PARKER macht den Dieben Dampf Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Lady Agatha Si...
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PARKER macht den Dieben Dampf Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges Lady Agatha Simpson erlitt einen leichten, etwas aufgesetzt wirkenden Hustenanfall, als der Geistliche volltönend und überzeugend von der guten Seele sprach, die jetzt ihre letzte Ruhe gefunden habe. Der Geistliche, ein rundlicher, rosig aussehender Mann der anglikanischen Kirche, ließ sich weitschweifig über das Leben der Verstorbenen aus und rühmte ihre Gutherzigkeit und Lauterkeit, ihre Charakterstärke und ihren Gemeinsinn. Butler Parker, ein Mann undefinierbaren Alters, vielleicht ein wenig vollschlank, etwas über mittelgroß und mit dem ausdruckslosen Gesicht eines gewieften Pokerspielers, wußte sehr wohl, was dieser Hustenanfall ausdrückte: Mylady war erheblich anderer Meinung als der Geistliche, der es wohl nicht besser wußte. Josuah Parker war mit Mylady auf den altehrwürdigen Dorffriedhof vor den Toren der Millionenstadt London gefahren, wo man Lady Bushter zur letzten Ruhe geleitete. Die Trauergemeinde war schon riesig zu nennen. Der Blut- und Geldadel Englands, mit dem Agatha Simpson eng verschwistert und verschwägert war, hatte sich ein Stelldichein gegeben. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Friedhof
standen dicht an dicht die teuersten Nobelmarken der Fahrzeugindustrie. Parker langweilte sich ein wenig, doch er hätte sich nie gestattet, dies optisch auszudrücken. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine kühlgrauen Augen hingegen blickten interessiert und wachsam. Er hatte sich, wie er sich eingestand, ein wenig ablenken lassen. Weit im Hintergrund, neben einem alten Grabstein unter einer noch älteren Linde, stand ein junger Mann, natürlich ebenfalls korrekt in Schwarz gekleidet. Dieser etwa dreißigjährige Mann schien entweder verstohlen Radio zu hören, oder aber gewisse Funkdurchsagen zu erledigen. Ob der junge Trauernde nun ein kleines Transistorradio in der Hand hielt oder ein Funksprechgerät, ließ sich wegen der Entfernung nicht eindeutig klären. Parker wurde schließlich doch abgelenkt. Der Sarg war bereits ins Grab gesenkt worden, und Lady Simpson wurde ungeduldig. »Gehen wir«, sagte sie zu ihrem Butler. »Mein Bedarf an Lobreden ist reichlich gedeckt.« »Mylady waren und sind offensichtlich anderer Meinung als der Geistliche?« fragte Parker in gewohnt höflicher Art. »Dieser Geistliche muß die falsche Beerdigung betreut haben«,
antwortete Lady Agatha mit ihrer dunkel getönten Baritonstimme, die weit trug und die sie absolut nicht zu dämpfen gewillt war. »Die Verblichene war geizig, ein Klatschweib und verschlagen. Das weiß doch jeder hier.« »Über Tote, so sagt ein lateinisches Sprichwort, Mylady, wenn ich darauf verweisen darf, soll man nur Gutes reden«, gab der Butler gemessen zurück. »Papperlapapp«, raunzte seine Herrin. »Verschonen Sie mich mit Ihren Sprüchen, Mr. Parker!« »Werden Mylady an der anschließenden Feier im privaten Kreis ..teilnehmen?« »Das fehlte noch!« Sie schüttelte grimmig den Kopf. »Ich kann diese Heuchelei nicht ertragen. Wir fahren selbstverständlich zurück in die Stadt.« »Wie Mylady wünschen.« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und geleitete die ältere Dame, die vor Jahren beschlossen hatte, ihr Alter mit sechzig anzugeben, zum Parkplatz. Agatha Simpson war eine majestätische Dame, die an die Walküre einer Wagneroper erinnerte. Sie sah erstaunlich rüstig aus, ja, sie wirkte geradezu dynamisch. Sie trug ein schwarzes Kostüm und einen schwarzen Hut, der an einen Südwester erinnerte. Sie war eine skurrile Erscheinung, doch das machte ihr nichts aus. Sie lebte ihr Leben und scherte sich den Teufel darum, wie andere Menschen über sie dachten. Sie konnte sich ihre Exaltiertheit leisten,
denn sie war eine immens reiche Frau. Inmitten der Nobelkarossen auf dem Parkplatz stand ein ungemein schäbig aussehendes Londoner Taxi älterer Bauart. Es handelte sich um Parkers Privatwagen, der allerdings nach seinen sehr eigenen Wünschen technisch umgestaltet worden war. Lady Simpson nahm im Fond Platz und zerrte sich den schwarzen > Südwester< vom Kopf. »Ich brauche etwas für meinen Kreislauf«, forderte sie von Parker. »Diese Lobhudeleien sind mir auf den Magen geschlagen.« Butler Parker wußte, was dagegen zu tun war. Aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers holte er eine flache Taschenflasche hervor, die in schwarzes Leder gehüllt war. Er schraubte den Verschluß ab, der dann als Silberbecher diente, und reichte Lady Agatha einen alten Kognak, den sie geübt wie ein Fuhrmann kippte. »Das ist schon besser«, sagte sie. »So, und jetzt zurück nach Shepherd's Market, Mr. Parker, mag man von mir denken, was man will. Was ist denn?« »Sofort, Mylady«, erwiderte Parker. »Mylady mögen verzeihen, daß ich mich ablenken ließ. Der junge Trauernde dort scheint von seinem Transistorgerät förmlich hingerissen zu sein, wenn ich es so ausdrücken darf.« Parker wandte den Blick ab von dem Mann, der wahrscheinlich der Übertragung eines Fußballspiels lauschte und jetzt langsam zu den Nobelwagen hinüberschlenderte, wo
er dann hinter verschwand.
einem
Daimler
* Sir Edward Lime gehörte zu den illustren Trauergästen und hielt es für seine selbstverständliche Pflicht, der kleinen Feier beizuwohnen. Er war mit dem Haus Bushter weitläufig verwandt und konnte sich dieser Ehrenpflicht nicht entziehen. Zusammen mit den übrigen Trauergästen saß er im Saal des Bushter-Anwesens und stocherte gelangweilt in dem Apfelkuchen herum, den man als kleinen Imbiß serviert hatte. Sir Edward, ein gestandener Endfünfziger, untersetzt, bullig, war froh, als einer der Hausangestellten an ihn herantrat und ihm meldete, in der Halle des Hauses erwarte ihn dringend sein Fahrer. Da sei etwas mit dem Wagen geschehen. Sir Edward erhob sich, entschuldigte sich bei seinen Sitznachbarn und eilte erleichtert aus dem düsteren Saal. Er nahm sich vor, nicht wieder zurückzukehren. Er wollte sich eine Zigarre anzünden und ein wenig durch den Park des Bushter-Landsitzes schlendern. Sein Fahrer hieß Harry Linson ein mittelgroßer, schlanker Mann, vierzig Jahre alt, zuverlässig wie eine Schweizer Präzisionsuhr - kam ihm zitternd vor Empörung entgegen. »Was gibt's denn, Harry?« erkundigte sich Sir Edward jovial. »Mann, Sie sehen ja aus, als hätte man den Wagen total zusammengefahren.«
»Was auch der Fall ist, Sir!« Harry Linsons Stimme zitterte vor Erregung. »Grundlos, Sir, bestimmt. Er ist absichtlich angefahren worden. Ich habe es ganz deutlich gesehen.« »Und wer hat das getan?« Sir Edward geriet nun ebenfalls in Empörung, denn er fuhr einen sehr teuren Rover, der ein kleines Vermögen gekostet hatte. Und als Bankier schielte Sir Edward auf den Cent. »Zwei junge Strolche, Sir«, antwortete Fahrer Linson. »Und sie behaupten, i c h hätte die Schuld.« »Das wollen wir doch mal sehen!« Sir Edward nahm ruckartig den Kopf vor und damit seine typische Kampfhaltung ein. Begleitet von seinem Fahrer, ging er zum rückwärtigen Parkplatz, wo sich die Chauffeure der übrigen Staatskarossen bereits um den Rover versammelt hatten und den Fall diskutierten. Die Fahrer traten respektvoll zurück und stellten ihre Unterhaltung ein, als Sir Edward auf dem Plan erschien. Er wandte sich den beiden jungen Männern zu, die neben ihrem uralt aussehenden Ford standen und den Schaden besichtigten. ' Der teure Rover war schlimm zugerichtet worden. Der Uraltford hatte ihn seitlich gerammt und beide Türen eingedrückt. Der Ford zeigte hingegen erstaunlich wenig Sachschaden, nur sein linker Kotflügel war eingebeult. Die beiden Männer mochten zwischen achtundzwanzig und dreißig Jahre alt sein. Sie trugen sportliche Anzüge, gaben sich lässig und
verfügten durchaus über Manieren, wie sich zeigte. »Hier, meine Karte, Sir Edward«, sagte der jüngere der beiden Männer. »Bevor wir uns beschimpfen, sollten wir uns kennen, denke ich.« Sir Edward Lime nahm die Karte entgegen, überflog den Aufdruck und . .. schluckte dann. Er schaute hoch, sah die beiden jungen Männer an und . .. schluckte erneut. »Schon gut, Harry«, sagte er dann, sich an seinen Fahrer wendend. »Ich werde das mit den beiden Herren regeln. Sie können wieder zurück zum Tee gehen. Sie übrigens auch!« Er meinte damit eindeutig die übrigen Fahrer, die sich daraufhin zusammen mit Harry Linson zurück in die Küche des Hauses begaben, wobei man leise das seltsame Verhalten des Sir Edward Lime diskutierte, der für sein cholerisches Temperament bekannt war. »Wir werden uns schnell einigen«, sagte nun der ältere der beiden Fordfahrer lächelnd. »Ich denke, der Schaden an unserem Wagen beträgt etwa zehntausend Pfund.« »Eine Kleinigkeit, wenn man' bedenkt, wie teuer seine Anschaffung war«, fügte der Jüngere hinzu und lächelte ebenfalls. »Zehn ... Zehn . ..« »Zehntausend Pfund«, wiederholte der ältere der beiden Fordfahrer. »Damit ist der Fall für uns dann auch schon vergessen. Ich denke, so billig kommen Sie normalerweise nicht davon, wie?« »Ich . . . Ich habe keine zehntausend Pfund bei mir«, gab Sir Edward Lime zurück.
»Das macht doch nichts.« Der jüngere der beiden Fordfahrer winkte freund-, lieh und beruhigend ab. »Überweisen Sie den kleinen Betrag an unseren Büroboten!« »Und zwar sofort«, sagte der andere Fordfahrer. »Wie wir uns das vorstellen, sagen wir Ihnen noch genau, Sir Edward. Glauben Sie uns, das klappt nahtlos, wir haben da bereits unsere Erfahrung.« »Vergessen Sie nicht, Sir Edward, was unsere Visitenkarte verrät«, schloß der andere Fahrer freundlich. »Die Berufsbezeichnung stimmt haargenau!« * Basil Lefka und seine Frau befanden sich auf der Heimfahrt und unterhielten sich über die Trauerfeier. Sie waren übereinstimmend der Ansicht, daß der Sekt billig, der Portwein schlecht, der Sherry zu süß und der Apfelkuchen einfach schlecht gewesen waren, von dem gereichten Gebäck mal ganz zu schweigen. Auch sie hatten notgedrungen an der Trauerfeier teilgenommen und sich in Anbetracht ihrer gesellschaftlichen Position nicht vorzeitig verabschieden können. Sie besaßen nur Geld, dafür aber leider keinen Titel. Sie gehörten am Rande mit dazu, wie es in den Klatschspalten der Boulevardzeitungen hieß. Basil Lefka machte sein Geld im Ölgeschäft und verdiente beträchtlich. Der stets ein wenig schwitzende Mann, dessen Vorfahren aus Griechenland
stammten, hätte sich selbstverständlich einen Fahrer leisten können, doch an seinen neuen Rolls ließ er keine fremde Hand. Am liebsten hätte er diesen teuren Wagen sogar noch selbst gewaschen. In gemächlichem Tempo fuhr er über die schmale Straße, um über die breite Chaussee dann später zurück nach London zu kommen. Er lästerte gerade verächtlich über den Adel, den er aus nächster Nähe genossen hatte, und achtete nicht weiter auf den ramponierten Ford, der aufholte, energisch hupte und ihn überholen wollte, obwohl es gerade an dieser Stelle der Straße fast so gut wie unmöglich war. Erst als der Ford ihm sehr unsanft gegen den hinteren rechten Kotflügel schrammte, fuhr Lefka zusammen, fluchte fürchterlich und riß seinen schweren Wagen zur Seite. Er kam automatisch mit der linken Wagenseite in Konflikt mit der Steinmauer, die hier als Straßenbegrenzung diente, wurde überholt und erlebte Sekunden später seine zweite, böse Überraschung. Der Ford, der ihn gerade überholt hatte, bremste ohne Grund scharf ab. Bevor Lefka reagieren konnte, fuhr er auf und demolierte das Heck des vorausfahrenden Wagens. Zwei sportlich gekleidete Männer im Alter zwischen achtundzwanzig und dreißig Jahren stiegen aus und lächelten neutral, als Lefka sie mit einer Flut von Schimpfworten belegte. »Erst mal unsere Karten«, sagte der jüngere der beiden Fordfahrer und reichte Lefka eine Visitenkarte, die ein wenig groß ausgefallen war.
Lefka griff automatisch zu, überlas den Text und .. . schluckte kaum weniger als ein gewisser Sir Edward Lime. »Was . .. Was soll das heißen?« fragte er schließlich mit heiserer Stimme. »Sie können doch lesen, oder?« erkundigte sich der zweite Fordfahrer lächelnd. »Ja, aber da steht doch, daß Sie ein ... Inkassobüro betreiben.« »Killer und Company«, bestätigte der jüngere der beiden Fordfahrer und nickte. »Wie Sie lesen können, schießen wir bei Nichterfüllung unserer Vertragsbedingungen.« »Ich .. . Ich verstehe immer noch nicht.« »Sie haben unseren Wagen, der uns sehr teuer ist, sinnlos gerammt«, rügte der Ältere. »Aber ich denke, nach Zahlung von fünfzehntausend Pfund wollen wir die Affäre vergessen.« »Fünfzehntausend Pfund für Ihre jämmerliche Kiste?« entrüstete sich Basil Lefka und sah rot. Das heiße Blut seiner Vorfahren geriet in Wallung. »Das ist doch Straßenraub, das ist glatte Erpressung! Sie glauben doch wohl nicht, daß ich ...« Er beendete den Satz nicht. Es zeigte sich, daß Basil Lefka sehr flink war, obwohl er danach gar nicht aussah. Er schlug blitzschnell mit seiner Linken zu und traf den älteren der beiden Fordfahrer hart am Kinn. Der Fahrer taumelte zurück, stolperte und fiel zu Boden. Der jüngere Fordfahrer reagierte nun ebenfalls. Er hielt plötzlich eine schallgedämpfte Pistole in der
rechten Hand und schoß ohne jede Vorwarnung. Lefka blieb für den Bruchteil einer Sekunde unbeweglich stehen, faßte dann mühsam nach seiner rechten Schulter, fiel auf die Knie und dann seitlich auf die Straße. Seine Frau schrie gellend, doch die beiden Männer schien das überhaupt nicht zu kümmern. Der Schütze beugte sich über den am Boden liegenden Lefka und sagte etwas eindringlich zu ihm, er sagte es in einer penetranten Mischung aus Höflichkeit und Drohung. Dann stiegen die beiden Verbrecher zurück in den Ford und waren kurz danach hinter der nächsten Straßenbiegung verschwunden. * Kathy Porter hatte am Begräbnis nicht teilgenommen. Sie war im Haus der Lady Agatha Simpson in Shepherd's Market geblieben, um wichtige Post aufzuarbeiten, die Mylady ihr diktiert hatte. Sie hatte diese Arbeit in der kleinen Bibliothek des Hauses gerade beendet, als an der Haustür geläutet wurde. Kathy Porter, eine attraktive Erscheinung, die jedoch an ein scheues Reh erinnerte, ging in den Vorflur und schaltete das kleine Fernsehgerät ein. Auf dem Bildschirm waren zwei in Overalls gekleidete Männer zu sehen, die einen ordentlichen Eindruck machten. Hinter ihnen am Straßenrand stand ein Möbelwagen.
Kathy schaltete das Gerät ab und öffnete die Tür, ohne jedoch die Spezial-Sicherheitskette zu lösen. »Bitte?« fragte sie höflich. »Mach' auf, Süße«, sagte einer der Packer lässig. »Wir sollen die Vitrine abholen.« »Die Vitrine?« Kathy Porter hatte keine Ahnung, um was es sich handelte. »Die Vitrine, Mädchen«, sagte der zweite Packer. »Hier is' doch bei Lady Simpson, oder?« »Allerdings.« Kathy Porter nickte. »Sie hat angerufen. Das Ding soll renoviert werden.« »Nun mach' endlich«, drängte der erste Packer. »Wir wollen noch vor Feierabend zurück in der Firma sein.« Kathy Porter nickte verschüchtert, löste die Sicherheitskette und ließ die beiden Männer herein. Sie trat zur Seite, damit sie durch den Vorraum in die Wohnhalle gehen konnten. »Welche Vitrine meinen Sie denn?« fragte Kathy Porter dann. »Mylady hat mir nichts gesagt.« »Kann sie auch nicht, Süße«, sagte der erste Packer, ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, mittelgroß und schlank. »Nun paß mal genau auf, Mädchen«, setzte der zweite Packer hinzu, der knapp zwanzig Jahre alt schien und nett aussah. »Wir werden dich jetzt im Keller einschließen. Und dann ist alles bereits überstanden.« »Im Keller einschließen?« Kathy Porter sah die beiden Möbelpacker aus großen Augen an.
»Im Keller!« Der erste von den beiden Eindringlingen nickte. »Dir passiert überhaupt nichts. Wir möchten nur unsere Ruhe haben, wenn wir die Bude ausräumen. Ist das in dein kleines Köpfchen 'reingegangen?« »Sie .. . Sie wollen stehlen?« Kathy Porter schnappte nach Luft. »Abräumen«, sagte der zweite Packer. »So, und jetzt zeig' uns mal 'nen netten, passenden Keller, bevor wir ärgerlich und böse werden.« »Aber Mylady wird gleich zurückkehren!« Kathy Porter war in Panik geraten. »'nen Dreck wird sie.« Der ältere Mann lachte. »Die treibt sich noch auf 'ner Trauerfeier draußen auf dem Land 'rum stimmt doch, wie?« Kathy Porter senkte nur den Kopf. »Na, also.« Der jüngere Möbelpacker hielt plötzlich ein Messer in der Hand. »Gehen wir jetzt, oder möchtest du erst angebohrt werden, Hübsche?« »Nein, nein!« Kathy Porter hob abwehrend und total verängstigt beide Arme, mm ... dann blitzschnell und hart zuzuschlagen. In der Kunst des Karate wohlerfahren, wußte sie sehr genau, wo sie ihre Schläge anzubringen hatte. Die beiden Burschen gurgelten ein wenig, rissen nun ihrerseits weit die Augen auf und legten sich dann zu Kathys Füßen nieder, ohne weiter in Konversation zu machen. Wozu sie übrigens auch gar nicht mehr in der Lage gewesen wären, denn sie waren bereits ohnmächtig, bevor sie auf dem gepflegten Teppich landeten.
* »Was ist denn, Mr. Parker?« fragte die Detektivin grollend. »Geht es wirklich nicht schneller? Fühlen Sie sich nicht in Form? Möchten Sie, daß ich das Steuer übernehme?« »Mylady dürfen versichert sein, daß es meiner bescheidenen Person ausgezeichnet geht«, antwortete Parker. »Mein Interesse gilt einem grauen Ford, der uralt zu sein scheint.« »Aha.« Ihre Stimme besänftigte sich sofort. »Werden wir verfolgt? Das wäre eine nette Abwechslung.« »Nach einer gewissen Verfolgung sieht die Situation zweifelsfrei aus, Mylady.« »Können Sie die Insassen im Ford erkennen, Mr. Parker?« »Es handelt sich um zwei Personen männlichen Geschlechts, Mylady.« »Dann tun Sie etwas, Mr. Parker. Ich möchte wissen, woran ich bin.« »Meiner bescheidenen Ansicht nach werden die Fordfahrer bereits aktiv, Mylady.« Agatha Simpson nahm ungeniert ihren Kopf herum und schaute durch das Rückfenster von Parkers Monstrum nach hinten. Nun konnte auch sie den zerbeulten, tatsächlich sehr alten Ford sehen, der schnell näher kam und überholen wollte. Sie sah auch die beiden Fahrer. Sie waren ihrer Schätzung nach zwischen achtundzwanzig und dreißig Jahre alt und hatten fast identisch geschnittene Frisuren und blondes Haar. Parker war keine Sekunde lang aus seiner sprichwörtlichen Ruhe geraten. Verfolgungen aller Art und
Härte waren ihm wohlvertraut. Sein hochbeiniger Wagen war zudem eine Trickkiste auf Rädern. Er verfügte über eine Fülle von Möglichkeiten, um lästigen Angreifern begegnen zu können. Agatha Simpson als passionierte Detektivin freute sich ehrlich auf ein kleines Intermezzo. Sie war eine energische Dame, die sich einem riskanten Hobby verschrieben hatte: Sie löste Kriminalfälle und hatte die Eigenart, stets für die verrücktesten und gewagtesten Verwicklungen zu sorgen. Der Ford hatte inzwischen dicht aufgeschlossen und überholte. Die beiden Fahrer schienen sich für die Insassen des ehemaligen Londoner Taxi überhaupt nicht zu interessieren. Sie unterhielten sich miteinander und merkten gar nicht, wie sie Parkers Monstrum von der Fahrbahn abdrängten. Das heißt, sie versuchten es vielleicht, doch sie hatten damit wenig Erfolg. Parker hatte um die Schönheit seines Privatwagens noch nie gefürchtet. Zudem handelte es sich ja inzwischen um eine Spezialausführung. So bestanden die Kotflügel längst nicht mehr aus dem üblichen, dünnen Blech, sondern aus einer kaum verformbaren Stahllegierung. Parker behielt also seinen Kurs bei, obwohl die Straße schmal war, zog sogar seinerseits ein wenig nach rechts und versetzte dem Ford einen leichten Stoß. Jetzt schien der Kontrahent erst zu merken, wie unachtsam er gewesen war. Er bog weg, geriet leicht ins
Schleudern und hatte Mühe, seinen Ford auf der Straße zu halten. Parker, ein durch und durch höflicher Mensch, lüftete seine schwarze Melone in Richtung Fordfahrer. Ihm entging nicht das schier grenzenlose Erstaunen des Mannes, der solch einen Gruß sicher nicht erwartet hatte. Dann gab der Fahrer Vollgas und jagte los, als säße ihm der Satan persönlich im Genick. In halsbrecherischem Tempo raste der Ford auf eine scharfe Kurve zu, nahm sie mit Mühe und Glück und verschwand. »Was sagen wir denn dazu, Mr. Parker?« wollte die ältere Dame enttäuscht von ihrem Butler wissen. »Sehr eigenartig, dieses Benehmen. Die beiden Lümmel tun ja gerade so, als hätten sie's plötzlich mit der Angst bekommen.« »Ich möchte mich erkühnen, Myladys Ansicht zu teilen«, antwortete Josuah Parker. »Warum fahren Sie diesen beiden Flegeln nicht nach?« Lady Simpson geriet in Jagdfieber. »Ich spüre es in den Fingerspitzen, Mr. Parker, hier haben wir es mit einem neuen Fall zu tun.« »Wie Mylady wünschen.« Parker brachte das hochbeinige Monstrum auf Touren, wozu allerdings nicht viel nötig war. Unter der eckigen Motorhaube befand sich ein hochgezüchteter Motor, der in einen Tourenrennwagen gepaßt hätte. Auch wegen der Straßenlage brauchte der Butler sich keine Sorgen zu machen. Das ehemalige Londoner Taxi verfügte über
Achsaufhängungen, die es ebenfalls nur im Rennsport gab. Parker verwandelte das eckig und antiquiert aussehende Monstrum also in eine Art rasenden Pfeil und nahm die Verfolgung auf. Lange dauerte diese Jagd nicht. Schon nach wenigen Minuten war der Uraltford zu sehen. Er stand auf einem Parkplatz, der bereits zur Ausfallstraße' gehörte. Von den beiden Fahrern war weit und breit keine Spur. »Was ich Ihnen gesagt habe«, meinte Lady Agatha. »Ein geheimnisvoller Kriminalfall. Wäre Ihr Reaktionsvermögen besser, Mr. Parker, hätten wir die beiden Kriminellen bestimmt erwischt.« »Wie Mylady meinen.« Parker ließ sich natürlich nicht aus der Ruhe bringen. Er kannte die Tonart seiner Herrin und amüsierte sich insgeheim über sie. Was die beiden angeblichen Kriminellen betraf, so war das letzte Wort sicher noch nicht gesprochen ... * »Wiederholen Sie das noch mal, Kindchen«, verlangte Lady Simpson erfreut. »Sie haben zwei Subjekte außer Gefecht gesetzt?« »Sie wollten angeblich , eine Vitrine abholen, Mylady«. »Ein Vorwand.« Agatha Simpson strahlte »Ein Vorwand, Mylady, um, wie sie sagten, das Haus leer zu räumen. Ich hielt es für richtig, sie erst mal in den Keller zu sperren.« »Das lobe ich mir, Kindchen.« Lady Agatha nickte wohlwollend.
»Ich will nicht hoffen, daß Sie die Polizei verständigt haben.« »Natürlich nicht, Mylady.« »Hübsch, sehr hübsch, Kathy.« Agatha Simpson wandte sich an ihren Butler. »Was halten Sie von der Geschichte, Mr. Parker? Sie schweigen wieder mal so bedeutungsvoll.« »Es lag mir fern, Mylady vorgreifen zu wollen.« »Und was halte ich von dieser Geschichte?« »Es scheint sich um die Wiederholung eines sattsam bekannten Gaunertricks zu handeln, Mylady.« »Genau das ist meine Meinung.« Mehr sagte die Detektivin jedoch nicht. Sie hatte nämlich keine Ahnung, um welchen Trick es sich handelte. »Sogenannte >Packer< oder auch Abstauber Mylady, verschaffen sich unter irgendeinem Vorwand Zutritt in eine Wohnung oder in ein Haus, um es dann leer zu räumen. Das Interesse dieser Gauner richtet sich natürlich auf Häuser, die mehr oder weniger teuer und kostbar eingerichtet sind. Bei dieser Gelegenheit werden auch recht gern Sammlungen aller Art mitgenommen.« »Das alles wußte ich gleich.» Agatha Simpson lächelte überlegen. »Das drängte sich ja förmlich auf.« »Etwas Ähnliches habe ich in einem Fernsehkrimi gesehen«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Darum wurde ich auch sofort mißtrauisch.« »Diese Arbeitsmethode ist eigentlich veraltet«, redete Parker weiter. »Eine Organisation hier in
der Stadt scheint sie neu beleben zu wollen.« »Woher wissen diese >Packer< denn, wo sie Beute machen können?« Lady Simpson merkte ein wenig zu spät, daß ihre Frage verriet, wie wenig sie informiert war. Sie korrigierte sich schnell. »Ich möchte nur mal wissen, ob Sie auch vollkommen orientiert sind, Mr. Parker.« »Entweder werden die betreffenden Wohnungen oder Häuser überwacht, Mylady, oder aber man wählt dazu passende Gelegenheiten wie Hochzeiten, Begräbnisse oder andere Feierlichkeiten. Die entsprechenden Daten und Anlässe entnimmt man den Gesellschaftsspalten der Presse.« »Die Beerdigung Lady Bushters, nicht wahr?« Jetzt bekam die ältere Dame prompt Oberwasser. »Durchaus, Mylady, dies scheint im vorliegenden Fall der Anlaß gewesen zu sein.« »Diese beiden Subjekte im Keller werden was erleben«, versprach die Hausbesitzerin grimmig. »Erlauben Mylady einen Nachtrag?« erkundigte Parker sich gemessen. »Natürlich. Mir ist auch aufgefallen, daß Sie ein wichtiges Detail vergessen haben.« Es war ihr natürlich überhaupt nicht aufgefallen, aber das hätte sie niemals zugegeben. »Ich darf an den jungen Mann auf dem Dorffriedhof erinnern, Mylady, der einer Radioübertragung zu lauschen schien.« »Ein pietätloser Flegel! Ich kann mich erinnern.«
»Es handelte sich nicht um ein Radiotransistor, Mylady, sondern um ein Funksprechgerät, wie ich jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterstellen möchte. Der junge Mann informierte seine Handlanger hinsichtlich der Zeitvorgaben und Adressen.« »Das ahnte ich gleich.« »Es steht zu befürchten, Mylady, daß noch andere Wohnungen besucht und möglicherweise ausgeräumt wurden.« »Das werden Sie feststellen, Mr. Parker. Sie kennen ja die Liste der Trauergäste. Und jetzt werde ich Ihnen etwas sagen, was Sie völlig übersehen haben.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit höchst erwartungsvoll und gespannt.« »Die beiden Fordfahrer«, antwortete die ältere Dame. »Die gehören natürlich ebenfalls dazu, aber das ist Ihnen natürlich entgangen.« Parker war zwar anderer Meinung, doch er widersprach nicht. Er verbeugte sich nur andeutungsweise und geleitete seine Herrin dann hinüber in die Wohnhalle, von dort ins Souterrain, um dann mit ihr hinunter in die eigentlichen Kellerräume zu gehen. Agatha Simpson wollte nämlich mit ihrem Verhör beginnen. * Sie standen unter Dampf, die beiden > Packer <. Sie hatten etwa knapp zwei Stunden in dem halbdunklen Keller zugebracht und sich zuerst mal
ausgiebig und gegenseitig mit Vorwürfen bedacht. Danach waren sie etwas ruhiger geworden, hatten das > scheue Reh< verflucht, das sie hereinlegte, und brannten nun darauf, zur Sache zu kommen. Als zwei Riegel vor der Tür bewegt und der Schlüssel herumgedreht wurde, sahen sie ihre Gelegenheit gekommen. Sie hatten sich vorher alles genau zurechtgelegt und bauten sich links und rechts von der Tür auf. Sie wollten diesmal schneller sein und blitzartig angreifen. Noch mal durfte es für sie keine Panne geben. Die Tür öffnete sich, und eine Gestalt schob sich in den spärlich beleuchteten Raum. Die beiden Ganoven warfen sich auf diese Gestalt und . . . begriffen viel zu spät, daß sie auf einen simplen Trick hereinfielen. Ihr Opfer entpuppte sich als eine Kleiderpuppe, die sich einfach alles gefallen ließ. Sie krachten mit ihr zu Boden, schlugen wild um sich und musterten sich schließlich ziemlich dumm und ernüchtert. »Was sollen diese Albernheiten?« fragte dann eine grollende, dunkle Frauenstimme. »Benehmen Sie sich gefälligst wie erwachsene Menschen!«i Während die Gefangenen diese Stimme hörten, strahlte die Deckenbeleuchtung hell auf und zeigte eine majestätisch anmutende Lady, die ein Tweed-Kostüm trug und wie eine Heroine vergangener Zeiten aussah. Am rechten Handgelenk der Dame baumelte ein perlenbestickter Pompadour, eines jener Handbeutelchen, wie man es in
der Gesellschaft um die Jahrhundertwende benutzte. Die beiden > Packer < waren fassungslos. Mit solch einem Besuch hatten sie nicht gerechnet. Sie standen langsam auf, schoben die Kleiderpuppe zur Seite und kamen sich ein wenig hilflos vor. »Wie ich höre, wollten Sie mein Haus leer räumen«, sagte Lady Agatha streng. »So etwas habe ich gar nicht gern.« »Wer... Wer sagt denn das?« fragte der ältere der beiden Männer gereizt. »Meine Gesellschafterin«, gab Lady Simpson zurück. »Leugnen ist sinnlos! Ihre Unterhaltung wurde automatisch auf Band aufgezeichnet.« »Blödsinn«, brauste der jüngere Packer auf. »Das is'n Mißverständnis. Wir haben uns vielleicht in der Adresse geirrt, aber das is' auch schon alles.« »Das ist Freiheitsberaubung und heimtückische Körperverletzung von Ihrer Gesellschafterin gewesen«, fügte der erste >Packer< hinzu und . .. wurde ausgesprochen leichtsinnig. Er sah eine ältere Dame vor sich, die seiner Ansicht nach leicht zu beeindrucken sein mußte. Der >Packer< hatte also noch nicht ganz seinen Satz beendet, als er Agatha Simpson förmlich ansprang. Er setzte seine ganze Jugend und seinen ganzen Schwung in diesen Sprung und hatte Bruchteile von Sekunden später das sichere Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getreten worden zu sein. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, daß Lady Simpson ihren Pompadour
blitzschnell hochgerissen hatte. Da sich in ihm Myladys >Glücksbringer< befand, war der Vergleich mit einem Huftritt noch nicht mal so abwegig. Im Pompadour befand sich nämlich ein echtes Hufeisen, das aus Gründen der Humanität nur leicht mit Schaumstoff umwickelt war. Der getroffene > Packer < schlug einen halben, mißglückten Salto rückwärts und krachte zu Boden. Er japste anschließend nach Luft und blickte seine Gegnerin aus schielenden Augen an. Der zweite >Packer<, der ebenfalls einen Angriff wagen wollte, nahm deshalb Abstand von seinem Vorhaben, hob zum Zeichen frühzeitiger Aufgabe die Arme und wich langsam gegen die Kellerwand zurück. »Schon gut, Mylady, schon gut«, sagte er hastig. »War ja nicht so gemeint. Vielleicht kann man sich einigen, ja?« »Das klingt schon besser.« Agatha Simpson nickte wohlwollend. »Dann erzählen Sie mal, junger Mann! Wie viele Wohnungen sind denn heute anläßlich der Bestattung Lady Bushters ausgeräumt worden?« * »Ich komme zufällig vorbei«, behauptete Superintendent McWarden wieder mal. Er errötete nicht, obwohl es sich um eine faustdicke Lüge handelte. Er wußte es, Mylady und auch Josuah Parker kannten diese Einleitung bereits in- und auswendig.
»Sie haben also Sorgen«, stellte die Detektivin fest. »Aber nein, wirklich nicht Mylady.« McWarden, ein kleiner, untersetzter, zur Rundlichkeit neigender Choleriker, tat harmlos wie immer. »Sie stehen aber wieder mal vor einem Fall, der Ihnen über den Kopf wächst«, fügte Lady Agatha schadenfroh hinzu. Sie gab sich nicht die geringste Mühe, diesen Gefühlszustand zu verbergen. »Ich brauche im Grund nur eine Auskunft«, sagte McWarden. »Wir wissen überhaupt nichts, nicht wahr, Mr. Parker?« Lady Simpson schaltete sofort auf Vorsicht um und dachte an ihre beiden Gäste im Keller des Hauses. Konnte McWarden davon wissen? »Meine bescheidene Wenigkeit steht zu Ihrer Verfügung, Sir«, bot Parker sich gemessen an. »Sie waren doch gestern auf der Beerdigung von Lady Bushter, nicht wahr?« fragte McWarden. Er nickte dankbar, als Parker ihm einen trockenen Sherry servierte. »Eine Pflichtübung«, meinte Lady Agatha unumwunden. »Warum sollte ich Ihnen etwas vormachen, McWarden?« »Sie haben dort auch Mr. Basil Lefka gesehen?« »Haben wir das?« Agatha Simpson wandte sich ihrem Butler zu. Sie konnte sich wirklich nicht erinnern. »Mr. Basil Lefka und Frau«, bestätigte Parker. »Was ist mit diesem Lefka?« wollte die ältere Dame wissen. »Er ist auf eine ziemlich undurchsichtige und rätselhafte Art
und Weise angeschossen worden, als er von der Beerdigung zurück nach London fuhr.« »Sehen Sie sich in der Lage, Sir, zu diesem Vorfall einige Details zu liefern?« erkundigte Parker sich. »Die Geschichte ist schnell erzählt.« McWarden nippte an seinem Sherry. »Mrs. Lefka erschien mit ihrem schwer verwundeten Mann vor einer örtlichen Polizeistation, und die Kollegen alarmierten Arzt und Rettungswagen. Mrs. Lefka war nicht in der Lage, irgendwelche Angaben zu machen, sie stand unter einem Schock.« »Und Mr. Lefka, wenn ich fragen darf? Konnte er sich bereits zu dem Vorfall äußern?« »Vorweg gesagt, er befindet sich nicht in Lebensgefahr«, berichtete Superintendent McWarden weiter. »Er konnte bereits eine erste Aussage machen. Danach wurde er während der Rückfahrt nach London von zwei Fahrern angehalten, die eine Panne hatten oder dies auch nur vortäuschten. Als er ausstieg, wurde er angeschossen. Mehr weiß er nicht zu sagen. Und mir ist das zu wenig.« »Glauben Sie denn wirklich, er würde je mehr sagen?« Agatha Simpson wußte natürlich schon wieder Bescheid. »Dieser Lefka hat Angst, das liegt doch auf der Hand, McWarden. Zwei Fahrer, sagten Sie?« »Zwei Fahrer«, bestätigte der Superintendent. »Sie fuhren einen uralten Ford, wie Mrs. Lefka zuerst behauptete, später korrigierte sie sich dann aber und sprach von einem General Motors.«
»Ein uralter Ford?« Lady Simpsons Augen glitzerten lebhaft. Sie warf ihrem Butler einen schnellen, warnenden Blick zu. »Wie gesagt, dieser Teil der Aussage wurde später widerrufen«, wiederholte McWarden. »Nun meine Frage, Mylady, sie richtet sich übrigens auch an Sie, Mr. Parker: Ist Ihnen während der Beerdigung oder danach etwas aufgefallen?« »Natürlich nicht«, lautete die schnelle Antwort der älteren Dame. »Was vermuten Sie denn, McWarden?« »Diese beiden Fordfahrer wurden auf dem Parkplatz des BushterLandsitzes gesehen. Einige Angestellte erinnerten sich genau daran. Die Fahrer unterhielten sich auch mit Sir Edward Lime. Das ist belegt.« »Und worüber? Sie werden Sir Edward doch sicher bereits gefragt haben, oder?« Agatha Simpson war sehr interessiert. »Wegen einer Schadensregulierung«, lautete die prompte Antwort des Superintendenten. »Die beiden jungen Männer hatten den Rover Sir Edwards leicht gerammt.« »Weiter, weiter«, drängte Lady Agatha. »Dann müßte Sir Edward ja die beiden Fahrer kennen.« »Vielleicht, Mylady, aber Sir Edward ist im Moment nicht zu erreichen. Er mußte überraschend und dringend in Geschäften nach Frankreich, wie man mir mitteilte.« »Das ist aber großes Pech für Sie, McWarden«, bedauerte die Detektivin ohne jede Überzeugungskraft. »Und jetzt
kommen Sie nicht weiter, nicht wahr? « »Zumal Sir Edwards Fahrer auch nicht zu erreichen ist«, fügte der Yard-Beamte hinzu. »Er befindet sich ebenfalls in Frankreich.« »Tut mir leid, McWarden, wir wissen von nichts«, entgegnete die Lady nachdrücklich. »Sie wissen doch, wie gern ich Ihnen geholfen hätte, nicht wahr?« »Natürlich weiß ich das, Mylady«, schwindelte McWarden und zog ein saures Gesicht. »Sie sind also nicht belästigt worden?« »Mylady wurden nicht inkommodiert«, antwortete Butler Parker steif und würdevoll. »Aus Gründen der Vollständigkeit möchte ich hinzufügen, daß Mylady an der Trauerfeier nach der Beerdigung nicht teilnahm.« »Richtig, stimmt ja.« McWarden schien sich bereits ausgiebig informiert zu haben. »Vielleicht darf ich bei Gelegenheit noch mal vorbeikommen?« »Wenn der Zufall es fügt, McWarden, immer!« Agatha Simpson lächelte penetrant. »Sie wissen doch, wie gern ich Ihnen helfe.« »Nur zu genau, Mylady«, meinte McWarden und lächelte süß-sauer. »Ihre Zusammenarbeit mit der Polizei ist vorbildlich, anders kann man's wirklich nicht ausdrücken.« * Das >Haar-Studio< in einer Seitenstraße von Soho erfreute sich am Abend regen Zuspruchs.
Die Geschäftsund Behandlungsräume befanden sich im Erdgeschoß eines vierstöckigen, alten Hauses, das man durch neuen Farbanstrich chic hergerichtet hatte. Es. gab hier einen Beratungsraum, Behandlungskabinen, die nicht einsehbar waren, einen normalen Friseursalon und zusätzlich zu einer kleinen Boutique noch eine Espresso-Bar, in der wartende Kunden bei leiser Musik sich die Zeit vertreiben konnten. Der Inhaber des >Haar-Studio< hieß Mel Enfield. Es handelte sich um einen etwa fünfundvierzigjährigen, schlanken Mann, der in seiner Betriebsamkeit an den Figaro aus Rossinis Oper »Der Barbier von Sevilla« erinnerte. Mel Enfield, sportlich gebräunt, strahlendes Lächeln, sehr höflich und diskret, hatte nur männliche Angestellte, die sich durch guten Wuchs und gutes Aussehen auszeichneten. Sie alle stellten irgendwie eine Kopie ihres Chefs dar. Jeder von ihnen hätte es mit einem Dressman aufnehmen können, wie sie in Warenhauskatalogen zu sehen sind. Mel Enfield hatte sich auf männliche Kundschaft spezialisiert. Es gab sehr viele Männer aller Altersklassen, deren Haar gelichtet war oder überhaupt nicht mehr existierte. Für diese Männer bot das >Haar-Studio< Toupets an, die bis zur Vollperücke reichten. Darüber hinaus konnte man bei Mel Enfield auch Brustbehaarung erwerben, eine besondere Spezialität seines Hauses. Er erfüllte praktisch jeden noch so ausgefallenen Wunsch. Seine
Verbindungen zur Theater- und Filmwelt waren eng. Mel Enfield hatte wirklich gut zu tun und sorgte dafür, daß sein Haar-Studio seinen streng seriösen Ruf behielt. Eindeutige Zweideutigkeiten gab es bei ihm nicht. Am Abend herrschte, wie gesagt, reger Verkehr in den Räumen des Hauses. Es wurden Haare geschnitten, Toupets angemessen, und die kleine Espresso-Bar war gut besucht. Mel Enfield befand sich in seinem Büro, dessen Mobiliar praktisch nur aus Chrom und Glas bestand. Er hatte einige Angestellte Um sich versammelt und sah sie nicht gerade freundlich an. Sein Ton war allerdings verbindlich und leise. »Fehler können wir uns nicht leisten«, stellte er gerade fest und sah seine vier jungen Helfer an. »Fehler können tödlich sein, Freunde.« »Wir haben zu spät bemerkt, wer in dem Taxi saß«, entschuldigte sich einer der jungen Angestellten. »Butler Parker und diese schreckliche Lady«, fügte sein Nebenmann hinzu. »Als wir das dann sahen, sind wir sofort losgeprescht und haben uns abgesetzt.« »Das war richtig«, fand Mel Enfield, »aber ihr hättet euch eben besser informieren müssen. Natürlich wird Butler Parker längst Lunte gerochen haben.« »Er würde uns niemals wiedererkennen, Chef«, sagte der erste Sprecher überzeugt. »Wir hatten schließlich Maske gemacht.« »Und der alte Ford sagt überhaupt nichts«, fügte der zweite Angestellte hinzu.
»Warten wir es ab.« Mel Enfield winkte ab. »Ihr könnt gehen. Wahrscheinlich habe ich für die Nacht noch eine Spezialaufgabe für euch. Ihr hört noch von mir.« Die beiden jungen Angestellten verließen das Büro. Man sah ihnen deutlich an, daß sie unter Druck standen. Ein Tadel vom Chef schmeckte nicht und rief manchmal böse Konsequenzen hervor. »Nun zu euch.« Mel Enfield wandte sich an die beiden anderen Angestellten. Sie hätten Kopien der ersten beiden Angestellten sein können, was Größe und Aussehen anbetraf. »Dieser Schuß auf Basil Lefka war unnötig, dumm und gefährlich. Jetzt wird sich natürlich die Polizei damit befassen.« »Dieser Lefka spielte verrückt, Chef«, verteidigte sich einer der beiden Zurückgebliebenen. »Ich hab' ganz automatisch zur Waffe gegriffen und mich gewehrt.« »Das darf sich nicht wiederholen«, tadelte Mel Enfield leise. »Bisher haben wir stets diskret gearbeitet, nur diese Methode garantiert den Erfolg.« »Wir haben die beiden Lefkas aber vergattert«, sagte der andere junge Mann hastig. »Ich weiß, daß die vor lauter Angst den Mund halten werden.« »Vorerst befanden wir uns in einer heiklen Situation«, meinte Mel Enfield. »Ich werde dafür sorgen, daß die Lefkas um keinen Preis der Welt reden werden. Darum braucht ihr euch nicht weiter zu kümmern. Auch für euch habe ich in der
kommenden Nacht noch einen besonderen Auftrag. Ihr könnt gehen.« Zwei weitere begossene Pudel räumten das Büro. Mel Enfield lehnte sich in seinen Chromledersessel zurück und zündete sich eine stark parfümierte Zigarette an. Er schloß die Augen und überlegte die nächsten taktischen Maßnahmen. Seine Gedanken kreisten immer wieder nur um zwei Personen: Butler Parker und Lady Agatha Simpson. Sie stellten eine echte Gefahr dar. Als Kenner der Unterweltszene wußte Enfield nur zu genau, wie erfolgreich dieses skurrile Paar bisher gewesen war. Er hatte allerdings Angst, gleich einen Doppelmord zu befehlen. Zu oft schon war versucht worden, Lady Simpson und ihren Butler umzubringen. Für die gedungenen Gangster und Killer waren solche Unternehmungen stets mehr als peinlich ausgegangen. Nein, er mußte sich da einen besonderen Trick einfallen lassen .. . * »Das kann doch nur'n verrückter Traum gewesen sein«, sagte Will Stolen, der ältere der beiden sogenannten >Packer<. »Nee, das war kein Traum«, antwortete sein Partner und fingerte an seinen Beulen herum. »Die Alte war aus Fleisch und Blut.« Will Stolen und Hank Pinch waren gerade wieder zu sich gekommen und litten noch sichtlich unter dem, was sie im Keller des Hauses der Lady Simpson erlebt hatten.
Sie fanden weiter heraus, daß sie in einem feuchten Straßengraben lagen, der sich seinerseits in einem ländlichen Außenbezirk der Millionenstadt London befinden mußte. Sie sahen über sich einen freundlichen Sternenhimmel, froren ein wenig und hatten im echten wie auch übertragenen Sinn einen schalen und bitteren Geschmack im Mund. Das nämlich, was man mit ihnen angestellt hatte, war ihnen in ihrer Unterweltlaufbahn bisher noch nie passiert. »Wie sin' wir hierher gekommen?« fragte der jüngere Hank Pinch seinen Freund. »Die haben uns ausgesetzt wie junge Hunde«, entrüstete sich Will Stolen. »Wo kann das hier wohl sein?« »Irgendwo im Norden.« Hank Pinch wollte aufstehen, doch seine Muskeln gehorchten ihm noch nicht so recht. Er ließ sich in das feuchte Gras zurücksinken. »Besser als in 'ner Zelle«, fand Will Stolen. »Aber wir haben zuviel gequasselt«, sagte Pinch. »Der Boß wird uns durch die- Mangel drehen.« »Wieso denn? Was haben wir denn gesagt? Wir haben diese verrückte Alte nach Strich und Faden belogen. Die weiß doch überhaupt nicht, was läuft.« »Das stimmt allerdings. Die hat keine Ahnung, wer der Boß ist und wo wir unser Lager haben.« Hank Pinch beruhigte sich wieder. »Und überhaupt, wer hat uns denn zu dieser komischen Alten geschickt? Der Boß hätte doch wissen müssen, was sich da abspielt.«
»Eben.« Stolen ärgerte sich. »Diese Adresse war schlecht ausbaldowert. Aber was soll's? Wir müssen los, Hank und den Boß anrufen. Für den sind wir doch seit Stunden wie vom Erdboden verschwunden.« »Mensch, da kommt 'n Wagen.« Hank Pinch stemmte sich hoch, arbeitete sich die Böschung hinauf und sah in Richtung der Autoscheinwerfer, die sich auf der Straße näherten. Er winkte und hörte hinter sich das Ächzen und Keuchen seines Partners, der ebenfalls aus dem Straßengraben hochkletterte. Erfreulicherweise hielt der Wagen an. Es handelte sich um einen alten, kleinen Lieferwagen mit Kastenaufbau. Laut Aufschrift betrieb der Fahrzeughalter eine Gärtnerei. Der Fahrer beugte sich heraus und sah die beiden gebeutelt aussehenden Männer an. Der Fahrer mochte sechzig Jahre alt sein, war mittelgroß und besaß einen ausgeprägten Spitzbauch. Er trug eine alte, randlose Brille, nuschelte stark und roch deutlich nach billigem Brandy. »Können Sie uns'n Stück mitnehmen?« fragte Will Stolen betont höflich. »Kann ich«, sagte der Fahrer des kleinen Lieferwagens. »Unser Wagen ist in 'nem Seitenweg stecken geblieben«, erklärte Hank Pinch, während sie einstiegen. »Gab's früher alles nicht, als wir noch Pferde hatten«, nuschelte der Brandytrinker. »Wo wollen Sie denn hin?«
»Hauptsache Richtung London«, meinte Will Stolen. »Ich fahr' 'rüber bis zum Picadilly«, meinte der spitzbäuchige Fahrer gemütlich. »Mit meiner Karre dauert das aber 'ne Weile.« »Macht überhaupt nichts.« Hank Pinch entspannte sich. »Vom Picadilly aus haben wir's nicht mehr weit.« Der Fahrer holte eine Flasche aus dem Handschuhfach und nahm erst noch einen kräftigen Schluck, bevor er den kleinen Lieferwagen wieder anrollen ließ. Parkers Maske war wieder mal einsame Spitzenklasse. Er lebte in seiner Rolle, und keiner der beiden > Packer < kam auf den Gedanken, es mit einem Jäger zu tun zu haben. * Mel Enfield war zu einem Entschluß gekommen. Der Besitzer des Haar-Studios hatte sich für die indirekte Methode entschieden. Er wollte Butler Parker und Lady Simpson eine herbe Lektion erteilen. Es ging ihm darum, diesem skurrilen Duo einen Schock zu versetzen. Agatha Simpson und ihr Butler sollten merken, daß sie es mit einem Gegner zu tun hatten, der nicht mit sich spaßen ließ. Menschenleben brauchten und sollten dabei nicht in Gefahr gebracht werden. Er hatte seine Anweisungen getroffen, die Vorbereitungen überwacht und saß jetzt in seinem Privatwagen, einem durchschnittlich aussehenden VW-Käfer, der hier im Stadtbild von London überhaupt nicht auffiel.
Durch ein lichtstarkes Nachtglas beobachtete er den japanischen Toyota, der gerade in den kleinen Platz von Shepherd's Market einbog und in dem vier seiner jungen Mitarbeiter saßen. Es waren die Pechvögel, durch die diese Gegenmaßnahme erst notwendig geworden war. Mel Enfield wollte seinen Mitarbeitern die Chance geben, sich nachhaltig zu rehabilitieren. Es war geplant, das Innere des Hauses in ein wüstes Chaos zu verwandeln. Dort sollte alles kurz und klein geschlagen, geradezu atomisiert werden. Mel Enfield hatte das Haus der Lady Simpson seit einigen Stunden genau überwachen lassen. Ihm war bekannt, daß alle drei Insassen weggefahren waren. Seine vier jungen Leute konnten sich also in aller Ruhe betätigen. Sie waren inzwischen aus dem Toyota ausgestiegen und näherten sich wie selbstverständlich der Haustür und dem Vordach. Das Haus war altehrwürdig und stammte noch aus dem Mittelalter. Wie alle übrigen Häuser, die diesen kleinen, quadratischen Platz säumten, handelte es sich um Fachwerkhäuser, die selbstverständlich erstklassig gepflegt waren. Wer hier wohnte, hatte eine gute Adresse und mußte schon über reichlich Geld verfügen. Mel Enfield zündete sich eine seiner parfümierten Zigaretten an, lehnte sich zurück und freute sich bereits im voraus auf die Tätigkeit seiner Leute. Sie brannten vor Ehrgeiz und würden sicher erstklassige Arbeit leisten.
Sie standen inzwischen unter dem Vordach und beschäftigten sich jetzt offensichtlich mit dem Türschloß. Für seine Leute war solch eine Tür natürlich kein Hindernis. Wenn es sein mußte, halfen eben Brecheisen nach. Enfield hatte an alles gedacht. Dem Haar-Studio-Besitzer war natürlich klar, wie gefährlich dieses Duo Butler Parker-Lady Simpson war. Darüber hinaus war noch mit dieser Gesellschafterin zu rechnen, die Kathy Porter hieß, wie er in Erfahrung gebracht hatte. Auf sie brauchte man seiner Ansicht nach aber nicht sonderlich zu achten. Sie schien ein verschüchtertes kleines Häschen zu sein. Mel Enfield nahm wieder das Nachtglas hoch und informierte sich. Das heißt, er wollte es tun, doch in diesem Moment geschahen sehr ungewöhnliche und aufregende Dinge. Zuerst mal flammten plötzlich überall starke Außenlampen auf, sehr starke sogar. Es schien sich um Scheinwerfer zu handeln, wie sie beim Film Verwendung finden. Dieses Licht war derart grell, daß Enfield die Augen unwillkürlich schloß und für einen Augenblick geblendet war. Gleichzeitig waren Stimmen zu hören, Rufe und Schreie. Dazu bellten Hunde und ertönte von weither eine auf und ab schwellende Polizeisirene. Hinter einigen Fenstern der Nachbarhäuser flammte zusätzliches Licht auf und war das öffnen von Fenstern zu vernehmen. Die vier Mitarbeiter des Haarstylisten rannten im Schweinsgalopp zurück zu ihrem
Toyota, warfen §ich in den Wagen und preschten los, als seien sie dem Teufel persönlich begegnet. Sie rasten um die Blumenbeete in der Mitte des kleinen Platzes herum, daß die Reifen nur so quietschten, rammten um ein Haar den VWKäfer, in dem Enfield saß, und jagten davon. Enfield schloß sich diesem Absetzmanöver umgehend an. Er folgte seinen Mitarbeitern, die in Seitenstraßen kurvten, Haken schlugen und sich erst nach etwa zehn Minuten wieder leicht zu beruhigen schienen. Sie fuhren langsamer, erreichten einen Parkplatz und hielten hier. Enfield wählte ebenfalls diesen Parkplatz, hielt aber weit entfernt vom Toyota, stieg aus und ging eilig ein Stück die Straße hinunter. Einige Minuten später kamen ihm die vier Mitarbeiter entgegen. Sie sahen ihn scheu und abwartend an. »Geht in Ordnung«, beruhigte Enfield sie erst mal, was die vier jungen Männer ungemein erleichterte. »Der Zauber ging los, als ich den ersten Nachschlüssel ins Schloß schob«, berichtete der Wortführer der vier Helden. »Die Tür muß präpariert gewesen sein.« »Die... Die haben gewußt, daß wir kommen würden«, verteidigte sich der zweite Mann. »Die haben auf uns nur gewartet«, glaubte der dritte Mann zu wissen. »So was Unfaires«, beschwerte sich der vierte. »Das war nicht vorauszusehen«, meinte Mel Enfield, der sich unter Kontrolle hatte. »Die sind noch gerissener, als ich dachte.«
»Und dann das viele Licht«, sagte der erste Mann. »Ich kann jetzt noch nicht richtig sehen.« »Die müssen heimlich zurückgekommen sein, Chef«, glaubte der zweite Mann zu wissen. »Sehr wahrscheinlich«, pflichtete Mel Enfield ihm bei. »Da scheint einiges mit der Überwachung des Hauses nicht geklappt zu haben.« »Was machen wir jetzt, Chef?« wollte der Wortführer wissen. »Ihr bleibt hier, ich werde noch mal eine Schleife fahren«, entschied Enfield. »Ich möchte sehen, ob das Haus mit der Polizei kurzgeschaltet ist.« »Direkte Alarmleitung, Chef?« erkundigte sich der zweite Mitarbeiter. »Richtig.« Enfield ging zum Parkplatz und zu seinem VW-Käfer zurück, setzte sich in den Wagen und näherte sich auf vorsichtigen Umwegen wieder Shepherd's Market. Er erwartete dort ein großes Aufgebot an Polizei, doch er wurde sehr überrascht. Der kleine Platz machte einen vollkommen friedlichen und verschlafenen Eindruck. Alles war in Dunkel gehüllt, kein Licht brannte. Hier schien sich nie etwas ereignet zu haben. Enfield fragte sich, ob er das alles nur geträumt hatte. Er war völlig durcheinander, als er zurück zu seinen Mitarbeitern fuhr, und wußte von Minute zu Minute immer sicherer, daß er von einem gewissen Butler Parker grenzenlos hereingelegt worden war. *
»Sie sind ihm doch tatsächlich auf den Leim gegangen«, wunderte Lady Simpson sich leicht verärgert. »Das hätte ich eigentlich nicht gedacht, Kindchen.« »Mr. Parker, Mylady, ist ein Meister der Maske«, sagte Kathy Porter. »Nun übertreiben Sie nicht gleich«, meinte die ältere Dame. »Ich zum Beispiel, Kindchen, hätte ihn sofort erkannt.« Kathy Porter wußte aus Erfahrung, daß Lady Simpson stets ein wenig eifersüchtig auf ihren Butler war, der sich innerhalb weniger Sekunden und fast ohne Hilfsmittel in einen optisch anderen Menschen verwandeln konnte. Lady Agatha versuchte sich seit geraumer Zeit ebenfalls in dieser Kunst, doch sie hatte noch viel zu lernen. Kathy Porter hingegen hatte schon fast letzte Perfektion erreicht, wenn es galt, Maske zu machen. Sie besaß eine natürliche Begabung dafür, jede beliebige Rolle zu spielen. Die beiden Frauen saßen in Kathy Porters Mini-Cooper und rollten in Richtung London. Sie verfolgten sehr diskret einen kleinen Lieferwagen, der von einem dickbäuchigen, nach Brandy riechenden Gärtner gefahren würde. Mylady trug eines ihrer bequemen Tweed-Kostüme, Kathy Porter hingegen hatte sich etwas grell und herausfordernd zurechtgemacht. Sie wollte sich später an die Fersen der beiden Wohnungausräumer heften, sobald sie von Parker in der Stadt abgesetzt worden waren.
Zwischen beiden Wagen gab es eine direkte Funksprechverbindung, die allerdings im Moment nur einseitig genutzt wurde. Lady Simpson und ihre Gesellschafterin konnten dank eines kleinen, aber leistungsstarken Senders alles hören, was vorn im Lieferwagen gesprochen wurde. Weltbewegend war es nicht, was sie hörten. Die beiden >Packer< Stolen und Pinch waren recht mundfaul, und auch Parker hütete sich, neugierige Fragen zu stellen. Er nuschelte über das Wetter, schimpfte auf die steigenden Preise und sinkenden Erträge, ließ auch das Königshaus nicht ganz ungeschoren und erreichte so endlich den inneren Bereich der Stadt. Bevor Picadilly Circus erreicht war, wollten die beiden >Packer< aussteigen. Natürlich ging der angebliche Gärtner auf den Wunsch der beiden Mitfahrer ein und setzte sie vor dem King's Cross-Bahnhof ab. »Jetzt sind Sie an der Reihe, Kindchen«, meinte Agatha Simpson. Kathy Porter schloß ein wenig auf, hielt und ließ die ältere Dame aussteigen. Dann fuhr sie weiter und brauchte nicht lange, bis sie die beiden >Packer< vor dem Bahnhofsgebäude ausgemacht hatte. Um Lady Agatha brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Sie würde, das war abgemacht, nun von dem nach Brandy riechenden Gärtner namens Josuah Parker aufgenommen. Will Stolen und Hank Pinch warteten, bis der Gärtnereiwagen in
einer Seitenstraße verschwunden war. Dann winkten sie einem Taxi und fuhren in Richtung Soho. Kathy Porters Mini-Cooper fiel im Stadtverkehr natürlich nicht auf. Sie sorgte für den nötigen Abstand und konnte sicher sein, daß die beiden Ganoven sie auf keinen Fall wiedererkennen würden. Es war ihre Aufgabe, das Ziel der beiden >Packer< ausfindig zu machen. Entweder fuhren sie jetzt in ihre Wohnung, oder aber mit etwas Glück sofort zu ihrem Auftraggeber, um ihm Bericht zu erstatten. Das Aussetzen der beiden Ganoven im Norden von London war natürlich ein Trick des Butlers gewesen. Nach einer freundlich gereichten Erfrischung im Keller des Hauses der Lady Simpson waren die beiden Ganoven tief und fest eingeschlafen. Es war eine Kleinigkeit gewesen, sie im bewußten Straßengraben abzulegen. Alles weitere hatte sich dann planvoll ergeben. Stolen und Pinch glichen zwei Marionetten, die an sicheren Fäden hingen und nicht außer Kontrolle geraten konnten. Die Fahrt endete jedoch nicht in Soho, wie Kathy Porter zuerst fest angenommen hatte. Es ging über die Waterloo-Brücke hinüber auf die andere Seite der Themse nach Southwark. Hier stiegen Stolen und Pinch in der Nähe des Bahnhofsgeländes aus, schritten eilig weiter und verschwanden dann in der Toreinfahrt zu einer Firma, die sich laut Firmenschild mit Möbeln aus zweiter Hand befaßte.
Was in Anbetracht der Arbeitsmethoden sogar der Wahrheit entsprach, wie Kathy Porter fand. * Der Boß der beiden Packer hieß James Tavis, mochte etwa vierzig Jahre alt sein und sah nichtssagend aus, hatte aber schnelle, dunkle Vogelaugen ohne jede Wärme. Er sah sich seine beiden >Packer< Will Stolen und Hank Pinch kopfschüttelnd an. Die Männer befanden sich in einer Art Lagerbüro, einem Glasverschlag, der vorn am Eingang zu einer großen Halle errichtet worden war. »Ihr Nieten!« sagte er gerade, nachdem er sich den Bericht der beiden betretenen Männer angehört hatte. »Das darf doch wohl nicht wahr sein! Ihr habt euch von 'ner Frau aufs Kreuz legen lassen? Ich habe wohl nicht richtig gehört, oder?« »Das Luder hat uns überrumpelt«, beklagte sich Stolen. »Die langte zu wie der Blitz aus heiterem Himmel«, erklärte Pinch. »Das wär' jedem von uns passiert, Boß.« »Das mit der Adresse war 'ne glatte Falschmeldung«, beschwerte Stolen sich umgehend. »Jede andere Wohnung hätten wir leergeräumt, hat doch bisher immer geklappt.« »Lady Simpson.« James Tavis zündete sich eine billige Zigarre an, die dementsprechend auch duftete. »Irgendwie kenn' ich den Namen.« »Die Alte ist lebensgefährlich«, warnte Hank Pinch. »Ob Sie's glauben oder nicht, Boß, die hat uns
dann ja noch mal zu Boden geschickt.« »Die war kaum zu bremsen.« Will Stolen fingerte nach einigen Beulen, die er davongetragen hatte. »Wie hat's denn sonst so geklappt?« erkundigte sich Hank Pinch, um ein wenig vom Thema abzulenken. »Die beiden anderen Teams waren erstklassig«, sagte James Tavis. »Erstklassige Sachen dabei, hat sich gelohnt. Aber diese Geschichte mit der Lady geht mir nicht aus dem Kopf. Ich weiß genau, daß ich den Namen schon mal in 'nem anderen Zusammenhang gehört habe. Ich werd' der Sache nachgehen. Noch etwas - seid ihr sicher, daß man euch nicht beschattet hat?« »Aber Boß!« Will Stolen winkte ab. »Kann uns doch nicht passieren.« »Wir haben genau aufgepaßt«, fügte Hank Pinch hinzu. »Verfolger wären uns sofort aufgefallen.« »Na gut.« Boß Tavis war beruhigt. »Dann leckt mal eure Beulen, Leute. Ich hab' jetzt noch zu tun.« Er wartete, bis Stolen und Pinch das Lagerbüro verlassen hatten. Sie verschwanden in der Tiefe der dunklen Halle, um hinauf zu ihren Unterkünften zu gehen, die hinter den Hallen in einem schäbigen Wohnblock lagen. Dann langte Tavis nach dem Telefon und wählte eine Nummer. »Hier Tavis«, meldete er sich. »Hör' mal zu, ich brauche eine Auskunft. Kannst du was mit den Namen Lady Simpson und Butler Parker anfangen?
Wie? Wiederhol' das noch mal! . . . Gefährlich wie Dynamit? Wieso denn das?« Er ließ es sich ausgiebig erklären und war sehr nachdenklich, als er wieder auflegte. Er hatte einen Bekannten aus der Unterwelt angerufen, der es wissen mußte. Lady Simpson und dieser Butler samt der Gesellschafterin sollten dieser Auskunft zufolge Amateurkriminalisten sein, die mit ungewöhnlichen Methoden arbeiteten. Die Erfolgsquote dieses Trios war zudem beachtlich. James Tavis fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut. Monatelang hatte alles geklappt und war keine Panne passiert. Er hatte' immense Beute gemacht und erstklassige Umsätze erzielt. Sollte diese Erfolgsserie jetzt plötzlich abreißen? Er nahm nervös den Kopf herum, als er Schritte hörte, die sich seinem Glasverschlag näherten. Dann entspannte er sich. Er winkte seinem Vertrauten zu, der ihm die Tips bisher zugespielt hatte. Dieser korrekt gekleidete junge Mann hieß Harry Morton und war jener Trauergast auf dem Dorffriedhof gewesen, den Butler Parker so interessiert hatte. Morton gehörte im eigentlichen Sinn nicht zur >Packerbande <. Er war eines Tages bei James Tavis erschienen und hatte ihm das Ausräumen von Wohnungen vorgeschlagen. Harry Morton vermittelte darüber hinaus auch den Weiterverkauf der Beute an einschlägige Adressen. Er war mit fünfunddreißig Prozent am Gesamterlös beteiligt.
»Die beiden Versager sind ja inzwischen wieder aufgetaucht«, sagte Harry Morton ironisch. »Ich hab' sie eben auf dem Lagerhof gesehen. Was war denn los?« »Dein Tip war mies«, erwiderte Tavis, als Morton den Glasverschlag betrat. »Dein Tip mit Lady Simpson.« »Wieso denn das?« Morton setzte sich lässig. »Die Alte ist stinkreich. In ihrem Haus stapeln sich die Antiquitäten.« »Dann hör' dir mal an, was mit der Alten los ist.« Tavis berichtete kurz und knapp von dem, was er eben erst erfahren hatte. Als er fertig war, lehnte er sich zurück. »Verdammt, das ist 'ne echte Panne«, räumte Harry Morton sofort ein. »Das habe ich nicht gewußt.« »Hättest du aber wissen müssen«, stichelte Tavis vorsichtig. »Möglich, daß wir die Alte jetzt auf dem Hals haben, Harry.« »Kann ich mir nicht vorstellen. Stolen und Pinch haben sich doch bestimmt nicht verfolgen lassen, wie?« »Kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber in Zukunft sollten wir vorsichtiger sein. Wie lange, glaubst du, können wir die Packermasche überhaupt noch durchziehen? Die Polizei wird inzwischen ja auch nicht gerade schlafen.« »Noch ein paar fette Fischzüge, James«, gab Harry Morton zurück. »Da sind noch ein paar Adressen, die wir einfach mitnehmen müssen. Dann können wir ja 'ne Pause einlegen, wir können uns auch 'ne andere Stadt suchen.«
»Wir legen 'ne Pause ein«, entschied Tavis. »Man soll nichts übertreiben. Verdient haben wir erst mal genug.« »Man kann nie genug haben«, antwortete Harry Morton kühl. »Und darum bin ich hier, James. Übermorgen gibt's da wieder so 'ne Art Staatsbegräbnis. Die Sache läuft in Windsor. Da wird ein Professor begraben, uralte Familie, Adel und dieser ganze Quatsch. Ich rechne mit 'ner Riesenfeier. Übermorgen werden wir sämtliche drei Teams losschicken können. Und zwar mit großen Wagen. Ich hab' schon alles vorbereitet. Werf mal'n Blick drauf!« Harry Morton zog ein paar Papiere aus der Brusttasche und legte sie fast achtlos vor James Tavis. Der Boß der >Packer< pfiff bereits leise und anerkennend, als er nur die ersten Namen der Wohnungsund Hausbesitzer überflogen hatte, die man besuchen wollte. »Da müssen wir ja Überstunden machen«, sagte er dann und schaute hoch. »Mann, wie machst du das nur? Wie kommst du nur an diese Adressen?« »Mein Geschäftsgeheimnis«, antwortete Morton und lächelte überlegen. »Und diesmal darf's keine Panne geben, James. Dieser Fischzug noch, und wir sind saniert!« * »Das Frühstück, Mylady«, meldete Josuah Parker und empfing seine Herrin unten in der großen Wohnhalle ihres Stadthauses in Shepherd's Market.
Lady Agatha rauschte über die Freitreppe nach unten, was fast schon an die festliche Inszenierung einer Barockoper erinnerte: Sie war die Majestät, die sich nach unten bemühte, um in die Niederungen des Alltags zu steigen. »Hatten Mylady einen geruhsamen, erquickenden Schlaf?« fragte Parker und deutete eine leichte Verbeugung an. »Auf den geruhsamen Schlaf hätte ich gern verzichtet«, erwiderte die ältere Dame grollend. »Etwas Aufregung hätte mir sicher nicht geschadet. Sie wissen ja, wie labil mein Kreislauf ist.« »Mit einem weiteren nächtlichen Besuch, Mylady, war nicht zu rechnen«, bedauerte Parker und geleitete seine Herrin in den Frühstücksraum. »Aber ich darf und möchte Mylady versichern, daß mit weiteren Zwischenfällen fest zu rechnen ist.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben, Mr. Parker.« Sie nahm am Tisch Platz und ließ sich das Frühstück vorlegen. Sie hatte in der Vergangenheit immer wieder versucht, Parker ebenfalls an den Tisch zu bekommen, doch damit nie Erfolg gehabt. Parker - ein Butler durch und durch - hatte diese Wünsche immer wieder höflich, aber entschieden zurückgewiesen. »Wo ist Miß Porter?« erkundigte sich Lady Simpson, als Parker den Tee eingoß. »Miß Porter bemühte sich um einige Hintergrundinformationen, Mylady«, erwiderte der Butler. »Richtig. Um welche denn?«
»Darf ich Mylady an den jungen Mann erinnern, der sich während der Bushter-Trauerfeier auf dem Dorffriedhof so intensiv um seinen Taschentransistor bemühte?« »Ich weiß schon.« Mylady erinnerte sich wirklich. »Und was ist mit ihm?« »Mylady deuteten gestern bereits an, daß er mit den Möbelpackern unter einer Decke stecken könnte.« Das stimmte zwar überhaupt nicht, doch darauf kam es gar nicht an. Zwischen Parker und Agatha Simpson gab es Spielregeln, die beide Seiten einhielten. Lady Simpson nickte also wie selbstverständlich. »Miß Porter nutzt das Wagenkennzeichen dieses jungen Trauergastes, Mylady, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen. Ich war so frei, mir dieses Kennzeichen zu merken.« »Sehr schön«, sagte Lady Simpson zufrieden. »Nicht zuviel Rührei, Mr. Parker! Ich möchte von Ihnen nicht angemästet werden.« »Darüber hinaus wird Miß Porter die Filmaufnahmen der nächtlichen Szene von der Entwicklungsanstalt abholen«, zählte Parker weiter auf. »Meiner bescheidenen Ansicht nach müßten diese Aufnahmen gelungen sein.« »Scheint ein schöner Tag zu werden, Mr. Parker. Nach dem Frühstück werden wir uns mal um Möbel aus zweiter Hand kümmern, nicht wahr?« »Mylady meinen gewiß die Firma James Tavis, in die die beiden
illegalen Möbelpacker nach ihrer Aussetzung zurückkehrten?« »Da hat Kathy gute Arbeit geleistet«, fand die Detektivin und überging natürlich bewußt Parkers Anteil. »Nach Lage der Dinge, Mylady, hat man es wahrscheinlich mit zwei völlig verschiedenen Arbeitsgruppen zu tun«, stellte Parker fest. »Darf es noch etwas vom Schinken sein?« »Räumen Sie ab, Mr. Parker!« Die Sechzigjährige schüttelte energisch den Kopf. »Sie rechnen mit zwei verschiedenen Banden?« »Davon sollte man ausgehen, Mylady.« »Schnickschnack, Mr. Parker!« Sie schüttelte den Kopf. »Sie sehen das natürlich wieder völlig falsch. Wir haben es mit einer einzigen Bande zu tun, die nur auf zwei verschiedenen Gleisen fährt. Denken Sie an meine Worte!« »Wie Mylady wünschen.« »Sonst noch etwas?« »In zwei Tagen, Mylady, also übermorgen, findet in Windsor das Begräbnis des sehr ehrenwerten Sir Ralph Bunson statt, seines Zeichens emeritierter Professor des Eton College.« »Haben wir dazu nicht eine Einladung erhalten?« »In der Tat, Mylady.« »Werden wir dorthin gehen?« »Ich möchte mich erkühnen, Mylady, dazu zu raten«, sagte Parker. »Ich habe mir bereits die Gästeliste per Telefon durchgeben lassen. Mit dem Erscheinen der >Packer<, Mylady, dürfte während der Trauerfeierlichkeiten fest zu rechnen sein.«
* »Der Wagen hatte leider ein falsches Kennzeichen«, berichtete Kathy Porter eine halbe Stunde später. »Der junge Mann mit dem Transistorgerät war nicht zu ermitteln. Mylady.« »Das wußte ich gleich«, behauptete die ältere Dame prompt. »Macht aber nichts, Kindchen, wir wissen ja, wo sich die Firma James Tavis befindet.« »Der Film ist hervorragend gelungen«, zählte Kathy weiter auf. »Zufall«, entschied Mylady jetzt nicht weniger prompt und sah ihren Butler kühl an. »Normalerweise hätte Ihre kombinierte Alarmanlage gar nicht funktionieren können.« »Natürlich nicht, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Er deutete nur eine knappe Verbeugung an, die man unter großzügiger Auslegung vielleicht als Zustimmung hätte auffassen können. »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Mylady dennoch den kleinen Film zu zeigen?« »Ich will Sie nicht enttäuschen.« Die Detektivin tat desinteressiert, obwohl sie innerlich vor Neugierde fast barst. Sie folgte ihrem Butler hinunter ins Souterrain des Hauses, wo Parker ein kleines Filmstudio eingerichtet hatte. Seine Vorbereitungen dauerten nicht lange. Lady Agatha nahm in einem bequemen Sessel Platz und wirkte leicht ungeduldig. Kathy Porter saß neben ihr und freute sich im vorhinein auf den Film.
Sie kannte Parkers Erfindungsreichtum. Und sie kannte auch die Alarmanlage, die er installiert hatte. Sie war sicher, daß der kurze Streifen wichtige Erkenntnisse bringen würde. Der kleine Raum wurde dunkel, und wenig später waren auf der Leinwand bereits die ersten Bilder zu sehen. Vier junge Männer drängten sich vor der Haustür und machten einen äußerst überraschten Eindruck. Darüber hinaus gab es auch eine Tonspur zu diesem Kurzfilm. Mein hörte das scharfe Bellen von Hunden, Polizeisirenen, Stimmen und Rufe, das lautstarke öffnen von Fenstern und Alarmglocken, die im Haus rasselten. Dies alles wirkte schon fast komisch. Die vier jungen Männer, deren Gesichter einwandfrei zu sehen waren, hatten sich hastig umgedreht und galoppierten zurück zu ihrem Wagen, mit dem sie davonpreschten. Die Brennweite der Kamera, die im Haus installiert war, veränderte sich. Und jetzt war drüben an der Durchgangsstraße ein VW-Käfer zu erkennen, der um ein Haar gerammt worden wäre. Dieser Käfer löste sich vom Straßenrand und jagte dem Toyota in wilder Flucht nach. »Wunderbar«, sagte Kathy spontan. »Wir wollen doch nicht übertreiben, Kindchen«, warf die resolute Dame leicht gereizt ein. »Was besagen diese Bildchen schon? Vier junge Männer, die man in London erst mal finden muß! Die
Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen dürfte einfacher sein.« »Das Kennzeichen des Toyota ist aber ganz klar zu erkennen, Mylady«, widersprach Kathy Porter vorsichtig und verbiß sich ein Schmunzeln. »Und auch das des VW-Käfers, Mylady«, ließ der Butler sich über die eingeschaltete Lautsprecheranlage im Studio vernehmen. »Papperlapapp«, kam die grollende Antwort. »All diese Kennzeichen sind natürlich falsch. Wahrscheinlich wurden sogar die Wagen gestohlen.« »Mit solch einer Möglichkeit muß man natürlich rechnen, Mylady«, lautete Parkers Antwort aus dem Vorführraum. »Darf ich den Film noch einmal vorführen?« »Wozu denn?« Agatha Simpson schüttelte mißmutig den Kopf. »Was soll das bringen?« »Mylady werden gewiß bereits gemerkt haben, daß die vier jungen Männer ein - ich möchte mir erlauben zu sagen - genormtes Aussehen haben.« »Natürlich habe ich das sofort gesehen.« Sie hatte keine Ahnung, was ihr Butler meinte. »Also gut, noch mal von vorn, ich möchte Sie nicht enttäuschen.« »Alle vier jungen Männer sind blond und scheinen Perücken zu tragen«, erklärte Parker über den Lautsprecher. »Haarschnitt und Haarlänge sind identisch.« »Und was bedeutet das Ihrer Ansicht nach?« »Darauf, Mylady, weiß ich zu meinem grenzenlosen Bedauern vorerst keine Antwort zu geben«,
sagte Parker, um den Film dann noch mal vorzuführen. * Mel Enfield, der Besitzer des HaarStudio, war ein äußerst vorsichtiger Mann. Er wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß Lady Simpson zusammen mit ihrem Butler und möglichst auch mit ihrer Gesellschafterin die Insel verließ. Nach seinen Informationen sollte dies nämlich geschehen. Mel Enfield war hinaus nach Heathrow gefahren und stand oben auf der Besucherterrasse und beobachtete durch ein Fernglas die Fluggäste, für die die Maschine bereit stand, um nach Paris zu fliegen. Erfreut nahm er zur Kenntnis, daß Lady Simpson, Butler Parker und auch die Gesellschafterin der skurrilen Lady gerade die Maschine bestiegen. Enfield zündete sich eine seiner parfümierten Zigaretten an und beglückwünschte sich zu seiner Vorsicht. Er hatte nach der Pleite vor dem Haus der Lady Simpson darauf verzichtet, weitere Aktionen zu unternehmen. Dieses Trio war ihm einfach zu gefährlich. Er wollte sich seine zusätzlichen Einnahmequellen nicht leichtsinnig verstopfen. Es dauerte noch gut dreißig Minuten, bis der Jet endlich abhob und schnell in den Wolken verschwand. Mel Enfield sah nun keinen Grund mehr, das feierliche Begräbnis des Sir Ralph Bunson in Windsor auf seine Art zu nutzen. Seine jungen Mitarbeiter konnten
wieder nach gewohnter Art abkassieren. Enfield verließ die Besucherterrasse und ging zurück zum großen Parkplatz. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr zurück nach Soho. Während der Fahrt überschlug er die Beute, die seine Leute in Windsor machen konnten. Nach grober Schätzung war mit wenigstens fünfzigtausend Pfund zu rechnen. Enfield war ein übervorsichtiger Mensch! Er blieb in seinem futuristisch eingerichteten Büro, bis er aus Paris angerufen wurde. »Hier Enfield«, meldete er sich. »Und hier ist David«, hörte er eine ihm wohlvertraute Stimme. »Wir sind gerade gelandet. Das Trio ist ausgestiegen und fährt jetzt 'rüber in die Stadt.« »Ein Irrtum ist ausgeschlossen?« erkundigte sich Enfield. »Ausgeschlossen, Chef«, meldete David. »Ich mache jetzt Schluß und hänge mich an das Trio. Sollte es Neuigkeiten geben, rufe ich wieder an.« »Sehr gut, David«, freute sich Enfield. »Saubere Arbeit! Dann werden wir hier in aller Ruhe arbeiten können.« Er legte auf und beglückwünschte sich erneut. Er hatte seinen Vertrauten mit nach Paris fliegen lassen. David Elms war so etwas wie sein Sekretär. Seine erstklassigen Manieren täuschten nur zu leicht darüber hinweg, wie gefährlich dieser Mann war. David Elms war ein Killer, der Enfields Organisation zusammenhielt. Es hatte in der
Vergangenheit einige junge Leute gegeben, die auf eigene Rechnung hatten arbeiten wollen. Sie dachten längst nicht mehr daran. David Elms hatte sie auf diskret-mörderische Art aus dem Verkehr gezogen. Die beiden jungen Männer, um die es sich gehandelt hatte, waren nie wieder gesehen worden. Selbst Mel Enfield hatte keine Ahnung, wie sein Vertrauter sie umgebracht und ihre Leichen weggeschafft hatte. Enfield ging die Liste der Trauergäste durch, die sich in Windsor einstellen würden. Er wog genau ab, wen seine Mitarbeiter ansprechen und zur Kasse bitten sollten. Dazu brauchte es Fingerspitzengefühl. * David Elms langweilte sich fast. Die Verfolgung des Trios durch die Stadt Paris war reine Routinesache. Er saß in einem Taxi und hatte dem Fahrer ein hohes Trinkgeld versprochen, falls er den vorausfahrenden Citroen mit dem Trio nicht aus den Augen lassen würde. David Elms hatte sich als Privatdetektiv ausgegeben und dem Fahrer bereits im vorhinein eine ansehnliche Banknote in die Hand gedrückt. Nein, dieser Mann stellte keine weiteren Fragen. Er war scharf darauf, sich auch noch die versprochene Prämie zu verdienen. Die Fahrt endete noch vor dem Weichbild der Stadt vor einem Parktor, das weit geöffnet war. Der Citroen bog von der Straße ab, fuhr durch eine kleine Allee und hielt vor
einem schloßartigen Gebäude. Eine hohe Steinmauer umgab das Grundstück und sorgte für eine sehr private Atmosphäre. David Elms stieg aus, zahlte die versprochene Prämie und setzte sich in ein Bistro, das sich in der Nähe befand. Hier erkundigte er sich bei einem Pernod diskret nach dem Besitzer des kleinen Schlößchens. Laut Auskunft des Patron hinter dem Tresen gehörte es einer englischen Firma, die mit der Vermittlung von Patentrechten zu tun hatte. David Elms trank einen zweiten Pernod und erfuhr weiterhin so ganz nebenbei, daß sich im Schlößchen dort drüben hinter der hohen Mauer auch einige Büroräume befanden. Während seiner Unterhaltung achtete er nicht weiter auf einen Gast, der das Bistro betrat. Dieser neue Gast war mittelgroß, nachlässig gekleidet und trug eine abgewetzte und speckige Baskenmütze. Er baute sich neben David Elms an der Theke auf und bestellte sich ein Bier. Sein Französisch hatte einen Pariser Akzent, den Elms kaum verstand. Der Vertraute Enfields achtete nicht weiter auf diesen Mann. Er griff nach seinem Pernod, nahm einen herzhaften Schluck und überlegte, was jetzt zu tun sei. Für ihn war es klar, daß das Trio irgendwann weiter nach Paris fahren würde. Er mußte also hier im Bistro bleiben und sich schon jetzt um einen Wagen kümmern, um die Verfolgung weiter fortsetzen zu können. Er erkundigte sich bei dem Patron nach einem Leihwagen.
Doch, hieß es, so etwas war in der kleinsten Ortschaft zu bekommen. Der Patron beschrieb Elms den Weg dorthin, doch Elms war plötzlich nicht mehr ganz bei der Sache. Eine seltsame Müdigkeit breitete sich in seinen Gliedern aus. Er hatte Gleichgewichtsstörungen, trank hastig noch einen Schluck, fühlte sich für einen kurzen Moment sogar besser, um dann jedoch in den Knien einzuknicken. »Is' was?« fragte ihn der Nachbar am Tresen. Er griff zu und stützte Elms. »Mir ... Mir ist schlecht«, sagte Elms, dessen Französisch nicht schlecht war. »'raus an die frische Luft«, meinte sein Nachbar, der etwa fünfzig Jahre alt war. »Kommen Sie schon!« Elms hatte Mühe, die beiden Pernods zu zahlen. Seine Kräfte reichten jedoch schon nicht mehr aus, die Brieftasche zurück in die Innentasche seines Jacketts zu schieben. Das besorgte der Mann neben ihm, der ihn stützte und hinausführte. »Setzen Sie sich in den 2 CV«, sagte der Träger der speckigen Baskenmütze. »Kann ich Sie wohin bringen?« »Auto mieten«, erwiderte David Elms und gähnte. Er war völlig willenlos und ließ sich auf den Beifahrersitz des 2 CV drücken. Der hilfsbereite Franzose nahm am Steuer Platz und fuhr langsam los. »Wollen Sie nicht lieber in ein Hotel?« erkundigte sich der Fahrer. »Nein, nein.« Elms schüttelte den Kopf. »Ich... Ich hab' noch was zu tun.«
Mehr brachte er nicht hervor. Er streckte sich aus und war bereits eingeschlafen. Er rutschte gegen den Fahrer, der ihn zurückdrückte und mit dem 2 CV über die Straße schaukelte. Später, als die hohe Steinmauer passiert war, bog der Fahrer von der Straße in einen schmalen Feldweg ab und schaukelte in gemächlicher Fahrt durch die Wiesenlandschaft, die im Hintergrund von Siedlungen und kleinen Gärten begrenzt wurde. Dann ging es noch mal; nach links, und schon stand der 2 CV vor einem Tor, durch das man den kleinen Park erreichen konnte. Innerhalb", weniger Minuten hatte der Fahrer eine Remise hinter dem Schlößchen erreicht, hielt an und kümmerte sich nicht weiter um seinen Fahrgast. Er wußte, daß dieser Mann gut und gern eine Stunde tief und fest schlafen würde. Butler Parker war die Wirkung seiner diversen Präparate gut bekannt. Er wußte sie genau zu dosieren. Und das, was er in den zweiten Pernod David Elms' gegeben hatte, sicherte dem Mann einen gesunden Tiefschlaf. * Der junge Mann mit dem Taschentransistorgerät stand diskret im Hintergrund und beobachtete die Trauerfeierlichkeiten. Der Verblichene, Sir Ralph Bunson, seines Zeichens ehemaliger Professor, war bereits in die Grube gesenkt worden. Die Trauergäste erschienen nacheinander am Grab
und erwiesen dem Toten die letzte Ehre. Harry Morton, der junge Mann mit dem Funksprechgerät, paßte sehr genau auf. Er wollte wissen, wer mit zum anschließenden Imbiß ging. Danach richteten sich nämlich seine Funkanweisungen. Die Packertrupps mußten ja schließlich erfahren, welche Wohnungen nun für sie in Betracht kamen. Sie befanden sich in Wartestellung und konnten ganz nach Belieben eingesetzt werden. Mit ihren großen Möbelwagen, die diesmal benötigt wurden, konnten die drei Teams im großen Stil abräumen. Harry Morton entschied sich für fünf Adressen, die guten Gewinn versprachen. Er gab die Namen durch und schaltete dann sein Gerät ab. Seine Arbeit war hiermit getan. Nun waren die > Packer< an der Reihe. Auf ihre Schnelligkeit allein kam es an. Als er zurück zu seinem Wagen ging, vergewisserte er sich immer wieder, daß er nicht verfolgt wurde. Er setzte sich in einen Wagen, den er erst vor knapp anderthalb Stunden gestohlen hatte. Er hatte das Kennzeichen ausgewechselt und durfte sicher sein, daß keine Polizeistreife sich für ihn interessierte. Dieses falsche Kennzeichen stammte aus seinem reich bestückten Lager und machte in diesem Fall deutlich, daß der Wagen angeblich aus Birmingham stammte. , Später, er hatte Windsor längst passiert, ließ er den gestohlenen Wagen einfach in einer stillen Seitenstraße stehen, schraubte das falsche Nummernschild ab und
verbarg es in seiner Reisetasche. Zu Fuß ging er weiter, bestieg einen Vorortzug und reiste entspannt zurück nach London. Er wußte zu diesem Zeitpunkt sehr genau, daß sich kein noch so raffinierter Verfolger an seine Fersen heften konnte. Das wäre ihm sofort aufgefallen. In London angekommen, benutzte er die U-Bahn, wechselte hier sicherheitshalber noch mal die Richtung und erreichte endlich seinen heimatlichen Bau, nämlich eine elegant eingerichtete Wohnung in einem renommierten Wohnviertel. Er mixte sich einen Drink und schaute auf die Uhr. Nach seiner Schätzung waren die drei Teams längst bei der Arbeit und räumten diverse Wohnungen leer. * Lord Anthony Buffle war ein gesetzter Herr von fast sechzig Jahren, der sich straff hielt. Er verfügte über einen ansehnlichen Schnauzbart, hatte ein stets leicht gerötetes Portweingesicht und schlohweißes, dichtes Haar. Lord Anthony Buffle brauchte keinen Fahrer für seinen RollsRoyce. Nach der Zeremonie am Grab marschierte er wie ein Militärkommandeur hinüber zum Parkplatz und steuerte auf seinen Wagen zu. Er achtete kaum auf die übrigen Trauergäste, schien in seiner eigenen Welt zu leben. Er übersah auch die beiden aschblonden jungen Männer, die neben seinem Rolls standen und jetzt langsam auf ihn zukamen.
»Mylord?« fragte einer der beiden jungen Männer respektvoll. »Kennt man sich?« schnarrte Lord Buffle abweisend. »Noch nicht, aber bald«, sagte der zweite Mann. »Hier, unsere Karte, Mylord.« Lord Buffle griff mit spitzen Fingern fast angewidert nach der ziemlich großen Visitenkarte und überflog den Text. Dann nahm er den Kopf hoch. »Schnellschuß-Gesellschaft?« fragte er schnarrend. »Was soll dieser verdammte Unsinn?« »Haben Sie den ganzen Text gelesen?« fragte der erste Mann. »Natürlich. Sie verlangen zwanzigtausend Pfund, falls ich nicht niedergeschossen werden will.« »Zwanzigtausend Pfund sind herzlich wenig für den Schaden, den Sie an unserem Wagen angerichtet haben«, meinte der zweite Mann und lächelte. »Hoffentlich nehmen Sie den Text ernst, Mylord .« »Hoffentlich wissen Sie, daß Sie in Lebensgefahr schweben«, fügte der erste Mann hinzu. »Das hier ist kein Spaß.« »Sie wollen mich einschüchtern?« Lord Buffles Gesicht rötete sich noch zusätzlich. »Soll ich um Hilfe rufen? Wir sind nicht allein auf dem Parkplatz.« Was stimmte. Überall waren Trauergäste, die in ihre Wagen stiegen, um in die Stadt zu fahren. Man war wirklich nicht allein. Lord Buffle fiel auf, daß zwei weitere aschblonde Männer sich mit einem anderen Wagenbesitzer unterhielten.
»Wenn Sie Ärger machen, Mylord, schießen wir.« Der zweite Gangster lächelte freundlich. »Unsere Waffen sind schallgedämpft. Man wird's kaum hören.« »Und wir wären blitzschnell weg«, erklärte der erste Gangster. »Ihre Chancen, Mylord, sind mehr als gering.« »Wir töten übrigens nicht«, bemerkte der zweite Mann. »Wir verletzen nur, aber diese Verletzungen haben es in sich.« »Also gut.« Lord Buffle hatte sich überzeugen lassen. »Natürlich habe ich keine zwanzigtausend Pfund bei mir, das dürfte doch klar sein, nicht wahr?« »Wir kennen da Mittel und Wege, um das zu arrangieren«, sagte der erste Gangster beruhigend. »Wir werden zu Ihnen in den Wagen steigen, Mylord. Unser Ehrenwort, daß nach Zahlung keine weiteren Unannehmlichkeiten auf Sie zukommen werden.« Lord Anthony Buffle nickte knapp. Als Realist hatte er sich offensichtlich mit der Zahlung abgefunden. Er öffnete den Wagen und ließ die beiden jungen Männer einsteigen. »Ich dürfte wohl nicht das einzige Opfer sein, wie?« schnarrte er, als er anfuhr. »Natürlich nicht, Mylord«, sagte der erste Gangster, der neben ihm Platz genommen hatte. »Solch ein Trauertag bedeutet für uns Großeinsatz.« »Was für eine Welt!« Lord Buffles' Stimme klang verärgert. »Sagen Sie mir, wohin ich fahren muß. Ich möchte diese verdammte Sache so
schnell wie wissen.«
möglich
erledigt
* Mel Enfield saß in seinem modern eingerichteten Büro des HaarStudios und wartete ungeduldig auf das Eintreffen ganz bestimmter Nachrichten. Immer wieder sah er hinüber auf die Wanduhr. Nach seinem Zeitplan mußten bald schon die ersten Ergebnisse seiner Mitarbeiter eintreffen. Er verfügte nicht nur über die beiden Teams, die bei ihrem Einbruchsversuch im Haus der Lady Simpson so arg hereingefallen waren. Nein, darüber hinaus gab es noch eine weitere Doppelbesetzung, also zwei Paare, die sich in Windsor jetzt im Einsatz befanden. Aus Gründen der Sicherheit hatte er die beiden ersten Besetzungen aus dem Verkehr gezogen. Er war nervös und fuhr zusammen, als das Telefon sich endlich meldete. »Fünfzehn Proben abgeliefert«, hörte er eine Stimme. »Keine Probleme, kein Arger, alles reibungslos.« Fünfzehn Proben, nun, das bedeutete das Abkassieren von fünfzehntausend Pfund. Mel Enfield lächelte erfreut. »Habt ihr das andere Team gesehen?« erkundigte er sich. »Sind mit einem Interessenten unterwegs. Auch da alles wie geschmiert gelaufen.« »In Ordnung, ihr könnt kommen«, sagte Enfield und legte auf. Lord Anthony Buffle wurde also auch abkassiert, genauso, wie es geplant
worden war. In seinem Fall war mit zwanzigtausend Pfund zu rechnen. An einem freundlichen Vormittag konnte er also fünfunddreißigtausend Pfund als Einnahme verbuchen. Schneller und ertragreicher konnte wohl kaum ein Geschäft gemacht werden .. . Mel Enfield zündete sich eine seiner parfümierten Zigaretten an und baute sich vor dem Fenster auf. Er schaute auf die Straße hinunter und war froh gestimmt. Er bereute es wirklich nicht, sich auf diese Art von Geschäften eingelassen zu haben. Die Idee zu dieser Arbeitsmethode stammte nämlich nicht von ihm. Er war eines Tages von einem jungen, dynamisch wirkenden Mann aufgesucht worden, der ihm kühl und nachdrücklich dieses Abkassieren vorgeschlagen hatte. Harry Morton hieß dieser junge Mann. Er war ein gerissener Fuchs und hatte sich nicht aus einer Laune heraus an ihn gewandt. Diesem Burschen waren einige Dinge aus dem Leben seines jetzigen Partners bekannt gewesen, an die Mel Enfield sich nicht mehr gern erinnerte. Nun, man war sich schnell einig geworden, zumal Morton recht überzeugend argumentiert hatte. An den jeweiligen Einnahmen war Harry Morton mit zwanzig Prozent beteiligt, eine vertretbare Quote, da Morton sämtliche Tips lieferte, die sich bisher immer als goldrichtig erwiesen. In der Vergangenheit hatte Mel Enfield mehrfach versucht, mehr über diesen Harry Morton zu erfahren, doch alle Versuche waren fehlgeschlagen. Morton verstand es
sehr geschickt, seine Spuren zu verwischen. Er war selbstverständlich dahintergekommen, daß er ausspioniert werden sollte. Es war zu einem Wortwechsel zwischen Morton und Mel Enfield gekommen. Harry Morton war massiv geworden und hatte gedroht: Bei weiteren Versuchen wolle er die Zusammenarbeit kündigen und sich zusätzlich entsprechend revanchieren. Er hatte deutlich erklärt, daß es zudem sinnlos wäre, ihn beseitigen zu lassen, um in Zukunft die bewußten zwanzig Prozent zu sparen. Für diesen Fall würde sich nach einer ganz bestimmten Zeit ein ganz bestimmter Brief bei der Polizei einfinden. Mehr hatte Morton nicht gesagt, doch Enfield hatte sofort Bescheid gewußt und ab sofort jede weitere Nachforschung eingestellt... Er wandte sich um und warf einen Blick auf die Uhr. Inzwischen waren weitere zehn Minuten verstrichen, doch das Team, das auf Lord Buffle angesetzt worden war, hatte sich immer noch nicht gemeldet. Mel Enfield geriet darüber nicht gerade in Panik, doch seine Unruhe steigerte sich. Ob es da im letzten Moment doch noch zu einem Zwischenfall gekommen war? Er dachte unwillkürlich an das Trio Parker, Lady Simpson und Kathy Porter. Doch dieses Trio hielt sich ja in Frankreich auf und konnte unmöglich eingegriffen haben. Hätte David Elms sich sonst nicht sofort gemeldet? *
Killer David Elms befand sich in einer verzweifelten Lage. Die Holzkiste, die ihn barg, war recht eng und natürlich nicht gepolstert. Diese Kiste wurde zusammen mit ihm durch Schlaglöcher gerüttelt. Die Stöße kamen -frei durch und ließen seinen Kopf immer wieder gegen den Kistendeckel schlagen. Wie viele Beulen er dort bereits hatte, konnte er nur grob schätzen. Es mußten fast zwei Dutzend sein! Wie er in diese Kiste geraten war, wußte er nicht. Er hatte auch keine Ahnung, wohin er transportiert wurde. Er spürte nur, daß er und die Kiste sich auf einem Lastwagen befanden. Natürlich hatte er sich längst die Kehle heiser geschrien, um sich bemerkbar zu machen. Doch nun machten die Stimmbänder nicht mehr mit. Er hatte es aufgegeben, um Hilfe zu rufen. Er dachte immer wieder an diesen alten Franzosen, der ihn in den klapprigen 2 CV bugsiert hatte. Das konnte kein Zufall gewesen sein. Killer David Elms hatte sich bereits eingestanden, daß man ihn geschickt hereingelegt hatte. Und in diesem Zusammenhang mußte er immer wieder an einen gewissen Butler Parker denken. Ob der Butler die heimliche Beschattung doch bemerkt hatte? War der alte Franzose, der sich neben ihn an den Tresen des Bistros geschoben hatte, etwa von Butler Parker gekauft worden? Hatte dieser alte Bursche ihm etwas in den Pernod getan?
David Elms stöhnte wütend auf, als sein Hinterkopf wieder mal gegen den Kistendeckel prallte. Er war fest entschlossen, grausame Rache zu üben, sobald er wieder frei war. Dann duselte er ein, nahm die Rüttel- und Schüttelbewegungen kaum noch wahr, schlief sogar und hätte liebend gern einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen, doch er bekam den leicht verdrehten Arm nicht um den Körper herum. Als er nämlich aufgewacht war und es versuchte, erwies sich das als unmöglich. Die Kiste war noch enger, als er angenommen hatte, ja, sie schien von Minute zu Minute immer kleiner zu werden. Irgendwann dann, er hatte bereits jedes Zeitgefühl verloren, hörte die gräßliche Schüttelei auf. Stimmen waren zu hören, das Aufund Zuschlagen von Wagentüren, das Rollen von Gabelstaplern, das Kreischen von Seilwinden. Und von weither war das typische Tuten von Dampfern zu vernehmen. David Elms brachte seine überstrapazierten Stimmbänder noch mal in Vibration und stieß einen Brüller aus. Das war seine Rettung Stimmen näherten sich, die Ladeklappe wurde heruntergelassen, dann die Kiste angehoben. Sie landete sehr hart auf dem Boden, doch das machte Elms nichts mehr aus. Er produzierte noch einige zusätzliche Krächzer und ... weinte anschließend vor Glück, als der Kistendeckel entfernt wurde. Er sah in drei überraschte Gesichter und fragende Augen. Mel Enfields Killer wollte etwas sagen, doch nun ließen die Stimmbänder
ihn endgültig im Stich. Er ließ sich herausheben und blieb verkrümmt auf dem Betonboden einer Verladerampe liegen. Er hörte Fragen, schüttelte den Kopf, bewegte die Lippen, bekam aber keinen Laut heraus. Die drei Männer trugen ihn in ein Büro und legten ihn auf ein schäbiges Sofa. Als man den Killer mit einem Schluck Kognak erfrischte, kam David Elms langsam wieder zu sich. Er richtete sich mit Hilfe von zwei. Männern auf und sah zum Bürofenster hinaus. An einer Lagerhalle, die zu einer Speditionsfirma gehörte, entdeckte er den Städtenamen Orleans. War er etwa bis hierher an die Loire verfrachtet worden? Er deutete auf einen Notizblock und stellte schriftlich eine diesbezügliche Frage. Sekunden später kam die Bestätigung. Er befand sich in Orleans! Einer der drei Männer, der das Büro für kurze Zeit verlassen hatte, kam zurück und sagte etwas von Polizei. Er schien sie verständigt zu haben. Und die Polizei erschien. Zwei Uniformierte stellten ihm per Notizblock und Kugelschreiber Fragen, und David Elms beantwortete sie vage. Nein, er hatte keine Ahnung, wer ihn in die Kiste gesteckt hatte. Er bezeichnete sich als Feriengast des Landes, der nach der Landung bei Paris überfallen worden sein wollte. Der Killer wirkte immer noch geschockt und leicht deformiert, als er dann später auf einer Krankenbahre lag und in ein Hospital gebracht wurde. Die
Polizei hatte darauf bestanden, daß die Ärzte sich mit seinem Gesundheitszustand befaßten. * »Sie sind zu diesem Lord in den Rolls gestiegen«, berichtete das erste Team, das inzwischen erfolgreich heimgekehrt war. »Haben wir deutlich gesehen.« »Und dieser Lord hat keinen Ärger gemacht«, fügte das zweite Teammitglied hinzu. »Der alte Knacker hatte sofort kapiert, das war genau zu erkennen.« »Aber bisher ist keine Meldung eingetroffen«, wunderte sich Mel Enfield. »Ich glaube, ich sollte bei Lord Buffle mal anrufen.« Die Zustimmung seiner beiden Mitarbeiter wartete er natürlich nicht ab. Er griff nach dem Notizzettel, den sein Informant und stiller Teilhaber Morton ihm zugeschickt hatte. Hinter dem Namen Buffle war die Telefonnummer vermerkt. Mel Enfield wählte diese Nummer und zeigte seinen beiden Leuten Zuversicht, während er wartete. »Union-Konzern«, meldete er sich, als auf der Gegenseite abgehoben wurde. »Ich möchte mit Lord Buffle verbunden werden.« »In welcher Angelegenheit?« kam die Gegenfrage. »Privat und geschäftlich. Hier spricht Ponters. Nun verbinden Sie schon endlich.« »Sir, ich bedaure«; kam die überraschende Antwort. »Mylord ist seit gestern in Irland zur Jagd.«
»Wie war das?« reagierte Mel Enfield verblüfft und schluckte. »Er hat doch erst vor ein paar Stunden an der Beerdigung von Sir Bunson in Windsor teilgenommen. « »Das war geplant, Sir, aber dann änderte Mylord seine Absichten. Darf ich etwas ausrichten?« »Schon gut.« Mel Enfield knallte den Hörer auf die Gabel und nagte anschließend ausgiebig an seiner Unterlippe. »Buffle ist seit gestern in Irland«, sagte er endlich zu seinen beiden Mitarbeitern, die ihn fragend ansahen. »Das verstehe ich nicht. Ihr habt doch gesagt, daß...« »Es war Lord Buffle, mit dem die anderen losgefahren sind«, sagte einer der beiden jungen Männer. »Wir 'haben uns die Fotos von den heutigen Kunden doch ganz genau angesehen.« »Ein Irrtum ist ausgeschlossen«, behauptete der zweite Mann. »Da stimmt was nicht...« Mel Enfield spürte Schweißperlen auf seiner Stirn. »Aber warum hat Elms dann nicht angerufen?« »Der ist doch auf Parker, Lady Simpson und diese Porter angesetzt, nicht wahr?« lautete die erste Frage der beiden Mitarbeiter. »Und die sind doch in Paris.« Der andere Mitarbeiter nickte nachdrücklich. »Sind sie wirklich in Paris?« fragte Enfield mehr sich selbst und griff hastig nach seinen parfümierten Zigaretten. »Wer ist dieser Lord Buffle in Windsor? Zwei davon gibt's doch nicht.«
»Vielleicht sind das Zwillinge«, sagte der erste Mitarbeiter ein wenig leichtsinnig. »Reden Sie keinen Quatsch!« herrschte Enfield ihn auch prompt an. »Könnte dem zweiten Team was vorgemacht worden sein?« »Wie denn, Chef?« wagte der andere Mitarbeiter eine Frage. »Nur wir hier wußten doch, daß Lord Buffle ausgenommen werden sollte«, riskierte sein Partner dennoch eine Bemerkung. »Richtig.« Enfield hatte sich bereits wieder beruhigt. Er wollte noch etwas sagen, als das Telefon sich meldete. Er langte hastig nach dem Hörer und war sicher, daß das vermißte Team sich jetzt melden würde. Doch es war David Elms. Seine Stimme hörte sich heiser und daher undeutlich an. Zudem schien er von weither zu sprechen. Enfield mußte immer wieder Fragen stellen. Als er auflegte, wischte er sich dicke Schweißtropfen von der Stirn. »Elms ist 'reingelegt worden«, sagte er dann und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Dieser gerissene Fuchs hat sich aufs Kreuz legen lassen. In einer Kiste hat man ihn von Paris nach Orleans verfrachtet. Das muß man sich mal plastisch vorstellen!« »Wer hat ihn denn 'reingelegt?« fragte das erste Teammitglied. »Wer? Mann, können Sie nicht denken? Haben Sie keine Phantasie? So was schafft doch nur dieser Butler Parker, nur er allein! Aber der soll mich jetzt kennenlernen! Dem werde ich die Hölle heißmachen ..'.«
* Die beiden Mitarbeiter der sogenannten >SchnellschußGesellschaft< verstanden die Welt nicht mehr. Sie fühlten sich ins finstere Mittelalter rückversetzt und wußten längst, daß sie ohne fremde Hilfe dieses Gefängnis niemals verließen. Sie befanden sich in einem Verlies, dessen Wände aus dicken und feuchten Quadersteinen bestanden. Die schmale Tür weit über ihnen war nur mit einer hohen Leiter zu erreichen. Ohne Hilfsmittel hätte sie auch ein erfahrener Alpinist nicht erreichen können. Es war kalt in diesem viereckigen Verlies. Licht war nur wenig vorhanden. Auf einem roh zusammengeschlagenen Tisch brannte eine dicke Kerze. Ihr Schein ließ dieses Gefängnis nur noch unwirklicher und unheimlicher aussehen. »Das verdammte Miststück«, schimpfte einer der beiden jungen Mitarbeiter von Mel Enfield. »Das hatten wir doch alles schon«, gab der zweite Mann zurück und setzte sich auf einen Holzklotz. »Schimpfen ist sinnlos. Ich möchte nur wissen, wieso er uns außer Gefecht gesetzt hat.« »Das passierte, als er sich die Zigarre ansteckte«, kam die nachdenkliche Antwort. »Danach ist es mir schlecht geworden.« »Mir auch. Und zwar verdammt schnell. Bevor ich was machen konnte, war ich weg.« »Irgendein Betäubungsgas.«
»Aber warum ist dieser Lord nicht dran erstickt? « wunderte sich der andere junge Mann. »Warum ist er nicht weggesackt?« »Das interessiert mich alles nicht. Wo stecken wir? Wohin hat Buffle uns verschleppt? Was hat er mit uns vor?« Diese Frage blieb, wie es so schön heißt, im Raum stehen. Beide Männer, die vor ein paar Stunden noch so forsch und selbstsicher zwanzigtausend Pfund verlangt hatten, waren niedergeschlagen, mutlos, ja, sie hatten sogar Angst. Diese Umgebung behagte ihnen nicht. Sie stammte aus einer Zeit und Welt, die ihnen unbekannt war. »Ich trau' diesem Buffle glatt zu, daß er uns hier verrecken, läßt«, sagte der erste Mann nach einer Weile. »Enfield muß längst wissen, daß wir ...« »Bist du verrückt? Keine Namen!« »Wer soll uns hier schon hören?« »Trotzdem, kein Risiko. Aber es stimmt schon, ob er uns je aufspüren wird?« »Der schreibt uns ab.« »Das wär' ja Mord! Und Buffle kann uns hier nicht lebendig begraben. Es gibt ja noch Gesetze. Das hier is' doch eine glatte Entführung.« »Diese Adeligen sind doch alle irgendwie bekloppt«, fand der erste Mann nach einer weiteren Denkpause. »Bei denen ist doch immer irgendein Sparren los.« »Dem alten Knacker hätte ich soviel Raffinesse nicht zugetraut.«
»Der muß gewußt haben, daß er von uns hochgenommen werden sollte, findest du nicht auch?« Wieder eine Denkpause. Der zweite Mitarbeiter Mel Enfields nickte endlich langsam. »Der muß das gewußt haben«, sagte er dann. »Aber von wem?« »Ich weiß es nicht.« Der erste Schnellschuß-Mitarbeiter schüttelte den Kopf. »Aber mir kommt da 'ne Idee. Enfield, äh, ich meine, der Chef, er weiß doch, daß wir auf Lord Buffle angesetzt waren. Wenn wir uns nicht melden, wird er also bei Buffle nach uns suchen lassen, oder?« »Klingt logisch.« »Und uns hier aufspüren.« »Hört sich immer logischer an.« »Ich will dir mal was sagen, in ein paar Stunden hat der Chef uns hier 'rausgeholt, wetten?« »Klar, der Chef läßt uns nicht hängen.« »Also, bloß nicht durchdrehen. Das hier ist bald überstanden. Der Chef ahnt längst, wo wir stecken. Vielleicht sind die Jungens schon unterwegs, um uns aus dem Schlamassel zu befreien.« Die beiden SchnellschußMitarbeiter fanden immer neue Argumente, um ihren Optimismus anzuheizen. Nach einer halben Stunde waren sie bereits soweit, das hier als einen schlechten Scherz aufzufassen. Diesem Lord Buffle würde man es schon noch zeigen! * In einer nicht gerade vor Sauberkeit blitzenden Teestube im
Londoner Stadtteil Southwark saß eine schlampig aussehende Frau mit brandrotem, ungepflegtem Haar. Sie hatte bereits ihren dritten Tee getrunken und machte einen gelangweilten Eindruck. Von ihrem Fensterplatz aus konnte sie die Toreinfahrt zur Firma James Tavis beobachten, aber ihr Interesse war kaum zu erraten. Die Rothaarige, etwa sechzig Jahre alt, blätterte lustlos in Illustrierten und sah kaum hinüber zu dem Unternehmen, in dem man Möbel aus zweiter Hand kaufen konnte. Es handelte sich um Lady Agatha, die nun auch Maske gemacht hatte. Es war mit ihrem Butler abgesprochen worden, daß sie die Firma Tavis unter Sichtkontrolle hielt. Butler Parker rechnete damit, daß dort bald einige Möbelwagen erschienen, um die Beute der >Packer< in die Lagerhalle zu schaffen. Lady Agatha war stolz auf ihre Maske. Sie trug einen viel zu langen, leichten, alten Wollmantel, der längst aus der Mode war, darunter ein sackähnliches Kleid. Für eine Lady, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert war, hätte man sie wirklich nicht gehalten. Sie war ein wenig ungeduldig geworden, doch immer noch guten Mutes. Nachdem Butler Parker diesen unangenehmen Verfolger in Frankreich ausgeschaltet hatte, war das Trio Parker-Lady SimpsonKathy Porter mit einem gemieteten Kleinjet prompt zurück nach England geflogen, um hier weiter aktiv zu sein. Insgeheim bewunderte
Lady Agatha die Initiative und den Erfindungsreichtum ihres Butlers, der das alles in die Wege geleitet hatte. Ihm war es darum gegangen, die Beerdigung Sir Bunsons nicht zu versäumen. Drüben in Windsor wollte er sich noch mal mit den Arbeitsmethoden der Gegner befassen und sie aus nächster Nähe studieren. Sie ließ das Magazin sinken, in dem sie gerade geblättert hatte. Vor der Einfahrt zur Firma Tavis erschien ein Möbelwagen, der langsam in den Innenhof fuhr. Wurde die Beute zurückgeschafft? Hatten diese >Packer< sich neue und» wertvolle Einrichtungsgegenstände und Antiquitäten verschafft? Agatha Simpson wäre am liebsten aufgestanden und hätte sich persönlich davon überzeugt. Doch sie bezwang ihren Tatendrang. Sie hatte Butler Parker versprochen, sich nicht in Gefahr zu begeben. Und da erschien bereits ein zweiter Möbelwagen. Auch er verschwand im Innenhof der Firma, der leider nur zum Teil einzusehen war. Auch dieser große Möbelwagen schien gleich durch in die große, anschließende Lagerhalle zu fahren. Die Detektivin merkte, wie ihr Blut in Wallung geriet. Welche Beute mochten diese raffinierten >Packer< wohl gemacht haben? Wo wurden die wertvollen Stücke drüben in der Firma versteckt? Die ältere Dame traute sich ohne weiteres zu, diese Bande auszuschalten. Angst war für sie ein Wort, das in ihrem Sprachschatz nicht existierte. Der dritte Möbelwagen.
Lady Agatha zahlte ihren Tee und ging nach draußen. - Sie wollte wenigstens einen schnellen Blick in den Innenhof der Firma Tavis tun. Sie überquerte die Straße, erreichte das Tor und ... war nicht mehr zu bremsen. Sie wollte ihren Butler übertrumpfen und ihm zeigen, was in ihr steckte. Sie betrat den Innenhof, schlurfte hinüber zur Lagerhalle und wurde hier ausgerechnet von einem Mann abgefangen, den sie nur allzugut kannte. Es handelte sich um Will Stolen, der Gast im Keller ihres Hauses war. Damit hatte Lady Agatha in ihrem wilden Eifer nicht gerechnet. »Was is' denn?« fragte der Mann, der von Myladys Pompadour >behandelt< worden war. Hatte er sie erkannt? Falls ja, so zeigte er es nicht. »Ich brauch'n billiges Schlafzimmer«, erklärte Lady Simpson und bemühte sich um einen lässigen Akzent, »'n spottbilliges, klar?« »Was wollen'se denn anlegen?« erkundigte sich Will Stolen. »Noch weniger«, sagte sie. »Dann kommen'se mal mit, werte Dame«, forderte Stolen ironisch auf. »Muß ja nich' gerade'n Stilzimmer sein, wie?« »Witzig, witzig«, antwortete Agatha Simpson und fühlte nun doch, daß sie sich ein wenig zu weit vorgewagt hatte. Noch hatte sie die Möglichkeit, den Innenhof zu verlassen. Und falls Stolen frech wurde, war sie stark und listig genug, den jungen Mann in die Schranken zu weisen.
»Was is' nun?« fragte Stolen, als die Detektivin stehenblieb. Während er redete, sah er über ihre Schulter hinweg und nickte. Lady Simpson in der Rolle der Schlampigen wandte sich langsam um und .. . sah sich Hank Pinch gegenüber, der ihr natürlich auch nicht gerade unbekannt war. Pinch war ebenfalls Gast ihres Kellers gewesen. »Sehen wir uns mal um, was Passendes wird sich schon finden«, redete Stolen weiter. »Wir erfüllen jeden Wunsch.« * »Sind Sie Buffle?« Lady Simpson stand vor dem Besitzer des alten Landsitzes, sah in ein portweingerötetes Gesicht und war sich ihrer Sache nicht ganz sicher. »Was wollen Sie denn, meine Gute?« erkundigte sich Lord Anthony Buffle ein wenig herablassend. »Wie sind Sie überhaupt ins Haus gekommen?« »Mr. Parker, ich verbitte mir diesen Ton«, grollte die ältere Dame, die noch ihre schlampige Aufmachung trag. »Sie dürften mich verwechseln«, meinte Lord Anthony Buffle, wobei seine Stimme nun auch ein wenig ärgerlich schnarrte. »Verdammt, ich habe keine Zeit für Sie! Wenden Sie sich an mein Personal! Und nun gehen Sie endlich!« »Ich glaube, ich werde gleich sehr ungemütlich werden«, raunzte Lady Agatha und maß Lord Buffle mit wütenden Blicken. »Hören Sie jetzt auf mit dieser Komödie!«
»Moment mal, mir geht da ein Licht auf. Sind Sie vielleicht Lady Simpson?« Lord Buffle schmunzelte. »In der Tat, Mylord.« Parkers Stimme war zu vernehmen, und Lady Agatha Simpson atmete sichtlich auf. Sie wandte sich um und ... schluckte. Sie sah sich einem zweiten Lord Buffle gegenüber, der gerade aus einem Nebenraum kam. Bis auf die Sprache stimmte jede Nuance. Lord Anthony Buffle existierte in zwei identischen Exemplaren. Lady Agatha brauchte einige Sekunden, bis sie dieses Phänomen verarbeitet hatte. Lady Simpson sah auf den echten Buffle, dann wieder auf ihren Butler, der nicht weniger echt war, und schüttelte den Kopf. Diesmal verzichtete sie unbewußt darauf, Parkers Künste in Sachen Maske in Zweifel zu ziehen. Zudem tat es ihr gut, daß der echte Buffle ihr jetzt Komplimente machte. »Sie sehen ja toll aus, Lady Agatha«, meinte der Portweintrinker anerkennend. »Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, Sie hinter dieser perfekten Maskerade zu erkennen.« »Wenn es erlaubt ist, Mylady, möchte auch ich meiner tiefsten Verblüffung Ausdruck verleihen«, ließ Parker sich vernehmen. »Mylady sind mehr als überzeugend, Mylady setzen, wenn ich es so umschreiben darf, Maßstäbe.« »Natürlich«, lautete ihre Antwort. »Auch diese >Packer< sind auf der ganzen Linie hereingefallen.« »Mylady hatten selbstverständlich Erfolg.«
»Was dachten denn Sie, Mr. Parker!« Sie ließ sich in einem Sessel in der Wohnhalle des Landsitzes nieder. »Diese beiden Individuen Stolen und Pinch haben mir ein Schlafzimmer aus fast vierter Hand verkauft und nichts gemerkt.« »Mylady sahen die zurückkehrenden Möbelwagen?« »Ja, und jetzt kommt eine herbe Enttäuschung für Sie, Mr. Parker.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit erwartungsvoll.« »Die drei Möbelwagen waren leer, Mr. Parker!« »Eine in der Tat überraschende und erstaunliche Tatsache, Mylady.« »Diese Gauner müssen ihre Beute anderswo abgesetzt haben.« »Diese Schlußfolgerung, Mylady, drängt sich förmlich auf.« »Es muß ein zweites Lagerhaus geben, das wir noch nicht kennen.« »Dem ist nur beizupflichten, Mylady.« »Ohne meine Wachsamkeit hätten wir das nicht erfahren«, lobte sich die ältere Dame selbst. »Gewiß nicht, Mylady.« Parker deutete eine leichte Verbeugung an. »Man wird sich bei Gelegenheit mit Mr. James Tavis intensiver beschäftigen müssen. Mit ihm und seinen offensichtlich drei Packerteams.« »Möglichst bald«, antwortete Agatha Simpson. »Und was hat es hier gegeben?« »Ich darf mich erkühnen, Mylady einen kleinen Teilerfolg zu vermelden«, schickte Josuah Parker voraus. »Zwei Mitglieder einer sogenannten >SchnellschußGesellschaft< wollten Lord Buffle
um zwanzigtausend Pfund erleichtern.« »Eine verdammte Frechheit, finden Sie nicht auch?« schaltete der Portweingenießer sich ein. »Und was wurde aus diesen beiden Subjekten? « »Ich war so frei, Mylady, in der Maske Lord Buffles diese beiden Subjekte als Gäste ins Haus zu bitten.« »Sie sitzen in einem alten Verlies«, freute sich der echte Lord Buffle. »Und sie werden sich dort bestimmt nicht sonderlich wohl fühlen.« »Gab es Schwierigkeiten?« Die ältere Dame schaute prüfend ihren Butler an. »Keineswegs, Mylady«, sagte Parker. »Während der Fahrt zündete ich die im Rolls-Royce vorher angebrachte Gaspatrone, worauf die beiden Gangster recht schnell einschliefen.« »Sie haben mir immer noch nicht erläutert, wieso es Sie nicht erwischt hat«, meinte der echte Lord Buffle. »Warum sind Sie nicht auch betäubt worden?« »Dank einer meiner Spezialzigarren, Mylord, entging ich der Betäubung«, erläuterte der Butler. »Sie enthielt selbstverständlich eine Art Filter, die das Betäubungsgas absorbierte.« »Eine Zigarre als Gasmaske? Toll!« Der echte Lord Buffle nickte anerkennend. »So gut ist dieser Trick nun auch wieder nicht«, warf Lady Agatha prompt ein. »Bleiben wir doch bei den beiden Subjekten im Verlies. Hat man sie schon verhört? Falls
nicht, werde ich das umgehend besorgen.« »Ein Verhör, Mylady, wird sich möglicherweise erübrigen«, antwortete Josuah Parker. »Dank der im Verlies installierten Übertragungsanlage konnte die Unterhaltung der beiden Männer mitgeschnitten werden.« »Und was hat das eingebracht?« Lady Simpson sah ihren Butler skeptisch an. »Die beiden Männer nannten den Namen Enfield, Mylady, und hätten diese Nennung am liebsten sofort wieder akustisch löschen mögen. Meiner bescheidenen Ansicht nach dürfte Mr. Enfield der Leiter der Organisation sein.« »Enfield, Enfield? Klingt nicht gerade ungewöhnlich, oder?« »Ich war so frei, Mylady, bereits eine Liste dieser Namensträger anzulegen«, erklärte der Butler. »Zudem ist Miß Porter noch unterwegs. Sie hat die Verfolgung der zweiten Arbeitsgruppe der erwähnten >SchnellschußGesellschaft< übernommen. Mit etwas Glück, Mylady, ergeben sich daraus weitere und zusätzliche Erkenntnisse.« * Sie war ein netter, aber schüchterner Soldat der Heilsarmee, hielt eine Sammelbüchse in der Hand und hoffte auf bescheidene Spenden. Sie befand sich in der Nähe eines modern eingerichteten >Haar-Studios< und fiel in dem allgemeinen Trubel dieser Straße kaum auf.
Es handelte sich um Kathy Porter, die ebenfalls in Maske arbeitete. Es war ihr gelungen, sich an das zweite Team der Gangster zu hängen. Sie hatte es nur leider hier im Gewirr der schmalen und engen Straßen von Soho aus den Augen verloren. Ihrer Schätzung nach mußten die beiden > Kassierer< sich aber in einem der vielen Häuser dieses Straßenabschnittes befinden. Kathy Porter schlenderte geduldig umher und hoffte auf einen Treffer. Sie wußte nur zu gut, nach welchen Gesichtern sie Ausschau zu halten hatte. Sie kannte den kurzen Tonfilm, den Parker Lady Simpson und ihr vorgespielt hatte, und damit also zumindest vier Männer dieser Gangsterbande. Als sie gerade wieder mal ein Stück die Straße hinunterschlenderte und in die Nähe des > Haar-Studios < geriet, zog sie ein Glückslos. Aus dem »Haar-Studio < kam ein Kunde, dem ein Angestellter die Tür öffnete und höflich dienerte. Dieser Angestellte war auf Parkers Kurzfilm zu sehen gewesen! Ein Irrtum war ausgeschlossen. Dieser junge Angestellte war einer jener vier Männer, die versucht hatten, in Lady Simpsons Haus einzubrechen. Kathy Porter ließ sich natürlich nichts anmerken, klapperte weiter mit ihrer Sammelbüchse und wußte jetzt, auf welches Haus sie sich zu konzentrieren hatte. Ein schneller Bück streifte die beiden Schaufenster. Kathy wußte danach, daß der Besitzer des Haar-Studios ein gewisser Mel Enfield war. Sie schob sich nun näher an eines der beiden Schaufenster heran und
zog weitere Glückstreffer: Vorn, in einer Art Ausstellungsraum, entdeckte sie zwei weitere bekannte Gesichter. Sie gehörten jungen Männern, die in der bewußten Nacht ebenfalls versucht hatten, Lady Simpsons Haus zu betreten. Kathy entschloß sich, umgehend Butler Parker zu informieren. Sie hatte ihm fest versprochen, nichts auf eigene Faust zu unternehmen. Kathy hatte eingesehen, daß das Risiko einfach zu groß war. Von der nächsten Telefonzelle aus rief sie eine bestimmte Nummer an. Es war der Anschluß Lord Buffles, in dessen Landsitz Parker sich zur Zeit aufhielt. Der Anschluß war innerhalb weniger Sekunden perfekt, und Kathy teilte Josuah Parker ihre Beobachtungen mit. »Dies, Miß Porter, ist eine sehr gute Nachricht«, bedankte der Butler sich höflich. »Der Name Enfield wurde auch bereits hier im Haus genannt. Damit dürften nun letzte Zweifel ausgeräumt worden sein.« »Mir ist da ein Gedanke gekommen, Mr. Parker.« »Sie denken an den Begriff HaarStudio, nicht wahr?« »Richtig, Mr. Parker.« Sie lächelte. Parker hatte sie bereits verstanden. »Die jungen Männer, die die Trauergäste überfielen, und auch die vor Lady Simpsons Haus sahen doch alle wie genormt aus, was ihre Frisuren anbetraf. Die aschblonden Perücken stammen wahrscheinlich hier aus dem Hause Enfield.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Miß Porter«, pflichtete Parker ihr bei. »Darf ich
Sie jetzt bitten das zu räumen, was man gemeinhin das Feld nennt?« »Soll ich meine Beobachtung abbrechen? « »Nach meinen bescheidenen Berechnungen, Miß Porter, werden einige Angestellte des Hauses Enfield wohl bald eine gemeinsame Ausfahrt unternehmen. Das Ziel dürfte Lord Buffles Landsitz sein.« »Sie haben zwei dieser Männer überwältigt, Mr. Parker?« »Es ließ sich nicht umgehen, Miß Porter. Und Mr. Enfield wird nun alles daransetzen, sie wieder zu befreien. Das Wild, wenn ich es so umschreiben darf, wird freiwillig zum Jäger kommen.« »Ich fahre sofort los«, schloß Kathy Porter. »Bei dieser Jagd möchte ich natürlich nicht fehlen.« * Mel Enfield hielt seinen unauffällig aussehenden Durchschnittswagen an und ließ seinen Teilhaber einsteigen. Harry Morton nickte Enfield flüchtig zu und legte sich dann erst mal die Sicherheitsgurte an. »Warum sagen Sie nichts?« fragte Enfield gereizt, als Morton sich ausschwieg. »Sie halten das Unternehmen für Unsinn?« »Natürlich nicht, sonst wäre ich ja nicht gekommen.« Morton hatte angerufen und sich nach den Tageseinnahmen in Windsor erkundigt. Erst bei der Gelegenheit hatte Enfield ihm von der Panne mit Lord Buffle berichten können. Daraufhin hatte Morton sich angeboten, am Überfall auf den
Landsitz teilzunehmen. Er war sofort damit einverstanden gewesen, daß die beiden > Schnellschuß-Mitarbeiter < befreit würden. »Ich habe alle drei Teams losgeschickt«, redete Enfield ruhiger weiter. »Es wird höchste Zeit, diesem Parker die Flügel zu stutzen.« »Sie vermuten ihn auf Buffles Landsitz:?« »Da ist er mit Sicherheit«, antwortete Enfield. »Ich habe in Lady Simpsons Stadtwohnung angerufen. Dort hat sich kein Aas gemeldet. Und denken Sie doch mal an das Verschwinden meiner beiden Leute. Sie stiegen zu Buffle in den Rolls und sind seitdem verschwunden. Denken Sie an meinen Spezialisten Elms ! Der ist in Frankreich 'reingelegt worden. Da bieten sich die Zusammenhänge doch förmlich an ...« »Sie glauben, daß in beiden Fällen Parker dahinterstecken könnte?« »Könnte? Daß ich nicht lache! Er hat beide Sachen inszeniert. Der ist zusammen mit seiner Lady und dieser kleinen Porter längst wieder in England. Für mich gibt es da gar keinen Zweifel.« »Klingt überzeugend.« Harry Morton nickte. »I s t überzeugend, Morton. Wie Parker das mit Elms geschafft hat, weiß ich noch nicht. Elms rief mich aus Paris an. Er glaubt, daß Parker unbekannte Detektive engagiert hat.« »Wann erwarten Sie Elms?« fragte, Morton beiläufig. »Er wird mit der Nachtmaschine in London eintreffen«, entgegnete Mel
Enfield. »Aber solange kann und will ich nicht warten. Meine Jungens brennen darauf, sich diesen Parker vorzuknöpfen. Ich übrigens auch. Wir werden es schaffen.« »Und an eine Falle denken Sie nicht?« »Natürlich, aber weil ich mit einer Falle rechne, werde ich sie umgehen, verstehen Sie?« »Nicht ganz, Enfield.« »Parker denkt doch bestimmt, wir würden uns irgendeine verrückte Geschichte einfallen lassen, um auf den Landsitz zu kommen, nicht wahr? Genau das Gegenteil! Ich werde ihm was husten! Wir preschen nur vor die Haustür, sprengen sie auseinander und machen kurzen Prozeß.« »Sie fürchten nicht, daß Parker die Polizei verständigt haben könnte, Enfield?« »Der und Polizei? Niemals! So gut kenne ich ihn inzwischen. Und darüber hinaus habe ich ein paar weitere Informationen gesammelt. Parker und diese komische Alte haben den Ehrgeiz, der Polizei fertig gelöste Fälle auf den Tisch zu legen. Diesmal werden sie damit Pech haben!« »Und wo stecken Ihre Leute jetzt?« »In einem kleinen Reisebus. Sie sind etwa fünf Minuten vor uns. Sie haben großartige Maske gemacht, Morton. Sie sehen aus wie amerikanische Touristen.« »Dann wollen wir uns mal überraschen lassen.« Harry Morton lehnte sich zurück. »Zur Not sind ja auch wir noch da.« »Im Kofferraum liegen zwei Maschinenpistolen«, sagte Enfield
unternehmungslustig. »Ich hab' dabei auch an Sie gedacht, Morton. Sie werden doch mitmachen, oder?« »Darauf können Sie sich verlassen, Enfield.« Harry Morton lächelte süffisant. »Für die nahe Zukunft habe ich noch ein paar sehr gute Geschäfte an der Hand.« »Begräbnisse erster Klasse?« »Erstklassige Gelegenheiten, Enfield, darf man sich nicht entgehen lassen.« »Woher nehmen Sie nur all diese Tips, Morton?« »Alte Frage. Ich kenne mich eben in der Gesellschaft aus.« »Manchmal glaube ich, daß Sie dazu gehören.« »Sie kennen doch unsere Abmachung, Enfield: Keine Fragen, aber gemeinsam verdienen! Dabei soll's bleiben .. .« »Natürlich, schon gut.« Enfield warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Gleich müßte der Kleinbus den Landsitz erreicht haben. Egham ist bereits in Sicht. Danach biegen wir nach Norden ab.« »Auf zum fröhlichen Jagen«, meinte Harry Morton ironisch. »Ich habe ein gutes Gefühl, Enfield. Das wird noch ein großer Tag!« * Die sechs unternehmungslustig aussehenden Touristen aus den USA saßen in einem Ford Transit, der als Kleinbus umgebaut worden war. Woher diese Männer kamen, sah man ihnen recht deutlich an: Sie trugen ein wenig zu bunte und zu grelle Kleidung, waren ausgiebig mit Fotoapparaten ausgerüstet und
lärmten. Sie waren bester Stimmung und freuten sich eindeutig auf das Ziel ihrer Gruppenfahrt. Mel Enfield hatte all seine Teams eingesetzt, um es Parker diesmal gründlich zu zeigen. Er wollte reinen Tisch machen und sich zudem für einige peinliche Niederlagen rächen. Seine Gruppenreisenden dachten kaum anders. Darüber hinaus aber wollten sie schließlich das vierte Team befreien,, das Parker in die Falle gegangen war. Der Plan ihres Chefs Enfield war einfach, konnte daher auch kaum fehlschlagen. Man wollte mit dem Kleinbus bis knapp vor die Haustür des Landsitzes fahren, aussteigen, ein wenig herumlärmen und so tun, als habe man sich verfahren, um dann das Haus zu stürmen. Falls es Schwierigkeiten gab, wollte man schießen. Die Schußwaffen der Gruppenreisenden waren ohne Ausnahme mit modernen Schalldämpfern versehen. Eines der Teammitglieder steuerte den Kleinbus. Das Grundstück des Lord Anthony Buffle war bereits erreicht, und man näherte sich dem Tor. Der Ford-Transit bog von der Straße ab und rollte über einen mit Kies bedeckten Weg zum Landhaus, das in seinem Stil an eine Mischung aus Schloß und Burg erinnerte. Es handelte sich um einen recht großen, dreistöckigen Bau, der sogar noch über einen alten Turm verfügte. Dieser mit Kies bedeckte Weg führte nicht direkt und in gerader Linie zu dem Landsitz, sondern schlängelte sich durch eine Art Parklandschaft, in der es Einzelbäume, weite Rasenflächen
und Baumgruppen gab. Das alles war sehr gepflegt und legte Zeugnis ab vom Reichtum des Besitzers. Der Kleinbus näherte sich einer Holzbrücke, die weiß gestrichen war. Sie mochte etwa vier bis fünf Meter lang sein, war relativ schmal und überspannte einen künstlichen Wasserlauf, der sich durch das Parkgelände schlängelte. Der Fahrer nahm das Tempo scharf herunter. Ihm waren nicht die beiden Warntafeln entgangen, die langsames Überfahren der Brücke forderten und von einer gewissen Baufälligkeit sprachen. Langsam rollte der Ford-Transit also auf die Brücke, die tatsächlich leicht schwankte und zudem noch deutlich unter der Belastung ächzte. Sekunden später passierte es dann .. . An den vier Auflagepunkten der Brücke, also vorn und hinten, schossen plötzlich kleine Rauchfontänen kerzengerade in die Luft. Gleichzeitig waren fast unerhebliche Detonationen zu hören. Die Gruppenreisenden lärmten plötzlich nicht mehr fröhlich wie bisher. Einige mehr oder weniger spitze Schreie wurden ausgestoßen, was durchaus verständlich war. Die Brücke krachte nämlich in allen Fugen und ... sackte dann zusammen mit dem auf ihr befindlichen Kleinbus nach unten weg. Gut, der kleine Flußlauf war wirklich nicht tief. Der Ford-Transit verschwand nur bis in Höhe seiner Scheiben im aufgewühlten Wasser. Lebensgefahr für die Insassen bestand überhaupt nicht, doch das wußten Enfields
Schnellschützen nicht. Sie gerieten in eine mittelschwere bis echte Panik und kämpften um einen Platz an der Sonne. Mit anderen Worten, jeder versuchte erst mal seine eigene Haut zu retten und scherte sich einen Dreck um seinen Mitreisenden. Man trampelte ungeniert aufeinander herum, verpaßte sich derbe Fausthiebe und schrie in einigen Fällen auch laut und deutlich um Hilfe. Die allgemeine Fluchtrichtung führte nach oben zum geöffneten Wagendach. Das Wasser des kleinen Bachlaufes quirlte und schäumte dazu, Bretter und Balken der Holzbrücke wirbelten herum und das Wasser im Bus stieg jetzt deutlich an. Die ersten Gruppenreisenden hatten das Wagendach erreicht und sprangen an Land. Sie sprangen natürlich in ihrer Aufregung viel zu kurz und plumpsten ins Wasser. Sie schnappten nach Luft, schlugen wieder wild um sich, retteten sich an Land und schöpften hier erst mal Luft und neue Zuversicht. Nacheinander saßen schließlich sechs völlig konsternierte Schnellschützen auf dem Rasen und sahen aus wie die sprichwörtlich begossenen Pudel. »Herzlich willkommen«, ertönte wenig später eine höfliche, aber unüberhörbare Stimme. »Lord Anthony Buffle bietet Ihnen für eine gewisse Frist ein gewisses Gastrecht an.« »Oder auch derben Schrot«, schnarrte eine zweite, wesentlich energischere Stimme. Die sechs Gruppenreisenden fuhren herum und sahen sich Zwillingsläufen gegenüber, deren
Mündungen auf sie gerichtet waren. Diese Schrotflinten lagen in den Händen eines gewissen Butler Parker und eines Landedelmannes, der offensichtlich wohl gern Portwein trank, wie zum Beispiel seine Nase verriet. Die beiden Männer waren hinter einem schützenden, dichten Strauch hervorgetreten und ließen deutlich erkennen, daß sie mit ihren Schußwaffen umzugehen verstanden. Die angeblichen US-Touristen fügten sich ins Unvermeidliche. Zögernd hoben sie nacheinander die Arme zum Zeichen der Aufgabe. Ein Tourist allerdings täuschte diese Aufgabe nur vor. Mit seiner linken Hand fingerte er nach der Hosentasche. Wahrscheinlich befand sich darin eine Schußwaffe, die er schnell noch einsetzen wollte. »Tun Sie's nur, Sie Flegel!« Es handelte sich um eine dunkle Frauenstimme, die wie ein aufziehendes Gewitter grollte. »Versuchen Sie's!« Der Mann fuhr herum und . . . sah sich Lady Simpson gegenüber, die inzwischen wieder ihr obligates Tweedkostüm trug. Auch sie hatte sich mit einem Doppelläufer ausgerüstet und machte deutlich, daß sie im Grund fast schon' innigst hoffte, schießen zu können. Dies erkannte der erwähnte Gruppenreisende und riß förmlich seinen Arm hoch. »Das wollte ich Ihnen auch geraten haben, Sie Lümmel«, raunzte die ältere Dame ihn an. »Und nun los! Sie werden bereits erwartet. Sie
wollen Ihre beiden Mitgangster doch nicht allein lassen, nicht wahr? « * »Was war das?« Mel Enfield bremste den Wagen scharf ab und sah seinen Mitfahrer überrascht an. »Klang nach 'ner kleinen Detonation«, meinte Harry Morton fast gleichgültig. »Wollten Ihre Leute nicht die Tür aufsprengen?« »Richtig.« Mel Enfield beruhigte sich sofort wieder und fuhr langsam an. »Wir können ja mal erst 'nen kleinen Blick auf das Gelände werfen«, schlug Morton vor. Ihn hatte eine gewisse Nervosität erfaßt. Er zündete sich eine Zigarette an und rückte vor. Enfield steuerte den Wagen jetzt auf das Tor zu und hielt noch vor den beiden weit geöffneten Torflügeln erneut an. Er langte nach einem Fernglas, stieg aus und suchte das Feindgelände mit der Optik ab. Sein Gesicht war kreideweiß, als er sich abrupt zu . seinem Begleiter umwandte. »Is' was?« erkundigte sich Morton. »Der Bus . . . Der Bus is abgesoffen.« »Wie war das?« Morton machte erstaunlicherweise gerade jetzt einen entspannten Eindruck. »Der Kleinbus steht bis zu den Fenstern in 'nem Bach«, präzisierte Mel Enfield, dessen Stimme vor Nervosität vibrierte. »Ausgeschlossen!« Morton nahm Enfield das Fernglas aus der Hand und sah sich die verrückte Szene an. Enfield bekam nicht mit, daß die
Lippen seines Begleiters sich ironisch verzogen. Hatte Morton mit solch einem Zwischenfall: gerechnet? War er sogar froh, daß die Schnellschuß-Teams damit ausgeschaltet waren? »Ihre Leute scheinen aber bereits im Haus zu sein«, sagte er. »Wir könnten hinfahren und nachsehen.« »Nee, lieber nicht. Warten wir erst mal ab. Wir haben ein Zeichen ausgemacht. « »Vielleicht werden wir gerade jetzt im Haus gebraucht«, stichelte Harry Morton. »Bestimmt nicht.« Mel Enfield war kein Held. »Warten wir auf das vereinbarte Zeichen.« Die beiden Männer warteten, und Minute um Minute verstrich. Vom Landsitz her war nichts auszumachen. Enfields Teams hatten anderweitig zu tun. »Was machen wir jetzt?« fragte der Besitzer des Haar-Studio. »Ich will Ihnen nicht vorgreifen, Enfield.« »Man soll kein unnötiges Risiko eingehen.« »Dieser Ansicht bin ich selbstverständlich auch, Enfield.« »Könnte ja durchaus sein, daß die Jungens in 'ner Falle gelandet sind.« »Daran dachte auch ich bereits«, räumte Harry Morton nun langsam ein. »Ich wollte Sie nur nicht beunruhigen, Enfield, aber ...« »Aber. ..?« »Wir fahren besser zurück in die Stadt. Sind Sie sicher, daß Ihre Leute den Mund halten werden, falls man sie unter Druck setzt?« »Keine Ahnung!«
»Ich will ja nicht in Pessimismus machen, Enfield, aber sie werden nicht schweigen, wetten? Sie sollten Ihr Geschäft vielleicht für ein paar Tage schließen und verreisen.« »Wir fahren zurück nach London.« Mel Enfield hatte auf dieses Stichwort nur gewartet. Er wartete die Zustimmung seines Begleiters erst gar nicht ab, setzte sich vor das Steuer und ließ den Motor an. Als Harry Morton neben ihm Platz genommen hatte, wendete Enfield den Wagen und preschte los wie ein Rallyefahrer. Harry Morton lehnte sich zufrieden zurück. Enfield hatte genauso reagiert, wie er es sich gewünscht hatte. Nun konnten gewisse Dinge ihren Lauf nehmen. Morton war ein kalter Rechner. Er wußte genau, wann er seine Zelte abzubrechen hatte. Er hatte längst eingesehen, daß gegen einen Butler Parker wohl doch kein Kraut gewachsen war. Das ärgerte ihn zwar ungemein, doch im Moment ließ sich dagegen nichts tun. Morton paßte sich den neuen Verhältnissen an. Darüber hinaus verfolgte er noch zusätzliche Pläne, doch darüber sprach er nicht mit seinem bisherigen Partner Enfield. Morton wußte übrigens nichts von einem hochbeinigen Monstrum, das ein Seitentor längst verlassen hatte und in Richtung London jagte. Er hatte keine Ahnung, daß besagter Butler Parker noch immer sehr aktiv war und sich keineswegs damit begnügte, angebliche Touristen aus den USA ins Kreuzverhör zu nehmen. *
»Du lieber Himmel, McWarden, sind Sie zu Fuß gekommen?« fragte Agatha Simpson anzüglich, als der Superintendent schnaufend in der Wohnhalle des Landsitzes erschien. »Sie haben fast zwanzig Minuten gebraucht«, schnarrte Lord Buffle und blickte anzüglich auf seine Taschenuhr, die er aus der Westentasche gezogen hatte. »Mr. Parker hätte das in der Hälfte der Zeit geschafft«, meinte die ältere Dame grollend. »Kann es sein, daß ich ihm unterwegs begegnet bin?« Superintendent McWarden fühlte sich in die Enge gedrängt. »Das kann durchaus sein«, räumte Lady Agatha ein. »Er wollte in die Stadt.« »Aha. Und warum?« McWarden sah die Detektivin mißtrauisch an. Ihm war klar, daß man ihn wieder mal vor vollendete Tatsachen stellen würde. »Wollen wir uns über meinen Butler unterhalten, McWarden, oder wollen Sie sich diese Individuen ansehen, die Lord Buffles Landsitz mit Waffengewalt stürmen wollten?« »Was ist mit dem Ford Transit und der Brücke los?« McWarden deutete auf seine nassen Hosen. Bis zu den Oberschenkeln schien er durch leicht verschlammte Gewässer gestiegen zu sein. Wie übrigens auch seine Begleiter, die sich diskret im Hintergrund hielten. Der Superintendent hatte noch vier Zivilisten mitgebracht, die eindeutig nach Kripo aussahen. Draußen vor dem Haus warteten zusätzliche Beamte.
»Mr. Parker ist eine kleine Panne passiert«, erläuterte die ältere Dame genießerisch. »Er experimentierte mit kleinen Sprengsätzen. Dabei muß die Holzbrücke in sich zusammengebrochen sein.« »Genau in dem Moment, als der Transit sie überqueren wollte? Ich verstehe schon.« McWarden verstand wirklich. Er lächelte nämlich. »Dann wollen wir uns mal diese Lümmel ansehen«, schlug Lady Simpson vor. »Lord Buffle und ich haben acht Gangster für Sie reserviert. Die Waffen sind sichergestellt und lagern in einem Vorkeller.« »Darf man jetzt vielleicht einige Einzelheiten erfahren?« erkundigte der Superintendent sich. »Ich möchte zum Beispiel wissen, warum der Landsitz hier so massiert überfallen werden sollte?« »Sie erinnern sich doch an Basil Lefka, nicht wahr? « »Aha.« McWarden lächelte, aber diesmal schief. »Sie wußten seinerzeit mehr, als Sie mir sagen wollten.« »Die Zeit war noch nicht reif, McWarden«, gab die Detektivin zurück. »Beklagen Sie sich nicht! Jetzt haben Sie die gesamte Bande. Das heißt, hinter dem Rest ist Mr. Parker her.« »Darum ist er also nicht da.« »Es ging um jede Sekunde, darum konnten wir Sie nicht mehr verständigen«, meinte Lady Simpson. »Unter dem Rest der Bande muß ich wohl annehmen, daß es sich um den Chef handelt, nicht wahr?«
»Sie sehen das richtig, McWarden.« Agatha Simpson schmunzelte. »Werden Sie nicht wieder mal erstklassig bedient? « »Und wie heißt der Bandenchef?« »Ein Mr. Enfield«, antwortete Lady Agatha ehrlich. Doch mehr sagte sie nicht dazu. »Ein Allerweltsname, nicht wahr?« »Und wo er sich aufhält, ist noch unklar?« »Das eben will Mr. Parker herausfinden.« »Na schön, ich stelle keine weiteren Fragen.« McWarden resignierte. »Darf ich mir jetzt diese Burschen mal ansehen?« Lord Buffle schritt voraus und führte die Polizeibeamten in die unteren Räume seines Landsitzes. McWarden wunderte sich über die Anzahl der niedrigen Kellergewölbe, die kein Ende nahmen. »Hier stand früher mal eine Abtei«, erklärte der Portweintrinker. »Und vor der Abtei muß hier eine Art Raubritter gehaust haben. Aber wir haben es gleich geschafft, Superintendent. Das Verlies ist noch völlig intakt.« McWarden mußte dennoch weitere Minuten warten, bis er und seine Männer sich die acht Mitglieder der Scharfschuß-Gesellschaft aus nächster Nähe ansehen konnte. Sie alle waren fein säuberlich verschnürt und erinnerten an Rollschinken. »Sie wollten Dummheiten machen«, erklärte die ältere Dame dieses Verschnüren. »Ob Sie es glauben oder nicht, McWarden, ich mußte direkt energisch werden. Und das bekam diesen Individuen dann nicht gut.«
»Wie man sieht.« McWarden nickte und schmunzelte wider Willen. Er hatte am Handgelenk der Lady Simpson den berühmtberüchtigten Pompadour entdeckt. Er konnte sich also lebhaft vorstellen, wie schnell und gründlich Lady Agatha für allgemeine Ruhe gesorgt hatte. * Mel Enfield hatte sich von seinem Partner und Tipgeber Harry Morton getrennt. Er befand sich in seiner Wohnung oberhalb des Haar-Studios und bereitete seine Flucht vor. Enfield wollte sich absetzen und allen weiteren Komplikationen aus dem Weg gehen. Natürlich verfügte er über ausreichend Bargeld im Wandtresor, um sich jede gewünschte Flugkarte kaufen zu können. In diesem Wandtresor aber befanden sich vor allen Dingen die Unterlagen über gewisse Schweizer Konten. Er hatte sein Geld stets in die Schweiz transferieren lassen. Er packte also seine kleine Reisetasche und seinen Aktenkoffer. Danach wollte er hinaus zum Airport fahren und erst mal schleunigst die Insel hinter sich lassen. Sein erstes Ziel sollte Paris sein. Dort wollte er sich dann entscheiden, wo er sein kleines Vermögen wertsteigernd anlegen konnte. An den Neuaufbau einer zweiten Organisation war natürlich nicht mehr zu denken. Er war fest davon überzeugt, daß seine jungen Mitarbeiter früher oder später vor der Polizei reden würden.
Er brauchte insgesamt eine Viertelstunde, bis er soweit war. Mel Enfield verließ seine Wohnung und dachte zu diesem Zeitpunkt an nichts Böses. Er dachte schon gar nicht an seine jetzt ehemaligen Partner und Tipgeber Morton. Dieser Harry Morton aber stand plötzlich vor ihm. Und er war ganz eindeutig nicht in freundlicher Absicht gekommen. Er hielt eine schallgedämpfte Pistole in der rechten Hand. »Na, endlich«, sagte Morton und lächelte kühl. »Was soll denn das?« Enfield wußte es schlagartig, doch er fragte automatisch. »Ihnen passiert überhaupt nichts, Enfield«, sagte Morton gelassen. »Ich möchte nur Ihr Reisegepäck, verstehen Sie?« »Sie wollen mich ausplündern?« »War schon immer geplant, nur nicht so bald.« Harry Morton deutete mit der Mündung der Waffe auf die beiden leichten Gepäckstücke. »Lassen Sie das fallen, Enfield!« »Ich ... Ich hätte Ihnen nicht trauen dürfen, Morton.« »Diese Einsicht kommt zu spät.« Enfield sah ein, daß er nachgeben mußte. Doch gleichzeitig wuchs eine wilde Wut in ihm. Er setzte alles auf eine Karte, zumal er ahnte, daß Morton so oder so schießen würde. Enfield holte tief Luft und . . . trat dann blitzschnell nach der Hand seines Gegners. Morton schoß. Enfield spürte einen ungemein harten Schlag an der rechten Schulter und wurde gegen die Wohnungstür zurückgeschleudert, die sich überraschenderweise sofort
hinter ihm öffnete, ihn stolpern ließ und ihm so einen zweiten Treffer ersparte. Morton hatte nämlich seinen zweiten Schuß abgefeuert, konnte ihn aber durch das Zurückfallen seines Opfers nicht mehr korrigieren. Das Geschoß pfiff durch die Wohnung und landete klatschend in einer Wand. Wieso die Tür sich geöffnet hatte, verstand Morton nicht. Er hatte deutlich mitbekommen, wie Enfield sie ins Schloß gezogen hatte. Er senkte die Waffe und wollte Enfield anvisieren, der auf dem Teppich lag. Genau in diesem Augenblick segelte um den Türpfosten herum eine schwarze Melone. Sie beschrieb einen leichten Halbkreis und landete mit dem Rand auf der Nasenwurzel des potentiellen Mörders. Morton brüllte auf, wurde zurückgeschleudert und verlor den Halt auf dem schmalen Treppenabsatz. Er rutschte einige Stufen nach unten, fand dann Halt, duckte sich und schaute nach oben. Er sah gerade noch, wie die Wohnungstür sich schloß. Und er stellte fest, daß Reisetasche samt Aktenkoffer ebenfalls verschwunden waren. Morton trat wütend gegen die Melone, die fast elegant zurück nach oben auf den Treppenabsatz segelte und vor der Tür liegenblieb. Morton schob sich nach unten und dachte nur noch an Flucht. Was diese Melone zu bedeuten hatte, war ihm klar. Parker war in der Nähe! *
»Das Schwein wollte mich umbringen«, schluchzte Mel Enfield. »Diese Absicht war klar zu erkennen«, antwortete Josuah Parker, während er dem Chef der Schnellschuß-Gesellschaft einen fachmännischen Notverband anlegte. »Wenn Sie die Tür nicht. . .« »Ich bin gegen Brutalität jeder Art«, erwiderte Parker. »Dieses verdammte Schwein!« »Das sagten Sie bereits, Mr. Enfield«, stellte der Butler gemessen und würdevoll fest. »Man sollte dafür sorgen, daß Ihr Partner Morton sein verdientes Schicksal erleidet.« »Warum haben Sie den Kerl nicht niedergeschossen?« Enfield saß steif in einem Sessel und litt. »Wie gesagt, ich verabscheue Geweilt«, wiederholte der Butler noch mal. »Es gibt legale Methoden, um zu seinem Recht zu kommen. Sie wissen zufällig nicht, wo Mr. Morton wohnt?« »Ich weiß so gut wie gar nichts über ihn. Das ist es ja. Der Kerl hat sich immer erstklassig getarnt. Auuu! Das tut höllisch weh.« »Sie werden mit Sicherheit an dieser Verletzung nicht sterben, wie ich Ihnen versichern möchte. Sie haben Mr. Morton jetzt endlich durchschaut, wie mir scheint.« »Und ob!« Enfield nickte und Heß sich vorsichtig zurücksinken. »Er ist mit rausgefahren, ich meine, zu diesem Lord Buffle, um sich davon zu überzeugen, daß meine Leute hochgenommen wurden.« »Dies kann ich nur unterstreichen.« Parker nickte gemessen.
»Dann hat er mir eingeredet, daß ich abhauen müsse.« »Eine andere Möglichkeit hatten Sie tatsächlich nicht mehr, Mr. Enfield.« »Und dann hat das Schwein draußen auf mich gewartet, um meine Unterlagen zu stehlen.« »Dies, Mr. Enfield, war deutlich zu erkennen.« »Und um mich zu erledigen.« »Im Gefängnis-Hospital wird man Sie bis zur Verhandlung korrekt und gut pflegen, Mr. Enfield.« »Es . .. Es hat wohl keinen Sinn, Ihnen Geld anzubieten?« »Aber nein, Mr. Enfield. Sie wissen es doch.« »Ich würde Ihnen fünfzig Prozent geben.« »Was bedeutet schon Geld, Mr. Enfield?« Butler Parker lächelte milde. »Gewiß, es beruhigt, Wie es der Volksmund so treffend auszudrücken pflegt, aber Geld ist nicht alles. Es gibt andere Werte.« »Hätte ich mich doch nie darauf eingelassen.« »Sie wurden nicht etwa erpreßt?« »In etwa schon, Mr. Parker.« Enfield stöhnte einen Moment lang und setzte sich vorsichtig zurecht. »Morton hatte mich in der Hand. Er wußte von meinem Vorleben.« »Würde es Ihnen etwas ausmachen, meine bescheidene Person darüber wenigstens andeutungsweise zu informieren? « »Diebstahl und Bau«, lieferte Mel Enfield die Stichworte. »Ich war damals' Haarstylist beim Film. Ich habe da ein paar dicke Schmuckstücke, mitgehen lassen. Zuerst hatten sie einen Garderobier
in Verdacht, aber dann tappte ich in eine Falle. Ich habe drei Jahre gesessen und dann später unter dem Namen Enfield neu begonnen. Bis dann dieser Morton erschien.« »Das genügt bereits. Sie kennen ihn wirklich nicht näher?« »Bestimmt nicht. Mann, das tut ganz schön weh! Wann fahren Sie mich ins nächste Hospital? Mir wird langsam schlecht.« »Ich werde Sie abholen lassen, das erspart Ihnen unnötige Schmerzen.« Parker ging zum Telefon hinüber, war aber so klug, Enfield nicht aus den Augen zu lassen. Der Besitzer des Haar-Studios schien sich aber mit seinem Schicksal abgefunden zu haben. Er dachte nicht daran, Parker mit einem Trick auszuschalten. Er starrte nur auf den Teppich und nickte erleichtert, als Parker seinen Anruf bei der Polizei getätigt hatte. »In wenigen Minuten wird man Sie abholen«, sagte Parker, der wieder vor Enfield erschien. »Ich darf noch mal wiederholen und fragen: Sie haben keine Ahnung, wer Morton sein könnte und wo er wohnt?« »Ich weiß nur, daß er erstklassig über allen Gesellschaftsklatsch informiert ist«, entgegnete Enfield mit matter Stimme. »Er wußte immer genau, wo meine Jungens Beute machen konnten. Er schien die Opfer sehr genau zu kennen. Sie verstehen, was ich meine? Er kennt sich in der Gesellschaft bestens aus, als hätte er mit ihr Tag für Tag zu tun.« Parker wollte noch weitere Fragen stellen, doch er hörte bereits von weither eine Polizeisirene.
»Man scheint Sie abholen zu wollen«, sagte er. »Ich werde die Türen öffnen, Mr. Enfield. Darf ich mir erlauben, Ihnen noch einen Rat zu geben?« »Natürlich«, stöhnte Enfield, dessen Gesicht eine graue Farbe angenommen hatte. Er litt sichtlich. »Ein umfassendes Geständnis, Mr. Enfield, wird Ihre Lage ungemein erleichtern«, empfahl der Butler. Dann deutete er eine knappe Verbeugung an und ging zur Wohnungstür. Als er nicht mehr zu sehen war, bemerkte Enfield, daß der Butler die beiden leichten Gepäckstücke mitgenommen hatte. Aber darüber wunderte der entnervte Chef der Schnellschuß-Gesellschaft sich schon nicht mehr. Erstaunlicherweise kam er sich aber auch nicht wie bestohlen vor. Das Verschwinden der kleinen Reisetasche und des Aktenkoffers interessierte den Verwundeten nicht mehr. * »Erzählen Sie, Kindchen«, drängte die ältere Dame und sah Kathy Porter erwartungsvoll an. »Dieser Harry Morton fuhr von Soho aus direkt hinüber nach Southwark, Mylady.« »Warten Sie, Kathy, nicht weiterreden. Ist er etwa zu diesem Subjekt Tavis gefahren? « »Richtig, Mylady. Möbel aus zweiter Hand. Genau dorthin ist er gefahren.« »Was sagen Sie dazu, Mr. Parker?« Lady Agatha wandte sich zu ihrem Butler um, der das Dinner
servierte. Es gab Roastbeef, einige pikante Salate und mit Käse überbackene Kartoffelscheiben. »Eine überraschende Tatsache, Mylady«, stellte Butler Parker fest. »Hier dürfte mit einer echten Querverbindung zu rechnen sein.« »Wie gut, Kindchen, daß ich Ihnen riet, mit Mr. Parker in die Stadt zu diesem Enfield zu fahren.« Agatha Simpson nickte nachdrücklich und war fest davon überzeugt, daß diese Anregung wirklich von ihr stammte. »Mylady sind dazu nur zu beglückwünschen«, warf Parker ein. »Natürlich.« Sie nickte erneut. »Man muß eben mit allen Möglichkeiten rechnen. Morton scheint also nicht nur diesen Enfield mit Tips bedient zu haben, sondern arbeitet auch mit diesen Packern zusammen.« »Treffender hätten Mylady es nicht ausdrücken können«, versicherte Parker. »Und weiter, Kindchen?« Lady Agatha überhörte Parkers Lob. »Was geschah dann?« »Leider nichts mehr, Mylady.« Kathy hob bedauernd die Schultern. »Ich mußte ja sehr vorsichtig sein, um nicht entdeckt zu werden. Morton scheint die Möbelhandlung auch auf einem anderen Weg verlassen zu haben. Ich habe etwa eine Stunde lang gewartet, dann erschien dieser Tavis, doch er war allein.« »Sie haben ihn hoffentlich sofort beschattet, Kindchen!« »Selbstverständlich, Mylady. Hoffentlich war das richtig. Oder hätte ich besser auf das Auftauchen von Morton warten sollen?«
»Nein, nein, Kindchen. Was meinen Sie, Mr. Parker?« »Über Mr. Tavis wird man früher oder später auch an besagten Mr. Morton herankommen können, Mylady.« »Sagte ich ja gerade.« Lady Agatha nickte zufrieden. »Und wohin, Kathy, ging dieses Subjekt?« »Er benutzte keinen Wagen?« warf Parker ein. »Nein, er ging zu Fuß, Mr. Parker. Er besuchte auf der Bankside das Büro einer Reederei, genauer gesagt, die >Transport Shipping-Company<. Er blieb dort etwa eine halbe Stunde und ging danach wieder zurück in seine Möbelhandlung.« »Kennen wir diese Reederei, Mr. Parker?« erkundigte Lady Simpson sich prompt bei ihrem Butler. »Noch nicht, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Aber dieses Informationsdefizit, wenn ich es so ausdrücken darf, wird sich schnell ausgleichen lassen.« »Worum ich auch gebeten haben möchte«, meinte sie streng. »Aber mir ist klar, warum Tavis die Reederei besuchte.« »Mylady haben eine Theorie?« fragte der Butler. »Er will sich absetzen, das liegt doch auf der Hand. Er versucht das, was Enfield ebenfalls plante, was ihm aber nicht gelang.« »Eine Absicht, Mylady, die man tunlichst durchkreuzen sollte.« »Falls er verschwindet, Mr. Parker, werden wir nie erfahren, wo Tavis seine Beute stapelt, sind Sie sich im klaren darüber?« »Gewiß, Mylady.«
»Also, lassen wir uns etwas einfallen«, verlangte die Detektivin unternehmungslustig. »Konzentrieren wir uns auf diesen Tavis. Ich möchte McWarden den zweiten gelösten Fall auf den Tisch legen. Er soll vor Neid platzen, dieser Mann aus dem Yard.« * Harry Morton war gerissen. Er wußte nicht mit letzter Sicherheit, ob man ihn beschattete, doch er unterstellte das. Nach seiner Panne im Haar-Studio hatte er sich mit seiner Lage befaßt und war zu dem Schluß gekommen, daß er seine Zelte auf der ganzen Linie abzubrechen hatte. Der Zeitpunkt zum Aussteigen war gekommen. Bisher hatte er recht gut verdient. Er hatte Enfield bedient, er hatte mit Tavis zusammengearbeitet. Beide Bandenchefs hatten natürlich nichts voneinander gewußt. Über seine Doppelrolle und sein Doppelspiel hatte Morton niemals gesprochen. Im Falle Enfield hatte Parker ihm einen bösen Strich durch die Rechnung gemacht. Er hatte bereits Enfields Vermögen so gut wie sicher in Händen gehabt, als der Butler es ihm entriß. Was das anbetraf, so war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Diese Beute wollte Morton sich zurückholen. Er wußte genug über die skurrilen Gewohnheiten der älteren Dame und Butler Parkers. Bargeld, das sie Gangstern abnahmen, wanderte meist anonym auf die Konten gemeinnütziger Unternehmen wie
Waisenhäuser, Altersheime und Hospitäler. Morton durfte also sicher sein, daß Enfields Geld und die Nummern seiner Schweizer Bankkonten sich noch in Parkers Besitz befanden. Nun kam es Morton darauf an, Tavis ein Bein zu stellen. Nach seiner Flucht aus dem HaarStudio war Morton zu dem angeblich seriösen Möbelhändler gefahren und hatte Tavis einen diesmal allerletzten Coup unterbreitet. Tavis war zuerst wieder mal dagegen gewesen und hatte nicht mitmachen wollen. Doch die Gier des Möbelpackers hatte letztlich wieder mal gesiegt. Tavis wollte also noch mal zulangen, sich dann aber endgültig zur Ruhe setzen. Mortons Plan war einfach. Er hatte Tavis drei erstklassige Adressen genannt, die riesige und kostbare Beute versprachen. Alle drei Tavis Teams sollten eingesetzt werden und ... von der Polizei dann überrascht und festgenommen werden. Morton plante, die drei Ausräumungen der Polizei anonym zu melden. Tauchten die drei PackerTeams auf, brauchte die Polizei nur zuzugreifen. Damit verlor Tavis dann seine Mitarbeiter und war isoliert. Tavis würde, so rechnete Morton es sich aus, schleunigst seine wichtigsten Unterlagen zusammenraffen und die Flucht ergreifen. Und bei dieser Gelegenheit wollte er, Harry Morton, dann wie im Fall Enfield erscheinen und alles an sich reißen. Diesmal wollte Morton besonders vorsichtig sein und sich von Butler Parker nicht noch mal überraschen
lassen. Damit war allerdings auch kaum zu rechnen, denn Morton konnte unterstellen, daß Parker nicht bekannt war, wo Tavis so etwas wie eine letzte Zuflucht besaß. Morton hatte jedoch noch weitere Pläne. Besaß er erst mal Tavis' Geld, wollte er sich mit Parker anlegen. Wie schon gesagt, er wollte auch Enfields Geld wieder an sich bringen und erst dann völlig wegtauchen. Ein Harry Morton begnügte sich niemals nur mit einem Anteil, er wollte alles haben. Morton übersah in seiner Rechnung einen ganz bestimmten Faktor. Natürlich kannte er Enfields Killer David Elms, doch maß er diesem Mann kaum Bedeutung bei. In seinen Augen war David Elms ein hirnloser Killer, der ohne einen Boß nicht wußte, was er tun sollte. Darüber hinaus ahnte Harry Morton nicht, daß Elms sich inzwischen längst wieder auf der Insel befand. David Elms hatte darauf verzichtet, eine Maschine zu nehmen. Er war mit einem regulären Fährschiff gekommen und ohne weiteres durch die Polizeikontrollen geschlüpft. Mit einem falschen Paß war das überhaupt nicht schwierig gewesen, zumal die Kanalfähren ja mit Touristen überfüllt waren. * James Tavis saß in seinem Glasverschlag in der Lagerhalle und wartete auf gute Nachrichten. Seine drei Teams waren vor gut einer Stunde losgefahren, um drei Wohnungen auszuräumen. Nach
seiner Schätzung mußten jetzt die vereinbarten. Telefonanrufe kommen und ihm melden, daß das Unternehmen geklappt hatte. Diese Anrufe blieben jedoch aus. Ihm erging es ähnlich wie Enfield, der auch schon auf ähnlich glühenden Kohlen gestanden hatte, als eines seiner Teams sich nicht mehr gemeldet hatte. Tavis wanderte wie ein gefangenes Tier in seinem kleinen Glasverschlag umher und wurde immer ungeduldiger und nervöser. Bisher hatten die drei Teams sich jedesmal prompt nach dem Abräumen gemeldet. Warum taten sie es diesmal nicht? War etwas dazwischengekommen? Waren die Tips von Morton doch nicht goldrichtig gewesen? James Tavis gab sich noch fünf Minuten... Er zündete sich eine Zigarette an, verließ den Glasverschlag und ging hinaus auf die Rampe. Es war inzwischen dunkel geworden, doch die Sicht reichte vollkommen aus, den großen Innenhof und ein Stück der Straße zu überblicken. Es durchfuhr ihn siedendheiß! Er entdeckte auf der Straße zwei dunkle Zivilwagen, die in ihm so etwas wie Alarm auslösten. Sein Instinkt sagte ihm, daß es sich um Polizeiwagen handelte. Er drehte sich auf dem Absatz und rannte zurück in die Lagerhalle. Als er den Glasverschlag passierte, läutete das Telefon. Er langte durch den geöffneten Schalter und nannte seinen Namen.
»Morton«, hörte er eine keuchende, hastige Stimme. »Hauen Sie ab, Tavis, Polizei, hauen Sie ab!« James Tavis warf den Hörer in die Gabel und rannte los. Er verschwand in der Tiefe der dunklen Lagerhalle und kannte seinen Fluchtweg sehr genau. Es ging durch einen Keller, er öffnete eine Eisentür, erreichte einen anderen Keller, lief über eine Treppe nach oben, befand sich bereits in einem benachbarten Haus, stahl sich durch die Hintertür in einen weiten Hof, überstieg eine niedrige Mauer und war erst mal in Sicherheit. Er überquerte die Straße, hörte seinen Namen und blieb wie erstarrt stehen. Dann sah er neben einer Telefonzelle Morton, der ihm zuwinkte. James Tavis atmete erleichtert auf, zwang sich zur Ruhe und ging auf Morton zu. »Das war knapp«, sagte Tavis dann. »Ich konnte nicht früher«, entschuldigte sich Morton. »Die Aktion muß verraten worden sein.« »Und die drei Teams?« »Sind von der Polizei hochgenommen worden. Los, Tavis, steigen Sie ein! Wir müssen weg, bevor das ganze Viertel abgeriegelt wird.« Während er noch redete, deutete er auf seinen Ford, der knapp vor der Telefonzelle parkte. Tavis nickte, war sofort einverstanden, schöpfte keinen Verdacht und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Morton setzte sich ans Steuer und fuhr los. »Wer kann den Coup verraten haben? « fragte Morton, bevor Tavis diese Frage stellen konnte. »Ich kapiere das nicht, Tavis. Die Tips waren goldrichtig. «
»Parker?« tippte Tavis automatisch an. »Schon möglich.« Morton nickte. »Was machen wir jetzt?« »Schluß für immer.« »Natürlich, was denn sonst? Kennen Ihre Leute Ihre Zweitwohnung? Ich meine, haben Sie ein Versteck, wo Sie erst mal abwarten können?« »Wieso sollte ich eine Zweitwohnung haben?« fragte Tavis, der plötzlich mißtrauisch wurde. »Na, irgendwo werden Sie doch einen Unterschlupf haben, oder?« »Setzen Sie mich am Trafalgar Square ab«, meinte Tavis. »Geht in Ordnung, Tavis. Und wie setzen wir uns wieder in Verbindung?« »Überhaupt nicht mehr, Morton. Wir haben unseren Schnitt gemacht, denke ich. Damit hat es sich.« »Irrtum«, antwortete Morton und . . . schoß. * Durch einen Knopfdruck hatte Josuah Parker seinen Privatwagen wieder in ein Original Londoner Taxi rückverwandelt. Auf der Stirnseite des Aufbaus und Wagendaches war das bekannte Taxischild zu sehen. Sein Wagen fiel im Straßenverkehr überhaupt nicht mehr auf, denn es gab zu den anderen Verkehrsmitteln dieser Art keinen Unterschied mehr. Parker hatte seine schwarze Melone abgenommen und durch eine Lederkappe ersetzt. Sein weißer Eckkragen und die schwarze Krawatte waren hinter einer Art Latz
verschwunden, der so etwas wie eine Lederwestenvorderseite vortäuschte. Dies alles war mit wenigen und schnellen Handgriffen geschehen. Die Geduld des Butlers hatte sich wieder mal gelohnt. Vor dem Erscheinen von James Tavis auf der Straße hinter seinem Lager- und Möbelhaus hatte der Butler dort Posten bezogen. Er hatte sich in die Gedankenwelt dieses >Oberpackers< versetzt und sich natürlich an die Beobachtung von Kathy Porter erinnert. Sie hatte ja Morton beschattet und genau mitbekommen, daß er nach seiner Flucht und seinem Zusammenstoß mit Parker in Enfields Wohnung direkt zu Tavis gefahren war. Kathy Porter hatte dort lange auf die Rückkehr Mortons gewartet, ihn aber nicht mehr gesehen. Logischerweise, so hatte Parkers Schlußfolgerung gelautet, mußte die Firma Tavis über eine Art versteckten Fluchtweg oder Notausgang verfügen. Nach dem Studium eines detaillierten Meßtischblattes, auf dem jedes Haus verzeichnet war, hatte der Butler seine Wahl getroffen und die kleine Straße hinter dem Lager gewählt. Sein Taxi war überhaupt nicht aufgefallen. Es wäre ihm leichtgefallen, Tavis zu stellen, als der Gangster sich aus einer schmalen Gasse heraus auf die eigentliche Straße gestohlen hatte. Parker hatte darauf aber absichtlich verzichtet. Da Tavis noch nicht mal eine Tasche mit sich führte, wollte er sicher sein eigentliches Versteck aufsuchen. Hinzu kam die überraschende Tatsache, daß James
Tavis offensichtlich erwartet worden war. Er war zu einem Mann in den Wagen gestiegen, der in der Nähe einer Telefonzelle auf ihn gewartet haben mußte. Der Beschreibung Kathy Porters nach mußte dieser junge Mann Morton sein. Und selbst jetzt hatte der Butler sich zurückgehalten und sich mit einer vorsichtigen Verfolgung begnügt. Er wußte nicht, was die beiden Männer planten, konnte sich aber leicht ausrechnen, daß sie mit Sicherheit einige Wertsachen aus irgendeinem Unterschlupf holen wollten. Die Verfolgung dauerte nun schon gut zwanzig Minuten. Man hatte den Trafalgar Square passiert und bewegte sich in Richtung Osten der Stadt. Einmal hatte der Wagen vor Parker einen leichten Schlenker getan, doch Parker wußte nicht zu sagen, was das zu bedeuten hatte. Wie vermutet, endete die Fahrt des Ford im Bereich der West India Docks, genauer gesagt, vor einem unansehnlich wirkenden Apartmenthaus. Morton stieg aus und verschwand in diesem Haus, während James Tavis zurückblieb. Sollte dieses Apartmenthaus Mortons Unterschlupf sein? Parker hielt an einer günstigen Stelle an, nachdem er den grauen Ford passiert hatte. Ihm fiel auf, daß der Anführer der >Packer< sehr nachlässig auf seinem Beifahrersitz lag. Er schien zu schlafen. Sein Kopf war zur Seite gegen die Scheibe gefallen.
Irgend etwas an dieser Haltung gefiel dem Butler nicht. Er horchte in sich hinein und hörte eine Art feines Alarmsignal in seinem stets wachen Unterbewußtsein. Dort im grauen Ford stimmte etwas nicht. Tavis schlief nicht. Ihm mußte etwas passiert sein. Sekunden später fiel es Parker wie Schuppen von den Augen. Hatte Morton nicht bei Enfield versucht, seinen früheren Partner zu berauben und zu erledigen? Wollte Morton dieses Spiel nun noch mal wiederholen? Josuah Parker stieg aus seinem Wagen, um nachzusehen, was mit Tavis geschehen war. Als korrekter Mensch ersetzte er die Lederkappe natürlich erst durch seine schwarze Melone. Er zog sich selbstverständlich auch den Tarnbesatz von der Brust. Nachdem er seinen altväterlich gebundenen Regenschirm über den linken, angewinkelten Unterarm gelegt hatte, schritt Parker würdevoll auf den grauen Ford zu. Er hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als Harry Morton aus dem Apartmenthaus kam. Er hielt eine schwere Reisetasche in der rechten Hand, was sich als besonderes Glück für den Butler herausstellen sollte. Morton sah Parker, stutzte und ... ließ die Reisetasche fallen, was in seinem Fall durchaus verständlich war. Als Rechtshänder wollte Harry Morton möglichst schnell an seine Waffe herankommen, um den Butler niederzuschießen. Er war aber nicht schnell genug . ..
Parker griff nach seiner schwarzen Melone, und Morton hatte erneut das Pech, mit der Kopfbedeckung des Butlers Bekanntschaft machen zu müssen. Sie zischte wie eine fliegende Untertasse dicht unterhalb der Schallgrenze auf den Mann zu und landete mit dem Stahlblechrand auf der Brust des Gangsters. Morton glaubte, von einem Kricketschläger getroffen worden zu sein. Er taumelte zurück gegen die Hauswand, verspürte einen wilden Schmerz auf dem Brustbein und hatte Mühe, an seine Waffe zu kommen. Er war wild entschlossen, den Butler niederzuschießen. Als er endlich die Waffe in der Hand hatte, war von Parker nichts mehr zu sehen, auch vom Ford nicht und damit auch nicht von seinem ehemaligen Partner Tavis. Morton starrte leicht fassungslos auf eine dichte Nebelwand, die etwa zehn Meter vor ihm hochwallte und von Sekunde zu Sekunde immer dichter wurde. Das war ihm unheimlich. Morton pfiff auf die Reisetasche und ergriff die Flucht. Er war von Butler Parker erneut ausgespielt worden. * Harry Morton war das, was man neuerdings frustriert nennt. Gewisse Wünsche waren ihm versagt geblieben. In zwei Fällen hatte er dicht vor einem Erfolg gestanden, doch ein Butler Parker hatte sich in beiden Fällen immer als Störfaktor erwiesen. Dieser Mann war Morton unheimlich geworden. Er schien überall da zu sein, wo man
ihn nicht erwartete. Parker schien fast schon über hellseherische Fähigkeiten zu verfügen. Harry Morton benutzte wieder mal die U-Bahn, wechselte auf einen Bus über, sprang dann in ein Taxi und näherte sich auf verschlungenen Umwegen seiner Wohnung, die sich im Westen von London befand. Hier bewohnte er eine elegante Wohnung, hier fühlte er sich sicher. Er hatte dieses Versteck sehr sorgfältig ausgesucht und abgeschirmt. Er durfte sicher sein, daß weder Tavis noch Enfield von der Existenz dieses Fuchsbaues wußten. In diesem Haus hieß er natürlich nicht Morton. Er hatte die Wohnung unter seinem richtigen Namen Mansfield gemietet. Er galt als seriöser und wohlhabender Junggeselle, der viel unterwegs war. Er hatte geschickt ausgestreut, Angestellter im Innenministerium zu sein. Nun, das war er vor gut einem Jahr auch wirklich gewesen. Dann aber hatte er die Stellung gekündigt und hatte sich selbständig gemacht. Er arbeitete als freier Mitarbeiter für verschiedene Zeitungen und galt als Spezialist in Sachen Gesellschaftsberichterstattung. Unter seinem Namen Mansfield schrieb er Serien über den Geldadel der Insel. Seine Manuskripte waren launisch, ironisch, aber nicht verletzend geschrieben. Man druckte sie gern, denn er verstand es, verwickelte Familiengeschichten einfach und plastisch darzustellen. Von dieser Tätigkeit her rührten auch seine intimen Sachkenntnisse.
Er kannte sich aus und wußte genau, wo etwas zu holen war. Das war die Basis seiner Zusammenarbeit mit Enfield und Tavis gewesen. Morton, um bei diesem Namen zu bleiben, durchstöberte zudem alte Zeitungsbände und grub Gerichtsberichte aus! Auf diese Art und Weise verschaffte es sich zusätzliche Informationen über seine Mitmenschen. Er fand heraus, wer wann weshalb mit wieviel Monaten oder Jahren Haft bestraft worden war. Morton verfügte über eine erstklassige Kartei, in der all diese Angaben stichwortartig verzeichnet waren. Auf diese Art und Weise war er zum Beispiel an die Herren Enfield und Tavis geraten. Für die Zukunft hatte er bereits andere Geschäftspartner auf seiner Liste. Irgendwann wollte er bei ihnen erscheinen, sie leicht unter Druck setzen und dazu bringen, seine Vorschläge in die Tat umzusetzen. . Dies alles war nun jäh beendet. Butler Parker hatte für die Ladehemmung der Schnellschützen gesorgt und die Packer eingepackt. Morton mußte also neue Überlegungen anstellen. Während seiner Flucht hatte er gründlich nachgedacht. Hatte es für ihn überhaupt noch einen Sinn, sich mit Parker anzulegen? Setzte er sich nicht besser ab und wartete, bis viel Gras über die beiden Affären gewachsen war? Er hatte seine Wohnung erreicht, schloß die Tür auf und schloß sie erleichtert hinter sich. So, nun befand er sich erst mal in Sicherheit und konnte alles noch mal überdenken.
Als er dann jedoch in die Mündung einer Faustfeuerwaffe blickte, verschob er die geplante Gedankenarbeit, hob die Arme und starrte Killer David Elms an. * »Ich komme diesmal nicht zufällig vorbei«, sagte Superintendent McWarden sehr gereizt, als er Lady Simpson gegenüberstand, die ihm geöffnet hatte. »Herzlich willkommen«, erwiderte die Detektivin. »Wie bitte? Ach so! Danke! Lady Simpson, ich glaube, daß Sie diesmal doch zu weit gegangen sind.« »Weil ich mich freue, Sie zu sehen, McWarden?« Sie sah ihn fast freundlich an. »Was sind das für Manieren, Superintendent?« »Sagen Ihnen die Namen Will Stolen und Hank Pinch etwas? Ist Ihnen ein gewisser James Tavis bekannt? « »Ach, Sie meinen diese Möbelpacker?« »Sie geben also zu, daß Sie ...?« »Ich gebe überhaupt nichts zu, McWarden. Erklären Sie mir gefälligst erst mal, was dieser Angriff auf eine schwache und alte Frau bedeuten soll.« »In einem schnellen Zugriff konnten wir eine Bande sogenannter Packer ausheben«, sagte McWarden. »Drei Teams zu je zwei Männern. Sie wurden von einem gewissen James Tavis angeführt, der leider verschwunden ist. Von den Packern erfuhren wir, daß Sie, Mylady, Sie
und Ihr Butler schon seit einiger Zeit hinter diesen Ganoven her sind.« »Weil die Polizei wieder mal nicht informiert war!« »Hätten Sie uns rechtzeitig eingeweiht, wäre es mir auch gelungen, diesen James Tavis zu erwischen. Nun dürfte dieser Bandenchef ein für allemal untergetaucht sein.« . »Darf ich mir erlauben, Sir, dem zu widersprechen?« war in diesem Moment Parkers höfliche und ruhige Stimme zu hören. Lady Simpson und Superintendent McWarden wandten sich fast gleichzeitig um und sahen den Butler an, der den Wohnraum betrat und eine knappe Verbeugung andeutete. »Da sind Sie ja endlich«, . münzte die ältere Dame. »Wo haben Sie denn solange gesteckt, Mr. Parker?« »Ich war so frei, Mylady, Mr. James Tavis bei einer Polizeiwache im Osten der Stadt abzuliefern.« »Sie... Sie haben Tavis erwischt?« McWarden rang nach Luft. »In der Tat, Sir! Er leidet unter einer gewiß schmerzhaften Wadenverletzung, die ihm ein gewisser Harry Morton beibrachte.« »Ich verstehe kein Wort.« »Natürlich nicht«, warf die Detektivin anzüglich ein und musterte McWarden ironisch. »Morton, über den noch zu sprechen sein wird, Sir, feuerte den gerade erwähnten Schuß auf Mr. Tavis ab. Er zwang ihn so, seine, sagen wir, Ersparnisse preiszugeben. Mir war es vergönnt, Sir, diesen Raub zu vereiteln, der wahrscheinlich mit einem Mord an Tavis geendet hätte.«
»Ich .. . Ich werde noch wahnsinnig«, stöhnte McWarden und faßte sich an den Kopf. »Das macht doch nichts«, erklärte Lady Agatha ungerührt. »Sie haben also Tavis und seinen Beuteanteil, Mr. Parker. Und was ist mit diesem Subjekt Morton?« »Konnte sich durch Flucht seiner Verhaftung entziehen, Mylady, wie ich leider berichten muß.« »M i r wäre das bestimmt nicht passiert.« Sie sah ihn streng und verweisend an, »Und wo steckt Morton jetzt?« »Miß Kathy Porter wird dies wahrscheinlich bald zu vermelden wissen«, hoffte der Butler. »Sie fuhr in ihrem Mini-Cooper hinter mir her und übernahm die weitere Beschattung des Mr. Morton, die, so hoffe ich, günstig verlaufen wird.« »Lebe ich denn in einem Irrenhaus?« stieß McWarden wütend hervor. »Ich weiß nicht, wie es im Yard zugeht«, meinte die ältere Dame süffisant. »Das können nur Sie allein beurteilen, McWarden. Aber Sie sollten sich endlich bei mir bedanken, finde ich.« »Bedanken?« »Ich habe Ihnen zwei Banden geliefert«, faßte Lady Simpson zusammen und überging großzügig Parkers Anteil und den ihrer Gesellschafterin Kathy Porter. »Einmal diese Schnellschußbanditen, dann diese Möbelpacker. Was wollen Sie noch mehr? Der Tag hat für mich auch nur vierundzwanzig Stunden!« Bevor McWarden mit dem Gedanken spielen konnte, sich einem
Schlaganfall hinzugeben, läutete das Telefon. Parker eilte an den Apparat und meldete sich. Er hörte einen Augenblick zu, legte auf und drehte sich zu Agatha Simpson und McWarden um. »Miß Porter«, schickte er voraus. »Sie hat gerade den eben angesprochenen Mr. Harry Morton geborgen.« »Geborgen?« schnaufte McWarden. »Er ist von einem gewissen David Elms niedergeschossen worden, Sir, der als Killer für Mr. Enfield arbeitete.« »Und wo steckt dieser Elms?« McWardens Gesicht war dunkelrot angelaufen. »Dies, Sir, muß erst noch eruiert werden«, entgegnete der Butler würdevoll. »Bis dahin werde ich, Ihre Erlaubnis voraussetzend, die näheren Zusammenhänge aufdecken.« * »Er wohnt dort drüben in dem Reihenhaus«, sagte Kathy Porter und deutete auf ein unansehnlich aussehendes Backsteinhaus, das schmalbrüstig und verwohnt aussah. »Ich habe mich schon vorsichtig in der Nachbarschaft erkundigt, Mr. Parker. Er gibt sich als Vertreter aus. Man weiß kaum etwas über ihn.« Kathy Porter berichtete von David Elms, dem Killer Enfields. Zäh und geschickt war sie ihm gefolgt, nachdem er Morton in dessen Wohnung niedergeschossen und beraubt hatte. Inzwischen war es Tag geworden, und Kathy Porter machte
einen müden und abgespannten Eindruck. Seit vielen Stunden war sie auf den Beinen. Parker, Lady Simpson und Kathy Porter standen in der Höhe eines Kinderspielplatzes, verborgen hinter einigen Sträuchern. Sie sahen die Straße vor sich, die hier erst schwach, sich dann aber steil senkte. Sie war asphaltiert und zu beiden Seiten mit parkenden Wagen bestanden. »Ich möchte nicht versäumen, Miß Porter, Ihnen mein Kompliment auszusprechen«, bedankte Parker sich. »Ohne Ihre Fähigkeiten wäre der eigentliche Schlupfwinkel Mr. Elms' wohl nicht aufgespürt worden. Den hatte er selbst Enfield unterschlagen, wie man nun weiß.« »Ich möchte endlich Taten sehen«, sagte die ältere Dame. »Wie kommen wir an diesen Killer heran? Dieser Krach geht mir zudem auf die Nerven!« Sie deutete auf die vielen spielenden Kinder und meinte sicher das Geräusch der Skateboards, jener schmalen Bretter aus Holz oder Plastik, die auf Rollen laufen. Auch in dieser Gegend frönte die Jugend diesem nicht ganz ungefährlichen, weil schnellen Sport. Das Rattern und Rauschen der Rollen schuf einen erstaunlichen Geräuschpegel. Die Jugendlichen schienen voll ausgebildete Artisten zu sein. Sie standen auf diesen Skateboards mit der Sicherheit und Geschmeidigkeit von Profis, kurvten die abschüssige Straße hinunter und benutzten jedes Hindernis als eine Art Slalomtor. »Wie geht es Morton?« fragte Kathy Porter und gähnte verstohlen.
»Er wurde bereits ärztlich versorgt und wird durchkommen«, berichtete Parker gemessen. »Was Mr. Elms betrifft, Mylady, so möchte ich vorschlagen, daß man vielleicht...« »Da kommt er, Mr. Parker«, rief Kathy Porter. »Sehen Sie doch, er will 'rüber zu seinem Wagen!« Es war David Elms. Er trug einen einfachen Koffer in der Hand und hatte keine Eile. Ihm war unbekannt, daß er bereits im Visier des seltsamen Trios war. Lady Simpson vibrierte vor Ungeduld und war natürlich wieder mal nicht zu bremsen. »Stehenbleiben, Sie Lümmel!« rief sie mit donnernder Stimme und wollte Elms den Weg abschneiden. Der Killer stutzte, begriff und langte nach seiner Waffe. Als Vollprofi trug er den Koffer in der linken Hand, konnte also blitzschnell ziehen. Parker bedauerte es zwar ungemein, doch er sah sich gezwungen, Lady Simpson recht unsanft aus der Schußlinie zu befördern. Sie plumpste auf den Rasen, ärgerte sich maßlos, entging so aber dem Geschoß, das in einer Hauswand steckenblieb. Butler Parker riß seinen UniversalRegenschirm waagerecht hoch und feuerte einen Kleinkaliberschuß auf den Killer ab. Sein Regenschirm war doppelt zu verwenden. Durch Drehen des Bambusgriffes konnte er sowohl kleine Blasrohrpfeile als auch Kleinkalibergeschosse auf die Reise schicken. Parker traf. Elms faßte nach seiner Hüfte, verzichtete darauf, an seinen Wagen
zu kommen und lief zu Fuß weiter. Seine Absicht war leicht zu erraten. Er wollte sich unter die spielenden Kinder mischen und Parker so daran hindern, einen weiteren Schuß auf ihn abzufeuern. Lady Simpson hatte sich hochgerappelt, wobei Kathy Porter ihr behilflich war. Die ältere Dame sah grimmig zu, wie Elms an Boden gewann. Trotz seiner Verletzung war er sehr schnell. Sie schaute sich um. Der hochbeinige Wagen ihres Butlers stand gut und gern fünfzig Meter weiter oben an der Straße. Und da besann die Detektivin sich auf ihre Sportlichkeit. Sie griff nach einem Skateboard, das auf einer Bank lag, stellte das seltsame Gerät auf den Asphalt, gab sich einen Schwung und .. . nahm die Verfolgung des Killers auf. Parker und Kathy Porter sahen sich außerordentlich verblüfft an. Mit dieser Reaktion Lady Agathas hatten sie nicht gerechnet. Parker seufzte auf, entlieh sich bei einem Jugendlichen ebenfalls ein Skateboard und folgte seiner Herrin, die bereits mächtig in Schwung gekommen war, zwar ein wenig mit dem Gleichgewicht kämpfte, aber immer noch Siegerin blieb. Auch Parker gab sich einen ordentlichen Schwung und verfolgte nun seinerseits Lady Simpson, die gerade verwegen oder auch nur durch Zufall glücklich um einen entgegenkommenden Personenwagen kurvte. Der Fahrer war derart entnervt, daß er den Kühler seines Wagens auf das Heck eines parkenden Lasters setzte. David Elms schaute sich um.
Er wollte schon langsamer gehen und hatte das Gefühl, es bereits geschafft zu haben, doch in diesem Moment brauste seine Verfolgerin auf dem Skateboard heran und jagte auf ihn zu. Vor lauter Überraschung und Entsetzen dachte Elms überhaupt nicht daran, nach seiner Schußwaffe zu greifen, zumal nun auch Butler Parker auf einem dieser Rollbretter erschien und sich anschickte, Lady Simpson zu überholen. Elms rannte wieder los, spürte seine schmerzende Hüfte, geriet in Panik, hörte hinter sich das Rattern der Rollen, das Johlen der begeisterten jungen Zuschauer, die die Sportlichkeit der beiden Erwachsenen durchaus zu würdigen verstanden, stolperte und sah nicht, wie Lady Simpson bereits ihren gefürchteten Pompadour über ihrem Kopf schwang und kreisen ließ. Straßenpassanten waren längst stehengeblieben und genossen diese Verfolgungsjagd. Zuschauer hingen in den Fenstern der Reihenhäuser und lieferten fachgerechte Kommentare. Weitere Autos kamen aus dem Kurs und sorgten für zusätzliche Verwirrung, ein Streifenpolizist rieb sich die Augen, um dann langanhaltend auf seiner Trillerpfeife zu blasen, kurz, die Vorortstraße hatte ihre echte Sensation. Lady Agatha erwies sich als geschickte Skateboardfahrerin, Parker bereits als Meister. Er hielt sich mit dem Bambusgriff seines Regenschirms die schwarze Melone fest, damit sie vom Fahrtwind nicht weggeweht wurde, holte weiter auf
und sah dann, wie Lady Agatha ihren Pompadour losließ. Der Handbeutel mit dem darin befindlichen Glücksbringer zischte durch die Luft und . .. landete auf dem Hinterkopf des Killers, der sofort einige Salti schlug und dann regungslos auf dem Asphalt liegenblieb. Lady Simpson vermochte den Schwung ihrer Talfahrt nicht mehr zu bremsen, schoß an Elms vorbei und näherte sich einem leichten Bretterzaun. Er existierte nicht mehr, nachdem er Lady Simpson aufgehalten hatte. Parker bremste knapp vor seiner Herrin ab und stieg von seinem Skateboard. Er half der Lady auf die Beine. Sie machte erfreulicherweise einen unverletzten Eindruck. »Darf ich mich erkühnen, nach Myladys Befinden zu fragen?« »Wo haben diese schrecklichen Dinger die Bremse?« fragte sie gereizt. »Falls Mylady erlauben, werde ich mich umgehend danach erkundigen«, versprach Josuah Parker. »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit sehr glücklich.« »Haben wir das Subjekt Elms erwischt?« fragte Agatha Simpson. »Miß Porter kümmert sich bereits um den Mann«, antwortete der Butler. »Zudem dürfte mit dem Erscheinen der Polizei gleich zu rechnen sein. Myladys Slalomfahrt haben einige Unordnung auf der Straße verursacht, wenn ich es so umschreiben darf.« »Was wären die Polizei und Sie ohne mich«, gab die selbstbewußte Dame zurück und blickte stolz auf
»Besorgen Sie mir bei Gelegenheit ein paar von diesen Skateboards«, schloß die ältere Dame und massierte sich diskret ihre rechte, leicht geprellte Gesäßhälfte. »Ich möchte mit diesen scheußlichen Dingern noch ein wenig üben.«
das Chaos, das sie auf der abschüssigen Straße hinterlassen hatte. »Ich finde, Mr. Parker, dieser Tag hat gut angefangen.« »Dem kann und muß ich nur beipflichten, Mylady«, sagte Parker höflich. ENDE scan: crazy2001 @09/2011 corrected: santos 22
Günter Dönges schrieb wieder einen neuen
Nr. 168
PARKERS Luftsprung mit dem Staatsfeind Nach einem riskanten Unternehmen brach der Chef der Organisation aus dem Zuchthaus aus und verschwand wie durch Zauberei von der Bildfläche. War er ins Ausland geflüchtet? Hielt er sich noch in England auf? Oder war dieser Mann sogar tot, wie die Behörden bald darauf annahmen? Parker witterte Unheil, ließ seine Beziehungen spielen und fand heraus, daß dieser »Staatsfeind« noch sehr munter war, sich aber gut versteckt hatte. Parker rüstete daraufhin ein Ballonunternehmen aus und enterte die Zentrale, wobei er natürlich von einer gewissen Lady Agatha unterstützt wurde. Im Alleingang überwanden sie geschickt und phantasiereich alle Hindernisse, bis sie den Chef der »Zentrale« zu einem Rückflug ins Zuchthaus einladen konnten. Günter Dönges präsentiert einen neuen Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor! In der Neuauflage erscheint @ Butler Parker Nr. 136
Mylady läßt sich nicht erpressen ebenfalls von Günter Dönges.