Namenstudien zum Altgermanischen (Erganzungsbande zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde)

Namenstudien zum Altgermanischen

Herausgegeben von Heinrich Hettrich Astrid van Nahl

Walter de Gruyter

Günter Neumann Namenstudien zum Altgermanischen

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer

Band 59

≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York

Günter Neumann

Namenstudien zum Altgermanischen Herausgegeben von Heinrich Hettrich und Astrid van Nahl

≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-020100-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Copyright 2008 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Günter Neumann

Vorwort Das Œuvre des Sprachwissenschaftlers Günter Neumann (1920–2005) konzentriert sich um drei Schwerpunkte: Die indogermanischen Sprachen des alten Kleinasien, die klassischen Sprachen Griechisch und Latein sowie die altgermanischen Sprachen. Zu allen drei Bereichen liegt eine Fülle von Aufsätzen und Beiträgen vor, die nicht nur sprachvergleichend, sondern fast im gleichen Maße philologisch ausgerichtet sind. Es ist deshalb sinnvoll, wenn die Kleinen Schriften dieses Gelehrten nach diesen Themengebieten getrennt veröffentlicht werden. Für die bis Anfang der neunziger Jahre vorliegenden Aufsätze zu den altkleinasiatischen Sprachen und zum Griechischen ist dies bereits in Form der „Ausgewählte[n] Kleine[n] Schriften“ erfolgt, die 1994 von E. Badalì, H. Nowicki und S. Zeilfelder herausgegeben wurden. Hier folgen nun – aufgrund einer Anregung von Heinrich Beck – G. Neumanns Kleine Schriften zum Germanischen, die teilweise als eigene Beiträge und Aufsätze, teilweise als Artikel innerhalb des Reallexikons der germanischen Altertumskunde erschienen sind. Diese germanistischen Arbeiten des Autors widmen sich bis auf wenige Ausnahmen entweder unmittelbar der Deutung von Namen, oder Namen bilden die wesentliche Argumentationsgrundlage; das kommt im Titel des vorliegenden Bandes zum Ausdruck. Dies führt auch zu dem gemeinsamen Kern, der in dem gesamten Œuvre Günter Neumanns, trotz aller Verschiedenheit der Thematik im einzelnen, immer sichtbar bleibt: Es ist nicht die Sprache als abstraktes, freischwebendes System, sondern der sprechende Mensch in seiner Lebensumgebung. Die Sprache, genauer die Sprachtätigkeit, ist lediglich eine Äußerungsform der Menschen unter mehreren; sie kann nur begriffen werden im Zusammenhang mit anderen Äußerungsformen in Literatur, Architektur und Religion und den damit verbundenen Lebensumständen. So ergeben sich in den hier zusammengestellten Beiträgen zahlreiche Anknüpfungspunkte über die Sprachwissenschaft hinaus, und sie sind es, die das Interesse am Œuvre Günter Neumanns bei Wissenschaftlern der verschiedensten Fächer geweckt haben und wachhalten werden. Da die Originalbeiträge in Zeitschriften, Zeitungen und Sammelbänden über einen Zeitraum von etwa 40 Jahren publiziert wurden, wiesen sie entsprechend ihrer redaktionellen Bearbeitung gravierende Unterschiede auf. Zudem kristallisierte sich schnell ein gemeinsamer Stamm an Sekundärliteratur heraus, der uns bewog, daraus für das gesamte Buch ein gemeinsames

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Vorwort

Literaturverzeichnis zu erarbeiten. Dabei wurden auch die Zitierweise in den Texten vereinheitlicht und offensichtliche (Druck-) Fehler beseitigt. Dieses Buch wäre nicht denkbar gewesen ohne Unterstützung von anderer Seite. Hilfe war in erster Linie bei der Erstellung des umfangreichen Literaturverzeichnisses nötig, da viele Angaben in den Originalbeiträgen entweder zu kurz zitiert waren oder sich in schwer zugänglichen Ausgaben fanden. Hier haben wir uns um Vollständigkeit bemüht und die Angaben um genaue Band- und Seitenzahlen und vor allem im Blick auf spätere Nachdrucke, Neuauflagen oder einschlägige Besprechungen ergänzt und korrigiert sowie alle Abkürzungen (außer Quellenangaben, die nun über ein eigenes Abkürzungsverzeichnis zu erschließen sind) aufgelöst. An erster Stelle gilt unser Dank den Mitarbeiterinnen der Universitätsbibliothek in Bonn, die nicht müde wurden, in den schwierigen Zeiten des kompletten Bibliotheksumbaus in unzugänglichen Magazinen monatelang nach dem Verbleib benötigter Bücher zu suchen, mehr als 150 Fernleihen zu betreuen und oft genug mit eigenen Nachforschungen bei schwierigen Verifizierungen unvollständiger Angaben aufzuwarten, und dies alles immer mit einem Lächeln und freundlichen Wort. Bei unseren Recherchen unterstützte uns auch Konrad Wiedemann, Leiter der Handschriftenabteilung der Bereichsbibliothek Landesbibliothek und Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel. Heinrich Beck, Bonn, begab sich hartnäckig auf die Suche nach fehlenden Titel- und Seitenangaben und las sich dabei vor allem durch die Bände der ersten Auflage des Reallexikons für Germanische Altertumskunde. Thorsten Andersson, Uppsala, konnte durch zeitaufwändige Arbeiten im Seminariet för nordisk namnforskning eine ganze Reihe von Angaben den Norden betreffend verifizieren und korrigieren. Ruth van Nahl, Bonn, nahm die Mühe auf sich, viele der eingescannten Texte nach der Vorlage zu bearbeiten und eine lesbare Fassung zu produzieren. Elmar Broecker, Bonn, stand uns mit Rat und Tat bei allen das Lateinische und Griechische betreffenden Fragen zu Verfügung; er propagierte die Vereinheitlichung bei der Zitierweise der Quellen und prüfte die Schreibweise der griechischen Wörter. Das Rheinische Landesmuseum Bonn war so freundlich, uns die eigens erstellte Abbildung „Weihung an die Matronae Haitenae“ in dem Beitrag „Matronen und verwandte Gottheiten“ für den Druck zur Verfügung zu stellen. Nicht zuletzt sei Andreas Vollmer vom Verlag Walter de Gruyter erwähnt, der uns mit seinen technischen Kenntnissen zur Seite stand und wie immer zielsicher jedwede Inkonsequenzen aufspürte. Allen Genannten gilt unser herzlicher Dank! Bonn/Würzburg im März 2008

Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis

Vorwort..................................................................................................... VII I.

Allgemeine namenkundliche Beiträge ............................................1 Substrate im Germanischen? ................................................................3 Die Sprachverhältnisse in den germanischen Provinzen des Römischen Reiches ............................................................................26 Früheste Zeugnisse unserer Sprache ..................................................53

II. Beiträge zu Ortsnamen ....................................................................69 II.1 Selbstständige Beiträge ...................................................................69 Alust – ein krimgotischer Ortsname? .................................................71 Der Ortsname Barlissen .....................................................................75 Der Ortsname Bingen .........................................................................82 Burungum und Bingium. Zwei germanische Ortsnamen am linken Rheinufer .................................................................................86 Der südniedersächsische Ortsname Diemarden .................................91 Die Namen Dramme, Dramfeld, Dransfeld........................................99 Die südniedersächsischen Flurnamen Emme und Endel ..................107 Zum Namen der Eresburg ................................................................113 Der niedersächsische Ortsname Göttingen.......................................116 Der südniedersächsische Ortsname Harste ......................................135 Der Name des Hurkutsteins..............................................................142 Der Ortsname Jühnde .......................................................................147 Der südniedersächsische Ortsname Meensen ...................................152 Der Ortsname Potzwenden ...............................................................158

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Inhaltsverzeichnis

II.2 Beiträge aus dem Reallexikon der germanischen Altertumskunde ......................................................................................161 Bacenis 163 – Baias 163 – Batavodurum 164 – Bergion 164 – Bingen 164 – Bourdorgis, Boudorigon 165 – Bregenz 165 – Burcana 166 – Caesia silva 167 – Caistena 168 – Carnuntum 168 – Carvium 169 – Chalusos 170 – Chorust 171 – Chronos 171 – Codanovia 172 – Codanus sinus 172 – Crino 173 – Cronium 174 – Cusus 174 – Cylipenus sinus 175 – Deutz 176 – Dewona 177 – Drahonus 177 – Dubra 179 – Ebourodounon (]7DJȡn9DJCDC) 180 – Eburon 181 – Elst 181 – Engern 183 – Engilin 185 – Eridanos 186 – Fabaria 190 – Falen 191 – Flevum 193 – Kalisia 194 – Karrodounon 195 – Römische Ortsnamen 195

III. Beiträge zu Personennamen ........................................................201 III.1 Selbstständige Beiträge ................................................................201 Germani cisrhenani – die Aussage der Namen ............................203 Germanische Göttinnen in lateinischen Texten................................226 Die Bezeichnung der germanischen Völker aus sprachwissenschaftlicher Sicht ..............................................................................238 Horst – ein Pferdename ....................................................................245 Matronae Celapavtharae..................................................................247 Die germanischen Matronenbeinamen .............................................253 Der Name der Sweben ......................................................................290 Thruskanos .......................................................................................304

III.2 Beiträge aus dem Reallexikon der germanischen Altertumskunde ......................................................................................307 Bastarnen 309 – Bataver 309 – Belgae 310 – Brukterer 312 – Bucinobantes 313 – Burgunden 314 – Caeroesi 315 – Chaibones 316 – Chaideinoi 317 – Chaimai 318 – Chaituori 318 – Chali 319 – Chamaver 319 – Charini 320 – Charuden 321 – Chasuarier 321 – Chatten 322 – Chattwarier 323 – Chaubi 324 – Chauken 325 – Cherusker 325 – Clondicus 326 – Condrusi 327 – Cotini 328 – Cuberni, Cugerni 329 – Dänen 330 – Daliterni 331 – Dandutoi 333 – Daukiones 334 – Dounoi 334 – Dulgubnii 336 – Eburonen 337 – Elouaiones

Inhaltsverzeichnis

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340 – Erminonen 342 – Ermunduri 345 – Eudusii 346 – Eutii, Eucii 349 – Falchovarii 351 – Fariarix 352 – Farodini 353 – Favonae 353 – Finnaithae 355 – Fosi 356 – Friesen 358 – Frisiavones 361 – Gambrivi 362 – Garmangabis 365 – Gepiden 366 – Germanen 371 – Harier 378 – Helisii 379 – Heruler 379 – Ingwäonen 380 – Inkriones 382 – Intouergoi 383 – Istwäonen 384 – Jüten 386 – Juthungen 387 – Kananefaten 388 – Kimbern 391 – Lepontier 394 – Liburnische Sprache 395 – Ligurer 397 – Lugier 398 – Marsen 400 – Matronen 402 – Naristen 405 – Nehalennia 407 – Osi 410 – Quaden 412– Raetische Sprache 413 – Rosomonen 415 – Twihanti 419 – Twisto 419

IV. Beiträge zu Realien ......................................................................423 IV.1 Selbstständige Beiträge ................................................................423 Althochdeutsch bergita ‘eine Gebäcksorte’ .....................................425 Sualiternicum ‘Bernstein’.................................................................431

IV.2 Beiträge aus dem Reallexikon der germanischen Altertumskunde .......................................................................................439 Auster 441 – Birke 441 – Brücke 442 – Buche 443 – Burg 444 – Canabae legionis 445 – Decumates agri 446

Abkürzungsverzeichnis .........................................................................449 Literaturverzeichnis ...............................................................................453

I. Allgemeine namenkundliche Beiträge

Substrate im Germanischen? [Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Klasse Nr. 4 (1971), S. 77–99]

Wer die Vorgeschichte des Germanischen – die Zeit vor Ulfilas Bibel und den ältesten Runeninschriften – erhellen will, ist im wesentlichen auf drei Quellen angewiesen: auf die nicht sehr reichlichen germanischen Namen, welche die griechischen und römischen Historiker und Geographen bewahrt haben, auf die rekonstruierten Vorstufen der in den germanischen Einzelsprachen belegten Wörter, Flexionsformen, Syntagmen und analog auf die rekonstruierten Vorstufen der im germanischen Sprachgebiet bezeugten, zum Teil heute noch geltenden Ortsnamen. Die Verbindung der Aussagen dieses Materials und die Heranziehung neuerer Erkenntnisse der Sprachwissenschaft wird es erlauben, uns ein paar Schritte in die schriftlose Vergangenheit des germanischen Sprachzweigs zurückzutasten. In einer seit langem intensiv gepflegten Wissenschaft ist es freilich unvermeidlich, daß wir uns da mit älteren Thesen kritisch auseinanderzusetzen haben, daß wir eingewurzelte Irrtümer korrigieren, vielbegangene Fehlwege absperren müssen. Zwei Fragen sollen im folgenden berührt werden: a. Wie hoch ist der Anteil nicht-indogermanischer Sprachen am Wortschatz des Germanischen? b. Gibt es nichtgermanische oder sogar nicht-indogermanische Spuren in den Ortsnamen Norddeutschlands ?

I. In vielen Darstellungen der Geschichte der deutschen Sprache findet sich – mit leichten Varianten – die Behauptung: „Der germanische Erbwortschatz läßt sich zu einem großen Teil – nach Schätzungen zu einem Drittel – nicht auf indogermanische Wurzeln zurückführen.“ So wörtlich Hans Eggers (1963, S. 26). Ähnlich sagt T. Milewski (1968, S. 51), daß die Germanen etwa 30 % ihres Wortschatzes aus nicht-indogermanischen Sprachen Skandinaviens übernommen hätten. Er denkt anscheinend an mit den Lappen

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Allgemeine namenkundliche Beiträge

verwandte Ethne („arktische Völker“). – Oder Lutz Mackensen behauptet in seinem 1962 erschienenen Buch Deutsche Etymologie (1962, S. 48 f.): im Germanischen sei die Zahl der undurchsichtigen Wörter so auffallend hoch, daß die Annahme naheliege, man besitze in ihnen sprachliche Restbestände einer von den Indogermanen unterworfenen nicht-indogermanischen Vorbevölkerung. Vorsichtiger heißt es bei A. Bach (1961, S. 49 § 37a): „Das germanische Wortgut gilt zu stark einem Drittel als nicht etymologisierbar [...]“, und ganz ähnlich äußert sich auch die von E. Agricola, W. Fleischer, H. Protze gemeinsam herausgegebene Kleine Enzyklopädie. Die deutsche Sprache (1969, S. 76). Nun ist ein Drittel ja ein hoher Anteil; man fragt sich, wo denn die Fülle des Fremden stecken soll. Die genannten heute lebenden Forscher – die Belege ließen sich vermehren – sprechen aber keine neue Theorie aus, sondern fußen auf älteren Anschauungen, wie sie vor einigen Jahrzehnten besonders Sigmund Feist, Hermann Güntert, teilweise auch Herman Hirt vertreten haben.1 – Von Feist (1910a, S. 350 f.) stammt z.B. die erwähnte Zahlenangabe vom fremden Drittel im germanischen Wortschatz, und in Kultur, Ausbreitung und Herkunft der Indogermanen (1913) gibt er auf S. 32 eine Liste der germanischen Wörter, die keine Verwandten in anderen indogermanischen Sprachen besäßen. Feist nennt als seinen Gewährsmann Bruno Liebich, der in seinem Buch Die Wortfamilien der lebenden hochdeutschen Sprache (1899, S. 521) eine statistische Übersicht über die Herkunft der deutschen Wortfamilien und Wörter gibt.2 Liebich rechnet da als ‘indogermanisch’ 29,1 %, als ‘europäisch’ (wir würden sagen: ‘westindogermanisch’) 24,7 %, als ‘germanisch’ 21,4 %, als ‘westgermanisch’ 5 %, als ‘deutsch’ 2,5 % usw. Liebich hat dabei zuerst untersucht, wie viele neuhochdeutsche Wörter als Ganzes, als einheitliche Bildungen, aufs Indogermanische zurückgehen, z.B. Maus (idg. *mnjs) oder Vater (idg. *pΩtƝr), und dann, wieviel andere jeweils erst in den späteren Epochen der Entwicklung aus den ererbten Elementen komponiert worden sind. (Das Entlehnte, das Nicht-Indogermanische spielt in Liebichs Statistik zahlenmäßig keine Rolle.) Das nhd. Wort Baum z.B. hat sowohl die Wurzel *bheu- wie das Suffix -mo- aus der indogermanischen Grundsprache ererbt, nur die Kombination dieser beiden Elemente ist erst in der Epoche des Germanischen vollzogen worden und kommt sonst in keiner anderen indogermanischen Einzelsprache so vor. Solche Fälle 1

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Der Gedanke ist aber genauso alt wie die Indogermanistik selbst: schon in den Asiatick Researches von William Jones, 1786, heißt es: „... Both the Gothick and the Celtick, t h o u g h b l e n d e d w i t h a v e r y d i f f e r e n t i d i o m , had the same origin with the Sanscrit […]“ (Sperrung von mir). Auch die von F. Mentz stammenden Zusammenstellungen bei F. Kluge (1905, S. 445 ff.) hat Feist herangezogen.

Substrate im Germanischen?

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(vgl. etwa noch Distel, Funke, Vogel) sind häufig, Liebich bucht sie in der Rubrik ‘germanisch’. – Andererseits wurde der indogermanische Anteil im Germanischen dadurch nicht voll erfaßt, daß Liebich, der ja vom Neuhochdeutschen ausging, keine Veranlassung gesehen hatte, die inzwischen ausgestorbenen germanischen, althochdeutschen oder mittelhochdeutschen Wörter indogermanischer Herkunft in seine Listen aufzunehmen. Feist aber hat einfach die letzten drei Posten von Liebichs Statistik addiert: damit kam er auf 28,9 %, die vermeintlich nicht-indogermanisch seien. Deutlich gesprochen: Feist hat Liebichs Berechnungen grob mißverstanden und in inadäquater Weise ‘ausgewertet’. Die von ihm daraufhin errechneten 28,9 % hat man später – wohl aus mnemotechnischen Gründen – auf das erwähnte Drittel aufgerundet. Das ist dann immer wieder unkontrolliert abgeschrieben worden und spukt nun bis heute in vielen Handbüchern.3 Einen anderen Ansatz bringt Hermann Güntert. Er stellt in seinem Buch Der Ursprung der Germanen (1934, S. 72 ff.) die These auf, die germanische Lautverschiebung sei durch ein ethnisches Substrat ausgelöst worden. Neben der indogermanischen Herrenschicht habe ein nicht-indogermanischer Bauernadel weiterexistiert. Da die germanische Lautverschiebung mit einem Lautwandel im Etruskischen Ähnlichkeiten zeige, müsse auch dies vorgermanische Substrat mit den Etruskern verwandt gewesen sein; für verwandt oder identisch mit dieser Vorbevölkerung hält er den alpinen Volksstamm der Kater. – Hier tritt uns ein Begriff entgegen, der im folgenden wichtig bleiben wird: der des Substrates. Geprägt hat ihn der italienische Sprachforscher Graziadeo Isaia Ascoli, der in seinen Sprachwissenschaftlichen Briefen (1887) zur Erklärung der Auseinanderentwicklung der romanischen Sprachen eine neue Theorie vorlegte: die Spaltung des zunächst ziemlich einheitlichen romanischen Idioms sei durch die Verschiedenheit der Sprachen ausgelöst worden, die in Hispanien und Gallien, auf dem Balkan und in Nordafrika schon vor der römischen Besetzung und Kolonisation existiert hätten. Wenn z.B. ein Gallier die lateinische Sprache angenommen habe, so seien dabei so viele keltische Züge in der Artikulation, im Wortschatz, im Satzbau, kurz auf allen Ebenen einer Sprache, mit in seine Rede eingeflossen, daß sein Romanisch merklich anders geworden sei als z.B. das eines Eingeborenen von Dakien. – Diese Theorie, die also von einem Romanisten stammt, hat dann Herman Hirt auf die indogermanischen Einzelsprachen übertragen. Ihm verdanken wir (1894b, S. 43) ein einprägsames Bild:

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Richtig urteilt aber über Liebich F. Stroh (1959, I, S. 3 Anm. 2).

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Allgemeine namenkundliche Beiträge

Wenn man eine Säure über verschiedene nebeneinander gelagerte Chemikalien ausgießt, so wird dies auf jede anders wirken und im allgemeinen so viel verschiedene Produkte hervorbringen als Stoffe vorhanden sind.

Doch bringt dies naturwissenschaftliche Gleichnis falsche Voraussetzungen mit; das gegenseitige Aufeinander-Einwirken von Sprachen ist uneinheitlicher und komplizierter als ein chemischer Prozeß mit homogenen Stoffen. Solche ‘Interferenz’ von Sprachen ist ja eine Funktion der sozialen Gegebenheiten, die in den beteiligten Gruppen herrschen.4 – Der Romanist Walther von Wartburg hat diese Theorie dann begrifflich schärfer gefaßt, indem er neben den ‘S u b straten’ – wörtlich ‘die darunter Liegenden’ – auch noch ‘S u p e r strate’ und ‘A d strate’ ansetzte. Mit Superstrat wird eine sprachliche Schicht bezeichnet, die von später eindringenden Fremden stammt, welche sich zum Herrn dieses Bereichs aufwerfen und aus deren Sprache dann manches in die der Unterworfenen übergeht. Klassische Beispiele dafür bilden die fränkischen Lehnwörter im romanischen Französisch, die arabischen im Spanischen. Es ist dann vor allem in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts beliebt gewesen, vielerorts die Wirkung von Substraten oder Superstraten zu erkennen. Manche Forscher trauten es sich sogar zu, bloß aus den Spuren in einer jüngeren Sprache eine ältere, sonst gar nicht durch eigene Denkmäler erhaltene Sprache des ‘Substratvolkes’ mehr oder weniger rekonstruieren zu können. Das rief dann wieder energische Gegenstimmen hervor; extreme Positionen wurden bezogen, so daß man von ‘Substratomanie’ und auf der anderen Seite von ‘Substratophobie’ gesprochen hat. Viele bedeutende Anhänger hat die Substrattheorie in Italien gefunden: M.G. Bartoli, G. Alessio, V. Bertoldi, F. Ribezzo und manche andere suchen unter den Sprachschichten der indogermanischen Einwanderer in die Apenninhalbinsel eine oder mehrere mediterrane Straten. Auch hier steht die kritische Überprüfung der vielen Ansätze von Wortstämmen noch aus. – Es sei aber festgehalten, daß die Substrattheorie innerhalb der Indogermanistik in mindestens drei Bereichen gute Erfolgschancen hat: sowohl im altgriechischen, im altindischen wie im hethitischen Wortschatz lassen sich große Gruppen aussondern, die mit Sicherheit nicht aus dem ererbten Gut stammen, die vielmehr von den einwandernden Indogermanen erst in Hellas bzw. in Nordwestindien und Kleinasien in ihre Sprache aufgenommen worden sind. Dazu gehören im Altgriechischen vor allem Namen von südlichen Pflanzen 4

Doch hat Hirt z.B. Feists weitgreifenden Substratansätzen nie zugestimmt, sie sogar mehrfach ausdrücklich abgelehnt, z.B. in Etymologie der neuhochdeutschen. Sprache (1921, § 78 ff. 101 ff.) und noch schärfer in Indogermanische Grammatik (1921–1937, I, S. 172. 193 ff.) Dort sieht er in den ‘Seewörtern’ eher altes Erbgut.

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(CUG@>HHD0, tU@>CFD0, @6@¼6), von Gefäßen (HUB>CFD0, A @JFD0, ?>UA= und viele andere) sowie von Bezeichnungen, die mit einer verfeinerten Kultur zusammenhängen. Auch viele altgriechische Ortsnamen sind aus der (oder einer) Sprache der Vorbevölkerung herzuleiten; das gilt für die Stämme von Athen, Theben und Korinth, für Knossos und Phaistos und hundert andere. – Ähnlich liegt der Fall im Altindischen. Auch hier werden Namen für exotische Pflanzen und Tiere, aber auch von Musikinstrumenten aus den Sprachen der einheimischen Dravidas oder der MundaStämme übernommen. – Und als die Vorfahren der Hethiter zu Anfang des 2. Jahrtausends in Kleinasien eindrangen, haben sie sich rasch die einheimischen Formen der Gottesverehrung angeeignet; es erschien ihnen rätlich, die dort herrschenden Götter nicht durch Mißachtung zu erzürnen. Daher führt das Hethitische im Bereich der Religion viele kleinasiatische Substratwörter mit. Bei mehreren indogermanischen Einzelsprachen gibt also der W o r t s c h a t z die klarsten Beweise für Entlehnungen aus Substratsprachen; weniger Sicherheit gewinnen wir dort, wo bestimmte Entwicklungen des Phonemsystems, der Morphologie oder syntaktische Veränderungen auf die Wirkung eines Substrates zurückgeführt werden. Wir wollen diese Bereiche deshalb hier beiseite lassen und uns auch beim Germanischen vorderhand auf die am leichtesten zu überprüfende Lexik beschränken. Bevor wir nun die Themafrage erörtern, ob sich Substrate im Germanischen nachweisen lassen, sei festgehalten, daß die beliebte Alternative ‘ererbt oder entlehnt’ falsch gestellt ist. Es gibt eine wichtige dritte Möglichkeit: die Neuprägung mit eigenen Mitteln. Solange die Sprachwissenschaft einseitig auf die sorgfältig gepflegten Kultursprachen Altgriechisch und Sanskrit schaute, sind ihr manche Phänomene der Sprachentwicklung nicht genügend in den Blick gekommen. Die homerischen Epen sind bekanntlich in einer tradierten Kunstsprache abgefaßt; das gleiche gilt – womöglich noch strenger – für die Sprache der altindischen Hymnen der Veden. Hier steht am Anfang der Tradition eine bewußt konservative Haltung einer Gruppe von Sängern bzw. Priestern gegenüber der Sprache. Das darf man aber nicht für alle indogermanischen Einzelsprachen genauso voraussetzen. – Seitdem wir gelernt haben, lebende Sprachen zu beobachten, wissen wir, daß es in ihnen Bezirke gibt, wo – recht unbekümmert gegenüber den Traditionen der Hochsprache – dauernd Neues geschaffen wird. Es sind die Gruppensprachen, die Sondersprachen von Schülern, Teenagern, Studenten, Soldaten, aber etwa auch von Verbrechern, ja sogar der Bereich des Slang – allgemein gesprochen die Sprachen aller der Gruppen, die sich der Hochsprache nicht unterwerfen oder sie nicht erreichen. – Es soll hier nun freilich nicht behauptet werden, das Germanische sei aus einem Slang ent-

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Allgemeine namenkundliche Beiträge

standen, sondern wir ziehen die Jargons und den Slang nur deshalb als Beispiele heran, weil in ihnen noch ungebrochen sprachschöpferische und sprachwandelnde Kräfte wirken können, die heute – da sich in allen Kulturnationen die Geltung einer Hochsprache durchgesetzt hat – gegen deren Übermacht einen schweren Stand haben, die aber in Zeiten mit schwächeren stilistischen Normen, in Epochen ohne sprachpflegende und -regelnde Institutionen leichter und breiter wirken konnten. Grundsätzlich muß auch die historische Sprachforschung lebende Sprachen beobachten, sie kann dabei lernen, wie Veränderungen geschehen, wie sich Sprachen mischen, wie sich ein Sprachwechsel vollzieht, wie vielfältig eine Sprache geschichtet ist, und sie darf diese Beobachtungen dann mit Vorsicht analogisch auf die vorhistorischen Epochen übertragen. Aus den Varianten der Wortschöpfung greife ich fünf heraus: 1. D i e w i l l k ü r l i c h e A b k ü r z u n g . – Sie liegt vor, wenn der deutsche Mensabesucher Abo für Abonnement sagt, der Engländer in Australien abo für aboriginal ‘Ureinwohner’, der Kellner Limo für Limonade oder neuestens bestimmte Gruppen Hasch für Haschisch. Diese ‘Mutilation’ bemächtigt sich also vor allem, aber nicht ausschließlich, der langen, etymologisch undurchsichtigen Fremdwörter. Im Bereich der Namen, besonders der Personennamen, führt sie zu einer Fülle von Kurz- und Koseformen (Hinz, Heinz, Heiner, Henner für Heinrich). 2. D i e S c h a l l n a c h a h m u n g o d e r O n o m a t o p ö i e . – Im amerikanischen Slang heißt es anstatt silent ‘still, schweigend’ einfach mum. – Oder das Niederdeutsche-Niederländische hat sich ein Verb mit der Bedeutung ‘betasten, mit der Hand fühlen, tappen, reiben’ neu geschaffen, das in niederl. fommelen, nhd. fummeln vorliegt. F. Sommer hat es (1933, S. 247) überzeugend als ursprünglich lautmalende Bildung gedeutet. Heute ist es immerhin bis in einen Filmtitel aufgestiegen. 3. D a s u n e t y m o l o g i s c h e H i n z u f ü g e n o d e r W e g l a s s e n v o n L a u t e n . – So heißt es in manchen deutschen Dialekten Karnalje statt Kanaille, und ebenso hat Karnickel sein unberechtigtes -r- erhalten. – Mit einem ‘laut-malenden’ n-Infix steht das nhd. Verb mantschen neben matschen, pantschen neben patschen. 4. D i e W o r t k r e u z u n g o d e r K o n t a m i n a t i o n (‘blending’). – Im Englischen ist aus smoke ‘Rauch’ und fog ‘Nebel’ ein smog neugebildet worden, das den typischen, über den Großstädten der Insel lagernden dicken Schleier aus Ruß, Abgasen und Wasserdampf bezeichnet. Hier ist das Wort inzwischen gemeinsprachlich geworden.

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5. D i e M e t a p h e r . – In amerikanischen Kriminalromanen reden die Gangster nicht von Diamanten, sondern verhüllend und untertreibend von ice – weil beides hell glitzert; oder: die Zähne heißen im englischen Slang grinders, also wörtlich ‘die Zerreiber’ usw. Hierher gehört auch die Kenning: ein leistungsstarkes Motorrad nennen heute westdeutsche Jugendliche gern ‘Feuerstuhl’; ältere Sammlungen von Pennälersprachen5 notieren ‘Wärmehälter’ für ‘Ofen’ usw. In diesen Vorgängen kommt der Spieltrieb, die Freude an überraschenden und farbkräftigen Variationen zum Zuge. Sie treten daher nicht regelmäßig, gesetzhaft auf. Das erschwert uns ihren Nachweis; dennoch wird zu prüfen sein, ob sich unter den Wörtern, deren Herkunft aus einer Substratsprache behauptet worden ist, Fälle finden, die sich mit Hilfe dieser Arten von Neuschöpfungen erklären lassen. Dazu müssen wir zunächst das Material – wenigstens in Auswahl – vorstellen. 1. Eine Liste von neuhochdeutschen Wörtern, die alle mit dem Leben an der Küste, mit Schiffbau, Seefahrt und Fischfang zusammenhängen, hat Feist in seinem Buch Indogermanen und Germanen (1914, S. 89) aufgestellt. Er nennt die folgenden Substantiva: See, Segel, Nachen, Kahn, Kiel, (Spant), Bord, Brise, Hafen, Damm, Reede, Ebbe, Sturm, Zeit (im Sinne von ‘Gezeiten, Tide’), Fels, Klippe, Strand, Geest, Laich, Netz, (Reuse), Stange, Steuer sowie das Verb schwimmen. Feist (1914, S. 91) stellt sich vor, „daß die Prägermanen in vorgeschichtlicher Zeit eine indogermanische Mundart übernommen, sie mit einem bedeutenden Einschlag ihres einheimischen Sprachguts durchsetzt [...] haben“. (Den Namen ‘Prägermanen’ gibt er also gerade der fremden, ursprünglich nicht-indogermanischen Komponente.) Feist bemerkt weiter, daß es für fast alle germanischen Fischnamen – mit Ausnahme von Lachs und allenfalls Wal – keine auswärtigen Entsprechungen gebe. Auch für sie denkt er an nicht-indogermanische Herkunft. – Die Liste der ‘Seewörter’, wie wir sie abgekürzt nennen, hat dann T.E. Karsten in sein Buch Die Germanen (1928, S. 135) zustimmend übernommen; auch Hans Krahe in seiner Neubearbeitung von O. Schraders Bändchen Die Indogermanen (1935, S. 38) knüpft an sie an; er fügt noch Rahe, Düne, Haff, Woge, Riff und das Verb hissen hinzu, läßt andere dafür weg. – Ähnlich verfährt Hellmut Rosenfeld (1961b), der noch die Substantive Takel, das Tau, den Topp und den Fischnamen Aal beisteuert, dafür wiederum einige ausläßt. Der Kölner Germanist Fritz Tschirch spricht in seiner Geschichte der deutschen Sprache (1966, I, S. 24) von 5

z.B. Eilenberg (1910).

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„Wörtern der proto-indogermanischen Küstenbevölkerung“ (richtig wäre ‘vor-indogermanisch’ oder ‘prae-indogermanisch’), die die Germanen „notgedrungen“ übernommen hätten. Und wieder folgt nun die alte SeewörterListe von Feist, mit einigen Modifikationen. Tschirch hat aus dem Bereich des Schiffsbaus noch angeschlossen: Jolle, Boot, Schoner, Mast, Gaffel – ferner Tran, Sprotte, Watt. Hier werden also wieder von Lehrbuch zu Lehrbuch Aufstellungen übernommen, als seien sie gut gesicherte Fakten. 2. Eine eigenständige Liste gibt F. Kauffmann in seiner Deutschen Altertumskunde (1913–1921, I, S. 66 Anm. 5); an Substantiven nennt er: Adel, Antlitz, Bein, Dieb, Grund, Hand, Held, Honig, Knabe, Kraft, Ort, Bauch, das Reis, Schalk, Tag, Wald, Weib, Winter, Zauber, Zehe – an Adjektiva: arg, arm, eben, klug, krank, öde, siech – an Verben: bergen, flehen, fliehen, laufen, rufen, rügen, schneiden, trinken, zünden. (Einwände dagegen schon bei R. Much (1915, S. 74) und W. Streitberg (1927, S. 50 ff.). 3. Eine dritte Liste legt F. Braun vor (1922). Er erklärt die Substantiva Beere, Erbse, Faust, Gerste, Hand, Hütte, Rind, Schaf, Schilf für nicht-indogermanisch, von den Götternamen den der Asen, ferner Erke und Tuisto, er geht aber noch weit darüber hinaus, da er auch das germanische schwache Präteritum und die schwache Nominalflexion, ferner die Lautverschiebung und manches andere als Entlehnung aus einer prä-germanischen Substratsprache deuten will, die mit dem Etruskischen, Rätischen, Ligurischen, Baskischen und mehreren Kaukasussprachen verwandt gewesen sei. Hier ist aber zweifellos vieles laienhaft und phantastisch. (Kritisch Stellung genommen hat z.B. schon G. Schmidt 1924, S. 221–230.) 4. Eine ebenfalls selbst erarbeitete Liste von nicht-indogermanischen Wörtern in einer germanischen Sprache gab Roberts (1939, S. 24). Er geht vom Gotischen aus und nennt als fremdstämmig die Nomina aiþei ‘Mutter’, fraiw ‘Samen’, gawi ‘Gau’, guþ ‘Gott’, stibna ‘Stimme’, stubjus ‘Staub’, tuggl ‘Stern’, die Verben bugjan ‘kaufen’, dreiban ‘treiben’, fraisan ‘versuchen, verlocken’, hugjan ‘denken’, siggwan ‘singen’, slindan ‘verschlingen’, drigkan ‘trinken’, von Adjektiven arms ‘arm’, braiþs ‘breit’, dumbs ‘stumm’, hnasqus ‘weich’, snutrs ‘klug’. 5. Hermann Günterts Vorstoß in Labyrinth (1932/33) hat das Verdienst, daß er sich wieder um ein zusammenhängendes Sinnfeld bemüht. Es umfaßt Termini der Steingewinnung und -verarbeitung. Er nennt engl. flint ‘Feuerstein’ (zu griech. EA¼C$D0 ‘Ziegelstein’), Fels ~ griech. Ortsname *:AA C=; ferner ahd. harug ‘Steinhaufen, Opferplatz’, aisl. taparøxi, die ursprünglich eine Steinaxt gewesen sei (tapar gehöre zu griech. E^IG6,

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wobei eine – nicht recht wahrscheinliche – Metathese aus *I:EG6 angenommen wird); ferner Halle, Tal, Damm, Kies, Kiesel, Berg / Burg und Schalk, das ursprünglich die Bezeichnung der von den Indogermanen zu Steinarbeiten gezwungenen Megalithleute gewesen sei (Güntert 1932/33, S. 40). Die Bezeichnung des Volkes selbst sei in thur(i)s ‘Riese’ erhalten, das mit dem Völkernamen Tyrsener, der griechischen Bezeichnung für die Etrusker, identisch sei. Sie seien die Träger der Großsteingräberkultur im Neolithikum gewesen. – Diese westeuropäischen Megalithiker, die auf Kelten und Germanen starken Einfluß ausübten, redeten nach Güntert eine nicht-indogermanische Sprache, die mit Iberisch, Etruskisch, ‘Ägäisch’ und den (wie er meinte, nicht-indogermanischen) altkleinasiatischen Sprachen verwandt sei. Aber für diese Heranziehung der hethitisch-luwischen Sprachen war Güntert nicht gerüstet, überhaupt hat es ihm hier an kritischer Vorsicht gefehlt. Auch seine Gleichsetzung der von den Prähistorikern aufgedeckten Kulturhorizonte mit den erschlossenen Sprachen hat sich als verfrüht und unhaltbar erwiesen. 6. Mackensen (1962, S. 49 f.) gibt u.a. eine Reihe von Tiernamen, die er für Substratwörter erklärt, von Vögeln: Ammer, Dohle, Elster, Lerche, Möwe, Puter, Küchlein – von Fischen: Hecht, Hering – von Säugern: Klepper, Mops, Pudel, Schaf – sowie Luder (im Sinne von Tierkadaver) – von Insekten: Ameise, Schnake. Aber auch Pflanzenbezeichnungen wie Hopfen, Flieder, Klee, Getreide, Knospe, Knorren, Maser(ung), Rasen hält er für Substratwörter, ferner von den Termini des Hausbaus: Pflock, Wand, (Ofen-)Rost sowie Zelt und manches andere. 7. Nur kurz soll hier ein seltsames Buch erwähnt werden: Erich Röth, Sind wir Germanen? Das Ende eines Irrtums (1967). – Der Verfasser, ein Autodidakt, will aus dem westthüringischen Dialekt von Flarchheim am Hainich eine vorgeschichtliche illyrische, dem Litauischen nahestehende Schicht (‘Grundsprache’) nachweisen, die im Volk lebendig geblieben sei und daher immer wieder – auch nach Jahrtausenden – ‘aufsteigen’ könne. Ein Höhepunkt dieser dilettantischen Vergleicherei steht auf S. 248: der Slangausruf Manometer!, der Erstaunen anzeigt und natürlich aus Mann, o Mann! oder Mann Gottes! einfach spielerisch entstellt (‘verquatscht’) ist, wird mit Hilfe von litauischen Vokabeln gedeutet als ein versteinerter Rest der Substratsprache: mán nʜơ mõtais ‘Das habe ich mir nicht träumen lassen’. 8. Einzelbemerkungen und Vorschläge finden sich auch sonst verstreut in der Literatur, z.B. bezeichnet Friedrich Kluge (1901, S. 363 f.) die deutschen Wörter Apfel, Krug, Silber sowie das got. baira- ‘Maulbeere’ als von einem unbekannten ‘Urvolk’ entlehnt. – S. Feist selbst trägt in Indogermanen und Germanen (1914, S. 82 f.) noch die Substantiva Knolle, Pacht,

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Pfad, Pranger und das Verb kneipen nach. Im Gotischen Wörterbuch (1939, S. 454) meint er, das Verb stilan ‘stehlen’ sei vielleicht auch eine Entlehnung aus einer vor-indogermanischen Sprache. – H. Hirt (1921– 1937, I, S. 93), hält die Zählwörter Stiege (für 20 Stück) und Mandel (für 15 Stück) für Reste der Urbevölkerungssprache, in der eine Vigesimalzählung geherrscht habe. Es sind insgesamt über 100 Vokabeln als Substratwörter verdächtigt worden, zwar keine kleine Zahl – aber sie reicht doch noch lange nicht an das angebliche ‘Drittel’ des Gesamtwortschatzes heran. Treffen nun wenigstens diese Bestimmungen zu? Ohne Zweifel sind hier auch Wörter von gut-indogermanischer Etymologie mit vereinnahmt worden. Sowohl Gerste wie Rind, sowohl Tag, Fels, Honig wie das Adjektiv öde haben klaren Anschluß an indogermanische Wurzeln, ihre Wortbildung ist durchsichtig und regelrecht, es besteht nicht der geringste Grund, sie auszusondern. Hier sind dem einen und anderen Forscher einfach Kunstfehler unterlaufen. Die etymologische Forschung ist zudem seit den Tagen von Liebich, Feist und Güntert vorwärtsgekommen, manches damals unerklärte Wort hat inzwischen eine indogermanische Deutung gefunden. – Nur ein Beispiel dafür: das deutsche Substantiv Adel, das Kauffmann noch für fremdstämmig erklärte, ist vor ein paar Jahren von Szemerényi (1952, S. 42 ff.) – wie mir scheint – plausibel etymologisiert worden. Er rechnet mit dem Stamm al- ‘wachsen’, vor dem das Präfix at- ‘über hinaus’ stehe, also sei für *at-al-o- die Ausgangsbedeutung ‘Nachwuchs’. Und zweitens: man begeht einen grundlegenden Denkirrtum, wenn man das, was sich zufällig nicht oder noch nicht sauber an Wörter der verwandten Sprachen anschließen und so deuten ließ, kurzerhand für indogermanisch unerklärbar und darum also als fremd ausgibt. Eine Durchsicht z.B. des Etymologischen Wörterbuchs der deutschen Sprache von Kluge & Götze (Kluge 1905) erbringt natürlich Dutzende von Wörtern, für die eine klare und überzeugende Anknüpfung ans Indogermanische noch nicht geglückt ist; ich nenne nur beispielshalber: von Verben: pflegen, rauschen, rülpsen, rütteln, schäkern, schnullen, schlürfen, schwellen, streben, tauchen, tragen, treffen, treiben, treten, wispern, zünden – von Substantiven: Bein, Dohle, Fleiß, Kram, Luft, Pflock, Plunder, Riegel, Spieß, Stock, Tadel, Troddel, Tuch, Zelt – von Adjektiva: eitel, ekel, feige, geschwind, teuer. – Ein solch peinlicher Rest bleibt in allen Etymologika der indogermanischen Einzelsprachen, aber er ist gewiß nicht homogen und wird sich durch weitere Forschung verringern lassen. Sowohl bei dem von Feist, Kauffmann, Braun und Güntert vorgelegten Material wie bei den eben aus dem Kluge & Götze herausgezogenen Wör-

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tern sind nun mehrere dabei, für die sich eine glatte Deutung geben läßt, wenn man mit einer internen Neuschöpfung des Germanischen rechnet (also im Sinn der Vorgänge, wie wir sie oben S. 8 f. an Hand der Sondersprachen aufgeführt hatten). Auch dafür nur ein paar Beispiele: das Verb stilan ‘stehlen’ – von Feist als vorindogermanisch verdächtigt – läßt sich als eine Kontamination begreifen, etwa mit Osthoff (1888, S. 460 f.) als eine Kreuzung aus *steran (vgl. griech. HI:G^K ‘raube’) und hilan ‘hehlen’, oder vielleicht auch aus den indogermanischen Wurzeln *ster- und *telΩ- ‘aufheben’. Ein weiteres Beispiel: das Substantiv Weib, das lange als unerklärbar galt, hat vor einigen Jahren W. Krogmann (1959, S. 136 ff.) – wohl zutreffend – gedeutet. Es sei ursprünglich der Name des fraulichen Kopfschmucks, einer Haube, gewesen. Der Name dieses Statussymbols, das die Mädchen vom Tag ihrer Heirat an aufsetzten, sei metaphorisch auf die Frau selbst übertragen worden. Dazu paßt gut die von F.C. Robinson (1967, S. 233 ff.) vorgeschlagene Etymologie von engl. girl: es komme von altengl. gyrela ‘dress, apparel’ und sei zur Bezeichnung einer „young person of either sex“ geworden. „The usage was limited to the domestic sphere and never got into literary record.“ – Bei wispern, schlürfen, schnullen ist Lautmalerei erkennbar. – Im Falle von splinter liegt sicher eine Kreuzung von *split- und *flint < *plind- vor. (So schon Kluge & Götze 1905, s. v. spleißen.) Solch semantisch disparates Material, wie es Kauffmann und Braun vorgelegt haben, kann von vornherein viel weniger überzeugen als die geschlossene Gruppe der Wörter, die in die Bedeutungsfelder ‘Meeresschifffahrt’ und ‘Fischfang’ gehörten. Auch bei den klar nachgewiesenen Substrateinwirkungen in Hellas und Indien ließen sich ja Bedeutungsgruppen aufstellen. Es wird sich also lohnen, diese Feistsche Gruppe einmal etwas eingehender zu untersuchen. Merkwürdigerweise hat bis heute niemand eine solche Nachprüfung vorgelegt, obwohl die Liste ja seit 45 Jahren zur Debatte gestellt ist. Das können wir hier nun nicht ganz nachholen, sondern nur wenige Beispiele stellvertretend besprechen: Im Fall des Wortes für Kahn stehen mehrere Gefäßnamen so nahe, daß man mit einer Metapher rechnen darf. Boote ihrer Form wegen mit Töpfen zu vergleichen, ist ganz üblich: noch heute kann der Norddeutsche in salopper Redeweise Pott für Schiff sagen. – Bei Brise dürfte Schallnachahmung im Spiele sein, vgl. mhd. brüsen ‘rauschen’, niederländ. bruisen ‘schäumen’. – Das Substantiv Strand hat man schon längst mit Recht an die idg. Wurzel *ster- ‘sich ausbreiten’ angeknüpft, die z.B. in dt. Stirn, abg. strana ‘Seite’ vorliegt. Erklärungsbedürftig bleibt das -d am Ende des Stammes. Es sei vorgeschlagen, hier mit Einfluß des semantisch nahestehenden Substantivs Rand (oder

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auch von Land) zu rechnen, also eine Art Keimung oder Wortkreuzung anzunehmen. – Das Verb schwimmen aus Feists Seewörterliste ist wohl verwandt mit lit. svambùs ‘schwer, schwankend’ und hat nach Pokorny (1959–1969, S. 1046) auch noch keltische Verwandte. Es ist also zwar vielleicht nicht grundsprachlich, gehört aber einem voreinzelsprachlichen Stadium an. Nach Bedeutung und Gestalt der Wurzel wird man auch hier an eine onomatopoetische Schöpfung denken. Ohne die Einzelargumentation weiter vorzulegen, läßt sich zur Gruppe der ‘Seewörter’ sagen, daß sie sich weithin an germanisches und indogermanisches Sprachgut anschließen; freilich muß man sich in Fällen wie Gaffel, Klippe, Riff, Takel, Tau, Topp klarmachen, daß niederdeutsche, nicht hochdeutsche Lautformen vorliegen. Im übrigen hat die Forschung für viele Einzelwörter längst treffende Etymologien vorgelegt, und die Substratansätze sind vielfach stillschweigend übergangen worden, nur ein globaler Widerspruch gegen die Substratthesen ist daraus noch nicht erwachsen. – Die bisherigen Versuche, aus dem appellativen Wortschatz des Deutschen und seiner Dialekte Substratschichten nachzuweisen, sind also nicht überzeugend geglückt.

II. Wir gehen zur Frage nach nicht-germanischen oder sogar nicht-indogermanischen Spuren in den Ortsnamen Mitteleuropas, speziell Nordwestdeutschlands, Hollands, Nordbelgiens über. – Hier kann man mehrere Epochen, geradezu mehrere Moden, unterscheiden: zuerst – in der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts – herrschte die ‘Keltomanie’; alle Orts- und Flußnamen, die nicht sofort durchsichtig waren, schrieb man den geheimnisvollen Kelten zu. Diese wurden dann bald in der Beliebtheit abgelöst von einer noch weniger faßbaren Größe – den Ligurern. Hier stammt der große Wurf von dem Franzosen d’Arbois de Jubainville (1889/94), der mit den Ligurern als vorgermanisches, aber indogermanisches Substrat in großen Teilen Frankreichs, aber auch in Süd- und Westdeutschland bis hinauf zur Unterelbe, auf den britischen Inseln, in mehreren Teilen Italiens, in Sizilien und auf der Iberischen Halbinsel rechnete. Schon er faßt (1889/94, II, S. 212) die Flußnamen Weser, Wümme (aus Vimina),6 Stör in Schleswig-Holstein (aus Stura), Trave (Dravina) als ligurische Substratzeugen auf. Auch im Rheintal will er ligurische Namen finden. – Seine These wird ausgebaut u.a. von W. Oehl (1935/1936) sowie von K. Classen (1938 und 1939). Classen hält das Ligurische für eine vor-indogermanische Sprache; ihr ordnet er eine 6

Dieser Flußname gehört aber zu ahd. wimi ‘Brunnquell’ usw.

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Fülle von Flußnamen in Frankreich und Deutschland zu: Maas und Schelde, die Rheinmündungen Waal und Lek, die Wamme an der Unterweser, den süddt. Lech, die Rhone und Isère, ferner in Südfrankreich Durance, Argens, Aubance, im Elsaß die Leber und die Ergers (Nebenflüsse der Ill), dann – in Franken die Wörnitz, Rednitz, Pegnitz – den Murg in Baden, die Saar, Ruhr und Sauer (alle gleichartig mit einem angeblich ligurischen Suffix -ra gebildet), von Gebirgsnamen den Apennin und die Cevennen, von dem Ortsnamen Worms – dann das bekannte -apa in Fluß- und Bachnamen. Auch eine Anzahl von Orts- und Personennamen mit anlautendem p- weist Classen seiner ligurischen Sprache zu: die Ortsnamen Parra und Parrodunum, die Personennamen Petto, Plaucus, Pauto, Pennausius. – Nur zwei Bemerkungen zu dieser laienhaften und kaum akzeptierten These: a) ein wesentlicher Teil des Materials deckt sich mit dem, den Krahe als ‘alteuropäisch’ bestimmt hat, ist also gut indogermanisch Andere Namen haben eindeutig keltische oder germanische Herkunft. – b) Hier liegt wieder ein Fall vor, wo ein aus der Antike bekannter Völkername von der modernen Forschung unbegründet überdehnt worden ist. Den Ligurern gehört der Küstenraum um Genua (vielleicht westlich bis zu den Pyrenäen), alles andere ist Spekulation. Im Jahr 1938 erschien dann aus der Feder des Keltologen Julius Pokor7 ny eine Arbeit mit dem Titel Zur Urgeschichte der Kelten und Illyrier, die eine dritte Woge von Substratansätzen ausgelöst hat. Pokorny versucht mit reichem Material an altüberlieferten Orts- und Flußnamen, in Mitteleuropa ältere, vorgermanische Straten nachzuweisen. Bisweilen übernimmt er einfach ältere Zusammenstellungen (vgl. 1938, S. 77): „Setzen wir also statt ‘ligurisch’ das Wort ‘west-illyrisch’ ein, so werden wir eine große Zahl der von d’Arbois de Jubainville und anderen aufgestellten Gleichungen aufrechterhalten dürfen.“ – Vieles von diesem Namengut hat dann Krahe als ‘alteuropäisch’ bestimmt, und jüngst hat W.P. Schmid zwar die innere Zusammengehörigkeit wesentlicher Teile dieses Materials anerkannt, aber dabei die These vertreten, daß es in seinen ältesten Bildungen schlichtweg indogermanisch sei, das heißt, daß es aus dem 3. Jahrtausend, aus der Zeit der Grundsprache stamme und in fester Tradition an Ort und Stelle bewahrt worden sei. Dies Material berührt also unsere Fragestellung hier nicht; daß Namen oft unverändert erhalten bleiben, wenn sich die Sprache wandelt, belegt die Geschichte jeder modernen Na7

Pokorny ist einer der hervorragendsten, aber auch extremsten Vertreter der Substrattheorie. Fürs Insel-Keltische rechnet er mit mehreren Substraten, und fürs Germanische nimmt er in Substrattheorie und Urheimat nicht nur ein südliches, bandkeramisches, sondern auch ein nördliches, nord-eurasisches Substrat an.

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tionalsprache; es beweist daher nichts für die Existenz einer eigenen, von den Germanen verschiedenen Substratbevölkerung.8 Noch anders argumentiert der Kieler Germanist Hans Kuhn, und seiner Hypothese – als der jüngsten – wollen wir uns hier noch zuwenden. Er hat sie zunächst in den Westfälischen Forschungen (1959) publiziert, sie dann als einen Beitrag Das Zeugnis der Namen zu dem von drei Autoren (R. Hachmann, G. Kossack & H. Kuhn 1962) verfaßten Buch Völker zwischen Germanen und Kelten vorgelegt und sie auch später in Aufsätzen zu untermauern versucht.9 Er behauptet auf Grund einer auffallenden Häufung von nicht gedeuteten Ortsnamen im Nordwesten Deutschlands und den Niederlanden, daß sich hier starke Reste einer vorgermanischen Bevölkerung bis in die Völkerwanderungszeit gehalten haben müßten. Als Westgrenze dieses Gebiets bestimmt er eine Linie von der Mündung der Somme bis zum Main; im Norden und Nordosten, reiche es bis an die Unterweser, an die Aller und den Harz, im Süden bis nach Thüringen und Hessen hinein. Dieser ‘Block’ beweise, daß die Germanen bei ihrer ersten Ausbreitung nach Süden und nach Westen das Land zwischen Rhein und Aller beidseitig umgangen hätten. Der ‘Nordwestblock’ habe der Germanisierung lange widerstanden, die 1. Lautverschiebung sei in ihm im allgemeinen nicht durchgeführt worden. – Kuhns Argumente zur Stützung dieser Hypothese sind die folgenden: da im Indogermanischen bekanntlich das Phonem b ganz selten 8

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Auf die Ortsnamendeutungen Hans Bahlows gehen wir hier nicht im einzelnen ein. Die Kritik hat alles Nötige dazu gesagt. Bahlow meint, wenn in Ortsnamen gleiche Wortausgänge vorliegen, dann seien auch die Stämme synonym, und aus vermeintlichen topographischen Indizien erschließt er Dutzende von „prähistorischen“, vor-germanischen Synonymen für ‘Wasser, Sumpf, Modder, Fäulnis, Schmutz, Schlamm’ „eine Fülle vorgeschichtlichen Wortgutes, das in keinem Wörterbuch der Welt zu finden ist“. Dabei unterläuft ihm ein grundlegender Denkfehler, wenn er meint, er könne aus den (heutigen) topographischen Gegebenheiten der Lage eines Ortes das Benennungsmotiv der Namengebung erkennen. Er sieht zudem nicht, daß der Namengeber schöpferisch frei war, daß er aus der Fülle der Merkmale und Assoziationen beliebig herausgreifen konnte. So wirken Bahlows vorzeitliche Dorfbewohner seltsam limnoman. – Bahlow kann auch keine Parallelen dafür nennen, daß irgendwo eine Onymie so einseitig und eng nur ein bestimmtes Wortfeld herangezogen habe. Ausführlichere Stellungnahmen zu Kuhns These liegen bisher vor von W. Meid (1964b, S. 104 ff.); W. Foerste (1960, S. 98 und 1961, S. 76); L. Weisgerber (1968, S. 427–436); J. de Vries (1963, S. 69 ff.); J. Herbillon (1963, S. 104 ff.) [Herbillon findet für Kuhns Beitrag „Das Zeugnis der Namen“ Worte höchster Anerkennung: „on ne peut qu’admirer le caractère original et, on serait tenté de dire, génial [...]“. Konkrete Einwände erhebt er gegen Kuhns Ansetzung der Grenze der keltischen Ortsnamen in Belgien. Er selbst nimmt den Lauf der Maas als Grenze an.]. S. Gutenbrunner (1963, S. 664 f.) [kritisch].

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vorkam – die Gründe kennen wir nicht –, seien niederdeutsche Namen mit p im Anlaut fremder Herkunft verdächtig. Das Keltische scheide dabei als Quelle aus, da es ja altes idg. p verloren habe.10 Kuhn nennt an Siedlungsnamen Peine (alt Pagin), ferner Paderborn, Plore, Petze usw., Flußnamen wie Pfiefe, Pleis, Perf und auch eine Fülle von Appellativen (1961). Der Sachverhalt ist folgender: die ererbte Leerstelle (case vide) im Phonemsystem hat sich im Germanischen im Lauf der Jahrtausende mit Material verschiedenster Herkunft wieder aufgefüllt, einmal durch Fremdwörter wie lat. pondus > pund, vgl. dazu V. Brøndal (1917), dann durch das Eintreten des Okklusivs für den Frikativ, vgl. K. Roelandts (1962), ferner wohl auch durch die niedersächsische und niederländische Verschärfung b > p, durch die z.B. bluisteren ‘flüstern’ zu pluisteren wird11 und die gerade in Eigennamen wirkt, aber auch in Lehnwörtern, vgl. roman. bosteie ‘Bastei’ zu posteie usw. Es wäre also geboten gewesen, zunächst mit Vorgängen in geschichtlicher Zeit zu rechnen. Eine ausführliche Diskussion dieses zum anlautenden p- von Kuhn zusammengestellten Materials, die hier nicht geleistet werden kann, bleibt notwendig.12 Die wichtigste Rolle aber spielen in Kuhns Argumentation die Suffixe. Er schreibt dieser Sprache seines ‘Nordwestblocks’ z.B. ein -k-Suffix zu: es trete auf in Ortsnamen wie Armike, Budeken, Delecke, Gesecke. Da es in Kuhns Argumentation mehr am Rand bleibt, gehen wir auch hierauf nicht ausführlicher ein; es sei nur darauf hingewiesen, daß es sich doch ohne Schwierigkeit als die germanische Entsprechung des idg. Suffixes -g- verstehen läßt, das z.B. in griech. EI^GJL, EI^GJ
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Dagegen ist einzuwenden, daß das Festlandkeltische neuentstandenes p aus alter labiovelarer Tenuis haben kann (wie der britannische Zweig des Keltischen), vgl. Weisgerber (1969, S. 64 f.). Heinrich Wesche (1961) und F. de Tollenaere (1970, S. 1 ff.). William Foerste (1961, S. 76) schreibt zu Kuhns p-Wörtern: „Kuhns Material ist in der Tat eindrucksvoll, wenngleich bei genauerer Untersuchung der einzelnen Wörter zweifellos manches ausgeschieden werden muß.“ Als Beispiele für Entlehnungen aus romanischen Sprachen nennt er dann platt, pfette, pfennig, pfeife, prammen, premsen, palmen, pal. – S. Gutenbrunner (1963, S. 564 f.) weist darauf hin, daß germ. p auch in alten Lehnwörtern auf gallisches b zurückgehen könne, das idg. b, bh, g j, g jh fortsetze. Vgl. Birkhan (1970, S. 192 Anm. 322 und S. 403 Anm. 1037).

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kei, Baukei, Bramei, Buschei, Dornei, Ekei, Erlei, Haberey, Haselei, Holtei, Hülsei, Lorey vorliegt. Kuhn erkennt, daß das Stammwort deutsch ist; fast immer liegen Baum- oder jedenfalls Pflanzennamen vor. Er fährt dann fort: „Aber das Suffix ist vorgermanisch, wahrscheinlich sogar nichtindogermanischer Herkunft. Es ist das -Ɲj- der AltƝia, AquilƝia, PompƝii, VellƝia.“ Kuhn sucht also die nächsten Verwandten auf dem Boden der Apenninhalbinsel, und da in einer vorlateinischen, voroskischen Schicht. Gegenüber dieser weit hergeholten Verknüpfung hat zweifellos H. Dittmaier (1963b) recht, wenn er zeigt, daß das Suffix -ei schon in altsächs. saharai n. ‘Sumpfgras’ vorliegt, welches eine genaue Entsprechung in ahd. saharahi besitzt. Das ndd. -ei / -ey entspricht also dem oberdt. Suffix -ach < -ahi< -ahja- in Ortsnamen wie Aschach, Espach, Darnach, Stockach, die Kollektivbildungen zu Esche, Espe, Dorn, Stock sind. Auch die Ortsnamen Birkehe a. 1035, heute Berka; Buchehes, heute Buches bei Büdingen, Espehe a. 1244; Heselehe a. 1293; Spurkehe a. 1059 zu spork ‘iuniperus’ usw. zeigen dieses Suffix. – Mit diesem Nachweis weiter Verbreitung dieses Suffixes (in verschiedenen jüngeren Lautformen) entfällt seine Zuweisung an den Nordwestblock.14 Dittmaier (1963b, S. 6) nennt mit Recht Kuhns Erklärung des Suffixes „ganz abwegig“. Als ein weiteres Suffix setzt Kuhn ein -andr- an.15 Wieder greift er weit in die Ferne (1959, S. 17 f.), zu den kleinasiatischen Flüssen Maiandros und Skamandros und zu der troischen Seherin Kassandra, den griech. Tierbezeichnungen H6A6BUC9G6 ‘Salamander’ und @UA6C9GD0 ‘Lerche’. – Was Kassandra angeht, so ist ihr Name so rein griechisch wie der von Alexander oder Menander; das Grundwort bildet der Stamm C=G / C:G / CG-, bei dem sich zwischen unmittelbar benachbartem n und r ein Gleitlaut d eingestellt hat, wie im Genitiv C9Gn0 usw. oder in der alten dt. Form Fähndrich oder dem niederdeutschen Vornamen Hendrik für Heinrich.16 Das ist also ein klarer lapsus calami. Über die kleinasiatischen Flußnamen ist schwer zu urteilen, sie mögen phrygisch oder hethitisch-luwisch 14

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Zur Etymologie und Semantik des Suffixes vgl. W. Meid (1967, § 146); Förstemann & Jellinghaus (1913–1916, S. 563) erklärten den Ausgang -ei falsch als „das in westfälischen Ortsnamen oft auftretende Wort für einen eiförmig zulaufenden Landstrich“. Dies Suffix hat als erster Henning (1922) in diesen Zusammenhang gezogen. Das Namensmaterial stammt aber von Franz Cramer (1901) und zum Teil schon aus Quirin Esser (1884). Schon Esser zog – aber mit klar ausgesprochenem Zweifel – die Flußnamen Akalandros (in Lukanien), Skamandros, Maiandros heran. Er rechnete mit einem (ad hoc angesetzten) Substantiv *andro- ‘Wasser, Bach, Fluß’. Dieser Übergangslaut -d- existiert auch sonst in mehreren deutschen Dialekten; fürs Mittelniederdeutsche vgl. A. Lasch (1914, §§ 309 und 325).

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sein.17 – Aber auch bei den von Kuhn herangezogenen Ortsnamen aus den Niederlanden und Westdeutschland wird man nicht mit einem Suffix -andrrechnen, sondern mit alten n-haltigen Stämmen, an die ein -r- oder -drSuffix angetreten ist. Ein paar Beispiele dafür: l. Der Travendrebach, vgl. Pokorny (1938a, S. 118) (gebucht a. 1144 und 1193), heute im Ortsnamen Trarbach erhalten, fließt in die Mosel; ihm gegenüber liegt der Ort Travana, heute Traben. Der Bachname leitet sich von diesem Ortsnamen ab (so auch Gysseling 1960, S. 1118 Anm. 1). Das -nist also stammhaft. Das dann anzunehmende -ro-Suffix wäre dasselbe, das – wieder mit Dentaleinschub – in nhd. finster, die Nüstern, wohl auch mit Streitberg (1896, § 130,1) im Völkernamen Austrogoti vorliegt. 2. Der Völkername Texuandri, den Plin. nat. 4,17 bezeugt, leitet sich m. E. vom germ. Adjektiv *tČȤswǀn- / tČȤswan-, vgl. got. taíhswa ‘rechts’ ab, das ja (im Gotischen) nur schwach dekliniert, also n-stämmig, vorkam. Es bedeutet oft auch ‘südlich’. Diese Etymologie stammt schon von H. Kern (1872); vgl. J. Mansion (1924, S. 84). Kern rechnet im Völkernamen hinter dem Stamm mit einem ‘Lokativsuffix’ -tra. Gemeint ist wohl das idg. Suffix *-tero, germ. *-ÿra-, das bei paarweisen Gegenüberstellungen zum Ausdruck der kontrastierenden Funktion benutzt wird. Es liegt auch vor in nhd. der andere usw.18 – Ähnlich schon M. Schönfeld (1911, S. 224 f.) und E. Norden (1920, S. 383). – Die von J. Vannerus (1944, S. 395 ff.) in Anlehnung an J. Mansion vorgeschlagene Variante, im Grundglied den Stamm wandern zu suchen, entfällt damit. Sie brachte auch zu viele morphologische und semantische Unwahrscheinlichkeiten mit sich. Der Artikel bleibt aber wertvoll, weil er das gesamte Material sorgfältig zusammengestellt bietet. 17

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Im Fall des Skamander könnte man allenfalls den Pflanzennamen H@6BB°C>DC heranziehen – eine Deminutivbildung, die ein H@UBBKC voraussetzt, zu dem mit Suffix -ro- (oder -dro-) und Ablaut (-mǀn- : -mþnþ- þ) der Flußname passen würde. Auch hier wäre dann eventuell ein dentaler Gleitlaut eingetreten. – Beim Flußnamen '6¼6C9GD0 möchte man zunächst an den Volksnamen der '6¼DC:0 denken; wenn diese Verknüpfung Stich hält, dann liegt wieder die Fuge hinter dem stammauslautenden n. (So schon V. Georgiev 1957, S. 155 und 158 ff.; wenn er aber in -dr- einen Rest von idg. *drojo- ‘Wasserlauf’ sieht, können wir ihm nicht folgen.). – 1967 (S. 15) nennt Kuhn noch einen angeblich phrygischen Flußnamen Alandros. Doch gelten die Stellen Liv. 38,15,15 und 38,18,l allgemein als korrupt. Alandri fontes wird zu Mandri oder Alexandri f. verbessert. Morphologisch wäre dann also mit dem Völkernamen Texuandri das griech. Adj. GG^CI:GD0 zu vergleichen. Ein Unterschied besteht nur in der fehlenden Abtönung. – Ein anderes Beispiel von verbautem -n-Stamm und Nasalsuffix ist ahd. hliumunt aus *lleumn-to-.

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3. Der heutige niederländische Ortsnamen Ijzendoorn heißt in den ältesten Belegen im 9. bis 11. Jahrhundert Isandra und Isendra. Sie stehen bei Förstemann (1913–1916, I, S. 1602) in einem ganzen Nest von Ortsnamen, die alle als Bestimmungswort den Metallnamen Eisen enthalten: Isenpach, Isinberge, Isinburg, Isandal, Isinuurta, wohl auch Isendik in der Provinz Zeeland. Das legt es nahe, auch hier den morphologischen Schnitt hinter dem -n anzusetzen und -ra (mit dentalem Gleitlaut) als suffixales Element abzutrennen.19 Noch anders liegt der nächste Fall. 4. Im Itinerar des isländischen Benediktiner-Abts Nicolaus von Thingör20 aus der Mitte des 12. Jahrhunderts wird ein Ortsname Kiliandr genannt, der in Norddeutschland zwischen Paderborn und Mainz gelegen haben muß. Er tritt sowohl in der lateinischen wie in der isländischen Version des Reiseberichts in der Form Kiliandr auf.21 Da aber die lateinische Version hier sekundär ist – bloße Übersetzung der wenig bekannten peripheren Sprache –, muß man zweifellos vom Isländischen ausgehen, und dort ist natürlich das r von Kiliandr die Nominativendung, genau wie im folgenden Satz bei Gnitaheidr oder im Landesnamen Noregr. Ob der übrigbleibende Stamm Kiliand- sich weiter deuten und an bekannte Namen anschließen läßt, ist in unserem Zusammenhang – da wir nun auch hier das angebliche Suffix -andr- losgeworden sind – weniger wichtig. Schon Förstemann (1913–1916, I, S. 1672) hat gesehen, daß darin vielleicht der Heiligenname Kilian steckt. Man möchte an einen Ort mit einem (auf frühe Würzburger Mission zurückgehendes) Kilianspatrocinium denken; der müßte nicht unbedingt offiziell nach dem Heiligen geheißen haben. – Bei diesem ¿E6L A:
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Für den Ortsnamen Zevender (1247 Zeuendre, 1253 Suvendere, 1357 nevens der Zevendaer) haben Gysseling & Blök (1959, S. 3 Anm. 7) richtig mit einem „anorganischen d “ gerechnet. – Zevenaerbroec ist a. 1343 noch belegt. Früher zitiert nach Werlauff (1821). – Heute ist zugrunde zu legen: Kr. Kålund (1908, S. 12 ff.), Post bidui iter Paderborna attingitur; ibi sedes episcopalis ad ecclesiam S. Liborii, in eadem sepulti. Inde quatridui iter ad Moguntiam. Inter has extant pagi Horus et Kiliandr dicti; sunt quoque ibi tesqua Gnitaheidr, in quibus Sigurdus Fafnerem interfecit. – Und isländisch: þar i milli er þorp, er Horus heitir, annat heitir Kiliandr [...]. Der alte Vorschlag, Kiliandr mit dem Ortsnamen Kaldern an der oberen Lahn, nordwestlich von Marburg, zu identifizieren, ist – wie mir der Spezialist für Straßengeschichte Dr. Herbert Krüger (Gießen) schreibt – wegen der abseitigen Lage von Kaldern unwahrscheinlich. Krüger selbst hält den Ort Korbach in Hessen we-

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Suffix aber bezeichnet Kuhn das Suffix -st- und nennt dazu Ortsnamen wie Segeste bei Hildesheim, Leveste südwestlich Hannover usw. Seine Liste umfaßt da über 30 Belege. Dies Suffix verknüpft er dann mit dem berühmtberüchtigten ‘Leitsuffix’23 des früher ja in weiten Teilen Europas angesetzten Illyrischen.24 Er erinnert also an Ortsnamen wie Tergeste / Triest,25 an Segesta auf Sizilien und Pannonien, an den Stamm der Burnistae in Dalmatien usw. Da hier ein Kernstück seiner Argumentation liegt, wenn er auch durchaus noch weitere Suffixe und Namenstämme dieser nicht-germanischen, aber indogermanischen Schicht zuschreibt, sei dieser Punkt etwas genauer überprüft. Wieder können wir freilich nicht das ganze Material Kuhns durchgehen. Wir greifen aber einige dieser Ortsnamen heraus und behaupten, dass sie sich tadellos germanisch etymologisieren lassen: als Ableitungen mit einem Dentalsuffix von germanischen -iz-Stämmen. Diese germanischen Bildungen entsprechen in ihrer Formation genau dem lat. Adj. venustus, to-Ableitung zum s-Stamm venus, veneris, oder dem griech. Per-

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gen seiner frühen Kilianskirche und wegen seines wichtigen Straßenschnittpunktes für Kiliand ! – F.P. Magoun Jr. (1944, bes. S. 323) erwägt, Kiliandr mit Kilianstädten nördlich von Hanau (Hessen) zu identifizieren (freundlicher Hinweis von K. Düwel.) – Zur Frage der Lokalisierungsversuche vgl. noch R. Wisniewski (1967, S. 169 f.). Diesen nach dem Terminus ‘Leitfossil’ der Paläontologen gebildeten Ehrennamen verleiht schon Krahe diesem (in mehreren Fällen nur vermeintlichen) Suffix (z.B. 1949c, S. 14). Und viele sprechen es ihm unkritisch nach. – In seinem ersten Buch Die alten balkanillyrischen geographischen Namen (1925, S. 68. 71 usw.) hatte Krahe -st- als typisch illyrisch erklärt, er hatte aber noch (wie schon W. Schulze 1906, S. 46) gewußt, daß es sich oft bloß um die t-Erweiterung eines s-Stammes handelt. Hier hat Kronasser (1962, S. 5 ff. und 1965, S. 155 ff.) temperamentvoll gegen die zu falschen Schlußfolgerungen führende riesige Ausweitung des Volksnamens polemisiert. Krahe selbst ist in seinen letzten Arbeiten davon abgerückt, fast überall in Europa mit ‘Illyriern’ (‘Nord-Illyriern’ usw.) zu rechnen. Aber selbst dieses Prunkbeispiel der Illyrierforschung ist nicht ohne Makel. Krahe (1955, I, S. 105 und öfter) nahm die alte Etymologie G. Meyers (1892, S. 323 f.) auf, nach der in Tergeste eine illyrische Entsprechung von altbulg. tɴrgɴ ‘Markt’ und das st-Suffix stecke. Demgegenüber ist aber festzustellen, daß eine ältere Form des Ortsnamens .^<:HIG6 gelautet hat, so bei Steph. Byz. s.v., der aus Artemidor (um 100 v. Chr.) noch die Form .^G<:HIGDC zitiert. Vgl. noch Ptol. 3,1,23. (Die Belege bei A. Karg 1941/42, S. 123 f.) Damit verliert die Verknüpfung mit dem Wort für ‘Markt’ die Überzeugungskraft; mindestens gleichwertig wäre eine Anknüpfung an idg. *tegos- ‘Dach, Haus’, das im Griechischen, Keltischen als sStamm vorliegt, oder auch an lat. tergus ntr. ‘Rücken, Rückseite’ (bzw. dessen venetisch-liburnische Entsprechung). Dann wäre mit einer suffixalen Erweiterung -tro / Ɨ- zu rechnen.

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sonennamen ])G^HI=0 (Suffix -tƗ-) zu €GD0 ‘Berg’. So steckt im Ortsnamen Lamesten der Tiername Lamm (germ. *lamȃiz-), bei dem noch heute sein Plural Lämmer auf den alten s-Stamm hinweist. Der Flußname Faristina setzt einen Ortsnamen *Faristi voraus, in dem *fariz- verbaut ist, ein altes Wort für ‘Stier’. Wir finden es noch in nhd. Farren und Färse. – In beiden Ortsnamen bildet also ein Tiername das Grundwort. Das Suffix -na liegt auch in den anderen Flußnamen Sigina ‘Sieg’, Amana ‘Ohm’ und Logana ‘Lahn’ vor. – Im Fluß oder Bach Burdist bei Remagen findet sich das germ. Subst. *borÿaz- / burÿiz-, nhd. Bord, Plur. Börder im Sinne von ‘Brett’. Es ist also wohl der mit einem Steg versehene Fluß. In Seguste liegt der Pflanzenname *seȤaz- / seguz- ‘Riedgras’ vor, dem wir schon oben S. 18 in der Form sahar- begegnet sind, in Bilisti analog das Bilsenkraut (germ. *ȃiliz-, *ȃiliza-), in Reemst germ. *Ȥramiz- ‘Bärenklau’, auch verbaut in süddt. Rams-au, also lauter Pflanzennamen, und in LƝveste schließlich der germ. iz-Stamm *8laiwiz- ‘der Grabhügel’. – Was diese Etymologien stark stützt, ist die Beobachtung, daß alle diese Substantive auch sonst sehr häufig in deutschen Ortsnamen auftreten, nur eben dann, da die s-Stämme schwinden, als -i-, -a- oder -u-Stämme. Zwar ist es nicht gelungen, das ganze Material, das Kuhn zusammengetragen hat, nun umgekehrt als germanisch zu deuten,26 aber das ist bei so altem und schlecht überliefertem Stoff auch nicht wahrscheinlich.27 Immerhin ließ sich zeigen, daß Kuhns Hypothese auf schwankendem Grund steht,28 seine Behauptung, die Germanen hätten bei ihrer Ausbreitung nach 26

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Dagmar Schmidt (1970, S. 54 f.) hat mit Recht Kuhns Verknüpfung der germanischen Ortsnamen und Flußnamen Itter mit baskisch (!) iturri ‘Quelle’ abgelehnt. Im Fall des Ortsnamen Tricasti (in Thüringen), den Kuhn hier einreiht, steht bei Förstemann (1901, Sp. 1057) der Vorschlag, ihn slawisch als tri chosty ‘drei Zipfel’ zu deuten. Ist das so ausgeschlossen, daß man es ohne Diskussion beiseitelassen darf? Dieser Ortsname liegt jedenfalls ein ganzes Stück außerhalb des sonst ziemlich geschlossenen Gebiets dieser Bildungen. W. Meid, der in Beiträge zur Namenforschung (1964b, S. 104 ff.) eine ausführliche und kritische Rezension zu Hachmann, Kossack & Kuhn, Völker zwischen Germanen und Kelten, geschrieben hat, hat m.E. in seiner sonst ganz ausgezeichneten Wortbildungslehre (1967) den Thesen Kuhns noch zuviel Raum eingeräumt, vgl. S. 215 zum germ. -k- Suffix, S. 170 zum -st-Suffix. – William Foerste schreibt in der „Chronik“ der Zeitschrift Niederdeutsches Wort 1 (1960, S. 98): „Ein kritischer Leser des Kuhnschen Aufsatzes wird gewiß manches Fragezeichen an den Rand setzen, er wird vielleicht zweifeln, ob z.B. die Suffixe -k-, -s- und -ei (etwa in Ardei) wirklich nicht-germanisch sind, wie der Verfasser annimmt. Eine genauere namenkundliche Erforschung des deutsch-niederländischen Nordwestens wird im einzelnen gewiß manche Korrektur erforderlich machen. Aber aufs Ganze gesehen ist die von Kuhn herausgeabeitete namengeographische Sonderstellung des Nord-

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Südwesten das Land zwischen Aller und Rhein beidseitig umgangen, hat wesentliche Stützen verloren. (In einem Aufsatz, der demnächst in der Zeitschrift für Vergleichende Sprachforschung erscheint, wird für eine Reihe norddeutscher Ortsnamen mit -st-Ausgang eine germanische Etymologie vorgelegt.) Wir dürfen auf Grund dieser Etymologien gerade umgekehrt den Schluß ziehen, daß wir hier in Nordwestdeutschland und den Niederlanden besonders altes germanisches Namengut haben. Das war auch nicht anders zu erwarten, denn wir sind hier nahe dem alten Kerngebiet der Germanen in Schleswig, Jütland und Südskandinavien.29 Was wir hier greifen, ist offenbar die Verbreitung des Nordseegermanischen plus Weser-Rhein-Germanischen (nach F. Maurers Terminologie) in einem bestimmten Moment der Landnahme. All den oft verwegenen Versuchen, die wir gemustert haben, ist es also nicht geglückt, ein vor-germanisches Substrat nachzuweisen.30 Im Bereich der Sprache scheint sich demnach die Meinung des Tacitus in der Germania 1,2 zu bewahrheiten: Ipsos Germanos indigenas crediderim minimeque aliarum gentium adventibus et hospitiis mixtos ‘Die Germanen selber möchte ich für Ureinwohner / Autochthonen halten und keineswegs für gemischt infolge von Zuwanderung und gastlicher Aufnahme fremder Stämme.’ – Das ist freilich kein Anlaß zu Stolz31 auf die vermeintlich sprachlich puris-

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westblocks – besonders deutlich in den -apa-Flußnamen faßbar – nicht zu verkennen.“ – Diese ‘Sonderstellung’ wird man insofern einräumen können, als hier im Nordwesten besonders alte germanische Namenstämme und Namenbildungen erhalten sind; auf die Kernthese Kuhns, es liege nicht-germanisches Gut vor, geht Foerste hier nicht mit der nötigen Deutlichkeit ein. Schon A. Bach (1954, § 476) betont völlig richtig: „Ganz Norddeutschland ist ja ein großes Reliktgebiet, in dem sich viel Wortgut erhalten hat, das im deutschen Süden untergegangen oder nie gebraucht worden ist.“ Wenn Kuhn (1967, S. 4) sagt, daß „diese schwerwiegende Leugnung nichtindogermanischer Namen [...] nirgends begründet und [...] selbstverständlich unbeweisbar“ sei, so ist dem entgegenzuhalten, daß die Beweislast bei denen liegt, die eine solche Entität postulieren. Die Kritik hat dann das vorgelegte Material zu prüfen; nur zu ihm kann sie ihr Urteil abgeben. Eine pauschale positive Behauptung, es habe gewiß überhaupt keine nicht-germanischen oder nicht-indogermanischen Sprachspuren in Nordwestdeutschland gegeben, bliebe in der Tat unbeweisbar. Zwar habe ich hier frühe Entlehnungen des Germanischen aus einer Substratsprache für unwahrscheinlich erklärt; andererseits muß ich aber den heute noch in zwei bekannten Handbüchern zustimmend zitierten Satz von H. Arntz (1936, S. 447 f.) als grundfalsch bezeichnen: „Es ist nicht zu widerlegen, daß das Germanische möglicherweise die gesetzmäßige Fortentwicklung des Indogermanischen darstellt.“ Dazu ist zu sagen: jeder der großen Sprachzweige, das Indische, das Griechische, das Germanische, das Slawische, hat sich teils langsamer, teils schneller

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tischen Ahnen, denn die Ursache dürfte einfach darin liegen, daß die Germanen bei ihrem ersten Ausgriff nach Südwesten und Süden noch nicht mit Völkern in Berührung kamen, die ihnen kulturell wesentlich überlegen waren, von denen sie mindestens in bestimmten technischen Bereichen hätten lernen können. Das Beispiel der Inder, Griechen und Hethiter, wo kleine Wanderscharen in die Gebiete hochentwickelter Stadtkulturen eindrangen, deutet darauf hin, daß zur Entstehung von klar nachweisbaren Lehnwörterschichten ein solcher erheblicher Niveau-Unterschied in Kultur und Zivilisation und wohl auch eine gewisse Besiedlungsdichte des neubetretenen Gebiets Voraussetzung sind.32 Für die spätere Zeit, in der der Kontakt mit den Römern die Germanen den Steinbau, die Kenntnis des Weins und des Gartenobstes, der Schrift und mancher Berufstechniken lehrte, hat es die Wortforschung leicht, die Bündel von entliehenem Gut nachzuweisen. Die deutsche Sprache entleiht dann aus dem Latein, später auch aus dem Französischen, Englischen, Italienischen viele Hunderte von Wörtern; teils wird der fremde Wortkörper beibehalten, teils regt er zu einer Lehnprägung an. Diese Sprachen helfen, den Weg abzukürzen, den das Deutsche gehen muß, bis es selbst zur reifen Kultursprache geworden ist, in der man alles ausdrücken kann. – Aber für den Anfang der germanischen Sprachgeschichte, im ersten vorchristlichen Jahrtausend, können wir als sicher entlehnt nur einige Wanderwörter wie den Metallnamen Silber, den Pflanzennamen Hanf und vielleicht den der Obstsorte Apfel nachweisen. Selbst die Entlehnung aus dem benachbarten Keltischen hat einen bescheidenen Umfang und ist wesentlich auf das Gebiet des politischen und rechtlichen Wortschatzes beschränkt. Die Substrattheorie rechnet zu einseitig nur mit der Berührung verschiedener Volkstümer als Ursache von Sprachveränderungen. Inzwischen haben wir gelernt, daß es systeminterne Impulse zur Änderung gibt – sie gehen öfter vom Phonem-System33 aus, vermögen aber alle Ebenen zu ergreifen. Diese wesentliche Erkenntnis verdanken wir dem Strukturalismus. – Ferner hat O. Höfler (1955, S. 30 ff.; 1956a, S. 11 ff.; 1956b, S. 158–174) den fruchtbaren Begriff der ‘Entfaltung’ in das Gespräch eingeführt, und schließlich sehen wir jetzt deutlicher, daß innerhalb einer Sprache viele So-

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vom Typus der Grundsprache wegbewegt. Weder im Umfang des Bewahrten noch im Tempo der Neuerung hat das Germanische eine extreme Position; nirgendwo besteht ein Grund, ihm eine bevorzugte Sonderstellung zuzuschreiben. Ähnlich urteilt B.A. Crossland (1967, S. 39). Das bedeutet, daß auch für die Lautverschiebung kein Substrateinfluß als Movens angenommen werden muß. Treffend formuliert Hammerich (1955, S. 203): die germanische Lautverschiebung sei „das Ergebnis langsamer Strukturveränderungen“.

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ziolekte übereinander- und nebeneinanderstehen und aufeinander wirken, so daß also das Sichtbarwerden von Neuerungen auch darauf beruhen kann, daß sich eine Eigenheit der (oder einer) Unterschicht durchgesetzt hat.

Die Sprachverhältnisse in den germanischen Provinzen des Römischen Reiches [Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. II. Berlin/New York 1983, S. 1061–1088]

Inhalt I. Vorbemerkungen 1. Die geographische Begrenzung 2. Die Materialgrundlage 3. Methodische Überlegungen II. Die Substrathypothesen 1. M. Gysseling 2. I. Devleeschouwer 3. H. Kuhn III. Germania inferior 1. Bataver und Cananefaten 2. Germani cisrhenani 3. Ubier IV. Germania superior V. Exkurs: Die Treverer VI. Ergebnisse VII. Literaturverzeichnis

I. Vorbemerkungen 1. Die geographische Begrenzung In diesem Beitrag soll versucht werden, einige Aussagen darüber zu machen, welche Sprachen es in Germania Inferior und Germania Superior im ersten nachchristlichen Jahrhundert gegeben hat. Diese beiden Gebiete sind freilich erst in der Zeit zwischen 82 und 90 nach Chr. unter Domitian so

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abgegrenzt worden. Von da an sind die beiden ursprünglichen Militärbezirke regelrechte kaiserliche Provinzen. Nachdem dann um 260 die rechtsrheinischen Gebiete verlorengegangen waren, wurden die verbliebenen Teile neu benannt: Germania Superior hieß von nun an Germania Prima (und Maxima Sequanorum); Germania Inferior erhielt den Namen Secunda. Unter diesen Bezeichnungen haben sie bis in den Anfang des 5. Jahrhunderts fortbestanden. Unser Berichtszeitraum erstreckt sich also nur über die Zeit von a. 90 nach Chr. bis rund 400 nach Chr.; doch hat es sich als notwendig erwiesen, die (nicht sehr zahlreichen) Nachrichten aus der Zeit Caesars und dem ersten Jahrhundert der Kaiserzeit mit einzubeziehen, zumal der Rhein, der die Germania Inferior im Osten begrenzte, schon von Caesar und dann wieder von Augustus als Grenze des Reichs festgelegt worden war. Ebenso ist es gelegentlich – um das Bild abzurunden – nötig, Quellennachrichten aus der Provinz Belgica mit heranzuziehen, die ja in ihrem Ostteil fast die ganze Südgrenze der Germania Inferior berührt. 2. Die Materialgrundlage Unsere Kenntnis von dieser Zeit und diesem Raum ruht so gut wie ausschließlich auf den lateinischen epigraphischen und literarischen Zeugnissen. Die Inschriften sind in CIL XIII zusammengestellt (dazu vgl. die Nachträge von Finke, Nesselhauf und Lieb), sie entstammen in ihrer Hauptmasse dem 1. bis 3. Jahrhundert nach Chr. Geb. Auf die Frage, wer die Menschen sind, denen wir diese Inschriften verdanken, gibt jetzt Herman (1978, S. 110) eine knapp zusammenfassende Antwort: il faut en effet supposer que la population épigraphique se composait, d’une part, de personnes de langue maternelle latine (fonctionnaires, colons, marchands, soldats originaires d’Italie), d’autre part de bilingues appartenant aux couches supérieures de la population autochtone, de langue maternelle autre que le latin, mais utilisant cette langue comme langue de prestige, langue officielle, ou simplement langue de communication.

Was demgegenüber die beiden epichorischen Gruppen – die Gallier und Germanen – an Inschriften auf Stein und Metall in ihrer eigenen Sprache hinterlassen haben, fällt nicht ins Gewicht; für das Gallische vgl. Whatmough (1970); die Germanen haben den Stein als Schriftträger in unserem Untersuchungsraum überhaupt noch nicht benutzt. Das bedeutet, daß wir Texte der epichorischen Sprachen und damit Kenntnis ihres Satzbaus, ihrer Grammatik, ihres Wortschatzes praktisch nicht zur Verfügung haben. Die Forschung ist so gut wie ausschließlich auf das onomastische Material angewiesen, auf einzelne Namen, die in lateinischem (selten in griechischem) Kontext stehen.

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3. Methodische Überlegungen Diese Begrenzung bringt zugleich die Gefahr von Fehlbeurteilungen in erhöhtem Maße mit sich: aus Namen Aussagen über die Sprache ihres Trägers gewinnen zu wollen, ist aus mehreren Gründen gefährlich: a. Schon die Antike hat fremde Namen gelegentlich der eigenen Sprache angepaßt. Das beginnt bei so harmlosen, aber meist konsequent durchgeführten Veränderungen wie der Einpassung der Namen in ein lateinisches (griechisches) Deklinationsschema, geht aber unter Umständen bis zu etymologischen Spielereien. Die fremden, z.B. germanischen Phoneme mußte der Lateiner notgedrungen mit den Mitteln des eigenen Alphabets wiedergeben. So sind manche Namen durch verschiedene Autoren in mehreren Graphien reproduziert worden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Wiedergabe des germanischen Phonems /8/. Es wird in lateinischen Texten als c, ch oder h, in griechischen als @ oder 8 wiedergegeben, gelegentlich anscheinend auch ganz weggelassen. Bei literarischen Quellen kommt erschwerend hinzu, daß die mittelalterlichen Abschreiber die ihnen ungeläufigen und unverständlichen ‘barbarischen’ Namen oft zusätzlich verstümmelt oder jedenfalls entstellt haben. – Beides erschwert eine Namensdeutung. b. Infolge der nahen Verwandtschaft von Keltisch und Germanisch kommen mehrere Namenselemente in beiden Sprachen vor; eine eindeutige Zuweisung ist dann nicht möglich. c. Es treten hybride Namen auf, d.h. Vorder- und Hinterglied oder Stamm und Suffix gehören verschiedenen Sprachen an. d. Wenn Personennamen hypokoristisch verkürzt oder gar zu Lallnamen geworden sind, ist eine ethnische Zuweisung noch einmal erschwert. (Bei der Bildung von Koseformen treten oft spontane Veränderungen des Lautstandes [besonders bei den Konsonanten] auf, die nicht mit ‘Lautgesetzen’ zu erfassen sind: Geminationen, Anlautverhärtung, Vereinfachung von Konsonantenverbindungen usw.) e. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit der Zweisprachigkeit: ein Träger z.B. eines germanischen Namens kann lateinisch und germanisch gesprochen haben. Ferner wissen wir, daß Germanen sehr früh keltische oder römische Namen angenommen haben. Schon R. Much (1920b, S. 48) führt aus, es könne als sicher gelten, daß die Sprache des mehr verfeinerten gallischen Nachbarvolkes auch in höheren germanischen Gesellschaftskreisen der Grenzbezirke gepflegt wurde. Damit mag es zusammenhängen, daß der Swebe Ario-

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vistus, der Ubier Excingus, der Friese Verritus, der Ampsivarier Boiocalus u.a.m. keltische Namen tragen. Freilich sind wir auch hier nicht überall sicher, ob uns nicht bloß keltische Formen überliefert sind.

Vgl. ferner Scherer (1955, S. 207), der von einer „modischen Bevorzugung der keltischen Namen“ spricht. f.

Die uns erhaltenen Inschriften sind nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung gesetzt worden. Den viel größeren Teil, der ‘epigraphischstumm’ bleibt, vermögen wir überhaupt nicht zu erfassen.

II. Die Substrat-Hypothesen Immer wieder sind seit dem 19. Jahrhundert weitgreifende Hypothesen über die Existenz von Substratsprachen in Gallien aufgestellt worden. Die älteren von ihnen können wir beiseite lassen, da sie das hier zu behandelnde Gebiet nur am Rande berühren, vor allem aber, weil sowohl die Hypothese Arbois’ de Jubainville von ligurischen Spuren in den Orts- und Flußnamen ganz Frankreichs wie die Pokornys von einem vorkeltischen Substrat in Gallien heute als wissenschaftlich überholt gelten dürfen. – Dagegen müssen drei neuere Vorschläge hier wenigstens skizziert werden, weil sie unsere Fragestellung berühren können. 1. M. Gysseling M. Gysseling verdanken wir das materialreiche und wertvolle Toponymisch woordenboek van België, Nederland, Luxemburg, Noord-Frankrijk en West-Duitsland (1960), das die Belege der geographischen Namen dieses Gebiets bis ins 13. Jahrhundert zusammenträgt. Auf dieser Sammlung aufbauend hat Gysseling in mehreren Aufsätzen (z.B. 1952, 1962, 1978) die These verfochten, daß sehr viele – und gerade die ältesten – Ortsnamen in diesen Gebieten (ausgenommen Friesland) weder aus dem Germanischen noch aus dem Keltischen stammen. Er rechnet mit zwei Substratsprachen, die er anscheinend für verwandt ansieht. Die nördliche stehe dem erschließbaren ‘Proto-Latein’ nahe, sie habe in Nordwest-Deutschland und im äußersten Norden Galliens geherrscht, die südliche dagegen lasse sich vor allem im Gebiet der Treverer nachweisen. Die nördliche habe idg. p j und k erhalten. Kennzeichnend für sie sei eine Fülle von Suffixen und Suffixverbindungen: -ana-, -ania-, -ara-, -arna-, -aba-, -ant-, -awo-, -asa-, -ala-, -eya-, -ante-, -ak-, -akia-, -ast-, -at-, -ask-, wobei die Vokale der vorletzten Silbe noch variieren können.

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Gysseling (1952, S. 69 ff.) schlägt vor, die nördliche Substratsprache ‘Belgisch’ zu nennen. Doch empfiehlt sich das nicht. Über die Sprache der Belgae hören wir bei Strab. 4,176 C, wo er über die Sprachverhältnisse Galliens im allgemeinen spricht: Dª B`C 9 IG>8‹ 9> GDJC, ]@J>I6CDv0 @6½ ^A<60 @6ADyCI:0 @6½ %^AI60 [...] oBD@GqC E6G6AAUIIDCI60 I6¾0 0.

Diese Stelle sagt deutlich, daß die sprachlichen Unterschiede nicht sehr groß (B>@GnC) waren; wir würden heute von ‘Dialekten’ innerhalb eines Sprachraums sprechen. (Bei Caes. Gall. 1,1, ist dieselbe Aussage vereinfacht, d.h. vergröbert.) Auch der Befund der Personennamen bei Whatmough (1970) deutet auf sprachliche Zugehörigkeit der Belgae zu den Festlandkelten (vgl. Neumann 1976b). Doch ergibt diese Substrathypothese – selbst wenn sie voll zuträfe – nicht unbedingt etwas für die uns hier beschäftigende Frage, welche Sprachen in der römischen Kaiserzeit in diesen Gebieten in lebendigem Gebrauch waren.1 Gysseling (1962, S. 9) rechnet selbst damit, daß schon um 50 vor Chr. Geb. das heutige Belgien zum wesentlichen Teil germanisiert und daß dadurch die nördliche seiner beiden Substratsprachen ausgestorben war. 2. I. Devleeschouwer Für ganz verfehlt muß die Hypothese Devleeschouwers gelten. Er behauptet, das Keltische habe im Norden und Osten Galliens eine uralische Sprache überlagert und verdrängt, die in ihrem Lautsystem dem Ur-Lappischen besonders nahe gestanden habe. Eine Bevölkerungsgruppe Galliens, die er „die Alpinen“ nennt, hält er für enge Verwandte der Lappen. Die Substratsprache sei noch in geographischen Namen, aber auch in Appellativen nachweisbar. Dazu legt Devleeschouwer zahlreiche Verknüpfungen vor: u.a. sei der Flußname Maas (lat. Mosa) verwandt mit lappisch mƗssu΅ ‘sich (im Bett) umherwälzen, rollen’; die Sensée (mittellat. Sate), links zur Schelde, gehöre zu lapp. þacce ‘Wasser’, ostjak. seþ ‘Flut’; die Ain (mittellat. Ignem, Ignis, Innis, altfranz. Enz) zu lapp. (d)ædno ‘Hauptfluß’, finn. enä- ‘groß’. Die mehrfach vorkommenden Ortsnamen Waret (in den Provinzen Namur, Lüttich und Landenne) sollen mit Hilfe von lapp. varre 1

Das gilt erst recht für die Sprache (oder Sprachstufe), die hinter Krahes ‘Alteuropäischer Hydronymie’ steht. Auch sie gehört in wesentlich frühere Zeiträume. (W.P. Schmid hat sie geradezu mit der indogermanischen Grundsprache identifiziert, vgl. Schmid 1968.)

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‘Berg, Wald’ zu deuten sein. – Bei den Appellativen gehöre franz. pot ‘Topf’ zu finn. pata ‘Kochtopf’, franz. pièce ‘Stück’ zu finn. pätkä ‘rechteckiges Stück, Stummel’, franz. motte ‘Erdbrocken, Ballen, Hügel, hochliegendes Schloß’ und ital. motta zu finn. maa ‘Erde’, dessen ur-uralische Vorform *mayĊ gelautet habe. – Wallon. tchîwe ‘hängender Stein, Stalaktit’ gehe vermutlich auf ur-finno-ugr. *kiwe (finn. kivi) zurück. – Wir haben hier nur eine Auswahl der vorgeschlagenen Verbindungen vorgestellt, sie alle sind als bloße Anklänge zu bewerten, die oft nicht einmal deutlich sind und erst über mehrere Rekonstruktionsstufen zustandekommen. Alle Fragen nach der Wahrscheinlichkeit und Nachweisbarkeit ethnischer und sprachlicher Zusammenhänge über so große Entfernungen hinweg bleiben bei Devleeschouwer ausgespart. Devleeschouwer hat weitere Arbeiten zu diesem Thema angekündigt. 3. H. Kuhn Wieder anders lautet die Hypothese H. Kuhns von einem ‘Nordwestblock’. Er hat sie in einer Reihe von Aufsätzen und in seinem Beitrag zu Hachmann, Kossack & Kuhn dargestellt und durch immer weiteres Material zu stützen versucht. (Die meisten dieser Aufsätze sind jetzt in Kuhn, Kleine Schriften, Bd. 3 und 4, wieder abgedruckt.) Kuhn rechnet damit, daß die Germanen bei ihrem Ausgriff nach Westen und Südwesten auf zwei weit voneinander getrennten Wegen vorgerückt seien. Der eine Vorstoß habe vom Ostufer der Aller aus an der Nordseeküste entlang dazu geführt, daß der gesamte Schelderaum – im wesentlichen vor der römischen Kaiserzeit – germanisiert worden sei. Träger dieses Vorstoßes seien die Nervier und die Germani cisrhenani gewesen. Der südliche Vorstoß habe von der Rhön an den unteren Main geführt. Von diesen beiden Ausgriffen sei ein großes Gebiet zwischen Aller und Rhein umklammert worden. In diesem ‘Block’ habe sich eine vorgermanische (und nicht-keltische) Sprache lange halten können. Die Germanisierung habe sich dann nach und nach in einem „langsamen und ziemlich ruhigen Übergang“ vollzogen. Aber nicht nur große Teile Nordwestdeutschlands, sondern auch die Niederlande und weitere im Süden anschließende Gebiete seien erst dann germanisch geworden, als die erste Lautverschiebung im wesentlichen abgeschlossen war. Das habe die Folge gehabt, daß da der indogermanische Lautstand in vielen Namen von Orten und Personen erhalten geblieben sei sowie bei Appellativen, die dann ins Germanische übernommen wurden. (An ihrem älteren Lautstand könne man sie – mit Hilfe der Etymologie – erkennen.) – Diese „dritte Volksgruppe“, dieses Volkstum „zwischen Germanen und Kelten“ habe eine indogermanische Sprache gesprochen, aber auch noch ältere vor-indogerma-

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nische Elemente bewahrt. Man fasse in ihr „die letzten Reste der westlichen Indogermanengruppe“, die nach der Ethnogenese von Germanen und Kelten übriggeblieben seien. Kuhn nennt vor allem bestimmte Nominalsuffixe wie -st-, -ndr-, -ey als kennzeichnend für die Ortsnamen, die diesem ‘Nordwestblock’ angehören; aber auch die Kompositionsbildungen mit dem ‘Wasserwort’ apa rechnet er hierher, ferner bei Personennamen die Suffixe -iso / -isa und -k-, und schließlich trügen sowohl Appellativa wie Namen, die diesem ‘Block’ angehörten, besonders häufig im Anlaut die Tenues p-, t- und k-. Zu den beiden hier nur skizzierten Substrat-Hypothesen von Gysseling und Kuhn fehlt bisher eine eingehende kritische Prüfung sowohl der Prämissen wie der einzelnen Beispiele. Das kann hier nicht nachgeholt werden; für Kuhns Hypothese sei auf die Rezensionen von Meid (1964b), Kraft (1964) und Wesche (1966) sowie auf Birkhan (1970) und Neumann (1971) verwiesen (dazu die Replik Kuhn 1977). – Im folgenden wird Kuhns Material nur dort – und auch nur in Auswahl – herangezogen und bewertet, wo es in unsere Berichtsräume gehört. Grundsätzlich ist zu bedenken: wer den Ansatz einer Substratsprache hier in Westeuropa verficht, unternimmt es, eine untergegangene sprachliche Individualität bloß aus Resten und Spuren in einer anderen (der siegreichen) Sprache nachzuweisen. Er vermag sich weder auf Texte noch auf ausdrückliche Aussagen über die Existenz eines solchen Idioms zu stützen. Daher befindet er sich stets in der Gefahr einer methodischen Einseitigkeit: er sammelt möglichst alles, was sich – z.B. im Germanischen – nicht gut und leicht mit den bewährten Methoden der Sprachvergleichung und den bekannten Lautgesetzen auf germanischen Ursprung zurückführen läßt. Dabei kommt ihm zu wenig in den Blick, daß sich mindestens wesentliche Teile seines Materials auch anders erklären lassen: durch Vorgänge wie Wortkreuzungen, spielerische Lautveränderungen, Bewahrung von Archaismen usw.

III. Germania inferior 1. Bataver und Cananefaten Die Bataver stammen nach Tac. Germ. 29 und hist. 4,12 von den Chatten ab. Im Rheindelta (insula Batavorum) haben sie sich vielleicht schon vor 60 vor Chr. Geb. niedergelassen. Von 12 vor Chr. Geb. ab waren sie eine civitas stipendiaria des Römischen Reiches. Darum sind sie hier in die Erörterung einbezogen. Freilich gibt es über ihre Sprache kaum Quellen. Nicht-lateinische Inschriften existieren nicht, so sind wir auf das Zeugnis

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der Namen angewiesen. Der Stammesname selbst hat eine gute germanische Etymologie.2 Dasselbe gilt für mehrere Götternamen: für den bei ihnen (aber auch bei Cugernern und Ubiern) verehrten Gott Magusanus,3 für die weiblichen Götternamen Hludana, Sandraudiga und wohl auch Vagdavercustis, Harimella und die dea Hurstrga. (Dagegen sind für Vabusoa f., Lobbonus m., Cobba und einige andere Götternamen stringente Deutungen noch nicht gefunden.) – Auch von den literarisch und epigraphisch überlieferten Personennamen der Bataver sind mehrere eindeutig germanisch. Das gilt für die zweiteiligen Vollnamen Chariovalda m. (= späterem Herold), Hnaudifridus m. (zu germ. hnaud- ‘stoßen’?) und Fledimella f. (‘durch Schönheit glänzend’),4 aber auch für die einteiligen Kurznamen Burgio, Hucdio und Gaisio. Dagegen sind Brigantinus m., Vassio m. und Suandacca f. vermutlich keltisch. – Bildungen wie Gumattius lassen sich am ehesten so auffassen, daß an einen germanischen Namensstamm ein lateinisches Suffix mit hypokoristisch-deminutiver Bedeutung angetreten ist.5 – So wenig umfangreich unser Material ist, so spricht es doch dafür, daß die Bataver – wie ihre chattischen consanguinei – eine germanische Sprache redeten. Zusammen mit der Ausbreitung der provinzialrömischen Kultur hat dann das Latein an Boden gewonnen, wie die Inschriften beweisen. Nach den Batavi waren die Cananefates die wichtigste Bevölkerungsgruppe in diesem Teil des Imperium Romanum. Tac. hist. 4,15,1, nennt diesen Stamm origine, lingua, virtute par Batavis. Sein Siedlungsgebiet lag im Westteil der insula Batavorum und wurde seit 47 nach Chr. Geb. von der Rheingrenze teilweise eingeschlossen. – Hier geben die Quellen noch weniger her als bei den Batavern. Der Völkernamen selbst könnte ein zweiteiliges germanisches Kasuskompositum sein.6 Personennamen kennen wir nur wenige, und sie sind – wie Brinno und Gannascus – nicht eindeutig einer Sprache zuzuweisen. 2. Germani cisrhenani Die ältesten einschlägigen Nachrichten – noch vor der Errichtung der Provinz – stammen von Caesar. In Caes. Gall. 6,2,3 nennt er mehrere links des Rheins siedelnde Stämme zusammenfassend Germani cisrhenani. In Caes. 2 3

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Zum Völkernamen vgl. G. Neumann (1976a, S. 91). Zu Magusanus zuletzt N. Wagner (1977); zur dea Hurstrga W. Kaspers (1958b) und S. Gutenbrunner (1959, S. 214 nr. 261). So nach Gutenbrunner (1936, S. 100). Vgl. aber unten S. 35 und S. 38. Vgl. J. Loewenthal (1925).

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Gall. 2,4,10 führt er die Stammesnamen Condrusi, Eburones, Caeroesi, Paemani auf als diejenigen qui uno nomine Germani appellantur, nach seiner Notiz 6,32,1 gehört auch der Stamm der Segni zu diesen. Das Siedlungsgebiet der Germani cisrhenani wurde im Norden durch die Menapii begrenzt, im Westen durch die Aduatuci, im Süden durch die Treveri. Das Stammesgebiet der Eburones reichte bis an den Rhein. Caesar unterscheidet in Gall. 2,3 eben diese Germani qui cis Rhenum incolunt deutlich und ausdrücklich von den Belgae. In der Kaiserzeit tauchen dann weitere Stammesnamen auf: auf den Inseln die kleinen Stämme der Marsaci und Sturii, südlich des Rheins die Texuandri, südostwärts von Noviomagus (Nymwegen) die Cugerni und Baetasii, nördlich des Rheins noch Chamavi und Tubantes, um nur die wesentlichsten zu nennen. Eine Aussage über die Sprache dieser Stämme ist schwierig, ja fast aussichtslos, weil es in diesem Gebiet während des Berichtszeitraums weder keltische noch germanische Inschriften (geschweige denn solche in der Sprache des ‘Nordwestblocks’ gibt, sondern ausschließlich lateinische. In diesen tauchen nur ganz gelegentlich Namen auf, die wir für einheimisch halten dürfen. Über die Schwierigkeiten, das Ethnos und die Sprache der Germani cisrhenani zu bestimmen, hat sich jüngst Birkhan (1970, S. 181 ff.), ausführlich und zutreffend geäußert. Von älteren Arbeiten ist hier unentbehrlich der Aufsatz „Zum Namengut der Germani cisrhenani“ bei Weisgerber (1969, S. 275–296). Er hat die aus CIL XIII und den verschiedenen Nachträgen zu gewinnenden Personennamen in sorgfältiger Weise gesammelt und diskutiert. Weisgerber hebt zunächst aus dem Gesamtmaterial eine „römisch-mittelländische Namenschicht“ ab. Sie umfaßt 48 Namen, so daß ein Restbestand von 56 Namen verbleibt. An ihnen beobachtet er eine Gruppe mit Doppelkonsonanz im Suffix (Friatto, Gangusso, Haldacco, Nev(i)tto, Vervecco usw.). Gleichartige Bildungen stellt er fest bei den benachbarten Remi und Treveri, vor allem aber im entfernten Aquitanien (dort unter anderen: Taluppa, Frontaccus, Andrecco, Bihotarris). Weisgerber bemerkt (1969, S. 284) zwar selbst, daß „Konsonantengemination [...] in der Namengebung nichts Ungewöhnliches“ sei, hält aber doch für wahrscheinlich, daß hier von einer Substratsprache her ein „Akzentprinzip“ (1969, S. 296) durchschlage. Die Prämissen und Methoden dieser Forschungen Weisgerbers sind eingehend kritisiert worden von J. Untermann (1970). Er fordert zu Recht, daß vor allem die r ä u m l i c h e V e r b r e i t u n g der Personennamen (und Personennamen-Typen) festgestellt (und am besten in Karten anschaulich gemacht) werden müsse, damit man „Namenlandschaften“ gewinne. Das bleibt eine dringende Aufgabe künftiger Forschung. – Was speziell die

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„geminierende Bildungsweise“ angeht, so rät Untermann, erst einmal zu prüfen, ob nicht eine gallo-romanische Erscheinung vorliegt, eine Betonungsweise, die sich nach der Romanisierung in den bereits lateinisch sprechenden Teilen des westlichen Imperiums ausbreitet und orthographisch an Eigennamen nichtlateinischer Herkunft sichtbar wird, an Wörtern also, für die es keine traditionelle lateinische Schulorthographie gab.

In der Tat hat diese vorsichtig in Frageform vorgetragene Erklärung viel für sich. Sie wird gestützt durch Fälle, in denen sogar klar lateinische Personennamen diese Doppelschreibung des Suffixkonsonanten aufweisen, wie z.B. Germaniccus (11 111), Reginna (407), Magirra (1032; zu magirus ‘Koch’), Belliccus (2555 und öfter). – Aus dem Vulgärlateinischen der verschiedensten Landschaften kennen wir zudem mehrere beliebte Suffixe, die alle Doppelkonsonanz und Paenultimabetonung aufweisen. Am gleichmäßigsten in der gesamten Romania verbreitet ist -ello- (Typ anellus), überwiegend in Gallien findet sich -itto- (Typ capritta), in Italien anderseits -atto- (Typ lupatto) und -otto-, während -icco- besonders auf der Pyrenäenhalbinsel beliebt gewesen ist. Diese Bautypen der vulgärlateinischen Substantive muß man heranziehen, wenn man die Gemination bei den Personennamen-Suffixen behandelt. In ähnliche Richtung weist noch eine andere Beobachtung: Weisgerber hat zwar eine Gruppe deutlich lateinischer Personennamen ausgesondert (Candidus, Ingenuus, Hospitalis usw.), ferner einige wenige griechische (Syntyche), andere aber hat er nicht als ‘römisch-mittelländisch’ erkannt. Eine solche Identifikation wird ja auch durch mehrere Faktoren erschwert: das Latein der Provinzen hat in Graphie, Aussprache und Wortbildung, speziell bei der Bildung der Eigennamen viele Eigenarten entwickelt, die vom klassischen Latein abweichen, aber oft zu dem stimmen, was das Vulgärlatein Roms kennzeichnet. Zudem können hier Namen nicht nur aus Latein und Griechisch, sondern aus allen Sprachen des Imperiums (und seiner Nachbarländer) auftreten, womöglich in Kürzungen oder hypokoristischen Entstellungen. Bei einigen Fällen aus Weisgerbers Material ist eine griechische oder lateinische Deutung mindestens als Alternative zu erwägen:

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a. Zu Compsae Dat. fem. vgl. griech. @DBMn0 ‘fein’.7 b. Chartius ist sicher als griechischer UGI>D0 aufzufassen; dieser findet Anschluß bei 6GI¼60, 6GI¼KC, UGID0; usw.,8 sämtlich Kurznamen, die letztlich zu 86GIn0, dem Verbaladjektiv von 86¼GK ‘sich freuen’ gehören. c. Vitorius ist mit Assimilation ct > tt aus Victorius zu erklären.9 d. Vervecco, -onis gehört vermutlich zu vervex ‘Hammel, Schöps’. Das -ǀn-Suffix ist in der lateinischen Namenbildung sehr beliebt. e. Gracileius ist doch wohl eine Ableitung von gracilis bzw. einem Personennamen Gracilis.10 f. Libo ist ein bekanntes römisches Cognomen. g. Sacerius vielleicht mit Sproßvokal aus Sacrius, das eine Ableitung von lat. sacer wäre.11 h. Auch Cattus läßt sich an das Lateinische anschließen: es kann entweder zu spätlat. cattus, catta ‘Hauskatze’ gehören oder mit expressiver Konsonantengemination zu catus ‘schlau’.12 i. Bei Aprionius wird man Identität mit dem römischen Gentilnamen Apronius ins Auge fassen müssen.13 k. Bei Massa wird man die lautliche Identität mit lat. massa ‘Klumpen, Batzen’, d.h. das Vorliegen eines ursprünglichen Spottnamens, wenigstens bedenken.

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Zum Personennamen %nBMD0 im griechischen Bereich vgl. L. Robert (1963, S. 223 und 232). – Ein Femininum %nBM=, das unserer Compsa genau entspricht, belegt schon F. Bechtel (1917, S. 499). Vgl. Bechtel (1917, S. 469 f.). Vgl. Leumann (1977, S. 196 unten). Er nennt aus Inschriften u.a.: Vitoria, autione, coator, Frutuosa usw. Vgl. Leumann (1977, S. 286 f.), mit Beispielen wie Hectoreus, Augusteus, Neroneus, femineus, virgineus usw. Der Sproßvokal konnte – angesichts der im Vulgärlatein besonders häufigen Synkopen – als hyperkorrekt aufgefaßt werden. Zu der im Vulgärlatein beliebten gémination expressive vgl. V. Väänänen (1967, § 112) sowie Kuryáowicz (1967). Das i erklärt sich am ehesten als hyperkorrekt, vgl. vulgärlat. aretem, paretem neben hochsprachlichem arietem, parietem. – Aus der Appendix Probi vgl. sobrius non suber.

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Wieder andere Namen sind Lallnamen so ähnlich, daß sie überall entstehen können, bei ihnen ist ein Zuschreibungsversuch an eine bestimmte Sprache wenig aussichtsreich. Das gilt z.B. für Ammai (Dativ fem.), Ammius, Ammia, Ninnius. Wenn auch nur ein Teil der hier vorgeschlagenen PersonennamenErklärungen mit Hilfe des Griechischen und vor allem des Lateins das Richtige trifft, dann verringert sich die Zahl der ‘undurchsichtigen’ – und damit als ‘vorkeltisch / vorgermanisch’ verdächtigen – Fälle wesentlich. Nicht folgen kann man Weisgerber auch dort, wo er – in den Spuren Krahes und dessen Ansatz einer weitverbreiteten ‘illyrischen Sprache’ – mehrere Personennamen wie Carvus, Oclatto und Amma eben diesem Illyrischen zuschreibt. Inzwischen ist – namentlich durch eine umfassende Kritik Kronassers (1962 und 1965) – klar geworden, daß der Illyrier-Begriff in unberechtigter Weise übermäßig ausgedehnt worden war. Immerhin bleiben viele der Orts- und Personennamen, die Krahe als ‘illyrisch’ bestimmt hatte, als ‘alteuropäisch’, und das heißt weiterhin ‘indogermanisch’, in der Diskussion. Speziell bei den drei von Weisgerber als illyrisch bestimmten Namen wird man aber auch andere Zuweisungen für möglich halten. So läßt sich Carvus mit Wahrscheinlichkeit dem Gallischen zuordnen: es könnte mit dem Appellativum *karwos ‘Hirsch’ identisch sein. Bei Oclatio ist der vulgärlat. Wortstamm oclus = oculus in Betracht zu ziehen; von oculus gibt es Bildungen wie oculitus und oculissimus ‘lieb wie mein Augapfel’, die oculus als Ausgangsformen für Kosenamen erweisen.14 – Amma schließlich ist ein typischer ‘Lallname’, der sich an viele Sprachen anschließen ließe, vgl. etwa griech. BBU ‘Mutter’ usw. Aus dem verbleibenden Namenmaterial sollen hier noch drei Gruppen vorgestellt werden: 1. Eine Gruppe mit dem Stamm leub-, lob-, laub-. Folgende Personennamen gehören zu ihr: Leubasna fem., Leubasni Gen. mask., Lobasinus mask. Dazu kommen aus den angrenzenden südlicheren Bereichen die Ubierin Louba (8565), Leubasnus, ferner Leubo, und mit anderen Stammsilbenvokalen Lobasnus, Lobasinus, und schließlich Laubasnus, Laubasnius, Laubassianus. – Weniger sicher ist die Zugehörigkeit von Leubaccus (7613 a und 10024, 323). Weisgerber hat diese Personennamen (1969, S. 357, 382) zusammengestellt und meines Erachtens dort zutreffend beurteilt.15 –

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Zum Suffix -Ɨtio-, das auch denominal verwendet werden kann, vgl. Leumann (1977, S. 366; hier wäre wohl eine Zwischenstufe *oculatus anzunehmen). Etwas anders, aber weniger überzeugend, ebd. S. 435 ff.

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Die Forschung hatte längst gesehen, daß der Stamm dieses Namens dem germ. Adjektiv *leuba- ‘lieb, geliebt’ entspricht, das in der Onomastik aller germanischen Sprachen sehr häufig ist. Problematisch bleibt zweierlei: der Vokalwechsel eu : ou : o : au und die Gestalt der verschiedenen Namensausgänge, bei denen wir nicht einmal klar erkennen, ob ein zweiter Stamm oder ein Suffix zugrundeliegt. Was den Vokalwechsel angeht, so erklärt ihn Weisgerber damit, daß der germ. Diphthong eu durch keltische Lautsubstitution zu ou bzw. durch Monophthongierung zu o ersetzt worden sei. Dies keltisierte Element lob- sei dann – diesmal durch germanische Lautsubstitution – auch als laub- realisiert worden. Das heißt, hier in dieser keltisch-germanischen Kontaktzone ist mit ‘hybriden’ Bildungen zu rechnen, mit Namen, die entweder in Lautung oder Bildungsweise Elemente von zwei Sprachen aufweisen. – Etwas anders Faust (1969, S. 52). – (Jedenfalls kann der Namensstamm kaum als von Haus aus keltisch angesehen werden, weil dieser Sprachzweig die idg. Wurzel *leubh- anscheinend weder im appellativen Wortschatz noch als Namenselement bewahrt hat. – Das Germanische ist in diesem Grenzbereich offenbar stärkeren Veränderungen durch den Einfluß der Nachbarsprachen ausgesetzt.) 2. Ebenfalls durch das gleiche Vorderglied verbunden sind die Personennamen Freio, Freiatto (daneben Friatto), Freioverus, Friannius, Friasnus, Friattius. Das Problem liegt hier ähnlich wie in der ersten Gruppe: den Stamm des Namens wird man nicht von germ. *frija- ‘frei’ trennen wollen, aber die Bildungen der Personennamen fügen sich nicht den Regeln, die wir aus späterer Zeit an den Personennamen der germanischen Einzelsprachen beobachten können. (Eine zutreffende Beurteilung gibt schon Weisgerber 1969, S. 432.) Für Friannius erwägt er (S. 294 Anm. 37) mit Recht, er könne aus Friasnius assimiliert sein. Doch bleibt auch dies Element -sn- ohne sichere Herleitung. – Die Bildungen mit Suffix -atto- hat man für hybrid gehalten, dagegen nimmt A. Bach (1952, § 101,2; mit R. Much) germanische Herkunft an, wohl vor allem deshalb, weil es in Fravitta auch einen gotischen, d.h. ostgermanischen Namen dieses Bautyps gibt. 3. Eine aus drei gleichartig gebildeten Personennamen bestehende Gruppe muß hier noch erwähnt werden: Lubaini (Dat.), Vanaeniae (Dat.) und Vasaeni. Zu Lubainis bemerkt schon Gutenbrunner (1932, S. 155) zutreffend, daß es genau mit gotisch lubains f., altengl. lufen f. ‘Hoffnung’ übereinstimme. H. Krahe (1961a, S. 37) hat auch Vanaenia entsprechend erklärt, als ursprünglich identisch mit got. wanains ‘Mangel’, wobei der Personenname sekundär in die Ɨ-Dekl. überführt worden sei. Auch für Vasaeni, den dritten Personennamen dieses Bautyps, erscheint eine Deutung aus dem

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Germanischen möglich.16 So gut die Gleichungen stimmen, so bildet doch die Verwendung solcher ursprünglichen Abstrakta als Personennamen eine Überraschung, die uns eindringlich vor Augen führt, wie wenig wir von den germanischen Sprachen in diesen ersten Jahrhunderten nach Chr. Geb. wissen.17 Wenn man ein Resümee ziehen sollte, ließe sich etwa sagen: die Inschriften des Ager Tungrorum belegen die Existenz zahlreicher römischer, einiger griechischer Namen, daneben einige zweifelsfrei keltische, desgleichen einige deutlich germanische. Ein nicht unbedeutender Rest, der sich keiner Sprache zuordnen läßt, bleibt vorderhand übrig. Aber er muß keineswegs homogen sein, vor allem können in ihm durchaus weitere bisher nicht erkannte vulgärlateinischen (oder vulgärgriechischen) Bildungen stecken. Die Existenz oder auch nur das Nachwirken einer vorkeltischen oder vorgermanischen Sprache vermögen diese Personennamen nicht zu erweisen. 3. Ubier Die Ubier sind erst durch Agrippa im Jahre 38 vor Chr. Geb. mit ihrer Zustimmung auf das linke Rheinufer in die Gegend des späteren Köln, d.h. zwischen Vinxtbach, Zülpich und Gellep, geholt worden. Vorher hatten dies Gebiet die Eburonen inne, die Caesar so gut wie vollständig ausgerottet hatte.18 Die folgende Darstellung geht aus von der umfassenden und höchst wertvollen Monographie Weisgerbers, Die Namen der Ubier (1968). Weisgerber gliedert auch hier wieder in die vier ‘Schichten’: ‘römisch-mittelländisch’, ‘germanisch’, ‘keltisch’ und ‘undurchsichtiger Restbestand’. Insgesamt hat er 2320 Personennamen erfaßt. Aus diesen sondert er zunächst 466 landfremde Soldatennamen aus, so daß 1 376 Zivilnamen und 478 Soldatennamen übrigbleiben. Von diesen vermag er 1 062 + 410, das sind 79 %, als von römisch-mittelländischer Herkunft zu bestimmen. Als germanisch erweisen sich nur 62 + 10, also die erstaunlich geringe Zahl von 4 %; als keltisch nur wenig mehr, nämlich 85 + 16 = knapp 7 %. Weisgerber erklärt das – unausweichlich richtig – damit, daß die Einwohner dieses Gebiets ihre Namen bereitwillig romanisiert haben. (In dem für die Römer wichtigen Raum um Köln ist gewiß auch mit starken Zuwanderungen aus 16

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Es konnte etwa von dem Verbum abgeleitet sein, das in den ahd. Glossen uuasen ‘polleant’, uusanti ‘pollens’ belegt ist. Immerhin hat G. Werle (1910, S. 30) gerade für die früheste germanische Zeit mit substantivischen Abstrakta als Frauennamen gerechnet, so faßt er z.B. Veleda auf. Vgl. L. Schmidt (1938, S. 430 f.)

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anderen Teilen des Imperiums zu rechnen.) Es verbleibt bei Weisgerber ein Restbestand ‘undurchsichtiger’ Namen von 167 + 42, d.h. 11 %. Wiederum – wie oben bei den Namen des tungrischen Gebiets – soll im folgenden gezeigt werden, daß sich mehrere der von Weisgerber als ‘undurchsichtig’ gebuchten Personennamen als lateinisch bzw. griechisch erweisen lassen. Wir greifen beispielshalber heraus: a. Epaphra (= ]E6?G~, sogenannte zweistämmige Koseform zu ]E6?Gn9>ID0), b. Batalus (= UI6AD0, als Personenname bei Athenaios 4,167 d belegt,19 76I6An0 ‘stotternd’, zu weiteren Bedeutungen s. H. Frisk 1960, S. 225), c. Corumbus (= %nGJB7D0 ‘Gipfel, Blütentraube’ usw.),20 d. Athamas (= ]FUB60, ursprünglich mythischer Name), e. Celadus (= %^A69D0),21 f. Corippus (vgl. den spätlateinischen gleichnamigen Dichter aus Nordafrika; der Personenname enthält das Hinterglied -ªEED- ‘Pferd’, gehört also nicht zu den Personennamen mit Konsonantengemination), g. Bubalus (= 7Ds76AD0 ‘Büffel’),22 h. Celorius (zu @^AKG ‘Abkömmling, Sohn’, aber auch ‘Eunuch’), i. Nardus (= (UG9D0),23 j. Caldinius (zu lat. caldus = calidus und mit dem für diese Gegend typischen Suffix -inio-), k. Flosclus (= flosculus ‘Blümchen’ mit vulgärlateinischer Synkope), l. Timavius (doch wohl – gegen Weisgerber 1968, S. 227 – zum oberitalienischen Fluß Timavus), m. Burdo (zu lat. burdo ‘Maultier’). Wenn wir uns um Erklärungen von Namen aus der Gruppe der ‘Undurchsichtigen’ bemühen, dann um zu zeigen, daß der griechisch-römische Anteil am Namenschatz dieses Gebiets noch großer ist, als Weisgerber annimmt, vor allem aber, um darauf aufmerksam zu machen, daß ‘unerklärt’ 19

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Vgl. auch die bekannte Notiz bei Aischines 1,126, nach der Demosthenes von seiner Amme mit dem tED@nG>HB6 B. gerufen worden sei. – Wohl identisch mit dem Adjektiv. Vgl. Bechtel (1917, S. 601) und Robert (1963, S. 268. 288). Vgl. Bechtel (1917, S. 599). Vgl. Bechtel (1917, S. 581). Vgl. Robert (1963, S. 178. 180).

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nicht ‘unerklärbar’ bedeutet und darum auch nicht zum Ansatz einer (oder mehrerer) alten Substratschicht(en) zwingt. Weisgerber selbst hat Mißdeutungen in dieser Richtung vorgebeugt, indem er (1968, S. 204) betont, daß wir nicht mit einem einheitlichen sprachlichen Charakter dieses ‘Restbestandes’ rechnen dürfen, daß diese Gruppe vielmehr als ein „Sammelbekken sehr disparater Elemente“ anzusehen sei. Er rechnet innerhalb dieses Restbestandes mit mehreren Gruppen: 1) ungewöhnliche Schreibungen und fehlerhafte Überlieferungen (hierzu kann man auch die auf dem Stein verstümmelten Namen zählen), 2) unerkannte Namen aus der römisch-mittelländischen, germanischen, keltischen Schicht, 3) Einzelfälle von raumfremden Namenbeständen (sogenannte ‘Fernwanderer’), 4) Reste älterer Namenschichten (Nachwirkungen nicht-germanischer und nicht-keltischer Sprachen aus rheinischem und benachbartem Gebiet). Diese Einteilung ist im wesentlichen treffend; immerhin sind zwei Modifikationen zu erwägen. Zu Gruppe 3: Die ‘Fernwanderer’ werden sich in den allermeisten Fällen dadurch erklären, daß Angehörige des Imperium Romanum, etwa Ägypter, Syrer, Kleinasiaten, als Händler, Handwerker oder auch im Troß der Truppe in diese neuen römischen Provinzen gekommen sind. Ihre Namen sind daher oft – wenigstens oberflächlich, vor allem durch das Einpassen in einen gängigen Deklinationstypus – gräzisiert oder latinisiert. Diese Gruppe hängt also aufs engste mit der ‘römisch-mittelländischen’ Schicht zusammen. – Gewichtiger ist ein zweites Bedenken, es gilt der Gruppe 4: Ein zwingender Nachweis, daß es wirklich Spuren von vor-germanischen und vor-keltischen Sprachen im Namenschatz dieses Gebietes gibt, scheint nicht gelungen, d.h., mit der 4. Gruppe Weisgerbers ist nicht unbedingt zu rechnen. Er stellt selbst (1968, S. 231) zu den „undurchsichtigen ubischen Zivilnamen“ fest: Es bleiben wenige feste Stützen, das zweimalige Burspra, Fucissius, Haparonius, Priga, Vavettius, (Cinnua), die ihrerseits dadurch geschwächt sind, daß sie bis auf Priga aus Fundorten stammen, die gerade für die Bodenständigkeit der Belege wenig beweisend sind (Köln, Bonn).

Und kurz darauf: „Eine für den ubischen Raum spezifische Unterschicht läßt sich nicht greifen.“ – Entsprechendes gilt für die Soldatennamen. (Aber selbst aus dieser kleinen Restgruppe von sechs Namen, die Weisgerber als „feste Stützen“ seiner Theorie ansieht, fällt jedenfalls Haparonius heraus, da er – mit irrationalem h- und einem Sproßvokal – zum lat. Gentilnamen Apronius gehört.)

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Wenn nun auch hier die Frage gestellt wird, was denn die Beobachtung der Personennamen für die Frage nach den Sprachverhältnissen im Siedlungsgebiet der Ubier hergibt, dann ist zunächst zu betonen: Die von Weisgerber errechneten Prozentzahlen sagen nur etwas darüber aus, wie stark sich die Romanisierung der Namen durchgesetzt hat. Daraus aber auch einen Schluß auf die Stärkeverhältnisse der gesprochenen Sprachen ableiten zu wollen, also die Prozentzahlen auf sie zu übertragen, wäre ein schlimmer methodischer Fehler. – Eher wird die folgende Überlegung zulässig sein: Bei den Namen finden sich vor allem römische (und griechische), ferner keltische und germanische. Also wird auch nur mit diesen drei (bzw. vier) Sprachen zu rechnen sein. (Dabei hat das Griechische wohl nur als Heimsprache von Leuten aus der Osthälfte des Reiches eine wenig bedeutende Rolle gespielt. Wer aus Korinth oder Milet nach Köln ging, konnte gewiß auskömmlich Latein oder war doch jeden Tag in Situationen, die ihn zwangen, es zu lernen. Das gilt z.B. auch für die syrischen Glashersteller in Köln.24) Und wenn Weisgerber gelegentlich darauf hinweist, daß ein Personenname etwa von Haus aus in das Gebiet der Volsker oder nach Oberitalien gehört, so ist trotzdem damit zu rechnen, daß der Namenträger lateinisch gesprochen hat. Oben S. 39 wurde darauf hingewiesen, daß die (wohl frühzeitig und umfassend keltisierten) Eburonen von Caesar mit größter Härte und fast vollständig ausgerottet worden waren. Dazu fügt sich, was schon Scharf (1938, S. 134 f.) festgestellt hat: die Kelten, die sich im Ubiergebiet nachweisen lassen, waren dort offenbar nicht bodenständig, sondern rezente Zuwanderer. Das geht aus ihren Berufen hervor. Scharf betont, sie seien entweder „Soldaten aus dem Inneren Galliens oder [...] Kaufleute und Händler“, also „eine Bevölkerungsschicht, die nicht im Gebiete der Ubier fest verwurzelt erscheint“. Noch in zwei anderen wichtigen Fällen wird man bei der Zuweisung eines Namenselements an eine bestimmte ethnische Schicht wohl eine andere Meinung vertreten können als Weisgerber: bei den Suffixen -ion- und -inio-. 1) In seinem Ubierbuch hatte Weisgerber (1968, S. 392 ff.) einen Abschnitt „Germanische -ion-Ausweitung römischer Eigennamen“ genannt. Gemeint sind Fälle wie Aprilio, Faitstio, Longio, Paternio, Similio usw. Weder ihre Menge noch die geographische Konzentration spreche für ihre Zuweisung ans Lateinische; dagegen seien im Germanischen n-haltige Suffixe wie -anund -jan- sehr produktiv, z.B. in den zahlreichen nomina actoris. – Aber 24

Zu diesen vgl. H. von Petrikovits (1969, S. 326).

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hier ist einzuwenden, daß sich diese Personennamen allermeist von lateinischen Adjektiven auf -us oder -is (longus, similis usw.) ableiten lassen, daß sich dabei jedoch nicht die Bedeutung eines nomen actoris ergibt und daß sich unter ihnen keiner mit einem germanischen Wortstamm findet. Darum empfiehlt es sich eben doch, für diesen Typus weiterhin Anschluß im Lateinischen zu suchen. Leumann (1977, § 323) zeigt nun, daß dort eine Fülle von Personennamen (und Appellativen) mit dem Suffix -ion- gebildet ist. Dies ist in hellenistischer Zeit aus griech. -¼KC entlehnt worden, bleibt infolge dieser Herkunft auf bestimmte (untere) Sprachschichten begrenzt, wird dann aber in manchen Bereichen sehr produktiv. Aus Leumanns Beispielen: die Personennamen Felicio zu felix oder Personenname Felix, Rufio zu rufus oder Personenname Rufus; die Appellativa, deren Zahl nach Leumann „in der Kaiserzeit zunehmend“ ist: senecio, lucrio, libellio usw. – Wieder zeigt sich, daß die Heranziehung des Vulgärlateins und des Lateins der niederen literarischen Genera (gelegentlich auch des Vulgärgriechischen) am ehesten zum Verständnis von Namen aus CIL XIII hilft. 2) In den Personennamen-Bildungen des Rheingebietes, besonders im ubischen Bereich, kommt ein Typus auf -inio- häufig vor: Caldinius, Firminius, Herculinius, Priminius, Vettinius usw. Weisgerber (1972) hat diese Bildungen gesammelt: aus CIL XIII bietet er insgesamt 542 Belege, die sich auf die drei gallischen und die zwei germanischen Provinzen verteilen. (Dies Material reicht also weit über den hier zu behandelnden Raum hinaus.) Weisgerber hat nun beobachtet, daß neben den Bildungen auf -inionur in einem Drittel der Fälle die -ino-Bildung vom gleichen Stamm steht: Marcellinus neben Marcellinius. Das führt ihn auf den Verdacht, diese Bildungen auf -inio- seien nicht primär lateinisch, sondern vielleicht – wenigstens zum Teil – aus dem Gallischen übernommen. Darin bestätigen ihn die Personennamen mit fremdartigen, nicht-lateinischen Stämmen wie Camulinius, Iurcinius, Tessilinius usw. (Bei mehreren von ihnen lassen sich in der Tat die Stämme mit Wahrscheinlichkeit als gallisch bestimmen. Freilich wird man diese kleine Gruppe durchaus für sekundär entstanden halten können.) Die gewichtigsten beiden Einwände gegen diese Herleitung trägt Weisgerber (1972, S. 944) selbst vor: Aber es fehlen überzeugende Namensbelege, und es ist nicht zu sehen, wie solche keltischen Anstöße eine derartige Ausdehnung von -inius im weiteren Ubiergebiet hätten herbeiführen sollen. Man wird also weiter suchen müssen.

Darum erwägt Weisgerber nun daneben Einwirkung des Germanischen. Ihm hier zu folgen fällt jedoch schwer, denn unter den Hunderten von Personennamen auf -inio- ist kaum einer, bei dem man den Namensstamm für germanisch halten müßte. So muß es vorderhand wohl dabei bleiben, daß

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wir diesen Personennamentyp auf -inio- für provinzial-römisch und vulgärlateinisch halten. Daß öfter die parallelen -ino-Bildungen fehlen, wiegt leicht: sobald sich das Suffixkonglomerat -in-io- verfestigt hatte, konnte es auch u n m i t t e l b a r an Primärstämme antreten. (Auch die Annahme Weisgerbers, das erste i von -inio- sei in vielen Fällen als Kürze aufzufassen, hat kaum zwingende Kraft.) Es ist deutlich, daß hier ein bestimmter Personennamen-Bautypus regional besonders beliebt und produktiv ist; doch kann sich das Erblühen dieses Typs völlig innerhalb der lateinsprechenden Bevölkerung abgespielt haben. Wir kommen dabei ohne die Annahme aus, ein Sub- oder Adstrat müsse eingewirkt haben. Völlig andere Folgerungen hat Kuhn in seiner ausführlichen Rezension von Weisgerbers Ubier-Buch (1972b) aus diesem von Weisgerber gesammelten Personennamenmaterial gezogen. Auch in ihm möchte Kuhn Spuren mindestens einer vorgermanisch-vorkeltischen Schicht erkennen. Dabei geht er so vor, daß er einer langen Reihe der von Weisgerber gesammelten Personennamen aus dem Ubiergebiet jeweils einen mehr oder minder ähnlichen germanischen (oft friesischen oder angelsächsischen) Personennamen gegenüberstellt. Der Gleichklang oder Anklang soll dann als Beweis dafür dienen, daß diese Namen hier wie dort Relikte der alten Sprache des Nordwestblocks seien. (Für diese hält er enge Beziehungen zum Italischen für erwiesen.) Weisgerber hatte diese Personennamen in ihrer großen Mehrzahl – evident richtig – seiner ‘römisch-mittelländischen Schicht’ (dem Superstrat) zugeordnet, d.h. die Namensträger als rezente Zuwanderer aufgefaßt. Kuhn dagegen hält sie nun umgekehrt für Angehörige der ältesten Substrat-Schicht. Das ist schon von vornherein unwahrscheinlich; denn diese Personennamen stammen in ihrer Mehrzahl aus den Städten oder Lagern Köln, Bonn und Neuss, nicht aber aus ländlichen Rückzugsgebieten, wo eine Vorbevölkerung noch am ehesten zu erwarten wäre. Die folgenden Belege mögen Kuhns Verfahren beleuchten; sie stammen aus seiner Liste (1972b, S. 400–405), die mehr als 50 Positionen umfaßt, und aus den bei ihm folgenden Erörterungen. Unmittelbar hinter dem in Rede stehenden Personennamen ist hier jeweils die – meist zum sicheren Bestand der einschlägigen Forschung zählende – lateinische oder griechische Verknüpfung aufgeführt. Danach folgt jeweils Kuhns Vorschlag, der germanische Personennamen als angeblich urverwandt heranzieht. (Dabei werden von diesen jeweils nur ein oder zwei zitiert.) Lupus (= lat. lupus); nach Kuhn zu ostfries. Luppe Pacatus, Pacata (lat. Part. Perf. Pass. zu pacare); nach Kuhn zu ostfries. Peke Similis (= lat. similis); nach Kuhn zu as. Simo, Simit

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Seneca (lat.); nach Kuhn zu westfries. Siniko usw. Valerius (lat. Gentilname); nach Kuhn zu ahd. Waliso usw. Pusio (zu lat. pusio ‘Knäblein’); nach Kuhn zu ags. Puso Rutilus (zu lat. rutilus ‘rot’); nach Kuhn zu ags. Ruta Sollemnis (zu lat. sollemnis); nach Kuhn zu ags. Sola usw. Tetricus (zu lat. tetricus ‘finster, mürrisch’); nach Kuhn (1972b, S. 407) zum Ortsnamen Thittereke, jetzt Ditterke bei Hannover Ocellio (zu lat. oculus, ocellus); nach Kuhn (1972b, S. 407) zum Ortsnamen Uclos, Uccle, jetzt Ukkel bei Brüssel Fabius (lat. Gentilname, letztlich zu faba ‘Bohne’); nach Kuhn zu ostfries. Febba, ags. Bebba Catulus (lat. catulus); nach Kuhn zu ags. Hatel usw. Burrus (zu lat. burrus ‘feuerrot’); nach Kuhn zu ags. Burra Animula (Deminutiv zu lat. anima); nach Kuhn zu ags. Anna, Onna, Eni Mucala (= griech. 'J@UA=); nach Kuhn zu ags. Muca-, westfries. Mocke Nonnus (= griech. Personenname (nCCD0); nach Kuhn zu ags. Nunna usw. Palaemon (= griech. *6A6¼BKC); nach Kuhn zu ostfries. Pellike fem. usw. (auch Palladius, das zum griech. Götternamen *UAA60 gehört, soll mit Pellike verwandt sein) Batalos (= griech. UI6AD0, s. oben S. 40); nach Kuhn zu ags. Betti usw. Anicetus (= griech. ]C¼@=ID0 ‘unbesiegbar’); nach Kuhn zu ags. Onoc usw. – Außerdem soll nach Kuhn (1972b, S. 402) Anicetus denselben Stamm haben wie Ancitatus. Wir brechen die Vorlage von Kuhns ‘Argumenten’ hier ab. Wer etwas über die Namengebung im Imperium Romanum weiß, dem sagt diese Liste genug.25 Kuhns Argumentation sei mit zwei weiteren Beispielen dokumentiert: Weisgerber hatte den häufigen Namen Iulius (78 Vorkommen) natürlich an die römische gens Iulia angeknüpft, daneben (1968, S. 176 f. 379 usw.) 25

Kuhn schreibt (1972b, S. 406) selbst vorbeugend: „Trotz aller Vorsicht nehme ich es als selbstverständlich, daß in dem, was ich hier zusammengetragen habe, manche zufällige Parallelen sind, und ich weiß auch, daß die Überzeugungskraft der einzelnen Entsprechungen sehr ungleich ist.“ Doch dürfte damit der Sachverhalt nicht angemessen beschrieben sein; die behauptete ‘Vorsicht’ vermag der Leser nicht zu bestätigen; vielmehr sind hier in unkritischer Weise – und unter Vernachlässigung all dessen, was die Onomastik über die griechischen und römischen Personennamen erarbeitet hat – bloße Anklänge ohne jeden Beweiswert zusammengehäuft worden.

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auch die Existenz eines homonymen keltischen Namenstammes Iul- erwogen, speziell für die Bildungen Iulinna, Iullus, Iullonia, Iullonius. Dazu schreibt nun Kuhn (1972b, S. 397): „Wenn der Stamm Iul-, wie oben erwähnt, sowohl römisch wie keltisch war, dann kann er wohl auch noch einer weiteren verwandten Sprache angehört haben.“ – Genauso ‘e silentio’ argumentiert Kuhn (1972b, S. 397) im Fall des Namenelements leub- / laub-: Auch die verschollene Sprache, um die es hier geht, hat sicher ein Wort für ‘lieb’ gehabt. Da es das dem Lateinischen und Keltischen gemeinsame kƗrnicht gewesen sein wird [...], liegt die Annahme nahe, daß sie so wie ihre östlichen Schwestersprachen, Germanisch und Slawisch, leub- (usw.) gebraucht hat.

Diese schlichte – ohne Belege auskommende – ‘Methode’, Argumente – oder doch wenigstens Gegenargumente gegen Weisgerbers Zuweisungen – zu gewinnen, kennzeichnet sich selbst. Hier muß nun noch eine Gruppe von Denkmälern erwähnt werden, deren (kurze) Inschriften zwar ebenfalls lateinisch geschrieben sind, die sich aber dadurch auszeichnen, daß sie einheimische Namen von Göttinnen enthalten. Es sind die den Matronae oder Matres gewidmeten Steine, die sich besonders häufig im Gebiet der Ubier, zwischen Erft und Rur, finden. Ein zweites Zentrum liegt bei Xanten. In vielen Fällen sind sie mit Reliefdarstellungen geschmückt; die Frauen mit Früchtekörben zeigen offenbar Göttinnen, die für die Fruchtbarkeit des Landes sorgten. Eine zusammenfassende Darstellung hat den Namen dieser Göttinnen Gutenbrunner (1936) gewidmet, in einer heute noch unentbehrlichen Monographie (besonders S. 116–194). Einen Teilaspekt, das Problem der Wortbildung, behandelt Tovar (1976). Heute kennen wir weit über 100 solcher adjektivischen Matronennamen, doch will ihre Anknüpfung an bekanntes Sprachgut nur sehr teilweise gelingen. Offenbar sind sie zu einem großen Teil Ableitungen zu (uns meist unbekannten) Namen von Orten oder Menschengruppen. Rüger (1972) konnte zeigen, daß auf neugefundenen Bauinschriften mehrfach curiae in Verbindungen mit Matronen genannt werden. Diese deutet er als religiöse Männergemeinschaften, als Vereine. – In anderen Fallen weist der Matronenname selbst auf seine Herkunft hin. So gehört das in Matronis Hamavehis vorliegende Adjektiv wahrscheinlich zum germanischen Stammesnamen der Chamaver, analog die Nervinae zum Völkernamen Nervii. In der Bezeichnung Matronis Octocannabus mag eine Ableitung von einem keltischen Ortsnamen *Octoca ‘Fichtenort’ vorliegen. In anderen Fällen sagen die Namen etwas über die Funktion aus; die Matronae Alagabiae wird man vermutlich als ‘die alles Gebenden’ verste-

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hen dürfen. Neben dieser germanischen Lautform des Namens steht im Gebiet von Mainz die keltische Ollogabia. Da die Göttinnennamen mit Hinterglied -gabi im Germanischen häufiger bezeugt sind als im Keltischen, ist hier eher mit einer sekundären Umsetzung einer germanischen Namensprägung ins Gallische als umgekehrt zu rechnen. Bei den Matronis Arvagastis läßt sich das Adjektiv (mit Much) als ‘die freigebig (arva-) Spendenden, Bewirtenden’ deuten, bei den Alateiviae etwa als ‘die All-Göttlichen’. Besonders wichtig in unserem Zusammenhang ist nun eine kleine Gruppe, die im Namen-Adjektiv nicht die lateinische, sondern eine germanische Endung des Dativ Plural aufweist: Matronis Aflims, Saitchamims, Vatvims.26 Alle diese Belege stammen aus einem engen Bereich, der sich durch die Ortsnamen Wesseling (südlich von Köln), Hoven (bei Zülpich), MorkenHarff (bei Jülich) umschreiben läßt.27 Diese kleine Namengruppe zeigt eindrucksvoll, wie hier germanische Flexionsformen in lateinische Denkmäler eindringen. Da die Besteller der Denkmalssteine vom Steinmetzen gefordert haben, das Schema der lateinischen Dedikationsformel zugunsten des Germanischen zu ändern, liegt die Annahme nahe, daß die Verehrer dieser Gottheiten auch ihre Bitten und Dankgebete in germanischer Sprache vorgebracht haben. – Doch bleibt das Auftreten dieser germanischen Flexionsendungen singulär: die Personennamen der lateinischen Inschriften zeigen durchweg und in allen Kasus die lateinischen Flexionsendungen. 26

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Neben den letzten beiden stehen die völlig latinisierten Varianten: Matronis Saithamiabus und Matronis Vatviabus. Nicht so eindeutig wie die Kasusendungen ist die sprachliche Zuordnung der Namens t ä m m e zu klären. Am günstigsten liegt der Fall bei Afli-, es entspricht dem altnord. eflir ‘Vermehrer’ (aus *afli-, zu afl ‘Kraft’) und bezeichnet demnach vielleicht die Matronen als die, welche die Kraft (des Ackerbodens) vermehren. – Bei Saitchamims hat man im Vorderglied germ. *saiþa- ‘Zauber’ (altnord. seiðr) gesucht; das zweite Element chami- aber bleibt mehrdeutig. (Es konnte zu altnord. hamr ‘Gestalt’ gehören.) Am wenigsten hat sich bei Vatvims eine schlagende Deutung finden lassen: die Anknüpfung an germ. *wata- ‘naß’ (seit Much 1887, S. 357) läßt das suffixale -w-Element unerklärt, der alternative Vorschlag von Gutenbrunner (1936, S. 164 f.) ist etwas gewaltsam. Kuhn (1971, S. 165 und 171) will an das umbrische Substantiv vatuva anknüpfen, das einen bisher nicht genauer bestimmbaren Körperteil des Opfertiers bezeichnet. Da bleibt die Frage offen, was denn der Matronenname bedeutet haben soll. – Die von Kaspers (1957) – wenigstens als alternative Möglichkeit – vorgeschlagene Heranziehung von gall. DwUI:>0 ‘Seher’ usw. hätte immerhin den Vorteil, daß in mittelir. fƗth aus *jƗtudas suffixale u/w-Element eine Parallele fände.

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IV. Germania superior Dies Gebiet erstreckte sich linksrheinisch von der Grenze zur Raetia im Süden bis zum Vinxtbach, knapp nördlich von Andernach im Norden. Die Westgrenze verlief wahrscheinlich auf dem Kamm der Vogesen im heutigen Elsaß. Keltische Inschriften gibt es nur ganz wenige (vgl. Whatmough 1970, S. 985 ff.), germanische aus dem Berichtsraum keine. Im Norden saßen die Vangiones (Vorort Worms), südlich anschließend die Nemetes (Vorort Speyer), südlich davon die Triboci (Vorort Brumath); alle drei Stämme galten als Germanen, sind aber anscheinend in der Sprache früh keltisiert worden. Bis heute gibt es jedoch keine Spezialuntersuchungen, in denen versucht worden wäre, für jeden dieser drei Stämme eventuelle Besonderheiten im Namenschatz herauszuarbeiten. Der heutige – freilich vorläufige – Eindruck geht dahin, daß ihr Namenschatz in allem wesentlichen mit dem der westlich von ihnen siedelnden Mediomatrici identisch ist. Es kommt hinzu, daß der schmale Gebietsstreifen der Germania superior seine Grenzen nach militär- und verwaltungstechnischen Zweckmäßigkeiten erhalten hat, ohne daß dabei Rücksicht auf Stammesgrenzen der einheimischen Bevölkerung genommen wurde. Die Triboci und ebenso die Mediomatrici saßen sowohl innerhalb der Germania superior wie auch weiter westlich. Es erscheint daher als zulässiger Notbehelf, daß wir uns auch für diesen Bereich auf eine der Arbeiten Weisgerbers stützen, auf den Aufsatz Die sprachliche Schichtung der Mediomatrikernamen, 1953 abgefaßt, jetzt wieder abgedruckt in Weisgerber 1969 (S. 213–236). Aus dem Bereich der civitas Mediomatricorum stehen insgesamt 730 Personennamen zur Verfügung, davon zählt Weisgerber 377, also 50 %, zur römisch-mittelländischen Schicht. Etwa ein Drittel – einen bemerkenswert hohen Anteil – kann er dem keltischen Sprachgut zuordnen. Und der gesamte Rest, also etwa noch 17 %, bildet dann die Gruppe der ‘undurchsichtigen Namen’. (Germanische Personennamen spielen hier also keine Rolle.) Nun läßt sich auch hier – wie oben bei Tungrern und Ubiern – noch versuchen, Namen aus dieser Gruppe zu erklären – und das heißt meist: sie noch an einen bekannten lateinischen oder griechischen Personennamen anzuschließen. Einige Fälle seien vorgeführt: a. Bei Oriclae (Gen.) scheint es sicher, daß vulgärlat. oricla = auricula ‘das kleine Ohr’ vorliegt. b. Acuitanae (Dat.) gehört mit Sicherheit zu Aquitanus.

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c. Santa ist vulgärlateinisch für Sancta.28 d. Bei Iuccosae (Dativ) könnte man angesichts des im Vulgärlatein nicht seltenen Schwankens zwischen o und u durchaus an iocosus denken. Im ganzen aber bleibt die Gruppe der ‘Undurchsichtigen’ hier respektabel groß. Doch zwingt das hier so wenig wie anderswo dazu, in ihr kompakte Reste einer dritten (resp. neben dem Germanischen vierten) Sprache zu sehen. Eher wird man für wahrscheinlich halten dürfen, daß sich nach und nach ein größerer Teil der Angehörigen dieser Gruppe als keltisch herausstellen wird. Schon Weisgerber (1969, S. 233) hat betont, im Augenblick müsse hier „zwischen ‘keltisch’ und ‘undurchsichtig’ oft genug die Entscheidung schwanken“. Als einen der wesentlichen Gründe dafür nennt er „die Bruchstückhaftigkeit unserer Kenntnis des Festlandkeltischen“. – Bei den Stämmen der Germania superior begegnen wir zudem dem Kultus keltischer Götter wie Epona und Sucellus.

V. Exkurs: Die Treverer Wir beziehen diesen Stamm hier in die Erörterung ein, obwohl sein Siedlungsgebiet an der unteren Mosel im wesentlichen zum Bereich der Gallia Belgica gehört. Im 4. nachchristlichen Jahrhundert bezeugt der Kirchenvater Hieronymus für Trier, den Vorort dieses Stammes, den lebendigen Gebrauch der keltischen Sprache, sie sei fast identisch mit dem Galatischen in Kleinasien.29 Dagegen heißt es bei Tac. Germ. 28: Treveri et Nervii circa affectationem Germanicae originis ultro ambitiosi sunt. Der Historiograph spricht hier vorsichtig nur von einem ‘Anspruch’ der Treverer; vielleicht darf man den Schluß ziehen, daß sie auf die germanische Herkunft Wert legten, obwohl ihre Sprache und wohl auch andere Lebensäußerungen im 1. nachchristlichen Jahrhundert mehr denen der Gallier glichen.30 28

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Vgl. V. Väänänen (1967, S. 64), der neben santus aus sanctus auch cintus und defuntus als Beispiele für die vulgärlateinische Erleichterung der Konsonanz -nct- anführt. Daß diese Aussage auf eigener Kenntnis des Hieronymus beruht und nicht nur Weitergabe einer über Varro letztlich auf Poseidonius zurückgehenden Notiz ist, hat J. Sofer (1937) gezeigt. Für den Passus Strab. 4,194 C betont Much (1967, S. 360), daß dort die Nervier, nicht aber die Treverer als Germanen bezeichnet werden. Er räumt aber ein, daß diese Stelle schon im Altertum falsch so aufgefaßt werden konnte, als sollten auch die Treverer zu den Germanen gerechnet werden, vielleicht erkläre sich auch die erwähnte Stelle bei Tacitus so, daß dieser Strabon mißverstanden habe.

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Diese Unklarheiten haben bis in die Gegenwart zu einem Streit über das Volkstum der Treverer geführt; um Argumente zu gewinnen, sind wir auch hier auf das Zeugnis der Namen angewiesen. Zunächst ist zu betonen, daß die Mehrheit der nicht-lateinischen Personennamen und Ortsnamen sich an das Gallische anschließt. Das gilt für mehrere Götternamen wie die weiblichen Nemetona, Sirona, Epona, für Ortsnamen wie *Bonomagos (heute Bombogen), *Coccomagos (heute Cochem), Rigomagus (heute Remagen, Krs. Ahrweiler), *Altorigiom (heute Altrich), *Bertorigium (heute Bertrich), *Dunon (heute Daun und Dhaun), *Carodunum (heute Karden), *Conde-dunom (heute Cond), *Baudobriga (heute Bupprich), *Longocaitum (heute Lorscheid), *Morocaitum (heute Morscheid). – Das aus mehreren Ortsnamen (Gandang, Ehrang, Otrang, Thalfang) erschließbare Suffix -anko- könnte die keltische Entsprechung von dt. -ing- / -ung- sein und im Ablautsverhältnis zu -inco- stehen, das in den gallischen Ortsnamen Lemincum, Agedincum usw. bezeugt ist.31 Daneben gibt es eine kleine Gruppe von germanischen Personennamen wie Hanhavaldus, Hariulfus und H‹l›odericus. Jüngst hat nun Jungandreas die These vertreten, das Treverische gehöre zwar zur Zeit unserer Denkmäler zur keltischen Sprachgruppe, weise aber noch ältere Zusammenhänge mit dem Germanischen auf. (Dieser Gedanke wäre also geeignet, die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Nachrichten aus der Antike zu erklären.) Erst nach ihrer Einwanderung in die Täler von Mosel und Saar hatten die Treverer sich der keltischen Vorbevölkerung angeglichen. – Jungandreas belastet seine These aber noch durch eine zusätzliche Annahme: die Sprache der Treverer unterscheide sich vom Gallischen mindestens in dem einen wesentlichen Punkt, daß es idg. p erhalten habe.32 Doch bedürfen die von ihm dafür zur Stützung vorgebrachten Namensdeutungen noch der Überprüfung. Wir nennen hier nur einige davon: a. Der heutige Name des ‘Hochpochtener Waldes’, a. 1052 Puthena, a. 1370 Pochten gehöre zu ir. ochtach ‘Fichte’, ahd. fiohta. b. Der Ortsname Pluwig, a. 1211 Pluvei komme von idg. plǀwo- ‘Fließen, Wasser’, ir. ló, germ. flǀwo usw. c. Die heutigen moselländischen Ortsnamen Polch, Pölich, Prims seien vor-keltisch. 31

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Doch sei daran erinnert, daß Gysseling (1962, S. 14 f.) dazu neigt, dies Suffix der südlichen seiner beiden Substratsprachen zuzuschreiben. Im Gallischen wie in allen historisch bezeugten keltischen Sprachen ist ja nach der communis opinio idg. p im Anlaut geschwunden.

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d. Der Name der Göttin Pritona soll nach Jungandreas von idg. *p̙̙r̙tu‘Furt’ mit dem bekannten n-Suffix abgeleitet sein, mit dem in mehreren indogermanischen Sprachen Herrschertitel und Götternamen gebildet sind. Das echtkeltische Gegenstück (mit Schwund des alten p) sei in Ritona erhalten. (Aber diese Deutung ist nicht zwingend: W. Meid gibt (1957, S. 73) zu den Namen dieser beiden Göttinnen eine plausible andere Erklärung: Ritona gehöre zu *rito- ‘Verkauf’, vgl. air. renim ‘verkaufe’, und andererseits stelle sich Pritona zu air. crith ‘Bezahlung, Kauf, kymr. prid ‘Preis, Wert, Kauf’, air. crenaim, kymr. -prynu ‘kaufe’). Es erscheint durchaus als möglich, daß sich ähnlich auch die anderen angeblich für erhaltenes idg. p zeugenden Fälle auflösen. (Im Gallischen ist ja w – wie im Britannischen – altes k und kw zu p geworden, vgl. Epo-redorix aus *ekwo-. Man muß daher stets die Möglichkeit im Auge behalten, daß ein treverisches p sich so erklärt.33) – Die in Inschriften des TrevererGebiets bezeugten Personennamen mit anlautendem p-, wie z.B. Pamo, Pottus, Pruscius, Prisso, Puccasius hat Jungandreas leider nicht in seine Überlegungen einbezogen.

VI. Ergebnisse Wenn wir den Befund, den uns die Inschriften an die Hand geben, in Worte fassen wollen, so könnte er etwa lauten: Sowohl in Germania inferior wie superior gewinnt die Sprache des Eroberers offenbar stark an Boden. Die Inschriften zeigen ein provinzielles Latein, das viele Züge des Vulgärlateins aufweist, sich aber – wie dieses – doch immer wieder an der Hochsprache orientiert. Der Anteil der germanischen Personennamen wird – auch dies Ergebnis verdanken wir den Forschungen Weisgerbers –, je weiter man nach Süden vorschreitet, immer geringer: am höchsten lag er im tungrischen Gebiet, bei den Ubiern betrug er nur knapp 5 %, bei den Treverern ist er kaum noch faßbar, bei den Mediomatrikern überhaupt nicht mehr. – Genau das Umgekehrte gilt für die eindeutig als keltisch bestimmbaren Personennamen: ihr Anteil ist im Süden am stärksten. Vielleicht sind von da vorsichtige Schlüsse auf die Anteilsverhältnisse des Germanen- und Keltentums an der Gesamtbevölkerung erlaubt; wahr33

Zum Problem des p- im Anlaut anders Weisgerber (1968, S. 421 ff.). Er will mit p w aus k nur in geringer Zahl rechnen und lieber auf die Annahme eines Substrats zurückgreifen; „der wahrscheinlichste Ausweg führt auf eine nicht-germanische und nicht-keltische Sprachschicht.“

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scheinlich aber lag die Zahl derer, die das Keltische bzw. das Germanische wenigstens als Zweitsprache benutzten, höher als die Vorkommen der keltischen resp. germanischen Personennamen in den Inschriften; denn die Germanen und Kelten gehören hier ja zu der ‘anepigraphen Bevölkerung’. (Das gilt auch noch für die Zeit nach den Einbrüchen der Alamannen in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts; diese haben zwar gewiß den Anteil des germanischsprechenden Bevölkerungsanteils vergrößert, doch wird das aus Inschriften nicht manifest.) Mit Absicht sind alle hier gegebenen Aussagen immer wieder mit Einschränkungen und Vorsichtsklauseln ausgestattet worden; es kann nicht oft genug betont werden, wie wenig direkte Einsichten wir in die Sprachverhältnisse dieser Gebiete haben. Auch sind die hier vorgelegten Ergebnisse gewiß nicht spektakulär; sie sollen das herausstellen, was sich mit Wahrscheinlichkeit sagen läßt, und zugleich die Brüchigkeit der sensationellen, aber unzureichend begründeten Substrat-Hypothesen aufweisen.

Früheste Zeugnisse unserer Sprache [Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1994, S. 93–110]

Bei manchen Völkern setzt die Geschichte ihrer Sprache mit großen Dichtwerken oder Urkunden ein, in Indien mit den Götterhymnen des Rigveda, in Hellas mit den beiden gewaltigen Epen Ilias und Odyssee – wenn wir von den noch älteren mykenischen Texten absehen. Den Beginn unserer Kenntnis vom Altiranischen bilden die eindrucksvoll-selbstbewußten Felsinschriften der Achämenidenkönige und die Vers-Predigten Zarathustras. All diese Sprachen lernen wir sofort umfassend kennen, ihren grammatischen Bau, ihren Wortschatz, aber auch die stilistischen Schönheiten und poetischen Bilder einer reifen Dichtkunst. Nicht so bei den frühen Germanen, von deren Sprache die unsere herkommt. Am Anfang ihrer Bezeugung stehen Einzelwörter, öfter noch Namen von Personen oder auch von ethnischen Gruppen, wie die römischen Eroberer, gelegentlich die Griechen, sie aufgezeichnet haben. Ohne diese Fremden besäßen wir aus den ersten Jahrhunderten vor und nach Christi Geburt kaum einen Namen und nicht ein Wort von der hier in Mitteleuropa gesprochenen Sprache. Wir wären auf bloße Rekonstruktionen angewiesen. Das Deutsche gehört zu den w e s t -germanischen Sprachen; aus diesen holen wir deshalb im folgenden die Mehrzahl der Beispiele; doch werden wegen ihrer Aussagekraft auch nord- und ostgermanische Belegwörter herangezogen. In dieser frühen Zeit unterscheiden sich die Sprachen der drei großen Gruppen ohnehin noch nicht stark. Ein erster Fall. Die Griechen der hellenistischen Zeit lasen gern Liebesromane. Ein paar Muster davon haben sich vollständig erhalten, und wir sehen, daß sie nach ähnlichem Schema ablaufen. Ein junges Paar findet sich zusammen, sie von strahlender Schönheit, er ein Vorbild an Tapferkeit, Treue und Keuschheit. Bald werden sie getrennt, von Räubern entführt, durch die verschiedensten Katastrophen weit in die Welt verschlagen. Andere Männer, mächtig und skrupellos, stellen der Tugend der Jungfrau nach – zum Glück vergebens. Nach allen Prüfungen erfolgt die jubelnde Wiedervereinigung der beiden. Einer dieser Romane trägt den Titel .V tE`G +DsA=C XE>HI6 ‘Die Wunderdinge jenseits von Thule’. Sein Autor Antonios Diogenes lebte ver-

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mutlich im 1. Jahrhundert nach Chr. Geb. Er hatte seine Fabel durch Schilderungen aus Skandinavien angereichert, das er zwar nicht aus eigener Anschauung, wohl aber durch Berichte von griechischen Geographen und Ethnographen kannte, die seit hellenistischer Zeit zu Schiff in alle Himmelsrichtungen, und eben auch in den hohen Norden, vorgedrungen waren. Von dort hatten sie Phantastisches, völlig Unglaubhaftes berichtet: da leuchte die Sonne zu mitternächtlicher Stunde vom Himmel und mitten im Meer schwömmen riesige Eisklumpen. Sie überlieferten auch den Landesnamen Thule und meinten damit wahrscheinlich – obwohl sie es als ‘Insel’ bezeichnen – Mittelnorwegen, die Gegend um Trondheim. Hierhin verschlägt es im Roman ein Mädchen aus Tyros auf der Flucht vor einem schurkischen Ägypter namens Pa-apis. Auch dort im Norden wird ein Eingeborener namens +GDJH@6Cn0 (Thruskanos) zum ‘feurigen Liebhaber’ (aG6HI0 9>UEJGD0) des Mädchens. Er kann den Bösewicht töten, dann aber, als er die Geliebte entseelt vorfindet, nimmt er sich neben ihr das Leben. (Ein voreiliger Entschluß, denn sie war nur scheintot.) Uns geht hier nur sein Name an. Bei dem weist das Theta am Anfang auf ein typisch germanisches Phonem hin. Infolge der in vorchristlicher Zeit geschehenen 1. Konsonantenverschiebung waren drei ‘stimmlose Reibelaute’ entstanden, darunter ein dentales þ (der Vorläufer des englischen th); schon dieser Konsonant deutet auf Zugehörigkeit zum Germanischen, da keine der Nachbarsprachen ein entsprechendes Phonem besitzt. Den Stamm des Namens bildet das altwestnord. þroska- ‘stark, kräftig’. Mit dem Suffix -sk- bilden die skandinavischen Sprachen gern Adjektiva. (Aber auch deutsche Wörter wie harsch, rasch oder frisch enthalten es.) Dieser fehlerlos tradierte +GDJH@6Cn0 ist der älteste bekannte Personenname aus dem Nordgermanischen. Ihn hatte Antonios Diogenes gewiß aus einem der Reiseberichte entnommen; dort mag ihn ein Einheimischer getragen haben, der dem griechischen Forscher als Herbergswirt, als Bootsführer oder Sherpa zu Diensten gewesen war. (Daß dieser nicht zur Oberschicht gehörte, darauf könnte hindeuten, daß sein Name ein-stämmig ist, nicht zweiteilig wie ein Gunt-hari oder Hildi-brand.) Dieser zum Teil in Thule spielende Roman ist nicht im vollen Wortlaut auf uns gekommen. Wir kennen nur das Gerüst seiner Handlung, dadurch daß ihn im 10. Jahrhundert Photios, der Patriarch von Konstantinopel, hat exzerpieren lassen; dessen Sammelwerk, die sogenannte ‘Bibliotheke’ mit vielen solcher knappen Inhaltsangaben, ist erhalten. Das nächste Beispiel führt in den Bereich des Handels. Die Damen Roms waren fasziniert von einem Schmuck, den die Händler aus Germanien herbeizuschaffen wußten, teils von der Küste der Nordsee, teils aus dem Samland im Osten. Es waren gelblich-bräunliche Stücke, in die gele-

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gentlich winzige Insekten eingeschlossen waren. Man erzählte in Rom und Griechenland einen uralten Mythos, daß einst die Töchter des Sonnengottes, während sie den Tod ihres Bruders Phaethon beweinten, zu Bäumen verwandelt worden waren. Ihre Tränen seien zu diesen Tropfen geronnen. In solcher Geschichte steckt schon verschlüsselt das Wissen, daß die Stücke von pflanzlicher Herkunft sind. Wissenschaftlich präzis spricht dann im 1. Jahrhundert nach Christi Geburt Plinius in seiner naturalis historia aus, daß es sich beim Bernstein um fossiles Harz handle, und er kennt auch zwei Wörter, mit denen die Germanen ihn bezeichneten. Das eine lautet glesum, unmittelbar unserem ‘Glas’ entsprechend, es bedeutet daher einfach ‘das Glänzende, Schimmernde’ – ohne Aussage über das Material. Ergiebiger noch ist die zweite Vokabel, die Plinius tradiert: sua-liternicum – zweifellos ein zusammengesetztes Wort. Als Erstglied liegt da swali- vor, das mit dt. schwelen und schwül verwandt ist und ein langsames, gleichmäßiges Brennen bezeichnet. Der zweite Teil des Wortes ist ein wenig entstellt; man wird mit einer Konjektur -tervium herstellen müssen. Darin steckt eine Ableitung von *teru-, dem germanischen Wort für ‘Baum’, vergleiche engl. tree. Ganz nahe steht nach Bildung und Bedeutung das altengl. tierwe ‘Harz’. suali-tervium besagt demnach ‘brennbares, von einem Baum stammendes Material’. Da sind die beiden wichtigsten Merkmale dieses Stoffes zu einer kurzen Wesensbeschreibung zusammengefaßt. Der römische Einkäufer hat den Germanen offenbar nicht gefragt: Wie heißt das bei euch? sondern: Was ist das denn eigentlich? Aus der Naturgeschichte des Plinius stammt noch eine weitere Vokabel. Er fußt da anscheinend auf dem Bericht eines Militärarztes. Römische Soldaten, die zu Schiff an der gallischen Küste entlang nach Germanien gekommen waren, klagten über Krankheiten, die sich auf den langen Fahrten infolge von eintöniger, vitaminarmer Ernährung eingestellt hatten. Plinius sagt, daß ihnen die Zähne ausgefallen waren, und benutzt dafür den griechischen Mediziner-Terminus HIDB6-@U@= ‘das Übel, der Schaden im Munde’. Sie litten unter Skorbut, einer typischen Mangelkrankheit, die bis in die Neuzeit immer wieder die Seereisenden befallen hat. Als Gegenmittel haben die Friesen damals das Kraut vibo empfohlen. Das bezeichnet – so vermutet man – einen Sauerampfer (rumex, und zwar die Unterart domesticus oder maritimus, weil nur diese an der Nordseeküste wächst). Der Name vibo jedenfalls ist germanisch, er hängt mit dem althochdeutschen Verb weibon ‘schwanken, sich lebhaft hin und her bewegen’ zusammen. Die Benennung zielt demnach wahrscheinlich auf die beweglichen Blütenstände dieser Pflanze. (Derselbe Verbstamm steckt noch im zweiten Teil des militärischen Dienstgrades Feldwebel; das ist ursprünglich derjenige, der im Lager der Truppe überall herumläuft, kontrollierend und befehlend.)

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Weitere germanische Pflanzenbezeichnungen haben die erhaltenen antiken Autoren leider nicht überliefert. Aber einen wichtigen Tiernamen bewahrt Gaius Iulius Caesar, den des Elchs, in der lateinischen Pluralform alces. Er berichtet in seinen commentarii, wie man diese riesigen Tiere zur Strecke bringe. Sie hätten in den Beinen keine Gelenke, deshalb pflegten sie sich, wenn sie müde seien, an einen Baum anzulehnen. Den brauche man dann nur zu fällen, etwa seine Wurzeln auszugraben, dann purzle der hilflose Elch mit um und werde so zur leichten Beute. Man möchte sich gern vorstellen, daß hier ein Chatte oder Cherusker einem römischen Erkundungsoffizier eine haarsträubende Lügengeschichte aufgetischt hat, im schönsten ‘Jäger-Germanisch’. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß Caesar (oder sein Quellenautor) das aus der Fachliteratur über fremde, ferne Länder entnommen hat. Dabei muß eine Verhaltensweise der Elefanten – die sich noch heute genauso beobachten läßt – versehentlich auf ein anderes großes Waldtier übertragen worden sein. Daß es bei uns bis hin nach Schwaben und Bayern einmal Elche gegeben hat, bestätigen mehrere Ortsnamen: Elchingen bei Ulm, Elchbach bei Schliersee, und auch das württembergische Ellwangen geht auf älteres *Elh-wang zurück. (wang- heißt ‘Wiese’.) Als die Römer während und nach der Eroberung Galliens mit den Germanen in Berührung kamen – zuerst im Elsaß mit den Sweben –, erfuhren sie vor allem die Namen ihrer militärischen Gegenspieler, der Fürsten und Anführer. Und da fällt auf, daß diese Namen zu einem großen Teil klar keltisch sind, – gerade nicht germanisch. Das gilt für Ariovistus, später für den Markomannenkönig Maroboduus und viele andere. Diese Beobachtung zwingt zu dem Schluß, daß bei den germanischen Oberschichten damals gallische Namen hoch in Mode waren; da man die Kelten in vielen Bereichen als kulturell überlegen empfand, ahmte man ihre Sitten nach. Bestätigt wird das durch den Befund in den Gräbern, die reichlich keltischen Schmuck bergen. Immerhin finden sich auch echt-germanische Namen, so heißt der Schwiegervater von Arminius Segestes. Doch ist die Analyse dieses Namens nicht leicht. Zweifellos steckt das Wort Sieg darin; fraglich bleibt nur, welche Form dieser Substantivstamm hatte. Man könnte einen alten Stamm auf -is erwägen: sigis-, wie ihn noch der Kaisername Sigis-mund aufweist. Aber aus dem Kreis dieser Familien sind als weitere Verwandte Segi-merus ‘berühmt durch seine Siege’ und Segi-mundus ‘der durch seine Siege Schutz gewährt’ bezeugt, und bei diesen liegt im Erstglied ein i-Stamm vor. Deshalb neigt man heute eher dazu, auch im Falle von Segestes mit einer Stammform Sege- / Segi- zu rechnen, also anzunehmen, daß am Ende ein ‘Suffix’ -st- angetreten ist. Zu erwarten wäre allerdings eine Form Ségista-

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mit Stammvokal -a. Für solche Abweichungen sind die griechisch-römischen Übermittler verantwortlich zu machen. Der Ausgang auf -es, wie ihn die Quellen bieten, läßt sich wohl dadurch erklären, daß der antike Historiker ihn an allbekannte griechische Personennamen wie Orestes oder Thyestes angeglichen hat. Schon hier vermag die lautliche Wiedergabe in der Tradition nicht voll zu befriedigen. Noch schlechter steht es mit dem Frauennamen Thusnelda, den nur Strabon überliefert. Er läßt sich so nicht deuten. Immerhin meint man, im Erstglied könne ein Wortstamm tnjs- ‘Kraft, Macht’ vorliegen, der im Zahlwort tausend noch erhalten ist. (tausend bedeutet ursprünglich ‘gewaltige Zahl’: *thnjsundi.) Im Zweitglied von Thusnelda ist eher eine -hilda zu vermuten (hild- heißt ‘Kampf’ und kommt auch sonst öfter in weiblichen Personennamen vor), als daß man durch Konjektur ein Eigenschaftswort *snella ‘behende’ herstellen dürfte. Der Sohn, den Thusnelda von Arminius hat, heißt Thumelicus. Er könnte das germanische Wort für den ‘Daumen’ (altnordisch þumall) enthalten; dann läge ein Kosewort der Kinderstube vor: ‘der Däumling, der Knirps’. Anderseits weisen die Namen von Mutter und Sohn den gleichen AnlautKonsonanten auf, sie ‘staben’ miteinander. War also vielleicht in Thumelicus ebenfalls das Element *tnjs- verbaut? Aber auch den Anklang an das griechische Substantiv $JB:A>@n0 ‘Schauspieler, Spaßmacher’ darf man nicht überhören; als Personennamen treffen wir es in Rom an. Hier ist wieder zu fürchten, daß ein antiker Autor – oder noch ein mittelalterlicher Schreiber – einen ihm unverständlichen Fremdnamen verändert, ihn versehentlich oder auch bewußt an ein bekanntes Wort angeglichen hat. Andere germanische Personennamen sind dagegen wundervoll durchsichtig. So der eines Bataverkönigs Chario-valda, den Tacitus (ann. 2,11,1) bewahrt hat. In ihm liegt die genaue Vorstufe des deutschen Wortes Herold oder des nordischen Vornamens Harald vor. Zugleich zeigt sich, wie das Wort Heer in alter Zeit gelautet hat. Herold / Harald bedeutet ursprünglich ‘der eines Heeres waltet’, d.h. ‘der eine eigene Kampftruppe befehligt’. (In dieser Form Chario-valda ist nun auch der Ausgang -a, den wir vorhin bei Segestes gefordert hatten, korrekt erhalten.) Neben den Individualnamen findet sich schon bei Caesar und dann in den folgenden Jahrhunderten eine Fülle von Gruppennamen. Oft mögen solche Ethnien aus mehreren Familien- oder Dorfverbänden hervorwachsen, die sich etwa zu einem kriegerischen Vorhaben zusammenschließen, dann aber wieder auseinandergehen – oder aber im Kampf aufgerieben werden. Doch sind mehrfach auch festere Einheiten entstanden, die sich zu vergrößern vermochten und dann über Jahrtausende bestehen blieben, so die Swebi – heute Schwaben, die Chatti – heute Hessen, die Friesen oder

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die Sachsen. Nur diesen Namen – der uns räumlich am nächsten liegt – greifen wir hier heraus. Er ist früh überliefert. Die Römer hatten anno 5 nach Christi Geburt mit einer Flotte die Küste vor der Elbmündung und dem westlichen Holstein bis hinauf nach Skagen im Norden Jütlands erkundet. Bei dieser Gelegenheit werden sie das Ethnonym zuerst gehört haben. Ein Bericht davon ist in die Geographia des Ptolemaios eingegangen; dieser schreibt -ULDC:0 (mit kurzem o), doch hat er da bloß die Schreibung Saxones einer lateinischen Quelle umgesetzt, wo wir das o lang messen dürfen – so wie es sprachlich zu erwarten ist. Dieser Name hat sich dann weit ausgebreitet, die Küste der Normandie heißt eine Zeitlang litus Saxonicum; im 5. Jahrhundert zieht ein Teil der Sachsen mit nach Britannien. Später umfaßt das Ethnonym infolge kriegerischer Eroberung ganz Nordwestdeutschland – unseren Raum, für den heute die offizielle Bezeichnung Nieder-Sachsen gilt. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit gelangt es durch dynastische Verknüpfungen weit elbaufwärts, in die Mark Meißen, die dann als Königreich und Freistaat Sachsen heißt. Saxones meint: ‘die mit dem Messer’. (Das sax ist eine kurze, einseitig geschliffene, zum Schneiden und Hauen geeignete Metallwaffe, eine Machete). Das Wort hat die gleiche Wurzel wie dt. Säge oder lat. secare. Unser Substantiv das Messer geht auf älteres *mati-sahs zurück, bedeutet daher zunächst ‘Speise schneidend’. Hier hat sich eine Gruppe nach einer spezifischen Waffe benannt; vergleichbar ist, wenn Jahrhunderte vorher die Gaesati, ‘die mit dem Ger’, erscheinen. Der Name der Gepiden vermag zu zeigen, wie rüde diese Gruppe oftmals miteinander umging, wie sie einander verunglimpften. Das lateinische Buch des Iordanes mit dem Titel Getica erzählt die Geschichte der Goten seit ihren mythischen Anfängen. Dort wird gesagt, sie hätten die ihnen nahe verwandten Gepiden so getauft, – weil diese „geistig und körperlich recht schwerfällig“ seien (tardiores ingenii et graviores corporum velocitate); im Gotischen heiße nämlich gepanta ‘träge, piger’. Tatsächlich gibt es in den germanischen Sprachen eine Verbalwurzel gip- oder gap-; sie bedeutet ‘den Mund aufreißen’, dann auch ‘müde, schlapp, inaktiv sein’. Das deutsche gaffen ist von ihr gebildet, und unsere Dialekte kennen noch mehr Ableitungen, z.B. das Niederdeutsche ein Adj. gippelt ‘dumm’. Insoweit lassen sich die Angaben des Iordanes stützen; aber für völlig unwahrscheinlich wird man es halten müssen, daß ein Stamm ein solch böses Hohnwort der Nachbarn übernommen und sich selbst damit benannt hätte. Nun sind die Reste der Gepiden im 6. Jahrhundert zusammen mit den Langobarden nach Oberitalien eingerückt. Dort gibt es noch heute Ortsna-

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men, die die alte Stammesbezeichnung enthalten und so davon zeugen, daß Gepiden sich da geschlossen angesiedelt haben. Sie aber weisen durchweg statt des p ein b auf. Diesen auffallenden Befund hat Rudolf Much überzeugend erklärt. Die Selbst-Benennung dieses ostgermanischen Ethnos ist *Gebidos gewesen, darin steckt der Verbstamm geb- ‘geben’. Sie bezeichneten sich als ‘die Freigebigen, die großzügig Schenkenden’, nach einer sozialen Pflicht, die den Wohlhabenderen zukam. Diesen Namen haben dann ihre übelwollenden Verwandten verunstaltet, indem sie einfach einen Konsonanten anders aussprachen, und mit dieser Gemeinheit haben sie größten, anhaltenden Erfolg gehabt: die von der gotischen Tradition abhängenden Schriftsteller verwenden durchweg die Form mit -p-. Sogar die wissenschaftliche Literatur der Germanistik macht das bis heute mit. Dagegen bewahrt z.B. das altenglische Beowulf-Lied (das auf der britischen Insel – also fern von jedem gotischen Einfluß – entstanden ist) noch weitere Zeugnisse für die echte, ursprüngliche Form mit der Media -b-. Eigentlich wäre daher eine Wiedergutmachung fällig, in der Weise, daß wir nur noch von den Gébiden sprächen, – wobei auch gleich noch die Betonung der Stammsilbe herzustellen wäre, wie sie einem germanischen Wort zusteht. Aber philologische Traditionen – durchaus auch die weniger richtigen – haben ein zähes Leben. Daß man durch Veränderung eines einzigen Lautes imstande war, aus einem unanstößigen Namen ein verächtliches Schimpfwort zu schaffen, dazu liefert das Mittelalter ein weiteres, genau paralleles Beispiel: aus Norvagus, der mittellateinischen Bezeichnung des Norwegers, haben die schwedischen Nachbarn Nor(d)-bagge ‘Nord-Hammel’ gemacht. Die antike Literatur bewahrt mit .GDyAD> (Truloi) noch einen weiteren Hohn-Namen der Germanen. Er ist wahrscheinlich mit norwegisch troll verwandt, jenen Gestalten aus den Volksmärchen, wie sie vor ein paar Monaten bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer wieder leibhaftig zu sehen waren. Dann würde die Nachbarn-Beschimpfung etwa ‘häßliche, bösartige Unwesen’ bedeuten. Eine etwas andere Nuance könnten deutsche Dialekte nahelegen, die ein Femininum Trulle ‘plumpe, einfältige Frau’ bewahren. Doch sind auch die Trolle oft tölpelhaft und schwerfällig; so mag ‘Ungeschicklichkeit’ das gemeinsame semantische Merkmal sein, Truloi wäre dann mit ‘Trampel’ wiederzugeben. In jedem Fall war es ein boshafter, herabwürdigender Spitzname, erwachsen aus gründlicher Abneigung. Am Namen eines kleinen, unbedeutenden Stammes in Norddeutschland oder Dänemark läßt sich zeigen, welche Schwierigkeiten dem Forscher begegnen können. Dies Ethnonym ist bei einem einzigen spätantiken Autor, einem zweitrangigen Panegyriker namens Mamertinus Maximus aus dem 3. Jahrhundert nach Christi Geburt, überliefert, in den Handschriften aber in

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mehreren Varianten: Caynones, Caviones, Chabiones, Chaibones. Zu jeder von ihnen hat man Deutungen vorgeschlagen, die freilich alle unverbindlich bleiben mußten. Erst als strenge Philologenarbeit die Schreibung Chaibones als die einzig verläßliche erwiesen hatte, wurde eine sichere Verknüpfung möglich. Der Name gehört zu einer germanischen Wortgruppe, die durch gotisch haifsts ‘Kampf’, deutsch heftig vertreten ist. Er bedeutet somit als stolze Selbstbenennung ‘die Streitlustigen, die Draufgänger’. Die Batavi siedelten an der Nordküste der heutigen Niederlande, im Rheindelta. Das Stammwort ihres Namens ist das gleiche, das in gotisch batiza und dessen neuhochdeutscher Entsprechung ‘besser’ vorliegt. Heute bildet dieser Komparativ ‘besser’ die Steigerungsform zum Adjektiv ‘gut’, mit dem er nicht verwandt ist; aber ursprünglich hat auch ‘besser’ einmal eine eigene Grundstufe besessen, etwa *batu-. Diese liegt nun in Batavi vor, und in einer hoch-altertümlichen Flexionsform: ihr Nominativ Plural ist mit einer besonderen Ablautvariante gebildet, der sogenannten ‘Vollstufe mit Abtönung’, wie sie zwar in anderen alt-indogermanischen Sprachen (auch im Keltischen) noch existiert, aber im Gotischen, Altnordischen, Althochdeutschen schon nicht mehr. (Winzige Reste davon bewahrt noch das Altenglische.) Wenn Tacitus nun die Batavi virtute praecipui nennt – ‘hervorragend tapfer’, dann klingt das geradezu wie eine Übersetzung ihres Namens: Verwunderlich wäre das nicht; vermutlich hat der Römer sich bei seinen Gewährsleuten auch nach dem Sinn der barbarischen Namen erkundigt. (Daß er sich bei lateinischen dafür interessierte, war ohnedies bekannt.) Diese Bezeichnung ist auf dreifache Weise bis in die Gegenwart bewahrt geblieben. Eine niederländische Landschaft heißt in ungebrochener Tadition Betuwe, ferner hatten die Holländer in ihrem südostindischen Kolonialreich die Hauptstadt von Java Batavia benannt – jetzt ist sie zu Djakarta umgetauft –, und schließlich hatte sich eine römische Militäreinheit den Namen ihres ursprünglichen Einsatzraums beigelegt, die Cohors nona Batavorum. Kaiser Domitian hat sie später an den Donau-Limes verlegt; nach ihrem dortigen Auxiliarkastell heißt heute das bayrische Passau. Noch in einem zweiten Fall vermuten wir, daß Tacitus einen von ihm erwähnten germanischen Namen durchaus verstanden hat. Ebenfalls an der Nordseeküste wohnten die Cananefates. Dieser ungewöhnlich lange Name war gewiß ein Kompositum. Sein Zweitglied könnte das Wort für ‘Herr, Meister’ sein, das z.B. in der gotischen Bezeichnung für den Bräutigam vorliegt: bruþ-faþ- wörtlich ‘Herr der Braut’ oder auch in hunda-faþ- ‘Herr über hundert (Mann)’. (Dann wäre t unpräzise Schreibung für germanisches þ, wie sie auch sonst vorkommt.) Für das Erstglied canane- hat man einleuchtend vorgeschlagen, es als Genetiv Plural aufzufassen – und zwar von

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dem Substantiv, das wir als Kahn kennen. Das Kasus-Kompositum Canane-fates hieße demnach ‘die Meister der Boote’. Dazu paßt gut, was Tacitus von ihrem Anführer sagt: er habe auf Beutezügen mit leichten, wendigen Schiffen immer wieder die Küste der Gallier schwer verheert: levibus navigiis praedabundus Gallorum maxime oram vastabat. Bei solcher Piraterie kam es auf die Schnelligkeit des Überfalls wie des Rückzugs an. Unser Wort Kahn ist zwar erst wesentlich später – und zunächst nur im niederdeutschen Raum – bezeugt, aber das bildet kein unüberwindliches Hindernis, denn das Altnordische kennt ein Substantiv kani in der Bedeutung ‘Schüssel’, und es erscheint denkbar, daß dies Wort auch westgermanisch war. Die Seeräuber könnten ihre Boote liebevoll-spöttisch als ‘Pötte’ bezeichnet haben. Gestützt wird das durch altnord. kæna (mit Ablaut), das eine bestimmte Art von Booten benennt. Das erlaubt zwei Folgerungen. Erstens: die zeitlich nächsten Verwandten des westgerm. Wortstammes *kana- bietet in diesem Fall das Nordgermanische; offenbar hat dies in seiner Abgelegenheit manches Wort über die Jahrhunderte hin besser bewahrt als die Sprachen in Mitteleuropa. Und zweitens: Der Name der Cannanefaten ist bei antiken Autoren (also handschriftlich), aber auch auf lateinischen Inschriften belegt, wobei ihre Formen leicht voneinander abweichen. Am besten bezeugt ist Canane-fates (mit fünf Silben); deshalb haben wir sie der etymologischen Analyse zugrunde gelegt, – und diese Schreibung findet sich auf den Steinen, nicht in den Codices. Genau so war das zu erwarten: die epigraphischen Texte stehen ja noch auf demselben Material, in das man sie vor knapp 2000 Jahren eingeschlagen hat, ihr Buchstabenbestand ist höchstens verwittert oder mechanisch zerstört worden. Sie sind also vollauthentische Zeugnisse, wenn auch behaftet mit den graphischen Eigenheiten ihrer Zeit und gelegentlich einem Irrtum des Steinmetzen. Beim mehrfach wiederholten Kopieren von Handschriften waren im Lauf der Jahrhunderte die Fehlermöglichkeiten natürlich vielfach größer, manche Schreibmönche haben sich nicht selten vertan, haben Wörter ausgelassen oder Textstellen verballhornt. Daß ein Römer einen ganzen Satz aus einer germanischen Sprache bewahrt hat, ist leider nur ein einziges Mal geschehen. Sein Gedicht steht in einer späten Sammlung, der Anthologia Latina, die seinen Namen verschweigt. Vordergründig beklagt er sich über das Grölen von zechenden Goten vor oder in seinem Haus, aber gewiß will er auch andeuten, daß in der Nähe solcher Barbaren die Poesie nicht gedeihen könne. Inter eils Goticum... / non audet quisquam dignos educere versus. ‘Bei den Prosit-Rufen der Goten hat kein Mensch die Chance, anständige Verse zu produzieren.’

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Da gibt eils das germanische Substantiv hails ‘Gesundheit, Wohlbefinden’ wieder. Das h war im Lateinischen schon stumm geworden, daher vernachlässigte man es oft in der Schrift. Daß aber nicht nur diese Ostgermanen die Gesundheit ihres Gegenübers durch einen Trunk zu festigen suchten, geht aus einem heute veralteten englischen (d.h. westgermanischen) Substantiv hervor: wassail heißt ‘Gelage’; entstanden ist es aus dem Zuruf wæs hál! ‘Bleib gesund!’. In diesem zweizeiligen hexametrischen Gedicht findet sich nun eine Buchstabenfolge, die gotischen Text enthält; daraus hat sich ohne große Eingriffe ein sinnvoller (und metrisch korrekter) Satz herstellen lassen: ‘Verschaffen wir uns was zu essen und zu trinken!’ Skapjam matjan jah drinkan! (Dem Wortstamm mati- ‘Speise’ waren wir bei mati-sahs schon begegnet.) Man mag bedauern, daß hier keine Aussage über höhere Ziele oder die Lebensphilosophie der Sprecher erhalten ist, sondern wir nur einen Blick in die Sphäre des gemeinsamen Feierns werfen dürfen. Aber vermutlich ist damit doch etwas nicht Untypisches gewonnen, zumal wenn wir uns an den Satz des Tacitus (Tac. Germ. 22) erinnern: ‘Tag und Nacht einmal hintereinander beim Trinken zu verbringen wird keinem übelgenommen.’ Diem noctemque continuare potando nulli probrum. Die Zeugnisse aus den Codices sollen durch einen Blick auf die Inschriften ergänzt werden. An prominentester Stelle ist da die Inschrift auf dem Bronzehelm von Negau zu nennen, einem Ort in der Nähe von Marburg (Maribor) an der Drau, im heutigen Slowenien. Leider läßt sich diese in einem nord-italischen Alphabet abgefaßte Inschrift nicht genau datieren, am ehesten gehört sie in die zweite Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrhunderts. Sie bietet die Namensform Ȥarigasti – wieder mit einem der spezifisch germanischen Konsonanten, dem anlautenden ch, das in der ersten Konsonantenverschiebung parallel zum þ entstanden war. Der Name besteht aus den zwei Bestandteilen Ȥari- und gasti-; zu Ȥari- vgl. Chario-valda, zu gastidas nhd. Gast. Mit Rudolf Egger wird man Ȥari-gasti für den Namen eines Menschen, nicht den eines Gottes halten. Er nennt den Besitzer des Helms und besagt vielleicht – als Possessivkompositum in der Funktion eines Wunschnamens: ‘Der Namensträger soll (in Zukunft) imstande sein, Gäste in Gestalt eines Heeres zu haben’, d.h. einen Heerhaufen haben, der ihm untersteht, und er möge dann so wohlhabend sein, daß er diesen – mindestens über Tage hin – angemessen zu bewirten vermag. Dieser Name wurzelt in sozialen Regelungen und Wertvorstellungen der germanischen Oberschicht. Ein aus Neuß im Rheinland überlieferter Name schließt sich ihm inhaltlich an: Gasti-nasus heißt jemand, ‘der Fremde (gut) zu ernähren vermag’. Nicht von einer beliebigen Freundlichkeit ist da die Rede, sondern von einer Pflicht; nur im Ausmaß hat es Unterschiede gegeben.

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Doch war diese Einrichtung nichts spezifisch Germanisches; sie ähnelt der der benachbarten Slawen, die ebenfalls viele Personennamen mit -gostigeprägt haben. Vor wenigen Jahren erst ist im Rheinland ein Weihestein mit lateinischer Inschrift gefunden worden, die Mercurio Hrannoni gewidmet ist. (Hinter Mercurius steckt oft der Gott Wodan.) Dieser Beiname Hranno gleicht nun einem viel später bezeugten altnordischen Namen. In einer Saga (etwa aus dem 14. Jahrhundert) nennt sich der Gott Odin, der als Bauer auftritt, Hrani. Das heißt etwa ‘grober Kerl, Krakeeler’. Dieser Zusammenhang über große Zeiten und Räume hinweg ist lehrreich. Die strengen Methodiker hatten warnend ihre Finger gehoben, man dürfe Zustände oder Glaubensinhalte des heidnischen skandinavischen Mittelalters nicht in die Germanenwelt des ausgehenden Altertums zurückprojizieren. Grundsätzlich haben sie damit recht, und doch zeigt ein Fall wie dieser noch einmal (wie schon beim Wort für ‘Kahn’), daß der Norden in manchem konservativ war und dadurch das eine oder andere auf dem römerzeitlichen Kontinent zu erhellen vermag, was da sonst isoliert stünde. Zu fragen bleibt, wieso der Gott einen Beinamen mit so negativem Klang trägt. Im Norden ist das klar: Odin, der Gott, der durch die Welt der Menschen wandert, schlüpft dabei gelegentlich in die Rolle eines rüpelhaften Vagabunden; er will so die Gastlichkeit dessen, bei dem er einkehrt, auf die Probe stellen. Diese Geschichten besitzen eine soziale Funktion: der Hausherr soll stets damit rechnen, daß sich in einem lästigen Gast ein höheres Wesen verbirgt. Jeder Fremde hat Anspruch auf Fürsorge und Achtung. Wir werden wenigstens fragen dürfen, ob diese Vorstellung schon für das frühgermanische Rheinland des 2. oder 3. nachchristlichen Jahrhunderts anzunehmen ist. Neben Mercurius Hranno nennen die Steine viele weitere Gottheiten. Im Gebiet der Ubier, westlich von Bonn, findet sich eine größere Gruppe von Denkmälern mit Reliefs und lateinischen Inschriften, überwiegend aus dem 2. Jahrhundert nach Christi Geburt. Sie sind den Matronae gewidmet, lokalen Göttinnen, die ihren Menschen-Nachbarn beistehen. Auf den Reliefs sitzen sie mit Obstkörben auf dem Schoß, dem Bittenden freundlich zugewandt. Meist tragen sie Beinamen, manchmal keltische, oft germanische. Formal sind das Adjektiva, ihre Wortstämme werden in vielen Fällen Örtlichkeiten bezeichnen. So benennt paitienae wohl die an einem Ort *Haiþi- ‘Heide’ wohnenden, diese Siedlung betreuenden Göttinnen. (Das t kann wieder ungenaue Schreibung für th sein – wie vorhin bei den Cananefates). Den Anfangsbuchstaben H habe ich im Magazinkeller des Bonner Landesmuseums auf dem Stein lesen können; der Punkt unter dem Zeichen deutet an, daß es beschädigt ist.

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Axsinginehae führt im Stamm wohl das Substantiv *ah(i)s- ‘die Ähre’. Zugrunde liegt ein Siedlungsname *Ahsingi- mit demselben Suffix wie im altsächsischen Ortsnamen Gutingi, unserem Göttingen, und in vielen auf -ing im bairischen Raum, z.B. Elsing (zu else ‘Erle’). Bei *Ahsingi haben also fruchtbare Getreidefelder das Motiv der Benennung geliefert, vgl. Ortsnamen wie Ahrenfeld in Schleswig-Holstein, Ehrenthal in Österreich, bei dem das E nur orthographisch ist, oder im Elsaß ‘Zu den drei Ähren’. Ein anderer Stein nennt einen Matronennamen in der Form Gabims. Das ist ein Dativ der Mehrzahl, und – wie vier, fünf andere – weist er statt einer lateinischen eine germanische Kasusendung auf. Damit bietet er ein kostbares Zeugnis, einen winzigen Rest früh-germanischer Deklination. gabi- ist eine feminine Täterbezeichnung, Gabims heißt daher ‘den Schenkenden, den Geberinnen’. (Ganz in der Nähe ist dazu die Variante Gabiabus mit der vulgärlateinischen Endung belegt.) Neben ihnen finden sich z.B. die Alagabiae ‘die Alles-Schenkenden’. In Xanten gefunden wurde eine Steininschrift, in welcher sich ein Arzt bei der Göttin Alateivia für das Gelingen einer Heilbehandlung bedankt. Das Zweitglied ihres Namens gehört gewiß zu einer Verbalwurzel *tƝw‘bewirken, herstellen’. (Gotisch taujan ist verwandt.) Die Ala-teivia ist also diejenige, die durch ihre übermenschliche Kraft und Kunst alles zuwegebringt, gerade auch am Krankenlager. Alle diese Namen sind ihrem Wesen nach Funktionsbezeichnungen: die Göttinnen werden danach benannt, was sie für den Betenden getan haben oder was er sich von ihnen erhoffen kann. Unmittelbar mit ihnen zu vergleichen ist der Name Garmangabis, auch er zweifellos germanisch. Eine Gruppe von Soldaten in römischen Diensten, ein vexillum Sueborum, hat dieser Göttin, die ihnen aus ihrer festländischen Heimat vertraut war, drüben in Britannien einen Weihestein gesetzt. Was besagt ihr Name? Sein Zweitglied gabi- kennen wir schon; das Erstglied garman- enthält aller Wahrscheinlichkeit nach den Verbstamm ger- ‘begehren, wünschen’ und ein Suffix -men, wie es z.B. auch im dt. Substantiv Samen vorliegt. ‘Samen’ bezeichnet das, was gesät wird, entsprechend garman- das, was man begehrt. Garman-gabis benennt demnach eine Göttin, die ihren Verehrern das schenkt, was sie wünschen. Dabei zeigt das erste a in garman- den Einfluß des britannischen Lateins; im Munde der swebischen Söldner wäre german (mit e) zu erwarten gewesen. Von hier ist es nur ein kurzer Schritt zum Namen der Germanen selbst. Um dessen Deutung haben Gelehrte und Laien seit Jahrhunderten ausdauernd und wild gestritten; in der Diskussion darüber sind – mit immer neuen Vorschlägen – gewiß mehr als zwei Meter Sekundärliteratur produziert worden. Doch hat nach meinem Eindruck der Wiener Rudolf Much

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die plausibelste Lösung schon vor Jahrzehnten gefunden; er stellt die Gérmani mit der Garmangabis zusammen und deutet ihren Namen daher als ‘die Erwünschten, die (als Mitkämpfer oder als Nachbarn) Willkommenen’. Solche rühmende Selbstbenennung würde gut zu dem passen, was sonst an Namensinhalten von Ethnien aus diesem Raum (aber auch aus anderen Weltgegenden) bekannt ist. (Und auch die jüngste Interpretation des berühmten taciteischen Namenssatzes durch D. Timpe läßt germanischen Ursprung dieses Ethnonyms durchaus zu.) Wir stehen am Ende eines Rundgangs, an dem wir eine kleine Auswahl aus den ältesten germanischen Sprachresten etwas näher betrachtet haben. Vieles mußte unerwähnt bleiben, so die frühesten Runeninschriften und die sehr alten germanischen Lehnwörter in den ostseefinnischen Sprachen. Aber schon unsere wenigen Proben konnten zeigen, daß solche verstreuten (und oft nur durch den Zufall bewahrten) Einzelwörter und Namen eine nicht zu verachtende Quelle bilden, da sie wichtige und überraschende Einblicke in Sachkultur und Glauben, in Vorstellungen und Ideale dieser Sprachgemeinschaft zu schenken vermögen, – wenn man sie geduldig befragt. Freilich: Viele dieser Nachrichten bieten nicht das Zentrale und Typische, sondern das, was dem Römer als Beobachter von außen merkwürdig und fremd erscheinen mochte. Zudem ist das Material einseitig, es enthält wenig Vokabeln, reichlicher Namen. Um unsere Kenntnis dieser Epoche so weit wie möglich zu vervollständigen, haben sich die Vertreter vieler Fächer zusammengetan, außer den Linguisten der Germanistik vor allem Prähistoriker und Erforscher der Alten Geschichte, aber auch Klassische Philologen, Religionswissenschaftler, Kenner der historischen Geographie, der Paläo-Botanik und -Zoologie und sogar der Arabistik. Gemeinsam arbeiten sie daran, ein umfassendes und detailreiches Gesamtbild des germanischen Altertums zu gewinnen. Dabei ergänzen sich die Thesen und Ergebnisse der einzelnen Disziplinen oder korrigieren sich auch. Unsere Arbeiten fließen ein in das auf viele Bände angelegte Reallexikon der germanischen Altertumskunde. (Die Kenner nennen es auch den ‘Neuen Hoops’, da es ein Vorgängerwerk aus der Zeit von 1914 ersetzt.) Die Göttinger Akademie hat dieses in den sechziger Jahren von Herbert Jankuhn ins Leben gerufene Unternehmen in ihre Obhut und Aufsicht genommen. Innerhalb zweier Jahrzehnte soll es nun zum abschließenden Z geführt werden, so daß Sie sich dann – jedenfalls die Jüngeren unter Ihnen – aus erster Hand über germanische Zaubersprüche, Zweikämpfe und Zwillingsgötter orientieren können. In diesem Werk finden auch die frühesten Zeugnisse unserer Sprache den ihnen gebührenden Platz.

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Ergänzende Hinweise Relative Einheitlichkeit des Germanischen in den Jahrhunderten. um Chr. Geb.: F. van Coetsem (1970, S. 33 ff.). Photios, Bibliothèque, hrsg. von René Henry, Bd. 2. Paris 1960, codex 166. +DsA=: (zuerst von Pytheas genannt.) Collinder (1935) verknüpft es mit altnord. taularvágr ‘enger Fjord’ und norwegischen Ortsnamen wie Taul. +GDJH@6Cn0: G. Neumann (1953, S. 53–55). – Zum sk-Suffix vgl. Meid (1967, § 147). sualiternicum: G. Neumann (1993, S. 431–439). vibo: Plin. nat. 25,21. – Fr. Drexel (1928, S. 1172 f.); S. Gutenbrunner (1939a, S. 122 f.) – rumex wird in deutschen Dialekten auch als ‘Mundfäulkraut’ bezeichnet, vgl. H. Marzell (1937–1979, III, Sp. 1501). – Der Verbalstamm weib- liegt auch in den Pflanzennamen Wibbel-bohne, Wibele-wick usw. vor. alces: Caesar, De bello Gallico 6,27,1. Hier ist c ungenaue Schreibung für germanisches Ȥ. Weitere Ortsnamen mit Erstglied Elch bei Förstemann (1913–1916, Sp. 809 ff.). Ariovist: A. Scherer (1955, S. 203 f.); H. Reichert (1976, S. 558 ff.). Segestes: N. Wagner (1983d, S. 434). – Zum st-Suffix vgl. Meid (1967, § 128). -:<¼B=GD0 und -:<>BDyCID0 : Strab. 7,291 C. DJHC^A96: Nur belegt bei Strab. 7,292 C. Dazu u.a. W. Streitberg (1891, S. 506); zum Erstglied anders Th. von Grienberger (1913); R. Much (1913b, S. 205 und 1928a, S. 22; zu altnord. þausn fem. ‘Getümmel’); S. Gutenbrunner (1937, S. 66 f. usw.). Entstehung von Ethnien: R. Wenskus (1961). Gruppennamen: A. Demandt (1993). Batavi: L.Weisgerber (1969, S. 335); Neumann (1976a, S. 91). – Das Altenglische bewahrt in der Deklination der u-Stämme noch letzte Reste dieser Ablautstufe mit Abtönung, vgl. K. Brunner (1965, § 271 mit Anm. 1). Cananefates: Kasus-Komposita mit Genetiv im Erstglied liegen z.B. auch vor in got. baurgs-waddjus ‘Stadtmauer’, altsächs. sunnan-dag usw., später im Ortsnamen Frankonofurt (Gen. Plur.). – Zur Gefäßbezeichnung J. Pokorny (1959–1969, S. 351). Den Anführer Gannascus erwähnt Tac. ann. 11,18. Gepiden: R. Much (1888, S. 409; 1893, S. 73; 1893c, S. 214); G. Neumann (1998b). Saxones / Sachsen / niederdeutsch Sassen: J. Schwietering (1923, S. 291); A.A. Genrich (1970, S. 66–112, 131); N. Wagner (1985). Truloi / Troll: Olympiodoros, Frag. Hist. Graec. ed. C. Müller, Band 4, S. 64 Frg. 29 pI> Dª )wUC96AD> IDv0 !nI$DJ0 .GDsADJ0 @6ADyH>C. Zur

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Grundbedeutung etwas anders T.H. Wilbur (1958, S. 137–139; ein Troll sei „a monster, an evilly disposed being who confuses and deceives his victims“). Vgl. noch L. Motz (1984, S. 179–195) und N. Wagner (1988a, S. 326). Chaibones: G. Neumann (1981). eils Goticum: Anthologia Latina ed. A. Riese I, 1894, nr. 285 = D.R. Shackleton Bailey 1982, nr. 279. – Oben ist die Herstellung des gotischen Textes von H. Möller (1899, S. 103–104) zugrundegelegt. – Vgl. noch M.E. Huld (1990, S. 120–127). wassail: F. Specht (1937, S. 16 f.). Helm von Negau: P. Reinecke (1950, bes. S. 175 f. 188 ff.). – Zur Datierung zuletzt: M. Egg (1976, S. 299–303). Zur Inschrift: R. Egger (1959). Die Endung -i von Ȥarigasti ist wohl mit Egger die eines lateinischen maskulinen Genetivs. (Eine germ. Lautform teiva‘Gott’ mit erhaltenem Diphthong -ei- darf für diese Zeit nicht mehr angenommen werden, die Monophthongierung zu -i- war da schon vollzogen.) – Zu Ȥarigasti ferner O. Höfler (1970, S. 114 ff. und 142) sowie H. Birkhan (1971, S. 29 Anm. 50). Hranno: N. Wagner (1988b, S. 238–239). Tac. Germ. 9: Deorum maxime Mercurium colunt. – Steininschriften des Rheinlandes nennen den Mercurius viator. Germanisch *gastiz bedeutet primär ‘Fremdling’; Zur Auffassung von Ȥarigasti als Possessivkompositum vgl. J. de Vries (1962a), der entsprechend den runischen hlewa-gastiȐ (Gallehus) als ‘der berühmte Gäste hat’ übersetzt. Aber Ȥarigasti ließe sich auch als Determinativkompositum ‘der Fremdling im Heer’ verstehen. Gastfreundschaft / Gastherrschaft: Wenskus (1961, S. 364 ff.) und Hellmuth (1984). – Tac. Germ. 21 hospitiis non alia gens effusius indulget. Gastinasus: in CIL XIII 8565 Gen. Gastinasi belegt. – Verbales Rektionskompositum mit o-Stufe im Zweitglied, wie z.B. in L:CD-9n@D0. (Vgl. altsächs. lif-nara ‘Lebensunterhalt’.) Matronen: G. Bauchhenß / G. Neumann (Hrsg. 1987). Neue Vorschläge: R. Nedoma (1989; zu Amfratninae) und Th. Vennemann (1993b). Gabims: Neulesung der Endung gewonnen durch Th. Vennemann (1993b, S. 395). – gabi- ‘Geberin’ ist wohl -jǀ-Stamm. Alateivia: CIL XIII 8606. ei ist hier ungenaue Schreibung für e. Garmangabis: Gutenbrunner (1936, S. 90 ff.). Namenssatz: Tac. Germ. 2. Zu seinem Verständnis zuletzt D. Timpe (1993).

II. Beiträge zu Ortsnamen II.1 Selbstständige Beiträge

Alust – ein krimgotischer Ortsname? [Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung 98 (1985), S. 280–284, unter Mitarbeit von Klaus Düwel]

In dankbarer Erinnerung an Wolfgang Krause, geb. 18.9.1895

Der folgende Aufsatz gilt dem Andenken unseres verehrten gemeinsamen Lehrers, der uns in das Gotische eingeführt hat. Aus seinem meisterlichen Handbuch des Gotischen haben wir und viele Generationen gelernt.1 Für den einen und anderen der frühmittelalterlichen Ortsnamen, die aus dem Siedlungsgebiet der Goten auf der Krim überliefert sind, hat man schon früher Deutungen aus dem Gotischen vorgeschlagen.2 Diese Fälle, die meist zweifelhaft sind, sollen hier nicht erneut untersucht werden. Eine grundsätzliche Schwierigkeit von Namensdeutungen in diesem Gebiet entsteht durch das Nach- und Nebeneinander mehrerer Ethnien: stets ist mit skythischen und sarmatischen, d.h. iranischen, Namen zu rechnen, ferner mit zahlreichen griechischen und schließlich mit solchen, die von Turkvölkern stammen. Den hier zu behandelnden Ortsnamen Alust erwähnt zuerst Prokopios; er berichtet in De aedificiis (Ȇİȡ½ țIJȚıȝȐIJȦȞ; III 7,11 S. 262, ed. J. Haury), daß Kaiser Justinian in den Küstenorten Iq [ADsıIDJ @6ADsB:CDC @6½ Iq aC !DGNDJ7¼I6>0 mehrere Forts (?GDsG>6) angelegt oder erneuert habe. Wichtig ist die dann folgende Feststellung, daß die Goten sich auch an der E6G6A¼6, dem Küstenstreifen, angesiedelt hatten (»C6 9 a@ E6A6>Dy !nI$D> ¶@=CI6>). – Im folgenden geht es um die sprachliche Zuweisung (und die Etymologie) von Alust. Die überlieferte Form [ADsH1

2

Für den Nachweis und die Beschaffung mehrerer botanischer Aufsätze möchten wir Herrn Dr. U. Buschbom, Institut für Botanik der Universität Würzburg, auch an dieser Stelle vielmals danken. Ebenso danken wir Herrn Prof. H. Jäger, Würzburg, und Herrn Dr. D. Denecke, Göttingen, dafür, daß sie uns zur Benutzung der einschlägigen Karten der Krim verholfen haben. Vgl. Tomaschek (1881, S. 15) zu nGD0, UG60, °G60. Kritisch dazu Tischler (1978, S. 14 f.) – Die weitere von Tomaschek (1881, S. 73) vorgeschlagene Verknüpfung des Ortsnamens Fonna mit got. fon ‘Feuer’ leuchtet semantisch nicht unbedingt ein.

72

Beiträge zu Ortsnamen

IDJ mag als Gen. Sing, der o-Dekl. aufzufassen sein; solche Formen auf -DJ kommen dort mehrfach als Ortsnamen vor, z.B. Iq IDy +GUHDJ (ebd. IV 11, S. 145, 24). Wenn der Ortsname gotisch gewesen ist, wie wir wahrscheinlich zu machen hoffen, hat er in dieser Sprache vermutlich zu den Neutra auf -a gehört (Deklinationstyp got. waurd, vgl. Krause 1968, § 119). In späteren Urkunden finden sich mehrere Varianten dieses Ortsnamens: Bei Tomaschek (1881) lautet die Namensform in griechischen Synodalurkunden a. 1384 « [ADsHI6; in Genueser Dokumenten des 14. Jahrhunderts dann (mit Aphärese des Anlautvokals) Lusta (vgl. Vasiliev 1936, S. 180) bzw. im 15. Jahrhundert Lusce (Vasiliev 1936, S. 202) oder Luste (Vasiliev 1936, S. 226) usw. Weitere jüngere Varianten bucht Tomaschek (1881, S. 73). Unter der heutigen Namensform Alušta ist die Stadt als Bade- und Kurort bekannt; sie gehört zu der mediterran-maritimen Klimazone, die von Balaklawa über Oreanda und Jalta bis hierher reicht. Etymologievorschläge zu diesem Ortsnamen haben wir nicht gefunden. Eine Anknüpfung an das Griechische kommt nicht in Betracht, denn dort gibt es zwar ein (nur bei Hesych und im Etymologicum Magnum belegtes) Verb AJHIUNK, das ‘verstört sein, umherirren’ bedeutet, aber ein Nomen *XAJHID0 oder ähnlich ist nicht belegt, und die Bedeutung des Verbstammes eignet sich auch kaum zur Benennung eines Ortes. – Deutungen von Alust aus iranischem Sprachmaterial sind – nach freundlicher Auskunft von G. Klingenschmitt – nicht bekannt.3 Dagegen ist der Anklang des Ortsnamens an den gemeingermanischen Namen der Erle nicht zu überhören. Ahd. erila (mit Metathese aus *elira, das noch indirekt durch den runischen Personennamen fem. Alirgu(n)þ bezeugt ist,4 altsächs. elora usw.

3

4

Erwähnt sei aber, daß Hans Kuhn (1959, S. 14; = Kleine Schriften, Bd. 3, 1972, S. 127) auch diesen Ortsnamen auf der Krim für seinen hypothetischen vorgermanischen ‘Nordwest-Block’ beansprucht und ihn somit – unseres Erachtens zu Unrecht – in eine weit zurückliegende vorgeschichtliche Epoche zurückdatieren möchte. Ob Kuhn das Verdienst zukommt, als erster den Ortsnamen auf der Krim mit den nordwestdeutschen bzw. niederländischen Ortsnamen zusammengestellt zu haben, muß offen bleiben, da er einschlägige ältere, von ihm genützte Literatur kaum zitiert. Vgl. W. Krause (1966, M 966, 306) (Fibel von Weingarten). In diesem Personennamen fem. steht die Baumbezeichnung sicher metonymisch für die Bezeichnung einer Waffe das Holz per synecdocham für das daraus gefertigte Gerät, aller Wahrscheinlichkeit nach für die Verteidigungswaffe Schild. (Schilde aus Erlenholz sind nach freundlicher Mitteilung von G. Gebühr, Göttingen, nachgewiesen.) – Krause (1966) zieht althochdeutsche Personennamen mit Vorderglied alse- und elis- als Parallele heran.

Alust – ein krimgotischer Ortsname?

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führen auf ein germ. *alizǀ / *aluzǀ fem.5 Aus altnord. jƭlstr ist auf ein älteres *elustra zu schließen, d.h. auf einen s-Stamm, der mit dem bekannten germanischen Baumnamensuffix -dra- (Meid 1967, § 138.3) erweitert worden ist, vgl. das Nebeneinander von mazzal und mazzaldra 6 usw. Auf diesen s-Stamm weisen auch zwei andere suffixale Ableitungen: einmal die schon bei Marzell (1943, S. 218) aus nordgermanischen Varianten erschlossene Form *alizja-, zweitens – mit Nasalsuffix – der Ortsname Alisni (Förstemann 1872, S. 106) sowie der kürzlich neu aufgefundene Matronenname Alusneihiae.7 (Zu diesem vgl. M. Clauss 1976, nr. 7.) – Der Baumname zeigt in der zweiten Silbe Suffixablaut: neben -i- erscheint mehrfach -u-. Diese Stämme, der jüngere *alizǀ und der ältere *aliz-, *aluz- bilden das Grundwort zahlreicher germanischer Ortsnamen. Von *alizǀ abgeleitet ist z.B. Elsuth < *alisǀþu- (Gysseling 1960, S. 314), von *aliz- / *aluzunter vielen anderen der Ortsname Elst im holländischen Gelderland (a. 726 Heliste, a. 896 Elste, a. 911 Eliste, a. 1105 Eleste, a. 1178 Elst, vgl. Gysseling 1960, S. 314) sowie der Ortsname Aalst (a. 866 Alost, a. 868 Alosta usw., vgl. Gysseling 1960, S. 32). Diese sind auf älteres *alista- bzw. *alusta- zurückzuführen; unserer Meinung nach bedeuten sie ‘mit Erlen ausgestattet, bewachsen’, d.h. an den s-Stamm ist ein Suffix -ta- angetreten.8 – Mit genau derselben Bildung rechnen wir nun in dem auf der Krim bezeugten Ortsnamen. 5

6

7

8

Im Bibelgotischen kommt der Name der Erle nicht vor; doch scheint spanisch aliso für das Westgotische indirekt die Existenz dieses gemeingermanische Wortes zu bezeugen. (Dagegen aber V. Bertoldi 1928a, S. 187 ff.) Vgl. H. Marzell (1943, s.v. Alnus). Die wertvollen sprachwissenschaftlichen Erläuterungen stammen von W. Wissmann. Auch der Befund in den benachbarten indogermanischen Einzelsprachen führt zu einem doppelten Ansatz: dem germ. *alizǀ fem. entspricht russ. ólƱcha (dazu ohne Abtönung altslaw. jelƱcha < *elisƗ), maked. XA>N6. Dagegen weisen lat. alnus und lit. alksnis auf älteres *alisno- bzw. *alisni-. Für diesen Typ hat G. Neumann (1971) eine Reihe von Beispielen gegeben, z.B. Burdista ‘mit einem Steg versehen’, Ortsname Segusta ‘mit Riedgras (*se8az- / seguz-) bewachsen’ usw. Fürs Germanische vgl. weiter Meid (1967, § 118.2), „denominale Adjektiva“, doch führt er nur den jüngeren Typ mit Suffix -ida- auf, der durch Metanalyse von Bildungen mit i-Stämmen (Typ got. un-qeni-þs ‘unbeweibt’) entstanden ist. Die älteren Bildungen ohne solchen Vokal fehlen da. – Für das Lateinische betont M. Leumann (1977, S. 334 § 300), daß dessen denominale Neutra auf -to- als Kollektiva und Ortsbezeichnung überwiegend von Baum- und Pflanzennamen abgeleitet seien. Das dem Germanischen nahe verwandte Latein hat demnach den gleichen Typus (arbustum ‘mit Bäumen versehen’ zu *arbos‘Baum’, salictum ‘Weidengehölz’, zu salic- ‘Weide’) reich ausgebaut.

74

Beiträge zu Ortsnamen

In diesem Zusammenhang wird der zuerst von Tomaschek gebuchte, heute noch geläufige Flußname Alušta wichtig. Dies Gewässer ist etwa 15 km lang und mündet wenig südlich der gleichnamigen Stadt ins Schwarze Meer, vgl. z.B. den sowjetischen Atlas Mira, 1954. Sicher hat der Fluß der Siedlung den Namen gegeben, denn allgemein gilt, daß Ortsnamen viel häufiger von Gewässernamen abgeleitet werden als umgekehrt – das wird für die oben erwähnten niederländischen Ortsnamen Elst und A(a)lst genauso zutreffen –, und zweitens findet sich gerade die Erle häufig an Flüssen und Bächen oder in Auenlandschaften, weil sie Nässe bevorzugt. Daher gibt es zahlreiche Gewässernamen, die mit dem Wort für Erle zusammengesetzt sind. Dieser Gewässernamen Alušta auf der Krim hat übrigens eine genaue Parallele im Flußnamen Alst (12. Jhd. Alest ) , eines rechten Nebenflusses der Werse, südsüdostwärts von Münster in Westfalen. Und auch hier findet sich daneben der Siedlungsname Alst (Post Albersloh). Die landeskundlich-botanische Literatur, vor allem Komarov (1970, S. 248), bezeugt für die Krim Vorkommen von Alnus glutinosa (Schwarzerle).

Der Ortsname Barlissen [Göttinger Jahrbuch 1964, S. 115–120]

Durch die unermüdete Archivalienforschung von Joachim Jünemann, Göttingen, besitzen wir vom Namen des Ortes Barlissen, eines Dorfes im Kreis Hannoversch-Münden, eine ungewöhnlich große Zahl von Varianten. Schon dies reiche Material darf Interesse beanspruchen und wird die folgende kurze Erörterung rechtfertigen, auch wenn aus den oft willkürlichen und nicht phonetisch treuen Schreibungen sich nur gelegentlich auf die lautliche Wirklichkeit zurückschließen läßt. Solche kompletten Schreibungsreihen sind wohl auch nützliche Bausteine zu dem von der Zukunft zu erhoffenden Historischen Ortslexikon für Niedersachsen. – Ich notiere hier nur den jeweils ältesten Beleg für eine Schreibung und lasse ganz unergiebige Abweichungen beiseite. 1. Belege im Text von Urkunden (ON = Ortsname, GN = Geschlechtername, FN = Familienname) 1233

1

Berleibisin

GN

Hess. Staatsarch. Marburg, Or. Urk. Kloster Cappel v. 25. Febr. 1233 und Wenck 1803, Teil III, Urk. Nr. 107 Dies ist der älteste Beleg.1 Das ei in -leib- (später auch ey geschrieben, vgl. die Belege von 1333, 1350, 1353 usw.) weist auf den geschlossenen Charakter des e-Vokals in dieser Silbe hin; daher kann er später (vgl. die Belege von 1364, 1582, 1660, 1689 ff.) zu i (auch y geschrieben) werden. Das b soll hier die labiale stimmhafte Spirans bezeichnen, d.h. etwa den Laut, den wir in Havarie, Revision sprechen. Sonst wird er in mittelniederdeutschen Texten meist mit v geschrieben, vgl. unten zum Beleg von 1268. Die Schreibung

Die Form Yerlevesn aus einer Urkunde Herzog Ottos des Kindes aus dem Jahre 1231, die sich im 2. Kopialbuch des Klosters Amelungsborn (VII B Hs. 109 fol. 8 v) befindet, bezieht sich nach einer Auskunft des Niedersächsischen Staatsarchivs in Wolfenbüttel vom 28.1.64 auf den Ort Garlebsen, Kreis Gandersheim. So auch Flechsig (1953, S. 46).

Beiträge zu Ortsnamen

76

b für diesen Laut tritt nach A. Lasch (1914, § 283) nur in alten Texten nahe der Grenze zum Mitteldeutschen auf. Das i der vorletzten Silbe ist mit Lasch (1914, § 212) nur eine ‘Schreibermode’, da die Genetivendung schon im Altsächsischen -es lautete. (Bei Wenck steht fälschlich -sen.) 1240

Berlepsen

1266

Berlevessen

ON

1266

Berlefve

GN

1268

Berlewessen GN Schmidt 1863, Teil 1 Nr. 14 Der Wechsel zwischen den Schreibungen mit b, v, u und w zeigt, wie die Schreiber mit verschiedenen Mitteln versuchten, die labiale stimmhafte Spirans graphisch darzustellen. Die Schreibung mit w wird (nach Lasch 1914, § 290) erst im 15. Jahrhundert häufig. – Ein Schreiber des Klosters Werden bei Essen hatte im Urbar A für diesen Laut ein Sonderzeichen, ein durchstrichenes b (0) eingeführt. Das gleiche Zeichen verwendet jetzt die moderne Grammatik und Phonetik, s.u. S. 81.

1300 1311

Berlevissen ON Cod. Ms. hist. l XX 139 S. 132 Berlevesse GN Cod. Ms. hist. l XX 139 S. 172 Auslautendes n fällt im Mittelniederdeutschen nicht selten ab.

1326

Berlevenses

2

GN

Leibniz, Orig. Guelf. IV, 1750, praef. Urk. S. 74 Das stimmlose p entsteht aus b durch Assimilation an den stimmlosen Spiranten s (bzw. sch). Dies p hat sich dann im Geschlechternamen Berlepsch bis heute gehalten. Cod. Ms. hist. l XX S. 862 (Ns. Staatsarch. Hann.) Bei weitem die häufigste Form des Orts- und Geschlechternamens im 13.–15. Jahrhundert (Siegel) Calenb. Or. Kloster Mariengarten Nr. 14 u.ö. fv ist ein Kompromiß zwischen der Inlautschreibung mit v und der nur für den Auslaut korrekten Schreibung mit f, vgl. Lasch (1914, § 290 Anm. 1). Das Fehlen des Ausgangs -ssen ist lautlich nicht zu erklären; hat vielleicht der enge Raum des Siegels hier die Kürzung erzwungen?

GN

Cod. Ms. hist. l XX 351 S. 212

In der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung.

Der Ortsname Barlissen

77

Der gelehrte Schreiber hat hier wohl den Wortausgang an die lateinische Adjektivendung -ensis (im Plural -enses) angeglichen. Aber das Mittelniederdeutsche kennt auch vereinzelt unetymologische Nasalierungen, vgl. den Beleg von 1351 und Lasch (1914, § 272). 1329

Berlevischen GN Cod. Ms. hist. l XX 139 S. 218 Zum Wechsel zwischen s und sch (und seltener sh, vgl. den Beleg von 1353) s. Lasch (1914, § 329.1).

1329 1333 1350 1351 1353 1353

Berlebischen GN Cod. Ms. hist. l XX 139 S. 219 Berleybesen GN Cod. Ms. hist. l XX 139 S. 227 Berleyveßen GN Schannat 1726, S. 270 Berlevensen GN Sudendorf 1860, Teil II Nr. 403 Berleveshen GN Cod. Ms. hist. l XX 326 S. 156 Berleyssin FN Gundlach 1930, S. 16 Für unbetontes e vor dentalem Nasal wird auch sonst gelegentlich i geschrieben, vgl. Lasch (1914, § 212). – Dies ist der erste Beleg für den Schwund des zwischen Vokalen stehenden Spiranten.

1356 1364 1365 1366

Berleivissen Berlyuessin Berlebisch Berleybisdien

1367 1370

FN Estor 1752, S. 57 ON u. GN Gott. Stadtarch. Or. Urk. Nr. 445 FN Schmincke, Bl. 306 GN Stammtafel d. Farn. v. Bodenhausen 1865, 29 Berleybsdien FN Schmincke, Bl. 331 f. Berleffin GN Sudendorf 1860, Teil IV Nr. 54 Das Fehlen des s-Lautes ist lautlich kaum zu erklären. Liegt vielleicht im Original eine Schreibung -fs- mit langem s vor?

1376

Berlevess FN Schannat 1726, S. 46 Über den oben zum Beleg von 1311 notierten Abfall des auslautenden n hinaus ist hier und im Beleg von 1399 auch noch das auslautende e abgefallen. Zu diesem Vorgang vgl. Lasch § 216.

1384 1384

Berleibissin Berleffeschin

GN GN

Sudendorf 1860, Teil VI Nr. 106 Ns. Staatsarch. Hann.; Cal. Or. Des. 100 Kloster Hilwartshausen Nr. 176 Die drei an der Urkunde befindlichen Wachssiegel tragen die Umschriften: S’ Huntt vo Berlbese, S’ Curti von Berleifse, S’ Tile de Berlefsen, also vier Varianten in einer Urkunde!

Beiträge zu Ortsnamen

78

1386 1388

Berleyssen GN Cod. Ms. hist. l XXI 279 S. 288 Barlevessen GN Cod. Ms. hist. l XXI 7 S. 289 Für den hier eintretenden ostfälischen Wechsel von er vor Konsonant zu ar notiert Lasch (1914, § 76), daß die Beispiele erst seit dem 15. Jahrhundert zahlreicher werden. Unser Beleg liegt also besonders früh. Doch gibt es den gleichen Wandel schon einmal im Altsächsischen, vgl. Gallee (1910, §§ 47b und 58).

1394 1398 1399 14. Jhd. 14. Jhd. 14. Jhd. 1408 1410 1416 1460

Berlebesdien Berleveszen Berleyveß Berleybyschin Berleibsß Berlyvessin Berliebisse Berleuessin Barlefesen Berlevßen

1477

GN GN FN FN GN FN GN ON GN ON

Cod. Ms. hist. l XVI 144 S. 134 Sudendorf 1860, Teil VIII Nr. 222 Schannat 1726, S. 270 Gott Stadtarch. Or. Urk. Nr. 1212 Gott. Stadtarch. Or. Urk. Nr, 1804 Gott. Stadtarch. Or. Urk. Nr. 729 Gott. Stadtarch. Entwurf f. Urk. Nr. 1673 Gott. Stadtarch, Or. Urk. Nr. 937 Cod. Ms hist. l XVI 172 Vaterl. Arch. f. Hannoversch-Braunschweig. Geschichte, Jahrg. 1833, H. l S. 158 f. Barlevessen ON Ns. Staatsarch. Hann., Gelle Or. 9 Schr. VII Caps. 14 Nr. 12 Von nun an hat sich das a der ersten Silbe in der Schreibung durchgesetzt.

1492 1575

Barleßen ON Gott. Stadtarch., Kämmereiregister Manual Barlapsen ON Schloßbibl. Jühnde, Kirchenrechnung Das hier ganz singulär für e auftretende a in der Mittelsilbe ist wohl als ‘umgekehrte Schreibung’ zu werten. Weitere Beispiele bei Lasch (1914, § 78).

1582

Barliebsen

1585

ON

Ns. Staatsarch. Hann., Cal. Br. Arch. Des. 19 X Nr. 109 Bardelevessen ON Burchardt 1935, S. 84 Das hier auftretende d ist wegen seiner Einmaligkeit nicht sicher zu deuten. Man könnte erwägen, es für einen ‘Übergangslaut’ zu halten, wie er z.B. in nhd. Fähndrich, Spindel, in niederdt. Hendrik eingetreten ist. Dann böte das bei Lasch (1914, § 309) ziterte jârtlikes ‘jährlich’ eine genaue Parallele, da auch dort der Dental zwischen den beiden dentalen Sonorlauten r und l aufgetreten ist.

Der Ortsname Barlissen

1606 1630 1654 1660

79

Barlevische Barleveißen Barlebsen Barließen

ON ON ON ON

1689

Barrilsen

ON

1729 1735 1844

Barliesen ON Schloßbibl. Jühnde, Dok. B Urk. Nr. XI Barliehsen ON Hof l Jühnde, Lagerbuch Barlissen ON Ablös.-Akte der Hand- u. Spanndienste Das ist bis heute die amtliche Schreibung. Die mundartliche Form lautet heute /barlßƟn/.

1687

Jühnder Pfarrarchiv, Kirchenrechnung Jühnder Pfarrarchiv, Kirchenrechnung Jühnder Pfarrarchiv, Kirchenrechnung Ns. Staatsarch. Hann., Cal. Br. Arch. Des. 19 XI E 10 Barelsen ON Schloßbibl. Jühnde, Dokum. B Urk. XXVI Diese Form entspricht der heutigen mundartlichen Lautung schon insofern, als von leb-, dem zweiten Bestandteil des Personennamens, nun durch Synkopierung alles bis auf das anlautende l geschwunden ist. Ns. Staatsarch. Hann., Cal. Br. Arch. Des. 19 XII Nr. 17 Die Schreibung mit i in der Mittelsilbe hat sich nun völlig durchgesetzt.

2. Unterschriften unter den Adelsbriefen der Herren von Berlepsch an die Stadt Göttingen (aus der Sammlung des Stadtarchivs Göttingen). Hans von Berleyssin (14. Jahrhundert, vgl. auch den Beleg von 1386 oben), schreibt sich auch von Berleuessen (vgl. den Beleg von 1410 oben), von Berleibsßen, von Berleuißin. Otte van Berleifsin oder (mehrfach) von Berleifsen. (14. Jhd.) Günther van Berlobschen. (15. Jhd.) Mit dieser alleinstehenden Fehlform sollte wohl an die Personennamen mit dem Hinterglied -lob angeknüpft werden. Er schreibt sich aber auch von Berlepßen. Casper von Berlipßen (15./16. Jhd.). Zum fakultativen Abfall des -en vgl. das zum Beleg von 1376 Gesagte. Jost vonn Berlewbschenn (1531). Auch hier könnte man an eine (etymologisch falsche) Anlehnung an den Namensstamm leub- (Förstemann 1900, I, Sp. 1018) denken. Wahrscheinlicher ist aber, daß -wb- nur eine doppelte Schreibung des Labials ist, vgl. oben zum Beleg von 1266.

80

Beiträge zu Ortsnamen

Die Deutung des Namens. – Hier wird nicht der Anspruch erhoben, grundlegend Neues zu sagen; die richtige Erklärung des Namens ist schon früher gefunden worden. Wir tragen nur Einzelheiten nach. Der Wortausgang gehört zu einem in unserem Raum bekannten Typus, von dem Barlissen der südöstlichste Vertreter ist. Das auffallende Schlußstück -issen / -essen / (e)xen / fzen u.a. besteht aus der Genetivendung eines Personennamens, der das Vorderglied des Ortsnamens bildet. Nicht ganz sicher erklärbar ist aber das Schlußstück -sen. Flechsig (1953, S. 46) erwägt zwei Möglichkeiten, einmal, es als sehr früh synkopierte Form von hüsen ‘bei den Häusern’ aufzufassen – das erscheint ihm weniger wahrscheinlich –, oder aber als geschwächten Rest von hêm ‘Heim’. Eindeutig entscheidbar ist das vorderhand nicht, denn es gibt in Flechsigs Material Belege für beide Möglichkeiten, z.B. Luthardeshusen (Trad. Corb.), später Luithardessen (bei ihm Nr. 178, heute Lüthorst), und daneben für Lüerdissen im Kreis Holzminden die Belege 1197 Ludersheim und 1154 Luitheressen (zum Personennamen Lothar). – Ganz gleichartig gebildet wie Barlissen sind u.v.a. Meimbressen (nördlich von Kassel, zum Personennamen Meginbreht), Willebadessen (südwestlich von Höxter, zum Personennamen Willebad), Hombressen (östlich von Hofgeismar, zum Personennamen Hunibert), Hillegossen (südöstlich von Bielefeld, zum Personennamen Hildegot), Eilbrexen (zum Personennamen Egilbrecht), Algermissen bei Hildesheim aus Alegrimesheim (Chron. Hild.). Wie in diesen Fällen werden wir also auch im Vorderglied unseres Ortsnamens Barlissen / Berlevessen einen zweiteiligen Vollnamen suchen. Beide Bestandteile des vorauszusetzenden Personennamens Bërn-le0- sind häufig belegt. Das erste Glied ist der Tiername ‘Bär’, der in den germanischen Sprachen als Namensbestandteil sehr beliebt ist, vgl. Bernhard, Berengar, aus dem Altsächsischen etwa noch Bermer < *Bërnmar (875 Corvey), Berwini < *Bernwini (Werden 799) usf. Weiteres Material für Personennamen mit dem Vorderglied ‘Bär’ bei Förstemann (1900, I, Sp. 258 ff.); dort Sp. 270 auch ein Bernlef (aus der Vita Liudgeri) und bei Schlaug (1955, S. 75 f. und 177 f.) – Schröder (1944, S. 51) rechnet damit, daß der alte Tiername schon sehr früh („meinetwegen urgermanisch“) als Metonymie für den Krieger, den jungen Kämpfer verwendet wurde und daß in den Personennamen diese Bedeutung anzusetzen sei. – Das Wort geht zurück auf idg. *bher- ‘hellbraun’ (vgl. Pokorny 1959–1969, S. 136), das oft auf braune Tiere angewendet wurde. Fürs Germanische ist zunächst ein n-Stamm beran- anzusetzen, der jedenfalls im Altnordischen und Altenglischen noch durch ein -u erweitert wurde: *bernu-. Ob der gleiche Vorgang auch im Altsächsischen stattgefunden hat, ist nicht zu sagen; in der Kompositionsfuge war ja mit Gröger (1910, S. 224 f.) der Schwund des Fugen-

Der Ortsname Barlissen

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vokals die Regel. Gröger gibt (1910, § 127 DD) auch Parallelen dafür, daß der im ersten Glied des Kompositums im Auslaut stehende Nasal im Althochdeutschen und Altsächsischen geschwunden ist: elboum < *eln-baum, scerscûfla neben scernscûble. Der zweite Bestandteil -le0- heißt in Personennamen ‘Sohn’ bzw. ‘Tochter’, strenger etymologisch ‘der bzw. die Nachgelassene’. Mit dem altsächs. Subst. lê0a f. ‘das Überbleibsel, das Erbe, der Nachlaß’, das zweimal im Heliand belegt ist, hängt er eng zusammen. Entferntere Verwandte sind engl. to leave, dt. bleiben. Zu den Namen mit le0- vgl. Förstemann (1900, I, Sp. 996 ff.). Fürs Indogermanische setzt Pokorny (1959– 1969, S. 670) eine Wurzel *leip- an, deren abgelautete Form *loip- zu germ. *lai0- (mit Wirkung von Verners Gesetz) führte. – Wir geben hier nach Schlaug nur einige Beispiele von Personennamen, in denen das altsächs. -le0- in verschiedenen Schreibungen den zweiten Bestandteil bildet: (Die Schreibungen mit 0 stammen alle aus Werden, vgl. oben S. 76.) Marclif (Corvey um 875, mit korrekter Schreibung des verhärteten Auslauts), Meginle0 (um 900, zu megin ‘Kraft’), Oslef (Corvey um 825, zu os ‘Gott’), Osleuus (Werden 837), Rikle0 (um 900), Riclef (um 1000), Thonclef (Merseburg, zu thank ‘Gedanke, Dank’, Thiatle0 (10. Jahrhundert), Wonlef eremita (gestorben 1013, zu wân ‘Hoffnung’), Werinlef (um 1000, zum Volksnamen der Warnen). – In Ortsnamen unserer näheren Umgebung findet sich -le0- noch in Garlebsen, Kreis Gandersheim (1238 Gerlevessen), Reileifzen im Kreis Holzminden (1018 Reinlevessen, zum Personennamen Reginle0-), Rolfzen im Kreis Höxter (1158 Rotlevessen, zum Personennamen Hrodle0), ferner in Adelebsen (990 Etheleveshusori). — Erwähnt sei noch, daß auch umgekehrt le0- als erstes, bern- als zweites Glied eines Personennamens vorkommt. Der Name Barlissen gehört also zu den sehr häufigen Siedlungsnamen, die in ihrem Vorderteil den Namen eines Grundherrn enthalten. Die Namenforschung faßt diesen Typ (Personennamen im Genetiv und ein typisches Grundwort wie -hausen oder -heim) als eine Prägung auf, die sich an den gleichartigen Bautyp Martini villa im gallisch-romanischen Teil des Frankenreichs angelehnt hat. Vgl. dazu A. Bach (1954a, § 477), der daher vom „fränkischen Stil der deutschen Ortsnamengebung“ spricht. Ist das richtig, so würde das Vordringen dieses Ortsnamenstyps zugleich auf die Übernahme früh-feudaler Siedlungsformen hinweisen.

Der Ortsname Bingen [Beiträge zur Namenforschung, N.F. 9 (1974), S. 253–256]

Im folgenden soll für den uralten Namen der kleinen Stadt auf dem linken Ufer des Mittelrheins eine neue Etymologie erwogen werden. Zunächst gehen wir die ältesten Belege durch: a. 79

Bingium

Tacitus Historiae IV 70

Der Ortsname wird hier im Zusammenhang des Civilis-Aufstandes genannt. Die Gründung des militärischen Stützpunktes wird aber älter sein; am wahrscheinlichsten ist, daß er zu denen gehört, die Drusus bei seiner systematischen Sicherung der Rheingrenze angelegt hat. Dabei ist auf das Lager ein einheimischer, zweifellos nicht-lateinischer Name übertragen worden. 3. Jhd.

[B] INGIVM

CIL XIII 9158 Meilenstein von Tongern

Es liegt Nominativ Singular vor, wie die anderen Ortsnamen beweisen. Um 300 Bingio praefectus militum Bingensium

Itinerarium Antonini 253 Notitiae dignitatum Occ. 41, 10 und 22

Dieses Adjektiv deutet aber wohl auf einen zugrundeliegenden Ortsnamen ohne -i, also *Bingum, Binga oder ähnlich. PRAEF.BIN [

CIL XIII 6211

Diese Abkürzung erlaubt keine Aussagen über die Gestalt des Stammauslauts. Um 370 addita miratus veteri nova moenia V ingo

Ausonius Mosella V.2

So konjiziert Th. Mommsen; dagegen schlug T. Minola die Lesung Vinco vor. Die Codices haben Vico. Vinco

Itinerarium Antonini 371,3

Beiträge zu Ortsnamen

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Diese Namensform macht Schwierigkeiten. Das v des Anlauts läßt sich zwar als Ausdruck der vulgärlateinischen Aussprache des bilabialen Reibelauts verstehen; aber die Tenuis c bleibt unerklärt. Bemerkenswert ist auch hier wieder das Fehlen des i im Suffix. a.757

in Pinger marca

Codex Diplomaticus Fuldensis 151

Hier steht der Ortsname beziehungsweise das Ethnikon zum erstenmal in althochdeutscher Form, obwohl der Gesamttext der Urkunde lateinisch ist. Es liegt eine Einwohnerbezeichnung vor wie in ahd. Costinzare ‘Bewohner von Konstanz’, Waldkirihari usw. Zu erwarten wäre wohl eine Genitivform Pingero gewesen; doch mag ihr Endvokal ausgefallen sein, da die Gruppe in Pinger marca ähnlichen Gesetzen wie ein Kompositum gehorcht haben kann, wo Synkope in der Fuge eintritt. a. 765

Castello Pingense

Codex Diplomaticus Fuldensis 26

a. 767

in Binger marca

Codex Laureshamensis nr. 1315 ff.2

a. 793

Bingiorum marca

Codex Diplomaticus Fuldensis 105

a. 817

necnon et iuxta Bingam uineam unam

Codex Diplomaticus Fuldensis 325b, Urkunde Ludwigs des Frommen

a. 821

in castello Pinge

Codex Diplomaticus Fuldensis 395

a. 824

in castello Pingua

Codex Diplomaticus Fuldensis 429

In dieser Schreibung liegt wohl eine gelehrte etymologische Angleichung an das lat. Adj. pinguis ‘fett, fruchtbar’ vor. a. 832

et de fisco nostro quod est in castello Pinguuio

Rheingauische Altertümer 110, Urkunde Ludwigs des Frommen3

Auch hier hat der Anklang an lat. pinguis wohl gewirkt. Die lateinische Schreibung uu meint deutsches /w /.4 1

2

3 4

E.F.J. Dronke (Hrsg.), Codex Diplomaticus Fuldensis, Cassel 1850, Nachdr. Aalen 1962; siehe auch J. F. Schannat, Corpus Traditionum Fuldensium, Lipsiæ 1724. K. Glöckner, Codex Laureshamensis, II (Kopialbuch), Darmstadt 1936. Bodmann (1819). Bodmann (1819). Dieser Beleg ist im Deutschen Städtebuch, IV, Südwestdeutschland, 3, Land RheinlandPfalz und Saarland, 1964, S. 103, falsch als Pingunio wiedergegeben. Er entfällt somit als vermeintlich ältester Zeuge für ein -n- hinter dem Stamm des

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Der Ortsname Bingen

Eine zwingende Deutung des Ortsnamens ist noch nicht gefunden. H. Krahe (1964b, S. 19 f.) stellt den Ortsnamen als *bheng-io-m (Neutrum) zur indogermanischen Wurzel *bhe(n)g- ‘zerschlagen, zerbrechen’ (Pokorny 1959–1969, S. 114 f.) und deutet ihn als ‘Ort, wo sich die Wellen (eines Stroms) brechen’ und hier speziell ‘Siedlung am Rheinknie’. Der Name sei vorgermanisch, aber indogermanisch; ob von keltischer Herkunft, läßt H. Krahe offen. Er bemerkt, daß sich das altirische Verb bongaid ‘bricht, erntet, siegt’ semantisch weit von der angenommenen Grundbedeutung entfernt habe. Diesen negativen Befund wird man durch die Beobachtung ergänzen dürfen, daß in Keltischen die zu dieser Wurzel gehörenden Substantiva (einschließlich der Partizipia) das ja von Haus aus nur in den Präsensstamm der Verben gehörende infigierte -n- nicht übernommen haben: air. Verbalnomen búain < *bhog-ni-, mittelir. boimm ‘Bissen’ < *bhog-smn.r Als Alternative vorgeschlagen sei hier nun die Verknüpfung des Ortsnamens Bingium mit obdt.-mitteldt. pinge ‘(natürliches oder künstlich zum Beispiel durch Bergbau, geschaffenes) Loch, Erdriß’, mhd. binge (ursprünglich starkes, später auch schwach gebeugtes) Femininum ‘Vertiefung, Graben’, mnd. binge ‘kesselförmige Vertiefung’. Diese Verknüpfung führt also für den Ortsnamen zur Annahme germanischer Herkunft und dann weiter zur indogermanischen Wurzel *bhengh- ‘dick, dicht; Haufen’ (Pokorny 1959–1969, S. 127 f.). (Hier ist vielleicht an die Sprache der swebischen Wangionen5 zu denken.) Von dieser Wurzel sind (wie in den anderen indogermanischen Einzelsprachen) auch im Germanischen nur nominale Ableitungen belegt. So wird man auch den Ortsnamen als ‘zur Einbruchstelle gehörend’ (mit germanischem Suffix -ja-) zu einem germanischen Substantiv *binga (alter -ǀ-Stamm) auffassen. Morphologisch unmittelbar zu vergleichen sind die althochdeutschen Ortsnamen Pohhi (a. 770, zu buohha ‘Buche’), Eihhi (a. 970), Wengi (zu wang ‘Wiese’), da auch sie mit Hilfe des ja-Suffixes von einem femininen Substantiv abgeleitet

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Ortsnamens. Die Namensform Bingen mit auslautendem Nasal hat es im 1. Jahrtausend noch nicht gegeben. Der Zeitpunkt, an dem die Wangionen den Strom überschritten haben, ist nicht sicher. H. Nesselhauf (1951, S. 71 ff.) betont: „In den sicher caesarischen Partien der Kommentarien findet sich kein Hinweis auf germanische Siedler links des Rheins für die Zeit nach der Ariovistschlacht.“ Kurz vor Christi Geburt habe Augustus germanische Stämme über den Strom geholt. Mit den Wangionen auf dem Westufer rechnet er „spätestens in der ersten Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts“. – Natürlich könnte das auffallende und für jede Schifffahrt wichtige Naturphänomen des ‘Binger Lochs’ auch schon von Germanen, die noch am rechten Ufer saßen, als *binga bezeichnet worden sein.

Beiträge zu Ortsnamen

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sind (Schatz 1928, S. 7); siehe ferner die alten Ortsnamen Mattium und Carvium, die das gleiche Suffix enthalten. Von den Appellativa ist ahd. hirni ‘Gehirn’ hierherzustellen, das aus älterem *kersniiom entstanden ist und eigentlich ‘das im Kopf befindliche’ bedeutet (vgl. Meid 1967, § 74.2– 4). Auch nhd. Aue (Femininum, aus altem *Agwjǀ9- entstanden, ist nach der gleichen Weise gebaut: Der Stamm ist germ. *áhwǀ ‘Wasser’), also ‘die im Bereich des Wassers liegende (Erde o.ä.)’. In der Namensform Binga vom Jahre 817 könnte das alte Grundwort unverändert vorliegen. Gemeinsam ist H. Krahes und meiner Deutung, daß sie beide das ‘Binger Loch’ als Motiv für die Benennung annehmen. Darunter versteht man die Stromenge beim Durchbruch des Rheins zwischen Soonwald im Westen und Taunus im Osten, aber auch die (geologisch damit zusammenhängende) gefällreiche Strecke im Flußbett, wo die Schiffahrt durch Felsbänke, Riffe und Stromschnellen erschwert war.6 Der Nominalstamm bing- kommt auch sonst in deutschen und englischen Ortsnamen vor (engl. Bingham, Bingfield, Binglet usw.; das ndt. Bungenstedt (vgl. Förstemann 1913–1916, I, Sp. 626) bietet den Stamm in der Schwundstufe). Die Deutungen des Ortsnamens Bingen aus dem Keltischen, die sich bei J. Como (1924, S. 26) und R. Schumacher (1915, S. 64) finden, sind verfehlt. Das Gleiche gilt für die kurze Notiz in Rudolf Engelhardts Buch (1969, S. 55),7 der ein nicht existierendes keltisches Wort binge ‘Graben’ zugrundelegt. Weitere Fehldeutungen hat schon H. Krahe zurückgewiesen.

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H. Uhlig (1964). – Soweit wir wissen, ließ erstmals Erzbischof Siegfried von Mainz im 11. Jahrhundert Stromschnellen im Binger Loch beseitigen. Noch zu Anfang des 17. Jahrhunderts war das Fahrwasser am ‘Binger Loch’ nur 6 m breit. Siehe auch Keuscher (1845–51), insbesondere S. 299 (erwähnt eine ältere laienhafte Deutung: zu lat. pinguis ‘fett’).

Burungum und Bingium Zwei germanische Ortsnamen am linken Rheinufer [Beiträge zur Namenforschung 32 (1997), S. 401–407]

I. Als Standort einer ala des römischen Heeres ist Burunco / Burungo (Ablativ) im Itinerarium provinciarum Antonini Augusti 1 belegt, das aus dem Ende des 3. nachchristlichen Jahrhunderts stammt, aber wohl die Verhältnisse zur Zeit Caracallas (2. Jahrzehnt des 3. Jahrhunderts) notiert. Der Ort wird da zwischen Durnomagus (Dormagen) und Novesium (Neuss) lokalisiert, an der linksrheinischen Straße von Colonia Agrippina (Köln) nach Vetera, im Gebiet der Ubier. (Die Handschriften schwanken beim Tektal zwischen Media und Tenuis; ‹-nc-› ist als hyperkorrekte Schreibung zu bewerten.2) Der Anonymus Ravennas 4,24 (vgl. Schnetz 1940a) bietet die am Anfang verstümmelte Form Rungon.3 Den Ortsnamen buchen E. Förstemann (1856, I, S. 639 ff.) und H. Reichert (1990, S. 3, in den ‘Nachträgen’). Abgesehen von der lateinischen Endung ist der Ortsname westgermanisch;4 an den Stamm bnjr(a)- ntr. ist das Suffix -ung angetreten. (In diesem bildet -un- die spezifisch germanische Kontinuante von idg. n sonans.) Germ. *bnjra- ntr. ‘kleines Haus’ liegt vor in ags. bnjr ‘Hütte, Zimmer’,5 im Althochdeutschen im Simplex bnjr ‘cellarius, Vorratshaus’,6 im Determinativkompositum beta-bnjr ‘delubrum, sacellum’, im Possessivkompositum 1 2 3

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O. Cuntz (1929, S. 255,1). Genauso wie Itin. Ant. 371,3 in Vinco statt Bing(i)o. (Daneben 324,4 Vingio.) Die gleiche Verstümmelung des Wortanlauts liegt im Anon. Rav. beim Flußnamen Nabas ‘Naab’ vor, vergleiche N. Wagner (1980b, S. 9–24). So zutreffend schon W. Kaspers (1927/28) und ihm folgend L. Weisgerber (1969, S. 347), doch ohne die Einzelheiten genauer zu erörtern. Abwegig F. Cramer (1901, S. 67): „das gänzlich undeutsche Bur-unc-um“. Daraus ist neu-engl. bower ‘Gartenlaube o.ä.’ entstanden. – Für freundliche Auskünfte zum Altenglischen danke ich A. Bammesberger herzlich. Im Hildebrandslied (prnjt in bnjre) heißt bnjr ‘Frauengemach’, vergleiche R. Lühr (1982, S. 501 ff.) Ein Kompositum bryd-bur ist im Altenglischen belegt.

Burungum und Bingium

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gibnjro, nah-gibnjro ‘der denselben Wohnplatz (nahebei) innehat; Mitbürger, Nachbar’, in der Glosse bnjrinc ‘Bauer’ und so weiter. Daneben hat eine Bildung mit dem Suffix idg. -io-, germ. -ja- existiert. Beide Substantive kommen in späteren Ortsnamen häufig vor, mehrfach als Simplex Buren / Bühren / Beuren / Beuron (formal Dativ Plural, mit Umlaut), daneben in Komposita. Belege für das Erstglied bieten die Ortsnamen Büren-bruch und Bür-hausen, Bur-hem Reg.-Bez. Aurich, sowie die bei E. Förstemann (1856, I, S. 639 ff.) gebuchten Buria-burg (heute Büraberg südwestlich Fritzlar), Buri-bach, Bure-berch, Buri-dal 9. Jhd. (bei Wiesloch, heute volksetymologisch zu Baierthal entstellt), Bur-sati a. 1105 (heute Börsten, Krs. Geestemünde), Bur-lo mehrfach. Für das Zweitglied vergleiche Ortsnamen wie Lachenbure, Wessel-buren, Ibben-büren, Gotts-büren, Kaufbeuren, Dornbirn in Vorarlberg, älter Dorren-burren, dessen Erstglied der Genetiv des Personennamens Torro ist, Rüppurr, Vorort von Karlsruhe, aus *riut-pnjr, ferner Tri-bur, wörtlich ‘Drei-Hütten’.7 Aus dem Kanton Zürich weist mir freundlicherweise Rudolf Wachter (Basel) zwei gleichlautende, aber verschieden geschriebene Ortsnamen nach: Betbaur (a. 845 bettebur), Bezirk Meilen, Gemeinde Oetwil am See, und Bätbur, Bezirk und Gemeinde Horgen. (Sie sind identisch mit dem oben erwähnten ahd. beta-bnjr.) In Mainfranken, nahe Würzburg, finden sich a. 1182 Rintpure, heute Rimpar, und a. 1212 Rotenbur, heute Rottenbauer. Ferner erscheinen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zahlreiche Ortsnamen wie zum Beispiel Borstel oder Komposita mit -borstel, -bostel (Falling-bostel, Groß-borstel und so weiter), seltener -bustelde als Zweitglied. Da liegt bnjr + stal ‘Stelle, Stätte’ vor.8 Auch England kennt Ortsnamen, die den Stamm bnjr- enthalten, vergleiche Boarscroft, Bower, Little Bures und so weiter.9 Das für die Ableitung von Appellativa häufig benutzte (ablautende) Suffix -ung(a) / -ing(a) hat auch zur Bildung von Ortsnamen gedient. Das gilt für den westgermanischen Raum und darüber hinaus.10 a. Für den deutschen Bereich vergleiche Geistungen (zu geest ‘unfruchtbare Landfläche’), a. 1201 Veldungen (zu Feld), Holungen (zu hol ‘Loch, Höhle’), Schiedungen (zu mhd.-nhd. schied ‘Grenze’, mhd. schiedunge 7

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Zu dieser Bildung mit Kardinale im Erstglied vergleiche Burg Tri-fels, Tri-berg und so weiter. Vergleiche H. Franke (1975, S. 36 ff.). – Nach H. Wesche (1957, S. 58), sind die Siedlungen mit diesem Namens-Zweitglied vielfach noch heute Einzelhöfe. Vergleiche A.H. Smith (1956, I, S. 57). Vergleiche J. Udolph (1994, S. 149–161). Er betont mit Recht – gegen W. Jungandreas (1922, S. 61 ff.), – daß die Verwendung dieses Ortsnamen-Suffixes nicht auf einen bestimmten germanischen Stamm beschränkt ist.

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Beiträge zu Ortsnamen

‘Trennung’) und so weiter. – Oft bildet ein Flußname das Stammwort, so in Behrungen an der Bahra, Bodungen an der Bode, Leinungen an der Leine, Thürungen an der Thyra, Melsungen zu *Milisa, einem älteren Namen der Fulda (mindestens eines ihrer Abschnitte), und so weiter. – Mehrfach treten Tierbezeichnungen als Grundwort auf: Beverungen (zu Biber), Mardunga 8./9. Jhd. (zu ahd. mard ‘Marder’), Rehungen, Rossungen und so weiter; ebenso solche von Pflanzen: Birkungen, Lindungon a. 1070, Nesselungen, Rüstungen (zu Rüster), Varnungun 11. Jhd. (zu Farn) usw. Semantisch näher an Burungum stehen die Ortsnamen Büdingen (zu mhd. buode ‘Hütte’ o.ä.), Höfingen (zu Hof), Hüfingen (zu ahd. huoba ‘Landmaß, Grundstück’, nhd. Hufe), Huttingen (zu Hütte), Kaufungen (älter Cofunga, Coufungon, wohl zu mhd. höbe, mnd. koven ‘Kammer, Gemach, Stall’), ferner Fachingen an der Lahn (zu vach ‘Staudamm, Fischwehr’) Roding und Flahtungen (10. Jhd., heute Flechtingen, zu ags. fleohta ‘Hürde’), da deren Stammwörter ebenfalls auf Wohnbauten, technische Anlagen oder urbar gemachtes Land weisen. b. In den Ortsnamen Englands ist das alte Suffix -ung während der mittelenglischen Epoche durchweg durch -ing ersetzt worden. Burungum bedeutet demnach ‘Platz, der (eine oder mehrere) Hütten aufweist’. Er ist der älteste bezeugte germanische Ortsname mit diesem Suffix.11 Als ubische Form ist wohl *Bnjrunga mask. (wie ahd. fiordung ‘der vierte Teil’) oder ntr. anzusetzen. Die Römer haben für ihre Garnison den einheimischen Namen des Platzes übernommen und in ihre o-Deklination überführt. Der frühgeschichtliche Ort Burungum läßt sich bisher nicht genauer – etwa durch Inschriften – lokalisieren. Seit A. Rein (1855) haben manche ihn in Haus Bürgel 12 südlich von Düsseldorf-Benrath vermutet, in der Rheinaue nördlich Monheim. Das muß noch offen bleiben, ein etymologischer Zusammenhang zwischen den beiden N a m e n besteht jedenfalls nicht.13 Bürgel, ältere Formen Burgela, Burgele, enthält das Substantiv burg,14 das mit einem Deminutiv-Suffix erweitert ist. 11

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Die ältesten mit der Ablaut-Variante -ing finden sich bei Ptol. 2,11,13 (]H@6A¼<<>DC) und in der Tabula Peutingeriana 12/3 (Caspingium). Dieser Platz lag ursprünglich linksrheinisch, der Fluß hat wohl im 14. Jahrhundert seinen Lauf verändert. – In den letzten Jahren haben dort Archäologen der Universität Köln unter Leitung von Prof. Thomas Fischer ein römisches Kastell mit Funden aus dem 4. nachchristlichen Jahrhundert ausgegraben. Die Vermutung A. Reins (1855, S. 28), Bürgel sei eine volksetymologische Umgestaltung von Burungum, hängt in der Luft. Der Ortsname Bürgel wird im 8. Jahrhundert entstanden sein, als Franken die Reste des einstigen römischen Kastells zu einer kleinen Wehranlage ausgebaut haben.

Burungum und Bingium

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Noch eine zweite Lokalisierung ist vorgeschlagen worden. F. Cramer (1921, S. 120 ff.) und G. Rasch (1950, II, S. 65) wollten Buruncum auf Grund des Anklangs mit dem Ortsnamen Worringen (nordwestlich von Köln, auch linksrheinisch) gleichsetzen. Aber dessen Stammwort15 ist nicht mit bnjr- verwandt. So ist auch dieser Versuch unbegründet.

II. Bei Bingium = Bingen16 ist an der Verknüpfung mit mhd. binge ‘(runde) Vertiefung im Gelände’, altnord. bingr und so weiter festzuhalten, die ich (1974, S. 253 ff.) vorgeschlagen habe und die H. Kaufmann (1976, S. 17– 20 f.) übernommen hat. Berichtigend bleibt nachzutragen, daß S. Gutenbrunner (1955, S. 41 Anm. 7) sie vor mir gefunden hatte. Er zeigt da, daß dieses Appellativum auch ‘tiefe Grube im Wasser’ bedeuten kann. Gegenüber der von H. Krahe erwogenen und von K. Elsenbast & A. Greule (1980, S. 40 f.) beibehaltenen Verknüpfung mit einem keltischen Verbstamm bong- ‘brechen, siegen, ernten’ (altir. bongid) hat der Anschluß an das germanische Substantiv zwei entscheidende Vorzüge: 1) Der Stamm binge und seine Verwandten treten auch sonst vielfach in mittel- und westeuropäischen Ortsnamen oder Geländebezeichnungen auf, vergleiche Bingen an der Lauchert, Reg.-Bez. Tübingen, Binghausen, die Binghöhle im oberfränkischen Streitberg, in England17 Bingfield, Bingham, Bingletts, Bingley und so weiter.18 Sie alle gehören zu Sprachen, die aus dem Westgermanischen erwachsen sind. – Lautliche Varianten des Appellativs sind pinge, bünge, pünge.19 Auch die Ablautvariante mit u findet sich 15

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Als ältere Formen von Worringen nennt F. Cramer (1921, S. 120 ff.) Worunch a. 1153, Worunc a. 1170, Wuronc a. 1334–1356. Daß hier ursprünglich das Suffix -ung, nicht -ing, vorgelegen hat, darauf weist schon der fehlende Umlaut im Vokal der ersten Silbe hin. (Auch der Ortsname Uhry am Elm hieß a. 1022 Wurungon.) Das Stammwort dieser beiden Ortsnamen mag zu ahd. wuori, mhd. wüere, wüer, bair. wuor fern. ‘Damm im Wasser’ beziehungsweise dessen niederdeutschem Gegenstück gehören. (Vergleiche J. & W. Grimm 1854 ff., XIV, II, Leipzig 1960, Sp. 1750–1752, s.v. Wuhr.) Ältester Beleg bei Tac. hist. 4,70,4 – um a. 100 nach Christi Geburt geschrieben. Nach A.H. Smith (1956, I, S. 35). In der Sondersprache der Bergleute bezeichnet binge, pinge eine oberirdische kesselförmige Vertiefung, die durch das Zusammenstürzen eines Bergwerkstollens entstanden ist, vergleiche die Pinge bei Altenberg im Erzgebirge. Da liegt eine Bedeutungsverengung vor. Vergleiche J. & W. Grimm (1854 ff., II, Sp. 35; VII, Sp. 1859, s.v. Binge und Pinge).

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Beiträge zu Ortsnamen

in Ortsnamen wie Bungen, Bungenberg, Büngern bei Rhede (Ende 11. Jhd. Bungere). Solche toponymischen Verwendungen sind für bong- nicht nachgewiesen, zudem existiert in keiner keltischen Sprache ein Substantiv, das als Grundwort von Bingium in Frage käme; 2) und noch wichtiger: Bei altir. bongid ist das n Präsens-Infix, also nicht ohne weiteres in einem Substantiv vorauszusetzen. Wegen des Suffixes latein. -io-, das wohl ein germ. -ja- vertritt, ist der Ortsname zu übersetzen als ‘der Ort bei der Binge’. Wie im Falle von Asciburgium (heute Asberg) haben wir hier unmittelbar am westlichen Rheinufer Siedlungsplätze mit germanischem Namen vorgefunden. (Dazu treten noch solche, die sich aus den topischen Matronenbeinamen 20 erschließen lassen, wie zum Beispiel *Axsingi aus Axsinginehae nahe Köln, Corpus inscriptionum Latinarum XIII 8216.) Die Aussage H. Aubins (1925, S. 159), daß sich in der linksrheinischen Bevölkerung seit dem 1. vorchristlichen Jahrhundert ein germanischer Einschlag nachweisen lasse, gibt für beide hier behandelten Ortsnamen die obere Zeitgrenze ihrer Entstehung.

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Vergleiche G. Neumann (1987, S. 103 ff.).

Der südniedersächsische Ortsname Diemarden [Göttinger Jahrbuch 14, 1966, S. 65–70]

Zur Erklärung des südniedersächsischen Ortsnamens Diemarden gibt es in der Fachliteratur bisher nur wenige Äußerungen. Edward Schröder stellt ihn in seiner Deutschen Namenkunde (1944, S. 342) einmal ganz beiläufig mit Lengden und Weende zusammen, also mit Ortsnamen mit dem bekannten Suffix -ithi. (Eine Erklärung des Worts t a m m e s gibt Schröder da nicht.) Diesen Ansatz hat B. Crome (1924) leider dadurch in Verruf gebracht, daß er ganz ungezügelt für viele Ortsnamen in der Nähe Göttingens Vorformen mit dem Ausgang -ithi / -idi ansetzte – ohne sie aber als bloße Hypothesen zu kennzeichnen, und zugleich ihr Alter in die Steinzeit (!) zurückverlegte. Gegen dies unhaltbare Vorgehen richtet sich der Einspruch W. Flechsigs (1953, S. 13. 24. 26. 30. 59), und wenn wir auch im folgenden zu Schröders (und Cromes) Auffassung von Diemarden als einer Bildung auf -ithi zurückkehren, so muß doch ausdrücklich festgehalten werden, daß Flechsigs Kritik an Crome im ganzen vollauf berechtigt ist. Daß Crome, dessen Verdienste wohl mehr im Bereich der Vorgeschichte lagen, hier im Ortsnamen Diemarden das Suffix richtig erkannt hat, ist angesichts der vielen unfundierten sonstigen Deutungen eher als ein Zufall zu betrachten. Methodisch zu fordern ist bei der Deutung von Ortsnamen stets eine möglichst dichte Reihe von Belegen, die von der ältesten Bezeugung bis mindestens ins 17. Jahrhundert reichen; nur eine solche Folge erlaubt es, einzelne Fehlformen und Fälschungen auszuscheiden sowie die Lautveränderungen in der Namensform zu den Ergebnissen der historischen Grammatik in Beziehung zu setzen. Es ist immer gefährlich, von einer e i n z i g e n Form auszugehen, sei es die jüngste, heute benutzte, oder sei es auch die ältestbezeugte. Ich bin in der glücklichen Lage, den folgenden sprachlichen Erwägungen eine reichhaltige Liste zugrundezulegen, die Herr J. Jünemann, Dransfeld, in fleißiger und zuverlässiger Archivalienforschung zusammengestellt und mir überlassen hat. Auch an dieser Stelle sei ihm dafür herzlich gedankt.

Beiträge zu Ortsnamen

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1022 (3. Nov.) curtis Timertha 1022 Thimarda 1234

bonaindimerde

1236 1243 12 .. 1272 1291

in dimerde decimam in dimerden advocatio in Dimerden Godefridus de Dimerthen decime in Dimerde

1302 1319

villa Dimerden in villa dymerden, plebanus in dymerde Conradus de Dymerden

1334 1398 1412 1415 1506

1518 1524

1599

Michaeliskloster Hildesheim UB Hochstift Hildesheim u. s. Bischöfe I 68 Niedersächs. Staatsarchiv Hannover Cal. Or. Des. 100 Kloster Hilwartshausen Nr. 27 ebd. Nr. 29 ebd. Nr. 34 ebd. Nr. 36 a UB Stadt Göttingen, 1863, Nr. 19 Niedersächs. Staatsarchiv Hannover Cal. Or. Des. 100 Kloster Hilwartshausen Nr. 67 ebd. Nr. 92 a ebd. Nr. 120

H. Kelterborn, Die Göttinger Bürgeraufnahmen, 1961, S. 15 Henricus Dymerden textor ebd. S. 41 Hans Hentzen de dymerden ebd. S. 51 Dymerden Stadtarchiv Göttingen Or. Urk. Nr. 2 beneden unsern dorpe Niedersächs. Staatsarchiv HannoDymerden ver Cal. Or. Des. 100 Kloster Hilwartshausen Nr. 312 von dimerden Stadtarchiv Göttingen, Kämmerei Reg. 1518 fol. 39 to Dimewarden Schloßarchiv Adelebsen Or. Urk. Nr. 197 (Diese singuläre Form ist zweifellos das Ergebnis einer Schreiberetymologie, die den unklaren Namenstamm an das vertraute -ward- anknüpfen wollte. Für eine Namensdeutung ist sie wertlos.) Dimerdenn Niedersächs. Staatsarchiv Hannover Cal. Or. Des. 100 Kloster Hilwartshausen Nr. 394

Der südniedersächsische Ortsname Diemarden

1606

Dimeren

1612

Diemerden

heute

/dimern/

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Pfarrarchiv Jühnde, Kirchenrechnung Nieders. St. A. Hannover Cal. Or. Des. 100 Kl. Hilw. Nr. 397 gesprochene Form der Mundart

Diese Liste lehrt zunächst, daß während des 13.–16. Jahrhunderts die Form Dimerde(n) sehr stabil war und mit nur geringfügigen Schreibvarianten vielfach bezeugt ist. Die ältesten Belege haben das -n im Auslaut noch nicht, es ist deutlich erst sekundär angetreten. Da die heutige offizielle Schreibung Diemarden heißt, stellt sich die Frage, wann das a der Mittelsilbe zuerst nachweisbar ist. Hier hilft uns ergänzend das wertvolle Repertorium von E. Kühlhorn (1964, S. 33) weiter, das für das Jahr 1318 die Form Dimarde belegt. Da wirkt ein ostfälischer Lautwandel, durch den er vor Konsonant zu ar wird; A. Lasch (1914, § 76) verfügte erst für das 15. Jahrhundert über zahlreichere Beispiele. Mit Hilfe unseres Materials gelangen wir jetzt aber weiter zurück: schon bei der Deutung des Ortsnamens Barlissen im Göttinger Jahrbuch (Neumann 1964a, S. 117), habe ich auf die Schreibung Barlevessen des Jahres 1388 verwiesen. Noch weiter zurück führt Kühlhorns Material, er gibt (S. 18) Belege für die Schreibung Bartolderode (neben Bertolderode, heute Barterode) aus den Jahren 1257, 1267 und 1288, beim Ortsnamen Hardegsen liegt der älteste Beleg mit -ard- im Jahre 1308: Hardegessen neben gleichzeitigem Herdegessen. Im Falle von Parensen tritt 1338 und um 1360 die Form Parnhusen neben das ältere Pernhusen, bei Vardeilsen finden wir dagegen erst 1381 ein Vardelshusen neben früher bezeugtem Verdelssen. Die beiden angeblich ältesten Belege (Timertha und Thimarda) lassen wir im folgenden ganz beiseite, da die Historiker die betreffenden Urkunden für Fälschungen späterer Zeit halten. Das heißt, unsere sicheren Zeugnisse setzen erst im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts ein. Die erste Frage richtet sich darauf, ob sich am Wortende Suffixe abheben lassen. Und da sind wir nun – wiederum dank Kühlhorns Listen der datierten Belege – in der erfreulichen Lage, die seinerzeit von E. Schröder vorgeschlagene, freilich nicht näher begründete Abtrennung des Dentalsuffixes und seine Zurückführung auf das bekannte Suffix -ithi wahrscheinlicher machen zu können. Denn auch im Fall des Ortsnamens Pöhlde ist in der Mitte des 13. Jahrhunderts (1254, 1259) Poelde belegt, also mit Synkope des ersten -i / e- (vorher Palithi, Palidi, Polide, Polede, Polithen, Polithe, Polethe, Polidhe), für den Ortsnamen Weende finden sich synkopierte Formen sogar schon 1162 und 1281 (Wenden), 1257 und 1272 (Wende),

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Beiträge zu Ortsnamen

während er vorher Winide, Winithi, Winethe u.ä. lautet.1 In anderen Fällen ist die Synkope erst für das 14. Jahrhundert oder noch später bezeugt; die Wüstung Dunede wird bei Kühlhorn (1964, S. 169) für die Jahre 1162, 1286 und 1329 in dieser Form bezeugt, erst 1337 tritt Donde auf, und beim Ortsnamen Lengden (Kühlhorn 1964, S. 85 f.) ist die synkopierte Form sogar erst 1583 bezeugt (Langte, Langde); hier bildete wohl die entstehende unbequeme Konsonantenhäufung das Hindernis für eine Zusammenziehung. (Auf eine unsichere, weil isoliert stehende Schreibung Dimerithin von 1150, die Flechsig mit Recht als verdächtig ansah, berufen wir uns nicht.) Das Suffix -ithi ist als Bildungselement an deutschen Ortsnamen wohlbekannt.2 Besonders dicht liegen solche Ortsnamen in Niedersachsen einschließlich Braunschweig, Oldenburg und Ostfriesland, sowie in Westfalen samt Lippe und Waldeck. Im Westen reichen sie bis ins Rheinland, in Ausläufern bis nach Belgien und Nordfrankreich, im Süden erstrecken sie sich bis ins nördliche Hessen, im Osten nach Thüringen, nach Franken, in die Oberpfalz und die Altmark. Im Nordosten bilden die Lüneburger Heide und die Elbe die Grenze ihrer Verbreitung. Sie deckt sich also im ganzen mit dem Sprachgebiet des Altsächsischen, geht aber an mehreren Stellen darüber hinaus. Diese Ortsnamen sind ihrer ursprünglichen Bedeutung nach Kollektiva.3 Wir scheiden im folgenden sieben Gruppen, wobei wir das bei Förstemann, Bach und Petters zusammengetragene Material neu ordnen. In der 1. Gruppe bildet ein Pflanzenname das Grundwort, so bei dem mehrfach im 9. Jhd. belegten Thurnithi, eigentlich ‘Ort, wo es viele Dornsträucher (altsächs. thorn) gibt’, entsprechend Bokethe 1174 (zu as. bôka ‘Buche’, heute Beuchte bei Goslar), Birithi 1059 (zu der altsächs. Entsprechung von ahd. bira ‘Birne’, heute Bierden bei Achim in Niedersachsen), Hramasithi 1050 (zu mnd. ramese ein Pflanzenname, wohl der Bärenlauch, heute Remse bei Harsewinkel). Hierher auch der Flußname Schirpe bei Höxter, der im 14. Jhd. de Scelpede heißt, worin nd. schelp ‘Schilf’ steckt. Als 2. Gruppe schließen sich die Kollektiva an, deren Grundwort die Bodenbeschaffenheit angibt: Vinnithi 1200 (zu mnd. winne ‘Weideplatz’, heute Vinte bei Bersenbrück). Für Weende, den Ortsteil Göttingens, 1

2 3

Auch im Altsächsischen ist das Eintreten der Synkope vor einem Dentalsuffix mehrfach, aber nicht streng regelmäßig festzustellen, vgl. F. Holthausen (1921, § 138.5). Zu den indogermanischen Beziehungen des Suffixes vgl. A. Mayer (1954). Wir besitzen solche Bildungen auch als Appellativa, z.B. ahd. juhhidi ‘Gespann’, gitragidi ‘possessio’ (daraus nhd. Getreide), vgl. F. Kluge (1926, § 70).

Der südniedersächsische Ortsname Diemarden

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gilt die gleiche Herleitung, hier ist 966 Winide, 973 Winithi belegt. Vgl. weiter Engridi (zu ahd. angar ‘ungepflügtes Grasland’, heute Engerda in Thüringen), Buschede bei Hagen (zu as. busc), Bergede bei Soest (zu as. berg) sowie Scrikede (zu ahd. scric ‘ascensio’, heute Schröck bei Marburg an der Lahn). Eine 3. Gruppe kennzeichnet den Ort mittels eines Tiernamens: Urithi 9. Jahrhundert (zu ûr ‘Auerochse’, heute Uehrde bei Wolfenbüttel), Ebirithi in Westfalen 890 (zu ahd. ebur ‘Eber’) oder das thüringische Remda, das nach R. Fischer (1957, S. 174 ff.) aus *Rabanidi entstanden ist. Bei einer 4. Gruppe bezeichnet das Grundwort eine menschliche Siedlung oder eine von Menschen geschaffene Anlage: Husithi zu hûs ‘Haus’, Paliihi 927 (zu as. pâl ‘Pfahl’, heute Pöhlde, ursprünglich ‘Ort beim Pfahlwerk’), Astnithi (zu mndl. ast ‘Feuerherd’, heute Essen im Ruhrgebiet), vgl. Bach (1954a, S. 391 § 373), Tungide 9. Jhd. (zu ahd. tung ‘Keller, unterirdischer Wohnraum’, heute Thüngeri). In der 5. Gruppe ist das Grundwort ein Adjektiv, das Lage oder Art einer Siedlung (oder eines Flusses) charakterisiert: Lengithi 10. Jhd. (heute Groß- und Klein-Lengden bei Göttingen), die Dickede (Fluß) usw. Eine 6. etwas schwächer bezeugte Gruppe hat einen Gewässernamen als Grundwort. So deutet E. Schröder (1938, S. 286) Helpithi (heute Helfta) als ‘Ort, Gebiet an der Helpe’ und genau analog (Schröder 1938, S. 341 ff.) den Ortsnamen Geisleden aus *Gaizila-ithi.4 Eine 7. Gruppe schließlich benennt die Orte nach anderen Vorzügen oder Nachteilen, z.B. nach dem Klima. So verspricht das thüringische Höngeda, da es sich aus Honegede ableitet, einen Ort, an dem der Honig reichlich fließt. Isede 1123 (heute Isthe bei Wolfhagen) ist dagegen ein Ort, wo viel Eis auftritt, und das thüringische Sömmerda, dessen älteste Namensformen nach R. Fischer (1963, S. 125) im Jahre 874 als Sumeridi, 918 als Sumerde belegt sind, verheißt eine sommerliche, sonnige Gegend. Wir stellen zusammenfassend fest, daß die Grundwörter stets Nomina sind, meistens Substantiva, seltener Adjektiva (Gruppe 5). Nie sind Personennamen als Vorderglied nachweisbar,5 Verbalstämme höchstens ganz selten.6 Die Grundwörter sind stets eingliedrig, also keine Komposita, und sie gehören einem semantisch klar abgrenzbaren Bereich an. All das wird bei unserer Deutung zu berücksichtigen sein. 4 5

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Vgl. noch A. Bach (1954, l § 231.Ib und 1965, S. 337 f.) Damit erledigt sich die gelegentlich geäußerte Vermutung, im Ortsnamen Diemarden könne ein Personenname Dietmar stecken. E. Schröder (1938, S. 142) will den Ortsnamen Schwebda an der Werra von ahd. sweben ‘fließen’ ableiten.

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Beiträge zu Ortsnamen

Wir schlagen hiermit vor, unseren Ortsnamen Diemarden in die 7. Gruppe einzureihen. Als Grundwort rechne ich mit ahd. demar ‘Finsternis, Dunkel’ (vgl. nhd. Dämmer) bzw. – genauer gesagt – mit seiner (nur zufällig nicht belegten) altsächs. Entsprechung *dimar, wobei im Altsächsischen e vor m zu i geworden ist, wie niman ‘nehmen’ lehrt. Der Ortsname Diemarden bildet dann das genaue Gegenstück zu Sömmerda, insofern er eine dunkle, düstere Gegend anzeigt. Man wird schließen dürfen, daß zur Zeit der Benennung der Talgrund der Garte dicht bewachsen war. Heute paßt die Grundbedeutung des Namens freilich auf den freundlichen, hellen Ort nicht mehr. Im übrigen mögen auch damals oft Ortsnamen verliehen worden sein in dem Wunsch, über die eigene Ansiedlung liebevoll zu spötteln, sie als weniger behaglich und von der Natur begünstigt darzustellen, als sie tatsächlich war. Vor uns steht nun noch die Aufgabe, etwas über die Geschichte des Substantivs ahd. dëmar / altsächs. *dimar zu sagen. Beginnen wir in der indogermanischen Grundsprache! Für sie bucht J. Pokorny (1959–1969, S. 1063 f.) nebeneinander das Subst. *temos- ntr. ‘das Dunkel’ und das Adjektiv *tems-ro- ‘finster’. Letzteres ist im Althochdeutschen als dinstar vertreten, wobei das alte e vor Nasalverbindung zu i gehoben worden und zwischen s und r ein Übergangslaut t eingetreten ist. Der Weg von idg. t zu ahd. (und mittelniederdt.) d hat aber eine westgermanische Zwischenstufe þ geführt. Der Wandel dieses þ zu d wird in Oberdeutschland im 8. Jahrhundert durchgeführt, im Mittelfränkischen setzt er sich im 10. und 11. Jahrhundert durch, im Niederfränkischen und Sächsischen dagegen spielt er sich erst ab, als es schon reichlicher Schriftquellen gibt. Nach A. Lasch (1914, § 319 ff.) ist im Ostfälischen die Schreibung th, die den Laut þ wiedergibt, im 12. Jahrhundert den Schreibungen dh und d gewichen. (Die oben erwähnte Schreibung Thimarda von 1022 ist sicher nicht als echte Tradition zu fassen, sie bezeugt nur, daß die Schreiber wußten, daß gesprochenes d oft auf älteres th zurückging. Die anlautende Tenuis t in unserem ersten Beleg Timertha läßt sich dagegen nicht rechtfertigen.) – Weiter aber führt uns noch das idg. Substantiv *temos- /temes- ntr. ‘das Dunkel’, das aus altind. támas-, avest. tΩmah- und lat. temere ‘blindlings’ (aus ursprünglichem Lokativ *temesi ‘im Dunkeln’) erschließbar ist. Ihm kann auch das ahd. dëmar Laut für Laut entsprochen haben. Es ist aber dem ahd.-altsächs. r nicht anzusehen, ob es auf idg. s oder r zurückgeht, und so ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß wir neben dem sicher bezeugten idg. *temos- auch noch ein *temor anzusetzen haben.7 7

In ahd. dëmar wäre das r < z < s nicht etwa entgegen den Auslautsgesetzen erhalten geblieben, sondern aus den obliquen Kasus wiederhergestellt worden; genauso

Der südniedersächsische Ortsname Diemarden

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Erwägenswert ist nun aber auch noch die folgende Variante unseres Deutungsvorschlages: A. Scherer (1963, S. 409) fordert, für die indogermanische Grundsprache auch noch mit einem Adj. *temΩros, -Ɨ ‘dunkel’ zu rechnen, also mit einer thematischen Erweiterung des r-Stammes. Als Stützen für diesen Ansatz führt er altind. tamrá- ‘verdunkelnd’, timirá- ‘finster’, Tomaros ‘Gebirge in Italien und Berg bei Dodona’, ferner die Flüsse Tammaro in Italien, Tamar in Cornwall, Demer in den Niederlanden, Tambre (aus *Tamaris) in Spanien und eventuell auch Tembrogios in Galatien an. Es wäre nun denkbar – vor allem wegen des niederländischen Flußnamens –, daß wir auch hier im Ortsnamen Diemarden als Grundwort dieses Adjektiv anzunehmen hätten, etwa als früheren Namen der durch den Ort fließenden Garte. Dann würde der Ortsname zu der oben als 6. gezählten Gruppe gehören. Diese Annahme ist etwas unwahrscheinlicher als die zuerst vorgetragene, weil wir sonst im Germanischen keinen eindeutigen Beleg für dieses Adjektiv auf -ro / rƗ haben. Wir kämen mit ihr wieder näher zu Flechsigs Vermutung (1953, S. 30), der in den Ortsnamen Uehrde und Diemarden alte Gewässernamen suchte. Im Gegensatz zu ihm halten wir aber daran fest, daß Diemarden in die Ortsnamen mit Suffix -ithi einzureihen ist, ganz gleich, ob das Grundwort ein Substantiv *dimar ‘dunkle Gegend’ oder ein Adjektiv *dimar ‘der oder die dunkle (nämlich Garte)’ ist. Zum Lautlichen sei nur noch eine Einzelheit nachgetragen. Wenn die Namensform von 1234 usw. dimerde lautet, also mit e in der Mittelsilbe gegenüber dem erschlossenen *dimar, so ist das die Folge einer schon im Altsächsischen auftretenden Schwächung des a zu e, wie sie z.B. in as. after aus aftar vorliegt (vgl. Holthausen 1921, § 125; A. Lasch 1914, § 80 ff.). Über die Entstehungszeit des Ortsnamens ist leider nichts Genaues zu sagen, da das Suffix -ithi mehrere Jahrhunderte lang zur Bildung von Siedlungsnamen benutzt worden zu sein scheint. Der Name kann älter als das 7. wird der Vorgang beurteilt in ahd. liodar ‘Geräusch’, sahar ‘Riedgras’, im Vorderglied des Pesonennamens Woldarhilt und einigen wenigen anderen Substantiven. Zur wissenschaftlichen Diskussion vgl. H. Weyhe (1906, S. 78 ff.); W. von Unwerth (1910, S. l ff.); H. Gürtler (1912, S. 492 ff.); G. Baesecke (1918, § 89.2). W. von Helten (1910, S. 497) erwägt neben der unmittelbaren Entsprechung von ahd. dëmar < *þemaz und ai. támas- auch die Möglichkeit, daß im Germanischen eine Erweiterung durch Antreten des Themavokals vorliege. – Ein Nebeneinander von -s- und -r-Stämmen im Indogermanischen hat K.F. Johansson (1892, S. l ff.) belegt. Er erörtert S. 11 auch die Bildung von der idg. Wurzel *tem- und neigt dazu, das ahd. dëmar als r-Ableitung aufzufassen. – Vgl. noch J. Schmidt (1889, S. 206 f.).

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Beiträge zu Ortsnamen

Jahrhundert nach Chr. Geb. sein, also vor-sächsisch, ist aber, wie die Deutung gezeigt hat, in Stamm und Suffix aus dem Germanischen zu erklären. Man möchte mit E. Schröder (1938, S. 352) an die Nachkommen der Cherusker denken.

Die Namen Dramme, Dramfeld, Dransfeld [Göttinger Jahrbuch 1973, S. 77–84]

Mit der Deutung beginnen wir bei dem einzigen unzusammengesetzten Namen dieser Gruppe, dem Gewässernamen Dramme. Der DrammeSpring, ein Quellteich, der heute zum Forellenbecken ausgebaut ist, liegt nordwestlich von Barlissen, von hier fließt der Bach südlich um das Waldgebiet Emme herum an der Dramwiese und den Dramköppen vorbei. In einiger Entfernung südlich von ihm liegt bei Dahlenrode der Dransberg. Weiter fließt der Bach, der mehrere kleine Stromschnellen aufweist, nördlich am Kloster Mariengarten, am Dram(m)berg und dem Dorf Dramfeld vorüber. Die Hauptrichtung seines Laufs geht nach Nordosten, nördlich von Obernjesa mündet er in die Leine. Nahe dieser Mündungsstelle finden sich noch die Flurnamen Drammenstette und An der Alten Dramme. Die Dramme, die an der Mündung 9 bis 11 m breit ist, hat früher mit ihrer Kraft sieben Wassermühlen getrieben. Von diesem Flußnamen und den angrenzenden Flurnamen gibt es nur wenige ältere Bezeugungen. Auch diesmal habe ich für den Nachweis aller in diesem Aufsatz benutzten Namenbelege, für viele weitere heimatkundliche Hinweise und besonders für eine ortskundige Führung im Gelände Herrn Joachim Jünemann, Dransfeld, herzlich zu danken. Die beiden Kartenskizzen stammen ebenfalls von ihm.

1. 1257 in Dranfelde 1259 1259 1266 1270 1309 1506

Nds. Staatsarchiv Hannover, Cal. Or. Des. 100 Kloster Mariengarten Nr. 8 in dranuelden ebd. Nr. 9 in dranuelt ebd. Nr. 10 dramuelt ebd. Nr. 14 de Tramvelt ebd. Nr. 26 in Dranvelde, dranberm Nds. Staats- u. Univ.-Bibl. Göttingen, Hs.-Abt., Cod. Ms.-hist. 1 XX, Urk.-Nr. 25, S. 163 by der Dramme Nds. Staatsarchiv Hannover, Cal. Br. Arch., Des. 7 B Kloster Mariengarten Nr. 2

Beiträge zu Ortsnamen

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1681 Vf den Dramköpfen 1735 Das Forellen Waßer, die Dramma

Schloßbibl. Jühnde, Salbuch1681 Schloßbibl. Jühnde, Dok.-Buch Nr. VI

In der Endung latinisiert. – Im gleichen Jahr ist aber auch die Form Dramme belegt. 1785 Der Dram Berg, das Dram Feld 1790 Die Dram Wiese 1874 Am Dransberge

1970 /drămme/drămbarm/drămfelle/ drănsebarch

Kurhannov. Landesaufnahme, Blatt 161, Friedland Geometer Mithoff, Charte vom Freiherrl. Grotenschen Gericht Jühnde, Karten V u. VI Recess über die Theilung u. Verkoppelung von Dahlenrode, Amts Reinhausen (Kr. Göttingen) v. 1.10.1874 mundartlich

Sogar diesen kleinen niedersächsischen Gewässernamen hat vor einigen Jahrzehnten die sogenannte ‘Illyrierforschung’ erhascht, eine Richtung, die überall in Europa Reste einer nicht-germanischen, aber indogermanischen Sprache suchte. So hat Pokorny schon in seinem Buch Zur Urgeschichte

Die Namen Dramme, Dramfeld, Dransfeld

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der Kelten und Illyrer (1938, S. 128), im Walde & Pokorny (1927–1932, I, S. 795 f.) und wieder im Indogermanischen etymologischen Wörterbuch (Pokorny 1959–1969, S. 205) unseren Bachnamen, den er vermutlich bei Edw. Schröder gefunden hatte, auf eine ‘nord-illyrische’ Form *drŞmƗ oder *drƗmƗ zurückgeführt, die zur idg. Wurzel *drem- ‘laufen’ gehören sollte. Er hat also damit gerechnet, daß dieser Name an der 1. Lautverschiebung nicht beteiligt war. Zu diesem Vorschlag ist zu bemerken: die Ansetzung von ‘Nord-Illyriern’ ist heute widerlegt. Wir wissen heute einerseits, daß mit ‘Illyriern’ nur in einem kleinen Bereich nördlich des Epirus an der dalmatinischen Küste zu rechnen ist, andererseits – und darin liegt der richtige Kern dieser alten Theorie –, daß es in Mitteleuropa Namen, vor allem Gewässernamen, gibt, die älter als das Germanische sind. Zweitens aber: hier in Südniedersachsen gibt es Germanen sicher seit vorchristlicher Zeit, und das heißt: alle Namen, die älter als diese Zeit sind, haben auch den Veränderungen der 1. Lautverschiebung unterlegen. Pokornys weitere Verknüpfungen führen bis zu dem mazedonischen Fluß Dramatica und der dortigen Stadt Drama. Auch einen Fluß Drama, einen Nebenfluß der zur Oder führenden Klodnitz, zieht er bei. Das sind freilich ganz unbegründete Annahmen. Schon die behauptete Vokallänge im Stamm stimmt nicht zu den Lautformen unseres Bachnamens. Für ihn kommt zweifellos nur eine Deutung aus (west)germanischem Wortgut infrage. Und da paßt nun ausgezeichnet das altsächs. starke Verb thrimman ‘anschwellen’ (nur erhalten in Heliand 5 000 thes thram imu [...] mǀd, wo von der Reue des Petrus die Rede ist), mit dem das mittelniederdt. Verb (mit anderer Ablautstufe im Stammvokal) drammen ‘lärmen, poltern, heftig drängen’,1 mnd. dram ‘Getümmel, Lärm, Ungestüm, Drängen, Bedrängnis, Not’, ferner aisl. þramma ‘trampeln, schwer gehen’ verwandt sind. Edw. Schröder (1944, S. 373) hat also ganz richtig geurteilt, wenn er an das ags. þrym erinnerte; man könnte sich höchstens fragen, warum er die näherliegenden altsächsischen und mittelniederdeutschen Belege nicht beigezogen hat. Das alte þ [th] wird im Lauf der Entwicklung zu d, vgl. Lasch (1914, § 319). Diese beiden Verben und der Bachname gehören also letztlich zur idg. Wurzel *trem-, trems-, die im Indogermanischen Etymologischen Wörterbuch (Pokorny 1959–1969, S. 1092) gebucht ist. In den anderen indogermanischen Sprachen bedeutet sie ‘zittern’, nur im Germanischen bezeichnet sie Geräusche, die durch rasche Bewegung entstehen.2 1 2

Dazu heute noch die Weiterbildung drammasen ‘drängen’, vgl. F. Wrede (1960). Auch got. þramstei ‘Heuschrecke’ wird als ‘das lärmende (Tierchen)’ hierherzustellen sein, denn die Männchen der Laubheuschrecken erzeugen mit ihren Flügeln das bekannte Zirpen, diesen pausenlosen, eintönigen, schrillen Ton.

102

Beiträge zu Ortsnamen

Das Substantiv *thramma fem. steht neben thrimman wie got. wraka ‘Verfolgung’ neben wrikan, d.h. es ist gebildet wie ein nomen actionis mit oStufe im Stamm. Der Bach Dramme heißt also nach dem Geräusch, das sein noch heute kräftig dahinrauschendes Wasser macht.

2. Auch hier können wir mit einer Zustimmung zu Edw. Schröders Deutungen beginnen. In seiner Namenkunde (1944, S. 366) hat er m.E. richtig vermutet, daß auch die von der Dramme etwas entfernter gelegene Stadt Dransfeld etymologisch mit ihr zusammenzustellen ist. Schon Joachim Meier, Dransfeldiana. Memoriae viri [...] Bernhardi Thilonis a Dransfeld [...], Gottingae anno 1698, caput V 77 schreibt „Dransfeldii pago Dramfeld originem dederunt“ und (ebd. S. 78) „Antiquo nomine haec familia vocabatur a Dramfeld, communi cum pago in vicinia nostra ad Drammam fluvium appellatione.“ (Auch diesen Beleg verdanke ich J. Jünemann.) Schon Meier kannte also Verknüpfungen zwischen diesen Namen. Sie können aber bei der auffallenden Ähnlichkeit der Namenstämme zu jeder Zeit geschaffen worden sein und brauchen nicht auf alte Tradition zurückzugehen. Sehen wir uns aber zunächst die Folge der Belege an: 960 in trhenesfelde

Niedersächs. Staatsarchiv Hannover, Cal. Or. Des. 100 Kloster Hilwartshausen Nr. la

Das ist die Stiftungsurkunde des Klosters Hilwartshausen vom 12. Februar 960, laut der König Otto I. das Kloster mit den Höfen in Hilwartshausen, Iuniun (Jühnde) und Trhenesfelde ausgestattet hat. Mit diesem Ortsnamenbeleg gelangen wir nun also um drei Jahrhunderte weiter zurück als mit den Flur- oder Gewässernamen. Die Schreibung trh steht zweifellos für thr, was die stimmlose dentale Spirans þ bezeichnet, die im Altsächsischen noch vielfach erhalten ist, vgl. Holthausen (1921, § 200). Die Schreibung mit e in der ersten Silbe markiert den Umlaut a > e. Das e der zweiten Silbe ist aus i geschwächt (vgl. Holthausen 1921, § 129, der als Beispiele vƯftech ‘50’ und ellevan ‘11’, vgl. got. ainlif, gibt). Die Angleichung von m zu n vor sf ist etwa mit der zu vergleichen, die in ahd. firnumst (von firneman, also ‘Auffassungsgabe, Verstand’) zu vernunst führt, vgl. L. Wolff (1921, S. 90 § 33). Dieser älteste Beleg läßt sich also glatt auf ein *thramis(a)-feld zurückführen.

Die Namen Dramme, Dramfeld, Dransfeld

978 Drinsfelt

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E.F.J. Dronke, Trad. Fuld., 1844, cap. 64, S. 143

Hier beginnt also schon der Übergang zu /d/ für westgerm. /þ/, der sich im Mittelniederdeutschen dann völlig durchsetzt.3 Das umgelautete e der ersten Silbe ist durch Assimilation an das folgende (hier schon synkopierte) i selbst in ein i übergegangen, vgl. Holthausen (1921, § 78).

3

Die Entwicklung des anlautenden Konsonanten ist also mit der im Ortsnamen Diemarden vergleichbar (s. Neumann 1966): idg. t, in den ältesten urkundlichen Belegen noch die Schreibung mit th (daneben auch mit t), dann etwa seit dem 12. Jahrhundert im Mittelniederdt. fest d, vgl. Lasch (1914, § 319 ff.).

Beiträge zu Ortsnamen

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1062 Triensuelt

Hess. Staatsarchiv Marburg, Kl. Lippoldsberg

Solche unregelmäßigen Wechsel der Dentale in der Schreibung bucht schon Lasch (1914); vgl. noch Wesche (1961). 1089 Transfeldensem ecclesiam Böhmer, Reg. Archiepiscoporum Moguntinensium, Urk. XXIV Nr. 90

Bei dieser Schreibung mag die Erinnerung an lat. trans mitgespielt haben. 1215 dransuelde 1216 Dransfelt 1219 Dransuelt 1245 Johanne de Transvelde 1262 Dranswelde 1290 Transuelde 311–1605 Dransfelde

Hess. Staats archiv Marburg, Kl. Lippoldsberg Hess. Staats archiv Marburg, Kl. Lippoldsberg Hess. Staatsarchiv Marburg, Kl. Lippoldsberg Nds. Staatsarchiv Hann., Kl. Mariengarten Nr. 2 Nds. Staatsarchiv Hann., Kl. Mariengarten Nr. 12 Finke, Westf. Urk. B. IV Urk. 2094 sehr häufig

Von etwa 1330 an gibt es nur noch Belege mit d- im Anlaut. 1421–1795 Dransfeldt 13 mal 1476–1660 Dranßfelde 7 mal 1602 Drannsfelde 1668 Dranßfeldt heute in der Mundart /drănsfelle/

Zu Ortsnamen, die mit dem Grundwort -feld gebildet sind, besitzen wir seit einigen Jahren die Monographie von Feldmann (1964). Aus ihr lernen wir, daß das altsächs. Subst. feld das offene Gelände bezeichnet, das meist durch Rodung entstanden war. Es bedeutet also nicht eigentlich Ackerland, sondern zunächst nur eine meist ebene, waldfreie Fläche. Wenn Paulus Diaconus (MG. SS. rer. Lang. I, 20) über die Langobarden sagt, „habitaverunt in campis patentibus, qui sermone barbarico ‘feld’ appellantur“, dann wird Ähnliches für die Cherusker oder Sachsen gegolten haben. Edw. Schröder (Bachnamen und Siedlungsnamen, in Schröder 1944, S. 365 f.) hat darauf hingewiesen, daß die Begründer von Siedlungen im ‘feld’ meist Wert auf die Nähe von Wasser gelegt hätten. So seien die zahlreichen Ortsnamen Seefeld und die Verbindung von -feld mit Flußnamen entstanden, vom Typ Leinefelde (an der Leine) oder Mollenfelde (an den Quellen der Molle), Saalfeld (an der Saale), Hünfeld (an der Haun) usw. Eine entsprechende Bildung wird auch hier vorliegen, denn Schröder sieht wohl mit Recht im Bestimmungswort des zusammengesetzten Ortsnamens einen

Die Namen Dramme, Dramfeld, Dransfeld

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Bachnamen *Dramisa, d.h. eine Ableitung von Dramme.4 Er stellt zwei Möglichkeiten als gleichwertig nebeneinander: erstens, es könne „der alte Name des noch heute das Städtchen durchströmenden Baches sein“ – er heißt jetzt innerhalb der Stadt Bike oder Bache, am Nordausfluß an der alten Stadtmauer dann aber Flüthe und noch weiter bachabwärts am Flurort in der Nähe des Boerbergs beim Zufluß einer neuen unterirdischen Quelle Auschnippe.5 Er wird von vielen, teils unterirdischen Quellen auf dem Springeberg, Schottsberg, Elern und Dransberg gespeist und floß am Rathaus und dem herzoglichen Hof vorbei, dort wo auch das alte Dorf „trhenesfelde“ zu suchen ist. Heute ist dieser Wasserlauf kanalisiert, aber am Hohenhagener Weg und dann in der Flüthe tritt er noch zutage. Sein Bett ist teilweise 2–3 Meter tief. Vor, in und hinter Dransfeld trieb dieser Bach fünf Mühlen. Als zweite Möglichkeit erwägt Schröder (1944) die Herleitung von Namen „eines inzwischen ausgetrockneten Bächleins, das zur Dramme hinunterlief“. Das ist jedoch ganz unwahrscheinlich. In diesem Zusammenhang ist aber beachtenswert, daß südwestlich von Dransfeld der Dransberg liegt (also ein Namensvetter des Bergs bei Dahlenrode) mit dem Dransbergborn. Ist es etwa das dort herabkommende kleine Gewässer, das früher den Namen *Drans(e) getragen hat? Heute wird es oben an der Quelle dransebargborn, weiter abwärts dransebargwoter genannt. Das wäre vielleicht noch eine Möglichkeit. Aber ganz gleich, welchem Wasserlauf wir den Namen *Drans(e) zuzuteilen haben, an einem sprachlichen Zusammenhang mit der Dramme und das heißt: an der Rückführung auf eine ältere Form *Dramisa werden wir festhalten. Deren Suffix -isa, das wohl meist Verkleinerungsformen schafft, ist aber nicht unproblematisch. Einerseits nehmen es die Sprachforscher – und zweifellos mit Recht – für eine sehr alte Schicht von Gewässernamen, für die sog. ‘alteuropäische Hydronymie’ in Anspruch,6 die vielleicht schon im 4

5

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Einige ähnlich klingende Namen scheiden als Verwandte aus, da sie eine andere Etymologie haben: die Schweizer Drance / Dranse, ein linker Nebenfluß der Rhône in den Walliser Alpen, geht nach Krahe (1950, S. 293) auf ein *Druantia zurück. Auch der Ortsname Dransdorf bei Bonn bleibt als unverwandt fern. Dagegen könnte die Dremse, Name eines Nebenflusses der Sarre, bei Domersleben im Kreis Wanzleben (vgl. J. Burghardt 1967, S. 189) wohl mit unserer *Dramisa formal identisch sein. (Bischoff 1967 zieht leider hier noch die ‘illyrische’ Deutung heran, die an idg. *drem- ‘laufen’ anknüpft). Eine *Dramisa setzt auch der oben auf der zweiten Seite erwähnte (zweite) Dransberg bei Dahlenrode voraus. Anno 1347 ossnippe, zu ndd. snippe ‘Zipfel’, vgl. die Bodsnippe, Förstemann (1913, II, 822). Die Auschnippe ist also kein -apa- Name! So richtig Dittmaier (1955, S. 50). So zuletzt W. P. Schmid (1970, S. 376 ff.).

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Beiträge zu Ortsnamen

3. Jahrtausend vor Chr. Geburt entstanden ist – andererseits hat schon Krahe (1958, S. 8) klar gezeigt, daß es eine ganze Reihe von Flußnamen gibt, wo das Grundwort germanisch ist, wo also das Suffix noch im ersten nachchristlichen Jahrtausend lebendig war. (Auch in 1964b, S. 20, räumt er ausdrücklich ein, daß dies Suffix noch im Germanischen „in beschränktem Umfang“ produktiv war.) Dazu gehören die Flußnamen *Erpisa (zu ahd. erph ‘dunkelfarbig’?), verbaut im Ortsnamen Erfurt, 742 Erphesfurt, die Wölmisse bei Jena, aus *Walmisa (ahd. walm ‘Aufwallen, Sieden’), die *Ulmisa (zu nd. ulm ‘Fäulnis’), die *Natisa (zu nd. nata ‘naß’), usw. In 1964b, S. 20 fügt Krahe noch die elsässische Walma < *Wulmasa hinzu (zu der tiefstufigen Entsprechung von ahd. walm ‘Aufwallen, Sieden’ und mit Ablaut im Suffix). Dittmaier (1955, S. 33 § 82) weist darauf hin, daß die Dörpe (Dur-apa) bei Dürscheid in die Dürsme (aus *Durissa) fließt. Hier trägt also anscheinend der größere Wasserlauf den Namen mit dem Suffix -isa-. A. Bach (1965, S. 353) führt das heutige Solms, das im 8./9. Jhd. im Codex Laur. als Sulmissa belegt ist, überzeugend auf *sulm-, eine schwundstufige Variante von mhd. swalm ‘Wasserschwall’ zurück. Wir schließen ferner mit Bach (1954a, § 309) die Güls bei Koblenz < * Gulisa (Förstemann 1913, S. 1125) an, deren Grundwort das ahd. Subst. gullƯ ‘gelbe Farbe’7 bildet. Und die *Varisa, ein Nebenfluß der Ems, später Weris-aha, gehört zu altnord. vari- m. ‘Wasser’. Eine erneute Durchmusterung all dieser Bildungen würde sicher noch mehr von ihnen als rein germanisch erkennen lassen. Auch in deutschen Appellativen liegt dies Suffix vor, so in nhd. Knospe aus *knop-isa ‘kleiner Knopf’, ferner in burgund. attisa ‘Väterchen’ zu atta ‘Vater’ usw. Entstanden sein dürfte es durch falsche Analyse von germanischen (oder auch schon von älteren, voreinzelsprachlichen) Bildungen, bei denen an einen Stamm auf -iz / is- eine Erweiterung mit -a(n) angetreten war. Alle Bestandteile des Namens Dransfeld sind also germanisch zu erklären; weder die These vom keltischen,8 noch die vom illyrischen Ursprung des Namens von Stadt oder Bach hat heute noch Argumente für sich.

7 8

Vgl. E. Fuchshuber (1969, S. 51 ff.). Die z.B. Georg Gieseke (o.J., S. 74) vertritt. threnes heiße keltisch ‘ebene Gegend, Flur’. Das ist ganz haltlos.

Die südniedersächsischen Flurnamen Emme und Endel [Göttinger Jahrbuch 1969, S. 57–61]

Südöstlich von Jühnde, also rund 20 km südwestlich von Göttingen, liegt zwischen der Dramme und dem Endelsgraben ein Waldgebiet (1350 Morgen groß), das die Emme heißt. Diesem Flurnamen, dessen alte Bedeutung heute vergessen ist, sollen einige Überlegungen gelten. Wir legen zunächst die Reihe der urkundlichen Zeugnisse vor, die wir – wie schon mehrfach – den fleißigen und sorgfältigen Archivforschungen von Herrn Joachim Jünemann, Dransfeld, verdanken. (Ihm bin ich außerdem für mehrere wertvolle briefliche Auskünfte zu Dank verpflichtet.) Um 1400 De emmede To der emden wart (‘in Richtung auf die E.’) Over den emmeden wech

Göttinger Stadtarchiv, Lehnssachen; spez. Passivlehen, Verz. d. Boventenschen Lehen

Hier tritt also schon früh einmal der Ausfall (die ‘Synkope’) des mittleren kurzen Vokals auf. Parallelen dazu gibt A. Lasch (1914, § 217). Diese Synkope kann sich aber zunächst noch nicht durchsetzen; erst von der Mitte des 17. Jahrhunderts an wird sie fest. 1421 1470

1489 1492

De emmede

Göttinger Stadtarchiv, Orig.-Urk. Nr. 447 De grote unde de cleyne emmede Göttinger Stadtarchiv, Verz. d. Boventenschen Lehen ‘Tobehoringe der borch June’ An der groten (lutken) emmeden Nieders. Staatsarchiv Depos. 19 Grote, Jühnde, Orig.-Urk. Nr. 19 Vor de(r) lutken emiden Göttinger Stadtarchiv, Kämmereirechnungen, Manual 1492 Zum Wandel des e in i (vor allem in nebentonigen Silben) vgl. A. Lasch (1914, § 140). So wird das Substantiv stede als Hinterglied von Ortsnamen zu -stide usw.

Beiträge zu Ortsnamen

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1646 Vor der Embde Bei dem Embdwege

Jühnder Pfarrarchiv, Akten H.S. 1

Das -b- ist ein Übergangslaut, wie er auch sonst gern zwischen m und Dental eintritt. H. Grimme (1922, S. 43) nennt als Beispiele kümpt ‘er kommt’ und nimp(t) ‘er nimmt’.1 – Dieser Beleg von der Mitte des 17. Jh.s ist zugleich der letzte, der am Wortausgang noch das d zeigt; daß es zwischen Vokalen auch sonst leicht ausfällt, dafür gibt A. Lasch (1914, § 326) Beispiele: die Namensform Goldenste 1346 steht neben Goldensieden 1383. A. Bach (1954a, § 232) nennt Belege dafür, daß der Dental dieses Suffixes – zusammen mit dem folgenden -e – geschwunden ist, gerade auch in der Nachbarschaft der Nasale m und n: Sinithi wird zu die Senne; Vernethe zu Verne. 1658 Die Emme Jühnder 1672 Der Emmestert

Schloßbibl., Dok.-Buch Jühnder Schloßbibl., Dok.-Buch

Von nun bleibt die Schreibung konstant. Auch die heutige mundartliche Form lautet: /dƟ ƟmmƟ/. Die älteren Belege beweisen zunächst, daß wir hier einen Namen mit dem bekannten Ortsnamensuffix -(e)de aus -ithi haben. Über diesen Namenstyp ist im Göttinger Jahrbuch (Neumann 1966, S. 67 f.) im Zusammenhang mit der Deutung des Ortsnamens Diemarden das Wichtigste gesagt worden; darauf sei hier verwiesen. Soweit diese Ortsnamen bisher gedeutet worden sind – eine umfassende Bearbeitung steht noch aus –, hat sich stets in ihnen ein g e r m a n i s c h e s , ein altsächsisches Grundwort feststellen lassen. Damit ist auch hier zu rechnen. Bei dem Versuch, diesem Grundwort von emmede auf die Spur zu kommen, erinnern wir uns daran, daß im Falle der niederdt. Subst. stemme ‘Stimme’ und ram ‘Rabe’ (das auch in den Personennamen Bertram, Wittram, Wolfram usw. vorliegt)2 das -(m)m- aus älteren -mn- entstanden ist: zu stemna vgl. A. Lasch (1914, § 229). Nehmen wir denselben Vorgang 1

2

Das Eintreten eines solchen labialen Gleitlauts in diese Verbindung geschieht häufig; zufällig zur Hand sind mir zwei Belege aus Südwestbrabant, wo ebenfalls Ortsnamen mit dem alten Suffix -ithi- > eth gebildet sind: elmpt 1356 neben elmeth 1150 und elmt 1173 (zu elm ‘Ulme’) und brempt 1391 neben bremt (zu brem ‘sarothamnus’). Diese Belege stammen aus J. Lindemans (1931, S. 203 ff.) – Aus Kühlhorns Buch (1964, S. 75) entnehme ich als Variante von Immedeshusin und Ymteshusen die Form Ympteshusen. Der Tiername steckt mit R. Fischer (1957, S. 174 ff.) auch im thüringischen Ortsnamen Remda aus * Raban-idi.

Die südniedersächsischen Flurnamen Emme und Endel

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der Assimilation (Lautangleichung) auch hier an, so werden wir auf ein Adj. emna- oder emni- ‘gleich, eben, flach’ geführt. (Auf den letzteren Ansatz weist der in den Essener Glossen belegte Dativ Plural emniam.) Diese Deutung wird dadurch gesichert, daß der dem Südniedersächsische benachbarte niederdeutsche Dialekt von Waldeck noch emede f. als A p p e l l a t i v u m in der Bedeutung ‘Ebene, ebenes Feld’ bewahrt hat, vgl. K. Bauer (1902). – Im alten Göttingischen Dialekt ist die konkrete Bedeutung des Eigenschaftswortes offenbar nicht erhalten geblieben; Schambach (1858) bucht ëben nur noch als ‘genehm, recht’: et was er gâr nicht ëben.3 Dies Aussterben der r ä u m l i c h e n Bedeutung des Adjektivs erklärt zu einem Teil, warum der Flurname Emme von den Umwohnern nicht mehr verstanden wird; außerdem aber hat ja ëben nicht mehr die alte dialektale niedersächsische Form, sondern m i t t e l deutsche Lautung. An die erschlossene Vorform fügen sich nun der bei Förstemann (1913, Sp. 816) aus dem Jahr 890 gebuchte Ortsname Emnithi (= Empte nördlich von Dülmen, südostwärts Coesfeld) sowie die beiden dort noch verzeichneten Formen Empte und Emethe glatt an. – Auch der heutige Ortsname Emmen südlich Hankensbüttel bei Wittingen dürfte auf eine ältere Form Emmede zurückgehen, denn auf ihn beziehen sich wohl die Namen Adelheid von Emmede (anno 1226), Billing von Emmede, Egeling von Emen, die mir freundlicherweise H. Wesche aus H. Sudendorf (1883, I 10 und II 79) nachgewiesen hat. Vgl. noch den Ortsnamen Emme bei Arnsberg, Emde nordwestlich von Brakel und den Flurnamen in der Emde im Kreis Meile (Nachweise von H. Wesche). – J. de Vries (1962b) bucht aus der holländischen Landschaft Drente den Ortsnamen Emmen (1313 Emne, 1376 Empne) und führt ihn auf das Adjektiv emna ‘eben, flach’ zurück. (Er liegt nahe der deutschen Grenze, ostwärts von Hoogeveen.) Auch der bei Förstemann (1913, Sp. 1301) gebuchte Ortsname Hohemme (um 1150) bzw. Hahemmi (9. Jhd.) wird verwandt sein (‘hohe Ebene’).4 – Das Adjektiv eben tritt auch sonst in Ortsnamen auf; ein schönes Beispiel aus dem Westen Deutschlands bietet der 3

4

Genau entsprechend ist im Dialekt Kölns das Adj. evve veraltet; in der Bedeutung ‘gleich hoch, flach’ wird es nach Adam Wrede (1956) durch jlich verdrängt. Die gleiche Verknüpfung mit dem Adj. eben bzw. mit dem altsächs. Abstraktum *ebni, *emni ‘Ebene’ hat H. Dittmaier (1955, S. 61 Anm. 6) ganz zutreffend für den Flußnamen Holtemme / Holzemme (Förstemann 1901, Sp. 1405; ältester Beleg c. 1050 Holtemna) vorgeschlagen. (Die älteren Deutungen des Flußnamens – auch die von E. Schröder – sind damit überholt.) Die Holtemme kommt aus dem Harz, fließt durch Halberstadt und mündet dann unterhalb Gröningens in die Bode. Da ist also eine Geländebezeichnung ‘Waldebene’ zum Flußnamen geworden, wie z.B. bei der Unstrut, die ja zu strut ‘Wald mit sumpfigen Boden’ gehört (A. Bach 1954, § 410.6).

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Beiträge zu Ortsnamen

Ortsname Zewen im Kreis Trier, der aus *ze evena ‘zur Ebene’ entstanden ist, vgl. ferner Ebnet in Baden (vgl. Bach 1954a, § 290), Aebnit in der Schweiz, und die zahlreichen Ortsnamen Eben, Ebenau, Ebenfeld, Ebenheid, Ebenhof, Ebenod, Ebenreuth, Ebenried, Ebenweiler usf. Als Übersetzung unseres Flurnamens haben wir also erschlossen: ‘Ort, wo es eben ist’. Das paßt zu den Gegebenheiten des Geländes.5 Wie das Meßtischblatt zeigt und wie ich mich auf Wanderungen überzeugt habe, ist die heute im wesentlichen mit Buchen bestandene Hochfläche weithin eben (Höhe etwa 300 m), wenn sich auch von Osten her drei Täler einschieben und im Westen die Erhebung ‘Hohe Ehren’ ein wenig herausragt. – Innerhalb der zahlreichen Bildungen auf -ithi gehört unser *ebanithi > emmede zu denen, deren Grundwort ein Eigenschaftswort ist. Unmittelbar zu vergleichen ist daher aus der Göttinger Umgebung Groß- und Klein-Lengden (aus *langithi) oder z.B. der Ortsname Gleicht bei Fremersdorf, weil auch er die ebene Beschaffenheit des Bodens meint (vgl. Bach 1954a, § 231.2), und auch der Name des Flusses Dickede. – Das altsächs. Adjektiv emna und das gleichbedeutende got. ibns gehen dann weiter auf eine ältere germ. Form *e0an- zurück, ebenso wie stemna auf *sti0na und der Name des Raben auf *hra0an-. (Dieser Reibelaut /(/ wird in den ältesten Handschriften meist als b geschrieben: (h)raban usw.) Die Gruppe -0n- ist dann zu -mn- angeglichen worden, vgl. Holthausen (1921, § 222 Anm. 3). (In manchen Dialekten, z.B. im Münsterland ist diese Konsonantenverbindung aber auch zu -fn- geworden: eff·n ‘eben’, vgl. Grimme (1922, S. 45). – Auch das Altenglische hat efn.) Dieser Angleichungsvorgang in der altsächsischen Zeit macht aber nur einen Vorgang wieder rückgängig, der in germanischer Zeit von mn > 0n geführt hatte, vgl. O. Bremer (1893, S. 11 f.), H. Hirt (1931, I, § 76,2) und Krahe & Meid (1967, § 109). Zur Anknüpfung des germanischen Adjektivs ans Indogermanische vgl. Brugmann (1917, S. 161), der von einem Adv. *im bzw. *em und der dazu gehörenden adjektivischen Ableitung *em-no- > *imna- ausgeht. Skeptisch stellt sich dazu S. Feist (1939, S. 287); ebenfalls anders Pokorny (1959– 1969, S. 505), der mit einer Verbalwurzel *iem- ‘zusammenhalten, paaren, bezwingen’ rechnet. Keine von beiden Etymologien ist bestechend. Sie stimmen nur darin überein, daß das primäre Suffix idg. -no-, germ. -na(vgl. Krahe & Meid 1967, § 94) vorliege.

* 5

Schon das gotische ibns begegnet uns in einer Ortsangabe: Ulfila, Lukas 6,17 ana stada ibnamma ‘auf eine ebene Stelle’.

Die südniedersächsischen Flurnamen Emme und Endel

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Am Ein- und Ausgang des Talpasses zwischen Emme und Lieth südöstlich von Jühnde liegen zwei Wüstungen, deren Namen heute noch in Flurbezeichnungen weiterleben. O. Fahlbusch (1960) hat sie im Gelände entdeckt. Die erste liegt 1,5 km ostwärts Jühnde westlich des Wegs nach Volkerode; die zweite dagegen weiter südöstlich, etwa 1,5 km westlich Mariengarten. Sie scheinen Groß- bzw. Klein-Endal geheißen zu haben. Die mir wiederum von J. Jünemann freundlicherweise zur Verfügung gestellte Belegliste sieht so aus: 1324

1329 1388

1400

1444 1473

1580

in villa et in terminis destructe ville Endill vel Endall,

Nieders. Staats- u. Univ.-Bibl. Göttingen, Handschr.-Abt, Cod. Ms. hist. l, Bd. XX 143 S. 200 Emdal gebucht bei O. Fahlbusch 1960, S. 232 donacio decime in magno Endale Nieders. Staats- u. Univ.-Bibl. Göttingen, Cod. Ms. hist. l, Bd. XXI 7, S. 289 In deme Endel, Göttinger Stadtarchiv, Lehnsdat gerichte unde de tegide6 sachen, spez. Passivlehen, to deme endel, de endelß wech, Verz. d. Boventenschen Lehen de endelste wech Zn deme endale Göttinger Stadtarchiv, Bovent. Lehen Up den engedelswech Jühnde, Hof 77, Orig.-Urk. v. 10. 2.1473 Hier kommt offenbar der Lautwandel nd > ng ins Spiel: linde zu linge usw.,7 vgl. A. Lasch (1914, § 324). Am Endels kampe / Am obern Nieders. St.arch. Hann., Depos. (untern) Endelswege 19 Grote, Jühnde, Akte C I 1

1600

Bofen dem Engelsberge

1646

Im Endahls Campe

1672

Der Engel

6 7

Jühnder Pfarrarchiv 11/410 Liegenschaften Jühnder Pfarrarchiv, Akte H. S. 1 Jühnder Schloßbibl., Salbuch S. 95/97

‘der Zehnte’. Vgl. bei Kühlhorn (1964, S. 82) Langolffshausen neben Landolffeshausen.

Beiträge zu Ortsnamen

112

1681

1790

Ufm Engels Campe, Bei den Engelswiesen, Unter dem Engelswege, Im (untersten, mittelsten) Endel Unterste Endelsweg

Jühnder Schloßbibl., Salbuch

1840

Am Endelsgraben

1969

/in ƟngƟlƟ/ Im Endel und als Zusammensetzungen damit: Auf dem Endelskamp In den Endelswiesen Am Endelsberge Die Endelsscheune Die Endelswege

Jühnder Schloßbibl., Planche XI des Geometers Mithoff Rosdorf, Rektor Behans Verz. der Zehntpflichtigen v. Jühnde (mundartlich)

Klar ist, daß hier ein Kompositum mit -dal ‘Tal’ vorliegt. Dieses nur einen Nebenton tragende Grundwort ist verdunkelt und in seiner Lautgestalt geschwächt worden, vgl. etwa nhd. Wurzel aus wurt-walo, Viertel aus viertteil usw. Den Vorderteil halte ich für den Genetiv des oben behandelten Flurnamens. Als Ausgangsform anzusetzen wäre demnach *Emmedendal, bei dem dann der vordere Dental dissimilatorisch geschwunden ist: emmendal > *emndal, was mit (regressiver) Angleichung zum belegten endal führt. (Hier wird also einmal – anders als oben – mn zu (n)n assimiliert. Die Existenz dieser doppelten Möglichkeit hat schon H. Grimme 1922, § 101 bemerkt.) Der Vokal der schwachtonigen zweiten Silbe wird dann, wie erwähnt, noch zu e bzw. i geschwächt. (Auch Fahlbusch 1960, S. 232, erkennt in Endal das ‘Tal der Emme’; nur war ihm die alte Form emmede, von der auszugehen ist, nicht gegenwärtig.)

Zum Namen der Eresburg [Beiträge zur Namenforschung 39 (2004), S.151–154]

ZUSAMMENFASSUNG: Für den Namen Eresburg wird eine Deutung als Eres(t)-burg ‘die wichtigste, die Hauptburg’ vorgeschlagen. ABSTRACT: In this article the name Eresburg is interpreted as Eres(t)-burg ‘the first, main, most important burg’. Die Eresburg ist berühmt durch die langen, erbitterten Kämpfe, die Karl der Große mit den Sachsen um ihren Besitz geführt hat. Sie war für beide Seiten strategisch wichtig. Zu lokalisieren ist sie aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Stadtberg von Obermarsberg an der Diemel (nordwestlich von Arolsen, im Hochsauerlandkreis). Ihr Name, den die Quellen seit dem Ende des 8. Jahrhunderts bezeugen, tritt in mehreren Varianten auf, doch sind zweifellos Eresburg (daneben Erisburg) die authentischen. (Schreibungen in den mittelalterlichen Handschriften wie Heres- gehören zu den zahlreichen Vorkommen eines ‘irrationalen h’; zusätzlich mag der Anklang von lateinisch heres ‘der Erbe’ oder deutsch Heer eingewirkt haben.) – Die Formen mit anlautendem [M] wie Merespurg und das heutige Marsberg sind genauso zu erklären wie beim fränkischen Mespelbrunn (aus Am Espelbrunn) oder dem sächsischen Ortsnamen Mohorn westlich Dresden (aus Am / Im Ahorn), das heißt durch Metanalyse einer Junktur mit Präposition und bestimmtem Artikel. Für den Ortsnamen Eresburg hat man schon viele Deutungen vorgeschlagen, zum Beispiel solche, die ihn antikisierend an den römischen Gott Ares oder die griechische Göttin Hera anschließen wollen, usw. Einen guten und vollständigen Überblick über die Reihe dieser verfehlten, zum Teil phantastischen Etymologien gibt Jürgen Udolph (1989, § 1). Mit Recht lehnt er sie durchweg ab. Er schlägt dann ebenda selbst eine Lösung vor: Das Erstglied des Burgnamens soll auf ein idg. Subst. *eros, *eresos ‘Anhöhe, Erhebung’ (neutr. es-Stamm) zurückgehen. Zu dessen – schwacher – Bezeugung vergleiche man Julius Pokorny (1959–1969, S. 328). Doch auch gegen diese Verknüpfung erheben sich Einwände:

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Beiträge zu Ortsnamen

a. Von vornherein empfiehlt sich nicht, mitten in der Germania germanicissima für einen Ortsnamen mit klar germanischem Zweitglied ein da sonst nirgends belegtes Substantiv ad hoc anzusetzen. Bezeugt sind in den germanischen Sprachen nur Kontinuanten von idg. *orso- mask. ‘Arsch’,1 aber nicht von dessen hypothetischer Vorstufe *oros (bzw. *eros) ‘Berg, Anhöhe’. – Vielmehr ist anzuraten, für diesen Namen nur altsächsisches Sprachgut heranzuziehen und, da dies leider nur in geringem Umfang erhalten ist, aushilfsweise altenglisches und althochdeutsches. b. Wie die Lautform eines ursprünglichen es-Stamms, der als Erstglied eines Kompositums verwendet wird, zu dieser Zeit in den westgermanischen Sprachen überwiegend aussieht, lehren zum Beispiel angelsächs. æger-felma ‘Häutchen eines Eies’, die althochdeutschen Personennamen Sigur-mar und Tagar-hilt oder auch der niedersächsische Ortsname Seggerde aus *seger-ithi ‘Ort, wo viel Segge ‹carex, Riedgras› (ahd. sahar, alter -es-Stamm) wächst’, das heißt, das stimmhaft gewordene /s/ ist westgermanisch am Wortende und am Ende des Erstgliedes von Komposita zu /r/ geworden. Für den Ortsnamen Eresburg bietet sich dagegen die folgende Deutung an: Das Erstglied ist der in den westgermanischen Sprachen belegte adjektivische Superlativ ahd. êresto, êreste, altsächs. êrist-, angelsächs. ærest‘der erste, bedeutendste’, mhd. êrest (synkopiert êrst) usw. Neben ihm steht das Adverb ahd. êrest, êrst ‘zuerst’. Bei dieser Annahme sind zwei lautliche Besonderheiten zu erklären: a. Da das ursprüngliche Suffix dieses indogermanischen Superlativtyps -isto- lautet (ahd. jungisto, altsächs. lengist, got. managists, griech. B^<>HID0, altind. vási0s0tha- ‘wohlhabendste’, avest. yǀišta- ‘jüngste’) muss das -e- in der zweiten Silbe von Eresburg als Neuerung angesehen werden. Althochdeutsch und Altenglisch bieten dafür Parallelen: Das Althochdeutsche Wörterbuch (Große 1971–1985, III, Sp. 404 ff.) notiert neben êrist auch êrest-. Die Althochdeutsche Grammatik von Wilhelm Braune und Hans Eggers (1975, § 31) gibt weitere Beispiele für den Wandel von /i/ zu /e/. b. Der vorauszusetzende Ausfall des [t] ist auch im Althochdeutschen bezeugt, das wir hier anstelle des viel karger bezeugten Altsächsischen als Zeugen heranziehen müssen. Der Glossator der Notkerschen Psalmenübersetzung bietet 46,5 die Form êrisporinni ‘Erstgeburt(srecht)’ 1

Man vergleiche A.L. Lloyd & O. Springer (1988 ff., I, S. 345 ff.).

Zum Namen der Eresburg

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und als weitere Glosse ist ers-boner belegt (Große 1971–1985, III, Sp. 413). (Daneben erscheint aber häufiger das Partizip êristboran, êrestporn ‘erstgeboren’ (Lehnprägung nach lat. primigenitus), das heißt, der Ausfall des [t] in der Konsonantengruppe war nur optional; meist wurde die etymologisch richtige Lautform beibehalten oder wiederhergestellt, um das Wort unmittelbar verständlich zu erhalten. – Zu der Behandlung der Trikonsonanzen im Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen, Altsächsischen und Altenglischen vergleiche man Ludwig Wolff (1921, S. 24 ff.). Er gibt da Beispiele für das Schicksal von [stb] in Appellativa: mispella ‘Hofhund’ < mist-bella, maspoum < mast-boum, kosperlichen < kost-bœr-lƯchen, und häufiger noch in Ortsnamen: Hins-beck bei Essen < Heingist-beki 11. Jhd., Osburg neben Ost-burg, Fors-bach < Vorst-bach, Vesperweiler < Vast-pergs-wîler, im Englischen Esbroc < East-broc usw. – (Rudolf Schützeichel 1995, S. 125 f., bucht für êrist und êristo- auch Schreibungen mit irrationalem h- im Anlaut. Sie bilden genaue Parallelen zu den oben erwähnten Graphien mit Heres- beim Ortsnamen.) Ordinalzahlen als Erstglieder von Ortsnamen sind nicht häufig, immerhin gibt es zum Beispiel im Lateinischen Primaporta, im Griechischen den Inselnamen *G°I=. Häufiger sind Superlative auf -st- wie Oberstdorf in Bayern, Höchstberg bei Heilbronn. Für den Fürstenberg bei Xanten (a. 1119 Vurstenberg) schlägt H. von Petrikovits (in Bach 1954a, § 315b) vor, ihn zurückzuführen auf *ze dem Juristen berge ‘beim vordersten Berg’. (Dagegen ist der Ortsname Höchst, heute Ortsteil von Frankfurt/Main, von Haus aus kein Superlativ, im 11. Jahrhundert lautet er Hoch-stedin, Hostedin.) Bei Eresburg ist anzunehmen, dass eine rühmende Bezeichnung zum echten Ortsnamen geworden ist. Mit êres(t)- war kaum eine zeitliche Priorität gemeint, sondern auf den Rang dieser Wehranlage verwiesen: ‘die wichtigste, die Hauptburg’. Das würde gut zu ihrer militärischen und religiösen Bedeutung passen.2 Zum Typ ‘Determinativkompositum mit Ordinale im Erstglied’ gibt es zahlreiche Bildungen, man vergleiche mhd. êrstling, nhd. Erstaufführung, Erstdruck, Erstgeburt, Erstmann, Zweitwagen, Drittmittel, Fünftgeboren, ferner die Reihe Drittel, Viertel, Fünftel usw. (aus dritt-teil usw.).

2

Man vergleiche F. Schwind (1989, S. 478–482).

Der niedersächsische Ortsname Göttingen [Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 5 (1962), S. 137–154]

Der Name unserer Universitätsstadt Göttingen ist noch nicht überzeugend gedeutet. Die älteste – noch rein nach dem Anklang gegebene – Deutung verknüpft den Ortsnamen mit dem Volksnamen der Goten. Sie findet sich schon bei Franz Lübeck (Lubecus) in seiner Braunschweigisch-Lüneburgischen Chronik (1573–1594) im „dritten Stucke“ des 1. Bandes. Es gilt dem Thema, „was für Stete und Schlosser im Lande zu Sachsen und Braunschweig liggen, woher die Flecken, Durfer und Stetten den namen bekomen und wie alt etliche der Stedte sein“. Da wird auf Blatt 233 Gottingen „von den Gottis“ abgeleitet oder „aus den nachkomlingen der Gotthorum“. Daß diese Anknüpfung unseres Ortsnamens an den berühmten Germanenstamm in der gelehrten Welt des 16. und 17. Jahrhunderts gültige Meinung war, lehrt uns dann das Büchlein von Henricus Müller, das unter dem Titel „Abbildung der uhralten und weitberühmten Frontier-Stadt und Vestung Göttingen“ im Jahre 1678 in Osterode erschien. Auch hier wird (S. 6) der Ortsname zu den Gothen, „einem mitternächtigen barbarischen Volcke“, gestellt, und Müller nennt als Gewährsmänner dafür Dresserus, ferner den bekannten Ph. Melanchthon und J. Caselius, der über seine Geburtsstadt gedichtet habe: Hanccine Gottica gens, aut Heros Gotticus urbem Valle in frugifera statuit? Also hat sich die Humanistenweisheit nach antiker Sitte sogar einen Heros eponymos einfallen lassen. – In Johann Daniel Grubers Zeit- und Geschichtbeschreibung der Stadt Göttingen, 1734, die aus Beiträgen mehrerer Autoren entstand und für die zukünftige Universitätsstadt werben will, ist der 1. Paragraph des 1. Buches dem Namen der Stadt gewidmet. Friedrich Christoff Neubur, der Verfasser des 1. Buches, gibt nebeneinander fünf Deutungen, die er für gleichermaßen möglich hält: Daher von den meisten dafür gehalten wird, Göttingen habe seinen Namen von good oder gut, und heiße so viel, als ein gutes Ding, ein gutes Geding, bona mansio. Welche Meinung dann, wie sie an und vor sich selbst nicht ungereimt

Der niedersächsische Ortsname Göttingen

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ist, die unvergleichlich fruchtbahre und angenehme Lage dieser Stadt über alle maßen wahrscheinlich machet.

Daneben stellt Neubur die Verknüpfung mit den Goten und zitiert ein Epigramm des Helmstedter Historikers Meibom (des Älteren), in dem auch diese beiden Deutungen nebeneinander stehen: Sive agri bonitas, seu gens tibi Gothica nomen fecerunt Gottinga tuum. Neubur erwägt aber auch, der Ortsname könne vielleicht früher Catthungen oder Cattingen geheißen haben „von den Cattis und Hessen, an welche er gräntzet“. Als vierte Deutung gibt er die Ableitung von Gott oder Göttern mit Belegen dafür, daß die Humanistenzeit den Ortsnamen zu Theopolis gräzisiert habe. Möglich erscheint ihm schließlich auch die Auffassung als ‘hohes Gericht’ (Güdinge, Godinge), d.h. er sieht im Ortsnamen die Bestandteile Gau und Thing. Eine sechste Deutung erwähnt er nur, um sie energisch und wortreich zu verwerfen (s.u. S. 130 f.). – Von einem 1896 gehaltenen Vortrag Moriz Heynes im Göttinger Geschichtsverein besitzen wir in den „Protokollen“, 1. Band, 4. Vereinsjahr, nur eine kurze Nachschrift (wohl aus der Feder Tecklenburgs); sie enthält (S. 7) auch, eine Deutung unseres Ortsnamens. Danach heiße Gudingen ‘bei den Abkömmlingen des Gudo’, und dieser Personenname wird als ‘Priester’ oder ‘Richter’, also als ursprüngliches Appellativum gedeutet. – Im Jahre 1906 legt dann Leo Meyer der Kgl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen eine Abhandlung Über den Namen Göttingen vor, in der er den Ortsnamen als eine Verkürzung von *Gottwaldingen oder einer Bildung mit einem ähnlichen Personennamen auffaßte. Da er das Suffix hier als patronymisch wertet, kommt er zur Deutung ‘bei den Söhnen des Gottwald’ o.ä. – In einem wesentlichen Punkt, der Auffassung des Vordergliedes als zum Subst. Gott – deus gehörend, berührt sich mit Heynes und Meyers Deutung die bis heute herrschende Auffassung Edward Schröders. Er sucht im Stammwort des Namens entweder das Appellativum Gott oder dessen Ableitung gudja ‘Priester’. Der Ortsname bedeute also ‘Verehrungsstätte der Götter’ oder ‘Ort, wo die Priester bzw. Richter sind’. Zwar hat E. Schröder diese Deutung immer nur beiläufig geäußert,1 aber dank seiner Autorität ist sie mehrfach in spätere Arbeiten anderer Forscher aufgenommen worden, so in A. Saathoffs Geschichte der Stadt Göttingen (1937, S. 10), in H. Wesches Aufsatz Beiträge zu einer Geschichte des deutschen Heidentums (1937, S. 7 Anm. l) und in 1

Schröder (1933/34, S. 40; 1937; 1944, S. 186). – In „Niedersachsen“ (1937) läßt er daneben auch die Meyersche Ableitung von einem Personennamen gelten.

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Beiträge zu Ortsnamen

sein Buch Unsere niedersächsischen Ortsnamen (1957, S. 9 f.), sowie in W. Flechsigs Beiträge zur Ortsnamenforschung in den ehemaligen Fürstentümern Göttingen-Grubenhagen (1953, S. 36). Der erste, der an dieser Deutung Zweifel äußert, ist A. Bach (1954a, § 383).2 Offenbar vermißt er klare Parallelbildungen.3 (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß auch H. Bahlow 1962, S. 65 die Schrödersche Deutung ablehnt. Er arbeitet aber mit einem falschen Ausgangsbeleg und setzt schließlich im Zuge seiner bekannten einseitigen Deuteweise ein *gud als „verschollenes Wort für Morast“ an.) Auch das Ortsnamenbuch von Sturmfels & Bischof (1961, s.h.v.) übernimmt E. Schröders Etymologie nicht.4 Während A. Bach und H. Bahlow die Schrödersche Namensdeutung von der semantischen Seite her angreifen, ist eine strenge Überprüfung der Lautformen noch nicht geleistet worden. Alle bisher vorgelegten Deutungen kranken daran, daß sie nur mit einer zufällig gefundenen Namensform arbeiten, daß sie nicht auf den ältesten urkundlichen Beleg zurückgehen und daß sie die lautliche Entwicklung durch die Jahrhunderte nicht überprüfen. Da erst diese Daten einen Deutungsversuch auf festen Boden zu stellen vermögen, lege ich sie im folgenden vor. Aus dem ältesten Beleg, der in Quedlinburg gegebenen Schenkungsurkunde Ottos I. vom Jahre 953, zitieren wir den ganzen Passus, der in einer Reihe von Ortsnamen auch den unseren enthält (Z. 4) „… in locis subnominatis, id est Hiddeshusi cum tota marca et Helisungun, Heristi, Dasingarud, Gelithi, Vuillienhusun, Agesthorp, Gutingi …“.5 Die Identifikation dieser Orte ist schon in den Mon. Germ. Hist. vollzogen und dann bei Wegener (1953) wiederholt:

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Diesem wirklich grundlegenden und unentbehrlichen Buch vordankt die vorliegende Arbeit reiche Belehrung und eine Fülle von Material. Zu Ortsnamen mit dem Worte ‘Gott’ im Vorderglied bemerkt Jan de Vries (1957, § 343, im „Grundriß der germanischen Philologie“): „Merkwürdig ist, daß dieser Namenstypus nur in einem beschränkten Gebiet Skandinaviens sich findet: Dänemark, Südwest-Schweden und Oslofjord.“ – Namen wie Gottsbüren (an der Weser) sind jung und hugenottischer Frömmigkeit entsprungen. In diesem Fall haben Sturmfels & Bischof (1961) also mit Recht eine vorliegende Deutung abgelehnt. Leider ist ihr Buch in anderen Fällen allzu unvorsichtig und zu wenig genau, so daß es als wissenschaftliches Arbeitsmittel nur mit starken Einschränkungen gelten kann. – Unter dem Stichwort ‘Göttingen’ bietet es die falsche Angabe: 953 Goding und außer der Schröderschen Deutung noch die unmögliche Analyse als Gaugericht – Go-ding. Mon. Germ. Hist. Dipl. Ott. I Nr. 165. – Zuletzt in sachkundiger Weise kommentiert von W. Wegener (1953, S. 7 ff.). Vgl. dazu auch H. Heimpel (1953, S. 1 ff.). – Zum Terminus marca vgl. P. von Polenz (1961, S. 226 ff.).

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Dasingarud = Desingerode (Krs. Duderstadt), Hiddeshusi wahrscheinlich Hiddesen, eine Wüstung nordwestl. Kassel, Heristi = Ehrsten bei Hofgeismar oder Harste (Krs. Göttingen), Helisungun = Ober-Elsungen, nordwestl. Kassel, Gelithi und Agesthorp = Gittelde und Eisdorf am SW-Rand des Harzes. Damit ist auch die örtliche Gleichsetzung von Gutingi mit dem späteren Göttingen gegeben. In dieser ältesten Urkunde wird mit Gutingi also ein locus, das ist wohl eine dorfähnliche Siedlung, bezeichnet. – Aus den folgenden zweieinhalb Jahrhunderten liegen uns dann nur höchst spärliche Nachrichten vor: die Urkunde M.G. Dipl. Ott. I Nr. 439, in der der Kaiser dem Kloster Poehlde u.a. den Besitz einer Hufe Landes in Göttingen bestätigt, ist als eine erst aus dem 13. Jahrhundert stammende Fälschung erkannt worden. – Im Register des Abtes Saracho von Corvey (1053–1071) Nr. 89 finden wir einmal die Notiz: Guddingun in pago Logne LXXX iugera. – Dann hält zu Anfang des 12. Jahrhunderts das Traditionsverzeichnis der Abtei Helmarshausen zwei Schenkungen fest: Graf Dedi von Ziegenberg und Frau Frithurun schenken dem Kloster eine Hufe bei Guthing (im Original verschrieben: Huthing), und ein Mann namens Atzele von Gutinge schenkt demselben Kloster einen Acker bei Winithe (Weende).6 Der Paderborner Vertrag aus dem Jahre 1202, der die Teilung des welfischen Allods regelt (Orig. Guelf. III S. 626; UB Stadt Hannover, S. 3 Nr. 2) bestimmt, daß Göttingen dem Pfalzgrafen Heinrich, einem Bruder Ottos IV., zufallen solle: „et Gudingin suum est cum omnibus, quae sibi attinent“. Das Datum der Verleihung des Stadtrechts ist noch sehr umstritten. Es liegt zwischen 1195, dem Todesjahr Heinrichs des Löwen, und 1229, wo für Göttingen durch eine Urkunde die Einrichtung der consules et burgenses bezeugt ist, die Stadtrecht beweist. Jedenfalls ist der nun schon alte Siedlungsname ohne weiteres auch auf die städtische Anlage übergegangen, obgleich das „olde dorp“ weiterbesteht und zunächst auch außerhalb des Stadtwalles bleibt. Die Urkunden der Stadt setzen erst um 1230 ein. Ich entnehme dem von Gustav Schmidt erstellten Urkundenbuch der Stadt Göttingen bis zum Jahre 1400 (1863), eine Reihe von Schreibungen des Ortsnamens. Dabei führe ich jede Variante nur einmal und möglichst mit ihrem frühesten Beleg an. (In der folgenden Liste steht zunächst die Nr. der Urkunde nach G. Schmidt, dann die Jahreszahl der Ausfertigung, schließlich die betreffende Schreibung.) 6

Vgl. F. Pfaff (1911, S. 29 f. und 54).

Beiträge zu Ortsnamen

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Nr.

1 3 4 5 12 17 22 24 40 44 53 56 59 63 66 69 115 216 263 273 283 352

1229 1245 1251 1254 1263 1270 1279 1284 1294 1297 1303 1303 1304 1305 1306 1308 1325 1362 1370 1374 1376 1393

Gotinge Gotengen Gothingen, Gotingen Gottingen Guttingen Gotigen Gotinghe Gutinne Gotige Gotinghen Ghotingen Gotinghenne domus Gotyngensis Gothinghe Gothinge Gutthyngen Gotynghen Gothinghen Ghothynghe Gotyngen Gottinghe Ghottinge

Von jetzt an setzt sich die Schreibung Gottingen sehr stark durch. – Das Bild ist also recht einheitlich. Die Belege zeigen hier durchweg die dentale Tenuis. – Schreibungen des Ortsnamens mit d bzw. dd kenne ich nur aus dem Corveyer Register (s.o.) und aus dem Teilungsvertrag von 1202. Sie stehen in der langen Reihe der Belege so vereinzelt, daß sie als ‘hyperkorrekte’ Formen erklärt werden müssen: der Schreiber meinte, den Komplex gut-, den er etwa als ‘deus’ oder ‘bonus’ auffaßte, in eine ‘richtige’ niederdt. Form gud- umsetzen zu müssen. – Es ist methodisch durchaus unzulässig, auf diese beiden aus dem Rahmen fallenden Fehlformen eine Etymologie aufzubauen. Damit entfallen alle die älteren Versuche, unseren Ortsnamen an das Wort für Gott, altsächs. god oder an das für ‘Priester’: got. gudja, urnord. gudija (Runenstein von Nordhuglen), awn. goði anzuknüpfen, ebenso wie jene, die einen Personennamen Guddo als Grundwort annehmen,7 der wohl eine Koseform zu einem Personennamen mit dem Vorderglied gud- ‘Kampf’ (as. guðea, ags. guþ) sein müßte.

7

So A. Tecklenburg (1922, I, S. 14 ff. und 1930, S. 31 f.).

Der niedersächsische Ortsname Göttingen

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Die Reihe der Kanzleibelege gibt aber doch jene lautlichen Entwicklungen nur sehr unvollkommen wieder, die der Vokal der Stammsilbe und andererseits das unbetonte Suffix durchmachten. (Zum Wandel der Endung von -ingi zu -ingen s. u. S. 126.) Für den Vokal der Stammsilbe folgen wir den Darstellungen von Agathe Lasch in ihrer Mittelniederdeutschen Grammatik (1914, vor allem §§ 39. 50. 69 IIa. 156): Ein kurzer Vokal in betonter offener Silbe – in unserem Falle das u von Gutingi – wird zunächst zu einem Kurzdiphthong ǎǎ zerdehnt. Während dieser Diphthong in manchen anderen niederdeutschen Dialekten zum langen Monophthong zusammenschmilzt, führt das Ostfälische, die Sprache unseres Gebietes, dann wieder einen kurzen Monophthong ein; besonders werden die zerdehnten e, o vor n, t, d + en wieder gekürzt. Die Kürze dieses o wird in der Schrift normalerweise durch die Doppelschreibung des folgenden Konsonanten markiert (vgl. gotte, schottet usw.). (Im Falle unseres Ortsnamens ist die Doppelschreibung seit Mitte des 13. Jahrhunderts bezeugt.) Das o unterliegt dann dem vom i der folgenden Silbe bewirkten Umlaut, der aber leider in der mittelniederdeutschen Blütezeit in den Handschriften nur selten bezeichnet wird. Erst die Epoche der gedruckten Bücher führt – einer von Oberdeutschland ausgehenden Regelung folgend – die Schreibung des Umlautes mit übergesetztem e oder anderen Hilfszeichen durch. – Diese allgemeine Regel bewährt ihre Geltung auch in unserem Falle: während die niederdeutsch abgefaßten Urkunden bis weit ins 16. Jahrhundert an der Schreibung Gottingen festhalten, gibt die hochdeutsche Kaiserurkunde des Jahres 1508 den Ortsnamen in der Form Göttingen.8 Unmittelbar vergleichen mit unserem Ortsnamen läßt sich die Geschichte des lat. Lehnworts scutella ‘Schale, Schüssel’ (vgl. A. Lasch 1914, § 69 I und 156). Neben der bezeugten Form scutala muß es – wegen des Umlauts – auch ein altsächs. *scutila gegeben haben. Belegt sind dann schottel (ohne Markierung des Umlauts, aber mit Andeutung der Kürze des o), ferner schöttel, schötel und für den Berufsnamen z.B. schottelhere ‘Schüsselmacher, Töpfer’, Goslar 1429, heute der Personenname Schöttler. Was speziell die Lautform des Suffixes -ingen angeht, so täuschen die Schreibungen der Urkunden eine unveränderte Festigkeit des Ortsnamens über Jahrhunderte vor, wie sie der lebenden Sprache fremd gewesen ist. Für den Nachweis dafür, daß das Suffix -ingen, -ing schon im Mittelalter seine Lautsubstanz verringerte, können wir uns auf einen Aufsatz von H. Wesche (1960) stützen. Schon A. Lasch (1914, § 144) wußte, daß in einem Teil des Ostfälischen altes -ing(en) > ig > i geworden ist. Dabei läßt sich der Ausfall 8

Hasselblatt & Kaestner (Hrsg. 1881, Nr. 49).

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Beiträge zu Ortsnamen

des -n- vereinzelt schon im 10. Jahrhundert nachweisen. Seine stärkste Wirkung erreicht er aber erst Jahrhunderte später. H. Wesche gibt (1960, S. 266) Beispiele dafür, daß Ortsnamen ihr Suffix -ing erst nach dem 13. oder 14. Jahrhundert verloren haben. – Die Weiterentwicklung zu -i ist nicht überall durchgeführt. Zum Ortsnamen Göttingen dürfte aber der 1494 in Hildesheim erwähnte Johann Gotty gehören, den Flechsig (1953, S. 15) nennt. Diese Form Gotty entspricht dem Ortsnamen Göttingen genauso wie Weddi (1310) dem Ortsnamen Weddingen, Weddinge bei Goslar (vgl. Wesche 1960, S. 269). Gleidi (1519) entspricht Glethingi (993) (bei Hildesheim und Braunschweig). Diese mundartlichen Formen haben sich aber nicht nur in den städtischen Urkunden Göttingens nicht durchsetzen können, sondern umgekehrt ist die konservative Form der Kanzlei auch wieder in den niedersächsischen Dialekt eingedrungen, der um Göttingen gesprochen wird. Hier lautet der Ortsname heute etwa 8öttingČn (mit kurzem ö – wie in nhd. Hölle – und palatalem ch – wie in nhd. Licht, Recht usw.). Diese Dialektform läßt uns die Frage wenigstens aufwerfen, ob die gelegentlich in den Urkunden im Anlaut und im Suffix des Ortsnamens vorkommenden Schreibungen mit gh Versuche sind, die leichte Palatalisierung des Velars zu markieren. Beantworten läßt sich das zur Zeit noch nicht (vgl. A. Lasch 1914, § 341) Nachdem wir so den Ortsnamen Göttingen diachronisch in die Folge der urkundlichen Belege und in die teils belegte, teils erschließbare Entwicklung der mundartlichen Lautung eingeordnet haben, ist er nun noch in die Fülle der parallelen Bildungen auf -ingi hineinzustellen. – Wir können uns dabei aber nicht nur auf die Karten stützen, welche die heutigen Ortsnamen auf -ingen in Niedersachsen verzeichnen, z.B. auf Kurt Brüning (1950) und Georg Schnath (1939, Karte 5a), da 1. häufig ursprünglich anders auslautende Ortsnamen an diesen beliebten Typ auf -ingen angeglichen worden sind;9 2. da in diesen Karten jene Ortsnamen fehlen, in denen das sich lautgesetzlich von ingen > ig(en) > i entwickelnde Suffix nicht von den Katasterbeamten künstlich restituiert worden ist; 3. dort ebenso die Ortsnamen auf -ungen fehlen, die aber aufs engste mit dem Typ auf -ingen zusammengehören und mit ihm in älterer Zeit sogar regellos wechseln (z.B. beweist

9

Zum Beispiel ist fries. Loringa überkorrekt aus einem Ortsnamen mit dem Personennamen Lorenz entstanden. (Ähnlich sind in Süddeutschland mehrfach keltische Bildungen auf -acum zu -ingen-Namen umgewandelt worden, z.B. Ricciacum > Ritzingen, vgl. Bach 1954, § 249.3.) Anderseits haben viele Ortsnamen in der Lüneburger Heide, die ursprünglich auf -ingen endeten, heute die Endung -ern, vgl. H. Wesche 1961, S. 281 Anm. 5.

Der niedersächsische Ortsname Göttingen

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bei Roringen, Krs. Göttingen, der fehlende Umlaut, daß es früher Rohrungen geheißen hat; im Jahre 1196 ist es so belegt!). Aus dem reichen Material geben wir hier nur einige Belege mit bisher ungedeutetem oder nicht sicher erklärtem Stammwort, um zu zeigen, wieviel verschollenes Wortgut gerade in diesem altertümlichen Bautyp erhalten geblieben ist. Die ältesten Belege der norddt. Ortsname auf -ingi hat schon A. Bach (1954a, § 95) zusammengestellt; wir ergänzen sie durch einige jüngere Belege aus H. Wesches Aufsatz (1960) und aus E. Ekwall (1923): Buxingi, Bohsingi (855 Friesland), Taglingi (heute Teilingen, ca. 960 Südholland), Grupilingi (Gröblingen, Krs. Warendorf, 11. Jhd.), Luhttringi (Lüchtringen a. d. Weser, Krs. Höxter, 9. Jhd.), Derlingi, Derlingun, Derlingo (bei Helmstedt, 9. Jhd.), Wiringi (Wirringen, Lkrs. Hildesheim, 1022), Uplingi (Wüstung bei Badersleben, Krs. Oschersleben, 941), Paringi (Behringen, Krs. Arnstadt, Thüringen 932), Glethingi (Gleidingen bei Hildesheim 993), Glusinge (Glüsig bei Neuhaldensleben 1178), Krelinge (Krelingen bei Fallingbostel 1195), Crullingi 946 (heute Körlingen, Niedersachsen), villa Millingi 720 (heute Millingen, Gelderland), villa quae vocatur Arpingi 852 (heute Erpingen bei Hannover). Schon aus dieser Zusammenstellung wird die Grenze zwischen Stamm und Suffix deutlich. Überall läßt sich ein Suffix -ingi ablösen. Damit erledigt sich die alte laienhafte Zerlegung in Gau – Thing. Bei der Betrachtung des Suffixes -ing- holen wir ein wenig weiter aus und werfen unsern Blick auch auf einige indogermanische Nachbarsprachen des Germanischen, um uns über das Alter des Suffixes klar zu werden. Seiner Herkunft nach ist das germ. Suffix -ing- < idg. -enk- (zu dem die Ablautvarianten -nk- / -onk- gehören) ein Konglomerat, das durch das Antreten des idg. k-Suffixes an Stämme mit dem Auslaut -n entstanden ist. Dieser ursprüngliche Zustand ist im Lateinischen noch klar erkennbar, wo neben iuvencus < *iujn5kos noch der unverbaute n-Stamm im Plural iuvenes vorliegt, wo als Zwischenstufe zwischen homo, hominis und dem abwertenden homuncio noch die Zwischenstufe *homuncus erschließbar ist, wo von einem Volksnamen neben der Form xHDC:0 auch die Variante Aurunci bezeugt ist. Im Festlandkeltischen Frankreichs stehen die Ortsnamen Alesia und Alisincum nebeneinander. Trotz des Widerspruchs H. Kuhns (1960, S. 67) neige ich dazu, hier an der üblichen Zusammenstellung des Grundwortes mit idg. *alis- ‘Erle’ festzuhalten, da auch der Ortsname Lemincum in Savoyen zu einem Baumnamen (ir. lem ‘Ulme’ usw.) gehört. – Den Ortsnamen Agedincum (heute Sens) hat schon Chr. W. Glück (1857, S. 15 f.) als Aged-incum analysiert und an die parallelen Bildungen Lemincum, Vapin-

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Beiträge zu Ortsnamen

cum (ebd.) erinnert. A. Dauzat und ihm folgend J. Pokorny (1936a, S. 498) halten dies Suffix aber für vor-keltisch. Aus dem ‘Illyrischen’ besitzen wir drei einschlägige Ortsnamen, von denen der eine, Acumincum in Pannonien, mit P. Kretschmer (1925, S. 91) als -ko-Erweiterung zu dem durch lett. akmens ‘Stein’, lat. acumen ‘Spitze’, griech. X@BKC ‘Amboß’ bezeugten idg. Subst. *akmon- ‘Stein’ zu stellen ist. – Ob wir dagegen im zweiten Ortsnamen, bei Aquincum, das wohl zur pannonischen Entsprechung von lat. aqua gehört, einen n-Stamm *aquenansetzen sollen oder ob hier nicht doch schon das Suffix -inc- als neue Einheit verbaut worden ist, wissen wir nicht sicher zu entscheiden. Beim dritten Ortsnamen, Sabatinca in Noricum, und dem Flußnamen Businca verzichten wir ganz auf eine Etymologie. – Das Suffix -ank- < idg. -n5k- treffen wir in diesem Bereich im Volksnamen Laianci in Noricum und im Namen des Berges %6GDJU<@60 in Pannonien. Auch im Ligurischen können wir den Komplex -inc- im Namen erkennen, nicht nur in der alten Bezeichnung des Po als Bodincus (wohl zur idg. Wurzel *bhedh- ‘in die Erde graben’, Pokorny 1959–1969, S. 113 ff.), sondern vielleicht auch im Ortsnamen Vapincum (zur idg. Wurzel *jep‘Wasser’, Pokorny 1959–1969, S. 1149). Wieder wissen wir nicht, ob wir hier als Suffix -c- oder -inc- abtrennen sollen. Hohes Alter der Konglutination erscheint aber auch hier möglich, ähnlich wie schon in der indogermanischen Grundsprache aus dem stammauslautenden Konsonanten der s-Stämme und dem alten k-Suffix das neue, beliebte Suffix -sk- entstanden ist oder aus dem stammauslautenden -n- und einem t-Suffix das sehr produktive -nt-Suffix. Das Ergebnis dieser knappen Umschau ist jedenfalls, daß sowohl im ‘Illyrischen’ wie im Keltischen und Ligurischen das -nk-Suffix schon in der Zeit um Christi Geburt unmittelbar zur Bildung von Ortsnamen diente. In allen germanischen Sprachen ist das verschmolzene Suffix in seinen Ablautvarianten -ing / -ung (seltener auch -ang) vom Beginn der Überlieferung an vorhanden und sehr lebenskräftig. Es ist also mindestens gemeingermanisch. (Ich betone das ausdrücklich, da hier in Göttingen früher einmal B. Crome zur Erklärung der norddeutschen -ingen-Namen, die ihn an die süddeutschen Parallelbildungen erinnerten, den Terminus der ‘NordSchwaben’ prägte, die bei ihrem Durchzug nach Süden hier in Niedersachsen schon Orte mit dem bei ihnen beliebten Suffix -ingen benannt hätten.10 Er versuchte, diese These durch archäologische Argumente zu stützen. Richtig ist daran nur, daß bestimmte Funde aus dem Reihengräberfeld von Rosdorf, vor allem eine Bügelfibel, enge Parallelen in Württemberg und im 10

B. Crome (1929, S. 129 und 1925).

Der niedersächsische Ortsname Göttingen

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alemannisch-bayrischen Gebiet haben. Doch darf aus dieser Rosdorfer Fundgruppe des 6./7. Jahrhunderts nicht auf Ortsnamen alemannischer Herkunft geschlossen werden.11) Schon in den ältesten Zeugnissen germanischer Sprachen, in den Völkernamen, welche durch griechische und lateinische Schriftsteller überliefert sind, taucht das Suffix -ing / -ung auf, z.B. in dem Namen der gotischen Greutungi ‘die auf dem Grus, d.h. in geröllreicher oder sandiger Gegend, wohnen’. Ihnen stammverwandt sind die Tervingi, also ‘Wäldler’ (zu germ. *terwa ‘Holz, Baum’). Die Reudigni (in lateinischer Schreibung) sind wohl die, ‘die auf gerodetem Boden wohnen’ usf. (vgl. Bach 1952, § 180.1). Ptolemaios überlieferte die Namen -676A><<>D> ]H@6A><<>DC, die wohl mit A. Bach (1954a, § 212) Ableitungen auf -ingja sind und dann also ‘Bewohner von Sawalinga, Askalinga’ meinen. In den westgermanischen Einzelsprachen, auf die wir uns hier beschränken, werden mit Hilfe des Suffixes -ing / -ung dann gebildet: a. Adjektiva der Zugehörigkeit (nach der a-Deklination): z.B. Modus Ottinc ‘der auf die Ottonen bezügliche Modus’, Carolingi, ahd. Kerlinga ‘zur Familie, zur Dynastie Karls gehörend’. – Von hier gehen die Sippennamen auf as. -ingos / ahd. -inga und die Ortsnamen auf -inga aus (Brüning ‘Gesippter des Bruno’ usw.). – In Fällen wie arming ‘pauper’, eigentlich ‘der zu den Armen gehört, ein Armer’ wirkt das Suffix fast individualisierend. b. Maskuline Substantiva, die nach kennzeichnenden Merkmalen genannt werden: ahd. keisuring ‘Kaisermünze, Münze mit Kaiserbild’, der alte Monatsname Hornung = Februar, eigentlich wohl ‘der im Winkel (horn) stehende, der zu kurz gekommene Monat’. Hierher gehört auch die ahd. Glosse goting = tribunus, die H. Wesche (1937, S. 6 ff.) überzeugend als ‘mann der staatsgewalt’ (Ableitung von *goto ‘Priester’) gedeutet hat. c. Kollektiva auf -i. Hierher stelle ich mit Sicherheit das ahd. Neutrum heimingi ‘Heimat’ (Otfried), das als ‘der Bereich, der Ort, an dem das Heim jemandes ist’, zu analysieren ist. Ich neige weiter dazu, zu dieser Gruppe auch die alten, aus dem 8. und 9. Jahrhundert vornehmlich aus norddeutschem Gebiet belegten Ortsnamen zu rechnen, von denen wir o. S. 123 Beispiele gegeben hatten. Doch ist die Auffassung des auslautenden -i dieser Ortsnamen umstritten. Das ist verständlich, da ein Ka11

Zum Fund vgl. O. Fahlbusch (1960, S. 7 f.) und W. Nowothnig (1958, S. 20 ff.).

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Beiträge zu Ortsnamen

susausgang -i in den verschiedensten alten Deklinationstypen vorkommt: 1. Wie erwähnt, im Nom. Sing. (und Plur.) der neutralen ja-Stämme (Typ kunni). 2. In der i-Deklination als Nom. Plur. – E. Förstemann und E. Ekwall (1923) nehmen an, daß dieser Fall bei den Ortsnamen auf -ingi vorliegt, d.h. sie halten sie für ursprüngliche Siedlernamen. Ähnlich schlägt A. Bach (1954a, § 212) vor, die Formen auf -ingi wenigstens in bestimmten Fällen als „sekundäre Insassennamen“ aufzufassen, die entweder auf einen zugrunde liegenden Ortsnamen auf -ing (Ort *Bering ‘der Platz am Flusse Bahra’, Ort *Asping ‘Ort, wo die Espen wachsen’) oder auf einen primären Insassennamen *Beringa ‘die Leute am Bach Bahra’ usw. zurückgehen. Wenigstens für einen Teil der Ortsnamen auf -ingi rechnet auch Bach mit alten neutralen jaStämmen. 3. Bei den Abstrakta auf -Ư (Typ hôhî). Bei Otfried finden wir neben heimingƯ n. auch heimingi fem. – Für Ortsnamen kommt dieser Typ wegen seiner abstrakten Bedeutung kaum in Frage. d. Mit einem Lokativ Sing. auf -i rechnet R. Kögel (in: Zeitschrift für deutsches Altertum 14, S. 116 f., und 1884a, S. 110–119) in den altsächsischen Ortsnamen, die auf -heimi und -burgi enden. [Anm. der Hrsg.: Der Beitrag in ZfdA 14 kann nicht verifiziert werden.] Die genaue Bestimmung der Funktion des auslautenden -i von Gutingi ist also zur Zeit nicht möglich. Die Ortsnamen auf -inga und -ingi sind später in dem Typus auf -ingen zusammengefallen. Ihn erklärt Flechsig (1953, S. 36 f.) ganz überzeugend mit Angleichung an den Ortsnamentyp auf -husen / -hausen, -sen und -hagen; bei den alten Insassennamen kann aber auch unmittelbar der Dativ Pluralis gebildet worden sein. – Von diesen Ortsnamen auf -ingen weist die deutsche Karte eine schier unzählbare Menge auf. Auch in der näheren und weiteren Umgebung Göttingens sind sie häufig, und zwar in ihrer überwiegenden Mehrzahl mit einem einteiligen Grundwort. Damit unterscheidet sich dieser Typ grundlegend von dem in Süddeutschland so beliebten Bautyp mit einem zweiteiligen Personennamen als Grundwort: Sigmaringen, Herbertingen, Gundelfingen (zum Personennamen Gund-(w)olf), Ehartingan 931 usw. Dieser (wohl jüngere) Typ ist in Norddeutschland freilich auch gelegentlich nachweisbar, z.B. in Agradingen im Emsland (zum Personennamen Agerad) mit P. von Polenz (1961, S. 182 Anm. 17) oder in Volkwardingen nordöstlich von Soltau usw. – Umgekehrt gibt es auch den

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älteren Typ mit einteiligem Grundwort bisweilen im Süden: Feringas, jetzt Ober-Föhring bei München: ‘die Leute am Fahr, am Isar-Übergang’, die Spitzing-Alp (1076 Spizzinch) zum Adj. spizzi ‘spitz’. In unserem Gebiet gehören die eingliedrigen Grundwörter sogar bedeutungsmäßig noch enger zusammen (vgl. Bach 1954a, § 203a). Sie enthalten: a. Baumnamen: Aspingi, Heisingi (zu heissi ‘Heister’), Birkungen (bei Heiligenstadt). Dazu wohl auch der Personenname Bochinger, der einen Ortsnamen Bochingen (zum Baum Buche) voraussetzt. (Vgl. o. S. 123 die genau entsprechenden keltischen Bildungen.) b. Geländebezeichnungen: Lithingi bei Braunschweig, zu lith ‘Abhang’, Wasungen zu ahd. waso ‘Rasen’, Scithingi (wohl Burgscheidungen an der Unstrut) zu *scitha o. ä. ‘Grenze’, Geistungen (zu ndd. gƝst ‘unfruchtbar, trocken’). Aus Oberdeutschland vergleiche: Personenname Schachinger zu mhd. schache ‘Waldstück’. Personenname Holzinger, Personenname Lochinger. c. Appellativa, die stehende oder fließende Gewässer bezeichnen: Sulingi zu Suhle ‘Schlammpfütze, schlammiger Wasserlauf’, Schwallungen an der Werra, Salzungen an der Werra (wegen einer Salzquelle, so E. Schröder (1944, S. 186) und sein niedersächsisches Gegenstück Sültingen. Eng damit hängen die Fälle zusammen, in denen d. der Name eines Wasserlaufes das Grundwort bildet (Bach 1954a, § 210): Moringen an der Moore (Krs. Göttingen), Seulingen an der Suhle (Krs. Duderstadt), Leinungen an der Leine, Thürungen an der Thyra, Albungen an der Werra (früher: Albis), Waldbehrungen (bei Mellrichstadt) an der Bahra, Heldrungen an der Helde (Krs. Eckartsberga), Oberlauringen an der Lauer (bei Hofheim, Unterfranken), Oehringen an der Ohrn, Schleusingen an der Schleuse, Usingen an der Usa (bei Homburg) Helmungen an der Helme,

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Beiträge zu Ortsnamen

Bodungen an der Bode (bei Nordhausen), Weddingen an der Wedde (nördl. des Harzes), Beverungen an der Bever (Krs. Höxter), Steoringi bei Delmenhorst (zu altnord. stór ‘groß’). Dort Gewässername Stuhr, 1171 Sture. Vergleichbar sind auch die von E. Schröder (1944, S. 370) genannten Namen Rüstungen, Holungen, Faulungen; sie heißen jeweils nach dem nahen Rustenbach (= Rohrbach), Holenbach, Faulbach, sind also sog. ‘Klammerformen’, d.h. ursprünglich dreiteilige Komposita, in denen das Mittelglied entfällt (Typ Salzburg < *Salzachburg). Wir fügen hinzu: Haferungen am Haferbach (südl. des Harzes). e. Bei einer Gruppe von Ortsnamen ist das Grundwort ein Adjektivum: Groningen (zu gruoni ‘grün’), Schoningen (zu schǀni ‘schön’), Wildungen bei Fritzlar (zu wild), engl. Ortsname Deeping (Ekwall 1923, S. 16, zu altengl. dƝop ‘tief’), Koldingen bei Hannover (zu ndd. kold ‘kalt’), Ortsname Scheuring (1150 Sciringen, zu as. scƯr ‘klar, rein’). – In all diesen Fällen ist wohl weniger daran zu denken, daß diese Adjektiva Eigenschaften des Bodens oder die Lage des Ortes bezeichnen, sondern es dürfte sich – jedenfalls meist – 1. entweder um Ableitungen von Bachnamen (bzw. Flußnamen) handeln, welche ‘die Kalte, die Reine, die Wilde’ usw. hießen, oder 2. sie gehören ihrer Entstehung nach zur folgenden Gruppe: f.

Gelegentlich sind jene Gewässernamen, die dann oft die Grundlage für Ortsnamen bilden, schon selbst Ableitungen auf -ing / -ung. Für England belegt E. Ekwall (1923, S. 16) den in die Wash mündenden Fluß Steeping (zu ae. stƝap ‘hoch, steil’), dessen Name also gebildet ist wie das oben S. 125 erwähnte ahd. arming ‘pauper’. Daneben gibt es dann Steeping mehrfach als Ortsnamen – entstanden wohl als Siedlungsbezeichnung ‘an der Steeping’. Für Norwegen bezeugt Ekwall (1923, S. 2) u.a. die Seenamen Dypingen m. ‘der Tiefe’, Grönningen (zu grunnr ‘seicht’) ‘der Flache’, ferner den Fluß Fellinga (zum Verb falla ‘fallen’). G. Indrebø (1924, S. 107) nennt u.a. den norwegischen See Kaldingen, ‘der Kalte’, heute Kallungsjøen. – Für unser südniedersächsisches Gebiet nennt die Flurnamensammlung des Instituts für historische Landesforschung z.B. den Flurnamen An der Koldung in Bartolfelde, Kr. Osterode, der deutlich einen Bachnamen voraussetzt. (Die spätere Stufe, in der die Präposition entfallen ist, gibt dann der oben unter e) erwähnte Ortsname Koldingen.)

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g. Abseits von diesen großen Gruppen, die ihre Grundwörter dem Bereich der Natur entnommen haben, stehen jene Ortsnamen, die von einem Personennamen abgeleitet sind. Für den zweigliedrigen Bautyp (s. o. Agredingen) geben wir hier keine weiteren Beispiele, da sie für die Deutung des Ortsnamens Gutingi ausscheiden. Von den einteiligen Namenswörtern – sie sind Kurz- oder Koseformen – liefert E. Ekwalls (1923) Sammlung der angelsächsischen Ortsnamen reichliches Material, aus dem wir einige Beispiele auswählen: Fobbing bei Tilbury (zum Personennamen Fobba), Goddings in Northern Essex (Personennamen Godda oder Goda), Bocking (Personennamen *Bocca, Bucca), Udding 956 (Personennamen Udd, Udda), Colling (Personenname Coll), Gimming Wood (Personenname Gimmo). – Dem engl. Goddings entspricht lautlich genau das niedersächs. Göddingen bei Dahlenburg. – Dieser Typ scheidet aber für die Deutung des Ortsnamens Göttingen / Gutingi deshalb aus, weil zu ihm, wie die Belege einhellig erweisen, immer die hypokoristische Konsonantendoppelung gehört, die ein häufiges Kennzeichen der westgermanischen Namenskurzformen sind. Im Ortsnamen Göttingen ist sie aber, wie wir oben S. 120 gezeigt haben, sekundär. Zudem ist der Namensstamm got-, der im Personennamen fem. Gotelind vorliegt, gerade auf nordwestdeutschem Gebiet kaum üblich. Der hier skizzierte Befund legt es vielmehr nahe, auch im Vorderteil von Gutingi ein Appellativum zu suchen, das eine Stelle im Gelände oder einen Wasserlauf bezeichnet. Meine These lautet daher: dem Ortsnamen Gutingi liegt das altsächs. bzw. ostfäl. Subst. *guta, ‘die Wasserrinne’ zugrunde. Dies Substantiv, dem das nhd. Gosse lautgesetzlich genau entspricht, ist eine Femininbildung zum Verb giotan ‘gießen’ und ist sowohl im Altniederländischen (gota), im Mittelniederländischen (gote), im Englischen (gut) und durchgehend in den niederdeutschen Mundarten erhalten. Deren verschiedene Dialektformen hier aufzuzählen erübrigt sich; erwähnt sei nur, daß das Wort in der Gegenwart meist für den künstlich geschaffenen Wasserlauf in den Straßen der Städte oder in den Küchen der Häuser angewendet wird. Für die erstgenannte Bedeutung zeugt ein drastischer Spottname, den Franz Wrede (1960) aufführt: Gotenschiter m. ist da der Spott- und Schimpfname für den Städter im Munde der Dorfbewohner. Das Mittelniederdeutsche Handwörterbuch von A. Lasch & C. Borchling (1928) führt unter dem Stichwort gǀte, g¯öte (gate), -tt f. auch die Bedeutung ‘hölzerne, steinerne Traufrinne, Dachtraufe’ auf. – Diese Einengung der Wortbedeutung auf technische Vorrichtungen für den Wasserablauf geht also schon ins Mittelalter zurück. Ursprünglich ist sie aber nicht.

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Beiträge zu Ortsnamen

Die für das Urgermanische12 anzusetzende Form *gǎtǀ, Gen. fem. gǎtǀnaz wies im Stamm die Schwundstufe der idg. Wurzel *gheu-d- ‘gießen’ (Pokorny 1959–1969, S. 448) auf. Die Dentalerweiterung teilt das Germanische dabei nur mit dem Lateinischen (fundere). Das schwache Femiinum gehört zu einer Gruppe von Abstraktbildungen auf idg. -Ɨ, die angeben, wo oder womit die betreffende Tätigkeit ausgeführt wird: nhd. Rinne = ‘wo das Wasser rinnt’, Bahre = ‘womit getragen wird’ usw. Als Name eines Flüßchens begegnet uns eine Gotte zweimal im Kreis Lippstadt, Reg.-Bez. Arnsberg, mit differenzierenden Attributen als Löher Gotte (bei Schledde) und Östereider Gotte.13 In der näheren Umgebung Göttingens fließt der Gotenbeek, der östlich von Sattenhausen entspringt und über das Vorwerk Himmigerode nach Seulingen fließt. (Dieser Name ist schon von H. Deppe in den „Protokollen über die Sitzungen des Vereins für die Geschichte Göttingens“, 4. Vereinsjahr [1897], S. 63, richtig zu gießen, Gosse gestellt worden. Ebd. erwähnt Deppe eine Wüstung Gotenbeck im Amt Radolfshausen.14) In der Nähe von Dorste ist die Ortsbezeichnung in der swarten goten belegt, die sich auf eine Quelle bezieht.15 Es gibt also mehrere Fälle, in denen das Appellativum guta > gotte zum Namen eines bestimmten Wasserlaufs geworden ist. Diesen Vorgang nehme ich auch für unseren speziellen Fall an. Aber auch für Göttingen selbst ist dieses Appellativum wenigstens einmal – wenn auch an entlegener Stelle – bezeugt und sogar schon zur Deutung des Ortsnamens herangezogen worden. Der Historiker F. Ch. Neubur schreibt in der o. S. 117 erwähnten „Zeit und Geschichts-Beschreibung der Stadt Göttingen“ (1. Theil, 1734, 1. Kap.) daß „der gewesene Rector zu Ilefeld, Herr Kriegk,16 in Indice ad vitam Dransfeldii“ eine eigene Etymologie vortrage und zitiert dessen Meinung:

12

13 14 15

16

Eine urgermanische Form anzusetzen berechtigen uns die genau gleichartig gebildeten nordgermanischen Formen: neunorweg. gjota ‘langgestreckte Vertiefung in der Erde’, schwed. dial. gjuta ‘Rinne’, isländ. gjóta ‘enge Gasse’. F. Witt (1912, S. 94 f.). Dazu vgl. auch O. Fahlbusch (1960, S. 236). Belegt bei G. Schambach (1858, s. v. gote). – Die „Flurnamensammlung des Institutes für historische Landesforschung“ notiert ihn unter Dorste Nr. 149: An der schwarzen Gosse, mundartlich schwarte Chuote. Gemeint ist Georg Nicolaus Kriegk, Schulmann in Dransfeld und Rektor des Pädagogiums in Ilfeld zu Beginn des 18. Jahrhunderts

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Urbi illi (scil. Gottingae) vicino in monte scaturit fonticulus, adpellatus priscis temporibus Goetigen, vulgo der Reinsbrunn, Reinholdi fons, e quo ducuntur rivuli per singulas plateas exsilientes et e quo aquas hauriunt foveae et fontes plerique civitatis.

Neubur lehnt diese Deutung verächtlich ab: „Dies Vorgegeben ist so wiedersinnig, daß uns bedencklich geschienen, selbiges anzuführen ...“ und hat damit wohl dazu beigetragen, daß sie in der wissenschaftlichen Diskussion seither überhaupt nicht mehr auftaucht. Für mich, der auf dem oben dargelegten Weg zu seiner Deutung kam, bedeutet diese – erst am Ende meiner Untersuchungen gefundene – Etymologie und vor allem der alte Beleg für den Namen goetigen der Reinsrinne eine unerwartete und willkommene Bestätigung. Wir müssen demnach unseren Ortsnamen Gutingi in die o. S. 128 zusammengestellte Gruppe f) einordnen, in der Gewässernamen auf -ing die Grundlage für einen gleichlautenden Ortsnamen bilden. Ich neige freilich dazu, neben der durch Kriegk bezeugten Benennung des fonticulus als goetigen auch noch mit der einfacheren als guta zu rechnen. In alten Zeiten waren ja Namen nicht so fest wie heute, da keine Behörde auf ihre Unveränderlichkeit achtete. Als Ableitung vom einfachen Stamm guta fügt sich der Ortsname Gutingi leichter in die große Gruppe der Ortsnamen auf ingen, die wir o. S. 127 aus unserem Raum zusammengestellt haben, guta war dann als Appellativum mehr technische Bezeichnung, gutingi stärker der Name, die spezifische Benennung gerade der Reinsrinne (im Gegensatz zu den übrigen von Osten, vom Hainberg herabkommenden Wasserläufen) – oder auch – wenn wir mehr die kollektive Bedeutung des Suffixes betonen – „die Reinsrinne samt dem unmittelbar angrenzenden Ufergebiet“. Diese neue – und zugleich sehr alte – Deutung des Ortsnamens Gutingi als ‘Ort an dem *Guting, d.h. an der Wasserrinne’, wird nun eindringlich von den realen Gegebenheiten unterstützt, wie sie für die älteste Siedlung, den locus Gutingi, vorauszusetzen sind. Tecklenburg (1930, S. 26) formuliert in fast poetischer Diktion: „Born17 und Berg haben die Entwicklung der Stadt beeinflußt bis auf den heutigen Tag.“ Auf die von Tecklenburg im Anschluß an H. Dörries angenommene Kontinuität der Besiedlung der Gegend am Reinsbrunnen von der Jungsteinzeit an gehen wir hier nicht ein, da sie für das Problem der Namengebung nichts abträgt, doch wird Tecklenburgs Behauptung zutreffen, daß schon die vorgeschichtlichen Siedlungen angelockt wurden durch die „starken und ergiebigen Spaltquellen an den Bruchlinien der Leinesenke“. – Über die Lage und Form des frühgeschichtlichen Dorfes Gutingi besitzen wir außer den Arbeiten Fahlbuschs (1952) jetzt noch den Aufsatz von A. Beuermann (1960). O. Fahlbusch stellt sich 17

Gemeint ist der Reinsbrunnen.

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das Dorf als ein einseitiges Reihendorf zwischen dem ‘Bühl’, d.h. dem Hügel, auf dem heute die Albani-Kirche steht, und dem Inneren Geismartor vor. Wahrscheinlich stießen seine Häuser mit dem Hofraum (südlich) an das fließende Wasser, an die Reinsrinne; mit der Vorderseite sahen die Häuser auf die Dorfstraße, d.h. auf die Lange Geismarstraße.

Dagegen rechnet Beuermann (1960, S. 101) mit einer „drubbelartigen Siedlung im unmittelbaren Bereich um die Albani-Kirche, mehr zum Friedländer Weg hin.“ Aber auch er betont – und darauf allein kommt es in unserem Zusammenhang an – die Bedeutung der Reinsrinne für das Ur-Dorf. Sie lieferte das für Mensch und Vieh unentbehrliche Trink- und Brauchwasser. Von den zahlreichen vom Hainberg herabkommenden Bächen (von Norden nach Süden: Sültebeck, Habeke, Bach am Feldscheideweg, Goldgraben, Reinsrinne, Sölenborn, Steinsgraben, Fluten, Markgraben), die sich alle in die Leine ergossen, ist wahrscheinlich die damals recht wasserreiche Reinsrinne für das Dorf Gutingi am wichtigsten gewesen. (Es ist für viele dieser frühen Siedlungen typisch, daß sie die unmittelbare Nähe des Flusses wegen der Überschwemmungsgefahr meiden, daß sie den fruchtbaren Lößboden suchen und einen Frischwasser schenkenden Bachlauf.) Die Quellen der Reinsrinne am Molkengrund sind zwar seit 1873 verdeckt, dann aber fließt sie – noch heute – als offener Bach über die Schillerwiese und den Hainholzweg hinab. Erst dort ist sie in Rohre gefaßt. Fahlbusch rechnet damit, daß früher der Bachlauf nach Norden bog, also ein Stück den Friedländer Weg entlang floß, dann sich wieder nach Westen wendend, den heute noch ‘Reinsgraben’ genannten Weg entlang, von wo er den damaligen ‘Schwanenteich’ (etwa auf dem Gelände der heutigen Personn-Schule) erreichte, den er an dessen westlichem Ende verließ, um dann südlich der Langen Geismarstraße und der Groner Straße in die ‘neue Leine’ (heute meist ‘Leinekanal’ genannt) zu münden. (Etwas anders Beuermann 1960, S. 113.) Das Dorf Gutingi besaß also noch einen verständlichen, übersetzbaren Namen, da sein Zusammenhang mit dem Dorfbach *Guting noch für jedermann hörbar war. Das änderte sich, aber mit der Übertragung des Namens auf die Stadt. Irgendwann ist dann auch die Bezeichnung der heutigen Beinsrinne als Guting > Goetige unüblich geworden. Daß solche alten Bachnamen verlorengehen – besonders, wenn sie so allgemein, so unspezifisch sind, ist nichts Besonderes. Hier mögen zwei Beispiele für diesen Vorgang genügen: Aus dem Ortsnamen Gerstungen an der Werra erschließt man (A. Bach 1954a, § 210) den Flußnamen Gersta ‘die bittere, die mit dem schlecht schmeckenden Wasser’ (verwandt mit nhd. garstig), also eine

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alte Bezeichnung eines Abschnittes des Werralaufes, und ähnlich folgert E. Schröder (1944, S. 513): „Es ist gar kein Zweifel, daß die Leine bei Obernjesa den Namen Jesa oder Gischtwasser führte.“ Der Ortsname Göttingen hat demnach den gleichen Stamm wie das thüring. Gotha (772 Guthaha), für das H. Bahlow (1962, S. 65 Anm. 6) eine Bachniederung „die Goth“ notiert, und wie das hessische Gießen. – Der Name des östlich von Göttingen liegenden Dorfes Ebergötzen (älteste Form: 12. Jhd. Evergoteshem) enthält m.E. einen Gewässernamen *Evergote ‘Ebersbach’. (Anders Flechsig 1953, S. 43.) – Eine genaue Parallele zum Ortsnamen Gutingi findet sich im englischen Gloucestershire, das bei der Landnahme von den Sachsen besiedelt worden war. E. Ekwall (1923, S. 13) nennt einen Ortsnamen Guiting östlich von Winchcomb: 814 bi Gythinge; Getinge, 1220 Gettinges, 1236 Guttinges, 1274 Gutinge, und als Namen eines Baches 780 Gytingbroc. Richtig verknüpft er diesen Namen mit altengl. gyte ‘Gießen, Flut, Überschwemmung’. Auch den Namen der Siedlung Goting bei Wyk auf Föhr wird man wohl unmittelbar vergleichen dürfen. – Dagegen sind natürlich die identisch klingenden Ortsnamen Göttingen bei Marburg/Lahn, Göttingen bei Ulm, Götting bei Bad Aibling (Obb.) (um 780: Cotingas) fernzuhalten, da bei ihnen die dentale Tenuis erst durch die zweite Lautverschiebung entstanden ist. Der anklingende Name des Rundlings Göttien im ‘Hannoverschen Wendland‘ ist wahrscheinlich slawischer Herkunft. Seine ältesten Formen sind 1296 villam Geithin, 1368 Ghetlin, 1450 Gettyn, Gettin. Mit seinem Suffix -in tritt er in eine Gruppe benachbarter slaw. Ortsnamen wie Zebelin, Satemin, Kremlin usw.18 Über das Alter unseres Siedlungsnamens Gutingi ist schwer zu urteilen. Der Beleg des Jahres 953 gibt ja nur den terminus ante quem, der Name kann um Jahrhunderte älter sein. Die Sachsen haben den südlichsten Zipfel des heutigen Niedersachsen zwischen Weser und Leine wohl erst gegen Ende des 7. Jahrhunderts erreicht, und die Verbreitung gleichartig gebildeter Namen auf -ingen und -ungen in Südniedersachsen und im westlichen Thüringen (Eichsfeld) spricht dafür, daß erst durch diesen Vorstoß der Sachsen ein bisher ethnisch zusammengehöriger Bereich getrennt wurde. Unmittelbar vorher hatte unser Gebiet einen Teil des thüringischen Reiches gebildet, seine Bevölkerung wird ihrer Herkunft nach im wesentlichen ostfälisch, d.h. ursprünglich cheruskisch gewesen sein. Da wir sowohl das Stammwort *guta wie das Suffix -ing für mindestens gemeingermanisch 18

Vgl. die ungedruckte Ortsgeschichte Göttiens von A. Knöllner, die mir durch die Freundlichkeit von Herrn Staatsarchivdirektor a. D. Lübbing, Oldenburg, zugänglich gemacht wurde, und P. Rost (1907, S. 210).

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Beiträge zu Ortsnamen

erklärt hatten, steht an sich einer sehr frühen Datierung nichts im Wege. Doch fehlen der Sprachforschung hier die entscheidenden Argumente; sie reicht daher die Frage nach dem Alter des Dorfes Gutingi weiter an den Vorgeschichtsforscher.

Der südniedersächsische Ortsname Harste [Göttinger Jahrbuch 1967, S. 43–48]

Im weiten fruchtbaren Tal der Leine, etwa sieben Kilometer nordwestlich von Göttingen, liegt das Dorf Harste, das 1967 knapp 1000 Einwohner hatte. Sein Name soll uns heute beschäftigen. Um einen Ortsnamen sachgemäß und mit Aussicht auf ein richtiges Ergebnis zu deuten, bedarf es – das habe ich während der letzten Jahre schon mehrfach im Göttinger Jahrbuch dargelegt – einer dichten Reihe von Belegen, möglichst von altsächsischer bzw. althochdeutscher Zeit bis in die Gegenwart, die sich gegenseitig stützen, die auch vereinzelte Fehlschreibungen durch das Gewicht ihrer Zahl ungefährlich machen und die die Lautwandel zu datieren helfen. Ein rascher Blick in das Material bei Förstemann & Jellinghaus (1913–1916) genügt da nicht, und ebensowenig reicht es aus, die älteste Form allein der Analyse zugrundezulegen; sie kann zufällige Besonderheiten besitzen, die auf eine falsche Spur führen. – Daß ich auch für den Ortsnamen Harste über Belege in auskömmlicher Zahl verfüge, verdanke ich wiederum der bereitwilligen Hilfe von Joachim Jünemann, Dransfeld, der sie mir aus den Früchten seiner Archivalienforschung zusammengestellt hat. Ich habe sie durch mehrere Belege ergänzt, die sich bei Kühlhorn (1964, S. 64 f.) finden und die wegen ihrer abweichenden Lautung interessant sind. Diese sind durch (‘Kh.’) gekennzeichnet. 953

Heristi Mon. Germ. Hist. Dipl. Ott. I Nr. 165 Das ist die Urkunde, die auch den ältesten Beleg für den Ortsnamen Göttingen enthält, vgl. W. Wegener (1953, S. 7 ff.). Er weist darauf hin, daß es nicht ganz fest steht, ob hier mit Heristi unser Harste oder Ehrsten bei Hofgeismar gemeint ist.

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in villis ac merchan Gledabiki, Hiridechessun, Hemmamhus, Heristi, Perran-hus, Daillanhus (heute Gladebeck, Hardegsen Krs. Uslar, Hembsen Krs. Höxter, Harste, Parensen Krs. Uslar, Delliehausen östl. v. Uslar). Vita Meinwerci S. 48,2 (‘Kh.’) Das -i im Auslaut, das die beiden ältesten Belege noch zeigen, ist vielleicht die alte Endung des Lokativs. In der Urkunde von 953

Beiträge zu Ortsnamen

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weisen es noch mehrere andere Ortsnamen auf, wie Gutingi, Gelithi und Hiddeshusi, vgl. noch Bach (1954a, § 88 a2). 1093 1294 1329 1349 1354

1356 1368 1394 1416 1424 1424 1447

1467 1498 1531

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curtim in Heriste

Orig. Guelficae, Hannover 1753. IV praef. 81 b castri Herste G. Schmidt, Göttg. Urk.-Buch I, 1863, Nr. 39 Thilo de Herste H. Kelterborn 1961, S. 2 Herste Nds. Staatsarchiv Hann., Cal. Or. 81 f Nr. 36 to Heirste Braunschw. u. Lüneb. Urkd. II 471 (‘Kh.’) Zur Schreibung ei für langes und kurzes e vgl. A. Lasch (1914, §§ 22 und 98). Johannes de Herste Kelterborn 1961, S. 15 Conradus de Herste to Herste Göttg. Urk.-Buch I Nr. 251 Johannes de Herste Kelterborn 1961, S. 37 Wedekint van Herste Kelterborn 1961, S. 56 Henrik von Herste Nds. Staatsarchiv Hann., Cal. Or. 81 f Nr. 325 an unseme slote Herste Göttg. Urk.-Buch II Nr. 106 Herste Göttg. Urk.-Buch Nr. 225 Bemerkenswert ist die Festigkeit der Namensform Herste vom 13. bis 15. Jahrhundert. Wenn sich hier der Lautwandel er > ar urkundlich erst ab 1467 nachweisen läßt, so ist das relativ spät, denn beim Ortsnamen Barlissen (vgl. Neumann 1964a, S. 117) konnten wir ihn schon ab 1388, beim Ortsnamen Diemarden (vgl. Neumann 1966, S. 66) sogar schon für 1318 buchen. Doch notiert Kühlhorn (1964, S. 64) aus dem Jahr 1363 einen Familiennamen Harste, der sicher zu unserem Ortsnamen gehört. Harste Göttg. Urk.-Buch II Nr. 300 to Harste Göttg. Urk.-Buch Nr. 398 zu Harzt Göttg. Urk.-Buch III Nr. 520 S. 246 (‘Kh.’) Zu diesem parasitären Dental in der Gruppe -tst- (hier geschrieben -zt-) vgl. A. Lasch (1914, § 309, die die nahe Parallele dar guntste willen ‘mit der Absicht, eine Gunst zu erweisen’ bietet. Harst E. Steinmetz 1959, S. 115 (‘Kh.’) Dieser Abfall des auslautenden -e ist jung, vgl. A. Lasch (1914, § 216 IV Anm. 2).

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Claus vonn Harsta Kelterborn 1961 (‘Kh.’) Der Schreiber hat dem Ortsnamen die lateinische Femininendung gegeben, vgl. ebd. Barteroda. 1967 /hastƟ/ mundartliche Form Die heutige mundartliche Aussprache des Ortsnamens wird auch durch einen Neckspruch bezeugt, den Horst D. Olinski im Göttinger Tageblatt vom 3.8.1964 mitteilt: In Glake (Gladebeck), da ßitt de Düvel up’n Dake. In Haste, da ßitt hei up’n Faste (auf dem Dachfirst). Aber in Lengelärn (Lenglern), da is hei gar tau geren. Zwischen Vokal und s-Verbindung hat das r nach A. Lasch (1914, § 244) frühzeitig seinen Charakter als Zitterlaut eingebüßt. In den modernen niederdeutschen Dialekten ist diese Vokalisierung des r nach Vokal völlig durchgeführt. (Die bei Kühlhorn 1964, S. 64 zu Harste gestellte Namensform Hursti aus der Vita Meinwerci 130, 20 meint aber sicher nicht unser Harste, sondern Horste, Krs. Buren, Reg.-Bez. Minden.) Bevor wir eine eigene Deutung des Ortsnamens vorlegen, seien die älteren Etymologien erörtert. Eine volkstümliche Erklärung wird in der Spinnstube, einer Wochenbeilage der Göttinger Zeitung (Jahrg. 1929, Nr. 24, S. 382) erzählt: Einem Ritter sei dereinst auf einem weiten Geländeritt sein Pferd durchgegangen. Während er vergeblich versuchte, es zu zügeln, habe er gerufen: „Horse, steh! Horse, steh!“ Auf dem Platz, wo er seine Stute schließlich zum Stehen brachte, sei das Dorf Harste entstanden; nach dem Angstschrei des Ritters habe es seinen Namen bekommen. – Diese kleine Geschichte gehört zu den volksetymologischen Namenserklärungen, wie es sie zu Hunderten gibt; daß sie sprachwissenschaftlich nicht das Rechte trifft, braucht kaum gesagt zu werden. Förstemann & Jellinghaus (1913–1916, II, Sp. 1350) verknüpfen den Ortsnamen mit altsächs. hers ‘Roß’, ohne jedoch über die suffixale Bildung des Ortsnamens Auskunft zu geben, sie kommen damit in die Nähe des eben erwähnten volkstümlichen Aitions. Es gibt aber von hers keine Nebenform *heris-. B. Crome (1927, S. 123), der bekanntlich viel zu weitgehend mit dem Suffix -ithi rechnet (vgl. Neumann 1966, S. 65), setzt auch hier eine konstruierte Ausgangsform *Harsithi an, die er als ‘bei den Salzbinsen’ deutete und für steinzeitlich (!) erklärte. Leider hat E. Schröder (1938, S. 161 und 342) diese Deutung unkritisch übernommen. Schon Flechsig (1953, S. 24)

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Beiträge zu Ortsnamen

hat sich mit Recht gegen Cromes willkürliche Ansätze auf -ithi gewandt.1 Flechsig selbst erwägt (1953, S. 25 und 29), den Ortsnamen vom Namen des Baches Harste abzuleiten, der durch den Ort fließt und dann kurz ostwärts von Parensen in die Leine mündet, für den Bachnamen legt er aber keine weiterführende Deutung vor. Er hält daneben aber auch schon für möglich, daß die Dativ- oder Lokativbildung „eines einfachen, nicht zusammengesetzten Ortsnamens“ vorliege – eine These, die wir im folgenden stützen werden. Noch anders wollte Witt (1912) im Ortsnamen Harste das mndt. Subst. sate, sat ‘Sitz, Niederlassung’ finden. Doch müßte dann wenigstens in den ältesten Belegen noch das unsynkopierte, nicht verkürzte -sate vorliegen. (So sind für den Ortsnamen Forste, der in den Kreisen Hildesheim, Osterode und Alfeld auftritt, im Jahr 990 Foresazi, 1234 Vorseti, 1240 Vorsate und erst 1288 Vorste belegt, vgl. W. Krogmann (1958, S. 104). Ebd. (S. 107) gibt er die weiteren Parallelen Holtsâti, Hunsâte, Môrsâten, Waldsâti. Vgl. ferner Bach (1954a, § 279), der für den westfälischen Ortsnamen Horst aus der Zeit um 890 die Form Hornseti nachweist.) Der Indogermanist H. Krahe schließlich hat (1959a, S. 11 f.) – indem er bloß von den Belegen Heristi ausging – das berühmt-berüchtigte -si-Suffix in unserem Namen finden wollen. Der ‘Stamm’ har- < *kar- mit der Bedeutung ‘hart, steinig, Stein’ liege noch in dem schwed. Dialektwort har ‘steiniger Boden’ vor. Jan de Vries (1961a, S. 281), unter hƭrgr, stellt dazu noch das mittelniederdt. und mittelniederländ. haar, hare ‘Anhöhe’.2 Diese Deutung Krahes hätte, wenn wir sie anerkennen könnten, weitreichende Konsequenzen; denn dann wäre im Ortsnamen Harste ein kostbares Überbleibsel aus der Zeit vor der germanischen Besiedlung Südniedersachsens erhalten. Wir hielten dann mit ihm einen Beleg dafür in Händen, daß unmittelbar vor den Germanen eine nicht-germanische, aber doch auch indogermanische Siedlerschicht im südlichen Niedersachsen gelebt hat und daß 1

2

Immerhin gibt es in den Trad. Corb. § 258 einmal die Form Hersithi; sie steht aber isoliert gegenüber viermaligem Hersiti (§§ 54, 79, 115, 119), ist also wohl eine Fehlschreibung. Hersiti wird sonst klar orthographisch von den Ortsnamen auf -tihi, später -idi (Getlithi, Lengithi, Sturmithi, Bathedi usw.) abgehoben. Von Heristi unterscheidet sich Hersiti nur dadurch, daß der Sproßvokal an anderer Stelle der Konsonantengruppe auftritt. Nüchterne Betrachtung des Materials wird zunächst nur eine germanisch-keltische Isoglosse und – vermutlich davon ganz unabhängig – ein ‘iberisch-mediterranes’ *carra ‘Stein o.ä.’ anerkennen. Zu diesem vgl. von Wartburg (1928–1969/83, s.v. carra, Corominas 1980, I, S. 704). Wenn J. Hubschmid (1960, S. 36) an die im Keltischen und in italienischen Dialekten bezeugten Varianten einer Wurzel *karrnoch sumerische, armenische, kaukasische Wörter anschließt, so vermag das kein Vertrauen zu erwecken.

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die von Norden her einrückenden Germanen deren Siedlungsnamen übernommen hätten. In diesem Sinn hat daher auch H. Kuhn (1959, S. 11 ff. und 1963b, S. 566) diese Namensdeutung in den Rahmen seiner Hypothese eingefügt, daß in vorchristlicher Zeit zwischen Germanen und Kelten ein drittes Volk (mit ebenfalls indogermanischer Sprache) gesessen habe.3 Aber so beachtenswert diese Hypothese im ganzen ist, der Ortsname Harste vermag sie nicht zu stützen. Erstens zieht Krahes Etymologie die Möglichkeit nicht in Betracht, daß in der Mittelsilbe von Heristi ein unetymologischer Hilfsvokal vorliegt,4 zweitens aber und vor allem: wer den Ort Harste aus eigener Anschauung kennt oder wer sich wenigstens den Merianstich von 1654 angesehen hat, der wird sich bei dieser Siedlung in der lößbedeckten, ebenen Flußaue der Leine fragen, wieso sie gerade nach ‘Stein’ oder ‘Anhöhe’ benannt oder als ‘hart, steinig’ bezeichnet worden sein soll. – Zudem liegt nun für Harste eine germanische, ja sogar genauer eine niederdeutsche Etymologie viel näher, – so nahe, daß es fast unglaublich scheint, daß sie noch nicht erwähnt worden ist:5 es gibt ein mittelniederdeutsches Substantiv harst, das 1. Gebüsch, Buschwerk, Reisig, 2. eine Darre, einen Rost, 3. ein Stück Fleisch bezeichnet, das auf einem solchen Rost gebraten wird, vgl. A. Lübben (1888) und A. Lasch & C. Borchling 1928). (Schon im Alt3

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5

Kuhn vermehrt aber das von Krahe und A. Schmid herangezogene Material um ungeeignete weitere Belege. Kuhn (1963b, S. 566) stellt zum Ortsnamen Harste noch die Ortsnamen Carusa Küstenstadt östlich Sinope und Karystos in Lakonien und auf Euboia. %UGDJH6 ist aber natürlich ein ganz normales griechisches Adjektiv zu @UGDC ‘Kümmel’, das etwa ‘reich an Kümmel’ bedeutet. Der Ortsname gehört zu einem bekannten Typ, vgl. ])?>DyHH6 ‘reich an Schlangen’, %G6B7DyH6 reich an Kohl’, ]II:A:7DyH6 ‘reich an Heuschrecken’, ]A6>DyHH6 ‘reich an Öl’, ->9DyHH6 ‘reich an Granatäpfeln’, alle in Kleinasien. Zum Typus vgl. E. Risch (1965, S. 196 ff.) – Den Ortsnamen %UG>HID0 hatten M. Niedermann (1931, S. 10 ff.) und im folgend Krahe (1949b, S. 230) ganz richtig zu griech. @UGJDC ‘Nuß’ gestellt, da die parallelen Bildungen g#G>HID0, ])<8=HIn0, .J?G=HIn0 sämtlich von Pflanzen- bzw. Früchtenamen abgeleitet sind. Es soll hier nicht grundsätzlich bestritten werden, daß es in Nordwest-Deutschland Ortsnamen mit einem ursprünglichen -st-Suffix gibt (zumindest wären die in diesem Zusammenhang gern herangezogenen Namen Segeste nordöstlich von Alfeld, Leveste westlich von Hannover, Ergste südlich Schwerte an der Ruhr, der Name des Flusses Innerste im Harz und andere, die Kuhn (1959, S. 11 ff.) zusammengestellt hat, daraufhin erneut zu prüfen), aber stets ist im Auge zu behalten, daß sich die Konsonantenverbindung -st- auch vielfältig anders erklären läßt. Das Suchen nach vermeintlich suffixalem -st- in ganz Europa ist ein Rest der Illyrierspürerei der dreißiger Jahre; fürs Griechische vgl. Neumann (1964b, S. 612). Doch haben Förstemann & Jellinghaus (1913–1916, II, Sp. 1269) wenigstens bei den Ortsnamen Harst die Verknüpfung mit dem Appellativum harst erwogen.

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sächsischen sind harst ‘Flechtwerk’ und harsta ‘Rost’ belegt.) Dieses harst steht im Ablaut zu horst mask. und fem. ‘Gebüsch, Gestrüppwald’, wobei horst, hurst die Schwundstufe, dagegen harst die Normalstufe des Ablauts mit Abtönung zeigt. Diese etymologische Verknüpfung setzt voraus, daß man das i der Mittelsilbe von Heristi als einen sekundären ‘Sprossvokal’ erklärt, wie er zur Erleichterung des Übergangs innerhalb von Konsonantengruppen vor allem im Althochdeutschen – aber gelegentlich auch im Altsächsischen – auftritt, vgl. altsächs. waruhtun ‘sie wirkten’, vurihti ‘er wirkte’ oder forahta ‘Furcht’ vgl. Holthausen (1921, § 144). Für das Auftreten von Sproßvokalen speziell in der Gruppe r + st, wofür die altsächsischen literarischen Denkmäler zufällig keinen Beleg liefern, vgl. noch die althochdeutschen Beispiele bei Reutercrona (1920, S. 136). Da bietet ein bairischer Beleg kituristic ‘durstig’, ferner eine Prudentiusübersetzung des 11. Jahrhunderts firest ‘First’. Diese Beispiele belegen zugleich, daß ein solcher Sproßvokal gern dieselbe Farbe hat wie der ihm folgende Vokal; so liegt es ja auch im Fall von Heristi. Reutercrona (1920, S. 169) bemerkt, daß die r-Verbindungen im Oberdeutschen wie im Niederdeutschen weitaus die meisten Belege für Sproßvokale bilden. Diese Sproßvokale sind nicht sehr fest, in der späteren Gestalt der Sprache sind sie meist wieder ganz aufgegeben. – Daß schon die ältesten Belege für den Ortsnamen im Stamm -er- bieten, dagegen die literarischen altsächsischen Belege -ar-, hängt sicher damit zusammen, daß das -i der Endung bzw. der Sproßvokal der Mittelsilbe hier Umlaut bewirkt haben. Zur Etymologie der Stammes harst- vgl. W. Meid (1964a, S. 229 ff.) Er stellt ihn als *kort-s-to- zu einer idg. Wurzel *kert- ‘drehen, flechten’. Die Bedeutung ‘Buschwerk’ (‘Hürden, Faschinen’) oder ‘Gebüsch’ macht das Wort harst vorzüglich geeignet zur Benennung von Örtlichkeiten. Das Grimmsche Wörterbuch liefert einen literarischen Beleg für das hochdeutsche harst in der Bedeutung von ‘Buschwerk, das noch in der Erde wurzelt’; es zitiert Heppe (1783, S. 197): „Sie wählen hierzu (nämlich die Säue zum Lager) vornämlich die kiefernen Dickungen oder auch die trockenen Rarsten in den Brüchern (d.h. Sumpfwiesen)“. Da die beiden Bedeutungen ‘Gebüsch’ und ‘Flechtwerk’ nebeneinanderstehen, ist freilich nicht zu entscheiden, ob in unserem Ortsnamen Harste eine sogenannte ‘Stellenbezeichnung’ vorliegt, wie etwa in den Ortsnamen Au, Lohe, Horst, aber auch in Hannover ‘am hohen Ufer’, das heißt, ein Name, der einen Platz nach seiner natürlichen Beschaffenheit benennt, nach Wald oder Wasser, nach Bewuchs oder Bodenform, – oder aber Benennung nach einer vom Menschen geschaffenen künstlichen Schutzanlage,

Der südniedersächsische Ortsname Harste

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etwa wie im Ortsnamen Pöhlde, der ja ‘Pfahlwerk’ bedeutet. Beides ist gleichermaßen möglich, die Benennung nach einem ‘Gebüsch’ hier in der mindestens teilweise bewaldeten Flußaue vielleicht ein wenig wahrscheinlicher. – Ist unsere Deutung richtig, dann ergibt sich aus ihr noch, daß der Ortsname älter als der Bachname Harste ist.6

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Über das Verhältnis von Ortsnamen und Flußnamen im allgemeinen vgl. E. Schröder (1940) und W. Brandenstein (1950, S. 5–11). Dort S. 10 f. über echte Homonymie von Fluß- und Ortsnamen.

Der Name des Hurkutsteins [Göttinger Jahrbuch 1963, S. 107–110]

Im Reinhäuser Wald südlich von Göttingen liegt südwestlich des Gasthofes ‘Waldschlösschen’ ein einzelner Felsen, ein Klotz aus Bausandstein, der den seltsamen Namen Hurkutstein führt. Wer vom Waldschlößchen her das schöne schattige Klustal hinaufwandert, sieht schon von fern in diesem Steinblock eine dunkle Öffnung, die etwa drei Meter über dem Erdboden liegt, also nur über eine – heute zerstörte – Leiter zu erreichen ist. Im Felsen befindet sich eine – vielleicht künstlich etwas erweiterte – Höhle oder Kammer, in der ein erwachsener Mann zur Not hocken oder liegen könnte. An diesem Hurkutstein mit seiner auffallenden ‘Koje’ haftet eine Sage, die wir bei Müller & Schambach (1854) und noch ausführlicher bei A. Tecklenburg (1922, S. 127 f.) überliefert finden. Ein Knecht der Herren auf Neuengleichen, der einst auf Befehl ein Kind im Wald ausgesetzt hatte, habe sich diesen Platz aus Reue über seine böse Tat gesucht, um hier in der Einsamkeit zu büßen und sich zu kasteien. Die Bewohner der umliegenden Dörfer nannten ihn – so sagt es Tecklenburg – Hurker, Hurkuz oder Hurkut, „weil sie ihn so oft hockend in seiner Höhle gesehen hatten“. Der Zusammenhang der Namensformen mit dem niederdeutschen Verbum hurken ‘hocken, kauern’1 ist also noch bekannt und wird in beiden Versionen der Sage ausdrücklich betont. Zu untersuchen bleibt daher nur die Art der Bildung der drei Namen. (Ältere Bezeugungen des Felsennamens oder der Sagengestalt kenne ich zur Zeit leider nicht.) Dabei ist jeweils zu prüfen, ob 1

Dies Verb ist in vielen niederdeutschen Dialekten belegt. Wir geben die Belege nur in Auswahl: O. Fischer (1935, s. v. hurken): ‘unter die Flügel der Glucke kriechen, niederkauern’; E. Kück (1942, s. v. hurk f.): ‘das Kauern in der Kniebeuge mit gekrümmtem Rücken’. – Zur Etymologie: O. Mensing (1927–1935) bietet hückern ‘mit gebogenen Knieen (ohne Stuhl) sitzen, hocken’ und hükern ‘sich niederhokken’. Dies Verbum ist sichtlich von huken ‘hocken’ mit dem bekannten -r-Suffix abgeleitet, das eine intensive oder wiederholte Tätigkeit bezeichnet. Wenn es, wie wahrscheinlich, mit unserem hurken verwandt ist, dann haben die niedersächsischen Dialekte eine Metathese vollzogen. – Anders will das Deutsche Wörterbuch unter dem Stichwort kauzen das Verb hurkûzen aus hûren = hochdt. hauern, hauren ‘zusammengebückt sitzen’ und kûzen erklären. Da dabei dies Verb aus dem Verband der anderen Formen von hurken gelöst würde, ist das nicht überzeugend.

Der Name des Hurkutsteins

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die Namensform von Haus aus dem S t e i n oder dem angeblich in ihm hausenden E i n s i e d l e r zukommt. In ihrer Bildung klar ist die Bezeichnung Hurker. Sie benennt (als sog. nomen actoris) einen Mann nach seiner Körperhaltung: ‘der Kauerer, der Hockende’. – (Freilich können auch Ortsnamen mit diesem Suffix -er gebildet werden: A. Bach 1954a, § 221.1d gibt u.a. für diesen Typ die folgenden Beispiele: Pflänzer heißt ein Ort, wo gepflanzt wird, Kaiser (zu kiesen) ein ‘Ort zur Ausschau’, Anwender ‘wo (der Pflug) gewendet wird’.) Zu der Variante Hurkuz haben schon Müller & Schambach (1854, S. 326) zutreffend das Verbum hurkûzen gestellt, das ‘niederhocken, sich verkriechen’ bedeute. Wir finden es auch in Schambachs Wörterbuch,2 wo sogar noch die ältere unsynkopierte Form hurkekûz steht. Sie ist für uns sehr wertvoll, denn sie zeigt, daß eine Zusammensetzung aus dem Stamm hurke- und einem Substantivum kûz 3 vorliegt. Wenn unsere in Fußnote 5 vorgeschlagene Verknüpfung das Rechte trifft, dann gilt die Bezeichnung hurkekûz, die wir etwa mit ‘Hocke-Kauerer’ nachbilden mögen, wieder als ein ‘Übername’ dem Einsiedler. Anders aber steht es wohl mit der Form Hurkut. Wir rechnen auch hier mit dem Stamm hurke- und wieder mit einem Ausfall (‘Synkope’) eines mittleren -e-, so daß wir eine ältere Form Hurke-kut erschließen. Dies kut

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Schambach (1858). Hier finden wir (S. 89) ein Nest von vier zusammengehörigen Wörtern: 1) hurke, horche, hûke f. ‘die kauernde, hockende Stellung’, sek in de hurke setten ‘niederhocken’, in der hurke sitten ‘kauern, niederkauern’, 2) hurkekûz, hurkûz m. ‘eine kauernde Gestalt’, 3) hurkûzen sw. ‘niederhocken, sich verkriechen’, 4) hurkepot m. ‘ein Kohlentopf, über den sich alte Weiber setzen, um sich so zu erwärmen’. – Dies Auftreten im Verband befreit das uns hier beschäftigende hurkûz von dem Verdacht, etwa nur zur Erklärung des Namens der Sagenfigur gebildet worden zu sein. Für kûz liegen zwei mögliche Anschlüsse vor. – O. Mensing (1927–1935, Bd. 1931) nennt Küz ‘die kleine Kule, die beim Marmelspiel gebraucht wird’. Das ist offenbar eine Variante zu dem in Anm. 4 erwähnten kütt ‘Vertiefung’. Da diese Nebenform mit -z in den hannoverschen Dialektwörterbüchern aber durchweg fehlt, suchen wir für unser -kûz hier im äußersten Süden des niedersächsischen Raumes vielleicht besser Anschluß an ein mitteldeutsches kauz < kûz, das ‘kauernde Gestalt’ bedeutet. Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm (1854 ff.) erwähnt unter dem Stichwort kauzen, daß dies Wort thüringisch und sächsisch sei, und stellt auch schon Schambachs hurkûzen als verwandt dazu. Zu diesem Verb kauzen < kûzen ist das Substantiv kûz hinzugebildet worden (‘postverbal’). – Manche andere Wörter, die das Deutsche Wörterbuch noch hierherstellt, wie das bremische kuzen ‘sich auf den Bauch niederlegen wie ein Hund’ und niederländisch koets ‘Bett’ wird man aber lieber fernhalten und an Entlehnung aus franz. coucher, couche denken.

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Beiträge zu Ortsnamen

gehört zu kûte ‘Loch im Boden, Vertiefung’.4 Diese Namensform kommt also von Rechts wegen nicht dem M a n n , sondern zunächst der Höhlung im Stein zu. Sie entspricht in ihrer Bildung den bei A. Bach (1954a, § 173.1) gegebenen Beispielen: bedebur ‘Haus, in dem gebetet wird’ oder der hübschen Plappergasse. Diese Deutungen, die wohl als unkompliziert und naheliegend gelten dürfen, mögen eine vor ein paar Jahren veröffentlichte Etymologie ablösen, zu der einige Worte nötig sind. – Im Göttinger Tageblatt vom 14./15. März 1960 hat Herr Dr. Karl Plumeyer in der Beilage Zwischen Harz und Weser in einem Aufsatz Der Hurkutstein. Ein germanisches Heiligtum den Namen Hurkut mit Erce verknüpft, einem Wort, das am Anfang eines angelsächsischen Zauberspruchs vorkommt und in dem man früher einen Namen der Erdgöttin vermutete. Aber diese alte Auffassung des nur einmal belegten Wortes als Name ist höchst unsicher. Andreas Heusler (1941, S. 48 Anm. 2) schreibt über Erce: „Fraglich, ob mythischer Name oder Abracadabra“, und ganz entsprechend äußert sich Jan de Vries (1957, § 552). – Aber auch die lautliche Gleichsetzung von Erce und Hurkut geht nicht auf. Selbst wenn man davon absehen wollte, daß weder über das Auftreten des h im Anlaut noch über den angenommenen Wechsel der Stammvokale Rechnung gelegt wird (Herr Dr. Plumeyer verwendet in seiner Arbeit nebeneinander Erce / Harke / Hirke / Hurke), so bleibt doch bei diesem Deutungsversuch das -ut am Wortende ganz unerklärt, ein peinlicher Rest, der auch den Nicht-Linguisten warnen dürfte. – Im allgemeinen muß man – leider – sagen, daß wir bei der Deutung von Flurnamen mehr Aussicht haben, mittelalterliche oder spätere Benennungen anzutreffen als Reste aus heidnisch-germanischer Zeit. Auffallende Geländeformen haben zu allen Zeiten die Phantasie des Menschen erregt; als Tiergestalten, steingewordene Dämonen, als Spuren des Waltens von Riesen und Zwergen oder als verzauberte Menschenwesen mochte man sich ihre Gestalt deuten. Wie gerade eine Höhlung im Stein die 4

Das weibliche Substantiv kûte ist im Niederdeutschen weitverbreitet und von hier sogar ins Mittelhochdeutsche gedrungen, woraus dann nhd. Kaute ‘Lehmgrube’ entstanden ist. – Zu seiner Etymologie vgl. J. Pokorny (1959–1969, S. 393) und H. W. Kroes (1959, S. 86). – Das Wort ist wurzelverwandt mit Kule und kauern sowie dem in Fußnote 3 besprochenen kûz. – Für möglich halte ich, daß neben dem weiblichen kûte im hiesigen Dialekt ein sächliches kut existierte, wie im Soester Dialekt nach H. Schmoeckel & A. Blesken (1952) neben kutte w. ‘Vertiefung’ ein kütt s. ‘sackförmige Vertiefung, tiefe Stelle im Bach’ steht. Auch Fr. Woeste (1882) kennt ein ku(e)t ‘tiefste Stelle eines Baches’. – Auch in Orts- und Flurnamen kommt dies Wort in mehreren lautlichen Varianten vor. Wir notieren hier nur die Teufelskutte bei Salzungen, die das Grimmsche Wörterbuch (1854 ff.) unter dem Stichwort Kaute aufführt, weil sich auch dort die Sage dieses Ortes bemächtigt hat.

Der Name des Hurkutsteins

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schöpferische Einbildungskraft bewegen kann, schildert eindringlich Ivo Andriü im Anfangskapitel seines schönen Romans Die Brücke über die Drina. Diese von den Türken vor Jahrhunderten erbaute Steinbrücke hat im Mittelpfeiler eine größere Öffnung, hinter der nach dem Glauben der Einwohner von Wischegrad der ‘Schwarze Mann’ lebt. In diese dunkle Öffnung sehen die Kinder oft vom Ufer wie in einen Abgrund, der gleichzeitig Furcht einflößt und anzieht. Sie verabreden sich, alle unverwandt hinzusehen, und wer zuerst etwas erschaue, der solle rufen. Sie starren alle in den breiten, dunklen Riß, zitternd vor Neugierde und Furcht, bis es irgend einem empfindsamen Kind scheint, als finge die Öffnung an, sich wie ein schwarzer Vorhang zu bewegen und sich zu verschieben...

Ähnlich hat die Höhlung im Hurkutstein das Interesse und die sagenschaffende Kraft der Umwohner gereizt. Da es hier ein Einsiedler war, der in den Stein versetzt wurde, gehört die Sage wohl in jene Jahrhunderte, in denen man aus Erzählungen und Volksbüchern von büßenden Eremiten wußte. In der hohen Literatur hören wir z.B., daß der Gregorius des Hartmann von Aue wegen seiner Sünden sucht / einen wilden stein oder ein hol (V. 2973), und daß Reineke Vos in gespielter Reue sin slot, dat dar het Malepartus, heft he vorlaten unde buwet eine klus. (V 285 f.) Im späten Mittelalter mögen diese und ähnliche Figuren im Bewußtsein des Volkes lebendig gewesen sein, ebenso wie jene typische Gestalt des Knechtes, der im Auftrag eines Herrn ein Verbrechen verübt, etwa Kinder aussetzt, und dann von Reue gepackt wird. Diese erste grobe Zeitbestimmung ließe sich noch erheblich einengen, wenn ein Vorschlag Heinrich Lückes richtig ist. Lücke hat die einleuchtende Vermutung geäußert,5 der historisch bezeugte Mönch Heinrich Hufnagel, der wahrscheinlich in einer Klause nahe einer von ihm erbauten Kapelle zum Heiligen Grab im Reinhäuser Wald wohnte, sei von der Phantasie des Volkes nachträglich in den Hurkutstein versetzt worden. Hufnagel hatte 5

Lücke (1927, S. 199 f. und 1961, S. 10). – Von H. Lücke stammen dürfte auch die – ohne Verfassernamen erschienene – Notiz „Der Herkutstein im Spiegel der Gedichte“ in Die Spinnstube, Wochenbeilage der Göttinger Zeitung, Nr. 45 v. 18. Nov. 1922, Spalte 364. – Für briefliche Auskünfte danke ich Herrn H. Lücke auch hier noch einmal herzlich. Er teilte mir am 17. Sept. 1963 mit, daß er seinerzeit Aufzeichnungen von Artur Freiherrn von Bodenhausen zu Arnstein benutzt habe, die im Familienarchiv der v. B. in Niedergandern lägen. – Zum Mönch Hufnagel vgl. noch Edmund Freiherr von Uslar-Gleichen (1897, S. 26 f.).

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Beiträge zu Ortsnamen

für das unter schwerer Schuldenlast stehende Kloster Reinhausen im Jahr 1387 in der Abtszeit Konrads von Rusteberg milde Gaben gesammelt. – So wäre also wohl im 15. Jahrhundert die geschichtliche Person eines Klausners zur Sagengestalt des Hurkers umgewandelt worden. Nicht völlig auszuschließen – aber eben auch keinesfalls mit den bisher bekannten Quellen und Anhaltspunkten beweisbar – ist dabei, daß schon vorher das Volk von einem Hurker im Stein wußte.

Der Ortsname Jühnde [Göttinger Jahrbuch 1960, S. 117–120]

Das im Osten des Kreises Hannoversch-Münden gelegene Bauerndorf Jühnde beging im Jahre 1960 eine Tausendjahrfeier. Wir nehmen dies Jubiläum zum Anlaß, für den sehr altertümlich aussehenden und bisher ungedeuteten Ortsnamen einen Erklärungsversuch vorzulegen. Wie meist, konnte man für die Feier nicht an das Gründungsjahr der Ansiedlung anknüpfen – das liegt in unbekannter ferner Vorzeit –, sondern nahm Bezug auf die erste Erwähnung des Ortsnamens. In einer Urkunde1 aus dem Jahre 960 bestätigt König Otto I. dem Nonnenkloster Hilwartshausen an der Weser die Klosterordnung und vollzieht zugunsten des Klosters eine Schenkung von mehreren Höfen. In diesem Zusammenhange werden die Ortsnamen in hildiuuardeshusun (Hilwartshausen), in iuniun (Jühnde), in trhenesfelde (Dransfeld) und in frithurikeshusun (Fredershausen) genannt. Die späteren mittelalterlichen Bezeugungen des Ortsnamens Jühnde geben eine ganze Reihe von verschiedenen Formen (von der Vorlage bloßer Schreibvarianten sehe ich ab): June (1245), Jande (1311), Junen (1329), Gune (1435), Junde (1566; von den Urkunden, die den Namen des Dorfes erwähnen, ist dies die erste in Hochdeutsch abgefaßte), Jüende (1593), Juhnde (1636), Jühnde (1639), Gühnde (1652). Die bis 1600 weitaus häufigste Form ist June. Heute heißt der Ortsname in der niederdeutschen Mundart der Einwohner etwa juine, juine. Das Schwanken zwischen Formen mit und ohne -n im Auslaut spiegelt den Wechsel zwischen Dativformen und den Nominativ-Akkusativ-Formen. (Der reine, d.h. präpositionslose Dativ hat in alter Zeit die Bedeutung des Ortskasus.) Das seit 1566 auftretende unetymologische d der Schlußsilbe ist wohl hochdeutschem Einfluß zuzuschreiben. In Erinnerung an Entsprechungen wie nie1

Monumenta Germaniae Historica, Diplomata Bd. I Nr. 206, S. 284 (Original im Staatsarchiv Hannover). Ich benutze gern die Gelegenheit, um auch an dieser Stelle Herrn Joachim Jünemann, dem Erforscher der Geschichte seines Heimatortes Jühnde, herzlich zu danken, der mir nicht nur die hier angezogene Urkunde in einer Fotokopie zugänglich machte, sondern mir auch die verschiedenen Formen des Ortsnamens Jühnde nachwies und Zeit fand für eine gemeinsame Begehung des Dorfes selbst.

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Beiträge zu Ortsnamen

derdt. man : hochdt. Mond wird der Ortsname künstlich in eine vermeintlich hochdeutsche Form umgesetzt.2 Durch die mittelalterlichen Namensformen wird jedenfalls unbezweifelbar deutlich, daß Jühnde nicht zur Gruppe der -ithi-Namen gehört, wie ältere Forscher gelegentlich meinten. Wir gehen von der ältesten Form iuniun aus, die ein Dativ der Mehrzahl ist, genau wie hildiuuardeshusen und frithurikeshusun in der Urkunde, von denen sie sich aber dadurch unterscheidet, daß sie nur einstämmig ist. An der Form iuniun können wir nicht ablesen, ob sie von einem i-Stamm iunioder einem ja-Stamm iunia- kommt, vgl. im Altsächsischen des Heliand das Nebeneinander der Dative stikiun (i-Stamm), hirdiun (ja-Stamm, mask.), beddium (ja-Stamm, neutr.). Daß ein eventueller ja-Stamm die Bedeutung ‘Mann des iuni-’ hatte,3 daß also ein ‘Insassenname’ vorläge, ist möglich, aber unerweisbar. Ebensogut kann dieser ja-Stamm die gleiche Bedeutung wie der bloße i-Stamm gehabt haben. Einstämmige Ortsnamen im Dativ der Mehrzahl gibt es nun in der Umgebung Jühndes noch mehrere: Ober- und Niederscheden (Schitun 1046), das wohl wie die nicht seltenen Ortsnamen Schaid oder Scheid zum Verbum scheiden gehört, also entweder eine Wasserscheide oder sonst eine trennende Eigenart des Geländes bezeichnet, Bühren (Buriun, um 900) ‘bei den Häusern’, HannoverschMünden (Gimundin 798? – mit hochdeutscher Endung!) ‘bei den Mündungen’. Auch Schneen gehört vielleicht hierher: Snen 1022, Osterschnie 1055, Sneen 1253, Sneyn 1398 usw., also Dat. Sing. bzw. Plur. zu altsächs. sneo ‘Schnee’.4 Bei Hemeln (Hemlion 840) ist das Grundwort noch ungedeutet; es dürfte eine l-Ableitung von altsächs. hem ‘Heim, Wohnsitz eines Geschlechts’ zugrundeliegen. Auch sonst ist dieser Bildungstyp in Norddeutschland gut vertreten. Wir geben nur wenige, durchsichtige Beispiele: Verden an der Aller (Fardiun 786) wird gedeutet als ‘bei den Leuten an der 2

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Auch die Erinnerung an die Ortsnamen auf -de (Pöhlde, Weende, Lengden) kann mitgespielt haben, die auf Bildungen mit dem alten Suffix -ithi zurückgehen. Da sie lautgesetzlich den alten Dental im 15. Jahrhundert verlieren, lag es für einen hochdeutschen Schreiber nahe, analog zu der Entsprechung zwischen weene (gesprochene Form) und Weende (konservative Form der Kanzleien) neben gesprochenem Jüne ein vermeintlich hochdeutsches Jühnde anzusetzen. Dagegen ist der Anlaut g wieder nur graphisch, worauf mich Walther Kronshage hinweist. Vgl. dazu A. Lasch (1914, § 340): „Die drei Zeichen g, j, eh … durchkreuzen sich“ und in § 342.2 als Beispiel für die Schreibung mit g: de gene ‘jener’, gî ‘ihr’. Dann läge zwischen *iuni- und *iunia- ein Verhältnis vor wie zwischen germ. *herdo ‘Herde’ und *herdja ‘Hirte’, oder wie zwischen got. baurg ‘Burg’ und baurgja ‘Burgbewohner’. Vgl. A. Bach (1954, § 130). Etwas anders Flechsig (1953, S. 25 und 27). Er hat das Verdienst, die Formen Sneuuidi, Sneuuithi vom Ortsnamen Schneen getrennt und einem anderen Ort, einer Wüstung Snewede im Krs. Büren, zugewiesen zu haben.

Der Ortsname Jühnde

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Überfahrtsstelle’, Rüthen im Kreise Lippstadt (Riutiun) als ‘bei den Neufeldern’. Lünen an der Lippe in Westfalen enthält als Grundwort wahrscheinlich *hleuni- oder *hleunja-, eine Ableitung zu altsächs. hleo ‘Schirm, Obdach’, Barmen mag zu altem barm ‘Getreidehaufen’ gehören,5 Thuine im Kreise Lingen (9. Jhd. Thiunun) zu tun ‘Zaun, Palisade, umzäunter Ort’. Aus dem Süden des deutschen Sprachgebiets sei wenigstens ein Beispiel angeführt: das oberösterreichische Penking (Penkin 1230), das ursprünglich ‘bei den Bänken’ bedeutet und fälschlich an die Gruppe der -ing-Namen angeglichen ist. Das Vorderglied all dieser Ortsnamen gehört also zu einem Bedeutungsfeld, das Wörter vereinigt, die für den Menschen günstige oder wichtige Gegebenheiten der Natur oder auch vom Menschen selbst geschaffene Anlagen bezeichnen. Ein entsprechendes Grundwort ist dann ebenso in dem Ortsnamen Jühnde zu erwarten. Hier aber beginnt die Schwierigkeit; alle Ortsnamenforscher, die sich bisher an der Deutung von Jühnde versuchten, haben mit Recht darauf hingewiesen, daß ein Substantivstamm iuni- weder im Altsächsischen noch überhaupt in den germanischen Einzelsprachen belegt ist. (Flechsig 1953, S. 59 nennt als nach Alter und Bedeutung unklar aus dem Bereich der ehemaligen Fürstentümer Göttingen-Grubenhagen die Ortsnamen Diemarden, Fredelsloh, Gimte, Hemeln, Hörden, Jühnde, Spehle, Uehrde und Uschlag.) Die weitergreifende Frage, ob denn wenigstens im Indogermanischen, der erschlossenen Ausgangssprache von Germanisch, Keltisch, Illyrisch, Slawisch, Indisch und anderen Sprachgruppen, ein solcher Wortstamm bezeugt sei, hat man aber noch nicht aufgeworfen. Und doch bringt sie uns wohl auf die richtige Fährte: im Altindischen existiert ein Substantiv yoni- (mask. und fem.) mit der Bedeutung ‘Platz, gewohnte Stätte, Mutterschoß’, das auf ein idg. *ieuni- oder *iouni- (mit Abtönung) zurückzuführen ist. Mit diesem indischen Wort hat E. Zupitza (1899, S. 191) das altirische huain ‘Gelegenheit, Muße’ verknüpft, das sich lautgesetzlich genau auf die gleichen indogermanischen Formen zurückführen läßt. Er hat dafür die Zustimmung von J. Wackernagel (1914, S. 266), H. Pedersen (1909–1913, I, S. 65), J. Pokorny (1959–1969, S. 512) gefunden. Die Bedeutung von idg. *ieuni- / iouni ist dann etwa als ‘günstiger, geborgener Platz; geeignete Stelle’ anzusetzen. Die Tiefstufe dieses Stammes, also idg. *iuni- > germ. *iuni-, kann die Grundlage unseres Ortsnamens Jühnde gewesen sein. Tiefstufige Formen sind gerade bei den i5

Zum Typ der Ortsnamen im Dativ Plural vgl. A. Bach (1954, § 106 ff.) Zu Barmen vgl. J. Boehmer (1932, S. 39 ff.), zu Lünen vgl. L. Bückmann (1934, S. 157 ff.) und J. Schnetz (1934c, S. 171 f.). Weiteres Material bietet Förstemann (1867, S. 81 ff.).

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Beiträge zu Ortsnamen

Stämmen beliebt: ahd. turi ‘Tür’ < *dhuor-, altsächs. sundia ‘Sünde’ neben lat. sons ‘schuldig’ usw. – Es mag nun zunächst am plausibelsten erscheinen, auch im Ortsnamen das Stammwort iuni- für keltisch zu halten wegen des altir. Verwandten huain. Aber dagegen ist doch einzuwenden, daß in unserem Gebiet keltische Ortsnamen nur ganz unsicher vermutet worden sind und daß eine andere Ablautstufe und auch eine nicht genau gleiche Bedeutung vorliegen. Es scheint mir daher doch näherzuliegen, hier in Südniedersachsen, das vielleicht seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. germanisch besiedelt ist, mit einem germanischen Wort zu rechnen. Es müßte dann allerdings vor der im 9. Jahrhundert n. Chr. stärker einsetzenden Bezeugung der germanischen Sprachen in diesen ausgestorben sein.6 Mit Sicherheit auszuschließen ist die Auffassung unseres Ortsnamens als keltisch freilich nicht, zumal einige Forscher wenigstens die nahen Flußnamen Weser (Visurgis) und Leine (Lagina) für keltisch halten. Daß die wissenschaftliche Meinung in der Zuweisung eines Namens an Kelten oder Germanen schwankt, ist kein Einzelfall, sondern gerade für sehr alte Ortsnamenforschung typisch, vgl. A. Bach (1954a, § 436). Ein absolutes Datum für die Entstehung unseres Ortsnamens zu geben, ist daher nicht möglich. Fragt man nun, wieso die ersten Siedler den Platz von Jühnde als ‘günstig’ ansehen mochten, so wird man vor allem an die Beeke, den Dorfbach, denken. Sie entspringt auf dem nordwestlich des Ortes gelegenen Bomberge, fließt durch das Mühlental, ist im eigentlichen Dorfinnern heute (seit 1936) kanalisiert, berührt den alten Tieplatz, fließt nach Süden in weitgeschwungenem Bogen am Parke des Schlosses entlang (dort der Flurname im Beu7) und mündet schließlich nordwestlich von Barlissen in die Dramme. Die Beeke hat also Anlaß für eine Reihe von Flurbezeichnungen gegeben, was auf ihre Wichtigkeit für die Dorfbewohner deutet. Ihr Wasser gilt als wohlschmeckend. Bei der Erwägung, daß der Bach Grund zur Ansiedlung in vor- oder frühgeschichtlicher Zeit gewesen sein kann, erinnern wir uns an die Worte des Tacitus (Tac. Germ. 16): colunt discreti ac diversi, ut fons, ut campus, ut nemus placuit ‘Sie siedeln für sich und weit auseinander, so wie ihnen eine Quelle, ein Feld, ein Gehölz zusagte.’ Neben der Beeke sind aber auch andere Vorzüge des Platzes zu erwähnen: seine guten Weidenflächen, die ackerbaren Hänge und die windgeschützte Lage unterhalb des Krähenberges. A. Beuermann (1957, S. 16) bezeichnet die Altsied6

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Eine grundsätzliche Bemerkung zu solchen sehr alten Ortsnamen macht E. Schröder (1944, S. 187): „Kein Germanist weiß mit ihnen etwas anzufangen. Deshalb darf man sie ja nicht gleich als nicht deutsch über Bord werfen.“ Und Förstemann formuliert in seiner leicht romantisch gefärbten Diktion: „Namen sind oft das letzte Asyl verblassender Sprachaltertümer.“ Vgl. mnd. böge (fem.) ‘bogenförmige Flußwiese’.

Der Ortsname Jühnde

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lung unseres Gebietes, darunter auch Jühnde, als „auewaldorientiert“, da der cheruskische Bauer vornehmlich Waldbauer gewesen sei. Es sei abschließend ausdrücklich betont, daß wir mit dieser hier vorgetragenen Etymologie nicht beabsichtigen, nun grundsätzlich für niedersächsische Ortsnamen Deutungen aus der indogermanischen Grundsprache vorzuschlagen. Die alte methodische Forderung, die Ortsnamen zunächst aus den am Ort heimischen oder heimisch gewesenen Sprachen zu erklären, bleibt voll gültig. Wir hätten diese Deutung nicht vorzulegen gewagt, wenn nicht durch die Parallelfälle Bühren, Lünen usw. die Bedeutung des Grundwortes schon in einer bestimmten Weise festgelegt gewesen wäre und wenn das indogermanische Wort sich nicht so genau diesem Bedeutungsfeld eingefügt hätte. Auch Edward Schröder, der große Göttinger Namenforscher, hat in einem ähnlichen Falle, bei der Deutung des Namens Holzminden (Holtisminni 1036) ein verschollenes germanisches Wort *manni-, *menni- ‘Wasser’ postuliert, wobei er sich auf lat. manare ‘fließen’ usw. stützte.8

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Inzwischen ist die von ihm angesetzte Form des Substantivs aufgetaucht, zwar nicht im Germanischen, wohl aber in dem ebenfalls indogermanischen Hethitischen als mani- ‘helles, arterielles Blut’.

Der südniedersächsische Ortsname Meensen [Göttinger Jahrbuch 1973, 21. Folge, S. 155–159]

Der kleine Ort südwestlich von Jühnde im Altkreis Hannoversch-Münden gelegen, der sich von Norden nach Süden am Osthang des Steinbergs erstreckt, gilt als die höchstgelegene Gemeinde zwischen Werra, Leine und Weser (350–380m). Er hat einen sprachlich bemerkenswerten alten Namen. Um einer Deutung näherzukommen, gehen wir zunächst die Reihe der urkundlichen Belege durch. Wiederum verdanke ich sie der zuverlässigen Archivalienforschung von Joachim Jünemann aus Dransfeld, dem ich auch hier für all seine bereitwillige Hilfe und für die Herstellung der beiden Kartenskizzen meinen besten Dank aussprechen möchte.

Der südniedersächsische Ortsname Meensen

990

manisi

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Nieders. Hauptstaatsarchiv Hannover Cal.Or. Des. 100 Kloster Hilwartshausen Nr. 6

Diese Urkunde hat Otto III. am 20. Januar 990 in Heiligenstadt ausgestellt. Er bestätigt in ihr eine Schenkung der dom(i)na Ita. Sie hat dem Kloster Hilwartshausen villas duas vuizzereshuson (Wiershausen) et manisi übereignet. 1125 uilla, que manesce uocatur

1246 Bertoldus et Thidericus de mense

B. Ch. von Spilcker, Geschichte der Grafen Everstein, UB Bd. 2, Arolsen 1833, S. 11, Urk. X Nieders. Hauptstaatsarchiv Hannover Cal.Or. Des. 100 Kloster Hilwartshau sen Nr. 36

Dies ist der erste Beleg, in dem der inzwischen vollzogene i-Umlaut auch graphisch ausgedrückt wird, und zugleich der erste Beleg für die Ausstoßung (Synkope) des mittleren, kurzen Vokals der dem Hauptton folgenden Silbe. Zu dieser Synkopierung vgl. Lasch (1914, § 217.1), zum Palatalumlaut ebd. (§ 52.1). 1247 Th. et B. de meinse 1247 Th. et B. de meynse 1248 B. de mensen

Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 37 Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 38 Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 41

(In allen drei Urkunden handelt es sich um dieselben Männer wie in der vom Jahre 1246.) Dies unetymologische -n im Auslaut des Ortsnamens tritt zunächst nur gelegentlich auf, fest geworden ist es erst im 16. Jahrhundert. Vgl. unten den Beleg von 1526. 1275 Bartoldus de meense

Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 58

Dies ist die früheste Schreibung mit doppeltem e. Sie deutet wohl an, daß nun die Silbe gedehnt worden ist, ein Vorgang, der sich im 13. und 14. Jahrhundert im gesamten deutschen Sprachgebiet abspielt. 1297 Th. de mense in Gropenmense

Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 76

Gropen oder Grapen sind dreifüßige Töpfe aus Ton oder Metall, kleiner als ein Kessel, mit Henkel oder Griffen. Meensen war ebenso wie das wüste Gropenhagen ein Töpferdorf. Der Zusatz diente der Unterscheidung von Friemeensen, dem dicht benachbarten Steinhof (südostwärts vom Forsthaus Brackenberg, heute wüst).

154

1305 1317 1318 1391 1400 1432 1463 1503 1526

Beiträge zu Ortsnamen

Groppenmeinse in villa Gropenmense allodium stenhof in vrienmense veltmarke und dorffe ziu grobmense to gropmense Gropmensen to Groppenmense thegeden to gropmeynse forwarke to Menße

Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 97 Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 117 Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 118a Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 179 Nieders. Hauptstaatsarch. Nr. 184 Stadtarchiv Göttingen Or. Urk. 1341 Nieders. Hauptstaatsarch. Nr. 255 Nieders. Hauptstaatsarch. Nr. 307 Nieders. Hauptstaatsarch. Nr. 337

Bis hierhin überwiegen die Belege des Ortsnamens mit dem Auslaut -e. Von nun an wird das unetymologische -n fest, das nach der Analogie der Ortsnamen auf -husen antritt. 1537 Johan Fredeler Nieders. Hauptstaatsarch. Nr. 360 Cappellan sanct; Johannis kerken tho Meynßen 1594 Dorf Meinsen Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 391 1598 vor dem dorff Meensen Nieders. Hauptstaatsarchiv Nr. 392 1400 Over den meynssir wech Stadtarchiv Göttingen, Boventensches Lehnregister 1400 In deme felde to Meynssen wardt Jühnder Flurname 1400 uppe den fry meynsser wech Jühnder Flurname 1600 In der meinser heide Jühnde, Pfarrarchiv 11/410 Liegenschaft. Allg. 1600 1600 Mähnsen Grünewald 1965, Reim 135 u. 136 1681 Bei dem Frimenser Weg Jühnder Schloßbibliothek, Salbuch 1681 1735 In der Meenser Heide Jühnde, Gerichtshof Grund- und Lagerbuch 1735 1743 Mehnsen Nieders. Staatsarchiv Hannover Hann. Des. 74, Münden 041 1973 In der Meenser Heide Flurname, in lebendigem Gebrauch 1973 Freimeenser Weg Flurname, in lebendigem Gebrauch 1973 Freimeenser Weg Aussprache in heutiger Mundart des [mä:n߅] Ortes

Der südniedersächsische Ortsname Meensen

155

Die Reihe der Belege bietet weder besondere Schwierigkeiten noch auffallende Abweichungen. Sie ist so regelmäßig, daß man sagen kann: selbst wenn zufällig der älteste Beleg, der als einziger den altsächsischen Vokalismus noch unverändert zeigt, nicht erhalten wäre, so hätte er sich aus den jüngeren mit guter Sicherheit erschließen lassen.

156

Beiträge zu Ortsnamen

Wir beginnen unsere Analyse, wie es die Regeln der Kunst anraten, mit dem Wortende, dem suffixalen Teil. Den gleichen Ausgang auf -isi- bieten einige wenige Ortsnamen, die Jellinghaus (1896, S. 150) gebucht hat: Blekisi (9. Jhd. Trad. Corb § 431), wüst bei Wünnenberg (südostwärts Lippstadt), im 13. Jhd. Blikesen (wohl zu altsächs. blek ‘blaß, farblos’); Vilisi a. 1028, Vilese a. 1216, Vielsen, wüst bei Salzkotten, ostwärts Lippstadt; Herisi a. 871, heute Heerse, Dorf im Krs. Warburg. Aus dem Spiel lassen wir die vielen erschlossenen Flußnamen auf -isa; dagegen ziehen wir aus dem Althochdeutschen, Altsächsischen und Altenglischen die appellativischen Substantiva mit dem gleichen Ausgang herzu: ahd. Chuobisi ‘Hütte’; got. aqizi, ahd. acchus, akis ‘Axt’; altengl. gycer < *jukizi ‘Joch’. Im Altenglischen ist das Suffix -isi mehrfach zur Bildung von Abstrakta verwendet worden, z.B. in blidse aus *bliþisi ‘Freude’ usw. Gehen wir noch einen Schritt in der Sprachgeschichte zurück: vom Altsächsischen, Althochdeutschen usw. zum Urgermanischen, so stellt sich dies Suffix in der Lautgestalt *-isjo (oder in der Variante *-usjo) dar. Zweifellos ist es dadurch entstanden, daß an alte -is-Stämme (im Lateinischen entsprächen die Stämme genus, generis < *genes-is) ein -jǀ-Suffix angetreten ist. Diese Verbindung ist aber im Laufe der Entwicklung als eine Einheit empfunden worden. So konnte sie – wenn auch in bescheidenem Umfang – produktiv werden. Mit ihr gebildet sind ahd. scruntussa ‘Riß, Spalte’, das in seiner Bedeutung einer Stellenbezeichnung im Gelände nicht fern steht, burissa ‘Bohrer’, zemissa ‘Kleie’, aber auch Bezeichnungen lebender Wesen wie ahd. chebis ‘Nebenfrau’, as. brimissia ‘Bremse, Stechfliege’. (Die diesen Bildungen zugrundeliegenden Stämme sind teils verbal, teils nominal.) So wie das Suffix guten Anschluß im Germanischen gefunden hat, so wird man auch für den Stamm des Ortsnamens mit germanischem Ursprung zu rechnen haben. Es gibt mehrere Anschlußmöglichkeiten. Ich möchte hier nur eine1 – und auch sie nur als Vermutung vortragen: die idg. Wurzel *men- bedeutet ‘hochragen’. Zu ihr gehört lat. mons ‘Berg’, mentum ‘Kinn, Vorsprung an Gebäuden’, minae ‘Zinnen’, ferner aus dem kelti1

Die von mir lange erwogene Verknüpfung mit dem Substantiv *manni-, *menni-, *minni-, das seit Edward Schröder aus Ortsnamen wie Hadumenni a. 1017 ‘Hedemünden’, Upmenni ‘Opmünden’ bei Lippstadt, Throtmenni a. 889 ‘Dortmund’ erschlossen wird, scheidet wohl aus. Denn für unseren Ort ist nicht ein Wasserlauf das bezeichnende Merkmal, sondern seine außergewöhnliche Berglage.

Der südniedersächsische Ortsname Meensen

157

schen Bereich kymr. mynydd ‘Berg’, aber auch germanische Wörter wie altnord. makki ‘oberer Teil des Pferdehalses’, altnord. mœnir ‘Dachfirst’, ahd. und ags. manu ‘Mähne’, ags. mene und ahd. menni ‘Halsgeschmeide’, von denen die beiden letzten auf ein germ. *manja n. ‘Halsschmuck’ zurückweisen. Auch hier ist also der Grundbegriff ‘oben befindlich’ überall noch erhalten. Angesichts der Lage des Ortes scheint mir die etymologische Verknüpfung mit dieser Wurzel gute Aussichten auf Richtigkeit zu haben.2 Eine gewisse Schwierigkeit besteht darin, daß in den germanischen Sprachen die Substantiva, die von der idg. Wurzel *men- gebildet sind, anscheinend alle schon den Körperteil ‘Hals’ bezeichnen, aber nicht – wie die lateinischen und keltischen Wörter – für Erhebungen im Gelände benutzt werden. Das läßt sich aber wohl als metaphorische Benennung verstehen; A. Bach (1954a, § 289) gibt reichlich Beispiele dafür, daß Stellen im Gelände ‘Kehle, Haupt, Hals, Nase, Buckel’ genannt worden sind.

2

Bahlow (1965) verweist von Meensen auf Mahnen und gelangt zu ‘lauter Sumpfund Moderbächen’. Das ist ohne Wert. Kuhn (1960, S. 69) hält den Ortsnamen für vorgermanisch, auch das bleibt ohne ausreichende Begründung.

Der Ortsname Potzwenden Zur Geschichte des kleinsten Dorfes im Landkreis Göttingen [Göttinger Tageblatt vom 14./15.10.1961]

In der Beilage Zwischen Harz und Weser des Göttinger Tageblattes berichtet ein Aufsatz von Heinrich Lücke aus der Geschichte des kleinsten Dorfes im Landkreis Göttingen, des im östlichen Vorland des Göttinger Waldes nördlich vom Hengstberg gelegenen Potzwenden. Da weder H. Lücke noch, soweit ich sehe, sonst bisher ein Heimat- oder Namenforscher die Erklärung des auffallenden Ortsnamens gefunden haben, sei diese hier in Kürze vorgelegt. Es ist sicher, daß der Name des Dörfchens weder mit dem bekannten Fluchwort ‘potz’ noch mit dem slawischen Volksstamm der Wenden etwas zu tun hat, wenngleich die heutige Schreibung den Gedanken daran nahelegen mag und wenn man vielleicht auch schon in früherer Zeit diese beiden Wörter in den Ortsnamen ‘hineingehört’ hat. Die ältere und richtigere Schreibung ist aber Potswenden, Poteswenden (1443 in den Lehnbriefen derer von Uslar belegt), und der zweite Teil des Namens, das Grundwort, gehört zu swenden, swendi, das ‘Rodungsstelle’ bedeutet. Das Zeitwort swenden, das auch in unserem hochdeutschen verschwenden steckt, heißt ursprünglich ‘schwinden lassen’ und dann speziell ‘durch Abbrennen Neuland gewinnen’. Ortsnamen mit dem Schlußglied -schwend oder -schwand sind nicht ganz selten, am bekanntesten ist vielleicht Menzenschwand im Schwarzwald. Als Personenname ist aus alter Zeit Swendenwalt belegt, der in Form eines Satzes ‘Schwende den Wald!’ auf den Beruf des Namensträgers hinweist. Das Vorderglied von Poteswenden gibt nun an, w a s geschwendet worden ist, denn im Niederdeutschen bedeutet pote, potte oder auch pate ‘Setzling, junge Pflanze, junger Baum’. – Die älteste Form unseres Ortsnamens, die aus dem Jahre 1352 stammt, ist aber noch länger. Sie lautet Postogkeswenden, hat also drei Bestandteile, oder genauer gesagt, der vordere Teil, das Bestimmungsglied, ist hier selbst schon ein zusammengesetztes Wort. In der Mitte erkenne wir das Wort ‘Stock’, das hier den Baumstumpf, den Stubben, bezeichnet. Die vorauszusetzende ursprüngliche Form des Dorfnamens Pot-stocke-swenden wurde demnach in verschiedener Weise er-

Der Ortsname Potzwenden

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leichtert. Im Beleg von 1352 (Postogkeswenden) hat man wenigstens das unschöne Aufeinandertreffen der Laute -tst- beseitigt, in den jüngeren Formen des Namens ist das mittlere der drei Glieder, das Wort ‘Stock’, ganz ausgefallen. Solche ‘Klammerformen’ gibt es gerade bei Ortsnamen sehr häufig. So müsste Salzburg bekanntlich ‘richtig’ Salzach-burg heißen, und ähnlich ist aus einem alten Heuwiesenkirchen in Kärnten ein Heukirchen, aus Buchwaldhohl der Ortsname Buchhohl geworden. Pot-stocke-swenden übersetzen wir also: ‘Der Ort, wo die Wurzelstöcke der Jungbäume mit Feuer gerodet worden sind’. Es liegt hier ähnlich wie bei dem in Westfalen häufigen Hofnamen Pothof ein Name aus der jüngeren Rodeperiode vor, in der die Bauern ihre Langstreifen- und Gewannfluren in neuem Ausgriff in den Wald hineintrieben. A. Deppe & H. Troe haben in ihrem Buche Der Göttinger Wald und seine Umgebung (1956, S. 86 ff.) unseren Ortsnamen richtig zu den vielen Dorfnamen gestellt, die auf -rode enden und die meist im 11. oder 12. Jahrhundert entstanden sind. Zweifellos gehört Potzwenden zu den jüngsten Ortsnamen unseren Bereichs, aber auch er lehrt uns ein kleines Stück Heimatgeschichte und erzählt von der tüchtigen Leistung des inneren Landausbaues im hohen Mittelalter.

II.2 Beiträge aus dem Reallexikon der germanischen Altertumskunde

Bacenis

(Bd. 1, 1973)

§ 1. Sprachliches. Nur belegt bei Caes. Gall. 6,10: silvam esse ibi infinita magnitudine, quae appellatur Bacenis. Oft mit dem Harz oder dem Thüringer Wald identifiziert oder auch mit den Bergzügen um Fulda. – Die von Zeuß (1837, S. 11) abgelehnte Gleichsetzung mit dem bei Fredegar c. 87 und Gregor von Tours 2,40 belegten Gebirgsnamen Buchonia, Buconia wird in jüngerer Zeit mit Recht wieder belebt – jedenfalls als Gleichheit der Namensbildungen, nicht der damit bezeichneten Waldgebirge. (Schwarz 1925, S. 335 will auch den Namen des Bakonyer Waldes in Ungarn als von Haus aus germanisch hier anschließen.) Ein etymologischer Zusammenhang mit dem Namen der Buche ist wahrscheinlich: ahd. buohha < germ. *bǀkǀn-. Vom Baumnamen, der im Germanischen in die ‘schwache’ Deklination der Feminina auf -ǀn übergetreten ist, ist vielleicht mit R. Much (1893a, S. 21) eine Ableitung mit demselben Suffix -Ư- < -iƗ- gebildet worden, das auch in got. hǀhƯ ‘Höhe’ vorliegt. Schwierig ist dabei nur die Erklärung des Ɨ. Hirt (1898, S. 318) denkt an keltischen Lautersatz für germanisch ǀ, da Caesar den Namen durch gallische Vermittlung erhalten habe. Im Handbuch des Urgermanischen I (Hirt 1931, S. 32) räumt er aber ein, daß germanisch Ɨ und ǀ zu Caesars Zeit noch geschieden waren. (Vgl. Streitberg 1896, S. 48.) R. Much (1893a, S. 21) setzt eine Lautform *BƗkƝnƯ an – aber beim mittleren Vokal wird man eher an die Ablautstufe Ɵ denken, die öfter in flexivischen Suffixen belegt ist; auf sie lenkt z.B. auch der Völkername Bucinobantes.

Baias

(Bd. 1, 1973)

Baias ist hapax legomenon beim Kosmographen von Ravenna 4,18 (Anonymus Ravennas, Cosmographia; vgl. Schnetz 1940a). Es bezeichnet wohl ein Land im Gebiet der südlichen Elbe. Seit K. Zeuß (1837, S. 366 f.) wird es mit den Völkernamen Bojer und Baiern zusammengestellt. Umstritten sind aber die Einzelheiten dieser Verknüpfung. – Much (1895c, bes. S. 31 ff.) denkt an eine griechische Form 6>U0, die auf einen germ. Ländernamen *Bajja aus *Baijǀ ‘Bojerland’ zurückgehe. (Ähnlich Baesecke 1935, S. 6 Anm. 1.) H. Löwe (1949, bes. S. 19 f.) will Baias mit der Lesart 6>6CD> bei Ptol. 2,11,11 verknüpfen, die 6>6CD> seien die Bewohner des Landes

164

Beiträge zu Ortsnamen

Baias. Aber ein Ländername auf -as wäre hier singulär. Löwe lokalisiert Baias südlich der Kleinen und Weißen Karpathen am Oberlauf der Gran bis zur Donau. – Zibermayr (1944) will (wie Krusch 1928, bes. S. 48 ff., und ältere Forscher) das lateinische Wort baiae heranziehen, das auch die breite Mündung eines Flusses bezeichnen könne; mit Baias sei deshalb das Mündungsgebiet der Donau gemeint (kaum haltbar). Am plausibelsten ist wohl die von Schnetz in mehreren Arbeiten (1919; 1938, bes. S. 90 Anm. 1; 1940, 56 cap. 18, Zeile 19; 1951/52) vertretene Auffassung, das schließende -s sei ‘Abrechnungszeichen’ (wie in Uburzis, Uburziburg ‘Würzburg’, Ascis ‘Asciburg’ usw.). Es sei also Baiahaimum ‘Böhmen’ herzustellen.

Batavodurum

(Bd. 2, 1976)

Der Ortsname enthält im Grundglied kelt. duro- ‘Tür, Tor’; vgl. Weisgerber (1969, S. 58 und 350).

Bergion

(Bd. 2, 1976)

Der Name ist – abgesehen von der griechischen Endung – wahrscheinlich germanisch: Ableitung mit Suffix -ja- (idg. -io-) zu *berga-, also ‘die zum Berg gehörende, auf dem Berg befindliche Siedlung’. (Keltisch wäre *Brigion zu erwarten.) Zum Suffix vgl. Askibourgion, Bingium usw.

Bingen

(Bd. 3, 1978)

§ 1. Name. Der Ortsname ist zuerst bei Tac. hist. 4,70 als Bingium belegt. Er war wohl dem von Drusus an der Nahemündung angelegten Kastell gegeben worden. H. Krahe, der ältere Deutungen mit Recht zurückweist, stellt ihn zur idg. Wurzel *bhe(n)g- ‘zerschlagen, zerbrechen’ und deutet ihn als ‘Ort, wo sich die Wellen (eines Stromes) brechen’, hier speziell als ‘Siedlung am Rheinknie’ (1964b). Der Name sei vorgermanisch, aber indogermanisch; ob keltisch, läßt Krahe offen. – Demgegenüber schlägt G. Neumann (1974) eine Erklärung aus germanischem Sprachgut vor: zu mhd.

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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binge ‘Vertiefung, Graben’ usw. (idg. Wurzel *bhengh-). Als Motiv für die Benennung sieht er das ‘Binger Loch’ an. So heißt die Stromenge beim Durchbruch des Rheins durch den Soonwald im Westen und den Taunus im Osten, aber auch die geologisch damit zusammenhängende Strecke im Flußbett, wo die Schiffahrt durch Felsbänke und Stromschnellen gefährdet war.

Bourdorgis, Boudorigon

(Bd. 3, 1978)

§ 2. Sprachliches. R. Much (1915–1916f, S. 91) löst aus DJ9DG<¼0 und %DG>9DG<¼0 ein Grundglied dorgi-, das er mit lit. dar˾žas ‘Garten’ verknüpft. Ihm folgen J. Pokorny (1936a, S. 327) und H. Krahe (1946, S. 217; 1955a, S. 238 und 1955b, I, S. 105, die die beiden Ortsnamen für ‘illyrisch’ (also west-indo-germanisch, aber nicht germanisch) halten. – Mehr überzeugt der Deutungsvorschlag, den J. Whatmough (1949, S. 241) gibt. Er geht von der Form DJ9DG><>DC anzusetzen, also eine -io-Ableitung anzunehmen.)

Bregenz

(Bd. 3, 1978)

Der Ortsname findet sich zuerst bei Strab. 4,206 C und bei Ptol. 2,12,3 als G>DC. In gleicher Lautform, aber mit anderem grammatischen Geschlecht dann bei Amm. 15,4,3 (und öfter) als Brigantia. Die Not. dign. occ. 35,32 geben Brecantia, der Kosmograph Ravennas 4,26 Bracantia (vgl. Schnetz 1940a), wobei das a der ersten Silbe wohl auf romanischen Einfluß zurückgeht. – Spätere Belege (z.B. a. 802 Bregantia castrum, a. 1064 Preginza) zeigen im Anlaut öfter ein p, was Einfluß des Alemannischen verrät; das z im Auslaut zeigt die Wirkung der 2. Lautverschiebung. Der Name gehört zum kelt. Adj. *briga- bzw. *brigant-, das ‘hoch’ bedeutet und häufig in Ortsnamen auftritt. So treffen wir es z.B. noch in den Ortsnamen Bergantia = La Corufia im keltiberischen Nordwestspanien und Brigantio = Briangon sur Durance in den Cottischen Alpen, in der Gallia Narbonensis, ferner in dem Stammesnamen Brigantes / G>D>, aber auch im Namen der Dea Brigantia (CIL VII 203 und 1062) und schließlich im Namen der altirischen Heiligen Brigit. Der Stammesname ist an drei

166

Beiträge zu Ortsnamen

verschiedenen Stellen des keltischen Sprachraums bezeugt: einmal im mittleren Britannien um Eburacum = York, ferner im Südosten Irlands und schließlich an der oben erwähnten Strabonstelle, als Teilstamm der )w>C9DA>@D¼. Auch der bei Plin. nat. 9,63 und Solin. 234,6 bezeugte Name des Bodensees lacus Brigantinus dürfte eine Ableitung von diesem Stammesnamen sein. – Der keltische Name des Oppidums ist erhalten geblieben, weil ihn zunächst die jüngere romanische Siedlung und von dieser dann die alemannische übernommen hat. Ob die keltische Siedlung nach ihrer Lage, die den Hügel der heutigen Oberstadt einschloß, als ‘hoch’ benannt worden ist oder ob der Ortsname eher als ‘Hauptort der Brigantioi’ zu deuten ist, muß offen bleiben. Auch beim Völkernamen ist eine doppelte Deutung möglich: ‘die Hohen, Edlen’ (vgl. die germanischen Chauken oder ‘die auf der Höhe Wohnenden’) (zur Topographie siehe den Artikel Raetien im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Weitere Literatur: Geiger (1964, S. 19); Holder (1904, s.v. Brigantion, Sp. 538 f.); Zehrer (1949).

Burcana

(Bd. 4, 1981)

Name einer von Drusus eroberten Insel vor der Nordküste Germaniens. Plin. nat. 4,97 sagt: XXIII inde insulae Romanis armis cognitae, earum nobilissima Burcana, Fabaria nostris dicta a frugis multitudine sponte provenientis. Bei Strab. 7,291c heißt sie JG86C¼0, bei Steph. Byz. (wo der Beleg aber auch auf Strabon zurückgeht) DsG86C>0. Sicher ist das heutige Borkum gemeint, das afries. Borkne hieß. Die von S. Gutenbrunner (1936d, S. 455) vorgeschlagene etymologische Verknüpfung mit dem Stamm, der in anord. burkn ‘Farnkraut’ usw. vorliegt, trifft wohl das Richtige. Doch ist die Grundbedeutung des Substantivs nur ‘Gesträuch, Gebüsch’, noch nicht auf die Klasse der Filicinae eingeengt. Die Umgestaltung der Namensform Borkne zu Borkum ist erst in jüngerer Zeit analogisch nach den vielen Ortsnamen auf -heim > -um vollzogen worden (Bach 1954a, S. 761b). Weitere Literatur: Detlefsen (1904, S. 39 ff.); Müllenhoff (1870, S. 483 f.).

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

Caesia silva

167

(Bd. 4, 1981)

Dieser geographische Name ist nur bei Tac. ann. 1,50 im Zusammenhang mit dem Zug des Germanicus a. 14 n. Chr. überliefert. Der Wald muß rechtsrheinisch gelegen haben. Da eine Verknüpfung mit lat. caesius ‘blau’ (von der Farbe der Augen) sicher ausscheidet, wird man den Namen für einheimisch-germanisch halten. Eine trotz Ed. Nordens Skepsis (1934, S. 99 und 127 Anm. 3) sowohl lautlich, semantisch wie geographisch plausible Deutung stammt von Jakob Grimm (1848, S. 660), und ist von K. Müllenhoff (1906, S. 222) ausgebaut worden. Sie verknüpft die Caesia silva mit der a. 796 urkundlich erwähnten silva Heissi, die in aquilonari parte fluvii Rurae lokalisiert ist, wohl zwischen den Unterläufen von Lippe und Ruhr, nahe Werden und Essen. Dort finden sich heute noch die Ortsnamen Heisingen (früher Hesingi) und Hesper (dieser entstanden aus dem a. 841 belegten Bachnamen Hesapa). Das ahd. Substantiv heissi ist ein Kollektivum auf -Ư < -ja-, wobei ein Baumname das Grundwort bildet, wie in den Ortsnamen Eihhi, Pohhi usw. Dieser Baumname findet sich auch in nhd. Heister (vgl. Fick 1909, S. 65, haistra), ndd. hƝs- (vgl. as. hêsipenning ‘Holzsteuer’). Er bezeichnet heute meist die Buche oder Eiche, ursprünglich aber wohl keine botanische Gattung, sondern allgemein junge Bäume, die in Hiebwirtschaft genutzt wurden. Das Wort gehört zur idg. Wurzel *(s)k(h)ai-d- ‘schlagen, fällen’ (Pokorny 1959–1969, S. 912). Im germanischen Bereich sind Benennungen von Gebirgswäldern, die sich von Baumnamen herleiten, auch sonst gut bezeugt. Andere Anknüpfungen von Caesia silva bleiben unverwendbar, weil sie bloß anklingende heutige Ortsnamen beigebracht haben, ohne deren älteste Formen und die Entwicklung zu prüfen; das gilt für von Veith (1887, S. 6), der den Ortsnamen Coesfeld heranzieht, wie auch für H. Kuhn (1973a, S. 314), der beiläufig an den Kaisberg an der Ruhr, gegenüber von Herdecke, erinnert. Zur lateinischen Schreibung: Das c im Wortanfang ist hier (wie z.B. in Vacalis usw.) als unvollkommene Wiedergabe der germanischen stimmlosen velaren Affrikata 8 (gesprochen etwa wie das ch in ‘Nacht’) aufzufassen. In anderen Fällen ist sie auch als ch geschrieben worden. Später wird sie zum Spiranten h. — Die Diphthongschreibung ae hat im Lateinischen damals noch den phonetischen Wert ai. Weitere Literatur: Bach (1954a, § 457. 961); Förstemann (1913–1916, Sp. 1196 f.); Gomoll (1938); Much (1911–1913e, S. 365, s.v. Caesia silva); Much (1935); Trier (1952).

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Beiträge zu Ortsnamen

Caistena

(Bd. 4, 1981)

Den Namen des beim Geographen von Ravenna (Anon. Rav. 4,26; vgl. Schnetz 1940a, S. 61) in der Alamanorum patria an der Rheinstrecke unmittelbar hinter Augusta (d.i. Rauracorum = Kaiseraugst) genannten Oppidums Caistena (Varia lectio der Handschrift C: Carstena) identifizierten Ihm (1897, Sp. 1324) und Miller (1916, S. 56) mit dem heutigen Kaisten südlich von Laufenberg. Das lehnt Schnetz (1939, S. 91 f.) ab mit der Begründung, der Ortsname Kaisten sei germanisch, die Liste beim Geographen von Ravenna enthalte aber fast nur vor-germanische Ortsnamen. Kaisten, a. 1282 Keiston, soll nach Schnetz zum denominalen alem. Verb keisten ‘keimen’ gehören, es sei Dat. Sing. eines schwachen Fem. *keista und heiße etwa ‘(Ort der) Keimung, Saatschule’ (vgl. got. *keian ‘keimen’, erschließbar aus us-kijanata; ahd. frumichƯst; schwäb. keid ‘Sprößling’ usw., Fick & Torp 1909, S. 42 f., und Staub & Tobler 1895, s.v. Cheist). Zum Ortsnamen Kaisten sagt Schnetz (1939, S. 92): „Der Name macht ganz den Eindruck jüngerer Entstehung“. – Die Form Caistena (ebenso wie das unmittelbar folgende Cassangita) hält Schnetz (1939) für Entstellungen einer Form *Tassgantia, die eine Variante des Ortsnamens Tasgaetium sein soll. Doch leuchtet diese Konjektur, die viele Schreibfehler voraussetzt, wenig ein. – Auch Beyerle (1962, S. 74) hat sie nicht übernommen. Er erklärt Cassangita, das man bisher als Ortsnamen aufgefaßt hatte, als Partizip casangita ‘verbrannt’ und zieht es als Attribut zum Ortsnamen Caistena. Zu diesem sagt er, es bezeichne nicht „das gleichnamige aargauische Dorf, vielmehr Rheinfelden, vor dessen Obertor sich der Gewanname erhalten hat“. Er hält also offenbar an der germanischen Deutung von Kaisten fest. (Aber wenn die oben notierte Etymologie von Kaisten auch für den Ortsnamen Caistena gelten soll, so bleibt dabei zumindest dessen Ausgang -ena unerklärt.)

Carnuntum

(Bd. 4, 1981)

§ 1. Der Name. Der Name des im Norden der Pannonia superior auf einer Anhöhe gelegenen Ortes ist seit Vell. 2,109,5 belegt. Eine Variante gibt Ptol. 2,14,3 mit %6GCDy0. – Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Name dieser von Zos. 2,10,4 als EnA>0 %:AI>@ bezeichneten Siedlung selbst keltisch; sein Stamm carn- bildet auch das Grundwort vieler weiterer keltischen Ortsnamen wie Carnac, Cairns, Carncastle usw. Nach Holder

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

169

(1896, Sp. 794 ff.) liegt das altir. kymr. breton. Subst. carn- ‘Steinhügel’ vor. Auch das nt-Suffix ist in keltischen Ortsnamen geläufig. – Unmittelbar verwandt ist wohl auch der Name des in der Umgebung bezeugten keltischen Volksstammes der Carni. – Es ist daher als Willkür abzulehnen, wenn der Ortsname als ‘illyrisch’ bezeichnet wird. (So zuerst P. Kretschmer 1924, S. 91, dann mehrfach H. Krahe, z.B. 1949a, S. 41). Das ist ein Rest jener überholten Theorie (Pokorny, Krahe u.a.), die in weiten Teilen Europas in den geographischen Namen Überreste einer ‘illyrischen Sprache’ finden wollte. Da heute der Ansatz des Siedlungsraumes der ‘Illyrier’ sich mit Recht wieder auf ein kleines Gebiet an der mittleren Adria beschränkt, müßte carn-, wenn es nicht keltisch sein sollte, einer sonst unbekannten (indogermanischen ?) Sprache zugewiesen werden – eine unnötige Annahme. – Vielmehr wird auch der bei Liv. 43,1,2 genannte Ort Carnuntum, der auf dem Balkan liegt, einen keltischen Namen tragen. Weitere Literatur: Stiglitz (in: Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft. Halbbd. 12 = Bd. 6,2, Sp. 1575–158; Anm. der Hrsg.: Diese Angabe ist nicht zu verifizieren.]

Carvium

(Bd. 4, 1981)

Der Ortsname Carvium ist (im lokalen Ablativ: Carvio) als Ort des Begräbnisses auf einem vor 70 nach Chr. Geb. aufgestellten römischen Grabstein genannt, den C.W. Vollgraff (L’année épigraphique 1939, Nr. 106 f. und 129 f.) zuerst veröffentlicht hat. Der Fundort des Steins liegt zwischen den Orten Lobith und Herwen (in Over-Betuwe, im Südosten der niederländischen Provinz Gelderland, nahe dem Punkt, wo sich Rhein und Waal trennen, im alten Siedlungsgebiet der Bataver). Schon Vollgraff (in Mededeelingen der Konink. Nederlandse Akad. van Wetenskapen, Afd. Letterkunde, N.R. l, No. 12, S. 555–576) hat mit Recht auf Identität der Ortsnamen Carvium und Herwen geschlossen. Die älteren literarisch bezeugten Namensformen von Herwen sind: a. 897 Harawa, a. 1218 Harewen, a. 1287 Herven (mit Synkope). – Die vorgeschlagenen Etymologien zielen teils auf Verknüpfung mit dem Germanischen, teils mit dem Keltischen. A.G. van Hamel bei Vollgraff (1938, S. 10 ff.) schlägt vor, den Ortsnamen zu germ. *8arwa ‘Flachs’ zu stellen, das durch altfries. har, ahd. haro, anord. hƭrr bezeugt ist (Fick & Torp 1909, S. 79). Der Ortsname wäre mit Hilfe des Suffixes idg. -io- = germ. -ja-abgeleitet worden, vgl. z.B. die Ortsnamen Bingium, Mattium oder Bergion, wo die Endung gräzisiert ist.

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Beiträge zu Ortsnamen

(Nach A. Bach 1954a, § 322 liegt das Subst. ahd. haro ‘Flachs’ auch im Ortsnamen Hallgarten [a. 1112 Hargardun] im Rheingau vor.) – Dagegen will M. Schönfeld (1942) an germ. *harguz ‘heiliger Ort’ anknüpfen, was lautlich schwieriger ist. Gysseling (1960) findet im Stamm das germ. Adj. harwon- / harwja- ‘bitter, herb’; aber er nennt keine Parallelen für Ortsnamenbildungen, die mit ja-Suffix von einem Adjektiv abgeleitet sind. Eine Deutung von Carvium aus dem Keltischen müßte an das Appellativum *carvo- ‘Hirsch’ (belegt als Personenname) anknüpfen. Vgl. Weisgerber (1954, bes. S. 101 und auch S. 352). Trotz van Hamels Ablehnung bleibt sie erwägenswert. – Der nach der Tabula Peutingeriana und dem Itinerarium Antonini zwischen Lugdunum Batavorum und Noviomagus lokalisierte Ortsname Carvone weist jedenfalls denselben Stamm wie Carvium auf; vielleicht ist sogar derselbe Ort gemeint, was z.B. Holwerda (1939) vertritt. (Daß bei einem Ortsnamen zwei im Suffix voneinander abweichende Bildungen konkurrieren, ist für alte Zeiten nicht ungewöhnlich.) Weitere Literatur: Bogaers & Rüger (Hrsg. 1974, S. 901); Byvanck (1947, S. 231– 232, Nr. 379 B); Jongkees (1959, S. 16–18); Stolte (1963, bes. S. 90).

Chalusos

(Bd. 4, 1981)

§ 1. Name. Fluß in Norddeutschland, belegt bei Ptol. 2,11,2 und II 11,7: „Hinter den Sachsen wohnen vom Flusse Chalusos bis zum Flusse Syebos die Pharodiner ...“ Ebenso wie die geographische Identifikation bleibt bis heute die Deutung dieses Namens unsicher. Zeuß (1837, S. 151 f.) zieht den Völkernamen Chali, UAD> (in Jütland) heran. Doch gibt es kaum Flußnamen, die von Völkernamen abgeleitet sind; zudem bleiben die Einzelheiten der formalen Bildung unklar. – Müllenhoff (1906, S. 211f.) erwog eine Emendation zu U7DJAD0: das sei der alte Name der Havel und gehöre als ‘die seen-reiche, gefäß-reiche’ zu ahd. haban. Diese Konjektur hat Much (1893c, S. 185) mit Recht abgelehnt. Er selbst denkt – aber ebenfalls kaum überzeugend – an einen germanischen Nominalstamm, der lat. calor entspreche; Chalusos heiße demnach ‘der warme Fluß’. Jedoch deuten die germanischen Vertreter dieser Wurzel (as. halǀian ‘brennen’, ahd. lƗo ‘lau’, altnord. hlýr ‘lau’) überwiegend auf eine Wurzelgestalt nordgerm. *hlƝw-, westgerm. *hlƗw- < *klƝj- (Pokorny 1959–1969, S. 551 f.). Gutenbrunner (1936, S. 460) verknüpft mit germ. *halsa- ‘Meerenge’, der Chalusos sei eine Wasserstraße im Binnenbereich der dänischen Inseln. Steche (1937, S.

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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37) schlägt vor, die im Widsith genannten Haelsingas seien Anwohner des Chalusos. Die Analyse des Flußnamens führt am ehesten auf einen Stamm *halu-. In Frage käme der, welcher in ahd. huliwa ‘sordes limi vel aquae’, mhd. hülwe ‘Pfütze, Sumpflache’, ferner mit Vollstufe in mhd. hilwe ‘feiner Nebel, Dunst’ vorliegt (Fick & Torp 1909, S. 81; Pokorny 1959–1969, S. 547). – Zum s-Suffix vgl. die Flußnamen Amisia = Ems, as. Weris-aha, Nebenfluß der Ems. Weitere Literatur: Ihm (1899a); Detlefsen (1904, S. 61); Vasmer (1933, S. 118); Hennig (1936, S. 20); bei der Wieden (1966, S. 255–258).

Chorust

(Bd. 4, 1981)

Chorust, Ortsname, nur einmal in cap. IV 26 der Cosmographie des Geographus Ravennas (8. Jhd. nach Chr. Geb.) belegt und entsprechend unsicher. Die ältere Forschung, z.B. Christ (1881, S. 395), Miller (1895–1898, S. 11), Zangemeister (in CIL XIII, S. 59), Holder (1896, III, Sp. 1213), L. Schmidt (1909, S. 293), Miedel (1916, S. 259) identifiziert ihn mit Horburg bei Colmar/Elsaß. (Dieser deutsche Ortsname enthält im Vorderglied vermutlich ahd. horo, horawes ‘Kot, Sumpf’.) Dagegen lehnt Schnetz (1918, S. 71 f. Anm. 2) diese Deutung ab; er emendiert zu Choruci und setzt das gleich mit dem Namen des ostwärts von Kehl liegenden Ortes Kork (a. 1004 Choreka). Diesen Namen hält er für keltisch. Das übernimmt im wesentlichen Beyerle (1955, S. 73 f.), der ir. currach, cuirrech ‘Sumpf’ heranziehen will. Aber ebenso gut kommt wohl die gallische Entsprechung des Grundwortes von mittelir. corcach ‘Sumpf’ (Pokorny 1959–1969, S. 573) in Frage. – Die von Holder (1896, I, Sp. 1005) gebuchte Konjektur *Charisi war zu kühn. Weitere Literatur: Mentz (1930); Schnetz (1940a).

Chronos

(Bd. 5, 1984)

(GnCD0). Diesen Flußnamen bezeugen bei Ptol. 3,5,l nur die Mischhandschriften, und zwar mit den Varianten GnCDC, G|CDC, GyCD0. Die beste Handschrift X dagegen bietet -|D0 oder -6yD0 (siehe den Artikel

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Beiträge zu Ortsnamen

Sauos im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) und darüber – als Zusatz einer jüngeren Hand GnCD0. – Amm. 27,8,38 hat die Variante Chronius. – Lokalisiert wird dieser Fluß ostwärts der Weichsel. Zu einer sicheren Deutung des Namens zu kommen, ist kaum möglich, da unklar bleibt, zu welcher Sprache er gehört. Die bisherigen Vorschläge versuchen in ihrer Mehrzahl, an germanische Wörter anzuknüpfen. So zieht Müllenhoff (1906, S. 351) anord. hrynja ‘herunterstürzen, strömen’, ahd. runs ‘fließendes Wasser’ heran. Ihm stimmt Gutenbrunner (1936d, S. 462) zu, und in der Tat ist diese Etymologie bislang wohl die plausibelste. – Schrader & Nehring (1929, S. 628) schlagen eine Verknüpfung mit ags. hran, hron ‘Wal’ vor, das aber in den anderen germanischen Sprachen nicht bezeugt ist. – Ganz haltlos war der Vorschlag Loewenthals (1928, S. 63), der eine ostgerm. Form *hronas postuliert mit der Bedeutung ‘Abfall, Abhang’. – Dagegen rechnet Rosenkranz (1953, S. 284) mit nicht-germanischer Herkunft des Namens; dabei geht er von einer Lautgestalt *ghereaus, die er mit griech. 8^G69D0 ‘Geröll, Kies’ verbindet.

Codanovia

(Bd. 5, 1984)

§ 1. Namenkundliches. Name einer Insel, belegt bei Pomponius Mela 3,54: in illo sinu quem Codanum diximus eximia Codanovia, quam adhuc Teutoni tenent, et ut fecunditate alias ita magnitudine antestat. – Die Frage der Lokalisierung hängt mit der von Codanus (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) zusammen. Unberechtigt ist Müllenhoffs (1890, S. 490; 1906, S. 360) Annahme, Codanovia sei (unter Angleichung an das im Text kurz vorhergehende Codanus) aus Scadinavia entstellt. Vielmehr ist ‘Codanus-Insel’ zu verstehen; das Hinterglied ist germ. *agwjo. (Es liegt auch vor in Scadinavia, Austeravia, ferner in Orkney, Norderney, Langeoog, Reiche-nau usw., vgl. von Polenz 1961, S. 98 f.) Weitere Literatur: Hennig (1936, bes. S. 14 ff.).

Codanus sinus

(Bd. 5, 1984)

§ 1. Sprachliches. Zuerst erwähnt bei Pomponius Mela 3,3,31 und 3,6,54 als ein riesiger (immanis) Meerbusen an der Nordküste Germaniens, „mit

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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Inseln angefüllt“, dann bei Plin. nat. 4,96. Aber umstritten ist schon, welchen geographischen Raum dieser Name abdeckt. Noreen (1920, S. 23) identifiziert ihn mit Skagerrak und Kattegat. Dagegen hält Svennung (1974, S. 49–51) ihn für eine Bezeichnung der gesamten Ostsee. Als etymologischen Anschluß nennt Müllenhoff (1890, S. 489 f.; 1906, S. 284) ahd. quoden, got. qiþus, ahd. quiti ‘Bauch, Mutterschoß’, anord. koðri ‘Beutel’. – Dem folgen Ihm (1900), Gutenbrunner (1936d, S. 462 und 467) und Svennung (1974). Der Meerbusen sei nach dem Merkmal des Bauchigen, Gewölbten benannt worden. Noreen (1920) zieht neuisl. koð ‘Fischbrut’ heran. Much (in Hoops Bd. 3, S. 28; Anm. der Hrsg.: Die Stelle ist nicht zu verifizieren) sieht eine Fortsetzung im Ortsnamen Gdansk. Dagegen wollte Kuhn (1941, S. 112 ff.) an ags. heaÿo ‘Meer’, die Flußnamen *Hƭdn, Haÿna und den norw. Völkernamen Haðar anknüpfen. Das o deute auf eine alte Sprachstufe hin, „die wir gewohnt sind, noch nicht germanisch zu nennen“. Svensson (19221) schlug eine Emendation zu *Scodanus (germ. *Sko-danaz neben *Skadanaz) vor, was aber sicher unberechtigt ist. Weitere Literatur: Detlefsen (1904, S. 28 ff. und 1909, S. 16 f.); Hennig (1936, S. 13); Malone (1934, S. 31 ff.); Vasmer (1929, S. 184. 196).

Crino

(Bd. 5, 1984)

§ 1. Namenkundliches. Diesen Ortsnamen bucht der Geographus Ravennas 4,26 (vgl. J. Schnetz 1940a, S. 61) kurz hinter Ziurichi = Zürich. (Die Handschrift A bietet die Variante criuo oder cruio.) Ihm (1901, Sp. 1718) schreibt, seine genaue Lage sei unbekannt. Schnetz (1940a, S. 61) will durch Konjektur aus den beiden im Geographus Ravennas aufeinanderfolgenden Ortsnamen Duebon und Crino ein (sonst unbelegtes) Duchonnion herstellen, was kaum überzeugen kann. Beyerle (1962, S. 75) erwägt, Crino bezeichne die Bergnase über dem Hofgut Kreen bei Altdorf (Esco). Der Name sei früh latinisiert worden; etymologisch sei altir. carrac, kymr. fraig ‘Fels, Klippe’ heranzuziehen. Aber diese Entsprechung ist kaum genau genug, um zu überzeugen. — Eine zwingende Identifikation dieses Ortsnamens in geographischer und etymologischer Hinsicht ist noch nicht gefunden.

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Beiträge zu Ortsnamen

Cronium

(Bd. 5, 1984)

(Mare Cronium). So heißt in mehreren antiken Quellen ein Meer im hohen Norden: z.B. bei Ptol. 2,l ({@:6Cn0 E:E=<°0 ‰ %GnC>D0 ‰ C:@Gn0 ‘ein festgewordener oder auch Kronios (genannter) oder toter Ozean‘; oder Plin. nat. 4,104: a Tyle unius diei navigatione mare concretum a nonnullis Cronium appellatur (Tyle = Thule). Diese Nachrichten gehen nach Plin. nat. 4,95 auf den griech. Geographen Philemon zurück, der wohl in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Chr. in einem *:G¼EADJ0 Id0 a@In0 $6AUII=0 Reiseberichte zusammengefaßt hat. Das Adj. Cronius / %GnC>D0 ist zweifellos von dem griechischen Gottesnamen Kronos abgeleitet, der umoris et frigoris deus ist. So richtig schon K. Müllenhoff (1890, S. 41 ff.). Griechische Sagen erzählten, nach seiner Entmachtung halte sich Kronos am Ende der Welt auf; z.B. weiß Plut., De defect. orac. 420 A, daß der schlafende Kronos auf einer Insel nahe bei Britannien vom Titanen Briareos bewacht werde. Wegen dieser Benennung unmittelbar zu vergleichen ist %GDC¼6 ¿A0 wie das Adriatische Meer in den Argonautika des Apollonios Rhodios 4.327 und 509 heißt. – Verfehlt ist daher der Versuch H. Kuhns, für Cronium eine germanische Etymologie zu finden (1941, S. 112 f.), wo er den anord. Personennamen mask. Hrani, den Volksnamen Ranii (bei Jordanes) und die Substantiva anord. hrƭnn ‘Welle’, ags. hran, hron ‘Walfisch’ heranzieht. (Auch für eine etwaige Hilfshypothese, ein germanischer Name sei sekundär von Griechen oder Römern umgedeutet worden, gäbe es nicht den geringsten Anhalt.) Weitere Literatur: Detlefsen (1904); Giesinger (1938); Roscher (1890–94, Bd. 2.1).

Cusus

(Bd. 5, 1984)

Flußname, belegt Tac. ann. 2,63 (Danuvium ultra). Holder (1896, S. 1208) hielt ihn für den alten Namen der Eipel, demgegenüber ist die von Schwarz vertretene Identifikation mit dem Fluß Waag in der Slowakei vorzuziehen. Schwarz faßt ihn als ‘illyro-venetisch’ auf, d.h. einer untergegangenen westindogermanischen Sprache zugehörig. Vorauszusetzen sei *kutso- ‘der Schäumende’, zu idg. *kjat(h)- (Pokorny 1959–1969, S. 627 f.). Der Name sei identisch mit dem oberital. Flußnamen Cosa, der ebenfalls auf das Venetische zurückgehe. Der spätere germ. Name Waag (=Woge) des Flusses sei dann durch Übersetzung zustandegekommen. Pokorny (1936a, S. 317) stellt diese Etymologie in Frage. – In der Tat sind neben ihr durchaus auch

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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andere Möglichkeiten zu erwägen, z.B. Verknüpfung mit der idg. Wurzel *keu- ‘schwellen’ (Pokorny 1959–1969, S. 592 f.). Zum s-Suffix vgl. unter Chalusos. Weitere Literatur: Krahe (1955b, S. 94; übernimmt die Etymologie von Schwarz); Schwarz (1931, S. 202); Schwarz (in: Zeitschrift für Ortsnamenforschung 10, 1934, S. 110; Anm. der Hrsg.: Die Angabe kann nicht verifiziert werden); Schwarz (1950, S. 45. 89. 93. 214); Schwarz (1972, S. 28); Steinhauser (1931, S. 307 f.).

Cylipenus sinus

(Bd. 5, 1984)

Bei Plin. nat. 4,97 Name eines Meerbusens im nördlichen Germanien (handschriftliche Variante Cylypenus). Much (1915–1916c, S. 119 und 1901b, S. 116) identifiziert ihn mit der Ostsee oder ihrem westlichen Teil; Svensson (1921) dachte an „das Meer zwischen Holstein und Fünen“. – Detlefsen (1904, S. 34 f.) hielt ihn für identisch mit dem sinus Codanus. Andere denken an das Stettiner Haff. – Svennung (1974, S. 70 f.) lokalisiert ihn an der Ostküste Jütlands, von wo er sich ins Kattegat öffne. Zur Etymologie: Seit Svensson (1921) wird der Wortstamm mit dem Namen Kolpen eines schwedischen Binnensees verglichen, ferner mit schwed. dial. kulp ‘Höhle’, norweg. kulp ‘mit Wasser ausgefüllte Bodenvertiefung’, das z.B. in den Namen kleiner norwegischer Seen wie Svartekulp, Rundekulp vorliegt. Svensson setzt eine Grundform *kulpinaz an. Diese Deutung aus dem Germanischen ist wesentlich besser als die bei Tomaschek (1901) angeführten Verknüpfungen und als die Konjekturen von Kossinna (1897, S. 306; wollte zu %J96C=CD0 verbessern), Much (1901b, S. 116; erwog eine Konjektur %J9>C=CD0) und Gutenbrunner (1936d, S. 462; hält den Namen für entstellt aus Codanus). – Daß Plinius den Namen aus einer griechischen Quelle übernommen hat, darauf deutet die Schreibung mit y hin; doch ist es kaum wahrscheinlich, das n-Suffix mit dem griech. Adjektivsuffix -=Cn- zu identifizieren. Weitere Literatur: Hennig (1936, S. 13. 18).

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Beiträge zu Ortsnamen

Deutz

(Bd. 5, 1984)

Divitia ist der Name des als Brückenkopf auf der rechten Uferterrasse des Rheins gegenüber von Köln in konstantinischer Zeit angelegten römischen Castellum. Älteste Erwähnung in der Bauinschrift CIL XIII 8274, literarisch dann zuerst bei Greg. Tur., hist. Franc. IV 16 als Divitia civitas. Für den Ortsnamen hat man Anknüpfung im Lateinischen und im Keltischen gesucht, wobei das Lateinische die Wahrscheinlichkeit für sich hat. Hier läßt sich der Ortsname auffassen als Ableitung vom Adj. dives, -itis ‘reich, wohlhabend, fruchtbar’, das ursprünglich auf Personen, dann aber gern auch auf Orte und Gegenden angewandt wurde. (Auch als Personenname fem. kommt die Form Divitia im Lateinischen vor, und die Ableitung Divitianus als Cognomen). Es läge also ein Wunschname vor. Daß ein rechtsrheinischer römischer Stützpunkt einen lateinischen Namen erhielt, ist z.B. auch der Fall bei Lorch (s. Kaub), das zu lat. lorica ‘Schutzwehr’ gehört. Vom Ortsnamen Divitia abgeleitet sind die Beinamen mehrerer römischer Truppenteile, die Divitienses, Divitenses oder ähnlich heißen; vgl. Amm. 26,6,12 und 7,14 (beide zum Jahr 365 n. Chr. Geb.), 27,1,2 (zum Jahr 367) sowie die Not. dign. or. 8,11,43, welche Divitienses Gallicani erwähnen. Weitere Belege bei Holder 1896, Sp. 1292. Das lat. Suffix -ensi- wird speziell für Ableitungen von Ortsnamen benutzt. Daß römische Truppen auch nach ihrer Verlegung den Namen ihres alten Standortes (bzw. der Landschaft) weiterführen, finden wir auch sonst, vgl. die cohors Batava, nach der Passau seinen Namen hat. Die gelegentlich, z.B. von Klinkenberg (1906, S. 135) erwogene Hypothese, der Ortsname Divitia könne umgekehrt aus dem Truppennamen der dort stationierten Divitienses gewonnen sein (‘retrograde Ableitung’), ist demgegenüber weniger wahrscheinlich. Eine Herleitung des Ortsnamens aus dem Keltischen wäre schwieriger; zwar hat auch das Keltische das idg. Adj. *deivos ‘göttlich’ bewahrt, aber die dazugehörende Ableitung mit Suffix -t- (*dƯvi-t-io- oder *dƝvi-t-io-) läßt sich im Keltischen nicht nachweisen. Wenn Cramer (1901, S. 29 und 54) wegen der späteren Benennung des Umlandes als Duizich-gau mit einer ursprünglichen Namensform *Divitiacum rechnet, so ist das nicht zwingend. Auch war es unzutreffend, wenn Divit(i)enses als Name eines gallischen Volksstammes aufgefaßt wurde. Und schließlich kennt die prähistorische Forschung bisher keinen Anhaltspunkt dafür, daß vor der Anlage des Römerlagers Divitis an dieser Stelle eine keltische Siedlung existiert hätte, vgl. Anthes (1917/1918, S. 94). Zutreffend ist die Beurteilung bei Kaufmann (1973, S. 108–110).

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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Bis heute lebt der alte Ortsname im Namen Deutz fort, das jetzt Stadtteil von Groß-Köln ist. Zu den mittelalterlichen Belegen (8. Jhd. Diutia civitas, a. 869/870 Diuza castrum usw.) vgl. die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter (1901) und Hirschfeld (1911). Weitere Literatur: Riese (1892).

Dewona

(Bd. 5, 1984)

§ 1. Namenkundliches. Der Ortsname in der Germania Magna ist nur bei Ptol. 2,11,14 belegt. (Die Handschriften bieten mehrere Varianten: neben =DsDC6 finden sich .DJDsDC6, .DsDG6, Tiviona.) Die von Holder (1896, Sp. 1275 f.) und Ihm (1903, Sp. 1241) vorgetragene Verknüpfung mit dem württembergischen Ortsnamen Dewangen beruht nur auf dem Anklang und ist wertlos. – Förster (1924, S. 8 und 21) hielt den Ortsnamen für keltisch und stellte ihn mit Namen aus Frankreich wie Divonne, Devon, Dheune und dem schottischen Namenselement -deen zusammen. Zugrunde liege das Adjektiv *dƝvos mask., *dƝvƗ fem. ‘göttlich’. – Vasmer (1929, S. 148) hat sich nur zum Suffix -on- geäußert; dazu erinnert er an die Ortsnamen -IG6DC, beide bei Ptol. 2,11,13. Die bisherigen Deutungen bleiben schon deshalb unverbindlich, weil nicht gewiß ist, welcher Sprache dieser Ortsnamen zugehört (schon die Lage des Ortes läßt sich nicht genauer bestimmen). Gegen eine Zuordnung des Ortsnamens zu einer westindogermanischen Sprache spricht aber nichts. Eine Zuweisung an das ‘Illyrische’ bezeichnet Krahe (1936b, S. 574) ausdrücklich als zweifelhaft. (Ohnedies ist ja der alte Ansatz eines weit verbreiteten ‘Illyrischen’ heute als irrig erkannt; jedoch ist weiterhin in Mittel- und Osteuropa mit westindogermanischen Sprachen zu rechnen, die allerdings für uns namenlos bleiben). Weitere Literatur: C. Müller (1883).

Drahonus

(Bd. 6, 1986)

Drahonus, heute ‘die Dhron’, ist der Name zweier vom Hunsrück kommender kleinerer Wasserläufe, die sich nördlich des Trittenheimer Waldes

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Beiträge zu Ortsnamen

vereinen und kurz darauf beim Orte Dhron nördlich von Neumagen rechts in die Mosel münden, vgl. Meßtischblatt 6107. (Der südlichere der beiden Bäche heißt heute Kleine Dhron oder Dhrönchen). Der Gewässername ist noch in der Flurbezeichnung Im Dhrönchen, im Namen des DhrontalStausees, sowie den Ortsnamen Dhronecken, Bischofsdhron und Gräfendhron verbaut. Die lateinische Form findet sich nur im Gedicht Mosella des D.M. Ausonius (Ende des 4. Jh.s n. Chr.). Dort lautet v. 365: praetereo exilem Lesuram tenuemque Drăhǀnum ‘Übergehen will ich die kleine Lesura und den schwachen Drahonus’. An handschriftlichen Varianten sind belegt: drabo3 num R , trachorum (b), draconum (Prete 1978); Scaliger wollte Drachonum konjizieren. (Der andere Flußname, Lesura, lautet heute Lieser.) Urkundliche Belege führen Gysseling (1960, I, S. 267) und Jungandreas (1962, S. 78 und 290 f.) u.a. auf: a. 752 Drona, a. 802 Troganus, a. 949 Drogana, a. 1052 Trogona, Anfang 13. Jhd. Drogene, a. 1383 Droynchen, a. 1386 Tronichen. Mit der bei Ausonius gegebenen Form stimmen diese Belege weder im Vokalismus der ersten beiden Silben noch beim Anlautkonsonanten der zweiten Silbe genügend überein; das warnt uns bezüglich der Zuverlässigkeit der in der Mosella belegten Namensform. Daß Ausonius diesen eher unbedeutenden Fluß nicht genauer gekannt hat, wird man schon daraus schließen, daß er ihn nur in der Form der praeteritio erwähnt. Vielleicht darf man deshalb annehmen, daß er bei der Verwendung des Flußnamens versehentlich die Vokale a und o vertauscht und – dem Vers zuliebe – die Mittelsilbe als lang gemessen hat. Jedenfalls empfiehlt sich hier, bei einem Deutungsversuch nicht die älteste Form, sondern die sich gegenseitig stützenden urkundlichen Belege zugrundezulegen. Diese lassen sich fast alle auf Drogana fem. zurückführen. (Mit Troganus ist aber auch einmal ein Maskulinum belegt, das zu dem in der Mosella passen würde). Die tektale Media g ist intervokalisch geschwunden, danach sind die Vokale zum Langvokal kontrahiert worden. Die bisherigen Etymologien sind demgegenüber meist von Drahonus ausgegangen; schon deshalb bleiben sie unverbindlich. Holder (1896, Sp. 1313 f.) notiert – leider ohne Stellenangabe –, Zeuß habe den Flußnamen für keltisch gehalten und als ‘der von Dornen umstandene’ gedeutet, d.h. Zeuß hat ir. draigen ‘Schlehdorn’, kymr. draen fem. ‘Dornengebüsch’ herangezogen. D’Arbois (1894, S. 155) ordnete den Flußnamen im Rahmen seiner – verfehlten – Gesamthypothese dem von ihm für Westeuropa behaupteten ‘ligurischen’ Substrat zu und verknüpft ihn mit idg. *drojo- ‘Lauf’. Letzteres übernehmen Pokorny (1940, S. 95), Krahe (1953, S. 42) und Weisgerber (1969). Aber ein v ist in den verschiedenen Schreibformen dieses Fluß-

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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namens nirgends belegt; nur eine Handschrift der Mosella hat drabonum. Diese Verknüpfung nimmt also zu wenig Rücksicht auf den überlieferten Lautbestand. Pokorny (1940, S. 95) bezeichnete den Flußnamen dann als ‘illyrisch’ – mit seiner bekannten geographischen Überdehnung dieses Völkernamens. Krahe hielt Drahonus wegen des a der ersten Silbe für ‘vorkeltisch’, in seinen Ältesten Flußnamen (1964a, S. 45) ordnete er ihn in die ‘alteuropäische Hydronymie’ ein. Ganz anders Christmann (1960): er erwägt – in Anlehnung an Müller (1906, S. 47) –, ihn mit lat. draco, draconis zu verknüpfen, was gewiß abzulehnen ist. Größere Wahrscheinlichkeit besitzt eine Verbindung mit idg. *dhregh- ‘laufen, sich drehen’ (Pokorny 1959–1969, S. 273), so auch A. Greule (1981, S. 57) fragend. Dann läßt sich der Flußname als festlandkeltisch auffassen, was ohnedies am nächsten liegt. Die Vertretung der indogermanischen mediae aspiratae durch mediae entspricht der keltischen Entwicklung, und eine kelt. Wurzel *dreg- bezeugen altir. droch neutr. ‘Rad’ < *drogon und kymr. troi ‘drehen, wälzen’. Im Vokalismus der Stammsilbe entsprächen Gewässernamen wie Rhodanus ‘Rhone’, a. 713 Sorna, jetzt Zorn im Elsaß, die vermutlich beide keltisch sind. Das n-haltige Suffix liegt u.a. noch vor in Adrana ‘die Eder’, Arguna ‘die Argen’, Fluß zum Bodensee, und Arona fem., Fluß zum Lago Maggiore, Namen, die teilweise keltisch, teilweise schon voreinzelsprachlich, aber indogermanisch sein mögen. Weitere Literatur: Bach (1954a); Ihm (1905); Kaufmann (1973, S. 215); Frings & Linke (1958).

Dubra

(Bd. 6, 1986)

Der Flußname wird meist – und zutreffend – seit Zeuß (1837, S. 14 Anm.) mit dem der Tauber (linker Nebenfluß des Mains in Bayern und BadenWürttemberg) gleichgesetzt. Diese Namensform Dubra bietet der älteste Zeuge (etwa 8. Jhd. nach Chr. Geb.), die Cosmographia des Geographus Ravennas, 4,24 (vgl. Schnetz 1940a). Sie steht dort in einer Reihe von Flußnamen, die in patria Francorum lokalisiert werden. Schmitt (1898, S. 205) sah in ihr eine Verschreibung für Bubra, was eine Variante des Flußnamens Wupper (rechts zum Rhein) sei. Doch haben dessen älteste Belege in der ersten Silbe den Vokal i, worauf schon Schnetz (1916, S. 67 Anm.) hinweist. Hinzu kommt, daß im Inlaut hier dann nicht b, sondern p zu erwarten wäre. Diese Konjektur ist also abzulehnen. Schnetz behält in seiner Ausgabe des Geographus Ravennas (1940) zu Recht die überlieferte Form

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Beiträge zu Ortsnamen

mit D- im Anlaut bei. Urkundlich bezeugt ist der Flußname Tauber dann zuerst als Vorderglied in der Bereichsbezeichnung Tubargevvi a. 800, Dubragaoe a. 807, Thubargeuue a. 889, deren Hinterglied das dt. Substantiv ‘Gau’ (*gawja) bildet. (Zu diesen Komposita vgl. von Polenz 1961, S. 64 ff.) Der Flußname allein ist urkundlich zuerst a. 1060 belegt: in tuberam fluuium (vgl. Sperber 1970, S. 172). Der Name ist keltischen Ursprungs, abgeleitet von *dubron neutr. ‘Wasser’ (vgl. Pokorny 1959–1969, S. 264), das im ehemals keltischen Bereich (England, Frankreich, Spanien, Italien usw.) als Grundwort von Flußund Ortsnamen auch sonst häufig vorkommt. (Vgl. Krahe 1949/50, darin S. 250 ff. „Der Typus *Dubro-, *DubrƗ“. Dort in der Anmerkung weitere Literatur.) Im Falle von Dubra ist der Name des Flusses (und der Flußgöttin, vgl. de Vries 1961b, S. 114 ff.) durch die Überführung ins Femininum geschaffen worden. (Auch die anderen keltischen Namen der kleineren Flüsse Süddeutschlands sind weiblich, z.B. Amper, Dreisam, Glan, Laaber.) Erklärungsbedürftig ist das lange u der ersten Silbe, wie es von dem späteren Diphthong au (ältester Beleg dafür a. 1333 an der Tauber) vorausgesetzt wird, während die anderen mit dubro- / dubrƗ- gebildeten Namen ein kurzes u fordern. Förster (1941, S. 409 f.) rechnet mit einer Ablautvariante. Weitere Literatur: Bach (1954a, S. 15. 46); Krahe (1964a, S. 89 f.).

Ebourodounon (]7Dȡn9DJCDC)

(Bd. 6, 1986)

§ 1. Namenkundliches. Der Ort der Germania Magna, nördlich von Carnuntum, ist gebucht bei Ptol. 2,11,15. Der gleiche keltische Name findet sich z.B. noch in den Cottischen Alpen (heutige Lautung Embruri) und im Waadtland (heute Yverdun / Ifferten), vgl. Holder (1896, Sp. 1398 ff.), der auch mehrere Formen mit Vorderglied ebro- bucht, bei denen der kurze Vokal der zweiten Silbe synkopiert ist. Er hält eb(u)ro- hier für einen Personennamen. Zutreffender ist wohl Bertoldis (1928b, S. 148) Vorschlag, den Ortsnamen als ‘Eibenburg’ zu übersetzen; zu gall. eburo- ‘Eibe’ vgl. Pokorny (1959–1969, S. 334). Baumnamen kommen als Vorderglieder auch sonst in keltischen Ortsnamen häufig vor. Aber auch die deutsche Toponymie kennt genau entsprechende Bildungen; so enthält der Name von Bad Iburg, Krs. Osnabrück, dieselben beiden semantischen Bestandteile wie Eburodunum und in der gleichen Reihenfolge.

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

Eburon

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(Bd. 6, 1986)

Ptol. 2,11,14 bucht g7DJGDC in einer Liste von Ortsnamen der Germania Magna. Die ältere Forschung, vgl. z.B. Holder (1896, S. 1400), hat erwogen, ihn bei Brünn (heute Brno, Mähren) zu lokalisieren und die beiden Namen sogar für identisch gehalten. (Aber ihre Ähnlichkeit im Konsonantengerüst ist rein zufällig; Brünn hat nach Schwarz 1961, S. 40 und 50, am ehesten eine slawische Etymologie.) Der Ortsname g7DJGDC dagegen gehört aller Wahrscheinlichkeit nach zu dem kelt. Subst. *eburo- ‘Eibe’, das als Vorderglied verschiedener festlandkeltischer Ortsnamen vorkommt. Da der Ortsname aber nur an dieser einen Stelle belegt ist, ist nicht mit letzter Sicherheit zu entscheiden, ob nur eine im Laufe der handschriftlichen Tradition eingetretene Verstümmelung oder eine sprachwirkliche Kurzform (und dann wohl aus ]7DJGD9DJCDC) vorliegt. Für letztere Lösung, mit der die Forschung weithin rechnet, sprechen Parallelen wie die Ortsnamen ]7DyG6 bei Strab. 3,140 C oder Ebura Cerealis bei Plin. nat. 3,10 usw. Weitere Literatur: Rasch (1950).

Elst

(Bd. 7, 1989)

§ 1. Namenkundliches. Die ältesten Belege dieses niederländischen Ortsnamens (Provinz Gelderland, zwischen Nijmegen und Arnheim) hat Gysseling (1960, S. 134) gebucht: a. 726 Heliste, a. 896 Elste, a. 911 Eliste, a. 1105 Eleste, a. 1178 Elst usw. In Heliste ist das H als rein graphisch aufzufassen, wie bei Her-munduri, Helvecones usw. Bis ins 12. Jahrhundert hinein weisen die Namensformen den Themavokal auf, dann wird er apokopiert. Vier Deutungen dieses Ortsnamens rivalisieren miteinander. Gysseling (1960, S. 134) setzt eine Vorform *alhistja- an, die er als eine Ableitung von germ. *alha- ‘Tempel’ (vgl. got. alhs, as. alah, ae. ealh) bestimmt. Dieser Vorschlag könnte deshalb als besonders einleuchtend erscheinen, weil bei dem Orte Elst ein Heiligtum der Batavi ausgegraben worden ist, so daß sich hier einmal die Befunde der Vorgeschichte und der Sprachforschung gegenseitig stützen würden. (Germ. *alha- als Grundwort von Ortsnamen läßt sich auch sonst belegen, vgl. Förstemann 1913–1916, S. 671 f., Bach 1954a, § 383 und Gamillscheg 1938). Aber zwei sprachliche Fakten machen diesen Vorschlag unwahrscheinlich:

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Beiträge zu Ortsnamen

1. Parallelen für das hier angesetzte Suffixkonglomerat -istja- gibt es nicht (die einfachere Variante -ista- läßt sich zwar in einigen wenigen Appellativen nachweisen sowie in sehr alten Flurnamen, vgl. Bach 1954a, § 236, aber nicht in Ortsnamen mit germanischem Grundwort). 2. In den althochdeutschen, westfränkischen und altenglischen Ortsnamen ist noch im 9. Jahrhundert das -h- bewahrt: Alhesfelt (heute Alsfeld in Hessen), Alahesbeim (heute Alsheim), Alahstat (heute Altenstädt bei Wolfhagen, westlich von Kassel, mit volksetymologischer Remotivierung), ferner a. 691 Nialcha (heute Neauphle-St. Martin), a. 751 Bodalcha (heute Bouafles), aber auch a. 1013 Alacfurdi, heute Alferde, Krs. Springe, Niedersachsen, ae. Alhfleot, Ealhfleot im 8. und 9. Jhd. Die zweite und wohl am nächsten liegende Deutung verknüpft den Ortsnamen mit der germ. Baumbezeichnung *alisǀ- fem., älter *aliz, *aluz‘Erle’ mit Suffixablaut (so schon Förstemann 1913–1916, S. 21 f. 246). An den s-Stamm wäre ein Dentalsuffix angetreten, so daß sich eine Grundbedeutung ‘mit Erlen bewachsen’ o.ä. ergebe. (Vgl. zu dieser Bildung z.B. den germ. Bachnamen Burdista ‘mit einem Steg [*burdiz-] versehen’ usw. Morphologisch vergleichbar sind auch die Bildungen wie lat. salictum ‘Weidengebüsch’, virgultum ‘Gesträuch’, wo ebenfalls an einen konsonantischen Stamm ein Suffix -to- angetreten ist.) Der Baumname ‘Erle’ tritt häufig in Ortsnamen auf, vgl. Bach (1954a, § 318). Bei den Ortsnamen Elsakker, Elsbeke, Elsene, Elsey, Elshove, Elsled, Elslo, Elsooie und vor allem bei den beiden mit dem hier behandelten Ortsnamen sekundär homonym gewordenen Ortsnamen Elst (Oudenaarde) und Elst (Leuven) rechnet auch Gysseling (1960, S. 313 f.) mit dem Baumnamen als Grundwort. Die nächsten beiden Deutungen gehen demgegenüber weit in vorgermanische Zeiten zurück. Krahe (1959, bes. S. 9 ff.) und nach ihm Meid (1967, S. 170) stellen den Ortsnamen zum Flußnamen Alst in Westfalen, der nach ihrer Meinung aus einem Stamm ala- und dem bekannten Suffix -st- bestehen soll, der Flußname gehöre zur sog. ‘alteuropäischen Hydronymie’. Dasselbe Grundwort ala- liege auch in den Flußnamen Aller (älter Alara), Alantia usw. vor. Eine vierte Deutung stammt von Kuhn (1972b, S. 125), der diesen Ortsnamen für seinen hypothetischen ‘Nordwestblock’ beansprucht und dabei auch mit einem Suffix -st- rechnet. Sein Hinweis auf den Ortsnamen Alusta an der südöstlichen Küste der Krim, heute Aluschta, vermag aber die Annahme vorgeschichtlichen Alters beim Ortsnamen Elst keinesfalls zu stützen. (Dieser zuerst im 6. Jhd. n. Chr. bei Prokopios, De aedificiis III 7,261 als ]ADsHIDJ ?GDsG>DC gebuchte Ortsname könnte vielmehr durchaus krimgotischen, also ebenfalls germanischen Ursprungs sein, vgl. Neumann

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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& Düwel 1985). Keltische Herkunft kommt für den Ortsnamen Elst kaum in Frage. Weitere Literatur: Bogaers (1955); Friedrich (1970).

Engern

(Bd. 7, 1989)

(Landschaftsname). Wie ‘Westfalen’ und ‘Ostfalen’ bildet Engern einen der Teile des alten Sachsenlandes. Es ist der mittlere. Hömberg (1963, S. 10) nimmt an, daß diese drei Namen nicht erst im 8. Jahrhundert entstanden seien, sondern schon bevor die Sachsen nach Süden weseraufwärts vordrangen. Im 8. Jahrhundert und später wurde das Gebiet Engern etwa von Teutoburger Wald, Solling, Weserbergland und Wiehengebirge begrenzt. (Das ist der Raum, den die moderne Geographie wegen seiner starken natürlichen Grenzen gern auch als ‘Weserfestung’ bezeichnet, vgl. Schrader 1970, Karte Nr. 128.) Innerhalb dieses Kernbereichs lag wahrscheinlich auch Markloh, der Ort der sächsischen Stammesversammlung; dazu vgl. Rothert (1962, S. 78 f.). Der Name Engern liegt in zahlreichen Varianten vor. In den mittelalterlichen Urkunden lautet er vor a. 890 in pago Angorion, vgl. Kötzschke (1978, S. 68), a. 978 in pago Angeron, a. 983/93 de Angarum, a. 997 in pago Angri, a. 997 in pago Angira, vgl. Bauermann (1968, Tabelle II „Urkundliche Belege für Engern 978–1126“). Davon geht die Form Angri vielleicht auf ein Neutrum der -ja-Stämme (mit kollektiver Bedeutung) zurück, vgl. die ahd. Ortsnamen Eihhi, Pohhi usw., die ursprünglich ‘Eichengehölz, Buchenhain’ usw. bedeutet haben. Angira könnte dazu eine latinisierte Variante (fem. Sing.) sein. Die Formen auf -(j)on und -um waren dagegen ursprünglich Dat. Plur. mit lokativischer Funktion, die erstarrt und als Nominative aufgefaßt worden sind, vgl. Paul (1958, § 118). Hier schließen nun die Formen Angorion und Angeron an, bei denen der unbetonte mittlere Vokal verdumpft ist. Im 11. Jhd. finden sich dann die schon Umlaut zeigenden Belege: a. 1027 in pago Engere, a. 1064 in pago Engeren, a. 1065 in pago Engereherescephe (herescephe, das Grundglied dieses Kompositums, ist zwar etymologisch ‘Heerschaft’, bedeutet hier nach Bauermann 1968 aber nicht mehr ein Kollektiv von Bewaffneten, sondern etwa ‘Stammesprovinz’ oder auch ‘Stamm’, anderseits aber noch a. 1079/89 regio Angria, ferner noch Angaria, Aengarica usw.; alle drei in der Endung latinisiert und noch ohne Notierung des Umlauts). Weitere Belege bei Förstemann (1913– 1916), der daneben auch Ortsnamen (Engar, Engern, Bodenengern) bucht.

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Beiträge zu Ortsnamen

Alle diese Formen sind mit von Polenz (1961, S. 201 und 204) wahrscheinlich Kontinuanten des (schon bei Tacitus, z.B. ann. 2,19, Germ. 33 und Ptol. 2,11,9 bezeugten) Stammesnamens Angrivarii ]<DJUG>D>. Dieser hat schon früh mehrere lautliche Veränderungen erlitten: im 5. Jhd. in den Not. dign. or. 5,59 lautet er Anglevarii (wohl mit Much 1914/15, S. 219 durch dissimilierenden Wandel von r zu l; aber alternative Deutungen von Anglevarii erwähnt von Polenz 1961, S. 202). Dann a. 775 in den Annales regni Francorum (MGH SS rer. Germ. 6, 1895, S. 42) und a. 797 im Capitulare Saxonicum (MGH Cap. I, Sect. 2, 1883, S. 71 Nr. 27) erscheint (als Variante neben Angarii) die Form Angrarii (mit lautgesetzlichem Verlust des w im Anlaut des unbetonten Kompositionsgliedes), und schon a. 772 beim Poeta Saxo I,55 (MGH Poet. Lat. 4,l, 1964, S. 8) und bei Widukind von Corvey I, cap. 14 (MGH SS rer. Germ. 60, S. 23) findet sich Angarii, bei dem dissimilatorischer Verlust des ersten r eingetreten ist. Der Völkername Angrivarii ist ein Rektionskompositum. Sein Vorderglied ist von angar ‘Ackerland, Wiese’ (as. und ahd.) abgeleitet, das auf westgerm. *angra- mask. zurückgeht und auch sonst häufig in norddeutschen Toponymen vorkommt, vgl. Bischoff (1940) und Holsten (1939). Hier liegt am ehesten das (auch durch den pagus Angri bezeugte) Kollektivum *angrja- vor. Wegen seiner etymologischen Zugehörigkeit zu idg. *ank- ‘biegen, Krümmung’ (Pokorny 1959–1969, S. 45 f.), hat *angrjavielleicht ursprünglich die (fruchtbaren) Landstreifen bezeichnet, die den Windungen eines Flußlaufs folgten. Diese Grundbedeutung könnte zur Zeit der Bildung des angelsächsischen Stammesnamens noch gegolten haben, da dieser vermutlich zunächst die Menschen bezeichnete, die auf beiden Ufern in den Weserauen siedelten. (Etwas anders rechnet Christiansen 1966, S. 89) mit der Bedeutung ‘enger Fjord, Bucht, Flußmündung’, die z.B. in den norwegischen Ortsnamen Hardanger, Stavanger und zahlreichen anderen vorliege, vgl. schon Rygh 1896 und Bauermann 1968. Aber diese semantische Nuance scheint spezifisch nordgermanisch zu sein.) Im Hinterglied enthält Angrivarii den Verbalstamm war- ‘hüten, bewahren, innehaben, bewohnen’, also ‘Bewohner der Flußauen’. (Am nächsten steht dann semantisch der Völkername Ripuarii, dessen Erstglied ripa- sich auf das Ufer des Rheins bezieht; ferner stehen dagegen Bildungen wie Baiovarii, da bei ihnen im Vorderglied ein Völkername vorliegt). Zu *warjoz vgl. noch Foerste (1969), der als dessen älteste Bedeutung ‘Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppe oder Körperschaft’ erschließen will. Anders übersetzt Gysseling (1960, S. 58) Angrivarii als ‘die am Fluß Angro wohnenden’. Dabei denkt er vermutlich an den bei D. Schmidt (1970, S. 3) gebuchten Anger-Bach, rechts zum Rhein, dessen älteste Belegform Angero lautet.

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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Weitere Literatur: Bremer (1904); Lintzel (1961a); Much (1911–1913f); Müllenhoff (1900, S. 423 f. 544 ff.); Zeuß (1837, S. 388 ff.).

Engilin

(Bd. 7, 1989)

Dieser Landschafts-Name ist zuerst belegt a. 772 (vgl. Stengel 1958, S. 97, 10) als Engili, dann a. 932 in der Ortsangabe in Triburi in pago Engilin, vgl. Dronke (1850, S. 314, Nr. 678). Daneben finden sich die Varianten Englehem sowie a. 802 Englide, vgl. Förstemann (1913–1916, S. 156). Der Gau Engilin lag im nördlichen Thüringer Becken zu beiden Seiten der mittleren und südlich der unteren Unstrut am Südabhang der Gebirgszüge Hainleite, Schmücke und Finne. (Triburi ist Trebra südostwärts Sondershausen). Dasselbe Namenselement engel- ist auch als Hinterglied in den zwischen Weimar und Sondershausen heute noch bestehenden Dorfnamen Feldengel, Holzengel, Kirchenengel, Westerengel verbaut, vgl. L. Schmidt (1938, S. 29). Alle diese Namen weisen auf den Völkernamen der germanischen Angeln zurück. Dieser hängt seinerseits zweifellos mit dem Namen der Landschaft Angeln zusammen, die im östlich von Schleswig zwischen der Flensburger Förde und der Schlei liegt. Schwarz (1951, S. 226) nennt sie die vermutliche ‘Kernlandschaft’ der Angeln. So wie nun bei Tac. Germ. 40 (in der Gruppe der Nerthusstämme) Anglii et Varini zusammen genannt werden, so heißt das a. 802/803 auf dem Aachener Reichstag niedergeschriebene Gesetz Lex Angliorum et Werinorum, hoc est Thuringorum. (Dem entspricht, daß in Thüringen der östlich an Engilin anschließende Gau Werinofeld heißt.) Diese mehrfache gemeinsame Erwähnung von Angeln und Warnen weist deutlich auf eng nachbarliche Beziehungen zwischen ihnen und gewiß auch auf einen Zusammenhang zwischen den Siedlungsräumen in Nord- und Mitteldeutschland und dann vermutlich auch auf eine Wandergemeinschaft. (Bemerkenswert ist ferner, daß beide Stammesnamen in einer Reihe gleichartig gebildeter Namenpaare auftauchen: mask. Werinhard und Engelhard, Werinfried und Engelfried, fem. Werindrud und Engildrud, Weringard und Engilgard usw.). Aber wie diese Verbindungen und die Wanderwege im einzelnen vorzustellen sind, darüber ist lebhaft gestritten worden, vgl. u.a. Schwarz (1951, S. 224 ff.). Schlesinger (1941, S. 20 f.), Much (1967, S. 445) und andere meinten, ein Teil der Angeln sei (gemeinsam mit den Warnen) auf geradem Wege nach Süden abgezogen, dagegen vertritt Wenskus (1977) die Auffassung, daß die Thüringer Angeln Rückwanderer aus Britannien seien.

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Beiträge zu Ortsnamen

Schröder (1933, S. 17) hatte seinerzeit behauptet, die Angeln Thüringens hätten mit denen in Schleswig nichts zu tun: „es handelt sich um einen der wenig charakteristischen, mehrfach wiederkehrenden Völkernamen“. (Ihm folgt Kuhn 1973b, S. 284 ff.). Doch hat diese, in extremer Form jeglichen Zusammenhang bestreitende Meinung die Wahrscheinlichkeit gegen sich. Die (umgelautete) Form Engilin ist als Dat. Plur. des Stammesnamens (in lokativischer Funktion: ‘bei den Angeln, im Gebiet der Angeln’) aufzufassen, die sekundär als Raumname im Nom. Sing. verwendet wurde. (Analog sind viele dt. Territorialbezeichnungen wie Sachsen, Schwaben, Schlesien usw. entstanden). Nun hat Wagner (1980a) gezeigt, daß bei Tacitus wahrscheinlich Anglii zu Angili zu emendieren ist und daß die Namensform Anglii der Lex Angliorum et Werinorum, hoc est Thuringorum sicher nicht dem lebendigen Sprachgebrauch ihrer Zeit entstammt, sondern gelehrter Anlehnung an die Tacitus-Überlieferung, d.h. an den Codex Hersfeldensis, der als einziger zur Verfügung stand. So entspricht die Lautgestalt von Engilin dem erschlossenen *Angili des Tacitus, dem ]<<:¾AD> des Ptolemaios und ]<<¼AD> des Prokopios genau, vgl. Schönfeld (1911, S. 21). (Die Akzentangaben der griechischen Handschriften – Akut auf der letzten oder vorletzten Silbe – sind ohne Wert. Offen bleibt, ob letztlich ein -i- oder ein -ja-Stamm vorgelegen hat.) Die jüngere Form Englehem ist ein Determinativ-Kompositum mit -hƝm ‘Heim, Wohnstatt’. Im Vorderglied weist es eine junge Synkope auf. Das Element -hƝm (= -heim) ist hier wohl mit von Polenz (1961, S. 163 Anm. 2) durch eine analogische Umdeutung von -em < -in entstanden. Für den Einzelbeleg Englide mit dem abweichenden Suffix -ide könnte mit von Polenz (1961, S. 130) der Schreiber der betreffenden Urkunde verantwortlich sein, der sich von Ortsnamen wie Collide (Kölleda) habe beeinflussen lassen, welche im nahen Kontext vorkamen. Weitere Literatur: Heßler (1957, S. 121; mit einer Karte der mitteldeutschen Gaue); Patze & Schlesinger (1968); Schwarz (1953a); Wagner (1981a); Wenskus (1967, S. 520 ff.); Wenskus (1973, S. 290 ff.).

Eridanos

(Bd. 7, 1989)

Der Name ]"G>96Cn0 erscheint in der altgriechischen Literatur zuerst in Hesiods Theogonia v. 338 (um 700 v. Chr.). Dort steht er in einer langen Liste von Flüssen („Söhnen des Okeanos und der Tethys“), die vielleicht aus noch älterer geographischer Merkdichtung (in Hexametern) stammt und mit ihm als einem real existierenden großen Wasserlauf rechnet. Eine ge-

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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naue geographische Festlegung erlaubt diese Liste nicht; Gisinger (1929) zeigt aber, daß in ihr jeder der vier Haupthimmelsrichtungen ein Fluß zugeordnet ist; der Eridanos repräsentiere den fernen Westen (wie der Nil den Süden, der Istros den Norden, der Phasis den Osten). West (1966) vermutet, daß Eridanos in einem verlorenen hesiodeischen Gedicht (entweder im Katalogos oder der Astronomia) ausführlicher erwähnt war, am ehesten im Zusammenhang mit der Phaethon-Sage, vgl. Hesiod frg. 311 MerkelbachWest. Spätere Erwähnungen des Eridanos bei griechischen Autoren zeigen dann mehrere, weit voneinander abweichende Lokalisierungen; sichere Kenntnisse – sollten sie je in Griechenland vorhanden gewesen sein – gibt es schon im 5. Jahrhundert v. Chr. nicht mehr. Aischylos, der in seiner Tragödie h"A>U9:0 die Sage vom Absturz Phaethons in den Eridanos erzählt, erwähnt dabei, daß seine Schwestern ihn an dessen Ufern beweinen; sie selbst werden in Schwarzpappeln verwandelt, ihre Tränen gerinnen zu Bernstein (vgl. frg. 73 Nauck = frg. 107 Mette = frg. 73a Tragicorum Graecorum Fragmenta, 1985, Bd. 3 = Plin. nat. 37,31 f.). (Dieser Zug der Sage weist darauf hin, daß man schon früh den pflanzlichen Ursprung des Bernsteins erkannt hatte.) Den Eridanos lokalisiert Aischylos anscheinend in Iberien. Pherekydes (F Gr Hist 3 F 74) identifiziert den Eridanos mit dem Padus (Po). (Dabei mag der Name Eretainos, eines Zuflusses des Po bei Vicenza, eine Rolle gespielt haben.) Seit Euripides, Hippolytos 737 (ed. Barrett, mit Kommentar) wird daher von nun an in poetischer Diktion gern Eridanos für Padus gesagt, auch im Lateinischen. Choirilos (Tragicorum Graecorum Fragmenta 2 F 4) hat ihn angeblich in Germanien lokalisiert, wobei offen bleibt, was da unter Germanien zu verstehen ist. Bei Ovid, Metamorph. 2,323 (vgl. den Kommentar von F. Bömer), der auch die Phaethon-Sage erzählt, heißt der Eridanos maximus; zu beachten ist, daß Ovid da (2,258) Rhein, Rhone und Po als eigene, d.h. nicht mit Eridanos identische Flüsse erwähnt. In den Argonautica des Apollonios Rhodios 4.611 ff. gelangt Iason auf der Rückkehr von Kolchis vom Schwarzen Meer in den Eridanos und durch ihn weiter flußaufwärts in die Rhone. Da sind wohl in dichterischer Freiheit mehrere Lokalisierungsvorschläge kombiniert; ein Bezug zur realen Geographie läßt sich daher nicht herstellen. Ganz abwegig versetzt Ktesias ([F Gr Hist 688 F 65] im Scholion Bernense zu Vergil, Georg. 1,482) den Eridanos nach Indien. Im selben Scholion heißt es weiter: ubi enim Eridanus sit, multi haerent (‘sind unsicher’). Noch kritischer äußert sich schon im 5. Jahrhundert Herodot 3,115:

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Beiträge zu Ortsnamen

Von den äußersten Ländern in Europa gegen Westen zu kann ich nichts Gewisses sagen. Denn ich glaube nicht an die Existenz des Eridanos, wie die Barbaren einen Fluß bezeichnen sollen, der sich ins Nordmeer ergieße und aus dem angeblich der Bernstein kommt [...] Schon der Name Eridanos erweist sich als hellenisch und nicht barbarisch und als Erfindung eines Dichters.

Herodot wendet sich hier vielleicht gegen ältere Dichtung, etwa die von West (1966) angenommene Behandlung in einem heute verlorenen Werk Hesiods, oder auch gegen die älteren ionischen Geographen, die deren Angaben vermutlich übernahmen. (Aber gewiß geht Herodot zu weit, wenn er den Namen Eridanos als bloße poetische Erfindung einstuft.) Auch Strabon 5.215 C erklärt den Fluß – in Anlehnung an Herodot – spöttisch für nicht existent (IqC ]"G>96CnC, IqC B=96BDy
Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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sentlichen über See ins Mittelmeer transportiert worden. Andere Versuche stützen sich auf vage (und wertlose) Anklänge von Namen, wie den der Eider (Schleswig-Holstein) oder der Radaune, eines in die Mottlau mündenden Flüßchens in Pommerellen (Pomorze, Westpreußen). Auch die von West (1966) notierten Anklänge an die Flußnamen ]E>96Cn0 in Thessalien und der Troas, ]#UG96CD0 in Elis, Triphylien, auf Kreta, in Lydien und sonst sind eher für die Namensanalyse des kleinen attischen Flusses unmittelbar bedeutsam als für den großen Fluß im fernen Westen. (Sie mögen aber Herodot veranlaßt haben, den Namen Eridanos für griechisch zu halten. Zu diesem Namen vgl. Georgiev 1958, S. 7 f.). Wenn der Po mit dem Eridanos identifiziert wurde, so erklärt die moderne Forschung das meist damit, daß seine Mündung nahe den wichtigen Umschlagplätzen des Bernsteinhandels an der oberen Adria lag. Bemerkenswert bleibt weiterhin die Ähnlichkeit des Namens Eridanos mit dem der Rhone (h,n96CD0); doch darf man daraus nicht einfach auf ursprüngliche Identität der beiden Namen schließen, wie das Kretschmer (1937a) und Pokorny (1938b) wollten. Kretschmer nahm an, der Name h,n96CD0 sei durch Angleichung an den attischen Flußnamen entstellt worden. Pokorny hielt Eridanos für gräzisiert aus einem ‘ligurischen’ Namen. Krahe (1954b) hat den Namen Rhodanus wegen seines Suffixes -anozu Flussnamen wie Adranos, ferner fem. Amana (heute Ohm, zur Lahn), *Aurana (heute Ohm, zum Kocher), Adrema (heute Eder, zur Fulda) gestellt, d.h. in seine ‘alteuropäische Hydronymie’ einbezogen. Das könnte dann für den Eridanos genauso gelten. Für eine genauere räumliche Festlegung ist damit zwar nichts gewonnen, da diese ‘alteuropäische Hydronymie’ weite Gebiete Europas – einschließlich Frankreichs, Deutschlands bis weit in den Osten – umfaßt; doch führt diese Zuordnung auf indogermanischen Ursprung des Flußnamens. Als Wortstamm von ]"G>96Cn0 sah Pokorny (1938b) die idg. Wurzel *ered- ‘fließen’ an. Das stimmt zu der Beobachtung, daß die ältesten Flußnamen oft nur ‘der Fließende’ u.ä. bedeuten, vgl. etwa Rhenus. Für die etymologische Analyse ist dabei zu bedenken, daß die Länge des Vokals der 1. Silbe von ]"G>96Cn0 auf ‘metrische Dehnung’ zum Zwecke der Einpassung in die Daktylenfolge des Hexameters zurückzuführen sein kann, vgl. homerisch cC:Bn:>0 neben XC:BD0 usw. Und schließlich kann das Jota der 2. Silbe vielleicht durch volksetymologische Verbindung mit dem oben erwähnten zwar gleichklingenden, aber wahrscheinlich unverwandten attischen Flußnamen verursacht worden sein, wie das ähnlich schon Kretschmer (1937a) vermutet hatte. Als ältere Form für den Namen des großen Eridanos wäre dann etwa *ardano- zu vermuten. Beide Flußnamen, sowohl h,n96CD0 wie ]"G>96Cn0, ließen sich demnach letztlich auf die gleiche

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Beiträge zu Ortsnamen

indogermanische Wurzel zurückführen, die aber jeweils in einer anderen Ablautstufe vorläge. (Beim Namen des attischen Flüßchens rechnet W.P. Schmid 1983 mit einem Hinterglied *dăno- ‘Fluß’. Denkbar bleibt aber als Alternative, daß ein Suffix -96C- vorliegt wie im Adj. r><:96Cn0 usw. In beiden Fällen wäre der Flußname echt griechisch.) Weitere Literatur: Capovilla (1955); Hennig (1944).

Fabaria

(Bd. 8, 1994)

Nach Plin. nat. 4,97, heißt die bedeutendste (nobilissima) Insel vor der Nordseeküste Germaniens Burcana (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), die Römer aber hätten sie Fabaria genannt a frugis multitudine sponte provenientis. Etwas anders bezeichnet er dann in nat. 18,121 eine ganze Gruppe von Inseln im septentrionalis oceanus als Fabariae. Formal ist Fabaria ein substantiviertes Adjektiv, sein Genus erklärt sich durch mitgedachtes insula. Den Stamm bildet lat. faba ‘Bohne’. Zu solchen Ortsbezeichnungen mit dem Suffix -ario- vgl. lat. arenaria ‘Sandgrube’, calvaria ‘Schädelstätte’, equaria ‘Gestüt’ usw., vor allem aber die Inselnamen Palmaria (südlich von Circei im Tyrrhenischen Meer; zu palma ‘Palme’), Plumbaria (südwestlich von Sardinien; zu plumbum ‘Blei’), Pullaria (nordwestlich von Pola in Istrien; zu pullus ‘Huhn’), Capraria (nordöstlich Corsica; zu capra ‘Ziege’) usw. Auch Glaesaria, der bei Plin. nat. 4,97 aufgeführte zweite lateinische Name von Burcana, gehört zu diesem Bildungstyp; sein Grundwort ist glaesum ‘Bernstein’. Das Toponym Fabaria besagt, daß sich auf der Insel eine Gemüse- oder Futterpflanze in großer Menge findet. Mehrere Botaniker (De Candolle, Buchenau u.a.) haben an Pisum maritimum (heutige Benennung Lathyrus maritimus oder ‘Strandplatterbse’) gedacht (vgl. Hoops 1905, S. 465). Doch ist es nach Behre (briefliche Auskunft) unwahrscheinlich, daß diese reine Sanddünenart namengebend gewesen ist, zumal man nicht einmal wisse, ob sie früher auf den ostfriesischen Inseln vorgekommen ist. Vielmehr sei, wie schon Detlefsen (1904, S. 41) vorgeschlagen hatte, an Vicia faba, die Acker-, Pferde- oder Saubohne zu denken, die zur Römischen Kaiserzeit die wichtigste Kulturpflanze im Nordsee-Küstengebiet war. (Die adverbiale Bestimmung sponte bei Plin. nat. 4,97 besagt zwar, daß die Pflanze ‘von sich aus’, d.h. ohne menschliche Nachhilfe, als Wildpflanze

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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wachse; demgegenüber betont Behre [briefliche Auskunft] ausdrücklich, daß es wildwachsende Bohnen bei uns weder früher gegeben habe noch jetzt gebe.) Bei Ausgrabungen von Wurten ist sie massenhaft gefunden worden. An der Küste dient sie noch heute als Futterpflanze. Detlefsen (1904, S. 42) hält Fabaria für eine Übersetzung von germ. Baunonia, rechnet also mit einer Identität der beiden bei Plinius an verschiedenen Stellen genannten Inseln; dagegen aber Wenskus 1981, S. 113. Weitere Literatur: Bertsch (1947); Hennig (1936); Müllenhoff (1870, S. 483 f.); Schrader & Nehring (1917–1929, S. 159).

Falen

(Bd. 8, 1994)

Die ältesten Belege für die Komposita Ost- und Westfalen stammen aus den fränkischen Reichsannalen (Annales Mettenses priores) für das Jahr 775 n. Chr. Geb.: 63,6: una pars Saxonum, quae dicitur Hostfali (mit irrationalem H) und 64,4 f.: tertia pars Saxonum, qui dicuntur Westfali. Im Capitulare Saxonicum a. 797 (Capitularia Regum Francorum, S. 71) heißt es: congregatis Saxonibus de diversis pagis, tam de Westfalahis et Angariis quam et de Oostfalahis. In der Lex Saxonum (Leges Saxonum et lex Thuringorum) a. 803 finden sich Schwankungen in der Stammbildung: neben Ostfalai (Nom. Plur.) S. 29,18 und Westfalaos (Akk. Plur.) S. 30,5 treten die Formen Ostfalos S. 30, 5 und Westfalos S. 30,3 (beide Akk. Plur.) auf; da setzen die Formen Ostfalai, Westfalaos noch den genetisch älteren Wortstamm -falaha- voraus, dagegen weisen Ostfalos und Westfalos – wie schon die Formen der Metzer Annalen – auf eine jüngere Stammform -falo- (mit Schwund des h). Aubin (1955, S. 14) zeigt, daß bei den Germanen solche Unterscheidungen mit Hilfe von Bestimmungswörtern, die die Himmelsrichtung anzeigen, erst nach dem Ende der Völkerwanderungszeit aufkommen; dazu verweist er u.a. auf die in England vom 6. Jahrhundert an auftretenden Bildungen Wessex, Essex, Sussex und Middlesex. Auf etwa die gleiche Zeit kommt Hömberg (1963, S. 10) aufgrund eines anderen Arguments; er betont, die komponierten Namen Ost- und Westfalen seien nicht erst im 8. Jahrhundert entstanden, „sondern schon in jener Epoche, in der die Sachsen auf ihrem Siegeszuge südwärts vordrangen“. Primär seien sie die Namen von ‘Heerschaften’, von Abteilungen des sächsischen Aufgebots gewesen. Dabei liegt vermutlich in Westfalen die ältere Prägung vor, Ostfalen ist als Gegensatzbildung dazu geschaffen. (Neben ihr stehen zunächst noch Austreleudi, Austrasii.)

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Beiträge zu Ortsnamen

Von der Zeit Ottos I. an gibt es dann Belege für einen pagus Westfala bzw. Westfalon (ab a. 955), vgl. Beuermann (1947, S. 64 f.). Erst seit dem 10. Jahrhundert bezeugt ist der Gauname Falhon (ältester Beleg bei P. Wigand 1843, § 259: in ducatu F. Weitere spätere Vorkommen bucht Förstemann 1913–1916, Sp. 840). Die Entstehung dieses Raumnamens, der wohl in den Bereich Hildesheim gehört, läßt sich nicht genau datieren. Formal ist er ein Simplex im Dat. Plur. (mit lokativischer Bedeutung); er weist daher wahrscheinlich auf einen (sonst nicht belegten) Völkernamen as. *Falhos, ahd. *Falha, germ. *Fa-l(a)hǀz (Nom. Plur.) zurück, vgl. die Bildungen in Vrankon (Ludwigslied), ze Sahsen usw. Dieser wäre dann ein a-Stamm wie die ags. Völkernamen Húgas, Húnas, Geatas usw. Unsicher bleibt, ob der bei Piel & Kremer (1976, § 84) gebuchte Personenname m. Falamirus ebenfalls den Völkernamen enthält, wie etwa Wandalmar, Gotmar usw. Für *Fal(a)hǀz hat man mehrere etymologische Deutungen vorgeschlagen; drei davon sind gleichermaßen annehmbar: 1. Die Verknüpfung mit ags. fealg ‘gepflügtes Land, Brachland’, das (mit Berücksichtigung des Vernerschen Gesetzes) zu idg. *pelk- ‘wenden, drehen’ (Pokorny 1959–1969, S. 807) gehört; so schon Bremer (1904, S. 158). 2. Die Verknüpfung mit der idg. Wurzel *plek-, *plok- ‘breit, flach’ (Pokorny 1959–1969, S. 831 f.), die in vielen Ablautvarianten auftritt. Zu ihr gehören: a. germ. *flǀhǀ ‘ebene Fläche o.ä.’, das sich aus anord. fló ‘Lage, Schicht’, ae. flǀh ‘Steinstück, Steinbrocken, Steinstück’ (Bedeutungsansätze nach H. Schabram brieflich), ahd. fluoh ‘Klippe, Felsen’ erschließen läßt, und b. germ. *flahi-, auf das anord. flá ‘Felsabsatz, Tal im Hochgebirge, das nur wenig abschüssig ist’ usw. zurückgeht. Bei der lautlichen Entwicklung von *flah- zu falh- wäre zunächst das Eintreten eines Sproßvokals in der Anfangskonsonanz und dann Synkope des Vokals der 2. Silbe anzunehmen. (Eine Parallele für diesen doppelten Vorgang böte der lat. Gentilname der Flavi(i), der in ahd. Glossen mehrfach in der Lautung Falwǀn auftritt). – Beide Deutungen führen auf Grundwörter zurück, die Gegebenheiten im Gelände bezeichnen. 3. Auch die von Much (1896) und Loewenthal (1927b, S. 59) vertretene Verknüpfung mit dem idg. *polko- Adj. ‘fahl, grau’ (Pokorny 1959–1969, S. 804 f.), germ. *falha- (ahd. falofahs ‘gelbhaarig’, falofaro ‘grau’, faloloc ‘mit flachsfarbenem Haar’. Zum Schwund des h vgl. Braune & Eggers 1975, § 154) erscheint als möglich. Kaum akzeptabel ist es aber, wenn Much (1896, S. 297) in diesem Zusammenhang einen nicht belegten Vogelnamen *falh-, d.h. eine Parallelbildung zu ahd. falco ‘Falke’ (mit anderem Tektal), rekonstruieren möchte.

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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Mehrere andere Vorschläge sind abzulehnen. Semantisch schwierig ist der Vorschlag J. Grimms (1848, S. 438; 1868, S. 630), den Völkernamen mit got. filhan ‘begraben, verbergen’, nhd. folgen usw. zu verknüpfen; Trier (1947, S. 27) greift das auf und will den Völkernamen auf ‘Hegung des Things’ beziehen, was ebenfalls nicht überzeugen kann. Gegen den Versuch Kuhns (1975b), einen westidg. Lautwandel w > f anzusetzen und so den ahd. Völkernamen *Falha mit dem kelt. Stammesnamen Volcae zu verbinden, erheben sich schon Einwände phonetischer Art (Kuhns vermeintliche Beispiele für diesen Lautwandel halten nicht stand: zu der von ihm wiederaufgegriffenen, in den Anfängen der Sprachvergleichung im 19. Jahrhundert einmal erwogenen Verknüpfung von lat. vulgus und germ. *fulka- ‘Volk’ sagen schon Walde & Hofmann 1938–1956, II, S. 827, daß diese beiden Wörter „heute nicht mehr vergleichbar“ seien. Ernout & Meillet 1951 führen diesen überholten Vorschlag nicht einmal mehr auf. Sowohl für vulgus wie für germ. *fulka sind inzwischen lautlich und semantisch bessere Anknüpfungen gefunden worden). Auch mit dem Vogelnamen Falke hat unser Völkername aus lautlichen Gründen nichts zu tun. Weitere Literatur: Aubin (1965).

Flevum

(Bd. 9, 1995)

Der nördlichste, sehr breite Rheinarm im Mündungsgebiet heißt Plin. nat. 4,101 Flevum ostium, entsprechend bei Ptol. 2,11,27 A=DsB, was wohl zu A=DJ[D]B oder ähnlich zu verbessern ist. Dabei hat Ptolemaios, wie das auslautende My beweist, eine lateinische Quelle benutzt. Sein Eta ist daher bloße Umsetzung eines lat. e und sagt nichts über die Quantität des Vokals aus. Die am Flevum angelegte römische Grenzbefestigung erwähnt Tac. ann. 4,72; 11,8 und hist. 4,15 als castellum Flevum. P. Mela, De chorographia 3,2,24 bietet die Namensform Flevo (nur im Nom. Sing. belegt). Sie ist am ehesten als vulgärlateinisch aufzufassen (mit der bekannten Entwicklung von -us bzw. -um zu -o), bildet also kein Zeugnis für einen -n-Stamm. Mela (ebd.) bezeichnet das Gewässer als iam non amnis, sed ingens lacus und erwähnt, daß der Flevo (bei ihm maskulin) eine Insel gleichen Namens umschließe (eiusdem nominis insulam amplexus). Frühmittelalterliche Belege gibt Gysseling (1960, s.v. Vlie). Die moderne Benennung Flevo-Land für die künstlich auf dem Meeresboden der Zuidersee geschaffene Insel sowie der Ortsname Flevostad knüpfen historisierend an den alten Namen an.

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Beiträge zu Ortsnamen

Das Genus neutr. ist in den afries. Namensformen thet FlƯ (Lex Frisionum) bzw. FlƝ (Fontes Egmundenses) und bis heute (in ndl. het Vlie) bewahrt worden. (Da Flußnamen normalerweise geschlechtig sind, ist *flewawohl zunächst ein Adjektiv gewesen – wobei watar ‘Wasser’ hinzuzudenken war.) Der Name hat eine einwandfreie germanische Etymologie und bedeutet einfach ‘das flutende, strömende (Gewässer)’. In seiner Stammsilbe liegt mit Schönfeld (1955, S. 68 ff.) altes Ɵ vor, d.h. die nicht-abgetönte Vollstufe der idg. Wurzel *plej- (Pokorny 1959–1969, S. 935 f.). Zu diesem Ablauttyp innerhalb der ǀ-Deklination vgl. got. rign ‘Regen’, as. wec ‘Weg’ usw: Den gleichen Namen, aber fem., haben auch Rheinarme bei Düsseldorf und Kaiserswerth getragen, vgl. Bach (1954a, § 456.1). Weitere Literatur: Hettema (1951); Ihm (1909b); Müllenhoff (1906, S. 226); Witt (1912).

Kalisia

(Bd. 16, 2000)

Den Ortsnamen %6A>H¼6 bucht Ptolemaeus für den Südosten der Germania Magna. Wegen seines (an mehreren Stellen Europas nachweisbaren) Suffixkonglomerats wird der Ortsname für indogermanisch, aber nichtgermanisch gehalten. Schon Krahe (1938) stellt die ähnlich gebauten Ortsnamen Brundisium, Tarvisium, Ulcisia castra, das aus dem Personennamen Artisiams erschließbare *Artisium sowie Canusium und Asisium zusammen. Deren Stammwort ist mehrfach eine Tierbezeichnung: *brendo‘Elch, Hirsch’, *ulco- ‘Wolf’, *tarvo- ‘Stier’, *arto- ‘Bär’, *canu- ‘Hund’. Doch auch fem. Flußnamen wie Amisia, *Karisia, Varisia weisen das gleiche Suffix auf, vgl. Krahe (1964a, S. 64). In der älteren Literatur, z.B. bei Pokorny (1936a, S. 319) und Schütte (1916, S. 34), wird %6A>H¼6 öfter mit Kalisch (a. 1108 Kalis; siehe den Artikel Kalisch im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) identifiziert. Doch trifft das kaum zu, der polnische Ortsname ist gewiß wesentlich jünger als das 2. Jahrhundert n. Chr. Mit Udolph (1979, S. 177 ff.) liegt in ihm vermutlich slaw. *kalɴ- ‘Schmutz, feuchte Stelle’ vor; weitere anklingende westslawische Ortsnamen sind Callies in der Neumark, Kalisz im Kr. Berent usw.

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Karrodounon

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(Bd. 16, 2000)

Den Ortsnamen %6GGn9DJCDC bucht Ptolemaeus an vier Stellen seiner Geographia: 11,11,29 (in Germanien); 11,12,4 (in Vindelicium); 11,14,4 (in Pannonien) und 111,5,30 (in Sarmatien). In 11,12,4 bevorzugt Th. Hopfner (1918, S. 235 f.) die Variante %6GCD9DJC>DC, wobei er deren Erstglied mit kelt. *karno- ‘Horn’ (auch ‘Hügel’) verknüpfen möchte. In %6GGn9DJCDC liegt ein gallisches Determinativkompositum vor aus carrus ‘vierrädriger Wagen’ (das lautlich genau lat. currus entspricht) und dounon, das ursprünglich ‘Zaun’, dann ‘gefestigter Platz’ und schließlich ‘Stadt’ bedeutet, vgl. (Holder 1896, Sp. 1375 ff; Bach 1954a). Die Grundbedeutung des Ortsnamens ist ‘Wagenburg’. Eine solche ursprünglich behelfsmäßige Verteidigungsanlage hat wohl mehrfach den Keim einer festen Siedlung gebildet. – Vegetius (Veg. mil. 3,10) verwendet (das ins Lateinische entlehnte) carrus bei ihrer Charakterisierung: omnes barbari carris suis in orbem connexis ad similitudinem castrorum securas a superventibus exigunt noctes ... ‘Alle Barbaren verbringen die Nächte sicher vor Überfällen, dadurch daß sie ihre Wagen zu einem Kreis zusammengefahren und so eine Art Lager gebildet haben ...’. Zur germanischen Wagenburg vgl. Delbrück (1921, S. 291). Die Verknüpfungen von %6GGn9DJCDC in Vindelicium mit dem heutigen Ortsnamen Karnberg bei Wasserburg oder die in Ptol. 111,5,30 mit Zarnowice in Polen beruhen allein auf dem Anklang der ersten Silbe und bleiben unsicher. – Die ältere These, im Erstglied des Ortsnamens liege der Name des gallischen Gottes Mars Carrus vor, ist wenig wahrscheinlich. Dieser ist ein bloßer Lokalgott, sein Name gehört nach Meid (1991, S. 39 f. Anm. 9) zu dem Alpenwort carr- ‘Stein’. Das Subst. duno- erscheint in vielen keltischen Ortsnamen, z.B. Lugudunum in Frankreich > Lyon, in den Niederlanden > Leyden, Cambo-dunum > Kempten, Lopo-dunum > Ladenburg, Novio-dunum usw., vgl. Bach (1954a, § 434). Weitere Literatur: Evans (1967, S. 3 Anm. 2).

Römische Ortsnamen

(Bd. 25, 2003)

Grundsätzliches. Die römische Verwaltung hat ihre Truppen-Lager, aber auch zivile Siedlungen sowie wichtige Punkte des Terrains überall in

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Beiträge zu Ortsnamen

den besetzten Gebieten auf Latein benannt – oder einheimische Bezeichnungen übernommen (s. dazu Cramer 1901; Cüppers & Rüger et al. 1985; Dolch & Greule 1991; Elsenbart & Greule 1983; Greule 1995; Jungandreas 1962; Stillwell 1976; Weber 1976). In den Provinzen gründete sie Siedlungen verschiedenen Typs: Städte (municipia bzw. coloniae), ferner vici, d.h. kleinere Ansiedlungen (siehe den Artikel Vicus im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), oder villae rusticae, d.h. Gutshöfe. Aus römischen Militärlagern und deren Vorstädten (canabae) sind mehrfach vici entstanden. Für solche Lager finden sich z.B. die Namen Legio (in Israel, heute elLajjun; der offizielle Name war Campus Maximus Legionis), Legio > Leon (Spanien), Praesidium (Jordanien und Spanien), Praetorium (Rumänien), Castra in Chichester, Lancaster, Manchester, Worcester (Großbritannien), Kesteren (Niederlande). Relaisstationen (mit Pferdewechsel) Mutatione(m) > Muttenz (Basel Land, Schweiz). Zivilen Zwecken diente die curia ‘Versammlungsgebäude (auch nicht-römische Behörden)’ > Chur (Schweiz). Kultstätten u.ä.: Fano Martis, vielleicht auch Verecunda ‘Veteranensiedlung’, heute Markouna (Algerien). Oder ein Platz wird nach einer Besonderheit des Geländes benannt, so Intercisa ‘Einschnitt’ (heute Dunajváros, Ungarn), Aquae z.B. in Aix-la Chapelle (Frankreich) u.ö., Frigidae (aquae) ‘kalte Wasserläufe’ (Marokko). Ebenso sind im gesamten Imperium die formalen Bildungstypen recht gleichartig. Sehr häufig findet sich der Typ ‘Ad + Substantiv’, so in Ad pirum, Ad salices, ferner Ad Mediam (heute Mehadia, Rumänien), Ad lunam, Ad flexum, wohl Biegung eines Flusses (heute Magyaróvar), Ad vicum, Ad basilicam, Ad bivium, Ad cisternas, Ad fines > Pfyn. Auch andere präpositionale Verbindungen erscheinen als Ortsbezeichnungen, z.B. Inter lacus > Interlaken (Schweiz), Sub radice ‘Am Fuß des Berges’ Ab aquis (heute Baden-Baden) usw. Stadtgründungen erhalten einen offiziellen, mehrteiligen Namen, z.B. Municipium Flavium Muniguensium > Munigua (Südspanien), aber auch Forum Iulii > Fréjus, Divodurum Mediomatricorum > *Metz (Frankreich). Die adjektivischen Attribute Augusta, Claudius, Flavius, Ulpius, Traiana nennen den Herrscher oder die Dynastie, zu deren Zeit der betreffende Platz angelegt wurde. Constantia > Konstanz (Bodensee) ist nach dem Kaiser Constantius Chlorus benannt, der Name gehört aber zugleich als feminine Abstraktbildung zu den mehrfach nachweisbaren Wunschnamen. Dieselben Benennungsmotive und Bildungstypen finden sich in den germanischen Provinzen und der Belgica. Nur ein Bruchteil der einst vorhandenen lateinischen Ortsnamen ist durch literarische oder inschriftliche Zeugnisse belegt, doch nehmen die epigraphischen dank den Gra-

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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bungen stetig zu. Dabei erscheinen die Namen oft nicht in hochsprachlicher Form, sondern weisen vulgärlateinische oder provinzial-lateinische Züge auf: Schwund des n vor s und f in Isula < insula, o > u in *Munte ‘Berg’, *Punte ‘Brücke’, Eintreten des casus obliquus statt des Nominativs, Synkopen kurzer Vokale usw. Wenn die Römer vorhandene einheimische Namen übernahmen, haben sie sie meist in die lateinische o-Deklination (seltener in die a-Deklination) überführt. Das gilt überwiegend für keltisch Antennacum, heute Andernach, Bonna, heute Bonn, Borbetomagus, heute Worms, Durnomagus, heute Dormagen, %6B7D9DJCDC, heute Kempten, Lopodunum, heute Ladenburg (bei Mannheim), Novaesium, heute Neuss, Noviomagus, heute *Nijmegen (Niederlande) und Neumagen (Mosel), Rigomagus, heute Remagen, .6GD9DJCDC, heute Zarten (bei Freiburg im Breisgau). Aber auch germanische Ortsnamen sind übernommen worden: H@>7DJG>DC (*Asciburgium) etwa ‘zur Eschen-Burg gehörender Platz’, > Asberg, Bingium > *Bingen, *Aliso, zu germ. *alisǀ ‘Eller, Erle’, Vetera castra, vermutlich zu germ. *watar ‘Wasser’, Colonia Vada (Niederlande) zu ahd. wat ‘Furt’. Einer dritten, wohl auch indogermanischen Sprache gehört Parthanum > Partenkirchen an. Gelegentlich werden (vor allem in Gallien) hybride, d.h. lateinischkeltische Komposita geprägt: Iuliomagus, heute Angers (Frankreich), Caesaromagus (Frankreich), Augustodunum > Autun (Frankreich), Flaviobriga (Nordküste Spaniens). Das oppidum Ubiorum war a. 50 n. Chr. zur Colonia Claudia Ara Agrippinensis (siehe den Artikel Köln im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) erhoben worden. Solche langen offiziellen Namen haben schon die Römer im täglichen Gebrauch verkürzt, so ist z.B. CCAA häufig als bloßes Colonia Agrippina erwähnt, die Colonia Augusta Treverorum (*Trier) wird kürzer In Treveris genannt, entsprechend vermutlich auch Aquae Granni nur Aquae. Die Germanen haben dann solche üblichen Namensformen übernommen (Aquae > *Aachen, Castra Batava > (In) Batavis > Passau) und bei ihnen ihre Anfangsbetonung durchgeführt: Vicus Altaiénsium > Altey (nordwestlich von Worms), Colonia > dt. Köllen, Köln, Augústa > Augst (Schweiz), *Fontana ‘Quelle’ oder eine Ableitung davon > Finthen bei Mainz, Basílica > Besslich (nördlich von Trier), Divitia > Deutz Co(n)fluéntes > Koblenz (Rhein und Mosel) oder Koblilz (Flurname im Höllertal), aber auch *Pontína / Puntína ‘mit einer Brücke versehen’ > Pfinz, Pfünz, Canále > Kehl (östlich von Straßburg), Quadribúrgium ‘Ort mit vier Wachttürmen’ > Qualburg (südöstlich von Kleve) (lat. burgus < griech. EsG
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Beiträge zu Ortsnamen

Doch haben im Bereich der Mosel mehrere Flurnamen die romanische Betonung der vorletzten Silbe beibehalten, z.B. Funtenél < *fontanélla, Predéll bei Riel < pratéllo. Das weist darauf hin, daß hier eine provizialrömische Bevölkerung weiterbestanden hat, vgl. Kleiber (1974). Später werden die alten Namen gelegentlich in verschiedener Weise erweitert und verändert: a. Häufig wird an sie ein deutsches Substantiv angehängt, so in Augusta (Vindelicum) > Augsburg, Beda (vicus) > Bitburg, Boiotro / Boiodurum > Beiderwies (bei Passau), *Curtis zu vulgärlat. curtis ‘Hof’ > Churtwila, heute Gurtweil (nordwestlich von Waldshut, Oberrhein), Port(us?), auf römischem Meilenstein belegt, zu portus ‘Hafen, Überfahrtsstelle, Fähre’ > Pforzheim, Flamen > Flaumbach, Ad fines (Provinzgrenze) > Vinxtbach, Parthanum > Partenkirchen. b. Ein deutsches Substantiv wird als Bestimmungswort vorangestellt: Belgica > Welsch-billig, Scharf-billig (beide nördlich von Trier) und mehrere andere. c. Ihr Zweitglied wird durch ein deutsches Substantiv ersetzt: Icorigium > Jünkerath. d. An den ursprünglich lateinischen Stamm wird ein deutsches Suffix angehängt: Castra > Kestrich. e. Das lateinische Suffix wird durch ein deutsches ersetzt: Quintana > Künzing (an der Donau) usw. Im Folgenden wird nach den Benennungsmotiven gegliedert. Auf Militär-Anlagen deuten: pƗlus ‘der Limes’, eigentlich ‘Pfahl(werk)’, heute in Ortsnamen wie Pohlgöns (bei Gießen) erhalten, Castellum > Kastel (östlich von Mainz), Vallatum ‘das umwallte Lager’ vielleicht der lateinische Name von Manching (?), Princastellum > Bernkastel (Mosel), Cannabiaca Auxiliar-Lager bei Klosterneuburg (Österr.), zu canaba, Flurname Kanvyr bei Karden (östlich von Cochem) < *canabaria, Ala nova, heute WienSchwechat (Österr.), *Lorica von lǀrƯca ‘Schutzwehr’ > Lorch am rechten Ufer des Rheins (so nach Kaufmann 1973, S. 199), Summuntorium wohl etwa ‘Befestigungsanlage’ (wenn zu munire, vgl. die lat. Glosse munitoria = praecinctoria, succinctoria), heute Burghöfe (Donau-Ries), *Turre(m) > Thorr (südlich von Bergheim). *Palatiolum, Bezeichnung eines kleineren befestigten Palastes > Pfalzel (nördlich von Trier). Das römische Lager Divitia > Deutz trägt wohl den Wunschnamen ‘Reichtum’, ebenso Concordia ‘Eintracht’, bezeugt für Altenburg (Elsaß) und Weißenburg (Bayern). (Zu letzterem anders Bach 1954a, § 444.)

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Auf Leugen- bzw. Meilensteine weisen die Ortsnamen Quint, Nohn, Detzem (< Ad quintum lapidem usw.) in der Umgebung von Trier. An ihnen macht die marschierende Truppe Rast, so daß da zunächst Buden für Getränke und Lebensmittel, dann Unterkünfte entstanden, die den Kern einer Ansiedlung bildeten (zu Quint anders Bach 1954a, § 447). Hierher gehört ferner Taberna ‘Schänke, Raststätte’ > Zábern / Savérne (Elsaß), aber auch Táwern (südwestlich von Konz). Einen Sonderfall stellt das bei Ptol. 2,11,28 bezeugte 'DJC>I>DC (siehe den Artikel Mounition im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) dar. Zweifellos repräsentiert es ein lat. munitio (bzw. vulgärlat. munitione[m]) ‘Befestigung’, aber es bildet wohl nicht allein einen Ortsnamen, sondern ist – wie Schütte 1916, S. 19 wahrscheinlich gemacht hat – Teil der (aus einer lateinischen Quelle stammenden) Junktur Munitio Varinorum. Der Ortsname Venustae munitio ‘Befestigung des Vintsch-Gaues’ wird zu Finstermünz (im Inntal, Österr.). Zivile und technische Anlagen: Villa > Weil (Schweiz), Pisónis portus, heute Piesport, *Portus, heute Porz bei Köln-Deutz und mehrfach, Vicus, heute Wijk (Niederlande), *Horrei ‘Vorratsschuppen’ > Hoyren (Stadtteil von Lindau am Bodensee), Horti ‘Gärten’ > Hürth (bei Köln), Spicárium ‘Getreidesilo’ > Spichern (Elsaß) und Speicher (nördlich von Trier). Entsprechend ist der vicus Grinario (heute Köngen am Neckar) als leicht (durch eine Dissimilation?) entstelltes *Granarium ‘Kornspeicher’ aufzufassen. Traiecto zu lat. traiectum ‘Übergang über einen Fluß’ > Utrecht und Maastricht (Niederlande); vgl. noch den Typ Pons Saravi ‘Brücke über die Saar’. Kultanlagen u.ä:. Apollinensis vicus (bei Mainz), Levefanum, wohl *Hlaevae fanum ‘Heiligtum der Hlaeva’ (Hlaeva war eine germanische Göttin). Aquila, der Name des Pfeilergrabs der Familie der Secundinii, wird zum Ortsnamen Igel (bei Trier). Ob Kellmünz (an der Iller) auf *Caelio monte zurückgeht – was auf den Caelius mons, einen der sieben Hügel Roms, anspielen würde –, bleibt unerweislich. Besonderheiten im Gelände: Arbor felix ‘fruchttragender (oder glücksbringender) Baum’ > Arbon (am Südufer des Bodensees), Castinetum ‘Ort mit (vielen) Kastanienbäumen’ > Kesten (bei Bernkastel), vgl. (Bach 1954a, § 448.6). *Puteus ‘Brunnen’ > Pütz (bei Köln), I(n)sula ‘Insel’ > frz. Lille, flämisch Yssel, *Alta Ripa ‘(Siedlung) am hohen (linken) Ufer (des Rheins)’ > Altrip. *Porrum ‘Lauch’ ist vielleicht die Grundlage von Pfohren (bei Donaueschingen).

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Beiträge zu Ortsnamen

Die römischen villae rusticae, fundi ‘Gutsdomänen’ und aedificia ‘kleine Höfe oder Weiler’ in Gallien und den angrenzenden germanischen Gebieten erhielten meist Namen, bei denen an den (meist lateinischen, seltener gallischen) Personennamen des Besitzers das gall.-lat. Suffix -(i)Ɨcum angehängt war: *Campiniacum zum Personennamen Campinius > Kempenich, Crucenacum zum Personennamen *Crucinus, Kreuznach (bei Koblenz), *Desteriacum zum Personennamen Dest(e)rius, vulgärlat. für Dexterius, heute Destrich (bei Saarguemines, Frankreich), *Firminiacum zum Personennamen Firminius, heute Firmenich (bei Köln), Geminiacum, zum Personennamen Geminius, Gymnich (bei Euskirchen) und Gimmigen (nahe Ahrweiler) sowie > Gemigny (Loiret, Frankreich), Erculentiacum zum Personennamen (H)erculentius, > Erkelenz (bei Aachen), Iuliacum zum Personennamen Iulius > Jülich (*Juliacum), Lauriacum zum Personennamen Laurius > Lörrach (nördlich von Basel), Marciacum zum Personennamen Marcius oder Martius > Merzig (südlich von Saarburg) und Merz (bei Jülich), Primeriacum zum Personennamen Primarius, Bremerich (bei Aachen), *Saviniacum zum Personennamen Savinius (mit vulgärlat. /v/ für /b/) > Sewenich (bei Bitburg) und Sevenich (bei Köln), Tiberiacum > Zieverich. Gallische Personennamen liegen zugrunde in *Draccinacum, zum Personennamen Draccius bzw. dessen Erweiterung *Draccinus > Dreckenach (bei Koblenz), Tolbiacum zum Personennamen *Tolbius, *Zülpich usw. Vgl. Kaspers (1921); Buchmüller-Pfaff (1990). Nicht selten sind römische Ortsnamen auch durch germanische bzw. deutsche verdrängt bzw. ersetzt worden, z.B. Aquae Mattiacae – Wiesbaden, Concordia – Weißenburg, Ara Flaviae – *Rottweil, Sorviodurum – Straubing, Sablonetum (zu sabulo, -onis ‘Kies’) – Ellingen, Castra Herculis – Meinerswijk (Niederlande). Die Colonia Ulpia Traiana heißt später Xanten < Ad sanctos.

III. Beiträge zu Personennamen III.1 Selbstständige Beiträge

Germani cisrhenani – die Aussage der Namen [Germanenprobleme in heutiger Sicht (1986), S. 107–129]

Vorwort Dieser Beitrag ist als Ergänzung zu dem von H. v. Petrikovits gedacht [Anm. der Hrsg.: H. v. Petrikovits, Germani Cisrhenani, in: Germanenprobleme in heutiger Sicht, 1986, S. 88–106]. Dessen Nachweise zu den einzelnen Namen wiederhole ich daher im folgenden nicht. Da mehrere Teilfragen schon in anderem Zusammenhang von mir behandelt worden sind, z.B. in Artikeln des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde und in dem Aufsatz Die Sprachverhältnisse in den germanischen Provinzen des Römischen Reiches, habe ich mich hier knapp gefaßt. Für die Einzelargumentation sei auf diese bereits vorliegenden Arbeiten verwiesen. [Anm. der Hrsg.: Alle Beiträge sind in diesem Band abgedruckt]. Durchgehend sind die Darlegungen Birkhans in seinem Werk Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit (1970) benützt. Dies Buch bildet die jüngste Zusammenfassung des gesamten Problemkreises und war mir dank der Fülle des gebuchten Materials, seiner ausführlichen Diskussion und der so gut wie vollständig genannten Sekundärliteratur sehr hilfreich. Daß Birkhan und ich in Einzelheiten mehrfach unterschiedliche Stellungen beziehen, wird den Sachkenner angesichts der Schwierigkeit des Stoffes nicht verwundern.

I. Das Problem Die bei Caesar – und nur bei ihm – mehrfach erwähnten cisrhenani Germani geben der Forschung bis heute Rätsel auf, Probleme, die kaum völlig zu lösen sind, weil allzuwenig Faktenmaterial zur Verfügung steht. Wer wissen will, ob diese Ethnien am Mittellauf der Maas Sprecher einer germanischen Sprache gewesen sind, dem stellt sich zunächst die Frage, aufgrund welcher Beobachtungen Caesar sich veranlaßt gesehen haben mag, für sie den Namen Germani beizubehalten oder – wohl weniger wahrscheinlich – selbst einzuführen, eine Bezeichnung, die doch eine Verwandtschaft mit der großen rechtsrheinischen Stammesgruppe implizierte. – Nun hat es in den letzten Jahrzehnten sogar Zweifel gegeben, ob Caesar über-

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haupt imstande gewesen sei, Kelten und Germanen mit Sicherheit zu unterscheiden; das war freilich eine aus Hyperkritik geborene Verirrung.1 Die gut entwickelte Ethnographie der Antike beobachtete die Sprache, die Lebensgewohnheiten sowie körperliche Merkmale,2 um Völker zu unterscheiden; dabei galt ihr die Verschiedenheit der Sprachen als besonders wichtig.3 Es empfiehlt sich sehr, Caesars Aussagen über ethnische und sprachliche Verwandtschaften und Unterschiede ernst zu nehmen,4 – einmal wegen seiner Nähe zu den Beobachtungsobjekten, zweitens wegen seines wissenschaftlichen Hintergrundes. Wir würden durchaus leichtfertig handeln, wollten wir seine Angaben von vornherein bezweifeln, sie durchweg als bloß politisch-taktisch zweckbestimmt abwerten oder ihn gar für inkompetent halten. Trotzdem ist auch das in den letzten Jahren versucht worden. Im Falle der cisrhenani Germani ist zunächst nicht einmal sicher zu entscheiden, ob diese Stämme sich die Bezeichnung Germani selbst zugelegt5 oder ob das die ihnen benachbarten (keltischen) Stämme getan haben. Als wenig wahrscheinlich darf dagegen gelten, daß es Caesar war, der ihnen den Namen gegeben hat, – immerhin aber hat er ihn übernommen, und das besagt doch wohl, daß er ihre verwandtschaftliche Zugehörigkeit zu den rechtsrheinischen nicht-keltischen Stämmen für gegeben hielt, die er – in höchst folgenreicher Weise – unter dem Terminus Germani zusammenfaßte.6 1

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Zur Widerlegung genügt schon der Hinweis auf bell. Gall. I 47. Dort sagt Caesar über den Swebenfürsten und sein Verhältnis zur lingua Gallica: „... qua multa iam Ariovistus longinqua consuetudine utebatur “. Darauf hat schon K. Kraft (1963, S. 313 ff.) hingewiesen. Vgl. z.B. Strab. 1,41 C, wo Syrer und Araber unterschieden werden: @6IU I: IC 9>UA:@IDC @6½ IDv0 7¼DJ0 @6½ IDv0 I|C HKBUIKC 86G6@IdG60 ferner Liv. 1,18,3 per tot gentes dissonas sermone moribusque, oder Vergil, Aen. 8, 722 ff.: (bei der Siegesfeier) incedunt victae longo ordine gentes / quam variae linguis, habitu, tam vestis et armis. Aber schon Kontakt mit Nachbarn führte den Menschen der Antike darauf, Sprachverschiedenheit zu beobachten. Die ersten Hinweise finden sich bei Homer: In B 804 heißt es: XAA= 9’ XAAKC 8A<|HH6 EDAJHE:G^KC CFG°EKC „die Zunge ist jeweils verschieden bei den verschiedenen, weithin verstreuten Menschen“, in B 867 werden die Karer 76G76Gn?KCD> genannt, in < 302 die Ägypter AAnFGDD>; in den „Sieben“ des Aischylos v. 170 wird ein fremdes Heer als }I:Gn?KCD0 bezeichnet. oBn
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Als Caesar in den commentarii für die linksrheinische Stammesgruppe die Bezeichnung Germani benützte, hat er dieser das differenzierende Attribut cisrhenani hinzugefügt. Damit handelte er ganz im Stil der antiken Ethnographie. Diese kannte mehrere Möglichkeiten, gleichnamige Ethnien durch Zusätze zu den Namen zu unterscheiden; so hatte man z.B. dem Namen der balkanischen Veneti, um sie von denen in Norditalien abzuheben, ein Genetivattribut hinzugefügt, indem man sie als [#AAJG¼KC [C:ID¼ bezeichnete.7 Die nördlicher sitzenden heißen bei Herodot 5,9,2 [C:ID¼ Dª aC I‹ [9G¼¬; sie führen zur Unterscheidung ein Attribut, das aus einem präpositionalen Ausdruck besteht. (Formal nahe vergleichbar ist Caesars Relativsatz qui essent citra Rhenum, Caes. Gall. 6,32,2.) – Schon in der Odyssee findet sich die Bezeichnung [I:n@G=I:0, wörtlich ‘die echten, wahren Kreter’; damit sind die Vorbewohner gemeint – im Gegensatz zu den später auf die Insel eingewanderten Doriern. Hier ist also ein Determinativkompositum geschaffen worden. – Seit Herodot kennen wir dann als Bezeichnung für die in Italien wohnenden Lokrer das Epitheton [E>N:?sG>D> ‘die gegen Westen hin befindlichen’. Demgegenüber hießen die an den Hängen des Berges Knemis wohnenden Dª [E>@C=B¼9>D>. Das sind – grammatisch gesprochen – Hypostasen eines aus Präposition + Substantiv bestehenden Syntagmas, genau wie cisrhenanus. – Wenn ein Volkstum durch stärkeren fremden Einfluß betroffen war, sprach man etwa von «B¼B=9D0 = semimedus ‘Halb-Meder’ (im Gegensatz zu den eigentlichen 'd9D>) oder von semigaetulus und semigermanus (Liv. 21,38). Das Adjektiv cisrhenanus hat Caesar vermutlich in Analogie zu cisalpinus geprägt; bei späteren Autoren und in Inschriften finden sich etwa noch das Oppositum transrhenanus ferner cispadanus, transdanuvianus oder transfluminianus womit jemand als ‘von ostwärts des Flusses (Tigris) herstammend’ bezeichnet wird. Es wird zu prüfen sein, welches unabhängige Material heute noch zur Verfügung steht, um die Benennung dieser linksrheinischen Stammesgruppe als Germani entweder zu bestätigen, zu modifizieren oder womöglich zu widerlegen. Leider sind die Hilfsmittel dazu kärglich: Inschriften oder literarische Texte in den Sprachen dieser Ethnien gibt es überhaupt nicht –

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heranzieht. Sicher ist es nicht zufällig, daß bei ihm lingua an erster Stelle steht; denn die Sprache ist das auffälligste und am unmittelbarsten zu beobachtende Merkmal. – Stärker noch als dem Fremden – sei er Ethnograph, Besatzungsoffizier oder auch Händler – waren natürlich dem Einheimischen Gleichheit, Ähnlichkeit oder Verschiedenheit benachbarter Sprachen aus unmittelbarem Erleben vertraut. Speziell die nahe Sprachverwandtschaft mit dem rechtsrheinischen Nachbarn war etwa einem Ubier, Sweben oder Vangionen geläufig. Vgl. H. Krahe (1939).

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noch nicht einmal Glossen. Was bleibt, sind vor allem die Ethnonyme selbst, die pagas-Namen, ferner die Personennamen und einige Götternamen. (Ihre Kenntnis verdanken wir lateinischen und griechischen literarischen Texten und den Inschriften.) Diese Gruppen von Namen sollen daher im folgenden erneut betrachtet werden. Dabei sind die schon vorliegenden Deutungen kritisch zu wägen. Von vornherein muß man sich klar darüber sein, daß Deutungen dieser Namen nur teilweise möglich sind und auch nur einen begrenzten Aussagewert haben. Was die Stammesnamen angeht, hat das mehrere mögliche Ursachen: 1) In ein paar Fällen ist der betreffende Name in zwei Varianten überliefert, wobei wir nicht immer sicher zu entscheiden wissen, welche davon historisch richtig, welche bloß durch einen Fehler der handschriftlichen Tradition entstanden ist, vgl. unten S. 214. 2) Die meisten etymologischen Deutungsvorschlage bleiben unsicher und unverbindlich, mehrere Alternativen stehen nebeneinander, oft ohne daß eine davon klar zu bevorzugen wäre. 3) Es ist ein bekanntes Phänomen, daß Ethnien gelegentlich ihre Namen von den Nachbarn erhalten. Wenn also – was möglich, aber nicht mehr erkennbar ist – eine solche Fremdbenennung (etwa von seiten der Kelten) vorliegt, dann bleibt für uns unklar, ob dieser Völkername etwas über die Sprache des betreffenden Ethnos aussagen sollte. 4) Ferner muß die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, daß sich diese Gruppen neu organisiert haben, wobei dann alte Stammesnamen aufgegeben, neue geschaffen oder übernommen werden mochten. Diese müssen auch in diesem Falle nicht unmittelbar die in dem betreffenden Ethnos noch überwiegend benutzte Sprache wiederspiegeln. 5) Wir müssen bei den cisrhenani Germani damit rechnen, daß sie sich rasch – vielleicht bewußt und willentlich – an ihre keltische bzw. in immer stärkerem Maße gallo-römische, zivilisatorisch überlegene Umgebung assimilisierten.

II. Die Ethnonyme Im folgenden gliedern wir das Material in drei Gruppen: Zuerst stellen wir die Völkernamen vor, die als zweifelsfrei keltisch gelten dürfen, dann die wenigen eindeutig oder wahrscheinlich germanischen und schließlich die etymologisch unklaren und die schlecht überlieferten Fälle.

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II.1 Die keltischen a. Caeracates. Hier sind sowohl der Stamm als auch das Suffix eindeutig keltisch: der Stamm gehört zu einem Wort für ‘Schaf’, das durch mittelir. caera, Gen. caerach (mit Stammauslaut -k-) belegt ist.8 Stammesnamen sind häufig von Tierbezeichnungen abgeleitet, vgl. R. v. Kienle (1932, S. 57 ff.) – Das Suffix -(i)at- kommt in mehreren keltischen Völkernamen vor, vgl. unten die Talliates, ferner die Atrebates, !6AUI6>, Nantuates, Sotiates, Quariates usw., ferner Namausatis ‘Einwohner von Nemausus, Nimes’. b. Caerosi. Die handschriftliche Tradition bei Caes. Gall. 2,4, bietet die Varianten Caeroesi, Ceroesi, Caerosi, Cerosi. – Während ein Suffix -oesoweder im Keltischen noch im Germanischen Anschluß fände, liegt ein Suffix -oso- auch im gallischen Flußnamen Laudosa, ferner bei Deo Iboso (Dat.) vor. – Unklar bleibt dagegen auch weiterhin das Etymon des Wortstammes; Carnoy (1954, S. 95) zieht mittelir. céar ‘dunkelbraun’ (Pokorny 1959–1969, S. 541) heran, was allenfalls als Möglichkeit gelten kann. (Dagegen macht die Verknüpfung mit dem Völkernamen Caeracates größere Schwierigkeiten.) c. Condrusi. Das Präfix con- deutet auf keltische Herkunft. Schon K.H. Schmidt (1957, S. 101 ff.) hat diesen Völkernamen mit Recht zu den anderen gallischen Komposita mit dem Präfix com-, con-, co- gestellt. – Dagegen ist das vorauszusetzende stammhafte Element *drus- noch nicht mit völliger Sicherheit gedeutet; doch ist auch bei ihm keltische Herkunft das Wahrscheinlichste.9 Birkhan rechnet bei der neuesten Behandlung dieses Völkername in überzeugender Weise wiederum damit, daß im Gallischen dieselbe Substantivbildung zugrundeliege, die das Germanische in got. trausti ‘Vertrag’, mhd. getrüste ‘Schar’ usw. zeige. (Im Gallischen wäre hier demnach wohl mit dem auch sonst zu beobachtenden Wandel st > s zu rechnen.) Als Namensdeutung schlägt er deshalb (1970, S. 65) vor: ‘HeerSchar, in der die Treuebindung eine große Rolle spielte’. Um das Element con- noch starker einzubeziehen, konnte man das modifizieren zu: ‘die durch drust- / drustt- (= ‘Verpflichtung gegenseitiger Treue’) miteinander verbunden sind’. d. Eburones. Hier wäre lautlich an sich sowohl eine Verknüpfung mit dem germanischen Wort Eber wie mit dem keltischen Wort für ‘Eibe, taxus baccata’ möglich. Die Entscheidung zugunsten des Keltischen wird durch 8

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Die Etymologie des irischen Substantivs ist umstritten. Pedersen (1909–1913) stellt es zu lat. caper, griech. @6EGn0; dagegen lehnt Pokorny (1959–1969, S. 529) das offenbar ab. Zu den bisher vorgeschlagenen Etymologien vgl. G. Neumann (1984).

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die Nachricht bei Caes. Gall. 6,31, nahegelegt, daß sich Catuvolcus, einer der beiden Könige der Eburonen, mit Eibengift getötet habe. Das ist gewiß so zu verstehen, daß er sein Leben mit Hilfe des seinem Volke heiligen Baumes beendet habe. (Ausführlicher dazu G. Neumann 1986.) e. Talliates. Dieser Völkername ist nur durch die in Ripsdorf bei Dollendorf gefundene Inschrift CIL XIII 2,7777, belegt. – Zeiß (1932) vermutet, daß er einen Teilstamm der Germani cisrhenani bezeichnet und hält ihn für keltisch – ohne aber eine genauere Anküpfung von Stamm und Suffix vorzunehmen. Denkbar wäre vielleicht ein Anschluß an die altir. (denominale) Verbform -tella (-talla) ‘es ist Raum da für etwas’, die ein Substantiv *tella ‘Raum, Platz’ voraussetzt. Dies könnte als Grundlage für einen Ortsnamen gedient haben, ist freilich bisher im Gallischen sonst nicht belegt.10 – Das Suffix -(i)at- findet sich mehrfach in keltischen Stammesnamen, vgl. die oben unter a) Caeracates gebuchten Parallelen. II.2 Die germanischen f. Cuberni / Cugerni. Dieser Völkername ist in zwei Varianten belegt: die Form mit -g- mehrfach epigraphisch, sowie bei Tacitus, dagegen die Form mit -b- bei Plinius (und einmal inschriftlich). Beide Varianten stammen demnach vermutlich aus verschiedenen Traditionen, beide sind jedenfalls als unverstümmelte echte Überlieferungen ernst zu nehmen. (Dagegen scheint mir der Vorschlag von J. Bogaers (1984) in einer neugefundenen Xantener Inschrift den Namensrest ÅCIÅB zu einem ON CIB[ERNODURI] zu ergänzen, keineswegs zwingend, da er eine bisher unbelegte Variante des Ethnonyms postuliert und zwei der drei erhaltenen Buchstaben unsicher sind.) Eine Deutung war bisher nicht geglückt,11 ein neuer Versuch soll hier vorgelegt werden. Vermutlich läßt sich das Nebeneinander der beiden Varianten am ehesten so auffassen, wie das von Naristi und Varisti usw., d.h. es existieren für denselben Volksstamm zwei nebeneinander benutzte Na10

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Zur weiteren indogermanischen Anknüpfung des kelt. Stammes *tella vgl. Pokorny (1959–1969, S. 1062, s.v. telp-). R. Muchs Vorschlag (1893b, S. 157 und 1893c, S. 213), Cugerni als ‘Kühe – begehrend, Sodomie treibend’ aufzufassen, hat mit Recht keine Anhänger gefunden. Auch seine Deutung von Cuberni als ‘Kuhknechte’ nennt Weisgerber (1969, S. 335) „unbehaglich“. Eher erwägenswert wären Anknüpfungen an den kelt. Völkernamen Cubi, der seinerseits – trotz des Schwankens im Vokalismus – vielleicht zu altir. cob ‘Sieg’ (Pokorny 1959–1969, S. 610) zu stellen ist, oder an die germanische Wortsippe, zu der ahd. chubisi ‘Hütte’, ags. cofa ‘Gemach’, mhd. kobel ‘enges Haus’ gehören.

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men, die aneinander anklingen – vielleicht auch ähnliche Bedeutung haben –, die etwa im Sinne einer poetischen Variation abwechselnd gebraucht werden, aber etymologisch nicht miteinander zusammenhängen.12 Da die Belege durchweg alt sind (1.–2. Jahrhundert nach Chr. Geb.), darf das c- des Anlauts – wie das in Cimbri, Vacalis usw. – als Graphie für germ. 8 aufgefaßt werden (darauf deutet schon das Chi von DJ7:GC[D>, der einzigen griechischen Bezeugung des Völkernamens13). Deshalb sei an das Nebeneinander von germ. *8ubila- (ahd. hubil, nhd. Hübel, vor allem in Ortsnamen) und *8ugila- (nhd. Hügel) ‘kleine Anhöhe’ erinnert (Pokorny 1959–1969, S. 591 bzw. 589). – Nun sind beide Substantiva auch als rStämme bezeugt (ags. hofer, ahd. hovar ‘Buckel’, bzw. mhd. hoger ‘Höcker’), daher kann die Konsonanz -rn- hier wie öfter durch Anfügung eines -n- an einen r-Stamm entstanden sein14. Beide Varianten des Völkernamens würden dann etwa ‘Bewohner der Hügelkuppen’ bedeuten, vgl. Burgundiones usw. g. Frisiavones. Sie sind zwar in der antiken Literatur nicht als cisrhenani Germani bezeichnet, wohl aber für den gleichen niedergermanischen Raum bezeugt. Frisiavones, die bei Plinius bezeugte Namensform, ist die mit Hilfe der germanischen ‘schwachen’ Deklination gebildete Variante von Frisiavi. Dies seinerseits gehört mit einer suffixalen Erweiterung -avo- zum Völkernamen Frisii, meint also wohl etwa ‘die zu den Friesen Gehörenden, von den Friesen abstammenden’. Für Frisii selbst ist eine schlagende, allseits angenommene Etymologie noch nicht gefunden. Der Anlautvokal f- legt aber von vornherein eine Deutung aus dem Germanischen nahe. Ohne jeden Anhalt ist dagegen der Vorschlag H. Kuhns (1972a, III, S. 277–285), den Völkernamen mit balkan-indogermanischen Namen wie Brisia, Brizidia, Brizinus (deren Bedeutung und genaue lautliche Relationen

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Die beiden Lautformen erlauben weder eine Deutung der Art, daß die eine der beiden Varianten keltisch, die andere germanisch wäre, noch die Auffassung als eine ältere und jüngere germanische Form. (Da die Belege mit h schon aus dem 1. nachchristlichen Jahrhundert stammen, muß diese Graphie auch nicht als Ausdruck für ein w angesehen werden. Damit wird eine etwaige Verknüpfung mit dem bekannten germanischen Übergang von -w- zu -k- / -g-, über den zuletzt E. Seebold, 1982, S. 172 ff., gehandelt hat, eher unwahrscheinlich.) Das mehrfach handschriftlich auftretende G im Anlaut ist bloße Majuskel Verschreibung. Denkbar bleibt aber weiterhin, daß das aus dem Völkernamen Bastarnae, got. widuwairna usw. bekannte Suffix -rn- vorliegt. Dann wäre mit den Grundwörtern *8uba- bzw. *8uga- zu rechnen.

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zur indogermanischen Grundsprache wir nicht kennen), sowie mit G¾H6,15 dem Namen eines Vorgebirges auf Lesbos, usw. zu verknüpfen. Er will ihn also im Rahmen seiner Hypothese von einem sog. ‘Nordwestblock’ als vorgermanisch auffassen; ausführlicher dazu Neumann (1998a). h. Lugnesses. Dieser Name ist nur einmal bezeugt, in CIL XIII, 7640 aus Gondorf. Er ist vermutlich formal eine Adjektivbildung mit dem lat. Suffix -ensi-, das hier vulgären Schwund des n aufweist. Dies Suffix tritt sowohl an Gelände- und Ortsnamen wie auch an appellativische Ortsbezeichnungen an; zum letzteren Typ, mit dem wohl auch hier zu rechnen ist, vgl. lat. (Plur.) amneses (zu amnis), Diana Nemorensis (zu nemus) usw. Der Wortstamm lugn- läßt sich mit dem germ. Adjektiv *lugna-, *lugni‘ruhig, still’ verknüpfen, von dem z.B. altnord. lón ‘ruhige Stelle in einem Fluß’, dän. (dialektal) lune ‘Wasserloch’ abgeleitet sind (Pokorny 1959– 1969, S. 689), der also für Stellenbezeichnungen durchaus geeignet war. Allerdings läßt er sich sonst nur aus dem Nordgermanischen belegen. i. Sunuces / Sunuci / Sunici. Sowohl als konsonantischer Stamm (Nom. Sing. Sunux), wie als o-Stamm belegt. Eine zwingende Etymologie dieses Völkernamens ist noch nicht gefunden. Der älteste Vorschlag stammt von R. Much (1895c, S. 22 f.): es liege eine Weiterbildung von idg. *snj- ‘Schwein’ vor, bei welcher der Stamm mit einem Suffix -n- erweitert worden sei. Als verwandt zog Much altnord. sonar-gƭltr und langobard. sonor-pair heran, die beide ‘Zuchteber’ bedeuten und deren Vorderglied auf einen germ. -az / -iz-Stamm *sunaz- zurückweise. Den Stamm *sunu- faßt Much als Variante zu *sunaz- auf. An ihn sei das germ. Suffix -k- < idg. -g- (mit deminutiver Bedeutung) angetreten, vgl. ags. bulluc ‘junger Ochse’ usw. – Gutenbrunner (1996b, S. 88) nimmt diese Deutung als eine Möglichkeit auf. Er meint, der Name Sunuci sei wohl den Germanen wie den Kelten verständlich gewesen. – Aber Muchs Deutung ist mit mehreren Schwierigkeiten behaftet. Erstens wird in der neueren Forschung, z.B. bei Jan de Vries (1962a, S. 530), der Stamm sonar- ausdrücklich – und überzeugend – von dem idg. Wort für ‘Schwein, Sau’ getrennt, d.h. für die angebliche Erweiterung von *snj- mit einem nSuffix gibt es keine stützende Parallele. Zweitens ist nicht ohne weiteres wahrscheinlich, daß neben *sunaz / -iz ein gleichbedeutendes *sunu- gestanden hat.

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Zu welcher Sprache der Ortsname Brisa gehört, ist unbekannt: Phrygisch, Hethitisch, Griechisch. Wäre er griechisch, dann ließe sich Kuhns wilde Verknüpfung strikt widerlegen: griechisch -s- geht nicht auf idg. -s- zurück.

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Als alternative Möglichkeit erwägt Gutenbrunner (1936b), daß der Völkername von einem kelt. Gebirgsnamen *Sunukon ‘Sau-Wald’ abgeleitet sei. Aber auch im Keltischen ist ein Stamm *sunu- ‘Schwein’ nicht belegbar, ja sogar das Erbwort *snj- ist in diesem Sprachzweig nur höchst unsicher bezeugt. Wiederum anders W. Kaspers (1958a, S. 407), der vorschlägt, im Vorderglied mit dem Adj. *su-, *snj- ‘gut’ (Pokorny 1959–1969, S. 1037 f.) zu rechnen, das sowohl im Keltischen wie im Germanischen (hier aber nur spärlich, z.B. im Völkernamen Sugambri) belegt ist. Im Hinterglied nucsieht er eine Erweiterung der idg. Wurzel *neu- und übersetzt dann ‘die sich gar nichts gefallen lassen, die trotzig Drohenden (im Sinne von ‹Krieger›)’. Doch ist das semantisch gewaltsam und kann nicht überzeugen, die Wurzel *neu- (Pokorny 1959–1969, S. 767) heißt in den westindogermanischen Sprachen ‘nicken, winken’. Auch A. Tovar (1975, S. 32 und 37) hat schon die Verknüpfung des Völkernamens germ. *snj- ‘Eber’ abgelehnt. Als eigene Deutung schlägt er vor, der Völkername bedeute ‘von großem oder von gutem Umfang’. Im Vorderglied sucht auch Tovar das Adj. *su-, snj- ‘gut’. Im Hinterglied will er eine germanische (ablautende) Wurzel finden, die in got. binah ‘es ist erlaubt’, Adj. ganǀhs ‘reichlich, genug’, ahd. ginuht ‘Genüge’ usw. vorliege. Der Velar dieser Wurzel (die dem idg. *enek-, *enk-, *nek-, Pokorny 1959–1969, S. 316 f., entspricht) wäre hier freilich am ehesten in der Schreibung h oder ch zu erwarten, vielleicht auch in schwankender Graphie, doch ist eine Schreibung c in der Tat nicht völlig auszuschließen. Über den Kompositionstyp spricht sich Tovar nicht deutlich aus: infrage kommt entweder ein Possessivkompositum (er vergleicht griech. :x-D<@D0) oder ein Determinativkompositum (Hinterglied Adjektiv, Vorderglied verstärkendes Adverb wie altisl. snj-svƭrt ‘die ganz schwarze [Amsel]’) – Aber es bleiben Einwände: germanische Völkernamen, die formal Possessivkomposita sind, kennen wir sonst kaum, zudem muß wohl gefragt werden, ob ein solcher Bedeutungsansatz für einen Völkernamen wahrscheinlich sei und ob speziell die Wurzel *nuh- im Germanischen benutzt wurde, um Menschen zu kennzeichnen. Birkhan (1970, S. 191) hält zwar an der von Much vorgeschlagenen Verknüpfung fest, erwähnt aber als Alternative die Möglichkeit, als Etymon das germ. Subst. *sunu- ‘Sohn’ (Pokorny 1959–1969, S. 913 f.) heranzuziehen. Das ist ein entscheidender Fortschritt. Wenn man – wie schon Much (1895c, S. 22 f.) – mit dem germ. -k-Suffix (mit deminuierender Be-

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deutung) rechnet, das z.B. W. Meid (1967, § 153) bucht,16 dann ließe sich der Völkername als ganzes germanisch auffassen. Er würde etwa ‘die jungen Söhne’ bedeuten. An eine Bildung, bei der an einen germanischen Stamm das keltische -k-Suffix angetreten ist, wird man weniger gern denken, schon deshalb nicht, weil der offenbar germanisch gebildete Göttername fem. Sunucsalis doch wohl voraussetzt, daß die Germanen selbst die Form Sunuc- benützten.17 – Da es mehrere Ethnonyme gibt, die ‘Nachkommen’ und ähnliches bedeuten, ist hier die semantische Seite befriedigend, und da das Subst. *sunu- zwar im Indo-lranischen, Germanischen, Baltischen und Slawischen vorhanden ist, aber gerade im Keltischen fehlt, wäre damit die Zuweisung des Völkernamens innerhalb der hier infrage kommenden beiden Sprachen zugunsten des Germanischen entschieden. k. Texuandri. Dieser Völkername gehört eindeutig zu dem germ. Adj. *te8swa- ‘rechts, südlich’, das durch gotisch taihswa-, ahd. zesawa- usw. belegt ist. (Richtig schon Much 1893b, S. 156 f.; M. Schönfeld 1912, S. 251; von Grienberger 1913, S. 42 ff., bes. 52, so ganz überwiegend auch die neuere Forschung.) – Was die Konsonantenfolge -ndr- angeht, so ist bei der Analyse der ‘schwache’ Stamm *te8swan- zugrundezulegen und mit dem kontrastierenden Suffix *-dra- des Germanischen zu rechnen, das z.B. auch in nhd. der andere, der vordere18 vorliegt. Der ‘schwache’ Stamm, der semantisch die ‘Bestimmtheit’ markiert, wird hier von der Bedeutung des Adjektivs geradezu gefordert: es gibt nur ‘rechts’ in Opposition zu ‘links’, aber nicht ‘eine rechte Gegend’ o.ä. (Vgl. auch das ahd. Adj. zesawnjnlih ‘rechts befindlich’, mhd. zëswenhalp, wo ebenfalls der schwache Stamm vorliegt.) H. Kuhn (1959, S. 17 f. = Kleine Schriften 1972, Bd. 3, S. 132) will diesen Völkernamen seinem hypothetischen ‘Nordwestblock’ zuweisen; sein Einfall, es liege dasselbe Suffix vor wie in den kleinasiatischen Flußnamen Skamandros und Maiandros, ist weit hergeholt und abwegig. (Für das Element te8swa- Anknüpfungen zu finden, hat Kuhn übrigens nicht versucht.) 16

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Dies k-Suffix ist im Niederdeutschen z.B. in Familiennamen sehr beliebt, vgl Gerke, Helmke, Meineke, Nöldeke, Reineke, Schmiedeke usw.; der Name Soennecken entspräche recht genau dem Völkernamen Sunuci. Meid (1967, S. 215 f.) erwägt noch, das Suffix könne ein Relikt aus einer vorgermanischen, aber indogermanischen Substratsprache sein, dann wäre also hier ebenfalls mit einer hybriden Bildung zu rechnen. Vgl. auch griech. 9:L>I:Gn0 neben 9:L>$ó0 (im Mykenischen und im pamphylischen Dialekt belegt), also mit Ausstoßung des nur dem Positiv gehörenden Suffixes -jo- Zur Etymologie dieses Völkernamens – und speziell zum ‘schwachen’ Stamm – zuletzt G. Neumann (1971, S 92).

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II.3 Die in der Überlieferung schwankenden oder etymologisch unklaren l. Aduatuci / Atuatuci. Mehrere Deutungsversuche stehen nebeneinander, eine zwingende Lösung ist noch nicht gefunden. A. Carnoy (1954, S. 96) rechnete mit dem kelt. Präfix at(e)-, einem Stamm watu- ‘durchwatbarer Platz’ (zu lat. vadum usw.), der aber im Keltischen nicht sicher bezeugt ist, und dem Suffix -uca- wie im Ortsnamen Namucum ‘Namur’, carruca ‘Pflug’. – Dagegen nahm Pokorny (1940, S. 106) ein keltisches Determinativkompositum aus adu- ‘Wasser, Fluß’ und *atu- ‘Furt’ an. – Beide Forscher halten also den Ortsnamen für die primäre Bildung, den Völkernamen für davon abgeleitet. Grundsätzlich ist aber der umgekehrte Vorgang wahrscheinlicher. – Wieder anders verknüpft Birkhan (1970, S. 190 ff.) den Völkernamen mit germanischen Wortern (wie ahd. wado), die etwa ‘Beuge, Knie’ bedeuten. – Am plausibelsten erscheint der Vorschlag M. Gysselings (1980, S. 39), die idg. Wurzel *wƗt- ‘in Ekstase befindlich’ (Pokorny 1959–1969, S. 1113) heranzuziehen. Mittelir. fƗth ‘Prophezeiung u.ä.’ wird auf *wƗtu- zurückgeführt. Der Völkername wurde dann ursprünglich eine Kriegerschar bezeichnen, die sich zum Kampf in Ekstase versetzt: etwa ‘die ganz Ekstatischen’, kelt. ate- hat ja öfter steigernde Funktion. – Gysseling (1980) erinnert auch schon an den Matronennamen Vatvims. Zu diesem vgl. noch Neumann (1983, S. 1078 Anm. 28). m. Baetasii. Von den bisher vorgelegten Deutungsversuchen erscheint der R. Thurneysens (bei Holder 1896, S. 327) am ehesten annehmbar. Er stellt den Völkernamen zum alt- und mittelir. Adj. baith ‘stultus; töricht, launisch’, freilich ohne zu erläutern, ob ein Name mit solch negativer Bedeutung wahrscheinlich sei. W. Meid weist aber brieflich darauf hin, daß mit einer älteren Bedeutung des Adjektivs zu rechnen sei, die Wildheit, Ausgelassenheit, im heroischen Bereich Tollkühnheit oder heldischen Furor umfaßt habe. Eine solche positiv markierte Bedeutung liege wohl schon in dem Personenname Baetorix vor, vermutlich komme bei diesem eine Übersetzung als ‘König des wilden Heeres’ dem Sinn nahe – Damit sind die dem Vorschlag Thurneysens anhaftenden semantischen Schwierigkeiten in einleuchtender Weise behoben. – Zur Etymologie des Adjektivs vgl. Pedersen 1909–1913, I, S. 56. Das Suffix -asio- als Bildung denominaler Substantiva liegt auch vor in gall. mercasius ‘Sumpf’ (vgl. Pokorny 1959–1969, S. 739), ferner in gall. Personennamen wie Crippasius, Muccasius, Multasius usw; dagegen hat es im Germanischen kaum Anschluß. Demgegenüber sind die vorgeschlagenen Anknüpfungen des Völkernamens Baetasii an das Germanische schwächer. Gutenbrunner (1936b, S. 152) will den Völkernamen mit germ. *batta- ‘Schiff, Boot, Einbaum’ ver-

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knüpfen. Dazu erinnert er an die mittelalterlichen Schiffsumzüge mit religiösem Charakter, doch erscheint das als zu weit hergeholt, zumal wir sonst keine germanischen Völkernamen kennen, die auf Kultfeiern hinweisen. (Die an sich naheliegende unmittelbare Deutung als ‘Schiffer, Seefahrer’ kommt kaum infrage, da die Baetasii im Binnenland gewohnt haben.) – Auch formal macht diese Deutung Schwierigkeiten: in Anm. 2 räumt Gutenbrunner ein, daß sich für ags. bƗt, altnord. beit nicht nachweisen lasse, daß sie auf einen alten -az / -iz-Stamm zurückgingen. – Kaspers (1958a, S. 408–410) stellt den Völkernamen zu der Wurzel, die in nhd. beißen, altnord. baita ‘jagen, töten’ vorliegt und deutet ihn als ‘die scharf Zupackenden, die Jäger, Verfolger’ (im kriegerischen Sinn). Das würde zwar semantisch passen – jedenfalls sobald man die nordgermanische Bedeutungsnuance schon für diese frühe Zeit und diesen Raum voraussetzt –, dagegen ist seine Erklärung des -s-Suffixes abwegig. – Von derselben Wurzel geht Gysseling (1961, S. 323) aus, wenn er vorschlägt, den Völkernamen mit dem got. Adj. baitrs ‘bitter’ zu verknüpfen. Weder Gutenbrunner noch Kaspers oder Gysseling vermögen aber parallele germanische Bildungen mit dem Suffix -asio- aufzuweisen. – Birkhan (1970, S. 193 f.) betont mit Recht, daß der Völkername „ganz unklar“ sei. Seinerseits weist er vorsichtig auf die Möglichkeit hin, an kymr. baedd ‘Eber’ anzuschließen. (Damit hält er letztlich ebenfalls an der idg. Wurzel *bheid- ‘spalten’, Pokorny 1959–1969, S. 116 f., fest, zu der auch beißen gehört.) n. Paemani. Neben dieser Form findet sich in den Caesar-Handschriften der Beta-Klasse (die als die dem Archetypus nächststehende gilt) und bei Otosius die Variante Caemani. Zweifellos beruht eine der beiden auf einem sehr alten Schreibfehler; so konnte in Caes. Gall. 2,4,10 z.B. die Lesart Caemanos durch das vorangehende Caerosos mit dem gleichen Anlautbuchstaben verursacht worden sein. Zudem wird Paemani durch das Vorkommen des Völkernamens Poemaneni in Galatien und des Götternamens Poemana im keltischen Hispanien gestützt, die offenbar – trotz des leichten Unterschieds im Diphthong der Stammsilbe – verwandt sind. Für keltische Herkunft aller drei Namen spricht schon ihre geograpische Verteilung; auch das anlautende p- ist durchaus kein Gegenargument – es kann ja regelrecht aus idg. kj- entstanden sein, so daß eine der idg. Wurzeln *kjei- vorläge. Doch ist eine überzeugende Etymologie noch nicht gefunden. Klar abzuraten ist davon, das griech. Subst. ED>B C ‘Hirt’ als verwandt heranzuziehen, wie das Pokorny (1948/49, S. 228) erwogen hat. (Idg. p- im

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Anlaut würde im Keltischen regelrecht schwinden;19 und die idg. Wurzel *pǀ(i)- ‘weiden’, Pokorny 1959–1969, S. 839, ist gerade im keltischen Sprachzweig nicht belegt.) – Auch der alte Vorschlag Muchs (1913–1915j), Paemani in *Palmani zu korrigieren und es mit dem (erst Jahrhunderte später bezeugten) ahd. Gau-Namen Falmenna zu identifizieren (unter Annahme von Lautsubstitution), war gewiß zu kühn. – Ebenso unannehmbar erscheint der Vorschlag Gutenbrunners (1932, S. 159), von einem germ. *Faimanǀs auszugehen; dabei sei p- Lautsubstitution für das dem Keltischen ungeläufige Phonem f. Etymologisch gehöre *Faimanǀz entweder zu *faimǀ- ‘Vereinigung, Zunft’ (vgl. mittelniederländ. veime) oder zu altisl. feiminn ‘blöde, scheu’ (als Spottname). o. Segni. Auch hier stehen mehrere vage Möglichkeiten nebeneinander. Man könnte an die kelt. Wortstämme *sego- ‘Stärke’ (Pokorny 1959–1969, S. 888 f.) oder *seg- ‘säen’ (ebd., S. 887) erinnern. (Weitere Deutungsvorschläge bei Birkhan 1970, S. 202 Anm. 354. Dort bucht er auch einen Vorschlag Bj. Collinders: es liege eine Keltisierung von germ. *þegnǀz ‘die Gefolgsmannen’ vor. Semantisch würde das passen; die Schwierigkeit liegt auf der formalen Seite, weil es für die da vorausgesetzte Lautsubstitution im Anlaut keine Parallelen gibt.) Eine neue Überlegung sei hier zur Diskussion gestellt. Da die lateinische Graphie -gn- in den Völkernamen Reudigni, Marsigni usw. für germ. -ng- steht, könnte man an sich durchaus auch die germ. Verbalwurzel *seng- ‘brennen (trans.), dörren’ (idg. *senk-) (Pokorny 1959–1969, S. 907) heranziehen. Ein nomen actoris ‘die Sengenden’ scheidet freilich aus, da dies in der Wurzel den Ablautvokal -a- aufweisen müßte. Denkbar wäre aber wohl, von einer -ja-Ableitung auszugehen, etwa *sengjǀz ‘die im Trockengebiet Wohnenden’. Das Grundwort hätte vielleicht *sengǀ fem. (Typ got. bida ‘die Bitte’ usw.) gelautet, vgl. zur Semantik mhd. senge ‘Trockenheit, Dürre’. – Bei Segni mußte man dann erhaltenes e voraussetzen, wie z.B. im Völkernamen Tencteri. p. Supeni / Sopeni. Dieser Name ist nur ein einziges Mal belegt, und zwar in dem – mit vielen Fehlern behafteten – Itinerarium Antonini (wohl aus dem 3. Jhd. nach Chr. Geb.). Dort heißt es (S. 373) über den Ort Zülpich: Tolbiaco vicus supenor (so Handschrift D, dagegen V supenorum). Demgegenüber sagt Tacitus, hist. 4,79, über die Einwohner von Zülpich: Tolbiaci in finibus Ubiorum. – Man wird damit rechnen müssen, daß die Form

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Einige wenige Ausnahmefälle mit erhaltenem p- scheint es an den Rändern des keltischen Sprachgebiets gegeben zu haben.

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supenor korrupt ist, etwa entstellt aus Ubiorum oder superior, superorum,20 superiorum – weniger wahrscheinlich aus Cugernorum. (supra in der Bedeutung ‘nördlich’ und das dazugehörige Adj. superior treten in geographischen Angaben häufig auf.) Angesichts dieser unsicheren Überlieferung verbietet es sich jedenfalls, diesen angeblichen Völker- oder Gaunamen etymologisch zu deuten. q. Tungri. Bei diesem Völkernamen gibt es kaum graphische Varianten, die griech. Schreibung bei Ptol. 2.9,5 lautet .DyC, der heutige Ortsname, der an den Völkernamen anknüpft, Tongern. – Keine der bisher vorgetragenen etymologischen Anknüpfungen erscheint zwingend. Auf J. Grimm (1848, S. 788) geht der Vorschlag zurück, germ. *tungǀn‘Zunge’ heranzuziehen; der Völkername bedeute ‘Schreier’. Doch bleiben dabei die Fragen der Wortbildung ungelöst. – Mehrfach wiederholt werden in der Literatur ferner die Verknüpfungen mit ahd. zangar ‘beißend, scharf, munter’, mittelniederdt. tanger ‘dass.’ (Pokorny 1959–1969, S. 201) oder mit germ. *tungla- ‘Gestirn’ (got. tuggl, altnord. tungl), wobei dann der Völkername als ‘die Hellen, Leuchtenden’ aufgefaßt wird. Ferner sind ahd. tunc ‘unterirdische Webestube’ oder tunga ‘Düngung’ herangezogen worden. Dem steht als Verknüpfung mit dem Keltischen der von Zeuß (1871, S. 778) stammende und seither ebenfalls mehrfach wiederholte Hinweis auf einen keltischen Wortstamm für ‘Eid, schwören’ gegenüber: kymr. twng, ir. tong- (Pokorny 1959–1969, S. 1055) usw. Eine ausführliche Würdigung des Forschungsstandes (mit Anführung weiterer etymologischer Vorschläge) gibt Birkhan (1970, S. 199 Anm. 348). Auch er urteilt: „Die Etymologie entzieht sich weiterhin unserem Zugriff“. Auch hier sei eine eigene Überlegung vorgetragen. Rein formal möchte man den Völkernamen am ehesten als ein Adjektiv auf -ro- auffassen. Diese sind überwiegend primäre deverbale Bildungen mit meist aktivischer (oder intransitiver) Bedeutung und oft schwundstufig, vgl. Meid (1967, § 81). Wenn der Völkername germanischer Herkunft wäre, könnte man deshalb auch mit einer Wurzel *teng- oder *tveng- rechnen. Für die erstere findet sich kein Anhalt im Germanischen, dagegen liegt *tveng-21 vor in den Verben ahd. zwangan, zwengen ‘kneifen, zwacken’, ags. twengan

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So P. Joerres (1896, S. 114 ff. und 1906, S. 28–31). Diese germanische Wurzel läßt sich nicht unmittelbar auf eine indogermanische zurückführen, sondern ist vielleicht mit Hj. Falk & A. Torp (1909, S. 174) kontaminiert aus *þveng- ‘besiegen, zwingen’ und *ta(n)g- ‘reißen, kneifen’. Die letztere Wurzel liegt im oben erwähnten ahd. Adj. zanger vor.

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‘klemmen, kneipen’. Darf man eine solche Verbalbedeutung in einem germanischen Völkernamen annehmen?

III. Die ‘pagus’-Namen Zur Kaiserzeit finden sich im Gebiet der Tungri mehrere pagus-Namen, in deren Attribut (Gen. Plur., Gen. Sing. oder Adjektiv in Kongruenz mit pagus) sich vielleicht die Namen von Ethnien verbergen, die ursprünglich selbständig gewesen waren. a. pagus Carucum. Der Gen. Plur. weist darauf hin, daß ein Ethnonym *Caruces zugrundeliegt, das freilich noch keine weitere Deutung gefunden hat. Möglich erscheint, daß es zu dem keltischen Wort für ‘Hirsch’ gehört, das in kymr. carw, korn. carow, breton. karo vorliegt und mit lat. cervus unmittelbar verwandt ist. (Dagegen ist eine Verknüpfung von Caruces mit Caeracates s. o. aus mehreren Gründen wenig wahrscheinlich: erstens wegen des Unterschiedes im Vokalismus der Stammsilbe, und zweitens erscheint eine Verkürzung des auf Tektal ausgehenden Tiernamens *kairak- zu *karu- nicht plausibel.) – Andere Deutungen bleiben daneben zu erwägen. b. pagus Vellaus. Dieser pagus-Name enthält wohl denselben Wortstamm wie das gall. Ethonym Vellavi, etwa ein Subst. *jelno- ‘Vorzug, Wahl’ (Pokorny 1959–1969, S. 1137), ist also vermutlich ein Personenname mit rühmender Bedeutung. c. Vilciat-. Belegt ist nur der Genetiv pagi Vilciatis; der Nominativ dazu kann *Vilcias gelautet haben. – Das Suffix weist eindeutig auf eine keltische Bildung, vgl. oben S. 206 f. unter Caeracates. – Der Wortstamm könnte an sich sowohl keltisch wie germanisch gewesen sein: der indogermanische Befund führt auf eine Wurzeldublette *jelk-/*uelg- (Pokorny 1959–1969, S. 1145). Erstere ist bezeugt u.a. durch altir. folc ‘Wasserflut’, ahd. weih ‘feucht’, lett. valka ‘fließendes Wasser, feuchter Platz’ usw.; die zweite durch ahd. welc ‘feucht’, lit. vìlkšnas ‘feucht’ usw. – Beide können leicht die Grundlage für eine Stellenbezeichnung gebildet haben. Hier ist es wegen des keltischen Suffixes wohl wahrscheinlicher, daß auch das Grundwort keltisch war. – Die ältere Forschung hält den luxemburgischen Flußnamen Wiltz für verwandt, vgl. Weisgerber (1969, S. 331). d. Catualium. Hierher gehört vermutlich auch das Hapax Catualium, das auf der Tabula Peutingeriana als Name einer Station an der von Noviomagus (Nijmegen) nach Atuaca (– Atuatuca, heute Tongern) führenden Straße erhalten ist. Es läßt sich als Gen. Plur. oder auch als Adjektiv auf

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-io- auffassen; in jedem Fall führt es zurück auf einen Nom. Plur. *Catuali bzw. *Catuales, der sich als pagus-Name verstehen läßt. Das Vorderglied ist sicher kelt. catu- ‘Kampf’, der ganze Name läßt sich als entstanden aus *catu-valo- ‘kampftüchtig’ (mit Synkope) erklären, vgl. A. Holder (1896, S. 848).

IV. Die Personennamen Hierzu besitzen wir mehrere wichtige Aufsätze Weisgerbers, vor allem Das römerzeitliche Namengut des Xantener Siedlungsraumes, Zum Namengut der Germani cisrhenani und Erläuterungen zur Karte der römerzeitlich bezeugten rheinischen Namen, alle drei wiederabgedruckt in Rhenania Germano-Celtica (Weisgerber 1969). Neumann (1983, bes. S. 1068 ff.), hat mehrere der Personennamen, die bei Weisgerber als einheimisch oder zum „undurchsichtigen Restbestand“ gehörend gelten, an lateinisch-griechische Personennamen angeschlossen. Diese Personennamen sind überwiegend auf Inschriftsteinen der Kaiserzeit belegt, also wahrscheinlich in ihrer Mehrzahl jünger als Caesars Bericht. Wir können demnach nicht immer sicher sein, ob sie den cisrhenani Germani zuzuordnen sind oder späteren Einwanderungswellen, etwa den Ubiern. Sprachlich gehören sie zu mehreren Gruppen: a. Lateinisch-griechischer Herkunft: Antiquus, Gracileius, Ingenuus, Libo, Oclatio (zu oculus), Verecundus, Vervecco (zu vervex), Vitorius (zu victor), bzw. Abascantus (identisch mit 76H@6CIn0), Compsa (zu @DBMó0), Chartius (zu 86GIn0, dem Verbaladjektiv von 86¼GK), ferner die zahlreichen Bildungen mit den Suffixen -ino- und -inio- wie z.B. Probinus oder Securinius. b. Aus dem Imperium Romanum sind von den verschiedensten Provinzen her Fremde an den Rhein gekommen. Die Personennamen Aulutra, Aurotra, Bititralis, Mucatra, Mucatralis oder Eptacentis z.B. zeugen für Thraker. Aber auch mit Personennamen aus anderen Bereichen des Balkans, aus Kleinasien, aus Syrien, Palästina, Ägypten, Hispanien usw. ist durchaus zu rechnen. c. Keltische: Zweistämmige Vollnamen liegen vor in Ambiorix, Catuvolcus,22 wohl auch in Velugnius.

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Anders aber Birkhan (1970, S. 210 ff.).

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d. Germanische: Bei ihnen finden sich bemerkenswerterweise nur wenige der typischen zweistämmigen Vollnamen, z.B. Freioverus, Giboaldus (zu diesem vgl. R. Egger 1954, S. 152 ff.). Von den einstämmigen Bildungen ist hier vor allem die Gruppe Lubainis, Vanaenia, Vasaenis zu erwähnen, vgl. schon Neumann (1983, S. 1071 f.). Alle drei Namen sind zweifellos germanisch, formal sind es Abstraktbildungen mit den Bedeutungen ‘Hoffnung’, ‘Mangel’23 und vielleicht ‘Stärke’. Dafür, daß solche Abstrakta als Personennamen benutzt werden, gibt es im germanischen Bereich dieser Jahrhunderte kaum Parallelen. Völlig germanisch ist vielleicht auch Sedavo, den schon Gutenbrunner (1936b, S. 13) einleuchtend mit germ. *sedu- ‘Sitte’ verknüpft. Da liegt Hochstufe des Suffixes vor, eine Ablauterscheinung, die z.B. auch in der uDeklination des Gotischen noch in Resten erhalten ist. (Weitere Personennamen mit diesem Wortstamm bei Förstemann 1872, S. 1315 f., z.B. Siduger, Sidugath.) Auch beim Personennamen fem. Gamaleda sind wahrscheinlich sowohl Stamm (gamal- ‘alt’, vgl. ahd. Gamalberga, Gamaltrudis usw.) wie Suffix (-eda, vgl. Veleda und wohl auch den Göttinnennamen fem. Ricagambeda) germanisch. Für Hurmio sei hiermit eine Verknüpfung mit dem gut bezeugten germanischen Personennamen-Element *wurmi- ‘Schlange, Wurm, Drachen’ vorgeschlagen.24 Das H am Wortanfang wäre dann – wie in zahlreichen anderen Fällen (vgl. z.B. die Völkernamen Herminones, Hermunduri, Helvecones und unten den Personennamen Haldacco) als rein graphisch aufzufassen. Die Schreibung mit u (statt vu oder ähnlich) entspräche der von got. Ulfila (zu wulfs), Uldila (zu wulþus), Unscila (zu wunsch), u.a. – Das (in Personennamen mask. dieses Raums häufige) Suffix -iǀn- / -jǀn- kann sowohl lateinisch wie germanisch sein. Häufiger aber sind solche Bildungen, bei denen der Namensanfang von einem germanischen Nominalstamm gebildet wird, dem jeweils ein kaum als germanisch aufzufassendes suffixales Element folgt. Für diesen Typ geben wir fünf Beispiele: 1. Friatto / Friattius. Bei ihnen liegt sicherlich der germanische Adj.Stamm frija- ‘frei’ und das roman. Suffix -tt- vor (vgl. Bonitta, Caritta, Iulitta, Suavitta, Verattius usw.). 23

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So nach H. Krahe (1961, S. 37). Allerdings wäre die negative Bedeutung des Namens erklärungsbedürftig. Anders, aber kaum wahrscheinlich, Birkhan (1970, S. 204 Anm. 361): vielleicht zu gall. @DyGB> ‘Bier’. Zum Namenselement wurma / i- vgl. G. Schramm (1957, S. 111) und G. Müller (1970, S. 64 ff.).

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2. Nev(i)tto weist das gleiche Suffix auf; sein Stamm gehört zu germ. *niwja- ‘neu’, vgl. Vollnamen wie (:7>D<6HI=0, ahd. Niwirat usw. 3. Der Personenname Gangusso gehört vermutlich zu einem germanischen Vollnamen wie etwa Gangulf, hat aber ein gallo-romanisches hypokoristisches Suffix angenommen, das z.B. auch im Gen. Atussonis vorliegt, ferner wohl auch (mit -io-Erweiterung) in Iedussius, sowie in den bei Weisgerber (1969, S. 285) gebuchten Bildungen. 4. Bei Haldacco liegt vermutlich der in Personennamen beliebte Stamm alda- (mit irrationalem h-) vor und ein nicht-germanisches -cc-Suffix.25 5. Auch Leubasnius (mit mehreren Varianten wie Lobasinus, Loubasnus, Laubasnianus, dazu zuletzt Neumann 1983, S. 1071) gehört wohl zu diesem Typ; für den Ausgang -as(i)n- gibt es mindestens zwei Erklärungsmöglichkeiten: entweder ist an einen Stamm leuba- ein Suffixkonglomerat -s-n- angetreten, oder es liegt ein -iz / -az-Stamm *liubaz / -laubaz- zugrunde (so Much 1920, S. 31). Ob das -n-Suffix dann eher dem Galloromanischen oder dem Germanischen zuzuweisen ist, wird man am besten offen lassen. Insgesamt gibt es für diesen hybriden Bildungstyp mehrere Parallelen. Unmittelbar vergleichen lassen sich westgotische Personennamen wie Gumellus oder Gundellus, bei denen J. M. Piel & D. Kremer (1976, S. 341 f.) mit Recht annehmen, daß an einen germanischen Stamm ein lateinischromanisches Suffix angetreten ist. (Auch viele noch heute übliche spanische Namen sind so gebaut: Fernandez besteht aus dem germ. Personen25

Daß mehrfach in den vorletzten Silben der Konsonant verdoppelt wird, halte ich für eine (vielleicht regionale) Erscheinung des Vulgärlateinischen. Sie findet sich in mehreren Namen, die rein-lateinisch sind wie Aprillis, Belliccus, Germaniccus, Lucillius, Magirra (zu griech. BU<:>GD0 ‘Koch’), Reginna, Severra, Tertinnius (mit Suffix -innio statt häufigem -inio ), Vervecco. Auch der zum Völkernamen der Sunuci gehörende Personenname Sunucco ist nach diesem Muster gebildet, der keltische Personenname Cobrunnis gehört unmittelbar zu den Personennamen Covruna fem., Cobrunus usw., die Lochner von Hüttenbach (1983/84, S.202 f.) überzeugend in die Elemente cob- ‘Sieg’ und run ‘Geheimnis’ zerlegt. Der keltische Personenname Exsobinno (aus Exobnus ‘ohne Furcht’) schließlich ist mit Hilfe eines anaptyktischen Vokals an diesen Typus angeglichen worden. So entstehen Ausgänge wie -icco-, -ecco-, -ucco- usw., die als Suffixe empfunden und dann an fremde, d.h. keltische oder germanische Namen angehängt werden. – Taluppa ist vermutlich aus lat. talpa ‘Maulwurf’ (wiederum mit Anaptyxe und zwar mit velarem Sproßvokal nach l pingue) entstanden. (Ein lat. Personenname Talponius ist belegt.) – Anders aber zu dieser Namengruppe Birkhan (1972, S. 206 ff.) – Vgl. Sommer & Pfister (1977, § 118 I 4 Anm. 3): „In der späteren Vulgärsprache findet sich Gemination in allen möglichen Stellungen ...“.

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namen Ferdinand und einem romanischen Suffix, oder vgl. franz. Herriot, Charlot, wo an die fränkischen Namen Henrich, Karl ein Dentalsuffix angetreten ist, das mit dem in Friatto, Gumattius verwandt ist.) – Genau Entsprechendes läßt sich auch gelegentlich an den langobardischen Personennamen in Italien beobachten, so enthalten z.B. die Personennamen Grimacio und Guarnucio jeweils einen germanischen Stamm, an den ein romanisches Suffix angetreten ist. Dazu vgl. etwa noch den italienischen Familiennamen Bertolucci, der aus germ. *Berht-wald- und dem roman. Suffix -uccio- besteht Vergleichbar ist auch ein Personennamen-Typ, wie er anderthalb Jahrtausende später im deutsch-slawischen Übergangsgebiet entsteht: Hansak, Hensellek, Furmanek, Fritzsche (zum deutschen Vornamen Fritz, der eine Kurzform von Friedrich mit hypokoristischem s-Suffix darstellt), Schneidrzik, Schwarzat usw. Auch hier ist an ein germanisches (bzw. deutsches) Namenselement jeweils ein Suffix aus einer slawischen Sprache angetreten: die zahlenmäßig dominierende slawische Bevölkerung übernimmt deutsche Personennamen, paßt sie jedoch mittels verschiedener Suffixe in ihr eigenes Namensystem ein. – Aus dem deutsch-litauischen Berührungsgebiet vgl. Personennamen wie Henseleit, Kirschnereit, Schneidereit, usw. Alle diese Fälle haben gemeinsam, daß sich eine germanische Sprache gegenüber einer übermächtigen anderen im Rückgang befindet. In der Personennamengebung, wo man erfahrungsgemäß besonders konservativ ist, halten sich bestimmte Namenstämme noch, aber sie werden eben mit Hilfe der galloromanischen bzw. slawischen (und baltischen) Suffixe den Personennamen-Typen dieser Sprachen angeglichen. Zum Schluß sei noch auf einige Personennamen (in Auswahl) hingewiesen, bei denen ein etymologischer Anschluß an eine der beteiligten Sprachen noch nicht überzeugend gelungen ist: Madicua, Pagadunus, Taneh(i)us, Tausius,26 Velmada. Hier muß künftige Forschung weiterhelfen.

V. Die Götternamen Die grundlegende Monographie ist S. Gutenbrunners Werk Die germanischen Götternamen der antiken Inschriften aus dem Jahre 1936. Auf ihr konnten neuere Aufsätze aufbauen. Eine zusammenfassende Behandlung dieses Themas ist seitdem nicht wieder erschienen. 26

Vgl. Birkhan (1970, S. 187 Anm. 298). Die Verknüpfung mit altnord. þausn ‘Lärm, Getümmel’, ahd. dǀsǀn ‘brausen’ erscheint möglich. Das Erscheinen von t statt zu erwartendem th ließe sich am einfachsten als graphisches Phänomen erklären, vgl. oben zu Tungri.

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a. Halamardus. Die in Horn bei Roermond (NL) gefundene Inschrift CIL XIII 8707, bietet Marti Halamardo sacrum. Aufgrund dieses Fundorts erscheint es als möglich, daß dieser Gott von einem der Stämme der cisrhenani Germani verehrt wurde. Den Beinamen Halamardus hat N. Wagner (1983b, S. 63 ff.) überzeugend als Rektionskompositum ‘helden-tötend’ erklärt. Seiner Untersuchung gelingt es, die formalen Schwierigkeiten zu beseitigen, die den im Kern richtigen älteren Erklärungen von Th. von Grienberger (1891, S. 388 ff.) und Gutenbrunner (1936b, S. 50 f.) noch anhafteten. b. Magusanus. Die Weihesteine, die Herculi Magusano (Dat.) dediziert waren, stammen aus den Gebieten der Batavi, Marsaci, Ubier, aber auch der Cugerni und Baetasii. Auch die Tungri haben diesen Gott offenbar verehrt. Die letzte – und beste – Deutung dieses Götternamens stammt auch hier von N. Wagner (1977c, S. 417–422). Er erklärt ihn als germ. *Maguz/s-na- ‘der zur Kraft, Stärke Gehörende; mit Kraft Ausgestattete’ (Die älteren Deutungen sind a. O. ausführlich diskutiert.) c. Sunucsalis fem. Daß der Name dieser Göttin zum Völkernamen der Sunuces (s. oben S. 210) gehört, ist deutlich; daher wird man ihn als ursprüngliches Epitheton einer Stammesgöttin ansehen. Die beiden Glieder des Namens staben miteinander, genau wie im Götternamen fem. Garmangabis. Das Hinterglied sal(t)- hat Gutenbrunner (1936b, S. 87 ff.) umsichtig diskutiert; über den damaligen Stand ist die Forschung bis heute kaum hinausgekommen: Allgemein – und wohl mit Recht – wird angenommen, daß für sal(t)- eine Deutung aus dem Germanischen zu suchen sei. Drei Vorschläge stehen nebeneinander: 1) Die Verknüpfung mit got. sƝlei ‘Güte’, die semantisch passen würde, scheitert daran, daß altes Ɲ in dieser Zeit in Westgermanien noch erhalten ist (vgl. Völkernamen Suebi usw.). Und von der idg. Wurzel 6. sel‘günstig, guter Stimmung, begütigen’ (Pokorny 1959–1969, S. 900) gibt es offenbar weder im Germanischen noch in einer anderen indogermanischen Sprache die ablautende Variante *sǂl, die für sali- als Voraussetzung zu fordern wäre. 2) Der neue Vorschlag Tovars (1975, S. 38 Anm. 28a) identifiziert sal(i)mit dem germ. Suffix -sla- (got. skohsl ‘böser Geist’, wörtlich etwa ‘Schüttler, Vorgang des Schüttelns’ usw.; zum Typus vgl. Meid 1967, § 90). Aber – von lautlich-formalen Einzelheiten abgesehen – haftet dem die Schwierigkeit an, daß dies Suffix deverbale Nomina bildet, und nicht denominale. So muß auch dieser Ansatz gewiß beiseite bleiben.

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3) Der bei Gutenbrunner (1936b, S. 89) gebuchte Vorschlag Muchs, an altisl. salr ‘Boden, Halle’ sowie lat. solum anzuknüpfen und den Götternamen T(erra Batav(o)r(um) zum Vergleich heranzuziehen, macht im Semantischen Schwierigkeiten, denn altisl. salr heißt eben nicht terra, wie Much postulierte. (Lat. solum bleibt vermutlich als unverwandt fern.27) Das heißt, die Deutung als Erdgöttin scheidet aus. – Trotzdem kann die hier herangezogene germanische Wortsippe, die zur idg. Wurzel 1. *sel- ‘Wohnraum’ (Pokorny 1959–1969, S. 898) gehört, wohl zum Verständnis des Namens helfen. Formal ist das Hinterglied -sali- des Götternamens am ehesten als -iǀStamm (got. bandi- ‘Band’, eigentlich ‘das Bindende’) im Wert eines nomen actoris aufzufassen.28 Entsprechend ließe sich *Sunuc(a)-saliǀ- übersetzen als ‘die den Sunuker Wohnmöglichkeit, Siedlungsraum verschafft, die die Sunuker behaust’. Es läge der in altgermanischen Namen besonders häufige Typus des Rektionskompositums vor. – Ein solcher Name erscheint sinnvoll, zumal er gerade in Bereichen auftritt, wo die Sunucer anscheinend innerhalb des Ubier-Gebiets verstreute Siedlungen besaßen. d. Vagdavercustis. Mit Gutenbrunner (1936b, S. 102) ist dieser weibliche Göttinnenname zum Teil im Gebiet der Cugerner bezeugt. Den Forschungsstand muß man hier als unbefriedigend bezeichnen. Doch ist jedenfalls die germanische Herkunft des Namens wahrscheinlich, was für unsere Fragestellung wichtig ist. – Anscheinend liegt ein dreiteiliges Kompositum vor; die beiden letzten Elemente ver-custi- hat Kluge (1913, S. 130) als ein Kompositum aus wer- ‘Mann’ und dem Verbalsubstantiv *kusti- ‘Wahl’ aufgefaßt. Das ist plausibel. Die altisl. Parallele mann-kostr deutet darauf hin, daß dies Kompositum etwa ‘männliche Tugend’ bedeutet. – Das Vorderglied vagda- dagegen ist bis heute nicht sicher gedeutet, daher bleibt der Sinn des Namens insgesamt im Dunkeln. (W. Steinhausers Vorschlag, 1936, S. 172, den Göttinnennamen als ‘die gefeierte Tüchtigkeit’ oder ‘die Kriegstüchtigkeit’ zu übersetzen, vermag kaum zu überzeugen.) Vielleicht enthält vagda- das germ. Suffix -da, mit dem Abstracta, z.B. nomina actionis, gebildet werden; schon Schönfeld (1912, S. 255) vergleicht ahd. kiwegida ‘vegetamen, belebende Kraft’. e. Vihansa fem. Dieser Name einer Göttin steht auf einer in Tongern gefundenen Bronzetafel. Daß er germanisch ist, darüber herrscht Einigkeit, 27

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Es gehört eher zur idg. Wurzel *sjel-, Pokorny (1959–1969, S. 1046). Anders aber Ernout & Meillet (1951). Vgl. den Götternamen fem. Garmangabis, wörtlich etwa ‘die das Begehrte gibt’, zu *gabiǀ- ‘Geberin’.

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die Zugehörigkeit speziell zum Tungrischen ist jedenfalls wahrscheinlich. Das Hinterglied ist germ. *ansu- ‘Gott, Göttin’, das wohl hier im lateinischen Kontext in ein lateinisches Femininum auf -a umgeformt worden ist. Das Vorderglied gehört entweder zu *wƯga- ‘Kampf’ oder – lautlich wahrscheinlicher – zu wiha- ‘heilig’ (vgl. Gutenbrunner 1936b, S. 101 ff.).

VI. Schlußfolgerungen Sowohl unter den Ethnonymen wie – noch deutlicher – unter den Personenund Götternamen gibt es solche mit eindeutig germanischer Etymologie.29 Bei den Ethnonymen überwiegen freilich die keltisch zu deutenden,30 bei den Personennamen treten auch zahlreiche lateinische31 auf. Bei den Götternamen schließlich ist die interpretatio Romana mehrfach so eingetreten, daß der germanische Name als Beiname hinter einer lateinischen Gottesbezeichnung steht: Mars Halamardus, Hercules Magusanus. – Dieser Befund insgesamt läßt sich durchaus so auffassen, daß die germanischen Elemente Reste sind, sprachliche Relikte, die eine Bevölkerung sich bewahrt hat, welche einen vehementen Prozeß der Akkulturierung an ihre gallo-römische Umgebung durchläuft. Dann läge hier ein Phänomen vor, das sich auch sonst häufig beobachten läßt: wenn eine Volksgruppe zu einer neuen Sprache übergeht, behält sie doch ihre ererbten Personennamen noch lange bei; ein gutes Beispiel dafür liefern die Völkerschaften im südlichen Kleinasien, die sich nach dem Alexanderzug zwar sehr rasch hellenisieren, aber ihren Kindern doch viele Generationen lang die tradierten (letztlich luwischen) Personennamen geben. – Noch näher liegt es, auf die zahllosen Familiennamen fränkischer Herkunft (vom Typ Flaubert, Guillaume, Reynaud usw.) im heutigen Frankreich hinzuweisen. Man wird – durchaus mit Recht – fragen, warum sich so viele dieser Ethnonyme und Personennamen nicht sicher deuten lassen. Bei dem Versuch einer Antwort ist mehreres zu bedenken. Zunächst muß man darauf hinweisen, daß uns sowohl das Germanische wie das Keltische dieser Zeit ja fast ganz unbekannt sind (und durch sprachhistorische Erwägungen nur in Umrissen erschlossen werden können). Zweitens ist in dieser Epoche 29

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Die Bemerkung Aments (1984, S. 45): „Germanisches fehlt also“, beruht auf einem schlichten Mißverständnis. Vgl. noch die tabellarische Übersicht bei Birkhan (1970, S. 203). Anstelle seiner Rubrik ‘weder – noch’ würde sich dort aber wohl als vorsichtiger eine Überschrift ‘ungedeutet’ oder ‘noch unerklärbar’ empfehlen. Ferner ist in dieser Provinz des Imperium Romanum mit Namen von Zuwanderern aus allen Teilen des Reichs zu rechnen.

Germani cisrhenani – die Aussage der Namen

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eines gewaltigen Einschmelzungsprozesses eben auch mit hybriden Namensbildungen zu rechnen: so wie ein germanischer oder keltischer Personennamen im Kontext einer lateinischen Inschrift mit Selbstverständlichkeit die lateinische Kasusendung erhielt, so mag er auch ein vulgärlateinisches hypokoristisches Suffix angenommen haben und zudem der einen oder anderen Eigenheit der provinzial-lateinischen Orthographie unterworfen sein. Oder ein von Haus aus germanischer Name mag nach den lateinischen Akzentuierungsregeln ausgesprochen worden sein, wobei dann etwa die Nebenton-Vokale Veränderungen erlitten haben. Vor allem erscheint es als voreilig und unvorsichtig, wenn z.B. bestimmte Substratanhänger nun das gesamte, gewiß nicht homogene Material, das sich bisher nicht glatt als germanisch, keltisch oder lateinisch hat deuten lassen, in einen Topf werfen, es als einheitlicher Herkunft ansehen und daraus die Existenz einer vierten Sprache folgern. Daß spätere Autoren, etwa Tacitus, die cisrhenani Germani nicht mehr erwähnen, läßt sich nun wohl so verstehen, daß diese Stammesgruppe diejenigen Merkmale, die sie als Germanen erscheinen ließen, inzwischen aufgegeben hatte, daß also jeder Grund zu einer unterscheidenden Benennung weggefallen war.

Germanische Göttinnen in lateinischen Texten [Namenkundliche Informationen 83/84 (2003), S. 41–54]

Die ältesten Zeugnisse germanischer Sprache sind in lateinische (und griechische) Texte eingebettet. Überwiegend handelt es sich bei ihnen um N a m e n – von Gottheiten, Menschen und Orten, selten um Appellativa. Dank der Sammlung von Reichert (1987) lassen sie sich jetzt leicht auffinden. Sie sind geeignet, die Vorgeschichte vor allem des Westgermanischen zu erhellen. Dort wo im Folgenden ältere Vorschläge aufgegriffen werden, hat die Aufgabe darin bestanden, aus den differierenden und sich widersprechenden den plausibelsten herauszufinden und die mit Fehlern oder Unsicherheiten behafteten auszuscheiden. Zwei Gruppen von lateinischen Quellen sind auszuwerten, Steininschriften und literarische Texte. Sie bieten unterschiedliche Schwierigkeiten. Die ersteren sind normalerweise in provinzialem Latein verfasst, das geographisch und sozial bedingte Sonderheiten aufweist. Den handschriftlich tradierten Texten gegenüber haben sie den unschätzbaren Vorteil, unverändert aus der Entstehungszeit zu stammen – von Beschädigungen des Steins abgesehen – und nicht durch mehrfaches Abschreiben im Laufe von mehr als anderthalb Jahrtausenden entstellt zu sein. Zum Beispiel überliefert Tac. Germ. 2 unter den drei Namen der von Mannus abstammenden Ethnien den der Istvaeones oder Istaevones. Vor dem steht der Sprachforscher ratlos – oder riskiert Spekulationen. Zum Glück haben die Handschriften der Naturalis historia 4,10 des älteren Plinius die Form Istraeones bewahrt, wenn auch nur als eine von mehreren, zum Teil schlimm entstellten Varianten. Sie aber lässt sich an germanisches Sprachgut anschließen. Beim Ortsnamen Idistaviso, den Tac. ann. 2,16,1 überliefert, hat schon das 19. Jahrhundert durch Konjektur die wahrscheinlich richtige Form Idisia-wiso hergestellt. Und nun zu den Namen der Göttinnen. Eine fragmentarische lateinische Stein-Inschrift (CIL XIII 3615, aus Maastricht) beginnt mit den zwei Dativen Ammacae sive Gamaledae. Diese Namen sind in ihrem Stamm nicht lateinisch, aber sie tragen die Kasusendung eines Dativs der lateinischen Ɨ-Deklination, sind also in den Kontext eingepasst. Sie bezeichnen beide die weibliche Gottheit, der der Stein gewidmet ist. Dass sie gleich-

Germanische Göttinnen in lateinischen Texten

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wertige Alternativen sind, darauf deutet die lat. Konjunktion sive ‘oder auch, beziehungsweise’. Der erste Name Ammaca ist gallisch, sein Stamm gehört zu dem von ir. ammait ‘altes Weib’ usw. Das Suffix -ca kann eine augmentative oder ‘venerative’ Nuance enthalten, die es auch sonst im Keltischen gibt, z.B. in Personennamen der Ogom-Inschriften.1 Ammaca lässt sich daher als ‘hohe, verehrte Mutter’ interpretieren. Dagegen ist Gamaleda, der zweite Name, sicherlich germanisch, sein Erstglied wird von dem Adjektiv gamal- ‘alt’ gebildet, das in mehreren germanischen Sprachen Verwandte hat: altnord. gamall, angelsächs. gamal, altsächs. gigamalǀd.2 In den ahd. Texten dagegen ist gamal nicht mehr als freies Adjektiv bezeugt, sondern nur noch als Erstglied von Personennamen wie Gamalbold, Gamalberht usw. Das Polyptychon Irminonis bietet noch Gamalheri, Gamalrat und die Gamaltrudis. In diesen Namen enthält gamal- die Konnotationen ‘erfahren (infolge des Alters)’, ‘klug’ oder ‘ehrwürdig’. Den Komplex -eda am Ende von Gamaleda hat man bisher stets für ein Suffix gehalten und es entweder mit -ida in Namen wie Gibida oder mit dem Abstraktsuffix in auþida ‘Öde’ verglichen. (Diese Erklärung rechnet – was legitim ist – damit, dass das ‹e› als die lateinische Wiedergabe eines germ. /i/ aufzufassen ist.) Doch leuchtet keiner dieser beiden Vorschläge semantisch ein: Im Ethnonym Gibida ‘der Gepide’ wird man den Stamm für v e r b a l halten (‘der Freigebige’), und Abstrakta (wie auþida) sind zwar grundsätzlich als Namen von Menschen oder Göttern möglich, aber eine Gottheit ‘das Alter, Senectus’ anzunehmen, liegt nicht nahe. Daher wird man alternative Erklärungen erwägen dürfen. In der Tat gibt es eine weitere Möglichkeit, die noch nicht ins Spiel gebracht worden ist: Gamal-eda lässt sich als Determinativ-Kompositum auffassen, in seinem Zweitglied -eda kann ein germanisches Wort für ‘Mutter’ vorliegen. Dieses lautet gotisch aiþei, ahd. eidi in fǀtar-eidi ‘Nährmutter, Amme’, ist da Ưn-Stamm. Daneben aber hat es einen ǀn-Stamm gegeben, wie altnord. eiða und mhd. eide bezeugen. In -eda wäre demnach nur mit einer einzigen graphischen Entstellung zu rechnen: der Schreibung ‹e› für germ. /ai/. Um diese Annahme zu stützen, ist nachzuweisen, dass die Graphie ‹e› in lateinischen Inschriften dieses Raums für den Diphthong /ae/ stehen kann und dass dieses latein. ‹ae› germ. /ai/ wiedergeben kann. Beides trifft zu. Zum Beispiel erscheinen die Matronae Gaesahenae auch 1

2

Frau Dr. Sabine Ziegler (mündliche Mitteilung) rechnet z.B. im Personennamen Tovisacos (Ogom) mit einer augmentativen oder ‘venerativen’ Nuance des Suffixes -ako-. Zur Etymologie vgl. Lühr (2000, S. 179).

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Beiträge zu Personennamen

als Matronae Gesationum. Da ist *Gesationes eine lateinische Ableitung von Gaesatae ‘die mit Speeren Bewaffneten’, dessen Grundwort germ. *gaisaz ‘Ger’ bildet. Vgl. ferner den Matronenbeinamen Etrahenae, dessen Stamm das germ. *aitra- ‘Zaun’ sein dürfte. Auf solche Schwierigkeiten nimmt ein bekanntes Dictum Bezug: Die Schreibungen u m k l e i d e n die Wörter nicht nur, sondern sie können sie auch v e r k l e i d e n , verhüllen, entstellen. Das d in der Namensform Gamaleda (gegenüber dem ‹þ› in gotisch aiþei) ist das Ergebnis des Grammatischen Wechsels, also als stimmhafte Spirans aufzufassen; der Hauptton hat beim Namens-Kompositum auf der ersten Silbe gelegen. Durch diese Deutung von -eda rücken der gallische und der germanische Name dieser Göttin semantisch eng zusammen. Beide bezeichnen eine Muttergöttin, die – wohl wegen ihrer Altersweisheit – verehrungswürdig ist. Formal aber unterscheiden sie sich stark. Der germanische Name ist ein zweiteiliges Determinativ-Kompositum, der gallische dagegen einstämmig, aber suffigiert. Das Merkmal ‘verehrungswürdig’ steckt h i e r im Suffix -ka-, d o r t im adjektivischen Erstglied. Diese Inschrift vereint also Elemente aus drei Sprachen. Der Text ist lateinisch, eine Sprache, die sich nach Caesars Eroberung erstaunlich rasch in ganz Gallien durchsetzen sollte. Die anderen beiden, Gallisch und Germanisch, sind nur in den Namen der Göttin erhalten. Die für Gamaleda erschlossene Bedeutung ‘Alte / ehrwürdige M u t t e r ’ erinnert unmittelbar an die Matronae oder Matres, die in einem benachbarten Gebiet – mit den Schwerpunkten Bonn, Jülich und Eifel, d.h. im linksrheinischen Siedlungsgebiet der Ubier – durch viele Weihesteine geehrt werden. Auf deren Reliefs finden sich oft Widmungstexte, und diese bieten mehr als 100 verschiedene Beinamen dieser Gottheiten. Man hat sich seit langem mit ihnen beschäftigt, auch wenn immer nur wenige Forscher auf diesem Spezialgebiet gearbeitet haben und dieses Material innerhalb der Geschichte des Germanischen noch zu geringe Beachtung findet. Dankbar zu nennen ist das 1936 erschienene Buch Gutenbrunners.3 Vor zwanzig Jahren wurde in Bonn den Matronen und ihrem Kult ein Colloquium gewidmet, der Band mit den Vorträgen ist 1987 erschienen.4 Auch in ihm wird versucht, mit der Deutung der Beinamen voranzukommen. Zweifellos ist ein Teil dieser Matronenbeinamen keltisch, die Mehrzahl aber germanisch, einige wenige mögen hybride Bildungen sein. Eine 3

4

Er hat die bis 1936 bekannten Matronenbeinamen vollständig erfasst. Seitdem sind neue aufgefunden worden, z.B. Celapautharae, vgl. Neumann (2002b). Vgl. Bauchhenß & Neumann (Hrsg. 1987).

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d r i t t e Sprache ist nicht im Spiel. (Ein eigenes ‘belgisches’ Idiom, wie es Maurits Gysseling und Hans Kuhn postulieren, hat gewiss nie existiert.5 Vielmehr ist das Belgische ein Dialekt des Gallischen, das steht schon deutlich bei Caesar und Strabon. Kuhn hat nicht versucht, die Matronenbeinamen für seinen hypothetischen ‘Nordwest-Block’6 zu reklamieren.) Aus der Fülle dieser Namen hebt sich eine größere Gruppe heraus, die alle ein Element -in- enthalten: Ahinehae, Anesaminehae, Aserecinehae, Atufrafinehae, Auðrinehae, Aviaitinehae, Axsinginehae, Baginahae, Caiminehae, Fachine(i)hae, Fernovineae, Iulineihiae, Mahalinehae, Nervinae, Udravarinehae, Ulauhinehae, Vacallinehae, Vanginehae7 usw. Vorgeschlagen sei, dieses -in-, das mitten in diesen langen, oft fünfsilbigen Wortkörpern steckt, als Suffix zum Wortstamm zu rechnen und das danach Folgende jeweils für ein lateinisches Suffix plus Kasusendung zu halten. An eine germanische Stellenbezeichnung wäre demnach ein fremdes, der Sprache des Kontextes angehörendes Suffix angetreten. Bei diesem bleibt freilich dann das ‹h› ungedeutet. Vielleicht – das ist eine der schon bisher erwogenen Hypothesen – hat es einfach dazu gedient, den Hiat zwischen zwei Vokalen zu markieren. Dann könnte das gleiche Suffix vorliegen, wie in den Adj. arboreus, flumineus, litoreus usw. (vgl. Leumann 1977, S. 286 § 271.1). Anders aber Vennemann (1993a und 1995). Doch bleibt diese Frage jetzt beiseite. Hier sollen uns nur die stammhaften Teile dieser Namen samt dem unmittelbar folgenden Suffix beschäftigen. Mehrere von ihnen bleiben nach wie vor ohne etymologischen Anschluss, in einigen anderen hat man seit langem germanische Nominalstämme erkannt: aȤa-, faȤa, Ȥaima-, maȤala-, nerva-, wanga-. Dazu im Einzelnen: aȤa-: Dies Substantiv ‘Wasserlauf’ ist in zahllosen germanischen Gewässernamen verbaut, vgl. Bach (1954a, § 188). faȤa-: ‘Fischwehr’ ist Grundwort vieler Ortsnamen, z.B. Fachingen, Fachbach, Vaake (bei Hannoversch-Münden), Vacha (ostwärts von Hersfeld), Flussname Fachina (heute Fecht, Nebenfluss der Ill bei Kolmar). Zahlreiche weitere Belege, die mit diesem Stamm gebildet sind, hat Schröder (1944, S. 326–334) gesammelt, überwiegend aus den Niederlanden und dem niederdeutschen Sprachgebiet. Er verknüpft sie mit dem Lachsfang. Als ältesten führt er die Pluralform Facum a. 839 an. 5 6 7

Vgl. Neumann (1976b, S. 210–212). Udolph (1994) widerlegt ihn überzeugend. Dies erstmals belegt durch Chr. Rüger (1983, S. 113).

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Beiträge zu Personennamen

Ȥaima-: Dieser Nominalstamm ist identisch mit nhd. -heim, ahd. heima‘Wohnplatz, Siedlung’, einem der häufigsten Bestandteile deutscher Ortsnamen. Eine Verbreitungskarte gibt Udolph (1994, S. 451 ff.) Einer der ältesten Belege ist Boio-haemum (Velleius Paterculus 2, 109,5) maȤala-: Ortsname Machlinium mit vielen Varianten, z.B. a. 1008 Machlines. Dieser und ähnliche Ortsnamen werden allgemein – und wohl zu Recht – mit *maþla- ‘Versammlungsort, Gerichtsstätte, Thingplatz’ verknüpft, vgl. Neumann (1987, S. 109). narwa- bedeutet als Adjektiv ‘eingeschnürt, eng’: altsächs. naru ‘angustus’, engl. narrow, vgl. Heidermanns (1993, S. 421), als Substantiv ‘enge Stelle’. nord. Njørva-sund, dt. Nehrung und Ortsnamen wie Narheim (ab 8. Jhd., heute Norheim an der Nahe). wanga- gehört zu ahd. wang- ‘Feld, Wiese’, vgl. Wangen im Allgäu, Ellwangen, Backnang, Wangerooge usw. In drei weiteren Bildungen mit dem Suffix -in- liegen Komposita vor: aȤsingi- (in Axsinginehae): In diesem Lexem erkennt Neumann (1987, S. 113) das Grundwort *aȤiz- ntr. ‘Ähre’ (vgl. got. ahs, ahd. ahir), an welches das Suffix -ingi- angefügt ist. (Vgl. Ortsnamen wie Aspingi a. 852 ‘Espenhain’, Hesingi ‘Heistern-Ort’ usw.) awi-aiti- (in Aviaitinehae): Neumann (1987, S. 121) deutet es als Determinativkompositum ‘Grundbesitz, auf dem es (viele) Schafe gibt’. Das Zweitglied gehöre zu *aihti- ‘Eigentum’. Komposita mit awi- als Erstglied sind nicht häufig, doch vgl. die Ortsnamen Ouwi-heim und Ouwi-perch bei Bach (1954a, § 394). Aus dem Gewässernamen Ewip (a. 1271) bei Wunstorf erschließt Bach (1954a, § 183) eine Vorform *awi-apa ‘Schaf-Bach’. ulauh-: Neumann (1987, S. 109 f.) hält es für ein Kompositum und erkennt im Zweitglied den Stamm *lauȤa- ‘Hain, lichte Stelle im Wald’. Für das Erstglied erwägt er, es mit *uwilǀn, dem Namen der ‘Eule’ zu verknüpfen. Einfacher ist aber vielleicht, an *uwwǀn ‘Uhu’ anzuschließen. Bisher noch nicht erklärt worden ist das Element -in- dieser Bildungen. Vorgeschlagen sei, es als das g e r m a n i s c h e Suffix -Ưn- anzusehen, das überwiegend – aber nicht ausschließlich – Stoff-Adjektiva bildet. Es liegt vor in got. airþeins ‘irden’, aiweins ‘ewig’, barizeins ‘aus Gerste’, þaurneins ‘dornig’, riqizeins ‘dunkel’, triweins ‘hölzern’, ahd. boumƯn, durnƯn, holzƯn, steinƯn, tennƯn, mhd. hürnin usw. und ist noch im Neuhochdeutschen in Adjektiven wie erzen, hären, hane-büchen, irden, steif-leinen, metallen, seiden, sowie etwa im Personennamen Hölzen-bein (Possessiv-

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Kompositum) erhalten.8 Sein Ursprung ist indogermanisch.9 In althochdeutschen Ortsnamen findet es sich häufig, z.B. in Pirihhinwang ‘mit Birken gewachsene Flut, Wiese’, Pirchina-pach (heute Birkenbach, Kreis Neumarkt), Boumine-burc (bei Sontra, Hessen), Buochinberk, Buochine-bahc, Poachin-awa, Echin-aha ‘mit Eichen bewachsener Bach’, Escilin-pach a. 905 (heute Eschelbach bei Pfaffenhofen), Espinaveld a. 844 (heute Estenfeld bei Würzburg), Grasin-hul, *Heidin-hova (erschlossen aus Heidenhofen bei Donaueschingen), Spurchine-bach a. 828 ‘Wacholder-Bach’ (heute Spirkelbach, Kreis Bergzabern). Ihnen entspricht formal das Ethnonym Bucino-bantes ‘die zum Buchen-Gau Gehörenden, dort Wohnenden’ und der Landesname Scadin-avia ‘die Aue, in der es (sehr viele) Maifische gibt’. Ferner vgl. die Junkturen irdina burc ‘Erdhügel’ und then lintînon seo ‘den mit Lindenbäumen bestandenen See’. Mehrere Adjektivbildungen auf -Ưn- sind substantiviert worden. Ein altes Beispiele dafür bildet germ. *swƯna- ‘Schwein’ die Kontinuante von *su-Ưno- ‘zum Schwein gehörig’. Im Gotischen findet sich silubreins ‘Silbermünze, Silberling’, im Althochdeutschen fingerƯn ‘Fingerring’.10 Durch die gleiche Konversion entstehen Ortsnamen wie Eichin, Flussnamen wie Almina, heute Alme (zur Lippe), Ilmina, Elsina (Bach 1954a, § 238.1) sowie der Gauname EngilƯn ‘das Gebiet der Angli’. Auch einige frühbezeugte germanische Ethnonyme gehören hierher. So sind die ĭĮȡȠįİȚȞȠ¼ (Ptol. 2,11,13) ‘die zur Küste Gehörenden’, vgl. ags. faroÿ ‘Meeresflut, Gestade’,11 und ȋĮȚįİȚȞȠȚ. (Ptol. 2,11,34) heißen die, welche auf der Heide siedeln.12 Bei Burginatio (Reichert 1987, S. 158) ist an den germ. suffigierten Stamm *burgƯn- die gleiche lat. Suffixverbindung (-at-iǀn-) wie in Gesationes angetreten. Entsprechend erschließen sich aus den Matronenbeinamen die Substantiva *ȤaimƯn- ‘der zum Wohnplatz gehörende Bereich’, *maȤalƯn- ‘das Gebiet um den m.’, *nerwƯn- ‘die Engstelle im Gelände’ usw. Das sind Bezeichnungen, die kleine Siedlungen benennen mögen, vielleicht auch speziell den Kultplatz der Matronen. Und diese heißen dann im lateinischen Kontext Nervinae, Caiminehae usw.

8 9

10 11

12

Viel weiteres Material bei Wagner (1994/95, S. 150 f.). Vgl. Brugmann (1906, S. 273 ff.); Wilmanns (1899, § 327); Kluge (1926, § 57 und § 198 ff.) und Meid (1967). Vgl. W. Henzen (1947, § 167.1). Vgl. Much (1918–1919, Sp. 426b und 429a), sowie N. Wagner (1994/95, S. 150– 152). Vgl. schwed. hedin.

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Beiträge zu Personennamen

Eine Besonderheit der Schreibungen ist noch zu erwähnen. Im Germanischen war durch die I. Lautverschiebung aus dem idg. /k/, der tektalen Tenuis, ein Phonem /Ȥ/ entstanden, die tektale stimmlose Spirans. Die lateinische Sprache besaß sie nicht. Daher mussten die Steinmetze (und die Schreiber der Handschriften) zu Aushilfen greifen, um diesen Fremdkörper annähernd phonetisch richtig wiederzugeben. Dabei haben sie aber nicht zu einer allgemein akzeptierten, überall durchgeführten Lösung gefunden, sondern mehrere verschiedene treten nebeneinander auf: die einen benutzen den Buchstaben ‹h›, andere den Digraphen ‹ch›, gelegentlich erscheint auch das einfache ‹c›, und schließlich scheint es (seltene) Fälle zu geben, wo man das – vielleicht schwach artikulierte – Phonem graphisch gar nicht mehr repräsentierte. Gelegentlich treten diese tastenden Wiedergabe-Versuche in ein- und demselben Matronenbeinamen auf, offenbar willkürlich verwendet: Chuchenehae, Chuhenehae, Cuchenehae. Diese drei Belege stammen aus e i n e m kleinen Raum – Zülpich und seiner nächsten Umgebung,13 daher ist an sprachwirkliche, dialektale oder diachrone Varianten nicht zu denken. Bei einem weiteren Matronenbeinamen hat schon Gutenbrunner (1936, S. 193) beiläufig die treffende Analyse gegeben. In Almaviahenae trennt er -henae als Suffix ab und analysiert das so gewonnene Grundwort Almaviaals Alm(a)-avia-. Dieses selbe Zweitglied findet sich z.B. auch in Scadinavia, das zuerst Plin. nat. 8,39 und 4,96 überliefert.14 avia ist die Vorform von nhd. ‘Aue’ und geht auf *agwijǀ zurück, das etymologisch ‘Gegend am Wasser’ besagt. Im Erstglied alm- steckt zweifellos der Baumname ‘Ulme’. Zu beachten ist hier dessen Ablautstufe. Die meisten germanischen Sprachen haben elm- oder ilm-. (Im Nhd. hat sich ‘Ulme’ durchgesetzt, das zwar auch verwandt ist, doch aus dem Lateinischen entlehnt ist.) Die Lautung alm (aus älterem *olmo-, also mit Abtönung) findet sich in den nordischen Sprachen, aber auch im Niederländischen und Niederdeutschen. So gibt es in Holland den Ort Almelo, in Hildesheim die Almstraße, in Norddeutschland den Flussnamen Almina, heute Alme (zur Lippe), und die Familie der Rekordschwimmerin van Almsick stammt ebenfalls aus dem Nordwesten unseres Sprachgebiets. Das Kompositum Alm(a)-avia entspricht inhaltlich wie formal der bayrischen Elm-au. Dem thüringischen Ortsnamen Ilmen-au liegt dagegen ein Flussname zugrunde: a. 1269 in fluvio Ylmina, der aber zweifellos auch den 13

14

Der Stamm dieses Matronenbeinamens könnte zu nhd. hoch, got. hauhs gehören, die aber Vollstufe des Stammvokals aufweisen. N. Wagner (1994/95) erklärt diesen Landesnamen überzeugend.

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(mit dem Suffix -Ưn- erweiterten) Baumnamen enthält. An diesem Matronenbeinamen Almavia-henae ist erstens zu beobachten, dass statt älterem /gw/ hier /w/ bezw. graphisch ‹v› erscheint (die tektale Media ist bereits geschwunden), und zweitens die regionale Form des Baumnamens. Sie weist darauf hin, dass sich zu dieser Zeit innerhalb des Germanischen bereits dialektale Unterschiede herausgebildet hatten. Alle genannten Matronenbeinamen nehmen auf Stellen im Gelände Bezug. Deshalb nennt man sie gern topisch, d.h. ‘ortsbezogen’. Aber es gibt auch andere Benennungsmotive. So findet sich bei Euskirchen (CIL XIII 7937) der Dativ Matronis Gabiabus ‘den Geberinnen’. Diese Kasusform auf -abus ist Sub-Standard, ist die provinziale Variante für das im hochsprachlichen Latein geltende Gabiis.15 Zur Bildung von Gabia vgl. etwa altnord. fylg-ja ‘Gespenst’. Hilfreiche Fürsorge gehört ja in allen Religionen zum Wesen von Gottheiten. Im Germanischen finden sich noch inschriftlich die Alagabiae (CIL XIII 8529, aus Bürgel zwischen Köln und Düsseldorf). Formal ist dieser Matronenbeinamen ein verbales Rektionskompositum. Sein Erstglied enthält das Akkusativ-Objekt: Diese Göttinnen geben den sie verehrenden Menschen a l l e s , was diese brauchen und erbitten. Entsprechende Bildungen erscheinen auch später: ahd. rƗt-gebo bezeichnet den ‘Berater’, mhd. leit-gebe heißt der, der den Obstwein ausschenkt, und im Altenglischen ist ring-geba ein Beiwort für einen Fürsten, der seine Diener und Kampfgenossen mit kostbaren Metall-Ringen belohnt. Die bisher erörterten Formen der Matronenbeinamen helfen nun, den Namen der Göttin Garmangabis (Reichert 1987, S. 309) zu deuten. Genannt wird er ein einziges Mal, auf einem in England – südlich vom Hadrianswall – gefundenen Altarstein. Diesen haben – in der Mitte des 3. nachchristlichen Jahrhunderts – germanische Angehörige einer Hilfstruppe der römischen Armee, eine vexillatio Sueborum, in Auftrag gegeben. Das Erstglied von Garman-gabis wird man für ein Nomen halten, das das Objekt des Gebens benennt. Es ist ein Substantiv mit dem Suffix -man-, wie sie in den germanischen Sprachen häufig sind. So wie nhd. Samen das bezeichnet, was gesät wird, Brosamen, ahd. brosma, das, was zerbröckelt worden ist, so ist garman das, was begehrt wird. Zu erklären bleibt die Graphie ‹a› der ersten Silbe, weil hier ein ‹e› zu erwarten wäre. Die treffende Lösung ist schon gefunden: hier hat k e l t i s c h e r Einfluss auf das Sprechlatein Britanniens eingewirkt. Der Göttin Alateivia hat der medicus Divos in Xanten aus Dankbarkeit einen Stein gesetzt (CIL XIII 8606). Bei diesem Namen hat, wie ich meine, 15

Vgl. M. Leumann (1977, S. 421 f. § 350).

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Beiträge zu Personennamen

die Graphie ‹ei› in der dritten Silbe viele älteren Forscher auf eine falsche Fährte gelockt. Immer wieder taucht in der Fachliteratur die Meinung auf, im Zweitglied liege das germanische Wort für ‘Gott’ vor (altnord. tívar ‘die Götter’, idg. *deijos). Aber dagegen spricht die Semantik: Dass eine Gottheit den Namen trägt ‘die alle Götter hat’ oder ähnlich, ist nicht denkbar. Vielmehr haben wir auch hier im Zweitglied mit einem V e r b stamm zu rechnen, und da bietet sich der an, der in got. gataujan ‘tun, wirken’, ahd. zouwen ‘zurechtmachen’ usw. vorliegt. Er gibt hier guten Sinn: ‘die alles bewirkt, in Ordnung bringt’. Dass ein Arzt sich einer höheren Macht dankbar verpflichtet fühlt, die ihm umfassend hilft, leuchtet unmittelbar ein. Gestützt wird es noch dadurch, dass im Altenglischen das Adj. altaewe geradezu ‘vollständig gesund’ heißt. Wie steht es aber mit der Schreibung ‹ei›? Der Wechsel zwischen Fachineihiae – Fachinehiae zeigt (in der dritten Silbe), dass der Digraph ‹ei› in den Inschriften dieses Gebiets für ‹e› stehen kann. Und umgekehrt ist kaum wahrscheinlich, dass der idg. Diphthong /ei/ in einem germanischen Dialekt des 2. oder 3. nachchristlichen Jahrhunderts erhalten sein, noch nicht zu /Ư/ monophthongiert worden sein sollte. Der Name Baduhenna ist nicht inschriftlich, sondern literarisch überliefert. Tacitus, ann. IV 73 erwähnt, dass ein römisches Heer auf einem Feldzug gegen die Friesen eine Niederlage erlitten habe, apud lucum, quem Baduhennae vocant ‘in der Nähe des Hains, den sie den der Baduhenna nennen’. Ein Waldstück gilt als einer Göttin heilig.16 Im Erstglied dieses gewiss nicht nur e i n teiligen Namens ist seit langem der germ. Substantivstamm *badwa- ‘Kampf’ erkannt. Dieser findet sich im Althochdeutschen fast ausschließlich als Erstglied von Personennamen: Bade-gisil, Badu-hilt, Bad-ward usw. Dagegen existiert er im Altnordischen und Altenglischen noch als freies Substantiv. Den zweiten Teil des Götternamens, -henna, hat man bisher oft für ein Suffix gehalten.17 Aber auch bei ihm ist – wie oben bei Gamal-eda – zu prüfen, ob nicht ein zweiter S t a m m vorliegen kann, so dass der Name ein echtes Kompositum wäre. Vorgeschlagen sei, die germ. Verbal-Wurzel *henþ- heranzuziehen. Sie liegt vor in got. fra-hinþan ‘gefangennehmen, erbeuten’, ahd. heri-hunda ‘Kriegsbeute’ usw. Zum Lautlichen ist festzuhalten, dass hier – im 1. nachchristlichen Jahrhundert – das ererbte /Ɵ/ auch vor dem Nasal /n/ noch erhalten ist, ebenso wie z.B. im Ethnonym Tencteri.18 Am Wortende wäre dann etwa mit dem Antreten eines Suffixes -na < -nǀ zu rechnen, das 16 17 18

Vgl. Tac. Germ. 9 lucos ac nemora consecrant. So z.B. Birkhan (1970, S. 499 ff.). Anders noch Neumann (1987, S. 127).

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mehrfach Feminina bildet.19 Danach wäre eine Assimilation *hendna > -henna vorauszusetzen. Die ist schon anderswo gut belegt, vgl. z.B. den Personennamen fem. Ganna < *Gand-na, das Ethnonym ĭȑȞȞȠȚ, Fenni, germ. *Fennǀz < *Fenþnǀz oder das ahd. Verb sinnan > *sind-nan. Der Name Baduhenna besagt demnach ‘die im Kampf dank dem (erfolgreichen) Kampfgeschehen Beute macht’. Wie wichtig diese Chance für den germanischen Krieger war, hat T. Capelle (1976) eindringlich ausgeführt. Die Göttin wäre als ein Wesen bezeichnet, das genau das gewinnt, was ihr Anbeter auch für sich erhofft. Ebenso ist der Gott Hala-mardus (CIL XIII 8707) ‘der (viele feindliche) Kämpfer tötet’20 das ideale Vorbild für seinen Verehrer. Und entsprechend wirkt die Ala-teivia als voll-potente Heilerin, ihr stehen sämtliche Kräfte und Mittel zur Verfügung, die der Arzt auch selbst braucht. Um es mit Caes. Gall. 6,21,2 zu sagen: Baduhenna, Alateivia und Halamardus sind für die Germanen Götter, quorum aperte opibus iuvantur. H. Usener würde sie als ‘Sondergötter’ bezeichnet haben, Schaffner (1999, S. 170) spricht von ‘Hilfsgöttinnen’. Auch der Terminus ‘Situations-Götter’, der in der Amerikanistik üblich ist, scheint geeignet. In diesen Gottheiten fassen wir völlig andere Vorstellungen als etwa bei Donar oder Loki: Deren Namen nennen stärkste, bedrohliche Naturgewalten, brüllendes Gewitter und tobenden Feuerbrand. In den Kreis der helfenden Gottheiten gehört sicherlich auch die Nehalennia. Antike literarische Quellen erwähnen sie nicht. Bekannt geworden ist sie erst, als im 17. Jahrhundert eine Sturmflut bei Domburg auf der holländischen Insel Walcheren zahlreiche Steindenkmäler freigelegt hat. Sie stammen aus römischer Zeit, etwa aus den Jahren von 170 bis 230 nach Chr. Geb. und zeigen eine Göttin, die in Gestalt und Kleidung den Matronen ähnelt. Als Attribute führt sie mehrfach das Steuerruder eines Schiffes und ein Füllhorn. Die lateinischen Inschriften, die ihren Namen – in vielen leichten Varianten – geben, sprechen auch davon, dass der Dedikant sie um Schutz für seine Schiffe (pro navibus) bittet. Eine zweite Fundgruppe solcher Steindenkmäler hat man dann seit 1970 mit Hilfe von Schleppnetzen vom Grund der Oosterschelde geborgen, unweit vom ersten Fundort. Alle diese Steine, die Stuart & Bogaers (2001) in einer Monographie publiziert haben, ehren eine Göttin, die mit der See zu tun hat, mit Handelsschifffahrt vor allem zu den britischen Inseln. Ihr Name Nehalennia ist gewiss germanisch. Die ältere Forschung, z.B. der große Wiener Gelehrte Rudolf Much, hat schon erwogen, in dessen 19 20

Vgl. den Typ lugina ‘Lüge’. Vgl. N. Wagner (1983b, S. 65).

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Beiträge zu Personennamen

Erstglied neha- das Adjektiv ‘nahe’ zu sehen.21 Für das Zweitglied habe ich (2002a) vorgeschlagen, mit einem Substantiv zu rechnen, das ‘Gewässer’ bedeutet. Belegt ist es in altfries. lind ‘Teich’, altisländ. lind ‘Quelle’, ferner im Namen der Lenne, einem Nebenfluss der Ruhr, usw. Es hat unmittelbare Verwandte in den keltischen Sprachen: ir. lind heißt ‘Wasser, See’. Als Vorform des Namens wäre *nƝȤwa-lend-nja anzusetzen und dies als suffixal erweitertes Bahuvrihi zu deuten: ‘die das Wasser nahe hat, an der Küste wohnt’.22 Dann läge eine ähnliche Bauform vor wie in ahd. nƗh-bnjro ‘der sein Gehöft in der Nähe hat’, der ‘Nach-bar’, oder nƗh-sippa ‘die Nahestehende’, eigentlich ‘deren Sippe nah(-verwandt) ist’. Diese Göttin wurde demnach – ebenso wie viele Matronen – nach ihrem Wohnplatz und Kultort benannt. Ihr Name sagt nichts über ihre Funktion aus. (Doch war sie wahrscheinlich Schützerin der ausfahrenden Seeleute.) Sprachgeschichtlich bemerkenswert ist der Wortstamm im Zweitglied, da er dem Keltischen und Germanischen gemeinsam ist. Bei ihm handelt es sich anscheinend um eine gemeinsame (und ausschließliche) Neuerung dieser beiden Sprachzweige. Was ergibt sich insgesamt für die Sprachgeschichte des Germanischen, wenn die hier vorgeschlagenen etymologischen Deutungen zutreffen? Dass erste Spuren einer dialektalen Gliederung des Germanischen aufscheinen, haben wir oben bei alm- ‘Ulme’ neben elm- betont. Nehmen wir ferner das Nebeneinander der Matronenbeinamen Ahin-eae und Alm-avia-henae. In ihnen sind zwei Nomina verbaut, die beide von *h2ákwah2, dem idg. Wort für ‘Wasser’, abgeleitet sind und die den nhd. Wörtern Ache und Aue entsprechen. Die je andersartigen Veränderungen des Tektals – die bei Aue bis zu seinem Schwund geführt haben – sind die Folgen unterschiedlicher Betonung des Wortes, also des Vernerschen Gesetzes. Für dessen Wirksamkeit ergibt sich somit als terminus ante quem die Zeit um 200 nach Chr. Geb.23 Auch andere Innovationen, die zu den spezifischen Kennzeichen des Proto-Germanischen gehören, sind in dieser Epoche schon durchgeführt – so der Wandel von /r/ zu /ur/.24 21 22

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24

Zu diesem vgl. Lühr (2000, S. 221). Der gleiche nordsee-rhein-germanische Wandel von /Ȥw/ zu /Ȥ/ liegt im Stammwort aȤa- von Ahinehae vor, das *aȤwǀ ‘Wasser’ fortsetzt. Wenn das Eintreten der I. Lautverschiebung etwa um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends anzusetzen ist, sind wir mit diesem Namenmaterial immer noch 6–700 Jahre von jenem Ereignis entfernt. Die Entwicklung der nasalis sonans zu -un- usw. wird durch andere Namen belegt, z.B. durch die zweite Silbe von Burungo, die erste Silbe von Burgundiones usw.

Germanische Göttinnen in lateinischen Texten

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So bereichern diese Namen nicht nur die Kenntnis germanischer Religion, sie liefern auch Erkenntnisse zur ältesten Geschichte unserer Sprache.

Summary A greater number of Germanic names of female deities from the first centuries A.D. are passed on to us in literary or epigraphic Latin sources. By means of linguistic analysis they can be interpreted and then reveal some specific traits of German religion.

Die Bezeichnung der germanischen Völker aus sprachwissenschaftlicher Sicht [Erwin Koller & Hugo Laitenberger (Hrsg.): Suevos – Schwaben. Das Königreich der Sueben auf der Iberischen Halbinsel (41–585). Tübingen 1998, S. 1–9]

Im folgenden sollen einige germanische Stammes- und Völkernamen (Ethnonyme) nach ihrer etymologischen Bedeutung befragt werden, dabei greifen wir die wichtigsten semantischen Gruppen heraus und belegen sie durch Beispiele.1 Allgemein lassen sich z w e i Entstehungs-Ursachen erschließen: das betreffende Ethnos hat sich s e l b s t benannt – oder der Name wurde ihm von außen, von den Nachbarn verliehen. Sowohl die ‘Selbst Benennung’ wie die ‘Fremd-Benennung’ kann nüchtern-sachlich b e z e i c h n e n , öfter aber mögen hinter diesen Alternativen grundverschiedene psychologische Motive stehen. Wenn eine Gruppe sich selbst einen Namen zulegt, dann soll er oft die innere Zusammengehörigkeit markieren, sie vielleicht festigen,2 oder er soll rühmend eine positive Besonderheit dieses Kollektivs hervorheben – Selbstbezeichnungen kommen insgesamt häufiger vor, sie haben es leichter, sich auf Dauer durchzusetzen. Fremd-Benennungen dagegen sind oft von Abneigung, Verachtung oder gar Haß geprägt. Man kann den Nachbarn nicht leiden, weil er sich nicht so verhält wie man selbst, weil man immer wieder mit ihm Streitigkeiten hat oder neidisch auf seinen größeren Wohlstand ist. – Wie die Völkerkunde lehrt, läßt sich aus allen Erdteilen belegen, daß Stämme unter z w e i Namen bekannt sind, ihrem eigenen und dem von den Nachbarn verliehenen. Hier soll nun überwiegend die inhaltliche Seite der germanischen Ethnonyme behandelt werden. Wir fragen, was sie in dem Augenblick, als sie geschaffen wurden, bedeutet haben mögen. (Lautliche Vorgänge und

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Ethnonyme, die in griechischen Texten belegt sind, werden hier in lateinischer Umschrift gegeben. So kann sich ein Fußballverein ‘Eintracht’ oder ‘Concordia’ nennen.

Die Bezeichnung der germanischen Völker

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formale Besonderheiten werden nur soweit notiert, wie zum Verständnis nötig.) Die Namen g e r m a n i s c h e r Stämme unterscheiden sich in ihrer Thematik nicht grundsätzlich von denen ihrer keltischen, italischen, slawischen Nachbarn. Ja, allgemein gilt, daß Ethnonyme auf der ganzen Welt aus ähnlichen Motiven geschaffen worden sind. Freilich lassen sich heute die Benennungs-Motive oft nicht mehr erkennen, selbst dann, wenn die Etymologie des Ethnonyms klar ist. Zum Beispiel gehört der Name der Goten sicherlich zur germ. Wurzel *geut‘gießen’; aber es bleibt offen, ob damit gemeint ist: ‘die Opfernden, die eine Trankspende für eine Gottheit ausgießen’ oder aber ‘sexuell potente Menschen’ oder ‘Hengste’. 1. Schlicht-deutlich ist die Benennung eines Ethnos nach seinem Siedlungsraum. Sie kann sowohl selbstgewählt wie durch Nachbarn auferlegt sein. Von den germanischen Ethnonymen gehört eine Gruppe gleicher Bildungen hierher, die Burgiones, Burgundiones, Vangiones, alle mit demselben Suffix -jǀn- versehen. (burg bezeichnet eine befestigte Anlage, wang ist ‘Wiese’.) – Die Angili heißen nach der Landschaft Angel / Ongel ‘der Winkel’ – womit wohl das Gebiet zwischen Schlei und Flensburger Förde bezeichnet wurde. (Die gleiche Benennung findet sich im Slawischen, wo der Stammesname Ulici von ugol ‘Winkel’ abgeleitet ist.) Das Ethnonym Chattvarii heißt ‘die auf dem Gebiet der Chatten Wohnenden’ – da sind die Vor-Bewohner genannt. Gleichartig gebildet ist der Name der skandinavischen Vik-verjar ‘Bucht-Bewohner’. Das Ethnonym Farodini enthält das Subst. farod ‘Meeresflut’; Haruden entsprechend harod, hart ‘Wald’. Die Holt-setar sind wörtlich ‘die im Holz sitzen’, ein waldreiches Gebiet bewohnen. (Nach ihnen ist das Land Holstein, niederdeutsch Höhten, genannt.) Das Ethnonym Dänen gehört wahrscheinlich zu einem Wort für ‘Niederung’, das durch altengl. denn ‘Tal’ bezeugt ist; Markomannen heißen ursprünglich die, die an der mark, dem Grenzstreifen, wohnen. Sidinoi besagt ‘die an der Seite’; gemeint ist damit wohl das Ufer des Meeres. Chaidmoi sind ‘die auf der Heide’. Greutungi gehört zu ahd. grioz ‘Geröll, Grus, kleine Steine’, Tervingi dagegen bezeichnet ‘die Kiefernwald-Bewohner’, zu angelsächs. tierwe. (Diese letzteren, die zwei benachbarten Stämmen gehören, beziehen sich inhaltlich aufeinander – beide sprechen von der Beschaffenheit der Siedlungslandschaft. Solche Namenspaare finden sich öfter auch in anderen Sprachgebieten, zum Beispiel hießen im alten Griechenland die Makedones ‘die Langen’,3 die be3

Wurzelverwandt mit griech. makrós.

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nachbarten Minyes dagegen wohl ‘die Kleinen’.4 Weitere GegensatzBildungen werden wir noch kennenlernen.) Auch bei den Slawen beziehen sich mehrere Ethnonyme auf den Siedlungsraum: Lusizi sind ‘die am Sumpf (lug) wohnen’,5 Po-moranen (heute Pommern) ‘die am Meer (d.h. an der Ostsee) Siedelnden’. Im Keltischen entspricht Morini, der Name eines am Atlantik wohnenden Stammes. 2. Mehrfach besteht das Grundwort eines Ethnonyms aus dem Namen des Flusses, der die Lebensader des Siedlungsraums bildet: so gehört Chasuarii zum Fluß Hase, einem Nebenfluß der Ems in Niedersachsen. – Die North-albingi sitzen am Nordufer der Elbe/Albis, die Nicriones am Neckar, der keltisch Nikros hieß. – Das gleiche Motiv findet sich mehrfach bei den Galliern: die Par-isii sind die, die an der Oise wohnen,6 die Ambi-lici saßen in Süddeutschland zu beiden Seiten (keltisch ambi-) des Lech (Licus). – Im slawischen Bereich heißen die Bulgaren nach der Wolga, wo sie ursprünglich zuhause waren, die Po-laben nach der Labe ‘Elbe’. 3. Andere heißen nach der Himmelsrichtung (vom Nachbarn aus gesehen, darum könnten da Fremdbenennungen vorliegen): Nertereanes gehört wohl zu Norden, und die Texuandri sind ‘die auf der rechten Seite, also südlich Wohnenden’ (zu gotisch taihswa-). 4. Eine große Gruppe bilden die Ethnonyme, mit denen die Träger ihre kriegerische Tüchtigkeit hervorheben: Chaibones heißt ‘Draufgänger’ (das Grundwort gehört zum dt. Adj. heftig), Batavi ‘die Guten’ – gewiß nicht im Sinne von charakterlicher Milde, sondern wegen ihrer Kampfestüchtigkeit. Tacitus nennt sie virtute praecipui, das könnte geradezu eine Paraphrase ihres Namens sein. Franken hängt mit dt. frech und altnord. frakkr ‘entschlossen, rasch handelnd, kühn’ zusammen. Das dem Ethnonym Chauci zugrundeliegende Adjektiv heißt ‘hoch’; damit ist wohl ‘überlegen’ gemeint, vgl. den Personennamen Ger-hoh, der wahrscheinlich von meisterlicher Handhabung des Gers spricht. – Die Thuringi sind die, ‘die sich etwas trauen, die Wagemutigen, Risiko-bereiten‘, die Wig-modi ‘die Kampfmutigen’. Dulgubnii heißt wohl ‘die Schlagkräftigen’, zu altnord. dolg ‘Kampf’; vorauszusetzen ist ein nomen actionis *dulgumni- ‘die Art (oder Kraft) des Schlagens’. Entsprechend gehört Geidumni zum mhd. Substantiv storm-gƯte ‘Angriffs-Lust’, sie sind ‘die mit großer Kampfes-Gier’. – Aus dem Gallischen lassen sich unter anderem die Lato-vici ‘die verbissen Kämpfenden’ vergleichen. 4 5 6

So mit M. Peters (1995, S. 191 Anm. 24). Vgl. den Landschaftsnamen Lausitz. Ihnen verdankt die Stadt Paris ihren Namen.

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Selbst-Berühmungen konnten auch anderen Eigenschaften gelten: die ostgermanischen Gibiden heißen ‘die Freigebigen, hilfsbereit Schenkenden’; zugrunde liegt der Verbstamm von ahd. giban ‘geben’. 5. Wenn sich die Angehörigen eines Ethnos nach einer Waffe benennen, dann wollen sie wohl andeuten, daß sie den Umgang mit ihr vollkommen beherrschen und sie deshalb als bevorzugtes Kampfgerät ausgewählt haben. Das gilt für die Saxones – der sahs ist ein kurzes Messer. Entsprechend heißen die Gaesati nach dem Ger (gaisa), den sie führen, die Sigulones vielleicht nach norweg. sigle ‘Eisenbolzen, Stange’. – Vergleichbar könnte der altgriech. Stammesname der Dorer sein, falls er zu dory ‘Speer’ gehört. So wie einheitliche Bewaffnung auf Zusammengehörigkeit einer Gruppe hinweisen kann, so auch gleichartige Bekleidung oder andere äußere Merkmale: Das Ethnonym Arma-lausi ‘die Armlosen’ bezieht sich wohl auf einen Umhang ohne Ärmel. Nach ihrer Barttracht heißen die Lango-barden, und die Hasdinger sind ‘die mit dem (auffallenden) langen Haar’. An der niederländischen Küste wohnen die Canane-fates, die als Seeräuber erfolgreich und berüchtigt sind. Ihr Name besagt vermutlich ‘Herren der Kähne, der schnellen Boote’. Sie haben sich – wenn diese Deutung zutrifft – nach dem für ihr Piraten-Leben wichtigsten Hilfsmittel benannt. 6. In einem Fall spielen germanische Ethnonyme wohl auf ethnische Homogeneität an. Zwei Stämme, die auf dem Balkan nebeneinander wohnten, heißen Skiren und Bastarnen. Wiederum beziehen sich die beiden Namen – als inhaltliche Gegensätze – aufeinander. Das Adj. schier bedeutet ‘rein, unvermischt’, und von den Bastarnen anderseits berichtet die antike Überlieferung, daß sie sich mit Sarmaten vermischt hatten. Ihr Ethnonym ist mit unserem Wort Bastard verwandt, das ursprünglich den bezeichnet, der außerhalb der Ehe gezeugt worden ist. 7. Eine andere Benennung deutet vermutlich auf außermenschliche, übermenschliche Helfer der Menschen. Es gibt Ethnonyme, die den Namen eines Tiers enthalten. Im Germanischen gehören hierher Cherusci, worin das Wort ‘Hirsch’ (altsächsisch hirot) steckt, und ein altenglisches Gedicht nennt die Wylfingas ‘die zum Wolf gehörenden’. – Bei anderen Stämmen indogermanischer Sprache ist diese Benennung noch beliebter: in Italien heißen die Hirpiner nach hirpus ‘Wolf’, die Picentes nach picus ‘Specht’, in Griechenland steckt im Namen der Arkader das Wort für ‘Bär’. Wir meinen, das Motiv dafür zu erkennen: im Altertum gibt es mehrfach die Sage von einem Tier, das den Menschen auf ihrer Wanderung, bei der Suche nach neuem Land voranzieht oder -fliegt und sie zu einem guten Siedlungsplatz leitet. Nach von Kienle (1932, S. 67) sind sie für eine magischreligiöse Denkweise „Träger der helfenden und schützenden Ahnenseele“.

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Auch G ö t t e r können solche schützende oder führende Funktion übernehmen. Freilich finden sich in germanischen Ethnonymen Götternamen ganz selten, vielleicht gibt es nur einen einzigen Fall. Einer der ältesten Stammesnamen – Tacitus erwähnt ihn in cap. 2 der Germania – ist der der Ingvaeones, der wohl auf einen Gott Ingwa-z zurückweist. – Unter den sabellischen Stämmen Italiens sind die Marsi entsprechend ‘die sich dem Kriegsgott Mars anvertraut haben’. 8. Wieder andere Bezeichnungen weisen auf die politische Organisation des Zusammenschlusses hin: Ala-manni mag etwa ‘Gesamtheit der Männer’ bedeuten. Ein Stamm der Germani cisrhenani heißt Sunuci ‘die Söhnchen’, damit ist vielleicht die Abspaltung einer Gruppe Jüngerer vom Hauptstamm bezeichnet. Die Lugier sind ‘die durch Eid aneinander Gebundenen’. 9. Bei den Sweben, die auf dieser Tagung im Mittelpunkt stehen, soll die Bildung des Namens ausführlicher dargestellt werden. Die heute akzeptierte Deutung ist in mehreren Schritten gewonnen worden – von A. Erdmann, L. Laistner, R. Kögel und R. Much. Ich habe sie ausführlich 1992 behandelt (Neumann & Seemann 1992), die kurz danach erschienene Monographie von Rübekeil (1992) weicht in der Beurteilung der formalen Seite nur in einem Punkt ab. Die Basis des Ethnonyms bildet das germ. Reflexivpronomen *swe ‘sich, für sich’, an das – nach meiner Auffassung – ein Suffix -ba- angetreten ist. Dazu lassen sich aus dem Lateinischen zwei Adjektiv-Bildungen vergleichen: lat. probus ‘vortrefflich, tüchtig, rechtschaffen, anständig’, das ursprünglich ‘vorn befindlich’ geheißen haben muß, ferner superbus ‘oben befindlich’, dann auch ‘erhaben, prächtig, stolz, überheblich’ usw. Beide Adjektiva werden auf Menschen bezogen und sagen etwas über deren Wesen und Verhalten aus – Rübekeil dagegen rechnet – wie andere Gelehrte vor ihm – im Zweitglied mit der Verbalwurzel bheuh2- ‘sein, existieren, werden, wohnen’. Dafür spricht die Ähnlichkeit von altind. pra-bhu- ‘überlegen, mächtig’ mit lat. probus. Aber bei dieser Etymologie ergibt sich die nicht leicht zu behebende Schwierigkeit, den Schwund des halb-vokalischen -u- in swe-bhjo- erklären zu müssen. Semantisch freilich macht das keinen Unterschied. Germ. sweba durfte ursprünglich etwa besagt haben: ‘für sich selbst seiend, eigenständig’, das davon abgeleitete dehnstufige Nomen würde dann meinen: ‘zu den Eigenständigen gehörend’.7 Wem ge7

Ebenfalls eine dehnstufige Bildung liegt im altind. Ethnonym Ɨ̗rya- vor, das von árya- ‘(gastlicher) Hausherr’ abgeleitet ist. Seine ursprüngliche Bedeutung ist daher ‘zu den gastfreien Herren gehörend’. – Zu den verschiedenen Bedeutungsvarianten dieser VÖrddhi-Bildungen vgl. Darms (1978, S. 1).

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genüber diese Eigenständigkeit gilt, bleibt dabei offen, daher gibt es dazu mehrere Hypothesen. Steinhäuser meinte, so hätten sich die Germanen genannt, deren Gebiet die römischen Heere nicht betreten hatten, Wenskus (1961, S. 271) modifiziert das: es seien die Kelten gewesen, denen gegenüber sich die Sweben ‘frei’ gefühlt hätten. – Vielleicht aber – das bleibt allerdings hypothetisch – hat sich ursprünglich ein Kollektiv so benannt, das sich aus einem bestehenden Verband gelöst hatte, sich eine eigene unabhängige Organisation geschaffen und dann wohl auch neue politische oder kriegerische Ziele gesteckt hat. (In diesem Zusammenhang müssen wir einen Vorschlag Collinders aus dem Jahre 1944 in Zweifel ziehen, den Rübekeil zu stützen versucht: Germani sei die Übersetzung des Ethnonyms Suebi ins Lateinische. Doch decken sich die Bedeutungen nicht genau genug: germanus heißt ‘leiblich verwandt’ (von Geschwistern gesagt), dann auch ‘leibhaftig, wahr, echt, aufrichtig’. Als Übersetzung von Suebi wären eher die lat. Adjektiva liber oder proprius infrage gekommen.) 10) Neben den normalen Ethnonymen tauchen gelegentlich ‘P r u n k n a m e n ’ auf, sie mögen ihren Ursprung in der Dichtung, etwa im Preislied, gehabt haben. So kann ein Teilstamm der Goten unter dem erweiterten Namen Ostro-goten ‘die glanzvollen Goten’ erscheinen. Entsprechend bedeutet Ermun-duri entweder ‘die gewaltigen Thurer’ oder ‘die gesamten Thurer’. (Das einfache Ethnonym ist – suffixal erweitert – in Thuringi erhalten.) Und in Sugambri, das mit Gambrivi zusammengehört, steckt ein Adj. su-, das ‘gut, hervorragend’ bedeutet. 11) Demgegenüber steht die Gruppe der spöttischen oder gehässigen Übernamen, die naturgemäß Fremdbenennungen sind. – Der Name der rheinischen Ubii gehört anscheinend zu ahd. uppi ‘maleficus, Übeltäter’. Und die Goten haben wohl den Namen ihrer Nachbarn, der ursprünglich Gibiden ‘die Gebefrohen, großzügig Schenkenden’ gelautet hat, umgestaltet, so daß er an gip- anklang, was ‘gaffen, den Mund offen haben, dumm und träge aussehen’ bedeutet. – Solche verächtlichen Namen finden sich auch sonst. Die am Nordrand der germanischen Welt lebenden Rentier-Nomaden wurden von ihren schwedischen und norwegischen Nachbarn Lappen genannt, das heißt entweder ‘die in Lumpen gehen’ oder gehört zu mnd. läppe ‘einfältiger Mensch’. In den letzten Jahrzehnten haben sie aber politisch durchgesetzt, daß ihre Selbstbezeichnung Samen auch offiziell verwendet wird. 12) Häufig werden Ethnonyme kleinerer Gruppen auf größere übertragen. Das war der Fall bei den Alamannen, deren Name den Franzosen als Bezeichnung der Deutschen insgesamt dient. Damit ist vergleichbar, wenn das Ethnonym Schwaben im Ungarischen (Svábok) und in den südslawischen

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Sprachen (Svabi) als Bezeichnung für die Deutschen allgemein verwendet wird. Ruotsi bezeichnet ursprünglich nur skandinavische Waräger-Gruppen, die von der Ostsee her nach Rußland eindringen. Es wird dann zur umfassenden Bezeichnung der (slawischen) Russen. Eine merkwürdige Verwendung von Ethnonymen sei zum Schluß erwähnt. In einigen deutschen Landschaften gibt es den Ausdruck Schwabe für die Küchenschabe (lat. blatta), ein kleines, in Massen auftretendes Insekt. Man könnte zunächst vermuten, da liege eine lautliche Entstellung von Schabe vor; aber das ist nicht der Fall. Denn in anderen Gegenden unseres Sprachgebiets heißen diese lästigen Tiere auch Russe. Umgekehrt nennen die Polen und die Russen selbst sie prusak ‘Preuße’, die Polen kennen daneben auch die Bezeichnung francuz ‘Franzose’. Wie es zu diesen Übertragungen gekommen ist, wissen wir nicht genau. Als Vermutung sei vorgeschlagen: man könnte sie spöttisch-metaphorisch als feindliche Invasions-Armee bezeichnet haben, als unwillkommene fremde Besatzung, die überall eindringt – vor allem auch in die Küche – und die man nicht leicht wieder los wird. Das läßt sich durch einen Passus aus Paul Heyses 1873 erschienenen Roman Kinder der Welt (Band 2, S. 244) stützen. Dort heißt es: „Es war ordentlich graulich, wie das schwarze Heer, ähnlich wie die Schwaben oder Russen hinter einem Küchenherd, an mir vorbeiwimmelte.“ Hier wird eine Soldaten-Kolonne mit den Massen der Tiere verglichen, aber natürlich kann sich dieser Vergleich auch umgekehrt aufdrängen. Die Deutung der germanischen Ethnonyme erlaubt die verschiedensten kulturgeschichtlichen Einblicke; über Ideologien und Wertvorstellungen dieser frühen Stämme und Völker läßt sich einiges erschließen. Resumo: Etnónimos germânicos e a sua motivação O artigo demonstra, quais foram os motivos na designação de tribos e povos germânicos, seja por eles próprios, seja por outros. O maior número de designações indica a região habitada, ou o rio, em cujas margens o grupo se estabeleceu. Outras salientam o valor combatente ou outras características louváveis, a arma típica ou peculiandades no traje tribal. Nomes de deuses são, em etnónimos germânicos, relativamente raros, de vez em quando aparecem, porém, nomes de animais, com os quais existia uma relação mágico-religiosa. Outros etnónimos referem-se ao tipo de união política, parece pertencer a eles também o etnónimo suevos (‘Sweben’), que é interpretado, mais pormenorizadamente, em termos etimológicos e semânticos. Explica-se a sua utilização, por brincadeira, como designação dum insecto daninho, e nomes faustosos e alcunhas são brevemente mencionados.

Horst – ein Pferdename [Beiträge zur Namenforschung N.F. 8 (1973), S. 343–344]

In dieser Zeitschrift, Band 8 (1973), S. 13–25, hat soeben H. Beckers die Entstehung des deutschen Vornamens Horst in überzeugender Weise geklärt. [Anm. der Hrsg.: Gemeint ist der Aufsatz von H. Beckers, Horst und Horsa. Ein namenkundliches Problem bei Klopstock und in der älteren deutschen historiographischen Literatur, in: Zeitschrift für Namenforschung, N.F. 8, S. 13–25.] Er hat (1973, S. 21 f.) Dietrich Engelhus, den Autor einer Weltchronik (a. 1424 erschien die mittelniederdeutsche Fassung), als Erfinder der Namensform Horst glaubhaft machen können. D. Engelhus wird – so führt H. Beckers überzeugend aus – den Personennamen, der zunächst in der Lautung Horsa einen der beiden Eroberer Britanniens bezeichnete, an das Appellativum Horst ‘Wald, Gebüsch’ angeglichen haben. Da mag auch der -st-Ausgang von Hengst, des mit Horsa in einer Zwillingsformel vereinigten Pendants, eingewirkt haben. Auch darin hat H. Beckers gewiß recht, daß er die im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts üblich gewordene Verwendung von Horst als Vornamen letztlich auf Klopstock zurückführt. (In dessen Hermanns Schlacht, einem „Bardiet für die Schaubühne“, hat Horst, einer von Siegmars Kriegsgefährten, das erste Wort.) H. Beckers weist selbst darauf hin, daß er die an Klopstock anschließende literarische Verwendung noch nicht ermittelt habe. Dazu sollen hier wenigstens einige Belege aus Dramen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts beigesteuert werden. Friedrich Maximilian Klinger hat im Jahre 1775 – also sechs Jahre nach dem Erscheinen von Klopstocks Hermanns Schlacht – ein Trauerspiel Otto veröffentlicht. Es ist sein Erstlingswerk, er schrieb es als junger Gießener Student, in Inhalt und Stil steht es ganz unter dem Einfluß von Goethes Götz. Dort nun redet der Titelheld in der 3. Szene des 2. Aktes sein Pferd an: Lieber Horst, guter treflicher Gaul, mußt ein Eisen verlieren! und wenig später: Komm Horst, teuflischer Gaul, hink, hink, du Bestie! – Hier ist Horst also der Name des Tieres; das bedeutet: Klinger hat den etymologischen Zusammenhang des Eigennamens Horst mit dem englischen Appellativum horse noch gehört – und sich offenbar – er ist Frankfurter, also Hesse – nicht an das niederdeutsche Appellativum horst ‘Wald, Gebüsch’

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erinnert gefühlt. Auch Heinrich von Kleist, der Preuße, verwendet in seinem (a. 1808 geschriebenen) Drama Hermannsschlacht den Namen Horst nicht nur für einen Fürsten der Brukterer, den Ahnherrn Selgars (1. Akt, 1. Auftritt), sondern auch als den eines Pferdeknechts (1. Akt, 3. Auftritt, gegen Ende). Da ruft Hermann beim Aufbruch: Horst! Die Pferde! Der etymologisch-semantische Zusammenhang mit engl. horse war solange leicht zu erkennen, als die Zwillingsformel Hengst und Horst in lebendiger Erinnerung war. Ein Zeugnis aus der Zeit zwischen Klopstocks und Kleists Hermanns-Dramen liefert Christoph Martin Wieland, der sie im Jahre 1778 in seinem Werkchen Pervonte oder die Wünsche spielerisch aufgenommen hat – als Namen, die einem märchenhaften König in einem fernen Land gut anstehen würden. Die ersten Verse lauten da: Es war einmal, ich denke zu Salern, Ein König, Namens – ja! die Namen, Die Namen, die vergeß ich gar zu gern! Am Ende sind’s ja auch nur Rahmen Und Schalen, – das Gemäld, der Kern Macht alles aus. Nennt ihn Astolfo, Holofern, Hengst oder Horst – genug daß in Salern Ihm niemand gern den Preis der Schönheit streitig machte.

Matronae Celapavtharae Eine Namensdeutung [Beiträge zur Namenforschung, N.F. 37 (2002), S. 157–165]

Frau B. Beyer hat im Jahre 1998 einen in Iversheim (nördlich von Münstereifel) gefundenen Votivstein veröffentlicht, der eine lateinische Inschrift trägt. Die ersten drei Zeilen liest sie völlig korrekt MATRONIS CELAPAVTH ARABVS

und beschreibt die Anordnung der Zeichen sorgfältig. Zu Zeile 2 und 3 heißt es: [...] das E zu Beginn des Beinamens steht kleiner im beginnenden C, und A und V bilden [...] eine Ligatur, ergänzt durch ein rudimentäres T. Dafür ist das ARABUS in der dritten Zeile sehr breit und akkurat ausgeführt [...].

Hier erscheint also ein bisher unbekannter Matronenbeiname. Von den tria nomina des Dedikanten sind gentile und cognomen jeweils am Anfang zerstört: ]ONTONIVS und ]ACER; das abgekürzte praenomen fehlt ganz. Frau Beyer schlägt vor, Marcus Frontonius Sacer (oder Macer) herzustellen, bei dem alle Namensteile lateinisch sind. Die Ergänzung des praenomens bleibt freilich unsicher. – In der letzten Zeile folgt die bekannte abgekürzte Formel [V • S] • L • M = votum solvit libens merito. – Eine Datierung des Steins versucht Frau Beyer nicht, doch ist am ehesten an das Ende des 2. oder den Anfang des 3. nachchristlichen Jahrhunderts zu denken. Für eine Deutung dieses Matronenbeinamens gibt es Anhaltspunkte: a. Grundsätzlich kommt, wie Frau Beyer treffend betont, für Matronenbeinamen dieses Raums keltische oder germanische Herkunft infrage.1

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Doch Matronenbeinamen, die Elemente dieser beiden Sprachen in sich vereinen, sogenannte ‘Mischbildungen’, wie z.B. Ambiomarcae, Mediotautehae, Ollogabiae, sind sehr selten. K.H. Schmidt (1987, S. 149) nennt sie zu Recht „eher isolierte Ausnahmeerscheinungen“.

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b. Ein Großteil der bisher plausibel gedeuteten Matronenbeinamen ist ‘topisch’, das heißt, ihnen liegt eine Stellenbezeichnung zugrunde. Diese ist mehrfach aus zwei Nominalstämmen komponiert, man vergleiche Avi-aiti- ‘Grundbesitz mit (vielen) Schafen’, Ferno-vin- ‘Farn-wiese’ usw. Mit der Analyse der Form Celapautharabus beginnen wir am Wortende. Die Endung -(a)bus des Dativ Plural weisen auch mehrere andere Matronenbeinamen auf, zum Beispiel Afliabus, Ahinehiabus, Alaferhviabus, Alagabiabus usw. (Bei mehreren von diesen konkurriert sie aber mit der regulären lat. Endung -is, so kommen sowohl Aufaniabus wie Aufaniis vor, sowohl Octocannabus wie Octocannis.) Dieses -abus, das dazu dient, den femininen Sexus zu verdeutlichen, ist auch sonst in provinzial-lateinischen Inschriften bezeugt, zum Beispiel in deabus, matronabus, dominabus, nymphabus.2 Das ‹a› weist auf einen Ɨ-Stamm,3 dieser ist der Latinisierung des fremden femininen Namens zu verdanken. Das (in den indogermanischen Sprachen insgesamt nicht sehr produktive) Suffix-r- war bisher in Matronenbeinamen noch nicht belegt. Hier ist es gewiß denominal und gehört am ehesten zum ganzen Namen, nicht nur zu dessen zweitem Glied. Verbaut ist es auch in den (einstämmigen) germ. Ethnonymen Bructeri und Tencteri. Ferner führt J. Udolph (1999, S. 534 f.) das Erstglied des Ortsnamens Lakere-brugge (11. Jhd.) auf *lakira- zurück, das zu ags. laku- ‘Lache, seichte Stelle’ gehöre, und N. Wagner (1998c) verknüpft den Gottesnamen (Dat. Plur.) Huitiribus (mit mehreren graphischen Varianten) überzeugend mit altnord. hvít- ‘weiß’, wobei er mit dem Antreten eines Suffixes -ir rechnet. Altengl. gƯfer ‘Schwelger, Fresser’ ist mit N. Wagner (1981b, S. 412) die Substantivierung eines Adjektivs auf -eri- zur Wurzel ghei-p- ‘Mund aufreißen, verlangen’. A. Bach (1954a, § 216) nennt im Wesentlichen Flussnamen mit dem r-Suffix.4 Als Arbeitshypothese sei vorgeschlagen, celapautha- als Kompositum aus zwei zweisilbigen Stämmen anzusehen. Daher muss untersucht werden, ob sich celaund pautha- an bekanntes Wortgut anschließen lassen.5

2 3

4

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Man vergleiche M. Leumann (1977, S. 422). Später aber ist die Endung -abus auch an Stämme der 3. Deklination angetreten, man vergleiche matrabus, Caelestabus. Aus verwandten indogermanischen Sprachen vergleiche man etwa griech. C>6Gn0 neben C¼6, C:6Gn0 neben C:n0. Für das Germanische vergleiche man W. Meid (1967, § 80–81). Für mehrere Hinweise auf namenkundliche Literatur des nordwestdeutschen Raums danke ich J. Udolph sehr herzlich.

Matronae Celapavtharae

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Im Erstglied hat Norbert Wagner (mündlich) – voll überzeugend – eine latinisierende Schreibung von nhd. Kehle, ahd. këla, as. kela ‘Gurgel, Höhlung, Vertiefung’, ags. ceole ‘Kehle, Schlucht, Schiffsschnabel’ erkannt. (Sie gehen auf ein germ. Subst. *kelǀn- zurück.6) Ahd. këla, das primär einen Körperteil (iugulum, gula) benennt, erscheint mit A. Bach (1954a, § 287 und § 298,10) häufig in deutschen Ortsnamen und bezeichnet dort metaphorisch einen Einschnitt im Gelände wie ‘Schlucht’ oder ‘Hohlweg’:7 9. Jhd. Ortsname Chela, 10. Jhd. Chelheim, heute Kelheim an der Donau. – A. Bach (1954a, § 298.2) bucht ferner Kehlbach (a. 1361 Kelbach) im Taunus ‘Bach in einer Kehle, d.h. Erdschlucht’. Weitere Orte namens Kehlbach nennt das Register des Deutschen Generalatlas, daneben die Varianten Kehlnbach, Kehlenbach, ferner verzeichnet es Kehlhof, Kehlegg usw. – H. Dittmaier (1963a, S. 136) notiert Kelebruch a. 1116 (bruch ‘Sumpf’), sowie mehrfach das Simplex, zum Beispiel in vur der Keelen 14. Jhd. usw. M. Wiswe (1970, S. 214) bucht Kehlenwiese, Kehlenwinekel (a. 1354 Kelenwinkel), H. Schoppmann (1950, II, S. 86, 91). Am Kehlberg. Man vergleiche ferner den Bergnamen Kehlstein in den Bayerischen Alpen nahe Berchtesgaden. – In England ist der Befund undeutlich. E. Ekwall (1960) schreibt: OE ceole ‘throat’ seems also to have been used in a transferred sense of a gorge or valley, perhaps also of a neck of land, but is difficult to distinguish as a first el(ement) from CƝola pers. n. See Chale, Chell, Chilgrove, Chollerford.

Wie andere feminine -ǀn-Stämme hat auch *kelǀn- als Erstglied eines Kompositums die Form kela-, man vergleiche ahd. kela-birga, kela-huost, kela-tuoh usw. bei O. Gröger (1910, S. 369). Das unbetonte /-a/ des Fugenvokals, das der Matronenbeiname bietet, weist klar auf dessen germanische Zugehörigkeit, man vergleiche das Ethnonym Ala-manni, die Namen der Göttinnen Fria-gabis, Neha-lennia, wohl auch Vagda-vercustis, den Gottesbeinamen Hala-mardus,8 ferner runische Personennamen wie BidawarijaȐ (Nøvling, um 200 nach Chr.), Hlewa-gastiȐ (Gallehus, um 400 nach Chr.) usw. Das angenommene Zweitglied pautha-9 stellt sich zu westfäl. pöt ‘Pfütze, Pfuhl’, als dessen Protoform schon H. Falk & A. Torp (1909, S. 219) zutreffend *pauta- erschlossen haben. 6 7

8 9

Man vergleiche J. Pokorny (1959–1969, S. 365). Körperteile werden häufig als Geländebezeichnungen benutzt; A. Bach (1954, § 291) nennt unter anderem Hals, Elbogen usw. Nase dient häufig zur Bezeichnung eines Kaps, eines Felsvorsprungs, Rücken benennt Gebirgszüge, z.B. Hunsrück. Ferner F. Kluge (1913, S. 228 f.). Wegen des ‹p› ist keltische Herkunft dieses Wortstammes unwahrscheinlich.

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Beiträge zu Personennamen

Eine Fehlschreibung ‹th› statt ‹t› findet sich auch sonst nicht selten in lateinischen Texten: epigraphisch vergleiche man zum Beispiel Ambacthius CIL XIII 8788; Beispiele aus den Handschriften bieten schon R. Much (1891a, S. 322), M. Schönfeld (1911, S. XXII) u.a.: Catthi, Gauthigoth, Greuthungi, Ostrogothi, Tenctheri, Thervingi. Auch die Schreibung des Flussnamens Guthalus bei Plinius10 gehört hierher, da dieser zweifellos die Schwundstufe der Wurzel *giut- ‘gießen’ enthält. – Solche Irrtümer mögen dadurch veranlasst sein, dass lateinische Schreiber den Digraph ‹th› häufig – zur annähernden Wiedergabe des /þ/ – in germanischen Namen verwendet haben, er ihnen daher als Kennzeichen dieser Sprache erschien.11 A. Bach (1954a, § 309) verzeichnet ein Substantiv pot, das häufig in Orts- und Flurnamen belegt ist: Schloß Hugenpoet bei Kettwig (im 16. Jhd. das Hugenpott). Mehrfach tritt es als Erstglied auf: Potthagen, Straßenname Potstiege (in Münster/W.). – M. Wiswe (1970, S. 338) bucht a. 1686 auf der Pautwort, oben der Pothworth, a. 1737 die Pottworth), heute volksetymologisch zu Porthworth entstellt. F. Witt (1912, S. 112) notiert unter anderem Pote-Siepen in Mohne bei Lippstadt. – E. Förstemann (1913– 1916, II, Sp. 494) bucht Potvliet, Potflit (12. Jhd. vliet ‘Wassergraben’) und Pothoek in Amsterdam, ferner Pottgraben in Osnabrück, erwägt dafür aber – semantisch abwegig – Verbindung mit pott ‘Topf’. H. Teut (1959–1960, III, S. 344) bucht unter dem Stichwort Pott auch die Bedeutung ‘Senkung im Lande, Mulde, eingedeichtes Stück Land’ und erwähnt, dass es als Flurbezeichnung vorkomme. H. Schoppmann (1950, S. VIII) verzeichnet ein Grundwort Poot, Poth ‘Pfütze’ und bietet I 22 Poetkamp, I 109 Poetland, II 155 Am Poetgen (Deminutiv). – H. Jellinghaus (1923) bucht unter anderem Well- oder Wollpott (11. Jhd.) im Kreis Lübbecke. – Das Rheinische Wörterbuch nennt unter dem Stichwort pot IV ‘Pfütze, Tümpel’ (gesprochen /pǀt/) unter anderem die Appellativa Waterpot, Entenpot. – H. Dittmaier (1963a, S. 234) gibt Fröschenpot, Kradepot (krade ‘Kröte’), Mühlenpot, Unkepoet, im Erstglied Potekamp, ferner die Simplicia de Poto a. 1312, van dem Pote a. 1384, uppen Poet um a. 1500. F. Müller (1953) bucht noch Potthaus bei Kevelaer und Pottmühle bei Minden. – J. Udolph (1994, S. 357) verzeichnet Potmeer (a. 1565 Pot-mer) bei Dinteloord in den Niederlanden, S. 676 Potton (etwa a. 960 Pot- tun) in England. M. Dolch & A. Greule (1991, S. 334, 372) nennen (unter Neupotz) und (unter Potzbach) pfälzische Ortsnamen mit dem Stamm potz- / pfotz-. – Auch in Ortsnamen Englands tritt dieser Stamm auf. A.H. Smith 10 11

nat. hist. 4, C. 100. Entsprechend wird auch die tektale Tenuis /k/ des Germanischen in lateinischen Texten mehrfach ‹ch› geschrieben.

Matronae Celapavtharae

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(1956, II, S. 72) bucht altengl. pott, mittelengl. potte in der Bedeutung ‘a deep hole, a pit’ und nennt unter anderem die Ortsnamen Potlock, Pott Bekk, Pott Hall, Sandpot, Stonepot. E. Ekwall (1960, S. 372) führt noch Potcote und Potsgrove auf. Im Nordwesten des deutschen Sprachgebiets erscheint dieser Stamm pot- auch in Familiennamen. M. Gottschald (1982, S. 391) nennt Pothmann. Die ebenda verzeichneten Familiennamen Forschepoth (< Frosch-), Kranpoth (zu Kranich), Norpoth (< Nord-) setzen gleichlautende Ortsnamen voraus. Adressbücher belegen Potthoff, Potthorst. Mit Schwundstufe schließt sich hier wahrscheinlich das bei H. Dittmaier (1963a, S. 236) erwähnte Deminutiv Puttel an, sowie ahd. puzza, pfuzza fem., puzzi, pfuzzi mask., mhd. pfütze, nhd. Pfütze, mnd. putte ‘Grube (mit Wasser)’, altnord. pyttr, schwed. dial. putt ‘Wasserloch’, altengl. pytt, pyt, mittelengl. put, pit, neuengl. pit usw. E. Kück (1962, S. 589) verzeichnet Putt in der Bedeutung ‘kleiner schmutziger Teich’. – Dagegen weisen die bei H. Dittmaier notierten Formen Pudel, Puddel, sowie ags. pudd ‘Wassergraben’ mittelengl. podel, neuengl. puddle, nhd. mundartl. (hessisch, auch schlesisch) das Deminutiv Pfudel ‘Schlammpfütze’ dentale Media auf.12 In den beiden Substantiv-Stämmen *pauta- / *puta- liegen verschiedene Stufen des quantitativen Ablauts vor. Dieser ist ein typisches Kennzeichen indogermanischer Sprachen; der in *pauta- vorliegende Vokal /a/ deutet auf Zugehörigkeit dieser Stämme zum Germanischen,13 germ. /au/ ist lautgesetzlich aus idg. /ou/ entstanden. – H. Falk & A. Torp (1909, S. 219) und J. Pokorny (1959–1969, S. 99) rechnen mit einer idg. Wurzel *beu-, bu-, die im Germanischen mit zwei verschiedenen Dentalsuffixen erweitert sei. Wiederum anders wollte H. Kuhn (1961, S. 9) putt- / paut- seinem hypothetischen ‘Nordwestblock’ zuschreiben.14 Dagegen spricht aber das Vorkommen dieses Substantiv-Stammes in mittel- und hochdeutschen Mundarten sowie in Skandinavien. – Zum anlautenden p- vergleiche man noch die Beobachtungen von G. Müller (1976b) und R. Lühr & K. Matzel (1986).

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14

Zu Pfudel vergleiche man J. & W. Grimm 1854 ff., s.v. Speziell bei Pfütze (mit ursprünglichem kurzen /u/) gibt es divergierende Auffassungen. H. Falk & A. Torp (1909, S. 861 s.v. pyt) sprechen sich für germanische Herkunft aus. Dagegen halten H. Beck (1981, S. 2 f.) und A. Dalen & N. Århammar (1986, S. 291) (mit Th. Frings) das Wort für eine frühe Entlehnung aus lat. puteus ‘Brunnen, Zisterne’. A. Dalen & N. Århammar räumen aber ein, dass das Germanische daneben „möglicherweise“ ein Wort *putta- oder ähnlich ‘Pfütze, Pfuhl’ besessen habe. Zu dessen Widerlegung vergleiche man zuletzt J. Udolph (1994, passim).

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Beiträge zu Personennamen

Es hat sich gezeigt, dass die beiden germanischen Nominalstämme, mit denen wir cela- und paut(h)a- identifiziert haben, häufig benutzt worden sind, um Stellenbezeichnungen zu bilden. Das stützt unsere Analyse. – Das Determinativkompositum *Kela-pauta- ist etwa als ‘Tümpel in der Schlucht’ zu übersetzen. (Den Menschen mag er Brauchwasser geliefert und als Viehtränke gedient haben.) Kelapautara-, die suffixale Ableitung davon, benennt die Matronen, die an diesem Platz wohnen und ihn beschützen. Dieser neu aufgetauchte Matronenbeiname ist demnach wie viele andere topisch. – Mit seiner Folge offener Silben – ohne Konsonantenhäufungen – lässt er sich leicht aussprechen. Die Reihe der germanisch zu deutenden Matronenbeinamen hat sich verlängert. Zusammenfassung Ein neugefundener Matronenbeiname (Celapautharae) ist als nord-westgermanisches Determinativ-Kompositum zu deuten. Sein Erstglied gehört zu altsächs. kela ‘Gurgel, Vertiefung’, das Zweitglied zu poot ‘Tümpel’, die Stellenbezeichnung *Kela-pauta- bedeutet dann etwa ‘Wasserstelle in der Schlucht’. Auch diese matronae heißen also nach dem Platz, an dem sie wohnen.

Abstract A Latin inscription found near Muenstereifel, presents Celapautharae as a new epithet of the Matronae. It is interpreted as a North-west-Germanic compound: cela belongs to Old Saxon kela ‘gorge, hollow’, and pautha to poot ‘pool’. The name as a whole then means ‘belonging to the pool in the gorge’, referring to the place, where the goddesses live.

Die germanischen Matronenbeinamen [Matronen und verwandte Gottheiten (1987), S. 103–132. Beihefte der Bonner Jahrbücher 44]

Die Beinamen der Matronen haben als sprachliche Zeugnisse hohen Wert. Sie sind nicht, wie die epichorischen Namen in den literarischen Werken des Caesar, Plinius, Tacitus, im Lauf einer langen handschriftlichen Tradition Abschreibfehlern ausgesetzt gewesen, die zum Teil so schwer sind, daß diese Namen als hoffnungslos verderbt und darum undeutbar angesehen werden müssen. Vielmehr besitzen wir in den zahlreichen Steininschriften die Originalurkunden. (Literarische Bezeugungen von Matronenbeinamen gibt es nicht.) Die Matronenbeinamen gehören zu den ältesten authentischen Zeugnissen in einer germanischen (bzw. keltischen) Sprache. Die Denk-mäler setzen vermutlich um 170 nach Chr. Geb. ein. Fast gleichzeitig beginnen im Norden die ältesten Runeninschriften. Infolge ihres Alters bereiten die Matronenbeinamen einer Deutung erhebliche Schwierigkeiten. Zwar gibt es mehrere wichtige und fortschrittbringende Untersuchungen, aber im Mittelpunkt germanistischer Forschung haben diese Namen kaum je gestanden. Neue Deutungsversuche sind durchaus am Platze. 1. Aus der Geschichte der Forschung sollen hier nur die wichtigsten Namen genannt werden. Grundlegend war der große Aufsatz von M. Ihm aus dem Jahre 1887. Ihm postulierte (1887, S. 21), „daß in all diesen mannigfachen Beinamen Namen bestimmter Örtlichkeiten zu suchen sind“. Dieser These sind F. Kauffmann (1892a), J.B. Keune (1888) und M. Siebourg (1933) gefolgt, dagegen haben Lehner 1906), Cramer und andere sie lebhaft bekämpft. Cramer (1923, S. 8) formuliert geradezu: „Soweit das Rheinland wenigstens in Frage kommt, ist kein einziger Matronenname von einem Siedlungsnamen abgeleitet“. Er vertritt den Standpunkt, die Matronenbeinamen seien durchweg von Personennamen abgeleitet, und faßt deshalb die Matronen als „göttliche Familienmütter“ auf. – Ganz ähnlich hielten Kern und Grienberger die Matronenbeinamen für Ableitungen von Sippennamen. Mit Ihms Auffassung dagegen ist jene verwandt, die damit rechnet, daß den Matronenbeinamen Namen von pagi zugrundeliegen. Das ist jetzt durch

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Beiträge zu Personennamen

Rügers Deutung der Grundwörter als der Namen von curiae modifiziert worden. Besonders wichtig war dann die Monographie S. Gutenbrunners aus dem Jahre 1936, die den germanischen Götternamen insgesamt gilt. Er hat sie als gerade Dreißigjähriger veröffentlicht. Aufgrund der eingehenden Erörterung der einzelnen Namen bildet sie bis heute die Grundlage jeglicher Beschäftigung mit diesem Thema. Sie verdient unsere Dankbarkeit, auch wenn wir im folgenden in Methode und Ergebnissen von ihr mehrfach abweichen. Wertvoll ist da schon allein die damals vollständige Liste der Matronenbeinamen mit dem Nachweis der Kontexte. – Aus jüngerer Zeit sind zu erwähnen ein kurzer Aufsatz von H. Krahe (1962) und mehrere Vorschläge von H. Birkhan in seinem Buch Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit (1970). – Krahe behandelt aber nur diejenigen Matronenbeinamen, denen nach seiner Meinung der Name eines Wasserlaufs zugrundeliegt. Mehrere Forscher, z.B. auch Birkhan, suchen – wiederum anders als Ihm – in den Namen Aussagen über das innere Wesen der Matronen, ihre Aufgaben oder Funktion. Offenbar haben aber die zahlreichen vorgeschlagenen Deutungen insgesamt den Sprachhistorikern kein rechtes Vertrauen eingeflößt, denn in den vielen Darstellungen der Geschichte der deutschen Sprache werden die Matronenbeinamen als Sprachdenkmäler kaum erwähnt. Immerhin weist G. Baesecke im ersten Band seiner Vor- und Frühgeschichte des deutschen Schrifttums (1940, S. 89) wenigstens knapp auf diese „kostbaren, schwer zu deutenden Namen“ hin. P. von Polenz spricht in seiner Geschichte der deutschen Sprache (1970, S. 28) vom „Weser-Rhein-Germanischen“, das sich zwar „wohl archäologisch, aber kaum sprachlich fassen“ lasse. Einer der Gründe für diese weitgehende Zurückhaltung mag gewesen sein, daß bei vielen Matronenbeinamen mehrere Deutungen rivalisieren, zwischen denen man nicht zu entscheiden wußte. Gutenbrunner selbst hat öfter mehrere Etyma nebeneinanderstehen lassen, die ihm als möglich erschienen, und auch im folgenden wird sich keineswegs immer eine einzige Deutung als die allein treffende herausstellen. 2. Grundsätzlich ist festzuhalten: Die Matronenbeinamen sind lateinische Adjektive in völlig lateinischem Kontext. Das hat zwei Konsequenzen: a. Die Matronenbeinamen haben teil an den Schreib-Eigentümlichkeiten und Schwankungen der provinziallateinischen Inschriften. Um diese Besonderheiten zu belegen, sind im folgenden insbesondere CIL XIII 2,2 Inscriptiones Germaniae inferioris 7776–8860, ed. A. von Domaszewski

Die germanischen Matronenbeinamen

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(1907), herangezogen worden, dazu CIL XIII 2,1 Inscriptiones Germaniae superioris. Diese Wechsel der Graphien reflektieren meistens sprachliche Vorgänge, etwa den Zusammenfall von Phonemen: Schreibung von e für ae : edem 6403; Minerve 1329*; coiiugi dulcissime et castissime obitae 8267; Atheneus 8343. Da dieser Wechsel sowohl epigraphisch wie literarisch häufig auftritt, wäre es überflüssig, hier Beispiele zu stapeln. Seltener belegt ist die Schreibung a für ae : matrona (Dat. Sing.) 6539. Wechsel a / e mehrfach auch in germanischen Völkernamen: Batavi : Betavi, Vataranehae : Veteranehae, Cannanefates : Cannenefatium 6821 (daneben Canonefates und – nur in literarischen Zeugnissen – Canninefates). Vgl. Schönfeld (1912, S. 255). o / u : Romanehae / Rumanehae vgl. Luxurius / Luxorius (H. Happ), Iuccosa neben iocosus; annus (Akk. Plur.) 7813, titolum 6257; vgl. Schönfeld (1911, S. XX) und O. Prinz (1932). Wechsel i/e : diabus 8208, Primicinia 8556, distinat für destinat 7105, caducium 7532, heris 7234 und umgekehrt trebuet 7642, vexelatio 7693 u.ö. i statt ii : Quadrubis 8240 u.ö.; umgekehrt: eiius 6985. Der Digraph ei wechselt mit e (Fachineih- : Fachineh-; Ratheihiae). Aber ei wechselt auch mit i : ipseius 7028, 8249. Vgl. besonders den Personennamen Freiatto, der auch als Friatto erscheint. h / – : exsibitus 1313, eres 6230 u.ö., vgl. Schönfeld (1911, S. XXIII). p statt ph : Nympis 6750 u.ö. für Nymphis. Entsprechend c für ch : Dolicen[o] 7343, Lycnis 7089. Schreibung von th für t: Ambacthius 8788, aber auch umgekehrt t für th : vgl. schon Much (1891a, S. 322) und Schönfeld (1911, XXII). Schreibung -xs- statt einfachem -x- : im Zahlwort sexs; Alexsandrianae 8728; exsibitus 1313, uxsori 6159 u.ö., Saxsanus 7708 u.ö. n vor s, aber auch vor anderen Konsonanten nicht geschrieben: masuetus 6873; mesis ‘Monat’, clemes 7583, Suffix -esis z.B. Apollinesis 6688; aber auch coiux; 8069 usw. Aber Tenuis und Media werden in dieser Zeit und dieser Region anscheinend nicht verwechselt. – Als rein graphisches Versehen (Weglassen bzw. Hinzufügen eines Striches) ist es wohl zu werten, wenn C statt G steht: coniuci 6190 u.ö., Bituricum 6812, Cermano 6552 und umgekehrt Atregtius 7281, Seleugo 7609, ogto 7749. Diese Schwankungen der Graphie finden sich in den lateinischen Inschriften Britanniens ganz ähnlich wieder, vgl. die Sammlung von Colin C. Smith (1983).

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Beiträge zu Personennamen

b. Wir hatten betont, daß die Matronenbeinamen lateinische Adjektiva seien. Das gilt insofern, als sie lateinische Endungen tragen und in die Konstruktionen der betreffenden lateinischen Sätze eingepaßt sind. Doch kommen ihre Wortstämme öfter aus zwei fremden Sprachen: dem Germanischen und dem Keltischen (zu diesen vgl. hier den Beitrag von K. H. Schmidt. Anm. der Hrsg.: Gemeint ist der Beitrag Karl Horst Schmidt, Die keltischen Matronennamen, in: Matronen und verwandte Gottheiten. Beihefte der Bonner Jahrbücher 44, 1987, S. 133–154). Da sich im lateinischen Alphabet Phoneme, die das Lateinische selbst nicht kannte, nicht präzise wiedergeben lassen, werden dafür behelfsweise Buchstaben oder Buchstabengruppen eingesetzt, deren Lautwert annähernd entspricht. (Dieser Vorgang heißt ‘Graphemsubstitution’.) Eine einheitliche, überall gleichmäßig durchgeführte Regelung gibt es da freilich nicht. Bei germanischen Wörtern und Namen sind vor allem die stimmlosen Reibelaute (Spiranten) þ und 8 (nicht aber f) betroffen. So finden sich als Wiedergabe eines germ. 8 entweder lat. c (vgl. Caimin- wenn zu germ. haima-) oder ch oder h- (Fachinehae / Fahinehae), und zwar alle diese drei Graphien gleichwertig und gleichzeitig nebeneinander. (Das Paradebeispiel liefert ein Matronenbeiname, für den sich nebeneinander Chuchenehae, Chuh- und Cuch- finden.) Entsprechend wird germ. þ sowohl durch th und t wiedergegeben. Das besagt aber, daß solche graphischen Divergenzen nicht als Ausdruck älterer bzw. jüngerer Sprachzustände zu deuten sind (etwa in dem Sinne, daß die 1. Lautverschiebung noch nicht oder erst partiell durchgeführt sei), sondern als verschiedene, tastende Versuche, die fremden (germanischen) Phoneme mit den begrenzten Mitteln des lateinischen Alphabets wiederzugeben. Die Mediae 0, ÿ, æ werden mit b, d, g geschrieben. Germ. w ist meist mit Hilfe des Zeichens v geschrieben. Um Beispiele zu finden, wird man sich nicht auf die erwähnten Teilbände von CIL XIII beschränken, sondern auch die entsprechenden Schwankungen in den literarischen Texten einbeziehen. Diese enthalten ja – neben jüngeren Fehlern – auch wertvollste alte graphische Varianten, die auf den jeweiligen antiken Autor selbst zurückgehen; dazu vgl. den Aufsatz von Schönfeld (1912) und dann die Einleitung in seinem 1911 erschienenen Wörterbuch. Auch Gutenbrunner (1936b, S. 14 ff.) gibt eine nützliche Zusammenstellung. 3. Die Adjektiv-Suffixe: Die ältere Forschung hat schon gesehen, daß die Matronenbeinamen aus Wortstamm (der seinerseits zwei- oder mehrteilig sein kann) plus Suffixteil bestehen. Diese Suffixe haben offenbar die Funktion, aus dem zugrunde liegenden Stammwort ein Adjektiv zu machen, das

Die germanischen Matronenbeinamen

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als Attribut hinter matres bzw. matronae tritt. Dabei lassen sich mehrere verschiedene Suffixe beobachten: a. Null-Suffixe, b. -i, -ae, -iae c. -nae, -inae, -enae, -aniae

d. e. f.

-ehae, -eihae, -ahae, -ehiae -anehae, -inehae -ahenae

Die Gruppen a und b unterscheiden sich von c bis f in doppelter Weise: formal, weil sie kein konsonantisches Element enthalten, und semantisch, weil sich nur bei ihnen die nomina actoris finden. Zu b: Die Endungen -i, -ae und -iae sind lateinisch. (Dabei kann -i eine Schreibung für -ii sein; -ii und -iae sind vielleicht deshalb benutzt, weil in der germanischen Entsprechung das Suffix -ja- / -jǀ- vorlag. Zu c–e: Die Herkunft dieser Suffixe und Suffixkombinationen ist unklar. Sie finden sich nur bei den Matronenbeinamen, nicht auch an anderen Götter- oder Göttinnennamen dieser Region. An lateinische Appellativa treten zwar die Suffixe der Gruppe c, nicht aber d bis f. – So gibt es schon mehrere verschiedene Versuche, diese Suffixe zu erklären; als völlig überzeugend kann jedoch keiner gelten. Zu c: Die einzige Bildung auf -enae bzw. -ienae ist Haitienae. Hier könnte das latein. Suffix -eno- bzw. -ieno- vorliegen, das Leumann (1977, § 294.2) bucht (Beispiele: terrenus, Gentilnamen wie Volusienus). Die germanische Adjektivbildung zum Subst. *haiþi- würde *haiþanaz, *haiþinaz oder *haiþnaz lauten. Zu d: Ein Suffix mit -h- findet sich in den hier in Frage kommenden Sprachen sonst nicht; die Schreibungen mit -h- bedürfen also einer Erklärung. Dazu hat Grienberger vorgeschlagen, das h sei eine Behelfsschreibung für das Phonem /j/. Er kann auch auf eine vulgärlateinische Schreibsitte verweisen, die h statt j verwendet, also trihumfis, Mahestinus – aber leider hat er gerade aus dem hier in Frage kommenden Raum diesen Usus nicht belegen können. Wir hätten dann die Graphie -ehae- als die Femininform des Suffixes -Ɲio- oder -eio- zu deuten. Für ersteres erinnert Grienberger an PompƝius usw., das zweite ist im Sprechlatein bezeugt, vgl. sterteia und secutuleia (Petron), locutuleius (Gellius). – Eine andere und wohl bessere Möglichkeit ist, daß h als Hiatustilger gemeint ist. Dann fände sich für das Suffix Anschluß an Bildungen auf -eo-, die ebenfalls im Vulgärlatein beliebt waren, z.B. stimuieus (Plautus und Petron) usw., vgl. Leumann (1977, § 271.1). – Ferner zur Graphie h allgemein N. Wagner (1983c). – Aus CIL XIII vgl. etwa noch das Nebeneinander der Personennamen Biatuccus 3286 und Bihotarris 137, bei denen zweifellos das gleiche Vorderglied vorliegt.

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Beiträge zu Personennamen

Eine Erklärung aus dem Germanischen sucht Gutenbrunner. Er weist (1936b, S. 138 f.) auf runische Schreibungen mit h für j hin (mariha für marija). Etymologisch will er an das urnord. Suffix -ija- anknüpfen, das z.B. in stainawarijaȐ vorliegt. Dabei rechnet er damit, daß sich germ. h und j phonetisch nahe standen. – Doch ist eine Erklärung mit Hilfe lateinischer Schreibgewohnheiten hier gewiß wahrscheinlicher als der Hinweis auf die räumlich fernliegenden ältesten Runentexte. Ein besonderes Problem bilden die ‘langen’ Suffixe e und f, die zwei Konsonanten (-n-h- oder umgekehrt -h-n-) enthalten. Denkbar erscheint z.B. im Falle von Axsinginehae, daß an eine germ. Adjektivbildung *a8singina- ein zusätzliches lat. Adjektivsuffix -e(i)o- angetreten ist. Dies lateinische Suffix würde gewissermaßen zur Verdeutlichung dienen. (Daß zwei gleichartige Suffixe verschiedener Sprachen hintereinandergestellt werden, geschieht auch sonst gelegentlich, vgl. im Deutschen den Typ Äbtissin zu lat. abbatissa, Adjektiva wie sentimentalisch usw.) Zu e: Dies Suffix-Konglomerat scheint vorzuliegen in Ahinehiae, Aviaitinehae, Axsinginehae, Aserecinehae. Fernzuhalten sind aber die Bildungen Fernovinehae, Vanginehae, Atufrafinehae, weil bei ihnen das -n- jeweils zum Stamm gehört, nicht zum Adjektivsuffix. – Bei Axsinginehae (und entsprechend dann vielleicht auch bei den anderen) könnte man erwägen, ob zunächst ein germ. Adjektivsuffix -in- bzw. -ina- angetreten ist, das schon eine Zugehörigkeit bezeichnet. Dies Suffix ließe sich mit mehreren bekannten germanischen Suffixen verknüpfen: 6. Meid (1967, § 93) bucht ein Substantivsuffix -in-, das an feminine Eigenschaftsabstrakta (Typ got. bauhei, Gen. haubeins ‘Höhe’) und Bezeichnungen weiblicher Personen wie got. aiþei ‘Mutter’, þramstei ‘Heuschrecke’ (eigentlich ‘Springerin’) antritt. 7. W. Henzen (1947 = 31965, § 167) spricht gerade bei den Bildungen mit dem Adjektivsuffix -Ưna- davon, daß sie „zur Substantivierung neigen“. <. F. Kluge (1913, S. 225 f.) hat -inehae mit dem got. Motionssuffix -injo in Saurini ‘Syrerin’, ferner mhd. küneginne identifiziert, faßt also h (nach Grienberger) als Schreibung für j auf. 4. Im folgenden geht es darum, die nach Ablösung der Adjektivsuffixe übrigbleibenden Nominalstämme zu analysieren und zu deuten. Hier hat es im Lauf der Forschungsgeschichte krasse Fehldeutungen gegeben. Zwei davon – jeweils von einem anderen Autor – seien vorgestellt, weil sich an ihnen etwas zur Methode lernen läßt:

Die germanischen Matronenbeinamen

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a. Fernovinehae als ‘die mit dem Firnewein, die Firnewein-Trinkenden’. Bei dieser Deutung bleibt die Funktion des Matronenbeinamen ganz unklar. (Auch würde es schwerfallen, für eine solche Benennung Parallelen aus anderen Kulturen beizubringen.) Zudem sind die Matronen auf den Steinen niemals als trinkend (oder mit einem Trinkgefäß in der Hand) dargestellt. b. Etrahenae zu ahd. âdara ‘Ader’, griech. šIGDC ‘Bauch, Unterleib’; sie seien so benannt als Schützerinnen der schwangeren Frauen. Hier ist die semantische Seite schwach: für den Stamm etra- ist eine Bedeutung angenommen worden, die er (als Simplex) im Germanischen nicht hat. Das muß als unstatthaft gelten. (Auch ahd. inƗdri ‘Eingeweide’ bezeichnet nicht spezifisch den weiblichen Unterleib; und schließlich würde man bei einer solchen Funktionsbenennung wohl das Merkmal des ‘Schützens’ erwarten.) Insgesamt haben die Gelehrten, die diese und ähnliche Deutungen publizierten, nur die formalen Möglichkeiten erwogen, aber nicht genügend bedacht, ob ihr Vorschlag auch semantisch plausibel ist. Doch bleibt diese Kontrollinstanz unentbehrlich. Auch die Anhänger der These, daß den Matronenbeinamen stets Ortsnamen zugrundelägen, haben bisweilen wilde Verknüpfungen gewagt. Hierher gehört es, wenn Ihm die Lanehiae zum Ortsnamen Lechenich stellen wollte.1 Da ist nun umgekehrt auf eine genaue formale Entsprechung zu wenig Wert gelegt. Aber zweifellos ist unter den bisher vorgetragenen Einzeldeutungen eine ganze Anzahl richtig oder zumindest teilweise zutreffend. Die besten davon werden wir nun versuchen herauszusortieren, um sie zur Grundlage des weiteren Vorgehens zu machen. Dazu helfen die folgenden Überlegungen: a. Die bildlichen Darstellungen auf den inschrifttragenden Steinen zeigen jeweils mehrere Frauengestalten mit Früchtekörben; man erkennt in ihnen freundliche, den Menschen ihrer Umgebung wohlwollend zugetane Wesen. Bei den Deutungen ihrer Namen sind daher negative Ansätze wie ‘Zerstörerinnen, schädigende Kräfte’ o.ä. als von vornherein kaum wahrscheinlich, ja als abwegig zu betrachten. b. Die Matronenbeinamen sind, da sie stets im Plural stehen, keine Individualnamen, sondern bezeichnen jeweils eine Gruppe. (Auch das stimmt zum ikonographischen Befund.)

1

Eher geht Lechenich zurück auf lat. *Laciniacum und gehört dann zu einem lat. Personennamen Lacinius, vgl. das Cognomen Lacinia in CIL V 3310.

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c. Schon aufgrund der älteren Forschung darf als gesichert gelten, daß es unter den Matronenbeinamen lateinische, keltische und germanische gibt. – Die Endung -ims in Aflims, Vatvims und Saithamims ist eindeutig germanisch und weist stark darauf hin, daß die betreffenden Namenstämme ebenfalls germanisch sind. (Freilich macht gerade Vatvims einer Deutung beträchtliche Schwierigkeiten.) Nur mit den genannten drei Sprachen ist zu rechnen. (H. Kuhn hat übrigens nicht versucht, die Matronenbeinamen in seinen sog. ‘NordwestBlock’ einzubeziehen, so daß uns wenigstens hier die angebliche vierte Sprache – neben Lateinisch, Keltisch und Germanisch – und die Auseinandersetzung mit seinen Etymologien erspart bleibt.) d. Die Trennung zwischen germanischen und keltischen Namen ist nicht immer leicht. Aber es gibt Anhaltspunkte: z.B. existieren Phoneme wie die stimmlosen Reibelaute þ, 8 und f, die im Germanischen durch die 1. Lautverschiebung entstanden sind, im Gallischen nicht; daher deuten die Behelfsschreibungen ch, th – und eben auch das Vorkommen von f – auf einen nicht-keltischen Lautkörper. – Daß man übrigens in der Praxis die Zugehörigkeit durchaus einigermaßen unterscheiden kann, wird schon dadurch bewiesen, daß der keltologische Beitrag K.H. Schmidts von vornherein andere Matronenbeinamen herangezogen hat als der unsere. Es sind nur wenige Matronenbeinamen, die sowohl vom Germanisten als auch vom Keltologen beansprucht werden, wo also derselbe Name dem einen für keltisch, dem andern für germanisch gilt. e. Für germanische Herkunft eines Matronenbeinamens sprechen z.B. der Fugenvokal -a- oder das Suffix -ingi-, das wir auch in gleichzeitigen germanischen Völkernamen (Marsigni, Reudigni bei Tacitus, -676A><<>D>, ->A><<6>, '6GDJ>< bei Ptolemaios, Asdingi bei Jordanes) kennen, vgl. Meid 1967, S. 198 ff. – oder auch der Stamm ala- ‘ganz, all’ (neben kelt. ollo-) wie im Völkernamen Alamannen, und natürlich weitere Wortstämme. 5. Aus den von der älteren Forschung überzeugend gedeuteten Namen ergeben sich vier semantische Gruppen: Ableitungen von Stellen- oder Siedlungsbezeichnungen, d.h. Namen von unbesiedelten oder bewohnten Plätzen, ferner von Stammesnamen, Gewässernamen und von nomina actoris. a. Ableitungen von Stellenbezeichnungen oder Siedlungsnamen. Nur diesen Typ, den sog. topischen, hat – wie erwähnt – Ihm (1887, S. 21 f.) für die Matronenbeinamen anerkennen wollen. Allerdings hat sich bei vielen der Matronenbeinamen, für die Ihm als Stammwort ‘Namen bestimmter Oertlichkeiten’ vorschlug, seine Deutung nicht bewährt. Immerhin wird man die

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älteren ‘topischen’ Deutungen etwa bei den folgenden vier Matronenbeinamen anerkennen dürfen: Mahalinehae, Fachinehae, Textumeihae und Austriahenae. – Dazu im einzelnen: Mahalinehae: Hier wird (seit Ihm 1887, S. 22) allgemein mit *maþla‘Versammlung’ (Falk & Torp 1909, S. 306; de Vries 1961a, S. 376) gerechnet. Dieser Stamm findet sich auch in westfränkischen Ortsnamen, vgl. Gröhler (1933, S. 256), der Hermalle (a. 779 Harimalla), Flémalle (a. 1086 Fleimala) und Momalle (a. 1034 Mosmalle) nennt. Vgl. ferner den Ortsnamen Diotmalli, heute Detmold, und den Personennamen Mallobaudes. Diese Namen beweisen, daß es solche Versammlungsplätze, Thing- und Gerichtsstätten zahlreich gegeben hat; man muß daher den Matronenbeinamen nicht speziell auf den Ort Mechelen in Belgien beziehen. – Im Lautlichen liegt insofern eine Schwierigkeit, als es für den Wandel þ > h in dieser frühen Zeit noch keine Parallelen gibt. (Erst im Althochdeutschen ist er dann gut belegt.) Fachinehae: Hier war die Deutung als Ableitung von einem topischen Namen grundsätzlich richtig, doch müssen die Lautgesetze genauer beachtet werden, s. unten S. 273 f. Textumeihae: Das Stammwort *textuma- besteht aus dem Stamm des Adj. *te8s-wa- ‘rechts’, auch ‘südlich’, und dem Suffix -tuma-, das auch in got. aftuma ‘der letztere (von zweien)’ und iftuma ‘der folgende’ vorliegt. Austriahenae: zu austra- ‘Osten’ (Falk & Torp 1909, S. 6 f.; de Vries 1961a, S. 21; vgl. den Namen der Nordseeinsel Austeravia bei Plin. nat. 4,97). In englischen Ortsnamen ist das Element austr- mehrfach belegt, vgl. Smith (1956, I, S. 14) und den Ortsnamen Austondorph (7. Jhd.), den Bach (1954a, § 313) bucht. Zu dieser Gruppe stellt sich ferner möglicherweise der Matronenbeiname Ulauhinehae (Gutenbrunner 1936b, S. 186). Mit Grienberger (1893, S. 264) und Gutenbrunner (1936b) ist hier als Grundwort das germ. Subst. *lauha- ‘Hain, lichte Stelle im Wald’ (Falk & Torp 1909, S. 372; de Vries 1961a, S. 361) zu erkennen. Nicht so leicht ist das vorangehende u- zu erklären. Gutenbrunner denkt an die germanische Form des Tiernamens ‘Eule’ (Falk & Torp 1909, S. 32; de Vries 1961a, S. 632: *uwwalǀn, *uwwilǀn-); dann muß er Haplologie voraussetzen. Das ist zwar nicht evident, aber keineswegs ausgeschlossen, vgl. den Völkernamen Chasuari < *8aswa-warjǀz. Unproblematisch ist dagegen die Annahme, daß der -nStamm *uwwalǀn- als Vorderglied des Kompositums in der Form *uwwala- erschienen wäre; diese Verkürzung ist vielmehr die Regel, vgl.

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got. guma-kunds (neben guman-) usw.2 – Das Subst. *lauha- ist jedenfalls in literarischer Zeit in deutschen Ortsnamen häufig, vgl. Bach (1954a, § 362 und § 383). Z.B. heißt der Ortsname Ober-Dorla in Thüringen, wo Behm-Blancke (1964) einen germanischen Kultplatz ausgegraben hat, in einer Urkunde von a. 860 Thurnilohum ‘Dornen-Hain’. Auch in Ortsnamen Englands findet sich leah mehrfach, vgl. Smith (1956, II, S. 18). Aber auch der Tiername ‘Eule’ ist als Vorderglied von Ortsnamen bezeugt, vgl. Bach (1954a, § 328). Vgl. den aus einem Ortsnamen entstandenen Personennamen Uhlendorf, ferner den Ortsteil Uhlendahl in Essen und viele andere wie Uhlenhorst, Uhlenbeck, Uhlenbusch. – Das altengl. njle ‘Eule’ kommt häufig in Ortsnamen der Insel vor, vgl. Smith (1956, II, S. 224), und sogar die hier für den Matronenbeinamen angenommene Kombination der Stämme ‘Eule’ und ‘Loh’ findet sich im englischen Ortsnamen Ulley genauso wieder,3 vgl. Smith (1956, II, S. 18). b. Ableitungen von Gewässernamen, speziell Fluß- oder Bachnamen. Hierher gehören z.B. Albiahenae, Aumenahenae, Nersihenae, Renahenae. Auch dieser Gruppe werden sich im folgenden noch einige hinzufügen lassen. Diese Matronen, die nach Flüssen heißen, wohnen offenbar an ihren Ufern oder auch im Wasser; es sind daher vielleicht dieselben Gottheiten, die gelegentlich in den Inschriften dieses Gebiets Nymphae genannt werden. Hier ist Krahes Hinweis zu beachten, daß die gleichen Gewässernamen mehrfach in verschiedenen Gegenden existiert haben. Er warnt deshalb davor, aus dem Auftauchen eines Gewässernamens, den man nur aus einer fernliegenden Gegend kennt, den Schluß zu ziehen, die betreffenden Matronen stammten aus jener Landschaft. Das richtet sich gegen den Versuch Gutenbrunners (1936b, S. 129), aufgrund des Matronenbeinamens Aumenahenae den Kult dieser Matronen schon auf das rechtsrheinische Gebiet zurückzuverlegen. Gutenbrunner hatte den Flußnamen Oumena, heute Aumenau, der im mittelalterlichen Nassauischen bezeugt ist, herangezogen und die Hypothese gewagt, der Matronenbeiname sei schon vor der Wanderzeit im Ausgangsgebiet geprägt worden. – Diese Verknüpfung des Matronenbeinamens mit dem Flußnamen bleibt durchaus möglich; aber die wahrscheinlichste Deutung ist wohl die, daß die Ubier einen Gewässerna-

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Denkbar ist aber vielleicht auch, als Vorderglied mit dem Präfix un- zu rechnen, das z.B. im Namen des Flusses Unvalme und des Umbachs vorliegt (Bach 1954, § 181). Dies un- kann – wie bei nhd. Untier – eine Verstärkung bedeuten. Eine völlig andere Deutung (‘die Flechtenden’) gibt K.H. Schmidt dem Matronenbeinamen unten S. 146. [Anm. der Hrsg.: Gemeint ist K.H. Schmidt, Die keltischen Matronennamen, in: Matronen und verwandte Gottheiten, Bonn 1987, S. 133–154.]

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men der alten Heimat auf einen Fluß ihres neuen Siedlungsgebietes übertragen haben und daß der Matronenbeiname erst dort entstanden ist. Der eine oder andere dieser Flußnamen ist aus dem Germanischen deutbar, so Albi- (vgl. die Elbe), andere gehören eher zu Krahes alteuropäischer Hydronymie, so Nersi-4 und Alma-. c. Ableitungen von Ethnonymen. Beispiele dafür sind die Frisavae (CIL XIII 8633), Hamavehae, Kannanefates, Suebae (CIL XIII 8224; 8225; 8497), Treveri, Vangiones. In vier von fünf Fällen ist dieser Matronenbeiname bis auf das Genus mit dem Stammesnamen formidentisch. Nur bei Hamavehae ist der Stammesname Chamavi suffixal erweitert worden. Was das Auftreten dieser Namen als Stammwörter der Matronenbeinamen bedeutet, läßt sich schwer sagen. Mindestens zwei Möglichkeiten sind denkbar. Es könnte gemeint sein, daß die Matronen in den (außerrömischen) Gebieten der betreffenden Ethnien zu Hause waren (so von Petrikovits unten S. 252 [Anm. der Hrsg.: Gemeint ist H. von Petrikovits, Matronen und verwandte Gottheiten. Zusammenfassende Bemerkungen, in: Matronen und verwandte Gottheiten, Bonn 1987, S. 241 ff.]); allenfalls wäre vielleicht auch denkbar, daß jeweils Splitter der betreffenden Stämme in der Gegend des Matronenheiligtums saßen. d. nomina actoris. Drei von ihnen bilden eine Gruppe: Gabiae ‘die Geberinnen’, Alagabiae ‘die alles Gebenden’ und Arvagastiae ‘die freigebig Bewirtenden’. Formal sind alle drei Rektionskomposita, inhaltlich bezeichnen sie das Beschenken des Menschen. Bei Alagabiae wird das Vorderglied von dem Adjektivstamm ala- ‘all’ gebildet; er kann hier sowohl die Funktion des von geban abhängigen Akkusativobjekts wie auch die einer adverbialen Bestimmung haben, vgl. ahd. alawaltenti ‘alles beherrschend’ gegenüber alabezziro ‘in jeder Hinsicht besser’. Der semantische Unterschied ist gering: entweder ‘die Alles-Gebenden’ oder ‘die in umfassender Weise Gebenden’. Das Vorderglied ala- findet sich auch häufig in germanischen Personennamen: Alwin, Alawid, Alarich. Beim Namen der Matronae Saitchamiae oder Saithamiae gibt es keine allgemein akzeptierte Deutung. Recht einhellig aber rechnen die Forscher damit, daß ein Kompositum mit der Fuge hinter sait- vorliegt. Much (1891b) hat es als Rektionskompositum ‘den (verderblichen) Zauber beherrschend, bannend’ gedeutet, stellt das Vorderglied also zu *saiþa- (Falk & Torp 1909, S. 440; de Vries 1961a, S. 467). Auch dies wäre als eine den

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Zur Niers, alt Nersa, rechter Nebenfluß der Maas; vgl. L. Weisgerber (1954, S. 96 f.; 1958, S. 16); M. Schönfeld (1955, S. 79); H. Krahe (1961b, S. 31–34).

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Menschen freundliche, sie schützende Tätigkeit zu verstehen.5 Die Hinterglieder *gabia-, *gastja-, *hamja- fasse ich als feminine jǀ-Stämme, vgl. bandi ‘Band’ zu bindan. Zu dieser Gruppe treten dann noch die Gavadiae; – dazu unten S. 274 f. Als Zwischenergebnis sei festgehalten: die topischen Beinamen besitzen nur die Suffixe mit -h- und -n-, die von Stellenbezeichnungen, Stammesnamen und Gewässernamen abgeleitet sind. Auf dem Wege zu diesem Resultat war schon Gutenbrunner, wenn er (1936b, S. 190) annahm, „daß alle Matronennamen auf -henae von örtlichen Namen ausgehen“. 6. Welche formalen Hilfsmittel der Analyse ergeben sich? Wir können mehrere Bildungstypen unterscheiden. Nach Abtrennung des Adjektivsuffixes bleiben mehrere Bauformen übrig: a. solche, die nur einen Nominalstamm enthalten und diesen ohne Erweiterung durch Präfix und Suffix: Vatvims, Aflims = Afliabus, Gabiae, Leudinae, Chuchenehae, Vapthiae; b. die einstämmigen mit Präfix: Gavadiae, Antrusteihiae. (Hierher vielleicht auch die hybride keltisch-germanische Bildung Abiamarcae.) ‘Präfixe’ sind ursprünglich Adverbien, sie werden dann im Lauf der Sprachgeschichte 6) zu Präfixen sowohl vor Nomina wie vor Verben, 7) zu Präpositionen. Vgl. Kluge (1913, S. 233). – Im appellativen Wortschatz des Deutschen entsprächen Bildungen wie Amboß, Ameise, Urteil, Umweg, Frevel, Gleis, ahd. ûfhûs ‘Vorhalle’ usw.; c. die einstämmigen mit Suffix: Textumeihae; d. die zweistämmigen: deutlich bezeugt ist hier der Typus des Rektionskompositums, bei dem das Hinterglied das verbale Element enthält: gabjabzw. gastja-. Das Vorderglied enthält ein Akkusativobjekt oder Adverb

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Schulze (1933, S. 478 f.) stimmt Much zu, erwägt aber als alternative Deutung ‘durch Zauber bindend’. Doch ist das kaum besser. – Muchs Deutung des Vordergliedes akzeptiert auch Gutenbrunner (1936b, S. 163 f.), das Hinterglied dagegen will er an *hama- ‘Gestalt’ anknüpfen; er schlägt als Bedeutung vor: ‘die durch Zauber ihre Gestalt ändern können’. Unklar bleibt dabei aber, wie er sich die Bildungsweise des Kompositums vorstellt. Auch semantisch scheint dieser Bedeutungsansatz für die doch wohl an einen Ort gebundenen Matronen wenig zu passen. – Weitere, schwächere Deutungen sind bei Gutenbrunner (1936b, S. 164) aufgeführt.

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(ala-, arva-). – Bisher liegen nur wenige nomina actoris vor. – Possessivkomposita sind nicht belegt.6 Zu beachten bleibt, daß wir nicht immer mit letzter Sicherheit die Grenze zwischen suffigiertem Stamm und Adjektivsuffix erkennen können. 7. Wenn wir nun versuchen wollen, eigene neue Deutungsvorschläge abzusichern und von der Beliebigkeit der Vorschläge, vom Ausstreuen bloßer Einfälle möglichst wegzukommen, dann empfehlen sich mehrere methodische Kautelen: a. Wir verwenden (zunächst) nur diejenigen Beinamen, die ausdrücklich als die von matronae bzw. matres bezeichnet sind und die infolgedessen im Plural auftreten, meist im Dativ des Empfängers. Individualnamen von einzelnen Göttinnen werden im folgenden somit nicht einbezogen. Dabei lassen wir vermutlich Göttergestalten beiseite, die mit den Matronen nah verwandt sind. Z.B. ist es wahrscheinlich, daß die ebenfalls im Plural genannten Ahueccaniae von Köln eine den Matronen ähnliche Gruppe bilden; aber beweisen läßt sich das vorderhand nicht. b. Ebenso grenzen wir das Untersuchungsmaterial räumlich klar ab: einbezogen werden im folgenden nur die Matronenbeinamen aus der Germania inferior, dagegen nicht die aus Südgallien, auch nicht die aus Britannien usw., zunächst nicht einmal die aus der Gegend von Heidelberg in der Germania superior. Zweck dieser zweifachen Einschränkung ist es, das Spezifische der niederrheinischen Matronenbeinamen zu erfassen und die Chance zu vergrößern, eine geographisch und funktional homogene Gruppe zu erhalten. Bei ihr besteht dann am ehesten die Chance, daß die einzelnen Namen auch semantisch enger zusammengehören. c. Die Hapax legomena werden beim ersten Durchgang ebenfalls nicht berücksichtigt. d. Genaue Beobachtung der Wortbildung und speziell der stammbildenden Suffixe. Dabei ist stets zu fragen, ob sich Anschluß bei den bekannten Bildungstypen des Germanischen findet. e. Zur Deutung werden im folgenden nur solche Wortstämme herangezogen, die in den germanischen Einzelsprachen belegt sind, d.h. praktisch nur das Material, das in dem alten Werk Wortschatz der germanischen Spracheinheit von Falk & Torp (1909) gebucht ist. Wir verzichten hier also darauf, 6

Sie waren auch kaum zu erwarten, da das Germanische diesen Bautyp bekanntlich stark eingeschränkt hat. Er dient nur noch zur Angabe körperlicher oder seelischer Besonderheiten bei Mensch und Tier.

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mit Hilfe allein der anderen indogermanischen Sprachen für das Germanische Wörter zu rekonstruieren. f. Die vorgeschlagenen Namensdeutungen dürfen nicht im Widerspruch zum ikonographischen Befund stehen. g. Soweit als Grundwörter Stellenbezeichnungen vorgeschlagen werden, fragen wir stets weiter, ob das angenommene Wort sich auch in der späteren deutschen, englischen (und südskandinavischen) Namengebung wiederfindet. Hier leisten Bachs Namenkunde (1952–1956) und Smiths PlaceNames (1956) unschätzbare Hilfe. 8. Für zwanzig Matronenbeinamen schlagen wir im folgenden neue Deutungen vor. Ältere Etymologien werden oft, aber nicht immer diskutiert. Bei den Versuchen, die Matronenbeinamen sprachlich zu analysieren, erwies sich der am Rheinischen Landesmuseum in Bonn neugeschaffene ‘Index mehrzahliger weiblicher Gottheiten’ als ein höchst nützliches Arbeitsinstrument. Axsinginehae Wie oben S. 255 erwähnt, ist die Schreibung xs statt einfachem x eine in den lateinischen Inschriften dieser Zeit häufig anzutreffende Besonderheit. Als Wortstamm löst sich *axingi- heraus. Er stellt sich zu alten Ortsnamen wie Aspingi a. 852 ‘Espenplatz’, Hesingi a. 834 ‘Heistern-Ort’ (heister bezeichnet einen jungen Baum, meist eine Buche), Sulingi ‘Ort, wo es Kotlachen gibt’, Sumeringi ‘Ort mit viel Sonne’, Groningi ‘Ort, wo es Grün gibt’ (Bach 1954a, § 95). Auch Gutingi = Göttingen ‘der Ort an der Gotte, einem Bach’ (Erstbeleg a. 953) gehört hierher. Schon bei Ptol. 2,11, 13 findet sich der Ortsname [H@6A><<>DC, der zu *askali- / *askili- gehört.7 – Für Dänemark vgl. Steenstrup (1908, S. 33), der auf Ortsnamen wie Heding, Torning, Korning hinweist. Das Grundwort aller dieser Belegwörter bezeichnet eine Naturgegebenheit, mehrfach treten Pflanzennamen auf, und so liegt es nahe, in ax- das germanische Wort für Getreideähre, *ahsa- zu erkennen (Falk & Torp 1909, S. 7 f.; Pokorny 1959–1969, S. 21 f.; Feist 1939, S. 17; de Vries 1961a, S. 21). Die Bedeutung des Toponyms wäre demnach ‘Ort, wo es (reichlich) Ähren gibt’.

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Mehrere Bildungen mit diesem l-Suffix nennt Bach (1954, § 248): Eichel, Lindel, Fichtel. Das sind Deminutiva, vgl. ahd. eihhila ‘kleine Eiche’. Speziell ein *askila, das sich durch Suffixablaut von *askali- unterscheidet, scheint im Namen von Esselborn, Kr. Alzey-Worms, aus *Eschilebrunnen, vorzuliegen.

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Gutenbrunner (1936b, S. 185) hat natürlich das Suffix -ingi- erkannt und mit Recht betont, daß es auf germanischen Ursprung dieses Stammwortes hindeute und den keltischen ausschließe; er erwähnt auch schon – neben anderen Substantiven – als mögliches Stammwort got. ahs ‘Ähre’, entscheidet sich aber nicht für eine bestimmte Deutung. Cuchenehae Daß die beiden Tektale im Stamm dieses Matronenbeinamen mehrfach verschieden geschrieben werden, haben wir oben S. 256 erwähnt und ebenso, daß die Schreibung ch auf die Wiedergabe eines germanischen Phonems weist. Schon Gutenbrunner (1936b, S. 174) bevorzugt daher mit Recht die Verknüpfung mit germ. *hauha- ‘hoch’ vor der keltischen Erklärung, die den Flußnamen Kocher, ahd. Cochana heranzieht (Falk & Torp 1909, S, 91; de Vries 1961a, S. 210). Das -u- von Cuchen- ist vermutlich als Schwundstufe aufzufassen – gegenüber der Vollstufe -au-; dieselbe Schwundstufe liegt auch in nhd. Hügel vor. Der Stamm des Matronennamens wiese dann nur ein anderes Suffix – eben -n- – auf, das aber wohl ebenso deminuierend war wie das l-Suffix in Hügel. Aufaniae Dieser Matronenbeiname ist mit fast 70 Belegen der am häufigsten überlieferte. Eine überzeugende und allseits angenommene Etymologie gibt es bisher nicht, vgl. Gutenbrunner (1936b, S. 159 ff.). Die Verknüpfung mit dem Völkernamen Ubii, die R. Meissner (1929, S. 59) vorgeschlagen hat, z.B. ist unmöglich; ebenso die mit dem Präfix uf, die dann zu dem Bedeutungsansatz ‘die Bereichernden, Aufhäufenden, Mehrenden’8 geführt hat. Es sei nun vorgeschlagen, als das Grundwort germ. *fanja- ‘Sumpf (Falk & Torp 1909, S. 228; de Vries 1961a, S. 117) anzusehen. Dies ist im Gotischen als fani, im Althochdeutschen als fenna, fenni, im Altsächsischen als fenni usw. bezeugt. Auch in Ortsnamen kommt es häufig vor, erinnert sei nur an das Hohe Venn in der Eifel und den Venusberg in Bonn, der lautgerecht *Fennesberg heißen sollte und im Dialekt noch heute so genannt wird. – Als Hinterglied von komponierten Ortsnamen liegt feni- vor in Hadunveni im 9. Jhd., in Sutfeno a. 1053, heute Zutphen, d.h. ‘südlicher Sumpf’. Daneben gibt es Noordveen, Grossefehn usw., vgl. Bach (1954a, § 8

In der Literatur nennt man sie auch mit einem seltenen und nicht unmittelbar verständlichen Dialektwort ‘die Äufnenden’. Das geht zurück auf Much (1891b, S. 315 ff.). Er rechnete mit einem germ. Verb *au-faniana ‘emporbringen’; der Matronenbeiname bedeute also ‘die (den Gedrückten) Aufrichtenden, (den Vertrauenden) Emporhebenden’.

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309) und D. Hofmann (1970, S. 95–108). – Zu fenn als Bestandteil englischer Ortsnamen vgl. Smith (1956, I, S. 170 f.). Ebenso ist es in zahlreichen westfränkischen Ortsnamen vorhanden, vgl. Gröhler (1933, S. 278 f. – Im Altnordischen bezeichnet Fensalr ‘Moor-Saal’ den Wohnsitz der Göttin Frigg; in den deutschen Dialekten der Gegenwart bedeutet es nicht nur Sumpf; für Schleswig vgl. Th. Storm, Auf dem Staatshof: „... Fennen, wie hier die einzelnen, fast nur zur Viehweide benutzten Landflächen genannt werden.“ Als Vorderglied ergibt sich dann das Präfix au-. Es ist in den meisten indogermanischen Sprachen belegt (Pokorny 1959–1969, S. 72 f.), hier seien nur lat. au-ferre ‘wegtragen’ und lett. au-manis ‘unsinnig’ erwähnt, das in seiner Bildung etwa dem lat. de-mens entspricht. Dies Präfix au- gibt es aber auch im Altindischen, Griechischen, Keltischen usw. Das alles würde freilich wenig besagen, wenn damit zu rechnen wäre, daß es gerade im Germanischen fehlt. Hier ist es zwar, sobald die literarischen Texte einsetzen, nicht mehr als Präfix belegt, wohl aber wird es von dem Adj. *auþja(mit Suffix -þja-) ‘fern, abgelegen’ vorausgesetzt, aus dem nhd. öde entstanden ist. Falk & Torp (1909, S. 4) hat deshalb zu Recht ein eigenes Stichwort (wenn auch in Klammern) angesetzt.9 Es bedarf also nur der leichten Annahme, daß das Präfix au- im Germanischen erst nach dem 2. Jahrhundert, aber vor dem Einsetzen der literarischen Überlieferung ausgestorben ist. *au-fanja- bzw. *au-fani- wäre dann das ‘abgelegene Fenn’. Tummaestiae Diesen Namen wollte Werle (1910, S. 66) übersetzen als ‘die gewaltig Verderblichen’ (zu þus- und altnord. meita ‘verletzen’). Aber das ist semantisch durchaus unwahrscheinlich; mit negativen, unheilkündenden Namen ist bei den Matronen kaum zu rechnen. Einen anderen Vorschlag hat R. Much gemacht; ihm folgt Gutenbrunner (1936b, S. 165 f.): Sie sahen im Vorderglied tum- ein Wort für ‘Haus’ (idg. *d·m-, Schwundstufe zu *dem-/ *dom-), im Hinterglied die Entsprechung von altbulg. mČsto ‘Platz’. Doch auch das vermag beides nicht zu überzeugen; ein germ. Substantiv *tum- ist nur unsicher belegt, und die Heranziehung des (etymologisch selbst noch unklaren und isoliert stehenden) slawischen Wortes ist bedenklich, ja unstatthaft. Mit den älteren Forschern ist die morphologische Fuge wahrscheinlich zwischen den beiden m anzusetzen, und wie Werle rechnen wir bei maestdamit, daß ihm der Verbalstamm *mait- zugrundeliegt, aber in der konkre9

F. Mezger (1968, S. 288–297) sucht es außerdem in germ. *audh- ‘eigen, Besitz’.

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ten Bedeutung ‘hauen, schlagen’, speziell ‘Holz fällen’. Ein Verb maitan ist z.B. auch im Gotischen vorhanden; ferner liegt dieser Stamm noch in nhd. Meißel und Ameise vor, sowie in mhd. meiz m. ‘Holzschlag, Holzabtrieb’. – Dies selbe Substantiv findet sich in bayerischen Ortsnamen wie Bodenmais oder Bischofsmais, die mittelalterliche Rodungsnamen sind, vgl. Bach 1954a, § 622. – Während aber dieses mhd. meiz mit einem -to-Suffix gebildet ist, liegt bei *maista- wohl ein -st-Suffix vor. Die dann entstandene Konsonanz -tst- führt über einen Dissimilationsvorgang wieder zu -st; das zeigen zwei Parallelen, bei denen ebenfalls eine Verbalwurzel im Spiel ist: altnord. nist ‘Spange am Kleid’ zur idg. Wurzel *ned- ‘knüpfen, verbinden’, die auch in got. nati ‘Netz’ vorliegt, ferner ahd. hlast ‘Last’ zu hladan ‘laden’ usw. – Diese Deutung setzt voraus, daß der germ. Diphthong /ai/ zugrundeliegt; das ist eine leichte Annahme, denn germ. ai konnte im Lateinischen kaum anders als ae geschrieben werden. (Die gelegentlich vorkommende Schreibung ai benützte einen Diphthong, den das Lateinische nicht kannte, mußte also im lateinischen Kontext fremdartig, barbarisch wirken.) Das Vorderglied tum- läßt sich am ehesten mit germ. *tǀma- ‘leer, frei von etwas’ (Falk & Torp 1909, S. 164; de Vries 1961a, S. 594) verknüpfen. Dann wäre hier ein (langes) o mit lat. u geschrieben, was sich auch sonst in den Inschriften belegen läßt, vgl. oben S. 255. Ferner ist vorauszusetzen, daß der Fugenvokal nach der langen ersten Silbe synkopiert worden ist. (Damit hat schon Gutenbrunner 1936b gerechnet.) Zugrunde läge ein Toponym, das etwa ‘leerer Holzfällplatz’ oder ‘geschlagene Lichtung’ bedeuten würde. Etrahenae Zur Deutung dieses Matronenbeinamen ist daran zu erinnern, daß in vulgärlateinischen Inschriften häufig e für ae geschrieben wird. Somit stellt sich der Namensstamm zu dem germ. Subst. *aitra- (Falk & Torp 1909, S. 2; de Vries 1961a, S. 98). Im Althochdeutschen ist dessen aktuelle Bedeutung ‘Gift, Eiter’, aber H. Petersson hat in einem schon 1921 publizierten Artikel, der dann 1956/57 nachgedruckt worden ist, darauf hingewiesen, daß die Grundbedeutung der idg. Wurzel *oid- ‘schwellen’ war10 und diese auch noch im Germanischen erhalten gewesen sein muß, vgl. Pokorny (1959–1969, S. 774). Ihm folgen mit Recht Krahe (1956) und A. Greule (1973b, S. 177 f.). Dies germ. *aitra- bildet das Grundwort in vielen Namen von fließenden Gewässern. Es sind die sogenannten Eiter-Bäche, die A. Schmid (1962, 10

Vgl. griech. Oidipus ‘der mit dem geschwollenen Fuß’.

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S. 117 ff.) ausführlich behandelt hat. Sie stellt zahlreiche Wasserläufe namens Eiterbach, Aitrach usw. zusammen, viele davon konzentrieren sich in Süddeutschland, aber einer findet sich auch im Kreis Malmedy, also in der Nähe des Matronengebietes. Ferner gibt es in Norwegen Eiterbaekken, Eiteraa usw. Zu dieser gut bezeugten Gruppe gehört nun gewiß auch unser *etra-.11 Diese Deutung hat im Grunde schon Ihm (1887, S. 27) erzielt, der den süddeutschen Flußnamen Eitrach (bei Donaueschingen) heranzog. Gesahenae Die Matronenbeinamen Etrahenae und Gesahenae sind in zwei Inschriften (CIL XIII 7890 und 7895) miteinander verknüpft. Auch bei Gesahenae darf man das e der ersten Silbe als Schreibung für ae, d.h. germanisch ai, auffassen, wie schon Much (1925a, S. 35 Anm. 1) gesehen hat. Zur Deutung ziehe ich das altnord. Verb geisa ‘rasen, stürmen’ (de Vries 1961a, S. 162 und 98; Pokorny 1959–1969, S. 299 f.) heran, welches das Präfix ga-, mit dem wir schon in Gavadiae gerechnet haben, und einen Stamm ais- enthält, der wohl auch in lat. ira vorliegt und eine lebhafte Vorwärtsbewegung bezeichnet. Daher tritt er mehrfach in Gewässernamen auf, z.B. ist der norw. Flußname Eisand (ohne das Präfix) formal ein Partizipium Präsentis zu diesem Verbalstamm. Auch hier im Matronenbeinamen wird man Gesa als einen Fluß- oder Bachnamen auffassen; damit stellt sich auch semantisch die Parallelität zu Etra ein (anders aber Gutenbrunner 1936b, S. 250). Vanginehae Die Kenntnis dieses noch unpublizierten Matronenbeinamens ist dem Index mehrzahliger weiblicher Gottheiten zu verdanken. Zweifellos gehört der Wortstamm zu germ. *wanga- stM ‘Feld, Flur, Wiese’ (Falk & Torp 1909, S. 389; de Vries 1961a, S. 643), das auch mehreren späteren Ortsnamen zugrundeliegt, vgl. Bach (1954a, § 366 u.ö). Hier sei nur an den Ort Wangen im Allgäu erinnert.12 – Auch im Englischen finden sich vangr und vengi als Bestandteil von Ortsnamen, vgl. Smith (1956, II, S. 229 und 230). Für Dänemark vgl. Steenstrup (1908, S. 106).

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Dagegen hat der Namensstamm etra- mit germ. *edura ‘Zaun, Gehege’ (Falk & Torp 1909, S. 24) nichts zu tun; sein t kann nicht eine dentale Media repräsentieren. Das Appellativum Wang hat E. Schröder in seiner Deutschen Namenkunde (1944, S. 263–272) behandelt.

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Turstuahenae Für diesen Matronenbeinamen existieren zwei Belege, die beide etwas zerstört sind, sich aber gegenseitig ergänzen. Als Gutenbrunner (1952b, S. 162 ff.) die eine der beiden Inschriften publizierte, stellte er zutreffend fest, daß von dem in der 2. Zeile stehenden Matronenbeinamen nur 1 3 5 · · RSTV В AHEN В I zu lesen war. (Immerhin ist vom ersten Buchstaben der untere Teil einer senkrechten Hasta erhalten, vom zweiten Spuren einer Schräghasta, wie mich die Autopsie am 5. Juli 1985 gelehrt hat.) Gutenbrunner erwog damals drei Möglichkeiten der Ergänzung: [VV]RSTVA (zu got. waurstw ‘Werk’), [BV]RSTVA (zu altisl. burst ‘steifes Haar, Borste, Dachrücken’) und [BE ]RSTVA. W. Kaspers (1957) wollte zu [HV]RST-

ergänzen.

Doch ist das alles nun dadurch überholt, daß M. Clauss (1976, S. 5 f.) eine aus Düren-Derichsweiler stammende Inschrift (RLM Inv. Nr. 52,0377) veröffentlichte und sofort erkannte, daß sie denselben Namensstamm enthielt: TVRSTVA. Dort ist der Anfangsbuchstabe völlig, vom 2. Zeichen (V) die rechte Schräghaste in Spuren erhalten. So ergibt sich eine Zeichenfolge turstva-, die den Stamm des Matronenbeinamens bildet. Ihm liegt m.E. die Wurzel *þers-, þurs- ‘trocken sein’ zugrunde, d.h. es ist mit der Schreibung t für þ zu rechnen. Das Suffix ist -stva- oder -tva-. Ersteres kennen wir aus gotisch waúrstw ‘Werk’, eigentlich ‘das Geschaffene’, letzteres z.B. aus got. fijaþwa ‘Feindschaft’, eigentlich ‘Zustand des Hassens’ und aus saliþwos (Plur.) ‘Herberge, Wohnung’, wo auch eine Ortsbezeichnung vorliegt, vgl. Meid (1967, S. 162 § 127). Die Wurzel *þers- steht hier in der Schwundstufe (mit ur < r sonans) wie in got. þaúrsus, ahd. durri ‘dürr’ usw. – Die Verbindung von þurs- mit diesem Suffix war bisher nicht bekannt. Daß Bildungen von dieser Wurzel zur Bezeichnung von trockenen Stellen im Gelände benützt werden, belegen zahlreiche Ortsnamen wie Dürrenberg, aber auch Durstbach (Bach 1954a, § 178. 298.7. 310) ferner Dorsten (a. 890 Durstinon) usw. Der Dörsbach bei Arnstein an der Lahn hieß ursprünglich nur Durst. Dieses Subst. *þursti- oder *þurstu- bedeutet allgemein ‘Trockenheit’.

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Sidinae Der Stein mit diesem Matronenbeinamen, ein Matronenaltärchen vom Domhof in Köln, ist erst vor kurzem gefunden, auf einer Müllkippe aufgelesen worden, vgl. B. & H. Galsterer (1983, S. 178). Dort heißt es: Matribus Suebis Sidinis. Dieser Matronenbeiname ist formalidentisch mit einem Stammesnamen -:>9>CD>, der bei Ptolemaios belegt ist, vgl. R. Much (1914/15, S. 227). Aber das bedeutet nicht, daß dieser ostgermanische Stammesname hier zugrundeliegen muß, eher ist die Übereinstimmung so zu erklären, daß beide Namen vom selben germanischen Substantiv abgeleitet sind. Zur Deutung ist an germ. *sƯdǀn- fem. ‘Seite’, auch speziell ‘Seite eines Flusses, Ufer’ oder ‘Meeresstrand’ (Falk & Torp 1909, S. 439; de Vries 1961a, S. 472) zu erinnern; dieser Stamm liegt hier in der ablautenden Form *siden- vor. Dabei ist vorauszusetzen, daß der Lautwandel en > in bereits durchgeführt ist; wofür es mehrere weitere Belege gibt.13 – Daß das Appellativum ‘Seite’ auch später noch in Ortnamen vorkommt, belegt Bach (1954a, § 315c). Auch in englischen Ortsnamen findet sich der Bestandteil sƯde, vgl. Smith (1956, II, S. 122). Die Inschrift ist also vermutlich zu übersetzen: ‘den suebischen Müttern, die am Flußufer wohnen’ – und dann wohl am westlichen, da ja der Stein aus der Nähe des Doms stammt. (Andere Deutungen bleiben möglich, z.B. ist zu erwägen, ob Sidinis womöglich als Attribut zu Suebis zu ziehen ist.) Fernovinehae Hier besteht der Stamm des Matronenbeinamen sicher aus den beiden zweisilbigen Elementen ferno- und vine-. Der Fugenvokal -o ist zwar in den Matronenbeinamen singulär (neben Alagabiae usw.), aber er tritt ebenfalls auf in den germ. Völkernamen Langobarden, Markomannen, im Personennamen Hariobaudes usw. – Für das -e- in ferno- sei daran erinnert, daß e gelegentlich für a steht, z.B. in den ersten beiden Silben des Matronenbeinamens Veteranehae. Das würde dann auf den germ. Stamm *farna‘Farn, filix’ (Falk & Torp 1909, S. 234) führen, eine Pflanzenbezeichnung, die mehrfach in deutschen Ortsnamen auftaucht. Bach (1954a, § 323) nennt aus dem 8. Jhd. Farnowanc, aus dem 9. Farnuwinkel, ferner Fernede (mit Kollektivsuffix -ithi), sowie Fernedehusen, jetzt Varlsen im Kreis Hannoversch-Münden. Das altengl. fearn tritt häufig in Ortsnamen auf, vgl. Smith (1956, I, S. 166).

13

Eine Verknüpfung mit *sedu- ‘Sitte’ (Falk & Torp 1909, S. 428) scheidet sicher aus.

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Gutenbrunner (1936b, S. 184) zählt für ferno- drei Deutungsmöglichkeiten auf, darunter auch die hier vorgeschlagene, läßt aber die Entscheidung zwischen ihnen offen. – Im Mittelalter spielt der Farn in Medizin und Zauber eine wichtige Rolle; dürfen wir das für diese frühe Zeit auch voraussetzen? – Aber auch got. fairneis, ahd. firni ‘alt’ kommt durchaus für die Deutung des Vorderglieds in Frage. (Außerdem weist mich N. Wagner mündlich noch auf altnord. fjƭrn ‘Erde, Land’ hin, das vielleicht auf germ. *fernǀ zurückgeht.) Das Hinterglied könnte zu germ. *venjǀ fem. ‘Weide’ (Falk & Torp 1909, S. 387; de Vries 1961a, S. 664; Bach 1954a, § 454. 459) gehören. Dieser Stamm bildet z.B. in Skandinavien häufig das Grundglied von Ortsnamen, vgl. den norw. Ortsnamen Bergen < Bergwin usw. In Mitteleuropa hat man es in dem bei Ptol. 2,2,14 belegten Ortsnamen ‘,:9><DC oder ‘,:9>CIDJ>CDC gesucht, vgl. Bach (1954a, § 459). In englischen Ortsnamen kommt winn mehrfach vor, vgl. Smith (1956, II, S. 269), ebenso in Skandinavien, vgl. V. Jansson (1951). – Eine andere Deutung hat Grienberger (1893, S. 262) vorgeschlagen: er stellt diesen Matronenbeinamen zu gall. verno- ‘Erle’ (z.B. im Ortsnamen Vernodubrum), rechnet also mit Schreibung f für v, was schwierig ist. Fachinehae, Fahineihae Der graphische Wechsel ch / h deutet auf zugrundeliegendes germ. 8. Wir werden demnach auf die germ. Wurzel *fa8-, idg. pal- ‘festmachen’ (Pokorny 1959–1969, S. 787) zurückgeführt. Im Germanischen hat diese Wurzel die Bedeutung ‘fangen’, vgl. das got. Substantiv gafah Lukas 5,9 ‘der Fang (speziell von Fischen)’. Zur idg. Wurzel *pal- gibt es nun eine Variante *pak-,14 die ebenfalls germanische Kontinuanten hat: altsächs. fac ‘Umfassung, Umzäunung’, ahd. fah ‘Mauer’ usw. Dies ahd. Subst. fah bezeichnet aber auch ein sogenanntes Fischwehr, ein Gerät aus Flechtwerk und Steinen, das zum Fang besonders von Lachsen und Aalen durch die Flüsse gezogen wurde. Dies Substantiv ist nur im Westgermanischen belegt; da tritt es aber auch in der Ortsnamengebung mehrfach auf, vgl. E. Schröder (1944, S. 329 ff.). Anno 959 findet sich an der unteren Lahn Fachbach und weiter an deren Oberlauf der Ort Fachingen bei Diez. An der Weser bei Hofgeismar liegt Vaake (mit niederdeutscher Lautung und Graphie); dieser Ortsname ist im 9. Jhd. als Faca überliefert. M. Ihm zieht ihn in seinem Realencyclopädie-Artikel zur Deutung von Fachinehae heran. Dabei ist aber daran zu erinnern, daß im Matronenbeinamen die Varian14

Dieser Wechsel von auslautender tektaler Media und Tenuis läßt sich an indogermanischen Wurzeln mehrfach beobachten.

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te mit indogermanischer Tenuis vorliegt, also jedenfalls keine unmittelbare Beziehung besteht. Möglich ist freilich, daß auch das aus dem Matronenbeinamen erschlossene *Fachina einen Flußlauf mit solcher Fangvorrichtung bezeichnet, strikt beweisbar ist es nicht. Eine andere Etymologie für den Matronenbeinamen haben Gutenbrunner (1936b, S. 187 f.) und Steinhauser (1963, S. 173) vorgeschlagen; sie ziehen got. faheþs ‘Freude’, sowie die Verben -fahjan ‘Genüge leisten, zufriedenstellen’ und faginon ‘sich freuen’ heran. Lautlich ausgeschlossen ist das nicht, doch macht die formale Erklärung Schwierigkeiten. Wenn man etwa ein Adj. *fahina- ‘zufrieden, fröhlich’ o.ä. zugrundelegen würde, welche Funktion sollte man dann dem Ableitungssuffix zuschreiben? Gavadiae Die genaue Bedeutung dieses Matronenbeinamens ist noch nicht gefunden. Die formale Analyse dagegen ist klar: *gawadja gehört zu den femininen nomina actoris wie alagabia und arvagastia. Der Stamm ist identisch mit got. wadi ntr. ‘Pfand, Handgeld, Wette’; das Präfix ga- findet sich auch beim gotischen Verb ga-wadjon. Dies hat nun an der einzigen Stelle, wo es belegt ist, 2. Kor. 11,2, eine eherechtliche Spezialbedeutung, es heißt: ‘jemanden verloben’. Deshalb hat Kern gemeint, diese Matronen seien als Schützerinnen des Brautstandes oder Stifterinnen von Ehen anzusehen. Philippson, der ihm folgt, übersetzt den Matronenbeinamen als ‘sponsales’. Dem stimmen Much und Gutenbrunner zu. Trotzdem ist das kaum wahrscheinlich, weil es aus allem herausfiele, was sich sonst über die Bedeutung von Matronenbeinamen erkennen läßt. Aber auch mit dem juristischen Begriff ‘Pfand’ kommt man nicht leicht durch, denn er würde ja besagen, daß die Matronen dem Menschen etwas übergeben, damit er sicher ist, daß sie eine Verpflichtung gegen ihn einhalten. – Eher paßt die Bedeutung, die das altnordische Substantiv veð hat: ‘anvertrautes Gut’. Dann würde der Beiname darauf deuten, daß die Matronen dem Menschen etwas anvertrauen, das eigentlich ihnen gehört – vielleicht ein Feld oder eine Wiese –, damit er sie nutzen kann. Neben Gavadiae findet sich die Variante Gavasiae CIL XIII 12067, jetzt im Rheinischen Landesmuseum in Bonn. Das da geschriebene -s(statt d) ist noch unerklärt. Aber man wird wohl eher mit einem Lautwandel oder einer rein graphischen Abweichung rechnen als das got. Verb gawasjan ‘jemanden bekleiden’ heranzuziehen, wie Gutenbrunner (1936b, S. 159) es tut. Bisher haben wir zwölf Matronenbeinamen morphologisch analysiert und mit germanischen Wortstämmen und Präfixen verknüpft. Diese Deutungen führten in ihrer Mehrzahl auf Stellenbezeichnungen oder Siedlungs-

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namen, in vier Fällen auf Gewässernamen, also zu zwei großen semantischen Gruppen. Diese Einheitlichkeit spricht wohl dafür, daß die vorgeschlagenen Deutungen zutreffen. Damit ist der Grundgedanke Ihms mit Hilfe von umfangreicherem Material bekräftigt – allerdings unter der Einschränkung, daß doch für einige Matronenbeinamen auch nicht-topische Bedeutungen anzuerkennen sind, z.B. für Gabiae, Alagabiae, Arvagastiae sowie für Gavadiae. Topische Beinamen von Gottheiten waren in vielen Kulturen beliebt; in der griechisch-römischen Antike finden sich beispielshalber Venus Paphia, Iuppiter Dolichenus, die Mater Idaea und zahlreiche andere; im Christentum Die Liebe Frau von Einsiedeln usw. 9. In einem zweiten, kürzeren Durchgang soll nun noch eine kleine Gruppe von Matronenbeinamen behandelt werden, von denen jeder eine besondere zusätzliche Schwierigkeit bietet. Da wir nun festeren Boden unter den Füßen haben, läßt sich das jetzt mit größerer Zuversicht tun. Zunächst geht es um fünf Hapax legomena. Gratich[ihenae] Die Ergänzung ist unsicher und bleibt im folgenden aus dem Spiel. Das erhaltene Stück gratich[ ist vermutlich ein suffixal erweiterter Nominalstamm. Der germ. Stamm *grat- (Falk & Torp 1909, S. 139; Pokorny 1959–1969, S. 440) liegt vor in ahd. und mhd. graz ntr. ‘Sprossen, Schößlinge oder junge Zweige von Nadelholz’, und dazu ist im Mittelhochdeutschen das Neutrum grazzach ‘junges Gesproß von Nadelholz’ belegt.15 graz ist also mit einem tektalhaltigen Suffix erweitert wie zahlreiche weitere mittel- und althochdeutsche Substantiva, die durchweg Kollektiva, meist von Pflanzen, bezeichnen: ahd. brƗmahi ‘Brombeerdickicht’, dornahi, eihhahi, farnahi, fichtahi, rǀrahi, stnjdahi ‘Gestrüpp’ – aber auch Anhäufungen anderer Art, vgl. ahd. steinahi ‘steiniges Land’, bruohhahi ‘Sumpfgewässer’, gifesahi ‘Spreu’ (mit Präfix gi-), ferner chindahi ‘Kinderschar’ usw. Noch heute finden sich diese Bildungen häufig als Flur- oder Ortsnamen, vgl. Dornach, Haslach, Rispach, Steinach, Stockach, Viechtach usw.; in niederdeutschen Ortsnamen hat dieses selbe Suffix heute die Form -ei, -ey, vgl. die Ortsnamen (oder davon abgeleiteten Personennamen) Bohley, Vogeley, Aspei, Baukey, Bramei, Buschei, Dornet, Ekei, Erlei, Haberei, Haselei, Holtei, Hülsei usw. Mit diesem Suffix darf man auch hier rechnen; dann ist aber das -i- der 2. Silbe von Gratich[ erklärungsbedürftig. Dafür gibt es wohl zwei Wege: 15

Mit dem Substantiv Gras ist dieses graz nicht verwandt.

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entweder rechnet man damit, daß es neben -ahi auch die Variante -ihi gegeben hat. Solches Nebeneinander von Suffixen mit verschiedenen Vokalen (Suffixablaut) findet sich im Germanischen nicht selten. Man könnte annehmen, daß ein i-stämmiges Subst. *grati- vorgelegen hat, an welches das mit dem Tektal beginnende Suffix angetreten ist. – Oder aber: wir fassen das i als graphische Variante für e auf (Beispiele dafür S. 255) und dieses dann als Ausdruck eines a (vgl. S. 255). Vgl. das in den Inschriften und literarischen Texten bestehende Nebeneinander von Cannanefates – Cannenefates – Canninefates. – Insgesamt gewinnen wir hier als Grundwort des Matronenbeinamens einen Flurnamen ‘Platz, wo junges Nadelgehölz steht’. Ratheih(i)ae Von diesem Matronenbeinamen existiert nur ein Beleg. Das -ei- am Ende des Stammes ist wohl als Schreibung für e zu verstehen, vgl. oben S. 255. Vielleicht gehört der Namensstamm – wie ähnlich schon Gutenbrunner (1936b, S. 172; neben Alternativen) vorgeschlagen hat – zu *raþa‘schnell’, got. *raþs (belegt nur Komparativ raþizo), ahd. rado, mnd. rat ‘schnell’, nhd. gerade. Dann dürfte am ehesten ein Flußname zugrundeliegen.16 Als Parallele sei auf die Rappbode, einen Nebenfluß der Bode im ostwärtigen Teil des Harzes, verwiesen, die a. 1209 noch Ratbode, d.h. ‘die schnelle Bode’, heißt, vgl. Bach (1954a, § 298.9). Aviaitinehae Auch dieser Matronenbeiname ist nur einmal belegt (CIL XIII 8531). Gutenbrunner (1936b, S. 177 f.) verzichtet bei ihm auf jeglichen Deutungsversuch. Folgende Analyse sei hier vorgeschlagen: nach Abtrennung des Suffixkonglomerats -nehae bleibt als Stammwort aviaiti-, das am ehesten als Kompositum aus zwei Nominalstämmen aufzufassen ist. Als Vorderglied ist germ. *awi- ‘Schaf’ (Falk & Torp 1909, S. 22; de Vries 1961a, S. 681), ahd. ou fem., mhd. ouwe fem. usw. zu erkennen. Ortsnamen mit diesem Stamm finden sich auch in althochdeutscher Zeit, so im 10. Jhd. Ouwiheim, im 11. Owiperch, vgl. Bach (1952, § 326). – Dies Substantiv wird dann im Deutschen durch das Wort ‘Schaf’ verdrängt, auch mit diesem gibt es zahlreiche Ortsnamen; vor allem Schafhausen, Schaffhausen und Schafhof. Das Hinterglied des Matronenbeinamen läßt sich als germ. *aihti ‘Besitz’ (Falk & Torp 1909, S. 1; de Vries 1961a, S. 682) auffassen, dabei ist 16

Anders, aber kaum treffend Birkhan (1970, S. 524 f. § 254). Er identifiziert den Stamm des Matronenbeinamens mit germ. *raþa- ‘Rad’ und will sie darum als Schicksalsgöttinnen deuten.

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dann mit nicht geschriebenem h zu rechnen, vgl. oben S. 255. Dies *aihti ist eine ti-Bildung zur Wurzel *aig- die in got. aihts, ahd. êht, ‘Herrenland’ (Bach 1954a, § 394) usw. belegt ist. Im Altenglischen bedeutet aeht unter anderem ‘Besitztum an Land, Haus, Wohnsitz’, aber auch ‘lebendes Eigentum’.17 Der Ortsname hieße demnach etwa ‘Grundbesitz, wo es (viele) Schafe gibt’; zur Bildung vgl. etwa das im 7. Jhd. bezeugte Oxinvillare ‘Dorf, das viele Ochsen hat’ (Bach 1954a, § 326). Allerdings läßt sich ahd. êht anscheinend sonst nicht in Ortsnamen nachweisen.18 Bei diesem Matronenbeinamen tritt – wenn die hier skizzierte Deutung zutrifft – erstmals nicht eine Naturbezeichnung, sondern ein Terminus des Bodenrechts auf. Bemerkenswert, daß der i-Vokal des Vordergliedes bei Antritt eines vokalisch anlautenden Hintergliedes nicht getilgt worden ist; vgl. dazu unten S. 284. Alhiahenae Diesen Matronenbeinamen erwähnen wir hier nur am Rande. Er hat zwei Besonderheiten: erstens stammt er nicht aus unserem niederrheinischen Gebiet, sondern aus der Gegend von Neidenstein in Baden, zweitens ist er ein Hapax, bei dem man deshalb mehrfach (Kern und Schönfeld) vermutet hat, daß eine Verschreibung für Albiahenis (Dat. Plur.) vorliege. Aber die Lesung ist sicher, und so darf doch eine Deutung erwogen werden. Gutenbrunner (1936b, S. 189 f.) gibt drei Vorschläge, zwischen denen er sich nicht entscheidet: a. zum Tiernamen ‘Elch’ den fürs Germanischen schon Caes. Gall. 6,27 bezeugt (vgl. de Vries 1961a, S. 100), b. zu got. alhs ‘Heiligtum’, c. zu den bei Tac. Germ. 43,3, genannten Alci, einem göttlichen Brüderpaar. Der dritte Vorschlag läßt sich wohl ausschalten: Der Göttername Alci o.ä. kommt hier aus zwei Gründen weniger in Betracht: erstens kennen wir keine Parallele, wo ein Individualname eines Gottes als Stammwort eines Matronenbeinamen gedient hätte, zweitens bezeugt Tacitus diesen Götternamen nur für die germanischen Oststämme, und es wäre riskant, ihn hier in den äußersten Westen zu übertragen. Schwerer ist zwischen den anderen beiden Verknüpfungen zu entscheiden: Formal wäre in beiden Fällen mit einem Adjektiv auf -ja- zu rechnen: *alhja- ‘der zum Heiligtum gehörende Bereich’ oder *alhja- ‘die Gegend, 17 18

Vgl. W. Winter (1954). In Personennamen kommt eht- vor, vgl. zu Ehtolf zuletzt E. Neuss (1978, S. 154).

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wo es Elche gibt’. – Beide Grundwörter sind in später bezeugten Ortsnamen nachweisbar: alh- ‘Heiligtum’19 in Alsfeld in der Schwalm, das zuerst Alhesfelt hieß, Altenstädt bei Kassel ursprünglich a. 831 Alahstat usw. (Bach 1954a, § 383). – In England sind alh, ealh, elgr mehrfach Bestandteil von Ortsnamen, vgl. Smith (1956, I, S. 8. 150). Markey (1972, S. 371) nennt skandinavische Ortsnamen wie Aelin aus *Alh-winio, Altuna aus *Alatuna usw. Und der Tiername ‘Elch’ liegt z.B. in Ellwangen vor. – Zu bedenken bleibt ein semantisches Problem: es liegt zwar nahe, daß ein Heiligtum nach einer Gottheit benannt wird (das Artemision usw.); weniger plausibel ist es, daß umgekehrt Gottheiten – hier die matronae – nach einem Heiligtum benannt sind. – So ist das wahrscheinlichste, daß dem Matronenbeinamen eine Stellenbezeichnung mit Elch zugrunde liegt. Haitienae Hier ist zunächst die Lesung zu erörtern. Die ersten beiden Zeilen dieser Inschrift werden in CIL XIII 12068, als Matronis Nait[i]enis angegeben. Die Erstveröffentlichung stammt von Lehner (1906, S. 101). Er urteilt über den ersten Buchstaben, wo der Stein beschädigt und flach ausgebrochen ist: „M. E. kann es nur entweder ein N oder ein H gewesen sein, jeder andere Buchstabe ist ausgeschlossen...“. – Heute befindet sich der Stein im Rheinischen Landesmuseum Bonn [Anm.: Die Herausgeber danken dem Landschaftsverband Rheinland / Rheinisches Landesmuseum Bonn für die kostenfreie Reproduktion der Tafel.]. Ein neues Photo, für das ich C. Rüger, dem Direktor dieses Museums, vielmals danke (Taf. 19), und meine Autopsie am 5. Juli 1985 haben deutlich gezeigt: a. daß vor dem A des Beinamens nur ein Buchstabe gestanden haben kann, b. daß dieser rechts eine senkrechte Hasta enthielt, c. daß aber die von Lehner als Alternative für möglich gehaltene Lesung N ausscheidet, weil die Schräghasta aller vier anderen in dieser Inschrift vorkommenden N auf das untere Ende der rechten senkrechten Hasta zuläuft, nicht aber auf die Mitte. Meines Erachtens kommt daher nur ein H in Frage. (Den Schrägstrich halte ich für eine sekundäre, nicht vom Steinmetzen geschaffene Beschädigung des Steins.)

19

Zu alh- vgl. jetzt Th. L. Markey (1972, bes. S. 370 ff.).

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Tafel: Weihung an die Matronae Haitenae. © Landschaftsverband Rheinland / Rheinisches Landesmuseum Bonn.

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Der so gewonnene Matronenbeiname stellt sich dann zu germ. *haiþƯ-, dessen ursprüngliche Bedeutung ‘Heide, Ödland, unbebautes Land, auch Wald’ war (Falk & Torp 1909, S. 64; de Vries 1961a, S. 217). (Dagegen bedeutet got. haiþi- dann ‘bebautes, genutztes Land’.) Dieser Substantivstamm ist in deutschen Ortsnamen der späteren Zeit häufig, vgl. Bach (1954a, § 372). Der Deutsche Generalatlas bucht in seinem ‘Ortsregister’ 248 genau 30 Ortsnamen Heide in der Bundesrepublik (vgl. z.B. Heide in Holstein) und den Niederlanden; dazu kommen viele weitere, in denen heide- erster oder zweiter Bestandteil eines zusammengesetzten Ortsnamens ist. Auch in England finden sich zahlreiche Ortsnamen mit hæÿ, vgl. Smith (1956, S. 219). Zum Schluß sollen noch etymologische Überlegungen zu vier weiteren Matronenbeinamen vorgelegt werden, die jeweils besondere Schwierigkeiten aufweisen. Atufrafinehae Die sieben Belege stammen alle von Steinen aus dem Berkumer Wald bei Mehlem nahe Bonn. Diese Gottheiten sind nirgends ausdrücklich als matronae bezeichnet, wohl aber kommen sie stets im (Dat.) Plur. vor. Für den Beinamen ist noch keine überzeugende Erklärung gefunden. Gutenbrunner (1936b, S. 186) setzt eine germ. Ortsbezeichnung *at þraf(n)i ‘am Turm’ (zu altnord. þrefni ‘Stockwerk’) voraus, betont aber selbst die Unsicherheit dieser Deutung. In der Tat birgt sie mehrere Schwierigkeiten. Schon die Wiedergabe von germ. þr als fr ist kaum glaubhaft (zu erwarten wäre thr- oder tr-), und auch die u-Farbe des postulierten Sproßvokals wäre schwierig zu erklären. Zutreffend scheint es aber, wenn Gutenbrunner mit dem Präfix at- ‘bei, zu’ (Kluge 1913, S. 235; Althochdeutsches Wörterbuch I, S. 759 s.v. az) als erstem Element dieses langen Namens rechnet. Dies wird im folgenden übernommen. – Als zweitem Element sei mit dem Adj. ufara- (Falk & Torp 1909, S. 31; de Vries 1961a, S. 676) gerechnet, das vom Präfix uf- ‘oben, auf abgeleitet ist und ‘der obere’ heißt. Die Annahme einer Synkope in ufra ist leicht, da solche Ausfälle kurzer Vokale im Germanischen auch sonst bezeugt sind. – Als drittes Element bleibt dann fin-. Meiner Meinung nach könnte es identisch sein mit germ. *finna fem. ‘Spitze, Höhenkamm’ (zu diesem zuletzt R. Möller 1979, s.v. Vinnen.) – Allenfalls in Frage käme wohl auch das lat. Subst. finis ‘Grenze’. Die Annahme, daß dies als Lehnwort in das Germanische dieser Region übernommen worden ist, wird dadurch erleichtert, daß lat. finis als Lehnwort noch im Althochdeutschen belegt ist, vgl. die Glosse gifinƝn ‘beendigen, begrenzen’. Auch an den Ortsnamen Vinxt, a. 1556 Fintz, und den dazugehörenden Vinxtbach (Bach 1954a, § 447) wird man sich

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erinnern. Bei ihm muß aber nicht das Appellativum finis vorliegen, sondern der alte, von den Römern gegebene Name kann als Stellenbezeichnung beibehalten worden sein. Der zugrundeliegende Ortsname *Atufrafine würde also entweder von einem ‘oberen Höhenkamm’ oder von einer ‘oberen Grenze’ sprechen. Nicht leicht ist es, den syntaktischen Wert des at- zu bestimmen. In späterer Zeit dienen diese Präfixe ja auch als Präpositionen; aber es bleibt fraglich, ob man das für diese frühe Epoche schon voraussetzen darf oder ob atnicht vielleicht eher als ein intensivierendes Präfix zu ufara- gehört hat, etwa im Sinne von ‘ganz oben befindlich’; vgl. altengl. aetforan ‘vor’. Bach (1954a, § 160) gibt zahlreiche Beispiele dafür, daß Ortsnamen aus syntaktischen Gruppen, die eine Präposition enthalten, zusammengewachsen sind: a. 668 Uparach, heute Überackern am Inn, a. 811 Furihulze, a. 1150 Uzheim, heute Ausheim. Aus Skandinavien vgl. z.B. Uppsala. Entsprechend erinnert Gutenbrunner (1936b, S. 250) an alte angelsächsische Flurnamen wie üt hearge und üt haeÿenum herge. Und sobald die literarische Überlieferung einsetzt, wir also ganze Sätze erhalten, da finden sich in den adverbialen Bestimmungen die sogen. Präfixe in der Funktion von Präpositionen, z.B. got. in seinai baurg, Lukas 2,3, usw. Altengl. uferra ‘der höhere, obere’ ist als Bestandteil von Ortsnamen bezeugt, vgl. Smith (1956, II, S. 224). Alusneihae Dieser Matronenbeiname ist erst in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts aufgetaucht und ebenfalls nur einmal vollständig belegt. J. Gerhards (1974, S. 108) bucht aus Pier bei Düren eine Inschrift, die mit Matronis Alusnehis beginnt und eine zweite, bei der die verstümmelte Form [Ma]tronis [...] usneihis erkennbar ist. Wahrscheinlich gehört dieser Matronenbeiname zum Baumnamen Erle, für den Falk & Torp (1909, S. 26) und de Vries (1961a, S. 686) als germ. Formen *aluz- bzw. *aliza-, *aluza ansetzen.20 Die Form *aluza- mit -u- in der zweiten Silbe wird sowohl von altnord. ƭlr wie von ags. alor gefordert. Für das -n- am Ende des Stammes gibt es mehrere Erklärungsmöglichkeiten: entweder ist das Suffix -sna- angetreten (Meid 1967, S. 114 § 96), das überwiegend feminine Konkretbezeichnungen bildet, vgl. got. hlaiwasna ‘Grabmal’. (Dies Suffix ist zweifellos dadurch entstanden, daß an -iz / -az-Stämme ein Suffix -na / -nǀ antrat.) Oder aber es liegt eine sog. ‘schwache’ Bildung vor, d.h. ein Substantiv, das nach der n-Deklination geht, wie wir es in dem von Ptolemaios überlie20

Zum Baumnamen vgl. auch G. Lerchner (1965, S. 74 f.) und G. Neumann & K. Düwel (1985).

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ferten Flußnamen [A>HKC vorfinden. – Altengl. alor tritt mehrfach in Ortsnamen auf, vgl. Smith (1956, I, S. 9). Amfratninae, Amratninae Diese Matronenbeinamen sind erst kürzlich aufgetaucht, daher bei Gutenbrunner (1936b) noch nicht behandelt. (Der Index mehrzahliger, weiblicher Gottheiten bucht jetzt acht Belege für Amfratninae, einen für Amratninae.) Ihre etymologische Deutung macht Schwierigkeiten. – Beginnen wir mit der selteneren Form Amratninae. Als zugrundeliegenden Nominalstamm wird man etwa amra- ablösen. Im Germanischen gibt es da zwei Homonyme: das Adj. ‘bitter’ (Falk & Torp 1909, S. 16; de Vries 1961a, S. 11) und die Pflanzenbezeichnung ahd. amaro ‘Sommerdinkel, triticum dicoccum’, nhd. Emmer. (Dies Wort liegt auch im Ortsnamen Amorbach vor. Ob Adjektiv und Pflanzenbezeichnung etymologisch zusammengehören, ist unklar.) – Für die Variante mit dem epenthetischen Konsonanten könnte man daran erinnern, daß in norw. amper ‘dasselbe’ und in dem Pflanzennamen ags. ampre / ahd. ampharo / nhd. Ampfer ebenfalls ein Einschubkonsonant auftaucht. Doch macht seine Artikulationsart Schwierigkeiten. Die Konsonanz mr konnte im Germanischen durch eine labiale Media erweitert werden (Beispiel got. timbrjan), aber das Auftauchen eines f weist auf einen vorgerm. Lautstand *ampro- zurück, der kaum erklärbar ist. Aus lautphysiologischen Gründen ist ja stets eine Media als epenthetischer Vokal zu erwarten, vgl. griech. XB7GDID0 < *a-mrotos zur Wurzel *mer-. – Speziell bei dem idg. Adj. *omro- ‘bitter’ (Pokorny 1959–1969, S. 777 f.) ist der epenthetische Vokal auch im Altindischen, Makedonischen, Albanischen bezeugt. – Darf man vielleicht mit einer regressiven Assimilation rechnen, bei der die dentale Tenuis (aspirata) des Suffixes den Labial des Stammes beeinflußt hätte? – Als 3. Möglichkeit wäre an den Vogelnamen Ammer zu denken. Smith (1956, I, S. 9 s.v. amore) bezeugt sein Vorkommen in englischen Ortsnamen.21 Auch eine voll befriedigende Erklärung des Suffixes -atn- findet sich nicht. Zwar könnte man mit ungenauer Schreibung von t für þ rechnen und an das germ. Suffix *þan- erinnern, das z.B. Meid (1967, § 119) erörtert. (Beispiel: altnord. fjÄldi < *felu-þan- ‘Vielheit’), so daß für *amra-þanetwa eine Bedeutung ‘Bitterkeit’ bzw. ‘mit Ampfer bewachsen’ anzusetzen wäre. Aber wir haben leider weder einen Parallelfall, wo eine solche Bildung mit Suffix -þan- zur Stellenbezeichnung geworden oder dies Suffix an einen Pflanzennamen angetreten wäre. 21

Krahe hielt amra- für ein alteuropäisches Wasserwort; aber die Erklärung aus jüngerem, germanischem Material ist mindestens gleichwertig.

Die germanischen Matronenbeinamen

283

Vapthiae ist Hapax in der heute verschollenen Inschrift CIL XIII 8841. Mit allem Vorbehalt sei folgende Deutung erwogen: oben S. 255 wurde gezeigt, daß in lateinischen Inschriften dieses Raums a gelegentlich für ae geschrieben ist und daß a und e sowie ae und e wechseln. Rechnet man mit einer intendierten Lautung waipti-, dann ergibt sich Anschluß an got. waips ‘Kranz’, altnord. vaipa fem. ‘weibliche Kopftracht’. Daneben könnte durchaus eine Bildung mit dem Suffix idg. -ti- = germ. -ÿ- / -þi- gestanden haben. (Allerdings haben diese Bildungen, soweit sie deverbal sind, normalerweise Schwundstufe, vgl. altnord. drift, got. ur-wists. Vgl. aber denominales gamainþs ‘Versammlung’.) – Der Matronenbeiname würde dann etwa bedeuten ‘die mit der (gewundenen) Frauen-Kopfbedeckung’. Bedenklich ist dabei die semantische Sonderstellung dieses Matronenbeinamens – denn die anderen Bildungen mit Suffix -ia- waren durchweg nomina actoris. 10. Unerklärt bleiben vorderhand vor allem die folgenden Matronenbeinamen: Ahinehiae Almav[iahe]nae:

Im Vorderglied könnte der Baumname alma- ‘Ulme’ (Falk & Torp 1909, S. 26; de Vries 1961a, S. 7) vorliegen.

Amnesa[henae] Annanept(i)ae: Anesaminehae Aserecinehae:

(CIL XIII 8629, Hapax) Die Abtrennung des Praeverbs ana- liegt nahe. – Zur Gruppe -pt- vgl. Vapthiae. (Wenigstens hingewiesen sei auf den anklingenden Personennamen fem. Asrecia, der sich auf einem frühmittelalterlichen Trierer Grabstein findet, vgl. E. Gose 1958, 52 Nr. 410). – M. Gysseling (1964, S. 20) bucht ihn als ungedeutet; er gehört aber doch wohl zu dem Vorderglied ans-. Förstemann (1901, S. 130 ff.) bietet die unmittelbar zu vergleichenden Personennamen Asric, Asrihc (= Ansarich). – Diese Kombination führt demnach zu der Vermutung, daß hier ein zweiteiliger germanischer Personenname das Grundglied eines Matronenbeinamens gebildet hat.)

Audrinehae, Authrinehae, Autriahenai Channinae Malvisae

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Teniavehae:

Beiträge zu Personennamen

Da e für ae stehen kann, klingt das Vorderglied dieses Matronenbeinamens an got. tainjǀ ‘Korb’ an. Dies hat auch im Westgermanischen Verwandte, vgl. S. Feist (1939, S. 473). – Doch bleiben die Gestalt des Hintergliedes (mit seinem Element -v-) und damit Bildung und Bedeutung des ganzen Namens unklar. (In der ersten Silbe kann nicht germanisch kurzes e vorliegen, da dies vor n schon zu i geworden ist, vgl. unten S. 285.)

Vallabneihiae, Vallamaeneihiae, Valamniae:

Das gleiche Suffix findet sich im weiblichen Göttinnennamen Ancamna (CIL XIII 4119). – Soll man für den Stamm val- mit lat. vƗllum bzw. seiner Entlehnung ins Germanische rechnen? Daß damit in England Ortsnamen gebildet wurde, belegt Smith (1956, II, S. 244 s.v. wall). In deutschen Ortsnamen scheint aber dies Wort eher selten zu sein, vgl. Bach (1954a, § 241 und 375). Bei mehreren dieser Matronenbeinamen ist denkbar, daß sie noch eine plausible Erklärung aus dem Germanischen finden. Wo die Suffixe mit -hvorliegen, wird am ehesten mit einem topischen Beinamen zu rechnen sein. 11. Zur Sprache a. Elemente der Wortbildung: 6. Präfixe: ga- (Gavadiae und Gesa-), at- (Atufrafinehae), an- (Antrust-), au- (Aufaniae). 7. Suffixe, die zum Wortstamm gehören: -ing- (Axsingi-), -ichi- oder -achi- (Gratichiae). b. Zur Sprachstufe: Vokalismus. Hier ist die sog. ‘urgermanische’ Stufe erreicht. Für idg. ei > germ. Ư zeugt vor allem Sidinae (mit seiner ersten Silbe).22 Der Langvokal Ɲ 22

Die Schreibung -ei- in Alateivia (CIL XIII 8606) kann nicht dem idg. Diphthong ei in *deijos ‘Gott’ entsprechen, da der in dieser Zeit im Germanischen längst zu Ư monophthongisiert ist. Der Ausweg, den mehrere Sprachforscher, darunter Schulze (1933, S. 477 f.) erwogen haben, hier sei ausnahmsweise einmal die alte vorgermanische Lautung bewahrt, ist eine durchaus unwahrscheinliche Annahme ad hoc. Marchand (1959, S. 174 f.) hat diese Schwierigkeit erkannt und schlägt eine Lösung vor: „ei is merely a common Latin spelling for i, as we know from inscriptions and

Die germanischen Matronenbeinamen

285

ist dagegen noch erhalten: Suebae. – Vgl. auch den Göttinnennamen fem. Arvolecia, den Gutenbrunner (1936b, S. 99) treffend zu got. lekinon ‘heilen’ stellt. en > in ist durchgeführt (Sidinae, -vin-), vgl. schon Schönfeld (1912, S. 254), aber Marchand (1959, S. 170 f.). ǂ > ă ist durchgeführt: ala-, gast-, Masana, lauh-. Auch der Kompositionsvokal hat die Lautung a, z.B. in Alusna-. Ausnahme: Fernovinehae. Dazu Marchand (1959, S. 172 f.). Die stammauslautenden Vokale sind in der Kompositionsfuge erhalten geblieben in: Haiti-enae, Avi-ait-. Damit ist ein sehr alter grundsprachlicher Zug bewahrt, vgl. griech. HIG6I69>@n0 usw. Ablaut im Stamm liegt vor in Sidinae (aus *sƯden-) zu *sƯdǀn- ‘Seite’. ur aus ·r (wie in -burg- und -furd-) in turstv-. Synkopen: in Rumnae- neben Ruman-, ufra-, Tum-maest-. Sie liegt z.B. auch vor im Völkernamen Hermunduri, im Ortsnamen &DsE?DJG9DC usw. Konsonantismus: Die 1. Lautverschiebung ist in allen drei Schritten durchgeführt. – Früher Wandel þl > hl in Mahal- (?). Fälle von westgermanischer Konsonantengemination sind in den Matronenbeinamen noch nicht zu beobachten. (Allenfalls käme Ettrahenae dafür in Frage.)

manuscripts as well as from Orthoepie and grammarians’ Statements“. – Doch ist das nicht die einzige Möglichkeit. Die lateinische Graphie ei kann auch für e stehen, vgl. oben § 2 a. Das erlaubt, auf den Vorschlag Kerns (1872) und Th. von Grienbergers (1913, S. 53) u.a. zurückzukommen und got. ga-tewjan, altengl. tƗwjan heranzuziehen. Eine Deutung als ‘die (Göttin), die alles in Ordnung bringt’ wäre zudem semantisch einleuchtender als eine ‘All-Göttin’. (Schon formal wäre für das Femininum ‘Göttin’ der Ausgang -a, nicht aber -ia, zu erwarten; vor allem aber ist einzuwenden, daß die Germanen keine solche herausgehobene, dominierende weibliche Göttergestalt kennen.) Der Name ist ein Hapax, er deutet hier wohl auf die spezifische Funktion dieser Göttin hin: es ist ein Arzt, der ihr den Stein als Dank setzt. Schon Kern und dann Drexel (1922, S. 44 f.) haben daraus geschlossen, daß sie ein heilendes Numen gewesen sei. Kern weist schon auf das altengl. Adj. æltaʩewe hin, das auch die Bedeutung ‘gesund’ hat. So darf man den Namen wohl geradezu als ‘die völlig Heilende’ übersetzen. – Zudem gewännen wir durch diese Deutung als Rektionskompositum und nomen actoris eine genaue formale Parallele zu Alagabiae, Arvagastiae usw.

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Beiträge zu Personennamen

c. Semantische Gruppen 6. Vom Menschen geschaffene Anlagen: aihti- ‘Besitztum’, fachina‘Fischwehr’, fini- ‘Grenze’, maist- ‘Rodung’. 7. Bodenbeschaffenheit: chuchin- ‘Hügel’, fani- ‘Sumpf’, þurstva- ‘dürrer Boden’, vin- ‘Weide’, lauha- ‘Lichtung’. (Wegen der Bedeutung von lauha- ist aber an Wesche (1932) zu erinnern, der zeigt, daß ahd. loh oft schon die Kultstätte bezeichnet.) <. Wasserläufe: Aumena-, Nersi-, Ratha-, Ruma- und ahva- ‘Wasser’. 9 . Pflanzen: a8s- ‘Ähre’, alusna- ‘Erle’, ferno- ‘Farn’, gratich- ‘Nadelsprossen’. :. Tiere: alhi- ‘Elch’, awi- ‘Schaf, vielleicht uwila- ‘Eule’. 12. Zusammenfassung. – Die Mehrzahl der in den Matronenbeinamen erschlossenen Nominalstämme hat sich auch in Ortsnamen Deutschlands und Englands nachweisen lassen. Das stützt die hier vorgelegten neuen Deutungen. – Alle vier Gruppen von Matronenbeinamen haben Zuwachs erhalten, den stärksten die Gruppe der ‘topischen’. Daher mag enttäuscht sein, wer von der Namensanalyse neue Aussagen über das Wesen der Matronen, ihren Charakter und ihre Tätigkeit erwartet hatte. Noch nicht einmal darüber kann die rein sprachwissenschaftliche Analyse etwas aussagen, ob die Grundwörter der Matronenbeinamen bloße Stellenbezeichnungen sind oder Namen von Siedlungen. Man wird nur annehmen dürfen, daß die topischen Bezeichnungen, die in den Matronenbeinamen enthalten sind, den Bereich angeben, in welchem die Matronen wohnen und walten, in dem sie mit ihren Segenskräften für Wachstum und Gedeihen sorgen. Darauf, daß die Heiligtümer der Matronen in der freien Natur lagen,23 könnte vielleicht der Umstand hindeuten, daß in manchen Inschriften zwei Matronenbeinamen, die von Geländebezeichnungen oder Gewässernamen abgeleitet sind, hintereinander auftreten, z.B.: Matres Alaterv(i)ae et Matres cam-pestres, Matronae Ettrahenae et Gesahenae, Matronae Vatviae Nersihenae, Matronae Rumanehae et Aviaitinebae usw. (vgl. Ihm 1887, S. 36). Denn innerhalb eines Gutshofes oder einer villa rustica wäre vermutlich nur der dort beheimateten einen Matronengruppe geopfert worden. Wenn diese topischen Beinamen – wie wir annehmen – auf den aktuellen Sitz der Matronen deuten, auf den Platz, den sie innehatten, als der Stein zu ihrer Verehrung aufgestellt wurde, dann sind alle diese Beinamen

23

Vielleicht darf man an die Situation der Feldkapellen im katholischen Land erinnern.

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gewiß erst im linksrheinischen Gebiet geschaffen, nicht etwa schon bei der Übersiedlung mitgebracht worden. Als Stammwörter fanden sich ‘Lichtung’ oder ‘Moor’. Sie bezeichnen Stellen in der Landschaft, von denen aus anderen Quellen bekannt ist, daß die Germanen da kultische Handlungen vollzogen haben – einmal durch den Satz der Germania lucos ac nemora consecrant, und anderseits durch die berühmten Funde in Mooren. Hier treten so die Aussagen des Tacitus, die Erkenntnisse der Prähistorie und unsere namenkundlichen Deutungen zu einem einheitlichen Befund zusammen. – Aber die Beinamen lehren nun darüber hinaus, daß die Matronen auch an Feldern, Wiesen und Rodungen verehrt wurden, d.h. innerhalb der vom Menschen kultivierten Natur. Freilich dürfen wir nicht – in allzu starker sprachlicher Verkürzung – von ‘germanischen’ (bzw. keltischen) Matronen sprechen;24 denn es ist zwar wahrscheinlich, daß in den niederrheinischen Matronenkult germanische Glaubensvorstellungen von helfenden und segenspendenden weiblichen Schutzgeistern miteingeflossen sind,25 doch läßt sich nicht ohne weiteres voraussetzen, daß diese schon personale Gestalt besessen hatten. In seiner spezifischen Ausprägung ist dieser Kult nur aufgrund der in diesem linksrheinischen Grenzland bestehenden Symbiose erklärbar; durch den innigen Kontakt der Ubier mit den Gallo-Romanen und ihr bereitwilliges Hineinwachsen in deren Kultur.26 Jede der drei beteiligten Ethnien hat zur Entstehung dieses Kultes ihren Teil beigetragen.

24

25

26

Daß der Kult der Matronen keine gemein-keltische Erscheinung war, wird dadurch bewiesen, daß sie im westlichen Gallien völlig fehlen. Was den germanischen Anteil angeht, so geben die ahd. Glossen itis matrona, itislih matronalis höchstens schwache Spuren eines Kultes der Idisen im westgermanischen, später deutschen Bereich. (Die später bezeugten skandinavischen Diser nennt Ström 6 „kvinnliga gudaväsen, vilkas ursprungliga karaktär röjer sig i deras förbindelse med en fruktbarhetskult av primitivaste typ.“ Dieser Kult habe im wesentlichen dem privaten Bereich angehört.) So ganz ähnlich schon Vogt (1936, S. 2176).

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ANHANG Zum lateinischen Wort matrona. – Nach Bildung und Bedeutung ist es rein lateinisch; es steht in den hier behandelten Inschriften in lateinischem Kontext: wir haben nicht das geringste Recht, hier mit einem Lehnwort aus dem Keltischen zu rechnen. Die Grundbedeutung des lat. Wortes matrona ist ‘verheiratete Frau, Hausfrau’; welche speziellen Konnotationen es aber in religiösem Zusammenhang haben kann, darüber belehrt z.B. Horaz carm. 3,4,59 (in einer der Römeroden): hinc matrona Iuno (stetit). Das enthält den Nebensinn ‘Verehrungswürdigkeit’. Auch in Inschriften aus Comum und dem Ager Comensis sind diese beiden Wörter verknüpft: matronae Iunones CIL V 5450. – Schon Birkhan (1970, S. 540 Anm. 1683) zitiert lateinische Belegstellen aus Texten der Kaiserzeit, in denen matrona ‘verehrungswürdiges, angesehenes weibliches Wesen’ bedeutet, z.B. bezeichnet bei Apuleius met. 3,19 der Ausdruck matronales amplexus ‘Liebschaften mit vornehmen Damen’. Ganz entsprechend ist die folgende Petronstelle zu verstehen 126,11: ... quod ancilla haberet matronae superbiam et matrona ancillae humilitatem. Das übersetzt W. Ehlers (bei K. Müller & W. Ehlers 1983, S. 305): ‘daß ein Mädchen die Arroganz einer Dame besitze und eine Dame die Demut eines Mädchens’. Vgl. ferner Petron 140,1 matrona inter primas honesta ‘eine Dame aus den ersten Kreisen der Gesellschaft’. Wenn Gutenbrunner (1936b) versuchte, scharf zwischen matres und matrona zu trennen, so vermag das nicht zu überzeugen. (Schon Philippson 1950, S. 87, und Birkhan 1970, S. 533, haben es mit Recht abgelehnt.) In CIL XIII 8021 stehen die beiden Termini wie Quasi-Synonyme nebeneinander: matribus sive matronis. Auch in der Formenbildung der Matronenbeinamen ist eine Besonderheit zu erörtern – die Dativ-Pluralendung -(i)abus bei den fem. Ɨ-Stämmen. Früher hat man gelegentlich erwogen, z.B. Heichelheim (1930, S. 2243), daß sie vom Keltischen beeinflußt sei. Das trifft mit Gewißheit nicht zu, vielmehr ist sie vulgärlateinisch, vgl. dazu Leumann (1977, S. 422), der zahlreiche Parallelen auch aus literarischen Quellen nennt. In der Koppelung dis deabusque dient die Endung -abus dazu, den femininen Sexus zu markieren; aber darüber hinaus gibt es mehrere Wörter, die einen Dat. Plur. auf -abus bilden, obschon der Stamm selbst schon auf ein Femininum hinweist, z.B. feminabus, Nymphabus, Fatabus. Leumann betont zudem, daß sich diese Endung -abus besonders bei Namen von provinzialen Göttinnen finde. Vom Dat. Plur. matrabus, der im südlichen Frankreich belegt ist, hat man auf einen Nom. *matra rückgeschlossen. Angesichts solcher Paral-

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lelen wie spätlateinisch nura ‘Schwiegertochter’ (statt nurus) und socra ‘Schwiegermutter’ (statt socrus) (beide in der Appendix Probi aufgeführt, vgl. W.A. Baehrens 1922) ist das nicht ausgeschlossen; anderseits weist Leumann (1977) ausdrücklich darauf hin, daß die Endung -abus nicht nur an Substantiva der a-Deklination antreten konnte, sondern auch an andere, vgl. z.B. Caelestabus. Sie hat sich analogisch ausgebreitet.

Nachweis der hier besprochenen Matronenbeinamen im Index MWG Abiamarcae Aflims Ahinehiae Alagabiae Albiahenae Alhiahenae Almav(iahe)nae Alusneihae Amfratninae/Amratninae Amnesa(henae) Anesaminehae Annanept(i)ae Antrusteihiae Arvagastiae Aserecinehae Atufrafinehae Audrinehae/Authrinehae/ Autriahenae Aufaniae Aumenahenae Austriahenae Aviaitinehae Axsinginehae Channinae Chuchenehae Etrahenae Fachinehae/Fahineihae Fernovinehae Frisavae

100001 ff. 150001 f. 25001 40001 ff. 55001 ff. 65001 80001 95001 ff. 105001 ff. 110001 120001 f. 125001 255001 ff. 145001 150001 ff. 155001 ff. 160001 ff. 165001 ff. 175001 ff. 180001 ff. 185001 195001 290001 305001 ff. 360001 ff. 365001 ff. 375001 ff. 400001

Gabiae 410001 ff. Gavadiae/Gavasiae 430001 ff. Gesahenae 445001 ff. Gratichihenae 455001 Haitienae 469001 Hamavehae 470001 Kannanefates 480001 Lanehiae 525001 Leudinae 535001 ff. Mahalinehae 590001 f. Malvisae 600001 f. Nersihenae 695001 Ratheih(i)ae 785001 Renahenae 790001 Sait(c)hamiae/Saithamims 810001 ff. Sidinae 845003 Suebae 845001 ff. Teniavehae 865001 Textumeihae 870001 ff. Treveri (TREVERAE) 885001 Tummaestiae 890001 Turstuahenae 895001 f. Ulauhinehae 915001 Valamniae 940001 Vallabneihiae/Vallamaeneihiae 935001 ff. Vanginehae 945001 Vapthiae 955001 Vatvims 970001 ff.

Der Name der Sweben [Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus, Teil II, hrsg. von Günter Neumann & Henning Seemann, Göttingen 1992, S. 153–166]

Dies Thema stellt zwei Aufgaben. Erstens wäre zu erklären, warum dieses germanische Ethnonym bei den römischen und griechischen Autoren so auffallend unterschiedlich verwendet wird.1 Das vermag freilich nicht die Sprachvergleichung zu leisten; vielmehr gehört diese Frage in den Aufgabenbereich der Althistoriker; der Beitrag von D. Timpe in diesem Band (S. 278 ff.) führt hier wesentlich weiter [Anm. d. Hrsg.: Gemeint ist Dieter Timpe: Der Sueben-Begriff bei Tacitus, in: G. Neumann & H. Seemann (Hrsg.), Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus, Teil II, Göttingen 1992, S. 278–310]. Anderseits ist zu fragen, was dieses Ethnonym im Augenblick seiner Entstehung besagt hat, welches Motiv der Benennung ihm zugrunde liegen könnte. Da der Name Suebi zufrühest im 1. vorchristlichen Jahrhundert belegt ist, müssen wir seine Prägung mindestens ins 2. vorchristliche Jahrhundert datieren. (Tacitus führt im 2. Kapitel der Germania eine germanische Äußerung an [quidam ... affirmant], nach der der Name Suebi zu den vera et antiqua nomina germanischer gentes gehöre.) Der Zeitpunkt der Entstehung dieses Ethnonyms liegt demnach fast ein Jahrtausend vor den ersten literarischen Bezeugungen durch die westgermanischen Einzelsprachen. Diese riesige Zeitdistanz zwingt uns, neben den Methoden und Hilfsmittteln der Germanistik auch die der Vergleichenden Indogermanischen Sprachwissenschaft heranzuziehen. So wollen wir im folgenden versuchen, dieses Ethnonym aus seiner Isolierung zu befreien, es an ähnliche Bildungen heranzurücken. Zuerst zum graphisch-phonetischen Befund, der jetzt aus Reichert (1987, s.v. Sueb 3, S. 629 ff.) leicht festzustellen ist. Die ältesten Belege gibt Caesar im Bellum Gallicum; da herrscht in den Handschriften die Schreibung mit v vor. Dann folgen Tacitus (mit b)2 und Ptolemaios (mit 1 2

J. Werner (1981, S. 138) spricht vom „schillernden römischen Suebenbegriff“. Hier beweist die alte Korruptel pars verborum statt p. Sueborum in Tac. Germ. 41, daß der Text schon in früherer Zeit in diesem Ethnonym b geschrieben hat.

Der Name der Sweben

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Beta), auch das Monumentum Ancyranum 32 bietet b bzw. Beta. Doch spiegelt dies Schwanken der Graphien nur den lateinischen Wandel von b > w wider;3 das v sagt also nichts über die phonetische Gestalt des germanischen Konsonanten aus. Bei Autoren des 5. und 6. nachchristlichen Jahrhunderts (Victor Vitensis, Jordanes und Prokop) lautet der Stammvokal dann Ɨ. Da wird wohl ein schon seit einiger Zeit durchgeführter Lautwandel erst mit einer gewissen Verspätung in der Schrift wiedergegeben. Die lateinischen Autoren haben offenbar die bei Caesar und Tacitus vorliegende Graphie eine Zeitlang einfach weiterbenützt; denn es gibt Argumente dafür, daß sich der Lautwandel e > Ɨ in mehreren Gegenden der Germania nicht später als 250 nach Chr. Geb. durchgesetzt hat.4 Dort wo der Name der Sweben in lateinischen Versen vorkommt, z.B. in den Hexametern Lucans, des Silius Italicus oder auch Claudians, wird das Ɲ der Stammsilbe lang gemessen; diese Länge ist ja auch durch den späteren Wandel zu Ɨ erwiesen, der nur bei Ɲ eintritt: vgl. das germ. Wort für ‘Mond’: germ. *mƝn-, das mhd. mƗne lautet, oder germ. *mƝga- ‘Verwandter’ : mhd. mƗge usw. Das Ethnonym ist zweisilbig, d.h., der lateinische Buchstabe u ist als Konsonant /w/ zu sprechen. (Aber die lateinischen Dichter, die das Ethnonym nur aus zweiter Hand, aus den Werken der Historiker kennen, wissen das nicht; daher skandieren sie das Wort dreisilbig als Ʉ Ɇ Ⱥ.) In den lateinischen und griechischen Quellen ist Suebi einheitlich ein ǂStamm, das deutet auf einen germanischen ă-Stamm *SwƝbaz, Plur. *SwƝbǀz.5 Mit demselben germanischen -a-Suffix sind mehrere weitere Ethnonyme gebildet, so die altenglischen WƝalas, CrƝcas, Scottas, Húgas, Húnas, Geatas, d.h. die Leute von Wales, die Griechen, Schotten, Franken, Hunnen und Goten. Eine Variante, die nach der schwachen Deklination geht, gibt es daneben nicht, weder in den griechischen und lateinischen Texten noch in den germanischen Sprachen selbst.

3

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Vgl. lat. habere: ital. avere, frz. avoir usw. – Leumann (1977, § 164c): „Vertauschung von b und v (graphisch u) zeigen die Inschriften der Kaiserzeit in weitem Umfang ...“, vgl. deuebet ‘debebit’ CIL III 9450, Futur liceuit ‘licebit’ CIL XIV 166 usw. Die runische Inschrift von Vimose hat makia ‘Schwert’ gegenüber got. mekeis. Beispiele aus griechischen und lateinischen Autoren bietet O. Bremer (1886, S. 18). – Nach Koivulehto hat im Nordgermanischen der Wandel e > Ɨ im 1. Jahrhundert vor Chr. Geb. stattgefunden. Dagegen liegt in ahd. Suâbi, ae. Swaefe m.pl. i-Stamm vor.

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Beiträge zu Personennamen

Was den Geltungsumfang des Ethnonyms angeht, so spricht schon Caes. Gall. 1,37 (und 4,1) von den centum pagi der Suebi.6 Da faßt die moderne Forschung – seit E. Norden – Suebi als Bezeichnung eines Stammesverbandes (einer gens) auf. Die im Elsaß unter Führung des Ariovist auftretenden Suebi waren davon also nur ein kleiner Teil, ein gentiles Kontingent. Neben dem Ethnonym begegnet eine Territorialbezeichnung Suebia sowohl in der Germania des Tacitus, aber auch bei Dio Cassius (ȈȠȣȘȕȚĮ), dort wo er über den Feldzug des Drusus berichtet, und dann noch in der Tabula Peutingeriana; dies Femininum ist gewiß eine Prägung der römischen oder griechischen Ethnographen. Die Germania c. 45 bietet ferner die Junktur Suebicum mare als Bezeichnung der Ostsee; auch sie ist als eine von Römern geschaffene Benennung anzusehen. In der Geographia des Ptolemaios (2,11) finden sich dreimal Verbindungen von -s=7D> mit einem zweiten Ethnonym: -s=7D> Ƞª &6< § 6, -s=7D>Ƞª ]<<>AD> und -s=7D> Ƞª -:BCnC:0, beide § 8. Inschriftlich sind die Suebi Nicretes bezeugt.7 Hinter das regierende Substantiv ist da jeweils eine Apposition getreten, die eine Teilmenge angibt. Aufzulösen wäre demnach etwa: „die Sweben, nämlich speziell die Langobarden (bzw. Angeln usw.)“. Diese Junkturen bestätigen die Aussage des Tacitus, Germ.38: die Sweben seien propriis adhuc nationibus nominibusque discreti, quamquam in commune Suebi vocantur ... ‘sie sind in selbständige Einzelstämme mit jeweils eigenen Namen geschieden, obwohl man sie insgesamt Sweben nennt’. (Entsprechend prägt L. Schmidt 1938, S. 129, die Termini ‘der Bundesname’ bzw. ‘die Sondernamen’.) Später dann, in der ersten Hälfte des 6. nachchristlichen Jahrhunderts, findet sich das Determinativ-Kompositum Norsavi ‘Nord-Schwaben’ in einem Brief des Merowingers Theodebert I. an Kaiser Justinian.8 Neben dem Ethnonym und gleichlautend mit ihm existiert nach dem Zeugnis des Ptol. (2,11,4; 2,11,13; 2,11,15) – im Osten der Germania – ein Flußname -J=7D0. Er bezeichnet sicherlich einen der in die Ostsee mündenden Flüsse, den wir aber nicht genauer bestimmen können. (Seit Zeuß 1837, S. 16 f. hat man mehrfach an die Oder gedacht.) Daß ein Flußname formalidentisch mit einem Ethnonym ist, dafür hat P. Kretschmer9 weitere 6 7

8 9

Dasselbe sagt dann Tac. Germ. 39 von den Semnonen. Zu diesen vgl. den Beitrag von Gropengießer in diesem Band, S. 91 ff. [Anm. der Hrsg.: Gemeint ist E. Gropengießer, Die Neckarsueben, in: Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus, S. 91–123]. Vollständig ist dieser Doppelname nur CIL XIII 2633 überliefert, sonst in Abbreviaturen. Mon. Germ. Hist. Epist. III, Merov. et Karol. aevi I 133. Kretschmer (1937b, S. 76 ff.) – Wenn Namen von modernen Autoren ohne weitere Angaben genannt werden, dann ist diese Arbeit gemeint.

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Beispiele gegeben: Isarcus, Umbro, g#7=G und [)9GsH=0, die durchweg Maskulina sind. Isarcus ist der Eisack im Gebiet der Isarci, eines norditalischen, vermutlich indogermanischen Stammes. Umbro ‘der Umbrer’ hieß ein Fluß in Mittelitalien, den wir noch heute als Ombrone kennen. Den Fluß g#7=G, dessen Name ‘der Iberer’ bedeutet, ist der heutige Ebro. Die Odrysen schließlich waren ein thrakisches Ethnos auf dem Balkan, der Flußname ist aber für die nordwest-kleinasiatische Landschaft Mysien bezeugt, in die in der ersten Hälfte des 1. vorchristlichen Jahrtausends thrakische Stämme eingewandert sind. – Herkunft und historischer Wert dieser Flußnamen sind umstritten. Während Much (1918–1919b) und ebenso Franke (1931) sie für Prägungen der griechischen oder römischen Völkerkunde halten, rechnet Kretschmer offenbar damit, daß es die Anwohner selbst waren, die die Flüsse so benannt haben. Dafür spricht immerhin, daß sich drei dieser Namen – Ebro, Eisack und Ombrone – bis heute an Ort und Stelle gehalten haben. Diese Art der Benennung läßt verschiedene Deutungen zu: sie könnte darauf hinweisen, daß die Anwohner den Fluß als den wichtigsten Repräsentanten, geradezu als den Vater des Landes empfunden hätten, durch das er fließt, das er befruchtet, oder aber, daß er die Grenze zwischen zwei Ethnien bildete und eine der beiden ihn als Eigentum beanspruchte. Die Forschung des 19. Jahrhunderts hat bei ihren Versuchen, das Ethnonym Suebi zu erklären, mehrere weit divergierende Deutungen vorgelegt; genannt seien hier nur drei, die sich zudem gleich wieder ausscheiden lassen: die erste stammt von Jakob Grimm in seiner Geschichte der deutschen Sprache (1868, S. 321 ff. und 489 ff.). Er wollte das Ethnonym Suebi mit slaw. svobodƱ ‘Freiheit’ und dem Ethnonym Slawen verknüpfen. Letzteres jedenfalls ist aus lautlichen Gründen unmöglich; über die Verknüpfung mit svobodƱ vgl. Anm. 12. Einen anderen Vorschlag legte der Germanist W. Wackernagel (1848b, S. 260) vor. Ihm folgen dann J. Grimm (1870–1898, II, S. 25 nr. 275), später auch G. Kossinna (1891, S. 108 f.). Grimm hielt Suebi für einen Spottnamen, der mit der idg. Wurzel *sjep- ‘schlafen’, wie sie z.B. in griech. uECD0 und hethit. suppariya-‘schlafen, träumen’ vorliegt, zu verknüpfen sei. Die germanischen Verwandten dazu heißen lautgerecht altisl. svefn, ags. swefn, altsächs. sweban, ‘Schlaf, Traum’ usw. Auch Müllenhoff (1920, S. 127) hat diese Etymologie für möglich gehalten; er übersetzte das Ethnonym als ‘die in der Kultur Zurückgebliebenen’; ähnlich meinte Much (1888, S. 409), man habe „die an ihren alten stammsitzen und altväterischen sitten festhaltenden teile des volkes mit einem spottworte [...] als ‘schläfrige’“ bezeichnet. Nun gibt es zwar gewiß Ethnonyme, die aus Scheltnamen der Nachbarn entstanden sind; doch liegt eine Bedeutung ‘die Schläfrigen’, ‘die Schlafmützen’, etwa im Sinne von ‘temperamentlos’ für

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Beiträge zu Personennamen

ein (wahrscheinlich doch durch Selbstbenennung entstandenes) Ethnonym nicht gerade nahe. J. Grimm selbst hat sich Wackernagels etymologischer Verknüpfung zwar angeschlossen, aber die semantischen Schwierigkeiten erkannt; deshalb wollte er das Ethnonym lieber als pacifici, pacificantes auffassen. Dagegen hat jedoch schon Zeuß (1837, S. 55 Anm.) mit Recht eingewandt, daß das weder zum Charakter noch zur Geschichte der Sweben passe, die bei Caes. Gall. 4,1 ja bellicosissima Germanorum omnium heißen. Auch Laistner lehnt diese Deutung ab. Wiederum anders I. Fischer (1929), der die gleiche etymologische Verknüpfung zugrunde legte, aber einen Gott *SwƝvaz postulierte, dessen Reich der Schlaf, d.h. der Tod, gewesen sei. Doch das ist haltlose Spekulation. Eine zweite Deutung hat Zeuß (1837, S. 55) selbst gegeben; er knüpfte an die deutschen Verben schweifen und schweben an und meinte, das Ethnonym spiele auf die „unstäte Lebensweise“, d.h. auf die Wanderbewegungen eines Stammes, einer Gruppe an. (Das übernimmt der laienhafte Aufsatz von Kapff 1929; als Grundbedeutung bestimmt er: ‘die sich über die Erde Erhebenden’.) Hier gibt es schon im Lautlichen Schwierigkeiten. Alle die germanischen Formen dieser beiden verwandten Verben (neuengl. to sweep, ags. swƗpan ‘schwingen, fegen, treiben’, ahd. sweifan ‘schwingen, streiten’ bzw. mittelniederländ. sweven, westgerm. *swibƝn) und mit ihnen solche aus anderen indogermanischen Sprachen weisen auf eine idg. Wurzel *sweib- (Pokorny 1959–1969, S. 1041 f.), die weder mit ihrem i-Diphthong noch mit der Media b, die im Germanischen zu p geworden wäre, zu der Lautform /swƝb-/ paßt. Darauf hat schon Much (1888) hingewiesen. Aber auch semantisch kann diese Verknüpfung nicht überzeugen. Die älteste Bedeutung des Verbs schweifen scheint die einer schwingenden Bewegung zu sein. Im Mittelhochdeutschen heißt es auch ‘schwanken, taumeln’ – etwa wenn jemand durch einen Schlag aus dem Gleichgewicht geraten ist. Im Neuhochdeutschen bedeutet es dann zwar ‘durch das Land streichen, streifen’, besitzt aber oft eine negative Konnotation, entweder die des Irrens oder der bösen Absicht. Mindestens als Selbstbenennung müßte eine solche Bedeutung ausscheiden. Und das Verb schweben bezeichnet nur solche Bewegungen, die in der Luft oder im Wasser ausgeführt werden. So bleibt eine dritte Möglichkeit übrig, die im Ansatz als erster wohl Erdmann, nach ihm Laistner (1892), ausführlicher aber (und bezüglich des Suffixes und der Dehnstufe korrekter) dann Kögel formuliert hat. Auch Much (1918–1919b) spricht sich für sie aus, und heute ist sie mit Recht weithin angenommen. Sie besagt, daß in Suebi das Reflexivpronomen *swe ‘sich, für sich’ vorliege, an das das germ. Suffix -ba- (aus idg. -bho-) ange-

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treten sei.10 Zur Verbreitung dieses Suffixes im Germanischen vgl. Meid (1967, S. 138 f.). Zu dieser erschlossenen Bildung gibt es in anderen indogermanischen Sprachen gute Parallelen, von denen wir hier nur einige aus den unmittelbar westlichen und ostwärtigen Nachbarsprachen des Germanischen herausgreifen. Zunächst zwei Beispiele aus dem Lateinischen: Das lat. Adj. probus ‘gut gedeihend, redlich’ enthält im Vorderglied das Adv. pro ‘voran, nach vorn’. Unabhängig davon, wie man die weitere Bildung beurteilt, ergibt sich eine etymologische Bedeutung ‘vorn befindlich’. Davon weicht aber die aktuelle Bedeutung, d.h. die jeweils an den einzelnen Textstellen gültige, merklich ab; bei den lateinischen Autoren und in den Inschriften, beides Zeugnisgruppen, die vom Zeitpunkt der Wortprägung um Jahrhunderte entfernt sind, bezeichnet probus jemanden, der charakterlich untadelig ist: ‘hervorragend, vortrefflich, tüchtig, rechtschaffen, sittsam, anständig’. Bisher hat man bei probus öfter damit gerechnet, daß im Hinterglied die schwundstufige Form des Verbstammes *bheuh2- ‘werden u.ä.’ vorliege, und zwar deshalb, weil sich so eine genaue Entsprechung zu altind. prabhnj- ergab. Um den vorliegenden o-Stamm – statt des zu erwartenden uStamms – zu erklären, hat man dann voraussetzen müssen, daß einfach die häufigste Stammklasse eingeführt worden sei. Aber diese Zusatzannahme bleibt mißlich und überflüssig, so daß es wohl besser ist, die (früher als wertvolles Zeugnis für in den indogermanischen Randsprachen erhaltenen Altertümlichkeiten eingeschätzte) Verknüpfung des lat. probus mit dem altindischen Wort aufzugeben. Stattdessen läßt sich probus zu Bildungen wie lat. acerbus ‘scharf, rauh, herb’ < *akri-bo- stellen.11 Ein zweites Beispiel liefert das lat. Adjektiv superbus, das als Stammwort das Adverb super ‘oberhalb’ enthält. Als eine ‘etymologische Bedeutung’ ergibt sich ‘oben befindlich’, die sich offenbar lange gehalten hat, denn Vergil kann in der Aeneis die hochgelegene Stadt Tibur superbus nennen. Aber superbus wird auch von Menschen gesagt, dann meint es ‘erhaben, prächtig, ausgezeichnet’ oder mit negativer Konnotation ‘stolz, 10

11

Die ganze Sippe se, s(e)ue-, s(e)uo- bei J. Pokorny (1959–1969, S. 882 ff.). – Gegen den (von mir im Vortrag als Alternative gegebenen) Vorschlag, in suebhomit einem Determinativkompositum zu rechnen, in dessen Hinterglied der Verbalstamm *bheuh2- (in der Schwundstufe) vorläge, hat E.G. Polomé in der Diskussion überzeugende Bedenken vorgetragen. Mißlich wäre vor allem die zusätzlich notwendige Annahme von dissimilatorischem Schwund des zweiten j (aus u). Doch hält auch K. Brugmann (1906, § 284c, S. 387 f.) diese Alternative wenigstens für möglich. Noch anders aber zu probus O. Szemerényi (1954, S. 258): aus *probhwos.

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übermütig, von Hybris befallen’; – der verhaßte römische König Tarquinius z.B. erhält den Beinamen Superbus. Inhaltlich beziehen sich diese beiden lateinischen Adjektiv-Bildungen auf Menschen und sagen etwas über deren Charakter, Verhalten oder Lebensumstände aus. Diese Erkenntnis ist ein erster Schritt in Richtung auf unser Ziel, die ursprüngliche Bedeutung des germanischen Ethnonyms Suebi zu erschließen. Den grundlegenden Unterschied zwischen den ‘etymologischen’ und den ‘aktuellen’, sich jeweils aus den Texten ergebenden Bedeutungen müssen wir stets im Bewußtsein behalten. Oft ist er sehr groß. Jede Bedeutung unterliegt ja im Lauf der Zeit dem Wandel, wobei dessen Tempo und Umfang in nicht berechenbarer und ungleichmäßiger Weise wechseln. Daher kann eine Etymologie für das bessere Verständnis einer Textstelle ganz wertlos sein. Diese Erkenntnis ist an sich alt; schon Thomas von Aquino sagt klar: aliud est etymologia nominis, et aliud est significatio nominis. Aber sie wird doch – innerhalb und außerhalb der Sprachwissenschaft – leicht einmal vergessen; der Historiker erhofft sich Licht für eine bestimmte historische Situation, wenn er den Linguisten nach der Bedeutung eines Namens fragt, und fühlt sich dann öfters durch eine Auskunft enttäuscht, die er als vage und gar nicht hilfreich empfindet. Die besten formalen Entsprechungen zum Namen Swebi liefern die beiden östlichen indogermanischen Sprachgruppen Slawisch und Baltisch: im Russischen gibt es die Substantive osóba ‘Person’ (mit Präverb o-) und sob΃ ‘Eigenart, Charakter, Eigentum’. Diese hat schon die ältere Forschung (vgl. Solmsen 1901, S. 200 f.) als eine Verbindung des Reflexivpronomens mit dem Suffix -bho- angesehen.12 Aber auch das Baltische muß diese selbe Verbindung der beiden Elemente besessen haben. Sie ist da durch einen kostbaren Rest bezeugt, das altpreußische Pronomen subs ‘selbst, eigen’ (Stamm *suba-),13 das geographisch die Brücke zwischen dem germanischen und dem slawischen Adjektiv bildet. Dagegen nimmt das altindische Adjektiv sva-bhnj- ‘selbständig’ und seine Sippe eine Sonderstellung ein, denn es ist – als einziges der hier behandelten Nomina – zweifelsfrei mit dem Verbalstamm *bheuh2- gebildet. Darauf weist das stammauslautende -nj-, das offenbar durch die Verschmel-

12

13

Manche Forscher stellen auch das Adj. svohodƱ ‘frei’ hierher. Dagegen hält A. Vaillant (1958, § 277) dies für ein Lehnwort aus einem germ. *swa-badi-. Zu diesem vgl. Chr.S. Stang (1966, S. 238); zu seiner Etymologie schon Solmsen (1901, S. 199).

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zung des u der Schwundstufe mit dem folgenden Laryngal h214 gelängt worden ist. h Die Zusammenfügung des Reflexivpronomens mit dem Suffix -b owäre zwar überall innerhalb der Indogermania möglich gewesen, – tatsächlich nachweisen läßt sie sich aber nur bei den Slawen, Balten und Germanen.15 Aufgrund dieser geographischen Verteilung möchte man bei den Germanen den Entstehungsort dieses Wortes am ehesten im Osten ihres damaligen Sprachgebietes annehmen. Wieder bleibt zu betonen, daß wir nicht einfach die für das Slawische aus Texten vom Ende des 1. nachchristlichen Jahrtausends aktuell geltende Bedeutung ‘frei’ auf das gleichgebildete germanische Wort übertragen dürfen. Das haben seinerzeit Laistner (1892) und im Anschluß an ihn dann Steinhauser (1955) getan – ohne zu berücksichtigen, daß diese Bedeutung doch das Ergebnis einer viele Jahrhunderte währenden semantischen Entwicklung sein kann. Zunächst ist aber noch das formale Problem zu klären, worauf die Länge des Stammvokals e in SwƝbi zurückzuführen ist. Die idg. Pronominalform *swe (und die neben ihr in der indogermanischen Grundsprache bestehende bedeutungsgleiche Variante *se16 haben einen kurzen Vokal, wie die Befunde in den einzelnen Sprachgruppen erweisen. Wahrscheinlich ist die in *swƝba- vorliegende Dehnstufe als das formale Kennzeichen einer sekundären Ableitung aufzufassen. Auch diese Erklärung haben schon ältere Forscher gefunden. Der dabei vorausgesetzte Bildungstypus ist uralt und in so gut wie allen indogermanischen Sprachen resthaft bezeugt. Besonders produktiv war er im Altindischen. (Mit einem Terminus der SanskritGrammatik pflegen wir ihn daher als VÖrddhi-Bildung zu bezeichnen.) Die germanischen Vertreter dieses Bildungstyps hat G. Darms (1978) zusammenfassend behandelt. (Das Ethnonym Suebi hat er allerdings nicht einbezogen.) Er betont mit Recht, daß diese ererbte Ableitungsmöglichkeit im Germanischen produktiv geblieben ist. Aus dem bei Darms besprochenen Material greifen wir ein einziges Beispiel heraus: es zeigt, daß das für das Urgermanische anzusetzende Adj. *wƝta- ‘naß, feucht’ zu einem Wurzelnomen *wet- ‘Wasser’ gehört, das neben germ. *watar gestanden hat. Das Adj. *wƝta- bedeutet dann ‘mit 14 15

16

Zum Laryngal vgl. H. Rix (1976). R. Much (1936b, S. 504) weist noch auf den Personennamen fem. Suefia hin, der in Istrien belegt ist (CIL V 374) und der zu einer der nördlichen balkan-indogermanischen Sprachen gehören könnte, wo altes b h als f vertreten ist. Über das Verhältnis dieser beiden Allomorphe vgl. G. Schmidt (1978, S. 145 ff.). S. Feist (1891, S. 551) wollte sie als Sandhivarianten erklären. – Vgl. jetzt auch G. Meiser (1986, S. 246–248).

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Wasser ausgestattet, vom Wasser durchdrungen’ oder ähnlich. Solche Wortpaare (Grundwort und eine mit Hilfe des quantitativen Ablauts geschaffene Ableitung) verhelfen nun zu einem genaueren Verständnis des germ. *swƝba-: auch für dies ist ein nominales Grundwort *swƟbo- (mit kurzem e) bzw. später *swƱba- zu postulieren.17 Damit stehen einer Verknüpfung mit dem Reflexivpronomen *sje auf der formalen Seite keine Hindernisse mehr im Weg. Insgesamt ist festzustellen, daß die Erklärung des Völkernamens Suebi aus Lexemen und Morphemen des Germanischen keine Schwierigkeiten macht; es gibt nicht den geringsten Grund, den Völkernamen für vorgermanisch oder nicht-germanisch anzusehen. Aus dem Althochdeutschen sind zwei (inhaltlich übereinstimmende) Glossen überliefert, deren Wortstamm anscheinend mit dem des Ethnonyms identisch sind. C.G. Graff (1838) bucht sie 6,854: swâbe ê swâbe reht In literarischen Texten tritt keine dieser beiden Vokabeln auf. swâbe < *swƝba- ist zweifellos auch VÖrddhi-Bildung zu *swƟbo-; seine Bedeutung ‘Recht’ läßt sich verstehen als ‘was zu eigenständigen Männern gehört, ihnen zusteht’ oder ähnlich. Dabei wird man für möglich halten müssen, daß die Bedeutungsentwicklung des Ethnonyms und des Appellativums verschiedene Wege gegangen ist, d.h., es empfiehlt sich auch hier nicht, die Bedeutung ‘Recht’ einfach auch für das Ethnonym vorauszusetzen. Wenn es nun zutrifft, daß im Ethnonym Sweben die Form des Reflexivpronomens *swe- mit dehnstufigem Vokal vorliegt, dann hatten jedenfalls die Deutschen des 8. Jahrhunderts keine Chance mehr, den Aufbau des Ethnonyms noch etymologisch-analytisch zu durchschauen: er war undurchsichtig geworden. (Ein solcher Vorgang heißt ‘Demotivierung’.) In allen germanischen Einzelsprachen lautete das Reflexivpronomen längst sik (bzw. sih), d.h., im pronominalen Paradigma war die -w- enthaltende Variante ausgestorben, und an die Pronominalform si war eine Partikel -k- angetreten, genau wie m der 1. und 2. Person Sing.: mik ‘mich’ und þuk ‘dich’ (in gotischer Lautung, vgl. Seebold 1984, S. 34 ff.). Da hat zweifellos analogische Ausbreitung stattgefunden. Wann das geschehen ist, läßt sich freilich nicht genau sagen, vermutlich längst im 1. vorchristlichen Jahrtausend. (Darauf deutet der parallele Befund in anderen indogermanischen Sprachen Mitteleuropas.) Dieselbe verstärkende Partikel *ge, aus der germ. -k entstanden ist, findet sich in griech. aB^<:, in hethit. ammuk usw. Außerhalb 17

Im Griechischen steht neben b$D0 < *sued hos die Dehnstufe š$D0.

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des Germanischen kann dies *ge aber an alle Kasus des Pronomens antreten; daß sie auf den Akkusativ beschränkt sind, ist eine Besonderheit des Germanischen. Immerhin hat sich die allomorphe Variante swe- bzw. swi- innerhalb des Germanischen in einem kleinen Teilbereich erhalten: im Altnordischen und im Gotischen finden sich mehrere Komposita, die dieses Element im Vorderglied führen, vgl. unten. Wir sagten: die Deutschen des 8. nachchristlichen Jahrhunderts haben den Namen SwƗben bestimmt nicht mehr etymologisch durchschauen, ihn ‘übersetzen’ können. Aber wie stand es in diesem Punkte mit den Germanen, welche Zeitgenossen des Tacitus waren? Für die Antwort auf diese Frage könnte die oben erwähnte Notiz in der Germania wichtig sein, daß Suebi zu dem vera et antiqua nomina gehöre. Das besagt doch wohl, daß dies Ethnonym nur noch N a m e , nur noch B e z e i c h n u n g – ohne etymologische Durchsichtigkeit – war. – Die gleiche Frage stellt sich für die Sweben Ariovists. Aber mit ihnen sind wir wiederum anderthalb Jahrhunderte näher am (unbekannten) Zeitpunkt der Namensprägung. Es bleibt durchaus möglich, daß der Name erst im 2. vorchristlichen Jahrhundert geprägt worden ist. Jedenfalls ist aller Wahrscheinlichkeit nach die Zeitspanne vom Moment der Namensprägung bis zum Auftauchen des Namens bei Caesar wesentlich kürzer gewesen als die von Caesar bis zu den Bezeugungen in den germanischen Einzelsprachen. Deshalb ist es denkbar, daß sich im 1. vorchristlichen Jahrhundert die etymologische Bedeutung noch nicht nennenswert verändert hatte, daß also *swƝbaz damals noch ein rühmendes Adjektiv war, noch nicht zum bloßen Namen verblaßt. Was kann eine Verbindung des Reflexivpronomens *swe mit dem Suffix -bho- besagt haben? Seebold (1984, S. 74) stellt zutreffend fest, daß *swe bzw. sewe, wenn es in germanischen Komposita als Vorderglied stehe, immer die Bedeutung ‘eigen’ oder ‘selbst’ habe. Für das Altnordische belegen das die Adjektive své-viss ‘eigenwillig’ und své-dauðr (mit Dehnstufe) ‘eines natürlichen Todes gestorben’, – eigentlich ‘den eigenen Tod (gehabt) habend’, ferner für das Gotische die Adjektiva swi-kunþs ‘offenbar’, eigentlich ‘was von selbst deutlich ist’, und swes ‘eigen’. Die genaue etymologische Übersetzung des Adj. *swebo- bzw. *swiba- ist also ‘für sich selbst bestehend, eigen-ständig’. In welche Richtungen sich diese Bedeutung dann verändert, bleibt zunächst offen; im Slawischen hat sie zu ‘frei’ geführt. Aber es gibt andere, ebenso naheliegende Möglichkeiten, die in anderen indogermanischen Sprachen eingetreten sind und hier noch kurz vorgeführt werden sollen. Vier Nomina, die auch mit diesem idg. Pronominalelement *swe- gebildet sind und inhaltlich ebenfalls Personen oder Personengruppen bezeich-

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nen, greifen wir heraus – in der Absicht, die Spannweite der später in den Texten aufscheinenden aktuellen Bedeutungen aufzuweisen, aber auch die möglicherweise gemeinsame Grundbedeutung zu zeigen; es sind: griech. bI=0, germ. sibja, lat. sodalis, lit. svet8s. Zunächst zu altgriech. (attisch-ionisch) bI=0. (Neben ihm steht eine Dialektform ࠝ^I60 aus Elis.) Bei bI=0 ist das Reflexivpronomen *swe, griech. *ࠝ: mit einem bekannten Suffix -tƗ- erweitert, das auch sonst Personenbezeichnungen schafft, wie EDA¼I=0 ‘Bürger’ und viele andere. Die etymologische Bedeutung von bI=0 wäre ‘der eigene’. Die Verwendung in den literarischen Texten zeigt aber, wie sich von dieser Grundbedeutung aus zwei Bedeutungsstränge entwickelt haben: das semantische Merkmal ‘eigen’ kann ja in sehr verschiedener Weise aufgefaßt werden, je nachdem, ob dieses ‘Eigensein’ auf ein Kollektiv von Menschen bezogen ist oder nur auf ein Individuum. Im ersten Fall würde man verstehen: ‘einer von unserer eigenen Gruppe’, im anderen Fall dagegen: ‘einer, der ganz für sich steht’. Diese Bedeutungsspaltung ist im Altgriechischen auch tatsächlich eingetreten: erstens bedeutet bI=0 ‘der Angehörige, der Stammesgenosse’, so bei Homer, zweitens aber – so in den Dialekten Dorisch und Elisch, aber gelegentlich auch in der Tragödie – ‘der Privatmann’. In diesen beiden Verzweigungen kommen die semantischen Merkmale ‘zusammen mit jemandem’ bzw. ‘getrennt von anderen’ deutlich heraus. Dies Beispiel muß uns warnen, auf Sicherheit zu hoffen, wenn wir eine einzige und eindeutige Grundbedeutung von germ. *swƝba- erschließen wollen. Oben S. 297 wurde schon erwähnt, daß in der indogermanischen Grundsprache das Reflexivpronomen in den zwei Varianten *swe und *se existiert hat. Mit *swe rechnen wir im germanischen Ethnonym der Sweben; aber auch die andere Variante, se, ist im Germanischen mit dem Suffix -bakombiniert worden. Das dt. Subst. ‘die Sippe’ lautet ahd. sippa, sippea usw. bzw. sibba, altsächs. sibbia usw. In einer älteren Sprachstufe würde es etwa *sebiiǀ heißen, mit einem zusätzlichen Suffix -ijǀ, das feminine Abstrakta bildet. Daneben steht im Althochdeutschen z.B. ein schwaches Mask. sibbo ‘der Verwandte’, ferner ein Adj. sippi, sippe ‘verwandt’, ein Verb gesippon ‘vereinigen’ usw. Die aus der Etymologie abzulesende Grundbedeutung wäre ‘Zugehörigkeit zu einer bestimmten Wesensart’. Dem Für-sich-sein nach außen entspricht der enge Zusammenhalt nach innen. Als aktuelle Bedeutungen des ahd. Wortes sippa notiert R. Schützeichel in seinem Althochdeutschen Wörterbuch (1995) aber ‘Friede, Verwandtschaft’. Die semantische Entwicklung, die da vor sich gegangen ist, kann man erschließen: erstens ist die Bedeutung etwas verengt worden, insofern die Gruppe

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als durch Verwandtschaft gebunden aufgefaßt wird; und zweitens ist das Merkmal des ‘Friedens’ wohl dadurch hinzugetreten, daß in einem solchen Familienverband die Regel galt, untereinander Konflikte möglichst zu vermeiden, sie jedenfalls klein zu halten. Drittes Beispiel. Das lat. sodalis heißt ‘Gefährte, Kamerad, Mitglied einer organisierten Genossenschaft, z.B. eines Priesterkollegiums’. Vor wenigen Jahren ist es in einer neu gefundenen Inschrift aus Satricum als SVO18 DALIS aufgetaucht. Diese ältere Schreibung bestätigt eine Etymologie, die man schon länger vorgeschlagen hatte: zugrunde liegt ein erschließbares Subst. *suodƗ- aus älterem *sve-d h -Ɨ (kurzes e wird lateinisch in bestimmten Umgebungen zu kurzem o); dies ist formal identisch mit altind. svádhƗ ‘Gewohnheit, Behagen’, weicht aber in der Bedeutung von ihm ab. Es muß etwa ‘Zusammenschluß, Verein’ gemeint haben. Im Vorderglied enthält h h *sve-d Ɨ wieder das Element swe, dann den Verbalstamm *d Ɲ- ‘setzen, stellen, legen’. Die zu erschließende etymologische Bedeutung wäre demnach etwa ‘eigene Einrichtung’. Auch bei diesem lateinischen Wort hat dann das semantische Merkmal ‘Gemeinsamkeit, organisatorisch gefestigte Zusammengehörigkeit’ die Oberhand gewonnen. Wesentlich anders ist die semantische Entwicklung bei lit. svet8s gelaufen. Es bedeutet ‘Gast’, ursprünglich aber ‘Fremdling’, denn es ist aus älterem *sje-tias ‘für sich (seiend)’ entstanden. Da ist ein Suffix -ti- ans Reflexivpronomen angetreten, und später ist diese Bildung thematisiert worden. (Die ältere Bedeutung ‘Fremdling’ läßt sich noch fassen in lit. svͅtimas, lett. swešiba ‘Fremdheit, fremde Herkunft’ usw.) Diese Beispiele genügen, um die mögliche Bedeutungsbreite derjenigen Wörter zu erweisen, die das Reflexivpronomen als Stamm enthalten. Wenn nun hier zum Abschluß für das Ethnonym Suebi eine semantische Deutung erwogen wird, dann muß wohl auch bei *swƝba- wie bei griech. bI=0 mit zwei Möglichkeiten gerechnet werden. Die Verbindung des Reflexivpronomens mit dem idg. Suffix -bho- führt zunächst auf eine Bedeutung ‘für sich bestehend, eigenständig’. Das davon abgeleitete dehnstufige Nomen mit Themavokal würde etwa meinen: ‘durch Eigenständigkeit charakterisiert’. Eine Bedeutungsentwicklung könnte von hier zu einem Inhalt wie ‘die Zusammengehörenden’ geführt haben. (Das hatte z.B. Laistner 1892 angenommen.) Aber der Begriff ‘eigenständig’ impliziert eben auch eine Abgrenzung gegenüber anderen. Freilich geht aus dieser Bildung nicht hervor, wer diese anderen gewesen sein könnten. Eigennamen sind eben keine Definitionen, geschweige denn vollständige Wesensbeschreibungen.

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Dazu vgl. C. de Simone (1981).

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Wir sehen uns die älteren Vorschläge für die Grundbedeutung an. Erdmann, dem ja die (im wesentlichen) richtige formale Analyse verdankt wird, erinnerte daran, „daß der Name Suebi nicht einen einzelnen Stamm, sondern einen Verband von Stämmen oder Völkerschaften bezeichnete“. Deshalb erklärte er das Ethnonym als ‘die eigenen, die dem eigenen Verbande oder der eigenen Völkergemeinschaft angehörigen’. Steinhauser (1955), der wie erwähnt mit einer Bedeutung ‘frei’ rechnete, meinte, als *SwƝbǀz hätten sich diejenigen Germanen bezeichnet, deren Gebiet von den römischen Heeren nicht betreten worden war und die sich daher frei fühlten. Ähnlich setzt Much in seinem Germania-Kommentar (1967) als Bedeutung ‘homines sui iuris’ an und sagt, dieser Name sei ‘geeignet gewesen, zu einer Bezeichnung aller freigebliebenen Germanen auch in ihrem eigenen Munde zu werden ...’. Wenskus (1961, S. 271) bezieht sich ausdrücklich auf den Bedeutungsansatz Steinhausers, weicht aber in der Interpretation insofern ab, als er an die Kelten denkt, denen gegenüber sich die Suebi frei gefühlt hätten. Daneben erscheint aber noch eine dritte Deutungsnuance als wenigstens erwähnenswert. SuƝbǀz wäre auch ein geeigneter Name, um ein Kollektiv zu bezeichnen, das sich aus einem schon bestehenden Sozialgefüge, etwa einem ethnischen Verband oder auch einer Kultgemeinschaft, gelöst hat, sich dann eine eigene Organisation – wie locker auch immer –, ferner eigene Regeln des Zusammenlebens, aber auch eigene (vielleicht kriegerische) Ziele gesteckt hat – ein Name also, der für die innerhalb des Germanentums immer wieder entstehenden neuen Gruppen geeignet sein mochte. Hier läßt sich – mit leichter Abwandlung – an einen Gedanken O. Bremers (1904) anknüpfen. Er sagt: „Bei ihrem Vorstoß [...] aus dem später semnonischen Kern trugen wandernde Abteilungen den Swebennamen vor“. Ähnlich urteilt der Jenenser Prähistoriker Peschel (1978b, S. 273 f.) über die frühen Sweben: Bestimmte ihnen zugeschriebene Eigenschaften weisen nicht auf eine stammliche Einheit, sondern auf die Aktivität gesellschaftlicher Gruppen, deren besondere, auf kriegerischer Organisation beruhende Züge...

Bemerkenswert ist nun, daß sich zwei der hier vorgeschlagenen Deutungselemente gut zu dem fügen, was Peschel vor zehn Jahren in der Klio geschrieben hat: erstens betont er für die Sweben „östliche Herkunft“ (vgl. 1978b, S. 295): „Der Ursprung dessen, was sich sonach als ‘swebisch’ darstellt, liegt fern im Osten“. Diese Aussage stützt er durch den Hinweis, daß sich Keramik der schon im 2. vorchristlichen Jahrhundert nachweisbaren schlesischen Oder-Warthe-Gruppe (Przeworsk-Kultur) am Rhein wieder-

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finde und den Sweben zuzuschreiben sei.19 – Uns dagegen, die wir die sprachliche Seite des Problems untersuchten, hatte erstens der Flußname -J=7D0 und zweitens die baltisch-slawische Isoglosse auf östliche Entstehung des germanischen Ethnonyms geführt. – Die zweite Aussage Peschels (1978b), die hier heranzuziehen ist, steht im gleichen Zusammenhang. Es heißt da: die f r ü h e n Beschreibungen [scil. des Auftretens der Swebi. – Sperrung von mir. GN] sprechen für getrennte Einzelaktionen (von) [...] Trupps, die immer erneut gen Westen aufbrechen [...] Es sind Gefolgschaften.

Und ganz ähnlich führt unten S. 301 D. Timpe aus: „Die ältere Suebenexpansion scheint vorwiegend von rasch beweglichen, männerbündischen Kleinverbänden getragen worden sein.“ [Anm. der Hrsg.: Gemeint ist der Beitrag von D. Timpe: Der Sueben-Begriff bei Tacitus, in: Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus, S. 278–310.] Das ruht zu einem wesentlichen Teil auf der Aussage Caesars, Caes. Gall. 4,1: ex quibus (das sind die hundert pagi der Sweben) quotannis singula milia armatorum bellandi causa ex finibus educunt. Mit diesen Gruppen, die sich aus einem Großverband losmachten und von Osten nach Westen zogen, kamen die Römer wohl zuerst in Berührung. An ihnen lernten sie wohl den Namen Sweben kennen. Deshalb könnte es bedeutsam sein, daß dessen vermutete etymologische Bedeutung anscheinend auf diese Gruppen, auf ein an ihnen zu beobachtendes Wesensmerkmal paßt.20

19

20

Diese Verknüpfung der seit dem 2. vorchristlichen Jahrhundert nachweisbaren Oder-Warthe-Gruppe mit den Sweben haben aber andere Vorgeschichtler bezweifelt, vgl. Z. Wozniak (1974, S. 164 ff.) [Anm. der Hrsg.: Die hier bei Neumann angeführte Stellenangabe enthält statt Wozniak die Rezension von K. Peschel zu Birkhan, Germanen und Kelten (S. 164-169).] Wenn es zuträfe, daß der Name ‘Sweben’ ursprünglich für die sich jeweils neu organisierenden kleineren Gruppen geprägt worden wäre (vielleicht als rühmende Selbstbenennung), dann wäre für seine (sekundäre) Verwendung als umfassende Benennung der rechtsrheinischen Germanen, als Name eines Stammesverbandes oder geradezu des größten germanischen Stammes (so Strab. 7.290 C: B^<>HIDC `C D²C Iq I|C -D 7KC b$CD0) wohl anzunehmen, daß die Römer (mit Caesar beginnend) sie eingeführt hätten.

Thruskanos [Beiträge zur Namenforschung 4 (1953), S. 53–55]

Von dem Roman des Antonios Diogenes .V tE`G +DsA=C XE>HI6, der im 1. Jahrhundert oder in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. entstanden sein mag, hat der Patriarch Photios (Bibl. cod. 166) einen knappen Abriß gegeben. Danach gelangen Derkyllis und Mantinias, ein Geschwisterpaar aus Tyros, bei ihren Irrfahrten auf der Flucht vor dem ägyptischen Zauberer Paapis auch auf die Insel Thule fern im Norden. Dort wird ein Landeseinwohner namens +GDJH@6Cn0 zum „feurigen Liebhaber der Derkyllis“ (aG6HI0 9>UEJGD0 :G@JAA¼9D0) und erschlägt schließlich den ägyptischen Bösewicht, der den Geschwistern bis in diese entlegene Gegend nachgestellt hatte. Dieser Personenname Thruskanos, ein ¿E6N A:
Die das Nordgermanische betreffenden sprachwissenschaftlichen Fragen durfte ich mit Herrn Prof. W. Krause durchsprechen. Ich verdanke ihm reiche Belehrung und wiederholte Hinweise.

Thruskanos

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Thules ein Argument für die Identifizierung der angeblichen Insel mit nordgermanischem Gebiet, also etwa mit West- oder Mittelnorwegen. Und lautgeschichtlich belegt er, daß im Nordgermanischen der a-Umlaut von u zu o, der in der Form horna (Gallehus: 400 n. Chr.) bereits vollzogen ist, zeitlich später liegt als die Verschiebung der Tenuis zur Aspirata. Es bleibt die Frage offen, wie der griechische Romanschreiber zur Kenntnis dieses nordgermanischen Namens gelangt ist. Um die Glaubwürdigkeit seiner chorographischen und ethnographischen Angaben zu erhöhen, betont Antonios Diogenes ausdrücklich 237,20 ff. (zitiert nach. Hercher, Erot. Script. Graec. I): pI> :k @6½ XE>HI6 @6½ ?:J9˜= EAUII:>, AA] D±C b8:> E:G½ I|C EA:¼HIKC 6wIŒ BJ9DAD<=$^CIKC G86>DI^GKC B6GI¼60, aN ´C HvC @6BUI¥ I6yI6 HJC6$GD¼H:>:. EGDIUII:> 9` @6½ }@UHIDJ 7>7A¼DJ IDv0 XC9G60, D» IV ID>6yI6 EGD6E:? C6CID, z0 B 9D@:¾C B6GIJG¼60 8=G:s:>C IV ƒE>HI6.

Von diesem Quellenverzeichnis – vergleichbar dem des Plinius in der nat. hist. – ist leider nur ein einziger Name erhalten, der des Antiphanes von Berge, des „antiken Münchhausen“, von dem von Wilamowitz (1905, S. 149) nachweist, daß er im 4. Jahrhundert v. Chr. gelebt habe2 und daß auch seine gE>HI6 den Leser in den hohen Norden geführt haben: er erzählt die Lügengeschichte von den eingefrorenen Tönen. – Noch einen weiteren Fingerzeig auf seine Quellen gibt uns Antonios Diogenes selbst; 233,8 erwähnt er, daß sein Held Deinias, ein weiterer Verehrer der Derkyllis, @6IV N I=H>C ªHIDG¼60 seine Reise unternommen habe, also aus Forschungsdrang. Berichte solcher Reisenden mögen dem Antonios Diogenes vorgelegen haben, wie sie auch Strab. 2,115 G (Dª CyC ªHIDGDyCI:0) erwähnt. Plinius nennt unter den Quellen für sein 4. Buch zwei Griechen, die ihm Kunde von Pytheas von Massilia und neues Wissen über den germanischen Norden vermittelten: Xenophon von Lampsakos und Philemon, den Geographen (vgl. Paulys Realencyclopädie Bd. 19,2, Sp. 2146). Über den ersteren wissen wir wenig, doch läßt sich für ihn als terminus ante quem etwa das Jahr 80 v. Chr. erschließen. Dem Philemon hat E. Norden (1921, S. 182 ff.) einen Aufsatz gewidmet. Danach hat dieser in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in einer Art *:G¼EADJ0 I|C a@In0 Berichte von Forschern und Handelsreisenden zusammengefaßt. Durch seine bei Plinius überlieferten Fragmente verdankt die deutsche Altertumskunde ihm die Ortsnamen Morimarusa, Rusbeas, mare Cronium. Nach seiner Lebenszeit kann er recht gut auch als eine der Quellen des Antonios Diogenes gelten. Die Annahme, daß 2

Weitere Argumente für diese Datierung bei Latte (1931, S. 121).

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Beiträge zu Personennamen

aus seinem Werk der bisher von der Germanistik noch nicht gewürdigte Personenname +GDJH@6Cn0 stammt, ist leichter, als wenn wir diesen durch Zuweisung etwa an Xenophon von Lampsakos in vorchristliche Zeit rücken oder ihn sogar dem Pytheas oder Antiphanes im 4. Jahrhundert v. Chr. zu vindizieren versuchen. Selbst bei dieser spätesten zeitlichen Ansetzung aber bleibt Thruskanos der älteste bekannte nordgermanische Personenname.

III.2 Beiträge aus dem Reallexikon der germanischen Altertumskunde

Bastarnen

(Bd. 2, 1976)

§ 1. Sprachliches. Bastarnae, seit der Kaiserzeit auch Basternae. Tac. Germ. 46 sagt, daß sie conubiis mixtis nonnihil in Sarmatarum habitum foedantur. Da R. Muchs Deutung des Völkernamens als Ableitung von einem germanischen Wort bast ‘Kebsehe’ (mit einem -rn-Suffix) zu dieser Tacitusnotiz stimmt, ist sie die wahrscheinlichste. (Umgekehrt hießen die Skiren wohl ‘rein, unvermischt’.) Zustimmend auch W. Meid (1967, S. 97). – Derselbe Wortstamm liegt in Bastard ‘uneheliches Kind; Mischling’ vor. Etwas anders – speziell zur Bedeutung von germanisch bast – Langes Zusatz bei Much (1967, S. 528). – Verfehlt H. Jacobsohn (1929b), der den Namen für iranisch hält. Vgl. jetzt ferner H. Schmeja (1968, S. 15 Anm. 21), der die Zugehörigkeit der Bastarnae zu den Germanen als für „noch nicht endgültig geklärt“ bezeichnet und fürs Suffix -rn- auf keltische und italische Parallelen hinweist. – O. Maenchen-Helfen (1962) bezeichnet die B. als Kelten. Weitere Literatur: Much (1925a, S. 10 ff.).

Bataver

(Bd. 2, 1976)

§ 2. Sprachliches. Zum Verständnis des Völkernamens hilft Cass. Dio 55,24 L^CD> I: ªEE:¾0 aE¼A:@ID>, D©0 Iq I|C 6I6DyKC €CDB6, pI> 9 @GUI>HID> ªEE:s:>C :kH½, @:¾I6> ‘fremde auserlesene Reiter, die den Namen Bataver führten, weil sie die tüchtigsten Reiter waren’. Tac. Germ. 29 nennt sie virtute praecipui. – Grundwort ist also sicher der Nominalstamm, der in got. batiza ‘besser’, bǀta f. ‘Nutzen’ usw. vorliegt. Die lateinischen Quellen bezeugen durch das Metrum teils BătƗvi, teils Bătăvi. Wenn das kurze a der Mittelsilbe den germanischen Zustand richtig wiedergäbe, wofür sich R. Much energisch ausspricht, könnte man den Völkernamen geradezu für den Nom. Plur. *batawiz zu einem Adjektivum *batu- ‘gut’ halten. Es läge dann ein altertümlicher ablautender Deklinationstypus vor, der hier im Suffix die Vollstufe bewahrt hätte. – Zum Flußnamen Patabus (Tab. Peut.), d.i. Batavus stellt H. Krahe (1954a, S. 240) den Völkernamen der Batavi. Weitere Literatur: Zum Stamm bat- vgl. J. Weisweiler (1930, S. 288 ff.); Much & Lange (1967, S. 366).

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Beiträge zu Personennamen

Belgae

(Bd. 2, 1976)

§ 1. Name. Der Völkername Belgae enthält (wie der Völkername Volcae) einen maskulinen Ɨ-Stamm, wie das Gallische (nach Dottin 1920, S. 114) mehrere kennt. Vergleichbar sind die keltischen femininen Appellativa, die gelegentlich männliche Wesen bezeichnen, wie z.B. altir. cerd < *kerdƗ fem. ‘Kunst, Handwerk’, aber auch ‘Künstler, Dichter’. – Die Wurzel *belgbedeutet im Germanischen und Keltischen ‘schwellen’. Im Keltischen ist sie in Namen klar bezeugt, vgl. den Personennamen Belgius, Name eines keltischen Häuptlings bei Iustinus 24,5. Im Germanischen dagegen ist ihre Bezeugung schwach und unsicher, vgl. Förstemann (1900, S. 43) und H. Kaufmann (1968, S. 53). – Der Völkername ist sicher keltisch. Seine Bedeutung mit R. Much (1893b, S. 171) ‘die (von Kampfeswut) Geschwellten’. § 2. Sprache. Caes. Gall. 1,1 sagt über die drei Völker Belgae, Aquitani, Galli (Celtae): Hi omnes lingua institutis legibus inter se differunt. Als Grenze zwischen Galli und Belgae nennt er die Flüsse Matrona und Sequana. Eingehender und genauer sagt Strab. 4,176 zum gleichen Thema: Dª B`C 9 IG>8‹ 9> GDJC, ]@JmI6CDv0 @6½ %^AI60. [...] IDv0 9` AD>EDv0, !6A6I>@C B`C IC €M>C, oBD@GqC E6G6AAUIIDCI60 I6¾0 0. Beide Nachrichten gehen wohl letztlich auf die %:AI>@U des Poseidonios zurück. – Die Strabonstelle hat man seit Zeuß allgemein als klares Zeugnis einer nur dialektalen (B>@GqC ‘ein wenig’) Verschiedenheit innerhalb einer gemeinsamen keltischen Sprache aufgefaßt. Für die Jahrhunderte um Chr. Geb. haben wir für den Siedlungsraum der Belgae drei Arten von Sprachzeugnissen: a. literarische Belege für Völkernamen, Personennamen und Ortsnamen der Belgae (z.B. Plin. nat. 4,105 f.: Namen der Völker in der von Augustus eingerichteten Provinz Belgica), b. einheimische Namen in lateinischen Inschriften dieses Gebiets, c. einige wenige kurze und kaum verständliche Inschriften in einheimischer Sprache, z.B. aus Arras, Bavai, Reims, Scarponne, Thiaucourt, Tortequenne. Auch aus ihnen lassen sich praktisch nur einige Namen gewinnen. Das Material aus diesen drei Quellen trägt zu einem großen Teil keltisches Gepräge (z.B. die Völkernamen Atrebates, Bellovaci, Morini, Remi, Veliocasses). Das gleiche gilt für die Personennamen: Boduognatus, Führer der Nervii, b. G. 2,23,4; Iccius, Führer der Remi, b. G. 2,3,l; Vertiscus, hoher

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Beamter der Remi, b. G. 8,12,4; Tartos DAG 187 (= Whatmough 1970; Inschrift aus Reims) – wohl Dialektvariante zu gall. Tritos ‘der dritte’. Gelegentlich finden sich bei den Belgae und in der übrigen Gallia die gleichen Namen oder Namenselemente (z.B. der Personenname Diviciacus). Aber einige Völkernamen sind als germanisch aufzufassen, z.B. die Geidumni; andere bleiben bis heute ungedeutet. Auch bei den Personennamen finden sich unerklärte Bildungen, z.B. Drappes, Führer der Senonen, Caes. Gall 8,30,l oder Vixuvioni (Dativ), DAG 185 (= Whatmough 1970; Inschrift aus Reims). Der gängigen Auffassung von der sprachlichen Zugehörigkeit der Belgae zu den Kelten hat jetzt Hans Kuhn widersprochen. Er beobachtet, daß die keltischen zweiteiligen Ortsnamen (Typ Lugu-dunum) nördlich von Somme und der oberen Oise und fast im ganzen heutigen Belgien selten sind. Das gleiche gelte für die kelt. Namenwörter briga ‘Berg’, brƱva ‘Brücke’, nant- ‘Tal’, vern- ‘Erle’, ialo- u.a. (Die da von Kuhn aus der Verteilung der Ortsnamen erschlossene Grenze liegt zwar 100 km weiter nördlich als die von Caesar angegebene, aber es erscheint als möglich, daß hier die Grenzen der keltischen Ortsnamen-Typen die von Caesar und Strabon bezeugte Eigenständigkeit der Belgae widerspiegeln.) In Nordfrankreich und Belgien gebe es – nach Kuhn – andere Ortsnamen-Typen, solche mit anlautendem p-, mit den Suffixen -st- und -ndr-, den Namenstämmen bagi- und alt-, sowie dem Grundwort apa- ‘Wasser’. Kuhn bestimmt nun (1963b, S. 113) das Belgische als ‘eigene Untergruppe des Indogermanischen’, die dem ‘italischen Zweig’ besonders nahe stehe, und hält es für den linksrheinischen Teil des von ihm postulierten ‘Nordwestblocks’. Er sei von den Germanen bei ihrem Ausgriff nach Westen und Südwesten zunächst flankierend umgangen worden. In den älteren Namenschichten dieses Bereichs finde sich nach Kuhn aber auch Nicht-Indogermanisches, das zu mediterranen Sprachen „von Spanien bis Kleinasien“ (1963b, S. 127) gehöre. Das beweise, daß dieser Raum vor dem Eindringen der Römer und Germanen nur kurz und oberflächlich indogermanisiert worden sei (Kuhn 1967, S. 41). Von dieser doppelten These her unternimmt es Kuhn, hier vorgefundene Namen entweder ans Indogermanische, z.B. ans Oskisch-Umbrische, oder aber ans Baskische und andere nicht-indogermanische Sprachen anzuschließen. Auch M. Gysseling betont, daß sich die älteste Toponymie NordwestDeutschlands, der Niederlande und Belgiens von der Umgebung abhebe. Als kennzeichnende Besonderheiten findet er vor allem ablautende Suffixe wie -anja / -inja / -unja; -akja / -ikja / -ukja, in Gewässernamen -apǀ / -ipǀ / -upǀ. Er erklärt aber (1962, S. 120 Anm. 3):

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Beiträge zu Personennamen

Les vues de Kuhn et de Gysseling sur les problèmes essentiels se rapprochent fort, mais, dans l’interprétation des faits particuliers, leurs positions sont souvent diamétralement opposées.

Gysseling verzichtet auch darauf, die von ihm aus Ortsnamen erschlossenen Sprachspuren mit der Stammesgruppe der Belgae zu verbinden. Gegenüber diesen neuen Thesen ist zu betonen, daß das kleine Corpus der aus der Antike für die Belgae bezeugten Völker- und Personennamen mit dem von Gysseling und Kuhn aus mittelalterlichen Urkunden gewonnenen Ortsnamen-Typen weder in den Stämmen noch in den Suffixen genügend Berührungspunkte besitzt. Darum kann die Behauptung, daß sie gleicher Herkunft seien und gemeinsam – mindestens zu wesentlichen Teilen – eine nicht-germanische und nicht-keltische, also eine eigene (‘belgische’) Sprache bezeugten, nicht als bewiesen gelten. Zudem ist ein Großteil der von Kuhn vorgeschlagenen etymologischen Verknüpfungen willkürlich und schwach. (Das Namenwort iƗlo- hat schon R. Thurneysen 1891, S. 268 überzeugend als keltischen Ursprungs erklärt: zu kymr. iƗl ‘freie Fläche, Lichtung’. Es ist fast stets mit klar keltischen Bestimmungswörtern komponiert: Argentoialum a. 697 ‘Silberfeld’, Avaloiolum a. 929 ‘Apfelfeld’, Nantoialum ‘Tal-Lichtung’ usw.) Weitere Literatur: Whatmough (1970, bes. S. 662 ff.); Zeuß (1904; Neudruck von 1837, S. 186–192); Holder (1896, I, Sp. 374 ff.); Zupitza (1903, bes. S. 17 ff.); Feller (1920–1921, S. 241–247. 289–300); Norden (1923, S. 379–387); Pokorny 1926, bes. S. 300; Feist (1927); Weisgerber (1931, bes. S. 183 ff.); de Vries (1960, bes. S. 49–53); Hachmann, Kossack & Kuhn (1962; darin H. Kuhn: Das Zeugnis der Namen, S. 105–128, wiederabgedr. in: Kleine Schriften, Bd. 3, S. 202–232); Ellis Evans (1967); Guyon-varc’h (1966: S. 389 ff. zum Völkernamen Atrebates und 1969: S. 302 ff. zum Völkernamen Remi, S. 305 ff. zum Völkernamen Morini); Dauzat (1930, S. 139 ff.).

Brukterer

(Bd. 3, 1978)

§ 1. Sprachliches. Die häufigste Lautform ist Bructeri / GDs@I:GD>; daneben tritt in der Tabula Peutingeriana die Variante Burcturi auf; später der as. Eigenname Borhter, der karol. pagus Borahtra (9. Jhd., an der unteren Ruhr), der Ortsname Borahtride, der jüngere Stammesname Boructuarii (bei Beda), usw. Eine Analyse des Namens, der in seiner Bildung dem der benachbarten Tencteri entspricht, haben u.a. R. Much (1893b, bes. S. 142) und K. Mül-

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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lenhoff (1900, S. 422) vorgelegt. Sie rechnen mit einem Suffix idg. -ro-, germ. -ra-, das sekundär an ein nomen actionis mit -t-Suffix angetreten sei (etwa *bruhti-). Dies gehöre zum Verb ‘brechen’ und habe ‘Abtrünnigkeit, Widerstand, Aufruhr’ bedeutet, vgl. das ahd. Substantiv uuidarpruht (st. fem.) ‘obstinatio, repugnantia’ (Graff 1837, III, S. 270). Bedeutung des Völkernamens sei also etwa ‘die Abtrünnigen’. Burcturi sei die lautgesetzliche Form (ur aus r sonans); die Umstellung zu ru beruhe auf paradigmatischem Ausgleich mit der Normal- und der Hochstufe (brih- bzw. brah-). – Diese plausible Gesamtdeutung übernehmen M. Schönfeld (1911, S. 54) und S. Gutenbrunner (1957/58, bes. S. 248). – Zu erwägen bleibt, ob die ahd. Glosse bruhtigo ‘procaciter’ nicht für *bruhti- auf eine Bedeutungsnuance ‘Keckheit, Verwegenheit’ hinweist, der Völkername also vielmehr auf einen Charakterzug, nicht auf ein Ereignis der Stammesgeschichte geht. – L. Laistner (1892, S. 22) will dagegen den Völkernamen mit mhd. brogen ‘sich erheben, prunken’ verknüpfen, das zur idg. Wurzel *bheregh- ‘hoch, erhaben’ gehört. Das liegt weniger nahe, weil dazu das Stammwort mit Schwundstufe und Dentalsuffix nicht belegt ist. Zu erwägen ist aber eine Zerlegung in einen Stamm bruk-, der ‘brauchbar, nützlich’ bedeutet (ahd. Adj. prnjhhi, ‘förderlich, beglückend, heilbringend’, Verb bruhhen ‘gebrauchen, genießen, verwalten’), und das Suffix -ter-, das z.B. in ahd. winistar ‘links’, aftar ‘hinten’ vorliegt und (meist paarweise) Oppositionen bezeichnet (vgl. Krahe & Meid 1967, § 136). Tencteri wäre dann als Pendant aufzufassen und seine Deutung in ähnlicher Richtung zu suchen. Noch anders jetzt Birkhan (1976, S. 15 f.): Er rechnet hier mit dem Stamm idg. *bhkrg- ‘Gebüsch, Gesträuch’ (vgl. Pokorny 1959–1969, S. 165 und den Artikel Burcana im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), an den das Baumnamensuffix -tro- (wie in Flieder, Holunder) angetreten sei. Bructeri habe dann entweder ‘Schößlinge, Sprößlinge, Nachkommen’ oder ‘Leute des Niederwaldes’ bedeutet. Eine Parallelbildung zum Völkernamen Tencteri liege nicht vor.

Bucinobantes

(Bd. 4, 1981)

Nach Amm. 29,4,7: quae contra Mogontiacum gens est Alamannica. – Das Hinterglied des zweiteiligen Stammesnamens gehört zweifellos zur germanischen Raumbezeichnung bant- ‘Land, Bereich’ (Das germanische Suffix, das aus einer Ortsbezeichnung einen Stammesnamen machte, ist hinter der lateinischen Endung nicht mehr zu erkennen; vielleicht war es -ja-, das gern in substantivierten Zugehörigkeitsbildungen verwendet wurde; Krahe

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Beiträge zu Personennamen

& Meid 1967, § 74.4.) Das Vorderglied wird verschieden gedeutet: seit J. Grimm (1880, S. 593 f. ‘die im Buchenbant Heimischen’), dem Förstemann (1900; 1901) und Schmidt (1909, S. 194) gefolgt sind, wurde es mit ‘Buche’ und mit Boconia / Buochunna, dem Namen eines Gebirgswaldes (siehe die Artikel Buchonia, Bacenis Suva im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), verknüpft. Krogmann (1955, S. 13) verbindet ebenfalls bucina mit germ. bokina-büchen. Dagegen rechnet die Deutung von R. Much (1934, S. 99–102) und P. von Polenz (1961, S. 140) mit germanisch *0ukja ‘Schutzwehr aus Hecken, Gebück’ und dem Suffix -in- (wie im Ortsnamen EichƯnaberg). Bei ihr erklärt sich das stammhafte -u- leichter. (Der germanische Wortstamm liegt noch vor in pagus Bucki, im Ortsnamen Bückeburg und im mhd. Kollektivum gebücke n. ‘Knick, Verhau, verflochtene Heckenschutzwehr’, ferner in der nhd. Intensivbildung ‘bücken’, gehört also letztlich zur idg. Wurzel *bheugh- ‘biegen’.)

Burgunden

(Bd. 4, 1981)

I. Philologisches. § 1. Namenkundliches. Die älteste Namensform ist das seit Plin. nat. 4,99 belegte Burgundiones; seit dem 4. Jhd. (Amm.) tritt die Form Burgundii auf (Bei Tacitus fehlt dieser Völkername ganz). Zahlreiche Varianten, die z.T. jüngere lautliche Veränderungen widerspiegeln, bucht M. Schönfeld (1911, S. 55 ff.). Das bei Ptol. 3,5 belegte GDJ in Südrußland. Zugrunde liegt ein germ. Adj. *burgund- ‘hoch’, das genaue Entsprechungen in kelt. brigant- und aind. bȓhant- ‘groß, hoch, stark, laut’ hat (vgl. Bregenz). Das Suffix -und liegt auch in Seolund ‘Insel Seeland’, got. hulundi ‘Höhle’ usw. vor. Die Form Burgundiones weist das germ. Suffix -jan- auf, das häufig maskuline Personenbezeichnungen bildet, vgl. got. gawja ‘Gaubewohner’. Dagegen entspricht die Bildung Burgundii einem germanischen Substantiv der starken Deklination mit Suffix -ja- wie got. hairdeis ‘Hirte’ (eigentlich ‘zur Herde gehörend’). – Die Grundbedeutung des Völkernamens läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen; am ehesten ist er Ableitung von einer Stellenbezeichnung *burgund- ‘das hoch gelegene’,

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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wie sie sich vor allem in Skandinavien, aber auch auf dem Kontinent mehrfach nachweisen läßt. (Die Vorgeschichtsforschung dachte bevorzugt an die Insel Bornholm, deren alter Name Burgundarholmr wohl ein noch älteres *Burgund voraussetzt. Dies wird u.a. durch ae. Burgendas gestützt, das bei Alfred die Bewohner der Insel bezeichnet.) Weniger wahrscheinlich (wegen der Suffigierung) ist metaphorische Beziehung des Völkernamens auf Charakter oder Körpergestalt der Stammesangehörigen, wie Much (1893a) vorschlug. – Mit dem kelt. Stammesnamen Brigantes besteht nur zufällige Gleichheit, kein ethnischer Zusammenhang. (Bei ae. Burgendas erklärt sich das e der Mittelsilbe wohl als Ergebnis einer Velardissimilation; die ältere Form Burgundas ist in der ae. Version von Bedas Kirchengeschichte bewahrt (Mezger 1921, S. 6). Weitere Literatur: Bach (1952–1953, § 174. 179); Kossinna (1897; 1943); Schröder (1944, S. 102–108); Schwarz (1955, S. 74 ff.).

Caeroesi

(Bd. 4, 1981)

Name eines Stammes der linksrheinischen Germanen, zusammen mit den Condrusi, Eburones und Paemani erwähnt bei Caes. Gall. 2,4. In der handschriftlichen Tradition finden sich die Varianten Caeroesi, Ceroesi, Caerosi, Cerosi. Aus Caesar hat Oros. 6,7,14 geschöpft; seine Handschriften bieten Caerosi, Cerosi. — Zeuß (1837, S. 212 Anm.) zieht den gallischen Ortsnamen Ceresius bei. Für Caeroesi sind meist Anknüpfungen an das Keltische versucht worden. So nahe das liegt, keine Deutung geht ohne Schwierigkeiten auf. a. Glück (1857, S. 40 ff.), Holder (1896, I, S. 677) und ihnen folgend von Kienle (1932, S. 57 ff.) verknüpften Caeroesi mit dem Völkernamen Caeracates (Tac. hist. 4,70). Aber die Suffixe der beiden Namen sind völlig verschieden. (Ein Suffix -oeso- hat bisher, worauf Gutenbrunner 1932, S. 158 hinweist, im Keltischen keinen Anschluß.) – Der Völkername Caeracates gehört sicher zu altir. cáira, cáera, Gen. cáerach. Vorauszusetzen ist *kairƗk- ‘Schaf’, das Thurneysen (1921, S.107) mit altir. cáer ‘Klumpen, Traube’, neuir. caor ‘beerenförmige Frucht der Eberesche’ verknüpft; das Schaf sei nach der Form seines Kotes benannt. Demnach hat erst der sekundär mit dem Guttural-Suffix gebildete Stamm *kairƗk- die Bedeutung ‘Schaf’; für Caeroesi wäre von dem Wort für ‘Traube, Beere’ auszugehen (‘Beeren-Esser’ ? ?). Schon Weisgerber (1969, S. 332 und 337) lehnt Deutung a) als zu ungenau ab.

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Beiträge zu Personennamen

b. Zeuß (1837, S. 212 f.) stellt die Caroesi mit dem Caroascus pagus (a. 762 n. Chr.) zusammen, der auf den Eifelhöhen um Prüm gelegen haben soll und im Mittelalter als Karos-Gau weiterlebt. Aber Caroascus wird eher zum keltischen Wort für ‘Hirsch’ gehören: kymr. carw usw. (Anders Gysseling 1960, S. 221). Auch stimmen die Vokale der jeweils ersten Silbe nicht genügend überein, so daß diese Verknüpfung als schwach gelten muß. c. Das Gleiche gilt für die von Much (1913–1915e) vorgeschlagene Verbindung mit dem Völkernamen Caruces, der in pagus Carucum (CIL XIII 4143, Neustraßburg bei Neidenbach, Kreis Bitburg) erhalten ist. Neben diesen Versuchen, den Völkernamen an keltisches Sprachgut anzuschließen, ist Gysselings Vorschlag (1961, S. 323) beachtenswert, Caeroesi zum germ. Adj. *haira- ‘hehr, würdig, erhaben’, urspr. ‘grauhaarig’, zu stellen. Dann wäre mit einer Substitution (c für Ȥ) zu rechnen, wie in Caesia silva und öfter. Über das Suffix sagt Gysseling nichts. Weitere Literatur: Beyer (1860); Rüger (1968, S. 351).

Chaibones

(Bd. 4, 1981)

Dieser Stammesname, der offenbar nur kurze Zeit existiert hat, ist im Ausgang des 3. Jahrhunderts nach Chr. Geb. bei dem Panegyriker C. Mamertinus Maximus überliefert (mit den handschriftlichen Varianten caynonum, cavionum, caivonum, caybonum – im Gen. Plur.). Zeuß (1837, S. 152 und 477 f.) und Grimm (1880, S. 330 f.) wollten den Völkernamen über eine konjizierte Form *Chaviones mit dem Völkernamen Aviones verknüpfen, ähnlich Much (1895c, S. 50) über *Chaiv(i)-ones. Anders will Much (1911–1913b) *Chabiones als ‘Seeanwohner’ deuten; got. entspräche *habjans zu germ. *haba ‘Meer’. – Solche Textänderungen haben bereits Tomaschek (1897, S. 125) und Schönfeld (1911) mit Recht abgelehnt. Sie sind schon deshalb kaum rätlich, weil dieser Völkername zwar nur bei einem Autor, aber an zwei Stellen unabhängig überliefert ist. Zur Deutung des Namens läßt sich der Wortstamm heranziehen, der in got. haifsts ‘Kampf, Streit’, anord. heipt, heifst ‘Feindschaft, Haß’, ahd. Adverb heiftigo ‘heftig, ungestüm’ usw. (Fick & Torp 1909, S. 65; Pokorny 1959–1969, S. 542) vorliegt. (Zu ihm gehört auch mit N. Wagner 1977b, S. 375, der Personenname ahd. Heibo, as. Hebo.) – Das n-Element von Chaibones, das auch andere germanische Völkernamen aufweisen (Favonae, Gutones, Saxones, Sidones, Suiones, Sulones usw.), deutet auf schwache

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Deklination. Die Chaibones wären dann mit einem preisenden Namen als ‘die Kampflustigen, Streitbaren’ bezeichnet.

Chaideinoi

(Bd. 4, 1981)

Germanischer Völkername, belegt nur bei Ptol. 2,11,16 (6>9:>CD¼). Danach im Westteil der -@6C9¼6 (Skandinavien) zu lokalisieren. Deshalb wird dieser Völkername meist mit den Einwohnern der norwegischen Landschaft Heidmƭrk, jetzt Hedmark, ostwärts des Mjøsa-Sees, identifiziert. – Dagegen will Svensson (1919, S. 12) sie weiter ostwärts lokalisieren, indem er sie mit dem kleinen schwedischen Ort Hedemora in Dalarna verknüpft. Da dieser Ort im Altschwed. Henamora hieß, sucht er darin den Völkernamen Heinir (im Gen. Plur.), der aus *Heidnir entstanden ist. – Ihm folgen Hesselman (1930, S. 4) und Hellquist (1948). Noreen (1920, S. 34 und 39 f.) erinnert an Finhad. Seit Zeuß (1837, S. 158 mit Anm.) wird der Stamm des Namens zu anord. heiði ‘Heide’ gestellt; das bleibt bis heute die sichere Grundlage aller Deutungen, so sehr diese sonst bezüglich der Bildung des Völkernamens auseinandergehen. Wadstein (1925a, S. 189 ff.) sieht in Chaideinoi eine Abkürzung von *Finnchaideinoi ‘Bewohner von Fin-heiþi’, was sicher abwegig ist. Lundahl (1937, S. 67) bezweifelt die formale Zusammengehörigkeit von 6>9:>CD¼ und Heinir, hält aber an der Verknüpfung mit heiðr fest. – Die neueren Arbeiten bemühen sich vor allem um die Grundbedeutung von heiðr. So hält de Vries (1961a, S. 217– 220) an der Verknüpfung mit Heidmark fest, sucht die Bedeutung von heiðr jedoch nicht in ‘Heide’, weil ‘Heidebewohner’ eine geringschätzige Benennung sei, sondern in ‘Allmende’. (Aber Völkernamen, die eine negative, abwertende Bedeutung haben, gibt es auch sonst.) Dagegen nimmt Svennung (1974, S. 141 ff.) für heiðr eine Grundbedeutung ‘großer Wald, Grenzwald’ an. – Möglich bleibt aber nach wie vor die Grundbedeutung ‘ebenes’ oder ‘ödes Land’. – Krogmann (1935c) will den Völkernamen an das germ. Adj. *haiþina- anknüpfen. Daran ist richtig, daß die griechische Schreibung des Mittelvokals mit :> zur Zeit des Ptolomäus kein Beweis für Langvokal oder Diphthong ist, sondern als ‘itazistische’ Schreibung für ein kurzes i aufgefaßt werden darf. Schon Lundahl (1937, S. 66 f.) hatte darauf hingewiesen, daß das Suffix -ina- in germanischen Völkernamen nicht sicher nachweisbar sei. Wenn dann aber Krogmann dem Völkernamen die gleiche Bedeutung ‘paganus’ wie dem Adj. haiþina- zuschreiben will, so vermag das nicht zu überzeugen.

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Beiträge zu Personennamen

Chaimai

(Bd. 4, 1981)

6¾B6>. Germanischer Stammesname, nur einmal belegt (Ptol. 2,11,9), bezeichnet wohl einen Teilstamm der Brukterer. Die Beurteilung dieses Namens ist schwierig. Much (1893b, S. 149) wollte ihn – unter Annahme einer Korruptel – zu *UB>6> oder *8UB>D> verbessern, was eine Variante zu 6B6yD>, Chamavi sein könne. – Aber -6>B6> kennen wir als Hinterglied der Völkernamen .:JG>D86¾B6> und 6>CD86¾B6>, die als Possessivkomposita mit dem Substantiv *haimioder *haima- (Fick & Torp 1909, S. 87 f.) ‘Siedlung, Wohnort, Heimat’ zu verstehen sind (vgl. etwa noch got. af-haims und ana-haims). Angesichts der gut germanischen Lautform dieses Nominalstammes ist Muchs Emendation sicher unberechtigt. Er hat sie später (Much 1911– 1913) selbst aufgegeben zugunsten der – viel wahrscheinlicheren – Annahme, daß in der Textüberlieferung versehentlich das Vorderglied eines zweiteiligen Völkernamens ausgefallen ist. Allenfalls denkbar wohl auch, daß von einem zweiteiligen Völkernamen durch sprachliche Kürzung das Vorderglied entfallen wäre, vgl. etwa Bardi aus Langobardi.

Chaituori

(Bd. 4, 1981)

6>IDsKGD>. Auch diesen Völkernamen hat nur Ptol. 2,11,11 bewahrt. (Handschriftliche Variante ist 6>IUKGD>). Unter der Voraussetzung, daß die Überlieferung korrekt ist, wird man am ehesten mit einem Kompositum rechnen. Doch ist eine überzeugende Deutung noch nicht gefunden. Zeuß (1837, S. 121 Anm. 2) hält den Völkernamen für keltisch. Dagegen verknüpft Much (1893b, 86 f.) das Vorderglied mit germ. *haita- ‘heiß’, das Grundglied mit ahd. wuorag ‘berauscht’, anord. œrr ‘wütend, rasend’, gewinnt also einen Gesamtsinn ‘die Heißwütigen’, wofür er an den furor teutonicus erinnert. Doch ist das wohl zu kühn. Wieder anders erwägt er (Much 1900, S. 116), es könne eine Verschreibung für Chatt-uarii vorliegen (siehe den Artikel Chattwarier im Reallexikon der germanischen Altertumskunde).

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

Chali

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(Bd. 4, 1981)

Diesen germanischen Stammesnamen von der kimbrischen Halbinsel hat nur Ptol. 2,11,7 überliefert: UAD> (in einigen Handschriften auch Akzent auf der Endsilbe). – Malone (1934, S. 33) lokalisiert ihn am Randersfjord an der Nordküste Jütlands. Much (1893b, S. 203) wollte ihn zu ahd. helan ‘verbergen’, hƗli ‘verhohlen, heimlich’, aisl. háll ‘ränkevoll, betrügerisch’ stellen und als ‘die Verschlagenen, Listigen’ auffassen. Demgegenüber hat die von Schütte (1939, S. 174) vorgeschlagene Verknüpfung mit anord. hali-, ags. hæle ‘Mann, Herr’ (Pokorny 1959–1969, S. 524) größere Wahrscheinlichkeit. Da hali- aus dem Dentalstamm *haliþ- ‘Held’ entstanden ist, liegt ein rühmender Völkername vor. Daß man den Schwund des stammauslautenden Dentals, zu dem Kluge (1913, § 232) zu vergleichen ist, dann sehr früh ansetzen muß, bildet kein Hindernis. (Das Wort hali- ‘Mann’ liegt auch vor in Halamardus, einem Beinamen des Gottes Mars [CIL XIII 8707], den von Grienberger 1891, S. 388 f. überzeugend als ‘Männer-Töter’ gedeutet hat.) Den Landschaftsnamen Halland verknüpft H. Möller (1896, S. 140; unter Zustimmung Kossinnas 1897, S. 290) mit dem Völkernamen UAD>, und Wadstein (1925a, S. 192 f.) will den jütischen Bezirksnamen Hallae anschließen.

Chamaver

(Bd. 4, 1981)

§ 1. Name. Neben der seit Tacitus häufig belegten Form Chamavi findet man bei Ausonius, Mosella 434, ChamƗves, bei Ptol. 2,11,10 und 11 6B6JD¼. – In Strab. 7,291 C ist aus dem 6y7D> der Handschriften 6B67D¼ hergestellt worden (vgl. den Artikel Chaubi im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). – Vermutlich enthält auch das Epitheton der Matrones Hamavehae CIL XIII 7864 (zwischen Jülich und Aachen) einen Gruppennamen *Hamawiz. Im Mittelalter ist im Raum um Deventer der wohl verwandte Gauname Hamaland, Hameland bezeugt (vgl. Förstemann 1913–1916, Sp. 1217 f.). Der Stammesname Chamavi ist genauso gebaut wie Batavi und Frisiavi. Der Ausgang erklärt sich als Vollstufe (mit Abtönung) von einem Nominalsuffix -u-. (Zu diesem Typus vgl. Krahe & Meid 1967, § 72 und schon Specht 1937, S. 6). Zwei etymologische Anknüpfungen sind erwogen worden: R. Much (1893b, S. 148 f.) schließt auf ein Adjektiv *hamu- zurück,

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Beiträge zu Personennamen

das mit ahd. ham ‘lahm, gebrechlich’, dem faktitiven Verb hemmen < *hamjan ‘bedrücken, eine Bewegung erschweren’ usw. verwandt wäre. Die Bedeutung wäre dann vielleicht etwa ‘unbeweglich, kraftlos’; es könnte ein Spottname zugrundeliegen (wenn man die gleiche indogermanische Wurzel – Pokorny 1959–1969, S. 555 – beibehält, könnte man auch erwägen, das niederdt. hamme ‘eingezäuntes Landstück’ heranzuziehen und die Chamavi als ‘die Bewohner einer hamme’ aufzufassen). Dagegen hat Müllenhoff (1900, S. 423) Verknüpfung mit got. hamon aC9s:H$6>, altnord. hamr ‘Hülle, Balg, Gestalt’, ahd. hemidi ‘Hemd’ gesucht. Das vorauszusetzende *hamu- hieße ‘der im Kriegsgewand’. – Beide Vorschläge bleiben hypothetisch. Aber zweifellos sind Stamm und Suffix germanisch. Dem Verdacht Hans Kuhns (1963a, S. 270 ff.), sie seien nicht-germanischer Herkunft (‘Nordwestblock’!), fehlen zureichende Begründungen.

Charini

(Bd. 4, 1981)

Name eines Teilstammes der Vandilii, nur bei Plin. nat. 4,14 belegt. Zeuß (1837, S. 132) hielt ihn – zu Unrecht – für verderbt aus Semni (unter dem Einfluß des im Text vorangehenden Völkernamens Varini). Heute nimmt man meist an, daß als Stamm germ. *harja- ‘Heer’ (bezeugt durch got. harjis, anord. herr) bzw. *harja- ‘Krieger, Heergenosse’ zugrunde liege (zu dem Schramm 1957, S. 47 zu vergleichen ist). Leichte Differenzen gibt es darüber, wie die Ableitung und die Bedeutung anzusetzen sind. Bach (1952–1953, § 182) rechnet mit dem Suffix -Ưna- (vgl. Meid 1967, S. 110 f.), während Meid (1957, S. 78) das Suffix -na- heranzieht. Aber bei Antreten des Suffixes -na- wäre wohl – nach Analogie des altnordischen Odin-Beinamens Herjann – eher *Chariani zu erwarten. – Ob die intendierte Grundbedeutung des Völkernamens Charini stärker auf den bei Tac. Germ. 43 belegten Völkernamen Harii (so Bach: „Erweiterung des Völkernamens“) oder auf das Appellativum *harja- (so Meid: „Angehörige des Heeres“) bezogen war, bleibt unentscheidbar, da der Völkernamen Harii formal mit dem Appellativ identisch war. (Bei dem früher öfter zur Erklärung des Völkernamens herangezogenen anord. Subst. hernaðr ist wohl mit einem Suffix-Konglomerat -n-ad- zu rechnen; es steht also ferner.) Vgl. den Artikel Harier im Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Weitere Literatur: Much (1913–1915f).

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

Charuden

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(Bd. 4, 1981)

(Harudes, 6GDy9:0). Dieser germanische Völkername ist seit Caes. Gall. 1,31,37; 51 als Harudes belegt; das Mon. Anc. hat die gräzisierende Schreibung Charydes; Ptol. 2,1,7 bietet 6GDy9:0 (eine Handschrift UGDJ9:0). Oros. 6,7,7 hat Arudes, Jord. Get. 60,2 die verstümmelte Form Arochi. Seit Grimm (1848, S. 633) wird dieser Völkername von der Mehrzahl der Forscher zu as. hard, ahd. hart ‘Wald’ gestellt. Er bedeute also ‘Waldbewohner’. Das Angelsächsische bietet harad, hared in Ortsnamen, also ebenfalls mit Sproßvokal. – Much (1900, S. 24) hat demgegenüber erwogen, den Völkernamen zu idg. *karut-s zu stellen, das aber nur in kelt. cawr ‘Held’, nicht durch eine germanische Entsprechung gefordert wird. (Ihm stimmt Pokorny 1959–1969, S. 532 zu.) – Der Name lebt weiter im thüringischen HardagƗ, der a. 852 noch Harudorum pagus heißt. Auch der dänische Bezirksname Harsyssel, älter Harthesysael weist auf den Völkernamen zurück. Ferner ist der norwegische Völkername Hƭrðar, Hƭrðer sicher verwandt. – Verfehlt war Laistners (1892, S. 24) Vorschlag, den Völkernamen mit dem der Cherusker zu verknüpfen. Weitere Literatur: Much (1913–1915b); Schwarz (1956, S. 113–115).

Chasuarier

(Bd. 4, 1981)

§ 1. Namenkundliches. Der Name findet sich so bei Tac. Germ. 34; Ptol. 2,11,11 schreibt ihn %6HDJUGD>, setzt ihn aber zu weit südlich an. Der Stamm behält diesen Namen bei, auch wenn er später – nach dem Zeugnis der Veroneser Völkertafel (Laterculus Veronensis) – am obergermanischen Limes neben den Usipiern sitzt. – Schon Zeuß (1837, S. 113 Anm. 1) hat den Namen als die ‘Anwohner des Flusses Hase’, eines östlichen Nebenflusses der Ems, analysiert. Diese Deutung ist seit langem mit Recht anerkannt. (Verfehlt dagegen Steche 1937, S. 78 f.). Genau entsprechend ist der Name der benachbarten Ampsivarii ‘Anwohner der Ems’ gebildet. Zum Bildungstyp vgl. Bach 1952– 1953, § 173.la und 260 und Foerste 1969. – Der Flußname Hase selbst (as. Hasa) ist ebenfalls germanisch; er gehört zu dem Adj. ags. hasu ‘grau, dunkel’; mhd. heswe ‘bleich, farblos’ (Pokorny 1959–1969, S. 533), der Fluß ist nach der Farbe des Wassers benannt.

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Beiträge zu Personennamen

Chatten

(Bd. 4, 1981)

I. Philologisches. § 1. Der Volksname. Der Volksname erscheint bei den lateinischen Schriftstellern als Chatti, Catti, Cathi, bei Ptolemäus als UII6>, bei Strabon und Dio Cassius als UIID>. Daneben seit Velleius Paterculus und Plinius auch Schreibungen mit th: Catthi, Chathi, Chatthi, Catholi u.ä. Bis heute hat dieser Name keine zwingende und allgemein angenommene Etymologie gefunden. – Von den älteren Deutungen greifen wir einige heraus. J. Grimm (1848, S. 577 ff.) schloß den Völkernamen an ahd. huot ‘Hut, Kopfbedeckung’, anord. hattr, urgerm. *hattu- an. Die Chatti seien ‘pilleati, die mit den (Filz-)Hüten’ gewesen. – K. Müllenhoff (1897, S. 7; 1900) knüpfte an das Hinterglied in den gall. Völkernamen Veliocasses, -cassi, Bodiocasses usw. an, das er mit kymr. cas ‘Haß’ zusammenstellte. – M. Heyne (1890–1895) zog ebenfalls die Wurzel idg. lƗd- / lΩd-, germ. *hat- ‘Haß’ heran, mit der got. hatan, anord. hetja ‘Held’, ags. hetend ‘Krieger’ gebildet sind. – R. Much (bei S. Gutenbrunner 1955/56, S. 665) hielt den Völkernamen für eine scherzhafte Umbildung nach *hassjahundos ‘Hetz-Hunde’. – Die Differenz im Konsonantismus von Chatti und Hassi wird seit W. Braune (1894) meist so erklärt, daß bei Chatti an den Dental der Wurzel ein -no-Suffix, bei Hassi ein -to-Suffix angetreten sei. (Aber solche Doppelformen von Stammesnamen kennen wir sonst kaum.) Die sechs jüngsten Deutungsversuche stammen von W. Mitzka (1952), A. Bach (1954b), W. Kaspers (1955), H. Kaufmann (1965), H. Birkhan (1967), H. Kuhn (1975a). Auch von diesen versuchen mehrere, die Etymologie des Namens mit der bei Tac. Germ. 31 erwähnten besonderen Haartracht der Jungkrieger dieses Stammes (‘Strubbelköpfe’) zu verknüpfen. Mitzka trennt Chatti und Hessen. Für Chatti denkt er, wie J. Grimm, an einen Stamm *hat- ‘Kopfbedeckung’; gemeint sei die Haartracht. (Aber ist diese Bedeutungsverbindung glaubhaft?) Auch Bach hält für Chatti an Grimms Vorschlag fest, modifiziert ihn aber zu ‘die mit den (Leder-)Helmen’. Den Völkernamen Hassi, Hassii, Hessii, Hassones usw. hält er für eine jüngere hypokoristische Bildung dazu, die mit einem s-Suffix abgeleitet sei. (Doch für solche Koseformen mit s-Suffix finden sich zwar Parallelen bei den Personennamen, aber nicht unter den germanischen Stammesnamen.) W. Kaspers will sowohl im Hinterglied von Veliocasses wie in germ. Chatti einen indogermanischen Stamm wiederfinden, der auch in lat. caterva vorliege und ‘Schar, Truppe’ o.ä. bedeute. (Aber der ist sonst im Germanischen nicht bezeugt.)

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Anders faßt H. Kaufmann Chatten als ‘Angehörige oder Gefolgsleute eines Chatto’, wobei dies eine Nebenform des Personennamens Hado, Hatho, Hato (mit expressiver Verschärfung und Gemination des inlautenden Dentals) sei. Der sei seinerseits eine Kurzform zu einem zweigliedrigen Vollnamen mit Vorderglied ahd. *hadu- ‘Kampf’, wie etwa Hadubrand. (Aber mit Parallelen für die Entstehung von Stammesnamen aus Personennamen steht es – gerade im germanischen Bereich – nicht gut.) Die Namensform Hassi (seit 8. Jhd., aus *Hadisi) sei ein westfränkisch-romanisches Hypokoristikon, also nicht rein germanisch. Birkhan geht von einer Lautform *Chaþþi aus, der die lateinischen Schreibungen mit tth (auch tht) am ehesten gerecht würden. Zugrunde liege die germ. Wurzel *hazd- ‘Haar’ (an. haddr ‘langes Frauenhaar’; vandalischer Stammesname Hasdingi). Auch dem kelt. Völkernamen mit Hinterglied *casses liege die Bedeutung ‘wirres Kraushaar’ zugrunde. – Germ. þþ sei dann als das gallische Allophon von ss aufgefaßt (und auch so gesprochen) worden. H. Kuhn hält den Völkernamen vor allem wegen seiner ‘langen Tenuis’ für nicht-germanisch, für eine Prägung seines ‘Nordwestblocks’. Er verknüpft ihn mit der römischen gens Cassia und den keltischen Cassii in Südengland. (Dagegen will er das Hinterglied des keltischen Vlkernamens Bodiocasses usw. fernhalten.) Kuhn (1975a, S. 25) meint: „So kann die römische gens Cassia gut von mitgewanderten – wohl schon indogermanischen – Chatten stammen [...].“ – Aber es ist ganz unwahrscheinlich, daß Namen der römischen gentes oder der germanischen Stämme schon auf das Ende des 2. Jahrtausends vor Chr. zurückgehen, auf die Zeit, als die Vorfahren der Latiner aus Mitteleuropa abrückten.

Chattwarier

(Bd. 4, 1981)

§ 1. Name. Der Völkername ist zunächst bei Strab. 7,291 C f. in der Form 6IIDJUG>D> belegt. Vell. 2,105 und Amm. 20,10,2 bieten Attuarii bzw. Atthuarii (ohne das h im Anlaut). In seiner Ausgabe der Geographi Latini Minores, hat A. Riese (1878, S. 128) aus dem Gallovari des Codex die Form Cattovari durch Konjektur hergestellt, die – wenn richtig – mit dem erhaltenen Bindevokal o singulär wäre. Aber der sich bei Ptol. 2,11,24 findende Name 6>IDs6GD> gehört vermutlich nicht hierher, da er lautlich stärker abweicht und geographisch an unzutreffender Stelle eingetragen ist. (Vgl. den Artikel Chaituori im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). –

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Beiträge zu Personennamen

Im ags. Widsith entspricht der Dat. Plur. Haetwerum, im Ahd. Hazzoarii und mittellat. der pagus Hattuariensis. Ferner ist der Name in der mittelalterlichen Bezeichnung des pagus Hetterun erhalten. Zugrunde liegt all diesen Varianten ein zweiteiliger germanischer Stammesname *ChattwƗrijiz. (Nach Braune & Eggers 1975, § 217 Anm. 2, liegen hier ursprünglich i-Stämme vor, die erst sekundär in althochdeutscher Zeit zu den jaStämmen übergetreten sind.) Sein Hinterglied entspricht dem in Baivarii ‘Bayern’, Chasuarii ‘Anwohner des Flusses Hase’, ahd. RnjmƗri ‘Römer’ < *Rnjm-wƗri, ahd. burgƗri ‘Bürger’ < *burg-wƗri usw. Am genauesten entsprechen im formalen Aufbau die Stammesnamen Baivarii und Boructuarii (zum Völkernamen Bructeri), insofern als auch bei ihnen jeweils ein Völkername das Vorderglied bildet. *Bai-wari- ist nun sicher als eine Klammerform aus *Bai-haim-wari- ‘Bewohner des Bojer-Landes’ entstanden, d.h. ein dreiteiliges Kompositum ist durch Ausdrängung des mittleren Bestandteils reduziert worden. Setzt man die gleiche Entstehung auch für *ChattwƗrijiz voraus, dann waren sie als die ‘Inhaber des Chattenlandes’ benannt – So mit Schönfeld (1911) und von Polenz (1961, S. 201 ff.; dieser Namenstyp reiche in die VWZ zurück; das Hinterglied bezeichne eher eine ‘Wohngemeinschaft’ als eine ‘Wehrgemeinschaft’); abweichend aber Foerste (1969), der den Völkernamen – auf den Spuren J. Triers – für eine Ableitung von *ward / *waruz ‘ringförmige Steinsetzung, geschützter und gehegter Mittelpunkt einer Gemeinschaft’ hält, also das kultische, politische oder rechtliche Zentrum eines Verbandes. – Nach dieser Deutung wären die *Chattwarjoz ‘die zum Chatten-Zentrum Gehörenden’.

Chaubi

(Bd. 4, 1981)

6y7D>. Dieser Völkername wird nur bei Strab. 7,291 C (zwischen den Sugambrern und Brukterern) genannt. Eine Konjektur 6B67D> erscheint möglich; doch ist auch – mit Schönfeld (1911) – einzuräumen, daß hier ein sonst unbekannter Kleinstamm genannt sein kann. Der Name ließe sich allenfalls an ahd. houwan ‘schlagen, hauen’ (Fick & Torp 1909, S. 65 f. bzw. Pokorny 1959–1969, S. 535) anschließen. Die Bildung *hawwa- wäre als persönliches nomen agentis mit Suffix -a- aufzufassen, vgl. Meid (1967, § 68.1) und Braune & Eggers (1975, § 46 Anm. 2).

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

Chauken

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(Bd. 4, 1981)

I. Philologisches. § 1. Der Völkername Von dem Völkernamen der Chauken sind als Varianten bezeugt: Chauci, Chauchi, %6y8D>, Cauci, %6y@D>. Zweifellos ist er identisch mit dem germ. Adj. ‘hoch’, got. hauhs usw. Offen bleibt aber, ob damit die Gestalt der Namensträger gemeint ist (‘hochgewachsen’) oder eine lobende Aussage über Abstammung und Wesensart (dafür spricht sich G. Schramm 1957, S. 63 aus) oder etwa über den Siedlungsort (‘die hoch Wohnenden’). Der Völkername gehört zu einer Gruppe germanischer Namen, die aus substantivierten Adjektiva bestehen; vgl. Franken, Skiren, Tungrer, Ubier usw. (siehe dazu auch die einzelnen Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). So zutreffend N. Wagner (1977a, S. 223, Anm. 36). (Zu Unrecht bezeichnet H. Kuhn 1972a, S. 344 ff. den Völkernamen als wahrscheinlich vorgermanisch.) Der Landschaftsname Hugmerki, der von älteren Forschern gelegentlich (unter Annahme von Ablautwirkung und grammatischem Wechsel) mit dem Völkernamen Chauken verbunden wurde, bleibt sicher fern. Eher gehört er zum Stammnamen der Hugen. Weitere Literatur: Schütte (1933, S. 225 ff.).

Cherusker

(Bd. 4, 1981)

§ 1. Namenkundliches. Die griechischen Quellen bieten die Varianten :GDyH@D>, 6>GDJH@D¼; die Schreibung =GDyH@D> bei Strabon 7,291 C steht allein und ist kaum zuverlässig. Zur etymologischen Deutung dieses Völkernamens sind mehrere Vorschläge gemacht worden: a. J. Grimm (1870–1898, I, S. 87) verknüpft ihn mit got. hairus, altengl. heoru ‘Schwert’. b. O. Bremer (1886, S. 3 Anm. 3) wollte ahd. hƗrusk ‘pilosus’ heranziehen. (Aber das e der Stammsilbe des Völkernamens war sicher kurz.) c. R. Much (1893a, S. 60 f.) – und ebenso E. Schröder – stellen den Völkernamen zu germ. *herut- ‘Hirsch’. Später baut Schröder diese Deutung aus (1933): Der Völkername sei vielleicht Ableitung von einem Flußnamen; vermutlich habe die Oker vorher *Cherut ‘Hirsch’ geheißen. Aber diese zusätzliche Annahme ist unbeweisbar und entbehrlich. – O. Höfler (1961, S. 27 ff.) stützt diese Verknüpfung durch

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Beiträge zu Personennamen

Hinweise auf die Rolle, die der Hirsch unter den germanischen Symbolen spielt. d. F. Kluge (1905/06, S. 168) erinnert an ahd. as. ags. horsk, anord. horskr ‘geschwind, klug’, faßt also das dazu ablautende Cherusci als ‘die Klugen’. — S. Gutenbrunner (1957, S. 305), der Muchs Deutung akzeptiert (‘Hirschlein’), erwägt aber Kluges Vorschlag als Alternative wegen Tac. Germ. 36: qui olim boni aequique Cherusci, nunc inertes ac stulti vocantur, mit der er die Gegenüberstellung von horsk- und heimsk- in Hávamál 93 vergleicht. Eine eindeutige Entscheidung ist nicht möglich; am wahrscheinlichsten ist der Vorschlag von Much. – An nicht-germanische Herkunft des Völkernamens, wie H. Kuhn (1959, S. 36) will, ist nicht zu denken.

Clondicus

(Bd. 5, 1984)

Bei Liv. 40,58,8 sowie 44,26,11 und 27,2 ein Anführer (regulus) der germanischen Bastarner in den Jahren 179 und 168 vor Chr. Geb. (Bei Appian, Maced. 18,2 f. heißt er %AD¼A>D0) Seit Zeuß (1837) hat man als identisch den bei Oros. 5,16,20 belegten Claodicus, den Namen eines Königs der Kimbern, herangezogen und bei beiden mit handschriftlichen Entstellungen gerechnet. So stellt Much (1928a, S. 13) für Claodicus %AD9>@D0 = Clodicus her. Mehrere Deutungen wollen diese beiden Personennamen in leicht voneinander abweichender Weise zu germ. *8lud- ‘Ruhm’ stellen, das ja ein beliebtes Namenelement ist, vgl. ahd. Hluderich usw. (In ahd. Lautgestalt entspräche *Hludihho as. *Hludico.) So z.B. Müllenhoff (1906, S. 109 und 120 f.), ferner Werle (1910, S. 13), der aber den Personennamen in der nicht bezeugten Form Cloidicus führt, ferner Much (1928a), dem sich Birkhan (1970, S. 494 ff.) anschließt. Man muß aber im Auge behalten, daß der Ansatz Clodicus nur auf Konjektur beruht. – Holder (1896, I, S. 1045) hält Clondicus für die keltische Umformung eines germanischen Namens. Demgegenüber schlägt S. Gutenbrunner zwei verschiedene germanische Verknüpfungen vor: in Germanische Frühzeit (1939, S. 93) erwägt er, darin eine ungenaue Wiedergabe einer Ableitung von germ. *hlanþa- ‘Beute’ zu sehen (vgl. ags. hloÿ ‘Raub, Beute’, ahd. landƝri ‘latro’, aisl. hlenni ‘Räuber’). Dagegen: In Germanistik (1961, S. 490; Anm. der Hrsg.: Die Angabe ist nicht zu verifizieren) stellt er es zu anord. klundr ‘Ball, Klumpen’, das auch als Übername von Personen belegt ist, und zu klundra ‘Kno-

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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ten’. de Vries (1961a, S. 237) nimmt die erste Deutung Gutenbrunners auf. – Zum Suffix vgl. Krahe & Meid (1967, S. 211 ff.). Weitere Literatur: Münzer (1900, s.v. Clondicus).

Condrusi

(Bd. 5, 1984)

Name eines Teilstammes der Germani cisrhenani am rechten Ufer der Maas, belegt bei Caes. Gall. 2,4; 4,6; 6,32 (mit handschriftlichen Varianten: Condroosos, Condruosos, Condurses usw.). Dann tritt ihr Name in dem des pagus Condrustis (CIL VII 1073) auf, der eine Untereinheit der augusteischen Verwaltungsordnung bezeichnet. Aus dem Mittelalter kennen wir den pagus Condrustis (Condruscius, Condrustrius) oder comitatus Condorusto, Belege bei van Rey (1977), und aus der Gegenwart den Landschaftsnamen pays de Condroz (südöstlich der Maas zwischen namur und Lüttich). Die heutige Forschung rechnet damit, daß der Name im wesentlichen am alten Siedlungsgebiet haften geblieben ist. Mit dem Völkernamen verwandt sind aber auch die Matronennamen Cantrusteihiae (CIL XIII 3585 und 7880) und Andrusteihiae (CIL XIII 7995 und 8212), wobei man die Cantrusteihiae wohl als die Göttinnen des pagus Condrustis aufzupassen hat. Die Lautung cantrust- mit ihrem t im Anlaut der 2. Silbe und der Ersetzung des o durch a scheint ‘germanisiert’ zu sein. (Man vergleiche die sog. ‘partiellen Substitutionen’, die eine spezielle Art der Entlehnung bilden.) Dagegen zeigt Andrusteihiae nach Weisgerber (1969, S. 428) „keine Spur germanischer Lautverschiebung“. (Vgl. Reallexikon der germanischen Altertumskunde, s.v. Antrustio.) Beim Völkernamen Condrusi deutet das Praeverb con- auf keltische Herkunft; K.H. Schmidt (1957, S. 101 ff.) stellt ihn mit Recht in den Verbund der gallischen Komposita mit der Vorsilbe com-, con-, cob-, co-. Der Stamm *drus- ist dagegen noch nicht sicher gedeutet. Glück (1857) und ihm folgend Vannerus (1952) erinnern an ir. drus ‘Leidenschaft’; der Völkername sei ursprünglich ein Übername gewesen, den die Feinde des Volkes benutzt hätten. Nun läßt sich aber mit Much (1967, S. 225) in cantrust- ein germanischer Nominalstamm finden, der aus anord. traust, got. trausti und dem lat. trustis ‘Treue’ der altfränkischen Gesetze bekannt ist. Da es denkbar erscheint, daß die germanische Namensform die gallische nachbildet – unter Beibehaltung des ursprünglichen Sinnes – wäre für das Gallische ein Subst. *drus- (oder *drust-) zu vermuten, das ebenfalls etwa ‘fester Vertrag’ oder

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Beiträge zu Personennamen

ähnlich bedeutet. Es könnte zu altir. dron < *dru-no- ‘fest’, kymr. drud ‘tapfer’ (Pokorny 1959–1969, S. 214 ff.) gehören. Der Völkername würde dann etwa bedeuten ‘die vertraglich (aneinander) Gebundenen’. Vannerus (1952, S. 447) erklärt Condrustis als eine mit Dentalsuffix gebildete adjektivische Ableitung zum Völkernamen Condrusi. – Sicher verfehlt war der Versuch F.R. Schröders (1963, S. 9) das Verhältnis von Cantrusteihiae und Andrusteihiae durch ein präfigiertes ‘bewegliches k-’ zu erklären. Weitere Literatur: Birkhan (1970, S. 187 ff. 241 f.); Gutenbrunner (1936b, S. 170 ff.).

Cotini

(Bd. 5, 1984)

Dieser Stammesname ist in mehreren Varianten überliefert. Tac. Germ. 43 (Handschrift Cc) und die Inschriften, darunter vor allem die ViniciusInschrift (vgl. von Premerstein 1904, S. 215 ff. und 1933, S. 140 ff.) und CIL III 2831 geben Cotini, wobei die Vinicius Inschrift i longa in der 2. Silbe hat; die anderen Tacitus-Handschriften bieten im Anlaut G. Cass. Dio 71,11 f. hat %DI>CD¼. Die Handschriften des Ptol. 2,11,10 bieten %|, was aber sicher ein Überlieferungsfehler ist. Tac. Germ. 43 sagt, daß sie „im Rücken der Markomannen und Quaden“ säßen. Als ihr Sitz wird das obere Tal der Gran angenommen. Über ihre Sprache besitzen wir die eindeutige Aussage bei Tac. Germ. 43: Cotinos Gallica ... lingua coarguit non esse Germanos. Auch für den Völkernamen wird man am ehesten im Keltischen nach einer Etymologie suchen; sie ist noch nicht gefunden, aber es liegt nahe, an die im Gallischen häufigen Personennamen und Ortsnamen mit einem Element cot- zu erinnern (Personennamen Cotinius, CIL III 5625, Cotus, ebd. 4366, Ortsnamen Cotinacum, Holder 1896, I, Sp. 1142, usw.). Dagegen wollte E. Schwarz (1950, S. 101) den Völkernamen der ‘venetischen’ Sprache zuordnen, wofür man heute lieber „einer sonst unbezeugten westindogermanischen Sprache“ sagen würde (im eigentlichen Venetischen Norditaliens findet der Völkername Cotini bisher keinen Anschluß). Weitere Literatur: Müllenhoff (1906, S. 324 ff.); Much (1967, S. 475 f.; mit weiterführender, vor allem polnischer Literatur).

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

Cuberni, Cugerni

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(Bd. 5, 1984)

Name eines germanischen Stammes, der am linken Rheinufer (zwischen Cleve und Neuß) saß. Tacitus, hist. 4,26 und 33; 5,16 und die lateinischen Inschriften geben für den Konsonanten im Anlaut der zweiten Silbe g, Plin. nat. 4,106 (und die lateinische Inschrift in Ephemeris epigraphica III 186, sowie die griechische bei Cagnat 1906, III 56) statt dessen b. (Den Anlautkonsonanten schreiben mehrere jüngere Codices als g-.) Daß so unsicher bleibt, ob eine einheitliche Grundform anzusetzen ist und wie sie gelautet hat, erschwert bis heute eine Deutung des Namens. Die ältere Forschung hat daraufhingewiesen, daß es auch sonst Fälle von „aneinander anklingenden, aber miteinander etymologisch unvereinbaren Namen desselben Volkes“ gebe (siehe R. Much 1918–1919a, S. 431): Naristi / Varisti, Gepidi / Gebidi). Much (1893b, S. 157; 1893c, S. 213) rechnete mit zwei verschiedenen Grundgliedern des Völkernamens: *ku-bernaz sei ‘Kuh-Knecht’ oder ‘Kuh-Sohn’, dagegen *ku-gernaz ‘Kuhbegehrend’, was entweder ‘Kuhdieb’ bedeute oder vielleicht auch ‘der mit Rindern Sodomie treibt’. Doch ist ein solcher Schimpfname trotz der Parallelen, die Much anführt, semantisch wenig glaubhaft. (Beide Erklärungen Muchs haben keinen Anklang gefunden, vgl. Hirt 1896, S. 138 f.) Wahrscheinlicher ist, daß die beiden Völkernamen lautliche Varianten sind; auch in dieser Richtung sind mehrere Erklärungen versucht worden. So setzt Müllenhoff (1877, S. 272) eine beiden Varianten zugrundeliegende Lautform *Cuverni an und will diese mit got. qiwa- ‘lebendig’ verbinden. Weisgerber (1969, S. 240 mit Anm. 19, S. 269 und 335) nimmt an, daß verschiedene Reflexe eines alten Labiovelars vorliegen, wobei Cuberni die keltische, Cugerni die germanische Kontinuante sei. Er legt aber keine darüber hinausgehende eigene Deutung vor. Für das Suffix -rn- erinnert Müllenhoff (1906, S. 109) an den Völkernamen Bastarnae, got. widuwairns usw. (vgl. Krahe & Meid 1967, § 97), was plausibel ist. (Aber dies Suffix ist auch im Keltischen vorhanden). Das Element Cug- will Gysseling (1960, S. 103. 252) an germ. hugu- anknüpfen. Auch Kaufmann (1968, S. 157) schließt für den Anlaut auf germ. ch / h zurück. Weitere Literatur: Laistner (1892, S. 8) hält den Völkernamen für eine (suffigierte) Ablautvariante zu Chauci. – Unwahrscheinlich.

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Beiträge zu Personennamen

Dänen

(Bd. 5, 1984)

§ 1. Namen kundliches. Die ältesten Belege des Völkernamens, Dani bzw. 6CD¼, finden sich bei zwei Autoren des 6. nachchristlichen Jahrhunderts: bei Jord. Get. 59,14, und Prok. b. G. 2,15,3 und 29. Im 6. Jahrhundert nennen ferner Gregor von Tours, Hist. Franc. III 3, und Venantius Fortunatus (MGH AA 4,1, S. 159 f.) die Dani. Im Altdänischen und Altisländischen lautet der Name danir (Plur.), im Altenglischen (Beowulf) dene (auch in den Prunknamen wie gƗr-dene ‘Speer-Däne’, beorbt-dene ‘GlanzDäne’, hring-dene ‘Ring-Däne’, sowie in den Komposita, die im Vorderglied die Namen der vier Weltgegenden tragen, vgl. Schütte (1930, S. 132 f.), im Mittelhochdeutschen tene; zugrunde liegt ein germanischer iStamm. Diese i-stämmigen Völkernamen gehören mit Much (1918–1919a, S. 428) zu einem alten Bildungstyp, der bei Nordgermanen und Angelsachsen häufig war. (Im Anlaut hat das Neuhochdeutsche nicht die oberdeutsche Form mit Tenuis, sondern die niederdeutsche Lautung bewahrt.) Schon früh erscheinen zahlreiche Personennamen, die wohl den Völkernamen als Vorderglied enthalten: Cassiodor 340,9 überliefert den ostgot. Personennamen Danus, dazu treten ahd. Denihart, Danafrid, Danaburg, ags. Deneberct sowie die Kurzformen Danila, ahd. Tenil. Vgl. aber Kaufmann (1968, S. 91). – Die Scheibenfibel von Balingen, bei Krause (1966) Nr. 160, aus dem 7. Jahrhundert gibt in Runen dnlo, was sich als Personennamen mask. Danilo auflösen läßt. Weitere Personennamen mit Vorderglied dän- bei Meyer-Lübke (1904, S. 22) und Kluge (1906, S. 141–142). – Bemerkenswert der Personenname ahd. Halbtene, ags. Healf-Dene, nord. Halftan ‘Halbdäne’ (gebildet wie Halbthu-ring und Halwalch). Im wesentlichen sind es drei Verknüpfungen, die für den Wortstamm des Völkernamens immer wieder vorgeschlagen worden sind: 1. mnd. dane, dahne ‘Niederung’ und mit anderer Ablautstufe ags. dƝnu ‘Tal, Niederung’. Ferner gehören hierher die Bildungen mit k-Suffix schwed. dial. dank, danke, dakk ‘Vertiefung im Boden, feuchte Stelle’, engl. dank usw., die auch zur Deutung von *Dankiones (siehe dazu den Artikel Daukiones im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) herangezogen worden sind. 2. Vulgärlat. danea, as. tenni ‘Dreschplatz auf freiem Feld’ und Verwandte. 3. Der Baumname ahd. tƗnna f. ‘Tanne, Fichte’ oder das dazugehörende Kollektivum (mhd. tan m. ‘Tannenwald’). Dabei sind wahrscheinlich die hier unter l. und 2. genannten Wörter miteinander wurzelverwandt.)

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Die schon von Schönfeld (1911), Much (1918–1919a, S. 388) und Wadstein (1918) in Anlehnung an Bugge (1889, S. 125 ff. und 1896, S. 236 ff.) vorgeschlagene Verknüpfung mit den Wörtern für ‘Vertiefung’ usw. erscheint als die am ehesten treffende. Die *dani- wären also ‘Bewohner einer Niederung’. – Dagegen stellt Grienberger (1901) Danmark zum Baumnamen ahd. tanna, und ganz ähnlich geht Zachrisson (1926/27) vom Kollektivum ‘der Tann’ aus. Die Dänen seien von ihren südlichen Nachbarn als ‘Waldbewohner’ benannt worden. Der Sachverhalt wird dadurch verwickelt, daß mehrere Forscher auch die 3. Gruppe der Appellativa für verwandt mit einer der ersten beiden ansehen. So wollte Noréen (1911 und 1920) den Baumnamen Tanne (ahd. tanna, as. danna und d́nnia) mit der Gruppe ags. denn ‘Höhle’ usw. verknüpfen. Die Grundbedeutung von Danmark sei daher ‘Wald auf festem Boden’ gewesen, was sich auf die natürlichen Gegebenheiten in Schonen, der vermutlichen Urheimat dieses Stammes, beziehe. – Doch ist diese Verknüpfung des Baumnamens mit den Wörtern für ‘Vertiefung’ usw. kaum wahrscheinlich. (Den Völkernamen hält Noréen für erst sekundär aus der Bezeichnung Danmark herausgelöst; Noreen 1920 und 1911.) – Ähnlich hatte J. Grimm (1870–1898, III, S. 147) den Baumnamen Tanne mit tenni ‘Boden’ verknüpft. Ohne Anhalt ist der Vorschlag Brøndals (1920, S. 17 ff.), dem Völkernamen Dani liege ein iranisches, speziell skythisches Wort für den ‘Bogen’ (als Waffe) zugrunde, das mit ai. dhanu- ‘Bogen’ eng verwandt sei. Abzulehnen ist auch die im Mittelalter beliebte Erklärung, der Landesname gehe auf einen Personennamen Dan bzw. Danus, den Namen des ältesten Königs, zurück. Vielmehr ist hier – wie auch sonst oft – umgekehrt aus einem Völkernamen der Name eines mythischen Ahnherrn und Anführers rückerschlossen worden. Weitere Literatur: Krahe (1954a); Hald (1957a); Svennung (1964, S. 94).

Daliterni

(Bd. 5, 1984)

Der älteste Beleg dieses Völkernamens steht in der Ora maritima des römischen Konsulars Rufus Festus Avienus (4. Jhd. n. Chr.), Vers 675 (vgl. Holder 1887; Schulten 1922; Stichtenoth 1968). Doch kann der Völkername wesentlich älter sein, da die (griechischen) Quellen des Avienus zum Teil wohl bis ins 6. Jahrhundert v. Chr. zurückgehen. – Was die Deutung des

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Beiträge zu Personennamen

Völkernamens angeht, so rivalisieren bis heute im wesentlichen zwei Vorschläge: a. die Anknüpfung an germ. *dala- ‘Tal’, b. die Verknüpfung mit dem Namen des Walliser Flüßchens Dala, das von Norden aus der Gegend des Lötschenpasses kommend bei Leuk in die obere Rhone mündet. Zeuß (1837, S. 266 f.) war der erste, der den Völkernamen fragend als germanisch etymologisierte; er übersetzte ihn als ‘Tal-Bewohner’. Ebenso hält Much (1925a, bes. S. 50 ff.; 1932) den Namen für germanisch: Er stellt ihn als *dalaþerna- / *daliþerna- zu dem got. Adv. dalaþro ‘von unten her’. (Die Verknüpfung mit dem Namen der Dala lehnt er [Much 1925a, S. 50] ab, da deren enges Tal nur sehr beschränkte Siedlungsmöglichkeiten biete.) Ihm schließt sich Gutenbrunner (1939a, S. 44 f.) an. Dagegen rechnet Müllenhoff (1890, S. 196 f.) mit nicht-germanischem Ursprung des Völkernamens. Auch Jacobsohn (1929a) und Schmeja (1968) verwerfen die Deutung aus germanischem Sprachgut, indem sie auf ihre lautlichen und morphologisch-semantischen Schwierigkeiten hinweisen; statt dessen übernimmt Schmeja Hubschmieds (1934) These. Dieser hatte den Völkernamen – wie Schulten (1922, S. 132) und andere vor diesem – zum Flurnamen Dala gestellt. Zu diesem postulierte Hubschmied eine Nebenform *Dalitera (analog zu der doppelten Benennung eines gallischen Flusses als Deva und *Devetra). Die Daliterni seien die Anwohner dieser Dala / Dalitera gewesen. (Hubschmied faßt ferner den Flußnamen als gallisch auf und deutet ihn als ‘die Trübe’, indem er ihn zu griech. $nAD0 stellt. Das bleibt – auch infolge von Schwierigkeiten der lautlichen Entsprechung – ohne Überzeugungskraft.) Auch Arntz (1944, S. 61) nahm einen Zusammenhang zwischen dem Völkernamen und dem Flußnamen an, meinte aber umgekehrt, der Fluß habe seinen Namen von dem des Stammes bekommen. Doch ist das durchaus unwahrscheinlich. – Insgesamt hat die Verknüpfung des Völkernamens mit dem Flußnamen wohl die besseren Chancen, doch bleiben auch bei ihr die Einzelheiten der Ableitung hypothetisch. – Kaum haltbar ist der Vorschlag Steinhausers (1956/57), der den keltischen Völkernamen Nantuates ‘Tal-Bewohner’ für eine wörtliche Übersetzung von Daliterni hält. Noch andere Vorschläge sind vorgebracht worden: Holder (1896, I, Sp. 1216) vergleicht keltische Namen. – Wertlos ist der Einfall Stichtenoths (1968), den slawischen Völkernamen Daleminzi, der in die Gegend von Meißen gehört und erst ein Jahrtausend später auftritt, hier heranzuziehen.

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Dandutoi

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(Bd. 5, 1984)

Dieser Völkername ist nur bei Ptol. 2,11,11 (2. Jhd. nach Chr. Geb.) überliefert, wobei die Handschriften neben der am besten bezeugten Variante 6C9DyID> auch 6J9DyID>, &6C9DyID> und &6C9Ds9>D> bieten. (Dies letztere setzt Cuntz 1923, S. 65 in den Text.) Angesichts dieser schwachen und unsicheren Bezeugung verwundert es nicht, daß bis heute keine überzeugende Deutung des Völkernamens gelungen ist. Zeuß (1937, S. 113 Anm. 2) stellte ihn zu den altsächs. Personennamen Dando, Dendi, ahd. Tanto, die ihrerseits onomatopoetisch gebildet oder wenigstens umgebildet sind. (Vgl. noch Förstemann 1900, S. 402, wo weitere Belege für ein Personennamen-Element dand-, tend- aufgeführt sind, und Förstemann 1913–1916, S. 685.) Aber daß Personennamen, speziell Lallnamen, die Grundlage für einen Völkernamen bilden, ist fürs Germanische kaum zu belegen. – Much (1893a, S. 80) erwog eine Emendation zu 6C9Dy, um das gleiche Suffix wie in got. handugs zu gewinnen. Doch ist ein Ausgang -ut- durchaus bekannt, vgl. z.B. die altsächs. Subst. hornut ‘Hornisse’, hirot ‘Hirsch’, binut ‘Binse’ usw. Bei ihnen liegt ein germ. -t-Suffix (idg. -d-) vor (vgl. Krahe & Meid 1967, § 132), das an einen -u-Stamm angetreten ist. Auch den Völkernamen Dandutoi an diesen Bildungstyp anzuknüpfen, erscheint möglich. Steche (1937, S. 73 f.) hielt die Variante *&6C9Ds9>D> für die beste, sie sei aus ursprünglichem *&6C9DJ>D> erstellt. Dies verknüpft er mit dem bei Strab. 7,292 C belegten Völkernamen &6C9D¼ (ähnlich schon Müller 1883, S. 264), sowie mit Lanciones, Langiones. Über das auffallende Suffix sagt er nichts. Diese Verknüpfung wird aber schon von Müllenhoff (1900, S. 552) – wohl zu Recht – abgelehnt. Much (1893a, S. 80) hatte den Stamm des Völkernamen zu nhd. Tand und engl. dandy stellen wollen. (Er dachte an einen Spottnamen ‘die Unbedeutenden, Nichtigen’. Aber diese beiden Anknüpfungen sind unhaltbar: dt. Tand ist aus lat. tantum entlehnt, engl. dandy vielleicht Koseform vom Personennamen Andrew.) Von dieser allzu kühnen Deutung hat sich Much selbst (1914/15, S. 217) distanziert. – Andere Vorschläge zielen darauf ab, im Wortausgang zu konjizieren; doch dürfte eine allfällige Korruptel eher im Wortstamm als im Suffix stecken.

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Beiträge zu Personennamen

Daukiones

(Bd. 5, 1984)

6J@¼KC:0. Germanischer Völkername, den Ptol. 2,11,16 zusammen mit den !6yI6> im Süden der -@6C9¼6 (wohl Südschweden) nennt. Da dieser Völkername nur hier belegt ist, hat man ihn mehrfach durch Konjekturen an bekannte Namen oder Appellativa annähern wollen. Zeuß (1837) wollte -@6C9¼KC:0 herstellen, was gewiß als zu kühn abzulehnen ist. Much (1911–1913h, S. 388) erwog eine Änderung zu 6<@¼KC:0, das zu altnord. dƭkk f. (aus *dankǀ oder *dankwǀ) ‘Vertiefung in der Landschaft’ gehöre. Ihm folgt Schütte (1916, S. 44), der aber daneben auch eine Emendation 6C:¼KC:0 erwägt. Diese letztere greift Svennung (1974, S. 217 ff.) auf. Beide Namenformen sollen Varianten des Völkernamens Dani ‘Dänen’ sein, sind aber anderswo nicht belegt. – Dagegen wollte Wadstein (1918, S. 198) eine Nebenform 6EG¼DC:0; herstellen; sie gehöre zum Landschaftsnamen Daprae Herde in Schonen. Gegenüber all diesen Versuchen hat der alte Hinweis Muchs (1893b, S. 180) auf got. gadaukans ‘Hausgenossen’ (Akk. Plur.) den Vorzug, daß er ohne Eingriff in die Textgestalt bei Ptolemaios auskommt. Leider ist gadaukans 1. Kor. 1,16 hapax; da sich zudem kein überzeugender etymologischer Anschluß hat finden lassen, vgl. Feist (1939, S. 177), sind auch für dies Appellativum mehrere verschiedenartige Emendationen vorgeschlagen worden, vgl. Meißner & Schröder (1932, S. 301–302) und Holthausen (1939, S. 77). Das Suffix -jǀn- (vgl. Kluge 1926, § 16a) findet sich auch bei anderen germanischen Völkernamen: Burgiones, Burgundiones, Nicriones, Vangiones, die sämtlich von Substantiven abgeleitet sind, welche geographische Gegebenheiten oder vom Menschen geschaffene Bauwerke benennen.

Dounoi

(Bd. 6, 1986)

Existenz und genaue Lautform dieses germanischen Stammesnamens sind aus mehreren Gründen unsicher: a. Er beruht auf zwei Konjekturen. Bei Ptol. 2,11,10, wo drei Teilstämme der Lugioi genannt werden, geben die Handschriften &Dy Dª >9DyCD> und ähnlich. Zeuß (1837, S. 125) schlug dafür &Dy Dª DyCD> vor. Auch Much (1911–1913c, S. 485) hält DyCD> für die wahrscheinlichste Namensform, meint aber, daß neben germ. *Dnjnǀz auch *Didnjnǀz möglich sei, wofür er an Bildungen wie ahd. wiwint und

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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fifaltra neben wint und faltra erinnert. Aber gerade bei Stammesnamen sind solche Reduplikationen sonst nicht bezeugt. Strab. 7,290 C erwähnt einen Stamm 4DsBDJ0 (Akk. Plur.), woraus Much (1911–1913c, S. 485) DsCDJ0 herstellen will. (Doch konjizieren andere Forscher, z.B. Zeuß 1835, S. 126, da mit mindestens ebenso großer Berechtigung zu DsGDJ0.) b. Weitere literarische oder epigraphische Bezeugungen dieses Völkernamens gibt es nicht. Daher nimmt Schmidt (1941, S. 101 f.) an, Ptolemaios habe ihn schlichtweg erfunden, aus dem kelt. Ortsnamen Lugidunon herausgesponnen. Er sagt (1941, S. 102 Anm. 1): „Wenn sie Much [...] für ein wirklich existierendes Volk hält [...], so ist das angesichts der ptolemäischen Arbeitsweise ganz verfehlt.“ Einen Zusammenhang zwischen dem Völkernamen und dem Ortsnamen nimmt schon Schütte (1916, S. 34) an. Auch die in der altnordischen Hervarar saga im Zusammenhang mit der Hunnenschlacht erwähnte Dúnheiðr, die Much (1920c, S. 147) beizieht, muß nicht in ihrem Vorderglied einen germ. Völkernamen Dnjn- enthalten haben, sondern kann mit einem anderen Nominalstamm dnjn- gebildet sein. Infolge dieser kargen und unsicheren Bezeugung des Völkernamens bleiben alle etymologischen Versuche von vornherein unverbindlich. Anknüpfungen an mehrere verschiedene indogermanische Sprachen bzw. Sprachzweige sind erwogen worden: 1. Much (1911–1913c) zog die germ. Wurzel *dnj-, dnjn- (Pokorny 1959– 1969, S. 263) ‘stieben, hauchen, schütteln’ heran, rechnete also für den Völkernamen mit einer Bedeutung ‘die Stürmischen’ oder ähnlich. Diese Anknüpfung leidet aber darunter, daß es in den germanischen Sprachen ein Adj. *duna- nicht gibt. (Die etymologisch hergehörenden Subst. Daue und Düne stehen semantisch ferner.) Steinhauser (1950, S. 20 f.) hat diese Deutung modifiziert zu ‘die Erregten, Berauschten, die von ihrem Seelengott Erfüllten oder Getriebenen’, doch fehlt dieser Annahme eines religiösen Benennungsmotivs jede Beweiskraft. Kaum brauchbar ist auch der von Much (1893a, S. 29) und Hirt (1894a, S. 518) fast gleichzeitig gemachte Vorschlag, den für den Nordwesten Kleinasiens bezeugten Völkernamen +yCD> als gleichartige Bildung heranzuziehen, da unbekannt ist, welche Sprache diesen Namen, der als Variante neben ¼$JCD> steht, geschaffen hat (vielleicht das Thrakische?) und was er bedeutet. Immerhin mag eine indogermanische Sprache zugrunde liegen. Günstigstenfalls lägen dann in DyCD> und +yCD> zwei unabhängig voneinander entstandene parallele Bildungen vor.

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Beiträge zu Personennamen

2. Pokorny (1938a, S. 323 f.) erklärte in vager Formulierung DyCD> für ‘illyrisch’, also für nicht-germanisch, aber westindogermanisch. Er zieht wieder die bei Pokorny (1959–1969, S. 261 ff.) gebuchte Wurzel *dheu‘wirbeln, stürmen’ usw. heran, mit der germ. *dnj- identisch ist. 3. Wenn man den schon von mehreren Forschern bemerkten Anklang des Völkernamens an das kelt. Subst. dnjno- ‘befestigte Siedlung, Befestigung’ ernst nimmt, braucht man nicht die oben erwähnte Radikallösung Schmidts zu verfechten, sondern könnte erwägen, daß es wirklich einen mit diesem keltischen Wort gebildeten Namen eines lugischen Teilstamms gegeben hat. (Allerdings müßte dann wohl durch eine leichte Emendation Dunioi – mit dem bekannten Ableitungssuffix – hergestellt werden). Spuren keltischer Sprache sind in Schlesien und seinen Nachbargebieten auch sonst faßbar. – Wegen des Benennungsmotivs wäre etwa der germanische Völkername Visburgii zu vergleichen. Weitere Literatur: Much (1889, S. 8; 1920b, S. 73. 123).

Dulgubnii

(Bd. 6, 1986)

§ 1. Namenkundliches. Die ältesten Bezeugungen dieses Völkernamens liegen bei Tacitus und Ptolemaios vor. Die Handschriften der Germania haben in c. 34 mehrere Varianten wie dulgitubini, dulcubuni, dulgicubini usw., vgl. Robinson (1935, S. 131. 309). Bei Tacitus wird seit Grimm (1868, S. 433 f.) meist – und sicher mit Recht – Dulgubnii in den Text gesetzt; dagegen wollte Tross (1841) an Dulgubini festhalten. Die fünfsilbigen Varianten sind ohne Wert. Die durch Ptol. 3,11,9 bezeugte Form DJAD> ist sprachgeschichtlich die ältere; der Wandel von m zu b ist auch im Gotischen belegt (neben lauhmuni ‘Blitz’ und *glitmuni ‘Glanz’ steht fastubni ‘Fasten’ usw.). Die richtige Etymologie des Völkernamens ist seit längerem erkannt: als Stamm ist germ. *dulga- anzusetzen, an den ein Suffixkonglomerat -umnja- angetreten ist. Zu letzterem, das auch im Völkernamen Geidumni vorliegt, vgl. Meid (1967, § 109); das (selbst schon zusammengesetzte) Suffix -umni-, das überwiegend an Verbalstämme antritt, ist um ein weiteres Suffix -a- oder -ja- erweitert; dadurch wird das Abstraktum (fem. bzw. neutr.) zum maskulinen Völkernamen. (Meid 1967, § 109 erklärt auch überzeugend den Wechsel der Suffixformen -umni- und -muni-.) Die morphologische Analyse des Völkernamens ist also sicher, schwieriger bleibt, die Grundbedeutung zu gewinnen. Für den Wortstamm *dulga- kommt

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lautlich die Anknüpfung an zwei verschiedene, vielleicht unverwandte germanische Substantiva in Betracht: 1. got. dulgs m. ‘Schuld’ – doch ist dies Wort von seiner Bedeutung her kaum für einen Völkernamen geeignet. (Dies gilt trotz mehrerer Versuche, vgl. z.B. Gysseling 1960, S. 291, der den Völkernamen als ‘Tributpflichtige’ übersetzt. Aber für eine solche Benennung fänden sich unter den germanischen Völkernamen kaum Parallelen.) 2. Die andere Anknüpfung führt zu der Gruppe: anord. dolgr ‘Feind’, dolg ‘Kampf’ und ags. dolg, afries. dolg, ahd. tolc, die sämtlich ‘Wunde’ bedeuten. Sowohl der Rückschluß von diesen semantisch leicht divergierenden Wörtern auf eine zugrundeliegende gemeingermanische Wurzel wie auch die Heranziehung der Befunde aus den indogermanischen Nachbarsprachen zeigt, daß die Bedeutung der primären Verbalwurzel etwa ‘schlagen’ gewesen sein muß, vgl. Pokorny (1959–1969) und de Vries (1961a, S. 78 f.). Rechnen wir mit dieser älteren Bedeutung auch noch für unseren Völkernamen, so ergibt sich *Dulgumnjǀz ‘die schlagkräftigen’ (zu *dulgumni- ‘das Schlagen; der Akt, die Kraft des Schlagens’). Das paßt gut als Name einer germanischen Kriegergruppe. Ähnlich übersetzte Müllenhoff (1900, S. 426 f.) den Völkernamen als die ‘Kriegs-Streitlustigen’. Laistner (1892, S. 24 ff.) dagegen schlug vor: ‘die narbenbedeckten’, wobei er aber die ursprüngliche Bedeutung von *dulga- verfehlt hat. Auch in Personennamen tritt dieser Wortstamm dulga- auf, vgl. de Vries (1961a, S. 79), und dem Ortsnamen Dolgesheim bei Kaufmann (1976, S. 39). Die früher gelegentlich erwogene Erklärung des Völkernamens aus dem Keltischen, vgl. Holder (1896, I, S. 1366), war bestimmt unzutreffend. Weitere Literatur: Zeuß (1837); Schönfeld (1911); Much (1920b); Schwarz (1956).

Eburonen

(Bd. 6, 1986)

Der Name des bedeutendsten Teilstammes der Germani cisrhenani ist zuerst bei Caes. Gall. 2,4 erwähnt (Condrusos, Eburones, Caeroesos, Paemanos, qui uno nomine Germani appellantur), dann ebd. 6,32, wo die Segni als ihre Nachbarn genannt sind. Strab. 4,194 C hat ]7DsGKC:0, Cass. Dio 40,5 ]7DJGKCD¼. Der Namensstamm eburo- entspricht sowohl dem germanischen Wort für ‘Eber’ wie einem keltischen Wort für ‘Eibe, taxus baccata’ (bezeugt

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Beiträge zu Personennamen

z.B. durch altir. ibar, ferner durch kymrische und bretonische Wörter, die aber – vielleicht sekundär – andere Pflanzen bezeichnen, vgl. Ellis Evans [1967, S. 347]; auch die Ausgänge auf -ǀnes finden sich in beiden Sprachzweigen mehrfach bei Völkernamen. (Für das Gallische vgl. die Stammesnamen Lingones, Redones, Senones usw.; für das Germanische die Chaibones, Ingvaeones, Semnones usw. Das sind formal ‘schwache’ Adjektivbildungen.) Daher urteilt Gutenbrunner (1932, S. 158), der Völkername sei ‘neutral’, d.h. aus beiden Sprachen deutbar. Das trifft zwar für den modernen Sprachforscher zu; man muß aber gewiß damit rechnen, daß der Völkername im Zeitpunkt seiner Schöpfung ‘eindeutig’ intendiert war. (Unbewiesen und unwahrscheinlich ist der Einfall H. Wagners (1958, S. 70 f.), die Baum- und die Tierbezeichnungen seien von Haus aus identisch. Ebenso entfällt die alte Deutung von Glück 1857, S. 115 f. Anm. l, weil das von ihm zugrundegelegte kelt. Subst. ebar, eabar ‘Schmutz, Kot’ lautgesetzlich nicht genau entspricht, vgl. schon Zeuß & Ebel 1871, S. 88 Anm.) Eine germanische Etymologie des Völkernamens als ‘junge Eber’ nahm Much (1895, S. 22 f.) an (mit der zusätzlichen, kaum richtigen Annahme, der Völkername Sunuces heiße ebenfalls ‘Eber’ und sei die keltische Übersetzung von Eburones). Aber schon die Auffassung des Völkernamens als eine Deminutivbildung, die Jungtiere bezeichne, ist nicht berechtigt. Muchs These übernahmen Reeb (1895, S. 21 ff.), Collinder (1944, S. 22) und – mit unwahrscheinlichen Hilfsannahmen – Steinhauser (1954). Dieser hielt den Völkernamen für ursprünglich germanisch ‘die mit den Eberhelmen’; im Zusammenhang mit der Keltisierung des Stammes sei er dann umgedeutet worden. Hirt (1940, S. 327) meinte, dem Völkernamen liege die Kurzform Eburo eines germ. Personennamens wie Eburhart, Eburhelm o.ä. zugrunde; er leite sich also vom Namen des Stammesanführers her. Doch gibt es für einen solchen Benennungsvorgang keine Parallelen unter den germanischen Stammesnamen. Umgekehrt nahm Kluge (1906/07, S. 141 f.) an, der Stammesname Eburonen liege im Vorderglied der germ. Personennamen Eburhart, -heim, -hram, -wart vor. Aber hier ist vielmehr mit der germanischen Tierbezeichnung zu rechnen, vgl. Müller (1970, S. 18 ff.). Für die heute zu Recht weithin angenommene keltische Deutung des Völkernamens (etwa ‘denen die Eibe heilig ist’) haben sich zuerst Zeuß & Ebel (1871, S. 88) usw. ausgesprochen. Für sie sprechen zwei Argumente: Das gewichtigste bildet, wie schon Thurneysen (1930, S. 334) gesehen hat, die Nachricht bei Caes. Gall. 6,31, daß sich Catuvolcus, rex dimidiae partis Eburonum, mit Eibengift (dem in Holz, Rinde, Nadeln und Samen enthaltenen, für Säugetiere giftigen Alkaloid Taxin) selbst den Tod gegeben (taxo ... se exanimavit), und das heiße: sein Leben mit Hilfe des seinem Volk hei-

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ligen Baumes beendet habe. Bertoldi (1928b, S. 151) und R. von Kienle (1932, S. 52 ff.) stimmen dem zu. Das zweite Argument bildet die Tatsache, daß sich auch die anderen drei Völkernamen der Germani cisrhenani, die in bell. Gall. II,4 zusammen mit den Eburonen genannt werden, eher keltisch als germanisch deuten lassen. Der Deutung (s.o.), die mit einem Bezug des Völkernamens auf die Heiligkeit der Eibe rechnet, ist vielleicht die Auffassung als ‘die mit Bogen aus Eibenholz Kämpfenden’ vorzuziehen. Das wird gestützt durch den Völkernamen Eburovices, wörtlich ‘Eiben-Kämpfer’. (Daß der Name einer Holzsorte auch eine damit verfertigte Waffe bezeichnet, läßt sich häufiger belegen, vgl. ahd. ask ‘Esche’ und ‘Speer’). Vgl. schon Carnoy (1954, S. 95). Unabhängig von der etymologischen Deutung des Völkernamens ist die Frage, welche Sprache die Eburonen selbst gesprochen haben. Dafür gibt es nur völlig unzureichende Indizien. Die wenigen Personennamen (der beiden Könige Ambiorix und Catuvolcus) und Ortsnamen (Hauptort Aduatuca), die wir von den Eburonen um 55 vor Chr. Geb. kennen, sind keltisch; auch die Verehrung der Eibe ist in der keltischen Religion besser nachweisbar als in der germanischen (de Vries 1961b, S. 187 f.). Das gilt auch für die Verwendung des Eibengiftes, für die wir dank Florus 2,33 eine Parallele aus der Hispania Tarraconensis kennen. So steht die Forschung hier vor der Frage, wieweit sich diese Beobachtungen mit der oben erwähnten Aussage Caesars vertragen, auch die Eburonen seien Germani genannt worden, oder präziser formuliert, inwieweit sich diese Bezeichnung mit dem deckt, was die Sprachwissenschaft als ‘Germanen’ bezeichnet. Jedenfalls können die wenigen bezeugten Namen nicht erweisen, daß der Stamm der Eburonen in allen Schichten und zu allen Zeiten seiner Geschichte ausschließlich keltisch gesprochen hat. Sollte sich einmal auf Grund neuen Materials herausstellen, daß die Eburonen zumindest ursprünglich germanisch gesprochen haben, dann bliebe, um die Existenz keltischer Personenund Ortsnamen bei den Eburonen – und ihres Stammesnamens – zu erklären, z.B. noch die Annahme, daß zunächst Teile ihrer Oberschicht zum Keltentum übergegangen waren (etwa durch Einheiraten), sich vor allem keltische Namen zugelegt und wohl auch die gallische Sprache angenommen hatten. Scherer (1955) hat gezeigt, daß selbst in Innergermanien Fürsten und andere hochgestellte Personen keltische Namen aus Gründen des Prestiges bevorzugten. Aus Tac. Germ. 2 geht hervor, daß die früheren Germani (cisrhenani) später Tungri genannt wurden; daran knüpft Much (1929b, S. 291 ff.) die Hypothese, die Tungrer seien ‘die Fortsetzung’ der Eburonen; nach einer „Sammlung der Versprengten“ sei „aus diesen Eburonenresten der Stamm der Tungri“ erwachsen. Die Tatsache, daß sich bei den Tungrern germani-

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sche Personennamen nachweisen lassen, mache es wahrscheinlich, daß mindestens ein Teil der in ihnen aufgegangenen Eburonen ebenfalls Germanisch gesprochen habe. Das bleibt jedoch bloße Annahme. Weitere Literatur: Birkhan (1970, S. 202 Anm. 355, S. 446 Anm. 1236); Hirt (1921, S. 376); Holder (1896, Sp. 1400 ff.; Verzeichnis der antiken Belegstellen); Weisgerber (1969, S. 200); Zeuß (1837, S. 212 ff.).

Elouaiones

(Bd. 7, 1989)

Die Handschriften zu Ptol. 2,11,9 bieten für diesen germanischen Völkernamen die Varianten kADJ6¼KC:0, ]ADJ¼KC:0, ]ADJ6¼KC:0, kADsDC:0, ]ADJKC:0. Damit verknüpft man seit Zeuß (1837, S. 155) und gewiß mit Recht die bei Tac. Germ. 43 als Name eines Einzelstamms der Lugier belegte Form (Akk. Plur.) Helveconas (hand-schriftliche Varianten: Eluheconas, Helvetonas, Heueconas). Die Kasusendung -as statt lat. -Ɲs ist gräzisiert, das H im Wortanlaut entweder als etymologisierende Verknüpfung mit lat. helvus bzw. dem kelt. Völkernamen Helvii oder als bloß graphisch anzusehen. Für solche unetymologische H am Wortanfang (bes. vor e-) gibt Schönfeld (1911, S. XXIII) Beispiele. Schwieriger ist die Abweichung der beiden Formen im Inlaut zu beurteilen. Alle drei Deutungsmöglichkeiten sind vertreten worden: a. Müllenhoff (1920, S. 559) wollte bei Tacitus das k-Element durch Konjektur beseitigen. Doch folgen ihm die neueren Herausgeber der Germania (Köstermann 1964, Winterbottom 1975) mit Recht darin nicht. Auch Grienberger (1922, S. 375) betrachtete das „zwischenvocalische“ c als sekundär! b. Umgekehrt hielt Much (1893a, S. 25 f. und noch 1925b, S. 141) es für eher berechtigt, bei Ptolemaios ADJ:@KC:0 herzustellen, ihn also nach Tacitus zu korrigieren, da dieser älter und insgesamt verläßlicher sei. c. Mehrere Forscher, unter ihnen auch Much (1893a), halten für möglich, daß beide Formen echt-germanisch sind, der Name dieses Volksstammes könne in zwei leicht voneinander abweichenden Varianten in Gebrauch gewesen sein. Dafür gibt es in der Tat mehrere Parallelen. Für die Form Helvecones hat sich heute die etymologische Deutung Muchs (1893a) weithin durchgesetzt. Er geht von germ. *elweka- ‘gelblich’ aus, einer suffixalen Erweiterung von *elwa- ‘gelb, lohfarben’, belegt durch ahd. ëlo, (vgl. Falk & Torp 1909, S. 27) und erinnert an andere von Farb-

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Adjektiven gebildete germanische Stammesnamen. (Dazu kommen etwa noch die Rosomonen, zu ahd. rosomo ‘Rost’). Gemeint sei vermutlich eine Körperbemalung, wie sie Tacitus Germ. 43 für die Harii mit tincta corpora bezeugt und die wohl kultische Bedeutung gehabt habe. Dagegen denkt Müllenhoff (1920, S. 562 f.) eher an Bemalung der Schilde. Ihm schließt sich Gutenbrunner (1936c, S. 349) an. Noch anders von Kienle (1932, S. 51 f.), der mit einer Bezeichnung nach der Haarfarbe rechnet: ‘die Blonden’. (Aber das germ. Farbwort *elwa- scheint eher eine ‘braungelbe’ Nuance bezeichnet zu haben und nicht speziell für eine Haarfarbe verwendet worden zu sein.) Nicht überzeugen kann der Gedanke Steinhausers (1950, S. 18 f.), bei Tacitus sei als ursprüngliche Graphie *Helveoones vorauszusetzen und dann der Völkername als Zusammensetzung aus -hƝla- ‘verborgen, heimlich’ und *weho ‘Kämpfer’ aufzufassen. Dies bezeichne die Elouaiones als hinter Masken verborgene Wodanskrieger. Weiterbildung eines Adjektivs oder Substantivs mit einem germ. kSuffix liegt auch in ahd. altih ‘alt’, armih ‘arm’, sperch ‘Sperling’ (neben sparo) usw. vor, vgl. Kluge (1926, § 212 f.) und Meid (1967, § 153.2). Speziell an Farbwörter scheint dies Suffix mehrfach anzutreten: ahd. rutichon ‘rötlich sein’ und mndl. graken ‘grau werden’; in Völkernamen findet es sich z.B. noch bei den Calucoms, Marsaci und Sunuci. Dies germ. -kSuffix läßt sich regelrecht auf das idg. -go- zurückführen; die z.B. von Hofmann (1961, S. 121) erwogene Annahme, es sei aus einer indogermanischen Substratsprache entlehnt, ist zu schwach begründet und nicht notwendig. Die dem ]ADJ6¼KC:0 des Ptolemaios zugrundeliegende germanische Form ist vielleicht als *Elwjǀnez zu erschließen: an den unerweiterten Stamm wäre unter Tilgung des Themavokals -a- das in Völkernamen häufige Suffix -jǀn- angetreten; die griechische Graphie 6> der zweiten Silbe entspräche einem lat. e, das einerseits gelegentlich zur Schreibung eines germ. j benützt wurde, vgl. Much (1918, Sp. 559), der z.B. auf framea (aus *framja) hinweist. – Nur wenig anders Much (1893a, S. 25 f.). Er legt die ebenfalls für Ptolemaios bezeugte Variante ]ADJKC:0 zugrunde und führt sie auf germ. *Elwǀnez zurück, das den Ausgang der schwachen Adjektiva zeige. Dieser Völkername könnte auch in der germanischen Tradition belegt sein: den im altengl. Widsith 87 bezeugten Völkernamen *Eolan, Dat. Plur. Eolum hält Grienberger (1922) für verwandt. Diesen – damals ohne ausreichende Begründung gegebenen – Vorschlag hat Much (1925b, S. 141) abgelehnt; dagegen greift ihn Malone (1932/33, S. 321–324; 1962, S. 179), dem sich dann Deutschbein (1940, S. 16) anschließt, in ausführlicher Ar-

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Beiträge zu Personennamen

gumentation und unter Verbesserungen im einzelnen wieder auf; dabei kann er zeigen, daß die Verknüpfung lautlich und formal jedenfalls möglich ist. Bei ]ADJ6¼KC:0 rechnet Malone mit einem Suffix -aia-, das in *Eolan in der Nullstufe vorliege. Weitere Literatur: Much (1895c, S. 25); Müllenhoff (1853, S. 247 ff.).

Erminonen

(Bd. 7, 1989)

Der Stammesname Erminonen begegnet nur bei drei lateinischen Autoren des 1. Jahrhunderts n. Chr. (Tacitus, Mela, Plinius), später nicht mehr. Nach Tacitus Germ. 2 ist er in einer germanischen Ursprungssage enthalten, welche carminibus antiquis tradiert werde. Hier heißt es, daß von den Nachkommen der drei Söhne des Mannus die proximi oceano wohnenden Ingaevones genannt würden, die medii aber Herminones, die cetero schließlich Istaevones. (Zu solchen mythisch-dichterischen Genealogien allgemein vgl. Wenskus 1961, S. 147. 234 ff.; Kuhn 1978a, S. 225 ff.). Diese offenbar in einem Merkvers gebundene Dreiheit hat aber schon im 1. Jahrhundert n. Chr. nicht mehr der Gliederung der germanischen Stämme entsprochen. Kuhn vermutet, daß diese Namen „aus einer größeren Reihe ausgewählt“ worden sind, wobei man nur miteinander stabende Namen herangezogen und sie auf die Rundzahl Drei begrenzt habe. (Die Ingaevones und Istvaeones werden weder bei Mela noch bei Plinius erwähnt.) Vermutlich stammen diese Völkernamen aus vorchristlicher Zeit und waren zur Zeit des Tacitus schon nicht mehr in lebendigem Gebrauch. Mit dieser Annahme ließe sich auch die Beobachtung Kuhns (1978a, S. 227) erklären, daß diese Namen für uns inhaltlich ‘leer’ bleiben: „Nie nimmt, soweit die Quellen reichen, eine(r) von ihnen an irgendeinem Geschehnis handelnd oder duldend teil“. Die einzige ergiebige Aussage bietet Plin. nat. 4,100, der dem Oberbegriff Herminones die bekannten Stämme Suebi, Hermunduri, Chatti, Cherusci zuordnet. Zur Lautform des Namens: Da für die drei Namen der Tacitusstelle der Stabreim der Anlautvokale zweifellos mit Recht vorausgesetzt wird, ist das in der lateinischen Tradition durchgängige H (Herminones) als bloß graphisch, ohne sprachlichen Wert aufzufassen. Eine Variante ohne das erste -n- bieten – neben mehreren Handschriften der Germania – die beiden anderen antiken Autoren: P. Mela, Chorographia 3,32 erwähnt die ultima Germaniae Hermiones, und Plin. nat. 4,100 die mediterranei Hermiones. Diese Form Hermiones, die Steche (1942, S. 54) zu Unrecht für authentisch

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hält, ist als alte Korruptel zu erklären – etwa falsche Assoziation eines Schreibers an lat.-griech. Hermes bzw. Hermione oder rein mechanischer Ausfall eines Buchstabens. Die Form Erminones wird klar gestützt durch die Existenz eines Adj. ahd. as. irmin-, ags. eormen-, altnord. iƭrmun-, das in allen germanischen Sprachen als Vorderglied substantivischer Komposita auftritt. Für irminsul gibt die mittelalterliche Überlieferung (Rudolf von Fulda, MGH SS 2,676) die sicher zutreffende Übersetzung universalis columna, quasi sustinens omnia, vgl. z.B. Schröder (1935, S. 292). Ebenso gebildet sind ahd. irmin-got, irmin-deot, as. irmin-man, irminthiod; ags. eormen-Zund, eormen-cynn ‘gens permagna’, eormen-lƗf ‘immensa bona relicta’, yrmen-þéod (Dat. Plur.), eormen-strind ‘generatio permagna’, altnord. iƭrmun-gandr ‘Weltschlange’, iƭrmun-grund ‘der weite Grund, die Erde’ usw. Die übereinzelsprachlichen Wortgleichungen beweisen, daß Zusammensetzungen mit irmin- schon der altgermanischen Dichtersprache eigen waren. Darauf deuten auch mehrere Personennamen wie ostgot. Ermanarik (wörtlich: ‘rex universalis’), westgot. Ermenegildus, thür. Erminafridus, alem. Irminsind, frk. Ermenold usw., vgl. Förstemann (1900, S. 473) und Bach (1952–1953, § 191). In all diesen Komposita bedeutet *irmin- usw. ‘allgemein, umfassend, gesamt, gewaltig’, vgl. Lühr (1982, S. 456 ff). Zugrunde liegt ein germ. Adj. *ermina- (bzw. mit ablautbedingten Suffixvarianten *ermana-, *ermuna-). Hierzu gehört nun auch der Völkername Erminones, wie zuerst Müllenhoff (1900, S. 116 ff. 587 ff.) ausgesprochen hat. Dieser schlug weiter vor, urgerm. *ermina- als mediales Partizip von der Wurzel *er-‘heben, sich erheben’ aufzufassen. Ihm folgen u.a. Streitberg (1896, § 287) und Krahe & Meid (1967, § 110). Aber das erweckt Bedenken: Dieser Typ von Partizipien hat sich im Germanischen nicht erhalten, und Ablaut im Suffix idg. -meno- wäre singulär; (so schon Beeler 1961 und de Vries 1957, II, die aber beide dann bei ihrer morphologischen Analyse und etymologischen Anknüpfung andere, kaum akzeptable Wege gehen). Da die folgenden bei den morphologischen Deutungen diese Schwierigkeiten vermeiden, dürfen sie als wahrscheinlicher gelten: a. Man wird mit einem zur Wurzel er- / or- gehörenden, suffixal erweiterten Nominalstamm *ermo- (Bedeutung etwa ‘Wachstum, Ausdehnung’) rechnen, der auch in lit. ermas ‘ungeheuer groß’, lett. ͅrms ‘wunderliche Erscheinung’, als Adjektiv ‘merkwürdig’ vorliegen kann. (Zu solcher Erweiterung einer auf die Liquida -r- ausgehenden Wurzel vgl. Meid 1967, § 104; zum ablautenden Suffix -ana-, -ina-, -una- vgl. Meid 1967, § 94.)

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b. Alternativ kann man mit einem Subst. *er-men- / *er-mÖn usw. rechnen, von dem ein thematisches Adjektiv abgeleitet worden wäre; so schon Schnetz (1925), der altbulg. ramenǎ (mit Metathese des r) ‘gewaltig, stark, heftig’ vergleicht. Zur Bedeutung und formalen Bildung des Völkernamens Erminones sind im Lauf der Zeit mehrere Deutungen vorgeschlagen worden: 1. Heute überholt ist der Gedanke von Grienbergers (1913, S. 53), Erminones sei die Kurzform des Völkernamens Ermunduri. Denn die Annahme wäre schwierig, daß die angebliche Kurzform einen anderen, wesentlich größeren Stammesbereich bezeichnet hätte als der Vollname. 2. Der Völkername wird auf einen Individualnamen zurückgeführt. Dabei gibt es zwei nur leicht voneinander abweichende Varianten: a. Hirt (1894a, S. 511 ff.) rechnet mit einem Personennamen, der Plural bedeute ‘Nachkommen eines Stammvaters Ermino’. Das hat zu Recht keinen Anklang gefunden. Erstens gibt es in der Überlieferung keine Spur einer solchen Gestalt, zweitens bleibt der da vorausgesetzte Bildungstyp ohne klare Parallelen im Germanischen. b. Dem Völkernamen liege der Name eines Gottes zugrunde. Diese Deutung war längere Zeit sehr beliebt, aber sie ist schwierig, denn ein solcher Göttername ist nicht nachweisbar. Eine vermeintliche Stütze für ihn, der Gottesname Hirmin, wie ihn die Stelle bei Wid. 1,12 für die Sachsen voraussetzt (... quia Hirmin vel Hermis graece Mars dicitur), wurde zwar noch von Neckel (1933b) und de Vries (1957, S. 14 ff.) angenommen, abgelehnt aber – mit durchschlagenden Gründen – von Meißner (1934), Helm (1956, S. 4) und zuletzt Wagner (1978; „Produkt von Widukinds kombinationsfreudiger und etymologisierender Gelehrsamkeit, aus dem Vorderglied von Irminsul gewonnen“). Zudem wäre eine Verknüpfung des Völkernamens Erminones mit einem Götternamen *Erminaz formal und semantisch genauso schwierig wie die mit einem Personennamen. Auch die andere Stütze dieser Deutung durch den parallelen Völkernamen Ingvaeones, bei dem man annahm, daß ihm der Göttername *Ingwaz zugrunde liege, trägt nicht, denn dort ist die Bildung anders; vermutlich liegt da – wie im Personennamen Inguiomerus – ein Adj. ‘zu *Ingwaz gehörend’ zugrunde. 3. Die Form Erminones enthalte die substantivierte -n-Ableitung zum Adj. *ermina- und sei genauso gebildet wie die Völkernamen Chaibones ‘die Streitbaren’ oder ahd. Franchon. Das ist wohl die überzeugendste Deutung. Legt man für das Adjektiv die Bedeutung zugrunde, wie sie die germanischen Einzelsprachen bezeugen, dann besagt der Völkername etwa mit

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Güntert (1934, S. 149) ‘die Allverbündeten’ bzw. mit Philippson (1954, S. 14) ‘Großvolk’, d.h. der Völkername hätte als Bezeichnung eines Zusammenschlusses mehrerer Kleinstämme gedient. Wagner (1982) vermutet (wie schon frühere), daß der Völkername auch im Personennamen des Cheruskers Arminius vorliege. *Erminjaz sei Kurzform eines Vollnamens wie etwa *Ermina-meraz ‘unter den Erminonen berühmt’. Kaum selbständigen Wert hat ein späteres Zeugnis: Die fränkische generatio regum et gentium ‘fränkische Völkertafel’ (MGH SS rer. Mer. 7, S. 851), deren Datierung (Anfang 6. Jhd.?) sich nicht sichern läßt, ist wahrscheinlich gelehrte Erfindung, aus der Notiz in Tac. Germ. 2 herausgesponnen. Weitere Literatur: de Vries (1952); Krause (1944a); Müllenhoff (1879); Sverdrup (1924, S. 102–104); Brückner (1912, S. 107).

Ermunduri

(Bd. 7, 1989)

Diesen germanischen Völkernamen kennen wir in mehreren graphischen Varianten seit dem 1. Jhd. n. Chr.: Strab. 7,290 C h[G]BnC9DGD> (hier gehen die beiden Omikron auf griechische Schreibgewohnheiten zurück, vgl. Schönfeld (1911, S. XX f.), Vell. 2,106 Hermund[ur]i, Plin. nat. 4,100 Hermunduri; ebenso bietet die Tacitus-Überlieferung an allen Stellen Hermunduri. Aber dieses H- des Anlauts ist hier wie bei Erminones, Erulern usw. unetymologisch. In der Form Hermundoli bei Jordanes liegt Dissimilation des zweiten r vor. Als unmittelbarer Zeuge trotz seiner Beschädigung wertvoll ist der (vermutlich aus der Zeit der Markomannenkriege 166–180 n. Chr. stammende) epigraphische Beleg [ER]MUNDUR(us) (CIL III Suppl. 14359,4) aus Carnuntum. Hier erlaubt der Raum nicht, am Anfang noch H zu ergänzen. Der Völkername ist ein zweiteiliges Kompositum: germ. *ErmunaÞurǀz (Plur.). Im Vorderglied steckt das in dem Artikel Erminonen behandelte Adj. *ermina- / *ermuna-. Der Fugenvokal -a- ist – wie öfter bei dreisilbigen Vordergliedern – durch Synkope beseitigt, vgl. Meid (1967, § 22.2); das Hinterglied bildet der Völkername *Thura-, wie schon Zeuß (1837, S. 102 Anm. 2) unter Zustimmung fast aller späteren Forscher ausgesprochen hat. Zu *Thura- ist später die Ableitung Thuringi (siehe den Artikel Thüringer im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) gebildet worden, vgl. Marsigni, Juthungen mit dem gleichen Suffix. Der Anlaut d- im Hinterglied des Kompositums erklärt sich durch grammatischen Wechsel zwischen urgerm. þ und d (beide aus idg. t): der durch die 1. Laut-

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Beiträge zu Personennamen

verschiebung entstandene Reibelaut þ blieb im Wortanlaut unverändert, wurde aber im Inlaut (da nicht unmittelbar hinter dem Hauptakzent stehend) zum stimmhaften Reibelaut d. Der Völkername meint entweder ‘die gewaltigen Thurer’ oder ‘die gesamten Thurer’. Im ersteren Fall wäre der Völkername als ‘Prunkname’ aufzufassen; zu diesen vgl. Much (1918– 1919a, S. 432 § 24) und Schütte (1930, S. 129 ff.).

Eudusii

(Bd. 7, 1989)

Der germanische Stammesname ist in mehreren leichten Varianten belegt. Durch Korruptelen unverdorben ist Tac. Germ. 40, wo unter den Nerthusstämmen (siehe dazu den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) die Eudoses genannt werden. Bei Caesar (Caes. Gall. 1,51, in der Aufzählung der Kontingente Ariovists) ist aus dem überlieferten Sedusii nach Zeuß (1837, S. 151 und 152 Anm.), Müllenhoff (1856, S. 563 usw.) Eudusii herzustellen. (Das s im Anlaut erklärt sich wohl dadurch, daß der Auslautbuchstabe des vorangehenden Völkernamens Nemetes versehentlich doppelt geschrieben worden ist.) Bei Oros. Hist. adv. pag. 6,7, bieten die Handschriften bzw. die frühen Ausgaben die Varianten Eduses, Edures, Eudures. (Da keine dieser Formen genau zu der bei Caesar erschlossenen stimmt, hat Orosius an dieser Stelle sicher nicht, wie sonst oft, aus Caesar geschöpft, sondern wahrscheinlich aus einem der verlorenen Bücher des älteren Plinius.) Ferner ist die bei Ptol. 2,11,7 belegte Schreibung DJC9DyHD> wohl aus /)/-#)# verderbt, wie ebenfalls schon Zeuß (1837, S. 151 f.), Grimm (1848, S. 738) u.a. erkannt haben. (Dieser Fehler könnte auf eine lateinische Quelle zurückgehen, die Fudusii statt Eudusii geboten hat). Als alt dürfen demnach die beiden Varianten Eudoses und Eudusii gelten, die zu verschiedenen Deklinationsklassen gehören; Eudusii ist eine Ableitung mit Suffix -io- bzw. germ. -ja-. (Ein Wechsel u / o findet sich in der lateinischen handschriftlichen Tradition ebenso wie in den Inschriften häufig.) Nun wird in dem gegen Ende des 5. Jh.s n. Chr. abgefaßten Periplus Ponti Euxini (Frag. hist. Graec., hrsg. C. Müller, Bd. V, 1870, S. 182, nr. XLII § 22) ein Stamm namens w9DJH>6CD¼ als ansässig am nördlichsten Teil der Ostküste des Schwarzen Meeres (nordwestlich und südostwärts des heutigen Noworossijsk, südlich vom Vorgebirge Taman) genannt: ]Eq D±C ->C9>@Dy A>B^CD0 _K0 *UB^CD0 EG°=C ¶@DJC bFC= Dª A: %:G@^I6> ‰ID> .DG¼I6>, CyC 9` Dk@DyH>C w9DJH>6CD½ A:, I‹ !DIF>@‹ @6½ .6JG>@‹ 8G°B:CD>
Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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(Nach Loewe ist ->C9>@q0 A>BC das heutige Anapa, *U das heute Gelendžik.) Dieser Völkername Eudusiani gilt als Ableitung von Eudusii. Loewe (1896, S. 19 ff. 33, sowie 1902/03, S. 81 ff.) und ihm folgend Schmidt (1934, S. 549 f.) erklären den Zusammenhang so, daß sich ein Stammessplitter der Eudusii in der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. den nach dem Schwarzen Meer ziehenden Ostherulern (siehe den Artikel Heruler im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) angeschlossen habe. (Ablehnend dazu aber Much 1898b, S. 195.) Vor allem bestreitet er die behauptete Verknüpfung mit den Erulern; von Grienberger (1898, S. 248) betont, vermutlich habe zwischen den Eudusii / Eudoses und den Eudusiani kein ethnischer Zusammenhang bestanden, beiden Völkernamen liege nur dasselbe germanische Appellativum zugrunde.) Zum Völkernamen w9DJH>6CD¼ gehört aber wohl noch der bei Prokop b. G. 4,4,474 bezeugte, nicht genau (etwa im Bereich der Maeotis) lokalisierbare Landesname wAJH¼6. (Loewe 1896, S. 21 f. vermutet, daß er aus *w9DJH¼6 verschrieben oder volksetymologisch entstellt ist. Ersteres ist bei weitem wahrscheinlicher.) Was die Bildung von w9DJH>6CD¼ angeht, so ist das Suffix nicht germanisch, sondern am ehesten ein ins kaiserzeitliche Griechische entlehntes lateinisches Element. Es könnte zu den bei Leumann (1977, § 295.2) gebuchten ‘Sonderverwendungen’ des Suffixes -(i)Ɨno- gehören und ihnen als weitere Nische die ‘Ableitung von Stammesnamen’ hinzufügen, vgl. noch die kaiserzeitlichen lateinischen Cognomina Romanianus, Etruscianus, Gallianus, Dacianus, Saxonianus usw. Die Etymologie von Eudusii = germ. *Eudusjǀz ist nicht klar. Für verwandt mit dem Namensstamm gilt seit J. Grimm (1854 ff., s.v.), Müllenhoff (1856, S. 562) usw. das anord. Subst. ióð ntr. ‘proles, Abkömmling, (neugeborenes) Kind’, das sich auf älteres *euÿa- zurückführen läßt. Wenn wir dessen Bedeutung auch für den germanischen Völkernamen annehmen, dann wäre er vielleicht etwa als ‘zur Jungmannschaft gehörend’ zu übersetzen und fände eine Parallele im Völkernamen *Ymbre des Widsith, da dieser vermutlich auch ‘die Kinder, Nachkommen’ bedeutet hat. Verwandt ist vielleicht auch der Nominalstamm eutha-, der in den Personennamen got. Eutharicus, langob. Eodo, bayr. Eodunc, mhd. Iedunc, sowie dem in der anord. Runeninschrift von Reistad belegten Personennamen IuþingaȐ usw. (vgl. Förstemann 1900, S. 499; Krause 1966, II, Nr. 74) verbaut ist. Da er als Appellativum nicht vorkommt, kennen wir seine Bedeutung nicht sicher; wenn sie identisch mit der von *euda- ist, dann wäre Eutharicus etwa gleichbedeutend mit dem kelt. Personennamen Magurix (zu magu- ‘Knabe’ usw.; mündlicher Hinweis von N. Wagner). Von eutha- ist mit Much (1893c, S. 202) und Schwarz (1954, S. l ff.) wahrscheinlich der Völkername Iuthungen abgeleitet. ]#DJFDy< ist zu-

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Beiträge zu Personennamen

erst für das 3. Jhd. n. Chr. durch die Skythika des Dexippos von Athen (F Gr Hist 100 F 6) bezeugt, vgl. Zeuß (1837, S. 312) und Schönfeld (1911, S. 149). Damals mußte Kaiser Aurelian ihre Angriffe auf Rätien abwehren. Amm. 17,6,1 nennt sie pars Alamannorum. Ihr Name entstand durch Umlaut aus *Euthungi; diese erschließbare ältere Form (bzw. das von ihr mit Null-Suffix abgeleitete Adj. Euthungus, -a, -um) könnte in CIL XIII 8225 (um a. 250 n. Chr.) in dem Matronenbeinamen ]euthungabus tatsächlich belegt sein, wenn dieser vorn vollständig erhalten ist. Die Bildung mit ung-Suffix soll nach Schwarz (1954) besagen, daß Iuthungi damit ihre Herkunft von den Eudusii andeuteten. (Vgl. etwa Paare wie Marsi : Marsigni, Hermunduren : Thüringer usw.) Diese beiden Nominalstämme *euða- / *euþa- stehen im Verhältnis des grammatischen Wechsels zueinander. Diese Annahme grammatischen Wechsels führt mit Much (1893c, S. 206 f.) auf einen vorgermanischen Wurzelansatz *eut-, der aber findet in den anderen indogermanischen Sprachen nicht leicht Anschluß. Hier spielt nun die Frage nach der Wortbildung herein, für die man zwei verschiedene Lösungen vorgeschlagen hat: a. Eine Gruppe von Forschern, vor allem Much (1893c, S. 206 f.) und Schwarz (1956, S. 115) rechnet mit einem j-Stamm, der mit dem Suffix -ja- = idg. -io- erweitert sei. Aber hier ist der Ausgang -us (anstelle von -is und -as) selten und schwierig zu erklären, vgl. von Unwerth (1910, S. 14 ff.). Immerhin gibt es Parallelen dafür, so daß wir das -u- (nicht das -o-) für die sprachwirkliche Lautung halten werden. Much (1893c, S. 206 f.) wollte das von ihm angesetzte germ. Subst. *euþa- ntr. mit lat. njter ‘Schlauch’ oder uterus ‘Unterleib, Gebärmutter’ verknüpfen und die Eudusii dann als ‘Anwohner eines Meerbusens, einer Bucht’ deuten. (Aber lat. uter wird üblicherweise zu griech. u9KG, t9G¼6, lat. unda gestellt, entsprechend lat. uterus zu aind. udáram; dann müßte das t – statt des zu erwartenden d – seine Entstehung einem sekundären einzelsprachlich-lateinischen Wandel in der Gruppe -dr- verdanken, vgl. Sommer & Pfister 1977, § 128.3.) b. Eine andere Etymologie vertrat Müllenhoff (1920, S. 580), dem Schönfeld (1911, S. 81) und jetzt Reichert (1976, S. 563) folgen. Sie ziehen den idg. Nominalstamm *Ɲudh- ‘Euter’ (Pokorny 1959–1969, S. 347) heran und halten die Bildung für ein Part. Perf. Akt. ‘die gesogen habenden’ = ‘die Nachkommenschaft’. Doch dürfen wir beim Völkernamen Eudusii, sobald wir den Namensstamm eutha- (und den Völkernamen Juthungen) für zugehörig halten, nicht mit der idg. media aspirata dh rechnen; zudem ist eine Verbalwurzel *Ɲudh- mit der Bedeutung ‘saugen’ nirgends bezeugt.

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Ohne auf die Wortbildung einzugehen, schlagen P. Persson (1912, S. 26 Anm. 3), J. de Vries (1961a, S. 292) und Kremer (1892, S. 437) für den Völkernamen Eudusii bzw. aisl. ióð eine Verbindung mit got. audags, ahd. ôtac ‘glücklich’ vor. Diese werden aber üblicherweise auf eine Wurzel mit idg. dh zurückgeführt, vgl. Pokorny (1959–1969, S. 75 f.). – So sind alle bisher vorgebrachten Deutungen mit beträchtlichen Schwierigkeiten behaftet. Als unverwandt fernzuhalten ist dagegen der Völkername Eutii, Eucii. Das gilt auch gegen den gewaltsamen Versuch Muchs (1893c, S. 208; 1967, S. 446 f.), der ad hoc eine „lautsymbolische Konsonantenverschiebung“ behauptet. Weitere Literatur: Kauffmann (1892b); Möller (1880, Anm. 506); (1911–1913d); Steche (1942); Simon (1937, S. 183 f.).

Eutii, Eucii

(Bd. 8, 1994)

Dieser germanische Völkername erscheint in verschiedenen Gegenden Europas. Den ältesten Beleg (Mitte des 6. Jh.s n. Chr.) bietet ein Brief des Frankenkönigs Theudebert I. an Kaiser Justitian (Epist. Merov. et Karol. aevi, I, S. 132 f.): cum Saxonibus Euciis, qui se nobis voluntate propria tradiderunt. Aber wo diese Eucii zu lokalisieren sind, ist umstritten. Während L. Schmidt (1938, S. 26) sie am Niederrhein ansetzt, interpretiert Lintzel (1961a, S. 21 ff.) diese Benennung als ‘jütische (d.h. nordalbingische) Sachsen’, mit ihr sei am ehesten eine Volksgruppe mit Sitz in Pannonien gemeint. Etwas später (um 580 n. Chr.) zählt Venantius Fortunatus in einem Gedicht zum Preise des Königs Chilperich I. von Neustrien (MGH AA, Bd. 4, 1881, pars 1) die Feinde der Franken auf: quem Geta, Vasco tremunt, Danus, Euthio, Saxo, Britannus. Diese beiden Varianten Eucii / Euthiones (vgl. das Nebeneinander von Burgundii : Burgundiones) gehören zwar zu verschiedenen Deklinationsklassen, die Differenz im ersten Konsonanten aber ist nur graphisch; beide (lateinischen) Schreibungen weisen auf eine zugrundeliegende Lautung euti- hin. (Zwei weitere vermutete Bezeugungen dieses Völkernamens bleiben unsicher: Eine ursprüngliche Form *Eutones wollte G. Schütte 1917, S. 34 durch Konjektur aus dem bei Tac. Germ. 40 belegten – und sicher verderbten – Völkernamen Euithones herstellen. Doch stehen da mehrere andere Emendationen gleichwertig daneben.) Bemerkenswert ist jetzt der

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Beiträge zu Personennamen

Hinweis W.P. Schmids (1982, S. 251); er erwägt, den ost-holsteinischen Ortsnamen Eutin mit dem Völkernamen Euthiones zu verbinden, ihm also germanischen Ursprung zuzuschreiben. Ferner ist dieser Völkername identisch mit dem für England (in lateinischem Kontext) bezeugten Völkernamen Iutae. Als deren Wohnsitze nennt Beda, hist. eccles. I 15 (ed. Colgrave-Mynors, S. 50) die Landschaft Kent und die Insel Wight. (Dies Werk Bedas ist im Jahr 731 n. Chr. abgeschlossen.) In der altenglischen Überlieferung erscheint der Völkername mit den Anlautvarianten Ɲo, Ưo-, ,- (sowie zweimal iu-, wo wohl Anlehnung an die lateinische Graphie vorliegt). Im Altenglischen begegnen Flexionsformen nach der i- und der n- Deklination (Gen. Plur. Eotena neben Eota usw.). Dagegen können die in der altenglischen Übersetzung von Beda begegnenden Formen Geata und Geatum nicht zum Völkernamen Euten / Jüten gehören; vielmehr liegt da eine Verwechslung mit dem Namen der südschwedischen Gauten (ae. Nom. Plur. Geatas) vor. (Diese Auskünfte zum Befund im Altenglischen werden H. Schabram verdankt.) Im Altnordischen findet sich die Form Iótar; auf dem Festland entspricht Jüten. Dies erscheint im 11. Jhd. bei Adam von Bremen (Schmeidler 1917, 241,3) Dani quos Iuddas appellant (var. lect. Iuthas, Iudtas). Nach Much (1967, S. 349) und Schwarz (1951, S. 222; 1956, S. 116. 206), gehört der Völkername zu anord. ýtar ‘Menschen’. Aber da dieses Substantiv sonst keinen etymologischen Anschluß hat, hilft das nicht weiter, so daß de Vries (1961a, S. 680) erwägt, vielmehr ýtar vom Völkernamen herzuleiten. Auch andere Verknüpfungen sind ohne Überzeugungskraft geblieben. (Einen Versuch Muchs 1895c, S. 31, die Eutii als *ehwitiǀz ‘Reiter’ mit dem germanischen Wort für ‘Pferd’ zu verknüpfen, haben schon Hirt 1896, S. 139 und R. von Kienle 1932, S. 60 zurückgewiesen.) Noreen (1920, S. 41) zieht die schwed. Seenamen Juten, Jutern usw. (zu diesem vgl. aber Hellquist 1903–1906, S. 275 f.), ferner den lit. Flußnamen Audra und die ostdt. Oder heran. Der von Schütte (1929/33, S. 302 f.) zur Deutung des Völkernamens herangezogene germ. Nominalstamm *eutexistiert nicht, und die von Much (1893c, S. 208 f.) vorgeschlagene Verknüpfung mit dem Völkernamen Eudusii ist mit lautlichen Schwierigkeiten behaftet. Weitere Literatur: Müllenhoff (1900); Zeuß (1837).

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Falchovarii

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(Bd. 8, 1994)

Dieser Gruppenname findet sich nur in der Notitia dignitatum in partibus orientis 6,59 (letztes Drittel des 4. Jh.s n. Chr.; siehe den gleichnamigen Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Die Falchovarii stehen da in der Aufzählung der 17 auxilia palatina, der (im Orient eingesetzten) Hilfstruppen des römischen Heeres. In derselben Rubrik erscheinen u.a. noch Tubantes, Mattiaci und Bucinobantes. Aus welcher Gegend Germaniens die Falchovarii kommen, ist da nicht vermerkt. Die Analyse des Kompositums ist klar: das Vorderglied entspricht lautlich dem Element falaha- in Ost-falahi, West-falahi usw. (vgl. den Artikel Falen im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), das Hinterglied ist germ. *warja-; diese Bildungen vom Völkernamen mit Hinterglied *warja- sind nach von Polenz (1961, S. 201 f.) überwiegend in Nord- und Nordwestdeutschland heimisch. *warja- ist ja-Stamm, nicht i-Stamm (so unzutreffend Braune & Eggers 1975, § 200. § 217 Anm. 2). Offen bleibt, ob das Element falaha- / falcho- hier einen Volksstamm/ Gau bezeichnet (so Much 1896) oder ob in ihm das Appellativum as. falah f. ‘Feld, Ebene’ vorliegt. Im ersteren Fall wären ihrer Bildung nach die Namen Chattwarier (dazu vgl. den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Bd. 4, S. 391; hier abgedruckt), Angrivarii, Boructuarii usw. zu vergleichen, da sie ebenfalls im Vorderglied einen Stammesnamen aufweisen. Nach N. Wagner (mündliche Mitteilung) wäre dabei zu erwägen, daß eine Klammerform vorliege, die etwa auf *Falhahaimawarjǀz o.ä. zurückgehen könnte. – Wenn dagegen das Appellativum falah zugrundeliegt, dann wäre als Bildungstyp der Völkername Ripuarii ‘Bewohner des (rheinischen) Ufergebiets’ zu vergleichen. Der Völkername bedeutet demnach entweder mit Much (1896, S. 300 f.): ‘Leute, die in das früher von den *Falhǀz bewohnte Gebiet eingerückt sind und es nun bewohnen’ oder aber ‘Bewohner der Ebene’. Die erstere Deutung würde dann schon für die Völkerwanderungszeit einen Völkernamen *Falhǀz voraussetzen, den wir sonst erst wesentlich später (und indirekt) durch den Gaunamen Falahon bezeugt finden. Unsicher bliebe aber selbst dann, ob diese beiden Gruppen, die den Namen Falhǀz führten, etwas miteinander zu tun haben; denn eine genauere geographische Bestimmung des Lebensraumes der Falchovarii bleibt unmöglich. Zwar hat er vermutlich auch im Bereich der norddeutschen Tiefebene gelegen, doch weichen die Lokalisierungsvorschläge für ihn innerhalb dieses Großraums weit voneinander ab: Much (1896) hält Falchovarii für einen zweiten Namen der Cherusker. Dagegen bestimmt Schmidt (1938,

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Beiträge zu Personennamen

S. 41) sie als Teil der Chauken, weil diese sich etwa zur Zeit Julians verpflichtet hatten, dem römischen Heer Truppen zu stellen. Weitere Literatur: Ihm (1909a); Kaufmann (1968); Lintzel (1961b); Much (1920b).

Fariarix

(Bd. 8, 1994)

Es handelt sich um die ältere, inzwischen überholte Lesung der Beischrift auf einer Tetradrachmon-Prägung der ostkeltischen-bojischen GroßsilberMünzen vom sog. Bratislaver Typus (Preßburg, Slowakei), die etwa a. 50 v. Chr. zu datieren ist. Noch ältere Lesungen bucht Forrer (1908, I, S. 128), die Diskussion bis 1933 Paulsen (1933, S. 89). Die entscheidende Verbesserung der Lesung hat Colbert de Beaulieu (1961, S. 64) gewonnen, indem er auf einem besonders gut erhaltenen Pariser Exemplar (Bibliothèque Nationale) dieser Münze am Wortanfang anstatt des bisherigen F eine Ligatur PL erkennt (gebucht bei Forrer 1908, II, S. 46); das lehnte Birkhan (1971, S. 33 Nachtrag) auf Grund des Befundes an dem ihm zugänglichen Wiener Exemplar ab.

Nachzeichnung der Ligatur PL nach einem Photo des Pariser Exemplares.

Beim 3. Zeichen hat man statt R auch die Lesungen P und B erwogen, vgl. Forrer (1908, I, S. 128) und Birkhan (1971, S. 28 Anm. 41a). Doch sind sie weniger wahrscheinlich. Die Beischriften auf diesen bojischen Prägungen enthalten keltische Fürstennamen; auch Plariarix ist sicher ein maskuliner Personenname mit dem bekannten Element -rix ‘König’. Zu den etymologischen Deutungen, die noch von der Lesung Fariarix ausgingen, vgl. Paulsen (1933, S. 90), Kretschmer (1951a, S. 18), Birkhan (1970; 1971). Eine sprachliche Deutung des Vordergliedes plaria- gibt Colbert de Beaulieu nicht. Bemerkenswert ist aber der Anklang an den Ortsnamen Plariacum (heute Pirago bei Venedig) bei Holder (1896, II, S. 1012). Weitere Literatur: Henning (1893); Kögel (1893b); Reichert (1984, bes. S. 359); Schönfeld (1911).

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Farodini

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(Bd. 8, 1994)

Der germanische Stammesname ist nur bei Ptol. 2,11,7 und 9 als 6GD9:>CD¼ (mit der schwächeren Variante 6G69:>CD>) belegt. Lokalisiert ist er da an der Küste der Ostsee, ostwärts von den -ULDC:0, westlich von den -:>9>CD¼. Die wohl zutreffende (und weithin übernommene) Deutung des Namens hat Much (1913–1915g, S. 12 f.) als eine von mehreren Möglichkeiten genannt: er verknüpfte ihn mit ags. farod ‘Strömung, Flut des Meeres, Gestade’, das dem poetischen Wortschatz angehört (Beowulf sowie christliche Dichtung). Es gehört mit Seebold (1970a, S. 197) zum Verb faran, das auch Bewegungen bezeichnet, die durch Naturkräfte ausgelöst werden. Muchs ältere Deutung (Much 1893c, S. 186 f.: zu aisl. fƭrull, also ‘die Reisigen, Kriegerischen oder Reisläufer’), die eine weniger genaue Entsprechung ergab, ist damit überholt. Zum Suffix -þu- vgl. Meid (1967, § 118) und Henzen (1965 [1947], § 112). Es dient u.a. dazu, nominale Ableitungen von ǀ-stämmigen Verben zu bilden, vgl. ahd. niuwǀn ‘neu machen’: niuwǀt ‘Erneuerung’ usw., wird dann durch veränderte Abtrennung (‘Metanalyse’) zu -oþu- und auf einige andersstämmige Verben übertragen. In der vorletzten Silbe ist :> sicher als itazistische Schreibung für kurzes i anzusehen; das Suffix -ina- liegt auch in den Stammesnamen -:>9>CD¼, 6>9:>CD¼, Varini, Charini, Peucini (nach der Donauinsel Peuke benannt) usw. vor; zu ihm vgl. Meid (1967, S. 109 oben). Deren Grundwörter sind mehrfach Geländebezeichnungen. Legt man die im Altenglischen bezeugte Wortbedeutung zugrunde, dann hat der Völkername Farodini ‘die am Ufer Wohnenden’ bedeutet, nicht aber mit Gysseling (1960) ‘die Seefahrer’. Noch anders schlug Gutenbrunner (1939a, S. 15) ‘Fördenanwohner’ vor, indem er eine andere der bei Much (1913–1915g, S. 12 f.) aufgeführten Anknüpfungen aufgreift; doch ist das lautlich weniger wahrscheinlich. Da sich für den Völkernamen sonst keine Bezeugungen finden, hat er wohl nur kurze Zeit bestanden. Angesichts des überzeugenden etymologischen Anschlusses ist aber nicht damit zu rechnen, daß der Völkername im Laufe der handschriftlichen Tradition entstellt worden ist, wie dies K. Müllenhoff (1900, S. 467) und G. Schütte (1917, S. 34) erwogen.

Favonae

(Bd. 8, 1994)

Diesen Stammesnamen bezeugt nur Ptol. 2,11,18 als 6JnC6> (handschriftliche Varianten 6CnC6>, 6J|C6>, 6sDC:0) für die ostwärtigen

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Beiträge zu Personennamen

Teile der Insel -@6C9>6. Demnach ist er wohl in Südschweden zu lokalisieren, etwa in Småland – oder auch Södermanland. Ptolemaios nennt ihn zusammen mit den >G6>HD> (dieser Name ist verderbt, siehe den Artikel Finnaithae im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) und den ¼CCD>. 6JnC6> ist „das Opfer vieler Besserungsversuche geworden“, wie Gutenbrunner (1952a, S. 94 f.) feststellt. Wadstein (1925b, S. 195 f.) hatte zu * :JDC6> ändern und dies mit dem Namen der Insel Fünen (ältere Namensform Feonia und ähnlich) verknüpfen wollen. (Das erwägt auch Gutenbrunner 1952a, S. 94 f.; doch widerspricht dem die klare Angabe des Ptolemaios). Schütte (1916, S. 44; 1917, S. 35) konjizierte allzu kühn zu *-DJ>DC6>, d.h. ein Pendant zu dem bei Tac. Germ. 44 überlieferten Stammesnamen Suiones. Svennung (1974, S. 221), der eine lateinische Quelle des Ptolemaios annimmt, rechnet mit einer Verschreibung aus *Savonae. Dieser Stammesname sei von dem alten Kultort Savo, Genitiv Savon, abgeleitet, den man an der finnischen Westküste nahe der Stadt Turku / Åbo zu suchen habe. Doch sollte schon die Beobachtung, daß 6JnC6> mit >G6¾HD> ein stabendes Paar (bzw. wenn man die nördlicher sitzenden ¼CCD> einbezieht, eine Dreiergruppe) bildet, jedenfalls seinen Anlaut vor konjekturalen Eingriffen schützen. Zudem ist es möglich, den Stammesnamen, so wie er überliefert ist, an germanisches Wortgut anzuschließen. Schon Zeuß (1837, S. 159) hat vorgeschlagen, ihn mit dem got. Adj. fawa- ‘wenig’ usw. zu verknüpfen; dem folgt von Grienberger (1913, S. 51), der dabei aber offenläßt, ob der Name unmittelbar als ‘die Wenigen’ oder als Ableitung von einem Landschaftsnamen *Fawa aufzufassen ist, welcher dann semantisch Småland entspreche. Im Altnordischen bedeutet das Adj. fár auch ‘der wenig spricht = wortkarg, zurückhaltend’; allerdings bleibt fraglich, ob mit dieser Nebenbedeutung schon für das 1.–2. nachchristliche Jahrhundert gerechnet werden darf. (Bei Förstemann 1900, S. 502 f. findet sich Fava als Personenname mask. und fern.) In Favonae würde dann das Adjektiv in seiner schwachen Form (n-Deklination) vorliegen, wie öfter in Stammesnamen; als germ. Lautung wäre *Fáwǂniz Nom. Plur. (mit erhaltenem ǂ in nebentoniger Silbe) vorauszusetzen, das in griech. Umschrift 6DJnC:0 ergäbe. (Dies ist als eine der Varianten überliefert: 6JnC:0.) Zur Überführung germanischer Völkernamen der n-Deklination in griechischen Deklinationstypen vgl. Wagner (1985). Auch für die Wiedergabe des germanischen konsonantischen Stammes durch die griechische a-Deklination gibt es Parallelen. Zeuß (1837, S. 159) rechnet damit, daß der bei Jord. Get. 3,22 erwähnte Völkername Fervir aus Favir o.ä. entstellt sei. Müllenhoff (1906, S. 63)

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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räumt das als Möglichkeit ein, stellt aber eine andere Verbesserung von Fervir daneben. Dagegen hält Wagner (1967, S. 184) an der Namensform Fervir und ihrer Verknüpfung mit Fjäre härad in Halland fest.

Finnaithae

(Bd. 9, 1995)

Die Lautform Finnaithae ist nur bei Jord. Get. 59,10 belegt. Der geographische Zusammenhang weist da auf das skandinavische Festland (vgl. die Kartenskizze bei Wagner 1967, S. 207, wo die Finnaithae im schwedischen Binnenland südwestlich des Vättersees eingezeichnet sind). Unmittelbare Fortsetzer dieser Namensform bilden der runische Beleg finhiþi auf dem Stein von Forsheda (etwa a. 1025), ferner die in der mittelalterlichen, auf Island verfaßten Knytlinga saga c. 110 bezeugte Form Finneidhi sowie aschwed. Finnadhe. Dasselbe gilt wohl für den Beleg bei Adam von Bremen (Schmeidler 1917, c. 24,1 = S. 255,5): Inter Nortmanniam et Sueoniam Wermilani et Finnedi degunt et alii. Weitere jüngere Formen bucht Kinander (1935, S. 110). Und schließlich wollen Zeuß (1837, S. 159) und ihm folgend G. Schütte (1917, S. 26) die zweifellos verderbte Namensform * >G6>HD> bei Ptol. 2,11,35 zu * >C6>9D> (besser * >CC6>FD>, * >CC6>F6> o.ä.) emendieren. Da eine Form >G6>HD> isoliert steht, ist das verlockend, zumal es in den geographischen Kontext (Westteil der -@6C9¼6) bei Ptolemaios paßt. Doch gibt es daneben andere – wenn auch weniger annehmbare – Verbesserungsvorschläge. 1. An der oben zitierten Stelle aus Adam von Bremen findet sich als handschriftliche Variante Finwedi (und Findwedi). Dieser Stammesname weist auf einen Landschaftsnamen zurück, den noch das heutige Finnveden im südschwedischen Småland bezeugt. Sein Grundglied gehört zu anord. viðr ‘Wald’. 2. Saxo (Gesta Danorum 391,31 und 34 und 392,8) benützt statt dessen die Form Finnenses, die das lat. Suffix -ensi- der lokalen Zugehörigkeit aufweist, also ‘die in (der Landschaft) Finnia wohnenden’. Der Grundgedanke zur richtigen Beurteilung von Finnaithae wird Müllenhoff (1906, S. 50 ff. 395) verdankt; der Völkername ist von einem germ. Landschaftsnamen *Finna-haiþi fem. abgeleitet: dieser bedeutet etwa ‘Finnenheide, d.h. ein früher von Nicht-Germanen bewohntes, unbewaldetes Land’ oder nach von Friesen (1926) ‘(ödes) Waldland der (Pelz-) Jäger’, d.h. von Friesen und ihm folgend Svennung (1967, S. 63 f.) fassen das Vorderglied Finn- als Appellativ, nicht als Völkernamen. Dessen Hinter-

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glied ist identisch mit got. haiþi-, anord. heiðr usw. ‘Heide (fem.), baumloses, ödes Land’. Seiner Bildung nach ist *Finnahaipi- fem. ein Determinativkompositum wie Finnmƭrk fem. ‘die Finnmark’, Gebiet im nördlichsten Norwegen, oder Finnskoga in Värmland. (Doch bleibt ein gewisser Zweifel, ob der durch Finnaithae bezeugte a-Stamm tatsächlich die in Skandinavien benutzte Bildung des Völkernamens gewesen ist, denn als Ableitung von *haiþi- würde man zunächst *haiþana-, *haiþina- oder *haiþna- oder etwa eine Bildung mit dem Suffix -ja- erwarten. Als a-stämmige Ableitung eines Völkernamens von einem Raumnamen vgl. immerhin .:JG>D86¾B6>, 6>CD86¾B6> ebenfalls bei Ptolemaios.) Weitere Literatur: Härenstam (1946); Lindroth (1917, bes. S. 50); Schönfeld (1911); Zeuß (1837).

Fosi

(Bd. 9, 1995)

Dieser germanische Stammesname wird nur bei Tacitus Germ. 36 erwähnt (einige weniger gute Handschriften bieten Fusi); die Fosi seien Nachbarn der Cherusci (contermina gens). Mit diesem Völkernamen verknüpft Düwel (1970, S. 284 ff.) die urnord.-run. Form foȐo. Das ist lautlich-formal ohne Schwierigkeit; doch betont Krause (1971, S. 150) mit Recht, daß die genaue Bedeutung von foȐo unklar bleibe. Vielleicht ist sie als Nom. Sing, eines fem. ǀn-Stammes, etwa eines Personennamens, aufzufassen. Den Versuch Frahms (1943, S. 440 ff.), statt Fosi das lat. Part. Perf. Pass. fusi zu lesen, haben Gutenbrunner (1936e, S. 353 Anm. 1) und Much (1893a, S. 414; Anm. der Hrsg.: Die Seitenzahl ist nicht verifizierbar) mit Recht zurückgewiesen. Auch die modernen Editoren der Germania greifen ihn nicht auf. K. Zeuß (1837, S. 108) hatte erwogen, den Völkernamen Fosi mit dem Namen des norddeutschen Flüßchens Fuhse (zur Aller) zu verknüpfen; doch lehnt das schon R. Much (1913–1915i, S. 80; 1967, S. 414 f.) mit Recht ab, da der Flußname zu ahd. funs, ags. fnjs ‘schnell, zielstrebig, eifrig’ gehören dürfte und der Schwund des n vor s im l. Jahrhundert nach Chr. gewiß noch nicht eingetreten war; (so schon richtig Müllenhoff 1900, S. 443). Zudem lautet die ältestbelegte Form (a. 1368) des Flußnamenss Vusene (vgl. Bach 1954a, § 238, S. 208). Das ist ein Name auf -ana, vgl. Adrana > Eder, Logana > Lahn usw. Damit wird die Ableitung des Völkernamens vom Flußnamen noch weniger möglich; zugleich entfällt auch die Chance, den Sitz der Fosi genauer zu lokalisieren. (Zum Flußnamen Fuhse vgl. noch Witt 1912, S. 203).

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Much selbst hat im Laufe der Zeit für den Völkernamen drei verschiedene Etymologien vorgeschlagen. Zunächst (1893a, S. 57) verknüpft er ihn mit ahd. fasal ‘gens, fetura’ usw. und faßt ihn als Spottnamen ‘die Fruchtbaren’ auf. Dagegen will er ebd. in den ‘Nachträgen’ (1893c, S. 222) lieber schwed. fasa ‘sich entsetzen’, fasa ‘Schreck, Angst, Abscheu’ usw. heranziehen und den Völkernamen als ‘die Furchteinflößenden’ deuten. Doch scheint die Grundbedeutung dieses (außerhalb des Schwedischen schwach bezeugten) Wortstammes eher im Bereich von ‘rasche Bewegungen machen, Unsinn treiben, Unsinn reden’ gelegen zu haben, vgl. de Vries (1961a, S. 113 s.v. fast). Das kommt für einen Völkernamen kaum in Betracht. Und schließlich erwägt Much (1913–1915i; 1967, S. 414f.) den Völkernamen mit griech. (att.-ion.) E=n0, dor. aiol. EƲ6n0 ‘angeheirateter Verwandter’ sowie lat. par(r)icida zu verknüpfen. Das scheint möglich, birgt aber doch Schwierigkeiten. Das lateinische Substantiv ist etymologisch mehrdeutig und umstritten, so daß nur das griechische Wort als Anknüpfung bliebe. Für dieses schlägt jetzt van Windekens (1986) Anschluß an hethit. pahs-‘schützen’, lat. pasco ‘weiden’ vor. Am wenigsten anfechtbar scheint Muchs erster Vorschlag zu sein, wobei aber die Auffassung als ‘Spottname’ unbegründet ist. Er sei deshalb hier – mit einer eingehenderen Begründung der formalen Seite – noch einmal vorgelegt. Da der Stammvokal o in Fosi sicher lang ist, kann eine sekundäre Nominalbildung mit Hilfe der Dehnstufe (sog. VÖrddhi-Bildung) vorliegen. Das Grundwort wäre germ. *fasa- mask. ‘Penis’, das in ahd. fasal mask. und neutr. verbaut ist und im bairischen Dialekt resthaft bis heute lebt, vgl. Finsterwalder (1965, S. 385 f). Dieser Nominalstamm gehört zu griech. E^D0, neutr., aind. pásas- neutr., beide ‘männliches Glied’, ferner zu lat. pƝnis (aus *pes-ni-) dasselbe, hethitisch pesna- ‘Mann’, die beide mit einem Nasalsuffix erweitert sind, usw. Das Verhältnis von *fasa- zu *Fǀsǀz (oder *Fǀsiz) läßt sich an die von Darms (1978, S. 122 ff.) behandelten Wortpaare anschließen; vgl. z.B. die Personenbezeichnung aisl. slókr ‘träger Mensch’: *slaka- ‘schlaff’. Much (1893a, S. 57) selbst erinnert z.B. an das Verhältnis von ahd. chuoni ‘kühn’ zum Verbstamm kan ‘vermögen, verstehen’. Darms (1978, S. 314) betont zu Recht, daß diese Ableitungsmöglichkeit (mit a : ǀ) im Germanischen bis in die einzelsprachliche Zeit produktiv geblieben ist. Der Stammesname hätte demnach die Fosi als ‘die durch Manneskraft Ausgezeichneten’ gerühmt. (Das gleiche Benennungsmotiv liegt wahrscheinlich bei dem aus der Antike als illyrisch bezeugten Völkernamen Triballoi vor, der wohl zu ?6AAn0 gehört. Bei ihm deutet das Zahlwort ‘drei’ das semantische Merkmal der Steigerung an, vgl. Kerényi 1934, S. 41). Weitere Literatur: Hirt (1940).

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Friesen

(Bd. 10, 1998)

I. Philologisches. § 1. Name. Dieses germanische Ethnonym ist (neben dem der Suebi / Schwaben, der Sachsen und vielleicht der Hessen) eines der wenigen, das 2 000 Jahre lebendig ist. Die antiken Quellen – aber noch nicht Caesar – bezeugen es in mehreren Varianten (vgl. § 2 dieses Artikels im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) sowie Tac. ann. 1,60 u.ö., ferner epigraphisch in CIL VI 4342. Dem entspricht G¼H>D> / G¼HH>D> bei Ptol. 2,11,7 und die itazistische Schreibung G:¼H>D> bei Cass. Dio 54,32. (Dagegen liegt in dem bei Ptolemaios vorkommenden >G6¾HD> kaum dasselbe Ethnonym vor; eher ist es als Verlesung für * >C(C)6>FD> anzusehen, vgl. Finnaethae). Daneben finden sich als nurgraphische Abweichungen in CIL XIII 3230 Frisei, in der Tabula Peutingeriana (Mitte des 4. Jh.s n. Chr.) Fresii, ferner in der Cosmographia (um a. 500, vgl. Geographi lat. min. 32,12, als Variante) Frusiones. Neben den Formen der lateinischen o-Deklination treten in den Quellen – wenn auch etwas später – solche der n-Deklination auf: CIL VII 415 Frisionum Gen. Plur. (Mitte des 3. Jh.s n. Chr.), bei Prok. b. G. 8,20,7 (6. Jhd.) G>HHDC:0. In den germanischen Sprachen selbst, deren direkte Zeugnisse ja erst Jahrhunderte später einsetzen, findet sich überwiegend die Entsprechung zu lat. Frisones: ahd. Frison, Frieson (Plur.), ae. Frisa m. Sing. (Das Ethnonym liegt mit Bammesberger 1979, S. 55 f. auch in der ae. Junktur frysan wife, Maxims I 95 vor. Andere Bedeutungsansätze dafür sind jetzt als unrichtig erwiesen.) Ob der durch den anord. Plur. Frísir bezeugte i-Stamm eine nordgermanische Neuerung oder eine bewahrte Altertümlichkeit ist, bleibt offen. Die ältesten Belege weisen also in der Stammsilbe sämtlich nur [i] auf, offenbar einen Langvokal; Argumente für die Kürze des i sind aus keiner der antiken Schreibungen zu gewinnen; das griechische Iota kann selbstverständlich auch eine Länge repräsentieren. Jeder etymologische Versuch muß daher von einer Lautung frƯs- ausgehen; die später auftretenden Graphien mit -e- (z.B. im Beowulf Fresan Nom. Plur., Fres-cyning, Fres-land, in den Annales Lindisfarnenses dux Frisonum) neben solchen mit Ư, ferner bei Saxo a. 1200 Fresia, ahd. Frieson, Friasini, Ortsname Fresonofeld; (weiteres bei Förstemann 1900, S. 525 f. und Schönfeld 1911, S. 95 f.) müssen als sekundär zunächst aus dem Spiel bleiben. Für den Wechsel von Ư und Ɲ2 gibt Finsterwalder (1971) Beispiele. Eine voll überzeugende Etymologie des Ethnonyms ist noch nicht gefunden. Die wichtigsten Vorschläge werden im folgenden skizziert:

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1. Zeuß (1837, S. 136) hatte das Ethnonym mit got. fraisan ‘versuchen’, ahd. freisa f. ‘Gefahr’ verbunden und daher als ‘die Wagenden, Mutigen, Kühnen’ gedeutet. So auch J. Grimm (1848, S. 465. 669 f.), ähnlich Erdmann (1890, S. 84 f.). Siebs (1896–1909, S. 723) geht vom selben Verbstamm aus, modifiziert aber die Bedeutung zu ‘die in Gefahren (auf dem Meer) Schwebenden’. Das lehnen Much (1967) und Schönfeld (1911) zu Recht ab. (Die weitere Etymologie der Sippe von got. fraisan ist freilich ihrerseits nicht völlig klar. Man hat an ein Kompositum *fra-ais- gedacht; dagegen gehört das Verb nach Seebold 1970a am ehesten zu lat. ex-perƯ-ri). 2. J. Grimm selbst (1870–1898, I, S. 408) und nach ihm Müllenhoff (1900, S. 428) verfochten zunächst die Verknüpfung des Völkernamens mit afries. frƯsle, frƝsle ‘Locke, Haarschopf o.ä.’ (meist aber Frauen oder Pferden gehörend). Dies Substantiv steht in einer Gruppe verwandter Wörter: mittelniederdt. vries, ostfries. frese, engl. frizzle ‘kräuseln’, mndl. frise ‘krauses flockiges Tuch’, mlat. fresum ‘grobes Wollzeug’, ferner span. port. frisar ‘Tuch aufkratzen’, altit. frisato, frz. friser ‘kräuseln’. Die Textilbezeichnungen sind erst seit dem 14. Jhd. belegt. (Dagegen existiert ein bei Holthausen 1934, S. 117 gebuchtes ae. Adj. frƯs ‘kraus, lockig’ nicht, vgl. Bammesberger 1979, S. 55 f.). Müllenhoff meinte, die Friesen seien nach ihren lockigen Haaren benannt worden. So zunächst auch Much (1893b, S. 150), der ein germ. Adj. *frƯsjaz ‘kraus’ ansetzt. Dem haben sich mehrere Forscher, zuletzt de Vries (1971) und Birkhan (1970, S. 228 Anm. 441) angeschlossen. Unabhängige Nachrichten über die Haartracht der Friesen, die das bestätigen könnten, besitzen wir jedoch nicht. Gegen diese Etymologie spricht der Nachweis Gilliérons (1919), daß der roman. Stamm fris‘kräuseln’, der wahrscheinlich der Ausgangspunkt dieser ganzen Wortgruppe war, auf lat. frƯgere ‘rösten, backen’ zurückgeht, vgl. auch von Wartburg (1928–1969/83, III, S. 796.) 3. Wiederum anders Kaspers (1958a, S. 414 f.); er zieht zwar dieselben Vokabeln heran, setzt aber für das substantivische Grundwort die Bedeutung ‘Art Wollstoff’ an und folgert, die Friesen seien nach der Herstellung und dem Verkauf dieser Ware benannt. Das entfällt entsprechend. 4. Grienberger (1913, S. 51 f.) und ihm folgend Hellqvist (1939, I, S. 238) wollten an lat. prƯmus < *prismo- anknüpfen; Ausgangspunkt sei ein Toponym ‘was vorn liegt’ – nicht überzeugend, da das lat. Adj. in *pris-mo(Elativsuffix) zu zerlegen ist. 5. Andere (Ramat 1976, Krogmann 1964) wollten das Ethnonym zu got. freis, ahd. fri ‘frei’, got. frijon ‘lieben’ und ihre Sippe stellen, also zur idg. Wurzel *prƯ- (Pokorny 1959–1969, S. 844). Doch lassen sie die Bildung mit -s- unerklärt (vgl. unten 11).

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6. Loewenthal (1929, S. 462 f.) verknüpfte das Ethnonym mit griech. EG¼KC ‘Säge’, das vorauszusetzende germanische Grundwort bedeute ‘Harpunenspitze’. Die Friesen seien also nach einer charakteristischen Waffe benannt. Aber weder ein Substantiv noch ein Verb entsprechender Bedeutung sind im Germanischen nachweisbar. 7. Seinen unter 5. genannten Vorschlag hat Krogmann (1964) später verworfen (weil Beispiele für Erweiterungen mit -s fehlen). Nun stellt er das Ethnonym – an einen Vorschlag Loewenthals (1929) anknüpfend – zu schweizerdt. fries ‘Grabenmacher, Dammbauer, Erdarbeiter’, mhd. vriese. Sie will er auf ein nomen agentis *frƯsja- zurückführen, das letztlich zu idg. *per- ‘durchschneiden’ und griech. EG¼KC ‘Säge’ gehöre; das Ethnos heiße also nach dem Gräbenziehen in den Marschen. Doch könnte sich das schweizerdeutsche Substantiv nach Kuhn (1963a, S. 277) dadurch erklären, daß friesische Facharbeiter ins Land geholt worden waren. 8. Dagegen will Ten Doornkaat-Koolman (1879, S. 558) den Völkernamen mit dem fries. Subst. frese, frƝse ‘Kragen, Kante, Borte, Streifen, Verbrämung’ verknüpfen, denn frisia habe ‘das äußerste Randland’ bezeichnet. Aber auch dies Substantiv ist (wie nhd. Fries m. ‘bandartiger Streifen’ – und vermutlich das unter 7. erwähnte schweizerdeutsche Substantiv) wohl aus frz. frise entlehnt, das auf mlat. frigium, phrygium ‘Stickerei, limbus decoratus’ (Adjektiv zum Volksnamen Phryges) zurückgeht. 9. Mit Recht allgemein abgelehnt worden ist der Vorschlag Törnqvists (1958), der mit Metathese des r rechnet und an got. fera, ahd. fern ‘Seite, Gegend’ anschließen will (also ‘die am Rande Wohnenden’). 10. Völlig anders Kuhn (1963a; 1966). Im Rahmen seiner fragwürdigen Hypothese von einem ‘Nordwestblock’ hält er das Ethnonym für vorgermanisch; ins Germanische sei es erst sekundär „überführt und eingepaßt“ worden. Für nicht-germanischen Ursprung sollen nach Kuhn sprechen: a) der „ungewöhnliche Formenreichtum dieses Namens“ (1963a, S. 279), b) die schwankenden Schreibungen des Vokals der Stammsilbe i, Ư, Ɲ und im Altenglischen ,. (Aber – wie oben erwähnt – mit kurzem i ist nicht zu rechnen, und die altenglische Graphie kann durchaus für Ư stehen.) Das anlautende f möchte Kuhn auf idg. bh zurückführen; er zieht anklingende Personennamen des Lateinischen heran (Frisius, Fresidius; aber auch Briso, Bresius, Bresasius, Brissinius), ferner ‘illyrische’, d.h. balkanindogermanische Namen (Brisia, Brizidia, Brizinus), weiter Namen im Keltischen (Ortsname Breisach am Oberrhein, Breisig am Mittelrhein aus altem Brisiacum, ferner Ortsname Friesach in Kärnten und sogar G¼H6, den Namen eines Vorgebirges auf Lesbos). Alle diese Namen, die aus den verschiedensten Gegenden stammen und zweifellos heterogen sind, wirft Kuhn in

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unberechtigter Weise zusammen. Über die semantische Seite sagt er nichts. (Bei G¾H6 und dem davon abgeleiteten Frauennamen G>H=¼0 beachtet Kuhn nicht, daß griech. intervokalisches s nicht gleich idg. s ist, sondern auf Dentalverbindungen wie z.B. ts, dhs, ds, dhi zurückgeht.) 11. Ein neuer Vorschlag könnte den Gedanken von Krogmann und Ramat (s.o. 5.) weiterführen, die an die idg. Basis *prƯ- ‘lieben, beliebt sein’ anknüpfen wollten. Vorauszusetzen wäre etwa ein substantivischer Stamm *priHes-, zu dem das aind. práyas- neutr. ‘Liebe, Gunst, Freude, Genuß’ eine nahe Parallele bildet; vgl. Mayrhofer (1986–2001, II, S. 189 f.). Ein solcher -es / -os-Stamm läßt sich zwar im Germanischen sonst nicht belegen, doch ist diese Stammklasse im Urgermanischen durchaus noch produktiv, wie Kluge (1913, § 260) betont. Er wäre dann suffixal erweitert worden. Das germ. Ư der ersten Silbe kann auf idg. Ư (das seinerseits aus i + Laryngal entstanden ist) oder auf idg. ei zurückgehen. (Zur Ableitung eines germanischen Ethnonyms von einem -es / -os-Stamm. vgl. z.B. die Artikel *Eudusii, Fanesii im Reallexikon der germanischen Altertumskunde.) Für die ursprüngliche Bedeutung des Ethnonyms ergeben sich mehrere Möglichkeiten: a. Da der Wortstamm frƯ- im Germanischen (und im benachbarten Keltischen) die spezielle Bedeutung ‘frei’ angenommen hat, wäre das Ethnonym als ‘die über Freiheit Verfügenden’ aufzufassen; b. mit Ramat ist an ags. freobroþur ‘eigener (leiblicher) Bruder’ zu erinnern. Das Ethnonym könnte daher etwa auch bedeuten ‘die dem gleichen Stamm Zugehörenden’. c. Wenn wir mit der älteren, durch die anderen indogermanischen Sprachen bezeugten Bedeutung des Wortstammes rechnen, ergibt sich ‘die Beliebten’ o.ä. Weitere Literatur: Droege (1966); Feist (1939); Hartig & Müller (1968); Hirt (1909, S. 321 f.); Kaufmann (1968); Krogmann (1957–1969); Laistner (1892); Laur (1965); Reichert (1987); Scheller (1959); Siebs (1931); Steinhauser (1935, S. 169).

Frisiavones

(Bd. 10, 1998)

§ 1. Name. Die Namensform Frisiavones erscheint zuerst bei Plinius (Plin. nat. 4,101), dann mehrfach inschriftlich. Neben ihr steht (CIL VI 3260 usw.) die Variante Frisaevones mit der rein graphischen Abweichung Frisaebones. Sie sind als Erweiterung des Ethnonyms Frisii aufzufassen. Der

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Beiträge zu Personennamen

Matronenname (CIL XIII 8633 matribus Frisavis paternis) deutet darauf hin, daß dieses Ethnonym nicht nur als n-Stamm, sondern auch als ǀStamm in der Form *Fris(i)avi existiert hat. (Frisao CIL VI 36 324 [Dat. Sing.] ist wohl ungenaue Schreibung für *Frisavo). Grimm (1848, S. 671) und Much (1893b, S. 149) hatten vermutet, daß Frisiavones den bei Tac. Germ. 34 genannten minores Frisii entspreche. Dagegen wenden sich aber – da die Wohnsitze dieser Teilgruppen nicht übereinstimmen – Norden (1920, S. 301) und Schmidt (1938, S. 71 f.). Die Herkunft des Suffixes -avo- wird nicht einheitlich beurteilt; Much (1893b und später noch öfter) hielt es für germanisch und verglich Bildungen wie Batavi, Chamavi usw. Dagegen bestimmte Krogmann (1964, S. 33) es als keltisch, wobei er Ethnonyme wie Segusiavi heranzog. Im Keltischen ist es in der Tat viel reicher bezeugt. Daher wird wohl mit seiner keltischen Herkunft zu rechnen sein; d.h. das Ethnonym Frisiavones wird einer Fremdbenennung durch die keltischen Nachbarn verdankt. Geringere Wahrscheinlichkeit besitzen die Versuche, in -av- das nominale Zweitglied eines Kompositums zu sehen; das gilt gegen Siebs (1931, S. 47), der an ein dem ahd. eiba ‘Gau’ oder germ. *a8wǀ ‘Wasser’ entsprechendes Substantiv dachte – aber auch Birkhan (1970, S. 547), der darin germ. *aiwa- ‘Gesetz’ suchte. Aus den erweiterten Formen hatte Grimm (1848) einen Stammvater *Friso erschließen wollen; ähnlich Specht (1937, S. 6) einen göttlichen Ahnherrn *Frisiu. Doch bleibt eine solche Zurückführung des Ethnonyms auf einen Personen- bzw. Götternamen reine Spekulation. Weitere Literatur: Reichert (1987; 1990).

Gambrivi

(Bd. 10, 1998)

§ 1. Namenkundliches. Das westgerm. Ethnonym Gambrivi ist in der antiken Literatur nur an zwei Stellen bezeugt: Tac. Germ. 2 nennt als gentis appellationes Marsos, Gambrivios, Suebos, Vandilios, sie seien vera et antiqua nomina. (Die handschriftlichen Varianten ganbrivios und gabrinios haben geringeren Wert.) Bei Strab. 7,291 C ist entsprechend !6B67G¼DJCD> (Variante: <6B67G¼DJD>) durch Tilgen des zweiten -6- und des -Czu emendieren. Die germanistische Forschung hat – seit Zeuß (1837, S. 83) und Bremer (1893, S. 12 f.) – gesehen, daß die Ethnonyme Gambrivi und Sugambri (siehe Sugambrer im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) den-

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selben nominalen Stamm enthalten – und daher zwischen ihnen gewiß auch ein sachlicher Zusammenhang besteht. Wenn im Strabon-Text die -DJ<6B7GD> hinter den Gambrivi genannt werden, aber ohne Hinweis auf irgendeine Beziehung, dann sind da vermutlich Nachrichten aus verschiedenen Quellen zusammengeschoben worden, und die Griechen haben die Identität der Namensbestandteile nicht erkannt. Dieser Nominalstamm gambra- findet sich auch in mehreren frühen Individualnamen. Hierher gehört der in CIL XIII 4132 (Bitburg/Eifel, im Treverer-Gebiet, a. 198 n. Chr.) bezeugte L. Ammius Gamburio, aber auch die sagenhafte Frau Gambara (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) der langobardischen Überlieferung (Paul. Diac. 1,3 und 7). Die Appositionen, die Paulus ihr gibt: ingenio acris et consiliis provida, klingen wie Interpretationen ihres Namens. Auch Cambra, der Name eines westgotischen Bischofs (7. Jhd., gebucht bei Reichert 1987, S. 167), schließt hier an, seine Tenuis im Anlaut ist hyperkorrekte Schreibung (Wagner 1983a). Ferner heißt ein langobardisches castrum Gambara (Bruckner 1895, S. 328). Dieser sowohl west- wie ostgermanisch bezeugte Namensstamm schließt an Appellativa an. Das ahd. Adj. gambar, kambar entspricht lat. strenuus, das Abstraktum gambrî fem, dem lat. ‘agonia, alacritas’ (
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Beiträge zu Personennamen

Diese Analyse des Ethnonyms führt dazu, als seine germ. Form (Nom. Plur.) *Gámbriwǀz (ohne ein weiteres Suffix -j-) anzusetzen, obschon die Überlieferung der Germania einheitlich den Ausgang -vios gibt. (Unberechtigtes -ii in Fremdnamen läßt sich im Text der Germania auch sonst mehrfach nachweisen: c. 1,1 raetiisque statt raetisque, c. 29,1 batavii statt batavi, c. 43,1 burii statt buri usw. Daß in c. 40 die Form anglii aus angili entstellt ist, hat Wagner 1980a, S. 393 ff. gezeigt; auch vandilii c. 2 ist mit Wagner 1980a, S. 402 zu vandili zu emendieren; vgl. noch Schönfeld 1901, S. XXVI f.) Bei Su-gambri (*Sú-gambroz) gehört auch das Erstglied su- zum Erbwortschatz des Germanischen (idg. *h1su- ‘gut’; vgl. Pokorny 1959–1969, S. 1037 f.). Aber anscheinend ist es da schon früh als veraltet empfunden worden, denn die Einzelsprachen bezeugen es nur noch in aisl. su-svƭrt ‘Schwarzamsel’ (wörtlich: ‘völlig schwarz’), weniger sicher in got. swikns ‘unschuldig, rein’ (Heidermanns 1993, S. 582). Auch das Keltische hat dies Erbwort bewahrt; z.B. besitzt das Gallische das Ethnonym Su-casses ‘die Schön-Gelockten’, den Personennamen Su-caros ‘sehr beliebt’ usw. Doch hier in einem germanischen Ethnonym mit einer keltischen Vokabel zu rechnen und dies damit als hybride Bildung zu erklären, wie Weisgerber (1969, S. 240) wollte, ist unberechtigt. Da das Zweitglied -gambra- ein (substantiviertes) Adjektiv ist, dient su- hier als steigerndes Adverb. Als Grundlage von beiden überlieferten Ethnonyme ist für eine höchstens kurz vor dem l. Jahrhundert n. Chr. liegende Zeit ein Ethnonym *Gámbroz (Nom. Plur.) vorauszusetzen, dessen Stamm mit dem des Adjektivs identisch ist (wie bei Chauci, Franci, Marsi, Quadi, Rugi, Sciri, Suebi, Ubii usw). Müllenhoff (1900, S. 462) meint, daß bei den Germanen „echte und ursprüngliche [...] Völkernamen immer Simplicia“ gewesen seien. Zu *Gámbroz ist einerseits der (in der Dichtung verwendbare, mit Suebi und Semnones stabende) ‘Prunkname’ Sugambri gebildet, vgl. Schütte (1930), der Bildungen wie ae. Beorht-Dene (Beowulf) ‘Glanz-Dänen’, Hred-Gotum (Widsith, Dat. Plur.) ‘Ruhm-Goten’ usw. vergleicht. Sugambri unterscheidet sich von *Gámbra- vermutlich nur stilistisch-diaphasisch, bezeichnet wohl dasselbe Ethnos. Wahrscheinlich war es bloßer Zufall, daß gerade der Prunkname in die römisch-griechische Literatur gelangt ist, der einfache, ursprüngliche aber nicht mehr. Dagegen ist *Gambriwaeine Ableitung von *Gámbra-; das könnte etwa auf einen Teilstamm hinweisen, der sich ausgegliedert hätte, o.ä. Die sprachwissenschaftliche Analyse führt also – im Gegensatz zur Aussage der Germania – dazu, *Gambriwa- gegenüber *Gambra- (und *Su-gambra-) als sekundär, eher als ein recentius nomen anzusehen. Der zeitliche Abstand zwischen den einzelnen Prägungen läßt sich nicht bestimmen.

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Das formale Verhältnis der Ethnonyme Su-gambri und Gambrivi entspricht somit dem von Ermun-duri und Duringi / Thuringi: in beiden Paaren ist die eine Bildung ein Determinativkompositum (vgl. etwa die griech. Personennamen ]<6-B^BCKC und w-9^L>D0, den got. Personennamen Ala-rich, das ahd. Adj. wƯt-mƗri ‘weitberühmt’ usw.), die andere nur einstämmig, aber suffixal erweitert. Weitere Literatur: Kauffmann (1913–1921, S. 325 Anm. 1); Much (1920b, S. 65. 78); Schmidt (1938, S. 396); Schwarz (1956, S. 139).

Garmangabis

(Bd. 10, 1998)

Diesen Namen bewahrt nur eine lateinische Altar-Aufschrift (im Dat. Deae Garmangabi), die in Britannien bei Lanchester (Gft. Durham, südlich vom Hadrianswall) gefunden worden ist und aus der Zeit um 240 n. Chr. stammt (Collingwood 1965, S. 358 Nr. 1074). Die vex(illatio) Sueborum Lon(govicianorum), eine germanische Hilfstruppe im römischen Heer, hat den Stein setzen lassen. Dieser Göttername ist ein Kompositum, dessen Zweitglied mit dem in drei weiteren Namen weiblicher Gottheiten identisch ist: Fria-gabi auch beim Hadrianswall, vgl. Collingwood (1965, S. 501 Nr. 1576), Dat. Sing., Matronis Ala-gabiabus (CIL XIII, 8529) und Matronis Gabiabus (CIL XIII, 7937), beide Dat. Plur. mit vulgärlat. Endung -abus, aus dem Rheinland der gleichen Zeit. Die Erstglieder ala- und fria- sind germanisch, der Stamm gab- der Zweitglieder gehört zweifellos zum ablautenden germ. geb- ‘geben’; Göttinnen werden hier – wie in vielen Kulturen – als ‘Schenkende’ bezeichnet. Inhaltlich entsprechen, wenn auch jeweils mit anderer Wortbildung, anord. Gefn, ein Beiname der Göttin Freyja, sowie Gefjon ( siehe den Artikel Gefjon, Gefn im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), vgl. de Vries (1961a, S. 160; 1970, § 543). Der Wechsel -i / ja- in den beiden Kasusformen -gabi / -gabiabus könnte auf alten Ablaut innerhalb des Paradigmas deuten; das Subst. *gabi- fem. könnte dann zum selben Deklinationstyp gehören wie aind. devƯ ‘Göttin’, Nom. Plur. devyƗs, ferner lit. martì ‘Mädchen’. Dieser aus der indogermanischen Grundsprache ererbte Typus war im Früh-Germanischen vermutlich noch erhalten, später ist er in die femininen -jǀ-Stämme (Typ got. bandi, Gen. bandjos ‘die Bindende, das Band’) eingegangen; vgl. von Grienberger 1894; Jellinek 1926, § 124).

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Wie bei Ala-gabi- und Fria-gabi- ist auch bei Garman-gabi- germanische Herkunft beider Wortstämme anzunehmen. Der Name läßt sich am besten als verbales Rektionskompositum mit Akkusativobjekt im Erstglied (Typ: mhd. lƯt-gebe ‘Schankwirt’; fem. ahd. anst-geba ‘Gnadengabe’, an. nafn-gipt ‘Titelverleihung’) auffassen – wie mehrere dieser frühen germanischen Götternamen: Ala-gabiae ‘die alles Gebenden’, Ala-teivia ‘die alles Bewirkende’ (zu got. ga-tewjan mit vulgärlat. Schreibung ei für e) usw. Anders wollte Kauffmann (1895) Garmangabis als Possessiv-Kompositum mit Zweitglied gabi ‘Gabe’ bestimmen. Zur Analyse von garman- gibt es verschiedene Vorschläge, vgl. Schnetz (1923 und 1925); Krogmann (1933); de Vries (1960). Am ehesten ist mit dem Suffix -man- (< idg. *-mon- / -men-) zu rechnen, das im Germanischen (wie in den anderen indogermanischen Sprachen) Substantiva bildet, die überwiegend nomina actionis sind oder das Ergebnis einer Handlung bezeichnen, vgl. nhd. Samen, lat. sƝmen ‘was ausgesät wird’, Brosamen, ahd. brosma, eigentlich ‘das Zerbröckelte’. Weitere Beispiele bei Meid (1967, § 107, S. 127–129) und Haudry (1971). Der Stamm gar- gehört mit Grienberger (1894) zu germ. ger- ‘begehren, intensiv wünschen’, vgl. Falk & Torp (1909, S. 127 f.) und Pokorny (1959– 1969, S. 440 f. 1. gher-). Das a (statt e) erklärt sich aus dem Einfluß des keltischen Substrats auf das Sprech-Lateinische in Britannien, ist also etymologisch nicht relevant. (Im gleichen Raum finden sich auch Schreibungen wie Garmanus statt des Völkernamens Germanus usw.). Das Subst. *german- hat demnach ‘das Begehren’ oder ‘das Ersehnte, Gewünschte’ bedeutet. Garmangabis besagt dann: ‘Die das Begehrte gibt, die Wünsche erfüllt’. (Andere haben in garman- ein Partizipium Medii sehen wollen, vergleichbar denen auf griech. -B:CD- usw. Aber diese Bildungen hat das Germanische, jedenfalls in der Zeit, in der dieser Göttername entstanden sein muß, nicht mehr besessen.) Daß im Erstglied des Götternamens das Ethnonym Garmangabis vorliegt, ist semantisch unwahrscheinlich. Weitere Literatur: Birley (1986); Gutenbrunner (1936); Much (1936a).

Gepiden

(Bd. 10, 1998)

§ 1. Namenkundliches. Texte dreier Sprachen (Lateinisch, Griechisch, Altenglisch) überliefern den Namen dieses ostgermanischen Ethnos in mehreren Varianten.

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1. Lateinische Quellen. Hier hat der älteste Zeuge (a. 269), die Vita Probi 18,2 (H.A.), die Form Gipedae, ähnlich Salvian, de gubernatione dei Gipidae; dagegen bezeugen die Getica des Jordanes wie auch Ennodius überwiegend die Schreibung Gepidae. Corippus bietet Gipides, das nach der latenischen 3. Deklination geht. Ein Grabstein aus Ostia (CIL XTV.1091) enthält die Personennamen [Ge]-pidius Ermes und Gepidia Irene, beide formal adjektivische Ableitungen zum Ethnonym. Dieser auf gotischen Quellen fußenden Tradition steht eine langobardische gegenüber. (Ein beträchtlicher Teil der Gepiden ist nach der Zerstörung ihres Reiches in Pannonien zusammen mit den Langobarden a. 568 nach Norditalien gezogen.) So bezeugt z.B. die Continuatio Havniensis Prosperi 1,337,31 (um a. 625) eine Schreibung mit b (und einen lat. oStamm): Gebodorum (Gen. Plur.). Diese Graphie weist auf eine wirklich gesprochene, etymologisch relevante labiale Media hin und spiegelt nicht etwa bloß die romanische Sonorisierung der Tenues wider. (Dagegen dürfte die Schreibung von e für i in der ersten oder zweiten Silbe des Ethnonyms hier und auch sonst durchweg auf spätlateinisch-romanischen Usus zurückzuführen sein.) 2. Von den griechischen Texten sind vor allem die Bella Prokops zu nennen; sie weisen (ebenso wie Johannes Magister und Menander Protector) auf einen konsonantischen Stamm !=E6>9-, der unter Beseitigung der Itazismen als /giped-/ zu transkribieren ist. (Weitere Varianten sind unergiebig.) 3. Auch zwei altenglische Texte bewahren das Ethnonym: Beowulf v. 2494 hat to Gifÿum / Gefÿum, der Widsith v. 60 mid Gefÿum (beides Dat. Plur.). Das führt auf einen Nom. Plur. *Gifÿas zurück; wobei f bloße Schreibung für den stimmhaften Reibelaut /b/ sein dürfte, vgl. von Grienberger (1922, S. 367); Langenfelt (1931/32, S. 227); Brunner (1965). Auffallend ist die Synkope des kurzen i in der Mittelsilbe zwischen Verschlußlauten (gegenüber Wineÿum an der gleichen Widsith-Stelle). 4. Neben diesen schriftlichen Belegen alter Namensformen gibt es mehrere bis heute weiterbestehende Ortsnamen, die das Ethnonym Gepiden enthalten, vgl. Gamillscheg (1935, S. 239 Anm. 1); sie liegen im norditalienischen Siedlungsgebiet der Langobarden: Zibido, Zivido, Zebadasco, Zebedassi (mit romanischen Palatalisierung des anlautenden Tektals, aber Bewahrung der labialen Media) sowie Ghevio, Ghivio (mit nicht verändertem Tektal, aber Verlust der dentalen Media und Wandel b > w). Offenbar hatten die gepidischen Restgruppen Wert darauf gelegt, in eigenen Siedlungen zusammenzubleiben. Diese Ortsnamen sind besonders wertvolle Zeugnisse

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Beiträge zu Personennamen

für das Ethnonym, da sie – wenn auch durch spätere Romanisierung verändert – auf gepidische Sprecher selbst zurückgehen. Beim Ethnonym Gepiden liegt einer der seltenen Fälle vor, daß eine alte Quelle eine Motivation für die Benennung überliefert: Jord. Get. 256 berichtet, die Goten hätten die (ihnen nächstverwandten) Gepiden so genannt, weil diese tardiores ingenii et graviores corporum velocitate seien, ‘(geistig und körperlich) recht schwerfällig’. Kurz vorher heißt es bei ihm: nam lingua eorum piger (codd. pigra) gepanta dicitur. Diese neue Benennung sei pro gratuito convido entstanden: ‘wie ein sich geradezu von selbst einstellendes Schimpfwort’. Offenbar fielen nach Meinung des Jordanes (bzw. seiner Vorlage Cassiodor) diese negativen Eigenschaften der Gepiden unmittelbar ins Auge. (Einige deutsche Übersetzungen geben diesen Passus unrichtig wieder als ‘mit einem willkommenen Schimpfwort’.) Die Form gepanta ist am ehesten als die schwache Form des Nom. Sing. eines Part. Präs. Akt. (mit hyperkorrekter Schreibung nt statt nd) aufzufassen; sie belegt demnach einen Verb-Stamm *gip- ‘träge sein’ (nicht *gep-, da wieder mit romanischer Schreibgewohnheit zu rechnen ist). Dieses Nebeneinander verschiedener Graphien (bzw. der dahinter stehenden Lautungen) in den unter 1. bis 4. gebuchten Namensformen bedarf der Erklärung (besonders für den Wechsel des Labials). Diese erbringt ein Vorschlag Muchs (1888, S. 409; 1893a, S. 73; 1893c, S. 214), den die Forschung seitdem zu Recht weithin angenommen hat (mit Ausnahme von Schnetz 1937/38a, S. 36 Anm. 1); er wird auch hier zugrundegelegt und leicht ergänzt: 1. Die echte Selbstbenennung dieses Ethnos dürfte *Gíbidoz gewesen sein (Nom. Plur., mit ostgerm. i, das auf urgerm. e zurückgeht). Ihr Etymon bildet der Verb-Stamm *geba- ‘geben’. Nun findet sich in mehreren germanischen Einzelsprachen ein Adjektiv, das dem Ethnonym formal genau entspricht: ae. gifede ‘gegeben, (vom Schicksal) gewährt’ sowie (mit suffixaler Erweiterung) as. gi0idig (Heliand 195) ‘beschert’ und ahd. (Notker) gibedig ‘ergiebig’. (Zu diesen vgl. Kluge 1926, § 233; Meid 1967, S. 148). Zugehörig ist ferner der ahd. Personenname mask. Gebetho (a. 717, Weißenburg/ Elsaß). Dieses ae. gifede usw. ist mit einem Suffix gebildet, das aus idg. -et(bzw. thematisiert -eto-) entstanden ist. Dies ist von Haus aus ‘diathesenindifferent’, d.h. die mit ihm gebildeten Verbalnomina können sowohl aktive wie passive Bedeutung haben. Im ersteren Fall entsprechen sie etwa den nomina actoris. Aus dem verwandten Altgriechischen lassen sich z.B. die (rühmenden) Adj. *kleje-tos > kleitós ‘mit Ruhm versehen, berühmt’, Personennamen Lampetos ‘Glänzend, Strahlend’, Derketos ‘Sichtbar, des Anschauens wert’ usw. vergleichen. Aus dem Keltischen vgl. etwa das gall. Ethnonym Caleti (neben dem der bloße Dentalstamm Caletes vorliegt,

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ebenso wie im Ethnonym Nemetes ‘die Edlen’) oder auch das Appellativum cingeto- ‘Fußsoldat’. Von den germanischen Ethnonymen entspricht formal genau Winida (< vorgerm. Veneto-), das etwa ‘beliebt, befreundet’ bedeutet haben mag. Zum Suffix -ida im Germanischen vgl. zuletzt Wagner (1989, S. 112). Da solche Diathesenindifferenz auch fürs Germanische vorauszusetzen ist, darf man bei den Bildungen auf -ida-, auch wenn für sie (wie hier durch ae. gibede usw.) nur passivische Bedeutung belegt ist, stets daneben mit einer aktivischen rechnen. Bei passivischem Verständnis würde das Ethnonym *Gibida- etwa bedeuten: ‘die (von den Göttern) Geschenkten’ oder auch ‘Beschenkten’, dagegen aktivisch ‘die Freigebigen’. Nicht nur die beiden ersten, schon von Much (1893a, S. 73) stammenden Deutungen, sondern auch die letztere, die Gutenbrunner (1932, S. 159) und ihm folgend Svennung (1969) vorgeschlagen haben, ist als rühmende Selbstbenennung plausibel, denn das regelmäßige und großzügige ‘Geben’ an Freunde, Gäste oder Arme galt den Germanen als Zeichen von Hilfsbereitschaft und hochherzigem Wesen, vgl. schon Tac. Germ. 21 (siehe auch den Artikel Gabe § 3 im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Daher finden sich in den Einzelsprachen auch zahlreiche Individualnamen mit einem Element geb- / gib-: ahd. mask. Gebhard, Gebrat, Gebwalt / Gibuldus, Gebamunt, Gibicho, ferner obd. Gepant (formal Part. Präs. Akt.) usw., fem. Gibburga, Gibtrud, Gebalind, Kebasinda, ae. mask. Gifric, entspr. got. Geberic usw. Den ältesten Beleg für die Verwendung des Elements gib- in einem Personennamen bildet frk. Giboa[l]dus (auf einem merowingerzeitlichen Grabstein von Leutesdorf, Krs. Neuwied, vgl. L’année épigraphique 1967, Nr. 342). Zu vergleichen sind ferner die Kenningar für ‘Fürst’: as. bǀg-ge0o ‘Ringgeber’, mƝÿom-gi0o ‘Kleinodspender’, ae. gold-gifa ‘Goldschenker’. Daß die g-Rune den Namen *gebo ‘Gabe’ trug, zeigt ebenfalls, welch hohe Bedeutung man diesem Sozialverhalten beimaß, vgl. noch den betreffenden Vers im altenglischen Runengedicht. Formal mit *Gibida vergleichbar ist der Personenname des GepidenKönigs Fastida, der synchron als Wunschname ‘der Bewahrende, (sein Eigentum erfolgreich) Festhaltende’ aufgefaßt werden konnte, diachron freilich wohl als suffigierte Kurzform eines zweistämmigen Vollnamens vom Typ Fastulf, Fastrih zu deuten ist. 2. Die Goten haben dies Ethnonym Gepiden wortspielend in einen HohnNamen umgestaltet, indem sie es statt mit b mit p aussprachen. (Zu solchen spöttisch abwertenden Ethnonymen der Germanen allgemein vgl. Much 1918–1919a, S. 431 § 19). Als Etymon für diese sekundär geschaffene Form kommt am ehesten ein germ. Verb der III. schwachen Klasse *gipƝn

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in Frage, vgl. Falk & Torp (1909, S. 134), daneben mit Vokalvariation *gapƝn (Falk & Torp 1909, S. 125). Diese Verben bedeuten eigentlich ‘den Mund aufreißen, gähnen, nach Luft schnappen, gaffen’, dann aber wohl auch ‘müde, schlapp, inaktiv sein’. (Ae. ofer-gapian z.B. heißt ‘vernachlässigen, vergessen’.) – Much (1893a, S. 73) übersetzt deshalb das Ethnonym Gepiden als die ‘Maulaffen’. Auch das vom gleichen Verbstamm gebildete mnd. Adj. gippelt ‘dumm, töricht’ hat den semantischen Übergang von der Bezeichnung einer Mundhaltung zur Aussage über den Geisteszustand vollzogen. Vgl. noch das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm (1854 ff., s.v. geifert). Mit Pokorny (1959–1969, S. 421 f.) ist die germ. Verbalwurzel *gip- wohl als Erweiterung von idg. *ghei- usw. aufzufassen. 3. Die griechisch-lateinische literarische (und epigraphische) Tradition ist demnach von der (sekundären) gotischen Fremdbenennung beherrscht worden, der Spottname hat die originäre Selbstbenennung weithin verdrängt. Jordanes erwähnt diese nicht einmal; nur durch die angelsächsischen und langobardischen Zeugnisse (und durch die Ortsnamen in der Lombardei) ist sie bewahrt worden. (Mittelalterliche Etymologien, die in dem Ethnonym lat. pedes ‘Fußkämpfer’ oder griech. E6¾0 ‘Kind’ suchen, sind natürlich wertlos.) Wie bei zahlreichen anderen germanischen Ethnonymen können auch bei Gepiden Formen aus mehreren Stammklassen nebeneinander in Gebrauch gewesen sein, doch bleibt der Rückschluß aus den in anderen Sprachen überlieferten Formen des Ethnonyms mehrfach unsicher; z.B. erlaubt der lat. a-Stamm Gepida, Gebida keine eindeutige Aussage: er kann auf einen germ. a-Stamm zurückverweisen (wie ihn auch die ae. Formen zulassen), er kann aber auch mit Much (1893c, S. 214) auf germ. Nom. *Gipida bzw. *Gibida zurückgehen, die dem Deklinationstyp got. guma, gumins zuzuordnen sind, also n-Stämme waren. Und schließlich scheint die Existenz eines (unerweiterten, d.h. ursprünglichen) Dental-Stammes *Gibidmöglich. (Was die heute zu benutzende Namensform angeht, so wären die nhd. Formen Gibider oder Gibiden am korrektesten; der Ton liegt auf der ersten Silbe.) Weitere Literatur: Diculescu (1923); Ihm (1910); Much (1901a); Müllenhoff (1906, S. 400); Reichert (1987; 1990); Schönfeld (1911); Schwarz (1951, bes. S. 99 ff. 154 ff.); Zeuß (1837).

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Germanen

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(Bd. 11, 1998)

II. Sprache und Dichtung. A. Name und Namen. § 10. Die Deutungen des Ethnony ms Germani. Die Deutungen des Ethnonyms Germani. Personennamen und Gruppennamen sind grundsätzlich viel unsicherer etymologisch zu deuten als Appellativa, weil sie im aktuellen Kontext nur jemanden ‘bezeichnen’, aber ihre ursprüngliche Bedeutung keine Rolle spielt. Speziell bei Ethnonymen ist zwischen Selbst- und Fremdbezeichnung zu unterscheiden. Die ersteren haben gern positiven Sinn, das Ethnos benennt sich als ‘kampfesstark, großherzig, frei’ o.ä. Demgegenüber sind Fremdbezeichnungen oft ungünstig, man nennt die anderen ‘die Unverständlichen’, auch ‘die Ungeschickten, Trägen’ oder schlicht ‘die Bösen’ usw. Wenn Wanderzüge, kriegerische Aktionen oder politische Veränderungen zur Bildung neuer Kollektive führen, werden für diese oft zugleich Namen geschaffen. Deren Lebensdauer kann sehr kurz sein. (Daß in Mitteleuropa Ethnonyme aus voreinzelsprachlicher Zeit, womöglich aus dem 2. vorchristlichen Jahrtausend, erhalten sind, ist durchaus unwahrscheinlich, z.B. sind Namen-Gleichungen wie: ital. Marsi : germ. Marsi oder ital. Umbri : germ. Ambronen zweifellos Blender.) Beim Versuch, das Ethnonym Germani etymologisch zu deuten, sind räumlich fernliegende Anklänge weniger zu berücksichtigen; bei ihnen wird zufällige Homonymie im Spiel sein. (Die indogermanische Grundsprache kennt allein fünf verschiedene Wurzeln ger-, sechs gher-.) Methodisch empfiehlt es sich, in dem geographischen Raum zu bleiben, für den Caesar die Entstehung des Ethnonyms angibt. Und wenn für die Deutung eigens unbelegte Wörter postuliert werden – keltische, ‘illyrische’ oder noch andere –, dann besitzt sie von vornherein geringe Wahrscheinlichkeit. Das lebhafte, über die Fachkreise hinausreichende Interesse am Ethnonym Germani hat zahlreiche Deutungen hervorgerufen, von denen im günstigsten Falle nur eine zutreffen kann. In der unten folgenden Liste einschlägiger Veröffentlichungen dürften wenigstens die wesentlichen Vorschläge und Diskussionsbeiträge erfaßt sein. Vollständigkeit ließ sich nicht anstreben (vgl. auch den Literaturbericht von Panzer 1919). Die Beschäftigung mit dem Ethnonym Germani beginnt im wesentlichen zur Zeit der Romantik, allerdings waren damals die sprachwissenschaftlichen Kriterien noch unterentwickelt. Ernstzunehmende Forschung hat erst in den letzten hundert Jahren stattgefunden, mit deutlichem Schwerpunkt von 1920–1940; da sind politisch-geistesgeschichtliche Ursa-

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chen für dieses Interesse unverkennbar. Im folgenden sollen die wichtigsten Typen der Vorschläge knapp vorgeführt und durch kritische Hinweise bewertet werden. Beiseite zu bleiben hat der sich bei Herodot I 125 in der Schreibung !:GBUC>D> findende Name eines persischen Stammes. Schon Schnetz (1934a) hat seine Verknüpfung mit den mitteleuroäischen Germanen zu Recht abgelehnt, und Schmitt (1996) legt überzeugend dar, daß !:GBUC>D> gegenüber der authentischen iranischen Form mit anlautendem K von geringerem Wert ist (vgl. noch Paul 1932). Auch die angeblichen Germani Oretani (vgl. Plin. nat. 3,25 Oretani qui et Germani cognominantur – im iberischen Gebiet Spaniens) lösen sich in Nichts auf. Wie Rübekeil (1992, S. 158 f.) darlegt, heißt germani an dieser Stelle ‘die echten, die eigentlichen’, ist lateinisch appellativisches Adjektiv, nicht Ethnonym. Vor-wissenschaftlich war der alte, bis ins 19. Jahrhundert hinein wiederholte Vorschlag (z.B. von Watterich 1870), Germani als die ‘GerMannen’, die Speer-Träger, aufzufassen. Das scheidet aus, da das Wort für den ‘Ger’ in dieser Zeit *gaisaz heißt. Ebenso unbrauchbar war der Gedanke von Wersebes (1826), Germani als ‘Heer-Männer’ aufzufassen. Es sei bloße Variation von Herminones. Mehrfach hat man die graphische Übereinstimmung des Ethnonyms mit dem lat. Adjektiv germanus zur Grundlage von Hypothesen genommen. Das findet sich zuerst bei Strab. 7,290: >q 9 @6¼ BD> 9D@DyH> h,KB6¾D> IDyID 6wID¾0[scil. ID¾0!:GB6CD¾0] F^HF6> IDxCDB6 z0 ƒC C7DJAnB:CD>„ D> UA:@IDC. Deshalb haben, glaube ich, die Römer ihnen [den Germanen] diesen Namen gegeben, weil sie sie die ‘echten’ Gallier nennen wollten. Denn in der Sprache der Römer bedeutet ‘Germanen’ ‘die Echten’.

Das übernehmen Holtzmann (1864a) und Birt (1917): D> !6AUI6> übersetze genau Galli germani. Diese Junktur sei dann zu Germani verkürzt worden. Doch kann das nicht überzeugen: Strabons persönliche Vermutung verträgt sich nicht mit den Aussagen von Caesar und Tacitus, vgl. Bickel 1934. Germani ist bei Caesar von vornherein ein Name, kein differenzierendes Adjektiv. Birts These ist daher auch allgemein abgelehnt worden. (Bei Isid. Etymol. 14,4,4 propter fecunditatem gignendorum populorum Germania dicta est findet sich eine lateinische Etymologie für das Ethnonym – ohne daß aber gesagt würde, wer es angeblich verliehen hat). Mehrfach ist vorgeschlagen worden, Germani als Übersetzung eines echt-germanischen Ethnonyms aufzufassen. Hartmann (1918 und 1921)

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meinte, Germani gebe Istvaeonen / Istaevonen wieder, was ‘die Echten’ bedeute. Aber die Etymologie des Ethnonyms Istvaeonen ist unbekannt (schon seine Lautform ist unsicher überliefert), es kann nicht die Grundlage eines Vergleichs bilden. Pekkanen (1971, 1972 und 1974) behauptete, Germani übersetze Sciri ‘die Reinen’. Doch scheidet dieses ostgermanische Ethnos schon seiner entfernten Sitze wegen hier aus. Collinder (1944) wollte Germani als die lateinische Übersetzung von Suebi auffassen. Das greift jetzt Rübekeil (1992, S. 182 ff.) auf. Er betont (S. 213), „die Annahme einer Übersetzungsrelation [sei] die einzig sinnvolle Lösung“, muß aber einräumen, daß germanus von Haus aus „ein Terminus der biologischen Abstammung“ sei, Suebi dagegen die „Abhebung“ eines Verbandes „nach außen“ bezeichne. Diese semantische Differenz versucht er zu überbrücken. (Doch bietet die antike Tradition keinen Anhalt für die Annahme, Germani könne das Übersetzungsäquivalent eines indigenen germanischen Ethnonyms sein.) Abwegig war die Variante, die Neckel (1929) vorschlug. Er meinte, neben lat. germanus habe es ein germ. Wort *germana- mit gleicher Bedeutung gegeben: „ein altgemeinsames (germano-italisches oder urindogermanisches) Wort“ (1929, S. 35). Aber das lat. Adj. germƗnus ist von germen neutr. ‘Keim, Sproß’ (wahrscheinlich als *germn-Ɨnus mit dissimilatorischem Schwund des stammauslautenden n) abgeleitet. Das AdjektivSuffix ist das gleiche wie in publicƗnus neben publicum. *ger-men (mit ablautendem Suffix) gehört zur Wurzel genh1- ‘zeugen’, deren -n vor dem gleichen Konsonanten der Folgesilbe zu r fern-dissimiliert worden ist, genauso wie in lat. carmen < *can-men ‘Singen, Gesang’. Diese zweifache Dissimilation ist so singulär, daß sie bei einem germanischen Wortstamm nicht genauso vorausgesetzt werden darf. Zudem hat Neckel die 1. Lautverschiebung nicht berücksichtigt. Andere Hypothesen ziehen schlechtbezeugte Restsprachen heran. So schlug Schütte (1929/1933 und 1939) vor, die Germanen seien Überbleibsel einer ligurischen Urbevölkerung. Er verweist darauf, daß es in Ligurien ein Tal Germanasca gebe; vgl. Hirsch (1936). Dessen Name aber ist spät bezeugt und heißt vermutlich nach einem der christlichen Heiligen, die den Namen Germanus führten. Was das ‘Illyrische’ angeht, so ist inzwischen deutlich geworden, daß das Ethnos der ]#AAsG>D> nur einen kleinen Raum in Dalmatien innehatte, darum vermeidet man heute die ausgedehnte Benützung ihres Namens für indogermanische Gruppen und Stämme des ganzen West-Balkans, des Alpenraums sowie für Messapien in Süd-Italien usw., wie Krahe, Pokorny (1937 und 1938) und andere sie vertreten haben. Die Bewohner dieser Räume sprachen zwar wohl alle verwandte, aber doch unterschiedliche in-

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dogermanische Idiome, von denen uns so gut wie ausschließlich Namen zur Verfügung stehen, meist von Personen. Sie sind durch griechische, häufiger noch lateinische Inschriften der Römischen Kaiserzeit bezeugt. Da finden sich z.B. ein Germus (aus Alvona in Istrien), eine Germulla (im Land der Paeligner in Mittelitalien), Germullus Germani filius CIL III 6411, Germusa (aus Rider in Dalmatien) usw. Weitere Namen mit diesem Stamm germ- bucht Rendiü-Mioþeviü (1956) aus Dalmatien, doch bleibt bei ihnen allen die sprachliche Zugehörigkeit (und erst recht ihre Etymologie) offen. Mehrfach tragen sie lateinische Suffixe, wie -ullus. (Da das Ethnonym Germani seit dem ersten nach-christlichen Jahrhundert als lateinischer Personenname benutzt wurde, erscheint es mit Norden 1934, S. 283 möglich, daß in Personennamen der Stamm germ- als hypokoristische Verkürzung des Ethnonyms / Personennamens anzusehen ist; vgl. Norden 1917a, 1917b, 1918, 1920, 1934 und 1935). Wegen der räumlichen Ferne bleiben der Ortsname Germa im südlichen Balkan besser aus dem Spiel, ebenso der von Prok. b. VI 11 als Geburtsort Belisars „im Grenzgebiet zwischen Thrakern und Illyriern“ erwähnte Ort !:GB6C¼6. Mehrere dieser Plätze besitzen heiße Quellen, dienen daher als Badeorte; ihre Namen mögen mit dt. ‘warm’, griech. F:GBn0 zusammenhängen und gehören vielleicht dem Thrakischen an (?). Auch bezüglich der Zeit, in der das Ethnonym Germani entstanden sein könnte, hat es weitgreifende Hypothesen gegeben. Wenn Feist (1930/31) sagt, es „stamme aus einer Zeit, die der Indogermanisierung dieser Gegenden noch vorauslag“, dann besagt das nur, daß er meint, das Ethnonym sei aus einer der bekannten, räumlich naheliegenden Sprachen nicht zu erklären, und es darum in eine dunkle Vorzeit schiebt, in der in Mitteleuropa andere, unbekannte Idiome existiert haben könnten. (Ähnlich schon Norden 1934, S. 302: Der Ursprung des Ethnonyms Germanen liege „im Schoße europäischer Frühzeit geborgen“.) Diese Thesen vertragen sich zudem nicht gut mit der taciteischen Nachricht: Germaniae vocabulum recens et nuper additum. Vgl. noch Feist (1921, 1926, 1927, 1927/28, 1930/31, 1941), Flach (1988), Koepp (1928), Lund (1977, 1986, 1991a–d), Stümpel (1932). So bleiben nur wenige plausiblere Erklärungswege übrig, vor allem die Verknüpfungen mit keltischem oder germanischem Sprachgut. Norden hat seine Meinung geändert; in der „Urgeschichte“ (1920) entschied er sich für keltischen Ursprung des Ethnonyms, in den Nachträgen zum 2. Abdruck (1922) für germanischen. Er vergleicht mit Germani Ethnonyme gleichen Ausgangs: die Paemani, die Cenomani (Oberitalien), die Comani usw., von denen jedenfalls die letzten beiden sicherlich keltisch sind. (Vgl. auch Norden 1935). Die These, das Ethnonym Germani sei keltisch, haben schon Zeuß

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(1837; Bedeutung: ‘Nachbarn’), Leo (1845) und J. Grimm, dann Pott (1836; ‘Ost-Leute’, zu ir. oir ‘Osten’), Kögel (1893a) und Hartmann (1918) vertreten. Henning (1913a und 1913b) postulierte ein kelt. Adj. *germo‘warm’, das in Namen von Orten vorliege, die heiße Quellen besäßen. Das trifft nicht zu; ‘warm’ heißt im Gallischen borvo- / bormo-. Dann hat Schnetz die keltische Herkunft des Ethnonyms Germani immer wieder verfochten. Zuerst (1923) deutet er es als ‘die Grimmigen’ (und hielt für möglich, daß das Wort sowohl dem Keltischen wie dem Germanischen angehöre), seit 1929 meint er, Germani sei die keltísche Übersetzung. Dieser Name bedeute entweder ‘die Schreier, die Stimmgewaltigen’ (mit Leo zieht er ir. gairm, kymr. garm bei) oder ‘die Leute des Schreiers’, eines Gottes mit gewaltiger Stimme. Das ist gewiß falsch; in Ingvaeones steckt ein germanischer Gottesname, der mit der nur im Slawischen gut bezeugten idg. Wurzel für ‘schreien’ nichts zu tun hat. Schnetz setzte idg. *gherem- ‘rufen, brüllen’ an, das z.B. in griech. 8G:B¼NK ‘wiehern’, norw. grymja ‘grunzen’ vorliege. Aber belegt sind bei diesem Schallwort nur Formen mit Tektal + r im Anlaut. Es hätte Schnetz, der selbst kein Keltologe war, schon warnen sollen, daß der im Keltischen vorzüglich kompetente Pokorny (1936b und 1938) ihm bei diesem Ansatz nicht folgen mochte. Zachrisson (1928b) knüpft an die von Schnetz postulierte Wurzel an, rechnet aber mit einem Flußnamen: „the people of the roaring torrent“. Neuerdings hat Kraft (1970) sich dafür ausgesprochen, das Ethnonym Germani habe dem Sprachschatz der Gallier angehört, es sei zur „Kennzeichnung furchtbarer Angreifer“ benutzt worden. Aber er versucht nicht, einen dazu semantisch passenden Wortstamm im Keltischen aufzuzeigen. – Auch in Zukunft wird es wohl Versuche geben, das Ethnonym Germani aus keltischem Sprachgut zu erklären; festzuhalten bleibt, daß keiner der bisherigen Vorschläge zu überzeugen vermocht hat, zumal ihre Verfechter es nicht unternommen haben, die Einzelheiten der Wortbildung genau zu erklären. Vgl. noch de Bernardo Stempel (1994). Auch die Versuche, das Ethnonym Germani aus den germanischen Sprachen zu erklären, haben verschiedene Wege eingeschlagen. Der jüngste sei zuerst genannt. Trier (1943a, 1943b, 1945 und 1947) hat seit 1941 mehrfach die These vertreten, im Germanischen habe die Wurzel *ger- bedeutet ‘einen Zaun hegen’, die Germanen seien also „die Leute unserer Hegung, unseres Dings und Rechts“. Damit sei „der Bereich des hegenden Mannrings, seiner Lebensordnung, seiner kultischen Begehungen und Feierbräuche“ gemeint. Trier denkt an die Wurzel, die in dt. Garten, lat. hortus vorliegt. Aber von ihr ist im Germanischen keine Bildung mit einem m-Suffix nachweisbar, und vor allem sind die semantischen Erweiterungen, die Trier dieser Wurzel zuschreibt, sämtlich unbelegt. Krogmann (1933)

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wollte an die idg. Wurzel gher- ‘hervorstechen’ anschließen; das Ethnonym sei ein Partizip: ‘die Hervorragenden’. Vgl. noch Kluge (1919); Kossinna (1895); Krogmann (1934a, 1934b, 1936 und 1951–1952); Laistner (1892); Much (1933); Neckel (1933a); Schmidt (1933). Rudolf Much, der Wiener Germanist, hat zunächst (1893a; 1898a, S. 199; 1913–1915a; 1918; 1920a; 1920b; 1928a; 1928b; 1929b; 1933) die (auf Wackernagel 1844 zurückgehende) These vertreten, ger-mana- sei mit dem Präfix ga- gebildet und enthalte denselben Stamm wie irmin-, ermanausw. Ermana-rich ist der ‘umfassend Herrschende’, entsprechend wären die *ga-erma-nǀz ‘die zu einer Gesamtheit Gehörenden, das Gesamtvolk’. Die Schwächen dieser Deutung hat schon Schnetz (1925) treffend herausgearbeitet. Dennoch hat sie lange Zeit Erfolg gehabt. 1936 gibt Much eine bessere Alternative. Der Name der Göttin Garmangabis gehöre formal mit den Alavabiae und der Friavabis zusammen. Deren gemeinsames Zweitglied heiße vermutlich ‘Geberin’, das Erstglied gibt dazu das Akkusativobjekt: Ala-gabiae ‘die Alles-Gebenden’, Fria-gabis entweder die ‘Freigebige’ oder ‘die das Beliebte schenkt’. Dies Erstglied von Garman-gabis hat zuerst Grienberger (1894) plausibel an die germ. Wurzel *ger- ‘begehren, gierig’ usw. angeschlossen. (Das a der ersten Silbe wird inselkeltischer Einwirkung verdankt). Er übersetzte den Götternamen als ‘grata donatrix, die erwünschte Geberin’, doch legen die parallelen Göttinnennamen es nahe, auch hier das Erstglied als Objekt aufzufassen: ‘Die (ihren Anbetern) das Begehrte gibt’ (verfehlt Henning 1920). Zunächst hatte die Forschung sowohl beim Ethnonym Germani als auch in Garman-gabis mit dem Partizipialsuffix -meno- gerechnet. Aber dies ist in den germanischen Sprachen nicht (oder nicht mehr) vorhanden gewesen. Darum ist es zweifellos richtiger, mit Grienberger (1894), Kauffmann (1895), Schnetz (1925; 1926/27), Much (1936a) und später Krogmann (1951–1952) an das (ablautende) Suffix -men / -mon / -mn der Konkreta anzuknüpfen. Dies liegt z.B. in lat. carmen, germen, flumen, numen, griech. @:JFB°C X@BKC EJFB C C:yB6 luw. tatarriyamman- ‘Fluch’, patalbyamman- ‘Fußfessel’, got. hliuman-, ‘Gehör’, glitmun-jan ‘glänzen’, anord. ljóma ‘Licht’ < *leuh-men, as. brosmo ‘Krume, Brosame’ < *brusmen usw. vor. (Infolge der Wirkung der Auslautgesetze ist es in den germanischen Einzelsprachen nicht mehr leicht erkennbar.) Gelegentlich sind noch weitere Suffixe angetreten, so in lat. terminus, patrimonium, griech. 86GBDC , nhd. Leumund usw. Auch in den keltischen Sprachen ist dies indogermanische Suffix rudimentär erhalten, vgl. air. talam, Gen. talman ‘Boden’, mit-telkymr. tam, Plur. temmyn ‘Bissen, Stück’, gall. (Inschrift von Larzac) anvana ‘die Namen’ (mit Lenierung des -m- zu -v-). Das mit dem Themavokal erweiterte gall. Suffix -mano- hat intensivierende Funkti-

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on. So bedeutet der Personenname Nertomanus ‘durch Stärke gekennzeichnet’, das Ethnonym Cenomani ‘die auffallend Langen’ usw. (Diese keltischen Beispiele werden Sabine Ziegler verdankt.) So wie Samen (ahd. samo, vgl. lat. sƝmen) das ist, was gesät wird, so wäre *german- neutr. das, was begehrt, ersehnt, gewünscht wird. Der erste, der das Ethnonym Germani mit der idg. Wurzel *gher- ‘begehren’ in Verbindung brachte, war wohl von Becker (1883), dann Holder (1896, I; ‘die [Sold] Begehrenden’), aber mit falscher Erklärung des Elements -man-. Much (1936a) übersetzte das Ethnonym Germani als ‘die Erwünschten’ o.ä., besser wäre vielleicht ‘die das Erwünschte haben / bringen’ (vgl. noch von Bahder 1880; de Bernardo Stempel 1994, S. 16–20). Bei dieser Lösung müßte man annehmen, daß die Römer ein germ. *germana- (mit kurzem a in der zweiten Silbe) an das (zufällig anklingende) lat. Adjektiv germƗnus in der Länge des zweiten Vokals und der Akzentstelle angeglichen haben. (Das könnte durch vorhandene Ethnonyme wie AquitƗni, HispƗni, LucƗni, SicƗni, und vor allem RomƗni begünstigt worden sein.) Einen Stamm germen- enthält eine Reihe frühmittelalterlicher westfränk. Personennamen wie Germenberga, Germenildis, Germeningus, Germentrada, Germenulfus, Girminburg usw., die teils in den Traditiones Corbeienses, teils im Polyptychon Irminonis bezeugt sind. Bei ihnen sind sicherlich beide Namensglieder germanisch, wobei das Erstglied mit dem von Garman-gabis und dem Ethnonym identisch ist. (Das e in ihrer zweiten Silbe geht auf kurzes a zurück.) Noch nicht sicher erklärt sind zwei andere anklingende Namen: a. der einer Malvenart, die ae. geor-man(t)leaf (mit Varianten) heißt. Das Zweitglied ist leaf ‘Blatt’ (engl. leaf), das erste wird verschieden gedeutet, vgl. Much (1920a), Krogmann (1933; 1934), Holthausen (1935), Schnetz 1937/38c); b. der Ortsname Germana vel ad monte (a. 769, in den Freisinger Traditiones). Krahe (1957a) nimmt an, er gehe auf einen Flußnamen *GermƗ zurück, den er der ‘alteuropäischen Hydronymie’ zuordnet. Dazu vgl. noch Rosenfeld (1960 und 1961), Steinhauser (1954; 1955/57). Die jüngere (hier leicht modifizierte) Deutung Muchs (1936a) erscheint als die am wenigsten angreifbare. Nach ihr lag in Germanen zunächst die rühmende Selbstbenennung (eines kleineren germanischen Verbandes) vor; sekundär ist sie (durch Caesar) zur Fremdbenennung einer großen, in sich gegliederten Einheit geworden. Das wesentliche Merkmal, das den Römer zu dieser Zusammenfassung berechtigte, war dabei sicherlich die gemeinsame Sprache. Man sollte Caesar nicht unterstellen, er sei nicht imstande

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Beiträge zu Personennamen

gewesen, sich grundlegende Informationen über die Bewohner der rechtsrheinischen Gebiete zu beschaffen. (Die von den Römern nun so Benannten haben dieses Ethnonym aber offenbar selbst nicht benutzt.) Vgl. noch Hachmann (1971 und 1975). Weitere Literatur: Gutenbrunner (1932; 1935; 1936a; 1936b, zu Garmangabis vgl. S. 90 ff.; 1942); Schmitt (1996); Schnetz (1924; 1933; 1934b; 1935a; 1935b; 1935c; 1936a; 1936b; 1937/38a; 1937/38b; 1942).

Harier

(Bd. 14, 1999)

§ 1. Philologisches. Der Name ist nur bei Tac. Germ. 43,2 (im Akk. Plur.) belegt; da werden die Harier als erste der fünf civitates (‘organisierte Gemeinschaften’) der Lugier (siehe den Artikel Wandalen im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) genannt. Ebd. 43,4 hat F. Puteolanus a. 1475 für das verderbte alii (daneben in zwei Codices die lectio difficilior arii) die Konjektur ‹H›arii vorgeschlagen, was weithin akzeptiert worden war. Dagegen wollte Frahm (1934, S. 438) animi (Gen.) herstellen, das modifiziert Lund (1988, S. 226 f.) zu animis (Abl.). Städele (1990, S. 259) verwirft diese beiden Konjekturen – wohl zu Recht –, da an dieser Stelle ein Ethnonym im Nom. Plur. vorauszusetzen ist; er schlägt stattdessen ‹Nahanarv›ali vor. Paläographisch leichter und inhaltlich plausibel ist der Vorschlag Timpes (1992, S. 469 f.), zu ‹Lug›ii zu bessern. Aber ‹H›arii wird doch im Auge zu behalten sein, weil es am wenigsten in die Überlieferung eingreift und die Junktur feralis exercitus 43,4 wohl als erläuternde Übersetzung von Harii aufzufassen ist. (Tacitus spielt auch sonst mehrfach auf die Bedeutung germanischer Ethnonyme an.) In c. 43,4 wäre dann mit einem Rückgriff oder ‘Nachtrag’ zu rechnen. (Eine vergleichbare Stilfigur liegt nach N. Wagner [mündlich] in Tac. Germ. 10,3 vor, wo mit est et alia observatio auspiciorum ... an auspiciorum fides 10,1 angeknüpft werde.) Bei Iulius Capitolinus, Vita Marci, c. 22 (2. Jhd. n. Chr.) will Gutenbrunner (1940, S. 27 f.) aus hi alii das Ethnonym Harii herstellen. Das bleibt unsicher. Als germ. Entsprechung von Harii ist, wie schon Grimm (1848, S. 497) erkannte, 8árjǀz anzusetzen, Nom. Plur. von germ. *8árja- mask. ‘Krieger’. Neben diesem hat *8arja- mask. ‘Heer, Schar’ existiert, beide sind suffixale Ableitungen von idg. *koro/i- ‘Kampf’ (N. Wagner erwägt mündlich, daß sie ursprünglich durch den Sitz des Akzents unterschieden waren). Daß sich eine ethnische Einheit als ‘die zum Heerhaufen gehörenden, ein Heer bildenden’ bezeichnet, kommt auch sonst vor, vgl. die keltischen

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Coriono-totae CIL VII 481 (Hexham) in Britannien, auch die germanischen Charini (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) tragen einen inhaltlich ähnlichen Namen. Weitere Literatur: Lund (1991a, bes. S. 1942); Much (1913a; 1913–1915f, S. 450 f.); Müllenhoff (1900, S. 560); Specht (1933); Städele (1990); Wagner (1987).

Helisii

(Bd. 14, 1999)

Dieses Ethnonym ist nur in der Germania des Tacitus (Germ. 43,2) belegt (im Akk. Plur.). Handschriftliche Varianten: helysios (häufig), elisios, halisionas. Am Ende liegt wohl das germ. Suffix -ja- vor, das durch lat. -io- ersetzt ist. Unklar bleibt, ob das H im Wortanfang phonetische Realität besessen hat. Für den Wortstamm rivalisieren zwei Vorschläge: Much (1929a, S. 358) will ihn mit *eliso ‘Erle’ verknüpfen. (Der Baumname könnte ursprünglich ein -iz-Stamm gewesen sein.) Der e-Vokal der ersten Silbe ist genauso im germ. Flußnamen ]A>HKC (Cass. Dio 54,33) belegt; auch anord. jƭlstr führt auf älteres *elustra-, entspr. ilstri ‘dasselbe’ auf *elis-tria- zurück (beide sind mit dem ‘Baumnamen-Suffix’ gebildet). Derselbe Stamm wird auch im Erstglied von ahd. Personennamen wie Elis-pret, Elisdrud, Elis-mot, Ilis-unc, vgl. Schatz (1935, S. 132), vorliegen, ferner in anord. Alir-gu(n)þ (hier steht ‘Erle’ metonymisch für ‘Schild’ oder für ‘Ger’, vgl. N. Wagner 1994/95b, S. 164). Da es aber germanische Ethnonyme, die von Baumnamen abgeleitet sind, sonst nicht gibt, könnte man als Zwischenstufe an einen Flußnamen *Elis(a)- ‘der erlen-bewachsene’ o.ä. denken. Dann würde das Ethnonym besagen: ‘die am Fluß Elisa Wohnenden’. Dagegen legt Schütte (1917, S. 25) die Form Halisio- zugrunde, rechnet mit sprachwirklichem H und vergleicht den Flußnamen Chalusos (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) usw. Zu einer ähnlich klingenden Namensform siehe ebd., s.v. Hel(l)usii.

Heruler

(Bd. 14, 1999)

§ 1. Philologisches. a. Der Name. Der Name dieses ostgermanischen Ethnos erscheint bei antiken Autoren seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. in mehreren graphischen Varianten, vgl. Schönfeld (1911, S. 78–80) und

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Beiträge zu Personennamen

Reichert (1987, S. 254–258). Von diesen ist Eruli bzw. GDJAD> (Prokop und Agathias) am besten bezeugt. Das in der Überlieferung gelegentlich auftauchende H am Wortanfang ist unetymologisch – wie z.B. bei ‹H›erminones. Die Variante Eluri, die Jordanes mehrfach tradiert, könnte durch den Anklang an griech. 6lADJGD0 ‘Katze’ oder _AD0 ‘Sumpf’ verursacht sein. Das Ethnonym findet sich auch als Erstglied in zweistämmigen germ. Personennamen wie Erl-wini, Erle-fredus, Erle-gardis, vgl. Kluge (1906/ 07, S. 142). Entstanden ist es wohl aus einem germanischem Appellativum, von dem sich mehrere Fortsetzer (mit verschiedenen Ablautstufen im Suffix) finden: run. erila- (mehrfach belegt, überwiegend 6. Jhd. n. Chr. Geb.; siehe den Artikel Jarl, runologisch im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) bzw. irila (mit i-Umlaut) ist wohl ein Titel, der eine herausgehobene Stellung bezeichnet, dessen genaue Bedeutung sich aber nicht erkennen läßt, vgl. Schwarz (1951, S. 156–161), Düwel (1992, S. 60 ff). – Ein comes Herila ist im 5. Jhd. in Italien inschriftlich bezeugt, vgl. Fiebiger & Schmidt (1917, Nr. 297. 298. 310). – Anord. jarl ‘Häuptling’, ae. eorl ‘Held, Fürst, Vornehmer’, as. erl ‘Mann’ gehen auf *erla- zurück, vgl. Krahe & Meid (1967, S. 87). Ihre semantischen Unterschiede werden jungen, einzelsprachlichen Entwicklungen verdankt. – Der Stamm *er- des Grundwortes *erula-, erila-, *erla- liegt mit Noreen (1920, S. 40, nach Nordenstreng) auch in anord. jara < urnord. *erǀn- ‘Streit’ vor. (Germanische Ethnien nennen sich gern ‘Kämpfer’.) Ebenfalls von *er- abgeleitet sind anord. ern ‘stark, tüchtig’, ahd. ernust ‘Eifer, Kampf, Sorge’, ferner aind. sam-ará- ‘Streit, Kampf’ (Pokorny 1959–1969, S. 327; Mayrhofer 1956–1980, III, S. 436) usw. Weitere Literatur: Bader (1994a, S. 242).

Ingwäonen

(Bd. 15, 2000)

Tacitus (Tac. Germ. 2, führt eine drei Generationen umfassende Ahnenfolge auf. Von Tuisto (siehe den Artikel Twisto im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), deum Terra editum, stamme Mannus ab, und Manno tres filios assignant, e quorum nominibus proximi Oceano Ingaeuones, medii Erminones, ceteri Istvaeones vocentur (siehe den Artikel Mannusstämme im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Diese Genealogie geht wohl auf einen germanischen Mythos zurück, der in dichterischer Form (carminibus antiquis) tradiert wurde, vgl. u.a. Wenskus (1961,

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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S. 147. 234 f.). Die drei Namen der Enkel-Generation sind nicht nur ähnlich gebildet, sondern staben auch durch vokalischen Anlaut miteinander. Unabhängige spätere Zeugnisse von ihnen gibt es nicht. Denn die Generatio regum et gentium (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) aus dem 6. Jhd. (auch ‘Fränkische Völkertafel’), die die tres filios ebenfalls erwähnt, ist keine eigenständige Quelle, sondern hat deren Individualnamen nur – etwas entstellt – aus den Verbandsnamen der Germania erschlossen (siehe den Artikel Abstammungstraditionen im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Die echte Lautung des Namens Ingwäonen ist (genauer als aus der singulären Schreibung der Germania) aus den bei Plin. nat. 4,96 und 99 vorliegenden Graphien Inguaeones, Ingyeones, Incyeones usw. zu erschließen. Aus ihnen läßt sich mit Karl Müllenhoff (1953), Gustaf Kossinna (1897, S. 307), Krause (1944a) und anderen *Ingueones herstellen. Die Graphie ae ist gegenüber e hyperkorrekt, vgl. Wagner (1982, S. 302 f.), der Vokal -oals Angleichung an lateinische Suffixe zu beurteilen. Am präzisesten hat der bei Tacitus ann. 1,60 (und öfter) belegte Name Inguiomerus, des Oheims von Arminius, die korrekte lateinische Schreibung des Wortstamms bewahrt. (e und i wechseln in lateinischen Handschriften häufig.) – Da die Cherusker zu den Ingwäonen gehörten, bedeutet der Personenname vermutlich ‘der unter den Ingwionen Berühmte’. – Dieser Befund insgesamt führt für den Namen des Verbandes auf germ. *Ingw-ijan-iz (Nom. Plur.). Das singuläre Guiones bei Plin. nat. 37,35 (siehe den Artikel Guiones im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) hat man mit verschiedenen Konjekturen heilen wollen. Heute ist der Vorschlag Rieses (1892, S. 476), zu (In)guiones zu emendieren, weithin angenommen. (Detlefsen hatte ihn seit 1885 [S. 325] mehrfach vertreten, ihn dann aber [1911, S. 309 ff.] wieder aufgegeben. Er hält da Guiones für ein akzeptables germanisches Ethnonym.) – Wenn diese Konjektur das Rechte trifft, dann bedeutet das, da die Plinius-Stelle auf Pytheas von Massilia zurückgeht, daß der Verband der Ingwäonen schon am Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr., vor der Entstehung des germanischen Gedichts, existiert hat. Diesen Schluß ziehen Wenskus (1961, S. 252) und Timpe (1995, S. 21). Germ. *Ingw-ijan-iz heißt ‘die zu *Ingwaz Gehörenden’. (Da wird -ij- vom Sievers-Edgerton-Gesetz gefordert). Zum Suffix -jan- mit individualisierendem -n- vgl. den Typ got. gud-jan- ‘zu (einem) Gott gehörend’ > ‘Priester’. Zum Namen (genauer wohl Bei- oder Zweitnamen) eines Gottes *Ingwaz vgl. Krause (1944a, S. 247), der den aschwed. Yngvi, den mythischen Stammvater des ältesten schwedischen Königshauses, heranzieht (siehe den Artikel Ing-Yngvi im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). – Die Etymologie von *Ingwaz bleibt unklar; weder die von Schnetz (1935c, S.

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Beiträge zu Personennamen

204) vorgeschlagene Deutung als ‘der Stimmgewaltige’ noch Krauses (1944) Verknüpfung mit toch. e˙nkwe ‘Mensch’ vermögen zu überzeugen. (Ältere Vorschläge bucht Schnetz 1935c, 201–204; vgl. auch 1936c, S. 91– 93.) Daß germanische Ethnonyme von Götternamen abgeleitet sind, kommt sonst nicht vor; deshalb hat man die Ingwäonen eher als Kultverband auffassen wollen. Mit Kuhn (1978b, S. 229) ist Ingwäonen wohl „der wichtigste“ der drei Namen, die beiden anderen sind sekundär an ihn angeschlossen worden. Insgesamt gilt mit Timpe (1995, S. 10): „Die Verknüpfung des Schemas mit Zeit und Raum und der Volksgeschichte ist keiner Interpretation überzeugend gelungen.“ Weitere Literatur: Detlefsen (1904); de Vries (1956a, I, §§ 329 und 449); Hünnerkopf (1954); Kauffmann (1907, S. 136); Müllenhoff (1900, S. 115); Reichert (1987).

Inkriones

(Bd. 15, 2000)

Ptolemaios (Ptol. 2,11,6 = 255 1, Mitte des 2. Jh.s n. Chr.; vgl. Cuntz 1923), überliefert als einziger ein germ. Ethnonym ><@G>DC:0, #<@G>KC:0 (weitere handschriftliche Varianten: ><KC:0, >C=G>KC:0, >H@G>C:0, auch (>IG>|C:0, vgl. Schönfeld 1911, S. 146). Er lokalisiert es B:I6Ls I: h, CDJ I|C h7CD76¼KC G^KC ‘zwischen Rhein und den zu den Abnoba gehörenden Bergen’ (siehe den Artikel Abnoba im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), nahe den Sitzen der Tenkterer. Das gleiche Suffix weisen z.B. die germanischen Ethnonyme Vangiones (zu wang ‘Wiese’), Burgiones (zu burg) oder Burgundiones (zu *burgund ‘Höhe’) auf, zu ihm vgl. Meid (1967, S. 96 ff., § 92.1). Aber das Stammwort des Ethnonyms hat bisher Rätsel aufgegeben. Zeuß (1837, S. 99) hatte Inkriones mit dem Engersgau (ostwärts von Neuwied) verknüpfen wollen. Das haben Spätere mehrfach nachgeschrieben. Aber beim Ortsnamen Engers (heute Ortsteil von Neuwied) und dem Erstglied von Engersgau (älteste Belege: a. 773 in pago Angerisgowe, a. 962 in pago Engiresgoui) liegt zweifellos mit Kaufmann (1973, S. 166 f.) der Genitiv eines zweiteiligen maskulinen Personennamens vor. Much (1893a, S. 91–93) lehnt mit Recht die Verknüpfung von Zeuß ab; doch sein eigener Vorschlag, als zugrundeliegende germ. Form *Innærjonez anzusetzen und so Anschluß an aisl. nærr ‘stark, tüchtig’ zu gewinnen, war gewiß zu kühn. Er hat ihn selbst aufgegeben.

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Much (1895a, S. 33), Kossinna (1895, S. 280), Holder (1896–1907, II, S. 745 f.), Bremer (1898, S. 825, § 95 Anm. 1), Hirt (1940, S. 314) und Schmidt (1938, S. 416 Anm. 1) wollten zu (>@G>KC:0 ‘Neckar-Anwohner’ konjizieren. Das sei die Entsprechung zu den Suebi Nicretes (siehe den Artikel Neckarsweben im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) und den Nic(t)renses der Notitia dignitatum (siehe dort im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), die beide mit lateinischen Suffixen gebildet sind, vgl. Holz (1894, S. 78; bessert Nictrenses zu *Nicerenses). Letztere Bildung ist auch epigraphisch als Suebus Necresis belegt, vgl. Much (1895a, S. 32 f.) und Gropengießer (1992, S. 94). — Diese Konjektur ist gleichfalls abzulehnen, weil sie die abseits stehende Variante zugrundelegt und zudem eine sonst unbelegte Form herstellt. Formal unbefriedigend bleibt die Erwägung Gysselings (1980, S. 33), den Wortstamm des Ethnonyms mit idg. *ail- ‘besitzen, vermögen’ (Pokorny 1959–1969, S. 298) zu verknüpfen. Eine Lösung, die formal wie semantisch überzeugt, bietet Wagner (1998a): Das Ethnonym enthält denselben germ. Stamm *inka- wie afries. ink- ‘erzürnt, jähzornig’, ags. inca ‘Widerwille, Groll, Streit usw.’, vgl. Heidermanns (1993, S. 322) und Pokorny (1959–1969, S. 13). An ihn ist das Suffix -ra- angetreten, zu dem Meid (1967, § 81) zu vergleichen ist. Von diesem Adj. *inkra- muß ein Subst. abgeleitet worden sein, das etwa ‘Erzürnung’ bedeutet hat. Als die Form des Ethnonyms, die Ptolemaios (oder seine Quelle) in ><@G>DC:0 umgesetzt haben, ergibt sich der ‘westgermanische’ Nom. Plur. *inkr-ijan-iz; er bedeutet ‘die mit Jähzorn Behafteten, die (rasch) in Kampfeswut Geratenden’. Dieser Vorschlag kommt ohne Eingriff in die Überlieferung aus und entspricht bedeutungsmäßig dem, was bei germanischen Ethnonymen zu erwarten ist. Das Ethnonym Inkriones stabt mit dem der benachbarten Intouergoi / Inþwergǀz, vermutlich sind sie gleichzeitig geschaffen worden (siehe den [hier folgenden] Artikel Intouergoi).

Intouergoi

(Bd. 15, 2000)

Nur bei Ptol. 2,11,9 ist (im Bereich der Rheingermanen) das Ethnonym #CIDJ:G überliefert. Eine genaue Lokalisierung dieser – vielleicht kurzlebigen – Gruppe ist daher nicht möglich. Much (1893a, S. 77) hat es zutreffend mit got. þwairhs ‘G<¼AD0, jähzornig’, ae. Adj. þweorh ‘cross, hostile, adverse, angry, peevish; pravus’, Vb. þwƝorian ‘Widerstand leisten’, anord. þverr ‘hinderlich, trotzig’, ahd. twerah ‘schräg, quer’ ver-

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Beiträge zu Personennamen

knüpft. Die zugehörigen Adjektive der germanischen Einzelsprachen bucht Heidermanns (1993, S. 634). In #CIDJ:G dient das griech. Tau – wie öfters – als Behelfs-Schreibung für das germanische Phonem /þ/. Die tektale Media in der letzten Silbe des Ethnonyms ist durch Verners Gesetz bewirkt. Das (die Bedeutung steigernde) Präfix in- (<*eni- ‘innen’) findet sich auch in ags. in-fród ‘sehr alt, sehr weise’, ahd. in-swarz ‘durch und durch schwarz’, dem Pflanzennamen in-suoza ‘ganz süß’, heute ‘engelsüß’, in hess. Adj. in-stolz, in-gut, nhd. In-grimm, In-brunst usw. (vgl. Henzen 1947, § 39), ferner in Personennamen wie got. Invilia (bei Jord. Get. 56,285) = /In-wilja/ ‘mit starkem Willen’ (vgl. Kaufmann 1968, S. 216) oder langob. *In-wirkjo ‘der ge– waltig Wirkende’ (vgl. Wagner 1986, S. 67–69). Zur Etymologie des urgerm. Stammes *þwerha- vgl. Bammesberger (1990, S. 254); Heidermanns (1993, S. 634); Grimm (1854 ff., S. 1084). Das Deutsche Wörterbuch (Grimm 1854 ff., S. 1086) bestimmt als Grundbedeutung des Nominalstamms: ‘mit schrägem, schielendem Blick’; von da habe sie sich zu ‘zornig, böse, scheel’ gewandelt. Intouergoi heißt demnach als rühmende Selbstbenennung ‘voller Kampfeswut’ o.ä.; als germanischer Nom. Plur. ist Inþwergǀz (mit Ton auf der ersten Silbe) herzustellen. (Der in den Codices an verschiedenen Stellen sitzende Akzent ist unbeachtlich). Weitere Literatur: Much (1900).

Istwäonen

(Bd. 15, 2000)

(Istrionen). Die bei ‘Ingwäonen’ (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) erwähnte mythische Ahnenfolge, die Tac. Germ. 2, überliefert, nennt hinter Ingaevones und Erminones die Istaevones. Aber auch hier bieten die Handschriften des Plinius (Plin. nat. 4,99) die besseren Varianten: Istriaones, Istriones, Sthriaones, Sthraeones usw. Daß sie hinter der Konsonanz -st- mehrfach -ri- aufweisen, deutet darauf, daß die lat. Schreibung Istriones die ursprüngliche ist. Deren vorauszusetzende germ. Entsprechung *Istr-ijaniz (mit demselben Suffix wie *Ingw-ijaniz) ist als ‘die zu *Istr(a)- Gehörenden o.ä.’ zu deuten. Während sich aber bei *Ingw-ijaniz und *Erminaniz der zugrundeliegende Nominalstamm in den germanischen Sprachen (speziell in Personennamen) wiederfindet, ist das bei *Istr(a)- nicht der Fall. Das wird jedoch eher auf das frühe Aussterben dieses Appellativums im Germanischen zurückzuführen

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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sein als mit Rosenfeld (1960, S. 175 ff.) darauf, daß die Gruppenbezeichnung aus einer vor-germanischen Sprache entlehnt worden wäre, die „dem Venetischen, Illyrischen und Umbrischen eng verwandt“ gewesen sei. (Daß sie ‘Männer im Heiligtum’ bedeuten soll, ist zudem semantisch kaum wahrscheinlich.) – Schon vorher hatten zahlreiche Hypothesen versucht, den Wortstamm *Istr(a)- an bekanntes Sprachgut anzuschließen; ihre Liste bis etwa 1960 gibt Rosenfeld (1960, S. 166 f.). Die meisten davon sind wertlos; das gilt auch für den Vorschlag Kuhns (1978b), der Namen wie den des Istenbergs bei Brilon und altgriech. ]#HI°C= auf Korkyra heranziehen möchte. Das sind bloße Anklänge. Nur zwei Anknüpfungen bleiben im Spiel: die von de Vries (1957, § 367), der an got. aistan ‘verehren’ erinnert und in *Istr(a)- einen „lobenden Beinamen für Wodan“ sieht. Doch ergäbe sich dann eine ‘passivische’ Auffassung des Adjektivs ‘der zu Verehrende’, die semantisch kaum überzeugt. Am plausibelsten erscheint der Vorschlag Muchs (1913–1915d, S. 181 f.), dem Wessén (1924) folgt. Er knüpft *Istr(a)- an aind. is̙irá- ‘kräftig, frisch, regsam’ und griech. ª:Gn0 an (zu diesem vgl. Peters 1980, S. 106 und 325, der für die indogermanische Grundsprache ein Adj. *isroansetzt). Auch mehrere europäische Flußnamen (vgl. Krahe 1964a, S. 55 f.) zeigen die gleiche Bildung: so die Isara, die Isen < *Isana, ein Nebenfluß des Inn. (Der gleiche Name erscheint noch in mehreren anderen Gegenden des keltischen Sprachgebiets.) Ferner entspricht der wohl thrak. g#HIGD0, der Name des Unterlaufs der Donau. (Im Germanischen – und im Thrakischen – wäre dann mit epenthetischem t zu rechnen). Dieser Bautyp ‘Suffix -ro- an reduktionsstufiger Wurzel’ war offenbar schon in der Grundsprache verbreitet, vgl. Meid (1967, § 81.1). Germ. *Istraz könnte (wie *Erminaz) Beiname eines Gottes gewesen sein. Innerhalb des Germanischen findet sein Stamm Anschluß bei as. o0ast ‘Eile, Eifer’ < *ob-aist- und dem awnord. Vb. eisa ‘einherstürmen’. (Zu diesem gehören der norwegische Flußname Eisand, das Vb. eiskra ‘rasen, toben’ und Eistia, der Name einer Riesin, vgl. de Vries 1961a, S. 98 s.v. eisa 2. Sie alle weisen aber Vollstufe des Ablauts auf.) Die Regeln der Dichtung forderten wohl, eine Dreizahl von stabenden Namen zusammenzustellen; bei ihrer Auswahl wird der Dichter – mit Timpe (1995, S. 9) — „weitgehende Freiheit“ gehabt haben. Weitere Literatur: Kuhn (1978b); Reichert (1987).

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Beiträge zu Personennamen

Jüten

(Bd. 16, 2000)

§ 1. Namenkundliches. Dies Ethnonym ist in zwei Lautformen überliefert. Für die ältere gibt es drei Zeugnisse: 1. In einem Brief des Frankenkönigs Theudebert I. an Kaiser Justinian (MGH E Merov. et Karolini aevi 1, S. 133 nr. 20; 6. Jhd.) heißt es: cum Saxonibus Euciis. 2. Gegen Ende des 6. Jh.s nennt Venantius Fortunatus (MGH AA 4,1, 1881, carm. 9 1,73) in einer Reihe personifizierter Ethnonyme den Euthio zwischen Danus und Saxo. (Die Schreibungen mit c oder th sind bloße graphische Varianten für t). 3. Das altenglische Epos Beowulf (wohl spätes 8. Jhd.) hat den Gen. Plur. Eotena und Dat. Plur. Eotenum, die meist als Ethnonym ‘Jüten’ verstanden werden; doch meint Kaske (1967), dies sei ein Appellativ, das ‘Riesen’ und dann ‘Feinde’ bedeute. Die jüngere Lautform, bei der das e zu i / j geworden ist, bietet als erster Beda venerabilis (Beda, Hist. 1,15). Nach ihm waren die Iutae (zusammen mit Angeln und Sachsen) an der Eroberung Britanniens im 5. Jahrhundert beteiligt. Dort besetzen sie im Süden die Landschaften Kent und Hampshire sowie die Insel Wight. Das altenglische Gedicht Widsith, v. 26b, nennt Yytum (Dat. Plur.). Später werden in altnordischen Quellen die Jótar erwähnt; nach ihnen hieß die Halbinsel, die sie bewohnen, Jótland (heute dt. Jütland, dän. Jylland). Für die ältere Zeit ist vorauszusetzen, daß die Jüten – wie Angeln und Sachsen – eine westgermanische Sprache gesprochen haben. Nachdem aber die Dänen in Jütland eingerückt waren, sind die dort verbliebenen Teile der Jüten allmählich zu deren westnordischer Sprache übergegangen. Etymologisch gehört das Ethnonym wohl zu anord. ytar ‘Männer, Menschen’ (Plur. mask., poet.) < *euta-, *eutjǀz, daneben *eutjaniz. Eine weitere Anknüpfung ans Griechische versucht Holthausen (1922, S. 142). (Das Ethnonym gehöre zu griech. D±960 ‘Boden, Land’, bedeute also ‘die Bodenständigen, Landbewohner’.) Weitere Literatur: Much (1913–1915h, S. 623 f.; 1920b, S. 99 f.); Schütte (1939, § 193.12).

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Juthungen (Bd. 16, 2000) § 1. Der Name. Den frühesten Beleg für das Ethnonym in dieser Lautgestalt liefert die Inschrift auf einem 1992 gefundenen römischen Siegesaltar (Augsburg, a. 260 n. Chr.), vgl. Bakker (1993); König (1997); vgl. auch Claude (1981–1983). Sie enthält den Passus ob barbaros gentis Semnonum sive louthungorum [...] caesos fugatosque. (Die Konjunktion sive präzisiert hier: ‘der Semnonen oder – genauer gesagt – Juthungen’. Bei der Graphie ‹ou› im Ethnonym Iouthungi hat griechischer Schreibgebrauch eingewirkt.) Literarische Belege finden sich mehrere bei Dexippos, F Gr Hist 100, z.B. frg. 8: ]#DJFDJ<
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Beiträge zu Personennamen

Ethnien; auch bedeutet das Ethnonym – gegen Schwarz 1956, S. 174 – nicht ‘Nachkommen der Eudusen’). Gamillscheg (1936, S. 114) erschließt für das Burgundische aus Personennamen einen Deminutivstamm *euþilo-. Zugrunde liegt ein germ. Nominalstamm *euþa-, dessen weitere etymologische Anknüpfung jedoch unklar bleibt, vgl. de Vries (1961a, S. 292). Das Suffix -ung- / -ing- tritt mehrfach in germanischen Ethnonymen auf, vgl. Hasdingi, Reudigni, Tervingi, Thuringi usw., ebenso in mittelalterlichen Geschlechternamen wie Amelungen, Nibelungen, Welsungen. Das Ethnonym bedeutet daher etwa ‘zu den Abkömmlingen gehörend’. Es könnte eine Jungmannschaft bezeichnen (siehe den Artikel Jungmannschaften im Reallexikon der germanischen Altertumskunde); jedenfalls ist es als stolze Selbstbenennung aufzufassen. Weitere Literatur: Förstemann (1900, s.v. Eutha); Much (1913–1915h, S. 624); Gutenbrunner (1936b, S. 145 f.); Müllenhoff (1900, S. 460. 578 f.).

Kananefaten

(Bd. 16, 2000)

Dies Ethnonym ist literarisch zuerst bei Velleius Paterculus 2,105,1 als Caninifati, dann bei Plinius (Plin. nat. 4,101) als Cannenefates, bei Tacitus (Tac. ann. 4,73, Tac. hist. 4,15 u.ö.) als Canninefates belegt. Dagegen geben die Stein-Inschriften, deren Zeugnis höher zu bewerten ist, da sie großteils im Sprachgebiet dieses Ethnos verfaßt und nicht durch mehrfaches Kopieren über die Jahrhunderte hinweg entstellt sind, bevorzugt Schreibungen mit a in der 2. Silbe: Can(n)anefates, daneben Cannenefates und (selten) Cannenafates und Canonefas (Sing.), sowie die kürzeren Formen Cannefates, Can(n)afates. (Hiannanafates CIL XIII 8219 ist im Anlaut korrupt). Die Belege verzeichnet Reichert (1987). Das Ethnonym lebt im heutigen Namen Kennemerland weiter, das in der niederländischen Provinz Nordholland westlich des Ijsselmeers zwischen Haarlem und Alkmaar liegt. Much (1911–1913g, S. 366) hat erkannt, daß in Kinnehem (um a. 725), Kinhem (a. 855), afries. Chinheim (a. 884) usw. eine ‘Klammerform’ vorliegt, d.h. ein ursprünglich dreiteiliges Kompositum, bei dem das mildere Glied verspart ist. Das Endglied ist -hem, -heim ‘Wohnsitz’. Diese jüngeren Zeugnisse erweisen, daß im Anlaut germ. /k/, nicht /8/ vorliegt. Die Länge des Ethnonyms deutet auf ein Kompositum. Unterschiedlich beurteilt wird, welcher Sprache es angehört. (Daß wegen des Vorkommens von f das Keltische ausscheidet, betont Much, 1911–1913g, S. 365 zu

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Recht.) Meist rechnet man mit germanischem Ursprung, – aufgrund der geographischen Lage ist er am wahrscheinlichsten. Jedoch sind mehrere der älteren morphologischen Analysen und etymologischen Verknüpfungen unannehmbar. (Oft argumentieren sie mit Wortformen, die dem Germanischen fremd sind.) Das gilt z.B. für Grimm (1848, S. 586), Laistner (1892, S. 10 f.), Holtzmann (1864b), Much (1893b, S. 152), Hirt (1894a, S. 517), Loewenthal (1925, S. 423, für das Erstglied), sowie de Vries (1956b). Schnetz (1943b, S. 206) zieht einen germanischen Nominalstamm *kanana- heran, den er aus mehreren norddeutschen Stellenbezeichnungen erschließt: a. 1007 Kananbrug, a. 1660 Cananohe (Waldstück nordwestlich von Hannover; Zweitglied ohe = Aue), ferner Kannenbrok, Kannenbusch, Kannendorf, Kannegraben, Kannemoor, Kannenthal usw. Als dessen Bedeutung nimmt er (1943, S. 148 und mehrfach) ‘Vertieftes, Niederung, Senke’ an; er sei mit dem Suffix -ăna- gebildet. Etwas abweichend vermutet Udolph (1998, S. 347 f.) ‘Wasserrinne, Bach, Graben’. Doch ist ein Stamm dieser Bedeutung bisher in keinem niederländischen Dialekt nachgewiesen. Andere Forscher wollen das Ethnonym einer nicht-germanischen Sprache zuschreiben. Kuhn (1959, S. 369) zählt es – seiner fragilen Hypothese von einem nicht-germanischen ‘Nordwestblock’ zuliebe – zu denen, die „wenigstens fremdartig aussehen“. Er zieht einen vermeintlich ‘illyrischen’ Ortsnamen Canina und die Canini campi in Ligurien bei. Bei letzteren wird jedoch eine rein lateinische Bildung (Adj. caninus zu canis ‘Hund’) vorliegen. – Schröder (1963, S. 9 f.) rechnet im Anlaut des Ethnonyms mit einem Präfix k-, das er einer ‘ligurischen’ Substratsprache zuschreibt. Aber sein Material für dies „bewegliche k-“ ist ungleichartig und ohne Beweiskraft. – Schrijver (1995) meint, das Erstglied des Ethnonyms sei eine keltische, aus einer Substratsprache entlehnte Pflanzenbezeichnung ‘Lauch, Porree, Zwiebel’ (altkymr. cennin, altkorn. kenin, altbreton. caeninn < *kannina), das Zweitglied hält er für germanisch. Doch sind weder hybride Bildungen wahrscheinlich, noch die Annahme, ein Ethnos sei nach einer Gemüsepflanze benannt worden. – Kuiper (1995, S. 76 f.) rechnet mit dem lat. Suffix -ƗtƝs, das z.B. in Arpinates, aber auch in gall. Atrebates vorliegt. *Cannanef-, für das er keine Analyse und Deutung gibt, sei der Name ihres kulturellen Zentrums. Aber zwischen vielem Verfehlten und Spekulativen bietet die ältere Forschung auch Erkenntnisse, die Bestand haben können. Bereits Zeuß (1837) hatte vorgeschlagen, hier im Ethnonym mit demselben Zweitglied zu rechnen, das die got. Komposita bruþ-faþs, hunda-faþs, þusundi-faþs, swnagoga-faþs bewahren. Mit diesem *faþ-s, Gen. *fad-is ‘Herr’ (< idg. *poti-, Pokorny 1859–1969, S. 842) rechnen ferner Grimm (1848, S. 586),

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Beiträge zu Personennamen

Holtzmann (1864b, S. 16), Müllenhoff (1900, S. 339), Schrijver (1995) und Wagner (1994/95c, S. 152 f.). Daran ist gewiß festzuhalten. (Leicht abweichend setzt Schnetz (1943b, S. 204 f.) einen konsonantischen Stamm *faþan). – Die Schreibung mit ‹t› in der letzten Silbe ist vermutlich vom lat. Suffix -ƗtƝs beeinflußt. (Entsprechend hat der lat. Bautyp Arpinas, -atis die Singularbildung Canninefas hervorgerufen.) Dagegen gibt es für das Erstglied wenigstens zwei beachtliche Ansätze: 1) Mehrere Gelehrte gelangen zum Ansatz eines germ. Nominalstammes *kanan-: a. Loewenthal (1925, S. 423) schlägt vor, im Ethnonym sei kanane (kanine, kanene) Gen. Plur. von *kanan- ‘Kahn’ mask. b. Auch Schnetz und Ohainski & Udolph (1998) erschließen aus ihrem Ortsnamenmaterial einen solchen Stamm. (Dabei bucht Schnetz 1943a, S. 146 einen brieflichen Hinweis H. Krahes, das Ortsnamenelement *kanana- sei mit dem Subst. ‘Kahn’ zu verbinden.) c. Lühr (1988, S. 204) verknüpft nhd. Kanne mit einer Reihe älterer Substantive und führt sie alle auf *kanan- zurück: anord. kani ‘Suppenschüssel’ (poet.), adän. kane ‘Boot, Schlitten’, mnd. kane ‘Fährboot’ a. 1168 usw. (Aus letzterem ist nhd. Kahn entstanden). Anord. kœna ‘kleines Boot’ (poet.) gehöre als germ. VÖrddhi-Bildung *kǀniiǀn- zu dieser Gruppe. Demnach wäre hier mit einem Bedeutungsübergang von ‘Gefäß’ zu ‘Wasserfahrzeug’ zu rechnen, der auch sonst bekannt ist. – Dieser Nominalstamm ist im skandinavisch-nordeutschen Raum heimisch, nicht aber auf den britischen Inseln; seine Etymologie steht noch nicht eindeutig fest, vgl. Lidén (1895, S. 109 Anm. 1), Breidbach (1988, S. 36 f., mit weiterer Literatur), Lühr (1988, S. 204). Daß das Erstglied von Cananefates ein Gen. Plur. ist, hatten schon Holtzmann (1864b, S. 16) und andere angenommen. Beispiele für solche Bildungen mit Gen. Plur. im Erstglied gibt aus den alten germanischen Sprachen Carr (1939, S. 316), z.B. ahd. sternen-fart ‘Lauf der Sterne’, Ortsname Frankǀnǀ-furt, den Gaunamen Frisǀnǀ-veld. (Für den Gen. Sing. vgl. bibelgot. baúrgs-waddjus ‘Stadtmauer’, 4. Jhd.) Auch die anderen indogermanischen Sprachen kennen solche Bildungen, vgl. lat. legislator ‘Gesetzgeber’, den altgriech. Ortsnamen 'JnCC=HD0 ‘Mäuse-Insel’ (< 'J|C CdHD0) usw. – Vor allem aber sind die folgenden Entsprechungen zu beachten: Altgriech. 9:HEnI=0 ist aus *dems-potis ‘Herr des Hauses’ entstanden, der Gen. Sing. *dems ist Attribut. Und der aind. Rigveda gebraucht zahlreiche Kasuskomposita, die mit pati- ‘Herr’, der Entsprechung von faþi-, gebildet sind: mit Gen. Sing. im Erstglied z.B. vƗcás pátir ‘Herr

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der Rede’ (Beiname von Göttern), neben dem archaischen viĞ-pƗ´ti steht im Rigveda viĞám̙ viĞpáti, das mit Renou (1955, S. 52) Ersatz für *viĞƗm̙páti‘Herr der Untertanen’ ist. – Dies Syntagma ‘*poti- + vorangestelltes Genitivattribut’ und seine Univerbierung wäre also in drei nicht-benachbarten indogermanischen Sprachen bezeugt; das könnte darauf hinweisen, daß mit ihm schon in der Grundsprache Rangbezeichnungen gebildet worden sind. – Bei den nur viersilbigen Formen Cananefates usw. ließe sich entweder an Synkope / Haplologie denken oder daran, daß sie im Erstglied den (regelrecht) verkürzten n-Stamm enthalten, so daß in ihnen ein normales Determinativkompositum vorläge. Eine Gesamtdeutung des Ethnonyms als ‘Herren der Boote’ würde gut auf diese küstenbewohnenden Germanen passen. Von ihrem Anführer Gannascus, qui natione Canninefas, berichtet Tacitus (Tac. ann. 11,18), daß er levibus navigiis praedabundus Gallorum maxime oram vastabat. (Diese Schiffe waren dank ihrer leichten Bauweise zu schneller Fahrt – und damit zur Piraterie – geeignet. Ebd. nennt Tacitus diese Boote auch lunter ‘feines Boot’.) – Doch bleiben bei dieser Deutung zwei Schwierigkeiten: a. die Form des Gen. Plur. auf -e ist nur im Gotischen bezeugt (hananƝ ‘der Hähne’), während die anderen germanischen Sprachen Formen mit -ǀ haben, b. die Doppelschreibung ‹nn› nach der ersten Silbe bleibt unerklärt. 2) Demgegenüber setzt Wagner (1994/95c, S. 152 f.) als Erstglied des Ethnonyms *kannina- an, ein Adjektiv mit Suffix -ina- (wie im Ethnonym Bucino-bantes, in Scadin-avia usw.). Dessen Stamm findet er im got. Personennamen Canna-baudes (Reichert 1987, S. 168) wieder; mit ihm vergleicht er das gall. Namenselement -gonno-, ferner griech.
Kimbern

(Bd. 16, 2000)

Seit dies Ethnos gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. im Gesichtsfeld der Römer auftaucht, ist sein Name bekannt: lat. Cimbri, griech. %¼B7GD>. Graphische Schwankungen finden sich nur wenige (Cymbri, %¼B7G>D>, %^B7GD>). Die früheste literarische Bezeugung des Ethnonyms gibt Caesar (Caes. Gall. 1,33 und 40). Plut., Marius 15,4, der wohl aus den h#HIDG¼6> des Poseidonios schöpft, nennt nebeneinander %¼B7GD>, .:sIDC:0, gB-

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Beiträge zu Personennamen

7GKC:0. Das älteste epigraphische Zeugnis für das Ethnonym liefert das Monumentum Ancyranum 26 (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde); es nennt im Zusammenhang mit einer unter Tiberius durchgeführten römischen Flotten-Expedition Cimbrique et Charydes et Semnones et eiusdem tractus alii Germanorum populi. Auf dem Toutonenstein in Miltenberg (CIL XIII 6610) ist das C wahrscheinlich als Anfangsbuchstabe von Cimbri zu verstehen, vgl. z.B. Norden (1934, S. 195–213). Weitere Quellen äußern sich – freilich nicht sehr genau – zu Wohnsitzen der Cimbri; so erwähnt Plinius (Plin. nat. 4,14) das promunturium Cimbrorum, Ptol. 2,11,2 entsprechend die %>B7G>@ 8:GHnC=HD0; ebd. II 11,12 werden die dortigen Kimbern als EUCIKC 9` G@I>@°I6ID> bezeichnet. Bei Tacitus (Tac. Germ. 37) heißt es: Eundem Germaniae sinum proximi Oceano Cimbri tenent, parva nunc civitas, sed gloria ingens. Das Ethnonym ist demnach im Norden Jütlands erhalten geblieben, vermutlich dadurch, daß auch nach dem Wegzug großer Gruppen Reste dieses Ethnos dort wohnen geblieben waren (ebenso wie der Charydes [siehe unter Haruden im Reallexikon der germanischen Altertumskunde] und der Teutonen). Dazu stimmt die Notiz Strab. 7,293 @6½ IC 8°G6C, C :º8DC EGnI:GDC ‘denn auch jetzt (noch) haben sie das Land inne, das sie (schon) früher besaßen’. Ein vom Ethnonym mit Hilfe lateinischer Suffixe abgeleitetes Adjektiv erscheint im Main-Neckar-Raum mehrfach als Beiname des Gottes Mercurius: Cimbrianus, Cimabrianus (mit sekundärem Sproßvokal), Cimbrius, vgl. Gutenbrunner (1936b, S. 212). Auch hier wird man damit rechnen müssen, daß Restgruppen in diesen Gegenden verblieben oder absichtlich zurückgelassen worden sind. In antiken Quellen findet sich mehrfach eine Deutung des Ethnonyms: Plutarch, Marius c. 11,3 behauptet, pI> %¼B7GDJ0 aEDCDBUNDJH> !:GB6CD½ IDv0 A¬HIU0 ‘daß die Germanen die Räuber ›Kimbern‹ nennen’; dagegen sagt Verrius Flaccus (bei Paulus e Festo 43), Cimbri lingua Gallica latrones dicuntur. Doch kennen weder die keltischen noch die germanischen Sprachen ein anklingendes Substantiv mit der Bedeutung ‘Räuber’. (Trotzdem hat man mehrfach versucht, in den keltischen Sprachen Vokabeln zu finden, die diese antiken Angaben stützen könnten; schon im 19. Jhd. hatte W. Stokes vorgeschlagen, das Ethnonym an mir. cim(b) ‘Tribut, Silber’ anzuknüpfen, vgl. Müllenhoff (1906, S. 117 Anm.). Das greift d’Arbois de Jubainville (1904, S. 207 f.) auf. Er erwägt, neben air. cimbid ‘Gefangener, zum Tode Verurteilter’ (< *kimbito- Part. Pass.) ein aktivisches *kimb-ro- ‘der gefangen nimmt’ anzusetzen. Ihm folgen Guyonvarc‘h (1959, S. 294), der aber die lautlich-formalen Schwierigkeiten dieser Etymologie durchaus feststellt, und Jung (1993, S. 137). Doch auch die

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Bedeutungs-Seite bleibt schwierig: die belegten irischen Wörter gehören zu einer Wurzel, die ‘wechseln, tauschen’ bedeutet, vgl. Pokorny 1959–1969, S. 918; Vendryes 1987, S. 99 f.). Von da führt kaum eine semantische Brücke zu ‘Räuber’. – Eher mag umgekehrt das Ethnonym Cimbri zornigverächtlich als Synonym für ‘latro’ verwendet worden sein; zu solchen Verwendungen von Ethnonymen als Appellativa vgl. etwa Kroate > dän. krabat ‘grober Kerl’ oder frz. bohèmien ‘Böhme’ (auch ‘Zigeuner’), dann ‘Künstler mit unkonventioneller Lebensweise’. – Poseid., F Gr Hist 87 F 31 (= Strab. 7,293) identifiziert Κ¼B7GDι zu Unrecht mit dem Ethnonym Κιμμ^G>D>. Die moderne Forschung hat mehrere verschiedene Deutungen des Ethnonyms vorgeschlagen, wobei germanische Wortstämme herangezogen werden. Eine von Müllenhoff (1906, S. 118) erwogene, von Laistner (1892, S. 30 f.) abgelehnte Verknüpfung des Ethnonyms mit nhd. Kimme ‘Rand, Horizont’, ahd. bikimpida ‘Leichenklage’ greifen Matthias (1904) und Schönfeld (1911) wieder auf; das Ethnonym bezeichne ‘die am Meeresrand Lebenden’. (Aber das ahd. und das nhd. Subst. gehören kaum zusammen. Zum ahd. Stamm kimbi- in bikimbida, bikim-bot, einkimbi vgl. Loyd 1988, II, S. 1003 f.; er hat vermutlich die Grundbedeutung ‘Erdhaufen, Hügel’. Dagegen sind Kimme, ags. rimbing, engl. chime, chimb vielleicht mit Kamm verwandt). Demgegenüber setzen die meisten Versuche – wohl zu Recht – voraus, daß die Schreibung mit griech. Kappa bzw. lat. c das germ. Phonem /8/, den stimmlosen tektalen Spiranten, bezeichnen solle – wie in Caesia silva und dem Flußnamen Vacalus. Das könnte eine ältere, weniger genaue graphische Wiedergabe sein. So stellt Graff (1846, IV, S. 405 f.) das Ethnonym – trotz des abweichenden Vokalismus in der Stammsilbe – fragend zu ahd. chumbirra ‘tribus’, mhd. kumber ‘congeries, moles’, als ‘die sich drängende Masse’. Ihm folgt Laistner (1892, S. 30 f.). (Dies Substantiv ist aber erst im Mittelalter aus dem Französischen bzw. Gallo-Romanischen entlehnt worden.) – Keiner dieser Ansätze kann als überzeugend gelten. Seit dem 17. Jahrhundert hat man das Ethnonym Cimbri mit den dänischen Landschaftsnamen Himmerland (in Jütland, südlich des Limfjords), Himersysel (a. 1231 Himbersysæl) und der Einwohnerbezeichnung Himmerboer, Himboer verknüpft, vgl. Schütte (1939, § 193.9). Das haben dann mehrere Spätere aufgenommen. Zwar sind die dänischen Bezeichnungen erst seit dem 12./13. Jahrhundert bezeugt; aber es wäre Überkritik, ihren Zusammenhang mit dem Ethnonym zu bestreiten. Sie sprechen deutlich für seine germanische Herkunft. Weitere anklingende Orts- oder Geländebezeichnungen finden sich in Schweden (Himmerfjärden in Södermanland, Hymber in Nerke, Himbran

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in Uppland). Da sie so weit in Skandinavien verbreitet sind, können sie kaum vom Ethnonym abgeleitet sein. Deshalb ist Karstens’ (1928, S. 148) Deutung zu erwägen, das Ethnonym bedeute ‘Leute vom Himmerland’. Noreen (1920, S. 23 f.) hatte vorgeschlagen, das Ethnonym Cimbri mit dem aisl. Vogelnamen himbrin ‘Eis-Lumme, colymbus glacialis’ zu verknüpfen. Das könnte in modifizierter Form weiterhin gelten. Da himbrin wohl zu der gleichen Wurzel gehört, die auch im norw. Bergnamen Himing (Telemark) und (mit s-mobile im Anlaut) in nhd. Schemen, Schimmer und schimmern, ae. scymrian usw. vorliegt, wäre der Vogel als ‘der weißliche, helle’ bezeichnet worden. Diese Farbbezeichnung könnte auch dem Landschaftsnamen zugrunde liegen. Weitere Literatur: Beckers (1939, bes. S. 80); Goetz & Welwei (1995); Ihm (1899b, bes. S. 2551 f.); Lloyd et al. (1988); Much (1928c, S. 368; 1893c, S. 214 ff.; 1895b, S. 13 f.; 1967); L. Schmidt (1938; 1940); Schwarz (1956); Timpe (1994); Zeuß (1837, S. 141 f.).

Lepontier

(Bd. 18, 2001)

Nach antiken Quellen (Caes. Gall. 4,10; Plin. nat. 3,134 f.; Strab. 4,204 C) haben die Lepontier (&=EnCI>D>) im Nordwesten der Gallia Cisalpina gewohnt. (Auch die Triumph-Inschriften des Augustus am Tropaeum Alpium [CIL V 7817] erwähnt sie.) Ihr Ethnonym ist mit Prosdocimi (1987) keltisch deutbar; indogermanisch-grundsprachlich entspräche *Leikjontio‘zugehörig zu denen, die (ihre Heimat) verlassen’, d.h. ‘Auswanderer’ (suffixale Ableitung von einem Part. Präs. Akt.). Die Valle Leventina, das Livinental im Tessin, trägt noch heute ihren Namen. Die Lepontier sind Träger der eisenzeitlichen Golasecca-Kultur, die aus dem westalpinen Zweig der Urnenfelderkultur (siehe den Artikel Urnenfelderkultur im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) hervorgegangen ist. Später (nach a. 400, infolge einer starken Invasion aus Gallien) herrscht auch bei den Lepontiern die Latènekultur (siehe den Artikel Latènekultur und Latènezeit im Reallexikon der germanischen Altertumskunde; Solinas 1995; Staehelin 1948). Die lepontischen Inschriften konzentrieren sich in dem Bereich zwischen Lago d’Orta, dem oberen Lago Maggiore, Luganer und Comer See im Süden der Tessiner Alpen (vgl. z.B. de Hoz 1992; Lejeune 1971; Lejeune 1988; Tibiletti Bruno 1981). Eine Karte bietet Frei (1995, S. 516). Das Corpus der Inschriften hat Granucci (1975) publiziert. – Die über 100

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(meist ganz kurzen und überwiegend linksläufigen) lepontischen SteinInschriften (und 16 Münzlegenden) reichen vom 6.–1. vorchristlichen Jahrhundert (a. 600–400 ‘Früh-Lepontisch’, a. 400–200 ‘Mittel-Lepontisch’, a. 200–1 ‘Spät-Lepontisch’). Danach ist das Gebiet völlig latinisiert. Das benutzte Alphabet (in einer älteren und einer jüngeren Variante) gehört zur nordetruskischen (‘alpinen’) Schriften-Gruppe. Da es nur 14 reguläre und vier selten benutzte Zeichen besitzt, kann es die Artikulationsart der Verschlußlaute nur unzureichend angeben, so ist lat. legatus als lekatos geschrieben, der Personenname Drnjti-gnos ‘Sohn, Nachkomme des Drnjtos (‘Stark’)’ als Trutiknos, das Namens-Zweitglied -bogio- ‘Zerbrecher, Besieger’ als -pokio- oder -poȤio-. Die lepontische – gelegentlich auch ‘luganisch’ genannte, vgl. Lejeune (1972) – Sprache ist – nach neuesten Forschungen, vgl. Eska (1998) – nicht eine eigenständige keltische Sprache, sondern einer der gallischen Dialekte Frankreichs und Norditaliens; mit ihnen hat es z.B. die alten Labiovelare zu Labialen gewandelt, vgl. außer dem Ethnonym selbst etwa noch piuot /bƯvont-/ ‘lebendig’ aus idg. *gjƯuont-. Infolge seiner Randlage (und der frühen Bezeugung) sind im Lepontischen aber den anderen gallischen Dialekten gegenüber manche Altertümlichkeiten bewahrt, z.B. das -m im Auslaut, vgl. palam ‘Stein’, Akk. Sing. oder die Endung -ei des Dat. Sing. – Untermann (1960, S. 308) weist darauf hin, daß die einheimischen Personennamen des Mailänder Gebiets und die der lepontischen Inschriften demselben Namengut angehören. Das lepontische Sprachgebiet hat also vermutlich in früher Zeit weiter nach Süden gereicht, als die Inschriften anzeigen (vgl. auch Meid 1999; Solinas 1992/93; Uhlich 1999). Bei ihrer Einwanderung haben die Lepontier eine ansässige Bevölkerung überlagert, die wohl einen rätischen Dialekt sprach (siehe den Artikel Raetische Sprache im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Dieses Substrat hat Spuren in ihrer Sprache hinterlassen, z.B. das Suffix -al (oder thematisiert -alo-) der Patronymika (Tunal, Tanotalos). Weitere Literatur: Eska & Evans (1993); Motta (1992).

Liburnische Sprache

(Bd. 18, 2001)

Die Sitze dieses Ethnos (gens) lagen nach Plinius (Plin. nat. 3,139) in römischer Zeit zwischen den Flüssen Titius (heute Krka) im Süden und Arsia (heute Raša) im Norden, d.h. im nördlichen Dalmatien (heute Kroatien). (Eine über die Adria nach Westen ausgewanderte Teilgruppe von ihnen

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Beiträge zu Personennamen

sind wahrscheinlich die von Plinius, Plin. nat. 3,110, beim Ort Truentum in Picenum erwähnten Liburni.) In dem norddalmatinischen Raum, der frühzeitig und intensiv romanisiert worden ist, finden sich lateinische Inschriften (CIL III und 2 Supplemente), die im l. Jahrhundert v. Chr. einsetzen und einheimische Personen- und Ortsnamen enthalten. Inschriften in epichorischer Sprache (oder Glossen) existieren nicht. Auf Grund dieses onomastischen Materials hat Rendiü-Mioþeviü (1955) in diesem Gebiet eine eigenständige Namengebung, eine ‘Namen-Landschaft’, nachweisen können, die daher ‘liburnisch’ genannt wird. Im Westen gehören die Inseln Curicta (heute Krk), Crexi (heute Cres) und Arba (heute Rab) dazu, im Nordosten verlief seine Grenze vermutlich auf dem Kamm des Velebit-Gebirges, im Süden etwa beim heutigen Sibenik. – An Personennamen sind z.B. tradiert: Aetor, Ceunus, Cliticus, Curticus, Damocus, Lambicus, Oplus, Raecus, Suioca, Turus, Vadica, Verica, Viniocus, Volso, Voltimesis, Voltissa, Zupricus usw., an Ortsnamen Aenona, Alvona, Flanona, Fulfinium, Lopsica, Ludrum, Scardona, sowie die Namen der Göttinnen Iutossica, Latra, Sentona. An Ethnonymen überliefert Plinius (Plin. nat. 3,139) u.a. Mentores, Himani, Enchelaeae, Peucetii. (Doch ist die Zugehörigkeit v.a. der Personennamen zur ‘liburnischen Sprache’ nicht immer zu sichern, da es in diesem Raum zweifellos Zuwanderer aus verschiedenen Nachbargebieten gegeben hat.) Alföldy (1964, bes. S. 66–75) und Križman (1990) nehmen an, daß zwischen dem liburnischen und einem venetisch-istrischen Areal so enge Beziehungen bestanden haben, daß sie als ‘nordadriatisches Namengebiet’ zusammengefaßt werden könnten. Ihre Argumente dafür sind: a. Eine Person trägt zwei Namen, den Individualnamen und den Gentil namen (nicht den Vatersnamen, wie z.B. in Südost-Dalmatien üblich), b. das Vorkommen von typischen Wortstämmen und Suffixen. Doch scheint das Liburnische eine gewisse Eigenständigkeit besessen zu haben, und auch seine (etwas weniger enge) Verwandtschaft mit den südlich angrenzenden Sprachen ist wahrscheinlich. Dennoch war es verfehlt, diesen ganzen Streifen westbalkanischer Sprachen mit der Sammelbezeichnung ‘illyrisch’ (siehe den Artikel Illyrier im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) zu belegen, wie das seinerzeit Pokorny, Krahe (1946 und öfter) und jetzt Wilkes (1992) getan haben. (Die Römer hatten aus verwaltungspraktischen Gründen eine ihrer Provinzen Illyricum benannt, das wirkliche Siedlungsgebiet der Illyrier war jedoch viel kleiner.) – Weitere Beziehungen bestehen vermutlich zu den westindogermanischen Sprachen, z.B. denen der Apennin-Halbinsel. Ferner hat es nach Krahe (1957b) und Duridanov (1992) Gemeinsamkeiten zwischen dem Liburnischen – und

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anderen indogermanisch-westbalkanischen Idiomen – und den baltischen Sprachen gegeben. Weitere Literatur: Katiþiþ (1964).

Ligurer

(Bd. 18, 2001)

Als Heimat der &¼<J:0, Ligures, einer gens antiqua, nennen antike Autoren die Küstenzone der Gallia Narbonensis, am Golf von Genua, doch scheint ihr Siedlungsgebiet ursprünglich erheblich ausgedehnter gewesen zu sein – von Nord und Mittelitalien (Pisa und Arezzo) vielleicht bis Korsika und Elba, ferner über Südfrankreich (am rechten Rhone-Ufer und Aquitanien) bis nach Spanien (vgl. del Ponte 1999; Sicardi 1981; Tibiletto Bruno 1982; Vetter 1926; Vilar 1996). Hekataios (F Gr Hist l F 55) nennt Massalia eine EnA>0 Id0 &><JHI>@d0. Die antiken Hinweise auf Ligurer in diesen Gegenden hat Krahe (1936a, S. 249 f.) zusammengestellt. Im Bereich der Küstenzone lassen sich neben Spuren des Gallischen und des Iberischen (Untermann 1969), die vor der vollständigen Romanisierung dort gesprochen wurden, noch ältere Zeugnisse einer (oder zweier) Sprache(n) nachweisen, freilich ausschließlich in Ortsnamen, Gewässernamen und Personennamen (und ganz wenigen Glossen). Auf sie wendet man heute die Bezeichnung ‘ligurisch’ an. Texte in diesen Idiomen gibt es nicht. (Vor wenigen Jahrzehnten wurden von mehreren Forschern die lepontischen Inschriften (siehe den Artikel Lepontier im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) den Ligurern zugerechnet; das hat sich als unzutreffend herausgestellt.) Zahlreiche epichorische Namen liefert die Sententia Minuciorum (CIL V 7749, a. 117 v. Chr., Fundort nahe Genua) : flovium Veraglascam, flovium Tulelascam, flovium Neviascam, rivom Vinelascam, fontem Lebriemelum, iugo Blustiemelo, montem Claxelum usw. Verwandtes Material bietet die Tabula Alimentaria von Veleia (CIL XI 1147, zwischen a. 102 und 113 n. Chr., Fundort nahe Piacenza): Orte namens Areliascum, Caudalascum, Barga, Lubelius, Nitelius, Poptis und Höfe (fundi) namens Tuppelium, Buelabras usw. – Das mehrfach auftretende Suffix -asco- gilt als ‘Leitsuffix’ der (oder einer) ‘ligurischen’ Sprache; seine Verbreitung reicht weit. Bei mehreren dieser Namen hat man Etymologien vorgeschlagen, die auf eine eigenständige indogermanische Sprache deuten würden, z.B. für den Bergnamen Beri-giema ‘Trage-Schnee’ den Flußnamen Com-ber-anea ‘aus einem Zusammenfluß entstehend o.ä.’ und den Gewässernamen Por-

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Beiträge zu Personennamen

co-bera ‘Lachse führend’ (Rix 1950, S. 39 f.). (Dieser ist – wegen des erhaltenen idg. /p/ – gewiß nicht-keltisch). Andere Namen dagegen machen einen nicht-indoermanischen Eindruck, so daß man in diesem Fall mit einer Substratsprache rechnen möchte (‘Proto-Ligurisch’). Ihr schreibt man oft auch das Suffix -asco- zu. Weitere Literatur: Ferro (1964); Lejeune (1971).

Lugier

(Bd. 19, 2001)

§ 1. Namenkundliches. Das Ethnonym bezeugt zuerst Strabon (Strab. 7,1,3) als &DJ‹<›¼DJ0 (Akk.), dann Tacitus (Tac. Germ. 43,2) als Lugii. (Die abweichenden Varianten der Handschrift haben keinen sprachwissenschaftlichen Wert, vgl. Müllenhoff 1900, S. 564 f.). Entsprechend gibt Dio Cassius (Cass. Dio 67,5,2) &s<>D>. Bei &Dy (bei Ptol. 2,11,20) ist das Fehlen des Iota wohl nur Schreibfehler. – Belege für eine n-stämmige (‘schwache’) Variante des Ethnonyms bieten vielleicht die späteren Zeugen Zosimos (Zos. 1,67: &D<<¼KC60 bFCD0 !:GB6C>@nC; um 500 n. Chr.), das vermutlich zu &D<¼KC60 oder &DJ<¼KC60 (Akk. Plur.) zu emendieren ist, und allenfalls die Tabula Peutingeriana (4. Jhd.), wenn da Lupiones für Lugiones verschrieben ist. Vgl. insgesamt Schönfeld (1911, S. 157 f.) und Reichert (1987, S. 478). Tacitus (Germ. 43,2) sagt vom nomen Lugiorum (etwa: ‘der Gesamtheit der Lugier’), daß es latissime patet (‘den weitesten Geltungsbereich habe’) und in plures civitates diffusum sei (‘aus mehreren Einzelstämmen bestehe’). Entsprechend lassen sich die bei Ptolemaeus gebuchten Junkturen &Dy Dª DyGD> (Ptol. 2,11,20 = 263,1 Cuntz 1923) sowie &Dy Dª DyCD> (bzw. nach Cuntz 262,1 #9DyCD>) und &Dy Dª ])B6CD> 2,11,18 (bzw. nach Cuntz 261,6 ]#DB6CCD>) verstehen: auf den Namen des Gesamtverbandes folgt jeweils der des Teilstammes. Für das Ethnonym Lugier hat man verschiedene Etymologien vorgeschlagen. Pokorny (1936a, S. 318), der Kögels (1894b, S. 316) Anknüpfung an lit. liNJgas ‘Pfütze, Sumpf, Moor’ aufgriff, wollte es als ‘illyrisch’ bestimmen. (Das hing mit der von Hans Krahe und ihm ausgelösten räumlichen Überdehnung des ‘Illyrier’-Begriffs zusammen.) Diesen Vorschlag haben dann mehrere Gelehrte aufgegriffen, auch Wenskus (1961, S. 503), der davon spricht, daß das Ethnonym aus einer ‘vorgermanischen’, ‘zentraleuropäischen’ Sprache stamme. Heute darf das als erledigt gelten. Zudem werden die Lugier bei Strabon als B^<6 bFCD0 bezeichnet, daher ist mit einem umfangreichen Siedlungsgebiet zu rechnen, wozu eine Bezeich-

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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nung ‘die an einem Sumpf Wohnenden’ kaum passen will. – Gegen eine Erklärung des Ethnonyms aus dem Slawischen hat sich mit Recht Vasmer (1958) gewandt. Zu erwägen bleiben Herleitungen des Ethnonyms aus dem Germanischen oder dem Keltischen. Drei Namen von Teilstämmen sind sicherlich germanisch (Harii, Helisii und Buri [s. die Artikel Harier, Helisii im Reallexikon der germanischen Altertumskunde]; letzteres Ethnonym gehört zu got. baúr, anord. byrr, ags. byre mask. ‘Sohn’, vgl. auch den Personennamen Buri der nordischen Mythologie.). Dagegen deuten bei Nahanarvali das Zweitglied -vali, bei Victovali wohl beide Glieder auf keltischen Ursprung. Ferner wird in Much (1967, S. 479) darauf hingewiesen, daß für die Latènezeit im Siedlungsgebiet der Lugier mit Kelten zu rechnen sei. Deshalb könne das Ethnonym „vielleicht überhaupt keltisch“ sein. Schon Holder (1904, S. 306) hatte das für möglich gehalten. Nun hat es eine Wurzel *lug- / *leug- ‘beschwören, sich vertraglich binden’ gegeben, die nur im Keltischen und Germanischen nachweisbar ist. (Für das Keltische vgl. altir. lu(i)ge < *lug-io-, kymr. llw, bret. le, für das Germanische ahd. ur-liugi < *uz-liugja- ‘Krieg, vertragsloser Zustand’, afries. logia ‘heiraten’, got. liuga ‘Ehe’, fem. ǀ.) Nach Lehmann (1986, S. 235), der auf Arbois de Jubainville (1889–1891, S. 292) fußt, haben die Germanen sie aus dem Keltischen entlehnt. Doch scheint auch möglich, daß beide Sprachgemeinschaften diese (ablautende) Wurzel gemeinsam neu geprägt bzw. einer vorhandenen eine neue Bedeutung verliehen haben. In jedem Fall müßte das wesentlich früher als die Schaffung des Ethnonyms geschehen sein – in der ‘proto-germanischen’ Epoche –, da sie sich sowohl im Ost- wie im Westgermanischen findet. Ein *lugio- / lugia- oder *lugo- /Ɨ- ‘Eid’ würde als Stammwort des Ethnonyms gut passen: das von ihm abgeleitete *Lugjǀz hieße mit Much (1915–1916b, S. 168 f.) ‘die zu einem Eidverband gehörigen’ bzw. mit Schwarz (1956, S. 68), der das Ethnonym aber für „vorgermanisch, vielleicht keltisch“ hält, ‘Eid-Genossen, die sich durch Eide zur Erreichung bestimmter Ziele zusammengeschlossen haben’. Das Ethnonym könnte auf die feierliche Verpflichtung hinweisen, die den Zusammenschluß mehrerer civitates besiegelt hätte. Dann wäre es jünger als die Namen der Einzelstämme. (Zum Benennungsmotiv vgl. das kelt. Ethnonym Condrusi.) So bleibt für das Ethnonym sowohl keltische wie germanische Herkunft zu erwägen; für die letztere würde es sprechen, wenn neben der ‘starken’ Form auch mit der ‘schwachen’ zu rechnen wäre: &DJ<¼KC:0 wie Frisiones, Gotones, Francones, Sing. Euthio usw. – Much (1920b, S. 123) weist daraufhin, daß das Ethnonym von germanischen Nachbarn als ‘Lügner’ mißdeutet werden konnte.

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Beiträge zu Personennamen

Mehrere andere Namen hat man noch mit dem Ethnonym Lugii verknüpfen wollen: a. Sicher unzutreffend ist das beim keltischen Ethnonym &Dy, das Ptol. 2,3,8 für Schottland bezeugt; es wird zu kelt. *lugo- ‘schwarz, Rabe’ gehören, vgl. Ahlquist (1974–1976). b. Much (1889, Anm. und 1920c, S. 174) hat auch im Erstglied des anord. Logafjell (Edda) mit dem Ethnonym gerechnet. Doch gehört dieser Gebirgsname wahrscheinlich zu anord. logi ‘Flamme’. c. Den Personennamen Lugius, den nach Oros. 5,16,20 f. ein König der Kimbern trägt, wollten Zeuß (1837, S. 124 Anm.) und spätere mit dem Ethnonym identifizieren; das ist denkbar, zumal weil bei Orosius neben ihm ein König Boiorix genannt wird, dessen Name ein (keltisches) Ethnonym enthält. Doch bleiben andere Möglichkeiten im Spiel: der Personenname könnte zum Appellativum ‘Eid’ gehören, ferner zum keltischen Götternamen Lug oder zum Adj. *lugu- ‘schwarz’. Vgl. dazu Menzel (1960, S. 79–81). Weitere Literatur: Schönfeld (1893–1978).

Marsen

(Bd. 19, 2001)

§ 1. Namen kundliches. Drei Ethnonyme weisen offenbar den gleichen Wortstamm auf: 1) Das Ethnonym Marsi / M6GHD¼ findet sich zuerst bei Strab. 7,290 C, dann bei Tacitus (Tac. ann. 1,50,4; 1,56,5; 2,25,1; Tac. Germ. 2,2, wo es zu den vera et antiqua nomina gezählt wird), ferner bei Plutarch (Plut. Sulla 4,2) sowie inschriftlich CIL VI 8805 u.ö., vgl. Reichert (1987, S. 493 f.). Die Marsi sitzen an der oberen und mittleren Ruhr. Nach schweren Niederlagen gegen die Römer verlieren sie an Bedeutung. (Die singuläre Form '6JGDJH¼DJ0 bei Dio Cassius [Cass. Dio 60,8,7, ed. Boissevain], die zweifellos ein germanisches Ethnonym enthält, ist vermutlich als eine versehentliche graphische Kontamination von M6GHDs0 und =GDsH@DJ0 aufzufassen.) Den germ. Wortstamm *mars- stellen Müllenhoff (1900, S. 126) und Much (1893b, S. 144 und 148) sicherlich zutreffend zu got. marqan ‘H@6C96A¼N:>C, jemanden schwer ärgern, kränken’. Aus anderen germanischen Sprachen vgl. ahd. marran, merren ‘stören, behindern, verletzen, schaden’, marrunga ‘impedimentum, dilatio’, as. merrian und ags. mierran ‘hindern’.

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Zur idg. Wurzel *mer-s- vgl. Pokorny 1959–1969, S. 737 f.). Das Ethnonym wird daher etwa bedeutet haben ‘die ihren Feinden zu schaffen machen’. (Müllenhoff 1900, S. 126 übersetzt: ‘die Aufsässigen, Trotzigen, Schlimmen’.) Formal dürfte es zu den (ǀ-stämmigen) nomina actoris vom Typ got. wraks ‘Verfolger’ (zu wrikan), anord. þrapr ‘Schwätzer’ gehören, den Meid (1967, § 68) bucht. Andere Deutungen sind demgegenüber auf der formalen Seite schwächer: Kögel (1893a) möchte das Ethnonym mit ahd. marisc ‘Sumpf’ verknüpfen, Loewenthal (1923) mit aind. márya- ‘junger Mann’, Gysseling (1980, S. 29) es von der idg. Wurzel *mer- ‘schwarz’ (Pokorny 1959–1969, S. 734) ableiten. (Aber für diese lassen sich weder im Germanischen noch sonst in einer indogermanischen Einzelsprache Erweiterungen mit -snachweisen.) Zeuß (1837, S. 86) erinnert an Ortsnamen wie Marsiburc, Mersiburc, Marsana. Doch ist deren Zugehörigkeit zum Ethnonym durchaus fraglich. Weitere Ortsnamen und Gewässernamen mit dem Stamm mars- o.ä. bucht Udolph (1981, S. 42–44). Mindestens einige davon werden aber zu idg. *mori ‘Meer, stehendes Gewässer’ bzw. dessen Ableitungen gehören. Denselben Wortstamm mars- mit je verschiedener suffixaler Erweiterung weisen zwei weitere germanische Ethnonyme auf: 2) Marsigni, das nur bei Tacitus (Tac. Germ. 43,1) belegt ist. Da ist -ignlat. Schreibung für -ing-. Dies Suffix meint wohl ‘Abkömmlinge von’, vgl. die Thuringi (zu Ermun-duri; siehe dort im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) und Ju-thungen (zu Eutii; siehe den Artikel Eutii, Eucii im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). 3) Marsaci(i). Tacitus (Tac. hist. 4,56,3) nennt sie zusammen mit den Canninefaten (siehe den Artikel Kananefaten im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), Plinius (Plin. nat 4,101 [an der Rheinmündung], 4,105 f.), ferner CIL XIII 8303, 8317, 8630 ([M]arsacis), vgl. Reichert (1987, S. 494). CIL VI 3263 gibt die (rein graphische) Variante Marsaquio (Dat. Sing.). Im Mittelalter ist Marsum als Name eines Gaues auf den Inseln bezeugt, die den Mündungen von Rhein und Maas vorgelagert sind. – Das hier an den germanischen Wortstamm angetretene Suffix -Ɨko- ist keltisch, vgl. die Ethnonyme Mattiaci, Levaci (Caes. Gall. 5,39), ferner zahlreiche Ortsnamen wie Eboracum usw. Es hat etwa die gleiche Funktion wie germ. -ing-. Obwohl sich die drei Ethnonyme an weit entfernten Stellen der Germania finden, nimmt die Mehrzahl der Forscher – wahrscheinlich zu Recht – einen Zusammenhang zwischen ihnen an. Schon Much (1915–1916d, S. 200) schreibt: „In alter – wohl vorgeschichtlicher – Beziehung zu den

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Beiträge zu Personennamen

M(arsi) stehen vermutlich die Marsigni und Marsaci“. Ähnlich formuliert Much (1967, S. 475). Auch Wenskus (1961, S. 67) sagt klar: „Ihr Name [sc. der der Marsen] lebt seitdem nur in abgeleiteter Form in einigen Kolonien weiter, die wohl vorher abgespalten waren (Marsaci an den Rheinmündungen, Marsigni in den Sudetenländern)“. Skeptischer ist Rübekeil (1996, S. 1335): „Sollte ein Zusammenhang zwischen den Namen bestehen, ...“. Weniger sicher ist, ob auch der bei Ptol. 2,11,22 zweimal überlieferte Name '6GDJ>< eines kleinen Ethnos hierher gehört. Zeuß (1837) und Spätere fassen ihn als eigenes Ethnonym, das sie zu ags. mearu ‘zart, mürbe’, ahd. man, marawi stellen. Doch scheint dies Adjektiv semantisch schlecht als Benennung eines Ethnos geeignet (allenfalls als spöttische Fremdbenennung). Daher hat man erwogen, das Ethnonym zu ',[-]#!!)# zu emendieren. Das scheint denkbar, zumal griech. ‹DJ› öfter als Ligatur ‹DJ› geschrieben worden ist. Schon Zeuß (1837), Much (1893b, S. 78; 1895b, S. 8) und Krahe (1933, S. 162) haben mit Recht betont, daß das germ. Ethnonym Marsi mit dem ital. Ethnonym Marsi nur zufällig lautgleich ist. Ein sachlicher, ethnischer Zusammenhang zwischen ihnen ist auszuschließen. Das für Latium bezeugte Ethnonym ist aus *Martii ‘die dem Gott Mars Zugehörigen, die Kriegerischen’ entstanden. (Bei Vergil, Georgica 2,166 heißen sie deshalb genus acre virum). Trotzdem taucht diese Scheingleichung der beiden Ethnonyme immer wieder in der germanistischen Fachliteratur auf. Weitere Literatur: Timpe (1991, bes. S. 104–106).

Matronen

(Bd. 19, 2001)

Namenkundliches. Den Kult der Matronae oder Matres im römisch besetzten Germanien (siehe den Artikel Lokalgottheiten im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) bezeugen nur Inschriften, keine literarischen Quellen. Aus der Zeit vom Ende des ersten (vgl. Haensch 1998) bis zur Mitte des 3. nachchristlichen Jahrhunderts stammen über 1 100 Weihesteine (siehe den Artikel Weihedenkmäler im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) und Votivaltäre (siehe den Artikel Altar § 3 im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Sie überliefern mehr als 100 verschiedene Beinamen von Matronen, meist im Dat. Plur. (Diese Mehrzahl entspricht den Darstellungen der Reliefs, die überwiegend Dreiergruppen dieser Frauengestalten zeigen.) Als deae werden nur die Aufaniae

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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mehrfach bezeichnet. Schwerpunkt dieses Kults ist das linksrheinische Siedlungsgebiet der Ubier zwischen Aachen, Bonn und Neuss. Zentren sind u.a. in Bonn, Pesch, Morken-Harff, Nettersheim und Nideggen-Abenden gefunden worden. (Die matres in Britannien sind dorthin vermutlich von germanischen Legionären in römischen Diensten aus Nordwestdeutschland mitgebracht worden.) Die Matronenbeinamen dieses Raumes lassen sich bisher nur zu einem Teil mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit deuten. Soweit das der Fall ist, können ihre Stammwörter dem (West)Germanischen (und – seltener – dem Gallischen) zugeordnet werden. Formal sind sie überwiegend lateinische Adjektive, die in Kongruenz mit dem Dat. Plur. Matronis stehen. Gelegentlich zeigen sie stärkere lautlich / graphische Unterschiede, z.B. Vallahneihiabus neben Vallamaeneihiabus, Berhuiahenis neben [B]ejrguiahenis usw. Einige wenige Matronenbeinamen weisen die germanische Endung des Dat. Plur. auf: Aflims ‘den Kräftigen’ (zu ags. afol ‘Kraft’), Saitchamim[s], Vatvims, Gabims (so wohl mit Vennemann 1993b, S. 395 Anm. 53 zu lesen), die mit den vulgärlateinischen Dativformen Afliabus, Saithamia[bus], Vatviabus, Gabiabus konkurrieren. – Gelegentlich werden durch Inschriftenfunde neue Matronenbeinamen bekannt, so jüngst Celapauthambus (Dat. Plur.) bei Iversheim, vgl. Beyer (1998, S. 88 f.). Ein kleiner Teil der Matronenbeinamen ist mit Ethnonymen identisch: Matribus meis [Ger]manis Suebis, Matribus Frisavis paternis, Matronis Hamavehis (zum Ethnonym Chamavi), Matribus [M]arsacis paternis sive maternis, Matribus paternis Kannanef[atibus] usw. Das deutet H. von Petrikovits (1987, S. 252) überzeugend so, „daß die Stifter mit ihnen Numina anriefen, die in [...] außerrömischen Gebieten Zuhause waren“. – Andere enthalten sicherlich einen Flußnamen, vgl. Krahe (1962, S. 270 ff.). Das gilt für die Nersihenae (zur Niers, rechts zur Maas, a. 856 als Nersa belegt) oder die Aumenahenae. Der Matronenbeiname Vataranehae / Veteranehae / Veterahenae enthält wohl germ. *watar ‘Wasser’. Etrahenae und die curia Etratium deuten beide auf ein Substantiv *etra, das sich mit germ. *ai-tra- ‘schwellendes Wasser’, einem häufigen Grundwort in Bachnamen, verknüpfen läßt, vgl. Schmid (1962, S. 117 f.). (Die Schreibung ‹e› statt ‹ai› bzw. ‹ae› ist in provinzial-lateinischen Inschriften geläufig.) Etrates weist dasselbe lateinische Suffix auf wie die Einwohnerbezeichnung Arpinates (zum Ortsnamen Arpinum) usw. Für die Fachine(i)hae erweist Greule (1973b, S. 48) einen mehrfach vorkommenden Flußnamen *Fachina, der zu germ. *fakǀ ‘Fischwehr’ gehört. – Wieder andere Matronenbeinamen deuten auf Einzelgehöfte, Dörfer oder den Namen der Flur, auf der der Kultplatz gelegen war: Alusneihae setzt einen Nominalstamm *alusn- vor-

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Beiträge zu Personennamen

aus, der zum germ. Baumnamen *aluzǀn- ‘Erle’ gehört. H̙ait[i]enae stellt sich zu germ. *haiþi- ‘Heide’, Vanginehae zu *wanga- ‘Feld, Flur, Wiese’. Die matres Gesahenae und matres Gesatium führen auf ein Subst. *gƝsa zurück, das vielleicht mit ags. gæsne, ahd. geisini ‘Unfruchtbarkeit’, mnd. gest ‘hochliegendes Heideland’ zusammenzustellen ist. In Caimine[h]ae steckt wohl germ. *Ȥaima- ‘Haus, Siedlung’. Mahlinehae gehört wahrscheinlich zu *mapla- ‘Versammlung’ (vgl. die zahlreichen Ortsnamen Mecheln in Belgien). In Matronae Cantrusteihiae liegt sicherlich das gleiche Appellativum vor wie im pagus Condrustis. Die Leudinae gehören wohl zu germ. *leudi- ‘Gemeinfreier’ (siehe den Artikel Leudes im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Eine weitere Gruppe spricht von den schenkenden und segenbringenden Kräften der Matronen: Gabiae ‘Geberinnen’, Alagabiae ‘Alles-Gebende’, Alaferbviae ‘die alle Lebenskraft besitzen, gewähren’ (zu ahd. ferah). Diese Bildungen sind vielleicht germ. -Ư /-jǀ-Stämme (vom Typ aind. devƯ). – Weitere Deutungsvorschläge von Matronenbeinamen geben Krahe (1962), Neumann (1987) und Nedoma (1989). In einigen anderen Matronenbeinamen liegen germanisch-gallische Mischformen vor, die vielleicht so zu erklären sind, daß eine germanische Prägung sekundär – und nicht vollständig – ‘gallisiert’ worden ist. So weist der aus zwei gallischen Nomina bestehende Matronenbeinamen Mediotautehae den germ. Diphthong /au/ statt kelt. /ou/ auf, und Ambiomarcae ‘zu beiden Seiten der Marken/Grenzen (wohnend)’ den germ. Stamm marka- statt gall. brog-. Schwierig bleibt die Analyse und etymologische Anknüpfung der verschiedenen (offenbar mehrteiligen) Suffixe der Matronenbeinamen. Während Kluge (1913, S. 235 f.) und Gutenbrunner (1936b) das ‹H› in diesen Suffixen als Schreibung für /j/ auffaßten, ordnen Rüger (1986) und Vennemann (1994a) den beiden Varianten des ‹H› je verschiedene velare Phoneme zu: Rüger rechnet für das ‘halbe H’ mit dem Wert eines aspirierten Velars, versucht aber nicht, den phonemischen Unterschied zwischen den beiden H-Zeichen genauer zu fassen. Dagegen meint Vennemann, das ‘halbe H’ repräsentiere einen kräftigen velaren, das ‘ganze H’ einen schwachen postvelaren Reibelaut. – Das bleibt noch offen. Während die Mehrzahl der Forscher mit einer Mehrzahl verschiedener Benennungsmotive rechnet, will Vennemann (1992; 1993b) in den Matronenbeinamen, die er insgesamt für morphologisch und etymologisch durchsichtig erklärt, als Grundwörter ausschließlich gallo-römische Siedlungsbezeichnungen anerkennen. Diese ihrerseits sollen auf ‘alteuropäischen’ Gewässernamen beruhen, die sämtlich vorindogermanischer Herkunft seien. Ferner meint er, daß die Lautformen der Matronenbeinamen bereits die

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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Ergebnisse der 2. Lautverschiebung (nach seiner Terminologie „streng hochgermanisch“) aufwiesen. – Zur Kritik an diesen weitreichenden Thesen vgl. zuletzt Stevens (1998). Weitere Literatur: Beck (Hrsg. 1989); Breidbach (1992); Derks (1998); Herz (1989); Meid (1967); Polomé (1996); Rüger & Beyer-Rotthoff (in Vorbereitung); Scardigli (1989); K.H. Schmidt (1987); Spickermann (1997); Untermann (1989); Vennemann (1993a; 1994b; 1994c).

Naristen

(Bd. 20, 2001)

§ 1. Der Name. Tacitus (Tac. Germ. 42) belegt für das Ethnonym die Form Naristi, Dio Cassius (Cass. Dio 71,21) (6G>HI6¼; inschriftlich finden sich Naristo CIL III 4500 (Carnuntum), Naristarum in der Inschrift von Ain Zana in Algerien (L’année épigraphique 1956, 0124); vgl. Reichert (1987, S. 516 f). (Die Variation Narisci in einer Tacitus-Handschrift kann außer Betracht bleiben.) Daneben steht eine Form mit anderem Anlaut: Varistae Hist. Aug. 4, 22,1 (Capitolinus, Vita Marci). Als Personenname findet sich Varisto (Dat.) in CIL XIII, 4178 (Neumagen). (Die bei Ptol. 2,11,11 neben Ɉw6G>HIJD¼ vorkommende Variante (DJ6G¼HID¼ ist als versehentliche Kreuzung beider Formen anzusehen.) Beide Namen müssen – mit Much (1915–1916a, S. 300) – als authentisch gelten. Zweifellos verfehlt war der Gedanke Steches (1942, S. 112), die Form Varisti als eine bloße Verschreibung zu erklären. Much (1967, S. 474) u.a. nehmen plausibel an, daß dies Ethnos ‘doppelnamig’ war. Ähnliches ist auch sonst bezeugt, vgl. Paare wie Cuberni / Cugerni, Sugambri / Gambrivi usw. Solche Doppelungen mögen ihren Ursprung in der Dichtung haben. Für beide Formen des Ethnonyms hat man Deutungen aus zwei verschiedenen indogermanischen Sprachen vorgeschlagen. Mehrere Forscher zogen das ‘Illyrische’, eine unbezeugte indogermanische, nicht-germanische Sprache, heran. Das beginnt mit Much (1915–1916a, S. 300 f.), der u.a. an den Flußnamen Narenta (Herzegovina) erinnert und meint, das Ethnonym Naristen mache einen „ganz illyrischen Eindruck“. Loewenthal (1923, S. 291 f.) zieht als Parallelen aind. nƗra und vƗr, beide ‘Wasser’, heran sowie die Ausgänge der Ortsnamen Tergeste, Ateste usw. Beide Ethnonyme seien ‘illyrisch’ und bedeuteten ‘am Wasser wohnend’. Ganz ähnlich äußert sich Steinhauser (1932). Wenn dieser aber meint, die

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Beiträge zu Personennamen

Grundwörter der beiden Ethnonyme hätten ursprünglich den Fluß Regen (links zur Donau) bezeichnet, so ist das ohne jeden Anhalt. Mehrere Forscher haben diese Herleitung aus dem ‘Illyrischen’ akzeptiert, u.a. Krahe (1925, S. 111), Bach (1952–1953, § 379), Schwarz (1956, S. 187) und Much & Lange (1967, S. 467 f.). Schwarz (1956) nennt die Naristen sogar ein „ursprünglich venetisches Restvolk“. In einem späteren Aufsatz meidet er die Bezeichnung ‘illyrisch’ und deutet an (1969, S. 463), es sei „nicht unmöglich, daß die Naristen eine Mischung vorkeltischer indogermanischer Stämme darstellen ...“. – Doch ist festzuhalten, daß es im möglichen Siedlungsgebiet der Naristen außer sehr alten Gewässernamen keine Spuren einer dritten Sprache (neben Germanisch und Keltisch) gibt und daß der Terminus ‘Illyrisch’ eine unerlaubte geographische Überdehnung des Namens eines kleinen balkan-indogermanischen Ethnos (in der Gegend von Epirus) war. Auch das Verbreitungsgebiet der venetischen Sprache hat bestimmt nicht soweit nach Nordwesten gereicht. – Zum angeblichen aind. nƗra- ‘Wasser’ sagt Mayrhofer (1986–2001, II, S. 32), es sei bloß „zur Erklärung des Namens nƗrƗyan̙á- erfunden“ worden. (Vgl. schon Mayrhofer 1956–1980, II, S. 154 f.). – Much hat sich dann selbst (1936b, S. 495) von der ‘illyrischen’ Erklärung distanziert. Die andere, weniger angreifbare Deutung zieht germanische Adjektive heran und erklärt Naristi und Varisti als Superlative / Elative wie got. managists, as. ahd. lengist usw. (Mit Superlativformen hat bereits Zeuß 1837, S. 117 gerechnet. Auch das gall. Ethnonym Os(s)ismi ist ein Superlativ.) Nach Kögel (1892, S. 53) liegt dem Ethnonym Naristen ein Adj. *năra‘mannhaft’ zugrunde, das zu idg. *h2ner- ‘Mann’ (Pokorny 1959–1969, S. 765) gehöre. Dieser Nominalstamm ist noch im Altindischen, Iranischen, Griechischen, Armenischen, Italischen, Keltischen, Baltischen, Albanischen vertreten. Im Anatolischen ist er vielleicht in den Adj. heth. innarƗ-, luw. annara/i- ‘kraftvoll’ < *enh2noró- ‘innen Kraft habend’ verbaut. Im Germanischen findet er sich zwar nicht als Appellativum, doch haben mehrere Namen ihn bewahrt. Zu ihnen gehört (mit Dental-Erweiterung) jener der Göttin Nerthus (siehe den Artikel Nerthus und Nerthuskult im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), des aisl. Gottes Njìrðr, ferner vermutlich die Erstglieder von Personennamen wie Neripreht, Nerisuuind, vgl. Förstemann (1900, Sp. 1153 f.) Eine dehnstufige Bildung, der Personenname *Nǀro, ahd. *Nuoro, eine Kurzform von Norbert, Norigaud, Nuorinc o.ä., liegt im Erstglied mehrerer Ortsnamen vor, z.B. Nürnberg < a. 1050 Norenben, ferner Nürburg (Rheinland-Pfalz) usw., vgl. Kaufmann (1968, S. 270). – Naristi wäre demnach als Selbstbenennung ‘die besonders Mannhaften’ aufzufassen. Auch der Name Varisti ist verschieden gedeutet worden. Much (1893,

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S. 71 f.) meint, er heiße ‘die Feigsten’. Das müßte dann allenfalls eine höhnische Fremdbenennung sein. Annehmbarer sind aber gewiß Müllenhoffs (1900, S. 536) Ansatz ‘behutsam, prospiciens’, für den er „kriegerische Bedeutung“ annimmt, oder der spätere, davon nur wenig abweichende Vorschlag Muchs (1915–1916a) ‘die Aufmerksamen, Vorsichtigen’. (Auch eine Nuance wie ‘fürsorglich’ ist zu erwägen.) Bei beiden Ethnonymen wechseln in der Überlieferung die Pluralendungen -i und -ae, das sind zwei verschiedene Versuche, ein lateinisches Äquivalent für die germanische a-Deklination zu geben. Seit Zeuß (1837, S. 117 und 585 f.) wird an Varisti das im 8. Jhd. mehrfach bezeugte Ethnonym Varasci und der Gauname Warasch (a. 870) am Doubs in Burgund angeschlossen (heute Varais). Da sei das germanische Suffix durch das roman. -co- ersetzt worden, wie etwa in Marsaci neben Marsigni. Diese Verknüpfung bleibt unsicher. In der Tabula Peutingeriana steht anstelle von Naristi Armilausi, Iulius Honorius und Laterculus Veronensis bieten Armalausini. Beides bedeutet ‘die Ärmellosen’, hebt also eine Besonderheit der Tracht (der Krieger?) hervor und dürfte ursprünglich ein Übername gewesen sein.

Nehalennia

(Bd. 21, 2002)

§ 1. Der Name. Dieser Name einer Göttin ist nur epigraphisch (auf zahlreichen Steindenkmälern) überliefert. Die beiden Hauptfundorte liegen im Deltagebiet der Schelde: bei Domburg, das wohl Handelsort und Hafen war (vgl. CIL XIII 8779–8802), und bei Colijnsplaat (siehe § 2 dieses Artikels im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Ferner tragen zwei in Köln-Deutz gefundene Steine (CIL XIII 8498 und 8499) den Namen Nehalennia. In diesen durchweg lateinischen Aufschriften wird Nehalennia als dea bezeichnet. Die bildlichen Darstellungen lassen zwei Funktionen der Nehalennia erkennen: einesteils hat schon Jaekel (1892, S. 304) gesehen, daß sie „den schiffer und seine waaren vor den unbilden des meeres zu schirmen“ vermag, anderseits schenkt sie Äckern und Gärten Fruchtbarkeit. (Dagegen erlauben weder die Ikonographie noch die Aufschriften, Nehalennia als Totengöttin zu bestimmen. Auch der mehrfach neben der Göttin abgebildete Hund weist nicht zwingend auf eine solche Deutung.) – Mit de Vries (1957, S. 316) ist ihr gewiß nur lokale Bedeutung zuzumessen. Die bestbezeugte Schreibung ist Nehalennia, leichte Varianten lauten Nehallennia, Nehalaennia, Nehalennea, Nehalenia, Nechalenia. Zweimal

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ist statt des ‹H› ein ‘halbes H’ geschrieben. Zu den Graphien vgl. Bogaers & Gysseling (1971) und Reichert (1987, 517–520). – Zwei Steine stellen eine Dreizahl der Göttinnen dar, da bietet die Inschrift den Dativ Plural. Mehrfach hat man vorgeschlagen, die Nehalennia mit der bei Tacitus (Tac. Germ. 9) bezeugten Isis zu identifizieren (pars Sueborum et Isidi sacrificat), z.B. – nach Früheren – Kauffmann (1892a, S. 217 ff.). In der Tat gibt es Berührungspunkte: Die (von Haus aus ägyptische) Isis wird im Römischen Reich in Hafenstädten wie Ostia, Puteoli, Pompei verehrt, ihre Tempel liegen oft an Flüssen. Nach dem Mythos hat sie selbst eine große Meerfahrt unternommen; eines ihrer Hauptfeste waren die *AD>6;^H>6 ‘das Entsenden der Schiffe’ (auch Navigium Isidis ‘Schiffahrt der Isis’), mit denen man den Wiederbeginn des Seeverkehrs im Frühjahr feierte. Den hellenistischen Griechen galt Isis u.a. als *:A6<¼6 ‘Herrin des Meeres’, -°IJ:>G6 ‘Retterin’ und %6GEDIJn@D0 ‘Erzeugerin der Früchte’. – Aber das Mündungsgebiet der Schelde gehört nicht zum Siedlungsraum der Sweben; zudem ist vorauszusetzen, daß es im weiten Küstenbereich der Germania – einschließlich der Ostsee – noch mehr Göttinnen mit Bezug zur Schiffahrt gegeben hat. Auch die Bildmotive der Nehalennia-Denkmäler (Früchte und Schiffsbug samt Steuerruder) reichen nicht für den Beweis aus, daß die hier tätigen Künstler eine Isis darstellen wollten, wie schon De Laet (1971, S. 160 f.) mit Recht betont. Vor allem fehlen die typische Krone, das Sistrum und der Mantel mit dem Isisknoten. Deutungen des Namens Nehalennia sollten weder dem ikonographischen Befund widersprechen noch die Themen der Aufschriften außer acht lassen noch auch ungestützte oder gar abseitige Vorstellungen einführen. Das gilt z.B. gegen Loewenthals (1927a, S. 295 f.) Ansatz einer kelt. Vorform *negalesnia ‘die zur Abwaschung Gehörige, dea lavationis’ (zu idg. , *neigj , Pokorny 1959–1969, S. 761). Auch Grienbergers (1896) Erwägung, *Nehalenna bedeute ‘Sund, Strand’ und sei der keltische Name von Walcheren gewesen, ist ohne Anhalt. Nehalennia keltisch zu etymologisieren, lehnen Thurneysen – bei Kauffmann (1892a, S. 215 Anm. 2) – und Birkhan (1997, S. 521) mit Recht ab. – Gysseling (1972) will Nehalennia aus der von ihm postulierten Substratsprache ‘Belgisch’ erklären, der Name gehöre zu idg. *nei ‘führen’. Hierin folgt ihm Stolte (1986, S. 619). 1982 (S. 217) meint Gysseling – ebensowenig überzeugend – in Nehalennia liege die idg. Wurzel *nei ‘glänzen’ vor. Doch ruht der Ansatz dieses unbezeugten Idioms auf ganz brüchigem Fundament (vgl. den Artikel Belgae, S. 211, im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Wegen des ‹H› (und aus geographischen Gründen) ist Nehalennia am ehesten germanisch zu deuten. In diese Richtung zielen daher zahlreiche Versuche. Doch sind sie teils lautlich, teils semantisch unannehmbar, so der

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von Kern (1873), der ahd. neihhen ‘opfern’ heranziehen will (Nehalennia heiße ‘freundliche Geberin, Mundschenkin’), ferner die von Detter (1887), Jaekel (1892), Siebs (1892), Güntert (1919) und Polomé (1985), die an lat. nex ‘(gewaltsamer) Tod’, griech. C^@J0 ‘Toter’ und aisl. Naglfar, das Leichenschiff, anknüpfen. Nach Siebs (1892, S. 460) habe das Zweitglied *halenƯ gelautet und zu nhd. hehlen gehört. Nehalennia bedeute ‘TotenBergerin’, nach Polomé ‘Seelenführerin’. Aber für das Germanische ist ein *neȤa- ‘tot’ nicht zu sichern. An Holtzmanns (1874, S. 122 ff.) Idee, das Erstglied mit ahd. nëbal, anord. nifl ‘Nebel’ zu verknüpfen, schließen Cramer-Peters (1972 a und b) und Minis (1972) an, wenn sie eine *nehalwenjǀ ‘Nebel-Geliebte’ erschließen. Das war lautlich wie sachlich verfehlt. Kauffmann (1892a, S. 215) sucht in neha- eine Entsprechung zu anord. nór ‘Schiff’, ahd. nahho ‘Nachen’, *nƝjolo- sei eine Berufsbezeichnung gewesen, etwa ‘Schiffsführer’. Das ‹H› sah er als bloße Hiat-Markierung an. Das alles weist Gutenbrunner (1936b, S. 77 ff.) mit Recht zurück. Er selbst hat (S. 81 f.) Muchs (1891a) Deutung als ‘die nahe Herantretende, hilfreich Beispringende’ (*nehwa-lennia aus *nehwa ‘nahe’ und *lenniǀ (zu got. af-linnan ‘weggehen’, ae. bi-linnan ‘aufhören, scheiden’) übernommen; doch bemerkt Siebs (1892, S. 460 Anm. 2) treffend, daß dieser Verbstamm das semantische Merkmal des ‘Helfens’ nicht enthalte. – Insgesamt sagt Bogaers (1971, S. 33) mit Recht, daß der Name Nehalennia noch nicht überzeugend erklärt sei („ook al is hij nog steeds niet op een bevredigende wijze verklaard“). Vorgeschlagen sei hiermit, Nehalennia als suffixal erweitertes Possessivkompositum aufzufassen. Das Erstglied ist germ. *nƝȤwa- ‘nahe’ (ganz ähnlich schon Much), das Zweitglied die Kontinuante von *lendhƗ- ‘Wasser’. Das Adj. *nƝȤwa- (< Adverb *neh1-kwe- ist mit Lehmann (1986, S. 265) und Lühr (2000, S. 105. 221) als Neubildung des Proto-Germanischen anzusehen. Kontinuanten von ihm sind in allen Zweigen des Germanischen vorhanden (got. neƆ, aisl. ná-, afries. nƝi, nƯ, ae. neah, as. ahd. nƗh). Das e (der ersten Silbe) ist bewahrt (wie z.B. in Suebi > Schwaben). – Zum Schwund des labialen Elements /w/ vgl. Kluge (1913, § 54) und Braune & Eggers (1987, § 109 Anm. 2); der gleiche Vorgang hat z.B. in nhd. Ache, doch, leihen, noch, sehen stattgefunden. Vorauszusetzen wäre nur, daß er hier im Nordsee-Germanischen schon wesentlich früher eingesetzt hat. (Der Matronenbeiname Alaferhviae bildet kein Gegenbeispiel, da in ihm der uStamm vorliegt, den got. fairƆus bezeugt.) Zum Stamm des Zweitglieds vgl. Pokorny (1959–1969, S. 675): Auf Grund von keltischen und germanischen Substantiven wird ein voreinzelsprachliches (aber nicht indogermanisch-grundsprachliches) *lendhƗ- ‘Naß,

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Gewässer’ angesetzt, vgl. ir. lind, linn ‘Wasser, Teich, See’; aisl. lind fem. (poet.) ‘Quelle’, as. Linda fem. Flußname, heute Lenne (links zur Ruhr), afries. lind ‘Teich’, ablautend dazu mhd. lande fem. ‘Welle’. Den gleichen Flußnamen weist Miedema (1982) in den Niederlanden nach. Zu Lenne, Lennepe vgl. Hydronymia Germaniae 1968 und Schmidt (1970, S. 61 f.), die für das zugrundeliegende Appellativum plausibel mit einer „sehr allgemeinen (‘Wasser’-)Bedeutung“ rechnet. Wagner (1980b, S. 17) hält Linas (graphisch ‹Linac›) beim Geographus Ravennas für eine Variante davon. Als oberdeutsche Flußnamen mit demselben Stammwort nennt Greule (1973a, S. 353) die Linach, a. 1197 Linaha (rechts zur Breg, einem Quellfluß der Donau). – Das Ɵ im Stamm len(d)- ist bewahrt, noch nicht zu Ʊ geworden. – An das Zweitglied dürfte das Femininum-Suffix -nja unter Ausdrängung des stammauslautenden Vokals angetreten sein; mit dieser Möglichkeit rechnet Kluge (1926, § 40) schon in anderen Fällen. Zum Suffix vgl. noch Meid (19676, § 101). Die Konsonanz -nn- läßt sich mit Kluge (1913, S. 76) auf -ndn- zurückführen, vgl. hunno < *hund-no, sinnan < *sind-nan usw. Neha-lennia bedeutet demnach: ‘die das Wasser nahe hat, am Ufer wohnt’. Zur Bauform vgl. nƗh-(gi)njr bezw. nƗh-(gi)bnjro ‘der sein Gehöft in der Nähe hat, der Nachbar’. Die Göttin hieße also nach ihrem Wohn- und Kultplatz. Solche ‘topische’ Benennung liegt ebenso bei mehreren rheinischen Matronen vor und ist auch sonst für Götter-Beinamen üblich (vgl. z.B. gall. Nemetǀna ‘die Herrin des Hains, in ihm Wohnende’ usw.). Weitere Literatur: Bogaers & Gysseling (1972); Deae Nehalenniae (1971); Gysseling (1972); van Kelten (1903, S. 530); Kern (1873); Much (1967, S. 178–181).

Osi

(Bd. 21, 2002)

§ 1. Namenkundliches. Dies Ethnonym nennt Tac. Germ. 28,3 und 43,1). An der ersten Stelle werden sie als Germanorum natione bezeichnet, an der zweiten heißt es Osos Pannonica lingua coarguit non esse Germanos. Diese Differenz der Aussagen hat dem Verständnis immer Schwierigkeiten gemacht, z.B. nennt Much (1967, S. 357) die Apposition Germanorum natione in Germ. 28,3 „befremdend, ja irreführend“. Deshalb fassen mehrere Ausgaben sie als späteren und irrigen Zusatz auf. Anders aber jetzt Schuhmann (2001). Dasselbe Ethnonym könnte an zwei weiteren Stellen vorliegen: vielleicht mit Polaschek (1942, 1582) in den Script. hist. Aug., vita Marci 22,1

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(Osi) sowie in der Inschr. 1, nr. 455. Der römische Ritter M. Rossius Vitulus, ein propos(itus) gentis Onsorum, hatte bei Aquincum, nahe dem Gebiet der Osi, Dienst getan. Das ‹n› im Ethnonym kann als irrationale Schreibung aufgefaßt werden. Weniger sicher scheint es, den im Itinerarium Antonini 263,7 bezeugten Ortsnamen Osonibus heranzuziehen. Ethnonyme kommen häufiger durch Selbstbenennung als durch Fremdbenennung zustande. Wenn dies Ethnonym also der Pannonica lingua (s. den Artikel Pannonische Sprache im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) angehören sollte, was die nächstliegende Möglichkeit ist, dann besteht heute keine Chance, es etymologisch zu bestimmen, denn über den Wortschatz dieser Sprache ist nichts bekannt. Zwar hat sie wahrscheinlich zur indogermanischen Sprachfamilie gehört und ist mit anderen kleineren Idiomen des Ost-Alpenraumes oder Norditaliens, wie dem Istrischen oder Venetischen, verwandt gewesen, aber für eine konkrete Deutung des Ethnonyms reicht das nicht aus. (Für diesen Raum hat die ältere Forschung – jedoch zu Unrecht – oft die Sprachenbezeichnung ‘illyrisch’; siehe den Artikel Illyrier § 3 im Reallexikon der germanischen Altertumskunde ins Spiel gebracht. Dazu vgl. die Überlegungen von Whatmough 1931). Daher bleiben die im Folgenden gebuchten Vorschläge völlig unverbindlich. a. Holder (1904, II, S. 883) bestimmte das Ethnonym Osi als keltisch, da er das gallische Ethnonym Ossismi, das formal ein Superlativ ist, für verwandt ansah. (Zu diesem vgl. jetzt Delamarre 2001, S. 201). b. Fastlinger (1911; 1914) wollte das Ethnonym Osi mit den Huosi (siehe im Reallexikon der germanischen Altertumskunde), dem in der Lex Baiuvariorum genannten vornehmen bayrischen Geschlecht, verknüpfen. Da sich aber das Ethnonym Osi im Anlaut niemals mit ‹h› geschrieben findet, ist diese Anklang-Etymologie abzulehnen. (Den Geschlechter-Namen Huosi hat N. Wagner 1998b überzeugend als VÖrddhi-Bildung zu germ. *hasa- ‘grau’ erklärt: ‘die zum Grau Gehörenden’, d.i. ‘die Wölfe’. – Anders Krahwinkler 1990, S. 221 ff.; gegen diesen treffend Reichert in Hahilinga im Reallexikon der germanischen Altertumskunde, S. 358.) c. Pokorny (1936a, S. 321) leitet das Ethnonym von idg. *os- ‘Esche’ ab. Aber der Wortstamm dieses Baumnamens erscheint in Mitteleuropa entweder als *os-n- oder als *os-k-, nie als *os- (Ausnahme die baltischen Sprachen); ablehnend auch Reichert (Hahilinga, S. 358). Weitere Literatur: Cagnat & Chatelain (Hrsg. 1923).

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Quaden

(Bd. 23, 2003)

§ 1. Der Name. Das Ethnonym ist seit Tacitus (Tac. ann. 2,63,6 und Tac. Germ. 42 und 43) belegt, dann auch inschriftlich und auf römischen Münzen, z.B. a. 140–144 n. Chr. rex qvadis datvs, a. 283 trivmfv qvadorv. In griechischen Quellen erscheint es seit Ptolemaeus (Ptol. 2,11,11) als %DJ69D>. (Die durchgängige – freilich späte – Akzentuierung mit Akut deutet dabei auf Kürze des Alpha.) Das bei Strabon (Strab. 7,290 C) (in einem wohl späteren Einschub) stehende %)&)/1( hat schon Cluverius a. 1624 plausibel zu %)/)( emendiert (vgl. § 2). Die seltenen handschriftlichen Varianten wie Quadri sind kaum sprachwirklich. Zu den Belegen insgesamt vgl. Reichert (1987, S. 544 f.). Die im Lauf der Forschungsgeschichte vorgeschlagenen etymologischen Anknüpfungen des Ethnonyms sind sämtlich mit Schwierigkeiten behaftet: 1. Seit Grimm (1880, S. 506 f.) wird gern angenommen, daß dies Ethnonym mit dem Adj. mhd. quât, mndl. kwaad ‘schlecht, böse, häßlich, verderbt’ (vgl. mhd. Hartmann, Erec 4663 kâtspreche ‘Verleumder’), im Rheinland ‘gering, ärmlich’ usw. zusammenhänge. Dies (bis heute in Dialekten lebendige) Adjektiv ist aus dem Subst. *kwæda ‘Kot’ entstanden, vgl. Heidermanns (1993, S. 348). (Innerhalb des Germanischen finden sich Kontinuanten dieses Wortes nur im Westgermanischen.) Wegen dieser kraß negativen Bedeutung scheidet eine ursprüngliche Selbstbenennung aus. Schwarz (1956, S. 159 f.) nimmt an, es liege ein Schimpf-Name vor, den schlecht behandelte germanische Nachbarn aufgebracht hätten. Dann wäre die zusätzliche Annahme nötig, daß die Quaden diesen Namen aufgegriffen und selbst benutzt hätten. Dabei könnte die Absicht mitgespielt haben, durch den Namen Furcht zu erregen. Das nimmt z.B. Bach (1952–1953, S. 308 f.) an, während Hirt (1940, S. 315) es als unwahrscheinlich ablehnt. – Der Nominalstamm quad- erscheint auch sonst in Personennamen, vgl. den rheinischen Adelsnamen Graf Quad von Landscron oder die Familiennamen Quadejakob, Quadfasel usw. (Dagegen ist der Personenname Quadflieg eher als ‘Schmeißfliege, Kotfliege’ zu verstehen, vgl. mhd. chwâtchever ‘Mistkäfer’.) Diese Etymologie setzt im Ethnonym ein /Ɨ/ voraus; daß aber der westgermanische Wandel von e > Ɨ schon im l. Jahrhundert n. Chr. gewirkt hätte, erscheint – trotz Much (1915–1916e, S. 431 f.) und Much & Lange (1967, S. 469) – durchaus unwahrscheinlich. (Alternativ ist möglich, daß in der Stammsilbe des Ethnonyms ă < ǂ vorliegt.) 2. Seit Müllenhoff (1900, S. 481 f.), der Grimms Verknüpfung ablehnt, hat man immer wieder erwogen, das Ethnonym mit got. qiþan, anord. kveðja,

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germ. *kveþan ‘sagen’, idg. *gjet- (Rix 2001, S. 212) zu verknüpfen; so auch Laistner (1892, S. 28) und Reeb (1930, S. 170). Dieser Verbstamm entwickelt in den germanischen Einzelsprachen mehrere Spezialbedeutungen, vgl. Seebold (1970a, S. 318–320). Der Ansatz eines nomen actoris (Typ got. wraks ‘Verfolger’ zu wrikan) scheint möglich. Doch bliebe dabei die genaue, prägnante Bedeutung des Ethnonyms unklar. 3. Krause (1971, S. 57) erwägt, das Ethnonym gehöre von Haus aus zu germ. *hwatjan, anord. hvetja ‘antreiben’. Die in den antiken Quellen auftretende Lautform des Ethnonyms (die die 1. Lautverschiebung nicht kennzeichne) sei vielleicht durch nicht-germanische Nachbarvölker übermittelt worden. – Doch erscheint das als schwierige Notlösung.

Raetische Sprache

(Bd. 24, 2003)

Mehr als 100 vor-römische Alphabet-Inschriften (aus dem 5.–1. vor-christlichen Jahrhundert) sind meist auf Votivgegenständen aus Holz, Keramik, Bronze und Eisen angebracht (Statuetten von Tieren oder Kriegern, MetallGefäße, Helme, Werkzeuge wie Äxte, Hacken, Meißel, Messer, Schürhaken, Schaufeln, Schöpfkellen, Trichter, Schlüssel usw.), ferner auf Sprossen von Hirschgeweihen und steinernen Stelen. Einige wenige sind Felsinschriften. Insgesamt finden sie sich in folgenden Gebieten: (a) nördliches Veneto; (b) Trentino; (c) Südtirol; (d) Nordtirol; (e) Graubünden; (f) Slowenien. Das Kerngebiet bilden (b) und (c). Hauptfundorte sind in (a) Magre bei Schio, der Raum um Verona, Feltre am Piave, in (b) der Bereich von Sanzeno, bei Cles im Nonstal, in (c) das Gebiet um Bozen, Schluderns im Vinschgau, Lothen im Pustertal, das obere Eisacktal, in (d) Matrei, Volders-Himmelreich, Fritzens im Inntal, Steinberg (Schneidjoch) am Rofan, in (e) das untere Engadin (mit nur einem unsicheren Beleg), in (f) Watsch (Vaþe) und Negau (Ženjak; siehe den Artikel Negauer Helm § 4 im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Vgl. Schumacher (1992, S. 123); siehe auch Frei (1984); Gleirscher (1994); Kramer (1998); Mancini (1975 und 1999); Menghin (1984); siehe auch den Artikel Norditalische Schriften im Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Schon die Antike hatte in diesem Raum mit Raetern gerechnet und für sie Verwandtschaft mit den Etruskern behauptet, vgl. Liv. 5,33,11: Alpinis quoque ea gentibus haud dubie origo est (gemeint ist: von den Tusci = Etruskern), maxime Raetis; quos loca ipsa efferarunt, ne quid ex antiquo praeter sonum linguae nec eum incorruptum retinerent, vgl. (Frei-Stolba

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1984). Knapper ist Plinius (Plin. nat. 3,133): Raetos Tuscorum prolem arbitrantur. Vgl. noch Iustinus 20,5,9 (Auszug aus Pompeius Trogus). Das Ethnonym Raeti (bzw. das Adjektiv dazu) ist den Römern mindestens seit dem 2. Jhd. v. Chr. bekannt. Die älteste Erwähnung der Raeter findet sich bei Cato in den Origines, frg. 8 Jordan; er lobt die uva Raetica. Das Tropaeum Alpium (CIL V, 7817) nennt sie aber nicht. Neu aufgetaucht ist das Ethnonym jetzt (als +()/- ,#.1() im Sebasteion von Aphrodisias in Karien, wo in einem ‘Panorama des Imperium Romanum’ auch all die Stämme genannt werden, die Kaiser Augustus unterworfen und in das Römische Reich einbezogen hat; vgl. Frei-Stolba (1984). Etymologisch bleibt es bis heute unerklärt. (Weder vom Namen der venetischen Göttin Reitia noch von etr. rasna, das etwa ‘populus’ bedeutet, ist es abzuleiten.) Die Schreibrichtung der Inschriften ist meist, aber nicht ausschließlich linksläufig. Die überwiegend kurzen Inschriften sind häufig ohne Worttrennung geschrieben. Die südlicheren benützen das ‘alpine’ (norditalische) Alphabet von Magre, die nördlicheren fast immer das von Sanzeno (oder: Bozen) (siehe Norditalische Schriften). (Beide leiten sich aus dem ältesten, noch nicht reformierten venetischen Alphabet ab.) Es gibt lokale Sonderzeichen. Das neueste Corpus der rätischen Inschriften hat Schumacher (1992) vorgelegt. Zu Inschriften siehe auch Mancini (1975; 1999), Schmeja (1996), Schumacher (1999). Ein wichtiger Neufund stammt von einem spät-hallstattzeitlichen Platz bei Nußdorf nahe Sondermoning ostwärts des Chiemsees (Ldkr. Traunstein, Oberbayern), der in das 5. Jahrhundert vor Chr. Geb. datiert wird, vgl. Ziegaus & Rix (1998). Ein dort gefundener Silberring trägt außen eine umlaufende Ritzinschrift, die nach Rix (in Ziegaus & Rix 1998) das Alphabet von Sondrio (siehe Norditalische Schriften) benutzt. Ihre Sprache bestimmt er „mit einiger Wahrscheinlichkeit“ als rätisch. Zwar ist dieser Ring gewiß nicht am Fundort geschaffen worden, aber seine Inschrift ist doch das älteste bislang in Deutschland gefundene Schriftdenkmal. – Zu weiteren Neufunden siehe Schumacher (1994) und Morandi (1999). Alle diese Inschriften sind wahrscheinlich in derselben Sprache abgefaßt; diese gehört weder zum Keltischen noch zum Venetischen, auch nicht zu der Sprache der Inschriften der Val Camonica (siehe den Artikel im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Seit langem hat man sie konventionell als ‘rätisch’ bezeichnet (Risch 1984). Da in der Mehrzahl Votivtexte vorliegen, werden viele Lexeme (ein- und zweigliedrige) Personennamen sein. Mehrere von ihnen ähneln denen, die in lateinischen Inschriften des Raumes um Brescia zwischen Oglio und Etsch vorkommen, vgl.

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Untermann (1959). Vermutlich bewahren auch Stellenbezeichnungen dieser Gebiete rätisches Sprachgut, vgl. Kollmann (1999) und Schürr (2001– 2002). Die linguistische Analyse der Inschriften hat nun einen Zusammenhang ihrer Sprache mit dem Etruskischen endgültig erwiesen und ihre Bezeichnung als ‘rätisch’ bestätigt, vgl. Rix (1998) und Schumacher (1998). Rix (1998, S. 60) urteilt zusammenfassend: „Rätisch und Etruskisch sind aus ein und derselben Grundsprache hervorgegangen, die zudem auch die Ausgangssprache des Lemnischen in der Ägäis war“. Man kann sie daher als ‘Schwestersprachen’ bezeichnen. (Damit ist die antike Meinung korrigiert, nach der die Räter von den Etruskern abstammten.) Rix (1996; 1998) nennt ihre gemeinsame Grundsprache ‘Ur-Tyrsenisch’ bzw. ‘Proto-Tyrsenisch’. Unklar bleibt, ob zu diesen drei nicht-indogermanischen Sprachen weitere Verwandte gehören. Das gilt sowohl gegenüber dem Ansatz Vennemanns (1997), der das Rätische mit dem Baskischen verknüpfen möchte, als auch für Versuche, das Etruskische mit den indogermanisch-anatolischen Sprachen oder mit dem ‘Minoischen’, d.h. der Sprache der kretischen Texte in der Schrift Linear A, zu verbinden. Weitere Literatur: Ciurletti, G. & F. Marzatico (1999); Das Räterproblem (1984).

Rosomonen (Bd. 25, 2003) § 1. Der Name. Dieser Gruppenname ist nur bei Jordanes (Jord. Get. 24,129) innerhalb einer kurzen Erzählung überliefert, die um das Ende des Gotenkönigs Ermanarich (siehe den Artikel Ermanarich § 2 im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) kreist. Wahrscheinlich beruht sie auf einer (mündlich tradierten) Heldensage (oder einem Lied), denn sie stimmt in ihren Grundzügen mit dem Hamdirlied (siehe den Artikel Hamðismál im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) der Edda überein, vgl. von See (1981, S. 61 f.), und manche Einzelheiten lassen sich als Sagen-Elemente erkennen. Ein prominenter Angehöriger der Rosomonen, der dem König damals Untertan, d.h. zur Heeresfolge verpflichtet war (Rosomonorum gens infida, quae tunc inter alias illi famulatum exhibebat), hatte – durch ‘heimtückisches Entweichen’ (fraudolento discessu) – die Treue gebrochen (decipere). Der König läßt deshalb dessen Gattin Sunilda töten. Dafür nehmen deren Brüder wiederum Rache an ihm (germanae obitum vindicantes) und verwunden ihn schwer.

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Gschwantler (1971, S. 173) zieht den überzeugenden Schluß: „Der Name Rosomoni muß [...] in der mündlichen Überlieferung fest mit der Sippe Sunildas verbunden gewesen sein“. Offen bleibt jedoch, ob der Gruppenname nicht auch schon in der geschichtlichen Wirklichkeit, auf der die Erzählung in ihren Grundzügen fußt, existiert hat. Insofern ist es nicht zwingend, wenn Müllenhoff bei Mommsen (siehe Quellenausgabe, Index S. 164) den Gruppenname als nomen epicum [...] et haud dubie mythicum neque historicum beurteilt. Ihm folgen Jiriczek (1897, S. 61): „epischfictiv“ und Schmidt (1934, S. 241). Demgegenüber neigt die Forschung heute dazu, ihn doch für historisch zu halten, vgl. Gschwantler (1980, S. 200). Neben der häufigsten Lesart rosomonorum (Gen. Plur.) bieten die Handschriften V rosomanorum, Z rosimanorum. Die singuläre Form rosomorum der Handschrift L ist ohne Zweifel ein bloßer Schreibfehler (Haplographie). Zwar geht aus dem Kontext nicht hervor, welcher Sprachgruppe die Rosomoni zuzuordnen sind, doch ist Sunilda, der Name der zentralen Frauengestalt, gewiß germanisch (< got. *Swǀna-hildis, anord. Svanhildr; vgl. Müller 1970, S. 63 mit Anm. 39). Auch Ammius und Sarus, die Namen von ihren Brüdern, hat man germanisch gedeutet. Zur Schreibung ‹Rosomoni›: Im Vulgär- und im Spät-Latein sind (das geschlossene) /ǀ/ und (das offene) /ǎ/ in /ì/ zusammengefallen, vgl. Leumann (1977, S. 55 f.). Daher bieten die Handschriften der Getica mehrfach ‹o› anstelle von etymologisch ‹u›, z.B. in consol, monitio (statt munitio), robore (statt rubore) usw. Bugge (1883) rechnet mit gotischem Ursprung des Gruppennamens und erschließt *rusumun- als einheimische Form des Namensstammes. Ihn verknüpft er mit dem ahd. Subst. rosamo, rosomo. (Dies ist mit rubor, aerugo, lentigo glossiert, bezeichnet also verschiedenartige Rotfärbungen an menschlichen Körpern oder Gegenständen.) Diesen überzeugenden Vorschlag haben mehrere Gelehrte übernommen, so von Grienberger (1913, S. 54), Gutenbrunner (1936c, S. 349; 1955) und Gschwantler (1971, S. 166). – (Bugge 1883, S. 3 bestimmt den Gruppennamen als schwachen n-Stamm, doch ist ein starker a-Stamm ebenso möglich.) In vor-germ. *rud h-s-mÖn- (oder -man-) läge dann eine Bildung mit dem (ablautenden) Suffix -men- / -man- / -mǀn- / -mn vor, vgl. Meid (1967, § 107–109), wie im Ethnonym Germani (siehe den Artikel Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde im Reallexikon der germanischen Altertumskunde, S. 262 ff.) oder in Appellativen wie ahd. widomo / widemo ‘Kaufpreis der Braut’ < idg. *h1jed-mon-, as. liomo ‘Glanz, Strahl < idg. *leul-mon- usw. Der Stamm ist idg. *reudh- ‘rot’ (Pokorny 1959–1969, S.

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872 f.); die germ. Adj. *rauda- ‘rot’ und *reuda- ‘gerötet’ bucht Heidermanns (1993, S. 438 f. und 448). Das /u/ der ersten Silbe des Gruppenname ist Schwundstufe, vgl. z.B. griech. EJFB^C- ‘Grund, Boden’ (zu *bheudh-), ahd. brosamo ‘Brocken, Krümel’, bei dem – genauso wie in rosamo – das ǂ der ersten Silbe auf ǎ zurückgeht, vgl. Braune & Eggers (1975, § 32) usw. Das /u/ zwischen s und m erklärt Bugge richtig als Sproßvokal. (Zu solchen allgemein in spät-gotischen Personennamen vgl. Wagner 1994/95a, S. 363. Vgl. ferner speziell die Anaptyxe zwischen s und m im Althochdeutschen: pesamin Dat. Sing. ‘Besen’, drasamo ‘Schnauben’, chrisamo ‘Salbe’.) Das u im Suffix entspräche dem von got. glit-mun-jan ‘glänzen’; doch erlauben die handschriftlichen Varianten, im Gruppennamen auch mit der Vollstufe man- zu rechnen. Nach dieser Deutung heißt der Gruppenname ‘die mit Röte Versehenen’. Dabei bleibt offen, ob sich das auf die (natürliche oder künstliche) Farbe der Haut oder des Haares bezieht (vgl. den Artikel Farbe und Färben im Reallexikon der germanischen Altertumskunde, bes. S. 222–224 und S. 230 f.). Bugge (1883) vermutet, daß ‘Rot’ auf die charakterliche Falschheit (gens infida ‘treulos’) dieser Männer hinweisen solle. Da liege der gleiche Volksglaube zugrunde, wie er gegenüber Rothaarigen im Mittelalter (und schon in der Antike) nachweisbar ist. (Dann wäre Rosomonen sicherlich eine Fremdbenennung.) Dagegen nimmt Gschwantler (1971, S. 167) an, daß an gefärbtes Haar zu denken sei. Dazu erinnert er an Tac. hist. 4,61, wo der Bataver Iulius Civilis vor seinem Kampf gegen die Römer ein Gelübde ablegt (barbaro voto), sein Haupthaar wachsen läßt und rot färbt (propexum rutilatumque crinem), und an Amm. 27,2,2, wo alamannische Krieger „nach ihrer Sitte“ ihr Haar färben (comas rutilantes ex more). Als Benennungsmotiv erwägt Gschwantler (1971, S. 175) daher zwei Möglichkeiten: a. Rosomoni habe einen Kriegerverband bezeichnet, der sich einheitlich die Haare rot färbte, oder b. das Färben gehöre zum Rachegelöbnis der Brüder Sunildas, es deute ihr Vorhaben an. Letztere Hypothese scheint sehr erwägenswert. Schwentner (1915, S. 53) weist aus alten Texten aus verschiedenen germanischen Sprachen nach, daß die Farbe Rot das „Furchtbare und Grausige“ markieren kann. Er zitiert z.B. die altnordische Saga von Thorsteinn Stangenhieb, wo dieser als rauða-víkingr, d.h. mit einer Metapher als aggressiv-blutdürstig bezeichnet wird. Schwierig zu bestimmen bleibt gens, weil es mehrere, ineinander übergehende Bedetungsnuancen hat (so schon Wolfram 1990, S. 98). Jordanes

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verwendet es meist, aber nicht ausschließlich, im Sinne von ‘Volksstamm’. Daher nennen Jiriczek (1897, S. 59) und Schneider (1962, S. 378) die Rosomoni ein ‘Tributarvolk’. Gschwantler (1971, S. 164 ff; 1980, S. 200) und ihm folgend Wolfram (1990, S. 19. 45) halten Rosomoni für einen Beinamen der Eruler (Heruler), doch ist das kaum zwingend. Eher mag gens hier – mit von Grienberger (1913) – einen (vielleicht großen) Verwandtschaftsverband, einen Clan bezeichnen (wie Jord. Get. 252 in gente Amala). Ein solcher war nach Sunildas Tötung durch das Gesetz der Blutrache gebunden (und könnte sich den Namen Rosomoni vor der Tat selbst beigelegt haben). An der Rachepflicht – und daher auch am eventuellen Empfang einer Buße – ist nach Tac. Germ. 21 jeweils die ganze Sippe (universa domus) beteiligt. Andere Herleitungen des Gruppenname Rosomoni vermögen nicht zu überzeugen: Die früher erwogene, doch bereits von Müllenhoff (bei Mommsen, Index, S. 64 „absurdum“), Bugge (1883) und Gschwantler (1971, S. 165 f.) zu Recht abgelehnte Verknüpfung mit dem Namen der Roxolanen, einem iranischen Reitervolk, befriedigt weder lautlich noch geographisch. Grienbergers (1895, S. 159 Anm. 1) ursprünglicher Ansatz got. *hrusama-, zu ahd. rosa, roso ‘crusta, glacies’, also ‘Eis-Männer’, ist semantisch abwegig. Sowohl gegen Kögels (1894a, S. 148) Vorschlag, mit einem Kompositum *hrausi-muni- ‘fortis animo’ (zu anord. hraustr ‘tapfer’) zu rechnen, als auch gegen den bei Gschwantler (1971, S. 172 f.) zitierten Ansatz Steinhausers *rnjsa-muna- ,‘mit stürmischem Sinn’ erheben sich Einwände: 1. got. muns bedeutet ‘Gedanke, Vorsatz, Beschluß’, nicht aber ‘Mut, Temperament, Kampfeswille’, 2. es gibt keine germanischen Namenkomposita mit -muni- im Zweitglied, vgl. Förstemann (1901, Sp. 1136–1138), 3. wegen des i-Stamms muni- wäre *Rosomoniorum zu erwarten. Maenchen-Helfen (1978, S. 17 f.) erwägt, die Rosomonen könnten Alanen (siehe dort im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) gewesen sein, nennt das aber mit Recht selbst unbeweisbar. Auch versucht er nicht, den Gruppenname (oder den der Sunilda) aus iranischem Sprachgut zu erklären. Quellenausgaben: Iordanis Romana et Getica, hrsg. von Th. Mommsen, MGH AA 5,l, 1882, S. 53–200; Iordanis De origine actibusque Getarum, hrsg. von F. Giunta & A. Grillone (Fonti per la storia d’Italia 117), 1991.

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Twihanti

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Dieser Gruppenname ist ausschließlich in zwei Inschriften des 3. nachchristlichen Jahrhunderts belegt, vgl. Riese (1892, Nr. 1855 und 2440). In ihm liegt ein Possessivkompositum vor, dem vermutlich ein -ja-Suffix angefügt war. Das Erstglied besteht aus dem germanischen Kardinal-Zahlwort twi ‘zwei’, das Zweitglied ist nach Loewenthal (1925, S. 415) u.a. mit ahd. hansa ‘Kriegerschar’, got. hansa ‘Gruppe, Menge’, vgl. Loewenthal (1925, S. 415), altengl. hôs ‘Gefolge’ verwandt. (Die dabei am Ende der Wurzel vor-germanisch vorauszusetzende dentale Tenuis ist in den vermutlichen keltischen Verwandten bewahrt: kymr. cant ‘Schar, Truppe’, Plur. canneu, altir. céite ‘Versammlung’, beide mit jeweils anderer Ablautstufe gebildet.) Zum Kompositionstyp vgl. ahd. zwîbar, zubar ‘Gefäß mit zwei Traggriffen’, das Adj. zwizungi ‘doppelzüngig’, nhd. Zwieback, Zwielicht, den Ortsnamen Zwiefalten usw. Der Gruppenname benennt also einen Verband, der ursprünglich aus zwei Teilen besteht. Dieser Name ist wohl zum Ethnonym erweitert worden, denn er lebt in dem der Landschaft Twente fort (niederländisch Twenthe, älter Tuchenti). Diese bildet heute einen Teil der Provinz Overijssel in den Niederlanden, der westlich an das westfälische Münsterland angrenzt. (Analog läßt sich der Name der niederländischen Provinz Drenthe, der im 8. Jhd. als Thrianta belegt ist, als *Dri-hanti analysieren. Quasi-synonym zu Tuihanti ist der im gleichen Raum nachweisbare Gruppenname Tubanti ‘zwei Gaue umfassend’. Steche (1942, S. 80) erwägt daher, er könne die friesische Übersetzung von sugambrischem Tuihanti gewesen sein. Typologisch vgl. ferner das gallische Ethnonym Tricorii ‘aus drei Heerhaufen bestehend’ usw. Weitere Literatur: Lehmann (1986, S. 197, s.v. hansa).

Twisto

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In der Germania des Tacitus (a. 98 nach Chr. Geb.) heißt es c. 2: Celebrant carminibus antiquis, quod unum apud illos memoria et annalium genus est, Tuistonem deum Terra editum. Ei filium Mannum originem gentis conditoremque ... assignant ...

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Beiträge zu Personennamen

In alten Liedern, der einzigen Art geschichtlicher Überlieferung, die sie kennen, besingen sie einen von der Erde geborenen Gott Twisto. Ihm schreiben sie einen Sohn Mannus als Stammvater und Begründer ihres Volkes zu ...

Die Form tuistonem ist – mit Norden (1920, S. 49 Anm.) – handschriftlich am besten bezeugt; schlechter dagegen die Varianten tuisconem (E), bisbonem (m), bistonem (Wc) oder tristonem (Bb). (Doch bestätigen von diesen die letzten beiden die Konsonanz ‹st› der Ausgangshandschrift.) Dieser Göttername Tuisto, den offenbar ein Kulthymnus bewahrte, läßt sich in allen lautlichen und morphologischen Einzelheiten aus germanischem Sprachgut erklären. Seinen Stamm bildet das Zahladverb *twis ‘zweimal, zweifach; entzwei, auseinander’ (nhd. zwier). (Es ist identisch mit lat. bis, griech. 9¼0 < *9#¼0 altind. dvih̙ usw.) Von ihm sind in den germanischen Einzelsprachen mit Hilfe von vier verschiedenen Suffixen mehrere Nomina abgeleitet: die Adjektiva *twiz-na- ‘je zwei’ (anord. tvinnr ‘zweifach’, nhd. Zwirn) und *twis-ka- ‘beide, doppelt’ (ahd. untar zwiskên, nhd. zwischen usw.), sowie die Substantiva *twis-la ‘Gabelung eines Flusses’ (altengl. twisla) und *twis-ta- ‘Zweig, aber auch Entzweiung’ (engl. twist, altnord. tvistr ‘Zweiheit’, nhd. Zwist, vermutlich auch Zwister, eine im niederdeutschen Dialekt Südniedersachsens bewahrte Nebenform zu Zwitter, vgl. Grimm (1854 ff., XXXII, Sp. 1408). – Diesem Dentalsuffix dürfte das im ahd. Adverb einaZen ‘stückweise, schrittweise’ usw. verwandt sein. Mit ihm ist auch im Götternamen zu rechnen. Wenn – wie wahrscheinlich – der lateinische Stamm-Ausgang -on- auf die germanische maskuline n-Deklination weist (ebenso wie z.B. in mehreren Stammesnamen, z.B. lat. Friso, Frisones : ahd. Dat. Plur. Frison usw.), dann entspricht der Deklinationstypus as. hano, Gen. hanon ‘Hahn’. Die etymologische Bedeutung von Twistôn- ist demnach ‘der durch eine Zweiheit, eine Doppelung charakterisiert ist’. Seit Wackernagel (1848a) wird das als ‘der Zweigeschlechtige, Androgyne’ interpretiert, nur Derolez (1974, S. 283) läßt offen: „Deutet der Name ursprünglich Zwillinge an oder war Tuisto vielleicht ein Hermaphrodit?“ In den Origo-Sagen mehrerer Völker steht ein solches Zwitter-Wesen am Beginn der Generationenfolge. So kennt das altnordische WafthrudnirLied (Vafþrúðnismál) den Riesen Ymir „am Anfang der Zeiten“, der mit sich selbst Nachkommen zeugen kann. Sein einer Fuß begattet den anderen. Der Name Ymir deutet nach Güntert (1923, S. 337 ff.) ebenfalls auf die Doppelnatur hin. Güntert (1923, S. 333 ff.) erklärt u.a. noch den altindischen mythischen Herrscher Yamá- als ‘Zwitter’, er sei „eine Dublette von Tuisto“ (1923, S. 337). Ihm folgen Schröder (1931, S. 5–8) und Simek (1984, S. 469 ff.), ablehnend dagegen Börtzler (1936, S. 230 ff.) Räumlich

Beiträge aus dem Reallexikon für Germanische Altertumskunde

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fernerliegende Parallelen buchen Bertholet (1934, S. 17 ff.) und Baumann (1955, S. 162). – Leider gibt es für diesen germ. Götternamen Tuisto aus der Antike keine weiteren literarischen oder epigraphischen Zeugnisse. In seinem a. 1743 erschienenen Hermann – ein Trauerspiel handelt Johann Elias Schlegel von Arminius, dem Cherusker. Es spielt in einem heiligen Hain: „Hier prangt Thuiskons Bild, hier Mannus’ Ehrenmaal“. (Schlegel behandelt – zu Unrecht – in diesem Alexandriner das lat. ‹u› des Götternamens als vokalisch.) In Klopstocks Bardiet „Hermanns Schlacht“ (1769) werden die ‘Deutschen’ (d.h. die Germanen) mehrfach ‘Thuiskons Volk’ genannt. – Auf solche literarischen Reminiszenzen geht im 19. und 20. Jahrhundert der gelegentlich (z.B. in Kreisen des deutschen Adels) vergebene männliche Vorname Thuisko zurück. Weitere Literatur: Dumézil (1939); Much (1967); Müllenhoff (1853, S. 223; 1920, bes. S. 259 ff.); Timpe (1991); de Vries (1957, I ' 329, II ' 573).

IV. Beiträge zu Realien IV.1 Selbstständige Beiträge

Althochdeutsch bergita ‘eine Gebäcksorte’ [Historische Sprachforschung (Historical Linguistics) 111 (1998), S. 163–168] Für Rudolf Große in dankbarer Verbundenheit

Für die ahd. Glosse bergita (auch Akk. pergitun) sw. fem. erweisen die Interpretamente placenta, crustula, collirida, daß sie ein Gebäck bezeichnet. Das Althochdeutsche Wörterbuch (s.v.) hält etymologischen Zusammenhang mit altengl. be(o)rgan, birgan, altnord. bergja ‘schmecken, kosten’ für wahrscheinlich, sagt aber nichts über das suffixale Element aus.1 Lloyd & Springer (1988, S. 558 f.) lassen die Frage der Herkunft offen. Im folgenden soll eine neue Verknüpfung begründet werden. – Im Altgriechischen gibt es zahlreiche Namen von Brot- oder Kuchensorten, die mit dem Suffix -¼I=0, dorisch -¼I60 gebildet sind. (Athenaios 3, 108 F– 116 A und Pollux 6,72 ff. und 6,32 buchen viele.) Sie sind zunächst adjektivische Attribute, vgl. etwa @G>BC¼I=0 XGID0, das Athenaios 646 a aus Iatrokles zitiert, dem hellenistischen Verfasser der Bücher ]GIDED>>@nC und *:G½ EA6@DsCIKC,2 oder XGIDJ0 HED9¼I60 @G=H:G¼I60 ‘Brote in der Asche gebacken, aus gesiebtem Mehl’, belegt bei Diphilos, frg. 26 (Poetae Comici Graeci, vol. V, ed. R. Kassel & C. Austin). – Dann aber sind diese Adjektiva substantiviert worden. Bei einigen besagt der Stamm, in welchem Gefäß sie gebacken wurden: kEC¼I=0, @G>76C¼I=0, I=<6C¼I=0 usw. Auch 7:A¼I=0 ‘am Spieß gebacken’ gehört zu dieser Gruppe. – Häufiger noch sind sie nach einem wesentlichen Bestandteil, z.B. der Mehlsorte, benannt: aG>@¼I=0 ‘Brot aus geschrotetem, ungesiebtem Weizen’, aIC¼I=0 ‘Brei aus Erbsen oder Bohnen’, @G>BC¼I=0 ‘Brot aus Gerstenmehl’, A:@>$¼I=0 ‘Brot aus Mehl von Hülsenfrüchten’, E>IJG¼I=0 ‘Kleiebrot’, EJG¼I=0 ‘Weizenbrot’ zu EJGn0 ‘Weizen, triticum vulgare’, weiter H:B>96A¼I=0 ‘Brot aus Feinmehl’, HI6>I¼I=0 ‘Brot aus Dinkelmehl’, 1

2

Das Ahd. Wb. erwägt fragend, ob das Wort für ‘Brezel’, schwäbisch bretzet, dasselbe Suffix wie bergita aufweise. Doch ist Brezel eher auf lat. *bra(c)chiata, Deminutiv *brachiatella ‘mit Armen versehen’ zurückzuführen, wo dasselbe Suffix -ato- vorliegt wie in barbatus, dentatus usw. Von -ita- ist es klar zu trennen. Vgl. Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft, 17. Halbbd. = Bd. 9/1, 1914, s.v. Iatrokles Nr. 3, Sp. 801 f.

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Beiträge zu Realien

8DC9G¼I=0 ‘Brot aus Speltgraupen’ usw. Oder besondere Zutaten geben den Namen, so bei NJB¼I=0 ‘Hefebrot’, H=H6B¼I=0 ‘Brot mit Sesamsamen’, aCIJG¼I=0 ‘Käsekuchen’. – Bei dem offenbar besonders beliebten3 EJG¼I=0 gibt es mehrere Differenzierungen, die meist durch einen vorangestellten zweiten Nominalstamm bewirkt werden: 6wID-EJG¼I=0, L=GDEJG¼I60 (mit der Variante ?=GD-EJG¼I60) und oAD-EJG¼I=0. – EJG¼I=0 ist wahrscheinlich mit Redard (1949, S. 88) aus *EDEJG¼I=0 entstanden, da sich daneben EDEJG¼I60 ƒGID0 findet. Ferner vgl. das PossessivKompositum XGID0 6wInEJGD0 ‘Brot, das ganz aus Weizenmehl besteht’, das auch lat. als panis autopyrus vorkommt. Auch EsG>CD0 XGID0 ist belegt. Die Römer haben von den Griechen mehrere Gebäcksorten und deren Bezeichnungen übernommen, von diesen sind uns aber einige nur als ¿E6L A:0. Das nur einmal bei Martial belegte copta ist mit griech. @DEI  identisch. spira, das in der speziellen Bedeutung ‘Gebäckstück’ nur bei Cato, agr. 77 und 80 belegt ist, stammt aus griech. HE:¾G6, laganum, zuerst bei Horaz, sat. 1,6,115 bezeugt, aus AU<6CDC. Bei Cicero, ad fam. 9,20,2 und Plinius, nat. 18,105 findet sich artolaganus mask., das (mit Genuswechsel) aus GIDAU<6CDC entlehnt ist, einem Determinativkompositum aus XGID0 und AU<6CDC. Cato, agr. 80 nennt den Akk. Sing. encytum, der auf das mehrfach bezeugte mask. b<8JID0 (scil. EA6@Dy0) zurückgeht. Varro, ling. Lat. 5,107 sagt cetera fere opera a vocabulis Graecis sumpta, ut thnon et placenta... Gemeint ist $G¾DC ‘Feigenblatt, Blatt allgemein’, in das wohl der Teig gewickelt wurde. Zwei andere Fälle sind weniger sicher. Das lat sibitillus, das auch ein Backwerk bezeichnet, hält W. Heraeus (1937, S. 103 Anm. 33) für „volksetymologisch zurechtgelegt“ aus griech. H¼7A=$G6 EnE6C6. – Für lucuns fem. (?) samt seinen Weiterbildungen lucunculus, luculentulus, luculentaster hat man damit gerechnet, daß ein griech. *
3 4

Blümner (1875, S. 68) betont, daß Weizenmehl „bei weitem das gewöhnlichste Mehl für das Brot“ gewesen ist. Es galt auch als das beste. Vgl. poeta aus ED>=I 0, trapezita aus IG6E:N¼I=0 ‘Geldwechsler’ usw. Diese Gruppe bespricht M. Leumann (1977, S. 454).

Althochdeutsch bergita ‘eine Gebäcksorte’

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bil(l)ita5 ‘Käsekuchen’ entspricht, wie man meist annimmt,6 einem *HIG:7A¼I=0, dem HIG:7An0 ‘gedreht’ zugrundeliegt, b) sphaerita, spaerita mask. (nur bei Cato, agr. 82 belegt) setzt *H?6>G¼I=0 voraus, das zu ?6¾G6 ‘Kugel, Ball’ gehört In beiden Fallen ist die vorauszusetzende griechische Vokabel zufällig nicht belegt. Der spät (bei Plinius Valerianus und Oribasius) belegte clibanites hat das griechische Suffix unverändert bewahrt. Mein Vorschlag lautet nun, in diese Wortnische das ahd. bergita einzureihen, indem man es – über eine unbelegte lateinische Zwischenstufe *pyrita, pirita – aus griech. EJG¼I=0 ‘Weizengebäck’ herleitet. Daß lateinische Namen von Backwaren ins Althochdeutsche entlehnt wurden, beweisen Brezel, ahd. brezzitella < lat. bracchiatella und Semmel, ahd. semela, simila < lat simila, simela ‘feines Weizenmehl, Weizenbrötchen’.7 – In den weiteren Bereich der Eßkultur gehören noch zahlreiche Lehnwörter Speise, ahd. spisa < lat. expensa, Käse, ahd. kƗsi < lat. caseus, Butter fem., spätahd. butira fem. < lat. butyrum mit den vulgären8 Varianten buturum, butirum, das seinerseits aus griech. 7DsIJGDC stammt. (Vermutlich sind fürs Vulgärlateinische auch schon Femininformen wie *butira, *butura vorauszusetzen.) – Die süddeutsche Bezeichnung Pfister für den Bäcker, ahd. pfistur, ist aus lat. pistor entlehnt. Ebenso hat das Lateinische bekanntlich dem Althochdeutschen die Namen mehrerer Obstsorten, eßbarer Pflanzen und Knollen sowie die Terminologie des Weinbaus geschenkt. – Diese Lehnwörter-Gruppen innerhalb des Althochdeutschen werden im wesentlichen der frühmittelalterlichen Klosterküche (und dem zu ihr gehörenden Obst- und Gemüsegarten) verdankt.9 5 6 7

8 9

Letztere Variante bei Petronius, Satyrica c. 35,4 und c. 66,3 in der Handschrift H. Dagegen möchte Alessio (1960/61, S. 306) an lat. cribrum, *criblum ‘Sieb’ als Grundwort denken. Das lateinische Wort geht auf griech. H:B¼96A>0. zurück. Dies aber stammt letztlich aus dem Zweistromland, den Griechen ist es über Kleinasien vermittelt worden, vgl. F. Starke (1990, S. 445 Anm. 1601), der keil-luw. zammitati- nachweist und dies mit E. Neu auf altbabylon. sàmidatu ‘Feinmehl’ usw zurückführt. Ein schönes Beispiel für die weitreichende Kulturdrift im Bereich der Nahrungsmittel! Dieser Terminus meint nur ‘einem sprachlichen Stratum angehörend, das unter der Hochsprache liegt’. Bei mehreren Vokabeln bleiben Einzelheiten ihrer Herkunft rätselhaft. Ahd. zeltǀ ‘flacher Kuchen’ könnte ein Lehnwort sein, doch ist eine Quelle noch nicht gefunden. – Mhd. vochenz(e) fem. ‘Art Kuchen oder Weißbrot’ geht gewiß auf mittellat. focacea zurück (vgl. Italien, focaccia), aber der Zeitpunkt seiner Entlehnung ist unklar. Die 2. Lautverschiebung ist beim Tektal im Anlaut der zweiten Silbe durchgeführt. Das gibt einen terminus ante quem.

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Beiträge zu Realien

Wenn wir diese Herleitung von bergita < *pyrita, *pirita < als möglich annehmen, dann bleiben drei lautliche Abweichungen zu erklären. Sie lassen sich sämtlich durch zahlreiche Parallelen erhärten. 1. /b/ statt /p/ im Anlaut: Dieser Wandel gehört zur ‘romanischen Sonorisierung’, vgl. ahd. helli-bƯna ‘Höllenpein’ < lat. poena, später pena < griech. ED>C , bedala ‘dünnes Blech’ < lat. petalum < griech. E^I6ADC, beonia ‘Pfingstrose’ < lat. peonia < griech. E6>KC¼6, betonia ‘Mangold’ < lat. petunia, bibinella ‘Meerrettich’ < lat. pipinella, bƯmenta (neben pƯmenta) ‘Gewürz’ < lat. pigmentum, mittellat. pimentum, bir, bira ‘Birne’ < lat. pira, bredigǀn ‘predigen’ < pr(a)edicare, brnjnelle ‘Braunelle, Prunella modularis‘ (Singvogel) < lat. prunella, buhsa ‘Büchse, Dose’ < lat. buxis < griech. EsL>0, burgele ‘Großer Sauerampfer’ < lat. portulaca, busihho, auch pusihho ‘Knabe’ < lat. pusio. Vgl. Braune & Eggers (1987, § 133 Anm. 3). 2. -rgi- statt -ri-: In mehreren Lehnwörtern aus dem Lateinischen ist in spätalthochdeutscher Zeit sekundär zwischen i und einem dunklen Vokal ein -g- entstanden: ahd. tƯligǀn < lat. delere; ahd. gilge ‘Schwertlilie’ (neben lilio) < lat. lilium; mhd. kevje ‘Käfig’ < lat. cavea, vulgär cavia;10 mhd. mënig, spät-ahd. minig ‘Mennig’ < lat. minium, ahd. meiger (neben meior, meiur) ‘Wirtschaftsverwalter’ < lat. maior. Der spätlat. Pflanzenname sclareia ‘Borretsch, Scharlei, Borago officinalis’11 erscheint im Althochdeutschen in mehreren Varianten, eine davon lautet sclarega. Der neuhochdeutsche Ortsname Mergent-heim enthält im Erstglied den Gen. Mari(j)en (mit euphonischem -t-), von lat. Maria, dem Namen der Gottesmutter. – In all diesen Fällen ist eine vulgär- oder spätlat. Lautverbindung -ej- bzw. -ijvorauszusetzen. Vgl. Braune & Eggers (1987, § 118 Anm. 3) und Mittelhochdeutsche Grammatik (§ 118 Anm. 2). 3. Beim Vokalismus spielen zwei Vorgänge mit. a. Schon das Lateinische hat in mehreren griechischen Fremd- und Lehnwörtern statt /ü/ ein /i/ eingeführt:12 HJAA67  > lat. sillaba, @DAAsG>DC (bzw. *@DAAJG¼0, -¼9D0) > lat. collirida, @s@CD0 ‘Schwan’ > vulgärlat. cicinus, @s6$D0 ‘Becher’ > lat. quiatus, @sB>CDC ‘Kümmel’ > lat. cuminum, ciminum. Die Appendix Probi fordert z.B. gyrus, non girus. Ahd. gips 10 11 12

Hier ist zufällig im Althochdeutschen die vorauszusetzende Form mit g hinter dem i nicht belegt; unsere Quellen bieten kevia, keva, keba. Er geht nach Genaust (1976, s.v.) über ein vulgäres ascla reia auf hastula regia zurück. Vgl. Väänänen (1967, § 58). – Das Griechische selbst hat den Wandel von /ü/ zu /i/ erst am Ende des l. nachchristlichen Jahrtausends durchgeführt.

Althochdeutsch bergita ‘eine Gebäcksorte’

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mask. (und Italien, gesso) gehen auf lat. gipsus zurück, das neben häufigerem gypsum steht. Quelle ist griech. <s?D0 fem. – Entsprechend weist ahd. imno auf eine gleichlautende vulgärlateinische Form, die neben dem hochsprachlichen hymnus < griech. uBCD0 bestanden haben muß. (Auch Italien, inno usw. setzt sie voraus.) – Der ahd. Pflanzenname kariofel ‘Nelkenwurz’ stammt – über eine lateinische Zwischenstufe – aus griech. @6GJn?JAADC ‘Eugenia caryophyllata’. – Ahd. quitina fem., kutina fem. ‘Quitte’ setzen wohl ein vulgärlat. Substantiv *quidena (oder ähnlich) voraus, das neben den hochlat. Adj. cydonius, quidonius existiert haben kann.13 Zugrunde liegt letztlich griech. @J9°C>DC BdADC.14 b. Ein lat. /i/ ist im Vulgär- und Spätlateinischen bzw. Romanischen oft zu /e/ geöffnet worden. Das belegen zahlreiche Beispiele: lat. linteum > lenteum, lat. triginta > Italien, trenta, französ. trente, provenzal. und katalan. trenta. Entsprechend erscheint der griech. Pflanzenname EsG:$GDC ‘Anacyclus pyrethrum’ im Lat. als piretrum, im Altfranz. als peretre und im Althochdt. als berhtram.15 BJ<9UA= ‘Mandel’ findet sich lat. als amidala, amandula (und in weiteren Varianten), im Provenzal. dreisilbig als amela. – Griech. 8G¾HB6 ‘Salbe’ ist im Vulgärlat. zu *cresma geworden, vgl. franz. crème fem.; im Althochdt. finden sich nebeneinander krisamo und kresamo mask. ‘Salböl’. Ahd. senod mask. ‘Gerichtsversammlung’ geht über lat. sinodus auf synodus mask. / fem. (griech. HsCD9D0 fem.) zurück, das oben erwähnte bechela auf lat. picola. Entsprechend sind die Pflanzennamen ahd. astrenza ‘Osterluzei’ < lat. astritium und ahd. avermonia ‘Odermennig’ < lat. agrimonia zu beurteilen: auch sie setzen vulgärlateinische Formen mit e in der zweiten Silbe voraus. (Zu letzterem vgl. als zusätzliches Zeugnis breton. agreman.) – Nicht immer ist die zu postulierende vulgärlateinische Zwischenstufe belegt, doch läßt sie sich oft aus romanischen Sprachen erschließen. Das gilt für IG¼?JAADC ‘Klee’; da dessen Fortsetzer franz. trèfle, span. trebol, portug. trevo lauten, ist ein regionales *tref(u)lo oder ähnlich vorauszusetzen. Zu notieren bleibt das Genus fem. des althochdeutschen Wortes. Die griechischen Adjektive auf -¼I=0 sind maskulinum, aber schon lat. scriblita wird bei Martial III 17, l als Femininum verwendet; entsprechend spricht 13

14 15

Das Edictum Diocletiani VI 73 gibt mala qudenaea. – Logudores. kidandza und campidogl. tidonga bezeugen, daß es regional vor-romanische Formen des Fruchtnamens mit i in der ersten Silbe gegeben hat. – Vgl. F. Solmsen (1911, S. 241– 245). Griech @J erscheint mehrfach als lat. qui, vgl. Leumann (1977, S. 53, § 52 b). Da hat zusätzlich der deutsche Personenname Bertram eingewirkt. – Im heutigen Englisch hat der Pflanzenname die ebenfalls stark entstellte Form pellitory.

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Beiträge zu Realien

Petron c. 66,3 von sciribilita frigida. So scheint leicht denkbar, daß auch *pyrita, pirita im Vulgärlatein fem. war – wie ja auch die griechischen Neutra auf -B6, -B6ID0 im Latein vielfach zu Feminina geworden sind.16 Die Lautgestalt dieser Lehnwörter, die ja für die Deutschen etymologisch nicht durchsichtig waren, hat sich in deren Mund oft stark gewandelt; das zeigen Fälle wie ahd. berhtram, burgele usw. – Dadurch, daß bei bergita mehrere Lautvorgänge am selben Wortkörper gewirkt haben, ist dieser so verändert worden, daß die moderne Forschung seine lateinischgriechische Herkunft bisher nicht erwogen hatte.

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Im Text oben finden sich mehrere Beispiele für Genuswechsel beim Übertritt eines Wortes in eine andere Sprache.

Sualiternicum ‘Bernstein’ [Anglo-Saxonica. Festschrift für Hans Schabram zum 65. Geburtstag, hrsg. von Klaus R. Grunda & Claus-Dieter Wetzel. München 1993, S. 431–439]

Die Naturalis historia von C. Plinius Secundus dem Älteren enthält ein Kapitel über den Bernstein,1 das auch zwei nicht-lateinische Bezeichnungen für diesen Stoff bietet. Die eine – glƝsum – geht auf ein westgermanisches Substantivum zurück, das mit ae. glær m. ‘Bernstein, Harz’, ahd. glas n. ‘Glas, Bernstein’ (> nhd. Glas) verwandt ist,2 also zur idg. Wurzel *g hles- ‘glänzen’ gehört. Diese sichere Verknüpfung zeigt, daß zugleich mit der Sache, den bei den Römern beliebten Stücken fossilen Harzes, auch das Wort nach Süden gelangt ist. Die zweite Vokabel – und um sie soll es im folgenden gehen – hat der modernen Forschung größere Schwierigkeiten gemacht. Der Kontext lautet bei Plinius: Philemon fossile esse dixit et in Scythia erui duobus locis, candidum atque cerei coloris quod vocaretur electrum, in alio fulvum quod appellaretur sualiternicum.

Über den hier zitierten Philemon wissen wir wenig. Nach E. Norden (1921)3 hat er in einer Art E:G¼EADJ0 Id0 a@In0 Berichte von Forschern und Handelsreisenden über Nordeuropa (von Irland bis Skandinavien) zusammengestellt. -@J$¼6 bezeichnet bei den griechischen Ethnographen 1 2 3

Vgl. C. Plini Secundi Naturalis Historiae libri XXXVII, rec. L. Jan, C. Mayhoff (Lipsiae 1892–1906), lib. XXXVII, cap. 33 Vgl. J. Pokorny (1959–69, I, S. 432); G. Bonfante (1985, S. 316–319); E. Meineke (1984, S. 47 ff.); zu ae. glær vgl. Hans Schabram (1989). Nach Norden, der ihn in die 1. Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. datiert, war er „frühestens ein Zeitgenosse Strabons“. Dagegen datiert ihn K.G. Sallmann (1971, S. 83) schon in das erste vorchristliche Jahrhundert. – Die zwei dem Philemon namentlich zugeschriebenen Fragmente hat C. Mueller (Hrsg.), Fragmenta Historicorum Graecorum, 4 (Paris 1868), S. 474, gebucht. Beide stammen aus der Naturalis historia des Plinius. – Vielleicht ist auf Philemon auch die Erwähnung des ältest-bezeugten germ. Personennamens FGDJH@6CD0 zurückzuführen: Vgl. Neumann (1953, S. 53–55).

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Beiträge zu Realien

das nördliche Europa, und zwar meistens dessen ostwärtigen Teil. Aber es scheint – soweit die spärlichen Zeugnisse ein Urteil erlauben –, daß das Buch des Philemon nur vom Nordseeraum4 handelt, nicht von dem der Ostsee. Unzutreffend ist es zweifellos, wenn in der Plinius-Stelle electron und sualiternicum als Bezeichnungen für unterschiedlich gefärbte Bernsteinsorten einander gegenübergestellt werden. Electron (ŠA:@IGDC) jedenfalls ist die allgemeine griechische Bezeichnung für ‘Bernstein’, nicht nur für eine spezifische Sorte.5 Was die zweite bei Plinius überlieferte Bezeichnung betrifft, so schwankt schon deren Überlieferung. Die hier verwendete Lesart sualiternicum, für die sich heute die Plinius-Herausgeber überwiegend entscheiden, ist dem Kodex B, einem Textzeugen „of outstanding quality“,6 zu verdanken. Nur wenig abweichend liest Kodex La sualternicum. Wenn demgegenüber F und einige andere Handschriften subalternicum bieten, dann sind da offenbar Anklänge – wenn auch sinnlos bleibende – an lateinische Lexeme gesucht worden. Das ¿E6L A:8D0 nur im dorischen Dialekt, der hier kaum ins Spiel zu bringen ist, die Bedeutung ‘rot’; vor allem aber greift diese Konjektur allzu stark in die Überlieferung ein. So war es der richtige Weg, die überlieferte Buchstabenfolge möglichst ernst zu nehmen und das Wort – wie glƝsum und andere, die Plinius maior überliefert (z.B. sapo oder vibones) – für eine nordeuropäische Vokabel zu halten. Angesichts der Länge des Wortkörpers wird man am ehesten mit einem Kompositum rechnen. Dabei liegt es nahe, dessen Fuge hinter sualianzunehmen. Im folgenden werden zunächst die älteren Deutungsansätze – und zwar aus praktischen Gründen nicht immer streng chronologisch – erörtert; darauf aufbauend, stelle ich dann einen eigenen Vorschlag zur Diskussion. 4

5 6

Dort fand sich Bernstein z.B. an der Westküste Jütlands und Schleswigs: Vgl. etwa E. Norden (1934, S. 258 Anm. 3). Auch die ‘Bernsteininsel’ Glesaria – vermutlich eine der friesischen Inseln – lag wohl im Nordseeraum. Zur Diskussion um die Frage der Herkunft des römischen Bernsteins aus Samland oder von Jütland vgl. A.A. Lund (1988, S. 234, mit Literatur). Außerdem bezeichnet es das Hellgold, eine Gold-Silber-Legierung. Vgl. dazu z.B. Hans Schabram (1990, S. 1–18). So L.D. Reynolds (1983, S. 311). Zu F vgl. ebd. (S. 312).

Sualiternicum ‘Bernstein’

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I. O. Weise (1887, S. 159 f.) sucht im Erstglied „die an sucinum ‘bernstein’ oder suavis angelehnte römische Form des griechischen u6AD0 ‘bernstein, glas’“. Tatsächlich findet sich das Substantiv hyalus an einigen wenigen Stellen der lateinischen Literatur.7 Als Glosse ist ein Adj. hyalinus belegt, das eine genaue Übernahme des griech. sUA>CD0 darstellt, und schließlich verwendet der Mediziner Celsus die griech. Adjektivbildung hyaloides (s6AD:>9 0); doch kommt in der gesamten Latinität der Nominalstamm hyalo- nur selten vor, da er eine gelehrte Entlehnung ist. Beim Zweitglied -ternicum erwägt Weise, es könne aus dem Adj. germanicum entstellt sein. Das ist zweifellos zu kühn. Mit welcher Art von Verknüpfung der beiden Stämme er rechnet, sagt Weise nicht deutlich; vermutlich mit einer Junktur von Substantiv plus nachgestelltem adjektivischem Attribut. Vor allem aber bleibt mißlich, daß Weises Konstrukt so stark vom handschriftlich Überlieferten abweicht und voraussetzt, dieses sei (‘volksetymologisch’ oder durch Wortkreuzung?) entstellt. Man könnte versucht sein, Weises Heranziehung von u6AD0 grundsätzlich für richtig zu halten, aber sich dessen Zusammenhang mit sualiternicum anders vorzustellen. Da u6AD0 / u:AD0 innergriechisch keinen etymologischen Anschluß gefunden hat, ließe es sich allenfalls als Lehnwort aus einer nördlichen Sprache auffassen. Falls es – wie man mehrfach vorgeschlagen hat – von der idg. Wurzel *suel- abgeleitet wäre, müßte es freilich schon tief im zweiten vorchristlichen Jahrtausend entlehnt worden sein, denn die Texte in Linear B belegen, daß der vorauszusetzende Lautwandel s- > h- im Griechischen lange vor dem 13., vielleicht schon im 16. Jahrhundert stattgefunden hat.8 Insgesamt erscheint eine Verknüpfung des Erstgliedes von sualiternicum mit u6AD0 höchst gewagt. Für sualiternicum hat es noch andere Deutungsansätze gegeben. Abwegig war der Versuch K. Müllenhoffs (1890, S. 413 mit Anm.), das Wort in vier Elemente su-alit-ern-ico- oder auch su-ali-tern-ico- zu segmentieren und für jedes einzelne Segment den Anschluß ans Keltische zu versuchen. Ein anderer Vorschlag führte dagegen einen Schritt weiter. W. Bessell (1858, S. 63) hat – wohl als erster – erwogen, das Erstglied suali- mit dem 7 8

So in Vergils Georgica, IV.335; in der Mosella des Ausonius, v. 418; bei Prudentius, Peristephanon, 12.53. Manche Mykenologen gehen noch weiter, indem sie damit rechnen, daß die beiden in Linear B belegten Formen we-a2-re-jo und we-a-re-ja als adjektivische Ableitungen mit u6AD0 zu verknüpfen seien, wobei we- als /(h)u-/ zu lesen wäre. Auch das bleibt schwierig. Allerdings übersetzen sie den Stamm nicht als ‘Bernstein’, sondern als ‘Bergkristall’.

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Stamm des germ. Verbs *swelan ‘brennen, verbrennen (intrans.)’9 zu verknüpfen. Er setzt dabei voraus, daß – wie bei glƝsum – der Name der Ware mit dieser zusammen vom ersten Handelsort bis zum Käufer gelangt sei. Weniger glücklich war Bessell in seiner Behandlung des Zweitgliedes, in dem er ein germ. Adj. *ternigo- ‘heimlich’ erkennen wollte. (Zu diesem vgl. z.B. Falk & Torp 1909, s.v. darnia). So gelangte er zu einer Gesamtbedeutung ‘das heimlich Brennende’; gemeint sei ‘das ohne Flamme Brennende’. Semantisch wirkt dieser Vorschlag recht künstlich. Lautlich ist es zudem nicht gut möglich, das von Bessell postulierte, mit stimmlosem germ. Dentalplosiv anlautende Adjektiv z.B. an ae. dierne, nhd. tarnen (< wgerm. *darn- mit stimmhaftem germanischem Anlaut) anzuschließen. W. Pierson (1869) will ebenfalls an die Wurzel idg. *suel- anknüpfen, aber an ihre Kontinuante im Litauischen. Seine morphologische Analyse ist ungenügend. Jahrzehnte später hat sich R. Koegel (1894b, S. 316) mit unserem Wort befaßt. Unter den handschriftlichen Lesarten bestimmt er – mit Recht – sualiternicum als die beste. Das Erstglied will auch er an den germ. Stamm *suel- anknüpfen. Für das Zweitglied erinnert er – und das bringt einen wesentlichen Fortschritt – an den germ. Nominalstamm *terw / trew- ‘Baum’, der in ae. trƝo(w), as. trio, altnord. tré, got. triu, sowie im ostgerm. Ethnonym Tervingi vorliegt. Vgl. Falk & Torp (1909, S. 157); Pokorny (1959– 1969, S. 215). Koegel hält -ternicum für eine suffixal erweiterte Ableitung davon. Was freilich den inlautenden Nasal betrifft, so schreibt er (S. 310) ratlos: „Die Weiterbildung mit n weiss ich aus dem Germanischen sonst nicht zu belegen...“. Insgesamt erschließt er für sualiternicum eine Bedeutung ‘etwas Brennbares, das den Anschein von Holz hat’. Das vermag semantisch und hinsichtlich der Wortbildung wiederum noch nicht zu befriedigen. An dieser Stelle ist daran zu erinnern, daß die gebildeten Griechen und Römer durchaus wußten, woraus Bernstein entstanden war. So schreibt Plin. nat. 37,43: arboris sucum esse etiam prisci nostri credidere, ob id sucinum adpellantes; auch spricht er von den Einschlüssen im Bernstein (ebd., 46). Ganz ähnlich Tac. Germ. 45: 9

Vgl. z.B. ae. swelan ‘verbrennen’, sweoloÿ ‘Brand’; nhd. schwelen. Nach dieser Deutung läge hier das gleiche Benennungsmotiv vor wie in nhd. Bernstein, dessen Erstglied zu brennen gehört, oder wie in lit. gintƗras ‘Bernstein’, das nach einer von W.P. Schmid im vorliegenden Band bestätigten Etymologie mit altnord. kynda, bair. kenten ‘anzünden’ verwandt ist. [Anm. der Hrsg.: Wolfgang P. Schmid, Bemerkungen zu litauisch gin(n mit Tilde)taras ‘Bernstein’, in: Anglo-Saxonica, S. 425–430.]

Sualiternicum ‘Bernstein’

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sucum tamen arborum esse intellegas, quia terrena quaedam atque etiam volucria animalia plerumque interlucent, quae implicata humore mox durescente materia cluduntur.

Zu vergleichen ist ferner bereits Aristoteles.10 Solche Kenntnisse sind natürlich nicht nur den Völkern des Mittelmeerraums zuzubilligen, sondern durchaus und vor allem denen im Norden, die den Bernstein ausgruben oder aufsammelten und ihn dabei noch wesentlich vielgestaltiger kennenlernten – in unterschiedlichen Größen, Formen, Farben, Graden der Durchsichtigkeit und Härte und mit den verschiedenartigsten Einschlüssen.11 Daß Bernstein brennbar war, hatte schon Pytheas beobachtet: pro ligno ad ignem uti.12

II. Soweit die Doxographie. An sie sollen nun meine eigenen Überlegungen anschließen: Vorgeschlagen sei, aus svaliternicvm per coniecturam svalitervinvm (oder svalitervivm) herzustellen, d.h. damit zu rechnen, daß im Plinius-Text ein ‹v› zu ‹n› verlesen worden ist. Ein solcher Fehler erscheint paläographisch sowohl in Majuskeln wie in Minuskeln leicht möglich. Unwahrscheinlicher wäre es, die Korruptel schon dem griechischen Text des Philemon zuschreiben zu wollen, der den germanischen Bilabial /w/ wohl mit dem Digraphen ‹DJ› wiedergegeben haben dürfte. Mit -terv(a)- wäre hier in latinisierter Graphie ein Substantivstamm hergestellt, der in den wgerm. Varianten *terwa-, *tirwja-, beide ‘Harz’, vorliegt und eine Ableitung von der Bezeichnung für ‘Holz’ ist.13 Durch einen

10

11

12 13

Meteor. 4.10,388 b 13. Der spätestens seit Euripides, Hippolytos, S. 732 ff., bezeugte Mythos von den Tränen der in Pappeln verwandelten Heliaden, der Schwestern des Phaethon, belegt wohl bereits, daß die Griechen Bernstein richtig als festgewordenes Baumharz bestimmten. Vgl. aber schon Fragmenta Hesiodea (Merkelbach & West 1967), frg. 311. – Daneben gab es freilich auch phantastische Erklärungen; so z.B. die bei Plin. nat. 37,36, referierte eines Nikias, der den Bernstein als solis radiorum sucum auffaßte, oder (ebd., 35) die eines Sotacus, daß er petris effluere. Es war zweifellos unberechtigt, wenn Tac. Germ. 45,14, meinte, den Germanen die Kenntnis der Entstehung des Bernsteins absprechen zu sollen: nec quae natura quaeve ratio gignat, ut barbaris, quaesitum compertumve. R. Much und andere haben ihm da mit vollem Recht widersprochen. Vgl. R. Much (1967, bes. S. 512 ff.). H.J. Mette (Hrsg.), Pytheas von Massalia (Berlin 1952), frg. 11 a. Eine adjektivische Ableitung ist davon allerdings nicht bezeugt. Nhd. Teer ist aus dem Ndd. entlehnt und bezeichnet nach dem Deutschen Wörterbuch (Grimm et al. 1854 ff., s.v. Theer) von Haus aus ‘das von (harz-)bäumen stammende dicke öl’.

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Beiträge zu Realien

geringfügigen emendatorischen Eingriff erhalten wir eine von der Sache her zu erwartende Vokabel, denn *terwa- bedeutet nach dem Zeugnis seines ae. Fortsetzers teoru anscheinend nicht nur ‘Teer’: Das ae. Wort dient in den frühesten alphabetischen Glossaren zwar als Wiedergabe von lat. napta,14 aber auch für die Lemmata cummi, gluten und resina. Zumindest resina15 legt die Annahme auch einer Bedeutung ‘Harz’ nahe. (Die spätere altenglische Überlieferung belegt tyrwa m., tyrwe f., n-stämmige Reflexe von wgerm. *tirwja / ǀ). Was das Suffix am Wortende von *svalitervinvm angeht, so ist die Konjektur weniger sicher, denn es läßt sich wohl nicht völlig ausschließen, daß Philemon an ein germanisches Wort ein Suffix seiner Muttersprache angehängt hätte; die Griechen benützten z.B. gern -wo-, um Stoffadjektiva zu bilden.16 Eher möchte ich jedoch damit rechnen, daß sich schon das Germanische vom Kompositum *swali-terw(j)a- eine adjektivische Ableitung geschaffen hatte. Sie war semantisch notwendig, insofern der Bernstein nicht geradezu als ‘Harz’, sondern als ‘aus Harz bestehend, aus Harz entstanden’ zu bezeichnen war. Dabei sind zwei Möglichkeiten zu erwägen: a. Mit Vorrang wäre an das Suffix *-Ưna- zu denken, das in vielen Stoffadjektiven germanischer Sprachen belegt ist, wie z.B. got. silubreins, staineins; ahd. guldƯn, adamantin; ae. hyrnen, trƯwen.17 Sollte dies Suffix in einem Zweitglied wgerm. *-terw-Ưna- (latinisiert als *-tervin-) vorauszusetzen sein, so müßte man erklären, warum der germanische i-Umlaut noch nicht eingetreten ist,18 und mit einem Schreiberversehen rechnen, das darin bestanden haben könnte, daß das V durch Vor-

14 15 16

17

18

Wie sich *terw- zu *trew- ‘Baum, Holz’, verhält, ist im einzelnen unklar: Vgl. F. Kluge (1989, s.v. Teer). Bezeichnenderweise mit attributiver Verdeutlichung als blaec teru: Pheifer (1974, Nr. 677). z.B. Pheifer (1974, Nr. 858). Vgl. @DGG6A>@n0, BDA>79>@n0, t6A>@n0, 86AJ79>@n0 und viele andere. An einen exotischen Pflanzennamen ist es bei Dioskorides in H6B?6G>I>@ CUG9D0 angetreten. (De materia medica, cap. 1,7). Vgl. F. Kluge (1926, §§ 198–201); W. Henzen (1965, S. 128); W. Meid (1967, S. 95). Die althochdeutschen Bildungen mit dem Suffix -Ưn- überschaut man jetzt mit einem Blick bei R. Bergmann (1991, S. 344 f.). Nach K. Luick (1921–40, § 75) hat sich der Wandel von e zu i vermutlich im ersten vor- und nachchristlichen Jahrhundert abgespielt. Vgl. ferner E.C. Polomé (1992, S. 66): „Es sieht also so aus, als ob die Hebung des idg. *Ɵ zu i durch regressive Abstandsassimilation an [i] oder [j] der folgenden Silbe in der frühen römischen Kaiserzeit noch nicht vollzogen war ...“. Philemon könnte das Wort also noch in seiner älteren Lautung kennengelernt haben; vgl. oben, Anm. 3.

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wegnahme des folgenden n ersetzt worden ist. Der Ausgang -cvm in der überlieferten Form (svali-)ternicvm ließe sich als Spur eines latinisierenden Korrekturversuchs auffassen. b. Möglich wäre allenfalls auch, mit dem häufigen germ. Suffix *-ija- zu rechnen, das allgemein adjektivische Ableitungen von Substantiven schafft. Das c könnte man als Einfügung eines Schreibers vielleicht nach dem Vorbild des lat. Suffixes -ico- ansehen. Der Erklärung bedarf schließlich noch der grammatische Status des Erstglieds. Da in der fraglichen frühen Zeit das Germanische Determinativkomposita mit Verbalstamm als Erstglied noch nicht in nennenswerter Zahl besaß,19 wird am ehesten mit dem Kompositionstyp ‘Adjektiv vor Substantiv’ zu rechnen sein.20 Das Erstglied bestünde dann aus dem Nominalstamm *swali- ‘brennend (intrans.), ardens’. Zwar weisen die germanischen Einzelsprachen ein Adjektiv dieser Bedeutung nicht auf,21 doch gilt an. svalr trotz seiner Bedeutung ‘kühl, kalt’ als dasselbe Wort.22 Als dessen Ausgangsbedeutung nimmt man entweder ‘brennend kalt’ oder aber ‘ausgebrannt’ an. Die anzunehmende Vollstufe mit Abtönung zur vorliegenden Wurzel tritt auch anderweitig auf.23 Demnach wäre als Bedeutung des erschlossenen wgerm. Neutrums *swali-terw-in-an oder *swali-terw-ij-an etwa ‘brennbares aus Harz entstandenes (i.e. Material)’ anzusetzen. Das wäre freilich eher eine Wesensbeschreibung des Stoffes als sein gebräuchlicher Name, und ist gewiß keine Bezeichnung für eine bestimmte Sorte.

19

20 21 22

23

Die Anfänge dieser Bildungsweise reichen allerdings im Deutschen und Englischen (Typ ae. hwete-stƗn: ahd. weZZi-stein) nach Meid (1967, § 33) in westgermanische Zeit zurück. Vgl. zu diesem Typus C.T. Carr (1939, S. 56 ff. 85 ff. 147 ff.); Meid (1967, § 31.2); T.J. Gardner (1968, S. 58). Afries. swal-dolch ‘Brandwunde’ dürfte eher mit substantivischem Erstglied gebildet sein. Vgl. z.B. Pokorny (1959–1969, S. 1045); E. Hellquist (1948, s.v. sval ); J. de Vries (1962, s.v. svalr); N.Å. Nielsen (1966, s.v. sval ). Zur Semantik E. Lewy (1907, S. 144 mit Anm. 2). So im nhd. Schwalch, ndd. swalk, ‘Dampf’. Zu einer anderen Wurzel liegt sie auch in dem i-stämmigen Adj. got. hrains ‘rein’ vor.

IV.2 Beiträge aus dem Reallexikon der germanischen Altertumskunde

Auster

(Bd. 1, 1973)

§ 1. Sprachliches. Obwohl die Germanen die Auster als Nahrungsmittel gekannt haben, ist kein eigenes Wort dafür überliefert; wahrscheinlich haben sie sie unter dem Sammelnamen *skaljǀ ‘Schalentier, Muschel’ miterfaßt. – Das ags. ostre (und seine Entsprechungen in den anderen germanischen Sprachen, darunter ahd. aostor mit unerklärtem ao statt zu erwartendem o) sind Kulturlehnwörter aus roman. *ostra, das auf lat. ostreum n. bzw. ostrea f. zurückgeht. (Die Römer haben die Zucht der Austern mit nach England gebracht.) Das lateinische Wort seinerseits ist entlehnt aus griech. €HIG:DC, wörtlich ‘Knochentier’, d.h. die eßbare Muschel ist auch hier nach ihrer harten Schale benannt worden. – Auch ahd. moscele, altsächs. muscula ‘Muschel’ ist Kulturlehnwort aus dem Lateinischen.

Birke

(Bd. 3, 1978)

§ 2. Sprachliches. Die Formen der germanischen Einzelsprachen (ahd. bircha, altsächs. birke, altengl. beorc / birce, altnord. bjƭrk) führen auf urgerm. *berkǀ, *berkjǀ, fem. Unmittelbare Verwandte finden sich im IndoIranischen (z.B. altind. bhnjrja- ‘betula Bhojpatra’ und osset. [iran.] bærz), im Baltischen (z.B. lit. béržas), im Slavischen (z.B. russ. berëza), die alle auch Birkenarten bezeichnen, ferner lat. farnus und fraxinus ‘Esche’. – Zugrunde liegt wohl eine idg. Wurzel *bherΩƣ ‘glänzen, weiß sein’, die auch in ahd. bëraht ‘Glanz’ steckt. Der Baum wäre also in indogermanischgrundsprachlicher Zeit nach seiner hellen, schimmernden Rinde benannt worden. – In germanischen, baltischen, slavischen Ortsnamen erscheint der Baumname häufig. Das germ. Wort *berkanan ‘Birkenreis’ ist der Name der Rune †. Als Argument in der Frage nach der ‘Urheimat’ der Indogermanen ist die Birke schlecht geeignet, da sie im Subboreal wesentlich weiter südlich verbreitet war als heute. Weitere Literatur: Firbas 1(949); Hoops (1905, S. 114–123); Marzell (1937–1979, Sp. 5951, s.v. betula); Thieme (1954, S. 11. 14. 31 Anm. 2).

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Beiträge zu Realien

Brücke

(Bd. 3, 1978)

§ 3. Namenkundliches (Gallien, Germanien und Britannien). In Gallien läßt sich das kelt. Erbwort briva ‘Brücke’ seit dem Einsetzen der literarischen Überlieferung im 1. Jahrhundert v. Chr. Geburt mehrfach als Bestandteil von Ortsnamen belegen. (Vgl. dazu unter II, § 5b dieses Artikels im Reallexikon der germanischen Altertumskunde). Dagegen treten im germanischen Sprachraum entsprechende Namen mit dem Element *brugjǀ erst wesentlich später auf und bleiben auch dann ziemlich selten. Zu den ältesten gehören a. 678 der einstämmige Ortsname Brugae (heute Brügge in Flandern), im 8. Jhd. Osnabruggi (heute Osnabrück), a. 835 Germaris prucca (nach einer Person genannt). – In England sind die ältesten Belege Mimbrugge a. 675 (heute Mimbridge, Surrey; zu ae. minte ‘Minze’); a. 675 Waigebrugge (heute Weybridge, Surrey ‘Brücke über den Fluß Wey’), a. 680 Thelbrycg (heute Elbridge, Sussex; zu ae. thel ‘Planke’); a. 770 in bridenan brygge (heute Bridenbridge, Worcestershire, wörtlich ‘die aus Planken [ae. bred] bestehende Brücke’). – Zu bedenken bleibt aber, daß ahd. brucca (und seine angelsächsischen und altenglischen Entsprechungen) auch ‘Damm’ oder ‘Weg aus Bohlen durch Sumpfgelände’ bedeuten können. – Auch die Ortsnamen mit Hinterglied ‘Steg’, das eine kleinere Brücke bezeichnet, oder ‘Specke’, fem., sind weder älter noch häufiger. ‘Specke’ lebt in der Bedeutung ‘Dammweg, Knüppelbrücke’ als Appellativ noch in Westfalen, Niedersachsen, Hessen, Saarland, Pfalz, als Ortsnamen-Bestandteil ist es in Bayern, Schwaben und der Schweiz erhalten. (Dort a. 819 Specprucca, heute Bruggen bei St. Gallen.) Dieser große Zeitunterschied zwischen dem Auftreten der gallischen und der germanischen Brücken-Ortsnamen legt den Schluß nahe, daß es in Gallien erheblich früher feste (und deshalb ‘namengebungswürdige’) Brükkenbauten gegeben hat als in der Germania libera. (Der Grund dafür könnte im Bestehen einer eigenen gallischen Brückenbautechnik gesucht werden.) In Britannien findet sich kelt. briva ebenfalls in einigen Ortsnamen wie Durobrivae und Durocobrivae (Itin. Ant. 475 bzw. 476). Doch haben die britischen Sprachen dies Erbwort bald zugunsten des lateinischen Lehnwortes aufgegeben: kymr. pont, korn. pons, bret. pont. Das könnte darauf hinweisen, daß hier die Kelten technische Errungenschaften des römischen Brückenbaus übernommen haben. Im Gebiet der römischen Raetia (siehe den Artikel Raetien im Reallexikon der germanischen Altertumskunde) sind mehrere Ortsnamen bezeugt, die das lat. pons ‘Brücke’ enthalten, so Pons Aeni (heute Pfaffenhofen bei Rosenheim), das a. 804 in ahd. Lautform als Phunzina erscheint. Ferner a. 790 Pontena (heute Seebruck an der Alz, im Chiemgau) und a. 890 Phenzi-

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na (heute Pfünz an der Altmühl) nahe einem Römer-Kastell. (Anders zum fläm. Ortsnamen Brügge aber M. Gysseling 1971). Weitere Literatur: Bach (1954a, § 393); Dittmaier (1963a, S. 77. 233); Ekwall (1960, s.v. brycg); Förstemann (l872, S. 586 ff.); Gröhler (1912, S. 104 f. 141 f.); K. Hald (1957b); Holder (1896, Sp. 610 ff.); Schröder (1911–1913); Schwarz (1950, S. 113).

Buche

(Bd. 4, 1981)

§ 1. Indogermanisches. In den indogermanischen Nachbarsprachen steht neben dem germanischen Buchenwort in gleicher Bedeutung lat. fƗgus fem. Die keltische Entsprechung können wir nur aus Ortsnamen wie Bagacum (Itin. Ant. und Ptol. 2,9,6: U<6@DC) und vielleicht auch Bagusta (Holder 1896) erschließen (vgl. Pokorny 1956). Das griech. ?= IC Ls=C DuIK0 CDBUNDJH>C Dª &J9D¼) aus dem Spiel bleiben, weil speziell für das Lydische weder der Wandel von g zu s noch der von bh zu m wahrscheinlich gemacht werden kann.

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Nach dem Wegfall der früher aus ostindogermanischen Sprachen herangezogenen vermeintlichen Verwandten ist kein gemeinindogermanischer Ansatz mehr berechtigt, sondern nur ein westindogermanischer. Der Name der Buche war da vermutlich ein femininer ǀ-Stamm *bhƗgós; dieses Genus haben die Germanen bei ihrer Überführung des Wortes in die Klasse der idg. -ǀ- bzw. -ǀn-Stämme bewahrt. Wissmann (Marzell 1937–1979, II, S. 412 ff, s.v. Fagus silvatica) hatte nun wegen der von ihm erschlossenen Variante germ. *bnjk-s neben dem west-idg. *bhƗg- ein *bhnjg- postuliert und diese Wurzeln unter den ablautenden Formen *bhƗ(u)g- / *bhnjg- vereinigt. Als älteste Form des Baumnamens setzt er ein Wurzelnomen *bhƗ(u)g-s, Gen. *bhnjg-ós oder *bhaug-ós an (also mit Langdiphthong und Ablaut), aus dem die jüngere Variante *bhƗgós (ohne Ablaut) hervorgegangen sei. Weitere Literatur: Friedrich (1970); Henning (1963); Krogmann (1955, S. 1–29; 1956, S. 1–25); Lane (1967); Osthoff (1905); Passler (1948).

Burg

(Bd. 4, 1981)

I. Sprachliches. § 1. Ety mologisches. Das fem. Substantiv lautet got. baúrgs, aisl. borg, ae. burZ, burh, afries. as. ahd. burg. Die Bedeutungen weichen leicht voneinander ab; im Gotischen übersetzt baúrgs, griech. EnA>0, einmal (Nehemia 7,2) auch 7~G>0 ‘Turm, Befestigung’. Im Altisländischen heißt es ‘(ausländische, befestigte) Stadt, Wall, Erdterrasse, Ansiedlung’, in den westgermanischen Sprachen ‘befestigter Ort, Burg, Stadt’. Im ahd. Abrogans ist es schon die Entsprechung von civitas und urbs. – Für das Urgermanische ist ein Wurzelnomen *burg-s anzusetzen, das formal identisch ist mit air. brí, Gen. breg, ‘Hügel, Anhöhe’ und jung-avest. bΩrΩz‘hoch’. Das führt auf eine vorhistorische Grundbedeutung ‘die Höhe’ und deutet darauf hin, daß *burg-s mit ahd. as. berg, got. *baírg- verwandt ist. Das ahd. as. Verb bergan ‘bergen, verwahren, verbergen’ könnte als sog. ‘retrograde Bildung’ zu berg aufgefaßt werden – das schlägt P. Kretschmer (1934, S. 114) vor – oder aber es ist von Haus aus unverwandt und erst volksetymologisch als zugehörig empfunden worden. (Anders entscheidet sich S. Feist 1939, S. 85 f.). Vgl. noch J. Pokorny (Pokorny 1959–1969, S. 140 f.). Der Stamm burg- bildet mehrfach das Grundglied germanischer Ortsnamen wie ]H@>7DJG<>DC, *Teutoburgium, Skulkoburgo (Prokop), ferner des Personennamens fem. 6ADJ7DJG<, des in Ägypten bezeugten Na-

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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mens einer Germanin (1944, S. 60 ff.). Auch in den Vordergliedern der Völkernamen Burgundiones, DJG<¼KC:0 (Ptol. 3,5,9) liegt er vor. Im Lateinischen ist seit dem Ende des 2. Jh.s nach Chr. Geb. ein burgus mask. nachzuweisen, das nach Veg. mil. 4,10 castellum parvulum bedeutet. Ähnlich Oros. 7,32,12: crebra per liminem habitacula constituta burgos vocant Burgundiones, qui inde dicti putantur, und die V. Sev.: secretum habitaculum, quod burgum appellabatur ab accolis. Dieses lateinische Substantiv unterscheidet sich vom germanischen Wort sowohl im Genus wie in der Stammbildung, da es ǂ-Stamm ist. Zudem stimmen die Bedeutungen nicht genau überein. Deshalb ist es weniger wahrscheinlich, daß eine Entlehnung des lat. burgus aus dem Germanischen vorliegt, wie das E. Norden (1925, S. 492 Anm. 1) vertreten hat und jetzt wieder H. Tiefenbach (1973, S. 24 ff.). Demgegenüber haben R. Much (1897, S. 1131) und E. Pennink (1940–1945, S. 5 ff.) die These vertreten, das lateinische Wort sei aus griech. EsG
Canabae legionis

(Bd. 4, 1981)

Das lat. Plurale tantum canabae, cannabae hat zunächst die allgemeine Bedeutung ‘Barackensiedlung’, dann – meist in Verbindung mit einem Genetiv-Attribut, das die Bezeichnung einer bestimmten Legion enthält – die speziellere ‘zivile Niederlassung von Marketendern (lixae), Händlern, Handwerkern (außerhalb, aber in unmittelbarer Nähe des Standlagers der Truppe)’. Die spätlateinischen Belege (z.B. bei Caesarius Arelatensis) und

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Beiträge zu Realien

die späteren Fortsetzer des Wortes in romanischen Einzelsprachen deuten ferner auf Bedeutungen wie ‘Weinkeller, Vorratslager, Ausschank’. – Dem lateinischen Substantiv liegt wahrscheinlich das griech. @UC67D0 ‘Gestell, Rahmen, Gerüst’, wohl auch ‘leichtgebaute Bude’, bzw. eine bisher nicht belegte fem. Variante @6CU7= zugrunde. Beide dürften ihrerseits von @UCC6 ‘Rohr’, der Bezeichnung des Baustoffs, abgeleitet sein. An einer Stelle im Römischen Reich ist dies Appellativum cannaba zu einem Ortsnamen geworden: Das Itinerarium Antonini, S. 189,3a und 191,3 bezeugt eine statio viae namens Cannaba in der weiteren Umgebung von Edessa (Osrhoene). Dagegen ist in CIL XIII 5967 (Königshofen bei Straßburg im Elsaß) der vicus c[an]abar[um] wohl als ‘Siedlung aus Baracken’ aufzufassen, d.h. appellativisch und nicht als Ortsname (anders aber Rasch 1950, S. 32). Weitere Literatur: de Ruggiero (1892, s.v. Canaba); Schulten (1899, Sp. 1451– 1456 und Supp.-Bd. I, Sp. 274); MacMullen (1963, S. 129 ff.); Baatz (1964, S. 260–265).

Decumates agri

(Bd. 5, 1984)

Belegt nur bei Tac. Germ. 29,4: qui decumates agros exercent. Bedeutung und Herleitung des Adjektivs decumates sind seit langem umstritten. (Syntaktisch ist decumates mit Norden (1934, S. 137 ff.) und anderen wohl eher als Akk. Plur. (nicht Nom.), also als Attribut zu agros, aufzufassen. Nur Kaspers (1941, S. 315–315) hatte es als Prädikatsnomen im Nominativ gedeutet. Decumates agri ist wohl eine feststehende Bezeichnung, etwa im Rang eines Eigennamens.) Der letzte große Erklärungsversuch stammt von Schnetz. In einer Reihe von Aufsätzen (1938b; 1940c; 1940b; 1942b) versucht er, seine Auffassung durchzudrücken, statt der fast einhellig überlieferten Form decumates (nur der Codex Hersfeldensis hat decumathes] müsse decumatos (Partizip Perf. Pass.) hergestellt werden. Gemeint sei, daß die Bewohner die bebauten Felder dadurch ‘verringern (dezimieren)’, daß sie ein Zehntel absterben, d.h. veröden lassen. Aber zum Verb decumare, das ein terminus technicus des Militär-Strafrechts ist, gibt es als Akkusativobjekt etwa Namen von Truppenteilen wie legionem, cohortes oder classiarios, nicht jedoch Bezeichnungen von Bodenflächen. Der von Schnetz verfochtene Eingriff in den Text ist nicht berechtigt. Am nächsten liegt es wohl, zu der von Gudeman (1916), Rau (1928) und anderen vertretenen Auffassung zurückzukehren,

Beiträge aus dem Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

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decumates agri sei eine Parallelbildung zu decumani agri, das sich z.B. bei Cicero, In verrem 3,13, findet. Da decumas sonst nicht belegt ist, ist es zwar von Haus aus sicher kein Wort des literarischen Lateins, es könnte aber einer anderen (niederen), vor allem mündlich tradierten Sprachschicht des Lateins angehört haben, vielleicht als terminus technicus. Seine Bildung läßt sich zwanglos anschließen an primas, -ates (das auch von einem Ordinal-Zahlwort abgeleitet ist), ferner an infimas, infernas, iuvenas, magnates, optimas, summates, supernas usw., deren Grundwort ein Adjektiv ist und die sich bei Plautus, Plinius, Vitruv (und in Inschriften) finden, also gerade bei solchen Autoren, die dem Sprechlatein nahestehen. (Die Bildungen wie Sarsinas, Arpinas stehen semantisch ferner.) Zur Feststellung der genauen Bedeutung von decumas kann die Sprachwissenschaft nichts beitragen; da nur eine Belegstelle vorliegt, fehlt ihr die Möglichkeit der Kontextanalyse. Die morphologische Analyse des Adjektivs ergibt nur, daß eine Beziehung zu dem Begriff ‘zehnter’ besteht. Ob z.B. die Steuerquote (eine zehnprozentige Abgabe wäre als niedrig anzusehen, also eine Begünstigung) gemeint ist oder Nordens ‘Zehenschaftsmarken’ oder noch etwas anderes, bleibt dabei völlig offen. (Bemerkenswert ist, daß für die eventuelle Entsprechung decumanus in den Lexika mehr als sechs nebeneinander existierende Bedeutungen notiert werden.) Schon von der Wortbildung her unwahrscheinlich ist der Vorschlag Hertleins (1925; 1927), decumates agri heiße ‘das in der Decumanusrichtung liegende’, ‘das für die Vermessung (Limitation) vorgesehene Land’. Eine Ableitung von decumanus (limes) könnte etwa *decumanalis o.a. heißen. Wenn die ältere Forschung, so z.B. Hesselmeyer (1925; 1926; 1931) und nach ihr Norden (1934), decumates als keltische (‘helvetische’) oder auch als ‘gallo-römische’ Mischbildung erklärten, so läßt sich das heute als verfehlt erkennen. Bei Tacitus weist nichts darauf hin, daß er diese Vokabel als nicht-lateinisch, barbarisch auffaßt. Zudem besitzen wir nun dank Szemerényi (1974) aus gallischen Inschriften die Form dekantƗ fem, ‘der Zehnte (als Abgabe)’, belegt Akk. Sing. fem. 9:@6CI:C. In einer älteren Form dekametos ist dies Zahlwort in den gallischen Töpfer-Graffiti von La Graufesenque belegt. (Für Schottland bezeugt Ptol. 2,38 den kelt. Stammesnamen :@UCI6>, damit ist die jüngere Form noch einmal gesichert.) Dies gallische Ordinale stimmt in den Vokalen der zweiten und dritten Silbe nicht zu decumates. Weitere Literatur: Gutenbrunner (1942b); Hesselmeyer (1935; 1936; 1938; 1944); Leumann (1977, S. 345 § 309a); Much (1967, S. 370 ff.); Pflaum (1963); Schnetz (1935c, S. 209 ff.); Sontheimer (1940).

Abkürzungsverzeichnis ad fam. agr. Amm. Anon. Rav. Appian, Maced. b. G. Beda, Hist. Caes. Gall. carm. Cass. Dio CIL Cosmogr. Rav. De defect. orac. Etym. F Gr Hist

Frag. hist. Graec. Geogr. Rav. Geographi lat. min. Georg. Greg. Tur. Hist. adv. pag. Hist. Aug. Hist. Franc. Isid. Itin. Ant. Jord. Get. ling. Lat. Liv.

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Abkürzungsverzeichnis

Mela Metamorph. meteor. MGH

Pomponius Mela Metamorphosen (Ovid) meteorologicorum libri quatuor (Aristoteles) Monumenta Germaniae historica inde ab anno Christi quingentesimo usque ad annum millesimum et quingentesimum. Hannoverae/Vienna 1826 ff. Auctores antiquissimi Capitularia Diplomata Epistolae Merovingici et Karolini aevi: accedunt ordines iudiciorum dei / edidit Karolus Zevmer. Hannoverae 1882–1886. – Nachdruck 1963. Poetae latini medii aevi Scriptores rerum Germanicarum Scriptores rerum Merovingicarum Monumentum Ancyranum = Res Gestae Divi Augusti ĺ MGH E ĺ MGH ĺ MGH D Notitia dignitatum occidentis Notitia dignitatum in partibus orientis Orosius Panegyrici Paulus Diaconus, Historia Langobardorum Plinius maior [der Ältere], naturalis historia Plutarch Poseidonios Prokopios Prokopios, bellum Gallicum Ptolemaios Satirae (Horaz) Scriptores Historiae Augustae Solinus Stephanos Byzantios Strabon Tabula Peutingerana Tacitus, annales Tacitus, Germania Tacitus, historiae Traditiones Corbeienses, hrsg. von P. Wigand. Leipzig 1843.

– AA – Cap. –D –E – Merov. et Karolini aevi I – Poet. Lat. – SS rer. Germ. – SS rer. Mer. Mon. anc. Mon. Germ. Hist. Epist. Mon. Germ. Hist. Mon. Germ. Hist. Dipl. Not. dign. occ. Not. dign. or. Oros. Paneg. Paul. Diac. Plin. nat. Plut. Poseid. Prok. Prok. b. G. Ptol. sat. Script. hist. Aug. Solin. Steph. Byz. Strab. Tab. Peut. Tac. ann. Tac. Germ. Tac. hist. Trad. Corb.

Abkürzungsverzeichnis

V. Sev. Veg. mil. Vell. Aen. Wid. Zos

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