünschen, Sir?« erkundigte er sich höflich. »Häh?« Der Fahrer starrte stirnrunzelnd ins Gesicht des But95
lers, schüttelte den Kopf und hatte ganz offensichtlich Schwierigkeiten, den Sinn von Parkers Satz zu begreifen. »Sie wünschen das Wort an mich zu richten, Sir?« wiederholte Parker seine Frage in einfacherer Form und lüftete erneut seine Kopfbedeckung. »Wie? Äh, ja, genau.« Der Fahrer grinste und freute sich, Parker endlich verstanden zu haben. »Wo willste denn hin, Kumpel?« erkundigte er sich mit gönnerhafter Miene. »Man hat vor wenigen Minuten Lady Sarah hier abgesetzt«, behauptete der Butler ungeniert und nickte dem Fahrer freundlich zu. »Bedauerlicherweise hat sie diese Tasche hier im Wagen liegenlassen.« Er hob eine Kosmetiktasche hoch, die er für solche Zwecke im Kofferraum seines Privatwagens stets mit sich führte, und zeigte sie dem Fahrer. »Na, sie wird ja mal ohne ihre Malerei-Artikel auskommen«, gab der Mann am Steuer des Granada zurück und deutete mit dem Daumen hinter sich. »Du kannst jedenfalls nicht mehr zu ihr, also verschwinde und fahr nach Hause, Alterchen. Deine Lady wird dich nicht gleich rauswerfen, bloß weil du ihr die alberne Tasche nicht gebracht hast.« »Pardon, Sir, aber meine Wenigkeit hält es für besser, die Tasche zu übergeben.« Josuah Parker wollte wieder auf die Einfahrt zugehen, aber die Hand des Granada-Fahrers, die durch das geöffnete Seitenfenster schoß und sich in seinem Covercoat verkrallte, hielt ihn zurück. »Ich sagte doch, das geht nicht«, knurrte er und schüttelte abweisend den Kopf. »Die Leute sitzen alle schon im Bus, der muß jeden Augenblick abfahren, kapiert?« »In diesem Fall könnte man Mylady nachfahren und ihr die Tasche am Zielort übergeben«, überlegte er laut. 96
»Jetzt reicht’s mir aber.« Der Fahrer ließ den Covercoat des Butlers los und wollte nach der Klinke greifen, um auszusteigen. »Mylady hängt sehr an dieser Tasche, sie ist ein Geschenk ihres verstorbenen Gatten«, erläuterte Parker und hielt das gute Stück in den Wagen. »Wenn Sie mal sehen wollen? Echte Handarbeit, schauen Sie sich vielleicht nur diese Nähte an.« Unwillkürlich senkt der Fahrer den Blick auf die Tasche. Das war der Augenblick, auf den der Butler gewartet hatte. Er preßte die Tasche mit den Fingern zusammen und setzte damit einen raffinierten Mechanismus in Gang. Aus einer verborgenen Düse an der Schmalseite schoß ein nahezu unsichtbarer, hauchfeiner Nebel und benetzte das Gesicht des überraschten Granada-Fahrers. Einen Moment später sackte er zusammen und kuschelte sich wohlig in seinem Sitz zurecht. Er schloß die Augen und begann, leise zu schnarchen. »He, Moment mal, was ist denn mit Gary los?« Der Beifahrer schreckte hoch und sah mißtrauisch über den zusammengesunkenen Kollegen hinweg auf den Butler. Seine Hand fuhr unter’s Jackett, um die Waffe zu ziehen. Parker hatte sie längst gesehen. So schaffte er es nicht mehr, wurde von dem feinen Nebel benetzt und verspürte plötzlich das dringende Bedürfnis, sich ein wenig auszuruhen. Die beiden Männer auf der hinteren Sitzbank kamen nicht mehr dazu, sich einzuschalten. Bevor sie überhaupt begriffen, was mit ihren Partnern auf den Vordersitzen geschah, hatte Parker die Düse bereits nach hinten gerichtet und den Fond nachhaltig eingenebelt. Der Butler zog den Fahrer vom Sitz und verstaute ihn auf der Rückbank. Dann setzte er sich selbst ans Steuer des Granada und stieß ihn zurück. Einen Moment später war er damit beschäftigt, die Granada-Insassen mit Industrie-Klebeband zu versorgen und in 97
dem geräumigen Kofferraum des hochbeinigen Monstrums zu verstauen. * Parker hatte seine Herrin überredet, im Fond des Granada Platz zu nehmen. Er ging davon aus, daß der Busfahrer das ihn abschirmende Fahrzeug kannte und zog es deshalb vor, den Bus mit dem Granada zu verfolgen. Der Bus hielt eine halbe Stunde später in der Nähe des ehemaligen Pfarrhauses, in dem die Herren Stilwell und Willis verschwunden waren. An dieser Stelle beschrieb die Themse einen großen Bogen und umspülte eine Art Halbinsel, die sich wie ein überdimensionierter Daumen in den Fluß schob. In der Mitte dieser Halbinsel erhob sich eine halbverfallene Kapelle, deren ehemaliger Glockenturm fast vollständig erhalten war. Bei einbrechender Dunkelheit wirkte die Ruine unheimlich und drohend. Verstärkt wurde dieser Eindruck von den gerade noch soeben erkennbaren Silhouetten einiger Vögel, die das düstere Gemäuer umflogen und darin verschwanden. Parker hatte den Granada ein Stück vorher zum Stehen gebracht und hinter eine Buschgruppe gelenkt. Lady Agatha war ausgestiegen und starrte angestrengt zu der Halbinsel hinüber. »Genauso habe ich mir das vorgestellt, Mister Parker«, teilte sie dem Butler mit. »Das ist der richtige Ort für die Satansanbeter.« Parker musterte die Felsplatte, die nach der Biegung des Ganges auftauchte und das Weitergehen unmöglich machte. Im Schein seiner Bleistiftlampe fahndete er nach dem verborgenen Mechanismus, der sie bewegen mußte. 98
»Was ist denn, Mister Parker? Warum geht es nicht weiter?« Lady Agatha bemühte sich, ihre Stimme zu dämpfen. Von der steinigen Decke lösten sich diverse Felsstücke und polterten in den Gang. Eine Fledermaus, die gerade durch den Gang strich, verlor durch die plötzliche Lärmentwicklung vorübergehend die Orientierung und prallte gegen eine Wand. Die ältere Dame trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und berührte dabei einen großen Felsbrocken, der vor der Platte am Boden lag. Einen Augenblick später schrie sie überrascht auf und warf die Arme hoch. Sie ruderte in der stickigen Luft herum und suchte vergeblich nach einem Halt. Ihre Füße verschwanden im Boden, während sich der Felsbrocken immer schneller nach unten bewegte. Dann rutschten ihre Finger ab, und Mylady rauschte förmlich abwärts. Josuah Parker hatte keine Chance mehr, den Tiefgang seiner Herrin aufzuhalten. Er registrierte, daß sie per Zufall den geheimen Mechanismus gefunden hatte, und folgte ihr unverzüglich. * Die furchteinflößende Gestalt in dem leuchtendroten Umhang und mit der Bocksmaske auf dem Kopf betrachtete zufrieden ihre Anhängerschar. In dem düsteren, unterirdischen Raum waren gut zwei Dutzend Menschen versammelt, die den Rotgewandeten ehrfürchtig anstarrten und ihm die Hände entgegenstreckten. An den Wänden standen weitere Bocksmasken-Träger, die aber im Gegensatz zu der Gestalt vor dem schwarzen Marmorblock schwarze Umhänge trugen und in den Händen lanzenartige Instrumente hielten. Aus verborgenen Lautsprechern dröhnte dissonante Musik und zerrte an den Nerven. An den Wänden steckten schwarze 99
Kerzen in primitiven Halterungen und verbreiteten diffuses, flackerndes Licht. Von Zeit zu Zeit wurde die Musik von schrillen Schreien und höhnischem Gelächter übertönt. Die rote Gestalt hob die Arme und sah zur Decke. Augenblicklich brach die Musik ab, und die Anwesenden sahen zu ihrem Herrn und Meister auf. Der wollte gerade zu sprechen ansetzen, als es geschah. Hinter ihm polterte eine Deckenplatte in den Keller und hüllte alles in Staub. Dann folgte eine voluminöse Gestalt und breitete die Arme aus. Sie trug gleichfalls eine Art Umhang und sah furchteinflößend aus. Die Gestalt stieß einen schrillen Schrei aus, der den Satansanhängern das Blut in den Adern gefrieren ließ. Sie waren fest davon überzeugt, daß ihnen in diesem Augenblick der »Leibhaftige« wirklich und wahrhaftig erschien und preßten sich verängstigt gegen die kalten Bodenplatten. Als einige wieder aufzusehen wagten, fiel noch jemand von oben in den unterirdischen Raum. Die Teufelsanbeter vergruben ihre Gesichter in den Armbeugen und schlossen mit dem Leben ab. Sie hatten nach etwas Abwechslung und Aufregung in ihrem öde und leer dahinplätschernden Leben gelechzt, aber das war ihnen jetzt doch zuviel. Die zuerst eingetroffene füllige Gestalt raffte sich auf und stampfte zu den ›Unterteufeln‹ an den Seiten wänden. Sie entriß einem von ihnen seine Lanze und richtete sie gegen den roten ›Oberteufel‹. Der sprang entsetzt zur Seite und wollte fliehen. Josuah Parker hielt bereits seine Melone in der Hand und setzte sie ein wenig zweckentfremdet ein. Zuvor jedoch nahm er dem ›Roten‹ die Maske ab und sorgte dafür, daß seine stahlblechgefütterte Kopfbedeckung mehr Resonanz fand. Der Schädel unter der Maske war nämlich unbehaart und glatt und glänzte im Schein der fla100
ckernden Kerzen.
* � »Meine Güte, die Liste der hier versammelten Satanisten liest sich wie der Adelsalmanach«, staunte Chief-Superintendent McWarden, der von Parker verständigt worden war. »Können Sie mir sagen, was die Leute dazu getrieben hat, einen derartigen Humbug mitzumachen?« »Vermutlich die Langeweile, die auf die Damen und Herren gemütsverwirrend wirkte, Sir«, gab Josuah Parker gemessen zurück. »Die Herrschaften sehnten sich nach mehr Aufregung in ihrem durch Terminkalender und Verpflichtungen reglementierten Leben und waren leichte Opfer für die Schöpfer dieser Satanssekte, die keineswegs etwas Neues ist. Kulte dieser Art tauchen regelmäßig auf und verschwinden ebenso schnell wieder, wie sie entstanden sind.« »Und hinter all dem steckt Sir Robert Gladstone?« wunderte sich McWarden. »Da kann man wieder mal gehen, daß man nichts auf die Fassade geben darf. Der Mann ist doch eine echte Größe in der City, und dann sowas.« »Mister Gladstone hatte sich dem Glücksspiel verschrieben und dabei Mandantengelder veruntreut, Sir«, erläuterte Parker. »Und er mußte ständig fürchten, daß einer der von ihm Betreuten einen Rechenschaftsbericht fordert oder Einsicht in die Bücher nehmen will.« »Oder Geld braucht, das nicht mehr da war«, ergänzte McWarden grimmig. »In der Tat, Sir. Im Falle von Miß Jane Farrington stand eine solche Prüfung bevor. Die junge Dame wollte sich einen Überblick verschaffen und eine angesehene Wirtschaftsprüfung damit beauftragen. Zu Mister Gladstones Glück erzählte sie 101
davon ihrem Freund, Mister Cecil Maiden.« »Der rein zufällig weitläufig mit Gladstone verwandt ist, wovon Lady Jane allerdings nichts wußte«, fuhr McWarden fort. »Und Mister Maiden erbot sich, für Lady Jane jene Prüfung durchzuführen. Gleichzeitig machte er Mister Gladstone den Vorschlag, die bewußte Sekte zu gründen und den wohlhabenden Mitbürgern damit das Geld aus der Tasche zu ziehen.« »Wie ist er nur darauf gekommen?« wunderte sich der Mann vom Yard. »Ein normal veranlagter Mensch beschäftigt sich doch mit so etwas nicht.« »Mister Maiden hat sich immer für das sogenannte Okkulte interessiert und war während seines Studiums Mitglied entsprechender Zirkel«, erläuterte Josuah Parker gemessen. »Und aus ehemaligen Kommilitonen rekrutierte er seine »Unterteufel« die ein entsprechendes Honorar dafür erhielten.« »Als ob wir nicht schon genug mit normalen Gangstern zu tun hätten«, seufzte McWarden. »Jetzt müssen wir uns auch noch mit Übersinnlichem befassen. Wo ist übrigens Mylady, wenn ich fragen darf?« »Mylady erteilt dem sogenannten Oberteufel eine Privatlektion, Sir«, gab Parker würdevoll zurück. »Sie hat sich mit ihm und seinen Mitarbeitern in einem der unterirdischen Räume eingeschlossen und läßt sich eine ganz private Teufelsanbetung vorführen. Mylady gedenkt dies später möglicherweise literarisch zu verwerten.« »Und das machen die einfach so mit?« erkundigte sich McWarden mißtrauisch. »Mylady ist sehr überzeugend, wenn es darum geht, ihre Wünsche zu vermitteln«, informierte Parker. »Sie hat sich mit einer Gabel ausgerüstet, die sie unter den Ausrüstungsgegenständen der Herren Teufelsdarsteller fand, und pflegt mit stichhaltigen Anregungen nachzuhelfen.« 102
»Sie wird doch nicht jemand ernsthaft verletzen?« sorgte sich der Chief-Superintendent. »Sie wissen, das könnte ich nicht dulden.« »Mylady würden nie und nimmer jemand ernsthaften Schaden zufügen, Sir«, versicherte Parker ihm, »nicht einmal, wenn es sich um Abgesandte der Hölle handelt. Aber Mylady vermag ihre Sanktionen sehr überzeugend anzudrohen.« »Na ja, Hauptsache, der Fall ist gelöst«, seufzte McWarden. »Und wenn es ihr Spaß macht…« »Durchaus, Sir«, versicherte Parker gemessen. »Mylady selbst hat übrigens die Rolle des Oberteufels übernommen, dem die anderen huldigen müssen.« »Das hätte ich mir denken können«, lächelte McWarden. »Das paßt zu ihr, wirklich und wahrhaftig.« »Mylady ist durchaus der Meinung, eine gewisse Ehrung zu verdienen«, stellte Parker abschließend fest. »Und wer könnte Myladys Überlegenheit über das Böse besser bezeugen als wahre Teufel?« ENDE
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