Butler Parker Neu Nr. 202
Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker macht de...
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Butler Parker Neu Nr. 202
Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von
Günter Dönges
Parker macht den
Zirkus mit
Der Tiger strich fauchend an den Eisenstäben entlang. Er befand sich eindeutig im Zustand höchster Gereiztheit. Hin und wieder blieb er jäh stehen, stellte sich auf seine Hinterfüße und schien an dem soliden Gitter rütteln zu wollen. »Ein Prachtexemplar, nicht wahr?« meinte Pete Rilding stolz und stocherte mit seiner langen Eisengabel in einer Schubkarre, bis er einen passenden Brocken Fleisch gefunden hatte.
Er spießte ihn auf, schob ihn unter das Gitter und fuhr überrascht zurück, als der Tiger brüllte, sich blitzschnell auf den Leckerbissen stürzte und ihn mit der linken Pranke an sich riß. »Und den wollen Sie zähmen, guter Mann?« erkundigte sich Mike Rander und schüttelte den Kopf. »Alles eine Frage der Geduld, Mr. Rander«, antwor tete Pete Rilding, der Direktor des Zirkus, der gleichzeitig Dompteur der gemischten Raubtiergruppe war. Rilding war schlank, etwa vierzig Jahre alt, trug Jeans und ein kariertes Hemd. Er trat nahe an das Gitter des Wagens heran und ... wich erneut zurück, als die Raubkatze wütend reagierte. Das Tier flog förmlich aus der Ecke durch die Luft und warf sich gegen die Gitterstäbe. Der Käfigwagen wankte gefährlich. »Sind Sie sicher, Rilding, daß die Stäbe halten?« fragte Mike Rander und wirkte stets ein wenig versnobt. Er trug zu seinem dunkelblauen Blazer eine graue Flanellhose. Im Gegensatz zu Butler Parker sah er direkt jungenhaft aus. Josuah Parker hingegen war altersmäßig kaum einzuordnen und bot das Bild eines hochherrschaftlichen Butlers. Wie gewohnt erschien er im schwarzen Zweireiher mit schwarzer Krawatte und Melone und hatte über den angewinkelten linken Unterarm den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms gehängt. Er besaß das ausdruckslose, glatte Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers. Im Gegensatz zu Mike Rander und Pete Rilding, die beide zurückgezuckt waren, als der Bengaltiger sein wildes Temperament präsentierte, war Parker regungslos stehen geblieben. Er glich einem Standbild. Der Tiger fauchte, zeigte seine furchterregenden Zähne und schob sich zurück in die Ecke des fahrbaren Käfigs, um sich
wieder seinem Fleischbrocken zu widmen. Mike Rander, seines Zeichens Anwalt, hob die linke Augenbraue, als er das Knacken eines durchgebissenen Knochens horte. »Wo bleibt Ihr Kommentar, Parker?« Rander drehte sich um. »Ein bemerkenswertes Exemplar seiner Art, Sir«, antwortete der Butler würdevoll. »Seine Gereiztheit entspricht, wenn ich es so ausdrücken darf, der allgemein hier vorherrschenden Atmosphäre.« »Stimmt, Mr. Parker«, pflichtete Pete Rilding dem Butler bei, »keine Ahnung, warum das so ist.« »Sie scheinen bei den Tierchen Aggressionen auszulösen«, stichelte Mike Rander und sah den Butler lächelnd an. »Weiß der Teufel, was mit den Tigern los ist.« Pete Rilding entschuldigte sich knapp bei seinen Besuchern und ging dann an der Reihe der Zirkuswagen entlang, in denen andere Raubtiere untergebracht waren. Löwen, weitere Tiger, schwarze Panther und Pumas attackierten die Gitterstäbe ihrer Wagen und ließen sich auch nicht von dem ihnen vertrauten Dompteur beruhigen. »Was halten Sie von der ganzen Geschichte, Parker?« fragte der Anwalt, »lohnt es sich, Geld in diesen Zirkus zu stecken?« »Mr. Rilding ist eindeutig eine Kapazität, was die Eigenheiten eines solchen Unternehmens betrifft, Sir. Sein Name und sein Können werden in Fachkreisen gerühmt. Er entstammt zudem einer sogenannten alten englischen Zirkusfamilie.« »Hat der Zirkus überhaupt noch eine Zukunft?« Rander zündete sich eine Zigarette an, bevor der Butler ihn mit einem recht betagt aussehenden Feuerzeug bedienen konnte. »Der Zirkus an sich, Sir, wird immer wieder totgesagt«, entgegnete Parker gemessen, »doch immer wieder erhebt er sich wie ein Phoenix aus der Asche, wenn ich diesen Vergleich
verwenden darf.« »Hier ist allerdings noch viel Asche.« Mike Rander wandte sich langsam nach allen Seiten um. Er befand sich mit Josuah Parker auf dem Gelände einer Farm im Nordwesten von London. Auf einem Innenhof, der vom Wohnhaus, der Scheune und einem Stallgebäude eingeschlossen wurde, standen Zirkuswagen, die dringend repariert und angestrichen werden mußten. Hinter dem Stall, auf einer eingezäunten Wiese, erhoben sich die drei Masten eines ebenfalls schadhaften Zirkuszeltes. Mike Rander war im Auftrag Lady Simpsons unterwegs, um an Ort und Stelle sich ein Urteil zu bilden. Pete Rilding hatte sich wegen eines Kredits an eine Bank in London gewandt und war auf diese Art und Weise an Lady Simpson geraten, die an diesem Unternehmen beteiligt war. »Sehen wir uns noch weiter um, Parker«, schlug Mike Rander vor und setzte sich in Bewegung. Dann aber blieb er erstaunt stehen. Pete Rilding schien in Wut geraten zu sein. Er knallte förmlich die Faltblenden der Raubtierwägen zu und trat dann schnell seinen Besuchern entgegen. »Sinnlos«, sagte er mit heiserer Stimme und wischte sich dicke Schweißperlen von der Stirn, »hat keinen Sinn. Die Bestien drehen durch, spielen total verrückt. Gehen wir zurück ins Haus, ja?« »Gehen wir, Rilding«, erinnerte Mike Rander, als der Zirkusdirektor dennoch wie betäubt stehen blieb und auf einen der Raubtierwagen zurück schaute. »Hallo, Rilding, was ist los?« »Äh? Ja, natürlich.« Der Mann setzte sich mit schweren Schritten in Bewegung und schien an einer Last zu tragen. Parker konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Pete Rilding erheblich geschockt war ...
»Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, möchte ich mir noch ein wenig die Füße vertreten«, erklärte der Butler. Mike Rander und der Zirkusdirektor hatten sich an einem Tisch im Wohnraum des Farmhauses niedergelassen, um über Einzelheiten des erbetenen Kredits zu sprechen. »Sie ... Sie wollen 'raus?« fragte Pete Rilding sofort. Er sah den Butler abschätzend und irge ndwie nervös an. »Dies bietet sich an, Mr. Rilding«, erwiderte Josuah Parker überaus höflich, »ein Schlendern hier im Wohnraum dürfte sich als wahrscheinlich störend erweisen.« »Bleiben Sie möglichst von den Raubtierwagen weg«, warnte Pete Rilding und hob warnend den rechten Zeigefinger, »die Tiere brauchen jetzt Ruhe.« »Sie dürfen versichert sein, Mr. Rilding, daß ich diese Ruhe nicht stören werde«, erwiderte der Butler, lüftete höflich die schwarze Melone und verließ den Wohnraum. Er ahnte, daß Rilding ihn durch eines der Fenster beobachtete und begab sich gemessenen Schrittes hinüber zu den leeren Wohnwagen, die durchweg ausgeschlachtet waren und darauf warteten, wieder in einen brauchbaren Zustand versetzt zu werden. Sie alle waren von der Substanz her noch vollkommen in Ordnung, stammten aber von verschiedenen Unternehmen und benötigten vor allen Dingen einen einheitlichen Anstrich und ansprechende Farben. Butler Parker bewunderte den Mut des Mr. Rilding, der einen neuen Zirkus aufbauen wollte. Ihm blieben nur noch wenige Monate, wenn er bis zum Beginn der Saison unterwegs sein wollte. Personal stand ihm so gut wie nicht zur Verfügung.
Parker hatte einige handfest aussehende Männer gesehen, die in der Scheune arbeiteten. Im Moment aber schienen sie das Feld geräumt zu haben, wie der Augenschein es lehrte. Parker blieb stehen, wandte sich dem alten Farmhaus zu und wechselte dann hinüber zu den Raubtierwagen. Rildings Verhalten hatte er als äußerst seltsam empfunden. So konnte er sich auf keinen Fall erklären, warum der Zirkusdirektor die Faltblenden derart abrupt geschlossen hatte. Es ging zwar auf Abend zu, doch es war noch zu früh, die Raubtiere auf die Nachtruhe vorzubereiten. Parker gestattete sich also, genau die Faltblende zu Öffnen, die Pete Rilding zuerst so hastig geschlossen, ja förmlich zugeworfen hatte. Warum, so fragte Parker sich, hatte Rilding danach so ein ungewöhnliches Benehmen an den Tag gelegt? Was mochte ihn derart erschreckt haben? An dem Löwen, den Parker hinter den Gitterstäben sah, konnte es unmöglich liegen. Die Raubkatze saß friedlich in einer Ecke des Käfigs und leckte sich die linke Vorderpranke. Sie musterte Parker aus bernsteingelben Augen interessiert und abschätzend, zeigte aber keine Erregung. Parker wollte sich bereits abwenden, als er plötzlich eine mehr als seltsame Entdeckung machte ... Neben der Raubkatze entdeckte er die Reste einer zerfetzten Hose und ... Hosenträger! Parker trat naher an die Gitterstäbe heran, um besser zu sehen. Dann besann er sich auf seinen Universal-Regenschirm und schob die Spitze vorsichtig unter die Gitterstäbe. Er hatte die Absicht, nach den Hosenträgern zu angeln, deren Anwesenheit im Käfig er sich verständlicherweise nicht zu erklären vermochte. Der Löwe empfand dies als lästige Ruhestörung und schlug mit der Pranke, die er sich eben erst geleckt hatte, nach dem schwarzen Gegenstand. Parker war jedoch schneller und zog seinen Regenschirm blitzschnell zurück. Die Raubkatze brüllte
und ärgerte sich sichtlich. Sie kam schnell ans Gitter und fauchte gereizt. »Was machen Sie denn hier?« hörte Parker in diesem Moment eine Stimme. Er wandte sich höflich um und lüftete seine schwarze Melone. »Ich betreibe, wenn man so will, naturwissenschaftliche Studien«, antwortete er und fotografierte mit seinen Augen einen untersetzten und stämmigen Mann, der seine lange Fleischgabel in Händen hielt, deren zwei Zinken irgendwie drohend auf den Butler gerichtet waren. »Lassen Sie die Tiere in Ruhe«, warnte der Mann. »Sie sind ein so genannter Tierpfleger?« fragte Parker in seiner höflichen Art. »Richtig, Mann. Und darum sage ich: Gehen Sie lieber! Die Katzen sind heute verdammt gereizt...« »Sollte es dafür Gründe geben?« »Keine Ahnung!« Der Tierpfleger zuckte die Achseln. »Das is' nun mal so.« »Vielleicht möchte Ihr Schützling weiter mit den Hosenträgern dort spielen«, sagte Parker und deutete mit der Spitze seines Schirms auf den erwähnten Gegenstand. »Hosenträger?« Der Tierpfleger kniff die Augen zusammen und beugte sich vor. »In der Tat«, meinte Parker, »wenn Sie genauer hinsehen, so wird Ihnen nicht entgehen, daß daran sogar noch Teile einer einstmals grauen Hose hängen.« »Ausgeschlossen, das ... das kann nicht sein. Oder doch ... « »Oder doch!« Parker nickte bestätigend. »Ach so, jetzt fällt's mir wieder ein.« Der Tierpfleger bemühte sich um ein harmloses Grinsen, »das Biest hat sich 'ne alte Arbeitshose gekrallt, die am Haken hing.«
Er zeigte tatsächlich auf einen Haken, der seitlich am Wagen angebracht war, Dann drängte er den Butler geschickt ab und schloß wieder die Faltblenden. »Fürchten Sie nicht, daß jener König der Tiere, wie man so zu sagen pflegt, sich den Magen verdirbt?« fragte Parker. »Wie sollte er?« Der Tierpfleger lächelte dümmlich. »Hosenträger dürften nur schwer zu verdauen sein«, gab Josuah Parker zurück, »aber als Laie sehe ich das unter Umständen auch falsch.« »Das geht schon in Ordnung.« Der Tierpfleger hatte etwas von seiner Nervosität verloren und lehnte die langstielige Gabel gegen die Stirnwand des Raubtierwagens. »Hören Sie, sagen Sie aber nichts dem Chef, ja? Rilding dreht leicht durch.« »Kein Wunder, wenn man Tag für Tag mit Raubkatzen arbeitet«, entgegnete der Butler. »Wo befindet sich, wenn man fragen darf, der Raubtierkäfig, in dem die Dressurgruppe zusammengestellt wird?« »Keine Ahnung ... Ah ... Der wird noch gebaut, verstehen Sie? Wir fangen hier ja erst an.« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf einen einzelnen, noch gut erhaltenen Schuh, den er unter der Wagendeichsel entdeckt hatte. »Sollten Sie diese Fußbekleidung nicht auch noch zu den Hosenträgern geben?« schlug er dann vor, »dies würde das Bild ein wenig abrunden.« Der Tierpfleger, bekam einen roten Kopf, bückte sich hastig nach dem Schuh und ... warf ihn dann in hohem Bogen über den Raubtierwagen. Als der Mann sich umwandte, schritt Parker bereits würdevoll zurück zum Farmhaus.
»Wiederholen Sie bitte noch mal, Parker: Hosenträger und ein Herrenschuh?« Mike Rander sah den Butler ein wenig konsterniert an. »Bestehen Sie darauf, Sir, daß die beiden Kleidungsgegenstände erneut genannt werden?« Josuah Parker und Mike Rander saßen in einem kleinen Pub der Ortschaft Dunstable, am nördlichen Fuß der Chiltern Hills. Sie hatten die Farm vor zwanzig Minuten verlassen und wollten gleich nach London zurück fahren. »Hosenträger und ein Herrenschuh«, sagte der Anwalt noch mal, »ich wette, Parker, Sie haben sich darauf bereits einen Reim gemacht, oder?« »Gewisse Vorstellungen, Sir, drängen sich unwillkürlich auf, wenn ich so sagen darf.« »Nämlich?« Rander sah den Butler aufmerksam und erwartungsvoll an. »Man geniert sich ein wenig, Sir, der Phantasie freien Lauf zu lassen.« »Lady Simpson würde sich mit Sicherheit nicht genieren, Parker«, gab Mike Rander zurück und lachte leise, »sie würde natürlich sofort wieder an ein Verbrechen denken.« »Dies, Sir, wäre in der Tat nicht auszuschließen.« »Ich denke allerdings auch an so etwas, Parker.« Rander lächelte nicht mehr. »Mylady würde doch glatt annehmen, dieser Löwe habe einen Menschen verspeist - oder? « »Eine Vorstellung, Sir, die man nur als schrecklich bezeichnen kann.«
»Könnte es so gewesen sein, Parker?« »Grundsätzlich wäre es möglich, Sir, doch die Tatsache an sich erscheint meiner bescheidenen Wenigkeit als recht unwahrscheinlich« »Wir sollten Lady Simpson kein Wort von den Hosenträgern und dem Schuh erzählen, Parker.« »Wie Sie meinen, Sir.« Die beiden ungleichen Männer verstanden sich ausgezeichnet. Vor Jahren hatten sie bereits zusammengearbeitet und waren als Amateurkriminalisten sehr erfolgreich gewesen. Dann aber war Mike Rander in die USA übergesiedelt und hatte dort als Jurist britische Firmen vertreten. Nach seiner Rückkehr' war er von Lady Agatha, in deren Diensten Parker stand, sofort >vereinnahmt< worden. Sie hatte ihm die Verwaltung ihres immensen Vermögens übertragen und gewollt-ungewollt dafür gesorgt, daß er sich wieder mit Gangstern, Gaunern und Banditen herumschlagen mußte. Lady Agatha fühlte sich nämlich als Kriminalistin und zog die Verbrechen an wie der Magnet die Eisenfeilspäne. Was immer sie auch tat, früher oder später stolperte sie in einen Kriminalfall und sorgte für haarsträubende Abenteuer. Butler Parker aber hatte sich notgedrungen Lady Agatha und Mike Rander zu widmen, was ihn jedoch nicht die Spur aus der Ruhe brachte. Mit der würdevollen Souveränität, die ihn auszeichnete, hielt er seine schützende Hand über seine Herrschaft, wie er es ausdrückte, und bewahrte sie vor Schaden. Dank seiner vielen Listen und seiner Improvisationskunst war es ihm bisher immer gelungen, Mitglieder der kleinen und großen Unterwelt leer laufen zu lassen. Und ein gewisser Chief-Superintendent McWarden, der Chef eines Sonderdezernats im Londoner Yard, konnte verzwickte Fälle als gelöst abhaken, Fälle, die der Butler ihm
quasi wie auf einem Silbertablett servierte. »Fahren wir, Parker«, schlug Mike Rander vor, »oder haben Sie andere Pläne?« »Keineswegs, Sir«, antwortete der Butler höflich, »die beiden Männer dort am Tresen würden ohnehin jeden Ihrer Schritte überwachen.« »Wir werden beobachtet, Parker?« Mike Rander widerstand der Versuchung, sich sofort umzuwenden. »Seit dem Verlassen der Farm, Sir«, sagte Josuah Parker, »es dürfte sich um Angestellte des Mr. Pete Rilding handeln, oder präziser ausgedrückt, um Männer, die mit ihm auf der Farm wohnen.« »Demnach liegt also irgend etwas in der Luft, Parker?« »Dies, Sir, könnte man feststellen«, schlug der Butler vor, »die Weiterfahrt in Richtung Luton bietet Möglichkeiten für einen Test.«
»Die beiden Männer, Sir«, meldete Parker, als ein Motorrad sie überholte. »Tatsächlich, das sind sie.« Mike Rander saß im Fond jenes hochbeinigen Monstrums, das Parker nach seinen sehr eigenwilligen Vorstellungen und Plänen hatte bauen lassen. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, an dem es so gut wie keine abgerundeten Ecken gab. Unter dem Blechkleid jedoch, das in einem vornehmen und matten Schwarz gehalten war, befand sich eine Fülle modernster Technik. Der Motor allein hätte einem Tourenrennsportwagen zur Ehre gereicht. Darüber hinaus verfügte der But ler über Zusatzeinrichtungen, die er immer noch ausbaute und verbesserte. Seine Freunde
und Gegner nannten dieses Fahrzeug nicht umsonst eine Trickkiste auf Rädern. Das Motorrad war inzwischen hinter einer scharfen Biegung verschwunden. Parker fuhr bis nahe an diesen Knick heran, um dann aber anzuhalten. »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich den Rest des sicher nur kurzen Weges zu Fuß zurücklegen«, sagte er. »Und wie haben Sie mich verplant, Parker?« wollte Mike Rander amüsiert wissen. »Ließe es sich unter Umstanden einrichten, Sir, daß Sie in etwa fünf Minuten mit dem Gefährt folgen?« »Laßt sich machen, Parker.« Der Anwalt, der die Marotten seines Butlers nur zu gut kannte, verzichtete auf jede Frage, Er wechselte nach vorn zum Fahrersitz und blickte Parker nach, der bereits hinter einer Mauer verschwand, die aus Bruchsteinen errichtet und etwa fünfzig Zentimeter hoch war. Hinter dieser Mauer erhob sich ein schütteres Wäldchen mit erfreulich viel Unterholz. Josuah Parker, der sich vor dem Verlassen des Pub den Verlauf der Straße nach Luton genau angesehen hatte, kannte sich bestens aus. Aus taktischen Gründen hatte er eine schmale Seitenstraße gewählt, auf der so gut wie kein Verkehr herrschte. Parker durchmaß den kleinen Wall, hielt sich in Deckung des Unterholzes und erreichte schon nach wenigen Augenblicken die andere Seite der Straße. Hinter dem Knick tat sich Erstaunliches. Die beiden Motorradfahrer saßen neben ihrem Fahrzeug, das schräg auf der Straße abgelegt worden war, blickten in Richtung Straßenknick und schienen auf den Wagen zu warten, den sie gerade überholt hatten. Josuah Parker hatte zwar nicht damit gerechnet, doch immerhin mit einer kleinen Falle. Nun, diese beiden Männer wollten, aus welchen Gründen auch immer, einen Unfall
vortäuschen und den nachfolgenden Wagen zum Halten bringen. Parker griff in eine Innentasche seines schwarzesn Zweireihers und holte eine zusammenlegbare Hochleistungsschleuder hervor, deren Griff und Gabel aus hochwertigem Stahl bestanden. Die beiden Gummistränge verrieten schon rein optisch, mit welcher Wucht sie ihre Ladung befördern konnten. Parker entschied sich bei der Wahl der Munition für einige hartgebrannte Tonkugeln, die nicht größer waren als die Hälfte eines Zigarettenfilters. Dann erschien auch bereits das hochbeinige Monstrum. Mike Rander fuhr in mittlerem Tempo um den Straßenknick und sah prompt die beiden Motorradfahrer, die sich blitzschnell auf der Fahrbahn ausgebreitet hatten. Sie hatten eine äußerst dekorative Haltung angenommen und suggerierten jedem Verkehrsteilnehmer, sie seien wohl gerade verunglückt. Mike Rander stoppte. Josuah Parker aber hatte inzwischen eine Tonkugel in die Lederschlaufe seiner Schleuder gelegt, strammte die beiden Gummistränge und visierte den Mann an, der etwa anderthalb Meter links vom Motorrad auf der Straße lag. Mike Rander stieg inzwischen wie selbstverständlich aus und täuschte Hast und Bestürzung vor. Er konnte sich dieses Verhalten leisten, denn er wußte ja schließlich, daß Parker in der Nähe war und aufpaßte. Der Anwalt lief auf jenen Mann zu, der direkt neben dem Motorrad lag und sich langsam und qualvoll aufrichtete, um auf sich aufmerksam zu machen. Dadurch wandte Mike Rander dem zweiten, entfernter liegenden Mann automatisch den Rücken zu. Parker hatte sich für den richtigen Mann entschieden. Der sprang nämlich ungemein geschmeidig auf und warf einen Blick auf das hochbeinige Monstrum. Er suchte offenbar nach dem zweiten Insassen.
Der Butler war ein Meister in der Handhabung der Gabelschleuder. Er visierte kurz sein Opfer an und ließ die Tonmurmel dann durch die Luft zischen. Der Mann blieb daraufhin wie erstarrt stehen, schien nachzudenken, erbebte dann leicht und warf ohne Vorwarnung beide Beine nach vorn und hoch in die Luft. Anschließend klatschte er unsanft auf Gesäß und Rücken. Mike Rander hatte dies gar nicht mitbekommen. Er fuhr nämlich zurück, als der Verunglückte, um den er sich kümmern wollte, ihn unfairerweise mit einer Faustfeuerwaffe bedrohte. Der Anwalt reagierte prompt darauf und ... benutzte seine Handkante als Waffe. Er schien den Unterarm des Mannes wie mit einem Beil durchtrennt zu haben, denn der Getroffene brüllte, verlor die Schußwaffe und war nicht mehr in der Lage, seine Hand zu heben. Er verzichtete auf jede weitere Feindseligkeit, griff mit der linken Hand nach seinem herabhängenden Arm und weinte bittere Tränen.
»Sehr hübsch«, kommentierte Lady Simpson diesen Teil der Geschichte. »Ich hoffe, Sie haben diesem Subjekt den Arm ausgehängt, Mike.« »Geprellt, Mylady«, erklärte der Anwalt. »Er wird ihn ein paar Tage lang kaum gebrauchen können.« »Ein Bruch wäre besser gewesen«, sagte die resolute Dame. Sie war groß, stattlich und hatte die Sechzig überschritten. Ihre Fülle wirkte majestätisch. Wo immer sie erschien, beherrschte sie automatisch die Szene. Die Lady war Besitzerin eines immensen Vermögens und mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und
verschwägert. Seit vielen Jahren Witwe, lebte sie ihr sehr eigenwilliges Leben und kannte keine Konventionen. Sie konnte äußerst liebenswürdig sein, was allerdings nur selten der Fall war. Normalerweise gab sie sich grimmig und einschüchternd. Sie tarnte damit ein an sich weiches Herz und gefiel sich darin, robust zu erscheinen. Agatha Simpson befand sich im Teesalon ihres altehrwürdigen Hauses in Shepherd's Market, in der Nähe vom Hyde Park. Dieses Haus, ein Fachwerkbau aus dem Mittelalter, stand auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei und wurde von beiden Seiten U-förmig von anderen Fachwerkhäusern eingefaßt. Der kleine Platz mit diesen Häusern war eine überraschende Oase in der Millionenstadt London. Mike Rander und Josuah Parker waren vor wenigen Minuten von ihrer Ausfahrt heimgekehrt und hatten einen kurzen Bericht geliefert, gewisse Dinge aber ausgespart und verschwiegen. »Wo stecken die beiden Lümmel?« erkundigte sich Lady Agatha mit ihrer dunkel gefärbten Stimme. »Ich hoffe, Mr. Parker, Sie haben sie im Kofferraum mitgebracht. Ich werde sie gleich verhören!« Sie fühlte sich als Kriminalistin und als Meisterin in der Technik des Verhörs. Die Lösung von kleinen und großen Kriminalfällen war ihre Leidenschaft. Darüber hinaus aber sah sie sich auch als Schriftstellerin und hatte den Ehrgeiz, einer gewissen Agatha Christie eines Tages den Rang abzulaufen. Sie suchte allerdings noch nach einem passenden Stoff, dies aber schon seit Jahren. Sie verfügte über ein technisch hervorragend eingerichtetes Arbeitsstudio, das nur darauf wartete, ihr endlich dienstbar zu sein. »Mylady werden verzeihen«, schickte Parker voraus und deutete eine leichte Verbeugung an, »Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit kamen überein, diese beiden Männer
dort zu belassen, wo man sie fand.« »Ich höre doch wohl nicht recht?« Ihre Stimme hatte einen grollenden Unterton angenommen. »Wir hatten keine andere Wahl«, schaltete sich der Anwalt lächelnd ein, »leider erschien ein Personenwagen mit drei Insassen.« »Darauf, Mylady, ein zweiter mit übrigens nur zwei Insassen«, fügte Josuah Parker hinzu, »in Anbetracht dieser Konstellation war an eine Mitnahme leider nicht mehr zu denken, wie ich bedauernd feststellen muß.« »Sie wissen also noch nicht mal, wer diese beiden Männer sind?« Lady Agatha schüttelte nachdrücklich und vorwurfsvoll den Kopf. »Keine Ahnung«, schwindelte der Anwalt schnell. »Wahrscheinlich aber handelte es sich um Strauchdiebe, die uns einen Unfall anhängen wollten. Ein altbekannter Trick: Man täuscht einen Unfall vor, um so an Schmerzensgeld zu kommen.« »Die beiden Herren hatten behauptet, von der Straße abgedrängt worden zu sein, Mylady«, lieferte Josuah Parker seinen Beitrag zu diesem kleinen Schwindel. »Ich darf versichern, daß sie derartige Behauptungen nun mit Sicherheit nicht aufstellen werden.« »Sie sind einfach zu gutmütig, mein Junge.« Lady Simpson sah Mike Rander ein wenig müder an. Sie mochte ihn sehr. Dann wandte sie sich an Parker. »Und Sie sind einfach zu arglos, Mr. Parker. Sie müssen noch viel lernen!« »Wie Mylady meinen.« Parkers Gesicht blieb unbeweglich. Ihm war nicht anzusehen, ob und wie sehr er sich amüsierte. Bevor die ältere Dame sich weiter mit ihm befassen konnte, meldete sich die Türglocke. Parker entschuldigte sich und verließ den kleinen Salon. Er begab sich in die große Wohnhalle und öffnete vor dem verglasten, viereckigen
Windfang einen kleinen Wandkasten. Er schaltete den Fernsehmonitor ein und sah nach, wer sich draußen vor der schweren Stahltür befand, die als solche übrigens nicht zu erahnen war.
»Ich habe Ärger, um ganz offen zu sein«, sagte ChiefSuperintendent McWarden. »Warum kündigen Sie nicht, McWarden?« erkundigte sich Lady Simpson spöttisch bei dem untersetzten, rundlichen Mann, der stets wie ein leicht gereizter Terrier aussah. »Warum suchen Sie sich nicht endlich einen anderen Beruf?« »Ich habe immer noch die Hoffnung, Sie eines Tages bei einer Ungesetzlichkeit zu erwischen«, erwiderte McWarden bissig. Zwischen ihm und Agatha Simpson bestand so eine Art Haßliebe. Sie mochten sich, aber sie hüteten sich, das zu zeigen. Der fünfzigjährige McWarden bewunderte die Energie der älteren Dame, sie hingegen schätzte seine unbeirrbare Zähigkeit. »Ihr Dezernat beschäftigt sich mit einem neuen Fall?« fragte Mike Rander lächelnd. Die Lady hingegen runzelte die Stirn, als Josuah Parker dem Gast einen Sherry servierte. Sie war eine sparsame Frau, wenn es um solche Kleinigkeiten ging. »Haben Sie in jüngster Zeit von einem Gangster gehört, der sich das >Raubtier< nennt?« fragte McWarden und wandte sich an Josuah Parker. »Ich bedaure unendlich, Sir« »Das Raubtier?« schnappte Lady Agatha sofort zu, »klingt ja
direkt interessant. Und warum nennt man dieses Subjekt so? Das muß doch Gründe haben, nicht wahr?« »Was ich Ihnen jetzt sage, muß diskret behandelt werden«, schickte der Chief-Superintendent voraus und dämpfte unwillkürlich seine Stimme. »Ja, eigentlich dürfte ich kein einziges Wort verlauten lassen.« »Dann verzichten Sie doch, junger Mann«, stichelte Lady Agatha und genoß es, daß McWarden bei der Anrede >junger Mann< wieder mal zusammenzuckte. »Okay, dann werde ich schweigen«, erwiderte McWarden prompt. »Nun nehmen Sie doch nicht immer alles gleich so wörtlich!« Lady Agathas Neugier war geweckt worden. »Mr. Parker, vielleicht möchte unser Gast noch einen Sherry?« »Danke, gern.« McWarden genoß seinen Triumph und ließ sich Zeit. Dann räusperte er sich ausgiebig. »Meine Vertrauensleute innerhalb der Unterwelt berichten übereinstimmend von rätselhaften Geschichten. Die Bosse kleinerer Organisationen oder auch spezialisierte Einzelgänger müssen von diesem >Raubtier< angefallen und übel zugerichtet worden sein.« »In welcher Art und Form, Sir, wenn diese Frage gestattet ist?« meldete Josuah Parker sich zu Wort. »Die betreffenden Leute stehen ohne Ausnahme unter einem schweren Schock, sind eindeutig verletzt worden und trauen sich nicht mehr aus ihren Wohnungen oder Häusern. Sie alle wollen das Opfer dieses Raubtiers geworden sein.« »Um was für Verletzungen handelt es sich, McWarden?« fragte der Anwalt »Bißwunden! Mehr war leider nicht zu erfahren. Das Stichwort >Raubtier< flüstert man sich nur hinter vorgehaltener Hand zu. Die V-Manner haben Angst, neugierige
Fragen zu stellen. Die meisten von ihnen sind übrigens plötzlich untergetaucht und nicht mehr zu erreichen. Sie scheinen sich in Luft aufgelöst zu haben.« »Mit diesem Fall sind Sie natürlich überfordert«, stellte Lady Agatha in ihrer stets direkten Art fest. »Ich glaube, daß ich mich da einschalten muß, nicht wahr, Mr. Parker?« »Eine Zusammenarbeit wäre in der Tat ratsam und zu empfehlen«, antwortete der Butler. »Seit wann streicht dieses >Raubtier< durch die Stadt?« fragte der Anwalt. »Erst seit drei oder vier Tagen, aber die haben bereits genügt, um Panik und Schrecken auszulösen.« »Darf man davon ausgehen, Sir, daß Sie eine Liste der bisherigen Opfer besitzen?« Parker servierte McWarden einen dritten Sherry, worauf Myladys Stirn nur noch aus Unmutsfalten bestand. »Ich habe da eine Kopie der Liste«, entgegnete McWarden und griff in seine Brusttasche. Er reichte sie dem Butler und nippte dann dankbar an seinem Sherry. »Vielleicht lassen Sie mal Ihre Beziehungen spielen, Mr. Parker, ja? Schaden kann das ja nicht, aber lassen Sie sich nur ja nicht von diesem >Raubtier< erwischen. Die Methoden des Gangsters müssen völlig neu und ungewöhnlich sein. Und brutal dazu!«
»Ich weiß nichts, ich weiß überhaupt nichts«, sagte Dan und mühte sich redlich ab, glaubwürdig zu erscheinen. Dan, ein kleiner Mann von annähernd sechzig Jahren, schlank und übernervös, was mit seinem täglichen Konsum an Alkoholika aller Art zusammenhing, wich dem Blick des Butlers aus.
»Sie unterschätzen sich, Mr. Fellers«, erwiderte der Butler in seiner würdevollen Art. »Sie wissen mit Sicherheit, daß heute zum Beispiel Donnerstag ist.« »Kann schon sein, aber sonst weiß ich überhaupt nichts«, schränkte Dan Fellers ein. »Mr. Parker, bitte, lassen Sie mich in Ruhe...« »Sie haben. Angst, wie ich unterstellen möchte, nicht wahr?« Josuah Parker hatte Dan Fellers in einem schäbigen Reihenhaus aufgesucht. Der Gewohnheitstrinker, der vom Alkohol bereits deutlich gezeichnet war, befand sich eindeutig in Aufbruchstimmung. Auf dem schmalen Tisch an der Wand seines Zimmers stand ein schäbiger Koffer, in den Fellers ein paar Kleidungsstücke und vor allen Dingen zwei Flaschen Brandy gelegt hatte. »Vor wem sollte ich Angst haben?« Dan Fellers schüttelte viel zu heftig den Kopf. »Ich will nur mal 'raus aufs Land und was für meine Gesundheit tun.« »Sie glauben sich auf dem Land sicher vor einem gewissen Raubtier?« »Vor... Vor einem Raubtier?« Dan Fellers starrte den Butler an und wandte ihm dann abrupt den Rücken zu. »Dieses Raubtier scheint Angst und Schrecken zu verbreiten«, redete der Butler weiter. »Keine Ahnung, Mr. Parker.« Dan Fellers schloß den Koffer. »Wenn ich was wüßte, würde ich doch glatt was sagen, Hab' ich das nicht immer so gehalten?« »Sie waren in der Tat schon häufig eine relativ wertvolle Hilfe erwiderte Parker höflich, »ich wünsche Ihnen eine gute Reise und eine noch bessere Erholung. Wo, sagten Sie, wurden die Opfer gefunden?« »Im Richmond ... Äh, was soll das, Mr. Parker? Wollen Sie mich reinlegen?«
»Ich gestatte mir, Ihnen eine gute Erholung zu wünschen.« Parker legte in seiner diskreten Art eine Banknote auf den schmalen Tisch, lüftete seine schwarze Melone und verließ das enge Zimmer. Er besaß bereits die Information, die er benötigte, um gezielt weiterarbeiten zu können. Mike Rander stand neben dem hochbeinigen Monstrum und grüßte mit der Hand, als Parker das schmale Reihenhaus verließ. »Hat sich der Besuch gelohnt?« fragte er. »Mr. Dan Fellers erwies sich als ungemein schwierig und zurückhaltend«, gab der Butler ungewöhnlich laut zurück, »diese Fahrt, Sir, sollte man als eine Fehlinvestition verbuchen.« »Und wohin jetzt?« Rander nahm im Fond des Wagens Platz, während Parker sich ans Lenkrad setzte. Er fuhr weich und langsam an. »Zum Richmond Park, Sir«, antwortete der Butler jetzt in normaler Lautstärke. »Jetzt? Um diese Zeit?« wunderte sich der Anwalt. »Es geht in der Tat auf dreiundzwanzig Uhr zu, Sir«, antwortete Parker, »der Park - oder genauer gesagt Teile desselben dürften bereits geschlossen sein.« »Eben, Parker, eben. Denken Sie nur an den Golfplatz!« »Möglicherweise sind dort dennoch gewisse Aktivitäten zu beobachten, Sir. Ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang an das zitierte Raubtier zu denken.« »Demnach hat Fellers also doch geredet, oder?« »Er war nahe daran, auf den Richmond Park hinzuweisen, Sir. Dort sollen die bisherigen Opfer gefunden worden sein.« »Moment mal, Parker, davon hat McWarden aber kein Wort gesagt.« »Ihm fehlte es sicher an der erforderlichen Information, Sir.«
»Kaum anzunehmen, Parker.« Mike Rander lachte leise. »Diese Information hat er uns natürlich vorenthalten. Aber wieso Richmond Park? Das liegt nicht gerade in der City.« »In der Tat, Sir, ich gestatte mir, bereits darüber nachzudenken. Diese idyllische Kleinstadt am rechten Themseufer ist kaum als ein Tummelplatz der Unterwelt zu bezeichnen.« »Sie drücken es wieder mal sehr höflich aus, Parker. Sie hoffen also wirklich, dort das Raubtier beobachten zu können?« »Der Mensch lebt von der Hoffnung, Sir, wenn ich es so umschreiben darf«, lautete die Antwort des Butlers. »Zudem möchte ich darauf verweisen, daß man bereits erneut verfolgt wird ...«
»Wer sind Sie?« fragte Harry Spellman erstaunt und musterte die Schwester, die sein Einzelzimmer im Hospital betrat. Er musterte die etwas füllige, majestätische Erscheinung, die energisch an sein Bett kam. »Ich bin die Nachtschwester«, erwiderte die resolut wirkende Dame mit dunkler Stimme, »ich werde mich ein wenig um Sie kümmern, junger Mann.« »Ich ... Ich habe doch überhaupt nicht geklingelt«, sagte der etwa fünfundvierzigjährige Spellman. Sein Gesicht war verpflastert, sein linker Arm dick verbunden. Das eingegipste rechtte Bein hing an einem Galgen. »Wie fühlen Sie sich?« erkundigte sich die Nachtschwester und ging auf Spellmans Bemerkung überhaupt nicht ein. »Nicht besonders, Schwester«, gestand der Mann, der sich ein wenig beruhigt hatte.
»Sie haben Schmerzen?«
»Und wie, Schwester!« Spellman nickte vorsichtig.
»Wie schön«, lautete der Kommentar der Nachtschwester.
»Was erlauben Sie sich?« Spellman sah die Frau empört an.
»Bisher haben Sie die doch immer anderen Menschen
zugefügt«, gab die sonderbare Nachtschwester zurück. »Es wurde höchste Zeit, daß auch Sie so etwas mal erleben.« »Verschwinden Sie sofort«, keuchte Spellman, »hauen Sie ab! Wo ist die Klingel?« »Bedienen Sie sich!« Die Nachtschwester reichte Spellman die Klingel und. .. schnitt dann mit einer Schere, die sie in der linken Hand auf dem Rücken versteckt gehalten hatte, die Klingelschnur durch. Spellman drückte sich zurück ins Kissen und atmete schwer. Seine Augen schlossen sich halb. Er brauchte einige Zeit, bis er diese Überraschung seelisch verarbeitet hatte. »Wer ... Wer sind Sie?« fragte er dann leise. »Ihre Nachtschwester, junger Mann«, lautete die Antwort, »Ihre sehr neugierige Nachtschwester! Erzählen Sie mir doch, was passiert ist! Sie können sich Zeit nehmen, die Nacht ist noch lang...« »Sie sind niemals eine Nachtschwester«, stieß Spellman hervor. Er war Gangsterboß, der laut der Liste von ChiefSuperintendent McWarden von einem sogenannten >Raubtier< mißhandelt worden war. »Würde es schmerzen, wenn ich an Ihren Fuß komme?« fragte die Nachtschwester und wechselte ihren Standort. Sie ging zum Fußende des Bettes und streckte ihre rechte Hand nach dem Galgen aus. »Nein, nein, nur das nicht!« Spellmans Stirn war bereits schweißnaß«, tun Sie's nicht!« »Sie wollten mir Ihre Geschichte erzählen, junger Mann.«
»Wer sind Sie, sagen Sie's schon! Hat Barry Sie geschickt?« »Trauen Sie ihm so etwas denn zu, junger Mann?« »Jederzeit.« Spellman nickte und wischte sich mit der freien Hand die Schweißperlen von der Stirn, »der ist doch scharf darauf, meinen Laden zu übernehmen. Hat er Sie geschickt? Reden Sie doch! Man kann sich doch verständigen.« »Und was schlagen Sie vor, junger Mann?« Die Nachtschwester ließ ihre Hand auf dem Galgen liegen und lächelte hintergründig. »Okay, er kann von mir aus einsteigen.« Spellman entspannte sich etwas. »Er kann das Südrevier haben, soll er damit doch glücklich werden! Gehen Sie, sagen Sie ihm das!« »Wird Barry sich auf Ihr Wort verlassen können?« Die Nachtschwester griff nach dem eingegipsten Bein. »Er hat doch verdammt Zeit genug, das durchzuziehen, ich liege hier bestimmt noch Wochen.« »Ich werde mich mit diesem Barry unterhalten«, versprach die Nachtschwester, »wie war doch sein vollständiger Name?« »Sie ... Sie kennen Barry überhaupt nicht?« wunderte sich Spellman. »Ich wünsche den vollständigen Namen zu hören«, verlangte die seltsame Schwester und schnipste mit ihrem Mittelfinger gegen den Gips, worauf Spellman unwillkürlich stöhnte, obwohl er keinen Schmerz verspürt hatte. »Barry Hollister«, sagte er hastig. »Er hat Sie also nicht geschickt, wie?« »Verlieren wir uns nicht in Kleinigkeiten«, schickte die Schwester voraus, »erzählen Sie mir vom Raubtier, junger Mann. Ich werde ganz Ohr sein. Ich möchte jede Kleinigkeit erfahren. Sie sollten froh sein, daß Sie sich mal gründlich aussprechen können. Und wie gesagt, die Nacht ist noch lang. Sie brauchen sich also nicht besonders kurz zu fassen.«
»Sie sind niemals 'ne Krankenschwester«, urteilte Spellman und beging den Fehler, laut um Hilfe zu rufen. Nach knapp anderthalb Sekunden sah er diesen Fehler ein und schluchzte leise. Er fühlte sich dieser Frau total ausgeliefert.
»Meinen Sie den kleinen Lieferwagen, Parker?« fragte Mike Rander, nachdem Butler Parker auf neue Verfolger aufmerksam gemacht hatte. »Gewiß, Sir. Er fiel meiner bescheidenen Wenigkeit bereits auf, als wir Ihr Haus verließen.« »Komische Geschichte, Parker. Wem haben wir auf die Zehen getreten?« »Man sollte diesen Lieferwagen vielleicht in Zusammenhang mit den beiden Motorradfahrern sehen, Sir.« »Die sich Ihr Wagenkennzeichen gemerkt haben, nicht wahr?« »Die beiden Motorsportler könnten Freunde hier in London verständigt haben, Sir.« »Und warum dieser Aufwand? Weil wir diesen Pete Rilding besucht haben? Sagten Sie nicht, daß der Mann aus einer alten Zirkusfamilie stammt und einen guten Namen hat? « »Hinter einem guten Namen, Sir, könnten sich Abgründe seelischer Art verbergen, wenn ich so sagen darf.« »Warum sollte Rilding uns, wenn auch auf Umwegen, um einen Besuch gebeten haben, denn, Moment mal, er konnte ja nicht wissen, wem die Bank gehört!«
»Auf keinen Fall, Sir. Dies ist nur wenigen Herren bekannt, die sich im Finanzwesen auskennen. Und diese Herren würden darüber nie reden.« »Demnach könnten wir Pete Rilding, aus welchen Gründen auch immer, in Alarmstimmung versetzt haben.« »Ein logischer Schluß, Sir, der sich förmlich aufdrängt.« »Schnappen wir uns auch diese Verfolger, Parker?« »Vielleicht wäre es ratsam, Sir, erst mal abzuwarten, was die Verfolger im Detail planen.« »Hauptsache, wir landen nicht gerade im Krankenhaus, Parker.« »Dagegen ließe sich von Fall zu Fall einiges tun, Sir, wenn ich so sagen darf. Wir nähern uns übrigens bereits Richmond Park. Wenn Sie erlauben, werde ich das Golfgelände ansteuern, auf dem man um diese Zeit mit einiger Sicherheit allein sein dürfte.« Mike Rander hatte sich halb umgewandt und beobachtete den kleinen dunklen Kastenlieferwagen, der ihnen beharrlich folgte. Im Licht der ausgezeichneten Straßenbeleuchtung hatte er schnell herausgefunden, daß sich vorn im Fahrerhaus zwei Männer befanden, die offenbar Lederjacken trugen. Ob sie allerdings mit den Motorradfahrern identisch waren, ließ sich nicht feststellen, war seiner Ansicht nach auch nicht sehr wahrscheinlich. Butler Parker hatte den Parkplatz des Golfgeländes erreicht, stellte sein hochbeiniges Monstrum ab und registrierte, daß der Lieferwagen am Parkplatz vorbeifuhr und dann in der Dunkelheit verschwand. »Es dürfte sich um die übliche Finte handeln, Sir, die dem Zweck dient, etwaiges Mißtrauen zu zerstreuen.« »Denke ich auch, Parker. Und was nun? Laden wir die beiden Burschen doch zu einem trauten Stelldichein ein, wie?«
»Dazu sollte man sich vielleicht dort der Tür bedienen, Sir.« Josuah Parker deutete mit der Spitze seines Regenschirms auf eine Mauerpforte rechts vom Clubhaus. Er schritt auf sie zu und bediente sich seines kleinen Spezialbestecks, um sie innerhalb weniger Sekunden zu öffnen. Die beiden Männer passierten die Tür und betraten sofort das eigentliche Gelände. Sie hielten auf eine kleine Baumgruppe zu. »Herrlicher Platz«, meinte Mike Rander, als sie diese erreicht hatten. Er musterte das parkähnlich angelegte Areal und sah in Richtung des Pen Pounds, einem hübschen, kleinen See jenseits des Golfplatzes. »Womit rechnen Sie, Parker?« fragte der Anwalt nach einigen Minuten, als sich noch immer nichts getan hatte. »Wollen wir hier bleiben? Sollten wir uns nicht zeigen?« »Die Tür, Sir, wurde gerade vorsichtig geöffnet«, meldete Josuah Parker. »Sie müssen ja wahre Luchsohren haben, Parker.« »Ich war so frei, Sir, einen kleinen Stein auf der oberen Kante der Tür zu deponieren«, antwortete Parker höflich, »erwähnter Stein fiel gerade zu Boden.« »Nichts zu sehen.« Mike Rander beobachtete die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Wir sollten die beiden Burschen provozieren.« »Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, möchte ich Ihnen das gewähren, was man gemeinhin Rückendeckung nennt.« »Tun Sie das, Parker!« Mike Rander lachte leise. »Ich werde mich den beiden Typen jetzt mal zeigen.« Er verließ die Deckung der kleinen Baumgruppe und trat auf den schon taufeuchten Rasen. Butler Parker beobachtete weiter das Clubhaus und nahm seinen Universal-Regenschirm hoch wie ein Gewehr. Er tat dies nicht ohne Grund, denn der altväterlich
gebundene Regenschirm war tatsächlich eine gut getarnte, wirksame Waffe. Parker konnte mit ihr Blasrohrpfeile verschießen, die von komprimierter Kohlensäure angetrieben wurden. Er konnte damit allerdings auch Schrotladungen abfeuern, deren weitflächige Streuung genügte, hartnäckige Angreifer nachhaltig zu stoppen. Mike Rander hatte etwa zehn Meter zurückgelegt, als Josuah Parker plötzlich einen dunklen Strich ausmachte, der sich bereits vom Clubhaus gelöst hatte. Der Butler reagierte augenblicklich, legte den Bambusgriff seines Schirms über den linken Unterarm und griff nach seiner Hochleistungsschleuder. Er entschied sich diesmal nicht für eine hart gebrannte Tonmurmel, sondern für eine Stahlkugel. Er glaubte, dafür gute Gründe zu haben. Dann bat er Mike Rander in seiner höflichen Art, er möge doch umkehren und nebem ihm Schutz suchen.
Die füllige und majestätisch aussehende Krankenschwester hatte das Hospital durch einen der vielen Wirtschaftsausgänge auf der Rückseite des Gebäudes verlassen und marschierte energisch auf einen Landrover zu, der auf dem Parkplatz für Angestellte stand. Sie hatte den robusten und geländegängigen Wagen noch nicht ganz erreicht, als ihr eine junge Frau entgegenkam, die einen dunklen Hosenanzug trug. Sie war etwas über mittelgroß, schlank und verfügte über geschmeidige Bewegungen. »Sie sind schon zurück, Mylady?« fragte die junge Frau. »Männer sind doch sehr geschwätzig, Kindchen«, erwiderte die Krankenschwester, »und feige und ängstlich dazu. Ich habe nur ein paar Mal gegen das eingegipste Bein geklopft, und
schon redete dieser Spellman wie ein Wasserfall.« »Kann er Alarm schlagen, Mylady?« fragte Kathy Porter. Sie war die Sekretärin und Gesellschaft erin der älteren Dame und wurde von ihr wie eine leibliche Tochter behandelt, übrigens mit allen Vor- und Nachteilen. »Spellman schläft jetzt ein wenig«, entgegnete Lady Agatha, »zuerst wollte er die Schlaftablette nicht nehmen, doch ich weiß ja, wie man Männer überredet.« Die >Krankenschwester< setzte sich ans Steuer des LandRover, ließ den Motor an und preschte förmlich aus dem Stand los. Agatha Simpson hielt sich für eine erstklassige Fahrerin, die immer noch davon träumte, eines Tages Formelrennen fahren zu können. »Spellman hat also ausgesagt, Mylady«, fragte Kathy Porter weiter. Sie besaß ein exotisch geschnittenes Gesicht, was mit ihren mandelförmigen Augen zusammenhing. Ihr kastanienbraunes Haar mit dem leichten Rotstich verlieh ihr im Ruhestand das Aussehen eines scheuen Rehs, doch wenn es sein mußte, verwandelte Kathy sich ohne jeden Übergang in eine wilde Pantherkatze. »Was er mir da gesagt hat, wollte ich zuerst nicht glauben, Kindchen«, erwiderte Lady Agatha und fädelte sich in den Verkehr ein, »ob Sie es glauben oder nicht, Kathy: Er ist im Richmond Park von einem leibhaftigen Raubtier gehetzt und angefallen worden!« »Das klingt tatsächlich wie im Märchen. Ein Raubtier? Hier in London?« »Man hatte ihn während der Nacht in den Richmond Park gelockt, Kindchen. Und dort wurde er dann überfallen, er und seine beiden Leibwächter. Anschließend mußte Spellman loslaufen, einfach so über den Rasen. Und dann war plötzlich dieses >Raubtier< hinter ihm und fiel ihn an. Was sagen Sie zu dieser Geschichte?«
»Hat Spellman die Wahrheit gesagt, Mylady?« »Kindchen - er hat!« Sie nickte grimmig. »Ich habe ihm eine Spritze gezeigt, daraufhin klappte dieser Waschlappen förmlich in sich zusammen. Ich bin sicher, er hat die Wahrheit gesagt. Seine Verletzungen bestätigen ja schließlich das, was McWarden mir gesagt hat, oder?« »Ein Raubtier im Richmond Park...!« Kathy Porter schüttelte den Kopf, »und wahrscheinlich gezielt auf diesen Spellman angesetzt. Das klingt irgendwie nach einem Krimi, Mylady.« »Ich weiß, mein Kind.« Die ältere Dame nickte freundlich. »Mr. Parker und Mr. Rander werden Augen machen, und darauf freue ich mich bereits jetzt. Was wären sie ohne mich?! Nein, nein, Sie brauchen darauf nicht zu antworten, Kathy.« »Konnte Mr. Spellman sagen, um was für ein >Raubtier< es sich gehandelt hat?« wollte Kathy Porter wissen. »Er sprach von einem Tiger, Kindchen. Und auch das nehme ich ihm ab. Ich brauche jetzt nur noch den Täter zu suchen, der mit einem Tiger arbeitet, und schon ist dieser Fall gelöst. Ich schäme mich fast, daß es wieder mal so schnell gegangen ist!«
»Allmächtiger, Parker, was war denn das!?« Mike Rander wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah auf den Rasen. Dann wandte er sich um und beobachtete das Clubhaus. Dort war nichts mehr zu sehen. »Falls meine bescheidenen Augen mich nicht trogen, Sir, wurden Sie von einem Raubtier gejagt«, antwortete der Butler, der die Hochleistungs-Gabelschleuder noch immer schußbereit in seinen schwarz behandschuhten Händen hielt. In der
Lederschlaufe befand sich eine dritte schwere Stahlkugel. »Dann habe ich mich also doch nicht getäuscht«, gab Mike Rander zurück und zündete sich' eine Zigarette an, »was war das für ein Tier? Haben Sie es erkennen können?« »Ich beziehe mich erneut auf meine Augen, Sir«, entgegnete Parker in seiner höflich-gemessenen Art, »es scheint sich um einen Gepard gehandelt zu haben.« »Um einen Gepard?« Rander nickte langsam, »könnte durchaus sein, wenn ich nur an die rasante Schnelligkeit denke! Das Biest hätte mich um ein Haar erwischt.« »Ich muß gestehen, Sir, daß auch meine bescheidene Person mit solch einer Attacke nicht gerechnet hat.« »Keine Frage, wer diesen Gepard auf uns gehetzt hat, Parker.« »Das Tier muß im Kastenaufbau des kleinen Lieferwagens transportiert worden sein, Sir.« »Eben, Parker. Und auf diese Art und Weise sind die Opfer erwischt worden, von denen McWarden erzählte.« »Ein Zweifel ist in der Tat wohl auszuschließen, Sir.« »Sie haben das Biest erstaunlich gut getroffen, Parker. Mein Kompliment! Wenn es sich nicht überschlagen hätte, wäre ich tatsächlich dran gewesen.« »Ein sogenannter Sonntagsschuß, Sir.« »Zwei Sonntagsschüsse, Parker«, stellte der Anwalt klar, »nach dem zweiten Treffer zog das Raubtier winselnd Leine.« »Die Stahlkugeln schmerzen empfindlich, Sir«, antwortete Josuah Parker, »ich erlaubte mir in Anbetracht der Lage, das stärkste Kaliber zu verwenden.« »Ich werde mich bei Gelegenheit bei Ihnen revanchieren, Parker«, meinte der Anwalt lächelnd. Er hatte seinen leichten Schock bereits überwunden, »Können wir's riskieren, zum Wagen zurück zu gehen?«
»Davon kann man überzeugt sein, Sir, die beiden Männer dürften mitsamt ihrer tödlichen Waffe das Weite gesucht haben.« »Ist ein Gepard tödlich, Parker?« »Nicht unbedingt, Sir, was den Menschen betrifft. Aber nach solch einer Konfrontation werden Betroffene kaum noch den Wunsch hegen und verspüren, erneut Bekanntschaft mit solch einem Raubtier zu machen.« »Ich kann's den Leuten nachfühlen.« Mike Rander schüttelte sich.« Jetzt aber zum Motiv, Parker, Wer hetzt warum einen Geparden auf seine Mitmenschen? Haben wir es mit einem Verrückten zu tun?« »Diese Möglichkeit, Sir, sollte man ausschließen. Hier dürfte es sich um gezielte Aktionen handeln, die kühl geplant wurden. Ich darf darauf verweisen, daß die Opfer sich aus Kreisen der Unterwelt rekrutieren, wenn ich von Ihnen mal absehe, Sir.« »Vielen Dank für die freundliche Einschränkung.« Mike Rander lachte und wandte sich plötzlich blitzschnell um. Er glaubte, hinter sich ein Geräusch gehört zu haben. Es war nichts ... »Meine Nerven flattern doch noch erheblich«, stellte der Anwalt fest«, ich brauche bald einen Whisky, Parker.« »Darf ich im Wagen damit dienen, Sir?« Parker öffnete die Tür und ließ den Anwalt vorausgehen. Sie hielten auf Parkers hochbeiniges Monstrum zu. »Haben wir das diesem Pete Rilding zu verdanken?« fragte Rander, als er sich im Wagen gestärkt hatte. Parker servierte ihm den zweiten Whisky. Es gehörte zu seiner Bordausrüstung, daß er mit vielerlei Erfrischungen helfen konnte. »Mr. Pete Rilding, Sir, bietet sich als Täter ohne weiteres an«, lautete die Antwort des Butlers, »nur seine Motive bedürfen noch der Klärung. Es müssen schwerwiegende
Gründe sein, die ihn veranlassen, derart zu handeln, falls er natürlich der Mann ist, der ein Raubtier als Waffe einsetzt.« »Natürlich ist er der Mann, Parker! Wer sonst?« »Darf ich darauf hinweisen, Sir, daß es Menschen gibt, die sich die seltsamsten und gefährlichsten Tiere zu Hausgenossen erkoren haben ?« erwiderte Josuah Parker höflich. »Geparde sind besonders beliebt, zumal sie sich dem Menschen schnell anschließen und relativ leicht zu zähmen sind.«
»Ich komme nicht zufällig vorbei, Mylady«, sagte ChiefSuperintendent McWarden am anderen Morgen, »ich bin dienstlich hier.« »So sehen Sie auch aus, junger Mann«, gab sie stichelnd zurück. »Gegen Sie liegt eine Anzeige vor, Mylady.« McWarden machte einen gereizten Eindruck. »Sie sollen Harry Spellman genötigt haben.« »Zu was, McWarden? Und wer ist Spellman?« Die Lady genoß es sichtlich, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, »Sie sind als Krankenschwester im Hospital gewesen und haben Spellman gezwungen, gewisse Aussagen zu machen.« »Haben Sie sich seine Fieberkurve vom behandelnden Arzt zeigen lassen, McWarden?« erkundigte sich die ältere Dame süffisant, »und noch einmal: Wer ist Spellman? Was habe ich denn angeblich aus ihm herausgepreßt?« Lady Agatha befand sich in der Bibliothek ihres Stadthauses in Shepherd's Market und hatte gerade ihr Frühstück eingenommen. Butler Parker, der den Chief-Superintendent hereingelassen hatte, stand seitlich hinter dem Sessel, in dem seine Herrin Platz genommen hatte.
»Spellman behauptet, von Ihnen mißhandelt worden zu sein.« Nun mußte McWarden allerdings doch flüchtig lächeln. »Zur Nachtschwester eigne ich mich nicht, McWarden«, antwortete die ältere Dame, »ich lasse es gern auf eine Gerichtsverhandlung ankommen, mehr habe ich zu diesen Dingen nicht zu sagen.« »Spellman stand immerhin auf der Liste, die ich Ihnen anvertraut habe, Mylady. Was hat er denn ausgesagt?« »Sie wissen es nicht?« Die Detektivin sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Er hat sich Ihnen nicht anvertraut?« »Die Anzeige traf heute morgen schriftlich ein, Mylady. Spellman hat das Hospital verlassen. Sein augenblicklicher Aufenthalt ist unbekannt. Sein Anwalt behauptet, er fühle sich bedroht.« »Doch nicht von einer reifen Frau, wie ich es bin!« Sie lachte amüsiert, »nun sagen Sie schon, McWarden, weshalb Sie kommen.« »Was hat Spellman gesagt, Mylady?« McWarden dämpfte seine Stimme. »Er wird doch über dieses Raubtier gesprochen haben, nicht wahr?« »Woher soll ich das wissen, McWarden?« Lady Agatha hob bedauernd die Schultern. »Haben denn die anderen Männer, die angegriffen und verletzt worden sind, nichts über dieses Raubtier sagen können?« schaltete Kathy Porter sich ein. Sie saß vor einem Schreibtisch und sichtete Papiere. »Eine gute Frage, meine Liebe.« Lady Agatha nickte erfreut. »Darüber haben Sie uns bisher kein Wort gesagt, McWarden. Handelte es sich tatsächlich um ein vierbeiniges Raubtier? Oder ist das nur ein Spitzname? Sie haben sich bisher sehr schweigsam gezeigt.« »Was ich Ihnen sage, Mylady, ist die reine Wahrheit: Dazu
hat sich keiner der bisherigen Opfer geäußerst. Ich glaube, daß es sich da um einen Spitznamen handelt. Nur so kann es sein. Wir leben schließlich in einer Millionenstadt und nicht im Dschungel.« »Haben die bisherigen Opfer nicht wenigstens eine Andeutung gemacht, Sir?« fragte nun Butler Parker. »Das große Schweigen im Walde, Mr. Parker«, behauptete McWarden, »wie gesagt, an ein echtes Raubtier kann ich einfach nicht glauben. Oder tun Sie es vielleicht?« »Ich darf darauf verweisen, Sir, daß viele Bewohner dieser Stadt sich Hausgenossen halten, die man nur als ungewöhnlich gefährlich bezeichnen kann und muß. In diesem Zusammenhang denke ich an Reptilien aller Art, nur um ein Beispiel zu nennen.« »Aber man halt sich doch keine vierbeinigen Raubtiere, die Menschen anfallen und zerfleischen, Mr. Parker«, widersprach McWarden, »das klingt mir doch zu abenteuerlich.« »Wie, wenn man höflichst fragen darf, Sir, urteilen denn die Ärzte über die Verletzungen?« wollte Parker wissen. »Richtig, auch dazu haben Sie bisher so gut wie nichts gesagt«, stellte die Detektivin grollend fest, »Sie unterschlagen mir wieder mal wichtige Details. Wie soll ich Ihnen da helfen, McWarden? Sie werden Ihre Karten schon auf den Tisch legen müssen.« »Es ... Es handelt sich tatsächlich um echte Bißwunden«, antwortete der Chief-Superintendent, »nach Ansicht der Ärzte stammen sie von einem Raubtier.« »Präziser, McWarden, etwas präziser«, verlangte die ältere Dame energisch. »Zieren Sie sich nicht wie ein kleines Mädchen!« »Die Bißwunden und Knochenbrüche müssen von einer schweren Raubkatze herrühren«, sagte McWarden, »die Ärzte
glauben, daß ein Tiger oder ein Panther im Spiel ist.« »Schnickschnack.« Lady Agatha winkte gelangweilt ab. »Reden Sie mir nicht ein, in unserer Stadt würde sich ein Tiger herumtreiben und auf Gangsterbosse spezialisiert haben! Oder haben Sie sich für Ihr Dezernat solch eine Raubkatze abrichten lassen? « »Ein abgerichtetes Raubtier...« McWarden nickte. »Genau an so etwas denke ich. Schade, Mylady, daß Sie nicht die Nachtschwester gewesen sind, sonst wüßte man jetzt vielleicht mehr.« »Was nicht ist, kann ja noch werden«, erwiderte die Detektivin und lächelte versonnen, »Sie haben mich da auf einen guten Gedanken gebracht, McWarden. Das kommt nicht oft vor.« »Erlauben Sie meiner Wenigkeit eine Frage, Sir?« ließ der Butler sich vernehmen. »Hoffentlich darf ich sie beantworten, Mr. Parker«, baute McWarden vor. »Wurden die Opfer an verschiedenen Stellen in der Stadt angegriffen?« »Darüber ist nichts zu erfahren, Mr. Parker, und das ist die reine Wahrheit. Die Opfer wurden in allen bisher bekannten Fällen in die Notaufnahmen der Hospitäler geschafft, schweigen sich aber beharrlich aus. Sie haben eindeutig Angst, und ich glaube, daß man sie nachdrücklich gewarnt hat, der Polizei gegenüber etwas zu sagen.« »Um wieviel Opfer handelt es sich bisher, Sir?« wollte Kathy Porter wissen. »Es sind uns sechs Fälle bekannt, Miß Porter, das geht ja auch aus meiner Liste hervor.« »Die hoffentlich komplett ist, McWarden?« warf die ältere Dame ein.
»Sie ist komplett, Mylady.« McWarden nickte. »Ich fürchte aber, sie wird sich erweitern. Ein abgerichtetes Raubtier in den Straßen von London... Kaum vorstellbar, mit solch einem Gedanken muß man sich erst mal vertraut machen! Eine scheußliche Vorstellung! Spellmann hat also keine Andeutung gemacht, warum man dieses Raubtier auf ihn gehetzt hat und wie es aussah?« »Ich werde diesem Lümmel Ohrfeigen anbieten, falls er sich erdreistet, so etwas noch mal zu behaupten«, grollte Lady Agatha gekonnt und machte einen beleidigten Eindruck. »Aber wie gesagt, ich werde mir diese Anregung durch den Kopf gehen lassen. Es gibt ja auch noch andere Opfer, die ich besuchen könnte.« »Die Sie aber nicht finden werden, Mylady.« McWarden lächelte schadenfroh, »alle Opfer haben die Hospitäler verlassen und sind untergetaucht, nicht nur Spellman. Eine gewisse Nachtschwester scheint man inzwischen mehr zu fürchten als ein Raubtier!«
Der Gepard musterte Josuah Parker und fauchte. Er schob sich ein wenig zurück und legte die Ohren an. Der Schweif bewegte sich wie eine Schlange und deutete an, daß die Raubkatze erregt war. »Ein hübsches Tier«, stellte Mike Rander fest, »vor allen Dingen, wenn es an der Kette liegt, Cudwell.« »Mabel ist zahm und friedlich«, erklärte Jerry Cudwell lächelnd und strich mit der Hand über den an sich kleinen und runden Kopf der Raubkatze. »Normalerweise läuft sie hier im Haus frei herum.«
Jerry Cudwell, der Tier-Importeur, den Mike Rander und Josuah Parker aufgesucht hatten, war etwa fünfundfünfzig Jahre alt, mittelgroß, schlank und sah wie ein Bankbeamter aus. Er galt als anerkannter Fachmann auf seinem Gebiet. Der Gepard hatte inzwischen weitere Blicke mit Josuah Parker getauscht und in ihm zumindest einen gleichwertigen Gegner erkannt. Mabel legte sich nieder und wurde friedlich. Sie äugte aber ununterbrochen nach dem altväterlichen gebundenen Regenschirm des Besuchers. »Erzählen Sie uns etwas über Geparde«, bat Mike Rander. Er saß in einem Sessel in Cudwells Büro und warf hin und wieder einen respektvollen Blick auf das Raubtier. »Sie leben in Steppen und Savannen«, begann Cudwell und ließ seine Hand auf dem Kopf der großen Katze, »Sie finden Geparde in Afrika, Mesopotanien, Arabien, Persien und in Vorderindien. Geparden sind Hetzjäger und können eine erstaunliche Geschwindigkeit entwickeln.« »Wem sagen Sie das«, murmelte Mike Rander. »Sie erreichen hundert bis hundertzwanzig Kilometer und halten dieses Tempo gut fünfhundert Meter durch, die aber auch völlig ausreichen, das Opfer zu erwischen. Geparde reißen ihre Opfer mit ihren Vorderläufen um und gehen erst dann an die Kehle. Sie sind einfach wunderbare Tiere, die sich uns Menschen eng anschließen und dann handzahm werden. Ja, man kann sie sogar abrichten, wenn man nur die nötige Geduld aufbringt.« »Kann man sie abrichten, Menschen zu jagen, Cudwell?« fragte der Anwalt. »Selbstverständlich, aber wer würde so etwas schon tun, frage ich Sie?« »Wie groß wären die Chancen für einen Menschen, falls er von einem Gepard gejagt wird?«
»Er hätte keine, was das Weglaufen betrifft.« Cudwell lachte leise. »Denken Sie an die einmalige Schnelligkeit! Geparde dürften die schnellsten Säugetiere sein. Nein, nein, ein Entwischen sitzt nicht drin, Rander, keine Chance ...« »Könnte ein Gepard einen Menschen töten?« »Normalerweise würde ein Gepard einem Menschen tunlichst aus dem Weg gehen, aber ein auf den Mann dressiertes Tier wüßte schon, wo es zubeißen müßte. Dann möchte ich nicht das Opfer sein.« »Und wie halt man solch einen Gepard? Ich könnte mir vorstellen, daß die Tiere viel Auslauf, brauchen.« »Und ob, Rander.« Jerry Cudwell nickte und streichelte wieder den Kopf des Gepards. »Ich habe mir im Nordwesten der Stadt ein großes Grundstück gemietet, da kann Mabel sich austoben. Sie müßten sie mal sehen, ein wundervoller Anblick.« »Verkaufen Sie viele Geparde, Cudwell?« »Falls überhaupt, dann nur an Leute, die mit solch einem herrlichen Tier etwas anfangen können, ich denke an die Möglichkeit, daß die Tiere sich wirklich bewegen können und nicht verkümmern.« »Gestatten Sie eine Zusatzfrage, Sir?« schaltete sich Josuah Parker ein. »Aber natürlich, Mr. Parker.« Der Tier-Importeur sah den Butler interessiert an. »Könnte man auch Leoparden oder Pumas ähnlich abrichten wie Geparde? « »Für eine Zirkusnummer schon, aber zu mehr reicht es nicht, dazu sind die Raubkatzen zu eigenwillig.« »Einmal auf ein Opfer angesetzt, Sir, würden die Raubkatzen auf keinen Fall freiwillig oder mehr oder weniger gehorsam zu ihrem Besitzer zurückkehren?«
»Ausgeschlossen, Mr. Parker!« Cudwell schüttelte den Kopf. »Solche Raubkatzen würde ich auch nie an der Leine spazieren führen. Das würde verdammt peinlich ausgehen. Nein, nein, nur Geparde schließen sich dem Menschen an und sind abzurichten.« »Sie kennen natürlich Besitzer von Geparden, oder?« Rander musterte erneut die Raubkatze, die plötzlich zu schnurren anfing. »Und ob, Rander. Draußen auf dem flachen Land haben sich einige Grundbesitzer solche Katzen angeschafft. Aber die wissen damit umzugehen, glauben Sie mir. Hören Sie, Sie fragten eben, ob man Geparde auf Menschen-Jagd abrichten kann: Sie haben doch bestimmt nicht ohne Grund danach gefragt, wie?« »Nur eine, wenn man will, hypothetische Frage«, antwortete der Butler höflich, »wie würde die Raubtierdame reagieren, Sir, falls Sie sie auf meine Wenigkeit ansetzen? « »Jetzt bringen Sie mich in Verlegenheit, Mr. Parker.« Jerry Cudwell wurde ernst. »Mabel würde Sie wahrscheinlich annehmen, schätze ich.« »Könnte ich mich ihrer erwehren, Sir?« »Da müßten Sie schon sehr stark und geschickt sein, Mr. Parker.« »Wie würde dieses Raubtier auf Stöße oder Schläge reagieren, die man mittels stumpfer oder auch spitzer Gegenstände ausführt, Sir?« »Geparde sind intelligent und merken schnell, was gespielt wird. Mabel würde wahrscheinlich blitzschnell aufgeben und von ihrem Opfer ablassen.« »Geparde geraten demnach nicht in verbissenen Blutrausch, Sir?« »Auf keinen Fall, Mr. Parker! Sie berechnen ihre Chancen
blitzschnell und genau. Von einem starken, auskeilenden Gnu würden sie sofort ablassen und auf eine bessere Gelegenheit warten. Aber um auf Menschen zurückzukommen: Wie würden Sie reagieren, wenn Sie von einem Gepard urplötzlich angegriffen würden?« »Diese Frage hätten Sie besser mir stellen sollen, Cudwell«, schaltete sich Mike Rander ein und musterte erneut die Raubkatze, die ihn abschätzend betrachtete. »Wollen Sie damit sagen, daß man solch ein Tier auf Sie gehetzt hat, Rander? « »Ich möchte es behaupten!« »So etwas kann nur ein Verbrecher tun«, empörte sich Cudwell. »So etwas kann durchaus tödlich ausgehen. Sie sollten den Besitzer dieses Gepards sofort anzeigen. Das Tier gehört dann sofort in einen Zoo, denn einmal abgerichtet, wird es schwerlich wieder friedlich werden.« »Sobald ich den Besitzer kenne, werde ich mich revanchieren«, versprach Mike Rander, während der Gepard geschmeidig aufstand und auf den Butler zuschritt. Josuah Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. Der Gepard hatte den Butler erreicht und strich schnurrend wie eine Hauskatze um seine schwarzen Beinkleider. »Mabel mag Sie«, stellte Cudwell fest, »darauf können Sie sich etwas einbilden. Sie ist sonst ziemlich eigenwillig.« »Wie schön, daß sie nicht mich mag«, warf Rander ein, »ich hatte nämlich bereits das Vergnügen!«
Agatha Simpson handelte wieder mal auf eigene Faust.
Nachdem Butter Parker und Mike Rander das Haus in Shepherd's Market verlassen hatten, war ihr die Idee gekommen, einen kleinen Einkaufsbummel durch die City zu unternehmen. Kathy Porter begleitete sie dabei, doch Myladys Sekretärin und Gesellschafterin hatte gleich das, Gefühl gehabt, daß ihre Chefin auf keinen Fall Geschäftsauslagen besichtigen wollte. Bestärkt in ihrem Verdacht wurde sie, als die ältere Dame ihren robusten Landrover hinaus nach Wimbledon lenkte. »Sie stellen ja keine Frage, Kindchen?« meinte Lady Agatha enttäuscht, als sie sich diesem friedlichen Außenort näherten. »Wollen Sie nicht wissen, wen ich besuche?« »Um einen reinen Höflichkeitsbesuch wird es sich kaum handeln, Mylady«, antwortete Kathy Porter lächelnd. »Diese Fahrt steht im Zusammenhang mit Ihrem Besuch bei Mr. Spellman, nicht wahr?« »Er hat mir einen wertvollen Hinweis gegeben, Kindchen.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Er glaubt nämlich zu wissen, wer das Raubtier auf ihn gehetzt hat.« »Mylady, hätte man nicht Mr. Parker und Mr. Rander informieren sollen?« fragte Kathy Porter sofort. »Das habe ich natürlich, Kathy.« Sie sah ihre Gesellschafterin fast empört an. »Ich habe eine Botschaft auf dem Tonband hinterlassen. Man wird wissen, daß ich einem Barry Hollister einen Besuch abstatte.« »Und wer ist das Mylady?« »Ein Lümmel, der diesen Spellman ausstechen möchte«, gab die Detektivin zurück, »er scheint sich zu einem Supergangster aufschwingen zu wollen, so nach amerikanischem Vorbild, denke ich. Nun, ich werde diesem Subjekt gründlich die Flügel stutzen.« Während Lady Agatha dies ankündigte, hatte sie bereits die breite Durchgangsstraße verlassen und war in einen stillen
Seitenweg eingebrochen. Hier gab es nur wenige Häuser, was allerdings seinen Grund hatte. Die Gärten, in denen die villenähnlichen Bauten standen, erinnerten an Parks. »Dort ist es, Kathy«, sagte die ältere Dame, »hier soll dieser Flegel wohnen, sehr einladend das alles.« Sie meinte eindeutig das weit geöffnete Tor und den Jaguar, der vor dem Hauseingang parkte. Zwei junge Männer waren dabei, den Kofferraum zu entladen. Man schien in großem Stil eingekauft zu haben. Kathy Porter sichtete unter anderem eine riesige Plastikwanne, die mit einem Tuch abgedeckt war. Lady Agatha gab Vollgas. Der robuste Rover wühlte sich mit seinen breiten Stollenreifen durch den weißen Kies der Auffahrt, ließ die Steine hochspritzen und entwickelte dabei das Geräusch eines herannahenden Panzers. Die beiden jungen Männer wurden völlig überrascht. Sie blieben wie angewurzelt neben dem Kofferraum des Jaguar stehen und sprangen dann entsetzt zurück, als Lady Agatha ein wenig später bremste. Die sicherheitshalber verstärkte vordere Stoßstange des Rovers rammte den Kofferaum des eleganten Jaguar und verformte ihn sichtlich. »Können Sie nicht aufpassen?« grollte Agatha Simpson, während sie ausstieg, »wollen Sie meinen Wagen ruinieren?« Die beiden jungen Männer - um die fünfundzwanzig Jahre alt - starrten die Lady entgeistert an. Mit solch einer Behauptung und Verdrehung der Tatsachen hatten sie ganz sicher nicht gerechnet. »Ich will sofort Mr, Hollister sprechen«, verlangte die energische Dame und marschierte zur angelehnten Haustür. Doch in diesem Augenblick kamen die beiden Männer wieder zu sich. »Moment mal, Madam«, sagte der Kleinere und eilte Mylady
nach, »so geht das aber nicht...« »Was geht hier nicht, junger Mann?« Die Detektivin wandte sich halb zu ihm um. Der perlenbestickte Pompadour an ihrem Handgelenk geriet in leichte Schwingungen, was kein gutes Zeichen war. In diesem Handbeutel, wie ihn die Damen der vornehmen Gesellschaft um die Jahrhundertwende zu tragen pflegten, befand sich nämlich ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. »Mr. Hollister ist nicht zu sprechen«, erklärte der junge Mann und wollte Lady Agatha ziemlich rüde zurückdrängen. Er erlebte sein Waterloo! Er sah den Pompadour überhaupt nicht kommen, so blitzschnell ließ die ältere ,Dame ihn hochzucken. Da sie eine begeisterte Golfspielerin und Sportbogenschützin war, saß hinter dieser knappen Bewegung viel Kraft. Der Mann, voll getroffen, hatte den Eindruck, ein auskeilendes Pferd habe sein linkes Schulterblatt erwischt. Er geriet sofort aus dem Gleichgewicht und rutschte gegen die nur angelehnte Tür. Er wollte sich noch mal aufraffen, doch dazu reichte es nicht mehr. Zusammen mit der nicht geraden leichten Tür landete er im Vorflur des Hauses. Kathy Porter, das optisch so scheu wirkende Reh, stand auf dem Sprung und hatte sich bereits in eine Pantherkatze verwandelt. Sie wartete auf die Reaktion des anderen jungen Mannes, der sich überhaupt nicht um sie kümmerte, sondern kurz entschlossen nach seiner rechten Gesäßtasche langte. Als er einen Revolver halb hervorgezogen hatte, beließ er es dabei. Kathy Porter, in der Verteidigungskünsten des fernen Ostens erfahren, hatte ihm ihre Handkante auf den Oberarm gesetzt. Dieser Schlag paralysierte die Muskeln des Mannes. Er wollte jedoch nicht aufstecken, warf sich herum und scheute sich nicht, nach Kathy Porter zu treten. Er besorgte das mit großer Geschicklichkeit und auch mit Tempo, doch er war
nicht schnell und geschickt genug. Kathy Porter wich elegant aus, griff mit beiden Händen nach dem Fuß und verdrehte ihn ein wenig. Die Hebelwirkung war frappierend. Der Mann drehte sich noch in der Luft auf die Bauchseite und landete dann im hochstiebenden Kies. Danach blieb er liegen und hielt sich notgedrungen aus der Diskussion. »Haben Sie das gesehen, Kindchen?« fragte Lady Agatha und wandte sich an ihre Gesellschafterin, »dieser Lümmel wollte mich wehrlose Frau doch tatsächlich angreifen.« »Ich werde es bezeugen, Mylady«, versicherte Kathy Porter und lächelte unwillkürlich. Dann aber bemerkte sie eine Veränderung im Gesicht ihrer Chefin, die über ihre Schulter hinweg in den Vorgarten schaute. Kathy Porter drehte sich im Zeitlupentempo um und... sah sich einem Mann gegenüber, der eine Riesige, geifernde Dogge von der Leine löste und stumm auf Lady Agatha und Kathy deutete. Die Dogge deutete diese Bewegung richtig und setzte sich raubtierhaft gewandt in Bewegung.
»Was ist denn da passiert?« sagte Mike Rander, als sie in Richtung des villenähnlichen Hauses fuhren. Nach ihrer Rückkehr vom Tier-Importeuer Jerry Cudwell hatten sie in Shepherd's Market Station gemacht, die Tonbandaufzeichnung der Lady Agatha vorgefunden und waren sofort weitergefahren, um ihr in Wimbledon beizustehen. Die Frage des Anwalts war übrigens berechtigt. Sie bezog
sich mit Sicherheit nicht auf den leicht derangierten Jaguar vor der Haustür, sondern auch auf das zertrümmerte Wohnzimmerfenster im Erdgeschoß. In einem Blumenbeet, das nicht mehr sehr ordentlich wirkte, lagen einige Einrichtungsgegenstände. »Mylady scheint sich angeregt unterhalten zu haben«, sagte Butler Parker gemessen und stoppte den Wagen hinter dem Landrover. Mike Rander stieg schleunigst aus und eilte auf die weit geöffnete Haustür zu. Parker hingegen blieb neben einer großen Plastikwanne stehen, neben der eine Decke lag. In dieser Plastikwanne entdeckte er große, ein wenig anrüchige Fleischbrocken. Mike Rander pirschte durch den Vorflur in die Wohnhalle und hielt Ausschau nach der Lady und Kathy Porter. Als er den Namen der älteren Dame rief, hörte er sie. Ihre dunkle Stimme drückte Wohlbehagen und Zufriedenheit aus, wie der Anwalt sofort bemerkte. Er atmete daraufhin erst mal erleichert auf. »Mann scheint drüben im Garten zu sein«, sagte er zu Parker, der inzwischen nachgekommen war. »Haben Sie nicht auch den Eindruck, daß hier ein mittlerer Wirbelsturm gewütet hat?« »Mylady verfügt über erstaunliches Temperament, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.« »Sie scheint sich mal wieder so richtig ausgetobt zu haben, Parker«, meinte Rander und marschierte eilig durch einen großen Wohnraum auf eine weite Terrasse. Von hier aus sie ein querstehendes Gartenhaus erblickten, unter dessen Dach einige große Zwinger untergebracht waren. Lady Agatha stand vor einem dieser Drahtgebilde und hielt einen Wasserschlauch in der rechten Hand. Kathy Porter stand - seitlich hinter ihr und winkte Mike Rander und dem Butler. »Sie sind schon da?« fragte Lady Agatha und gönnte den beiden Männern einen kurzen Blick. »Sie hätten sich ruhig Zeit
lassen können.« »Haben die Herren versucht, Mylady zu belästigen?« Parker deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf die vier Männer, die in einem der Zwinger standen und offensichtlich ein Bad genommen hatten. Ihre Anzüge waren tropfnaß. Der Betonboden, auf dem sie standen, glich einem kleinen See. »Es gibt keine Manieren mehr«, klagte die ältere Dame, »zuerst ruiniert man fast meinen Wagen und dann vergreift man sich an einer alten Frau. Ich habe mir das energisch verbeten.« »Darf man fragen, Mylady, wer diese Herren dort sind?« erkundigte sich Parker weiter. »Barry Hollister, zwei seiner Leibwächter und etwas, was sich Butler nennt«, lautete ihre geringschätzige Antwort, »stellen Sie sich vor, Mr. Parker: Man bedrohte mich mit einer geifernden Dogge und dann mit einer Schußwaffe. Ich war außer mir!« »Ein ungeheuerliches Benehmen, wenn ich so sagen darf, Mylady.« »Ich habe diese Flegel ein wenig abgekühlt, aber das dürfte noch nicht gereicht haben.« Barry Hollister, der Mann, der die Dogge von der Leine gelöst hatte, schöpfte dummerweise Hoffnung. Er trat dicht vor das Maschendrahtgeflecht des Zwingers, wischte sich die Augen wasserfrei und wandte sich an Parker. »Schaffen Sie mir diese Wahnsinnige vom Hals«, forderte er und hustete, weil ihm Wasser in die Luftröhre gedrungen war, »schaffen Sie ...mir diese Verrückte ... weg!« »Falls der Herr Mylady meinen, so dürfte der Tatbestand der Beleidigung gegeben sein«, stellte Josuah Parker fest. »Stellen Sie das Wasser wieder an, Kindchen«, rief Lady
Agatha ihrer Gesellschafterin zu, »ich werde diesem Subjekt Manieren beibringen...« »Und wir werden uns mal in aller Ruhe die übrigen Zwinger ansehen«, schlug Mike Rander vor und nickte dem Butler zu, »man muß ja schließlich nicht alles sehen, oder? « »Keineswegs, Sir.« Parker wandte sich zusammen mit Mike Rander ab. Einer Spruchweisheit zufolge macht einen nicht heiß, was man nicht weiß!
»Das soll eine geifernde Dogge sein?« fragte Mike Rander, als er mit dem Butler vor dem zweiten Zwinger stand. Er deutete fast mitleidig auf das kalbgroße Tier, das zitternd und verstört in der hinteren Ecke lag und sichtlich unter einem starken Schock stand. »Das Tier dürfte noch über die Existenz Lady Simpsons reflektieren«, vermutete der Butler in seiner höflichen Art. »So kann man's allerdings auch ausdrücken, Parker.« Mike Rander schmunzelte. »Sie muß dem Tier einiges gesagt haben.« »Dort befindet sich ein... Gepard, Sir!« Parker deutete mit der Spitze seines Schirms auf den nächsten Zwinger. »Tatsächlich!« Mike Rander sah den Butler überrascht an, um dann das schöne Tier zu mustern. Es schien noch recht jung zu sein und machte einen nervösen Eindruck. »Man sollte Mr. Hollister bei Gelegenheit fragen, seit wann er dieses Tier besitzt, Sir«, schlug Josuah Parker vor. »Worauf Sie sich verlassen können, Parker. Verdammt, sollte Lady Simpson das sogenannte Raubtier aufgespürt haben? Ich denke an Hollister.«
»Er ist der zweite Mann in der Spellman-Gang, Sir«, erwiderte der Butler, »bisher hat Mr. Hollister keine Neigung gezeigt, der erste Mann zu werden. Er dürfte auch nicht das notwendige Format dazu besitzen, wenn ich dies hinzufügen darf.« »Sie kennen ihn, Parker?« Mike Rander beobachtete den Gepard, der unruhig wanderte und zwischendurch seine Besucher leise anfauchte. Die Nackenhaare des Raubtieres hatten sich aufgerichtet. »Die Spellman-Gang, Sir, gehört auf keinen Fall zu den großen Unterweltorganisationen«, rekapitulierte der Butler, »Mr. Spellman und seine Leute befaßten und befassen sich mit organisiertem Diebstahl, mit Versicherungsschwindel und mit Erpressung im Rahmen einer sogenannten Schutzvereinigung.« »Diese Burschen scheinen aber nicht schlecht zu verdienen.« Mike Rander wandte sich um und deutete auf das Villen ähnliche Haus. »Wenn der zweite Mann dieser Gang sich das schon leisten kann, wie muß Spellman dann erst verdienen...« »Seine Einkünfte sind als beträchtlich zu bezeichnen«, gab der Butler zu, dennoch, wenn ich dies noch mal wiederholen darf, die Spellman-Gang gehört nicht zu den großen Organisationen der Unterwelt, Sir.« »Barry Hollister ist also nicht der Mann, den wir suchen?« »Keineswegs und mitnichten, Sir. Er hätte keine Chance, sich gegen die große Konkurrenz durchzusetzen, auch nicht mit einem abgerichteten Gepard, der Gangsterbosse anfällt. »Sollten wir das nicht Latty Simpson sagen?« Mike Rander deutete zur älteren Dame hinüber. Sie hielt den Wasserschlauch in beiden Händen und hatte den Wasserstrahl auf die vier offensichtlich wasserscheuen Gangster gerichtet. Sie drängten sich ein eine Ecke des Zwingers und rotierten immer wieder durcheinander. Jeder suchte hinter dem anderen Schutz vor dem kalten Wasser.
»Ein wenig Wasser kann diesen Männern gewiß nicht schaden, Sir«, erwiderte der Butler gemessen, »Mr. Hollister wird es später eine Freude sein, Mylady mit den gewünschten Auskünften zu dienen.« »Nun ja, Körperverletzung scheint das ja nicht zu sein«, urteilte Mike Rander lächelnd, »betrachten wir das als eine Art Badevergnügen. Aber zurück zu unserem Fall, Parker: Die Bosse kleiner bis mittlerer Gangs werden von einer Raubkatze gehetzt und übel zugerichtet. Reiner Zufall, daß bisher kein Mord zu verzeichnen ist. Wer, zum Teufel, kann so etwas aufgezogen haben? Steckt nun dieser Zirkusdirektor Rilding dahinter - oder will sich ein Gangster zum Herrscher über die gesamte Unterwelt von London aufschwingen? « »Es muß sich in jedem Fall um eine Person handeln, Sir, die mit echten Raubtieren umzugehen versteht.« »Also Pete Rilding, oder?« »Vorerst bietet nur er sich an, Sir, dies muß eingeräumt werden.« »Wir sollten ihn so schnell wie möglich mal besuchen, Parker. Denken Sie an die beiden Motorradfahrer, die uns hereinlegen wollten. Sie kamen doch wohl eindeutig von der Farm, auf der Rilding Quartier bezogen hat.« »Man wird sie dort wohl mit einiger Sicherheit wiedersehen können, Sir.« Die beiden Männer konnten sich nicht weiter unterhalten, denn Lady Agatha hatte die Wasserkur für die vier Männer beendet. Sie stand vor dem Maschendraht des Zwingers und winkte Barry Hollister gerade zu sich heran. Er beeilte sich, diesem Wink zu gehorchen, hechelte, schnappte nach Luft und machte einen erbärmlichen Eindruck. »Stellen Sie sich vor, der junge Mann möchte völlig freiwillig und ohne Zwang eine Aussage machen«, sagte die Detektivin, man erlebt doch immer wieder Überraschungen,
nicht wahr?«
»Warum ich mir das Tier da draußen gekauft habe?« Barry Hollister befand sich inzwischen außerhalb des Zwingers und rauchte hastig eine Zigarette. »Ich wollte ... Ich wollte mich da in die Sache 'reinhängen, verstehen Sie? Von wegen Raubtier und so.« »Dazu sollten Sie vielleicht noch einige Bemerkungen beisteuern«, schlug der Butler vor. »Von einem sogenannten Raubtier spricht also die ganze Unterwelt? « »Meinetwegen Unterwelt.« Hollister hatte keine Kraft, gegen diesen Begriff nachdrücklich zu protestieren. »Das Biest war plötzlich da, erst vor 'ner knappen Woche ging die Sache los, verstehen Sie? Plötzlich erwischte es einen Boß nach dem anderen. Alles schwere Biß- und Kratzwunden und sogar Knochenbrüche wie im Fall Spellman. Und kein Mensch weiß, wer dahinter steckt.« »Was bewog Sie, sich ausgerechnet einen Gepard zu kaufen?« wollte Josuah Parker weiter wissen, während Lady Simpson, Kathy Porter und Mike Rander aufmerksam zuhörten. »Den hab' ich doch erst seit zwei Tagen«, erklärte Hollister hastig, »das können Sie ganz schnell nachprüfen.« »Meine Frage lautete anders, wenn ich daran erinnern darf.« »Ach so, warum ich mir ausgerechnet einen Gepard zugelegt habe! Tja, ganz einfach: Weil die natürlich ungefährlicher sind als zum Beispiel ein Tiger oder so, verstehen Sie? Ich werde mich doch nicht selbst umbringen.« »Und was bezwecken Sie mit diesem Tierkauf?« »Ich wollte mich 'reinhängen, hab' ich doch schon gesagt.«
»Wollten Sie sich etwa als das erwähnte Raubtier ausgeben, junger Mann?« erkundigte sich die ältere Dame spöttisch, »haben Sie nicht Angst, daß andere Gangsterbosse Sie unter Beschuß nehmen könnten?« »Lady, ich wollte das Tier ja nur ein paar Tage behalten und dann wieder abgeben. Ich werde mein Spiel doch nicht überreizen!« »Wer ist Ihrer Ansicht nach das Raubtier auf zwei Beinen, guter Mann?« fragte Mike Rander in seiner leicht blasierten Art. »Der Bursche, der das wirkliche Raubtier auf die Bosse hetzt?« »Das haben Sie ja geradezu blitzschnell verstanden.« Rander lächelte mokant. »Wer dieses Raubtier ist, weiß ich nicht, ich hab' noch nicht mal 'ne Vermutung. So etwas hatten wir noch nie, das ist völlig neu für uns alle.« »Könnte es sich Ihrer Ansicht nach um einen Racheakt handeln«, warf Josuah Parker ein. »Racheakt?« Barry Hollister stutzte und nagte nachdenklich an der Unterlippe. »Sie meinen, irgend jemand hätt' sich das ausgedacht, um die Bosse nacheinander auszuschalten?« »Falls ja, so müßte es einen zentralen Grund dafür geben.« »Reden wir doch im Klartext«, grollte die ältere Dame, »könnte eines Ihrer früheren Opfer sich jetzt rächen wollen?« »Opfer, Mylady?« Hollister tat erstaunt und unschuldig, »wir betreiben doch nur ein paar Nachtbars, wir haben doch keine Opfer.« »Spellman hat nichts dagegen, daß Sie sein Südrevier übernehmen«, redete die Detektivin weiter, »er hat mich gebeten, Ihnen das zu sagen, junger Mann! Er hält Sie für das Raubtier! Er weiß, daß Sie sich die Raubkatze zugelegt haben,
nicht wahr?« »Ich... Ich hab's ihm per Telefon gesagt, Lady«, gestand Hollister leicht verschämt. »Er will mir das Südrevier überlassen? Das hat er tatsächlich gesagt?« »Er will eben doch nicht mal von einer Raubkatze gehetzt und erwischt werden!« Lady Agatha lächelte, »ich hätte große Lust, Sie mal durch den Richmond Park laufen zu lassen. Das muß doch kreislaufanregend sein.« »Lady, ich schwör' Ihnen, daß ich nicht das Raubtier bin. Und das Biest da drüben im Zwinger hab' ich erst seit zwei Tagen. Sie können ja beim Zoohändler nachfragen. Also schön, ich wollte meinen Boß schocken, wegen der Sache mit dem Südrevier. Darum hab' ich die Katze gekauft. Sie meinen, auch andere Leute könnten mich jetzt für das Raubtier halten? Daran hab' ich überhaupt noch nicht gedacht. . .« Barry Hollister macht einen sehr betroffenen Eindruck und senkte den Kopf. Seine Bestürzung war echt, wie Josuah Parker merkte. Hollister hatte plötzlich Angst. »Sagt Ihnen der Name Rilding etwas?« fragte er. »Nie gehört. Oder doch ...? Da war doch mal was ... Ich meine ... Nein, ich hab' mich geirrt. Rilding kenne ich nicht. Nee, nie gehört.« »Sie haben zwar gelogen, Mr. Hollister, doch dies geschieht auf eigene Rechnung und Gefahr«, schloß Parker das kleine Verhör, »zum Abschluß möchte ich mir erlauben, Ihnen einen Rat zu erteilen: Trainieren Sie Ihre Laufmuskeln! Es könnte sein, daß Sie sie bald schon einer schweren Belastungsprobe unterziehen müssen ...«
Josuah Parker hatte gerade den Mokka nach dem Essen serviert, als die Türglocke sich meldete. Er entschuldigte sich bei der Tafelrunde, die aus Lady Agatha, Kathy Porter und Mike Rander bestand, ging in die Wohnhalle des altehrwürdigen Hauses und öffnete den kleinen Wandkasten. Über der schweren Haustür schaltete sich die unauffällig angebrachte Fernsehkamera ein und lieferte ein Bild auf dem Monitor, der sich im Wandkasten befand. Parker nahm leicht erstaunt zur Kenntnis, daß draußen vor der Tür ein gewisser Ralph Walford stand. Rechts und links von ihm hatten sich zwei schlanke, drahtige Männer aufgebaut, die etwa um die dreißig Jahre alt waren. Ralph Walford hingegen hatte die Fünfzig längst überschritten. Er war ein massiger Mann mit schwammigen Gesichtszügen und kleinen kalten und grausamen Augen. Parker drückte auf den elektrischen Türöffner und ließ die drei Männer in den Vorflur treten, der wie ein verglaster Windfang aussah. Daß dieses Glas aus bestem Panzerglas bestand, wußten nur Eingeweihte oder jene, die schon mal versucht hatten, trotz der geschlossenen Glastür in die Wohnhalle zu gelangen, ohne dazu ausdrücklich aufgefordert zu sein. Walford und sein Anhang, der eindeutig seine Leibwache darstellte, betraten den Vorflur, während die schwere Haustür sich hinter ihnen schloß. Sie gingen zur Glastür und wollten sie öffnen, zumal sie ja den Butler deutlich vor sich sahen.
Die Tür öffnete sich nicht. »Machen Sie auf«, verlangte Walford mit lauter, energischer Stimme. Sie wurde von eingebauten Mikrofonen im Vorflur in die Wohnhalle übertragen. »Wenn Sie sich freundlicherweise ein wenig gedulden würden«, bat der Butler und deutete eine knappe Verbeugung an, »ich werde nachfragen, ob Mylady geruht, Sie zu empfangen, Mr. Walford.« Parker wandte sich um und hörte hinter sich ein nur schwaches Geräusch. Er achtete nicht weiter darauf, denn er wußte, was sich im Vorflur abspielte: Die beiden Leibwächter versuchten, mit den Griffkolben ihrer Waffen die Glasscheibe in der Türfüllung einzuschlagen, um dann weiter vorzudringen. Parker wußte ferner, daß das Spezialglas davon noch nicht mal Kratzer abbekam. »Ralph Walford?« Agatha Simpson runzelte die Stirn, als der Butler den Besucher angemeldet hatte, »kennen wir ihn, Mr. Parker?« »Mr. Walford, Mylady, gehört eindeutig zu den großen Bossen der Londoner Unterwelt«, lieferte Parker die erforder lichen Stichworte. »Er dürfte führend in Sachen Glücksspiel und Prostitution sein.« »Er ist allein gekommen, Mr. Parker?« »In seiner Begleitung befinden sich zwei typische Leibwächter, Mylady.« »Diese Subjekte möchte ich hier nicht sehen, Mr. Parker«, erwiderte die Hausherrin, »und ich frage mich, ob ich dieses Individuum Walford empfangen möchte.« »Er dürfte mit einiger Sicherheit wegen eines gewissen Raubtieres gekommen sein, Mylady.« »Dann lassen Sie ihn herein.« Sie nickte gnädig, »aber wie gesagt, keine Revolvermänner in meinem Haus. Wenigstens
nicht um diese Zeit.« Josuah Parker ging zurück in die große Wohnhalle und schritt gemessen zu dem verglasten Vorflur. »Sind Sie wahnsinnig?« brüllte der Gangsterboß aufgebracht, »wie können Sie es wagen, mich wie einen dummen Jungen herumstehen zu lassen?« »Ihre Unmut, Mr. Walford, wird in wenigen Sekunden einer gelösten Ausgeglichenheit weichen«, versprach Josuah Parker. Er ignorierte die kurzläufigen Revolver in den Händen der beiden Leibwächter. Parker wechselte hinüber zum Wandkasten und legte dort einen der vielen Kipphebel um. Es dauerte nur Sekunden, bis ein feines Aerosol den Vorflur ausfüllte. Parker ließ sich wieder vor der Glastür sehen und beobachtete die drei Männer, die den Eindruck haben mußten, sich in einem Tannenwald zu befinden. Parker hatte den feinen Nebel mit Fichtennadelduft angereichert, um erst gar keine Panik aufkommen zu lassen. Zuerst nahmen die beiden Leibwächter auf dem Boden des Vorflurs Platz und entspannten sich. Walford, der natürlich merkte, was hier gespielt wurde, wollte die eigentliche Haustür aufreißen und ins Freie flüchten, doch diese Tür war fest verschlossen wie ein Tresor. Walford, der sich angestrengt hatte, setzte sich neben seine beiden Leibwächter und gähnte. »Sie dürfen versichert sein, Mr. Walford, daß Ihnen und Ihren beiden Begleitern mit Sicherheit kein seelischer oder körperlicher Schaden zugefügt wird«, versprach Josuah Parker, »es handelt sich bei dieser Maßnahme nur darum, mögliche Aggressionen zu unterbinden.«
Parker hatte nicht zuviel versprochen.
Der Gangsterboß saß heiter und entspannt im Sessel und schaute sich neugierig-friedlich um. Er entdeckte Lady Simpson, Mike Rander und Kathy Porter und wollte aufstehen, plumpste dann aber zurück auf den Stiz. »Eine kleine Erfrischung, Sir?« Parker erschien in Walfords Blickfeld und servierte auf einem Silbertablett ein Glas, das fingerbreit mit Whisky gefüllt war. Der Gangsterboß griff nach dem Glas und nippte am Inhalt. »Sie wollten mich sprechen, junger Mann? « fragte die Detektivin. »Lady Simpson, nicht wahr?« Walford lächelte, und die kleinen, grausamen Augen versuchten sich daran zu beteiligen. »Sie kommen wegen des Raubtieres, wie zu vermuten ist«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Man darf wohl davon ausgehen, daß in Ihren Kreisen eine gewisse Unruhe herrscht.« »Da dreht doch jemand durch, da ist doch irgend jemand verrückt geworden«, meinte Walford, »Sie wissen, was bisher passiert ist, ja?« »Mylady wurde umfassend informiert«, erwiderte der Butler. »Warum ich gekommen bin, Mylady: Mal ehrlich, haben Sie was mit diesem Raubtier zu tun?« »Wie kommen Sie denn darauf, junger Mann?« erkundigte sich die ältere Dame. »Na ja, man weiß ja schließlich, wer Sie sind.« Walford schmunzelte. »Das war hoffentlich als Kompliment gedacht«, reagierte Lady Agatha. »Nur, Mylady, nur! Man weiß doch, daß Sie 'ne Menge Tricks auf Lager haben.« »Mylady würde niemals Raubtiere auf Menschen hetzen«, stellte Josuah Parker klar, »dies ist nicht der Stil des Hauses, Mr. Walford!«
»Wer, zum Henker, hat dann so was aufgezogen?« Walford trank das Glas leer. »Das hat's doch noch nie gegeben. Hören Sie, ich bin bestimmt kein Engel, klar, wie? Aber mit 'nem echten Raubtier würde auch ich nicht arbeiten.« »Hegt man in Ihren Kreisen nicht einen vagen Verdacht?« fragte der Butler. »Man wird sich doch Gedanken über das bisher Vorgefallene gemacht haben.« »Wir haben nicht die geringste Ahnung.« Walford schüttelte den Kopf, »und da haben wir uns gedacht, entweder hat die Lady das aufgezogen, oder aber die Lady könnte uns vielleicht aus der Patsche helfen.« »Aus der Patsche helfen, junger Mann? Wie stellen Sie sich das vor?« Lady Agatha schien amüsiert zu sein. »Sie sind doch so 'ne Art Laiendetektiv«, redete Walford munter weiter, »und manchmal haben Sie doch auch Erfolg, oder? Schön, Lady, wir wollen Sie engagieren. Und wir zahlen nicht schlecht. Und wir garantieren Ihnen, daß wir Ihnen aus dem Weg gehen werden, sagen wir mal für 'ne bestimmte Zeit. Dafür erledigen Sie das komische Raubtier. Was halten Sie von diesem Angebot?« Normalerweise hätte der Gangsterboß sich wohl nie derart unverblümt und ungeniert ausgedrückt, doch er stand noch unter der Einwirkung des Aerosols und hatte ein wenig von seiner Selbstkontrolle verloren. »Mr. Parker, einen Sherry«, bat die Hausherrin, »der Sherry ist natürlich für mich bestimmt.« »An welche Summe haben Sie und Ihre Freunde denn so gedacht, Walford?« schaltete sich Mike Rander ein. »Fünfzigtausend Pfund, was sagen Sie jetzt?« Walford lachte leise. »Sie und Ihre Freunde müssen eine riesige Angst haben.« »Was heißt Angst?« Walford richtete sich etwas auf.
»Keiner von uns hat Lust, sich von einem Raubtier hetzen zu lassen. Wir wissen, wie diese Kleinkarierten aussehen, die es bisher erwischt hat. Ist doch nur 'ne Frage der Zeit, bis das Raubtier sich auch an uns 'rantraut.« »Sie erlauben selbstverständlich eine Frage, Mr. Walford«, schickte der Butler gemessen voraus, »hatten Sie in der Vergangenheit je mit einem Zirkusunternehmen zu tun? Richten Sie diese Frage tunlichst auch an Ihre Freunde und Bekannten.« »Ob ich je mit einem Zirkus zu tun gehabt habe?« Walford stutzte, um dann langsam den Kopf zu schütteln, »wissen Sie, ich kümmere mich nicht um alles, dafür habe ich meine Mitarbeiter. Aber ich werde mal 'rumhorchen. Sie nehmen den Auftrag also an? Fünfzigtausend Pfund! Und dazu so 'ne Art Waffenstillstand, sagen wir mal, für drei Monate oder so? Schmeckt Ihnen das?« »Mr. Parker, zeigen Sie dem Mann, wo die Tür ist«, erwiderte Lady Agatha grimmig. »Sobald das Geld hier in bar eingetroffen ist, werde ich aktiv werden.«
»Die drei Männer sind besonders gefährdet«, stellte der Butler fest. Er saß am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, das sich in ein völlig normales Taxi verwandelt hatte. Parker hatte dazu nur wenige Handgriffe benötigt. Im Fond dieses Taxis saß Mike Rander, der sich einen Trenchcoat übergestreift und einen weichen Hut aufgesetzt hatte. Parker hingegen trug nicht die schwarze Melone, die sein Markenzeichen war, sondern eine speckige Lederkappe. Über den schwarzen Zweireiher hatte er eine abgeschabte
Lederjacke gestreift, wie Taxifahrer sie oft bevorzugten. Parker und Rander verfolgten den Wagen, in dem Walford saß. Der Butler hatte seinen Wagen durch eine schmale Hintergasse auf die Durchgangsstraße gebracht und hier gewartet, bis die drei Gangster auftauchten. »Womit rechnen Sie, Parker?« erkundigte sich Mike Rander. »Das Raubtier zeigt möglicherweise die Neigung, noch mal zuzuschlagen«, antwortete Parker. »Jetzt? Um diese Zeit, Parker? Wir haben Mittag. Und wieso gerade Walford?« »Man sollte davon ausgehen, Sir, daß Myladys Haus überwacht wird«, antwortete Josuah Parker, »man sollte ferner unterstellen, daß das zweibeinige Raubtier, um den Täter mal so zu nennen, seine Aktivitäten sicher nicht einstellen wird.« »Und es wird natürlich gesehen haben, daß die drei Burschen da im Wagen nicht ganz auf der Höhe sind.« Rander nickte. »Wie stark war denn Ihre Spezialdosis?« »Sie müßte sich inzwischen abgebaut haben, Sir«, antwortete Josuah Parker, »es handelte sich um ein Psychopharmakon, das ich dem Aerosol beimischte.« »Fünfzigtausend Pfund!« Rander schüttelte den Kopf und lachte leise, »diese Gangsterbosse müssen ganz schön zittern, Parker.« »Es dürfte sich inzwischen um einen allgemeinen panikartigen Zustand handeln, Sir. Diese Mitglieder der Unterwelt kennen nur Hieb-, Stich- und Schußwaffen. Ein vierbeiniges Raubtier, von dem sie gehetzt werden, weckt mit Sicherheit das, was man gemeinhin Urängste zu nennen pflegt.« »Ich weiß verdammt genau, wovon Sie sprechen, Parker.« Der Anwalt dachte an die Minuten im dunklen Richmond Park,
»Urangst... Das ist genau das richtige Wort, Ich denke nicht gern an diese Raubkatze zurück.« In diesem Moment verlor Parker leider den Anschluß an den vorausfahrenden Wagen. Walford und seine beiden Leibwächter wischten gerade noch über eine Kreuzung, obwohl bereits auf rot geschaltet worden war, Parker hingegen mußte notgedrungen halten, da die Fahrzeuge auf der Querstraße bereits auf die Kreuzung rollten. »Wenn Sie erlauben, Sir, möchte ich diese Verzögerung ungemein bedauern«, entschuldigte sich Parker. »Kann man nichts machen, Parker. Walford müssen wir abschreiben, den erwischen wir nicht mehr.« »Sie gestatten, Sir, daß ich ein ungutes Gefühl hege?« »Hegen Sie, Parker, hegen Sie!« Rander winkte lässig ab. »Wo stecken wir eigentlich?« »In der Nähe befindet sich die Auffahrt zur Autostraße in Richtung Luton, Sir.« »Ach nee!« Rander war ehrlich überrascht. »Hat dieser Pete Rilding dort nicht die Farm gemietet, um seinen Zirkus wieder aufzubauen?« »Dies, Sir, entspricht den Tatsachen.« »Ob Walford zu Rilding will?« »Mr. Walford dachte in der Tat sehr bemüht nach, als man ihn nach einem Zirkusunternehmen befragte, Sir. Übrigens war dies auch im Fall des Mr. Barry Hollister so, wie Ihnen sicher nicht entgangen ist.« »Fahren wir weiter nach Luton«, schlug der Anwalt vor, »vielleicht sind wir sogar auf einer brandheißen Spur.« »Zumal man Mr. Rilding ja ohnehin einen Höflichkeitsbesuch abstatten wollte«, fügte der Butler hinzu. »Ein kurzer Blick auf seine gemischte Raubtiergruppe kann in der Tat nicht schaden.«
»Was kann ich für Sie tun?« fragte die junge Frau, die Jeans und ein buntkariertes Hemd trug. Sie war mittelgroß, schlank und hatte ein selbstsicheres Auftreten. Sie erinnerte den Butler automatisch an einen schwarzen Panther. Ihre dunklen Augen verrieten Leidenschaft und Sinnlichkeit. »Rander, Mike Rander«, stellte sich der Anwalt vor, »Mr. Rilding hat sich wegen eines Bankkredits an meine Gesellschaft gewandt. Ich zeige Ihnen gern meine Legitimation.« »Parker, Josuah Parker«, tat es der Butler seinem früheren Herrn nach und lüftete höflich die schwarze Melone. Er und Mike Rander hatten ihre Tarnung aufgegeben und sich wieder rückverwandelt. Sie sahen aus wie gewohnt. .»Ich bin Jane Gatters«, erwiderte die junge Dame und strich mit der linken Hand ihr langes Haar aus der Stirn. »Sie wollen sicher meinen Onkel sprechen.« »Er befindet sich hier auf der Farm?« fragte Rander. »Natürlich. Er verläßt sie so gut wie nie. Es geht schließlich um den Zirkus, den er wieder aufbauen möchte. « »Wenn ich anregen darf, sollte man vielleicht gemeinsam nach Mr. Rilding suchen«, schlug der Butler vor. »Er hält sich bestimmt bei den Raubtierwagen auf.« »Sicher ist es so.« Sie lächelte neutral, musterte unverhohlen die beiden Besucher und schaute immer wieder auf den Butler, der sie zu irritieren schien. »Sie sind Artistin, Miß Gatters?« fragte Mike Rander. »Drahtseil, wie meine Mutter«, antwortete sie, »aber ich arbeite auch mit Raubtieren.«
»Ein gefährlicher Job, oder?« »Nur, wenn man die Selbstkontrolle verliert«, sagte sie, »aber so ist es ja wahrscheinlich auch in jedem anderen Beruf.« »Ihre Mutter arbeitet auch noch auf dem Seil, Miß Gatters?« erkundigte sich der Butler höflich. »Sie ... Sie stürzte vor anderthalb Jahren ab.« Jane Gatters senkte für einen Moment den Kopf. »Entschuldigen Sie bitte und möglichst meine direkte Frage«, sagte Parker. »Sie konnten es ja nicht wissen, Sir. Meine Mutter wurde ermordet, wenn Sie mich fragen ...« »Eine geradezu bestürzende Vorstellung, Miß Gatters. Geschah dies während einer Vorstellung?« »Während einer Vorstellung.« Die junge Dame nickte knapp. »Angeblich war das Halteseil nicht richtig gesichert worden, aber ich weiß es besser. Es war absichtlich gelockert worden!« »Die zuständige Polizei konnte Ihre Vermutung nicht verifizieren, Miß Gatters?« »Sie war unfähig, Mr. Parker. Das sogenannte Unglück geschah im Norden von London.« »Sie verzeihen sicher, Miß Gatters, daß ich mir die Freiheit nehme, noch einige Fragen zu stellen?« »Vorbei und vergessen.« Sie winkte ab, »Warum alte Geschichten erzählen? Das Leben geht weiter! Und mein Onkel baut ja jetzt einen neuen Zirkus auf...« »Sie vermuten, daß Ihre Mutter ermordet wurde, Miß Gatters«, schickte der Butler voraus, »nach der gängigen Regel gehört zu einem Mord auch ein Motiv.« »Fragen Sie das alles meinen Onkel Pete«, antwortete sie, »die nächste Frage können Sie sich übrigens ersparen.«
»Sie sind eine scharfe Beobachterin, Miß Gatters.« »Sie wollen sich natürlich nach meinem Vater erkundigen, nicht wahr?« »Ihre Antwort würde das Bild abrunden, Miß Gatters«, räumte Parker ein. »Er lebt und zwar hier auf der Farm«, sagte sie, »aber ihm geht es nicht besonders gut. Seit damals, als das mit meiner Mutter passierte, trinkt er.« »Er arbeitete auch als Artist, Miß Gatters?« »Eine Clownnummer in einem Raubtierkäfig. So etwas hat es seit damals nicht mehr gegeben.« Sie wollte keine weiteren Fragen mehr beantworten, wandte sich einfach um und ging zur Scheune hinüber. Als Mike Rander und Butler Parker folgten, wurden sie von zwei Männern beobachtet, die nicht gerade gut auf die Besucher zu sprechen waren. Es handelte sich um die von Parker hereingelegten Motorradfahrer.
Josuah Parker sah den schwarzen Pfeil, der mit rasanter Geschwindigkeit auf ihn zuhielt. Es war ein im Grund herrliches Bild. Der Gepard hatte seine volle Geschwindigkeit erreicht und war durch nichts mehr zu stoppen. Von irgendwoher war das schrille Signal einer Pfeife zu vernehmen, das wohl diesem Jäger galt, doch das Raubtier reagierte nicht mehr darauf. Es sah nur sein vermeintliches Opfer und wollte es schlagen. »Hoffentlich haben Sie das richtige Rezept dagegen«, sagte Mike Rander, dessen Stimme ein wenig rauher als sonst klang.
Er stand seitlich hinter dem Butler und überlegte blitzschnell, wie er den Angriff dieser kraftvollen und geschmeidigen Katze abwehren konnte. Mite Rander und Josuah Parker befanden sich auf einer großen Wiese, die eingezäunt war. Der Zaun bestand aus einem allerdings nur leichten Drahtgeflecht, in das flatternde Stoffbänder geknüpft worden waren. Diese Wiese erstreckte sich von der Rückwand der Scheune bis zu einem kleinen Wäldchen. Der Gepard konnte sich hier ungeniert austoben. Parker ließ die Jagdkatze nicht aus den Augen. Seine schwarz behandschuhten Hände hielten den UniversalRegenschirm halb hoch. Mike Rander hoffte, daß Parker eine kleine Schrotladung einsetzen würde, so leid es ihm auch um dieses wunderschöne Tier tat. Doch anders war seiner Ansicht nach der Schwung der Raubkatze nicht mehr zu bremsen. Bis zum endgültigen Aufeinandertreffen wären es höchstens noch fünfzig Meter. »Hoffentlich legt man uns in ein Zimmer, Parker«, sagte er und ... fuhr dann zusammen, als Josuah Parker genau in diesem Augenblick seine Gegenmaßnahme traf. Der Butler feuerte keine Schrotladung ab, benutzte auch nicht die Hochleistungs Schleuder, sondern verließ sich einzig und allein auf seinen Schirm, Er spannte ihn nämlich blitzschnell auf und streckte das schwarze Schirmdach dem Gepard entgegen. Die Raubkatze hatte so etwas noch nie erlebt. Sie streckte die Vorderläufe aus und stemmte sich mit den Pfoten gegen die Grasnarbe. Man hörte genau, wie der Körper bremste. Grassoden wurden aus dem Boden gerissen, und dann stand die Raubkatze endlich. Etwa anderthalb Meter vor dem Butler hatte sie ihren tollen Schwung unter Kontrolle. Sie hechelte, fauchte und zog sich ein wenig zurück, als Parker den Schirm senkte. Das Raubtier befand sich im Zustand höchster Erregung, was
zu verstehen war. Es hatte mit einem Opfer gerechnet und mußte alle Hoffnungen begraben. Ja, es hatte plötzlich sogar Angst vor diesem großen, schwarzen Schirmdach, über dessen Rand das ausdruckslose Gesicht des Butlers thronte. »Du liebe Zeit, Parker, ich werde Sie bei Gelegenheit für einen Orden vorschlagen«, sagte Mike Rander und entspannte sich. »Hoffentlich habe ich das Tier nicht verstört, Sir.« »Also wirklich, Parker, Ihre Sorgen möchte ich haben!« Rander baute sich neben dem Butler auf und sah auf das Tier, der sich flach auf den Rasen gelegt hatte. Parker faltete den Schirm ein wenig zusammen um ihn dann wieder ruckartig aufzuspannen. Der Gepart sprang entsetzt hoch, überschlug sich fast und ... jagte davon. Erneut verwandelte er sich in einen fast schwarzen Pfeil. »Diesen Trick sollten Sie sich patentieren lassen, Parker«, meinte der Anwalt. »Sie haben nicht zufällig Ihre Taschenflasche bei sich?« »Ich werde mir erlauben, Ihnen sofort eine kleine Erfrischung zu servieren«, erwiderte Josuah Parker. Er faltete den Schirm ein, legte den Griff über den angewinkelten linken Unterarm und holte aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers eine Flasche. Er schraubte den Verschluß ab, der ihm als Becher diente. Nach wenigen Augenblicken konnte Parker dem Anwalt bereits einen erstklassigen Kognak reichen. »Mir... Mir ist das Herz fast stehen geblieben«, hörten die beiden Besucher hinter sich die Stimme von Jane Gatters. Sie wandten sich um und sahen sich der Jungen Frau gegenüber, die erstaunlicherweise lächelte. »Mein Herz steht immer noch still«, behauptete der Anwalt. »Man darf wohl davon ausgehen, Miß Gatters, daß Ihnen unbekannt war, daß Ihr Onkel mit dem Gepard zu spielen
geruhte?« erkundigte sich der Butler. »Natürlich!« Sie sah ihn in einer Mischung aus Respekt und Ärger an. »Sonst hätte ich Sie doch nie hier auf die Wiese geschickt, Mr. Parker.« »Natürlich nicht, Miß Gatters.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Die Raubkatze hat den kleinen Zwischenfall hoffentlich ohne Schaden überstanden.«
»Richtig, das war vor anderthalb Jahren«, bestätigte Pete Rilding, »Janes Mutter stürzte vom Hochseil, das nicht korrekt gesichert war. Sie war sofort tot.« »Ihre Nichte spricht von einem Mord, um es ungeschminkt und direkt zu sagen«, warf der Butler ein. »Er konnte nie bewiesen werden, Mr. Parker«, antwortete Rilding und zuckte die Achseln. »Wer hätte denn Interesse an einem Mord haben können, Rilding?« fragte der Anwalt. »Also, darüber möchte ich nicht sprechen.« Pete Rilding sah betont zum Fenster hinaus. Die drei Männer befanden sich im Wohnraum des Farmhauses. »Darf man davon ausgehen, daß es sich um ein internes Familiendrama handelte?« fragte Parker gemessen. »So in etwa, Mr. Parker. Hören Sie, müssen wir das alles wieder ausgraben? Ich bin froh, daß Gras über die Sache gewachsen ist.« »Was Sie Mr. Rander und meiner Wenigkeit anvertrauen, wird selbstverständlich mit Diskretion behandelt werden, Mr. Rilding«, versicherte Parker dem Zirkusdirektor.
»Also gut, ein paar Stichworte«, meinte Rilding. »Janes Mutter flirtete vielleicht etwas zu intensiv mit dem Chef einer Kaskadeurtruppe. Die Frau dieses Kaskadeurs war sehr eifersüchtig, wie man sich ja wohl vorstellen kann. Sie und ihre Brüder, die die Truppe bildeten, sollen laut Jane damals ein Halteseil gelockert haben. Was mich betrifft, so glaube ich einfach nicht daran. So etwas passiert nur in Filmen.« »Wußte Janes Vater von diesem intensiven Flirt?« fragte Mike Rander. »Überhaupt nichts.« Pete Rilding schüttelte den Kopf. »Falls aber doch, dann hat er sich nichts merken lassen. Sie wissen von Jane, daß er hier auf der Farm wohnt?« »Dies wurde bereits mitgeteilt, Mr. Rilding«, bestätigte der Butler, »noch eine wahrscheinlich letzte Frage: Was wurde aus dem Zirkus, in dem doch auch Sie bereits als Dompteur arbeiteten? « »Wir... Wir brannten ab«, erwiderte Rilding. »Wir waren unterversichert, und die Entschädigung reichte gerade, um die letzten Reste zu sichern und die Gagen auszuzahlen.« »Waren Sie damals bereits der Direktor des Unternehmens?« »Nein, nein, meine Mutter. Sie lebt jetzt in einer geschlossenen Anstalt. Das war alles zuviel für sie, sie hat den Verlust einfach nicht verkraftet. Sie hören, das sind verdammt böse Geschichten.« »Schnell noch eine Frage, Rilding, bevor wir dieses Kapitel abschließen, einverstanden? Ihr Personal hier setzt sich aus Leuten zusammen, die bereits damals für den Rilding- Zirkus gearbeitet haben?« »Richtig«, bestätigte der Mann, der ein neues Unternehmen aufbauen wollte, »als sich herumsprach, daß ich noch mal beginnen würde, waren sie wie selbstverständlich wieder da. Wer Zirkusluft mal geschnuppert hat, kommt nie wieder davon los.«
Während Rilding noch sprach, öffnete sich die Tür zum Wohnraum. Jane Gatters trat ein, sie wurde begleitet von einem schlanken Mann, der etwa fünfunddreißig Jahre zählte. Er trug Gummistiefel, Jeans und eine graue Lederweste. »Stören wir?« erkundigte sich Jane Gatters. »Das ist William Shelters, unser Geschäftsführer«, stellte Pete Rilding vor und deutete auf den jungen Mann, dessen wasserblaue Augen kühl und wachsam wirkten. »Hallo«, sagte Shelters knapp, »hat Mr. Rilding Ihnen schon gesagt, daß wir einen privaten Geldgeber gefunden haben?« »Darüber wollten wir gerade reden, William«, antwortete Pete Rilding hastig. »Wir brauchen keinen Bankkredit«, sagte Shelters und wandte sich an Mike Rander und Butler Parker, »wir werden so zurechtkommen. Vielen Dank für Ihre Bemühungen!« »Nicht der Rede wert«, entgegnete Mike Rander, »tja, damit dürften die Fronten geklärt sein, ich meine, die Dinge sich geregelt haben.« »Völlig«, erwiderte William Shelters und lächelte knapp. »Ist Ihnen vielleicht auch lieb. Der Aufenthalt hier auf der Farm hat schießlich so seine Tücken, wie Sie ja eben erlebt haben.« »Die zweibeinigen Raubtiere im Dschungel der Großstädte dürften erheblich gefährlicher sein«, erwiderte Josuah Parker, »aber darüber wissen Sie natürlich nichts, wie ich unterstellen möchte. Übrigens, Mr. Shelters: Ihre Schulterhalfter sitzt nicht besonders gut, wenn Sie mir diesen kleinen Hinweis erlauben.«
»Sie waren hier, Parker«, sagte Mike Rander, der vom Tresen der Teestube an den kleinen Tisch zurückkehrte. »Nach der Beschreibung müssen es Walford und die beiden Leibwächter gewesen sein.« Mike Rander und Butler Parker befanden sich in der kleinen Ortschaft Dunstable, auf dem Weg zwischen der Farm und Luton. Bereits in der dritten Teestube war der Anwalt fündig geworden. Die Anregung, in Dunstable nach dem Gangsterboß und seinen beiden Begleitern zu fahnden, war von Parker ausgegangen. »Wenn Sie erlauben, Sir, verweise ich noch mal auf die Tatsache, daß die Herren Hollister und Walford fast ähnlich reagierten, als man sie nach ihren Beziehungen zu einem Zirkus befragte.« »Betroffenheit, Nachdenken und gespieltes Nichtwissen«, faßte Mike Rander zusammen. »Parker, was halten Sie denn von der Familientragödie, die man uns da serviert hat?« »Eine tödlich verunglückte Mutter, Sir, ein Vater, der sich dem Trunk ergeben hat, eine Zirkusunternehmerin, die in einer geschlossenen Anstalt lebt, da ihr Geist sich verwirrt hat«, zählte der Butler auf, »und ein Geschäftsführer, der eine sicher nicht leere Schulterhalfter trägt.« »Wir sind nach Strich und Faden belogen worden, Parker.« »Oder man hat Ihnen und meiner Wenigkeit nur Teilwahrheiten unterbreitet, wenn man so will, Sir.« »Wo sind Walford und die beiden Leibwächter geblieben?«
Rander hatte den Tee am Tresen bereits bezahlt, die beiden Männer verließen die Stube und gingen zu Parkers hochbeinigem Monstrum. »Und dann kommt noch der plötzliche Verzicht auf einen Bankkredit hinzu. Man will uns natürlich möglichst für immer los werden.« »Dem ist nur beizupflichten, Sir.« »Falls Mr. Walford nicht mit Mr. Rilding zusammenarbeitet, Sir.« Mike Rander blieb stehen und sah den Butler überrascht an. Dann nickte er langsam. »Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht, Parker. Walford, das zweibeinige Raubtier, und Rilding liefert ihm die vierbeinige Katze. Keine schlechte Kombination.« »Eine vage Vermutung, Sir.« »Die einiges für sich hat, Parker. Walford schaltet mit diesem Raubtiertrick einen Konkurrenten nach dem anderen aus. Zuerst die kleinen Bosse, dann die großen. Er baut ganz gezielt eine Atmosphäre der Angst und Panik auf.« »Demnach wäre sein Angebot an Mylady nur als eine Finte zu betrachten, Sir.« »Richtig, Parker. Denken Sie an diesen angeblichen Geschäftsführer Shelters. Das ist doch ein waschechter Gangster und wahrscheinlich sogar ein Killer.« »Sie gehen davon aus, Sir, daß Miß Jane Gatters Sie und meine Wenigkeit absichtlich in das Wiesengehege geschickt hat?« »Möchte ich jetzt fast annehmen, Parker.« Mike Rander nickte. »Hätte es uns erwischt, wäre das eben als bedauerlicher Betriebsunfall hingestellt worden.« »Wenn ich vorschlagen dürfte, Sir, so sollte man Mr. Walford befragen«, erwiderte der Butler, »es wäre auch ratsam, sich mit Miß Jane Gatters' Vater auszutauschen.«
»Wir bleiben bis zum Einbruch der Dunkelheit und pirschen dann an die seltsame Farm heran«, erklärte Mike Rander, »fragt sich nur, wie wir Lady Simpson das verkaufen. Falls sie Lunte riecht, wird sie selbstverständlich sofort kommen. Solch eine nächtliche Aktion läßt sie sich doch nicht entgehen.« »In der Tat, Sir! Man könnte Mylady vielleicht vor einem Überfall auf Myladys Haus warnen, womit sicher gestellt wäre, daß Mylady im Haus verweilen wird.« »Drüben ist eine Telefonzelle, Parker.« Rander lächelte. »Übernehmen Sie den Anruf, ja? Sie wirken überzeugender als ich.« Parker schritt zur Telefonzelle, Öffnete die Tür und griff nach dem Hörer. Dabei wandte er sich zu Mike Rander um, den er neben- seinem hochbeinigen Monstrum zurückgelassen hatte. Danach verzichtete Parker darauf, den Hörer abzunehmen. Mike Rander war verschwunden. Er schien sich in Luft aufgelöst zu haben!
»Sehr ärgerlich«, stellte Lady Agatha fest, »es ist Dinnerzeit, Kindchen, aber Mr. Parker hält es nicht für nötig, sich wenigstens telefonisch zu melden oder zu entschuldigen.« »Die Verfolgung dieses Walford ist wahrscheinlich recht kompliziert«, meinte Kathy Porter. »Da ist selbstverständlich etwas passiert, Kathy. Ich spüre es ganz deutlich.« »An so etwas möchte ich lieber nicht denken, Mylady.« »Ich denke sogar noch weiter, Kindchen.« Lady Agatha machte einen kriegerischen Eindruck. »Wo, sagte man, wurden
diese Raubtieropfer herumgehetzt?« »Im Richmond Park, Mylady. Sie glauben doch nicht, daß Mr. Parker und Mike, ich meine, Mr. Rander ...!?« »Ich glaube das, was ich sehe, Kindchen.« Agatha Simpson faßte wieder mal einen einsamen Entschluß. »Wir werden uns diesen Richmond Park ansehen, Kathy. In einer halben Stunde ist es bereits dunkel, dann sollten wir an Ort und Stelle sein.« »Ich bereite sofort alles vor, Mylady.« Kathy Porter erhob schon deshalb keinen Widerspruch, weil er sinnlos gewesen wäre. »Ich werde meinen Sportbogen mitnehmen«, entschied die Detektivin, »vergessen Sie den Köcher mit den Pfeilen nicht, Kathy. Was könnte man denn sonst noch mitnehmen? Man wird versuchen, ein Raubtier auf mich zu hetzen.« »Vielleicht eine Schußwaffe, Mylady?« »Richtig, Kathy.« Mylady nickte wohlwollend. »Ich werde mich auf jede Eventualität einstellen. Aha, noch etwas: Was scheuen diese Raubkatzen wie die Pest?« »Sie haben eine bestimmte Vorstellung, Mylady?« »Feuer, Kathy!« Lady Agatha nickte triumphierend. »Feuer, ja, das ist es! Ich werde Feuer brauchen, Kathy.« »In welcher Form, Mylady?« Kathy Porter ging auf die ältere Dame ernst und konzentriert ein. Sie konnte sich zwar kaum vorstellen, daß man den Butler und Mike Rander in eine Falle gelockt hatte, doch ein wenig sorgte sie sich doch. »Ich brauche etwas, was sofort und blitzschnell in Flammen aufgeht, Kathy«, verlangte die energische Dame. »Hat Mr. Parker nicht etwas Passendes in seinem Labor?« »Ich werde sofort nachsehen, Mylady.« Kathy eilte nach unten ins Souterrain des Hauses, in dem sich die Privaträume des Butlers befanden. Hier hatte er auch seine Werkstatt eingerichtet, in der er neue Verteidigungswaffen ersann und
baute. In einem Wandschrank fand sie Magnesiumfackeln, worüber sie sich überhaupt nicht wunderte. Parker war perfekt ausgestattet und hatte alles vorrätig, um jede Situation zu meistern. Kathy nahm zwei dieser Fackeln mit, die mittels eines Reißzünders in Sekundenschnelle gezündet werden konnten. Als sie zurück in die Wohnhalle kam, wartete die ältere Dame bereits ungeduldig auf sie. Sie hielt einen modernen und leistungsstarken Sportbogen in der linken Hand, mit dem sie übrigens ausgezeichnet umzugehen verstand. Auf einem Sessel stand ein Köcher, der mit Pfeilen gefüllt war, deren Schäfte aus Aluminium bestanden. »Schlagen wir diesem Raubtier ein Schnippchen«, sagte die Detektivin und deutete auf einen zweiten Sessel, »das dort, Kathy, ist für Sie. Mit einer Winchester können Sie hoffentlich umgehen, ja?« »Natürlich, Mylady.« Katyh griff nach der Schußwaffe und folgte dann ihrer Chefin in die hintere Garage. Sie stiegen in den Landrover und warteten, bis das Garagentor sich elektrisch öffnete. Dann gab Mylady sofort Vollgas und preschte in die schmale Straße hinter dem Haus. Um das Garagentor brauchten die beiden Damen sich nicht weiter zu kümmern. Es senkte sich dank einer raffinierten Automatik. »Sie werden natürlich in meiner Nähe bleiben, Kindchen«, warnte die altere Dame ihre Gesellschafterin, »im Umgang mit vierbeinigen Raubtieren sind Sie nicht erfahren. Ich war schon auf Großwildjagd mit meinem Vater, als sie noch gar nicht geboren waren. Ja, und halten Sie sich jetzt gut fest. Ich werde etwas schneller als sonst fahren...« Katy Porter schloß ergeben die Augen und schickte insgeheim ein Stoßgebet zum Himmel. Sie wußte, was eine solche Ankündigung bedeutete!
Mike Rander hütete sich, eine falsche Bewegung zu machen. Er wußte längst, daß er es mit einem ausgekochten Profi zu tun hatte, von dem er auf höchst einfache, aber wirkungsvolle Art und Weise gekidnappt worden war. Der Anwalt saß am Steuer eines Jeep und steuerte den Wagen durch das Gelände. Man befand sich auf einem schmalen Weg, und weit und breit war hier in den Chiltern Hills kein Haus zu sehen. Neben ihm hatte es William Shelters sich bequem gemacht. Der schlanke Mann mit den wasserblauen Augen hatte ihn innerhalb weniger Sekunden zu dieser gemeinsamen Ausfahrt überredet. Dies war mit einem kurzläufigen Bulldog-Revolver geschehen, dessen Mündung Shelters ihm gegen den Rücken gedruckt hatte. Der anschließende Weg zum Jeep, der in einer schmalen Seitenstraße stand, war nur kurz gewesen. »Wollen Sie nicht endlich sagen, was das alles soll?« erkundigte sich Mike Rander erneut, »wir sind doch inzwischen ganz unter uns, Shelters. »Angst?« fragte Shelters knapp zurück und lächelte kühl. »Ich bin nicht gerade in freudiger Hochstimmung«, antwortete Mike Rander, »ich weiß, wie bissig die Dinger da sind.« Mike Rander deutete mit dem Kinn auf die Waffe, die Shelters in der rechten Hand hielt. Die Mündung war auf seine Hüfte gerichtet »Ich hab' was gegen neugierige Typen«, erwiderte Shelters, »und gegen Schnüffler bin ich allergisch.« »Warum haben Sie nicht auch den Butler hochgenommen?« wollte der Anwalt weiter wissen. »Der Bursche hat es faustdick hinter den Ohren«, lautete die
Antwort, das sieht man doch auf den ersten Blick.« »Sie sind ein ausgemachter Profi, wie?« »Wollen Sie mich ausholen?« »Man möchte doch schließlich wissen, mit wem man es zu tun hat. Sie stammen aus den Staaten, oder?« »Hört man das immer noch durch?« fragte Shelters. »Ich war lange genug drüben. Welche Rolle spielen Sie eigentlich bei Rilding?« »Den Aufpasser«, entgegnete Shelters, »um aber gleich die nächste Frage zu beantworten: Ich vermiete mich und meine Kanone! Aber ich lasse mich nicht anwerben, ganz gleich, was Sie mir bieten werden... Haben wir uns verstanden?« »Ich verstehe. Sie sind vertragstreu, Shelters.« »Jeder Job hat seine Spielregeln, Rander. Warum sind Sie hinter Rilding her?« »Hetzt der Mann nun seine Raubkatzen auf billige Ganoven oder nicht?« »Und wenn er das tut, Rander?« »Dann muß es dafür doch Gründe geben.« »Die mich nicht interessieren würden, Rander. Und was haben Sie gegen solche Hetzjagden?« »Ziemlich neue Methoden, um lästige Gegner auszuschalten, finden Sie nicht auch, Shelters?« »Jeder macht's so gut wie er kann, Rander.« Shelters lachte leise.« Damit ist aber nicht gesagt, daß Rilding das Raubtier ist. Danach werden Sie doch bestimmt noch fragen wollen, oder?« »Sie sind ein perfekter Gedankenleser, Shelters.« »Dann wissen Sie auch, daß ich darauf niemals antworten würde.« »Ich möchte wetten, daß Sie mit der Rilding-Familie irgenwie verwandt sind.«
»Wie kommen Sie denn darauf?« Shelters machte einen sichtlich verdutzten Eindruck. »Reine Gefühlssache. Und noch etwas: Sie sind nie auf die übliche Art und Weise angeheuert worden.« »Und wieso eigentlich nicht?« Shelters sah den Anwalt aufmerksam an. »Ein Mann wie Rilding hat keinen Draht zu Ihren Kreisen, Shelters. Und er könnte einen Mann wie Sie wahrscheinlich auch gar nicht bezahlen.« »Sie sollten sich besser nicht so viele Gedanken machen, Rander. Könnte nicht gesund für Sie sein.« »Schön, ich werde nur noch eine Frage stellen: Was haben Sie mit mir vor? Wir karren ja bestimmt nicht zum Vergnügen durch's Gelände.« »Lassen Sie sich mal überraschen, Rander. Bald werden Sie mehr wissen, das verspreche ich Ihnen.« »Was dagegen, daß ich mir 'ne Zigarette anzünde? Ich werde das ganz behutsam machen.« »Aber sehr behutsam«, wahrte Shelters und ließ den Anwalt nicht aus den Augen. Mike Rander holte mit spitzen Fingern ausgerechnet aus seiner Ziertuchtasche eine einzelne Zigarette, und Shelters akzeptierte dies ohne Mißtrauen. »Ich werde sie anzünden«, meinte er dann allerdings und ließ sich die Zigarette geben, »ich kenne nämlich so ziemlich alle gängigen Tricks.« »Ich werde mich verdammt hüten, faule Tricks aufzulegen«, behauptete der Anwalt und beobachtete seinerseits den Profi, der die Zigarette mit den Lippen umschloß und mit der freien Hand nach einem Feuerzeug fischte. Mike Rander schmunzelte insgeheim und bedankte sich bei einem gewissen Butter Parker, der mehr als nur gängige Tricks kannte...
»Ich möchte mir erlauben, Sir, meiner tiefen Freude Ausdruck zu verleihen«, sagte Josuah Parker und lüftete grüßend die schwarze Melone. Er stand neben dem Jeep, an dessen Steuer, Anwalt Mike Rander saß, der den Motor abstellte und ausstieg. »Sie absolvierten, wenn ich fragen darf, eine kleine Ausfahrt?« »Notgedrungen, Parker«, erwiderte Mike Rander lächelnd, »haben Sie lange warten müssen?« »Etwas über eine halbe Stunde, Sir. Offen gesagt, ich war bereit, mir nun doch einige Gedanken zu machen.« »Ich bin tatsächlich gekidnappt worden, Parker«, berichtete der Anwalt, »aber das alles werde ich Ihnen bei einem Whisky erzählen. Ich glaube, ich habe ihn mir verdient.« Die beiden Männer, noch immer in der Ortschaft Dunstable, verließen den Parkplatz, auf dem das hochbeinige Monstrum des Butlers stand. Sie überquerten den kleinen Marktplatz im Schatten der hübschen, altnormannischen Kirche. In einem Pub fanden sie eine ruhige Nische. Parker holte vorn am Tresen einen doppelten Whisky und ein Glas Ale. »Wo, bitte, Sir, haben Sie den erwähnten Mr. Shelters deponiert, wenn ich so sagen darf?« fragte Parker, als der Anwalt einen kurzen Bericht über seine Erlebnisse gegeben hatte. »In einer verfallenen Feldscheune, Parker. Ich glaube kaum, daß er sich aus eigener Kraft befreien kann. Im
Werkzeugkasten des Jeep fand ich nämlich eine Rolle Isolierband. Recht praktisch das Zeug.« »Sie waren zeitlich nicht in der Lage, Mr. Shelters einem kurzen Verhör zu unterziehen, Sir?« »Ich hab's erst gar nicht versucht, Parker. Dieser Shelters ist kein Plappermaul. Ich frage mich allerdings, wie ein US-Profi ausgerechnet hierher in die Provinz kommt? Rilding hätte auch wirklich nicht das Geld, ihn zu bezahlen.« »Darf man fragen, Sir, wie es Ihnen gelang, sich dieses Herrn zu entledigen?« »Das hab' ich mit Ihren Patent-Zigaretten geschafft, Parker.« Mike Rander lachte verhalten. »Diese Dinger sollten Sie sich patentieren lassen, wie so manches, was Sie ausgetüftelt haben.« »Die Verblüffung des Mr. Shelters muß beträchtlich gewesen sein, Sir.« »Der Mann kippte fast aus dem Jeep.« Der Anwalt lachte amüsiert. »Er schöpfte keinen Verdacht, wirklich nicht. Er schob sich die Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie mit seinem Feuerzeug an. Eine Sekunde später erlebte er eine Überraschung: Das Glimmstäbchen explodierte wie eine kleine Granate. Shelters hüpfte wie ein Frosch vom Sitz und spielte ab sofort nicht mehr mit.« »Sollte die Ladung in der Spezialzigarette vielleicht doch zu stark gewesen sein, Sir?« »Nein, nein, Parker, sie war genau richtig.« Rander schüttelte den Kopf und nippte an seinem Whisky, »der Profi stand noch unter seinem Schock, als ich ihn auslud und fesselte. Auf diese Zigaretten möchte ich auf keinen Fall mehr verzichten.« »Darf man fragen, Sir, was mit Mr. Shelters geschehen soll?«
»Das wollte ich gerade Sie fragen, Parker. Vielleicht weiß er, was aus Walford und dessen beiden Leibwächtern geworden ist. Fragt sich nur, ob er je den Mund auftun wird. Ich bezweifle das.« »Eine ruhig verbrachte Nacht wird Mr. Shelters' Mitteilungsbedürfnis wahrscheinlich fördern«, antwortete der Butler, »als Mensch der Großstadt, der er zweifelsfrei ist, wird er die kommende Nacht sicher nicht richtig zu würdigen wissen.« »Gut, lassen wir Shelters also erst mal in der Scheune, Parker, ist mir auch lieber. Und was machen wir jetzt? Fahren wir noch mal zur Farm zurück?« »Eine Anregung, Sir, die ich dankbar aufgreife«, entgegnete der Butler. »dort werden sich mit Sicherheit Dinge abspielen, die von Interesse sein werden. Inzwischen könnte man Ihr Einverständnis voraussetzend, einige Telefongespräche führen.« »Richtig, Parker, haben Sie Mylady verständigt? « »Mylady war leider nicht zu erreichen, Sir, man wird es jedoch noch mal versuchen. Darüber hinaus aber dürfte es angebracht sein, Informationen über die Familie Rilding einzuholen.« »Und wie wollen Sie das telefonisch schaffen?« »In London gibt es einen Varieté-Agenten, Sir, der meiner bescheidenen Wenigkeit verpflichtet ist«, antwortete Parker. »Einen besser informierten Insider, um es mal modern auszudrücken, dürfte es nicht geben.« »Moment mal, Parker, haben Sie den kleinen Lieferwagen gerade gesehen?« fragte der Anwalt und richtete sich steil auf. Dann verließ er schnell seinen Platz, eilte zur Tür des Pub und schaute nach draußen. Er kam nach wenigen Augenblicken wieder zurück und machte einen nachdenklichen Eindruck.
»Ich möchte wetten, Parker, daß wir diesen Wagen schon mal gesehen haben«, sagte er, als er wieder Platz nahm, »Sie wissen, ich denke an den Richmond Park!«
Lady Agatha Simpson sah aus wie eine füllige, bereits betagte Amazone. Sie trug ihr ausgebeultes Tweedkostüm, von dem sie behauptete, daß es von Coco Chanel in Paris stammte. Auf ihrem Kopf saß ihr Lieblingshut, eine wirklich abenteuerliche Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen. Sie hatte es sich in einem Gesträuch des Richmond Parks bequem gemacht und saß auf einem Klapphocker. Neben ihr im Gras lag der schwere Sportbogen. Der Köcher mit den Pfeilen lehnte griffbereit daneben. In Anbetracht möglicher nächtlicher Kühle und ihres Kreislaufs, den sie stets angegriffen wähnte, hatte Agatha Simpson sich ein Stärkungsmittel mitgenommen. Es handelte sich um guten, alten, französischen Kognak, den sie sehr schätzte. Neben ihr, an einen dünnen Baumstamm gelehnt, stand Kathy Porter und hielt die Winchester in Händen. Auf ausdrücklichen Wunsch der älteren Dame hatte sie ein lichtstarkes Nachtglas mitnehmen müssen. Zu ihren Füßen lagen die beiden Magnesiumfackeln. Die Sichtverhältnisse im Park waren nicht schlecht. Der Mond, zu einem guten Viertel aufgegangen, warf ein mildes, weiches Licht auf die weiten Rasenflächen. Ungewöhnliche Bewegungen im Park waren mit Sicherheit gut auszumachen, doch diese ungewöhnlichen Bewegungen hatten sich bisher noch nicht entdecken lassen.
»Zur Jagd gehört Geduld, Kindchen«, sagte die passionierte Detektivin gerade in dozierendem Tonfall, »Geduld und noch mal Geduld! Nur so wird man sein Wild auch stellen können.« »Ich bin überhaupt nicht ungeduldig«, antwortete Kathy leise. »Aber ich«, grollte Lady Agatha, »wo bleibt denn nur dieses Raubtier? Es ist doch eine ausgemachte Frechheit, mich hier so warten zu lassen.« »Es wird noch zu früh sein, Mylady.« Kathy lachte leise in sich hinein. »Man hat mich gefälligst zu respektieren«, lautete Lady Simpsons Antwort, »Moment, was war das?« »Eine ... Autotür, die zugeschlagen wurde, Mylady.« »Das hat etwas zu bedeuten, Kindchen.« Sie richtete sich auf und griff nach dem Sportbogen. »Der Wagen fährt leider ab, Mylady.« »Weil man mich täuschen will«, behauptete sie, » das heißt, nicht gerade mich, sondern mehr allgemein ...« »Sie wollen die ganze Nacht hier im Park bleiben, Mylady?« »Selbstverständlich, Kindchen.« Die Lady nickte nachdrücklich. »Stellen Sie sich doch vor, daß man Mike oder Mr. Parker hier von einem Raubtier jagen lassen will! Nicht auszudenken, wenn ich dann nicht zur Stelle wäre...« »Mylady«, flüsterte Kathy plötzlich und nahm das Nachtglas hoch, »da tut sich was.« »Ich wußte es doch, Kathy. Das Glas, schnell!« Sie nahm das schwere Okular entgegen und suchte den Park ab. Dann konzentrierte die ältere Dame sich auf ein dichtes Gebüsch weit links im Park. Kathy, die sich den Lageplan des Richmond Park vorher genau angesehen hatte, wußte, daß sich in dieser Richtung auch der Golfplatz befand.
»Eine Gestalt«, flüsterte Lady Agatha, die vom Jagdfieber erfaßt worden war, »Natürlich, das ist ein Mann ... Er betritt jetzt den Rasen und läuft, Kathy, er läuft... Er läuft direkt auf uns zu.« »Vielleicht ein nächtlicher Jogger, Mylady«, vermutete Kathy. »Unsinn, Kindchen!« Lady Agatha korrigierte die Scharfeinstellung des Nachtglases, »dieser Mann rennt aus Leibeskräften... Er scheint Angst zu haben... Er rennt sicher um sein Leben.« »Darf ich auch noch mal sehen, Mylady?« bat Kathy Porter. Agatha Simpson reichte ihr das Glas, und Kathy mußte einräumen, daß ihre Chefin richtig beobachtet hatte. Das dort war mit Sicherheit kein Jogger, sondern ein großer, älterer Mann in Zivilkleidung, der sich als Sprinter versuchte, was sicher nicht ohne Grund geschah. »Er kommt direkt auf uns zu, Mylady«, sagte Kathy. »Können Sie bereits das Raubtier sehen?« fragte Agatha Simpson und zog einen Pfeil aus dem Köcher. »Nein, nichts, Mylady ... Doch, jetzt! Oh, Schreck, das muß ein Tiger sein!« »Sehr schön«, erwiderte die beutehungrige Dame und marschiere auf die freie Rasenfläche. »Jetzt werde ich Ihnen zeigen, Kindchen, wie man mit solchen Bestien fertig wird. Der erste Pfeil muß bereits sitzen ...«
Er saß leider nicht!
Lady Agatha hatte den Pfeil von der Sehne schnellen lassen.
Er jagte auf das Raubtier zu und... bohrte sich etwa zwei Meter vor dem Tier in den Rasen. »Hierher!« schrie Kathy und winkte dem laufenden Mann zu. Die Distanz zwischen ihm und dem hetzenden Raubtier betrug höchstens noch fünfzig Meter. Kathy wußte inzwischen, daß es sich weder um Mike Rander noch um Josuah Parker handelte. Der Mann hörte ihre Stimme und ... blieb überrascht stehen. Dadurch holte die Raubkatze auf und verringerte den Abstand zwischen sich und seinem zweibeinigen Opfer. »Laufen Sie, laufen Sie doch!« rief Kathy und nahm automatisch die Winchester hoch. Der Mann rannte wieder los, und das hetzende Raubtier schloß noch näher auf. Lady Agatha hatte einen zweiten Pfeil aufgelegt, visierte das Raubtier an und ließ sich diesmal mehr Zeit. Dann löste sie den Pfeil und ... fluchte sehr undamenhaft. Gewiß, der Pfeil war wesentlich genauer abgeschossen worden, doch das vierbeinige Raubtier war einfach zu schnell. Kathy Porter viriserte die große Katze mit der Winchester an, doch das zweibeinige Wild sorgte ungewollt dafür, daß Kathy nicht genau visieren konnte. Es ging jetzt wirklich nur noch um Sekunden... Kathy warf die Winchester ins Gras, riß eine Magnesiumfackel hoch, zündete sie und... atmete auf, als unmittelbar darauf eine wahre Lichtexplosion erfolgte. Vorn aus der Aluminiumröhre der Fackel schoß eine weiße, grelle Flamme, die die nähere Umgebung mehr als taghell erleuchtete. Kathy reagierte instinktiv, holte weit aus und warf die Lichtfackel; die weißen, dichten Rauch verströmte, auf das Raubtier. Die lange Röhrenfackel überschlug sich ein paar Mal in der Luft, zischte dann dicht über den laufenden Mann
hinweg und... setzte sich vor den Vierbeiner. Er überschlug sich fast, so jäh bremste er seinen, Schwung. Die Raubkatze wich seitlich aus und... ergriff die Flucht. Genau in diesem Moment löste die ältere Dame ihren dritten Pfeil. Der Mann brüllte auf und sackte seitlich weg in den Rasen. Er rollte wenigstens dreimal um seine Längsachse und blieb dann stöhnend liegen. Die Raubkatze aber hetzte bereits zurück zum gegenüberliegenden Rand des Parks. »Aller guten Dinge sind drei«, kommentierte die ältere Dame ihren Pfeilschuß und nickte Kathy zufrieden zu. Dann hüstelte sie leicht, denn der Rauch der Magnesiumfackel breitete sich immer weiter aus und wurde dichter. Genau dies stellte sich aber als Vorteil heraus, denn plötzlich pfiffen Lady Agatha und Kathy Porter einige Kugeln um die Ohren, deren Abschüsse man nicht hatte hören können. Der Schütze benutzte mit Sicherheit einen modernen Schalldämpfer. »Wo ist die Winchester, Kathy?« fragte die Detektivin aufgebracht, »auf eine Lady Simpson schießt man nicht ungestraft!« »Vielleicht sollten wir uns um den Mann kümmern, Mylady«, schlug Kathy Porter vor und ging vorsichtig zu dem schlaff und regungslos am Boden Liegenden. Äußerliche Verletzungen durch das Raubtier konnte er nicht davongetragen haben, doch Kathy war penibel. Es wurde übrigens schon nicht mehr geschossen. Drüben, vom anderen Rand des Parks her, war hier nichts mehr zu sehen. Die Rauchfahnen der immer noch brennenden und qualmenden Magnesiumfackel nahmen jede Sicht. Auf dem Rasen lag der Gangsterboß Walford. Er hatte wohl die Schritte gehört, hob abwehrend die Hände
und stöhnte. Als Kathy Porter ihn beruhigend ansprach, sah Walford sie aus großen, entsetzten Augen an. Er bekam nicht mit, daß ihm geholfen werden sollte.
Butler Parker und Mike Rander hatten das Gelände der Farm erreicht. Es war inzwischen längst dunkel geworden, und ein leichter Sprühregen kam auf. Josuah Parker hielt auf die Scheune zu, dicht gefolgt von Mike Rander. Man konnte hin und wieder das dumpfe Brüllen und Fauchen der Raubkatzen hören. Aus dem Farmhaus drangen Musikfetzen. Alles machte einen friedlichen und normalen Eindruck. Dennoch hatte Parkers innere Alarmanlage sich bereits gemeldet Der Butler spürte förmlich, daß Gefahr in der Luft lag. Er unterschätzte die Bewohner dieser Farm keineswegs, auch wenn dieser William Shelters erfreulicherweise nicht anwesend war. Parker und der Anwalt passierten die Längsseite der Scheune. Ihr Ziel war das Farmhaus. Sie hofften, dort etwas an Gesprächen aufzuschnappen. Sie wollten herausfinden, ob der Gangsterboß Walford hier festgehalten wurde. Der Raubtiergeruch wurde immer intensiver. In Umrissen waren die Käfigwagen zu erkennen, deren Faltblenden geschlossen waren. Die Tiere waren aber mit Sicherheit noch wach. Man hörte deutlich, wenn sie sich gegen die Gitterstäbe warfen. Mike Rander konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren. Trotz der Dunkelheit und des Regens, der heftiger wurde, kam er sich vor wie auf dem Präsentierteller. Erwartete man sie? Wußte man längst, daß sie der Farm einen Besuch
abstatteten? Eine Sekunde später wußten Butler Parker und Mike Rander Bescheid. Plötzlich flammten nämlich einige Handlampen auf, deren grelles Licht die beiden Männer festnagelte. »Keine Bewegung«, sagte eine herrische Stimme, »keine Bewegung!« »Schon gut, schon gut...« Mike Rander hob langsam die Arme. »Ich erlaube mir, einen erbaulichen Abend zu wünschen«, grüßte Josuah Parker. »Lassen Sie den Schirm fallen«, wurde Parker aufgefordert. Josuah Parker streckte seinen angewinkelten linken Unterarm in Richtung Boden, und der Regenschirm rutschte nach unten weg. »Hände hinter dem Kopf verschränken«, verlangte die herrische Stimme. Mike Rander und Parker kamen diesem Befehl nach und warteten auf das nächste Kommando. Sie konnten nicht erkennen, um wie viele Leute es sich handelte. Wenn man von den Handlampen ausging, mußten es wenigstens vier Personen sein. Mike Rander und der Butler wurden von den Lichtbündeln in die Scheune geleitet. Dann war ein Rasseln und Scheppern zu vernehmen. Ein Lichtstrahl richtete sich auf die geöffnete Gittertür eines Rundkäfigs. »Wenn Sie sich vernünftig verhalten, passiert Ihnen nichts«, sagte die energische Stimme. Rander und Parker traten in die Mitte der umschlossenen Manege, dann war erneut ein Rasseln und Scheppern zu hören. Plötzlich erloschen die vier Handlampen, »Hoffentlich will man uns nicht dressieren, Parker«, stellte Mike Rander nach einigen Sekunden fest. Es war deutlich zu
hören gewesen, daß einige Personen die Scheune verlassen hatten. Es herrschte jetzt totale Dunkelheit. »Eine perfekte Überraschung, Sir«, erwiderte der Butler gemessen, »die Mitarbeiter um Mr. Rilding verstehen ihr Handwerk, wenn ich so sagen darf.« »Aber sind verdammt sparsam«, meinte Rander, »soviel kann eine Kerze doch nicht kosten.« »Dunkelheit erhöht häufig die Unsicherheit, Sir.« Parker bewegte sich vorsichtig zur Seite und ertastete ein Postament. »Hier, Sir, bietet sich eine Sitzmöglichkeit an. Hier, wenn ich bitten darf!« »Ja, danke, Parker.« Mike Rander hatte ebenfalls das Postament erreicht. »Und wann läßt man die Raubtiere rein?« »Sie rechnen mit solch einer Möglichkeit, Sir?« »Natürlich, Parker.« Randers Stimme klang salopp. »Hier bietet sich doch die einmalige Gelegenheit, uns für immer los zu werden. Raubtiere pflegen auch den letzten Knochen zu verspeisen.« »Eine Vorstellung, Sir, die man nur als unschön bezeichnen kann.« »Machen wir uns doch nichts vor.« Mike Rander knipste sein Feuerzeug an und hielt es hoch, »nicht besonders groß dieser Rundkäfig.« »Selbst der obligate Zugang ist vorhanden, Sir.« Parker deutete diskret auf einen vergitterten, niedrigen Gang, der sich vom Rundkäfig aus in der Dunkelheit der Scheune verlor. Durch diesen Gang wurden die Raubtiere zu den Proben in den Käfig geleitet. Die Tür war weit geöffnet und mit einem Vorhängeschloß gesichert. Um das zu erkennen, reichte die Flamme des Feuerzeuges ohne weiteres aus. »Denken Sie doch an die Hosenträger und an die Hose«, sagte Mike Rander inzwischen, »diese Burschen hier lassen
ihre Gegner in den Mägen der Raubkatzen verschwinden. Das spart Futterkosten und hinterläßt keine Spuren...« Rander hatte noch nicht ganz seinen Satz beendet, als ein leises, amüsiertes Lachen zu vernehmen war, ein Lachen, das so gar nicht zu dieser Situation paßte!
»Hauptsache, Sie amüsieren sich«, sagte Rander in die Dunkelheit hinein. Er hatte sein Feuerzeug sofort zugeklappt. »Sie haben Humor«, entgegnete eine Frauenstimme, die Rander und Parker wiedererkannten. Sie gehörte Jane Gatters, der Nichte des Zirkusdirektors. »Galgenhumor«, präzisierte Rander, »warum verstecken Sie sich eigentlich? Tragen Sie Wickler im Haar?« Wenig später flammte eine Glühbirne auf, die unter dem Dach der Scheune angebracht war. Jane Gatters erschien am Gitter. Sie hatte keine Wickler im Haar, sondern sah im Gegenteil sehr attraktiv aus. »Glauben Sie wirklich, daß wir Sie als Frischfleisch verwenden wollen?« fragte sie. »Nehmen Sie nicht alles gleich so wörtlich«, antwortete Mike Rander, »ich hoffe, Sie sind nur sauer auf uns, mehr nicht.« »Das auch.« Sie nickte und strich ihr langes schwarzes Haar aus der Stirn. »Warum spionieren Sie hier herum?« »Davon kann doch wohl keine Rede sein«, meinte Rander, »ich wollte mit Ihrem Onkel noch mal über den Kredit reden.« »Sie wollen meinem Onkel und uns etwas anhängen, das ist es.« Ihre Stimme klang plötzlich böse. »Und noch etwas: Wo
ist Shelters?« »Shelters? Ist das der Bursche, der mit einer Schulterhalfter herumläuft?« »Nicht ohne Grund, aber das geht Sie überhaupt nichts an.« Sie entfernte sich vom Gitter, »Sie wollen also nicht sagen, wo er ist?« »Dazu müßte man das erst wissen.« »Natürlich wissen Sie es!« »Und woher wissen Sie das nun wieder?« Rander lächelte mokant. »Haben Sie ihn auf mich gehetzt? Offen gesagt, das würde ich Ihnen zutrauen.« »Warten Sie ab, was ich alles noch tun kann.« Sie war aus dem Lichtkreis der einsamen Glühbirne getreten und nicht mehr zu sehen.« Hoffentlich bleiben Sie unbelästigt.« Sie schaltete das Licht ab, dann waren schnelle Schritte und das Zuschlagen einer Tür zu hören. »Sie waren schon gesprächiger, Parker«, stellte Mike Ränder fest. »Mir macht, wenn ich das sagen darf, Sir, die angekettete und geöffnete Tür einige Sorgen.« »Welche Tür, Parker?« »Die des Laufkäfigs, Sir. Sie ist leider nicht zu schließen.« »Und Sie glauben, daß man uns da ein paar Raubkatzen auf den Hals schicken könnte? « »Man sollte vielleicht auch damit rechnen, Sir.« »Steigen wir doch einfach über das Gitter, Parker. Das Netz darüber wird sich ja wohl irgendwie zerschneiden lassen, oder?« »Dann befände man sich immer noch innerhalb einer Scheune, Sir, die man verschließen könnte oder bereits hat.« »Sie haben eine nette Art, Parker, Ihre Mitmenschen zu
beruhigen.« »Man sollte sich stets an die Tatsachen halten, Sir. Wenn Sie erlauben, möchte ich einige Vorkehrungen treffen, die der allgemeinen Gesundheit und dem Wohlbefinden dienen.« »Und ob ich das erlaube, Parker! Kann ich Ihnen dabei behilflich sein?« »Nicht unmittelbar, Sir.« Parker hatte sich während des Dialogs zwischen Jane Gatters und Anwalt Rander die Örtlichkeit genau eingeprägt. Mit geradezu nachtwandlerischer Sicherheit schritt er zur kleinen Käfigtür, hinter der sich der Lauf gang für die Raubtiere befand. Der Butler verfügte erfreulicherweise noch über seine diversen Kugelschreiber, die es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hatten. Äußerlich sahen sie aus wie völlig normale Schreibgeräte, doch das Innenleben dieser Kugelschreiber war von Parker nachhaltig umgestaltet worden. Er holte einen dieser Kugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen und verdrehte beide Hälften gegeneinander. Anschließend drückte er den Halteclip fest gegen das Kunststoffgehäuse. Eine Sekunde später wurde aus dem Schreibgerät eine Art Schneidbrenner. Eine kleine Thermitladung war gezündet worden, und die fast weiße Flamme schoß unter hohem Druck aus der Metallhülse, die im Kugelschreiber eingelassen war. Parker mußte sich beeilen, wenn er Sich nicht die Finger verbrennen wollte. Er schob die feuerspuckende Spitze in das Schlüsselloch des schweren Vorhängeschlosses. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Innenmetall des Schlosses nach unten auf den Boden tropfte. Der Bügel des Vorhängeschlosses sprang auf und gab die Kette frei. Schnell und geschickt griff Parker nach den jetzt offenen Enden der schweren Vorlegekette, klappte die Gittertür zu und schlang die Kette dann um den Rahmen des Rundgitters
und der Tür. Er hatte die Miniatur-Thermitlanze für einen Moment zu Boden fallen lassen, nahm sie vorsichtig am äußersten Ende hoch und richtete den Feuerstrahl auf die Kettenglieder. Es dauerte wieder nur wenige Sekunden, bis die Kette fest verschweißt war. »Kompliment, Parker«, sagte Mike Rander, der sich schräg hinter dem Butler aufgebaut hatte, »jetzt dürfte eine gute Eisensäge nötig sein, um die Kette zu öffnen.« »Eine andere Möglichkeit bot sich aus Zeitgründen kaum, Sir«, antwortete Parker, »man kann davon ausgehen, daß die Scheune recht intensiv bewacht wird.« »Und wir könnten so wenigstens nicht spurlos von der Bildfläche verschwinden«, me inte der Anwalt, »wie gesagt, ich habe keine Lust, den Raubkatzen als Appetithappen zu dienen und ... Moment mal, was ist das?« »Die Raubtiere, Sir«, antwortete der Butler in seiner ruhigen und gemessenen Art, »die Tür des Laufgangs war nicht rein zufällig geöffnet und festgekettet worden.« »Allmächtiger!« Mike Rander horchte in die Dunkelheit und hielt unwillkürlich den Atem an. Er hörte Fauchen, gereiztes Brüllen, dann das Schlagen von Eisen gegen Eisen und Stimmengewirr, das jäh abbrach. Zurück blieb aber das Fauchen, das schnell näher kam. Plötzlich wurde das Licht über dem Rundkäfig eingeschaltet. Mike Rander schaute in den Laufgang und machte zwei Tiger aus, die hintereinander sich der inzwischen geschlossenen Tür näherten. Sie bewegten sich allerdings zögernd, denn der Geruch nach Feuer, verbranntem Metall und Rauch schreckte die Tiere ab. Dann erschien Jane Gatters. Sie war plötzlich da, rannte auf den Rundkäfig zu und
rüttelte fast wütend an der großen, normalen Tür, durch die man den Käfig betreten konnte. »Sie bemühen sich unnötig, Miß Gatters«, rief Parker ihr höflich zu, »die Tür ist zugekettet worden.« »Schnell, bringen Sie sich in Sicherheit«, rief Jane Gatters und deutete auf die Postamente, die auf halber Gitterhöhe angebracht waren. »Beeilen Sie sich'.« »Nur keine Panik«, erwiderte Mike Rander und zündete sich in aller Ruhe eine Zigarette an, »ich glaube, wir sind erst mal sicher!« Er hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als das Licht wieder erlosch...
»Nun reißen Sie sich mal gefälligst zusammen, Walford«, fuhr Lady Simpson den Gangsterboß an, »Sie benehmen sich ja wie ein Waschlappen!« »Der Tiger ... Der Tiger!« Walford rutschte wieder in sich zusammen. Er hatte sich ein wenig aufgerichtet, doch damit schienen seine Kräfte erschöpft zu sein. »Der Tiger war ein Gepard, junger Mann«, korrigierte die ältere Dame unwirsch, »also eine etwas größere Katze. Kathy, besorgen Sie diesem Nervenbündel einen Kreislaufbeschleuniger, sonst bricht der Held noch ganz zusammen.« Kathy Porter ging zum Klapphocker und holte aus der großen Reisetasche, die sie mitgenommen hatte, eine Taschenflasche mit Kognak. Walford trank anschließend wie ein Mann, der drei Tage wasserlose Wüste hinter sich hat.
Dann schüttelte er sich und starrte wieder die Lady an. »Wer hat Sie auf den Rasen geschickt, Walford?« fragte sie grollend, »antworten Sie ganz schnell, sonst scheuche ich Sie wieder zurück. Und ich meine genau das, was ich sage.« »Nein, nein, nur das nicht!« Walford schluckte trocken. »Dann die Antwort, junger Mann!« »Rilding«, keuchte der Gangsterboß, »Pete Rilding... Er wird uns alle umbringen.« »Ich sollte eigentlich nichts dagegen einwenden«, erwiderte die ältere Dame, »und warum will er Sie alle umbringen, Walford?« »Dabei hatte ich damit überhaupt nichts zu tun«, redete der Gängsterboß hastig weiter, »das müssen Sie mir glauben, Lady, ehrlich. Ich bin damals sogar noch zu spät gekommen, eigentlich erst dann als alles schon vorbei war.« »Was war bereits vorbei, Walford?« fragte Lady Agatha streng, »reden Sie, oder ich schicke Sie zurück in die Dunkelheit! Meine Geduld ist bald zu Ende!« »Diese Sache mit dem Zirkus«, redete Walford weiter, »plötzlich stand das Zelt in Flammen. Wir alle wollten ja noch löschen, wirklich, aber wir hatten keine Chance. Das Ding brannte lichterloh wie eine Fackel.« Walford wollte weiterreden, doch er schaffte es nicht mehr. Er fuhr sich mit fahrigen Bewegungen über das schweißnasse Gesicht und schluchzte. »Es hat keinen Sinn, Mylady«, mahnte Kathy Porter leise, »er hat einen Nervenzusammenbruch. und hat... Wir müssen ihn unbedingt zu einem Arzt schaffen. Sehen Sie doch, er greift nach seinem Herzen ... Das muß ein Anfall sein.« »Dieses Subjekt simuliert doch nur«, gab die energische Dame verärgert zurück. Doch dann mußte sie sich korrigieren. Ralph Walford stöhnte, griff mit beiden Händen nach dem Hals
und schien zu ersticken. »Gut, schaffen wir ihn zu einem Arzt«, sagte sie, »können Sieden Wagen holen, Kindchen?« »Ich bin sofort wieder zurück.« Kathy Porter setzte sich in Bewegung und lief hinüber zum Landrover, der in der Nähe der Straße stand. Lady Agatha sah auf den Gangsterboß hinunter und war im Grund recht zufrieden mit dem, was sie eben gehört hatte. Rilding also schickte die vierbeinigen Raubtiere los, um aus irgendeinem Grund die Gangsterbosse jagen zu lassen. Doch der Brand eines Zirkuszeltes konnte unmöglich allein das Motiv für diese Aktionen sein. Lady Agatha hörte den Motor eines Wagens. Da die Magnesiumfackel ausgebrannt war, nahm sie zur Vorsicht die Winchester in Hüftanschlag und sicherte. Doch es war tatsächlich Kathy, die mit dem Landrover erschien. Die beiden Frauen schafften den teilnahmslosen Walford in den Wagen. Als Lady Agatha sich ans Steuer setzte, war von weither eine Polizeisirene zu vernehmen. Die Vorgänge im Richmond Park - vor allen Dingen das Licht der Magnesiumfackel - waren nicht unbemerkt geblieben. »Besonders schnell darf ich jetzt wohl nicht fahren, Kindchen, oder?« erkundigte sich die ältere Dame bei ihrer Gesellschafterin. »Es muß sehr behutsam sein«, erwiderte Kathy Porter, »vielleicht hat Walford einen Herzinfarkt erlitten, Mylady.« »Ich werde schleichen, Kindchen«, versprach die Resolute und preschte los, als gälte es, eine Rallye zu gewinnen. Sie tat es nicht absichtlich. Für sie war dieses Tempo wirklich eine Art Schleichfahrt...
»Ich hätte doch nie gedacht, wie schön es in einem Raubtierkäfig sein kann«, stellte Mike Rander fest. Er saß auf einem Bodenpostament, rauchte eine Zigarette und beobachtete die beiden Tiger, die draußen um den Käfig strichen und von Zeit zu Zeit leicht gereizt brüllten, weil sie sich wohl ausgesperrt vorkamen. Jane Catters hatte die Scheune verlassen, doch das Licht war wieder eingeschaltet worden. Butler Parker holte seine zwiebelförmige Taschenuhr hervor und befragte das Zifferblatt. »Wie lange sitzen wir bereits hinter Gittern, Parker?« erkundigte sich der Anwalt. »Seit etwa anderthalb Stunden, Sir.« »Hoffentlich will man uns hier nicht vergessen, Parker.« »Es dürfte um einen gewissen Zeitgewinn gehen, Sir«, erwiderte der Butler, »möglicherweise berät man sich aber auch, was mit Ihnen und meiner Wenigkeit geschehen soll.« »Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten, Parker: Entweder bringt man um, oder aber man läßt uns laufen. Sehen Sie eine dritte Möglichkeit?« »Man sollte sich vielleicht mit dem Gedanken vertraut machen, den Käfig zu verlassen.« »Sagen Sie das den beiden Raubkatzen, aber nicht mir«, schlug Mike Rander ironisch vor, »ich fürchte nur, das die dagegen sein werden.«
»Versuchen Sie's erst gar nicht«, war in diesem Moment die Stimme von Pete Rilding zu hören. Mike Rander und Josuah Parker wandten sich um und schauten hinauf in die Scheune. Von einem Zwischenboden aus, der sich im Hintergrund befand, war die Stimme des Zirkusdirektors gekommen. »Hallo, Rilding«, rief der Anwalt, »kann man erfahren, was Sie eigentlich vorhaben? Würde uns interessieren.« »Eben das weiß ich noch nicht genau.« »Sie denken an die Hosenträger und an die Hosen im Raubtierwagen nicht wahr?« »Ja, ich weiß, daß der Butler das gesehen hat.« »Ob Sie's glauben oder nicht, ich werde den Verdacht nicht los, daß Sie Ihre reizenden Katzen mit Ihren Gegnern füttern...« »Unsinn!« Rilding ging auf den spöttischen Ton des Anwalts nicht ein. »Sie besitzen zuviel Phantasie.« »An Ihre Phantasie reichen wir aber bestimmt nicht heran, Rilding. Wer kommt schon auf die Idee, Raubtiere auf Gegner zu hetzen? So etwas muß einem erst mal einfallen.« »Wenn ich Sie frei lasse, dann werden Sie sofort zur Polizei gehen.« »Die ist doch längst hinter Ihnen her, Rilding.« »Wenn schon, aber sie kann nichts beweisen, und darauf allein kommt es an.« »Sie spielen also mit dem Gedanken, Mr. Rilding, Mr. Rander und meine Wenigkeit zu ermorden?« schaltete sich der Butler ein. »Sie sind Augenzeugen von gewissen, Dingen. Sie wissen bereits zuviel.« »Könnten Sie Ihre Befürchtungen in der Hinsicht etwas detaillierter erläutern, Mr. Rilding?«
Sie wissen, daß zwei Tiger in den dort geschickt werden sollten.« »Ein bedauerliches Mißversehen, wie man unterstellen und interpretieren könnte, Mr. Rilding.« »Sie haben meine Pläne durchkreuzt.« Die Stimme des Zirkusdirektors klang nachdenklich. »Sie haben alles blockiert.« »Weil Sie sich an eine Bank gewandt haben, Rilding«, warf Mike Rander ein, »halten wir doch mal fest, daß wir uns nicht aufgedrängt haben. Offen gesagt, ich habe nichts dagegen, daß Gangsterbosse gescheucht werden, solange kein Mord passiert.« »Und wenn inzwischen einer passiert ist?« »Sie haben sich offensichtlich mit Mr. Walford befaßt, wie ich befürchte, Mr. Rilding«, stellte der Butler fest. »Dazu kommen dann wohl auch noch die beiden Leibwächter dieses Burschen, oder?« fügte der Anwalt hinzu. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, erwiderte Rilding vom Zwischenboden aus, »sagen Sie mir, wo Shelters steckt, dann lasse ich Sie frei.« »Mal abgesehen davon, daß ich Ihnen nicht glaube, Rilding: Was, zum Teufel, scheren Sie sich um einen US-Killer? Wieso sind Sie ihm verpflichtet? Er ist doch nicht mit Ihnen verwandt oder... Moment mal, ist er es etwa!?« »Wo ist Shelters?« wiederholte Rilding noch mal, »ich werde in einer Viertelstunde zurückkommen und Sie noch mal fragen. Wenn Sie dann nicht antworten, lasse ich die Gitter einreißen. Das ist eine Kleinigkeit... Und ich würde Ihnen nicht raten, innerhalb dieser Viertelstunde aussteigen zu wollen. Die beiden Tiger sind nicht gerade friedlich...«
»Ich sah noch Licht, Mylady«, entschuldigte sich ChiefSuperintendent McWarden, als er den Salon des Hauses in Shepherd's Market betrat, »ich störe wahrscheinlich nicht, oder?« »Sie stören sehr«, erwiderte Lady Agatha grollend, »ich werde mich bei der Regierung beschweren. Wir leben schließlich in England, und um diese Zeit hat kein Polizist das Recht...« »Ich bin doch nur als Privatmann gekommen«, meinte McWarden unbeeindruckt, »und als Privatmann wollte ich Ihnen sagen, daß wir zwei weitere Opfer des Raubtieres gefunden haben.« Agatha Simpson richtete sich steil auf und warf Kathy Porter einen schnellen Blick zu. Mylady verfärbte sich sogar etwas. »Sie kennen die Opfer?« fragte Kathy Porter. »Allerdings«, bestätigte der Chief-Superintendent. Er zeigte ein ernstes Gesicht. »Kindchen, ich brauche etwas für meinen Kreislauf«, rief die ältere Dame, um sich dann McWarden zuzuwenden, »nun sagen Sie schon, wer die beiden sind!« »Mr. Parker und Rander sind nicht im Haus?« erkundigte sich McWarden, während Kathy Porter einen gefüllten Kognakschwenker an Lady Agatha weiterreichte. »McWarden, wenn Sie nicht sofort reden, vergesse ich meine hervorragende Erziehung«, blaffte Lady Simpson. »Wer sind die beiden Opfer?« »Die Leibwächter eines gewissen Walford«, erklärte McWarden. Er wußte sehr wohl, daß er den Bogen nicht über
spannen durfte. »Wegen Mr. Parker und Mr. Rander brauchen Sie sich also keine Sorgen zu machen.« »Warum auch?« fragte die Detektivin sofort erleichtert und auch aggressiv, »die beiden Männer sind ausgegangen und sitzen wahrscheinlich in einem Nachtclub,« »Aber nicht mit Walford«, sagte McWarden, »mir ist mitgeteilt worden, Mylady, daß Sie Walford in einem Hospital abgeliefert haben. Der Mann hat einen schweren Nervenzusammenbruch erlitten und hat's auch am Herzen. Es steht eindeutig fest, daß Sie ihn den Ärzten übergeben haben.« »Und Sie haben die Nachtruhe dieses Walford bereits nachhaltig gestört, nicht wahr?« »Eben nicht«, reagierte McWarden gereizt, »die Ärzte haben mir jeden Zutritt und jedes noch so kurze Gespräch kategorisch verboten.« »England kann auf seine Ärzte stolz sein«, verkündete die ältere Dame emphatisch. »Und auf seine Amateur-Kriminalisten«, stichelte McWarden wütend, »die erschweren nämlich die Arbeit der Polizei.« »Übertreiben Sie nicht, Sir?« schaltete sich Kathy Porter beruhigend und lächelnd ein. »Sie werden doch inzwischen auch Ermittlungen angestellt haben, was das Raubtier betrifft, oder?« »Wir treten auf der Stelle«, behauptete der ChiefSuperintendent. »Das ist Ihre liebste Gangart, nicht wahr?« Agatha Simpson lächelte grimmig. »Wo haben Sie Walford gefunden, Mylady?« fragte McWarden und wurde dienstlich. »Im Richmond Park stellte eine Polizeistreife eine ausgebrannte Magnesiumfackel und zwei Sportbogenpfeile sicher.«
»Eine Gegenfrage, McWarden, wo haben Sie die beiden Leibwächter von Walford gefunden?« Die Detektivin reagierte auf den dienstlichen Ton überhaupt nicht. »An der Schnellstraße nach Luton«, gab McWarden Auskunft, »sie hatten sich an den Straßenrand geschleppt, und sind eigentlich- durch Zufall entdeckt worden. Sie waren schrecklich zugerichtet. Überall Biß- und Kratzwunden, die nur von einem Raubtier stammen können. Aber jetzt zu meiner Frage, Mylady ...« »Wir kamen zufällig am Richmond Park vorbei«, schwindelte Agatha Simpson in bewährter Form, »und plötzlich machte Miß Porter mich auf einen Mann aufmerksam, der am Straßenrand stand. Oder lag er, Kindchen? Nun, das ist ja auch nicht weiter wichtig. Als gute Staatsbürger haben wir Walford natürlich sofort ins nächste Hospital geschafft. Ich hoffe, Sie machen mir daraus keinen Vorwurf, McWarden?« »Und die Magnesiumfackel? Die beiden Sportpfeile, Mylady?« »Was weiß ich, McWarden?« Sie breitete unschuldsvoll die Arme aus. »Haben Sie das alles schon nach Fingerabdrücken untersuchen lassen?« »Sie lehnen also jede Zusammenarbeit ab?« »Aber auf keinen Fall, lieber McWarden«, flötete sie plötzlich überaus freundlich, »wie kommen Sie denn darauf? Was haben Sie bisher herausgefunden? Ich hoffe, Sie sind nicht völlig untätig gewesen, junger Mann.« »Nein, wir arbeiten grundsätzlich nicht«, erwiderte McWarden wieder gereizt wie üblich, »ich habe mich nur mal ausführlich mit einem gewissen Barry Hollister unterhalten.« »Wer ist denn das schon wieder?« staunte die Lady. »Sie kennen ihn nicht, oder?« »Ich und mein Namensgedächtnis!« Sie lächelte mild und
wandte sich an ihre Gesellschafterin, »Kathy, kenne ich einen Barry Hollister?« »Aber ja doch, Mylady«, reagierte Kathy schnell, »Sie besuchten ihn in seinem Haus.« »Richtig, Kindchen! Und es sah schrecklich bei ihm aus, nicht wahr? Hat er nicht einen Löwen oder Tiger in einem seiner vielen Zwinger?« Sie wechselte übergangslos in die Rolle der vergeßlichen alten Dame, die alles durcheinanderwirft. »Hollister ist so eine Art Stellvertreter von Harry Spellman«, erklärte McWarden geduldig und grinste, »falls Sie sich nicht erinnern, Mylady: Sie sollen, als Nachtschwester verkleidet, in sein Krankenzimmer eingedrungen sein und ihn zu Aussagen genötigt haben.« »Schnickschnack«, sagte sie wegwerfend, »haben Sie dieses Subjekt inzwischen aufstöbern können? « »Ich habe mich mit seinem Stellvertreter unterhalten, Mylady«, erinnerte der Chief-Superintendent, »und in seinem Zwinger ängstigt sich ein kleiner Gepard, den ich nicht als Raubtier bezeichnen kann. Hollister hat mir, glaube ich, ganz interessante Hinweise gegeben.« »Die Sie natürlich wieder mal für sich behalten werden, wie ich Sie einschätze, McWarden.« »Er hat sich unter anderem an einen Zirkusbrand erinnert, Mylady.« McWarden sah die ältere Dame aufmerksam an. »Zirkusbrand?« Sie zeigte offenes Interesse. »Ein Zirkusbrand, der sich vor etwa anderthalb Jahren ereignet hat«, redete McWarden weiter, »dabei müssen einige Dinge passiert sein, die nicht ganz astrein waren, Sie verstehen? Barry Hollister glaubt, daß ein ganz bestimmter Mann jetzt dabei ist, schreckliche Rache zu üben.« »Das ist alles sehr neu für mich, lieber McWarden.«
»Tja, ich muß jetzt gehen«, sagte der Chief-Superintendent, »ich möchte Sie nicht weiter stören.« »Wie hieß denn der Zirkus?« »Verflixt, jetzt habe ich doch den Namen vergessen.« McWarden grinste breit. »Aber sobald ich morgen im Amt bin, werde ich nachschlagen und Sie dann anrufen. Ich bin nämlich für echte, ehrliche Zusammenarbeit!«
Die beiden in der Scheune streunenden Tiger wurden ausgesprochen neugierig, als Butler Parker dicht am Gitter erschien und sie anlockte wie normale Hauskatzen. Die schweren Tiere hatten sich inzwischen an die Männer im Käfig gewöhnt und wohl auch eingesehen, daß sie an diese Leckerbissen nicht herankamen. Mike Rander hingegen war anderweitig beschäftigt. Er stieg am Gitter hoch, schnell und geschmeidig wie ein Spitzensportler. Sein Ziel war die Netzabdeckung, die von einem starken Seil gehalten wurde, das irgendwo unter dem Scheunendach festgezurrt war. Er hatte sich von Parker ein altertümlich aussehendes Taschenmesser ausgeliehen, das jedoch rasiermesserscharf war. Mit wenigen, schnellen Schnitten durchtrennte der Anwalt einige Maschen dieses Schutznetzes, das verhindern sollte, daß die Raubtiere aus dem Käfig nach oben entwischten. Mike Rander zwängte sich durch die schmale Öffnung, griff nach dem dicken Halteseil und zog sich dann Hand über Hand nach oben. Die beiden schweren Tiger bekamen dies überhaupt nicht mit, denn der Butler sprach beruhigend auf sie ein. Sie waren beeindruckt von der Würde und Höflichkeit dieses ganz in Schwarz gekleideten Mannes. Parker zitierte übrigens
Shakespeare und trug den beiden aufmerksam zuhörenden Vierbeinern den großen Monolog des Hamlet vor. Er ließ sich darüber aus, ob es wohl besser sei zu schlafen oder zu träumen, oder sich aber den wütenden Pfeilen des Geschicks auszuliefern ... Mike Rander erreichte inzwischen ohne Mühe das starke Balkenwerk, das das Scheunendach trug. Er kroch über einen Querbalken in Richtung Zwischenboden und hatte dann keine Mühe mehr, sich auf ihn hinunterzulassen. Hier ging er hinter einem Strohballen in Deckung und wartete erst mal ab. Seiner Schätzung nach waren inzwischen zehn Minuten verstrichen. Mit der Rückkehr von Pete Rilding war in Kürze zu rechnen. Die beiden Tiger hatten sich inzwischen auf ihre Hinterläufe gesetzt und lauschten Parkers Vortrag. Selbst Mike Rander zeigte Faszination. Josuah Parker beherrschte das klassische Englisch, wie es auf den Bühnen gesprochen wurde. Er kannte den großen Monolog in- und auswendig, und die beiden Raubkatzen schienen auf jedes Wort zu hören. Bald darauf hörte der Anwalt ein Geräusch hinter sich. Er duckte sich und wartete, bis er leise und schnelle Schritte hörte. Dann war gegen das Licht der nackten Glühbirne eine schmale, schlanke Gestalt zu erkennen. Mike Rander wollte sich bereits auf sie stürzen, als er Jane Gatters' Stimme hörte. »Hallo, hören Sie mich?« rief sie hastig und nervös, »ich werde versuchen, die Tiger zurückzutreiben. Und dann müssen Sie schleunigst weg, sonst passiert noch ein schreckliches Unglück.« »Wird Ihr Vater mit Ihrem Verhalten einverstanden sein, Miß Gatters?« erkundigte sich Butler Parker. »Natürlich«, erwiderte sie, »Sie verstehen ja nicht, um was es geht und ... Wo ist denn Mr. Rander?« »Hier«, sagte der Anwalt und ließ sich auf keine Halbheiten ein. Er hechtete auf Jane Catters und mußte einen herben
Handkantenschlag einstecken. Rander stöhnte auf und rutschte gegen einen der Strohballen. Mit dieser blitzschnellen Reaktion hatte er wirklich nicht gerechnet. »Ich habe einen Revolver«, warnte sie ihn, als er sich hochschob, »Mr. Rander, machen Sie jetzt keine Dummheiten, verpatzen Sie nicht alles!« »Sie haben gewonnen, Miß Gatters«, räumte der Anwalt ein, »schon gut, ich stecke auf. Sie wollen uns hier wirklich 'rausholen?« »Es darf nicht noch mehr passieren«, erwiderte sie und atmete heftig, »kommen Sie, helfen Sie mir! Wir müssen die beiden Tiger aus der Scheune locken.« »Werden Ihre Hauskatzen mich auch akzeptieren?« erkundigte sich Mike Rander. »Warum lassen wir sie nicht in der Scheune?« »Und Ihr Butler?« fragte sie zurück. »Steht zu Ihren Diensten, Madam«, hörte sie in diesem Moment Josuah Parkers Stimme hinter sich, Sie fuhr herum und wurde dabei ihren Revolver los, den Mike Rander blitzschnell an sich genommen hatte. Jane Catters schien dies jedoch nichts auszumachen. Sie starrte nur den Butler an, der höflich seine schwarze Melone lüftete. »Wie. .. Wie sind Sie aus dem Käfig gekommen?« fragte sie dann. »Ich war so frei, dem Beispiel Mr. Randers zu folgen«, erklärte der Butler, »ein wenig körperliche Ertüchtigung kann nie schaden, wenn ich so sagen darf.« »Kommen Sie!« Jane Catters schien erleichtert zu sein. »Es wird höchste Zeit, daß das alles sein Ende findet. Die Dinge sind uns über den Kopf gewachsen!«
»Natürlich wird McWarden das Haus unter Beobachtung gestellt haben, Kindchen«, sagte Lady Agatha, »und das werde ich nutzen.« »Sie wollen nach Dunstable, Mylady?« »Und McWarden scheinbar ungewollt dorthin bringen.« Die ältere Dame nickte. »Ich mache mir wegen Mike und Mr. Parker nun doch Sorgen.« »Dann sollten wir keine Zeit verlieren, Mylady. Der Landrover steht vor der Tür.« Die beiden Frauen verließen das altehrwürdige Haus, setzten sich in den robusten Wagen, und Lady Agatha übernahm wieder mal das Steuer. »Diesmal sollten Sie vielleicht betont langsam fahren, Mylady«, schlug Kathy vor, »denken Sie an die Polizei, sie hält sonst nicht mit.« »Ich stelle mir vor, wie McWarden triumphieren wird«, antwortete die Detektivin, »er wird glauben, mir auf die Schliche zu kommen.« »Hin und wieder braucht auch er ein Erfolgserlebnis, Mylady«, entgegnete Kathy Porter und lächelte, »ja, ich habe bereits einen Zivilwagen der Polizei gesehen.« »Ich wußte es doch, Kindchen. McWarden wird wenigstens ein Dutzend Streifenwagen eingesetzt haben.« Die ältere Dame fuhr tatsächlich betont zivil, damit die verfolgenden Wagen sie nicht aus den Augen verloren. Seit Monaten fühlte sich Kathy
Porter zum ersten Mal ein wenig sicher neben ihrer temperamentvollen Gesellschafterin. »Glauben Sie, Kathy, daß McWarden Bescheid weiß?« fragte Lady Simpson. »Wenn er mit Hollister gesprochen hat, schon, Mylady. Und dann erwähnte er einen Zirkusbrand, von dem Sie wiederum nichts wissen. Alles deutet auf Rilding hin.« »Ob er weiß, wo Rilding sich aufhält?« »Ich denke, soweit ist Mr. McWarden noch nicht, Mylady. Ihm kam schließlich nicht der Zufall zur Hilfe. Wenn Rilding sich nicht an die Bank gewendet hätte, würde es recht schwer sein, ihn zu finden.« »Was mag Hollister nur alles erzählt haben? Ich hätte ihn doch etwas härter anpacken sollen.« »Der erste Zivilwagen wird von einem Mini-Cooper abgelöst«, meldete Kathy, die sich halb umgewandt hatte. »Ihr Plan funktioniert, Mylady.« »Natürlich, Kindchen, jeder meiner Pläne funktioniert.« Sie behauptete das mit der allergrößten Selbstverständlichkeit. »Gleich werden wir die Autostraße erreicht haben, dann muß es aber schneller gehen.« Dagegen hatte Kathy Porter nichts einzuwenden. Sie sorgte sich um Butler Parker, aber auch nicht weniger um Mike Rander, den sie schließlich nicht nur schätzte. Im Verlauf der Wochen und Monate hatte sich zwischen ihm und ihr ein recht enges Verhältnis aufgebaut. Sie mochte seine ironisch-lässige Art, seinen trockenen Humor und auch seine Liebenswürdigkeit. »Ich werde die Farm dieses Pete Rilding stürmen«, ließ die Detektivin sich vernehmen. Sie hatte den Landrover auf die breite Autostraße bugsiert und gab Vollgas. Der Mini-Cooper hinter ihnen wurde inzwischen ausgetauscht gegen einen
grauen Ford. McWarden exerzierte eine sich überlappende Verfolgung und ahnte nicht, daß Lady Simpson ihn absichtlich in Richtung Nordwesten lockte. Beim Sturm der Farm wollte die ältere Dame aus Sicherheitsgründen nämlich nicht allein sein. Dann, ereignete sich leider ein kleiner Zwischenfall, der Zeit kostete. Der rechte Hinterreifen ließ die Luft entweichen und gab damit seinen Geist auf. Lady Agatha fuhr an den Straßenrand und stieg aus. Sie winkte dem Ford zu, der langsamer wurde und hinter dem Landrover hielt. Die ältere Dame wartete, bis der Fahrer ausgestiegen war. Der junge Mann, dem man den Polizisten ansah, gab sich bemüht entgegenkommend. Er fragte, ob man helfen könne. »Dumme Frage«, fauchte die ältere Dame, »wir werden in Ihrem Wagen weiterfahren. Verständigen Sie den ChiefSuperintendent, junger Mann, damit er nicht wieder in Panik gerät! Sagen Sie ihm, wo wir sind und daß er jetzt ungeniert folgen kann!« »Das tue ich ja bereits, Mylady«, ließ McWarden sich in diesem Augenblick vernehmen. Er stieg aus dem Fond des Ford und lächelte, »ich wußte doch, daß Sie mich brauchen. Sagte ich Ihnen nicht schon mal, daß ich stets für eine enge Zusammenarbeit bin?« »Sie sind penetrant, McWarden«, grollte Lady Simpson, lachte dann aber leise. »Sie wollen auch zu Rilding?« »Natürlich«, erwiderte der Chief-Superintendent, »er bewohnt in Dunstable eine Farm und will einen neuen Zirkus aufbauen. Und dazu braucht er viel Geld. Ich denke, ich werde Ihnen seine Geschichte während der Weiterfahrt erzählen.«
»Es hat doch keinen Sinn mehr, Onkel«, sagte Jane Catters, »sieh' das endlich ein! Ich war ja von Anfang an gegen diesen verrückten Plan, aber du wolltest ja keine Vernunft annehmen.« »Ich werde nicht aufgeben!« Pete Rilding richtete den Lauf seines Gewehrs auf die beiden Männer,, doch dann ließ er ihn sinken und warf das Gewehr auf einen Stapel Decken neben der Tür. »Es hat wohl keinen Sinn mehr...« »Es hat in der Tat keinen Sinn mehr«, kommentierte der Butler höflich und nahm das Gewehr an sich. »Die Polizei dürfte inzwischen ebenfalls zu gewissen Schlüssen gekommen sein, Mr. Rilding.« »Glauben Sie mir, er wollte keinen Menschen umbringen«, schaltete sich Jane Gatters ein, »er hat auch keinen Menschen umgebracht, das schwöre ich!« »Ihr Onkel hat nur ein paar Gangsterbosse gehetzt«, sagte Mike Rander, »das werden Sie Ihrem Richter erklären müssen, Rilding.« »Und wie hat man uns mitgespielt?« fragte Pete Rilding zurück. »Wer hat uns ruiniert? Danach fragt wohl kein Mensch, wie?« »Miß Gatters, könnten Sie möglicherweise stichworthaltig einige Hintergrundinformationen liefern?« bat Parker die junge Frau. »Ihr Onkel dürfte momentan ein wenig zu erregt sein.« »Vor rund anderthalb Jahren gastierten wir in der Nähe von Manchester, Mr. Parker«, begann Jane Gatters und holte tief Luft, »eines Tages erschien ein Mann, der eine ganze Abendvorstellung mietete. Für eine geschlossene Vorstellung, Sie verstehen? Das ist nicht ungewöhnlich. Da gibt es
Unternehmen, die eine Jahresfeier...« »Schon gut, Jane, ich kann weitererzählen.« Pete Rilding hatte sich wieder unter Kontrolle. »Meine Mutter, die den Zirkus damals noch leitete, war sofort einverstanden. Die Geschäfte gingen nicht gerade blendend. Sie hatte keine Ahnung, daß wir es mit Gangstern zu tun hatten.« »Die eine Art Jahreskonvent feierten, ich unterstellen möchte«, warf Josuah Parker ein. »So in etwa, Mr. Parker.« Pete Rilding nickte. »Uns gingen allerdings schnell die Augen auf, als die Gäste kamen. Es waren gut und gern zweihundert oder dreihundert Männer und nur ein paar Frauen. Sie benahmen sich wie die Vandalen.« »Sie kamen aus Liverpool, Manchester Birmingham und London«, erklärte Jane Gatters weiter, »als meine Mutter auf dem Hochseil war, wurde plötzlich auf sie geschossen!« Die junge Frau senkte den Kopf und schluckte. »Nicht direkt auf sie«, erklärte Pete Rilding weiter, »aber Janes Mutter wurde irritiert und stürzte ab. Sie war sofort tot. Und dann brannte es plötzlich. Der Zirkus war nicht mehr zu retten.« »Meine Mutter konnte gerade noch weggeschafft werden«, berichtete Jane Gatters leise weiter. »Und die Gangster waren plötzlich verschwunden. Wir kannten sie noch nicht mal. Aber telefonisch wurde meine Tante gewarnt. Falls sie der Polizei gegenüber eine Aussage machen würde, wollte man uns der Reihe nach umbringen.« »Wir haben also den Mund gehalten«, sagte Rilding, »meine Mutter hat das alles nicht verkraftet und befindet sich jetzt in einer Anstalt.« »Und mein Vater trinkt und trinkt und sinnt auf Rache«, gestand Jane Gatters, »und erst recht mein Brüder.« »Mr. William Shelters, nicht wahr?« warf der Butler ein.
»Woher wissen Sie das, Mr. Parker?« Sie sah ihn überrascht an. »Sie sorgten sich zu sehr um ihn. Dies wäre nicht der Fall gewesen, wenn es sich um einen nur gemieteten sogenannten Killer gehandelt hätte. Übrigens, Ihr Bruder ist mit Sicherheit kein Gangster. Schon allein die Art, wie ungeschickt er seine Schulterhalfter trug, ließ meine bescheidene Wenigkeit stutzen.« »William ist Kunstschütze in einem amerikanischen Zirkus«, erwiderte Jane Gatters, »er war damals nicht dabei, sondern schon drüben in den Staaten.« »Und Ihr Bruder engagierte hier einige Ganoven, um Rache zu üben, nicht wahr?« erkundigte sich Mike Rander, »ich denke da an diese angeblichen Tierpfleger.« »Sie haben das sofort durchschaut?« wunderte sie sich. »In etwa«, meinte der Anwalt ausweichend, »nachdem Ihr Bruder also hier war, befaßten Sie sich mit einigen Gangsterbossen.« »An Mord war nie gedacht«, versicherte Jane Gatters' Onkel nachdrücklich, »aber wir wollten diesen Verbrechern eine Lektion erteilen. Sie müssen das doch verstehen! Die haben unsere ganze Familie ruiniert, von dem materiellen Schaden mal ganz abgesehen. Und die Polizei konnte überhaupt nichts machen. Wir konnten ja nichts beweisen.« »Sie sollten Mr. Rander und meiner bescheidenen Person ersparen, darüber ein Urteil zu fällen«, bat Josuah Parker, »es zahlt sich allerdings kaum aus, den Richter spielen zu wollen, doch dies nur am Rand. Sie hetzten also Ihren Gepard auf diverse Gangsterbosse, aber nicht nur aus einem Rachegefühl heraus, nicht wahr?« »Wie... Wie meinen Sie das, Mr. Parker?« »Sie wollten Ihren materiellen Schaden ersetzt bekommen,
wie ich unterstellen darf.« »Wie kommen Sie denn darauf?« Rilding sah den Butler unsicher an. »Als man zwei Gangster nach ihren Beziehungen zu einem Zirkus befragte, Mr. Rilding, reagierten sie positiv. Sie müssen sich also in irgendeiner Form mit diesen Leuten in Verbindung gesetzt haben. Wahrscheinlich verlangten Sie Schadenersatz, nicht wahr? « »Zugegeben, ich wollte es, aber dazu ist es ja nun nicht mehr gekommen. Und eigentlich bin ich jetzt froh darüber.« »Damit wären Sie verdammt nahe an den Tatbestand der Erpressung geraten«, stellte Anwalt Mike Rander klar, »aber gut, bleiben wir bei der Raubkatze. Sie hetzten den Gepard auf Gangsterbosse, das dürfte ja wohl erwiesen sein.« »Es war nicht mein Onkel, der diese Idee hatte«, warf Jane Gatters ein. »Schon gut, Jane, das reicht«, sagte Rilding hastig. »Es war mein Vater«, gestand die junge Dame, »er ist über den Tod meiner Mutter nicht hinweggekommen.« »Er fuhr den kleinen Transportwagen, nicht wahr?« wollte der Anwalt wissen, »und darin schaffte er den Gepard zum Richmond Park?« »Nachdem er die betreffenden Personen dorthin gelockt hatte«, bestätigte sie und nickte, »diese Gangster kamen immer sehr schnell, wenn sie nur richtig geködert wurden.« »Und zwar wie, Miß Gatters?« fragte der Anwalt. »Mit dem Hinweis auf den Zirkusbrand, Mr. Rander. Sie alle hatten ja mitgemacht und ein schlechtes Gewissen. Und ich gebe ohne weiteres zu, daß ich ein paarmal sogar mitgefahren bin.« »Ich ebenfalls«, gestand Rilding. »Und selbstverständlich auch Ihr Bruder, oder?« Rander
lächelte neutral. »Wir alle haben mitgemacht«, faßte Jane Gatters zusammen, »und wir bereuen nichts, überhaupt nichts. Was sind schon ein paar Biß- und Kratzwunden gegen den Mord an meiner Mutter?« »Bleibt noch die Erklärung hinsichtlich der Hosenträger und der bewussten Hose im Raubtierkäfig«, warf Josuah Parker höflich ein, »könnte es sich dabei um einen bedauerlichen und tragischen Unfall gehandelt haben?« »Aber nein«, sagte Rilding hastig, »eines der Tiere hat sich die Hose von einem Außenhaken geangelt und in den Käfig gerissen. Die Raubkatzen sind eben verspielt.« »Und Beweise für das Gegenteil Ihrer Darstellung sind nicht beizubringen«, meinte der Anwalt, »sollen die Richter sich damit befassen und ... Guter Gott, was war das?« »Mylady«, erwiderte der Butler, »dieses verärgerte Grollen stammt auf keinen Fall von einem Raubtier ...«
»Sie... Sie wird doch glatt zerfetzt werden«, rief Rilding erregt. Er stand mit seiner Nichte, Mike Rander und Josuah Parker vor einem der Fenster und sah nach draußen in den Farmhof. Die Lichter waren eingeschaltet worden und erhellten die Szene. Sie war kritisch genug. Lady Agatha und Kathy Porter standen zwei Tigern gegenüber, die aus der gesicherten Scheune entwichen sein mußten. Genau hinter den beiden Damen hatte sich McWarden
aufgebaut, der einen Dienstrevolver in der rechten Hand hielt. Pete Rilding hatte sich von seiner Überraschung erholt, lief zur Tür, riß sie auf und stürmte nach draußen. Er ergriff eine Gabel, die neben der Tür stand und näherte sich vorsichtig den beiden fauchenden Katzen, die sich langsam und ausgerechnet der älteren Dame näherten. Lady Agathas Pompadour war bereits in energische Schwingungen übergegangen. Nachdem sie grollend ihrem Ausdruck verliehen hatte, ging sie jetzt ihrerseits langsam gegen die beiden Raubkatzen vor. »Bleiben Sie stehen, bleiben Sie doch stehen«, rief Pete Rilding eindringlich. »Papperlapapp«, erwiderte die Furchtlose, »ich werde mich doch nicht von Geparden ins Bockshorn jagen lassen.« Die beiden Tiger wichen überrascht zurück, fauchten, schlugen mit ihren mächtigen Pranken nach der älteren Dame und waren sehr irritiert. Dann beging das links von Mylady zurückweichende Tier einen folgenschweren Fehler. Es warf sich vor und ... erhielt einen fürchterlichen Schlag mit dem Pompadour. Der massige, eckige Kopf des Tigers flog förmlich zur Seite, so nachdrücklich hatte Lady Agatha ihren >Glücksbringer< im Handbeutel eingesetzt. Der Tiger brüllte und ... ergriff sofort das Hasenpanier. Mike Rander, der das Gewehr in Händen hielt und mit dem Butler längst draußen vor dem Farmhaus stand, lachte unwillkürlich, so komisch wirkte die Situation. Der zweite Tiger fauchte noch mal, maß die ältere Dame mit einem vorsichtigen Blick und ... trollte sich dann ebenfalls. Agatha Simpson aber wandte sich um und nickte den Männern zu. »Geparden sind doch im Grund nur verspielte Hauskatzen«,
sagte sie dann leichthin. »Die Geparden, Mylady, sind Tiger«, erläuterte der Buter höflich, »aber dies dürfte jetzt wohl keine Rolle mehr spielen.« »Ti... Tiger?« Lady Agatha holte tief Luft und wandte sich prompt an Kathy Porter, »Kindchen, mein Kreislauf! Ich brauche sofort meine Medizin! Sind Sie sicher, Mr. Parker, daß es Tiger waren? « »Und noch sind, Mylady«, antwortete der Butler, »aber sie dürften inzwischen wieder eingefangen worden sein.« »Das hat mein Vater bereits getan«, warf Jane Gatters ein, »bitte ersparen Sie ihm alle Fragen, er lebt in einer anderen Welt. Ich glaube nicht, daß er für das verantwortlich gemacht werden kann, was er getan hat.« »Falls Sie einen Anwalt brauchen, Miß Gatters, wenden Sie sich an mich«, erwiderte Mike Rander, »eine verdammt tragische Geschichte das alles. Ich glaube, wenn Sie und Ihr Onkel nicht gewesen wären, hätte sich alles noch blutiger entwickelt, wie?« »Ich denke schon, Mr. Rander.« Sie senkte den Kopf, »aber ich bereue nichts, wenn ich an meine Mutter und an meinen Vater denke. Ich stehe für alles ein.« »Dann wollen wir mal Ihren Bruder holen«, schlug der Anwalt vor, »während der Fahrt können Sie mir dann noch weitere Einzelheiten erzählen. Ja, ich bin sicher, daß ich Sie verteidigen werde.« »Wir hätten Sie und Mr. Parker niemals umgebracht, das müssen Sie mir glauben.« »Und wie war das mit den beiden Motorradfahrern? « Er lächelte. »Wir wollten Sie nur für ein paar Tage einsperren«, sagte sie ganz offen, »einer der Leute, die mein Bruder in London engagiert hatte, erkannte Sie, vor allen Dingen Ihren Butler. Da
wußten wir, daß alles auf des Messers Schneide stand.« »Ich glaube, nach gewissen Dingen werde ich lieber nicht zu intensiv fragen«, schlug Mike Rander vor. »Und andere Dinge wieder wollen wir ganz vergessen...« »Ein hübsches Foto«, sagte die ältere Dame und betrachtete die Aufnahme, auf der Parker zu sehen war. Neben ihm, saß ein Gepard, der ein Halsband trug, die Leine hielt Parker wie selbstverständlich in der Hand. Den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms aber hatte er hinter das; Halsband eines schwarzen Panthers geschoben und hielt auf diese etwas ungewöhnliche Art und Weise das Raubtier fest. Im Hintergrund waren die drei Mäste eines Zirkuszeltes zu sehen. »Falls Mylady Interesse haben, ließe sich auch mit Mylady solch eine Aufnahme arrangieren«, erwiderte der Butler, der seiner Herrin Tage später das Frühstück servierte. »Vielleicht möchten Mylady sich auch eine Zirkusvorstellung ansehen?« »Endlich mal eine gute Idee, Mr. Parker.« Sie nickte wohlwollend, »und diese Tiger und Panther sind ungefährlich?« »Gepard und Panther, Mylady, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf. »Reiten Sie nicht immer auf Kleinigkeiten herum«, grollte sie, sind diese beiden Raubtiere gezähmt?« »Ausgestopft, um der Wahrheit die Ehre zu geben, Mylady.« »Ich lasse mich nur zusammen mit echten Raubkatzen fotografieren«, gab sie verächtlich zurück, »arrangieren Sie so etwas, Mr. Parker! Wenn man mit diesen Raubtieren nur richtig umspringt, fressen sie einem aus der Hand...« »Wie Mylady meinen und wünschen«, gab der Butler in seiner höflichen Art zurück und beschloß, Myladys Wunsch sofort wieder zu vergessen. Er fürchtete um die Hand, aus der
die Raubtiere fressen sollten!
Günter Dönges schrieb für Sie wieder einen neuen Butler Parker Nr. 203 PARKER räuchert die »Zentrale« aus Das modern eingerichtete Institut übernahm gegen Honorare Problemfälle und löste sie bald darauf schlicht und einfach. Qualifizierte Spezialisten machten sich mit wissenschaftlicher Gründlichkeit an solche Generalstabsarbeit und sahen sich eines Tages einem gewissen Butler Parker gegenüber, der ihre Kreise störte. Parker nämlich hatte den Verdacht, daß dieses Institut für die Unterwelt arbeitete. Wie richtig er lag, sollten er, Mike Rander, Lady Agatha und Kathy Porter sehr bald schon merken, denn nun wollte man das Problem dieses skurrilen »Quartetts« ebenfalls gründlich und für immer lösen. Josuah Parker mußte wieder tief in seine Trickkiste greifen, um diesen Spezialisten Paroli bieten zu können. Ein neuer Parker-Krimi mit Witz, Hochspannung und Skurrilität. Liebhaber ungewöhnlicher Detektiv-Storys finden hier einen Stoff, der bis zu letzten Zeile fesselt.
Scan by Crazy2001 / Layout und Korrektur by Larentia / Juli 2003