Butler � Parker � Nr. 380 � 380
Günter Dönges �
Parker macht � reinen Tisch �
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Butler � Parker � Nr. 380 � 380
Günter Dönges �
Parker macht � reinen Tisch �
2
»Da sind Sie ja endlich«, stellte der mittelgroße, schlanke Mann ungeduldig und verärgert fest, als Parker die Halle der Senioren-Residenz betrat. »Sie sollten schon vor einer Viertelstunde hier sein.« Butler Parker spürte förmlich die negative Ausstrahlung des etwa Vierzigjährigen, doch er ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Er lüftete überaus höflich die schwarze Melone und war bereit, sich weiter verwechseln zu lassen. Worte einer Richtigstellung ließen sich später immer noch anbringen. Sein Gegenüber war nervös und gereizt. »Sie wissen, was Sie zu tun haben?« wollte der Mann wissen. »Hat Bladster Ihnen alles erklärt?« »Ansatzweise, Sir«, gab Josuah Parker zurück. »Das müßte reichen«, redete sein Gesprächspartner weiter. »Sie haben nichts anderes zu tun, als den Zeugen zu spielen und Ihre Unterschrift unter das Testament zu setzen.«
Die Hauptpersonen: Peter Ruthlan bekommt als Rentner nichts mit. George Linlay spezialisiert sich auf gewisse Testamente. Jerry Davis zeigt sich als sorgfältiger Pfleger. Hale Bladster wird von Schallplatten erwischt. Malvin Benedict gerät dummerweise an Josuah Parker. Adams managt eine Senioren-Residenz. Lady Agatha Simpson tritt gegen diverse Schienbeine. Butler Parker installiert einige Mausefallen. »Ein Vorgang, der vergleichsweise einfach zu sein scheint, Sir.« 3
»Hier ist Ihr Umschlag.« Der Vierzigjährige reichte dem Butler seinen Briefumschlag, in dem sich wohl Banknoten befanden, wie Parkers Fingerspitzen sofort ertasteten. »Und Sie stehen zur Verfügung, wenn wir Sie rufen. Alles klar?« »Ihre Hinweise lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.« Parker, optisch das Urbild eines englischen hochherrschaftlichen Butlers, deutete eine Verbeugung an. In der Vergangenheit war Josuah Parker schon einige Male verwechselt worden, woraus sich interessante Kriminalfälle ergeben hatten. Auch jetzt und hier schien sich wieder so etwas anzudeuten. Seine Verwechslung mit einer anderen Person war eindeutig. Allein die Übergabe des Umschlags mit den Banknoten ließ da keinen Zweifel aufkommen. Parker war bereit, erst mal weiter mitzuspielen. »Sie werden gleich nur unterschreiben und kein Wort reden«, schärfte sein Begleiter ihm noch mal ein, als sie den Fahrstuhl betraten. »Sie können sich auf meine bescheidene Wenigkeit voll und ganz verlassen«, antwortete Josuah Parker. Man fuhr in die vierte Etage des Gebäudes, passierte einen Korridor und blieb vor einer der letzten Türen stehen. Der Begleiter gab sich augenscheinlich einen inneren Ruck, als er anklopfte. Die Tür wurde geöffnet, und Parker sah sich einem Pfleger gegenüber, der zum Haus gehörte. Er trug eine weiße Hose und ein weißes Polohemd, musterte den Butler kurz, nickte dem Begleiter zu und führte sie dann in ein hübsch eingerichtetes Apartment. Vor einem kleinen Schreibtisch saß ein Mann, der nach Parkers Schätzung etwa siebzig Jahre zählte. Er trug einen Morgenmantel, der ihm viel zu weit war. Der Alte schien nicht ganz bei der Sache zu sein. Er blätterte in einem Fotoalbum, blickte plötzlich hoch und lächelte Parker unsicher an. 4
»James, nicht wahr?« fragte er dann zögernd und irgendwie nachdenklich. »James«, antwortete der Vierzigjährige neben dem Butler. »Er wird Ihre Unterschrift bestätigen, Mister Ruthlan. Sie wissen, Sie machen Ihr Testament.« »Aha.« Peter Ruthlan runzelte die Stirn, um dann zögernd zu nicken. »Und ich bin Ihr Anwalt, den Sie angerufen haben«, schaltete sich ein Mann ein, der fünfzig Jahre alt sein mochte. Er war mittelgroß, hatte eine Glatze und wirkte unappetitlich auf den Butler. Dieser Anwalt stand seitlich hinter Ruthlan und schlug eine Unterschriftenmappe auf. Er tippte sehr nachdrücklich auf ein Schriftstück. Peter Ruthlan mußte mehrfach aufgefordert werden, seine Unterschrift zu leisten. Nachdem er es endlich geschafft hatte, befaßte er sich wieder mit dem Fotoalbum und schien jedes Interesse an dieser Zeremonie verloren zu haben. »Jetzt Sie, James«, forderte der Vierzigjährige Butler Parker auf und deutete auf den Schreibtisch. »Hallo, James«, grüßte der alte Mann hinter dem Schreibtisch noch mal, ohne allerdings aufzusehen. »Hallo, Mister Ruthlan«, antwortete Parker, als er zum Schreibtisch hinüberging. Der Anwalt trat zur Seite und machte den Platz frei für die Unterschriftsleistung. »Mit Ihrer gütigen Erlaubnis«, ließ der Butler sich vernehmen. Er griff nach dem Schriftstück und las halblaut die ersten Zeilen. Ihm war völlig klar, daß umgehend etwas passieren würde. * Der Vierzigjährige, der Parker gefolgt war, wollte ihm energisch
das Schriftstück aus der Hand reißen. Es blieb jedoch bei diesem
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Versuch, denn Josuah Parker nahm den linken Ellenbogen hoch und setzte auf diese Weise den bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes auf den Unterkiefer des Mannes. Das Resultat war frappierend. Der Vierzigjährige flog nach hinten, verlor den Halt auf den Beinen und rauschte gegen einen Sessel, dessen Lehne ihn veranlaßte, eine Art Salto rückwärts zu schlagen. Polternd und krachend landete der Mann auf dem Boden und blieb regungslos liegen. Der irgendwie unappetitlich wirkende Anwalt ergriff umgehend die Flucht und rannte zur Tür des Apartments, während der weißuniformierte Pfleger den Butler attackieren wollte. Dieser Mann war stämmig, muskulös und schien sich im Nahkampf auszukennen. Er trat nach Parker, traf allerdings nur das Leere und wollte umgehend einen Fausthieb anbringen. Er nahm davon Abstand, nachdem der Butler mit dem Schirmgriff zugeschlagen hatte. Der Pfleger röchelte, verdrehte die Augen, dann den ganzen Körper und breitete sich anschließend auf dem Teppichboden aus. Der Anwalt hatte inzwischen die Tür erreicht und riß sie auf. Als er in den Korridor kurven wollte, wurde er von den Ereignissen in Form eines schwarzen Bowlers eingeholt. Parkers melonenartige Kopfbedeckung hatte sich in eine Art FrisbeeScheibe verwandelt, die zielsicher durch das Apartment gesegelt war und sich nun mit dem Hutrand auf den Hinterkopf des Fliehenden legte. Wie von einem unsichtbaren Blitz getroffen, sackte der Anwalt zusammen. Dabei stolperte er und… fiel in die Arme eines Butlers, der gerade um die Türecke kam. Dieser Butler, den man wohl tatsächlich erwartet hatte, ließ den Anwalt umgehend zu Boden fallen, wandte sich auf den Absätzen um und ergriff die Flucht. Er war ungewöhnlich 6
schnell, denn als Parker die Tür erreichte, verschwand der Mann gerade im Lichthof des Treppenhauses. Josuah Parker verzichtete auf eine Verfolgung. Er hatte sich mit den drei Männern zu befassen, die einen ungünstigen Eindruck auf ihn gemacht hatten, und hoffte, nicht vorschnell gehandelt zu haben. Der Butler untersuchte sie flüchtig, konnte keine nachhaltigen Schäden feststellen und schleifte sie nacheinander in das kleine Badezimmer, dessen Fenster schmal und hoch war. Nach menschlichem Ermessen war hier ein Entkommen unmöglich. Peter Ruthlan machte einen völlig unbeteiligten Eindruck. Er blätterte nach wie vor im Fotoalbum, sah flüchtig hoch, als Parker ihn seitlich am Schreibtisch passierte, lächelte abwesend und stand plötzlich auf. »Ich werde noch etwas in den Park gehen«, sagte er. »Wie Sie zu geruhen belieben, Sir.« Der Butler verbeugte sich knapp. »Da war doch eben etwas, oder?« »Besucher, Sir, die offensichtlich störten.« »Okay.« Ruthlan gab sich sofort zufrieden, winkte Parker leutselig zu und verließ sein Apartment, wogegen der Butler überhaupt nichts hatte. Als der Mann den Wohnraum verlassen hatte, griff Parker nach dem bewußten Schriftstück und überlas den letzten Willen des Mr. Ruthlan. Es handelte sich um ein kurzes, eindeutig abgefaßtes Testament. Peter Ruthlan bekundete seine geistige Frische und seinen freien Willen. Er vermachte sein gesamtes Vermögen seinem früheren Butler James Hannigan, dessen Adresse genau aufgeführt war. Als Vollstrecker des Testaments sollte ein Anwalt namens George Linlay fungieren, auf dessen Kanzleipapier das Schrift7
stück übrigens auch abgefaßt war. Einem Pfleger, der Jerry Davis hieß, war ein Legat von fünftausend Pfund ausgesetzt worden. Parker wunderte sich schon nicht mehr. Sein wacher Instinkt hatte ihn also doch wieder mal richtig reagieren lassen. Für ihn stand bereits fest, daß der Erblasser wohl kaum wußte, was er da unterschrieben hatte. Er faltete das Testament zusammen, warf einen letzten, prüfenden Blick in das Apartment und schritt dann würdevoll und gemessen zur Tür. Er kümmerte sich nicht weiter um die Männer im Bad und ging davon aus, daß sie sich schon bald in Verbindung setzen würden. Zudem besaß er ihre Namen und Adressen, um von sich aus tätig werden zu können. Parker war gespannt, was eine gewisse Lady Agatha Simpson zu diesem Intermezzo sagen würde. * Sie hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten, war eine stattliche Walküre und strahlte beeindruckende Energie aus. Agatha Simpson, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, lebte seit langer Zeit als Witwe und war immens vermögend. Dennoch rechnete sie mit jedem Penny, galt als exzentrisch und nutzte jede sich bietende Möglichkeit, ins Fettnäpfchen zu treten. Ihre burschikose Offenheit war berüchtigt, nicht weniger ihre Selbsteinschätzung als Kriminalistin von hohen Graden. Nachdem Parker ihr von seinem Besuch in der Senioren Residenz berichtet hatte, wogte ihr nicht unbeträchtlicher Busen. Groll und Vorwurf beherrschten ihre tiefe, tragende Stimme, um die sie ein Berufssoldat beneidet hätte. »Sie haben natürlich wieder mal alles falsch gemacht, Mister 8
Parker«, tadelte sie. »Ihr Leichtsinn kennt wirklich keine Grenzen.« »Mylady sehen meine Wenigkeit zerknirscht«, behauptete der Butler. Sein glattes Gesicht zeigte keine Regung. »Sie hätten die drei Subjekte mitbringen müssen«, entrüstete sich die ältere Dame. »Ich hätte sie einem strengen Verhör unterzogen und den Fall bereits im Ansatz gelöst.« »Mylady gehen auf der anderen Seite natürlich sehr richtig davon aus, daß die erwähnten Personen sich früher oder später freiwillig melden werden.« »Das natürlich auch«, sagte sie schnell. »Ich denke eben an jede Möglichkeit, Mister Parker. Sie haben das Päckchen abgegeben?« »Es wurde Lady Maud zugestellt, Mylady.« Parkers Besuch in der Senioren-Residenz hatte einer weitläufigen Verwandten der Hausherrin gegolten, die jeden Monat mit einem Scheck und einem kleinen Geschenk bedacht wurde. »Wissen diese Lümmel denn wenigstens, wo Sie zu erreichen sind, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha. Sie hatte die weitläufige Verwandte bereits wieder vergessen und dachte an einen möglichen neuen Kriminalfall. »Meine bescheidene Wenigkeit zeigte sich nach dem Intermezzo in Mister Ruthlans Apartment sicherheitshalber noch mal an der Rezeption, Mylady.« »Dann kann ich ja hoffen, Mister Parker. Dieses Testament löst bei mir ein Nachdenken aus.« »Was durchaus zu erwarten war, Mylady.« Parkers Höflichkeit war vorbildlich. »Sollte hier eine Fälschung vorgenommen werden? Wie denke ich darüber, Mister Parker?« »Eine andere Erklärung scheint ausgeschlossen, Mylady. Ein Anwalt namens George Linlay existiert übrigens, wenn man darauf hinweisen darf.« 9
»Und was ist mit diesem Butler, Mister Parker?« »Ein Berufskollege, Mylady, der sich James Hannigan nennt. Sein Name ist im Telefonbuch ebenfalls verzeichnet.« »Und er arbeitete für diesen Senior?« »Ob er in Diensten des Mister Peter Ruthlan stand, Mylady, wird man noch feststellen müssen.« »Verlieren Sie keine Zeit, Mister Parker«, mahnte sie eindringlich. »Ich weiß bereits jetzt, daß ich einer Ungeheuerlichkeit auf der Spur bin.« »Dem sollte man auf keinen Fall widersprechen, Mylady. Meine Wenigkeit wird Ermittlungen in Richtung Mister Ruthlan anstellen.« »Details interessieren mich nicht.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Falls die Lümmel sich nicht bald melden, werde ich von mir aus tätig werden, Mister Parker. Es gilt wieder mal, den Anfängen zu wehren.« Die ältere Dame schien ungewollt das Stichwort geliefert zu haben. Ein hoher Piepton füllte die große Wohnhalle ihres Hauses. Gleichzeitig flammte ein kleines, rotes Signallicht über einem Wandschrank auf, der rechts vom verglasten Vorflur am Eingang angebracht war. »Besuch kündigt sich an, Mylady«, stellte Josuah Parker fest. »Wer wohl schon«, mokierte sie sich umgehend und lächelte boshaft. »Es ist Teezeit, Mister Parker. Der gute McWarden ist gekommen, um sich wieder mal auf meine Kosten zu stärken.« * Parker hatte die hausinterne Fernsehanlage eingeschaltet. Der Monitor im Wandschrank lieferte ein gestochen scharfes Bild und zeigte keineswegs den Mann vom Yard, dessen Erscheinen die ältere Dame prophezeit hatte. 10
Vor der Haustür stand ein Butler, der korrekt, standesgemäß gekleidet war. Er hatte keine Ahnung, daß er sich im Blickfeld einer Fernsehkamera befand, die unter dem Spitzdach des Türvorbaus installiert war. »Darf man sich nach Ihren Wünschen erkundigen?« fragte Parker über die Wechselsprechanlage nach draußen. »Hannigan mein Name«, stellte der Butler sich vor. »James Hannigan. Wäre es möglich, einen Mister Josuah Parker zu sprechen?« Parker wußte mit dem Namen Hannigan inzwischen durchaus etwas anzufangen. Es handelte sich um den Butler, der laut Testament des Mr. Ruthlan das Gesamtvermögen erben sollte. »Treten Sie näher, Mister Hannigan«, bat Parker. Er wußte nicht, ob er es mit jenem Butler zu tun hatte, den er in der Senioren-Residenz nur oberflächlich zu sehen bekam. Parker betätigte den elektrischen Türöffner und ließ den Butler eintreten. Daß der Besucher dabei eine diskret eingebaute Sicherheitsschleuse passierte, merkte der angebliche Mr. James Hannigan natürlich nicht. Sie arbeitete nach dem Prinzip, wie es auf internationalen Flughäfen anzutreffen ist und sprach hier prompt an. Sie meldete, daß der Besucher über mehr als nur Schlüsselbund und Taschenmesser verfügte. Butler Parker hatte sich vor dem verglasten Vorflur aufgebaut und deutete eine knappe Verbeugung an. James Hannigan, der übrigens auch eine schwarze Melone trug, nahm seine Kopfbedeckung ab und näherte sich der Glastür, hinter der der große Wohnraum des altehrwürdigen Hauses zu sehen war. Dabei griff Hannigan in die Wölbung seiner Kopfbedeckung und verriet damit, daß er dort wohl seine Schußwaffe untergebracht hatte. Der Mann beging einen Fehler, als er in die Wohnhalle stürmen wollte. Die Glastür war spaltbreit geöffnet und bildete für ihn kein Hindernis. Er wollte es mit der linken Schulter 11
aufstoßen. Gleichzeitig zog er tatsächlich einen kurzläufigen Revolver aus der Melone und richtete den Lauf auf Parker. James Hannigan erlebte eine peinliche Überraschung. Die nur angelehnte Tür ließ sich nicht weiter öffnen. Sie war fest fixiert und wich um keinen Millimeter. Hannigan erlitt eine Schulterprellung und wurde verunsichert. Dann aber trat er einen halben Schritt zurück und krümmte den Zeigefinger. »Kommen Sie langsam zur Tür«, forderte der Mann sein Gegenüber auf. »Machen Sie schnell, sonst schieße ich.« »Sie würden sich damit Schaden zufügen«, antwortete Josuah Parker in gewohnter höflicher Art. »Meine Wenigkeit sollte Sie darauf verweisen, daß Sie von schußsicherem Glas umgeben sind.« »Bluff«, herrschte Hannigan ihn an. Doch er wirkte weiterhin unsicher und blickte verstohlen um sich. Er fuhr zusammen, als das Klicken der hinter ihm ins Schloß fallenden Tür zu hören war. »Ein Versuch bleibt Ihnen selbstverständlich unbenommen«, erwiderte Parker. »Sind Sie übrigens tatsächlich Mister James Hannigan, der als Butler Mister Ruthlans fungierte?« Der Angesprochene stand inzwischen dicht vor der spaltbreit geöffneten Tür und klopfte mit dem Lauf der Waffe gegen das Glas. »Ich schlage vor, wir reden erst mal miteinander«, sagte er dann. James Hannigan steckte die Waffe weg und versuchte sich an einem dünnen Lächeln. »Darüber wird Mylady befinden«, entgegnete der Butler und blickte auf seine Herrin, die ausgesprochen bühnenwirksam aus dem kleinen Salon trat. »Ich bin jetzt nicht in Stimmung, um mich mit hergelaufenen Subjekten zu unterhalten, Mister Parker«, entschied sie. »Sorgen Sie dafür, daß er meine Augen nicht weiter beleidigt.« 12
»Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker hob die linke Hand, in der sich ein Fernbedienungsgerät befand, wie man es bei modernen Fernsehapparaten verwendet. Er drückte kurz auf einen der vielen Knöpfe und ließ den Besucher verschwinden. Unter dem angeblichen James Hannigan öffnete sich eine zweigeteilte Falltür, worauf der Mann mit überraschtem Aufschrei nach unten fiel. »Und jetzt den Tee bitte, Mister Parker«, wünschte die ältere Dame in einem Ton, als wäre nichts passiert. »Anschließend werde ich eine Ausfahrt unternehmen. Schlagen Sie mir dazu passende Ziele vor, die mich interessieren könnten. Ich will die Dinge endlich in Gang bringen.« * »Bladster… Bladster, Mister Parker?« Die ältere Dame runzelte die Stirn, wie der Butler im Rückspiegel seines hochbeinigen Monstrums deutlich ausmachen konnte. »Und wer sollte das sein?« »Der Auftraggeber jenes Butlers, der als Zeuge in die SeniorenResidenz geschickt wurde, Mylady.« »Mag sein, mag sein«, tat sie den Hinweis ab. »Wahrscheinlich handelt es sich um einen völlig unwichtigen Mann. Warum befasse ich mich nicht mit diesem Anwalt oder dem Pfleger? Sie zäumen das Pferd wieder mal vom Schwanz auf, Mister Parker.« »Die Herren Linlay und Davis dürften bereits mehr als ungeduldig auf Myladys Besuch warten.« »Und Fallen vorbereitet haben«, fuhr sie fort. »Ich werde diese Individuen also erst mal aussparen, Mister Parker.« »Mylady sind in Fragen der Taktik nicht zu übertreffen.« »Das stimmt.« Sie nickte und lächelte wohlwollend. »Ich werde mich also mit diesem Blamster befassen, Mister Parker, wie ich 13
es plante.« »Mister Bladster«, korrigierte Parker diskret. »Wie auch immer.« Sie winkte ungeduldig ab. »Klammern Sie sich nicht immer an Kleinigkeiten, Mister Parker. Werde ich übrigens verfolgt?« »Seit Antritt der Ausfahrt, Mylady«, gab der Butler zurück. »Es handelt sich um zwei Männer, die einen kleinen Renault benutzen.« »Richtig«, erklärte sie umgehend und nickte. »Der Wagen fiel mir sofort auf, Mister Parker.« »Die beiden Männer im Renault dürften auf den vermeintlichen Butler gewartet haben.« »Auf wen denn sonst«, mokierte sie sich. »Er sollte diese Lümmel ins Haus einschleusen. Wer sollte übrigens noch zu seinem Testament gezwungen werden?« »Mister Peter Ruthlan, Mylady. Nach ersten Hinweisen handelt es sich um einen verwitweten Importeur von Gewürzen aller Art. Mister Ruthlan soll ein vermögender Mann sein.« »Hat er Familie? Ich denke da an Verwandte und so, Mister Parker.« »Aus Bankkreisen war zu erfahren, Mylady, daß Mister Ruthlan nur noch einen Neffen hat, der in Kanada lebt.« »Sehr interessant.« Sie räusperte sich explosionsartig. »Und dieser Neffe ist von Ruthland enterbt worden, nicht wahr?« »Darüber war nichts in Erfahrung zu bringen, Mylady. Man versucht, die momentane Adresse des Neffen ausfindig zu machen.« »Er steckt natürlich hinter der ganzen Verschwörung«, erklärte die ältere Dame. »Er will auf Umwegen an das Geld dieses Radbone kommen.« »Mister Peter Ruthlan«, erinnerte Parker erneut diskret. »Das sagte ich doch gerade«, behauptete sie prompt. »Sie müs14
sen genauer hinhören, Mister Parker. Sorgen Sie übrigens dafür, daß ich die beiden Verfolger verhören kann. Sie handeln wahrscheinlich im Auftrag dieses Neffen.« Josuah Parker war auch durch diese kühne Feststellung seiner Herrin nicht zu erschüttern. Lady Agatha legte sich, wenn sie an einem Kriminalfall arbeitete, täglich mehrmals fest und änderte ihre Meinungen quasi am laufenden Band. Parker blickte wieder in den Außenspiegel und beobachtete den kleinen Renault, der seinem Privatwagen hartnäckig folgte. Es wurde tatsächlich Zeit, die Verfolger zu stoppen und zu verhören. Der Butler entschied sich, die beiden Männer in einer nahen Tiefgarage der City zu überlisten. Sie witterten Morgenluft, allerdings nur in übertragenem Sinn, denn es war bereits später Nachmittag. Als Parker sein hochbeiniges Monstrum in die Tiefgarage lenkte, schlossen die Verfolger enger auf. Man hatte ihnen mit Sicherheit nicht gesagt, wer ihre Opfer waren, sonst hätten sie sich wohl vorsichtiger benommen. So aber sahen sie nur zwei ältere Menschen vor sich, denen man nichts zutraute. Für die Kerle war es bereits jetzt eine Kleinigkeit, Mylady und Parker zu überwältigen. Sie entdeckten das hochbeinige Monstrum im untersten Parkdeck und machten dann auch den Butler aus, der seinen Oberkörper in den Fond des ehemaligen Taxis geschoben hatte. Er schien dabei zu sein, der älteren Dame aus dem Wagen zu helfen. Die Verfolger hatten ihren Renault längst verlassen und pirschten sich an ihr vermeintliches Opfer heran. Sie hatten sich mit Kabelenden bewaffnet und betrachteten sich bereits als Sieger. Sie holten weit aus und wollten ihr Opfer niederknüppeln und zusammenschlagen. 15
Doch dazu kam es nicht. Einer der beiden Männer zuckte plötzlich zusammen und wurde für einen Augenblick zu einem ehernen Denkmal. Dann rutschte der Mann in sich zusammen, verlor sein Kabelende und fiel gegen den Partner, der seinerseits überrascht wurde. Bevor der zweite Mann reagieren konnte, verwandelte er sich ebenfalls für eine Sekunde in ein Denkmal, fiel dann nach hinten weg, klatschte gegen einen Betonpfeiler und rutschte an ihm zu Boden. »Sehr schön, Mister Parker«, lobte Lady Agatha. »Sie haben ja tatsächlich getroffen.« Der Butler verbeugte sich dankbar und ließ seine Gabelschleuder wieder in der Innentasche seines schwarzen Covercoats verschwinden. Mit ihr hatte er, treffsicher wie immer, zwei Tonerbsen verschossen und damit die beiden Männer außer Gefecht gesetzt. Er ging um den Fremdwagen herum, der ihm als Deckung gedient hatte und befaßte sich erst mal mit seinem Doppelgänger, dem er im wahrsten Sinn des Wortes die Luft nahm. Parker entsperrte ein kleines Ventil und ließ den aufblasbaren Butler, der sich in den Fond des hochbeinigen Monstrums geschoben hatte, in sich zusammenrutschen. Dann rollte er ohne jede Hast die Gummihülle ein und verstaute sie im Kofferraum. Lady Agatha stand inzwischen vor den beiden auf dem Betonboden liegenden Schlägern und ließ ihren perlenbestickten Pompadour kreisen. Sie wartete eindeutig darauf, ihn einsetzen zu können. In diesem so harmlos aussehenden Handbeutel, der an langen Schnüren an ihrem Handgelenk hing, befand sich der sogenannte Glücksbringer, ein Hufeisen, das von einem stämmigen Brauereipferd stammte. Wenn Lady Agatha damit zulangte, blieb im wahrsten Sinn des Wortes kein Auge trocken. Sie hand16
habte dieses getarnte Schlaginstrument geradezu virtuos und kraftvoll dazu. »Keine Papiere, Mylady«, meldete Parker, der die beiden Männer inzwischen durchsucht hatte. »Meine Wendigkeit kann aber mit zwei Klappmessern und einer Gaspistole dienen.« »Ich werde die Lümmel mitnehmen«, sagte sie. »Später werden sie Farbe bekennen müssen, Mister Parker.« Der Butler war mit diesem Vorhaben durchaus einverstanden. Er ließ die Männer im Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums verschwinden. Bevor er den Deckel schloß, sprühte er sie aus einer Spraydose kurz an. Er verschaffte ihnen auf diese Weise einen Schlaf, der erfahrungsgemäß etwa eine halbe Stunde dauern würde. »Was wollte ich doch noch erledigen?« erkundigte sich die ältere Dame als sie im Fond des Wagens Platz nahm. »Mylady haben die Absicht, Ermittlungen in Richtung eines Mister Bladster anzustellen«, erinnerte der Butler. Natürlich hatte er sich längst das Wagenkennzeichen eingeprägt. Bei Gelegenheit mußte festgestellt werden, wem das Fahrzeug gehörte. Daraus ließen sich womöglich Schlüsse ziehen. »Und wo finde ich den Lümmel, Mister Parker, den Sie gerade erwähnten?« wollte Lady Agatha wissen. »Auskunft dazu könnte man bei einem gewissen Mister Joel Colton einholen«, entgegnete der Butler. »Mister Colton betreibt eine Firma, die geröstete und gesalzene Erdnüsse anbietet.« »Das hört sich doch recht gut an«, freute sie sich umgehend. »Ich gehe doch davon aus, daß er Warenproben anbieten wird, oder?« »Man sollte ihn bei passender Gelegenheit daran erinnern, Mylady«, schlug der Butler vor. »Das werde ich übernehmen, Mister Parker, Sie sind mir in solchen Fällen etwas zu direkt«, behauptete sie. 17
* � Joel Coltons Firma zählte nicht gerade zu den Großunternehmen. Es war im Souterrain eines Wohnblocks untergebracht, der seinerseits im Osten der Stadt, in einer wenig repräsentativen Gegend stand. Joel Colton schien fünfzig zu sein. Er war klein, mager, hatte schnelle, schwarze Augen und erinnerte an ein Wiesel. Als Parker und Lady Agatha den Kundenraum betraten, starrte der Firmeninhaber seine Besucher völlig entgeistert an. »Man erlaubt sich, einen wunderschönen Nachmittag zu wünschen«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone. »Sie, Parker?« fragte Colton gedehnt. »Und Lady Simpson«, fügte der Butler hinzu. »Sie haben vielleicht Nerven«, stellte Colton fest. »Wegen Ihnen war ich um ein Haar im Gefängnis gelandet.« »Es kam in der Tat leider nicht zu einem Schuldspruch«, gab Josuah Parker zurück. »Der Hauptzeuge litt während der Prozeßtage plötzlich an einer starken Einschränkung seines Erinnerungsvermögens.« »War vielleicht sein Glück.« Der Erdnußverteiler grinste wie ein Filmschurke. »Ist er damals etwa unter Druck gesetzt worden?« schaltete Agatha Simpson sich umgehend ein. »Würde ich so was zugeben, Lady?« fragte Colton zurück. »Dieser Zeitpunkt wird noch kommen, mein Bester«, drohte die ältere Dame umgehend. »Was wollen Sie hier?« Colton plusterte sich auf. Er war in seinem Milieu und fühlte sich unangreifbar. Die passionierte Detektivin, die er noch nicht kennengelernt hatte, unterschätzte er völlig. Während seiner Frage war der Erdnußverteiler wie 18
zufällig auf eine nach hinten führende Tür zugegangen und öffnete sie. »Mylady sucht nach einem gewissen Mister Bladster«, beantwortete Parker die Frage. »Mylady geht davon aus, daß Sie behilflich sein können.« »Selbst wenn, aus mir holen Sie nichts raus«, wehrte Colton ab. »Das fehlt ja noch, daß ich ausgerechnet Ihnen einen Tip gebe. Lieber würde ich mir die Zunge abbeißen.« »Wurde ich gerade beleidigt, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson von ihrem Butler wissen. »Noch nicht vollends, Mylady«, besänftigte Parker sie, um sich dann wieder Colton zuzuwenden. »Falls Ihnen ein Mister Bladster bekannt sein sollte, informieren Sie ihn doch bitte dahingehend, daß Mylady sich mit ihm befassen wird.« »Sind Sie hinter ihm her?« Colton wurde neugierig. »Mister Bladster scheint sich nach Lage der Dinge mit Testamenten zu befassen, deren Abfassung zumindest ein wenig irregulär sein dürfte.« »Ich kenne keinen Bladster, Parker. Und jetzt sollten Sie abhauen, bevor ich mich für damals revanchiere.« »Das war eine Drohung«, stellte Lady Agatha zufrieden fest. »Sie merken aber auch alles«, blaffte Colton abfällig und… zeigte eine gewisse Konditionsschwäche, nachdem Agatha Simpson ihn kurz geohrfeigt hatte. Joel Colton stolperte gegen die spaltbreit geöffnete Tür und drückte sie ins Schloß. Bevor er sich wieder aufrichten konnte, erhielt er einen derben Schlag, denn die Tür wurde jäh aufgestoßen. Der Schwung warf ihn gegen die Wand und machte ihn noch kleiner. Colton ächzte und blieb für einen Augenblick wie angeheftet an der Wand stehen. Zwei junge Männer stürmten in den Raum und schwangen 19
Schlaginstrumente. Sie hatten sich mit Stahlruten bewaffnet und gingen davon aus, sie auch anwenden zu können. Doch darin wurden sie jäh enttäuscht. Die ältere Dame hatte ihren Pompadour bereits geschwungen und setzte den Glücksbringer auf die Brustpartie des ersten jungen Mannes. Das Hufeisen tat umgehend seine Wirkung, verformte die Rippen und preßte dem Mann die Luft aus den Lungen. Stöhnend legte sich der Angreifer auf den Erdnußverteiler und verzichtete auf weitere Aktionen. Der zweite Angreifer hatte inzwischen mit seiner Stahlrute die Luft gepeitscht, erhielt aber von Parker einen gezielten Schlag auf die Stirn. Der Butler benutzte dazu den bleigefüllten Bambusgriff seines Schirms. »Es ist im Grunde doch sehr ungehörig, ältere Menschen so brutal anzugreifen«, stellte Lady Agatha fest. »Es handelt sich in der Tat um eine wachsende Verwilderung der Sitten und Manieren, Mylady«, pflichtete Parker seiner Herrin bei. Dann holte er eine Rolle Packband aus der linken Tasche seines schwarzen Covercoats und opferte einige Meter, um die drei Männer an ihren Handgelenken zu verschnüren. * »Dafür werden Sie mir noch büßen«, näselte Joel Colton, dessen Nase sich bei dem jähen Druck gegen die Wand ein wenig verformt hatte. Er war wieder zu sich gekommen und blickte den Butler wütend an. »Wird man draußen auf der Straße seine Schreie hören, Mister Parker«, erkundigte sich Lady Agatha bei ihrem Butler. »Es dürfte sicher von der Intensität dieser Schreie abhängen, Mylady«, antwortete Parker. »Sie werden sehr laut sein«, prophezeite die Detektivin. Sie 20
hatte eine ihrer Hutnadeln aus dem skurrilen Putzmachergebilde gezogen und hielt das bratspießähnliche Instrument unternehmungslustig in der rechten Hand. »Wenn Mylady erlauben, wird man sich nach einem schallsicheren Raum umsehen«, meinte Parker, um sich dann an Colton zu wenden. »Können Sie damit dienen?« »Wieso? Was haben Sie vor?« Colton nuschelte jetzt. »Mylady wird Sie verhören und sich nach einem gewissen Mister Bladster erkundigen«, sagte Parker. »Der Hutnadel sollten Sie übrigens keine besondere Bedeutung beimessen.« »Hutnadel? Hutnadel?« Colton schnaufte und wurde bereits das Opfer seiner Phantasie. »Mylady pflegt eigentlich nie besonders tief zu stechen«, beruhigte Parker den Erdnußverteiler. »In der Vergangenheit kam es nur in vereinzelten Fällen zu Beschädigungen, die man als schwerwiegend einstufen mußte.« »Beschädigungen? Parker, sind Sie wahnsinnig?« »Keineswegs und mitnichten, Mister Colton. Ich darf darauf verweisen, daß meine Wenigkeit in Erster Hilfe ausgebildet ist. Sie sollten sich also keine unnötigen Sorgen machen.« »Genug der Einleitung«, raunzte die ältere Dame dazwischen. »Ich brauche endlich diesen schallsicheren Raum, Mister Parker. Ich habe keine Lust, hier meine Zeit zu vertrödeln.« Der Butler deutete eine Verbeugung an und betrat den Raum, aus dem die Stahlrutenschwinger gekommen waren. Es handelte sich um Coltons Büro, von dem aus man ein kleines Lager erreichte. Auf Wandstellagen häuften sich bereits abgepackte Erdnußtüten und kleine Blechdosen, die mit Salzmandeln gefüllt waren. Im Anschluß an dieses Lager gab es einen weiteren, wesentlich kleineren Raum, der Waschraum und Toilette barg. Ein schmales Fenster führte in einen engen, kaminartigen Lichthof. 21
Als Parker zu Lady Agatha zurückkam, sah er auf den ersten Blick, daß Colton bereits aufgegeben hatte. Er schwitzte, war kreidebleich und hechelte vor Aufregung. »Gut, daß Sie kommen«, schluchzte er dem Butler förmlich entgegen. »Ich hab’ mich erinnert, ich weiß jetzt, wer Bladster ist.« »Sind Sie sicher, Mister Colton?« gab der Butler zurück. »Vollkommen«, erwiderte der Erdnußgroßhändler und warf einen scheuen Blick auf Lady Agatha, die sich freundlich lächelnd zu ihm gebeugt hatte. »Bladster hat drüben in Stepney ein Plattengeschäft.« »Was sollte man sich darunter vorstellen, Mister Colton?« erfragte der Butler. »Er verkauft Schallplatten und so«, fügte Colton hastig hinzu und schielte nach der Hutnadel in Myladys Hand. »Hale Bladster vermittelt hin und wieder auch Tages-Jobs.« »Könnten Sie dies freundlicherweise präzisieren, Mister Colton?« »Bladster kennt eine Menge Leute, die er an Interessenten weiterreicht«, redete Colton sich heraus. »Mehr weiß ich wirklich nicht.« »Die genaue Adresse werden Sie doch sicher auch noch nennen können, Mister Colton.« Parker erhielt sie umgehend und blickte die ältere Dame abwartend an. »Keine weiteren Fragen vorerst«, entschied sie. »Aber ich werde zurückkommen, falls man mich belogen hat.« »Bitte nicht«, schnaufte Colton. »Nur das nicht!« * »Die Jugend von heute«, meinte die ältere Dame abfällig, »hat kein Durchhaltevermögen mehr.« 22
Agatha Simpson saß im Fond des hochbeinigen Wagens und genoß die Fahrt hinauf nach Stepney. »Mylady spielen auf Mister Colton an?« fragte der Butler. »Auf wen sonst, Mister Parker. Als ich ihm die Hutnadel wirklich nur probeweise auf den Unterbauch setzte, geriet er bereits in Panik.« »Mylady sind eben eine vom Realismus geprägte Schauspielerin«, gab der Butler zurück. Er konnte sich gut vorstellen, wie beeindruckend die ältere Dame gewesen sein mußte. »Ich würde doch niemals wirklich zustechen«, fuhr Lady Agatha fort. »Oder doch? Ich weiß es nicht, Mister Parker.« »Mylady müssen Mister Colton sehr nachhaltig beeindruckt haben«, stellte der Butler fest. »Die genannte Adresse wird stimmen.« »Welche Tages-Jobs könnte dieses Subjekt gemeint haben, Mister Parker?« »Mister Bladster dürfte danach Spezialisten für dunkle und illegale Arbeiten vermitteln, Mylady.« »Das dachte ich mir gleich«, erwiderte sie. »Ich werde auch diesem Lümmel das Handwerk legen, Mister Parker. Erinnern Sie mich daran. Wieso will ich mich eigentlich mit dieser Person befassen?« »Als meine Wenigkeit in der Senioren-Residenz erschien, glaubte man, ein Mister Bladster habe mich geschickt, Mylady.« »Wußte ich es doch!« Sie nickte wohlwollend. »Ich wollte es mir nur noch mal bestätigen lassen. Dieser Mann ist der Schlüssel zu meinem neuen Fall.« »Man sollte dies nicht ausschließen, Mylady.« »Selbstverständlich werde ich auch noch dieser Senioren-Residenz einen Besuch abstatten, Mister Parker.« »Schon wegen des Pflegers, Mylady, der an dem Komplott beteiligt gewesen sein muß.« 23
»Wie bereits gesagt, Mister Parker, es war ein Fehler, ihn nicht gleich mitgebracht zu haben. Wie diesen Anwalt übrigens auch. War da nicht noch eine weitere Person?« »Ein etwa Vierzigjähriger, Mylady, der meine Wenigkeit in der Residenz empfing und hinauf in das Apartment des Mister Ruthlan brachte.« »Sie hätten alle diese Subjekte mit in mein Haus bringen müssen, Mister Parker«, tadelte sie weiter. »Man hätte sich auf ein Mißverständnis herausgeredet, Mylady, zumal Mister Ruthlan wohl kaum in der Lage sein wird, Stellung zu seinem Testament zu nehmen. So aber schickte man bereits einen Butler in Myladys Haus und ließ Mylady darüber hinaus von zwei Renault-Benutzern verfolgen. Erst dadurch wurde die kriminelle Verschwörung gegen den Erblasser Ruthlan offenkundig.« »Keine Namen, wenn ich bitten darf«, erwiderte sie grollend. »Ich habe zudem sämtliche Details ohnehin im Kopf, Mister Parker. Werden diese Subjekte aus dem Erdnußgeschäft sich auch nicht vorzeitig befreien können?« »Meine Wenigkeit verwandte eine ganze Rolle Packband Mylady, um sie aneinanderzuheften.« »Nun, man wird sehen. Ich gehe davon aus, daß man mich bereits erwartet, Mister Parker. Dieses Individuum weiß doch schließlich, daß sein Name erwähnt wurde.« »In der Tat, Mylady«, gab der Butler zurück. »Deshalb sollte man vielleicht eine gewisse Vorsicht walten lassen.« »Aber dabei nicht gleich wieder übertreiben«, warnte Lady Agatha umgehend. »Sagen Sie, Mister Parker, wie sind Sie eigentlich an diesen Erdnußlümmel geraten?« »Mister Joel Colton, Mylady, gilt als intimer Kenner der kriminellen Szene. Er handelt, wenn man so will, mit Nachrichten.« »Dann wird er mich sicher ab sofort auch erwähnen«, meinte 24
die ältere Dame. »Etwas Reklame kann ja schließlich nicht schaden.« »Mylady sind längst eine bekannte, aber unberechenbare Größe«, antwortete der Butler. »Das stimmt allerdings.« Selbstzweifel kannte sie nicht. »Und wer mich immer noch nicht kennt, wird mich kennenlernen.« * Das Schallplattengeschäft des Hale Bladster machte einen schlechten Eindruck. Die Eingangstür zwischen den beiden großen Schaufenstern war weit geöffnet. Vorwiegend jugendliche Kunden frequentierten dieses Fachgeschäft, das auch eine Art Treff der Popszene zu sein schien. Auf dem Parkplatz rechts vom Eingang waren viele Motorräder abgestellt. Vor den beiden Schaufenstern standen junge Leute, die rauchten, Bier aus Dosen tranken und offensichtlich bester Laune waren. »Hoffentlich haben Sie bereits Lunte gerochen, Mister Parker«, sagte die ältere Dame, als Parker mit seinem Wagen das Geschäft passierte. »Mylady sind auf Dinge aufmerksam geworden, die meiner Wenigkeit entgangen sind?« erkundigte sich der Butler in gewohnter Höflichkeit. »Und ob, Mister Parker.« Sie nickte wissend. »Die jungen Leute warten doch nur darauf, sich auf mich stürzen zu können. Der Schallplattenlümmel ist gewarnt worden.« »Mylady denken an Mister Joel Colton?« »Ununterbrochen«, behauptete sie. »Dieser Kokosnußverkäufer hat sich längst befreit und hier Alarm geschlagen.« Parker verzichtete auf eine höfliche Korrektur und wies keineswegs auf die Erdnüsse hin, die Joel Colton verkaufte. Daß die 25
jungen Leute vor dem Schallplattengeschäft nur auf Mylady und ihn warteten, konnte er sich kaum vorstellen. »Ich werde mich natürlich nicht abschrecken lassen, Mister Parker«, machte die ältere Dame deutlich. »Kehren Sie um und halten Sie genau vor der Ladentür. Ich werde dieses Geschäft im Sturm nehmen.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parkers Ruhe war unerschütterlich. Er fuhr um den Block, näherte sich erneut dem Schallplattengeschäft und hielt in Höhe der jungen Leute. Als er ausstieg, hörte er anerkennend-spöttische Pfiffe, doch mehr tat sich nicht. Als Mylady ihre beachtliche Körperfülle ins Freie schob, herrschte plötzlich Schweigen. Man war beeindruckt. Agatha Simpson ließ ihren perlenbestickten Pompadour unternehmungslustig kreisen und wartete auf den erhofften Generalangriff, der zu ihrem Leidwesen allerdings ausblieb. Die jungen Leute hatten sich inzwischen wieder gefaßt und amüsierten sich über das skurrile Paar. Lady Simpson schritt energisch zur Ladentür und wartete darauf, beleidigt zu werden. »Ein reines Täuschungsmanöver, Mister Parker«, sagte sie. »Man will mich in Sicherheit wiegen.« Zwei junge Männer, kaum älter als zwanzig, kamen ihr entgegen. Sie trugen Jeans, Lederwesten und Baseballkappen, traten aber höflich zur Seite, als Mylady auftauchte. Sie dachten nicht im Traum daran, sich mit der Dame anzulegen. »Sehr geschickt, Mister Parker«, meinte sie argwöhnisch. »Das alles ist genau einstudiert.« »Möglicherweise haben Mylady es aber auch nur mit guten Manieren zu tun«, wandte Parker ein. Er geleitete seine Herrin in das Plattengeschäft, dessen Angebot beachtlich war. Im Erdgeschoß und in einer Zwischenetage wurde eine Unmenge von Schallplatten aller Art empfohlen. Drei Ladenkas26
sen piepten ununterbrochen und sammelten Geld ein. »Achten Sie auf die lauernden Blicke«, warnte die ältere Dame erneut, als Parker sie zur Information führte, die neben einer breiten Treppe installiert war. »Die jungen Leute werden sich wahrscheinlich fragen, welche Art Popmusik Mylady wohl zu hören pflegen«, übersetzte Parker die erwähnten Blicke, die er keineswegs für lauernd hielt. »Sie sind und bleiben ein ahnungsloser Engel«, mokierte sich Lady Agatha umgehend. »Wie kann man nur so wirklichkeitsfremd sein.« Josuah Parker verzichtete diesmal auf eine Antwort und wandte sich an die junge Verkäuferin, die für Informationen gut war. Er erkundigte sich nach Hale Bladster und nannte Myladys und seinen Namen. »Da haben Sie aber Glück«, antwortete die junge Dame arglos und deutete auf einen Mann, der gerade auf der Treppe erschien. »Mister Bladster macht gerade seinen Rundgang.« Hale Bladster, etwa vierzig Jahre alt, schlank, mittelgroß und wie ein Dressman aussehend, war übrigens nicht allein, wie Parker sofort registrierte. Bladster wurde von zwei wesentlich jüngeren Männern begleitet, die wohl so etwas wie seine Leibwache darstellten. * »Ich glaube, ich habe mal am Rande von Ihnen gehört, Mylady«, sagte Bladster einige Minuten später. Er hatte die passionierte Detektivin und ihren Butler in sein Büro gebeten. Schon allein die Einrichtung machte deutlich, daß Bladster nicht schlecht verdiente. Es gab viel schwarzes Leder, Chrom und Glas. An den Wänden hingen Vergrößerungen von PlattenCovern, die ausnahmslos die Unterschriften bekannter Popstars 27
zeigten. Die jungen Begleiter des Plattenvertreibers standen vorn an der Tür und wirkten auf Parker wie sprungbereite Raubkatzen. Sie ließen Bladster nicht aus den Augen und warteten darauf, etwas für ihr Geld tun zu können. »Viel Zeit für Sie habe ich nicht«, sagte Bladster weiter und blickte sehr deutlich auf seine teure Armbanduhr. »Sie sollten vielleicht endlich zur Sache kommen, Mylady.« »Sie veranlaßten einen Mister James Hannigan, eine sogenannte Senioren-Residenz aufzusuchen«, antwortete der Butler. »Der erwähnte Mister Hannigan, seines Zeichens möglicherweise ein Butler, sollte als Zeuge das Testament eines Mister Ruthlan unterschreiben.« »Was soll der Quatsch?« brauste Hale Bladster umgehend auf. »Ich weiß von keinem Testament, ich weiß nichts von einem Butler. Wie kommen Sie überhaupt dazu, mir mit solchem Unsinn die Zeit zu stehlen?« »Falls Sie mich anpöbeln wollen, mein Bester, dann lassen Sie es mich wissen«, schaltete die ältere Dame sich ein. »Wer pöbelt hier wen an?« Bladster war aufgesprungen und schob einen Stapel Schallplatten in Richtung Schreibtischkante. Sie gerieten aus dem Gleichgewicht, und Parker war so geistesgegenwärtig, einige Platten geschickt aufzufangen. »Vielleicht sollte man sich nicht unnötig echauffieren«, schlug der Butler vor, während er einige Schallplatten aus den Hüllen zog und sie auf seinen Knien deponierte. »Ein Mister Bladster wurde Mylady als derjenige genannt, der den erwähnten Butler in die Senioren-Residenz schickte.« »Ich werde kaum die einzige Person hier in London sein, die Bladster heißt.« Der Schallplattenumsetzer hatte sich schon wieder unter Kontrolle und lächelte überlegen. »Was war denn eigentlich los mit dem Testament?« 28
»Es sollte offensichtlich einem alten Herrn abgeschwatzt werden, der nicht mehr über die volle geistige Leistungsfähigkeit verfügt, Mister Bladster.« »Ein Testamentsschwindel?« »So könnte man es auch ausdrücken.« »Schmeißt Sie raus«, rief Bladster seinen Leibwächtern zu. »Ich werde mir einen solchen Unsinn nicht länger anhören.« Die beiden jungen Terrier machten einen ungemein erleichterten Eindruck. Endlich durften sie etwas für ihren Geldgeber tun. Sie drückten sich von der Wand ab und marschierten auf Lady Simpson und Parker zu. Für sie waren die beiden älteren Menschen kein Problem. Doch sie täuschten sich. Parker schleuderte die erste Platte wie eine Frisbee-Scheibe auf den linken Mann, der gar nicht so schnell reagieren konnte, wie er es sich gewünscht hätte. Die heiße Scheibe wirbelte wie ein schwarzer Blitz durch das Büro und landete auf seiner linken Halsseite. Wie von einem harten Handkantenschlag getroffen, sackte der Mann zusammen und breitete sich auf dem Spannteppich aus. Der zweite Leibwächter wollte nach einer Schußwaffe greifen, Parker wenigstens ging davon aus. Doch die zweite und eine dritte Platte waren bereits unterwegs und näherten sich ihm. Der zweiten Platte konnte der Mann gerade noch ausweichen, doch die dritte Scheibe erreichte ihn. Sie landete an seiner Stirn und fällte ihn. Bladster war sprachlos. Er blickte völlig entgeistert auf seine beiden Leibwächter und wollte dann nach einem Klingelknopf auf dem Schreibtisch greifen. Bladster zuckte wie unter einem Stromschlag zusammen, als dicht neben seiner Hand Myladys Pompadour auf die Schreib29
tischplatte knallte. Papiere wirbelten durch die Luft, Schreibutensilien hüpften ihm förmlich ins Gesicht. »Wagen Sie es ruhig noch mal, mich anzugreifen«, rief Agatha Simpson freundlich. »Sie werden Ihre Hand dann aber eingipsen lassen müssen.« Bladster zeigte kein Interesse daran. * »Das… das ist ungesetzlich«, verwahrte er sich und ließ sich in seinen Schreibtischsessel plumpsen. »Das ist ein Überfall.« »Wem gegenüber wollen Sie das behaupten, Sie Dummkopf?« wollte die ältere Dame wissen. »Der Polizei…« »Lächerlich«, urteilte Lady Agatha genußvoll, »ich bin eine alte hilflose Frau. Und Mister Parker sieht auch nicht gerade wie ein Catcher aus.« »Was wollen Sie eigentlich?« fragte Bladster nervös. »Ich weiß nichts von einem Testament, mein Ehrenwort! Sie verwechseln mich mit einem anderen Bladster.« »Eine Person mit Ihrer negativen Qualität gibt es nur einmal«, antwortete der Butler überaus höflich. »Mylady wünscht zu erfahren, für wen Sie den bereits mehrfach erwähnten Butler in die Senioren-Residenz schickten.« »Ich will umgehend den Namen hören«, warf Agatha Simpson drohend ein. »Ich weiß von nichts«, erklärte Bladster und schielte zu seinen Leibwächtern hinüber. Sie lagen nach wie vor ausgesprochen schlaff und ruhig auf dem Spannteppich und nahmen an der allgemeinen Unterhaltung nicht teil. »Ich werde mich gleich sehr angegriffen fühlen und mich meiner Haut wehren«, kündigte die ältere Dame gefährlich freund30
lich an. »Nach meiner Gegenwehr werden Sie nicht mehr gepflegt aussehen.« »Soll das eine Drohung sein?« fragte Bladster unnötigerweise. »Ein Hinweis«, definierte Josuah Parker. »Am Kern der Aussage ändert dies jedoch nichts, Mister Bladster. Meine Wenigkeit wird Mylady selbstverständlich und pflichtschuldigst zu Hilfe kommen.« »Wissen Sie überhaupt, worauf Sie sich da einlassen?« Bladster plusterte sich auf. »Ich werde eine ganze Kompanie von Spezialisten auf Sie ansetzen! Danach werden Sie dann nicht mehr so gut aussehen. Noch können Sie verschwinden. Dann werde ich die ganze Sache vergessen.« »Einen Augenblick, Mister Bladster, wenn es gefällig ist.« Parker ging zu den beiden Leibwächtern hinüber und klopfte bei ihnen mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines UniversalRegenschirmes kurz an. Daraufhin streckten die Männer wieder ihre Beine aus und glitten zurück in einen tiefen Schlaf. »Das… das glaubt mir kein Mensch«, stieß Bladster hervor, während Parker die Schußwaffen aus den Schulterhalftern der beiden Leibwächter zog. »Sie werden sich gleich noch intensiver wundern, Mister Bladster«, prophezeite der Butler. »Mylady pflegt im Umgang mit Hutnadeln nicht so vorsichtig zu sein wie meine Wenigkeit mit dem Schirmgriff.« Sie hielt bereits eine Hutnadel in der rechten Hand und näherte sich Bladster, auf dessen Stirn Schweißperlen entstanden. Er beugte sich im Sessel weit zurück und hechelte vor Angst. Die Spitze der Hutnadel näherte sich seinem Adamsapfel. »Machen… machen Sie keinen Unsinn, Mylady«, bettelte Bladster. »Bestimmt nicht, junger Mann«, dröhnte es zurück. »Sie sehen ja, wie ich mich zu wehren versuche.« 31
»Mylady befindet sich in einer Situation, die man nur als verzweifelt bezeichnen kann«, erwiderte Josuah Parker. »Mylady hat keine andere Wahl, als die Hutnadel als letzte Waffe einzusetzen.« »Halt… halt«, stöhnte Bladster mit ersterbender Stimme. »Ich werde…« »Myladys Gegenwehr könnte vielleicht für einen Augenblick erlahmen«, schlug Parker vor. »Nun gut, aber nicht gern«, entgegnete Agatha Simpson. »Ich hab’ diesen Butler für einen Melvin Benedict angeheuert«, gestand Bladster. »Der Ihnen sicher nicht unbekannt sein dürfte, Mister Bladster«, sagte Parker. »Ich kenne ihn nicht«, fügte Bladster hastig hinzu. »Er hatte mich angerufen und mir dann so eine Art Vermittlungshonorar zukommen lassen. Dafür habe ich dann einen Butler in die Senioren-Residenz geschickt.« »Ich glaube Ihnen natürlich kein Wort«, meinte die Detektivin. »Und ich fühle mich bereits wieder angegriffen.« »Wie lautet der Name dieses Mannes, der sich als Butler ausgab?« fragte Parker, während Lady Agatha ihre bratspießähnliche Hutnadel wieder vorschob. »Rod Realing«, keuchte Bladster. »Sie veranlaßten Mister Realing, nach Shepherd’s Market zu fahren, um Mylady und meiner Wenigkeit einen Besuch abzustatten?« »Das muß Benedict getan haben, davon weiß ich nichts. Ich habe Realing nur vermittelt. Alles andere interessierte mich dann nicht mehr.« »Zurück zu Mister Benedict«, meinte der Butler, »den Sie ja nicht kennen, Mister Bladster. Einige Angaben zur Person und Adresse wären Ihrer Gesundheit durchaus zuträglich.« 32
»Benedict ist vor ein paar Monaten hier in London aufgetaucht«, lautete Bladsters Antwort. Er schielte intensiv nach der Hutnadel. »Benedict hat vor Jahren schon mal in London gelebt und mit Scheinfirmen sein Geld gemacht. Einzelheiten kenne ich nicht, wirklich. Was er jetzt treibt, weiß ich nicht.« »Seine Adresse«, erinnerte der Butler. »Keinen blassen Schimmer. Ehrlich, er rief mich an. Das war bereits alles.« »Soll ich diesem Subjekt auch nur ein einziges Wort glauben, Mister Parker?« fragte die ältere Dame ihren Butler. »Mylady können jederzeit zurückkommen und Mister Bladster zur Rechenschaft ziehen«, schlug Parker vor. »Nun gut.« Sie nickte. »Falls ich belogen worden sein sollte, werde ich mich noch mal angegriffen fühlen.« »Nein, nein, nur das nicht«, stöhnte Bladster. »Wie war das mit der Kompanie, die Sie auf mich hilflose Frau ansetzen wollen, junger Mann?« begehrte Lady Agatha zu wissen. »Vergessen Sie es«, bat Bladster. »Ich werde mir das noch gründlich überlegen«, erwiderte sie, um dann überraschend zu lächeln. »Sagen Sie, mein Bester, haben Sie nicht leihweise ein paar hübsche Schallplatten für mich. Ich werde sie Ihnen zurückgeben, wenn Sie darauf bestehen.« »Nehmen Sie mit, was Sie wollen, aber gehen Sie«, lautete die entnervte Antwort. »Nur, wenn Sie darauf bestehen, mein Lieber.« Die ältere Dame strahlte und nickte ihrem Butler zu. »Die Freundlichkeit der Mitmenschen ist immer wieder geradezu überwältigend«, urteilte Josuah Parker. »Man wird Ihr Entgegenkommen zu rühmen wissen, Mister Bladster.«
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* � »Schallplatten, geröstete Erdnüsse und gesalzene Mandeln«, sagte Lady Agatha und blickte Kathy Porter und Mike Rander lächelnd an. »Man hat mir das alles förmlich aufgedrängt. War es nicht so, Mister Parker?« »Mylady konnten sich der freundlichen Angebote kaum erwehren«, übertrieb der Butler. »Es war mir schon fast peinlich«, meinte die Hausherrin. Sie befand sich im kleinen Salon und nahm das Dinner ein. Dazu hatte sich ihre Sekretärin und Gesellschafterin Kathy Porter eingefunden, die von Anwalt Mike Rander begleitet wurde. Er glich, was sein Äußeres betraf, einem bekannten James-BondDarsteller, war vierzig Jahre alt und von sportlicher Lässigkeit. Kathy Porter, schlank, langbeinig, eine attraktive Schönheit, mochte über dreißig sein. Man sah ihr nicht an, daß sie Meisterin in den Künsten fernöstlicher Selbstverteidigung war. Sie arbeitete und lebte inzwischen in der Kanzlei und im Haus Mike Randers in der Curzon-Street und wußte nur zu gut, daß Mylady ungeduldig darauf wartete, endlich die Hochzeit mit Mike Rander ausrichten zu können. Parker servierte und reichte Hecht-Klößchen, kleine LammMedaillons, Scheiben einer pikanten Nieren-Pastete, Roastbeef und diverse Salate. Auf der Servier-Anrichte wartete ein Apfelkuchen auf seine Bestimmung. Sahne und Vanillesauce lockten bereits mit ihren Düften. Mylady fand dies alles für geeignet, um Diät zu halten. Sie hatte sich seit Jahren vorgenommen, ihre Körperfülle drastisch zu bekämpfen. »Haben Sie diesen Butler bereits vernommen?« erkundigte sich Mike Rander. Er und Kathy Porter kannten von Parker schon die Vorgeschichte des neuen Falles. 34
»Ich werde ihn mir nach dem Nachtisch vorknöpfen«, ließ die energische Dame sich vernehmen, bevor Parker antworten konnte. »Das gilt auch für die beiden Subjekte, die mich in der Tiefgarage überfallen haben und ermorden wollten.« »Sie lassen bereits nach Melvin Benedict fahnden, Mister Parker?« fragte Kathy Porter. »Mister Pickett ist so freundlich, seine Fühler entsprechend auszustrecken, Miß Porter«, beantwortete der Butler die Frage. »Er konnte sich erfreulicherweise sofort an einen Mister Melvin Benedict erinnern, der tatsächlich vor einigen Jahren auf dem Gebiet des Investment-Schwindels tätig war.« »Wurde dieser Benedict niemals verhaftet und verurteilt?« Rander wehrte ab, als Parker ihn mit einigen Roastbeefscheiben bedenken wollte. Mylady hingegen nickte nachdrücklich, als Parker mit der Platte erschien. »Mister Benedict wurde angeklagt, dann aber freigesprochen«, berichtete der Butler weiter. »Mister Pickett konnte sich recht gut erinnern. Einige Geschädigte zogen wohl aus steuerlichen Gründen ihre Anklagen zurück.« »Sie hatten wohl Angst, nachversteuert zu werden, wie?« Mike Rander lächelte ironisch. »In der Tat, Sir, Mister Benedict wird mit einem beachtlichen Gewinn außer Landes gegangen sein.« »Er wird es bald bedauern, zurückgekommen zu sein«, meinte Agatha Simpson. »Ich werde ihm die Gewinne wieder abjagen. Mister Parker, Sie dürfen mir dazu Ihre Vorstellungen entwickeln.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Josuah Parker verbeugte sich knapp und servierte den inzwischen angewärmten Apfelkuchen. Lady Agatha maß diese Köstlichkeit mit prüfendem Blick. »Eine Kleinigkeit kann ja nicht schaden«, sagte sie dann. »Sie haben an meine Diätsahne gedacht, Mister Parker?« 35
»Selbstverständlich«, lautete Parkers Antwort. »Sie ist ein reiner Schlankmacher, wenn man so sagen darf.« »Man muß sich eben beherrschen können«, vermittelte sie ihren Zuhörern. »Maßlosigkeit zahlt sich niemals aus.« Mike Rander und Kathy Porter nickten ernst und überzeugt, während Mylady nach der Schüssel mit dem Schlankmacher griff und etwas für ihre Linie tat. * Rod Realing, der Butler, der sich Zutritt zu Myladys Haus mit der Waffe hatte erzwingen wollen, sprang von der Bettcouch auf, als Parker die Tür zum Gästezimmer öffnete. »Verdammt, wie lange wollen Sie mich hier noch festhalten?« brüllte er Parker an. Er hatte eine drohende Haltung eingenommen, doch er traute sich nicht, den Butler zu attackieren. Sein Besucher stellte ein Tablett ab und wünschte guten Appetit. »Zum Teufel mit meinem Appetit«, schimpfte Rod Realing. »Wo stecke ich eigentlich?« »Sie haben den Vorzug, sich als Myladys Gast betrachten zu dürfen«, erwiderte Josuah Parker. »An einem gewissen Standard-Komfort dürfte es Ihnen sicher kaum fehlen.« Womit der Butler keineswegs übertrieb. Myladys zweistöckiges Fachwerkhaus in Shepherd’s Market stand auf den labyrinthartigen Gewölben einer ehemaligen Abtei aus dem Mittelalter. Hier unten hatte Parker schon vor Jahren gewisse Gästezimmer ausbauen lassen, die für ganz bestimmte Besucher des Hauses gedacht waren. Natürlich waren diese Räume fensterlos und ausbruchsicher. »Wenn Sie glauben, mich hier mürbe machen zu können, dann sind Sie auf dem Holzweg«, redete der falsche Butler weiter. »Aus mir bekommen Sie nichts ‘raus.« 36
»Dem kann man nur beipflichten, Mister Realing«, entgegnete Parker. »Realing? Sie kennen meinen Namen?« Der Mann war derart verblüfft, daß er gegen seinen Willen nun doch eine erste Auskunft gab. »Mister Rod Realing«, wiederholte Parker den Namen nun vollständig. »Ein gewisser Mister Hale Bladster vermittelte Sie an Mister Melvin Benedict.« »Jetzt… jetzt bin ich aber von den Socken«, reagierte Realing entgeistert. »Man sieht es Ihnen in der Tat an, Mister Realing.« »Wer hat Ihnen diese Namen verraten?« »Wer könnte es Ihrer Ansicht nach gewesen sein, Mister Realing?« »Keinen blassen Schimmer. Und überhaupt, ich kenn’ diese ganzen Namen nicht.« Er wollte sich auf seine Verteidigungslinie zurückziehen, doch er merkte wohl selbst, daß dies bereits sinnlos war und nichts einbrachte. Er ging zum Angriff über, griff blitzschnell nach einer schweren Vase auf einem Beistelltisch und… erlebte eine herbe Enttäuschung. Sie ließ sich nämlich nicht bewegen. »Andere Gäste vor Ihnen, Mister Realing, machten bereits eine entsprechende Erfahrung«, sagte Parker höflich. »Diese Vase ist aus Gründen Ihrer Sicherheit festgeschraubt.« »Meiner… meiner Sicherheit?« Realing kam nicht ganz mit. »Falls Sie meine Wenigkeit angegriffen hätten, Mister Realing, hätten Sie mit gesundheitlichen Schäden rechnen müssen.« »Das wollen wir doch mal sehen!« Rod Realing verzichtete notgedrungen auf die Vase und warf sich mit geballten. Fäusten auf den Butler. Er wollte unter anderem einen Aufwärtshaken und 37
einen Cross anbringen. Er hatte sich dies alles recht lebhaft vorgestellt, doch seine Fäuste knallten nur gegen das schwere Serviertablett aus solidem Eichenholz. Die Knöchel der Hände nahmen dies ausgesprochen übel, knackten mißbilligend und verformten sich leicht. Realing stöhnte und blickte in einer Mischung aus echter Neugier und Verblüffung auf seine Hände, deren Finger er nicht auszustrecken vermochte. »Blinder Eifer schadet nur, wie der Volksmund es so treffend auszudrücken versteht«, meinte der Butler und nahm das Tablett wieder herunter. Er hatte es im entscheidenden Moment angehoben und die ihm zugedachten Schläge geschickt abgeblockt. »Ich hab’ mir ein paar Knöchel gebrochen«, erklärte Realing weinerlich. »Selbst in einem solchen Fall sollten Sie nicht unnötig verzweifeln, Mister Realing«, tröstete Parker den Gast des Hauses. »Mit fachärztlicher Hilfe könnten Sie dann fest rechnen. Meine Wenigkeit möchte allerdings annehmen, daß Sie sich die Finger nur erheblich verstaucht haben.« »Was wollen Sie denn überhaupt noch von mir?« fragte Realing, der auf der Kante seiner Bettcouch Platz genommen hatte und seine Knöchel anblies. »Sie wissen doch schon von Bladster und Benedict. Mehr habe ich nicht auf der Pfanne.« »Es geht um Mister Melvin Benedict«, entgegnete der Butler. »Sie werden sicher sagen können, wo man ihn zu erreichen vermag.« »Den kenne ich doch gar nicht persönlich. Ich sollte mich mit ihm vor einer Senioren-Residenz treffen. Bladster schickte mich da hin. Wirklich, mehr habe ich nicht auf Lager.« »Und wie lautete Ihr Auftrag?« »Da sollte es um ein Testament gehen und um meine Unter38
schrift als Zeuge. Ist so was denn ungesetzlich?« »Darüber wird später zu reden sein, Mister Realing. Sie haben in jüngster Vergangenheit schon häufiger als Zeuge fungiert?« »Niemals, wie kommen Sie denn darauf?« »Für Mister Bladster wurden Sie hingegen schon häufiger tätig?« »Der hat mich zum erstenmal vermittelt, äh, ich meine, der hat mir zum erstenmal einen Job besorgt.« »Sie gehen normalerweise welchem Beruf nach, Mister Realing, um auch dies noch zu klären?« »Ich… ich bin Schauspieler, aber ohne Engagement.« Realing blickte den Butler treuherzig an, spürte dann aber wieder den Schmerz in seinen Knöcheln und stöhnte verhalten. »Sobald Sie meiner Wenigkeit Ihre Adresse genannt haben, können Sie davon ausgehen, Ihr Gastspiel hier beenden zu dürfen, Mister Realing.« Der angeblich stellungslose Schauspieler hatte es sehr eilig, diese Adresse zu nennen. »Eine Überprüfung Ihrer Angaben ist natürlich noch vonnöten«, meinte Josuah Parker, nickte knapp und verließ dann das Gästezimmer. Er hatte den Eindruck, die Wahrheit gehört zu haben. * »Die Kinder sind bereits gegangen«, sagte Lady Agatha, als Parker wieder in der großen Wohnhalle des Hauses erschien. »Mister Rander wird sich um diesen alten Mann kümmern, dessen Testament gefälscht werden sollte.« »Um Mister Peter Ruthlan«, erinnerte der Butler. »Sagte ich das nicht gerade?« Sie winkte ab. »Wie auch immer, Mister Parker. Mister Rander und Kathy werden feststellen, was 39
mit dem alten Mann los ist.« »Ein Vorhaben, das man wirklich nur begrüßen kann, Mylady.« »Und was ist mit den beiden Subjekten aus dem Kofferraum, Mister Parker? Wollte ich sie nicht verhören?« »Meine Wenigkeit unterzog sich bereits dieser Mühe, Mylady. Die beiden Renaultbenutzer sagten aus, ein Mister Miller habe sie beauftragt, Mylady und meine Wenigkeit zu verfolgen.« »Und so etwas glauben Sie?« spottete Agatha Simpson umgehend. »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, gab der Butler zurück. »Die beiden Renaultfahrer dürften ebenfalls für den bereits erwähnten Mister Benedict tätig geworden sein.« »Der nur nicht seinen Namen nannte.« Sie nickte wissend. »Davon sollte man ausgehen, Mylady. Die beiden jungen Männer könnte man vielleicht im Schutz der Nacht irgendwo in der Stadt aussetzen. Sie sind nicht weiter von Belang.« »Aber sie brauchen unbedingt einen Denkzettel«, verlangte Lady Simpson. »Immerhin wollten sie mich doch ermorden oder so.« »Haben Mylady spezielle Wünsche?« »Sie brauchen zumindest eine Tracht Prügel«, meinte sie boshaft. »Sie wissen ja, Mister Parker, ich kann zwar nicht vergessen, aber dafür verzeihe ich auch niemals.« »Myladys Vorstellungen wird man ohne weiteres in die Tat umsetzen können«, wußte Josuah Parker. »Es gibt Personen in der Stadt, für die ein Wagen mehr wert ist als ein Menschenleben.« »Ich lasse mich überraschen.« Sie blickte auf die Standuhr. »Und was werde ich jetzt unternehmen? Im Fernsehen ist nichts, aber auch wirklich gar nichts, was mich interessieren könnte.« »Die Wirklichkeit, Mylady, pflegt bessere Drehbücher zu 40
schreiben als erfindungsreiche Autoren. Könnten Mylady sich mit dem Gedanken anfreunden, dem Stadtteil Soho einen Besuch abzustatten?« »Jederzeit, Mister Parker. Und was erwartet mich dort?« Sie zeigte Freude. »Mylady werden auf einen Mister Edwards stoßen, der sich mit Vorliebe in geldträchtige Geschäfte einschaltet und andere Personen die Beute abzujagen pflegt.« »Edwards«, wiederholte sie erstaunlicherweise völlig richtig. »Ein Gauner also?« »Man pflegt mit Dan Edwards abfällig, allerdings nur hinter vorgehaltener Hand, einen Aasfresser zu nennen.« »Er wird doch sicher einen Beruf vortäuschen, Mister Parker.« »Mister Dan Edwards, Mylady, vermittelt Kleinkredite an Wetter.« »Dann werde ich ihn wohl um einen Kredit bitten«, meinte sie begeistert. »Worauf warte ich eigentlich noch?« Josuah Parker kam nicht mehr dazu, Mylady zu antworten. Die Warnanlage am Gittertor des Grundstücks meldete sich durch einen hohen Piepton. Der Butler schritt zum Wandschrank und schaltete die hausinterne Fernsehanlage ein. Gestochen scharf war das Bild auf dem Monitor. Es zeigte einen jungen Mann, der das geöffnete Tor auf einem Motorroller passierte und in schnellem Tempo auf die Haustür zuhielt. Er trug eine Jeanshose und einen bunten Pullover. Sein Gesicht wurde vom Visier eines Sturzhelms verdeckt. Der junge Mann kurvte elegant zur Haustür, stieg ohne jede Hast vom Roller, warf einen Brief in den seitlich angebrachten Kasten und entfernte sich wieder. »Natürlich eine Briefbombe«, wußte sie im vorhinein, nachdem Parker seine Herrin kurz informiert hatte. »Man will sich an mir rächen.« 41
»Man sollte in der Tat eine gewisse Vorsicht walten lassen«, antwortete Parker. Er öffnete die Sicherheitsschleuse des Briefkastens und zog eine Art Schublade herein ins Haus. Mit spitzen Fingern hob er den Brief an, der keineswegs nach einer Bombe aussah. Es handelte sich um einen normalen Umschlag, in dem nur ein dünnes Blatt Papier sein konnte. Der Butler schaltete eine Lampe neben dem Wandschrank ein, hielt den Briefumschlag gegen das Licht und sah ohne Schwierigkeiten, daß ein schmaler Briefbogen auf ihn wartete. »Eine Sprengladung, nicht wahr?« erkundigte sich Lady Simpson. »Ich habe so etwas schon in einem Kriminalfilm gesehen.« »In diesem Fall scheint es sich wirklich nur um ein Schreiben zu handeln, Mylady.« »Dann wird der Brief vergiftet sein. Ich habe auch so etwas schon mal im Kino gesehen, Mister Parker.« »Parker holte ein kleines Federmesser aus einer seiner vielen Westentaschen, schlitzte den Umschlag auf und roch hinein.« »Kontaktgift«, wußte die ältere Dame. »Vielleicht in einem der nächsten Briefe, Mylady.« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte den Brief inzwischen herausgenommen und überlas die wenigen Worte, die ihm zugedacht waren. »Nun, was schreibt man mir?« fragte Agatha Simpson leicht verärgert. »Mylady und meine bescheidene Wenigkeit werden darauf hingewiesen, daß man es ab sofort mit einer sogenannten MordAG zu tun hat«, lautete die Antwort des Butlers. »Man gibt den Rat, sich eine Grabstelle zu kaufen.« * Dan Edwards, den Eingeweihte einen Aasfresser nannten, war
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klein, schlank und etwa fünfundvierzig Jahre alt. Er wirkte wie eine unter starker Spannung stehende Feder, saß in einer Nische weit hinten am Ende des langen Tresens und führte das große Wort. In seiner Begleitung befanden sich vier Männer, die durchweg einen harten Eindruck machten. Sie hingen an Edwards Lippen, lachten pflichtschuldigst und schienen servil zu sein. Es war eindeutig, daß sie von dem sogenannten Aasfresser bezahlt wurden. Lady Agathas Erscheinen in dieser Billard-Kneipe erregte natürlich Aufsehen. Die ältere Dame bahnte sich ihren Weg durch die Menge vorn am Tresen und steuerte auf die Nische zu. Parker hatte sie bereits auf den Gangster aufmerksam gemacht. Er folgte seiner Herrin dichtauf und überhörte in gewohnter Souveränität die obligaten spöttischen Bemerkungen, die seiner Person galten. Am Tresen standen einige große, stämmige Männer in schwarzer Lederkleidung, die mit glänzenden Nieten übersäht war. Die noch recht jungen, aber schlagkräftig aussehenden Kerle zeigten ein übertrieben höfliches Benehmen. Sie wichen gespielt respektvoll zur Seite, als die majestätische Gestalt der Lady Simpson vor ihnen erschien. Sie versprachen sich einen Spaß, wußten aber wohl noch nicht, wie sie ihn aufziehen sollten. Butler Parker machte sich auf Zwischenfälle gefaßt. Er hatte vor Antritt der Ausfahrt schon Vorsorge getroffen und verfügte in seinen diversen Taschen über spezielle Nahkampfmittel. »Is’ was, Lady?« fragte Dan Edwards. Agatha Simpson hatte die Nische erreicht, ihre Stilbrille aufgeklappt und musterte den Gangster durch ihre Lorgnette. »Sie sind dieser…?« »… Edwards«, stellte der Mann sich vor, den man in Fachkreisen den Aasfresser nannte. 43
»Aha, Sie also sind das«, redete die Detektivin weiter. »Man nennt Sie den Aasgeier, wenn ich nicht sehr irre.« »Den Aasfresser, Mylady«, korrigierte Parker höflich. Edwards sprang auf. Sein Gesicht verzerrte sich, seine Augen sprühten. Er war zutiefst beleidigt worden, wie deutlich zu erkennen war. »Wären Sie ‘n Mann, Lady, Sie würden jetzt am Boden liegen«, fauchte er. »Ob Aasgeier oder Aasfresser, junger Mann, was macht das schon für einen Unterschied?« gab Agatha Simpson zurück. Ein Gefühl für Gefahr war ihr fremd. Sie konnte es sich nicht vorstellen, daß ihr etwas passieren würde. »Mylady zitiert Spitznamen, die in der Szene Sie betreffen, Mister Edwards«, schaltete der Butler sich ein. »Sie dürften Ihnen mit Sicherheit nicht völlig unbekannt sein.« Die vier Mitsitzer am Tisch standen langsam auf und nahmen Position ein. In der Kneipe war es plötzlich sehr still. Nur vom angrenzenden Billardraum her war das sanfte Klicken der Kugeln zu vernehmen. Die Männer in Lederkleidung lösten sich vom Tresen und kamen auf den leisen Sohlen ihrer Tennisschuhe näher. Die Atmosphäre hatte sich in Sekundenschnelle elektrisch aufgeladen. »Wollen Sie einer Dame nicht endlich Platz anbieten?« grollte Lady Agatha. »Schmeißt Sie ‘raus, Jungens«, forderte Edwards von seinen Begleitern, »und mischt sie ordentlich auf.« Die vier Kerle grinsten dümmlich und wollten zur Sache kommen. Josuah Parker hielt bereits seine kleine Spraydose in der linken Hand und machte sich bereit, für dämpfenden Nebel zu sorgen, doch es kam völlig anders. 44
* � Die Rockertypen vom Tresen erschienen seitlich neben Lady Simpson und machten sich bereit. Einer von ihnen, wahrscheinlich der Anführer, nickte der älteren Dame beruhigend zu. »Keine Angst, Lady«, sagte er dann mit heiserer Stimme. »Dir passiert überhaupt nichts.« »Haut ab«, blaffte Edwards die jungen Männer an. »Und zwar plötzlich«, fügte einer der vier Edwards-Begleiter drohend hinzu. »Hier wird sich nicht an zwei alten Leuten vergriffen«, machte der Lederkleiderträger deutlich. »Is’ doch klar, daß die ahnungslos sind, oder?« »Ihr Einsatz für Mylady und meine Wenigkeit ist geradezu bemerkenswert«, ließ Parker sich vernehmen. »Schon gut, Alter«, erwiderte der junge Mann. »Macht mal ‘n bißchen Platz. Hier wird’s gleich heiß werden.« »Sie haben die Absicht, sich wegen Mylady und meiner Wenigkeit zu schlagen?« Zu einer Antwort kam es nicht mehr. Edwards Begleiter warfen sich förmlich über den kleinen, runden Tisch und griffen die drei Rocker an. I Mylady, die ihren Pompadour bereits in Pendelbewegung gebracht hatte, wurde von Parker diskret zur Seite dirigiert. Was nun folgte, war durchaus sehenswert. Die drei Träger von Lederkleidung legten sich mit den vier Edwards – Abhängigen an. Die Fetzen flogen im wahrsten Sinn des Wortes. Man schenkte sich durchaus nichts. Die übrigen Gäste der Kneipe hatten eine Art Halbkreis gebildet und schlossen Wetten ab. Der Faustkampf dauerte nicht lange. Die Gangster-Vertreter 45
hatten bald herausgefunden, daß sie gegen die Kraft der Rockertypen nichts auszurichten vermochten. Einer von Edwards Begleitern zog plötzlich ein Messer, ließ es hochklappen und wollte zustechen. Doch damit war der Butler keineswegs einverstanden. »Mit Ihrer gütigen Erlaubnis«, sagte Parker und… langte mit dem bleigefüllten Bambusgriff seines Schirmes gezielt zu. Er schlug dem potentiellen Messerstecher die Waffe aus der Hand. Sie segelte durch die Luft, landete auf dem Tresen und wurde von einem der beiden Barkeeper geborgen und in Verwahr genommen. Ein zweiter Gangster versuchte es ebenfalls mit einem Messer. Es gelang ihm, die Lederweste eines jungen Mannes aufzuschlitzen. Bevor der Gangster-Begleiter erneut zustechen konnte, landete die ältere Dame ihren Pompadour auf dessen Kopf. Der perlenbestickte Handbeutel, der an langen Lederschnüren hing, war eine vernichtende Waffe. Der Getroffene sackte kommentarlos zusammen und fiel über Edwards, der gerade nach einem Notausgang suchte. Der Rest war schnell getan. Die jungen Rocker, die sich so selbstlos für Mylady und Parker eingesetzt hatten, brauchten nur noch wenige Augenblicke, bis sie ihre Gegner zu Boden geschickt hatten. Anschließend wollten sie sich mit Edwards befassen. »Vielleicht später, meine Herren«, schlug Parker ruhig und würdevoll vor. »Mister Edwards wird vorerst noch gebraucht, wenn meine Wenigkeit es mal so ausdrücken darf.« Die drei atemlosen Rocker grinsten amüsiert und zogen den sogenannten Aasfresser aus der kleinen, engen Fensternische, in der er Deckung genommen hatte. »Leute, ihr seid einfach Spitze«, sagte der Wortführer. »Sie werden sicher Unkosten haben, was Ihre Lederkleidung 46
betrifft«, stellte Parker fest und deutete auf die aufgeschlitzte Weste. »Mister Edwards wird sicher so großzügig sein, für diesen Schaden aufzukommen.« »Oder etwa nicht?« fragte Lady Agatha mit grollendem Unterton. »Na… natürlich«, stotterte Edwards verhalten. »Dann will ich endlich Bargeld sehen«, verlangte die ältere Dame. »Sputen Sie sich gefälligst!« Edwards holte mit zitternder Hand seine Brieftasche hervor und legte einige Pfundnoten auf den Tisch. »Das ist das Schmerzensgeld«, entschied Agatha Simpson genußvoll. »Und jetzt möchte ich das Geld für eine neue Lederweste sehen.« Edwards legte weitere Banknoten auf den Tisch. Er schwitzte dabei beträchtlich und blickte immer wieder verstohlen auf seine vier Begleiter, die sich stöhnend aufrichteten. »Das reicht«, sagte der geschädigte Rocker. »Aber nicht für eine Lokalrunde«, entgegnete die energische Lady und hob ihre nicht gerade kleine Stimme deutlich. »Sie alle, meine Herren, wurden gerade eingeladen, nach Herzenslust zu trinken.« Der Lärm war beträchtlich, der aufbrandete. »Wo sollen wir Ihnen den Aasfresser servieren?« erkundigte sich der Wortführer bei Mylady. »Könnten Sie vielleicht mit einem kleinen Nebenraum dienen?« fragte Parker. »So was gibt’s hier«, lautete die Antwort. »Ich glaub’, Sie kommen mit ihm allein zurecht, oder?« »Falls Sie gebraucht werden sollten, meine Herren, wird meine Wenigkeit es Sie wissen lassen«, gab Butler Parker zurück. Er lüftete höflich die schwarze Melone und trat zur Seite, damit die Rocker den Aasfresser in einen Nebenraum schaffen konnten. 47
»Ließe es sich noch zusätzlich einrichten, die vier Männer so zu verwahren, daß Sie später nicht unangenehm werden können?« bat der Butler anschließend. »Kein Problem«, lautete die Antwort. »Machen Sie sich nur keine Sorgen. Das heißt, Alter, machen Sie sich überhaupt Sorgen?« »Zumindest keine unnötigen«, erwiderte Josuah Parker. »Ihr seid Spitze«, lobte der Rocker sie. »Wenn ich das erzähle, glaubt mir kein Mensch.« »Sie sind ein netter Kerl«, schaltete Agatha Simpson sich ein und stieß ihn burschikos an. Sie traf die kurzen Rippen an der linken Brustseite und sorgte dafür, daß der junge Mann hüstelte und nach Luft schnappte. Es zahlt sich wieder mal aus, daß sie erfolglos, aber mit großer Begeisterung den Sportbogen schoß und Golf spielte. Die Muskulatur der älteren Dame war wirklich nicht unterentwickelt. * »Was wollen Sie von mir?« fragte Edwards ängstlich. Er war von den drei jungen Männern in einen alten Sessel gedrückt worden und blickte die ältere Dame an, die sich vor ihm aufgebaut hatte. »Sie werden jetzt meine Fragen beantworten, die Mister Parker Ihnen stellen wird«, kündigte sie an. »Falls nicht, junger Mann, werden Sie mich kennenlernen.« »Es geht um eine Mord-AG, wie sie sich nennt«, begann Parker in seiner höflich-zurückhaltenden Art. »In diesem Zusammenhang sollte man den Namen eines Mister Melvin Benedict erwähnen.« »Mord-AG? Nie von gehört.« Edwards schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Sie machen mich bereits sehr ärgerlich«, sagte die Detektivin. 48
»Von ‘ner Mord-AG habe ich noch nie gehört«, beteuerte Edwards erneut. »Aber diesen Benedict hab’ ich mal gekannt, der ist aber schon lange aus der Stadt.« »Und vor einigen Monaten zurückgekehrt«, warf Josuah Parker ein. »Dies dürfte Ihnen ja längst bekannt sein.« »Was ist denn mit Benedict?« Edwards’ Gesicht nahm einen schlauen Ausdruck an. »Mister Benedict scheint dabeizusein, wieder mal abzukassieren, wie es in Ihren Kreisen wohl zu heißen pflegt«, fuhr Parker fort. »Mister Benedict dürfte ein neues Verfahren dazu entwickelt haben.« »Okay, ich weiß, daß er wieder hier ist«, räumte Edwards ein. »Und was hat er aufgezogen? Wer sind Sie eigentlich?« »Lady Simpson… Josuah Parker«, stellte der Butler vor. »Ach die?!« Edwards Stimme klang gedehnt. »Die, junger Mann!« Agatha Simpson beugte sich vor. »Wo finde ich diesen Lümmel, den Mister Parker gerade nannte?« »Ich habe keine Ahnung, Lady«, erklärte der Gangster noch mal. »Und er hat diese Mord-AG aufgezogen?« »Vieles spricht dafür, Mister Edwards«, entgegnete der Butler. »Mister Benedict könnte sich aber auch auf Testamentsschwindel spezialisiert haben.« »Das trau’ ich ihm glatt zu.« Edwards grinste plötzlich. »Und nach welcher Methode würde er in solch einem Fall vorgehen, Mister Edwards?« »Das weiß doch ich nicht.« Dan Edwards zuckte zusammen, als Agatha Simpson sich explosionsartig räusperte. »Moment, Lady, Moment«, fügte er hastig hinzu. »Ich hab’ gerade nachgedacht.« »Was Ihr Glück ist, junger Mann.« Sie lächelte gefährlich freundlich. »Benedict könnte Testamente fälschen, zugunsten von 49
bestimmten Personen. Nur so als Beispiel, verstehen Sie?« »Sie denken sicher aber auch noch an andere Möglichkeiten, Mister Edwards«, stieß der Butler nach. »Er könnte aber auch Leute dazu bringen, Testamente abzufassen, ich meine, so unter Druck.« »Testamente könnte man danach jederzeit wieder ändern«, wandte der Butler ein. Er hatte zwar bereits verstanden, doch er wollte von Edwards hören, welche Möglichkeiten es gab, um solche Neufassungen zu verhindern. »Ich hab’ schon mal gehört, daß die Leute, die Testamente geschrieben haben, plötzlich weg waren. Ich meine, daß sie… starben.« Edwards war vorsichtig geworden. »Diese Leute wurden umgebracht?« sprach Parker im Klartext. »So ungefähr«, antwortete der Gangster. »Passiert doch immer, machen oft sogar Angehörige.« »Mord, junger Mann?« fragte die ältere Dame, die es genau wissen wollte. »Mord«, bestätigte Edwards. »So was kommt in den besten Familien vor.« »Das war es bereits, Mister Edwards«, sagte Parker. »Sie haben Mylady einen großen Dienst erwiesen, aber Sie sollten dieses Gespräch hier nicht unnötig publik machen.« »Ich werde mich hüten«, erwiderte der Gangster, in dem es bereits arbeitete. Parker war es gelungen, die Phantasie des Aasfressers anzuheizen. Mehr hatte er nicht gewollt. Ein Mann wie Edwards witterte jetzt ein Geschäft und würde zum Selbstläufer werden. Edwards würde nun Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um Benedict aufzuspüren, falls er nicht sogar bereits wußte, wo dieser Mann zu finden war. Man brauchte Edwards also nur noch diskret überwachen zu lassen. »Sie haben Glück gehabt, junger Mann«, sagte die Detektivin 50
zum Abschied. »Um ein Haar wäre ich ärgerlich geworden.« »Ich hab’ schon viel von Ihnen gehört«, antwortete Edwards, der einen erleichterten Eindruck machte, »aber bisher hab’ ich nichts davon geglaubt.« »Keine Schmeicheleien, junger Mann«, fuhr die ältere Dame ihn sofort an. »Wir werden jetzt ins Lokal zurückgehen. Und dann möchte ich sehen, wie Sie die Zeche bezahlen. Bei mir wird sich nicht gedrückt!« Edwards seufzte vernehmlich. * Chief-Superintendent McWarden, um die fünfundfünfzig Jahre alt, leitete im Yard ein Sonderdezernat, das sich mit der Bekämpfung des organisierten Verbrechens befaßte. Der untersetzte, füllige Mann erinnerte an einen stets leicht gereizten Bull-Terrier. Seine leicht hervorstehenden Basedow-Augen unterstrichen diesen Eindruck zusätzlich. Der Chief-Superintendent, ein hervorragender Kriminalist, war ein langjähriger Freund des Hauses und schätzte vor allen Dingen die diversen Fähigkeiten des Butlers. Insgeheim verehrte er aber auch Lady Simpson, die er um ihre Ungeniertheit beneidete. McWarden nahm es duldend in Kauf, daß die ältere Dame sich liebend gern an ihm rieb. Sie nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um ihm kleine und gezielte Bosheiten zu servieren. An diesem Morgen erschien er natürlich wieder mal pünktlich zur Frühstückszeit. Er kannte die schottische Sparsamkeit der Hausherrin, die ihrer Meinung nach unnötige Ausgaben haßte. Sie blickte ihn leicht gereizt an, als er sie begrüßte. »Ich weiß, daß Sie bereits gefrühstückt haben, McWarden«, meinte sie. »Deshalb biete ich Ihnen gar nicht erst etwas an. Sie werden 51
ohnehin zu dick.« »Gegen eine Tasse Kaffee wäre nichts einzuwenden«, erwiderte McWarden lächelnd. »Herzlichen Dank für die Einladung.« Agatha Simpson warf einen kontrollierenden Blick auf die Bestandteile ihres Frühstücks, das Parker serviert hatte. Sie hatte sich natürlich strenge Diät ausgebeten und nahm nur wenig Rührei mit kroß gebratenem Schinkenspeck, etwas Räucherfisch, einige Scheiben diverser Wurst, gebackene Nierchen, Käse und für den Abschluß einige Marmeladen. Dazu verspeiste sie kontinental gebackene Brötchen, die unter ihren echten Zähnen knusprig knackten und trank einen Kaffee, wie sie ihn in Österreich kennengelernt hatte. »Ich kann nicht lange bleiben«, schickte McWarden leichtsinnigerweise voraus. »Wie schön«, freute sich die ältere Dame ungeniert. »Ich denke, Mylady, Sie sollten nur wissen, daß meine Kollegen in der vergangenen Nacht zwei kleine Gauner festnahmen, die nach Strich und Faden verprügelt worden waren.« »Eine umwerfende Nachricht, mein lieber McWarden«, spottete Agatha Simpson genußvoll. »Sie sollen einen teuren Bentley völlig zerkratzt haben, und zwar mit den Nägeln«, redete der Chief-Superintendent weiter. »Das Fahrzeug stand vor einem Nachtclub, der einem Boß der Unterwelt gehört.« »Das Vorgehen dieser beiden Täter kann man nur als ausgesprochen leichtsinnig bewerten, Sir«, ließ Josuah Parker sich vernehmen. »Sie waren ziemlich angetrunken, aber sie konnten später auf dem Revier doch noch Ihren Namen nennen, Mister Parker.« »Und in welch einem Zusammenhang, Sir, wenn man fragen darf?« 52
»Die beiden jungen Männer behaupteten, Sie hatten sie in einem Zimmer festgehalten.« »Hoffentlich glauben Sie von diesem Humbug kein Wort, McWarden«, schnappte die Detektivin zu. »Natürlich nicht, Mylady.« McWarden lächelte wissend. »Erstaunlich, was so alles geredet wird, nicht wahr?« »Darf man sich nach dem Befinden der beiden erwähnten Männer erkundigen, Sir?« »Wie gesagt, sie wurden verprügelt und werden nach ihrer Ausnüchterung bestimmt einen Dentisten aufsuchen müssen. Die Kerle sind uns übrigens bekannt. Sie sind Schläger, die mehrfach unter Anklage standen, denen man jedoch im Endeffekt nichts nachweisen konnte. Sie wurden in allen Fällen freigesprochen.« »Gehören die erwähnten Männer einer Organisation an, Sir?« »Nein, nein, sie sind freischaffend.« Der Chief-Superintendent lächelte ironisch. »Vorerst werden sie allerdings kaum tätig werden können. Wie gesagt, man hat sie ziemlich herb verprügelt. Der Besitzer des Bentley war nachtragend.« »Es gibt eben doch noch die ausgleichende Gerechtigkeit«, stellte die ältere Dame zufrieden fest und nickte ihrem Butler unverhohlen zu. McWarden bekam dieses Nicken mit, doch er ging nicht näher darauf ein. Ihm war ohnehin klar, aufweiche Weise die Ganoven an den Bentley geraten waren. »Sie arbeiten momentan an einem Fall?« fragte er beiläufig. »Tue ich das, Mister Parker?« Lady Agatha sah ihren Butler abwartend an. »Mylady studieren die kriminelle Szene«, antwortete der Butler. »Ich will bestimmt nicht neugierig sein«, behauptete der ChiefSuperintendent. »Das ehrt Sie, mein Lieber.« Die ältere Dame genoß ihren Tri53
umph. »Falls Sie aber irgendwelche Hinweise brauchten, stehe ich im Rahmen meiner Dienstvorschriften zur Verfügung, Mylady.« »Völlig selbstlos, nicht wahr?« stichelte sie umgehend. »Natürlich, Mylady. Sie sollten vielleicht noch wissen, daß man die beiden festgenommenen Bentley-Kratzer mieten kann. Es sind harte, ganz sicher nicht ungefährliche Schläger.« »Ich verstehe noch immer nicht, von wem die beiden Kerle so behandelt wurden, mein lieber McWarden«, tat die ältere Dame ahnungslos. »Das sollten Sie mir vielleicht noch erklären.« »Das waren die Freunde dieses Bosses, dem der Bentley gehört«, erläuterte McWarden. »Wahrscheinlich, so stelle ich mir es jedenfalls vor, wurden sie telefonisch alarmiert. Meine Kollegen übrigens auch, Mylady, sonst wären sie ganz sicher nicht rechtzeitig am Tatort erschienen.« »Noch etwas Kaffee, Sir?« fragte Parker. »Denken Sie an Ihr Herz, McWarden«, warnte die Hausherrin eindringlich. »Ich muß gehen«, sagte der Chief-Superintendent. »Und noch mal vielen Dank für die beiden Schläger, Mylady.« »Ich weiß wirklich nicht, McWarden, wovon Sie eigentlich reden«, gab die Detektivin süffisant zurück. »Ich fürchte, Sie reden sich da wieder mal etwas ein.« * Rod Realing, der Schauspieler, der sich als Butler im Vorflur des Hauses der Lady Simpson vorgestellt hatte, wohnte laut eigener Aussage im Osten der Stadt in einem kleinen Apartment. Das Gebäude, in dem diese Wohnung sich befand, war ein altes Hotel aus den Gründerjahren, das man umgebaut hatte. Es machte einen heruntergekommenen Eindruck und sah nicht 54
gerade einladend aus. Dieser angebliche Schauspieler hatte im Vorflur immerhin eine Schußwaffe gezogen und die Absicht gehabt, auf den Butler zu schießen. Seinen Angaben war also nicht zu trauen. Realing mußte ein Mann sein, dem es auf einen gezielten Schuß nicht ankam. »Man sollte eine gewisse Vorsicht walten lassen, Mylady«, schlug Josuah Parker vor, als man den Wohnblock passierte. »Mister Benedict und auch Mister Bladster dürften inzwischen längst wissen, daß sein Auftritt in Myladys Haus nicht gerade glanzvoll war.« »Ich rechne selbstverständlich mit einer Falle«, meinte die Detektivin und nickte zustimmend. »Man wird mich in seinem Apartment bereits ungeduldig erwarten.« »Oder bereits vor dem ehemaligen Hotel, Mylady«, erwähnte der Butler. »Gegen einen gezielten Schuß aus dem Hinterhalt gibt es keine Abwehr, Mylady.« »Dann schalten Sie gefälligst diesen heimtückischen Schützen aus, Mister Parker«, verlangte sie nachdrücklich. »Ich kann ja nicht alles allein machen.« Josuah Parker war bereits in die nächste, schmale Querstraße eingebogen und hielt. Er stieg aus und ging zurück zur Straßenecke. Von hier aus beobachtete er die Häuserzeile, die dem ehemaligen Hotel gegenüberlag. Er versetzte sich in die Rolle eines Schützen und fragte sich, wo er dann seinen Standort einnehmen würde. Parker entschied sich für ein schmalbrüstiges Haus, in dem einige Büros und Läden untergebracht waren. Die Haustür war weit geöffnet, um den Zutritt zu den verschiedenen Büros reibungslos abwickeln zu können. Jedermann konnte also dieses Haus betreten und irgendwo geschickt Position beziehen. Vielleicht im obersten Stock? 55
Der Butler interessierte sich für ein Flurfenster, das von ausladenden Stuckfiguren umgeben war. Von dort aus konnte man den Eingang zum ehemaligen Hotel gut einsehen. »Nun, war mein Mißtrauen berechtigt, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha ungeduldig, als der Butler zum Wagen zurückgekehrt war. »Mylady dürften den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf getroffen haben«, erwiderte er. »Wenn es erlaubt ist, wird meine Wenigkeit das Wild aufscheuchen.« »Und was werde ich tun, Mister Parker?« Sie war einsatzbereit und ungeduldig wie stets. »Mylady könnten später das aufgescheuchte Wild stellen«, schlug der Butler vor. »Es könnte diesen Fluchtweg hier nehmen.« »Sehr schön.« Sie war sofort einverstanden und blickte sich um. »Ich werde im Hausflur Stellung beziehen, Mister Parker. Und nun sind Sie an der Reihe. Passen Sie aber auf sich auf. Sie wissen ja, daß Sie zum Leichtsinn neigen.« Der Butler lüftete die schwarze Melone und mischte sich unter die Passanten, die die Hauptstraße querten. Mylady wußte er beschäftigt, sie konnte ihn im Moment nicht stören. So erreichte er die andere Straßenseite und hielt sich im Schutz einiger Markisen, die man heruntergedreht hatte. Parker verschwand zwei Eingänge vor dem Bürohaus in einem Torbogen. Ihm war die Anlage dieser Häuserzeile nur zu bekannt. Hinter den Frontgebäuden an den Straßen gab es meist noch Gewerbehöfe, in denen kleinere Betriebe untergebracht waren. Querverbindungen in Form schmaler Passagen waren die Regel. Mit etwas Glück konnte er sich also an die Rückseite des bewußten Bürohauses heranpirschen. Seine Erwartungen wurden voll erfüllt. Nach Überwindung zweier schmaler Passagen erreichte er die 56
Rückseite des Hauses, in dem er einen Schützen vermutete. Jetzt mußte sich zeigen, ob solch ein Schütze deckungslos arbeiten wollte. Oder hatte er sich vielleicht einen Begleiter mitgebracht? * Es gab einen Begleiter. Der vielleicht fünfundzwanzigjährige junge Mann langweilte sich sichtlich und kam aus einem Keller, in dem er sich bisher verborgen hatte. Er rauchte eine Zigarette, gähnte anhaltend und… sackte dann zusammen, als hätte ihn ein unsichtbarer Blitz getroffen. Parker hatte seine Gabelschleuder eingesetzt und eine TonErbse verschossen. Der Mann fiel gegen die Wandseite der Treppe und kollerte nach unten. Der Butler löste sich von der Mauerecke, hinter der er Position bezogen hatte und schritt gemessen hinüber zum Kellerabgang. Der Getroffene lag regungslos zwischen Unrat und rührte sich nicht. Parker stieg nach unten und kümmerte sich um sein Zielobjekt. Er fand eine schallgedämpfte Pistole kleineren Kalibers, die er erst mal an sich nahm. Anschließend bemühte Parker seine Rolle Packband und fesselte den jungen Mann an Händen und Füßen. Bevor er ihn verließ, versah er ihn noch mit einem Knebel. Parker betrat das Haus, durchschritt einen Korridor und erreichte das Treppenhaus. Er versetzte eine Pendeltür in Schwingungen und stampfte dann absichtlich laut die Stufen hoch. Dabei hustete er mehrmals, klatschte mit der Hand auf das Treppengeländer und machte deutlich hörbar auf sich aufmerksam. Wer immer oben im Treppenhaus lauerte, mußte davon ausgehen, daß ihm von diesem Besucher keine Gefahr drohte. So auffällig benahm sich kein Gegner. Im vorletzten Stock angekommen, zog Parker die Schwingtür 57
zum Korridor auf, ließ sie wieder laut zuklatschen und… stieg dann leise weiter nach oben. Er blieb in Wandnähe, nahm sich Zeit und schnupperte schon nach wenigen Stufen frischen Tabakqualm. Der Schütze schien zu rauchen. Er tat es wirklich auf dem oberen Treppenabsatz und hatte ein Gewehr mit Zielfernrohr neben sich gestellt. Das Fenster war halb geöffnet. Der Mann saß auf der schmalen Fensterbank und wartete auf sein Opfer. Er mochte etwa dreißig sein, trug Jeans, ein dunkelblaues Jackett und Tennisschuhe. Das Gewehr hatte er wohl in einer Tragetasche für Tennisschläger mitgebracht. Sie stand auf einer Stufe, die zum Dachboden führte. Parker machte kurzen Prozeß. Er wollte sich auf keine Diskussion einlassen, bemühte eine Ton-Erbse, visierte den Mann kurz an und setzte ihn dann prompt außer Gefecht. Der Getroffene fiel gegen die Wand und rutschte an ihr hinunter auf den Treppenabsatz. Eine Faustfeuerwaffe, es handelte sich diesmal um einen Trommelrevolver ohne Schalldämpfer, nahm Parker an sich und ließ sie in einer seiner Manteltaschen verschwinden. Er fesselte den Schützen, knebelte ihn und packte dann das Gewehr in die Tragetasche. Bevor er ging, steckte er dem Mann einige kleine Briefe in die Brusttasche seines Hemdes. Sie enthielten ein weißes, bitteres Pulver und waren identisch mit jenen Briefchen, die Parker auch dem jungen Mann auf dem Kellerabgang zugesteckt hatte. »Wo bleibt denn das Wild?« fragte Agatha Simpson zehn Minuten später, als der Butler wieder in der Seitenstraße erschien. »Es wurde bereits erlegt, Mylady«, meldete Parker. »Aus zwingender Notwendigkeit heraus mußte meine Wenigkeit ad hoc tätig werden.« »Das ist aber sehr enttäuschend«, erwiderte sie. »Ich fürchte, Sie waren wieder mal zu human, Mister Parker.« 58
»Die beiden Personen, um die es sich handelt, Mylady, werden für gewisse Zeit unter heftigen Kopfschmerzen zu leiden haben.« »Das hört sich wieder gut an«, freute sie sich. »Und wo kann ich nun die beiden Subjekte aufpicken?« »Myladys Einverständnis voraussetzend, sollte man dies den zuständigen Behörden überlassen«, schlug der Butler vor. »Chief-Superintendent McWarden wird Mylady sicher erneut dankbar sein.« »Nun gut.« Sie war einverstanden. »Und wie ist es jetzt mit diesem Apartment, das ich mir ansehen wollte?« »Solch einer Besichtigung dürfte nichts mehr im Wege stehen«, vermutete der Butler. * »Und hat es etwas gebracht?« fragte Mike Rander etwa zwei Stunden später. Er und Kathy Porter waren im Haus der älteren Dame und hatten erstaunt-amüsiert die Einzelheiten dieses Besuchs erfahren. »Spuren konnten nicht entdeckt werden, Sir«, beantwortete Parker die Frage. »Mister Rod Realing lebt in einer völlig sterilen Umgebung, was persönliche Dinge betrifft.« »Werden Sie ihn nun freilassen, Mister Parker?« Kathy Porter schaltete sich ein. »Und observieren lassen«, bestätigte Parker. »Mister Picketts Freunde werden das übernehmen.« »Glauben Sie, daß er Kontakt zu Benedict unterhält?« tippte der Anwalt an. »Wohl kaum, Sir«, vermutete Parker. »Mister Bladster dürfte die eigentliche Kontaktperson zu Mister Benedict sein. Für ihn engagierte er ja auch von Fall zu Fall Personen, die Mylady atta59
ckieren sollten.« »Werden Sie den richtigen Butler aufsuchen, Parker?« Rander sah den Butler hilfesuchend an. »Wie war doch noch sein Name?« »Mister James Hannigan, Sir, der als Mister Ruthlans Butler tätig war.« »Richtig, das war’s.« Der Anwalt nickte. »Miß Porter und ich haben Erkundigungen über Peter Ruthlan eingezogen. Der Mann ist sehr reich und hat tatsächlich nur noch einen Neffen. Der Mann heißt Lester Warrick und lebt in Kanada.« »Womit alles klar sein dürfte«, machte sich die Detektivin sofort bemerkbar. Ihre Stimme hatte einen unheilschwangeren Ton angenommen. »Er ist natürlich die treibende Kraft und wollte das Testament fälschen lassen. Für mich ist das alles sonnenklar.« »Miß Porter und ich kümmern uns bereits um den Neffen«, fuhr Mike Rander fort. »Wir werden herausfinden, ob er sich noch in Kanada aufhält und was mit ihm los ist.« »Er ist längst hier in London«, wußte Lady Agatha mit letzter Sicherheit. »Wir haben uns auch mit dem Anwalt George Linlay befaßt«, erzählte Rander weiter und blickte Kathy Porter an. »Linlay hat keinen guten Ruf«, wußte Kathy Porter zu berichten. »Er soll enge Beziehungen zur Unterwelt unterhalten. Um ein Haar hätte ihn die Anwaltskammer vor anderthalb Jahren ausgeschlossen. George Linlay war in eine Affäre verwickelt, in der es um veruntreute Mündelgelder ging. Linlay konnte seinerzeit die Schuld auf seinen Bürovorsteher abwälzen, der plötzlich von der Bildfläche verschwand und bisher nicht mehr aufzutreiben war.« »Linlay ist übrigens nicht zu erreichen«, berichtete Mike Rander weiter. »Sein Anrufbeantworter erzählt etwas von einer 60
Dienstreise in Richtung Kontinent.« »Er dürfte das sprichwörtliche Weite gesucht haben«, warf Josuah Parker ein. »Wie der Pfleger, den Sie in der Senioren-Residenz kennenlernten«, pflichtete Kathy Porter ihm bei. »Jerry Davis ist laut Auskunft der Geschäftsleitung der Senioren-Residenz nicht zum Dienst erschienen und kann auch in seiner Wohnung nicht erreicht werden.« »Man will mir aus dem Weg gehen«, sagte Agatha Simpson zufrieden. »Und ich kann es sogar verstehen. Man fürchtet mich.« Bevor die Anwesenden ihr beipflichten konnten, klingelte das Telefon. »Die Mord-AG«, hoffte die ältere Dame. Parker ging ans Telefon, schaltete den Raumverstärker ein, hob ab und meldete sich. »McWarden hier«, war die Stimme des Chief-Superintendent zu vernehmen. »Sie sollten wissen, daß meine Kollegen zwei Männer festgenommen haben, die sehr eigenartig gefesselt waren.« »Könnte man Details dazu erfahren, Sir?« »Man hat sie mit zähem Packband verschnürt und zusätzlich geknebelt.« »Die beiden erwähnten Personen wurden durch einen Zufall entdeckt, Sir?« Parkers Stimme klang höflichneutral. »Nein, nein, es gab da einen anonymen Anruf, Mister Parker. Bei den Kerlen fanden sich übrigens Schußwaffen und erstaunlicherweise kleine Drogen-Briefchen.« »Mylady wird die Angaben mit Interesse zur Kenntnis nehmen.« »Wir haben die Burschen natürlich vorerst festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt.« »Wobei man zu erstaunlichen Erkenntnissen kam, Sir?« 61
»Langgesuchte Gangster, denen man bisher nichts nachweisen konnte. Sie streiten, was die Waffen betrifft, alles ab, doch die Briefchen reichen aus, sie vorerst festzuhalten. Ich bin gespannt, was die Analyse des Pulvers bringt, das wir in den Briefchen fanden.« »Vielleicht nur Traubenzucker und bitteres Magenpulver, Sir. Meine Wenigkeit möchte allerdings betonen, daß es sich um eine vage Vermutung handelt.« »Man sollte sich mit der Analyse also Zeit lassen, Mister Parker?« McWarden hatte längst verstanden. »Man sollte grundsätzlich niemals etwas überhasten, Sir.« »Okay, Mister Parker, ich weiß, wo’s langgeht. Meinen Dank übrigens an Lady. Simpson. Ich sammle ja gern die Krumen ein, die von ihrem Tisch fallen.« »Mylady wird dies mit Wohlgefallen zur Kenntnis nehmen, Sir.« Parker wechselte noch einige Worte mit dem Chief-Superintendent und legte dann auf. »Der ahnungslose Engel«, ließ die ältere Dame sich ironisch vernehmen. »Er weiß noch immer nicht, um was es eigentlich geht.« »Unterschätzen Sie McWarden nicht, Mylady«, warnte Mike Rander. »Früher oder später wird er auf Bladster stoßen, falls dies nicht bereits geschehen ist.« »Weiß Bladster, daß Benedict ein Testament fälschen wollte?« fragte Kathy Porter. »Die Frage ergibt sich, ob es nur um ein einziges Testament geht«, schaltete Josuah Parker sich ein. »Eben«, pflichtete der Anwalt ihm bei. »Es geht sicher nicht nur um Peter Ruthlan, sonst würde man nicht mit einer MordAG drohen und einige Schläger und Gangster auf Mylady ansetzen.« »Ich mache mir da auch so meine Gedanken«, erklärte Agatha 62
Simpson sicherheitshalber und blickte die Anwesenden bedeutungsvoll an. »Sie nehmen an, daß es um eine Serie von Fälschungen geht?« fragte Kathy Porter. »Natürlich, Kindchen«, bestätigte Lady Agatha. »Das war mir von Beginn an völlig klar.« * »Ich werde verfolgt«, sagte Horace Pickett, nachdem er Butler Parker begrüßt hatte. Die beiden Männer hatten sich in einem Pub in der Nähe der Tower Bridge verabredet. »Handelt es sich um mehrere Personen?« erkundigte sich Parker. »Um einen etwa dreißigjährigen Mann«, antwortete Pickett. »Er steht drüben am Tresen und trägt einen Sportanzug.« »Sie haben ihn absichtlich nicht abgeschüttelt, Mister Pickett, wie zu vermuten ist.« »Richtig«, bestätigte der ehemalige Eigentumsumverteiler. Horace Pickett, an die sechzig Jahre alt, hatte in früheren Jahren als Taschendieb gearbeitet und war ein Meister seines Fachs gewesen. Inzwischen aber stand er auf der richtigen Seite des Gesetzes und war zu einem engen Mitarbeiter der älteren Dame und des Butlers geworden. Horace Pickett kannte sich in der Szene aus, verfügte über viele Informanten und war ein Meister im Observieren. Nach Bedarf konnte er Bekannte und Freunde zusätzlich aktivieren und zur Beobachtung einschalten. Parkers Frage war berechtigt, denn ein Mann wie Horace Pickett hätte einen Verfolger mit Leichtigkeit abschütteln können. »Der Mann tauchte hinter mir auf, als ich nach Benedict 63
fragte«, erklärte der ehemalige Eigentumsumverteiler ohne jede Hast. »Ich fragte in verschiedenen Bars nach ihm und ließ den Leuten Zeit, Verbindungen aufzunehmen. Erst in einem Pub in Whitechapel erschien schon nach zehn Minuten ein Mann, der auf meiner Spur blieb.« »Meine Wenigkeit möchte Ihnen zu Ihrer Taktik gratulieren«, meinte der Butler. »Sie dürften damit eine erste Spur gefunden haben, Mister Pickett.« »Sie sollten vielleicht noch wissen, Mister Parker, daß Benedict vor Jahren in Whitechapel wohnte.« »Man kehrt gern in das Milieu zurück, das man kennt«, erwiderte Josuah Parker. »Man sollte den Verfolger vielleicht stellen und befragen.« »Er sitzt inzwischen vorn am Eingang«, sagte Pickett. Parker hatte es vermieden, sich nach dem Verfolger umzuwenden. Er holte aus der Brusttasche seines schwarzen Covercoats die Gabelschleuder und »lud« sie mit einer Ton-Erbse. Er legte sie in die Lederschlaufe, die beide Stränge miteinander verband, strammte die starken Gummis und… drehte sich dann blitzschnell zur Tür. Der Verfolger hatte die Bewegung zwar noch mitbekommen, doch er konnte nicht mehr reagieren. Mit einer Treffsicherheit, die als erstaunlich zu bezeichnen war, landete die Ton-Erbse links auf dem Hals des Mannes. Er kippte sofort vom Stuhl und riß ihn mit zu Boden. Der Butler war bereits aufgestanden und schritt gemessen zu dem Tisch. Die ersten Gäste waren zur Seite gesprungen und blickten erstaunt auf den Mann, der den kleinen Tisch hinter sich mitgerissen hatte. Rufe und Fragen brandeten auf. Der Barkeeper beugte sich weit über den Tresen. »Sollte Ihr Gast zuviel getrunken haben?« fragte Parker. »Aber nicht hier«, lautete die Antwort. »Er ist ja eben erst 64
gekommen und hat sich gerade ein Bier gekauft.« »Es handelt sich wohl um eine kleine Herzattacke«, vermutete Josuah Parker. »Schaffen Sie den Patienten in ein Nebenzimmer, ich werde ihn sofort untersuchen.« »Sie sind Arzt, Sir?« »Glazialer Intermedialist«, erwiderte Parker, würdevoll. »Beeilen Sie sich! Möglicherweise geht es um jede Sekunde.« Bevor einige Leute sich um den Mann kümmern konnten, nahm der »glaziale Intermedialist« eine erste Untersuchung vor und fand, wie nicht anders zu erwarten gewesen war, eine Schußwaffe. Mit der Geschicklichkeit eines hochspezialisierten Taschenspielers brachte Parker die Waffe in seinen Besitz, trat zur Seite und überwachte den Abtransport des Verfolgers. Horace Pickett leitete die Maßnahmen und bugsierte die Helfer in einen Nebenraum. »Und nun absolute Ruhe, meine Herren«, verlangte der Butler und schickte die Helfer ins Lokal zurück. Bis auf Pickett gingen alle Gäste hastig wieder nach vorn, um den Zwischenfall ausführlich zu diskutieren. »Was ist ein glazialer Intermedialist, Mister Parker?« fragte Pickett neugierig. »Meine Wenigkeit muß bedauern, Mister Pickett«, erwiderte Josuah Parker. »Sie werden einräumen und zugeben müssen, daß diese Bezeichnung sich ungemein eindrucksvoll anhört.« * »Was wollen Sie eigentlich von mir?« fragte der Dreißigjährige. Er war wach geworden und blickte verwirrt um sich. Er sah sich in einem Keller, dessen Wände feucht waren. Vor ihm hatte Parker sich aufgebaut. »Falls Sie genauer hinsehen, wird Ihnen nicht entgehen, daß 65
die Kellerwände naß sind«, erwiderte der Butler. »Sie beziehen ihre Feuchtigkeit vom jeweiligen Wasserspiegel der Themse .« »Wie… wie bin ich hierhergekommen?« Der Mann wollte aufspringen und merkte erst jetzt, daß er an Händen und Füßen mit Packband gefesselt war. »Ein plötzliches Unwohlsein Ihrerseits veranlaßte meine Wenigkeit, sich um Sie zu kümmern.« »Schneiden Sie mich sofort los, sonst werden Sie was erleben.« »Mister Benedict wird kaum sonderlich erfreut darüber sein, daß Sie versagt haben.« »Benedict? Wer… wer soll denn das sein?« »Man könnte das bekannte Frage- und Antwortspiel ad infinitum betreiben«, schickte Parker voraus. »Meine Wenigkeit könnte aber auch auf das Einsetzen der Flut warten. In diesem Fall dürfte Ihnen das Wasser dann nicht nur bis zum Hals reichen.« »Flut? Themse?« Er hatte endlich begriffen und schluckte. »Es wird dann für Sie sehr naß werden.« »Sie wollen mich umbringen? Hören Sie, ich hab’ doch überhaupt nichts getan. Ich hab’ doch nur… Ich sollte diesen Mann verfolgen und rausbekommen, wer er ist und wo er wohnt.« Er redete jetzt sehr flüssig. »Und wie lautet der Name Ihres Auftraggebers?« »Manners… Steve Manners. Er hatte mich in den Pub geschickt, wo dieser Mann nach ihm gefragt hatte. Mehr weiß ich nicht.« »Sie kennen Mister Manners?« »Nee, überhaupt nicht, aber er rückte mit ein paar großen Scheinen raus.« »Sie wissen, wo er wohnt?« »Auch nicht, der Kneipenwirt muß ihn aber kennen, denke ich.« 66
»Und wozu tragen Sie eine Schußwaffe, wenn man weiter fragen darf?« »Naja, so zum Schutz und so.« »Wieso konnte der erwähnte Mister Manners ohne weiteres Kontakt mit Ihnen aufnehmen?« wollte der Butler weiter wissen. »Der Kneipenwirt schickte mich in ‘ne Pension, und genau da kreuzte Manners vorn am Empfang auf.« »Die Adresse der Pension sollten Sie noch zusätzlich angeben.« Der Dreißigjährige zierte sich nicht, lange, denn er hatte wiederholt auf die nassen Kellerwände geblickt und sich ausgemalt, wie hoch das Wasser bei Flut wohl steigen würde. »Und was is’ jetzt?« wollte er wissen. »Sie werden mit Sicherheit mit der ansteigenden Flut kämpfen müssen«, prophezeite Parker. »Laut Ihrer ersten Aussage schickte Mister Manners Sie in den bereits erwähnten Pub. Nun aber wollen Sie von dem Kneipenwirt in eine Pension geschickt worden sein.« »Verdammt, Sie haben mich ganz durcheinander gebracht«, beschwerte sich der Dreißigjährige wütend. »Ich… ich bin in die Pension geschickt worden. So war das.« »Meine Wenigkeit schlägt vor, dies mit dem Kneipenwirt genau zu klären«, sagte der Butler. »Bei dieser Gelegenheit könnte man sich auch in Ihren privaten Räumen umsehen.« »Das bringt doch nichts«, verwahrte sich der Dreißigjährige. »Man wird sehen«, entgegnete Josuah Parker. »Sie können selbstverständlich auch hierbleiben.« »Bin ich verrückt?« Der Mann schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Sie wissen nicht zufällig, wo sich Mister George Linlay aufhält?« fragte Parker. Der Mann blickte ihn für einen Augenblick starr an, bemühte sich dann um Ahnungslosigkeit und schüttelte noch mal den 67
Kopf. Parker war klar, daß der Dreißigjährige diesen Namen mit Sicherheit gut kannte. * »Und Sie haben natürlich überhaupt nichts erreicht, Mister Parker«, sagte Lady Agatha. »Hätten Sie mich mitgenommen, wäre der Fall bereits geklärt.« Der Butler war zusammen mit dem Dreißigjährigen nach Shepherd’s Market zurückgekehrt und hatte den neuen Gast sicher untergebracht. »Es ergaben sich bei der Durchsuchung der Wohnung einige Hinweise, die noch der Klärung bedürfen«, erläuterte der Butler. »Vorher sollte man aber noch darauf verweisen, daß es in der angegebenen Pension weder einen Mister Benedict noch einen Mister Manners gab oder gibt.« »Namen, nichts als Namen«, winkte sie ab. »Der Gast des Hauses, der sich übrigens Chris Ford nennt, Mylady, dürfte demnach ein notorischer Lügner sein.« »Was denn sonst?« Sie lächelte wieder mal wissend. »Und ein recht reiselustiger dazu, Mylady.« Parker war nicht zu beeindrucken. »Reiselustig?« Sie sah ihren Butler irritiert an. »Mister Chris Ford, Mylady, um bei diesem Namen zu bleiben, scheint die südliche Küste der Insel zu lieben. In den vergangenen zwölf Wochen besuchte er einige kleinere Badeorte dort sechsmal.« »Und was sagt mir das?« Sie verzog geringschätzig das Gesicht. »Sie laufen wieder mal einem Phantom nach, Mister Parker.« »Zu diesen Fahrten wollte Mister Chris Ford sich nicht äußern, 68
Mylady, was seine Gründe haben dürfte.« »Unsinn, Mister Parker. Das ist völlig belanglos. Woher wissen Sie denn eigentlich von diesen Reisen?« »Mister Chris Ford sammelte Tankquittungen, vielleicht sogar gegen seine Absicht. Sie fanden sich unter seinen Papieren. Daraus ließen sich die Fahrten und Zielorte lückenlos rekonstruieren, Mylady.« »Hat dieses Subjekt einen Beruf?« »Er gibt an, Handelsvertreter zu sein, Mylady, doch er konnte entsprechende Unterlagen nicht vorweisen. Mister Ford behauptet, zur Zeit ohne Stellung zu sein.« »Und wo arbeitete er davor?« Sie zeigte endlich ein gewisses Interesse. »Auch dazu vermochte Mister Ford keine Angaben zu machen. Das heißt, er weigerte sich, Namen und Firmen zu nennen.« »Hoffentlich ziehen Sie daraus Ihre Schlüsse, Mister Parker«, sagte die ältere Dame. »Dieser Mann hat etwas zu verbergen.« »Mylady erkennen wieder mal Zusammenhänge, die meiner Wenigkeit noch verborgen sind.« Parker war ein überaus höflicher Mensch. »Ich will noch nicht zuviel verraten«, erklärte sie bedeutungsvoll. »Ich werde dieses Subjekt noch eingehend verhören, Mister Parker. Erinnern Sie mich rechtzeitig daran.« »Myladys Einverständnis voraussetzend, observiert Mister Pickett den Pub, von dem aus er verfolgt wurde.« »Endlich mal eine gute Idee«, lobte sie verhalten. »Es ist möglich, daß dieser Kneipier mehr weiß, als er sagen will.« »Mister Chris Fords Schußwaffe sollte man vielleicht Mister McWarden in die Hand spielen, Mylady.« »Wozu soll das gut sein, Mister Parker?« Sie runzelte die Stirn. »Die Waffe könnte bei der Polizei bereits registriert sein.« »Papperlapapp bestimmt nicht.« Sie mußte einfach widerspre69
chen, dachte dann aber kurz nach und nickte gewährend. »Na gut, schaden kann es ja wohl nicht, Mister Parker.« »Mister McWarden befindet sich bereits im Besitz der erwähnten Waffe«, räumte der Butler ein. »Möglicherweise wurde sie bereits in einem anderen Mordfall benutzt.« »Machen Sie sich keine unnötigen Hoffnungen, Mister Parker«, entgegnete Agatha Simpson. »Diese Untersuchung wird nichts ergeben. Wann werde ich den Kneipenwirt verhören können?« »Man dürfte auf Myladys Erscheinen bereits mehr als ungeduldig warten.« »Wie soll ich denn das nun wieder verstehen?« Sie runzelte erneut die Stirn. »Man wird Mister Chris Ford bereits vermissen, Mylady.« »Dann werde ich eben ihn verhören.« »Mylady spielen natürlich auch mit dem Gedanken, ihn hinzuhalten.« »Das allerdings auch.« Sie lächelte boshaft. »Soll er erst mal im eigenen Saft schmoren, Mister Parker. Aber irgend etwas muß und werde ich tun. Ich bin keine Frau, die ihre Hände in den Schoß legt.« »Mylady haben sicher die Absicht, sich der Mord-AG anzubieten.« »Richtig«, bestätigte sie. »Ich werde mich wieder mal als Köder anbieten, Mister Parker. In dieser Rolle war ich schon immer sehr erfolgreich.« * Der Manager der Senioren-Residenz hieß Adams und war ein drahtiger Mann von fünfundvierzig Jahren. Er empfing seine Besucher in einem sachlich eingerichteten Büro und wußte natürlich inzwischen, was sich in seinem Haus zugetragen hatte. 70
»Ich habe die Polizei eingeschaltet, als die drei Männer im Bad randalierten«, berichtete er. »Aber sie hatten sich bereits abgesetzt, als der Streifenwagen eintraf.« »Ihr Pfleger Jerry Davis hat sich inzwischen nicht eingestellt?« fragte Parker. »Er hat sich bisher nicht zum Dienst gemeldet. Ich werde ihn feuern, das ist keine Dienstauffassung.« »Und wie geht es Mister Peter Ruthlan?« »Sehr gut, der alte Herr hat von dem ganzen Spektakel überhaupt nichts mitbekommen.« »Ein Anwalt namens George Linlay betreute nicht noch andere Insassen Ihrer Residenz?« »Der Mann ist hier völlig unbekannt«, erklärte der Manager nachdrücklich. »Zu diesem Auftritt der Randalierer kam es auch nur, weil ich an diesem Tag außer Haus war, sonst wäre das wirklich nicht passiert. Der Pfleger muß die Besucher heimlich eingelassen haben.« »Sie brauchen sich nicht zu verteidigen, mein Bester«, schaltete Lady Agatha sich ein. »Ich werde Ihnen jetzt einige Fragen stellen, die Mister Parker an Sie richten wird.« »Ich bin zu jeder Zusammenarbeit bereit, Mylady«, beteuerte Adams, der von der älteren Dame ungemein beeindruckt war. Er wußte mit ihrem Namen und ihrer Stellung in der Gesellschaft durchaus etwas anzufangen. »Welche Personen werden in Ihrer Senioren-Residenz betreut?« erkundigte sich der Butler wunschgemäß für Lady Agatha. »Nur bestes Publikum«, lautete die Antwort. »Wir sind ein Haus auf dem höchsten Level, wenn Sie wissen, was ich meine.« »Man muß also sehr viel Geld haben, wenn man hier betreut werden will?« ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Dafür ist die Betreuung aber wirklich hervorragend.« 71
»Wie zu sehen war«, spottete Agatha Simpson genußvoll. »Um ein Haar hätte man einen alten Mann zu einem Testament gezwungen, das er gar nicht machen wollte.« »Ein bedauerlicher Zwischenfall, Mylady«, entschuldigte sich der Manager schleunigst. »Wissen Sie, ich habe gerade nachgedacht. Was hätte das gefälschte Testament denn gebracht? Ich meine, der Erblasser lebt doch noch. Erst nach seinem Tod wäre doch…« »Nach seinem Ableben«, bestätigte Parker, als Adams nicht weiterredete. »Dies dürfte der in der Tat entscheidende Punkt sein.« »Sie meinen… Sie glauben, man hätte Mister Ruthlan anschließend… umgebracht?« Die Frage kam zögernd. »Mylady geht davon aus«, gab der Butler zurück. »Tatsächlich?« Agatha Simpson stutzte ein wenig, um dann allerdings sehr nachdrücklich zu nicken. »Natürlich wollte man den guten Mann anschließend ermorden, mein Bester.« »Scheußlich.« Adams schüttelte sich. »Ihnen sind andere, ähnliche Senioren-Residenzen bekannt, Mister Adams?« wollte Parker wissen. »Selbstverständlich. Unsere Gesellschaft allein betreibt vier weitere Residenzen.« »Die sich wo befinden?« »Eine hier in London, und zwar in Wimbledon, dann eine Residenz in Canterbury und zwei weitere in Brighton.« »Mylady würden gern erfahren, ob es dort in den vergangenen Wochen zu Sterbefällen kam«, sagte der Butler. »Und zwar umgehend«, verlangte die Detektivin nachdrücklich. »Sterbefälle?« Adams schluckte vor Aufregung. »Sterbefälle«, wiederholte der Butler. »Zudem sollten Sie für Mylady eine Liste jener Senioren-Residenzen aufstellen, die mit 72
Ihren Häusern konkurrieren. Mylady geht davon aus, daß Sie Ihren Markt, um den es sich ja wohl handelt, genau kennen und zu überblicken vermögen.« »Das läßt sich machen«, erwiderte der Manager und blickte unwillkürlich zu einem Tisch, auf dem Computer standen. Josuah Parker hingegen schaute zur Tür, die genau in seinem Blickfeld lag. Er hatte den Eindruck, daß der Knauf sich vorsichtig bewegte. Dies ließ ihn sehr wachsam werden. Er wußte schließlich von der Existenz einer gewissen Mord-AG. * Der Butler brauchte nur Sekunden, bis er die Gabelschleuder aktiviert hatte. Falls eine Person mit Schußwaffe erschien, mußte er ohne Verzögerung reagieren. Mit einem seiner gefürchteten Pfeile aus dem Schirmstock war es dann nicht mehr getan. Seine Vorsicht zahlte sich auch jetzt wieder aus. Der Türknauf war vollends gedreht worden und hatte das Schnappschloß freigegeben. Im Moment wurde die Tür ruckartig aufgestoßen. Im Rahmen erschien ein Mann, den Parker sofort wiedererkannte. Es handelte sich um den Pfleger, den er hier in der Senioren-Residenz schon mal gesehen hatte. Die Ton-Erbse zischte mit Vehemenz durch die Luft und barst auf der Stirn des Pflegers. Der Mann flog nach hinten, als hätte ihn eine harte, unsichtbare Faust am Kinn getroffen. Dabei riß er den Arm hoch und feuerte einen schallgedämpften Schuß in die Decke. Der Manager war herumgewirbelt und blickte fassungslos auf seinen Angestellten, der regungslos in der Tür lag. Lady Agatha nickte ihrem Butler fast wohlwollend zu. »Eine ganz passable Reaktion«, meinte sie dann. »Und wer 73
wollte mich nun ermorden?« »Das ist doch Jerry Davis«, meinte der Manager. »Das sagt mir nichts, junger Mann«, blaffte sie. »Drücken Sie sich gefälligst deutlicher aus.« »Der Pfleger, Mylady, der das gefälschte Testament des Mister Ruthlan ebenfalls unterschreiben sollte«, erklärte Parker höflich. Er war längst an der Tür und zog den Pfleger in den Raum. Er nahm ihm die Waffe ab und holte das Packband aus einer der Außentaschen seines schwarzen Covercoats. Nach wenigen Augenblicken war Jerry Davis gefesselt. »Was hat das alles zu bedeuten?« fragte Adams. Der Manager hatte sich von seiner Überraschung noch immer nicht erholt. »Was wohl, junger Mann? Man wollte mich wieder mal umbringen«, machte die ältere Dame ihm deutlich. »Dazu gehört aber schon mehr.« »Ich… ich muß unbedingt die Polizei anrufen«, erwiderte Adams. »Alles zu seiner Zeit, Sir«, schlug Josuah Parker vor. »Denken Sie in diesem Zusammenhang bitte an die Boulevardpresse. Sie werden mit einer Publizität zu rechnen haben, die Ihrem Haus kaum bekommen dürfte.« »Guter Himmel«, stöhnte Adams und rang verzweifelt die Hände. »Sie sollten also vielleicht erst dann reagieren, Mister Adams, wenn Mylady und meine Wenigkeit in Begleitung des Attentäters die Residenz hier verlassen haben.« »Werde ich dann auch keinen Ärger mit der Polizei bekommen?« wollte der Manager wissen. »Das ist doch nicht mein Problem, junger Mann«, herrschte Lady Agatha ihn an. »Von mir aus können Sie diesen Zwischenfall auch vergessen und sich einbilden, geträumt zu haben.« »Vielleicht vorher noch die Auskünfte, Mister Adams, um die 74
Mylady nachgesucht hat«, erinnerte der Butler. Adams nickte und brauchte einige Augenblicke, bis er sich auf den Computer konzentrieren konnte. Dann gab er seine Fragen ein und ließ sich die Antworten umgehend ausdrucken. »Was haben Sie mir also mitzuteilen?« fragte die ältere Dame ungeduldig. »Drei Sterbefälle in Brighton, Mylady«, lautete die Antwort. »Die genauen Daten sind hier angegeben.« »Und wie viele Konkurrenz-Residenzen gibt es noch in der Großregion?« fügte der Butler hinzu. »Drei weitere, die sich mit unseren Häusern gerade noch messen können«, antwortete Adams. »Hoffentlich können Sie damit etwas anfangen.« »Das lassen Sie meine Sorge sein, junger Mann«, blaffte die ältere Dame. »Mister Parker weiß genau, was ich tun werde.« * Wie ungemein wichtig der Pfleger für den Gang der Ermittlungen war, ergab sich aus genau drei Schüssen, die auf ihn, Mylady und Parker abgefeuert wurden. Als sie nämlich die Senioren-Residenz verlassen wollten, kam es zu diesen drei schallgedämpften Schüssen, die dank Parkers Reaktion ihr Ziel verfehlten. Der Butler warf sich gegen Mylady, die ihrerseits gegen den Pfleger gedrückt wurde. Jerry Davis stieß einen Schrei aus, als Myladys Fülle ihn zu Boden riß. Die ältere Dame rollte über den körperlich nicht gerade unterentwickelten Mann hinweg und deformierte ihn leicht. Davis quiekte wie ein schlachtreifes Ferkel, ächzte dann, schien zu ersticken und strampelte energisch mit den Beinen, um sich von der Last zu befreien. 75
Die Schüsse waren aus einem Honda abgefeuert worden, der mit durchtourenden Reifen den Parkplatz verließ, auf die nahe Straße schlingerte, hier fast einen Zusammenstoß provozierte und dann verschwand. »Meine Rippen«, stöhnte der Pfleger, als Mylady sich mit Hilfe ihres Butlers von ihm löste. »Hoffentlich haben Sie sich einige gebrochen«, äußerte die ältere Dame in ihrer bekannt direkten Art, um sich dann an Parker zu wenden. »Das waren Schüsse, nicht wahr?« »Unübersehbar, Mylady.« Parker deutete mit der Schirmspitze auf eine zerbrochene Scheibe in der Eingangstür und auf zwei lange Schrammen im Verputz. »Wie gut, daß ich reaktionsschnell bin«, lobte sie sich. »Sie haben den Schützen erkannt?« »Es könnte sich durchaus um Mister Benedict gehandelt haben, Mylady.« »Wer ist denn das schon wieder?« grollte sie. »Jene Person, Mylady, die meine Wenigkeit verwechselte und mich in das Apartment des Mister Ruthlan führte.« »Natürlich, wer sonst?!« Sie nickte wissend wie stets. »Konnten Sie dieses Subjekt nicht stoppen?« »Man hatte sich eindeutig auf eine schnelle Flucht eingerichtet, Mylady.« »Ich glaube, ich habe gesehen, daß auf mich geschossen werden sollte, Mister Parker.« »Meine Wenigkeit entdeckte ebenfalls eine verdächtige Bewegung in dem Wagen, Mylady.« »Aber zu spät, Mister Parker«, tadelte sie. »Nun ja, ich will das nicht weiter vertiefen.« Der Butler kümmerte sich um den Pfleger und führte Jerry Davis hinüber zum hochbeinigen Monstrum. Der Mann zitterte am ganzen Leib und stöhnte verhalten. Er kam immer wieder 76
auf seine Rippen zu sprechen. »Halten Sie gefälligst den Mund, junger Mann«, fuhr die ältere Dame ihn schließlich an. »Sie haben erst dann Grund zur Klage, wenn ich Sie geohrfeigt habe. Sie wußten doch, daß der Mörder auf mich wartete.« »Er dürfte in erster Linie auf Mister Davis geschossen haben, Mylady«, wandte der Butler ein. »Auf dieses Subjekt hier?« entrüstete sie sich. »Mister Davis dürfte ein jetzt sehr unbequemer Zeuge sein, was Mister Benedict betrifft«, fuhr Parker fort, während er den Pfleger in den Fond des Wagens schob. »Diese Details wird er mir in meinem Haus erzählen«, gab die Detektivin grimmig zurück. »Ich freue mich schon jetzt auf diese Unterhaltung.« »Ich… ich weiß von nichts«, erklärte Jerry Davis. »Das wird sich ändern, junger Mann«, prophezeite Agatha Simpson ihm. »Darauf können Sie jede Wette eingehen.« * »Sie haben Glück gehabt, Parker«, sagte eine verzerrt klingende Stimme am Telefon. »Sie wissen, wer hier anruft?« »Sollte es sich um Mister Melvin Benedict von der sogenannten Mord-AG handeln?« fragte der Butler zurück. Er befand sich in der Wohnhalle des Hauses. Die ältere Dame war gerade hinauf in ihre privaten Räume gegangen. »Nehmen Sie’s mal an, Parker«, antwortete die Stimme. »Die nächsten Schüsse sitzen übrigens besser.« »Zur Zeit dürften Sie sich im Stadium einer verständlichen Nervosität befinden, Mister Benedict. Ihnen ist natürlich klar, wer Ihren Namen genannt hat?« »Jetzt wollen Sie wohl Auskünfte haben, wie, Parker?« Auf der 77
Gegenseite wurde gelacht, allerdings auch verzerrt. »Aber diesen Gefallen werde ich Ihnen nicht tun.« »Mister Bladster wird nicht gerade erfreut darüber sein, daß er in eine Serie von Mordfällen hineingezogen worden ist.« »Aus mir holen Sie keine Namen heraus, Parker«, wiederholte die undeutliche Stimme. »Und das, was Sie bereits wissen, werden Sie kaum verwenden können.« »Sie möchten auf weitere Schüsse verweisen, die Mylady und meiner Wenigkeit zugedacht sind?« »Sie sind einfach zu neugierig, Parker. Ich lasse mir mein Geschäft nicht vermiesen, schon gar nicht von einem Amateur.« »Dem Sie aber gewisse Teilerfolge nicht absprechen sollten, Mister Benedict.« »Teilerfolge, Parker?« Auf der Gegenseite wurde erneut verzerrt gelacht. »Meine Wenigkeit denkt an die Herren Rod Realing, Chris Ford und nun auch noch an Jerry Davis.« »Unwichtige Leute, Parker«, meinte die Stimme und bemühte sich um Geringschätzung. »Mister Chris Ford entpuppte sich bereits als ausgesprochen reiselustiger Mitbürger, Mister Benedict. Aus Unterlagen, die sich in seiner Wohnung fanden, geht hervor, daß er in den vergangenen zwölf Wochen in sechs Fällen an die Südküste reiste.« »Und, Parker, und! Warum hätte er nicht fahren sollen?« »Während dieser Zeit kam es in einigen Senioren-Residenzen dort zu drei Sterbefällen. Eine Umfrage bei gleichgearteten Residenzen wird ergeben, daß auch dort sich überraschende Sterbefälle ergeben haben, die mit gewissen Testamenten in Zusammenhang zu bringen sein werden.« Josuah Parker hatte geblufft und erzielte eine gewisse Wortlosigkeit auf der Gegenseite. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Parker?« fragte die 78
undeutliche Stimme endlich. Sie klang nun zusätzlich belegt und war kaum noch zu verstehen. »Meine Wenigkeit denkt an eine Mordserie, Mister Benedict, die nach der Abfassung von Testamenten zu verzeichnen ist. Um im Klartext zu reden: Sie fälschen Testamente und lassen die Erblasser dann anschließend umbringen.« »Reden Sie ruhig weiter, Parker, ich bin amüsiert!« »An einem normal biologischen Ableben der Erblasser können Sie schon aus rein zeitlichen Gründen nicht interessiert sein, Mister Benedict. Sie helfen also nach, um auf diese Weise möglichst schnell in den Besitz der Erbmasse zu gelangen. Das ist Ihre Mord-AG.« »Sie phantasieren sich was zusammen, Mister Parker. Sie reden da von Sterbefällen. In keinem Fall ist Mord im Spiel und…« »Die Sterbefälle sind Ihnen also demnach durchaus bekannt, sonst könnten Sie nicht so sicher sein, Mister Benedict.« Parker wußte wie sein Gesprächspartner, daß gerade ein gewisses Eingeständnis erfolgt war. »Drehen Sie mir doch nicht das Wort im Mund herum, Parker«, brüllte es vom anderen Ende. »Sie wollen mich nur provozieren.« »Was meiner Wenigkeit bereits nachhaltig gelungen sein dürfte«, entgegnete Josuah Parker in gewohnter Höflichkeit. »Ihr mörderisches Spiel ist aus, was Sie natürlich längst wissen.« »Und Sie sind bereits tot, Parker. Ihre komische Lady ebenfalls. Hoffentlich ist Ihnen das klar.« »Man wird sehen, Mister Benedict. Es war Schicksal, daß meine Wenigkeit ausgerechnet in jener Senioren-Residenz erschien, in der Sie einen neuen Coup landen wollten. Sie verwechselten meine Person mit dem von Ihnen gekauften Mister Realing.« »Und es war Ihr Pech, Parker, daß Sie mich nicht gleich durchschauten«, antwortete Benedict, um den es sich nur handeln 79
konnte. »Das werden Sie sich wohl nie verzeihen, wie?« »Zu diesem Zeitpunkt konnte meine Wenigkeit noch nicht mal andeutungsweise gewisse Zusammenhänge erkennen. Nehmen Sie dies bitte als Erklärung und Entschuldigung.« »Sie werden diesen Tag nicht überleben, Parker.« »Dann sollten Sie aber noch gründlich auf einem Schießstand üben, Mister Benedict«, schlug der Butler ihm vor. »Und damit sollte man das aufschlußreiche Gespräch beenden. Recht herzlichen Dank für die Blößen, die Sie sich ungewollt gaben. Sie waren sehr hilfreich.« Josuah Parker legte auf. * »Wie gut, Mister Parker, daß ich dagegen war, dieses Subjekt freizulassen«, lobte sich Agatha Simpson eine halbe Stunde später. »Mylady denken in diesem Zusammenhang an Mister Realing?« erkundigte sich Parker. Er hatte der älteren Dame gerade Bericht erstattet. »Ich denke an diesen Lümmel, der sich als Butler hier vor meiner Haustür ausgab«, erwiderte sie. »Mister Rod Realing«, bestätigte Parker. »Wie auch immer.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich denke, ich werde umgehend etwas unternehmen.« »Mylady hegen bestimmte Vorstellungen?« »Selbstverständlich«, entgegnete sie. »Machen Sir mir entsprechende Vorschläge. Ich möchte sehen, ob Sie noch den Gesamtüberblick haben.« »Mylady haben sicher vor, den Pfleger Jerry Davis aus der Senioren-Residenz zu verhören.« »Richtig«, bestätigte sie. »Übrigens war es natürlich falsch, die80
sem Lümmel von der Mord-AG von den anderen Senioren-Residenzen zu erzählen.« »Dies, Mylady, geschah in übertragenem Sinn als Köder«, erklärte der Butler. »Mister Benedict wird nun davon ausgehen, daß Mylady sich an die Südküste begeben werden.« »Und mich prompt verfolgen.« Sie lächelte nachdenklich. »Vielleicht haben Sie per Zufall genau das Richtige getan. Nun, man wird sehen. Jetzt zuerst aber mal diesen Pfleger.« Sie befand sich in bester Form, als sie ihre Fülle in das betreffende Gästezimmer schob. Jerry Davis stand erwartungsvoll am kleinen Couchtisch, als die ältere Dame eintrat. Er glaubte tatsächlich, sein Blatt noch mal wenden zu können. Bevor Parker nachkam, warf der muskulöse Mann sich auf Lady Agatha und ging davon aus, sie überrumpeln zu können. Er erlebte sein blaues Wunder. Agatha Simpson fing ihn durchaus geschickt mit einer ihrer gefürchteten Ohrfeigen ab. Jerry Davis flog zur Seite, stöhnte und wollte sich erneut versammeln. Doch er kannte nicht die einmaligen Qualitäten seiner Gegnerin, was ihre Nahkampftechnik betraf. Sie trat mit dem linken Fuß knapp und gezielt zu. Die Spitze ihres derben Schuhs traf sein Schienbein und sorgte dort für eine nachhaltige Störung. Der Pfleger knickte ein und fiel über den Tisch. Er benutzte beide Hände, um sein Bein vorsichtig zu massieren und blickte die ältere Dame wie ein verwundetes Tier an. »Wagen Sie es ruhig noch mal, junger Mann, mich wehrlose Frau anzugreifen«, lud sie ihn ein und lächelte gefährlich freundlich. »Schon gut, schon gut«, wehrte Davis ab. »Ich hab’ kapiert.« »Schade«, bedauerte Agatha Simpson. »Ich hatte mir mehr von Ihnen versprochen.« 81
»Mylady wünschen auf gewisse Fragen eindeutige Antworten«, schaltete Josuah Parker sich ein. Er stand inzwischen neben seiner Herrin. »Sie arbeiten also eindeutig für einen gewissen Melvin Benedict. Es steht inzwischen fest, daß Mister Benedicts Mord-AG sich auf das vorzeitige Ableben bestimmter Erblasser spezialisiert hat, die ihrerseits in sogenannten Senioren-Residenzen wohnen. Sie waren in den vergangenen Wochen mehrfach an der Südküste der Insel?« »Na und? Selbst wenn?« Der Pfleger stellte sich versuchsweise auf das schmerzende Bein. »Weiterhin besuchten Sie dort einige der erwähnten SeniorenResidenzen und arbeiteten aushilfsweise als Pfleger.« »Selbst wenn?!« Jerry Davis wurde sehr wachsam. »In diesen Senioren-Residenzen kam es plötzlich zu drei Sterbefällen.« »Kann sein, ich weiß das nicht.« »Sie trafen sich, um genau zu sein, in Brighton mit einem gewissen Chris Ford.« »Nie von gehört.« Der Pfleger preßte die Lippen anschließend fest aufeinander. »Mylady gehen nun davon aus, daß Sie, Mister Davis, gemeinsam mit Mister Ford für diese plötzlichen Sterbefälle sorgten.« »Sie sind doch völlig verrückt«, brauste der Pfleger auf. »Möglicherweise beteiligte sich auch ein Mister Realing daran, die bedauernswerten Senioren umzubringen.« »Jetzt reicht es mir aber.« Der Pfleger nahm all seinen Mut zusammen und versuchte einen Ausbruch. Er jagte auf die ältere Dame los, bremste dann seinen Schwung, als er sie fast erreicht hatte, attackierte den Butler und… stolperte über Parkers linkes Bein. Waagerecht in der Luft liegend, segelte er in Richtung Tür und wurde dann von der Wand jäh gebremst. »Mein Kopf, mein Kopf«, stöhnte Jerry Davis anschließend. Er 82
hatte sich hochgesetzt und betastete seine Stirnpartie. »Nun haben Sie sich gefälligst nicht so«, blaffte Lady Agatha. »Edle Teile dürften ja wohl kaum getroffen worden sein, junger Mann. Was haben Sie zu meinen Worten zu sagen?« »Ich weiß von nichts«, behauptete der Pfleger. »Dann werde ich Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen«, kündigte die Detektivin an. »Ich denke, Mister Parker, ich werde diesmal keine Rücksicht nehmen.« »Sie wäre in der Tat nicht angebracht, Mylady.« »Wenn überhaupt, dann hat Ford die Dinger gedreht«, redete der Pfleger weiter. »Welche Dinger, junger Mann?« Myladys Augen blitzten. »Die Dinger da in den Altenheimen«, sagte Davis. »Ford kennt doch den Chef von uns.« »Und wie lautet der Name dieses erwähnten Chefs?« fragte Josuah Parker. »Benedict«, hörten Agatha Simpson und Butler Parker. »Und den Namen hab’ ich von Ford. Fragen Sie ihn doch selbst.« »Was umgehend geschehen wird«, erklärte Josuah Parker. »Ihr Einverständnis voraussetzend, Mister Davis, wird man Ihre Aussage dabei verwerten. Sie ist auf diesem Tonband konserviert.« Während er noch sprach, zog er ein kleines Diktiergerät von der Größe einer Zigarettenpackung aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers. Jerry Davis staunte nur noch. * »Was soll das schon groß beweisen?« fuhr Chris Ford den Butler und Mylady an. Er hatte die kurze Bandaufzeichnung gerade gehört und zuckte die Schultern. 83
»Mister Jerry Davis ist auf dem besten Weg, mehr als nur indiskret zu werden«, erwiderte der Butler. Er und Mylady standen im zweiten Gästezimmer, in dem Ford untergebracht war. »Möglicherweise dient sich Mister Davis der späteren Anklage als Kronzeuge an.« »Klar, daß dieses Schwein mich in die Pfanne hauen will«, ahnte Chris Ford jetzt. »Aber daraus wird nichts. Lieber packe ich dann aus.« »Falls es nicht bereits zu spät sein wird«, fürchtete Parker. »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, junger Mann«, warf die ältere Dame ein. »Klar, ich war in Brighton«, räumte Ford ein. »Aber das ist ja schließlich nicht verboten, oder?« »So ähnlich drückten Sie sich bereits während der Fahrt hierher aus«, erinnerte der Butler. »Zu den drei Sterbefällen in den Senioren-Residenzen möchten Sie keine Stellung nehmen?« »Ich… ich hab’ damals Linlay nach Brighton gefahren«, sagte Ford. »Linlay, junger Mann? Nie gehört!« Die ältere Dame runzelte unwillig die Stirn. »Nun bringen Sie ja nicht neue Namen ins Spiel.« »Der bewußte Anwalt, Mylady, der das Testament juristisch absegnen sollte«, erinnerte der Butler diskret. »Ich weiß, ich weiß«, reagierte sie gereizt um sich dann wieder Ford zuzuwenden. »Und was war mit diesem Anwalt?« »Den hab’ ich nach Brighton gefahren. Das war aber auch schon alles.« »In insgesamt wie vielen Fällen, Mister Ford?« setzte der Butler nach. »Das… das weiß ich nicht mehr so genau.« »Aus den Unterlagen, die man in ihrer Wohnung fand, geht eindeutig hervor, daß Sie sechsmal nach Brighton und Umge84
bung fuhren.« »Naja, das könnte so hinkommen.« »In allen Fällen chauffierten Sie den Anwalt Linlay?« »Sagte ich doch«, erwiderte Ford wütend. »So was ist ja nicht verboten, oder? Was der da gemacht hat, weiß ich nicht.« »Mister Linlay dürfte diverse Testamente beglaubigt haben, Mister Ford.« »Auch das kann sein, will ich ja gar nicht ausschließen.« »Die Erblasser starben dann eines plötzlichen Todes, Mister Ford.« »Keine Ahnung, wer das war und wie die starben.« »Ihre jeweiligen Fahrten wurden von Mister Benedict veranlaßt?« »Ja, ich glaub’ schon«, räumte Ford weiter ein, »oder auch von Linlay, genau weiß ich das nicht mehr.« »Sie sollten sich darüber mit Mister Davis verständigen«, schlug Josuah Parker vor. »Der Kerl fehlte mir gerade noch.« »Sie können sich zu ihm bemühen, Mister Ford.« Josuah Parker trat einladend zur Seite und deutete auf die Tür des Gästezimmers. Chris Ford setzte sich zögernd in Bewegung. Dann, als Parker keine Reaktion zeigte, entwickelte er sich plötzlich zum Sprinter und rannte los. Er riß die Tür auf und verschwand im Korridor. »Was muß in solchen Köpfen nur vorgehen, Mister Parker?« amüsierte sich die ältere Dame. »Glaubt dieser Gimpel denn wirklich, er könnte flüchten?« »Er hängt möglicherweise einem Prinzip an, das man Hoffnung nennt, Mylady«, antwortete der Butler. Er betrat den schmalen Gang und nickte Ford zu, der bereits zurückkam. Er hatte inzwischen herausgefunden, daß die Tür verschlossen war. »Sie sollten sich gegenseitig nichts schenken, Mister Ford«, 85
schlug Josuah Parker ihm vor. »Sie müssen nämlich mit einer harten körperlichen Auseinandersetzung rechnen.« Er hatte sich nicht getäuscht. Nachdem Ford im Gästezimmer von Jerry Davis war, entwickelte sich dort ein Geräuschpegel, den man nur als beachtlich bezeichnen konnte. Die beiden Männer tauschten auf besondere Art ihre Argumente aus. * Der hohe Piepton meldete einen Wagen an, der wenig später vor der überdachten Haustür hielt. Auf dem eingeschalteten Monitor machte Parker ohne jede Überraschung den sogenannten Aasfresser Dan Edwards aus. Der Mann befand sich in Begleitung zweier schlanker und drahtiger Männer. Dan Edwards zuckte unwillkürlich zusammen, als Parker ihn über die Wechselsprechanlage begrüßte und nach seinen Wünschen fragte. »Hier also wohnt Lady Simpson?« staunte der Gangster, der liebend gern Berufsgenossen ausplünderte und sich in bereits laufende Geschäfte einschaltete. »Eine Bemerkung, die geradezu inhaltsschwer ist«, erwiderte Parker. »Kann man die Lady sprechen, Parker?« »Sie überbringen Nachrichten von Bedeutung, Mister Edwards?« »Kann schon sein, Parker. Es geht um Benedict, von dem Sie mir ja erzählt haben.« »Benötigen Sie dazu zwei Begleiter, Mister Edwards?« »Zwei Begleiter?« Auf dem Monitor war deutlich zu sehen, wie verblüfft der Aasfresser war. Er blickte sich hastig um und winkte seine Leute dann zur Seite. 86
»Die Tür wird Ihnen aufgetan, Mister Edwards.« Parker betätigte den elektrischen Türöffner, und Edwards und seine beiden Begleiter stürmten geradezu in den verglasten Vorflur. Dabei zogen die jungen Männer natürlich ihre Schußwaffen. Sie glaubten an eine schnelle, problemlose Erstürmung des Hauses. Dann aber zeigte sich, daß die Tür zur Wohnhalle verschlossen war. Edwards ahnte noch nicht, wie schußfest das Glas war. Er nickte den Begleitern zu, die sich gegen die Tür warfen und… zurückgeworfen wurden. Edwards sah den Butler, der das Fernbedienungsgerät in der rechten Hand hielt, und war wütend über das Hindernis. »Ich lasse alles kurz und klein schießen«, brüllte er in Richtung Parker. »Mit Querschlägern ist fest zu rechnen«, warnte der Butler. »Sie werden das absolut schußfeste Glas von diversen Banken her kennen, Mister Edwards.« Agatha Simpson erschien plötzlich in der Wohnhalle und übersah souverän die drei Besucher. Ihre sonore Stimme war über eine zweite Wechselsprechanlage im Vorflur natürlich mehr als deutlich zu hören. Sie fragte nach ihrem Tee. »Er wird umgehend serviert werden, Mylady«, antwortete der Butler. »Mylady erhielten Besuch, wenn man darauf aufmerksam machen darf.« »War er angemeldet?« wollte sie wissen und blickte flüchtig zum Vorflur. »Mister Edwards in Begleitung von zwei Leibwächtern, wie zu vermuten ist.« »Edwards, Mister Parker? Muß ich ihn kennen?« »Mister Edwards möchte Angaben zur Person des Mister Benedict machen, wie zu vermuten ist.« »Er soll warten, bis ich meinen Tee genommen habe«, meinte sie und nahm in einem Sessel vor dem großen Kamin Platz. 87
Damit waren die drei Besucher, die sie deutlich sah, aber schon nicht mehr existent. »Ist das hier ein Irrenhaus?« brüllte Edwards. »Dann eben nicht, dann seht doch zu, wie ihr an Benedict rankommt… Los, Jungs, wir verschwinden!« Er drehte sich wütend um und wollte den Vorflur in Richtung Haustür wieder verlassen, was sich allerdings als unmöglich erwies. Die schwere Tür, die einem Banktresor zur Ehre gereicht hätte, war verschlossen. »Los, schieß das Schloß raus«, brüllte Edwards die beiden Leibwächter an. »Legen Sie Wert auf ein bestimmtes Hospital, falls Sie nach den Querschlägern ärztlich versorgt werden müssen?« wollte Parker wissen. »Den Tee, Mister Parker«, reklamierte Agatha Simpson ungeduldig. »Lassen Sie sich doch nicht immer von solchen Subjekten ablenken. Sie haben sich in Geduld zu fassen, bis eine Lady Simpson Zeit für sie hat.« »Wie Mylady zu wünschen geruhen.« Parker bemühte sich um den Tee, einige Kekse, Törtchen und um Schlagsahne, um Myladys Magen zu trösten. * »Ich könnte Amok laufen«, würgte Dan Edwards nach einer halben Stunde hervor. Mylady hatte ihren Tee genommen und war bereit, den sogenannten Aasfresser nun zur Kenntnis zu nehmen. Die drei Männer waren wie gefangene Raubtiere im Vorflur herumgerannt und hatten sich nicht getraut, auch nur einen einzigen Schuß auf das Panzerglas abzugeben. »Was also haben Sie mir zu sagen, junger Mann?« fragte Agatha Simpson huldvoll. 88
»Benedict«, lieferte Edwards das Stichwort, »ich glaube, ich weiß, wo er steckt.« »Dann sagen Sie es gefälligst!« »Und was ist Ihnen der Tip wert, Lady?« »Gar nichts«, erwiderte Agatha Simpson. »Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß ich für solch einen Hinweis auch nur einen einzigen Penny ausgebe, oder?« »Dann wird nichts aus dem Geschäft…« »Das läßt mich kalt, junger Mann. Mister Parker, entfernen Sie die Lümmel!« »Haben Mylady in dieser Hinsicht spezielle Wünsche?« fragte der Butler. »Nun ja, ich biete Ihnen das Gastrecht an«, meinte sie boshaft. Parker nickte, aktivierte sein Fernbedienungsgerät und ließ die Falltür ein wenig aufklappen. Er löste damit eine Panik aus. Die Besucher spürten den sich senkenden Boden unter ihren Füßen und suchten nach Halt. Sie klammerten sich aneinander, aber sie rutschten unaufhaltsam zur Mitte der beiden Falltürhälften. »Stop, Parker«, brüllte der sogenannte Aasfresser verzweifelt. »Sie sollten sich keine unnötigen Sorgen machen«, beruhigte Parker ihn über die Wechselsprechanlage. »Sie werden höchstens viereinhalb Meter tief fallen.« »Ein Irrenhaus«, keuchte Edwards, als die Falltürhälften sich weiter senkten. »Es sind genau sechs Meter«, schaltete Lady Agatha sich sachlich ein. »Am tiefsten Punkt, Mylady«, bestätigte Parker ernst. »Ich hoffe, Sie werden sich einige Knochen brechen«, sagte Agatha Simpson zu Edwards. Sie stand vor dem Panzerglas und knabberte an einem Keks. »Sie waren mir von Anfang an 89
unsympathisch.« »Okay, Sie haben’s geschafft«, hechelte Edwards, der sich an seinen Leibwächtern festhielt. »Ich werde sagen, wo Benedict steckt.« »Tun Sie sich möglichst keinen Zwang an, Mister Edwards«, erwiderte der Butler. »Meine Leute haben ihn bei Hale Bladster gesehen.« »Ein reines Ablenkungsmanöver«, grollte die ältere Dame sofort. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört.« »Mister Bladster betreibt einen beachtenswerten Schallplattenladen, Mylady.« Parker half diskret aus. »Von ihm erfolgte der erste Hinweis auf Mister Benedict.« »Von wem denn sonst?« Sie blickte ihren Butler kopfschüttelnd an, als wäre alles für sie sonnenklar. »Benedict und Bladster stecken unter einer Decke«, redete Edwards hastig weiter. Er war ein wenig weggerutscht und klammerte sich an einem Leibwächter fest, dessen linkes Bein bereits im Spalt der Falltür steckte. »Sie wissen gerüchteweise von gefälschten Testamenten, Mister Edwards?« Der Aasfresser nickte verzweifelt. »Das hab’ ich Ihnen doch bereits gesagt, Parker. Da soll was laufen. Und es soll um tolle Summen gehen.« »Und wo sind nun die wirklichen Neuigkeiten?« mokierte sich Lady Agatha. »Das, was Sie da sagen, ist mir doch längst bekannt. Ist es nicht so, Mister Parker?« »Mylady sind bereits umfassend informiert«, erklärte der Butler in seiner höflichen Art. »Benedict und Anwalt Linlay stecken unter einer Decke«, fügte der sogenannte Aasfresser hinzu, wenn auch ein wenig zögernd. Es war deutlich zu hören, daß er diesen Hinweis hatte zurückhalten wollen. 90
»Und wo befindet sich der erwähnte Mister Linlay?« »Der ist wie vom Erdboden verschwunden, Parker. Ich laß’ aber bereits nach ihm suchen.« »Sie sind wider Willen zu einem durchaus hilfsbereiten Mitarbeiter geworden«, schickte der Butler voraus. »Aber nun sollten Sie sich von Ihren Anstrengungen ein wenig erholen, Mister Edwards. Man wird Sie rechtzeitig wieder bergen.« Ein Druck auf den Knopf des Fernbedienungsgerätes genügte, die Falltür weit aufklappen zu lassen. Ein dreifach abgestufter Schrei war zu vernehmen, als die Gangster nach unten in die Fallgrube purzelten. »Schade, Mister Parker, daß die Grube mit Schaumgummi gepolstert ist«, bedauerte die ältere Dame. »Räumen Sie das Zeug bei Gelegenheit aus. Ich bin schließlich keine Wohltäterin!« * »Ich werde die beiden Gangster überraschen«, kündigte Lady Agatha an. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums und war bereit, sich in das nächste Abenteuer zu stürzen. »Mylady denken natürlich auch an eine Falle.« »Selbstverständlich. Und warum?« »Mister Edwards wird in doppelter Absicht gekommen sein. Wie Mylady es längst durchschaut zu haben geruhen. Nach dem Öffnen der Tür versuchte er, zusammen mit seinen Begleitern das Haus zu stürmen. Wäre dies geglückt, hätte er Mylady und meine Wenigkeit an Mister Benedict verkauft.« »Was denn sonst?« Sie nickte. »Das war mir sofort klar.« »Nachdem dieser Überfall nun mißglückt war, Mylady, wollte er Mister Benedict und Mister Bladster an Mylady verkaufen.« »Ein Dummkopf«, fand sie spöttisch. »Mister Edwards rechnet nun damit, daß Mylady ins Schall91
plattengeschäft fahren. Dort könnten die Herren Bladster und Benedict bereits sehr ungeduldig auf Mylady warten. Die Hinweise des Mister Edwards könnten Teil eines Planes sein.« »Man wird eine Lady Simpson nicht überraschen können, Mister Parker. Sorgen Sie dafür, daß die Gangster sich die nächste Niederlage einhandeln.« Butler Parker brauchte keine Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Als man sich dem Plattengeschäft näherte, blinkten die Lichter einiger Streifenwagen der Polizei. Ein Rettungswagen stand dicht vor dem Ladeneingang. Uniformierte Beamte hielten neugierige Passanten zurück. »Hier dürfte etwas passiert sein«, schlußfolgerte die Detektivin messerscharf. »Vielleicht haben die beiden Subjekte sich gegenseitig umgebracht, Mister Parker.« »Man sollte nie die Hoffnung aufgeben, Mylady. Wenn es erlaubt ist, wird man den Dingen sofort auf den Grund gehen.« Parker hielt und stieg aus. Plötzlich meldete sich seine innere Alarmanlage. Er fühlte sich wie elektrisiert und spürte, daß tödliche Gefahr in der Luft lag. Ohne weiter in sich hineinzuhorchen, bückte sich der Butler und… schlüpfte zurück auf den Vordersitz. Dabei entging ihm keineswegs, daß ein Geschoß gegen die Hauswand klatschte. Kalk- und Steinstaub wirbelte durch die Luft. Einige Leute in der Nähe wandten sich irritiert um und entstaubten sich ihre Mantel und Anzüge. »Was ist denn, Mister Parker?« fragte die ältere Dame ungeduldig. »Ein Schuß auf meine bescheidene Wenigkeit«, meldete der Butler nach hinten in den Wagen. »Eine Unverschämtheit«, entrüstete sich Agatha Simpson. »Wer hat da geschossen, Mister Parker?« »Es dürfte sich um Mister Benedict gehandelt haben, Mylady«, 92
erwiderte Josuah Parker. »Und wenn man die Streifenwagen der Polizei in Betracht zieht, dürfte Mister Bladster zumindest schwer verletzt worden sein.« »Bladster?« Sie beugte sich vor. »Der Betreiber des Schallplattengeschäftes, Mylady, der aus der Sicht des Mister Benedict wohl zuviel wußte.« * »Wir haben uns mit den drei Sterbefällen befaßt«, schickte Mike Rander voraus. »Kathy und ich zogen Erkundigungen ein. Es gibt diese Sterbefälle, aber sie sehen sehr unverdächtig aus.« »In einem Fall wurde ein Senior während eines Spaziergangs überfahren«, schaltete Kathy Porter sich ein und blickte dabei auf ihre Unterlagen. »Der Fahrer des Wagens beging Fahrerflucht.« »Der zweite Senior erlitt einen Schwindelanfall und stürzte über die Klippen hinunter auf den Strand«, berichtete Mike Rander weiter. »Ein Fremdverschulden konnte nicht nachgewiesen werden.« »Wie im dritten Fall«, übernahm Kathy Porter nun wieder die Rede. »Eine Seniorin fiel über eine Treppe in der Residenz und brach sich das Genick.« Mike Rander und Kathy Porter hatten sich zum Dinner im Haus der älteren Dame eingefunden und es bereits mit Lady Agatha eingenommen. Ausgesprochen satt und zufrieden saß die Hausherrin in der großen Wohnhalle und nahm ihren Mokka, den Parker gerade serviert hatte. »Mylady gehen davon aus, daß in allen drei Fällen Testamente vorhanden waren«, machte der Butler sich bemerkbar. »Richtig«, bestätigte der Anwalt. »Auf verschlungenen Wegen, Parker, ließen meine Kollegen mich einen kurzen Blick auf die 93
Testamente werfen. Mich interessierten die Begünstigten.« »Sie werden sicher erstaunliche Feststellungen getroffen haben, Sir.« »Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben«, warf Lady Agatha ein. »Eigentlich nicht«, antwortete Mike Rander. »Die Begünstigten sind Privatpersonen und gemeinnützige Vereine. Natürlich auch bestimmte Einzelpersonen.« »Wurden die betreffenden Testamente von Anwalt Linlay urkundlich bestätigt, Sir?« »Das ist allerdings auffallend«, gab Mike Rander zurück. »In allen drei Fällen hat Linlay die Testamente angefertigt und beglaubigt.« »Konnten Sie sich möglicherweise die Namen der Begünstigten merken, Sir?« fragte der Butler. »Was heißt hier merken, Parker?« Der Anwalt lächelte. »Ich habe eine Menge von Ihnen gelernt. Ich habe die Schriftstücke fotografiert.« »Sicher nur unter innerem Protest, Sir.« »So sollte man sagen, Parker. Da es aber um eine Mordserie geht, hatte ich eigentlich keine Bedenken. Jetzt kommt etwas Verrücktes. In den drei Testamenten tauchen die Namen Realing, Ford und Davis auf. Sie erben erkleckliche Geldbeträge, so zwischen sechzig- und hundertzehntausend Pfund. Und in allen drei Testamenten erscheinen die Namen von zwei Vereinen, die ebenfalls mit hohen Geldbeträgen bedacht werden.« »Die drei verstorbenen Erblasser dürften sehr vermögend gewesen sein, Sir?« »Steinreich«, bestätigte Kathy Porter nach einem Blick auf ihre Unterlagen für Mike Rander. »Die Testamente sind zum Teil bereits vollstreckt worden. Die örtlichen Anwälte schöpften verständlicherweise keinen Verdacht.« 94
»Ein Abgrund an Niedertracht«, urteilte die passionierte Detektivin. »Es kommt noch schlimmer, Mylady«, meinte Kathy Porter. »An der Südküste existieren nach der Aufstellung von Mister Adams aus der hiesigen Senioren-Residenz noch weitere Altersheime, die nicht gerade billig sind.« »Und in drei anderen Residenzen, Mylady, starben ebenfalls zwei reiche Insassen«, zählte Mike Rander weiter auf. »Auch hier im Grund belanglose Unfälle, allerdings mit tödlichem Ausgang. Die Strickmuster gleichen sich.« »Angehörige im engen Sinne des Wortes gibt es in keinem Fall, Sir?« »Nichts, Parker«, bestätigte Mike Rander. »Die alten Leutchen waren ohne Verwandte, die die Testamente vielleicht anfechten können. Man hat da sehr gezielt gearbeitet.« »Wie könnte man an diese Personen herangekommen sein?« wollte Kathy Porter wissen. »Eine Frage, die ungemein wichtig ist, Miß Porter«, bestätigte der Butler. »Nur sogenannte Insider können da Bescheid wissen.« »Ist Benedict solch ein Insider?« fragte Rander. »Weder er noch Mister Bladster«, sagte Parker. »Vielleicht fand Anwalt Linlay Mittel und Wege, an solche Personalien zu gelangen.« »Wir sind mit unserer Arbeit aber noch nicht fertig, Mylady«, warf Kathy Porter ein. »Wir werden uns jetzt mit den Residenzen hier in London und Umgebung befassen.« »Es steht zu fürchten, daß man weitere Sterbefälle aufdecken wird«, erklärte Josuah Parker. »Kann man davon ausgehen, daß Sie sich um die erwähnten Vereine kümmern werden? Es wird dort Vorstände geben, deren Namen interessant sein dürften.« »Geht alles klar, Parker«, meinte Rander lächelnd. »Was 95
machen Realing, Ford und Davis?« »Sie dürften sich nach wie vor als Myladys Gäste betrachten«, beantwortete Parker die Frage. »Nach Lage der Dinge dürften sie jene Täter sein, die für das schnelle Hinscheiden der aufgezählten Erblasser verantwortlich sind.« »Ab sofort bekommen diese Subjekte nur noch Wasser und Brot«, entschied die Hausherrin. »Übrigens, waren da nicht noch drei andere Lümmel?« »Mylady denken an Mister Edwards und seine Leibwächter.« »Richtig«, räumte sie ein. »Haben sie etwas mit meinem Fall zu tun?« »Wohl kaum, Mylady. Sie sind uninteressant, wenn man an die Vorgänge vor dem Schallplattengeschäft denkt.« »Weiß man schon, wen’s da erwischt hat?« erkundigte sich Kathy Porter. »Eindeutig Mister Bladster, Miß Porter. Meine Wenigkeit konnte dahingehend Ermittlungen anstellen. Mister Bladster wurde laut Aussage der Polizei lebensgefährlich verletzt und ist zur Zeit nicht vernehmungsfähig.« »Er wurde niedergeschossen?« »Von drei Schüssen schwer verletzt«, bestätigte Parker. »Man kann wohl davon ausgehen, daß Mister Benedict geschossen hat.« »Wie kommen wir an den Mörder heran?« fragte der Anwalt nachdenklich. »Ich fürchte, er wird sich klammheimlich absetzen. Er weiß doch, daß ihm die Felle inzwischen davon geschwommen sind.« »Man sollte vielleicht noch mal den sogenannten Aasfresser und seine beiden Begleiter einsetzen«, schlug Josuah Parker vor. »Die Geldgier ist für diese Personen ein ungemein effektiver Ansporn.«
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* � »Unfaßbar«, sagte Adams, der Manager der Senioren-Residenz, nachdem Parker ihn am anderen Morgen ins Bild gesetzt hatte. »Gezielter Mord!« »Mylady haben meine Wenigkeit beauftragt, Ihnen Dank und Anerkennung für Ihre Mitarbeit auszusprechen«, sagte der Butler. »Ohne Ihre Computeraufstellung wären die Vorgänge wohl kaum so schnell erfaßt worden.« »Das war doch eine Kleinigkeit«, antwortete der Manager. »Nur ein paar Tastendrucke, verstehen Sie? Glauben Sie, daß noch mehr Morde ans Tageslicht kommen werden?« »Mylady geht fest davon aus«, erwiderte Josuah Parker. »Und in diesem Zusammenhang darf meine Wenigkeit nun auf den Grund des Besuches kommen.« »Sie bekommen von mir jede Hilfe, die Sie brauchen, Mister Parker.« »Es geht um Ihren ehemaligen Pfleger Davis«, begann der Butler. »Könnte er sich die Informationen hier aus Ihrem Computer verschafft haben?« »Theoretisch kein Problem, falls er mit einem Computer umgehen kann«, lautete die Antwort des Managers. »Gelegenheit, an das Gerät heranzukommen, hat er reichlich gehabt. Ich bin ja nicht jede Minute hier im Büro.« »In diesem Fall könnte Ihr Pfleger Davis allerdings nur Daten ausdrucken lassen, die die Residenzen Ihrer Gesellschaft betreffen, nicht wahr?« »Andere Daten haben wir natürlich nicht gespeichert. Aber es dürfte nicht schwer sein, an andere Daten heranzukommen. Nehmen wir Davis, um bei ihm zu bleiben. Er ist Pfleger und könnte in ähnlichen Fremd-Residenzen auftauchen und sich dort die hausinternen Angaben verschaffen. Es gibt natürlich auch 97
noch eine andere Möglichkeit.« »Sie erregen das höchste Interesse meiner Wenigkeit, Mister Adams.« »Er könnte in die Fremdsysteme eingedrungen sein. Sie wissen, was ein Hacker ist?« »Ein Computer-Freak, wie man sie wohl heißt, der sich in Fremdsysteme einschleicht.« »Haargenau, Mister Parker. Falls Davis so was ist, kann er jeden Computer angezapft haben.« »Eine schreckliche Vorstellung. Mister Davis hätte sich also dann alle wichtigen Informationen über die Senioren verschaffen können.« »Ohne jede Schwierigkeit, Mister Parker. Danach brauchte er sich dann nur noch die Personen auszusuchen, die als Opfer in Betracht kamen.« »Nun, mit weiteren Opfern ist sicher nicht mehr zu rechnen«, hoffte der Butler. »Mylady hat bereits einige wichtige Personen, darunter auch Mister Davis erfreulicherweise, in Gewahrsam nehmen können. Und mit der Verhaftung des eben erwähnten Mister Benedict ist ebenfalls bald zu rechnen.« »Sie sind ihm auf der Spur?« »Im Wandtresor eines Mister Bladster befinden sich Unterlagen, die auf ihn als Täter verweisen. Wahrscheinlich finden sich in diesem Safe noch weitere Hinweise auf Mittäter, Mister Adams.« »Die Polizei hat sie noch nicht gefunden?« »Hoffentlich nicht«, gab Parker zurück. »Noch mal, Mister Adams, allerherzlichsten Dank für Ihre Kooperation. Sie trugen wesentlich zur Aufdeckung dieser sogenannten Mord-AG bei.« Parker lüftete höflich die schwarze Melone und ließ sich dann von Adams hinunter in die Empfangshalle der Senioren-Residenz bringen. 98
»Passen Sie auf sich auf, Mister Parker«, warnte der Manager, als der Butler sich zur Tür begab. »Sie wissen, es wurde schon mal auf Sie geschossen.« »Man wird eine gewisse Vorsicht walten lassen«, erwiderte Josuah Parker und wagte den ersten Schritt nach draußen. * Das Büro war abgedunkelt, die Jalousien hatte man fest geschlossen. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis sich endlich etwas tat. Die Hintertür zu Hale Bladsters Büro wurde bearbeitet. Man hörte deutliches Scharren und Schaben am und im Schloß. Dann gab es ein Klicken, und die Tür öffnete sich. Es war eindeutig Benedict, der sich mit größter Vorsicht in das elegant eingerichtete Büro des Schallplattenverkäufers schob. Benedict orientierte sich kurz und ging dann zur holzverkleideten Wand rechts vom Schreibtisch. Dann horchte er, glitt geschmeidig zur Haupttür, lauschte hier und befaßte sich mit dem Wandsafe, der ohne Schwierigkeiten zu finden war. Die Tarnung war nur oberflächlich. Benedict trug Jeans und eine ärmellose Lederweste. Im breiten Ledergürtel steckte eine schwere, automatische Waffe. Benedict befaßte sich fachmännisch mit dem Schloß und brauchte etwa drei Minuten, bis er die Safetür bezwungen hatte. Er zog sie auf und streckte die Hände hoffnungsvoll in das Wertfach. Doch dann zuckte er wie unter einem Peitschenhieb zusammen und brüllte. In seiner rechten Gesäßhälfte vibrierte ein buntgefiederter Blasrohrpfeil, der sich tief in den Muskel gebohrt hatte. Benedict wirbelte herum und machte so klar, warum er intensiv geschrien hatte. Zwei reguläre Mausefallen waren zugeschnappt und hatten 99
seine ausgestreckten Finger voll erwischt. Der Schmerz, den die Stahlbügel verursachten, mußte beträchtlich sein. »Sie kamen schneller als erwartet«, sagte Parker. Er stand bereits hinter dem Sessel, wo er abwartend in Deckung gegangen war. »Entschuldigen Sie höflichst die beiden Mausefallen. Aber sie schienen meiner Wenigkeit durchaus geeignet, das schnelle Ziehen der Waffe zu verhindern.« Benedict hörte nicht sonderlich konzentriert zu. Er hüpfte und tänzelte von einem Bein auf das andere, stöhnte hingebungsvoll und vergoß Krokodilstränen. »Was ist denn?« war in diesem Moment eine Stimme zu vernehmen. Die hintere Tür wurde aufgedrückt. Parker duckte sich und wartete auf den Neuankömmling, der Benedict herumtanzen sah und sich verständlicherweise wunderte. »Damit wäre der Fall wohl geklärt, Mister Adams«, sagte der Butler und… verschoß sofort einen zweiten Blasrohrpfeil aus seinem Universal-Regenschirm. Der Manager der Senioren-Residenz stierte ungläubig auf den kleinen Pfeil, der in seiner rechten Brust federte. Dann klappte er förmlich in sich zusammen, taumelte, fiel gegen die holzgetäfelte Wand und landete schließlich auf dem Boden. Parker benutzte seinen Regenschirmgriff, um Benedict kurz auszuschalten. Dann erst kümmerte er sich um den Manager, der ihn aus weit geöffneten Augen anblickte, aus Augen, in denen die Panik nistete. Josuah Parker nahm dem Mann eine Schußwaffe weg und öffnete die Haupttür zum Büro. Lady Agatha marschierte ein, stämmig, majestätisch, füllig. Sie blickte auf Adams und nickte dann. »Ich ahnte es gleich«, sagte sie. »Nein, ich wußte es sogar von Anfang an. Nur Sie konnten diese Informationen besorgen und sich die richtigen Opfer aussuchen.« »Benedict hat mich erpreßt«, behauptete Adams weinerlich. 100
»Wie dem auch sei«, redete die ältere Dame weiter. »Diese unwichtigen Kleinigkeiten soll gefälligst die Polizei klären. Ich kann ja nicht alles allein machen. Ich habe schließlich noch andere Dinge zu tun.« »Wahrscheinlich wäre Mister Benedict nach dem Öffnen des Safes gestorben«, warf Josuah Parker ein und zeigte die Waffe des Managers. »Es fragt sich, ob Mister Benedict überhaupt wußte, daß Mister Adams nachkommen würde.« »Was ist denn das?« Agatha Simpson entdeckte die Mausefallen an Benedicts Fingern. »Meine Wenigkeit war so frei, sie in den Safe zu geben, Mylady«, antwortete der Butler höflich. »Sie waren als Überraschungseffekt gedacht.« »Albern, sehr albern«, urteilte die ältere Dame. »Hoffentlich können Mylady meiner Wenigkeit noch mal verzeihen.« »Nun ja.« Sie lächelte flüchtig. »Wieso kam ich eigentlich darauf, daß dieser Manager der eigentliche Täter ist?« »Mylady deuteten es soeben bereits an«, erinnerte Josuah Parker.« Nur Mister Adams war im Besitz aller Informationen, die er durch Mister Benedict auswerten ließ. Diese Person bediente sich dann der Täter Realing, Ford und Davis.« »Das interessiert mich schon nicht mehr«, winkte sie ab. »Hauptsache, McWarden ärgert sich, daß ich ihm schon wieder einen fertig gelösten Fall auf den Tisch legen kann. Um aber noch mal auf die Mausefallen zu kommen, Mister Parker.« »Mylady sehen meine Wenigkeit erwartungsvoll.« »Sie haben einen Fehler gemacht, Mister Parker. Sie hätten Rattenfallen nehmen sollen.« Josuah Parker verzichtete auf eine Antwort und deutete nur eine zustimmende Verbeugung an.
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