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Parker »checkt« den Schleudersitz Ein Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Butler Parker betrachtete die beiden Schläger mit wohlwollendem Interesse und dachte keinen Moment daran, eine andere Richtung einzuschlagen. Gemessen und steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, schritt er weiter zum Landhaus, das hinter hohen Hecken und Bäumen andeutungsweise zu erkennen war. Josuah Parker glich, was sein Äußeres anbetraf, einem Butler, wie man ihn eigentlich nur noch in Kostümfilmen sah. Er trug diskret gestreifte Beinkleider, einen schwarzen Zweireiher, einen ebenfalls schwarzen Binder, der den Eckkragen noch zusätzlich unterstrich, und schließlich eine schwarze Melone und einen altväterlich gebundenen Regenschirm, der aus einem vergangenen Jahrhundert stammen mußte. Bemerkenswert war sein glattes Gesicht, das ausdruckslos dem eines professionellen Pokerspielers glich. Parker schien ohne Alter zu sein. Es war schier unmöglich, ihn auf ein bestimmtes Jahrzehnt festzulegen. Die beiden Schläger hatten inzwischen Maß genommen und schlenderten unternehmungslustig in Richtung Parker. Ihnen war deutlich anzusehen, daß sie gewisse Aggressionen abreagieren wollten. Sie
waren der festen Überzeugung, ein passendes Opfer gefunden zu haben. Die Kerle schlugen eine gerissene Taktik ein. Sie stürzten sich nicht etwa auf Parker, sondern passierten ihn, ohne ihm Beachtung zu schenken. Der Butler schien Luft für sie zu sein, doch aus den Augenwinkeln beobachteten sie ihr Opfer, das gerade höflich die schwarze Melone lüftete und grüßte. Die beiden Schläger hatten Butler Parker kaum hinter sich gelassen, als sie sich umwandten und zum Angriff übergingen. Wie geschmeidige Raubtiere stürzten sie sich auf ihren Gegner und hielten plötzlich tückische Schlaginstrumente in Händen, die geeignet waren, selbst einen Kampfstier zu zähmen. Es handelte sich dabei um einen Totschläger und um ein Kabelende. Die beiden jugendfrischen Angreifer kamen voll auf ihre Kosten. Butler Parker schien ihre Absicht bemerkt zu haben. Er war bestens vorbereitet. Seine Gegner prallten fast ein wenig zurück, als Parker sich ihnen zuwandte. »Gehe ich recht in der Annahme, meine Herren, daß Sie gewisse Unfreundlichkeiten gegen meine bescheidene Person hegen?« erkundigte Josuah Parker sich
höflich. Bevor er eine Antwort erhielt, langte er mit der Spitze seines Universal-Regenschirms nachdrücklich zu. Er benutzte den Schirm als eine Art Billardstock und plazierte die Spitze auf die Magenpartie des rechts von ihm stehenden Schlägers. Der Getroffene litt augenblicklich nicht nur unter leichten Magenschmerzen, nein, es fehlte ihm auch an Luft. Er keuchte, bekam einen roten Kopf und erlitt anschließend einen kurzfristigen Kreislaufkollaps. Er setzte sich abrupt auf den Kiesweg und gab sich seinem Leid hin. Der zweite Schläger holte blitzschnell mit dem Kabelende aus, er war sich seiner Sache sicher, wollte damit die schwarz behandschuhte Hand des Butlers treffen und ihm auf diese Weise den Schirm aus den Fingern schlagen. Es blieb bei der Absicht. Josuah Parker war wesentlich schneller, hatte seinen Schirm gedreht und benutzte ihn wie einen Golfschläger. Der bleigefütterte Bambusgriff landete auf der Kinnspitze des Burschen, der das sichere Gefühl hatte, von der Faust eines Schwergewichtsboxers getroffen worden zu sein. Er produzierte einige gurgelnde Geräusche, ging Knockout zu Boden, stierte den Butler aus verglasten Augen an, seufzte dann tief und schloß sie. Josuah Parker legte sich den Griff des Regenschirms über den angewinkelten linken Unterarm und schritt gemessen weiter. Er wollte sich nicht länger aufhalten, da er
eine feste Verabredung hatte, die er unbedingt einhalten wollte. Er war ein Mann absoluter Pünktlichkeit. Doch als er um die Hecke schritt, warteten weitere Schwierigkeiten auf ihn. Randalierende Rocker, die offensichtlich gerade noch miteinander gestritten hatten, einigten sich blitzschnell auf diesen so konservativ gekleideten Mann, der dummerweise in ihr Blickfeld geraten war. Die Rocker, etwa sechs an der Zahl, schwärmten aus und gingen ohne jede Vorwarnung zum Angriff über. Auch sie waren im Besitz einiger Hieb-, Stich- und Schlaginstrumente, die nur aus Arsenalen der Unterwelt stammten. Josuah Parker dachte auch jetzt nicht an Flucht. Er fühlte sich sogar ein wenig gelangweilt, wie es schien, er blieb stehen und griff nach einem der vielen Kugelschreiber, die sich in seiner linken Westentasche befanden. Plötzlich schleuderte er dieses Schreibgerät mit einigem Nachdruck auf den Boden und... verschwand innerhalb einer knappen Sekunde in einem vom Boden hochschießenden Nebelschwaden, der sich als ungemein zäh und dick entpuppte. Die Rocker brüllten herum, suchten nach ihrem Opfer und gerieten sich aus einem generellen Mißverständnis heraus gegenseitig in die Haare. Sie droschen auf sich ein und hofften, dabei durch Zufall den Butler zu erwischen. Josuah Parker aber ließ sich nicht aufhalten.
Er erschien weiter hinter der dicken Nebelsuppe neben einer Hecke und lustwandelte zielstrebig weiter zum Landhaus, dessen Besitzer ihm entgegenkam. Der Mann war untersetzt, sehr massig und hatte das Gesicht einer Bulldogge, wozu die leichten Basedowaugen noch beitrugen. »Hallo, Mr. Parker«, rief er freundlich. Er schien überhaupt nicht bemerkt zu haben, was sich in seinem großen, parkähnlichen Garten zugetragen hatte. »Ich hoffe, Sir, pünktlich zu sein«, erwiderte Josuah Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Ist Lady Simpson bereits eingetroffen, falls diese Frage gestattet ist?« »Noch nicht«, gab der Mann zurück. »Sie scheint einige Probleme zu haben. Kommen Sie, Mr. Parker, sehen wir uns das mal auf dem Bildschirm an!« * Von Schwierigkeiten konnte überhaupt keine Rede sein. Eine gewisse Lady Agatha Simpson war damit beschäftigt, sich sportlich zu betätigen. Die Lady war das, was man eine stattliche Dame nannte. Etwas über mittelgroß, verfügte sie über die majestätische Fülle einer Walküre und trug ein Tweedkostüm, das zwar nicht elegant aussah, dafür aber ungemein bequem saß. Lady Agatha, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, hatte vor Jahren beschlossen, nicht mehr älter als sechzig zu werden. Sie
ignorierte gewissenhaft ihre Geburtstage und sah in der Tat recht frisch und munter aus. In solcher Stimmung war sie auch im Augenblick. Sie schwang ihren Pompadour durch die Luft und drosch damit auf einige handfest aussehende Männer ein, die ihr zu nahe getreten sein mußten. Die Wirkung, die von diesem perlenbestickten Pompadour ausging, war beachtlich. In ihm befand sich nämlich Myladys »Glücksbringer«, ein echtes Pferdehufeisen, das aus Gründen der Humanität nur leicht mit dünnem Schaumstoff umkleidet war. Einer der drei Angreifer war gerade vom Pompadour am rechten Kinnwinkel erwischt worden. Dieser Mann legte sich mit dem Rücken auf die Luft, die .ihn natürlich nicht trug. Der Getroffene landete krachend auf seinem Steißbein, heulte auf und rollte dann haltlos zur Seite in die nahe Hecke. Der zweite Angreifer war so leichtsinnig, Mylady die Nase als Ziel anzubieten. Sie verformte sich nach einem Schlag mit dem Pompadour, legte sich schief und geriet deutlich aus der Normallage. Dem Mann schossen die Tränen in die Augen, die ihm die Sicht nahmen. Daher bekam er auch nicht mit, daß Mylady ihre Hutnadel benutzte, um sie lustvoll in den linken Oberarm ihres Gegners zu jagen. Der zweite Angreifer brüllte auf und setzte sich ab, wobei er die Orientierung verlor. Er landete mit seiner Stirn krachend vor einem an sich nur mitteldünnen Baum,
umarmte ihn und glitt dann langsam zu Boden. Der dritte Angreifer war erheblich vorsichtiger. Er hatte ja schließlich gesehen, wie streitbar diese ältere Dame war. Er umkreiste Lady Simpson, fintierte und wollte die Sechzigerin dazu bringen, auf solch eine Einladung einzugehen. Er hielt ein Messer in der linken Hand, dessen Klinge lang und scharf war. Lady Agatha beobachtete den Mann, ließ sich nicht düpieren, wartete ab und brachte ihren Pompadour erneut in Schwingung. Sie wartete ihrerseits darauf, den entscheidenden Schlag anzubringen. Diese Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten. Der dritte Angreifer fintierte erneut, warf sich wie ein Florettfechter vor, zog sich wieder zurück und... sah dann etwas auf sich zujagen. Es handelte sich um den Pompadour, den Agatha Simpson auf die Luftreise geschickt hatte. Wie die Streitaxt eines Indianers zischte dieses Nahkampfgerät auf den Mann zu und landete auf dessen Magenpartie. Der Getroffene legte das Messer aus der Hand, krümmte sich und schnappte nach Luft. Er geriet dadurch in die Reichweite der kampflüsternen Dame, die die Gelegenheit benutzte, ihm eine Ohrfeige zu geben, die nicht von schlechten Eltern war. Der Mann richtete sich wieder auf, taumelte, verlor sein Gleichgewicht und rutschte in den hochprasselnden Kies. Während Lady Simpson sich ein wenig angewidert die Hände abwischte, zappelte ihr Gegner noch für ein paar Sekunden im Kies
herum. Er wollte eindeutig aufstehen, doch er schaffte es nicht. Lady Simpson hob ihren Pompadour auf, richtete sich den leicht verschobenen Hut, der an eine Kreuzung aus Südwester und Topfdeckel erinnerte, und marschierte dann auf stämmigen Beinen in Richtung Landhaus, das auch ihr Ziel war. Ihr Gesicht - das war auf dem Bildschirm genau zu erkennen - zeigte einen sehr zufriedenen Ausdruck. * »Ich muß mich doch sehr wundern, McWarden«, sagte Lady Agatha, nachdem sie den Kontrollraum betreten hatte. »Das ist hier ja der reinste Kindergarten.« »Sie waren sehr beeindruckend, Mylady«, schmeichelte ChiefSuperintendent McWarden, jener untersetzte, kompakte Mann, der wie eine Bulldogge aussah. »Papperlapapp, McWarden!« Agatha Simpson nahm in einem Sessel Platz und schaute sich interessiert um. Sie war von Fernsehmonitoren umgeben, die teilweise eingeschaltet waren und Bilder aus dem parkähnlichen Garten lieferten. Die Schläger und Rocker, die versucht hatten, Mylady und Butler Parker den Weg zu verlegen, hatten sich von ihren Niederlagen erholt und leckten sich, wenn auch im übertragenen Sinn, ihre Wunden. Es gab da einige Sanitäter, die Pflaster aufklebten, Schürfwunden desinfizierten und verstauchte Glieder einrenkten.
»Ein sehr schlappes Bild«, urteilte Lady Agatha abfällig. »Und hier draußen werden Ihre Sonderagenten ausgebildet, McWarden?« »Ich hatte sie selbstverständlich nicht vorgewarnt«, meinte der ChiefSuperintendent ein wenig schadenfroh. »Das wird die Herren lehren, in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein.« McWarden war der Chef einer Sonderabteilung des Yard, die dem Innenministerium direkt unterstand. Das Landhaus mit dem parkähnlichen Garten war das Trainingscenter dieser Sonderabteilung. Hier wurden McWardens Agenten einer Spezialausbildung unterzogen, wie man sie sich härter kaum vorstellen konnte. Auf Myladys besonderen Wunsch hin hatte McWarden, wenn auch nur zögernd, seine Agenten auf die ältere Dame und ihren Butler angesetzt. Nein, er hatte nicht um seine Besucher gefürchtet, sondern um seine Agenten! Ihm war schließlich nur zu gut bekannt, wer die beiden Besucher waren. »Gibt es hier bei Ihnen keine Schießbahn?« erkundigte Agatha Simpson sich jetzt. »Ich habe so etwas mal in einem Fernsehfilm gesehen.« »Doch, so etwas haben wir selbstverständlich, Mylady«, antwortete McWarden. »Sie liegt drüben jenseits der Hügelkette. Wir haben da eine kleine Stadt aufgebaut...« »... die ich mir mal aus der Nähe ansehen möchte, McWarden«, sagte die ältere Dame. »Ich vermute, man
kann dort scharf auf irgendwelche versteckten Angreifer schießen, oder? In dem Fernsehfilm war es jedenfalls so.« »Dieser Fernsehfilm wurde dort gedreht, Mylady«, lautete McWardens Antwort. »Die Gegner sind selbstverständlich Puppen, die Angriffe nur vortäuschen. Sie werden von Fall zu Fall immer wieder anders plaziert, damit das Überraschungsmoment gewahrt bleibt.« »Ich freue mich schon jetzt auf diese Schießbahn, McWarden. Kommen Sie endlich zur Sache! Warum haben Sie mich herausgebeten?« »Sie waren es, Mylady, die hierher kommen wollten«, stellte McWarden klar. »Sie wollten das Trainingscenter sehen.« »Klammern Sie sich gefälligst nicht an Worte«, raunzte die energische Dame. »Sie stecken also wieder mal in Schwierigkeiten, wie ich vermute?« »Wir haben da ein Problem, Mylady.« McWarden wandte sich selbstverständlich auch an Butler Parker. Ja, im Grund unterhielt er sich mit ihm. Chief-Superintendent McWarden wußte nur zu gut, daß es eigentlich stets Parker war, der die Kriminalfälle löste. Darüber hinaus hatte der Butler immer alle Hände voll zu tun, um Mylady vor Schaden zu bewahren. Sie war ein Mensch, der die Dinge grundsätzlich direkt anging und sich dabei oft in böse Schwierigkeiten brachte. »Das Innenministerium macht Ihnen wohl wieder mal die Hölle
heiß, McWarden, wie?« Die ältere Dame freute sich eindeutig. »Es geht um Korruption, Mylady«, erwiderte McWarden. »Interessiert uns das, Mr. Parker?« erkundigte sich Lady Agatha bei ihrem Butler. »Mylady hassen Korruption, wenn ich mir erlauben darf, daran zu erinnern«, behauptete Parker höflich. »Tue ich das?« Die passionierte Detektivin konnte sich nicht erinnern, nickte sicherheitshalber aber zustimmend. »Es geht um Korruption innerhalb der Londoner Polizei«, führte McWarden weiter aus. »Es besteht der dringende Verdacht, daß Polizeibeamte geschmiert werden.« »Und dieses kleine Problem können Sie nicht allein lösen?« wunderte sich Agatha Simpson spöttisch. »Das sieht der Polizei wieder mal ähnlich.« »Wir verfügen sogar über ein Sonderdezernat, das sich mit interner Korruption befaßt, Mylady«, gab McWarden süß-sauer zurück. »Darüber hinaus aber möchte ich Außenseiter bitten, sich dieser Sache anzunehmen. Sie als Privatpersonen haben vielleicht größere Chancen, diese Fälle schnell zu lösen.« »Um welche Delikte, Sir, handelt es sich Ihren Erkenntnissen nach?« Josuah Parker kam einer weiteren Spitze seiner Herrin zuvor. »Da besteht der dringende Verdacht, Mr. Parker, daß wichtige Informationen an die Unterwelt weitergeleitet werden«, zählte McWarden auf. »Es dürfte sich um Erpressungen und Nötigungen handeln, um Diebstähle im
Hafengebiet und um Einbrüche. Leider ist der Katalog sehr lang, wie ich gestehen muß.« »Kein Mord?« Agatha Simpson sah McWarden vorwurfsvoll an. »Erfreulicherweise bisher noch nicht, Mylady«, entgegnete McWarden. »Aber auch damit ist durchaus zu rechnen.« »Wer, außer Ihnen, Sir, weiß davon, daß Sie Mylady um Mithilfe und Aufklärung gebeten haben?« erkundigte sich Parker. »Kein Mensch, vom Innenminister mal abgesehen.« »Das klingt recht gut«, meinte Lady Simpson. »Kann man diesem Herrn trauen, McWarden?« »Aber Mylady«, entrüstete sich der Chief-Superintendent. »Ich hatte seinerzeit Pferde in meinem Rennstall, die ich deutlich husten hörte«, sagte Lady Agatha, eine Spruchweisheit abwandelnd. »Dann müßten Sie mich ebenfalls verdächtigen, Mylady«, antwortete McWarden gereizt. »Das tue ich auch«, sagte Lady Simpson und musterte den ChiefSuperintendent scharf. »Warum sollten Sie eine Ausnahme bilden, McWarden? Sie sind schließlich auch nur ein Mensch, wenn auch ein schwacher.« »Mylady, Sie beleidigen mich«, erwiderte McWarden wütend. »Schnickschnack, junger Mann«, fuhr Lady Agatha den Mann an, der gut und gern seine fünfzig Jahre hinter sich hatte. »Benehmen Sie sich gefälligst nicht wie eine alte Jungfrau! So, damit wäre die Sache also' erledigt, nicht wahr? Bringen Sie mich jetzt hinüber zum
Schießstand! Ich möchte prüfen, ob meine Reflexe noch in Ordnung sind.« * »Waren sie in Ordnung, Mr. Parker?« erkundigte sich zwei Stunden später Kathy Porter. Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin der Lady und zugleich Parkers Schülerin, was die Künste der Selbstverteidigung und Maske betraf. Von Lady Agatha wurde Kathy wie eine Tochter behandelt, das Vertrauensverhältnis der beiden Frauen war schon bemerkenswert. Kathy Porter, fünfundzwanzig Jahre alt, etwas über mittelgroß, schlank und geschmeidig, erinnerte auf den ersten Blick auf ein durchaus scheues Reh, wozu ihr kastanienrotes Haar noch beitrug. Dieser erste Eindruck täuschte indessen. Sie war in der Lage, sich gekonnt ihrer Haut zu wehren und beherrschte alle Künste ostasiatischer Verteidigungsmethoden. Sie stand jetzt Butler Parker gegenüber, der eben erst mit Lady Simpson in das altehrwürdige Stadthaus in Shepherd's Market zurückgekommen war. Wenn Lady Agatha sich in London aufhielt, wohnte sie hier in diesem wunderschönen Fachwerkhaus, das auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden war. »Es hat Ärger gegeben, Mr. Parker?« fragte Kathy weiter, da Josuah Parker nicht sofort geantwortet hatte. - »Lassen Sie es mich anders ausdrücken, Miß Porter«, schlug der Butler vor.
»Myladys Reflexe sorgten für einige Verwirrung auf dem Schießstand, der nun wohl generalüberholt werden dürfte.« »Was muß ich mir darunter vorstellen, Mr. Parker?« Kathy Porter lächelte bereits amüsiert. »Mylady schoß scharf«, schickte Parker voraus. »Mylady traf allerdings weniger die Attrappen, die die überraschend erscheinenden Gegner darzustellen haben, nein, Mylady setzte durch mehr oder weniger gezielte Schüsse die komplizierten elektronischen Steuerund Leitsysteme außer Gefecht.« »Wie war denn das möglich, Mr. Parker?« Kathy Porter lachte. »Mylady verfehlte souverän die eigentlichen Ziele, Miß Porter«, berichtete Parker weiter, ohne eine Miene zu verziehen. »Darüber hinaus sorgte Mylady für eine kleine, nicht unerhebliche Feuersbrunst.« »Sie hat Feuer gelegt?« »Nicht absichtlich, wie ich betonen möchte, Miß Porter. Myladys Schüsse trafen unter anderem eine zentrale Schalttafel, die daraufhin mit einem ausgiebigen Kurzschluß reagierte. Die Feuerwehren wurden, wenn ich es so umschreiben darf, erheblich gefordert.« »Und der Chief-Superintendent?« Kathy Porter gluckste. Sie sah alles deutlich vor sich. Sie wußte ja nur zu gut, wie Lady Simpson sich überschätzte. »Mr. McWarden war einem Kreislaufzusammenbruch äußerst nahe«, erzählte Butler Parker sachlich weiter. »Doch nach kurzer ärztlicher Intensivbehandlung beugte er sich den Realitäten.«
»Schade, daß ich das alles nicht erlebt habe«, seufzte Kathy Porter auf. »Es war in der Tat ein nachhaltiges Erlebnis«, bestätigte Josuah Parker. »Nachhaltig deshalb, weil Mylady darüber hinaus noch zwei der nachgebildeten Häuser dieses Phantomdorfes dem Erdboden gleich machte.« »Nein, Mr. Parker, auch das noch?« Kathy Porter wischte sich einige Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Mylady benutzte dazu eine Planierraupe, die wohl nur als Dekoration in einer der kleinen Seitenstraßen stand. Aus Gründen, die meiner Wenigkeit selbst jetzt noch unerklärbar sind, gelang es Mylady, dieses Gefährt in Bewegung zu bringen. Damit attackierte Mylady dann zwei dieser Bauten und schob sie zur Seite - und dann in sich zusammen!« »Ich liebe Lady Simpson«, gestand Kathy Porter. »Auch ich möchte nicht verhehlen, Miß Porter, daß ich Mylady außerordentlich schätze«, gestand Josuah Parker. »Das Unkonventionelle an ihr ist immer wieder beeindruckend.« »Ist McWarden nach dieser Geschichte immer noch an einer Zusammenarbeit interessiert, Mr. Parker?« »Er kann auf sie gar nicht verzichten, Miß Porter. Der ChiefSuperintendent befindet sich in einer Situation, die ich als peinlich umschreiben möchte.« Parker setzte Kathy auseinander, welche Sorgen McWarden plagten.
»Hat er wenigstens einen bestimmten Verdacht?« erkundigte Kathy sich anschließend. »Es existiert nicht der geringste Anhaltspunkt«, antwortete Butler Parker. »Möglicherweise vermeidet Mr. McWarden es aber auch, leichtfertig bestimmte Namen zu nennen. Ich fürchte, man wird diesen Fall von Grund auf angehen müssen.« »Sie haben aber bestimmt schon gewisse Vorstellungen, nicht wahr?« »In der Tat, Miß Porter! Es dürfte auf keinen Fall einen Sinn haben, die bestochenen Beamten zu Handlungen zu provozieren, die eine eventuelle Entlarvung möglich machen könnten. Dies ist Sache des Sonderdezernats der Polizei. Man wird, so glaube ich, unorthodox vorgehen müssen, wenn ich es so umschreiben darf.« * »Nee, Mr. Parker, ich steh' völlig aufm Schlauch«, sagte Ben Brells, ein kleiner Mann, der an ein Frettchen erinnerte. »Jederzeit zu Diensten, ehrlich, aber hier muß ich passen.« Ben Brells war der Besitzer einer kleinen Teestube bei den West India Docks und darüber hinaus eine Art Makler. Er vermittelte gewisse Geschäfte innerhalb der Unterwelt und hatte sich auf kleine Gauner und Ganoven spezialisiert. Er brachte passende Partner zusammen, die dann gemeinsam einem kurzfristigen Job nachgingen, der mit den bestehenden Gesetzen auf keinen Fall in Einklang zu bringen war.
Er vermittelte einen Schweißer an einen Mann, der genau wußte, wo ein relativ leicht zu öffnender Geldschrank stand; er sorgte für einen Hehler, der gerade in der Lage war, etwa einen Posten Whisky zu übernehmen; er kannte zum Beispiel den Besitzer einer kleinen Werkstatt, der sich nichts daraus machte, gestohlene Wagen umzuspritzen; er trieb einen Fachmann auf, der genau im richtigen Moment einen gut versicherten Lastwagen samt Inhalt in Flammen aufgehen ließ, kurz, Ben Brells mäkelte gegen eine stets feste Vorausprovision, ohne sich dabei selbst die Hände schmutzig zu machen. Parker hatte der kleinen, peinlich sauberen Teestube einen Besuch abgestattet und verzichtete sicherheitshalber darauf, den angebotenen Tee zu sich zu nehmen. Dieser Tee würde nämlich nur aus gesetzlichen und optischen Gründen serviert. Er sah auch dementsprechend aus. »Sie enttäuschen mich schmerzlich, Mr. Brells«, sagte Josuah Parker: »Auf der anderen Seite kann ich Ihre Vorbehalte und die Vorsicht selbstverständlich nur zu gut verstehen.« »Ich weiß, Sie haben mir damals in der LKW-Geschichte aus der Patsche geholfen«, erinnerte sich Brells. »Ohne Sie hätte man mir glatt 'nen Mord ans Bein gebunden, aber ehrlich, hier kann ich nich' helfen. Und wissen Sie auch, warum? Weil ich nichts weiß!« »Und weil Sie vor allen Dingen befürchten, man könnte Sie für einen Verräter halten, nicht wahr?«
»Kommt noch dazu, Mr. Parker. Aber ehrlich, ohne jede Lüge, ich weiß von keinem Polizisten, der hier 'ne linke Tour reitet. Gibt's denn so was überhaupt? Kann ich mir gar nicht vorstellen.« »Ihre Einstellung ist äußerst lobenswert«, fand Josuah Parker. »Ich hoffe sehr in Ihrem Interesse, daß man meinen Besuch bei Ihnen nicht mißversteht.« »Wie... Wie soll ich'n das verstehen?« »Ich fürchte, man hat meine bescheidene Wenigkeit beim Betreten Ihrer Teestube beobachtet.« »Wie war das?« Ben Brells sah automatisch zum Schaufenster seiner Teestube hinüber und bückte nach draußen. In der engen Straße säumten parkende Wagen die beiden Gehwegränder. Und es gab sehr viel Volk in dieser Hafengegend. »Ich fürchte, man hat mich beschattet, Mr. Brells«, redete Parker weiter. »Ich habe nämlich schon versucht, bei Mr. Stackson gewisse Hinweise einzuholen.« Ausgerechnet bei Stackson?« Ben Brells wußte mit diesem Namen viel anzufangen. Stackson betrieb eine Kneipe ganz in der Nähe, bei ihm verkehrten bereits Gauner und Ganoven der gehobenen Mittelklasse. »Mr. Stacksons Reaktion auf meine an sich bescheidenen Fragen war recht unhöflich«, meinte Parker gemessen. »Ich sah mich gezwungen, ihn ein wenig zur Ordnung zu rufen.« »Und er hat Ihnen 'n paar Schläger nachgeschickt, wie?« Ben Brells schluckte nervös.
»Möglicherweise«, gab Parker zu bedenken. »Hoffentlich nehmen diese rüden Herren nicht an, daß Sie mir einen versteckten Hinweis gegeben haben könnten.« »Tu ich ja nicht! Ich werd' mich hüten. Ich halt' dicht wie 'ne Wand aus Spundbohlen, Mr. Parker.« »Ich weiß es, Mr. Brells, Sie wissen es, aber wissen es auch Mr. Stackson und seine Mitarbeiter dort draußen?« »Ich werde Stackson sofort anrufen un' ihm sagen, daß ich kein Wort gesagt habe.« »Dies wäre vielleicht wirklich zu empfehlen, Mr. Brells«, antwortete Josuah Parker. »Mißverständnisse gerade in Ihren Kreisen soll man besser erst gar nicht aufkommen lassen, nicht wahr?« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und verließ die Teestube. Er setzte sich in sein Monstrum, wie sein Privatwagen gern genannt wurde. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach seinen Wünschen und Vorstellungen völlig neu gestaltet worden war, was die technischen Dinge betraf. Bevor er anfuhr, zog Parker ein schwarzes Notizbuch hervor und strich den Namen des ehrenwerten Mr. Ben Brells. Zusammen mit diesem Besuch hatte er bereits sechs andere Sprengladungen mit Zeitzünder gelegt. Es gab noch viel zu tun, was den Rest der Liste anbetraf. Da waren noch weitere sieben Etablissements zu besuchen, die der Butler sich notiert hatte. Er hoffte, bis zum Einbruch der Dunkelheit damit fertig zu werden.
Als er dann endlich anfuhr, bemerkte er im Rückspiegel den Toyota, der ihm bereits seit einiger Zeit beharrlich folgte. * Butler Parker tat alles, um seine Verfolger zu animieren. Er rechnete früher oder später mit einem Überfall und hatte sich vor Antritt dieser Ausfahrt bereits entsprechend vorbereitet. Er überließ nichts dem Zufall und kalkulierte sein Risiko stets genau ein. Auf seiner Liste standen noch drei Adressen, doch bisher hatte man ihn völlig in Ruhe gelassen. Der Toyota, dessen Kennzeichen er sich natürlich gemerkt hatte, war schon seit einiger Zeit nicht mehr zu sehen. An seine Stelle war jetzt ein ramponierter Morris getreten, in dem ebenfalls zwei junge Männer saßen. Doch dieser Morris drehte plötzlich ab und verschwand in einer Seitenstraße. Parker ließ sich nicht beirren. Nach seiner Rechnung mußte ein erster Gegenschlag erfolgen. Die Reaktion auf seine bisherigen Besuche konnte einfach nicht ausbleiben. Er hatte sich nicht verrechnet! Parker rollte mit seinem hochbeinigen Monstrum über eine breite Zufahrtstraße, die zu einem alten Pier führte, dessen Lagerschuppen bereits teilweise abgerissen wurden. Im Rückspiegel war zwar kein weiterer Verfolgerwagen auszumachen, doch ihm entgegen kam ein alter Lastwagen, dessen Ladefläche mit Kies beladen war. Das also war es!
Man wollte ihn nachdrücklich aus dem Weg räumen und mit dem Lastwagen rammen. Anschließend sollten wohl er und sein schrottreifer Wagen in das nahe Hafenbecken gedrückt werden. Schneller, glatter und brutaler konnten gewisse Leute gar nicht reagieren! Seine bisherigen Besuche mußten so etwas wie eine Panik ausgelöst haben. Parker verlor keineswegs die Nerven. Er behielt sie selbst dann noch, als ein zweiter Lastwagen auftauchte, der Eisenschrott geladen hatte. Er fuhr hinter dem ersten LKW her, würde aber mit Sicherheit im richtigen Moment seitlich ausscheren und die Fahrbahn zusätzlich blockieren. Man wollte jedes Ausweichmanöver verhindern... Konnte scharfes Bremsen noch helfen? War ein Wenden überhaupt noch möglich? Hatte es einen Sinn? Ein schneller Bück in den Rückspiegel sagte ihm, daß der Rückweg bereits versperrt war. Weit hinten, an der Einfahrt zu dieser Straße, schob sich ein Möbelwagen quer über die Fahrbahn und schnitt den Rückweg ab. Gleichzeitig sorgte dieser querstehende Möbelwagen dafür, daß etwaige Zeugen ausgesperrt blieben. Dieses Stück Straße gehörte nur noch seinen mordlüsternen Gegnern. Josuah Parkers schwarz behandschuhte Hand glitt fast spielerisch über die Kippschalter des reich ausgestatteten Armaturenbrettes. Er bereitete sich auf einen Gegenangriff vor, denn er hatte nicht die Absicht, seinen Wagen sinnlos beschädigen zu lassen.
Was sich daraufhin tat, war - technisch gesehen - recht erstaunlich. Oberhalb der beiden Scheinwerfer öffneten sich in den Kotflügeln zwei schmale, rechteckige Schlitze in der Karosserie. Gleichzeitig dazu schoben sich die spitzen Köpfe kleiner Raketen hervor, die an sich recht harmlos aussahen und an Feuerwerkskörper erinnerten, wie man sie zur Feier eines neuen Jahres verwendet. Der Abstand zwischen den; beiden Lastwagen und Parkers hochbeinigem Monstrum hatte sich inzwischen deutlich verringert. Er betrug nur, noch knappe achtzig Meter und schrumpfte von Sekunde zu Sekunde immer weiter zusammen. Parker blieb jedoch gelassen wie stets. Mit dem dünnen Metallring innerhalb des Lenkrades, durch den man Hupsignale auslöste, brachte er die beiden Raketenköpfe in den richtigen Anstellwinkel. Dies war eine Sache von Sekundenbruchteilen. Als Visier' diente ihm ein haarfeiner Kratzer in der Windschutzscheibe, der von ihm dort absichtlich eingeätzt worden war. Er brachte diese Marke mit der Kühlerfigur in die gewünschte Deckung und feuerte dann die erste Rakete ab. Es war schon frappierend, was sich danach ereignete. Die Rakete schoß fauchend aus dem schmalen Rechteck und hinterließ einen Feuerschweif. Sie jagte in rasanter Flugbahn auf den Laster zu, dessen Fahrer überhaupt keine Möglichkeit hatte, seinen Kurs zu korrigieren.
Dann erfolgte der Einschlag. Der Raketenkopf zerplatzte auf der Windschutzscheibe des Lastwagens und ließ sie blind werden. Ein wahres Feuerwerk von kleinsten Knallkörpern hüpfte funkensprühend durch die Gegend und sorgte für zusätzliche Desorientierung. Gleichzeitig aber legte sich ein dicker, schmieriger Ölfilm auf die an sich schon unsaubere Windschutzscheibe. Der Lastwagen machte einen wilden Schlenker nach rechts, dann nach links, bäumte sich unter einer Vollbremsung auf und rutschte im Zeitlupentempo an den Rand des Hafenbeckens. Während der Fahrer gerade abspringen konnte, rauschte der Lastwagen samt seiner Kiesladung in das hoch aufspritzende Wasser, um dann auf Grund zu gehen. Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum langsam weiterrollen lassen und beobachtete den zweiten LKW. Der Fahrer hatte ihn angehalten und hechtete förmlich hinaus ins Freie. Er hatte den sprühenden Regen der bunten Kleinstmeteoriten mitbekommen und das Verschwinden seines Zwillings im Wasser gesehen. Der Mann rannte in wilder Flucht davon, drückte sich ab und warf sich ins Hafenbecken. Sein Kopfsprung mißlang eindeutig. Er landete mit der Bauchpartie auf dem schäumenden Wasser, brüllte entsetzt auf und verschwand dann in der schmutzigen Brühe. Parker hielt am Rand des Hafenbeckens und wartete, bis der Fahrer wieder an die
Oberfläche kam. Dann kümmerte er sich nicht weiter um diesen Mann, der doch nur ein Handlanger war und wahrscheinlich nichts wußte. Er gestattete auch dem Fahrer des ersten Lastwagens, sich ins Wasser zu werfen. Der Kopfsprung dieses Mannes fiel bereits wesentlich besser aus, war aber dennoch nicht meisterlich zu nennen. Josuah Parker ging zu dem zweiten LKW hinüber, stieg hinauf ins Fahrerhaus und griff nach dem handlichen und kleinen Funksprechgerät, das gequält quäkte und nach einer Verbindung schrie. Parker schaltete das Gerät auf Empfang und hörte augenblicklich eine harte, befehlsgewohnte Stimme, die unbedingt in Erfahrung bringen wollte, was denn - zum Henker passiert sei. Parker drückte die Sendetaste. »Ihr Anschlag auf meine bescheidene Wenigkeit sollte als gescheitert betrachtet werden«, sagte Parker in seiner ruhigen und gelassenen Art. »Ich möchte sagen, daß Sie es an der nötigen Sorgfalt fehlen ließen, um es so pauschal auszudrücken. Sie sprechen übrigens mit Parker, Josuah Parker, um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß Sie bereits einen gravierenden Fehler begangen haben?« Als Parker die Empfangstaste drückte, blieb die Antwort aus. Doch darüber wunderte der Butler sich überhaupt nicht. *
»Sie haben natürlich wieder mal einen Fehler begangen«, sagte Lady Simpson gereizt und schaute ihren Butler an. »Mylady sehen mich bestürzt.« »Sie hätten mich mitnehmen müssen«, redete die Detektivin weiter. »Wie könnte es Ihnen nur passieren, daß diese beiden Lastwagenfahrer entkamen? Mir, Mr. Parker, wäre das nicht unterlaufen.« »In der Tat, Mylady!« In Parkers Gesicht regte sich kein Muskel. »Diese beiden Subjekte hätten geredet, verlassen Sie sich darauf!« »Vielleicht ist meine bescheidene Wenigkeit total überfordert worden«, vermutete Josuah Parker dann. »Die Ereignisse überschlugen sich förmlich, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Man muß eben eiserne Nerven haben«, erklärte Lady Agatha. »Aber mit der Zeit werden Sie es noch lernen, kühlen Kopf zu bewahren.« »Mylady dürfen versichert sein, daß ich mich bemühen werde.« »Und wie soll's jetzt weitergehen? Was haben Sie erreicht? Sie stehen doch mit völlig leeren Händen da, oder?« »Nicht unbedingt und völlig, Mylady«, widersprach Parker in seiner höflichen Art. »Darf ich mir erlauben, auf das Funksprechgerät zu verweisen, das sich im zweiten Lastwagen befand?« »Funksprechgerät, Mr. Parker! Das wird uns nicht weiterbringen.« »Es handelt sich um ein Gerät, wie es von der Polizei verwendet wird.« »Es wird gestohlen worden sein.«
»Möglicherweise, Mylady. ChiefSuperintendent McWarden geht dieser Sache bereits nach.« »Diese beiden Subjekte von Fahrern wären mir lieber gewesen, Mr. Parker«, wiederholte die ältere Dame noch mal. »Und warum diese zeitraubenden Fahrten von einem Pub zum anderen? Was sollte das bringen?« »Unsicherheit, Mylady, um es mal pauschal zu umschreiben. Es ist mit Gewißheit zu erwarten, daß Mitglieder der Unterwelt inzwischen jene Polizeibeamten informiert haben, die sich bestechen lassen. Und diese Beamten wissen auf keinen Fall, wieviel Mylady inzwischen an Informationen sammeln konnten.« »Das stimmt allerdings.« Agatha Simpson nickte bereits und machte einen leicht versöhnten Eindruck. »Die bestochenen Polizeibeamten werden nun falsche Spuren auslegen«, vermutete Butler Parker weiter. »Mylady deuteten das ja bereits an.« »Wie?« Lady Simpson hatte keine Ahnung, je so etwas angedeutet zu haben. Da das aber, was Parker gerade gesagt hatte, sehr plausibel klang, nickte sie zögernd. »Wer jedoch falsche Spuren auslegt, Mylady, bringt sich früher oder später selbst in Gefahr«, meinte Parker weiter. »Was ich ja die ganze Zeit über sage!« Jetzt sah die ältere Dame wieder Land und machte sich Parkers Argumente zu eigen. »Man sollte allerdings damit rechnen, Mylady, daß diese Beamten sich nicht scheuen werden, noch
drastischere Maßnahmen zu ergreifen.« »Worauf Sie sich verlassen können.« Lady Agatha sah alles klar vor sich. »Man wird versuchen, mich zu ermorden.« »Davon sollte man stets ausgehen, Mylady.« »Sehr schön«, freute die Sechzigjährige sich. Die Aussicht, ermordet zu werden, störte sie offensichtlich nicht. »Diesen Subjekten werde ich eine gehörige Abfuhr erteilen. Kann man nicht sofort etwas unternehmen, Mr. Parker? Wie wäre es mit einer Ausfahrt? Vielleicht habe ich das Glück, daß erneut zwei Lastwagen eingesetzt werden.« Die ältere Dame übersah wieder mal die harte Realität und vibrierte' vor Tatendrang.« »Mit solch einer Wiederholung ist kaum zu rechnen, Mylady«, warnte Josuah Parker. »Ab sofort dürften gewisse Herren scharf und gezielt schießen.« »Dagegen kann man ja schließlich etwas tun«, erwiderte sie wegwerfend. »Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen, Mr. Parker! Ich möchte heute abend ausgehen. Ich spüre es, daß die bestochenen Polizeibeamten sich eine Blöße geben werden.« * Bevor Josuah Parker die Haustür öffnete, um seine Herrin zu seinem Wagen zu geleiten, vergewisserte er sich nach alter Regel erst mal, ob die Luft auch jenem Reinheitsgehalt
nahekam, den er aus Gründen der Sicherheit schätzte. Parker benutzte dazu ein Nachtsichtgerät modernster Bauart und suchte damit den kleinen Platz ab, um den sich die Fachwerkhäuser hier in Shepherd's Market gruppierten. Auf Anhieb entdeckte er hinter den absichtlich niedrig gehaltenen Blumenrabatten inmitten des kleinen Rasenvierecks zwei dubiose Gestalten, die sich erstaunlicherweise noch nicht mal die Mühe machten, voll in Deckung zu gehen. Ja, sie rauchten sogar Zigaretten und benahmen sich überhaupt recht auf fällig. Im Nachtsichtgerät waren die Gesichter dieser beiden Burschen nicht deutlich zu erkennen, wozu mächtige Schnauzbarte und dicke Hornbrillen noch zusätzlich beitrugen. Trenchcoats und weiche Hüte mit heruntergeklappten Rändern ließen gewisse Schlüsse zu. Daß es sich um eine absichtliche Tarnung handelte, war Parker klar. Die beiden Männer sollten für eine Verunsicherung sorgen und den Insassen des Hauses anzeigen, daß man sie bereits aufs Korn genommen hatte. Parkers Nachtsichtgerät entdeckte aber noch mehr. Am Ende des kleinen Platzes, wo die Durchgangsstraße sich befand, warteten zwei weitere Männer, ähnlich gekleidet wie jene, die er zuerst gesehen hatte. Auch sie rauchten ungeniert und legten es darauf an, erkannt zu werden. »Worauf warten wir noch?« erkundigte Lady Simpson sich
gereizt. »Ich wünsche auszufahren, Mr. Parker.« »Man scheint Mylady auflauern zu wollen.« Parker reichte seiner Herrin das handliche Nachtsichtgerät, und die Detektivin hatte bald die vier Männer ausgemacht. »Sehr schön«, freute sie sich. »Das ist doch schon ein recht hübscher Anfang. Wir werden die Flegel zu einem Plauderstündchen ins Haus laden, Mr. Parker.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady, davor zu warnen?« »Haben Sie etwa Angst?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady, aber eine Einladung gegen den Willen jener Herren dort draußen könnte zu gerichtlichen Verwicklungen führen.« »Papperlapapp! Schließlich handelt es sich um Gangster, mögen sie nun bei der Polizei angestellt sein oder nicht.« »Diese vier Herren wird man später mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als harmlose Touristen identifizieren, die gegen Mylady wegen Freiheitsberaubung gerichtlich vorgehen werden.« »Unsinn, Mr. Parker, was Sie sich da wieder mal einreden!« Sie reichte ihm das Nachtsichtgerät unwirsch zurück. »Mylady, man hat es mit Mitgliedern der Polizei zu tun, die das Gesetz genau kennen«, warnte Parker weiter. »Man wird versuchen, Mylady mit legalen Mitteln daran zu hindern, diesen Fall zu lösen. Diese vier Herren dort draußen sind doch eine einzige Einladung, Fehler zu begehen.«
»Sie rechnen nicht damit, daß man auf mich schießen will?« »Solch eine Absicht möchte ich erheblich in Zweifel ziehen, Mylady.« »Das glaube ich einfach nicht. Natürlich würden die Subjekte auf mich schießen.« »Darf ich mir gestatten, Mylady, die Probe aufs Exempel zu machen?« »Okay, Sie wollen wieder mal Ihren Kopf durchsetzen.« Lady Simpsons Stimme klang ein wenig unsicher. »Aber ich bin nach wie vor dafür, diese Individuen einzusammeln.« Parker improvisierte, ging in die große Wohnhalle und öffnete die Tür zur Garderobe. Über den Griff seines Universal-Regenschirms stülpte er den .skurrilen Hut der Lady und drapierte dann ihren wetterfesten Tweedmantel um den Schirmstock. Dieser Mantel, eigentlich mehr ein Umhang, war weit und faltenreich. Er täuschte die stattliche Fülle der kriegerischen älteren Dame vor. Die Täuschung war fast vollkommen. Parker trug die falsche Lady Simpson zur Tür, entsicherte sie und öffnete vorsichtig. Dann schob er seine Version der Lady Agatha hinaus ins Freie. Unter dem kleinen, schindelgedeckten Vordach brannte eine Lampe. Agatha Simpson war also in jedem Fall deutlich zu erkennen. Ein besseres Ziel hätte man sich gar nicht vorstellen können. Selbst ein durchschnittlicher Schütze hätte treffen müssen. Nun, es fiel kein Schuß! Die vier nächtlichen Fußgänger reagierten genauso, wie Parker es
sich gedacht hatte. Sie schoben sich näher an das altehrwürdige Haus heran und luden erneut zu einer Fehlreaktion ein. Sie boten sich ebenfalls als Ziel an und warteten eindeutig darauf, daß man sie in irgendeiner Form angriff. Butler Parker holte seine Herrin ins Haus zurück und schloß die Tür. Als er sich umwandte, sah er sich der echten Lady gegenüber, die ihn enttäuscht ansah. »Sie hätten mich länger draußen lassen sollen«, meinte sie dann. »Wenn Mylady es wünschen, kann ich das Experiment selbstverständlich wiederholen.« »Geschenkt«, meinte sie grimmig. »Diesmal mögen Sie ja recht haben. Aber bilden Sie sich darauf nur nichts ein!« »Mylady können sich auf meine bescheidene Wenigkeit verlassen«, versprach Josuah Parker. Er sah über die linke Schulter seiner Herrin hinweg auf Kathy Porter, die aus dem rückwärtigen Teil des Hauses kam. »Die Gasse hinter dem Haus ist besetzt«, meldete sie. »Auch dort warten zwei Männer. Sie sehen so aus, wie die Typen vorn.« »Was hat das zu bedeuten?« entrüstete die Detektivin sich prompt. »Das lasse ich mir nicht gefallen. Tun Sie endlich etwas, Mr. Parker!« »Haben Mylady spezielle Wünsche?« »Erteilen Sie diesen Lümmeln eine Lektion! »Mylady werden zufrieden sein«, versprach Parker und begab sich ohne Hast hinunter ins Souterrain
des Hauses, wo sich seine Privaträume befanden. Hier war auch sein Labor, in dem er immer wieder neue Überraschungen ersann und dann das Material zusammensetzte. Er hatte wirklich keine Eile. Nach seiner Auffassung würden die vor und hinter dem Haus wartenden Männer noch länger bleiben. Sie warteten ja darauf, daß man hier im Haus die Nerven verlor und sich zu beweisbaren Ungesetzlichkeiten hinreißen ließ. Parker öffnete in seinem Labor eine normal aussehende Plastikdose und entnahm ihr erbsengroße Gelatinekapseln. Dann griff er nach seiner Gabelschleuder, die von besonders starker Machart war. Gemessen stieg er wieder hinauf ins Haus und bereitete sich darauf vor, Lady Simpsons Wünsche zu erfüllen. * Einer der beiden Männer hinter der Blumenrabatte hatte sich bisher sichtlich gelangweilt. Doch jetzt zuckte er zusammen, als habe er einen nicht gerade kleinen elektrischen Schlag erhalten. Er griff automatisch nach seiner Stirn, die plötzlich schmerzte, fühlte eine klebrige Flüssigkeit und schluckte vor Entsetzen. »Was ist?« fragte sein Partner, der aufmerksam geworden war. »Mich... mich hat da gerade was erwischt«, jammerte der Getroffene mit belegter Stimme. Er tastete erneut nach der schmerzenden Stelle.
Seine Fingerkuppen verschmierten erneut. »Erwischt?« fragte der Partner und zuckte die Achseln. »Irgendein Käfer oder 'ne Nachtmotte.« Er hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als auch er zusammenfuhr. Er spürte, daß auf seinem Hinterkopf irgend etwas nachdrücklich gelandet war. Auch er fühlte einen kleinen Schmerz, griff vorsichtig nach dieser Stelle und holte tief Luft, als auch seine Fingerkuppen eine klebrige Flüssigkeit ertasteten. »Mich hat's auch getroffen«, sagte er verdutzt. »Ich.. .ich blute«, behauptete der erste Mann. »Ich auch.« Der zweite Mann sah zum Haus der Agatha Simpson hinüber, in dem alles dunkel war. Er duckte sich, warf die brennende Zigarette weg und schnüffelte dann an der klebrigen Flüssigkeit, mit der seine Fingerkuppen bedeckt waren. Nein, nach Blut roch das nicht, das hätte er sofort herausgefunden. »Wir setzen uns ab«, flüsterte er seinem Partner zu. »Nichts wie weg!« »Was ... was mag das nur gewesen sein?« fragte sein Begleiter nervös. »Sicher keine Motte.« Die beiden Helden brachten sich erst mal in Sicherheit und zogen sich in Richtung Durchgangsstraße zurück, wo sie von den beiden anderen Männern in Empfang genommen wurden. »Irgendwas hat uns erwischt«, sagte der erste Mann und fingerte wieder nach seiner Stirn.
»Bei mir im Nacken«, sagte der zweite Mann. »Los, seht mal nach!« Man sah nach und prüfte die klebrige Flüssigkeit, konnte in der Dunkelheit jedoch nichts erkennen. Daraufhin begab man sich hinüber zu einem weiter unten parkenden Wagen und setzte sich in ihn. Bei eingeschaltetem Innenlicht wurde eine zweite Prüfung vorgenommen. »Komisch«, sagte einer der beiden Prüfenden. »Blut is' das aber nicht.« »Sieht nach Tinte aus«, sagte der andere. »Aber wieso hat uns das erwischt?« erkundigte sich der erste Getroffene und fingerte wieder nach der Stirn. Anschließend nahm er ein Taschentuch und wollte den klebrigen Brei von der Stirn wischen. Das gelang ihm zwar, doch die Schwärze auf seiner Stirn ließ sich nicht tilgen. »Immer noch dran«, meinte der zweite Prüfer kopfschüttelnd. »Bei mir auch?« wollte der Mann wissen, den es im Nacken erwischt hatte. Auch er hatte inzwischen sein Taschentuch bemüht. »Auch bei dir«, lautete die verblüffte Antwort. »Nur jetzt breiter verschmiert.« »Was mag das sein?« fragte der Nackengeschädigte. »Und wieso hat's uns erwischt?« fragte der Mann mit dem Stirnfleck. »Wir haben nichts gehört.« Die vier Männer ergingen sich in eine längere Diskussion über alle Möglichkeiten und strapazierten ihre Phantasie. Sie kamen zu dem Schluß, daß die beiden Geschosse aus dem Haus der Lady gekommen sein mußten.
Als sie das Thema des technischen Ablaufs erörtern wollten, erschienen zwei Männer neben dem Wagen, die einen recht aufgeregten Eindruck machten. Sie zwängten sich in den Wagen und präsentierten sich. Einer von ihnen hatte eine pechschwarze Nase, der andere eine nicht weniger schwarze linke Wange. Es stellte sich heraus, daß auch sie von diesen seltsamen Geschossen erwischt worden waren. Sie einigten sich darauf, die unheimliche Gegend umgehend zu räumen und sich bei einem gewissen Auftraggeber zu beschweren. Man war ehrlich empört darüber, nicht gewarnt worden zu sein; Und in diesem Zusammenhang fiel laut und deutlich der Name eines gewissen Stackson. Die sechs Männer dachten nicht im Traum daran, eventuell abgehört zu werden. Während ihrer Unterhaltung hatten sie natürlich immer wieder mißtrauisch ihre weitere und nähere Umgebung gemustert. Sie hatten offensichtlich keine Ahnung von der Existenz sogenannter Richtmikrofone und Verstärker. Sie ahnten nicht, daß jedes gesprochene Wort von einem gewissen Josuah Parker verfolgt wurde. * »Wer ist Stackson?« wollte Lady Simpson wissen, als Parker wieder unten im Salon des Hauses erschienen war und einen Kurzbericht erstattet hatte. »Einer jener Herren, Mylady, die ich besuchte«, erwiderte Parker. »Mr. Stackson betreibt in
unmittelbarer Nähe der West India Docks einen Pub, darüber hinaus aber auch einen Privatclub.« »Ein Gangster?« wollte die Detektivin weiter wissen. »Ein Mann, den man als ausgesprochen gefährlich und tückisch bezeichnen muß, Mylady. Nach meinen bescheidenen Informationen scheint er sich darauf spezialisiert zu haben, Schutzgebühren von Transportunternehmern zu erheben.« »Was soll ich mir denn darunter vorstellen?« Sie sah Parker ungnädig an. »Mr. Stackson belegt Transportunternehmer mit einer Art Privatsteuer, Mylady. Dafür garantiert er seinen Klienten einen reibungslosen Abtransport der Waren aus dem Hafen.« »Und diesem Subjekt konnte man bisher noch nicht das Handwerk legen?« Sie schüttelte empört den Kopf. »Warum erfahre ich erst jetzt von ihm, Mr. Parker?« »In Anbetracht der bisherigen Fälle, Mylady, ergaben sich erst jetzt Berührungspunkte.« »Diesen Stackson möchte ich mir mal aus der Nähe ansehen. Ich glaube, er ist der Schlüssel zu diesem neuen Fall. Nein, noch mehr, Mr. Parker, ich spüre es genau: Stackson ist der Mann, der die Polizeibeamten schmiert.« »Solch eine Möglichkeit möchte ich auf keinen Fall ausschließen«, antwortete Josuah Parker. »Das Format dazu hätte er sicher.« »Sie kennen diesen Stackson?«
»Nur sehr indirekt, Mylady. Es ist nur schwer an ihn heranzukommen. Er liebt die Sicherheit und umgibt sich gern mit Männern, die man nur als rüde Schläger bezeichnen kann.« »Haben Sie ihn heute sprechen können, als Sie Ihre Tretminen legten?« »Nur seine sogenannte Rechte Hand, Mylady, ein Mann namens Tony Malta. Falls eine Meinung gestattet ist, Mylady, so halte ich Tony Malta für noch gefährlicher als Mr. Stackson.« »Worauf warten wir dann noch?« Die Detektivin war kaum zu bremsen. »Nehmen Sie ein paar hübsche kleine Überraschungen mit, Mr. Parker! Diesen Besuch sollen Stackson und Malta so schnell nicht wieder vergessen.« Parker seufzte innerlich auf. Er wußte nur zu gut, was da wieder auf ihn zukam. Von Taktik hielt Agatha Simpson überhaupt nichts. Sie liebte es ja bekanntlich, wie ein Räumpanzer auf ihre Gegner loszugehen. Ein Elefant im sprichwörtlichen Porzellanladen wirkte gegen die Lady wie eine grazile Primaballerina. Nach etwa zwanzig Minuten öffnete Josuah Parker erneut die Haustür, um seine Herrin zum Wagen zu geleiten. Vorher hatte er sich erneut vergewissert, daß das Vorfeld sicher war. Ihm war schließlich nicht bekannt, ob die Gegenseite bereits härtere Methoden anwenden würde. Nun, es geschah nichts, als Agatha Simpson zusammen mit Kathy Porter im Fond des hochbeinigen Monstrums Platz nahm. Parker setzte
sich ans Steuer und verließ den kleinen, fast intim zu nennenden Platz in Shepherd's Market. Während der Fahrt durch die City der Millionenstadt Heß sich wegen des herrschenden Verkehrs nicht feststellen, ob sie verfolgt wurden. Parker ging jedoch sicherheitshalber von dieser Tatsache aus. Mit einem Angriff rechnete er jedoch vorerst noch nicht. Der würde zu einer späteren Zeit stattfinden, wie sich leicht berechnen Heß. Stacksons Privatclub befand sich in einer ehemaligen Lagerhalle, an der man äußerlich kaum etwas verändert hatte. Das dreistöckige Gebäude lag wie ein drohender Klotz in der Dunkelheit dieser engen Straße. Und selbst der Parkplatz vor diesem Club war nur spärlich beleuchtet. Die Marken der Autos deuteten daraufhin, daß die Besucher nicht gerade Kleinverdiener waren. Parker stieg aus dem hochbeinigen Monstrum und schritt gemessen auf den Türsteher zu, der gekleidet war wie ein Admiral der englischen Hochseeflotte vor dem ersten Weltkrieg. Der Mann war groß wie ein Turm und breit wie ein mittlerer Häuserblock. »Lady Simpson wünscht, Mitglied des Clubs zu werden«, sagte Josuah Parker. »Würden Sie freundlicherweise die notwendigen Formalitäten einleiten?« Der Admiral salutierte und wußte mit der eigentlichen Bedeutung dieses Namens nichts anzufangen. Er wandte sich um, pochte gegen die schwere Tür und wartete, bis eine kleine Klappe geöffnet wurde. Er flüsterte dem dahinter stehenden
Mann ein paar Worte zu und drehte sich dann wieder zu Parker um. »Sofort«, sagte er. »Der Clubmanager wird Mylady selbst empfangen.« Er hatte nicht zuviel versprochen. Schon nach knapp zwei Minuten öffnete sich die Tür, und Tony Malta erschien. * Tony Malta war etwa dreißig Jahre alt, schlank, mittelgroß und trug einen erstklassig sitzenden Smoking. Sein von der Sonne gebräuntes Gesicht war schmal, seine Augen waren dunkel. Die blendend weißen Zähne strahlten wie viele kleine aufgehenden Sonnen, als er Parker anlächelte. »Ich glaube es noch immer nicht«, sagte er. »Lady Simpson möchte Mitglied unseres Clubs werden?« »Ergeben sich irgendwelche Schwierigkeiten?« fragte Josuah Parker. »Aber auf keinen Fall«, lautete die geschmeidige Antwort. »Es ist eine Ehre für unseren Club. Übrigens eine private Frage, Mr. Parker, so war doch Ihr Name, nicht wahr?« »Ein Allerweltsname, Mr. Malta.« »Wenn schon.« Tony Malta schüttelte den Kopf. »Der Träger dieses Namens aber ist doch sehr bemerkenswert. Doch zurück zu meiner Frage! Sind Sie weitergekommen? Haben Sie die gesuchten Informationen bekommen?« »Ich muß leider bedauern, Mr. Malta«, erwiderte Parker. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß Mr.
Stackson der von mir gesuchte Mann sein soll.« »Das wird behauptet?« wunderte Malta sich. »Hinter vorgehaltener Hand«, entgegnete Parker. »Aber mich deucht, daß es sich um Gerüchte handelt, die aus einem gewissen Konkurrenzneid heraus geboren wurden.« »Wahrscheinlich, Mr. Parker. Wollen wir jetzt Lady Simpson holen?« Sie brauchte nicht geholt zu werden, sie nahte bereits. Mit einem Speer in der Hand hätte man sie für die Walküre aus einer Wagner-Oper gehalten. Majestätisch marschierte sie auf Tony Malta zu und maß ihn mit einem geradezu vernichtenden Bück, den man selbst bei diesen schlechten Licht- und Sichtverhältnissen mitbekam. »Malta, Mylady«, stellte Stacksons Rechte Hand sich vor. »So, Sie sind es also!« Die Sechzigerin nahm ihre Lorgnette hoch, die sie an einer erstaunlich soliden Kette um den Hals trug, faltete die Stielbrille auseinander und musterte Malta wie ein interessantes Insekt. »Ich habe Sie mir ganz anders vorgestellt, junger Mann.« »Man hat Ihnen von mir erzählt, Mylady?« Maltas Frage klang vorsichtig. Mit solch einer Begrüßung hatte er sicher nicht gerechnet. »Widersprüchliches«, gab die ältere Dame zurück und setzte ihre Musterung durch die Lorgnette fort. »Die einen sprechen in Ihrem Zusammenhang von einer Ratte, andere wieder von einer
Giftschlange und dann wieder vergleicht man Sie mit einem zweibeinigen Hai.« Malta schnappte nach Luft. »Sie sehen aber erstaunlich menschlich aus«, konstatierte die Detektivin in charmanter Art. »Aber das kann ja täuschen, finden Sie nicht auch?« »My... Mylady scherzen«, stotterte Tony Malta. Die vielen kleinen Sonnen seiner blendend weißen Zähne strahlten längst nicht mehr. Er ähnelte nun wirklich einer gereizten Ratte. »Soll ich mir hier eine Erkältung zuziehen?« Ihre Stimme grollte. »Sie haben es mit einer anfälligen, alten Frau zu tun, junger Mann. Führen Sie mich gefälligst in den Club, wenn ich bitten darf.« Malta wäre Lady Simpson am liebsten an den Hals gesprungen, doch er hütete sich natürlich, schon jetzt aus der Rolle zu fallen. Er preßte die Lippen zusammen und ging voraus, während der Admiral der englischen Flotte die Tür öffnete. »Sie führen doch sicher keine Waffen mit sich?« erkundigte Malta sich, als die Tür hinter ihnen geschlossen worden war. »Was dachten denn Sie, junger Mann!?« Lady Simpson bückte Malta spöttisch an. »Wagen Sie es, mich zu durchsuchen!« Während sie sprach, geriet ihr Pompadour bereits in leichte Schwingungen. Die resolute Dame wartete eindeutig auf einen Anlaß, um ihren »Glücksbringer« einzusetzen. Tony Malta hütete sich, Lady Agatha einen Anlaß zu bieten. Er
ging wieder voraus und führte die Gruppe - nämlich Lady Simpson, Kathy Porter und Butler Parker - in einen Vorraum, hinter dem die eigentliche Clubbar zu sehen war. Aus diesem Raum kamen plötzlich vier stämmige Männer. Ihre recht gut sitzenden Smokings täuschten nicht darüber hinweg, daß es sich um Schläger handelte. Sie bauten sich halbkreisförmig vor Lady Simpson auf und traten dann etwas zur Seite, als der Clubbesitzer auf der Bildfläche erschien. »Herzlich willkommen«, grüßte Stackson, ein Vierzigjähriger mit einem leicht aufgeschwemmten Gesicht und kalten, grauen Augen. »Wirklich, mit Ihrem Besuch habe ich nicht gerechnet, Mylady.« »Normalerweise würde ich solch eine Bruchbude ja auch nicht betreten«, gab die Lady mit herzerfrischender Deutlichkeit zurück. »Aber ich habe mir sagen lassen, daß Sie ein Feigling sind, der sich kaum an die Öffentlichkeit traut.« Nun, diese Anspielung hätte Lady Simpson besser nicht getan! * Die vier stämmigen Smokingträger reagierten auf den kleinsten Wink Stacksons. Der Mann, der hier die Docks kontrollierte, winkte nur mit dem Zeigefinger seiner linken Hand, und schon setzten seine Leute sich prompt in Bewegung. Sie hatten plötzlich samt und sonders kleine Totschläger in den Händen und gedachten sie auch zu verwenden.
Die Schläger wollten damit die drei Besucher außer Gefecht setzen und in einen Raum schleppen, wo sie ungestört ihre Weiterbehandlung fortsetzen konnten. Es kam natürlich wieder mal ganz anders. Vor dem Verlassen des Hauses in Shepherd's Market hatte Josuah Parker seinen UniversalRegenschirm umgerüstet. Normalerweise verschoß er durch den hohlen Schirmstock bunt gefiederte Pfeile von Stricknadelgröße. Er benutzte diesen geschickt getarnten Lauf auch dazu, Patronen mit Kleinstschrot abzufeuern. Nun aber benutzte er den Schirmstock als eine Art Dusche. Getrieben von einer gehörigen Portion Preßluft zischte durch die Düsenöffnungen unten an der Zwinge ein Spray, der einen weiten Bereich abdeckte. Die vier vorschreitenden Schläger wurden davon voll erwischt und litten augenblicklich unter gewissen Konditionsschwächen. Sie rieben sich mehr als nur verdutzt die Augen und vergaßen darüber ihre Totschläger. Sie wimmerten und stöhnten, kümmerten sich nicht weiter um die drei Besucher und hätten es wahrscheinlich auch gar nicht gekonnt, weil sie noch zusätzlich unter Sehstörungen litten. Parkers Spezialspray hatte es nämlich in sich. Er war eine pikante Mischung aus Tränen- und Reizgas. Die vier Männer weinten Krokodilstränen, litten aber gleichzeitig auch unter einem schier unerträglichen Juckreiz,
der ihre Gesichtspartien befallen hatte. Durch eine kleine Drehung des bleigefütterten Bambusgriffes am Universal-Regenschirm verengte Parker den Sprühbereich der Düsen und visierte mit dem Schirmstock Tony Malta an, der eine verdächtige Bewegung in Richtung Brust machte. Offensichtlich hatte er vor, eine Schußwaffe zu ziehen. Er tat es nicht mehr, als der Einzelstrahl ihn getroffen hatte. Malta riß beide Hände hoch und rieb sich dummerweise die Augen, wodurch er die Wirkung des Sprays nur noch verstärkte. Stackson war verschont geblieben, doch er hatte die Absicht, sich im Schutz seiner vier herumtappenden Leibwächter abzusetzen. Er entwickelte dabei ein beachtlich zu nennendes Tempo. Es reichte aber nicht, denn Agatha Simpsons Pompadour war schneller. Sie hatte ihn in Schwingungen gebracht und dann auf die Reise geschickt. Der »Glücksbringer« darin landete auf dem Hinterkopf des Gangsterbosses, dem es förmlich die Beine unter dem Leib wegriß. Stackson landete auf dem Rücken und blieb dann ruhig und entspannt liegen. »Recht passabel, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson. »Irgendwo muß es hier doch einen Raum geben, in dem man sich ungestört unterhalten kann, nicht wahr?« Parker öffnete eine Tür, vor der Tony Malta einen Solotanz vollführte. Hinter ihr befand sich ein kleines Clubzimmer, recht ansprechend und stilvoll möbliert.
Die Wände waren mit Stoff bespannt, die wahrscheinlich schallschluckende Elemente tarnten. »Das müßte eigentlich reichen«, fand die ältere Dame. »Schaffen Sie diesen Flegel von Stackson hinein, Mr. Parker.« »Sind Mylady möglicherweise auch an Mr. Malta interessiert?« »Sollte ich?« fragte sie zurück. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. »Es wäre ratsam, Mylady«, antwortete Parker. »Er könnte sonst gewisse Schikanen errichten, die das Verlassen des Clubs erschweren.« Lady Simpson übernahm Tony Malta. Sie versetzte ihm einen leicht derben Stoß gegen den Rücken, worauf der Mann katapultartig in den Raum torkelte und erst vor der gegenüberliegenden Wand einen festen Punkt fand. Hier rutschte er zu Boden und blieb sitzen. Josuah Parker und Kathy Porter befaßten sich mit Stackson, der sich gerade vom »Glücksbringer« erholt hatte. Parker bat den benommenen Gangsterboß zu einem kleinen Informationsgespräch mit Lady Simpson und bugsierte den Taumelnden in den Raum hinein. Kathy Porter hatte sich inzwischen als Taschendiebin betätigt und den vier Leibwächtern vier kurzläufige Revolver aus den Schulterhalftern genommen. »Mein Kreislauf«, sagte Agatha Simpson, als sie sich in einem der bequemen Sessel niederließ. »Ich fürchte, Mr. Parker, er ist wieder mal in sich zusammengebrochen.« Parker vermochte zu helfen.
Er holte eine flache, lederumhüllte Taschenflasche aus der Innenseite seines Zweireihers, schraubte den ovalen Verschluß ab und benutzte ihn als Becher, um seiner Herrin einen erstklassigen französischen Kognak zu servieren. * »Ich hatte ohnehin hier in der Gegend zu tun«, schwindelte ChiefSuperintendent McWarden, als er Lady Simpson begrüßte. Er war von Butler Parker in das kleine Frühstückszimmer neben dem Wohnsalon geführt worden. »Ich habe leider bereits gefrühstückt«, sagte Lady Agatha, was allerdings keineswegs den Tatsachen entsprach. Sie saß noch vor dem reichlich gedeckten Tisch und nahm ihre sogenannte Morgendiät ein. Mylady frönte seit geraumer Zeit einer raffinierten Abmagerungskur, die es ihr gestattete, praktisch alles zu essen. Sie entsagte dabei allerdings heroisch dem Brot in jeder Form. An diesem Morgen befanden sich auf dem Frühstückstisch gegrillte Würstchen, kroß gebratener Speck, etwas Rührei, einige Scheiben Lachs und eine gegrillte Tomate, mit der sie sich allerdings nicht befaßte. Mißbilligend nahm sie zur Kenntnis, daß Butler Parker ein zweites Gedeck auflegte und McWarden mit Tee versorgte. Mylady war sehr sparsam, wenn es sein mußte. »Sie können abräumen«, sagte sie zu Parker, füllte allerdings schnell noch ihren Teller und lächelte den
Chief-Superintendent dann fast charmant an. »Sie haben da was auf dem Herzen, nicht wahr?« »Es handelt sich um das Funksprechgerät, das Mr. Parker aus dem Lastwagen drüben im Hafen geholt hat«, schickte McWarden voraus. Dankbar und ungeniert langte er zu, denn Parker nahm sich mit dem Abräumen viel Zeit. Er wußte, daß er seine Herrin damit ärgerte und genoß es. »Unsere Ermittlungen haben ergeben, daß dieses Funksprechgerät gestohlen wurde. Eine entsprechende Verlustanzeige im Yard liegt vor.« »Kann man sich diesen Diebstahl irgendwie erklären?« schaltete Parker sich ein. »Es ist aus einem verschlossenen Dienstwagen geholt worden«, berichtete McWarden weiter. »Übrigens, ausgezeichnet, dieser Lachs, Mylady.« »An Ihrer Stelle würde ich ihn nicht anrühren«, meinte Lady Agatha gereizt. »Meiner Ansicht nach ist er verdorben.« »Das erwähnte Funksprechgerät müßte also demnach von Polizeibeamten gestohlen worden sein, nicht wahr?« »Richtig, Mr. Parker! Insgesamt sind vier dieser Geräte aus verschiedenen Wagen verschwunden. Hier scheint man sehr gezielt vorgegangen zu sein.« »Bringt uns das weiter?« wollte Lady Simpson wissen und räusperte sich drohend, als McWarden nach einem der gegrillten Würstchen griff. »Es bringt uns nicht weiter«, lautete McWardens Antwort. »Diese
Diebstähle kann jeder der Detektivbeamten begangen haben. Nein, nein, da ist nichts zu machen, leider!« »Konnten die Herren Ihres Dezernats inzwischen herausfinden, Sir, wem die Wagen gehören, deren Kennzeichen ich Ihnen mitteilte?« »Gestohlene Wagen.« McWarden winkte ab. »Aber damit dürften Sie ja gerechnet haben. Das trifft auch für die beiden Lastwagen zu. Man hat mir berichtet, daß Sie gestern verschiedene Pubs besucht haben, Mr. Parker.« »In der Tat«, bestätigte Josuah Parker. »Frank und frei, wie es meiner Art entspricht, habe ich Fragen zu dem anstehenden Fall gestellt, doch die Antworten waren leider ausnahmslos negativ.« »Das müssen Sie doch vorher gewußt haben, Mr. Parker. Sie wollten bestimmt nur für Unruhe sorgen, oder?« »Ist dieses bescheidene Ziel erreicht worden, Sir?« »Das kann man wohl sagen, Mr. Parker.« McWarden nickte nachdrücklich. »Sie wissen, ohne VLeute kommen wir leider nicht aus. Und diese Spitzel haben meinen Leuten gemeldet, daß Sie sich nach geschmierten Detektiven des Yard erkundigt haben. In der Unterwelt weiß man jetzt, daß Mylady und Sie sich mit dieser Affäre befassen.« »Und ob man das weiß!« Agatha Simpson lächelte grimmig. »Das weiß vor allen Dingen ein gewisser Stackson, McWarden. Er hat sich bisher noch nicht bei Ihnen beschwert?«
»Vielleicht hatte er es vor, Mylady«, erwiderte der ChiefSuperintendent, »aber leider kam es nicht mehr dazu.« »Muß ich Ihrer Andeutung entnehmen, Sir, daß Mr. Stackson etwas zugestoßen ist?« erkundigte sich Parker. »So kann man's auch ausdrücken«, sagte McWarden lakonisch. »Stackson ist tot. Er wurde erschossen!« * »Das ist natürlich dieser Malta gewesen«, behauptete Lady Simpson, als McWarden gegangen war. »Er hat die Gelegenheit genutzt, Stackson auszuschalten.« »Auch solch eine Möglichkeit sollte man durchaus in Betracht ziehen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Wer sonst sollte es getan haben?« »Einer jener Polizeidetektive, die von ihm geschmiert wurden«, antwortete Parker. »Ich muß offen einräumen und gestehen, daß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einem Mord gerechnet habe.« »Wenn es einer der bestochenen Beamten gewesen ist, dann wird Malta aber wissen, wo der Täter zu suchen ist, Mr. Parker.« »Davon kann man in der Tat ausgehen, Mylady, doch Mr. Malta wird sein Wissen in klingende Münze verwandeln.« »Oder bald ebenfalls sterben.« »Diese Gefahr wird er deutlich vor sich sehen, Mylady. Dieser Mord an Mr. Stackson beweist übrigens meiner bescheidenen Ansicht nach,
daß gewisse Detektive in Panik geraten sein dürften. Sie fürchten eine Aufdeckung ihrer bisher geübten Praktiken.« »Dann ist Malta der neue Schlüssel zur Aufklärung, Mr. Parker«, stellte Agatha Simpson fest, als habe sie eine völlig neue Erkenntnis gewonnen. »Und ich werde diesem Subjekt noch näher auf den Pelz rücken.« »Was ich als ungemein gefährlich bezeichnen möchte, Mylady.« »Gefährlich für diesen Malta, Mr. Parker, damit erst gar kein Mißverständnis aufkommt! Dieser Lümmel wird sich noch wundern.« Davon war Butler Parker überzeugt. Nach dem frugalen Diätfrühstück bebte die resolute Dame vor Unternehmungslust. Sie konnte es kaum erwarten, sich mit Tony Malta anzulegen. Tony Malta schien das auf geheimnisvolle, telepathische Weise in diesem Moment erfahren zu haben. Das Telefon läutete, Parker hob ab und erkannte sofort Maltas Stimme. »Mylady sprach gerade von Ihnen«, sagte Parker. »Darf man davon ausgehen, daß Sie nun das Unternehmen des dahingeschiedenen Mr. Stackson übernommen haben?« »Das war testamentarisch so geregelt«, erwiderte Malta. »Hören Sie, Mr. Parker, ich würde mich gern mal mit Ihnen unterhalten.« »Sie müßten meiner bescheidenen Person eigentlich gram sein«, vermutete Josuah Parker. »Ich denke in diesem Zusammenhang an den Besuch gestern abend.«
»Unwichtig, Mr. Parker. Sie sind gut, das muß man eben zur Kenntnis nehmen.« »Ich möchte nicht versäumen, mich für das wohlwollende Lob herzlichst zu bedanken.« »Nicht der Rede wert, Mr. Parker. Was halten Sie von einer Unterhaltung?« »Welche Themen liegen Ihnen am Herzen, Mr. Malta!« »Diese Sache mit der Polizei, Mr. Parker. Sie scheinen anzunehmen, daß Stackson Polizeidetektive geschmiert hat, nicht wahr?« »War es nicht so?« »Falls ja, weiß ich davon nichts, Mr. Parker. Ich werde mich auf jeden Fall hüten, den Bullen, äh, ich meine, der Polizei auch nur 'nen kleinen Finger zu reichen. Aber ich glaube, daß ich Ihnen wertvolle Tips geben kann.« »Das klingt recht vielversprechend, Mr. Malta. Wann und wo könnte man sich sehen?« »In einer Stunde? Paßt Ihnen das? Ich schlage vor, wir setzen uns im Frühstücksraum bei Stiltons zusammen.« - »Ein freundlicher Ort, wenngleich der Kaffee dort auch recht miserabel zu nennen ist.« »Sie sind einverstanden?« »Sie können fest mit meinem Erscheinen rechnen, Mr. Malta.« »Noch etwas, Mr. Parker, aber das nur unter uns: Sorgen Sie ja dafür, daß Lady Simpson nicht mitkommt. Wie ich sie inzwischen kenne, könnte sie den ganzen Frühstücksraum in Trümmer legen. Mann, ist die temperamentvoll!« »Ich werde allein kommen, Mr. Malta. Sie ebenfalls?«
»Sie denken, ich würde Ihnen 'ne Falle bauen? Nee, daran ist nicht gedacht. Wissen Sie, ich will Stacksons Laden ganz anders führen, legal, verstehen Sie? Ärger mit den Behörden zahlt sich ja doch nicht aus.« »Ein weiser Standpunkt«, fand Parker. »Er zeugt von einer gewissen Resignation.« »Ich bin nicht geldgierig«, behauptete Malta weiter. »In einer Stunde, okay?« Parker bestätigte dies noch mal, legte auf und wandte sich seiner Herrin zu, die über den Zweithörer das Gespräch mitverfolgt hatte. »Natürlich werde ich mitkommen«, sagte sie, bevor Parker sich äußern konnte. »Irgendwer muß Sie doch beschützen, Mr. Parker. Sie neigen nämlich zu Vertrauensseligkeit und Leichtsinn.« Parker verzichtete auf eine Erwiderung und begnügte sich mit einer knappen Verbeugung. * Stilton war ein Warenhaus von beeindruckender Größe. Die Besucher auf den drei Verkaufsetagen drückten und schoben sich aneinander vorbei und besichtigten die gemischt kalkulierten Angebote. Sie kauften die Preisschlager der Woche und kauften dann zusätzlich noch die normal kalkulierten Waren. Sie alle hatten wahrscheinlich das Gefühl, einmalig billig bedient worden zu sein. Eine dieser Kundinnen war eine unauffällige graue Maus, die etwa
dreißig Jahre alt schien. Sie trug einen etwas zu weiten Mantel, hatte sich ein Kopftuch umgebunden und schleppte sich mit einer prall gefüllten Einkaufstasche ab. Diese verhärmt aussehende Frau, die ihre Umgebung durch eine Brille musterte, benutzte die breite Treppe, die zum Frühstücksraum führte. Sie nahm Platz an einem Tisch, den man in eine winzig kleine Nische gepfercht hatte. Mit leiser Stimme bestellte sie sich, als sie endlich bedient wurde, einen Tee und etwas Gebäck. Sie sah kaum hoch, als ein veritabler Butler in diesem Frühstücksraum erschien und sofort die Szene beherrschte. Die vielen Besucher hier oben beobachteten mehr oder weniger ungeniert diese Erscheinung, die aus einem anderen Jahrhundert zu stammen schien. Der Butler schritt wie ein regierender Monarch zu einem Fensterplatz, wo er von einem jungen, etwa dreißigjährigen Mann begrüßt wurde. Nicht weit von der Nische entfernt saß eine Frau, die offensichtlich aus den Staaten stammte. Alles an ihr war auffällig. Sie trug eine Perücke, deren Kunsthaar lila eingefärbt war, und eine mit Straß besetzte Brille; das aufgelegte Make-up reichte für Probeaufnahmen zu einem Farbfilm. Sie schien für Nichten und Neffen eingekauft zu haben. Auf dem freien Stuhl neben ihr türmten sich Sportartikel aller Art. Darunter befanden sich ein Baseball-Schläger, einige Baseball-Bälle, dann ein oberflächlich verpackter Sportbogen
mit den dazugehörigen Pfeilen in einem Köcher und schließlich ein Tennisschläger, den sie gerade interessiert untersuchte. Als diese Dame, deren Alter nur schwer zu bestimmen war, den Butler sah, vergaß sie dieses Spielzeug. Einen Butler hatte die Amerikanerin wohl noch nie gesehen, von Filmen mal abgesehen. Sie stand ungeniert auf und musterte die seltsame Erscheinung, die inzwischen Platz genommen hatte. * »Stört es Sie eigentlich nicht, wenn man Sie so anstarrt?« erkundigte Tony Malta sich und wies mit dem Kinn in Richtung der Amerikanerin, die sich endlich wieder setzte. »Man sollte sich bemühen, über den Dingen zu stehen, Mr. Malta«, erwiderte Josuah Parker gemessen. »Eine recht neutrale Umgebung, wie ich bemerken möchte.« Während Parker noch sprach, sah er sich in dem etagengroßen Raum um. Der Ausdruck >Frühstücksraum< war eine einzige Untertreibung. Es handelte sich schon um ein riesiges Restaurant, das gut besucht war. Die Umgebung wirkte vielleicht ein wenig kühl, wozu viel Chrom und Glas noch beitrugen. Durch die breiten Fenster konnte man in Richtung Themse bücken. »Ich bin allein gekommen«, behauptete Malta lächelnd. »Den Wahrheitsgehalt dieser Feststellung möchte ich nicht prüfen«, gab Parker zurück. »Sollten Sie wirklich auf
Ihre Leibwache verzichtet haben?« »Wer will mir schon was tun?« Malta zündete sich eine Zigarette an. »Ich denke da an einige Polizeibeamte, Mr. Malta. Sie dürften inzwischen für diese Beamten zu einer Gefahr geworden sein.« »Selbst wenn es so wäre, ich weiß, wie man sich absichert. Man kann ja irgendwo Schriftstücke hinterlegen, die dann von allein wie eine Bombe losgehen.« »Womit wir bereits beim Thema sind, Mr. Malta. Sie haben interessante Informationen für meine bescheidene Wenigkeit?« »Sie vermuten doch, daß Stackson einige mittlere und hohe Polizeibeamte schmierte, nicht wahr? Schön, was sagen Sie dazu, wenn ich Ihnen die Liste dieser Personen zuspielen würde?« »Warum sollten Sie, Mr. Malta?« »Ich sagte Ihnen schon am Telefon, Mr. Parker, daß ich meinen Betrieb anders führen werde als Stackson. Um's mal ganz banal zu sagen: keine krummen Dinge mehr, wenn Sie wissen, was ich meine.« »Ein löblicher Vorsatz, Mr. Malta.« »Und für diese Liste verlange ich kaum etwas.« »Dieses >etwas< sieht wie aus, Mr. Malta?« »Ich schlage Ihnen vor, daß Sie sich nicht weiter um mich kümmern, Mr. Parker. Vergessen Sie mich einfach, streichen Sie mich aus Ihrem Gedächtnis! Wäre das ein zu hoher Preis?« »Im Grund natürlich nicht, Mr. Malta. Es wird allerdings schwer
sein, Lady Simpson zu überzeugen. Mylady scheinen sich dummerweise mit Ihnen auch weiterhin befassen zu wollen, fürchte ich.« »Dann reden Sie ihr das doch aus, Mr. Parker. Ich weiß, welchen Einfluß Sie auf sie haben.« »Sie überschätzen meine mehr als bescheidenen Möglichkeiten«, antwortete Parker. »Was werden Sie tun, falls mir dies nun nicht gelingen sollte? Wie werden Sie reagieren, falls die angebotene Liste meine Wenigkeit nicht interessiert?« »Sie muß sie doch interessieren, Mr. Parker!« »Die Polizei allein kann nur an den Namen der bestochenen Beamten interessiert sein, würde ich sagen.« »Das schon, aber wenn Sie sie liefern, Mr. Parker, wird man Rad schlagen. Sie, Mr. Parker, lösen diesen Fall! Lady Simpson muß so etwas doch ebenfalls schmecken.« »Vielleicht, Mr. Malta, besitzen Mylady und meine bescheidene Wenigkeit bereits Hinweise, die Ihren Informationen überlegen sind.« »Das ist doch ein Bluff, Mr. Parker!« »Sind Sie sicher, Mr. Malta? Ich war so frei, mich am gestrigen Tag und Abend ein wenig umzuhören. Es gibt da einschlägige Lokale, deren Besitzer Mr. Stackson nicht sonderlich schätzten und daher redselig waren.« »Beweisen Sie mir, daß Sie bereits Bescheid wissen, Parker!« Malta war wütend geworden. Bisher hatte er sich zusammengenommen, doch nun gingen die Nerven mit ihm durch. Sein Ton war nicht mehr höflich,
sondern drohend und auch ein wenig giftig zugleich. »Die Beweise werde ich zur gegebenen Zeit vorlegen, jedoch nicht Ihnen, Mr. Malta.« »Wetten, daß doch!?« Malta lehnte sich zurück, »Nun hören Sie mal genau zu, Parker. Hier sitzen ein paar von meinen Leuten. Sie wissen, daß die scharf darauf sind, sich zu revanchieren. Und Sie wissen auch, daß die schießen, wenn Sie jetzt nicht spuren.« »Sie sind also nicht allein gekommen?« »Richtig. Ich hätte ja blöd sein müssen! Nee, Parker, ich bin mit 'ner kleinen Armee aufgekreuzt. So, und jetzt werden Sie langsam aufstehen, mir den verdammten Regenschirm geben und zum Ausgang 'rüberwechseln. Wenn Sie auch nur versuchen, Ärger zu machen, sind Sie ein toter Mann!« »Ich möchte erklären, daß ich Ihr Verhalten als äußerst unfein betrachte, Mr. Malta.« »Unfein, aber wirkungsvoll, Parker. Zum Teufel, was schert mich die Polizei! Die einzigen Gegner sind Sie! Und diesen Gegner werde ich jetzt aus dem Weg räumen.« »Diese Ihre Worte hören sich nach einer echten Drohung an.« Parker stand auf und reichte Malta seinen Universal-Regenschirm. Parker zweifelte keinen Moment daran, daß Malta von einigen Leibwachen begleitet wurde. Ja, er hatte natürlich von Anfang an damit gerechnet und entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen.
»So, jetzt langsam 'rüber zum. Ausgang«, kommandierte Malta und grinste wie ein Filmschurke. »Ich weiche dem, was man gemeinhin Gewalt nennt«, stellte Josuah Parker klar. »Etwaige Konsequenzen sollten Sie sich allein zuschreiben, Mr. Malta!« * Zusammen mit Tony Malta standen noch zusätzlich drei stämmige Männer auf, die an Nebentischen Platz genommen hatten und eigentlich recht unauffällig aussahen. Sie schlossen sich halbkreisförmig um Josuah Parker, sorgten aber dafür, daß dieses Manöver nicht zu sehr auffiel. Dem unbeteiligten Beobachter bot sich das Bild einiger Männer, die zusammen mit einem Butler den großen Frühstücksraum verlassen wollten. Nur die neugierige Amerikanerin bekam etwas mit. Sie war ebenfalls aufgestanden und griff nach den Spielsachen, die sie offensichtlich für ihre Enkelkinder eingekauft hatte. Die drei stämmigen Männer wandten ihr die Rücken zu. Sie kamen gar nicht auf die Idee, einen Blick in den Frühstücksraum zu werfen. Sie kümmerten sich einzig und allein um Josuah Parker. Sie hätten es besser nicht getan. Die Amerikanerin hielt einen Baseball in der rechten Hand und ... schleuderte ihn nach Kreisen des Arms mit erstaunlicher Kraft auf die drei Männer zu. Es war überraschend, welche Wucht diesen Wurf begleitete.
Der Baseball-Ball zischte über ein paar Tische hinweg und landete haargenau auf dem Hinterkopf des rechts gehenden Stämmigen. Dieser Mann wurde förmlich von den Beinen gerissen und landete krachend auf einem Tisch, auf dem die Reste eines Frühstücks standen. Fettiges Papier einer kleinen Butterpackung landete in seinem Gesicht. Eierschalen zerkratzten seine Gesichtshaut, die Teekanne bohrte sich mit ihrer Tülle in das rechte Nasenloch des Fallenden, der das als ausgesprochen unangenehm empfand. Der zweite Stämmige hatte sich blitzschnell umgedreht. Es zeigte sich, welche Klasse dieser Mann im Grund war. Schneller hätte kein gereizter Panther wenden können. Doch es reichte nicht. Der zweite Baseball-Ball befand sich nur noch knapp fünfzehn Zentimeter von seiner Nase entfernt. Der Mann konnte wirklich nicht mehr reagieren. Der landende Baseball-Ball quetschte ihm die Nase nach links und ließ ihm das Wasser in die Augen schießen. Der Mann fiel nach hinten und rammte dabei einen relativ leichten Servierwagen, auf dem einige Torten und Kuchen zum Verkauf angeboten wurden. Es war wie in einem Stummfilm bester alter Schule. Eine der Torten, üppig mit Sahne garniert, wurde etwa fünfzig Zentimeter steil nach oben in die Luft geschleudert, drehte sich dort saltoartig und fiel wieder nach unten. Bruchteile von Sekunden später klebte die Sahne im Gesicht des
Mannes, der gebrüht hatte. Nach der Landung der Torte brühte er verständlicherweise nicht mehr. Seine Mundhöhle hatte sich mit Sahne gefüllt, von der er nun ausgiebig kosten konnte. Viel Zeit dazu fand er allerdings nicht, denn er brach durch den leichten Teewagen nach unten durch, bis er den Parkettboden erreicht hatte. Anschließend wurde er von weiteren Torten und Kuchen begraben. Der dritte Stämmige hatte allerdings Zeit gehabt, nach seiner Waffe zu greifen. Er zerrte sie aus seiner Schulterhalfter und konzentrierte sich dabei auf die skurrile Amerikanerin, die gerade die Sportart gewechselt hatte. Sie hatte mit dem Tennisschläger ausgeholt und schickte jetzt einen harten Tennisball auf die Reise. Härter hätte man solch einen Bau nicht schlagen können. Selbst ein Wimbledon-Sieger hätte echte Schwierigkeiten gehabt, diesen Ball zu retournieren. Das runde, weiße Geschoß landete auf dem rechten Auge des Stämmigen, das sich sofort schloß. Dennoch, dieser Mann war hartnäckig. Er wollte die Sportlerin um jeden Preis noch erwischen. Er mühte sich ehrlich ab, den Lauf seiner Waffe auf die Amerikanerin zu richten. Er schaffte es nicht. Die dreißigjährige Hausfrau, diese graue Maus in der Nische, warf nun ebenfalls. Sie hatte nach einer massiven Zuckerdose gegriffen und schleuderte sie auf den Mann, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, auf die sportliche
Amerikanerin zu schießen. Die schwere Zuckerdose krachte förmlich auf das Handgelenk und riß Hand und Waffe zur Seite. Es blieb nicht mehr viel zu tun. Während die Gäste im Frühstücksraum nach bester englischer Tradition kaum Kenntnis von diesem Zwischenfall nahmen und sich betont um sich selbst kümmerten, hatte die Amerikanerin erneut die Sportart gewechselt. Nun war der Sportbogen an der Reihe! Tony Malta, der sich plötzlich allein auf weiter Flur fühlte, wollte die Flucht ergreifen. Er ließ den Butler einfach stehen und rannte mit der Schnelligkeit eines Klassesprinters in Richtung Tür. Der Pfeil war schneller. Tony Malta brüllte auf, als dieser Pfeil sein Gesäß traf. Genau gesagt, die Pfeilspitze drang in seine linke Gesäßhälfte und verursachte mit Sicherheit einigen Schmerz. Malta stolperte weiter, fiel in die Drehtür und hatte das unwahrscheinliche Glück, von ihr nach draußen befördert zu werden. Im Vorraum angelangt, zerrte er den Pfeil aus der Gesäßhälfte und hinkte eilig zur Treppe. Der Butler, nun völlig allein, wandte sich der Amerikanerin zu und lüftete höflich seine schwarze Melone. Dann drehte er sich ein wenig zur Seite und grüßte auch die Dreißigjährige. Die Amerikanerin hatte ihren Platz verlassen und hielt den BaseballSchläger unternehmungslustig in der rechten Hand. Sie marschierte entschlossen und
unternehmungslustig auf die drei Stämmigen zu, die sich zu rühren begannen. »Vielleicht sollte man nicht zu stark zuschlagen, Mylady«, sagte der Butler zur Amerikanerin. »Überlassen Sie das gefälligst mir, Mr. Parker«, erwiderte Lady Simpson unwirsch. »Was ich begonnen habe, werde ich auch entsprechend beenden.« »Wie Mylady meinen.« Parker trat zur Seite und nickte der Dreißigjährigen zu, die ihn anlächelte. Kathy Porter, um sie handelte es sich natürlich, schloß sicherheitshalber ihre Augen, als Mylady sich daran machte, die drei Leibwächter Maltas versandfertig zu machen, versandfertig für die Polizei. Die Gäste im Frühstücksraum benahmen sich vorbildlich. Man übersah die Szene, unterhielt sich über das Wetter, die Steuern, über die Regierung und auch über Fußballergebnisse. Es gab da allerdings einige bedauerliche Ausnahmen. Etliche Gäste waren aufgesprungen und starrten auf die stattliche Amazone, die mit dem BaseballSchläger ihr Werk krönte und die drei Stämmigen wieder zu Boden schickte. Es handelte sich bei diesen sensationslüsternen Gästen ganz eindeutig um Touristen, die vom Kontinent stammen mußten. Ihre Neugierde war nur noch als peinlich zu bezeichnen. »Das war's«, sagte Lady Agatha zufrieden, als sie den BaseballSchläger auf einen Tisch legte.
»Verständigen Sie McWarden, Mr. Parker!« »Und die Erste Hilfe, Mylady«, fügte Butler Parker hinzu. »Mir scheint, daß die drei Herren einer Notbehandlung unterzogen werden müssen.« »Nur keine Schwachheiten, Mr. Parker.« Agatha Simpsons Augen glühten, und sie mußte sich die verschobene Perücke ein wenig zurechtrücken. »Sie haben doch hoffentlich mitbekommen, daß man auf mich schießen wollte, nicht wahr? Das kann ich nun mal auf den Tod nicht ausstehen!« * »Mylady, ich kann Ihre Privatkriege auf keinen Fall länger dulden und decken«, beschwerte Chief-Superintendent McWarden sich gereizt. »Sie wissen doch hoffentlich, was Sie angerichtet haben, nicht wahr?« »Sie übertreiben wie immer, McWarden«, antwortete die resolute Dame wegwerfend. »Möchten Sie einen Sherry?« »Nein«, sagte McWarden wütend, überlegte es sich aber dann, als er an die einmalige Qualität dieses Sherry dachte und nickte. »Der Schaden, den diese drei Flegel angerichtet haben, ist von mir bereits bezahlt worden«, erklärte die ältere Dame. »Mr. Parker hat das mit einem Scheck geregelt. In Wirklichkeit hätte ich das Haus verklagen sollen, McWarden! Das Recht wäre voll auf meiner Seite gewesen. Im Frühstücksraum dieses
Warenhauses wurde ich von drei Individuen grob angegriffen!« »Ein Angriff, mit dem Sie gerechnet haben, Mylady. Warum hätten Sie und Miß Porter sich sonst wohl maskiert? Sie haben ja nur darauf gewartet, diese armen Kerle anzugreifen.« »Arme Kerle?« Agatha Simpson lächelte mitleidig. »Ich wette, jeder von ihnen stand auf Ihrer Fahndungsliste. Ist es nicht so?« »Nun ja, das schon, Mylady, aber...« »Papperlapapp, McWarden! Ich hoffe, daß Sie sich bei mir bedanken. Die Hände sollten Sie mir küssen.« »Leider konnte Mr. Malta die Flucht ergreifen«, sagte Parker höflich. »Mr. Malta hatte meine bescheidene Wenigkeit zu einem Informationsgespräch eingeladen.« . »Und wollte Sie anschließend kidnappen«, erinnerte Lady Agatha. »Aber diese Suppe habe ich ihm gründlich versalzen.« »Informationsgespräch? « McWarden nahm Parkers Köder an. »Mr. Malta bot mir eine Liste jener mittleren und hohen Beamten an, die angeblich von seinem Vorgänger Stackson bezahlt und bestochen wurden.« »Und darüber haben Sie mich nicht verständigt?« Chief-Superintendent McWarden bekam einen roten Kopf. »Ich bin davon überzeugt, daß er Ihnen tatsächlich die Liste geben wollte.« »Sie sind und bleiben ein ahnungsloser Engel, McWarden«, höhnte die Detektivin und schüttelte den Kopf. »Warum sollte er wohl? Er hat diese Beamten doch fester als
je in der Hand. Sie müssen nach seiner Pfeife tanzen.« »Vielleicht ist ihm die Sache zu heiß geworden. Vielleicht möchte er nicht erschossen werden wie sein Boß Stackson!? Das könnte ich mir sehr gut vorstehen.« »Stackson ist doch bestimmt von Malta erschossen worden«, warf Agatha Simpson ein. »Mr. Parker, wie denken denn Sie darüber?« »Durchaus eine Möglichkeit, Mylady«, erwiderte Parker. »Stackson könnte allerdings auch von einem der bestochenen Beamten ermordet worden sein, als sich bei ihnen herumsprach, daß Mylady diesen Fall übernommen haben.« »Das würde meine Theorie nur bestätigen«, erklärte McWarden fast triumphierend. »Und darum will Malta einen Schlußstrich ziehen. Stellen Sie sich doch mal vor, Mylady, diese Beamten würden, offen oder versteckt, ein Kesseltreiben auf Malta veranstalten? Welche Chancen hätte er dann noch? Keine Leibgarde der Welt würde ihm dann noch helfen können. Früher oder später würde es ihn erwischen. Und diese bestochenen Beamten brauchten nichts zu befürchten, überhaupt nichts. Sie brauchen ja nur zu erklären, sie hätten im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt und wären gezwungen worden, sagen wir, aus Notwehr zu handeln.« McWarden hatte sich ein wenig verausgabt und genoß den trockenen, alten Sherry, den Parker ihm gereicht hatte.
»Mr. Parker, was sagen Sie dazu?« Lady Agatha wandte sich ihrem Butler zu. »Die Darstellung des ChiefSuperintendent entbehrt keineswegs einer zwingenden Logik«, äußerte Parker sich gemessen. Er dachte natürlich nicht daran, McWarden das wiederzugeben, was Malta ihm gesagt hatte. Seiner Ansicht nach war der Gangster von den West India Docks daran interessiert, mit den bestochenen Beamten weiterzuarbeiten. Und die Beamten ihrerseits würden auf die bisherigen Schmiergelder gewiß nicht verzichten wollen. Mit Stackson war nur ein Mann aus dem Weg geräumt worden, der zu einem Unsicherheitsfaktor geworden war. Erfreulicherweise meldete sich in diesem Moment das Telefon. McWarden wurde abgelenkt und ging an den Apparat, nachdem Parker abgehoben und sich gemeldet hatte. Der Yard verlangte McWarden zu sprechen. Der Chief-Superintendent griff nach dem Hörer und hörte sich schweigend an, was man ihm sagte. Dabei färbte sein Gesicht sich rot, und seine Augen glänzten. Die Nachrichten schienen für ihn mehr als erfreulich zu sein. »Sie werden sich wundern und staunen«, schickte er voraus, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. »Der Fall ist so gut wie erledigt. Eben hat man dem Korruptionsdezernat eine Liste zugespielt, eine Liste der bestochenen Beamten. Ich muß sofort gehen, Mylady, entschuldigen Sie! Ich bin
gespannt, welche Namen ich finden werde.« »Ich möchte nichts beschreien, Sir, wie der Volksmund es auszudrücken pflegt«, sagte Butler Parker. »Ich möchte dennoch behaupten, daß auf dieser Liste sich auch Ihr werter Name befinden wird!« * »Was halten Sie von dieser Liste, Mr. Parker?« erkundigte Lady Simpson sich. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, das Parker durch die City steuerte. »Diese Liste, Mylady, dürfte eine Art Ablenkungsmanöver darstellen«, gab Parker zurück. »Das Sonderdezernat im Yard, das sich mit der Aufdeckung von Korruption befaßt, soll wahrscheinlich nur beschäftigt werden. Darüber hinaus dürfte Mr. Malta das säen wollen, was man Mißtrauen nennt.« »Diesmal und ausnahmsweise stimme ich Ihnen zu«, antwortete die Detektivin. »Diese Liste durfte Malta der Polizei zugespielt haben.« »Von dieser Annahme, Mylady, sollte man in der Tat ausgehen.« »Glauben Sie nicht auch, daß McWarden mir etwas verheimlicht?« »Auch das, Mylady, sollte man als gesichert unterstellen«, lautete die Antwort des Butlers. »Natürlich dürfte dieses Korruptions-Dezernat bereits über Verdachtsmomente gewissen Beamten gegenüber verfügen.« »McWarden will mich hereinlegen«, vermutete Lady Agatha grimmig. »Er möchte diesen
Fall allein lösen. Wir sollen ihm nur die Täter zutreiben.« »Eine treffende Bemerkung, falls ich mich erkühnen darf, dies zu erwähnen.« »Auch wenn's schwer fällt, nicht wahr?« Agatha Simpsons Stimme klang spöttisch. »Sagen Sie, was versprechen Sie sich eigentlich von diesem Besuch bei Mr. Austin?« »Mr. Austin ist der Inhaber einer der größten Transportunternehmungen, Mylady. Seine Sattelschlepper beherrschen das Bild an den Docks. Ich erlaube mir davon auszugehen, daß Mr. Austin bisher Schutzgelder an Stackson zahlt hat.« »Und dieses Geld jetzt an Malta abführt?« »In der Tat, Mylady.« »Was hat das mit unserem Fall zu tun, Mr. Parker?« Lady Agatha sah nicht klar, was sie natürlich wieder mal ärgerte. Sie war für ein Drauflosgehen und schätzte es überhaupt nicht, wenn Parker - auch auf Umwegen - wesentlich schneller das jeweilige Ziel erreichte. »Wie Mylady bereits andeuteten, sollte man Mr. Malta zu Aktivitäten zwingen, die ihm im Augenblick ungelegen sein dürften. Er wird dadurch die Hilfe der bestochenen Beamten in Anspruch nehmen müssen. Auf diesem Umweg, Mylady, könnte man das Netz aus Korruption und Bestechung schnell zerreißen.« »War Stackson wirklich allein der Mann, der die Beamten bestochen hat? Das kann ich mir kaum vorstellen. Sie verrennen sich da wieder mal in Dinge, die mit der
Realität überhaupt nichts zu tun haben.« »Darf ich so frei sein, Mylady, zu widersprechen?« »Sie werden mich dennoch nicht überzeugen! Einer allein kann die Beamten unmöglich geschmiert haben.« »Vielleicht und gerade nur eine Person, Mylady. Mr. Stackson könnte die Wünsche eines gewissen Teils der Unterwelt koordiniert und gebündelt haben. Er dürfte das gewesen sein, was man die Spitze eines Eisberges nennt.« »Was ich ja schon immer vermutet und auch gesagt habe«, behauptete die ältere Dame prompt. »Schade, Mr. Parker, daß Sie das erst jetzt einsehen. Stackson zahlte die bestochenen Beamten und leitete ihre Tips an seine Freunde weiter. Das alles liegt doch auf der Hand. Für die Beamten hatte das den Vorteil, daß sie nur mit einer Person zu tun hatten.« »Mylady haben meine bescheidene Person wieder mal völlig überzeugt«, räumte Parker höflich ein. Er wunderte sich überhaupt nicht über die gedankliche Kehrtwendung seiner Herrin. »Was wären Sie ohne mich, Mr. Parker!« Agatha Simpson lehnte sich zufrieden zurück. »Ohne Phantasie kann man eben keine Kriminalfähe lösen. Diese Vorstellungskraft fehlt auch dem guten McWarden. Ich werde mit diesem Mr. Austin ein offenes Wort reden.« »Er wird Myladys Angebot zu schätzen wissen.« Parker war an solch einem offenen Wort gar nicht interessiert, doch das mußte er Lady
Simpson erst mal schonend beibringen. »Angebot?« Sie hatte natürlich wieder mal keine Ahnung, um was es ging. »Mylady wollen Mr. Austin ein Transportangebot machen. Wenn es gestattet ist, werde ich Mylady die erforderlichen Unterlagen reichen. Mr. Austin darf selbstverständlich nicht ahnen, daß er nur Mittel zum Zweck ist. Auch in dieser Hinsicht möchte ich mir erlauben, mich Myladys Ansichten und Vorschlägen zu beugen.« »Nun ja.« Sie räusperte sich ausgiebig, da sie von Ansichten und Vorschlägen nichts wußte. »Übernehmen Sie das für mich, Mr. Parker! Mit Kleinigkeiten gebe ich mich nicht ab. Ich bin für die große Linie, aber das sollten Sie inzwischen längst wissen.« »Sind Mylady aber vorher noch mit einem kleinen Umweg einverstanden?« »Warum denn das?« Sie verstand diesmal sofort und geriet in Schwung. »Wir werden hoffentlich verfolgt, oder?« »Gewiß und in der Tat! Mylady wissen es natürlich bereits seit geraumer Zeit.« »Selbstverständlich«, behauptete sie nachdrücklich. »Mir entgeht so gut wie nichts, Mr. Parker. Sorgen Sie dafür, daß ich etwas erlebe!« * Das Polizeifahrzeug hinter ihnen holte auf und schob sich an Parkers hochbeinigem Monstrum vorbei. Wenig später leuchtete das Stop-
Schild auf, das auf dem Kofferraum des Streifenwagens montiert war. »Das ist ja nur ein Streifenwagen«, entrüstete Agatha Simpson sich. »Man scheint Mylady eine wichtige Nachricht übermitteln zu wollen«, erwiderte Josuah Parker. »Sicherheitshalber sollte man jedoch die Wagenscheiben geschlossen halten.« »Ein Überfall? Ein Trick?« Lady Agathas Stimme drückte erwartungsvolle Freude aus. »Dies, Mylady, sollte man auf keinen Fall ausschließen«, erwiderte Josuah Parker. Er hatte inzwischen angehalten und sah zu dem aussteigenden, uniformierten Beamten hinüber, der schnell auf das hochbeinige Monstrum zukam, »Was kann und darf ich möglicherweise für Sie tun, Sergeant?« erkundigte Parker sich. Er hielt die Wagenscheibe, die aus Panzerglas bestand, geschlossen, aber dennoch war er gut zu verstehen. Er fragte über die Mikro-Anlage nach draußen. »Gut, Sir, daß wir Sie gesehen haben«, erwiderte der Sergeant. »Chief-Superintendent McWarden möchte Sie unbedingt sprechen. Er hat Ihr Wagenkennzeichen über Funk durchgeben lassen.« »Gibt es einen akuten Grund, Mylady und meine bescheidene Person sehen zu wollen?« »Es handelt sich um einen gewissen Mr. Malta, Sir. Er ist tot aufgefunden worden.« »Und wohin müßte man fahren, um Chief-Superintendent McWarden zu sehen?«
»Sie brauchen nur unserem Wagen zu folgen, Sir. Es geht 'rüber zu den West India Docks.« »Malta tot?« Lady Simpson räusperte sich. »Das gefällt mir aber gar nicht, Mr. Parker. An wen sollen wir uns jetzt halten?« »Dies, Mylady, wird die Zukunft lehren, wenn ich es so umschreiben darf.« »Zuerst Stackson, jetzt sein Stellvertreter und Nachfolger Malta! Die Bestochenen scheinen aber auch alle Brücken abbrechen zu wollen.« »Dieser Trend kündigt sich in der Tat an, Mylady, falls diese Nachricht stimmt.« »Sie ... Sie glauben an einen Trick?« Die Detektivin beugte sich vor und schöpfte neue Hoffnung. »Warum rufen Sie McWarden nicht an? Wir haben doch Autotelefon im Wagen.« »Die beiden Beamten vor uns im Wagen ebenfalls«, sagte Butler Parker. »Sie sind durchaus in der Lage, solch ein Gespräch ganz regulär abzuhören. Falls Mylady zustimmen, könnte man aber Miß Porter auf der Privatfrequenz verständigen.« »Worauf warten Sie noch, Mr. Parker?« Agatha Simpson lehnte sich zurück und wartete, bis Butler Parker seinen Ruf abgesetzt hatte. »Wo könnte sie denn stecken?« meinte die ältere Dame, die prompt unruhig wurde. »Das gute Kind ist ja noch so schrecklich unerfahren und naiv. Hoffentlich ist sie den Gangstern nicht ins Garn gegangen, Mr. Parker.« »Eine Vorstellung, Mylady, die nicht als angenehm zu bezeichnen
ist«, lautete Parkers Antwort. »Man sollte sich, wenn ich raten darf, auf einige Überraschungen vorbereiten.« »Darauf können Sie sich verlassen!« Sie nickte. »Man soll mich noch richtig kennenlernen. Bisher habe ich nur gespielt, aber ich kann auch anders!« * »Wie ich's ja gleich vermutet habe, Mr. Parker! Diese beiden Beamten sind echt.« Genugtuung war in Lady Simpsons Stimme. Sie deutete auf einen Streifenwagen der Polizei, der vor den abbruchreifen Ruinen eines Werftgeländes parkte. Zwei Uniformierte kamen gerade aus einem Schuppen und machten einen sehr dienstlichen Eindruck. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit durchaus verblüfft«, erwiderte Josuah Parker, während er hinter dem Wagen stoppte, der sie begleitet hatte. »Ich möchte bitten, mein Mißtrauen entschuldigen zu wollen.« Er stieg aus, öffnete den hinteren Wagenschlag und lüftete höflich die schwarze Melone, als Agatha Simpson ausstieg. Dann bekam Butler Parker allerdings mit, daß die Augen der Lady sich weiteten, ein Zeichen dafür, daß sie irritiert war. »Lassen Sie den Schirm fallen«, hörte er Bruchteile von Sekunden später eine harte Stimme hinter sich. »Keine falsche Bewegung«, warnte eine zweite Stimme. »Besser noch, Sie bewegen sich überhaupt nicht.« »Ich müßte den Schirm aushaken, meine Herren«, erwiderte der Butler,
der sofort wußte, was die Glocke geschlagen hatte. »Wie soll ich mich unter den gegebenen Umständen verhalten?« »Ich werde den Schirm nehmen«, sagte die erste Stimme. Parker hielt sich an den Ratschlag und bewegte sich nicht, als man ihm den Schirm vom linken und angewinkelten Unterarm nahm. Auch Lady Simpson verhielt sich seltsam steif. Sie schien offensichtlich in den Lauf einer Schußwaffe zu sehen. Der Pompadour an ihrem rechten Handgelenk geriet nicht in die geringste Schwingung. »Umdrehen«, kommandierte eine dritte Stimme, eine Stimme, die Parker wohlvertraut war. »Ich hätte es besser wissen müssen, Mr. Malta«, antwortete der Butler, als er sich umwandte. »Wahrscheinlich würden Sie es mißbilligen, wenn ich jetzt meine Kopfbedeckung lüften würde, oder?« »Sie bekämen eine blaue Bohne verpaßt, Parker«, sagte Malta und sah sein Gegenüber giftig an. Dann wechselte Malta die Blickrichtung und beobachtete die ältere Dame geradezu tückisch. »Auf Sie, Lady, freu' ich mich ganz besonders. Wir haben noch 'ne alte Rechnung zu begleichen.« »Wie geht es Ihrem Gesäß, junger Mann?« erkundigte Agatha Simpson sich ironisch. »War es die rechte oder die linke Seite?« »Sie werden es noch bereuen, sich mit mir angelegt zu haben.« Malta rang sich ein überlegenes Lächeln ab, doch es fiel ihm recht schwer.
»Sie werden noch vor mir auf den Knien liegen!« »Um Sie zu untersuchen, ob Sie noch leben«, erwiderte Lady Agatha gereizt, eine Gemütsverfassung, die Parker in diesem Moment nicht sonderlich an ihr schätzte. Er fürchtete Komplikationen. »Ich möchte nicht versäumen, Ihnen meine Anerkennung auszusprechen«, schaltete er sich schnell ein und nickte Malta andeutungsweise zu. »Sie haben diese Entführung, wenn ich es so ausdrücken darf, ausgezeichnet geplant und durchgeführt. Handelt es sich um echte Streifenwagen der Polizei?« »Aber natürlich, Mr. Parker.« Malta ließ sich ablenken. »Ich weiß doch, wie mißtrauisch Sie sind. Ihnen muß man Qualität bieten.« »Sie haben die beiden Streifenwagen stehlen: lassen?« »Ausgeliehen, Mr. Parker, ausgeliehen! Sie werden an die Eigentümer zurückgehen ...« »Gewisse mittlere und höhere Beamte werden Ihnen bei dieser Ausleihung geholfen haben, darf ich vermuten?« »Sie haben Weichen gestellt«, räumte Malta ein und grinste. »Und damit sind wir bereits beim Thema. Ich will wissen, welche Leute Sie verdächtigen. Sie werden mir sagen, was Sie bisher 'rausgefunden haben. Und Sie werden es verdammt schnell sagen, wetten?« »Alle Trümpfe dürften sich in Ihrer Hand befinden, Mr. Malta.« »Worauf Sie sich verlassen können. Aber gehen wir erst mal in den Schuppen. Ich habe da einige
Überraschungen vorbereiten lassen. Sie werden staunen.« * Parker staunte tatsächlich, doch er ließ sich nichts anmerken. Er befand sich mit Agatha Simpson im Schuppen, dessen Dach teilweise aufgerissen war. Überall standen inzwischen wertlose, total verrostete Maschinen. , Überhaupt nicht verrostet, sondern strahlend frisch in Farbe, präsentierte sich ihm allerdings ein Fahrzeug, das dem Transport von Fertigbeton diente. Die birnenförmige Trommel bewegte sich langsam, um den Betonbrei schüttfähig zu halten. »Ich kann nicht glauben, Mr. Malta, daß Sie unter die Bauunternehmer gegangen sind«, sagte Parker. »Doch, das ist so«, antwortete Malta und grinste wieder tückisch. »Ich lasse hier neue Fundamente gießen.« »Besondere Fundamente, nicht wahr?« »Sie haben's erfaßt, Parker. Wenn Sie und die Lady nicht spuren, werde ich Sie beide als Kern verwenden, verstanden?« »Eine Drohung, die man nicht unterschätzen sollte.« Parker hatte sich so aufgestellt, daß er nach draußen blicken konnte. Er bekam mit, wie die beiden Streifenwagen samt der falschen Besatzung wegfuhren. Malta war damit leider nicht allein. Es waren die vier stämmigen Smokingträger, die er von Stacksons Privatclub her kannte, die sich jetzt
in sein Blickfeld schoben. Sie hatten sich bisher hinter dem Transportfahrzeug aufgehalten. Sie trugen jetzt Overalls und leider auch Schußwaffen. An eine Befreiungsaktion war nicht zu denken. Sie wäre einem Selbstmord gleichgekommen. »Hat's Ihnen endlich mal die Sprache verschlagen?« erkundigte sich Malta hämisch. »Warum fragen Sie mich nicht auch?« ließ sich Lady Simpson verärgert vernehmen. Es paßte ihr nicht, daß Tony Malta sie quasi übersah. »Sie sind nicht wichtig, Lady«, meinte Malta leichtsinnigerweise. »Sie sind nur 'ne verrückte alte Schachtel.« Das hätte er besser nicht gesagt. Tony Malta zog sich den Zorn der resoluten Dame zu, die blitzschnell mit ihrem Pompadour zulangte. Malta war überhaupt nicht in der Lage, seinen Kopf zur Seite zu reißen. Er wurde voll auf der linke Backe erwischt und bekam den »Glücksbringer« nachhaltig zu spüren. Er legte sich auf die Seite und landete wie ein nasser Sack auf dem Boden. Er blieb benommen liegen und bekam wahrscheinlich gar nicht das Gelächter der Leibwächter mit, die überhaupt nicht daran dachten, auf Agatha Simpson zu schießen. Sie hatten Respekt vor dem Mut der Frau. Leider ließen sie den Butler nicht aus den Augen. Er hatte nach wie vor keine Möglichkeit, eines seiner kleinen Hilfsmittel in Anwendung zu
bringen. Er mußte auf eine bessere Gelegenheit warten. »Wie kann man nur für solch einen Jammerlappen arbeiten?« Lady Simpson maß die vier Leibwächter mit eisigem Blick. »Gut, Mr. Stackson war vielleicht ein Mann, aber doch nicht dieser Hampelmann!« Der Hampelmann war wieder ein wenig zu sich gekommen, hatte die Frage und Beschimpfung mitbekommen. Er reagierte geradezu hysterisch und schrie seine vier Leibwächter an. Was er genau sagte, war nicht zu verstehen, aber es handelte sich eindeutig um die Aufforderung, die Lady zu maßregeln. Die ältere Dame trat gegen eine rostige Konservendose, die freundlicherweise in Reichweite auf dem Boden lag. Diese Konservendose kam in Bewegung und Fahrt, zischte durch die Luft und landete genau auf dem Gesicht von Malta, dessen Schreie in ersticktes Gurgeln übergingen. Die Männer grinsten breit und anerkennend. Malta rappelte sich auf, tastete nach seiner mißhandelten Nase und besann sich dann auf seine Schußwaffe. Als er sie aus der Schulterhalfter zerren wollte, trat einer der Männer vor und drückte Maltas Arm herunter. »Würde ich nich' machen, Boß«, sagte der Leibwächter fast beiläufig. »Is' immerhin 'ne Lady.« »Un' was für eine«, sagte ein anderer Leibwächter. »Kann man nich' tun, ehrlich.«
Malta ließ die Schußwaffe in der Halfter und maß Agatha Simpson mit einem giftigen Blick. Dann deutete er in eine Art Baugrube, die erst vor kurzer Zeit ausgehoben worden war. »Sie kommt zuerst 'rein. Und sie wird zugekippt, wenn Parker nicht redet. Irgendeiner was dagegen? Es geht ums große Geld, Jungens, immer dran denken.« »Das is' was anderes, Boß«, sagte der dritte Overahträger und nickte zustimmend. »Das is' Geschäft, aber fair.« Seine Partner dachten ähnlich und waren durchaus damit einverstanden, Parker auf diese Art und Weise unter Druck zu setzen. Nur gegen einen Schuß auf die ältere Dame hätten sie etwas gehabt. Er hätte nicht nur nichts eingebracht, sondern wohl auch gegen ihren »Ehrenkodex« verstoßen. »Wer mich anrührt, wird mich kennenlernen«, verkündete Agatha Simpson wütend. Sie ließ ihren Pompadour ungeniert kreisen. Sie sprühte vor Zorn und Temperament. Die vier Männer ließen sich nicht beeindrucken, steckten ihre Schußwaffen weg und griffen die Spaten, die neben dem Transportwagen auf dem Boden lagen. »Ich möchte bekennen, Mr. Malta, daß ich mich überredet fühle«, sagte Parker, bevor die Lage noch ernster und brisanter werden konnte. »Ich denke, ich sollte auf Ihre Wunsche eingehen.« »Sie wollen also Namen nennen?« Malta sah den Butler lauernd an.
»Sie lassen meiner bescheidenen Wenigkeit keine andere Wahl«, antwortete Parker und nickte zustimmend. »Ich darf davon ausgehen, daß Lady Simpson dann nichts geschehen wird?« »Wir werden sie nicht anrühren«, versprach Malta doppeldeutig. »Beeilen Sie sich, ich habe nicht viel Zeit! Beten Sie schon endlich die Namen 'runter, ich will wissen, welche Beamten Sie auf dem Kieker haben!« * Butler Parker zweifelte keinen Augenblick daran, daß Tony Malta schamlos log. Natürlich würde er Lady Simpson und ihn für immer aus dem Weg räumen wollen. Die Anwesenheit des Betontransporters sprach eine deutliche Sprache. Malta hatte sich ganz gewiß nicht unnötig in Unkosten gestürzt. Zeitgewinn war alles. »Es liegt mir mehr fern als nahe, Mr. Malta, Sie korrigieren zu wollen«, sagte Parker also in seiner gemessenen, ruhigen Art. »Aber woher wollen Sie wissen, daß ich Ihnen nicht das auftische, was man im allgemeinen Sprachgebrauch ein Märchen zu nennen pflegt?« »Weil ich die Namen der Buhen kenne, die sich da ihre privaten Pfundnoten in die Westentaschen stecken.« Malta lächelte überlegen. »Warum dann eine Nennung meinerseits?« fragte Parker weiter. »Ich fürchte, die Aufzählung der Namen wird Sie langweilen.« »Das lassen Sie meine Sorge sein, Parker.« Malta zündete sich eine
Zigarette an und genoß seine Überlegenheit. »Ich will wissen, wieviel Sie inzwischen ausgegraben haben. Und ich will wissen, wer Ihnen die Namen genannt hat.« »Sie wollen sich, wie ich wohl unterstehen darf, an diesen Informanten rächen?« »Sie wissen doch selbst, daß Sie nicht gerade dumm sind, Parker. Natürlich werde ich diesen Verrätern einheizen. Die werden nie wieder in ihrem Leben Plaudertäschchen spielen, wetten?« »Diese Wette dürften Sie inzwischen gewonnen haben. Ist eine Zusatzfrage gestattet?« »Von mir aus, Parker. Ich habe viel Zeit.« Malta nickte großzügig und grinste. »Sie sehen ja, daß der Beton schön breiig bleibt. Der is' auch noch in zehn Minuten zu verwenden.« »Könnten Sie sich unter gewissen Umständen vorstellen, daß Mylady und meine bescheidene Wenigkeit die Namen der bestochenen Beamten bereits an die Polizei weitergeleitet haben?« »Nee, kann ich nicht«, lautete die lakonische Antwort. »Sowas würden Sie für sich behalten.« »Eine treffliche Antwort, in der Tat, Mr. Malta! Fürchten Sie aber nicht, daß Mylady diese Namensliste vielleicht so untergebracht hat, daß sie nach Ablauf einer gewissen Sperrfrist dennoch der Polizei zugespielt werden könnte.« »Sie werden mir natürlich sagen, wo diese Liste ist, Parker, das ist doch sonnenklar! Hören Sie jetzt genau zu: Wir werden Ihre Lady da erst mal bis zu den Hüften einbetonieren, klar? Inzwischen
holen meine Leute die Liste, wo immer sie auch sein mag. Dann entscheidet sich, ob wir zuschütten oder nicht.« »Sie wollen meine bescheidene Wenigkeit doch hoffentlich nicht schonen, Mr. Malta?« Parker sah den Gangster vorwurfsvoll an. »Keine Sorge, Parker«, entgegnete Malta ironisch. »Sie werden neben Ihrer komischen Lady da unten im Betonbrei stehen.« »Eine beruhigende Vorstellung«, fand Josuah Parker. »Sie werden verstehen, daß ich keine Sonderbehandlung wünsche.« »Okay, Parker, aber jetzt zur Sache! Beten Sie schleunigst die Namen 'runter!« »Darf ich bekennen, Mr. Malta, daß mich da noch eine kleine Randfrage bedrückt?« »Kann ich mir fast vorstellen.« Malta winkte in Richtung Betontransporter. Der schwere Wagen mit der rotierenden Behälterbirne setzte sich daraufhin langsam in Bewegung und stieß in Richtung Grube zurück. »Aber beeilen Sie sich jetzt!« . »Angenommen, Mylady und meiner bescheidenen Wenigkeit sind keine Namen bekannt, Mr. Malta. Angenommen, Mylady und meine Person befinden sich in einem Stadium der generellen Ahnungslosigkeit? Wie würden Sie darauf reagieren?« »Nicht anders«, meinte Malta genießerisch. »Schnüffler wie Sie und die Lady werden früher oder später unangenehm. Ich bin dafür, daß man hier rechtzeitig was unternimmt. So, und jetzt 'runter in
die Grube, und dann möchte ich was hören, während der Beton gekippt wird. Nur wenn Sie reden, haben Sie noch 'ne kleine Chance!« * Die Chancen für eine Selbstbefreiung waren mehr als gering. Stacksons Leibwächter, die jetzt für Malta arbeiteten, wollten sich nicht noch mal hereinlegen lassen, hielten ihre Waffen schußbereit in Händen und winkten Lady Simpson und den Butler näher an die Grube heran. Sie warteten darauf, daß ihre beiden Opfer über die schmale Leiter nach unten stiegen. Währenddessen rollte der schwere Betontransporter immer näher an das teuflische Loch heran, bereit, den Inhalt der riesigen Birne ausfließen zu lassen. Agatha Simpson hatte bisher verdächtig lange geschwiegen und sich an Parkers Unterhaltung mit Tony Malta nicht beteiligt. Natürlich wußte auch sie längst, daß Malta einen grausamen Doppelmord begehen wollte. Angst war ihr jedoch nicht anzusehen. Aufrecht und majestätisch marschierte sie zum Rand der Baugrube und maß Malta mit einem vernichtenden Blick. Er massierte sich mit der Hand unbewußt jene Stelle, wo der Pompadour getroffen hatte. Maltas Augen flackerten nervös, er leckte sich die Lippen und wartete offensichtlich auf den seelischen Zusammenbruch seiner Gegner. Der schwere Transporter hatte inzwischen den Rand der Baugrube
erreicht. Er schüttelte sich während der harten Vollbremsung, dann rotierte die riesige Birne ein wenig schneller und ließ dann über eine Schüttvorrichtung die breiige Masse in das vorbereitete Fundament fließen. »Moment noch«, rief Malta, als Parker sich anschickte, seiner Herrin Hilfestellung zu geben. »Warten Sie, bis der Boden knietief bedeckt ist! Dann steht es sich besser, glauben Sie mir.« Parker entschied sich für ein Ablenkungsmanöver. Er konnte nur hoffen, daß die sicher mit allen Wassern gewaschenen Leibwächter darauf hereinfielen. Er hatte jetzt die Möglichkeit, nach einem seiner Patent-Kugelschreiber zu greifen. Daraus wollte er einen Schuß abfeuern, irgendwo in den Schuppen hinein. In der entstehenden Verwirrung ergab sich dann hoffentlich eine zusätzliche Möglichkeit, etwas zur Befreiung zu tun. Doch es kam alles ganz anders ... Der Transporter schüttelte sich erneut, als habe er plötzlich Getriebekrämpfe bekommen, ruckte an und... rauschte ohne jede Vorwarnung über den Rand der Baugrube hinweg. Die tonnenschwere Ladung in der Birne zog das schwere Fahrzeug nach unten und ließ das Fahrerhaus steh in die Luft steigen. Worauf Tony Malta brühte, als sei bei ihm der helle Wahnsinn ausgebrochen. Er belegte den Fahrer mit wüsten Schimpfworten, rannte am Fahrzeug entlang und gestikulierte mit den Händen.
Die Leibwächter zeigten sich ebenfalls beeindruckt. Zwei von ihnen rannten auf der anderen Seite des Transporters nach vorn. Inzwischen rutschte das Fahrzeug noch weiter ab und landete mit seiner Birne in der Baugrube. Parker hatte bereits einen seiner Patent-Kugelschreiber aus der Westentasche gezogen und feuerte seinen geplanten Schuß ab. Die Feinst-Schrotladung aus dieser getarnten Waffe landete im linken Oberschenkel eines der beiden zurückgebliebenen Gangster. Der Mann zeigte sich beeindruckt. Zuerst schrie er auf, dann verfärbte er sich. Er ließ seine Waffe fallen, griff nach der schmerzenden Stelle seines Beines und taumelte dabei unabsichtlich gegen seinen Partner, der gerade auf Parker hatte schießen wollen. Er schoß zwar noch, doch das Projektil pfiff an dem Butler vorüber und landete irgendwo in der Tiefe des Schuppens in einer Wand. Zu einem zweiten Schuß kam es dann nicht mehr, da Agatha Simpson sich des Gangsters annahm. Sie trat ihm schlicht und einfach gegen das rechte Schienbein. Gut, normalerweise handelte eine Dame so nicht, doch Lady Agatha hielt sich ja meist nicht an bestimmte Grundregeln. Als der Getretene auf jaulte und zurückschlagen wollte, rammte die Sechzigjährige ihm ihre Hutnadel in die Hüfte. Es war eine nicht gerade dünne und kurze Nadel. Ja, in einer leichten Übertreibung hätte man fast sogar von einem Miniaturdegen sprechen können.
Der Gangster jaulte nicht mehr, er brüllte. Und dafür handelte er sich eine Ohrfeige von Lady Simpson ein, die wirklich nicht von schlechten Eltern war. Der Gangster fiel benommen zu Boden und erholte sich nicht. Dies aber hing eindeutig mit dem Präparat zusammen, mit dem die Spitze der Hutnadel versehen war. Die chemische Zusammensetzung dieser Paste garantierte eine vorübergehende Lähmung und leichte Bewußtlosigkeit. Inzwischen war Josuah Parker natürlich nicht untätig geblieben. Er hatte seinen UniversalRegenschirm wieder an sich genommen und drückte den mit Blei ausgegossenen Bambusgriff auf den Kopf dieses Mannes. Der Gangster sah Parker daraufhin ein wenig schwermütig an, schloß seufzend die Augen und legte sich auf seinen Partner, der sich schon nicht mehr rührte. »Hinunter in die Grube mit ihnen«, ordnete die ältere Dame an und deutete auf den Betonbrei, der nach wie vor, wenn auch in kleineren Portionen, aus der Birne rann. »Wenn Mylady erlauben, möchte ich mir gestatten, nach den übrigen Herren zu sehen«, schlug Butler Parker vor. »Es ließe sich dann unter Umständen rationeller arbeiten.« »Um die anderen drei Männer brauchen Sie sich nicht mehr zu kümmern«, ertönte in diesem Augenblick Kathy Porters frische Stimme. Myladys Sekretärin und Gesellschafterin kam un den abgekippten Transporter herum und
lächelte. »Sie haben hoffentlich nichts dagegen, daß ich das bereits erledigt habe, Mr. Parker!?« »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit erfreut und überrascht zugleich, Miß Porter«, bekannte Parker und lüftete grüßend seine schwarze Melone. »Ich darf unterstellen, daß Sie Mylady und meine Wenigkeit verfolgten?« »Sicherheitshalber.« Sie nickte. »Und es hat sich gelohnt.« »Gutes Kind«, lobte Lady Agatha ihren Schützling. »Aus Ihnen kann vielleicht noch was werden. Sie haben den Fahrer des Wagens außer Gefecht gesetzt?« »Und den Transporter dann in die Grube abrutschen lassen.« Sie nickte, während sie antwortete. »Er wird doch nicht mehr gebraucht, nicht wahr?« * Es war Teezeit. Butler Parker hatte das duftende Getränk serviert und ein wenig Gebäck. Lady Simpson befand sich in ihrem Salon und schaute mißmutig auf die kleine Schale, auf der etwa vier kleine Kuchenstückchen lagen. »Was sollen diese Miniaturen?« fragte sie dann gereizt. »Wollen Sie mich aushungern, Mr. Parker?« »Mylady hatten sich Diät verordnet«, erwiderte Parker gemessen. »Sie nehmen immer alles zu wörtlich«, tadelte sie. »Das da ist doch gerade für den hohlen Zahn! Wir müssen noch von der Mandeltorte haben, oder?«
»Eine wahre Kalorienbombe, Mylady, wenn mir dieser warnende Hinweis erlaubt ist.« »Vor Bomben und Granaten fürchte ich mich nicht, Mr. Parker. Das sollten Sie inzwischen wissen.« »Ich werde das Mißverständnis sofort korrigieren, Mylady.« Parker verbeugte sich und wollte den Salon verlassen, als es an der Haustür läutete. »Das muß McWarden sein«, vermutete Lady Agatha. »Inzwischen dürfte er die Bergung eingeleitet haben.« Die Detektivin hatte sich nicht geirrt. Wenig später führte Josuah Parker den Chief-Superintendent in den Salon. McWarden machte einen aufgekratzten Eindruck und schien diesmal auf Wolken zu gehen. »Sie kommen natürlich wieder mal zufällig vorbei, nicht wahr?« Agatha Simpson sorgte dafür, daß die kleinen Leckereien weniger wurden. »Ich komme gezielt vorbei, Mylady«, antwortete McWarden. »Und Sie wissen, warum ich Sie und Mr. Parker sprechen möchte.« »Sie hegen bestimmte Annahmen für diese Feststehung, Sir?« warf Josuah Parker ein. »Da sind einige Dinge, die mich privat und auch fast dienstlich amüsieren«, entgegnete McWarden. »Der Tee duftet übrigens nicht schlecht. Muß sich um eine besondere Sorte handeln, oder?« »Er stammt aus diesen scheußlichen kleinen Teebeuteln«, behauptete die Hausherrin. Sie runzelte verärgert die Stirn, als Parker ein zweites Gedeck auflegte
und den Chief-Superintendent dann mit diesem Tee aus den angeblich kleinen, scheußlichen Beuteln versorgte. »Da waren zuerst zwei Streifenwagen von uns«, begann McWarden und süßte sein Getränk, argwöhnisch bewacht von Lady Agatha, die am liebsten laut die Anzahl der verwendeten Zuckerwürfel mitgezählt hätte. »Sie wurden gestohlen, durch simple Tricks übrigens.« »Ist den Insassen dieser beiden Streifenwagen etwas passiert, Sir?« fragte Parker. »Nein, nein, was ihnen blühen wird, sind hausinterne Disziplinarverfahren, aber die stehen auf einem anderen Blatt Nein, ich meine andere Dinge. Vor einer halben Stunde wurde mein Sonderdezernat angerufen. Man teilte meinen Leuten mit, in einem ganz bestimmten Schuppen einer Pleite gegangenen Werft könne man einen interessanten Fund machen.« »Wer reagiert schon auf anonyme Anzeigen?« Agatha Simpson verzog angewidert ihr Gesicht. »Ich, nur um ein Beispiel zu nennen.« McWarden lächelte und kostete den Tee. »Ich fuhr also mit einigen Leuten 'raus zu diesem Schuppen und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie wissen, warum ich staunte, Mylady?« »Seit wann verwechseln Sie mich mit einer Hellseherin, McWarden?« grollte sie. »In einer Art Baugrube, Mylady, fanden wir einen halb abgekippten Betontransporter, doch damit nicht
genug. Aus der Trommel waren ein paar Kubikmeter Beton geflossen, und darin standen fünf Männer, die ein verdammt, entschuldigen Sie, Mylady, aber die wirklich ein verdammt dummes Gesicht zeigten.« »Und wann kommt die Pointe, McWarden?« Mylady tat sehr arglos. Die ältere Dame aber wußte längst, wie die Geschichte weiter ging. »Die fünf Typen standen bis zu den Knien im Beton, Mylady. Und jetzt kommt die Pointe: Der Beton war inzwischen hart geworden. Meine Leute sind noch jetzt mit einem Preßluftbohrer dabei, die Leute auszumeißeln. Wahrscheinlich wird das bis weit nach Mitternacht dauern.« »Und wer, wenn man höflichst fragen darf, Sir, sind diese fünf Herren?« erkundigte sich Parker. Sein Pokergesicht blieb ausdruckslos. »Es handelt sich um einen gewissen Tony Malta und vier Schläger, die wohl seine Leibgarde darstellen.« »Kennen wir den Namen Tony Malta?« Lady Simpson wandte sich an Butler Parker. »Mein Gedächtnis läßt mich seit einiger Zeit im Stich.« »Mr. Malta dürfte der Nachfolger eines gewissen Mr. Stackson sein, Mylady, der überraschend verschied.« »Richtig, ich wußte doch, daß ich diese Namen schon mal gehört hatte.« »Nun frage ich mich, Mylady«, schaltete der Chief-Superintendent sich wieder ein, »nun frage ich mich wirklich, für wen diese Grube und der Beton wohl ursprünglich gedacht
waren? Ich frage mich ferner, wie die fünf Gangster in die Grube gerieten. Freiwillig sind sie bestimmt nicht in den Betonbrei gestiegen und haben dort gewartet, bis er hart wurde.« »Manche Leute haben die verrücktesten Hobbies, McWarden. Wissen Sie das nicht?« Agatha Simpson schmunzelte. »Nach der Befreiung werden Sie diese fünf Männer mit Sicherheit wieder ihrer Wege gehen lassen oder sollte ich mich irren?« Parker schmunzelte nicht. »Gegen die Burschen liegt leider nichts vor«, bedauerte McWarden. »Aber irgendwie glaube ich, daß gerade dieser Malta etwas mit der Korruptionsgeschichte zu tun hat. Fragen Sie mich aber nur nicht, woher mir dieser Gedanke kommt!« »Keine Sorge, McWarden, ich werde ganz sicher keine Fragen stehen«, versprach Lady Simpson. »Ist es hingegen meiner Wenigkeit gestattet, Sir, einige Fragen zu stellen?« Parker füllte McWarden Tee nach. »Nur zu, Mr. Parker!« McWarden nickte lächelnd. Es war überraschend, wie normal, ja fast kindhaft dieses Lächeln war. McWarden zeigte durchaus menschliche Züge. »Darf die erste Frage sich auf jene Liste beziehen, die Ihrer Dienststelle zugeleitet wurde?« »Diese Liste mit den angeblich geschmierten Beamten?« McWarden nickte. »Befand auch Ihr Name sich auf dieser Liste, Sir?«
»Wie Sie's vorausgesagt hatten, Mr. Parker.« McWarden nickte. »Diese Liste ist ein einziger Witz, wenn Sie mich fragen. Sie soll nur Verwirrung stiften, das ist völlig klar, aber auf solche Mätzchen falle ich nicht herein.« »Wie viele Personen, Sir, befanden sich auf der Liste?« »Etwa ein Dutzend, Mr. Parker. Aber wie gesagt...« »Außer Ihrer geschätzten Person handelt es sich wahrscheinlich in allen Fällen um mittlere und höhere Dienststellenleiter?« »Richtig. Alles ehrenwerte Männer.« McWarden nickte erneut. »Wie gesagt, man will damit nur Verwirrung stiften und Mißtrauen säen.« »Demnach werden Sie sich gerade um diese Männer nicht weiter scheren, nicht wahr?« Lady Simpson knabberte das letzte Gebäckstück an. »Warum sollte ich!?« McWarden winkte ab. »Daraus ergibt sich doch, daß Sie die bestochenen Beamten in anderen Dienststellen suchen, nicht wahr?« »Worauf Sie sich verlassen können, Mylady! Dieses Ablenkungsmanöver engt eigentlich ungewollt den Täterkreis wesentlich ein. Ich weiß jetzt, auf wen ich mich konzentrieren muß.« »Sie besitzen zufällig eine Kopie dieser Liste, Sir?« erkundigte sich Parker. »Bedienen Sie sich, Mr. Parker!« McWarden griff in seine Brusttasche und reichte Parker das Schreiben, dessen Text mit einem Kindersetzkasten gedruckt worden war. »Aber ich sage Ihnen gleich,
daß Sie mit diesem Machwerk nichts, aber auch rein gar nichts anfangen können. Sie werden sehen, daß man selbst den High Commissioner verdächtigt. Barer Unsinn, das, einfach lächerlich!« " ' * »Es war nicht nötig, ihm Tee anzubieten«, grollte Lady Simpson, als der Chief-Superintendent gegangen war. »Noch dazu, da er mehr weiß als wir, Mr. Parker. Ich habe diesen Griesgram selten so aufgekratzt erlebt wie eben.« »Die Liste, Mylady, dürfte meiner bescheidenen Ansicht nach ein echtes Äquivalent darstellen.« »Aha.« Agatha Simpson nickte zögernd. »Sie glauben, diese lächerliche Liste habe einen Wert?« »Davon möchte ich ausgehen, Mylady.« Parker servierte seiner Herrin einen Kreislaufbeschleuniger in Form eines alten, französischen Kognaks. »Falls Mylady gestatten, möchte ich dies erläutern.« »Warum nicht?« Agatha Simpson nickte gewährend. »Wahrscheinlich sagen Sie wieder mal genau das, was ich bereits denke.« »Mit letzter Sicherheit, Mylady.« Parker kannte Behauptungen dieser Art zur Genüge. »Es steht sich die1 grundsätzliche Frage, warum man Mr. McWarden solch eine Liste zugespielt hat, eine Liste mit Namen, deren Träger doch so offensichtlich über jeden Verdacht erhaben sind.« »Richtig«, sagte Lady Simpson nur und wartete weiter ab.
»Im Grund will man doch wohl erreichen, Mylady, daß man sämtliche Namensträger erst gar nicht näher kontrolliert. Ich darf darauf verweisen, daß der ChiefSuperintendent nun wirklich unverdächtig ist, ebenso der High Commissioner und noch andere höhere Beamte.« »Das hat mich gleich mißtrauisch werden lassen.« Mehr sagte die ältere Dame nicht. Sie wartete noch ab. »Die Ermittlungen Mr. McWardens und des Sonderdezernats gegen Korruption werden sich also mit größter Wahrscheinlichkeit gerade auf jene Leute richten, die auf der Liste nicht erwähnt werden.« »Das liegt doch wohl auf der Hand. Das sagte ja auch McWarden.« Mylady hatte nichts einzuwenden. »Also sollte man kühn schließen, Mylady, daß diejenigen Beamten, die von Gangstern bestochen werden, gerade auf der Liste verzeichnet sind.« »Endlich haben Sie das gesagt, was ich schon seit einiger Zeit weiß«, schnappte Lady Agatha zu. »Für mich war und ist das überhaupt keine Frage, Mr. Parker! Die Geschmierten sind auf dieser angeblich wertlosen Liste verzeichnet. Ich wundere mich nur, daß Sie nicht schon früher darauf gekommen sind!« »Mylady mögen meine bescheidene Begriffsstutzigkeit verzeihen«, gab Josuah Parker ungerührt zurück. »Mylady sind natürlich auch der Ansicht, daß diese
Liste von Mr. Malta abgeschickt wurde?« »Solche Kleinigkeiten interessieren mich nicht.« Sie wollte sich in diesem Punkt nicht festlegen. »Aber ich werde Ihnen sagen, wen ich für bestochen halte!« Sie nahm die Liste, die Parker auf den Tisch gelegt hatte, an sich und ging die Namen durch. »Das hier ist unser Mann«, entschied sie dann nach wenigen Sekunden und tippte mit ihrem Zeigefinger auf einen Namen. »Chief-Inspektor Granamon. Und wissen Sie auch, Mr. Parker, warum?« »Mylady haben in der Vergangenheit schon immer ein sicheres Gespür bewiesen.« »Dieser Chief-Inspektor Granamon ist der Leiter der zentralen Funkleitstelle«, erwiderte Lady Simpson. »Bei einem Mann wie ihm laufen doch alle Termine für Blitzeinsätze zusammen. Er weiß aus erster Hand, wann und wo die Polizei Razzien durchführen will, wo die Streifenwagen stellen und wo Schwerpunktfahndungen angesetzt werden. Nun, was sagen Sie jetzt!?« »Ich möchte mich erkühnen, Mylady meine Bewunderung auszusprechen«, gab Josuah Parker zurück. »Schon gut!« Sie winkte gnädig ab. »Nun übertreiben Sie nicht immer gleich. Ich weiß ja, daß ich gut bin!« * In Ben Brells Teestube herrschte drangvolle Enge.
Es war schon mehr als überraschend, was da an Tee serviert wurde. Gestandene Männer von den Docks, Werften und aus den Lagerschuppen schienen dem Alkohol abgeschworen zu haben. Sie tranken Tee und waren augenscheinlich bester Stimmung. Kein Mensch achtete auf den mittelgroßen Mann, der die Teestube betrat und sich an einen winzig kleinen Tisch zwängte, der in der Nähe einer schmalen Tür stand, durch die man irgendwelche Hinterräume betreten konnte. Dieser Mann - er mochte sechzig sein - trug einen viel zu langen und zu weiten Mantel, der stumm, aber dringend nach einer gründlichen chemischen Reinigung schrie. Der Mann fingerte an einer altmodischen Brille herum, wobei sich zeigte, daß er Wollhandschuhe trug, deren Fingerspitzen abgeschnitten waren. Und dieser Seltsame hatte sich mit Sicherheit seit einigen Tagen nicht mehr rasiert. »Weizentee«, sagte er mit heiserer Stimme, als Ben Brells an den Tisch trat. »Kennen wir uns?« erkundigte Brells sich. Der Teestubenbesitzer, der an ein Frettchen erinnerte, schaute den Gast mißtrauisch an und schätzte ihn ein. Der Wunsch nach Weizentee verriet Brells allerdings, daß dieser abgerissen aussehende Gast gewisse Gepflogenheiten der Teestube kannte. »Selbstverständlich kennt man sich«, erwiderte der Abgerissene mit sonorer und höflicher Stimme. »Mr. Parker...?« Brells schnappte nach Luft.
»In der Tat, Mr. Brells! Ich hoffe, Sie werden mein unstandesgemäßes Aussehen entschuldigen.« »Das is'n Hammer, Mr. Parker.« Brells grinste anerkennend. »Ich hätt' Sie nicht erkannt. Übrigens gut, daß Sie sich verkleidet haben. Ihr Typ is' hier in der Gegend nicht gefragt.« »Man liegt Groll gegen meine bescheidene Wenigkeit?« »Ich werd' Ihnen erst mal den Weizentee servieren«, schlug der Mann vor, der wie ein Frettchen aussah. Er ging zur Getränketheke hinüber, hantierte an einem großen Thermosbehälter und kam mit einer kleinen Teekanne aus rotem Ton zurück. Parker füllte sich die Trinkschale mit Weizentee, der selbstverständlich nichts anderes war als Brandy. Mit diesem Trick unterlief Ben Brells die amtlichen Schließungszeiten für die Pubs. Auch weit nach der Polizeistunde konnte man bei ihm Alkoholika aller Art bekommen. »Wer ist mit der Existenz meiner Person nicht einverstanden?« erkundigte Parker sich dann bei Brells. »Malta, der Nachfolger von Stackson«, kam die nicht gerade überraschende Antwort. »Sie müssen ihm und seiner Leibgarde ganz schön auf die Zehen getreten haben.« »Aber durchaus mit Takt«, schränkte Parker ein. »Was erzählt man sich denn, Mr. Brells?« »Wissen Sie, Mr. Parker, ich möchte mich nach wie vor 'raushalten. Malta ist vielleicht noch tückischer als Stackson. Und fragen
Sie mich nicht, von wem Stackson umgebracht worden ist!« »Diese Frage kann nur ein Tony Malta beantworten.« Parker nippte am sogenannten Weizentee und gratulierte sich zu seiner Haltung. Er hatte nämlich das Gefühl, Flugzeugtreibstoff gekostet zu haben, so stark und scheußlich schmeckte dieser Brandy. »Darf ich Ihnen einen privaten Hinweis geben, Mr. Brells?« »Ich bin für jeden Tip dankbar, Mr. Parker.« »Der Komet Malta wird bald verlöschen, Mr. Brells.« »Ich hätte bestimmt nichts dagegen, Mr. Parker, aber im Moment laufen seine Typen hier in der Gegend 'rum und setzen uns die Daumenschrauben an.« »Daumenschrauben welcher Art?« »Nee, ich sage kein Wort.« Brells schüttelte den Kopf. »Mr. Malta scheint gewisse Verträge mit Ihnen aushandeln zu wollen, oder sollte ich mich irren?« »Was für Verträge, Mr. Parker?« Brells dämpfte seine Stimme. Seine Augen wurden unruhig. »Ich denke da an Verträge, die sich auf einen Informationsdienst beziehen. Um es noch deutlicher auszudrücken, er verspricht Ihnen und Ihren Freunden, Sie vor gewissen Aktionen der Polizei zu schützen.« »Könnte schon sein, Mr. Parker«, antwortete Brells zögernd, »aber mehr bekommen Sie nich' aus mir heraus. Was haben Sie? Is' was?« »Wer sind jene drei Herren dort in der Nische?«
»Die mit den gefleckten Gesichtern?« »Sie haben mich richtig verstanden.« »Wie die heißen, weiß ich nicht, aber ich weiß, woher sie kommen.« »Dies würde mir schon weiterhelfen, Mr. Brells.« »Die arbeiten in 'nem Betrieb drüben an den Docks. Der Laden steht irgendwas für Flugzeuge her, Schleudersitze, glaube ich.« »Ein seriöser Betrieb, Mr. Brells?« »Und ob, Mr. Parker! Da is' nich' dran zu rütteln. Der Laden hat vor ein paar Jahren eröffnet und zahlt Spitzenlöhne. Ich sage Ihnen schon jetzt, daß Sie sich um den nich' zu kümmern brauchen. Aber nochmal zurück zu Malta! Glauben Sie wirklich, daß er nich' groß 'rauskommen wird?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Würden Sie mich jetzt freundlicherweise entschuldigen? Ich habe noch einiges zu tun.« Parker hatte mitbekommen, daß die drei schwarz-weiß-gescheckt aussehenden Männer aufstanden und gehen wollten. »Und Ihr Tee, Mr. Parker?« Brells deutete auf die Kanne. »Danke, Mr. Brells«, sagte Parker gemessen. »Der Tank meines Wagens ist noch wohl gefüllt!« * Die drei Männer hatten die Teestube verlassen und gingen die Straße hinunter. Sie kamen gar nicht auf die Idee, daß der abgerissen aussehende Mann sie verfolgte. Sie
schenkten ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit. Die drei Männer hatten es bisher nicht geschafft, die Färbung ihrer Gesichts- und Nackenhaut zu beseitigen. Parkers Chemikalien erwiesen sich wieder mal als äußerst wirkungsvoll. Seitdem diese Männer sich im Auftrag des inzwischen ermordeten Stackson vor Lady Simpsons Haus herumgetrieben hatten, mochten sie bestimmt alles versucht haben, diese Flecken zu entfernen. Parker wußte, daß sie nach etwa drei Tagen von selbst verschwinden würden, doch er hütete sich, es ihnen zu sagen. Die Zeichnung dieser Männer hatte sich vollkommen gelohnt. Durch sie nahmen Parkers Ermittlungen eine neue Richtung. Die drei Männer verschwanden in einem ehemaligen Hotel, das in der Nähe der breiten Zufahrtstraße zu den West India Docks stand. Es war zu einem Apartment-Haus umgebaut worden und befand sich im Besitz einer Firma, die sich laut Bronzetafel rechts vom Eingang Littels und Barney nannte. Butler Parker trieb sich solange auf der Straße herum, bis im vierten Stockwerk die Lichter in zwei Räumen eingeschaltet wurden. Es war also klar, daß zumindest diese drei Männer hier in dieser Firmenunterkunft wohnten. Daraus ließ sich folgern, daß wohl auch die übrigen drei Gezeichneten dort ihre Unterkünfte hatten. Butler Parker verschwand in einer Seitenstraße und brauchte etwa zwanzig Minuten, bis er das Gelände
der Firma Littels und Barney erreicht hatte. Ein hoher Drahtzaun umgab das weitläufige Gelände. Im Licht einiger starker Bogenlampen waren die Verwaltungsund Betriebsgebäude deutlich auszumachen. Es handelte sich um moderne Bauten in Würfelform. Weit im Hintergrund waren die Umrisse einer großen, ebenfalls würfelförmigen Halle zu sehen. Dies alles machte einen durch und durch seriösen Eindruck. Als Parker sich abwandte, um zu seinem Wagen zurückzugehen, erschien jenseits des Drahtzauns ein Jeep, in dem zwei Männer saßen, die offensichtlich zum Werkschutz gehörten. Sie trugen uniform ähnliche Anzüge und machten einen wehrhaften Eindruck. Parker ging zurück und sorgte dafür, daß man ihn entdeckte. Dies dauerte nur wenige Sekunden. Der Beifahrer stieg aus dem jetzt stehenden Jeep, trat an den Drahtzaun heran und winkte Parker zu sich heran. »Was is'?« fragte Parker mit heiserer Stimme. Er hütete sich, höflich zu sein. »Schwirr ab, du Penner«, sagte der Mann. »Hier is' für dich nichts zu holen.« »Halt die Klappe«, erwiderte Parker in einem Slang, der zu seinem Aussehen unbedingt paßte. »Wasch dir erst mal die Visage, Großmaul!« Dieser Hinweis war durchaus gerechtfertigt. Der Wachmann zeigte eine schwarz eingefärbte Stirn und eine ebenfalls schwarze Nasenspitze. Die
Herkunft dieser Flecken war dem Butler nur zu bekannt. . . . »Wir sollen wohl mal 'rüberkommen, wie?« erkundigte sich jetzt der Fahrer des Jeep, der ausgestiegen war. Im Gegensatz zu seinem Beifahrer war sein Gesicht fleckenlos sauber. Das wunderte den Butler überhaupt nicht. Vor dem Haus der Lady Simpson hatte er in der bewußten Nacht vier Männer eingefärbt und gezeichnet. Zwei weitere Männer waren im parkenden Wagen gewesen, die er mit seinen Präparaten nicht hatte erreichen können. Parker war an einer Vertiefung der Unterhaltung nicht interessiert. Er zog eine Flasche aus einer der Manteltaschen, setzte den Hals an die Öffnung und tat so, als nähme er einen ungemein mächtigen Schluck. Dann warf er die Flasche lässig über den Zaun und trollte sich, verfolgt von den Verwünschungen und Beschimpfungen der beiden Wachmänner, die immerhin für Stackson gearbeitet hatten und sich jetzt wohl von einem Tony Malta bezahlen ließen. * Gerald Austin war ein energisch aussehender Mann von fünfzig Jahren, der sich hemdsärmelig gab. Er hatte gerade Lady Simpson und Butler Parker empfangen, deutete auf die Sitzgruppe in seinem Büro und rückte mit einer Flasche Scotch heran. »Sie nehmen doch einen Schluck, oder?« fragte er, wartete die Antwort
jedoch nicht ab und füllte drei Gläser. »Ziemliche Überraschung, Mylady, Sie hier zu sehen.« »Auf Ihr Wohl, Mr. Austin«, erwiderte Lady Agatha und hob ihr Glas. Dann setzte sie es an die Lippen und ... kippte den Drink gekonnt in sich hinein. Gerald Austin war tief beeindruckt. »Donnerwetter, Mylady«, meinte er erfreut. »Ich glaube, mit Ihnen kann man Pferde stehlen.« »Laden Sie mich gelegentlich dazu ein«, schlug Lady Simpson vor. »Und damit wären wir bereits bei der Sache. Sie haben bisher an einen gewissen Stackson regelmäßig Schutzgelder gezahlt, nicht wahr?« »Das war 'ne deutliche Frage«, stellte Austin fest und lächelte. »Und ich erwarte 'ne deutliche Antwort«, gab sie in seinem Tonfall zurück. »Oder haben Sie Angst vor Stacksons Nachfolger?« »Warum interessiert Sie das alles?«wollte Gerald Austin wissen. »Mylady beschäftigt sich mit Kriminalfällen, Sir«, warf Josuah Parker ein. »Im Augenblick möchte Mylady Mr. Malta hinter Schloß und Riegel bringen.« »Der is' 'ne Nummer zu groß für Sie, Mylady«, warnte Austin. Er sah die ältere Dame an, dann das leere Whiskyglas und schüttelte langsam den Kopf. »Nee, glaube ich eigentlich nicht. Komisch, ich glaub's nicht. In Ordnung, Sie sollen Ihre ehrliche Antwort haben, Mylady. Ich habe an Stackson gezahlt und werde auch an Malta weiterzahlen.« »Wofür es mit Sicherheit Gründe geben wird, Sir.« Parker nickte.
»Ich möchte meine Lastwagen heil an ihre jeweiligen Bestimmungsorte bringen«, erklärte Austin. »Sie wissen wahrscheinlich, daß mein Transportunternehmen nicht gerade klein ist. Aber es kann verdammt schnell klein werden, wenn ich gewisse Dinge nicht mitmache.« »Nach welcher Methode, wurde bisher gearbeitet, wenn man fragen darf?« »Die Methode ist mehr als einfach, Mr. Parker. Wer zahlt, hat keinen Ärger. Wer aber nicht zahlt, dessen Lastwagen verschwinden, werden ausgeplündert, werden zusammengefahren oder gehen samt der Ladung in Flammen auf.« »Geschieht den Fahrern etwas?« »Wenn man nach den ersten Lektionen nicht spurt, geschieht auch den Fahrern einiges. Es kann dann soweit kommen, daß man keinen mehr bekommt.« »Könnten Unternehmen Ihrer Branche sich hilfesuchend an die Polizei wenden?« fragte Parker weiter, Während Agatha Simpson sich ein wenig von dem Scotch nachgoß. »Könnten schon, Mr. Parker, aber was bringt das ein? Wenn man sie braucht, ist sie mit Sicherheit nicht zur Stehe.« »Ein Vorwurf, den ich pauschal als unangebracht bezeichnen möchte, Sir.« »Ich sage eben, wie es ist, Mr. Parker. Angenommen, ein Lastwagen wird auseinandergenommen, angenommen, der Fahrer kann über Bordfunk Alarm geben, nun, die Polizei trifft immer erst dann ein, wenn solch eine
Sache gelaufen ist. Wissen Sie, was ich manchmal glaube? Die Polizei steckt mit diesem Malta unter einer Decke, wie sie's mit Stackson getan hat. Aber ich kann das natürlich nicht beweisen.« »Hätten Sie möglicherweise ein Interesse daran, Sir?« »Nun bin ich aber gespannt, junger Mann«, schickte Agatha Simpson voraus und blitzte den Transportunternehmer an. »Jetzt zeigen Sie mal, was in Ihnen steckt!« * »Dem werd' ich die Hosen 'runterziehen«, sagte Tony Malta wütend und sprang auf. Er wanderte in Stacksons Büro, das er übernommen hatte, auf und ab. »Der hat wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank!« »Was ist los, Boß?« fragte einer der vier Leibwächter. »Gerade hat dieser Austin angerufen«, antwortete Tony Malta. »Er will ab sofort nicht mehr löhnen. Er steigt aus dem Vertrag aus.« »Hoffentlich hat er sich das auch gut überlegt«, meinte der zweite Leibwächter. »Den machen wir fertig«, empfahl der dritte Schläger. »Wenn Austin nämlich aussteigt, dann werden andere folgen«, warnte der vierte Leibwächter. »Noch in der kommenden Nacht werden wir zuschlagen«, sagte Malta entschlossen. »Dieser Austin soll sein blaues Privatwunder erleben. Dem räumen wir ab, was immer von ihm über die Straßen rollt.«
»Und wie sieht's mit den Buhen aus?« fragte der erste Leibwächter. Er hieß Ray Logan und war der Sprecher der vier Schläger. »Die werden spuren wie immer«, wußte Malta bereits im vorhinein. »Die habe ich fest an der Angel, Jungens. Die werden mit Sicherheit nicht dort sein, wo wir losschlagen. Das ist kein Problem.« »Und die alte Lady? Der Butler?« Ray Logan dachte mit ausgesprochenem Mißbehagen an seinen Aufenthalt im Beton. »Malta, ich will ja nicht unken, aber die beiden Amateure schlagen mir glatt auf'n Magen, die haben bestimmt noch was in petto.« »Man kann sie auch überbewerten«, erwiderte Malta und bemühte sich um Überlegenheit. »Schön, sie haben uns 'reingelegt. Glück der Anfänger! Noch mal wird sich das nicht wiederholen.« »Hoffentlich nicht«, seufzte der zweite Gorilla. »War'n verdammt mieses Gefühl, so im Beton 'rumzustehen.« »Keine Sorge, bald werden die im Beton stehen«, gab Malta zurück, doch seine Stimme drückte nicht gerade Siegeszuversicht aus. »Aber für immer!« »Könnten die Lady und Parker sich nicht hinter Austin geklemmt haben?« vermutete Ray Logan in einem tiefen Anfall von Mißtrauen. »Ausgeschlossen!« Malta wußte es besser. »Und selbst wenn, Leute, was ändert das? Die Polizei wird wieder mal durch Abwesenheit glänzen. Nein, nein, wir werden völlig ungestört zuschlagen können. Besorgt die Einsatzlisten von den
Austin-Transportern. Anschließend suchen wir uns die richtigen Tracks aus und räumen ab. Austin wird bedauern, den wilden und starken Mann gespielt zu haben.« * Wertvoller und verlockender hätte die Ladung dieses Sattelschleppers gar nicht sein können. Laut Ladepapieren befanden sich auf der Ladefläche Fernsehgeräte und Rundfunkgeräte aus Japan, Kognak aus Frankreich, BourbonWhisky aus den Staaten, Seidenballen aus Taiwan und optische Geräte aller Art aus WestDeutschland. Der Fahrer dieses Sattelschleppers hatte das Hafengebiet längst hinter sich gelassen und befand sich auf der A5 in Richtung Birmingham. Es war bereits dunkel geworden, denn die Umladearbeiten hatten sich ein wenig verzögert. Der Mann am Steuer war ein mittelgroßer, rundlicher Mann von etwa fünfzig Jahren, der Ralph Enfield hieß. Er war einer der zuverlässigsten Fahrer des AustinUnternehmens, an den Docks bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Er trag eine schwarze Lederjacke, eine Wollmütze und rauchte seine Pfeife. Mit Geschick und Routine steuerte er den langen Sattelschlepper durch den Stadtteil Edgware und näherte sich der Kreuzung Watford, wo er sich entweder für die breite Schnellstraße oder die übliche Landstraße entscheiden mußte, um nach Birmingham zu kommen.
Der Verkehr auf den Straßen auch hier draußen in den Vororten Londons war mehr als beachtlich. Es ging auf 21.00 Uhr zu, und ein leichter Regen setzte ein. Ralph Enfield minderte das Tempo seines Sattelschleppers, als er sich dem Verteiler näherte. Unfälle waren hier die Regel, man konnte nicht vorsichtig genug sein. Hinter dem Verteiler entschied sich Ralph Enfield für die nördliche Watling Street, die eindeutig weniger befahren war. Von seinem hohen Fahrersitz aus hatte er gesehen, daß sich auf der Schnellstraße die Fahrzeuge stauten. * Hinter diesem langen Sattelschlepper des Transportunternehmens Austin rollte ein völlig durchschnittlich aussehender und verschmutzter Morris, in dem zwei Männer saßen. »Der Fahrer verdient 'nen Orden«, sagte Ray Logan, der Wortführer der Leibwache Maltas, »'nen größeren Gefallen hätte der uns gar nicht tun können.« »Wo schnappen wir uns den Wagen?« wollte Logans Beifahrer wissen, einer der Schlägertypen. »Den drücken wir in die Butterfly Lane ab«, sagte Logan. »Dann rauschen wir anschließend wieder zurück zum Verteiler. Wir brauchen noch nicht mal zu wenden.« Während Ray Logan noch sprach, kurbelte er das Wagenfenster herunter und winkte kurz nach draußen. Wenige Sekunden später erschien neben dem Morris ein
Motorrad, auf dem ein Streifenpolizist saß. Er kümmerte sich überhaupt nicht um die beiden Morris-Fahrer, überholte den Wagen und dann anschließend den Sattelschlepper. Dieser Kradfahrer der Polizei war selbstverständlich einer von Maltas Leibwachen. Er kannte seine Aufgabe genau und sollte dafür sorgen, daß der Sattelschlepper in die bewußte Seitenstraße bog. Dort in der Butterfly Lane sollte der Fahrer des Trucks dann innerhalb weniger Sekunden ausgeschaltet und ausgetauscht werden. »Das klappt ja bestens«, freute Logan sich wenig später. Der Sattelschlepper verlangsamte das Tempo, bremste und bog in die Butterfly Lane ab, die von einem größeren Parkgelände begrenzt wurde. Der Kradfahrer der Polizei war für einen Moment in der Kurve zu sehen. Er hatte sich vor den Sattelschlepper gesetzt und lotste ihn genau an die richtige Stehe. »Was machen wir mit dem Fahrer?« erkundigte sich Logans Partner. »'ne kurze Betäubung, aber nicht zu sanft. Der muß für ein paar Tage im Bett bleiben, sowas spricht sich in Fahrerkreisen schnell herum.« Der Sattelschlepper war inzwischen angehalten worden, und der Fahrer schickte sich an, zu dem Polizisten herunterzusteigen. Er schien ärgerlich zu sein und stellte Fragen. Der Morris stoppte hinter dem Truck, die beiden Gangster stiegen aus. Sie pirschten sich von der Beifahrerseite aus an das Fahrerhaus
heran und machten sich einsatzbereit. Für sie war die Sache bereits gelaufen. Was für Schwierigkeiten sollte es jetzt noch geben? * Chief-Inspektor Grammon stand unter Dampf. Der schlanke, fast hagere Mann mit dem Pferdegesicht und dem Schnauzbart befand sich in der Funkleitzentrale und hatte die Gegenwart einer gewissen Lady Simpson zu ertragen, die ihn unentwegt mit Fragen löcherte, wie er es insgeheim ausdrückte. Bei Chief-Inspektor Grammon liefen die ankommenden Meldungen zusammen. Er koordinierte den Einsatz der Streifenwagen und entschied von Fall zu Fall, wo schwerpunktmäßig reagiert werden mußte. Ihm assistierten zwei weitere Beamte, nämlich die Inspektoren Haley und Bush, die Lady Simpson mit besonderer Hochachtung behandelten. Hier in der Funkleitzentrale wußte man natürlich, daß diese majestätische Dame über ungewöhnlich gute Verbindungen verfügte, die bis hinauf ins Königshaus reichten. »Was machen Sie jetzt, junger Mann?«wollte Lady Agatha gerade von Grammon wissen. Der junge Mann, immerhin fast dreiundvierzig Jahre alt, schluckte eine scharfe Antwort hinunter. »Schwerpunkteinsatz in Richtung Flugplatz«, antwortete Grammon und zwang sich zur Höflichkeit.
»Und warum? Ich habe schon ausführlichere Antworten gehört.« Sie sah den Chief-Inspektor grimmig an. »Verkehrsunfall mit Fahrerflucht«, antwortete Grammon. Er nahm einen weiteren Meldezettel hoch. »Und das hier ist ein Einbruch in Richmond, das hier eine Schießerei in Camden, der Täter hat sich in einer Wohnung verschanzt, und das hier...« »Danke, das reicht erst mal.« Lady Simpson blieb vor der riesigen Einsatzkarte stehen, die eine hohe und breite Wand bedeckte. Die beiden Inspektoren Haley und Bush markierten die jeweiligen Standorte der Streifenwagen mit bunter Fettkreide auf der Glasscheibe, die die Karte schützte. »Werden in dieser Nacht keine Razzien gefahren?« fragte Lady Simpson bereits weiter. »Doch, selbstverständlich, Mylady.« »Und wer setzt sie ein?« »Die Kommandozentrale, Mylady«, antwortete Chief-Inspektor Grammon, der am liebsten laut zurückgeschnauzt hätte. »Und wann erfahren Sie davon?« »Da gibt es keine festen Regeln, Mylady. Die Einsätze bekomme ich immer erst wenige Minuten vor dem festgesetzten Termin.« »Sie wissen also nie vorher, wann und wo Razzien veranstaltet werden?« »Von einigen weiß ich es schon Stunden vorher, Mylady, von anderen wieder kurz vor dem Einsatz. Wir haben langfristig und kurzfristig geplante Einsätze.« Chief-Inspektor Grammon zog es vor, in seinem Glasverschlag zu
verschwinden, um sich hier ein wenig zu erholen. Doch er hatte die Rechnung ohne Lady Agatha gemacht. »Sie sind ziemlich mundfaul und kurz angebunden«, sagte sie grollend, als sie den Glasverschlag betrat. »Wer befindet sich in der Kommandozentrale?« »Der Commissioner vom Dienst, Mylady«, antwortete Grammon und verwünschte insgeheim die Lady. »Er hat noch einen Chief-Inspektor und einen Inspektor bei sich, allein ist das alles nie zu schaffen. Sie sehen ja selbst, was hier los ist.« »Sie übertreiben, junger Mann«, widersprach Lady Agatha. »Sie verausgaben sich nicht gerade bis an den Rand der Erschöpfung. Ich möchte einen Blick auf die langfristig festgesetzten Einsatzpläne werfen.« »Bitte, Mylady!« Grammon reichte der älteren Dame ein Clipboard, auf dem .einige Schreibmaschinenseiten festgeheftet waren. Sie durchblätterte die Einsatzbefehle und reichte das Clipboard wieder an Grammon zurück. »Und so etwas liegt hier einfach herum?« räsonierte die Detektivin. »Die Einsatzbefehle kann ja fast jeder einsehen.« »Nur meine beiden Assistenten, Mylady. Und die sind völlig vertrauenswürdig, wenn Sie das meinen.« »Sie scheinen ein sehr empfindlicher Mensch zu sein«, stellte Lady Simpson genußvoll fest. »Sie sollten sich eine dickere Haut zulegen, junger Mann. Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel!«
Nachdem sie diesen Pfeil abgeschossen hatte, verließ sie den Glasverschlag, dann die Funkleitzentrale und begab sich hinüber in die Kommandozentrale, um hier einigen hohen und mittleren Beamten gründlich auf die Nerven zu fallen. * Ralph Enfield hatte sich aufgerichtet und sah dem Sattelschlepper nach, der in die Aldenham Road einbog und zurück zum Verteiler fuhr. Er nahm die Lederkappe vom Kopf und rieb sich den Schädel. Er hatte immerhin zwei bösartige Schläge abbekommen, die normalerweise schwere Verletzungen verursacht hätten. Dann griff er in seine Lederjacke und holte sein Funksprechgerät hervor. Er schaltete es ein und nahm den vereinbarten Funkkontakt auf. »Hier Parker, Josuah Parker«, meldete sich der angebliche Ralph Enfield auf einer Spezialfrequenz, die nicht so ohne weiteres abgehört werden konnte. »Vorab, Miß Porter, keine Sorgen! Mir geht es ausgezeichnet, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Bei mir ebenfalls«, war die Stimme von Myladys Sekretärin und Gesellschafterin klar und deutlich zu vernehmen. »Ich schalte jetzt den Peilsender ein.« »Man wird sich später sehen«, antwortete Parker. »Ich wünsche noch eine recht gute und halbwegs bequeme Fahrt, Miß Porter.« Butler Parker setzte die Lederkappe wieder auf, die übrigens
recht schwer war, was aber nur mit der soliden Stahlblecheinlage zu tun hatte, die er unter das Leder geschoben hatte. Er hatte von Anfang an mit einem tückischen Niederschlag gerechnet und sich entsprechend vorbereitet. Für den Fall, daß die Gangster Schußwaffen verwendet hätten, wäre Parker auf ein nachdrückliches Verteidigungsmittel umgestiegen. Ein Mann wie er war immer auf alles vorbereitet. Besondere Hast legte der Butler nicht an den Tag, beziehungsweise an die Nacht. Er konnte ja schließlich den Morris, benutzen, den die Gangster am Ort des Überfalls zurückgelassen hatten. Der Wagen war mit Sicherheit gestohlen worden, aber das hielt den Butler nicht zurück, sich in den Wagen zu setzen und loszufahren. Den kleinen Peilsender hatte er noch nicht eingeschaltet. Er glaubte ohnehin zu wissen, wohin der Sattelschlepper gebracht wurde. Erst in der Nähe der West India Docks wollte er eine Feinpeilung vornehmen, aber dann saß er längst in seinem hochbeinigen Monstrum, zu dem er jetzt fuhr. Parker war sehr zufrieden, was die Entwicklung des Falles betraf. Tony Malta und seine Gang hatten den ausgelegten Köder nur zu gern angenommen. Und Lady Simpson, was für ihn noch wichtiger war, konnte sich nicht störend einschalten. Sie befand sich im Yard und wollte hier ihre Theorie untermauern, nach der der ChiefInspektor genau der Mann war, der die Gangster zentral informierte und
sich dafür schmieren ließ. Mit anderen Worten, Lady Simpson konnte erfreulicherweise keine Verwirrung stiften... * »Wo steckt Grammon?« fragte Agatha Simpson die beiden Inspektoren Haley und Bush. Sie hatte der Kommandozentrale einen Besuch abgestattet und den diensttuenden Commissioner innerhalb von knapp zehn Minuten an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht. »Der Chief-Inspektor ist drüben im Funkstand«, erwiderte Bush, ein etwa fünfunddreißigjähriger, schlanker Mann, der die Fragen der älteren Dame bisher geduldig und freundlich beantwortet hatte. »Und was macht er da?« »Kontrolle der Koordination, Mylady«, erklärte Bush. »Wir führen gerade eine Großrazzia bei den East India Docks durch. Dort scheint man einen Lagerschuppen ausräumen zu wollen.« »War das eine Blitzaktion oder stand diese Razzia bereits auf der Liste?« »Sie wurde eben erst angeordnet, Mylady«, lautete die Antwort. »Während Sie drüben in der Kommandozentrale waren, ist die Durchsage gekommen.« »Und die Kommandozentrale wurde davon nicht unterrichtet?« wunderte sich Lady Agatha. »Das ist inzwischen geschehen, Mylady. Die Genehmigung ist erteilt worden. Wahrscheinlich haben Sie
gerade die Einsatzzentrale verlassen, als das geschah.« »Zeigen Sie mir, wo diese Razzia erfolgen wird.« Lady Simpson baute sich vor der riesigen Wandkarte auf und hörte sich schweigend an, was die Inspektoren Bush und Haley ihr erklärten. »Und was tut sich an den West India Docks?« fragte sie dann. »Im Moment gar nichts, Mylady.« »Wird dort auch noch eine Razzia durchgeführt? « »Bisher ist darüber nichts bekannt, Mylady.« Bush sah die ältere Dame aufmerksam an. »Glauben Sie, daß dort etwas stattfinden wird, Mylady?« »Lassen wir uns überraschen«, meinte Lady Simpson. »Warum ist Mr. Grammon noch nicht da?« »Möchten Sie zu ihm, Mylady?« Bush war und blieb die Höflichkeit in Person. »Das könnte nicht schaden.« Lady Simpsons Mißtrauen verstärkte sich. Nach ihrer Theorie war der Chief-Inspektor genau der Mann, der als Täter in Betracht kam. Natürlich hatte er noch einige Mitarbeiter, die mit ihm Hand-in-Hand zusammenarbeiteten. Von dieser Funkleitzentrale aus konnten Gangster in Sekundenschnelle informiert und gewarnt werden. Eine bessere Schaltstelle gab es überhaupt nicht. Inspektor Bush deutete auf die Tür und wartete, bis Agatha Simpson nachgekommen war. Er schob die Pendeltür auf, ließ die Lady vorausgehen und führte sie über den Korridor. Vor einem Fahrstuhl blieb er stehen.
»Ist das etwa der Weg hinüber zum Funkstand?« fragte die Detektivin, als die Tür des Fahrstuhl sich öffnete. »Er befindet sich im Kellergeschoß, Mylady, in einem bombensicheren Bunker.« »Atomsicher, wie?« fragte sie ironisch. »Wahrscheinlich, Mylady«, gab Bush zurück und lächelte. »Halten Sie uns deswegen aber nicht für besonders ängstliche Menschen!« Agatha Simpson betrat den Fahrstuhl und überlegte, wie sie Chief-Inspektor Grammon überführen könnte. Ihr Verdacht gegen diesen Mann hatte sich immer mehr verdichtet. Ihr konnte man nichts vormachen. Sie beschloß, Inspektor Bush ein wenig auf den Zahn zu fühlen. »Sie kommen mit Mr. Grammon gut aus«, fragte sie gespielt beiläufig. »Natürlich, Mylady.« »Kennen Sie ihn auch privat?« »Kaum, Mylady.« Bush hob bedauernd die Schultern. »Er ist unverheiratet, mehr weiß ich eigentlich nicht von ihm.« »Wer leitet tagsüber die Funkzentrale, junger Mann?« Während Lady Simpson diese Frage stellte, hatte der Fahrstuhl sich bereits in Bewegung gesetzt und fuhr nach unten. »Chief-Inspektor Keene, Mylady«, antwortete Bush. »Und was ist das für ein Mensch?« »Schwer, darauf zu antworten, Mylady.« »Versteht er sich mit Grammon? Sind sie miteinander befreundet?«
»Nein, das ganz sicher nicht, Mylady. Bitte, das ist vertraulich. Eigentlich dürfte ich darüber nicht sprechen.« Sie hatten inzwischen das Kellergeschoß erreicht. Bush öffnete die Tür und... prallte zurück, als vor ihm und Lady Simpson sich zwei Männer aufbauten, die nicht gerade friedlich aussahen. Sie trugen Polizeiuniformen, doch ihre Gesichter waren maskiert. Zusätzlich hatten sie sich noch mit Schußwaffen ausgerüstet. Bush wollte dennoch Gegenwehr leisten. Bevor er allerdings aktiv werden konnte, schlug einer der beiden Männer ihn kurz und trocken nieder. Bush stöhnte auf und fiel in den Aufzug. »Soll das etwa ein Überfall sein?« erkundigte sich Lady Agatha gereizt. »Richtig getroffen«, sagte einer der beiden Männer. »Und Sie werden ihn nicht überleben, wenn Sie nicht mitspielen. Umdrehen, lassen Sie den Pompadour fallen!« Das tat Lady Simpson dann auch. Sie zügelte ihr jugendliches Temperament. Ihr war klar, daß sie nahe davor stand, niedergeschossen zu werden. * Butler Parker saß in seinem hochbeinigen Monstrum und hatte den Spezialempfänger eingeschaltet. Die Peilzeichen waren deutlich zu hören und wiesen ihm den Weg. Parker hatte sich in den Butler zurückverwandelt. Er trug wieder den schwarzen Zweireiher, und auf seinem Kopf saß die schwarze
Melone. Er fühlte sich nach seinem kurzen Gastspiel als Lastwagenfahrer wieder als Mensch, was die Kleidung betraf. Er näherte sich den West India Docks und damit auch dem Versteck des entführten Sattelschleppers. Hier - irgendwo im Gewirr der Kais, Hafenbecken, Lagerschuppen und Werften - mußte der Truck sich befinden. Die Feinpeilung würde ihm im Verlauf der nächsten Minuten noch mehr dazu sagen. Und sie sagte es ihm! Parker passierte einen großen Platz, auf dem Container standen, bog nach rechts ab und sah sich dann plötzlich einem Zaun gegenüber, der ihm nicht unbekannt war. Weit hinten auf dem Gelände waren die würfelförmigen Bauten der Firma Littels und Barney zu erkennen. Direkt vor ihm aber lag jener Klotz von einem Schuppen, den er beim ersten Kontakt mit dieser Firma nur aus großer Entfernung hatte wahrnehmen können. Er war jetzt um dieses Areal herumgefahren und hatte sich dem Gelände von der entgegengesetzten Seite genähert. Die Peilzeichen waren laut und deutlich zu vernehmen. Parker hielt sein hochbeiniges Monstrum an und stieg aus. Gemessen näherte er sich dem Zaun, schritt an ihm entlang und stieß bald drauf auf ein stark gesichertes Tor. In einem ebenfalls würfelförmigen Wachhaus brannte Licht, doch wie viele Personen sich darin aufhielten, war leider nicht auszumachen. Die Jalousetten vor den Fenstern waren fast vollständig geschlossen.
Parker brauchte nicht lange nach entsprechenden Spuren zu suchen. Auf dem nebelfeuchten Asphalt vor dem Tor ließen sich die Reifenspuren eines Sattelschleppers ohne weiteres ausmachen. Ein Zweifel war ausgeschlossen: Der entführte Sattelschlepper der Transportfirma Austin war hierher gebracht worden. Parker wunderte das kaum. Das Wachpersonal war eindeutig mit jenen Männern identisch, die seinerzeit für den inzwischen ermordeten Stackson gearbeitet hatten. Sie hatten sich vor Lady Simpsons Haus herumgetrieben und waren chemisch gezeichnet worden. Für diese Männer war es eine Kleinigkeit, den Sattelschlepper während ihrer Wachzeit dort in die große Halle zu bringen, wo man ungestört umladen konnte. Selbst bei einer Razzia würden Polizeibeamte nie auf den Gedanken kommen, auf dem Gelände dieser seriösen Firma nach Tätern zu suchen. Butler Parker stand vor einer schweren Entscheidung. sollte er jetzt den Yard informieren? sollte er Chief-Superintendent McWarden einschalten? Doch was war damit gewonnen? Gut, man würde die Wachleute der Firma Littels und Barney überführen, aber es war schon zu bezweifeln, ob sie einen Tony Malta überhaupt je belasten würden. Sie hatten natürlich für ihn gearbeitet, nachdem sie auch von Stackson bezahlt worden waren, aber darum ging es überhaupt nicht. Butler Parker wollte jene Polizeibeamten überführen, die auf dem Umweg über Stackson und jetzt
Malta die Unterwelt mit Informationen versorgten. Würden sie hier auftauchen? Würden sie abkassieren? Nun, ohne einen besonderen Anlaß war mit dem Erscheinen der bestochenen Beamten gewiß nicht zu rechnen. Da mußten schon Dinge eintreten, mit denen die Gegenseite bestimmt nicht rechnete. Parker ging zu seinem Wagen zurück und griff nach dem Autotelefon. Er ließ sich eine Verbindung mit Lady Simpsons Haus herstellen und setzte dann einen verschlüsselten Spruch ab, der vom Bandaufzeichnungsgerät gespeichert wurde. Agatha Simpson hatte so die Möglichkeit, entsprechende Schritte zu unternehmen. Die Lady sollte für Josuah Parker die letzte Rückversicherung sein, bevor er alles auf die sprichwörtlich eine Karte setzte. Nach dem Telefonat schritt Parker zurück zum Tor und baute sich vor der schmalen Fußgängerpforte auf. Er läutete nachdrücklich Und lüftete höflich die schwarze Melone, als einer der Wachleute aus dem kleinen Würfel kam. Er gehörte zu den Männern, die der Butler gezeichnet hatte. Auf der Stirn des Mannes war ein breiter, schwarzer Fleck zu sehen. »Einen wunderhübschen Abend erlaube ich mir zu wünschen«, sagte Parker. »Besteht die Möglichkeit, Mr. Malta zu sehen? Es gibt da einige Dinge, die besprochen werden müßten!« *
Tony Malta saß auf einem Schleudersitz und rauchte eine Zigarette. Er sprang hoch, als sei er von einer Tarantel gestochen worden, als man Butler Parker hereinführte. »Im Gegensatz zu meiner bescheidenen Wenigkeit scheinen Sie mehr als überrascht zu sein«, sagte Josuah Parker. Die schwarze Melone konnte er leider nicht grüßend anheben, denn die beiden Wachleute, die ihn in den riesigen Schuppen gebracht hatten, waren so vorsichtig gewesen, ihm Handschellen anzulegen. »Mit Ihnen hätt' ich allerdings nicht gerechnet«, meinte Malta, der sich bereits wieder gefaßt hatte. »Setzen Sie sich, Parker! Sie wollen doch bestimmt nicht helfen, den Sattelschlepper zu entladen, wie?« Er deutete auf die geöffnete Ladefläche des langen Wagens. Die vier Leibwächter Maltas und zwei Wachleute waren damit beschäftigt, große und kleine Kartons auszuladen. Sie sollten in zwei kleineren Kastenlieferwagen verschwinden. Bisher hatte man gerade ein Fünftel der Ladefläche ausgeräumt. »Setzen Sie sich«, sagte Malta noch mal und deutete auf eine ganze Reihe von Schleudersitzen, die nebeneinander auf einer Art Montageband standen. »Wegen mir können Sie sich aussuchen, was Sie wollen, ist ja genug davon da.« »Ihre Methoden der Eigentumsübertragung sind bemerkenswert«, stellte Josuah Parker fest. »Eine bessere Tarnung
kann man sich nicht vorstellen. Sie haben die Praktiken Ihres Vorgängers Stackson übernommen?« »Die von mir stammen!« Malta nickte stolz. »Stackson hatte nicht viel auf dem Kasten. Man mußte ihm alles gründlich vorkauen.« »Geht sein Tod auf Ihr Konto, Mr. Malta?« »Aber wo denken Sie hin, Parker! Für so etwas habe ich meine Leute.« »Sie denken an die Polizeibeamten, die sich bei Ihnen eine Art Zubrot verdienen?« »Genau die haben das für mich erledigt, Parker.« Malta grinste. »Namen würden Sie selbst jetzt noch nicht nennen, oder?« »Ich werde mich hüten, Parker. Es gibt Dinge, die sagt man auch keinem Menschen, der nur noch 'ne knappe halbe Stunde zu leben hat.« »Sie wundern sich offensichtlich gar nicht, warum ich freiwillig hierher gekommen bin, Mr. Malta.« »Warum Sie gekommen sind, werden Sie mir gleich sagen. Und diesmal werden Ihnen keine Tricks helfen!« »Ihre Selbstsicherheit ist bemerkenswert, wenn ich es so sagen darf. Natürlich war ich so frei, das vorzunehmen, was man' eine Rückversicherung zu nennen pflegt.« »Von der Polizei haben wir nichts zu befürchten, glauben Sie mir, Parker! Ach, Sie denken wahrscheinlich an die verrückte Lady, wie? Tja, da muß ich Sie enttäuschen, Parker. Die wird gleich hier eintreffen. Die habe ich nämlich aus dem Verkehr ziehen lassen.«
»Dies ist allerdings eine mehr als herbe Nachricht, die ich übrigens nicht anzweifle.« »Dann wäre da noch diese hübsche Miß Porter.« Malta lächelte triumphierend. »Die können Sie sich auch abschminken, Parker.« »Wie darf ich das verstellen?« Der Butler ließ sich seine Unruhe nicht anmerken. »Wir haben sie bereits auf der Ladefläche entdeckt«, redete Tony Malta weiter. »Sie sitzt bereits unten in einem Materialkeller. Nun, was sagen Sie jetzt?« »Wenn Sie erlauben, Mr. Malta, möchte ich im Moment schweigen«, antwortete Butler Parker. »Ich muß einräumen und gestehen, daß ich ein wenig betroffen bin.« * »Ich bedaure außerordentlich, Miß Porter, Sie in diese recht unangenehme Lage gebracht zu haben«, entschuldigte Parker sich, nachdem man ihn in den Materialkeller geschoben hatte. »Die Schuld liegt bei mir«, erwiderte Kathy Porter und lächelte beruhigend. »Ich bin zu früh aus meinem Karton geklettert. Aber daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Da ist ja immer noch Lady Simpson. Ich nehme an, Sie haben sie informiert, oder?« »Dies schon, Miß Porter, nur dürfte Mylady nach Lage der Dinge diese Information nicht mehr auswerten können. Mit anderen Worten, Mylady befindet sich laut Mr. Malta bereits ebenfalls in der Gewalt der Gangster.«
»Das hört sich allerdings gar nicht gut an, Mr. Parker. Man wird uns umbringen, nicht wahr?« »Diese unschöne Absicht besteht zweifelsfrei, Miß Porter, doch man sollte dagegen geeignete Maßnahmen ergreifen.« »Wie wurden denn Sie erwischt, Mr. Parker?« erkundigte Kathy Porter sich. Während sie fragte, kniete sie vor Parker nieder und beschäftigte sich wie selbstverständlich mit seinem linken Schuh. Sie band den Schnürsenkel los und zog ihn aus den Ösen. »Ich fand mich freiwillig ein, um es mal so auszudrücken«, antwortete Josuah Parker. »Ich möchte davon ausgehen, daß diejenigen Beamten, die von Stackson und Malta bestochen wurden und werden, hier erscheinen werden.« »Warum sollten sie, Mr. Parker?« Kathy Porter benutzte den harmlos aussehenden Schnürsenkel als Sägeblatt, mit dem sie die Handschelle nachdrücklich bearbeitete. Sie brauchte sich dabei kaum anzustrengen, denn das Material dieser Säge war einfach verblüffend. Auf einem biegsamen Stahldraht waren feinste Diamantsplitter aufgetragen worden. Sie fraßen sich mit Appetit durch den harten Stahl der Handschelle. »Auch Beamte sind bekanntlich nur Menschen«, erinnerte Josuah Parker in seiner höflichen Art. »Sie werden ihre Neugier befriedigen wollen und möchten gewiß ihren Triumph auskosten. Darüber hinaus aber wollen sie sicher in Erfahrung bringen, ob ihre Namen bereits von Mylady, Ihnen und meiner
bescheidenen Wenigkeit ermittelt werden konnten. Ferner dürfte es sie interessieren, ob diese Namen irgendwo hinterlegt wurden. Ich rechne mit einer längeren Fragestunde, Miß Porter. Mr. Malta wird seinen Wunsch, schnell zur Tat schreiten zu können, noch ein wenig unterdrücken müssen.« »Die Säge ist wirklich ausgezeichnet, Mr. Parker.« Kathy Porter war beeindruckt. »Man wird später die Trennstelle ein wenig kaschieren müssen«, sagte Parker. »Dazu könnten Sie die Klebepaste verwenden, die sich im linken Schuhabsatz befindet. Sie ist metallisch eingefärbt und dürfte die Täuschung perfekt machen.« »Sie wissen, wo wir uns befinden?« »In einer Versuchshalle der Firma Littels und Barney«, erläuterte Josuah Parker höflich. »Über uns, im besagten Schuppen, scheint man die Funktionstüchtigkeit der Schleudersitze zu testen. Konnten Sie den Schlitten wahrnehmen, Miß Porter?« »Welchen Schlitten?« Kathy Porter wunderte sich wieder mal über die Gemessenheit und Ruhe, die Parker an den Tag legte. »Es handelt sich um ein Gestell, das in der Lage ist, einen Schleudersitz senkrecht nach oben zu führen«, antwortete Parker. »Er wird wie auf einem Schlitten per Druckluft oder auch durch kleine Sprengsätze in Bewegung gesetzt. Er simuliert die Bewegung eines Schleudersitzes nach der Zündung im Cockpit eines Flugzeuges.«
»Scheußliche Vorstellung, auf solch einem Schleudersitz sitzen zu müssen«, meinte Kathy Porter. »Aber durchaus lebenserhaltend, falls man sich in akuter Gefahr befindet«, entgegnete der Butler. »Darf ich darauf verweisen, daß es solche Schleuderschlitten bei der Luftwaffe gibt? Darauf trainieren Piloten das sogenannte Aussteigen.« »Ich bin gleich durch'«, sagte Kathy Porter, das Thema wechselnd. »Die Handschelle wird sie bald nicht mehr stören, Mr. Parker.« Kathy Porter mußte ihre Arbeit unterbrechen, als Schritte und Stimmen vor der Tür zu vernehmen waren. Wenig später öffnete sich die Tür. Unter Wahrung aller Vorsicht ließen sich zwei von Maltas Leibwächtern sehen. Sie schoben Lady Simpson in den Keller und schlossen blitzschnell hinter ihr die Tür. Lady Agatha schaute sich grimmig um, nickte Kathy und Parker dann flüchtig zu und setzte sich erst mal ihren verrutschten Hut zurecht. »Diese Subjekte«, meinte sie dann verärgert. »So behandelt man keine hilflose, alte Frau...« * »Waren Mylady in der erfreulichen Lage, die Polizeibeamten zu identifizieren?« erkundigte Parker sich ein paar Minuten später. Lady Agatha hatte sich beruhigt und war ansprechbar. »Sie trugen Gesichtsmasken«, sagte sie grimmig, »aber sie dachten nicht daran, ihre Rangabzeichen abzudecken.«
»Daraus lassen sich unter Umständen wertvolle Schlüsse ziehen, Mylady. Könnten Mylady das Aussehen dieser Rangabzeichen näher beschreiben?« »Papperlapapp, Mr. Parker, ich kenne mich doch aus! Ich hatte es mit einem Chief-Inspektor und einem Inspektor zu tun. Da bin ich mir völlig sicher. Und wenn ich Chief-Inspektor sage, dann denke ich natürlich sofort an diesen Grammon.« »Den Leiter der Funkleitzentrale?« »Wer sonst? Er ist der Bursche, der sich bestechen läßt. Und zu ihm gehören noch ein paar andere Kreaturen.« »Und Inspektor Bush wurde niedergeschlagen?« »Vor meinen Augen, Mr. Parker.« Lady Simpson nickte. »Man sollte den ganzen Yard auswechseln oder auflösen, wenn Sie mich fragen. Ich werde mit dem Innenminister mal ein ernstes Wort reden müssen.« »Mylady wissen, daß Myladys Lage nicht sonderlich gut ist?« »In der Vergangenheit hat es oft schon schlimmer ausgesehen, Mr. Parker. Nun reißen Sie sich mal zusammen! Nehmen Sie sich mal an mir ein Beispiel!« »Wie Mylady wünschen.« Parker zeigte zwar keine Verzweiflung, doch er widersprach nicht. »Sind Mylady von den beiden maskierten Beamten hierher gebracht worden?« »Nachdem man mich ganz ordinär mit Chloroform betäubt hat«, entgegnete sie. »Ich könnte rasend werden, wenn ich daran denke. Sie haben sich hoffentlich etwas
einfallen lassen, wie wir hier herauskommen, oder?« »Diesem Problem werde ich mit Fleiß nachgehen, Mylady. Zur Zeit kann ich allerdings noch keine Lösung anbieten. Die Übermacht ist leider recht massiv und groß.« Kathy Porter hatte die Handschelle inzwischen aufgesägt und war dabei, die Schnittstelle mit der Paste wieder zu verkleben und tarnen. Die Gangster brauchten nicht auf Anhieb zu merken, daß Parker sich wieder ungehindert und frei bewegen konnte. Sie hatte diese Arbeit gerade erledigt, als erneut Schritte und Stimmen vor der Tür zu vernehmen waren. Dann explodierte die Tür förmlich nach innen, und zwei von Maltas Leibwächtern erschienen mit Maschinenpistolen. »Raufkommen«, kommandierte Ray Logan, der Wortführer der Leibwächter. »Euer Typ wird verlangt.« Sie waren nicht allein gekommen. Die beiden anderen Leibwächter hatten sich jenseits der Tür an der Korridorwand aufgebaut und sicherten ebenfalls den Abtransport. Man sah es den vier Männern deutlich an, daß sie sich nicht noch mal hereinlegen lassen wollten. Tony Malta saß immer noch auf einem der Schleudersitze und winkte seinen Gefangenen fröhlich zu. »Wir haben Besuch«, sagte er und deutete auf drei Polizeibeamte, die ein wenig nervös und unsicher wirkten. »Bush, Sie auch!?« Agatha Simpson schaute den Inspektor an, der niedergeschlagen worden war.
»Auch ich.« Bush nickte. »Damit haben Sie nicht gerechnet, wie?« »Wer sind diese beiden anderen Subjekte?« grollte Lady Simpson und deutete auf einen ChiefInspektor und auf einen weiteren Inspektor. Sie alle trugen Uniformen. »Sherman und Homan«, stellte Bush vor. »Sie arbeiten in der Funkleitzentrale, haben jetzt aber dienstfrei. Darum konnten sie sich auch einschalten.« »Demnach kontrollierten Sie alle drei Schichten, wie ich vermute?« schaltete der Butler sich ein. »Richtig«, gab Inspektor Bush zurück. »Man muß ja orientiert sein.« »Und was ist mit diesem Grammon?« mischte Lady Simpson sich ein. »Hat er sich nicht hergetraut?« »Was sollte Grammon hier?« erwiderte Bush und lächelte dünn. »Er hat mit der ganzen Sache überhaupt nichts zu tun.« »Das glaube ich einfach nicht.« Lady Simpson ärgerte sich, als sie ein feines Hüsteln des Butlers hörte. Sie wußte, daß ihr Tip vollkommen falsch gewesen war. »Ob Sie das nun glauben oder nicht, Mylady, Grammon hat mit der Sache nichts zu tun«, wiederholte Bush noch mal. »Aber wahrscheinlich dreht er jetzt durch und schickt die Streifenwagen durch die ganze Stadt. Aber das wird nichts einbringen. Hier sind und bleiben wir völlig unter uns.« »Rechnen Sie nicht damit, eines Tages überführt zu werden?«wollte Josuah Parker wissen. »Wir lenken den Verdacht schon rechtzeitig ab«, versprach Bush.
»Wir sitzen ja schließlich an der Quelle. Wir lancieren eine Liste nach der anderen. Kleinigkeit für uns.« »Ich würde Sie am liebsten ohrfeigen«, sagte Agatha Simpson. »Und wir wollen hier Schluß machen«, schaltete Tony Malta sich ein und schob sich vor. Er deutete auf den senkrecht nach oben führenden Gleitschlitten. »Wir haben uns etwas Nettes einfallen lassen. Improvisation ist alles.« »Wahrscheinlich benötigen Sie noch einige Auskünfte«, sagte Parker in Richtung Bush. »Nur einen Hinweis, Parker. Was haben Sie bisher herausgefunden, und wo befinden sich etwaige Unterlagen darüber?« »Sie würden diese Hinweise in jedem Fall aus meiner bescheidenen Wenigkeit herauspressen?« »Sehen Sie sich den Schleudersitzschlitten an, Parker! Was halten Sie davon, solch ein Ding mal auszuprobieren? Wieder und immer wieder, bis Sie reden!?« »Eine Vorstehung, die ich erst mal innerlich verarbeiten muß.« »Wir fangen gleich damit an, Parker.« »Und falls Sie die geforderten Informationen bekommen?« »Darüber werden wir dann später reden.« »Sie planen einen dreifachen Mord, nicht wahr?« »Unsinn! Sie werden Ihre Chance bekommen ...« Bush glaubte keinen Moment an das, was er sagte. Natürlich plante er, Mylady, Kathy Porter und Butler Parker umzubringen.
»Sie brauchen natürlich nicht hochzusteigen«, warf Tony Malta ein und deutete auf eine Kiste, deren Vorderteil aus einem engmaschigen Drahtnetz bestand. »Sie können sich freiwillig hochkatapultieren. « »Wie darf ich das verstehen, Mr. Malta?« »Sie können den Start mit 'nem Druck auf 'nen Fußschalter auslösen«, erklärte Malta und lächelte tückisch. »Liegt ganz bei Ihnen. Mal sehen, ob Sie's tun werden.« Unter dem Eindruck der gezückten Waffen nahm Parker auf dem Schleudersitz Platz und wurde nachdrücklich festgezurrt. Lady Simpson und Kathy Porter verhielten sich schweigend. Da Parker nichts unternahm, wollten sie sich zurückhalten und auf ihre Chance warten. Ray Logan vergewisserte sich noch mal, daß Parker gut und fest auf dem Schleudersitz saß. Dann trat er zurück. Er hatte allen Grund dazu, denn einige bis aufs Blut gereizte Klapperschlangen schossen mit erstaunlicher Behendigkeit ins Freie und nahmen Kurs auf Parkers Beine. Zwei Klapperschlangen wollten zwar eine andere Richtung nehmen, doch Ray Logan schob sie mit einem langen Stock in die von ihm gewünschte Richtung. »Sie können reden, Parker«, rief Bush. »Sie können auch erst mal nach oben verschwinden und sich vor den Schlangen retten, aber ich sage Ihnen gleich, Sie werden wieder zurückkommen.«
»Aber verdammt benommen«, warnte Malta. »Hoffentlich jagen Sie sich dann im richtigen Moment wieder hoch. Die Klapperschlangen warten!« Im Augenblick warteten sie allerdings nicht. Sie hatten ihr Ziel aufgenommen und interessierten sich lebhaft für Parkers Fußknöchel und Waden. Noch betätigte Parker nicht den Auslöser. Er hatte nach oben geschaut und traute der Versicherung nicht, der Schlitten samt Schleudersitz würde sich wieder senken. Die Gleitschienen endeten dicht unter dem Dach der Halle. Was war, wenn die Endsicherung gelöst worden war? Würde er dann gegen das Hallendach katapultiert werden? Würde er samt Schleudersitz durch das Dach hinaus ins Freie jagen? Solch eine hinterlistige Teufelei war den Gangstern durchaus zuzutrauen. Die Klapperschlangen schoben sich immer näher an Parkers Waden heran und zischelten und klapperten beeindruckend. Jeder der Anwesenden starrte fasziniert, in einer Mischung aus Grauen und Neugierde, auf diese Reptilien, die dem Butler praktisch keine Alternative ließen. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis Parker sich endgültig entscheiden mußte. Die Schlüsselszene in einem Abenteuerfilm hätte nicht spannender inszeniert sein können. * In diese schicksalsträchtige Stille hinein rief eine messerscharfe
Stimme, man möge doch möglichst umgehend die Arme hochnehmen und die Waffen fallen lassen. Tony Malta, der das nicht tun wollte, brühte auf, als ein Schuß lospeitschte, der seine Schulter traf. Daraufhin gaben seine Leibwächter und die Männer des Wachpersonals sicherheitshalber auf und kamen der Aufforderung nach. Bush und seine beiden Begleiter aber wollten die Flucht ergreifen und sich durchschießen. Doch damit war für Agatha Simpson der Moment gekommen, sich für ihre Niederlage zu rächen. Ihr Pompadour knallte Bush, ins Genick. Der Inspektor vollführte einen Salto und landete in gefährlicher Nähe der irritierten Klapperschlangen. Kathy Porter aber hatte sich in eine wilde Pantherkatze verwandelt und nahm es gleichzeitig mit den beiden anderen Beamten auf. Sie hatten keine Chance. Mit allen Mitteln asiatischer Verteidigungskunst setzte Kathy Porter diese beiden Männer außer Gefecht. Sie legten sich neben Bush und kamen ebenfalls in die Reichweite der Reptilien, die sich nun verständlicherweise nicht entscheiden konnten, wen sie zuerst beißen sollten. Sekunden später war die Lage bereinigt und geklärt. Gerald Austin und etwa sechs handfest aussehende Lastwagenfahrer kesselten Gangster und Polizisten ein. Sie taten noch mehr. Da sie einige handfeste Schlaginstrumente mit sich führten, schickten sie die Gangster erst mal in das Land der Träume, um sie dann
zu handlichen Paketen zu verschnüren. »Mit Ihnen, Sir, hätte ich nun wirklich nicht gerechnet«, sagte Parker, nachdem Kathy Porter ihn vom Schleudersitz losgebunden hatte. »Ich möchte nicht versäumen, Ihnen und Ihren Mitarbeitern meinen herzlichen Dank auszusprechen.« »Recht brav gemacht«, lobte auch Lady Simpson. »Gut, daß wir Sie nicht aus den Augen gelassen haben«, sagte der Transportunternehmer. »Als Sie mit dem Sattelschlepper losfuhren, Mr. Parker, sind wir hinter Ihnen her gefahren. Und dann haben wir den entführten Truck verfolgt, bis hierher.« »Begabt, recht begabt«, fand Lady Simpson, die allerdings nicht recht bei der Sache zu sein schien. Sie musterte unentwegt den Schlitten samt Schleudersitz. »Die Schlangen stammen übrigens aus 'nem Lagerschuppen«, erklärte Transportunternehmer Austin. »Der gehört einem Tierhändler, der mit der ganzen Sache aber nichts zu tun hat.« »Die Schlangen werden sich freuen, wieder in Sicherheit gebracht zu werden«, sagte Josuah Parker. »Und Chief-Superintendent McWarden wird aufatmen. Damit dürfte sein Problem endlich gelöst sein. Wenn Mylady erlauben, werde ich ihn verständigen.« »Später, Mr. Parker, später«, erwiderte Agatha Simpson und musterte erneut das Katapult. »McWarden kann noch etwas warten.«
»Myladys Wünsche sind meiner bescheidenen Wenigkeit Befehl«, gab Butler Parker zurück. »Ich habe tatsächlich einige Wünsche«, bestätigte die Detektivin. »Warum schnappen Sie nicht etwas frische Luft, Mr. Parker? Auch Sie, Mr. Austin! Nehmen Sie Ihre Männer gleich mit. Ich werde mich später erkenntlich zeigen.« »Was planen Mylady?« erkundigte Parker sich. »Ich möchte dieses Ding da mal ausprobieren«, gab sie zurück und deutete auf den Schleudersitz. »Mylady, davon möchte ich dringend abraten«, warnte Josuah Parker. »Es ist nicht bekannt, wo solch eine Fahrt enden wird.« »Wer redet denn von mir, Mr. Parker?« Sie sah ihn empört an. »Ich werde das mit diesen Subjekten testen.« Sie meinte eindeutig die Gangster und die drei Beamten, die alle prompt erbleichten. »Und wenn das Ende der Schiene nicht blockiert sein sollte, Mylady?« »Eben hat Bush noch gesagt, daß das der Fall ist. Und ich zweifle manchmal nicht am Wort eines Polizisten, Mr. Parker. Warum gehen Sie nicht endlich!?« Parker, Kathy Porter, Austin und seine handfesten Fahrer räumten das Feld. Zurück blieben Lady Simpson, die Klapperschlangen, die wieder in der Transportkiste waren und schließlich die Gangster samt Bush und Partner. »Beginnen wir mit dem Training«, sagte Lady Simpson unternehmungslustig. »Wer möchte den Anfang machen? Freiwillige vor!«
standen vor dem riesengroßen Würfel und sahen zum Dach. »Sie sagen es, Sir; antwortete Parker. »Es ist immer wieder eine Ehre und Freude, für Mylady tätig sein zu dürfen.« »Ob der Schleudersitz durchs Dach jagen wird?« Gerald Austin zündete sich eine Zigarette an. »Man wird sehen«, gab Parker gemessen zurück. »Prognosen irgendwelcher Art möchte ich allerdings nicht stehen. Man kann nur hoffen, daß das Dach in Leichtbauweise erstellt wurde.«
Es fanden sich keine Freiwilligen. »Ich kenne da einen alten Abzählreim aus meiner Kindheit«, sagte Lady Agatha. »Einer bleibt übrig und fällt aus. In diesem Fall aber darf er sich zuerst auf den Schleudersitz setzen. Zählen wir den Vers also durch.« * »Eine ungewöhnliche Dame«, stellte Gerald Austin fest. Er, seine Männer, Parker und Kathy Porter ENDE
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Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen Nr. 180
Mylady tauft die Gangster Die chemische Formel dieser neuen Modedroge war kaum auszusprechen, aber das störte die Verbraucher überhaupt nicht. Sie hatten sie >Engelsstaub< getauft und handelten sie zu Wahnsinnspreisen, obwohl sie ahnten oder wußten, daß sie im echten Wahnsinn enden würden. Butler Parker, Lady Agatha Simpson und Kathy Porter zögerten keinen Moment, als Superintendent McWarden sie um Mitarbeit bat. Das skurrile Trio stürzte sich in dieses neue, aufregende Abenteuer und sollte schnell am eigenen Leib erfahren, wie der >Engelsstaub< wirkt. Günter Dönges schrieb einen neuen Parker-Krimi, der ein brennend aktuelles Thema aufgreift und es spannungsgeladen-witzig darstellt, wie es der Art des Autors entspricht.