Matthias Egeler Walküren, Bodbs, Sirenen
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegebe...
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Matthias Egeler Walküren, Bodbs, Sirenen
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer
Band 71
De Gruyter
Matthias Egeler
Walküren, Bodbs, Sirenen Gedanken zur religionsgeschichtlichen Anbindung Nordwesteuropas an den mediterranen Raum
De Gruyter
ISSN 1866-7678 ISBN 978-3-11-024660-5 e-ISBN 978-3-11-024661-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin/New York Satz: Dörlemann Satz GmbH & Co. KG, Lemförde Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ÜGedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort
V
Vorwort Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Promotionsschrift, die im Oktober 2009 von der Faculty of Medieval and Modern Languages der Universität Oxford angenommen wurde. Während ihrer Entstehung habe ich von verschiedensten Seiten vielfältige Unterstützung erhalten, ohne die sie in dieser Form gewiß nicht zum Abschluß gebracht worden wäre; es ist mir eine angenehme Pflicht, hierfür meinen wärmsten Dank auszusprechen. An erster Stelle sind hier meine Betreuer Professor Thomas Charles-Edwards, Prof. Dr. Wilhelm Heizmann und Dr. Heather O’Donoghue zu nennen, die das Entstehen der Arbeit mit steter Ermutigung und umfassender Hilfsbereitschaft begleitet haben. Für die kritische Durchsicht und anregende Diskussion der Promotionsfassung des Manuskripts habe ich meinen Prüfern Prof. Dr. Bernhard Maier und Dr. Máire Ní Mhaonaigh zu danken. Wesentliche Anstöße, die mich später zum Forschungsgebiet meiner Dissertation führen sollten, verdanke ich Prof. Dr. Peter Schrijver. Von archäologischer Seite stehe ich insbesondere in der Schuld von Dr. Kristján Ahronson. An verschiedenen Abschnitten der Arbeit konnte ich von der Kritik, den Anregungen und Hinweisen von Dr. Nick Allen, Professor Thomas Clancy, Professor Barry Cunliffe, Dr. Catherine Draycott, Dr. Silvia Ferrara, Dr. Andreas Hofeneder, Victoria Jefferson, Dr. Philip de Jersey, Sandra Junker, Prof. Dr. Kristian Kristiansen, Dr. Judy Quinn, Dr. Rick Schulting, Dr. Claudia Tappert und Professor Andreas Willi profitieren. Dr. Nicholas Zair hat mir wiederholt in sprachgeschichtlichen Fragen ausgeholfen, Katharina Streit hat die Zeichnungen für die Publikation angefertigt. Der Außenstelle Madrid des Deutschen Archäologischen Instituts, insbesondere PD Dr. Michael Kunst, schulde ich Dank für gastliche Aufnahme und die Möglichkeit zur Benutzung der Bibliothek. Dr. Mario Iozzo hat mir in der freundlichsten Weise zu Zugang zu etruskischen Originalen in den Nationalmuseen in Florenz und Chiusi und zu Bildmaterial aus der Photothek des Florentiner Museums verholfen; ähnlichen Dank schulde ich dem Bunge Museum – besonders Maj-Gun Blomberg –, Gotlands Fornsal in Visby – besonders Sofia Hoas –, und einer Vielzahl weiterer Institutionen und deren Mitarbeitern – zu vielen, als daß es möglich wäre, sie hier im einzelnen zu nennen. Ihnen allen sei mein Dank ausgesprochen – für sämtliche eventuellen Feh-
VI
Vorwort
ler und Versäumnisse, die sich in der vorliegenden Arbeit finden mögen, bin ich selbstverständlich jedoch alleine verantwortlich. Die Finanzierung des Forschungsprojekts wurde ermöglicht durch die Keller Stiftung – hier sei insbesondere die Unterstützung durch Hanspeter Beißer hervorgehoben –, die Old Members Group von Jesus College (Oxford), die Faculty of Medieval and Modern Languages (Universität Oxford), den Sir John Rhˆys Fund (Universität Oxford) und den Deutschen Akademischen Austauschdienst, der ein Jahresstipendium für Doktoranden und dessen Verlängerung gewährte. Der grundlegende Beitrag, den die durch diese großzügige Förderung gewährte Freiheit zur Konzentration auf mein Promotionsprojekt zum Entstehen der Arbeit geleistet hat, sei hier nochmals ausdrücklich dankbar anerkannt. Und nicht zuletzt schulde ich den Herausgebern der Ergänzungsbände Dank für die Aufnahme der Arbeit in ihre Reihe, sowie dem Verlag de Gruyter und insbesondere Dr. Gertrud Grünkorn für die gute Zusammenarbeit und vielfältiges Entgegenkommen bei der Drucklegung. Schließen möchte ich mit einem Dank an meine Eltern Sigrid und Reinhold Egeler, meine Großeltern Walburga und Johann Thür, und meine Geschwister Stefan, Susi und Maria, die mich jederzeit uneingeschränkt unterstützt und ermutigt haben. Ihnen sei diese Arbeit zugeeignet. Jesus College, Oxford, Trinity Term 2010.
Matthias Egeler
VII
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Methodische Grundfragen und grundsätzliche Quellenprobleme . Die Zielsetzung der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 28 29
2. Die Walküren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
Kollektivcharakter . . Tod . . . . . . . . . . Übergang ins Jenseits Krieg und Gewalt . . Vögel . . . . . . . . . Verschlingen . . . . . Sexualität . . . . . . . Tieferes Wissen . . . Der herfjqturr . . . . . Zusammenfassung . .
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. 34 . 38 . 45 . 50 . 66 . 79 . 84 . 104 . 107 . 111
3. Irland: Die Bodb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Definition des Gegenstands Kollektivcharakter . . . . . Tod . . . . . . . . . . . . . Vögel . . . . . . . . . . . . Verschlingen . . . . . . . . Übergang ins Jenseits? . . . Krieg und Gewalt . . . . . Sexualität . . . . . . . . . . Tieferes Wissen . . . . . . Furcht . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . .
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117 133 136 138 139 145 148 153 163 166 169
VIII
Inhaltsverzeichnis
4. Die Bodb außerhalb Irlands? . . . . . . . . . . . . . . . . . .
173
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194
5. Keltisches Hispanien: Das ‚Ritual der Aussetzung‘ . . . . .
197
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
218
6. Etrurien: Vanth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
Vanthdarstellungen mit Namensbeischrift . . . . . . . Das Trojanerfresko der Tomba François . . . . . . . Die Vanth-Gruppe von Orvieto . . . . . . . . . . . Die Tomba degli Anina . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Spiegel mit der Reinigung des Orestes . . . . . . Ein Spiegel mit dem Tod des Troilos . . . . . . . . . Der Sarkophag der Hasti Afunei . . . . . . . . . . . Vanthdarstellungen mit zweifelhafter Namensbeischrift Eine Urne mit dem Zweikampf von Eteokles und Polyneikes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Sarkophagdeckel mit einer Flügelfrau . . . . . . Vanthdarstellungen ohne Namensbeischrift . . . . . . Weiteres zur Reise ins Jenseits . . . . . . . . . . . . Eros und Schwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ikonographische Experimente zur Darstellung Vanths? Unbenennbare Vogeldämonen . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und vorläufiger Vergleich mit der nordwesteuropäischen Todesdämonologie . . . . . . .
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. 225 . 225 . 232 . 245 . 250 . 254 . 257 . 265
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265 270 276 276 288 299
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310
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7. Furien, Erinyen, Harpyien und Keren – zu einigen weiteren Todesdämoninnen des Mittelmeerraums . . . . . .
323
Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
8. Die Sirenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351
Der textliche Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Sirenenabenteuer der Odyssee . . . . . . . . . . Der Ort und die Funktion der Sirenen . . . . . . . . Der Tod durch die Sirenen und das Mahl der Sirenen Die Verlockung der Sirenen . . . . . . . . . . . . .
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. 353 . 353 . 355 . 366 . 368
IX
Inhaltsverzeichnis
Der ikonographische Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeiner Überblick über die Entwicklung der Sirenenikonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sirenen im ‚Reich der Aphrodite‘ . . . . . . . . . . . . . . . Sirenen und das Reich des Hades . . . . . . . . . . . . . . . Sirenen im ‚Reich des Ares‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und methodologischer Rückblick . . . . . . Methodologischer Exkurs: Die Kategorie der ‚Vogelaffinität‘
. 375 . . . . . .
375 383 400 434 443 452
9. Island im Schatten des Harpyiengrabs? Vorüberlegungen zu einer Schlußfolgerung . . . . . . . . . . 459 Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorüberlegungen zur Frage der Vermittlung des Motivs Einige Bemerkungen zu Kulturkontakten in der frühen europäischen Kulturgeschichte und dem Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen . . . . . . . . Geier, Gräber und die Neolithisierung, oder: Ex oriente daimones? . . . . . . . . . . . . . . . . . Kupfer, Zinn und das Grab von Kivik: Theorien zur Bronzezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fürsten und Söldner: Kulturkontakte in der Eisenzeit Abschlußdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . 459 . . . . . 484 . . . . . 492 . . . . . 492 . . . . . 495 . . . . . 498 . . . . . 513
Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Altnordische Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Irische Quellentexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 Weitere Quellen und Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . 539 Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589
X
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1
1. Einleitung Beschattet von einem mächtigen Olivenbaum, führen in der Monterozzi Nekropole in Tarquinia, Loc. Fondo Scataglini, einige Stufen zum Anfang einer in den Felsen geschlagenen Straße hinunter, die darauf – meterbreit in den rötlich-grauen Tuffstein gesenkt – in leichtem Gefälle immer tiefer in den gewachsenen Fels dieser Region Etruriens hinabführt. Bald öffnen sich zu beiden Seiten des Wegs die Türen leerer Grabkammern, bis die Straße schließlich in einen grob quadratischen, ringsum von senkrechten Tuffsteinwänden umschlossenen Platz einmündet. An der Stirnseite dieses Platzes befindet sich der Eingang zur Tomba degli Anina. Zwar trügt die moderne Erscheinung dieses zur Nekropole umgewandelten Steinbruchs;1 aber dennoch drängt sich auf dem Weg an den leeren Grabtüren vorbei unwillkürlich Vergils Schilderung von Äneas’ Abstieg in die Unterwelt auf (Äneis VI,262 ff.) – dort erscheint der Weg hinab in das Totenreich als ein Abstieg in eine Höhle, und in einer Vorhalle im Schlund des Orcus vor der eigentlichen Unterweltspforte wohnt eine Vielzahl von Schrecken, liegen die ferrei Eumenidum thalami, die eisernen Kammern der Eumeniden, halten sich die Harpyien auf und steht ein schattiger Baum, unter dessen Blättern leere Träume hängen. Tritt man darauf durch den Eingang zur Tomba degli Anina, findet man die Grabtür im Inneren von zwei lebensgroßen Dämonengestalten bewacht, ausgeführt in polychromer Wandmalerei. Einem dieser Dämonen gibt eine Inschrift den Namen „Vanth“: Eine schlanke Frauengestalt mit großen, vielfarbig in weiß, schwarz, blau und rotbraun ausgeführten Schulterflügeln und mit einer brennenden Fackel in der Hand. Sie hält hier ganz so am Eingang des Grabes Wache wie die Furie Tisiphone bei Vergil am Tor der unterweltlichen Festung wacht, in der die Frevler ihre Strafe erleiden. Vanth am Eingang des Grabs, die Kammern der Furien und die Harpyien in der Vorhalle des Totenreichs, Tisiphone als Wächterin am Portal zur Strafstätte der Unterwelt – all diese Gestalten sind an zentralen Punkten des Übergangs vom Diesseits ins Jenseits lokalisiert. Damit nehmen sie strukturell eine ganz ähnliche Position ein wie die Walküren, die in den Krákumál 1
Vgl. Leighton 2004 S. 147 f. mit Fig. 59 und Tafel XI; Linington und Serra Ridgway 1997 S. 95, 123, 124 f., 128 f.
2
Einleitung
den sterbenden Ragnarr lojbrók abholen und König Hákon in den Hákonarmál nach Walhall schicken. Ein ähnlicher Gedanke mag dahinter stehen, daß die irische Schlachtfelddämonin Bodb sich beim Tod des Cú Chulainn in Vogelgestalt auf dem Steinpfeiler niederläßt, an den sich der sterbende Held gebunden hat, um bis zum letzten Atemzug seinen Feinden aufrecht gegenüberzustehen. All diese halbgöttlich-dämonischen Gestalten sind weibliche übernatürliche Figuren, die dem Sterbenden am Scheidepunkt zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits entgegentreten. Dies allein bedeutet noch keine beachtenswerte Ähnlichkeit. Aber wenn man bedenkt, daß die etruskische Dämonin Vanth, die römischen Furien und die Harpyien geflügelt erscheinen, während die Bodb sich in eine Nebelkrähe und einige Walküren sich anderswo in Schwäne und einmal in eine Krähe verwandeln, dann läßt dies vielleicht aufhorchen: Neben der zentralen Stellung zwischen Leben und Tod und dem weiblichen Geschlecht teilen diese Gestalten schon auf den zweiten Blick auch Aspekte einer Vogelgestalt. Die Frage drängt sich auf, ob die Ähnlichkeiten bei genauerer Betrachtung vielleicht noch weiter reichen – und wie es zu bewerten ist, falls sich dieser Verdacht bestätigt. Die übernatürlich-dämonischen Gestalten der Literaturen des frühen Nordwesteuropa miteinander und mit Gestalten der antiken Mittelmeerwelt zu vergleichen, hat lange Tradition. Bereits 1835 zog Jacob Grimm in seiner Deutschen Mythologie mediterrane Dämoninnen – die Keren – zum Vergleich mit den Walküren heran,2 und dieser Vergleich zwischen Walküren und Keren wurde später an prominenter Stelle wiederaufgegriffen, findet er sich doch sowohl in de Vries’ Altgermanischer Religionsgeschichte als auch in von Sees Edda-Kommentar.3 In der Keltologie fand derselbe Vergleich eine Generation nach Grimms grundlegendem Werk in einem wegweisenden Aufsatz Adophe Pictets Anwendung, in dem Pictet die griechischen Keren en passant zum Vergleich mit keltischen Kriegsdämoninnen heranzog.4 Pictets Aufsatz stellte eine Verbindung zwischen einem gallorömischen Weihestein und den irischen Bodbs her, die als halbgöttlich-dämonische Gestalten des Schlachtfelds eine herausragende Rolle in der frühen irischen Literatur spielen und die de Vries später neben den Keren ebenfalls zum Vergleich mit den Walküren heranziehen sollte.5 Pictets Arbeit wurde zum Anstoß für weitere Forschungen, die dazu führten, daß von Lottner im Jahre 1870 erstmals einige Ähnlichkeiten zwischen den irischen Bodbs und 2 3 4 5
Grimm 1835 S. 240. De Vries 1956/57 Bd. 1 § 193; von See et al. 2004 S. 300 f. Pictet 1868 S. 16. De Vries 1956/57 Bd. 1 § 193.
Einleitung
3
den Walküren zusammengestellt und im Sinne einer historischen Verbindung zwischen diesen Wesen gedeutet wurden.6 Diese nordisch-irischen Parallelen wurden in den folgenden Jahrzehnten und bis in die jüngste Zeit hinein mehrfach diskutiert. Arbeiten von Donahue, Birkhan und insbesondere Gulermovich Epstein kamen wie schon Lottner zu dem Schluß, daß die Parallelen zwischen Walküren und Bodbs wohl im Sinne einer historischen Verbindung oder einer Beeinflussung der einen durch die anderen Gestalten zu deuten seien.7 Walküren, Bodbs und Keren sind somit in der Nordistik und Keltologie bereits wiederholt miteinander assoziiert und verbunden worden. Auch in der Etruskologie wurden die Walküren mehrfach en passant zum Vergleich herangezogen, in diesem Fall zum Vergleich mit der Todesdämonin Vanth, wie sie als ewige Wache an der Grabtür der Tomba degli Anina erscheint.8
6 7
8
Lottner 1870. Donahue 1941; Birkhan 1970 S. 509–515, 583; Gulermovich Epstein 1997, 1998 (War Goddess), 1998 (Divine Devouring). Ferner stellte auch Ellis Davidson 1988 S. 97–100 einige Parallelen zwischen Walküren und Bodbs zusammen, ohne daraus jedoch klare Schlußfolgerungen zu ziehen; vgl. en passant MacCulloch 1911 S. 72 (auch mit Verweis auf die Keren) und Hauck 1977 S. 13, 15. Nur Herbert (1996 S. 149) hat sich gegen die Annahme einer historischen Verbindung zwischen Bodbs und Walküren gewandt. Grundlage ihrer Ablehnung ist eine Charakterisierung der irischen Gestalten, die eine mittelalterliche Volksetymologie zum Ausgangspunkt nimmt und zum Maßstab einer hochproblematischen Deutung des Materials macht. Auf ihre Interpretation der irischen Dämoninnen wird bei der Besprechung dieser Gestalten ausführlich eingegangen werden. Enking 1943 S. 65 (mit Verweis auf Walküren, Bodbs, Keren u. a.); Richardson 1964 S. 243; de Grummond 2006 S. 223 f.; vgl. Wüst 1956 Spalte 111. – Zum Begriff der ‚Dämonin‘ sei bemerkt, daß er im folgenden in Übereinstimmung mit dem Wortgebrauch in der Religionsgeschichtsschreibung des Mittelmeerraums für eine Klasse von übernatürlichen Gestalten verwendet wird, die in vielen Belegen zwar deutlich über den Menschen, aber doch unterhalb der ‚Götter‘ angesiedelt sind. Er will keine negative Bewertung implizieren, wie diese im umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes ‚Dämon‘ im Deutschen mitschwingt, sondern lehnt sich vielmehr an den griechischen Begriff an. Habermehls (1990 S. 203, 206 f.) Kritik am Gebrauch des Begriffs ‚Dämon‘ geht zu weit, da sie den etablierten Gebrauch des Terminus in der mediterranen Religionsgeschichtsschreibung übersieht (vgl. etwa die Verwendung bei Krauskopf 1987). Ein Gebrauch des stattdessen vorgeschlagenen Begriffs ‚Zwischenwesen‘ (vgl. Habermehl 1990 S. 203; Lang 2001) schien mir nicht sinnvoll, da dieser Terminus nicht etabliert ist und seine Verwendung daher nur zu Unklarheiten führen würde. Ferner ist zur Terminologie noch zu bemerken, daß Begriffe wie ‚Todesdämonin‘ etc. in keinem Fall eine umfassende Charakterisierung der angesprochenen Gestalten implizieren sollen; es dürfte schwer sein, in den Mythologien der klassischen Antike oder des vorchristlichen Nordwesteuropa eine Gestalt zu finden, deren Charakter sich mit einem einzigen Begriff erschöpfend erfassen
4
Einleitung
Gleichermaßen hat man in der griechisch-römischen klassischen Altertumswissenschaft auf die Walküren und Bodbs als Parallelgestalten zu verschiedenen klassisch-mediterranen dämonischen Figuren hingewiesen.9 An vorgeschlagenen Vergleichen fehlt es also nicht; was jedoch fehlt, ist eine systematische Untersuchung der Sachlage. Denn die vergleichsweise umfangreiche Forschungsdiskussion zu den Parallelen zwischen Walküren und Bodbs stellt in dieser Form eine Ausnahme dar. Die mediterranen und die nordwesteuropäischen Gestalten werden üblicherweise nur en passant nebeneinander gestellt. Die Häufigkeit, mit der dies von verschiedensten Seiten getan wird, läßt vermuten, daß solche Verbindungen vielleicht nicht ganz ungerechtfertigt sein könnten. Eine detaillierte Untersuchung fehlt jedoch trotz der langen Tradition solcher Vergleiche bis heute völlig; insbesondere die ‚barbarisch‘-mediterranen Vergleiche sind bisher letztlich impressionistisch geblieben. Die vorliegende Arbeit will dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Ihr Hauptziel ist eine Erfassung der Parallelen zwischen den Walküren, den irischen Bodbs und verschiedenen Gestalten mediterraner Dämonologien, sowie eine Bewertung der Frage, ob diese Figuren möglicherweise in einem historischen Zusammenhang miteinander zu sehen sind; oder in anderen Worten: Sie will fragen, ob sich der historische Kontext der Walküren über das mittelalterliche Skandinavien hinaus bis in die Religionsgeschichte des frühen Mittelmeerraums hinein erstreckt, und ob die Walküren somit in den weiteren Rahmen einer gesamteuropäischen Religionsgeschichte eingeordnet werden können. Abgesehen von einer Korrektur verschiedener Details der bisherigen Forschungsdiskussion über die Ähnlichkeiten zwischen Walküren und Bodbs liegt die eigentliche Neuheit des Ansatzes dabei in der These, daß sich ein Vergleich vom Typ des gängigen Vergleichs zwischen Walküren und Bodbs auch systematisch auf mediterranes und insbesondere etruskisches Material ausweiten läßt. (Die Bedeutung der Keren scheint in diesem Zusammenhang hingegen weit geringer zu sein, als der häufige Verweis auf diese Gestalten vermuten lassen könnte.) Eine solche systematische Zusammenstellung der Parallelen zwischen diesen Figuren wäre auch im Fall einer Ablehnung der Hypothese einer historischen Verbindung sinnvoll, da sie in jedem Fall als typologisches Hilfsmittel zur Deutung von Zügen der einzelnen Dämoninnen beitragen könnte.
9
ließe, und für die im folgenden besprochenen Figuren ist dies mit Sicherheit nicht der Fall – der vielleicht wesentlichste Zug ihres Charakters liegt in seiner Komplexität. Vgl. etwa Wüst 1956 Spalten 91, 121 (mit Verweis auf Enking 1943 S. 65). Vgl. von Seiten der spanischen Archäologie Sopeña Genzor 1995 S. 239.
Methodische Grundfragen und grundsätzliche Quellenprobleme
5
Methodische Grundfragen und grundsätzliche Quellenprobleme Vor der Hinwendung zum historischen Material scheint es angebracht, zunächst noch einige Worte zu wichtigen Punkten der Methodik und Problemen der allgemeinen Quellenlage vorauszuschicken. Zwar wird die Materiallage es bei weitem nicht in jedem Fall erlauben, idealtypische methodische Postulate in der konkreten Auseinandersetzung mit den Quellen auch zu erfüllen und die Probleme der Quellenlage einer tatsächlichen Lösung nahezubringen; aber umso wichtiger scheint es, mitunter offenbleibende Fragen als solche zumindest anzuerkennen. Die Zahl und Art der Fragen, die sich nicht lösen lassen, ist für die Bewertung des Gesamtergebnisses einer Studie immerhin ebenso wichtig wie die konkret vorgelegten positiven Resultate. Beschreibung des Gesamtcharakters und Ausgewogenheit des Vergleichs Ausgangspunkt meines Ansatzes sind die bereits wiederholt bemerkten Ähnlichkeiten zwischen den nordischen Walküren und den irischen Bodbs. Die Vorarbeiten, die von der lange geführten Diskussion über diese Gestalten geleistet worden sind, werden hierbei zwar natürlich – und mit großem Gewinn – berücksichtigt; jedoch will ich nicht bei einer Bestandsaufnahme des Erreichten stehenbleiben, sondern den Gesamtcharakter der Walküren und der Bodbs im Detail würdigen und von einer solchen Gesamtschau ausgehend die Parallelen zwischen diesen Figuren erneut entwickeln. Dies scheint schon deswegen angebracht, weil eine Entwicklung der Parallelen aus den Primärquellen und vor dem Hintergrund des Gesamtcharakters der Gestalten in der bisherigen Diskussion über die Ähnlichkeiten zwischen Walküren und Bodbs nur eingeschränkt geleistet worden ist: Diese Diskussion hat sich weitgehend auf kurze Artikel und Buchabschnitte beschränkt, die aus Raumgründen keine ausführliche Darstellung des Materials leisten konnten. Die Ausnahme von dieser Regel stellt Gulermovich Epsteins Promotionsschrift dar: Sie legt eine umfassende, Vollständigkeit anstrebende Würdigung des irischen Materials im eigenen Recht vor, das sie daraufhin mit den nordischen Walkürenvorstellungen vergleicht. Das Hauptaugenmerk ihrer Arbeit liegt auf dem irischen Material, und dort liegt ihr großes und bleibendes Verdienst; die Behandlung der Walküren ist hingegen auch bei ihr deutlich sekundär, und mitunter geradezu kurios – die Darstellung des nordischen Materials und sein Vergleich mit dem irischen Material blei-
6
Einleitung
ben unbefriedigend.10 Die vorliegende Arbeit wird methodisch ein deutlich größeres Gewicht auf einen ausgewogenen Vergleich legen. Die Besprechung der Walküren will dabei auf jedes Zeugnis von einiger Bedeutung eingehen (wenngleich absolute Vollständigkeit im Rahmen der vorliegenden Arbeit natürlich nicht erreicht werden konnte), wobei als Maßstäbe für die Bedeutung eines Zeugnisses vor allem sein Alter und sein Beitrag zur Charakterisierung der Walküren durch ihre narrative Verwendung zugrundegelegt wurden – entsprechend wurde etwa auf eine vollständige Zusammenstellung der Verwendung von Walkürennamen in Kampf- oder Waffen-Kenningar verzichtet, da diese zwar (wie viele andere Zeugnisse) die allgemeine Einbettung der Walküren in den Bereich von Krieg und Kampf belegen, aber über diesen sehr allgemeinen und anderswo deutlich facettenreicher bezeugten Punkt hinaus kaum einen nennenswerten Beitrag zum 10
Von den 313 Seiten von Gulermovich Epsteins Arbeit (ausschließlich der Bibliographie) entfallen auf die Darstellung der Walküren nur 36, wobei dieser Abschnitt wiederum verschiedene keltische Exkurse enthält (1998 [War Goddess] S. 270–305). Gulermovich Epstein wählt einen „synchronic and paradigmatic approach“ (1998 [War Goddess] S. viii), der zwar die gesamten Primärquellen zur Morrígain in der irischen Literatur sammeln und behandeln will (ibidem), aber mitunter eine angemessene Berücksichtigung der Chronologie der Quellen vermissen läßt – was gerade in ihrer Behandlung der Walküren schwerwiegende Folgen hat, die keinerlei chronologisches Bewußtsein zeigt. So kann Gulermovich Epstein sogar „hippomorphic traits“ für die Walküren vermuten, was sie darauf wiederum mit keltischen Überlieferungen vergleicht: Diese „hippomorphic traits“ erschließt sie vor allem aus der Hjálmpérs saga ok Ölvers – die wohl erst ins 15. Jh. datiert (Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 182), was Gulermovich Epstein nie erwähnt (1998 [War Goddess] S. 276–279, Zitat: S. 278; 1998 [Divine Devouring] S. 92 f., Zitat: S. 93). Gulermovich Epstein (1998 [War Goddess] S. 279; 1998 [Divine Devouring] S. 93) geht dabei so weit zu behaupten, diese späte Saga „makes the possession of an equine nature central to the comparison of the two groups of battle goddesses.“ Besonders hanebüchen wird es, wenn die irische Morrígain und die Walküren zu einem „culturally specific development of the Indo-European theme of the devouring mare, the phallic female, horrible and seductive, dread and beloved, mother and devourer all at once“ werden (1998 [War Goddess] S. 298 f., Zitat: S. 299; 1998 [Divine Devouring] S. 96 f., Zitat: S. 96). Ohne Gulermovich Epsteins erhebliche Verdienste um das Verständnis der irischen Dämoninnen schmälern zu wollen (insgesamt hat sich Gulermovich Epsteins Darstellung der irischen Dämoninnen als eines der Bücher herausgestellt, denen meine Arbeit am meisten verdankt, und neben solchen Merkwürdigkeiten enthält auch der Walküren-Abschnitt ihrer Arbeit anregende Beobachtungen), sollte es doch keiner weiteren Begründung bedürfen, daß ein auf diese Weise durchgeführter Vergleich nicht das letzte Wort in der Diskussion bilden kann, wenn die Forschung aus der komparatistischen Seite dieser Fragestellung irgendeinen Erkenntnisgewinn ziehen will. (Vgl. auch unten Anm. 121 zu einem äußerst impressionistischen Versuch Gulermovich Epsteins, eine Verbindung zwischen Walküren, irischen Schlachtfelddämoninnen und Furien herzustellen.)
Methodische Grundfragen und grundsätzliche Quellenprobleme
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Charakterbild der Walküren leisten. Hingegen wurde versucht, die Stellen, in denen eine Walküre als wichtiger Akteur der Handlung auftritt, möglichst vollständig zu berücksichtigen, da in ihrem Handeln innerhalb der heroischen und mythischen Narrative wichtige Charakterzüge der Walküren deutlich faßbar werden. (Wenn hierbei auch eine so späte Quelle wie die Hrómundar saga aus dem 17. Jh. in die Diskussion mitaufgenommen wurde, so liegt dies weniger an ihrer – völlig vernachlässigbaren – Bedeutung als religionshistorische Quelle als am intrinsischen Interesse der langen Kontinuitäten innerhalb des Walkürenbilds der altnordischen Literatur. Solche Verweise auf Texte von später Datierung, aber narrativem Interesse sind somit weniger als kritiklos-ahistorische Verwendung von Quellen denn als literaturgeschichtliche Exkurse zu verstehen.) Grundlage des komparatistischen Zugangs sollen nicht herausgegriffene Einzelzüge sein, sondern ein Gesamtbild der Gestalten, das für jede der herangezogenen Figuren jeweils im eigenen Recht entwickelt werden wird; nur so wird für den Leser kritisch nachvollziehbar, inwieweit sich die einzelnen Vergleichspunkte zwischen den verschiedenen besprochenen Dämoninnen nicht nur an der Oberfläche ähneln, sondern sie tatsächlich tiefergehende strukturelle Parallelen in den Charakteren der verschiedenen Wesen widerspiegeln. Eine solche kritische Nachvollziehbarkeit der Charakterbilder ist dabei für jede der zum Vergleich herangezogenen Gestalten gleichermaßen wichtig; entsprechend muß eine jede von ihnen gleichermaßen detailliert zur Darstellung kommen, auch wenn dies bedeutet, daß z. B. das äußerst reiche mediterrane Material in der folgenden Diskussion insgesamt deutlich mehr Raum einnimmt als das nordische Material. Für die keltischen und mediterranen Figuren kann dabei allerdings in größerem Maße als im Fall des nordischen Materials auf die umfassenden Vorarbeiten der bisherigen Forschung verwiesen werden – in Anbetracht der Menge des für diese Gebiete vorhandenen Materials, die den Rahmen einer einzelnen Monographie bei weitem sprengen würde, ist dies auch unvermeidlich. Aber auch für diese Bereiche soll nicht nur das für den Vergleich unmittelbar Relevante herausgegriffen, sondern ein Gesamtbild der Charaktere der entsprechenden Dämoninnen entwickelt werden, wenn auch in Anbetracht der Materialmenge stärker als im Fall der Walküren unter Beschränkung auf repräsentative Beispiele. Nichtsdestoweniger kann die Entwicklung der Charakterbilder der einzelnen dämonisch-halbgöttlichen Gestalten dabei selbstverständlich nur in direktem Rückgriff auf die jeweiligen Primärquellen sinnvoll geleistet werden. Eine kritische Bewertung der im folgenden vorgeschlagenen Parallelen zwischen nordwesteuropäischen und mediterranen Gestalten ist nur möglich, wenn das Material, in dem diese Parallelen gesehen werden, zuvor für
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alle angesprochenen Kulturbereiche mit all seinen Problemen und Zweideutigkeiten ausführlich vorgestellt wird. Auch ergeben sich die Leitmotive, die der Rest der Arbeit durch den kontinentalkeltischen und in den mediterranen Bereich verfolgen wird, erst aus dem erneut aus den Primärquellen heraus entwickelten Vergleich der Charaktere der Walküren und der irischen Bodbs in der nötigen Transparenz und Deutlichkeit: (1) Das Schwanken der Dämoninnen zwischen Individuum und Kollektiv, (2) ihre enge Beziehung zu Vögeln oder einer Vogelgestalt, (3) ihre betont hervortretende Sexualität, (4) ihre Verbindung mit dem Tod, (5) mit dem Übergang des Toten ins Jenseits, (6) mit Krieg und Gewalt, (7) mit dem Verschlingen von Leichen und (8) mit einem übernatürlichen Wissen, sowie (9) ihre Macht über den Geist ihrer Opfer. Dabei scheint gerade der Verbindung einer weiblichen Dämonin mit dem Tod, einem Vogelaspekt und dem Übergang des Toten ins Jenseits eine besondere Bedeutung zuzukommen. Zur Kategorienbildung der Beschreibung der dämonischen Einzelgestalten und des Vergleichs zwischen diesen Gestalten ist abschließen vielleicht noch kurz zu sagen, daß sich die eben kurz umrissene Klassifizierung der Wesenszüge dieser Figuren im Verlauf der Auseinandersetzung mit den Primärquellen als die einfachste Art einer umfassenden Beschreibung der verschiedenen Aspekte der dämonischen Charaktere herauskristallisiert hat. Sie beruht nicht auf rein theoretischen Vorüberlegungen, sondern vielmehr auf einem in höchstem Maße pragmatischen Versuch, eine Ordnung in das Material zu bringen, die sämtlichen Zeugnissen Nordwesteuropas ihren Ort anweisen kann und dabei zugleich doch noch überschaubar bleibt – gleichsam im Sinne einer induktiven Suche nach geeigneten Überschriften für die verschiedenen Teile eines umfangreichen ‚Zettelkastens‘. Quellengattungen Mit der Forderung nach einer Gesamtdarstellung der Charaktere der verschiedenen dämonischen Gestalten geht die Notwendigkeit einher, sich bei ihrer Behandlung nicht auf literarische Quellen zu beschränken, sondern grundsätzlich das gesamte relevante Quellenmaterial heranzuziehen – ungeachtet dessen, ob es sich dabei um mythologische Texte, Ritualbeschreibungen, Bilddenkmäler oder im engeren Sinne archäologische Befunde handelt. Es geht der vorliegenden Arbeit nicht (primär) um die Analyse der literarischen Funktion einer Gruppe dämonischer Gestalten in den Literaturen Nordwesteuropas und des klassischen Mittelmeerraums, sondern um den Versuch einer näherungsweisen Rekonstruktion von Elementen ursprünglich gelebter Religion. Gelebte Religion schlägt sich aber nicht nur in
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Texten nieder, sondern auch in Handlungen und Gegenständen; soll ein Versuch ihrer Rekonstruktion unternommen werden – wie tentativ das Ergebnis letzten Endes auch sein mag – so ist es daher unumgänglich, alle entsprechenden Quellengattungen zu berücksichtigen, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten. Hierbei ist – was im folgenden insbesondere am Beispiel der Sirenen deutlich werden wird – auch im Fall einer guten Beleglage nicht damit zu rechnen, daß die verschiedenen Quellengattungen jeweils vollständig dekkungsgleiche Bilder zeigen. Die verschiedenen Quellen entstammen mitunter ganz unterschiedlichen lebensweltlichen Kontexten; so mögen Unterschiede in der Verwendung der Objekte bzw. Texte, in der sozialen Stellung, Bildung und den Intentionen der Hersteller oder Benutzer der Objekte bzw. Texte, oder in Zeit und Ort ihrer Entstehung vorliegen. Es ist grundsätzlich anzunehmen, daß solchen unterschiedlichen lebensweltlichen Kontexten der verschiedenen Quellen auch unterschiedliche Perspektiven und Interessen auf die und an den jeweils dargestellten bzw. verwendeten übernatürlichen Gestalten entsprechen. Dies gilt umso mehr, als nur die wenigsten Quellen geziehlt eine umfassende Darstellung der übernatürlichen Gestalten anstreben, auf die jeweils Bezug genommen wird. Vielmehr werden die herangezogenen Figuren in der Regel nur aufgrund bestimmter Facetten ihres Charakters, die im entsprechenden Zusammenhang von Relevanz sind, in die jeweiligen Kontexte eingeführt. Der Versuch einer möglichst vollständigen Erfassung des Charakterbilds einer übernatürlichen Gestalt muß dies berücksichtigen und ihren Gesamtcharakter aus der Gesamtheit der vorhanden Quellen zu rekonstruieren versuchen, die jeweils nur auf Teilaspekte der betrachteten Gestalten zurückgreifen und sich daher auch im Fall einer idealen Überlieferungssituation erst in ihrer Summe zu einem umfassenden Bild zusammenfügen. So sind die Sirenen etwa sowohl in literarischen Szenen – unter denen das Sirenenabenteuer der Odyssee die zentrale Stellung einnimmt – als auch in der reichen ikonographischen Überlieferung aufs Engste mit dem Tod verbunden. Daß diese Verbindung mit dem Tod jedoch auch einen Aspekt der Sirenen als Seelengeleiter beinhaltet, die die Seelen der Toten ins Jenseits tragen, erscheint in eindeutiger Weise ausschließlich im ikonographischen Material (für die literarische Überlieferung ist hier vielleicht von Bedeutung, daß Odysseus die Begegnung mit den Sirenen überlebt und ein Seelengeleiteraspekt im Kontext des literarischen Gefüges der Odyssee daher schon aus diesem Grunde keine zentrale Funktion haben kann; ganz anders steht es jedoch mit der Bildüberlieferung, wo die Sirenen insbesondere auch in der Grabkunst Verwendung finden, so daß sich hier ein organischer Ausgangspunkt für eine Darstellung einer Seelengeleiterfunktion ergibt). Daß die Sirenen die Lei-
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chen ihrer Opfer verschlingen, findet sich hingegen nur in der textlichen Überlieferung bezeugt (während die Bildüberlieferung diesen Zug für die Sirenen ebensowenig darstellt wie für die Keren oder Erinyen, denen in der Literatur das Verschlingen oder Aussaugen ihrer Opfer ebenfalls zugeschrieben wird). Die verschiedenen Quellengattungen zeichnen Bilder der jeweiligen dämonischen Gestalten, die nicht einfach deckungsgleich sind, sondern die sich vielmehr gegenseitig ergänzen. Erst aus der Zusammenschau der verschiedenen, in den unterschiedlichen Quellengattungen mit ihren jeweils eigenen Perspektiven unterschiedlich stark hervortretenden Aspekte ergibt sich ein Charakterbild, das eine näherungsweise vollständige Erfassung des Gesamtcharakters der jeweiligen Figuren erhoffen läßt – was wiederum offensichtliche Folgen für die Rekonstruktion derjenigen Gestalten hat, für die nur Quellenmaterial einer bestimmten Gattung zur Verfügung steht. Einheitlichkeit der Charakterbilder? Oben ist das Postulat aufgestellt worden, daß im Handeln der Walküren innerhalb der heroischen und mythologischen Texte wichtige Charakterzüge dieser Wesen greifbar werden. Diese impliziert die Annahme, daß hinter den verschiedenen Auftritten von Walküren in der altnordischen Literatur eine gemeinsame, grundlegende Vorstellung vom Charakter dieser Gestalten steht, welche die Möglichkeiten ihrer Verwendung in den Texten (zumindest zu einem gewissen Grad) determiniert – ein ‚traditionelles Walkürenbild‘, um dessen Rekonstruktion der mittelalterliche (Gylfaginning 36!) und der moderne Interpret gleichermaßen bemüht sind. Entsprechende Annahmen liegen in vergleichbarer Weise auch der Diskussion des keltischen, etruskischen und klassisch-mediterranen Materials zugrunde. Gegen einen solchen Zugang scheint zunächst zu sprechen (um beim Beispiel der Walküren zu bleiben), daß eine erste kursorische Durchsicht der Belege den Eindruck einer extremen Diversität der Verwendungsweisen der Walküren in der Literatur erwecken könnte – nicht von ungefähr hat etwa de Vries einen fundamentalen Bruch zwischen den Walküren der vorchristlichen Religion und denen der späteren heroischen Literatur wahrnehmen wollen.11 Zwar lassen sich im Verlauf der literaturgeschichtlichen Entwicklung in der Tat Verschiebungen im Charakterbild der Walküren feststellen, die als solche anzuerkennen und zu würdigen sein werden. Eine detaillierte themati-
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De Vries 1956/57 Bd. 1 § 193.
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sche Zusammenstellung des Walkürenmaterials wird jedoch aufzuzeigen versuchen, daß die verschiedenen Auftritte von Walküren bei genauerer Betrachtung zugleich doch deutlich weniger disparat sind, als dies auf den ersten Blick den Anschein haben könnte; vielmehr kreisen die Handlungen und Charaktere der Walküren der altnordischen Literatur immer wieder um dieselben, zahlenmäßig beschränkten Themen. Es scheint also eine allgemeine (und bei genauerer Betrachtung überraschend klare) Vorstellung davon bestanden zu haben, in welchen Situationen und auf welche Weise Walküren auftreten bzw. literarisch verwendet werden können. Walküren scheinen somit als vergleichsweise klar definierte Wesen mit vergleichsweise klar abgegrenzten Charakterzügen aufgefaßt worden zu sein, und Ähnliches wird sich auch am Vergleichsmaterial beobachten lassen. Insbesondere für die Geschichte der Walküren als literarischem Motiv ist ein solcher Befund dabei bereits als Erkenntnis im eigenen Recht von erheblichem Interesse, da sich hier eine Einheitlichkeit des Motivkomplexes zeigt, die in dieser Form weder selbstverständlich ist noch der älteren Forschung immer bewußt war; inwiefern sich Kontinuitäten innerhalb der literarischen Tradition vornehmlich der christlichen Epoche jedoch als Hinweis auf ähnliche Kontinuitäten seit der heidnischen12 Zeit interpretieren lassen, bedarf weiterer Diskussion, da zunächst nicht klar ist, ob die Kontinuitäten innerhalb des Walkürenbilds auf einem Rückgriff auf eine seit der vorchristlichen Zeit bestehende mündliche Tradition oder auf einer Rezeption rein literarischer Motive innerhalb der Schriftkultur der christlichen Epoche beruhen.13
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Der Begriff des ‚Heidentums‘ wird im folgenden ohne die negativen Konnotationen verwendet, die ihm als „Ausdruck religiöser Polemik des Judentums und Christentums“ (Cancik 1993 S. 65) ursprünglich anhaften. Dies entspricht zum einen dem Gebrauch in der einschlägigen Fachsprache (vgl. etwa die Verwendung bei de Vries 1956/57 passim oder Beck et al. 1992 passim; vgl. auch Cancik 1993 ibidem), zum anderen dem Fehlen eines konsequent anwendbaren Alternativbegriffs (der Begriff ‚vorchristlich‘ läßt sich auch für die frühesten literarischen Quellen Skandinaviens nur eingeschränkt und grundsätzlich nur sensu lato verwenden, da diese Quellen stets schon einer Umwelt entstammen, die mit christlichen Gemeinschaften zumindest in Kontakt stand [vgl. zu den Konsequenzen Marold 1992 S. 687 f.]; zur Problematik des Begriffs ‚Paganismus‘ vgl. Cancik 1998). Innerhalb des nordischen Bereichs ist hier zudem darauf hinzuweisen, daß der Begriff heijinn ohnehin im noch heidnischen Norden als positiv gewertete Selbstbezeichnung übernommen wurde (Marold 1992 S. 688 mit Anm. 6). Zum irischen Material vgl. entsprechend Thurneysen 1921 S. 72 f.; McCone 1990 S. 64 f.
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Chronologie und Quellenwert Wirklich beweiskräftig für die Vorstellungen der heidnischen Zeit sind entsprechend nur Belege, die selbst noch der heidnischen Zeit entstammen. Insofern ließe sich mit einigem Recht argumentieren, daß eine Behandlung der Walküren aus einer religionsgeschichtlich-altertumskundlichen Perspektive vollständig oder zumindest weitgehend auf die frühesten und (vorbehaltlich der bekannten Datierungsprobleme) noch der heidnischen Zeit zugehörigen Belege beschränkt bleiben könnte. Wenn sich die vorliegende Arbeit einer solchen Zugangsweise nicht anschließt, will sie damit die grundsätzliche Richtigkeit einer derartigen Argumentation nicht in Frage stellen. Zugrunde liegt der Berücksichtigung auch des späteren Materials vielmehr eine doppelte Überlegung: Zum einen soll der Bedeutung der Walküren als wichtige Gestalten nicht nur der vorchristlichen Religionsgeschichte, sondern auch der Literatur des christlichen Mittelalters gebührende Beachtung geschenkt werden; denn trotz der Bedeutung dieser Figuren gerade in der heroischen Literatur ist eine umfassende Darstellung ihres Charakters und ihrer Funktionen bisher ein Desiderat. Zwar liegt eine Vielzahl von wichtigen Studien zu den einzelnen Texten vor, in denen Walkürengestalten auftreten und eine mitunter zentrale Rolle spielen, aber eine umfassende Zusammenschau dieser Auftritte, die versuchen würde, eine gewisse thematische Ordnung in das vielfältige Material zu bringen, fehlt bisher.14 Einen Schritt in diese Richtung zu tun, bedarf daher kaum einer weiteren Rechtfertigung. Zum anderen ist zugleich nicht auszuschließen, daß auch die spätere literarische Überlieferung noch aus einer mündlichen oder anderweitig für uns in den erhaltenen Zeugnissen nicht greifbar werdenden Tradition schöpft, die authentische Überlieferungen der heidnischen Zeit widerspiegeln könnte. Schon diese Möglichkeit scheint es der Mühe wert zu machen, auch die späteren Belege zumindest kurz anzusprechen und Kontinuitäten und Unterschiede zwischen frühen und späteren Quellen knapp zu umreißen – selbst wenn eine verläßliche Grundlage für eine religionsgeschichtliche Argumentation ausdrücklich nur in den Belegen gesucht werden kann, die selbst noch in die heidnische Epoche zu stellen sind. Für den Bereich Irlands liegen die Verhältnisse dabei allerdings insofern etwas anders, als eine Unterscheidung zwischen noch vorchristlichem und bereits christlichem Quellenmaterial dort nicht möglich ist, da sämtliche
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Die unveröffentlichte Arbeit von Zimmermann 2006 (Walkürenvorstellungen) ist mir leider nicht zugänglich geworden.
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Quellen erst der christlichen Epoche entstammen; entsprechend lassen sich auf der Basis des rein irischen Materials mythologische Rekonstruktionen grundsätzlich nur unter Vorbehalt vorlegen.15 Eine Kontinuität zwischen den Darstellungen der mittelalterlichen irischen Literatur und der vorchristlichen Religionsgeschichte ist hier in jedem Fall zunächst plausibel zu machen. Eine mögliche Grundlage für eine vorsichtige positive Beurteilung des Quellenwerts der irischen literarischen Zeugnisse würde sich etwa durch das Aufzeigen konkreter Kontinuitäten zwischen dem irischen literarischen Befund und dem Befund des heidnisch-antiken Celticums bieten; auf die in Anbetracht der lückenhaften Quellenlage hochproblematische Frage solcher Kontinuitäten wird daher im Zuge einer detaillierten Besprechung klassisch-literarischer, epigraphischer und archäologischer Zeugnisse ausführlich einzugehen sein. (Narrativer) Kontext Bei der Beurteilung eines literarischen Zeugnisses (und ähnliches gilt entsprechend natürlich auch für ikonographische Dokumente) gilt es neben der Datierung selbstverständlich auch dem narrativen Kontext gebührende Beachtung zu schenken: Es zählt nicht nur die unmittelbare Darstellung der Handlungsweise von Figuren, sondern auch die Funktion dieser Darstellung innerhalb des Textes. Freilich klingt diese Aussage zunächst – und nicht zu Unrecht – wie ein Gemeinplatz; daher soll ein Beispiel kurz illustrieren, warum dieser an sich triviale Sachverhalt im hier präsentierten kurzen methodologischen Abriß dennoch ausdrücklich anerkannt werden soll. Als eine der klassischen Funktionen der Walküren gilt das Ausschenken von Rauschtrank in Walhall,16 bezeugt in den Eiríksmál 1, Grímnismál 36 und (letzteren Beleg zitierend) Gylfaginning 36.17 In den Eiríksmál 1 spricht Odin, allem Anschein nach eben aus dem Schlaf erwacht: Hvat ’s pat drauma, hugjumk fyr dag rísa Valhqll at ryjja fyr vegnu folki; vakjak Einherja, bajk upp rísa
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„Was für Träume sind das, ich schien mir vor Tagesanbruch aufzustehen, in Walhall Platz zu machen vor erschlagnem Volk; ich weckte die Einherjer auf, ich bat sie aufzustehen,
Vgl. Maier 2001 (Religion) S. 40–44, 49 f., 106; McCone 1990 (wozu vgl. Maier 2002). Vgl. etwa de Vries 1956/57 Bd. 1 § 193; Zimmermann 2006 (Bier) (wozu vgl. unten Anm. 92). Die Gylfaginning wird im folgenden zitiert nach Faulkes 2005.
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Einleitung bekki at stráa bjórker at leyjra, valkyrjur vín bera sem vísi kœmi.18
die Bänke zu bestreuen, den Biertrog zu spülen, die Walküren, Wein zu bringen, als ob ein Anführer käme.“
Da die Eiríksmál noch dem 10. Jh. angehören,19 scheint diese Stelle gemäß der communis opinio einen authentischen Beleg dafür darzustellen, daß die Walküren in Walhall als Schankmaiden fungierten. Im erzählenden Kontext der Strophe wird jedoch ein plötzliches frühes Erwachen in Vorahnung der Ankunft neuer Gäste geschildert, für die die Halle schnell bereitgemacht werden muß; zu diesem Zweck müssen Walküren und Einherjer gleichermaßen zupacken, um den Neuankömmlingen einen würdigen Empfang zu bereiten. Zumindest innerhalb der Eiríksmál deutet dabei nichts darauf hin, daß das Trankausschenken für die Walküren charakteristischer gewesen wäre als das Ausspülen des Biertrogs für die Einherjer. Dies wiederum macht jedoch die Bewertung der übrigen Belege für das Motiv des Schenkenamts der Walküren problematisch; denn das Alter der Grímnismál ist nicht eindeutig festzustellen – nach der Ansicht von Simek und Hermann Pálsson kann eine Wissensdichtung wie die Grímnismál sowohl noch in der spätheidnischen Zeit als auch erst in der isländischen gelehrten Renaissance im 12./13. Jh. verfaßt worden sein.20 Zimmermann nimmt die Möglichkeit einer Frühdatierung von Teilen der Grímnismál an,21 sieht aber in der „unerwartete[n] Platzierung“ der Walküren-Strophe (zwischen einer Beschreibung Yggdrasils und einer Aufzählung mythologischer Wesen anstatt in der im Gedicht anderswo ebenfalls gegebenen Beschreibung Walhalls) und in ihrem „merkversartige[n] Charakter“ Indizien dafür, daß es sich bei Grímnismál 36 um eine später hinzugefügte Strophe handelt.22 Falls man aber eine Spätdatierung der (Strophe 36 der) Grímnismál annimmt, scheint es zunächst durchaus möglich, daß das Schenkenamt der Walküren in den Grímnismál nicht auf einer unabhängigen Kenntnis heidnischer Ideen durch den Verfasser der Walkürenstrophe beruht, sondern vom gelehrten Dichter seinerseits nur aus den Eiríksmál extrapoliert wurde. Und da in der Gylfaginning wiederum die Grímnismál zitiert werden, mag auch Snorris Darstellung ohne direkten Rückgriff auf heidnische Traditionen 18 19 20 21
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Normalisierter Text nach Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 164. Allgemein zu den Eiríksmál siehe unten Anm. 71. Simek und Hermann Pálsson 1987 S. 118 und Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 128. Zimmermann 2006 (Bier) S. 46 unter Verweis auf Sprenger 1999 (Grímnismál ); de Vries 1964/67 Bd. 1 § 24, Simek 1993 S. 119 und Sprenger 1999 (Grímnismál) S. 47 stellen das Gedicht noch in die spätheidnische Zeit. Zimmermann 2006 (Bier) S. 46.
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nur auf den vielleicht selbst schon sekundären Ausführungen von Grímnismál 36 basieren. Kurzum könnte die gesamte (und m. W. von der gesamten Forschung bisher fraglos anerkannte)23 Vorstellung vom Schenkenamt der Walküren auf eine sekundäre und irreführende mittelalterliche Interpretation der in der Einleitungsszene der Eiríksmál skizzierten hektischen Vorbereitungen zurückgehen, bei denen jeder Einwohner von Walhall mit Hand anlegen muß. Zwar werden solche Bedenken gegen die Authentizität des Schenkenamts der Walküren durch Zimmermanns Zusammenstellung von Belegen für das Motiv des Trankausschenkens durch jenseitige Frauengestalten in einem Todeskontext relativiert: So gehören Getränke etwa auch zu dem Empfang, der dem toten Balder in der Hel bereitet wird (Baldrs draumar 7), und auf wikingerzeitlichen gotländischen Bildsteinen ist wiederholt das Motiv der Frauengestalt mit einem Trinkhorn bezeugt, die einem Reiter (dem Verstorbenen bei der Ankunft im Totenreich?) entgegentritt und ihn willkommen zu heißen scheint.24 Wenn es sich beim Trankausschenken durch eine jenseitige Frauengestalt also um ein generell weiterverbreitetes Motiv handelt, mag es Hyperkritik sein, die Authentizität des Motivs des Trankausschenkens der Walküren in Frage zu stellen. Allerdings läßt sich zwischen solchem Vergleichsmaterial und den eigentlichen Walküren keine eindeutige Verbindung herstellen,25 und so hinterläßt die Art, in der dieses Motiv in seinem einzigen unbezweifelt alten Beleg eingeführt wird, dennoch ein gewisses Unbehagen gegenüber der Bedeutung, die diesem Zug für den Charakter der Walküren beizumessen ist. Somit illustriert das ‚Trankausschenken der Walküren‘, daß die Bedeutung eines Zeugnisses nicht nur von seiner Datierung abhängt; von gleicher Wichtigkeit ist die Frage nach seinem literarischen Kontext, der Funktion der auftretenden Gestalten in diesem Kontext und den Implikationen der jeweils dargestellten Situation. Freilich sind für den bei weitem größten Teil der für die Charakterisierung der Walküren relevanten Texte detaillierte Einzelanalysen längst und meist bereits wiederholt vorgelegt worden, so daß es im folgenden – um unnötige Doppelungen zu vermeiden – i. d. R. nicht nötig sein wird, auf rein literarische Fragen nochmals einzugehen; 23
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Als Ausnahme hervorzuheben ist nur Lorenz 1984 S. 448, der aus der Spannung zwischen der von Snorri beschriebenen Funktion der Walküren als Schankmaiden und ihren kriegerisch konnotierten Namen (siehe unten S. 60 ff.) auf einen sekundären Charakter der Idee der Walküren als Schankmaiden schließt; auch ihm ist jedoch entgangen, wie brüchig die Quellengrundlage für die Idee der Schankwalküre als heidnischer Vorstellung im Grunde ist. Zimmermann 2006 (Bier) S. 49–51. Vgl. Zimmermann 2006 (Bier) S. 50 f.
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diese sollen nur dort im Detail neu diskutiert werden, wo sich aus dieser Diskussion tatsächlich konkrete Konsequenzen für die Charakterisierung der Walküren als übernatürlicher Gestalten mit Wurzeln in der vorchristlichen Religionsgeschichte ergeben. Die Bewertung von historischen Zusammenhängen Ausgehend von den wiederholt, wenn auch bisher weitestgehend impressionistisch vorgebrachten Vergleichen zwischen den Walküren und irischen sowie mediterranen dämonischen Gestalten soll im folgenden zur Diskussion gestellt werden, wie weit der historische Kontext der Walküren reicht – anders gesagt, ob diese Gestalten mit den irischen Bodbs und mit entsprechenden Dämoninnen der Mittelmeerwelt historisch verbunden sein könnten. Als Maßstab für eine positive Beantwortung dieser Frage schlage ich die folgenden allgemeinen methodischen Grundsätze vor: (1a) Nur eine Motivverbindung von signifikanter Komplexität kann den Schluß nahelegen, daß ihre Wiederkehr in einer anderen Kultur ein Indiz für eine historische Verbindung zwischen den Belegen darstellt. Je mehr Einzelzüge die verschiedenen Belege in den verschiedenen Kulturen teilen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines historischen Zusammenhangs. Für die Bewertung der Motivverbindung sind dabei neben () Anzahl und Grad der Spezifizierung ihrer Elemente auch () Anzahl und Qualität der konkreten historischen Belege von Bedeutung.26 Die Frage nach dem Grad der Spezifizierung der Elemente der Motivverbindung versucht, die Signifikanz der jeweiligen Einzelmotive in den Blick zu nehmen – so schiene es etwa nahezu bedeutungslos, als Einzelelement einer Motivverbindung einen so allgemeinen Punkt wie z. B. eine ‚negative Konnotation‘ der betrachteten Gestalten in den jeweiligen Einzelkulturen vorzuschlagen, da einem solchen Punkt jeglicher spezifische Charakter fehlen würde. Hingegen schiene eine ‚Funktion als Seelengeleiter‘ ein sinnvolles – da sehr spezifisches – Einzelelement einer Motivverbindung darzustellen. (Allerdings ist an dieser Stelle das grundsätzliche Problem zu berücksichtigen, daß die vergleichende Bewertung von Motiven nur selten – und vielleicht nie – eines gewissen subjektiven Elements entbehren kann. Eines der Motive, die im folgenden betrachtet werden sollen, ist etwa das Motiv der ‚Vogelaffinität‘. Dieser Begriff beschreibt dabei so unterschiedliche Phänomene wie die Mischwesengestalt der griechischen Sirenen, die beispielsweise in der frühklassischen Zeit als Vögel mit
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Vgl. Maier 2001 (Religion) S. 102–104.
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Frauenkopf dargestellt werden, oder die Vogelverwandlung der irischen Schlachtfelddämoninnen, die in einem Akt der Metamorphose zwischen einer Erscheinung als Frau und einer Erscheinung als Vogel hin- und herwechseln können. Meines Erachtens konstituieren beide Phänomene eine Affinität der jeweiligen Figuren zu einer Vogelgestalt, die als solche wert ist, festgehalten zu werden. Die Berechtigung einer solchen Kategorienbildung läßt sich aber im letzten und strengsten Sinne nicht beweisen; es kann nur eine ausführliche Stellungnahme abgegeben werden, warum eine derartige Klassifizierung sinnvoll scheint.27) Auf der Ebene der konkreten historischen Belege findet der methodische Unterpunkt des ‚Grads der Spezifizierung der Motive‘ sein Gegenstück in der Frage nach der Qualität der Belege im von Maier definierten Sinn, d. h. der Eindeutigkeit, mit der ein Beleg aus sich selbst heraus und ohne Rückgriff auf weiteres Vergleichsmaterial eine bestimmte Deutung nahelegt.28 Im Fall der Walküren ist z. B. quantitativ und qualitativ eine hervorragende Bezeugung einer tiefen Einbettung dieser Gestalten in den Bereich des Krieges festzustellen, indem sie etwa durch ihre Namen, ihr Auftreten bereits in den frühesten Belegen (Hákonarmál, Hrafnsmál, etc.) und die ausdrückliche Stellungnahme Snorris (Gylfaginning 36) in diesem Bereich angesiedelt werden.29 Wenn hingegen Neckel versucht, aus einer Vielzahl von Indizien einen vampirischen Aspekt der Walküren zu rekonstruieren, der in der altnordischen Literatur selbst so nirgends ausdrücklich ausgesprochen wird und von Neckel erst auf der Basis vielfältiger Kombinationen umständlich erschlossen werden muß, so wäre dieser (re-?)konstruierte Charakterzug im interkulturellen Vergleich mit äußerster Vorsicht zu bewerten.30 (1b) Der Motivkomplex muß sich ferner aus Einzelzügen aufbauen, deren Verbindung nicht unmittelbar allgemeinmenschlichen Lebensumständen entspringt. Im hier behandelten Zusammenhang einer Gruppe von Schlachtfeld- und Todesdämoninnen sticht etwa ins Auge, mit welcher Häufigkeit weibliche Figuren mit dem blutigen Geschehen des Schlachtfelds verbunden werden, während das Kriegshandwerk lebensweltlich in allen hier angesprochenen Kulturgebieten (zumindest im Regelfall)31 ein Männergeschäft war – die Verbindung einer weiblichen Gestalt mit dem Schlachtfeld ist daher als bemerkenswert festzuhalten. Wenn sich hingegen aus der betonten sexuellen Aktivität dieser dämonischen Gestalten mitunter Nachkommenschaft er27 28 29 30 31
Für diese Rechtfertigung der ‚Vogelaffinität‘ siehe unten S. 452 ff. Maier 2001 (Religion) S. 102. Siehe unten S. 31 ff. passim, besonders S. 50 ff. Siehe unten S. 79 ff. Siehe unten Anm. 129.
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gibt, so läßt sich dies nicht als eigenständiger Punkt des Motivkomplexes (etwa im Sinne eines ‚Fruchtbarkeitsaspekts‘) werten, da dies in einer Gesellschaft ohne Verhütungsmittel nur die natürliche (und daher triviale) Folge ihrer Beziehungen zu männlichen Protagonisten darstellt. (2) Ein gangbares Modell für die Vermittlung des Motivkomplexes muß vorgelegt werden. Das heißt als Mindestanforderung, daß historische Verbindungen zwischen den in Frage stehenden Kulturgebieten bezeugt sein müssen. Idealerweise sollten Kontakte zwischen den verschiedenen Kulturgebieten aufgezeigt werden können, deren spezifische Art mit dem spezifischen Charakter des betrachteten Motivkomplexes in Einklang steht. Letzteres entspricht in etwa dem von Maier als Kriterium für die Bewertung religionsgeschichtlicher Rekonstruktionen vorgeschlagenen Kriterium der ‚religionsgeschichtlichen Plausibilität‘ einer Rekonstruktion,32 das im Zusammenhang der Frage nach religionsgeschichtlichen Kontaktphänomenen sehr spezifisch auf eine Plausibilisierung des Interesses des hypothetischen Vermittlers eines entlehnten Komplexes an dessen Rezeption bezogen werden könnte. Es wäre somit vor einer positiven Bewertung eines vorgeschlagenen Vermittlungswegs immer auch die Frage zu beantworten, welche Elemente des vermittelten Phänomens den Träger der Vermittlung in seiner spezifischen (wirtschaftlichen, sozialen, oder durch sonstige Elemente seiner Lebensweise bedingten) Situation dazu bewogen haben könnten, das in Frage stehende Phänomen zu rezipieren und weiterzuvermitteln. Zur Veranschaulichung könnte man etwa auf die schnelle Ausbreitung des Kults des Juppiter Dolichenus im römischen Heer verweisen: Ikonographisch erscheint dieser Gott zumeist auf einem Stier stehend, ausgestattet mit Schwert, Blitzbündel und Doppelaxt. Damit wird er mit Attributen versehen, die Assoziationen von Macht, Gewalt und Kriegertum nahelegen. Die Rezeption dieses Gottes in der römischen Armee ist entsprechend wohl damit in Zusammenhang zu sehen, daß dieser machtvoll-kriegerische Charakter des Juppiter Dolichenus für einen Berufssoldaten ansprechend gewesen sein dürfte,33 wobei sich die Geschwindigkeit der Ausbreitung des Kultes durch die intensiven Personenbewegungen innerhalb des Heeres insbesondere auf der Ebene der Offiziere erklären läßt.34 (3) Die Parallelen sind nur dann mit einiger Wahrscheinlichkeit im Sinne einer in der heidnischen Zeit liegenden religionsgeschichtlichen Verbindung zu deuten – und nicht im Sinne einer mittelalterlichen gelehrten Adaption – wenn gute Gründe dafür vorgelegt 32 33 34
Maier 2001 (Religion) S. 105 f. Vollkommer 1997 Bd. 8.2 S. 478. Vgl. Birley 1978 S. 1518 f. und von Domaszewski 1895 S. 58 f.; siehe unten Anm. 1727.
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werden können, daß der Motivkomplex in dieser Form nicht erst innerhalb der mittelalterlichen Gelehrsamkeit aus klassischen Schriftquellen entlehnt worden sein kann.35 Im gegenwärtigen Zusammenhang der Frage nach historischen Beziehungen zwischen den Schlachtfeld- und Todesdämoninnen Nordwesteuropas und des Mittelmeerraums ist dieser methodische Punkt von besonderer Wichtigkeit, da eine zumindest ansatzweise Vertrautheit mittelalterlicher Gelehrter mit einigen entsprechenden Figuren der klassischen Antike nicht nur grundsätzlich anzunehmen, sondern sogar ausdrücklich bezeugt ist: So wird etwa die irische Schlachtfelddämonin Morrígain an einer Stelle der heroischen Erzählung Táin Bó Cúailnge mit dem Namen der Furie Allecto bezeichnet,36 und ebenso kann das angelsächsische Äquivalent der nordischen Walküren (wælcyrge) in Glossen mit den klassischen Furien und Erinyen identifiziert werden.37 Hier ist daher etwa die Frage zu stellen, wie weit die konkreten Parallelen zwischen den ‚barbarischen‘ Gestalten und den dem europäischen Mittelalter bekannten klassischen Dämoninnen reichen, insbesondere inwieweit sich die Parallelen in isolierten Übereinstimmungen in Einzelzügen erschöpfen, oder ob die jeweiligen Gestalten tatsächlich komplexe Motivverbindungen teilen; welche Züge des mediterranen Vergleichsmaterials dem europäischen Mittelalter bekannt gewesen sein könnten; welche Züge dem mediterranen und nordwesteuropäischen Material gemeinsam sind, obwohl sie der mittelalterlichen Gelehrsamkeit ggf. nicht bekannt gewesen sein können; oder welche Züge den nordwesteuropäischen Dämoninnen fehlen, obwohl sie in der mittelalterlichen Auffassung der jeweiligen Dämoninnen der klassischen Literatur ggf. prominent waren. Erst aus einer umfassenden Betrachtung dieses Gesamtbildes und einer differenzierten Untersuchung der Quellenlage kann sich eine Antwort darauf ergeben, ob sich beobachtbare Parallelen zwischen mediterranen und nordwesteuropäischen Gestalten plausibel durch eine späte Beeinflussung in einem literarisch-gelehrten Umfeld erklären lassen. (4) Es würde die Annahme einer historischen Verbindung plausibler machen, wenn eine Verteilung des Motivkomplexes in einem geographischen Kontinuum aufgezeigt werden könnte; denn in einem solchen Fall wäre es möglich, eine lückenlose Kette von Entlehnungen zu postulieren. Zum Vergleich könnte man etwa wieder auf den Kult des Juppiter Dolichenus verweisen, dessen inschriftlich gesicherte Verbreitung ihr Hauptgewicht in einem breiten, weitgehend zusammenhängenden Streifen entlang der militärischen Grenze des Römischen Reichs zum zeitgenössischen Barbaricum hat (und auch hierin die Armee als Hauptfaktor 35 36 37
Vgl. Maier 2003 (Religion) S. 131–133. Siehe unten S. 131. Bosworth und Toller 1898 s.v. ‚wæl-cyrge‘.
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Einleitung
bei der Ausbreitung dieses Kultes verrät).38 Bei der konkreten Umsetzung dieses Kriteriums ist freilich die allgemein schlechte Quellenlage für die Religionsgeschichte nicht nur Nordwesteuropas, sondern des gesamten Barbaricums zu berücksichtigen: Für weite Bereiche der transalpinen Religionsgeschichte liegen so wenige aussagekräftige Quellen vor, daß vom Fehlen von Quellen nahezu als dem Normalfall der transalpinen Überlieferungslage ausgegangen werden kann. Wenn also auf einer theoretischen Ebene ein Kontinuum von Bezeugungen als Kriterium für die Plausibilisierung von Kulturkontakten postuliert wird, so ist bei der praktischen Umsetzung stets zu bedenken, daß bereits die Quellen selbst kein Kontinuum von Informationen bieten und daher ein streng interpretiertes Kontinuitätskriterium von vorneherein zumeist unanwendbar machen. Die Ansprüche an die Bezeugung müssen sich vielmehr der allgemeinen Quellenlage anpassen, und wo nur fragmentarische Quellen vorliegen, sind mehr als fragmentarische Belege für ein konkretes religionshistorisches Phänomen realistisch nicht zu erwarten. Für die Frage, wie fragmentarisch oder lückenhaft die Belege in Anbetracht einer allgemein fragmentarischen und lückenhaften Beleglage sein dürfen, wird es jedoch schwierig sein, ein klar und objektiv definierbares und quantifizierbares Kriterium zu finden. Unter welchen Umständen man ein Kontinuitätskriterium als erfüllt betrachten will, wird daher stets zu einem großen Umfang von der subjektiven Erwartungshaltung gegenüber den vorhandenen Quellen abhängig sein.39 Vermittlungsweg und Chronologie Die Bedeutung der Chronologie für die Beurteilung des Quellenwerts von Texten innerhalb des nordischen Kontextes steht außer Frage. Gleichermaßen bedeutend ist die Frage der Chronologie der Zeugnisse jedoch auch im Kontext der Frage nach einem möglichen Vermittlungsweg zwischen dem Mittelmeerraum und Nordwesteuropa – zumal in diesem Bereich bisher ein erhebliches Forschungsdefizit besteht. So findet das Problem des Vermittlungswegs trotz seiner fundamentalen Bedeutung für die Bewertung und Interpretation des Materials in Gulermovich Epsteins Werk keinerlei Beachtung,40 während von anderen Autoren auf dieses Problem schon aus
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Speidel 1978, Faltkarte. Vgl. Maier 2003 (Religion) S. 138. Gulermovich Epstein behandelt die Ähnlichkeiten zwischen irischen und nordischen Dämoninnen programmatisch ohne Schlußfolgerungen zu Zeit und Richtung
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Raumgründen nicht oder nur ungenügend eingegangen werden konnte. Die vorliegende Arbeit will hingegen ausdrücklich auch die Frage nach gangbaren Modellen für ‚barbarisch‘-mediterrane Kulturkontakte stellen, die zwar nicht den Anspruch einer eindeutigen Lösung erheben werden, aber doch zumindest den Versuch unternehmen sollen, eine dem Charakter der Phänomene entsprechende Möglichkeit einer eventuellen Vermittlung aufzuzeigen. Oder anders gesagt: Die Schlachtfeld- und Todesdämoninnen Nordwesteuropas sollen trotz der erheblichen Unzulänglichkeiten des Materials hier sehr viel stärker als von der bisherigen Forschung auch und gerade in Hinblick auf die Frage möglicher Vermittlungswege als historische Phänomene gewürdigt werden. Die vorliegende Abhandlung wird einen Motivkomplex, in dessen Zentrum das Thema einer weiblichen Seelengeleiterin steht, von Island bis zur Westküste Kleinasiens verfolgen. Die Notwendigkeit des Ausgehens der Diskussion von den frühesten Zeugnissen ergibt sich dabei im Norden schon insofern aus der Quellenlage, als dort nur die frühesten Zeugnisse noch der heidnischen Zeit zuzuschreiben sind und somit nur sie sicher authentische Belege für heidnische Vorstellungen darstellen. Im Mittelmeerraum besteht dieses Problem in dieser Form nicht, da hier eine lange Zeitspanne der vorchristlichen Epoche durch reiches authentisches Material bezeugt ist. An die Stelle des Problems der Dürftigkeit der echt heidnischen Quellen tritt hier jedoch ein anderes: Die über Jahrhunderte hin reich bezeugten dämonischen Gestalten des Mittelmeerraums zeigen in ihren Charakterbildern noch innerhalb der heidnischen Zeit erhebliche Entwicklungen. Sollen nun halbgöttlich-dämonische Gestalten des Barbaricums mit solchen des Mittelmeerraums verglichen werden, so sind diese Entwicklungen innerhalb der mediterranen dämonischen Figuren angemessen zu würdigen, wenn der Vergleich nicht einen völlig ahistorischen und damit letztlich impressionistischen Charakter erhalten soll. Um die geschichtliche Entwicklung der entsprechenden Gestalten deutlich werden zu lassen, soll entsprechend in allen Regionen (und nicht nur in Nordwesteuropa) möglichst von den frühesten Zeugnissen ausgegangen werden. Die historische Überlieferung setzt in den verschiedenen Gebieten jedoch zu ganz unterschiedlichen Zeiten ein; der Ausgang von den frühesten greifbaren Zeugnissen hat daher zur Folge, daß der chronologische Rahmen der vorliegenden Untersuchung von der homerischen Zeit bis ins Hochmittelalter reicht. Dies mag zunächst abschreckend scheinen, ist je-
der Einflußnahme dieser Figuren aufeinander zu ziehen (Gulermovich Epstein 1997 S. 119; 1998 [War Goddess] S. 271).
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doch unvermeidbar, wenn die hier verglichenen Wesen als geschichtliche Wesen in einer geschichtlichen Entwicklung gewürdigt werden sollen. Diese Geschichtlichkeit der mediterranen Dämonologien ist für die Untersuchung möglicher religionsgeschichtlicher Verbindungen zwischen dem Mittelmeerraum und dem transalpinen Europa von zentralem Interesse, da die Frage nach möglichen Einflüssen und Entlehnungen im Norden wie im Süden immer mit der Frage nach der konkreten Beleglage verbunden bleiben muß: Zu welchen Zeiten sind welche Charakterzüge an welchen Orten konkret historisch bezeugt? Zeigen sich Verschiebungen in der Gewichtung einzelner Züge? An welchen Orten und zu welchen Zeiten ergeben sich ggf. besonders enge Parallelen nicht nur in herausgegriffenen Einzelzügen, sondern in der Komposition komplexer Motivgefüge? Lassen sich solche besonders enge motivische Berührungspunkte mit konkreten historischen Ereignissen oder Situationen verbinden, durch die sie in einen weiteren Rahmen historisch bezeugter Kulturkontakte eingeordnet werden können? Zeigen sich zwischen den in verschiedenen Epochen und an verschiedenen Orten prominenten Zügen charakteristische Unterschiede, die Rückschlüsse auf weitere Kontexte erlauben? In welchen Medien sind Charakterzüge in Abhängigkeit von Ort und Zeit bezeugt, und inwieweit konnte ein kultureller Außenseiter jeweils mit ihnen im öffentlichen Raum in Berührung kommen? Will man versuchen, solche Fragen zu stellen und damit über die ganz allgemeine Aussage hinauszukommen, daß heidnische Traditionen des Nordens und heidnische Traditionen des Mittelmeerraums sich ähneln und daher vielleicht auf irgendeine Weise verwandt sein könnten, dann darf die erhebliche historische Entwicklung der mediterranen Gestalten nicht unterschlagen werden. Die Betrachtung dieser Figuren muß an dem Punkt einsetzen, an dem sie für uns historisch greifbar werden, und muß von da an die Entwicklung ihres Charakters verfolgen. Daß der zeitliche Gesamtrahmen der vorliegenden Arbeit sich infolgedessen über mehr als zwei Jahrtausende erstreckt, ist dabei eine unvermeidliche Folge des späteren Einsetzens der historischen Überlieferung in Nordwesteuropa. Hierbei erinnere man sich zugleich auch daran, daß die Zeugnisse für die nordischen Walküren und die irischen Bodbs nur in absoluten Jahreszahlen gemessen Jahrhunderte von den entsprechenden mediterranen Gestalten enfernt sind; betrachtet man die verschiedenen im folgenden besprochenen Gestalten jedoch nicht in ihrer absoluten, sondern in ihrer ‚relativen‘ Chronologie, so rücken sie deutlich näher zusammen: Sie alle erscheinen am Anfang einer aussagekräftigen religionsgeschichtlichen Überlieferung in den entsprechenden Regionen. Dies bedeutet insbesondere für die nordwesteuropäischen Gestalten, daß sich die Frage nach dem religionsgeschichtlichen
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Alter dieser Figuren dem direkten Zugriff entzieht. Religionsgeschichtliche Kontinuitäten können ohne entsprechende Belege nicht einfach als gegeben angenommen werden. Sie von vorneherein auszuschließen, schiene in Anbetracht der langen Kontinuitäten innerhalb besser dokumentierter religionsgeschichtlicher Situationen (etwa: Verwendung des Rig-Veda in Indien vom 2. Jt. v. Chr. bis in die Gegenwart)41 methodisch jedoch ebenso bedenklich. Die Frage nach Kontinuitäten muß für jeden Einzelfall anhand einer umfassenden Betrachtung des Materials aufs neue untersucht werden. Falsifizierbarkeit Den bisher vorgeschlagenen methodischen Punkten für die Untersuchung der Frage nach möglichen historischen Zusammenhängen zwischen religiösen (bzw. mythologischen) Komplexen in verschiedenen Kulturgebieten war vor allem eines gemeinsam: Sie haben die Frage nach der Methodik einer solchen Untersuchung grundsätzlich als die Frage aufgefaßt, wie und unter welchen Umständen sich der Sachverhalt eines historischen Zusammenhangs in einem positiven Sinne plausibel machen läßt. Seit der Philosophie Karl Poppers wird die Frage nach der Bewertung einer wissenschaftlichen Methodik jedoch auch gerne mit der Umkehrfrage meiner bisher vorgeschlagenen methodischen Richtlinien verbunden: Der Frage der Falsifizierbarkeit. Als den Kriterien empirischer Wissenschaft genügend gilt dann nur noch eine Hypothese, die in dem Sinne prinzipiell einer Überprüfung am Material offensteht, daß die Ergebnisse empirischer Beobachtung ggf. zu ihr in einen so schlüssigen Widerspruch treten können, daß die Hypothese dadurch als falsch erwiesen würde.42 41 42
Vgl. Michaels 2004 S. 34, 48 (Table 2), 50 f. et passim. Vgl. zusammenfassend: „Popper […] repudiates induction, and rejects the view that it is the characteristic method of scientific investigation and inference, and substitutes falsifiability in its place. It is easy, he argues, to obtain evidence in favour of virtually any theory, and he consequently holds that such ‘corroboration’, as he terms it, should count scientifically only if it is the positive result of a genuinely ‘risky’ prediction, which might conceivably have been false. For Popper, a theory is scientific only if it is refutable by a conceivable event. Every genuine test of a scientific theory, then, is logically an attempt to refute or to falsify it, and one genuine counter-instance falsifies the whole theory.“ Beachte auch: „For Popper, however, to assert that a theory is unscientific, is not necessarily to hold that it is unenlightening, still less that it is meaningless, for it sometimes happens that a theory which is unscientific (because it is unfalsifiable) at a given time may become falsifiable, and thus scientific, with the development of technology, or with the further articulation and refinement of the theory. Further, even purely mythogenic explanations have performed a valuable
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Wie auch immer man sich hierzu letztlich stellen will,43 es mag in jedem Fall von Interesse sein, diesen Gedanken mit Bezug auf die vorliegende Fragestellung (prä-)historischer Kulturkontakte kurz durchzuspielen. In der bisherigen Forschung der Nordistik, Keltologie und klassischen Altertumswissenschaft sind wiederholt Ähnlichkeiten zwischen einer Anzahl nordischer, keltischer, etruskischer und griechisch-römischer übernatürlicher Gestalten angesprochen worden; die zentrale Leitfrage der vorliegenden Abhandlung läßt sich unter Bezugnahme auf diese Tradition interkultureller Vergleiche kurz folgendermaßen formulieren: Lassen sich die Walküren, die irischen Bodbs und verschiedene Gestalten mediterraner Dämonologien als historisch miteinander verbunden betrachten? Die oben bisher vorgeschlagenen methodischen Punkte haben sich der Frage gewidmet, unter welchen Umständen dies möglicherweise bejaht werden kann. Welche Ergebnisse müßte die vorliegende Studie jedoch vorlegen, um eine solche Hypothese eindeutig zurückzuweisen? Ein naheliegendes Gegenargument könnte – unter Rückgriff auf das bereits angesprochene Kriterium der geographischen Kontinuität – etwa in einer signifikanten Lücke in der Präsenz des untersuchten Motivkomplexes zu finden sein. So könnte es problematisch scheinen, eine kontinuierliche Ausbreitung über Land- und/oder Seerouten anzunehmen, wenn der Motivkomplex entlang der angenommenen Ausbreitungsroute keinerlei Niederschlag gefunden hätte und wenn also angenommen werden müßte, daß der Motivkomplex sich ohne jegliche Zwischenstation mit einem großen ‚Sprung‘ ausgebreitet haben sollte. Im konkreten Fall der europäischen Frühgeschichte stößt die praktische Anwendung eines solchen methodischen Postulats jedoch auf wesentliche Schwierigkeiten: Gerade im Bereich der Religionsgeschichte (aber auch außerhalb dieses Bereichs) ist die Beleglage im vorrömischen transalpinen Europa in der Regel so lückenhaft, daß die Präsenz eines Phänomens in der Antike vom Vorhandensein von Belegen für diese Präsenz in der Gegenwart scharf zu unterscheiden ist. Das weiträumige Fehlen von Belegen im heute noch erhaltenen Material erlaubt dabei keinen Rückschluß auf eine fehlende Präsenz des Komplexes in der Frühgeschichte: Wo sich über weite Strecken hin grundsätzlich nahezu keine substantiellen Aussagen zur Religionsgeschichte machen lassen, ist die Bewertung des Fehlens von Belegen als Beleg für die Abwesenheit eines
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function in the past in expediting our understanding of the nature of reality.“ (Beide Zitate nach: Stanford Encyclopedia of Philosophy, s.v. ‚Karl Popper‘.) Vgl. in jüngster Zeit etwa Miller 2007 S. 26–30. Vgl. die kritische Bewertung in der Stanford Encyclopedia of Philosophy, s.v. ‚Karl Popper‘, Abschnitt 9.
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konkreten Phänomens nicht zulässig – ein argumentum ex silentio wäre nur dort zu rechtfertigen, wo die Materiallage so gut wäre, daß eine zumindest weitgehend vollständige Abbildung des antiken Zustands im gegenwärtig erhaltenen Material angenommen werden könnte, aber nicht dort, wo sich zum antiken Zustand ohnehin kaum Aussagen machen lassen. Eine Beleglücke ließe sich daher bestenfalls in einem deutlich eingeschränkteren Sinne als schlüssiges Gegenargument gegen eine religionsgeschichtliche Verbindung werten, in dem (hypothetischen) Fall nämlich, daß der archäologische oder historische Befund keinerlei Hinweise auf Kontakte zwischen der postulierten gebenden und der postulierten nehmenden Kultur enthalten würde; denn falls sich im (bei allen Lücken im Einzelnen insgesamt doch sehr umfangreichen) historisch-archäologischen Befund keinerlei Hinweise auf Kulturkontakte zwischen zwei Regionen finden ließen, würde dies die Annahme einer Entlehnung eines konkreten religionsgeschichtlichen Komplexes zum völlig isolierten Einzelfall und damit zwar nicht streng logisch unmöglich, aber doch äußerst unplausibel machen. In der Praxis hilft freilich auch dies kaum weiter, da die europäische Geschichte aller Epochen so reich an konkret bezeugten Kontakten ist, daß dieses Ausschlußkriterium kaum je (und sicher nicht im gegenwärtigen Fall) zur Anwendung gelangen kann.44 Selbst ‚Sprünge‘ über ganz erhebliche Distanzen sind in der europäischen Frühgeschichte historisch-archäologisch durchaus bezeugt; man könnte etwa an einen griechischen Kessel des 7./6. Jh. v. Chr. erinnern, der in Hassle in Schweden gefunden worden ist und der damit ein handgreifliches Beispiel für frühe Fernkontakte darstellt.45 Insgesamt scheint ein positiv aufgefaßtes und mit gebührender Vorsicht formuliertes Kontinuitätskriterium also zwar zielführend – „falls ein näherungsweises Kontinuum von Bezeugungen vorliegt, so stellt dies ein Indiz dar, das die Möglichkeit eines konkreten Kulturkontakts plausibler macht“ –; ein Umkehrschluß vom fehlenden Kontinuum der Bezeugungen (streng zu unterscheiden von der nicht mehr beantwortbaren Frage nach einem Kontinuum der Präsenz in der Antike) auf ein Fehlen von historischen Beziehungen ist jedoch logisch nicht zulässig. Ein wichtigeres Gegenargument gegen das Postulat einer historischen Verbindung zwischen zwei auffallend ähnlichen mythologischen Komplexen könnte der Hinweis auf ähnlich signifikante Parallelen in historisch sicher unabhängigen Situationen darstellen. Die folgende Untersuchung wird sich mit einem Komplex von Parallelen befassen, die insbesondere um
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Siehe unten S. 492 ff. Herrmann 1966 S. 4 f. mit Anm. 9.
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die Themen einer weiblichen dämonisch-übernatürlichen Gestalt im Bereich des Todes mit einer Funktion beim Übergang des Toten ins Jenseits, einem Vogelaspekt, einer auffallend betonten Sexualität, einer häufigen Assoziation mit dem Verschlingen von Leichen und einem Bezug zum Bereich des Krieges kreisen. Der wichtigste methodische Grundgedanke ist dabei, daß komplexe Ähnlichkeiten zwischen Phänomenen in historisch miteinander verbundenen Kulturen ein Indiz für einen möglichen Fall von Kulturkontakt darstellen dürften. Falls allerdings gleichermaßen komplexe Ähnlichkeiten auch in Bereichen auftauchen sollten, mit denen eine historische Verbindung ausgeschlossen werden kann, schiene die Annahme der Signifikanz der beobachteten Parallelen falsifiziert. So einfach und elegant dieser methodische Zugang jedoch auf einer theoretischen Ebene wirken mag, in der forschungspraktischen Umsetzung ist er zumindest in zweifacher Hinsicht zu relativieren. Zum ersten ist Nichtexistenz nicht zu beweisen: Es wird sich nie mit Sicherheit der Nachweis führen lassen, daß vergleichbare Parallelen zum jeweils betrachteten Komplex nicht irgendwo doch bestehen (und sei es bei einem noch nicht ‚entdeckten‘ Stamm im Amazonasbekken), auch wenn der Forscher sie nicht hat aufspüren können. Es läßt sich bestenfalls nach einem Dialog mit Fachwissenschaftlern relevanter Disziplinen (wie etwa der Ethnologie)46 und einer Konsultierung einschlägiger Referenzwerke47 feststellen, daß Phänomene von direkt vergleichbarer Art außerhalb des betrachteten Großraums bisher nicht aufgefunden werden konnten. Das Urteil über die Möglichkeit der Falsifizierung der Hypothese durch das Auftreten vergleichbarer Phänomene außerhalb des betrachteten Großraums muß entsprechend immer ein vorläufiges bleiben. Hierzu tritt als zweite Einschränkung, daß ggf. die Frage nach der Signifikanz einer einzigen, isolierten historisch unabhängigen Parallele gestellt werden müßte. Wie wäre es zu bewerten, wenn sich das jeweilige Phänomen innerhalb einer Großregion mit großer Häufigkeit, außerhalb dieser Großregion jedoch nur sporadisch bezeugt fände? Wäre es dann nicht immer noch möglich, die Ballung der Belege in einem bestimmten Gebiet für signifikant und erklärungsbedürftig zu halten? In einem solchen Fall würde der Schluß von engen Parallelen auf historischen Kontakt somit zwar relativiert, aber nicht strenggenommen widerlegt. Letztlich wird sich die Antwort auf die Frage nach der (praktischen) Falsifizierbarkeit der vorliegenden Fragestellung – ebenso wie die Frage
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Hier bin ich insbesondere Nick Allen zu Dank verpflichtet. Z. B. Jones 2005 (Encyclopedia of Religion); Eliade 1987; Thompson 1955–1958; Hastings 1908–1926.
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nach der Bewertung der vorgeschlagenen positiven Hinweise auf eine konkrete historische Verbindung – somit im Graubereich subjektiver Einschätzungen bewegen müssen.48 Im Prinzip lassen sich vergleichsweise klare Richtlinien festlegen, die zur Beurteilung und ggf. Falsifizierung einer Kulturkontakthypothese herangezogen werden könnten; Poppers wissenschaftstheoretischen Ansprüchen an eine wissenschaftliche Hypothese kann somit grundsätzlich Genüge getan werden. Eine solche theoretische Methodik wird uneingeschränkt aber immer nur in einer idealen Forschungssituation anwendbar sein – die reale Forschungsarbeit hat sich allzu oft mit so vielen Problemen der Interpretation und insbesondere des Fehlens von Material im historischen Einzelfall auseinanderzusetzen, daß sich etwa die Frage nach einer lückenlosen Präsenz des Komplexes in der europäischen Frühgeschichte schon aufgrund der lückenhaften Überlieferungslage zwar von einem theoretischen Standpunkt aus als wichtig hervorheben läßt, daß sie aber in der forschungspraktischen Durchführung in Anbetracht der Materiallage kaum umzusetzen sein wird.49 Auf die verschiedenen methodischen Punkte, die hier zur Beurteilung einer Kulturkontakthypothese vorgeschlagen worden sind, wird wieder zurückzukommen sein, nachdem das historische Material vorgestellt worden ist. Dabei sei von Anfang an betont, daß die vorliegende Arbeit keinen Anspruch auf eine verbindliche Beantwortung der Frage nach einer historischen Verbindung zwischen den nordwesteuropäischen und den mediterranen Dämoninnen erhebt. In Anbetracht der vielfältigen Probleme des nordwesteuropäischen Materials kann die Antwort auf eine solche Frage
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Für Lottner (1870) waren die wenigen von ihm auf kaum zwei Druckseiten zusammengestellten Parallelen bereits ausreichend, um einen historischen Zusammenhang zwischen Walküren und irischen Bodbs plausibel zu machen. Fast zwei Generationen später hat sich Krappe 1926 S. 55 unter Verweis auf eine zweiseitige Materialsammlung Golthers (siehe unten Anm. 1597) mit einer ähnlich geringen Materialmenge zufriedengegeben, um das Postulat noch deutlich weitreichenderer Kulturverbindungen zu untermauern. Die Frage nach den Ansprüchen an die Falsifizierung einer Hypothese ist direkt mit der Frage nach den Ansprüchen an den Beweis für die Hypothese verschränkt; wo an den Beweis nur niedrige Ansprüche gestellt werden und schon eine skizzenhafte Zusammenstellung einiger weniger und unsystematischer Parallelen zum Beweis für direkte historische Kontinuitäten wird, dort wird es schwer sein, einen für den Diskussionspartner schlüssigen Gegenbeweis anzutreten. Wie Maier 2003 (Religion) S. 133 bemerkt, „ist die Quellenbasis für die Erforschung der vorchristlichen Religionen Alteuropas insgesamt so schmal, daß auch abwegige und phantastische Theorien nur selten schlüssig widerlegt werden können.“
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immer nur in der subjektiven Einschätzung einer Wahrscheinlichkeit bestehen, deren jeweilige Begründung expliziert, die aber nicht im strengen Sinne bewiesen werden kann. Dies ist dabei allerdings nicht als ein Scheitern der hier versuchten Zugangsweise zu werten – denn dasselbe gilt letztlich für fast alle Fragen der vorchristlichen nordwesteuropäischen Religionsgeschichte.
Die Zielsetzung der Arbeit Die vorliegende Arbeit hat eine doppelte Zielsetzung: Zum einen will sie eine Darstellung des Charakters der Walküren in der altnordischen Literatur vorlegen, und zum anderen nach der Stellung dieses Charakters im weiteren Kontext der frühen europäischen Religionsgeschichte fragen. Hierbei ist die erstere Fragestellung mit der zweiten zwar eng verbunden, wird von ihr aber doch letztlich nicht impliziert; denn eine rein religionsgeschichtlich ausgerichtete Arbeit könnte sich bei der Betrachtung der Walküren weitgehend auf das früheste Material beschränken, für das noch eine unmittelbare Verwurzelung in der Vorstellungswelt der vorchristlichen Religion Skandinaviens angenommen werden kann. Die vorliegende Arbeit will in der Behandlung der Walkürenüberlieferung jedoch noch weit in die christliche Epoche hinein ausgreifen, das aussagekräftige Walkürenmaterial möglichst umfassend zusammenstellen und herausarbeiten, wo starke Kontinuitäten, aber auch auffallende Unterschiede zwischen den Walküren der Frühzeit und den Walküren der späteren Literatur zu bestehen scheinen. Der Hauptfokus der Arbeit ist nichtsdestoweniger ein altertumskundlicher; während die literaturgeschichtlichen Kontinuitäten in den Walkürenvorstellungen also zwar berücksichtigt werden, kann ihnen in Anbetracht der Menge des zu behandelnden germanischen, keltischen und klassischmediterranen Gesamtmaterials doch im Einzelnen nur eingeschränkte Aufmerksamkeit zuteil werden. Auf rein literarische Aspekte der verschiedenen, von der Forschung zumeist bereits ausführlichst aufgearbeiteten nordischen Quellentexte soll über den Verweis auf einschlägige Forschungsliteratur hinaus daher i. d. R. nur dort explizit und detailliert eingangen werden, wo sich daraus direkte Konsequenzen für die Charakterisierung der Walküren ergeben, gerade als Gestalten der vorchristlichen Religionsgeschichte. Denn die vorliegende Arbeit will in einem altertumskundlichen Neuansatz vor allem erkunden, was ein religionsgeschichtlichkomparatistischer Zugang leisten kann, der im Unterschied zur bisherigen Herangehensweise an ‚barbarisch‘-mediterrane Parallelen die verglichenen Phänomene einander nicht nur skizzenhaft-impressionistisch gegenüber-
Der Aufbau der Arbeit
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stellt, sondern der auch dem Vergleichsmaterial seinen gebührenden Platz einräumt und der ‚Barbarisches‘ und Mediterranes einander auf Augenhöhe begegnen läßt.50
Der Aufbau der Arbeit Die folgenden Kapitel werden sich zunächst der Diskussion des Materials in den Einzelkulturen widmen, wobei die einzelnen Komplexe zunächst jeweils im eigenen Recht und in ihren jeweiligen unmittelbaren kulturellen Kontexten dargestellt werden sollen. Diese Darstellung des Materials wird einer geographischen Ordnung folgen und sich von Skandinavien ausgehend zunächst Irland, dann Britannien und dem kontinentalen Celticum und schließlich dem etruskischen und klassisch-mediterranen Bereich zuwenden. Hiermit geht aufgrund der jeweils unterschiedlichen Überlieferungslage in den verschiedenen Regionen auch eine grob umgekehrtchronologische Ordnung einher: Je weiter sich die Untersuchung nach Süd(ost)en bewegt, desto früher setzen aussagekräftige religionsgeschichtliche Quellen und damit die Betrachtung des jeweiligen Untersuchungsgegenstands ein. Zuerst sollen in jeweils einem Kapitel die Walküren und die irischen Bodbs ausführlich vorgestellt werden. Die Diskussion der irischen Bodbs wird darauf in zwei weiteren Kapiteln durch einen kritischen Überblick über Zeugnisse der romano-britischen und kontinentalkeltischen Religion ergänzt, die auf ähnliche Elemente auch in der Religion bzw. den Religionen der Kelten Britanniens und des Kontinents hinweisen könnten, oder die in der Forschung als Hinweise auf solche Elemente gedeutet worden sind; zugleich wird eine Gegenüberstellung der nordischen und irischen Dämoninnen dabei helfen, die Leitfragen für die folgenden Betrachtungen zu definieren. Hieran wird sich eine Besprechung der etruskischen Seelengeleiterin Vanth anschließen. Ein kursorischer Überblick über einige Charakterzüge der Furien, Erinyen, Harpyien und Keren wird daraufhin zu einer ausführlicheren Diskussion der Sirenen überleiten. Dem Schlußkapitel wird es überlassen bleiben, die Beobachtungen der vorangegangenen Kapitel zusammenzufassen und im Licht der eben kurz 50
Eine solche Zugangsweise kann dabei auch zu Ergebnissen führen, die nicht nur die frühe europäische Religionsgeschichte betreffen, sondern die auch auf die Interpretation eines Teils der nordischen Quellen zurückwirken. Hierzu habe ich mich jedoch bereits an anderer Stelle ausführlich geäußert (Egeler 2009 [Perspektiven]), so daß eine erneute Diskussion dieses Fragenkomplexes hier unterbleiben kann.
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umrissenen methodischen Punkte – mit besonderem Augenmerk auf dem Problem möglicher Vermittlungswege – abschließend zu diskutieren. Das Ziel dieses Kapitels wird sein, zu einer Bewertung der Frage zu gelangen, ob es sich bei all diesen dämonischen Gestalten um Teile eines historisch zusammenhängenden Phänomens handeln könnte und ob somit die Walküren und Bodbs möglicherweise in einem nicht nur nordwesteuropäischen, sondern in einem gesamteuropäischen Kontext zu verstehen sind. Unabhängig von der Antwort auf diese Frage scheinen die in der Forschung so häufig angestellten Vergleiche dieser Figuren miteinander es zu rechtfertigen, das entsprechende Material hier jedoch auch dann systematisch zusammenzustellen, wenn man diese Figuren nicht als historisch verbunden betrachten, sondern die keltischen und mediterranen Dämoninnen nur als typologisches Vergleichsmaterial zum besseren Verständnis der nordischen Gestalten heranziehen will.
Die Walküren
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2. Die Walküren Die Walküren sind Figuren von vielschichtigem Charakter. Sie treten als Frauengestalten auf, und zugleich erscheinen sie in der Gestalt von Krähe oder Schwan. Sie lenken das Schlachtenglück, sie tragen blutige Rüstungen, und zugleich werden sie die Geliebten einer Vielzahl von Helden. Sie gewähren Hilfe im Kampf, und zugleich bestimmen sie über den Tod des Kriegers. Sie bilden ein weithin undifferenziertes Kollektiv, und zugleich treten einige von ihnen in ihren Beziehungen zu einzelnen Helden als scharf gezeichnete Individuen aus diesem Kollektiv heraus. Will man sich über die religionsgeschichtliche Stellung solch komplexer Gestalten klar werden, so gilt es zuerst, die Grundlinien ihres Charakters zu umreißen. Der folgende Überblick über die altnordischen Walkürenvorstellungen will sich diesen Grundlinien thematisch nähern und den Versuch unternehmen, die Vielfalt der Zeugnisse nach zugrundeliegenden Charakterzügen zu ordnen: Es wird danach gefragt werden, inwieweit die Walküren als Kollektiv oder als Individuen betrachtet werden können, und wie ihre Verbindung zum Tod, zum Übergang des Toten ins Jenseits, zu Krieg und Gewalt und ihre Affinität zu Vögeln beschaffen sind. An die Frage nach der Beziehung der Walküren zu Vögeln wird sich die Frage nach ihrer Assoziation mit aasfresserischem Verhalten anschließen. Darauf soll ihre Sexualität besprochen werden, und schließlich ist die Frage zu stellen, inwieweit die Walküren über besonderes, tieferes Wissen verfügen und welche Macht sie über den Geist des todgeweihten Kriegers haben. Grundlage dieser Klassifizierung der Charakterzüge der Walküren ist ein Versuch, möglichst das gesamte nordwesteuropäische Material in einer Weise zu ordnen, die allen wichtigen Zeugnissen ihren Ort anweist und dabei zugleich doch überschaubar bleibt – wenn auch schon anhand der Menge und Qualität der jeweiligen Belege deutlich werden wird, daß nicht jeder dieser Züge für den Gesamtcharakter der Walküren dasselbe Gewicht hat. Vor der detaillierten Hinwendung zum Material sind noch kurz einige Worte zur Abgrenzung des Gegenstands dieses Kapitels zu sagen. Eines der zentralen Leitmotive, die in der vorliegenden Arbeit verfolgt werden, ist die Verbindung einer weiblichen Dämonin mit dem Tod, dem Übergang des Toten ins Jenseits und dem Erscheinen in Vogelgestalt. Diese Verbindung kehrt als Ganze in den Walküren wieder, und zwar in Gestalten, die
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Die Walküren
ausdrücklich – und unter Verwendung ebendieses Begriffs – als Walküren benannt werden. Teile dieser Motivverbindung finden sich darüber hinaus über eine Vielzahl von weiteren Gestalten der altnordischen Literatur verstreut. Der Gesamtkomplex ist jedoch für die Walküren spezifisch, und daher wird das vorliegende Kapitel sich ausführlich nur mit den Walküren befassen.51 Hier liegt aber bereits ein erstes Problem. Eine solche Auswahl heißt einerseits, daß die Walküren, auch wenn auf ihren Kontext verwiesen wird, zu einem gewissen Grade aus diesem Kontext herausgenommen werden und isolierter erscheinen können, als dies in der nordischen religionsgeschichtlichen Wirklichkeit der Fall war. Eine ‚ideale‘ Darstellung der Walkürenvorstellungen müßte eine Gesamtdarstellung der altnordischen Jenseitsvorstellungen leisten, in die die Walküren eingebettet sind, ebenso wie eine Gesamtdarstellung der mit Odin verbundenen Vorstellungen, in dessen Gefolge die Walküren erscheinen. Ferner wären die Nornen (und damit der Schicksalsglaube) ausführlich zu besprechen, da Skuld sowohl unter die Nornen als auch unter die Walküren gezählt wird.52 Außerdem müßten die Disenvorstellungen im Detail gewürdigt werden, da der Begriff dísir auch für die Walküren gebraucht werden kann,53 die somit als Unter51
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Für den weiteren religionsgeschichtlichen Kontext muß auf die einschlägigen Handbücher verwiesen werden, vgl. etwa de Vries 1956/57; Turville-Petre 1964; Simek 2003; Maier 2003 (Religion). So erscheint sie unter den Nornen in Vqlospá 20 und zugleich in der Walkürenliste in Vqlospá 30; vgl. Gylfaginning 36 (hgg. von Faulkes 2005), wo sie als Norne bezeichnet wird, aber mit zwei Walküren ausreitet, und Gylfaginning 15, wo sie neben Urjr und Verjandi als Norne an der Quelle unter Yggdrasill erscheint (ähnlich wie in Vqlospá 20). In Skáldskaparmál Strophe 436 (hgg. von Faulkes 1998) scheint Skuld unter die Walküren gezählt zu werden. Vgl. Hrólfs saga kraka (hgg. von Slay 1960) Kapitel 11 bis Ende (die dort auftretende zauberkundige Königin Skuld hat die Macht, tote Krieger wieder zum Leben zu erwecken und erneut in die Schlacht zu schicken; dies erinnert an die Rolle der Walküre in der Sage von der Ewigen Schlacht, die im folgenden noch ausführlich dargestellt werden wird). Nicht zuletzt Ström 1954 S. 86 hat hervorgehoben, daß das Vorkommen des Namens Skuld sowohl in der Liste der Walküren- als auch in der Liste der Nornennamen eine Verbindung zwischen Nornen und Walküren bezeugt (contra Golther 1890 S. 425), vgl. auch Ström 1954 S. 80 f. Vgl. auch Neumann 1955 S. 121 f.; Boyer 1980 S. 50 f.; Price 2003 S. 341. Die Nornen als Schicksalsmächte, die über die Länge des Lebens der Menschen bestimmen (vgl. Holtsmark 1951; Holm-Olsen 1951–1952), mit den Walküren zu assoziieren, ist dabei nur natürlich: Während die Nornen das Schicksal des Menschen am Beginn des Lebens bestimmen, verkünden die Walküren es als Todesschicksal an seinem Ende: Kauffmann 1926 S. 375 (und siehe unten), vgl. Boyer 1980 S. 50 f.; zu den in manchen Details unterschiedlichen Haltungen der Nornen und Walküren zu diesem Schicksal und seinem Opfer vgl. dabei Quinn 2006 (Gendering) S. 54 et passim. Etwa Krákumál 29; vgl. auch Gujrúnarqvija in fyrsta 19 mit Golther 1890 S. 431; Ström 1954 S. 74; Damico 1984 S. 71; von See et al. 2009 S. 252. Auch Motz 1993 S. 74 f. be-
Die Walküren
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gruppe der weiteren Kategorie ‚Disen‘ erscheinen. Nur so ließe sich der gängige Vorwurf gegen vergleichend-religionsgeschichtliche Arbeiten mit Sicherheit vermeiden, die Phänomene der einzelnen Religionen wären aus ihrem Zusammenhang innerhalb dieser Religionen gerissen und miteinander verglichen worden, ohne daß der Kontext innerhalb ihrer eigenen Kulturbereiche erschöpfend behandelt worden wäre. Diese Kritik vorwegnehmend, ist hierzu Verschiedenes zu sagen. Zunächst ist die Einschränkung des Themenbereichs eine praktische Notwendigkeit, der auch andere Arbeiten nicht entgehen. Eine Gesamtbehandlung eines Motivs müßte idealerweise sowohl seinen Kontext innerhalb seiner eigenen Kultur berücksichtigen, als auch den Kontext, der durch verwandte Erscheinungen in den Nachbarkulturen gebildet wird; beides zugleich ist aber in einem einzelnen Buch nicht zu leisten. Und es ist – zumindest im vorliegenden Fall – auch nicht nötig; denn der Kontext der nordischen Walkürenvorstellungen ist schon anderswo ausführlich behandelt worden, und diese Behandlung hier zu wiederholen wäre eine unnötige Doppelung.54 An dieser Stelle ist es ausreichend festzustellen, daß sich zu dem System, in das die Walküren in Skandinavien eingebettet sind, in den Nachbarkulturen keine eindeutigen Parallelen finden. Alle eventuellen Ähnlichkeiten zwischen Walküren und etwa den irischen Schlachtfelddämoninnen stehen als isolierter Komplex von Parallelen zwischen diesen Gruppen von Gestalten da, die innerhalb ihres engeren kulturellen Kontextes in ganz unterschiedliche Zusammenhänge eingebettet sind, soweit solche für uns erkennbar werden. Ein konkreteres Problem ist die genaue Abgrenzung der Walküren. Der Begriff valkyrja wird nur selten verwendet; auch in den heroischen Gedich-
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tont, daß Nornen, Walküren und Disen nicht scharf unterschieden werden; auch Riesinnen teilen mitunter Züge mit Walküren: Motz 1993 S. 75. Die hier relevanten Bereiche des Jenseitsglaubens wurden ausführlich von Neckel 1913 behandelt, siehe auch Ellis 1943; de Vries 1956/57 Bd. 2 §§ 380, 581 f.; Turville-Petre 1964 S. 54 f.; Marold 1972; Simek 1993 S. 346–348; Beck 1999; Lindow 2001 S. 308 f., 316; Hultgård 2002; Dillmann 2007. Das Verhältnis der Walküren zu Odin wird von Boyer 1980 anhand der Walkürennamen besprochen; zu Odin allgemein vgl. etwa de Vries 1956/57 Bd. 2 §§ 361–412; Turville-Petre 1964 S. 35–74; Ellis Davidson 1972; Dumézil 1973 passim; Simek 1993 S. 240–246; Lindow 2001 S. 247–252; Hultgård 2007. Zu den Nornen vgl. Kauffmann 1926 S. 370–408; von Kienle 1933 S. 81–90, 110 f.; Holtsmark 1951; Holm-Olsen 1951–1952; de Vries 1956/57 Bd. 1 §§ 192 f., Bd. 2 §§ 528, 585; Simek 1993 S. 236–238; Lindow 2001 S. 243–245; Dillmann 2002. Zu den Disen allgemein vgl. Brate 1911/12; Loewenthal 1923 S. 288 f.; Hempel 1939 S. 263–266 (=1966 S. 28–30); Strömbäck 1949, besonders S. 44–49; de Vries 1956/57 Bd. 1 §§ 230, 311 und Bd. 2 §§ 376, 528 f.; Turville-Petre 1964 S. 221–228, 230 f., 239 f.; Turville-Petre 1966 S. 343–348; Naumann 1984; Simek 1993 S. 60–62; Motz 1993 S. 70–72; Lindow 2001 S. 93–97; Simek 2002 S. 109–118.
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Die Walküren
ten der Edda, die einen erheblichen Teil des Materials darstellen, taucht der Begriff oft nicht in den Strophen auf, sondern nur in der von späteren Bearbeitern hinzugefügten Prosa. Stattdessen wird häufig der Begriff dís verwendet; dieser wiederum hat jedoch eine weitere Bedeutung als valkyrja. Es findet sich also eine Vielzahl von Belegen, die von Walküren zu sprechen scheinen, in denen der eigentliche Begriff aber nicht gebraucht wird. Das vorliegende Kapitel will einen Gesamteindruck vom Charakter einer spezifischen Gruppe dämonischer Wesen gewinnen; in den folgenden Kapiteln soll daraufhin der Versuch unternommen werden, diese Gruppe in ihren weiteren Kontext in der frühen europäischen Religionsgeschichte einzuordnen. Der Begriff der Disen scheint zu weit, um einen aussagekräftigen Vergleich mit weiterem, außernordischem Material zu ermöglichen; von Interesse sind hier daher nur Walküren im engeren Sinne. Zugleich ist es aber bei vielen Beispielen von dísir zu deutlich, daß Walküren gemeint sind, als daß es zu rechtfertigen wäre, diese Beispiele einfach beiseite zu lassen. Die Betrachtung wird also von Gestalten ausgehen, die im überlieferten Text ausdrücklich als Walküren bezeichnet werden. Danach wird jedoch auch auf Beispiele verwiesen werden, in denen Walküren unter dem allgemeineren Begriff der Disen aufzutreten scheinen.
Kollektivcharakter Vor allem in der heroischen Dichtung, wo sie so oft als Geliebte von Helden auftreten,55 erscheinen Walküren als Individuen, häufig mit einem fast vollständig menschlich anmutenden Charakter.56 In den Zeugnissen hingegen, die sie in ein stärker dem jenseitigen Bereich zugehöriges Licht rücken, tritt weniger die individuelle Walküre als Einzelgestalt auf, sondern vielmehr erscheinen die Walküren hier zumeist als Gruppe.57 So in der Vqlospá, die zumeist der Übergangsphase zwischen Heidentum und Christentum im 10./11. Jh. zugeschrieben wird:58 In der Fassung dieses Liedes im Codex Re-
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Siehe unten S. 86 ff. Vgl. Bowra 1952 S. 84; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 193. Vgl. Præstgaard Andersen 2002 S. 292. So etwa Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 430; Dronke 1997 S. 63–65, 98 (sie betrachtet allerdings Verse 9–12 von Strophe 30 als wahrscheinliche Interpolation: Ibidem S. 68); Hermann Pálsson 1996 S. 7, 27, vgl. ibidem S. 14 f.; McKinnell 1993 S. 714 (er hält die Walkürenstrophe für eine mögliche Interpolation: Ibidem S. 713); de Vries 1964/67 Bd. 1 § 30; Sigurdur Nordal 1980 S. 135. Hiergegen hat in jüngster Zeit Gísli Sigurjsson dafür plädiert, die Suche nach einem ins 10. Jh. zu datierenden ver-
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gius leitet der Ritt einer Gruppe von Walküren den Abschnitt des Gedichts ein, der auf den Weltuntergang hinführt (Strophe 30):59 Sá hon valkyrior, vítt um komnar, gorvar at ríja til Gojpiójar; Sculd helt scildi, enn Scqgul qnnor, Gunnr, Hildr, Gqndul oc Geirscqgul; nú ero taljar nqnnor Herians, gorvar at ríja grund, valkyrior.60 „Sie sah Walküren weither gekommene, bereit zu reiten zur Götterschar; Skuld hielt den Schild, und Skqgul die zweite, Gunnr, Hildr, Gqdul und Geirskqgul; jetzt sind aufgezählt Herjans (Odins) Mädchen, bereit zu reiten über die Erde, Walküren.“
Diese Walküren treten hier als eine Schar von Wesen auf, aus der keines als Individuum herauszuragen scheint; sie werden kollektiv als nqnnor Herians „Herjans Mädchen“61 bezeichnet, was eventuelle Unterschiede zwischen ihnen gegenüber ihrer gemeinsamen Abhängigkeit von Odin in den Hinter-
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meintlichen „richtigen Urtext“ aufzugeben – von der Fassung der Vqlospá im Codex Regius (niedergeschrieben in den 1270er Jahren: Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 56) sei nur sicher, „daß sie so geschrieben wurde, wie die Menschen es in der 2. Hälfte des 13. Jh.s wußten“; den terminus ante quem für eine „geschriebene Urfassung“ setzt er im Jahr 1200 an. Zugleich betont er jedoch das Alter des in der Vqlospá behandelten Stoffes; er nimmt dabei eine äußerst frühe Datierung als Teil einer in stetem Wandel begriffenen Dichtungstradition an: „[D]as Lied hat sicherlich schon lange vor der W[ikinger-]Z[eit] bei den nord. Völkern existiert.“ (Gísli Sigurjsson 2007 S. 530–532; Zitate: S. 531, 530; vgl. ibidem S. 527 f.) Spezifisch mit Bezug auf die Walkürenstrophe sind solche Einwände gegen eine frühe Datierung des Texts in der uns heute vorliegenden Form umso schwerwiegender, als diese Strophe nur im Codex Regius enthalten ist, aber nicht in den anderen Überlieferungssträngen (Hauksbók und Snorri; vgl. Dronke 1997 S. 68). Da außer dem Codex Regius allerdings nur noch in der Hauksbók eine ‚vollständige‘ Handschrift der Vqlospá vorliegt, und da diesem Überlieferungsstrang an der fraglichen Stelle nicht nur die Walkürenstrophe, sondern eine ganze Szene fehlt (Strophen 28–33 in der Ausgabe von Neckel und Kuhn 1983), kann dies jedoch ebenso auf die Lückenhaftigkeit der weiteren Überlieferung wie auf einen Charakter der Walkürenstrophe als später Zusatz zurückzuführen sein (vgl. Dronke 1997 S. 83, 85 f. und den kritischen Apparat bei Neckel und Kuhn 1983). Ström 1954 S. 76; vgl. McKinnell 1993 S. 714. Text: Neckel und Kuhn 1983. Vgl. Dronke 1997. In nqnnor Herians wird der Name von Balders Frau Nanna als allgemeine Bezeichnung für „Frau“ verwendet, vgl. Hermann Pálsson 1996 S. 77; zur Odinsbezeichnung Herian, die wohl Odin als Anführer der Einherjer bezeichnet, vgl. de Vries 1956/57 Bd. 2 § 380; Simek 1993 S. 143.
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grund rückt.62 Sie erscheinen als eine Schar bewaffneter übernatürlicher Frauen aus dem Gefolge Odins. Ein in dieser Hinsicht ähnliches Bild zeigt sich auch in den Grímnismál 36,63 wo Odin spricht: Hrist oc Mist vil ec at mér horn beri, Sceggiqld oc Scqgul, Hildi oc Prúji, Hlqcc oc Herfiotur, Gqll oc Geirqlul; Randgríj oc Rájgríj oc Reginleif, pær bera einheriom ql.64 „Hrist und Mist, will ich, daß das Horn mir bringen, Skeggiqld und Skqgul, Hildi und Prúji, Hlqkk und Herfjqtur, Gqll und Geirqlul; Randgríj und Rájgríj und Reginleif, die bringen den Einherjern Bier.“
Hier erscheinen die Walküren wieder als eine Gruppe von Odin untergeordneten übernatürlichen Wesen, als die Schankmaiden Odins und der Einherjer, der toten Krieger in Walhall – wobei das Schenkenamt freilich eine sekundäre Vorstellung sein mag.65 Dem bewaffneten Auftritt der Walküren in der Vqlospá 30 näher steht der Ritt der Walküren in der Helgaqvija Hiqrvarjzonar66 28, wo dreimal neun „Mädchen“ reiten, und ein behelmtes „Mädchen“ reitet voraus; die Strophe selbst benennt das behelmte Mädchen mit ihrem Gefolge nicht als Walküre, aber der Begriff wird in den Pro62
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Falls Dronke 1997 S. 68 damit recht hat, Verse 9–12 von Strophe 30 als wahrscheinliche Interpolation zu betrachten, ist dieses Detail zwar (im Text) sekundär; dies würde jedoch nichts am Gesamtbild der Strophe ändern, in der die Walküren als individuell nicht differenzierte Gruppe auftreten. Das Gedicht ist nach de Vries 1964/67 Bd. 1 § 24 und Simek 1993 S. 119 noch in die spätheidnische Zeit zu stellen; nach Simek und Hermann Pálsson 1987 S. 118 und Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 128 hingegen kann eine Wissensdichtung wie die Grímnismál sowohl in der spätheidnischen Zeit (10. Jh.) als auch in der isländischen gelehrten Renaissance im 12./13. Jh. entstanden sein. Zimmermann 2006 (Bier) S. 46 hält Strophe 36 für eine wahrscheinliche spätere Interpolation in einem Gedicht, das in Teilen auf das 10. Jh. zurückgehen mag. Siehe oben S. 13 f. Text: Neckel und Kuhn 1983. Zur problematischen Quellenlage für die Vorstellung von den Walküren als Schankmaiden des Kriegerjenseits siehe oben S. 13 ff. Für die Einherjer als die toten Krieger in Walhall siehe etwa Gylfaginning 20. Die Walküren werden in den Grímnismál nicht ausdrücklich als solche benannt, aber Snorri führt diese Strophe in seiner Gylfaginning 36 an und erklärt die dort aufgezählten Wesen als valkyrjur. Sie tragen zudem typische Walkürennamen (vgl. unten S. 60 ff.). Die Strophen des Gedichts datieren wohl ins 12. Jh., das Gedicht als Gesamtgebilde aus Strophen und Prosastücken ist dem Redaktor des Codex Regius zuzuschreiben: Von See et al. 2004 S. 404.
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saabschnitten vor Strophe 6 und vor Strophe 10 von ihr gebraucht. In der Prosa vor Strophe 6 desselben Gedichts reiten die Walküren zu neunt, ebenso in der Helgaqvija Hundingsbana qnnor67 in der Prosa nach Strophe 18. Beim ersten Treffen zwischen Helgi und der Walküre Sigrún in der Helgaqvija Hundingsbana in fyrri6815 f. treten die Walküren als eine Gruppe unbestimmter Zahl auf.69 In den Hákonarmál 1 sendet Odin zwei Walküren aus.70 Die Eiríksmál 1 sprechen von den valkyriur wiederum in einem unbestimmten Plural.71 In der Vqlundarqvija72 1–3 tritt eine Gruppe von drei Schwanenmädchen auf, die in der einleitenden Prosa als Walküren benannt werden. Das Darrajarljój73 läßt in Strophe 3 vier Walküren zusammen auftreten, in Strophe 5 erscheinen zwei Walküren.74 Insgesamt läßt sich somit festhalten, daß Walküren – obwohl sie in ihren Beziehungen zu Helden als stark individualisierte Einzelgestalten erscheinen können, worauf noch einzugehen sein wird – in vielen Belegen ganz wesentlich keine isoliert dastehenden Einzelwesen sind, sondern Mitglieder eines Kollektivs, die häufig kaum als Individuen hervortreten. Oft treten 67
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Die Helgaqvija Hundingsbana qnnor als Gebilde aus Strophen und Prosapassagen ist dem Redaktor des Codex Regius zuzuschreiben. Die Strophen sind älter als die Prosastücke, aber aus wie vielen verschiedenen Vorlagen sie stammen, läßt sich nicht klären; jedenfalls ist für weite Teile eine späte Entstehungszeit anzunehmen: Von See et al. 2004 S. 636 f. Das Gedicht datiert vor ca. 1250, aber wohl nicht früher als das 12. Jh., wobei die Bestimmung des terminus post quem problematisch ist: Von See et al. 2004 S. 163 f. Der Begriff, der hier nach ihrer kriegerischen Schilderung – bewaffnet und in blutbespritzten Rüstungen – von ihnen verwendet wird, ist dísir sujrœnar „Disen aus dem Süden“ (Strophe 16; vgl. von See et al. 2004 S. 226 f.). Die Strophen der Helgilieder gebrauchen den Begriff valkyrja nie; er wird nur in den Prosapassagen verwendet. Text: Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 64–68; 1908–1915 Bd. 1.B S. 57–60. Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 64 datiert das Gedicht in das Jahr 961; ähnlich Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 149. Text: Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 174 f.; 1908–1915 Bd. 1.B S. 164–166. Die Eiríksmál werden kurz nach 954 datiert (Golther 1890 S. 418; Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 174; Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 78). Traditionell werden die Hákonarmál als direkt von den Eiríksmál abhängig betrachtet. Von See 1963 hat aufgrund inhaltlicher Überlegungen vor allem zu den Vorstellungen von Walhall in den beiden Gedichten diese Reihenfolge umkehren wollen; für eine alternative Interpretation von von Sees Beobachtungen unter Beibehaltung der traditionellen Datierung vgl. Marold 1972. Die Vqlundarqvija datiert wohl in das 12./13. Jh.: Von See et al. 2000 S. 116 f. Text: Poole 1991 S. 116–119; Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 419–421; 1908–1915 Bd. 1.B S. 389–391. Der Text stammt aus dem 10. oder 11. Jh.: Poole 1991 S. 120–125; Poole tendiert zu einer Datierung ins das frühe 10. Jh., hält dies jedoch beim gegenwärtigen Stand des Wissens für nicht beweisbar. Vgl. Neumann 1955 S. 151.
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mehrere Walküren zusammen auf; die Zahl der Mitglieder einer solchen Walkürenschar ist jedoch nicht festgelegt, auch wenn sich eine gewisse Tendenz zu Vielfachen von drei beobachten läßt.75
Tod Am deutlichsten tritt die Enge und die Art der Verbindung der Walküren mit dem Tod in ihrem Namen hervor. Als valkyrjur sind sie die „Wählerinnen der Schlachtentoten“: Das Wort valkyrja gehört zum altnordischen kjósa „wählen“ und valr „der ‚Wal‘, die Gefallenen (wie sie nach der Schlacht auf der Erde liegen)“.76 Das Wort ‚Walküre‘ ist auch im Angelsächsischen belegt (wælcyrga); auch erscheint dort wælce-asig als Rabenepithet.77 Im Darrajarljój 6.7 f. heißt es entsprechend dem Namen der Walküren: eigu valkyrjur vals of kosti „die Walküren haben die Wahl des valr“.78 Dieselbe Tätigkeit wird auch Odin zugeschrieben,79 was unterstreicht, wie fest die Walküren in diesem Bereich des kriegerischen Jenseits und des Gefolges des Kriegsgottes verwurzelt sind.80 In Strophe 1 der Hákonarmál sendet Odin zwei Wal75
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Mit Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 272 f. contra Lottner 1870 S. 55 stellt also die häufige Dreizahl der irischen Bodbs (siehe unten S. 133 ff.) keine direkte Parallele zu den Walküren dar. Vgl. auch die vorsichtige Bewertung dieser von Lottner vorgeschlagenen Parallele bei Birkhan 1970 § 242, der das häufige Vorkommen von Vielfachen von drei als Zahl der Walküren hervorhebt, wofür er keltischen Einfluß in Erwägungn zieht. Neckel 1913 S. 4–11, 16; Boyer 1980 S. 48 f.; Lorenz 1984 S. 450 f.; Finnur Jónsson 1966 s.v. ‚valkyrja‘; s.v. ‚3. valr‘. Valr kann daneben auch noch „das Schlachtfeld nach der Schlacht (mit Toten, Verwundeten und Kriegsgerät)“ bezeichnen: Neckel 1913 S. 4. Neckel 1913 S. 16; Philippson 1929 S. 67 f.; de Vries 1956/57 Bd. 2 § 370; Boyer 1980 S. 44, 48. Normalisierter Text nach Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 390. Ellis 1943 S. 67; Neckel 1913 S. 5 f.; ibidem S. 95 deutet Neckel kjósa in diesem Kontext als einen „übernatürlichen Vorgang“. Neckel 1913 S. 16; Ellis 1943 S. 67. Das in Vafjrújnismál 41.4 von den Einherjern gesagte val peir kiósa bedeutet wohl eher „sie erschlagen (einander)“: Neckel 1913 S. 16. Ellis 1943 S. 67 und Ellis Davidson 1972 S. 13 f. faßt diese Stelle zwar so auf, daß auch die Einherjer – ebenso wie die Walküren – wählen, wer fallen soll, was sie auch mit ikonographischen Zeugnissen verbindet (ibidem). Der Kontext der Stelle in den Vafjrújnismál macht dies aber wohl unwahrscheinlich, da unmittelbar zuvor von den täglichen Kämpfen der Einherjer untereinander die Rede ist. Vielleicht eher zur Verbindung zwischen Odin und den Walküren als seinem Gefolge als zur Verbindung der Walküren mit dem Tod gehört, daß die Walküren Odin zur Bestattung Balders begleiten, wie die Húsdrápa 9 des Ulfr Uggason aus dem 10. Jh. berichtet und Snorrin in der Gylfaginning 49 erwähnt (die überlieferten Teile
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küren aus at kjósa of konunga „um unter den Königen zu wählen“, welche zu Odin ziehen und in Walhall wohnen sollen – das heißt, welche in der Schlacht fallen sollen. Daß die Walküren die Schlachtentoten wählen, ist zu einem gewissen Grad doppeldeutig: Es mag ausdrücken, daß sie bestimmen, wer fallen soll, oder daß sie die Krieger auswählen, die nach dem Tod in Walhall aufgenommen werden.81 Da das ursprüngliche Walhall aller Wahrscheinlichkeit nach, wie Neckel ausführlich gezeigt hat, als das Schlachtfeld mit den Toten und den Resten des Kampfes aufgefaßt wurde,82 ist die erstere Deutung der Walküren jedoch zu bevorzugen; denn in einem so vorgestellten Walhall haben ohnehin alle gefallenen Krieger ihren Platz. Als diejenigen, die bestimmen, wer fallen soll, werden die Walküren auch noch von Snorri in der Gylfaginning 36 aufgefaßt: […] Pessar heita valkyrjur. Pær sendir Ójinn til hverrar orrostu. Pær kjósa feigj á menn ok rája sigri. Gujr ok Rota ok norn in yngsta er Skuld heitir ríja jafnan at kjósa val ok rája vígum. […]83 „[…] Diese heißen Walküren. Odin schickt sie zu jedem Kampf. Sie bestimmen den Männern das Todesschicksal und lenken den Sieg. Gujr und Rota und die jüngste Norne, die Skuld heißt, reiten immer, um die Schlachtentoten zu wählen und die Schlachten zu lenken. […]“
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der Húsdrápa sind hgg. von Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 136–138; 1908–1915 Bd. 1.B S. 128–130). Andererseits bemerkt zuletzt Zimmermann 2007 S. 598 f., daß die Verbindung der Walküren mit dem Tod möglicherweise auch darin zum Tragen kommt, daß der – allerdings vielleicht interpolierte (siehe oben Anm. 58) – Auftritt der Walküren in der Vqlospá 30 gerade vor dem Tod Balders und dem Teil des Gedichts eingefügt ist, der auf den Weltuntergang hinführt (ganz ähnlich schon Mogk 1918/19 S. 475; Ström 1954 S. 76; McKinnell 1993 S. 714). Je nach dem, wie viel Gewicht man dieser Beobachtung beimessen will, könnte dann auch die Anwesenheit der Walküren bei der Bestattung Balders eine Bedeutung haben, die über ihre bloße Verbindung mit Odin hinausgeht. In Zusammenhang mit der Verbindung der Walküren mit dem Tod weist Zimmermann auch auf das Auftreten von walkürenhaften Frauengestalten als Todesbotinnen in Träumen in mehreren Lausavísur hin (Zimmermann 2007 S. 599, vgl. ibidem S. 596): Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 118 f.; 1908–1915 Bd. 1.B S. 112 f. in der Víga-Glúms saga Kapitel 9 und 21 (hgg. von Jónas Kristjánsson 1956 S. 1–98); Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 2.A S. 138; 1908–1915 Bd. 2.B S. 147 in der Sturlunga Saga, hgg. von Kålund 1906–1911 Bd. 1 S. 285; Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 2.A S. 214; 1908–1915 Bd. 2.B S. 230 f. im Draumr Porsteins Síju-Hallssonar (hgg. von Jón Jóhannesson 1950 S. 323–326). Ellis 1943 S. 67; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 282. Neckel 1913, besonders S. 26–30, schlußfolgernd: „ Wa l h a l l i s t e i n a l s H a l l e s t i l i s i e r t e s S c h l a c h t f e l d “ (S. 30, Neckels Hervorhebung). (Neckels Schlußfolgerungen werden unter Verweis auf die altwestnordische Quellenlage – aber ohne ausführliche Diskussion – abgelehnt von Dillmann 2007 S. 350.) Text: Faulkes 2005.
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Die Walküren
Die Verbindung der Walküren mit Tod und Jenseits hat aber auch noch andere Aspekte als die Entscheidung über den Tod auf dem Schlachtfeld. In den oben zitierten Grímnismál 36 erschienen Walküren als diejenigen, die Odin das Trinkhorn reichen und den Einherjern Bier ausschenken. (Snorri zitiert und kommentiert diese Strophe in der Gylfaginning 36, fügt jedoch in seiner einleitenden Bemerkung nichts wesentlich Neues hinzu.) Diese Auffassung der Walküren als Schankmaiden des Jenseits ist wohl mit der einleitenden Szene der Eiríksmál zu verbinden, einem der ältesten ausführlicheren Zeugnisse für die Walküren und zugleich dem ältesten Beleg für das Auftreten der Walküren in Walhall überhaupt (Strophe 1):84 Hvat ’s pat drauma, hugjumk fyr dag rísa Valhqll at ryjja fyr vegnu folki; vakjak Einherja, bajk upp rísa bekki at stráa bjórker at leyjra, valkyrjur vín bera sem vísi kœmi.85
„Was für Träume sind das, ich schien mir vor Tagesanbruch aufzustehen, in Walhall Platz zu machen vor erschlagnem Volk; ich weckte die Einherjer auf, ich bat sie aufzustehen, die Bänke zu bestreuen, den Biertrog zu spülen, die Walküren, Wein zu bringen, als ob ein Anführer käme.“
Odin wacht aus einem Traum auf, in dem er Walhall frühmorgens für einen Neuankömmling hat vorbereiten lassen. Aber gleich darauf kommt der tote Eirík bereits in Walhall an, anscheinend noch ehe die Halle für seinen Empfang vorbereitet werden kann.86 Anders als in den Hákonarmál erscheinen die Walküren hier nicht auf dem Schlachtfeld, und sie nehmen weder am Verlauf der Schlacht noch am Tod Eiríks direkt Anteil. Sie erscheinen in den Eiríksmál nur in dieser kurzen einleitenden Skizze von Walhall; dabei teilen sie sich mit den Einherjern die Vorbereitung der Halle für den neuen Gast, und während die Einherjer abspülen, bringen die Walküren Wein. Es ist oben bereits ausgeführt worden, daß diese Darstellungsweise des ‚Schenkenamts‘ der Walküren in Walhall zusammen mit der unsicheren Datierung der entsprechenden Strophe der Grímnismál die Frage aufwirft, ob das in Grímnismál 36 und Eiríksmál 1 erwähnte bzw. möglicherweise anklingende Trankausschenken der Walküren im Jenseits tatsächlich eine für die heidnische Zeit charakteristische Tätigkeit dieser Gestalten darstellt – oder ob das Trankausschenken der Walküren in seiner frühesten Quelle nicht nur eine
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Golther 1890 S. 418; Zimmermann 2006 (Bier) S. 45. Die Walküren werden nur in Strophe 1 erwähnt, die Snorri auch in den Skáldskaparmál 2 Strophe 20 zitiert. Normalisierter Text nach Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 164. Von See 1963 S. 114.
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rein literarische Funktion hat (Eiríksmál) und in den späteren Quellen (Grímnismál, Gylfaginning) auf einem gelehrten Mißverständnis beruht.87 Nichtsdestoweniger besteht jedoch die Möglichkeit – wenn auch nicht mehr – daß es sich beim Ausschenken berauschender Getränke zumindest in der spätheidnischen Zeit um eine Tätigkeit gehandelt haben könnte, die als zentraler Aspekt der Walküren in Walhall betrachtet wurde.88 Auch falls dies zuträfe, würden die Walküren hierdurch jedoch nicht von Schlachtfelddämoninnen zu bloßen Schankmaiden in einem abwertenden Sinne degradiert.89 Schon Frauer hat in seiner Abhandlung über die Walküren auf eine Stelle in der Ynglinga saga 37 hingewiesen, die eine Königstochter in einer ähnlichen Funktion zeigt:90 Dort kommt der Wikingerführer Hjqrvarjr zu einem Fest zu König Granmarr, und König Granmarr weist seine Tochter an, den Wikingern das Bier aufzutragen. Die Königstochter geht mit dem Silberbecher zu König Hjqrvarjr, spricht einen feierlichen Trinkspruch, leert den Becher zur Hälfte und reicht ihn dem König; danach trinken die beiden zusammen.91 Das Kredenzen von berauschenden Getränken ist also durchaus eine Tätigkeit, die mit einem hohen Status einer Frau vereinbar ist; entsprechend bestände auch kein Widerspruch zwischen den beiden Walküren, die in den Hákonarmál „unter den Königen wählen“, und einem Amt der Walküren als Trankspenderinnen der Toten.92 87 88
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Siehe oben S. 13 ff. Die Stärke der Assoziation zwischen Walküren und dem Ausschenken von Trünken zumindest in der Spätzeit wird vielleicht dadurch unterstrichen, daß das Motiv sogar in den Sigrdrífomál (vor 1250: Von See et al. 2006 S. 529 f.) wiederkehrt, wo die eben von Sigurd aus ihrem Zauberschlaf aufgeweckte Walküre Sigurd einen Trunk reicht (Prosa nach Strophe 2) – was in Anbetracht der Situation nicht unmittelbar einleuchtet, denn woher nimmt sie diesen Trunk? Motz 1993 S. 73 f. faßt das Ausschenken des Trunks durch die Walküren als „less exalted“ auf als ihre Funktion als Wählerinnen der Toten. Frauer 1846 S. 45 f.; Zimmermann 2006 (Bier) S. 47 f. Hgg. von Finnur Jónsson 1893–1900 S. 9–85. In Vorgriff auf später zu Sagendes sei hier am Rande darauf hingewiesen, daß der Wikingerführer Hjqrvarjr am nächsten Morgen um die Hand der Königstochter anhält und diese auch bekommt. – Als außer-skandinavisches Beispiel für das Ausüben eines Schenkenamts durch eine Frau von hohem Rang sei zudem an Königin Wealhtheow erinnert, die Beowulf feierlich den Trunk reicht, und die von Damico in Parallele zu verschiedenen Walküren gesehen wird: Damico 1984 S. 3–105, besonders S. 3 f., 18 f., 53 f. Vgl. auch die anonyme Vita S. Cuthberti IV.3 (hgg. von Colgrave 1985 S. 59–139). Zum Schenkenamt der Walküren vgl. ferner auch Zimmermann 2006 (Bier) S. 47–50, wo sie u. a. wichtige Kritik an der Deutung von Nordberg äußert, der das Schenkenamt der Walküren als einen mythischen Reflex der Rolle der Frau im aristokratischen Kult in der Kriegerhalle aufgefaßt hatte (Nordberg 2003 S. 126, 293 f.). Zimmer-
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Die Walküren
In den Bereich der Beziehung der Walküren zum Tod kann man auch die Hildesage mit ihrem spezifisch nordischen Ende in der Ewigen Schlacht, dem Hjajningavíg, stellen.93 Die Hauptzeugnisse für das Hjajningavíg94 sind folgende: Strophen 8–11 der Ragnarsdrápa, traditionell dem Bragi enn gamli Boddason zugeschrieben, vielleicht jedoch aus der Zeit um das Jahr 1000;95 Snorris Skáldskaparmál Kapitel 50; Saxos Gesta Danorum V.7.8-V.996 aus der Zeit um 1200;97 der Háttalykill Strophe 23a+b des Rqgnvaldr jarl und des Hallr Pórarinsson aus dem 12. Jh.;98 und der Sqrla páttr aus dem späten 14. Jh.99 Davon gehören die Ragnarsdrápa und die Skáldskaparmál insofern besonders eng zusammen, als die Ragnarsdrápa nur insoweit erhalten geblieben ist, als sie von Snorri in seine Skáldskaparmál aufgenommen wurde;100 die entsprechenden Strophen zum Hjajningavíg werden dort nach einer Prosadarstellung Snorris zitiert, die einige auf den Hjajningen basierende Ken-
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mann kann hingegen herausarbeiten, daß es „sich beim Trankspenden mythischer Frauenfiguren im Jenseits […] um ein weiter verbreitetes Motiv zu handeln [scheint], das kaum ausschließlich auf die Funktion weltlicher Frauen bei der Trinkzeremonie in der Halle zurückzuführen ist.“ (Zimmermann 2006 [Bier] S. 49 f., Zitat: S. 50.) Zimmermann (2006 [Bier] S. 51–53) schlägt als eigenen Ansatz vor, die von den Walküren ausgeschenkten Getränke als Unsterblichkeitstrank zu deuten; hiergegen habe ich mich bereits an anderer Stelle ausführlich ausgesprochen (ohne jedoch noch die grundsätzliche Unsicherheit einer heidnischen Datierung dieses Schenkenamts zu bemerken): Egeler 2009 (Perspektiven) S. 434–441. – Für das Ausschenken von Getränken durch übernatürliche Frauen in einem Kontext des Todes existieren reiche mögliche ikonographische Belege, die jedoch zur vorliegenden Fragestellung nichts Sicheres beitragen können; für eine detailliertere Stellungnahme vgl. Egeler 2009 (Perspektiven) S. 435 f. Anm. 131. Landolt 1999 S. 564; Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 363. Die Hauptquellen für die Hildesage sind zusammengestellt bei Landolt 1999 S. 561 f.; Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 361 f.; die Hauptquellen insbesondere für das Hjajningavíg sind zusammengestellt bei Müller 1976 S. 350–352; Malone 1964 S. 35–38; Bø 1961; Heizmann 2002 S. 221 mit Anm. 90; Rowe 2002 S. 44–47 (vgl. ibidem S. 47 f. gegen die Annahme einer Abhängigkeit der Ewigen Schlacht von keltischen Vorlagen). Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 1–4; 1908–1915 Bd. 1.B S. 1–4; Malone 1964 S. 35 f. – Die Ragnarsdrápa wurde früher in das 9. Jh. datiert. Für die neuere Datierung vgl. Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 309 („vielleicht aus dem 9. Jh., eher aber vom Ende des 10.“); McTurk 2003 S. 114–116. Der alte Datierungsansatz wird von Quinn 2006 (Sqrla páttr) S. 808 beibehalten (ohne Begründung). Hgg. von Olrik und Ræder 1931. Vgl. Friis-Jensen 2004 S. 550. Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 512–528; 1908–1915 Bd. 1.B S. 487–508; Malone 1964 S. 36 f. Hgg. von Gujbrandur Vigfússon und Unger 1860 S. 275–283. Datierung: Landolt 1999 S. 561. Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 309 f.
Tod
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ningar erläutert. Nach Snorri hatte König Hqgni eine Tochter Hildr, die von König Hejinn entführt wurde. Als Hqgni den Hejinn mit seinem Heer stellt, überbringt Hildr in einem vorgeblichen Vermittlungsversuch dem Hqgni von Hejinn einen Halsschmuck; dabei stellt sie aber sicher, daß diese Vermittlung scheitert. Als Hejinn persönlich versucht, sich mit Hqgni auszusöhnen, ist es bereits zu spät. Es kommt zur Schlacht, die den ganzen Tag dauert. In der Nacht geht Hildr auf das Schlachtfeld und weckt die Toten auf, so daß am nächsten Tag alle wieder weiterkämpfen. Und so dauert die Schlacht bis zum Weltuntergang. Dafür verweist Snorri auf nicht näher spezifizierte Gedichte und zitiert darauf einen Auszug aus der Ragnarsdrápa. Dieser Auszug behandelt den Beginn der Geschichte nicht; er betont aber, daß Hildr die beiden Könige absichtlich gegeneinander gehetzt und so ihren Willen durchgesetzt hat. Bei Saxo beginnt diese Episode damit, daß Hithinus und Høginus’ Tochter Hilda sich ineinander verlieben. Høginus verlobt seine Tochter mit Hithinus. Verleumder beschuldigen aber Hithinus, er habe Høginus’ Tochter schon vor der Verlobung zur Fleischeslust verführt; Høginus schenkt dem Glauben und greift Hithinus mit seiner Flotte an. Høginus wird geschlagen und zieht sich zurück; da sich der Streit aber anders nicht aus der Welt schaffen läßt, entscheidet König Frotho, daß Hithinus und Høginus die Angelegenheit in einem Zweikampf austragen sollen. Høginus besiegt Hithinus, schont aber sein Leben. Sieben Jahre später kämpfen sie erneut und töten sich gegenseitig. Hilda jedoch weckt aus Leidenschaft für ihren Gatten nachts die Geister der Toten zu neuem Kampf auf: Ferunt Hildam tanta mariti cupiditate flagrasse, ut noctu interfectorum manes redintegrandi belli gratia carminibus excitasse credatur.101 Der Háttalykill Strophe 23a+b, der als eine Folge kurzer Fragen und Antworten aufgebaut ist, erwähnt eine Reihe von Zügen: Daß Hejinn Hildr entführte, daß die Hjajninge ewig kämpfen, und daß Hildr sie anstachelte. Ferner deutet er in einer etwas zweideutigen Formulierung an, daß es Odin war, der den Kampf herbeigeführt hat.102 Im Sqrla páttr bleibt ein gewisses erotisches Element mit Hildr verknüpft, aber sie ist am Blutvergießen und der Wiederbelebung der Krieger unschuldig; der über den Tod hinaus verlängerte Kampf wird im Sqrla páttr dem Willen Odins zugeschrieben. Hejinn trifft hier im Wald eine schöne Frau namens Gqndul auf einem Thron; sie berichtet Hejinn von Hqgni, der ihm ebenbürtig sei. Darauf zieht Hejinn aus, um sich mit Hqgni zu messen. Die beiden messen sich in allerlei Wettkämpfen, und da sich nicht bestimmen 101 102
Vgl. Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 357–364. Vgl. Hermann Pálsson 1998 S. 51.
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Die Walküren
läßt, wer der Stärkere ist, werden sie Schwurbrüder. Später trifft Hejinn wieder im Wald auf Gqndul. Sie erscheint noch schöner als bei ihrem ersten Treffen, und es verlangt ihn nach ihr. Sie reicht ihm einen Trunk, worauf er die geschlossene Schwurbrüderschaft vergißt. Mit Hilfe dieses Trunks überredet ihn Gqndul, Hqgnis Tochter Hildr zu entführen und seine Frau zu töten; denn der Mord an der Königin wird jede Versöhnung zwischen Hejinn und Hqgni unmöglich machen. Nachdem er diese Untaten vollbracht hat, trifft Hejinn ein drittes Mal in einem Wald Gqndul auf ihrem Sitz; sie gibt ihm erneut einen Trunk, worauf er in ihrem Schoß einschläft. Dann weiht sie ihn und Hqgni dem Zauber Odins und entschlüpft; als Hejinn erwacht, sieht er sie eben noch groß und schwarz verschwinden. Nun werden ihm seine Untaten bewußt, und er segelt davon. Als Hqgni ihn stellt, kommt es zur Schlacht; aber auch wenn einer bis zu den Schultern gespalten wird, kämpft er doch weiter. Diese Qual dauert 143 Jahre an, während Hildr zusieht, bis ein Gefolgsmann des christlichen Königs Olaf Tryggvason auf Bitten Hejinns den Fluch bricht (Kapitel 232–236). Die zwei Frauengestalten der verschiedenen Fassungen des Hjajningavíg tragen beide Walkürennamen; sowohl Hildr als auch Gqndul sind als solche etwa in Vqlospá 30 belegt. Sie führen eine Schlacht herbei, und sie unterstehen dem Befehl Odins (Háttalykill, Sqrla páttr). Ferner haben sie Gewalt über den Tod. Es ist wohl zu Recht der Schluß gezogen worden, daß es sich bei den Frauenfiguren des Hjajningavíg ursprünglich um Walkürengestalten handelt,103 und daß das Hjajningavíg belegt, daß „Walkürenwesen, Aufrei-
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Vgl. etwa: Rowe 2002 S. 52–55; Müller 1976, besonders S. 351 Anm. 8; Ellis Davidson und Fisher 1980 S. 87 zu Saxo; de Vries 1957 S. 128 f., 130 f.; Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 364. Ström 1954 S. 47 identifiziert die Hildr der Ragnarsdrápa mit Freyja in ihrem kriegerischen Aspekt; Motz 1993 S. 95 (und öfters) identifiziert Gqndul im Sqrla páttr mit Freyja, ebenso de Vries 1964/67 Bd. 2 § 298, Hermann Pálsson 1998 S. 51, Heizmann 2001 S. 295, Quinn 2006 (Sqrla páttr) S. 813 f. Bø 1961 Spalte 606 identifiziert Gqndul im Sqrla páttr mit Freyja und bezeichnet sie zugleich als Walküre. – In der Einleitung des Sqrla páttr erscheint Freyja auf Druck Odins als die Anstifterin der Ewigen Schlacht. Jedoch wird der Kampf der Hjajninge in den weit älteren sonstigen Quellen nicht mit Freyja verknüpft. Auch wird im Sqrla páttr selbst zwar gesagt, daß Freyja den Kampf anstiften werde, aber die Göttin wird danach in der ganzen Geschichte kein einziges mal mehr erwähnt und scheint auch nicht als Anstifterin der Schlacht aufzutreten; diese Funktion übernimmt stattdessen ( ? ) die Walküre ( ? ) Gqndul, die dadurch vielleicht implizit mit Freyja identifiziert wird, wenn man sie nicht als im Auftrag Freyjas handelnde Walküre deuten will. Wahrscheinlicher ist allerdings wohl, daß der späte Sqrla páttr durch eine lose Verknüpfung zweier getrennter Erzählungen entstanden ist, wobei in einer Freyja, in der anderen eine Walkürengestalt im Zentrum stand. Die möglicherweise implizierte Identifizierung Freyjas mit Gqndul findet nur in diesem späten páttr statt und stellt daher schwerlich einen
Übergang ins Jenseits
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zung zum Kampf und Totenerweckung als zusammengehöriger Motivkomplex angesehen wurde.“104 (Man erinnere sich vielleicht daran, daß auch die einen Walkürennamen tragende Skuld in der Hrólfs saga kraka Kapitel 33 die in der Schlacht Gefallenen zu neuem Leben erweckt, um sie wieder in den Kampf zu schicken.105) Damit erscheint das Hjajningavíg als ein ins Negative gewendetes irdisches Abbild des ewigen Kampfes der Einherjer in Walhall; Müller hat aus der Tradition des Hjajningavíg geschlossen, daß auch die tägliche Wiedererweckung der gefallenen Einherjer wohl durch die Walküren vollbracht wird.106 Auch dies würde die Vielschichtigkeit der Beziehung der Walküren zum Schlachtentod unterstreichen.
Übergang ins Jenseits Das bisher vorgelegte Material hat die Walküren zu beiden Seiten des Todes gezeigt: Bei der Entscheidung über den Tod des Kriegers bestimmen sie das Schicksal des noch Lebenden, und der Tote trifft sie in Walhall wieder, wo sie ihm Bier und Wein bringen mögen. Dabei liegt zugleich der Übergang zwischen Leben und Tod in ihrer Hand: Als valkyrjur wählen sie den valr, sie wählen die Könige aus, die zu Odin nach Walhall ziehen sollen (Hákonarmál 1), und sie bestimmen so über Leben und Tod (Gylfaginning 36). Der dem Tode verfallene Krieger trifft sie also sowohl auf dem Schlachtfeld, wo sie das Ende seines Lebens bestimmen, als auch in Walhall. Aber wie genau der Übergang zwischen Schlachtfeld und Totenreich vorgestellt wurde, verbleibt im Halbdunkel bloßer Andeutungen. Das älteste Zeugnis sind die Hákonarmál. Dort sendet Odin die beiden Walküren Gqndul und Skqgul aus, um unter den Königen zu wählen, wer zu Odin ziehen und in Walhall wohnen soll.107 Sie finden König Hákon unter seinem Banner, und es folgt eine Beschreibung der Schlacht. Darauf wechselt die Szene; die
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alten Zug dar; eher bezeugt sie die sorglose Arbeitsweise des Kompilators der Erzählung. – Die Abweichungen des Sqrla páttr von den übrigen Belegen für die Tradition vom Hjajningavíg konnten von Quinn schlüssig als Versuch erklärt werden, heidnische Vorstellungen von der Macht übernatürlicher Frauen über den Tod in Mißkredit zu bringen und solche Frauengestalten zu dämonisieren (Quinn 2006 [Sqrla páttr], besonders S. 812–815). Zur polemischen anti-heidnischen Perspektive des páttr vgl. auch Rowe 2002 S. 55–64. Müller 1976 S. 352. Auch Odin erweckt Tote zum Leben (um sich ihr Wissen zu Nutze zu machen): Turville-Petre 1964 S. 64. Müller 1976 S. 352; Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 364. Müller 1976 S. 352 f.; vgl. Quinn 2007 S. 112; Quinn 2006 (Sqrla páttr) S. 810 f. Vgl. Nordberg 2003 S. 127 f.
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Die Walküren
Schlacht ist vorbei, und auf dem Feld befinden sich nur noch die Gefallenen und die beiden Walküren (Strophen 9–13): S´qtu pá dqglingar mej sverj of togin, mej skarja skjqldu ok skotnar brynjur, vasa sá herr í hugum ok átti til Valhallar vega.
„Die Könige saßen da mit gezogenem Schwert, mit zerhackten Schilden und zerschossenen Brünnen, nicht war das Heer bei Laune und war auf dem Weg nach Walhall.
Gqndul pat mælti, studdisk geirskapti: vex nú gengi goja, es H´qkoni hafa mej her mikinn heim bqnd of bojit.
Gqndul sprach das, sie stützte sich auf den Speerschaft: ‚Jetzt wächst das Gefolge der Götter, da Hakon mit einem großen Heer die Götter heimgeladen haben.‘
Vísi pat heyrji, hvat valkyrjur mæltu mærar af mars baki, hyggiliga létu ok hjalmajar s´qtu ok hqfjusk hlífar fyrir.
Der Anführer hörte das, was die Walküren sagten, die Mädchen vom Rücken des Hengstes, weise betrugen sie sich, und behelmt saßen sie und hielten sich die Schutzwaffen vor.
Hví pú svá gunni skiptir, Geir-Skqgul, órum pó verjir gagns frá gojum?
‚Warum hast du den Kampf so eingeteilt, Speer-Skqgul, waren wir des Sieges von den Göttern doch würdig?‘ ‚Wir bewirken das, daß du das Feld hieltst, und deine Feinde flohen.‘
Vér pví vqldum, es velli helt en pínir fíandr flugu. Ríja vit skulum, kvaj en ríkja Skqgul, grœnna heima goja, Ójni at segja, at nú mun allvaldr koma á hann sjalfan at séa.108
‚Wir müssen reiten,‘ sagte die mächtige Skqgul, ‚zu den grünen Heimen der Götter, um Odin zu sagen, daß jetzt ein mächtiger Herrscher kommen wird, um ihn selbst zu sehen.‘“
Die Gefallenen, in zerhauenen Rüstungen und noch mit der Waffe in der Hand, sind nicht glücklich. Die Walküre Gqndul verkündet dem König vom Pferd herab, daß er mit seiner Schar von den Göttern heimgeladen worden ist109 und in ihre Heerschar aufgenommen wird. Aber Hákon beklagt sich 108 109
Normalisierter Text nach Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 58 f. Vgl. als Parallelen zum „Heimladen“ durch eine jenseitige Macht als Ausdruck für „sterben“ auch: Hrólfs saga kraka Kapitel 4; Krákumál (Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 641–649; 1908–1915 Bd. 1.B S. 649–656) Strophe 29 (siehe unten); vgl.
Übergang ins Jenseits
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bei Skqgul, warum sie ihm den verdienten Sieg nicht gewährt hat. Skqgul antwortet, daß sie es doch so eingerichtet haben, daß seine Feinde geflohen sind, aber daß sie nun losreiten müssen, um Odin das Kommen Hákons anzukündigen. Darauf wechselt die Szene erneut, nun nach Walhall. Die Ankunft des bluttriefenden, mißtrauischen Hákon in Walhall wird geschildert, aber die Walküren erscheinen im Gedicht nicht mehr.110 Wichtig an dieser Stelle ist vor allem, daß die Walküren hier nicht im engeren Sinne als Seelengeleiter erscheinen. Sie bestimmen im Auftrag Odins, wer stirbt; sie bestimmen, wer siegt; sie verkünden dem toten König sein Jenseitsschicksal und seine Berufung nach Walhall. Aber sie geleiten die Toten nicht auf ihrem Weg ins Jenseits. Stattdessen lassen sie Hákon und sein Gefolge nach der kurzen Unterredung auf dem Schlachtfeld zurück und reiten nach Walhall voraus, um sie Odin anzukündigen. Entsprechend werden bei der Ankunft Hákons in Walhall später die Walküren nicht mehr erwähnt. Mit dem eigentlichen Übergang von der Stätte des Todes in die jenseitige Halle der Toten sind die Walküren also nur als Wegweiser verbunden, die dem Toten am Anfang der Reise nach Walhall begegnen und ihm ankündigen, wohin sein weiterer Weg ihn führt. Psychopompen im engeren Sinne sind sie, jedenfalls in den Hákonarmál, nicht. Wie genau die Reise des Königs nach Walhall vonstatten geht, geht aus dem Text nicht hervor. Eine Funktion als Totengeleiterinnen im engeren Sinne könnten Walkürengestalten jedoch in der späteren Überlieferung haben (wobei hier natürlich mit der Möglichkeit einer rein literarischen Innovation ohne authentischen Hintergrund in der Überlieferung der heidnischen Zeit zu rechnen ist); so in den Krákumál.111 Dieses wohl im 12. Jh. auf den Orkneys verfaßte Lied wird dem Wikingerführer Ragnarr lojbrók in den Mund gelegt; er soll es gesprochen haben, als er zur Hinrichtung in die Schlangengrube geworfen worden war.112 Es zählt viele seiner Kriegstaten auf und droht mit der
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vielleicht auch Sólarljój (Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 628–640; 1908–1915 Bd. 1.B S. 635–648) Strophe 38, vgl. Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 233 f. Der spätheidnische Dichter dürfte mit dem Mißtrauen Hákons in feiner Ironie darauf anspielen, daß er hier einen König geradezu zum heidnischen – oder zumindest heidenfreundlichen – Idealherrscher stilisiert (vgl. Strophen 18–21), der zu Lebzeiten ein Christ war (Hultgård 2007 S. 768; vgl. Marold 1992 S. 697 mit Anm. 26; skeptisch Marold 1972 S. 27 Anm. 22 [sie zieht eine Erklärung vor, die auf dem subjektiven Erleben des Todes des Königs durch den Dichter aufbaut: S. 32 f.]; wiederum ganz anders Dillmann 2007 S. 356 [Hákons Furcht spiegle Aspekte von Odins Wesen wieder]). Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 641–649; 1908–1915 Bd. 1.B S. 649–656. De Vries 1964/67 Bd. 2 § 144; Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 236 f.
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Die Walküren
Rache seiner Söhne; aber in Erwartung einer guten Aufnahme in Walhall fürchtet er den Tod nicht. Als sein Ende naht, schließt Ragnarr (Strophe 29): F´ysumk hins at hætta, heim bjója mér dísir, pær ’s frá Herjans hqllu hefr Ójinn mér sendar; glajr skalk ql mej q´ sum í qndvegi drekka; lífs eru lijnar vánir, læjandi skalk deyja.113
„Ich sehne mich danach, inne zu halten, heim laden mich die Disen, sie, die aus Herjans (Odins) Halle Odin mir gesandt hat; froh will ich Bier mit den Asen auf dem Hochsitz trinken; verstrichen sind die Hoffnungen des Lebens, lachend will ich sterben.“
Odin hat Walküren ausgesandt, um Ragnarr „heimzuladen“. Hier wird zwar nur der Oberbegriff dísir gebraucht, der eine weiter gefaßte Gruppe halbgöttlicher weiblicher Wesen beschreibt; aber wenn Odin aus Walhall (Herjans Halle) Disen sendet, um einen sterbenden Krieger abzuholen, kann es sich wohl nur um Walküren handeln. Diese letzten Worte Ragnars scheinen zu suggerieren, daß die Walkürengestalten den Sterbenden abholen und nach Walhall geleiten; aber ausdrücklich gesagt wird dies auch hier nicht, und die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, daß auch diese Walküren wie diejenigen der Hákonarmál Ragnarr nicht nach Walhall geleiten, sondern ihm nur ankündigen, daß er dort aufgenommen ist, und ihn so in die richtige Richtung schicken: Zu Odin und den Einherjern, nicht zu Hel. Etwas mehr scheint eine undatierte, u. a. bei Stephanius isoliert erhaltene Strophe auf eine eigentliche Geleiterfunktion der Walküren hinzudeuten. Dort spricht der sterbende Haddingus: sjá kann ec […] Fjqlnirs meyjar, yjr hefir mér Ójinn sendar. viljac glajr í vingólf fylgja oc mej einherjum ql drecka.114
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Normalisierter Text nach Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 656. Normalisierter Text in Anlehnung an Golther 1890 S. 419 (statt dem oben gegebenen Präsens viljac hat Golther das Präteritum vildac; ich ändere nach dem Sinn und der Auffassung Olaus Wormius’ – siehe unten – zu einem Präsens). Golther zitiert und normalisiert den Text nach Magnusen 1828 S. 557. Magnusen wiederum entnimmt diese Strophe Stephanius’ Notæ uberiores (S. 80) aus dem Jahre 1645, der sich seinerseits auf eine Mitteilung des Isländers Arngrimus Jonas beruft (ibidem S. 79). Stephanius gibt den Text in runischer und lateinischer Schrift; seine Fassung in lateinischer Schrift lautet: Sia kan ek fogdfader fiolnis mejar Yder hefir mer odin sendar Villat gladur i Vingolf fôlga Ok med Einherium ól drecka
Übergang ins Jenseits
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„Sehen kann ich […] Fjqlnirs (Odins) Mädchen, euch hat mir Odin gesandt. Ich will froh nach Vingólf folgen und mit den Einherjern Bier trinken.“
Das Thema ist im wesentlichen mit dem der letzten Strophe der Krákumál identisch (die Stephanius bzw. dessen Quelle auch unmittelbar nach dieser Rede des Haddingus zitiert). Jedoch ist die Formulierung, daß Haddingus den Mädchen Odins folgt, vielleicht ein Hinweis auf eine unmittelbarere Funktion dieser Walküren als Seelengeleiterinnen im engeren Sinne, die den Toten nicht nur wie in den Hákonarmál nach Walhall weisen, sondern ihn tatsächlich dorthin begleiten. Aber es wird auch hier nicht ausdrücklich gesagt, daß sie die Toten nach Walhall führen; die Strophe enthält letztlich keine Aussage darüber, in welchem Abstand Haddingus den Walküren folgen soll, und schließt damit ein Szenario wie das der Hákonarmál strenggenommen nicht aus. Auch in der übrigen Literatur findet sich kein eindeutiger Beleg für eine Seelengeleiterfunktion der Walküren sensu stricto.115 Dies wiegt umso schwerer, als die älteste hier relevante Quelle, die Hákonarmál, die Walküren eindeutig gerade nicht als Begleiterinnen auf dem Weg nach Walhall zeigt. Vielmehr erscheinen sie in diesem einzigen
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Das problematische fogdfader hat schon Magnusen in seinem Text fortgelassen (diese Auslassung anders als Golther aber gekennzeichnet). Mir ist das Wort ebenso unverständlich wie es Magnusen allem Anschein nach war. Stephanius übersetzt: „Videre possum mortis præsentiâ amictus, Odini Virgines“. Die Passage in Stephanius geht jedoch allem Anschein nach direkt oder indirekt auf einen Brief von Magnus Olavius an Olaus Wormius zurück, der auf den 29. August 1634 datiert ist. Dieser Brief ist abgedruckt in den Olai Wormii et ad eum doctorum virorum epistolae. Tomus I. Havniæ 1751, S. 367 f. Der Brieftext wird von Stephanius bzw. seiner Vorlage teilweise wörtlich übernommen, teilweise leicht abgekürzt und vereinfacht. Im Text der Strophe bei Stephanius wird eine Erklärung, die Magnus Olavius zu seinem Text gibt, in den Text von Stephanius inkorporiert. Der Text der Strophe bei Magnus Olavius lautet: Sekig fögd Fadar-feolnis meyar : Ydur hefir mer Odin sendar : Villat gladur i Vingolf fölga : ok med Einherium öl dreka. Dem fügt Olaus Wormius folgende Erklärungen hinzu (Druckfehler schon im Original): „Segik : Sia kann ek : videre possum. Fögd f. mortis præsentia amictas Odini virgines : Vos ad me habet Odinus missas : Vitlat : Vil ydin : volo vos hilares in Vingolf (qvi alter cum Valholl locus est beatorum Odini, ) seqvi : & cum Einheriis &c.“ Auch Olavius gibt nur an, daß diese Stelle ex Rhythmico elogio Haddingi stammt. Eine moderne Bearbeitung der Strophe ist mir nicht bekannt; in Finnur Jónssons Sammlung der Skaldendichtung scheint sie nicht aufgenommen. Herrmann sieht in der Strophe den Schluß einer verlorenen Haddings saga, „die wie die Saxos mit dem freiwilligen Tode des Helden schloß“ (Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 106). Dillmann 2007 S. 349; Golther 1890 S. 420.
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Die Walküren
authentisch heidnischen Zeugnis als eine Art Wegweiserinnen nach Walhall, und damit als Seelengeleiterinnen nur in einem etwas weiter gefaßten Sinne.
Krieg und Gewalt Alles bisher Gesagte hat die Walküren bereits fest in einem Kontext von Kampf, Krieg, Tod und Gewalt verwurzelt – sie stacheln zur Ewigen Schlacht an, sie wählen als valkyrjur die Toten auf dem Schlachtfeld, sie verleihen Sieg im Kampf und sie verkünden dem Gefallenen seine Berufung nach Walhall, wo die Schlachtentoten bei Odin Aufnahme finden; dort sollen sie die toten Krieger schließlich mit Bier und Wein bewirten. In der einen oder anderen Weise stehen alle bisher angesprochenen Züge der Walküren in einer Beziehung zu den verschiedenen Seiten des gewaltsamen Todes. Diese vielschichtigen Beziehungen der Walküren zum Krieg erschöpfen sich aber im Gesagten noch nicht. So ist hier noch das älteste datierte nordische Zeugnis zu nennen, das den Begriff valkyrja verwendet.116 Das Haraldskvæji (oder: Hrafnsmál – beide Namen sind modern, ein mittelalterlicher Titel ist nicht überliefert) wird sowohl dem Porbjqrn hornklofi als auch dem Pjójólfr ór Hvíni und Aujun illskælda zugeschrieben. Jedenfalls handelt es sich um ein Preisgedicht auf Haraldr inn hárfagri, für das zumindest die Datierung des ersten Teils in das späte 9. Jh. allgemein akzeptiert ist. Der überlieferte Text bildet als ganzer wohl keine ursprüngliche Einheit. Vermutlich wurde der Anfangsteil, wohl von Porbjqrn, kurz nach der Seeschlacht im Hafrsfjord gedichtet, aus der Haraldr als Sieger hervorging; traditionell wurde diese Schlacht ins Jahr 872 datiert, was inzwischen jedoch auf eine Datierung in die Zeitspanne von 885 bis 900 korrigiert wird.117 Das Gedicht wurde später erweitert; die später hinzugekommenen Teile sind für die Walkürenvorstellungen jedoch von keinem Interesse. Das Gedicht beginnt nach der Anrede des Dichters an die Zuhörer in der Königshalle als das Gespräch zwischen einer Walküre und mehreren Raben (Strophen 1–4):118
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Dillmann 2007 S. 346; Golther 1890 S. 428. Krause 1999 S. 644. De Vries 1964/67 Bd. 1 § 62; von See 1961 S. 96–105; Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 160; Text: Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 24–29; 1908–1915 Bd. 1.B S. 22–25.
Krieg und Gewalt
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Hl´yji hringberendr, mejan frá Haraldi segik odda ípróttir enum afaraujga; frá m´qlum munk segja, peims ek mey heyrja, hvíta, haddbjarta, es vij hrafn dœmji.
„Zuhören sollen die Ringträger, während von Haraldr dem sehr reichen ich Künste der Waffenspitzen künde; von Geschichten werde ich künden, denen, die ich ein Mädchen [sagen] hörte, eine weiße, hellhaarige, die mit einem Raben sprach.
Vitr póttisk valkyrja, verar né óru pekkir svá enni fránleitu, es foglsrqdd kunni; kvaddi en glæhvarma ok en kverkhvíta Hymis hausrofa, es sat á horni vinbjarga.
Weise schien sich die Walküre, nicht waren Männer so der Funkelndblickenden lieb, die die Vogelstimme verstand; es grüßte die Augenliedhelle und die Weißkehlige Hymis Schädelhacker (den Raben), der auf einem Vorsprung einer Wiesenklippe saß.
Hvat es yjr hrafnar? hvajan eruj ér komnir mej dreyrgu nefi at degi qndverjum? hold lojir yjr í klóum, hræs pefr gengr ór munni, nær hykk í n´qtt bjogguj pví’s vissuj nái liggja.
‚Wie steht es mit euch, Raben? Woher seid ihr gekommen mit blutigem Schnabel bei Tagesanbruch? Fleisch klebt euch an den Krallen, Leichengeruch kommt aus dem Maul, nahe, meine ich, habt ihr heute Nacht gewohnt, dem [Ort], wo ihr Leichen liegen wußtet.‘
Hreyfjisk enn hqsfjajri ok of hyrnu perji, arnar eijbrójir, ok at andsvqrum hugji: Haraldi vér fylgjum syni Halfdanar, ungum ynglingi, síjan ór eggi kómum.119
Der Graugefiederte schüttelte sich und wischte den Schnabel ab, der Schwurbruder des Adlers, und meinte als Antwort: ‚Haraldr sind wir gefolgt, dem Sohn Halfdans, dem jungen Yngling, seit wir aus dem Ei gekommen sind.‘“
Der Dichter gibt vor, er habe ein Gespräch zwischen einer Walküre und den Raben belauscht, die eben die Nacht beim Fraß auf dem Schlachtfeld verbracht hatten. Der scheinbare Kontrast zwischen den Figuren wird detailliert ausgemalt: Die schöne Walküre mit dem lichten Haar und dem weißen Hals steht den schwarzen Raben gegenüber, denen das Blut der Leichen noch an den Krallen klebt und deren Atem nach dem Aas riecht, von dem sie eben noch gefressen haben. Die Walküre läßt sich darauf von einem dieser Raben vom Kriegsruhm des Königs berichten, der die Aasvögel immer so freigebig gefüttert hat. Die Walküre und der Aasvogel erscheinen als ein-
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Normalisierter Text nach Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 22.
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Die Walküren
trächtige Gesprächspartner, deren Unterhaltung den kriegerischen Ruhm des Königs verkündet. Nicht nur der Rabe kann bluttriefend erscheinen; auch Walküren treten in Waffen und mit blutbespritzter Rüstung auf. In der (allerdings viel späteren) Helgaqvija Hundingsbana in fyrri wird das erste Treffen zwischen Helgi und seiner späteren Frau, der Walküre Sigrún, beschrieben. Als Helgi nach einem Kampf dasitzt und sich ausruht, sieht er die folgende Erscheinung (Strophe 15): Pá brá lióma af Logafiollom, enn af peim liómom leiptrir qvómo; pá var und hiálmom á Himinvanga Brynior vóro peira blóji stocnar. Enn af geirom geislar stójo.120 „Da brach ein Lichtstrahl von Logafjqll, und aus diesen Lichtstrahlen kamen Blitze; Da war [jemand] unter Helmen auf Himinvangar, ihre Kettenhemden waren mit Blut bespritzt und von den Speeren kamen Strahlen.“
Diese Strophe beschreibt das Erscheinen der Walküren und leitet vom Kampf zum Gespräch zwischen Helgi und der Walküre Sigrún über, das mit der folgenden Strophe beginnt. Auch anderswo treten Walküren in Waffen auf, auch in Quellen, die noch der heidnischen Zeit entstammen oder in dieser zumindest tief verwurzelt zu sein scheinen (Hákonarmál 10 f.; Vqlospá 30; Darrajarljój 11). Diese Strophe der Helgaqvija Hundingsbana in fyrri zeigt die Walküren, als Helgi sie zum ersten Mal sieht, aber darüber hinaus noch blutbespritzt, als kämen sie eben aus dem Kampf.121 Zwar würden 120 121
Text: Neckel und Kuhn 1983. Von See et al. 2004 S. 229 schließen aus den blutbespritzten Brünnen, daß die Walküren in die vorangegangene Schlacht eingegriffen haben. Den Lichtphänomenen, mit denen das Erscheinen der Walküren hier verbunden wird, ist hingegen keine Bedeutung beizumessen: Hier wird wohl nur das Bild des Lichts entwickelt, das sich auf blankem Stahl spiegelt. Zum einen erklärt sich dies aus der realen Erscheinung eines Gerüsteten im Sonnenlicht, zum anderen ist es keineswegs für Walküren spezifisch – auch das Schwert Tyrfing in der Heijreks saga Rez. R Kapitel 1, Rez. U Kapitel 7 (hgg. von Jón Helgason 1924) wird als besonders strahlend beschrieben (vgl. ferner von See et al. 2004 S. 231 zu Waffen und Lichtphänomenen mit weiteren Parallelen), und ähnlich stellt sich das Erscheinen des Hunnenheeres in der Heijreks saga Rez. U Kap. 19 dar (vgl. auch von See et al. 2004 S. 228 mit Parallelen im Zuge von Götterepiphanien). Es ist daher haltlos, aus derartigen Stellen (sowie aus dem Feuerwall, der die schlafende Brünhild umgibt, und der Schwertkenning „Feuer der Walküren“) auf eine indogermanische Verbindung mit verschiedenen unklaren möglichen Assoziationen der irischen Schlachtfelddämoninnen mit Feuer und eine Verbindung mit
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kämpfende Walküren sich gut zur Enge und Vielschichtigkeit der Beziehung zwischen Walküren und Krieg fügen, aber für die heidnische Zeit sind Belege für tatsächlich mit der Waffe in der Hand in die Schlacht eingreifende Walküren äußerst selten. In der Strophe Finngálkn í Jómsborg, die von Finnur Jónsson ins 10. Jh. datiert wird, greifen Walkürengestalten (sigmeyjar, „Siegmädchen“) in die Schlacht ein; dort heißt es, daß „die Hildr des Kampfes jeden Morgen unter dem roten Schild steht“ (Hildr stendr hverjan myrgin / hjaldrs und raujum skildi), womit diese Hildr eine der wenigen eindeutig kämpfenden Walküren in frühen Zeugnissen darstellt – vielleicht die einzige aus (falls die frühe Datierung zutreffend ist) noch heidnischer Zeit.122 Brynhildr, die von Snorri als Walküre bezeichnet wird,123 erscheint zwar als Kämpferin; in der Liederedda wird dies etwa in Helreij Brynhildar ganz ausdrücklich von ihr gesagt. Dieses Gedicht ist jedoch wohl erst ins 13. Jh. zu stellen.124 Ebenso denkt Brynhild in der Sigurjarqvija in scamma 37 darüber nach, in Waffen in den Kampf zu ziehen; dieses Gedicht gehört aber zur jüngsten Schicht der Eddalieder.125 In solchen späteren Quellen wie den Helgi-Liedern, Helreij Brynhildar oder der Sigurjarqvija in scamma nähern sich die Walkürengestalten in ihrer Darstellung als Kämpferinnen den Schildmaiden an, wie sie so häufig in
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den Fackeln der Furien zu schließen. Daß „[t]he so-called ‘radiant epiphany’ may be evidence of a class of Indo-European goddesses associated with armed conflict, and with fire and light“ (Gulermovich Epstein 1998 [War Goddess] S. 299–303, Zitat: S. 302; ähnlich: Gulermovich Epstein 1997 S. 140–142), läßt sich durch solche Belege nicht rechtfertigen. Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 186 f.; 1908–1915 Bd. 1.B S. 176 (obige Zitate nach Finnur Jónssons normalisiertem Text); die Strophe ist teilweise korrupt: Von See et al. 2004 S. 296. Vgl. Nordberg 2003 S. 129. Vgl. Marold 1992 S. 686 f. und Marold 2001 S. 141–143 zur grundsätzlichen Problematik der Datierung von Lausavísur. Skáldskaparmál 41. Ferner wird Brynhild in Oddrúnargrátr 16 als óscmær bezeichnet; zu dieser erst spät bezeugten Walkürenbezeichnung vgl. von See et al. 2009 S. 901 f. und unten S. 104. Oddrúnargrátr ist aber wohl erst nach 1200 entstanden: Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 285, vgl. von See et al. 2009 S. 857 zur relativen Chronologie. Brynhild, die somit nur in sehr späten Texten als Walküre bezeichnet wird, steht den Schildmaiden deutlich näher als den Todesbotinnen des Schlachtfelds; Golther 1890 S. 423–425 rechnet sie ganz den Schildmaiden zu, was wohl in der Tat das Ursprünglichere ist, vgl. Andersson 1980 S. 236–249, besonders S. 242 f. Simek 1993 S. 46 hält Brynhilds Bezeichnung als Walküre für „connected in some way with her warlike actions.“ Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 176; de Vries 1964/67 Bd. 2 § 178 datiert es auf die Zeit um 1200. Vgl. auch die vorsichtige Diskussion der Datierung in von See et al. 2009 S. 511 f. De Vries 1964/67 Bd. 2 § 179; als fester terminus ante quem läßt sich nur die Vqlsunga saga um 1250 bestimmen: Von See et al. 2009 S. 317.
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Die Walküren
den Vorzeitsagas auftreten.126 Gerade in der Heldendichtung erscheinen Walküren zudem mitunter sehr menschlich;127 so wird in der Sigurjarqvija in scamma 36 Brynhildr von ihrem Bruder zur Heirat gezwungen, und übernatürliche Elemente fehlen ihr in diesem Gedicht ganz (außer vielleicht, daß sie am Ende sterbend das noch bevorstehende Unheil prophezeit). Sie ist auch – ganz anders als die frühen Walküren – in keinster Weise mit Walhall verbunden: In Strophe 11 desselben Gedichts sehnt sie sich zurück zu ihrer Familie. Sie ist eine ganz menschliche, aus einer menschlichen Familie stammende Frau, die auch zuvor bei dieser ihrer Familie gelebt hat (wie das in dieser Strophe ausdrücklich gesagt wird), nicht in Walhall bei Odin und den Toten. Hier liegt also, wenn man von den heidnischen Walküren des Haraldskvæji oder der Hákonarmál ausgeht, eine doppelte Entwicklung vor: Einerseits wird die Verbindung der Walküren zum Krieg dahingehend verschoben, daß die Walküre zunehmend als Kämpferin mit der Waffe in der Hand vorgestellt wird (so Helreij Brynhildar; Vqlsunga saga Kapitel 24 etc.). Andererseits erhalten Walküren einen Familienhintergrund, der sie in die irdische Gesellschaft eingliedert. So erscheinen Brynhild und Helgis Walküre beide als Töchter von Königen und Fürsten: Brynhild ist die Schwester des Atli, des Herrschers der Hunnen, etwa Sigurjarqvija in scamma 36 f., und die Helgaqvija Hjqrvarjzsonar (Prosa nach Strophe 9) gibt König Eylimi als den Vater der Walküre Sváva an. 126
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Vgl. etwa Sigrún mit einer Schar von Schildmaiden in einer Schlacht in der Vqlsunga saga Kapitel 9 (hgg. von Olsen 1906–1908 S. 1–110), oder Hervqr in der Heijreks saga Rez. R Kapitel 3, Rez. H Kapitel 4–6, Rez. U Kapitel 6 f. (hgg. von Jón Helgason 1924). Allgemein zu den Vorzeitsagas vgl. Jónas Kristjánsson 1988 S. 341–362; de Vries 1964/67 Bd. 2 §§ 273–285, 296, 298. Schildmaiden treten auch bei Saxo auf; zu diesen vgl. Jantzen 1900 S. 63 Anm. 5. Sie sind dabei nicht auf die Spätzeit beschränkt; schon die Atlaqvija aus dem 9. Jh. (Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 26) erwähnt in Strophe 16 und 42 „(hunnische) Schildmaiden“. Riesische Schildmädchen finden sich im Grottasqngr Strophen 13–15. Auch die Riesentochter Skaji greift zu den Waffen, um den Tod ihres Vater an den Göttern zu rächen: Skáldskaparmál G56. Zum Einfluß der Schildmädchenvorstellung auf die Walkürenvorstellung vgl. insbesondere Golther 1890 (Teil I). Vgl. de Vries 1956/57 Bd. 1 § 193; Præstgaard Andersen 2002 S. 292. Ausführlich zur Ambivalenz der Walkürengestalten der Heldengedichte der Liederedda, die teilweise menschlich, teilweise als übernatürliche Gestalten erscheinen: Steblin-Kamenskij 1982. Er betrachtet den übernatürlichen Aspekt dieser Frauen als sekundär. – Daß die Walküren in den Heldenliedern oft äußerst menschlich erscheinen, gilt entsprechend auch für die von diesen abhängige Vqlsunga saga; schon Golther 1890 S. 424 hat darauf hingewiesen, daß Brynhild dort als menschliche Schildmaid ohne im engeren Sinne walkürenhafte Züge erscheint. Man beachte auch, wie in der Paraphrase der Helgi-Lieder in der Vqlsunga saga Kapitel 8 f. Helgis Walküre jeglicher übernatürlicher Züge entkleidet wird.
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Damit werden die Walküren in diesen späten Quellen von Gestalten, die ganz dem Jenseits und dem Bereich des Todes zugehören, zu menschlichen Frauen mit einem kriegerischen Charakter und einigen übernatürlichen Zügen (auch die Walküre der redaktionellen Prosa nach Strophe 9 der Helgaqvija Hjqrvarjzsonar kann noch durch die Luft und über das Wasser reiten). Diese übernatürlichen Züge sind aber nicht mehr so stark wie das menschliche Element. Besonders deutlich wird der Abstand dieser späten, vermenschlichten Walküren der heroischen Eddalieder von den Walküren der heidnischen Skaldendichtung in der Helgaqvija Hundingsbana qnnor. Die redaktionelle Prosa (vor Strophe 5) bezeichnet Helgis (spätere) Frau Sigrún wieder als Walküre, die über das Wasser und durch die Luft reiten kann, und als Tochter des Königs Hqgni. Helgi rettet sie und nimmt sie zur Frau, wird aber früh getötet. Nach seinem Tod geht er nach Walhall ein (Prosa nach Strophe 38). Für die Walküren der heidnischen Dichtung wäre es das Selbstverständlichste gewesen, Helgi nach Walhall zu begleiten; in den Eiríksmál 1 bringen ja die Walküren in Walhall Wein für einen Neuankömmling, und in den Hákonarmál kommen Gqndul und Skqgul wohl von dort auf das Schlachtfeld zu König Hákon und reiten ihm nach seinem Tod dorthin voraus, um sein Kommen anzukündigen. Ganz anders jedoch die Sigrún der Helgaqvija Hundingsbana qnnor: Helgi kommt noch einmal aus Walhall zurück und reitet in seinen Grabhügel, und dort verbringt er eine letzte Nacht mit Sigrún. Danach aber verläßt er sie, reitet nach Walhall zurück und kommt nie wieder. Sigrún stirbt bald vor Kummer. Auch hierin erscheint Sigrún im Vergleich zu den Walküren der heidnischen Dichter vermenschlicht: Während deren Walküren primär dämonische Gestalten der Jenseitswelt waren, ist die späte Walküre Sigrún nur noch eine sterbliche Frau – worin sich erneut eine Angleichung solcher später Walküren an die Schildmädchen der Vorzeitsagas zeigen dürfte. In den Vorzeitsagas erscheinen Schildmaiden als märchenhaftes literarisches Motiv an vielen Stellen. Schullerus hat angenommen, daß solche kämpfende Frauen bei den germanischen Völkern einmal eine soziale Realität waren und hat ferner geschlossen, daß die Vorstellung von Walküren ganz auf solchen ehedem realen Kriegerinnen beruhe.128 Dies ist von der Forschung nicht angenommen worden und schon deshalb nicht plausibel, weil die Walküren der heidnischen Literatur kaum ausdrücklich als Kämpferinnen beschrieben werden.129 Sie erscheinen zwar in Waffen und bestim128 129
Schullerus 1887 S. 224–226. Siehe oben S. 53. – Daß die Walküren nur selten als Kämpferinnen erscheinen, würde es auch schwierig machen, andersherum die Schildmädchen der phantastischen Vorzeitsagas auf die Walküren zurückzuführen. Unmöglich ist dies freilich nicht; es er-
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men den Ausgang der Schlacht, wie in den Hákonarmál, aber wie genau man sich ihre Einflußnahme auf die Schlacht vorgestellt hat, wird nicht erklärt. Ein kämpferisches Eingreifen auch der frühen Walküren in die Schlacht ist zwar nicht auszuschließen und sogar eine naheliegende Implikation ihres Auftretens in Waffen und Rüstung, aber es scheint für die Dichtung keinen zentralen Zug darzustellen und tritt in den Quellen nicht stark hervor. Wenn hinter der Walkürengestalt ausschließlich eine Erinnerung an real kämpfende Frauen stehen würde, wie das Schullerus annimmt, dann wäre zu erwarten, daß dieser Zug in den Quellen eine viel prominentere Rolle spielen würde als dies tatsächlich der Fall ist.130
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fordert nicht viel schriftstellerische Phantasie, auf die Idee einer Frau in Waffen zu kommen, wenn man als Vorlage schon eine bewaffnete übernatürliche Frau in der Schlacht zur Hand hat. Ebenso könnten die kriegerischen Frauen der Vorzeitsagas aber auch reine Erfindung sein – man sollte der Phantasie eines Autors nicht zu wenig zutrauen. Eine dritte Möglichkeit wäre, in den Schildmaiden literarische Verarbeitungen mündlicher Traditionen über reale Kriegerinnen oder Kriegerführerinnen der Wikingerzeit oder noch früherer Epochen zu sehen. So hat Golther seine Idee von realen Kriegerinnen als Basis der nordischen Walkürenvorstellungen mit einem Verweis auf historische Zeugnisse für solche Frauen zu untermauern versucht. Er führt etwa eine Erwähnung einer Inghen Ruaidh an, die nach Cogadh Gaedhel re Gallaibh § 36 (hgg. von Todd 1867) eine eigene Flotte befehligte (Golther 1890 S. 405–407 mit Zusammenstellung weiterer Belege für germanische Frauen in Waffen in historischen Quellen; eine solche findet sich auch bei Mogk 1918/19 S. 475). In Anbetracht des in jüngerer Zeit von Klos 2006 S. 31–36 zusammengetragenen historischen und archäologischen Materials zur Existenz realer Kriegerinnen in der Eisenzeit ist eine solche Herleitung der Schildmaiden der Vorzeitsagas wohl nicht von vorneherein auszuschließen; auch Klos sieht die Vorbilder der Kriegerinnen der Sagas in der Lebenswirklichkeit (ibidem S. 27). Dagegen scheint jedoch zu sprechen, daß die Schildmaiden auf die (späten und phantastischen) Vorzeitsagas und ähnliche nicht realistische Quellen beschränkt sind und in den realistischen Sagas nie vorkommen: Præstgaard Andersen 2002 S. 292. Dies legt nahe, daß hier vielleicht weniger mit einem Motiv zu rechnen ist, das auf alten Traditionen beruht, als vielmehr mit einem rein literarischen Motiv. Vielleicht darf man an einen literarischen Zusammenhang mit den Amazonen der klassischen Literatur denken. Auch eine Herkunft des Motivs aus der keltischen Welt ist vorgeschlagen worden: De Vries 1956/57 Bd. 1 § 193. Insgesamt scheint mir die Frage der Herkunft des Motivs der Schildmaiden nicht zu entscheiden. Festzuhalten ist im gegenwärtigen Kontext nur, daß die Schildmaiden sich von den frühen, in Texten der heidnischen Zeit belegten Walküren betont dadurch unterscheiden, daß es sich bei den Schildmaiden um kämpfende menschliche Frauen handelt, bei den frühen Walküren hingegen um übernatürliche Frauengestalten, die zwar in Waffen auftreten, aber in den Texten der heidnischen Zeit kaum jemals kämpfend gezeigt werden. In der späteren Zeit werden die beiden Gruppen nicht mehr scharf getrennt und die Walküren an Schildmaiden angeglichen (ganz ähnlich schon Mogk 1918/19 S. 475). Zur chronologischen Abfolge (Priorität der Schlachtfelddämonin vor der Schildmaid) vgl. auch Price 2003 S. 344 f.
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Wenn in späteren Quellen die Vorstellung von Walküren als kämpfenden Frauen stärker hervortritt, wird damit die Einflußnahme der Walküren auf die Schlacht nach Art der klassischen Amazonen vermenschlicht und rationalisiert: Die späten Walküren scheinen geradezu als eine Art Hilfstruppen aufzutreten (Vqlsunga saga Kapitel 9, vgl. Kapitel 24). Darüber, wie man sich die Verleihung des Sieges durch die Walküren in der heidnischen Zeit vorstellte, äußern sich die Texte hingegen zumeist gar nicht (Eiríksmál 1; Vqlospá 30; Hákonarmál; Grímnismál 36), oder ihre Aussage bleibt unklar. So im Darrajarljój.131 Dieses Gedicht findet sich in die Njáls saga eingebettet (Kapitel 157).132 Dort heißt es, daß am Karfreitag des Jahres 1014, am Morgen der Schlacht von Clontarf zwischen Iren und Nordleuten, ein schottischer Bauer namens Dqrrujr beobachtete, wie zwölf Frauen zu einem Haus ritten und dort auf einem Webstuhl zu weben begannen. Die Fäden ihres Gewebes waren menschliche Gedärme, und als Webgewichte hingen daran Menschenschädel; als Werkzeuge bei ihrer Webarbeit verwendeten sie Kriegswaffen. Während sie woben, sprachen sie einige Strophen. Danach zerrissen sie das Gewebe, und eine jede behielt, was sie davon in der Hand hatte. Darauf bestiegen sie ihre Pferde, und sechs ritten nach Süden und sechs nach Norden davon. Die Strophen stimmen nicht zu diesem späteren Prosarahmen; von einem Haus wird nichts gesagt. Das Gedicht berichtet Folgendes:133 (1) Mit dem Fall der Toten sind die Kettfäden aufgespannt worden, und im Angesicht der Speere wird mit roten Schußfäden das Gewebe gewoben. (2) Menschliche Eingeweide dienen als Kettfäden, Schädel als Webgewichte, Waffen sind die Werkzeuge der Webarbeit. (3) Waffen werden brechen und Rüstungen durchstoßen werden, als vier Walküren – Hildr, Hjqrprimul, Sanngríjr und Svipul – mit blanken Schwertern gehen, um zu „weben“. (4 – 6) Die Walküren ermutigen sich dazu, sich in das Getümmel zu stürzen und später dem jungen König zu folgen. Gunnr und Gqndul schützten den König. Die Walküren haben die Wahl der Gefallenen. (7) Die neuen Herrscher über das Land werden genannt. Das Todesschicksal des Königs und der Tod des Fürsten werden verkündet. (8 – 9) Den Iren wird großes Leid prophezeit; das Gewebe ist gewoben. Der schreckliche Anblick 131
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Zwei Traumerscheinungen in der Sturlunga saga und der Jómsvíkinga saga stellen wohl literarische Adaptionen von Motiven des Darrajarljój dar: Jómsvíkinga saga § 8 (hgg. von af Petersens 1882), vgl. Hollander 1955 S. 48 Anm. 26; Sturlunga Saga, hgg. von Kålund 1906–1911 Bd. 1 S. 285, vgl. Golther 1890 S. 430. Hgg. von Einar Ól. Sveinsson 1954. Die folgende Zusammenfassung basiert auf dem Gedicht und der detaillierten Besprechung der zahlreichen Probleme des Textes bei Poole 1991 S. 116–119, 142–154.
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Die Walküren
nach der Schlacht mischt sich mit Blicken in die – wiederum blutrote – Zukunft. (10) Die Walküren ermuntern sich zu Siegesliedern für den jungen König [nach zukünftigen Schlachten]. Der Zuhörer wird aufgefordert, den Ruhm dieses Königs weiter zu verbreiten. (11) Die Walküren reiten mit geschwungenen Schwertern fort. Ob die Verbindung des Gedichts mit der Schlacht von Clontarf und damit die Datierung ins 11. Jh. authentisch ist, wird in Zweifel gezogen; es könnte auch aus Anlaß einer Schlacht des 10. Jh. verfaßt worden sein.134 Nach de Vries handelt es sich bei dem Gedicht – im Gegensatz zum viel späteren Prosarahmen – wohl noch um ein Zeugnis der lebendigen heidnischen Tradition, trotz weitgehender Christianisierung des Umfelds, in dem diese Dichtung wohl abgefaßt wurde.135 In jedem Fall scheint das Darrajarljój der heidnischen Zeit erheblich näher zu stehen als die schildmädchenhaften Walküren der späteren heroischen Dichtung, wenn es auch weiter von ihr entfernt sein mag als die Walküren der Hákonarmál. Von daher wäre es ein willkommenes Zeugnis, das erklären könnte, auf welche Weise genau die Walküren in den Kampf eingreifen. Die Walküren bestimmen in diesem Gedicht über den Tod von Männern, sie schützen einen der beteiligten Könige und verleihen ihm allem Anschein nach den Sieg. Darüber hinaus ist das Darrajarljój jedoch mit so vielen Problemen behaftet, daß sich kaum weitere gesicherte Informationen daraus ableiten lassen. So viel ist deutlich, daß die Walküren hier die Schlacht „weben“. Damit ist der Konsens über die Art des Eingreifens der Walküren in die Schlacht aber auch schon am Ende. Dieses Weben ist einerseits als Zauberhandlung oder als ein Weben des Schicksals der Schlacht aufgefaßt worden,136 andererseits wurde es als Metapher für die Schlacht selbst und das Kampfgewühl gedeutet.137 Für die
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Siehe oben Anm. 73. De Vries 1964/67 Bd. 1 § 122. Golther 1890 S. 430; Kauffmann 1926 S. 402 f.; Goedheer 1938 S. 79 et passim; Holtsmark 1939 S. 84, 93–95; Holtsmark 1940 S. 7; Ström 1954 S. 78; Neumann 1955 S. 148–155 et passim; Genzmer 1956 S. 168; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 193; de Vries 1964/67 Bd. 1 § 164; Clover 1984 S. 106; Lindow 1989 S. 351; Simek 1993 S. 56; Price 2003 S. 334; Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 59; wohl auch Schier 1966 Spalte 577 mit etwas unverbindlicher Formulierung. Mogk 1918/19 S. 475 deutete das Gedicht als eine Prophezeiung des Kampfes, Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 287 als Schicksalsweben und Prophetie. Poole 1991 S. 125–155, besonders S. 131–142; von See 1959 (1981); Uecker 1984 S. 255; von See et al. 2004 S. 298; Zimmermann 2007 S. 596. Mir scheinen für diesen Standpunkt die plausibleren Argumente vorgebracht worden zu sein, aber es scheint mir schwierig, das Mitschwingen einer magisch-schicksalswebenden Idee in der Bildlichkeit des Gedichts gänzlich auszuschließen.
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Frage, wie sich die Beziehung zwischen den Walküren und der Schlacht genau gestaltet, ergeben sich aufgrund dieser konkurrierenden Deutungsmöglichkeiten des Darrajarljój aus diesem Gedicht keine klaren Antworten.138 Ist die Deutung des Webens als Zauberhandlung und Schicksalsbestimmung richtig, so greifen hier die Walküren in einer magischen Weise in die Schlacht ein, die sie deutlich vom Eingreifen der Schildmaiden (und mancher späterer Walküren) abhebt, die nicht magisch wirksam werden, sondern physisch kämpfen. Ist das Weben der Walküren jedoch als Metapher für die Schlacht aufzufassen, so bleibt die Deutung wieder ganz offen: Das konkrete Eingreifen der Walküren ließe sich durch eine solche Metapher hindurch nicht erkennen – hinter der Metapher des Webens könnte gleichermaßen ein physisches Eingreifen mit dem Schwert als auch ein magisches Eingreifen stehen. Auch daß die blanken Waffen der Walküren, ihre Anwesenheit auf dem Schlachtfeld und ihr Schwertschwingen nach der Schlacht erwähnt werden, sichert die Art ihres Eingreifens in die Schlacht nicht als ein konkret physisches Eingreifen; denn dies könnte ebenso metaphorisch oder konkret gemeint sein wie das „Weben“ der Schlacht. Somit läßt sich für die Art des Eingreifens der Walküren in den Kampf im Darrajarljój nur festhalten, daß auch hier kein klarer Beleg für ein physisches Eingreifen der Walküren vorliegt, wenngleich man ein solches hier schwerlich ausschließen kann – die Walküren dieses Gedichts stehen in ihrem waffenschwingenden Auftreten denen der Spätzeit vielleicht schon näher als die der Hákonarmál, auch wenn man in ihnen aufgrund der blutigen Bildlichkeit des Gedichts eine besonders archaische Form von Walküren hat sehen wollen.139 138
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Kreutzer 1999 Spalte 572: Es „bleibt unklar, wieweit das Weben wirklich als übernatürlich-reale Handlung oder nur als Kampfallegorie im Sinne einer breit entfalteten Kenning zu verstehen ist.“ Price 2003 S. 334. – Der Wert des Darrajarljój als Quelle für die nordischen Walkürenvorstellungen ist von Krappe 1928 grundsätzlich angezweifelt worden, der einige sehr entfernte Parallelen in der irischen Literatur anführt und daraus auf einen starken irischen Einfluß in diesem Gedicht schließt. Krappes Beweisführung ist nicht tragfähig, da dem von ihm angeführten irischen Vergleichsmaterial jegliche spezifische Übereinstimmung mit den Walküren des Darrajarljój fehlt: Die irischen und nordischen Belege entsprechen einander nur insofern, als grauenhafte weibliche übernatürliche Wesen in einem Kriegskontext auftreten. Dies ist aber ein zu trivialer Zug, als daß man damit eine direkte Abhängigkeit begründen könnte; in der Handlungsweise zeigen die von Krappe angeführten Gestalten keinerlei Entsprechung zu den Walküren des Darrajarljój, und Krappe bemerkt zudem selbst, daß sich das Motiv des Webens aus dem Irischen nicht ableiten läßt. Auch Goedheer 1938 S. 74–87 versuchte zu zeigen, daß dem Darrajarljój ganz wesentlich irische Einflüsse zugrunde liegen. Seine Argumentation beruht auf der Behauptung, daß die spezifische
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Wie auch immer man das Weben der Walküren im Darrajarljój im Detail deuten will, es ist überdeutlich, daß es sich dabei um ein blutiges Geschäft handelt, das die Walküren nicht mit dem Krieg als Abstraktum assoziiert, sondern mit dem konkreten Blutvergießen und Gliederabhacken des Schlachtfelds. Im selben Bereich des Krieges werden die Walküren auch durch ihre Namen beheimatet. Die Zahl der Walkürennamen ist zu groß, um hier mehr als eine kleine Auswahl zu erwähnen.140 Snorri führt in der
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Verbindung der Motive im Darrajarljój in der skandinavischen Literatur einzigartig sei (was richtig ist) und sich nur aus dem Einfluß der irischen Schlachtfelddämoninnen erklären ließe, in denen dieselbe Verbindung von Motiven vorliege (was fragwürdig ist). Nachdem Krappe sich außer Stande gesehen hatte, eine irische Parallele für das Motiv des Webens beizubringen, führte Goedheer (1938 S. 80–82) eine solche mit der (viel späteren) Fedelm-Episode in der zweiten Rezension der Táin Bó Cúailnge an (frühes 12. Jh.: Thurneysen 1921 S. 114 f., 668); ich hoffe anderswo ausführlich darzustellen, daß diese Stelle als Parallele ungeeignet ist (für eine Skizze des Sachverhalts vgl. Egeler 2009 [Perspektiven] S. 433 Anm. 129). Die Existenz des Motivs des Schicksalswebens in Irland ist für die Abfassungszeit des Darrajarljój keineswegs gesichert, womit Goedheers Argumentation hinfällig ist, daß die spezifische Kombination der Motive im Darrajarljój aus Irland stammen muß. Ferner ist zu bemerken, daß – unabhängig von der Datierung des Motivs des Schicksalswebens in Irland – die von Goedheer in die Diskussion eingebrachte Figur Fedelm nirgends zu den Schlachtfelddämoninnen gezählt wird. Goedheer ist sich dessen bewußt und argumentiert, ihr „supernatural character links her to the Morrígan [eine der irischen Schlachtfelddämoninnen]“ (S. 85), was freilich eine ganz triviale Parallele ist und kaum eine ernsthafte Verbindung darstellt; Fedelm ist keine Schlachtfelddämonin, sondern eine Seherin, und sie kann daher auch nicht zur Charakterisierung der irischen Schlachtfelddämoninnen herangezogen werden. Auf dieser Basis ist Goedheers Schlußfolgerung eines starken irischen Einflusses im Darrajarljój mit einiger Skepsis zu betrachten: Zur spezifischen Motivverbindung in diesem nordischen Gedicht gibt es in der irischen Literatur keine Entsprechung. Die spätere Forschung hat die Theorie eines irischen Einflusses im Darrajarljój meines Wissens kaum mehr kritisch gewürdigt. Clover 1984 S. 106 folgt dem Vorschlag ohne Diskussion (führt Krappe und Goedheer aber nicht in ihrer kurzen Überblicksbibliographie an). Schier 1966 Spalte 577 hält keltischen Einfluß unter Verweis auf Einar Ól. Sveinsson 1962 S. 352–357 für sehr wahrscheinlich, jedoch geht Einar Ól. Sveinsson auf die Argumente ebenfalls nicht näher ein (S. 355). Nur Poole 1991 S. 140 f. geht näher auf die Frage ein und zieht einen Zusammenhang zwischen den Frauen der Prosa ( ! ) der Njáls saga und keltischen Vorstellungen in Erwägung: Er denkt an eine Diffusion von schottischem Volksglauben, in dem ein stilisiertes Weben als Zauberhandlung in der Moderne belegt ist. Einen Zusammenhang mit dem eigentlichen Gedicht jedoch lehnt er ab. Zimmermann 2007 S. 596 deutet das Weben als eine „Metapher zur Schilderung der Schlacht“, zieht aber dennoch einen Zusammenhang mit der webenden Fedelm in der zweiten Rezension der Táin Bó Cúailnge und anderem Vergleichsmaterial in Erwägung. Für ausführlichere Besprechungen der Walkürennamen vgl. Golther 1890 S. 420– 422; Boyer 1980; Price 2003 S. 337–341. Price stellt 51 Walkürennamen aus der
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Gylfaginning 36 (wo er auch die Grímnismál 36 zitiert) die folgenden Namen an: Hrist, Mist, Skeggjqld, Skqgul, Hildr, Prújr, Hlqkk, Herfjqtur, Gqll, Geirahqj, Randgríj, Rájgríj und Reginleif (im Zitat der Grímnismál), sowie Gujr und Rota. Hrist scheint „die zum Beben Bringende“ oder „die Erschütternde“ zu sein, Mist ist als „Nebelwesen“ oder „Kampf“ gedeutet worden. Skeggjqld bedeutet „Beilzeit, Axtzeit“, Skqgul wohl „Kampf“. Hildr bedeutete als Substantiv hil(l)dr zunächst „Lärm, Kampflärm“, dann allgemeiner „Kampf“. Prújr ist „Kraft, die Kraftvolle, Mächtige“, Hlqkk „Klang“, insbesondere „Waffenklang, Kampfgeschrei“.141 Das Wort gqll bedeutet „Klang, Lärm“ und wurde als Walkürenname als „die Lärmende“ interpretiert, Geirahqj ist „Speerkampf“, Randgríj „Schildvernichterin, Schildzerstörerin“, Rájgríj ist die „Planvernichterin, die Zerstörerin der Pläne“ (aber vielleicht besser als Rajgríj zu lesen, was sich als „Vernichterin der Schlachtreihe“ deuten ließe); Reginleif ist problematisch („die Hinterlassene“? „Tochter der Götter“?142). Herfjqtur sticht in eine besonders interessante Richtung heraus und wird unten ausführlicher besprochen;143 kurz gesagt ist sie die „Heerfessel“, die den Todgeweihten lähmt und verhindert, daß er seinem Untergang entkommt. Die Namen der Walküren, die in Snorris Zitat der Grímnismál Odin und den Einherjern den Trunk bringen sollen, zeigen in ihrer Semantik also keinerlei Bezug zu ihrem Amt als Schankmaiden, was stark darauf hindeutet, daß die Verbindung der Walküren mit dem Ausschenken des Weins und Biers von Walhall sekundär ist.144 Vielmehr beschreiben die Walkürennamen Eindrücke, die in die Mitte des Schlachtfeldes während der Schlacht weisen: Kampf, Waffen, Vernichtung und den Lärm der Schlacht. Dasselbe gilt für die von Snorri an dieser Stelle außerhalb des Grímnismál-Zitats angeführten Walkürennamen: Die Walküre Gujr bedeutet als einfaches Nomen „Kampf“, während sich Rota – aufgefaßt als Róta – als „die Umwälzerin, diejenige, die Unordnung bringt“ oder „die Verwirrung Stiftende“ auffassen läßt.145
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Dichtung mit Belegstellen und vorgeschlagenen Übersetzungen zusammen. Er sieht in zwei Walkürennamen auch eine Funktion als Gastgeberinnen der Toten mit einem möglichen leichten sexuellen Unterton ausgedrückt (ibidem S. 340). Früher gedeutet als „Kette“, etwa Neckel 1913 S. 75. Vgl. Boyer 1980 S. 50. Siehe unten S. 107 ff. Lorenz 1984 S. 448, 451; vgl. oben S. 13 ff. Die Übersetzungen der Walkürennamen in Gylfaginning 36 folgen, soweit nicht anders angegeben, der Zusammenstellung der vorgeschlagenen Deutungen dieser Namen bei Lorenz 1984 S. 448–451. (Die Namen der Walküren in Grímnismál 36 sind in der von Snorri gegebenen Form angeführt, die vom Text von Neckel und Kuhn 1983 teilweise abweicht.)
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In der Vqlospá 30 tritt eine Gruppe von sechs Walküren auf. Auch dort erscheinen Scqgul „Kampf“ und Hildr „Kampf(lärm)“; ferner Sculd „Schuld, Tribut; Grund; Zukunft“146, die einen auch für eine Norne belegten Namen trägt147 und ausdrücklich bewaffnet erscheint, sowie Gunnr „Kampf“148, Geirscqgul „Speerkampf“ und Gqndul. Gqndul und der Odinsname Gqndlir gehören zusammen: De Vries stellt beide zu gqndull, m., „Zauberstab; männliches Glied“, das ebenfalls als Odinsname gebraucht wird.149 Die Namen dieser Strophe verbinden die Walküren also teils mit dem Kampfgetümmel, teils mit den Schicksalsmächten – Odin und den Nornen – und der übernatürlichen Macht, die deren Wirken zugrunde zu liegen scheint (gqndull „Zauberstab“). Gerade dieser letzte Zug suggeriert, daß die Walküren ihre Macht auf dem Schlachtfeld vielleicht weniger auf konkret-physische als auf übernatürliche Weise ausüben. Dazu stimmt, daß die Walküren der Dichtung der heidnischen Zeit kaum je ausdrücklich als kämpfende Gestalten erscheinen – anders als die späteren literarischen Schildmaiden – und daß zwei der Walküren in der Gylfaginning 36 zusammen mit „der jüngsten Norne“ Skuld ausreiten. In den Hákonarmál sendet Odin die schon bekannten Walküren Gqndul und Skqgul aus; auch in diesem Text sind die Walküren also Wesen, die durch ihre Namen sowohl dem Bereich der Schicksalsmächte und der Magie als auch dem des Kampfes zugewiesen werden. Im Darrajarljój treten die Walküren Hildr „Kampf(lärm)“, Hjqrprimul „Schwertgetöse“,150 Gunnr „Kampf“ und Gqndul auf, sowie Sanngríjr und Svipul. Sanngríjr scheint zu sannr „wahr“ und gríj „Heftigkeit“151 zu gehören; Boyer deutet sie so als „Authentique fureur, fureur pure“ und denkt an eine Verbindung mit der Raserei der Berserker.152 Svipul gehört zu svipull „veränderlich, kurzdauernd“ und zum Pferdenamen Svipujr „der sich schnell bewegende“, der auch als Schwertbezeichnung verwendet wird.153 In diesen Namen tritt 146 147 148 149 150
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De Vries 1961 (Etymologisches Wörterbuch) s.v. ‚skuld‘. Siehe oben Anm. 52. De Vries 1961 (Etymologisches Wörterbuch) s.v. ‚gunnr‘. De Vries 1961 (Etymologisches Wörterbuch) s.v. ‚Gqndlir‘. Vgl. Boyer 1980 S. 41, der ausdrücklich auch an eine visuelle Seite denkt und neben „Vacarme-du-Glaive“ (Schwertgetöse) daher auch „Eclat-du-Glaive“ (Schwertglanz) als Übersetzung vorschlägt; aber in de Vries 1961 (Etymologisches Wörterbuch) s.v. ‚prima‘ und ‚pruma‘ und Finnur Jónsson 1966 s.v. ‚prima‘ wird von einem visuellen Aspekt des Wortes nichts gesagt; vielmehr scheint das Gehörerlebnis ganz im Zentrum des Wortes zu stehen. Warum Boyer also an „deux valeurs auditive et visuelle“ denkt, ist unklar. Golther 1890 S. 421: „schwertergreifend“. De Vries 1961 (Etymologisches Wörterbuch) s.v. ‚gríj‘, vgl. Neckel 1913 S. 76. Boyer 1980 S. 45 f. De Vries 1961 (Etymologisches Wörterbuch) s.v. ‚Svipujr‘.
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also der Lärm, die Wut, die unübersichtliche Schnelligkeit des Geschehens der Schlacht und ihre Lenkung duch übernatürliche Mächte hervor.154 Dies ist umso wichtiger, als im Namen etwas ausgedrückt sein wird, das als zentraler Wesenszug dieser Gestalten empfunden wurde. In Anbetracht der Enge der Verbindung dieser Namen zum konkreten Geschehen der Schlacht verwundert es daher nicht, daß die drei Walküren der Vqlundarqvija (einleitende Prosa) ihre Geliebten nach sieben Jahren verlassen, um nach Kampf zu suchen. Ein typischer Zug der Verbindung der Walküren mit dem Krieg ist, daß sie für eine Seite Partei ergreifen155 – wenngleich nicht immer ganz im Sinne dieser Partei: König Hákon schenken sie den Sieg, zugleich stellen sie aber auch seinen Tod in der Schlacht sicher (Hákonarmál 9–13). Als Verleiherinnen des Sieges werden sie auch in der Gylfaginning 36 bezeichnet; im Darrajarljój stehen sie auf der Seite des „jungen Königs“. Die Walküre Sigrdrífa wurde nach den Sigrdrífomál von Odin in magischen Schlaf versetzt, weil sie gegen den Willen des Gottes gehandelt und dem falschen König den Sieg geschenkt hatte – wieder dem jüngeren (spielt hier ein Element einer Liebesbeziehung hinein?156), während Odin den Sieg für den älteren bestimmt hatte (Strophe 2 bis Prosa nach Strophe 4).157 In Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 53 ff. kommt die Walküre Sigrún vom Himmel herab, schützt den Helden in der Schlacht und verkündet seinen Sieg. Ebenso berichtet die Prosa nach Strophe 9 der Helgaqvija Hiqrvarjzsonar, daß die Walküre Sváva dem Helgi oft in der Schlacht half (ganz ähnlich Helgaqvija Hundingsbana qnnor 12); mehr noch, sie macht ihn erst zum Helden: Erst sie gibt ihm einen Namen, stachelt ihn zu heldenwürdiger Rede an und weist ihm den Weg zu einem mächtigen Schwert, mit dem er seine Heldentaten vollbringen kann (Helgaqvija Hiqrvarjzsonar Prosa vor Strophe 6 bis Strophe 9). Seine Walküre beschützt Helgi und seine Flotte auch gegen die dämonische Hrímgerjr, die den König und seine Männer sonst töten würde (Helgaqvija 154
155
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Zum Hervortreten des übernatürlichen Elements in den Walkürennamen vgl. Boyer 1980. In den von ihm besprochenen Walkürennamen tritt der übernatürlich-kriegerische Aspekt am häufigsten hervor (S. 41). Die Walküren sind nicht die einzigen weiblichen übernatürlichen Wesen, die als ‚Schutzgeister‘ fungieren und zugleich kriegerisch auftreten; vgl. die bewaffnete Fylgja in der Hallfrejar saga (hgg. von Bjarni Einarsson 1953, dort S. 128 [oben; Fassung in der Mqjruvallabók]); Turville-Petre 1964 S. 228. Die Saga wurde um 1220 abgefaßt: Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 154 f. So jedenfalls Golther 1890 S. 438. Für die Sigrdrífomál als Kombination von Strophen und Prosa läßt sich ein terminus ante quem von etwa 1250 bestimmen, aber der terminus post quem läßt sich nicht festlegen: Von See et al. 2006 S. 529 f.
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Hiqrvarjzsonar 26). In Saxos Gesta Danorum trifft Høtherus auf drei virgines silvestres, als er auf der Jagd in einem Nebel vom Weg abkommt. Diese erläutern ihm, daß sie oft unsichtbar auf dem Schlachtfeld anwesend sind und für ihre Freunde (amici) den gewünschten Ausgang der Schlacht sicherstellen (Gesta Danorum III.ii.4). Schon Jacob Grimm und Petrus Müller deuteten diese virgines silvestres als Walküren;158 in Anbetracht ihrer ausdrücklichen Funktion als Lenkerinnen des Schlachtenglücks und der Ähnlichkeit des Treffens im Wald mit dem Auftritt der Gqndul in Sqrla páttr 232 ist dies eine durchaus naheliegende Interpretation. Wie die Walküre in der Helgaqvija Hiqrvarjzsonar verschaffen diese virgines silvestres dem Helden ferner auch die Ausrüstung, mit der er seine Siege erringt: Denn bei diesem Treffen scheinen sie Høtherus auch eine Tunika gegeben zu haben, die Schwerthiebe nicht durchdringen können. Høtherus trägt diese Tunika in seiner ersten, siegreichen Schlacht gegen Balderus (Gesta Danorum III.ii.10), doch erst später wird erklärt, daß er sie von den virgines silvestres erhalten hatte (Gesta Danorum III.iii.4, wo die virgines auch als nymphæ bezeichnet werden); aus dieser Stelle (Gesta Danorum III.iii.4) geht zudem hervor, daß die virgines silvestres dem Høtherus Erfolg im Kampf gegen Balderus versprochen hatten.159 Ebenfalls bei Saxo, Gesta Danorum II.ii.1-II.ii.9 hat Suanhuita Macht über einen Zaubernebel, schenkt einem Helden ein besonderes Schwert und wird seine Frau.160 Selbst noch in den Griplur IV,24 und IV,43 f. aus dem frühen 15. Jh.161 und in der darauf basierenden Hrómundar saga Greipssonar Kapitel 6 f. aus dem 17. Jh.162 erhält Helgi magische Hilfe in der Schlacht von seiner schwanengestaltigen Geliebten. In derselben Funktion als Kampfhelferinnen können auch Disen auftreten – wobei hier der Begriff dísir als Oberbegriff für übernatürliche Frauengestalten verwendet sein wird, wie in den Krákumál 29, wo er wohl Walküren bezeichnet.163 So erscheinen dem Ásmundr in der Ásmundar saga kappabana
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Grimm 1835 S. 242; Müller und Velschow 1839 S. 112 f., Anm. 4 zur Stelle. Ebenso Jantzen 1900 S. 111 Anm. 1. Zur etwas zerrissenen und in sich nicht ganz stimmigen Erzählung vgl. Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 218–234, besonders S. 218–220, 229–231. Ellis Davidson 1960 S. 11. – Zum Motiv der Verleihung eines Schwertes durch eine übernatürliche Frauengestalt vgl. Ellis Davidson 1960 S. 9–13; Ellis Davidson 1969 S. 220 f.; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 278 f. – In der Vqlsunga saga Kapitel 3 erscheint Odin als Verleiher eines Schwertes an einen Helden; dazu vgl. Ellis Davidson 1960 S. 3–5. Foote 1985 S. 312. Text: Rafn 1829 S. 363–380. Datierung: Foote 1985 S. 312; Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 196. Siehe oben S. 47 f.
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Kapitel 7164 seine bewaffneten spádísir im Traum und versprechen ihm ihre Hilfe in einem bevorstehenden Kampf.165 Sigmundr wird in der Schlacht von seinen spádísir beschützt, bis Odin sein Schwert zerbricht (Vqlsunga saga Kapitel 11).166 Eine solche Verwendung der Bezeichnung dísir für Kampfhelferinnen ist nicht auf die Spätzeit beschränkt; schon in der Haustlqng167 des Pjójólfr ór Hvini (Strophe 17) aus dem 9. Jahrhundert unsterstüzten sie Thor in seinem Kampf gegen den Riesen Hrungnir. Aber die dísir müssen nicht immer wohlwollend sein – der Gedanke verbietet sich schon deshalb, weil ja auch der Gegner von den Disen unterstützt werden mag.168 Wenn ein Krieger beim Auszug zum Kampf stolpert, droht große Gefahr: Denn dann stehen ihm „trügerische Disen“ (tálar dísir) zu beiden Seiten und wollen ihn verwundet sehen (Reginsmál 24).169 In den Grímnismál führt der Zorn Odins und der dísir zum Tod des Königs durch sein eigenes Schwert (Grímnismál 53 bis Ende).170 Unter der Bezeichnung „Siegmädchen“ (sigmeyjar) greifen Walkürengestalten in der Strophe Finngálkn í Jómsborg in die Schlacht ein; diese Walküren haben den Dänen ein „hartes Schwertspiel“ (d. h. eine harte Schlacht) bestimmt und scheinen somit auch hier in den Verlauf des Kampfgeschehens einzugreifen.171 Die Verwendung der Walküren in der frühen Dichtersprache entspricht der völligen Einbettung der Walküren in den Krieg, wie sie in ihren Handlungen und Auftritten in der Literatur deutlich wird. In den Kenningar erscheinen sie etwa in Umschreibungen für „Kampf“172 – wie in einem anonymen Gedicht des 10. Jh.,173 in dem die Schlacht als „Hilds Spiel“ (Hildar
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Hgg. von Detter 1891 S. 79–103. Ström 1954 S. 77 f.; Motz 1993 S. 71. Vgl. auch Ásmundar saga kappabana Kapitel 10 (Strophe 8); Ström 1954 S. 78. Ström 1954 S. 78. Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 16–20; 1908–1915 Bd. 1.B S. 14–18; Skáldskaparmál 17. Vgl. Ström 1954 S. 72, der die Bedeutung ihres Eingreifens für den Ausgang des Kampfes betont. Vgl. von See et al. 2006 S. 344. Ein spätes Gedicht: „In allen Strophenabschnitten der Rm. kommen Wörter vor, die sonst allein in Texten des 12. Jh. oder später belegt sind“ (von See et al. 2006 S. 274); von See et al. 2006 S. 344 deuten die tálar dísir als Walküren, die den Gegner siegen lassen. Vgl. Ström 1954 S. 77. Ström 1954 S. 77. Ob hier wirklich Walküren im engeren Sinne gemeint sind, muß unklar bleiben: Von See et al. 2006 S. 344. Siehe oben S. 53. Zimmermann 2007 S. 596 sieht sie hier nicht als Lenkerinnen, sondern als Verursacherinnen des Kampfes. Meissner 1921 S. 183, 189, 192, 194–202. Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 180 f.; 1908–1915 Bd. 1.B S. 170 f.
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leikr) umschrieben wird174 – für „Rabe“ (als Schlachtfeldvogel),175 für Waffen,176 Schild177 und Brünne.178 Zum Auftreten in Frauenkenningar179 hat Zimmermann festgestellt, daß diese Verwendung der Walküren für die späte Literatur typisch ist und „vielleicht erst möglich wurde, als die mit Kampf und Tod assoziierten W[alküren]-Vorstellungen zu verblassen begannen.“180
Vögel Im Eddalied Helreij Brynhildar, das jedoch wohl erst ins 13. Jh. gehört,181 wird das Zustandekommen eines Liebesschwurs zwischen Brynhild und einem „jungen Fürsten“ in folgender Weise berichtet (Strophe 6):182 Lét hami vára hugfullr konungr, átta systra, undir eic borit; var ec vetra tólf, ef pic vita lystir, er ec ungom gram eija seldac.183 „Unsere Vogelkleider (hamir) ließ der mutige König, der acht Schwestern, unter eine Eiche getragen werden; ich war der Winter zwölf, wenn du es wissen willst, als ich dem jungen Fürsten Eide schwor.“
Den Schwestern werden ihre hamir gestohlen, und dadurch kann der Fürst sie an sich binden. Ein hamr ist zunächst „a skin, esp. the skin of birds flayed
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Meissner 1921 S. 199; Price 2003 S. 342. Meissner 1921 S. 121. Meissner 1921 S. 157 f. Meissner 1921 S. 172. Meissner 1921 S. 165. Meissner 1921 S. 405–408. Zimmermann 2007 S. 596. Allgemein zu den Walküren in Kenningar zuletzt Zimmermann 2007 S. 596. Die Walküren insbesondere in Kenningar, die in einem unmittelbaren Kriegskontext stehen, sind ausführlich von Price 2003 S. 341–345 besprochen. Die oben gegebenen Verweise auf Belege bei Meissner 1921 erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit; vgl. Price 2003 S. 341–345. Siehe oben Anm. 124. Golther 1890 S. 435–438 hält die Stelle für ursprünglich auf die Walküre Sigrdrífa bezogen. Zur Problematik der Identifizierung des Fürsten vgl. von See et al. 2009 S. 533 f. Zur Möglichkeit, daß sich die Eide weniger auf eine Verlobung als auf Unterstützung im Kampf beziehen, vgl. ibidem S. 535; mit Blick etwa auf das Verhältnis zwischen Helgi und seiner Walküre in den Helgi-Liedern scheint mir das eine jedoch das andere weitgehend zu implizieren, siehe ausführlich unten S. 84 ff. Text: Neckel und Kuhn 1983.
Vögel
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off with feathers and wings“,184 dann auch eine „Gestalt“ oder „Erscheinungsform“, die in dieser Strophe anscheinend als ein Kleid gedacht ist, das man ablegen kann185 – vielleicht im Sinne eines schon abgezogenen Vogelbalgs.186 In dieser Episode verlieren die Mädchen mit ihren hamir somit wohl ihre Fähigkeit zur Verwandlung in einen Vogel oder zumindest ihre Flugfähigkeit und damit die Möglichkeit, sich dem Zugriff des Fürsten zu entziehen. Einen weiteren Auftritt hat ein solcher hamr in der Vqlsunga saga Kapitel 1, die etwa in dieselbe Periode datiert. Dort betet ein kinderloses Königspaar zu den Göttern um Nachkommen, und Frigg wendet sich um ihretwillen an Odin. Odin sendet darauf eine seiner Walküren (óskmær)187 mit einem Apfel zu dem kinderlosen König. Hun tok vid eplinu ok bra a sig krakuham ok flygr til pess, er hun kemr par, sem konungrinn er ok satt a haugi. Hun let falla eplid i kne konunginum.188 „Sie empfing den Apfel und legte sich einen Krähen-hamr an 184 185 186
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Cleasby und Gudbrand Vigfusson 1874 s.v. ‚hamr‘. Kuhn 1968 s.v. ‚hamr‘; La Farge und Tucker 1992 s.v. ‚hamr‘. Zu den hamir der Walküren und zur Ambivalenz des Ausdrucks vgl. von See et al. 2000 S. 122 f.; allgemein zu hamir als magischen Hilfsmitteln zum Fliegen vgl. von See et al. 1997 S. 532–534. Ein den hamir entfernt ähnliches Phänomen findet sich auch in der irischen Literatur, wo in der Erzählung Togail Bruidne Da Derga (hgg. von Knott 1936; wohl 9./11. Jh., siehe unten S. 119f.) das Motiv der énchendach vorkommt, der „Vogel-Kaputze( ? )“ (dem Wort scheint eine Bildeweise zugrunde zu liegen, die üblicherweise für Abstrakta verwendet wird, was die Deutung dieser „Vogelkopfität“ im einzelnen schwierig macht [vgl. Thurneysen 1946 § 260]; auch ist die Beleglage nicht sonderlich gut [vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚énchendach‘]). An zwei Stellen von Togail Bruidne Da Derga (§§ 7, 13) tauchen Vögel auf, die sich nach dem Ablegen ihrer „Vogel-Kaputzen( ? )“ in menschliche Gestalten verwandeln; einer von ihnen zeugt in dieser menschlichen Form einen König, dem es daraufhin verboten ist, Vögel zu töten – der Gebrauch einer énchendach stellt somit eine enge Beziehung zu einem Vogelaspekt her, was für die Deutung der altnordischen hamir vielleicht von einem gewissen typologischen Interesse ist. Über das rein Typologische dürfte die Beziehung zwischen énchendach und hamr allerdings nicht hinausgehen, da die énchendach in der irischen Literatur in dieser konkreten Bedeutung weitgehend auf Togail Bruidne Da Derga beschränkt ist: Abgesehen von den Belegen in dieser Erzählung kennt das Royal Irish Academy Dictionary die énchendach nur noch in einem Glossareintrag und in Bearbeitungen klassisch-antiken Materials, wobei das Wort in letzteren nur in übertragenem Sinne verwendet zu werden scheint („Flügel, Federn, ein geflügelter Gegenstand“). Dies schließt zwar theoretisch eine mittelalterliche nordische Entlehnung aus der mündlichen Tradition nicht aus, doch scheint in Anbetracht des Fehlens spezifischerer Parallelen eine Entlehnung dieses letztlich obskuren Gegenstands (der dann in der nordischen Literatur deutlich beliebter geworden wäre, als er es in der irischen je gewesen zu sein scheint), wenig plausibel. Zu dieser Walkürenbezeichnung siehe unten S. 104. Text: Olsen 1906–1908.
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und fliegt bis dorthin, wo sie dahin kommt, wo der König ist und auf einem Hügel saß. Sie ließ dem König den Apfel in den Schoß fallen.“ Hier ist besonders interessant, daß die Walküre einen Krähen-hamr gebraucht. Somit verbindet der Vogelaspekt, der sich im Gebrauch eines hamr ausdrücken mag, die Walküre in dieser Episode mit einem der Aasvögel des Schlachtfelds. Dagegen erscheinen in der Vqlundarqvija Walküren, die álptarhamir „Schwanen-hamir“ gebrauchen (einleitende Prosa und Strophen 1–3): […]. Brœjr vóro prír, synir Finnakonungs. Hét einn Slagfijr, annarr Egill, priji Vqlundr. Peir scrijo oc veiddo d´yr. Peir qvómo í Úlfdali oc gerjo sér par hús. Par er vatn, er heitir Úlfsiár. Snemma of morgin fundo peir á vatzstrqndo konor priár, oc spunno lín. Par vóro hiá peim álptarhamir peira. Pat vóro valkyrior. Par vóro tvær dœtr Hlqjvés konungs, Hlajgujr svanhvít oc Hervor alvitr; in prijia var Qlrún, Kiárs dóttir af Vallandi. Peir hqfjo pær heim til scála mej sér. Fecc Egill Qlrúnar, enn Slagfijr Svanhvítar, enn Vqlundr Alvitrar. Pau bioggo siau vetr. Pá flugo pær at vitia víga oc qvómo eigi aptr. Pá screij Egill at leita Qlrúnar. Enn Slagfijr leitaji Svanhvítar. Enn Vqlundr sat í Úlfdqlom. […] Meyiar flugo sunnan, myrcvij í gognom, alvitr unga, ørlqg dr´ygia; pær á sævar strqnd settuz at hvílaz, drósir sujrœnar, d´yrt lín spunno. Ein nam peira Egil at veria, fqgr mær fira, fajmi liósom; qnnor var Svanhvít, svanfiajrar dró; enn in prijia, peira systir, varji hvítan háls Vqlundar. Sáto síjan siau vetr at pat, enn in átta allan prájo, enn inn níunda naujr um skilji; meyiar f´ystuz á myrqvan vij, alvitr unga, ørlqg dr´ygia.189 „[…] Es waren drei Brüder, Söhne des Finnenkönigs. Der eine hieß Slagfijr, der zweite Egill, der dritte Vqlundr. Sie glitten [auf Skiern] und jagten Rotwild. Sie kamen nach Úlfdalir und bauten sich da ein Haus. Dort ist ein Gewässer, das Úlfsiár heißt. Früh am Morgen fanden sie drei Frauen am Ufer des Gewässers, und sie spannen Flachs. Da waren neben ihnen ihre Schwanen-hamir. Das waren Walküren. Da waren zwei Töchter des Königs Hlqjvér, Hlajgujr Schwanenweiß und Hervqr Fremdwesen; die dritte war Qlrún, die Tochter von Kiárr aus Valland. Sie brachten sie mit sich heim zum Wohnhaus. Egill bekam Qlrún, und Slagfijr Schwanenweiß, und Vqlundr Fremdwesen. Sie wohnen sieben Winter [bei ihnen]. Dann flogen sie, um Kämpfe zu besuchen, und kamen nicht zurück. Da glitt Egill [auf Skiern davon], um Qlrún zu suchen. Und Slagfijr suchte Schwanenweiß. Und Vqlundr saß in Úlfdalir. […]
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Text: Neckel und Kuhn 1983. Vgl. Dronke 1997.
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Mädchen flogen von Süden durch einen Dunkelwald, junge Fremd-Wesen, Geschicke zu verrichten;190 Sie setzten sich an das Ufer des Wassers, um sich auszuruhen, die Frauen aus dem Süden, sie spannen kostbaren Flachs. Eine von ihnen begann Egill zu schließen, das schöne Menschenmädchen, in die lichte Umarmung; die zweite war Svanhvít, sie trug Schwanenfedern; und die dritte, ihre Schwester, umschloß den weißen Hals Vqlunds. Sie saßen dann danach sieben Winter, und den ganzen achten sehnten sie sich schmerzlich, und den neunten trennte [sie] die Not; die Mädchen sehnten sich in den dunklen Wald, die jungen Fremd-Wesen, Geschicke zu verrichten.“
Als die Brüder von der Jagd zurückkommen, finden sie die Säle leer vor; die Frauen haben sie verlassen. Slagfijr und Egill ziehen aus, um nach ihren Schwanenfrauen zu suchen, während Vqlundr zu Hause bleibt, auf die Rückkehr seiner Geliebten hofft und Ringe schmiedet. In der einleitenden Prosa des Gedichts werden die Schwanenfrauen ausdrücklich als Walküren bezeichnet (wobei diese Prosaeinleitung allerdings wohl eine unbestimmte Zeit später datiert als das Gedicht selbst; sie verrät ihre spätere Entstehung vielleicht auch darin, daß sie die schwanengefiederten übernatürlichen Wesen der Strophen zu Königstöchtern vermenschlicht). Die Schwanenfrauen haben álptarhamir „Schwanen-hamir“, die neben ihnen liegen und somit als ablegbare Gewänder aufgefaßt werden. Sie beginnen eine Liebesbeziehung mit den drei Männern, aber verlassen sie nach sieben Jahren, um nach Kampf zu suchen; dabei fliegen sie ausdrücklich fort. Sie erscheinen also als Wesen mit deutlichen Zügen von Vögeln, und diese Vögel sind in dieser Episode spezifisch Schwäne. In den Strophen wird der Begriff valkyrja nicht verwendet. Dronke vertritt die Auffassung, daß es sich bei den Frauen der Vqlundarqvija nicht um Walküren handele; vielmehr habe man es hier mit Schwanenmädchen zu tun.191 In derselben Weise verwirft sie weitere Belege für Walküren in
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Vgl. von See et al. 2000 S. 128–132. Dronke 1997 S. 301. Dabei begründet sie nicht, warum sich die beiden Kategorien ‚Schwanenmädchen‘ und ‚Walküre‘ gegenseitig ausschließen sollen – der Prosaist der Vqlundarqvija hat diese Meinung jedenfalls nicht geteilt, und für die frühere Zeit steht uns nicht genug Material zur Verfügung, um verlorene ältere Belege auszuschließen, was Dronkes Zugangsweise äußerst problematisch macht. Wie schon Golther gesehen hat (Golther 1890 S. 428, Golthers Hervorhebung und Orthographie): „ e i n e valk y r j e kan n g eleg ent lich ein schwa n mäd ch e n s e i n , a b e r e i n s ch wa n -
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Die Walküren
Schwanengestalt.192 Es scheint daher nötig, an dieser Stelle kurz auf das Verhältnis der Vqlundarqvija zur folkloristischen Schwanenmädchenerzählung einzugehen. Die Fabel von den Schwanenmädchen wird in ihrer klassischen Ausprägung durch folgende Motivverbindung charakterisiert (Hattos Typ II der Schwanenmädchenerzählung):193 Ein Mann stiehlt das Federgewand einer übernatürlichen Frau, während diese badet, und hindert sie so daran, davonzufliegen. Das Paar hat Kinder, aber als die Frau ihr Federgewand zurückerhalten kann, nutzt sie die Gelegenheit und fliegt wieder fort. Der Mann folgt ihr danach in vielen Varianten.194 Zwar kann man den Typus, wie ihn Hatto auf der Basis einer detaillierten Studie definiert hat, willkürlich im Sinne der Vqlundarqvija umdefinieren, um die Nähe der Vqlundarqvija zur folkloristischen Schwanenmädchengeschichte zu vergrößern; aber dann wird der Vergleich zirkulär und somit wertlos. Verwendet man hingegen die folkloristische Definition der Schwanenjungfrauengeschichte als Basis eines Vergleichs mit der Vqlundarqvija, so ist deutlich, daß die Ähnlichkeit zwischen der klassischen Schwanenmädchengeschichte und der Vqlundarqvija nicht sehr weit reicht: Die Schwanenmädchen der Vqlundarqvija baden nicht, sondern spinnen. Nirgends steht, daß ihnen ihre Schwanen-hamir gestohlen oder daß die Frauen auf andere Weise zum Zusammenleben mit den Männern gezwungen werden; ganz im Gegenteil erweckt Strophe 2 den Anschein, daß die Beziehung von den Frauen eingeleitet wird,195 und die ersten sieben Jahre scheint ihre Beziehung zu den drei Männern glücklich zu sein. Danach verlassen sie die Brüder nicht, weil sie ihre Schwanen-hamir wiedererlangt haben (die ihnen ja nie gestohlen worden zu sein scheinen), sondern aus Sehnsucht danach, „Geschicke zu verrichten“ (ørlqg dr´ygia).196 Die Paare haben keine Kinder, und Wieland folgt
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196
mädchen ist nicht notwendig eine valk yr je, sonder n nur zufällig hie u n d d a i n d e r n o r d i s c h e n d i c h t u n g. “ Dronke 1997 S. 301 f.; für diese Belege siehe unten. Allgemein: Hatto 1961. Zur Diskussion über das Verhältnis der SchwanenmädchenFabel zur Vqlundarqvija vgl. zusammenfassend von See et al. 2000 S. 85–88, 99–101; Böldl 2004. Hatto 1961 S. 326 (Typ II). Von See et al. 2000 S. 100, 121 f. (wohingegen in der Prosaeinleitung die Männer die Frauen wählen, von See et al. 2000 ibidem). Für diese Übersetzung vgl. von See et al. 2000 S. 130–132: Die Formulierung ørlqg dr´ygia „legt eine Rolle der Frauen als aktive Gestalterinnen der Geschicke nahe“ (S. 131). Dies entspricht einerseits der Aufgabe der Walküren, das Todesschicksal der todgeweihten Krieger zu bestimmen, und erinnert andererseits an die Nornen. Hier ist auch auf das Spinnen der Walküren am Strand hinzuweisen, das „ein dichterisches Spiel mit der Vorstellung des Schicksalsfadens“ nahelegt (von See et al. 2000 S. 134), vgl. etwa die Schicksalsfäden der Nornen in Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 2–4 (von See et al. 2000 S. 133f.).
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seiner Frau nicht.197 Die Ähnlichkeit zur folkloristisch definierten Schwanenmädchengeschichte ist also äußerst beschränkt. Eine Herleitung der Frauengestalten der Vqlundarqvija aus dieser Wanderfabel scheint daher methodisch problematisch. Dieses Problem wiegt umso schwerer, als die Vqlundarqvija den ältesten westeuropäischen Beleg für das Motiv darstellen würde.198 Dronkes Ansicht, daß die Beschreibung der Frauen des Wielandslieds als Walküren falsch ist, beruht also auf der Annahme, daß der weithin älteste Beleg eines Motivs eine vom Verfasser der Prosaeinleitung falsch verstandene und schon im Gedicht entstellte Entlehnung von einer nicht belegten Vorlage darstellt. Dies ist zwar in Anbetracht der Beleglage nicht auszuschließen, kann aber nicht mehr sein als eine entfernte Möglichkeit.199 Grundsätzlich ist es nicht hilfreich, für eine Gestalt, die im Text des Codex Regius aus dem 13. Jh. ausdrücklich als Walküre identifiziert wird, zu postulieren, daß sie keine Walküre sei. Zumindest der Verfasser des Prosakommentars deutete die Frauen als Walküren, und man sollte versuchen, den Grund für diese Deutung zu verstehen, wie das von von See et al. getan wurde. So haben von See et al. herausgearbeitet, daß die Frauengestalten der Strophen der Vqlundarqvija enge Berührungspunkte mit (anderen) Walküren zeigen: (1) Sie können fliegen;200 (2) sie gehen auffallend selbständig und aktiv mit Männern um, die sie sich ebenso wie die Walküren der HelgiLieder selbst wählen;201 (3) sie werden als alvitr bezeichnet,202 wobei das Element -vitr sonst nur noch in Komposita belegt ist, die sich auf Walküren beziehen;203 und (4) die Namen Hervqr („Heer-vqr“) und Hlajgujr („HlajSchlacht“) haben kriegerische Konnotationen.204 Diese Parallelen zu anderen Walküren erklären, warum der Verfasser der Prosaeinleitung geschlossen hat, daß die Frauengestalten Walküren sind.205 Zugleich legen sie nahe, daß er diesen Schluß nicht zu Unrecht gezogen hat.
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Vgl. von See et al. 2000 S. 100 (mit weiteren Unterschieden zur typischen Schwanenmädchengeschichte). Hatto 1961 S. 348; von See et al. 2000 S. 100, wo auch betont wird, daß sich die Schwanenmädchen-Episode der Vqlundarqvija in mehrfacher Hinsicht von typischen Schwanenmädchengeschichten unterscheidet. Zumal selbst von folkloristischer Seite eine Monogenese des Motivkomplexes ausdrücklich nicht angenommen wird: Hatto 1961 S. 349. Von See et al. 2000 S. 123, 126 f., 132. Von See et al. 2000 S. 123, 135. Von See et al. 2000 S. 123. Von See et al. 2000 S. 129, 132. Von See et al. 2000 S. 123. Die Namen werden im eigentlichen Gedicht in Strophe 15 genannt. Von See et al. 2000 S. 123.
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Insgesamt kann man somit festhalten, daß die Walküren/Schwanenmädchen der Vqlundarqvija starke Parallelen zu anderen Walküren zeigen, zugleich aber auch vereinzelte Züge des weiter verbreiteten Motivkomplexes der Schwanenmädchenfabel aufweisen. Dabei ist im Ganzen die Nähe dieser Frauengestalten zu den sonstigen Walküren größer als ihre Nähe zur klassischen Schwanenmädchengeschichte, wie sie Hatto behandelt.206 Falls man aber die Nähe der Frauen der Vqlundarqvija zur Schwanenmädchenfabel für so groß hält, daß man zwischen beiden einen Zusammenhang sehen will, ließe sich dies in zwei verschiedene Richtungen interpretieren. Einerseits würde sich dadurch vielleicht eine Erklärung für die Wahl gerade des Schwans als der Erscheinungsform von fliegenden Walküren anbieten. Die Walküren sind Wesen des Schlachtfelds und der Halle der toten Krieger. Als Todesdämoninnen wäre es naheliegend, sie mit einem Vogel zu assoziieren, der selbst mit dem Tod in Verbindung steht, also einem Aasvogel. Mit solchen Aasvögeln, die eben vom Leichenfraß herkommen, unterhält sich die Walküre im Haraldskvæji,207 und die fliegende Walküre der Vqlsunga saga nimmt die Gestalt einer Krähe an. Die Wahl der Art des Vogels in diesen beiden Beispielen läßt sich ggf. aus der Verbindung zwischen den Walküren und dem Schlachtfeld nach dem Kampf erklären, wo die Walküren die Gefallenen nach Walhall berufen, während die Aasvögel sich an den Leichen gütlich tun. Was jedoch eine Walküre mit einem Schwan verbindet, ist nicht unmittelbar offensichtlich. Hatto hat in seiner Besprechung des Schwanenmädchenmotivs das verbindende Glied hinter den verschiedenen Fassungen der Schwanenmädchengeschichte darin gesehen, daß sie alle zu einem Teil letztlich auf der Beobachtung des typischen Verhaltensmusters von Zugvögeln beruhen würden (insbesondere großer, migrierender Wasservögel wie Schwäne und Gänse):208 Das Schwanenmädchen kommt, wird für eine Weile zum Bleiben gezwungen, aber verläßt seinen Liebhaber, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet. Dies entspräche dem beobachtbaren Verhalten von Zugvögeln, die in den Norden kommen, sich dort paaren und nach der Aufzucht des Nachwuchses wieder fortziehen; darum könnten Schwanenmädchengeschichten trotz relativ komplexer Gemeinsamkeiten auch unabhängig voneinander auf der Basis dieser Naturbeobachtung
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Hatto 1961. Als Beispiel für die Beziehung der Walküren zu Vögeln bei Ellis Davidson 1969 S. 221 Anm. 27 angeführt. Hatto 1961, besonders S. 333. Hatto führt die Schwanenmädchengeschichte nicht ausschließlich auf Naturbeobachtung zurück, aber für die gegenwärtige Fragestellung ist nur diese Komponente seiner Theorie wichtig.
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immer wieder entstehen.209 Die Frage ist, was das tertium comparationis zwischen einem solchen Schwanenmädchen und einer Walküre darstellt. Eine, wenn auch nicht die einzige Möglichkeit wäre der typischerweise unglückliche Verlauf der Beziehung: Eine Beziehung mit einem Schwanenmädchen scheitert, sobald dieses eine Möglichkeit bekommt, wieder fortzufliegen. Ebenso endet eine Beziehung mit einer Walküre häufig unvorteilhaft: Wieland wird verlassen und später gefangengenommen und zum Krüppel gemacht. Das Treffen mit Brynhild verursacht letztlich Sigurds Tod, und daß Helgi für seine Walküre gegen deren Vater in die Schlacht zieht und diesen tötet, führt dazu, daß Helgi als Rache für den Tod dieses Königs selbst getötet wird (Helgaqvija Hungingsbana qnnor). Das Treffen Hákons mit den beiden Walküren in seiner letzten Schlacht läßt ihn siegreich, aber tot zurück, und er ist trotz der Aussicht auf seinen Einzug in Walhall darüber nicht erfreut (Hákonarmál).210 Eine zweite Möglichkeit, die Ähnlichkeiten zwischen Schwanenmädchenfabel und Vqlundarqvija zu deuten, wäre andererseits die Schlußfolgerung, daß Dronke trotz Allem mit ihrer ablehnenden Haltung Recht hat und es sich vielleicht bei der Schwanengestalt wirklich um keinen ursprünglichen Zug der Walküren handelt.211 Daraus würde sich der Ansicht Dronkes zufolge ergeben, daß die ursprüngliche Vogelgestalt der Walküren nicht zwischen Schwan und Aasvogel schwankt, sondern daß nur der Aasvogel eine ursprüngliche Vogelerscheinungsform der Walküren darstellt.212 Contra Dronke ist diese Schlußfolgerung jedoch nicht zwingend. Alle diese Erwägungen sind letztlich Spekulationen, die sich nicht weiter untermauern lassen; da Walküren nur in späten Texten ausdrücklich als Vögel erscheinen, 209 210
211 212
Hatto 1961 S. 349. Für weitere Gedanken zum ‚Schwanenaspekt‘ der Walküren und seinem Verhältnis zu ihrer anderweitigen Assoziation mit Corviden vgl. Egeler 2009 (Perspektiven) S. 446–449; unten Anm. 1591. Vielleicht könnte man auch die Frage stellen, ob die (erst in vergleichsweise späten Quellen belegte) Schwanengestalt von Walküren mit der Schwanenverwandlung von anderweltlichen Frauen in irischen Erzählungen zu verbinden sein könnte; vgl. Aislinge Óenguso (hgg. von Müller 1876–1878 S. 344–350), Tochmarc Étaíne (III, 15; hgg. von Bergin and Best 1938) – hier fällt insbesondere auf, daß sowohl die Protagonistinnen dieser beiden irischen Erzählungen als auch nahezu alle fraglichen Walkürengestalten in Liebesbeziehungen mit den jeweiligen männlichen Protagonisten erscheinen, wobei auch die irischen Liebesbeziehungen – trotz eines schließlichen ‚guten Endes‘ – nicht unproblematisch verlaufen. Die Parallelen zwischen den Walküren und den irischen Schwanenfrauenerzählungen sind insgesamt jedoch beschränkt. Dronke 1997 S. 301 f. So Dronke 1997 S. 301. Dies würde nochmals die Verbindung zwischen Todesdämonin und Leichenvogel unterstreichen.
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scheint es problematisch, unter diesen durchgehend späten Belegen einige für altertümlich zu erklären, aber andere als späte Neuerung zu verwerfen. Festhalten läßt sich letztlich nur, daß in der Vqlundarqvija Walküren oder stark walkürenähnliche Wesen mit Schwanen-hamir (Prosaeinleitung) und Schwanenfedern (Strophe 2)213 erscheinen. Auch außerhalb der Vqlundarqvija finden sich Hinweise auf eine Assoziation von Walküren oder walkürenähnlichen Figuren mit Schwänen. Eine der drei Schwanenfrauen der Vqlundarqvija trägt den passenden Namen Svanhvít „Schwanenweiße (i.S.v. weiß wie ein Schwan)“.214 Als Frauenname erscheint Svanhvít ferner in den Griplur 215 und der Hrómundar saga Greipssonar216 als der Name der Geliebten und späteren Frau des Hrómundr;217 diese schenkt ihm einen Schild und ein magisches Band, das ihn im Kampf schützen kann (Hrómundar saga 5–7, 10; Griplur IV,8 ff. und VI,53–56).218 Bei Saxo, Gesta Danorum II.ii.1-II.ii.9 hat eine Suanhuita Macht über einen Zaubernebel, schenkt dem Helden Regnerus ein besonderes Schwert, verlobt sich mit ihm und wird seine Frau; nach seinem Tod stirbt sie bald an einer Krankheit, die sie sich durch ihre Trauer zuzieht (Gesta Danorum II.v.5), was an den frühen Tod von Sigrún aus Trauer und Leid nach dem Tod Helgis erinnert (Helgaqvija Hundingsbana qnnor, abschließende Prosa), und entfernter an Brynhilds Selbstmord nach dem Tod Sigurds (etwa Sigurjarqvija in scamma 40 ff.).219 Ebenfalls bei Saxo (Gesta Danorum II.vii.10) wird eine Frau namens Ruta in einem Gedicht in die Schlacht gerufen; dabei wird sie auf213 214 215 216 217 218
219
Vgl. von See et al. 2000 S. 138 f. Von See et al. 2000 S. 137 f.; Ellis Davidson 1969 S. 221. Hgg. von Finnur Jónsson 1905–1912 S. 351–408. Hgg. von Rafn 1829 S. 363–380. Von See et al. 2000 S. 137; Ellis Davidson 1969 S. 221. Vgl. Kölbing 1876 S. 176 f. mit dem Hinweis auf eine von zwei Handschriften der Griplur nach Griplur V,27 eingeschobene Strophe (Finnur Jónsson 1905–1912 S. 394 f., kritischer Apparat zur Stelle), wo Svanhvít auch die Toten auf dem Schlachtfeld beschwören kann. Ellis Davidson 1960 S. 11; Ellis Davidson 1969 S. 221; Schullerus 1887 S. 242 f. Anm. 3; vgl. Ellis Davidson 1988 S. 97. Personennamen mit dem Element „Schwan“ sind jedoch nicht auf Frauen mit mythologischen oder kriegerischen Konnotationen beschränkt: Vgl. Beck 2004 S. 411; vgl. von See et al. 2000 S. 137 (Verwendung von svanhvít als substantiviertes Adjektiv in Apposition zu einer nicht-mythologischen Frau im Orms páttr Kap. 416 [hgg. von Gujbrandur Vigfússon und Unger 1860 S. 521–532]). – Mag sich in diesem auffälligen Nachsterben von Walkürengestalten nach dem Tod ihrer Geliebten in vermenschlichter Form der Gedanke niederschlagen, daß der Totendämon nach dem Tod seines Opfers ebenfalls ins Jenseits zurückkehrt? Freilich sterben aber auch andere Frauen ihren Männern und Geliebten nach, vgl. etwa Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 94, so daß man diesem Zug wohl keine zu große Bedeutung beimessen sollte.
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gefordert, ihr „schneeweißes Haupt“ (niveum caput) zu erheben. Die weiße Farbe ist die eines Schwans, und der Name Ruta ähnelt dem Walkürennamen Rota in Gylfaginning 36; außerdem steht es in Rutas Macht, Odin für den Helden sichtbar werden zu lassen (Gesta II.vii.26). Da sowohl Ruta als auch Rota auf dem Schlachtfeld auftreten und übernatürliche Züge zeigen, ist es nicht wahrscheinlich, daß sie nur zufällig fast gleiche Namen tragen, wenn auch Saxos Ruta – wie ja auch manche späte Walküre – zuvor als Königstochter auftritt (Gesta II.vi.9, II.vi.11).220 Ausdrücklich in Schwanengestalt erscheint die Zauberin (fjölk´yngiskona) Kára,221 die ihren Geliebten Helgi in der späten Hrómundar saga Greipssonar Kapitel 6 f. auf magische Weise in der Schlacht unterstützt. Die Ausdrucksweise variiert; von ihr heißt es, sie erscheine í álftar ham „im hamr eines Schwans“ und í álftarlíki „in Schwanengestalt“; an einer anderen Stelle wird sie einfach als álft „Schwan“ bezeichnet.222 Sie verwandelt sich also physisch in einen Schwan. Da die abschließende Prosa der Helgaqvija Hundingsbana qnnor erwähnt, daß Sigrún und Helgi als Helgi und die Walküre Kára wiedergeboren wurden, scheint die Schwanenzauberin der Hrómundar saga letztlich auf eine alte Tradition über Helgi und seine Walküre zurückzugehen.223 Unmittelbarer als auf dieser alten Helgi-Tradition beruht die erhaltene Hrómundar saga jedoch auf den Griplur. Auch in diesen Rimur aus dem frühen 15. Jh.224 erscheint die Zauberin in der Schlacht í áltarham (=í álptarham) und als áltin (=álptin „der Schwan“),225 also auch hier physisch in einen Schwan verwandelt (Griplur IV,43 f. und 58). Die textlichen Belege für die Verwendung von hamir durch Walküren und die Assoziation von walkürenähnlichen Frauen mit Schwänen datieren somit vergleichsweise spät. Dieser Befund ist umso problematischer, als gerade die Verwendung von hamir auch für andere Gestalten häufig bezeugt ist – man denke nur an den Feder-hamr Freyjas (Prymsqvija 3) oder den Riesen Hræsvelgr in seinem Adler-hamr (Vafjrújnismál 37).226 Dies scheint zunächst die Frage aufzuwerfen, inwieweit sich in der Verwendung von hamir tatsächlich ein spezifischer Charakterzug der Walküren niederschlägt. Be220 221
222 223 224 225 226
Vgl. Gulermovich Epstein 1997 (Studies in Honor …) S. 130, 131 f.; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 284 f., 287; Kroesen 1997 S. 144–146. Diese Lesung des Namens in Anlehnung an Grimm 1835 S. 240; Kershaw 1921 S. 62 Anm. 1, vgl. Golther 1890 S. 428; Kölbing 1876 S. 173; Rafn 1829 S. 374 var. lectionis. Von See et al. 2000 S. 123. Kershaw 1921 S. 60. Foote 1985 S. 312. Von See et al. 2000 S. 123. Für eine Zusammenstellung und Besprechung einer Vielzahl von Belegen vgl. von See et al. 1997 S. 532–534.
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trachtet man nur die allgemeine Verteilung des Motivs des Vogel-hamr, so könnte es sich hier um einen Gegenstand handeln, der generell zum Repertoire übernatürlicher Wesen gehört; die Walküren ließen sich dann als eine Gruppe übernatürlicher Gestalten deuten, die hamir zwar auch verwenden – ebenso wie Götter und Riesen – die aber keine wirklich spezifische Assoziation mit einem Vogelaspekt zeigen. Hiergegen spricht jedoch, daß die Art der von Walküren verwendeten hamir für Walküren spezifisch ist: Zwar ist die Verwendung von hamir im allgemeinen für eine Vielzahl von Gestalten bezeugt, doch Schwanen- und Krähen-hamir scheinen ausschließlich für Walküren belegt zu sein.227 Dies könnte ein Indiz dafür darstellen, daß diese beiden Typen von hamir trotz der späten Datierung der Belege spezifische Züge des Charakters der Walküren ausdrücken. Da bei spezifischen Zügen keine einfache Entlehnung von einer anderen Gestalt vorliegen kann, würde dies wiederum darauf hindeuten, daß es sich hier möglicherweise um alte, authentische und signifikante Züge handelt, die nur aufgrund von Zufällen der Überlieferung erst in der christlichen Zeit textlich belegt sind. Im Fall des Krähen-hamr ist allerdings nichtsdestoweniger als problematisch hervorzuheben, daß für diesen nur ein einziger, isolierter Beleg in einem späten Text zu existieren scheint. Es ist durchaus fraglich, ob auf der Basis einer solchen Beleglage mit einer ursprünglichen Krähennatur von Walküren gerechnet werden darf. Zugleich ist jedoch darauf hinzuweisen, daß eine enge Assoziation zwischen Walküren und Aasvögeln in anderer Form reich bezeugt ist, wobei die Belege schon in der heidnischen Zeit einsetzen. So ist hier an die bereits ausführlich erwähnten Hrafnsmál zu erinnern, in denen sich die Walküre von einem Raben den (Kriegs-)Ruhm Haralds künden läßt, während dem Raben noch die Leichenteile an den Krallen hängen. Möglicherweise ebenfalls hierhier zu stellen ist die Krähe, die in der Rígspula 47 f. einen jungen König dazu anstachelt, in den Kampf zu ziehen; denn Birkhan fragt zu recht – auch wenn über die Frage nicht hinauszukommen ist – ob man hier einen sprechenden Vogel nach Art des Märchens und der Sigurdsage oder eine „Erinnerung an eine krähengestaltige, zum Kampf aufstachelnde Dämonenfigur“ sehen soll.228 In der Hel227
228
Vgl. die Belege bei von See et al. 1997 S. 532–534. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die Zusammensetzung álptarhamr auch in Búalqg 22 282 erscheint (von See et al. 2000 S. 123; hgg. von Jón Porkelsson 1916); das Wort bezeichnet an dieser Stelle dem Kontext nach jedoch kein mythologisches Fluggewand, sondern einen Schwanenbalg, womit dieser Beleg für den gegenwärtigen Zusammenhang irrelevant ist. Birkhan 1970 § 242 Anm. 1543; vgl. Dronke 1997 S. 301, wo sie in Zusammenhang mit ihrer Theorie eines ursprünglichen Krähenaspekts der Walküren u. a. auf diese Stelle verweist (vgl. ibidem S. 235 f.). Ihre Belege sind – wie letztlich auch die Krähe
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gaqvija Hundingsbana in fyrri 54 werden Walküren als sár-vitr „Wunden-Wesen“ bezeichnet; diese Walküren fliegen zudem.229 Und schließlich werden Walküren häufig zur Bildung von Rabenkenningar nach dem Muster Rabe = Vogel der Walküre herangezogen.230 Auch die Summe dieser Belege stellt zwar keinen Beweis für eine Vorstellung einer Aasvogelwalküre dar; sie wirft aber doch die Frage auf, ob diese Textstellen nicht zumindest auf eine enge allgemeine Assoziation der Walküren mit Corviden hindeuten.231 Die oben zur möglichen Signifikanz des Schwanenaspekts der Walküren vorge-
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der Rígspula – jedoch durchgehend nicht schlüssig, vgl. Egeler 2009 (Perspektiven) S. 445 mit Anm. 165. – Ob in diesem Zusammenhang Prokops Bericht über einen germanischen König von Bedeutung ist, dem sein bevorstehender Tod von einem Vogel (unbestimmter Art) prophezeit worden sein soll, dessen Krächzen der König zu verstehen behauptete (Prokop, Bella VIII.xx.13–15; Maier 2003 [Religion] S. 78)? Von See et al. 2004 S. 362, 783. Der Bezug von sárvitr auf die Walküren war von Dronke 1997 S. 301 abgelehnt worden; dagegen vgl. von See et al. 2004 S. 362. Vgl. Meissner 1921 S. 121 (mit Belegen für 22 verschiedene Bildeweisen) und siehe unten S. 79. Im Zuge seiner Besprechung der Ähnlichkeiten zwischen den irischen Schlachtfelddämoninnen und den Walküren hat schon Lottner 1870 S. 56 die Gestalt der Áslaug in der Ragnars saga lojbrókar in die Diskussion um die Affinität der Walküren zu Vögeln eingebracht, was später von Birkham 1970 § 242 und Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 273 aufgegriffen wurde. Áslaug ist die Tochter von Brynhild und Sigurd (Ragnars saga Kapitel 1 [hgg. von Olsen 1906–1908 S. 111–222]); ferner führt sie einen Teil des Heeres an, das auszieht, um den Tod ihrer Stiefsöhne zu rächen (Ragnars saga Kapitel 11). Ein solcher kriegerischer Zug in Verbindung mit ihrer Abstammung von einer Walkürengestalt (vgl. Herrmann 1923 S. 25, S. 170 Anm. 1) könnte zunächst als Rechtfertigung angesehen werden, ihren Beinamen Kráka „Krähe“ als Beleg für eine Affinität der Walküren zu Krähen zu deuten. Bei näherer Betrachtung scheint dies jedoch problematisch: Zum einen ist ihr kriegerischer Zug nicht sehr ausgeprägt, da sie nach vollbrachter Rache wieder nach Hause zieht, während ihre Söhne zu einem neuen Kriegszug aufbrechen (Ragnars saga Kapitel 12). Zum anderen trägt sie im Verlauf der Ragnars saga drei Namen: Ursprünglich hatte sie den Namen Áslaug. Sie ist von edler Abstammung, aber gerät in die Gewalt eines häßlichen und treulosen Bauernpaares. Diese geben ihr den Namen Kráka nach der Mutter der Bäuerin. Damit man Áslaug nicht wegen ihrer Schönheit ansieht, daß sie nicht das Kind der häßlichen Bauern ist, verbietet ihre Ziehmutter ihr, sich zu waschen (Ragnars saga Kapitel 1 und 5). Der Name „Kráka“ ist also nicht mit der kriegerischen Seite Áslaugs verbunden, sondern mit Schmutz und der Häßlichkeit ihrer Zieheltern (vgl. eine Strophe, die Áslaug in der Ragnars saga [Kapitel 6, Strophe 5] spricht; für einen Gebrauch der Krähe in einem Ausdruck von Verachtung vgl. Herrmann 1923 S. 57; Vqlsunga saga Kapitel 9). Als Áslaug in den Krieg zieht, nimmt sie einen neuen Namen an: Randalín (Ragnars saga Kapitel 11). Der Name „Kráka“ hat somit mit dem Schildmädchenaspekt Áslaugs gerade nichts zu tun und sagt damit auch nichts über die Beziehung der Walküren zu Vögeln aus. – Birkhan 1970 § 244 sieht in Áslaug einen möglichen Reflex einer kultischen Funktionsträgerin.
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tragenen Gedanken hoffen dabei gezeigt zu haben, daß zwischen einem Schwanen- und einem Aasvogelaspekt der Walküren nicht notwendigerweise ein innerer Widerspruch bestehen würde:232 Falls der Schwanenaspekt mit dem typischerweise glücklosen Verlauf und tödlichen Ende der Beziehung mit einer Walküre zu verbinden ist, bietet sich hier eine Möglichkeit, diesen Aspekt mit der Assoziation der Walküren mit leichenfressenden Schlachtfeldvögeln in Zusammenhang zu sehen – in beiden spiegelt sich vielleicht der blutige Abschluß der ‚heroischen‘ Lebensweise des Kriegers. Eine andere Variante der Flugfähigkeit der Walküren zeigt sich in den Helgi-Gedichten. Dort erscheinen Walküren häufig im Flug, aber nirgends wird ein Vogel-hamr oder eine andere Art der Verwandlung in einen Vogel erwähnt. Wo die Art ihrer Fortbewegung durch die Luft angesprochen wird, reiten die Walküren durch die Luft (und über das Wasser). So berichtet die Helgaqvija Hiqrvarjzsonar (Prosa nach Strophe 9) über Sváva: Hon var valkyria oc reij lopt oc lqg. „Sie war eine Walküre und ritt Luft und Meer.“ Dasselbe wird in der Helgaqvija Hundingsbana qnnor über Sigrún gesagt (Prosa nach Strophe 4 und Prosa nach Strophe 13; in der Prosa nach Strophe 18 reitet sie nur durch die Luft). In Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 30 kommt Sigrún von oben, um Helgi aus Seenot zu retten, ohne daß die Art ihres Fluges näher bestimmt wird. Ähnliches wird über Helgi gesagt, als er sich als Magd verkleiden muß, um seinen Verfolgern zu entkommen; den Verfolgern fällt die Stärke der Magd auf, und um ihre Kraft zu erklären und so den Verdacht der Verfolger zu zerstreuen behauptet ein Beistehender, sie sei eine gefangene Schildmaid bzw. Walküre (Helgaqvija Hundingsbana qnnor 45–8): hon scævaji / sc´yiom efri // oc vega porji / sem víkingar „sie schnellte / höher als Wolken // und wagte zu streiten / wie Wikinger.“ In Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 54 kommt Sigrún im Flug vom Himmel herab und schützt Helgi in der Schlacht. Und die Walküren in Helgaqvija Hiqrvarjzsonar 28 reiten über tiefe Täler und hohe Bäume. Anders als der Gebrauch von Schwanen- und Krähen-hamir ist dabei das Reiten über Luft und Wasser nicht spezifisch nur für Walküren belegt: In Gylfaginning 35 wird erwähnt, daß die Asin Gná ein Pferd besitzt, das über Luft und Wasser gallopieren kann. In gleicher Weise rennt Freys Eber über Wind und Meer (Skáldskaparmál 35).233 Diese Fähigkeit ist also wohl als eine Standardeigenschaft mythischer Reittiere aufzufassen, zumal auch in diesen beiden Beispielen wie in den Helgi-Liedern das formelhafte lopt ok lqg verwendet wird. Insbesondere diese Übereinstimmung in der sprachlichen Formel stellt den
232 233
Contra Dronke 1997 S. 301. Simek 1993 S. 122.
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spezifischen Charakter (und damit in Anbetracht der späten Datierung der Belege vielleicht auch das Alter) dieses Zugs für die Walküren in Frage. Somit läßt sich zur Vogelaffinität der Walküren Folgendes festhalten: Walküren verwenden wiederholt Schwanen-hamir; einmal benützt eine Walküre einen Krähen-hamr. In einigen anderen Belegen reiten Walküren durch die Luft, anstatt sich durch den Gebrauch eines hamr in einen Vogel zu verwandeln. Weder für das Himmels-Reiten noch für die Verwandlung einer Walküre in einen Vogel gibt es textliche Belege aus der heidnischen Zeit.234 Die beiden Varianten der Vogelerscheinung – als Schwan und als Krähe – scheinen jedoch für Walküren spezifisch zu sein (was für das Himmelsreiten nicht gilt). Dies könnte ein Indiz dafür darstellen, daß gerade in diesen beiden Formen einer Vogelerscheinung trotz der späten Datierung der Quellen spezifische und vielleicht alte Züge des Charakters der Walküren zum Ausdruck kommen könnten. Hierfür spricht möglicherweise auch einerseits die wiederkehrende Assoziation walkürenhafter Frauen mit Schwänen und andererseits die Assoziation der Walküren mit Raben, wie sie insbesondere im Haraldskvæji und in Rabenkenningar greifbar zu werden scheint.
Verschlingen Rabenkenningar werden oft mit Walküren gebildet, wie Gunn-m´qr „Gunnrs Möwe“ in der Glymdrápa 6.2 des Pórbjqrn hornklofi um 900,235 oder Hlakkar haukr „Hlqkks Habicht“ in der Hrynhenda 14.3 f. des Arnórr Pórjarson jarlaskáld aus dem 11. Jh.236 Dies allein beweist freilich noch keine besondere Beziehung zwischen Raben und Walküren. Die Schlacht ist das „Festmahl des Raben“ (hugins jól),237 und zugleich ist sie „Hilds Spiel“ (Hildar leikr);238 die Verbindung zwischen Rabe und Walküre in den Rabenkenningar mag also nur auf der Verbindung beider mit dem Schlachtfeld be234 235
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Ältere ikonographische Belege für die Vogelerscheinung wurden vorgeschlagen, scheinen mir jedoch nicht schlüssig; vgl. Egeler 2009 (Perspektiven) S. 441 f. Anm. 150. Meissner 1921 S. 121 (siehe dort für eine Zusammenstellung der mit Walküren gebildeten Rabenkenningar; er führt 22 verschiedene Bildungen an); Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 22–24; 1908–1915 Bd. 1.B S. 20 f. Meissner 1921 S. 121; Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 332–338; 1908–1915 Bd. 1.B S. 306–311. Turville-Petre 1964 S. 58; Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 387; 1908–1915 Bd. 1.B S. 357 (ein Gedicht des Grani skáld, 11. Jh.). Meissner 1921 S. 199; Price 2003 S. 342; Bjarkamál en fornu 2.8 aus dem 10. Jh. (Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 180 f.; 1908–1915 Bd. 1.B S. 170 f.).
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ruhen.239 Auch sind sowohl die Walküren als auch die Raben mit Odin verbunden. Odin besitzt mit Huginn und Muninn zwei Raben, die er täglich aussendet (Gylfaginning 38; Grímnismál 20),240 und der Erschlagene kann zugleich Futter für die Raben und Opfer an Odin sein, wie in einer Strophe des Helgi trausti Óláfsson aus dem 10. Jh.241 Auch hier ergibt sich über die Gestalt Odins eine Verbindung zwischen Rabe und Walküre – der Leichnam bleibt zum Fraß für die Raben und als Opfer für Odin auf dem Schlachtfeld liegen, während die Walküre dem Toten den Weg nach Walhall zu Odin weist. Im Haraldskvæji unterhält sich eine Walküre mit einem der Raben, die eben vom blutigen Fraß auf dem Schlachtfeld kommen und denen das Fleisch der Leichen noch an den Krallen hängt. Im Altenglischen ist wælce-asig als Rabenepithet belegt.242 In der Vqlsunga saga legt eine Walküre einen Krähen-hamr an und fliegt als Krähe davon, um Odins Auftrag zu erfüllen.243 Auch die Walküren Gqndul und Skqgul in den Hákonarmál sind im Auftrag Odins unterwegs. Da sie sich zu einem Schlachtfeld aufmachen, wäre es nur passend, wenn sie wie die Walküre in der (späteren) Vqlsunga saga die Form eines Aasvogels annehmen würden; dies ist jedoch nicht der Fall: Sie erscheinen als bewaffnete Frauen zu Pferde. Aber daß sich eine Walküre wie ein Aasvogel freut, einen Toten zu sehen, kommt vor: Der tote, blutende Helgi ist aus Walhall in seinen Grabhügel zurückgeritten, um seine Frau zu treffen, die Walküre Sigrún. Als Sigrún den lebenden Leichnam sieht, spricht sie (Helgaqvija Hundingsbana qnnor 43 f.): ‚Nú em ec svá fegin fundi ocrom sem átfrekir Ójins haucar, er val vito, varmar brájir, eja dqgglitir dagsbrún siá. Fyrr vil ec kyssa konung ólifjan, enn pú blójugri brynio kastir; hár er pitt, Helgi, hélo prungit, allr er vísi valdqgg sleginn, hendr úrsvalar Hqgna mági; hvé scal ec pér, bujlungr, pess bót of vinna?‘244 239 240 241
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Vgl. Neckel 1913 S. 79. Vgl. Turville-Petre 1964 S. 57–60. Turville-Petre 1964 S. 53; Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 99; 1908–1915 Bd. 1.B S. 94. Neckel 1913 S. 16; Philippson 1929 S. 67 f.; de Vries 1956/57 Bd. 2 § 370; Boyer 1980 S. 44, 48. Vgl. Osborns These, daß der Rabe bei den Angelsachsen sowohl als Aasvogel, der die gefallenen Krieger frißt, als auch als Seelengeleiter fungierte: Osborn 1970. Siehe oben S. 67 f. Text: Neckel und Kuhn 1983.
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„Jetzt bin ich so froh über unser beider Begegnung wie die fraßgierigen Habichte Odins, wenn sie Gefallene wissen, warme Fleischstücke, oder tauglänzend das Morgengrauen sehen. Eher will ich küssen den leblosen König, als du das blutige Kettenhemd abwirfst; dein Haar ist, Helgi, voller Reif, ganz ist der Anführer mit Gefallenentau (Blut) benetzt, die Hände naßkalt dem Schwiegersohn Hqgnis, wie soll ich dir, Fürst, davon Besserung bewirken?“
Die Walküre, die im Grabhügel den lebenden Leichnam ihres Geliebten trifft, freut sich darüber wie ein Aasvogel über frisches totes Fleisch, und noch vor allem anderen will sie ihn küssen – der Kontext ruft das Bild des Schnabels der Krähe wach, wie sie eine Leiche ‚küßt‘.245 Aber auch wenn mit solchen Assoziationen in diesen Strophen gespielt wird, läßt sich hieraus nicht folgern, daß Walküren einen Aspekt als aasfressende Schlachtfeldvögel hatten.246 Denn ähnliche Bilder finden sich auch anderswo in der altnordischen Literatur, wenngleich nicht so breit ausgemalt wie an dieser Stelle; so ist etwa auch Qrvar-Oddr über ein Treffen mit seinen Verwandten ebenso froh wie hungrige Habichte über Fleisch.247 Aufgrund anderer Indizien hat jedoch Neckel versucht, einen Aspekt der Walküren als Blutsaugerinnen aufzuzeigen, die sich am Blut der Krieger gütlich tun. So hat er darauf hingewiesen, daß eine Axtkenning mit einem Walkürennamen (Hrund) belegt ist: hræpolls Hrund „Hrund des Blutes“.248 Ähnlich können aber Axtekenningar mit gífr gebildet werden;249 dabei ist eine gífr ein zerstörerisches weibliches übernatürliches Wesen, das wohl wesentlich als „gieriges, fressendes Wesen“ zu deuten ist.250 Die Axt ist die Fresserin der Schutzwaffen; daher werden für sie Kenningar mit gífr gebildet. Eine ähnliche Assoziation könnte der Axtkenning mit Hrund zugrunde 245
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Vgl. die Halbstrophe in Háttatal 5: hamdøkkum fær Hlakkar / hauk munnroja aukinn / […] / vald ógnporinn skjaldar. (Text: Faulkes 1991.) „Der schreckensverwegene Herr des Schildes läßt dem dunkelbalgigen Habicht der Hlqkk (~ dem Vogel der Walküre ~ dem Raben) die Mundröte anwachsen.“ Von See et al. 2004 S. 782 f. Ævidrápa 54 (Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 2.A S. 306–319; 1908–1915 Bd. 2.B S. 324–339); von See et al. 2004 S. 782 (mit weiteren Parallelen). Neckel 1913 S. 75; Meissner 1921 S. 148; Cleasby und Gudbrand Vigfusson 1874 s.v. ‚hræ‘; Øxarflokkr( ? ) 11.3 f. des Einarr Skúlason, erst 12. Jh. (Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 477–479; 1908–1915 Bd. 1.B S. 449–451). Neckel 1913 S. 75; Meissner 1921 S. 148. Neckel 1913 S. 75 f.; vgl. de Vries 1961 (Etymologisches Wörterbuch) s.v. ‚gífr‘ (1 und 2); von See et al. 2004 S. 485 f.
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liegen. Dieser Gedanke Neckels ist freilich nicht zwingend, da Hrund hier auch allgemeiner als zerstörerisches Wesen aufgefaßt sein könnte und diese Kenning mit Hrund zudem spät (12. Jh.) und isoliert ist, wenn man nicht grund Hrundar für ‚Schild‘ ebenfalls hierher stellen will.251 Falls man Neckel hier aber folgen und eine Assoziation zwischen gífr und Walküre sehen will, stechen besonders zwei Belege für den Begriff heraus: In Gujrúnarqvija qnnor 29 trinken Rabe und hrægífr „Leichen-gífr“252 zusammen das Herzblut Sigurds,253 und die Meeresriesin254 Hrímgerjr, die Helgi und seine Männer töten will, wird in Helgaqvija Hiqrvarjzsonar 15 unter die gífr gezählt. In der nächsten Strophe wird Hrímgerjr darauf als nágrájugr „leichengierig“ beschimpft; wie die Leichen-gífr in der Gujrúnarqvija qnnor 29 frißt also auch sie die Toten. In Helgaqvija Hiqrvarjzsonar 23 wird diese leichenfressende Hrímgerjr als scass „Hexe“ bezeichnet, und in Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 38 wird scass in Apposition zu valkyria verwendet – nachdem unmittelbar zuvor vom leichenfressenden Wolf die Rede gewesen war. Ob sich aus diesen und ähnlichen Assoziationsreihen, die Neckel zwischen Walküren und leichenfressenden Wesen aufbaut, 255 jedoch schließen läßt, daß die Walküren das Blut der Leichen saugen, scheint problematisch.256 In all diesen Beispielen sind die Zwischenglieder der Vergleiche zu unsicher, um klare Schlüsse zuzulassen. Eine Beobachtung Neckels ist hier jedoch noch als möglicherweise wichtig hervorzuheben. In der Vqlsunga saga Kapitel 31 – also wieder einer späten Quelle – wird Brynhild indirekt, aber deutlich vorgeworfen, daß sie kvalde dauda menn „tote Männer gequält hat“. Das Verb kvelja wird auch noch an einer anderen Stelle von Toten gebraucht: Snorri sagt in seiner Gylfaginning 52 über den Ort Hvergelmir, den schlimmsten Aufenthaltsort für die Toten: Par kvelr Níjhqggr / nái framgengna. „Da quält Níjhqggr / die Leichname der Hingeschiedenen.“ Dieser Vers ist ein Zitat aus der Vqlospá 39. Das Verb kvelr steht nur bei Snorri; die übrige Überlieferung der Vqlospá hat saug „er saugte aus“.257 Neckel deutet das Verhältnis der zwei Lesarten kvelja „quälen“ und súga „aussaugen“ dahingehend, daß in 251 252 253
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Neckel 1913 S. 75; Háttatal 61. Vgl. Kuhn 1968 s.v. ‚hræ‘, ‚hræ-gífr‘; von See et al. 2004 S. 485 und von See et al. 2009 S. 729: „Leichen-gífr“ ist eine Wolfskenning. Als sicherer terminus ante quem für die Gujrúnarqvija qnnor läßt sich erst die um 1250 verfaßte Vqlsunga saga bestimmen: Von See et al. 2009 S. 625. Vgl. von See et al. 2004 S. 487. Neckel 1913 S. 75–82, etwa noch zum Begriff sárvitr „Wunden-Wesen“, der von Walküren gebraucht wird (vgl. von See et al. 2000 S. 129), oder zum Riesen Hræsvelgr „Leichenfresser“ (aber vgl. Simek 1993 S. 158). Von See et al. 2004 S. 783. Neckel und Kuhn 1983, var. lect.: H: saug ; R: svg.
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beiden Fällen dieselbe Tätigkeit ausgedrückt werde: Níjhqggr quält die Toten, indem er ihnen das Blut aussaugt, und dasselbe sei auch mit dem Vorwurf gegen Brynhild gemeint.258 An dieser Deutung könnte allerdings problematisch sein, daß die Variante kvelja für súga in der Snorra Edda vielleicht kein Synonym zu súga darstellt, sondern eine bewußte Ersetzung, durch welche die für Verbrecher bestimmten Jenseitsorte an die christliche Hölle angeglichen werden sollen: Níjhqggr wird vom Leichenfresser zum Teufel stilisiert, der die Übeltäter in der Hölle quält.259 Eine solche Interpretation als bewußte Änderung Snorris vor dem Hintergrund einer christlichen Deutung des Jenseits erklärt andererseits zwar die Lesung in der Gylfaginning, aber nicht, was damit gemeint sein könnte, daß Brynhild kvalde dauda menn „tote Männer quälte“. Auch hierfür läßt sich jedoch eine andere Deutung als die Neckels vorschlagen: So könnte man die Walküre, die die Toten quält, als Anspielung auf die Sage vom Hjajningavíg ansehen – die Walküre quält die Toten, indem sie sie jeden Tag zu neuem Gemetzel auferweckt.260 Und auch falls man diese Stelle der Vqlsunga saga mit Neckel trotz Allem als einen Hinweis auf einen vampirischen Charakter von Walkürengestalten werten will, ergibt sich daraus doch noch nicht, daß es sich bei dieser Vorstellung schon um einen alten Zug handelt, da die Vqlsunga saga erst aus dem 13. Jh. stammt. Insgesamt sind also alle Hinweise auf einen vampirischen Zug der Walküren äußerst unsicher. Die Bilder von Schlacht, Tod, dem Festmahl der Raben, dem Tod des Feindes als Opfer an Odin, dem Abholen des Toten zu Odin durch die Walküren und dem Aasvogel als Vogel Odins und der Walküren gehen fließend ineinander über; es existiert damit zwar eine gewisse Assoziation zwischen Walküren und Corviden, aber eine eindeutige Identifizierung der Walküren als Leichenvögel findet nicht statt.261
258 259 260 261
Neckel 1913 S. 77. Vgl. Lorenz 1984 S. 636. Für den Hinweis auf diese Interpretationsmöglichkeit danke ich Judy Quinn. Kroesen 1997 S. 131 behauptet: „In some texts they can be grim female demons who satiate themselves on the blood and flesh of the newly slain.“ Eine Begründung für diese im fraglichen Artikel wiederholt ausgedrückte Meinung wird nicht gegeben, und die „some texts“ werden nie spezifiziert. Vermutlich beruht die Aussage auf Neckel, der aber von Kroesen als Beleg für diese Ansicht nicht zitiert wird. Ellis Davidson 1972 S. 15 sieht „fierce and terrible spirits of the battlefield who devoured the dead and who formed part of the retinue of the early Wodan“ als eine von mehreren Wurzeln der späteren Walkürenvorstellungen. Als Beleg hierfür verweist sie nur auf Ellis Davidson 1964 S. 64 ff., wo Walkürenvorstellungen besprochen werden (bis dort S. 66); dort werden unter anderem die Hrafnsmál erwähnt und das angelsächsische Rabenepithet wælceasig kurz angesprochen, aber ein Beleg für leichenverschlin-
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Sexualität In das siebte Buch seiner dänischen Geschichte flicht Saxo eine Erzählung von einer jungen Frau ein, die, um einer Heirat zu entkommen, zu den Waffen griff und ein Leben als Piratenführerin begann. Saxo nutzt diese Episode als Gelegenheit für einen allgemeinen Exkurs über kämpfende Frauen (Gesta Danorum VII.vi.8): Et ne quis hunc bellis sexum insudasse miretur, quædam de talium feminarum condicione et moribus compendio modicæ digressionis expediam. Fuere quondam apud Danos feminæ, quæ formam suam in virilem habitum convertentes omnia pæne temporum momenta ad excolendam militiam conferebant, ne virtutis nervos luxuriæ contagione hebetari paterentur. Siquidem delicatum vivendi genus perosæ corpus animumque patientia ac labore durare solebant totamque femineæ levitatis mollitiem abdicantes muliebre ingenium virili uti sævitia cogebant. Sed et tanta cura rei militaris notitiam captabant, ut feminas exuisse quivis putaret. Præcipue vero, quibus aut ingenii vigor aut decora corporum proceritas erat, id vitæ genus incedere consueverant. Hæ ergo, perinde ac nativæ condicionis immemores rigoremque blanditiis anteferentes, bella pro basiis intentabant sanguinemque, non oscula delibantes armorum potius quam amorum officia frequentabant manusque, quas in telas aptare debuerant, telorum obsequiis exhibebant, ut iam non lecto, sed leto studentes spiculis appeterent, quos mulcere specie potuissent.262 „Damit man sich nicht wundere, zu hören, dass das weibliche Geschlecht sich den Kriegsmühen unterzogen hat, so will ich einiges über die Stellung und Sitten derartiger Frauen in der Kürze einer mässigen Abschweifung vorbringen. Es gab also einst bei den Dänen Frauen, welche, ihre Gestalt in männliche Kleidung steckend, fast ihre ganze Lebenszeit auf die Pflege des Kriegsdienstes verwandten, um nicht die Kraft der Tapferkeit durch die Pest der Üppigkeit schwächen zu lassen. Eine feine Lebensweise hassend, pflegten sie Leib und Seele durch Ausdauer und Arbeit zu härten und den ganzen weichen, flüchtigen Weibersinn von sich weisend, zwangen sie ihre Frauen-Natur zu Männer-Rauheit. Jedoch auch Kenntnis des Kriegswesens eigneten sie sich mit solchem Eifer an, dass man glauben konnte, sie hätten ganz aufgehört, Frauen zu sein. Vorzüglich aber pflegten diejenigen diesen Lebensweg zu betreten, welche kräftigen Sinn oder einen schönen, schlanken Körperwuchs besassen. Diese Frauen also, vollständig uneingedenk ihrer Naturanlage, kannten nur Strenge, keine Liebkosung, drohten mit Schuss, statt mit Kuss, dachten auf blutrünstige Beulen und nicht auf brünstige Mäulchen, kümmerten sich mehr um die Hiebe als um die Liebe, und die Hände, die sie dem Linnengewebe hätten weihen sollen, widmeten sie dem
262
gende Todesdämonen im frühen Skandinavien wird nicht vorgelegt. Ebenso ohne Begründung wird im wesentlichen dieselbe Behauptung von Ellis Davidson 1964 S. 62 vorgebracht, wo das Verschlingen aber zumindest durch ein „perhaps“ relativiert wird. Vorsichtiger und daher angemessener ist die Aussage von Motz 1993 S. 74 (zu den Walküren und der irischen Morrígain): „It may be that the image of crows and ravens, who feast on carnage, has left its imprint on the concept of the choosers of the slain.“ Text: Olrik und Ræder 1931.
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Waffengewerbe; nicht auf die Freuden der Ehe waren sie bedacht, sondern auf das Weh des Todes, und sie griffen die mit der Kampfeslanze an, die sie mit ihrem Schönheitsglanze hätten bezaubern können.“263
Saxo stellt Schildmaiden hier als Frauen dar, die sich der aus seiner Sicht normalen weiblichen Lebensweise verweigern und weibliche Arbeiten und Liebesbeziehungen zu Männern ablehnen. Stattdessen widmen sie sich ganz dem Kriegshandwerk. Ebenso erscheinen Liebe und Kriegshandwerk in der Vqlsunga saga Kapitel 25 als Passionen, die sich für eine Frau gegenseitig ausschließen. Als Sigurd Brynhild bittet, seine Frau zu werden, ist ihre Antwort: „Eigi er pat skipat, at vid buim saman. Ek em skialldme˛r, ok a ek med herkonungum hialm, ok peim man ek at lide verda, ok ecke er mer leitt at beriazt.“264 „Das ist nicht bestimmt, daß wir zusammen leben. Ich bin eine Schildmaid, und mit Heerkönigen trage ich einen Helm, und ihnen werde ich Hilfe bringen, und es ist mir nicht leid zu kämpfen.“
Sie lehnt eine Heirat mit Verweis auf ihr Leben als Schildmaid zunächst ab. Auch hier schließen Liebe und Krieg sich für eine Frau aus – wobei Brynhild allerdings einige Sätze später doch in die Heirat mit Sigurd einwilligt. Ebenso die Schildmaid, die Saxo zum Anlaß für seinen allgemeinen Exkurs nimmt: Am Ende der Episode heiratet sie den Mann, vor dem sie zunächst in eine Piratenexistenz geflohen war. Für Saxos Schildmaid bedeutet diese Heirat dabei allerdings das Ende ihres kriegerischen Lebens; und in gleicher Weise scheint auch die Schildmaid Hervqr in der Heijreks saga ihre kriegerische Laufbahn mit ihrer Heirat zu beenden.265 Zumindest für menschliche Schildmaiden – Brynhild erscheint anderswo ausdrücklich als Walküre,266 aber in der Vqlsunga saga hat sie kaum übernatürliche Züge – schließen sich Liebe und Krieg innerhalb derselben Lebensphase aus.267 Die bisher erwähnten Quellen sind spät und behandeln Frauen, die zumindest im wesentlichen einen menschlichen Charakter haben. Die Idee, daß eine kriegerische Frauengestalt keine Liebesbeziehungen mit Männern eingeht, wird aber schon im Haraldskvæji mit der Walküre verbunden, die sich mit den Raben über den Kriegsruhm Haralds unterhält (Strophe 2):
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267
Übersetzung nach der kongenialen Übertragung von Herrmann 1901/22 Bd. 1 S. 306 f. Text: Olsen 1906–1908. Rez. H Kapitel 6; Rez. U Kapitel 7 f.; hgg. von Jón Helgason 1924. Siehe oben Anm. 123. In der Vqlsunga saga wird der Begriff valkyrja von ihr nicht gebraucht. Zum Gegensatz zwischen Kriegerdasein und Heirat vgl. von See et al. 2006 S. 549.
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Die Walküren Vitr póttisk valkyrja, verar né óru pekkir svá enni fránleitu, es foglsrqdd kunni; […]268 „Weise schien sich die Walküre, nicht waren Männer so der Funkelndblickenden lieb, die die Vogelstimme verstand; […]“
In diesem Zeugnis des späten 9. Jh. – dem ältesten datierten literarischen Zeugnis für die skandinavischen Walkürenvorstellungen, das den Begriff ‚Walküre‘ gebraucht – erscheint die Walküre Beziehungen mit Männern ebenso abgeneigt wie die späteren Schildmaiden. Die Datierung dieser Strophe in die heidnische Zeit verleiht diesem Zeugnis beträchtliches Gewicht. Dies wiegt umso schwerer, als keines der übrigen literarischen Zeugnisse aus der heidnischen Epoche sich zum Liebesleben der Walküren so deutlich äußert wie diese Stelle. Der klarste heidnische Textbeleg zum Themenkomplex ‚Walküren und Sexualität‘ zeigt die Walküren also im selben Licht wie die späteren Schildmaiden. Dies sticht umso mehr heraus, als es mit dem Großteil der späteren Belege für Walküren in Widerspruch zu stehen scheint. Wo in der späteren Literatur eine Walküre auftritt, erscheint sie in aller Regel in einer (glücklichen oder unglücklichen) Liebesbeziehung mit einem Helden. Das bekannteste Beispiel ist die tragische Beziehung zwischen Sigurd und Brynhild, wenngleich Brynhild in der Mehrzahl der Belege als ausgesprochen menschlich erscheint.269 Ganz ähnlich verhält es sich mit der Beziehung zwischen Sigurd und der Walküre Sigrdrífa, mit der er sich wohl in den Sigrdrífomál verlobte.270 Zudem war Sigrdrífa von Odin in einen Zauberschlaf versetzt wor268 269 270
Normalisierter Text nach Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 22. Vgl. oben Anm. 123. In der Edda-Sammlung wird von einer Verlobung zwischen Sigurd und Sigrdrífa nichts gesagt. Das Gedicht wird jedoch auch in der Vqlsunga saga verarbeitet, wo die Episode mit der Verlobung zwischen der Walküre und Sigurd endet: Vqlsunga saga Kapitel 21 f.; vgl. Neckel und Kuhn 1983 S. 197; von See et al. 2006 S. 516. In der Vqlsunga saga wird die Walküre der Sigrdrífomál mit Brynhild identifiziert, und dasselbe scheint in Snorris Skáldskaparmál 41 der Fall zu sein, wo auch ausdrücklich der Begriff valkyrja verwendet wird. Vgl. von See et al. 2006 S. 505. In Grípisspá 15 wird Sigrdrífa hingegen mit der Walküre Helgis identifiziert und scheint von Brynhild unterschieden, die dort ab Strophe 27 auftritt. Für die verschiedenen Belegstellen für eine Identifizierung bzw. Unterscheidung von Sigrdrífa und Brynhild vgl. von See et al. 2006 S. 507, 508 f. und vgl. ibidem S. 517, 546.
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den, weil sie gegen den Willen des Kriegsgottes in einer Schlacht dem jüngeren von zwei kämpfenden Königen den Sieg geschenkt hatte;271 es ist nicht zwingend, aber sehr naheliegend, hinter diesem Ungehorsam der Walküre eine Liebesbeziehung zwischen ihr und dem jungen König zu sehen.272 Ebenso erscheinen Helgi Hundingsbani und seine Walküre Sigrún in der Helgaqvija Hundingsbana in fyrri und der Helgaqvija Hundingsbana qnnor, Helgi Hiqrvarjzson und seine Walküre Sváva in der Helgaqviqa Hiqrvarjzsonar und Helgi Haddingiascaji und seine Walküre Kára in der abschließenden Prosa der Helgaqvija Hundingsbana qnnor, in den Griplur IV,24 und 59 (vgl. IV,42) und in der Hrómundar saga Greipssonar Kapitel 7 als Liebespaare. Die Vqlundarqvija berichtet von einer Beziehung von Walküren-Schwanenmädchen mit Vqlundr und seinen Brüdern, wobei diese nach Strophe 2 zudem auf die Initiative der Frauen zurückzugehen scheint.273 In der Vqlsunga saga findet sich nicht nur die Tragödie zwischen Sigurd und Brynhild (die dort aber nie als Walküre bezeichnet wird), sondern auch die Beziehung zwischen Vqlsungr und der Walküre (óskmær) Hljój.274 Die walkürenähnliche275 Frau Suanhuita bei Saxo, Gesta Danorum II.ii.1-II.ii.9 begutachtet den Helden Regnerus eine Weile, befindet für gut was sie sieht und hört und macht dann durch das Geschenk eines Schwertes und eine Zurschaustellung ihrer selbst ausreichend deutlich, was sie will (Gesta II.ii.7): Admirata iuvenis constantiam Suanhuita, ablegato nubilæ inumbrationis vapore, prætentas ori tenebras suda perspicuitate discussit ensemque variis conflictibus opportunum se ei daturam pollicita miram virginei candoris speciem novo membrorum iubare præferebat. Taliter accensi iuvenis connubium pacta prolato mucrone sic cœpit: […]276
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Von See et al. 2006 S. 546 f. Sigrdrífomál Abschnitt zwischen Strophen 4 und 5; vgl. Golther 1890 S. 435–438. Dabei ist allerdings zu bemerken, daß Sigrdrífas Verstoßung als Walküre mit einem Zwang zur Heirat verbunden ist; auch hier wird also ein Gegensatz zwischen Walkürenleben und Heirat gesehen. In Anbetracht der unklaren Natur ihres Verhältnisses zum jüngeren der beiden Könige scheint aber offen, ob der Gegensatz ein Gegensatz zwischen Walkürenleben und einer Beziehung mit einem Mann ist, oder zwischen Walkürenleben und der festen Bindung an einen Mann; oder in anderen Worten: War ihr Walkürenleben vielleicht durch eine (auch sexuelle) Freizügigkeit charakterisiert, die ihr jetzt verwehrt wird? Siehe oben S. 68 ff. und von See et al. 2000 S. 135. Die Geburt Vqlsungs war erst durch einen Apfel möglich geworden, den Odin durch eine Walküre überbringen ließ. Diese Walküre ist ausdrücklich mit der Riesentochter Hljój identisch, die Vqlsungr heiratet, nachdem er ein geeignetes Alter erreicht hat: Vqlsunga saga 1 f. Zur Walkürenbezeichnung óskmær siehe unten S. 104. Siehe oben S. 74. Text: Olrik und Ræder 1931.
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Die Walküren „Nachdem Suanhuita die Festigkeit des Jünglings bewundert hatte, nachdem die Schwaden der wolkigen Umschattung fortgescheucht waren, zerschlug sie die dem Antlitz vorgehaltene Dunkelheit mit wolkenloser Klarheit, und nachdem sie versprochen hatte, daß sie ihm ein für verschiedenartige Auseinandersetzungen vorteilhaftes Schwert geben würde, zeigte sie die wunderbare Erscheinung des jungfräulichen Strahlens mit dem jungen Leuchten der Glieder. Nachdem sie die Hochzeit mit dem in dieser Weise entflammten Jüngling vereinbart hatte, begann sie mit dargebotener Klinge folgendermaßen: […]“
Saxos Suanhuita, die Schwanenwalküren der Strophen der Vqlundarqvija und die Walküren der Helgi-Gedichte sind nicht nur für das Werben der Helden offen, mit denen sie Beziehungen eingehen, sondern vielmehr liegt die Initiative bei ihnen. Sie gehen Beziehungen mit den Männern ein, nicht umgekehrt.277 In der Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 15 ff. kommt Sigrún zu Helgi, damit er sie gegen einen König verteidigt, dem sie von ihrem Vater versprochen worden ist; dafür bekommt Helgi sie zur Frau (ibidem Strophe 56). Dieselbe Situation wird in der Helgaqvija Hundingsbana qnnor dargestellt (Prosa vor Strophe 14 bis Prosa vor Strophe 30). In der Helgaqvija Hiqrvarjzsonar sitzt Helgi auf einem Hügel, als er Walküren reiten sieht; die stattlichste spricht ihn an, ermahnt ihn und gibt ihm einen Namen; als Namensgabe verlangt Helgi, sie zur Frau zu bekommen, aber da sie ihn wie die Walküren in den beiden anderen Helgi-Gedichten von sich aus aufgesucht hatte, wird sie selbst keine andere Absicht gehabt haben (Prosa vor Strophe 6 bis Strophe 7).278 Ein Treffen mit einem Krieger arrangiert auch die Walküre Gqndul im Sqrla páttr Kapitel 234.279 Sie richtet es so ein, daß Hejinn sie in Gestalt einer schönen Frau trifft, als er alleine im Wald spazierengeht. Sie redet ihn an, und die beiden unterhalten sich. Dann heißt es: Konungi rann hugr til hennar. „Der König verliebte sich in sie.“ Sie gibt ihm darauf aus einem Horn zu trinken, das einen Vergessenstrank enthält, und kann ihn so zu den Untaten anstiften, welche zur Ewigen Schlacht führen.280 Sie verfügt über die Fähigkeit, erotisches Verlangen zu wecken, und sie nutzt diese Fähigkeit bewußt, um mit dem Hjajningavíg ein dämonisch verlängertes Blutvergießen herbeizuführen. Diese erotische Komponente in der Ewigen Schlacht, die die Walküre anstiftet, zeigt sich nicht erst im späten Sqrla páttr; eine erotische 277 278 279 280
Vgl. von See et al. 2000 S. 135. Von See et al. 2004 S. 457. Vgl. Sqrla páttr Kapitel 232. Siehe oben S. 43 f. – Dazu, daß eine Walkürengestalt Krieger ins Verderben treibt, vgl. die Disen in den Hamjismál 28, die zu einem verhängnisvollen Brudermord angestiftet haben und nach Turville-Petre 1964 S. 221 als Walküren aufzufassen sind.
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Komponente scheint in allen Fassungen der Sage von der Ewigen Schlacht eine Rolle zu spielen. Snorri behandelt die Ewige Schlacht u. a. in folgender Strophe (Háttatal 49): Hjaldrremmir tekr Hildi (hringr brestr at gjqf) festa, hnígr und Hqgna meyjar hers valdandi tjald; Hejins mála b´yr hvílu hjálmlestanda flestum, morjaukinn piggr mæki mund Hjajninga sprund.281 „Der Kampflärmverstärker (Held) macht sich daran, sich mit Hildr zu verloben – der Ring birst zum Geschenk –, der Anführer des Heeres sinkt unter dem Zelt von Hqgnis Mädchen nieder (Hqgnis Mädchen ~ Hildr ~ Walküre; Zelt der Walküre ~ Schild); Hejins Freundin bereitet ein Bett für die meisten Helmbeschädiger (Krieger), die Dame der Hjajninge erhält ein mordgewachsenes Schwert als Brautgeld.“
Diese Strophe verwebt Schlacht, Verlobung, Hochzeit, das Schwert als Hochzeitsgeschenk282 und den Tod als (Ehe-)Bett zu einem Bildergeflecht, das den Zusammenhang des Liebesmotivs und des Schlachtentods hervorhebt. In diesem erotisch aufgeladenen Kontext sticht insbesondere das Bild des ‚Bereitens des Bettes‘ durch die Walküre heraus und trägt wahrscheinlich sexuelle Konnotationen.283 Dazu paßt, daß Hildr schon in der Fassung der Ewigen Schlacht in Bragis Ragnarsdrápa 8 als ósk-R´qn „Rán des Verlangens“284 umschrieben wird.285 Auf wessen Verlangen diese Umschreibung anspielt, geht zwar aus dem Text Bragis nicht eindeutig hervor, da Hildr sowohl Gegenstand des „Verlangens“ ihres Entführers als auch (in anderem Sinne) ihres Vaters ist; zudem könnte Hilds eigenes Verlangen gemeint sein, die Ewige Schlacht herbeizuführen.286 Aber in Anbetracht der durchgehend 281 282
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Text: Faulkes 1991. Vgl. Ellis Davidson 1960, besonders S. 9–13: Üblicherweise ist das Schwert die Gabe der übernatürlichen Frauengestalt an den Mann, nicht umgekehrt. Zu diesem „eroticized imagining of the coming of death“ vgl. Quinn 2007, besonders S. 96–101, 111–113 (Zitat: S. 98); Quinn 2006 (Sqrla páttr) S. 809 f. Rán ist die Frau des Meerriesen Ægir; ihr fallen die Ertrunkenen zu (Simek 1993 S. 260). Auch sie ist eine eng mit dem Tod verbundene übernatürliche Frauengestalt, deren Name hier entsprechend den Konventionen der skaldischen Dichtung stellvertretend für den der Hildr steht. Für den Hinweis auf diese Formulierung danke ich Heather O’Donoghue. Die Formulierung ist hochgradig ambivalent: ofperris æja ósk-R´qn „die VerlangensRán der Austrocknung der Venen“. Die (unklare) Frage ist, ob sich die „Austrocknung der Venen“ auf Rán oder das Verlangen bezieht; in letzterem Fall würde die Wendung einfach bedeuten „Rán, die sich danach sehnte, die Venen austrocknen (=die Krieger verbluten) zu lassen“ (so aufgefaßt in der Übersetzung von Faulkes
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sexuellen Konnotationen der Ursache der Ewigen Schlacht in den späteren Fassungen ist es zumindest naheliegend, hier an die Möglichkeit eines sexuellen Untertons zu denken. Dies ist umso wichtiger, als ein solcher Zug besser mit dem Verhalten der Mehrzahl der späteren Walküren übereinstimmt als die männerablehnende Haltung der Walküre des Haraldskvæji. Die traditionelle Zuschreibung der Ragnarsdrápa an den ersten bekannten Skalden Bragi enn gamli hätte das Gedicht vor das Haraldskvæji datiert, aber diese Datierung wird inzwischen vielfach auf eine Entstehungszeit um das Jahr 1000 korrigiert.287 Jedoch ist das Hjajningavíg wohl nicht nur textlich, sondern auch ikonographisch bezeugt. Die Ragnarsdrápa berichtet, daß Hildr in einem vorgeblichen Vermittlungsversuch zwischen ihrem Entführer Hejinn und ihrem Vater einen Halsring zu letzterem brachte. Sie stellt jedoch selbst sicher, daß diese Vermittlung scheitert, und es kommt zum Kampf; Hilds Vater rückt dabei mit seiner Schar von seinem Schiff auf die Insel vor. Die Ragnarsdrápa stellt eine Beschreibung von Szenen dar, die auf einem Schild abgebildet gewesen seien. Daher ist es grundsätzlich plausibel, daß diese Sage in bildlichen Darstellungen existierte. Eine Szenenfolge, die zur Darstellung der Ragnarsdrápa paßt, ist auf dem gotländischen Bildstein von Lärbro Stora Hammars I identifiziert worden (Fig. 1).288 Die beste Entsprechung zur Ragnarsdrápa zeigen die beiden mittleren Bildfelder dieses Bildsteins, d. h. das vierte und fünfte Bildfeld von oben. Das obere dieser Bildfelder zeigt zwei Scharen von Kriegern mit über den Köpfen geschwungenen Schwertern; ein Kampf steht also unmittelbar bevor. Die eine der beiden Kriegerscharen steht an Land, die andere ist noch an Bord ihres Schiffes. Zwischen diesen beiden Scharen steht eine Frau, die einen Gegenstand in ihren Händen hält, der allerdings – zumindest mit bloßem Auge – auch am Original nicht mehr identifizierbar ist;289 die Hände hat sie dabei auf Kopfhöhe erhoben, während sie sich den mit dem Schiff ankommenden Kriegern zuwendet. Diese Szene entspricht genau dem in der Ragnarsdrápa und von Snorri geschilderten vorgeblichen Vermittlungsversuch: (1) zwei Heere ste-
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1987 S. 123, dem Quinn 2007 S. 112 folgt [vgl. die Wortwahl und Quinn 2007 S. 98 Anm. 5], und Hermann Pálsson 1998 S. 50, aber nicht von Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 2, der übersetzt: „Og hun, som bevirkede blodtabet, […]“ [„Und sie, die den Blutverlust bewirkte, […]“; ósk-R´qn wird von Finnur Jónsson einfach mit dem femininen Personalpronomen wiedergegeben]). Siehe oben S. 42 mit Anm. 95. Lindqvist 1941/42 Bd. 1 S. 105–107. Für Abb. vgl. auch Nylén und Lamm 2003 S. 63; Lindqvist 1941/42 Bd. 1 Fig. 81 Tafel 27; Hauck 1976 Tafel 66b. Vgl. aber auch Brazaitis 1977 S. 174 f. mit Fig. 5 auf S. 185 (hält die Frauengestalt Ringe?).
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Fig. 1: Gotländischer Bildstein Lärbro Stora Hammars I. Datierung umstritten (8. oder 10. Jh.).
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hen sich kampfbereit gegenüber; (2) eines kommt mit dem Schiff an; (3) eine Frauengestalt kommt von der Schar an Land zur Schar, die mit dem Schiff ankommt; (4) sie bringt einen Gegenstand mit sich. Das untere der beiden Bildfelder zeigt ferner eine Szene, die dem Fortgang der Erzählung der Ragnarsdrápa entspricht: Dort scheitert die Vermittlung, und es kommt zur Schlacht. Entsprechend stellt das untere Bildfeld eine Schlachtenszene dar: Männer stehen sich mit erhobenen Schwertern gegenüber, ein Mann ist von seinem Pferd gefallen, über dem Pferd fliegt ein Vogel (eine Aaskrähe?). Diese beiden Bildfelder entsprechen der Erzählung der Ragnarsdrápa also so weit, daß Zufall zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich ist.290 Eine Verbindung mit den übrigen Bildfeldern des Steins ist nicht unbedingt anzunehmen: Der Stein zeigt sechs Bildfelder. Die oberen drei werden von den beiden Bildfeldern mit der wahrscheinlichen Darstellung des Hjajningavíg durch ein breites Flechtband getrennt, das vielleicht den Beginn einer Szenenfolge aus einer anderen Erzählung markiert. (Wenngleich Hauk eine Deutung dieser drei oberen Bildfelder als Darstellungen der Vorgeschichte des Kampfes vorgeschlagen hat: Er sieht dort den Raub der Hildr, Vorbereitungen zur Schlacht und Opfer für Schlachtenglück dargestellt;291 auch diese Felder könnten also noch zur Sage von der Ewigen Schlacht gehören.) Und das unterste Bildfeld des Steins steht wohl ohnehin in keinem narrativen Bezug zu den übrigen Bildfeldern: Es zeigt das auf gotländischen Bildsteinen so häufige Schiff, das vielleicht ein Totenschiff darstellt, mit dem die Verstorbenen in das Jenseits fahren.292 Somit steht es möglicherweise 290 291
292
Lindqvist 1941/42 Bd. 1 S. 106. Hauck 1976 S. 593 f. Hauck und Lindqvist sind sich in der Zuweisung der Szene mit der Frau zwischen den beiden Heerscharen zur Sage von der Ewigen Schlacht einig (Lindqvist 1941/42 Bd. 1 S. 105 f.; Hauck 1976 S. 593). Lindqvist, dem ich oben gefolgt bin, weist auch die darauf folgende Szene als Kampfszene der Hjajningavíg-Sage zu (Lindqvist 1941/42 Bd. 1 S. 105 f.), während Hauck 1976 S. 594 dort eine Szene aus einer „uns so aus literarischen Zeugnissen nicht bekannte[n] Version der Sigurdsage“ sieht. Lindqvist weist also Bildfelder 4 und 5 ausdrücklich dem Hjajningavíg zu, Hauck Bildfelder 1 bis 4. Dies ist jedoch kein Indiz dafür, daß die Deutung der Bildfelder dieses Steins auf reiner Willkür beruht; denn Lindqvist (Bd. 1 Tabelle S. 105; vgl. Bd. 2 S. 86) sieht in den Bildfeldern 1 bis 3 im wesentlichen dieselben Handlungselemente dargestellt wie Hauck – er verbindet sie nur nicht ausdrücklich mit der Sage vom Hjajningavíg, obwohl dies durchaus möglich schiene. Haucks Deutung des fünften Bildfeldes scheint mir zu spekulativ, um dazu Stellung zu nehmen. Hier wichtig ist auch nur der (meines Erachtens überzeugende) Konsens über den Beleg der Sage von der Ewigen Schlacht auf diesem Bildstein. Nylén und Lamm 2003 S. 15 f.; Lindqvist 1941/42 Bd. 1 S. 92 f., 101 ist skeptisch und sieht in den Schiffsdarstellungen eher christlichen Einfluß oder „eine Erinnerung daran […], dass der, zu dessen Gedenken der Stein errichtet wurde, zu Schiff von hinnen gefahren ist“ (S. 101).
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Fig. 2: Gotländischer Bildstein Stenkyrka Smiss I (Detail). Datierung umstritten (8. oder 10. Jh.).
weniger in einem direkten Zusammenhang mit den übrigen Bildfeldern des Steins als vielmehr mit dem sepulkralen Hintergrund solcher Bildsteine.293 Ein weiterer Beleg für die charakteristische Szene, in der Hildr mit dem Halsschmuck in den Händen vom Heer an Land zum dem Heer zieht, das gerade mit einem Schiff ankommt, findet sich ferner auf dem Bildstein von Stenkyrka Smiss I (Fig. 2);294 allerdings läßt sich auch auf diesem Stein der Gegenstand, den die Frauengestalt trägt, zumindest ohne eine aufwendige Neuuntersuchung auch am originalen Stein nicht mehr näher bestimmen.295 Die Identifizierung der Sage von der Ewigen Schlacht auf diesen beiden Bildsteinen scheint nichtsdestoweniger allgemein akzeptiert.296 Für die Frage des sexuellen Aspekts der Walküren sind diese beiden ikonographischen Belege für das Hjajningavíg möglicherweise von großer Bedeutung: Das erotische Moment (Frauenraub!) ist als wesentliches Element ein Teil der Grundstruktur der Hjajningengeschichte. Es läßt sich aus der Sage nicht entfernen, ohne die Sage völlig zu zerstören; denn das erotische Moment, das den Frauenraub motiviert, ist die Voraussetzung für den Raub der Hildr und damit für das gesamte weitere Geschehen. Gleichermaßen ergibt sich aus der Grundstruktur der Handlung des Hjajningavíg, daß es sich bei der Figur der Hildr um eine Walkürengestalt handeln muß: Ohne den dämonischen Charakter dieser Figur verliert das Anstiften der Schlacht durch den vorgetäuschten Vermittlungsversuch jegliche Motivation. Auch 293 294 295
296
Vgl. Nylén und Lamm 2003 S. 9 f. Hauck 1976 S. 593. Für Abb. vgl. auch Nylén und Lamm 2003 S. 105; Lindqvist 1941/42 Bd. 1 Fig. 97 Tafel 39; Hauck 1976 Tafel 52. Vgl. aber Brazaitis 1977 S. 175 und Lindqvist 1941/42 Bd. 2 S. 128 (hält die Frau aneinandergekettete Ringe?). Lindqvist 1941/42 Bd. 1 S. 105–107; Hauck 1976 S. 593 f.; Brazaitis 1977 S. 170–185; Ellmers 1986 S. 363; Jesch 1991 S. 128–130; Landolt 1999 S. 562; Nylén und Lamm 2003 S. 16, 52.
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setzt die Wiedererweckung der Toten zur Ewigen Schlacht einen übernatürlichen Charakter der Frauengestalt voraus. Diese Wiedererweckung ist zwar ikonographisch nicht erkennbar, aber sie stellt den wesentlichsten Zug der Sage dar und kann daher wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit schon als Teil ihrer frühesten Fassung angenommen werden. Insgesamt stellt die Darstellung des Hjajningavíg auf diesen beiden Bildsteinen damit ein äußerst wahrscheinliches Zeugnis sowohl für die Macht über den Tod als auch – und insbesondere – für einen sexuellen Aspekt der Walküren dar. Dies ist von besonderem Interesse gerade für die Frage des Alters eines sexuellen Zugs im Charakter der Walküren, da es sich bei diesen Bildsteinen möglicherweise um die ältesten, sicher aber um sehr frühe Zeugnisse für diesen Aspekt der Walküren handelt; denn nach Lindqvist und nach Nylén und Lamm sind diese Steine bereits dem 8. Jh. zuzuschreiben (und wären damit weit älter als die so auffallend keusche Walküre des Haraldskvæji).297 Eine so frühe Datierung dieser Bildsteine ist zwar von Imer in Frage gestellt worden: Ihr zufolge sind sie wahrscheinlich ins 10. Jh. zu datieren.298 Auch nach Imers Datierung würden diese Steine im Verhältnis zur Masse der Schriftquellen jedoch noch sehr frühe und damit für die Frage nach dem Charakter der Walküren der Frühzeit besonders gewichtige Zeugnisse darstellen. Zudem mag hier zu beachten sein, daß das Verständnis eines Bildmonuments – in viel größerem Maße als das einer literarischen Schöpfung – nahezu gänzlich vom Vorverständnis des Betrachters abhängt: Da eine bloße Bildfolge ein komplexes Geschehen nicht im engeren Sinne erzählen, sondern nur in Andeutungen evozieren kann, beruht ihre Rezeption durch den Betrachter wesentlich darauf, daß er in ihr ein ihm bereits zuvor bekanntes Narrativ wiedererkennt. Ein Narrativ auf einem Bildstein darzustellen scheint also zunächst nur dann sinnvoll, wenn die Kenntnis der jeweiligen Erzählung – und damit die Grundlage für das Verständnis des Bildsteins – bereits fest etabliert ist und im entsprechenden Umfeld allgemein vorausgesetzt werden kann. Die Darstellung des Hjajningavíg auf den Bildsteinen von Lärbro Stora Hammars I und Stenkyrka Smiss I scheint damit zu implizieren, daß dieses Narrativ als solches – und mit allen weiteren Implikationen für den Charakter der Walküren – auch im Falle des Zutreffens der spätesten vorgeschlagenen Datierung dieser Steine kaum jünger sein könnte als das Haraldskvæji, das mit seinem Bild einer keuschen Walküre so auffallend aus dem Rahmen der übrigen Überlieferung zu den Walküren heraussticht. Damit scheint in diesen beiden Bildsteinen ein gewich297
298
Lindqvist 1941/42 Bd. 1 S. 117 f. (vgl. S. 44 [Tabelle III]); Nylén und Lamm 2003 S. 63 (mit Abb.), 105 (mit Abb.). Imer 2001 (2004) S. 98 (Tabel 11), 99 f., 105 (Tabel 18), 106 f., 110 f.
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tiges Indiz dafür vorzuliegen, daß ein nicht nur todesbezogener, sondern insbesondere auch sexueller Charakter der Walküren zum ältesten aus den Quellen ersichtlichen Bild dieser Gestalten gehören dürfte. Die von Snorri in seiner Bearbeitung des Hjajningavíg verwendete Motivverbindung von Tod und Ehebett ist auch außerhalb der Sage von der Ewigen Schlacht belegt. In der Gísla saga wird dem Gísli sein Todesschicksal im Traum angekündigt. In mehreren Träumen erscheinen ihm zwei miteinander konkurrierende Frauen, von denen die eine Gísli wohlgesonnen ist, während die andere ihm übelwill. Diese Träume werden in Strophen erzählt, welche die Prosa kurz zusammenfaßt. Die Strophen in der Gísla saga sind älter als die uns vorliegende Saga als Gebilde aus Prosa und Strophen; diese Strophen datieren wohl ins 12. Jh.299 Die gute Traumerscheinung prophezeit Gísli sieben Jahre vor seinem Tod, wie lange er noch zu leben hat, und rät ihm zu einem in einem christlichen Sinne moralischen Lebenswandel (Kapitel 22). Die böse Traumerscheinung hingegen ist selbst ganz mit Blut bespritzt und will Gísli mit Blut waschen (Kapitel 24). In einem anderen Traum erscheint ihm wieder die gute Frau und lädt ihn zu einer schönen Halle ein. Sie verspricht, ihn zu heilen, und sie bringt ihn zu einem weichen Bett. Sie erklärt ihm, daß er nach seinem Tod an diesen Ort kommen und dort sowohl Reichtum als auch die Frau haben werde (Kapitel 30). In seinen späteren Träumen erscheint Gísli wieder die übelgesonnene Frau. Sie erklärt ihm, daß er mit der guten Frau nicht zusammenleben werde, und sie wäscht ihm mit blutigen Händen den Kopf mit Blut und setzt ihm eine blutige Haube auf (Kapitel 33); diese blutigen Träume entsprechen Gíslis gewaltsamem Tod im Kampf gegen eine Überzahl am Ende der Saga. Das Erscheinen der guten Frau in Gíslis Träumen als seine zukünftige Geliebte nach seinem Tod entspricht zugleich dem sexuellen Zug im Charakter der Walküren. Diese Traumerscheinung wird mitunter im Kontext der Walküren angeführt.300 Daran ist vielleicht problematisch, daß die beiden Traumerscheinungen einander feindlich gesonnen zu sein scheinen; und nur die übelgesonnene Frau wird mit einem Walkürennamen bezeichnet, ohne daß es sich dabei um ein bloßes Frauen-heiti zu handeln scheint (Gqndul, Kapitel 33, Strophe 29).301 Untereinander streitende Walküren sind in den ein299
300 301
De Vries 1964/67 Bd. 2 § 247. Die Saga als Ganze datiert de Vries in die Mitte des 13. Jh.: Ibidem § 248. Hgg. von Finnur Jónsson 1929. Egeler 2008 S. 10; Price 2003 S. 336; Ellis 1943 S. 72. Finnur Jónsson 1903 S. 88 erklärt die Formulierung (normalisierend): „Geyme-Gqndol gunnqldo, gunnalda ‚die welle des kampfes‘, der blutstrom, ‚die Gqndol, die das blut aufbewahrt‘, die mit blut bespritzende frau des traumes.“ Walkürennamen werden auch für die gute Frau gebraucht (saumhlauck [=Saumhlqkk], hilldr [=Hildr] in Kapitel 30, Strophen 23 und 25), wobei sie dort aber wohl nur als Frauen-heiti verwendet
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deutigen Walkürenbelegen sonst jedoch nicht bezeugt (während Streitigkeiten unter den Göttern nichts Ungewöhnliches sind) – wenngleich der Ungehorsam einzelner Walküren gegen Odin diese vielleicht auch mit ihren Schwestern entzweit haben mag. Auch anderswo haben sowohl eine edel als auch eine dämonisch gezeichnete Frauengestalt ein (auch sexuelles) Interesse am selben Helden:302 In der Helgaqvija Hiqrvarjzsonar verlangt die Seeriesin Hrímgerjr,303 daß sie als Buße für den Tod ihres Vaters eine Liebesnacht mit Helgi verbringen darf; und nach ihrer Zurückweisung beschwert sie sich, daß Helgi lieber das „ goldene Mädchen“ (mar gullin mær)304 will, seine Walküre (Strophen 24, 26).305 In Helreij Brynhildar fährt Brynhild zur Hel, nachdem sie Sigurd in den Tod nachgefolgt ist. Auf dem Weg dorthin trifft sie auf eine Riesin (g´ygr), von der sie mit allerlei Schmähungen bedacht wird.306 Eine Fassung dieses Eddalieds findet sich auch im Norna-Gests páttr Kapitel 8.307 Der dortige Prosarahmen führt das Treffen Brynhilds mit der Riesin etwas breiter aus, und dort sagt die Riesin unter anderem über ihr Verhältnis zu Sigurd: opt var ek honvm sínnvd. „Oft habe ich ihn unterstützt.“ Wie genau das Verhältnis zwischen der Riesin und Sigurd hier vorgestellt wird, bleibt halbklar; aber es scheint ein in irgendeiner Weise engeres Verhältnis gewesen zu sein. Walküren sind also nicht die einzigen weiblichen übernatürlichen Wesen, die sich für Helden interessieren. Die Helgilieder und Helreij Brynhildar teilen mit der Gísla saga nicht nur die Spannung zwischen zwei übernatürlichen Frauengestalten über den Besitz des Helden, sondern auch das Motiv der Vereinigung nach dem Tode.
302 303 304 305 306
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werden, ohne die Traumgestalt tatsächlich mit den Walküren also solchen zu assoziierern, wie insbesondere die Saumhlqkk „Walküre des Nähens“ = „Frau“ deutlich macht (Finnur Jónsson 1903 S. 80). Strenggenommen könnte zwar Hildr in Strophe 25 tatsächlich als Walkürenname gemeint sein, und dann wären beide Traumerscheinungen als Walkürengestalten aufzufassen. Da die vorangehende Strophe aber von Saumhlqkk redet, scheint mir dies weniger wahrscheinlich als eine Verwendung des Walkürennamens im übertragenen Sinn. Letzteres ist jedoch auch für die blutige Traumgestalt nicht völlig auszuschließen. Ellis 1943 S. 73; Price 2003 S. 336. Vgl. von See et al. 2004 S. 510 f. Vgl. Kuhn 1968 s.v. ‚*mar-gullinn‘, ‚*marg-gullinn‘; von See et al. 2004 S. 517 f. Auch anderswo wird in der Streitrede mit Hrímgerjr sexuelle Metaphorik verwendet (dort als Schmähung): Strophen 20 f. mit von See et al. 2004 S. 499–505. Heather O’Donoghue weist mich freundlicherweise darauf hin, daß gerade die hier ausgedrückte negative Wertung des Wikingerdaseins Brynhilds (Strophe 3: sie war í víkingo) vielleicht darauf hindeutet, daß ihr Wikingerdasein (moralisch verwerfliche) Konnotationen sexueller Freizügigkeit gehabt haben könnte. Hgg. in Ólafur Halldórsson 2000 S. 15–38.
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In der Gísla saga hatte die eine der Frauen Gísli versprochen, daß er sie nach seinem Tod besitzen werde. In Helreij Brynhildar fährt Brynhild ins Totenreich, um dort die Vereinigung mit Sigurd nachzuholen, die ihr im Leben verwehrt war.308 In der Helgaqvija Hundingsbana qnnor (Prosa vor Strophe 40 bis Strophe 51) trifft Sigrún Helgi nach dessen Tod noch einmal im Grabhügel; sie bereitet dem lebendig-toten Helden ein Bett im Hügel und verbringt die Nacht in seinen Armen (Prosa nach Strophe 46 bis Strophe 48), was sich wohl in sexuellem Sinne deuten läßt.309 Ferner wird in den Atlamál 28 der Tod eines Mannes in einem Traumgesicht durch das Erscheinen von „toten Frauen“ (konor daujar) angekündigt, die den Todgeweihten „zu ihren Bänken einladen“ (byji pér brálliga / til beccia sinna „sie luden dich schnell / zu ihren Bänken ein“). Das Gedicht wird in der Vqlsunga saga in Prosa paraphrasiert; dort heißt es an der entsprechenden Stelle, daß die Frauen sich den Todgeweihten zum Mann wählten (Kapitel 37).310 Dieses Motiv einer Liebesbeziehung zwischen dem Toten und jenseitigen Frauengestalten ist schon in der Dichtung des 9. Jh. belegt, im Ynglingatal.311 Dort erscheint das Motiv als ‚Liebesbeziehung‘ zwischen dem Toten und Hel, der Herrin des Totenreichs. Allerdings scheint diese ‚Liebesbeziehung‘ auf einer sehr einseitigen Wahl durch die jenseitige Frauengestalt zu beruhen; der Tote ist der Willkür der Totengöttin ausgeliefert, die ihn sich zum Gespielen nimmt, wie in Ynglingatal 7: 308
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Sprenger 1999 (Helreij Brynhildar) S. 342; Quinn 2006 (Sqrla páttr) S. 812; Steinsland 1997 S. 116. Was die Walküren als sowohl kriegerische als auch sexuelle Wesen betrifft, ist Helreij Brynhildar auch noch in anderer Hinsicht interessant; denn in den ersten beiden Strophen wird Brynhild erst vorgeworfen, daß sie Sigurd begehrt, und dann, daß sie sich Blut von den Händen gewaschen hat. Sowohl der kriegerische als auch der sexuelle Aspekt erscheinen hier also beinahe in einem Atemzug, wenngleich negativ gewertet. Vgl. von See et al. 2004 S. 794 f.; Chadwick 1950 S. 413; Steinsland 1997 S. 115 f. Da Walküren auch sonst sowohl mit Sexualität als auch Tod verbunden sind, ist es nicht nötig, zur Erklärung der Stelle eine Erinnerung an einen früheren Brauch einer Bestattung der Witwe zusammen mit dem Ehemann anzunehmen, wie von Chadwick 1950 S. 417 postuliert. In der Vqlsunga saga heißt es, daß das seine Disen gewesen sein mögen. In den Atlamál heißt es am Ende dieser Strophe, daß seine Disen für ihn unfähig [zu helfen] ( ? )/untreu( ? ) geworden sind (vgl. Kuhn 1968 s.v. ‚af-limi‘), wobei nicht ganz klar ist, ob diese Disen mit den toten Frauen zu identifizieren sind (vgl. Ström 1954 S. 97), wie das ja auch die Vqlsunga saga nur zögernd tut. Turville-Petre 1964 S. 224 f. deutet die „toten Frauen“ als „dead female ancestors“. Ström 1954 S. 96 f. sieht in ihnen Walkürengestalten. Die Formulierung der Strophe ist in dieser Hinsicht nicht eindeutig, aber diese Frauen mögen bewaffnet sein, wie Neckel 1913 S. 86 annimmt. Text des Ynglingatal: Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 7–15; 1908–1915 Bd. 1.B S. 7–14; Noreen 1925. Zur Datierung vgl. ibidem und Sundqvist 2002 S. 41, 43–47.
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Die Walküren Kuepkak dul nema Dyggua hrør glitness gn´q at gafne hefr, puí’t iódís Ulfs ok Narfa konongmann kiósa skylde, ok allvald yngua piópar Loka mær ´ at leikom hefr.312 „Ich spreche kein Geheimnis an, daß Dyggvis Leichnam die Göttin des Glanz[pferdes] zum Vergnügen (gaman) hat, weil die Hengstgöttin von Ulfr und Narvi den königlichen Mann wählen mußte; und den mächtigen Herrscher von Yngvis Volk hat Lokis Mädchen (Hel, die Totengöttin) zum Spiel.“313
Die Totengöttin314 hat Dyggvis Leichnam (hrør) zu ihrem „Vergnügen“ (gaman).315 Wenn man sich an die Szene erinnert, in welcher der lebendig-tote Leichnam Helgis sich in seinem Grabhügel mit seiner Walküre zu Bett begibt, ist es umso interessanter, daß hier ausdrücklich vom Leichnam Dyggvis die Rede ist, und daß gaman starke sexuelle Konnotationen hat.316 Auch die Umschreibung des Todes von König Hálfdan in Ynglingatal 32 benützt eine sexuell aufgeladene Formulierung für die Darstellung der Beziehung zwischen dem Toten und Hel.317 Dasselbe Bild vom Verhältnis zwischen Hel und dem Toten zeichnet Saxo: Nachdem Balderus schwer verwundet worden ist, erscheint ihm Proserpina im Traum und erklärt ihm, daß sie binnen drei Tagen seine Umarmung genießen werde, post triduum se eius complexu usuram denuntiat – und wie vorhergesagt stirbt Balderus nach drei Tagen an seinen Wunden (Gesta Danorum III.iii.7). Das von Saxo gebrauchte Wort complexus bezeichnet in Saxos Werk wiederum oft geschlechtlichen Verkehr.318 In der Fóstbrœjra saga 4 wird ein Totschlag mit 312
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Text: Noreen 1925 S. 200. Finnur Jónsson (1908–1915 Bd. 1.B S. 8) liest den letzten Halbvers als of leikinn hefr, was er als „Hel har besnæret, fået fyrsten i sin magt“ auffaßt (Finnur Jónsson 1966 s.v. ‚3. leika‘), vgl. Bjarni Ajalbjarnarson 1941 S. 33 f. Vgl. Noreen 1925 S. 221–223 zur Stelle. Vgl. Ström 1954 S. 41 f. und Turville-Petre 1964 S. 56, 226 zu Glitnis gn´q und jódís. Vgl. Steinsland 1992 S. 323; Ström 1954 S. 74 verbindet diese Stelle mit den Walküren der Krákumál und der Hákonarmál. Kuhn 1968 s.v. ‚gaman‘: „1. freude […]. Insbes.: freude durch geschlechtlichen umgang mit einer frau od. dieser umgang selbst“, für die eddischen Belegstellen siehe dort. Der sexuelle Aspekt wurde schon hervorgehoben von Ström 1954 S. 42. Dort bittet Hel (Hvejrungs Tochter = Lokis Tochter = Hel, vgl. Simek 1993 S. 166; Noreen 1925 S. 249) den König bei seinem Tod „zum ping“; das ping läßt sich als „Rendezvouz“ deuten (Cleasby und Gudbrand Vigfusson 1874 s.v. ‚ping‘ B3) und wurde auch öfters so aufgefaßt: Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.B S. 13 (er übersetzt „elskovsmøde“); Noreen 1925 S. 209, 249; Steinsland 1992 S. 323. Blatt 1957 s.v. ‚complexus‘. Zur Stelle vgl. Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 233 f.
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den Worten angekündigt, daß Hel den Todgeweihten als seine Frau umarmen wird.319 Die Vorstellung des Todes als einer sexuellen Vereinigung mit einer jenseitigen Frauengestalt ist in der skandinavischen Literatur somit gut belegt und nicht auf Walküren beschränkt.320 Diese weite Verbreitung des Motivs legt auch nahe, daß die Beschimpfungen der Helgaqvija Hundingsbana in fyrri Strophe 38 einen in alter Tradition verwurzelten Hintergrund haben könnten: Pú vart in scœja, scass, valkyria, qtul, ámátlig, at Alfqjur; mundo einheriar allir beriaz, svévís kona, um sacar pínar.321 „Du warst die Verderbliche, eine Hexe, Walküre, abscheulich, abstoßend, bei Allvater; die Einherjer waren nahe daran sich alle zu schlagen, eigensinnige Frau, um deinetwillen.“
Diese Strophe gehört zu einem Austausch von Beschimpfungen zwischen Sinfiqtli und Gujmundr.322 In der unmittelbar vorangehenden und der unmittelbar folgenden Strophe unterstellt Sinfiqtli dem Gujmundr homosexuelle Neigungen323 – im mittelalterlichen Norden eine tödliche Beleidigung.324 Die Beschimpfung wird jeweils so vorgebracht, daß dem Gujmundr ein Auftreten als eine weibliche Figur unterstellt wird, die sexuell aktiv ist oder sexuelle Aktivität begehrt. Die hier zitierte Strophe folgt demselben Muster: Wiederum wird Gujmundr als eine Frau dargestellt, dieses Mal als eine Walküre. Die Rahmung durch zwei in gleicher Art und zudem explizit sexuell beleidigende Strophen macht deutlich, was die vorliegende 319
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Hgg. von Björn K. Pórólfsson und Gujni Jónsson 1943 S. 119–276. Die Stelle: „[…], ok mun Hel, húsfreyja pín, leggja pik sér í fajm, […].“ In derselben Saga, Kapitel 3, wird der drohende Tod durch Ertrinken damit umschrieben, daß die Töchter Ráns die Männer zu umarmen versuchen. (Rán ist die Frau des Meerriesen Ægir; ihr fallen die Ertrunkenen zu: Simek 1993 S. 260.) Diese Saga datiert ins 13. Jh.: Simek und Hermann Pálsson 2007 S. 100. Vgl. Steinsland 1992 S. 321–331; Steinsland 1991; Steinsland 1997 S. 102–107, 109, 115–123, die hier eine bis in die Bronzezeit zurückreichende Kontinuität in Erwägung zieht, wobei sie insbesondere auf einen bronzezeitlichen Urnendeckel aus Dänemark verweist, der eine nackte Frau und einen nackten, sexuell erregten Mann zeigt, die die Arme nach einander ausstrecken. Text: Neckel und Kuhn 1983. Paraphrasiert in der Vqlsunga saga Kapitel 9, aber ohne interessante Hinzufügungen oder Interpretationen. Vgl. von See et al. 2004 S. 290 f. Vgl. von See et al. 2004 S. 305 f.
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Strophe impliziert: Die Einherjer haben sich beinahe um die (körperliche) Liebe Gujmunds gerauft.325 Diese Strophe ist zwar als Beleidigung gedacht, aber die ihr zugrundeliegende Vorstellung von Walküren als (sexuellem) Zankapfel der toten Krieger in Walhall verdient dennoch Beachtung. Denn ein solcher beleidigender Vergleich ist nur dann wirkungsvoll, wenn die Gestalt, mit welcher der Beleidigte verglichen wird, auch tatsächlich die Eigenschaft zeigt, die ihm unterstellt werden soll – es wäre sinnlos, jemandem sexuelle Freizügigkeit zu unterstellen, indem man ihn mit einer keuschen Jungfrau vergleicht. Bereits mehrfach ist das (vermeintliche oder reale) ‚Schenkenamt‘ der Walküren in Walhall angesprochen worden.326 Neckel hegte an der Authentizität des Schenkenamts der Walküren, das er in den Grímnismál 36 und den Eiríksmál 1 ausgedrückt sah, keinen Zweifel und stellte es in einen amourösen Zusammenhang:327 Er sieht den Ausgangspunkt dieses Schenkenamts darin, daß die Liebende dem Geliebten einen Willkommenstrunk bereitet. Oben328 war ein Beispiel eines Willkommenstrunks in der Ynglinga saga 37 angeführt worden, wo die Königstochter einem Wikingerführer bei einem Fest den Trunk reicht. Das amouröse Potential einer solchen Handlung zeigt sich darin, daß dieser Wikingerführer am nächsten Tag erfolgreich um die Hand der Königstochter anhält. Die Ynglinga saga bezeugt hier somit eine zumindest mögliche Assoziation zwischen dem Ausschenken berauschender Getränke durch eine Frau von hohem Rang und einer darauf folgenden Liebesbeziehung. In Anbetracht der vielfältigen Belege für eine Assoziation des Todes mit einem Liebesverhältnis mit einer jenseitigen Frauengestalt scheint Neckels Vorschlag daher – falls das Schenkenamt der Walküren eine authentisch heidnische Vorstellung darstellt – auf einfache und elegante Weise die Frage zu lösen, wie die Walküren dazu kommen, den Einherjern das Bier auszuschenken: Dies könnte sich aus dem sexuellen Aspekt der Walküren erklären lassen.329 Eine solche Deutung des Schenkenamts als Aspekt der erotischen Seite der Walküren würde diesen amourösen Charakterzug inmitten des Jenseitsreiches der toten Krieger ansiedeln, ebenso wie das die oben bespro-
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Vgl. Herrmann 1901/22 Bd. 2 S. 235. Die Strophe spielt dabei mit mehreren Motiven; neben der sexuellen Aktivität der Walküren klingt hier auch ihre allgemeine Verbindung mit Kämpfen sowie die tägliche Schlacht der Einherjer an, vgl. von See et al. 2004 S. 302 f.; Neckel 1913 S. 87. Siehe insbesondere oben S. 13 ff. Neckel 1913 S. 87 f. Siehe oben S. 41. Vgl. oben Anm. 92.
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chene Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 38 getan hatte, wo die Einherjer in Walhall nahe daran sind, sich um den Besitz der Walküre zu raufen. Das Kriegerparadies würde damit implizit als ein Ort der ‚Liebesfreuden‘ aufgefaßt. Eine solche Auffassung könnte vielleicht auch durch den Namen Vingólf gestützt werden. Dieses Wort ist zuerst in Snorris Gylfaginning belegt (Kapitel 3, 14, 20) und in den im engeren Sinne eddischen Gedichten sowie der Skaldendichtung unbekannt;330 aufgrund dieser Beleglage ist unsicher, ob es sich um einen authentisch heidnischen Begriff handelt.331 Nach Gylfaginning 3 ist Vingólf zusammen mit Gimlé Aufenthaltsort der rechtschaffenden Menschen nach dem Tod, in Gylfaginning 14 ist es ein Gebäude im Besitz der Göttinnen, und in Gylfaginning 20 erscheint Vingólf neben Valhqll als der Aufenthaltsort derer, die im Kampf fallen und die dann Einherjer heißen. Während in Gylfaginning 3 und 20 Vingólf also als Totenhalle erscheint, ist es in Gylfaginning 14 den Göttinnen zugewiesen. Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch, da der Göttin Freyja die Hälfte der Schlachtentoten zufällt.332 Die Schreibweise des Wortes schwankt zwischen Vingólf und Víngólf, was sich je nach Deutung des Vokals am einfachsten zu vinr „Freund“ oder vín „Wein“ stellen läßt,333 so daß der Name als „Weinhaus“ oder „Halle der Freunde“ übersetzt werden könnte.334 Neben einer solchen Übersetzung erwähnt Simek jedoch auch eine von Kauffmann vorgeschlagene Deutung als Möglichkeit:335 Kauffmann hat sich mit der Verbindung mit vinr „Freund“ nicht zufriedengegeben und eine größere Zahl von Belegen für die Bedeutung des Glieds vin- und seiner Entsprechungen in skandinavischen und althochdeutschen Texten zusammengestellt; in den von ihm vorgelegten Beispielen bezieht sich das Wort auf ein Ehe- oder Liebesverhältnis. Daraus schloß Kauffmann: „Vingolf ist die ‚ h a l l e d e r l i e b e n d e n ‘ , wo die schildjungfrau den unsterblichen volkshelden beglückt, wo (nach skandinavischer terminologie) walkyrjen und einherjer in freier liebe die se330
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Lorenz 1984 S. 99; Finnur Jónsson 1890 S. 281 f.; vgl. Faulkes 2005 S. 179 und Finnur Jónsson 1890 S. 284 für jüngere Belege. Für alt hält das Wort Finnur Jónsson 1890 S. 281, skeptisch ist Lorenz 1984 S. 99, ablehnend Simek 1993 S. 363. Die Konnotationen des Begriffs sind jedoch auch dann von Interesse, wenn es sich bei Vingólf um eine Neuschöpfung der nachheidnischen Zeit handelt; immerhin könnte hier auch in diesem Fall noch tradiertes Wissen über die alten Jenseitsvorstellungen seinen Niederschlag finden. Vgl. Finnur Jónsson 1890 S. 283; Kauffmann 1892 S. 34; Grímnismál 14. Faulkes 2005 S. 179. Für eine Zusammenstellung der älteren Deutungsvorschläge vgl. Lorenz 1984 S. 99 f.; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 281 mit Anm. 4. Simek 1993 S. 363; Lorenz 1984 S. 99 f. Vgl. Simek 1993 S. 363.
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ligste der leidenschaften genießen.“336 Eine solche Deutung ist keinesfalls zwingend; Kauffmann muß die amouröse Konnotation des ersten Glieds des Kompositums aus anderen germanischen Sprachen erschließen,337 was methodisch problematisch ist.338 Falls seine Deutung dennoch zutrifft, würde sich Vingólf als Jenseitsort bruchlos zu den sonstigen amourösen Konnotationen von Walkürengestalten fügen. Eine solche Deutung ist dabei allerdings nicht nur im Fall einer Lesung des Namens als Vingólf möglich: Falls der Akt des Trankausschenkens, wie oben ausgeführt, selbst amourös konnotiert ist, ließe sich diese Halle auch in der Lesung als Víngólf „Weinhaus“ in solcher Weise verstehen – wenn das (mögliche) Trankausschenken der Walküren erotische Untertöne hat, gilt dasselbe wohl auch für die Schankhalle.339 Hier ist das bisher zur Sexualität der Walküren Gesagte kurz zusammenzufassen: Zunächst wurde das Verhältnis zwischen Liebes- und Kriegerleben bei den Schildmaiden angesprochen, ausgehend vom Beispiel Saxos und der Vqlsunga saga. Dort schließen sich Kriegerleben und eine Beziehung der kriegerischen Frau mit einem Mann gegenseitig aus, auch wenn typischerweise das Kriegerleben der Frau schließlich in eine Beziehung übergeht. Darauf wandte sich die Diskussion den Walküren zu, wobei zuerst das Haraldskvæji betrachtet wurde. Dort erscheint die Walküre als ein Wesen, das Beziehungen zu Männern ablehnend gegenübersteht. Diese Einstellung entspricht genau dem Bild der literarischen Schildmaiden. Die folgende Besprechung einer Vielzahl von Belegen zeigte jedoch, daß Walküren typischerweise in sexuellen Beziehungen und mit teilweise sehr starken se336
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Kauffmann 1892 S. 35–37, Zitat: S. 37. Im Anschluß daran trägt Kauffmann Belege für sexuelle Assoziationen von Göttinnen und Walküren zusammen (ibidem S. 38–41). Dem Altwestnordischen am nächsten kommt er mit der Heranziehung von „schwedischen rechtsquellen [sic]“: Kauffmann 1892 S. 35 f. Vgl. Heizmann 2002 S. 203 f. Anm. 25. Kurze Aufmerksamkeit verdient vielleicht auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Vingólf/Víngólf und Walhall. Nach den Grímnismál 14 werden die Schlachtentoten zwischen Freyja und Odin aufgeteilt. Setzt man diese Zweiteilung der toten Krieger mit der Zweiteilung des Aufenthaltsorts der Einherjer in Vingólf und Valhqll in Gylfaginning 20 in Beziehung, stellt sich die Frage, ob Vingólf die Halle für die Schlachtentoten ist, die Freyja zufallen, während Valhqll die Halle ist, in der Odins Anteil an den Gefallenen wohnt (ähnlich: Finnur Jónsson 1890 S. 283; Kauffmann 1892 S. 34). Dafür spricht, daß Vingólf in Gylfaginning 14 den Göttinnen gehört, und daß Freyja eine betont sexuelle Gestalt ist (vgl. de Vries 1956/57 Bd. 2 § 534; Motz 1993 S. 93, 97 f., 100 f.; Heizmann 2001 S. 280 f. et passim), was zu Vingólf als „Halle der Liebenden“ o. dergl. passen würde. Dagegen spricht, daß Freyjas Wohnsitz als Fólcvangr „Schlachtfeld“ identifiziert wird (Grímnismál 14; Finnur Jónsson 1890 S. 283). Hier schlägt Finnur Jónsson 1890 S. 283 vor, daß Fólcvangr der Name der Region war, wo die Halle Vingólf stand.
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xuellen Konnotationen erscheinen. Ferner zeigte eine weitere Betrachtung von Frauengestalten in einem Jenseitskontext, daß mit dem Totenreich und dem Tod verbundene übernatürliche weibliche Figuren häufig stark sexuell konnotiert sind. Die Sexualität, welche die Walküren in der Mehrzahl der Belege zeigen, erscheint damit als ein typischer Zug jenseitiger Frauen in ihrem Verhältnis zum Toten, der nicht auf die Walküren beschränkt ist. Das Bild der Walküre im Haraldskvæji ist zwar das älteste ausführliche literarische Zeugnis, das den Begriff „Walküre“ verwendet, aber in der Darstellung der Walküre als keusche Schildmaid ist es untypisch und sticht markant aus der Masse des Materials zu jenseitigen Frauengstalten – Walküren, „toten Frauen“, Hel – heraus. Die Walküre des Haraldskvæji entspricht in dieser Hinsicht den literarischen Schildmaiden, so daß hier vielleicht ein frühes Beispiel für den Einfluß der Schildmaidenfigur auf die Walkürengestalt vorliegt. Daß es sich bei der männerablehnenden Haltung dieser Walküre nicht um einen Zug handelt, der in heidnischer Zeit dominierend war, legt möglicherweise das i. d. R. für authentisch erachtete, mir aber unsicher scheinende Auftreten der Walküren in der noch heidnischen Dichtung als Schankmaiden des Jenseits nahe, da sich das Schenkenamt auch hochrangiger Frauen als potentiell sexuell aufgeladen gezeigt hat. Insbesondere aber spricht die schiere Menge der Belege für sexuell konnotierte Walküren dafür, daß dieser Zug zu ihren zentralen Charakteristika gehört; von besonderer Bedeutung ist dabei zudem die Sage von der Ewigen Schlacht. Die erotische Komponente der dämonisch-walkürenhaften Frauengestalt gehört zur Grundstruktur der Handlung dieser Sage: Ohne den Frauenraub kein Kampf um die Frau, und damit keine Ewige Schlacht. Und ohne den übernatürlichen, walkürenhaften Charakter der Frauengestalt ist die tägliche Wiedererweckung der Toten weder möglich noch motiviert. Die erotisch attraktive, dämonische Walküre muß daher schon in der frühesten Fassung des Hjajningavíg vorhanden gewesen sein und kann dort vorausgesetzt werden, wo diese Sage als solche erkennbar belegt ist. Dies ist aber wohl bereits auf gotländischen Bildsteinen der Fall, die traditionell ins 8., neuerdings aber auch ins 10. Jh. datiert werden. Damit scheint die erotisch-dämonische Walküre möglicherweise schon lange vor der keuschen Walküre des Haraldskvæji, sicher aber noch in der heidnischen Zeit ikonographisch bezeugt. Hierdurch wird – wie schon durch den Charakter der Walküren in der Masse der (späteren) Schriftquellen – erneut nahegelegt, daß es sich bei einem stark sexuellen Aspekt um einen authentischen Zug der Walküren handeln dürfte und daß die Männerfeindlichkeit der Walküre des Haraldskvæji wohl auf einen literarischen Einfluß der Schildmaidenvorstellungen zurückzuführen ist. Verläßt man abschließend den altnordischen Bereich und wendet sich
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dem angelsächsischen zu,340 so findet sich auch dort das sexuelle Element im Charakter der Walküren belegt und zeigt sich damit als ein Charakteristikum, das wohl zum gemeinsamen Grund der skandinavischen und angelsächsischen Walküren gehört. In Aldhelms Prosa de virginitate 47 ist von einem Bild der Venus, stuprorum amatrix, der „Liebhaberin der (sexuellen) Ehrlosigkeiten“ die Rede. Venus wird hier in der Handschrift Oxford, Bodleian Lib. MS Digby 146 mit gydene „Göttin“ und wælcyrie glossiert;341 der angelsächsische Glossator des 11. Jh.342 assoziierte mit der negativ bewerteten betonten Sexualität der Göttin Venus also die angelsächsische Entsprechung ebender Gestalten, die nahezu überall, wo sie in der nordischen Literatur mehr als für einen kurzen Augenblick erscheinen, eine Liebesbeziehung mit einem lebendigen oder toten Helden eingehen. Dies legt vielleicht auch eine mögliche Deutung der Walkürenbezeichnung ósk-mær „Verlangens-Mädchen“ nahe: Möglicherweise ist auch dieses „Verlangen“ sexuell konnotiert.343
Tieferes Wissen In einer Vielzahl von Belegen haben sich die Walküren als Wesen gezeigt, die aufs Engste mit Tod und Blutvergießen verbunden sind. Ein weiterer Aspekt dieser Einbettung in Krieg und Gewalt könnte sich darin äußern, daß eine Walküre auch als Unglücksprophetin erscheinen kann: Nachdem sie sich die Todeswunde zugefügt hat, sagt Brynhild in der Sigurjarqvija in scamma 53–64 den Untergang der Gjukungen und von Sigurds Stamm voraus. Brynhild jedoch steht den Schildmaiden näher als der eigentlichen Wal-
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Ellis 1943 S. 71. Napier 1900 S. 115; Gwara 2001 S. 646 f. Napier 1900 S. xiii; Gwara 2001 S. 9. Vgl. Birkhan 1970 § 244 mit Anm. 1556. Umfassend zum Wort: Von See et al. 2009 S. 901 f. Vereinzelt ist daran gedacht worden, diese Walkürenbezeichnung als „Wunsch-Mädchen“ zu deuten, da die Walküren in Hinblick auf das Wählen der todgeweihten Krieger Odins Wünsche erfüllen; üblicherweise sieht man in der óskmær jedoch in Anlehnung an ähnliche Komposita eine „Adoptivtochter“, wozu auch eine parallele Bezeichnung für die Einherjer bezeugt ist (Odins óskasynir). Entsprechende Komposita sind zugleich einerseits als Bezeichnungen für ‚Ehefrau‘ oder ‚Geliebte‘ belegt (óskkván, óskvíf), andererseits findet sich eine gleichbedeutende Bildung (óskamey „Wunsch-Maid“) auch als Bezeichnung Marias. Eine erotisch konnotierte Deutung dieser (zudem nur in späten Quellen belegten) Walkürenbezeichnung kann also nicht mehr sein als eine Möglichleit unter mehreren. (Für die Belege siehe von See et al. 2009 ibidem.)
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kürentradition, so daß sich hieraus kaum weitergehende Schlüsse ziehen lassen. Boyer hat im Walkürennamen Alvitr „all-wissend“ in der einleitenden Prosa der Vqlundarqvija einen Beleg dafür gesehen, daß die Walküren über ein „savoir caché, ésotérique“ verfügen.344 Andererseits werden die Walküren in den Strophen 1, 3 und 10 der Vqlundarqvija mit dem Begriff alvitr „Fremd-Wesen“ bezeichnet; Alvitr als Walkürenname mag ebenfalls als „Fremdwesen“ zu übersetzen sein oder nur auf einem Mißverständnis dieses Begriffs durch den Verfasser der Prosaeinleitung beruhen.345 Damit beweist auch er wenig für die ursprüngliche Vorstellung von den Walküren. Interessanter ist daher Boyers Hinweis auf die Walkürennamen mit dem Element -rún. Dieses Element verweise auf Runenkunde und damit (mehr oder weniger magisches) Geheimwissen.346 Die Walküre Sigrún der Helgilieder deutet Boyer entsprechend als diejenige, die das esoterische Wissen besitzt, mit dem sie den Sieg sicherstellt.347 Diesen Aspekt bringt Boyer damit in Zusammenhang, daß auch Odin Gott der Magie und Erfinder der Runen ist, während die Walküren ihm als Botinnen und Dienerinnen zugeordnet sind. Er verweist ferner mit Hinblick auf den Vogelaspekt der Walküren darauf, daß Odin täglich seine Raben aussendet, damit sie ihm Kunde aus der ganzen Welt bringen; zwischen Odins Walküren und Odins Raben sieht er eine funktionale Entsprechung. In diesem Zusammenhang verweist er auch darauf, daß im skandinavischen Volksglauben Raben eine Rolle bei der Bestimmung derer spielen, die sterben werden.348 In den Hákonarmál 11 drücken die beiden Walküren sich weise aus (hyggiliga láta). In der Helgaqvija Hundingsbana qnnor 11 ist die Walküre Sigrún svinnhugajr „klugen Sinns“. Im Haraldskvæji, wo die Walküre ein Gespräch mit einem Raben führt, wird sie als vitr „wissend“ bezeichnet (Strophe 2).349 (In diesem Gedicht läßt sich die Walküre – in auffallend passiver Weise – vom Ruhm eines Königs berichten; anderswo werden Walküren jedoch auch in sehr aktiver Weise mit dem Ruhm von Helden assoziiert: So wenn Sigrún in der Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 53 ff. den – ruhmreichen – Sieg
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Boyer 1980 S. 44. Vgl. von See et al. 2000 S. 124, 126, 128 f. Boyer 1980 S. 44 f. Zu sigr „Sieg“; „celle qui possède la science ésotérique propre à assurer la victoire“: Boyer 1980 S. 45. Unklar bleibt, wie die Walküre Qlrún „Bierrune“ hier genau einzuordnen ist: Boyer 1980 S. 44; Vqlundarqvija einleitende Prosa und Strophe 4. Boyer 1980 S. 45. – Vgl. hier auch den Vogel, der bei Prokop den Tod eines Königs prophezeit (siehe oben Anm. 228)? Vgl. von See et al. 2004 S. 680; von See et al. 2006 S. 518 f.
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Helgis mit herbeiführt und danach verkündet, und wenn Gqndul und Skqgul in den Hákonarmál dem König zwar den Tod, aber zugleich auch den Sieg bestimmen und ihm damit einen ruhmreichen Tod gewähren. Walküren können somit zwar vom Ruhm heroischer Taten passiv Kunde erlangen, sie können diesen Ruhm jedoch auch aktiv herbeiführen und verbreiten.) In den Sigrdrífomál350 findet Sigurd in einer Schildburg auf einem Berg eine Walküre, die von Odin als Strafe für einen Akt des Ungehorsams gegen den Gott in einen Zauberschlaf versetzt worden war. Sigurd weckt sie aus diesem Schlaf, worauf sie ihm einen Trank gibt, der sein Gedächtnis stärkt (Prosa nach Strophe 2 und vgl. Strophe 5),351 und ihn in mehreren Strophen in esoterisches Runenwissen einweiht (Strophen 6–19). Danach läßt sie eine Belehrung über allgemeine Verhaltensregeln und insbesondere kluges Handeln in Situationen folgen, die eine mögliche Bedrohung implizieren352 (Strophen 22–37). In diesem Treffen zwischen Sigurd und der Walküre Sigrdrífa ist mitunter eine Art Initiation gesehen worden.353 Der Held trifft die Walküre und wird in tieferes Wissen eingeweiht, das teilweise übernatürlicher Art ist. Eine solche Übertragung eines tieferen Wissens durch eine Walküre assoziiert zwar zugleich auch die Walküren mit dem Besitz von besonderer Weisheit, aber insgesamt ist dieser Zug im Charakterbild der Walküren – obgleich wiederholt vorhanden – doch wenig betont.354
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Zur Forschungsgeschichte, welche die Sigrdrífomál vielfach in einzelne, ursprünglich nicht zusammengehörige Teile zerlegen wollte, vgl. von See et al. 2006 S. 498–506. Zur Verwendung des Gedichts in der Vqlsunga saga vgl. von See et al. 2006 zu den entsprechenden Stellen. Vgl. von See et al. 2006 S. 551 f. Vgl. von See et al. 2006 S. 594. Z. B. Steinsland 1997 S. 149–152; zusammenfassend zur Forschungsgeschichte vgl. von See et al. 2006 S. 506 f. Das erste Treffen zwischen Helgi und der Walküre Sváva in der Helgaqvija Hiqrvarjzsonar (ab Prosa vor Strophe 5 bis Prosa nach Strophe 9) ist wohl in einem anderen Interpretationsrahmen zu sehen, vgl. von See et al. 2004 S. 449 f. Dies ist umso mehr der Fall, als die Sigrdrífomál den wichtigsten Beleg für einen solchen Charakterzug darstellen, die Walküre gerade dort aber vielleicht nicht aus eigener Initiative, sondern in göttlichem Auftrag handelt, vgl. von See et al. 2004 S. 512. Nach von See et al. 2004 S. 518 f. wurde die Walküre in diesem Gedicht vielleicht als Verkünderin der Weisheitssprüche gewählt, da sie (1) Odins Botin ist, (2) auch anderswo als Unterstützerin eines jungen Fürsten auftritt und (3) auch anderswo als klug bezeichnet wird (die Beispiele siehe oben).
Der herfjqturr
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Der herfjqturr Unter den Walkürennamen ist in der Diskussion über das Wesen der Walküren insbesondere einer wiederholt hervorgehoben worden: Herfjqtur „Heeresfessel“, der in den vielleicht noch spätheidnischen Grímnismál 36 genannt wird.355 Herfjqtur ist als Walkürenname selten, kommt aber auch als einfaches Nomen vor; dieses bezeichnet dann eine Lähmung, die einen Menschen kurz vor seinem Tod überkommt – wobei es sich immer um einen gewaltsamen Tod handelt.356 So versucht der Held der Harjar saga dort in Kapitel 36 den Männern zu entkommen, die ihn töten wollen. Doch der herfjqturr befällt ihn; die ersten beiden Male kann er den herfjqturr noch abwerfen, aber als er ein drittes Mal über ihn kommt, gelingt es seinen Verfolgern, ihn einzukreisen. Dennoch kann er ein weiteres Mal dem Ring der Verfolger entkommen; als ihn jedoch der herfjqturr ein viertes Mal überkommt, wird er gestellt und getötet.357 Deutlich wird die Auswirkung des herfjqturr auch in der Sturlunga saga beschrieben: Riju peir Branndr pa inn til Huams ok sáa par mann unndir hlijinni upp fra Akri; var par Porleifr, son Gils Porleifs sonar. Hann villdi hlaupa unndan ok i fiallit, er hann saa pa, enn pa kom áa hann herfiauturr, ok kunni hann ecki at ganga nema i móti peim ok po seinnt. En er peir funndu hann, váagu peir hann.358 „Brandr und seine Begleiter ritten da nach Hvammr hinein, und sie sahen da einen Mann unter dem Abhang über Akr. Da war Porleifr, Sohn von Gilr Porleifsson. Er
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Etwa Neckel 1913 S. 75; Mogk 1918/19 S. 475; Goedheer 1938 S. 86; Ström 1954 S. 71 f.; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 193 (mit Anm. 2); Ellis Davidson 1964 S. 64; Lorenz 1984 S. 449 („[v]ielleicht der typischste Valkyrja-Name“); Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 288 f. Eine Zusammenstellung von Belegstellen findet sich bei Price 2003 S. 339; er führt als Belegstellen für Herfjqtur nur Grímnismál 36 und Heiti valkyria in den Pulur an (Finnur Jónsson 1908–1915 Bd. 1.A S. 689). Die ältere Forschung hatte auch die Walküre Hlqkk mit der Übersetzung „Kette“ hierhergestellt (etwa Neckel 1913 S. 75; Mogk 1918/19 S. 475; Ström 1954 S. 72), aber diese Übersetzung ist inzwischen zumeist fallengelassen; vgl. Lorenz 1984 S. 449. Boyer zieht die Möglichkeit einer solchen Übersetzung von Hlqkk und eine Verbindung mit Herfjqtur noch in Erwägung; man müßte Hlqkk dann von hlekkr „Kette“ ableiten: Boyer 1980 S. 48. Price führt für Hlqkk insgesamt 22 Belege an: Price 2003 S. 339. Neckel 1913 S. 75; Mogk 1918/19 S. 475; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 230; Pórhallur Vilmundarson und Bjarni Vilhjálmsson 1991 S. 87 Anm. 1. De Vries 1956/57 Bd. 1 § 230; Harjar saga hgg. von Pórhallur Vilmundarson und Bjarni Vilhjálmsson 1991 S. 1–97. Text: Kålund 1906–1911 Bd. 2 S. 57 f.; Verweis bei: Mogk 1918/19 S. 475; Pórhallur Vilmundarson und Bjarni Vilhjálmsson 1991 S. 87 Anm. 1. Vgl. Ström 1954 S. 72 für die Besprechung eines weiteren Beispiels in diesem Kontext.
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Die Walküren
wollte weg- und auf den Berg laufen, als er sie sah. Und da kam der herfjqturr über ihn, und er konnte nicht anders, als ihnen entgegenzugehen, und selbst das langsam. Und als sie ihn trafen, töteten sie ihn.“
Der herfjqturr zeigt sich hier als eine Lähmung des todgeweihten Mannes im Angesicht seiner Feinde, die seinen Tod nicht nur ankündigt, sondern zugleich mit herbeiführt, indem sie dem Opfer die Kraft und vielleicht auch den Willen nimmt, seinen Angreifern zu entkommen. Der Walkürenname Herfjqtur „Heeresfessel“ legt den Schluß nahe, daß eine solche Lähmung und Fesselung des Opfers auch den Walküren zugeschrieben wurde. Daß diese Vorstellung schon der heidnischen Zeit angehört, deutet möglicherweise der Beleg des Namens in den vielleicht noch spätheidnischen Grímnismál 36 an, wenngleich die Datierung dieser Stelle problematisch bleibt.359 Zwar mahnt neben den Datierungsproblemen auch die Seltenheit dieses Walkürennamens zur Vorsicht; er scheint außerhalb der Pulur nur an dieser Stelle belegt zu sein. Aber auch in viel späterer Zeit wurde Walkürengestalten noch die Fähigkeit zugeschrieben, ihre Opfer wehrlos zu machen: So in den Griplur IV,43 f. (vgl. IV,24)360 aus dem frühen 15. Jh.361 und in der darauf basierenden Hrómundar saga Greipssonar Kapitel 6 aus dem 17. Jahrhundert. Vielleicht ist hierher auch eine angelsächsische Glosse zu stellen, in welcher der Blick der Walküren dem der Gorgonen gleichgesetzt wird;362 denn der Blick der Gorgonen versteinert, ganz wie der herfjqturr sein Opfer lähmt und zur Gegenwehr unfähig macht. Freilich ist allerdings nicht auszuschließen, daß das tertium comparationis zwischen Walküren und Gorgonen nicht ‚lähmender Blick‘, sondern nur ‚negativ konnotiertes weibliches dämonisches Wesen‘ war. Der erste Merseburger Zauberspruch bezeugt vermutlich eine dem herfjqturr vergleichbare Vorstellung auch für den südgermanischen Raum,363 wenngleich nicht völlig gesichert ist, daß dieser südgermanische Beleg ursprünglich südgermanische Vorstellungen reflektiert; vielmehr könnte er auch auf Kulturkontakt mit dem nordgermanischen Bereich zurückge-
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Ellis Davidson 1964 S. 62–64 denkt sogar an eine Verbindung zur Friagabi auf einem der Votivsteine von Housteads am Hadrianswall, die sie als „giver of freedom“ deutet. Diese Deutung des Namens ist jedoch überholt, vgl. Heizmann 2001 S. 277; Heizmann 2002 S. 230 mit Anm. 121; Vennemann 1994 S. 408 f. Anm. 21. Vgl. Kölbing 1876 S. 174 f. Foote 1985 S. 312. Birkhan 1970 § 245 Anm. 1558; Bosworth und Toller 1898 s.v. ‚wæl-cyrge‘ (wælkyrian eágan, glossierend oculos Gorgoneos), vgl. s.v. ‚wæl-cyrging‘. Allgemein zur Forschungsgeschichte der Frage: Von See et al. 2004 S. 300.
Der herfjqturr
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hen.364 Der erste Merseburger Zauberspruch, wohl ins 10. Jh. zu datieren,365 befaßt sich mit dem Anlegen und Lösen von Fesseln durch Idisi:366 Eiris sazun idisi, sazun hera duoder. suma hapt heptidun, suma heri lezidun, suma clubodun umbi cuoniouuidi: insprinc haptbandun, inuar uigandun!367 „Einst saßen die Idisi, setzten sich hierhin, dorthin( ? ), / einige machten die Fesseln fest, einige hemmten das [feindliche] Heer, / einige zerrupften die Ketten ( ? ) ringsum: / entspring den Fesseln, entkomm den Feinden. /“368
Der Spruch besteht aus zwei Teilen.369 Der erste Teil deutet in wenigen Worten eine in unbestimmter Zeit angesiedelte Geschichte an, die der Zauberhandlung als archetypisches Vorbild dient: Idisi hätten einst ein [feindliches] Heer in Fesseln gelegt, während zugleich einige andere Idisi Fesseln lösten – wohl die Fessel der eigenen Krieger oder Verbündeten. Der zweite Teil ist die als Befehl formulierte Beschwörungsformel, welche die intendierte Wirkung des Zaubers angibt: Der Angesprochene soll den Fesseln entspringen und den Feinden entkommen. Es ist vorgeschlagen worden, in diesem Zauber einen Geburtszauber zu sehen, der das Kind aus dem Leib der Gebährenden ‚lösen‘ soll.370 Daß dieser Gedanke nicht weit hergeholt ist, zeigt schon der neuhochdeutsche Begriff ‚Ent-bindung‘ für Geburt, der auf ebendieser Idee einer Geburt als ‚Lösung des Kindes‘ beruht. Wohl aufgrund derselben Assoziation zwischen der Entbindung eines Kindes und dem Lösen von Fesseln lehrt auch die Walküre Sigrdrífa dem Sigurd in den Sigrdrífomál 9 das Wissen um Geburtsrunen.371 Eine solche Deutung der Anwendung des ersten Merseburger Zauberspruchs scheint somit durchaus möglich. Nimmt man den Zauber jedoch beim Wort und faß seine Formulierung weniger metaphorisch auf, handelt es sich zunächst einmal um einen Spruch, der der Befreiung
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Edwards 2002 S. 83, 90. Lundgreen 2001 S. 601, 603. Allgemein zum ersten Merseburger Zauberspruch: Edwards 2002 S. 78–96, 106–108; Lundgreen 2001; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 230; Genzmer 1950/51 S. 29 f. Text nach Schlosser 1998 S. 108. Übersetzung: Lundgreen 2001 S. 601. Texte mit Übersetzungen finden sich auch bei: Genzmer 1950/51 S. 30; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 230; Schlosser 1998 S. 108 f.; Edwards 2002 S. 79. Vgl. Lundgreen 2001 S. 601; Genzmer 1950/51 S. 29 f. Edwards 2002 S. 82 f. Edwards 2002 S. 83.
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Die Walküren
eines Kriegsgefangenen zu dienen scheint.372 Auch stellt – gänzlich unabhängig von der Frage der möglichen Anwendung des Zauberspruchs – die historiola des Zaubers die mythische Vorlage für die Wirksamkeit des Zaubers als eine Kriegssituation dar: Die Idisi haben einst in einer Auseinandersetzung zwischen Heeren ihre Fähigkeit gezeigt, Fesseln anzulegen und zu lösen, und ebenso verspricht sich der Benutzer des Zaubers, daß sie wiederum Fesseln lösen. Ausgangspunkt des Zaubers ist also in jedem Fall die Macht der Idisi über Kriegsfesseln. Diese Vorstellung erinnert an den altnordischen herfjqturr und die Walküre Herfjqtur.373 Und wie die Walküren zumeist in Gruppen auftreten, erscheinen auch die Idisi im Plural. Neben dem Phänomen der „Heeresfessel“ mag ferner auch die Bezeichnung Idisi eine Verbindung zu den Walküren herstellen, da die Walküren auch mit dem allgemeineren Begriff dísir bezeichnet werden können; aber was genau die sprachliche Beziehung zwischen den Idisi und den dísir ist, und sogar ob eine solche überhaupt besteht, ist unklar.374 Daher läßt sich hier nur festhalten, daß sowohl im Norden als auch im südgermanischen Bereich die Vorstellung eines Kollektivs weiblicher Gestalten belegt ist, die in der Lage waren, Kämpfer auf übernatürliche Weise zu „fesseln“,375 wobei auch im Süden ein magisches Binden im Sinne des nordischen herfjqturr gemeint gewesen sein könnte.376 Dies deutet möglicherweise an, daß die Verbindung der Walküren bzw. walkürenähnlicher Gestalten mit einer solchen Vorstellung älter sein könnte als der isolierte, wenn auch vielleicht noch spätheidnische Beleg für den Walkürennamen Herfjqtur für sich genommen vermuten ließe.
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Parallelen dazu bei Edwards 2002 S. 80–82, unter anderem etwa Hávamál 149, wonach Odin Fesseln magisch zu lösen versteht. Vgl. Lundgreen 2001 S. 601 f.; Ström 1954 S. 72. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 288 f.; Boyer 1980 S. 46–48; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 193 mit Anm. 2; Ström 1954 S. 71 f.; allgemein in einen Zusammenhang mit den Walküren werden die Idisi durch Mogk 1918/19 S. 475, Genzmer 1950/51 S. 30 und Hempel 1939 S. 263 (=1966 S. 28) gestellt. Edwards 2002 S. 83; Lundgreen 2001 S. 601; Naumann 1984 S. 494 f.; de Vries 1956/57 Bd. 1 § 230. Boyer 1980 S. 46–48 betont, daß die Fähigkeit zum magischen Binden sowohl mit Odin als auch mit den Walküren assoziiert ist; vgl. Turville-Petre 1964 S. 65, 74. Boyer 1980 S. 46 f.; Ström 1954 S. 71. Birkhan hatte als einen Unterschied zwischen irischen Schlachtfelddämoninnen und Walküren hervorgehoben, daß die irischen Gestalten geradezu als „Göttinnen der Panik“ auftreten, während dieser Zug den Walküren fehle: Birkhan 1970 § 245. Mir scheint jedoch gerade das Phänomen des herfjqturr eine Parallele zur Panik darzustellen, die von den irischen Dämoninnen ausgelöst werden kann (siehe unten S. 166 ff.), und die sich im Fall der Walküren als eine Lähmung manifestiert: Beide Klassen von Dämoninnen haben eine direkte Macht über den Geist ihrer Opfer, die diese hilflos dem Tod ausliefert.
Zusammenfassung
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Zusammenfassung Das vorliegende Kapitel hat versucht, eine Vorstellung von den Walküren zu gewinnen. Zunächst war festzuhalten, daß es sich bei den Walküren zwar mitunter, aber keineswegs immer um Einzelgestalten handelt: Sie schwanken zwischen Auftritten als stark individualisierte Einzelwesen, die in eine enge Beziehung zum Helden treten, und Auftritten als weitestgehend undifferenziertes Kollektiv, in denen die individuellen Walküren nahezu gänzlich in der Gruppe aufgehen. In den Belegen, in denen die Walküren als ein Kollektiv erscheinen, wird keine kanonische Zahl der Walküren deutlich, auch wenn sich eine gewisse Tendenz zu Vielfachen von drei zeigen mag. Die Verbindung der Walküren mit dem Tod ist eng und vielschichtig; sie stellt einen der zentralsten und prominentesten Züge ihres Charakters dar. Die Walküren erscheinen als Wählerinnen der Schlachtentoten, halten sich in Walhall auf und schenkend dort (zumindest nach der Auffassung des christlichen Mittelalters) Odin und den Einherjern den Rauschtrank aus. Im Hjajningavíg erweckt eine Walkürengestalt die Toten zur Ewigen Schlacht, die sie zuvor selbst angestiftet hatte; damit zeigt sie eine weitreichende Macht über den (blutigen) Tod und das Leben nach dem Tod. Ein wichtiger Aspekt der Verbindung der Walküren mit dem Tod ist dabei die Frage, inwiefern ihre Verbindung mit Tod und Jenseits eine Funktion als Seelengeleiter beinhaltet. In den Hákonarmál, dem ältesten für diese Frage relevanten Zeugnis, weisen sie dem gefallenen König Hákon den Weg nach Walhall; dies ist eine Variante einer Funktion als Seelengeleiter, aber als Seelengeleiter im engeren Sinn treten die Walküren in diesem Text nicht auf. Für spätere (und damit als Quellen ohnehin problematische) Zeugnisse ist eine Funktion der Walküren als Seelengeleiter im engeren Sinne wahrscheinlich, jedoch auch dort nicht zweifelsfrei zu beweisen. Eindeutig belegbar ist nur eine Funktion als Wegweiser auf der Jenseitsreise und damit Seelengeleiter nur in einem etwas weiter gefaßten Sinn. Die schon aus den genannten Zügen hervorgehende tiefe Verwurzelung der Walküren in einem Kontext von Krieg, Gewalt und Tod schlägt sich darüber hinaus noch in einer Vielzahl weiterer Zeugnisse in vielfältiger Weise nieder. So zeigen die Hrafnsmál eine Walküre in einem Gespräch über den Kriegsruhm eines Königs, den sie sich von Aasvögeln berichten läßt, denen die Leichenteile noch an den Krallen hängen. Ferner treten Walküren blutbespritzt und in Waffen auf – obwohl sie überraschenderweise kaum als Kämpferinnen beschrieben werden. Erst als in späteren Quellen eine Annäherung der Walkürenvorstellungen an die literarischen Schildmaiden stattfindet, erscheinen die Walküren verstärkt als Kriegerinnen – und zugleich stark vermenschlicht. Im frühen Darrajarljój bleibt aufgrund der
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Die Walküren
dunklen Metaphorik des Gedichts hingegen noch unklar, ob die Walküren mit der Waffe in der Hand oder auf magische Weise in die Schlacht eingreifen; das Gedicht verdeutlicht jedoch die Verbindung der Walküren mit dem Krieg als konkretem, blutigem Gemetzel. Die Walkürennamen verorten ihre Trägerinnen im selben Bereich: Sie beschreiben zumeist die ungeordneten Eindrücke auf dem Schlachtfeld inmitten der Schlacht und verbinden die Walküren zugleich mit den Schicksalsmächten. Ein häufiger Zug der Beziehung der Walküren zum Krieg ist ferner, daß sie für eine Seite, insbesondere für einen bestimmten König oder Helden, Partei ergreifen. Die Einbettung der Walküren in den Krieg spiegelt sich auch in ihrer Verwendung in den Kenningar der Dichtersprache wieder. Eine Beziehung der Walküren zu Vögeln äußert sich vor allem darin, daß Walküren in einigen, durchgehend nachheidnischen Texten Vogel-hamir verwenden und damit wohl – in den spätesten Belegen ausdrücklich – in Vogelgestalt erscheinen. Dabei wird der hamr einmal als Krähen-hamr spezifiziert, in einigen weiteren Belegen als Schwanen-hamr. (Die Walküren erlangen durch die Verwendung eines hamr die Fähigkeit zu fliegen. In den Helgigedichten, und damit wieder in späten Belegen, reiten die Walküren hingegen „über Luft und Meer“, anstatt sich in einen Vogel zu verwandeln; dabei zeigt allerdings die verwendete sprachliche Formel, daß es sich bei der Flugfähigkeit der Pferde der Walküren nur um einen allgemeinen Topos übernatürlicher Reittiere handelt, und nicht um ein für Walküren spezifisches Motiv.) Eine Assoziation zwischen Walkürengestalten und Schwänen könnte ferner in den Namen einiger Frauen mit stark walkürenhaften Zügen angedeutet sein, in denen der Schwan als Namenselement erscheint. Auch die Gestalt der Ruta könnte auf eine ‚Schwanenaffinität‘ von Walkürengestalten hinweisen, falls Rutas „schneeweißes Haupt“ als Schwanenkopf gedeutet werden kann. Anderswo erscheinen Walküren hingegen mit Aasvögeln assoziiert: In den frühen Hrafnsmál unterhält sich eine Walküre mit Raben, die eben vom Fraß auf dem Schlachtfeld kommen, und Kenningar für Aasvögel können mit Walkürennamen gebildet werden. Insgesamt ist eine allgemeine Assoziation der Walküren mit Vögeln somit früh, jedoch nicht sehr stark bezeugt, während eine ausdrückliche oder implizite Vogelverwandlung zwar mehrfach, aber erst in nachheidnischer Zeit belegt ist. In Anbetracht der relativ späten Datierung der Belege für eine Krähen- oder Schwanenverwandlung sticht jedoch der spezifische Charakter dieses Phänomens umso mehr ins Auge: Sowohl die Erscheinung als Krähe als auch die Verwandlung in einen Schwan scheint in Skandinavien nur für Walküren bezeugt zu sein. Dies läßt sich vielleicht als Indiz dafür werten, daß es sich hierbei nicht um ein bloßes literarisches Wandermotiv, sondern um einen spezifischen und vielleicht nur aufgrund von Zufällen der Überlieferung
Zusammenfassung
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erst spät bezeugten Zug der Walküren handelt. Hierbei ließe sich auch die Schwanenverwandlung zum kriegerisch-todesbezogenen Charakter der Walküren in Beziehung setzen, da sich eine solche Zugvogelverwandlung etwa unter Rückgriff auf die folkloristische ‚Schwanenmädchenerzählung‘ als eine Anspielung auf den typischerweise glücklosen Verlauf einer Beziehung zwischen einem Helden und einer Walküre deuten ließe. Die Bildung von Raben-Kenningar mit Walkürennamen verbindet die Beziehung der Walküren zu Vögeln zugleich mit dem Motiv des Verschlingens von Leichen. Jedoch hat diese Assoziation des Aasvogels mit der Walküre in Raben-Kenningar nicht notwendigerweise zur Folge, daß auch die Walküren selbst als leichenfressende Wesen gesehen wurden: Solche Raben-Kenningar könnten sich auch aus der gemeinsamen Assoziation von Raben und Walküren mit dem Schlachtentod erklären. Ebenso beweist die aasvogelhafte Freude der Sigrún über den Anblick des lebenden Leichnams ihres Gatten keinen vampirischen Charakter der Walküre, da solche Metaphern auch anderswo belegt sind. Das darüber hinaus von Neckel zusammengetragene Material zu Assoziationen zwischen Walküren und vampirischem Verhalten eröffnet in einigen wenigen Fällen die Möglichkeit, vampirische Aspekte in Walküren zu sehen, aber solche Charakterzüge werden Walküren nie ausdrücklich zugeschrieben und scheinen auch auf der Grundlage von Neckels Materialsammlung nicht beweisbar. Die Walküren erscheinen somit zwar mit Aasvögeln assoziiert – insbesondere in Kenningar und den Hrafnsmál – aber eine eigentliche Identifikation wird nicht durchgeführt. Für menschliche Schildmaiden schließen sich Kriegerleben und Ehe innerhalb derselben Lebensphase aus; ein Eheschluß bedeutet ein Ende des Kriegerdaseins. Dasselbe scheint für die Walküre in den Hrafnsmál zu gelten, dem ältesten sicher datierten literarischen Zeugnis, das für diesen Aspekt der Walkürenvorstellungen aussagekräftig ist: Auch diese Walküre steht Männern ablehnend gegenüber. Damit kontrastiert, daß spätere Walküren stark sexuell konnotiert sind, indem sie sich etwa häufig in einer Liebesbeziehung mit einem Helden befinden, wobei die Initiative zumeist bei den Frauen liegt. „Walküre“ kann in einer Beschimpfung unmoralische sexuelle Freizügigkeit ausdrücken, und der Tod des Kriegers kann als Jenseitshochzeit dargestellt werden. Ferner mag auch das Schenkenamt der Walküren amourös konnotiert sein (auch wenn die communis opinio möglicherweise in Frage zu stellen ist, wonach dieses Motiv bereits der heidnischen Zeit zugeschrieben werden kann); ob die Totenhalle Vingólf als „Halle der Liebenden“ oder in der Lesung Víngólf als „Weinhalle“ zu deuten ist, läßt sich nicht eindeutig entscheiden – beides würde sich aber in ein solches Bild einfügen (wobei es sich bei Vingólf allerdings auch um eine „Halle der Freunde“ han-
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Die Walküren
deln könnte). Und insbesondere die Sage von der Ewigen Schlacht beinhaltet in der Beziehung des Helden zur Walkürengestalt in allen literarischen Fassungen ein erotisches Element, das einen wesentlichen Teil der Struktur der Handlung darstellt. Die zwei wahrscheinlichen Belege dieser Sage auf gotländischen Bildsteinen legen entsprechend den Schluß nahe, daß dieser Zug im Charakter von Walkürengestalten schon in der heidnischen Zeit vorhanden war. Die Hrafnsmál kontrastieren somit in eigentümlicher Weise (und entsprechend dem späteren Schildmaidenmotiv) sowohl mit der ikonographischen Überlieferung der heidnischen Zeit als auch mit der Masse der literarischen Walkürenüberlieferung; dies stellt den Quellenwert der Hrafnsmál für diesen Aspekt der Walkürenvorstellung trotz der frühen Datierung dieses Gedichts massiv in Frage. Vielmehr scheint ein stark sexueller Charakterzug insgesamt ein wesentlicher Teil des Bildes der Walküre zu sein, und zwar – dem ikonographischen Befund nach zu urteilen – schon in der heidnischen Epoche. Diese auf Basis des nordischen Materials gezogene Schlußfolgerung scheint dadurch bestätigt zu werden, daß eine angelsächsische Glosse Venus durch wælcyrie erklärt. Walküren werden wiederholt als klug oder weise bezeichnet, und in den Walkürennamen mag gelegentlich der Besitz tieferen Wissens angedeutet sein. Ferner unterweist Sigrdrífa Sigurd in Runenkunde und Lebensweisheit. Der Besitz von besonderem übernatürlichen Wissen ist somit zwar ein Zug, der im Walkürenmaterial gelegentlich auftaucht – aber insgesamt ist er wenig betont. Besonders in den Hrafnsmál ist die wissende Walküre dabei mit dem Ruhm des Helden assoziiert, der das Thema des Gesprächs zwischen der Walküre und den Raben bildet; in aktiverer Weise erscheint eine solche Assoziation zwischen Walküren und Ruhm auch in ihrem Umgang mit anderen Königen und Helden. Der weitgehend isolierte, aber vielleicht noch in der heidnischen Zeit belegte Walkürenname Herfjqtur verbindet die Walküren mit dem Phänomen einer übernatürlichen Lähmung, die den Todgeweihten im Angesicht seiner Feinde wehrlos macht. Eine ähnliche Vorstellung scheint durch den ersten Merseburger Zauberspruch für den südgermanischen Bereich belegt, so daß die Verbindung der Walküren mit einem solchen Phänomen möglicherweise alte Wurzeln hat. In Anbetracht der altnordischen Beleglage ist dieser Zug jedoch für die altnordischen Walküren insgesamt als vergleichsweise marginal einzuschätzen. Betrachtet man das Gesamtbild des Charakters der Walküren, so zeigen sich diese Wesen als Gestalten von erheblicher Komplexität. Bei aller Komplexität zerfällt ihr Charakter in der altnordischen Literatur (und gotländischen Ikonographie) jedoch dennoch nicht in isolierte, disparate Einzelzüge; vielmehr scheinen sich die verschiedenen Einzelcharakteristika der
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Walküren organisch um die grundlegende Einbettung dieser Gestalten in den Bereich von Krieg, Tod und Jenseits zu gruppieren. Von diesem ‚Gravitationszentrum‘ aus betrachtet, lassen sich alle weiteren Züge (sexuelle Beziehungen zu Helden, Seelengeleiterfunktion, Assoziation mit [Schlachtfeld- und Zug-]Vögeln, Heldenunterweisung, Macht über die „Heeresfessel“) als Elemente eines kohärenten Ganzen deuten, das einen zentralen und facettenreichen Teil der Mythologie der Krieges bildet.
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Irland: Die Bodb
3. Irland: Die Bodb Die irischen Kriegsdämoninnen gehören zu den am häufigsten auftretenden Gestalten der frühen irischen Literatur; dabei reicht die Spanne ihrer Rollen vom zentralen Akteur der Handlung bis zur bloßen Staffage verschiedenster Schlachtenschilderungen. Im folgenden soll eine Skizze des Charakters dieser Gestalten vorgelegt werden; diese Skizze will sich dabei nicht auf die Präsentation der Ähnlichkeiten zu den Walküren beschränken, sondern will den Gesamtcharakter dieser Figuren zur Geltung kommen lassen. Um jedoch über den Details des irischen Materials nicht die thematischen Beziehungen zu den nordischen Walkürenvorstellungen aus dem Blick zu verlieren, wird sich die Gliederung des folgenden Kapitels an dieselbe Struktur anlehnen, der schon die Besprechung der Walküren gefolgt war. Die Themen, nach denen dieses Kapitel geordnet ist, sind demnach: Der Charakter der Dämoninnen zwischen Individuum und Kollektiv; ihre Verbindung mit dem Tod; ihre Assoziation mit Vögeln; das Motiv des Verschlingens der Toten; ihre Beziehung zum Übergang der Toten ins Jenseits; ihre Einbettung in den Bereich von Krieg und Gewalt; ihre Sexualität; das Motiv des tieferen Wissens der Dämoninnen; und ihre Einwirkung auf den Geist ihrer Opfer. Die irischen Kriegsdämoninnen sind von der Forschung bereits mehrfach und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet worden.377 Unter den bisher vorgelegten Deutungen sticht insbesondere ein Aufsatz hervor: Herbert (1996) vertritt eine Interpretation der Morrígain als Gestalt mit Zügen einer „goddess of the land“378 mit einer „role of power and guardianship“379, wendet sich ausdrücklich gegen jegliche Heranziehung keltischer oder sonstiger Komparanda und lehnt insbesondere die von Lottner (1870), Donahue (1941) und – eingeschränkter – Birkhan380 vorgeschlagene Theorie einer Verbindung zwischen den irischen Schlachtfelddämo377
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Vgl. insbesondere Borsje 1999, 2007; Gulermovich Epstein 1997, 1998 (Divine Devouring), 1998 (War Goddess); Bauer-Harsant 1996; Herbert 1996; Clark 1987, 1991; Le Roux und Guyonvarc’h 1983; Carey 1982/83; Hennessy 1866–1869, 1870. Herbert 1996 S. 143. Herbert 1996 S. 149. Birkhan 1970 S. 509–513, 583; vgl. Birkhan 1997 S. 654.
Definition des Gegenstands
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ninnen und den Walküren ab.381 Gulermovich Epsteins detaillierte Besprechung der Morrígain, die gleichfalls eine solche Verbindung von irischen Dämoninnen und Walküren vertritt, hat für sämtliche von Herbert als Gegenargumente vorgebrachten Belegstellen weitaus plausiblere alternative Interpretationen vorgelegt.382 Da Gulermovich Epstein der Aufsatz Herberts jedoch nicht bekannt gewesen zu sein scheint, ist es nichtsdestoweniger angebracht, auf Herberts Ansatz etwas ausführlicher einzugehen. Daher muß der folgende Abschnitt, in dem der hier betrachtete irische Gegenstandsbereich definiert wird, insbesondere der Frage der Etymologie der Gestalt der Morrígain besondere Aufmerksamkeit widmen. Dies liegt darin begründet, daß Herberts (implizite) Deutung der Morrígain im Sinne einer ‚Großen Göttin‘ wesentlich auf ihrer Deutung der Morrígain als Mórrígain „Große Königin“ zu beruhen scheint, durch welche alle ihre Interpretationen und Bewertungen des Materials determiniert sind, auch wenn Herbert diesen theoretischen Zugang und seine Bedeutung für die Wahl ihrer Deutungen nicht explizit macht. Herbert gibt keine Begründung für ihre Deutung der Morrígain als Mórrígain; sie verweist lediglich auf eine „sum of the evidence“.383
Definition des Gegenstands Das vorliegende Kapitel will nicht den Versuch unternehmen, eine Charakterisierung einer Einzelgestalt der irischen Literatur vorzulegen. Vielmehr wird das Augenmerk auf einer Gruppe von Gestalten liegen, die in der einheimischen irischen Tradition immer wieder miteinander identifiziert werden. Die Bodb, Macha, Nemain und die Morrígain sind anderweltliche Gestalten der irischen Literatur, die in Kontexten von Krieg und Tod auftauchen.384 Alle diese Gestalten erscheinen, soweit sie in menschlicher Gestalt auftreten, immer als Frauen. So erscheint die Bodb in Táin Bó Regamna
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Birkhans Arbeit zur Frage wird von Herbert jedoch nicht erwähnt. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess). Herbert 1996 S. 142. Dabei weist sie auch auf die Behandlung der Etymologie der Morrígain durch Le Roux und Guyonvarc’h (1983) hin; auch darauf wird eingegangen werden. Sowohl die Bodb als auch die Morrígain können gleichermaßem mit und ohne den bestimmten Artikel erscheinen. Der Name der Bodb zeigt einen chronologisch bedingten o/a-Wechsel (‚Bodb‘/‚Badb‘; ‚Bodb‘ ist die ältere Form): Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚badb‘, ‚Morrígan‘. Die Schreibung der Nemain schwankt zwischen ‚Nemain‘ und ‚Némain‘, vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚nemain‘.
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Irland: Die Bodb
§ 2 als rote Frau, und die Morrígain bietet sich dem Helden Cú Chulainn in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge als Geliebte an.385 Falls diese Gestalten je scharf voneinander unterschieden waren, zeigten sie zumindest so viele Gemeinsamkeiten, daß sie schon in der frühmittelalterlichen Zeit austauschbar werden konnten: O’Mulconrys Glossar erklärt Macha als eine Bodb und subsummiert sie unter den Oberbegriff der drei Morrígains: Machæ .i. badb. no asi an tres morrigan […].386 „Macha, das ist eine Bodb [Nebelkrähe]. Oder sie ist eine der drei Morrígains […].“
Diese Vermengung der Gestalten wird durch diese Stelle mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits für die altirische Zeit bezeugt.387 Auch in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge mag sich die Identifizierung der Bodb mit der Morrígain schon in der ältesten Schicht des Textes implizit finden lassen:388 In einer Episode389 kommt die Morrígain zum Donn Cúailnge, dem gewaltigen Stier von Ulster, um ihn vor den anrückenden Connachtern zu warnen, die ihn rauben wollen; sie spricht eine kaum verständliche retoiric (eine besonders enigmatische Form irischer Dichtung), in der auch die Bodb erwähnt wird. Falls Herbert damit recht hat, daß es sich hierbei um eine Aussage handelt, die sich auf die sprechende Morrígain bezieht, sind 385
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Táin Bó Cúailnge I (hgg. von O’Rahilly 1976) Zeilen 1845–1871. Táin Bó Regamna ist zuletzt hgg. von Corthals 1987, vgl. Windisch 1887. Zur Datierung (Frühmittelalter) siehe unten die ausführliche Besprechung dieser Passagen (S. 138 f. mit Anm. 493 und S. 154 ff. mit Anm. 550). Text: Stokes 1900 (Glossary) S. 271 Nr. 813. O’Mulconrys Glossar stammt nach Stokes aus dem 13. oder spätestens 14. Jh., nach Meyer aber zweifellos aus der altirischen Zeit: Stokes 1900 (Glossary) S. 232; Meyer 1913 (1994) S. XVIIf. Anm. 2; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 26. Die große Differenz erklärt sich daraus, daß Stokes vom Glossar in der uns vorliegenden Form spricht, während Meyer an eine ältere ursprüngliche Kompilation denkt, die dem uns vorliegenden Glossar zugrunde liegt (und für die er selbst eine spätere Überarbeitung annimmt). Größere Klarheit wurde von Mac Neill geschaffen, der die verschiedenen Schichten des Glossars analysiert hat; dabei schloß er auf eine altirische Kompilation mit einigen wenigen mittelirischen Zusätzen, wobei die hier zitierte Glosse 813 wohl zur zweiten Schicht gehört (die in die altirische Zeit datiert), falls es sich bei ihr nicht um einen späteren Einschub handelt: Mac Neill 1932, besonders S. 113, 116, 119. Für den Hinweis auf diesen Artikel bin ich Paul Russell zu Dank verpflichtet. – Die Epochen der irischen Literaturgeschichte werden nach der Sprachentwicklung untergliedert als Altirisch (bis etwa zum Jahr 900), Mittelirisch (bis ins 13. Jh.) und Neuirisch. Ausführlich zu dieser Stelle siehe unten S. 130 ff. (mit Diskussion der Datierung, wohl 7./8. Jh.). Táin Bó Cúailnge I Zeilen 954–966.
Definition des Gegenstands
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die beiden Gestalten schon hier gleichgesetzt.390 Auch sind die Bodb und die Morrígain in Táin Bó Regamna in den verschiedenen Handschriften austauschbar: Die Fassung im Gelben Buch von Lecan (Trinity College, Dublin, H. 2. 16) spricht von der „badb“, die in Egerton 1782 (British Museum) von der „Morrigan“ (§ 7).391 Bei einem ihrer Auftritte in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge wird ferner die Nemain von Glossen in zwei Handschriften als „in badb/in Badb“ erklärt: Die Bodb.392 Obwohl diese Glossen nicht über das 11. Jh. hinausführen,393 scheint auch diese Gleichsetzung einen älteren Hintergrund zu haben: Die dämonische Frau Cailb, die dem König Conaire in der Erzählung Togail Bruidne Da Derga seinen Untergang ankündigt, stellt sich mit einer langen Liste von Namen vor, unter denen sich auch Nemain und Badb anscheinend gleichberechtigt als Namen dieser selben Gestalt nebeneinander finden (§ 62);394 zwischen ihnen ist ferner die Noenden eingeschoben, eine Bezeichnung des Schwächezustands der Ulter, der durch seine geläufigste Aitiologie auf Macha zurückgeführt wird.395 Nach Thurneysen beruht der vorliegende Text dieser Erzählung 390 391 392 393
394 395
Herbert 1996 S. 145. Windisch 1887 S. 247. Glossen zu Táin Bó Cúailnge I Zeile 210. Es handelt es sich um eine Glosse im Gelben Buch von Lecan (spätes 14. Jh.) und eine Glosse im Lebor na hUidre (Dublin, Royal Irish Academy) in der Hand von Mael Muire mac Céilechair (gestorben 1106): O’Rahilly 1976 S. vii und S. 7. Hgg. von Knott 1936. Thurneysen 1921 S. 360–363; für eine weniger gängige Aitiologie, die diesen Schwächezustand nicht mit Macha verbindet, vgl. Thurneysen 1921 S. 359 f. Zur Bedeutung von Noenden als Name der Cailb vgl. auch Bauer-Harsant 1996 S. 170; Sjœstedt 1940 S. 48. Ein möglicher Einwand gegen die Auffassung von Nemain und Badb in dieser Liste als Namen der Cailb wäre, daß in dieser Liste – neben vielen unverständlichen Begriffen – auch Begriffe wie Samain und Égem auftauchen; das erstere bezeichnet das Datum, an dem sich die Welt der Menschen und die Anderwelt besonders nahe stehen und die Elfenhügel geöffnet sind (Echtra Nerai § 14 [hgg. vom Meyer 1889]; vgl. Echtra Nerai § 2 für eine Beschreibung des Grauens dieser Nacht), das zweite bedeutet einfach „Schrei“ (zur Namensliste vgl. auch Rees und Rees 1961 S. 338). Man könnte die ‚Namensliste‘ also als eine bloße Aufzählung von grauenerregenden Dingen auffassen, ohne daß diese unbedingt im engeren Sinne als Eigennamen zu deuten wären. Dagegen spricht zum einen, daß die Liste ausdrücklich als eine Namensliste gegeben wird; Begriffe wie Égem könnten vielleicht in Apposition zu den Namen in der Funktion von Epitheta aufzufassen sein. Zum anderen läßt sich eine Parallele zu einem ganz ähnlichen Auftritt einer Gestalt in der Erzählung von der Bruiden Da Choca (hgg. von Toner 2007) ziehen: In § 33 prophezeit dort eine monströse Frau den Untergang der Schar in der Halle, wobei die Frau in Handlungsweise, Auftreten und Beschreibung der Cailb aufs engste vergleichbar ist; diese Gestalt tritt in beiden Rezensionen auf. In Rezension B wird sie ausdrücklich als die Bodb identifiziert
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auf einer Kompilation des 11. Jh. von Material, das etwa im 9. Jh. niedergeschrieben wurde.396 In Anbetracht einer solchen Beleglage scheint die (zumindest äußerst weitreichende) Gleichsetzung dieser Figuren in der einheimischen Tradition so alt und fest verankert, daß es sich kaum mehr eindeutig nachweisen lassen dürfte, selbst wenn es sich hier jemals um klar voneinander geschiedene Gestalten gehandelt haben sollte. Die folgende Diskussion wird daher nach den zentralen Charakteristika dieser Gruppe als ganzer fragen.397
396
397
(§ 34, nicht in Rezension A). (Rezension A von Bruiden Da Choca datiert in die erste Hälfte des 12. Jh.: Toner 2007 S. 3, 61, 89. Rezension B ist eine frühneuirische Überarbeitung dieses oder eines sehr ähnlichen Texts unter Heranziehung weiteren Materials: Toner 2007 S. 61.) Daß sowohl „Badb“ als auch „Nemain“ als Namen für Cailb in Togail Bruidne Da Derga durchaus passend sind, läßt sich aus dem Kontext ersehen: Die Prophezeiung der Cailb, daß von Conaire nur das die Halle verlassen wird, was die Vögel in ihren Krallen davontragen (§ 62), erinnert an das häufige Verschlingen von Leichen durch die Bodb in Vogelgestalt (siehe unten S. 139 ff.); und daß ihr Besuch bei den Männern in der Halle Grauen zurückläßt (§ 63), erinnert daran, daß durch den Angriff der Nemain in der Táin Männer vor Furcht sterben (etwa Táin Bó Cúailnge I Zeilen 3942–3944, siehe unten S. 166 ff., besonders S. 169). Thurneysen 1921 S. 627. Zu den Quellen dieser Kompilation vgl. auch West 1999, die jedoch auf die Frage der Datierung nicht weiter eingeht. Das Hauptgewicht der Diskussion wird dabei auf der Bodb, der Morrígain und der Nemain liegen. Herbert 1996 S. 142 hat betont, daß die Traditionen über Macha herausstechen und eine andere Interpretationsstruktur verlangen als das Material über die Bodb und die Morrígain; dazu vgl. weit differenzierter Bauer-Harsant 1996 S. 166–178, wo sie Macha und ihr Verhältnis zu den anderen „Kriegsgöttinnen“ bespricht und als eine Möglichkeit vorschlägt, daß Macha den „Kriegsgöttinnen“ sekundär hinzugefügt worden sein könnte, wobei sie jedoch eine klare Entscheidung der Frage auf der Basis des vorhandenen Materials nicht für möglich hält. Ganz anders als Herbert hat Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 185–195 die mit Macha verbundenen Überlieferungen in einen Interpretationsrahmen zusammen mit den Überlieferungen über die Bodb und die Morrígain eingeordnet, was Herberts Standpunkt fraglich erscheinen läßt, das Material über Macha vom Material über die Bodb und die Morrígain einfach zu trennen. Die vorliegende Arbeit läßt den größten Teil des Materials zu Macha aus rein praktischen Gründen beiseite: Eine umfassende Besprechung dieses problemreichen Materials würde zu viel Raum erfordern und so den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, ohne jedoch für die vorliegende Frage zentrale neue Züge hinzuzufügen. Daher werden hier nur ausgewählte Überlieferungen zu Macha speziell berücksichtigt. Für eine umfassendere Besprechung Machas vgl. etwa Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 185–195 et passim; Bauer-Harsant 1996 S. 166–178; Carey 1982/83; Guyonvarc’h und Le Roux 1983, besonders S. 45–68; Birkhan 1997 S. 542–546 et passim; Sjœstedt 1940 S. 36–41, 48, 49 f.; Dumézil 1968 S. 602–612; zu einer Deutung der Gestalt im Sinne von Dumézils trifunktionalem Schema vgl. die kritischen Bemerkungen von Carey 1982/83 S. 263–268, Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 192–195.
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Um den Kern des Charakters einer Gestalt auf einen kurzen Nenner zu bringen, wird oft die Bedeutung ihres Namens herangezogen. Ein Problem dieses Ansatzes ist, daß damit nicht ein ahistorischer Wesenkern erfaßt wird, sondern nur ein Aspekt, der zum Zeitpunkt der Namensgebung als wichtig empfunden wurde; für die gegenwärtige Fragestellung, die an der Frühgeschichte der irischen Dämoninnen interessiert ist, wäre die Kenntnis eines solchen in früher Zeit zentralen Aspekts jedoch gerade dadurch umso gewinnbringender, daß sie den frühesten Charakterzug der Figur andeuten würde, der im direkt erhaltenen Material faßbar ist. Das Wort bodb/badb bezeichnet im Altirischen sowohl eine Dämonin als auch die Nebelkrähe, in deren Gestalt diese Dämonin erscheint.398 Dabei scheint das Wort kaum (vielleicht nie) in Kontexten belegt zu sein, in denen es weder dämonische noch kriegerische Konnotationen hat;399 dies dürfte wahrscheinlich machen, daß die Bedeutung als „Nebelkrähe“ eine sekundäre Bedeutung ist, deren Ursprung in der Erscheinungsform der Kriegsdämonin liegt. Lysaght hat bemerkt, daß die entsprechenden Bedeutungsangaben für badhbh als Vogelname in den neuirischen Wörterbüchern von Dinneen400 und Ó Dónaill401 keine Bestätigung in der lebendigen Sprache irgendeines Landesteiles finden, wo der Begriff zwar als Bezeichnung für eine übernatürliche Gestalt, nicht aber für einen Vogel erscheint.402 Die primäre Bedeutung von bodb ist daher wohl „Schlachtfelddämonin“, erst davon abgeleitet deren Erscheinungsform auf dem Schlachtfeld als „Nebelkrähe“. Schon aufgrund dieser inneririschen Überlegung ist Birkhans Ansicht zur Etymologie zuzustimmen, daß urkeltisch *bodua- wohl „Kampf“ bedeutete (vgl. altnordisch bqj „Kampf“)403, und nicht „Schlachtkrähe“.404 ˘
398 399
400
401 402 403 404
Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚badb‘. In einem topographischen Gedicht des O’Huidhrin (gestorben 1420) werden zwei Fürsten als „schöne badbha“ bezeichnet (O’Donovan 1862 S. [4], 128/129); hier werden zwar kaum die Dämoninnen selbst gemeint sein, aber das Bild dürfte sich auf die kriegerischen Tugenden der Fürsten beziehen. Dinneen 1979 s.v. ‚badhbh‘: „a royston-crow; a vulture, or other ravenous bird; a battle goddess; a scold, a curser; a female fairy or phantom said to be attached to certain families, appearing as scald-crow or royston crow ([Peter O’Connell’s MS Irish-English Dictionary]) […]“. Ó Dónaill 1977 (1992) s.v. ‚badhbh‘: „1. War-goddess. […] 3. Vulture; carrion-crow. […]“ Lysaght 1986 S. 38. Birkhan 1970 S. 502. Birkhan 1970 S. 503. Ausführlichst zum Wort, insbesondere, aber nicht ausschließlich im Keltischen und Germanischen, vgl. Birkhan 1970 S. 487–509. Kürzer in ähn-
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Die Etymologie Machas ist problematisch und trägt daher nichts weiter zum Verständnis der Gestalt bei: Eine selbst schon hochspekulative Rekonstruktion würde keine tragfähige Basis für weitere Fragen nach historischen Zusammenhängen bieten.405 Nemain hat keine bekannte Etymologie.406 Das Wort existiert als Eigenname und als Bezeichnung für „battle-fury, warlike frenzy, strife“407/ „fureur guerrière“408; Vendryes’ Lexique étymologique scheint die Bedeutung des Nomens als primär anzusetzen, das Royal Irish Academy Dictionary den Namen der Kriegsgöttin.409 Auch für die Gestalt der Morrígain410 bleibt die Etymologie des Namens problematisch. Vor allem drei Deutungsansätze sind vertreten worden.411 Allgemeine Einigkeit besteht darüber, daß das zweite Element der Morrígain dem altirischen rígain (später rígan)412 „Königin“ entspricht. Für das mor-Element schlug Stokes eine Identität mit althochdeutsch und angelsächsisch mara, englisch mare in night-mare, deutsch Mahr und polnisch mora vor;413 d’Arbois de Jubainville fügte dem noch französisch mar in cauchemar hinzu.414 Im Irischen sah Stokes diesen Stamm, der nach diesen Belegen anscheinend eine Art (nächtlichen) Dämon oder Gespenst bezeichnet, in Fo-morach, Fo-more und Fo-moride.415 Thurneysen vermutete eine Ableitung von Morand vom selben Stamm und übersetzt Mor-and als „weiß wie eine Mahre“.416 Nach dieser Etymologie würde Morrígain etwa „Mahrenkönigin, Gespensterkönigin“ bedeuten.417 Das mitunter auftauchende Längenzeichen über dem o von Mor- erklärte Stokes als Volksetymologie;418 die „Mah-
405
406 407 408 409 410 411 412 413 414 415 416 417
418
lichem Sinne: Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 72 f.; Stokes 1891 S. 124. Vgl. auch Delamarre 2003 s.v. ‚boduos, bodua‘. Zu Machas Etymologie vgl. Vendryes et al. 1959 ff. s.v. ‚Macha‘; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 73 f. Vendryes et al. 1959 ff. s.v. ‚nemain‘. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚nemain‘. Vendryes et al. 1959 ff. s.v. ‚nemain‘. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 74. Zur Variante Mórrígu vgl. Le Roux und Guyonvarc’h 1983 S. 101 f. Für eine Besprechung eines vierten, formal wie semantisch unbefriedigenden Versuchs vgl. Clark 1987 S. 223 f. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚rígan, rígain‘. Stokes 1891 S. 128. D’Arbois de Jubainville 1907–1911, dort Bd. 29 (1908) S. 194 f. Anm. 3. Stokes 1891 S. 128. Thurneysen 1917 S. 72. Dieser Vorschlag wurde weithin akzeptiert, etwa Thurneysen 1921 S. 63, oder in neuerer Zeit Clark 1987 S. 224; Maier 1994 S. 238. Stokes 1891 S. 128.
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renkönigin“ wäre also sekundär als „Große Königin“ umgedeutet worden (zu altirisch mór „groß“).419 Daß es sich bei der Auffassung der Morrígain als Mórrígan um eine späte, auf einer Volksetymologie beruhende Entwicklung handele, wurde von Le Roux und Guyonvarc’h in Frage gestellt. Ihre Zurückweisung beruhte auf drei Argumenten: Zum ersten verfehle die Etymologie als „Mahrenkönigin“ den Charakter der Gestalt;420 auf die schwerwiegenden Probleme einer solchen Auffassung wird im folgenden im Detail eingegangen werden. Zum zweiten sei das Element mor im Keltischen kaum bezeugt, da es sich nur in der Morrígain und den Fomore finde,421 wo in beiden Fällen die Anwesenheit dieses Elements nur unsicher erschlossen ist.422 – Dem wäre die von Thurneysen vorgeschlagene Etymologie von Morand hinzuzufügen, aber dennoch ist dieser Einwand als wichtig hervorzuheben. Aufgrund dieser unsicheren Bezeugung des Elements mor in der Bedeutung „Mahre“ im Keltischen distanziert sich auch Birkhan von der Etymologie als „Mahrenkönigin“ und zieht ein Verständnis als „Große Königin“ vor, ohne jedoch die „Mahrenkönigin“ völlig auszuschließen.423 – Zum dritten notieren irische Schreiber die Länge eines Vokals nur inkonsequent; daher stelle eine Schreibung der Morrígain mit kurzem o kein Argument für eine Deutung als „Mahrenkönigin“ dar.424 Zu diesem dritten Argument ist zu sagen, daß die Ambivalenz der Schreibung in beide Richtungen gilt – die überlieferten Schreibungen lassen sowohl eine Auffassung M˘orrígain als auch eine Auffassung Morrígain zu.425 Die Ambivalenz der Schreibung ist kein Argument zugunsten einer Deutung als Mórrígain, sondern ein Grund 419
420 421 422 423 424 425
Diese Erklärung wird von Vendryes et al. 1959 ff. als sicher betrachtet, s.v. ‚morrígain‘ mit weiteren Details. Le Roux und Guyonvarc’h 1983 S. 95–98. Le Roux und Guyonvarc’h 1983 S. 98 f. Zur problematischen Etymologie der Fomore vgl. Birkhan 1997 S. 456 f. Anm. 3. Birkhan 1997 S. 452 Anm. 1 und S. 653 mit Anm. 2. Le Roux und Guyonvarc’h 1983 S. 100 f. Birkhan 1997 S. 452 Anm. 1. In mittelirischer Zeit ist die Schreibung Mórrígan häufig (sei es nun, daß sich hier eine Volksetymologie oder eine den Lautstand genauer wiedergebende Schreibung durchsetzt): Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚Morrígan‘. Für Beispiele für die Schreibung von Kurzvokalen mit einem (eigentlich eine Länge bezeichnenden) Akzent vgl. etwa batís (als 3. Pl. Ipf. der Kopula, Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚1 is‘ Spalte 310 Zeile 6, aus dem in mittelirischer Zeit abgefaßten Buch von Leinster, vgl. ähnlich ibidem Zeilen 9, 11, 36, 38, Spalte 320 Zeile 37 etc.), bádba (als Nom. Pl. der bodb, zitiert nach einem „14th century MS.“ bei Hennessy 1870 S. 38): Nicht nur wird lautliche Länge nicht konsequent notiert, sondern umgekehrt belegt auch ein geschriebenes Längenzeichen nicht notwendigerweise eine tatsächliche Länge des Lauts.
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für die Schwierigkeiten, über die korrekte Etymologie einige Sicherheit zu erlangen.426 Eine dritte mögliche etymologische Deutung ist von McCone vorgeschlagen worden. Er sieht die Schreibung Mórrígan als wahrscheinliche Folge der Volksetymologie als „Große Königin“ und geht davon aus, daß die Form ursprünglich Morrígain war. Dafür schlägt er folgende Herleitung vor: Morrígain < *Moro-rigni <*-re-g-ni „Königin des Todes“, mit der indogermanischen Wurzel *mer- „sterben“. Er sieht auch an. mara, ae. mære, ahd. mara „Alp, Mahr“ als wahrscheinlich hierher gehörig an.427 Damit liegen drei Vorschläge für formal mögliche Etymologien vor, als „Mahrenkönigin“, „Große Königin“ oder „Königin des Todes“. Letztlich lassen sich diese verschiedenen Vorschläge für eine Etymologie des Namens Mo˘rríga(i)n aus einer rein sprachlichen Perspektive nur nebeneinanderstellen, ohne daß eine Entscheidung zwischen ihnen auf rein formaler Basis möglich wäre. Eine Entscheidung zwischen verschiedenen formal möglichen Etymologien kann letztlich nur auf der Grundlage einer angenommenen Bedeutung des Namens gefällt werden; die Vorstellung vom Charakter der Gestalt bestimmt die Etymologie.428 Die Frage ist also, ob die frühen Belege der Figur am ehesten einen Charakter zeigen, der sich als der einer „Großen Königin“ beschreiben läßt, oder ob wir es mit einer „Gespensterkönigin“ oder einer „Königin des Todes“ zu tun haben. Dabei ist besonders zu betonen, daß nur die frühesten Belege die Grundlage für eine solche Entscheidung darstellen können, da die spätestens in mittelirischer429 Zeit gängige Auffassung der Morrígain als Mórrígan und somit „Große Königin“ die Charakterisierung dieser Gestalt in den späteren Texten beeinflußt haben könnte.430 In Cormacs Glossar, das traditionell auf die Zeit um 900 datiert wird,431 erscheint die Mo˘ rrígain in folgender Weise:432
426 427 428
429 430 431 432
Herbert 1996 S. 142 folgt Le Roux und Guyonvarc’h. McCone 1987 S. 141 mit Anm. 36 S. 152. Insofern hat eine Etymologie auch nur einen beschränkten Wert für die Bestimmung des Charakters einer Gestalt, da die Entscheidung über ihre semantische Plausibilität von der zuvor entwickelten Vorstellung vom Charakter der Gestalt abhängen muß (für diesen Hinweis danke ich Nicholas Zair). Vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚Morrígan‘. Siehe aber unten Anm. 463. Maier 1994 S. 282; Birkhan 1997 S. 470; MacKillop 1998 S. 334. Besprochen von Hennessy 1870 S. 37; Herbert 1996 S. 148; vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 47; Borsje 1999 S. 242; Borsje 2007 S. 82.
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Gudemain .i. uatha 7 morrignæ.433 „Gúdemain [Lügendämonen?], das sind Schrecken und Morrígains.“
Gúdemain wird in einer Glosse aus einer Pergamenthandschrift, die nach Stokes etwa am Ende des 14. Jh. niedergeschrieben worden zu sein scheint,434 folgendermaßen definiert:435 Glaidomuin .i. sindaigh a˜l mac tirea. Gudomhuin .i. fennóga ˜l bansigaidhe ; but est glaidhomuin .g. .i. na demuin. goacha, na morrigna. ˜l go conach deamain iat na bansighaide, go conachc demain iffrinn iat s¯ .d.d aeoir na fendógab. […] a-a
added above line. b-b in marg. sup. c nach [Negation, in meiner Übersetzung: „keine“] added under line by different scribe, with caret mark. d i.e. demain.436
„Heuler, das sind Füchse aoder ein Wolfa. Gudomhuin [Lügendämonen?], das sind Nebelkrähen oder Elfenfrauen ; bwie zum Beispiel verlogene Heuler, das heißt die Dämonen. Verlogene, die Morrigans. Oder es ist eine Lüge, daß sie keine Dämonen sind, die Elfenfrauen, eine Lüge, daß sie keinec Dämonen der Hölle sind, sondern Dämonend der Luft, die Nebelkrähenb. […]“
Worum es sich bei den Gúdemain „Lügendämonen( ? )“ genau handelt, bleibt auch hier reichlich halbklar;437 jedoch untermauert diese späte Glosse den von Cormac durch die Gleichsetzung mit „Schrecken (Plural)“ (úatha) vermittelten Eindruck, daß es sich bei ihnen um ganz negative Wesen handelt. Dies weist damit auf einen ähnlich negativen Charakter der Morrígains hin. Zugleich ist festzuhalten, daß „Morrígain“ hier nicht als Eigenname, sondern als Gattungsbegriff erscheint: In beiden Glossen erscheinen Morrígains im Plural. Es handelt sich bei den Morrígains also um negativ konnotierte dämonische Wesen, die im Kollektiv existieren. Sowohl der hier deutliche negative Charakter als auch das kollektive Wesen der Morrígain scheinen sich eher mit einer dämonischen „Gespensterkönigin“ oder „Königin des Todes“ vereinbaren zu lassen als mit einer „Großen Königin“, der Herbert sogar Züge einer Landesgöttin zuschreibt.438
433 434 435 436
437
438
Text: Meyer 1913 (1994) S. 58 Nr. 697. Stokes 1859 S. 215. Hennessy 1870 S. 36 f.; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 47 f.; Borsje 1999 S. 241 f.; Borsje 2007 S. 88 f. Text und Anmerkungen: Binchy 1978 Bd. 2 S. 604 (Zeilen 1–4); vgl. Stokes 1859 S. 169. Die glaidhomuin .g. fasse ich mit Stokes 1859 S. 169 als glaidhomuin g[óa] auf; zum adjektivischen Gebrauch des Genitiv Singular von gáu vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚gáu‘. Das Royal Irish Academy Dictionary führt für diese Gestalten nur diese beiden Glossen als Belege an und schlägt zögernd eine Erklärung als gú-demain („Lügendämonen“) vor: Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚gudemain‘. Herbert 1996 S. 143.
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Noch älter als diese Stellen, welche die Morrígains mit „Schrecken“ und „Lügendämonen( ? )“ verbinden, ist eine Glosse im Codex Reginae Lat. 215 (Bibliotheca Apostolica Vaticana).439 Dieser Kodex enthält ein Glossar zu den Büchern des Alten Testaments und ist im Jahre 876 oder 877 von einem kontinentalen Schreiber niedergeschrieben worden;440 die irischen Glossen müssen also vor diesem Zeitpunkt verfaßt worden sein.441 Die lamia, die sich in der Vulgata in den Ruinen Edoms niederläßt (Jesaja 34.14), wird in diesem Glossar erklärt als monstrum in femine˛ figura, .i. morigain.442 „Ein Monster in Gestalt einer Frau, das heißt: Eine morigain.“
Der Kontext dieser Stelle, in der die Zerstörung Edoms beschrieben wird, lautet (Jesaja 34.12–15): 12nobiles
eius non erunt ibi regem potius invocabunt et omnes principes eius erunt in nihilum 13et orientur in domibus eius spinae et urticae et paliurus in munitionibus eius et erit cubile draconum et pascua strutionum 14et occurrent daemonia onocentauris et pilosus clamabit alter ad alterum ibi cubavit lamia et invenit sibi requiem 15ibi habuit foveam ericius et enutrivit catulos et circumfodit et fovit in umbra eius illuc congregati sunt milvi alter ad alterum443 „Nicht werden seine Edlen dort existieren, oder vielmehr, sie einen König anrufen, und alle seine Fürsten werden ins Nichts [vergangen] sein, und Dornen und Nesseln werden sich in seinen Häusern erheben, und Stechdorn auf seinen Wällen, und es wird ein Schlafplatz der Drachen und eine Weide der Straußen sein, und böse Geister werden sich mit Eselskentauren treffen, und der Satyr (pilosus) wird, der eine dem anderen, zurufen, wo sich die lamia niedergelegt hat und einen Ruheplatz für sich findet, wo der Igel eine Grube hatte und seine Jungen großgezogen hat, und darum herumgräbt, und sie in seinem Schatten gewärmt hat; dorthin sind die Raubvögel zusammengekommen, der eine zum anderen.“
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Besprochen von Clark 1987 S. 224 f.; Herbert 1996 S. 148; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 45–47; Borsje 1999 S. 243 f.; Borsje 2007 S. 92 f. Stokes und Strachan 1901 S. xiii. Vielleicht von Iohannes Erigena: Borsje 1999 S. 244; Borsje 2007 S. 93; Stokes und Strachan 1901 S. xiii. Text: Stokes und Strachan 1901 S. 2. Dort wird die Lesung der Handschrift morigain (s. ibidem Anm. a) zu morrígain normalisiert. Text: Weber et al. 1969.
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Diese lamia/morigain ist also ein Wesen, das sich in den von Unkraut überwucherten, verwaisten und von allerlei Dämonen bewohnten Ruinen Edoms zur Ruhe begibt. Die Aristokraten Edoms sind beim Einzug der lamia Vergangenheit (nobiles eius non erunt). Faßt man die Morrígain als schon ursprüngliche Mórrígain „Große Königin“ mit Zügen einer Landesgöttin auf, muß dieses Bild überraschen. Eine Landesgöttin sollte die Edlen ihres Landes und dessen Wohlergehen schützen, anstatt es sich nach dem Ende dieser Edlen und der Verwüstung des Landes in den Ruinen gemütlich zu machen. Weder das Bild, das man aus Cormacs Glossar gewinnt, noch die in diesem biblischen Glossar behandelte Szene passen zu einer Auffassung der Mo˘ rrígain als „Großer Königin“; in beiden Stellen, und insbesondere in Codex Reginae Lat. 215, legt sich eine Auffassung der Dämonin als eines schrecklichen, zerstörerischen Wesens nahe. Beide Texte würden hervorragend zu einer Auffassung der Mo˘ rrígain als „Gespensterkönigin“ oder „Königin des Todes“ passen. Herbert, Le Roux und Guyonvarc’h, die vehement eine Deutung der Mo˘ rrígain als „Großer Königin“ vertreten, sind sich dieses Problems natürlich bewußt, das umso schwerer wiegt, als die Glosse im Codex Reginae Lat. 215 einen der ältesten Belege der Mo˘ rrígain darstellt und dieser Kodex die älteste Handschrift ist, in der diese Figur auftaucht.444 Herbert, Le Roux und Guyonvarc’h versuchen, dieses Problem dadurch zu beseitigen, daß sie das Erscheinen der Morrígain in diesen beiden Beispielen auf eine Dämonisierung dieser Figur aufgrund einer spezifisch klerikalen Perspektive zurückführen;445 mit anderen Worten: Es handle sich hier um kirchliche Polemik. Hiergegen ist zu sagen, daß eine von einem Kleriker verfaßte Passage nicht allein schon aufgrund der Berufung des Autors verworfen werden kann; wäre dies der Fall, müßte die gesamte frühe irische Literatur als religionsgeschichtliche Quelle verworfen werden, da sie zur Gänze aus klösterlichen Skriptorien hervorgegangen ist.446 Zur Beurteilung der möglichen polemischen Absicht einer Textstelle ist diese vielmehr in ihren Kontext innerhalb des jeweiligen Textes zu stellen. Die beiden Glossare des Cormac und in Codex Reginae Lat. 215 bieten in der Tat andere vergleichbare Stellen, die einem polemischen klerikalen
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445 446
Hingegen beruhen die von Herbert 1996 beigebrachten vermeintlichen Belege für einen Aspekt der Mo˘ rrígain als Landesgöttin und Beschützerin durchgehend auf späteren oder zumindest später überarbeiteten Texten. Sogar falls man die von Herbert vorgeschlagenen Deutungen dieser Passagen akzeptiert (dagegen s. unten), wäre hier damit zu rechnen, daß dort schon die Volksetymologie der Mo˘ rrígain als Mórrígan „Große Königin“ die Zeichnung der Gestalt in den Erzählungen beeinflußt hat. Le Roux und Guyonvarc’h 1983 S. 95 f.; Herbert 1996 S. 148. McCone 1990 S. ix.
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Autor Gelegenheit geboten hätten, sich gegen die heidnischen Götter auszusprechen. So erklärt Cormac etwa die Göttin Anu: Ana .i. mater deorum Hibernensium. Robo maith didiu robiathad si deos; de cuius nomine ana dicitur. .i. imed, et de cuius nomine D¯a Chic[h] nAnand iar Luachair nominant[ur], ut fabula fertur .i. amail aderait ina sc¯elaide. Uel ana anyon graece, quod interpretatur dapes .i. biad.447 „Anu, das war die Mutter der irischen Götter. Gut nährte sie die Götter; von ihrem Namen leitet sich ana ab, das heißt ‚Überfluß‘ [imbed], und nach ihrem Namen sind die ‚Zwei Brüste der Anu‘ [zwei Hügel mit der Form von Brüsten] hinter Lúachair benannt, wie man die Geschichte erzählt, das heißt, wie die Geschichtenerzähler sagen. Oder ana ist auf Griechisch anyon, das man übersetzt als dapes, das heißt ‚Essen‘.“
Der Eintrag zur mater deorum Hibernensium hätte Cormac eine gute Gelegenheit zu weiterer klerikaler Polemik gegen eine vorchristliche Gestalt geboten, wenn er dies gewollt hätte. Von einer solchen polemischen Absicht ist hier aber nichts zu spüren; ganz im Gegenteil erscheint die Figur der Anu, deren nährender Aspekt so wortreich umschrieben wird, eher in einem positiven Licht. Dieses Fehlen von Polemik läßt vermuten, daß auch Cormacs Assoziation von Lügendämonen, Schrecken und Morrígains nicht auf bloßer Polemik beruht, sondern einen Hintergrund im Charakter dieser Figuren hatte. Ähnlich scheint der Fall des Glossars in Codex Reginae Lat. 215: Dieses Glossar enthält neben der Glosse zu lamia auch eine Glosse zu pilosi. Die pilosi werden erklärt als: demonum genera uel geltig.448 „Arten von bösen Geistern, oder geltig.“
Diese Wesen tauchen im oben gegebenen Zitat aus Jesaja einen Vers vor der lamia auf; zuvor erscheinen sie beim selben Propheten in einer Beschreibung der Zerstörung Babylons (Jesaja 13.21), worauf Stokes und Strachan diesen Eintrag im Glossar bezogen haben (Jesaja 13.19–22):449 19et
erit Babylon illa gloriosa in regnis inclita in superbia Chaldeorum sicut subvertit Deus Sodomam et Gomorram 20non habitabitur usque in finem et non fundabitur usque ad generationem et generationem nec ponet ibi tentoria Arabs nec pastores requiescent ibi 21sed requiescent ibi bestiae et replebuntur domus eorum draconibus et habitabunt ibi strutiones et pilosi saltabunt ibi 22et respondebunt ibi ululae in aedibus eius et sirenae in delubris voluptatis450 447 448 449 450
Text: Meyer 1913 (1994) S. 3 Nr. 31. Text: Stokes und Strachan 1901 S. 2. Stokes und Strachan 1901 S. 2. Text: Weber et al. 1969.
Definition des Gegenstands
129
„Und Babylon, jene Ruhmreiche, unter Königreichen Gefeierte im Hochmut der Chaldäer, wird sein, wie Gott Sodom und Gomorra gestürzt hat, bis zum Ende wird es nicht bewohnt werden, und für Generation und Generation wird es nicht [neu] gegründet werden, noch wird der Araber dort Zelte aufschlagen, noch werden Hirten dort ruhen, sondern die wilden Tiere werden dort ruhen, und ihre Häuser werden mit Drachen wiederbevölkert werden, und Straußen werden dort wohnen, und Satyrn (pilosi) werden dort tanzen, und Schleiereulen werden dort in seinen Häusern antworten, und Sirenen in den Tempeln der Lust.“
Die irische Dämonologie kennt zwar keine Dämonen, die in der Wildnis tanzen, aber die in der Schlacht vor Angst wahnsinnig Gewordenen durchwandern die irische Wildnis als gelti. In Buile Suibhne § 21 bezieht Suibhne, der durch den Schrecken des Schlachtenlärms und den Fluch eines Heiligen wahnsinnig geworden die Wildnis durchstreift, das in dieser Glosse verwendete Adjektiv geltach in einem Gedicht auf sich selbst, um diesen Zustand zu beschreiben.451 Das Verhalten solcher geltig dürfte hier von einiger Signifikanz sein: Diejenigen, die von dieser Art von Wahnsinn befallen sind, vollbringen auf ihrer Flucht die wundersamsten akrobatischen Leistungen und fliegen wie Vögel (Buile Suibhne § 17). Obwohl keine eigentlich dämonischen Gestalten,452 sind sie somit vielleicht in der Tat die Figuren der irischen Literatur, die den in den Ruinen tanzenden pilosi am nächsten kommen; von Polemik ist hier jedenfalls nichts zu spüren. Der Glossator macht vielmehr einen sachlichen Versuch, in der irischen Tradition eine möglichst enge Parallele zu einem biblischen Bild zu finden. Entsprechendes Gewicht ist seiner Auffassung der morigain beizumessen; wäre es dem Glossator nur um Polemik gegen vorchristliche Gestalten gegangen, hätte er eine Glosse „pilosus .i. Lug“ verfassen können – das hat er aber nicht getan.453
451 452
453
Hgg. von O’Keeffe 1913. In der späteren Literatur werden sie jedoch in die dämonische Schar aufgenommen, die vor der Schlacht den Schrecken erzeugt, dem sie selbst zum Opfer gefallen sind: Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 216 f. Anm. 50. Lug erscheint in der irischen Literatur u. a. als anderweltlicher Vater des Helden Cú Chulainn und entscheidender Teilnehmer an der (mythologischen) zweiten Schlacht von Mag Tuired; eine Kontinuität zum kontinentalkeltischen Gott Lugus wird weithin angenommen, vgl. etwa de Vries 1961 S. 50–55 et passim; Birkhan 1997 S. 600–606 et passim; skeptischer: Maier 2001 (Religion) S. 87–90. Unabhängig von der Frage religionsgeschichtlicher Kontinuitäten handelt es sich jedoch innerhalb der irischen literarischen Mythologie bei Lug in jedem Fall um eine wichtige Gestalt der Anderwelt.
130
Irland: Die Bodb
Eine andere frühe Passage, die mit der Morrígain verbunden ist, ist ihre Warnung an den Donn Cúailnge in der Táin Bó Cúailnge.454 Die Deutung dieser retoiric ist zu unsicher, als daß eine Besprechung ihres möglichen Inhalts im gegenwärtigen Zusammenhang gewinnbringend wäre (obwohl die Bodb hier in einem Kriegskontext auftritt).455 Dennoch ist die Episode wichtig, da die Morrígain hier einen Text spricht, der vielleicht schon aus dem siebten Jahrhundert stammt456 und damit möglicherweise den ältesten direkt mit der Morrígain verbundenen irischen Text überhaupt darstellt. Das grundsätzliche Problem bei der Verwendung dieser Passage zur Charakterisierung der Morrígain ist dabei allerdings, daß aus der retoiric selbst nicht hervorgeht, von wem sie gesprochen wird. Die Annahme, daß die retoiric, auch falls sie selbst bereits in das siebte Jahrhundert datiert, schon zu dieser Zeit von der Morrígain in einer ähnlichen Situation wie in der überlieferten Táin Bó Cúailnge gesprochen wurde, kann nicht mehr sein als eine Annahme – auch wenn es keinen konkreten Hinweis auf einen anderen Sachverhalt gibt. Den Textabschnitt als ganzen, wie er uns als Mischung von erzählender Prosa und retoiric vorliegt, weist Thurneysen einer Redaktion des neunten Jahrhunderts zu, die im elften in die heute erhaltene erste Rezension der Táin Bó Cúailnge eingearbeitet worden sei;457 Breatnachs Un454
455
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457
Táin Bó Cúailnge I Zeilen 954–966; Táin Bó Cúailnge II (hgg. von O’Rahilly 1967) Zeilen 1301–1319. Auch besprochen von Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 94–98. Für Rekonstruktions- und Übersetzungsvorschläge dieser retoiric vgl.: Henry 1995 S. 71–74; Corthals 1989 (Frage des … Ursprungs) S. 214 f.; Corthals 1989 (Aided Chonchobuir) S. 56; Krause 1941 S. 142–148; Olmsted 1982; Windisch 1905 S. 186–189. Die Erwähnung der Bodb in dieser retoiric sieht Herbert 1996 S. 145 als eine Bezugnahme der Morrígain auf sich selbst an und zieht daraus weitreichende Schlüsse: „The goddess is introduced as ‘the Mórrígan in the form of a bird’, but in the poetic utterance ascribed to her she refers to herself as Badb (ibid. [Táin Bó Cúailnge I]: 960). The latter name, therefore, clearly had specific reference to the bird metamorphosis of the ‘Great Queen’. The distinction failed to be maintained over time, however, and medieval scribes came to regard Badb and the Mórrígan as entirely interchangeable names (DIL [Royal Irish Academy Dictionary]: S.M. Mórrigan [sic], lines 62–9).“ Daß diese Spekulation richtig ist, läßt sich nicht ausschließen, da die Namen – wie Herbert selbst feststellt – in der Literatur gänzlich austauschbar verwendet werden; so spricht die Fassung der Táin Bó Regamna im Gelben Buch von Lecan (Trinity College, Dublin, H. 2. 16) von der „badb“, die in der Handschrift Egerton 1782 (British Museum) von der „Morrigan“ (§ 7) (Windisch 1887 S. 247; vgl. Corthals 1987 S. 33). Daß Herbert dies aber als sichere Schlußfolgerung darstellt, ist leider typisch für ihre Methodik. Olmsted 1982 S. 165. Thurneysen 1921 S. 111 setzt den Urtext in die erste Hälfte des achten Jahrhunderts. Allgemein zur Problematik und mit Betonung der Unsicherheit einer frühen Datierung solcher rhetorischer Passagen vgl. aber McCone 1990 S. 43 f. Thurneysen 1921 S. 109–113, 144 f.
Definition des Gegenstands
131
tersuchung des Gebrauchs der suffigierten Pronomina im Altirischen legt jedoch eine Revision von Thurneysens Datierung nahe und scheint darauf hinzuweisen, daß der Kompilation der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge Passagen zugrunde lagen, die wohl in das achte Jahrhundert – vermutlich sogar vor die Jahrhundertmitte – zu datieren sind.458 Die Episode von der Warnung an den Donn Cúailnge berichtet, wie die Morrígain (in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge eingeführt als Allechtu, was der Text dann als Mórrígan erklärt) den Donn Cúailnge aufsucht, den großen Stier von Ulster, den die Connachter zu entführen versuchen. In Temair Chúailnge läßt sie sich auf einem Steinpfeiler nieder. In der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge tut sie dies ausdrücklich in Gestalt eines Vogels, in der zweiten Rezension ist die Vogelgestalt wohl im Sitzen auf der Spitze des Steinpfeilers impliziert.459 Dann spricht sie in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge die retoiric, die den Stier anscheinend vor der nahenden Gefahr warnt; in der zweiten Rezension spricht sie den Stier vor einer kunstvoll-unverständlichen Passage in verständlichem Irisch an und warnt ihn vor den Männern von Irland. In beiden Rezensionen verläßt der Stier darauf den Ort, an dem ihn die Mórrígan aufgesucht hatte. Soweit die Überlieferung; was klar scheint, ist, daß die Morrígain den Donn vor den anrückenden Connachtern warnt. Warum sie dies aber tut, steht verschiedenen Interpretationen offen. Hennessy sah hier ein Beispiel dafür, daß die Morrígain über die Interessen der Männer von Ulster wacht.460 Dies ist nicht auszuschließen; immerhin wäre es im Interesse der Ulter gewesen, wenn die Connachter den Stier nicht erbeutet hätten (sie erbeuten ihn allerdings wenig später461). Andererseits bedeutet ein späteres Erbeuten des Stiers einen längeren Raubzug und damit mehr Verwüstung und Tod. Hätten die Connachter den Stier an dieser Stelle erbeutet und nach Connacht gebracht, ehe die Ulter aus ihrer Schwäche erwachten und in die Schlacht ziehen konnten, wäre die Táin Bó Cúailnge vielleicht an diesem Punkt zu Ende gewesen, noch vor der Hälfte ihrer realen Länge – und mit einer entsprechend geringeren Zahl an Toten. Vielleicht liegt also die Absicht der Morrígain nicht so sehr darin, den Ultern zu helfen, als vielmehr darin, den Plünderzug zu verlängern. Letzteres, anders als eine Funktion als Beschützerin, würde auch mit dem Charakter der Morrígains der oben besprochenen Glossen in Einklang stehen. So scheint die wahrscheinlichste Interpre458 459
460 461
Breatnach 1977 S. 101–103, 107. Die zweite Rezension der Táin Bó Cúailnge datiert wohl ins frühe 12. Jh.: Thurneysen 1921 S. 114 f. Hennessy 1870 S. 44 f. In Táin Bó Cúailnge I Zeile 1507 wird er ins Lager der Connachter gebracht.
132
Irland: Die Bodb
tation die von Henry vorgeschlagene zu sein: „Here the Morrígain works up to a finale of the utmost devastation.“462 Auch dies deutet inhaltlich weniger auf eine „Große Königin“ als vielmehr auf eine „Mahrenkönigin“ oder – noch treffender – „Königin des Todes“.463
462
463
Henry 1995 S. 74. Vgl. ähnlich Bauer-Harsant 1996 S. 47 f. zum Auftritt der Morrígain am Vorabend der letzten Schlacht der Táin in Táin Bó Cúailnge I und Táin Bó Cúailnge II und Bauer-Harsant 1996 S. 96 zur Morrígain in Cath Maige Tuired. Dazu, daß die Auffassung einer Gestalt als Herrscher („Große Königin“) negative Konnotationen nicht notwendigerweise ausschließt, vgl. typologisch etwa Lukas 4.5–6 (der Teufel als Herr dieser Welt). Ob die sehr spezifischen kosmologischen Voraussetzungen für eine solche Auffassung im vorchristlichen Irland jedoch gegeben waren, scheint durchaus fraglich. Die Benennung als „Mahrenkönigin“ bzw. „Königin des Todes“ hingegen hätte auch in der heidnischen mediterranen Dämonologie enge Parallelen, siehe unten S. 527. Die Frage, wie es zur Umbenennung einer (in offensichtlich passender Weise benannten) „Königin des Todes“ oder „Gespensterkönigin“ zu einer „Großen Königin“ kommen konnte, muß in Ermangelung aussagekräftiger Quellen letztlich offen bleiben. Da die ursprüngliche Semantik des Namens im Altirischen jedoch nicht mehr erkennbar war, ist eine Re-Interpretation grundsätzlich nicht überraschend; und in Anbetracht der bedeutenden Stellung der Morrígain in der Mythologie des Kriegs mag eine Deutung des unverständlich gewordenen Mor-Elements als mór „groß“ nicht mehr gewesen sein als der Weg des geringsten Widerstands. Alternativ könnte man auch fragen, ob die Auffassung der „Todeskönigin“ als „Große Königin“ vielleicht die Folge einer gelehrten Assoziation zwischen der Morrígain und der mater deorum Hibernensium Anu ist (siehe oben S. 128), die einem Schreiber dadurch suggeriert worden sein könnte, daß die Brüste beider Gestalten zur Bildung von Hügelnamen nach dem Muster „zwei Hügel“ = „Brüste der NN“ herangezogen worden sind (siehe oben S. 128 und unten S. 134 f., 159 f.). Solche Überlegungen müssen jedoch reine Spekulation bleiben. Interessanter ist vielleicht, daß die Reinterpretation der Morrígain als Mórrígan und somit „Große Königin“ kaum erkennbare Auswirkungen auf den Charakter der Gestalt gehabt zu haben scheint, etwa im Sinne eines neuerworbenen ‚Souveränitätsaspekts‘. Zwar wollen Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 177–181 und Clark 1991 S. 33 f. in einer Szene einen Souveränitätsaspekt finden, in der die Morrígain mit dem Dagda Verkehr hat und ihm daraufhin gegen seine Feinde beisteht; eine solche Deutung scheint mir jedoch keinen Rückhalt im eigentlichen Text zu haben (für die fragliche Stelle vgl. unten S. 153 f.). Ein klarer Auftritt als Souveränitätsgestalt scheint unter den Bodbs und Morrígains nur für Macha bezeugt zu sein: In mehreren, wohl vielsagenderweise erst der mittelirischen Zeit zugehörigen Quellen wird eine Episode berichtet, in der sich die Kriegerkönigin Macha Rotmähne die Herrschaft über Irland gegen den Widerstand mehrerer männlicher Thronprätendenten erstreitet; für eine Zusammenfassung und Zusammenstellung der Belege vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 190 f., oder vgl. Birkhan 1997 S. 545; de Vries 1961 S. 128 f. In der mittelirischen Zeit kann es ferner zu einer Identifizierung Anus mit der Morrígain kommen (siehe unten S. 134 f.).
Kollektivcharakter
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Kollektivcharakter Ein wichtiger Zug der irischen Dämoninnen ist ihr Charakter als Kollektiv. Zwar können sie individuell auftreten und handeln, und tun dies auch sehr häufig; so erscheint die Morrígain in Táin Bó Regamna teilweise alleine (§§ 5–7), teilweise als einzelne Frauengestalt in Begleitung eines großen Mannes mit einem Gabelstock (§§ 2 f.) – das Motiv der monströsen Frau in Begleitung eines monströsen Mannes mag dabei wichtig sein, da es sich auch in Togail Bruidne Da Derga findet (§§ 38–40).464 Auf weitere Einzelauftritte der Morrígain – insbesondere in der Táin Bó Cúailnge und in Cath Maige Tuired – wird im folgenden noch detailliert zurückzukommen sein.465 Aber es handelt sich bei der Morrígain – auch im Kontext weiblicher Figuren – doch nicht um eine isolierte Einzelgestalt; dies hatten schon die oben besprochenen Glossen von Cormac und dem unbekannten Glossator zu Gúdemain gezeigt, in denen die morrígans im Plural auftreten, ebenso wie die Glosse in O’Mulconrys Glossar, in der Macha als eine der drei Morrígains erschien. Hier ist „Morrígain“ nicht nur ein Eigenname, sondern zugleich eine Bezeichnung für ein Mitglied einer bestimmten Gruppe von Gestalten.466 Entsprechend tritt die Morrígain in der Erzählung von der ersten Schlacht von Mag Tuired467 als Mitglied einer Dreiergruppe auf: So greifen Bodb und Macha und Morrígain (hier ohne den bestimmten Artikel) in § 29 die Fir Bolg mit einem schrecklichen Zauberregen von Nebel, Feuer und Blut an, der auf ihre Krieger herniederregnet. In § 39 schließen sich diese drei, vermehrt um Danann, dem Heer der Túatha Dé an, als es gegen die Fir Bolg in die Schlacht zieht.468 Ihr Verhältnis zu Danann wird in § 48 erklärt: 464 465
466
467
468
Siehe unten Anm. 576. Siehe unten S. 153 ff. In diesen beiden Belegen wird die Schlachtfelddämonin gerade in ihrer Interaktion mit einem männlichen Gegenüber als Individuum greifbar. Hierin den Walküren ganz ähnlich, zeigt auch die Bodb beim Erscheinen als reiner Schlachtfelddämon weniger individuelle Züge als in den Belegen, in denen sie in eine engere Beziehung zu einem konkreten (männlichen) Helden tritt. Die drei Morrígains stehen nicht allein damit, daß sich die Bezeichnung für das Mitglied der Trias mit dem Eigennamen überschneidet – vgl. die drei göttlichen Schwestern namens Brigit bei Cormac, hgg. von Stokes 1862 S. 8 und hgg. von Meyer 1913 (1994) S. 15 (Nr. 150). Hgg. von Fraser 1916. Der Text mag in Teilen auf die frühmittelirische Zeit zurückgehen, ist aber später mehreren Revisionen unterzogen worden: Fraser 1916 S. 3. Für eine detaillierte Besprechung der Auftritte der Morrígains in diesem Text vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 75–79. Fraser 1916 S. 34/35. Frasers Übersetzung – eher eine freie Paraphrase: „The women, Badb, Macha, Morrigan and Danann offered to accompany them.“ – ist hier zu zurückhaltend; der irische Text lautet: Rachmaitne lib, ar na ingena .i. Badb 7 Macha 7 Mo-
134
Irland: Die Bodb
Danann ist eine ihrer beiden Ziehmütter. Dies suggeriert, daß die engere Gruppe der Dämoninnen als aus drei Gestalten bestehend gedacht wurde (entsprechend werden sie als die tri bantuathacha, „drei Zauberinnen“, zusammengruppiert, ibidem § 48), und daß es einer Erklärung bedurfte, ihnen die überzählige, aber hier ebenfalls kriegerische Danu beizugesellen. Im Lebor Gabála erscheinen Bodb, Macha und die Morrígain zusammen als „Töchter der Ernmas“469 und damit erneut als Triade. So etwa in einem Prosaabschnitt und einer Strophe des darauffolgenden Gedichts, das die Eroberung Irlands durch die Túatha Dé Danann behandelt (§ 346; Gedicht LIII [sic leg.] Strophe 11):470 […]. Badb 7 Macha 7 Anann .i. Morrigan .i. diatat Da Chich Anann i l-Luachair, tri ingena Ernbais na bantuathaige […].471 „[…]. Bodb und Macha und Anann – das heißt, die Morrigan – nach der die ‚Zwei Brüste der Anu‘ in Luachair benannt sind, die drei Töchter von Ernmas der Herrin472 […].“
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rigan 7 Danann. „Wir werden mit euch gehen, sagten die Mädchen […].“ (Vgl. Hennessy 1870 S. 40.) Es handelt sich eher um eine Feststellung als um ein Angebot. Entsprechend greifen sie in § 48 zusammen mit den männlichen Kriegern an. Vgl. Clark 1987 S. 226; detailliert Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 61–67. Zu Ernmas vgl. Gray 1982 S. 124. Gray weist auf die §§ 314, 316, 338 und 346 im Lebor Gabála (hgg. von Macalister 1941) als Belegstellen für Bodb, Macha und die Morrígain/Anu als Töchter der Ernmas hin; in § 368 erscheinen sie als die Töchter des Delbáeth (Gray 1982 ibidem). Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 67–70 für den grob vergleichbaren Befund des Ban˙senchas. Der Prosaparagraph gehört zu Rezension b (nach Scowcrofts Analyse) des Lebor Gabála, erscheint dort aber nur im RIA Manuskript Stowe D.iv.3 aus dem 16. Jh.; in diesem Manuskript ist nach dem Prosaparagraphen auch das Gedicht enthalten: Scowcroft 1987 S. 86, 140. Das Gedicht gehört schon zur Fassung von Rezension a im Buch von Leinster: Scowcroft 1987 S. 140. Lehmacher 1923 versuchte keine Datierung des Gedichts. Im Buch von Leinster erscheint diese Passage in der Hand von Aed mac meic Crimthaind (vgl. O’Sullivan 1966 S. 6 und die Überblickstabellen ibidem zwischen S. 30 und S. 31). O’Sullivan 1966 S. 27 nimmt nach einer Untersuchung der Paläographie der Handschrift an, daß das Lebor Gabála im Buch von Leinster, soweit es von Aed geschrieben wurde, im Jahr 1166 abgeschlossen worden ist. Jedoch weicht die Fassung im Buch vom Leinster im 2. und 3. Vers ab, teilweise durch offensichtliche Korruption des Textes (Dittographie): Buch vom Leinster hgg. von Best et al. 1954 Zeilen 1230–1233. Die hier relevante Aufzählung dieser Figuren als Töchter der Ernmas und damit Mitglieder einer Gruppe wird dadurch jedoch nicht berührt. Text: Macalister 1941 S. 160. Ein túathach wird vom Royal Irish Academy Dictionary als „lord, chief“ erklärt (s. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚túathach‘); für bantúathach verweist es ibidem auf einen separaten Eintrag, der jedoch nicht existiert. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 62 mit Anm. 32 übersetzt „sorceress“, vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚túa-
Kollektivcharakter
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Badb is Macha, m¯et n-indbais, Morrigan, f¯atha felbais, tindrema aga amnuis, ingena a¯ na Ernmais.473 „Bodb und Macha, Größe des Reichtums, Morrigan, Gründe von Zauberei, Durchführungen von grausamem Kampf,474 die glänzenden Töchter von Ernmas.“
Auch hier werden also die Bodb, Macha und die Morrígain zu einer Gruppe zusammengefaßt, in diesem Fall der Gruppe der Töchter von Ernmas. Die Identifizierung von Anu und der Morrígain im Prosaabschnitt kommt auch anderswo vor,475 obwohl die beiden Gestalten mitunter auch als getrennte Individuen behandelt werden.476 Vergleicht man hiermit Cormacs oben zitierte viel ältere Glosse zu Anu als mater deorum Hibernensium und die Weise, wie Cormac die Morrígain verwendete, um Gúdemain zu glossieren, scheint dies merkwürdig. Bei Cormac war Anu eine große, nährende Göttermutter, während die Morrígains mit Schrecken und Gespenstern auf eine Stufe gestellt wurden. Daher ist es überraschend, Anu und die Morrígain hier identifiziert zu finden.477 Vermutlich ist diese Identifizierung mit der mittelirischen Volksetymologie der Morrígain „Mahren-/Todeskönigin“ als Mórrígan „Große Königin“ zu verbinden: So mag ein gelehrter Schreiber z. B. Cormacs nährende große Göttermutter mit der vermeintlichen „Großen Königin“ assoziiert haben.478 Zugleich scheint die Dreizahl der Töch-
473 474
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476 477
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thaid‘ (vom Royal Irish Academy Dictionary übersetzt als „magician, witch“, aber mit nur einem Beleg). Beides scheint möglich. Text: Macalister 1941 S. 216. Macalister 1941 S. 217: „sources of bitter fighting“; Lehmacher 1923 S. 176: „Dienerinnen (wörtl. Dienste) harten Kampfes“; nach dem Royal Irish Academy Dictionary sind die beiden hauptsächlichen Bedeutungen von tinnrem „act of performing, carrying out“ und „service, attendance“; mir scheint die erstere Möglichkeit naheliegender, wobei der Sinn so oder so derselbe bleibt: Die Töchter von Ernmas tragen ihren Teil zu grausamen Kämpfen bei. Inhaltlich ganz unverständlich und sprachlich nicht nachvollziehbar ist die ohne Erklärung von Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 67 gegebene Übersetzung „servants in her attendance“. Lebor Gabála § 316k (Buch von Leinster); vgl. auch § 314, wo in der Fassung von Rezension a (Scowcroft 1987 S. 140) im Buch von Fermoy Macha mit der (oder als eine) Morrigan identifiziert wird. Lebor Gabála § 338 und Gedicht LIII Strophen 10 f. Zum fragwürdigen Charakter des Lebor Gabála als religionsgeschichtlicher Quelle vgl. Scowcroft 1987 S. 82; Herbert 1996 S. 142. Vgl. auch oben Anm. 463 mit einer alternativen Deutungsmöglichkeit der Assoziation zwischen Anu und der Morrígain.
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Irland: Die Bodb
ter von Ernmas kanonisch gewesen zu sein, so daß ein zusätzliches Mitglied der Gruppe mit einem der anderen Mitglieder identifiziert werden mußte. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die irischen Dämoninnen vom Typ der Morrígain oder der Bodb nicht nur als Einzelgestalten erscheinen können, sondern auch und insbesondere als Kollektiv. Wo sie als Kollektiv auftreten und ihre Zahl spezifiziert wird, haben sie einen deutlich triadischen Charakter.
Tod Schon aus dem bisher vorgestellten Material ist deutlich geworden, daß es sich bei den Morrígains um eine Klasse von schreckenerregenden, mit Verderben verbundenen Gestalten handelt, die auch selbst in Kämpfe eingreifen können. Die enge Beziehung dieser Gestalten gerade zum gewaltsamen Tod und zum blutigen Gemetzel tritt in anderen Belegen jedoch noch deutlicher hervor. So berichtet die Erzählung von der Bruiden Meic Dareó von einem Blutbad, das die Zinsbauernstämme unter den freien Iren anrichteten.479 Da die Höhe des von ihnen zu entrichtenden Tributs zu schwer auf ihnen lastete, beschlossen die Zinsbauern, alle ihre Herren zu einem großen Gelage einzuladen und sie dort zu erschlagen; am neunten Abend des Fests wurde dieser Plan in die Tat umgesetzt, und bis auf drei ungeborene Söhne wurden alle freien Geschlechter Irlands hingeschlachtet. Dieses Gemetzel kommentiert der Text mit den Worten (§ 5): Ba forbh¯ailidh Badhbh derg da-ssachtach 7 ba bronach banchuire don treas sin.480 „Die rote, rasende Bodb war überfroh, und die Frauenschar war traurig über diesen Kampf.“481 Ähnliche Freude an Gemetzel und Blutvergießen zeigt die Morrígain in Reicne Fothaid Canainne,482 einem Text des späten neunten oder frühen zehnten Jahrhunderts.483 Dieses Gedicht wird nach einer Prosadarstellung vom abgetrennten Kopf des Fothad Canainne zu seiner Geliebten gesprochen, nachdem Fothad Canainne in der Schlacht gegen deren Ehemann am selben Tag geschlagen und enthauptet worden war.484 Auf dem
479 480 481 482 483
484
Hennessy 1870 S. 39; hgg. von Thurneysen 1917 S. 59–69. Text: Thurneysen 1917 S. 61 f. Übersetzung geringfügig adaptiert nach Thurneysen 1917 S. 66. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 166 f. Meyer 1910 S. 1. Nach ibidem S. xix aber achtes Jahrhundert. Zur Morrígain in diesem Text vgl. Borsje 2007. Meyer 1910 S. 3–9. Das Gedicht selbst ist in Hinblick auf die Erscheinung Fothad Canainnes unklar; vielleicht kann man Strophe 49 (Meyer 1910 S. 16/17) so deuten,
Tod
137
nächtlichen485 Schlachtfeld finden sich nicht nur die Leichen der Gefallenen, sondern auch die Morrígain (Strophen 41–43): At¯a[a]t immunn san c[h]an, dreman inathor dimar,
mór fodb asa fordercc bol, nodusnigh an Mórríoghan.
Don¯arlaith do bil oige, is mor do fodboibh nigius,
isi cotanasoide, dremhan an caisgen tibhes.
Rol¯a a moing dar a hais, cid gar di sund úan i mbé,
cride maith recht nodaais, n¯a fubthad uaman do gn¯e.486
„Um uns ist hier und dort | viel Beute, deren Glück berühmt ist, rasend sind die übergroßen Eingeweide, | die die Mórrígan wäscht. Sie ist von der Kante eines Pfeilers( ? ) zu uns gekommen, | sie ist es, die uns aufgestachelt hat, eine große Menge von Beutestücken ist es, was sie wäscht, | rasend ist das Haßgelächter, das sie lacht. Sie hat ihre Mähne über ihren Rücken geworfen, | es ist ein gutes Herz, ein Mann, der sie haßt, sei es auch nahe davon, von uns, wo sie ist, | Furcht soll deine Gestalt nicht erschrecken.“
Daß die Morrígain Eingeweide und Beutestücke wäscht, erinnert an das Motiv der ‚Wäscherin an der Furt‘, die denen, welche ihr auf dem Weg in die Schlacht begegnen, den bevorstehenden Tod ankündigt.487 Hier wichtiger jedoch ist das Lachen der Morrígain: Wie die Bodb in Bruiden Meic Dareó erfreut sie sich am Gemetzel, am Tod und am vergossenen Blut. Zudem hatte sie selbst zuvor die Krieger angestachelt; sie genießt den blutigen Tod also nicht nur, sondern leitet ihn auch in die Wege. Zwar gibt der Text keinen Hinweis darauf, daß sie selbst tötet, aber sie versteht die Menschen so zu lenken, daß hierzu auch keine Notwendigkeit besteht. In Anbetracht dieser Darstellung der Morrígain ist nichts Überraschendes oder Klerikales darin zu sehen, daß der Verfasser des Glossars im Codex Reginae Lat. 215 die lamia, die sich in den Ruinen Edoms eine Ruhestätte sucht, als morigain erklärt hat.
485 486 487
daß er als Gespenst spricht (vgl. Meyer 1910 S. 3) – was aber nichts klarer macht, da offen ist, wie ein zeitgenössischer Ire sich dies vorgestellt hätte. Strophe 45. Text: Meyer 1910 S. 16. Zur ‚Wäscherin an der Furt‘ vgl. ausführlich Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 159–181; Bauer-Harsant 1996 S. 125–135; Lysaght 1986 S. 197–202, 208–214 et passim.
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Irland: Die Bodb
Vögel Die Affinität der hier betrachteten Figuren zur Vogelgestalt war stark genug, um in der späteren Tradition zum zentralsten Wesenszug zu werden.488 So werden fast alle diese Gestalten im Wörterbuch des im frühen 19. Jh. verstorbenen Peter O’Connell489 gerade über ihre Erscheinung als Nebelkrähen definiert: Badb-catha is explained by “Fionóg, a royston crow, a squall crow”. “Badb, i. e. bean sidhe, a female fairy, phantom, or spectre, supposed to be attached to certain families, and to appear sometimes in the form of squall crows, or royston crows”. “Macha; i. e. a royston crow”. “Morrighain; i. e. the great fairy”. “Neamhan; i. e. Badb catha nó feannóg ; a badb catha, or a royston crow”.490
Eine ähnliche Definition der Macha als Bodb und Nebelkrähe gibt das Glossar von Michael O’Clery, gedruckt 1643: .i. badhb, no feannóg. mol macha .i. cruinniughadh badhb, no feannóg ‘a royston-crow’.491 „MACHA , das heißt Bodb, oder Nebelkrähe. Machas Achse [oder: Machas Lärm?],492 das ist eine Versammlung von Bodbs, oder von Nebelkrähen – ‚a royston-crow‘.“ MACHA
Daß diese enge Beziehung zwischen den Schlachtendämoninnen und der Vogelgestalt nicht erst der späten Zeit entstammt, sondern schon im frühen Material vorhanden ist, ließe sich mit einer Vielzahl von Beispielen belegen; es seien nur zwei herausgegriffen. In der frühmittelirischen493 Erzählung Táin Bó Regamna trifft Cú Chulainn auf eine ganz rote Frau in einem Streitwagen mit einem großen männlichen Begleiter mit einem Gabelstock, der 488 489 490
491 492
493
Vgl. Hennessy 1870 S. 33–35. Hennessy 1870 S. 34. Text: Hennessy 1870 S. 34 f. Das Wörterbuch ist noch nicht veröffentlicht, daher ist dieser Auszug hier nach Hennessy wiedergegeben. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 52 f. Text: Miller 1881–1883 S. 19. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 50 f. Die Übersetzungen „Achse“ (vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚1 mol‘) und „Lärm“ (vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚2 mol‘) müssen sich nicht gegenseitig ausschließen; das Royal Irish Academy Dictionary zieht in Erwägung, daß beide Worte identisch sind und im zweiten Fall (‚2 mol‘) ein metaphorischer Gebrauch des ersten Begriffes (‚1 mol‘) vorliegt: Das Wort („seems used of a constantly reiterated refrain or noise“) könnte auf „the continuous rotation or splashing of a mill-shaft“ anspielen (Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚2 mol‘). In Verbindung mit den irischen Kriegsdämoninnen mag man vielleicht an den Lärm denken, den ein Krähenschwarm von sich gibt. Corthals 1987 S. 15. Thurneysen (1921 S. 667) stellte den Text in das 9. Jh.
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eine Kuh treibt (§ 2). Diese dämonische Frau wird in einer der beiden Handschriften des Textes als die Morrígain, in der anderen als die Bodb bezeichnet (§ 7). Als Cú Chulainn nach einem provokativen Gespräch mit den beiden in seinen Streitwagen springt, ist alles – Frau, Wagen, Pferd, Mann und Kuh – verschwunden; stattdessen sitzt die Frau in der Gestalt eines schwarzen Vogels in seiner Nähe und führt so das Streitgespräch mit ihm fort (§ 5). Ebenso tritt die Morrígain in der oben schon angesprochenen Passage der Táin Bó Cúailnge als Vogel auf, in der sie den Donn Cúailgne vor den Connachtern warnt.494 Diese Passage ist vielleicht in die erste Hälfte des 8. Jh. zu datieren;495 die retoiric, mit der sie den Stier warnt, mag noch älter sein,496 wenngleich sich keine definitive Entscheidung darüber treffen läßt, ob sie schon vor dem 8. Jh. in eine Szene dieser oder ähnlicher Art eingebunden war. Diese beiden Auftritte der Morrígain/Bodb in der frühen Literatur illustrieren, daß die Neigung der Schlachtfelddämoninnen, in Vogelgestalt aufzutreten, ein alter Zug ist, der einen wesentlichen Teil ihres Charakters darstellt.
Verschlingen Die Bodb teilt mit den (Aas-)Vögeln jedoch nicht nur gerne die Gestalt, sondern zeigt auch einen ganz ähnlichen Appetit. Sie wird häufig als bélderg „mit rotem Mund (oder wohl eher: Schnabel)“ bezeichnet.497 Was es mit der Bezeichnung der Bodb als „rotschnäbelig“ auf sich hat, geht aus einer Stelle in der ausführlichen Fassung von Tochmarc Ferbe hervor.498 Dort wird über die Taten von eben im Kampf gefallenen Kriegern gesagt: 494 495 496 497
498
Táin Bó Cúailnge I Zeilen 954–966. Siehe oben S. 130 f. Siehe oben S. 130. So in Bruiden Da Choca Rezension A § 33 Zeile 261 (im Plural; Toner 2007 S. 120; Hennessy 1870 S. 38); Táin Bó Cúailnge II Zeile 3431; Cath Almaine B Zeile 97, Y Zeile 84 (Ó Riain 1978 S. 8, 23; Hennessy 1870 S. 43); Cath Catharda Zeile 4356 (im Plural; Stokes 1909 S. 326; auch zitiert bei Gulermovich Epstein 1998 [War Goddess] S. 207, 250 f.); in der Erzählung von der Jagd vom Síd na mBan Finn und vom Tod des Finn S. 94 Zeile 25 (wieder im Plural; Meyer 1910 S. 94; zitiert bei Gulermovich Epstein 1998 [War Goddess] S. 230 f. Anm. 74); Togail na Tebe Zeilen 194, 1369 (Singular), 1875, 2742, 3018 (Plural) (Calder 1922 S. 12, 86, 120, 174, 194; Togail na Tebe wird einschließlich aller dieser Stellen bei Gulermovich Epstein 1998 [War Goddess] S. 252–264 besprochen). Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 210 f.; Thurneysen stellt diese Fassung dieser Erzählung (Fassung II) in die Mitte des 12. Jh.: Thurneysen 1921 S. 669. Der Text ist hgg. von Windisch 1897.
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Ro biathsaid Baidb co m-báni, allus airm, lór a chruadi.499 „Ihr habt die blasse500 Bodb gefüttert, mittels der Waffen – ausreichend ihre Härte.“
Hier wird ausdrücklich festgestellt, daß die gefallenen Krieger die Bodb gefüttert haben. Daraus wiederum erklärt sich die rote Farbe des Schnabels der Bodb, der dämonischen Nebelkrähe: Das Rot ist das Rot des Bluts der Leichen der Krieger, welche die Bodb verzehrt.501 So wird auch verständlich, warum die Bodb in der Erzählung von der ersten Schlacht von Mag Tuired für das Gemetzel dankbar ist.502 Dort lautet eine Strophe in einem Gedicht, das Fathach spricht, als er die Heere aufmarschieren sieht (§ 35): Bid buidech in Badb derg dib do comragaib cath atchim. bid imda a cuirp tolla thoir da turus a Turedmoig.503 „Die rote Bodb wird ihnen dankbar sein für die Schlachtenkämpfe, die ich sehe. Ihre zerstochenen Leiber im Osten werden viele sein von ihrer Reise auf die Tuired-Ebene.“
Diese Dankbarkeit bezieht sich aller Wahrscheinlickeit nach auf das Festmahl, welches das Aufeinandertreffen der Heere für die Bodb auf dem blu-
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Text: Windisch 1897 S. 508. Die bleiche Farbe der Bodb spielt vermutlich auf die graue Färbung von Brust und Rücken der Nebelkrähe an. Die von Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 210 f. Anm. 42 gegen diese Übersetzung vorgebrachten grammatikalischen Bedenken sind gegenstandslos, vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚báine‘ und Thurneysen 1946 § 293. Ebenso übersetzen Windisch 1897 S. 509 („Ihr habt die Badb gespeist, die bleiche, | vermittelst der Waffen – genügend ihre Härte –!“) und Gulermovich Epstein selbst (ibidem). Als Beleg für diese Natur der Bodb als Aasfresser weist Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 53 f. auch auf einen Eintrag in einem Glossar in der Handschrift Egerton 158 (British Museum) hin, der die Bodb als fíach garbh und als Geier (préachan ingneach) erklärt (Stokes 1907 S. 148 Nr. 59); freilich stellt sich die Frage, was der irische Terminus eigentlich bedeutet, da es in Irland praktisch keine Geier gibt, wie Gulermovich Epstein selbst ausführt (1998 [War Goddess] S. 310), und es deshalb überraschend wäre, wenn ein irischer Glossator eine sehr konkrete Vorstellung von diesen Vögeln gehabt hätte. Dieser Eindruck wird durch den Eintrag in Dinneen verstärkt (1979 s.v. ‚préachán‘), der als Grundbedeutung von préachán „Krähe, Rabe“ angibt und nur die Wendung préachán ingneach (wörtlich etwa „Klauenkrähe“) als Geier übersetzt. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 76. Text: Fraser 1916 S. 32.
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tigen Schlachtfeld hinterlassen wird. Ensprechend lassen sich in einem Bericht über die Schlacht von Cnucha in einer Handschrift des 14. Jh. die Bodbs auf den toten Kriegern nieder:504 Wohl, um an ihnen zu fressen. Derselbe Gedanke erscheint vielleicht in einer Strophe von Bruiden Da Choca, Rezension B (§ 33): Biaidh sluagh duairc i [d]tigh Bhruidhne, riú ba bronaigh breacbhuidhne; bidh f¯ailidh Badhbh, beodha an cleas, dia [g]collaibh arna [g]coimhcheas.505 „Eine grimmige Schar wird im Haus der Festhalle sein, um die bunte Gesellschaften traurig sein werden; die Bodb wird fröhlich sein, lebhaft das Kunststück, da sie vernichtet wurden, nachdem ihr Körper seiner Kraft beraubt worden war.“
Noch deutlicher wird in der Erzählung von den Triumphen von Turlough (Caithréim Thoirdhealbhaigh) aus der Mitte des 14. Jh.506 gesagt: Dinne bud buidech badhba . aniugh nár cath catharda ¦ atáid ag fuirech re feoil . agus bud buidhech braineoin.507 „Uns werden die Bodbs dankbar sein, | heute in unserer kriegerischen Schlacht – | sie warten auf Fleisch; | und die Rabenvögel werden dankbar sein.“
Auch hier fressen die Bodb-Nebelkrähen von den Toten der Schlacht, Seite an Seite mit den Raben. Freilich stellt sich die Frage – zumal bei einem so späten Text wie Caithréim Thoirdhealbhaigh – ob die badhba hier überhaupt Schlachtfelddämonen in der Gestalt von Nebelkrähen sind, oder nicht nur Nebelkrähen als Aasvögel, die einen alltäglichen Teil der mittelalterlichen Erfahrung des Krieges gebildet haben müssen.508 Das Wort bodb selbst gibt hierüber ebensowenig Aufschluß wie der Kontext. Höchstens daß die badhba Seite an Seite mit Rabenvögeln genannt werden, die in der irischen Literatur in der Regel nur als Aasvögel ohne dämonische Assoziationen auftreten, mag ein Hinweis darauf sein, daß hier vielleicht eher einfache Krähen gemeint sind als Krähendämoninnen; aber letztlich ist auch dieses Argument nicht schlüssig: Eine Strophe in einer Glosse in der Handschrift 504
505 506 507 508
Hennessy 1870 S. 38 (Zitat nach einem nicht näher bestimmten „14th century MS.“): Biadh bádba os bruinnibh na bfear. „Bodbs werden über den Brustkörben der Männer sein.“ Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 212. Text: Toner 2007 S. 248 Zeilen 414–417. Flower in Mac Craith 1929 Bd. 1 S. xiv. Text: Mac Craith 1929 Bd. 1 S. 103. Als Beispiel für Raben als Aasvögel des Schlachtfelds in der Literatur vgl. etwa die Schilderung der bluttrinkenden Raben in Bruiden Da Choca, Rezension A, § 16, Zeilen 83–86 (Toner 2007 S. 108/109).
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H.3.18 (Trinity College, Dublin) bezeichnet die Dämoninnen als mna trogain „Rabenweibchen“ (auf diese Stelle wird im folgenden noch detaillierter einzugehen sein). Festzuhalten ist in jedem Fall, daß die bodb zumindest als Vogel aufs engste mit dem Verschlingen der gefallenen Krieger assoziiert war. Es scheint unnötig, hier das gesamte von Gulermovich Epstein zusammengetragene Material zu wiederholen;509 aber es ist noch kurz darauf einzugehen, auf welcher Grundlage die Annahme berechtigt scheint, daß der Zug des Verschlingens der Toten nicht nur die bodb als Nebelkrähe, sondern auch die Bodb als Dämonin charakterisiert hat. Hier ist auf die oben schon teilweise zitierte Glosse zu Machæ in O’Mulconrys Glossar zurückzukommen.510 Dieser Glossareintrag lautet vollständig folgendermaßen: Machæ .i. badb. no asi an tres morrigan, unde mesrad Machæ .i. cendæ doine iarna n-airlech.511 „Macha, das ist eine Bodb [Nebelkrähe]. Oder sie ist eine der drei Morrígains, woher [der Ausdruck] ‚Machas Mast‘ [kommt], das heißt: Die Köpfe von Menschen, nachdem sie niedergemetzelt worden sind.“
Daß die Phrase mesrad Machæ nicht nur eine Erfindung eines phantasievollen Glossators war, sondern tatsächlich benützt wurde, zeigt eine erweiterte Fassung dieser Glosse in einer Papierhandschrift aus der ersten Hälfte des 15. Jh. (H.3.18, Trinity College, Dublin):512 Maiche .i. bodb . no isi in tres morrigan .i. maiche 7 bodb 7 morrigan . unde mesrad maiche .i. cenna daoine iarnanairlech . ut dixit dubruis Garbae adbae innon fil illomrad fir maiche mes inagat laichliu illes illuaiget mna trogain tres.513 „Macha, das ist eine Bodb [Nebelkrähe]. Oder sie ist eine der drei Morrígains, nämlich Macha und Bodb und Morrígain. Woher [der Ausdruck] ‚Machas Mast‘ [kommt], das heißt: Die Köpfe von Menschen, nachdem sie niedergemetzelt worden sind. Wie Dubruis gesagt hat: ‚Rauh sind die Stätten, an denen wir sind, wo Männer die Ernte der Macha abscheren, wo sie junge Kälber in die Hürde treiben, wo Rabenweibchen Kampf führen.‘“514
509 510 511 512 513 514
Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 208–217 et passim. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 48–50. Text: Stokes 1900 (Glossary) S. 271 Nr. 813. Stokes 1859 S. 215; Hennessy 1870 S. 36. Text: Stokes 1859 S. 213; vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 49. Übersetzung der Strophe leicht adaptiert nach Meyer 1919 S. 98. Zu la-ichliu und le-ss vgl. ibidem.
Verschlingen
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Nun bedeutet mesrad sowohl „Mast“ – vor allem Eichelmast, aber auch Nüsse und verwandte Früchte – als auch das Füttern mit Mast;515 und in diesem wie jenem Sinne (da ja auch Mast dazu bestimmt ist, verfüttert zu werden) ist ‚Machas Mast‘ letztlich Machas Mahl. Die abgeschnittenen Köpfe der toten Krieger sind das Futter der Macha, die als Bodb und eine der drei Morrígains erklärt wird. Hier ist das Verschlingen der toten Krieger eindeutig nicht nur ein Verschlingen durch eine Nebelkrähe, die vielleicht zugleich eine Schlachtfelddämonin sein könnte, sondern ein Verschlingen durch eine Schlachtfelddämonin, die freilich dabei in Gestalt einer Nebelkrähe erscheinen mag. Daneben ist von Interesse, daß in der vom Verfasser der Glosse zitierten Strophe diese Dämoninnen anscheinend im Kontext eines Rinderraubzugs auftreten, im Zuge dessen die Köpfe der Unterlegenen abgeschnitten werden, und daß die Dämoninnen dabei am Kampfgeschehen teilhaben – vielleicht, um mit mehr Mast gefüttert zu werden. Dies legt eine mögliche Erklärung dafür nahe, warum sich die Bodb auf dem nächtlichen Schlachtfeld aufhielt, als der junge Sétanta seinen König Conchobar nach dessen Niederlage gegen Eógan Sohn von Durthacht rettete:516 Möglicherweise als Aasvogel, um die Leichen zu fressen. In diesen Bereich der leichenfressenden, gerade an Schädeln interessierten Vogeldämonen der Schlachtfelder der frühmittelalterlichen britischen Inseln gehören vielleicht auch die beiden Dämonen auf dem Stein von Papil (Shetlands; Fig. 3),517 datiert ins 7./8. Jh. n. Chr.518 Am unteren Ende dieses verzierten Steinkreuzes erscheinen zwei Wesen mit weitgehend menschlichem Körper, aber mit Vogelbeinen und langem Vogelschnabel. Beide haben je eine Axt geschultert. Sie wenden sich die Gesichter mit den langen Schnäbeln zu, so daß ihre Schnabelspitzen nahezu aneinanderstoßen; zwischen den Schnäbeln ist ein (auffallend kleiner) menschlicher Kopf dargestellt. Vielleicht hacken die beiden Dämonen mit ihren Schnäbeln gerade auf diesen abgetrennten Kopf ein.519 Da die beiden Vogelmischwesen durch die Äxte in ihren Händen dem Bereich des Krieges zugewiesen wer-
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Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚mesrad‘; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 48 Anm. 10. Táin Bó Cúailnge I Zeilen 481–523, besonders 498–500. Man beachte, daß sie sich ausrücklich bei den Leichen befindet. (Zeilen 498 f.: Co cuala ní, in [m]boidb dinib collaib. – „Man hörte etwas, die Bodb von den Leichen her.“) Erstveröffentlichung: Goudie 1881. Datierung nach Angaben der National Museums Scotland (X.IB 46). So Birkhan 1999 S. 37.
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Irland: Die Bodb
Fig. 3: Stein von Papil, Shetlands. 7./8. Jh. n. Chr.
Übergang ins Jenseits?
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den, mag sich somit das Auffressen von menschlichen Köpfen durch halb vogelgestaltige Dämonen der Schlacht auch hier wiederfinden.520
Übergang ins Jenseits? Clark ist die Verbindung der Bodb mit der Banshee der späteren Folklore aufgefallen, die in O’Connells Wörterbuch durchgeführt worden war;521 diese Stelle (bereits oben ausführlicher zitiert) lautete: “Badb, i. e. bean sidhe, a female fairy, phantom, or spectre, supposed to be attached to certain families, and to appear sometimes in the form of squall crows, or royston crows”.522
Die zentralste Funktion der Banshee der modernen irischen Folklore ist das Verkünden eines bevorstehenden oder eben eingetretenen Todesfalles.523 Die Banshee ist eine Todesbotin524 und steht damit in der Tradition mancher Auftritte der Bodb schon in der frühen Literatur. So prophezeit die Bodb in der Erzählung von Da Chocas Herberge (Bruiden Da Choca §§ 15–18 und §§ 33 f.) zweimal den kurz bevorstehenden Tod von Cormac Conloinges; zugleich stellt sie bei ihrem ersten Auftritt selbst sicher, daß Cormac eines seiner gessa („Tabus“) bricht (§ 15), die ihm bei seiner Geburt auferlegt worden waren (§ 6) und deren Bruch ein weiteres Zeichen von Cormacs bevorstehendem Tod darstellt und diesen zugleich mit übernatürlichen Mitteln mit herbeiführt.525 520
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Spezifisch mit abgeschlagenen Kriegerköpfen scheint die Bodb auch noch in einer viel späteren Stelle assoziiert zu sein: In der frühneuirischen Erzählung vom Tod des Cú Chulainn wird Cú durch Conall Cernach gerächt. Conall spießt die Köpfe der Männer, die er auf dem Rachezug erschlagen hat, auf Pfähle, die als die biorchuailli Bodhbha „die Spießpfähle der Bodhbh“ bezeichnet werden: Aided Con Culainn § 58 (hgg. von van Hamel 1933 S. 69–133); Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 143–145. Vielleicht ist die dämonische Konnotation der Bodb aber in diesem späten Text auch schon so weit verblaßt, daß man besser „schreckliche Spießpfähle“ übersetzen sollte, vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚badb‘ zum Gebrauch als attributiver Genitiv Singular. Clark 1987 S. 225 f. Text: Hennessy 1870 S. 34 f. Lysaght 1986 S. 15. Zur Verwendung der Bezeichnung badhbh für die moderne Banshee in der neuirischen Folklore und für eine Übersicht über die Parallelen und Unterschiede zwischen der Gestalt der alten Literatur und der Figur der Folklore vgl. Lysaght 1986 S. 34–39. Lysaght 1986 S. 15. Ausführlicher zur Stelle vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 162–165. Zu Cormacs gessa vgl. Toner 2007 S. 14–18. Diese Szenen erscheinen mit nur gerin-
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Irland: Die Bodb
Ähnlich ist der Fall der Cailb in Togail Bruidne Da Derga §§ 61–63. Es ist dem König Conaire verboten, eine Gesellschaft, die aus einer einzigen Person besteht, nach Sonnenuntergang in seiner Halle aufzunehmen (§ 16).526 Am Vorabend seines Untergangs sind schon fast alle auf ihm liegenden gessa gebrochen worden; da kommt auch noch eine Frau zur Halle des Da Derga, wo Conaire für die Nacht Unterkunft gefunden hat, und verlangt Einlaß. Da diese oben schon erwähnte Stelle in mehrfacher Hinsicht wichtig ist, sei sie hier trotz ihrer Länge vollständig in Übersetzung gegeben (§§ 61–63): „Als sie dort waren, sahen sie nach Sonnenuntergang eine Frau zum Eingang der Herbergshalle kommen, und sie ersuchte, in das Haus gelassen zu werden. Jedes ihrer beiden Schienbeine war so lang wie ein Webbalken. Sie waren so schwarz wie ein Käfer. Sie trug einen gestreiften, sehr flaumigen Mantel. Ihr Schamhaar reichte bis zu ihrem Knie. Ihre Lippen waren an der Seite ihres Kopfes. Sie kam und lehnte ihre Schulter gegen den Türpfosten des Hauses, während sie den Bösen Blick auf den König und die jungen Männer warf, die im Haus um ihn waren. Er selbst sprach sie aus dem Haus an: ‚Wohlan, Weib, was siehst du für uns, da du eine Seherin bist?‘ ‚Ich sehe für dich,‘ sagte sie, ‚daß weder … noch Fleisch von Dir aus dem Haus entkommen wird, in das du gekommen bist, bis auf das, was die Vögel in ihren Krallen davontragen werden.‘ ‚Es war nicht ein übles Omen, was wir erwartet haben, Frau,‘ sagte er. ‚Du bist es nicht, die immer für uns die Zukunft vorhersagt. Was ist dein Name, Weib?‘ sagte Conaire. ‚Cailb,‘ sagte sie. ‚Das ist wirklich nicht unmäßig viel von einem Namen,‘ sagte Conaire. ‚Ha, viele und zahlreich sind meine weiteren Namen,‘ sagte sie. ‚Was sind sie?‘ sagte Conaire. ‚Nicht schwierig,‘ sagte sie: ‚Samain, Sinand, Seisclend, Sodb, Saiglend, Samlocht, Caill, Coll, Díchoem, Díchuil, Díchim, Díchuimne, Díchuinne, Dairne, Dáirine, Der úaine, Égem, Agam, Ethamne, Gním, Cluichi, Cethardam, Nith, Nemain, Noenden, Badb, Blosc, Bloar, Huaet, Mede, Mod.‘ Auf einem Fuß und einem Atemzug sang sie ihnen all dies vom Eingang des Hauses. ‚Was willst du?‘ sagte Conaire. ‚Das, was dir angenehm ist,‘ sagte sie. ‚Es ist für mich ein ges,‘ sagte Conaire, ‚eine Gesellschaft, die aus einer einzigen Frau besteht, nach Sonnenuntergang zu empfangen.‘
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gen Unterschieden in beiden Rezensionen von Bruiden Da Choca. Allerdings wird die dämonische Frau in beiden Episoden nur in Rezension B ausdrücklich als Bodb bezeichnet. (Zu den beiden Rezensionen von Bruiden Da Choca siehe oben Anm. 395.) Dieses Verbot erinnert an Suibhne Geilts Weigerung, von seinem Baum zu einer gewissen Frau hinabzusteigen, die ihn fangen will und ihn zu diesem Zweck darauf hinweist, daß sie doch nur baeghal áonmhná sei, eine schutzlose Frau allein (Buile Suibhne § 33).
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‚Auch wenn es ein ges ist,‘ sagte sie, ‚ich werde nicht gehen, bis ich gastliche Aufnahme finde, sofort heute Nacht!‘ ‚Sagt ihr,‘ sagte Conaire, ‚man wird ihr einen Ochsen und ein gesalzenes Schwein hinausbringen, und was ich übriglasse, und sie soll heute Nacht an einem anderen Ort bleiben.‘ ‚Wenn es dem König,‘ sagte sie, ‚jetzt schon auf eine Mahlzeit und ein Bett für eine einzelne Frau in seinem Haus ankommt, wird man etwas anderes von jemand anderem bekommen, bei dem Ehre sein wird, wenn die Gastfreundlichkeit des Fürsten, der in der Halle ist, zu einem Ende gekommen ist.‘ ‚Ihre Antwort ist wild,‘ sagte Conaire. ‚Laß sie herein, auch wenn es für mich ein ges ist.‘ Danach lag von dem Gespräch mit der Frau ein großer Schrecken über ihnen, und schlimme Vorzeichen, aber sie wußten nicht, woher er zu ihnen kam.“527
Auf diese Passage wird später erneut zurückzukommen sein; hier ist sie aufgrund der Prophezeiung der Cailb und ihrer Identifizierung als Bodb und Nemain in der Liste ihrer Namen wichtig.528 Cailb ist mit dem Tod des Königs – Conaire stirbt noch in derselben Nacht – auf doppelte Weise verbunden. Zum einen prophezeit sie sein Ende: Er werde die Halle nicht lebend verlassen; nur die Teile von ihm würden entkommen, welche die Aasvögel in ihren Krallen davontragen. Zum anderen bringt sie Conaire dazu, ein weiteres seiner gessa zu brechen – und unabhängig davon, ob dies auf magische Weise dazu beiträgt, Conaires Fall herbeizuführen, oder ob der Bruch des ges selbst nur ein weiteres Vorzeichen für den bevorstehenden Untergang darstellt, wird damit für Conaire und den Leser gleichermaßen deutlich, daß das Ende des Königs wieder einen Schritt nähergekommen ist. Zugleich identifiziert Cailb sich selbst als Badb und Nemain. Diese Schlachtfelddämoninnen, gerade unter dem Namen Bodb, erscheinen aber insbesondere auch als Nebelkrähen, und als Nebelkrähen treten sie als ebender Aasvogel auf, der sich von den Leichen der gefallenen Krieger nährt. So scheint es schwerlich Zufall zu sein, daß Cailb, die sich als Bodb und damit als Nebelkrähendämonin vorstellt, den Tod des Königs gerade im Bild der Aasvögel prophezeit, die sich am Leichnam des Königs gütlich tun. Die Stelle scheint zu suggerieren, daß die Bodb König Conaire in Gestalt der Cailb aufsucht, um ihr Kommen anzukündigen, und dann bei ihm in der Halle bleibt, um sich später in ihrer Erscheinungsform als Nebelkrähe an seinem Leichnam zu laben.529 Sie geleitet gewissermaßen den Tod
527 528 529
Übersetzt nach dem Text von Knott 1936. Gegen mögliche Vorbehalte gegen diese Identifizierung siehe oben Anm. 395. Vgl. hier vielleicht auch die Nebelkrähe, die sich in der Erzählung vom Tod des Cú Chulainn auf der Schulter des Helden niederläßt, als dieser eben seinen Wunden er-
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ganz nahe zu seinem Opfer, ist anwesend, wenn der Tod dieses Opfer ereilt, läßt sich dann zum Leichenschmaus nieder und trägt ihre Beute schließlich stückchenweise in ihren Krallen davon. Was danach geschieht, geht aus den irischen Quellen nicht hervor; zur Frage, ob die Dämonin, die den Tod herbeigeleitet, darauf die Seele des Toten (zusammen mit den Leichenstückchen?) fortgeleitet, läßt sich auf Basis der irischen Texte nichts sagen – in der irischen Literatur gibt es hierauf keinen Hinweis. Hier ist die Vogeldämonin zwar an der Schwelle zwischen Leben und Tod anwesend, aber nicht als Seelengeleiterin, sondern nur als Geleiterin des Todes und als aasvogelhafter Leichenfresser.530
Krieg und Gewalt Der Tod, mit dem die Bodb so eng verbunden ist, ist hier wie in zahllosen anderen Beispielen ein gewaltsamer Tod, ein Tod im Kampf. So verwundert es nicht, daß die Bodb/Morrígain in Tochmarc Emire § 50 als ‚Göttin der Schlacht‘ erklärt wird:531 I Ross Bodba .i. na Mórrígnae. Ar is ed a ross side .i. Crích Roiss 7 is sí dano in Bodb catha í 7 is fria asberar Bé Néid .i. bandé in chatha úair is inand Néid 7 día in chatha.532
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legen ist. Einer seiner Feinde, der diese Szene beobachtet, bemerkt dazu, daß es nicht üblich ist, daß sich Vögel auf dem Steinpfeiler niederlassen, an dem sich der sterbende Cú festgebunden hatte. (Stokes 1876–1878 S. 181 f.; Stokes übersetzt: „And then came the Birds on his shoulder.“ Jedoch bedeutet ennach nicht „birds“, sondern „Nebelkrähe“, vgl. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚1 ennach‘; Thurneysen 1921 S. 554; Gulermovich Epstein 1998 [War Goddess] S. 132 f. mit Anm. 49. Zur Datierung: Nach Thurneysen hat der Text alte Teile, zeigt aber Umbildungen noch des 11. Jahrhunderts: Thurneysen 1921 S. 548 f.) Daß der ungewöhnliche Charakter der Anwesenheit dieses Vogels so betont wird, mag vielleicht darauf hindeuten, daß es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Vogel handelt, sondern um eine Bodb, die den Helden in seiner Todesstunde aufsucht: Vgl. Hennessy 1870 S. 51; Bauer-Harsant 1996 S. 20; Birkhan 1997 S. 655; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 132–134, 140–143, 145 f. (mit Zusammenstellung entsprechender Interpretationen ibidem S. 133 Anm. 50). Sopeña Genzor 1995 S. 223 deutet das Auftreten der „Krähe der Morrígain“ (cuervo de Morrigan) in der Todesstunde Cú Chulainns und anderen Texten als Mittel des Dichters, den Tod und den erlangten Ruhm zu glossieren und den Übergang der Seele des Helden auszudrücken. Hennessy 1870 S. 36; Thurneysen datiert diese Fassung der Geschichte (Fassung III) in die Mitte des 12. Jh.: Thurneysen 1921 S. 669. Text: Van Hamel 1933 S. 42.
Krieg und Gewalt
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„Im Wald der Bodb, das heißt der Mórrígan. Denn das ist ihr Wald, nämlich das ‚Gebiet des Waldes‘ (Crích Roiss), und sie ist dann die Bodb der Schlacht, und zu ihr sagt man Frau des Néit, das heißt Göttin der Schlacht, denn Néit und der Gott der Schlacht sind dasselbe.“533
Entsprechend mischen sich Bodb, Macha und Morrígain in der oben schon erwähnten ersten Schlacht von Mag Tuired direkt in den Kampf ein, attakkieren die Fir Bolg mit magischen Regenschauern (§ 29) und schließen sich dem Heer der Túatha Dé an, als diese in die Schlacht ziehen (§ 39); und die „rote Bodb“ ist dankbar für das Gemetzel (§ 35).534 Hierher gehören auch Auftritte der Morrígain in der Erzählung von der zweiten Schlacht von Mag Tuired.535 Auch dort kündigt die Morrígain an, einen Beitrag zum Sieg über die Fomore zu leisten (Cath Maige Tuired § 107), 533
534 535
Zur Verbindung der Schlachtfelddämoninnen mit Néit vgl. Hennessy 1870 S. 35 f.; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 54–57, 65 f.; Gray hat vorgeschlagen, Bé Néit nicht als „Frau des Néit“ aufzufassen, sondern als beschreibenden Titel mit der Bedeutung „Frau (Göttin) der Schlacht“ (Gray 1982 S. 118). Ebenso wird Bé Néit von Herbert gedeutet; Herbert vermutet, daß der Terminus „Bé Néit“ von Cormacs Glossar abgeleitet ist (Herbert 1996 S. 148). Falls dies richtig ist, ist die Verbindung der Schlachtfelddämoninnen mit einem Ehemann Néit in allen ihren Varianten nur späte Spekulation irischer Gelehrter; eine irische Glosse, in der ne-t als cath „Schlacht“ erklärt wird (Hennessy 1870 S. 36; Sanas Cormaic Nr. 116, hgg. von Meyer 1913 [1994]) stüzt diese Interpretation; für weitere Glossen ähnlichen Inhalts vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 57. Gulermovich Epstein hingegen zieht den keltiberischen Kriegsgott Netos zum Vergleich heran, um die Tradition eines irischen Gottes Néit zu untermauern: Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 222 f.; Nicholas Zair bestätigt mir freundlicherweise, daß dies jedoch aus lautgeschichtlichen Gründen abzulehnen ist (persönliche Mitteilung, 9. 2. 2009); detailliert zur (unsicheren) Etymologie von néit bzw. Néit vgl. Irslinger 2002 S. 225 f., zu altirisch nía „Krieger“ und dem hispanischen Neto vgl. ibidem S. 52 f. (auch für den Hinweis hierauf danke ich Nicholas Zair). Zum keltiberischen Mars Ne-to(s) vgl. auch Birkhan 1997 S. 638; Marco Simón 1998 S. 30. Da Néit als handelnde Gestalt zudem in der irischen Literatur praktisch nicht auftaucht (vgl. Birkhan 1997 S. 654; Sjœstedt 1940 S. 44), scheint mir die von Gray und Herbert vorgeschlagene Deutung als bloße gelehrte Konstruktion auf der Basis eines Epithets Bé Néit eine ernstzunehmende Möglichkeit. Daher ist der religionsgeschichtliche Quellenwert aller mit Néit verbundenen Traditionen äußerst fraglich; entsprechend wird das Material zu dieser Gestalt hier nicht weiter besprochen. Für einen Versuch, die Verbindung der Kriegsdämoninnen mit Néit zur Unterstützung der These einer Verbindung zwischen irischen Dämoninnen und Walküren heranzuziehen vgl. Donahue 1941 S. 8–11; Gulermovich Epstein 1997 (Studies in Honor …) S. 136 f.; 1998 (War Goddess) S. 292–294. Zu Frasers Übersetzung von § 39 siehe oben Anm. 468. Zuletzt hgg. von Grey 1982. Zur Morrígain in diesem Text ausführlich: Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 79–91. Der Text stammt in der vorliegenden Fassung wohl aus dem 11. Jh., stellt aber eine Rezension auf der Grundlage von Material des 9. Jh. dar: Gray 1982 S. 11.
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wobei sie zwar die Vernichtung der Feinde verspricht, aber die Art ihres Eingreifens nicht näher spezifiziert. Gulermovich Epstein nimmt daher an, daß die Morrígain physisch in den Kampf eingreift, da andere, die nach ihrem Beitrag zum Kampf gefragt werden, in der entsprechenden Passage einen magischen Beitrag ausdrücklich als solchen beschreiben.536 Ferner weist Gulermovich Epstein darauf hin, daß Macha in dieser Schlacht fällt (§ 133); auch dies läßt sich als Hinweis darauf sehen, daß Macha physisch an der Schlacht teilgenommen hat.537 An diesen isolierten Beispielen kämpfender Schlachtfelddämoninnen fällt allerdings zugleich auf, daß es sich in beiden Fällen – der ersten und der zweiten Schlacht von Mag Tuired – nicht um Kriege zwischen Menschen handelt, sondern um Schlachten zwischen mythischen Gegnern (Túatha Dé und Fir Bolg bzw. Fomore), die im einheimischen pseudohistorischen Schema des Lebor Gabála in der ‚Vorgeschichte‘ vor der Ankunft der Iren sensu stricto in Irland verortet sind.538 Die physisch kämpfende Schlachtfelddämonin bleibt die Ausnahme und ist als solche auf eine mythische Vorzeit beschränkt. Die Schlachtfelddämoninnen sind mit dem Krieg ferner nicht nur durch das Verzehren seiner Reste und die Teilnahme an mythologischen Schlachten verbunden, sondern stacheln auch zum Kampf auf. So treibt vor der zweiten Schlacht von Mag Tuired die Morrígain anscheinend Lug mit einer weitestgehend unverständlichen retoiric zu größeren Leistungen im Kampf an (Cath Maige Tuired § 83). Auch in Togail na Tebe, der „Zerstörung von Theben“, hetzen die Schlachtfelddämoninnen zum Kampf.539 In den oben zitierten Strophen im Reicne Fothaid Canainne hatte die Morrígain zuerst die Krieger angestachelt, um danach lachend die blutigen Überbleibsel der Schlacht zu waschen. Dies ist umso interessanter, als es zeigt, daß die Morrígain zwar – wie bei ihrer Zusammenarbeit mit Lug in der zweiten Schlacht von Mag Tuired – in ein Kampfgeschehen eingreifen kann, um jemanden zu unterstützen, dem sie gewogen ist, aber daß sie einen solchen Grund nicht braucht: Nichts in Reicne Fothaid Canainne deutet darauf hin, daß sie eine der beiden Seiten unterstützt hätte. Ganz im Gegenteil scheint sie eher diejenigen zum Kampf angetrieben zu haben, die gestorben sind. In Reicne 536 537 538 539
Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 86 f. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 88, 185 f. Zum Lebor Gabála vgl. etwa Birkhan 1997 S. 471 f., 496–509. Etwa Calder 1922 Zeilen 4313–4316. Freilich tritt hier auch in der lateinischen Vorlage, der Thebais des Statius, eine Furie mit derselben Absicht auf: Statius, Thebais XI,57–59. Togail na Tebe wird ausführlich besprochen von Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 252–264. Zum Verhältnis der Morrígain und der Furien mit einer detaillierten Besprechung der irischen Adaptionen klassischer Werke vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 242–270. Vgl. auch Bauer-Harsant 1996 S. 180–185.
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Fothaid Canainne treibt sie zum Blutvergießen um des Blutvergießens willen – und lacht darüber. In ähnlichem Licht ist das Auftreten der Morrígain vor der letzten Schlacht in der ersten Rezension des Rinderraubs von Cúailnge zu sehen.540 Dort spricht sie im Zwielicht zwischen den beiden Heerlagern der Ulter und der Männer von Irland eine weitgehend unverständliche retoiric; nach dem, was verständlich ist, scheint sie beiden Seiten den Sieg zu versprechen. Nach der Rezitation dieser retoiric scheint sie den Iren ein weiteres Siegesversprechen in die Ohren zu flüstern – doch in der folgenden Schlacht werden die Ulter den Sieg davontragen, nicht die Iren. Der Gedanke liegt nahe, daß – wie in Reicne Fothaid Canainne – die Intention der Morrígain nicht ist, einer Seite zu helfen, sondern vielmehr, zu möglichst großem Blutvergießen zu ermutigen.541 Eine solche Intention würde auch die Rolle erklären, welche die Morrígain in Táin Bó Regamna und Echtra Nerai dabei spielt, die Táin Bó Cúailnge herbeizuführen – den verlustreichen „Rinderraub von Cúailnge“. In beiden Erzählungen wird dieselbe Episode berichtet, ausführlich in Táin Bó Regamna, kurz eingeschoben in Echtra Nerai.542 In Táin Bó Regamna wird Cú Chulainn von einem Brüllen aus dem Schlaf geschreckt; auf der Suche nach dessen Quelle trifft er auf eine ganz rote Frau in einem monströsen Streitwagen, die von einem großen Mann begleitet wird, der eine Kuh treibt. Nachdem die Frau sich nach einem provokativen Streitgespräch zwischen ihr und Cú in einen schwarzen Vogel verwandelt und so als die Bodb/Morrígain offenbart hat, erklärt sie Cú, wofür sie die Kuh bei sich hatte (§ 5): „Do-ucus-sa in mboin. si éim“, olsí, „a síd Crúachan condo rodart in Donn Cúailgni lem .i. tarb Dáre maic Fiachnui ocus is é aret bia-so i mbetho gu rab dartaid in lóeg fil ina bruinn ina bó so ocus is hé consaídfe Táin Bó Cúailgni.“543 „‚Ich habe diese Kuh,‘ sagte sie, ‚aus dem Elfenhügel von Crúachain gebracht, und durch mich hat der Donn Cúailnge sie bestiegen, das ist der Stier von Dáire mac Fiachna, und du wirst so lange am Leben sein, bis das Kalb, das im Schoß dieser Kuh ist, ein Jungstier ist, und es ist es, das die Táin Bó Cúailnge herbeiführen wird.‘“
Darauf tauschen die Morrígain und Cú Chulainn allerlei gegenseitige Drohungen aus. Daß die Morrígain die Kuh aus dem Elfenhügel holte und vom großen Stier von Ulster, dem Donn Cúailgne, bespringen ließ, wird auch in Echtra Nerai § 13 berichtet. Diese Erzählung beschreibt auch das weitere 540 541
542 543
Táin Bó Cúailnge I Zeilen 3877–3883 mit dem Übersetzungsversuch von O’Rahilly 1976 S. 229 f. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 108–110, die hier auch die entsprechende Passage in Táin Bó Cúailnge II kurz bespricht. Thurneysen setzte Echtra Nerai frühestens ins 10. Jh.: Thurneysen 1921 S. 668. Text von Egerton 1782 (British Museum) nach Corthals 1987 S. 32 (§ 5).
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Geschehen: Das Stierkalb wird geboren, und als es den Elfenhügel verläßt, brüllt es dreimal. Dann kommt es zum Kampf zwischen dem großen Stier der Connachter und dem Stierkalb. Das Kalb wird geschlagen, und es brüllt erneut. Königin Medb von Connacht läßt sich von ihrem Rinderhirten übersetzen, was das Kalb gebrüllt hatte: Nämlich, wenn der große Stier von Ulster zum Kampf käme, würde dieser siegreich sein. Darauf schwört Medb einen Eid, nicht zu ruhen etc., bis sie die beiden großen Stiere kämpfen sähe (§§ 15–18). In dieser Version der Ursache der Táin Bó Cúailnge, des vermutlich größten Gemetzels der irischen Literaturgeschichte, ist es also die Morrígain, die alle Voraussetzungen schafft und die Ereignisse ins Rollen bringt.544 Das Prahlen des Kalbs, daß der große Stier von Ulster den großen Stier von Connacht besiegen würde, stellt eine Herausforderung an die Ehre der Connachter dar; im Grunde hat Medb als Königin von Connacht daher nur die Wahl, entweder einen Gesichtsverlust hinnehmen zu müssen oder diese Herausforderung anzunehmen.545 Die Herausforderung 544
545
Neben dieser Version der Ursache der Táin Bó Cúailnge stehen zwei weitere prominente Begründungen: De Chophur in da Muccida (zuletzt hgg. von Roider 1979) sieht die Táin Bó Cúailnge als die Fortsetzung eines Kampfes, den zwei elfische Schweinehirten in mehreren Gestalten ausfechten; zuletzt stehen sie sich als die beiden großen Stiere von Ulster und Connacht gegenüber. Diese Version der Ereignisse steht dabei nicht unbedingt in Widerspruch zur Version von Táin Bó Regamna und Echtra Nerai, da die Morrígain ja in das Geschehen eingreifen könnte, um eine Fortsetzung des Kampfes der Schweinehirten herbeizuführen – vielleicht mit dem Hintergedanken, diesen Kampf mit dem größten möglichen Verlust an Menschenleben zu beenden (was ihr jedenfalls gut gelänge). Sowohl auf die Versionen des Geschehens von De Chophur in da Muccida als auch von Echtra Nerai scheinen sich Anspielungen im Text von Táin Bó Cúailnge I zu finden: Für De Chophur in da Muccida vgl. Roider 1979 S. 19–22, für die Tradition von Echtra Nerai vgl. Corthals 1987 S. 17 Anm. 15. Umfassender zum Verhältnis von Echtra Nerai, Táin Bó Regamna und Táin Bó Cúailnge vgl. Corthals 1987 S. 15–22; Ó Flaithearta 1990. Die zweite von Echtra Nerai abweichende prominente Darstellung der Ursache der Táin Bó Cúailnge findet sich im „Kopfkissengespräch“ am Anfang von Táin Bó Cúailnge II (Zeilen 1–146); diese „humoristische […] Einleitung des 12. Jahrhunderts“ (Thurneysen 1921 S. 242) geht aber schwerlich auf ältere Traditionen zurück: Thurneysen 1921 ibidem. Daneben finden sich noch gelegentlich andere Gründe für die Táin Bó Cúailnge angegeben, wie etwa, daß Medb nach der spätmittelirischen (O’Neill 1905 S. 173) Erzählung Cath Boinde ihrem ersten Ehemann Conchobar aus Stolz gegen dessen Willen davongelaufen sei und dies zur Táin Bó Cúailnge geführt habe: O’Neill 1905 S. 176/177. Da diese Situation von der Morrígain herbeigeführt worden ist, wird in Echtra Nerai und Táin Bó Regamna die Ursache der Táin Bó Cúailnge auf diese Dämonin zurückgeführt, und nicht auf die Stiere oder Medb, wie Ó Flaithearta 1990 S. 172 meint. Die Stiere und Medb sind nur die Werkzeuge der Morrígain: Vgl. Clark 1991 S. 32, 41 f., 46–48.
Sexualität
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anzunehmen aber bedeutet, auf den Rinderraub von Cúailnge auszuziehen – und damit bedeutet es einen Kriegszug im großen Stil.546
Sexualität Der überzeugendste von Clark vorgebrachte Beleg für einen sogenannten ‚Fruchtbarkeitsaspekt‘ der Morrígain ist eine in aller Deutlichkeit sexuell aufgeladene Passage in der Erzählung von der zweiten Schlacht von Mag Tuired (Cath Maige Tuired §§ 84 f.):547 Boí tegdas den Dagdae a nGlionn Edin antúaith. Baí dano bandál forsin Dagdae dia blíadhnae imon Samain an catha oc Glind Edin. Gongair an Unius la Connachta frioa andes.
546
547
Ausführlich zur Morrígain in Echtra Nerai und Táin Bó Regamna vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 112–119. Das Treffen zwischen der Morrígain und Cú Chulainn in Táin Bó Regamna wird mit besonderem Augenmerk auf dem Verhältnis zwischen Held und Dämonin detailliert von Bauer-Harsant 1996 S. 65–93 diskutiert. Hier ist vielleicht auch etwas zur Idee zu sagen, die „Verbindung der Morrígain mit Rindern“ würde einen Fruchtbarkeitsaspekt dieser Dämonin belegen. So behauptet Clark 1987 S. 229, daß die „connection with cattle“ der Morrígain auf einen „fertility aspect“ hinweise; als Belegstellen führt sie dann einige Beispiele von Rinderraub an, sowie den Angriff der Morrígain, den sie in Gestalt einer Kuh gegen Cú Chulainn durchführt. Diese Idee wurde von Ó Flaithearta 1990 S. 164 akzeptiert, und ein ähnlicher Gedanke scheint hinter den Ausführungen von Herbert 1996 S. 144 zu stehen, wo sie vom „supernatural aspect of control of animal resources“ spricht, der ihrer Meinung nach anscheinend von der spezifischen Perspektive der heroischen Literatur verunklart werde. Dazu ist im Grunde nur zu sagen, daß die Gelegenheiten, in denen die Morrígain mit Rindern zu tun hat, eben fast durchwegs mit Gewalt und Tod verbunden sind, auch wo es sich nicht – wie in fast allen Fällen – um Akte von Rinderraub handelt. Die Morrígain ist nicht mit Rindern, sondern mit dem Rauben von Rindern verbunden; und da dieses immer mit Blutvergießen einhergeht, ist die Anwesenheit der Schlachtfelddämonin hier auch ohne die Konstruktion eines Fruchtbarkeitsaspekts völlig verständlich. Für eine ausführliche Widerlegung der Idee eines Fruchtbarkeitsaspekts der Morrígain auf der Basis ihrer „Verbindung mit Rindern“ unter Heranziehung auch einiger Dind˙senchas-Stellen vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 119–126. Die Unhaltbarkeit der Annahme eines Fruchtbarkeitsaspekts der Morrígain und verwandter Figuren kann nicht genug betont werden, zumal sich entsprechende Bemerkungen auch noch in der neuesten Literatur finden, vgl. Allen 2007 S. 87 f.: Die Morrígain sei eine „goddess of fertility and destruction“. Davon stimmt nur Letzteres. Clark 1987 S. 229 f. Sie begründet den „fertility aspect“ der Morrígain mit der vermeintlichen Verbindung der Morrígain mit Rindern und ihrer sexuellen Aktivität. Zur Verbindung mit Rindern siehe oben Anm. 546. Für die Sexualität der Morrígain führt Clark in ihrer Diskussion des ‚Fruchtbarkeitsaspekts‘ nur diesen Beleg an.
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Co n-acu an mnaí a n-Unnes a Corand og nide, indarna cos dí fri Allod Echae (.i. Echuinech) fri husci andes alole fri Loscondoib fri husce antúaith. Noí trillsi taitbechtai fora ciond. Agoillis an Dagdae hí 7 dogníad óentaich. Lige ina Lánomhnou a ainm an baile ó sin. Is hí an Morrígan an uhen-sin isberur sunn. Itbert-si íarum frisin Dagdae deraghdis an Fomore a tír .i. a Maug (S)cé[t]ne, 7 ara garudh an Dagdae óes ndánu Érionn aro cend-si for Ádh Unsen; 7 noragad-si hi Scétne do admillid [ríg] na Fomore .i. Indech mac Déi Domnann a ainm, 7 do[u]hérudh-si crú a cride 7 áirned a gailie úadh. Dobert-si didiu a dí bois den crú-sin deno slúagaib bátar ocon indnaidhe for Ádh Unsen. Baí “Áth Admillte” íarum a ainm ónd admillid-sin an ríog.548 „Der Dagda hatte ein Haus in Glenn Edin (Efeutal) im Norden. Der Dagda hatte da auf den Tag ein Jahr später, um den Samain-Tag der Schlacht, bei Glenn Edin eine Verabredung mit einer Frau. Der Uinnius im Gebiet der Männer von Connacht donnert südlich davon. Er sah die Frau am Uinnius in Corann beim Waschen, ihr einer Fuß gegen Allod Echae (das heißt, Echuinech) südlich des Wassers, der andere gegen Lisconna nördlich des Wassers. Auf ihrem Kopf waren neun aufgelöste Zöpfe. Der Dagda sprach sie an, und sie vereinigen sich. Der Name des Ortes war von da an ‚Bett des Paars‘. Sie ist die Morrígain, diese Frau, von der hier gesprochen wird. Sie sagte dann zum Dagda, die Fomore würden an Land kommen, nämlich in Mag Scétne, und daß der Dagda die Mitglieder des Gelehrtenstandes von Irland an die Furt des Uinnius rufen sollte, damit sie sie träfen; und sie würde nach Scétne gehen, um den König der Fomore zu vernichten, nämlich Indech Sohn von Día Domnann war sein Name, und sie würde das Blut seines Herzens und die Hoden( ? ) seiner Kraft von ihm wegnehmen. Sie brachte den Heerscharen, die an der Furt des Uinnius warteten, dann ihre zwei Hände voll von diesem Blut. Ihr Name war darauf ‚Furt der Vernichtung‘, von dieser Vernichtung des Königs.“
Hier trifft der Dagda nach vorheriger Verabredung die Morrígain, während diese eben mit über einen Fluß gespreizten Beinen wäscht. Nach einem Gespräch haben sie miteinander Verkehr, und darauf gibt die Morrígain dem Dagda kriegswichtige Informationen und verspricht konkrete Hilfe gegen den König der Fomore, allem Anschein nach magischer Art, indem sie ihn eines Teils seiner Stärke berauben werde. Dies führt sie später durch, und nach den Ereignissen der Episode werden zwei Orte benannt, wie das in der irischen Literatur so oft der Fall ist, wo nahezu jedem Ereignis von Interesse durch einen Ortsnamen ein Denkmal gesetzt wird. Die Bedeutung dieser Episode aus der Erzählung von der zweiten Schlacht von Mag Tuired wird noch deutlicher, wenn sie mit einer Episode aus der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge verglichen wird,549 dem „Gespräch der Mórrígan mit Cú Chulainn“550: 548 549 550
Text: Gray 1982 S. 44, vgl. Stokes 1891 S. 84. Táin Bó Cúailnge I Zeilen 1845 ff. Thurneysen stellt diese Episode in das 9. Jh.: Thurneysen 1921 S. 112 f., 169 f.; zur wohl nötigen Korrektur seiner Datierungen um ein Jahrhundert siehe oben S. 130 f.
Sexualität
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Co n-aca Cú in n-ócben chuci co n-étuch cach datha impe 7 delb roderscaigthe furri. ‘Cé taí-siu?’ or Cú Chulainn. ‘Ingen Búain ind ríg,’ or sí. ‘Dodeochad chucut-su. Rot charus ar th’airscélaib, tucus mo s˙eótu lim 7 mo indili.’ 7 ‘Ní maith ém ind inbuid tonnánac, nachis olc ar mbláth, amin gorti. Ní haurussa dam-sa dano comrac fri banscáil céin no mbeó isind níth so.’ ‘Bidim chobair-se dait-siu oc sudiu.’ ‘Ní ar thóin mná dano gabus-sa inso.’ ‘Bid ansu dait-siu,’ or sí, ‘in tan dorag-sa ar do chend oc comruc frisna firiu. Dorag-sa i rricht escongan fót c[h]ossaib issind áth co taíthis.’ ‘Dóchu lim ón oldás ingen ríg. […]’551 „Cú sah eine junge Frau auf sich zukommen; sie trug ein Gewand von jeder Farbe und war von herausragender Gestalt. ‚Wer bist du?‘ sagte Cú Chulainn. ‚Die Tochter von König Búan,‘ sagte sie. ‚Ich bin zu dir gekommen. Ich habe mich wegen der berühmten Geschichten über dich in dich verliebt, und ich habe meine Schätze und meine Rinder mit mir gebracht.‘ ‚Du bist zu keiner guten Zeit zu uns gekommen, und unsere Erscheinung ist übel, wir sind ausgehungert. Ein Treffen mit einem Weibsbild ist für mich nicht besonders einfach, solange ich in diesem Kampf bin.‘ ‚Ich werde dir dabei helfen.‘ ‚Ich habe dies nicht für den Hintern einer Frau begonnen.‘ ‚Es wird unangenehmer für dich sein,‘ sagte sie, ‚wenn ich komme, um dir beim Kampf gegen die Männer entgegenzutreten. Ich werde in der Gestalt eines Aals in der Furt unter deine Füße kommen, so daß du fallen wirst.‘ ‚Das ist mir lieber als die Tochter des Königs. […]‘“
Cú Chulainn hat schon so viele Zweikämpfe geschlagen, daß es für die Connachter schwierig wird, noch Freiwillige zu finden, die ihm entgegentreten würden.552 Da kommt nach einem weiteren Kampf ein schönes Mädchen zu Cú – die Morrígain unter einem falschen Namen – und bietet ihm sich selbst, Schätze und ihre Hilfe im Kampf an. Er weist sie zurück,553 und sie
551 552 553
Gegen die Idee, diese Passage sei eine spätere, auf Táin Bó Regamna basierende Interpolation (Táin Bó Cúailnge II [O’Rahilly 1967] S. xxxi-xxxii) vgl. Corthals 1987 S. 19. Text: O’Rahilly 1976 S. 57 (Táin Bó Cúailnge I Zeilen 1846–1859). Táin Bó Cúailnge I Zeilen 1815–1817. Zu Cú Chulainns Ablehnung des Angebots der Morrígain und seinem spezifischen Bezug auf ihren ‚Hintern‘ vgl. die Bemerkung Fergus’, der das Scheitern der Táin Bó Cúailnge darauf zurückführt, daß die Herde dem ‚Hintern einer Frau‘ gefolgt sei (hi tóin mná; Táin Bó Cúailnge I Zeilen 4123f.) und Thurneysen 1931 S. 64 (§ 4: Feststellung in einem irischen Rechtstext, daß der Ehrenpreis eines Mannes, der dem ‚Hintern seiner Frau‘ über die Grenze in das Gebiet ihres Stammes folgt, nach der Ehre seiner Frau bemessen wird; seine rechtliche Stellung entspricht der eines verbannten Ausländers oder eines besitzlosen Mannes, der eine besitzende Frau geheiratet hat: Verträge, die von diesen drei Klassen von Männern geschlossen worden sind, können von ihren Frauen angefochten werden). Für den Hinweis hierauf danke ich Thomas Charles-Edwards.
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tauschen allerlei Drohungen aus. In der folgenden Episode setzt die Morrígain diese Drohungen in die Tat um:554 Als Cú Chulainn einen Zweikampf gegen einen herausragenden Gegner ausficht, greift sie zuerst in der Gestalt eines Aals, dann in der Gestalt einer Wölfin und schließlich in der einer Jungkuh zu seinen Ungunsten in diesen Kampf ein. In der Auseinandersetzung werden sowohl die Morrígain als auch Cú Chulainn schwer verwundet (während Cú Chulainns menschlicher Gegner stirbt). Die Morrígain überlistet Cú danach jedoch in der Gestalt einer häßlichen Alten, sie zu heilen.555 Diese beiden Treffen zwischen der Morrígain und Cú Chulainn bzw. dem Dagda zeigen einige Unterschiede im Detail. So haben der Dagda und die Morrígain sich zu dem Treffen verabredet, anscheinend lange vorher, während das Treffen der Morrígain mit Cú Chulainn ganz auf der Initiative der Dämonin beruht. Und zum Motiv des Waschens der Morrígain in der Erzählung von der zweiten Schlacht von Mag Tuired gibt es in der Táin Bó Cúailnge keine Entsprechung. (Das Motiv erinnert jedoch entfernt an das Motiv der ‚Wäscherin an der Furt‘, die häufig einer Heerschar als Vorzeichen bevorstehenden Untergangs in der Schlacht erscheint; somit mag das Waschen nur den kriegerischen Kontext und die bedrohliche Situation unterstreichen.)556 Hier wichtiger ist aber die Parallele zwischen den beiden Treffen: In beiden Episoden trifft ein männlicher Protagonist in einer Kriegssituation auf die Morrígain,557 die im Austausch für sexuelle Gefälligkeiten Hilfe im Kampf anbietet. Daß der Dagda ihr diese Gefälligkeiten erweist und so ihre Hilfe erhält, während Cú Chulainn das Angebot der Morrígain zurückweist und sich damit einen zusätzlichen Gegner schafft, liegt nur im unterschiedlichen Charakter der beiden männlichen Akteure begründet und macht keinen Unterschied für den Charakter der Morrígain, wie er in diesen zwei Episoden in gleicher Weise erscheint:558 Der Charakter einer Dämonin, die 554 555
556 557
558
Táin Bó Cúailnge I Zeilen 1874–2037. Táin Bó Cúailnge I Zeilen 2038–2071. – Zu diesem Zusammenstoß zwischen der Morrígain und Cú Chulainn in der ersten und zweiten Rezension der Táin Bó Cúailnge vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 98–104; Bauer-Harsant 1996 S. 32–64. Allgemein zum Verhältnis der Bodb/Morrígain zu Cú Chulainn vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 126–159 und Bauer-Harsant 1996, besonders S. 32–93, sowie etwa Clark 1987 S. 231–236, Hennessy 1870 S. 44–51. Zu diesem Motiv vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 159–181, besonders zu dieser Passage ibidem S. 174–181, und siehe oben Anm. 487. Allgemeiner zum Motiv des Treffens eines Helden mit einer übernatürlichen Frau vgl. Corthals 1987 S. 22–27. Dazu, wie das Auftreten der Morrígain mit dem Charakter der Helden in Zusammenhang steht, mit denen sie interagiert, vgl. ausführlich Bauer-Harsant 1996 passim; die Arbeit von Bauer-Harsant widmet gerade dieser Frage ihre besondere Aufmerk-
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sich an körperlicher Lust ebenso erfreut, wie sie in Reicne Fothaid Canainne über die blutigen Überreste der Schlacht gelacht hatte. Dabei ist hervorzuheben, daß es der Morrígain in beiden Fällen allem Anschein nach nur um Lust geht: Nirgends findet sich auch nur die geringste Andeutung, daß sie sich von diesen sexuellen Akten Nachkommenschaft erhofft. Und gerade hier liegt der Grund, warum es – contra Clark – verfehlt ist, in diesem deutlichen sexuellen Zug im Charakter der Morrígain eine Beziehung zu ‚Fruchtbarkeit‘ zu sehen: Es geht der Morrígain gerade nicht um Fortpflanzung. Der Begriff der ‚Fruchtbarkeit‘ aber impliziert einen positiven Bezug zum Gebähren und Hervorbringen von neuem Leben. Daran ist die Morrígain jedoch nicht interessiert; ihr geht es um das Hervorbringen von Tod und Zerstörung. Die Szenen, in denen die Morrígain sexuell aktiv auftritt, bringen kein Leben hervor, sie bleiben der Schlacht und dem Tod geweiht. Eine Frau, die sexuellen Umgang hat, ohne Nachkommen hervorzubringen, ist aber – wenn man sie überhaupt mit dem Begriff der ‚Fruchtbarkeit‘ in Verbindung bringen will – gerade das Gegenteil einer Fruchtbarkeitsgestalt.559
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samkeit. Zur Bedeutung der Eingriffe der Morrígain für den Sieg der Túatha Dé in der zweiten Schlacht von Mag Tuired vgl. ibidem S. 99 f., 102. Ganz ähnlich Bauer-Harsant 1996 S. 105. An vereinzelten anderen Stellen in der irischen Literatur werden der Morrígain Nachkommen zugeschrieben. Abgesehen davon, daß das (im Fall der Morrígain sehr seltene) Gebähren von Nachkommen noch nicht spezifisch auf einen Fruchtbarkeitsaspekt hindeutet – zumal in einer Gesellschaft ohne Verhütungsmittel handelt es sich hier nur um die natürliche, aber in keiner Weise auffallende Folge ihrer sexuellen Aktivität – lassen sich auch diese Nachkommen der Morrígain schon deswegen nicht mit ‚Fruchtbarkeits‘-Vorstellungen in Verbindung bringen, da es sich bei ihnen durchwegs um gefährliche Geschöpfe handelt, die ihre Mutter durch ihren eigenen zerstörerischen Charakter nur noch fester im Bereich von Bedrohung und gewaltsamem Tod verankern; dazu ausführlich: Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 183–190. So erzählen der Rennes und der Bodleian Dind˙senchas zum Ortsnamen ‚Berba‘ mit nur kleineren Variationen über Meche, Sohn der Morrígain, daß sich in seinen drei Herzen drei Schlangengestalten befunden hätten; wenn er am Leben geblieben wäre, hätten diese Schlangen alles Leben in Irland vernichtet. Mac Cecht tötete ihn, verbrannte die Herzen und streute die Asche in einen Fluß; der Fluß kochte daraufhin auf, so daß alle Tiere darin starben (Stokes 1894/95 Bd. 15 [1894] S. 304 f.; Stokes 1892 S. 483; vgl. auch Gwynn 1906 S. 62/63; O’Grady 1892 Bd. 2 S. 477, 523 f.; Belege zusammengestellt bei Gulermovich Epstein 1998 [War Goddess] S. 183 f. mit Anm. 2). Die verschiedenen Belege für die Beziehung zwischen dem Dagda und der Morrígain sind, ausgehend vom Beleg in der zweiten Schlacht von Mag Tuired, zusammengestellt und diskutiert bei Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 80–86. Für eine detaillierte Diskussion der Morrígain in Cath Maige Tuired und damit verbundenen Stellen mit besonderem Augenmerk auf ihrem Verhältnis zum Dagda vgl. Bauer-Harsant 1996 S. 94–125.
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Irland: Die Bodb
Daß die bloße Assoziation einer weiblichen Gestalt mit sexueller Aktivität den Schluß auf einen ‚Fruchtbarkeitsaspekt‘ für sich genommen grundsätzlich noch nicht rechtfertigt, ließe sich auch mit reichem typologischem Vergleichsmaterial illustrieren. So könnte man hier etwa an die bis in die frühe Neuzeit geläufige Vorstellung vom Succubus,560 an die jüdische Dämonin Lilith561 oder an deren mesopotamische Vorfahrinnen, die Lilitu oder die (W)ardat-lilî(m),562 erinnern: All diese Gestalten zeigen eine betonte Sexualität bei gleichzeitigem ausdrücklichem Fehlen eines ‚Fruchtbarkeitsaspekts‘. Im gegenwärtigen Zusammenhang scheint der Verweis auf die in Philostratos’ Leben des Apollonios aus dem 3. Jh. n. Chr. als einer ausgesprochen engen typologischen Parallele besonders angebracht. Im vorangehenden lag ein großer Teil der Aufmerksamkeit auf dem Verschlingen durch die Bodb: Die Bodb bélderg genießt auf dem Schlachtfeld das Fleisch der erschlagenen Krieger und erhält ihren Beinamen bélderg „mundrot“ von der Farbe ihres Schnabels, der vom Blut der Leichen rotgefärbt ist. Zugleich ist die Bodb jedoch auch eine Gestalt, die dem Krieger (und damit ihrem zukünftigen Mahl) sexuelle Avancen machen kann. Die Bodb scheint somit ein doppeltes sinnliches Interesse an ihrem Opfer zu haben – sexuell und kulinarisch. Diese Verbindung von Lüsternheit und Verschlingen zeichnet auch eine Dämonin aus, die in der Vita Apollonii IV,25 einen kurzen Auftritt hat. Dort wird berichtet, daß eine vorgebliche phönizische Frau einem Schüler des Apollonios in Korinth ihre Liebe gestand. Sie gab dem jungen Mann ihren Wohnort an und versprach ihm für den Abend ihren Gesang und Wein und das Zusammenleben mit ihr. Er ließ sich hiervon verlocken und wurde ihr Geliebter. Apollonios stellte ihn zur Rede, aber da der Schüler meinte, daß die Frau ihn liebe und daß sie heiraten würden, ließ der Philosoph die Angelegenheit für den Augenblick auf sich beruhen. Er erschien dann aber zum Hochzeitsfest bei dem Paar und fragte, wem all das Silber und Gold und der Schmuck der Festhalle gehörten. Alles gehöre der Phönizierin, war die Antwort. Apollonios aber erklärte alles für Blendwerk und erläuterte (Vita Apollonii IV,25,4): […], π κ φ , ψ« « λ ¹ λ π . ’ λ $φ! ", ξ % $&!! λ « $φ«, ?« ' &"! &.563
560 561 562 563
Rühle 1931. Lesses 2005; Hutter 1999; Scholem 1974. Farber 1987–1990; Porada 1987–1990; Fauth 1982; Ribichini 1978. Text: Jones 2005 (Philostratus).
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„[…], die gute Braut ist einer der Empusen, die die Masse für Lamien und Mormolykeia hält. Diese lieben zwar auch die Gaben der Aphrodite, am meisten lieben sie aber menschliches Fleisch, und sie ködern die mit den Gaben der Aphrodite, die sie verspeisen wollen.“
Dann machte Apollonios all ihren Trug deutlich – das Edelmetall und die Diener verschwanden, und er zwang die Frau zu gestehen, daß sie ein Gespenst ( ) war und daß sie den jungen Mann mit Vergnügungen mästete, bis sie ihn verschlingen würde; sie fresse nämlich die jungen und schönen Leiber wegen der Reinheit ihres Blutes. Hier erscheint Sexualität somit nicht mit dem Leben assoziiert, sondern ganz im Gegenteil mit dem Tod; und damit sollte dieses Beispiel ausreichend illustrieren, daß sexuelle Aktivität für sich genommen zunächst noch nichts mit ‚Fruchtbarkeit‘ zu tun hat.564 An dieser Stelle ist vielleicht auch kurz die Frage des literarischen Ortsnamens Dá Chích na Morrígna, „die zwei Brüste der Morrígain“, für eine Formation von zwei Hügeln anzusprechen;565 denn Herbert wollte hier eine „equation […] between the body of the goddess and the contours of the earth“ sehen, woraus sie weitreichende Schlüsse zog und die Morrígain im Sinne einer „goddess of the land“ deutete.566 Dieser Ortsname wurde von der irischen Ortsnamentradition mit dem Verkehr der Morrígain mit dem Dagda verbunden567 und steht damit in einem Zusammenhang, der von Bedrohung, Tod und Krieg bestimmt wird. Daß in einem solchen Zusammenhang ein Ortsname erfunden wird, ist nicht überraschend, da die irische Literatur beinahe jeden denkbaren Anlaß nutzt, um einen fiktiven Ortsnamen daran anzuknüpfen oder einen realen Ortsnamen im Sinne einer literari564
565 566 567
Vgl. auch Fischer 2002 S. 18–21 für eine allgemeine Kritik an der Tendenz, bei der Beurteilung der Funktion von Gottheiten in weiblicher (und nur weiblicher) Sexualität stets sofort einen Fruchtbarkeitsaspekt sehen zu wollen, und siehe unten S. 372 f. zu einer möglichen Parallele im Charakter der Sirenen. – Birkhan 1970 § 246 hatte als einen Unterschied zwischen den irischen Schlachtfelddämoninnen und den Walküren hervorgehoben, daß es im Keltischen eine deutliche „Verbindung von Kampf- und Fruchtbarkeitsfunktion“ gebe, die sich so im germanischen Bereich nicht finde. Ich hoffe, mit den im Walküren-Kapitel vorgelegten Zeugnissen plausibel gemacht zu haben, daß sich im Charakter der Walküren ein starker sexueller Zug findet, welcher der betonten Sexualität der irischen Dämoninnen entspricht. Da dieser sexuelle Zug der irischen Gestalten zudem nicht im Sinne einer Fruchtbarkeitsfunktion zu interpretieren ist, liegt hier m. E. nicht ein Unterschied zwischen den irischen und den germanischen Figuren vor, sondern eine enge Parallele. Erwähnt z. B. im Rennes Dind˙senchas: Stokes 1894/95 Bd. 15 (1894) S. 292/293. Herbert 1996 S. 143. Siehe die von Herbert ibidem beigebrachten Beispiele und vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 80–83.
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schen Szene umzudeuten.568 Und daß ein solcher zur Ausschmückung einer Kriegssituation erfundener Ortsname569 dann gerade mit der Morrígain als Kriegsdämonin verbunden wurde, erklärt sich zwanglos aus dem bedrohlichen Kontext. Die Anbindung des Ortsnamens an gerade die Brüste der Morrígain könnte sich dabei im weiteren Kontext der irischen Literatur als eine Anspielung auf den sexuellen Aspekt des Treffens der Morrígain mit dem Dagda deuten lassen. Denn in der heroischen Literatur Irlands weckt das Vorzeigen von Brüsten sexuelle Assoziationen: So schämt sich der junge Cú Chulainn in der Táin Bó Cúailnge, die Brüste der Frauen von Emain zu sehen, so daß man den Rasenden durch das Vorzeigen ihrer Brüste davon abhalten kann, Emain in seinem Blutrausch anzugreifen.570 In der vergleichbaren Episode in Mesca Ulad571 zeigt eine Frau nicht ihre Brüste, sondern wohl ihre Scham, was den sexuellen Charakter des Vorzeigens der Brüste in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge unterstreicht. In einer der Episode in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge ganz ähnlichen Szene in Fled Bricrenn §§ 53 f.572 werden gleichfalls Helden durch vorgezeigte Brüste von ihrer Kampfeswut abgebracht; danach dürfen sie sich die Jungfrauen zu ihrem Vergnügen aussuchen, die ihnen am besten gefallen. Diese Beispiele zeigen, daß das Vorzeigen von Brüsten vor allem – vielleicht sogar ausschließlich – sexuelle Konnotationen hatte, was dem literarischen Ortsnamen „Brüste der Morrígain“ für zwei Hügel (und damit sehr prominent vorgezeigte Brüste) einen starken sexuellen Unterton verleihen dürfte. In Anbetracht seiner Verbindung mit dem Verkehr des Dagda mit der Morrígain stellt dieser Ortsname entsprechend wohl ein literarisches Spiel dar, welches das sexuelle Geschehen der Episode in einem sexuell konnotierten Ortsnamen kurz rekapituliert; in diesem Toponym eine hierüber hinausgehende tiefere Bedeutung und insbesondere einen Hinweis auf einen Charakter der Morrígain als „Landesgöttin“ finden zu wollen, wäre methodisch verfehlt. Ferner ist gegen Herberts weitreichende Interpretation dieses Toponyms auch ein weiteres Mal hervorzuheben, daß irische literarische Ortsnamen zu beinahe jeder Situation erfunden werden; aus ihnen zu schließen, daß die in den 568
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570 571 572
Stellvertretend sei nur Áth Lethan in der Táin genannt: Obwohl der Ortsname ganz durchsichtig einfach „breite Furt“ bedeutet, wird er in Táin Bó Cúailnge I Zeilen 946–950 damit erklärt, daß Cú Chulainn dort einen Krieger namens Lethan („breit“) erschlagen habe. Alle von Herbert beigebrachten Beispiele stammen aus literarischen Texten, was stark vermuten läßt, daß ein solcher Ortsname nie existiert hat. Táin Bó Cúailnge I Zeilen 808–814. Zeilen 1039–1052, hgg. von Watson 1941. Hgg. von Henderson 1899.
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Ortsnamen vorkommenden Personen besondere „Götter des Landes“ wären, hieße, nahezu alle Akteure irischer Erzählungen zu Landesgöttern zu machen, und ist schon aus diesem Grund zurückzuweisen.573 Die Ortsnamentradition ist durch ein weiteres literarisches Toponym zugleich vielleicht auch nochmals vielsagend für die Frage von Clarks postuliertem ‚Fruchtbarkeitsaspekt‘. Denn wie weit die Morrígain auch dann von einem Fruchtbarkeitsaspekt entfernt ist, wenn sie mit dem Boden assoziiert erscheint, zeigt gerade der am stärksten mit Ideen von ‚Fruchtbarkeit‘ im Sinne von vegetabilem Wachstum assoziierbare Morrígain-Ortsname, nämlich in Gort na Mórrígnae, der „Garten der Morrígain“, der in Tochmarc Emire § 17 und § 37 erscheint: Dieser Garten wird zu einem Ort, an dem die Morrígain eine Ernte einbringt, die ganz ihrem sonstigen Charakter entspricht – sie tötet dort einen ihrer Verwandten.574 In einem nochmals ganz anderen Kontext als in den Ortsnamen, beim Treffen der Morrígain mit dem Dagda oder bei der Zurückweisung ihrer Avancen durch Cú Chulainn taucht die Sexualität der Bodb in der Erzählung von der Zerstörung der Festhalle des Da Derga in der oben bereits ausführlich zitierten Passage auf,575 in der Cailb/die Bodb an der Tür der Halle erscheint, in der Conaire die Nacht verbringt, und ihm prophezeit, daß ihn bald die Aasvögel fressen werden. Denn ihr Schamhaar reicht ihr bis zu den Knien, und als König Conaire sie fragt, was sie will, ist ihre Antwort: A n-as áil daitsiu didiu. „Das, was dir angenehm ist.“ Da nichts an ihrer Anwesenheit für Conaire angenehm ist, mag man diese Aussage als reinen Sarkasmus deuten. In Anbetracht der Betonung, die Cailbs Beschreibung auf ihre Geschlechtsteile legt,576 liegt es jedoch nahe, hier vielleicht eine se573 574
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Bauer-Harsant 1996 S. 118. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 195–198, weiter zur Morrígain in Ortsnamen vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 195–202. Zu einer inzestuösen Beziehung der Morrígain vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 63–65. Togail Bruidne Da Derga §§ 61–63. Für das Zitat siehe oben S. 146 f. Bhreathnach 1982 S. 250. Dabei ist auch zu beachten, daß dieses Motiv der grotesk überzeichneten Schambehaarung hier nicht isoliert dasteht. In Togail Bruidne Da Derga § 38 tritt ein monströs häßlicher Mann mit einem gesengten, aber noch immer dauernd quieckenden Schwein und einer ebenso monströsen Frau auf, deren Schamlippen bis zu ihrem Knie reichen. Diese Gruppe erinnert einerseits an Cailb, andererseits an die Morrígain in Táin Bó Regamna, die dort in Begleitung eines großen Mannes auftritt, der eine Kuh treibt. Obwohl die Frau in Togail Bruidne Da Derga § 38 nie ausdrücklich als Bodb bezeichnet wird, steht sie der Bodb zumindest nahe, da ebenso wie das Erscheinen Cailbs auch der Auftritt dieses Paars wieder absichtlich ein ges Conaires bricht, und da sie sich ebensowenig abwimmeln lassen wie Cailb (vgl. §§ 39 f.). Diese Episode, die motivisch zwischen der Cailb-Szene und Táin Bó Regamna
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Irland: Die Bodb
xuelle Aufforderung zu sehen.577 Es scheint also, als wolle Cailb erst mit Conaire schlafen, um ihn dann – als Bodb/Nebelkrähe – nach seinem Tod in der Gestalt der Vögel zu verzehren, von denen sie prophezeit, daß sie seine Reste aus der Halle tragen werden. Ähnliches mag auch in der Todesszene des Cú Chulainn anklingen: Der bereits tödlich verwundete Held bindet sich dort an einen Steinpfeiler, um aufrecht stehend zu sterben; doch nach seinem Tod läßt sich eine Nebelkrähe auf seiner Schulter nieder, und es wird bemerkt, daß sich auf diesem Steinpfeiler sonst keine Vögel niederzulassen pflegten. Der ungewöhnliche Charakter dieser Nebelkrähe scheint somit seltsam betont; vielleicht handelt es sich bei ihr also wieder um die Morrígain, die dem noch lebenden Cú Chulainn ein sexuelles Angebot gemacht hatte und die nun in der Gestalt ihres Aasvogels kommen mag, um die Leiche des Helden zu fressen, den sie sich zum Liebhaber erwählt hätte, hätte er sie nicht zurückgewiesen.578 Über diese Stellen hinaus tauchen nur noch wenige Belege auf, in denen sich Hinweise auf die Sexualität der Morrígain sehen lassen. Man mag sich etwa fragen, ob es hier von Bedeutung ist, daß die Morrígain in der Erzählung von der Schlacht von Magh Rath (Cath Muighe Rath) über der Heerschar des späteren Siegers einer Schlacht als gerade nackte Alte erscheint:579 Fuil os a chind ag eigmig, caillech lom, luath ag leimnig ós [r]eannaib580 a n-arm sa sciath, is i in Morrigu mong-liath.581
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steht, unterstreicht einerseits den betonten sexuellen Aspekt dieser Dämoninnen und untermauert andererseits nochmals die Verbindung zwischen Cailb und der Morrígain. So etwa Rees und Rees 1961 S. 338; Bhreathnach 1982 S. 250 f.; Clark 1991 S. 124; Bauer-Harsant 1996 S. 139. Bhreathnach 1982, besonders S. 252 f., analysiert diesen sexuellen Zug im Kontext eines Souveränitätssymbolismus, wozu sie auch skandinavische Parallelen anführt. Dies scheint zwar eine mögliche Lesung der Szene, mir scheint der Kontext der Todesdämoninnen aber naheliegender – vor allem, da Cailb sich nicht nur durch ihr Auftreten, sondern auch ausdrücklich durch ihre Namen in diesen Kontext einreiht. Für Bemerkungen zu sexuellen Elementen in den Erzählungen vom Tod von Helden vgl. Rees und Rees 1961 S. 336–338. Siehe oben S. 147 f. mit Anm. 529 für Literaur zu diesem schon wiederholt vorgebrachten Gedanken. Zu diesem und einem damit zusammenhängenden Text vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 265–270. O’Donovan 1842 S. 198 druckt den Text ós eannaib a n-arm, aber in Anbetracht seiner Übersetzung „[o]ver the points of their weapons“ handelt es sich hier wohl um einen Druckfehler. Text: O’Donovan 1842 S. 198.
Tieferes Wissen
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„Über seinem Kopf kreischt eine nackte Alte, geschwind springend über den Spitzen ihrer Waffen und ihrer Schilde; sie ist die graumähnige Morrigu.“
Klarer ist eine Stelle in der Erzählung von den Triumphen von Turlough (Caithréim Thoirdhealbhaigh), wo eine badb als „Geliebte“ (bancharad) eines Clans bezeichnet wird.582 Die Wortwahl scheint einen sehr intimen Unterton zu haben, aber auch hier zeigen sich keine Züge, die nicht schon deutlicher in der älteren Literatur bezeugt wären.
Tieferes Wissen Der Auftritt der Cailb in Togail Bruidne Da Derga ist nicht nur für den sexuellen Zug im Charakter der Bodb und für ihre Verbindung mit dem Verschlingen der Toten durch Vögel wichtig, sondern stellt auch ein Beispiel für den prophetischen Aspekt der irischen Dämoninnen dar. Conaire erkennt Cailb sogleich als Seherin (fisid) und fragt sie nach ihrer Prophezeiung für die Schar (§ 62) – und sie prophezeit, daß vom König nur das die Halle verlassen werde, was die Vögel in ihren Krallen davontragen. Die Prophezeiungen und Vorzeichen, die von der Bodb ausgehen, beziehen sich fast ausschließlich auf Tod und Gewalt. So erscheint in der Erzählung von Da Chocas Herberge die Bodb583 als ‚Wäscherin an der Furt‘584, um Cormac Connloinges den bevorstehenden Untergang anzukündigen, und etwas später tritt sie an der Tür der Herberge mit einer weiteren Unheilsprophezeiung auf (Bruiden Da Choca §§ 15–18 und §§ 33 f.).585 Die hochgradig problematische retoiric, mit der die Morrígain in der Táin Bó Cúailnge den Donn Cúailnge vor den anrückenden Connachtern warnt, scheint ein prophetischer Text zu sein, in dem die Morrígain allem Anschein nach voraussagt, was dem Donn Cúailnge, dem großen Stier von Ulster, während der Táin Bó Cúailnge widerfahren wird.586 In der Prosa vor dieser retoiric wird die Morrígain hier in einer Handschrift (Trinity College, Dublin, H.2.17, dieser Teil wohl nicht älter als 15. Jh.) ausdrücklich als 582 583 584 585 586
Mac Craith 1929 Bd. 1 S. 105; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 170. Allerdings bezeichnet nur die frühneuirische Rezension B von Bruiden Da Choca diese Gestalten ausdrücklich als Bodb, vgl. die Ausgabe von Toner 2007. Zu dieser Art von Unheilsvorzeichen siehe oben Anm. 487. Dazu vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 162–165. Olmsted 1982 S. 165. Für Rekonstruktions- und Übersetzungsvorschläge dieser retoiric siehe oben Anm. 455. Die Passage wird auch besprochen von Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 94–98.
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ban[ f ]áith „Prophetin“ eingeführt.587 Hierher kann man vielleicht auch eine Strophe aus einem Gedicht im Lebor Gabála stellen, aus dem oben schon ein Zitat gegeben wurde, und in dem Nemain in einer Liste der Túatha Dé Danann als Nemaind na forand fa-thach bezeichnet wird.588 Macalister übersetzt diesen Vers als „Neman of ingenious versicles“.589 Gulermovich Epstein590 hat hingegen vorgeschlagen, fáthach in engerer Anlehnung an das zugrunde liegende Wort fáth zu übersetzen, dessen früheste Bedeutung591 möglicherweise gerade prophetisches Wissen war; das heißt nun aber freilich nicht, daß diese Bedeutung auch in einem mittelirischen Text wie dem Lebor Gabála noch im Vordergrund stand. Die Frage, ob es hier „Nemain von den prophetischen Strophen“ oder „Nemain von den kunstreichen Strophen“ heißt, ist aber letztlich unwesentlich; wesentlich ist hier das Auftreten der Schlachtfelddämonin als Dichterin, und damit in jedem Fall als Gestalt von großem Wissen. Dafür, daß sie diese dichterische Kunstfertigkeit zum Verkünden von Unheilsprophezeiungen einsetzt,592 wurden schon Beispiele genannt, wie die Warnung der Morrígain an den Stier von Cúailgne. Ferner benützt sie am Vorabend der letzten Schlacht der Táin Bó Cúailnge allem Anschein nach eine retoiric, um die Heere in einen blutigeren Kampf zu treiben.593 In der Erzählung von der zweiten Schlacht von Mag Tuired benützt sie eine (weitgehend unverständliche) Dichtung, um die Túatha Dé in der Schlacht zu stärken (Cath Maige Tuired § 137, wohl auch § 83 mit Bezug auf Lug). Im selben Text verfügt sich auch über kriegswichtiges militärisches Geheimwis587 588
589 590 591 592
593
Táin Bó Cúailnge hgg. von Windisch 1905 S. 185, siehe variationes lectionis 4, und S. LXXV. Lebor Gabála Gedicht LIII Strophe 10; Macalister 1941 S. 216. Siehe oben S. 134 f. Auch hier scheint der Text dieser Strophe jedoch im Buch von Leinster korrupt; der hier relevante Vers lautet dort: Nemaind nar fodaind fathaig. (Buch von Leinster, hgg. von Best et al. 1954, Zeile 1228.) Dem kann ich keine Übersetzung abgewinnen. Lehmacher in seiner Ausgabe dieses Gedichts rekonstruiert diesen Vers als: Nemuinn na forrann fa-thaig. „Neamhuin mit Versen wie ein Weiser“ (Text und Übersetzung: Lehmann 1923 S. 176 Strophe h). Macalister 1941 S. 217. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 60 Anm. 30. Royal Irish Academy Dictionary s.v. ‚fáth‘ Spalte 46 Zeilen 59 f. Als (nach Gulermovich Epstein nur auf den ersten Blick) ungewöhnlich fällt Macha, Ehefrau von Nemed, auf, deren Herz zerbrach, als sie in einer Vision alles Übel der Táin Bó Cúailnge vorhersah (Carey 1982/83 S. 263; Gulermovich Epstein 1998 [War Goddess] S. 192–195); Carey zweifelt aber an, ob sich in dieser Tradition eine authentische Überlieferung erhalten hat (Carey 1982/83 S. 264) und sieht diese Figur als eine „attenuated reflection of Macha daughter of Ernmas, envisioned as a divine prophetess of battle“ (ibidem S. 268). Siehe oben S. 151.
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sen – Kenntnisse, die sie ihrem Liebhaber zugutekommen läßt, wenn sie dem Dagda den Landeplatz des Heeres der Fomore mitteilt (§ 85).594 Zudem tritt die Schlachtfelddämonin als Verkünderin von Ruhmestaten auf.595 So etwa in Togail Troí, der „Zerstörung von Troja“:596 Is and sin ra chomaicsigsetar na catha da ceile. cora dassed impu dib línaib. cora eirgetar a n-eoin gaile ósa n-analaib. cora chomthócbaiset a lonna láith ósa cleithib. ra fiuchud na ferggi fírgarbi. Atractatar badba bána béllethna osa cennaib. ri scaíliud a scél. 7 ri innisin a n-echt fón nAsia 7 fón Eoraib.597 „Dann näherten sich die Battalione einander. Und sie wurden beide rasend. Und ihre Vögel der Kraft erhoben sich über ihrem Atem. Und ihre Kriegermonde( ? ) erhoben sich zusammen über ihren Scheiteln. Die wahrhaft groben Zornesausbrüche wurden aufgekocht. Die weißen, breitmäuligen Bodbs erhoben sich über ihren Köpfen: Um die Geschichten über sie zu verbreiten. Und um in ganz Asien und Europa von ihren Mordtaten zu erzählen.“
Da diese Passage keine Parallele in der lateinischen Vorlage von Togail Troí hat, erscheint hier ein einheimischer irischer Charakterzug der Bodb:598 Die Bodbs verkünden den Ruhm der Krieger. In derselben Funktion tritt die Morrígain am Ende der zweiten Schlacht von Mag Tuired auf (Cath Maige Tuired § 166):599 Íar mbrisiud íerum an catha 7 íar nglanad ind áir, fochard an Morrígan ingen Ernmais do táscc an catha-sin 7 an coscair móair forcóemnochair ann do rídingnaib Érenn 7 dia sídhcairib, 7 dia arduscib 7 dia inberaiph. Conid do sin inneses Badb airdgníomha beus. „Nach scél lat?“ ar cách friai-se ann suide. […]600 „Nachdem die Schlacht gewonnen und nachdem das Gemetzel fortgeräumt worden war, machte die Morrígain, Tochter von Ernmas sich daran, diese Schlacht und den großen Sieg, der sich da ereignet hatte, den königlichen Anhöhen von Irland und seinen Elfenscharen und seinen hohen Gewässern und seinen Flußmündungen zu verkünden. Und es ist daher, daß die Bodb immer noch hohe Taten verkündet. ‚Hast du irgendwelche Neuigkeiten?‘ sagte da jeder zu ihr. […]“
Nach der Schlacht tut die Morrígain dem gesamten Land den Sieg der Túatha Dé kund, und dies sei der Grund dafür, daß die Bodb noch immer große Taten verkünde. Im folgenden breitet die Morrígain daraufhin das errun594 595 596 597 598 599 600
Siehe oben S. 154. Man erinnere sich an die Walküre der Hrafnsmál, die sich mit einem Raben über den Kriegsruhm eines Königs unterhält. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 117–119. Text: Best und O’Brien 1965 Zeilen 32 507–32 511. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 248 f. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 89–91. Text: Gray 1982 S. 70.
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gene Glück in einem (weitgehend unverständlichen) Gedicht aus. Hier erscheint die Morrígain mit den positiven Seiten des Kriegs verbunden: Dem gewonnenen Ruhm und dem errungenen Wohlstand.601 Doch gleich darauf widmet sich ihre prophetische Gabe wieder der bedrohlichen Seite der Dinge, die ihr so viel näher steht, und (§ 167): Boí-si íarum oc taircetul deridh an betha ann beus, 7 oc tairngire cech uilc nobíad ann, 7 cech teadma 7 gac[h] díglau; conid ann rocachain an laíd-se sís: […]602 „Dann prophezeite sie noch das Ende der Welt, und sagte jedes Übel voraus, das da sein würde, und jede Seuche und jede Strafe; und da sang sie dieses folgende Gedicht: […]“
Auch dieses Gedicht ist wieder weitgehend unverständlich; doch soweit es verständlich ist, sagt es Unfruchtbarkeit und einen vollständigen Zusammenbruch der sozialen Ordnung voraus.
Furcht Auch das Verhältnis der irischen Todesdämoninnen zur Angst603 läßt sich wieder am Auftritt der Cailb in Togail Bruidne Da Derga beobachten. Nachdem die monströse Gestalt dem König den Tod prophezeit und ihn mit einem Angriff auf seine Ehre gezwungen hat, ihr Einlaß zu gewähren, schließt die Episode mit den Worten (§ 63): Buí gráin már foraib íar sin dia ac601 602 603
Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 117. Text: Gray 1982 S. 72. Das Motiv des Einflößens von Schrecken taucht auch in der Übersetzungsliteratur auf, wenngleich nicht sehr prominent (weit häufiger hetzen die Dämoninnen zum Kampf auf), wo manche Ähnlichkeiten der irischen Schlachtfelddämoninnen zu den entsprechenden Gestalten der lateinischen Literatur (unter anderem, aber nicht ausschließlich den Furien) mitunter sehr deutlich werden. Für eine Sammlung der Belege und einen Vergleich mit den Originalpassagen vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 245–265; vgl. auch ibidem S. 265–270. Dieses Material scheint die These nicht zu stützen, daß die Figuren der klassischen Literatur die einheimischen Figuren beeinflußt hätten (so Herbert 1996 S. 148), auch wenn dies wohl nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Jedenfalls handelt es sich bei den Dämonen der Übersetzungsliteratur nicht immer um bloße Kopien mediterraner Figuren mit irischen Namen; vielmehr wurde das klassische Material teilweise an irische Vorstellungen angepaßt. Hennessy 1870 S. 43 f. sieht auch den durch Angst in der Schlacht induzierten Wahnsinn (geltacht) als Folge der von der Bodb eingeflößten Furcht, was er mit dem Auftreten beider Phänomene – der Bodb und des geltacht – in den Traditionen um die Schlacht von Almha belegt.
Furcht
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callaim na mná 7 míthaurassa acht nád feadatar can boí doib. „Danach lag von dem Gespräch mit der Frau ein großer Schrecken über ihnen, und schlimme Vorzeichen, aber sie wußten nicht, woher er zu ihnen kam.“ In einen solchen Zusammenhang eines schreckenerregenden Aspekts der Todesdämoninnen hat Hennessy auch das Motiv des Schreiens und Kreischens gestellt, das so oft mit ihnen verbunden wird.604 Ein klassisches Beispiel für die Wirkung und den Zweck des dämonischen Schlachtfeldlärms erscheint – allerdings ohne ausdrückliche Nennung der Bodb – in der zweiten Rezension der Táin Bó Cúailnge (frühes 12. Jh.):605 Is and sin cinnis in cur cetach clessamnach cathbúadach claidebderg, Cú Chulaind mac Sualtaim, ina charpat. Gura gáirsetar imme boccánaig 7 bánanaig 7 geniti glinne 7 demna aeóir, dáig dabertis Túatha Dé Danand a n˙ gáriud immi-sium combad móti a gráin 7 a ecla 7 a urúad 7 a urúamain in cach cath 7 in cach cathroí, in cach comlund 7 in cach comruc i téiged.606 „Dann stieg der schlägereiche, kunststückvollbringende, schlachtensiegreiche, schwertrote Held, Cú Chulainn Sohn von Sualtaim, in seinen Streitwagen. Und um ihn schrien die Bocksdämonen und die bánánach-Dämonen und die Teufelsfrauen des Tals und die Dämonen der Luft, denn die Túatha Dé Danann pflegten ihren Schrei um ihn von sich zu geben, auf daß die Abscheu vor ihm und die Furcht vor ihm und der Schrecken vor ihm und das Grauen vor ihm umso größer wäre in jeder Schlacht und auf jedem Schlachtfeld, in jedem Kampf und in jedem Treffen, in das er ging.“
Die übernatürlichen Wesen schreien hier um den Helden mit der ausdrücklichen Absicht, seine Erscheinung schrecklicher zu machen. Dieses Schreien wird in dieser Passage nicht spezifisch mit der Bodb verbunden, sondern allgemein den Túatha Dé Danann zugeschrieben – wobei freilich zu beachten ist, daß die Bodb, Macha und die Morrígain unter die Túatha Dé Danann gerechnet werden, wie etwa im oben auszugsweise zitierten Gedicht aus dem Lebor Gabála,607 oder wie in den zwei Erzählungen von den beiden Schlachten von Mag Tuired, wo die Morrígain bzw. die Morrígain, Bodb und Macha jeweils mit den Túatha Dé Danann in den Krieg ziehen (und sich damit in einer entfernt ähnlichen Situation befinden wie hier).608 Direkt mit der Morrígain verbunden ist das Motiv in der Erzählung von der Schlacht von Magh Rath, wo sie über der Heerschar des späteren
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Hennessy 1870, besonders S. 41–44 mit weiteren Beispielen. Vgl. auch Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 202–208. Hennessy 1870 S. 41 f. Datierung: Siehe oben Anm. 459. Text: O’Rahilly 1967 S. 78 (Táin Bó Cúailnge II Zeilen 2844–2849). Siehe oben S. 134 f. Siehe oben, etwa S. 133 und S. 149 f. Ähnlich: Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 106: „The mention of the Túatha Dé suggests the Morrígan’s presence.“
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Siegers einer Schlacht als kreischende nackte Alte erscheint.609 Auch in Bruiden Da Choca erscheint das Schreien der Bodb in einer Prophezeiung von Cormacs Tod als Zeichen des bevorstehenden Schreckens (Rezension A, § 33; vgl. ähnlich ibidem § 42): Boidb bél [n]derg gairfid fon tech bocoll¯ain be[i]t co sirthech, beitit collæ i cossair chró, sruthán fola fir furso.610 „Die mundrote Bodb wird um das Haus schreien, bocolla-in werden nach Beute suchen, Leichen werden in einem blutigen Gemetzel sein, ein Bach vom Blut eines Mannes …“
Als in der ersten Schlacht von Mag Tuired die Heerschar der Túatha Dé vorrückt, heißt es (§ 48):611 Rogairsed badba 7 bledlochtana 7 amaite aidgill co clos a nallaib 7 a nesaib 7 i fothollaib in talman. Robo comcosmail re hidnaib uathmara in laithe dichra dedenaig ag dedail na droinge duineta o dirim in domain se. […]612 „Bodbs und bledlochtana und Hexen der Zerstörung schrien, so daß es auf den Klippen und in den Stromschnellen und in den unterirdischen Kammern der Erde gehört wurde. Es war ganz wie die schrecklichen Schmerzen des inbrünstigen letzten Tages, wenn die Menschheit von der grenzenlosen Weite dieser Welt scheidet.“
Wieder verbindet sich also der schreckenerregende Schrei, in den die badba zusammen mit anderen Wesen einstimmen, mit dem bevorstehenden Grauen der Schlacht. Und auch lachend kann die Morrígain als Quelle von Schrecken erscheinen – so in den oben zitierten Strophen des Reicne Fothaid Canainne.613 Aus der Vielzahl von Beipielen, die sich für das Einflößen von Angst insbesondere durch den Schrei der Schlachtfelddämoninnen anführen ließen,614 sei nur noch ein weiteres aus der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge herausgegriffen, das die Intensität des Schreckens, den die Schlachtfelddämoninnen verursachen, kurz und drastisch darstellt:615 609 610 611 612 613 614
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Zitiert oben S. 162 f.; Hennessy 1870 S. 39. Text: Toner 2007 S. 120. Auszugsweise zitiert bei Hennessy 1870 S. 38. Vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 77 f. Text: Fraser 1916 S. 44. Siehe oben S. 137. Vgl. etwa Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 56, 104–111, 202–208 et passim; Henessy 1870 S. 41–44 et passim. Gulermovich Epstein 1997 S. 133 f. und Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 288 f. sieht den von den irischen Schlachtfelddämoninnen bewirkten Schrecken als direkte Parallele zur Macht der Walkürengestalt der Hrómundar saga, die die Krieger
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Imthús immorro fer nÉrind, cotagart Badb 7 Bé Néit 7 Némain forru ind aidchi sin for Gáirig 7 Irgáirich conidapad cét lóech díb ar úathbás. Nírbo hísin adaig ba sámam dóib.616 „Was aber die Männer von Irland betrifft, Bodb und Bé Néit und Nemain kreischten in dieser Nacht auf Gáirech und Irgáirech über ihnen, so daß hundert ihrer Krieger vor Grauen starben. Das war nicht die ruhigste Nacht für sie.“
Zusammenfassung Das vorliegende Kapitel hat einen Überblick über einige zentrale Charakteristika der irischen Dämoninnen des Schlachtfelds zu geben versucht, wie sie in der mittelalterlichen Literatur der ‚Grünen Insel‘ dargestellt werden. Diese Gestalten treten vor allem unter den Namen Bodb, Macha, Morrígain und Nemain auf. In der einheimischen irischen Tradition werden sie häufig und bis zur Austauschbarkeit miteinander identifiziert. Etymologisch läßt sich die Bodb als „Kampf[dämonin]“ deuten, während die Etymologien Machas und Nemains unklar sind. Zur Klärung der umstrittenen Deutung des Namens der Morrígain wurde eine Besprechung zentraler Belege dieser Gestalt in frühen Glossaren (Codex Reginae Lat. 215; Cormacs Glossar) vorgelegt. Eine Analyse des Kontexts der entsprechenden Belege innerhalb dieser Texte legte den Schluß nahe, daß diese Glossare als weitgehend verläßliche Quellen aufgefaßt werden können, denen keine erkennbare polemische Absicht zugrunde liegt. Die Darstellung der Morrígain in diesen frühen Zeugnissen zeigte diese Dämonin dabei als eine stark negativ konnotierte, mit Tod und Zerstörung assoziierte Figur. Eine ähnliche Schlußfolgerung wird von der Episode der Warnung der Morrígain an den Donn Cúailnge in der Táin Bó Cúailnge nahegelegt. Dies läßt eine Auffassung der Morrígain als Mórrígain und damit „Große Königin“ für die Frühzeit aus semantischen Gründen unplausibel erscheinen. Wahrscheinlicher ist eine etymologische Deutung als „Mahrenkönigin“ oder „Königin des Todes“. Die irischen Dämoninnen treten häufig als ein Kollektiv auf; selbst ihre Namen sind teilweise Gattungsbezeichnungen (sowohl ‚Bodb‘ als auch ‚Morrígain‘ können auch im Plural verwendet werden). Soweit die Zahl der
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wehrlos machen kann, zum Walkürennamen Herfjqtur und zum ersten Merseburger Zauberspruch (siehe oben S. 107 ff.). Text: O’Rahilly 1976 S. 118 (Táin Bó Cúailnge I Zeilen 3942–3944). Die Stelle wird nahezu identisch wiederholt in Táin Bó Cúailnge I Zeilen 4033–4035. Thurneysen wies die Episode dem 9. Jh. zu: Thurneysen 1921 S. 112 f., 210–213 (vgl. aber oben S. 130 f. zu einer wohl nötigen Korrektur seines Datierungsansatzes).
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Dämoninnen spezifiziert wird, handelt es sich um eine Triade. Die Dreizahl scheint eine kanonische Stellung eingenommen zu haben, da auch im Fall einer größeren Zahl von Einzelnamen eine Abweichung von der Dreizahl von irischen Schreibern sorgfältig vermieden wurde. Zugleich können die Bodbs auch als individuell agierende Einzelfiguren erscheinen, die als einzelne weibliche Gestalt oder (seltener) in Begleitung eines monströsen Mannes auftreten. Die Bodbs erfreuen sich am gewaltsamen Tod; so sind sie in Bruiden Meic Dareó überfroh über das Massaker der Zinsbauern an den freien Iren. In Reicne Fothaid Canainne tritt dabei nicht nur ihre Freude an einem blutigen Gemetzel zu Tage, sondern zugleich wird auch deutlich ausgesprochen, daß es die Schlachtfelddämonin selbst war, die zu diesem Gemetzel angestachelt hat – wobei auffällt, daß sie in solchen Belegen weder selbst kämpft noch selbst tötet; vielmehr erfreut sie sich an dem Blutvergießen, das die Menschen (mit oder ohne das Zutun der Dämonin) selbst untereinander anrichten. Noch in der Folklore des 19. Jh. war die Nebelkrähe als Erscheinungsform der Bodbs aufs engste mit den Nachfahrinnen der alten Schlachtfelddämoninnen Irlands verbunden, und dieser Zug läßt sich bis in die Quellen der altirischen Zeit zurückverfolgen: In der mittelalterlichen Literatur Irlands erscheint die Bodb/Morrígain bald als anthropomorphe Frau, bald als Aaskrähe, und die Dämonin kann in einem Akt der Metamorphose nach Belieben zwischen diesen beiden Gestalten wechseln. Als Aaskrähe teilt sie den Appetit der Vögel, deren Erscheinungsform sie annimmt: Als „rotschnäbelige Bodb“ frißt sie von den Leichen der Erschlagenen. In Tochmarc Ferbe wird entsprechend erwähnt, daß Krieger die Bodb mit ihren Waffen füttern, und so erklärt sich, warum sich die Bodb in einer Vielzahl von Belegen am gewaltsamen Tod erfreut: Das Blutvergießen beschert ihr ein Festmahl. „Machas Mast“ erscheint bereits in altirischer Zeit als stehende Wendung für die abgeschlagenen Schädel der Gefallenen, und der etwa zeitgenössische Stein von Papil scheint ein sehr ähnliches dämonisches Konzept eines Kollektivs schädelfressender, vogelmischwesengestaltiger Kriegsdämonen auch für die Shetlandinseln zu bezeugen. In der modernen irischen Folklore fließt die Bodb mit der Gestalt der Banshee zusammen, die als Todesbotin fungiert. Dies ist keineswegs ohne Grundlage in der mittelalterlichen Tradition: Auch dort tritt die Bodb/Morrígain bereits als Botin bevorstehenden Todes auf – wobei allerdings nicht in jedem Fall eindeutig ist, inwieweit sie nur als Prophetin bzw. Vorzeichen drohenden Untergangs erscheint oder diesen Untergang selbst mit herbeiführt. Die Bodb scheint gerade in Togail Bruidne Da Derga als ‚Todesgeleiterin‘ aufzutreten, die den Untergang zu ihrem todgeweihten Oper führt, um
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hierauf während seines Todes und unmittelbar danach anwesend zu sein – vielleicht, um als Nebelkrähe ihr Mahl zu genießen und ihre Beute stückchenweise in ihren Krallen fortzutragen. Auf eine Funktion als Seelengeleiterin gibt es innerhalb der irischen Überlieferung jedoch keinen Hinweis. Der Tod, mit dem die Bodb auf so vielfältige Art verbunden ist, ist stets ein gewaltsamer Tod: Tod im Krieg. In Tochmarc Emire erscheint sie entsprechend als „Göttin der Schlacht“. Trotz ihrer tiefen Einbettung in Krieg und Gewalt treten die irischen Schlachtfelddämoninnen jedoch selbst kaum als kämpfende Gestalten auf; das direkte physische Eingreifen der Bodbs in eine Auseinandersetzung scheint weitgehend auf die Kriege der mythischen Vorzeit beschränkt zu sein, wo sie allem Anschein nach an den beiden Schlachten von Mag Tuired gegen die Fir Bolg und die Fomore als Kämpferinnen teilnehmen. In den Kriegen der Menschen wirken sie hingegen vor allem als Kriegstreiberinnen, die die Kämpfer anstacheln und Auseinandersetzungen verursachen – mit der Táin Bó Cúailnge ist der Morrígain gerade auch der blutigste Feldzug der frühen irischen Literaturgeschichte zuzuschreiben. Die enge Verbindung der Bodbs mit dem Krieg hat zudem auch eine sexuelle Seite: Im Austausch für sexuelle Gefälligkeiten läßt die Morrígain dem Dagda ihre Hilfe im Kampf zuteil werden, während Cú Chulainn ein ganz entsprechendes Angebot ablehnt und sich die Schlachtfelddämonin so zum Feind macht; statt zu seiner Geliebten wird sie zu seiner Gegnerin, die ihn während eines Zweikampfs zu Fall zu bringen versucht. In diesen Episoden zeigt sich eine ausgeprägte erotische Seite der irischen Dämoninnen. Konzepte von Fruchtbarkeit oder Fortpflanzung spielen in ihrem Charakter jedoch keine Rolle; die Sexualität der Schlachtfelddämonin ist Sexualität um der Lust willen, nicht Sexualität als Mittel zur Fortpflanzung. Hier fügt sich auch die Cailb/Bodb in Togail Bruidne Da Derga ein: Mit prominent hervorgehobenen Geschlechtsteilen macht sie dem todgeweihten König ein zweideutiges Angebot – doch letztlich läßt er mit ihr nur seinen Tod in die Halle. Zugleich fungiert Cailb auch als eine Prophetin des bevorstehenden Verhängnisses, die den Untergang des Königs voraussagt. Eine solche Verfügung der Schlachtfelddämoninnen über übernatürliches Wissen wird wiederholt deutlich – so prophezeit die Morrígain dem Donn Cúailnge den Verlauf der Táin Bó Cúailnge oder erscheint als Dichterin und damit als Gestalt, die in esoterische Weisheit eingeweiht ist. Gleichzeitig verkündet sie in Togail Troí und Cath Maige Tuired den Ruhm des Kriegers – und schließt in letzterem Text mit einer Prophezeiung allen Unheils bis zum Ende der Welt. So erscheint sie als eine Gestalt, die zwar über ein tieferes Wissen verfügt, deren Wissen jedoch wie alle anderen Facetten ihres Charakters um
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die verschiedenen Aspekte des Krieges kreist, vom Ruhm des Siegers bis zum Tod des Unterlegenen. Der Schrei der Schlachtfelddämoninnen wird schließlich eng mit dem Schrecken der Schlacht assoziiert, und das Gespräch mit Cailb läßt bei den Männern in der Halle des todgeweihten Königs eine ihnen unerklärliche Furcht zurück. In der Táin Bó Cúailnge kann allein schon das nächtliche Kreischen der Dämoninnen hundert Kriegern ein solches Grauen einflößen, daß sie daran sterben. Die Bodbs müssen sich keiner physischen Waffen bedienen, um ihre Opfer zu töten. Vielmehr können sie allein schon mit ihrer Stimme eine tödliche Macht über den Geist ihrer Opfer gewinnen. Insgesamt sind die Bodbs der irische Literatur – wie die Walküren – somit Gestalten von einem Charakter, dessen Zentrum deutlich in ihrer Einbettung in die verschiedenen Aspekte des Krieges zu suchen ist; alle anderen Wesenszüge dieser Dämoninnen sind mit diesem grundlegenden martialischen Aspekt verbunden und treten dahinter an Bedeutung zurück, ohne daß der Gesamtcharakter der Bodbs jedoch jemals in einer formlosen Personifizierung des Kriegs aufgehen würde. Vielmehr erscheinen die Dämoninnen als überraschend klar gezeichnete Gestalten von komplexem, aber sehr distinktem Wesen, als deren zentralste Züge wohl ihre Verwurzelung im Bereich von Krieg und gewaltsamem Tod, ihre Vogelverwandlung, ihr vampirisch-leichenverschlingendes Verhalten und ihre geradezu aggressive Sexualität anzusehen sind.
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4. Die Bodb außerhalb Irlands? Die Bodb, Morrígain und Nemain gehören zu den am häufigsten auftretenden Gestalten der frühen irischen Literatur. Eine andere Frage ist jedoch, ob es sich bei ihnen nicht nur um irische, sondern tatsächlich um keltische Figuren handelt – denn eine Gestalt als ‚keltisch‘ zu bezeichnen, nur weil sie eine wichtige Rolle in einer inselkeltischen Literatur spielt, wäre problematisch, insoweit es eine vielleicht nicht gerechtfertigte Kontinuität zwischen der inselkeltischen literarischen Figur und Vorstellungen der antiken Kelten des Kontinents suggerieren könnte. Eine Kontinuität zwischen frühen irischen und kontinentalkeltischen Vorstellungen kann aber nicht von vorneherein als gegeben angenommen werden; eine solche Kontinuität muß am Material aufgezeigt werden. An dieser Stelle soll daher ein kurzer Überblick über einige mögliche Hinweise auf eine solche Kontinuität zwischen der irischen Bodb und dem insbesondere epigraphischen und ikonographischen Material des Celticums außerhalb Irlands gegeben werden. Eine allgemeine Besprechung von Hinweisen auf keltische Kriegsgöttinnen würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen; ich beschränke mich im folgenden daher auf Zeugnisse, die einen möglichen Bezug spezifisch zur irischen Bodb haben könnten.617 Aus der Gegend von Herbitzheim stammt eine stark beschädigte Inschrift, die hier relevant sein könnte (C[orpus] I[nscriptionum] L[atinarum] XIII, 4525): I·H·D·D VICTORIAE /ASSII ODVAE
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Allgemein zu keltischen Kriegsgöttinnen vgl. Birkhan 1997 S. 651–661; de Vries 1961 (Keltische Religion) S. 135–138; Green 1995 S. 28–45; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 219–229; Jufer und Luginbühl 2001 S. 13 f. – In den Kontext einer möglichen kontinentalen Frühform der Bodb mag übrigens auch die friesische Göttin Baduhenna (Tacitus, Annalen IV,73 – wohl eine Kriegsgöttin) zu stellen sein: Lottner 1870 S. 56; Birkhan 1970 § 229; Donahue 1941 S. 7 f.; Gulermovich Epstein 1997 S. 142 f.; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 303 f. Allgemein zu Baduhenna vgl. de Vries 1956/57 Bd. 2 § 542.
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Mit einer konjekturalen Rekonstruktion des beschädigten Namens ist dies als I(n) H(onorem) D(omus) D(ivinae) VICTORIAE [C]ASSI[B]ODVAE aufgefaßt worden.618 Das Namensglied -bodva entspricht formal genau dem Namen der irischen „Bodb“.619 Die interpretatio als Victoria verortet diese Göttin ferner im Bereich des Krieges und der Verleihung des Sieges (zusätzlich dazu, daß -bodva selbst wohl schon „Kampf“ bedeutet).620 Falls man der Rekonstruktion des Namens als *Cassibodva folgt,621 läßt diese etymologische Verbindung mit der Bodb zusammen mit der interpretatio als Victoria eine Verbindung mit der irischen Schlachtfelddämonin durchaus als ernstzunehmende Möglichkeit erscheinen; man erinnere sich daran, daß die Morrígain in Tochmarc Emire § 50 als bandé in chatha „Göttin der Schlacht“ bezeichnet wird. Das Namenselement cassi- muß jedoch problematisch bleiben. Es läßt sich auf verschiedene Weisen deuten und kann daher keinen Beitrag zum Verständnis der Gestalt leisten, da die Entscheidung zwischen den verschiedenen formal möglichen Interpretationen von cassi- nur auf der Grundlage einer vorgefaßten Meinung über den Charakter der Göttin getroffen werden kann. Verschiedene Möglichkeiten wurden von Birkhan diskutiert. Er hält eine Deutung von cassi- als „Haß“ in diesem Fall für die naheliegendste Lösung, ohne daß andere sich jedoch ausschließen lassen, wie etwa eine Verbindung mit einem Stammesnamen oder eine Deutung als Göttin des Kriegsglücks.622 Ferner mag die Bodb in einer Inschrift erscheinen, die in Quincey (nahe Nuits) in die Wand eines Privathauses eingelassen sein soll, wobei das CIL jedoch die Verläßlichkeit der Beschreibung anzweifelt (CIL XIII, 2853): PERVIA BODVA
Jufer und Luginbühl nehmen diese Bodva in ihr Répertoire des noms de divinités celtiques auf,623 und falls die Identifizierung als Göttername korrekt ist, läge hier eine zumindest formal genaue Entsprechung zum Namen der irischen Bodb vor. Ihr Epithet( ? ) pervia könnte sich darauf beziehen, daß die Schlachtendämonin die Schlachtreihen zum Wanken bringt: Denn pervius bezeichnet zunächst „einen Durchgang habend“, wird dann aber auch im
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Birkhan 1967 S. 121; vgl. Birkhan 1970 § 226. Birkhan 1967 S. 121; Ellis Evans 1967 S. 151. Zur Semantik von altkeltisch *bod ua- als „Kampf“ vgl. Birkhan 1970 § 233 und siehe oben S. 121. So Jufer und Luginbühl 2001 S. 33. Für die Details und eine Diskussion der vielfältigen Deutungsmöglichkeiten vgl. Birkhan 1967 S. 121 f. mit den dortigen Querverweisen; vgl. auch Delamarre 2003 s.v. ‚cassi-, -casses‘. Für den Hinweis auf diese Literatur danke ich Nicholas Zair. Jufer und Luginbühl 2001 S. 30. ˘
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übertragenen Sinne verwendet; so kann das Wort vom „einen Durchgang schaffenden Schwert“ gebraucht werden, pervius ensis (Silius Italicus, Punica X,248).624 In Anbetracht der Zweifel des CIL an der Quelle der Inschrift muß aber auch dieser Beleg für eine gallorömische Entsprechung zur irischen Bodb bis auf weiteres unsicher bleiben. Den wichtigsten möglichen Beleg für die Bodb in Kontinentaleuropa stellt wohl eine gallorömische Inschrift aus der Gallia Narbonensis dar. Diese Inschrift befindet sich auf einem Weihealtar aus der Gemeinde Mieussy in Obersavoyen (CIL XII, 2571):625 ]ATHVBODVAE AUG N SERVILIA TERE TIA VSLM
Abgesehen vom wohl beschädigten Götternamen ist die Lesung der Inschrift unproblematisch: …]athubodvae Aug(ustae) Servilia Terentia v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito). „Servilia Terentia hat der Erhabenen …]athubodva gerne und verdientermaßen das Gelübde eingelöst.“ Für die Göttin …]athubodva hat Pictet schon kurz nach dem Bekanntwerden des Altars eine Rekonstruktion als [C]athubodva vorgeschlagen; das Hinterglied des Namens (-bodva) entspräche dabei etymologisch der irischen Bodb,626 während das rekonstruierte Vorderglied catu- „Schlacht“ (air. cath) den Charakter der Göttin widerspiegeln würde.627 Die Forschung hat seit Hennessy mehrfach großes Gewicht auf die Parallele zwischen der Cathu-bodva „Schlacht-Bodb“ und der im Irischen bezeugten Wortverbindung Bodb catha „Bodb der Schlacht“ gelegt;628 hier liegt jedoch keine direkte sprachliche Verbindung
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Lewis und Short 1917 s.v. ‚pervius‘. Delz schreibt in seiner Ausgabe der Punica dem Archetypus die Lesung pervius zu, emendiert in seinem Text jedoch zu perfidus: Delz 1987, siehe dort den kritischen Apparat zur Stelle und sein Stemma (S. LII). Für Abbildungen des Altars vgl. Pictet 1868 S. 1; Hennessy 1870 S. 32. Lesung nach CIL. Vgl. Pictet 1868 S. 2–11; Hennessy 1866–1869 S. 422; Birkhan 1970 § 226. Vgl. Pictet 1868 S. 11–15; zu catu-: Schmidt 1957 S. 167. Die Schreibung eines -th- widerspricht den allgemeinen Regeln gallischer Orthographie, wofür es jedoch Parallelen gibt: Pictet 1868 S. 11; für mögliche Gründe solcher Aspirationen (auch mit diesem Beispiel) vgl. Schmidt 1957 S. 100. Eine Überprüfung am originalen Stein wäre erstrebenswert, aber mehrere Anfragen beim Musée-Château d’Annecy über den Verbleib des Steins wurden nicht beantwortet. Hennessy 1870 S. 33; Hennessy 1866–1869 S. 421; seine unglücklich schlagworthafte Formulierung wurde dann aufgegriffen von MacCulloch 1911 S. 41, 71; Windisch 1912 S. 77; Mac Cana 1985 S. 86; Mac Cana 1991 S. 600; Ross 1993 S. 281 f., 313;
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zwischen dem gallischen und dem irischen Befund vor, sondern es handelt sich um zwei sprachlich unabhängige Bildungen, die den Charakter der Göttin nur zufällig durch die nähere Bestimmung durch etymologisch zusammengehörige Wörter ausdrücken. Entscheidend ist der Charakter der Göttin, der sich in der Zusammensetzung von catu- und Bodva ausdrückt, wie das schon Pictet gesehen hat.629 Akzeptiert man die Lesung als „Schlacht-Bodb“, so liegt hier ein Beleg für eine gallische Kriegsgöttin vor, deren Name mit dem der irischen Bodb direkt etymologisch verbunden ist. Ob diese Göttin mit der irischen Bodb nicht nur etymologisch, sondern auch religionsgeschichtlich identisch ist, ist damit strenggenommen noch nicht bewiesen;630 in Anbetracht der sowohl etymologischen als auch inhaltlichen Parallelität ist es allerdings naheliegend.631 Daran, daß einer Figur
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Green 1995 S. 43; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 221. Die Wortverbindung Bodb catha findet sich etwa in Tochmarc Emire § 50 bezeugt. Sie erscheint erst ab der mittelirischen Zeit, vgl. die Belege bei Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 221 Anm. 55, S. 51, 52, 56, 249 f., 251, 255. Vgl. Pictet 1868 S. 11–15. Diese Interpretation hängt natürlich von der Richtigkeit der Rekonstruktion des Namens ab. Das CIL hält es für unsicher, ob überhaupt ein Buchstabe fehlt: num littera initio interciderit incertum (vgl. Pictet 1868 S. 2; Schmidt 1957 S. 136 mit Anm. 2). Die Lesung [C]athubodva scheint heute dennoch weithin als die wahrscheinlichste Lesung akzeptiert, vgl. etwa Birkhan 1970 §§ 225 f.; Green 1995 S. 43; Birkhan 1997 S. 656; Jufer und Luginbühl 2001 S. 14, 33. (Möglicherweise teilweise in Unkenntnis der Zweifel des CIL? Zugunsten dieser Zweifel ist zu sagen, daß nach den alten Stichen des Altars [Photos liegen nicht vor] der Göttername im Vergleich zur im allgemeinen zentrierten Inschrift deutlich nach links verschoben eingemeißelt worden wäre. Die letzte Zeile zeigt jedoch ähnliche Probleme. Ohne eine Autopsie oder gute Photographie läßt sich zur Frage nichts Abschließendes sagen; auch deshalb ist die mangelnde Kooperation des Musée-Château d’Annecy bedauerlich. Pictets Grund für die Annahme des Fehlens eines Buchstaben war neben der Beschädigung des Steins auch, daß sich für Athubodva keine zufriedenstellende Deutung finden ließ: Vgl. Pictet 1868 S. 11 [und vgl. Schmidt 1957 S. 136 mit Anm. 2].) Birkhan 1970 § 226 wertet den Götternamen [C]athubodva vorsichtig nur als Beleg dafür, „daß die formale Vorstufe von ir. Bodb auch im Gall. schon eine Gottheit bezeichnen konnte“. Birkhan 1997 S. 656 f. hält es zwar für sicher, daß [C]athubodva eine Kriegsgöttin bezeichnet, aber „doch [für] fraglich, ob diese ihrem Charakter und ihrer religionsgeschichtlichen Bedeutung nach mit der irischen Bodb zu identifizieren ist“ (zustimmend: Hofeneder 2005 ff. Bd. 1 S. 170). Pictet 1868 S. 15 ([C]athubodva sei „une proche parente de la Bodhbh ou Badhbh irlandaise“), S. 16 f.; Hennessy 1866–1869 S. 421; Hennessy 1870 S. 33 (er hält Pictets Ergänzung für fast sicher bzw. sehr wahrscheinlich und schließt daraus auf eine Identität von [C]athubodva und irischer badb-catha); MacCulloch 1911 S. 41 hielt Cathubodva für „identical with the Irish war-goddess Badb-catha“ (vgl. ibidem S. 71); Sjœstedt-Jonval 1936 S. 65 schließt aus diesem Weihestein und u. a. gallischen Namen mit dem Element Boduo- auf einen pan-keltischen Charakter der Bodb (vgl. Birkhan
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wie der Bodb ein Kult gewidmet gewesen sein sollte, wäre im weiteren europäischen Vergleich im übrigen nichts besonders Überraschendes; so wurden auch für die Sirenen, die viele ähnliche Charakterzüge aufweisen, in Großgriechenland Kultfeiern begangen.632 Abgesehen von den auf Weihesteinen bezeugten Götternamen findet sich das Element bodua, boduos im Gallischen auch in einigen Personennamen belegt (Atebodua, Ateboduus, Boduacius, Boduacus, Boduia, Boduisso, Boduos, Maroboduus, Soliboduus, etc.).633 Dieser Namenstyp scheint grundsätzlich zumindest etymologisch mit der irischen Bodb zu verbinden zu sein, und verschiedene dieser Personennamen sind von der bisherigen Forschung explizit als theophore Namen zur göttlichen „Kampf[dämonin]“ gestellt worden.634 So verbindet Birkhan insbesondere die Namen Teutobodus, Boduogenus und Boduognatus ausdrücklich auch religionsgeschichtlich mit dem gallischen Theonym.635 Für den Namen Teutobodus schlägt er die Möglichkeit vor, daß dieser Name eine „Zugehörigkeit zur Volks-Bodb (*Teutobodua-)“ ausgedrückt haben könnte (teuta: air. túath „Volk, Stamm, Königreich“); in den Namen auf -boduus sieht er generell mögliche Weihe-Namen.636 Gleichermaßen deutet er die patronymisch gebildeten Namen Boduogenus und Boduognatus als eine „Weihung an die Kriegsgottheit“.637 Auch die gallische Onomastik mag somit Indizien für die Existenz einer Frühform der Bodb in Gallien liefern. Sjœstedt-Jonval weist ferner auf entsprechende Belege aus Britannien hin (vorrömische Münzen der Dobunni mit der Legende ˘
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1970 §§ 223–226; MacCulloch 1911 S. 71); de Vries 1961 (Keltische Religion) S. 137 hält die Verehrung der Bodb bei den Festlandkelten mit Verweis auf Cathubodva für wahrscheinlich; ähnlich ist auch die Einschätzung von Green 1995 S. 43 („may be the same divinity“) und Ross 1993 S. 281 f., 285. Mac Cana 1985 S. 86 schließt u. a. aus der Weihung an [C]athubodva auf einen pan-keltischen Charakter der drei Morrígains („virtually certain“). Siehe unten S. 360 f. Vgl. die Zusammenstellung der Belege bei Ellis Evans 1967 S. 151. Vgl. Delamarre 2003 s.v. ‚boduos, bodua‘; Ellis Evans 1967 S. 151; Birkhan 1970 §§ 223–226; MacCulloch 1911 S. 71; Sjœstedt-Jonval 1936 S. 65; Ross 1973 S. 150; Hofeneder 2005 ff. Bd. 1 S. 170. Birkhan 1970 § 226. Birkhan 1970 § 226. Birkhan 1970 § 226. Ellis Evans 1967 S. 60 übersetzt Boduognatus als „born of (/descendant of) the (royston-)crow“ oder „born of (/descendant of) the goddess Bodua“ (unter Hinweis auf griechisch «), sieht dieselbe Übersetzung auch als die wahrscheinlichste Interpretation des Namen Bodocenus und verweist ferner auf die Namen Bodocnous, Bodogenes, Boduogenus (ibidem S. 59 f.; vgl. Schmidt 1957 S. 152 mit Anm. 4); vgl. MacCulloch 1911 S. 71; Sjœstedt-Jonval 1936 S. 65; Ross 1973 S. 150 (mit zu weitreichenden Schlußfolgerungen); Hofeneder 2005 ff. Bd. 1 S. 170.
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BODVOC).638 Als caveat ist freilich vielleicht hervorzuheben, daß es innerhalb des allgemeinen Kontexts gallischer Namen durchaus auch möglich wäre, diese Bildungen auf eine Bedeutung des Elements boduos, bodua als „Kampf“ zu beziehen;639 zum Vergleich läßt sich hier auf das gallische Namenselement catu- „Schlacht“ verweisen, das sowohl als Simplex als auch in Komposita in der gallischen Anthroponymie nicht nur bezeugt ist (z. B. Cato-mocus „Keiler der Schlacht“), sondern sogar eines der häufigsten Elemente in gallischen Namen überhaupt darstellt (deutlich häufiger als das Element bodu-).640 Offenbar war ein Kriegsbezug für die Bildung von Personennamen also auch ohne eine übernatürliche Komponente attraktiv.641 Ein weiteres – und wichtigeres – Indiz für die Existenz einer frühen Form der Bodb außerhalb Irlands stammt aus dem römischen Britannien, wo im Kontext der Religion des Heeres möglicherweise ein Beleg für die Verehrung einer britannischen (Vor-)Form der triadischen Bodbs vorliegt.642 Aus dem Kastell Condercum am Hadrianswall, dem heutigen Benwell, stammt ein Altar, der den LAMIIS TRIBUS
geweiht ist (CIL VII, 507=RIB 1331);643 der Stein ist wohl in das späte 2. oder frühe 3. Jh. n. Chr. zu datieren, wobei eine Datierung in das frühe 3. Jh. in Anbetracht der vornehmlich späten Datierungen der anderen religiösen Inschriften aus Condercum etwas wahrscheinlicher sein dürfte.644 Da dieser Altar bereits im 18. Jh. gefunden wurde, ist seine genaue Herkunft innerhalb des Kastells nicht dokumentiert; jedoch scheint er aus dem 638
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Sjœstedt-Jonval 1936 S. 65; vgl. Ellis Evans 1967 S. 151. Für die Belege dieser Münzen im einzelnen vgl. den Oxford Celtic Coin Index. Siehe oben S. 121. Delamarre 2003 s.v. ‚catu-‘, vgl. s.v. ‚moccos‘; vgl. Ellis Evans 1967 S. 171–175 gegenüber Ellis Evans 1967 S. 151. Vgl. auch die Zusammenstellung von gallischen Namenselementen mit Bezug zur Schlacht bei Ellis Evans 1967 S. 295 (mit den dortigen Querverweisen). Eine umfassende Besprechung dieses Steins, der von der bisherigen Forschung aufgeworfenen Probleme und des Kontexts dieser Weihung innerhalb der Religion des römischen Heeres und des Gespensterglaubens ihrer Zeit ist von mir bereits anderswo vorgelegt worden: Egeler 2008/09 (Condercum). Aufgrund der Bedeutung dieses Steins für die Frage nach Kontinuitäten zwischen den irischen Bodbs und der Religion des antiken Celticums scheint es nötig, die Hauptargumente hier zusammenfassend zu wiederholen. Für vielfältige Detailfragen muß jedoch auf die ausführliche Diskussion in Egeler 2008/09 (Condercum) verwiesen werden. RIB = Roman Inscriptions of Britain, siehe Collingwood und Wright 1995. Für die Datierung des Steins danke ich Lindsay Allason-Jones, briefliche Mitteilung vom 16. September 2008.
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Nordteil der Anlage zu stammen, was eine Assoziation mit einer möglicherweise mit dem Kastell verbundenen Zivilsiedlung ausschließt und den Stein dem Kastell sensu stricto zuweist.645 Dieser Weihestein ist bereits mehrfach en passant mit den Bodbs verbunden worden.646 Die bisherige Forschung hat dabei dem Kontext des Steins jedoch keine ausreichende Beachtung geschenkt; anstelle einer umfassenden, kontextualisierenden Diskussion der Weihung hat man sich auch dort, wo überhaupt eine explizite Begründung für die Assoziation der Bodbs mit den lamiae tres gegeben wurde, im wesentlichen darauf beschränkt, aus dem triadischen Charakter und dem (stillschweigend als kriegerisch angenommenen) Wesen der ‚drei lamiae‘ auf eine Verbindung mit den (triadischen und kriegerischen) Bodbs zu schließen. Sogar auf eine Berücksichtigung der spezifischen zeitgenössischen Bedeutung des Begriffs lamia wurde verzichtet, obwohl diese die erste und offensichtlichste Grundlage einer jeden Analyse der Weihung an die lamiae tres darstellen sollte.647 Eine lamia ist in der klassisch-mediterranen Überlieferung zumeist eine Gestalt, die für den Tod von Kindern verantwortlich zeichnet. So war sie nach einem Scholion zu Aristophanes, Frieden 758 eine Geliebte des Zeus; dessen eifersüchtige Gattin Hera verursachte jedoch den Tod ihrer Kinder, worauf die dadurch niedergedrückte Lamia anderen Müttern aus Neid dasselbe antat. Bei Diodorus Siculus XX.41.3 wird Lamia als eine Königin von außerordentlicher Schönheit beschrieben, deren Kinder starben und die daraufhin aus Kummer und Neid den Befehl gab, daß die neugeborenen Kinder der anderen Mütter gleichfalls getötet werden sollten. Die dämonische lamia scheint Kinder spezifisch dadurch getötet zu haben, daß sie sie verschlang; denn bei Horaz findet sich die Idee bezeugt (der er selbst freilich mehr als skeptisch gegenübersteht), daß ein Kind lebendig aus dem Bauch einer lamia gerettet werden kann (Ars poetica 340). Entsprechend
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Egeler 2008/09 (Condercum) S. 130–133, 154. Etwa Stokes 1891 S. 128; Sjœstedt 1940 S. 43 (als Einleitung ihrer Diskussion der triadischen Bodbs): „Les déesses de la guerre sont conçues comme formant un trio, conception dont on retrouve la trace en domaine brittonique dans la dédicace de l’inscription de Benwell ‹ aux trois Lamies ›, lamiis tribus“; Vendryes et al. 1959 ff. s.v. ‚morrígain‘; Mac Cana 1985 S. 86 apropos des pan-keltischen Charakters der drei Morrígains: „[…] the notion of the trio of furies recurs in Britain in the Benwell inscription Lamiis Tribus“; Ross 1993 S. 285 f., 367, 473, vgl. ibidem S. 313; Green 1995 S. 36; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 223 f. Zur Forschungsgeschichte vgl. Egeler 2008/09 (Condercum) S. 134–144, wo ich u. a. auch ausführlich gegen die mitunter vorgeschlagene Heranziehung mittelalterlicher Glossen als Argument für eine Identifizierung der lamiae tres mit den irischen Bodbs Stellung nehme.
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schlug eine antike Etymologie ihres Namens vor, sei von « ‚Kehle‘ abgeleitet, weil sie eine große Kehle habe (Scholion zu Aristophanes, Wespen 1035), und auch in einer Erzählung in Antoninus Liberalis (Kapitel 8) mag eine lamia implizit als verschlingendes Wesen erscheinen. Bei Aristophanes, Frieden 758 und Wespen 1035 werden ferner die ungewaschenen Hoden der lamia erwähnt. Eine lamia ist somit eine Gestalt, die wiederholt mit Tod, dem Verschlingen ihrer Opfer und sexuellen oder obszönen Charakterzügen assoziiert wird. Der im gegenwärtigen Zusammenhang wichtigste – da mit dem Weihestein für die lamiae tres etwa gleichzeitige – Beleg für eine lamia findet sich in Philostratos’ Leben des Apollonios von Tyana aus dem 3. Jh. n. Chr., wo eine lamia als eine Vampirin erscheint, die einen besonders gutaussehenden Schüler des Apollonios zuerst verführen und heiraten, später aber um seines reinen Blutes willen auffressen will (Vita Apollonii IV,25; vgl. VIII,7.9); hier kehren somit alle vorgenannten Züge wieder und verbinden sich zu einem Gesamtbild einer tödlichen, sexuell verführerischen und vampirisch-verschlingenden Dämonin.648 Vergleicht man dieses Bild der lamia der textlichen Quellen – insbesondere der zeitgenössischen Vita Apollonii – mit dem Weihestein an die lamiae tres, so fallen zunächst insbesondere drei Punkte auf: Die lamiae von Condercum sind triadische Gestalten; die klassisch-mediterrane lamia hingegen tritt als Einzelgestalt auf. Ferner gibt es im Charakter der lamia keine Züge, die eine kultische Verehrung solcher Wesen nahelegen würden – entsprechend überrascht es nicht, daß bis auf den Stein aus Condercum keine Beispiele von Weihungen an diese Gestalt bekannt sind.649 Und schließlich fehlt der klassischen lamia jegliche Beziehung zum Kriegswesen, was ihre Verehrung im Kontext der religiösen Praxis gerade eines Grenzkastells noch überraschender macht. Denn betrachtet man den religiösen Kontext der Weihung an die lamiae tres, wie er in den übrigen Weihesteinen des Kastells greifbar wird, so zeigt sich dort eine deutliche Fokussierung auf den Bereich des Krieges.650 Alle klassisch-mediterranen Gottheiten, die in Condercum als primäre Rezipienten von Weihungen bezeugt sind, haben einen direkten Bezug zum Kriegswesen: RIB 1330: Juppiter Dolichenus; RIB 1332: Mars; RIB 1333:
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Egeler 2008/09 (Condercum) S. 164–167. Allgemein zur klassischen Dämonin lamia vgl. z. B. West 1995 S. 293–297; Boardman 1992; Schwenn 1925; Stoll 1890–1897. Für die lamia-Episode der Vita Apollonii IV,25 vgl. auch die ausführliche Zusammenfassung oben S. 158 f. Vgl. Peter 1890–1897 ohne Parallelen; Steele et al. in Gaimster et al. 2007 S. 113. Allgemein zur Religion des römischen Heeres vgl. von Domaszewski 1895; Birley 1978.
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Mars Victor; RIB 1334: die Matres Campestres; RIB 1337: die Victoria Augustorum; sowie Minerva.651 (An zweiter Stelle werden auf zwei dieser Weihesteine ferner noch die Numina Augustorum [RIB 1330] und der Genius des ersten Kavallerieregiments der asturischen Spanier [RIB 1334] genannt.) Von den nicht-klassischen Göttern, für die in Condercum Weihesteine aufgestellt wurden, ist der Gott An([t]en)ociticus auschließlich hier bezeugt; er erscheint mit einer leichten Variation in der Namensform auf drei Altären (RIB 1327: Antenociticus; RIB 1328: An[t]enociticus; RIB 1329: Anociticus; RIB 1327 ist an zweiter Stelle auch den Numina Augustorum geweiht). Über den Charakter des An([t]en)ociticus lassen sich kaum weitere Aussagen machen; doch wurden alle drei Weihesteine von Soldaten gestiftet (einem Zenturio, der ersten Kohorte der Vangiones und einem in den Senatorenstand erhobenen und zum Quästor beförderten Präfekten der Kavallerie), was vielleicht auf einen militärischen Aspekt dieses Gottes hindeuten mag.652 Die zwei verbleibenden Weihesteine aus Condercum sind Deo Vetri sangto [sic] und Vitir(i)bus geweiht (RIB 1335 und 1336). Für diese Steine lassen sich weder über die Götter, denen die Weihung dargebracht wurde, noch über die Dedikanten substantielle Aussagen machen. Vetris bzw. die Vitires gehören zu einer Gruppe von Gottheiten, die mit großer orthographischer Variationsbreite des Namens und sowohl im Singular als auch im Plural von über fünfzig Weihesteinen bekannt sind; die meisten Steine stammen aus den Kastellen des Hadrianswalls. Ob diese Assoziation der Belege mit dem Militär jedoch auf einen militärischen Charakter dieser ansonsten völlig enigmatischen Gottheiten hinweist, muß unklar bleiben, da das epigraphische Material in Nordbritannien grundsätzlich im Umfeld militärischer Einrichtungen konzentriert ist. Die beiden Steine aus Condercum werden dem Nordteil des Kastells zugeschrieben, was auf Weihungen durch Soldaten hinweisen dürfte, da die wenigen möglichen Reste einer Zivilsiedlung aus dem Süden, Osten und Westen des Kastells stammen (das Kastell ist so angelegt, daß das dem feindlichen Territorium zugewandte nördliche Drittel des Kastells über den Wall hinaus vorkragt).653 Insgesamt 651 652
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Der Weihestein für Minerva wurde nicht mehr in die RIB aufgenommen; für diesen Stein siehe Jobey 1958. Allgemein zu An([t]en)ociticus vgl. etwa Egeler 2008/09 (Condercum) S. 145–147, 154; Birkhan 1997 S. 260, 428; Webster 1986 S. 73 f., Tafel 16; Lewis 1966 S. 72 f. Allgemein zu Vetris und den Vitires vgl. etwa Egeler 2008/09 (Condercum) S. 147 f.; Birkhan 1997 S. 260; Ross 1993 S. 468–470 (mit Verteilungskarte auf S. 465 [Karte IX]); Webster 1986 S. 78 f.; Heichelheim 1961; Keune 1924–1937; Haverfield 1918. Zur möglichen Zivilsiedlung vgl. Petch 1928 S. 52–58, 73 f.; zu einer alternativen Interpretation des wichtigsten entsprechenden Fundkomplexes vgl. aber auch Salway 1958 S. 235 f. Hinweise auf eine Herkunft aus der möglichen Zivilsiedlung gibt es für
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zerfallen die Weihesteine von Condercum somit in drei Gruppen: (a) Weihungen an klassisch-mediterrane Gottheiten, deren primäre Rezipienten durchgehend einen starken Bezug zum Kriegswesen zeigen; (b) Weihungen an den Gott An([t]en)ociticus, deren Dedikanten durchgehend dem Militär angehören, was wiederum auf einen kriegerischen Aspekt des Gottes hinweisen könnte; und (c) Weihungen an Gottheiten von letztlich enigmatischem Charakter, für die allein die Provenienz aus dem Kastell ein Indiz für eine militärische Assoziation darstellen mag. Oder in anderen Worten: Die Steine, die sich auf der Grundlage ihrer Inschriften interpretieren lassen, weisen auf einen durch und durch militarisierten Charakter der religiösen Praxis von Condercum hin. Dies legt nahe, daß auch diejenigen Weihungen eine militärische Konnotation haben könnten, für die sich rein auf der Basis der Inschriften keine Aussagen zum Charakter der angesprochenen Gottheiten treffen lassen, die jedoch durch ihre Herkunft aus dem Grenzkastell grundsätzlich demselben Kontext der Heeresreligion entstammen – ganz wie auch die Weihung für die lamiae tres.654 Dieser Kontext der Weihung LAMIIS TRIBUS in der hochgradig militarisierten religiösen Praxis des Kastells Condercum unterstreicht nochmals den ungewöhnlichen Charakter der Weihung: Nicht nur wird lamia, die im Mittelmeerraum als Einzelgestalt auftritt und nicht kultisch verehrt wird, hier zu einer triadischen Empfängerin eines Kults, sondern dieser Kult ist darüber hinaus in einem Umfeld angesiedelt, das einen Kult für Gottheiten aus dem Bereich des Kriegs erwarten läßt – während der klassischen lamia jeglicher martialische Zug fehlt. Der Stein aus Condercum steht in seinem spezifischen religiösen Umfeld damit in einem extremen Spannungsverhältnis zur mediterranen literarischen Überlieferung, das sich innerhalb der klassisch-mediterranen Welt kaum überbrücken oder erklären lassen dürfte. Eine Möglichkeit zur Vermittlung zwischen den Kontexten des Steins in der zeitgenössischen klassisch-literarischen Überlieferung zu lamia einerseits und in der militarisierten religiösen Praxis des Kastells andererseits bietet sich jedoch, wenn ein dritter möglicher Kontext mit in Betracht gezogen wird: Derjenige der inselkeltischen Dämonologie des Schlachtfelds. Schon in der altirischen Zeit – und damit in der frühesten in Irland durch Quellen erschlossenen Epoche – erscheint die Bodb im bereits mehrfach angesprochenen Eintrag in O’Mulconrys Glossar als eine triadische Gestalt, die die abgeschlagenen Köpfe der toten Krieger frißt. Sie ist eine Figur
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keinen der Weihesteine von Condercum. Allgemein zum Kastell vgl. Simpson und Richmond 1941. Ausführlich zur den religiösen Zeugnissen von Condercum: Egeler 2008/09 (Condercum) S. 144–155.
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des Schlachtfelds, beeinflußt den Kriegsverlauf und zeigt sich in ihrem Umgang mit Held oder König als auffallend stark sexuell konnotiert. Damit könnte der Charakter der Bodb eine Brücke zwischen den lamiae tres von Condercum und der lamia der zeitgenössischen literarischen Überlieferung darstellen: Während die lamiae von Condercum als (1) triadisch und (2) durch ihren Kontext wohl dem Bereich des Kriegs zugeordnet erscheinen, ist die lamia der Literatur eine (3) hochgradig erotische, (4) tödliche und (5) vampirische Gestalt, die sich am Blut ihrer Opfer labt. Diese beiden innerhalb der römischen Welt unvereinbar scheinenden Charakterbilder lassen sich miteinander in eine sinnvolle Verbindung bringen, wenn man die lamiae tres als eine interpretatio Romana von Gestalten auffaßt, deren Charakter die Hauptzüge des Charakters der Bodbs der frühen irischen Literatur teilt: (1) triadische Wesen (2) aus dem Bereich des Kriegs mit einer (3) betonten Sexualität, (4) einer engen Beziehung zum Tod und (5) einem Appetit auf Leichen. Die sonst völlig enigmatische Weihung an die lamiae tres läßt sich somit in sinnvoller Weise in ihre Kontexte sowohl in der Religion des römischen Heeres als auch in der literarisch überlieferten klassisch-antiken Dämonologie einordnen, wenn man sie als eine Weihung an eine britannische Frühform der Bodbs deutet; dabei könnte der tödliche, vampirische und erotische Charakter der lamia das tertium comparationis gewesen sein, das zu einer Übersetzung von triadischen keltischen (tödlichen, verschlingenden, erotischen) Kriegsdämoninnen als triadische lamiae tres geführt haben mag. Diese Möglichkeit stellt zwar keinen unumstößlichen Beweis für die Existenz einer Frühform der Bodbs im römischen Britannien dar – schon die Weihung an den orientalischen Juppiter Dolichenus zeigt, daß das Kastell Condercum bei aller Fokussierung auf den martialischen Bereich doch aufs Engste in die religiöse Welt des Römischen Reiches als ganzem eingebunden war; die lamiae tres könnten also ebenso eine interpretatio von Gestalten aus der einheimischen Mythologie einer anderen Provinz darstellen. Solange jedoch aus keiner anderen Provinz solche Gestalten beigebracht werden können, die in gleichem Umfang eine Vermittlung zwischen den konkurrierenden Kontexten der Heeresreligion und der literarisch überlieferten Vorstellungen von der lamia leisten und zugleich den triadischen Charakter der lamiae tres erklären könnten, scheint eine Deutung der lamiae tres als Indiz für eine frühe Form der Bodb in Britannien die einfachste und ökonomischste Interpretation dieses Weihesteins.655 Die hierdurch wahrscheinlich gemachte Präsenz einer Frühform der Bodb in Britannien wirft die Frage auf, inwieweit sich auch in der walisi-
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Vgl. Egeler 2008/09 (Condercum) S. 167–169.
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schen Literatur Niederschläge entsprechender Vorstellungen finden. Die frühe Forschung hat im Kontext der Diskussion keltischer Schlachtfelddämonen in der Tat auf (vermeintlich) entsprechende Figuren in der mittelkymrischen Literatur hingewiesen:656 In der Erzählung Rhonabwys Traum haben Oweins Raben ihren Auftritt, die gegen die Männer Arthurs kämpfen und diese vernichtend schlagen.657 Daß es sich bei diesen ‚Raben‘ jedoch um dämonische Rabenvögel handelt, ist alles andere als sicher – vielmehr sind die ‚Raben‘ wohl als eine besondere Kriegertruppe aufzufassen;658 und dies macht es mehr als fraglich, ob Oweins ‚Raben‘ als Parallele zu Figuren vom Typ der irischen Bodbs aufgefaßt werden dürfen. Wenn aber Parallelen zu den irischen Schlachtfelddämoninnen in der walisischen Literatur trotz der wahrscheinlichen Präsenz entsprechender Gestalten im Britannien der römischen Zeit fehlen, stellt sich die Frage, wie dies zu bewerten ist – insbesondere, ob dies wiederum gegen eine Interpretation der lamiae tres als britannische Frühform der irischen Bodbs spricht. Grundsätzlich ist hier jedoch im Blick zu behalten, daß die walisische Literatur allgemein deutlich weniger Material enthält, das für die Rekonstruktion vorchristlicher religiöser Vorstellungen von Relevanz ist, als die mittelalterliche Literatur Irlands. Die walisische Literatur verarbeitet vorchristliche mythologische Stoffe hauptsächlich in den elf Erzählungen des sog. Mabinogions (zu denen auch Rhonabwys Traum zählt);659 diese sehr beschränkte Textmenge steht in scharfem Kontrast zur Fülle der Texte der irischen Literatur, die für die Rekonstruktion vorchristlicher mythologischer Vorstellungen von Interesse sind.660 Entsprechend ist auch nicht zu erwarten, daß die walisische Überlieferung vorchristliche mythische Motive in einer Dichte widerspiegelt, die derjenigen der irischen Literatur auch nur annäherungsweise vergleichbar wäre. In dieser Hinsicht wäre es irreführend, den walisischen Befund mit dem irischen Befund zu vergleichen, da die walisische Literatur in ihrem weitgehenden Verzicht auf die Verwendung vorchristlich-mythologischer Stoffe im Grunde der kontinentalen mittelalterlichen Literatur nähersteht als der irischen. Ein argumentum ex silentio ist hier entsprechend nicht zulässig: Das Indiz für eine britannische Frühform der Bodb, das in der Weihung 656 657
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Hennessy 1870 S. 34; Golther 1890 S. 404. Birkhan 1989 Bd. 2 S. 132–138; beachte auch die Erwähnung von Oweins ‚Raben‘ in der Geschichte von der Gräfin vom Brunnen (Birkhan 1989 Bd. 1 S. 107) und vgl. Birkhan 1997 S. 1047 f. mit Anm. 1 (S. 1048). Birkhan 1997 S. 1047 f. mit Anm. 1 (S. 1048); Birkhan 1989 Bd. 1 S. 253 Anm. 34; Birkhan 1989 Bd. 2 S. 205–207. Maier 2001 (Religion) S. 44 f. Vgl. den Überblick über die mittelalterlichen literarischen Quellen der keltischen Religionsgeschichte bei Maier 2001 (Religion) S. 40–45.
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für die lamiae tres vorliegt, hat schon aufgrund seines authentisch vorchristlichen Charakters ein deutlich größeres Gewicht als der negative Befund der kymrischen Literatur und wird in Anbetracht des allgemein beschränkten Quellenwerts dieser Literatur für die Rekonstruktion einer vorchristlichen Mythologie vom Fehlen walisischer Parallelen auch nicht in Frage gestellt. Wendet man sich wieder dem kontinentalkeltischen Bereich zu, so sei zunächst – der Vollständigkeit halber – eine Theorie erwähnt, die auf dem Pfeiler der nautae Parisiaci eine Darstellung der Morrígain, Bodb und Macha vermutet.661 Dieses im 18. Jh. unter Notre-Dame in Paris entdeckte Monument besteht aus mehreren reliefgeschmückten Blöcken mit v. a. Götterdarstellungen, die zu einem Pfeiler aufgetürmt waren, den ursprünglich wohl eine Iuppiter-Statue krönte; dieser Kultpfeiler datiert in die Zeit des Tiberius (14–37 n. Chr.). Eines der Reliefs dieses Monuments zeigt einen Stier hinter einem schlanken Baum. Auf dem Rücken des Stiers stehen zwei Kraniche, ein dritter Kranich steht auf seinem Kopf. Der Bildhintergrund des oberen Teils des Reliefs ist mit dem Blattwerk des Baums ausgefüllt. Eine Inschrift über dem Bild identifiziert das Relief als Darstellung des TARVOS TRIGARANVS, des Stiers mit drei Kranichen.662 Seit d’Arbois de Jubainville ist mehrmals an eine Identifizierung des Stiers und der Kraniche diese Reliefs mit dem Donn Cúailnge und den Krähendämoninnen der Táin Bó Cúailnge gedacht worden; dies scheint jedoch ganz impressionistisch und unbeweisbar. Auch andere Deutungen konnten bislang nicht wirklich befriedigen.663 Als Beleg für die Existenz der Bodb bei den Kelten des Kontinents wird häufig auch eine Episode angeführt, die sich während der Keltenkriege des frühen Rom ereignet haben soll. Hauptzeugen sind Livius, Ab urbe condita VII,xxvi,1–12, Dionysios von Halikarnassos, Antiquitates Romanae XV,i,1–2 und Aulus Gellius, Noctes Atticae IX,xi.664 Die Episode soll sich im Jahr 349
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D’Arbois de Jubainville 1898 S. 247–249; Dottin 1906 S. 237; d’Arbois de Jubainville 1907–1911, dort 1908 S. 194 f. Anm. 3; Vendryes et al. 1959 ff. s.v. ‚morrígain‘; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 295–297; vgl. Duval 1976 S. 36, 97 (mit Bezugnahme auf Passagen der Táin Bó Cúailnge); Clark 1991 S. 30. Vgl. Birkhan 1997 S. 446–448, 674, 708–711; Ross 1993 S. 351 f., 361–363, 380, 385; Deyts 1992 S. 34 f., 146–149; Green 1986 S. 178, 187, 190 f.; Duval 1976 S. 12, 35–37, 43 f., 45, 97, Abb. 21; de Vries 1961 (Keltische Religion) S. 23, 97, 144, 177–179. Birkhan 1997 S. 709. Zu alternativen Deutungsvorschlägen vgl. etwa ibidem S. 709 f. Zu den Quellen vgl. mit Angabe weiterer Anspielungen auf die Episode Vielle o. J. S. 219 mit Anm. 7; Vielle 1995 S. 123 f. mit Anm. 5; Finette 1995 S. 104 mit Anm. 5; Schmidt 2002 S. 101; Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 162.
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v. Chr. abgespielt haben,665 als nach einem strengen Winter keltische Plünderer aus den Albaner Bergen herabkamen (Ab urbe condita VII,xxv,3). Einer der Anführer der Gallier, ein Hüne von herausragender Größe und Rüstung, forderte die Römer heraus, daß einer von ihnen zum Zweikampf gegen ihn antreten solle. Ein junger Militärtribun namens Marcus Valerius nahm mit Erlaubnis des Konsuls die Herausforderung an. Als die beiden Männer den Kampf beginnen, greift eine göttliche Macht ein: Ein Rabe läßt sich auf dem Helm des Römers nieder und nimmt auf dessen Seite am Zweikampf teil, indem er den Kelten mit Schnabel und Krallen angreift. Dieses Vorzeichen flößt dem Gallier Schrecken ein. Es gelingt Marcus Valerius mit Hilfe des Raben, seinen Gegner zu töten, und er erhält Ehrungen und den Beinamen Corvus „der Rabe“.666 Von da an trug er einen Helm, der mit einem Raben geschmückt war, und Maler und Bildhauer stellten ihn stets mit einem Raben auf dem Kopf dar. Diese Episode wurde mehrmals als ein Fragment einer gallischen Heldenerzählung gedeutet, die zum Ruhme Roms adaptiert und in die römische Frühgeschichte integriert worden sein soll.667 Ausgangspunkt für eine solche Deutung ist, daß das Eingreifen eines Raben in den Kampf in der römischen Literatur kein Gegenstück habe,668 sich aber mit dem Verhalten der Bodbs in der frühen irischen Literatur vergleichen läßt,669 die ebenfalls 665
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Vielle o. J. S. 219; Vielle 1995 S. 123; Finette 1995 S. 103; Laconi 2005 S. 139. Birkhan 1997 S. 108: 348 v. Chr. Die Überlieferung schwankt zwischen Corvus und Corvinus, aber Corvus ist wohl die ältere Form: Laconi 2005 S. 140. Vgl. Vielle o. J. S. 217–223, 226 f.; Vielle 1995 S. 123–140, 148 f.; Bloch 1964 S. 388 f., 391–399; Bloch 1966 S. 125–137; Bloch 1968 S. 112–117; Bloch 1970; Bloch 1976 S. 19–32; Desnier 1985 S. 825–832; Finette 1995 S. 105 f.; Brunaux 1988 S. 106 f.; vgl. Birkhan 1997 S. 108. Davies 1979, besonders S. 129 f., hebt u. a. griechische Parallelen als Problem einer solchen Deutung hervor; zu Davies und insbesondere hiergegen vgl. Desnier 1985 S. 826 Anm. 43, S. 827–830. Bloch 1964 S. 393; Bloch 1966 S. 127 f.; Bloch 1968 S. 113 f.; Bloch 1976 S. 21; Bloch 1970 S. 168; Desnier 1985 S. 831; vgl. Finette 1995 S. 104. Vgl. aber das ganz ähnliche Eingreifen einer vogelgestaltigen Furie in den Kampf zwischen Äneas und Turnus (Vergil, Äneis XII,843–952), auf das unten (S. 326) in Zusammenhang mit den Furien noch zurückzukommen sein wird, wozu vgl. Desnier 1985 S. 826 Anm. 43 und S. 830 f. Ferner könnte man vielleicht an die von Plinius über einen gewissen Craterus Monoceros im asiatischen Eriza überlieferte Anekdote erinnern, wonach dieser Raben zur Jagd abgerichtet hatte, die er auf seinem Helm und auf seinen Schultern sitzend mit in den Wald nahm, wo sie für ihn das Wild aufscheuchten (Plinius, Naturalis Historia X.lx.124). Bloch 1964 S. 393–395; Bloch 1966 S. 127–131; Bloch 1968 S. 113–115; Bloch 1976 S. 21–24; Bloch 1970 S. 168; Desnier 1985 S. 831; Vielle o. J. S. 218 f., 222, 223; Vielle 1995 S. 133–136, 137, 140. Pictet 1868 S. 13 hatte den Raben dieser Episode mit dem
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in den Kampf eingreifen und Panik verursachen können; zudem wurde bemerkt, wie eng die Beschreibungen gallischer Krieger in solchen Zweikämpfen mit Römern den Beschreibungen Cú Chulainns in der irischen Literatur entsprächen.670 Hierüber hinausgehendes Vergleichsmaterial, das zur Stützung der These eines gallischen mythischen Hintergrundes der Marcus Valerius Corvus-Episode herangezogen wurde, ist kaum tragfähig: Vielle weist auf eine Felszeichnung im Val Camonica hin, wo ein Vogel zwischen zwei kämpfenden Kriegern erscheint;671 ob das Phänomen der Felszeichnungen des Val Camonica jedoch mit keltischem Gedankengut zu verbinden ist, wäre zunächst zu beweisen und kann nicht einfach angenommen werden.672 Bloch und Vielle werten ferner zwei etruskischen Urnen als Belege einer solchen hypothetischen gallischen Heldenerzählung.673 Diese Urnen zeigen auf je einer Seitenfläche die Darstellung eines zusammenbre-
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én gaile der irischen Literatur assoziiert, aber die Parallelen zur Bodb sind deutlich enger (das entsprechende Material war zu Pictets Zeit noch kaum erschlossen). Vgl. Vielle o. J. S. 217–223; Vielle 1995 S. 125 f., 128 f., 132 f., 136 f., 139 f. Allerdings übertreibt Vielle die Enge der Parallelen bei der Bewertung der Verzerrung des Kriegers m. E. etwas (besonders Vielle o. J. S. 222; Vielle 1995 S. 137); weder im Falle des Marcus Valerius Corvus noch im zweiten von Vielle in diesem Zusammehang besprochenen Fall des T. Manlius (Aulus Gellius, Noctes Atticae IX,xiii,7–19; Livius, Ab urbe condita VII,ix,6-VII,x) zeigen die Grimassen des gallischen Vorkämpfers übernatürliche Züge, die direkt dem ríastrad Cú Chulainns entsprechen würden – daran, daß er den Römern die Zunge herausstreckt, ist nichts Mythisches, sondern hier mag einfach eine Beobachtung realer gallischer Kriegsbräuche zugrundeliegen. Vielle o. J. S. 222; Vielle 1995 S. 138; vgl. Anati 1961 S. 156, 185. Pauli 1994 S. 362 geht davon aus, daß im Val Camonica – abgesehen von einer singulären Gestalt, die mit dem Gott Cernunnos und insbesondere einer entsprechenden Darstellung auf dem Gundestrupkessel in Verbindung gebracht wird (vgl. ibidem Tafel 22b) – allenfalls für einige Spiralornamente ein keltischer Einfluß vermutet werden kann. Vielle o. J. S. 222; Vielle 1995 S. 138; Bloch 1964 S. 395–397; Bloch 1966 S. 131–134; Bloch 1968 S. 115 f.; Bloch 1976 S. 24–26; vgl. auch Brunaux 1988 S. 107; Brunaux 2004 S. 88 (zustimmend). Den Darstellungen auf den anderen Bildfeldern der Urnen ist hier keine Bedeutung beizumessen, contra Vielle o. J. S. 222; Vielle 1995 S. 138; Bloch 1966 S. 132; Bloch 1976 S. 24 f. Diese Darstellungen stellen keinen Hinweis darauf dar, daß auch die Szenen mit dem Krieger und dem Vogel gallische Themen zeigen, wie das die Darstellung eines Kampfes zwischen Griechen und Galliern auf dem Hauptrelief einer der Urnen nahelegen könnte. Dies beweist schon das zweite Seitenrelief dieser Urne: Dort ist der Selbstmord des Ajax abgebildet (Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 S. 159 Fig. 31; contra Schmidt 2002 S. 110); das verbindende Element der Bildfelder ist ‚Tod und Blutvergießen‘, und nicht ‚Kelten‘ (vgl. ebenso noch Bloch 1964 S. 396 f., der seine Beweisführung später jedoch gegen offenbar besseres Wissen rhetorisch etwas zugespitzt hat; dies wurde von Vielle dann bis zur Unkorrektheit vereinfacht zusammengefaßt).
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chenden gerüsteten Kriegers, dem ein Vogel ein Auge aushackt.674 Weit naheliegender als eine Verbindung mit einer hypothetischen gallischen Heldenerzählung scheint mir hier jedoch eine Deutung als Polyneikes, dem die Bestattung verweigert wird: Die Verweigerung der Bestattung scheint im Bild dadurch ausgedrückt zu sein, daß der unbestattete und somit ungeschützte Leichnam von einem Aasvogel angefressen wird. Szenen aus dem Sagenkreis der Sieben gegen Theben sind auch sonst in der etruskischen Kunst weit verbreitet,675 und insbesondere die Darstellung des Brudermords vor Theben stellt eines der beliebtesten Motive auf etruskischen Urnen dar.676 Auch ohne eine Heranziehung solchen fragwürdigen Vergleichsmaterials scheint die M. Valerius Corvus-Episode inselkeltischen Erzählungen von der Bodb zunächst jedoch in interessanter Weise zu entsprechen, was es verführerisch machen könnte, mit aller gebotenen Vorsicht eine Kontinuität in Erwägung zu ziehen. Nichtsdestoweniger ist allerdings die Frage nach alternativen Erklärungen dieser Anekdote zu stellen. Hier dürfte wichtig sein, daß zwischen dem vorgeblich historischen Ereignis und den ältesten erhaltenen Quellen über 300 Jahre liegen. Von der Forschung wird heute angenommen, daß die M. Valerius Corvus-Episode erst im frühen 1. Jh. v. Chr. aus der mündlichen Familienüberlieferung der gens Valeria in die römische Annalistik übernommen wurde.677 Zwischen dem vorgeblichen Ereignis und dem überlieferten Bericht liegt somit eine erhebliche Zeitspanne; in dieser Zeit mag der ursprüngliche Sachverhalt manche Aus674
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Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 2 S. 191 f.; Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 S. 157–159 mit Fig. 30; für Abb. vgl. auch Bloch 1966 S. 138 Fig. 2; Bloch 1968 Fig. 1 (Tafel nach S. 108); Brunaux 1988 S. 107. Vgl. etwa die berühmten Reliefplatten vom hinteren Giebelfeld des Tempels A in Pyrgi: Haynes 2005 S. 211 f. mit Abb. 154. Vgl. Haynes 2005 S. 383. Für ein Beispiel siehe unten S. 265 ff. Zu diesem beliebten Sujet in anderen Medien als Urnenreliefs vgl. etwa Haynes 2005 S. 212, Abb. 159 auf S. 219. Vgl. ferner die bei Schmidt 2002 S. 109–111 zusammengestellten großgriechischen und etruskischen Parallelen für das Motiv des Vogels, der ein Auge aushackt. – Damit ist auch die Bedeutung hinfällig, die Marco Simón dieser Darstellung in Zusammenhang mit dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ beimißt (auf das im folgenden Kapitel ausführlich zurückzukommen sein wird): Marco Simón 1998 (Religion) S. 127 f. mit Anm. 36; Marco Simón 1998 (Texto e imagen…) S. 394 mit Anm. 31. Diese Art, etruskische Darstellungen als Belege für keltische Vorstellungen oder Rituale heranzuziehen, ist m. E. grundsätzlich mit einiger Skepsis zu betrachten. Für einen weiteren Versuch, das ‚Ritual der Aussetzung‘ in Italien dargestellt zu finden, vgl. auch Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 443; Brunaux 2004 S. 119 f. mit Abb. 55. Allgemein zu dem Typ von Argumentationsweise, wie er in diesem Versuch angewendet wird, siehe unten Anm. 722. Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 162 mit Literatur.
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schmückung erfahren haben.678 Hier könnte wichtig sein, daß Marcus Valerius Corvus nach seinem Sieg über den Gallier stets einen Raben als Emblem auf seinem Helm getragen haben soll. Dies wirft die Frage auf, ob – wie Birkhan vermutet – die ganze Geschichte nicht auf einen keltischen Helm mit einem Rabenzimier zurückgeht.679 Daß keltische Helme mit Vogelfiguren geschmückt sein konnten, ist gut bezeugt, so bei Diodorus Siculus V.xxx.2 und auf einer der Platten des Gundestrupkessels, wo ein Reiter einen Helm trägt, der von einer großen Vogelfigur bekrönt wird.680 Ein Exemplar eines solchen Helms stammt aus einem Kriegergrab einer keltischen Nekropole in Çiume¸sti (Rumänien) aus der ersten Hälfte des 3. Jh. v. Chr.: Das Stück wird von einer großen Rundfigur eines Vogels mit ausgebreiteten Schwingen bekrönt, wobei die Flügel beweglich mit einfachen Federn befestigt waren, so daß sie bei jeder Bewegung des Trägers wie ein lebendiger Vogel flatterten.681 Vielle und Bloch hatten angenommen, daß solche Objekte zur Vermittlung der mythischen Idee zu den Römern beitrugen, indem sie deren Neugier für die dahinterstehenden Vorstellungen weckten.682 Ebensogut mag jedoch der historische Marcus Valerius auch nur einen solchen Helm erbeutet und danach getragen haben, und die ganze Geschichte könnte als Erklärung dieser Gewohnheit oder zur Erklärung von Abbildungen des Marcus Valerius mit einem solchen Helm erfunden worden sein. Die Beweiskraft der römischen Anekdote ist daher äußerst be678
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Zur Möglichkeit, daß es sich bei der M. Valerius Corvus-Anekdote nur um eine literarische Dublette zum Zweikampf des T. Manlius mit einem Gallier (siehe oben Anm. 670) handeln könnte, vgl. ablehnend Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 163. Birkhan 1997 S. 108 f.; ganz ähnlich schon Rusu und Bandula 1970 S. 53. Dies wird abgelehnt von Schmidt 2002 S. 111, wobei ihre Schlußfolgerungen jedoch etwas voreilig sind und nicht immer auf einem gründlichen Studium des Materials beruhen, siehe Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 167 und unten Anm. 684. Birkhan 1999 S. 189 Abb. 207; Birkhan 1997 S. 1048 f., 1125; Cunliffe 1997 S. 98 mit Fig. 73 auf S. 99; Vielle o. J. S. 222 Anm. 11; Vielle 1995 S. 139 Anm. 63; Bloch 1964 S. 397–399; Bloch 1966 S. 135 f. mit Fig. 3 auf S. 139; Bloch 1968 S. 116 f. mit Fig. 2 auf Tafel nach S. 108; Bloch 1970 S. 170 f. mit Tafel I und II; Bloch 1976 S. 27 f. Birkhan 1999 S. 56, 380 Abb. 731; Birkhan 1997 S. 1048, 1125; Cunliffe 1997 S. 112 (der ebenfalls diesen Helm mit der Anekdote über Marcus Valerius assoziiert) mit Fig. 72 auf S. 98; Vielle o. J. S. 222 mit Anm. 11; Vielle 1995 S. 139 mit Anm. 63; Bloch 1970; Bloch 1976 S. 29–32 mit Fig. 1–3 (auf Tafel nach S. 32); Zirra o. J. S. 117, 135 f. und Tafel XII; Rusu und Bandula 1970, besonders S. 44–46, 47–49, 51–54, 60 f. und Tafeln I, III, IV, V, VI, VII, IX, X, XI, XII (wichtig ist, daß der heutige Schnabel aufgrund des Verlustes des ursprünglichen Schnabels eine moderne Restaurierung darstellt: S. 46; damit läßt sich zur Vogelart – Falke? Rabe? – nichts aussagen, vgl. S. 53); Zirra 1991 mit Abb. auf S. 382. Vielle o. J. S. 222; Vielle 1995 S. 139; Bloch 1964 S. 397–399; Bloch 1966 S. 134–137; Bloch 1968 S. 116 f.; Bloch 1970 S. 169 f.; Bloch 1976 S. 26–28.
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schränkt. Eine andere Frage ist allerdings, ob nicht der Brauch, solche Vogelhelme zu tragen, selbst kontinentalkeltische religiöse Vorstellungen widerspiegelt; so stellt Birkhan die Frage in den Raum, „ob die Krähe als Helmzimier nicht die den Helden unterstützende Bodb herbeizitieren und als Helferin bannen sollte“.683 Diese Vermutung ist jedoch keineswegs zwingend. Die eben erwähnten Zeugnisse für Vogelzimiere – die Platte des Gundestrupkessels und Diodorus Siculus – belegen neben der Verwendung von Vogelfiguren als Helmschmuck auch andere Tiere sowie Hörner in dieser Funktion: Beim Schmuck von Helmen mit Tierfiguren oder Hörnern muß es sich nicht um eine Anrufung der durch solche Symbole repräsentierten Gottheit gehandelt haben, sondern es könnte auch weit prosaischer ein Schmuckelement vorliegen, das den Träger des Helms größer und damit bedrohlicher erscheinen lassen soll (vgl. Diodorus Siculus V.xxx.2). Eine überproportionale Vorliebe für Vogelfiguren ist dabei nicht erkennbar. Wenn es sich bei den Helmzimieren um eine Anrufung der (krähengestaltigen) Kriegsgottheit(en) handeln würde, wäre eine solche Vorliebe für Vogelfiguren jedoch vielleicht zu erwarten gewesen. Insgesamt ist die Existenz einer corvidengestaltigen Kriegsgöttin bei den Kelten des Kontinents zur Zeit der frühen römischen Keltenkriege somit kaum mehr als eine Möglichkeit.684 Nur kurz erwähnt sei, daß Darstellungen von Corviden( ? ) über einem Pferd auf vorrömischen gallischen und britannischen Münzen mehrfach 683 684
Birkhan 1997 S. 654 Anm. 5. Birkhan 1997 S. 724 hält die Krähengestalt der Kriegsgöttin im keltischen Altertum unter Verweis auf die Marcus Valerius Corvus-Episode für wahrscheinlich. Mit einigen massiven Ungenauigkeiten wird diese Episode in jüngster Zeit auch von Allen 2007 S. 125 mit der Bodb assoziiert. Schmidt 2002 S. 104–107 lehnt einen kriegerischen Aspekt des Raben im kontinentalkeltischen Bereich grundsätzlich ab; dies beruht jedoch auf einem unvollständigen Überblick über das Material, vgl. Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 167. Ferner weist sie aufgrund der „Kopfpartie mit dem krummen Schnabel“, die sie zur Grundlage einer Deutung des Vogels als Adler macht, die Möglichkeit einer Interpretation des Vogelzimiers von Çiume¸sti als Rabendarstellung und damit auch einer Verbindung mit M. Valerius Corvus zurück (Schmidt 2002 S. 108 f.; Zitat: S. 108); hierbei übersieht sie jedoch, daß gerade der Schnabel eine moderne Ergänzung ist, siehe oben Anm. 681. Schmidts entschiedene Ablehnung einer Deutung der M. Valerius Corvus-Episode als ein Zeugnis keltischer Mythologie und die von Schmidt implizierte Zurückweisung einer Deutung des Vogelzimiers als Anrufung der Kriegsdämonin sind daher auf der Grundlage ihrer Beweisführung so nicht in ihrer ganzen Schärfe zu akzeptieren. Dennoch ist zu beachten, daß Schmidt die Möglichkeit aufzeigt, die M. Valerius Corvus-Episode aus ihrer italischen und etruskischen Umwelt heraus zu verstehen: Schmidt 2002 S. 107, 109–112. In Frage gestellt wird der Quellenwert der M. Valerius Corvus-Episode (unter kritischer Berufung auf Schmidt) auch von Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 167.
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mit der Bodb assoziiert worden sind.685 Schon die Verbindung mit dem Pferd mahnt hier jedoch zur Vorsicht, da eine solche Assoziation von Bodb und Pferd aus der inselkeltischen Literatur kaum zu erklären wäre; dies macht auch die Verbindung zwischen den Corviden der Münzen und den Krähendämoninnen der inselkeltischen Literatur problematisch (wenngleich nicht unmöglich). Andere gallische Münzbilder bieten zwar mitunter konkretere Anhaltspunkte dafür, daß dort tatsächlich Darstellungen von weiblichen Gestalten aus der Mythologie des Krieges vorliegen könnten;686 aber eine unmittelbare Verbindung der entsprechenden Darstellungen mit einer Frühform der irischen Bodbs läßt sich für diese Münzbilder gleichfalls nicht wahrscheinlich machen.687 Unter die dämonischen Vögel des keltischen Kulturraums hat man Seite an Seite mit der Morrígain auch die Vogelstatue aus Roquepertuse gerechnet, die in der Rekonstruktion der 1920er Jahre im Archäologischen Museum von Marseille ihren Platz auf dem berühmten ‚Schädelportal‘ einnahm (tatsächlich handelt es sich nicht um ein Portal, sondern um einen Portikus).688 In Roquepertuse (Dép. Bouches-du-Rhône, Provence) wurde im frühen 20. Jh. ein architektonischer Komplex ausgegraben, der bis zur Wiederaufnahme der Untersuchungen in den 1980er Jahren zumeist als („kelto-ligurisches“) Heiligtum gedeutet wurde.689 Zu den herausragendsten Funden aus Roquepertuse gehörten drei Steinpfeiler mit Nischen für die Aufnahme von Totenköpfen, die bei der Auffindung teilweise noch 685
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Allen 1980 S. 142 f.; Green 1986 S. 108; Green 1992 (Animals) S. 160 f.; Green 1992 (Coins) S. 159 f.; Birkhan 1997 S. 651 f.; Wolfgang Meid (Sir John Rhˆys Memorial Lecture 2007, Oxford, 8. März 2007); vgl. Pictet 1868 S. 15. Für gallische Beispiele vgl. etwa auch Duval 1987 S. 20 f.; Gouet et al. 2001 Nr. 4867, 6950, 6951, 6952, 6585, Ch. Robert (Y), 6421a, 7850, 8426, 9016, 9017, 9203, 9755, 9756, 9926, 9934, 9943, 9959. Vgl. etwa Duval 1987 S. 42–64; Birkhan 1997 S. 651 f., 660; Green 1992 (Coins) S. 153 f.; Green 1995 S. 33, 35; Allen 1978 S. 55 (Nr. 65); de Vries 1961 (Keltische Religion) S. 135 mit Abb. 5 auf S. 136; vgl. auch Sjœstedt-Jonval 1936 S. 29–32, 44, 67 f. (These eines Einflusses armorikanischer Münzbilder auf irische Erzählungen). Zu einigen der fraglichen Münzbilder vgl. ausführlich Egeler (im Erscheinen). Birkhan 1999 S. 36 f. (mit Abb. 458 auf S. 280); vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 228 f.; Ross 1993 S. 130 f. (auch mit weiterem Material zu Gänsen/Raben und Schädeln); Herbert 1996 S. 147 Fig. 11.3 und insbesondere Marco Simón 1998 (Religion) S. 127 f. mit Anm. 36, der sowohl den Befund von Roquepertuse als auch die Bodb mit dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ in Verbindung bringt, auf das im folgenden Kapitel ausführlich einzugehen sein wird. Für aktuelle Rekonstruktionszeichnungen von Roquepertuse vgl. etwa Gassend 1991 S. 24 f. Abb. 9–11; Boissinot und Gantès 2000 S. 263 Abb. 15. Für Hinweise auf neuere Literatur zu Roquepertuse danke ich Victoria Jefferson. Zur Forschungsgeschichte vgl. Lescure 1995 S. 75–77.
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menschliche Schädel enthielten, lebensgroße Sitzstatuen von Kriegern( ? ) und eine steinerne Figur eines überlebensgroßen Vogels mit langem Hals.690 Die alte Aufstellung im Archäologischen Museum in Marseille zeigte die Pfeiler so, daß die Nischen mit den Schädeln zum Betrachter gewandt waren, und setzte den Vogel auf den mittleren der drei Pfeiler; damit erschien die Vogelstatue in unmittelbarer Assoziation mit den Totenschädeln in den Nischen.691 Gulermovich Epstein hat die Körperform des Vogels und seinen vermeintlichen Platz über den Schädeln zum Anlaß genommen, diese Statue als Darstellung eines Geiers zu deuten.692 Eine gewisse Unterstützung hat diese Theorie dadurch erfahren, daß im Zuge der neuen Untersuchungen ein weiteres Stück vom Schnabel des Vogels gefunden wurde, wodurch dieser jetzt als Raubvogelschnabel aufzufassen ist.693 Dies macht es in der Tat verführerisch, diesen Vogel und seine Schädel mit den dämonischen Aaskrähen der altirischen Glosse zu mesrad Machae, „Machas Mast“, zu assoziieren, die die Schädel der erschlagenen Krieger als das Futter der Krähendämonin erklärt, oder mit den schädelfressenden und axttra690
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Lescure 1995 S. 75 f.; Lescure und Gantès 1991 S. 11, 13; Lescure et al. 1994 S. 42. Zur Ausstellung von Schädeln in Nischen in den Pfeilern und ferner in steinernen Horizontalbalken vgl. Coignard und Coignard 1991 S. 28 f., 32, Abb. 8 auf S. 33, S. 35 f. (mit Abb. 11), S. 38. – Die Deutung von Sitzstatuen wie denen von Roquepertuse als Krieger ist gängig (vgl. z. B. Brunaux 1988 S. 37 f., spezifisch zu Roquepertuse: Boissinot und Gantès 2000 S. 263; Bessac 1991 passim; Brunaux 2004 S. 59; vgl. die Deutung eines Statuenfragments aus Roquepertuse als Teil eines Brustpanzers( ? ): Barbet 1991 S. 60), aber für Roquepertuse ist die Deutung der Sitzstatuen als Krieger strenggenommen nicht gesichert: Lescure et al. 1994 S. 43 (Bildbeischrift), vgl. Barbet 1991 S. 77. Zur Aufstellung in den 1920er Jahren vgl. Lescure 1995 S. 76 Abb. 72; Lescure und Gantès 1991 S. 11, 13 mit Abb. 2 auf S. 11. Ferner vgl. Mac Cana 1985 Abb. auf S. 100 für eine andere, aber in allen hier wesentlichen Elementen parallele Aufstellung. Noch Birkhan 1997 S. 774 und Ross 1993 S. 99, 130, 342 plazieren den Vogel in diesem Sinne in „a dominant position on the portico, this being decorated by human heads“ (Zitat: Ross 1993 S. 130; auch ansonsten sind die Beschreibungen des Befundes bei Ross teilweise sachlich falsch). Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 228 f. mit Anm. 72. Boissinot und Lescure 1998 S. 88; vgl. Lescure 1995 S. 78 Bildunterschrift zu Abb. 75. Zuvor anders etwa Ross 1993 S. 342 et passim als Gans; Lescure und Gantès 1991 S. 15 als vielleicht eine Trappe. Der Schnabel zeigt Spuren schwarzer Farbe, aber es ist nicht eindeutig, ob es sich hierbei um Reste von Bemalung handelt, oder ob diese Farbe von einem verkohlten Balken stammt, auf dem das Stück gefunden wurde: Barbet 1991 S. 65. Barbet sieht auf einem der Pfeiler Spuren einer Darstellung eines Vogels derselben Art wie die Vogelstatue und denkt an einen Raben: Barbet 1991 S. 70 mit Abb. 17 auf S. 73 und Abb. 19 auf S. 76; andere mögliche Interpretationen der Vogelart: Ibidem S. 78. Nach der Photographie ist die Annahme einer Vogeldarstellung jedoch wenig überzeugend.
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genden Dämoninnen des Bildsteins von Papil – umso mehr, als auch die Sitzstatuen von Roquepertuse dieser Stätte eine militärische Note geben könnten, falls es sich bei ihnen um Darstellungen von Kriegern handelt.694 Ein Problem dieser Assoziation ist jedoch, daß sie den mehr ästhetischen als archäologischen Charakter der alten Museumspräsentation der Geier( ? )-Statue und der Schädelpfeiler übersieht:695 Die Vogelstatue war in mehr als 25 Einzelstücke zerbrochen und über mehrere Quadratmeter verstreut gefunden worden, ohne daß es möglich gewesen wäre, ihren architektonischen Kontext zu bestimmen.696 Ihre Aufstellung auf einem der Schädelpfeiler war letztlich willkürlich; eine direkte Assoziation des Vogels mit den Schädeln ist nicht zu beweisen. Die Pfeiler, die ein Schutzdach für die Sitzstatuen getragen haben mögen, stellten ihre Schädelnischen zudem nach den neuen Befunden nicht nach außen zur Schau, sondern nach innen zur Rückwand des Portikus hin;697 damit wird eine so deutliche visuelle Assoziation zwischen Vogel und Schädeln wie in der alten Museumspräsentation ausgesprochen unwahrscheinlich. Und um sämtliche Interpretationen noch unsicherer zu machen, sind die Sitzstatuen nicht nur deutlich älter als die von den Schädelpfeilern getragene Struktur – die immerhin dennoch ein Schutzdach für die (als altehrwürdig aufgefaßten?) Statuen hätte sein können698 –, sondern darüber hinaus ist auch noch ihr Fundplatz angezweifelt worden.699 Es lassen sich also keinerlei sichere Aussagen darüber machen, inwieweit der Vogel mit den Statuen der Krieger( ? ) oder den Schädeln assoziiert war. Die neuen Ausgrabungen in Roquepertuse haben ferner die alte Annahme widerlegt, daß es sich bei den bekannten Strukturen um ein isoliertes Heiligtum gehandelt habe. Nach den neuen Befunden stellte der Portikus mit den Schädelpfeilern einen Baukomplex dar, der 694
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Siehe oben Anm. 690 und vgl. Ross 1993 S. 68 f., 342 f. (Assoziation des ‚kelto-ligurischen Oppidums‘ von Roquepertuse mit dem Kult eines Kriegsgottes aufgrund der têtes coupées, der ‚Gans‘ und der Darstellung von Pferden auf einem Steinbalken). Vgl. Dijoud 1991 S. 7; Lescure und Gantès 1991 S. 16 zur Museumspräsentation vor der erneuten Aufnahme der Untersuchungen aus Anlaß des Umzugs des Musée d’Archéologie Méditerranéenne. Lescure und Gantès 1991 S. 15. Coignard und Coignard 1991 S. 34 f., 38 f.; Lescure et al. 1994 S. 43; Lescure 1995 S. 80. Vgl. etwa die Rekonstruktionszeichnung bei Coignard und Coignard 1991 S. 35 Abb. 11 – aber beachte die Betonung ihres hypothetischen Charakters (Bildbeischrift) – und Boissinot und Gantès 2000 S. 263. Zur Chronologie: Boissinot und Gantès 2000 S. 269; zum Fundplatz: Boissinot und Gantès 2000 S. 250 (Karte Abb. 1 mit Beischrift); die Zweifel am Fundplatz schließen jedoch ausdrücklich nicht aus, daß die Statuen zeitweise im Porticus aufgestellt waren: Boissinot und Gantès 2000 S. 263; vgl. Boissinot und Lescure 1998 S. 88.
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einen Teil einer Siedlung bildete; für eine Funktion als Heiligtum gibt es keine schlüssigen Belege.700 Sogar der keltische Charakter der Ansiedlung ist durchaus fraglich; der Großteil der Befunde weist auf eine autochthone Verwurzelung von Roquepertuse hin, ohne daß nach der neuen Einschätzung ‚keltische‘ Elemente dominieren würden.701 So verführerisch es also war, das Roquepertuse der alten Ausgrabungen mit dem hier behandelten Komplex keltischer leichenfressender Vogeldämoninnen des Schlachtfelds zu verbinden, so wenig scheinen die neuen Befunde es zu erlauben, Roquepertuse in diesem Zusammenhang eine nennenswerte Bedeutung beizumessen.702
Zusammenfassung Das vorliegende Kapitel hat seine Aufmerksamkeit der Frage gewidmet, inwieweit eine Kontinuität zwischen den irischen Vorstellungen von der Bodb und Vorstellungen des antiken Celticums angenommen werden kann – oder anders gesagt, ob eine Frühform der irischen Bodb auch außerhalb Irlands bekannt gewesen sein könnte. Die wichtigsten möglichen Belege für die Bodb auf dem Kontinent stellen dabei drei Inschriften dar; alle drei Inschriften weisen jedoch Probleme auf, wenngleich von unterschiedlicher Schwere. Der Weihestein an [C]athubodva belegt in jedem Fall, daß zumindest die sprachliche Vorstufe der irischen Bodb auf dem Kontinent bekannt war und Teil eines Götternamens bilden konnte. Falls die Rekonstruktionen der Weihungen an Victoria [C]assi[b]odva und an [C]athubodva korrekt sind, unterstreichen diese beiden Weihesteine ferner durch die Verbindung des Namenselements -bodva mit dem Krieg (Victoria, catu-) die Einbettung der jeweiligen Gottheiten in den martialischen Bereich; ähnlich mag sich auf dem dritten Stein das Adjektiv pervius in Verbindung mit der Bodva deuten lassen. Hier scheinen also übernatürliche Gestalten bezeugt zu sein, deren Namen zumindest im Hinterglied etymologisch mit der Bodb verbunden sind und deren Funktionsbereiche dem der Bodb zumindest nahestehen. Ein unmittelbarer inhaltlicher Zusammenhang zwischen
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Lescure 1995 S. 82, 84; Lescure et al. 1994 S. 44, 47; Boissinot und Lescure 1998 S. 85–87, 88; Boissinot und Gantès 2000 S. 250 f., 265; vgl. schon Brunaux 1988 S. 37 f. Lescure 1995 S. 83 f.; Lescure et al. 1994 S. 46 f.; Lescure 1991 S. 363; vgl. Lescure und Gantès 1991 S. 17. Für einen Deutungsversuch der von ihm beobachteten Vogeldarstellungen in Roquepertuse etwa als Orakelvögel vgl. Barbet 1991 S. 78.
Zusammenfassung
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diesen drei Weihesteinen und der irischen Bodb wird hierdurch zwar nicht bewiesen, aber doch nahegelegt. Ein kurzer Ausblick auf die gallische Anthroponymie hat ferner darauf hingewiesen, daß eine gallische Form der Bodb auch einigen Personennamen zugrunde liegen könnte, die möglicherweise als Weihenamen aufzufassen sind (Boduogenus, Boduognatus, etc.). Ein noch deutlich gewichtigeres Indiz für eine – in diesem Fall britannische – Frühform der irischen Bodbs stellt der Weihestein an die lamiae tres vom Hadrianswall dar, da er sich nur als eine interpretatio entsprechender Figuren sinnvoll deuten läßt: Nur so scheint eine Vermittlung zwischen dem literarisch bezeugten zeitgenössischen Charakter einer lamia, dem triadischen Charakter der lamiae von Condercum und dem Kontext dieses Steins in der militarisierten Religiosität des Kastells möglich. Die walisische Literatur kennt hingegen – gegenteiligen Vorschlägen der frühen Forschung zum Trotz – keine vergleichbaren Gestalten, was in Anbetracht ihres allgemein beschränkten religionsgeschichtlichen Quellenwerts jedoch auch nicht überrascht. Wiederum im kontinentalkeltischen Bereich ist der Pfeiler der nautae Parisiaci aus Paris gleichfalls mit den Bodbs assoziiert worden, besitzt jedoch kaum Beweiskraft. Die Erzählung vom Zweikampf des Marcus Valerius Corvus mag von (hypothetischen) gallischen Vorstellungen inspiriert sein, die den irischen Vorstellungen von der Bodb genau entsprechen würden; jedoch kann sie zumindest ebensogut eine römische Erfindung darstellen, die durch einen erbeuteten keltischen Helm mit Rabenzimier inspiriert worden sein könnte. Dies schließt freilich nicht aus, daß die Sitte, solche Helme zu tragen, selbst eine religiöse Komponente hatte und einem Versuch gleichkam, die Hilfe der dämonischen Schlachtenkrähe für den Träger sicherzustellen; solche Überlegungen verbleiben jedoch im Bereich der Spekulation – die Vogelhelme sind vielleicht besser im Kontext anderer Tierzimiere zu sehen, die ihre Träger größer und damit bedrohlicher erscheinen lassen sollen. Ähnliches gilt für die Deutung von Corviden( ? ) auf gallischen und britannischen Münzen als Darstellungen der Bodb: Diese Deutung ist zwar nicht auszuschließen und wurde auch in neuester Zeit mehrfach vertreten, sie läßt sich aber mit dem Kontext der Corviden( ? )Darstellungen auf den Münzen nicht leicht vereinbaren. Die Vogelstatue von Roquepertuse hingegen schien nach den alten Befunden in einem entsprechend suggestiven weiteren Befundzusammenhang zu stehen; denn sie zeigt einen Vogel, der als Aasvogel aufgefaßt werden könnte, in einem durch mögliche Kriegerstatuen vielleicht als kriegsbezogen gekennzeichneten Kontext, dessen Zurschaustellung abgetrennter Schädel schlagend an die Vogeldämonen des Bildsteins von Papil und die Glosse in O’Mulconrys Glossar erinnert, die mesrad Machae, „Machas Mast“, als die Schädel der er-
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schlagenen Männer erklärt.703 Den Kriegerstatuen, den Schädelnischen und dem steinernen Geier zum Trotz hat die neue Erforschung des Fundensembles und der Stätte jedoch so viele Probleme zu Bewußsein gebracht, daß die Funde von Roquepertuse im gegenwärtigen Zusammenhang kaum noch sichere Schlüsse zulassen. Die römischen Inschriftensteine aus Gallien und Britannien sind als die wichtigsten Hinweise auf die Existenz einer religionsgeschichtlichen Frühform der Bodb außerhalb Irlands zu werten. Die Bewertung der übrigen angesprochenen möglichen Spuren der Bodb außerhalb der ‚Grünen Insel‘ bleibt – entsprechend der allgemeinen religionsgeschichtlichen Quellenlage für die fraglichen Gebiete – problematisch. Zumindest wird jedoch deutlich, daß die Anwesenheit einer frühen Form der Bodb für den kontinentalkeltischen und britannischen Bereich nicht ausgeschlossen werden kann. Die epigraphischen und ikonographischen Zeugnisse beweisen ihre Existenz nicht, aber legen nahe, daß mit ihr als einer ernsthaften Möglichkeit zu rechnen ist. Andere Quellen mögen hier noch wichtige Hinweise enthalten, die im bisher angesprochenen Befund Galliens und Britanniens nicht zu Tage treten; die Frage wird im folgenden Kapitel daher noch weiter zu verfolgen sein.
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Freilich handelt es sich bei dieser Statue sicher um keine Darstellung eines Raben, sondern bestenfalls um die eines Geiers; auf die Frage der Verbindung des Geiers mit kontinentalkeltischen Vorstellungen vom Tod des Helden wird im folgenden Kapitel jedoch noch detailliert einzugehen sein.
Keltisches Hispanien: Das ‚Ritual der Aussetzung‘
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5. Keltisches Hispanien: Das ‚Ritual der Aussetzung‘ Die vorangegangene Diskussion hatte sich zunächst den nordischen Walküren gewidmet. Diese zeigten sich als übernatürliche Wesen des Schlachtfelds und des Kriegerjenseits, die sowohl als Individuen als auch als Kollektiv auftreten können. Sie bestimmen den Kriegern den Tod und weisen ihnen den Weg nach Walhall, in Odins Halle der toten Krieger. Sie greifen ins Kriegsgeschehen ein und treten in Waffen auf. Ferner können sie sich in Vögel verwandeln und erscheinen mit Corviden (und damit Aasfressern) assoziiert, auch wenn sie selbst nie ausdrücklich als vampirische Wesen beschrieben werden. Die Walküren sind deutlich sexuelle Gestalten, die häufig in entsprechenden Beziehungen zu Kriegern auftreten, wobei sie bei der Annäherung an den Helden die Initiative ergreifen. Sie können mit esoterischem Wissen assoziiert werden; zugleich mag sich eine besondere Beziehung zum Ruhm des Kriegers andeuten, wenn sich die Walküre der Hrafnsmál den Ruhm eines Königs berichten läßt, wenn sich die Walküren des Darrajarljój im Rahmen eines Siegeslieds zu weiteren Siegesliedern für einen König ermuntern und wenn Sigrún in der Helgaqvija Hundingsbana in fyrri den Sieg Helgis verkündet; zudem bestimmen die Walküren über den Ausgang der Schlacht – und damit darüber, wem der Schlachtenruhm zufällt. Schließlich gebieten die Walküren auch über eine übernatürliche Lähmung, die den Todgeweihten im Angesicht seiner Feinde hilflos macht und ihn so seinem Ende ausliefert. Darauf wurden die inselkeltischen Schlachtfeld- und Todesdämoninnen angesprochen. In der mittelalterlichen Literatur Irlands zeigen sich die Gestalten der Morrígain, Bodb, Nemain und Macha als halbgöttlich-dämonische Figuren, die teils als scharf gezeichnete Individuen auftreten, wie die Morrígain in ihrem Umgang mit Cú Chulainn und dem Dagda, teils als Kollektiv von individuell kaum oder nicht ausdifferenzierten Gestalten, wie die drei schädelfressenden Morrígains in O’Mulconrys Glossar. Sie erfreuen sich am blutigen, gewaltsamen Tod, den sie provozieren, vermehren und dessen Stätten sie in Gestalt von Aasvögeln aufsuchen, um sich an den Leichen der Erschlagenen gütlich zu tun. Sie geleiten dabei gleichsam den Tod zu dem Helden, der dem Tode verfallen ist; sie treffen den Helden insofern an der Schwelle ins Jenseits – aber was auf den Tod ihres Opfers folgt, darüber schweigen die mittelalterlichen Quellen, und als Seelengeleiterinnen
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im eigentlichen Sinne können die Bodbs nicht bezeichnet werden. Sie schwelgen im Krieg, und sie nähern sich sexuell dem Helden oder Todgeweihten, wobei sie wie die Walküren die Initiative ergreifen. Zudem verfügen die Bodbs über prophetisches Wissen und verbreiten die Kunde vom Sieg und vom Ruhm des Siegers über die Welt. Ferner gebieten sie über eine Furcht, die ihrem Opfer den Tod bringt. Auf die Besprechung dieser irischen Gestalten folgte ein kurzer Ausblick auf einige v. a. epigraphische und ikonographische Zeugnisse der antiken keltischen Religion. Dort legen insbesondere die Weihesteine für [C]athubodva, Bodva, Victoria [C]assi[b]odva und die lamiae tres die Möglichkeit nahe, daß die Gestalt der Bodb als weibliche übernatürliche Gestalt des Krieges auch im antiken Celticum bekannt gewesen sein könnte. Die bisher besprochenen Indizien für die Existenz einer kontinentalkeltischen Frühform der Bodb konnten dem Bild des Charakters der Dämonin keine neuen Züge hinzufügen. Die wichtigsten Züge der literarisch bezeugten nordischen und irischen Gestalten lassen sich in einem tabellarischen Abriß somit etwa folgendermaßen zusammenfassen:
W EIBLICHER D ÄMON K OLLEKTIV-/I NDIVIDUALCHARAKTER
T OD V ÖGEL V ERSCHLINGEN Ü BERGANG DES T OTEN INS J ENSEITS
D IE W ALKÜREN X Auftreten als Individuum oder als Gruppe (teilw. Vielfache von drei) Gewaltsamer Tod: „Wählerinnen der Schlachtentoten“ Schwan (mehrfach), Krähe (1x) ?vgl. Assoziation mit Raben; Brynhilds „Quälen der Toten“ weisen die Gefallenen nach Walhall
D IE B ODBS X Auftreten als Individuum oder als Gruppe (oft triadisch) Gewaltsamer Tod: Freude am Massaker Nebelkrähe rot-schnäbelig; Schädel als Mast –
B ETONTE S EXUALITÄT
Beziehung zu Helden; Tod als Hochzeit
Eingreifen in den Verlauf des Kampfes Kriegshilfe für sexuelle Gefälligkeiten
E INWIRKUNG AUF DEN G EIST DER O PFER
herfjqturr
tödliche Furcht
T IEFERES W ISSEN
Heldenunterweisung, Runenkunde, Gespräch über Ruhm
militärisches Geheimwissen, Prophetie, verkünden Ruhm
K RIEG
UND
G EWALT
entscheiden über den Sieg
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Stellt man die Charakteristika der Bodbs und der Walküren in dieser Weise nebeneinander, so zeigen sich deutliche Parallelen: Beide Klassen von Wesen teilen das Schwanken zwischen Individuum und nahezu anonymem Kollektiv, die Enge der Beziehung zum Krieg und zum – stets gewaltsamen – Tod, die Assoziation mit Vögeln und einer Vogelgestalt, den betont sexuellen Charakter, zu einem gewissen Grad die Assoziation mit tieferem Wissen – obwohl dies ein deutlich untergeordneter Zug zu sein scheint –, und eine Macht über den Geist ihres Opfers, die dem Krieger den Tod bringt. Zugleich werden auch Unterschiede deutlich: Der vampirisch-leichenfressende Zug stellt ein zentrales Charakteristikum der Bodbs dar, während die Walküren nirgends ausdrücklich als Leichenfresser erscheinen. Sie werden zwar eng mit Corviden assoziiert, für die wiederum die Schlacht ein Festmahl darstellt, und die späte Vqlsunga saga mag Brynhild implizit ein leichenfresserisches Verhalten vorwerfen, aber eindeutig wird eine solche Vorstellungen von den Walküren nie formuliert. Ferner haben die Walküren als zentralen Teil ihres Charakters zumindest im weiteren Sinn eine Funktion als Seelengeleiter, die den Gefallenen in den Hákonarmál den Weg nach Walhall anweisen und die Toten in anderen Quellen vielleicht selbst nach Walhall geleiten. Den irischen Bodbs fehlt ein solcher Zug. Sie erscheinen beim Untergang des Kriegers und geleiten gewissermaßen den Tod zu ihm; beim Tod von Gestalten wie König Conaire ist die Bodb nicht fern. Wie ein solcher Held, über dessen Tod die Bodb wacht, jedoch das Jenseits erreicht – falls der Begriff ‚Jenseits‘ im heidnischen Irland überhaupt sinnvoll anwendbar war – darüber sagen die Texte nichts aus.704 704
Keiner dieser Vergleichspunkte kann völlige Neuheit beanspruchen; allerdings ist die bisherige Forschung über den letztlich impressionistischen Vorschlag nur selten hinausgegangen und hat häufig gänzlich andere Schwerpunkte gesetzt, denen nicht in jedem Fall zuzustimmen ist (siehe oben für die ausführliche Diskussion des Materials). Vgl. etwa: Kollektiv-/Individualcharakter: Lottner 1870 S. 55; Birkhan 1970 § 242; Ellis Davidson 1988 S. 100; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 88; Tod: Ellis Davidson 1988 S. 100; Gulermovich Epstein 1997 S. 134 f., 143; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 88; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 289–291, 304; Vögel: Lottner 1870 S. 56; Donahue 1941 S. 3 f., 5, 12; Birkhan 1970 § 242; Ellis Davidson 1988 S. 98; Gulermovich Epstein 1997 S. 121 f., 138–140; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 93–96; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 273 f., 294–298; Verschlingen: Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 93–97; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 281 f., 294–298; Seelengeleiterfunktion: Gulermovich Epstein 1997 S. 126–128, 143; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 93–97; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 280–282, 297 f.; Krieg und Gewalt: Donahue 1941 S. 6, 12; Birkhan 1970 § 242; Ellis Davidson 1988 S. 100; Gulermovich Epstein 1997 S. 120 f.; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 88, 89–92; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 272;
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Für die Frage nach einer möglichen Funktion der Bodbs als Seelengeleiter ist jedoch vielleicht von Interesse, daß insbesondere die epigraphischen Zeugnisse für Victoria [C]assi[b]odva, Pervia Bodva, [C]athubodva und die lamiae tres die Möglichkeit einer Kontinuität zwischen kontinentalkeltischen, britannischen und irischen Vorstellungen nahegelegt haben. In Irland spielt das Fressen des halbgöttlich-dämonischen Aasvogels am Leichnam des Kriegers zwar keine erkennbare Rolle für seinen Übergang in ein wie auch immer geartetes Totenreich. In einem anderen keltischen Gebiet spielt jedoch der Verzehr des Leichnams durch einen heiligen Aasvogel gerade eine solche Rolle: Im sogenannten ‚Ritual der Aussetzung‘ im vorrömischen Spanien,705 das schon Marco Simón und Gulermovich Epstein mit der Bodb assoziiert haben.706 Die erhaltenen literarischen Zeugnisse für dieses Ritual entstammen erst der Kaiserzeit, doch nehmen Sopeña Genzor und Ramón Palerm an, daß diese Zeugnisse letztlich auf dieselbe Quelle zurückgehen müssen – vielleicht auf die keltische Ethnographie des Poseidonios, der das keltische Barbaricum um etwa 100 v. Chr. bereist hat.707 Eines der beiden Hauptzeugnisse ist Silius Italicus, Punica III,340–343, wo über die Keltiberer berichtet wird:708
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Sexualität (besonders Beziehung zu Helden): Lottner 1870 S. 55 f.; Birkhan 1970 § 242; Ellis Davidson 1988 S. 97, 100; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 276; Einwirkung auf den Geist der Opfer: Ellis Davidson 1988 S. 97; Gulermovich Epstein 1997 S. 133 f.; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 88; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 288 f.; tieferes Wissen: Donahue 1941 S. 4–6; Ellis Davidson 1988 S. 100; Gulermovich Epstein 1997 S. 132 f.; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 88; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 287. Die ausführliche Diskussion des Materials, in dem sich diese Parallelen zeigen, war sowohl als Gegengewicht zur bisherigen impressionistischen Zugangsweise als auch als Basis der Weiterverfolgung der Parallelen in den Mittelmeerraum nötig. Allgemein zu diesem keltiberischen Totenritual vgl. etwa: Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 439–444 (53 T 1), 452–454 (53 T 6); Sopeña Genzor 1995 (bes. Kapitel III); Marco Simón 1998 (Religion) S. 125–128; Jimeno Martínez 2001 S. 243 f.; Lorrio 2005 S. 345, 348 mit Abb. 128,2 (S. 344) und Abb. 129,1–129,5 (S. 346). Insbesondere Sopeña Genzor hat dem ‚Ritual der Aussetzung‘ in mehreren Arbeiten große Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. die entsprechenden Abschnitte in ders. 1987, 1995, 2002 [mit Ramón Palerm], 2005), und die folgenden Ausführungen nehmen seine Behandlung des Themas zum Ausgangspunkt. Für eine ausführlichere Besprechung sei auf seine Arbeiten verwiesen. Marco Simón 1998 (Religion) S. 125–128 mit Anm. 36; Marco Simón 1998 (Texto e imagen…) S. 394 mit Anm. 31; Gulermovich Epstein 1997 S. 127; Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 227–229 et passim. Sopeña Genzor und Ramón Palerm 2002 S. 258–260 (für den Hinweis auf diesen Artikel danke ich Andreas Hofeneder), vgl. Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 444 Anm. 3215. Ausführlich zu Silius Italicus (26/27–101/102 n. Chr.) und den hier relevanten Stellen seines Werks vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 215–218; Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 438–444, 452–454.
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Venere et Celtae sociati nomen Hiberis. his pugna cecidisse decus, corpusque cremari tale nefas. caelo credunt superisque referri, impastus carpat si membra iacentia vultur.709 „Auch die Kelten kamen, die sich im Namen mit den Iberern vereinigt haben. Für diese ist es eine Auszeichnung, im Kampf gefallen zu sein, und ein Frevel, wenn ein solcher Leichnam verbrannt wird – sie glauben, daß er zum Himmel und den Göttern zurückgetragen wird, wenn der hungrige Geier die darniederliegenden Glieder packt.“
Nach Silius Italicus unterschieden die Keltiberer also zwei verschiedene Arten der Bestattung: Einerseits die Verbrennung des Leichnams, andererseits das Verfüttern des Leichnams an die Geier. Die zweite Möglichkeit, das ‚Ritual der Aussetzung‘, ist dabei (wie die Bodb) spezifisch mit dem Tod in der Schlacht verbunden, der zugleich positiv gewertet wird: Der Schlachtentod ist ruhmvoll (decus), und der Schlachtentote wird nicht verbrannt, sondern den Geiern vorgeworfen. Das Verzehren durch die Geier führt zum Übergang des Toten ins Jenseits, caelo superisque, „in den Himmel und zu den Göttern“. Im wesentlichen dieselbe Information – jedoch weiter verkürzt und (wohl aus metrischen Gründen)710 auf ganz Iberien bezogen – wiederholt Silius Italicus in einer späteren Passage desselben Werks, wo es heißt (Punica XIII,471 f.): tellure, ut perhibent, is mos antiquus Hibera: exanima obscenus consumit corpora vultur.711 „Im iberischen Lande, wie sie sagen, ist das der alte Brauch: Der unheilverheißende Geier verschlingt die entseelten Leiber.“
Diese Passage findet sich in einem Exkurs, der bemerkenswerte Bestattungsbräuche bei verschiedensten Völkern aufzählt (Punica XIII,466–487). Dieser Kontext unterstreicht die Verläßlichkeit der hier von Silius Italicus referierten Information, da die weiteren von ihm angeführten Bestattungsbräuche auch in anderen Quellen belegt sind.712 Eine Parallele zu dieser Überlieferung bei Silius Italicus und das zweite Hauptzeugnis für das ‚Ritual der Aussetzung‘ findet sich bei Aelian, De natura animalium X,22:713 709 710 711 712
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Text nach Delz 1987. Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 454. Text nach Delz 1987. Sopeña Genzor 1995 S. 217 f.; Sopeña Genzor und Ramón Palerm 2002 S. 258; Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 454. Silius Italicus spielt auf diesen Brauch möglicherweise auch noch an anderen Stellen an (Punica II,264–269; XIII,597), aber ohne weitere Informationen hinzuzufügen: Sopeña Genzor und Ramón Palerm 2002 S. 260 Anm. 114. Für eine ausführliche Besprechung der Passage einschließlich der Stellung dieses Abschnitts im stoischen Gesamtprogramm von Aelians Werk vgl. Sopeña Genzor
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Keltisches Hispanien: Das ‚Ritual der Aussetzung‘
B [oder: B ; oder: #A λ?] ("« ξ E") $&( ! () ! *« *« +, « ³« $%!« λ « &. ! &% α *« ξ " ) ! μ "0 « ³« *« ρ λ $&*« λ $ 1« ( « 0λ %, ¹μ μ ,) ( «.714
„Die Barkaier [oder: Vaccäer? oder: Arevaker?] – das ist ein westliches Volk – mißhandeln die Leichen derer, die an Krankheit sterben, als wären sie unmännlich und feige hingeschieden, und bestatten sie durch Feuer; die aber, die ihr Leben im Krieg gelassen haben, werfen sie als Gute und Edle und der Tugend Teilhaftige dem Geier vor, im Glauben, das Tier sei heilig.“
Diese Stelle bezieht sich nach der neueren Lesung des wohl verderbten Volksnamens durch Sopeña Genzor und Ramón Palerm als ‚Arevaker‘ auf einen keltiberischen Stamm (nach der traditionellen Emendation zu ‚Vaccäer‘ spricht sie von einem Nachbarstamm der Keltiberer). Sie unterstreicht die strenge Trennung zwischen zwei verschiedenen Arten der Behandlung des Toten, die gemäß der Todesart unterschieden werden. Auf der einen Seite steht der Tod durch Krankheit; in diesem Fall wird der Leichnam verbrannt. Auf der anderen Seite steht der Tod im Krieg; in diesem Fall wird der Leichnam den Geiern vorgeworfen – die Aasvögel der Keltiberer sind also ebenso wie die Aasvogeldämonen Irlands nur mit den Schlachtentoten verbunden. Dabei werden die Todesarten – und damit die zugehörigen Bestattungsriten – in den hispanischen Vorstellungen ethisch stark unterschiedlich gewertet: Der Tod im Krankenbett wird verachtet, der Tod im
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und Ramón Palerm 2002. Claudius Aelianus wurde im letzten Drittel des 2. Jh. n. Chr. in Praeneste geboren (ibidem S. 228, 235 mit Anm. 24). – Als kurioser Zufall sei erwähnt, daß Aelian, De natura animalium II,46 auch berichtet, Geier seien stets weiblich (wie die irischen Schlachtfelddämoninnen); freilich bezieht er sich dabei nicht auf keltische, sondern auf klassisch-antike Vorstellungen (aber vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 239). Text in Anlehnung an Hercher 1858. Die Passage enthält in der Lesung des Volksnamens ein textliches Problem. Die Lesung B der Handschriften ergibt keinen erkennbaren Sinn, da ein solcher Stamm anderweitig nicht bezeugt ist, und wird allgemein als verderbt betrachtet. Die traditionelle Emendation liest B (vgl. den kritischen Apparat der Edition Herchers von 1858 zur Stelle und die Darstellung der Forschungsgeschichte bei Sopeña Genzor und Ramón Palerm 2002 S. 229–234) und deutet diese als den Stamm der Vaccäer in Nordwest-Spanien, Nachbarn der Keltiberer (vgl. Karte 2 in Sopeña Genzor 1995 S. 156; allgemein zu den Vaccäern vgl. Lorrio und Ruíz Zapatero 2005 S. 217–221, auch mit Bezugnahme auf das ‚Ritual der Aussetzung‘). Dagegen schlagen Sopeña Genzor und Ramón Palerm 2002 S. 37–41 mit Bezug auf einen parallelen Fall einer entsprechenden Textverderbnis und unter Darlegung des möglichen Zustandekommens einer solchen Verderbnis eine ursprüngliche Lesung wie #A „Arevaker“ vor; bei diesen handelt es sich um einen keltiberischen Volksstamm. Diese Rekonstruktion wird von Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 442 akzeptiert.
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Krieg hoch geehrt. Das ‚Ritual der Aussetzung‘ kommt somit nur den Schlachtentoten zu und ist stark positiv konnotiert. Diese spezifische Verbindung mit dem Schlachtentod scheint aus typologischer Perspektive besonders signifikant. Auch in anderen Kulturen ist das Aussetzen der Leichen für die Aasvögel als Teil des Totenrituals bezeugt, wie im Fall parsischer und tibetischer Bestattungsbräuche; hier hat Sopeña Genzor jedoch zu Recht hervorgehoben, daß sich das keltiberische ‚Ritual der Aussetzung‘ durch seinen selektiven Charakter tiefgreifend von diesen bekannteren Beispielen für Aussetzungsrituale unterscheidet, da in parsischen, tibetischen und afrikanischen Bestattungsbräuchen das Aussetzen für die Geier die allgemeine Regel ist (bzw. war).715 Dem selektiven Charakter des keltiberischen Rituals, der in Irland im selektiven Appetit der Bodbs seine genaue Entsprechung findet, scheint somit besondere Bedeutung zuzukommen. Zugleich erinnert die Verbindung des ‚Rituals der Aussetzung‘ mit einem ruhmreichen Tod an die Assoziation der Bodbs (und der Walküren) mit dem Ruhm des Kriegers. Wichtig mag auch sein, daß die Geier, die im hispanischen Totenritual den Leichnam des Gefallenen verzehren, als heilig gelten: Wie die dämonischen Bodbs befinden also auch sie sich außerhalb der profanen Welt. Es gibt mehrere mögliche Hinweise darauf, daß diese Darstellungen hispanischer Totenrituale einen realen Hintergrund hatten. So berichtet Orosius, daß die Numantiner nach einem letzten Ausfall gegen ihren Belagerer Scipio das Angebot ablehnten, ihre Toten zur Bestattung zurückzuerhalten (Orosius V.7.15).716 Dies würde mit einer religiösen Auffassung in Einklang stehen, die das Verschlingen durch die Geier auf dem Schlachtfeld als die angemessene Bestattung für einen gefallenen Krieger betrachtet. Hofeneder steht dem Quellenwert dieser Überlieferung für das ‚Ritual der Aussetzung‘ jedoch skeptisch gegenüber, da Orosius selbst keine Motivation dieses Verhaltens angibt und da Parallelüberlieferungen zu dieser Episode innerhalb des reichen Materials zur Eroberung Numantias fehlen.717 Ikonographisch ist das Motiv des Verschlingens eines Kriegers durch einen Geier trotz der allgemein geringen ikonographischen Überlieferung718 mehrfach belegt;719 ferner existieren Darstellungen von Geiern in
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Sopeña Genzor 1995 S. 197, 269. Für eine Besprechung der parsischen und tibetischen Aussetzungsrituale vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 186–196. Sopeña Genzor 1995 S. 218 f. Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 442. Sopeña Genzor 2005 S. 348. Für die immer wieder zitierten Beispiele vgl. etwa Sopeña Genzor 1995 S. 222–224 mit Abb. 52–54 (S. 307); S. 226 f., 240 mit Abb. 44 (S. 304); S. 108, 226 f., 240 mit
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Verbindung mit einem Zweikampf oder einem Sterbenden oder Toten, wo die Geier vielleicht auf ihr Festmahl warten.720 Hier mögen Anspielungen auf die rituelle Entfleischung der Leichname gefallener Krieger durch Geier vorliegen, wie das Sopeña Genzor und andere annehmen.721 Ebensogut könnten sich solche Darstellungen jedoch auch auf den Geier als Vogel beziehen, der die Leichen der gefallenen Feinde frißt. Dies wäre dann nicht notwendigerweise als eine besondere Art der Bestattung aufzufassen, sondern könnte auch als eine Verweigerung einer rituell korrekten Bestattung zur Erniedrigung des Feindes gedeutet werden.722 Diese ikonographischen Belege für das Verschlingen eines Gefallenen durch Geier können daher die Authentizität der Bemerkungen von Aelian und Silius Italicus nicht erweisen, da sie für sich genommen keine Deutung des Verschlingens als ehrendes Bestattungsritual erzwingen. Eine solche Interpretation wird erst durch den Vergleich mit den textlichen Zeugnissen als möglich nahegelegt. Dennoch ist es in Anbetracht der antiken Berichte vielleicht von Interesse, daß das Motiv des Verschlingens des Kriegers durch den Geier ein wichtiges Thema der keltiberischen Ikonographie darstellt.
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Abb. 44 (S. 304) und Abb. 47 (S. 305); Abb. 46 (S. 305); S. 212, 240 mit Anm. 168 mit Abb. 48 (S. 305); Sopeña Genzor 2005 S. 381 f. mit Abb. 28, 29 (allerdings ist die englische Übersetzung fehlerhaft, da es sich nicht um „tomb paintings“ handelt, sondern um bemalte Keramik); Jimeno Martínez 2001 S. 243 f.; Marco Simón 1998 (Religion) Abb. 19 (S. 127); Ruíz Zapatero und Lorrio 1995 S. 235 f. mit Abb. 6 A-D (S. 248); Lorrio 2005 S. 345 f. mit Abb. 129,1 bis 129,4. Sopeña Genzor 1995 S. 138 f. und 224–237 mit Abb. 49–51 auf S. 306 (zur „Vase der Krieger“); Sopeña Genzor 1995 S. 241–243 mit Abb. 64 (S. 310); Sopeña Genzor 2005 S. 382 f. mit Abb. 31. Ibidem; Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 443; Marco Simón 1998 (Religion) S. 126 f.; Jimeno Martínez 2001 S. 243 f.; García Huerta und Antona 1992 S. 148; Almagro-Gorbea 2001 S. 100; Almagro-Gorbea und Lorrio 2004 S. 82; Ruíz Zapatero und Lorrio 1995 S. 235 f.; Ruíz Zapatero und Lorrio 1999 S. 29; Alfayé Villa 2004 S. 67 mit Anm. 31; Lorrio 2005 S. 345; vgl. Cerdeño und García Huerta 2000 S. 125. Zum (fraglichen) Zusammenhang der „Vase der Krieger“ mit dem Ritual der Aussetzung vgl. auch Sopeña Genzor 2005 S. 383 (etwas skeptischer als Sopeña Genzor 1995 S. 224–237). Vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 186, 197; vgl. Alfayé Villa 2004, die für die iberische „Stele von Binéfar“ zeigen konnte, daß das Verschlingen eines Toten durch einen Geier( ? ) auf diesem Monument Teil eines Gesamtprogramms ist, das verschiedene Arten der Erniedrigung und Vernichtung des besiegten Feindes darstellt. Es handelt sich somit um die Verweigerung eines Begräbnisses, und nicht um ein besonderes, ehrendes Bestattungsritual. Dagegen hatte die frühere Forschung hier einhellig eine Darstellung des ‚Rituals der Aussetzung‘ gesehen (für die Historiographie des Monuments vgl. ibidem S. 67; auch Lorrio 2005 S. 345 und Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 443 stellen das Monument noch in diesen Zusammenhang). Dasselbe gilt entsprechend von der Stele von El Palao (Alcañiz): Alfayé Villa 2004 S. 72–74.
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Von besonderem Interesse ist in Zusammenhang mit dem ‚Ritual der Aussetzung‘ ferner eine Urne aus der Nekropole von Portuguí aus dem 1. Jh. n. Chr. Das Stück ist mit einem Bildstreifen verziert, der aus einer Verbindung von Reliefapplikationen und Malerei besteht. Dort wechseln sich zwei Motive ab: Zum einen zeigt der Bildstreifen nach rechts gewandte, schematisch dargestellte Vögel mit ausgebreiteten Flügeln und halb angezogenen Beinen – die Vögel scheinen also im Flug dargestellt zu sein. Zwischen diesen Vögeln befinden sich zum anderen jeweils rechteckige Kästchen, von deren beiden oberen Ecken hörner- oder flügelartige Strukturen diagonal nach oben abstehen; es scheint, als würden die Kästchen Schwingen ausbreiten und zwischen den Vögeln fliegen. Im Zentrum eines jeden Kästchens befindet sich ein kleiner applizierter Kopf (Fig. 4).723 Fragmente einer Urne mit derselben Dekoration sind ferner aus der Nekropole von Carratiermes bekannt,724 und zwei weitere Beispiele stammen aus häuslichen Kontexten aus Uxama, wobei die rechteckigen geflügelten Kästchen auf diesen Exemplaren kleine (Vogel-?)Beinchen mit Krallen( ? ) zu haben scheinen.725 Alle diese Stücke datieren in das 1. Jh. n. Chr.726 Ein wahrscheinliches, wenngleich stark fragmentiertes Beispiel stammt ferner aus Numantia.727 Der häufige sepulkrale Kontext dieser Stücke ist auffällig, und ihre Ikonographie ließe sich durchaus in den Kontext der klassischen Beschreibungen des ‚Rituals der Aussetzung‘ einordnen: So könnten die Vö723
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Sopeña Genzor 1995 S. 237 mit Abb. 59 (S. 309); García Merino 1992 S. 853–855 mit Abb. I, 2 und I, 4 (S. 863); Lorrio 2005 Abb. 105,2 (S. 248) und Abb. 129,5 (S. 346). García Merino sieht am unteren Rand der geflügelten Kästchen, die sie versuchsweise als Urnen deutet, Vogelbeine mit Vogelkrallen dargestellt, was nur noch an einem Exemplar sichtbar sei (García Merino 1992 S. 854). Auf den von ihr beigegebenen Umzeichnungen ist dieses Detail entweder nicht dargestellt oder läßt sich auch als das Schwanzende des neben der Urne( ? ) befindlichen Vogels deuten. Sopeña Genzor 1995 S. 238 mit Abb. 63 (S. 310); Saiz Rios 1992 S. 607, 609–611 mit Abb. 1,1 (S. 612); Lorrio 2005 Abb. 105,4 (S. 248). Sopeña Genzor 1995 S. 238 mit Abb. 60, 62 (S. 309 f.); García Merino 1992 S. 855–858 mit Abb. I, 1 und I, 3 (S. 863); Lorrio 2005 Abb. 105,1 und 105,3 (S. 248); Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 443. Sopeña Genzor 1995 S. 238; vgl. García Merino 1992 S. 860. Sopeña Genzor 1995 S. 238 Anm. 153 mit Abb. 61 (S. 310); Taracena 1943 S. 160, 169 mit Abb. 5 (S. 163); Lorrio 2005 Abb. 105,5 (S. 248); vgl. Sopeña Genzor 1995 ibidem mit Abb. 40 (S. 303) für eine Vase mit einem vielleicht verwandten Motiv aus Inestrillas (auch in Lorrio 2005 Abb. 105,6 [S. 248]). Auch die Ikonographie der Lunula aus Chão de Lamas (Portugal) wird hierher gestellt; dieses Silberpektoral aus einem Schatzfund des 1. Jh. v. Chr. zeigt im Zentrum des Bildfelds zwei umrahmte Köpfe, die von Greifvögel flankiert werden: Sopeña Genzor 2005 S. 381; Marco Simón 1998 (Religion) S. 120 f. mit Abb. 16; Marco Simón 1998 (Texto e imagen…) S. 393–395 mit Abb. auf S. 402; Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 443.
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Fig. 4: Bemalte Urne mit Reliefapplikationen aus der Nekropole von Portuguí. 1. Jh. n. Chr.
gel auf das Verschlingen des gefallenen Kriegers durch den Aasvogel anspielen, und die Köpfe ließen sich als pars pro toto für den Krieger deuten, der vom Vogel ins himmlische Jenseits getragen wird, als Anspielung auf die abgetrennten Schädel von Toten oder als Sitz der ‚Seele‘ des Verstorbenen.728 Sopeña Genzor schlägt vor, daß das geflügelte rechteckige Behältnis des Schädels als eine stilisierte Darstellung eines Vogels in Frontalansicht gedeutet werden könnte. Der Schädel im Inneren dieses ‚Vogels‘ könnte dann auf das Verschlingen des Kriegers durch den Vogel anspielen. Dies wird insbesondere durch die Beinchen gestützt, die auf einem Teil der Belege des Motivs am unteren Ende der Schädelbehältnisse erscheinen. Somit könnten diese Darstellungen eines der Grundkonzepte des ‚Rituals der Aussetzung‘ illustrieren, nämlich den Übergang des Toten ins Jenseits mit Hilfe eines Vogels, der diesen Toten verschlingt.729 Die Frage nach der Be-
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Vgl. Saiz Rios 1992 S. 609–611. Vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 237–241 für eine ausführliche Besprechung unter Heranziehung von vielfältigem Vergleichsmaterial. Sopeña Genzor schlägt vor, daß das Konzept des Verschlingens in diesem späten Zeugnis durch äußere Einflüsse spekulativ abgewandelt sei und hier symbolisch eine Verwandlung der Seele in einen Vogel und ihr Weg durch die Luft dargestellt würden („la conversión del alma en pájaro y su viaje por el aire expresados por acumulación de dos conceptos trascendentes como el ave y la cabeza“, S. 241) – denn der dargestellte Vogel ist deutlich kein Geier. Er schlußfolgert: „Así pues, los ejemplos uxamenses ilustrarían uno de los sentidos últimos del ritual de exposición: la integración por parte de un animal sagrado y psicopompo y por medio aéreo de la esencia espiritual del hombre al Más Allá.“ Zitat: S. 241; mit neuerer Literatur auch angesprochen bei Sopeña Genzor 2005 S. 381, wo er die Vögel als Träger der Seele auffaßt, die durch den Kopf symbolisiert werde. Auch Lorrio 2005 S. 348 hält diese Urne für eine mögliche ikonographische Variante
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deutung dieses ikonographischen Motivs sollte allerdings wohl die Bemerkung von García Merino berücksichtigen, daß es sich hier um ein seltenes und nicht sehr langlebiges ikonographisches Thema handelt.730 Die Identifizierung möglicher Spuren des ‚Rituals der Aussetzung‘ im Befund der Nekropolen ist noch problematischer. Die meisten Nekropolen sind alt ausgegraben und gemäß den Standards der Zeit dokumentiert, so daß Daten, die für die Frage nach der Existenz des ‚Rituals der Aussetzung‘ aussagekräftig wären, zumeist nicht vorhanden sind.731 Zudem zeigt der ethnographische Vergleich, daß ein Ritual der Aussetzung des Leichnams für Aasvögel zum völligen Fehlen archäologisch erkennbarer Spuren des Rituals führen kann.732 Daher ist zunächst nicht unbedingt anzunehmen, daß dieses Ritual im Grabbefund überhaupt sichbar ist. Sopeña Genzor hat eine detaillierte Besprechung des archäologischen Befundes in Bezug auf das ‚Ritual der Aussetzung‘ vorgelegt.733 Der vielleicht interessanteste von ihm angesprochene Befund ist gerade für die Problematik der archäologischen Quellen äußerst vielsagend. Dabei handelte es sich um die zur Zeit der Abfassung seines Buches zugänglichen Daten der anthropologischen Analyse des Knochenmaterials der Nekropole von La Yunta (Guadalajara), in keltiberischem Gebiet; Sopeña Genzor hob die Bedeutung dieses Befundes selbst stark hervor.734 Dort wurden zunächst 109 Brandbestattungen analysiert, wobei es im Fall von 67 Individuen möglich war, das Alter und das Geschlecht zu bestimmen. Die Zahl der Frauen überstieg die der Männer um 6 %. Zum Sterbealter
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des ‚Rituals der Aussetzung‘. Saiz Rios 1992 S. 609–611 verbindet sie und die Fragmente aus Carratiermes allgemein mit der Jenseitsreise des Toten (die anderen Parallelen waren ihm nicht bekannt). García Merino 1992 S. 860. Sie hebt dabei die Seltenheit des Motivs gerade im Kontrast zur Menge der bemalten Keramik in Uxama hervor und schlußfolgert: „De ahí que a nuestro modo de ver, no sea arriesgado considerar los tres vasos que presentamos como algunos de los últimos exponentes de un tema sin duda infrecuente y con una vida no demasiado larga.“ Sopeña Genzor 1995 S. 244 et passim. Sopeña Genzor 1995 S. 244. So ist das Verfüttern des Leichnams an Geier als Bestattungsritual etwa auch in Tibet bestens bezeugt. Dort wird nicht nur das Fleisch verfüttert, sondern auch die Knochen. Diese werden zusammen mit dem Gehirn zerstoßen, um das vollständige Verzehren des Leichnams durch die Aasvögel sicherzustellen. Nur ein kleines Stück der Hirnschale wird aufbewahrt: Sopeña Genzor 1995 S. 192–196, besonders S. 194. Damit bleiben vom Leichnam praktisch keine archäologisch faßbaren Spuren zurück. Auch die Stätten der Zerlegung und Verfütterung des Leichnams bleiben archäologisch unsichtbar, da dieser Teil des Rituals üblicherweise auf Berggipfeln durchgeführt wird (ibidem). Sopeña Genzor 1995 S. 243–262. Sopeña Genzor 1995 S. 245; García Huerta 1991; vgl. Curchin 1995 S. 69 f.
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wurde dabei beobachtet, daß die in dieser Nekropole bestatteten Frauen die höchste Sterblichkeit (29 %) in Alter von 10 bis 30 Jahren zeigten, was mit den Risiken des Kindbetts und verwandten Gründen zusammenhängen mag. Das Knochenmaterial zeigte in dieser Altersgruppe jedoch keinerlei männliche Bestattungen. Da zunächst nicht anzunehmen ist, daß die Sterblichkeit der männlichen Keltiberer im waffenfähigen Alter bei null lag, lies sich dieses Fehlen von Bestattungen dahingehend interpretieren, daß die Gruppe der wehrfähigen jungen Männer im Totenritual anders behandelt wurde als die Gruppe der Frauen und die der Männer von höherem Alter. Das Fehlen von Bestattungen gerade der Bevölkerungsgruppe, die unter normalen Umständen die meisten Verluste durch Kriegsgeschehen zu beklagen gehabt haben dürfte, legte eine Verbindung mit dem literarisch bezeugten ‚Ritual der Aussetzung‘ nahe. Dieses wurde entsprechend von García Huerta als eine Möglichkeit angeführt, um den Befund von La Yunta zu erklären.735 Aus den Stellen bei Aelian und Silius Italicus geht nicht hervor, wie mit etwaigen von den heiligen Geiern zurückgelassenen Gebeinen verfahren wurde. Daß diese in einer Art behandelt wurden, die sie dem Befund der Nekropole entzieht, ist daher durchaus möglich – man denke an das Beispiel der tibetischen Bestattung durch Verfüttern an die Geier, bei der die Knochen zerstoßen werden, um sie für die Geier genießbar zu machen.736 Die Fortsetzung der osteologischen Analysen auf der Basis von 206 Gräbern, von denen sich 127 als Männer, Frauen oder Kinder analysieren ließen,737 verschob das Bild jedoch. In diesem vergrößerten Datensatz waren die Männer nicht mehr in der Minderzahl, sondern die Zahl der Männer überstieg die der Frauen um 8,53 %. Dabei blieb die Lücke in der Zahl der toten Männer in der Altersgruppe der 11–30-Jährigen nahzu unberührt; auch im größeren Datensatz findet sich kein männlicher Toter in der Altergruppe 11–20 und nur ein einziger in der Altersgruppe 21–30. Dafür stieg die Zahl der in höherem Alter verstorbenen Männer stark an. García Huerta und Antona weisen selbst darauf hin, daß dies die frühere Interpretation des Befundes des kleineren Datensatzes zwar nicht gänzlich ausschließt, aber es schwierig macht, sie aufrechtzuerhalten. Denn wenn ein Teil der männlichen Bevölkerung im Alter von 11–30 Jahren Kriegshandlungen zum Opfer gefallen wäre, dann wäre der Anstieg der Zahl der männlichen Toten in der Gruppe der über
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Sopeña Genzor 1995 S. 245; García Huerta 1991 S. 122. Sopeña Genzor 1995 S. 194. Für die Kinderbestattungen war eine Bestimmung des Geschlechts nicht möglich: García Huerta und Antona 1995 S. 62.
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30-Jährigen nicht zu erwarten.738 Damit ist dieses Beispiel einer möglichen Interpretation des Knochenbefundes im Sinne des ‚Rituals der Aussetzung‘ wohl fallenzulassen; dies bestätigt letztlich nur Sopeña Genzors eigene Schlußfolgerung aus seiner Analyse des Grabmaterials, daß sich aus dem Befund der Knochen keine sicheren Schlüsse zur Frage der Historizität des ‚Rituals der Aussetzung‘ ziehen lassen.739 Aber wenn auch sichere Schlüsse nicht möglich sind, so finden sich doch wiederholt Befunde, die durchaus als mögliche Niederschläge des ‚Rituals der Aussetzung‘ gedeutet werden könnten. So wurde in mehreren alt ausgegrabenen Nekropolen beobachtet, daß die Skelette nicht vollständig vorhanden waren, sondern allem Anschein nach eine Auswahl des bestatteten Knochenmaterials stattgefunden hatte, das sich auf Glieder und Schädel konzentrierte (Uxama, La Requijada de Gormaz, Altillo de Cerropozo, vielleicht auch Tiermes).740 Neuere Untersuchungen der erst spät entdeckten Nekropole von Numantia zeigen dasselbe Bild: Auch dort sind die Knochenreste spärlich und beschränken sich auf Hirnschalen und große Knochen.741 Dabei scheint allgemein nicht klar, ob im Totenritual die ganze Leiche oder nur das schon entfleischte Skelett verbrannt wurde.742 Hier wäre zu fragen, ob die Beschränkung der Knochen auf Schädel und Großknochen mit Überlegungen erklärt werden könnte, die zur Frage der Exkarnation von Leichen in der britischen Vorgeschichte angestellt worden sind:743 Könnte man annehmen, daß der Verlust von kleineren Skelettteilen auf die Einwirkung von Aasfressern zurückgeht, die kleine Knochen leich738
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García Huerta und Antona 1995 S. 61–63; vgl. Cerdeño und García Huerta 2000 S. 128 (tabellarische Zusammenfassung des demographischen Befunds), mit Hinweisen auf allgemeine Probleme bei der Verwendung osteologischer Daten ibidem S. 127; beides auch in: Cerdeño und García Huerta 2001 S. 175. Sopeña Genzor 1995 S. 248. Auch vor dieser Änderung des Bildes durch die Ausweitung der osteologischen Analyse war die Deutung des Befundes im Sinne des ‚Rituals der Aussetzung‘ natürlich nicht zwingend; wie Sopeña Genzor selbst bemerkte, handelte es sich auch hier nur um eine negative Beweisführung: Zwar fehlten Bestattungen von Männern im wehrfähigen Alter, aber es fehlte auch ein positiver Beleg für ihre durch Geier exkarnierten Reste: Sopeña Genzor 1995 S. 245. Sopeña Genzor 1995 S. 246; vgl. Sopeña Genzor 2005 S. 385. Sopeña Genzor 2002 S. 228 f. Anm. 3; Sopeña Genzor 2005 S. 385; Jimeno Martínez 1996 S. 60. Cerdeño und García Huerta 2000 S. 123 f.; Cerdeño und García Huerta 2001 S. 164 f.; Sopeña Genzor 2005 S. 385 nimmt hingegen mit größerer Zuversicht an, daß teilweise ausgewählte getrocknete Knochen verbrannt wurden, wobei er aber betont, daß dies nicht notwendigerweise eine Exkarnation durch Vögel impliziert (ibidem S. 386). Alle drei Autoren beziehen sich dabei nicht ausdrücklich auf Numantia. Vgl. Scott 1992 S. 108; Smith 2006 S. 671. Für Hinweise auf Literatur zur Exkarnation in der britischen Vorgeschichte danke ich Rick Schulting.
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ter verschleppen als größere? Die Beschränkung der Bestattung auf große Knochen könnte somit die Folge des Verlustes der kleinen Knochen im Zuge des ‚Rituals der Aussetzung‘ sein. Mit einem solchen Szenario ließe sich auch gut vereinbaren, daß fast ein Drittel der Gräber von Numantia nur tierische Knochen enthält;744 dies könnte darauf hinweisen, daß der eigentliche Leichnam in diesen Fällen durch die Natur des Bestattungsrituals gänzlich verlorengegangen ist.745 Dasselbe Phänomen von Gräbern ohne verbrannte menschliche Überreste ist auch in anderen eisenzeitlichen Nekropolen bezeugt, wie Carratiermes,746 La Yunta und El Raso de Candeleda; in der letzteren Nekropole lag die Zahl der Bestattungen ohne Leichenbrand bei 21 %, und auch hier wurde das ‚Ritual der Aussetzung‘ als eine mögliche Erklärung für diesen Befund vorgeschlagen.747 Alternative Erklärungen sind jedoch auch in diesen Fällen nicht auszuschließen; so könnte der Verlust des Leichnams etwa auch durch die Todesart bedingt sein. Die Beschränkung des Leichenbrands auf die Reste von Großknochen ließe sich auch als eine Folge eines nicht sehr gründlichen bzw. selektiven Aufsammelns der Reste nach der Verbrennung deuten.748 In Numantia wird eine Erklärung durch das ‚Ritual der Aussetzung‘ jedoch vielleicht dadurch untermauert, daß sich in unmittelbarer Nachbarschaft der Nekropole – nur ein paar Meter entfernt – Strukturen erhalten haben, die möglicherweise als Exkarnationsplattformen gedeutet werden könnten: Dabei handelt es sich um dreizehn runde, mit Steinen gepflasterte Flächen am Hang im Süden von Numantia.749 Ähnliche Funktionen sind für die runden Strukturen von Montecillo-Dulla (Burgos),750 El Arenal (San Leonardo, Soria) und Castro
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Jimeno Martínez 1996 S. 60: „Un porcentaje alto de tumbas (31,8 %) únicamente contiene restos de fauna, lo que hace pensar en enterramientos simbólicos, condicionados por la dificultad de recuperar el cuerpo del difunto.“ Sopeña Genzor 2002 S. 228 f. Anm. 3; Sopeña Genzor 2005 S. 385 f.; Cerdeño und García Huerta 2000 S. 125. Sopeña Genzor 2005 S. 385; Reverte Coma 2001 S. 294. García Huerta und Antona 1992 S. 148; Cerdeño und García Huerta 2000 S. 125. Vgl. Cerdeño und García Huerta 2001 S. 167, wo sie allgemein die Gruben mit tierischen, aber ohne menschliche Überreste vorsichtig mit dem ‚Ritual der Aussetzung‘ verbinden. Vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 246; Sopeña Genzor 2005 S. 385; Cerdeño und García Huerta 2001 S. 166; Reilly 2003 S. 135. Sopeña Genzor 2005 S. 380 f. unter ausdrücklicher Hervorhebung der Unsicherheit dieser Deutung; Sopeña Genzor 1995 S. 248–250; Jimeno Martínez 2001 S. 244 (betont skeptisch); Ruíz Zapatero und Lorrio 1995 S. 236 (ebenfalls vorsichtig); Lorrio 2005 S. 345 (dito). Sopeña Genzor 1995 S. 248.
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del Zarranzano (Almarza, Soria) möglich.751 Zugleich ist jedoch zu bedenken, daß die keltiberische Art der Aussetzung nach den textlichen Quellen auf Kriegskontexte beschränkt war, so daß nicht notwendigerweise mit der Existenz von festen Strukturen zu rechnen ist; man erinnere sich auch an die Bemerkung des Orosius, nach der die Numantiner es ablehnten, ihre Toten zurückzuerhalten (wenngleich der Quellenwert dieser Überlieferung unsicher ist). Dies könnte darauf hindeuten, daß das Schlachtfeld als der angemessene Ort für das Verschlingen des Leichnams des Kriegers durch die Geier betrachtet wurde; einzelne herausgehobene Individuen mögen freilich anders behandelt worden sein.752 Eine Interpretation des Befundes von Numantia im Sinne des ‚Rituals der Aussetzung‘ läßt sich insgesamt somit zwar nicht ausschließen, ist aber auch nicht zwingend. Die Funde sind suggestiv, aber letztlich nicht schlüssig.753 Das Ergebnis dieser kurzen Betrachtung einiger Beispiele des archäologischen Befundes zum Thema des ‚Rituals der Aussetzung‘ ist insgesamt eher ernüchternd. Zwar sind archäologische Daten vorhanden, die sich im Sinne dieses Rituals deuten und somit als Hinweise auf seine Historizität verstehen lassen. Zugleich gibt es jedoch keinen schlüssigen archäologischen Beweis für die Existenz dieses Rituals, da alle entsprechenden Daten auch alternativen Interpretationen offenstehen. In Anbetracht der Natur des ‚Rituals der Aussetzung‘ ist jedoch strenggenommen auch nichts anderes zu erwarten. Der von Silius Italicus und Aelian überlieferte Teil des Rituals – das Verschlingen der Leichname der gefallenen Krieger durch die Geier – würde im archäologischen Befund keine Spuren hinterlassen. Solche Spuren würden nur durch diesem Ritual dienende Baustrukturen oder sekundäre Behandlung der ggf. aufgesammelten Gebeine beziehungsweise das Anlegen von Kenotaphen verursacht werden (und genau dies könnte archäologisch belegt sein), aber nicht durch die von den antiken Quellen erwähnte rituelle Handlung. Insofern bedeutet das Fehlen eindeutiger archäologischer Beweise für dieses Ritual keine Falsifizierung der antiken Quellen. Dagegen wiegt es umso schwerer, daß immerhin archäologische Indizien vorliegen, die sich im Sinne dieses Rituals verstehen lassen könnten. Es liegt also kein Grund vor, den Quellenwert der Aussagen von Silius Italicus und Aelian anzuzweifeln.
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Sopeña Genzor 2005 S. 381. Sopeña Genzor 1995 S. 248. Ferner könnte man etwa fragen, wie mit dem Leichnam eines Kriegers verfahren worden wäre, der zwar an den in der Schlacht erhaltenen Wunden, aber nicht mehr auf dem Schlachtfeld verstorben ist? Vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 262.
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Die Frage nach möglichen archäologischen Belegen für das ‚Ritual der Aussetzung‘ zieht jedoch weitere Fragen nach sich. So ist die Exkarnation von Leichen als ein in der Vorgeschichte der iberischen Halbinsel, Nordafrikas und der Balearen weitverbreitetes Phänomen betrachtet worden.754 Die von Sopeña Genzor für die iberische Halbinsel angeführten Beispiele stehen dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ zwar keineswegs immer zeitlich nahe;755 aber dennoch hat Sopeña Genzor unter Berufung auf Almagro-Gorbea, Delibes und Ruiz Zapatero und Lorrio hieraus auf eine Verwurzelung des keltiberischen ‚Rituals der Aussetzung‘ in einem vorgeschichtlichen Substrat geschlossen.756 Almagro-Gorbea hält das ‚Ritual der Aussetzung‘ dabei für einen „alten indogermanischen Brauch“.757 Er verbindet dieses Ritual mit einem Substrat, das Ahnenkulte „vom indogermanischen Typ“ praktiziert hätte. Das Ritual sei von Keltiberern und Vaccäern bewahrt worden.758 Eine Begründung für die kühne Bezeichnung des Rituals als „indogermanisch“ wird nicht gegeben. Hier wäre eine sehr ausführliche Begründung jedoch unbedingt notwendig, da eine Bezeichnung eines Rituals ohne bekannte enge Parallelen bei anderen indogermanischen Völkern als „indogermanisch“ vorsichtig gesagt problematisch ist.759 Ohne
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Sopeña Genzor 2005 S. 379 mit Literatur. Die von ihm herangezogene Arbeit von Bellido Blanco und Gómez Blanco 1996 behandelt das Neolithikum, Fábregas Varcarce 1995 behandelt Neolithikum und Bronzezeit, Andrés Rupérez 1998 das Neolithikum und Eneolithikum. Der zeitliche Abstand zwischen dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ und solchem Vergleichsmaterial ist so groß, daß die Annahme von Kontinuitäten einer ausführlichen Begründung bedürfte, die Sopeña Genzor jedoch nicht gibt. Zu den Problemen des zeitlich näherstehenden Vergleichsmaterials bei Ruíz Zapatero und Lorrio 1995 siehe unten. Sopeña Genzor 2005 S. 380 unter Berufung auf Almagro-Gorbea 2001 S. 100, Delibes 1995 S. 66, 69 ff. und Ruíz Zapatero und Lorrio 1999. Almagro-Gorbea 2001 S. 100 („antigua costumbre indoeuropea“). Ibidem. Vgl. Almagro-Gorbea 1991 S. 390 (wo er eine Verbindung mit einem ‚protokeltischen‘ Substrat annimmt) und etwas ausführlicher Almagro-Gorbea und Lorrio 2004 S. 76–82, wo das ‚Ritual der Aussetzung‘ gleichfalls mit einem ‚proto-keltischen‘ Substrat in Verbindung gebracht wird, wobei die Keltiberer zu diesem Substrat gehören sollen (sic Almagro-Gorbea und Lorrio 2004 S. 77 f.). Für eine Zusammenfassung und Kritik von Almagro-Gorbeas Theorien zur keltiberischen Ethnogenese vgl. Ruíz Zapatero und Lorrio 1999 S. 32–34; vgl. auch zusammenfassend Lorrio und Ruíz Zapatero 2005 S. 174–176, 197–200. Die Bestattungsbräuche des alten Iran, wo die Leichen ebenfalls für die Geier ausgesetzt wurden, unterscheiden sich vom keltiberischen Ritual tiefgreifend dadurch, daß es sich dort um ein allgemeines Ritual handelte, während das keltiberische ‚Ritual der Aussetzung‘ ein Privileg der gefallenen Krieger war: Vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 186–192, 197, 269. Auch fungieren die Geier im Ritual der Parsen nicht als Träger
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eine Begründung ist eine solche Behauptung zurückzuweisen. Noch problematischer sind Sopeña Genzors Verweise auf Delibes und Ruiz Zapatero und Lorrio: Delibes behandelt neolithische Bestattungsbräuche, wobei die Exkarnation durch Geier von ihm nicht erwähnt wird. Auch äußert er keine Vermutungen einer Kontinuität zum ‚Ritual der Aussetzung‘ – dessen Existenz im Neolithikum er ja auch nicht anzunehmen scheint.760 Inwiefern die Ausführungen von Delibes also für die Frage nach den Wurzeln des ‚Rituals der Aussetzung‘ relevant sein sollen, bleibt unklar. Ähnlich verhält es sich mit dem Verweis auf Ruiz Zapatero und Lorrio. Die beiden Autoren präsentieren Überlegungen zu den Ursprüngen der keltiberischen Welt, die sie bis in die späte Bronzezeit zurückverfolgen. Eine Brücke zu neolithischen Bestattungsbräuchen wird nicht geschlagen. Potentiell relevant scheint nur der Hinweis auf das Fehlen von (bekannten) Bestattungen in manchen Regionen, da dieses Phänomen oft mit dem ‚Ritual der Aussetzung‘ verbunden wird.761 Hier ist jedoch hervorzuheben, daß das Spezifikum des ‚Rituals der Aussetzung‘ gerade in seiner Einschränkung auf im Kampf gefallene Krieger besteht.762 Ein Bestattungsbrauch, bei dem jeder Tote aasfressenden Tieren vorgeworfen wird, wäre hiervon zu unterscheiden. Ein auf der Basis des allgemeinen Fehlens von Bestattungen postuliertes Exkarnationsritual ist also grundsätzlich kaum mit dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ vergleichbar. Ferner ist zu bedenken, daß auch andere Arten der Behandlung des Leichnams zum Fehlen von Bestattungen führen können, so daß das Fehlen bekannter Bestattungen noch keinen Beweis für ein Exkarnationsritual darstellt.763 Auf der Basis einer solchen Beweisführung ist Sopeña Genzors Verbindung des ‚Rituals der Aussetzung‘ mit einem prähistorischen Substrat als letztlich impressionistischer Vorschlag ohne festen Rückhalt im Material zu werten. Ein weiteres Problem der von Sopeña Genzor vorgeschlagenen Verbindung des ‚Rituals der Aussetzung‘ mit einem indigenen prähistorischen
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der Seele ins Jenseits, sondern diese Art der Beseitigung der Leiche dient dazu, eine Verunreinigung der Elemente durch den Leichnam zu verhindern. Vgl. Delibes 1995 S. 68 zum Dolmen als Ort von Primärbestattungen von Leichnamen im vollen anatomischen Verband. Ruíz Zapatero und Lorrio 1999 S. 29; vgl. Ruíz Zapatero und Lorrio 1995 S. 235 f.; Lorrio 2005 S. 345. Siehe oben S. 202 f. Vgl. etwa den hinduistischen Brauch, Leichen zu verbrennen und die Asche des Toten in einen Fluß zu streuen oder in einem Tontopf in einem Baum aufzuhängen: Michaels 2004 S. 133 f., 137. (Bestimmte Klassen von Toten, wie etwa Asketen, werden allerdings nicht verbrannt, sondern begraben – oder in einen Fluß geworfen: Ibidem S. 147.)
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Substrat ist, daß Sopeña Genzor dieses Ritual gleichzeitig im Kontext keltischer Parallelen sieht,764 wie das auch Marco Simón tut.765 Das Verhältnis zwischen den vorgeschlagenen indigenen Wurzeln und den vorgeschlagenen keltischen Parallelen wird von ihm dabei nicht erklärt. Eine solche mögliche keltische Parallele zum ‚Ritual der Aussetzung‘ ist der Bericht des Pausanias (X.xxi.6), daß die Kelten des Brennus nach ihrer Niederlage gegen die Griechen bei den Thermopylen im Jahre 279 v. Chr. ihre Toten nicht bestatteten. Ein derartiger Umgang mit den Gefallenen widerspricht ganz den griechischen Gebräuchen und wurde daher als bemerkenswertes barbarisches Verhalten überliefert. Möglicherweise läßt sich dieses Verhalten mit den Berichten über den keltiberischen Umgang mit den Schlachtentoten bei Silius Italicus, Aelian und – vielleicht – Orosius erklären: Es kann möglicherweise als Hinweis darauf gedeutet werden, daß auch von anderen keltischen Völkern eine Form des ‚Rituals der Aussetzung‘ praktiziert wurde,766 was die gegenwärtige communis opinio darstellt.767 Dieser stehe ich allerdings skeptisch gegenüber; denn alternativ läßt sich m. E. auch annehmen, daß den keltischen Plünderern der griechische Brauch unbekannt war, nach einer Schlacht einen Waffenstillstand zur Bestattung der Toten zu schließen. Hierfür spricht vielleicht, daß Pausanias solches Verhalten der Kelten nur für die Thermopylen erwähnt, an denen die Kelten geschlagen wurden. Pausanias selbst spekuliert (X.xxi.7), das Verhalten der Kelten sollte teils ihre Feinde erschrecken und beruhte teils auf Indifferenz gegenüber ihren Toten. Marco Simón hat ferner den Befund von Roquepertuse, der oben besprochen worden ist, mit dem ‚Ritual der Aussetzung‘ in Verbindung gebracht;768 falls man die Vogelstatue als Geier deutet, ist dies in der Tat verführerisch, auch wenn die vielfältigen Probleme des Befundes keine sicheren Schlüsse zulassen. Sowohl Marco Simón als auch Sopeña Genzor heben darüber hinaus eine auffallend geringe Zahl von bekannten Bestattungen in weiten Teilen der keltischen Welt als Hinweis darauf hervor, daß
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Sopeña Genzor 2005 S. 383 f.; vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 198–209. Marco Simón 1998 (Religion) S. 127 f.; Marco Simón 1998 (Texto e imagen …) S. 394 mit Anm. 31. Etwa: Marco Simón 1998 (Religion) S. 127; Marco Simón 1998 (Texto e imagen …) S. 394 mit Anm. 31; Sopeña Genzor 1995 S. 198; Sopeña Genzor 2005 S. 383; Curchin 1995; vgl. Brunaux 2000 (Mort du guerrier) S. 242, 244. Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 442: „Diese Nachricht wird heute einstimmig dahingehend interpretiert, daß die in Griechenland eingefallenen Kelten ein den Keltiberern vergleichbares Totenbrauchtum kannten.“ Vgl. zustimmend ibidem S. 442 f. Marco Simón 1998 (Religion) S. 127 f.; siehe oben S. 191 ff.
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möglicherweise eine große Zahl von Toten in einer Weise behandelt wurde, die vielleicht dem ‚Ritual der Aussetzung‘ entspricht und sie daher im archäologischen Befund unsichtbar macht.769 Solche Rituale könnten sich mit Vorstellungen von leichenfressenden und totengeleitenden Aasvögeln oder Aasvogeldämonen wie der Bodb in Verbindung bringen lassen. Hier ist jedoch erneut hervorzuheben, daß einem allgemeinen Fehlen von Bestattungen der für die Bodb und das ‚Ritual der Aussetzung‘ so charakteristische Kriegsbezug fehlt – abgesehen davon, daß ein bloßes Fehlen von Bestattungen einer Vielzahl von Erklärungsmöglichkeiten offensteht und für sich genommen noch nicht den Schluß auf ein Praktizieren von Exkarnationsritualen nahelegt. Andere Probleme warf zunächst der Gedanke von Marco Simón und Sopeña Genzor auf, die nordgallischen Heiligtümer vom ‚picardischen Typ‘ mit dem ‚Ritual der Aussetzung‘ zu assoziieren.770 Von Interesse ist hier insbesondere Ribemont-sur-Ancre in der Bauphase des 3. Jh. v. Chr.:771 Dort wurden u. a. Strukturen gefunden, die aus menschlichen Langknochen aufgeschichtet worden waren.772 Dabei handelte es sich um die Arme und Beine mehrerer Hundert Individuen, die weitgehend verwest waren, aber noch durch Haut und Sehnen im anatomischen Verband gehalten wurden. Die weitgehende Zersetzung der Leichen spielte sich nach den Grabungsbefunden in einem hallenartigen Gebäude ab, in dem Leichen mit den Füßen auf der Erde stehend aufgestellt wurden, bis die Verwesung der Weichteile zum Herabfallen der Knochen führte, die danach aufgesammelt werden konnten.773 Nach ihrer Anzahl und den mit ihnen assoziierten Waffen handelte es sich bei den Toten um die Gefallenen einer oder mehrerer
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Sopeña Genzor 2005 S. 383 f.; Marco Simón 1998 (Religion) S. 127 f.; Sopeña Genzor 1995 S. 202 f.; vgl. Curchin 1995 S. 70. Marco Simón 1998 (Religion) S. 127 f.; Sopeña Genzor 1995 S. 199–202, 206 f., 209; Marco Simón 1998 (Texto e imagen …) S. 394 mit Anm. 31; vgl. Sopeña Genzor 2005 S. 383 f.; Brunaux 1991 S. 10 f. Allgemein zu den nordfranzösischen Heiligtümern des ‚picardischen Typs‘ vgl. etwa Brunaux 1995; Birkhan 1997 S. 645 f., 764–768; Brunaux 1999; Brunaux 2000 (Mort du guerrier); Maier 2001 (Religion) S. 35. Brunaux 1999 S. 98; vgl. Sopeña Genzor 1995 S. 199–202, 206 f., 209. Allgemein zu Ribemont-sur-Ancre vgl. etwa Brunaux 1988 S. 16–21; Cadoux 1991; Brunaux 1995 S. 66–74; Birkhan 1997 S. 766–768; Brunaux 1999 S. 98–103; Brunaux 2000 (Les religions gauloises) S. 101–112; Brunaux 2000 (Mort du guerrier) S. 238–241; Brunaux 2003. Vgl. Brunaux 1988 S. 16 f. mit Abb. auf S. 21; Cadoux 1991 S. 158, 160; Brunaux 1995 S. 72–74; Brunaux 1999 S. 100–102 mit Tafel 15; Brunaux 2000 (Les religions gauloises) S. 110 f.; Brunaux 2000 (Mort du guerrier) S. 239, 241. Brunaux 1999 S. 100 f.
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Schlachten.774 Hier liegt somit eine Spielart eines Exkarnationsrituals in einem Kriegskontext vor. Betrachtet man diesen Befund jedoch spezifischer aus der Perspektive der Frage nach der Verbreitung leichenfressender und seelengeleitender Dämoninnen und leichenfressender heiliger Aasvögel, so ist zu bedenken, daß es keine Hinweise darauf zu geben scheint, daß in diesen Teilen von Ribemont-sur-Ancre Aasvögel beim Zersetzungsprozeß dieser Leichen eine besondere Rolle gespielt haben sollten. Eine direkte Verbindung zu dämonischen Gestalten wie der irischen Bodb oder seelengeleitenden Aasvögeln wie den Geiern der Keltiberer würde voraussetzen, daß der Hallenbau, in dem die Leichen aufgestellt wurden, so offen war, daß Aasvögel leicht Zugang finden konnten. Gerade dies scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein.775 Zumindest die Hallen, in denen die Toten in Ribemont-sur-Ancre arrangiert wurden, stellen daher keinen Hinweis auf seelengeleitende Aasvögel bzw. Aasvogeldämonen dar. Im Inneren der Einfriedung des Heiligtums wurden jedoch Spuren gefunden, die eine Deutung eines Bereichs von Ribemont-sur-Ancre als Ort der Zerlegung menschlicher Leichen nahegelegt haben.776 Hier mögen Leichen weiterbehandelt worden sein, die zuvor in den Hallen bis zu einem gewissen Punkt verwest waren, oder hier mögen Tote unter freiem Himmel ausgesetzt worden sein – der Ausgräber zieht beides ausdrücklich in Erwägung und weist zur zweiten Möglichkeit auch auf die erwähnte Pausanias-Stelle hin, aber letztlich bleibt er agnostisch: Sicher sei nur, daß die Toten ausreichend verfault waren, daß ein eigentliches Zerschneiden nicht mehr nötig war.777 Während ein Totenritual, das ein Verzehren der Leichen durch heilige Aasvögel beinhaltete, für diese Teile des Komplexes von Ribemont-sur-Ancre somit nicht mehr darstellte als eine entfernte Möglichkeit, ist im weiteren Verlauf der Grabungen jedoch auch ein ‚Heroon‘ zu Tage gefördert worden, das eine unerwartet enge Parallele zum keltiberischen ‚Ritual der 774
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Brunaux 1999 S. 102; vgl. Brunaux 2000 (Les religions gauloises) S. 103–106; Brunaux 2000 (Mort du guerrier) S. 241. Brunaux 2000 (Les religions gauloises) S. 109: „L’état de ces restes, leur bonne conservation, l’absence de trace qu’aurait laissée sur eux les différents prédateurs naturels nous apprennent que l’aménagement était parfaitement couvert et hermétiquement clos.“ Ähnlich: Brunaux 2000 (Mort du guerrier) S. 239. Brunaux 2000 (Les religions gauloises) S. 110; Brunaux 2003 S. 558. Brunaux 2000 (Les religions gauloises) S. 110: „A l’évidence, on a en ce lieu procédé au dépeçage de corps. Etaient-ce ceux des ennemis, suffisamment corrompus, que l’on exhumait des bâtiments extérieurs? Etaient-ce au contraire ceux des morts de la cité qui furent quelque temps exposés en plein air, peut-être même sur le champ de bataille, comme Pausanias en rapporte la tradition? La seule certitude est que les dépouilles étaient suffisamment putréfiées pour qu’il ne fût pas besoin de procéder à une véritable découpe.“
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Aussetzung‘ darzustellen scheint.778 Dabei handelt es sich um eine kreisförmige Einfriedung von etwa 40 m Durchmesser, deren steingepflasterter Innenraum von einer hohen, lehmverkleideten Flechtwerkwand umgeben war. Die aus diesem Komplex stammenden Funde weisen einerseits auf Opfermahlzeiten, Trank- und Speiseopfer hin, während andererseits menschliche Gebeine, Ausrüstungsbestandteile und Waffen auf die Anwesenheit der Leichname von Kriegern deuten; ursprünglich dürfte es sich um etwa 60 Leichen gehandelt haben.779 Am Zustand der Gebeine fällt Folgendes auf: „Die Knochen tragen zahlreiche Spuren von Schwerthieben oder Messerschnitten, v. a. aber Bißspuren von aasfressenden Tieren, wahrscheinlich von Raben, Geiern und Elstern. Viele Rostflecke an den Menschenknochen sowie an im Schutt enthaltenen Kies- und Sandsteinbrocken bezeugen, daß menschliche Skelette und Eisenwaffen eine gewisse Zeit auf dem Steinpflaster gelegen haben müssen, womöglich mehrere J. lang.“780
Ein solcher Befund entspricht schlagend den Erwartungen, die eine rituelle Stätte zur Durchführung eines ‚Rituals der Aussetzung‘ wecken würde, und ist wohl zu Recht vom Ausgräber nicht nur mit den Berichten des Silius Italicus und des Pausanias, sondern auch mit den iranischen ‚Türmen des Schweigens‘ verglichen worden:781 Bei den Toten scheint es sich um die Leichname in der Schlacht gefallener Krieger zu handeln, die unter freiem Himmel ausgesetzt wurden. (Sie gehörten wohl zur Seite der Sieger der Schlacht, nach der das Heiligtum von Ribemont errichtet wurde; nach den Keramikresten handelte es sich um belgische Immigranten.782) Die Einfriedung stellte dabei sicher, daß sich nur Aasvögel, aber keine anderen Aasfresser an den Leichnamen gütlich tun konnten. Ein solcher Befund stellt nahezu den besten denkbaren archäologischen Beleg für ein Ritual von der Art des keltiberischen ‚Rituals der Aussetzung‘ dar. Ob man zwischen dem Befund des ‚Heroons‘ von Ribemont und dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ eine konkrete religionsgeschichtliche Kontinuität annehmen will, muß jedoch schon in Anbetracht des vollständigen Fehlens weiterer schlüssiger Belege für dieses Ritual außerhalb Hispaniens dem individuellen Ermessen überlassen bleiben. Zudem mahnt zur Vorsicht, daß sich die 778
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Hofeneder 2005 ff. Bd. 2 S. 443. Darstellung des Befunds: Brunaux 2003 S. 560; Brunaux 2004 S. 120–124 mit Fig. 56–58. Die Bezeichnung als ‚Heroon‘ rechtfertigt sich daraus, daß die Stätte im folgenden bis in die römische Zeit hinein Schauplatz eines Kultes war: Brunaux 2004 S. 122–124. Brunaux 2003 S. 560. Brunaux 2003 S. 560. Vgl. Brunaux 2004 S. 121 f. mit Fig. 57. Brunaux 2003 S. 562. Brunaux 2003 S. 562.
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Frage nicht beantworten läßt, ob der Kriegskontext der hier bezeugten Exkarnationsrituale den Exkarnationsritualen per se oder dem Kontext dieses ‚Heroons‘ innerhalb des Gesamtkomplexes von Ribemont geschuldet ist. Oder in anderen Worten: Wurden hier wie im keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ gerade tote Krieger für die Vögel ausgesetzt, weil ein solches Ritual spezifisch den Gefallenen einer Schlacht zustand, oder handelt es sich hier um ein allgemeines Exkarnationsritual (wie in Tibet oder bei den Parsen), das in Ribemont nur deshalb in einen Kriegskontext gerückt erscheint, weil dieser Komplex der rituellen Behandlung der Toten einer Schlacht diente?783 Ist der Befund des ‚Heroons‘ unmittelbar repräsentativ, oder vielleicht gerade aufgrund seines sehr spezifischen Kontextes irreführend? Ohne enge Parallelen läßt sich hierüber keine Entscheidung treffen, und entsprechende Vorsicht sollte bei der Bewertung des religionsgeschichtlichen Stellenwerts des Befundes walten.
Zusammenfassung Der markanteste Unterschied zwischen den irischen Schlachtfelddämoninnen und den nordischen Walküren ist, daß die Walküren als Seelengeleiter auftreten, die irischen Dämoninnen jedoch nicht. Nach dem Zeugnis der Epigraphie mag zwischen der irischen Bodb und kontinentalkeltischen religiösen Vorstellungen jedoch eine gewisse Kontinuität bestanden haben; das vorliegende Kapitel ist daher der Frage nachgegangen, inwieweit eine Seelengeleiterfunktion für die ‚kontinentalkeltische Bodb‘ angenommen werden darf. Die Bodb erscheint häufig als Aaskrähe. Die besten keltischen Belege für eine Funktion eines Aasvogels beim Übergang des Toten ins Jenseits finden sich bei den Keltiberern: Die Leichen der ruhmreich im Kampf Gefallenen wurden dort von heiligen Geiern gefressen, die die Krieger in den Himmel trugen. Dieses Verschlingen der toten Krieger durch heilige Aasvögel wurde schon von Marco Simón und Gulermovich Epstein mit der Bodb assoziiert, die als dämonischer Aasvogel die Leichen der Schlachtentoten frißt und den Ruhm der Sieger verkündet. Die Parallelen zwischen den keltiberischen heiligen Geiern und der Bodb – der Aasvogelcharakter, 783
Vgl. Sopeña Genzor 2005 S. 383 f.: „Thousands of excavations have allowed us to draw for Gaul a panorama of funerary sobriety and scarcity of interments, especially in the latest stages. […] the enormous deficit of interments, especially in the late La Tène period, can be explained, at least partially, by the exposure of corpses with the consequent destruction of most of the skeleton.“
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die Lokalisierung außerhalb des profanen Bereichs (heilig bzw. dämonisch), die spezifische Einschränkung auf den Kontext des Kriegstodes und die Assoziation mit Kriegsruhm – könnten darauf hinweisen, daß beide Phänomene möglicherweise gemeinsame Wurzeln haben; sie deuten damit vielleicht an, daß die kontinentalkeltische, vorchristliche Bodb eben jene Funktion als Seelengeleiter besessen haben könnte, die der Bodb der christlichen irischen Literatur fehlt. Das keltiberische ‚Ritual der Aussetzung‘ wird insbesondere von Silius Italicus, Aelian und möglicherweise – in Andeutung – von Orosius überliefert. Um die Verläßlichkeit dieser literarischen Zeugnisse zu untersuchen, wurden mögliche archäologische Belege angesprochen, die in der Forschungsdiskussion vorgeschlagen worden waren. Der wichtigste ikonographische Beleg findet sich auf einer Urne aus der Nekropole von Portuguí (mit Parallelen aus Carratiermes, Uxama und wohl Numantia). Auf ihr scheint ein hochgradig stilisierter Vogel dargestellt zu sein, der in seinem Inneren einen abgetrennten Schädel (die Seele des toten Kriegers?) trägt. Dieses Motiv ist jedoch selten, und anderen vorgeschlagenen ikonographischen Zeugnissen fehlt jeder spezifische Bezug zum rituellen Kontext des ‚Rituals der Aussetzung‘. Einige Probleme der Deutung des osteologischen Befunds der Nekropolen wurden am Beispiel der Nekropole von La Yunta (Guadalajara) angesprochen: Dort war eine ursprüngliche Deutung der Demographie der Nekropole als Indiz für das ‚Ritual der Aussetzung‘ durch eine Vergrößerung der Datenbasis hinfällig geworden. Mögliche Hinweise auf dieses Ritual finden sich jedoch in Nekropolen, in denen sich die Bestattungen auf Großknochen zu beschränken scheinen und ein großer Anteil der ‚Bestattungen‘ gar keine menschlichen Gebeine enthält. Dies könnte ein Indiz für einen teilweisen oder vollständigen Verlust des Skeletts durch ein Exkarnationsritual darstellen. Auch Orte für die Durchführung eines solchen Rituals wurden von der Forschung versuchsweise identifiziert: Man hat solche Riten mit Plattformen verbunden, wie sie sich in Numantia in der unmittelbaren Nähe der Nekropole befinden. Eine Diskussion dieses Materials zog die Schlußfolgerung, daß der archäologische Befund zwar keine zwingenden Beweise für die Historizität des ‚Rituals der Aussetzung‘ enthält, daß aber eine so große Zahl an möglichen Indizien vorhanden ist, daß es unangebracht schiene, die literarische Überlieferung in Frage zu stellen. Schließlich wurde die Frage nach dem pan-keltischen Charakter solcher Rituale nochmals aus insbesondere archäologischer Perspektive angesprochen. (Sopeña Genzor hatte daneben an eine lokale Verwurzelung des keltiberischen Brauchs in einem indigenen prähistorischen Substrat gedacht, aber seine Belege erwiesen sich schon bei kursorischer Betrachtung als
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nichtig.) Gerade von Marco Simón und Sopeña Genzor sind Hinweise auf entsprechende rituelle Praktiken im übrigen keltischen Europa zusammengestellt worden. Der prominenteste mögliche Beleg ist hier der Bericht des Pausanias, daß die Kelten des Brennus nach ihrer Niederlage bei den Thermopylen ihre Toten nicht bestatteten; dies wurde häufig als Hinweis darauf gesehen, daß auch diese Kelten ein Variante des ‚Rituals der Aussetzung‘ gekannt haben könnten. Eine solche Deutung ist jedoch keineswegs zwingend. Suggestiv, aber nicht schlüssig ist der steinerne Vogel (Geier?) aus Roquepertuse. Der allgemeine Mangel an Bestattungen in manchen Teilen des Celticums hat in Bezug auf die Verbreitung heiliger Aasvögel vom Typ der keltiberischen heiligen Geier gleichermaßen keine Beweiskraft, da im Fall eines allgemeinen Exkarnationsrituals der charakteristische Kriegsbezug des keltiberischen Rituals fehlt. Das ‚Heroon‘ im Komplex von Ribemontsur-Ancre scheint hingegen in aller für einen archäologischen Beleg denkbaren Deutlichkeit ein Ritual einer Aussetzung gefallener Krieger an Aasvögel zu bezeugen; jedoch warnt die isolierte Stellung dieses Befundes möglicherweise vor einem allzu zuversichtlichen Postulat einer konkreten religionsgeschichtlichen Kontinuität zum hispanischen Ritual, zumal die Frage offen bleiben muß, ob der Kriegskontext des ‚Heroons‘ den Exkarnationsritualen per se oder dem sehr spezifischen Kontext des Gesamtkomplexes von Ribemont geschuldet ist. Die Beleglage ist somit problematisch. Ein pan-keltischer Charakter aasfressender Vogeldämonen oder heiliger Aasvögel ist durch den archäologischen Befund weder zu beweisen noch zu widerlegen. Die Frage nach einer Verbindung zwischen der Bodb und dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ hängt damit letztlich von der Bedeutung ab, die man der Motivähnlichkeit zwischen dem Schwarm der heiligen Aasvögel, die die Leichen der ruhmreichen Krieger fressen, und dem Schwarm der dämonischen Aasvögel, die die Leichen der Gefallenen verschlingen und die vollbrachten Ruhmestaten verkünden, beimessen will.
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6. Etrurien: Vanth Die Walküren Skandinaviens zeigen sich in der mittelalterlichen Literatur des Nordens in vielfältiger Weise mit dem Leben und – insbesondere – Sterben des Kriegers verbunden. Dabei treten sie sowohl als Kollektiv als auch als scharf gezeichnete Individuen auf; als Individuen treten sie gerade in ihren Beziehungen zu (aristokratischen) Helden hervor. Ihr Reich ist der Tod im Kampf: Sie sind die Wählerinnen der Schlachtentoten und sie weisen dem Krieger den Weg ins Reich der toten Helden, nachdem sie ihm bestimmt haben, daß er fallen muß. Zugleich lenken sie den Verlauf der Schlacht und bestimmen über den Sieg. Dabei treten sie in Waffen und Rüstung auf; die Art ihres Eingreifens scheint jedoch zumeist eine übernatürliche zu sein. Sie werden in Rabenkenningar mit den Aasvögeln des Schlachtfelds assoziiert, mit denen eine Walküre zudem im Gespräch über den Ruhm eines Königs dargestellt wird. Einmal nimmt eine Walküre selbst die Gestalt eines Aasvogels – einer Krähe – an; häufiger erscheinen Walküren jedoch als Schwan. Über eine allgemeine Assoziation mit Aasvögeln hinaus finden sich dabei nicht mehr als dunkle und letztlich durchaus fragliche Anspielungen auf den von Neckel postulierten Charakter der Walküren als Vampir oder Leichenfresser. Zwar vorhanden, aber doch kein prominenter Zug ihres Charakters ist die Verfügung der Walküren über Weisheit und Runenkunde und damit über ein zumindest zu einem gewissen Grad tieferes, übernatürliches Wissen. Deutlich tritt in ihren Beziehungen zu Helden und den toten Kriegern in Walhall jedoch ein erotischer Zug hervor, der die Walküren mit großer Regelmäßigkeit zu den Geliebten von Helden und sogar zum tertium comparationis einer sexuellen Verunglimpfung werden lassen kann. Und schließlich verfügen die Walküren auch über eine Macht über den Geist des Kriegers, die ihrem Opfer den Tod bringt, indem sie den Todgeweihten seinen Feinden gelähmt und wehrlos ausliefert. In der Schlachtfelddämonologie des frühen Irland zeigten sich die Figuren der Bodb, Macha, Nemain und Morrígain als eine Gruppe von Gestalten, die mitunter als Individuen, zumeist aber als Kollektiv auftreten – der Schwarm der dämonischen Nebelkrähen, die sich auf dem Schlachtfeld niederlassen. Sie erfreuen sich am Gemetzel, das sie anstiften und dessen Ende sie hinauszögern; ihre Welt ist die Welt der Kriegshelden und des gewaltsamen Todes. In Gestalt der Nebelkrähe, des Aasvogels Irlands, nähren
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sie sich von den Leichen der Gefallenen und röten ihren Schnabel im Blut der Toten; und zuvor geleiten sie den Krieger mitunter selbst an die Schwelle seines Todes. Ihr Element ist der Krieg – insbesondere seine blutige Seite, zugleich aber auch der Ruhm, der auf dem Schlachtfeld gewonnen wird; denn nicht nur nähren sie sich vom Unterlegenen, sondern sie verkünden auch die Taten des Siegers. Die irischen Schlachtfelddämoninnen zeigen in ihrer Verbindung zum Kriegshelden und Heerführer jedoch auch noch eine ganz andere Seite: Sie streben nach der körperlichen Liebe des Kriegers, und dem, der sie ihnen gewährt, stehen sie im Kampf zur Seite. Sie kennen die Zukunft und militärische Geheimnisse, und es steht in ihrer Macht, den Feind zu schwächen und mit einer tödlichen Furcht heimzusuchen, welche die Soldaten sterben läßt, noch ehe der erste Schwertstreich gefallen ist. Wendet man sich den Kelten des Kontinents zu, so fehlen dort die Quellen, die nötig wären, um ein ähnlich detailliertes Bild vom Charakter der Dämonologie des Krieges zu zeichnen. Doch der Name der Bodb scheint auch in Gallien bekannt gewesen zu sein, und so mögen Weihungen an Victoria [C]assi[b]odva, Pervia Bodva und [C]athubodva darauf hinweisen, daß zwischen der irischen Bodb und der religiösen Welt des Kontinents eine gewisse Kontinuität bestanden haben könnte. Betrachtete man die Charakterbilder der skandinavischen Walküren und der irischen Bodbs, so stach als der wohl tiefgreifendste Unterschied zwischen den beiden Gruppen die zentrale Funktion der Walküren als Seelengeleiter ins Auge, die den Bodbs gänzlich zu fehlen scheint. Ein Ausblick auf die Bestattungsbräuche der Keltiberer hat jedoch gezeigt, daß der heilige (dämonische?) Aasvogel, der die Leichen der Gefallenen frißt, bei zumindest einem keltischen Stamm sehr wohl für den Übergang der Seele des ruhmreichen Kriegers ins Paradies verantwortlich zeichnet. Die Dämonologien des Todes der keltischen und germanischen Welt könnten sich also vielleicht auch in dieser Hinsicht enger berühren, als es zunächst den Anschein hat. Das vorliegende Kapitel will hieran die Frage anschließen, ob sich dieser Motivkomplex noch weiter und über die Grenzen der ‚barbarischen‘ Welt hinaus verfolgen läßt: Weibliche Todesdämonen mit einem Charakter zwischen Individuum und Kollektiv, einer Affinität zu Vögeln und dem Verschlingen von Leichen, einer Funktion beim Übergang des Toten ins Jenseits, einer engen Einbindung in Krieg und Gewalt, einer betonten Sexualität, tieferem Wissen und einer Macht über den Geist ihrer Opfer. Das erste Volk südlich des keltischen Expansionsbereichs in Italien sind die Etrusker, und so sollen sich die folgenden Betrachtungen zunächst den weiblichen Gestalten der etruskischen Dämonologie des Todes widmen.
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Die beiden wichtigsten Figuren der etruskischen Dämonologie des Todes sind Charun und Vanth. Charun ist dem Namen nach der entlehnte griechische Unterweltsfährmann X . Über die Namensgleichheit und den Unterweltsbezug gehen die Ähnlichkeiten zwischen der etruskischen und der griechischen Gestalt jedoch kaum hinaus; denn der etruskische Charun erscheint nicht als Fährmann über den Unterweltsfluß, sondern vielmehr als ein betont häßlicher, hakennasiger, bärtiger Mann mit blauer Haut, Tierohren und mit einem großen Hammer als Attribut. Als Todesdämon tritt er in verschiedensten Kontexten mit Todesbezug auf.784 Die eigentlich hier interessante Figur ist jedoch die Dämonin Vanth (ζAN);785 sie wird als eine jugendlich-schöne, oft geflügelte Frauengestalt in vielfältigen Beziehungen zum Sepulkralbereich dargestellt, wobei ab der hellenistischen Zeit ein starker Einfluß der Ikonographie der griechischen Erinyen sichtbar zu werden scheint. Bedeutung und Etymologie ihres Namens sind unklar.786 Mit Charun ist sie eine der am häufigsten dargestellten Gestalten der etruskischen Todesmythologie; die erhaltenen Darstellungen gehen in die Hunderte.787 Die etruskische Kultur hat uns kaum aussagekräf784
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Allgemein zu Charun vgl. etwa Weber-Lehmann 2008; de Grummond 2006 S. 213–220 et passim; Jannot 2005 S. 64 f. et passim; Jannot 1997 S. 140–145 et passim; Krauskopf 1987 S. 73–78 et passim; Mavleev und Krauskopf 1986; Manino 1980 S. 63–66 et passim; Pfiffig 1975 S. 332–335 et passim; Herbig 1965 S. 20–22 et passim; de Ruyt 1934; Waser 1898 S. 70–84, 127–149. Allgemein zu den Todesdämonen und Totengöttern Etruriens vgl. insbesondere Krauskopf 1987. Nur der Vollständigkeit halber am Rande erwähnt sei, daß Charun aufgrund seines Hammers mit dem kontinentalkeltischen Gott Sucellos spekulativ in Verbindung gebracht worden ist, vgl. de Vries 1961 S. 93 f. Allgemein zu Vanth vgl. die bei Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173 zusammengestellte Bibliographie. An älterer Literatur ergänze Fauth 1986; Paschinger 1988 (Namensbeischrift), 1988 (Todesgöttin), 1991/92. An neuerer Literatur vgl. ferner Jannot 1997; Massa-Pairault 2003; Jannot 2005 S. 62–64 et passim; de Grummond 2006 S. 220–225 et passim. Die ungedruckte Arbeit von Ostermann 2006 war mir nicht zugänglich. Vgl. de Grummond 2006 S. 220 f.; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173; Steinbauer 1999 S. 493. Für neuere spekulative Deutungsvorschläge vgl. Massa-Pairault 2003 S. 190 f.; Jannot 1997 S. 146; Jannot 2005 S. 163; de Grummond 2006 S. 220 f., 222. In allen Fällen wird offenbar einfach geraten (teilweise vielleicht inspiriert durch einen alten und schon von de Ruyt 1934 S. 213 f. zurückgewiesenen Vorschlag) oder mit Parallelen in anderen Sprachen argumentiert, die aber eben andere Sprachen sind. Allein in den von Brunn und Körte 1870–1916 mit Illustration herausgegebenen Urnenreliefs hat Scheffer 318 Dämoninnen auf 235 verschiedenen Objekten gezählt, was die Größenordnung des vorhandenen Materials andeutet, auch wenn im Einzelfall die Frage der Identifizierung problematisch sein mag: Scheffer 1991 S. 52 Anm. 2. Neben den schon von Brunn und Körte nicht illustrierten Urnen kommen
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tige Schriftzeugnisse hinterlassen, und bis auf einige wenige Namensbeischriften keine, die für die Charakterisierung Vanths relevant wären. Ihr Charakter muß also ganz aus den Bilddokumenten erschlossen werden, auf denen sie dargestellt wird, sowie aus dem Kontext dieser Dokumente. Ausgangspunkt und Grundlage hierfür bilden diejenigen Darstellungen, die durch eine Namensbeischrift als Darstellungen Vanths gesichert sind; hier sind acht Zeugnisse vorgeschlagen worden, von denen sieben als verläßlich angesehen werden können. Die folgende Betrachtung wird von diesen Zeugnissen ausgehen. Nur durch das Ausgehen von den inschriftlich gesicherten Belegen Vanths kann sichergestellt werden, daß im folgenden tatsächlich ein Charakterbild einer einzelnen, abgegrenzten Figur entworfen wird, und daß nicht getrennte und im Charakter vielleicht differierende Figuren aufgrund ikonographischer Ähnlichkeiten zu Unrecht zusammengeworfen werden, was zu einer Verfälschung des Bildes der etruskischen Todesdämoninnen führen würde. Das hier vorgelegte Material unterscheidet sich somit wesentlich von dem Material, das für den Bereich Skandinaviens und Irlands zur Verfügung stand. Das Verhältnis von Text- und Bildzeugnissen ist geradezu umgekehrt: Lagen für die nordwesteuropäischen Dämoninnen des Frühmittelalters nahezu nur textliche Zeugnisse vor, so sind es für Vanth gerade die Bilddokumente, die einen Zugang zum Charakter der Gestalt erlauben. Für die etruskische Dämonin existieren dabei vermutlich mehr Zeugnisse als für die Walküren und die irischen Bodbs zusammengenommen; ausdrücklich durch eine Inschrift und erst damit zweifelsfrei identifiziert ist Vanth aber nur auf einer sehr geringen Zahl von Denkmälern, während die skandinavischen und irischen Dämoninnen in den Textquellen zumeist eindeutig und explizit identifiziert wurden. Auch hier steht die etruskische Quellensituation also in einem starken Kontrast zum nordwesteuropäischen hierzu vor allem die Neufunde der letzten etwa 90 Jahre, die Sarkophagreliefs, die gravierten Spiegel, die Vasenmalerei und die Wandmalerei. In Anbetracht dieser Belegfülle ist es nicht möglich, im vorliegenden Kapitel ein vollständiges Corpus aller möglichen Darstellungen Vanths vorzulegen, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei weitem sprengen würde. Vorgelegt wird stattdessen eine vollständige Besprechung der inschriftlich gesicherten Darstellungen und eine exemplarische Zusammenstellung einiger ausgewählter weiterer Beispiele. Der mit 241 Zeugnissen (plus Duplikate) meines Wissens umfangreichste – aber bei weitem nicht vollständige – publizierte Katalog möglicher Vanth-Darstellungen findet sich bei Wüst 1956 Spalten 150–166. Die Allgegenwart Vanths in der etruskischen Jenseitsikonographie wird vielleicht dadurch am besten illustriert, daß von einer massenproduzierten Terrakottaurne, die Wüst unter seinen 241 Bilddokumenten anführt, im späten 19. Jh. zumindest 125 Exemplare bekannt waren (ibidem Spalte 155 Nr. XXXV.7; Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 2 S. 35).
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Befund: Für Etrurien stehen zwar insgesamt sehr viel mehr Zeugnisse zur Verfügung, die Zahl der eindeutig (inschriftlich) identifizierten Zeugnisse ist jedoch sehr viel geringer als im Norden. Die Gliederung des vorliegenden Kapitels hat sich diesem tiefgreifenden Unterschied anzupassen, und so wird dieses Kapitel einem anderen Aufbau folgen als die Kapitel über die Walküren und die Bodbs, die durchgehend thematisch geordnet waren und diese Gestalten Charakterzug für Charakterzug besprachen: Im folgenden sollen zuerst die wenigen inschriftlich gesicherten Vanthdarstellungen vollständig vorgestellt und ausgewertet werden; eine detaillierte Diskussion dieser Denkmäler soll versuchen, den Charakter Vanths nicht Charakterzug für Charakterzug, sondern Bilddenkmal für Bilddenkmal zu entwickeln. Danach werden, grob thematisch geordnet, einige weitere, inschriftlich nicht gesicherte Zeugnisse angesprochen, die mit großer Wahrscheinlichkeit – aber eben auch nicht mehr – ebenfalls Vanth darstellen, mit Sicherheit jedoch etruskische Dämoninnen aus dem Bereich der Mythologie des Todes illustrieren.
Vanthdarstellungen mit Namensbeischrift Das Trojanerfresko der Tomba François Das wohl berühmteste Beispiel einer Vanth mit Namensbeischrift stammt aus der Tomba François, einem etruskischen Felsengrab in Vulci.788 Dieses aus mehreren Kammern bestehende Familiengrab wurde in den Jahren um 330/320–310 v. Chr. angelegt.789 Die meisten Kammern waren von einem Raum mit T-förmigem Grundriß im Zentrum der Anlage aus zugänglich.790 Der mittlere Flügel dieser zentralen Kammer zeigte an der nordöstlichen und der linken Hälfte der südöstlichen Wand ein Gemälde (Fig. 5),791 das ein Motiv des homerischen Epos verarbeitet: Die Opferung zwölf adliger 788
789 790 791
Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Nr. 3; Spinola 1987 S. 56. Allgemein zur Tomba François vgl. Andreae 2004 (Anspruch und Wirklichkeit); Buranelli 2004; Weber-Lehmann et al. 1987 S. 207–215; Steingräber 1985 (Katalog) Nr. 178; spezifisch zum hier relevanten Fresko etwa auch Pfiffig 1975 S. 217; Paschinger 1992 S. 17. Das Wandgemälde befindet sich heute in der Villa Albani, Rom (Weber-Lehmann 1997 [Vanth] Bd. 8.1 S. 174). Andreae 2004 (Anspruch und Wirklichkeit) S. 196. Vgl. den Grundriß bei Buranelli 2004 Abb. 14 an S. 175/176. Für eine zeichnerische Rekonstruktion der Raumeinteilung und der Verteilung der Wandgemälde in diesem Raum vgl. Eutizi 2004 Abb. 16 (S. 33); Buranelli 2004 S. 175 Abb. 12.
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Fig. 5: Etruskische Wandmalerei aus der Tomba François, Vulci. Um 330/320–310 v. Chr.
trojanischer Gefangener bei den Totenfeiern des Patroklos durch Achilleus (Ilias XXIII,166–182). Im Wandgemälde ist der Scheiterhaufen fortgelassen, um den sich die homerische Szene abspielt; nur die Schächtung einiger der Trojaner wird dargestellt. Die einzelnen Figuren dieses Gemäldes sind durch Namensbeischriften identifiziert.792 Das Bild schließt an seiner linken Seite mit der Ecke der Wand ab, an der rechten Seite ist es um die Ecke der nordöstlichen auf die südöstliche Wand gezogen, wo es vom Rahmen einer Tür begrenzt wird, die in eine Seitenkammer der Tomba François führt. Die Figuren sind nahezu in Lebensgröße dargestellt. Am linken Rand des Bildes steht der Anführer der Griechen vor Troja, Agamemnon (amem. run). Die Figur ist unterhalb der Hüfte verloren. Er hält einen Speer lokker in der rechten Hand, der rechte Arm hängt entspannt nach unten. Agamemnon ist mit sehr dunkler Haut und vollem Bart dargestellt, sein Oberkörper ist abgesehen von einem Mantel, den er über die linke Schulter und den linken Arm geworfen hat, nackt. Er blickt zur Mitte des Bildes. Rechts von ihm steht der Schatten des Patroklos (hinial: patrucles); auch er blickt zum Zentrum des Bildes, wo ihm Achilleus (ale) einen Trojaner (truials) opfert. Die Haut des Patroklos ist deutlich heller als die des Agamemnon. Er ist in einen blauen Mantel gehüllt, aber so, daß Brust und Bauch unbedeckt bleiben. Um die Brust trägt er dort einen Verband, wo ihm Hektor 792
Alle Lesungen nach Rix 1991 Bd. 2 S. 121 (Vc 7.14 bis Vc 7.23), vgl. Andreae 2004 (Anspruch und Wirklichkeit) S. 192–195. Die etruskische Lesung ist bei Personennamen in Klammern nach dem Namen in der im Deutschen geläufigen, auf der griechischen beruhenden Form gegeben. Dämonennamen werden in der etruskischen Form belassen.
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die tödliche Wunde zugefügt hatte.793 Vor ihm steht ein großer Rundschild auf dem Boden, der untere Teil der Figur ist verloren. Teilweise hinter, teilweise neben Patroklos steht Vanth (van). Sie ist etwa ebenso groß dargestellt wie die männlichen Figuren. Vanth trägt einen langen, rötlichbraunen Peplos,794 der die Arme unbedeckt läßt, ansonsten aber den ganzen Körper verhüllt. Ihre hellbraunen Haare sind hochgebunden, sie trägt ein Ohrgehänge und hat ihre beiden in Rotbraun, Weiß und Blau ausgeführten großen Schulterflügel halb ausgestreckt, so daß sie auf Kopfhöhe den Bereich hinter Patroklos und Achilleus umfassen. Ihr linker Arm weist nach unten und verschwindet hinter Achilleus, ihre rechte Hand befindet sich gestikulierend vor ihrer Brust. Sie scheint zum Totendämon Charun (aru) zu blicken; dieser erwidert ihren Blick über den Trojaner hinweg, der eben von Achilleus geopfert wird. Denn neben und in der Bildebene vor Vanth beugt sich dieser Held, der einen Brustpanzer und Beinschienen trägt, leicht nach unten, um einem auf dem Boden kauernden nackten Trojaner mit seinem Schwert die Halsschlagader zu durchtrennen. Er hält den Mann, der zu ihm aufschaut, an den Haaren fest; das Blut spritzt aus der Wunde an seinem Hals, während Charun halb neben dem Trojaner, halb hinter ihm steht. Charun hat eine bläuliche Haut und eine Hackennase, trägt einen Bart und hält einen großen Hammer mit langem Stiel mit beiden Händen geschultert. Ferner trägt er einen Hut, eine rote Weste und einen beigen Rock. Charun und Vanth rahmen die Szene der Tötung des Trojaners durch Achilleus sowohl zu den Seiten als auch nach oben hin ein, da sich die Blicke Vanths und Charuns über dem zur Tötung hinabgebeugten Kopf des Achilleus zu treffen scheinen und der linke Flügel Vanths über der Tötungsgruppe ausgestreckt ist. Obwohl sie einen klaren Rahmen der Tötung bilden, stehen Vanth und Charun in der Bildebene hinter Achilleus und dem Trojaner (und dem Schatten des Patroklos). Sie greifen nicht handelnd in das Geschehen ein. Von rechts führt Ajax, Sohn des Telamon (aivas: tl. aòmunus) schon den nächsten Trojaner (truials) zur Opferung heran. Ajax trägt Helm, Brustharnisch und Beinschienen und ist mit Speer und Schwert bewaffnet, der Trojaner (truials) ist nackt und hat den Kopf gesenkt; er leistet keine Gegenwehr. Hinter ihm zieht Ajax, Sohn des Oleus (aivas: vilatas) einen dritten nackten Trojaner (truials) an den Haaren herbei. Beide Trojaner bluten aus Wunden an den Beinen. Ajax, Sohn des Oleus trägt einen Brustharnisch und nur eine Beinschiene, dazu Speer und Schwert.
793 794
Andreae 2004 (Anspruch und Wirklichkeit) S. 194; de Grummond 2006 S. 198. Nach von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 149 ein in Etrurien nur selten gebrauchtes Kleidungsstück, das so den dämonischen Charakter der Gestalt hervorhebt.
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Die Verbindung Vanths mit dem Tod wird hier überdeutlich, nicht nur in der Gesamtthematik der Szene – einer Opferung von Gefangenen im Zuge von Totenfeiern –, sondern auch in der detaillierten Anordnung der Figuren. Zusammen mit Charun rahmt Vanth die blutige Tötung des ersten Trojaners, und ihre ausgebreiteten Schwingen umfassen einerseits diesen Tötungsakt (und damit nicht nur den sterbenden trojanischen Gefangenen, sondern auch den schon todgeweihten Achilleus) und andererseits den Schatten des Patroklos, der seinen eigenen Totenopfern beiwohnt.795 Patroklos ist bereits von Hektor getötet worden, der Trojaner stirbt eben an der Wunde in seinem Hals und Achilleus wird fallen, ehe Troja fällt. Dadurch, daß Vanth diese drei vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Tode in der Spanne ihrer betont farbigen Flügel umfaßt,796 erscheint sie vielleicht als Herrin des Todes in allen drei Zeitebenen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.797 Hier mag sich eine universelle Herrschaft über den Bereich des Todes ausdrücken. Dabei handelt es sich in allen in diesem Gemälde angedeuteten Fällen um einen blutigen, gewaltsamen Tod. Jedoch greift
795 796
797
Vgl. Krauskopf 1987 S. 79; de Grummond 2006 S. 198 f., 221. Zur auffallenden Farbigkeit von Vanths Flügeln weist Pfiffig auf die Szene der Äneis hin, in der Juno aus Mitleid mit Dido die safranflügelige Iris aussendet, damit sie den Todeskampf der sterbenden Königin beendet; dabei zieht Iris eine tausendfarbige Spur: Äneis IV[sic leg.],693–705; Pfiffig 1975 S. 330. Pfiffig denkt hier an eine Kontinuität zwischen etruskischen Vorstellungen und Vergils Werk (ibidem); vgl. Fauth 1986, besonders S. 124 f.; Jannot 1997 S. 163. Die Flügel Vanths werden auch anderswo in bemerkenswerter Farbigkeit dargestellt, so auf mehreren polychrom bemalten Terrakottaurnen, die ich im Museo Archeologico Nazionale von Chiusi zu sehen Gelegenheit hatte (etwa Iozzo und Galli 2007 S. 68 Abb. 102, leider auf dem Bild nicht sonderlich gut zu erkennen – man beachte insbesondere die Dämonin am rechten Rand der Bildfläche der Urne, deren sichtbarer Flügel eine rote Kante bei blauer Flügelfläche zeigt; für ein Relief dieser Serie vgl. auch Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 2 Tafel XIX.1 [=Sarian 1986 (Erinys) Nr. 94] mit Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 2 S. 34 f. zu den Farben und S. 35 zur Anzahl der erhaltenen Exemplare – nach Körte zumindest 125 Stück), oder auf einer farblich gefaßten Alabasterurne im selben Museum (Iozzo und Galli 2007 S. 57 Abb. 82, mit rot bemalten Flügelflächen). Der Zeitrahmen der Betrachtung scheint mir zu eng gefaßt, wenn Massa-Pairault durch die Flügel hier den Tod (Patroklos) und das Leben (Achilleus) vereint sieht (Massa-Pairault 2003 S. 187, 189); näher scheint sie mir dem dunklen Ton des Freskos zu kommen, wenn sie darauf hinweist, daß Vanth für Achilleus später den Übergang in den Heroenstatus sicherstellen werde, wie sie das für Patroklos schon jetzt tue (ibidem S. 189 f.). Massa-Pairault sieht Vanth in der Tomba François aufs engste mit der Idee von Opfer, Schicksal und Gerechtigkeit verbunden. Ihre Gedanken sind anregend (vgl. besonders S. 186–192 und 198 f.), aber zu sehr auf die Tomba François bezogen, um als allgemeingültige Deutung Vanths überzeugen zu können.
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Vanth selbst in diese Tötungsakte nicht aktiv ein; obwohl sie die Szene in der hinteren Bildebene rahmt und so eine ‚Herrschaft im Hintergrund‘ ausübt, erscheint sie weniger als handelnde Kraft als vielmehr als eine Personifizierung des implizit und explizit in der Szene allgegenwärtigen und alles durchdringenden Todes.798 (Ob die fehlende Gegenwehr der Trojaner auf einen Einfluß der Dämonin im Sinne des herfjqturr der Walküren zurückzuführen ist, wäre ein Gegenstand reiner Spekulation.) Man beachte, daß Vanth zwar nur die zeitlich und der Bedeutung nach zunächst liegenden heroischen Tode des Patroklos und des Achilleus unmittelbar mit ihren Flügeln rahmt, daß aber keine der auf dem Wandgemälde dargestellten Gestalten den trojanischen Krieg und seine Folgen überleben wird: Die Gefangenen werden geopfert, Agamemnon wird nach der Rückkehr im Bad erschlagen, und die beiden Ajax sterben noch vor ihrer Heimkunft durch Selbstmord oder den Zorn der Götter. Helden wie Menelaos oder Odysseus, die am Ende des trojanischen Krieges heil zurückkehren, fehlen auf dem Bild. In Anbetracht ihrer ruhig-abwartenden Stellung neben der Tötung im sepulkralen Kontext ist Vanth hier jedoch nicht nur als Personifizierung des Todes, sondern zugleich auch als eine Seelengeleiterin gedeutet worden:799
798 799
Vgl. Herbig 1955 Spalte 350. So von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 148 f.; Jannot 2005 S. 63; vgl. Krauskopf 1987 S. 79. Dagegen faßt Paschinger die Vanth dieses Freskos als „Todkünderin“ auf: „Doch nicht um Patroklos in den Schutz ihrer mächtigen Flügel zu nehmen und ins Totenreich zu geleiten, nimmt Vanth an dem blutigen Geschehen teil. Ihre Aufgabe ist es, dem rechts stehenden gefangenen Trojaner den Tod zu verkünden, ihm durch ihren Blick, der genau auf ihn gerichtet ist, den Tod zu bringen.“ (Paschinger 1992 S. 17, vgl. ibidem S. 20.) Wohin Vanths Blick gerichtet ist, kann ich nicht mit letzter Sicherheit sagen, da die Augenpartie Vanths im Fresko stark beschädigt ist; am ehesten blickt sie zu Charun (und Charun erwiedert diesen hypothetischen Blick eindeutig). Hier scheint eine kurze allgemeine Bemerkung zu Paschingers zweibändiger Behandlung Vanths angebracht: Paschinger bespricht eine erhebliche Menge an Material, jedoch in sehr häufig methodisch äußerst problematischer Weise. Als Beispiel mit Bezug auf das Trojaner-Fresko der Tomba François sei nur genannt, daß sie im folgenden (S. 20–22) eine Praenestiner Bronzeziste bespricht, die ebenfalls das Trojaneropfer darstellt. Auf dem Stück aus Praeneste erscheint jedoch nicht Vanth, sondern u. a. Athena. Daraus schlußfolgert Paschinger, daß hier eine „vollkommene Gleichsetzung der Göttinnen Vanth und Athena“ stattfinde, die „für die Schlußfolgerungen der vorliegenden [d. h. Paschingers] Untersuchung von besonderer Bedeutung sein [wird]“ (S. 22). Die Annahme einer solchen Gleichsetzung ist natürlich vollkommen ungerechtfertigt; hier werden einfach zwei unterschiedliche Gestalten in zwei auch ansonsten erheblich voneinander abweichende Darstellungen eingeführt, im einen Fall Vanth als Todesdämonin, im anderen Fall Athena als Schutzgöt-
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Sie mag auf das Eintreten des Todes warten, um den Sterbenden danach in die Unterwelt zu begleiten – eine Auffassung, die etwa von den im folgenden zu besprechenden Orvietaner Amphoren der Vanth-Gruppe gestützt würde.800 Das Motiv des Trojaneropfers, das in Etrurien mehrmals dargestellt wurde, ist in der Forschung zudem mit einem politischen Ereignis verknüpft worden: Im Zuge der Kämpfe um die Herrschaft in Mittelitalien waren im Jahre 358 v. Chr. nach einem etruskischen Sieg auf dem Forum von Tarquinia 307 römische Gefangene geopfert worden. Da Rom sich von Troja herleitete, mag dieser Racheakt mit der Rache des Achilleus für den Tod des Patroklos assoziiert worden sein.801 Auch diese Deutung, falls sie die Interpretation Vanths in diesem Fresko überhaupt berührt, bettet Vanth letztlich noch tiefer in einen Kontext von Gewalt und Tod ein. Freilich fragt man sich, wie geeignet der Racheakt eines Todgeweihten war, um die Hoffnung auf einen endgültigen Sieg über Rom auszudrücken.
800
801
tin des Achilleus. Auf der Grundlage solcher und ähnlicher Gleichsetzungen gelangt Paschinger zu einer Deutung Vanths als ursprüngliche „Große Göttin“, die im Laufe der religionsgeschichtlichen Entwicklung von ihrer Position verdrängt worden sei (vgl. ibidem S. 206). In Anbetracht von Paschingers Methodik hat die Forschung meines Wissens ihre Thesen im wesentlichen ignoriert, und die vorliegende Arbeit wird sich dieser meines Erachtens gerechtfertigten Haltung im allgemeinen anschließen. Vgl. die kritische Rezension von Adam 1995 (wenn er jedoch an Vanth als „un avatar de déesse-mère“ denkt [S. 450], so ist dies so weit vom Material entfernt, daß damit bestenfalls nichts gewonnen ist; der Hauptbeitrag von Paschingers Scheitern ist, in zwei Bänden bewiesen zu haben, daß eine solche Deutung nicht untermauert werden kann). Als weitere Deutungsmöglichkeit hat Weber-Lehmann vorgeschlagen, daß Vanth hier „nicht Todkünderin für die Trojaner“ ist, „sondern Schützerin und Geleiterin des verstorbenen Patroklos, indem sie aufmerksam über das sühnende Opfer und die würdige Bestattung wacht, ohne die dem Schatten der Zutritt in den Hades verwehrt bleibt“ (Weber-Lehmann 1997 [Vanth] Bd. 8.1 S. 181). Eine solche Interpretation ist freilich möglich, aber diese Deutung mag damit in Zusammenhang stehen, daß Weber-Lehmann betont, daß Vanth den Schatten des Patroklos gleichsam mit ihrem Flügel umfaßt (ibidem); dies gilt aber nicht nur für den Schatten des Patroklos, sondern auch für den todgeweihten Achilleus, so daß Weber-Lehmanns Deutung möglicherweise etwas zu eng ist. Eine endgültige Entscheidung läßt sich in Anbetracht der Beleglage letztlich jedoch nicht treffen. Ausführlich (auch zu den kunstgeschichtlichen Verbindungen der Malerei der Tomba François mit Tarquinia): Andreae 2004 (Anspruch und Wirklichkeit) S. 195 f.; Haynes 2005 S. 335 denkt hingegen nicht an den Einfluß eines politisch motivierten tarquinischen Gemäldes, sondern vielmehr an den Einfluß eines großgriechischen Originals. Zur politischen Deutbarkeit (hier v. a. mit Bezug auf den Kampf Vulcis gegen Rom) vgl. auch Jannot 2005 S. 16, 168.
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Die Vanth-Gruppe von Orvieto Etwa zur selben Zeit ist der Name Vanths auch auf einer Gruppe etruskischer rotfiguriger Vasen aus der Gegend von Orvieto belegt, die auf etwa 330 v. Chr. datiert802 und einem einzigen Maler zugeschrieben werden (Fig. 6);803 ihr archäologischer Fundzusammenhang läßt sich heute allerdings nicht mehr bestimmen.804 Bei dieser sogenannten ‚Vanth-Gruppe‘ handelt es sich um zwei Amphoren und einen Krater. In den beiden weitgehend identischen Hauptfriesen der Amphoren, die die Jenseitsreise eines Verstorbenen darstellen, erscheint neben einer Vielzahl anderer Figuren auch jeweils eine weitestgehend nackte Vanth, deren Name ihr auf einer halbgeöffneten Schriftrolle beigeschrieben ist.805 Der Krater zeigt den Transport des Leichnams desselben Toten, wobei u. a. eine bekleidete Figur vom Typus Vanths – aber ohne Namensbeischrift – auftritt.806 Alle drei Gefäße haben eine Höhe von etwa 55 cm oder leicht darüber.807 Die erste Amphore808 zeigt einen gebückt gehenden, dick bekleideten Alten in einem Mantel (sein Kopf ist abgebrochen), der sich mit der Rechten auf einen knotigen Stock stützt. Eine geflügelter Dämon, der weit ausschreitet, hält ihn an seinem linken Handgelenk (auch der Kopf des Dämons ist abgebrochen). Der Dämon trägt mit der linken Hand einen großen Hammer; zwischen seinen Füßen windet sich eine Schlange aus dem Boden. Hinter dem Alten befindet sich ein weiterer Dämon, ebenfalls mit einem großen Hammer. Dieser hält den Hammer mit beiden Händen nahezu waagerecht, so daß der Hammerkopf gegen den Rücken des Alten zu drücken scheint. Zudem steht der Dämon stark nach vorne gegen seinen Hammer gelehnt da – anscheinend schiebt er den Alten mit seinem Hammer an,809 während der Dämon, der den Alten am Handgelenk gefaßt hält, diesen vorwärtszieht. Unter dem Hammer des schiebenden Dämons hinter 802
803 804 805 806
807 808 809
Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174 (Nr. 2); Spinola 1987 S. 57: Letztes Viertel des 4. Jh. Beazley 1947 S. 169. Cappelletti und Roncalli 1992 S. 180. Rix 1991 Bd. 2 S. 108 (Vs 7.28 und Vs 7.29). Detaillierte neue Edition: Cappelletti und Roncalli 1992 S. 180–193; Abrollung der Hauptfriese aller drei Gefäße: Instituto di Corrispondenza Archeologica 1879–1883 Tafeln 4 und 5 (=meine Fig. 6). Vgl. Cappelletti und Roncalli 1992 S. 181, 186, 191. Mittlere Abrollung auf Fig. 6; Cappelletti und Roncalli 1992 S. 181–185 (Nr. 61). So auch von Vacano 1962 S. 1531; Pfiffig 1975 S. 202 bemerkt, daß ein gewisser humoristischer Zug der Vasenbilder der Vanth-Gruppe kaum zu übersehen ist. Pairault Massa 1998 S. 99 f. sieht auf den Vasen der Vanth-Gruppe Züge einer Karikatur einer orphischen Katabasis.
Fig. 6: Drei etruskische Vasen (ein Krater und zwei Amphoren) aus Orvieto (sog. ‚Vanth-Gruppe‘), Abrollung der Hauptfriese. Um 330 v. Chr.
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dem Alten befindet sich eine große Schlange in sich verschlungen auf einem Stein; den Kopf hat sie mit geöffnetem Maul zum Alten oder zum Hammerkopf gewandt.810 Der ziehende Dämon hat weiße Haut, der schiebende dunkle. Die beiden Dämonen und der Alte bewegen sich in dieselbe Richtung, aus der ein von zwei Vogeldrachen gezogener Wagen auf sie zukommt (oder wo dieser Wagen auf sie wartet). Die Drachen bestehen aus großen Vogelleibern mit Schlangenhälsen, Schlangenköpfen mit je einem Kamm und wohl Schlangenschwänzen.811 Diese Drachen ziehen einen zweirädrigen Wagen. Die Gestalt, die im Wagen fährt, ist weitestgehend zerstört; nach der entsprechenden Szene auf der zweiten Amphore der Vanth-Gruppe wird der Wagen von einer weiblichen Gestalt gelenkt. Hinter dem Wagen erscheint wieder eine Schlange, hinter der ein Mann mit einem thyrsosähnlichen Stab weit ausschreitend dem Wagen folgt. Er trägt ein wallendes Gewand, das seinen muskulösen Oberkörper weitgehend unbedeckt läßt, einen Kopfschmuck und einen Vollbart. Hinter ihm folgt mit tänzelnden Schritten eine schlanke, hochgewachsene weibliche Gestalt mit weißer Haut, kurzen oder hochgesteckten Haaren und großen Schulterflügeln (Fig. 7). Sie trägt leichte Schuhe, die nicht über die Knöchel hinaufreichen. Um die Taille hat sie ein schmales Band geschlungen, das anscheinend nur locker in Schleifen geknotet ist und dessen Enden nach vorne und hinten flattern. Ansonsten ist sie bis auf eine Halskette nackt – Brüste und Schambereich sind im Detail dargestellt.812 In der Linken hält diese Flügelfrau einen thyrsosähnlichen langen weißen Stab;813 die Verdickung am oberen Ende zeigt aber nichts von der Innenzeichnung, die bei einem echten Thyrsos zu erwarten wäre. In der Rechten hält sie eine halb geöffnete 810
811
812
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De Grummond 2006 S. 215 hat (wenig überzeugend) vorgeschlagen, daß der Hammerdämon hinter dem Alten seinen Hammer gegen diese Schlange schwingt und den Alten beschützt. Ebenso scheint Spinolas Deutung nicht gut mit der Darstellung vereinbar, daß nämlich der Dämon den Alten mit seinem Hammer bedrohe: Spinola 1987 S. 57. Das Bild ist beschädigt, aber nach dem entsprechenden Bildteil der zweiten Amphore handelt es sich um Schlangenschwänze. Nicht nachvollziehbar ist die Identifizierung der Vogeldrachen als „great chickens“ bei de Grummond 2006 S. 214 (Bildunterschrift zu X.5). Das Fehlen der Schambehaarung muß nicht signifikant sein, da eine solche auch beim männlichen Wagenlenker des Kraters der Vanth-Gruppe nicht dargestellt ist, vgl. das Photo in Cappelletti und Roncalli 1992 S. 193. Spinola 1987 S. 57 denkt an einen Stab mit einer Ähre am Ende, oder vielleicht an eine Fackel. Zumindest die Fackel ist jedoch eindeutig auszuschließen, da Fackeln völlig anders (und im wesentlichen immer in derselben charakteristischen Weise) dargestellt werden, vgl. die Fackel Vanths in der Tomba degli Anina (Fig. 9), die im folgenden besprochen werden wird. Vgl. Spinola 1987 S. 61 zu einem möglichen Jenseitsbezug des möglichen Ährenstabs.
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Fig. 7: Detail einer der beiden Amphoren der Vanth-Gruppe.
Schriftrolle, auf der die letzten drei Buchstaben des Namens Vanth noch deutlich lesbar sind. Der erste Buchstabe ist großenteils einer Bruchstelle zum Opfer gefallen, an deren Kante Teile der Scherbe abgesplittert sind. Es ist noch etwas weniger als die untere Hälfte des Digammas erhalten.814 Hinter Vanth hockt ein Kerberos mit drei Hundeköpfen und Schlangeschwanz (mit einem Schlangenkopf am Ende des Schwanzes) auf dem Boden; er scheint an der Decke angekettet. Ein Hundekopf und der Schlangenkopf blicken sich nach hinten zur Gruppe der zwei Dämonen um, die den Alten schieben und ziehen; der Schlangenkopf hat dabei das Maul aufgerissen.
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Autopsie Juli 2008.
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Ein zweiter Hundekopf blickt nach vorne auf Vanth, der dritte Kopf frißt auf dem Boden liegende Eingeweide.815 Einige der Freiräume zwischen den Figuren sind mit Bändern oder Scheibenrosetten ausgefüllt. Die zweite Amphore816 zeigt einen nahezu identischen Fries. Die Figurenanordnung stimmt genau mit derjenigen der ersten Amphore überein. Die Köpfe der den Alten ziehenden und schiebenden Dämonen sind hier erhalten; beide sind betont hakennasig und haben grimassenhafte Gesichtszüge. Beide haben große Schulterflügel. Der ziehende Dämon wendet das Gesicht zum Alten um und nimmt ihn bei der Hand, nicht anscheinend am Handgelenk. Auch hier hat nur der ziehende Dämon mit dem Hammer eine weiße Haut.817 Die Wagenfahrerin ist wieder stark beschädigt, aber sie ist durch die weiße Hautfarbe der erhaltenen Teile als Frau charakterisiert. Sowohl sie als auch der ihr folgende, männlich-dunkelhäutige Mann tragen einen Kopfschmuck. Beide halten je einen thyrsosähnlichen Stab in der Linken. An Stelle einer Schlange erscheint zwischen den Füßen des Mannes, der dem Wagen folgt, eine Bodenwelle. Vanth (Fig. 8) erscheint auch hier in ähnlicher tänzelnder Haltung und ebenso nackt wie auf der ersten Amphore; in der Rechten hält sie wieder eine halb aufgerollte Schriftrolle, auf der ihr Name steht, diesmal vollständig als Vanth lesbar. Sie trägt keinen Stab. Von Vacano sieht sie mit einem Kranz und einem Ohrring geschmückt.818 Den Ohring kann ich – auch am Original – nicht erkennen; vielmehr sehe ich nur das von Haarsträhnen gerahmte Ohr.819 Der Kranz scheint mir ebenfalls ganz unsicher, aber in Anbetracht der Verwendung zweier verschiedener Farben für die Darstellung des Haars (hellbraunorange und dunkelbraun-schwarz) nicht auszuschließen.820 815
816 817
818 819 820
Von Vacano 1962 S. 1532; nicht einen Geier, wie de Grummond 2006 S. 214 (Bildunterschrift zu X.5) meint – was sie wohl als Hals eines Geiers interpretiert, ist vielmehr eine Luftröhre. Vgl. auch Manino 1980 S. 68 zur Frage, ob Vanth Kerberos das Futter hingeworfen hat. Untere Abrollung auf Fig. 6; Cappelletti und Roncalli 1992 S. 186–190 (Nr. 62). Vgl. Cappelletti und Roncalli 1992 S. 189 gegen die Abrollung Instituto di Corrispondenza Archeologica 1879–1883 Tafeln 4 und 5 (=meine Fig. 6) und Beazley 1947 S. 170, wo beide als weißhäutig erscheinen bzw. beschrieben werden. Beazley sieht die weiße Hautfarbe der Dämonen im konventionellen Sinn als Zeichen eines weiblichen Geschlechts und denkt an Dämonen in Gestalt älterer Frauen, hält sie andererseits jedoch für zu stämmig für Frauen und schlägt vor, alternativ die helle Hautfarbe als Zeichen von Wesen einer sonnenlosen Unterwelt zu sehen: Beazley 1947 S. 170f. Hier betont er auch die warme Kleidung, mit der der alte Mann dargestellt ist. Von Vacano 1962 S. 1532 und 1533. Vgl. die Abb. bei Cappelletti und Roncalli 1992 S. 190. Eine Farbphotographie ist veröffentlicht bei Bandinelli und Giuliano 1973 S. 279 Abb. 319.
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Fig. 8: Detail der zweiten Amphore der Vanth-Gruppe.
In unmittelbarer thematischer Nähe zum Bildprogramm dieser beiden Amphoren steht dasjenige des Kraters der Vanth-Gruppe.821 Zwei Maulesel( ? ) ziehen in gemächlicher Gangart einen zweirädrigen Karren, auf dem der Alte mit seinem Knotenstock und mit zwei Kissen unter dem Kopf liegt. Deutlich stürmischer – alle vier Pferde stehen auf der Hinterhand – folgt dem Karren die Quadriga einer muskulösen männlichen Ge-
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Obere Abrollung auf Fig. 6; Cappelletti und Roncalli 1992 S. 191–193 (Nr. 63).
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stalt mit Vollbart, die ein Diadem trägt und ein langes Szepter mit einem Granatapfel an der Spitze nach vorne streckt, um das sich eine Schlange windet. Vor dem vordersten Pferd der Quadriga eilt mit weit ausgreifenden Schritten ein halb kahlköpfiger Dämon mit Hammer; mit der Linken greift er ans Maul des vordersten Pferdes der Quadriga, mit der Rechten hält er seinen großen Hammer mit dem Hammerkopf voran den Pferden entgegen; es scheint, als wolle er das Gespann bremsen, das den Karren eingeholt hat. Hinter der Quadriga eilt eine weibliche Gestalt mit großen Schulterflügeln und einem knielangen Gewand her. Ihre halblangen Haare flattern nach hinten. Sie trägt eine Halskette, hält einen thyrsosähnlichen Stab in der Linken (wieder ohne die typische Innenzeichnung eines echten Thyrsos) und eine aufgerollte Schriftrolle in der Rechten. Ihre Haltung entspricht genau der Haltung der beiden Darstellungen der Vanth auf den beiden Amphoren; sie hat ferner die gleichen Schulterflügel und trägt die gleichen leichten Schuhe und den gleichen Halsschmuck. Wie die Vanth der ersten Amphore trägt sie einen thyrsosähnlichen Stab822 und wie beide Vanths eine Schriftrolle; nur ist ihre Schriftrolle zusammengerollt. Sie ist somit wohl ebenfalls als Vanth anzusprechen. Auch auf diesem Fries werden Freiräume durch Scheibenrosetten, Bodenwellen und Bänder gefüllt; ferner erscheint eine große Pflanze. Bei dem Mann, der liegend auf einem Mauleselkarren gezogen wird, kann es sich nur um einen Toten handeln;823 warum er auf dem Wagen liegen und nicht sitzen würde, wäre sonst unerklärlich. Die Gestalt des hakennasigen Dämons mit dem übergroßen Hammer entspricht ganz dem Charun des Trojanerfreskos der Tomba François, so daß wohl auch die Hammerdämonen der Vasen der Vanth-Gruppe so anzusprechen sind.824 Bei der Darstellung auf dem Krater scheint es sich also um den Weg des Toten zum Grab zu handeln, begleitet von den Gestalten der Unterwelt; entsprechend wird der majestätische Quadrigafahrer mit dem von einer Schlange umwundenen Szepter und dem königlichen Diadem allgemein als Aita gedeutet, als der von den Etruskern übernommene Hades;825 sein Schlangenszepter findet eine entsprechende Parallele im von einer Schlange umwundenen Speer, den Hades (eita) in der inschriftlich gesicherten Dar-
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Beide Stäbe sind weiß, vgl. die Abb. in Cappelletti und Roncalli 1992 S. 185 gegen die Darstellung auf der Abrollung Instituto di Corrispondenza Archeologica 1879–1883 Tafeln 4 und 5 (=meine Fig. 6). Pfiffig 1975 S. 177; Paschinger 1992 S. 147; Cappelletti und Roncalli 1992 S. 191. So etwa Cappelletti und Roncalli 1992 S. 191; Paschinger 1992 S. 147. Beazley 1947 S. 170; von Vacano 1962 S. 1533; Pfiffig 1975 S. 177; Paschinger 1992 S. 147; Cappelletti und Roncalli 1992 S. 191.
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stellung in der Tomba Golini I hält.826 Die beiden Amphoren scheinen gewissermaßen den nächsten Schritt der Jenseitsreise des Verstorbenen darzustellen:827 Auf ihren Knotenstock gestützt und von Charun-Dämonen geschoben und gezogen, befindet sich die Seele des Toten auf ihrer Reise in die Unterwelt, deren Eingang durch Kerberos markiert wird; denn der dreiköpfige Höllenhund ist der Wächter des Eingangs der Unterwelt. Ob sich der Tote noch diesseits oder schon jenseits des von Kerberos markierten und bewachten Eingangs zum Totenreich befindet, läßt sich freilich bei einem umlaufenden Fries ohne eindeutigen Anfangspunkt nicht sagen (spielt insgesamt aber auch kaum eine Rolle). So wie Hades den Toten auf dem Krater einholt, treten die Gestalten der Unterwelt dem Verstorbene auch auf den Amphoren ohne jede erkennbare Feindseligkeit entgegen. Die Wagenfahrerin und der schreitende Mann werden im Kontext dieser Jenseitsszenerie des Toten, des Todesdämonen Charun und des Höllenhundes Kerberos allgemein und plausibel als Hades und Persephone bzw. als ihre etruskischen Formen Aita und Phersipnei gedeutet.828 Der Tote wird hier somit mit Nachdruck, aber nicht unfreundlich auf seiner Reise ins Jenseits geleitet und am Ende dieser Reise in Empfang genommen.829
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Feruglio 1982 S. 53 Abb. 24; Rix 1991 Bd. 2 S. 108 (Vs 7.14). Vgl. auch das Vorkommen mehrerer Granatäpfel unter den Speisen, die im selben Grab dargestellt werden, Feruglio ibidem S. 50 Abb. 21. Im Gegensatz zur Hadesdarstellung ist letzteres Detail an den originalen Wandmalereien auch heute noch gut zu erkennen (vgl. unten Anm. 981). So Pfiffig 1975 S. 177; Paschinger 1992 S. 147. Enking 1943 S. 59; Beazley 1947 S. 171; von Vacano 1962 S. 1533 f.; Pfiffig 1975 S. 177 f.; Paschinger 1992 S. 147; Cappelletti und Roncalli 1992 S. 182, 186. Leise Zweifel bringt de Grummond 2006 S. 214 (Bildunterschrift zu X.5) zur Identifizierung von Aita auf einer der Amphoren zum Ausdruck. Die Parallele vor allem des Szepters des Aita auf dem Krater zum Schlangenspeer des Aita (eita) der Tomba Golini I sollte jedoch zusammen mit dem Gesamtkontext für den Krater jeden Zweifel an der Identifizierung des königlichen Quadrigafahrers als Aita ausräumen, und auch wenn sich um das Zepter des Mannes auf der Amphore zugegebenermaßen keine Schlange windet, sind doch die Parallelen in der Komposition des Kraters und der beiden Amphoren zu deutlich, um auf den verschiedenen Gefäßen die Darstellung verschiedener Personen anzunehmen; vgl. ganz ähnlich von Vacano 1962 S. 1533. Ganz anders Weege 1921 S. 52–54, der hier eine orphisch beeinflußte Szene sehen will, in der Persephone über die Seele des Toten Gericht halten wird, wozu Vanth mit ihrer Schriftrolle das „Schicksalsbuch des armen Mannes“ herbeibringt (was Weege dann ausführlich mit Dantes Wiedersehen mit Beatrice in der Göttlichen Komödie vergleicht). Dies ist freilich ganz von den Bedeutungen entsprechender mittelalterlicher Bilder her gedacht; für eine Zurückweisung entsprechender Interpretationen (auch dieser Interpretation der Vanth-Gruppe durch Weege), die in etruskischen Gemälden Höllenstrafen und Gerichtsszenen im mittelalterlichen Sinne sehen wol-
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Aufmerksamkeit hat hier unter anderem das Vorkommen der thyrsosähnlichen Stäbe erregt. Von Vacano meinte, daß „ihre tänzerische Bewegung, ihre Nacktheit und [der] auch vom vorauseilenden Hades getragene […] thyrsusartige […] Knospenstab“830 Vanth hier „etwas Mänadisches“ verleihen und wies in diesem Zusammenhang auf drei Stellen bei Aischylos und Euripides und eine bei Vergil hin (Aischylos, Eumeniden 499 f.; Euripides, Hekabe 1077 und Orestes 319 f.; Vergil, Äneis VII,346 ff.), in denen Tod, Eumeniden oder Furien und dionysisches Vokabular zusammen erscheinen, deren genaue Relevanz für die Deutung der Vanth-Gruppe aber teilweise recht unklar bleibt. So beziehen sich die 6A in Euripides, Hekabe 1077 gar nicht auf Dämonen, sondern auf die Trojanerinnen, die an Polymestor und seinen Söhnen blutige Rache genommen haben; man sollte vielleicht also am ehesten „tödliche rasende Weiber“ übersetzen.831 In Euripides, Orestes 319 f. bilden die Eumeniden einen gerade „unbacchischen Umzug unter Tränen und Klagen“; von Vacano erläutert nicht, inwiefern sich dies auf die Vanth dieser Vasen beziehen läßt. Hier wird zwar das Wort « verwendet, das für einen dionysischen Umzug gebraucht werden kann, aber ein « kann sich auch allgemein auf eine „Schar“ beziehen, die keineswegs dionysisch sein muß.832 Interessanter sind die
« „die den Menschen beobachtenden Mänaden“, als die sich die Eumeniden bei Aischylos, Eumeniden 499 f. selbst bezeichnen; aber da die beiden anderen von von Vacano angeführten griechischen Stellen die Annahme einer Verbindung zwischen dionysischen Mänaden und Eumeniden nicht untermauern können, scheint es auch hier vorzuziehen, « im primären Wortsinn als „Rasende“ aufzufassen, ohne gleich einen dionysischen Aspekt der Eumeniden anzunehmen, der sich mit dem thyrsosähnlichen Stab Vanths vergleichen ließe. Am nächsten kommt einem ‚dionysischen Aspekt‘ der Eumeniden und Furien noch die Furie Allecto in Vergil, Äneis VII,341–405, wo die Dämonin der Königin Amata eine quasi-bacchantische Raserei einhaucht; da Allecto selber aber am bacchantischen Treiben nicht teilnimmt und der Zweck ihres Handelns ist, größtmögliche Unruhe zu stiften, ist auch hier die Parallele zur Vanth, die ohne erkennbare Böswilligkeit selber einen thyrsosähnlichen Stab hält, nicht sehr ausgeprägt. Damit
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len, vgl. Pfiffig 1975 S. 204–208. Die neuere Forschung hat Weeges Vorschlag entsprechend nicht weiter aufgegriffen. Von Vacano 1962 S. 1535. Vgl. Collard 1991 S. 188 zur Stelle, der „hellish Bacchants“ übersetzt und dies als Metapher für die „murderous women possessed, as bacchants are by Dionysus, by Hades, Death“ deutet. Vgl. die Belegstellen zum Wort in Liddell und Scott 1996 s.v. ‚&«‘.
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scheint die Relevanz der von von Vacano beigebrachten klassischen Textstellen durchaus fraglich, und von Vacano hat es leider unterlassen, deutlich zu machen, worin genau er die Relevanz dieser Textstellen sehen wollte.833 Daß man aus diesen Stellen schließen könne, daß sich diese Vanth von der griechischen Überlieferung her als Erinys deuten ließe,834 ist jedenfalls fragwürdig. Die von von Vacano als mänadischer Zug erwähnte Nacktheit Vanths ist ähnlich zu bewerten: Einerseits sind zwar gerade westgriechische Mänadendarstellungen häufiger nackt als die des Mutterlands.835 Andererseits ist aber zumindest in den von Krauskopf et al.836 zusammengestellten Mänadendarstellungen die Nacktheit einer Mänade immer der seltenere Fall; Mänaden erscheinen zumeist bekleidet. Somit scheint es wahrscheinlicher, daß sogar in dem Fall, daß ein dionysischer Einfluß auf die Orvietaner Darstellungen vorliegt, die Nacktheit Vanths einen einheimischen etruskischen Charakterzug der Dämonin widerspiegelt. Auch von Vacano schließt am Ende seiner Diskussion damit, daß die möglichen Parallelen in der schriftlichen Überlieferung zu den Eumeniden und Furien und die möglichen Bezüge zur dionysischen Ikonographie (vor allem im thyrsosähnlichen Stab) kaum den etruskischen Gehalt der Darstellung erschließen, sondern eher eine für einen gebildeten zeitgenössischen Betrachter mögliche ‚Interpretatio Graeca‘ des Bildes darstellen, zumal schon Beazley darauf hingewiesen hat, daß die Stäbe den dionysischen Thyrsoi eben nur ähneln, aber keine Thyrsoi im eigentlichen Sinne sind, und daß solche Stäbe in der etruskischen Kunst einheimisch sind und auch sonst oft vorkommen;837 ihre Bedeutung bleibt freilich ganz unklar. Damit kann man zusammenfassend über das Verhältnis dieser Vanth zur klassischen Tradition sagen, daß zwar entfernte Ähnlichkeiten zu Elementen der Mänadenikonographie und 833
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Ebenfalls ohne weiteren Kommentar nur erwähnt ist ein Teil dieser Stellen bei Pfiffig 1975 S. 327, auch dort bezüglich der Vanth-Gruppe und nach der Umformulierung der griechischen Zitate zu urteilen wohl von von Vacano abhängig. Von Vacano 1962 S. 1535. Krauskopf et al. 1997 Bd. 8.1 S. 800. Krauskopf et al. 1997. Beazley 1947 S. 171; von Vacano 1962 S. 1536. Von Vacanos Vorschlag einer möglichen „griechischen Leseweise“ des Bildes durch einen gebildeten Etrusker ließe sich hinzufügen, daß in Süditalien und Sizilien orphische und dionysische Mysterien verbreitet waren, die den Teilnehmern ein seliges Leben nach dem Tode versprachen: Krauskopf et al. 1997 Bd. 8.1 S. 800. Krauskopf und Simon ziehen auf der Basis des dionysischen ikonographischen Materials eine Ausbreitung der dionysischen Mysterienvereine Unteritaliens und Campaniens nach Etrurien im 4. Jh. v. Chr. in Erwägung: Krauskopf et al. 1997 Bd. 8.1 S. 801. Dies wäre für die Figur Vanths insofern interessant, als sie hier in diesem Fall in den Kontext einer ausdrücklich positiven Jenseitshoffnung eingebunden wäre.
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(noch weniger) schriftlichen Quellen zu den Eumeniden und Furien bestehen, aber daß diese Parallelen insgesamt zu schwach sind, um eine direkte Prägung der Gestalt der Vanth durch diese Elemente plausibel zu machen.838 838
Auf diese alten Vorschläge von Vacanos mußte insbesondere eingegangen werden, da in jüngerer Zeit Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 182 f. einen ganz ähnlichen Zugang gewählt und hier ebenfalls „dionysische“ Züge gesehen hat, auch unter Bezugnahme auf von Vacano (vgl. ähnlich, aber nicht weiter ausgeführt Jannot 1997 S. 146; vgl. auch Krauskopf 1987 S. 68). Prinzipiell gelten gegen Weber-Lehmanns Ansicht dieselben Argumente wie gegen die Vorschläge von Vacanos. WeberLehmann geht nur in einer Hinsicht über von Vacano hinaus, als sie nämlich ein Beispiel einer völlig nackt dargestellten campanischen Erinys beibringen kann. Dies ermöglicht es ihr, auch Darstellungen von Vanth in völliger Nacktheit im Kontext griechischer Erinyenbilder zu sehen. Hiergegen ist allerdings zu sagen, daß diese nackte Erinys ein isoliertes Stück ist und im griechischen Bereich keine bekannten Parallelen hat (Schauenburg 1977 S. 249; Junge 1983 S. 31). Die nackte Vanth ist dagegen schon auf den Amphoren von Orvieto zweimal belegt und findet auch sonst in der etruskischen Jenseitsikonographie und unter den Darstellungen Vanths Parallelen (Weber-Lehmann 1997 [Vanth] Bd. 8.1 S. 182; vgl. auch im folgenden zu besprechende Stücke). Nacktheit und weitgehende Nacktheit sind für Vanth also ein gut bezeugter Zug, während Nacktheit für griechische Erinyen nur in einem einzigen Beispiel belegt ist. Die etruskische Regel aus der griechischen Ausnahme herzuleiten, scheint jedoch wenig überzeugend. Dies gilt umso mehr, als die isolierte nackte Erinys noch dazu aus Campanien und damit der näheren Umgebung des etruskischen Kulturraums stammt. Hier ist also eher ein Beispiel eines Einflußes der etruskischen Ikonographie auf die campanische anzunehmen als umgekehrt (vgl. Junge 1983 S. 31), wenn man nicht einfach einen Zufall bzw. künstlerische Freiheit annehmen will, was bei einem einzigartigen Stück durchaus möglich scheint; vgl. Schauenburg 1977 S. 250 f. Ferner ist gegen Weber-Lehmanns Verbindung Vanths mit Erinyen und Mänaden der Hinweis von Aellen 1994 S. 30 f. zu beachten, daß Furien und Mänaden in der italischen Vasenmalerei niemals vollständig assimiliert und immer sorgfältig unterschieden werden, und die Furien insbesondere keinen Thyrsos tragen. Interessant ist auch seine Bemerkung zu einer Erinys auf einem St. Petersburger Volutenkrater, die eine typisch mänadische Körperhaltung zeigt, aber keinen Thyrsos trägt: „Elle est enragée comme une ménade mais elle reste une Erinye.“ Die italischen Mänaden und Erinyen berühren sich in der rasenden Wut – nicht etwa in einer zur Schau gestellten Nacktheit, wie dies für die Vanth der Orvietaner Amphoren zu postulieren wäre, die ganz im Gegensatz zu den rasenden Erinyen und Mänaden zudem äußerst freundlich erscheint. Daher tragen in diesem Zusammenhang auch die literarischen Beispiele einer gegenseitigen Assimilation von Furien/ Erinyen und Mänaden nichts zum Verständnis bei, auf die Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 182 bei Aellen 1994 S. 31 Anm. 42 verweist (Euripides, Orestes 316 ff., 411; Hercules Furens 891 f., 898 ff.; Vergil, Äneis VII,404 f., X,39 ff.; Ovid, Metamorphosen XI,13 ff.; Orphischer Hymnus 69,7); denn hier bildet eben zerstörerische Wut und Raserei das tertium comparationis zwischen Erinyen und Mänaden. Gerade ein solcher Zug fehlt aber auf den Amphoren der Vanth-Gruppe. Die Freundlichkeit
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Interpretiert man auf dieser Basis die Friese der drei Vasen der VanthGruppe zusammenfassend in Hinblick auf ihre Aussage über das Wesen Vanths, so läßt sich Folgendes sagen: Vanth erscheint im Kontext der Jenseitsreise des Toten, ohne dem Toten feindselig zu sein. (Dies ist direkt vergleichbar mit ihrem Auftreten in der Tomba François, wo sie im Augenblick des Todes anwesend ist, ohne selbst feindselig gegen den Sterbenden tätig zu werden. Diese Anwesenheit im Moment des Sterbens läßt sich somit vielleicht als Anwesenheit am Beginn der Reise des Sterbenden ins Jenseits deuten.) Sie erscheint auf den Vasen der Vanth-Gruppe dabei in der Gesellschaft des Kerberos und damit am Eingang zur Unterwelt, den dieser bewacht; ihre Aufgabe mag also auch im Bereich gerade dieses Übergangs vom Bereich der Lebenden in den Bereich der Toten liegen.839 Sie hat hier somit eine spezifisch etruskische Funktion, die in dieser Form keine Parallelen in der griechischen Erinyen-Tradition hat –840 wohingegen diese auf eine Vielzahl der im folgenden zu besprechenden Vanth-Darstellungen einen starken Einfluß ausgeübt zu haben scheint. Ferner trägt Vanth wieder die ebenfalls schon bekannten großen Schulterflügel. Sie erscheint darüber hinaus nackt; dies ist wohl für den Charakter Vanths signifikant, da selbst im Falle einer Beeinflussung durch die Mänadenikonographie841 hier eine ungewöhnliche und daher signifikante Darstellungsweise gewählt wäre.842
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der Vanth-Darstellung unterstreicht nur, welche geistigen Welten Vanth und die Raserei der Erinyen und Mänaden voneinander trennen. Ganz ähnlich ist auch der Hinweis von Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 182 auf Junge 1983 S. 22 hier irrelevant: Junge weist dort auf Parallelen in der Verwendung von Schlangen bei der Darstellung von Erinyen und Mänaden in der attischen rotfigurigen Vasenmalerei hin – auf den Orvietaner Amphoren trägt Vanth aber keine Schlangen. Vgl. von Vacano 1962 S. 1535. Vgl. Wüst 1956 Spalten 163–166; Paschinger 1992 S. 47. Auch siehe unten S. 329 ff. zu den Erinyen. Vgl. Paschinger 1992 S. 147, die den Stab ohne jede weitere Begründung gegen die vorgebrachten Argumente als Thyrsos deutet und Vanth hier in den bacchischen Kreis gerückt und mit Zügen einer Mänade ausgestattet sieht – was für ihr äußerst materialreiches Buch leider sehr typisch ist. Der Unterschied zwischen den Stäben dieser Vasen und einem Thyrsos ist auch Fauth 1986 S. 121 f. entgangen. Die Darstellungsweise Vanths entspricht hier im Typus der nackten, schlanken, hochgewachsenen jungen Flügelfrau ganz dem Typus mancher Lasen, die insbesondere im Gefolge der etruskischen Liebesgöttin Turan oder in erotischen Szenen erscheinen (ebenso etwa Spinola 1987 S. 57); zu den Lasen vgl. Lambrechts 1992 (Lasa); siehe unten S. 272 ff. Sehr häufig werden Lasen als schlanke, nackte Flügelfrauen mit allen anatomischen Details auf etruskischen Handspiegeln dargestellt. Hier scheinen durchaus ikonographische Verbindungen zu bestehen, und die Darstellungsweise der nackten Vanth mag von der Darstellungsweise der nackten Lasen genommen sein. Dies würde implizieren, daß man wohl Parallelen zwischen dem
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Sie trägt eine Schriftrolle in der Hand, die ihren Namen festhält; denn daß es sich bei der Aufschrift um eine Namensbeischrift handelt, ist aus dem Vergleich mit der Tomba François deutlich, wo derselbe Name eindeutig als Namensbeischrift beigeschrieben ist.843 Damit ist zunächst unklar, ob das Motiv der Schriftrolle eine tiefere Bedeutung hat oder nur als elegantes Namensschild fungiert. Der Vergleich mit dem Krater der Vanth-Gruppe legt jedoch nahe, daß letzteres nicht der Fall ist: Auf dem Krater trägt die (vermutliche) Vanth eine geschlossene Schriftrolle ohne Aufschrift, so daß dieses Attribut auch ohne eine Funktion als Namensschild wichtig zu sein scheint. Was genau die Bedeutung der Schriftrolle ist, läßt sich aus den Friesen der Vanth-Gruppe jedoch nicht ablesen.844 Wichtig ist dieses Attribut in
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Charakter der Todesdämonin Vanth und der Gefolgschaft der Liebesgöttin gesehen hat, daß also entweder Vanth auch einen amourösen oder die Lasen auch einen sepulkralen Charakterzug besaßen, oder beides. Zum einzigen Bild einer Lasa mit Namensbeischrift und anscheinend chthonischen Konnotationen der so identifizierten Lasa vgl. Lambrechts 1992 (Lasa) Bd. 6.1 S. 224; von Vacano 1962 S. 1536; Spinola 1987 S. 57; unten S. 275. Obwohl die Gestalt der Lasa einen überwiegend erotischen Charakter hat, scheint sie in der fraglichen Darstellung nach Lambrechts in der Unterwelt aufzutauchen; Lambrechts schließt aber auch die Möglichkeit eines Fehlers auf etruskischer Seite nicht völlig aus. Entsprechend schreibt von Vacano, daß die Vanth der Orvietaner Amphoren als „Unterweltslasa“ aufgefaßt werden dürfe und daß die Grenzen zwischen Vanth und Lasa nicht immer scharf abgesteckt waren: Von Vacano 1962 S. 1536, ähnlich Paschinger 1992 S. 147. Für eine Besprechung weiterer Vanthdarstellungen, die sich im Sinne erotischer Konnotationen der Gestalt Vanths interpretieren lassen, s. die folgenden Seiten. Fauth 1986 S. 117 sieht die Verbindung von Liebes- und Todesaspekt in solchen Gestalten in einem klein- und vorderasiatischen Zusammenhang, ohne jedoch eine klare Darstellung spezifischer Parallelen vorzulegen. Daher führt es auch nicht weiter, eine eventuelle Bedeutung des Namens Vanth zum Inhalt der Schriftrolle in Beziehung zu setzen, contra die (freilich bewußten) Spekulationen bei de Grummond 2006 S. 221 f. Dies bringt ohnehin schon deshalb keinen Gewinn, weil sich zur Bedeutung und Etymologie von Vanths Namen keinerlei sichere Aussagen machen lassen, vgl. de Grummond 2006 S. 220 f.; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173; Steinbauer 1999 S. 493. Herbig 1955 Spalte 350 faßt die Schriftrolle als „Totenpaß, abgeschlossenes Lebensbuch oder ähnlich“ auf. Paschinger 1992 S. 147 deutet sie als „Schicksalsbuch“, ganz ähnlich de Grummond 2006 S. 222 et passim. Pfiffig 1975 S. 324 sieht in ihr den Botencharakter etruskischer Todesdämonen ausgedrückt. Messerschmidt 1931 deutete solche Schriftstücke als Befehlsschreiben des Unterweltsgottes, die den Dämon vor dem Todgeweihten gleichsam legitimieren, ihn in die Unterwelt abzuholen (S. 62); dies ist nach Pfiffig nicht nachweisbar (Pfiffig 1975 S. 324). Freilich ist aber der Unterschied zu Pfiffigs eigener Deutung nicht groß. Krauskopf läßt alles offen und schlägt vor, daß die Schriftrollen die Taten oder das Schicksal des Verstorbenen enthalten können: Krauskopf 1987 S. 77. Vgl. auch Spinola 1987 S. 61. Jannot denkt an
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jedem Falle insofern, als es ohne jede Vorlage in griechischen Bildwerken ist und so sicher rein etruskische Vorstellungen widerspiegelt, auch wenn diese sich im Detail nicht fassen lassen und unbekannt bleibt, was in der Rolle geschrieben steht.845 Auch gehört die Buchrolle zu den häufigsten Attributen früher Vanth-Darstellungen,846 was ihre Bedeutung nochmals unterstreicht.847
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einen heiligen oder liturgischen Text, genauer an libri Acheruntici und damit wohl eine Art Führer für das Jenseits: Jannot 1997 S. 157. Krauskopf 1987 S. 85 f., mit Beispielen für die Assoziation auch anderer etruskischer Todesdämonen mit Büchern und dem Schreiben. Krauskopf 1987 S. 86. In späteren Darstellungen erscheinen Vanth-Gestalten seltener mit einer Schriftrolle, aber häufiger mit Attributen wie Schlangen, Schwertern und Fackeln (ibidem mit S. 83 f.). Dies mag vielleicht – neben den von Krauskopf 1987 S. 83 f. genannten Gründen – auch damit zusammenhängen, daß die etruskischen Jenseitsvorstellungen im Lauf der historischen Entwicklung allgemein düsterer zu werden scheinen, vgl. etwa das heitere Jenseitsbankett der Tomba Golini I (Mitte bis 3. Viertel 4. Jh.; Steingräber 1985 [Katalog] Nr. 32) oder der Tomba del Triclinio (Ende 4. Jh.; Steingräber 1985 [Katalog] Nr. 11) mit den bedrohlichen Szenen der Tomba Tartaglia (2. Hälfte 3. – 1. Hälfte 2. Jh.; Steingräber 1985 [Katalog] Nr. 115) oder der Tomba del Cardinale (3.–2. Jh., Malereien wohl v. a. 2. Jh.; Steingräber 1985 [Katalog] Nr. 54); vgl. Krauskopf 1987 S. 86. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 183 gesteht bei ihrer Suche nach Verbindungen zwischen Erinyen und Vanth-Figuren zu, daß die Schriftrolle als Attribut Vanths nicht mit der Ikonographie der Erinyen verbunden werden kann. Sie sieht aber eine Verbindung zur textlichen Überlieferung zu den Erinyen, wo sie auf Aischylos, Prometheus 516 und Eumeniden 383 verweist. Nach diesen Stellen seien es „gerade die Erinyen, die sich der Taten des Menschen erinnern“ (Weber-Lehmann, ibidem). Dies verbinde die Erinyen mit der Buchrolle Vanths, die Weber-Lehmann entsprechend als Tatenbericht deutet. Diese Beobachtung ist vor allem insofern interessant, als somit sowohl Erinyen als auch Vanth den Besitz eines tieferen Wissens teilen würden, wie er als zumindest entfernt ähnlicher Charakterzug auch schon bei den Todesdämoninnen Nordwesteuropas deutlich geworden ist. Zugleich ist das Attribut der Schriftrolle jedoch nach wie vor ikonographisch ein rein etruskischer Zug, der keine Parallelen in der Erinyenikonographie findet; hier also eine späte direkte Entlehnung der Etrusker aus der griechischen Literatur sehen zu wollen, schiene schon aus diesem Grund schwerlich überzeugend. Eher hätte man es mit alten Parallelen in den Charakteren dieser Dämoninnen zu tun, die in beiden Kulturbereichen auf ganz unterschiedliche Weise ausgedrückt würden. Auch hier wäre jedoch zu bedenken, daß – wie Weber-Lehmann natürlich anerkennt – die Erinyen sich gerade der Übeltaten der Menschen erinnern, die sie rächen (Eumeniden 382f.). Vanth hingegen trägt die Schriftrolle auch bei sich, wenn sie den Toten zu einem Bankett ins Jenseits geleitet, wie in der Tomba Golini I (siehe unten S. 279ff.). Ein Sündenregister liegt hier also nicht vor – schließlich geleitet Vanth den Toten nicht an einen Strafort –, und einen positiven Tatenbericht aus einem Sündenregister herzuleiten, ist kaum plausibel. Auch wird von den Erinyen nicht gesagt, daß sie die Übeltaten ihrer Opfer
Vanthdarstellungen mit Namensbeischrift
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Fig. 9: Etruskische Wandmalerei an der Eingangswand der Tomba degli Anina, Tarquinia. 1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.
Die Tomba degli Anina Eine weitere Darstellung Vanths mit Namensbeischrift befindet sich in der Tomba degli Anina in Tarquinia.848 Es handelt sich um eine großformatige (etwa lebensgroße) Wandmalerei aus der 1. Hälfte des 3. Jh. v. Chr. (Fig. 9).849 Dargestellt sind Vanth und Charun, beide durch den auf Höhe der Knie zwischen den Beinen beigeschriebenen Namen identifiziert.850
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aufschreiben: Sie erinnern sich nur an sie. Insgesamt ist Weber-Lehmanns Verbindung des Gedächtnisses der Erinyen mit Vanths Schriftrolle daher nicht überzeugend. Allgemein zum Grab: Steingräber 1985 (Katalog) S. 290 (Nr. 40); Haynes 2005 S. 356 f. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174 (Nr. 4); Spinola 1987 S. 57. Rix 1991 Bd. 2 S. 65 (Vanth: Ta 7.77; Charun: Ta 7.76). Das Digamma (ζ) in Vanths Namen ist beschädigt, aber die Spuren sind noch eindeutig die eines solchen. Der Rest der Namensbeischrift ist gut erhalten. (Autopsie im März 2008.)
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Die zwei Dämonen sind zu beiden Seiten des Grabeingangs unmittelbar neben diesem farbenprächtig an die Wand gemalt. In der Größe entsprechen beide etwa der Höhe der Eingangstür; Vanth ist etwas kleiner. Durch ihre Größe und Farbigkeit dominieren die beiden Dämonenbilder dabei das ganze Grab. Die Malereien der Tomba degli Anina bilden mehrere voneinander abgegrenzte Gruppen, die zu verschiedenen Zeiten angebracht wurden; die Darstellungen von Charun und Vanth gehören wohl zu den ältesten Gemälden des Grabes, da die Tür später (vermutlich zum Hereinbringen von Sarkophagen) verbreitert wurde, wodurch Teile beider Dämonen verlorengegangen sind.851 Beide Dämonen sind halb frontal, halb seitlich dargestellt und scheinen sich gerade dem Eingang des Grabes zuzuwenden und einen Schritt in Richtung auf die Tür zu zu machen; ihre Körperhaltungen entsprechen einander in etwa symmetrisch zur Mittelachse des Eingangs. Beide haben große Schulterflügel und tragen halbhohe Stiefel. Die Flügel Charuns sind beige mit schwarzen Umrissen ausgeführt, die Flügel Vanths erscheinen deutlich farbiger in rotbraun, blau, weiß und schwarz (und erinnern so an die Farbigkeit ihrer Flügel in der Tomba François).852 Charun hält in der Rechten einen langstieligen großen Hammer, Vanth hält in der Linken eine brennende Fackel. Die nach vorne ausgestreckte rechte Hand Vanths ist durch die Verbreiterung des Eingangs verloren, ebenso die nach vorne unten ausgestreckte linke Hand Charuns.853 Beide Dämonen haben halblange braune Haare, die bei Charun etwas mehr ins Rötliche spielen; Charun hat einen Vollbart, eine geierschnabelähnliche Hakennase und hellblaue Haut. Vanth ist mit ebenmäßigen Zügen und leicht gebräunter Haut dargestellt. Sie trägt einen in der Taille aufgerollten kurzen braun-weißen Chiton,854 der durch zwei braune Träger gehalten wird, die zwischen ihren Brüsten verlaufen. Ansonsten ist ihr Oberkörper nackt. Die Bekleidung Vanths mit kurzem Chiton und Stiefeln entspricht der typischen Jägerinnentracht der Erinyen. Auch daß der Teil des Chitons, der den Oberkörper bedecken sollte, bis auf die Taille heruntergerollt oder -geklappt ist und der Oberkörper damit bis auf die Tragebänder nackt erscheint, entspricht unteritalischen Vorbildern. Ebenso zählt die Fackel zu 851 852
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Steingräber 1985 (Katalog) S. 290 (Nr. 40). Für Farbbilder vgl. Steingräber 1985 Tafeln 11 und 12. Möglicherweise deuten die Unterschiede in der Farbigkeit der Flügel zwischen Vanth und Charun darauf hin, daß die bunte Farbgebung der Flügel für Vanth spezifisch ist und ihr eine besondere Bedeutung zukommt. Siehe oben Anm. 796. Für Spekulationen zu einem in der verlorenen Hand gehaltenen Attribut vgl. Spinola 1987 S. 57. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174.
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den Attributen der Erinyen.855 So zeigt eine rotfigurige apulische Amphore (um 320–310 v. Chr.) eine sitzende Erinys mit großen Schulterflügeln, halbhohen Stiefeln, einem herabgerollten Chiton und Kreuzbändern über der nackten Brust; in der Linken hält sie eine Fackel.856 Auf einem rotfigurigen apulischen Volutenkrater aus den Jahren um 350 v. Chr. fällt eine Erinys mit kurzem Chiton, nacktem Oberkörper, Kreuzbändern über der nackten Brust, halbhohen Stiefeln und großen Schulterflügeln in einer Unterweltsszene über Theseus her.857 Auf einer rotfigurigen apulischen Amphore um 330 v. Chr. erscheint eine Erinys in einem Chiton, mit Kreuzbändern über der (hier bedeckten) Brust, mit großen Schulterflügeln, halbhohen Stiefeln, einer Fackel in der rechten und einem Schwert in der linken Hand.858 Solche Züge lassen sich damit nicht verwenden, um die spezifisch etruskischen Charakterzüge Vanths zu erschließen, da hier Bildelemente der griechischen Erinyenikonographie übernommen zu sein scheinen. Sie lassen nicht mehr als den Schluß zu, daß man zwischen den Erinyen und Vanth allem Anschein nach wohl genug Ähnlichkeiten sah, um die Ikonographie der Erinyen für Vanth zu übernehmen. Wie weitreichend diese Ähnlichkeiten waren und welcher Aspekt dabei das tertium comparationis bildete, bleibt zunächst unklar.859 Das Bild Vanths für sich genommen läßt somit kaum weitere Schlüsse zu; daher ist als nächstes seine Lage und sein Kontext zu betrachten. Die beiden Dämonendarstellungen neben dem Grabeingang datieren jedoch vermutlich früher als die übrigen Malereien des Grabes860 (die auch sämt855 856 857 858 859
860
Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 180. Sarian 1986 (Erinys) Nr. 111 (mit Abb.). Sarian 1986 (Erinys) Nr. 8 (mit Abb.). Sarian 1986 (Erinys) Nr. 102 (mit Abb.). Dennoch hat man – meines Erachtens in sehr impressionistischer Weise und ohne Untermauerung durch die Quellen – versucht, die Symbolik der Fackel in Vanths Hand zu deuten: Manino 1980 S. 66 f. schlägt vor, Charuns großen Hammer als ein Werkzeug aufzufassen, mit dem er am unterirdischen Felsengrab arbeitet und den Zugang zum Grab vor der Bestattung öffnet; Vanth könnte dann seine Gehilfin sein, die ihm mit der Fackel bei der Arbeit leuchtet. Krauskopf 1987 S. 77, de Grummond 2006 S. 221 und Jannot 2005 S. 61 sehen in Vanths Fackel ein Werkzeug, mit dem Vanth den Weg des Toten im Jenseits beleuchtet. (Dagegen vgl. Scheffer 1991 S. 56, wo sie darauf hinweist, daß die Fackel in der Regel in einer Weise und in einer Umgebung getragen wird, die nahelegt, daß es sich bei ihr nicht um einen Lichtspender, sondern um ein Amtssymbol handelt – etwa wenn sie im hellen Tageslicht verwendet wird; vgl. Jannot 1997 S. 156.) In Vanths festem Schuhwerk, das ebenso wie die Fackel der Erinyenikonographie entspricht, hat man einen Hinweis auf das rauhe Terrain gesehen, das sie auf dem Weg ins Jenseits durchquert (de Grummond 2006 ibidem; Jannot 2005 S. 63). Paschinger 1992 S. 18, 47.
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lich deutlich nachlässiger ausgeführt sind) und stehen in keiner erkennbaren direkten Beziehung zu ihnen, die sich im Sinne eines ikonographischen Gesamtkonzeptes interpretieren ließe. Damit bleibt nur noch der Ort der Anbringung des Bildes als Hinweis auf seine Funktion: Die Gemälde Vanths und Charuns flankieren prominent und großformatig den Eingang der Grabkammer. Auf den Amphoren der Vanth-Gruppe erschien die Dämonin neben Kerberos, dem Bewacher des Eingangs zur Unterwelt. Vielleicht stellt der Eingang des Grabes eine zentrale Wegmarke auf der Reise des Verstorbenen ins Jenseits dar; die Anwesenheit Vanths an diesem Punkt könnte dann der Anwesenheit Vanths am Eingang ins Totenreich entsprechen, den Kerberos auf den Amphoren andeutet. In diesem Fall würde die Vanth der Tomba degli Anina wiederum eine zentrale Station der Jenseitsreise des Toten bewachen. Daß das Grab durch sein Bildprogramm grundsätzlich mit dem Jenseits identifiziert werden konnte, zeigt das Beispiel der Tomba Golini I:861 Die Wände dieses Grabes sind mit den Darstellungen eines Jenseitsbanketts geschmückt, dem das Herrscherpaar der Unterwelt vorsitzt; das Grab wird so zu einem unterweltlichen Festsaal, und damit wird die Grabtür zugleich zur Unterweltspforte.862 Daß dies auch in der Tomba degli Anina der Fall war, scheint zwar strenggenommen nicht eindeutig beweisbar; doch würde es sich bei der Lokalisierung Vanths an der Unterweltspforte keineswegs um einen isolierten Einzelfall handeln. Vanth-Figuren werden in der etruskischen Sepulkralkunst vielmehr sehr häufig an ‚Unterweltspforten‘ dargestellt. Eine solche Bestimmung der Pforten, an denen Vanth oft erscheint, wird dabei nicht nur durch deren allgemeinen Sepulkralkontext gestützt, sondern läßt sich an einer Serie zumeist (bzw. ursprünglich) polychrom bemalter Terrakottaurnen des 2. Jh. v. Chr. aus Chiusi auch ganz konkret illustrieren (Fig. 10).863 Diese Urnen zeigen am rechten Rand ihres Bildfeldes ein zweiflügeliges Tor. Etwas links der Mitte steht eine Vanth-Gestalt: Eine Flügelfrau mit langem, gelbem Gewand mit blauem Mittelstreifen und großen, rot und blau bemalten Schulterflügeln. Mit ihrer rechten Hand ergreift sie anscheinend den Unterarm eines Mannes zu ihrer Rechten; sie scheint ihn in Richtung auf das Tor zu ziehen, da sie sich mit dem Oberkörper in diese Richtung lehnt, als würde sie mit ihrem ganzen Körpergewicht einen unwilligen Verstorbenen ins Jenseits zerren. Zu ihrer Linken und damit zwischen ihr und der zwei861
862 863
Steingräber 1985 (Katalog) S. 286 f. (Nr. 32); diese Parallele wird auch von Paschinger 1992 S. 47 gezogen. Siehe ausführlich unten S. 279 ff. Datierung nach Angaben des Museo Archeologico Nazionale in Chiusi; vgl. WeberLehmann 1997 (Vanth) Nr. 18 (ein Exemplar dieser Serie).
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Fig. 10: Etruskische Terrakottaurne aus Chiusi. 2. Jh. v. Chr.
flügeligen Pforte sind ein weiterer Mann, der dreiköpfige Unterweltshund Kerberos (mit rotglühenden Augen) und eine Fackel dargestellt; was die Flügelfrau mit ihrer Linken tut – ob sie den Höllenhund an einem Halskragen packt und bändigt oder ob sie die Fackel hält – bleibt im in billiger Massenproduktion hergestellten Relief unklar.864 Die Darstellung des Höllenhundes neben der Pforte weist diese Pforte als Tor zur Unterwelt aus, das von Kerberos bewacht wird.865 Auch dieses Auftreten einer Vanth-Figur an der Unterweltspforte mag eine Deutung stützen, welche die Grabespforte, neben der Vanth in der Tomba degli Anina wacht, mit der Unterweltspforte assoziiert, neben der auf diesen Urnen Vanth und Kerberos erscheinen. Damit ist es wohl vertretbar, wenn Paschinger Charun und Vanth hier als „Wächter am Tor zur Unterwelt, mit dem die Grabtür gleichzusetzen 864
865
Beschreibung der Farbigkeit nach einem Stück im Museo Archeologico Nazionale in Chiusi, Inv.-Nr. 62 775 (alte Inv.-Nr. 169A) (=meine Fig. 10); Stücke mit dem gleichen Relief, aber ohne (erhaltene) Farbfassung, habe ich auch im Museo Civico in Fiesole gesehen (Inv.-Nr. 2535 und Inv.-Nr. 2534). Auf allen drei Exemplaren konnte ich nicht ausmachen, was die Dämonin mit ihrer Linken faßt – Hund, Fackel, oder den zweiten Mann. Autopsie im Juli 2008. Für ein weiteres Exemplar derselben Serie vgl. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Nr. 18; Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 S. 68 f. mit Fig. 13 und Tafel 57.8 (jedoch in der Beschreibung [S. 68] ungenau oder auf einem minderwertigen Exemplar beruhend; vgl. richtig die Beschreibung bei Weber-Lehmann 1997 [Vanth] Bd. 8.1 S. 175). Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 S. 68.
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Etrurien: Vanth
ist“,866 deutet. Wichtig ist dabei auch Paschingers Hinweis, daß es sich bei der Vanth als „Wächterin am Tor zur Unterwelt“ um einen rein etruskischen ikonographischen Typus handelt.867 Nebenbei sei auch hier auf die Farbigkeit von Vanths Flügeln hingewiesen,868 sowie auf den Unterschied zwischen dem Kerberos der Vanth-Gruppe aus dem 4. Jh., der niedlich und nahezu karikaturhaft harmlos wirkt, und dem Kerberos der späten Urne, der den Eindruck erweckt, als wolle er sich eben mit rotglühenden Augen auf sein Opfer stürzen, das von Vanth zur Jenseitspforte gezerrt wird. Der positive Blick der frühen Zeit auf das Jenseits scheint (mit dem Verlust der politischen Bedeutung Etruriens im Kampf gegen Rom?) brüchig geworden zu sein.869 Ein Spiegel mit der Reinigung des Orestes Ganz griechischer Ikonographie verpflichtet ist eine weitere Vanth mit Namensbeischrift auf einem gravierten Bronzespiegel aus dem 3. Viertel des 4. Jh. v. Chr., der im späten 19. Jh. in Perugia erworben wurde (Fig. 11);870 sein archäologischer Kontext ist der Herkunft aus dem Kunsthandel entsprechend verloren. Der 18,8 cm breite und 20 cm hohe Spiegel871 zeigt eine von einem vegetabilen ornamentalen Band eingerahmte Szene aus vier anthropomorphen Figuren, einem Ferkel und Landschaftselementen. Im Zentrum der Szene kniet Orestes (urste). Er ist nackt, hält in der Rechten ein blankes Schwert mit der Klinge nach oben und umfaßt mit dem linken Arm und der rechten Faust einen mit einem Muster aus überkreuzten Bändern geschmückten und oben gerundeten niedrigen Säulenstumpf. Über ihm hält Apollon (aplu) ein Ferkel mit der Linken an einem Hinterbein, in der Rechten hält er ein Messer. Eine weibliche Gestalt in einem langen Gewand mit der Namensbeischrift metua beugt sich von rechts über den Säulen-
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868 869 870
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Paschinger 1992 S. 18. Paschinger 1992 S. 47. Viele etruskische Parallelen ohne Namensbeischrift sind bei Paschinger 1992 S. 48–54 zusammengestellt. Eine Vanth-Figur, die zusammen mit einem Charun den Eingang eines Grabes flankiert, befindet sich noch in der Tomba dei Festoni in Tarquinia aus der 2. Hälfte des 3. Jh. v. Chr.: Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Nr. 28. Siehe oben S. 228 mit Anm. 796. Vgl. oben Anm. 846. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173 f. (Nr. 1); Knoepfler 1993 S. 86 f. (Nr. 71); Junge 1983 S. 252 (K 130); Bates 1911 S. 461; nach Spinola 1987 S. 59 datiert ins 2. Jh. Bates 1911 S. 461. Alle Lesungen der Namensbeischriften nach Rix 1991 Bd. 2 S. 359 (OI S. 67) und Bates 1911 S. 461–463.
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Fig. 11: Etruskischer Bronzespiegel aus Perugia. 3. Viertel 4. Jh. v. Chr.
stumpf hinweg zu Apollon und faßt das Ferkel mit der rechten Hand am Bauch. Sie steht auf einer durch ein Bodenmuster angedeuteten Felsformation, ebenso wie Apollon. Hinter Apollon sitzt Vanth (van) auf einem Felsen. Sie blickt zu Apollons Gesicht oder dem Ferkel auf. Vanth trägt ein langes Gewand, unter dem aber die weiblichen Körperformen deutlich dargestellt sind. In der rechten Faust hält sie eine Schlange hinter ihrem Kopf gepackt; der Schlangenleib windet sich bis zur Schulter hinauf mehrmals um Vanths Arm.
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Es handelt sich um die Reinigung des Orestes von der Blutschuld, die er durch die Tötung seiner Mutter Klytaimnestra auf sich geladen hatte.872 Apollon vollzog diese Reinigung in Delphi durch das Opfer eines Ferkels. Die Szene ist im griechischen Bereich sowohl literarisch als auch ikonographisch bezeugt; Bates verweist etwa auf einen apulischen Glockenkrater (390–380 v. Chr.) mit demselben Thema und teilweise ähnlicher Figurenanordnung (Fig. 12): Die Erinyen erscheinen dort als (flügellose) Frauen mit Chiton, Kreuzbändern über der (bedeckten) Brust, halbhohen Stiefeln und Schlangen in den Haaren; zwei von ihnen werden eben vom Geist der Klytaimnestra aufgeweckt, während Apollon ein Ferkel über Orest hält, Artemis von rechts ins Bild tritt und eine weitere Erinys am unteren Bildrand auftaucht.873 Die Figur der metua auf dem Spiegel ist unklar; Bates denkt an eine Furie, die das Reinigungsritual stören will,874 Pfiffig interpretierte den Namen als Medeia,875 Paschinger deutet sie als Medusa, wobei sie einen Schreibfehler des Graveurs annimmt, aber ohne den Platz der Medusa in dieser Szene wirklich verständlich zu machen,876 und Junge schlägt eine Deutung als Priesterin des Heiligtums in Delphi oder als Artemis vor.877 Die Felsen dürften die bergige Landschaft von Delphi andeuten; der gemusterte und gerundete Säulenstumpf stellt den heiligen Omphalos dar, an dem Orestes Zuflucht sucht.878 Die mythische Thematik verlangt die Gegenwart der Erinyen in dieser Szene, vor denen sich Orestes nach Delphi flüchtet, um bei Apollon Hilfe zu finden. Der von Bates herangezogene großgriechische Krater zeigt ebendiese Gestalten an der Stelle in der Bildkomposition, an der auf dem etruskischen Spiegel Vanth sitzt; diese Erinyen tragen Schlangen in den Haaren, so wie Vanth eine in der Hand
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Bates 1911 S. 461–464; Paschinger 1992 S. 191–193; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174; de Grummond 2006 S. 132; etwas distanziert Pfiffig 1975 S. 328. Bates 1911 S. 459–461 mit Abb. 1 (=meine Fig. 12); ebenso Paschinger 1992 S. 192 f. mit Abb. 331a. Zum selben Vasenbild (Sarian 1986 [Erinys] Nr. 63) und einem vergleichbaren Stück vgl. auch Sarian 1986 (Réflexions) S. 29 f. mit Abb. 5; Junge 1983 S. 126 f. (K 24) et passim mit Abb. im Tafelteil. Bates 1911 S. 463; ebenfalls als Erinys wird metua von Krauskopf 1985 S. 315 gedeutet. Pfiffig 1975 S. 328; ebenso Knoepfler 1993 S. 87 („la prêtresse Médée (METUA) prend une part active au sacrifice“); Spinola 1987 S. 59 sieht sie als Assistentin beim Opfer, denkt zugleich jedoch auch an eine funktionale Beziehung zu Vanth und den Erinyen – sie wäre also eine Erinys, die beim Reinigungsritual hilft, was ausgesprochen merkwürdig schiene. Paschinger 1992 S. 192 mit Anm. 1639 S. 295. Junge 1983 S. 72 f. Bates 1911 S. 463; Paschinger 1992 S. 192.
Vanthdarstellungen mit Namensbeischrift
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Fig. 12: Apulischer Glockenkrater. 390–380 v. Chr.
hält.879 Vanth erscheint hier somit als interpretatio Etrusca der griechischen Erinyen, ohne daß an Vanths Gestalt irgendwelche Züge erkennbar wären, die rein etruskische Vorstellungen widerspiegeln müßten. Hier sitzt eine ganz griechische Erinye, der ein etruskischer Dämonenname beigeschrieben ist.880 In keiner anderen Darstellung Vanths mit Namensbeischrift liegt eine so deutliche Identifizierung der etruskischen Dämonin mit den Erinyen vor.881
879 880
881
Das Attribut der Schlange ist hier als Charakteristikum der Erinys auch nach von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 147 aus Unteritalien übernommen. Vgl. Junge 1983 S. 36, 72 f. Paschinger sieht die Schlange in der Hand Vanths als einen Hinweis auf eine einheimische Vorstellung einer Schlangengöttin (Paschinger 1992 S. 191–205 mit reichem Vergleichsmaterial, dessen direkte Verbindung zu Vanth aber nur teilweise überzeugt); Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 180 weist dagegen darauf hin, daß auch die Schlangen zum typischen Repertoire von Erinyendarstellungen gehören; dies schließt zwar nicht aus, daß sie auch zu Vanth als solcher gehören könnten, ohne daß dazu griechischer Einfluß nötig wäre, aber dies kann nicht mehr sein als eine bloße Möglichkeit. Paschinger 1992 S. 193; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 181.
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Ein Spiegel mit dem Tod des Troilos Ähnlich ist der Fall einer Vanth mit Namensbeischrift auf einem gravierten Bronzespiegel aus dem 3. Jh. v. Chr., dessen Herkunft schon Gamurrini nur allgemein als die Gegend von Bolsena angeben konnte (Fig. 13);882 eine in großen Buchstaben ausgeführte und für Spiegel aus den Gräbern der Region Bolsena typische Inschrift uina (nach Steinbauer: „Grabbeigabe“)883 auf der spiegelnden Seite der Spiegelscheibe macht den Spiegel unbrauchbar und deutet auf seine Herkunft aus einem Grab hin.884 Die von einem breiten Kranz eingerahmte Szene der Bildseite zeigt im Zentrum Achilleus (ale) und Ajax (evas), beide in Rüstung und mit dem Schild in der Linken und dem Schwert in der Rechten. Ajax schwingt sein Schwert über seinem Kopf. Achilleus hält mit seiner rechten Hand nicht nur das Schwert, sondern auch den abgeschlagenen Kopf des Troilos (truil(e)); der Kopf ist beschädigt. Hinter Achilleus und Ajax ist die Fassade eines Tempels sichtbar, angedeutet durch einen Dreiecksgiebel auf vier Säulen. Auf Hüfthöhe vor den beiden befindet sich eine kleine Statue in einem langem Gewand und mit Speer und Schild, die auf einem Podest steht, in das die Namensbeischrift zum Kopf des Troilos integriert ist. Vor diesem Podest liegt der Kadaver eines gestürzten Pferdes. Von rechts eilt Hektor (etur) ins Bild. Er trägt Schild und Schwert und scheint ansonsten bis auf einen Schultergurt nackt; nichtsdestoweniger sind jedoch unter seinem rechten Ellbogen und zwischen seinen Beinen die Enden eines Gewandes sichtbar. Am linken Rand des Bildes steht Vanth (van). Sie trägt ein halblanges, mit einem Sternenmuster verziertes Gewand885 und halbhohe Stiefel. Das rechte Bein hat sie auf eine Felsformation gesetzt, die rechte Hand stützt sie auf das rechte Knie. In der linken Hand hält sie eine große Fackel. Sie hat große Schulterflügel, die sie aber nicht ausgebreitet, sondern
882
883 884 885
Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174 (Nr. 5); Gamurrini 1875 S. 86 (vgl. Körte in Gerhard et al. 1840–1897 Bd. 5 S. 146); Spinola 1987 S. 58 (allerdings mit gründlicher Mißdeutung des Bildes: Er erkennt weder den Pferdekadaver, noch daß Troilos schon enthauptet ist; richtig dagegen schon: Enking 1943 S. 60, deren Deutung auch nach nochmaliger Überprüfung am Original im August 2008 unbedingt beizubehalten ist). Alle Lesungen nach Körte in Gerhard et al. 1840–1897 Bd. 5 S. 146 f., entsprechen Rix 1991 Bd. 2 S. 349 (Vs S. 22). Der Spiegel befindet sich heute im Britischen Museum, London, Castellani Collection, GR 1873.8–20.108 (Bronze 625). Steinbauer 1999 S. 472; Text nach Rix 1991 Bd. 2 S. 104 (Vs 4.89). Gamurrini 1875 S. 87. Pfiffig 1975 S. 327; Paschinger 1992 S. 97.
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Fig. 13: Etruskischer Bronzespiegel aus Bolsena. 3. Jh. v. Chr.
anscheinend hinter dem Rücken gefaltet hat. Sie scheint nach rechts aus dem Bild zu blicken und steht ruhig da, ohne in erkennbarer Weise vom blutigen Geschehen des Bildes berührt zu sein. Der Spiegel zeigt eine Szene unmittelbar nach Achilleus’ Mord an Troilos. Troilos hatte seine Schwester Polyxena zu Pferde zum Wasserholen begleitet. Achilleus lauerte ihm im Hinterhalt auf; Troilos floh zum Heiligtum des Apollon, wo Achilleus ihn am Altar des Tempels erschlug. Den herbeieilenden trojanischen Kriegern warf er Troilos’ abgeschlagenen
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Etrurien: Vanth
Kopf entgegen.886 Körte deutete die kleine Statue auf dem Altar vor Achilleus und Ajax als Athena, die der etruskische Graveur hier eingesetzt hat, obwohl die Handlung sich eigentlich im Heiligtum des Apollon abspielt;887 Paschinger deutet sie als einen altertümlicheren Typ eines Kultbildes des Apollon.888 In keinem Fall bestehen Zweifel an der Deutung der durch die dargestellten Handlungselemente und die Namensbeischriften identifizierten Szene aus der griechischen Mythologie.889 Die Frage ist, was sich hieraus für die Charakterisierung Vanths ergibt. Es handelt sich wieder um eine Szene mit tödlichem Ausgang, aber eine Deutung Vanths als Seelengeleiterin ist hier nicht naheliegend, da der tote Troilos nur durch seinen Kopf vertreten ist, während die Hauptfiguren der Szene diese überleben werden; man könnte bestenfalls von Vanths offenbarem Desinteresse am Zusammenstoß von Achilleus und Ajax mit Hektor her argumentieren, daß sie diese zu ignorieren scheint, da ihre eigentliche Aufgabe mit dem Tod des Troilos abgeschlossen ist und sie mit dem Nachspiel nichts weiter zu tun hat. Paschinger beschreibt Vanth hier als „unbeteiligte Zuschauerin“890 und mißt dem Detail des Sternenschmucks ihres Gewandes große Bedeutung bei, das „zu allen Zeiten und bei allen Völkern nur der Regina caelestis zu[stand]“891 – wogegen zu sagen ist, daß etwa auch zwei Erinyen auf einer paestanischen Vase aus den Jahren um 350–330 v. Chr. sternengeschmückte Gewänder tragen,892 so daß auch hier ein Einfluß der unteritalischen Erinyenikonographie vorliegen kann. Somit wäre es eine naheliegendere Deutung, diese Vanth mit von Vacano als Erinys aufzufassen.893 Weber-Lehmann schlägt vor, Vanth hier als eine Verkörperung des Unheils zu deuten, das Achilleus durch die Schändung des Heiligtums des Apollon über sich bringt und das zu seinem Tod führen wird; dabei weist sie darauf hin, daß auch ein solcher Gebrauch mit dem Gebrauch der Erinyen in der unteritalischen Vasenmalerei übereinstimmen würde.894 Auch diese Vanth
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Eiben 2002; Mayer 1916–1924 Spalte 1226. Für Belegstellen und einen Überblick über die vielfältigen Varianten der Überlieferung vgl. Mayer 1916–1924. Körte in Gerhard et al. 1840–1897 Bd. 5 S. 147 f. Paschinger 1992 S. 98. Körte in Gerhard et al. 1840–1897 Bd. 5 S. 146–148; Mayer 1916–1924 Spalte 1229; Pfiffig 1975 S. 327; Paschinger 1992 S. 97 f.; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174, 181 f. Paschinger 1992 S. 97 f. mit Vergleichsmaterial in Darstellungen ohne Namensbeischrift ibidem S. 97–101. Paschinger 1992 S. 97. Sarian 1986 (Erinys) Nr. 88 (mit Abb.). Von Vacano 1962 S. 1547 f. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 181 f.
Vanthdarstellungen mit Namensbeischrift
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mag also eine ganz unteritalische Erinys mit einem etruskischen Namen sein.895 Der Sarkophag der Hasti Afunei Ebenfalls einen starken Einfluß griechischer Bildformeln, die aber in interessanter Weise variiert sind, zeigt ein Relief auf dem Alabastersarkophag der Hasti Afunei aus Chiusi aus dem 2. oder 3. Jh. v. Chr. (Fig. 14).896 Der Dekkel des Sarkophags zeigt die Tote als vollplastische Figur einer halb sitzenden, halb liegenden reich geschmückten Frau, mit Kissen auf den Sarkophag als Liege gebettet. Das aus zehn Figuren bestehende Relief, in dem Vanth auftritt, ist auf der Längsseite des Sarkophags angebracht. Die Namensbeischriften sind auf der Randleiste über den Köpfen der Figuren aufgemalt.897 Dargestellt ist wohl der Abschied der Verstorbenen von ihren Hinterbliebenen.898 Die Verstorbene, Hasti Afunei (h. [as]ti: afunei:), steht nahe dem rechten Rand des Reliefs. Dicht hinter ihr steht eine Dämonin mit großen Schulterflügeln, die ein Gewand wie das der Vanth in der Tomba degli Anina trägt, nämlich einen kurzen, in der Taille aufgerollten Chiton, der noch über den Knien endet. Ihre Brüste sind unbedeckt. Zwischen Hals und Brüsten sind Spuren der Träger des Gewandes zu erkennen, die zwischen den Brüsten zusammenlaufen. Die Beine sind zur Bestimmung des Schuhwerks zu beschädigt. Die Namensbeischrift ist nicht erhalten; Paschinger hat Reste eines l ausgemacht und die Dämonin als Leinth gedeutet;899 jedenfalls aber scheint es sich nicht um eine Beschriftung als
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899
Vgl. Krauskopf zu diesem Stück und einer vergleichbaren Charun-Darstellung: „Es wird den meisten Etruskern nie gelungen sein, Erinyen und Todesdämoninnen auseinanderzuhalten […]“ (Krauskopf 1987 S. 85). Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174 (Nr. 6); Spinola 1987 S. 58. Herbig 1952 S. 42: Kurz vor 100 v. Chr. Haynes 2005 S. 317 (Bildunterschrift zu Abb. 222): Ende des 3. Jh. Herbig 1952 S. 42. Lesungen nach Rix 1991 Bd. 2 S. 254 (Cl 7.4) und Pfiffig 1975 S. 327. Dies ist die communis opinio, etwa de Ruyt 1934 S. 213; Haynes 2005 S. 316. Diese Deutung wurde von Kerényi 1935 S. 421 f. abgelehnt, nach dessen Interpretation sich die gesamte Szene in der Unterwelt abspielt und Hasti Afunei hier von ihren Ahnen im Reich der Toten willkommen geheißen wird. Für das Verständnis Vanths spielt diese Alternative allerdings keine Rolle: Es macht für ihren Charakter letztlich keinen Unterschied, ob sie die Tote eben abholt oder eben ans Ziel gebracht hat. Für die detaillierte Begründung vgl. Paschinger 1992 S. 24. Bei Rix 1991 Bd. 2 S. 254 (Cl 7.4) findet sich hierzu keine Entsprechung. Zu Leinth vgl. de Ruyt 1934 S. 216.
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Fig. 14: Etruskischer Alabastersarkophag der Hasti Afunei aus Chiusi. 2. oder 3. Jh. v. Chr.
Vanth gehandelt zu haben.900 Die Dämonin hat die linke Hand an die linke Seite der Hasti Afunei gelegt und scheint sie von ihrem Vater Larth Afuna (lar: afuna:) wegzuziehen.901 Larth Afua steht der Verstorbenen gegenüber und faßt sie am linken Handgelenk, während sie sich an seinem Gewand und seiner Schulter festhält. Beide sehen sich dabei an. Hinter Larth Afuna steht Thanch(vil) Afunei (an[vil: ---(-)n]ei:), die Schwester von Hasti Afunei,902 und legt ihrem Vater (tröstend?) die linke Hand auf seine rechte Schulter. Hinter ihr steht wohl ihr Gatte, gefolgt von einem Bruder der Hasti Afunei mit seiner Gattin und seinem Sohn.903 Bis auf Larth Afuna halten 900 901
902 903
Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 181. Larth Afuna als Vater der Hasti Afunei: Pfiffig 1975 S. 327; Paschinger 1992 S. 23. Für die Diskussion der Verwandtschaftsverhältnisse der Figuren im mittleren Teil des Frieses, die allgemein als Angehörige der verstorbenen Hasti Afunei aufgefaßt werden, vgl. Pfiffig 1975 S. 327; Paschinger 1992 Anm. 74 (S. 224). Von Vacano 1962 S. 1537 hatte Larth Afuna als den Ehemann der Verstorbenen gedeutet, ebenso Krauskopf 1986 (Cul´san´s und Cul´su) S. 157 (beide ohne Begründung). Pfiffig 1975 S. 327; Paschinger 1992 Anm. 74 (S. 224). Pfiffig 1975 S. 327; Paschinger 1992 Anm. 74 (S. 224).
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die Männer der Familie jeweils eine Buchrolle in der Hand. Alle tragen lange Gewänder; nur beim Neffen der Verstorbenen bleibt der halbe Oberkörper unbedeckt. Die Oberkörper der Frauen der Familie (gleich ob tot oder lebendig) sind sämtlich bedeckt. Am linken Rand des Reliefs ist ein zweiflügeliges Tor in einem gemauerten Bogen dargestellt. Ein Torflügel ist geöffnet; aus ihm tritt die nur hier sicher inschriftlich bezeugte Dämonin Cul´su (cul´su). Cul´su trägt halbhohe Stiefel und wie die Dämonin am rechten Rand des Reliefs einen kurzen Chiton, dessen oberer Teil heruntergelassen ist, so daß der Oberkörper unbedeckt bleibt. Die Träger dieses Gewands laufen von den Schultern herkommend zwischen den Brüsten zusammen und sind dann nicht weiter dargestellt.904 Sie hat keine Flügel. In der rechten Hand trägt sie eine große brennende Fackel, die sie auf ihrer rechten Schulter abstützt. In der linken Hand hält sie einen kleinen Gegenstand (oder einen Satz mehrerer kleiner Gegenstände), der unter anderem als Schere oder Schlüsselbund gedeutet worden ist.905 Zwischen dem Torbogen und den Verwandten der Verstorbenen steht Vanth (van; Fig. 15). Auch sie trägt halbhohe Stiefel. Vanth hat hier zwar keine Schulterflügel, aber zwei aus der Frisur herausragende kleine Kopfflügel.906 Sie hat einen langen Stab mit
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So von Vacano 1962 S. 1537 zu beiden Gestalten. Paschinger 1992 S. 23 nimmt an, daß hier die (auch und gerade auf Darstellungen ohne Namensbeischrift äußerst häufigen) Kreuzbänder zu einem „torques-artig[en] Halsring“ geworden sind. Deutung als Schere, die eine Verbindung zu den Parzen als Abschneiderinnen des Lebensfadens sieht: Herbig 1952 S. 42; von Vacano 1962 S. 1534 Anm. 4 und S. 1537–1539; Pfiffig 1975 S. 327, 330; Spinola 1987 S. 58; vgl. Paschinger 1992 S. 23 f. Diese Deutung wird abgelehnt von Krauskopf 1986 (Cul´san´s und Cul´su) S. 158 f., unter anderem da zu dieser Zeit keine solchen Scheren archäologisch bezeugt sind und die belegten Typen ganz anders aussehen. Sie schlägt eine Deutung als Haken oder einfache Schlüssel vor, bleibt aber auch hier skeptisch, da archäologisch keine genau vergleichbaren Gegenstände belegt sind. Jannot 2005 S. 163 sieht hier Zangen, die zur Entfernung der Riegel des Tores dienten, vgl. Jannot 1997 S. 150 Abb. 4. Ganz isoliert steht die Meinung von Enking da, daß es sich hier um eine Schwertscheide handle: Enking 1943 S. 53. Zu Cul´su allgemein vgl. Enking 1943 S. 48–59 (mit der Kritik bei von Vacano 1962 S. 1538 Anm. 1); Pfiffig 1975 S. 330 f.; Krauskopf 1986 (Cul´san´s und Cul´su); Krauskopf 1986 (Culsu); Krauskopf 1987 S. 17; Jannot 1997 S. 147 f.; Steinbauer 1996; Steinbauer 1999 S. 263 f., 338, 413 (mit Vorschlägen für weitere Belege); Jannot 2005 S. 163 et passim; Paschinger 1992 deutet eine große Zahl von Darstellungen ohne Namensbeischrift als Darstellungen der Cul´su (über das ganze Buch verstreut). De Ruyt 1934 S. 213; von Vacano 1962 S. 1537, 1539 (von Vacano schlägt vor, daß die Ersetzung der großen Schulterflügel durch Kopfflügel raumbedingt sein könnte: S. 1539 Anm. 3); Paschinger 1992 S. 23; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 180. Solche Kopfflügel sind in Darstellungen ohne Namensbeischrift, die Vanth oder eine ihr verwandte Dämonin zeigen könnten, auch sonst gut belegt, vgl. etwa Pa-
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Fig. 15: Detail des Sarkophags der Hasti Afunei.
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drei Zinken am unteren Ende unter die linke Achsel geklemmt. Dabei hält sie diesen Gegenstand mit der rechten und locker mit der linken Hand in einer Körperhaltung fest, die zu suggerieren scheint, daß sie sich auf ihn lehnt, obwohl er gar nicht den Boden berührt und auch keine Bruchstelle sichtbar ist, die nahelegen würde, daß er ursprünglich bis zum Boden gereicht hätte. Das Objekt wird als großer Schlüssel oder Riegel gedeutet.907 Sie trägt Schmuck, der an die Träger ihres Gewandes in der Tomba degli Anina erinnert: Zwei von den Schultern herkommende Bänder laufen zwischen ihren nackten Brüsten zusammen, wo sie in einer Rosette zusammentreffen. Auffallend und problematisch ist die Weise, in der Vanths Kleidung drapiert ist: Nach von Vacano ist das Manteltuch – von der linken Schulter herkommend und schließlich über den Rücken auch wieder dorthin zurücklaufend – so um die Knie, die untere Hälfte der Oberschenkel und das Gesäß der Dämonin geschlungen, daß der Schambereich nackt bleibt.908 In einer Photographie, die mir das Museo Archeologico Regionale in Palermo zur Verfügung gestellt hat, scheinen mir jedoch unter dem rechten Ellenbogen der Dämonin, der über ihrem Bauch abgewinkelt ist, eine oder zwei Gewandfalten sichtbar zu sein. Dabei bleibt allerdings ganz undeutlich, wie dieses Gewand an der rechten Körperseite verlaufen würde; zudem wird der genaue Verlauf des Gewands an der linken Körperseite durch einen Riß im Stein verunklart. Die Details von Vanths Bekleidung scheinen mir auf der Basis der mir vorliegenden Photographien daher kaum zu bestimmen; die im Grunde dringend nötige Autopsie des Sarkophags ist nach Museumsangaben derzeit bedauerlicherweise jedoch nicht möglich.909 Nichtsde-
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schinger 1992 Abb. 78b, Abb. 279, Abb. 282; vgl. ferner die geflügelten Medusenhäupter Paschinger 1992 Abb. 320 bis Abb. 324 und öfters. Herbig 1952 S. 42; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174; de Grummond 2006 S. 222 f. Schlüssel: Enking 1943 S. 59; Herbig 1955 Spalten 350 f.; von Vacano 1962 S. 1537, 1539; Pfiffig 1975 S. 327 (mit Vergleichsmaterial); Spinola 1987 S. 58, 61; Scheffer 1991 S. 57 Anm. 22; Paschinger 1992 S. 23 mit Anm. 76 (S. 225); Jannot 1997 S. 146; Jannot 2005 S. 163; Haynes 2005 S. 316. Riegel: Krauskopf 1986 (Cul´san´s und Cul´su) S. 158 mit Anm. 26 (S. 162 f.). Von Vacano 1962 S. 1537 f. Auch de Ruyt 1934 S. 213 faßte die Figur als weitgehend nackt auf. Der originale Sarkophag ist z. Zt. nicht zugänglich (briefliche Mitteilung des Museo Archeologico « A. Salinas », Palermo, vom 7. Mai 2008; der Sarkophag hat dort die Inventarnummer Sammlung Casuccini 24). – Die Darstellung eines nackten Schambereichs wird von Paschinger 1992 S. 166 mit Zeichnung Abb. 5 abgelehnt. Die Zeichnung bei Paschinger stellt Vanths Schambereich bekleidet dar; sie beruht allem Anschein nach auf dem Stich in Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 Tafel LIV Nr. 1, da etwa der Faltenwurf von Vanths Gewand in beiden Zeichnungen in identischer Weise von der Photographie bei Herbig 1952 Tafel 55 Abb. b und der mir vom Mu-
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stoweniger ist in jedem Fall festzuhalten, daß sich das Schamdreieck der Dämonin im Relief deutlich abzuzeichnen scheint – sei es nun, daß der Unterleib der Dämonin nackt ist (wie von Vacano annimmt), oder daß sie hier etwa nur eine Art dünnes, wenig verhüllendes Untergewand trägt (was mir wahrscheinlicher zu sein scheint). Durch den dicken Wulst, den das Manteltuch unterhalb von Vanths Schamdreieck bildet, wird dieses in jedem Fall geradezu betont hervorgehoben. Dies muß schon deshalb ins Auge stechen, weil die entsprechenden Manteltuchwülste bei anderen Figuren des Reliefs durchgehend oberhalb der Hüfte verlaufen.910 Damit stellt sich wieder die Frage nach dem Beitrag dieses Reliefs zur Charakterisierung Vanths. Hier nicht sehr aussagekräftig ist die Darstellungsweise Cul´sus und der Dämonin am rechten Rand des Reliefs, da sich beide – bis auf die mögliche Schere, die auf den ersten Blick einen Hauch einer Schicksalsmacht im Sinne der Parzen hinzufügen könnte, aber von Krauskopf überzeugend zurückgewiesen worden ist –911 in den Konventionen der Ikonographie klassischer Erinyen bewegen. Auch Flügel und die Stiefel Vanths sind Elemente der Erinyenikonographie912 (die Flügel dürften aber nichtsdestoweniger zugleich auch ein einheimisches Konzept ausdrücken, da sie auch in der nackten Darstellungsweise bezeugt sind, die sich von den Erinyen nicht herleiten läßt). Wichtig ist hingegen das Erscheinen Vanths in dämonischer Gesellschaft. Daß Vanth und die beiden anderen Dämoninnen in derselben Szene zusammen auftreten und daß die beiden anderen Dämoninnen in einer Art dargestellt werden, die so auch für Vanth verwendet werden kann (möglicherweise mit Ausnahme der „Schere“), scheint anzudeuten, daß es sich bei Vanth nicht um eine isolierte Einzelgestalt handelt, sondern – wie bei den Walküren und den irischen Bodbs – entweder um eine Gestalt, die Teil einer Gruppe verwandter Wesen ist, oder um einen Kollektivbegriff. Die Gegenüberstellung von „Vanth“ und „Cul´su“ in diesem Relief scheint darauf hinzuweisen, daß Vanth von Cul´su als Individuum abgegrenzt ist; dies könnte implizieren, daß es sich bei
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seum zur Verfügung gestellten Photographie abweicht. Aufgrund der Abweichung der Umzeichnungen von den Photographien leisten sie zur Klärung der Frage jedoch keinen Beitrag. Ohne Korrektur ist der Stich Körtes auch in de Grummond 2006 Abb. X.18 (S. 224) reproduziert. Meine Beschreibung des Sachverhalts in Egeler 2009 (Perspektiven) S. 411 mit Anm. 68, die ohne Berücksichtigung unveröffentlichten Materials nur die Tafeln Herbigs herangezogen hatte (Herbig 1952 Tafel 55 Abb. b; Tafel 57 Abb. a), ist entsprechend überholt (was freilich für das Gesamtbild kaum einen Unterschied macht). Siehe oben Anm. 905. Vgl. von Vacano 1962 S. 1540.
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Vanth um einen individuellen Dämon handelt, der neben verwandten, aber von Vanth unterschiedenen Dämonen steht.913 Aber auch der gegenteilige Schluß ist gezogen worden, und de Grummond hat bemerkt, wie nahe man in der Gestalt Cul´sus dem Konzept von „Vanth“ als Gattungsbezeichnung mit einem Beinamen komme.914 Haynes vermutet in Cul´su „eine andere mit Toren verbundene Erscheinungsform von Vanth“,915 und ganz ähnlich deutet Jannot den Namen Cul´su als eine Epiklese Vanths. Der eigentliche Name der Gestalt wäre dann Vanth Cul´su, was etwa „Vanth von der Pforte“ bedeuten könnte.916 Ob man „Vanth“ nun als Gattungs- oder als Individualnamen auffaßt, im einen wie im anderen Fall könnte man schlußfolgern, daß ein Kollektiv etruskischer Todesdämoninnen mit anscheinend verwandter Funktion und zumindest weitestgehend austauschbarer Ikonographie existierte. Die (hier nicht weiter wichtige) Frage wäre dann nur, ob „Vanth“ Oberbegriff oder ein Individuum dieser Dämonenschar war.917 Der nächste Punkt von Interesse ist die Handlung des Bildes. Die Verstorbene wird von einer Dämonin – anscheinend recht sanft – von ihren Verwandten fortgebracht; die Blickrichtung von Dämonin und Toter weist auf ein Tor hin, neben dem Vanth wartet und aus dem eine andere Dämonin heraustritt (während alle Lebenden in die entgegengesetzte Richtung blicken).918 Das nächste Tor, das die Tote, von der Dämonin geleitet, zu 913
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So Enking 1943 S. 53, 59, 66. Sie faßt dabei Cul´su als Hüterin des Hauses und des Grabes, Vanth als Keren-haften Schadegeist und die am rechten Bildrand dargestellte Dämonin als Seelengeleiterin auf (ibidem S. 58, 66 et passim). Vgl. die Kritik bei von Vacano 1962 S. 1538 f. mit Anm. 1 (S. 1538). De Grummond 2006 S. 223; daß „Vanth“ als Oberbegriff für weibliche Todesdämonen verwendet werden kann, wird auch von Krauskopf 1986 (Cul´san´s und Cul´su) S. 157 f. vermutet; vgl. von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 143. Haynes 2005 S. 316. Auf ihre aufgrund eines möglichen inschriftlichen Belegs auf einem Weihegeschenk aus dem 7. Jh. v. Chr. geäußerte Annahme (ibidem), daß Vanth ursprünglich eine Einzelgestalt war, wird noch zurückzukommen sein, siehe unten S. 309 f. Jannot 1997 S. 147 f. Anders Jannot: Nach ihm drücken die Darstellungen einer Vielzahl von Vanth-Gestalten die Vielfalt der Funktionen Vanths aus, nicht jedoch die Existenz einer Vielzahl individueller Vanths. Vgl.: „Ici le divin s’exprime, en raison de la profusion et de l’omniprésence de son action, par la multiplication des apparences de la divinité.“ (Jannot 1997 S. 162 f., Zitat: S. 162.) Diese These ist so esoterisch, daß sie sich nicht sinnvoll diskutieren, erst recht nicht entscheiden läßt; sie kann weder widerlegt noch bewiesen werden. Dasselbe ließe sich für die Gestalten der Walküren und der Bodbs mit gleichem Recht oder Unrecht behaupten; daher berührt die an diesem Punkt äußerst spekulative Zugangsweise Jannots die vorliegende Arbeit nicht. Grundsätzlich plausibel erscheint Jannots These nicht. Vgl. Paschinger 1992 S. 24 f.
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durchschreiten hat, ist wohl das Tor der Unterwelt, und so ist auch allgemein die Pforte, aus der Cul´su kommt, als in aller Wahrscheinlichkeit die Pforte ins Totenreich gedeutet worden,919 ganz entsprechend der oben angesprochenen Aschenurne, auf der ein solches Tor vom Höllenhund Kerberos bewacht wird. Der Schlüssel (oder Riegel), den Vanth hält, wäre dann vielleicht der Schlüssel (bzw. Riegel) zu dieser Pforte.920 Dies wäre ein weiterer Beleg für Vanths Bedeutung für die Reise des Toten ins Jenseits und würde sich so bruchlos zur Vanth der Tomba François, der Vanth am Eingang der Tomba degli Anina und der Vanth der Amphoren aus Orvieto fügen.921 Dabei ist wichtig, daß es sich bei der Funktion als Seelengeleiterin um einen Zug handelt, der für die etruskischen Gestalten in dieser positiven Form spezifisch ist und nicht von den Erinyen entlehnt sein kann.922 Schließlich ist noch die ungewöhnliche Bekleidung Vanths zu erwähnen, die Vanths Schambereich betonend hervorhebt; von Vacano spricht gar von einer „Unterweltsaphrodite“ (eine Deutung, die in Anbetracht der besonderen Drapierung des Mantels insgesamt davon wenig berührt werden dürfte, ob Vanths Scham nun unbedeckt ist oder sich unter einem dünnen
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Herbig 1952 S. 42; von Vacano 1962 S. 1539; Pfiffig 1975 S. 327; Krauskopf 1986 (Cul´san´s und Cul´su) S. 157; Paschinger 1992 S. 23, 47; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174; de Grummond 2006 S. 223. Herbig 1952 S. 42; von Vacano 1962 S. 1539; Paschinger 1992 S. 23; de Grummond 2006 S. 223. Ob man die Funktionen der einzelnen Dämonen auf dem Relief nach der Nähe zur Toten und der Enge der Verbindung zum Tor noch differenzieren kann, scheint mir fraglich. Zweifellos ist es richtig, daß dieses Relief zeigt (wie Weber-Lehmann 1997 [Vanth] Bd. 8.1 S. 181 bemerkt), daß auch eine andere Dämonin als Vanth die Begleitung der Verstorbenen übernehmen kann (es sei denn, „Vanth“ ist ein Gattungsbegriff); andererseits scheint Vanth das Tor zur Unterwelt eben entriegelt zu haben, was zeigt, daß sie eine ebenso zentrale Stellung für die Jenseitsreise der Toten hat wie die unmittelbar Begleitende. Ähnliches gilt für Krauskopfs Unterscheidung, daß die namenlose Dämonin den Augenblick des Todes verkünde, Vanth die Tote auf dem Weg zur Unterwelt geleite und Cul´su die Tote auf der Schwelle zur Unterwelt in Empfang nehme (Krauskopf 1986 [Cul´san´s und Cul´su] S. 157): Wenn Cul´su mit der Schwelle zur Unterwelt enger verbunden ist als Vanth (Krauskopf 1986 [Cul´san´s und Cul´su] S. 159), warum hat dann Vanth den Schlüssel? Ebenfalls ganz impressionistisch ist die Deutung von Spinola, der in den drei Dämoninnen drei verschiedene, aufeinander folgende Momente des Todes sieht (Hinscheiden, Übergang, endgültige Trennung vom Diesseits): Spinola 1987 S. 58. Vgl. Wüst 1956 Spalten 163–165. Die Erinyen schleppen zwar ihre Opfer in die Unterwelt, sie erscheinen dabei jedoch als die Entführer von Übeltätern, die sie ihrer Strafe überantworten, nicht als Seelengeleiter in einem positiven Sinn (auf die Erinyen wird noch ausführlicher zurückzukommen sein, siehe unten S. 329 ff.).
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Kleidungsstück nur auffallend deutlich abzeichnet).923 Dies fügt sich gut zur Nacktheit der Vanth der Amphoren aus Orvieto und dazu, daß in der Tomba degli Anina zwar eine Erinyenikonographie zur Darstellung Vanths gewählt wurde, aber doch gerade eine, bei der Vanth wiederum halbnackt erscheint (was bei griechischen Erinyen keineswegs immer der Fall ist). Auch hier scheint also ein wichtiger und wiederkehrender Charakterzug Vanths ausgedrückt zu sein. Diese Vanth ist eine Gestalt, die eher erotische als furchteinflößende Züge trägt, und entsprechend hebt Krauskopf die Todesdämoninnen des Sarkophags der Hasti Afunei unter den Dämonendarstellungen der hellenistischen Zeit heraus, wo sonst eine Tendenz zu einer furchteinflößenden Gestaltung unter Einfluß der Ikonographie der griechischen Erinyen zu beobachten ist.924
Vanthdarstellungen mit zweifelhafter Namensbeischrift Eine Urne mit dem Zweikampf von Eteokles und Polyneikes Damit ist die Zahl der zweifelsfreien Belege Vanths mit Namensbeischrift bereits erschöpft. Zumeist wird unter den inschriftlich gesicherten Belegen Vanths noch eine Alabasterurne aus Chiusi aus dem 2. Jh. v. Chr. angeführt, wo sie ähnlich der Vanth der Orvietaner Amphoren eine Schriftrolle hält, auf der in der Veröffentlichung des Reliefs durch Körte deutlich ihr Name zu lesen ist (Fig. 16; für eine neue Photographie vgl. Fig. 17).925 Von Vacano hat hiergegen angemerkt, daß die Schriftzeichen auf der Urne unleserlich seien und die Zeichnung bei Körte nicht mit den heute erhaltenen Spuren
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Von Vacano 1962 S. 1540 (zustimmend: Fauth 1986 S. 123). Ferner weist von Vacano auf den Halsschmuck Vanths hin, von dem die erhaltenen Reste nicht sagen lassen, ob es sich um einen reinen Schmuck oder um die Reste von Trägern handelt. Ein solcher Schmuck aus gekreuzten Bändern ließe sich mit dem Körperschmuck von Venusfiguren auf Urnen und Darstellungen von lagernden Frauen auf Sarkophag- und Urnendeckeln vergleichen; andererseits gehören Kreuzbänder als Träger (in deutlich anderer Gestaltung, die mit den Schmuckbändern nicht zu verwechseln ist) aber auch zur Tracht der Erinyen (ibidem Anm. 1). Falls der Schmuck Vanths hier an eine Art von Schmuck angelehnt sein sollte, die häufig bei Venusdarstellungen belegt ist, könnte auch dies auf einen ‚aphrodisischen‘ Zug im Charakter der Todesdämonin Vanth hinweisen. Krauskopf 1987 S. 83–85, besonders S. 85. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174 (Nr. 7); Spinola 1987 S. 58 f.; veröffentlicht in Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 2 Tafel 36 (=meine Fig. 16); die Inschrift wird ohne Vorbehalte auch bei Rix 1991 Bd. 2 S. 254 (Cl 7.3) angeführt.
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Fig. 16: Etruskische Alabasterurne aus Chiusi, historische Dokumentation. 2. Jh. v. Chr.
Fig. 17: Etruskische Alabasterurne aus Chiusi, Neuaufnahme.
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übereinstimme.926 Nach Rallo sei die Inschrift heute völlig vergangen (geschrieben 1974), jedoch sei sie einige Jahre zuvor noch lesbar gewesen.927 Dagegen verwies von Freytag darauf, daß die Eintiefungen auf der Urne nicht sicher von Buchstaben herstammen und daß die erhaltenen Reste eine Lesung „Vanth“ ausschließen.928 Weber-Lehmann führt die Urne unter den durch Beischrift gesicherten Vanthdarstellungen an und referiert die Zweifel an der Inschrift ohne Bewertung.929 Eine Autopsie der Urne in Chiusi im Juli 2008 hat ergeben, daß die Inschrift auf der Schriftrolle in Vanth’s Hand aufgemalt war (Fig. 18). Das Digamma (ζ) ist noch deutlich erkennbar, die übrigen Buchstaben sind restlos vergangen. Wo sich auf der Photographie unterhalb des Digammas Buchstabenreste abzuzeichnen scheinen, die mit einer Namensinschrift ζAN in der Tat nicht gut vereinbar wären, handelt es sich nur um Kratzer auf der Schriftrolle, die durch Schatteneffekte dunkel hervortreten. Diese Kratzer haben nichts mit der Inschrift zu tun, da das Digamma ohne Vorritzung auf die glatte Fläche aufgemalt ist; damit sind auch die Bedenken von Freytags gegenstandslos. Die Kratzer sind mit derselben Patina überzogen wie der Rest der Urne und sind daher alt. Die Erhaltung gerade des Digammas dürfte dadurch bedingt sein, daß die Hand, welche die Schriftrolle hält, einen Vorsprung bildet, der den Buchstaben wie ein Dach schützt. Der Verlust des übrigen Schriftzuges könnte durch ein Abwaschen der Urne im 20. Jh. bedingt sein; der vormalige Direktor des Chiusiner Nationalmuseums, Mario Iozzo, hat mich freundlicherweise darauf hingewiesen, daß die Urne sogar mit Säure abgewaschen worden sein könnte. Dies würde erklären, warum das durch den Vorsprung der Hand geschützte Digamma erhalten, der Rest der in der alten Abbildung von Körte dokumentierten Inschrift aber heute vergangen ist. Die Lesung „Vanth“ wird auch im alten handschriftlichen Inventar des Museo Civico von Chiusi überliefert; der fragliche Band wurde nach einer entsprechenden Bemerkung auf der letzten Seite des Manuskripts am 29. 12. 1918 abgeschlossen.930 Insgesamt scheinen mir daher Zweifel an der Authentizi926 927 928 929 930
Von Vacano 1962 S. 1531 Anm. 1. Rallo 1974 S. 51 Anm. 2. („L’iscrizione, purtroppo, ora è del tutto svanita. Ebbi però l’occasione di accertarne la lettura qualche anno fa, quando ancora si leggeva van.“) Von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 143 Anm. 562. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174. Comune di Chiusi: Inventario delle suppellettili antiquarie che si trovano nel Museo Civico e che sono di proprietà del Comune suddelto. Band I, dort Nr. 984 (was noch heute die Inventarnummer der Urne ist, inzwischen Eigentum des Chiusiner Museo Archeologico Nazionale; die Urne befindet sich jetzt als Dauerleihgabe im neuen Museo Civico in Chiusi und ist dort ausgestellt). Das Manuskript wird im Museo Archeologico Nazionale di Chiusi aufbewahrt. Die letzte Ziffer des Datums ist etwas unleserlich. Für
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Fig. 18: Etruskische Alabasterurne aus Chiusi, Detail.
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tät der von Körte, Rallo und dem Inventar überlieferten Namensbeischrift hyperkritisch zu sein und beruhen vermutlich eher auf einer Fehldeutung von Photographien als einer Überprüfung des Originals. Die Urne hat seit den Tagen Körtes auch sonst gelitten – Körte stellt die Hand, welche die Schriftrolle hält, noch intakt dar; heute ist sie jedoch zerschlagen, und diese Bruchstelle ist frisch und ohne Patina. Das Relief zeigt zwei Krieger, die sich mit gezogenen Schwertern gegenüberstehen. Beide tragen je einen Brustpanzer, einen Helm( ? ) und einen kurzen Umhang und halten in der Rechten ein Schwert, in der Linken einen großen Rundschild. Der Rundschild des rechten Kriegers ist dem Betrachter zugewandt; auf ihm ist ein Gorgoneion als Schildzeichen angebracht. Zwischen den beiden Kriegern taucht Vanth aus der Erde auf. Ihr Oberkörper ist nackt und massig-muskulös; sie hat große Schulterflügel, und von der Taille abwärts trägt sie ein Gewand. Etwa auf halber Höhe der Oberschenkel verschwindet sie in der Erde. Ihr Kopf ist leicht nach links geneigt. In der rechten Hand hält sie eine halb aufgerollte Schriftrolle mit den Resten einer Namensbeischrift, die sie dem im Relief rechts stehenden Krieger entgegenzustrecken scheint. Mit ihrer linken Hand hält sie eine große, brennende Fackel geschultert. Die sehr häufigen Darstellungen dieser Art, in denen sich zwei Krieger gegenüberstehen oder sich gegenseitig töten, werden zumeist als Darstellungen des Todes der beiden Ödipus-Söhne Eteokles und Polyneikes aus dem Sagenkreis der ‚Sieben gegen Theben‘ gedeutet, die vor der Stadt im Zweikampf gegeneinander beide fielen.931 Das mythische Sujet mag also griechisch sein. Entsprechend schlägt Weber-Lehmann zur Interpretation dieses Bildtyps vor, daß es sich bei der hier dargestellten Vanth um die Erinys des Ödipus handle, auch wenn griechische Parallelen fehlen würden.932 Auch die Fackel, die Vanth geschultert hält, gehört zur Ikonographie der griechischen Erinyen.933 Zugleich hat Weber-Lehmann aber darauf hingewiesen, daß eine Herleitung der halbnackten Flügelfrau mit einer Schriftrolle als Attribut aus der griechischen Erinyenikonographie nicht möglich
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den Hinweis und Zugang zum Manuskript danke ich Mario Iozzo, dessen freundliches Entgegenkommen und Hilfsbereitschaft auch ansonsten nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden können. Für eine Reproduktion der Stelle vgl. Egeler 2009 (Perspektiven) S. 416 Fig. 6. Etwa de Ruyt 1934 S. 212; Rallo 1974 S. 51; Pfiffig 1975 S. 327; Paschinger 1992 S. 17 f., 25–28 (mit Vergleichsmaterial zu diesem Relief); Spinola 1987 S. 58; WeberLehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 174; vgl. den Katalog bei Wüst 1956 Spalten 154–156. Unentschieden: Enking 1943 S. 59 f. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 181. Vgl. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 180. Für Beispiele siehe oben S. 247.
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ist.934 Für eine Charakterisierung Vanths besonders festzuhalten sind hier also die Flügel in Verbindung mit der weitgehenden Nacktheit und der Schriftrolle, sowie der kriegerisch-gewalttätige Kontext. Ein Sarkophagdeckel mit einer Flügelfrau Schließlich ist im Kontext der inschriftlich gesicherten Vanth-Darstellungen noch der Deckel eines Nenfrosarkophags aus Vulci aus der 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zu nennen (Fig. 19).935 Dieser Sarkophagdeckel zeigt das Relief einer halbnackten, wie zum Bankett gelagerten Flügelfrau mit einem Vogel (Taube?). Paschinger hatte hier eine stark beschädigte Inschrift als ζAN rekonstruiert.936 Die Photographie, mit der Paschinger ihre Lesung belegt,937 läßt sich meines Erachtens nur mit gutem Willen in ihrem Sinne interpretieren. Weber-Lehmann kann Paschingers Lesung nach nochmaliger Überprüfung am Original nicht bestätigen.938 Der Deckel dieses Sarkophags ist als Giebeldach gestaltet, dessen Dachschrägen das Bild als Relief tragen, wobei die vordere Dachschräge in tieferem Relief ausgearbeitet ist als die vielleicht unvollendete hintere Dachschräge.939 Das Relief zeigt eine liegende jugendliche, schlanke Flügelfrau. Sie scheint leichte Schuhe zu tragen und hat einen Mantel um Beine und Hüfte gelegt. Ein Teil dieses Mantels mag um ihren linken Arm geschlungen sein, falls es sich hierbei nicht um ein separates Tuch handelt. Der Oberkörper der Flügelfrau ist nackt. Sie hat den Oberkörper leicht aufgerichtet und auf den angewinkelten linken Ellenbogen gestützt; dabei wendet sie den Kopf weit nach hinten, so daß ihr Gesicht im Profil erscheint, während der Oberkörper frontal und die Beine in leichter Seitenansicht dargestellt sind. Ihre Haare trägt sie zu einem hohen Knoten am Hinterkopf frisiert. Sie blickt auf einen nicht eindeutig zu identifizierenden Gegenstand, der eine teils beschädigte, teils absichtlich getilgte Inschrift
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Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 182 mit Bezugnahme auf das vorliegende Relief. Zu der ibidem S. 183 angesprochenen campanischen Darstellung einer gänzlich nackten Erinys siehe oben Anm. 838. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178 (Nr. 47); Lambrechts 1992 (Lasa) Bd. 6.1 S. 219 (Nr. 25). Paschinger 1988 (Namensbeischrift); Paschinger bei Cristofani 1991 S. 296–298 (dort Nr. 7); Paschinger 1992 S. 178. Paschinger 1988 (Namensbeischrift) Spalte 165 Abb. 5a. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173. Herbig 1952 S. 31; Paschinger 1988 (Namensbeischrift) Spalten 157, 163.
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Fig. 19: Deckel eines etruskischen Nenfrosarkophags aus Vulci. 2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
trug;940 ein Teil dieser Inschrift wurde von Paschinger als Namensbeischrift „Van&“ gedeutet. Herbig interpretiert diesen Gegenstand als aufgehängten Kranz, Paschinger als Stele.941 Die Füße der Flügelfrau ruhen an einem Polster( ? ),942 auf ihrem rechten Unterschenkel sitzt eine flügelschlagende Taube.943 Die beiden großen Schulterflügel der Flügelfrau nehmen fast die gesamte hintere Dachschräge des Sarkophagdeckels ein. Die anscheinend weitestgehend unvollendete Figur unter den Spitzen der Flügel der Dämonin wird von Herbig als eine bärtige geflügelte Schlange gedeutet.944 Paschinger sieht das Schwanzende dieser Schlange von den Fingern der rechten Hand der Flügelfrau berührt.945 Nach Weber-Lehmann kommt die Schlange aus einem Felsen hervor.946 Da die Inschrift wohl als vollständig zerstört zu betrachten ist, ist diese Flügelfrau sowohl als Lasa als auch als Vanth angesprochen wor-
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Paschinger 1988 (Namensbeischrift) Spalten 162, 169 f. Herbig 1952 S. 31; Paschinger 1988 (Namensbeischrift) Spalte 161; Paschinger 1992 S. 177. Der Gegenstand ist unklar, vgl. Herbig 1952 S. 31 und Paschinger 1988 (Namensbeischrift) Spalte 158. Herbig 1952 S. 31; Pashinger 1988 (Namensbeischrift) Spalte 158. Herbig 1952 S. 31. Für ein ausgearbeitetes Beispiel einer etruskischen geflügelten Schlange vgl. Herbig 1952 Tafel 30.1. Paschinger 1988 (Namensbeischrift) Spalte 163; Paschinger 1992 S. 177. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178.
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Etrurien: Vanth
den.947 Lasen sind weibliche Gottheiten des etruskischen Pantheons, die als (zumeist geflügelte) junge, elegante weibliche Wesen dargestellt werden, oft weitgehend oder gänzlich nackt und häufig im Umfeld der etruskischen Liebesgöttin Turan oder in erotischen Kontexten.948 So zeigt das zweite Bildfeld eines reich verzierten gravierten Bronzespiegels aus Vulci aus der Zeit um 320 v. Chr. eine Lasa (lasaimrae) im erotischen Spannungsfeld des trojanischen Krieges (Fig. 20):949 In der Mitte des Bildfeldes sitzt Helena (elinai) auf einem Thron und reicht Agamemnon (amemrun) die Hand. Hinter den beiden steht Menelaos (menle). Rechts dieser Gruppe ist eine Lasa (lasaimrae) dargestellt. Sie erscheint als hochgewachsene, schlanke, nackte junge Frau mit großen Schulterflügeln; bis auf einen Halsschmuck, Ohrgehänge und leichte Schuhe ist sie nackt. In den Händen hält sie ein Alabastron, das als Gefäß für Duftöle gedeutet werden kann, und ein Stäbchen zur Entnahme des Öls.950 Links von Helena steht Paris Alexandros (elsntre), dem eben von Mean (mean) ein Kranz aufgesetzt wird. Mean erscheint als nackte Flügelfrau, die sich ikonographisch kaum von der Lasa lasaimrae unterscheidet; die mehrfach bezeugte Mean wird als eine Göttin des Sieges gedeutet.951 Hinter ihr ist Ajax (aevas) dargestellt.952 Im dritten Bildfeld des Spiegels, wo die Spiegelscheibe in den Griff übergeht, sitzt die Lasa lasaracuenta auf einer Blüte; als schlanke, nackte Flügelrau mit Schmuck und Alabastron entspricht sie ikonographisch genau der lasaimrae. Ein gravierter Bronzespiegel aus Perugia aus der 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zeigt eine weitere Lasa, Lasa Achununa (lasa: aununa), als schlanke Flügelfrau zusammen mit Adonis (atunis) (Fig. 21).953 Adonis ist sitzend dargestellt; er umfaßt die Schultern der Lasa mit seinem linken Arm.954 Die Flügelfrau ist bis auf eine Perlenkette nackt; sie hat ihren rechten Arm um den Rücken
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Lasa: Etwa Herbig 1952 S. 31; Herbig 1965 S. 27; Nr. 25 im Katalog von Lambrechts 1992 (Lasa). Als Vanth: Paschinger 1988 (Namensbeischrift); Paschinger 1992 S. 177; Krauskopf 1987 S. 79 f.; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178. Allgemein zu den Lasen vgl. etwa Lambrechts 1992 (Lasa); de Grummond 2006 S. 168–172 et passim. Lambrechts 1992 (Lasa) Nr. 4; Lesungen nach ibidem, vgl. Rix 1991 Bd. 2 S. 351 (Vc S. 24). Zur (unklaren) Deutung des obersten Bildfeldes vgl. de Grummond 2006 S. 61 (mit Fig. IV.14 S. 66). Vgl. Jannot 2005 S. 174; de Grummond 2006 S. 66 (Bildunterschrift zu Fig. IV.14), 171. Vgl. Lambrechts 1992 (Mean); dieser Spiegel dort Nr. 3. Zu diesem Bildfeld vgl. auch de Grummond 2006 S. 15. Lambrechts 1992 (Lasa) Nr. 3; Lesungen nach ibidem, vgl. Rix 1991 Bd. 2 S. 354 (Pe S. 10). Vgl. de Grummond 2006 S. 171.
Vanthdarstellungen mit zweifelhafter Namensbeischrift
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Fig. 20: Etruskischer Bronzespiegel aus Vulci. Um 320 v. Chr.
des Adonis gelegt, während sie mit der Linken einen flatternden Mantel festhält, wobei die beschädigte Bildfläche nicht mehr erkennen läßt, ob es sich um den Mantel des Adonis handelt oder um einen eigenen Mantel der Lasa. Adonis’ Oberkörper ist entblößt, und er und die Lasa blicken sich in die Augen; sie erscheinen durch den engen physischen und Blickkontakt ebenso wie durch die weitgehende Nacktheit deutlich als Liebespaar. Ein
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Etrurien: Vanth
Fig. 21: Etruskischer Bronzespiegel aus Perugia. 2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
Vanthdarstellungen mit zweifelhafter Namensbeischrift
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Hund, ein Vogel und stilisierte Felsen( ? ) scheinen auf eine Lokalisierung der Liebesszene in der Wildnis hinzuweisen. Die Bedeutung der Beinamen dieser Lasen läßt sich nicht bestimmen.955 Der Kontext, die Darstellungsweise und der Parfümbehälter als Attribut956 machen jedoch einen erotischen Charakter dieser und vieler ähnlicher Figuren deutlich, während die halbnackte Flügelfrau auf dem Deckel des Nenfrosarkophags aus Vulci aufgrund der Anbringung des Reliefs auf einem Sarkophagdeckel einen primär sepulkralen Charakter zu haben scheint. Dieser sepulkrale Aspekt scheint zunächst für eine Deutung der Figur als Vanth zu sprechen;957 jedoch konnte Lambrechts plausibel machen, daß auch Lasa einen „chthonischen Aspekt“ haben könnte: Auf einem gravierten etruskischen Bronzespiegel unbekanner Herkunft (vielleicht um 350 v. Chr.) wird eine Lasa (lasa) als mit einem Peplos bekleidete Flügelfrau zwischen Amphiaraos (hamφiare) und Ajax (aivas) dargestellt.958 Die beiden Helden sind gerüstet, aber sitzend abgebildet; Ajax blickt niedergeschlagen zu Boden. Lasa hält eine halb entrollte Schriftrolle in beiden Händen, auf der – ähnlich den Schriftrollen der Vanths der Orvietaner Amphoren – die Namen der drei Figuren zu lesen sind: Lasa (lasa), Ajax (aivas), Amphiaraos (hamφiare). Den Helden sind die Namen zusätzlich noch neben den jeweiligen Figuren beigeschrieben, wohl um sie eindeutig zu identifizieren.959 Lambrechts bemerkt hier, daß die Sagen um Aphiaraos und Ajax sich nicht überschneiden; ein Treffen dieser beiden Helden ist unmöglich – es sei denn, man deutet die Szene als in der Unterwelt lokalisiert. Da Lasa jedoch zwischen den beiden Helden dargestellt ist, zeige auch sie hier somit einen nur an dieser Stelle bezeugten (und inschriftlich gesicherten) „aspect chthonien“.960 Wenn aber nicht nur die Flügelfrau Vanth, sondern auch die Flü955 956 957 958
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De Grummond 2006 S. 171; Lambrechts 1992 (Lasa) Bd. 6.1 S. 225. Das Alabastron kommt als Attribut der Lasa insgesamt allerdings nur relativ selten vor: Krauskopf 1987 S. 81. Vgl. Krauskopf 1987 S. 79 f. Lambrechts 1992 (Lasa) Nr. 1; Lesungen nach ibidem, vgl. Rix 1991 Bd. 2 S. 356 (OI S. 6). Rallo 1974 Tafel I (1+2); de Grummond 2006 Fig. VII.23 (S. 168). Lambrechts 1992 (Lasa) Bd. 6.1 S. 224. Lambrechts 1992 (Lasa) Bd. 6.1 S. 224. Paschinger 1992 S. 26–28 vermied eine solche Schlußfolgerung durch die Annahme eines Fehlers auf dem Spiegel, auf dem die „Lasa“ richtiger als „Vanth“ zu bezeichnen sei; ebenso Wüst 1956 Spalte 120. In Anbetracht der geringen Zahl der erhaltenen Darstellungen mit Namensbeischrift scheint diese Erklärung jedoch ein wenig überzeugender Notbehelf, wenngleich auch Lambrechts (ibidem) die Möglichkeit einer „confusion“ nicht ausschließt. Der unterweltliche Aspekt wurde auch von Rallo 1974 S. 49–53 abgelehnt. Skeptisch bleibt de Ruyt 1934 S. 210 f., der den Spiegel weder als Schreibfehler verwerfen noch aus dem isolierten Stück auf einen allgemeinen sepulkralen Charakter der Lasa
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Etrurien: Vanth
gelfrau Lasa einen unterweltlichen Aspekt haben kann, scheint eine Entscheidung, ob es sich bei der Deckelfigur des Sarkophags aus Vulci um eine Vanth handelt, nicht eindeutig möglich. Dennoch ist diese Flügelfrau insofern von Interesse, als sie ein weiteres Beispiel dafür darstellt, daß in der etruskischen Dämonologie des Todes anscheinend weibliche geflügelte Gestalten eine Rolle spielten, die nach der Art der Darstellung auf dem Sarkophag zu urteilen eine positive war: Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß diese Dämonin dem Toten feindselig gesonnen wäre. Vielleicht nahm sie den Toten in Schutz oder geleitete ihn wie die Vanth der Orvietaner Amphoren ins Jenseits.961 Die weitgehende Nacktheit und vielleicht die Taube( ? ) dürften zudem auf einen ‚aphrodisischen‘ Zug in ihrem Charakter hinweisen.962 Und als weiterer Punkt von Interesse ist schließlich darauf hingewiesen worden, daß diese Flügelfrau gelagert ist, als würde sie für ein Symposion auf einer Kline liegen;963 hierin deutet sich vielleicht an, daß das Jenseits, das auf den Toten wartet, ein freudiges ist.
Vanthdarstellungen ohne Namensbeischrift Weiteres zur Reise ins Jenseits Dies leitet zugleich zu den Wandgemälden der Tomba Golini I über. Vor der Besprechung dieses Grabes sei jedoch noch kurz auf die Reliefs einge-
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schließen will; er denkt eher an einen Synkretismus, dessen Absicht sich uns entzieht. Dieselbe Annahme einer solchen ‚synkretistischen‘ Lasa wäre auch für den vorliegenden Sarkophag möglich. Für den Vergleich mit dem nordwesteuropäischen Material mag es interessant sein zu beobachten, wie nahe sich der sexuelle und der sepulkrale Aspekt bei beiden Gruppen zu kommen scheinen, besonders da Lasa und Vanth die zwei wichtigsten Typen etruskischer (Flügel-!)Dämoninnen darstellen. Der Schwerpunkt scheint nur im Falle Vanths im sepulkralen, im Falle Lasas im erotischen Bereich zu liegen, aber beide Gruppen verbinden – wie Walküren und Bodbs – beide Aspekte. (Auf die Lasas weiter einzugehen würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei weitem sprengen.) Krauskopf 1987 S. 80 und de Grummond 2006 S. 172 deuten die Funktion der Lasa dieses Spiegels als Verkünderin oder Prophetin des Todes. – Ganz isoliert steht der Vorschlag Enkings da, die Dämonin auf dem Sarkophagdeckel als Cul´su zu identifizieren: Enking 1943 S. 58. Vgl. Herbig 1965 S. 27 zu diesem Relief: „Als breitgelagerte Relieffigur beherrscht [… Lasa] endlich den flachen Dachdeckel eines steinernen Frauensarkophags, wagt sich also gleichsam mit dem toten Schützling zusammen ins Totenreich.“ Vgl. Krauskopf 1987 S. 80. Krauskopf 1987 S. 79 f.; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178 (mit etruskischem Vergleichsmaterial: II.B: „Vanth beim Gelage (in der Unterwelt)“).
Vanthdarstellungen ohne Namensbeischrift
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gangen, welche die vordere Längsseite und die beiden Seitenflächen des Sarkophags schmücken, auf dessen Deckel die eben besprochene Flügelfrau abgebildet ist (die Rückseite des Sarkophags ist nur grob geglättet, da der Sarkophag an der Wand des Grabes aufgestellt war).964 Die Längs- und die rechte Schmalseite sind von geringerem Interesse für die Charakterisierung der etruskischen weiblichen Todesdämonen: Die rechte Schmalseite zeigt einen Greifen mit einer Schlange zwischen den Beinen,965 die Vorderseite zeigt zwei aufeinander zukommende Wagen, zwei Reiter und einen Dämon( ? ) mit einem großen Hammer (entsprechend dem Charun der Tomba François). Dieses Relief wird als eine Szene aus der Reise des Toten ins Jenseits interpretiert (angedeutet durch den Dämon mit dem Hammer), wobei dem Toten schon länger verstorbene Verwandte entgegenkommen, um ihn zu begrüßen.966 Wichtiger ist hier das Relief der linken Schmalseite (Fig. 22). Es stellt einen Reiter auf einem ungesattelten Pferd ohne Zaumzeug dar. Der Reiter ist in einen Mantel gehüllt. Das Pferd schreitet nach rechts. Ihm folgt eine Dämonin mit großen Schulterflügeln. Ihr Körper ist frontal dargestellt, die Beine halb seitlich. Sie geht in dieselbe Richtung, in die auch das Pferd schreitet, und hat ihr Gesicht dem Reiter zugewandt, so daß es im Profil dargestellt erscheint. Somit scheint sie dem Reiter zu folgen. Sie scheint einen in der Taille aufgerollten kurzen Chiton (wie die Vanth der Tomba degli Anina) zu tragen, ihr Oberkörper ist vielleicht nackt. Über der Brust trägt sie zwei Bänder, die sich zwischen ihren Brüsten kreuzen (vgl. die Träger des Chitons der Vanth der Tomba degli Anina); ferner trägt sie allem Anschein nach halbhohe Stiefel. Um ihren rechten Arm windet sich eine Schlange; in der erhobenen Linken hält sie eine brennende
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Paschinger 1992 S. 176. Herbig 1952 Tafel 42b, vgl. Herbig 1952 S. 31; Herbig 1965 S. 23 f. (mit Tafel 44,1); Paschinger 1992 S. 179. Herbig 1952 Tafel 42a, vgl. Herbig 1952 S. 31 und Paschinger 1992 S. 178. Paschinger sieht in den Reitern die Dioskuren als Psychopompen (ibidem). Phantastisch mutet die Deutung von Massa-Pairault an, die auf dem Wagen, der dem Verstorbenen entgegenkommt, eine „divinité féminine au triple visage“ sehen will, die sie als Hekate deutet (Massa-Pairault 1997 S. 338); es handelt sich dagegen doch wohl nur um drei Frauen, die gestaffelt nebeneinander im Wagen sitzen. Massa-Pairault deutet die Ikonographie des Sarkophags in einem orphischen Kontext (ibidem S. 338–341). Herzstück ihrer Deutung scheint dabei ihre Interpretation der drei Frauen auf dem Wagen als Hekate. Eine solche Interpretation scheint aber unnötig umständlich und überzeugt daher nicht (auch wenn sie vielleicht nicht strenggenommen widerlegbar ist). Entsprechend scheint auch eine orphische Deutung der Flügelfrau nicht überzeugend (ibidem S. 340 f., Anm. 67 [S. 351]). Massa-Pairault gelangt selbst zu einem vorsichtig abwägenden Urteil (ibidem S. 341).
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Fig. 22: Seitenfläche eines etruskischen Nenfrosarkophags aus Vulci (=Fig. 19). 2. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
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Fackel.967 Der Reiter, dem eine Todesdämonin zu Fuß folgt, mag eine Darstellung des Verstorbenen auf dem Weg ins Jenseits sein, begleitet von einer Dämonin in Erinyenikonographie,968 die freilich keinerlei Anzeichen von Feindseligkeit zeigt. Entsprechend wird diese Dämonin als Vanth gedeutet,969 was in Anbetracht des sepulkralen Kontextes, der ikonographischen Ähnlichkeit zur Darstellung der Vanth in der Tomba degli Anina und der funktionalen Ähnlichkeit zur Vanth der Orvietaner Amphoren und des Sarkophags der Hasti Afunei eine plausible Interpretation darstellt, zu der eine große Zahl an Parallelen beigebracht werden kann.970 Eine solche Parallele ist das Wandgemälde mit der Ankunft des Larth Leinies in der Tomba Golini I (Fig. 23). Hier handelt es sich um ein Einkammergrab bei Orvieto, das in die Mitte oder ins 3. Viertel des 4. Jh. v. Chr. datiert.971 Von der Mitte der Rückwand des Grabs ausgehend, teilt eine Wand die Kammer in zwei Räume (Fig. 24). Der linke Raum ist ganz mit Küchenszenen ausgemalt: An der Eingangswand unmittelbar neben der Tür zum Grab sind aufgehängte Tiere dargestellt (Geflügel, ein Hase, ein Reh, ein Rind). Die linke Seitenwand dieses Raums zeigt die Zubereitung von Speisen, begleitet von einem Aulosbläser. Auf der Rückwand hantieren zwei Männer mit Schöpfkellen an einem großen Ofen, der mit erigierten Phalloi verziert ist, und auf der stark zerstörten rechten Wand des Raums (also der linken Seite der mittleren Trennwand des Felsengrabs) hantieren drei Diener an einem Tisch mit Geschirr. Der rechte Raum des Grabes zeigt das Festgelage, für das im linken Raum die Speisen zubereitet werden. Die linke Wand der rechten Kammer zeigt Hades und Persephone (beide durch Beischriften ihrer etruskischen Namensformen identifiziert: eita und ersipnai)972 auf einem Thron, von wo sie das Gelage überblicken. Die Anwesenheit des Königspaares der Unterwelt macht deutlich, daß es sich bei der dargestellten Küchenarbeit des einen und dem Fest des anderen Raumes nicht um eine Darstellung von Feierlichkeiten bei der Bestattung handelt, sondern tatsächlich um ein Fest im Jenseits.973 Vor Hades und Perse967 968 969 970 971 972
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Paschinger 1992 S. 178 f.; Herbig 1952 S. 31. Siehe oben S. 247 und S. 252. Herbig 1952 S. 31; Paschinger 1992 S. 178 f. Vgl. etwa Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Nr. 8, 9, 17, 18, 22, 23, 24, 32, 33, 34, 35, 39. Steingräber 1985 (Katalog) S. 286 (Nr. 32); zum sozialgeschichtlichen Kontext (Emanzipation der Sklaven in Orvieto): Haynes 2005 S. 370–374. Feruglio 1982 S. 24 und Abb. 24 (S. 53); Poulsen 1922 S. 50; Rix 1991 Bd. 2 S. 108 (Vs 7.14 und Vs 7.15). Vgl. Poulsen 1922 S. 41–43; Steingräber 1985 (Katalog) S. 286; Paschinger 1992 S. 44; Haynes 2005 S. 373. Massa-Pairault 1997 S. 344 hält dieses Jenseitsbankett für teilweise pythagoräisch inspiriert.
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Etrurien: Vanth
Fig. 23: Etruskische Wandmalerei, Eingangswand der Tomba Golini I, Orvieto. Mitte oder 3. Viertel 4. Jh. v. Chr.
phone hantiert ein nackter Diener im Licht großer Leuchter mit Geschirr; auf einem Tisch stehen große Weingefäße und Kannen. Davor steht ein nach einer Inschrift im Kindesalter verstorbener Junge.974 Hieran schließt sich auf der Rückwand des Raums eine Darstellung zweier trinkender Männer auf einer Kline an, vor denen zwei Musikanten den Aulos und die Lyra spielen.975 Die Malereien der daran anschließenden rechten Wand des Raums waren schon zur Zeit der Dokumentation des Grabes weitgehend zerstört. Die erhaltenen Reste zeigen Zecher auf Klinen und die Füße solcher Möbelstücke. Auch hier wurde also gefeiert. Das Fest dieses Grabes ist dabei ein Fest von inschriftlich benannten Mitgliedern der Familie der Leinie.976 Die verbleibende Wandfläche des Grabes, die rechte Seite der Eingangswand, zeigt schließlich die Ankunft eines Wagens (Fig. 23): Es handelt sich um eine Biga, in der ein Mann fährt, der durch eine Namensbeischrift
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Poulsen 1922 S. 40. Vgl. Poulsen 1922 S. 37–39. Feruglio 1982 S. 23 f. Die Inschriften sind allerdings nur noch teilweise lesbar (ibidem). Vgl. Poulsen 1922 S. 38 f.; Pallottino 1952 S. 97.
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Fig. 24: Kontext der Eingangswand der Tomba Golini I: Das Bildprogramm des Grabs. Mitte oder 3. Viertel 4. Jh. v. Chr. Der obere Bildstreifen zeigt die Wandgemälde der linken Kammer des Grabs, beginnend vom Eingang. Der untere Bildstreifen zeigt die Malereien der rechten Kammer, beginnend mit der Zwischenwand und endend mit der Eingangswand. Für weitere Fragmente der Grabausmalung (Fragmente von zwei Dämonengestalten aus dem Eingangsbereich des Grabs; ein kletternder Affe von der Stirnseite der Trennwand) vgl. Conestabile 1865 Tafel 4 und die Querschnitte.
als Larth Leinies identifiziert ist.977 Hinter ihm (über der Türöffnung) ist ein Tubabläser abgebildet, was Larth Leinies als Magistrat ausweist.978 Die Namensbeischrift und die lange Inschrift über der Biga legen nahe, daß es sich bei ihm wohl um den Verstorbenen handelt.979 Neben den Pferden seiner Biga läuft eine Flügelfrau in einem kurzen dunkelroten Chiton her. In der Bildebene befindet sie sich hinter den Pferden. Ihre großen Schulterflügel sind weit ausgebreitet, so daß sie auf der einen Seite bis über den Kopf des Wagenlenkers, auf der anderen bis über die Köpfe der Pferde hinausreichen. Ihre Beine erscheinen zwischen den Beinen der Pferde (scheinen vom Maler aber leicht deplaziert worden zu sein).980 Sie sind, soweit sichtbar, 977 978 979 980
Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 176. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 176. Moltesen und Weber-Lehmann 1995 S. 83. Vgl. Moltesen und Weber-Lehmann 1995 S. 84.
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nackt und in Seitenansicht dargestellt. Nach der Darstellungsweise der Beine läuft sie in dieselbe Richtung, in die sich auch der Wagen bewegt, nämlich auf das Unterweltsgelage zu. Der Oberkörper der Flügelfrau ist frontal dargestellt, beide Arme hat sie seitlich des Körpers angewinkelt hochgehoben. In der rechten Hand hält sie eine Schriftrolle, die linke ist weitgehend zerstört, könnte aber den dokumentierten Resten nach ebenfalls eine Schriftrolle gehalten haben. Die Flügelfrau blickt scharf nach links zur Seite, so daß ihr Gesicht im Profil erscheint. Sie trägt eine Halskette aus gelblich-weißen Perlen und ein Ohrgehänge; ihre Haare sind dunkelblond und am Hinterkopf zusammengefaßt. Um die Hüfte trägt sie anscheinend einen Schlangengürtel; der aus zwei Schlangen gebildete Knoten und die Kopfenden der Schlangen sind über den Rücken der Pferde sichtbar, der Rest des Gürtels ist verdeckt.981 Die Gemälde dieses Grabes bilden ein unmittelbar zusammenhängendes Ensemble: Links Zubereitung des Festes, rechts das Gelage unter Anwesenheit des Königs und der Königin der Unterwelt, neben dem Eingang der Tote, der zu diesem Fest ankommt. Daß auch die Ankunft des Toten unmittelbar auf das stattfindende Fest zu beziehen ist, wird dadurch deutlich, daß die Polster der letzten Kline der rechten Seitenwand auf die Wand übergreifen, auf der die Ankunft des Larth Leinies dargestellt ist; zudem wenden die erhaltenen Zecher der rechten Seitenwand ihre Köpfe dem Neuankömmling zu. Die schon zuvor verstorbenen Mitglieder der Familie heißen hier wohl den zuletzt verstorbenen Nachfahren willkommen.982 Die Flügelfrau, die neben dem Wagen herläuft, erscheint in diesem Grab also als die Geleiterin in ein freudiges Jenseits.983
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982 983
Zu diesem Grab allgemein: Steingräber 1985 (Katalog) S. 286 f. (Nr. 32); Feruglio 1982, besonders S. 23 f. und Abb. 2–4, 6–10, 20–29, 32–38 auf S. 29–64 (mit detaillierten Plänen); Moltesen und Weber-Lehmann 1995 S. 83–86 (mit Farbabbildungen und schematischem Grundriß); Poulsen 1927 S. 210–214. Die Malereien des Grabes sind heute weitgehend vergangen. Gegenwärtig sind sie im Museo Archeologico Nazionale in Orvieto in einer schematischen Rekonstruktion der Grabkammer ausgestellt (Juli 2008). Die Auseinandersetzung mit den Darstellungen muß aber – wie so oft – von den Faksimiles des 19. Jh. ausgehen, da etwa die Darstellungen der Eingangswand so zerstört sind, daß sich die einst lebensgroße Darstellung Vanths nicht einmal mehr in den Umrissen erkennen läßt. Pfiffig 1975 S. 202; Feruglio 1982 S. 23. Vgl. Pfiffig 1975 S. 202. Es ist wichtig, den Gesamtzusammenhang dieser Szenen zu beachten. Jannot 2005 S. 66 betrachtet es gegen die communis opinio als unsicher, daß die Bankettszene im Jenseits angesiedelt ist. Die Darstellung von Hades und Persephone könnte sich ihm zufolge auch auf die Totenfeiern beziehen, wo die Totengötter Opfer erhalten; daher könnte der Künstler ihre physische Anwesenheit bei diesen
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De Grummond deutet die Flügelfrau als eine wahrscheinliche Darstellung Vanths und wertet die Schlangen in diesem Gemälde als Ausdruck eines „more cruel aspect“ dieser Dämonin.984 Schlangen als Attribute sind aber nur ein Versatzstück der griechischen Erinyenikonographie985 und sagen als solches zunächst kaum etwas über das Wesen der etruskischen Figur aus; so winden sich zwei große Schlangen etwa auch um eine Erinys auf einer rotfigurigen campanischen Hydria aus der Zeit um 350–325 v. Chr.986 Außerdem ist der Speer des Hades, der auf der linken Seitenwand des rechten Raums über dem Fest thront, gleichfalls von einer Schlange umwunden; und diese Schlange weist ihn sicher nicht als ‚Unterweltstyrannen‘ aus, da er ja deutlich über ein Reich sehr fröhlicher Verstorbener gebietet, wie die Mengen an Essen, die riesigen Weingefäße, die Musik und vielleicht die Phalloi auf dem Ofen andeuten. Schlangen dienen nur dazu, den Bereich der Unterwelt visuell als solchen zu kennzeichnen, ohne dabei jedoch die Idee eines höllischen Schreckensreiches zu implizieren.987 Man denke hier etwa auch an das Hypogäum der Volumnier in der Palazzone-Nekropole bei Perugia, wo zwei armdicke Terrakottaschlangen in hervorstechender Position auf Augenhöhe in die Wand eingelassen waren, die dem Eingang gegenüberliegt und damit das Grab visuell dominiert. Daß es sich auch hier um keine Darstellung eines höllischen Schreckensreiches handelt, zeigt das Giebelrelief derselben Wand: Dort ist u. a. eine Büste einer Gestalt mit einer Kithara dargestellt, sowie zwei Schwerter, auf deren Griffen sich zwei Singvögel niedergelassen haben.988 Festzuhalten ist also, daß die Flügelfrau mit
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Feiern dargestellt haben. Eine solche Interpretation vergißt, daß der Tote in der Begleitung von Vanth ebenfalls zum Fest kommt, und der Verstorbene wird schwerlich in einem Streitwagen zu den eigenen Totenfeierlichkeiten anreisen. Eine solche Annahme scheint insbesondere unwahrscheinlich, da die Feiernden dem Ankommenden die Köpfe zuwenden; er ist also einer der ihren, und nicht ein unsichtbarer Schatten unter den Lebenden. Endgültig widerlegt wird sie wohl dadurch, daß die in diesem Grab bildlich dargestellten und inschriftlich genannten Familienmitglieder fünf verschiedenen Generationen angehören (Steingräber 1985 [Katalog] S. 286; Haynes 2005 S. 373) – und fünf Generationen lassen sich im Tode doch leichter vereinen als im Leben! Vgl. aber Jannot 2005 S. 191 Anm. 35, wo er dieses Gelage doch wieder im Jenseits ansiedelt. De Grummond 2006 S. 223. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 180. Siehe oben S. 252 und siehe unten. Sarian 1986 (Erinys) Nr. 58 (mit Abb.). Diese Erinys ist als eine Flügelfrau in einem langen Chiton dargestellt, um deren Körper und linken Arm sich je eine Schlange windet; in der Rechten hält sie eine brennende Fackel. Vgl. Jannot 1997 S. 160; etwas anders Krauskopf 1987 S. 77. Vgl. Steingräber 1981 S. 258–260; Haynes 2005 S. 423–426, insbesondere Abb. 296 (S. 424); Giglioli 1935 Tafeln CCCCXV und CCCCXVIII.1; Körte 1909 S. 8 f., 10
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der Schriftrolle durch die Schlangen keineswegs als negative Gestalt charakterisiert, sondern nur dem Bereich der Unterwelt zugewiesen wird. Sie erscheint ganz im Gegenteil als Geleiterin in ein überaus positives Jenseits. Der Vergleich mit der Vanth auf dem Sarkophag der Hasti Afunei, die anscheinend den Übergang der Toten ins Reich des Hades begleitet, und vor allem mit der Vanth der Orvietaner Amphoren,989 die ebenfalls im Kontext einer Jenseitsreise mit einer Schriftrolle erscheint, macht wahrscheinlich, daß die Flügeldämonin der Tomba Golini I als Vanth angesprochen werden kann.990 Das eben zum Vergleich herangezogene Hypogäum der Volumnier liefert nicht nur anschauliches Material zur Bedeutung von Vanths ‚Schlangenassoziation‘ als typischem, aber für den Charakter der Dämonin kaum aussagekräftigem Element der Ikonographie der Unterwelt. Aus diesem Felsengrab stammt auch eine Urne des 2. Jh. v. Chr.,991 die als Illustration dafür dienen kann, daß die Darstellung einer Mehrzahl von Vanth-Gestalten an der Jenseitspforte auf dem Sarkophag der Hasti Afunei kein Einzelfall ist. Den visuell am stärksten herausgehobenen Platz innerhalb dieses Grabes genau gegenüber dem Eingang nimmt eine (ohne die Basis) 1,66 m hohe Urne ein, die aus mehreren Elementen zusammengesetzt ist (Fig. 25): Auf einer stark profilierten Basis steht die eigentliche Aschenkiste, die durch eine Deckplatte verschlossen wird, auf welcher wiederum eine Kline mit der Darstellung des gelagerten Toten ruht. Hier interessant ist dabei die Gestaltung der Aschenkiste: An den beiden Ecken der Kiste sitzen zwei nahezu als Rundfiguren gearbeitete Vanth-Gestalten, die als Flügelfrauen mit
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(deutet die Vögel als Tauben) mit Tafeln I, II.1. Reste einer der beiden Schlangen befinden sich noch in situ, weitere Fragmente werden im Antiquarium der Nekropole aufbewahrt, u. a. ein faustgroßer Schlangenkopf aus Terrakotta (vgl. Körte 1909 S. 10 mit Tafeln I, II.1). Mit der Vanth der Orvietaner Amphoren wurde diese Wandmalerei schon von Pfiffig 1975 S. 202 verglichen. So Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 176; de Grummond 2006 S. 223; vorsichtiger Pfiffig 1975 S. 202 („geflügelter weiblicher Dämon vom Typus der Vanth“); vgl. Krauskopf 1986 (Cul´san´s und Cul´su) S. 158; anders Moltesen und Weber-Lehmann 1995 S. 83 („geflügelte Lasa“, ohne Begründung für die Wahl dieser Bezeichnung). Feruglio 1982 S. 23 f. und Steingräber 1985 S. 286 legen sich auf keine Benennung fest. Eine Benennung als Vanth wird von Enking 1943 S. 66 abgelehnt: Sie trennt Cul´su, Vanth und die am rechten Bildrand des Sarkophags der Hasti Afunei dargestellte seelengeleitende Dämonin und spricht Vanth die Funktion als Seelengeleiterin ab, die sie stattdessen dieser dritten Dämonin zuweist. Deren Namensbeischrift ist nicht erhalten. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Nr. 43.
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Fig. 25: Etruskische Urne im Hypogäum der Volumnier bei Perugia. 2. Jh. v. Chr.
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nackten Brüsten und Schlangen in den Haaren dargestellt sind. Die vom Betrachter aus rechts sitzende Dämonin hat eine Fackel geschultert, während im Fall der links sitzenden Flügelfrau sämtliche Attribute verloren sind; eine Bohrung in ihrer rechten Hand ist als Hinweis auf ein ehemals dort eingesetztes, separat aus Metall gearbeitets Schwert gedeutet worden, während die jetzt verlorene Linke ebenfalls eine Fackel gehalten haben mag. Zwischen den beiden Dämonenfiguren befindet sich ein dunkler, gemalter Torbogen, in dem zur Zeit der Entdeckung des Grabes (1840) gemalte Darstellungen von vier Figuren dokumentiert wurden. Körte (1909) konnte noch Reste von zwei Figuren ausmachen; diese scheinen sich die Hand zu reichen.992 Eine von ihnen führt ferner eine Geste aus, die Körte als eine Anrede- oder Grußgebärde deutet, die auf eine Person außerhalb des Bildfeldes hin ausgerichtet ist.993 Es handelt sich bei diesem Torbogen wohl um die Pforte zur Unterwelt, wo sich schon früher verstorbene Familienmitglieder versammelt haben, um einen neu verschiedenen Angehörigen im Totenreich willkommen zu heißen – während zwei Vanthfiguren zu beiden Seiten des Hadestors Wache halten.994 Gleichfalls aus dem 2. Jh. v. Chr. stammt eine interessante Variation des Themas der Flügelfrau als Jenseitsgeleiterin in einer Wandmalerei in der Tomba del Cardinale in Tarquinia.995 Dieses Grab besteht aus einem einzigen großen Saal, entstanden durch die Verbindung zweier älterer Kammern, der von vier Pfeilern gestützt wird. Unter der Decke läuft ein langer (ca. 45 m), schmaler (ca. 33,5 cm) Figurenfries um den Raum, der etwa 200 Figuren zeigt, heute zum größten Teil zerstört und zumeist nur in nicht verläßlichen Stichen des 18. Jh. dokumentiert.996 Das Gesamtthema wird in der Jenseitsreise der Verstorbenen gesehen, von denen viele mit einer Vielzahl hell- und dunkelhäutiger Flügeldämonen zusammen auf ihrem Weg dargestellt sind.997 Manche Szenen scheinen grob und gewalttätig; die positive Jenseitshoffnung der Tomba Golini I scheint brüchig geworden zu
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Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178 (zu Nr. 43). Körte 1909 S. 17. Körte 1909 S. 12–14, 16–19 mit Tafeln I, VI (=meine Fig. 25), vgl. ibidem S. 20 f. Für ein ganz ähnliches Motiv vgl. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Nr. 42 (3. Jh. v. Chr.); weiteres Vergleichsmaterial bei Paschinger 1992 S. 48 f., 51 f. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 176 (Nr. 24). Steingräber 1985 (Katalog) Nr. 54 (S. 305–307); Poulsen 1927 S. 220 f. Weege 1921 S. 35; Poulsen 1922 S. 58; Poulsen 1927 S. 220 f.; Steingräber 1985 (Katalog) Nr. 54 S. 305; Moltesen und Weber-Lehmann 1995 S. 51; entsprechend in Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 176 (Nr. 24) unter II.A „Als Wächterin am Grab bzw. Hadestor und als Geleiterin des Verstorbenen“ eingeordnet.
Vanthdarstellungen ohne Namensbeischrift
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Fig. 26: Etruskische Wandmalerei aus der Tomba del Cardinale, Tarquinia. 2. Jh. v. Chr.
sein.998 Die Szene, die hier am interessantesten sein dürfte (Fig. 26), zeigt zwei Flügeldämonen, die einen leichten zweirädrigen Karren ziehen, auf dem eine in einen Mantel eingewickelte Gestalt zu sehen ist; nur ihr Gesicht ist nicht bedeckt. Die beiden Flügeldämonen tragen kurze Gewänder, die nur die eine Hälfte der Brust bedecken, und halbhohe Stiefel. Sie haben große Schulterflügel. Der rechte Dämon hat helle, der linke blaue Haut.999 Das Geschlecht des blauhäutigen Dämons ist nicht zu bestimmen, beim hellhäutigen Dämon ist vermutlich eine weibliche Brust dargestellt, wo das Gewand den Brustkorb nicht bedeckt.1000 Dahinter steht (geht?) eine Ge998
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Weege 1921 S. 35–41; Poulsen 1922 S. 56–59; Poulsen 1927 S. 221; vgl. aber Pfiffig 1975 S. 205–208, besonders S. 206, der die entsprechenden Deutungen zurückweist. Die Frage ist teilweise, inwieweit die Stiche des 18. Jh. in der Wiedergabe der Komposition der entsprechenden Szenen verläßlich sind. Die Stiche sind abgedruckt bei Byres 1842 Teil 2, Tafeln 1 bis 8, und Teil 3, Tafeln 1 bis 8, sowie Steingräber 1985 (Katalog) Nr. 54 S. 306 f.; der Stil ist jedenfalls ganz barock und weit von den erhaltenen Originalen entfernt. Auf ihrer Basis sind somit keine sicheren Schlußfolgerungen möglich. Vgl. aber auch Herbig 1965 S. 18 f. Farbabbildungen: Moltesen und Weber-Lehmann 1995 S. 52 Nr. 1.41; Steingräber 1985 (Wandmalerei) Tafel 59. Vgl. Steingräber 1985 (Wandmalerei) Tafel 59. Der Stich des 18. Jh. (Steingräber 1985 [Katalog] Nr. 54 S. 307 Abb. 119; Weege 1921 S. 36 Abb. 29) zeigt hier eine Frau mit
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stalt in einem langen Gewand, gefolgt von einem blauhäutigen Flügeldämon vor einem Torbogen (Hadestor?), der sich auf seinen großen Hammer stützt.1001 Die vermummte Gestalt wird (in Anbetracht des Kontextes plausibel) als Verstorbene gedeutet.1002 Eine ähnliche Szene wiederholt sich mit denselben Bildelementen (Gestalt auf einem Wagen, von zwei Flügeldämonen gezogen; Torbogen) noch einmal an einer anderen Stelle des Frieses.1003 Hier scheint mit Hinblick auf später anzustellende Überlegungen zum Alter der Vanth-Gestalt in Etrurien wichtig, daß die Flügeldämonen in diesen beiden Szenen dieses Frieses nicht nur als Geleiter des Verstorbenen auftreten, wie dies der Fall in den Darstellungen Vanths mit Namensbeischrift gewesen war, sondern vielmehr selbst für den Transport des Toten ins Jenseits Sorge tragen. Sie erscheinen nicht als Seelengeleiter, sondern als Seelentransporteure, und diese Seele scheint ihnen ganz kraftlos ausgeliefert zu sein.1004 Eine ähnliche Vorstellung mag einem Sarkophag aus dem 4. Jh. v. Chr. aus Tarquinia zugrunde liegen, auf dem eine Vanth-Figur einen zusammenbrechenden Krieger von hinten umfassen soll, als wolle sie ihn davontragen.1005 Man erinnere sich auch daran, daß auf dem Krater der Vanth-Gruppe der Verstorbene ebenfalls nicht selbständig reisend, sondern auf einem Leichenkarren liegend in den Bilderzyklus eingeführt worden war. Eros und Schwert Auf einem Nenfrosarkophag aus Bomarzo aus den Jahren um 300 v. Chr.1006 erscheint der ‚aphrodisische‘ Aspekt der sepulkralen Flügelfrauen neben einem möglicherweise kriegerischen auf demselben Monument (Fig. 27). Der
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zwei entblößten Brüsten. Enking hatte die dunkelhäutigen Dämonen der Tomba del Cardinale mit Charun, die hellhäutigen mit Vanth identifiziert: Enking 1943 S. 69. Vgl. Weege 1921 S. 37; Mavleev und Krauskopf 1986 Bd. 3.1 S. 231 f. (Nr. 78). Weege 1921 S. 35–37; Mavleev und Krauskopf 1986 Bd. 3.1 S. 231 f. (Nr. 78); entsprechend in Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 176 (Nr. 24) unter II.A „Als Wächterin am Grab bzw. Hadestor und als Geleiterin des Verstorbenen“ eingeordnet. Weege 1921 S. 37 (vgl. dort S. 36 Abb. 30); Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 176 (unter Nr. 24). Massa-Pairault 1997 S. 344 denkt hingegen an eine orphische Deutung. So de Grummond 2006 S. 223, allerdings ohne Quellennachweis zur Identifizierung des Sarkophags. Vgl. das Relief einer Orvietaner Terrakottaschale bei Enking 1943 S. 65 Abb. 9. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 177 (Nr. 36) (=Mavleev und Krauskopf 1986 Bd. 3.1 S. 226 Nr. 13); Herbig 1952 S. 36 (Nr. 62).
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Deckel des Sarkophags hat die Form eines Tempeldachs.1007 Eine Schmalseite ist mit Rankenornamenten und Tierkampfszenen geschmückt.1008 Die Langseiten dieses Sarkophags sind je mit einem schmalen Reliefstreifen mit einem Rankenornament verziert, in dessen Mitte sich ein Frauenkopf befindet. An den Enden dieses schmalen Rankenornaments steht vor der Kante der Sarkophagwand je eine größere einzelne Figur, die jeweils nahezu die ganze Höhe der Sargwand einnimmt. Links an der einen Langseite erscheint hier eine bis auf einen Chiton mit heruntergerolltem Oberteil( ? ) nackte Flügelfrau; ihr Oberkörper ist entsprechend unbedeckt. In der Linken hält sie eine Schwertscheide, in der Rechten das dazugehörige Schwert (Fig. 27, oben).1009 Am rechten Rand des Ornamentstreifens dieser Sarkophagseite steht ein junger Krieger mit Schild und blankem Schwert in der erhobenen Rechten (und damit zur Mitte des Sarkophags hin orientiert).1010 Auf der anderen Seite des Sarkophags wird das Ornamentband auf der einen Seite von einem geflügelten Charun mit Hakennase und Hammer eingefaßt,1011 auf der anderen wiederum von einer Flügelfrau (Fig. 27, unten). Diese Flügelfrau hat ein Manteltuch oder einen breiten Schal so um die Schultern gelegt, daß es nur ihre Oberarme bedeckt und somit ihren Körper nur rahmt, aber nicht verhüllt. Ihre Scham ist durch eine abgerollte Schriftrolle, die sie mit beiden Händen auf Hüfthöhe vor sich hält, dem Blick entzogen. Die halbnackte Flügelfrau mit Schwert könnte weitgehend
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Herbig 1952 S. 35; de Ruyt 1934 S. 109 (Nr. 125). Herbig 1952 S. 35; de Ruyt 1934 S. 109. Auf der Photographie handelt es sich um einen Hammer; Herbig hat hier darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Hammerkopf um eine moderne Ergänzung in einem reparierten Sprung im Stein handelt: Herbig 1952 S. 35. In Anbetracht der Schwertscheide in der Linken ist hier jedoch eine Schwertspitze zu ergänzen, kein Hammer. Von der Richtigkeit von Herbigs Beobachtung konnte ich mich im August 2008 bei einer Autopsie des Sarkophags überzeugen. Er befindet sich gegenwärtig im Britischen Museum, London, Campanari Collection, GR 1838.6–8.12 (Sculpture D 20). Der gesamte Hammerkopf ist durch Farbe und Textur des Materials eindeutig als moderne Ergänzung zu erkennen; auch hat der ‚Hammer‘ einen Schwertknauf (die Hand ist vom modernen Restaurator zu breit retuschiert worden, so daß der Knauf jetzt als übergroßer kleiner Finger einer übergroßen Pranke erscheint). Die Erläuterungstafel in der Ausstellung (Saal 71) erklärt, die Dämonin halte „a hammer and probably a nail, which, when struck into a wall would symbolize finality and time fulfilled“ – dies ist nicht nur aufrund der Dimensionen des ‚Nagels‘ auszuschließen, sondern auch, weil dieser an seiner ‚Spitze‘ mit einem großen kugelförmigen Knauf abschließt. Herbig 1952 S. 35 und Tafel 62; vgl. de Ruyt 1934 S. 109. Herbig 1952 S. 35; Mavleev und Krauskopf 1986 Bd. 3.1 S. 226 (Nr. 13); de Ruyt 1934 S. 109 (Nr. 125).
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Fig. 27: Etruskischer Nenfrosarkophag aus Bomarzo, Vorder- und Rückseite. Um 300 v. Chr.
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von der griechischen Erinyenikonographie abhängig sein,1012 wobei sich die Frage nach dem tertium comparationis stellt, genauer, ob das Schwert als Attribut auch einheimischen Vorstellungen entgegenkommt. Die Bildformel der weitestgehend nackten Flügelfrau mit Schriftrolle hingegen ist nicht aus griechischen Bildwerken abzuleiten.1013 Diese Flügelfrau entspricht dabei nicht nur in ihrer Nacktheit und durch die Schriftrolle der Vanth der Orvietaner Amphoren, sondern auch das lange Tuch um ihre Schultern mag mit den Stoffbändern zu vergleichen sein, die Vanth auf den Amphoren um die Taille geschlungen trug. Auf späteren Darstellungen sind mit einem Schwert bewaffnete (und auch ansonsten ganz in einer aus griechischen Elementen zusammengesetzten Ikonographie dargestellte) Flügeldämoninnen in sepulkralen Kontexten äußerst häufig, auch wenn das Schwert in der Häufigkeit der Darstellung hinter Schlangen und Fackeln als Attribut zurückbleibt.1014 Der Typus der ‚Vanth‘ als Erinys mit kurzem Chiton und Kreuzbändern über der (oft nackten) Brust, mit halbhohen Stiefeln, Schlangen, Fackeln und Schwert setzt sich seit dem späteren 4. Jh. v. Chr. zunehmend durch und wird zum häufigsten Typus sepulkraler Flügelfrauen überhaupt;1015 Nacktheit findet sich aber auch bei späteren Darstellungen immer wieder.1016 Als Beispiel einer dieser späten ‚Vanths‘ nach Art der Erinyen sei ein alabasternes Urnenrelief aus Volterra aus dem 2. Jh. v. Chr. herausgegriffen (Fig. 28).1017 Das Relief zeigt zwei bis auf einen Gürtel und einen über den Arm geworfenen Mantel nackte Gallier, die ein Heiligtum plündern; einer will sich eben an der Götterstatue vergreifen. Von links eilt eine Dämonin mit dem blanken Schwert in der Rechten und der Scheide in der Linken herbei. Sie hat sowohl große Schulterflügel als auch kleine Kopfflügel, trägt halbhohe Stiefel und einen in der Taille zusammengerollten kurzen Chiton. Ihr Oberkörper ist bis auf die zwischen den Brüsten zusammenlaufenden Träger nackt.1018 In dieser bewaffnet herbeistürmenden Dämonin tritt ein gewalttätiger, gefährlicher Aspekt hervor, wie er sich mit den inschriftlich gesicherten Vanthdarstellungen nicht unmittelbar verbinden läßt. Es mag sich zwar um einen nur zufällig früher nicht klar belegten Aspekt handeln; ebensogut kann aber auch ganz der griechische Erinyen-Typus hinter diesem 1012 1013 1014 1015 1016 1017 1018
Vgl. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 180. Für Beispiele siehe oben S. 247. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 182. Krauskopf 1987 S. 84; vgl. Herbig 1955 Spalten 350–352. Krauskopf 1987 S. 84; vgl. Herbig 1955 Spalten 351 f. Krauskopf 1987 S. 84. Paschinger 1992 S. 310 (Nr. 167); Wüst 1956 Spalte 166 Nr. LV.l.1. Vgl. Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 S. 145 (mit Photographie auf S. 146 Abb. 22 [=meine Fig. 28]); Paschinger 1992 S. 95 f.
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Etrurien: Vanth
Fig. 28: Etruskische Alabasterurne aus Volterra. 2. Jh. v. Chr.
und vergleichbaren Bildern stehen,1019 wenngleich griechische Erinyen speziell in Kämpfen gegen Gallier nicht belegt sind.1020 Das Vorkommen nackter Darstellungen auch noch in späterer Zeit1021 legt nahe, daß ‚Vanth‘ trotz der möglichen Angleichung an die Erinyen auch 1019
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Etwa Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178 f. (Nr. 49); Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 Tafel CXIII Nr. 2, Tafel CXIV etc. Zu weit geht die Ansicht von Scheffer, daß die Dämoninnen „in either the killing or other gruesome actions“ niemals aktiv teilnehmen sollen: Scheffer 1991 S. 61 et passim. Schon das hier angesprochene Beispiel widerlegt dies meines Erachtens. Vgl. aber auch die Vorbehalte von Spinola 1987 S. 62 gegen die Zuschreibung des Schwerts als Attribut an Vanth. In den (älteren) inschriftlich gesicherten Darstellungen erscheint sie in der Tat nie bewaffnet oder offen aggressiv. Dagegen hebt Wüst 1956 Spalte 120 das Kämpfen und Töten der etruskischen Dämoninnen als Unterschied zu den griechischen Erinyen hervor. Die Bildwerke lassen hier einigen Interpretationsspielraum, und man ist darüber geteilter Meinung gewesen, wie die Schwerter in den Händen von Vanth-Figuren und deren Gestikulieren mit diesen Schwertern aufzufassen sind, vgl.: „Les quelque 10 % de figures féminines qui, sur les urnes publiées par Brunn et Körte, portent des glaives, ne sont nullement agressives.“ (Jannot 1997 S. 156, wobei er das Fortjagen von „personnages indésirables“ ausdrücklich ausnimmt.) Besonders betont wird der gewalttätige Aspekt von Enking 1943 S. 62. Vgl. Wüst 1956 Spalten 163–166, besonders Nr. LV.k und LV.l. Krauskopf 1987 S. 84. Vgl. etwa Pfiffig 1975 S. 314 Abb. 127a gegenüber Abb. 127b: In Darstellungen derselben Szene erscheint die Flügeldämonin das eine Mal bekleidet, das andere Mal anscheinend nackt.
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Fig. 29: Etruskische Alabasterurne aus Cetona. 1. Hälfte 2. Jh. v. Chr.
weiterhin einen ‚aphrodisischen‘ Zug in ihrem Charakter behielt. Ein merkwürdiges Relief einer Alabasterurne aus Cetona1022 aus der ersten Hälfte des 2. Jh. v. Chr.1023 mag einen Hinweis auf die Natur dieses ‚aphrodisischen‘ Charakterzuges geben (Fig. 29). Das Relief zeigt am linken Bildrand einen jungen Mann mit einem Bogen; der Pfeil ist angelegt und auf die Mitte der Szene gerichtet. Am rechten Bildrand ist ein Mann mit Vollbart und phrygischer Mütze mit einem weiteren Bogen in der Hand zu sehen; bis auf einen von seinem Arm hängenden Mantel ist der Mann nackt. Auf dem Boden kauert ein nackter Jüngling, der das Gesicht in einer Hand verbirgt; eine weitere Gestalt in einem langen Gewand und mit einem Kranz im Haar sitzt rechts der Bildmitte. Im Zentrum des Reliefs sitzt ferner in erhöhter Position eine Frau mit halbhohen Stiefeln, die mit einem kurzen, in der Taille zusammengerollten Chiton bekleidet ist; ihr Oberkörper ist nackt bis auf einen Schmuck, der dem der Vanth auf dem Sarkophag der Hasti Afunei entspricht und der an die Kreuzbänder und Tragegurte verschiedener oben besprochener Todesdämoninnen erinnert. Sie hält mit der Linken eine etwa 1022
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Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 1 S. 129 und Tafel XCVIII, 8 (=meine Fig. 29); Pfiffig 1975 S. 334. Rix 1991 Bd. 2 S. 181 (Cl 1.321).
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armlange Axt (Hammer?) locker auf ihren linken Oberschenkel gestützt. Ihren rechten Arm hat sie weit um die Schultern eines nackten jungen Mannes gelegt, der halb hinter, halb neben ihr steht. Der linke Arm des Mannes verschwindet hinter ihrem Rücken, seine Rechte hat er unmittelbar unter ihrer Brust und diese berührend an ihre nackte Seite gelegt. Beide haben einander ihre Gesichter zugewandt und blicken sich aus kurzem Abstand in die Augen, ohne den Bogenschützen Beachtung zu schenken, die sich ihnen von den Bildrändern her zuwenden. Der junge Mann trägt einen Kranz oder ein Diadem im Haar. Ein bärtiger Mann mit phrygischer Mütze ist die gängige Darstellungsweise des Odysseus, und der Bogen in seiner Hand deutet auf den Bogenwettkampf am Ende der Odyssee und die Rache an den Freiern hin; daher sind die beiden Bogenschützen wohl als Odysseus und sein Sohn Telemachos zu identifizieren, die jungen Männer in der Mitte des Bildes entsprechend als die Freier, denen der Tod bevorsteht – dies dürfte auch der Grund dafür sein, daß der auf dem Boden sitzende Jüngling das Gesicht voller Verzweiflung in der Hand verbirgt. Bei der Figur in einem langen Gewand könnte es sich um Penelope oder Eurykleia handeln, hier als eine Zuschauerin der Rache dargestellt.1024 Die Axtträgerin, die in der Bildmitte den todgeweihten Freier umarmt, wurde schon im 19. Jh. als unterweltliches Wesen gesehen; Brunn spricht von einer „Furia“.1025 Bis auf die Art ihrer Waffe und das Fehlen der Flügel entspricht sie dem Erinyen-Typus der Vanth-Darstellungen; das Weglassen der Flügel kommt auch ansonsten vor, wie etwa auf dem Spiegel mit der Reinigung des Orestes (Fig. 11) oder bei einigen Hammerdämonen auf den Orvietaner Amphoren (Fig. 6), die bald mit, bald ohne Flügel erscheinen, vielleicht einfach entsprechend dem für die Darstellung zur Verfügung stehenden Raum. Den Hammer hat die Dämonin wohl von den männlichen Todesdämonen entlehnt, die einen Hammer als Attribut tragen.1026 Von Interesse ist an diesem Relief die Umar1024 1025 1026
Vgl. Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 1 S. 129 f. Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 1 S. 129. Pfiffig 1975 S. 334 zu diesem Relief. Scheffer vergleicht die Frauengestalt dagegen aufgrund ihrer Bewaffnung mit einer Frauengestalt auf einer Urne mit der Darstellung einer Eberjagd, die sie als Atalante deutet; will man entsprechend jedoch auch auf der Urne aus Cetona eine Darstellung der Atalante sehen, so ergibt die dargestellte Szene keinerlei erkennbaren Sinn, wie Scheffer selbst zugestehen muß (Scheffer 1991 S. 52 f. mit Abb. 1). Daher ist die alte Deutung als Dämonin eindeutig zu bevorzugen. Scheffer nimmt zu Pfiffigs Vorschlag einer Entlehnung des Hammers von den männlichen Kollegen der Dämonin nicht Stellung. Sie postuliert nur ohne jede Begründung, daß eine Frau mit einer Axt keine Darstellung einer Dämonin sein kann (Scheffer 1991 S. 52, 53). Meines Erachtens wird diese Annahme Scheffers
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mung zwischen dem Todgeweihten und der Todesdämonin: Daß eine Todesdämonin anscheinend tröstend einem (oder einer) Toten die Hand auf die Schulter legt, kommt mitunter vor;1027 aber nur hier erscheint der Tod gleichsam als Liebesumarmung.1028 Ob die Passivität, die der Todgeweihte im Arm der Todesdämonin im Angesicht seines unvermeidlichen Schicksals zeigt, dabei mit dem herfjqturr der Walküren verglichen werden darf, kann nur als Frage in den Raum gestellt, aber nicht beantwortet werden. Einen deutlich sexuellen Aspekt zeigt die Ikonographie der etruskischen sepulkralen Flügelfrauen in der sogenannten ‚Vanth von Tuscania‘ (Fig. 30). Diese Figur aus der 1. Hälfte des 3. Jh. v. Chr.1029 ist ein Fragment eines Hochreliefs, dessen genaue Provenienz problematisch ist;1030 seine Herkunft von einem Grabmonument steht jedoch außer Frage,1031 wo es ein Element der Fassadengestaltung eines Felsengrabs gebildet haben könnte.1032 Der weitere Kontext des Reliefs ist nicht bekannt; die Figur selbst ist fragmentarisch. Sie erweckt heute den Anschein, ursprünglich über drei übereinandergeschichtete Blöcke hinweggegangen zu sein, von denen jedoch nur noch die beiden oberen mit einer Höhe von zusammen 0,94 m vorhanden sind; damit ist nur der Bereich über den Knien der Flügelfrau erhalten. Zwischen den beiden erhaltenen Blöcken scheinen jedoch wenige Zentimeter zu fehlen, was darauf hindeutet, daß die Figur ursprünglich aus einem einzigen Block gearbeitet war und erst sekundär zerteilt wurde. Der Reliefhintergrund ist fast überall entfernt worden, was die Flügelfrau auf den ersten Blick beinahe als Rundplastik erscheinen läßt.1033 Die Flügelfrau hat den Kopf leicht nach links gewandt und trägt rosettenartige Ohrringe. Sie steht aufrecht da und hat den einen Fuß leicht vor den anderen gesetzt. Der linke Arm ist nahezu vollständig abgebrochen, der rechte hängt mit der Hand neben der Hüfte nach unten. In der rechten
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schon allein durch das Urnenrelief aus Cetona widerlegt, das sich nur als Dämonendarstellung sinnvoll deuten läßt. Vgl. auch einen gravierten Spiegel mit einer Dämonin, die ein Doppelbeil schwingt: Wüst 1956 Spalte 157 Nr. XXXVII.3, und vgl. Jannot 1997 S. 148 für ein weiteres Beispiel einer Hammerdämonin. Etwa Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 Tafel LXXIV, 11 (=Weber-Lehmann 1997 [Vanth] Nr. 38); ibidem Tafel LXXIV, 12. Vgl. Paschinger 1992 S. 28 mit Abb. 14. Zumindest sind mir keine engen Parallelen zu diesem Stück bekannt geworden, wobei ich mir als Fachfremder aber natürlich ein abschließendes Urteil nicht erlauben kann. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 179 (Nr. 57). Vgl. Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 191–201. Ibidem S. 224. Ibidem S. 203. Ibidem S. 201–203.
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Fig. 30: Fragment eines etruskischen Hochreliefs aus Tuscania( ? ). 1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.
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Hand sind die Reste eines Stabs zu erkennen, den sie locker hält und der ferner auf dem rechten Oberarm neben der Schulter auflag, wie Reste an dieser Stelle erkennen lassen; über dem Oberarm setzte er sich fort und verbreiterte sich.1034 Reste der linken Hand über der linken Hüfte deuten an, daß diese Hand vielleicht in das Gewand griff oder flach darauf lag.1035 Die großen Schulterflügel sind fast vollständig abgebrochen; die umfangreichsten Reste finden sich über der linken Schulter und neben dem linken Oberschenkel, wo zwei Schwungfedern teilweise erhalten sind.1036 Der herausstechendste Zug aber ist die Bekleidung der Figur: Sie trägt ein ärmelloses langes Gewand, das jedoch zwischen Brüsten und Nabel so geführt wird, daß der Stoff in einem Bogen verläuft, der die Schenkel, die Scham und den Bauch der Flügelfrau unbedeckt läßt. Die erhaltene rechte Hand könnte neben dem Stab auch das Gewand hinter der rechten Hüfte festhalten.1037 Hier ist von Krauskopf betont worden, daß ein solcher Gestus, bei dem eine ansonsten voll bekleidete Figur ihre Geschlechtsteile entblößt, nicht mit einfacher Nacktheit auf eine Stufe zu stellen ist. Während bei einer unbefangen-nackten Figur Zweifel durchaus angebracht sind, ob die bloße Nacktheit unmittelbar sexuelle Konnotationen hat, scheinen diese bei einer solchen betonten Zurschaustellung der Geschlechtsteile kaum möglich.1038 Weber-Lehmann hat diesen Aspekt im Detail untersucht und an einigen Beispielen dieser Art von Entblößung in der etruskischen Kunst herausgearbeitet, daß es sich hier um eine „Geste sexueller Provokation“ handelt, „die sich an ein männliches Gegenüber richtet.“1039 Typischerweise erscheint diese Geste in Kontexten, in denen die sexuelle Vereinigung der sich so entblößenden Frau mit dem männlichen Wesen, vor dem sie sich entblößt, als unmittelbar darauf folgend betrachtet werden kann. Als eines ihrer Beispiele führt Weber-Lehmann etwa eine Henkelattasche einer etruskischen Bronzekanne an, auf der ein Satyr und eine Mänade nebeneinander herlaufen. Die Mänade trägt ein langes Gewand, das aber so hochgezogen ist, daß es in ganz ähnlicher Weise wie bei der ‚Vanth von Tuscania‘ ihre Geschlechtsteile und Beine entblößt. Der Satyr hat ihr linkes Handgelenk ergriffen, und sein erigiertes Glied läßt kaum Zweifel am weiteren Verlauf des Geschehens.1040 1034 1035 1036 1037
1038 1039 1040
Ibidem S. 203. Ibidem S. 204. Vgl. ibidem S. 203. Vgl. ibidem S. 203 Abb. 9. Anders Herbig 1965 S. 27, zurückgewiesen von WeberLehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 204. Krauskopf 1987 S. 82 zu dieser Figur. Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 214–223, Zitat: S. 223. Ibidem S. 214 f. mit Abb. 15.
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Weber-Lehmann hat ferner darauf hingewiesen, daß sich diese Art der Entblößung auch bei italischen Sirenen einige Male findet, auch wenn von den bekannten Beispielen keines aus dem eigentlichen Etrurien stammt.1041 Ferner kann der weitgehend verlorene Gegenstand, den die ‚Vanth von Tuscania‘ in der Linken hielt, als Fackel interpretiert werden.1042 Dieses Attribut erscheint (wenngleich sehr selten) auch bei Sirenen.1043 Zudem besteht kein Zweifel an der Herkunft der ‚Vanth von Tuscania‘ aus der Fassade oder von Giebel eines Grabs.1044 Weber-Lehmann stellt diese ‚Vanth‘ entsprechend in den Kontext von den Toten beklagenden Sirenen in der Verwendung als Schmuck an Gräbern, wenngleich eine solche Verwendung von Sirenen speziell für das Etrurien dieser Zeit so kaum belegt scheint.1045 Dabei betont sie zugleich, daß schon in Anbetracht der Überschneidung in den Attributen (Fackel) mit der etruskischen Vanth mit Synkretismen zu rechnen ist.1046 Aber ob es sich bei der ‚Vanth von Tuscania‘ nun um eine ungewöhnliche Sirene oder eine ungewöhnliche Vanth handelt, festzuhalten bleibt jedenfalls, daß ihr Charakter als Todesdämonin in Anbetracht des sepulkralen Kontextes nicht angezweifelt wird,1047 und daß die im etruskischen Kontext explizit erotische Art ihrer Entblößung daher einen starken sexuellen Aspekt im Bereich der sepulkralen Flügelfrauen zu bezeugen scheint. Dies wiederum untermauert die Vermutung, daß die Nacktheit etwa der Vanth der Orvietaner Amphoren ebenfalls einen entsprechenden Charakterzug etruskischer Todesdämoninnen ausdrücken dürfte;1048 man mag auch fragen, ob die ungewöhnliche Drapierung des Mantels der Vanth auf dem Sarkophag der Hasti Afunei um die Scham der Dämonin hierher zu stellen ist, auch wenn die Scham dieser Vanth wohl nicht gänzlich unbe-
1041 1042 1043 1044 1045 1046
1047 1048
Ibidem S. 224–226. Ibidem S. 226 f. Ibidem S. 226. Ibidem S. 224. Ibidem S. 227–234. Ibidem S. 234. De Grummond ist von Weber-Lehmanns Argumenten nicht überzeugt; sie betrachtet die Frage in Anbetracht der fehlenden Beine der Figur, die sie ggf. als Sirene ausweisen könnten, als nicht entscheidbar und deutet die Statue näherungsweise als Darstellung Vanths, wobei die Entblößung die Grabbesucher aufheitern oder apotropäisch wirken solle: De Grummond 2006 S. 224 f. mit Bildunterschrift zu Abb. X.21 (S. 226) und Anm. 25 (S. 254). Krauskopf 1987 S. 82. Skeptisch: Jannot 1997 S. 157 f. (u. a. auch spezifisch zur ‚Vanth von Tuscania‘: „Il s’agit certainement de la plus étrange de ces figures et, à dire vrai, de la seule qui ait une dimension érotique évidente. Elle demeure à nos yeux toujours inexpliquée.“ [Zitat: S. 158]).
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deckt ist, sondern nur durch ein dünnes Untergewand hindurch deutlich hervorzutreten scheint.1049 Chronologie Damit stellt sich schließlich die Frage, wie weit sich die Gestalt der Flügelfrau als Todesdämonin chronologisch zurückverfolgen läßt. Wichtig sind hier etwa zwei frühe Belege Vanths aus der Provinz Siena: In das 4. Jh. v. Chr. datiert eine lebensgroße Grabgruppe aus Chianciano bei Chiusi (Fig. 31).1050 Der als junger Mann gestaltete Verstorbene ist auf einer Kline wie zu einem Bankett gelagert.1051 Er stützt den linken Ellenbogen auf einen Stapel Polster und hat den Oberkörper aufgerichtet. Seine Rechte ist nach vorne ausgestreckt, aber beschädigt. Am Fußende der Kline sitzt eine Flügelfrau in einem langen Gewand. Sie hat den rechten Schulterflügel angelegt; mit dem ausgestreckten linken Flügel berührt sie die Schulter des Mannes (Fig. 32), was mit dem Rechtsbrauch der mancipatio verglichen und damit als Geste der Besitzergreifung gedeutet worden ist.1052 Die Flügelfrau hat ihre Rechte in ihren Schoß gestützt und hält in der leicht vorgestreckten Linken eine halb aufgerollte Schriftrolle, die sie dem Betrachter präsentiert. Die Köpfe beider Figuren sind abnehmbar, und die Oberkörper sind zur Aufnahme 1049
1050 1051 1052
Zur Durchdringung von Eros und Tod in der etruskischen Jenseitsdämonologie vgl. grundlegend von Vacano 1962, ferner Fauth 1986. Von Vacanos Schlußfolgerungen wurden mehrfach als zu weitreichend betrachtet (Krauskopf in Hampe und Krauskopf 1981 Bd. 1.1 S. 527; Weber-Lehmann 1997 [Vanth] Bd. 8.1 S. 182; Jannot 1997 S. 158), freilich ohne daß je eine explizite Auseinandersetzung mit seinen Argumenten oder seinen in großer Zahl beigebrachten Belegen stattgefunden hätte. Von Vacano kann an reichem Material zeigen, daß in Volterra Darstellungen von VanthFiguren häufig ikonographisch ganz an das Bild der Venus angeglichen wurden. Dies läßt auf eine „aphroditische […] Natur der Vanth“ (S. 1548) schließen, die er geradezu als „Unterweltsaphrodite“ (S. 1540, 1551) bezeichnet. Ob man daraus auf eine wie auch immer geartete historische Verbindung zwischen Aphrodite (die auch mit dem Sepulkralbereich verbunden ist), Venus und Vanth schließen darf, wie von Vacano das vorsichtig andenkt (S. 1550–1553), scheint mir kaum zu beurteilen; Krauskopf 1987 S. 83 Anm. 278 lehnt es ab. Vgl. in von Vacanos Sinne: Pfiffig 1975 S. 328–330. Paschinger 1992 S. 29; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178 (Nr. 45); Giglioli 1935 Tafel 235; Cristofani 1975 S. 42 Nr. 12. Herbig 1965 S. 18; Paschinger 1992 S. 29. Herbig 1965 S. 42 f. zu Tafel 28,1: „[D]ie Todesgöttin übt die ‚mancipatio‘, die sonst im Handauflegen auf die Schulter bestand, mit ihrem ausdrucksvollen Flügel. Der Jüngling wird so zum ‚Eigentum‘ der ihn liebenden vanth.“ Paschinger 1992 S. 29; vgl. Krauskopf 1987 S. 78 f.
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Fig. 31: Etruskische Statuenurne aus Chianciano, Vorderansicht. 4. Jh. v. Chr.
Fig. 32: Rückansicht derselben Statuenurne.
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Fig. 33: Etruskische Urne in Hausform aus Chiusi. 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
der Asche ausgehöhlt. Auch hier erscheint also – als Flügelfrau in sepulkralem Kontext mit Schriftrolle – wohl wieder Vanth.1053 In die erste Hälfte des 4. Jh. gehört eine Dämonin, die vor einer hausförmigen Urne aus Chiusi wacht (Fig. 33).1054 Vor der nur 31 cm hohen1055 Urne sitzt eine Flügelfrau in einem langen Gewand auf einem blockförmigen Stuhl. Sie trägt ein Diadem auf dem Kopf und hat beide Hände zu Fäusten geballt kurz vor den Knien auf den Oberschenkeln abgelegt. Bohrungen in den Fäusten zeigen, daß hier ursprünglich Attribute eingesetzt waren, die jetzt verloren sind.1056 Sie hat große Schulterflügel, die auf der
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1055 1056
Herbig 1965 S. 43; Krauskopf 1987 S. 78 f. (identifiziert diese Dämonin insbesondere auch mit derjenigen der Tomba Golini I); Paschinger 1992 S. 29; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 178. Vergleichsmaterial zu dieser Urne bei Paschinger 1992 S. 29–31. Vgl. Cristofani 1975 S. 54 f. Krauskopf 1987 S. 78; Paschinger 1992 S. 65 und 308 (Nr. 111); Cristofani 1975 S. 40 Nr. 8; vgl. Haynes 1993 S. 298 f.; von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 145 f. mit Anm. 573. Cristofani 1975 S. 40. Cristofani 1975 S. 40. Vorgeschlagen wurden Fackeln, vgl. Cristofani 1975 S. 40; Paschinger 1992 S. 65.
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Fassade der Hausurne neben der Flügelfrau dargestellt sind, die unmittelbar an der Wand sitzt.1057 Auch diese sepulkrale Flügelfrau mag als Vanth anzusprechen sein.1058 Ist die Identifizierung dieser beiden Flügelfrauen mit Vanth richtig, so zeigt sich in diesen Stücken einerseits wohl der Aspekt Vanths als sepulkraler Wächterin: Das Sitzen vor der Urne könnte sich als Darstellung eines Wächteramts auffassen lassen.1059 Damit mag hier eine Frühform oder frühe Variante des später so häufigen Auftretens Vanths an der Hadespforte greifbar werden. Die Vanth auf der Kline andererseits stellt vielleicht einen frühen Hinweis auf einen erotischen Aspekt der Figur und auf eine Auffassung des Todes als Jenseitshochzeit dar; denn in anderen Sepulkralskulpturen erscheint der Tote auf der Kline nicht zusammen mit der Todesdämonin gelagert, sondern zusammen mit seiner Gattin.1060 Ihre Bedeutung erlangen diese Stücke dabei insbesondere durch ihre Stellung in der Entwicklung des Bildes der sepulkralen Flügeldämonin: Die vor der Urne sitzende Flügelfrau stellt zusammen mit fünf Figuren vom Typ der ‚Vanth‘, die neben dem Toten auf einer Kline sitzt und ihn an der Schulter berührt, das früheste erhaltene Beispiel für die sepulkrale Flügeldämonin in der etruskischen Steinskulptur dar.1061 Haynes hat das Material zusammengetragen, das als Beleg für die Existenz dieses Dämoninnentyps vor diesen Urnenfiguren betrachtet werden kann. Ihre Untersuchung arbeitet heraus, daß griechische Bilder – einerseits Eos, die ihren toten Sohn Memnon vom Schlachtfeld trägt, andererseits Nike – von den etruskischen Künstlern aufgegriffen und in einem neuen Kontext zum Ausdruck etruskischer Konzepte verwendet wurden.1062 Die Bildformeln von Eos und Nike werden im neuen Umfeld und vor allem auf Gegenständen sepulkraler Funktion benützt, um Totengeleiterinnen darzustellen, welche Verstorbene führen oder tragen. Zu den frühesten Beispielen dieser Flügelfrauen als Totengeleiterinnen gehört etwa ein Skarabäus 1057 1058
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Vgl. Cristofani 1975 Tafel XXI,1 und XXI,2. Krauskopf 1987 S. 78; Paschinger 1992 S. 65 sieht hier einen Beweis für eine Gleichsetzung Vanths mit der „Großen Göttin als Hüterin der Gräber“. Auch Haynes 1993 S. 299 deutet sie als Wächterin der Asche des Toten. Siehe Anm. 1058. Ebenso Fauth 1986 S. 122; vgl. etwa zwei Terrakottasarkophage der 2. Hälfte des 6. Jh. aus der Banditaccia Nekropole in Cerveteri, deren Deckel als leicht überlebensgroße Darstellungen eines gelagerten Paares gestaltet sind: Haynes 2005 S. 249–252 mit Fig. 176 a und b. Haynes 1993 S. 299; die Beispiele vom Typ der Flügelfrau auf der Kline sind: Cristofani 1975 Nr. 12, 17, 25, 26, 27 (zusammengestellt von Haynes 1993 S. 299 Anm. 29). Haynes 1993 S. 299–306; vgl. ähnlich Jannot 1997 S. 158 f.
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aus dem Kunsthandel aus der 1. Hälfte des 5. Jh. v. Chr.,1063 auf dem zwei Dämonen mit großen Schulterflügeln und langen Gewändern einen nackten Mann zwischen sich führen. Der Kontrast zwischen Nacktheit und langem Gewand drückt wohl einen Unterschied im Geschlecht aus;1064 so mag es sich hier um zwei Flügelfrauen handeln, die – ähnlichen Motiven in der späteren etruskischen Grabkunst entsprechend – einen Toten geleiten; und damit mag dieser Skarabäus als ein Zeugnis etruskischer Jenseitsvorstellungen aufzufassen sein.1065 Noch deutlicher ist dies beim Henkel eines etruskischen Bronzebeckens aus der 2. Hälfte des 5. Jh. v. Chr. (Fig. 34; Haynes nimmt an, daß das Becken ursprünglich vermutlich für einen sepulkralen Gebrauch bestimmt war).1066 Der Henkel wird von zwei Flügelfrauen gebildet, die einen toten Krieger zwischen sich tragen.1067 Die Flügelfrauen haben Schulterflügel und tragen lange Gewänder und Mäntel, worunter die Körperformen aber deutlich durchscheinen. Die eine Flügelfrau trägt das Haar offen, die andere hat es hochgesteckt. Sie halten an Beinen, Hüfte und Schultern einen bis auf einen Umhang und seinen Helm nackten Krieger, dessen rechter Arm auf seinem Körper liegt, während sein linker Arm kraftlos herabhängt. Auch der Kopf hängt kraftlos zur Seite und liegt auf der Hand der Dämonin auf, die den Krieger an der linken Schulter hält. Die Kraftlosigkeit dieser Figur drückt deutlich aus, daß es sich um einen Toten handelt, der von zwei Flügeldämoninnen davongetragen wird. Die Komposition der Figuren ist von griechischen Darstellungen inspiriert, auf denen Hypnos und Thanatos den toten Sarpedon tragen.1068 Hier aber an die Stelle der beiden männlichen mythologischen Gestalten zwei Flügeldämoninnen zu setzten, spiegelt etruskische Vorstellungen wieder.1069 Möglicherweise liegen mit diesem Henkel und entsprechenden Skarabäen die ältesten erkennbaren Darstellungen der Dämonin bzw. der Klasse von Dä-
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Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 179 (Nr. 52); Beazley 1920 S. 33 (Nr. 36) mit Abb. auf Tafel 3 (Nr. 36). Haynes 1993 S. 300 gegen die Zweifel von von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 144. Auch Beazley 1920 S. 33 hat keine Zweifel am weiblichen Geschlecht der Flügeldämonen. Beazley 1920 S. 33; Krauskopf 1987 S. 28; Haynes 1993 S. 300; Jannot 1997 S. 158. Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 179 (Nr. 53); Haynes 1993 S. 303 datiert das Stück auf ca. 450–440 v. Chr.; Annahme der ursprünglich sepulkralen Verwendung: Ibidem. Haynes 1993 S. 303; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 179. Warum Paschinger 1992 S. 39 hier Vanth und Charu sehen will, ist ganz unerfindlich. Krauskopf 1987 S. 26; Haynes 1993 S. 300; Paschinger 1992 S. 40. Vgl. Krauskopf 1987 S. 26. Für weitere Beispiele und detaillierte Diskussion vgl. Krauskopf 1987 S. 25–30; Haynes 1993 S. 300–306; Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 179.
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Fig. 34: Henkel eines etruskischen Bronzebeckens. 2. Hälfte 5. Jh. v. Chr.
moninnen vor, die später als Vanth inschriftlich bezeugt sind.1070 Dies bedeutet freilich nicht, daß das Konzept dieser Dämonin in der etruskischen Religion nicht schon vor diesem Zeitpunkt existierte; aber die Ikonographie, in der sie in den späteren, inschriftlich gesicherten Belegen erscheint, wurde erst im 5. Jh. v. Chr. mit Hilfe griechischer Bildelemente ausgeformt.1071 Von dieser Zeit an ist eine weitgehende Kontinuität der Inhalte und der Darstellungsweise der Flügelfrau als Totengeleiterin zu erkennen. Die Inhalte, die in diesen frühesten mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Vanth assoziierbaren Bildwerken zum Ausdruck kommen, bestimmen auch die Darstellungen der späteren Zeit. Der Henkel, der den Toten kraftlos 1070 1071
Vgl. Krauskopf 1987 S. 25 f.; Haynes 1993 S. 306 f. Haynes 1993 S. 306 f.; vgl. von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 144.
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den beiden Todesdämoninnen ausgeliefert darstellt, weist auf den Fries der Tomba del Cardinale voraus, wo der Verstorbene auf einem (Leichen-?)Wagen von zwei Flügelgestalten ins Jenseits gekarrt wird; man erinnere sich hier auch an den Krater der Vanth-Gruppe aus Orvieto, wo der Tote ebenfalls auf dem Leichenwagen liegend in den Bildzyklus eingeführt wurde. Die Seelengeleiterinnen des Skarabäus hingegen stehen Darstellungen wie an der Eingangswand der Tomba Golini I näher, in denen der Tote selbst zur Reise fähig erscheint und von Vanth nur geleitet wird. Auch die häufige Verbindung mit dem Waffentod ist in diesen frühesten Stücken bereits vorgezeichnet, wenn gerade ein toter Krieger von den Dämoninnen davongetragen wird – auch wenn die Art des Toten keine sicheren Rückschlüsse auf das Wesen der frühen Form Vanths erlaubt, da es sich hier um ein Element der griechischen Vorlage handelt: Sarpedon fiel im Kampf. Schließlich zeigt sich in diesen Zeugnissen auch bereits das Auftreten Vanths als Mitglied eines Kollektivs von Gestalten, da die Flügelfrauen zu zweit erscheinen. Die Flügelfrauen des Henkels und der Gemme werden von Weber-Lehmann als Darstellungen einer frühen Form Vanths in Frage gestellt,1072 allerdings ohne daß sie konkrete alternative Deutungen vorschlagen würde. Im Gesamtzusammenhang von Weber-Lehmanns Besprechung der Gestalt Vanth ordnet sich diese Zurückweisung in ihren Versuch ein, die Gestalt als so jung wie möglich darzustellen, um sie gänzlich aus den Erinyen herleiten zu können.1073 Dabei scheint es methodisch nicht nur problematisch, ungelegenes Material einfach als irrelevant zu erklären,1074 sondern Weber-Leh1072 1073
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Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 180. Vgl. insbesondere Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 181. Ähnlich Junge 1983 S. 34, der aber mit dem etruskischen Material nur ganz oberflächlich vertraut ist – so scheinen ihm etwa sogar die Vanth-Darstellungen der Orvietaner Amphoren unbekannt zu sein, wie seine Ausführungen ibidem S. 31 zeigen (Vanth erscheine nie nackt!). Seinem Urteil ist hier daher kein Gewicht beizumessen. Vgl. aber auch ibidem S. 41. Die Begründung, die Weber-Lehmann (ibidem) für die Ablehnung der Gemme als Beleg früher Vanth-Figuren gibt, ist dabei vielleicht vielsagend für ihre Methodik und sei daher hier zitiert: „Da eine Gemme in der Regel nicht primär für eine funeräre Verwendung bestimmt ist, dürfte die Darstellung kaum auf den Verstorbenen, der ins Jenseits geleitet wird, zu beziehen sein. Eher wird hier eines der gerade auf Gemmen üblichen Exzerpte einer mythologischen Szene vorliegen.“ Das Interessante an dieser Begründung ist, daß die von Weber-Lehmann kritisierte Möglichkeit einer funerären Verwendung der Gemme überhaupt nicht als Argument für die Deutung des Mannes als Toter angeführt worden war; dies hätte sich auch schon deshalb verboten, da die Gemme aus dem Kunsthandel stammt (Beazley 1920 S. 33 [Nr. 36]) und über ihren archäologischen Kontext daher gar nichts bekannt ist. Der Mann wird vielmehr als Toter gedeutet, weil die Szene seines Abführens durch zwei Flügeldämonen typologisch anderen Szenen entspricht, in denen Flügeldämonen in
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mann stellt auch alle Grundregeln einer Suche nach Vorlagen und Entlehnungen dadurch auf den Kopf, daß sie aus äußeren Ähnlichkeiten auf eine Entlehnung auch des Charakters schließt, obwohl gerade die wesentlichen Funktionen Vanths und der Erinyen in scharfem Gegensatz zueinander stehen. Nahezu allgemein anerkannt scheint, daß die Erinyenikonographie im Lauf der Entwicklung zunehmend für die Darstellung Vanths verwendet wurde,1075 und es scheint durchaus plausibel, daß sich damit auch der Charakter Vanths im Lauf der Zeit verändert haben mag (man erinnere sich an die bewaffnete Vanth, die sich auf gallische Plünderer stürzt):1076 Seit kurz vor der Mitte des 4. Jh. wurden Erinyen in der unteritalischen Kunst auch in Unterweltsszenen dargestellt,1077 und ein Einfluß der Flügeldämoninnen dieser griechischen Unterweltsbilder auf die Flügeldämoninnen der etruskischen Unterweltsbilder scheint sich daraufhin schnell ausgebreitet zu haben.1078 Dies wäre nicht nur ikonographisch, sondern auch inhaltlich ver-
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einem eindeutig sepulkralen Kontext den Verstorbenen abführen (Beazley 1920 S. 33; Krauskopf 1987 S. 28; man denke etwa an den aus zwei Flügeldämoninnen und einem Gefallenen gebildeten Griff oder das Abführen der Hasti Afunei auf ihrem Sarkophag). Dabei kann es sich auf der Gemme natürlich auch um eine Todesszene aus einem Mythos handeln. Weber-Lehmann bringt hier also ein Scheinargument vor, das an der tatsächlichen Forschungsdebatte vorbeigeht. Dies weckt kein Vertrauen in ihre Methodik und die Verläßlichkeit ihrer Ergebnisse. Krauskopf 1987 S. 83–85; vgl. Junge 1983 S. 34, 39 f.; anders von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 155 f., wo sie die Parallelen zwischen unteritalischen Erinyen und VanthFiguren für zu unspezifisch hält, um auch nur die Annahme einer kontinuierlichen Beeinflussung untermauern zu können, insbesondere da Züge, die unter den unteritalischen Dämonengestalten für Erinyen spezifisch sind, in die etruskische Ikonographie gerade nicht übernommen wurden. Vgl. Jannot 1997 S. 160 f. für ein Beispiel einer Rezeption von Bildformeln, die nicht spezifisch der Erinyenikonographie entstammen. Vgl. auch die Darstellung der Astrape auf einem rotfigurigen apulischen Loutrophoros (um 330 v. Chr.; Jentoft-Nilsen und Trendall 1991 S. 6 f., 8 und Tafel 188.1, vgl. S. 9): Diese Figur erscheint dort u. a. mit einer brennenden Fackel in der Rechten, großen Schulterflügeln, halbhohen Stiefeln und einem kurzen Chiton, der den Oberkörper unbedeckt läßt und von Trägern gehalten wird, die zwischen den nackten Brüsten zusammenlaufen. Diese Gestalt illustriert damit, daß einige der von Vanth und den Erinyen geteilten ikonographischen Züge (nackter Oberkörper, kurzer Chiton, Stiefel, Fackel, Schulterflügel) in der griechischen Kunst nicht für die Erinyen spezifisch sind – auch wenn die Gestalt der Astrape insgesamt kaum mit den etruskischen Todesdämoninnen zu verbinden ist, da sie in der Linken einen Donnerkeil hält. Krauskopf 1987 S. 83–85. Von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 138; Krauskopf 1987 S. 83 f.; vgl. Sarian 1986 (Réflexions) S. 31–33. So Krauskopf 1987 S. 83 f.; anders: Von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 155 f., siehe oben Anm. 1075. Eine endgültige Entscheidung würde wohl einer monographischen Un-
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ständlich, denn es wird dem Tod wohl immer ein Grauen angehaftet haben, wie sehr die alte Vorstellung einer freundlichen Vanth darüber auch hinwegzutrösten versucht haben mag. Dieses Grauen könnte von der neuen Erinyenikonographie angesprochen worden sein. In den Erinyen-ähnlichen Zügen erschöpft sich aber der Charakter Vanths nicht. Gerade auch frühe Darstellungen Vanths zeigen sie als eine freundliche Seelengeleiterin (Amphoren der Vanth-Gruppe, ebenso später der Sarkophag der Hasti Afunei), die ihre Aufgabe beim Übergang des Toten in ein mitunter ausdrücklich positives Jenseits hat (Tomba Golini I). Dagegen sind die Erinyen Jäger derer, die sich gegen die göttliche Ordnung vergangen haben, die sie mit Wahnsinn schlagen, deren Blut sie trinken und die sie zu ihrer Strafe in die Unterwelt hinabzerren (als Schlüsseltext vgl. Aischylos, Eumeniden; auf den Charakter der Erinyen wird noch ausführlicher zurückzukommen sein).1079 Auch dies ist zwar in gewissem Sinne eine spezialisierte Form einer Seelengeleiterfunktion, wenn man den Begriff etwas weiter fassen will, aber eine freundliche Seelengeleiterin läßt sich aus solchen Rachegeistern schwerlich herleiten. Das gilt umso mehr, als die frühen unteritalischen Erinyendarstellungen diese Gestalten im Kontext mythologischer Szenen zeigen und sie gerade nicht zu dem Toten in direkte Beziehung setzen, dem die entsprechenden Gefäße vielleicht als Grabbeigaben mitgegeben wurden;1080 alles andere wäre in Anbetracht der griechischen Vorstellungen von den Erinyen auch ganz unverständlich. Dagegen werden die etruskischen Totengeleiterinnen ganz bewußt zum Verstorbenen in eine positive Beziehung gesetzt.1081 Diese etruskische Vorstellung der freundlichen Totengeleiterin im zeitgenössischen religiösen Leben läßt sich kaum plausibel aus einer griechischen Vorstellung von Straf- und Rachegeistern herleiten, die zudem mehr Teil der Literatur als der religiösen
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tersuchung bedürfen, die hier nicht geleistet werden kann. Für die vorliegende Fragestellung scheint das Problem auch unbedeutend, denn wenn von Freytag mit ihrer Ablehnung eines starken Einflusses der Erinyen auf die Darstellungsweise und die Vorstellungen von Vanth recht hat, würde dies nur den gewalttätigen Aspekt der späteren etruskischen Todesdämoninnen unterstreichen. Dieser ist jedoch in jedem Fall eine spätere Tendenz und würde als solche die Frage nach eventuellen Wurzeln der nordwesteuropäischen Dämoninnen im prähistorischen Mittelmeerraum nicht berühren. Im Fall einer Entlehnung der nordwesteuropäischen Dämoninnen aus dem Mittelmeerraum der historischen Zeit hingegen wäre ohnehin ausschließlich der synchrone Befund relevant, unabhängig davon, ob dieser rein einheimisch-etruskisch ist oder etruskisch-griechische Mischvorstellungen repräsentiert. Siehe unten S. 329 ff. Der Charakterunterschied zwischen Vanth und den Erinyen wurde etwa auch von Jannot 1997 S. 159 f. hervorgehoben. Von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 144. Von Freytag ibidem, und vgl. die oben genannten Beispiele.
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Praxis gewesen zu sein scheint: Zusätzlich zum fehlenden Bezug der unteritalischen Erinyen auf den Grabbrauch ist von Freytags Hinweis zu beachten, daß gerade die Aufführung der Orestie des Aischylos im Jahre 458 v. Chr. den Anstoß zur Darstellung der Rächerinnen in der Vasenmalerei gab, was sich aus der Entstehungszeit und der Wahl des Motivs der weitaus meisten frühen attischen Erinyendarstellungen schließen läßt.1082 Auch die beiden vermutlich frühesten unteritalischen Darstellungen von Erinyen vom Ende des 5. und dem Anfang des 4. Jh. stellen Szenen des Orestes-Mythos dar.1083 Von einer solchen primär literarischen Grundlage ausgehend, läßt sich wohl kaum ein Import einer neuen Gestalt in den etruskischen Jenseitsglauben annehmen – zumal diese Gestalt in ihrem Charakter nahezu in ihr Gegenteil hätte verkehrt worden sein müssen. Dies wird dadurch nur noch unterstrichen, daß sich der Typ der Vanth-Darstellung als nackter Flügelfrau mit Schriftrolle (Amphoren der Vanth-Gruppe aus Orvieto) nicht einmal ikonographisch von Erinyendarstellungen herleiten läßt;1084 eine inhaltliche Verbindung scheint ohnehin nicht im Entferntesten möglich. Weber-Lehmanns Vermutung einer späten Entstehung der Gestalt Vanths als direktes Ergebnis des Kontakts mit den Erinyenvorstellungen der griechischen Welt ist entsprechend von der neueren Forschung nicht aufgegriffen worden: Haynes sieht Vanth in einer bis ins 7. Jh. v. Chr. zurückreichenden Kontinuität.1085 1082
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Von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 136 f. Vgl. besonders Wüst 1956 Spalten 118–120 zur vor allem literarischen Existenz der Erinyen der fraglichen Zeit (und siehe unten S. 329). Zu den frühesten attischen Erinyendarstellungen vgl. von Freytag 1986 (Bronzestatuette) S. 454; Sarian 1986 (Réflexions) S. 26 f. Von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 138 f. Siehe oben Anm. 838. Haynes 2005 S. 316. Vgl. Jannot 1997 S. 158–161 und schon die Schlußfolgerung von Herbig 1955 Spalte 350: „Gedankliche Beziehungen zu den griechischen Vorstellungen der Ker oder Erinys scheinen gelegentlich faßbar, eine direkte Übertragung jedoch, einfache Identifizierung mit jenen ist absolut auszuschließen.“ Zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Vanth und Ker vgl. besonders Enking 1943 S. 63–69, unter Betonung der Ähnlichkeiten. Die Idee einer Entlehnung der Vanth-Gestalt aus dem Griechischen wurde in der Forschungsgeschichte gelegentlich vorgebracht, so de Ruyt 1934 S. 217; Wüst 1956 Spalte 120 (unter Annahme einer Verbreitung der Erinyen durch die „pythagoreisch-orphische Lehre“; die Erinyenvorstellung hätte „besonders bei den mystisch veranlagten Etruskern den Anlaß zum Ausbau einer vielgestaltigen Dämonologie gegeben“ – man braucht in der Tat einigen Mystizismus, um die doch besonders zu Anfang ihrer greifbaren Geschichte recht wohlwollende Vanth [vgl. Spinola 1987 S. 63] aus Rachegeistern wie den Erinyen herzuleiten; Wüst bringt eben gerade keine chronologische Ordnung in seine Zeugnisse, was sie durch das Übergewicht des hellenistischen Materials den Erinyen näherrückt).
Vanthdarstellungen ohne Namensbeischrift
309
Insgesamt scheint es somit gerechtfertigt, in der Gestalt Vanths eine einheimische etruskische Seelengeleiterin zu sehen, die sekundär möglicherweise starkem griechischem Einfluß unterlag. Wie weit man die Kontinuität dieser Gestalt über ihre inschriftlich gesicherten Belege im 4. Jh. v. Chr. zurückreichen sehen will, bleibt jedoch problematisch. Die ikonographischen Belege des 5. Jh. v. Chr. können durch ihre sowohl ikonographische als auch inhaltliche Kontinuität zu den ein Jahrhundert später vorliegenden inschriftlich gesicherten Belegen noch überzeugen. Eine klare Bewertung noch früherer ikonographischer Zeugnisse und einer Weiheinschrift scheint mir hingegen kaum noch möglich. Letzteres Zeugnis verdient allerdings dennoch, zumindest kurz erwähnt zu werden: Bei dieser möglichen Weiheinschrift handelt es sich um einen Aryballos aus dem 7. Jh. aus dem Kontext eines Grabs,1086 dessen Inschrift nach anfänglicher Debatte über die Lesung heute als mi malak. van gedeutet wird.1087 Zusätzlich zu den Problemen der Lesung ist auch die Übersetzung des Textes nicht unproblematisch.1088 Es handle sich wahrscheinlich um eine Besitzerinschrift („ich bin die schöne/gute [ ? ] Vanth“, was als „ich gehöre der schönen/guten Vanth“ aufzufassen sei).1089 Haynes faßt den Aryballos als Beleg für Vanth im 7. Jh. auf und schließt aus der Weiheinschrift, daß Vanth ursprünglich eine einzige Gottheit war.1090 Auch wenn man aber trotz aller damit verbundenen Unsicherheiten die Inschrift als Beleg für 1086
1087
1088 1089
1090
Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173: Aus einem Grab; hingegen Cristofani 1969 S. 283: „scoperto al di fuori della fossa, nel terreno superficiale o nello scavo dell’area del circolo“, also doch wohl nur aus der Umgebung eines Grabs. Rix 1991 Bd. 2 S. 126 (AV 2.3); Agostiniani 1987 S. 111 (Nr. 362); Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173. Der Erstherausgeber hatte hingegen mimalak. z. an gelesen: Cristofani 1969 S. 284–287. Auch von Freytag 1986 (Giebelrelief ) S. 143 Anm. 562 betont die Unsicherheit der Lesung. Vgl. Krauskopf 1985 S. 315: „un discusso caso“. Lakonisch Agostiniani 1987 S. 111 als Einleitung seiner Diskussion: „Il testo è oscuro.“ Weber-Lehmann 1997 (Vanth) Bd. 8.1 S. 173. Massa-Pairault 2003 S. 190 f. geht noch weiter (Zitat S. 191): „il s’agit certainement d’une dédicace à la ‹ bonne fortune ›, à ‹ l’heureux sort ›, le contexte étant érotique par son origine [Parfümfläschchen! Ibidem S. 190] et funéraire par sa destination.“ Das scheint zwar durch den Hinweis auf möglicherweise sowohl erotische als auch sepulkrale Aspekte interessant, die Übersetzung von Vanths Namen aber ist reine Spekulation. Die Inschrift wird auch von Jannot 1997 S. 161 als Weihung an Vanth akzeptiert (der Sinn könnte ihm zu Folge sein: „je suis l’offrande (funéraire?) à Vanth, ou je suis la belle offrande à Vanth“): „Nous aurions alors […] une dédicace archaïque à une divinité dont les représentations, comme d’ailleurs celles de la quasi-totalité des divinités, n’apparaissent que tardivement et se modifient sans cesse au contact des images venues de Grèce.“ Ebenso Jannot 2005 S. 71. Haynes 2005 S. 316.
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Etrurien: Vanth
Vanth im 7. Jh. akzeptiert – worüber sich nur der Fachlinguist eine fundierte Meinung bilden kann – ließe sich dennoch hieraus nicht schließen, daß das Auftreten der dämonischen Trias auf dem Sarkophag der Hasti Afunei eine sekundäre Aufspaltung einer ursprünglich allein auftretenden Dämonin Vanth ist, wie Haynes das tut.1091 Denn auch auf dem Sarkophag der Hasti Afunei ist der Name Vanth nur einer der drei Gestalten beigeschrieben. Ebenso mögen neben der möglichen Vanth des Aryballos noch andere Dämoninnen gestanden haben, wie die Cul´su auf dem Sarkophag der Hasti Afunei neben einer inschriftlich so benannten Vanth steht.
Ikonographische Experimente zur Darstellung Vanths? Unbenennbare Vogeldämonen Ähnlich problematisch wie die Inschrift des Aryballos sind mögliche ikonographische Hinweise auf Vorgänger der ab dem 5. Jh. belegten Erscheinungsform Vanths.1092 Ein Indiz, daß auch schon vor der Ausbildung der späteren Ikonographie der Todesdämonin als schöner Flügelfrau verwandte Vorstellungen vorhanden gewesen sein könnten, stellen einige ikonographische Experimente dar, die sich im folgenden nicht durchsetzen konnten. So zeigt eine Scherbe einer etruskischen Amphore vom Anfang des 5. Jh. v. Chr. einen Dämon mit einem Raubvogelkopf, der einen nackten Mann am rechten Arm packt (Fig. 35; das Fragment stammt aus dem römischen Kunsthandel des 19. Jh.).1093 Eine Kleeblattkanne unbekannter Pro-
1091 1092
1093
Haynes ibidem. Nur erwähnt werden soll, daß auch die etruskische Skulptur der archaischen Zeit (7./6. Jh.) darauf hindeutet, daß schon in dieser Epoche eine (oder mehrere) göttliche weibliche Gestalt(en) eine wichtige Rolle im sepulkralen Bereich spielte(n), vgl. Hus 1961 S. 495–503, 512–514, 516–532, 545–548, 558. Konkretere Hinweise auf eine spezifische Verbindung mit der Gestalt Vanths gibt es jedoch nicht (vgl. ganz im Gegenteil besonders Hus 1961 S. 531 f., jedoch auch die spekulative Assoziation von Sphinx und Vanth, wobei die Sphinx Vorgängerin der anthropomorphen Vanth wäre, ibidem S. 537 f., 545), auch wenn Paschinger 1992, besonders S. 54–62, und zusammenfassend Paschinger 1991/92 hier Kontinuitäten sieht. Eine solche Kontinuität wird auch von Jannot 1997 S. 162 und Krauskopf 1987 S. 68 für möglich gehalten (Paschinger und Jannot insbesondere mit Bezug auf die Fragmente weiblicher Statuen aus der Tomba della Pietrera in Vetulonia). Jacobsthal 1912 S. 8; Krauskopf 1987 S. 22. Jacobsthal 1912 S. 8 und Malten 1914 S. 240 und 242 sprechen von einem Dämon mit Spatzenkopf; Krauskopf hat dagegen darauf hingewiesen, daß der gekrümmte Schnabel den Vogelkopf einem Raubvogel zuweist, wo z. B. auch ein Falke eine ähnlich runde Kopfform haben kann:
Ikonographische Experimente zur Darstellung Vanths?
311
Fig. 35: Fragment einer etruskischen Amphore. Anfang 5. Jh. v. Chr.
venienz,1094 die frühestens an den Anfang des 4. Jh. v. Chr. datiert, zeigt einen nackten, bis auf einen Geierkopf weitgehend anthropomorphen weiblichen Dämon mit großen, weit ausgebreiteten Schulterflügeln, dessen Hände anscheinend vor der Brust gefesselt sind und der mit großen Schritten nach rechts ausschreitet. Vor dieser Dämonin befindet sich ein kleiner Hund, der sich zu ihr umblickt (Fig. 36).1095 Diese etruskischen Figuren wurden mit dem Dämon Eurynomos auf einem nur literarisch überlieferten Gemälde des Polygnot (Pausanias X.xxviii.7) und mit einer einzelnen attischen Scherbe mit einem vogelköpfigen Dämon1096 verglichen. Da jedoch auf andere Weise auch im hellenistischen Etrurien im Dämon Tuchulcha Geierzüge wiederauftauchen, mag es sich hier ebensogut um einen Versuch
1094 1095
1096
Krauskopf 1987 S. 22 Anm. 35. Schon Jacobsthal (1912 S. 10) deutete das Wesen als einen „Todesdämon“. Vgl. Giglioli 1935 S. 68 f. (zu Tav. CCCLXXII.4); Albizzati 1921 S. 252. Krauskopf 1987 S. 22; Giglioli 1935 Tafeln 372,4 und 372,6 (=meine Fig. 36); Schauenburg 1970 S. 79 Abb. 45. Für eine unsichere weitere Darstellung eines etruskischen Dämons mit Vogelschnabel vgl. Krauskopf 1987 S. 22 und Schauenburg 1970 S. 68 ff., besonders S. 71 mit Abb. 39, S. 78 f. Malten 1914 S. 243 Abb. 31; Jacobsthal 1912 S. 8 f. mit Abb. 10.
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Etrurien: Vanth
Fig. 36: Etruskische Kleeblattkanne. Anfang 4. Jh. v. Chr. oder später.
handeln, ein einheimisches dämonisches Konzept auszudrücken.1097 (Besonders wichtig ist hier, daß das Wiederaufgreifen schon früher belegter Konzepte, aber anscheinend ohne durchgehende ikonographische Tradition, auch bei teilweise wolfsgestaltigen Figuren ganz ähnlich auftritt;1098 in beiden Fällen scheint man sich also an das dämonische Konzept erinnert zu haben, und nicht einfach Bilder zu kopieren.1099) Es scheint, daß sich diese Darstellungsweisen als vogelköpfiger Dämon, obwohl sie für einheimische Konzepte entworfen wurden, aufgrund der etruskischen Begeisterung für die griechische Kunst nicht durchsetzten konnten;1100 so könnte möglicherweise stattdessen die Vanth als schöne Flügelfrau das gängige Darstellungsmuster der weiblichen Todesdämonen geworden sein. Falls dies richtig ist, könnte sowohl der Nacktheit als auch dem Geier- bzw. Raubvogelcharakter dieser Versuche einer einheimischen Ikonographie etruskischer (Todes?)Dämoninnen besondere Bedeutung zukommen. 1097 1098 1099 1100
Krauskopf 1987 S. 22 f., vgl. ibidem S. 72 f. mit Tafel XIII. Krauskopf 1987 S. 23. Vgl. Krauskopf 1987 S. 20 f. und S. 61–67. Krauskopf 1987 S. 97.
Ikonographische Experimente zur Darstellung Vanths?
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Daß gerade das Vogelelement in den etruskischen Vorstellungen eine wichtige Rolle gespielt hat, wird dabei auch durch eine andere Sackgasse in der Entwicklung einer etruskischen Todesdämonenikonographie nahegelegt. Sirenen können in Griechenland neben ihrer literarischen Rolle in den Abenteuern des Odysseus einen stark sepulkralen Aspekt besitzen, worauf im folgenden noch zurückzukommen sein wird.1101 Es sei hier nur kurz vorweggenommen, daß Sirenen, die kleine menschliche Gestalten tragen, insbesondere auf der Basis der Analyse der Ikonographie eines königlichen lykischen Grabmonuments als Todesdämoninnen gedeutet werden, welche die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits geleiten. In Etrurien gibt es eine spezifisch etruskische Variante solcher Sirenen (oder vorsichtiger gesagt: Vögel mit Menschenkopf), die zwei kleinere menschliche Gestalten an den Armen packen und mit sich zerren.1102 So auf einer schwarzfigurigen Hydria aus Vulci aus dem 6. Jh. v. Chr. (Fig. 37; die Fundumstände des bereits 1834 für das Berliner Antiquarium erworbenen Stücks scheinen nicht dokumentiert).1103 Dort ist ein Vogeldämon in Vorderansicht dargestellt, der aus einem Vogelkörper mit zwei Flügelpaaren, menschlichen Armen und einem Medusenhaupt mit Hauern besteht. Das Wesen fliegt und hat beide Hände weit zu den Seiten hin ausgestreckt; mit jeder Hand hält es das Handgelenk je eines nackten, mit den Füßen strampelnden bartlosen Mannes oder Jungen. Ein anderes, deutlich jüngeres Beispiel sind die Henkelattaschen einer Bronzesitula aus der Mitte des 4. Jh. v. Chr.1104 aus Offida, die im 19. Jh. bei Planierungsarbeiten am Ort einer antiken Nekropole gefunden wurde; die genauen Fundumstände wurden über die Herkunft der Situla aus einem Grab hinaus nicht aufgezeichnet (Fig. 38).1105 Der Herstellungsort läßt sich aus stilistischen Gründen als Orvieto bestimmen.1106 Dieses insgesamt 46 cm hohe Gefäß ist die am reichsten geschmückte von allen bekannten Situlen.1107 Die beiden Henkelattaschen sind nahezu iden1101 1102 1103
1104 1105
1106 1107
Siehe unten S. 400 ff. Krauskopf 1987 S. 24; Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230. Furtwängler 1885 Bd. 1 S. 477 (Nr. 2157), vgl. S. XVIII; Weicker 1909–1915 Spalte 608; Malten 1914 S. 239 f.; Dohrn 1937 S. 89 f. (Nr. 168); Buschor 1944 S. 27 f. mit Abb. 16; Beazley 1947 S. 13; Krauskopf 1987 S. 23 f. mit Tafel IIc; vgl. Harrison 1908 S. 177; de Ruyt 1936 S. 142; Fauth 1986 S. 124; Engelmann 1886. Für Literatur, die das Vogelmischwesen dieser Vase als Ker deutete, vgl. Vollkommer 1992 Bd. 6.1 S. 19 (Nr. 49); eine solche Deutung ist nicht aufrechtzuerhalten, wie Vollkommer gezeigt hat (ibidem S. 22). Krauskopf in Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1104 (Nr. 124). Haynes 1991 S. 131 f.; Weicker 1909–1915 Spalte 608; Malten 1914 S. 240 f.; Krauskopf 1987 S. 23 f.; Krauskopf in Hofstetter 1997 Nr. 124. Haynes 1991 S. 137. Haynes 1991 S. 131 Anm. 2 und S. 132.
314
Etrurien: Vanth
Fig. 37: Etruskische Hydria. 6. Jh. v. Chr.
Fig. 38: Etruskische Bronzesitula aus Offida. Mitte 4. Jh. v. Chr.
Ikonographische Experimente zur Darstellung Vanths?
315
tisch;1108 sie zeigen je eine Vogelfrau in Vorderansicht im Flug. Die Vogelfrau hat einen Vogelunterleib und den Oberkörper einer Frau mit großen Schulterflügeln. Sie trägt eine Halskette, Ohrschmuck und ein Band (Diadem?) im Haar. Der menschliche Teil des Körpers wird von einem Gewand bedeckt, dessen Ärmel bis zu den Ellenbogen reichen. Die Schulterflügel liegen seitlich neben ihrem Körper, so daß sie den Hintergrund für die beiden kleinen menschlichen Gestalten bilden, welche die Vogelfrau rechts und links von sich mit ihren Händen an den Handgelenken festhält. Mit den Vogelbeinen hält sie sie zudem noch an ihren Hüften fest, indem sie sich anscheinend mit den Vogelklauen im Fleisch von Hüfte und Oberschenkel festkrallt. Da in Orvieto Teile der Dekoration eines Tempels mit demselben Motiv belegt sind, vermutet Haynes, daß diese Situla als Kultgefäß für einen Kult hergestellt wurde, „der mit Todes- oder Unterweltsgottheiten verbunden war.“1109 Vergleichbare Darstellungen sind in Etrurien mehrfach, jedoch insgesamt nicht sehr häufig belegt.1110 Ob es sich bei diesen FrauVogel-Mischwesen, die Menschen (als Todesdämoninnen?) entführen, um eine ikonographische Sackgasse handelt, die eine Darstellung desselben Konzepts versuchte, das in der Ikonographie Vanths als schöner Flügelfrau seinen klassischen und kanonischen Ausdruck fand, darüber kann in Anbetracht der Materiallage nur spekuliert werden.
1108 1109
1110
Vgl. Haynes 1991 Tafel 32 Nr. 1 und 2 für Großaufnahmen der Attaschen. Haynes 1991 S. 137 f., Zitat: S. 138. Speziell diese Henkelattaschen wurden von Malten 1914 S. 239 f., Weicker 1909–1915 Spalte 608, Krauskopf 1987 S. 24, Krauskopf in Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1104 als Darstellungen von Todesdämoninnen gedeutet; ähnlich vgl. Fauth 1986 S. 124. Vgl. mit weiterem Vergleichsmaterial: Krauskopf in Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1104; Haynes 1991 S. 133; Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230 f.; Krauskopf 1987 S. 23–25; Weicker 1902 S. 189 f. Soweit mir bekannt, stimmen alle Interpreten in der Deutung entsprechender Darstellungen als Todesdämoninnen überein. Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230 f. sieht sie im Vergleich mit der griechischen Ker und griechischen Sirenendarstellungen als Beleg dafür, daß es „sowohl in Griechenland wie in Etrurien die übereinstimmende Vorstellung einer für den Tod von Männern zuständigen Todesdämonin [gab]“. Hierauf wird im nächsten Kapitel zurückzukommen sein. Vgl. Krauskopf 1987 S. 31 zum etruskischen Versuch, eine Ikonographie der etruskischen Todesdämonen auf der Basis der griechischen Kunst zu entwickeln: „Der einzige wirklich brauchbare, weil allgemein verständliche Typus von Todesdämonen war der der Sirenen, die kleine Menschen in den Armen tragen; dieser Typus, der in Etrurien ja auch übernommen und etwas wilder, furchterregender gestaltet wurde – die etruskischen Sirenen packen die Menschen wie eine Beute roh an den Armen und tragen sie nicht sanft wie die griechischen –, war wohl in Griechenland selbst zu wenig verbreitet, um in Etrurien als allgemein verbindlicher Typus übernommen werden zu können.“
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Etrurien: Vanth
Zusammenfassung und vorläufiger Vergleich mit der nordwesteuropäischen Todesdämonologie Das vorliegende Kapitel hat den Versuch unternommen, ein Charakterbild der etruskischen Todesdämonin Vanth zu entwerfen. Dafür sind zunächst die sechs Bilddenkmäler besprochen worden, auf denen Vanth eindeutig durch eine Namensbeischrift identifiziert wird, gefolgt von den zwei Bilddenkmälern, auf denen die Identifizierung durch eine Namensbeischrift umstritten ist. Danach wurde eine Reihe von Denkmälern angesprochen, die sich durch den Vergleich mit den inschriftlich gesicherten Darstellungen mit einiger Wahrscheinlichkeit als Darstellungen Vanths deuten lassen und die wichtige Aspekte von Vanths Charakter weiter herausarbeiten. Hierauf wurde die Frage nach der Zeittiefe der Bezeugung Vanths gestellt, und schließlich wurde ein kurzer Ausblick auf einige Sackgassen der Entwicklung der etruskischen Ikonographie gegeben, die sich zwar nur spekulativ mit Vanth verbinden lassen, die aber möglicherweise Streiflichter auf Aspekte darstellen, die zum Charakter weiblicher Gestalten der etruskischen Dämonologie des Todes gehören, aber die wohl aufgrund der etruskischen Vorliebe für den klassisch-griechischen Formenkanon üblicherweise nicht zur Darstellung gelangt sind. Die wichtigsten Zeugnisse für Vanth sind die sechs eindeutig inschriftlich gesicherten Bilddenkmäler. In der Tomba François in Vulci erscheint Vanth im 4. Jh. bei der Opferung trojanischer Gefangener im Zuge der Totenrituale für Patroklos. Sie beobachtet die Tötungsszene als scheinbar unbeteiligte, lang bekleidete Gestalt, umfaßt jedoch mit ihren vielfarbigen Flügeln einen Sterbenden, einen Toten und einen Todgeweihten, worin sich eine allumfassende Bedeutung für den Bereich des Todes ausdrücken mag. Ebenfalls dem 4. Jh. zugehörig ist die Vanth der Amphoren der VanthGruppe aus Orvieto, wo sie in einer rein etruskischen Darstellungsweise als leichtfüßig tänzelnde, jugendliche, nackte Flügelfrau mit einer Schriftrolle erscheint, um dem Toten auf seinem Weg ins Jenseits Geleit zu geben. Ein gravierter Bronzespiegel desselben Jahrhunderts aus Perugia zeigt sie hingegen in ganz griechischer Art als Erinys mit schlangenumwundenem Arm, aber ohne Flügel, bei der rituellen Reinigung des Orestes. Im 3. Jh. flankiert sie zusammen mit Charun den Eingang der Tomba degli Anina in Tarquinia; hier trägt sie die Fackel und die Tracht vieler unteritalischer Erinyen: Nackte Brüste, kurzer Chiton und Jägerstiefel. Ihre Stellung an der Grabtür ist jedoch ganz etruskisch, und wieder fallen ihre großen, bunten Flügel auf. Ebenfalls ins 3. Jh. datiert ein gravierter Bronzespiegel aus Bolsena, auf dem sie geflügelt, mit einer Fackel und im Sternenkleid nach der Ermordung des Troilos dargestellt erscheint und vielleicht nicht mehr ist als die
Zusammenfassung und vorläufiger Vergleich
317
erinyenhafte Verkörperung des Unheils, das Achilleus durch diese Tat auf sich herabbeschworen hat. Ganz etruskisch stellt sie sich hingegen im 2./3. Jh. auf dem Alabastersarkophag der Hasti Afunei aus Chiusi dar. Dort erscheint sie mit dem Schlüssel oder Riegel der Unterwelt neben der Pforte zum Hades, während eine ihr ähnliche Flügelfrau die Verstorbene an der Taille faßt und zur Unterweltspforte führt, und während Cul´su mit einer Fackel und weiteren, unklaren Attributen aus der Hadespforte tritt. Vanth trägt hier neben Schmuck und Jägerstiefeln auch einen Mantel, der in seiner ungewöhnlichen Drapierweise das Schamdreieck der Dämonin zu betonen scheint. Ferner hat sie kleine Kopfflügel. Nach Überprüfung der Inschriftenreste am Original kann ferner eine Namensbeischrift Vanths auf einer Chiusiner Alabasterurne des 2. Jh. als verläßlich überliefert gelten. Dort taucht die Dämonin mit großen Schulterflügeln, Fackel, nacktem Oberkörper und einer Schriftrolle zwischen zwei Kriegern aus der Erde auf, die voll gerüstet eben zum Angriff aufeinander überzugehen scheinen. Unsicher bleibt hingegen die Identifizierung einer Flügelfrau auf einem Sarkophagdeckel des 4. Jh. aus Vulci: Sie läßt sich als Vanth oder als Lasa deuten. Diese Figur erscheint mit nacktem Oberkörper und großen Schulterflügeln auf dem Sarkophag gelagert und wird von einer Taube( ? ) und einer bärtigen Schlange( ? ) begleitet. Darauf wurden einige weitere Zeugnisse vorgestellt, die Vanth-Gestalten an der Jenseitsreise des Toten Anteil nehmen lassen. Hervorzuheben sind insbesondere die Tomba Golini I bei Orvieto (4. Jh.), wo Vanth mit großen Schulterflügeln und Schriftrolle den Toten zum jenseitigen Bankett seiner Ahnen geleitet, und die Tomba del Cardinale in Tarquinia (2. Jh.), wo Vanth-Gestalten den Toten im Kontext einer brüchig gewordenen Jenseitshoffnung auf einem Karren ziehen. Weitere Monumente illustrierten gewaltsame Aspekte Vanths (etwa mit Schwert beim Angriff auf Tempelschänder auf einer Volterraner Urne des 2. Jh.), ihre Pluralität (im 2. Jh. als Zweiheit von Wächterinnen am Hadestor im Hypogäum der Volumnier) und ihre erotische Seite; letztere kommt unter anderem auf einer Alabasterurne des 2. Jh. aus Cetona mit der Darstellung des Todes als Liebesumarmung und insbesondere in der ‚Vanth von Tuscania‘ zum Ausdruck. Die ‚Vanth von Tuscania‘, die ins 3. Jh. datiert, stellt ihre Scham herausfordernd zur Schau; damit geht sie über die bloße Nacktheit der Vanth der Orvietaner Amphoren weit hinaus. Für dieses Denkmal wurde in der Forschung ein Synkretismus mit Grabsirenen vorgeschlagen; seine betonte Zurschaustellung der weiblichen Scham findet unter den inschriftlich gesicherten Vanth-Darstellungen jedoch vielleicht eine gewisse Parallele auf dem Sarkophag der Hasti Afunei, wo die Scham der Dämonin zwar wohl bedeckt ist, sich jedoch nichtsdestoweniger im Relief deutlich abzeich-
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Etrurien: Vanth
net und insbesondere durch die Drapierung des Mantels auffallend betont wird. Die Frage nach dem Alter der Figur Vanths führte zu einem Skarabäus, auf dem zwei Flügelfrauen nach Art von Totengeleiterinnen einen Mann abführen (ähnlich der Figurengruppe am rechten Rand des Sarkophags der Hasti Afunei), und dem Griff eines Bronzebeckens, der aus zwei Flügelfrauen besteht, die einen toten Krieger tragen. Beide Zeugnisse entstammen dem 5. Jh. und stellen die ältesten Bildwerke dar, die Flügelfrauen in einer Weise darstellen, die eine Deutung als Vanth-Gestalten nahelegt. Eine mögliche Weiheinschrift an Vanth aus dem 7. Jh. scheint weithin akzeptiert, ist jedoch auch mit einigen Problemen behaftet. Schließlich wurde auf einige Darstellungen von Dämonen in Gestalt von Frau-Vogel-Mischwesen aus dem 4. bis 6. Jh. verwiesen. Diese regen zur Spekulation an, ob es sich hier um Sackgassen bei der Entwicklung der klassischen Vanth-Ikonographie handeln könnte; dann könnten hier weitere Züge Vanths zum Audruck kommen, die in der klassischen, auf griechischen Elementen basierenden Darstellungsweise nicht hervortreten. Falls dem so sein sollte, würde ein Amphorenfragment des 5. Jh. einen Raubvogelaspekt und eine Kleeblattkanne des 4. Jh. einen Geieraspekt suggerieren; letztere Dämonin erscheint wiederum in auffallender Nacktheit. Weitere, sirenenartige Vogelmischwesen könnten den allgemeinen Vogelaspekt der Todesdämoninnen unterstreichen. Die Assoziation dieser Zeugnisse mit Vanth muß jedoch gänzlich unsicher bleiben. Faßt man mit Blick auf den Vergleich mit den Walküren und den Bodbs die charakteristischen Züge Vanths thematisch zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Der Kollektivcharakter der etruskischen Todesdämoninnen vom Vanth-Typ zeigt sich in den nicht inschriftlich gesicherten Zeugnissen seit dem 5. Jh., da auf der Gemme und dem Beckengriff je zwei Dämoninnen auftreten. Die inschriftlich gesicherten Darstellungen zeigen im Fall des Sarkophags der Hasti Afunei aus dem 3./2. Jh. mehrere Vanth-Gestalten, von denen eine als Vanth und eine als Cul´su beschriftet ist. Die übrigen inschriftlich gesicherten Zeugnisse zeigen Vanth alleine oder zusammen mit dem Todesdämon Charun (Tomba François, 4. Jh.; Tomba degli Anina, 3. Jh.; Vasen der Vanth-Gruppe). Vanth scheint also seit frühester Zeit Mitglied einer Klasse von mehreren funktional gleichen Dämoninnen zu sein, aber zugleich auch als Individuum auftreten zu können. Dies findet sein Gegenstück in den Walküren, die sowohl als Einzelgestalten auftreten (vgl. Hildr in der Sage vom Hjajningavíg, Sigrún und Sváva in den Helgi-Liedern oder die Sigrdrífomál), als auch im Kollektiv erscheinen (wie in den Hákonarmál oder in der Vqlospá). Ebenso können die Bodbs sowohl als scharf gezeichnetes Individuum als auch als Kollektiv dargestellt werden (vgl. etwa
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die Morrígain in ihrem Verhältnis zu Cú Chulainn oder dem Dagda gegenüber der Glosse in O’Mulconrys Glossar oder der Gruppe der drei Töchter von Ernmas). Das Paar der schönen Vanth und des immer betont häßlichen Charun erinnert ferner in merkwürdiger Weise an den Auftritt der Morrígain in Begleitung eines dämonischen Mannes in der Táin Bó Regamna. Die Beziehung Vanths zum Tod ist ebenso deutlich wie vielschichtig und bildet das Zentrum des Charakters dieser Dämonin: In der Tomba François erscheint sie gleichsam als Herrin des Todes in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Auf den Vasen der Vanth-Gruppe tritt sie im Zuge der Jenseitsreise des Toten auf. In der Tomba degli Anina ist sie eine Wächterin der Grabpforte, und in der Tomba Golini I eine klassische Seelengeleiterin, die den Toten an sein Ziel bringt; ganz ähnlich auf dem Sarkophag der Hasti Afunei. Auf dem Beckengriff tragen die Flügelfrauen den Toten, und in der Tomba del Cardinale ziehen sie ihn auf einem Karren. Vanth erscheint so als eine Figur, die durch und durch im Bereich des Todes, des Jenseits und des Grabes verwurzelt ist, ganz wie die Gestalten der Walküren und der Bodbs. Als Unterschied zu den Walküren und den irischen Bodbs ist jedoch zu bemerken, daß die nordwesteuropäischen Gestalten gerade dem gewaltsamen Tod verbunden waren, und nur dem gewaltsamen Tod. Vanth hingegen taucht auch außerhalb des Schlachtfeldes auf: Der Tote der Vasen der Vanth-Gruppe ist ein Alter, der am Knotenstock geht, und Hasti Afunei ist eine Frau. Während die Walküren und die Bodbs nur den heroischen Bereich des Todes beherrschen, gehört Vanth der Tod in seiner Gesamtheit. In einem Teil der Belege ist Vanth dabei ganz ausdrücklich als Seelengeleiterin gerade mit dem Übergang des Toten ins Jenseits befaßt, ähnlich den Walküren des Nordens. Auf anderen Belegen, wie in der Tomba François, bleibt die genaue Art ihrer Verbindung mit der dargestellten Todesszene unklar, und mitunter verblaßt Vanth allem Anschein nach zur bloßen Verkörperung des Unheils und damit des bevorstehenden Todes, wie auf dem Spiegel mit dem Mord an Troilos. Damit ist Vanth aber auch dem Bereich von Krieg und Gewalt zugeordnet – zwar nicht ausschließlich, jedoch immer noch deutlich. Entsprechend kann sie auch das Attribut des Schwertes übernehmen, wie auf dem Sarkophag aus Bomarzo. Wie die Walküren und die Bodbs greift sie deshalb noch nicht unbedingt selbst aktiv und tödlich in das Geschehen ein, zumindest nicht in sichtbarer Weise mit der Waffe in die Hand. Wie bei den nordwesteuropäischen Dämoninnen ist solches Verhalten jedoch auch für Vanth belegt, wie auf der Urne der plündernden Gallier. Jedoch scheint es sich beim aktiven bewaffneten Eingreifen in Todesszenen um einen späten Zug im Charakter der Vanth-Gestalten zu handeln. Ebenso interessant wie seine gelegentliche späte Anwesenheit ist sein Fehlen in den frühen und nament-
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lich allen inschriftlich gesicherten Belegen, was der Seltenheit ausdrücklich mit Waffen kämpfender Dämoninnen im Nordwesten entsprechen mag. Typischer als der bewaffnete Kampf scheint für Vanth ihr Verhalten in der Tomba François, wo sie dem blutigen Geschehen als Beobachterin im Hintergrund beiwohnt. Die Assoziation Vanths mit Vögeln ist von ganz anderer Art als im Falle der Walküren und der Bodbs. Walküren und Bodbs erscheinen entweder als Frauen oder in Vogelgestalt. Die etruskischen Dämoninnen hingegen zeigen keine Metamorphose zwischen Frau und Vogel, sondern vereinen in ihrer äußerst häufigen Darstellung als geflügelte Frauen beide Formen in einer Bildformel, die ihren Aspekt als Vogelwesen und ihren Aspekt als Frauenwesen gleichzeitig zum Ausdruck bringen kann. Andere Formen einer solchen Mischwesenexistenz mögen durch Sackgassen der Entwicklung der etruskischen Ikonographie angedeutet sein, aber deren Verbindung mit Vanth muß unsicher bleiben. Entsprechend unsicher ist auch die bestenfalls vage Möglichkeit einer Verbindung Vanths mit dem Verschlingen von Leichen. Hierauf könnte nur ein Vasenbild einer nackten Dämonin mit großen Schulterflügeln und Geierkopf hinweisen. Für eine Verbindung zwischen dieser Gestalt und Vanth gibt es jedoch keinerlei Beweis. Ganz anders verhält es sich mit dem erotischen Aspekt Vanths, der nach ihrer Einbettung in den Bereich des Todes und neben ihrer Erscheinung als Flügelfrau eines der wichtigsten Charaktermerkmale der Dämonin darstellen dürfte. Auf den Amphoren der Vanth-Gruppe und vielen nicht inschriftlich gesicherten Denkmälern erscheint sie nackt. Sehr häufig hat sie ihre Brüste entblößt (wie in der Tomba degli Anina). Auf dem Sarkophag der Hasti Afunei drapiert sie ihren Mantel so um ihre Scham, daß diese dadurch – wenngleich wohl durch ein dünnes Untergewand hindurch – betont hervorzutreten scheint. Und die ‚Vanth von Tuscania‘ stellt ihr Geschlecht in einem Akt der sexuellen Provokation drastisch zur Schau. Wie die Walküren und die Bodbs in ihren Beziehungen zu Helden, ist also auch Vanth stark sexuell konnotiert. Gerade in Skandinavien kann der Tod des Helden in erotischen Bildern als Todeshochzeit erscheinen, wenn sich etwa Helgi mit seiner Walküre im Grabhügel zu einer Liebesnacht trifft, oder wenn die Walküre Hildr denen, die im Hjajningavíg jeden Tag getötet werden, „ein Bett bereitet“. Ebenso wird der drohende Pfeil des Odysseus auf der Urne aus Cetona für den todgeweihten Freier zur Liebesumarmung der Dämonin. Die Bodb tritt in Togail Bruidne Da Derga in Gestalt der Cailb mit anscheinend entblößter Scham und bis zu den Knien herabhängenden Schamhaaren auf; die Selbstentblößung der ‚Vanth von Tuscania‘ scheint einen ähnlichen Gedanken im klassischen Formenkanon auszudrücken. (Hier mag zudem von Interesse sein, daß die Ambivalenz zwischen Tod
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und Erotik auch innerhalb Etruriens wohl nicht auf Vanth beschränkt ist: Beide Züge scheinen auch den Charakter der Lasen zu kennzeichnen, wobei der Unterschied zwischen Vanth und Lasa hier ein gradueller sein mag – während der Schwerpunkt von Vanths Charakter im Sepulkralbereich liegt, ist derjenige der Lasen im erotischen Bereich verortet.) Unklar bleibt die Bedeutung der Schriftrolle, wie sie auf den Vasen der Vanth-Gruppe, auf der Chiusiner Urne mit dem Kampf des Eteokles und Polyneikes und in der Tomba Golini I in der Hand Vanths erscheint. Sie mag andeuten, daß Vanth in ein wie auch immer beschaffenes tieferes Wissen eingeweiht ist. Ein solcher Zug ließe sich mit der Runenweisheit vergleichen, welche die Walküre Sigrdrífa den Sigurd lehrt, oder mit der prophetischen Gabe der Morrígain in der Táin Bó Cúailnge oder in Cath Maige Tuired. Beweisen oder in seiner Bedeutung für den Gesamtcharakter der Dämonin abschätzen läßt ein solcher Zug sich jedoch nicht; was die Schriftrolle der etruskischen Dämonin enthält, bleibt unbekannt. Ebenso unbekannt muß bleiben, ob die Anwesenheit Vanths den Todgeweihten mit der Furcht erfüllt, durch welche die Bodb die Soldaten noch vor der Schlacht töten kann, oder ob Vanth die Todgeweihten lähmt und damit ähnlich wirkt wie der herfjqturr Skandinaviens. Die Ikonographie der etruskischen Gräber gibt hierüber keine Auskunft – ob es etwa Vanths Einfluß zuzuschreiben ist, daß die Trojaner sich ohne Gegenwehr zu ihrer Opferung führen lassen, wäre ein Gegenstand reiner Spekulation. Doch sollte vielleicht hervorgehoben werden, daß die Unmöglichkeit, diese Frage zu beantworten, der Natur des Materials geschuldet ist. Der todgeweihte Freier, der im Arm der Dämonin gegen seinen bevorstehenden Tod keine Gegenwehr mehr leistet, könnte ebenso wie der trojanische Gefangene von einer Art herfjqturr befallen sein; doch liegt es in der Natur des Bildes als einer Momentaufnahme, daß diese Frage offen bleibt. Die Betrachtung der Todesdämoninnen Nordwesteuropas hat eine Reihe von wesentlichen Charakterzügen dieser Gestalten herausgearbeitet. Daraus ergab sich die Frage nach der Verbreitung dieser Züge in den Religionen des frühen Europa: Die Frage nach dem Kollektivcharakter der Dämoninnen, ihrer Beziehung zum Tod, zum Übergang ins Jenseits, zu Krieg und Gewalt, zu Vögeln, zum Motiv des Verschlingens der Leichen; und die Frage nach dem Zug einer betonten Sexualität und dem Verfügen über tieferes Wissen und eine Macht über den Geist ihrer Opfer, die diese hilflos zu Tode bringt. Die meisten dieser Züge kehren in Vanth wieder; es fehlt das Verschlingen der Leichen, das nur durch die ikonographische Sackgasse der geierköpfigen Dämonin suggeriert werden könnte, und es fehlt ein eindeutiger Beleg für eine Macht über den Geist des Todgeweihten – wobei es in der Natur des Quellenmaterials liegt, daß eine solche Macht auch im besten
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Fall nur unsicher angedeutet, aber nicht sicher bezeugt sein kann. Die Frage des tieferen Wissens muß gleichfalls offen bleiben; die Schriftrolle mag solches symbolisieren, oder etwas anderes bedeuten. Die meisten Züge jedoch teilt Vanth mit dem Norden (und zwar gerade auch solche, die nicht von den griechischen Erinyen entlehnt sein können, wie die Funktion als positiv gewertete Seelengeleiterin und den erotischen Aspekt). Weisen diese Parallelen auf einen Kulturkontakt gerade der Etrusker mit den Barbarenvölkern hin? Man könnte als Gelegenheit an die Kämpfe zwischen Galliern und Etruskern denken, die sich im Volterraner Urnenrelief niedergeschlagen haben, das Gallier bei der Plünderung eines Heiligtums zeigt. Ist die Dämonin, die sich dort auf einen Gallier stürzt, diesem ‚in den Norden gefolgt‘? Es scheint hier nötig, die Frage zu stellen, wie weit solche Vorstellungen vogelhafter, erotisch-tödlicher seelengeleitender Dämoninnen im Mittelmeerraum noch verbreitet waren. Die nächsten Kapitel sollen dies anhand römischer und griechischer Zeugnisse untersuchen. Eine umfassende Besprechung aller todesbezogenen Dämoninnen des klassischen Mittelmeerraums würde den Rahmen einer einzelnen Monographie allerdings bei weitem sprengen. Die Diskussion muß sich in Anbetracht der schieren Menge der vorhandenen Zeugnisse daher auf ausgewählte Aspekte beschränken. Entsprechend wird das folgende Kapitel einen nur kursorischen Überblick über einige Charakterzüge der Furien, Erinyen, Harpyien und Keren geben. Danach soll eine detailliertere Besprechung der Sirenen die Betrachtung der klassischen Zeugnisse abrunden.
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7. Furien, Erinyen, Harpyien und Keren – zu einigen weiteren Todesdämoninnen des Mittelmeerraums Einer der markantesten Aufenthaltsorte Vanths ist der Eingang zur Unterwelt: Auf den Amphoren von Orvieto tänzelt sie neben Kerberos einher, der den Eingang zum Totenreich bewacht; auf dem Sarkophag der Hasti Afunei hält sie den Riegel oder Schlüssel zur Unterweltspforte in der Hand, während neben ihr eine Dämonin aus dieser Pforte tritt, die ikonographisch mit Vanth nahezu identisch ist; auf Chiusiner Terrakottaurnen, die im 2. Jh. v. Chr. in Serienproduktion hergestellt wurden, zerrt sie den Verstorbenen am Höllenhund vorbei durch das Tor zum Hades. Gerade die letztgenannten Chiusiner Urnen machen deutlich, wie stark etruskische und römische Vorstellungen ineinanderfließen; denn im 1. Jh. siedelt Vergil die Furien an ebendem Ort im Totenreich an, an dem die nur wenig älteren etruskischen Urnen die etruskische Dämonin gezeigt hatten: Als Äneas in die Unterwelt hinabsteigt, sieht er beim Hadestor neben anderen Schrecknissen die „eisernen Schlafgemächer der Furien“ (ferrei Eumenidum thalami; Vergil, Äneis VI,273–281). Innerhalb des Hades sieht er eine dieser Dämoninnen, Tisiphone, erneut an einem Tor: Sie bewacht die Pforte der Festung in der Unterwelt, in der die Frevler ihre Strafe erleiden (Äneis VI,548–558, vgl. VI,574 f.). Bei (Pseudo-)Vergil, Culex 214–222 erscheint Tisiphone als Schrecken auf dem Weg zur Unterwelt mit Peitsche und Fackel unmittelbar vor Kerberos, dessen Augen blutrot glühen; das Motiv wird in diesem Text zwar ganz ironisch gebraucht (der Tote ist eine zu Unrecht erschlagene Mücke), aber dennoch fällt die genaue Entsprechung zu den Chiusiner Terrakottaurnen auf: Auch auf diesen trägt die Dämonin eine Fackel und erscheint ein Kerberos mit rotglühenden Augen. Ebenfalls in ironischer Brechung erscheint das Motiv der Furien am Hadestor bei Ovid: Bei ihm sitzen sie vor dem geschlossenen Tor der Unterwelt und kämmen sich die Schlangen aus dem Haar (Metamorphosen IV,451–454). Ähnlich werden die Furien von Seneca verwendet: Herkules sieht in einer Erscheinung die Unterweltspforte nach dem Diebstahl des Kerberos durch eine der Furien bewacht (Seneca, Hercules furens 984–986).1111 1111
Allgemein zu den Furien vgl. etwa Junge 1983 S. 41–48; Waser 1910; Rapp 1884– 1890 (Furiae); Maharam 1998; Eisenhut 1967. Zu meiner Terminologie ist erklärend
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Die Schlafgemächer (thalami) der Furien, die Vergil am Eingang zur Unterwelt lokalisiert, erscheinen auch bei Statius. Dort nimmt Apollon für den Tod seiner Geliebten Rache, indem er das Volk von Argos durch ein Monstrum heimsuchen läßt, das in den Schlafgemächern der Furien in der Unterwelt gezeugt wurde und neugeborene Kinder frißt (Statius, Thebais I,596–604). Das Wort thalamus bezeichnet oft das Hochzeitsbett;1112 anderswo erscheinen die Furien jedoch als Jungfrauen (virgines; vgl. Statius, Thebais IV,455–457; XI,136 f.). Schon damit, daß sie als Torwächter der Unterwelt auftreten, nehmen die Furien – wie Vanth – eine wichtige Position auf dem Weg des Toten ins Jenseits ein; dieses Wächteramt an der Unterweltspforte ist dabei einer der wenigen Züge dieser Dämoninnen, die typisch etruskisch-römisch und ohne Gegenstück in den Auftritten der griechischen Erinyen zu sein scheinen,1113 die in vieler Hinsicht einen tiefgreifenden Einfluß auf die römischen Furien ausgeübt haben – selbst die griechischen Bezeichnungen ‚Erinyen‘ und ‚Eumeniden‘ wurde ins Lateinische entlehnt und mit dem einheimischen Begriff ‚Furien‘ synonym gebraucht.1114 Die Assoziation der römischen Furien mit der Unterwelt, wie sie in ihrem Amt als Torwächter zum Ausdruck kommt, ist auch ansonsten so allgegenwärtig, daß es müßig scheint, Belege zusammenzustellen – hierin entspricht der Charakter der Furien sowohl dem der etruskischen Vanth als auch dem der griechischen Erinyen.1115 Ganz anders als im Falle der frühen Vanth erscheint die Rolle
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zu sagen, daß ich den Begriff ‚Furien‘ von Gestalten der lateinischen Literatur gebrauche, auch wenn die entsprechenden lateinischen Texte eine aus dem Griechischen entlehnte Begrifflichkeit verwenden (‚Eumeniden‘, ‚Erinyen‘). Dagegen spreche ich von ‚Erinyen‘ und ‚Eumeniden‘ bei Gestalten der griechischen Literatur. Diese Trennung ist zu einem gewissen Grade willkürlich, da das Bild der Erinyen der griechischen Kunst und Literatur die einheimischen italischen Vorstellungen von den Furien nahezu vollständig überlagert hat. Dennoch scheint es mir angebracht, lateinische und griechische Quellen zu trennen, da bei aller Stärke der griechischen Einflüsse doch gewisse Züge der römischen Furien (bzw. der ‚Eumeniden‘ der römischen Literatur) etruskischen Traditionen näher stehen als griechischen. Vgl. Lewis und Short 1917 s.v. ‚thalamus‘. Ein Aufenthalt der Erinyen an der Unterweltspforte fehlt nicht nur der griechischen Literatur, sondern – wie eine Durchsicht von Junges Katalog (1983 S. 96–263) zeigt – auch der griechischen Kunst. (Junges Katalog strebt eine vollständige Erfassung der bis dahin bekannten Erinyendarstellungen in der griechischen Kunst an: Junge 1983 S. 2 f.) Vgl. Lewis und Short 1917 s.v. ‚Eumenides‘, ‚Erinys‘. Vgl. etwa Vergil, Äneis VI,273–281; VI,548–558; VI,566–575; VI,601–607; VII,324–328; VII,561–571; VIII,666–669; Georgica III,551–553; IV,481–484; Ovid, Metamorphosen IV,449–454; Seneca, Hercules furens 86–88, 984–986; Octavia 965 f.; Statius, Thebais I,56–59; I,227–229; I,597 f.; II,48–53; IV,53 f.; IV,483–486; IV,525 f.;
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der Furien jedoch fast immer gewaltsam, grausam und negativ; hier scheint sich die Entwicklung konsequent fortgesetzt zu haben, die sich schon innerhalb der Ikonographie Vanths gezeigt hatte und in deren Verlauf gerade negativ-gewaltsame Aspekte zunehmend in den Vordergrund traten, was mit einem Einfluß der griechischen Erinyenvorstellungen zu verbinden sein dürfte. So werden die Furien bereits in der frühlateinischen Literatur bei Ennius im späten 3./ frühen 2. Jh. v. Chr.1116 mit Verderben und Krieg assoziiert, wenn Helena, deren Raub durch Paris den trojanischen Krieg auslöst, als eine Furie bezeichnet wird (Ennius, Alexander 69–71 [Vahlen]). Bei Vergil scheinen die Furien die Verdammten an den Ort ihrer Strafe in der Unterwelt zu bringen (Äneis VI,566–575), und die Furien sind es auch, die die Jenseitsstrafen vollziehen und die Frevler büßen lassen (Äneis VI,601–607; VIII,666–669; Statius, Thebais I,712–715; vgl. Hygin, Fabulae 79,2; ohne spezifische Bezugnahme auf das Jenseits vgl. Seneca, Octavia 966). Sie können tödliche Krankheit auf die Erde bringen (Georgica III,551–553), und bei Horaz erscheinen sie als Todesdämoninnen der Schlacht, die ihre Opfer dem Mars zum Vergnügen aushändigen (Carmina I.28.17). Vergil beschreibt den Wahnsinn einer Schlacht damit, daß die bleiche Furie Tisiphone „mitten unter den Tausenden rast“, pallida Tisiphone media inter milia saevit (Äneis X,761). An anderer Stelle macht Vergil die Furie Allecto zum grausamen und skrupellosen Werkzeug der Rache der Juno, mit dem sie die Latiner zum Krieg gegen Äneas aufstachelt (Äneis VII,286–571). Er zeichnet die Furie dabei in den schwärzesten Farben; sie erscheint als ein durch und durch bösartiges Wesen, cui tristia bella iraeque insidiaeque et crimina noxia cordi, dem traurige Kriege, Zornesleidenschaften, Anschläge und verderbenbringende Verbrechen am Herzen liegen; sie ist sogar ihrem Vater Pluto und ihren Schwestern, den anderen Furien, verhaßt (Äneis VII,324–328).1117 Dies und ihr umfangreicher Soloauftritt als gnadenlose Kriegstreiberin im Dienste der Juno illustrieren zweierlei: Zum einen, daß die Furien mit Gewalt und Krieg assoziiert werden können; zum
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V,156 f.; VIII,21–24; VIII,65 f.; XI,57–96; XI,136 f.; XI,415; Valerius Flaccus III,520; Hygin, Fabulae 79,2; (Pseudo-)Vergil, Culex 214–222; etc. Eine Ausnahme hiervon bilden zwei Furien (Dirae), die sich – mit Schlangen und Flügeln ausgestattet – bei Iuppiter aufhalten und zum Einsatz kommen, wenn Iuppiter den Menschen Krankheit, Tod und Krieg schickt: Äneis XII,845–852. Ihre Drillingsschwester Megaera ist freilich ein Geschöpf der Unterwelt (ibidem). Suerbaum 1997 Spalten 1041 f. Nach Servius VII,327 ist „Vater“ hier nur eine ehrende Bezeichnung für Pluto, da die Furien (anderswo) Töchter des Acheron und der Nacht sind – ein gekünstelt rationalistischer Versuch, verschiedene Genealogien der Furien miteinander in Einklang zu bringen.
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anderen, daß sie – wie die Walküren, die Bodbs und Vanth – zwischen Individuum und Kollektiv schwanken und bald alleine, bald als Gruppe auftreten. Wie die Morrígain, die als rote Streitwagenlenkerin, schöne Prinzessin, abstoßende Alte, rote Kuh, Wölfin, Aal oder Nebelkrähe erscheinen kann, sind auch die Furien Allecto und Tisiphone fähig, ihre Gestalt zu ändern (Äneis VII,328; VII,415–420; Statius, Thebais IX,148–155; XI,197–200). Eine der Furien (Dirae)1118 im Dienste Iuppiters verwandelt sich in einen Vogel, wie er oft nachts auf Gräbern oder verlassenen Dächern singe, und greift so Äneas’ Feind Turnus an. Ähnlich dem Raben, der den Gallier in der M. Valerius Corvus-Episode attackiert hatte,1119 fliegt sie kreischend vor Turnus’ Gesicht hin und her und schlägt seinen Schild mit ihren Flügeln. Turnus überkommen darauf Furcht und Schwäche (Äneis XII,861–868). Er verfügt nicht mehr über seine gewohnte Stärke, verliert Mut und Kampfeswillen und wird von Äneas leicht besiegt und getötet (Äneis XII,887–952) – Turnus fällt ganz in derselben Weise wie die Opfer des nordischen herfjqturr, der es dem Todgeweihten unmöglich macht, seinem Feind zu widerstehen. Auch anderswo erscheint der übernatürliche Schrecken, den die Furien ihren Opfern einflößen können: Als die Furie Tisiphone das Schlachtfeld vor Theben betritt, bricht den Männern und Pferden der Armeen gleichermaßen der Angstschweiß aus, obwohl die Furie ihre wirkliche Gestalt verbirgt; und den Krieger, den sie inkognito anspricht, befällt eine Furcht, die er sich selbst nicht erklären kann (Statius, Thebais IX,148–156). An wieder anderen Stellen sind die Furien geflügelt (Äneis VII,408 f.; VII,476; VII,561; XII,845–848). Auch die Furien teilen somit sowohl die Macht über eine übernatürliche Furcht und eine tödliche Lähmung als auch die Vogelaffinität der Walküren und der Bodbs. (Bedenkt man die starke Kontinuität zwischen der etruskischen Vanth und den römischen Furien, stellt sich hier zudem die Frage, ob nicht auch die geflügelten etruskischen Todesdämoninnen einen solchen furchteinflößend-lähmenden Zug geteilt haben könnten, der vielleicht nur aufgrund der Natur des Quellenmaterials in der etruskischen Überlieferung nicht deutlich wird – 1118
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Nach Servius IV,609 werden die Bezeichnungen furiae, eumenides und dirae in der Dichtung zusammengeworfen; dabei entwirft er allerdings ein sehr gekünsteltes Schema, nach dem dirae im Himmel (mit Verweis auf dieses Beispiel), furiae auf der Erde und eumenides in der Unterwelt beheimatet sind. Vgl. die Dirae ultrices bei Vergil, Äneis IV,610 und Servius XII,847, wo Servius mit Bezug auf diese Dirae die Meinung referiert, daß es sowohl im Himmel als auch auf der Erde und in der Unterwelt furiae gibt. Zur Identifizierung von Dirae und Furien/Erinyen vgl. Wüst 1956 Spalten 87 f. mit weiteren Belegen bei Servius. Siehe oben S. 185 ff. und vgl. Desnier 1985 S. 826 Anm. 43 und S. 830 f.
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ob die Nähe dieser Dämoninnen auf ihre Opfer furchteinflößend und lähmend wirkt, geht aus etruskischen Bildwerken wie dem Trojanerfresko der Tomba François weder eindeutig hervor, noch ist es auszuschließen.) Zugleich sind die Furien auch auf das Engste mit Schlangen assoziiert, die sie regelmäßig etwa in den Haaren tragen, in den Händen halten oder als Gürtel verwenden (vgl. etwa Äneis VII,329; VII,447; VII,450; VII,561; XII,845–848; Pseudo-Vergil, Culex 218; Ovid, Metamorphosen IV,454; IV,474–476; IV,483; IV,490–494; IV,511; Statius, Thebais I,89–91; I,103 f.; I,112 f.; IV,53–55; IX,172–174; XI,62–65; XI,494), oder die sie als Waffe einsetzten, um Wahnsinn zu verursachen (Äneis VII,341–405; Ovid, Metamorphosen IV,495–499; Statius, Thebais VII,579–581; vgl. Seneca, Hercules furens 86–88) – diese Verbindung mit Schlangen ist ein Zug, der zwar auch in Etrurien auftaucht,1120 aber der keine Parallelen im Norden hat, wenn man nicht die Verwandlung der Morrígain in einen Aal hierher stellen will.1121 In dem Wahnsinn, den die Furien einhauchen, zeigt sich hingegen erneut eine Macht dieser Dämoninnen über den Geist ihrer Opfer, wie man sie auch im Norden findet: Wie im Fall der Walküren und der Bodbs ist der Angriff der Furien nicht primär körperlich, sondern ‚magisch‘ und wirkt unmittelbar im Inneren der Heimgesuchten. Neben der Vogelaffinität der Bodb und ihrer Macht über den Geist ihrer Opfer teilen die Furien ferner vielleicht die Vorliebe der irischen Schlachtfelddämonin für die Farbe Rot: Ovid kleidet Tisiphone in ein Gewand, das von flüssigem Blut rot ist (Ovid, Metamorphosen IV,482 f.), und in Vergils Unterwelt hält dieselbe Furie ihre Wacht in einem blutigen Mantel (Äneis VI,555 f.). Der grausame, streitanstiftende und strafende Aspekt der Furien dominiert das Bild in den überlieferten Zeugnissen gänzlich – neben der Fortsetzung der entsprechenden Tendenz in der Charakterentwicklung Vanths dürfte dies teilweise auch auf den direkten Einfluß der Erinyen der griechischen Literatur zurückzuführen sein. Daß die römischen Furien der freundlicheren etruskischen Vanth jedoch in manchen Aspekten näher gestanden haben könnten, als diese Betonung des Grauenhaften zunächst vermuten läßt, legt nicht nur der ganz etruskische Aufenthalt der Furien an der Un1120 1121
Vgl. etwa oben S. 251 und öfters. Vgl. Bauer-Harsant 1996 S. 55–57, die den Aal, in dessen Gestalt die Morrígain in einer Episode der Táin Bó Cúailnge erscheint (siehe oben S. 154 ff.), als Ersatz für die in Irland nicht auftretende Schlange deutet. Man mag vielleicht auch fragen, ob die Bewahrung des indogermanischen Erbworts für ‚Schlange‘ im Irischen (air. nathir) trotz des Fehlens der Spezies auf der Insel (Meid 1970 S. 215) auf eine besondere (mythologische?) Bedeutung der Schlange im vorchristlichen Irland hinweisen könnte? Vgl. ferner vielleicht die Schlangen in den Herzen Meches, des Sohns der Morrígain (siehe oben Anm. 559)?
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terweltspforte nahe, sondern auch eine isolierte und weitgehend dunkle Stelle bei Statius. Dort wird der Seher Amphiaraus im Kampf um Theben von der Erde verschluckt und erreicht daher die Unterwelt ohne die üblichen Anzeichen des Todes und der Bestattungsrituale, und ohne daß die Gottheiten der Unterwelt die Riten des Übergangs ins Totenreich an ihm vollzogen haben (Statius, Thebais VIII,9–11): necdum illum aut trunca lustraverat obvia taxo Eumenis, aut furvo Proserpina poste notarat coetibus adsumptum functis; […]1122 „Noch hatte jenen weder die Furie auf dem Weg mit abgeschnittener Eibe gereinigt, noch hatte ihn Proserpina am dunklen Torpfosten als unter die versammelten Toten aufgenommen gekennzeichnet; […]“
Die Furien spielen hier neben Proserpina eine Rolle bei der rituellen Eingliederung des Toten ins Jenseits. Die Details dieser Vorstellung bleiben unklar, da dieses Jenseitsritual sonst nirgends erwähnt wird.1123 Deutlich wird jedoch, daß sie hier eine Funktion beim Übergang des Toten in die Unterwelt haben, die nichts Schreckliches an sich zu haben scheint: Sie treffen und reinigen den Toten. Hier mag ein isoliertes Streiflicht auf einen ansonsten marginalisierten Aspekt der römischen Dämoninnen als fast freundlicher Seelengeleiterinnen vorliegen.1124 An anderer Stelle wird bei Statius allerdings deutlich, daß auch er die Furien zwar als Seelengeleiterinnen sieht, aber im allgemeinen als Seelengeleiterinnen der Verdammten: Um eine Prophezeiung zu erhalten, beschwört der Seher Tiresias die Seelen der Toten herbei. Dabei sollen sie in zwei Gruppen zu ihm kommen: Die seligen Bewohner des Elysiums soll Hermes führen, während für die Verbrecher die Furie Tisiphone als Seelengeleiterin fungieren soll (Statius, Thebais IV,473–487). Die Furien sind somit Wesen der Unterwelt, Torhüter des Hades, Bestrafer der Frevler, Seelengeleiter der Verdammten, Gestaltwandler und Flügelfrauen mit Schlangenhaar. Sie führen Streit, Krieg, Krankheit, Wahnsinn und Tod herbei, bringen Verderben über die Menschen und erfreuen sich daran. Was an ihnen einheimisch römisch ist, bleibt undeutlich; in den Furien treffen sich etruskische Jenseitsmythologie, griechische Literatur 1122 1123 1124
Text nach Hill 1996. Shackleton Bailey 2003 S. 3 Anm. 2. Mag hier von Bedeutung sein, daß Statius die Furie Tisiphone als „Herrin“ (domina) der Schatten in der Unterwelt bezeichnet (Thebais I,93 f.)? Freundlich ist sie an dieser Stelle freilich nicht, ganz im Gegenteil: Die Schatten fürchten sie. Vgl. entsprechend Thebais XI,79, wonach die Furien das Elysium und die Schatten in der Unterwelt in Schach halten (compescere).
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und Ikonographie, die Freiheiten römischer Dichtung und italischer Volksglaube.1125 Scharfe Grenzen lassen sich nicht ziehen. Die Furien verblassen zudem noch in der Republik so sehr zu bloßen Gestalten der Literatur, daß Cicero in einer Rede seine Zuhörer auffordern kann, sie sollten nicht glauben, daß Übeltäter von den Furien mit ihren Fackeln gequält würden, wie man es oft in Schauspielen sehe (in Wahrheit quäle sie nämlich ihr Gewissen; pro S. Roscio Amerino XXIV.67): Es ist wichtig festzuhalten, daß Cicero die Furien hier ganz als Gestalten des Theaters sieht; im lebendigen Glauben scheinen sie also schon zu seiner Zeit (jedenfalls für ihn) keine Rolle mehr zu spielen.1126 Die griechischen Erinyen,1127 die sowohl auf die Furien der römischen Literatur als auch auf die Ikonographie der etruskischen Vanth einen tiefgreifenden Einfluß ausgeübt haben, erlitten ein ganz ähnliches Schicksal: Schon Aristophanes kann eine Figur in seinem Plutos durch einen Protago«) nisten mit einer „Erinys aus einer Tragödie“ (#E !« […] " ) vergleichen lassen – was ein anderer damit zurückweist, daß ihr die Fackeln fehlen (Plutos 423–425). Schon am Anfang des 4. Jh. gleitet die Existenz der griechischen Erinyen also ins rein theatralisch-literarische.1128 Dieser in der klassischen Epoche stark literarische Hintergrund der Erinyen wird von den Zeugnissen der Ikonographie bestätigt, wo Darstellungen dieser Gestalten erst unter dem Einfluß des Theaters häufig werden.1129 Bezeugt sind die Erinyen jedoch schon lange vor der Zeit des Aristophanes. Ob sich zwei Linear B-Inschriften auf diese Figuren oder auf eine Göttin wie die Demeter Erinys beziehen, ist problematisch;1130 für die mykenische Zeit läßt sich die Existenz der Erinyen daher noch nicht beweisen. Die ersten gesicherten Zeugnisse für die Erinyen finden sich bei Homer. Dort 1125 1126 1127
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So schon Waser 1910 Spalte 308; vgl. Eisenhut 1967 Spalte 640. Vgl. mit weiteren ähnlichen Belegen: Waser 1910 Spalte 310; Rapp 1884–1890 (Furiae) Spalten 1561 f. Allgemein zu den Erinyen vgl. etwa: Junge 1983; Sarian 1986 (Erinys); Burkert 1985 (vgl. den Index s.v. ‚Erinys‘ und ‚Erinyes‘); Rapp 1884–1890 (Erinys); Nilsson 1967 (vgl. den Namensindex s.v. ‚Erinyen‘); Wüst 1956; von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 136–142, 287–294 et passim; Podlecki 1989 S. 5–9; Sommerstein 1989 S. 6–12; Johnston 1998. Aristophanes’ Plutos wurde 388 v. Chr. uraufgeführt: Nesselrath 1996 Spalte 1125. Für eine Diskussion und eine Zusammenstellung von Belegen für diese Entwicklung vgl. Wüst 1956 Spalten 117–120. Vgl. Junge 1983 S. 21, 93; von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 136 f., 142; Sarian 1986 (Erinys) Bd. 3.1 S. 841. Vgl. Burkert 1985 S. 44; Sommerstein 1989 S. 6 f.; Sarian 1986 (Erinys) Bd. 3.1 S. 825; Ventris und Chadwick 1973 S. 127, 305–307, 411, 476; zu Demeter Erinys vgl. Wüst 1956 Spalten 94–101.
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vollziehen sie etwa den Fluch, der einem Sohn von seinen Eltern auferlegt worden ist. So in der Rede des Phoinix, in der dieser erklärt, wie es zu seiner Kinderlosigkeit kam: Phoinix’ Vater hatte eine Konkubine und verlor das Interesse an seiner Frau, Phoinix’ Mutter. Diese bat darauf ihren Sohn, er solle mit der Konkubine schlafen, dann würde sie den alten Mann verabscheuen. Phoinix gehorcht seiner Mutter und tut dies; als jedoch sein Vater davon erfährt, verflucht er seinen Sohn: Er ruft die Erinyen an, dem Phoinix Nachkommen zu verwehren. Dieser Fluch wird von Hades und Persephone erfüllt (Homer, Ilias IX,453–457). In derselben Rede erzählt Phoinix auch von der Verfluchung des Meleager durch dessen Mutter: Melager hatte den Bruder seiner Mutter getötet. Diese ruft darauf Hades und Persephone an, ihrem Sohn das Leben zu nehmen, und „die im Nebel wandelnde Erinys, die ein unerweichliches Herz hat, erhörte sie aus der Unterwelt“ ( φ « #E %« | "& #E'φ , $ * : Homer, Ilias IX,571 f.).1131 In beiden Stellen werden die Erinyen mit der Strafe verbunden, die ein Elternteil auf den Sohn herabbeschwört. Dabei ist an diesen Stellen ferner interessant, daß im einen Fall Hades und Persephone um die Strafe angerufen werden und die Erinys (Singular) den Anruf erhört, während im anderen Fall die Erinyen (Plural) angerufen werden und Hades und Persephone die Strafe vollziehen.1132 Die Erinyen erscheinen hier also in einer Funktion als Rächerinnen, schwanken zwischen Einzelwesen und Kollektiv und werden in der Funktion als Rächerinnen bis zur Austauschbarkeit mit dem Herrscherpaar der Unterwelt assoziiert. Zudem wird die Unterwelt als ihr Aufenthaltsort beschrieben. Ganz ähnlich erscheinen die Erinyen in der Eidesformel des Agamemnon; er schwört bei Zeus, Erde und Sonne und den „Erinyen, die unter der Erde die Menschen strafen, wer einen falschen Eid geschworen hat“ (#E !«, + ’ , μ | $. « 1: Homer, Ilias XIX,259 f.). Auch hier er , Ρ « ’ " 09 scheinen die Erinyen als Bestrafer von Verbrechern,1133 in diesem Fall von Meineidigen, und werden in der Unterwelt beheimatet. Das grausam-negative Wesen der Erinyen äußert sich bei Homer aber nicht nur in dem Unheil, das sie über den Frevler bringen. Die Erinyen können allem Anschein nach auch ganz ohne ersichtlichen Grund zuschla-
1131 1132
1133
Zum problematischen Epithet φ « vgl. Wüst 1956 Spalte 137; Sommerstein 1989 S. 8 mit Anm. 27. Vgl. Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalte 1328; Wüst 1956 Spalte 102. Später werden die Erinyen anderen Göttern untergeordnet, vgl. Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalte 1328 mit Belegen. Zur Zahl der Erinyen vgl. mit vielen Belegstellen Wüst 1956 Spalten 122 f. Sommerstein 1989 S. 7; vgl. aber Wüst 1956 Spalte 102.
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gen:1134 Agamemnon gibt Zeus, Moira und der „im Nebel wandelnden Erinys“ ( φ « #E !«) die Schuld an der Verblendung (Ν1), die ihn dazu gebracht hat, Achilleus seine Briseis wegzunehmen (Ilias XIX,86–89) – eine Tat, die zum Tod vieler Griechen führen sollte.1135 Die Erinyen scheinen also nicht nur als rächende Wesen einen übelwollenden Charakter zu haben.1136 Was als die älteste bildliche Darstellung von Erinyen zu gelten hat, ist umstritten. Junge faßt eine Athenische Terrakotta-Votivtafel des 7. Jh. v. Chr. „vom Nordabhang des Areopag“ als das älteste Bilddenkmal auf; diese Tafel zeigt eine von zwei Schlangen flankierte weibliche anthropomorphe Gestalt.1137 Ferner sieht er Erinyen in einigen Bildwerken ab dem 6. Jh. ganz in Tiergestalt als Schlangen dargestellt.1138 Jedoch ist keine dieser Schlangenerinyen durch eine Beischrift in ihrer Deutung gesichert. Sarian weist sowohl die Athenische Terrakottatafel als auch die schlangengestaltigen Erinyen zurück.1139 Er nimmt die ältesten Erinyendarstellungen auf einer Athenischen Lekythos „[of u]nknown provenance, most likely found in a tomb in Athens“1140 aus den Jahren um 470 v. Chr. an; dort er1134 1135
1136
1137 1138 1139
1140
Sommerstein 1989 S. 7; vgl. Wüst 1956 Spalte 103. Vgl. Sommerstein 1989 S. 7 f. Auch in der Odyssee XV,231–234 wird die 3 4 « #E !« für die Ν1 eines Mannes verantwortlich gemacht. (Das Epithet ist wiederum problematisch, vgl. Wüst 1956 Spalte 136; Sommerstein 1989 S. 8 mit Anm. 28.) Allgemein zu den Erinyen bei Homer vgl. Wüst 1956 Spalten 101–103; Sommerstein 1989 S. 7 f. Junge 1983 S. 12–14, 17, 97 f. (K 1) mit Tafel nach S. 269; Zitat: S. 97. Junge 1983 S. 14–17, 92, 99–103, 107 f., 110, 238, 250 (K 2 – K 5, K 8, K 9, K 11, K 116, K 128 [etruskisch]). Sarian 1986 (Erinys) Bd. 3.1 S. 826, 841. Die Darstellung früher Erinyen in Schlangengestalt wird von Sommerstein 1989 S. 7, 9 akzeptiert, ohne Sarian zur Kenntnis zu nehmen. Karouzou 1972 S. 64 Anm. 1. – Zur Frage der Herkunft griechischer Vasen ist allgemein zu bemerken, daß sachdienliche Angaben zum Fundzusammenhang kaum zu erhalten sind, da diese Stücke zumeist aus alten und daher nicht oder nur unzureichend dokumentierten Grabungen stammen und zudem vielfach erst über den Kunsthandel in wissenschaftliche Sammlungen gelangt sind. Dieses Problem wird noch dadurch verschärft, daß die ikonographischen Kataloge – aus wohl ebendiesem Grund – üblicherweise auf entsprechende detaillierte Angaben verzichten. Ferner wurden große Mengen griechischer Keramik exportiert und sind z. B. über ihre Verwendung als Beigaben in etruskischen Gräbern auf uns gekommen – so besitzt etwa das Museo Faïna in Orvieto eine reiche Sammlung attischer Keramik aus den lokalen etruskischen Nekropolen – womit der (in diesem Fall etruskische) Fundzusammenhang von vorneherein keine Rückschlüsse auf die Aussageabsicht des (griechischen) Vasenmalers zuläßt: Das Bild muß in solchen Fällen bedauerlicherweise für sich selbst sprechen.
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scheint Hekate, die ein Eidolon quält, sowie drei Erinyen( ? ), die ganz anthropomorph als Frauen in langen Gewändern dargestellt sind.1141 Auch diese Figuren sind nicht inschriftlich gesichert; Junge nimmt sie nicht in seinen Katalog der griechischen Erinyendarstellungen auf.1142 Eine der ersten unstrittigen Darstellungen einer Erinys findet sich auf einer attischen weißgrundigen Lekythos aus den Jahren um 460–450 v. Chr., also etwa gleichzeitig mit der Erstaufführung der Orestie des Aischylos 458 v. Chr.1143 Das Gefäß soll aus einem sizilischen Grab stammen.1144 (Weißgrundige Lekythen wurden ausschließlich für den Totenkult produziert; sie enthielten das Salböl, das dem Toten ins Grab mitgegeben wurde, oder wurden auf das Grab gestellt.)1145 Diese Vase zeigt die Erinys als eine langgewandete Frauengestalt mit großen Schulterflügeln. Sie eilt mit großen Schritten nach rechts. Die Erinys trägt eine Schlange im Haar, und zwei Schlangen in ihren Händen winden sich um ihre Arme. Alle drei Schlangen und die Erinys blicken in dieselbe Richtung, wohl auf das (nicht dargestellte) Opfer ihrer Jagd; bei den Schlangen befindet sich der Schriftzug E.7[.]TON., was wohl als zu lesen ist: „Freßt auf!“1146 Nach Simon sollte die Erinys auf dieser Lekythos dem Schutz des Verstorbenen dienen.1147 Die Tragödie hatte einen tiefgreifenden Einfluß auf die Erinyenvorstellungen. Aischylos’ Bearbeitungen des Orestes-Mythos wurden zum Ausgangspunkt der Darstellung der Erinyen in der bildenden Kunst.1148 Diese ist dabei Aischylos jedoch nicht in jeder Einzelheit gefolgt: Aischylos brachte die Erinyen ohne Flügel auf die Bühne (Eumeniden 51 f.), obwohl sie auch bei ihm fliegende Wesen sind – allerdings fliegen sie bei Aischylos in „flügellosem Flug“ ($ ' « 8 : Eumeniden 250 f.). Die Darstellungen des Orestes-Mythos in der Vasenmalerei schließen sich dem zumeist nicht an: Vier von fünf weiteren Darstellungen der Erinyen aus den Jahren um 450 v. Chr. zeigen die Erinyen geflügelt (und alle behandeln den Orestes-Mythos).1149 Die Flügel gehörten also trotz ihres Fehlens bei Aischylos 1141 1142 1143 1144 1145 1146 1147 1148
1149
Sarian 1986 (Erinys) Nr. 7; Bd. 3.1 S. 841. Junge 1983 S. 96–263. Junge 1983 S. 21 f., 109 (K 10) mit Tafel nach S. 269; Sarian 1986 (Erinys) Nr. 1 und Bd. 3.1 S. 841; Simon und Neumann 1979 S. 232–234, 237 f., Abb. 1 und 3 (S. 231). Simon und Neumann 1979 S. 229. Simon und Neumann 1979 S. 229. Simon und Neumann 1979 S. 237 f.; Sarian 1986 (Erinys) Bd. 3.1 S. 827, 841; Junge 1983 S. 22, 109. Simon in Simon und Neumann 1979 S. 237. Vgl. Junge 1983 S. 21, 93; von Freytag 1986 (Giebelrelief) S. 136 f., 142; Sarian 1986 (Erinys) Bd. 3.1 S. 841. Junge 1983 S. 22 f.
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fest zum Bild der Erinyen. Als Euripides das Orestes-Thema behandelte, beschrieb er seine Erinyen entsprechend geflügelt (Orestes 275 f., 317; Iphigenie auf Tauris 289). Der Grund dafür, daß die Erinyen bei Aischylos keine Flügel haben, mag ein rein theatertechnischer sein; denn Aischylos bringt seine Erinyen tatsächlich auf die Bühne, während sie bei Euripides nicht auftreten, sondern nur beschrieben werden.1150 Euripides ist in seiner Schilderung der Erinyen daher nicht an das theatertechnisch Machbare gebunden. Aischylos zeichnet seine Erinyen als blutgierige, rachsüchtige Wesen, die den anderen Göttern ein Greuel sind.1151 Zum Übel geboren und Bewohner des Tartaros, sind sie Göttern und Menschen gleichermaßen verhaßt (Eumeniden 71–73). Ihr Platz ist im sonnenlosen Zwielicht unter der Erde (Eumeniden 395 f.), dort sind ihre Wohnsitze (Eumeniden 417); sie sind unterirdische Göttinnen, 3 μ« (Eumeniden 115). Sie sind eine Strafe für die Lebenden und die Toten (Eumeniden 321–323). Sie lachen, wenn sie menschliches Blut riechen (Eumeniden 253), und saugen es ihrem Opfer bei lebendigem Leib aus den Gliedern (Eumeniden 264–266). Aber auch da, wo andere morden, spricht Aischylos davon, daß die Erinyen Blut trinken und sich daran berauschen (Agamemon 1188–1190; vgl. Choephoren 577 f.). Ihr Opfer ist ein blutleeres Mastvieh ($ 1), von dem sie schlemmen werden (Eumeniden 299–305). Ihr vampirischer Charakter und ihre Grausamkeit werden drastisch in Apollons Rede dargestellt, als er sie unter Drohungen aus dem Heiligtum in Delphi vertreibt (Eumeniden 179–192): 45!, !, ! % ! %« ! ’, $%& ,
κ λ μ $ κ 6φ- % &. « 5 . $1« +’ Ν« " (! $φ(, &( « ?« $φ« φ(. Κ ( & ", $’ 1« 9φ& ! φ , " (« ’ $φ&» ! «, ’ $!<> – λ, ; μ , λ +μ <% " «. Θ’ $ >« 1« ’ $( &« "&’ 4; […]1152
1150 1151
1152
Vgl. Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalte 1311. Allgemein zu den Erinyen bei Aischylos vgl. Sommerstein 1989 S. 9–12; Wüst 1956 Spalten 104–107; zu Aischylos’ Identifizierung der Erinyen mit den 7λ vgl. Sommerstein 1989 S. 10 f. Text: West 1998.
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„Hinaus, ich befehle euch, aus diesen Hallen mit Schnelligkeit zieht euch zurück, verlaßt die innersten Kammern des Orakels, daß du nicht noch eine geflügelte blitzende Schlange (~einen Pfeil) empfängst, entsandt von der Sehne von gehämmertem Gold, und unter Schmerzen den schwarzen Schaum der Lungen aufstößt, während du die Mordblutklumpen erbrichst, die du abgezapft hast. Für diese Häuser ziemt es sich wahrlich nicht, daß ihr euch naht, sondern wo Enthauptungen, Blendungen, Richtsprüche und Schächtungen sind, und durch Vernichtung des Samens die Männlichkeit der Knaben zerstört wird, und Verstümmelungen und Steinigungen [stattfinden], und wo die ein mächtiges, klagendes Stöhnen von sich geben, die unter dem Rückgrat gepfählt worden sind. Hört ihr, welches Festmahl ihr liebt, wofür ihr den Göttern ein Grauen seid? […]“
Darüber hinaus schleppen die Erinyen des Aischylos den Übeltäter lebend in die Unterwelt, um ihn für seine Verbrechen büßen zu lassen (Eumeniden 267 f.) – sie erscheinen nicht als allgemeine Seelengeleiter, sondern als Todesdämoninnen, deren Funktion auf den Übergang des Frevlers ins Totenreich eingeengt ist. Entsprechend dem herfjqturr der Walküren und der tödlichen Angst, die eine Waffe der Bodbs darstellt, haben auch die Erinyen Macht über den Geist ihrer Opfer: Das Lied der Erinyen haucht Wahnsinn ein, zerstört und bindet den Geist und läßt die Sterblichen dahinschwinden (Eumeniden 328–333=341–346; vgl. Aischylos, Agamemnon 1191 f.): 4 ξ & "! ( "«, %, φ%, φ@« A « 5 #E !, " « φ, $φ( «, +D «.1153
„Über dem Opfer ist dies das Lied, Raserei, Verwirrung, der geistzerstörende Hymnos der Erinyen, bindend das Herz, lyralos, für Sterbliche ein Vertrocknen.“
Auch bei Aischylos erscheinen die Erinyen mit Schlangen ausgestattet (Choephoren 1048–1050). Er nennt sie ferner 1μ« !«, die grollenden Hunde der Mutter (Choephoren 924, 1054; vgl. Eumeniden 117–132); ein Vergleich mit Jagdhunden ist für diese mitleidlosen Verfolgerinnen des Mutter-
1153
Text: West 1998.
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mörders naheliegend genug.1154 Zudem beschreibt er sie als Wesen, die sich der Übeltaten der Menschen erinnern (: 8 «, Eumeniden 382 f.; vgl. Prometheus 516). An einigen Stellen bei Aischylos wachsen die Erinyen allerdings weit über eine bloße Funktion als Rachedämonen hinaus und erscheinen als bedeutende Schicksalsmächte, die eng mit den Moiren verbunden sind (Prometheus 516 f.; Eumeniden 930 f., 950–955, 961 f.).1155 Die Erinyen erscheinen bei Aischylos somit vor allem als mitleidlose Rachegeister; ihr Bereich sind Mord und blutige Strafe. Sie sind von weiblichem Geschlecht, treten als Kollektiv auf, hauchen Wahnsinn ein und werden als vampirische Gestalten gezeichnet, die sowohl ihrem Opfer das Blut aus den Adern saugen als auch das Blut schlürfen, das bei Mordtaten vergossen wird. Durch ihre Flügel sind sie schon zur Zeit des Aischylos – wenngleich nicht in seinen Dramen, sondern in der Vasenmalerei – mit einem Vogelaspekt ausgestattet; zumindest ebenso stark ist jedoch ihre Assoziation mit Schlangen. Die Erinyen des Aischylos sind deutlich blutigere Gestalten als die Erinyen Homers; gerade die enge Assoziation mit Blutvergießen, die bei Aischylos so stark hervorgehoben wird, bleibt im Epos im Hintergrund. Auch auf einen vampirischen Charakter findet sich bei Homer kein Hinweis. Die spätere Tradition fügt diesem Bild kaum Neues hinzu. Ab dem späten 5. Jh. wird ‚Eumeniden‘ zu einer gängigen Bezeichnung für die Erinyen, die mit dem Begriff ‚Erinyen‘ austauschbar verwendet wird;1156 als Eumeniden erhalten sie an mehreren Orten einen Kult.1157 Auch erscheinen sie, wie die Morrígain, als Gestaltwandlerinnen (; φ und ! φ
im Orphischen Hymnus 69,8 und 69,16; φ « #E !« bei Nonnos, Dionysiaka XXXII,100).1158 Sie hauchen weiterhin Wahnsinn ein (etwa Euripides, Orestes 34–38 und öfters; Pausanias VII.xxv.7),1159 behalten ihre Schlangen (etwa Euripides, Iphigenie auf Tauris 285–287) und bleiben in der Unterwelt beheimatet (Quintus Smyrnaeus V,453–455; Orphischer Hymnus 69,2–4 und 69,8; Cornutus, Theologiae Graecae Compendium 10; Lukian, Menippus 11; De Luctu 6 und 8; vgl. Nonnos, Dionysiaka XXXVIII,88: T1 #E !«), wo sie die Frevler zur Stätte der Strafe führen (Pseudo-Platon, 1154 1155 1156 1157
1158 1159
Zur Hundeassoziation der Erinyen vgl. Wüst 1956 Spalte 127. Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalten 1327 f.; vgl. Wüst 1956 Spalte 113. Sommerstein 1989 S. 11 f. Vgl. Sommerstein 1989 S. 11 f.; Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalten 1330–1332; Wüst 1956 Spalten 88, 108, 114 f., 128–136; Junge 1983 S. 10 f., 95, 240–247 (K 118 – K 125); Sarian 1986 (Erinys) Nr. 112–119 und Bd. 3.1 S. 825, 839 f., 842; Papachristodoulou 1975 (für den Hinweis auf diesen Titel danke ich Nora Brüggemann). Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalte 1311; Wüst 1956 Spalten 136, 138. Vgl. Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalte 1325; Wüst 1956 Spalten 113 f.
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Axiochos 371E; vgl. Lukian, De Luctu 8) – sie fungieren also als die Seelengeleiter der Verdammten im Totenreich, auch wenn das späte Erscheinen dieses Details in der Überlieferung den Gedanken an einen Einfluß römisch-etruskischer Vorstellungen nahelegt.1160 Vom rein bedrohlichen Bild der Erinyen hebt sich die Beschreibung ab, die Sophokles’ Ödipus auf Kolonos vom Verhältnis zwischen Sünder, Erinyen und Unterwelt gibt: Das Eumenidenheiligtum von Kolonos wird für Ödipus zum Ort, an dem er Frieden und einen Übergang ins Totenreich findet, der keinen Schrecken mehr in sich trägt – er scheint lebendig in die Unterwelt( ? ) entrückt zu werden (besonders Zeilen 1456 – 1682).1161 Wenn Ödipus dort zuvor zu den Eumeniden betet: […] | ' <1 λ φ8 „gebt mir […] jetzt einen Übergang des Lebens und ein Ende“ (Ödipus auf Kolonos 102 f.), dann erscheinen die Eumeniden hier beinahe als gnädige Todesgöttinnen, die dem geplagten Menschen einen friedlichen Übergang ins Jenseits und damit ein Ende seiner Leiden ermöglichen können – selbst wenn dieses Gebet vor dem Hintergrund der Biographie des Ödipus zu sehen ist, der für seine (unwissentlich begangenen) Frevel litt, so daß der Tod für ihn zur willkommenen Erlösung wurde (vgl. Ödipus auf Kolonos 1751–1753). Dieser Assoziation des Eumenidenheiligtums mit dem Übergang ins Totenreich entspricht daneben auch eine Tradition, nach der sich dort ein Eingang in die Unterwelt befand (überliefert im Scholion zu Ödipus auf Kolonos 57, vgl. Ödipus auf Kolonos 1590–1594).1162 Die Erinyen können mit dem Tod und dem Totenreich ferner auch als Grabwächter assoziiert werden: Eine Inschrift auf einem Heroon in Athen rechnet sie den unterweltlichen Göttern zu und vertraut ihnen zusammen mit Pluto, Demeter, Persephone und allen unterweltlichen Göttern die Bewachung des Heroons an.1163 In der Spätzeit können die Erinyen auch auf dem Schlachtfeld erscheinen: Quintus von Smyrna reiht sie unter die Schreckensgestalten ein, mit denen er das Grauen und Gemetzel der Schlacht ausschmückt (Quintus Smyrnaeus V,29–33; vgl. XI,8–10). 1160 1161 1162 1163
Der pseudo-platonische Axiochos entzieht sich einer genauen Datierung, mag jedoch erst dem 2. oder gar 1. Jh. v. Chr. angehören, vgl. Hershbell 1981 S. 20 f. Vgl. Rohde 1925 Bd. 2 S. 243–245. Zu Heiligtümern der Eumeniden an Eingängen zur Unterwelt vgl. Wüst 1956 Spalten 127, 130; Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalte 1319. […] P! « &[]« &« μ π) φ%, P ! λ F@ λ Pφ(9 λ #E[] λ » « []&« &«. […] Corpus Inscriptionum Graecarum (Boeckhius) 916, emendierter und normalisierter Text nach Boeckhius 1828. Siehe auch das Vergleichsmaterial bei Wüst 1956 Spalte 134.
Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
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Von einer betonten Sexualität der Erinyen läßt sich nicht sprechen. Sie erscheinen als Mütter eines Drachen (Scholion zu Sophokles, Antigone 126) und von ungewöhnlichen Pferden (Quintus Smyrnaeus VIII,241–244),1164 aber solche Züge treten weit in den Hintergrund. Für Sophokles sind sie gar ewige Jungfrauen (Aias 835–838) – Jungfrauen, die ihre Opfer fortschleppen und verschlingen (Aias 839–844). Eine umfassende Besprechung des reichen Furien- und Erinyen-Materials würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit bei weitem sprengen; auch der kurze hier vorgelegte Abriß sollte jedoch deutlich gemacht haben, daß die römischen Furien in zumindest sehr vielen ihrer Charakterzüge zwischen der etruskischen und der griechischen Tradition stehen. Schon als Folge ihrer großen Nähe zur etruskischen Totengeleiterin Vanth fügen sie sich in einigen ihrer Charakterzüge in den hier besprochenen Typus von Todesdämoninnen ein; denn auch die Furien sind ein Kollektiv weiblicher Dämoninnen, die zumindest als Wächter an der Unterweltspforte und als Seelengeleiterinnen der Verdammten eine Rolle beim Übergang der Toten in das Totenreich spielen. Die isolierte Passage der Thebais VIII,9–11 des Statius mag sogar eine allgemeine Rolle bei der rituellen Eingliederung der Toten in das Jenseits andeuten. Sie können zudem geflügelt oder in Vogelgestalt erscheinen, als Kriegstreiber tätig werden und dem Krieger eine übernatürliche Furcht einflößen und ihm so seine Kraft rauben. Die Erinyen der griechischen Literatur erscheinen ganz ähnlich als Kollektiv oft geflügelter weiblicher Dämoninnen, die für verschiedenste Vergehen Rache nehmen, ihre Opfer mit Wahnsinn schlagen, sie ins Totenreich schleppen und dort (in vergleichsweise späten Quellen) die Frevler an den Ort ihrer Jenseitsstrafen führen. Zumindest bei Aischylos und Sophokles erscheinen die Erinyen zudem als vampirische Gestalten, die sich an ihren Opfern laben und ihnen das Blut aus den Gliedern saugen. Auch sie lassen sich somit in einem gewissen Umfang in ganz ähnlichen Kategorien beschreiben wie die Walküren und die Bodbs. Die Unterschiede zwischen Vanth, den Furien und den Erinyen sind in manchen Zügen eher graduell als tiefgreifend, auch wenn die individuellen Charaktere insgesamt keineswegs austauschbar sind – es handelt sich trotz aller Ähnlichkeiten um deutlich differenzierte Gestalten. Die Ähnlichkeiten sind jedoch immerhin so stark, daß schon die klassische Antike nicht immer eine scharfe Grenze zwischen solchen Figuren zog: In der lateinischen Literatur werden die Begriffe ‚Furien‘, ‚Erinyen‘ und ‚Eumeniden‘ völlig austauschbar verwendet, und späte Darstellungen Vanths sind mit griechi-
1164
Vgl. Wüst 1956 Spalten 85 f., 95 mit weiterem Belegmaterial.
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schen Erinyendarstellungen oder lateinischen Beschreibungen der Furien oftmals praktisch identisch. Ähnlich verhält es sich mit den Harpyien:1165 Auch sie werden von der antiken Tradition nicht immer scharf von Furien und Erinyen unterschieden.1166 So bezeichnet sich die Harpyie Celaeno bei Vergil selbst als Furiarum maxima (Äneis III,252).1167 Vergil weist ferner sowohl einer seiner Furien als auch seinen Harpyien das Amt zu, ihre Opfer vom Mahl abzuhalten (Harpyien: Äneis III,225–257; Furie: Äneis VI,603–607). Sowohl Erinys als auch Harpyie können als die Mütter herausragender Pferde erscheinen (Erinys: Quintus Smyrnaeus VIII,241–244; Harpyie: Quintus Smyrnaeus IV,568–572; Eustathios zu Ilias XXIII,346 erwähnt über das Pferd Areion, daß „nach dem Mythos seine Abstammung auf Poseidon und eine Harpyie oder eine Erinys zurückgeführt wird“).1168 Sowohl Harpyien als auch Erinyen werden in der bildenden Kunst üblicherweise bzw. häufig als geflügelte Frauen dargestellt.1169 Wie die Erinyen erscheinen auch die Harpyien bei der Bestrafung des Phineus als Rächerinnen eines Vergehens (Apollonios von Rhodos, Argonautika II,178–193), und auch die Harpyien, die ihr Opfer mit ihrer Heimsuchung verfolgen, können
1165
1166 1167
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Allgemein zu den Harpyien vgl. etwa: Kahil und Jacquemin 1988; Sittig 1912; Engelmann 1884–1890; Sauer 1967; Junge 1983 S. 80 f.; Bremmer 1998. Zur Gleichsetzung von Harpyien und Erinyen/Furien vgl. Engelmann 1884–1890 Spalten 1843 f.; Wüst 1956 Spalte 88 mit Belegen. Vgl. Servius III,209, etwa: […] sane apud inferos furiae dicuntur et canes, apud superos dirae et aves, […] in medio vero harpyiae dicuntur […]. Vgl. Rapp 1884–1890 (Furiae) Spalte 1563. Die Pferde des Achilleus stammen nach der Ilias XVI,148–151 von der Harpyie Podarge ab; der Westwind zeugte sie mit ihr, als sie auf einer Weide neben dem Okeanos graste. Dies läßt sich vielleicht als Hinweis auf eine Pferdenatur dieser Harpyie in dieser Situation deuten (Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 445), was aber in der Ikonographie nicht erkennbar zum Ausdruck kommt; Sittig 1912 Spalte 2419 hält eine ursprüngliche Pferdegestaltigkeit für nicht zu erweisen (auch unter Heranziehung dieser Stelle). Allgemein zur Ikonographie der Harpyien vgl. Kahil und Jacquemin 1988. Bei Hesiod erscheinen zwei Harpyien als die schönhaarigen geflügelten Schwestern der Iris (Theogonie 266–269); sie scheinen also wohl schon hier wie in den ikonographischen Zeugnissen als Flügelfrauen vorgestellt zu sein. – Als Hinweis auf eine betonte Sexualität der Harpyien läßt sich ihre gelegentliche Mutterschaft nicht werten; dafür steht dieser Zug viel zu wenig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch daß die spätere allegorische Mythendeutung sie als Hetären interpretieren konnte (Sittig 1912 Spalte 2428; Engelmann 1884–1890 Spalte 1845), beweist in Anbetracht des sonstigen Fehlens sexueller Züge nichts, da hier das tertium comparationis nicht in der Sexualität gesucht werden muß, sondern etwa auch in der verderblichen Wirkung auf das Opfer liegen kann. Für die Erinyen siehe oben, zur Ikonographie der Harpyien vgl. etwa Kahil und Jacquemin 1988.
Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
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als Hunde bezeichnet werden (
= μ« !«, „Hunde des großen Zeus“: Apollonios von Rhodos, Argonautika II,289). In der älteren Literatur werden Harpyien und Erinyen noch nicht wie manchmal in den späteren Belegen zusammengeworfen, aber auch dort werden sie schon miteinander assoziiert. Aischylos, Eumeniden 50–52 zieht die Harpyien zum Vergleich mit den Erinyen heran, wenngleich nicht ohne Unterschiede zwischen diesen Figuren hervorzuheben. Die Harpyien Homers entraffen ihre Opfer ins Totenreich und übergeben sie den Erinyen: In der Odyssee XX,61–82 betet Penelope zu Artemis darum, eher zu sterben als sich neu verheiraten zu müssen. Sie bittet, daß ein Pfeil der Artemis sie treffen möge, oder daß ein Sturmwind sie an die Mündung des Okeanos versetzen solle. Die ‚Sturmwinde‘ (! ) und die Harpyien (6A ) werden in dieser Passage austauschbar gebraucht; Penelope verwendet beide Begriffe in ihrer Erzählung des Schicksals der Töchter des Pandareos synonym,1170 die sie als mythisches Exempel für eine solche Entrückung ins Totenreich anführt. Denn die Töchter des Pandareos wurden von den Harpyien entführt und den Erinyen übergeben; ebenso will Penelope in die Unterwelt hinabgehen, ohne einen niedrigeren Mann als Odysseus zu heiraten. Daß die Entführung durch die Harpyien eine Entführung in das Reich der Toten ist, wird in diesem Gebet mehrfach deutlich: Zum einen stellt das Gebet, in dem die Erzählung von der Entrückung der Töchter des Pandareos erscheint, eine Bitte um den Tod dar. Ferner übergeben die Harpyien die Töchter des Pandareos den Erinyen, und die homerischen Erinyen haben ihren Aufenthaltsort in der Unterwelt. Und schließlich bittet Penelope um eine Entrückung an den Okeanos; jenseits des Okeanos befindet sich jedoch der Eingang zum Land der Toten (vgl. Odyssee X,508–512). In der Odyssee kommt dieses Motiv der Entrückung durch die Harpyien noch zwei weitere Male vor; an beiden Stellen wird beklagt, daß Odysseus nicht wenigstens vor Troja ruhmvoll im Kampf gefallen und in Ehren bestattet worden ist; stattdessen hätten ihn die Harpyien ruhmlos entführt (Odyssee I,241=XIV,371). Die Harpyien sind in der Odyssee also als stark negativ konnotierte Todesdämoninnen etabliert, die Menschen aus der Welt der Lebenden rauben und gewaltsam in das Totenreich schleppen.1171 Zugleich werden sie mit den Erinyen assoziiert. Die Vorstellung von Harpyien als 1170 1171
Vgl. Ilias XX,66 und XX,77. Für spätere Belege des Motivs vgl. Engelmann 1884–1890 Spalte 1844. – Mit dem Jenseits sind die Harpyien auch ansonsten wiederholt assoziiert. So halten sie sich bei Vergil, Äneis VI,285–289 zusammen mit anderen Monstren an der Pforte zum Totenreich auf; in Äneis III,214 f. stammen die Harpyien wohl aus der Unterwelt. Vgl. dazu ferner das bei Sittig 1912 Spalten 19 f. zusammengestellte Material.
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Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
entraffenden Todesdämoninnen könnte einen ikonographischen Niederschlag in den melischen Reliefs des 5. Jh. v. Chr. gefunden haben. Die melischen Reliefs dienten wohl vereinzelt als Grabbeigabe oder Votiv, vor allem jedoch „dürften [sie] vorzugsweise zum Schmuck von hölzernen Truhen und Kästchen, die dem oder der Toten mitgegeben wurden, gedient haben, vielleicht aber auch von hölzernen Särgen.“1172 Unter ihnen finden sich Darstellungen von Flügelfrauen, die kleine Menschengestalten davontragen. Die getragenen Figuren haben die Proportionen von Erwachsenen, aber die Größe von Kindern. Diese entführten Figuren sind zu klein, als daß man die Darstellung ohne weiteres als ‚Eos und Kephalos‘ identifizieren könnte; daher handelt es sich bei den Menschlein vielleicht um Eidola, die von Harpyiengestalten ins Jenseits( ? ) entführt werden – man hat bei der davontragenden Flügelfrau von einer „hinraffenden Todesgöttin“ gesprochen.1173 Die homerische Gleichsetzung der Harpyien mit den Sturmwinden legt nahe, daß die Entführung in das Totenreich durch die Luft erfolgt. Eine entsprechende ‚Vogelnatur‘ der Harpyien geht deutlich aus Hesiod, Theogonie 266–269 hervor: Dort werden zwei Harpyien als schönhaarige Schwestern der Iris dargestellt, die mit ihren schnellen Flügeln (>91« ! ) mit den Winden und den Vögeln Schritt halten können. Da sie als „schönhaarig“ ( ? «) erscheinen, sind sie wohl – abgesehen von ihren Flügeln – in menschlicher Gestalt vorgestellt. Entsprechend zeigt die archaische und die klassische Kunst die Harpyien stets anthropomorph;1174 in der Archaik sind sie – wie in der Beschreibung Hesiods – stets geflügelt.1175 Im Hellenismus scheint die Vorstellung der Harpyien als Flügelfrauen brüchig zu werden.1176 Bei Apollonios von Rhodos, Argonautika II,187–189 stürzen sie sich aus den Wolken herab und rauben die Speisen des Phineus mit ihren φ1; das Wort kann die Kiefer eines Tieres oder den Schnabel eines Vogels bezeichnen und mag somit darauf hinweisen, daß die Harpyien in dieser Zeit von Flügelfrauen zu Vogelmisch( ? )wesen werden.1177 Ähnlich suggestiv ist Lykophron, Alexandra 653, wo die Sirenen als 4 $1« umschrieben werden. Das Adjektiv 4 «
1172 1173 1174 1175 1176 1177
Jacobsthal 1931 S. 108. Vgl. Jacobsthal 1931 S. 21–23 (Nr. 10–13), 176 mit Abb. 1 (S. 22) und Tafeln 6 und 7; Zahle 1975 S. 75. Sittig 1912 Spalte 2422; Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 450. Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 449. Vgl. Sittig 1912 Spalte 2422. Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 445; Liddell und Scott 1996 s.v. ‚ φ‘; Vian und Delage 1974 S. 269.
Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
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ist ein Hapax und in seiner Bildeweise zwar klar, aber ambivalent: Es kann sowohl „die Glieder der/wie Harpyien habend“ oder „die Harpyien als Erzeuger habend“ bedeuten.1178 Isoliert betrachtet läßt sich diese Umschreibung der Sirenen also entweder als „harpyiengliedrige Nachtigallen“ oder als „harpyienerzeugte Nachtigallen“ übersetzen. Die letztere Möglichkeit ist aus inhaltlichen Gründen abzulehnen: Die Sirenen sind nirgends Nachkommen der Harpyien.1179 Die Sirenen sind hier also wohl „harpyiengliedrige Nachtigallen“. Dies bedeutet jedoch, daß „Harpyienglieder“ die Glieder eines Vogelmischwesens sind; denn die Sirenen werden in der zeitgenössischen Ikonographie als Frauen mit Vogelbeinen, Vogelschwanz und Schulterflügeln dargestellt.1180 Die ursprünglich getrennten Ikonographien der Harpyien als Flügelfrauen und der Sirenen als Menschenvögel scheinen hier in einer Vogelmischwesenikonographie zu verschmelzen. Ein ganz entsprechendes Bild zeigt sich in der nur wenig späteren römischen Literatur.1181 Ovid umschreibt die Harpyien als virgineae volucres „Mädchenflugwesen, Mädchenflügelwesen, Mädchenvögel“ (Metamorphosen VII,4).1182 Statius, Silvae V.iii.82 verwendet dasselbe Wort für die Sirenen (Tyrrhenae volucres). Ovid erzählt von der Verwandlung der Sirenen von Mädchen in Vogelwesen, denen die Mädchengesichter (virginei vultus) jedoch erhalten blieben (Metamorphosen V,552–563); Vergil schreibt über die Harpyien, „die Gesichter dieser Vögel sind Mädchengesichter“ (virginei volucrum vultus: Äneis III,216).1183 Ferner sind die Harpyien Vergils allem Anschein nach ganz von Gefieder bedeckt (vgl. Äneis III,242 f.); er scheint sie sich also nicht als Flügelfrauen, sondern als Menschenvögel vorzustellen, wie das später Hygin, Fabulae XIV,18 ganz ausdrücklich tut.1184 Ein Mosaik aus Pompei zeigt vielleicht eine Harpyie ganz in der Ikonographie einer Sirene: Als Frau mit Vogelbeinen, Vogelschwanz und großen Schulterflügeln.1185 Die Gestalt der Harpyien entwickelt sich ab dem Hellenismus somit von den Flügelfrauen der archaischen und klassischen Epoche weg und fällt mit 1178 1179 1180 1181 1182 1183 1184
1185
Schade 1999 S. 63. Schade 1999 S. 63, vgl. ibidem S. 78, 124 f. Allgemein zur Ikonographie der Sirenen vgl. etwa Hofstetter 1997 und siehe unten S. 375 ff. Vgl. Sittig 1912 Spalte 2422. Vgl. Lewis und Short 1917 s.v. ‚volucer‘: volucer bezeichnet zunächst ein fliegendes, geflügeltes Wesen, dann aber insbesondere einen Vogel. Schade 1999 S. 63 f. Zu den Hühnerköpfen und -füßen der Harpyien Hygins vgl. den Kommentar von Rose o. J. S. 19 zur Stelle. Kahil und Jacquemin 1988 Nr. 5; anders Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1100 (Nr. 92): Sirene.
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der Vogelmischwesengestalt der Sirenen zusammen.1186 Daß sich eine der sirenenhaft gefiederten Harpyien Vergils darüber hinaus selbst als Furie bezeichnet,1187 wirft dabei ein helles Schlaglicht auf den Umfang dieses Verschwimmens der dämonischen Kategorien in der Spätzeit. Die gesicherten Darstellungen der Harpyien in der bildenden Kunst zeigen diese Wesen nur in einem einzigen narrativen Zusammenhang: Der Sage von Phineus.1188 Als Strafe für Vergehen, die je nach der Fassung der Sage variieren können, wurde der blinde Seher Phineus von den Harpyien gequält, bis die Argonauten ihn von dieser Heimsuchung befreiten. Die Qual bestand darin, daß die Harpyien dem Phineus die Nahrung entführten oder sie verpesteten und unerträglichen Gestank zurückließen, so daß er ununterbrochen Hungers litt (etwa Apollonios von Rhodos, Argonautika II,178–300).1189 In der Äneis scheint diese Qual vielleicht auf die Henkersknechte zurückgefallen zu sein: In der Fassung der Phineus-Sage, die Vergil verwendet, haben die Harpyien sich auf den Strophaden niedergelassen, nachdem sie von den Argonauten von ihrem Opfer Phineus fortgejagt worden waren. Als Äneas auf diesen Inseln landet, werden er und seine Gefährten von den Harpyien im gleichen Sinne heimgesucht wie Phineus: Immer, wenn sie das Mahl fertig vorbereitet haben, fallen die Harpyien darüber her und fressen einen Teil, während sie einen anderen Teil der Speisen ungenießbar machen (Äneis III,209–244). In seiner Beschreibung der Harpyien betont Vergil dabei, daß die Gesichter dieser Vogelwesen stets vor Hunger bleich sind ([volucrum …] pallida semper | ora fame: Äneis III,217 f.). Äneas und seine Gefährten können sich der hungrigen Harpyien jedoch erwehren. Nachdem sie die Harpyien vertrieben haben, prophezeit eine von ihnen – die Unglücksseherin (infelix vates: Äneis III,246) Celaeno – daß die trojanischen Flüchtlinge nach der Ankunft in Italien vor Hunger ihre eigenen Tische aufessen werden (Äneis III,245–257). Freilich tritt dies nicht so ein, wie es nach der Prophezeiung zunächst den Anschein hat. Ob man dem ständigen Hunger der Harpyien Vergils eine besondere Bedeutung beimessen will, muß fraglich bleiben – hier wird wohl eher ein literarisches Spiel mit der Hungerqual des Phineus vorliegen als eine Erinnerung an einen alten Zug als insbesondere verschlingende Dämoninnen. Fragt man jedoch, ob sich die Harpyien mit den verschlingenden Bodbs und den Geiern der Keltiberer verbinden lassen, dann ist auf einige schon 1186 1187 1188 1189
Vgl. Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 450. Vergil, Äneis III,210–213; III,252; III,216; III,242 f.; siehe oben S. 338. Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 449 f. Zur Phineus-Sage mit Besprechung abweichender Traditionen vgl. Jessen 1897– 1909 Spalten 2357–2375.
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im 19. Jh. von Roscher gemachte Beobachtungen hinzuweisen, die ihn zur Annahme einer ursprünglichen Vorstellung von den Harpyien (und Sirenen) als Geiern bewogen.1190 So wies er auf die antike Vorstellung hin, daß alle Geier weiblich seien und vom Wind geschwängert würden; dem entspricht, daß schon bei Homer die Pferde des Achilleus von der Harpyie Podarge und dem Westwind abstammen – und Ähnliches gilt auch für andere berühmte mythische Rosse. Ferner ist ein atemberaubender Gestank ein typisches Charakteristikum von Geiern als Aasfressern; hierzu paßt der Gestank, den die Harpyien an der Stätte ihres Unwesens zurücklassen. Ebenso teilen Geier und Harpyien die faulen Absonderungen, das laute Geschrei, die auffallende Gefrässigkeit und ihr Erscheinen scheinbar aus dem Nichts heraus – was im Fall der Geier darauf beruht, daß sie in so großer Höhe kreisen und nach Aas Ausschau halten, daß sie mit bloßem Auge nicht mehr zu sehen sind. Das plötzliche Erscheinen von Geiern bei frischem Aas brachte den Geiern in der Antike den Ruf ein, die Zukunft zu kennen, und machte sie zu wichtigen Tieren der Mantik. Beides – plötzliches Erscheinen und Zukunftsschau – zeichnet auch die Harpyien aus (wenn auch ihre mantischen Fähigkeiten auf Vergil beschränkt sind und selbst dort ihre Prophezeiung zwar dem Buchstaben nach richtig ist, aber doch einen weit fehlgehenden Eindruck von den zukünftigen Ereignissen erweckt). Der byzantinische Gelehrte Tzetzes kannte noch eine Tradition, nach der Harpyien mit Geierkörpern (und den Ohren von Bären und Gesichtern von Mädchen) erschienen (Scholion zu Lykophron, Alexandra 653). Daß die Harpyien insbesondere der Phineussage ursprünglich geierartig gedacht gewesen seien, schließt Roscher zudem daraus, daß eine Überlieferung Phineus in Gypopolis „Geierstadt“ beheimatet. Das reiche Material, das Roscher zusammenträgt, zeigt deutlich, daß die Harpyien wiederholt eng mit Geiern assoziiert werden konnten. Ob Roschers oft späte Quellen den Schluß zulassen, daß es sich hierbei um die ursprüngliche Vorstellung von den Harpyien handelt, muß dahingestellt bleiben; unabhängig davon ist diese Geierassoziation der Harpyien jedoch in jedem Fall beachtenswert.1191 Die Grenzen zwischen Harpyien, Sirenen und Furien bzw. Erinyen beginnen spätestens im Hellenismus, brüchig zu werden, und scheinen sich in der römischen Zeit weitgehend aufgelöst zu haben. Viel früher schon illustrieren die Keren, wie unscharf die Grenzen zwischen den verschiedenen 1190
1191
Roscher 1896 S. 68–78, 82–86 (für eine ausführliche Diskussion und reiches Belegmaterial siehe dort), akzeptiert von Jessen 1897–1909 Spalten 2371, 2374. Zu Roschers Auffassung der Sirenen als Geier siehe unten Anm. 1268. Für eine Darstellung eines geierköpfigen geflügelten Dämons in der attischen Kunst vgl. Jacobsthal 1912 S. 8 f. mit Abb. 10; Malten 1914 S. 240 mit Abb. 31 (S. 243).
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Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
Verderben bringenden Dämoninnen der Mittelmeerwelt sein können.1192 Ihre beiden berühmtesten Auftritte haben diese Wesen in zwei epischen Schildbeschreibungen: Auf Homers Schild des Achilleus und auf Hesiods Schild des Herakles. Bei Homer mischen sich die Personifizierungen von Streit und Schlachtenlärm und die zerstörerische Ker (0 κ K8) vor den Mauern einer belagerten Stadt unter die Kämpfenden. Die Ker packt einen Verwundeten und einen nicht Verwundeten gleichermaßen, und einen weiteren packt sie an den Füßen und schleppt ihn tot durch das Gewühl der Schlacht. Um die Schultern trägt sie ein vom Blut gerötetes Gewand. Wie Menschen mischen diese Wesen sich unter die Krieger, kämpfen und schleppen die Leichen der anderen davon (Ilias XVIII,535–540).1193 Noch drastischer erscheinen die Keren in der Schlachtenbeschreibung in Hesiods Schild, 248–257: […]α λ ’ σ % 4. θ ξ ’ J *« K1« %, *« $ 9( «, !λ φ ’ Ν 1 4 λ ( !α » ’ Ν’ >
L " "α χ ξ % ν , $ φλ ξ J ) %< ² «> 6« %«, 0κ ξ [5A(] 9 1 T% « (&’α θ ξ φ"« σ ’ $" > « $ ", μ ξ < 9!, '0 ’ Ρ λ & σ « ;.1194
„[…]; die andererseits schlugen eine Schlacht. Die aber hinter ihnen, die schwarzblauen Keren, weiße Zähne knirschend, wildäugig, struppig und gelbbraun und unnahbar, hatten einen Kampf um die Fallenden; sie alle verlangte es dann danach, schwarzes Blut zu trinken; wen sie aber zuerst fangen sollten, darniederliegend oder jüngst fallend, um ihn warfen <sie gleichermaßen> die großen Krallen, die Seele aber ging hinab [zum Hades,] zum kalten Tartaros; wenn sie ihre Herzen aber gesättigt hatten an menschlichem Blut, warfen sie ihn nach hinten, zurück aber zum Lärm und Handgemenge schossen sie, und gingen erneut.“
Die Keren sind hier tödliche, im buchstäblichsten Sinne blutdürstige Dämoninnen der Schlacht. Sie greifen aktiv in den Kampf ein, führen den Tod von Kriegern herbei und trinken ihr Blut. 1192
1193
1194
Allgemein zu den Keren vgl. etwa Walde 1999; Burkert 1997 S. 250–255, 351; Vollkommer 1992; Pötscher 1969; Nilsson 1967 S. 222–225, 228; Malten 1924; Crusius 1890–1897. Vgl. nahezu identisch Hesiod, Scutum 156–159 und Solmsen 1965, der auf der Grundlage des Vergleichs mit der pseudo-hesiodeischen Parallele in dieser Stelle der Ilias eine Interpolation des 6. Jh. v. Chr. sieht. Text: Solmsen et al. 1990.
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Im homerischen Epos erscheinen sie des öfteren mit Verderben und Tod verbunden.1195 Von besonderem Interesse ist, daß die Keren nicht nur töten und Blut trinken, sondern auch den Toten in den Hades entführen können; so heißt es in der Odyssee über den Tod eines reichen Mannes: „Aber wahrlich, die Keren des Todes gingen und trugen ihn in die Häuser des Hades“, $’ * μ 4«
φ' | ;« #AD « […] (Odyssee XIV,207 f., ganz ähnlich Ilias II,302). Auch die Keren erscheinen somit in gewisser Weise als die Seelengeleiter – oder vielmehr: Seelenentführer – ihrer Opfer. Eine solche Auffassung des Todes als Entführung durch die Keren wird mit der Auffassung der Keren als verschlingende Wesen verschränkt, wenn der Schatten des Patroklos Achilleus gegenüber seinen Tod mit den Worten umschreibt: „Mich aber hat die verhaßte Ker umgähnt“, $’ "ξ ξ κ | $φ' 8 (Ilias XXIII,78 f.).1196 Die Keren sind dabei nicht nur Dämonen, die den Tod bringen, sondern scheinen auch ihren Aufenthaltsort in der Unterwelt zu haben: Euripides, Herakles 870 siedelt sie im Tartaros an. Sie erscheinen bald im Singular, bald im Plural; anderswo in der Ilias sind die „Keren des Todes“ (4«
) gar unzählbar viele ( : Ilias XII,326 f.). Der Tod, den die Keren verursachen, ist häufig der Tod im Krieg. Dies ist jedoch nicht notwendigerweise der Fall; so wurde dem Achilleus von seiner Mutter prophezeit, daß ihn zwei verschiedene Keren zu seinem Ende tragen: Er hat die Wahl zwischen dem Tod vor Troja und ewigem Ruhm, oder der Rückkehr nach Hause und einem langen Leben ohne Ruhm (Ilias IX,410–416). Auch der friedliche Tod in der Heimat untersteht also einer Ker. Malten hat in den Beschreibungen der Keren auf dem Schild des Achilleus, Ilias XVIII,535–540, auf Hesiods Schild des Herakles 248–257 und auf der Kypseloslade (Pausanias V.xix.6) Hinweise auf eine Vogelgestalt der Keren sehen wollen.1197 Hiergegen hat Vollkommer gezeigt, daß die vorgebrachten Argumente für eine Tiergestalt der Keren nicht schlüssig sind. Eine solche geht aus diesen Quelle nicht nur nicht eindeutig hervor, sondern ganz im Gegenteil weist das Gewand, das die Keren auf den homeri1195 1196
1197
Zusammenstellung vieler Belege bei Malten 1924 Spalten 886 f. Nilsson 1967 S. 223 hebt die Formulierung als bedeutungsvoll hervor, „da das Griechische nicht so frei mit Metaphern umgeht wie wir“. – Wenn dagegen in Euripides, Herakles 480 f. die drohende Hinrichtung der Söhne des Herakles damit umschrieben wird, daß diese die Keren zu Bräuten erhalten, ist dies nicht aussagekräftig (etwa als Parallele zum sexuellen Aspekt der nordwesteuropäischen Todesdämoninnen). Vielmehr wird dieses Bild bei Euripides nur daraus entwickelt, daß in den unmittelbar vorangehenden Versen von der Hochzeit die Rede ist, um die die Kinder durch ihren vorzeitigen Tod betrogen würden. Malten 1924 Spalten 898 f.
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Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
schen und pseudo-hesiodeischen Schilden tragen (Ilias XVIII,538; Scutum 159), auf eine anthropomorphe Gestalt hin.1198 Interessantere Belege für eine ‚Vogelartigkeit‘ der Keren finden sich erst in der späteren Literatur. Bei Apollonios von Rhodos setzt die Zauberin Medea Magie ein, um den Bronzeriesen Talos zu Fall zu bringen. Sie beschwichtigte mit Liedern und „besang die lebensverschlingenden Keren, die schnellen Hunde des Hades, die durch die ganze Luft herumschwirren und auf die Lebenden gehetzt werden“, ' ξ K4« | «, #A 3« !«, θ λ » | ' ! " λ H Ν (Argonautika IV,1665–1667). Daß die Keren hier die Luft durchschwirren, mag darauf hindeuten, daß es sich um vogelähnlich vorgestellte Wesen handelt. Ganz ähnlich spricht auch Quintus von Smyrna (III,44) von den Keren, die bei ihm um Achilleus „herumflogen“ ($φ : ); an einer späteren Stelle verwendet Quintus dasselbe Wort für den Flug von Vögeln (V,12). Im Orphischen Hymnus XII,16 wird Herakles darum gebeten, die Keren mit seinen Pfeilen zu verjagen – Malten verweist zum Vergleich auf Herakles’ Jagd auf die stymphalischen Vögel.1199 Hesiod beschreibt die Keren in der Theogonie 211–222 als Töchter der Nacht und als mitleidlos strafende Wesen, die die Übertretungen von Göttern und Menschen verfolgen, ohne von ihrem Zorn abzulassen, bis der Frevler seine Strafe erlitten hat. Der Charakter dieser Keren entspricht ganz dem der Erinyen, die seit Homer als Rächerinnen bezeugt sind. Hesiod trennt die Keren jedoch noch ausdrücklich von den Erinyen, da die Erinyen in seinem System als Töchter der Erde erscheinen (Theogonie 178–187).1200 In der attischen Tragödie wird diese Trennung nicht mehr aufrechterhalten. So sind mit den Keren, die den Vatermörder Ödipus in Sophokles’ König Ödipus 469–472 verfolgen, dem Gesamtzusammenhang der Sage nach wohl Erinyen gemeint. Ebenso werden in Euripides, Elektra 1252 f. die Erinyen, die Orestes nach der Tötung seiner Mutter mit Wahnsinn schlagen, als Keren bezeichnet. In der Schlußszene von Aischylos’ Sieben gegen Theben 1054–1056 ist von den K4« #E !« die Rede, die das Haus des Ödipus zu Fall gebracht haben.1201 1198
1199 1200 1201
Vollkommer 1992 Bd. 6.1 S. 22. Er setzt sich in seiner Diskussion zwar mit einer Deutung von Löwenfrauen als Keren auseinander, aber ein Teil seiner Argumente gilt gleichermaßen für eine Interpretation dieser Belege als Hinweise auf eine Vogelgestalt der Keren. Malten 1924 Spalte 899; vgl. ganz ähnlich Crusius 1890–1897 Spalte 1153. Sommerstein 1989 S. 8. Malten 1924 Spalte 890. Die Schlußszene der Sieben ist ein spätere Hinzufügung, die nach Hutchinson nicht vor 386 v. Chr. entstanden ist: Malten ibidem; Hutchinson 1999 S. xlii-xliv, 209–211. Verszählung nach Hutchinsons Ausgabe. Zur gelegent-
Zusammenfassung
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Somit wird der Begriff ‚Keren‘ in den Schildbeschreibungen Homers und Hesiods für Wesen gebraucht, die eine spezifische Kategorie im eigenen Recht bilden, und Hesiods Theogonie stellt sie als genau definierte Gestalten mit einer eigenen Genealogie dar. In der Tragödie fallen die Keren hingegen mit den Erinyen zusammen. Der Begriff erscheint dort weniger als eine Bezeichnung für eine spezifische Klasse von Dämonen, wie dies auf den homerischen und pseudo-hesiodeischen Schilden und in der hesiodeischen Göttergenealogie der Fall zu sein schien, als vielmehr als eine allgemeine Bezeichnung für Verderben bringende dämonische Wesen. Dies mag das Ursprüngliche sein; Nilsson nimmt eine Entwicklung aus einem „alte[n] Apellativum @, ‚Verderbnis‘“ an, das einerseits für Gestalten des Volksglaubens verwendet worden sei und andererseits in der Verwendung als bloßer Gattungsname fortlebte.1202 Eine solche Auffassung der ‚Keren‘ – halb eine spezifische Klasse Verderben und Tod bringender Dämonen, halb Oberbegriff für verderbenbringende übernatürliche Wesen im allgemeinen – würde nochmals unterstreichen, daß die verschiedenen Klassen solcher Dämonen schon in der Antike nicht immer streng getrennt wurden. Damit überrascht es umso weniger, daß ab dem Hellenismus auch die Grenzen zwischen den in der vorangegangenen Zeit schärfer definierten Klassen brüchig werden und auch Erinyen, Harpyien und Sirenen ineinander zu verfließen beginnen.
Zusammenfassung Das vorliegende Kapitel hat einen kurzen Überblick über einige Charakterzüge der Furien, Erinyen, Harpyien und Keren zu geben versucht. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf zwei Gesichtspunkten. Einerseits sollte das stete ineinander-Verschwimmen solcher Figuren aufgezeigt werden: Die römischen Furien an der Unterweltspforte stehen in einer ungebrochenen Tradition, die sie mit Vanth als der Torhüterin des Totenreichs verbindet, und bei Vergil bezeichnet sich eine Harpyie, die wie eine Sirene beschrieben wird, selbst als Furie. Die Ikonographie der Harpyien wird an die der Sirenen angeglichen. Die Furien werden mit den Erinyen identifiziert. Und die Erinyen werden als Keren bezeichnet. – Schon der Antike fällt es schwer (oder: scheint es unnötig), ihre Todesdämoninnen klar zu differenzieren.
1202
lichen Gleichsetzung von Keren und Erinyen vgl. auch Wüst 1956 Spalten 88f.; Rapp 1884–1890 (Erinys) Spalte 1327; Crusius 1890–1897 Spalten 1137, 1146, 1155, 1163. Nilsson 1967 S. 225; vgl. Malten 1924 Spalten 896 f.
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Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
Das zweite Leitmotiv dieses Kapitels war, daß die Gestalt Vanths als Parallele zu den Todesdämoninnen Nordwesteuropas nicht isoliert dasteht, sondern vielmehr nur ein Beispiel unter vielen darstellt – wenn auch ein besonders anschauliches. Charakterzüge, wie sie für die Walküren und die Bodbs wesentlich waren, tauchen nicht nur in Vanth, sondern in gleich mehreren Gestalten mediterraner Dämonologien in unterschiedlicher Vollständigkeit immer wieder auf – und dies über die Grenzen der mediterranen Einzelkulturen hinweg gleichermaßen bei Etruskern, Römern und Griechen. Spätestens ab dem Hellenismus – und im Fall der Keren schon ab der klassischen Zeit – verschwimmen die Grenzen zwischen den hier angesprochenen Figuren. Dennoch sind diese Gestalten zumindest in der älteren Zeit zumeist ausreichend voneinander unterschieden, um individuelle Charaktere deutlich werden zu lassen. Für die Furien, mit denen dieses Kapitel einsetzte, wurden solche individuellen Züge – den späten Quellen entsprechend, die bereits von Anfang an eine Identifizierung mit den griechischen Erinyen vornehmen – freilich nur eingeschränkt erkennbar. Die Furien stehen als Wächterinnen an der Unterweltspforte in etruskischer Tradition und setzen in ihrer Gewalttätigkeit und Grausamkeit die Tendenz der späteren Vanth-Ikonographie fort, Vanth – wohl in Angleichung an die griechischen Erinyen – immer bedrohlicher erscheinen zu lassen. Durch ihren Aufenthalt am Hadestor und eine (unklare) Rolle bei der rituellen Eingliederung des Toten in die Unterwelt spielen auch die Furien immer noch eine wichtige Rolle beim Übergang des Toten ins Jenseits. Innerhalb dieses Jenseits erscheinen sie als die Seelengeleiter der Verdammten, die sie ihrer Strafe zuführen. Sie sind eng mit dem Tod verbunden und bringen den Tod auf dem Schlachtfeld ebenso wie verheerende Seuchen. Sie erscheinen als Kriegstreiber und greifen in den Verlauf von Kämpfen ein; dabei verbreiten sie eine Furcht, die ihren Opfern unerklärlich ist – auch die Furien wirken direkt auf den Geist ihrer Opfer, anstatt mit dem Schwert in der Hand über sie herzufallen. Sie haben die Macht, einen Kämpfer ebenso zu lähmen wie der altnordische herfjqturr, und sie können Wahnsinn verursachen. Ferner sind die Furien geflügelte Wesen, und sie treten sowohl als Einzelgestalten als auch als Kollektiv auf. Freilich war festzuhalten, daß die Furien noch in republikanischer Zeit zu Gestalten von mehr literarischem als religiösem Charakter werden. Ähnliches war zuvor schon den Erinyen widerfahren, die spätestens seit Aristophanes vor allem der Literatur anzugehören scheinen. Die Erinyen sind seit Homer mit der Unterwelt und dem Vollzug von Strafen für verschiedenste Vergehen verbunden; auch schwanken sie schon bei Homer zwischen Individuum und Kollektiv. Sie erscheinen in der bildenden Kunst
Zusammenfassung
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von den ersten unstrittigen Zeugnissen an häufig mit großen Schulterflügeln. Bei Aischylos und Sophokles sind sie vampirische Wesen, die ihren Opfern das Blut aussaugen und die sich an dem Blut berauschen, das in Mordtaten vergossen wird. Sie erinnern sich der Übeltaten der Menschen, und auch sie haben Macht über den Geist ihrer Opfer, denen sie Wahnsinn einhauchen. In der älteren Literatur erscheinen sie nicht als Seelengeleiter im engeren Sinn, aber sie schleppen den Frevler bei Aischylos lebendig in die Unterwelt. In der späteren Literatur führen sie – wie die römischen Furien – die Seelen der Verbrecher zu ihrer Bestrafung. Da diese Vorstellung jedoch erst spät bezeugt ist (Pseudo-Platon, Axiochos; Lukian), ist hier mit der Möglichkeit eines direkten Zusammenhangs mit römisch-etruskischen Vorstellungen zu rechnen. Untypisch, aber dennoch beachtenswert ist Sophokles’ Ödipus auf Kolonos, wo die Erinyen als geradezu freundliche Todesdämoninnen erscheinen, die dem gequälten Menschen einen gnädigen Übergang ins Jenseits ermöglichen. Als Wächterinnen am Hadestor scheinen die Erinyen in der griechischen Literatur nicht bezeugt zu sein; auch dies weist darauf hin, daß die Furien, die so oft in dieser Funktion erscheinen, hier in etruskischer Tradition stehen. Am Ausgang der Antike erscheinen die Erinyen schließlich bei Quintus von Smyrna unter die Dämonen des Schlachtfelds eingereiht, wo die römischen Furien schon viel früher etabliert waren. Einige ähnliche Züge zeigen die Harpyien. Bei Homer entführen sie ihre Opfer in das Totenreich. In der archaischen und klassischen Epoche werden sie als geflügelte Frauen dargestellt; später nähert die Vorstellung von der Gestalt der Harypien sich an die Ikonographie der Sirenen an, die als Vogelmischwesen erscheinen. Bei Vergil sind die Harpyien fahl vor Hunger und besitzen die Gabe der Prophetie. Wie Roscher zeigen konnte, sind sie zudem in vielen ihrer Charakterzüge mit Geiern assoziiert. Die Keren schließlich erscheinen als Synonym des Todes, sei es auf dem Schlachtfeld oder friedlich in der Heimat. In epischen Kampfschilderungen treten sie unter den Dämonen des Schlachtfelds auf; bei Pseudo-Hesiod trinken sie das Blut der Gefallenen. Sie schleppen ihre Opfer in den Hades, und ab dem Hellenismus können sie als vogelartig fliegende Wesen beschrieben werden. Den Gestalten, die in diesem Kapitel kurz angesprochen wurden, fehlte somit durchgehend der Zug einer betonten Sexualität, wie ihn die Walküren, Bodbs und Vanth zeigten. Ferner trat das prophetisch-wissende Element nur im Charakter der römischen Harpyien und der Erinyen des Aischylos hervor, die Unglück prophezeien bzw. sich an Übeltaten erinnern – und auch für diese Gestalten blieb dieser Charakterzug marginal. Die übrigen Charakteristika der nordwesteuropäischen Dämoninnen fanden sich
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Furien, Erinyen, Harpyien und Keren
hingegen gut bezeugt: Der Kollektivcharakter der Dämoninnen, ihre Verbindung mit dem Tod, mit Vögeln, mit Krieg und Gewalt und mit dem Motiv des vampirartigen Verschlingens, die Macht der Dämoninnen über den Geist ihrer Opfer und – insbesondere – ihre Rolle beim Übergang des Toten ins Jenseits. Vanth ist keine vereinzelte Parallele zu den nordwesteuropäischen Todesdämoninnen, die sich leicht als Zufall bewerten ließe. Vielmehr ist sie nur eine Vertreterin eines Typus, der im gesamten Bereich der klassischen Kulturen in verschiedenen Varianten gut etabliert war. Freilich ist zuzugestehen, daß den Furien, Erinyen, Harpyien und Keren durch die Abwesenheit eines sexuellen Aspekts bei allen Ähnlichkeiten doch ein Zug fehlt, der im Charakter der nordwesteuropäischen Dämoninnen eine zentrale Stellung einnimmt. Daher soll die Betrachtung der mediterranen Dämonologie des Todes im folgenden Kapitel mit der ausführlichen Besprechung einer Klasse von Dämoninnen abgerundet werden, die ebendiesen Zug in prominenter Weise mit einem Vogel-, Todes- und Vampircharakter verbinden: Die Sirenen.
Die Sirenen
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8. Die Sirenen Die letzten Kapitel verweilten im Bereich der Mythologien des Mittelmeerraums. Einer ausführlichen Besprechung der etruskischen Totengeleiterinnen des Vanth-Typus folgten Überblicke über einige Traditionen zu den Furien, Erinyen, Harpyien und Keren. Immer wieder tauchte dabei die weibliche Flügeldämonin als eine Gestalt auf, die ihre Opfer ins Jenseits geleitet oder in die Unterwelt zerrt. Wie freundlich oder feindselig die Dämonin dem Toten, Sterbenden oder Todgeweihten gegenübersteht, schwankt von Gestalt zu Gestalt. Die Lokalisierung der dämonisch-halbgöttlichen Flügelfrauen an der Schwelle zum Jenseits zieht sich hingegen wie ein roter Faden durch das Gewebe von Motiven, das diesen Gruppen übernatürlicher Wesen ihre individuellen Identitäten verleiht. Im Guten wie im Bösen, als Geliebte oder als bluttrinkende Jägerinnen, die Charaktere all dieser Figuren kreisen um das Thema der Seelengeleiterin: Ihr Ort ist die Grenze zwischen den Welten, wo sie über den Übergang der Toten in dasjenige Totenreich wachen, das ihnen zusteht. An dieser Grenze wacht Vanth an der Grabtür der Tomba degli Anina und an der Pforte des Hades auf dem Sarkophag der Hasti Afunei. Hier lokalisiert Vergil die eisernen Kammern der Furien, und hier läßt Ovid dieselben Dämoninnen vor dem verschlossenen Höllentor sitzen. Und hier, an der Schwelle zur Unterwelt, haben die Eumeniden auf Kolonos ihr Heiligtum. Es ist auf dem Rückweg aus jenseitigen Gefilden, und damit wieder an einer Grenze zwischen den Welten, daß Odysseus einer weiteren Gruppe von Vogeldämoninnen begegnet: Den Sirenen. Die Etymologie des Begriffs „Sirene“ ist unklar.1203 Der früheste Beleg für diese Gestalten findet sich in der Odyssee;1204 erst geraume Zeit später wird die entsprechende Szene des Epos auch in der bildenden Kunst dargestellt, wo die Sirenen als Mischwesen aus Elementen von Frau und Vogel erscheinen: Als Vögel mit Frauenkopf. Dämoninnen dieser Darstellungsart treten in der Kunst zu1203
1204
Für eine Zusammenstellung bisheriger Deutungsvorschläge vgl. Hofstetter 1990 S. 315 f. Anm. 173; Zwicker 1929 Spalte 289 f. Ein möglicher Beleg von Sirenen in der mykenischen Textüberlieferung wurde von der späteren Forschung zurückgewiesen: Mühlestein 1958, zurückgewiesen von Risch 1966 S. 53–56.
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Die Sirenen
gleich auch in einer Vielzahl von weiteren Kontexten auf, die sich aus der homerischen Sage zwar nicht herleiten lassen, die aber auch in keinem inhaltlichen Widerspruch zu ihr stehen und die so das Bild ergänzen, das die Literatur von den Sirenen zeichnet. Das folgende Kapitel will einige zentrale Charakterzüge dieser Wesen sowohl in der literarischen als auch in der archäologischen Überlieferung knapp umreißen. Ausgangspunkt ist dabei die älteste Überlieferung bei Homer. Daran soll sich mit besonderem Bezug auf die homerische Darstellung eine Diskussion ausgewählter weiterer literarischer Quellen anschließen, gefolgt von einer exemplarischen Betrachtung ausgewählter archäologischer Zeugnisse. Vollständigkeit ist auch hier in keinem Fall angestrebt, da eine auch nur näherungsweise vollständige Erfassung der umfangreichen literarischen und insbesondere archäologischen Zeugnisse den Rahmen dieser Arbeit bei weitem sprengen würde und zudem auf einschlägige Arbeiten aus neuerer Zeit verwiesen werden kann.1205
1205
Der erste Versuch einer umfassenden Darstellung auf Basis des zu seiner Zeit bekannten Sirenenmaterials wurde von Stephani 1866 (1867) S. 9–66 vorgelegt; er enthält die bis heute wohl umfangreichste Zusammenstellung antiker Quellen mit Textzitat. Grundlegend waren ferner die umfangreiche monographische Behandlung durch Weicker 1902 (zusammengefaßt bei Weicker 1909–1915, Nachträge bei Zwikker 1929; seine Arbeit ist nach wie vor eine Materialsammlung von herausragendem Wert, auch wenn Weickers grundlegende Theorie der Sirene als „Seelenvogel“ von der neueren Forschung zumeist abgelehnt wird, vgl. etwa Woysch-Méautis 1982 S. 92) und das Büchlein von Buschor 1944 (Auffassung der Sirenen als „Musen des Jenseits“; für eine kritische Besprechung vgl. Woysch-Méautis 1982 S. 93–96). Die letzte detaillierte Behandlung mit Fokus auf dem antiken Material (im Gegensatz zur mittelalterlichen Sirenenrezeption) stammt von Hofstetter (1990), die sich jedoch auf das archaische und klassische griechische Material aus v. a. klassisch-archäologischer Sicht beschränkt (für eine Besprechung vgl. Gilotta 1992); für einen umfassenden Überblick unter Miteinbeziehung des hellenistischen und römischen Materials vgl. Hofstetter 1997. Hofstetters (1990) Kataloge umfassen 712 Belege, wobei eine umfassende Darstellung, aber keine absolute Vollständigkeit angestrebt war (so wurden etwa sehr ähnliche Variationen eines Bildes, Münzen und nur schlecht publizierte Gemmen und Goldschmuckstücke ausdrücklich nicht aufgenommen: Hofstetter 1990 S. 11). In Anbetracht dieser Materialmenge ist im Rahmen des vorliegenden Kapitels eine Beschränkung der Diskussion auf eine exemplarische Besprechung ausgewählter Einzelstücke unumgänglich. Für einen Gesamtüberblick muß auf die genannten Werke verwiesen werden. Für eine allgemeine Bibliographie vgl. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1094; dazu ergänze v. a. Gresseth 1970; Wedner 1994; Bacchielli 1995; Damsky 1997; Leclercq-Marx 1997; Tsiafakis 2001.
Der textliche Befund
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Der textliche Befund Das Sirenenabenteuer der Odyssee Nach der Eroberung Trojas führte der Weg des Odysseus über die Länder der Kikonen, Lotophagen, Kyklopen, des Aiolos und der Laistrygonen (wo er alle seine Schiffe bis auf sein eigenes verlor) zur Insel der Kirke (Odyssee IX,39 ff.). Odysseus hält sich ein Jahr lang bei der Göttin1206 auf; dann drängt es ihn und seine Gefährten, wieder nach Ithaka heimzukehren. Kirke gibt ihnen allerdings den Rat, zuerst den Seher Teiresias im Hades aufzusuchen. Odysseus und seine Gefährten sind entsetzt; Homer mach jedoch auffallend wenig Aufhebens um die eigentliche Reise von der Insel der Kirke über den Okeanos ins Land der Toten,1207 sie scheint weder besonders mühevoll noch besonders weit zu sein – die Irrfahrten des Odysseus spielen sich allem Anschein nach schon ganz nahe am Hades ab, in einem mythischen Bereich am Rand der Welt zwischen dem Reich der Lebenden und dem jenseitigen Reich der Schatten. Die Monstren, denen Odysseus auf seinen Reisen begegnet, erscheinen so beinahe als Wächter an der Grenze zwischen diesen beiden Welten. Nach seiner Unterweltsfahrt kehrt Odysseus noch einmal auf die Insel der Kirke zurück, um von dort gen Ithaka aufzubrechen. Die erste Gefahr auf seiner Reise aus diesem sagenhaft-mythischen Bereich in den der geographisch faßbaren Welt ist die Insel der Sirenen. Kirke warnt ihn (XII,39–46): S1« ξ $φ5, > <% % « $&.« &", Ρ « φ« ;φ . Ρ« « $=9 %9 λ φ&( $ 9 ’ Κ κ λ @ " S@!, ) V @ Jξ % , $% S1« 9 1 &" $9 1, W α *« ’ $ φ’ 9 (φ &λ« $ & "!, λ ξ <λ &.1208
„Zuerst wirst du aber zu den Sirenen kommen, die – merke! – alle Menschen verzaubern, wer auch immer zu ihnen kommt. Wer auch immer sich in Unwissenheit nähert und die Stimme hört der Sirenen, dem tritt in keinster Weise, wenn er nach Hause zurückkehrt, die Frau zur Seite und die kleinen Kinder, und nicht freuen sie sich, sondern die Sirenen verzaubern [ihn] mit klarklingendem Gesang, die auf einer Au sitzen; ringsherum aber ist ein großer Haufen aus Knochen verfaulender Männer, ringsum aber zersetzen sich die Häute.“ 1206 1207 1208
Zu Kirke als Göttin vgl. Odyssee X,297. Vgl. Odyssee X,490 f., 504–512; XI,1–22; XI,636-XII,6. Text: Von der Muehll 1984.
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Die Sirenen
Die Sirenen auf ihrer blumigen ($ «, XII,159) Au singen zu hören, bedeutet den Tod. Kirke rät Odysseus zur bekannten List, die Ohren seiner Kameraden mit Wachs zu verstopfen, sich selber aber an den Mast seines Schiffes fesseln zu lassen, um gefahrlos dem Gesang der Sirenen lauschen zu können (XII,47–54, vgl. 158–164). Als Odysseus’ Schiff sich der Sireneninsel nähert, tritt Windstille ein; die Gefährten rudern das Schiff mit verstopften Ohren an der Insel vorbei, während Odysseus an den Mast gefesselt dem Gesang der Sirenen zuhört (XII,166–200). Die Sirenen schmeicheln dem Helden und versuchen, ihn mit dem Versprechen allumfassenden Wissens anzulocken, insbesondere mit Kunde über den trojanischen Krieg (XII,184–191): “’ Ν’ ;., ’ #O, " « #A, 1 % , > != " 6’ $ 9 «. J % . « 9 1 @ η 9 , ’ π "! $μ % ! 6’ $, $’ Ρ 0% « λ ;.«. V % %&’, Ρ’ λ T9 J9 #A T"« & ;( (, V ’ Ρ " λ &λ 9 .”1209 „Komm hierher, reisend, vielberühmter Odysseus, großer Glanz der Achäer, leg mit dem Schiff an, damit du unser beider Stimme hörst. Noch niemals ist nämlich einer mit einem schwarzen Schiff hier vorbeigesegelt, ehe er die honigklingende Stimme von unseren Mündern gehört hat, sondern er vergnügt sich und kehrt heim und weis mehr. Wir wissen nämlich gewiß alles, wie viel im weiten Troja die Argiver und die Troer durch den Willen der Götter erduldet haben, wir wissen so viel, wie sich auf der viele ernährenden Erde ereignet.“
Odysseus zeigt seinen Gefährten an, daß sie ihn losbinden sollen; aber diese fesseln ihn nur noch fester an den Mast, und das Schiff entkommt der Gefahr. Nach der Begegnung mit den Sirenen entscheidet sich Odysseus gegen eine Passage durch die Plankten, Felsen, die jedes Schiff zertrümmern, das die Felsenpforte zu durchqueren versucht – nur der Argo war mit der Hilfe Heras die Durchquerung der Plankten gelungen (XII,55–72). Stattdessen wählt er den Weg, der an Skylla und Charybdis vorbeiführt, gelangt zur Insel des Helios und verliert in einem Sturm Schiff und Gefährten, nachdem diese sich an den Rindern des Sonnengottes vergriffen haben. Auf den Trümmern seines Schiffs erreicht er die Insel der Kalypso, wo er sich gegen die Unsterblichkeit an der Seite der Göttin entscheidet und von wo er zu den Phäaken gelangt, die ihn schließlich nach Ithaka bringen (XII,201 ff., XIII,1–125; Vff.). 1209
Text: Von der Muehll 1984.
Der textliche Befund
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Diese Passagen des homerischen Epos stellen die ältesten Belege für die Sirenen dar. Die Sirenen erscheinen hier als Wesen, die mit dem Versprechen allumfassenden, vor allem aber heroischen Wissens und der Kunde von Ruhmestaten ins Verderben locken.1210 Sie sitzen auf einer Blumenwiese auf einer Toteninsel inmitten der vertrocknenden Leichen ihrer Opfer. Die Insel liegt am mythischen Rand der Welt, vielleicht nicht allzu fern vom Okeanos und dem Hades, da sowohl der Hades als auch die Sirenen von Kirkes Insel aus leicht erreichbar scheinen. Ihre Verführung ist in Gesang gekleidet.1211 Über ihre Gestalt wird nichts gesagt, ebensowenig über die Art, wie ihre Opfer zu Tode kommen. Sie sind deutlich keine isolierten Einzelwesen, sondern ein Kollektiv von Dämoninnen: Sie erscheinen zumeist im Plural (Odyssee XII,39, 42, 44, 158, 198; XXIII,326), mitunter auch im Dual (XII,52, 167; vgl. XII,185),1212 wobei durch den Gebrauch des Duals allerdings keine spezifische Zweizahl impliziert wird.1213 Der Ort und die Funktion der Sirenen Kurz vor dem Erreichen der Sireneninsel tritt eine Windstille ein; dies erinnert daran, daß auch bei der Abfahrt des Odysseus aus dem Hades zunächst Windstille zu herrschen scheint, da die Gefährten – wie an der Sireneninsel – rudern müssen, und erst später wieder Wind aufkommt, wohl in einiger Entfernung von der Küste des Hades (Odyssee XI,639 f.). Es wäre verführerisch, hier ein Indiz für einen jenseitigen, dem Totenreich verbundenen Charakter der Sireneninsel zu sehen. Jedoch tritt eine Windstille auch ein, als Odysseus die Küste der Phäaken erblickt (V,391–393).1214 Ähnliches gilt für die blumige ($ «) Au, auf der die Sirenen sitzen (XII,159; vgl. XII,45): Im Hades sieht Odysseus den $φ μ« ., die „Asphodelos-Wiese“, wo die Toten wohnen – wohl wiederum eine Blumenwiese, ist doch $φ « ein lilienähnliches Gewächs (XI,539; vgl. 1210
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Man erinnere sich an die Walküre der Hrafnsmál, die sich von einem Raben vom Ruhm eines Königs berichten läßt, und an die Bodbs, die den Tatenruhm der Krieger in der Welt verbreiten. Zum verführerisch-tödlichen Gesang der Sirenen vgl. die Wirkung des Gesangs der Erinyen, der ihr Opfer mit Wahnsinn schlägt: Aischylos, Eumeniden 306, 328–333=341–346; Gresseth 1970 S. 207 f. Vgl. Hofstetter 1990 S. 13 mit Anm. 12 und 13 (S. 304). Vgl. Hofstetter 1990 Anm. 12 (S. 304); Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1093; ausführlich zum Problem des Duals bei Homer: Chantraine 1953 §§ 29–37. Gresseth 1970 S. 209 f., mit weiteren Parallelen. Vgl. auch Danek 1998 S. 253, der in der Windstille vor der Sireneninsel ein erzähltechnisches Mittel sieht.
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Die Sirenen
XXIV,13 f.).1215 Doch auch Kalypsos Insel hat blumige Auen (V,72f), und Kalypso ist nicht nur ebenfalls Bewohnerin einer blumigen Insel, sondern auch sie singt (V,61) und versucht, Odysseus von seiner Rückkehr auf ewig abzuhalten,1216 wenn auch auf eine weniger tödliche und vielmehr erotische Art, indem sie ihn zu ihrem unsterblichen Liebhaber machen will (I,12–15; IV,555–560; V passim). Die Windstille und die Blumenwiese sind als Parallelen zwischen der Insel der Sirenen und dem Reich des Hades also von zu allgemeiner Natur, um irgendwelche weiteren Schlüsse zu erlauben. Die knochenbedeckte Insel der Sirenen ist darüber hinaus jedoch auch deutlich ein Land des Todes. Daß sie einen Teil des Totenreichs darstellt, in das die Sirenen durch ihren Gesang locken, ergibt sich aus Homer zwar nicht. Andererseits scheint die Parallele zwischen der knochenbedeckten Blumenwiese der Sirenen inmitten des windstillen Meeres und der totenbewohnten Blumenwiese des Hades an der Küste des windstillen Okeanos aber auch kein bloßer Zufall zu sein; betrachtet man rein den Text Homers, ist dies jedoch am ehesten als literarisches Spiel mit mythologischen Motiven aufzufassen.1217 1215 1216
1217
Liddell und Scott 1996 s.v. ‚$φ(«‘. Gresseth 1970 S. 208 f., mit weiteren entsprechenden mythologischen Ebenen und Wiesen. Dagegen hatte Weicker 1909–1915 Spalten 607 f. die blumige Wiese der Sirenen (ebenso wie den Park der Kirke, die er als „Todesgöttin“ deutet) mit der Wiese des Hades identifiziert. Zuvor hatte er die Nähe der Sireneninsel zum Eingang zum Hades betont, der ihre Heimat sei, und aus dem sie nur aufgrund der literarischen Bedürfnisse des Dichters auf eine Insel versetzt seien: Weicker 1902 S. 37. Vorsichtiger urteilt Zwicker, der zwar den „lokalen Zusammenhang (Unterweltsgegend)“ bei Homer anspricht, es aber für möglich hält, daß dieser vom Dichter für seine Zwecke zurechtgemacht wurde und die Sirenen schon zu Homers Zeiten, wie in der späteren Tradition, an der italienischen Westküste lokalisiert waren: Zwicker 1929 Spalte 291. Robert 1921–1926 S. 823 deutet die Sirenen auf ihrer Insel als „die nächsten Verwandten der Hesperiden“ und ihre blumige Wiese als „ein vereinfachtes Abbild des Hesperidengartens. So haben diese Sängerinnen allerdings mit Jenseits und Tod zu tun, jedoch nicht als furchtbare mörderische Daimonen, sondern als freundliche Huldinnen, die in oder vor dem Garten der Seligen walten. Und so kommt es, daß man auch die Gräber mit ihren Gestalten schmückte, indem man ihre musikalische Kunst durch Leier und Flöten andeutete.“ (Auf Sirenendarstellungen auf Gräbern wird noch zurückzukommen sein; zur Nähe der homerischen Sirenen und der musizierenden Grabsirenen vgl. aus einer ganz anderen Perspektive auch TouchefeuMeynier 1962 S. 456 f.; Touchefeu-Meynier 1968 S. 184, 185 f.; die Natur der Ebene, auf der die Sirenen sitzen, und die Lage ihrer Insel legt auch für Touchefeu-Meynier 1968 S. 184 f. unterweltliche Assoziationen nahe.) Cumont sah die Insel der Sirenen mit den Inseln der Seligen identifiziert: „Les Champs Elysées des Iles des Bienheureux furent probablement attribués comme séjour aux Sirènes par une interprétation tendancieuse d’Homère, selon lequel les Sirènes sont dans une île […], assises dans
Der textliche Befund
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Mehr oder weniger diffuse Beziehungen der Sirenen zum Hades finden sich allerdings auch außerhalb des homerischen Epos. So macht die spätere Tradition die Sirenen zu den Gespielinnen der jungen Persephone – vor deren Hochzeit mit dem Herrscher der Unterwelt sollen sie für Persephone gesungen haben (Apollonios von Rhodos, Argonautika IV,896–899; Ovid, Metamorphosen V,554 f.). Die Frage nach der Beziehung der Sirenen zur noch unverheirateten Persephone ist dabei jedoch möglicherweise mit der Frage nach der Erscheinungsform der Sirenen verschränkt: Homer sagt nichts über die Gestalt der Sirenen; ebenso wie im Falle des Zyklopen Polyphem, dessen Einäugigkeit das Epos in der berühmten Episode nie ausspricht (Odyssee IX,172–542),1218 ist die Erscheinungsform der Sirenen für den Dichter zu selbstverständlich, um sie zu erwähnen. Die Kunst zeigt die Sirenen von Anfang an als Mischwesen aus Elementen von Vogel und Frau. Erst lange nach den ersten bildlichen Darstellungen der Odysseeszene am Anfang des 6. Jh. v. Chr.1219 wird die Mischwesennatur auch in der textlichen Überlieferung erwähnt (so etwa Euripides, Helena 167; Apollonios von Rhodos, Argonautika IV,898 f.; Apollodoros, Epitome VII,19; Aelian, De natura animalium XVII,23). Begründet wird sie später unter Bezugnahme auf die Verbindung der Sirenen mit der jungen Persephone (zuerst sehr knapp bei Apollonios von Rhodos, Argonautika IV,896–899), wobei diese Begründung in verschiedenen Varianten vorliegt: So sollen die Sirenen selbst um ihre Verwandlung von einer menschlichen in eine Vogelgestalt gebeten haben, um die entführte Persephone besser suchen zu können (Ovid, Metamorphosen V,552–563),1220 oder die Verwandlung sei eine Strafe dafür gewesen, daß sie so schlecht auf Persephone achtgegeben und ihre Entführung
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un pré fleuri […], car c’est précisément ainsi qu’on se représentait les Champs Elysées.“ (Cumont 1942 S. 328 mit Anm. 5, Zitat: Anm. 5.) Buschor sieht die Insel der Sirenen als paradiesischen Bereich; „sie sind dem Hades und dem Paradies noch nicht ganz entfremdet. Es ist kein Zufall, daß ihre Insel im fernen Westen unweit vom Eingang zur Unterwelt gelegen ist […]“: Buschor 1944 S. 7 f., Zitat: S. 7. Meuli sieht in den Plankten bzw. Skylla und Charybdis eine Form bzw. Nachahmung eines Jenseitstores (Meuli 1975 Bd. 2 S. 653 f.); dies würde die jenseits dieser Pforten angesiedelten Abenteuer – und damit auch die Sirenenepisode – im Jenseits verorten. Hölscher bezeichnet entsprechend die Plankten als „Wundertor zum Jenseits“: Hölscher 1989 S. 175. Hofstetter schließt sich letzteren Forschungsmeinungen an und sieht die Insel der Sirenen als bereits im Jenseits lokalisiert: Hofstetter 1990 S. 305 Anm. 20, ähnlich Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1094. Ganz ähnlich verbindet schließlich auch Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 4 f. die Insel der Sirenen mit dem Jenseits. Gresseth 1970 S. 211. Siehe unten S. 379 f. Vgl. Stefani 1866 (1867) S. 24 mit Anm. 7.
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Die Sirenen
nicht verhindert hatten (Hyginus, Fabulae 141).1221 Die auffallend späte Bezeugung – erst ab Apollonios von Rhodos im 3. Jh. v. Chr. – stellt für Weikker einen Hinweis darauf dar, daß es sich bei der teilweise sentimental anmutenden Verwandlungssage um eine Konstruktion der gelehrten alexandrinischen Homerexegese handelt; denn diese sei nach dem Grundsatz verfahren, Homer ohne Heranziehung außerhomerischer Traditionen ausschließlich aus Homer zu erklären, woraus sich ergeben habe, daß sie die bei Homer nicht erwähnte Mischwesennatur der Sirenen zurückweisen mußte; zugleich hätten die gelehrten hellenistischen Exegeten sich jedoch mit der in Kunst und Literatur allgegenwärtigen Vorstellung von den Sirenen als Frau-Vogel-Mischwesen konfrontiert gesehen und mußten diese daher durch eine sekundäre Verwandlung der Sirenen erklären.1222 Diese Interpretation des Befunds stellt in Frage, ob sich in der Verbindung der Sirenen mit der jungen Persephone in diesen Erzählungen überhaupt alte Vorstellungen widerspiegeln: Möglicherweise handelt es sich nur um eine gelehrte Konstruktion einer Aitiologie für die Mischwesennatur der Sirenen.1223 Diese Konstruktion könnte dabei nach Weicker als eine doppelte Aitiologie intendiert gewesen sein, um zugleich auch die Verbindung der Sirenen mit Persephone bei Euripides, Helena 167–178 zu erklären.1224 Dort heißt es: φ( %«, &" X&μ« (, S1«, V&’ « †(« ( ’ 4 [ ! μ ν « ν φ( « ;« «† « %, %& %&, " ",
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1221 1222
1223 1224
„Federtragende Maiden, Mädchen, Töchter der Erde, Sirenen, auf!, zu meinen †Klagen kommt mit libyscher Flöte oder Syringen oder Phormingen, den klagenden, üblen,† den meinen miteinstimmende Tränen, den Leidenschaften Leidenschaften, Liedern Lieder, Musenchöre, in die Klagegesänge miteinstimmend, mögt ihr senden, Persephone, † … Dankesbezeugungen†
Weicker 1902 S. 71–73; Weicker 1909–1915 Spalten 615 f. mit weiteren Belegen. Weicker 1902 S. 69–72; Weicker 1909–1915 Spalten 614 f. Obwohl die Annahme einer ursprünglichen Menschengestaltigkeit der Sirenen schon von der frühen Forschung als wohl nicht authentisch erwiesen worden war, gelangten Robert 1921–1926 S. 823 und Marót 1960 S. 112–114 et passim bei der Bewertung der Mischwesengestalt der Sirenen zu ähnlichen Ergebnissen wie die gelehrte Exegese der Antike und sahen Homers Sirenen als rein anthropomorph an (ähnlich Buschor 1944 S. 11–13); für eine erneute Widerlegung vgl. Gresseth 1970 S. 210–215. Weicker 1902 S. 71 f. Weicker 1902 S. 72.
Der textliche Befund >’ λ % ’ "& +μ
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damit sie unter Tränen von mir unter die nächtlichen Dächer einen Chorgesang für die elenden Toten empfängt.“
(D. h.: Sirenen, gefiederte Töchter der Erde, schließt euch meiner Klage an und kommt mit Auloi, Flöten und Leiern; Persephone möge Tränen schicken, die in meine Tränen miteinstimmen, leidenschaftlichen Schmerz, der in meinen Schmerz miteinstimmt, Klagelieder, die in meine Klagelieder miteinstimmen – nämlich ihre Musenchöre, die in meine Klagegesänge miteinstimmen … so daß sie von mir im Gegenzug einen Chorgesang für die Toten in der Unterwelt erhält.)
Die Textgestalt dieser Passage ist problematisch; falls ihr Sinn im Lauf der Überlieferung jedoch nicht gänzlich entstellt worden ist, scheint die allgemeine Aussage dennoch deutlich:1226 Helena bittet Persephone, die Königin der Unterwelt, ihr ihren Musenchor – die Sirenen – zu schicken, damit sie in Helenas Klage einstimmen. Hofstetter interpretiert diese Stelle entsprechend dahingehend, daß hier die Sirenen als Unterweltsdämonen erscheinen;1227 sie sollen dabei helfen, die rituelle Totenklage abzuhalten.1228 In Euripides’ Helena werden die Sirenen und der Klagechor, den Persephone leihen soll, zwar nur nebeneinandergestellt und nicht ausdrücklich identifiziert; nichtsdestoweniger hält Kannicht, gefolgt von Hofstetter, die Identifizierung der Sirenen mit dem Klagechor, den Persephone der Helena leihen soll, unter Verweis auf Platon, Kratylos 403d für evident:1229 Dort 1225 1226
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Text: Diggle 1994. Die neue Ausgabe von Diggle (1994) ist deutlich vorsichtiger in der Wiederherstellung des Textes als frühere Herausgeber (vgl. etwa Kannicht 1969, Text und Kommentar zur Stelle). Hofstetter 1990 S. 20 unter Verweis auf Kannicht 1969 Bd. 2 S. 70 zu Helena 173–176: „[Diese Sirenen] sind Unterweltsdämonen, denn sie unterstehen Persephone, die sie Helena schicken soll. Sie werden als Musenchor der Persephone angesprochen, als Sängerinnen der Persephone.“ Hofstetter 1990 S. 20. Für weitere Verbindungen der Sirenen mit dem Klagelied in literarischen Quellen vgl. Hofstetter 1990 S. 21 f. Kannicht 1969 Bd. 2 S. 70 zu Helena 173–176: „denn nach Plat. Crat. 403d hatten die Sirenen ihren Sitz im Hades: dann waren sie also Persephone als der "! Ν untertan. Hel. stellt diese Verbindung nicht expressis verbis her, weil sie selbstverständlich ist: Persephone verfügt über keine anderen ‚ ‘ als eben die Sirenen, oder: das M der Sirenen ist das Reich Persephones.“ Platon, Kratylos 403d-403e berichtet, daß noch niemand, nicht einmal die Sirenen, die Unterwelt hat verlassen wollen, weil die Worte, die Hades spricht, so schön sind, daß sie alle verzaubern. Dies impliziert, daß die Unterwelt bei Hades der Aufenthaltsort der Sirenen ist. – Das Suffix - bezeichnet nach den üblichen Wortbildungsregeln für gewöhnlich „die Lokalität, die der im Stamm angegebenen Person zugehört“ (Kannicht 1969 Bd. 2 S. 70); ein so gebildetes Nomen kann aber re-personifiziert werden und dann das Kollektiv der an dem durch sie bestimmten Ort versammelten Personen bezeichnen; ein ist also zunächst ein Musen(sing)platz und dann wie-
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werden die Sirenen in der Unterwelt angesiedelt und stellen somit einen Chor im Reich der Persephone dar – und einen anderen Chor hat die Königin der Toten wohl nicht zur Verfügung. Euripides und Platon stammten aus derselben Region, und zudem fällt die Uraufführung der Helena 412 v. Chr.1230 in die Lebenszeit Platons (428/7–348/7 v. Chr.).1231 Bei Quellen aus derselben Region und einer vergleichbaren Zeitstellung kann man aber wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß sie auf denselben Traditionen beruhen und somit zur gegenseitigen Ergänzung herangezogen werden können;1232 daher scheint die Authentizität der Vorstellung vom Aufenthalt der Sirenen im Hades zumindest für das Attika des späten 5. Jh. äußerst wahrscheinlich. Ob man aus dem Aufenhalt der Sirenen im Hades auf die Lokalisierung der Sireneninsel im Hades schließen kann, ist jedoch eine andere Frage. Die Sireneninsel wird nirgends ausdrücklich als Teil des Totenreichs beschrieben, und die Vorstellung vom Aufenthalt der Sirenen im Hades kann auch durch eine weitere Tradition über die Sirenen motiviert sein:1233 Die Literatur bezeugt seit dem Hellenismus, die Kunst spätestens seit dem frühen 5. Jh. die Vorstellung, daß die Sirenen Selbstmord begehen, nachdem ihnen ihr Opfer entkommen ist. In der Literatur berichtet dies zuerst Lykophron, Alexandra 712–716:1234 Nach ihrem Scheitern an der List der Kirke und des Odysseus stürzen die Sirenen sich ins tyrrhenische Meer.1235 Ihre Leichen werden in Großgriechenland an Land gespült, wo sie bestattet werden und ein Kult eingerichtet wird (insbesondere Lykophron, Alexandra 717–737).1236 (Dieser Sirenenkult ist, abgesehen von der Frage des Aufent-
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der der Musenchor, der sich an diesem trifft (vgl. ibidem). Zur Stelle vgl. auch Kaiser 1964 S. 121 und den lokrischen Tonpinax Hofstetter 1997 Nr. 93, wo eine Sirene auf dem Szepter des Hades dargestellt ist. Kannicht 1969 Bd. 1 S. 78. Schmitt 2000 Spalte 1095. Buschor interpretiert diese beiden Stellen als Zeugnisse eines literarisch verarbeiteten attischen Volksglaubens, dessen Alter sich nicht bestimmen lasse: Buschor 1944 S. 60, ähnlich schon ausführlicher Weicker 1902 S. 50 f. Vgl. Weicker 1902 S. 51. Schade 1999 S. 125; Hofstetter 1990 S. 17; Zwicker 1929 Spalte 295; Weicker 1909–1915 Spalte 605; Weicker 1902 S. 45. Für weitere Belege vgl. etwa Schade 1999 S. 126; Zwicker 1929 Spalten 295 f.; Weicker 1909–1915 Spalten 605 f.; Weicker 1902 S. 68 f.; z. B.: Hyginus, Fabulae 125, 141. Vgl. Schade 1999 S. 125 f. Vgl. Schade 1999, besonders S. 128 f., 131, 133, 135, 138 f.; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 7, 9 f., 20; West 1995 S. 175 f.; D’Agostino 1992; Hofstetter 1990 S. 16; Greco 1988; Mingazzini und Pfister 1946 S. 45–50, 83–85; Zwicker 1929 Spalte 296; Weicker 1909–1915 Spalten 606 f.; Weicker 1902 S. 60–65. Als Göttinnen ( ) wer-
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halts der Sirenen im Hades, noch in zweierlei Hinsicht interessant: Einerseits treten hier bei Lykophron die Sirenen Parthenope, Leukosia und Ligeia namentlich hervor; dabei tritt vor allem Parthenope als Empfängerin eines individuellen Kultes aus dem anonymen Kollektiv der Sirenen heraus [Alexandra 717–721, 732–737].1237 Andererseits unterstreicht dieser lokale Sirenenkult, daß auch die Existenz eines Kultes für die irische Bodb bzw. die gallische [Cathu-/Cassi-]Bodva nicht überraschen muß, wenn selbst Gestalten wie den Sirenen ein Kult gewidmet werden kann.) In der bildenden Kunst findet sich der Selbstmord der Sirenen schon lange vor seiner ersten literarischen Bezeugung dargestellt. Für das Attika des frühen 5. Jh. bezeugt ihn ein in Vulci gefundener attischer rotfiguriger Stamnos, der das Schiff des Odysseus und zwei Sirenen auf ihren Felsen zeigt; eine dritte Sirene stürzt sich eben kopfvoraus ins Meer (Fig. 41).1238 Es ist also nicht so klar, wie es zunächst scheinen mag, ob es sich bei den Sirenen der Helena und des Kratylos um Todesdämonen handelt, oder um tote Dämonen. Einen ganz anderen Aufenthaltsort weist Platon den Sirenen in seiner Politeia zu. In diesem Werk setzt er eine Sirene auf jede der acht Sphären des Alls, während diese Sphären sich um eine zentrale Achse drehen.1239 Dort gibt jede Sirene genau einen Ton von sich; diese Töne fügen sich zu einer Harmonie zusammen, zu der die Moiren Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft singen. Plutarch greift Platons letztere Konstruktion in seinen Moralia IX.14.4–6, 745 auf. Dort läßt er daraufhin jedoch einen Teilnehmer einer philosophischen Diskussion fragen, warum Platon Sirenen auf seine Sphären gesetzt hat, die weder menschenliebend (φ . «) noch gut (1«) sind, und nicht Musen. Dies wird im folgenden mit Bezug auf das
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den die Sirenen schon von Alkman, Louvre Partheneion Zeilen 96–98 bezeichnet (vgl. Alexandra 721; Hofstetter 1990 S. 18; für mögliche Verbindungen zwischen den Sirenen und dem Kultlied vgl. Hofstetter 1990 S. 18–21). Weitere Belege sowie Belege für ein Heiligtum aller Sirenen bei Schade 1999 S. 131. Hofstetter 1990 S. 17, S. 122 (A 178) mit Tafel 27; Ensoli 1996 S. 99 mit Abb. 6 (S. 102); Touchefeu-Meynier 1992 Bd. 6.1 S. 962 zu Nr. 155; Touchefeu-Meynier 1968 S. 150; Buitron und Cohen 1992 S. 131; Sallusto 1988 S. 891; Pollard 1965 S. 139; Buschor 1944 S. 51 f. mit Abb. 39; Zwicker 1929 Spalte 295; Harrison 1908 S. 201 f. mit Fig. 37; Weicker 1909–1915 Spalte 605 mit Abb. 1; Weicker 1902 S. 45, 49, 165 f. mit Abb. 85; vgl. Neils 1995 S. 179 f.; ablehnend m. W. nur Marót 1960 S. 193 Anm. 45 und S. 200 f. Anm. 123. Das älteste erhaltene mögliche Zeugnis mag noch ein Jahrhundert älter sein, ist aber sehr stark fragmentiert und ergänzungsbedürftig, was den Beleg unsicher macht: Schade 1999 S. 125; Pollard 1965 S. 139; Zwicker 1929 Spalte 295; Weicker 1909–1915 Spalte 605; Weicker 1902 S. 44 f. mit Abb. 18 (S. 45); Touchefeu-Meynier 1968 S. 145 f. mit Tafel XXIII,1 (Nr. 244). Politeia 616b ff., insbesondere 617b, 617c; Hofstetter 1990 S. 23.
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Schicksal der Seele nach dem Tod erklärt: Die Seelen treiben nach dem Tod unsicher umher, aber die Musik der Sirenen auf den himmlischen Sphären erzeuge in ihnen eine leidenschaftliche Liebe für das Himmlische und Göttliche (« μ« 3 I λ ), so daß sie sich den Sirenen auf ihren Kreisbahnen anschließen. Ferner seien manche Seelen in der Lage, das Echo des Gesangs der Sirenen noch im Leben zu hören und sehnten sich dann danach, die Körperlichkeit abzustreifen. Hofstetter interpretiert dies so, daß hier die Funktion der Sirenen letztlich sei, „die Seelen ins Jenseits zu geleiten.“1240 Ein Problem dieser Deutung ist aber, daß die Verwendung des Begriffs „Sirenen“ von derseben Plutarchstelle schon unmittelbar darauf relativiert wird; damit ist fraglich, ob sich Plutarch bei seiner implizierten Deutung der Sängerinnen auf den Sphären als Seelengeleiterinnen diese überhaupt als Sirenen vorgestellt hat. Denn die Moralia fahren fort, der Gebrauch des Wortes „Sirenen“ in Platons Politeia sei hier nur metaphorisch, und eigentlich seien die Musen gemeint.1241 Die Grundlage dieses metaphorischen Gebrauchs bei Platon ist nach Plutarch (bzw. dem Charakter, den Plutarch hier sprechen läßt), daß die Sirenen im Hades „die göttlichen Wahrheiten aussprechen“, was sich durch ein griechisches etymologisierendes Wortspiel mit dem Begriff „Sirenen“ verbinden läßt.1242 Dies untermauert er mit dem Zitat eines Sophoklesfragments,1243 wo Odysseus sagt, daß er die Sirenen erreicht hat, «
J %« 6A «, „die Töchtern des Phorkys, die die des Hades verkünden.“ Das Stück, dem dieses Fragment entstammt, läßt sich nicht mehr bestimmen, ebensowenig der ursprüngliche Kontext des Zitats.1244 Diese Sirenen verkünden, nach der Auffassung Hofstetters,1245 „die Gesetze des Hades“ ( %« 6A «), was sie nach Hofstetter als Unterweltsdämonen kennzeichne; sie würden auf diese Weise deutlich in den Bereich des Jenseits gerückt, indem sie in bedeutender Stel1240 1241 1242
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Hofstetter 1990 S. 24. Vgl. Wedner 1994 S. 107. Vgl. Anmerkung b zur Stelle in Minar et al. 1961 (S. 281): „7 8 is supposed to embody either L by addition of or ’ L by a change, paralleled in Laconian dialect, of to .“ Sophokles Fragment 861 (Radt). Als Töchter des Phorkys sind die Sirenen hier Nachkommen eines Vaters einer Vielzahl mythologischer Ungeheuer, vgl. Weicker 1902 S. 49 mit Anm. 1. Die von Phorkys abstammend gedachten Ungeheuer sind so zahlreich und verschiedenartig, daß diese Abstammung keine weiteren Schlüsse über den Charakter der Sirenen zuläßt: Weicker ibidem contra Hofstetter 1990 S. 22. Es handelt sich um die älteste nachweisbare Angabe des Vaters der Sirenen: Weicker ibidem. Für die diversen Genealogien der Sirenen vgl. Weicker 1909–1915 Spalten 604 f. Hofstetter 1990 S. 22.
Der textliche Befund
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lung als Gesetzesverkünder dem Bereich des Hades zugeordnet werden.1246 Freilich ist einschränkend zu betonen, daß eine solche Interpretation dieser kontextlosen Stelle ganz auf Hofstetters Übersetzung der 6A als „Gesetze des Hades“ beruht.1247 Diese Übersetzung ist aber keineswegs zwingend, da « auch in der Bedeutung „Gesang, Lied“ belegt ist.1248 Bedenkt man die Funktion des Sirenengesangs im homerischen Epos, Seeleute in den Tod zu locken, scheint daher Weickers Übersetzung des
J %« 6A « weit naheliegender: „‚sie sangen ein Todeslied, Lieder die zum Hades führten‘ (wenn ich ihnen gefolgt wäre)“.1249 Zugunsten von Hofstetters Auffassung läßt sich nur die Weise anführen, in der Plutarch das Zitat in den Text seiner Moralia eingefügt hat (nämlich als Parallele dazu, daß die Sirenen nach seiner Etymologie ihres Namens im Hades die göttlichen Wahrheiten, 3 , verkünden würden); denn dies könnte als Hinweis darauf gedeutet werden, daß Plutarch in den
ebenfalls eher „Gesetze“ gesehen hat als bloße „Lieder“.1250 Hofstetters Interpretation scheint also schon in der Antike möglich gewesen zu sein. Die Zitierweise Plutarchs mag jedoch (bewußt?) tendenziös sein und die ursprüngliche Aussage verfälschen. Das Fragment läßt daher letztlich – contra Hofstetter – keine weitreichenden Schlüsse über die Stellung der Sirenen zur oder in der Unterwelt zu.1251 Aus Plutarch allein läßt sich also zunächst schwerlich eine weiter verbreitete Vorstellung einer Seelengeleiterfunktion der Sirenen erschließen; eine solche scheint hier nur als eine philosophische Sondermeinung belegt – Leclercq-Marx sieht hier ein Fragment eines pythagoräischen Kommentars 1246 1247
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Hofstetter 1990 S. 22 mit Anm. 155 (S. 314). Sie denkt dabei insbesondere an die rituellen Verpflichtungen, welche die Lebenden den Toten gegenüber haben, wobei sie besonders auf die Antigone des Sophokles zum Vergleich hinweist (Hofstetter 1990 S. 22). Ebenso übersetzt in Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1094; Stephani 1866 (1867) S. 24. Scott und Liddell 1996 s.v. ‚( «‘ II „melody, strain“ etc., mit Belegen, darunter auch das fragliche Sophoklesfragment, aufgefaßt als metaphorischer Gebrauch. Entsprechend in der Plutarch-Übersetzung von Minar et al. 1961 als „tunes of Death“ wiedergegeben, ähnlich auch Zwicker 1929 Spalte 294 („Lieder des Todes“); Weicker 1909–1915 Spalte 612 („Todeslied“); Buschor 1944 S. 52 („Hadesweisen“, ebenso Salmen 1980 S. 393); Gresseth 1970 S. 213 („literally, ‘Hades’ tunes,’ whatever exactly is meant by that“); Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 21 („accents ‹ venant de l’Hadès › plutôt que ‹ mortels ›“). Weicker 1902 S. 49, mit lebhafter Zustimmung von Woysch-Méautis 1982 S. 95 f.; vgl. oben Anm. 1248. Vgl. Anm. e zur Stelle in Minar et al. 1961. Allgemein zu den Sirenen bei Platon und Plutarch vgl. Wedner 1994 S. 64 f., 70–73, 103–108; Weicker 1902 S. 56–60, 74.
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zur Odyssee –,1252 die im weiteren Gesprächsverlauf der Moralia abgelehnt wird. Ähnlich problematisch ist es, eine solche Seelengeleiterfunktion in einem Euripidesfragment (Fragment 911) ausgedrückt zu sehen, in dem die „Flügelschuhe der Sirenen“ als Hilfsmittel dienen, um zum Himmel und zu Zeus zu gelangen: @ "« λ . !25 λ D S@2!5 2(5 "’ 24 (5, 25, 2%5 ’ $[’] 2;&" 5*2 $&« Zλ 5!1253
„Ich habe goldene Flügel auf dem Rücken, und die geflügelten Sandalen der Sirenen passen, ausgerüstet werde ich zum weiten Himmel hinauf gehen, dem Zeus mich nahend.“
Dieses Fragment wurde Euripides’ Antiope zugeschrieben und stelle dort die Reaktion des Chores dar, als er zum ersten Mal ein zur Lyra vorgetragenes Lied hört.1254 Hofstetter deutet die geflügelten Sandalen dieses Fragments als „hilfreiche Gabe der Sirenen“, die die Reise zum Himmel möglich macht.1255 Buschor sieht die Sirenen hier als „geflügelte Götterbotinnen […], deren Amt es ist, die Seelen in jenes göttliche Reich zu verbringen.“1256 Dies sind beides zwar mögliche – und sich nicht ausschließende – Interpretationen,1257 beides wird aber im Fragment selbst so nicht ausdrücklich gesagt. Das anscheinend von Hofstetter angenommene buchstäbliche Verleihen von Flügelschuhen durch die Sirenen läßt sich auch nicht durch weitere Parallelstellen belegen.1258 Daher sollte man die Passage vielleicht besser metaphorisch auffassen: Die Flügelsandalen der Sirenen könnten eine Me1252
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Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 27; vgl. Weicker 1902 S. 56–58; dabei sollen sich hier alte Vorstellungen von Sirenen als Seelengeleiterinnen zum Hades fortsetzen: Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 28, 49: „Influencé sans doute par leur antique fonction psychopompe, Plutarque leur confia […] le rôle d’attirer les âmes errantes vers les Astres majeurs.“ (Zitat: S. 49.) Text: Kannicht 2004. Hofstetter 1990 S. 22 f.; Webster 1967 S. 205, 207; als unsicher klassifiziert bei Kannicht 2004. Hofstetter 1990 S. 23. Buschor 1944 S. 6. Vgl. Weicker 1909–1915 Spalte 613: Diese Sirenen „sollen den Sprecher in den Garten der Götter entrücken.“ Nach Zwicker erscheinen sie hier „als freundliche Geleiterinnen der Menschen zum Himmel in Zeus’ Nähe“ (Zwicker 1929 Spalte 297). Zur von Buschor ibidem postulierten ‚Menschengestaltigkeit‘ der Sirenen vgl. jedoch oben Anm. 1222. Vgl. den Hinweis von Hofstetter 1990 Anm. 165 (S. 315), daß keine weiteren Beispiele von Sirenen mit Flügelschuhen bekannt sind.
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tapher für eine besonders bezaubernde Musik sein, die die Zuhörer in ihren Bann schlägt (wie die Seeleute, deren Leichen bei Homer auf der Insel der Sirenen vermodern). Dies wird auch dadurch nahegelegt, daß hier gerade bezauberndes Lyraspiel als der Anlaß der ‚Jenseitsreise‘ des Chors aufgefaßt wird; der Zauber der Musik bietet sich also als tertium comparationis an. Die naheliegendste Deutung der Textstelle scheint mir daher eine Auffassung der „Flügelsandalen“ als Metapher für die Verzauberung des Chors durch die Musik.1259 Immerhin festgehalten sei jedoch auch im Falle des Zutreffens dieser Interpretation die Parallele zwischen diesem Euripidesfragment und der bei Plutarch zurückgewiesenen Auslegung der Verwendung der Sirenen durch Platon: In beiden Fällen erscheint der Zauber der Musik der Sirenen als das Mittel, das die Seelen bzw. den Chor nicht auf eine Toteninsel, sondern in einen himmlischen Bereich zieht. Falls freilich die Toteninsel der Sirenen ein Teil des Hades sein sollte, wäre der Unterschied zwischen der Wirkung des Sirenengesangs bei Euripides und Plutarch einerseits und bei Homer andererseits möglicherweise nicht so groß, wie es zunächst scheint: In beiden Fällen würde die Musik der Sirenen den Hörer in einen jenseitigen Bereich ziehen – im einen Fall in einen himmlischen, im anderen Fall in einen, der dem Totenreich zugehört.1260 Faßt man das zum Aufenthaltsort und der Funktion der Sirenen Gesagte kurz zusammen, so zeigt sich Folgendes: Bei Homer sitzen die Sirenen auf einer Insel, die enge Parallelen zum Jenseitsreich des Hades zeigt, und auf die sie die Vorbeifahrenden mit ihrem Gesang locken. In der späteren Überlieferung sind sie wiederholt mit der jungen Persephone, der späteren Gattin des Hades, assoziiert und werden in attischen Vorstellungen des späten 5. Jh. im Hades lokalisiert. Bei Letzterem könnte es sich aber um eine Folge der Vorstellung ihres Selbstmords handeln, während die Assoziation mit der unverheirateten Persephone vielleicht nur auf einer sekundären Aitiologie ihrer Mischwesengestalt beruht. Zugleich erscheint ihr Gesang bei Euripides und Plutarch jedoch auch als eine Macht, die den Zuhörer in ein himmlisches Jenseitsreich zieht – allerdings ohne daß die entsprechenden Passagen klare Schlußfolgerungen zulassen würden. Es mögen also Hinweise auf eine besondere Beziehung zwischen den Sirenen und dem To-
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Ganz ähnlich Kaiser 1964 S. 116 unter vehementer Ablehnung einer Deutung der Stelle als Beleg für eine Seelengeleiterfunktion der Sirenen. Vgl. Weicker 1902 S. 52 zur Stelle: „Kein Zweifel, hier klingt eine verschollene Sage durch, daß bei solcher Versetzung in die Gefilde der Seligen auch die Sirenen beteiligt sind, wie die Harpyien seit Homers Zeiten.“ Ein weiterer, alternativer Deutungsvorschlag ibidem greift auf Weickers heute allgemein abgelehnte Deutung der Sirenen als „Seelenvögel“ zurück.
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tenreich und auf eine Art von Seelengeleiterfunktion bzw. ‚Seelenlockerfunktion‘ der Sirenen vorliegen. Aber in der Literatur bleiben diese Hinweise unsicher und mehrdeutig. Der Tod durch die Sirenen und das Mahl der Sirenen Homer beschreibt, wie die Sirenen auf ihrer Insel auf einer Blumenwiese inmitten der faulenden Gebeine ihrer Opfer singen. Wie diese Opfer zu Tode gekommen sind, sagt er nicht.1261 Die späteren Scholiasten brachten als Erklärung vor, daß sie durch den Gesang der Sirenen dahingeschmolzen oder durch Hunger zugrunde gegangen seien (Scholion zu XII,43);1262 eine ganz sentimental bzw. farblos anmutende Deutung, in der man sicher zu Recht nur eine sekundäre, rationalisierende Gelehrtenspekulation sieht.1263 Eine interessante Wendung erhält diese Vorstellung jedoch bei Lykophron.1264 Auch er kennt das Motiv, daß die Sirenen ihre Opfer in den Hungertod lokken (Lykophron, Alexandra 670–672); jedoch geht er über die bloße Feststellung des Hungertodes hinaus und gibt einen Grund dafür an, warum die Sirenen ihre Opfer zu Tode bringen: Die Sirenen fressen ihre Opfer auf, und zwar roh (Alexandra 653 f.).1265 Ebenso berichtet ein Scholion zu Odyssee XII,184, daß die Opfer der Sirenen als deren bemitleidenswertes Futter (: « 7 4 L Ν&
) enden sollen.1266 Diese Vorstellung ist – ebenso wie das friedliche sich-zu-Tode-Schmachten der Opfer – erst ab der hellenistischen Zeit bezeugt. Ob es sich dabei um einen ursprünglichen Zug handelt, ist also streng empirisch nicht zu bestimmen. Zumindest in der späteren Zeit war die Vorstellung des Verschlingens durch die Sirenen jedoch so weit verbreitet, daß Plinius es in seiner Naturgeschichte nötig fand, die Existenz von menschenfressenden Sirenen in Indien ausdrücklich zu1261 1262
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Vgl. Hofstetter 1990 S. 13. Hofstetter 1990 S. 305 Anm. 19; Zwicker 1929 Spalten 293, 299; Weicker 1909–1915 Spalte 614 f. (mit vielen weiteren Belegstellen der hellenistisch-römischen Literatur für diese und ähnliche Todesursachen). Vgl. Weicker 1902 S. 5; Zwicker 1929 Spalten 293, 299; Hofstetter 1990 S. 304 f. Anm. 19. Vgl. Hofstetter 1990 S. 16 f. Diese blutige Motivation der Sirenen galt schon der frühen Forschung als altertümlicher als das Motiv des unblutigen Hungertodes: Weicker 1902 S. 5 f.; Weicker 1909–1915 Spalte 614; Zwicker 1929 Spalten 293, 299. Weicker 1902 S. 70; Zwicker 1929 Spalte 293. Nach Buschor handelt es sich dabei um eine späte „Entgleisung“, nicht um altes Gedankengut: Buschor 1944 S. 9; eine eigentliche Begründung gibt er ebensowenig wie die Forscher, die hier den alten Kern des Mythos sehen.
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rückzuweisen (Naturalis Historia X,136): Nach Dinon, dem Vater des Clitarchus, sollen dort Sirenen existieren, die ihre Opfer durch ihren Gesang einschläfern und dann zerreißen – wohl, um sie zu fressen.1267 Das Fressen der Opfer wird zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, ist aber der naheliegendste Zweck des Zerreißens; die blutbefleckten Mäuler (cruenta ora) der Sirenen erscheinen entsprechend wieder bei Tertullian, Apologeticus VII,5.1268 Vielleicht nur als Kuriosum am Rande sei erwähnt, daß die Idee vom Mahl der Sirenen in der attischen Komödie in ganz anderer Weise erscheint: In Fragmenten des Epicharm, Nikophon und Theopomp wird die Sirenenepisode der Odyssee parodiert, indem die Sirenen Odysseus und seine aus1267 1268
Zur Stelle vgl. Weicker 1902 S. 74; Crusius 1891 S. 97 f. Weicker 1902 S. 70. Noch im Mittelalter entsprechend (Mythographus Vaticanus II,101): Quarum cantibus illecti nautae quum ad saxa accederent, in quibus illae residentes canebant, illisis in scopulis navibus, in naufragia ducebantur, et ab illis comedebantur. Interessanterweise fährt der Mythograph wenig später fort: Secundum veritatem autem meretrices fuerunt, quae quoniam transeuntes ducebant ad egestatem, his fictae sunt inferre naufragia. […] Eaedem igitur volatiles dicuntur, quia amantium mentes celeriter mutantur. Inde gallinaceis pedibus finguntur, quia libidinis affectu quaeque habita sparguntur. […] (Mythographus Vaticanus II,101, teilweise nach Servius zu Äneis V,864 [vgl. Weicker 1902 S. 71 Anm. 3]; Weikker 1902 S. 70 mit Anm. 5 mit weiteren Vergleichsstellen.) Zu den Sirenen als Prostituierten vgl. auch Myth. Vat. I,42; Myth. Vat. III,11, 9 (hgg. von Bode 1834). Auf diese Deutung wird noch zurückzukommen sein. – Unklar ist in Zusammenhang mit dem Freßverhalten der Sirenen die Relevanz einer Notiz bei Pausanias über den Tempel der Stymphalischen Artemis (VIII.xxii.4–7). Auf dem Fluß Stymphalos sollen sich einst menschenfressende Vögel vermehrt haben; diese waren am Tempel dargestellt, und hinter dem Tempel standen Statuen von Mädchen aus weißem Stein mit Vogelfüßen (also, bis auf das Fehlen von Flügeln, in der zeitgenössischen Ikonographie von Sirenen), die Pausanias nicht identifiziert; vgl. West 1995 S. 176 f. Dem individuellen Ermessen müssen auch die Ausführungen zu den Sirenen in Roschers Versuch überlassen bleiben, zu erweisen, „dass in der That die Todtendämonen, namentlich die Harpyien und die mit diesen so nahe verwandten Seirenen, eine Reihe von charakteristischen Zügen aufweisen, die sich nur aus ihrer ursprünglichen Identificierung mit den Aasgeiern erklären lassen.“ (Roscher 1896 S. 68–78, 82–86, Zitat: S. 68.) Roscher trägt eine große Menge teilweise sehr suggestiven Materials zusammen, das sich zum weitaus größten Teil auf Parallelen zwischen Harpyien und (antiken Vorstellungen von) Geiern bezieht (für eine kurze Zusammenfassung der Grundgedanken siehe oben S. 342f.). Die Sirenen spricht er nur kurz an (S. 76–78), wobei er auf die Assoziation beider mit Leichen und (teilweise etwas impressionistisch anmutende) Parallelen zwischen einigen Zügen früher Darstellungen von Sirenen und der Erscheinung von Geiern hinweist. Der Abschnitt zu den Sirenen bleibt weit hinter seinen Ausführungen zu Harpyien und Geiern zurück; Weicker hat die Verbindung von Sirenen und Geiern abgelehnt (Weicker 1902 S. 36f. mit wichtiger Kritik). Einer von Weickers Hauptkritikpunkten ist, daß Geier sich für Aas interessieren, aber selbst nie töten, während Sirenen den Tod ihrer Opfer selbst herbeiführen.
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gehungerten Gefährten mit dem Versprechen eines üppigen Festmahls anlocken.1269 Hier mag nur die mystische Verlockung durch den Gesang der Sirenen Homers ins Lächerliche gewendet sein. Viel wirkungsvoller wäre der Witz aber, wenn er in reichlich schwarzem Humor die später so gut belegte Vorstellung zum Hintergrund hätte, daß die Sirenen ihre Opfer auffressen. Beweisen läßt sich dies nicht, aber falls diese Vermutung zutreffen sollte, lägen hier indirekte Hinweise auf das menschenfresserische Festmahl der Sirenen schon für das 5./4. Jh. vor;1270 dies würde es zur ältesten bezeugten Todesart der Opfer der Sirenen machen. Die Verlockung der Sirenen Die Fragmente dieser Komödien leiten zugleich zur Frage über, worin die Verlockung des Gesangs der Sirenen begründet liegt. Die Sirenen Homers beanspruchen allumfassendes Wissen und versprechen Odysseus in ihrem Lied Weisheit und Kunde vom Krieg um Troja. Was sie ausdrücklich ansprechen und damit ins Zentrum ihrer Kenntnisse rücken, beschränkt sich auf die Vergangenheit, Tod, Krieg und Kriegsruhm.1271 Teil dieser Assoziation der Kunde der Sirenen mit einem tieferen Wissen einerseits und Tod und Zerstörung andererseits ist vielleicht auch die Verwendung von 7 8 in Lykophron, Alexandra 1463, wo das Wort den Gesang der Kassandra beschreibt: Das ‚Lied einer Sirene‘, 7 4 « ' «. Kassandra prophezeit in der Alexandra das Unheil, das auf die Abfahrt des Paris aus Troja nach Sparta folgen wird; diese Unheilsprophezeiung bildet den Gegenstand der ganzen Dichtung. Daß eine solche Unheilsprophezeiung als die Rede einer Sirene beschrieben wird, mag man mit von Holzinger damit erklären, daß „die Gesänge der Kassandra Tod und Verderben athmen“ und sich durch einen „berauschenden Schwung […] der Sprache“ auszeichnen.1272 Ähnlich kommentiert Hofstetter die Stelle, indem sie das tertium comparationis in der Verbindung der Sirene mit Tod und Verderben und in ihrer prophetischen Kraft sieht: „Die Sirene erscheint hier als Wesen, das Kenntnis von der Zukunft hat und mit der Sphäre von Unheil und Tod verbunden ist.“1273 Alle
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Wedner 1994 S. 60 f.; Kaiser 1964 S. 122; Touchefeu-Meynier 1968 S. 179; Zwicker 1929 Spalte 297; Weicker 1909–1915 Spalte 613; Weicker 1902 S. 53–55 (mit ausführlicher Zusammenstellung der Texte). Vgl. Nesselrath 1990 S. 203 f.; Nesselrath 1997 Spalte 1093. Vgl. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1094. Von Holzinger 1895 (1973) S. 387. Hofstetter 1990 S. 21.
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diese Züge – die Kunstfertigkeit des Lieds, sein prophetischer Charakter und sein um Tod und Verderben kreisender Inhalt – fügen sich gut zum Gesang der Sirenen Homers: Homers Sirenen versprechen in einem unwiderstehlichen Gesang ein allumfassendes Wissen, insbesondere um Dinge der Gewalt und des Todes; und in Anbetracht ihres Aufenthalts auf einer Insel fern im Meer muß dieses Wissen ein seherisches Wissen sein.1274 Freilich: Das Wissen, das die Sirenen Odysseus versprechen, ist gerade ein Wissen um die Ereignisse des trojanischen Kriegs – ein Wissen um dasselbe Unheil, das auch Kassandras 7 4 « ' « prophezeit. Lykophrons Wortwahl mag also nicht mehr als eine konkrete inhaltliche Anspielung auf den Homertext darstellen, wenn auch eine, die den Unheils- und Gewaltbezug des Wissens der Sirenen zu seinem vollen Recht kommen läßt. Damit, daß die Verlockung der homerischen Sirenen sich im Versprechen ihrer todesbezogenen Weisheit erschöpft, hat sich schon die Antike nur selten zufrieden gegeben – Cicero empfand das Versprechen von Weisheit als überzeugendes Lockmittel (De finibus bonorum et malorum V,xviii),1275 eine Vielzahl antiker Interpreten der Stelle suchte jedoch nach anderen Reizen, die die Sirenen eingesetzt haben mußten. Für den modernen Leser drängt sich ein gewisses Unbehagen an der homerischen Darstellung der Verlockung der Sirenen zudem schon deshalb auf, weil die Sirenen Odysseus ein Wissen über Dinge versprechen, über die er als Teilnehmer am Geschehen bestens informiert sein müßte. Der Gesang der homerischen Sirenen stellt selbst einen Rückbezug auf die homerische Dichtung dar und erweckt damit eher den Eindruck einer dichterischen Stilisierung als einer unvoreingenommenen Schilderung volkstümlicher Vorstellungen über die Sirenen. Daher sind die schon antiken Bedenken gegen die homerische Darstellung der Verlockung der Sirenen durchaus ernst zu nehmen. Als die gelehrte Homerexegese die Sirenen zu menschlichen Frauen zu machen versuchte, da Homer die Mischwesengestalt der Sirenen als selbstverständlich unerwähnt läßt, scheint die Deutung der Sirenen als Hetären Anhänger gewonnen zu haben.1276 Kaiser datiert den Beginn der rationalistischen Interpretation der Sirenen als Hetären ins 4. Jh.1277 Konkret bezeugt ist die Vorstellung freilich erst in sehr späten Quellen. Der älteste Gewährsmann ist zwar schon Palaiphatos (der wahrschleinlich in der 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. wirkte);1278 seine Meinung ist aber nur indirekt als Para1274 1275 1276 1277 1278
Zum Wissen der Sirenen vgl. Stephani 1866 (1867) S. 18 mit Anm. 3. Vgl. Wedner 1994 S. 87–90; Kaiser 1964 S. 119. Weicker 1909–1915 Spalten 614 f.; Zwicker 1929 Spalte 299. Kaiser 1964 S. 122. Fornaro 2000 Spalte 163.
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phrase bei Eusebius von Caesarea überliefert: Scribit Palaefatus in incredibilium libro primo Sirenas quoque fuisse meretrices, quae deciperent navigantes.1279 – Die Sirenen seien in Wahrheit Prostituierte gewesen.1280 Im 1. Jh. vertritt Heraclitus Mythographus, De incredibilibus 14 dieselbe Ansicht;1281 unter den bekannteren Autoren findet sie sich in Servius’ Kommentar zur Äneis (zu V,864)1282 und bei Tzetzes (Scholion zu Lykophron, Alexandra 653 und Chiliades I,343, vgl. I,348–352), der als Quelle einen Plutarch den Jüngeren angibt; dieser ist nicht zu datieren.1283 Hierher gehören wohl auch die « λ λ $ 1 , die „verführerischen und betrügerischen Frauen“ im Scholion B zu Odyssee XII,39.1284 In diesen Passagen scheint zweierlei zum Ausdruck zu kommen: Zum einen ein stark sexueller Aspekt der verführerischen Sirenen, zum anderen ihr verderbenbringender Charakter. Die Bewertung dieser und ähnlicher Textquellen hat jedoch mit drei wesentlichen Problemen zu kämpfen. Zum ersten handelt es sich um Texte, die frühestens der hellenistischen Zeit entstammen, zu einem großen Teil sogar noch späteren Epochen; schon dies wirft die Frage auf, ob es sich hier um altes Gedankengut handelt, um tiefverwurzelten Volksglauben, der nur aufgrund von Zufällen der Überlieferung erst in vergleichsweise später Zeit in der Literatur angesprochen wird1285 – oder um eine späte, gelehrte Entwicklung, die nichts mit weitver1279 1280 1281 1282 1283 1284
1285
Hieronymi Chronicon, hgg. von Helm 1956, dort S. 62b Zeilen 24–26. Wedner 1994 S. 61 f. mit Anm. 25; Weicker 1902 S. 70 f. mit Anm. 3 (S. 71). Wedner 1994 S. 62, 82 f.; hgg. in Festa 1902 S. 73–87. Wedner 1994 S. 62, 83–85, 91; Sallusto 1988 S. 891 f. Wedner 1994 S. 62; Weicker 1902 S. 71 Anm. 3. Hofstetter 1990 S. 17 f. Für weitere Belege vgl. Wedner 1994 S. 62; Weicker 1909–1915 Spalte 615. Ferner zu möglichen Hinweisen auf erotische Züge in der textlichen Überlieferung zu den Sirenen vgl. Weicker 1909–1915 Spalte 613; Weicker 1902 S. 83 f.; Zwicker 1929 Spalte 297; Stephani 1866 (1867) S. 26 f.; Wedner 1994 S. 58–62, 78, 97–99, 102; Kaiser 1964 S. 121–127; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 31–36; zur Bezeichnung von Hetären als Sirenen zum Zweck der Verurteilung und Schmähung vgl. Hofstetter 1990 S. 30 f. So betrachtete Weicker „[g]rob erotische Gelüste“ als selbstverständlichen Teil der „Vampyrnatur“ der homerischen Sirenen, was von Homer nur deswegen nicht ausdrücklich erwähnt worden sei, weil diese Züge für den Dichter eben zu selbstverständlich und für seine literarischen Zwecke unwesentlich gewesen wären: Weicker 1902 S. 71, vgl. S. 37, vgl. auch Wedner 1994 S. 58–60. Innerhalb der homerischen Dichtung ließe sich zu Gunsten einer solchen Deutung anführen, daß Kalypso, die Odysseus als Ehemann und Bettgefährten auf ewig bei sich behalten will, interessanterweise mit den Sirenen einige Gemeinsamkeiten hat (siehe oben S. 356): Auch Kalypso ist ein weibliches übernatürliches Wesen, das auf einer blumenreichen Insel lebt, (beim Weben) singt und Odysseus von der Heimkehr abhalten will. Ist auch der betont erotische Zug in Kalypsos Verhältnis zu Odysseus ein Teil der Gemeinsamkeiten, die sie
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breiteten Vorstellungen über die Sirenen oder mit ihrem ursprünglichen Wesen zu tun hat. Zum zweiten erscheinen Sirenen in der Literatur ganz allgemein als verführerische Figuren und werden häufig in entsprechenden Vergleichen benützt, wobei weder ein sexueller Kontext noch eine negative Bewertung impliziert sein muß. So referiert Pausanias (I.xxi.1) eine Legende über die Bestattung des Sophokles, nach der nach dem Tod des Dichters die Spartaner in Attika einmarschierten. Dionysos erschien dem spartanischen Feldherrn im Traum und befahl ihm, κ 7 4 κ ', die „neue Sirene“, mit all den gebräuchlichen Totenehrungen zu ehren. Der Spartaner bezog diesen Traum auf Sophokles und seine Dichtung, ;.
ξ λ J 1 λ μ " μ 7 4 ; H , „und heute noch pflegt man das Verführerische an Dichtung und Prosa mit einer Sirene zu vergleichen“.1286 Hier erscheint ergreifende, verführerische Schönheit als das tertium comparationis zwischen dem Dichter, seinem Werk und den Sirenen; eine negative Konnotation fehlt ganz. Wenn die Sirenen aber in einem so weit gefaßten Sinn herangezogen werden können, um das intensiv-Ergreifende zu veranschaulichen, bedeutet dies für die hellenistische Auslegung der Sirenen als Hetären, daß zunächst nicht klar ist, ob hier auf einen sexuellen Aspekt der Sirenen oder die verführerische Seite von Hetären angespielt wird. Das dritte wichtige Problem bei der Bewertung dieser späten Textquellen ist, daß eine andere, gleichermaßen späte Tradition die Sirenen – in schroffem Gegensatz zur Auffassung als Hetären – als Jungfrauen darstellt.1287 Haupt- und (vielleicht signifikanterweise) einzige eindeutige Quelle von selbständigem Wert sind die (nicht datierbaren)1288 Homerscholien: $ 1 « κ $ !1 #Aφ 1 λ >: Da sie die Jungfräulichkeit liebten, habe Aphrodite sie gehaßt und in Vögel verwandelt.1289 Diese Verbindung der Jungfräulichkeit mit einer Aitiologie
1286 1287 1288
1289
mit den Sirenen teilt, und der bei den Sirenen vielleicht wirklich nur – wie Weicker annahm – als selbstverständlich nicht ausgesprochen wurde? Vgl. Hofstetter 1990 S. 29–32, besonders S. 32. Hofstetter 1990 S. 18; Weicker 1902 S. 74 mit Anm. 2; Weicker 1909–1915 Spalte 616; Zwicker 1929 Spalte 299. Vgl. Hofstetter 1990 S. 17: „Die Scholien zu Homer vermengen wissenschaftliche Kommentare aus der Zeit des 3./2. Jh. v. Chr. bis ins 7. Jh. n. Chr.; die darin enthaltenen Aussagen über Sirenen sind nur unter Vorbehalt für die Vorstellungen aus der Zeit der griechischen Antike bis zum Hellenismus zu benutzen, da sie spätere Umdeutungen und Vorstellungen ebenfalls enthalten.“ Schol. H.Q.T. zur Odyssee XII,39, ganz ähnlich Schol. V. zur Odyssee XII,39 (M
ξ " 81 , μ #Aφ 1« λ 3 $ ' 1 ;« μ T1 μ , λ 4 ' #A J 0 H '1). Ferner
findet sich die Jungfräulichkeit später bei Eustathios, Commentarii in Odysseam
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Die Sirenen
der Mischwesengestalt wirft den Verdacht auf, daß es sich hier um eine bloße Erfindung eines gelehrten Interpreten handelt, durch die die traditionelle Mischwesengestalt der Sirenen mit der rein menschlichen Gestalt der homerischen Sirenen versöhnt werden soll, wie sie die gelehrte Homerexegese konstruiert hatte.1290 Ein alter mythischer Kern ist hier also kaum zu suchen.1291 Dennoch bewirkt die Existenz einer solchen Auffassung zunächst ein gewisses Unbehagen an einer Deutung der Sirenen als hetärenhaft-sexuelle Wesen. Im Gegensatz zu den Homerscholien datierbar,1292 dafür aber in ihrer Bedeutung nicht eindeutig, ist Lykophrons Bezeichnung der Sirene als $1Ω : Man könnte hier „die Jungfrau Nachtigall“ übersetzen, die Ausgangsbedeutung von ist jedoch ein weibliches Wesen, das keine Nachkommen geboren hat (oder dafür schon zu alt ist). Erst die jüngere Sprache gelangt von der ursprünglichen Bedeutung „nachkommenloses/
1290 1291
1292
1709,42 f.: ' ξ λ M' . μ λ $ !1', φ1 , #Aφ 1 λ > I «. Eustathios, ein byzantinischer Erzbischof von Thessaloniki, ist jedoch von den Homerscholien (bzw. deren Quelle) allem Anschein nach wörtlich abhängig (die Zitate wurden gegeben, um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen), so daß seinem Zeugnis kein unabhängiger Quellenwert zukommt. Nach der Analyse der Formulierungen durch Weicker 1902 S. 74 Anm. 2 gehen alle drei Stellen auf dieselbe Quelle zurück. Dies unterstreicht nochmals, wie dünn die Beleglage ist. So schon Weicker 1909–1915 Spalten 615 f. Nur erwähnt sei der Versuch Weickers, einen solchen alten Kern für diese Geschichte zu retten: Er akzeptiert, daß hier die Vorstellung ihren Niederschlag finde, daß Aphrodite für die Verschmähung der Liebesfreuden Rache nimmt. Diese Rache bestehe in einer Verwandlung in ein Gespensterwesen, das nun die zuvor verschmähten Gaben der Aphrodite nachholen muß und so als buhlender Vampir umgeht: Weicker 1902 S. 74; Weicker 1909–1915 Spalte 616; vgl. Crusius 1891 S. 98 f.; letzteres entspricht ganz Weickers Auffassung der homerischen Sirenen (vgl. Weikker 1902 S. 37). Weicker verbindet hiermit im selben Sinne die Fragmente des Parthenope-Metiochos-Romans, der von einer Parthenope gehandelt hat, die zunächst ihre Jungfräulichkeit gegen viele Männer verteidigen konnte, sich aber dann in Metiochos verliebte und nach Campanien ging; was aber genau die Beziehungen der menschlichen Frau Parthenope zur gleichnamigen unteritalischen Sirene (siehe oben S. 361 und unten Anm. 1296) waren, ist in Anbetracht der Überlieferungslage kaum mehr festzustellen, auch wenn irgendeine Art von Beziehung wohl anzunehmen ist; für den sexuellen oder asexuellen Aspekt der Parthenope läßt sich hier in keine Richtung etwas gewinnen, da sie anderswo in einer Liste ‚verliebter Fräulein (" 3 ! ), und zwar der lüsternsten ( ) von denen der alten Zeit‘ erscheint (Lukian, De saltatione 2): Weicker 1902 S. 74–76; Weicker 1909–1915 Spalte 616; Ilberg 1897–1909; Wilcken 1901 S. 264–267, 271 f.; Rattenbury 1933 S. 237–240; Schade 1999 S. 133 zu Z. 721. Nämlich in die erste Hälfte des 3. Jh. v. Chr.; zur Diskussion um die Autorenschaft Lykophrons vgl. Schade 1999 S. 6–12.
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unfruchtbares weibliches Wesen“ zur Bedeutung „jungfräulich“. Für die Deutung der Lykophron-Passage ist dabei besonders problematisch, daß Lykophron der älteste Beleg von im Sinne von „Jungfrau“ wäre.1293 Möglich ist dies freilich zweifelsohne dennoch. Andererseits ist mit Hinblick auf ihr tödliches Wesen auch die Beschreibung der Sirenen als „nachkommenlos“ sinnvoll: Sie locken die Seefahrer an, aber dies führt nicht zu einer erotischen Vereinigung, aus der Nachkommen erwachsen, sondern zum Tod der Männer. Als (rein typologisches) Beispiel dafür, woran der Dichter etwa gedacht haben könnte, sei auf eine Legende von der Île Molène verwiesen: Dort wird von einer auf ewig jungen, jungfräulichen, verführerischen Gestalt namens Morgan berichtet, die unter dem Meer lebt. Bei Mondlicht erhebt sie sich nackt über die Meeresoberfläche und singt ein Lied, dessen Zauber kein Seemann widerstehen kann; er wird angezogen, und sein Schiff zerschellt am Riff. Wenn ihn die Morgan aber mit einem Freudenschrei packt, hält sie nur einen Leichnam im Arm; denn ihre Berührung tötet. Daran verzweifelt die jungfräuliche und liebeshungrige Morgan.1294 Lykophron zeigt auch sonst komische Elemente,1295 so daß eine solche Auffassung, die einen Hauch schwarzen Humors enthält, ebenso möglich scheint wie ein Bezug auf die (von den Sirenen selbst gewollte) Jungfräulichkeit der Scholien. Im Vergleich mit den Schlachtfelddämoninnen Skandinaviens und Irlands fällt ferner auf, daß bei aller Betonung der Sexualität dieser Gestalten auch in ihrem Fall Nachkommenschaft kaum je eine Rolle spielt. 7 könnte entsprechend auch bei Lykophron vielleicht nicht so sehr das Fehlen von erotischer Aktivität als vielmehr deren fehlende Erfüllung in Nachkommenschaft andeuten.1296 1293
1294 1295
1296
Vgl. Liddell und Scott 1996 s.v. ‚ ‘; Schade 1999 S. 77 zu Z. 670. Schade nimmt für diese Stelle die Bedeutung „‚Jungfrau‘ resp. ‚jungfräulich‘“ an, hebt jedoch die Erstbezeugung hervor; dagegen das Lexikon zu Lykophron von Ciani 1975 s.v. ‚ ‘: „sterilis“. Zitiert bei Loomis 1945 S. 198. Zum bissigen Humor und der Taktlosigkeit Lykophrons vgl. von Holzinger 1895 (1973) S. 31–35; Schade 1999 S. 19 f. Hofstetter 1990 S. 16 bemerkt zur Lykophron-Stelle nur, daß die Jungfräulichkeit der Sirenen hier durch die Verwendung des Begriffs einen negativen Aspekt erhält. Zur Vorstellung von der Sterilität des Todes vgl. Vermeule 1979 S. 36 (Kinderlosigkeit von Hades und Persephone im archaischen Mythos). – Andere Textstellen, die als Beleg für die Jungfräulichkeit der Sirenen gedeutet wurden, sind m. E. nicht aussagekräftig. Hofstetter (1990 S. 15) nimmt an, daß Apollonios von Rhodos die Jungfräulichkeit der Sirenen im Argonautenepos erwähnt; die entsprechende Stelle (IV,909) erwähnt aber nur die „Mädchenstimme“ ( κ " 8) der Sirenen, was man wohl nicht überinterpretieren sollte, zumal da ' « schon seit Homer auch für nicht-jungfräuliche unverheiratete Frauen belegt ist (siehe Lid-
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Die Sirenen
Die textlichen Quellen lassen somit keine klaren Aussagen darüber zu, ob ein erotischer Unterton einen wesentlichen und ursprünglichen Teil der Verlockung der Sirenen und des Charakters dieser Dämoninnen dargestellt hat. Die Darstellung Homers enthält keine ausdrücklich erotischen Aspekte, aber dies mag auf eine dichterische Stilisierung zurückzuführen sein, die den Sirenengesang für einen Rückbezug auf das homerische Gesamtwerk nutzt. Die häufige, aber erst spät bezeugte Deutung der Sirenen als Prostituierte könnte auf einen erotischen Aspekt der Sirenen als tertium comparationis zurückgehen und, wie in der Forschung wiederholt angenommen worden ist, ihre Wurzel in alten Vorstellungen haben.1297 Innerhalb der schriftlichen Tradition widerspricht dem andererseits die Deutung der Sirenen als Jungfrauen; sichere Belege für die Jungfräulichkeit der Sirenen sind zwar auf die Kommentare zur Odyssee beschränkt und daher wohl reine Gelehrtenspekulation, aber nichtsdestoweniger weckt schon die Existenz einer solchen Position zunächst gewisse Bedenken gegen eine sexuelle Interpretation der Sirenen. Die Deutung der schriftlichen Überlieferung bleibt zudem insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Chronologie aufgrund der zumeist späten Datierung der Quellen problematisch, die es schwierig macht, das Alter einzelner Züge zu bestimmen. Ähnliche Probleme hatte in der vorangegangenen Diskussion die Frage nach der Funktion der Sirenen als Seelengeleiter aufgeworfen, wo gleichfalls Hinweise in der literarischen Überlieferung vorhanden zu sein schienen, ein eindeutiges Urteil aber nicht möglich war. Die Auswertung der textlichen Überlieferung zu den Sirenen führt somit in mancher Hinsicht nur zu äußerst vagen Ergebnissen. Daher ist die Heranziehung weiterer Quellen nötig, um ein schärferes Bild vom Charakter dieser Wesen zu gewinnen. Der archäologisch-ikonographische Befund stellt hier reiches Material zur Verfügung, das vielleicht manche Lücken und Unklarheiten der schriftlichen Quellen schließen und klären kann. Eine solche Heranziehung der archäologischen Quellen ist umso mehr geboten, als schon die ältere Forschung gerade in
1297
dell und Scott 1996 s.v. ‚&"«‘ I.2; zwei Belegstellen für die Verwendung von ' « für Sirenen bei Schade 1999 S. 77 zu Z. 670). Dasselbe gilt entsprechend für den Sirenennamen P 1 „Mädchenstimme“ bei Lykophron, Alexandra 720, den Hofstetter (1990 S. 16) als „mit jungfräulicher Stimme“ übersetzt und in dem sie einen Anklang an die Jungfräulichkeit der Sirenen sieht. Im selben Sinne könnte man noch ihre „Jungfrauengesichter“ (virginis ora bzw. virginei vultus) bei Ovid, Metamorphosen V,553 bzw. V,563 anführen, aber letztlich handelt es sich hier durchwegs nur um Phrasen, die die Sirenen als (jugendliche und damit wohl attraktive) Frauen-Mischwesen kennzeichnen sollen. So Wedner 1994 S. 58; Weicker 1902 S. 71.
Der ikonographische Befund
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diesen Zeugnissen das eigentliche volkstümliche Wesen der Sirenen zum Ausdruck gebracht sah.1298
Der ikonographische Befund Allgemeiner Überblick über die Entwicklung der Sirenenikonographie Vor einer Besprechung ausgewählter Objekte, die einen Beitrag zur Lösung dieser und ähnlicher Fragen leisten könnten, scheint es angebracht, einen kurzen allgemeinen Überblick über die Entwicklung des Sirenenbildes zu geben. Als das älteste Zeugnis für eine Sirene in der (im geographischen Sinn) griechischen Bildkunst galt lange ein bartloses (und daher wohl weibliches), fliegend dargestelltes Mensch-Vogel-Mischwesen auf einem kretischen Situlenfragment aus Praisos. Zunächst dem Ende der minoischen Zeit im späten 2. Jahrtausend v. Chr. zugewiesen,1299 wird diese Darstellung heute jedoch in die orientalisierende Epoche, genauer ins 2. Viertel des 7. Jh. datiert.1300 Damit rückt das Erscheinen des Menschenvogels in der griechischen Bildüberlieferung an das Ende der geometrischen Epoche,1301 wo Darstellungen von zwei bärtigen Mensch-Vogel-Mischwesen vom Typ der Sirenen
1298 1299
1300 1301
Zwicker 1929 Spalte 293; Weicker 1909–1915 Spalte 602; Harrison 1908 S. 199; vgl. Pollard 1965 S. 137; Touchefeu-Meynier 1968 S. 189 f.; von Geisau 1975 Spalte 79. Kunze 1932 S. 135–141 mit Abb. auf Beilage XXXII („spätestminoische, vielleicht sogar subminoische Zeit“, S. 140); Buschor 1944 S. 17 mit Abb. 6 (spätes 2. Jt. v. Chr.). Tsiafakis 2001 Anm. 12 (S. 21 f.); Hofstetter 1997 Nr. 1; Hofstetter 1990 S. 280 f. (V 1). Tsiafakis 2001 S. 7; Kunze 1932 S. 124 f. – Weicker (1902 S. 94 f.) hatte auch in Eulenanhängern des (heute als minoisch geltenden) Goldschatzes von Aigina Sirenen gesehen (akzeptiert von Buschor 1944 S. 17); nach neueren Abb. sind hier gegen Weickers Versicherung jedoch keine Sirenen, sondern Eulen dargestellt: Higgins 1979 S. 26 Abb. 17 und die Beschreibung sowie Datierung des Stücks ins 17. Jh. v. Chr., ibidem, sowie Abb. 64 und 65 (S. 64). Den von Weicker 1902 S. 95 ins 8. Jh. gestellten und für ostgriechisch gehaltenen goldenen Reliefstreifen aus Präneste mit einer rein ornamentalen Darstellung aneinander gereihter bartloser Menschenvögel (Instituto di Corrispondenza Archeologica 1874–1878 Tafel 31a.5) lasse ich hier beiseite, da mir keine neueren Referenzen vorliegen und sich aus den Darstellungen ohnehin nichts über das Wesen der Sirenen entnehmen läßt; nur die Herkunft aus einem Grab könnte von Interesse sein. Die Literatur zu den Sirenen ist, so weit ich sehe, auf das Stück nach Weicker nie mehr eingegangen.
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Die Sirenen
in der rhodischen Vasenmalerei des frühen 7. Jh. erscheinen.1302 Unter den frühen Menschenvogeldarstellungen nehmen ferner Vogelmischwesen eine wichtige Stellung ein, die als Attaschen an Bronzekesseln der orientalisierenden Zeit Verwendung finden.1303 Diese Attaschen stellen Menschenvögel mit Vogelleib, menschlichem Kopf und Armen sowie ausgebreiteten Vogelflügeln dar, die am Rand von Bronzekesseln befestigt waren und dort der Befestigung der Griffe des Kessels dienten. Solche Sirenenattaschen sind vorderasiatisch bzw. vorderasiatisch inspiriert.1304 Eine vergleichsweise große Zahl der frühesten griechischen Menschenvögel trägt einen Bart, und dies mag sich aus dem Einfluß solcher Sirenenattaschen erklären: Bärtigkeit ist ein häufiger Zug der Darstellungsweise dieser orientalischen Mischwesen.1305 Als Vorlage des allgemeinen Mischwesenkonzepts der frühen Sirenen als Vögel mit Menschenkopf und ggf. menschlichen Armen gilt daneben häufig auch der ägyptische Ba-Vogel (der gleichfalls oft bärtig auftritt).1306 1302
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1305
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Kunze 1932 S. 125; Hofstetter 1990 S. 226 (O 1, rhodisch, 2. Jahrzehnt des 7. Jh., Oinochoe mit zwei bärtigen Sirenen); Weicker 1902 S. 107 f. mit Abb. 38, 39 (selbes Stück); Buschor 1944 S. 22 mit Abb. 7 auf S. 20 (selbes Stück); Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 18 f. mit Abb. 10 auf S. 15 (selbes Stück, mit betonten Bedenken gegen die Benennung dieser frühen Menschenvögel als Sirenen sensu stricto). Tsiafakis 2001 S. 7 mit Anm. 12 (S. 21 f.); Herrmann 1966 S. 27–113 et passim; Weikker 1902 S. 95 f.; Buschor 1944 S. 14–16 mit Abb. 4, 5. Kunze 1932 S. 130 trennt diese Attaschen von den Sirenendarstellungen: „[D]ieser Attaschentypus ist fertig ausgebildet aus dem Orient übernommen worden, er entwickelt sich in Griechenland ganz unabhängig von der Sirene und hat umgekehrt auf sie auch keinen Einfluß gehabt.“ Gegen diesen Standpunkt vgl. Herrmann 1966 S. 52 f. Herrmann 1972 S. 83 f. mit Tafeln 22, 23; Herrmann 1966, besonders S. 27–89; Barnett 1986; Muscarella 1962. Isoliert und überholt Weicker 1902 S. 89–91, der hier eine dekorative Umbildung eines selbständigen „ionisch-kleinasiatischen Typus“ sah; dazu vgl. Herrmann 1966 S. 51 f. Herrmann 1966 S. 52 f. mit Anm. 8; Guglielmi 1979 S. 264 Anm. 56; vgl. Buschor 1944 S. 19, 22; vgl. auch Muscarella 1962 S. 326 f. zu den orientalischen Zügen der Barttracht einiger Exemplare. Allgemein findet sich die Annahme eines Einflusses der Sirenenattaschen auf die Sirenenikonographie etwa bei Buitron und Cohen 1992 S. 109; Ensoli 1996 S. 98 mit Anm. 13 (S. 106). Noch allgemeiner („d’origine orientale“): Touchefeu-Meynier 1968 S. 180; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 17; von Geisau 1975 Spalte 79 („äg.-vorderas. Einfluß“); Barnett 1956 S. 231; Nilsson 1967 S. 228. Tsiafakis 2001 S. 7; Vermeule 1979 S. 75 f.; Weicker 1909–1915 Spalten 618 f.; Weikker 1902 S. 85–93. Neils 1995 S. 177 zieht die bronzenen Kesselattaschen dem BaVogel als Vorlage des Mischwesentyps der Sirenen vor; Neils’ äußerst skizzenhafte Argumentation stellt jedoch eine enorme, sehr tendenziöse und sachlich teilweise inkorrekte Vereinfachung der Materiallage dar, wie ein Blick in die von ihr etwas irreführend zitierte Literatur zeigt, und hat so im Grunde keinen unabhängigen Wert. Wichtiger ist als Vertreter eines Einflusses der Kesselattaschen auf das Sirenenbild
Der ikonographische Befund
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Hofstetter führt die Mischwesengestalt der Sirenen allgemein auf „Anregung aus dem Orient“ zurück.1307 Letztlich ist die Frage „ägyptisch, vorderasiatisch, oder beides?“ wohl noch nicht geklärt.1308 Hofstetter hatte das Problem der Herkunft des Bildtyps aus ihrer Untersuchung der Sirenen ausdrücklich ausgeschlossen,1309 und diese Lücke ist bisher nicht gefüllt worden. Für die hier behandelte Frage ist die Herkunft der Bildformel jedoch letztlich bedeutungslos: Ob der Bildtypus des Mischwesens nun vorderasiatisch, ägyptisch oder beides ist, in jedem Fall sind die möglichen Vorlagen zumindest teilweise bärtig, so daß die Bärte mancher früher griechischer Sirenen ein Erbe ihrer ikonographischen Vorbilder darstellen könnten, wie schon öfters vermutet wurde.1310 Das baldige Verschwinden der bärtigen Sirenen aus der griechischen Bildtradition läßt sich daher vielleicht daraus erklären, daß die bärtige Variante der entlehnten Bildformel keinen Rückhalt in den Vorstellungen der griechischen Dämonologie finden konnte; der weibliche Charakter der Dämoninnen, die in Griechenland mit dem Bild des Menschenvogels assoziiert wurden, wird so dadurch bestätigt, daß sich trotz der häufig bärtigen Vorlagen nur der unbärtige Menschenvogel durchsetzen konnte. Die Sirenen zeigen dabei weder mit ihren möglichen vorderasiatischen noch den möglichen ägyptischen ikonographischen Vorbildern inhaltliche Gemeinsamkeiten.1311 Entlehnt wurde – von woher auch immer – nicht eine dämonische Gestalt, sondern nur eine Art, diese darzustellen.1312
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1308 1309 1310
1311 1312
etwa Herrmann, der mit dem Material aus erster Hand intensiv vertraut war: Herrmann 1972 S. 84 und ausführlicher Herrmann 1966 S. 52 f. mit Anm. 8 (u. a. zur Bärtigkeit). Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103; ähnlich unverbindlich: Hofstetter 1990 S. 297; Buschor 1944 S. 13–17 mit Herleitung aus Ägypten und Vorderasien. Kunze nahm eine Herleitung der Sirene vom ägyptischen Seelenvogel unter Vermittlung durch den Orient an: Kunze 1932 S. 128 f. Hofstetter 1990 S. 11. Herrmann 1966 S. 52 mit Anm. 8; Guglielmi 1979 S. 264 Anm. 56; vgl. Buschor 1944 S. 19, 22. Hofstetter 1990 S. 297; Buschor 1944 S. 13. An alternativen Erklärungsansätzen für das Erscheinen bärtiger Sirenen wurden folgende vorgebracht: Weicker sah in den Sirenen ursprüngliche Seelenvögel; die bärtigen Sirenen seien dann die Seelen verstorbener Männer (Weicker 1909–1915 Spalten 602, 609; Weicker 1902 S. 32; ebenso: Marót 1960 S. 124, alternativ könne der Bart nach Marót auch ein Zeichen magischer Kraft ohne notwendige Aussage über das Geschlecht sein, ibidem S. 124 f.). Weickers Seelenvogel-Theorie wurde jedoch im Verlauf des letzten Jahrhunderts schon so oft zurückgewiesen (z. B. Nilsson 1967 S. 228), daß eine weitere Diskussion unnötig scheint. Nach West 1995 S. 183 f. ist der Bart kein schlüssiger Hinweis auf ein männliches Geschlecht (gegen eine solche Ansicht vgl. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103 und die Gemme mit einem bärtigen
378
Die Sirenen
Diesen frühen Darstellungen fehlt jeder narrative Zusammenhang; die Sirenen erscheinen als weitgehend kontextlose Figuren, über deren Wesen sich kaum Aussagen machen lassen. Die in den frühen Darstellungen noch relativ häufige Darstellungsweise als männliches Wesen mit Bart wirft zudem die Frage auf, ob hier nicht noch vor allem dekorative Bildformeln vorliegen, die durch orientalische Vorbilder inspiriert sein mögen, ohne schon mit den Sirenen des griechischen Mythos verbunden zu sein; denn die Sirenen des Mythos sind in bildlichen Darstellungen ebenso wie in den Textzeugnissen stets weiblich. Der bärtige Menschenvogel tritt dabei nicht in allen Regionen auf; am häufigsten wird er in Korinth dargestellt,1313 aber auch dort ist er gegenüber den weiblichen Sirenen stets weit in der Minderzahl.1314
1313 1314
Siren( ? ) mit männlichen Geschlechtsteilen bei Weicker 1902 S. 127; Furtwängler 1900 Bd. 1 Tafel VIII Nr. 25), und er betrachtet die Bärte als Hinweis auf eine „Semitic connection“ der Sirenen (West 1995 S. 183). Tsiafakis zog als Erklärung der Bärte die Vorstellung in Erwägung, daß jede Spezies zur Erhaltung der Art beide Geschlechter braucht: Tsiafakis 2001 S. 11. Tsiafakis’ Vorschlag klingt zunächst hochgradig ad hoc, aber interessanterweise scheint genau diese Denkweise in der römischen Kunst nach Jahrhunderten ohne Darstellungen männlicher Sirenen in rein dekorativen Kontexten ihren Niederschlag zu finden, wo Androsirenen geschaffen werden, die allem Anschein nach das Gegengewicht zu den weiblichen Sirenen bilden sollen: Hofstetter 1997 Nr. 40; Weicker 1902 S. 181–183 mit Fig. 92 (alle mit Herkunftsangaben zitierten Beispiele stammen aus den Vesuvstädten). Hier ist auch zu erwähnen, daß Sirenen in der älteren Kunst einige Male zusammen mit Eroten dargestellt werden, die in mancher Hinsicht ihr männliches Gegenstück zu bilden scheinen; auf Letzteres wird noch ausführlich einzugehen sein. – Auf Parallelen zwischen den Sirenen und einer Gruppe ägyptischer Gestalten, den mr(r)wtj, weist Guglielmi 1979 hin; „beide Gruppen haben zuerst die Gestalt von Mädchen, später die von Vögeln; beide sind Sängerinnen und Musikantinnen; beide versuchen auf listige Weise die Sterblichen an sich zu locken, um sie zu verführen und zu verderben; bei beiden handelt es sich ursprünglich um eine Zweiheit; und beide sind Schadedämonen und freundliche Totengeleiterinnen zugleich.“ (Zitat: S. 256.) Guglielmi sieht die mr(r)wtj als wahrscheinliches Vorbild der klassischen Sirenen oder zumindest Hinweis auf ein gemein-mediterranes Mythensubstrat. Da mir jeder Zugang zum Ägyptischen fehlt, kann ich diesen Vorschlag hier nur ohne Bewertung referieren. West 1995 S. 174–187 betrachtet die Sirenen als inhaltlich von der mesopotamischen Dämonin Lamaˇstu und ikonographisch vom ägyptischen Seelenvogel abgeleitet. Die inhaltliche Herleitung aus Lamaˇstu kann wegen des Fehlens wirklich spezifischer Übereinstimmungen jedoch nicht überzeugen. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103; Hofstetter 1990 S. 298. Hofstetter 1990 K 1, K 5, K 6, K 14, K 19, K 20, K 24, K 25, K 34, K 36, K 38 (Siren und Sirene), K 43, K 45, K 61 (Siren und Sirene), K 67, K 79, K 80, K 85, K 89 (zweiköpfige Sirene mit männlichem und weiblichem Kopf), K 104 (männlich? – von Hofstetter als Sirene gedeutet), K 108; also auch in der Region, die die meisten männlichen Sirenen aufweist, machen diese nur etwa ein Sechstel der Darstellungen aus (Hofstetter verzeichnet 121 korinthische Sirenendarstellungen).
Der ikonographische Befund
379
In anderen Kunstregionen erscheint der bärtige Menschenvogel nie,1315 und in der Mitte des 6. Jh. verschwindet er ganz.1316 Falls man den insgesamt relativ wenigen bärtigen Sirenen überhaupt eine Bedeutung beimessen will, mag dieses Verschwinden darauf hinweisen, daß erst zu dieser Zeit das Sirenenbild nicht mehr nur als reines Ornament betrachtet, sondern mit einer bestimmten Gestalt des griechischen Mythos verbunden und so im Geschlecht festgelegt wird. Da das wesentliche Element der Bildformel der Sirenen (ebenso wie ihrer späteren Beschreibungen in der Literatur) in der Verbindung von Frauen- und Vogelkörper besteht, ist in diesem VogelMischwesencharakter auch der Grund für die Wahl des Menschenvogels als Darstellungsweise für die Sirenen zu suchen. Welcher Art diese Verbindung von Frauen- und Vogelnatur vor der Verbindung der Sirenen mit der Bildformel des Menschenvogels war, läßt sich nicht mehr näher bestimmen.1317 Dafür, daß sich die Assoziation zwischen den mythologischen Sirenen und dem Bild des Menschenvogels erst zu oder kurz vor dieser Zeit zu festigen beginnt, spricht vielleicht auch, daß die Darstellungen der SirenenEpisode der Odyssee erst jetzt einsetzen, über ein Jahrhundert nach der Abfassung des Epos.1318 Die erste mögliche, aber nicht zweifelsfreie Darstellung des Sirenen-Abenteuers findet sich auf einem korinthischen Aryballos, der auf etwa 590 v. Chr. datiert wird.1319 Die erste zweifelsfreie Darstellung der Odyssee-Szene stammt ebenfalls aus Korinth und befindet sich 1315
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Klazoenai, Kyrene, Süditalien, Sizilien: Tsiafakis 2001 S. 22 Anm. 17; Weicker 1902 S. 114, 115. Hofstetter 1990 S. 298. Zu den letzten späten Ausläufern dieses Bildtyps gehört ein Kalksteinsiren aus Zypern, spätes 6./frühes 5. Jh., Hofstetter 1990 S. 281 f. (V 3); Tsiafakis 2001 S. 11, 19 mit Fig. 3a + b (S. 12) und Anm. 80 (S. 24); Buschor 1944 S. 23 mit Abb. 29 (S. 38); Weicker 1902 S. 43. Gresseth 1970 S. 215: „The art form was, of course, borrowed; it was given the name Siren because Greek folklore tradition (not necessarily Homer) knew that Sirens had wings. Because there were no art forms of these ‘Homeric’ Sirens no one can say whether they were thought of as the Ba-types or what – probably simple ‘winged.’ On the other side, the borrowed form had no folklore and they went together well.“ Daß die Vorstellung vom männlichen Siren jedoch auch der Sprache zumindest im Ausnahmefall möglich war, zeigt eine Inschrift aus einem Heiligtum der Hera auf Samos, um 570, die einen 7ERHN ARUYREO7, einen „silbernen Siren“, als Weihegabe verzeichnet: Hofstetter 1997 Nr. 14; Hofstetter 1990 S. 24; Tsiafakis 2001 S. 11 mit Anm. 16 (S. 22). Als der weibliche Menschenvogel mit den Sirenen des Mythos und des Epos verbunden wurde, mußte sich eine solche Benennung aufdrängen, sobald man einen Namen für den bärtigen Menschenvogel suchte. Neils 1995 S. 178 f. mit Tafeln 44, 45; Touchefeu-Meynier 1992 Nr. 150; Buitron und Cohen 1992 S. 109 mit Fig. 30; Hofstetter 1990 S. 33 f., 47, 57, 322 Anm. 265 (K 47); Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 10 mit Abb. 1 (S. 1); Andreae und Presicce 1996 S. 141 Nr. 2.44; Gropengiesser 1977 S. 600 f. mit Abb. 25 und 26.
380
Die Sirenen
Fig. 39: Korinthischer Aryballos. 2. Viertel 6. Jh. v. Chr.
auf einem Aryballos aus dem 2. Viertel des 6. Jh. (Fig. 39).1320 Hier ist der gefesselte Odysseus dargestellt, während seine Gefährten rudern und zwei Sirenen in der Gestalt von Vögeln mit Frauenköpfen auf einem Felsen sitzen. Die Ikonographie der Sirenen in den Darstellungen der Sirenen-Episode der Odyssee ist bereits in diesen ersten Darstellungen ausgeformt: Sie erscheinen als weibliche Menschenvögel.1321 Über dem Schiff des Odysseus fliegt hier zugleich ein großer Vogel mit einem Raubvogelschnabel, während ein zweiter sich schon auf dem Schiff niedergelassen hat; dieser hat neben einem Raubvogelschnabel auch noch den langen Hals eines Geiers, worin das Motiv des Verschlungenwerdens der Opfer der Sirenen anklingen mag.1322 Hinter den beiden Sirenen kauert eine Frauengestalt( ? ) auf dem Felsen, und hinter dem Felsen befindet sich eine schachbrettartige Darstellung eines Hauses( ? ).1323
1320
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1323
Bulle 1900; Neils 1995 S. 179 mit Tafel 39; Touchefeu-Meynier 1992 Nr. 151; Gilotta 1992 S. 84 f.; Hofstetter 1990 S. 34, 58, 346 Anm. 520 (K 90); Vermeule 1979 S. 202 f. mit Fig. 25; Touchefeu-Meynier 1968 S. 146 f. mit Tafel XXIII,2 (Nr. 245); Buschor 1944 S. 44 f. mit Abb. 36; Robert 1921–1926 S. 1365 Anm. 2; Weicker 1902 S. 43 f. mit Fig. 17; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 10 mit Abb. 2a, b (S. 2). Ensoli 1996 S. 98; Gropengiesser 1977 S. 600; vgl. Gresseth 1970 S. 211. Vgl. Harrison 1908 S. 200 mit Fig. 36; Touchefeu-Meynier 1968 S. 147 (Ausdruck der sepulkralen Funktion der Sirenen?); Vermeule 1979 S. 203; West 1995 S. 179. Bulle 1900 S. 33 f. lehnt es mit Verweis auf Tiere als Raumfüller auf anderen korinthischen Vasen ab, in diesen Vögeln einen tieferen Sinn zu suchen. Hofstetter deutet einen der Vögel als Wasservogel (1990 S. 34), was m. E. in Anbetracht der Schnabelform aber ganz unwahrscheinlich ist. Die Deutungen dieser Bildelemente gehen weit auseinander und sind in jedem Fall zu unsicher, um hier irgenwelche weiteren Folgerungen aus ihnen ziehen zu können; vgl. etwa Bulle 1900 S. 32, 34 f.; Gilotta 1992 S. 84 f.; Hofstetter 1990 S. 34; Vermeule
Der ikonographische Befund
381
Die ältesten Darstellungen von Sirenen mit Namensbeischriften stammen aus demselben Jahrhundert, das die ersten Darstellungen der SirenenEpisode der Odyssee und das Verschwinden der bärtigen Menschenvögel sieht. Das früheste Beispiel eines Menschenvogels mit Namensbeischrift befindet sich auf einem jetzt verschollenen und nur noch durch Umzeichnungen bekannten frühkorinthischen Aryballos.1324 Dort wird der Kampf des Herakles gegen die Hydra dargestellt; Athena ist von ihrem Streitwagen abgestiegen, um Herakles zur Seite zu stehen, während ihre Eule auf den Zügeln des Wagens sitzt. Ein Vogel mit Frauenkopf sitzt auf einem über den Streitwagen gelegten Stab. Diesem Vogel ist ein Wort beigeschrieben, dessen Lesung jedoch problematisch und dessen Bedeutung entsprechend unsicher ist; die meistzitierte Lesung ist ζ OY7, ein hapax legomenon. Die Schrift der Vase war undeutlich, und so wurde u. a. (unter Berücksichtigung der schlechten Erhaltung und unter Umkehrung der Leserichtung) auch eine Lesung 78 vorgeschlagen, was eine mögliche korinthische Schreibung für attisch 7 8 sei.1325 Das Stück ist jedoch mit so vielen Problemen behaftet, daß aus seiner Interpretation nichts zu gewinnen ist. Für die Benennung des Menschenvogels als Sirene sind die attischen Zeugnisse weit wichtiger, wo diese Bezeichnung ab der Mitte des 6. Jh. belegt ist:1326 Auf einer schwarzfigurigen Hydria spricht eine als Vogel mit Frauenkopf dargestellte Sirene dort um 550: 7IREN EIMI „ich bin eine Sirene“ (Fig. 40).1327 Etwa ein Jahrzehnt später erscheinen zwei durch Beischriften gesicherte Sirenen auf einer attischen schwarzfigurigen Bandschale neben Tierkampfszenen: Ein Panther fällt ein Reh an, und zwei Löwen zerfleischen einen Stier.1328 So mag der Todes- und Gewaltbezug der Sirenen auch durch den Kontext dieser inschriftlich gesicherten Sirenendarstellung zum Ausdruck kommen.1329
1324
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1979 S. 202; Robert 1921–1926 S. 1365 Anm. 2; Touchefeu-Meynier 1962 S. 457; Touchefeu-Meynier 1968 S. 146 f.; West 1995 S. 179 f. Hofstetter 1990 S. 33, 41 (K 28); Neils 1995 S. 179; Buschor 1944 S. 20 mit Abb. 14 (S. 25); Payne 1931 S. 126, 161 f., 287 (Nr. 481) mit Fig. 45A (S. 127) und Fig. 123 bis. (S. 287); Harrison 1908 S. 303 f. mit Fig. 81 (S. 303); Weicker 1902 S. 43, 139. Kanowski 1973 (mit Abb. und Zusammenstellung vieler älterer Deutungsvorschläge). Hofstetter 1990 S. 71. Hofstetter 1997 Nr. 50; Hofstetter 1990 S. 94, 103 (A 88); Buschor 1944 S. 43 f. mit Abb. 34; Weicker 1902 S. 20 mit Fig. 13 (=meine Fig. 40). Für die Bartlosigkeit als Indiz für weibliches Geschlecht vgl. Hofstetter 1990 S. 104. Hofstetter 1990 S. 71, 97, 104 (A 115). Vgl. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103. Das (recht häufige) Auftreten von Sirenen in Tierfriesen erinnert an die mögliche Verwendung von Walküren( ? )-Darstellungen als Anhänger (vgl. z. B. Price 2003 S. 336 f.; Egeler 2009 [Perspektiven] S. 435 f.
382
Die Sirenen
Fig. 40: Inschriftlich gesicherte Sirenendarstellung im Schulterfries einer attischen Hydria. Um 550 v. Chr.
Die Identifizierung der Mischwesen aus Frau und Vogel mit den Sirenen des Mythos und des Epos ist also seit dem 6. Jh. gesichert. Zu dieser Zeit werden Sirenen als Vögel mit Frauenköpfen dargestellt. Diese Ikonographie unterliegt in der folgenden Zeit einem stetigen Wandel, der dem Frauenkörper einen immer größer werdenden Anteil am Leib der Dämonin zuweist; die Sirenen werden zunehmend vermenschlicht.1330 Die Grenze zwischen Frauen- und Vogelkörper gleitet dabei kontinuierlich nach unten: Die Sirenen erhalten weibliche Brüste und schließlich einen weiblichen Unterleib und menschliche Oberschenkel. Die Vögel mit Frauenkopf wandeln sich so im Verlauf des 5. und 4. Jh. zu Frauen mit Flügeln, einem Vogelschwanz und Vogelbeinen unterhalb der Knie.1331 Mit dieser Bildformel ha-
1330 1331
Anm. 131), deren Bedeutung zwischen Schmuckstück und Amulett schwanken mag. Zur Bedeutung antiker Tierfriese vgl. Simon 1985 S. 169 f. (besonders: Tierkampfbilder als Symbol der todbringenden Macht der Artemis, manchmal gleichnishaft aufzufassen); Hölscher 1972 S. 102–104 (hilfloses Ausgeliefertsein an todbringende Mächte; Beziehung zu Artemis; Freude am Wettkampf; Gleichnis); weitere Literatur bei Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1097. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103; Hofstetter 1990 S. 299. Zu dieser Entwicklung vgl. zusammenfassend Tsiafakis 2001 S. 12; Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103 f.; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 12 f.; Hofstetter 1990 S. 299, 301. Außerhalb des hier relevanten zeitlichen und kulturellen Rahmens, aber noch im Bereich der klassischen Antike kennt insbesondere die etruskische Kunst eine Ausnahme von dieser Darstellungsweise der Sirenen: Dort können Sirenen auch in vollständig anthropomorpher Gestalt erscheinen, was sonst nur noch ganz vereinzelt belegt ist (vgl. Buschor 1944 S. 78 mit Abb. 60; Touchefeu-Meynier 1968 S. 171–175 mit Tafel XXX,1 [Nr. 318–336]; Buitron und Cohen 1992 S. 110 f.; Andreae und Presicce 1996 S. 182 Nr. 3.17–3.19; Leclercq-Marx 1997 [2002] S. 12 mit Abb. 8; Weicker
Der ikonographische Befund
383
ben die Sirenen ihre für die weitere klassische Antike kanonische Form gefunden. Sirenen im ‚Reich der Aphrodite‘ Die undatierten, aber frühestens hellenistischen Homerscholien hatten die Vogelgestalt der Sirenen dadurch erklärt, daß die Sirenen ein Leben als Jungfrauen gewählt hätten und dafür von Aphrodite gehaßt und in Vögel verwandelt worden seien. Diese Tradition scheint als aitiologische Sage nicht nur grundsätzlich sekundären Charakter zu haben und eine rein konjekturale Erklärung für die Konsequenzen der Spekulationen der gelehrten Homerexegese zu suchen, sondern steht auch noch in Widerspruch zu anderen textlich bezeugten Aitiologien der Mischwesengestalt bei Ovid und Hygin. Ferner wäre die euhemeristische Erklärung der Sirenen als Prostituierte durch antike Gelehrte ganz unverständlich, wenn die Idee der Jungfräulichkeit der Sirenen eine authentische, in der Antike weitverbreitete Vorstellung gewesen wäre. Weit wichtiger als alle diese – für sich schon erheblichen – Probleme der Jungfrauen-Hypothese innerhalb der (gelehrten) textlichen Tradition ist aber der Widerspruch zwischen einer solchen Vorstellung und dem (sehr umfangreichen) ikonographischen Befund. Eine zentrale Stellung nimmt hier ein in Vulci gefundener attischer rotfiguriger Stamnos aus der Zeit um oder kurz nach 480 v. Chr. ein (Fig. 41).1332 Eine Seite dieses Gefäßes zeigt das Schiff des Odysseus, das von dessen Männern gerudert wird. Odysseus selbst ist der homerischen Darstellung entsprechend an den Mast gefesselt. Von zwei Seiten her ragen Felsformationen in das Bild, auf beiden Felsen sitzt je eine Sirene. Die Sirenen sind als Frauen mit Menschenkopf dargestellt. Vor einem der beiden Felsen befindet sich ferner eine Sirene, die sich Kopf voraus ins Meer zu stürzen scheint; das Bild spielt hier wohl auf den von außerhomerischen Quellen berichteten Selbstmord der Sirenen an, die sich nach dem Entkommen des Odysseus ertränkt haben sollen.1333 Eine der Sirenen auf den Felsen sticht dadurch hervor, daß sie durch eine Namensbeischrift benannt wird: Diese
1332
1333
1902 S. 183 f.). Solche späten und marginalen Sonderentwicklungen können hier jedoch außer Acht gelassen werden. Hofstetter 1990 S. 122 (A 178); van Gelder in Palais des Beaux-Arts 1982 S. 119 (um 480 v. Chr.); Touchefeu-Meynier 1992 Nr. 155 (um 475–460 v. Chr.); Buitron und Cohen 1992 S. 130 f. (Nr. 42) mit Abb. auf S. 120 (ca. 475 v. Chr.); Ensoli 1996 S. 99 mit Abb. 6 auf S. 102 (um 475 v. Chr.); Touchefeu-Meynier 1968 S. 149–151 (Nr. 250; „milieu du ve siècle“); Neils 1995 Tafeln 47, 48 (ca. 475 v. Chr.). Siehe oben S. 360 f.
384
Die Sirenen
Fig. 41: Attischer Stamnos. Um 480 v. Chr.
gibt für sie den (nur hier belegten) Namen IMEZR\OPA an.1334 I ist ein sprechender Name mit der Bedeutung „Sehnsuchts-Stimme“.1335 Die im gegenwärtigen Zusammenhang interessante Frage ist hierbei, welche Art von Sehnsucht gemeint ist; denn wenn der + «, den die Stimme dieser Sirene einhaucht, nichts weiter ist als die Sehnsucht, die Insel der Sirenen anzulaufen, um dort der homerischen Darstellung entsprechend tieferes Wissen um den trojanischen Krieg zu erhalten, dann ist aus diesem Bild 1334
1335
Stephani 1866 (1867) S. 28; van Gelder in Palais des Beaux-Arts 1982 S. 119; Hofstetter 1990 S. 122, 130; Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230. Freilich könnte es sich auch um ein Appellativ handeln (Roscher 1884–1890 [Himeropa]), was aber für die folgende Diskussion auf dasselbe hinauslaufen würde. Hofstetter 1990 S. 130 übersetzt als „mit Sehnsucht erweckender Stimme“, was sicher gemeint ist; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 13 und Touchefeu-Meynier 1968 S. 150, 187: „le chant du désir“. Zu seicht sind die Übersetzungen von Harrison 1908 S. 201 („lovely-voiced“, ähnlich West 1995 S. 180 „lovely-faced“) und Pollard 1965 S. 139 („Enchantment“); auch Weicker griff zu kurz, als er den Namen nur im Kontext des musikalischen Charakters anderer Sirenennamen sah (Weicker 1902 S. 49). Dafür ist der Begriff + « doch wohl zu stark.
Der ikonographische Befund
385
für die Charakterisierung der Sirenen nichts Neues zu gewinnen. Leumann hat aber darauf hingewiesen, daß bei Homer + « gerade die sexuelle Begierde bedeutet,1336 und unter Berufung auf diese homerische Wortbedeutung übersetzt Weber-Lehmann I als „Stimme, die sexuelle Begierde auslöst“.1337 Eine solche Bedeutung würde einen direkten Beleg für einen stark sexuellen Aspekt der Sirenen bereits in einem frühen Teil der Überlieferung darstellen. Jedoch hat Leumann auch darauf hingewiesen, daß schon Herodot den Begriff + « in einer weiteren Bedeutung als nur der sexuellen verwendet.1338 Herodots Geburt fällt zeitlich etwa mit der Datierung dieses Stamnos zusammen, so daß nicht mehr als wenige Jahrzehnte zwischen dem Sprachgebrauch der Texte Herodots und der Vaseninschrift liegen können; der zeitliche Abstand der Vaseninschrift zur homerischen Sprache hingegen ist um ein Vielfaches größer. Daher scheint es unter rein sprachlichen Gesichtspunkten zunächst fraglich, ob man bei der Interpretation dieses Sirenennamens den engeren homerischen Wortgebrauch vor dem weiteren herodoteischen bevorzugen darf; aus dieser Perspektive heraus betrachtet ist Hofstetters allgemeinerer Übersetzung als „mit Sehnsucht erweckender Stimme“1339 der Vorzug zu geben. Rein sprachlich betrachtet bleib unklar, um welche Art von Sehnsucht es sich handelt. Die andere Seite desselben rotfigurigen Stamnos (Fig. 42) zeigt drei Eroten, die über eine Wasserfläche fliegen; sie sind als nackte Jünglinge mit großen Schulterflügeln dargestellt, die ein Stoffband, eine Ranke und einen Hasen in den Händen halten. Beischriften benennen sie als IMERO7 , «, «; 1340 diese Namen sind wieder sprechend („Verlangen“, „schön“, „schön“ – bei den letzteren mag es sich eher um beschreibende Adjektive als um individuelle Namen handeln). Im Falle des Eroten 6I « identifiziert die Namensbeischrift den Eroten als eine in Bildwerken wie auch in literarischen Quellen öfters belegte Sonderform des Eros. 6I « ist eine Personifikation des Liebesverlangens und von Eros nicht wesentlich verschieden.1341 Da die drei Eroten über eine Wasserfläche fliegen, legt sich die Vermutung nahe, daß die beiden Vasenbilder dieses Stamnos direkt aufeinander bezogen sind: Beide Szenen spielen sich über einer Wasserfläche ab, die Dreizahl der Sirenen entspricht der Dreizahl der Eroten, und
1336 1337 1338 1339 1340 1341
Leumann 1950 S. 313: + « „sexuelle Begierde, Geschlechtstrieb“. Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230. Leumann 1950 S. 313 Anm. 90. Vgl. Vermeule 1979 S. 203 f. zu dieser Vase. Hofstetter 1990 S. 130. Hofstetter 1990 S. 122; Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230. Stoll 1884–1890 Spalte 2661; Graf 1998 (Himeros). Hermary 1990 Bd. 5.1 S. 425 nennt ihn „[u]ne des formes d’Eros, symbolisant la passion et le désir amoureux.“
386
Die Sirenen
Fig. 42: Rückseite desselben attischen Stamnos.
auch die Namen IMERO7 und IMEROPA entsprechen einander.1342 Es scheint also, als würden beide Bilder eng zusammengehören. Dies ist in zweifacher Hinsicht wichtig: Zum einen scheint es angebracht, die Namensbeischrift IMERO7 bei der Frage nach der Bedeutung des Begriffs + « auf dieser Vase zu berücksichtigen. Denn in Verbindung mit einem Eroten1343 ist die Sehnsucht, die + « bezeichnet, wohl gerade als erotische Sehnsucht zu verstehen; die Verwendung von + « auf diesem Vasenbild rechtfertigt damit Weber-Lehmanns Vorschlag, + « auf dieser Vase im engeren homerischen Sinn als „sexuelle Begierde“ aufzufassen. Wenn man nicht eine Bedeutungsverschiebung des Worts zwischen den Namen auf Vorderseite und Rückseite desselben Gefäßes annehmen will, 1342
1343
Vgl. Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 13; Neils 1995 S. 180; Touchefeu-Meynier 1968 S. 150, 187. Eros, von dem Himeros ikonographisch ununterscheidbar (Hermary 1990 Bd. 5.1 S. 426) und auch im Wesen schwerlich getrennt ist (Stoll 1884–1890 Spalte 2661), ist die „[g]riechische Personifikation der Liebe als des sexuellen Begehrens“: Graf 1998 (Eros) Spalte 89. Für eine äußerst weithergeholte Spekulation über einen weiteren Sinn der Eroten auf diesem Bild als eitle Athener vgl. Vermeule 1979 S. 203 f. (ihre Angaben zur Vase sind teilweise inkorrekt).
Der ikonographische Befund
387
scheint damit auch Weber-Lehmanns Übersetzung von I als „Stimme, die sexuelle Begierde auslöst“ gerechtfertig, wenngleich aus anderen Gründen als den von Weber-Lehmann angeführten. Damit scheint dieser Sirenenname einen direkten Beleg für einen stark sexuellen Aspekt der Sirenen schon um 480 v. Chr. darzustellen, während ein solcher in der textlichen Überlieferung erst sehr viel später auftaucht. Dieser Hinweis auf einen sexuellen Aspekt der Sirenen steht zugleich nahe am Beginn der umfangreicheren Überlieferung zu diesen Dämoninnen.1344 Der zweite Aspekt, unter dem das Verhältnis der beiden Bilder des Stamnos von Bedeutung ist, ist die Beziehung der jeweils handelnden Figuren zueinander. Denn die Frage stellt sich, was das Ziel des Flugs der Eroten über das Meer ist. Hier ist von Interesse, daß einer der Eroten gerade einen Hasen mit sich trägt.1345 Der Hase war ein Attribut der Götter der Liebe und ein gängiges Opfertier für Aphrodite. Eroten werden häufig mit Hasen dargestellt, Hochzeitsringe wurden mit Bildern von Hasen geschmückt, und Hasen und Kaninchen waren die häufigsten Liebesgaben für Knaben ebenso wie für Mädchen.1346 Auch die Ranke und das Band, welche die beiden anderen Eroten tragen, fanden häufig als Liebesgeschenke Verwendung.1347 So kann man vermuten, daß es sich bei dem Hasen, der Ranke und dem Stoffband in den Händen der Eroten auch in diesem Bild um Liebesgaben handelt. Da diese Eroten mit ihren Liebesgaben über das Meer unterwegs sind, sind die Geliebten, für die diese Gaben bestimmt sind, wohl auf einer Insel zu finden; so liegt es nahe, sie mit den Sirenen zu identifizieren, die auf der anderen Seite der Vase dargestellt sind, zumal die Darstellung von Eroten über dem Meer in dieser Epoche selten und damit wohl für die Beziehung der beiden Bilder des Stamnos zueinander aussagekräftig ist.1348 Wenn dies richtig ist und auf diesem attischen 1344
1345 1346 1347
1348
Im sexuellen Unterton dieser Sirenenstimme zeigt sich vielleicht auch ein authentischer Hintergrund der späteren euhemeristischen Interpretation der Sirenen als Hetären; denn gerade die hier so stark sexuell konnotierte Stimme ist ja das traditionelle Verführungsmittel der Sirenen, was ganz dem sexuellen Gewerbe der Hetären entspricht. Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 13; Touchefeu-Meynier 1968 S. 150, 187. Keller 1909–1913 Bd. 1 S. 216; Muthmann 1982 S. 43. Hofstetter 1990 S. 131; Neils 1995 S. 180; anders Touchefeu-Meynier 1968 S. 150 f. (sepulkraler Hintergrund). Hofstetter 1990 S. 131. Schon Harrison 1908 S. 202 sah den Flug der Eroten über das Meer als einen Hinweis auf eine Verbindung zwischen den beiden Bildern und hielt es für wahrscheinlich „that the vase-painter intended to emphasize the seduction of love in his Sirens.“ Ebenso sieht Touchefeu-Meynier 1968 S. 150 hier die „nature érotique de leur séduction“ vergegenwärtigt, vgl. ibidem S. 186 f. („Les Sirènes, démons érotiques“).
388
Die Sirenen
Stamnos die Sirenen somit als Geliebte von Eroten erscheinen, ist auch dies – wie der Sirenenname IMEROPA – ein Hinweis auf einen starken sexuellen Aspekt der Sirenen. Daß die beiden Bilder dieses attischen Stamnos miteinander in Verbindung stehen und daß in dieser Verbindung das „aphrodisische, selbst mehr oder weniger lascive Wesen“ der Sirenen zum Ausdruck kommt, hatte Stephani schon 1866 vermutet.1349 Als gewiß betrachtete er diese Interpretation aber erst nach dem Fund eines attischen rotfigurigen Amphorendekkels aus dem frühen 4. Jh. v. Chr. in einem Grab auf der Krim im Jahre 1879 (Fig. 43).1350 Eroten wurden häufig zusammen mit Mädchen beim Spiel mit einem Hasen dargestellt.1351 Eine solche Verbindung findet sich auch auf diesem Amphorendeckel, nur wird das Mädchen hier durch eine Sirene vertreten. Der Eros ist als nackter Jüngling mit großen Schulterflügeln dargestellt und läuft hinter einem fliehenden Hasen her, den er auf die Sirene zutreibt. Die Sirene erscheint mit Vogelunterleib und dem nackten Oberkörper einer Frau. Sie blickt in Richtung des Hasen und des Eroten und hat die Arme leicht angewinkelt nach vorne ausgestreckt, vielleicht dem Eros entgegen, oder um den Hasen zu scheuchen. Der freie Raum zwischen und unter den Figuren wird durch Ranken und Palmetten eingenommen. Fig. 43 zeigt nur die eine Hälfte des Deckels; die andere Seite zeigt eine gleichgeartete Figurengruppe – der größte Unterschied zwischen den beiden Gruppen besteht in der Laufrichtung des Hasen, der das eine Mal auf die Sirene, das andere Mal auf den Eros zuläuft.1352 Damit ist die Sirene hier durch die Konnotationen des Hasen und das Spiel mit dem Eros in einen ganz aphrodisischen Kontext eingebunden, der einen entsprechenden Aspekt im Charakter der Sirenen zum Ausdruck bringt.1353 Hofstetter spricht gar von einer ‚Liebesbeziehung‘ zwischen der Sirene und dem Flügelknaben.1354 Diese enge Einbindung der Sirenen, oder zumindest eines Aspekts der Vogelfrauen, in den Bereich des Liebeslebens und entsprechend der Göttin der Liebe ist selbst in noch früheren Zeugnissen bereits angedeutet. Eine 1349 1350
1351
1352 1353 1354
Stephani 1866 (1867) S. 60 mit weiteren Beispielen. Buschor 1944 S. 51 ließ die Frage einer Verbindung zwischen Eroten und Sirenen offen. Stephani 1880 (1882) S. 101 f.; Hofstetter 1990 S. 123 (A 181); Hofstetter 1997 Nr. 91; Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230 Anm. 184; vgl. TouchefeuMeynier 1968 S. 150 Anm. 12. Hünemörder 1998 (Hase) Spalte 175. Zum Platz des Hasen im Umkreis des Liebesspiels vgl. Keller 1909–1913 Bd. 1 S. 216. Stephani 1880 (1882) S. 102. Stephani 1880 (1882) S. 102. Hofstetter 1990 S. 131.
Der ikonographische Befund
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Fig. 43: Deckel einer attischen Amphore. Frühes 4. Jh. v. Chr.
attische schwarzfigurige Bandschale unbekannter Provenienz1355 aus der Zeit um 540 v. Chr. (Fig. 44) zeigt auf beiden Seiten1356 Sirenen in Verbindung mit erotischen Darstellungen: Eingerahmt von Palmetten, zeigt die Schale eine langgestreckte Szene, in deren Mitte ein Mann eine Frau beschläft. Zu beiden Seiten des Paares befindet sich je ein nackter Tänzer. Diese Gruppe wird von zwei antithetischen Sirenen gerahmt, die als Vögel mit Frauenköpfen dargestellt sind. Beide Sirenen wenden ihre Köpfe nach hinten, von der erotischen Szene ab. Hofstetter vermutet, daß die Sirenen hier vielleicht einen Fruchtbarkeitsritus oder -tanz rahmen;1357 von einem Geschlechtsakt kann aber nicht unmittelbar auf eine Verbindung mit einem Konzept von ‚Fruchtbarkeit‘ geschlossen werden.1358 Entsprechend ist hier vielmehr die Verbindung der Sirenen mit der Darstellung eines Geschlechtsakts und damit mit Sexualität festzuhalten. Als weitere Zeugnisse sind in diesem Zusammenhang einige Standspiegel von Bedeutung.1359 So etwa ein lakonischer gegossener Standspiegel aus der Zeit um 540–530 v. Chr.1360, gefunden in Hermione in der Argolis
1355 1356 1357 1358 1359
1360
Vgl. Langlotz 1932 S. 76 (zu Nr. 400). Hofstetter 1990 S. 98 (A 117). Hofstetter 1990 S. 104. Siehe oben S. 158 f. Allgemein zu Sirenen und Spiegeln vgl. Hofstetter 1990 S. 144–151, 199, 209 f., 240 f., 263–265, 283 f., 288 f., 293, 295 mit Anm. 1368 (S. 407). Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 48 Nr. 374; Hofstetter 1990 S. 209 (L 21); Congdon 1981 S. 130 (Nr. 5) datierte um 560–550 v. Chr.
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Die Sirenen
Fig. 44: Attische Bandschale. Um 540 v. Chr.
(Fig. 45).1361 Die eigentliche Spiegelfläche besteht aus einer runden Scheibe. Diese ist auf einer anthropomorphen Figur als Ständer montiert; die Figur hat die Gestalt eines jungen, noch nicht erwachsenen, schlanken Mädchens. Bis auf einen Polos, einen Anhänger um den Hals und Sandalen ist das Mädchen nackt. Es steht auf einem aufgerollt auf dem Boden liegenden Löwen und hält eine Lotosblüte in der rechten Hand; das Attribut, das sie ursprünglich in der Linken hielt, ist verloren. Vom Polos gehen symmetrisch nach beiden Seiten zwei Ranken aus, die in großen, nach oben gewandten Lotosblüten enden. Auf diesen Lotosblüten sitzt je eine Sirene; beide Sirenen tragen einen Polos. Die Sirenen und die Mädchenfigur blicken zum Betrachter.1362 Die Gruppe der Standspiegel mit einer Statuette als Ständer – beim vorliegenden Objekt handelt es sich um eines der ältesten Exemplare1363 – ist relativ groß; das von Congdon zusammengetragene Korpus umfaßt 134 Spiegel. Da diese Spiegel weder in literarischen Texten noch in Inschriften oder Reliefs auftauchen und kaum Informationen über die genauen Fundumstände bekannt sind, läßt sich über ihren genauen Gebrauch 1361 1362 1363
Hofstetter 1990 S. 209. Vgl. Congdon 1981 S. 129 f. Vgl. Congdon 1981 S. 96–98, S. 105, dort Nr. 5.
Der ikonographische Befund
Fig. 45: Lakonischer gegossener Standspiegel. Um 540/530 v. Chr.
391
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Die Sirenen
kaum etwas aussagen; allerdings ist bekannt, daß sieben Exemplare aus Gräbern des späten 6. und 5. Jh. stammen und sechs aus Heiligtümern des 6. Jh. v. Chr. Sie scheinen also sowohl als privater Besitz als auch als Ritualobjekt oder Weihegabe verwendet worden zu sein.1364 Nach dem Kontext der weiteren Grabbeigaben handelte es sich bei den in Gräbern gefundenen Spiegeln um Objekte des privaten Gebrauchs, nicht um Ritualobjekte.1365 Eine Untergruppe dieser Standspiegel zeigt nackte Spiegelträgerinnen. Zwar scheint ein Konsens darüber zu herrschen, daß zumindest die mit Attributen versehenen nackten Spiegelträgerinnen – wie das vorliegende Beispiel (Fig. 45) – dem religiösen Bereich zuzuschreiben sind,1366 aber über die genaue Lokalisierung der Figuren in diesem Bereich herrscht keine Einigkeit. Das Spektrum der Interpretationen reicht von Tempeldienerin, Tempelmusikerin und -prostituierter,1367 über eine „dämonische, nicht weiter benennbare Dienerin“1368 einer Göttin bis hin zur Interpretation als Darstellung der Aphrodite.1369 Die Aussagekraft der Verwendung der Sirenen als Attributtiere bleibt für den vorliegenden Spiegel im einzelnen entsprechend undeutlich; immerhin ist jedoch festzuhalten, daß sie in einem Kontext einer Ikonographie kultischer Nacktheit erscheinen, möglicherweise als Begleittiere einer nackten Aphrodite oder einer nackten Dienerin dieser Göttin.
1364 1365 1366
1367 1368 1369
Congdon 1981 S. 12 f. Congdon 1981 S. 13 f. Vgl. Congdon 1981 S. 14 f.; vgl. Hofstetter 1990 S. 209 f. mit Anm. 1009 (S. 382) für eine Zusammenstellung einer Vielzahl von Interpretationsvorschlägen, die sich sämtlich im Bereich des Kultes bewegen. Vgl. Congdon 1981 S. 15. So Hofstetter 1990 S. 209. Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 16–18 zur gesamten Gruppe der weiblichen Stützfiguren bronzener Spiegel, auch ausdrücklich zum vorliegenden Beispiel (dort Nr. 374), insbesondere mit Betonung der Signifikanz des Stehens auf einem Tier. Vgl. Weicker 1902 S. 26 f., 144 insbesondere auch zum Spiegel aus Hermione (wo er die menschenköpfigen Vögel seinem Deutungsansatz entsprechend für Seelen hält). Hofstetter 1990 Anm. 1009 (S. 382) weist diesen Vorschlag zurück, da ihr eine göttliche Dienerin als Gerätträgerin wahrscheinlicher scheint als die Göttin selbst; gegen eine solche Auffassung konnten Delivorrias et al. aber auf literarische Belege für eine Aphroditestatuette als Stützfigur eines Dreifußes hinweisen (Pausanias III.xviii.8 und IV.xiv.2; Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 16 f.), was Hofstetters ablehnende Position in Frage stellt. Auch Muthmann 1982 S. 40 mit Anm. 107 betont, daß es sich um eine Göttin handeln muß, weil nur eine solche auf einem Löwen stehen könne; er sieht in der Figur eine Aphroditedarstellung, wobei der Löwe eine Erinnerung an deren vorderasiatische Herkunft sei. Pollard 1965 S. 140 deutete die Spiegelträgerin des Spiegels aus Hermione als eine „Proto-Artemis“.
Der ikonographische Befund
393
Spätere Standspiegel sind hier noch weitaus eindeutiger. Hierher gehört etwa ein frühklassischer attischer Standspiegel unbekannter Provenienz1370 aus der Zeit um 460–450 v. Chr.1371 Die Spiegelscheibe wird bei diesem Stück von einer anthropomorphen weiblichen Gestalt in einem langen Gewand getragen, die selbst wiederum auf einem Podest steht. Diese Frauengestalt hält auf ihrer rechten Handfläche einen Vogel; ihr rechter Arm ist angewinkelt nach vorne gestreckt, was den Vogel als Attribut nochmals betont. Ihre Linke zupft währenddessen an ihrer Kleidung. Am Übergangsstück zwischen dieser Statuette und der eigentlichen Spiegelscheibe sind zwei Eroten befestigt, dargestellt als nackte Jünglinge mit großen Schulterflügeln. Am Rand des oberen Viertels der Spiegelscheibe sind symmetrisch zur Mittelachse des Spiegels zwei Vögel angebracht. Und am höchsten Punkt der Spiegelscheibe, genau über der Statuette, ist schließlich eine leicht ornamental stilisierte Sirene sitzend dargestellt. Hinten an der Sirene befindet sich eine Befestigungsschlaufe für den Spiegel.1372 Verschiedene Vögel sind mit Aphrodite eng verbunden: Tauben, Sperlinge, Schwäne, Gänse und andere Arten waren ihr heilig.1373 Auch Eroten gehören zum engsten Kreis der Aphrodite.1374 Die Verbindung der weiblichen Spiegelträgerfigur mit Vögeln und Eroten stellt diese Figur entsprechend in einen deutlich aphrodisischen Kontext, zumal ein Spiegel – als Gegenstand der Schönheitspflege aufgefaßt – selbst schon dem Bereich der Aphrodite nahesteht.1375 Vermutlich ist die Figur daher als Darstellung der 1370 1371 1372
1373 1374 1375
Congdon 1981 S. 171 (Nr. 60). Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 20 (Nr. 118); Hofstetter 1990 S. 144 f. (A 199); für Abbildungen vgl. Congdon 1981 Tafeln 54 f. Vgl. Congdon 1981 S. 171 f. und Tafel 55 Nr. 60c. Congdon will in den Vögeln auf dem Rand der Scheibe Gänse erkennen (S. 171), wofür der Hals der Vögel aber deutlich zu kurz dargestellt scheint. Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 4; vgl. Furtwängler 1884–1890 Spalten 408–410. Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 3; vgl. Furtwängler 1884–1890 Spalten 410. Vgl. Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 4 (Spiegel als Attribut der Aphrodite), 17 („religiös-magische Bedeutung des Spiegels […] hinsichtlich der mit A[phrodite] verbundenen und von A[phrodite] abhängigen weiblichen Schönheit“); vgl. Hofstetter 1990 S. 149; vgl. Roscher 1884–1890 (Aphrodite) Spalte 399 für ein Relief, das Aphrodite mit einem Spiegel in der Hand zeigt. – Nur erwähnt sei, daß das Auftreten von Sirenen im Bereich der Utensilien der Schönheitspflege nicht auf diese Standspiegel beschränkt ist. So ist eine große Zahl von Figurenvasen in der Form von Sirenen bekannt, die als Gefäße für Duftöle Verwendung fanden; vgl. etwa: Biers 1999, besonders S. 136, 138 (zwei Exemplare aus Gräbern), 139–145; Tsiafakis 2001 (auch zu sepulkralen Aspekten); Buitron und Cohen 1992 S. 109, 112–114, 125 f. (Nr. 34–36); Hofstetter 1997 Nr. 16–18, 38. Die Annahme einer Verwendung als Duftölbehälter wurde durch chemische Analyse von Rückständen in solchen Gefäßen untermauert: Biers 1999 S. 136.
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Die Sirenen
Göttin Aphrodite aufzufassen,1376 zumindest aber als die einer Gestalt aus diesem Bereich.1377 Für die Sirene, die in prominenter Position auf dem Spiegel sitzt, bedeutet dies, daß auch sie wohl diesem aphrodisischen Bereich zugeordnet ist, dem das übrige Ensemble des Spiegels (und der Spiegel selbst) entstammt.1378 Ein entsprechendes Verhalten zeigt bereits ein Menschenvogel auf der Unterseite eines archaischen griechischen Skarabäus des 4. Viertels des 6. Jh., vielleicht ostgriechischer Herkunft.1379 Die Sirene auf dieser Gemme ist mit einem Frauenkopf und Menschenarmen an einem Vogelleib dargestellt; allem Anschein nach trägt sie eine Kopfbedeckung.1380 In der linken Hand hält diese Sirene einen Handspiegel; da ihr Kopf leicht in Richtung auf den Spiegel hin gesenkt ist, blickt sie vielleicht gerade in diesen Spiegel hinein. In der rechten Hand hält sie zugleich eine Perlenkette, etwa von der Länge einer Halskette. Dadurch, daß dieser Menschenvogel bei der Schönheitspflege und damit bei einer Tätigkeit aus dem Bereich der Göttin der Liebe dargestellt ist, scheint auch er – wie die Sirenen der Standspiegel – dem Bereich der Aphrodite anzugehören und läßt sich entsprechend wohl im Kontext eines ‚aphrodisischen Aspekts‘ der Sirenen sehen.1381 Dieselben Attribute erscheinen auch in Westgriechenland: Auf pästanischen Vasen des 4. Jh. v. Chr. können Sirenen erneut mit Spiegel oder Perlenkette erscheinen.1382 So etwa auf einer Halsamphore aus den Jahren 1376
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Furtwängler 1884–1890 Spalte 411; Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 19 f. (Nr. 118); Congdon 1981 S. 17. Gegen eine Auffassung als bloße Kultperson, Hierodule, Hetäre o. ä. vgl. Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 16–18. Auch Muthmann 1982 S. 39–43 sieht in solchen Spiegelträgerfiguren Aphroditedarstellungen. Der Spiegel Fig. 45 wurde schon von Buschor 1944 S. 30, 33 mit solchen Exemplaren in Zusammenhang gebracht; vgl. Weicker 1902 S. 26 f. In dieselbe Richtung eines ‚aphrodisischen Aspekts‘ der Sirenen deuten auch die Spiegel Nr. 38, 46, 58, 68, 74, 83, 85, 87, 90 in Congdon 1981, die Sirenen in gleichen oder ähnlichen Zusammenhängen zeigen. Vgl. Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 17 f., 19 f. Hofstetter 1990 S. 293 (V 30); Richter 1968 S. 66 (Nr. 170) mit Abb. im Tafelteil; Boardman 1968 S. 65 f. (Nr. 140). Richter 1968 S. 66; Hofstetter 1990 S. 295. Wohl ebenso zu interpretieren ist die griechische Gemme Nr. 171 bei Richter 1968, ein spätarchaisches Stück um 500 v. Chr., das eine Sirene mit Vogelleib, Menschenkopf und menschlichen Armen zeigt, die mit einer Perlenkette in der Hand fliegt (vgl. Richter 1968 S. 66). Hofstetter 1990 S. 407 Anm. 1368, S. 274 f. (W 58, um 360–350 v. Chr.; W 59, um 340 v. Chr.; W 63, um 330–310 v. Chr.). Hofstetter weist auch darauf hin, daß einige pästanische Vasen mit Sirenenabbildungen aus Gräbern stammen und nimmt an, daß dies die „Bedeutung der Sirenen im Bereich des vergehenden Lebens“ bezeugt und daß hier „die Sirenen mit ihren dionysisch-aphrodisischen Attributen die Hoffnung
Der ikonographische Befund
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330–310 v. Chr. ohne bekannten archäologischen Kontext.1383 Auf dem Hals dieser Amphore erscheint eine Sirene, dargestellt mit einem nackten Frauenoberkörper, der auf den Hals eines Vogelleibs gesetzt ist. Diese Sirene steht vor einem kleinen Altar; auf ihrer Linken balanciert sie einen Korb,1384 während sie sich mit der Rechten einen Handspiegel dicht vor ihr Gesicht hält und hineinblickt.1385 Daß die Darstellung von Sirenen bei der Schönheitspflege (mit allen Konsequenzen für den Charakter dieser Wesen) nicht nur ein Phänomen der ost- und großgriechischen Kunst ist, illustriert eine Sirene auf dem Griff einer attischen Hydria aus dem 2. Viertel des 4. Jh. (Fig. 46, aus dem Kunsthandel).1386 Diese Sirene ist aufrecht stehend dargestellt, mit halb ausgebreiteten großen Schulterflügeln und breit auffächerndem Vogelschwanz. Sie hat menschliche Arme und einen nackten Frauenleib, der von den Oberschenkeln nach unten in Vogelbeine übergeht. Der Ansatz von Flügeln und Schwanz ist hinter dem Rücken verborgen. Mit der Rechten ergreift sie eine Haarsträhne. Ihr Kopf ist leicht nach links unten gewandt; die Sirene blickt in einen Spiegel, den sie in der halb ausgestreckten Linken hält und in dem sie sich beim Frisieren betrachtet.1387
1383
1384 1385
1386
1387
auf ein glückliches Jenseits aus[drücken]“: Hofstetter 1990 S. 278 mit Anm. 1300 (S. 402). Allerdings scheint es nicht zwingend, daß das Motiv der Bemalung für die Auswahl eines Gefäßes als Grabbeigabe eine Rolle gespielt hat. Hofstetter 1990 S. 275 (W 63). Herkunft: Im 19. Jh. in Nola käuflich erworben, welches auch als Fundort angegeben wurde, später Weiterverkauf, schließlich an das Boston MFA (Angaben des Boston Museum of Fine Arts, Inv.-Nr. 99.540). Für eine Abb. vgl. Trendall 1987 Tafel 158. Trendall 1987 S. 255 (Nr. 1004); Hofstetter 1990 S. 275. Der Bauch der Amphore zeigt unter diesem Sirenenbild eine Szene aus den Sagen um die Heimkehrer von Troja: Orestes und Pylades treffen Elektra am Grab des Agamemnon. In den oberen Ecken dieses Bildes sind die Köpfe zweier Erinyen zu sehen, die auf die Menschen herabblicken; beide haben Schlangen( ? ) in den Haaren. Die rechte Erinys ist bis zu den Schultern dargestellt, so daß Teile ihrer Schulterflügel und ihre beiden Arme sichtbar werden; in beiden Händen hält sie je eine Schlange (vgl. Trendall 1987 S. 255 f.). Eine offene Frage ist, ob die Darstellung der Sirene auf dem Hals der Amphore mit der Darstellung auf dem Bauch der Amphore in einem inhaltlichen Zusammenhang steht. Verweist die Sirene auf eine weitere Heimkehrerlegende, die des Odysseus? Oder besteht eine assoziative Verbindung zwischen der Sirene und dem Grab Agamemnons, an dem das Treffen zwischen Orestes, Pylades und Elektra stattfindet? Da Sirenen zur Zeit der Herstellung dieser Amphore schon lange als Schmuck von Gräbern verwendet wurden (siehe unten S. 402 ff.), ist auch die zweite Möglichkeit nicht auszuschließen. Hofstetter 1990 S. 145 (A 207); Diehl 1964 S. 39 (B 169); Fivel 1876 S. 143 f. mit Tafel 35 (=meine Fig. 46). Der zur Zeit der Erstveröffentlichung durch Fivel noch erhaltene Spiegel (vgl. Fivel 1876 S. 144 mit Tafel 35 [=meine Fig. 46]) ist heute verloren (er war separat gearbei-
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Die Sirenen
Fig. 46: Vertikalhenkel einer attischen Hydria. 2. Viertel 4. Jh. v. Chr.
Der ikonographische Befund
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Hofstetter weist hier darauf hin, daß das Motiv des Haarordnens vor einem Handspiegel für Eroten und Aphrodite typisch ist, und daß dadurch wiederum auch die Sirene in die aphrodisische Sphäre eingebunden wird, indem sie eine für die Göttin charakteristische Handlung ausführt.1388 Auch hebt Hofstetter für die Gestaltung des Sirenenkörpers als eines nackten Frauenkörpers die Möglichkeit hervor, daß dies auf nackte Statuetten der Aphrodite Bezug nehmen könnte, die im 4. Jh. in Erscheinung treten; diese Art der Gestaltung des Sirenenkörpers könnte somit eine weitere Verbindung zu Aphrodite darstellen.1389 Ganz ähnlich hatte zuvor schon Vedder bemerkt, daß die klassischen Sirenen des 4. Jh., die einen nackten Frauenkörper bis zum Unterleib zur Schau stellen, etwa gleichzeitig mit den ersten Darstellungen nackter Frauen in der Großplastik (Aphroditen von Arles und Knidos) erscheinen.1390 Diese Beobachtung ist dabei gerade insofern möglicherweise von weitergehendem Interesse, als die Darstellungsweise des Körpers von Sirenen als nackter Frauenkörper nach ihrer Etablierung im 4. Jh. bis zum Ausgang der Antike im allgemeinen weitgehend unverändert beibehalten wird. Von dieser Zeit an mag also selbst das grundlegende Darstellungsschema von Sirenen erotische Konnotationen tragen. In solchen Darstellungen, in denen Sirenen mit Utensilien der weiblichen Schönheitspflege und mit einem nackten, an die Ikonographie der Liebesgöttin gemahnenden Frauenkörper erscheinen, wird der aphrodisische Aspekt dieser Dämoninnen dem Betrachter zwar deutlich, aber doch dezent vorgeführt. Auch was geschehen wäre, wenn die Eroten auf dem I -Stamnos ihre Sirenen vor Odysseus erreicht hätten, mag sich der Betrachter vorstellen, aber dargestellt wird es nicht. Die Sirenen der Frühzeit werden zwar als erotisch anziehende Wesen präsentiert und können in Kontexten erscheinen, die deutlich genug Sexualität zur Schau stellen – man erinnere sich an die oben erwähnte attische Bandschale des 6. Jh. mit
1388
1389 1390
tet und in eine Bohrung in der Hand der Sirene eingesetzt), vgl. Hofstetter 1990 S. 150; Diehl 1964 Tafel 21.4. Daß die Sirene tatsächlich direkt in den Spiegel blickte, geht aus der Photographie des (dort bereits nicht mehr vollständigen) Stücks bei Diehl 1964 Tafel 21.4 etwas deutlicher hervor als aus dem ansonsten sehr genauen Stich Fivels, der die Sirene dafür jedoch noch mit ihrem Attribut abbildet. Hofstetter 1990 S. 151; vgl. oben Anm. 1375 für ein Relief, auf dem Aphrodite mit einem Spiegel in der Hand dargestellt erscheint. Für Beispiele der Aphrodite, die sich in einem Spiegel betrachtet und dabei das Haar ordnet, vgl. Delivorrias et al. 1984 Bd. 2.1 S. 60 f. (Nr. 494–496). Dieser Bildtyp stellt das genaue Gegenstück zur vorliegenden Sirene dar. Für Darstellungen des Eros mit einem Spiegel vgl. Hermary et al. 1986 Bd. 3.1 S. 895 (Nr. 519–521). Hofstetter 1990 S. 151. Vedder 1985 S. 72, 139.
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dem kopulierenden Paar – aber erst die römische Zeit stellt Sirenengestalten als aktive Teilnehmer in Symplegma-Szenen dar. Das bekannteste Beispiel für eine solche Darstellung ist ein späthadrianisches Marmorrelief unbekannter Provenienz, auf dem sich eine Sirene rittlings auf dem erigierten Glied eines Silens niederläßt, der mit hinter den Kopf gelegten Armen am Boden liegt und das Geschehen allem Anschein nach genießt (Fig. 47).1391 1391
Hofstetter 1997 Nr. 89b (mit Abb.). Heute Boston MFA, Herkunft: Schenkung aus Privatbesitz; der Marmor stammt vermutlich vom Hymettos in Attika (Angaben des Boston Museum of Fine Arts, Inv.-Nr. RES. 08.34c). – Einer der interessantesten Aspekte der Historiographie dieses Stücks ist, mit welcher Konsequenz die ältere Forschung hier die Darstellung eines Alptraums sehen wollte, obwohl aus der Armhaltung des Silens überdeutlich ist, daß er weder Furcht empfindet noch sich zu wehren versucht (Roscher 1900 S. 36; Harrison 1908 S. 203 mit Fig. 38; selbst noch Latte 1968 S. 106; Nilsson 1967 S. 229; Vermeule 1979 S. 153 f.; vgl. West 1995 S. 180 [„certainly possible“]): Der Silen hat beide Hände hinter den Kopf gelegt und bietet seinen Körper der Sirene somit ganz offen dar; von Angst oder Abwehr, wie dies in einem Alptraum zu erwarten wäre, ist nichts zu erkennen. Warum in diesem Relief ein Alptraum dargestellt gesehen wurde, hat am deutlichsten Harrison ausgesprochen – es handelt sich um einen Alptraum, weil erotische Träume verboten sind: „Even a troubled tormenting illicit dream was the work of a Siren.“ (1908 S. 203, meine Hervorhebung.) Mit welcher Selbstverständlichkeit hier noch im 20. Jh. die zeitgenössischen Wertvorstellungen auf die Antike übertragen wurden, wird selten an einem Stück so deutlich wie an diesem Relief (wohl, da es an graphischer Deutlichkeit der Koitusdarstellung nichts zu wünschen übrig läßt). Von dieser modern-moralisierenden Deutung des Reliefs als Alptraum ist wohl auch die oft daran geknüpfte Auffassung mancher bzw. dieser Sirene als daemon meridianus nicht völlig zu trennen, also als Verkörperung der erschlaffenden Mittagshitze (die als personifizierte Gestalt textlich erst sehr viel später belegt ist): Roscher 1900 S. 37; Latte 1968 S. 106–111; Nilsson 1967 S. 229; vgl. Crusius 1891 S. 105–107 mit Tafel zwischen S. 104 und 105; Harrison 1908 S. 203; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 22, 24 mit Abb. 24 (S. 25). Dazu vgl. die Gegenargumente bei Brommer 1954; Marót 1960 S. 139–141. (Für die Frage der vorliegenden Arbeit wäre die Möglichkeit der Deutung von Sirenen als daemones meridiani insofern interessant, als sie eine mögliche Parallele zum altnordischen herfjqturr darstellen würde, der Hilflosigkeit, über welche wohl die gleichnamige Walküre gebietet und durch die der Todgeweihte seinen Feinden wehrlos ausgeliefert wird. Aber diese Deutung scheint zu unsicher, als daß es möglich wäre, weitere Schlüsse daraus zu ziehen.) Daß hier ein Alptraum dargestellt wäre, stellt m. E. ferner insbesondere eine korinthische Tonlampe aus dem 3. Jh. n. Chr. in Frage (Hofstetter 1997 Nr. 89c, mit Abb.). Das Bildfeld dieser Lampe zeigt dasselbe Motiv, nur daß hier der notorisch lüsterne Pan die Stelle des Silens einnimmt. Bei Pan ist aber kaum vorstellbar, daß er den Beischlaf (mit was auch immer) als alptraumhaftes Erlebnis empfunden haben sollte; schon in der Antike sah man hier allem Anschein nach nicht mehr als eine erotische Szene, die insbesondere in ihrer Variante mit Pan und Sirene nur eine Begegnung von zwei für ihre sexuelle Umtriebigkeit bekannten Figuren dargestellt haben wird. Der älteste der drei bekannten Belege des Motivs (dort mit Silen, Sirene und schwebendem Amor, wobei letzterer wieder den Alp-
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Fig. 47: Marmorrelief aus dem Kunsthandel. Späthadrianisch.
Die Szene ist – soweit erhalten – inmitten einer Landidylle angesiedelt (das linke obere Eck des Reliefs ist abgebrochen). Den Hintergrund bildet eine Felsenlandschaft. Dort steht ein Altar vor einer Herme. Aus dem Altar scheint ein Baum hervorzuwachsen; an einem seiner Äste hängt eine Syrinx. Ein zweiter Baum, dem vielleicht ein weiterer Ast und Blätter an der Bruchstelle des Reliefs zuzuordnen sind, mag das Paar beim Akt beschattet hatraum ausschließt) führt in die augusteische Zeit zurück: Hofstetter 1997 Nr. 89a. Nur als Kuriosum ist die Deutung von Marót 1960 S. 153–156 zu erwähnen: Es handle sich um einen Dämon, der einen Dichter inspiriert. Robert 1921–1926 S. 1365 Anm. 1 verband das Relief mit den oben angesprochenen Deutungen der Sirenen als Prostituierte.
400
Die Sirenen
ben; ein Stück seines Stammes ist wohl unter dem rechten Flügel der Sirene sichtbar. Die Sirene selbst ist als schlanke nackte Frau mit großen Schulterflügeln und Vogelbeinen unterhalb der Knie dargestellt; sie hat die Füße eines Wasservogels. Ihr Kopf und rechter Arm sind abgebrochen, der rechte Flügel ist stark beschädigt. Aus einem gleichfalls stark beschädigten kleinen Gefäß in ihrer Linken scheint sie eine Flüssigkeit auszugießen. Zwischen dem Arm des Silens und dem Baumstamm( ? ) sind Falten – wie die eines Tuches – zu erkennen; einem Vergleichsstück nach zu urteilen mag ein Erot im abgebrochenen Teil des Reliefs dieses Tuch gehalten und dem Paar damit weiteren Schatten gespendet haben.1392 Die Sirene wird hier als durch und durch erotische Figur dargestellt, die in der sexuellen Begegnung mit dem Silen die Initiative und dominierende Stellung innezuhaben scheint. Man hat dieses Relief zwar damit in Verbindung gebracht, daß nach Dinon (überliefert bei Plinius, Naturalis Historia X,136) die indischen Sirenen ihre Opfer durch ihren Gesang einschläfern und dann im Schlaf zerreißen;1393 der idyllische Hintergrund der erotischen Szene spricht jedoch stark gegen eine solche Deutung. Die ältere Forschung hat hier besonders „primitive“ Elemente sehen wollen.1394 Von Bedeutung ist dieses Relief aber nicht so sehr als Zeugnis für (vermeintlich oder wirklich) „Ursprüngliches“, sondern vielmehr als Zeugnis für eine weitgehende Kontinuität des sexuellen Aspekts der Sirenen. Im drastisch erotischen Charakter und der anscheinenden Initiative der Sirene dieses hadrianischen Reliefs kommt nur unmißverständlich erneut zum Ausdruck, was in der Sirene I schon angelegt war, die ihre Opfer mit einer Stimme anlockt, die in ihnen erotisches Verlangen weckt. Auch dort steht schon die Erotik im Zentrum, und auch dort liegt die Initiative schon bei der Sirene, und dieser Zug bleibt von der frühen bis in die Spätzeit erhalten. Sirenen und das Reich des Hades Aber die Nähe der Sirenen zu ihrem ‚Opfer‘ beschränkt sich nicht auf ihre aphrodisische Seite. Auch dem Toten waren sie nahe. So nahe, daß Sirenen den Verstorbenen sogar ins Grab mitgegeben werden konnten: In der hel1392 1393
1394
Vgl. Hofstetter 1997 zu Nr. 89a und 89b. Crusius 1891 S. 97–99; Weicker 1902 S. 74 („buhlende Vampyre“), vgl. ibidem S. 2 f., 181 und Weicker 1909–1915 Spalten 609 („buhlender Alp“), 616 („buhlende Mittagsgespenster“) mit Abb. 8 (Spalte 615); Harrison 1908 S. 203 Anm. 1. Harrison 1908 S. 202 f.
Der ikonographische Befund
401
Fig. 48: Terrakottasirene aus Myrina. 2. Jh. v. Chr.
lenistischen Nekropole von Myrina in Kleinasien wurden in einer großen Zahl von Gräbern – neben einer Vielzahl anderer Statuetten1395 – auch Terrakottasirenen als Beigaben gefunden;1396 ein einziges Grab konnte mehr als 20 Sirenenstatuetten enthalten.1397 So etwa eine Statuette des 2. Jh. im Kopenhagener Nationalmuseum (Fig. 48), die eine stehende Sirene mit Frauenkörper, großen Schulterflügeln und – von den Knien abwärts – Vogelbeinen darstellt. Die Sirene ist nackt, und ihr Schambereich ist deutlich
1395
1396 1397
Vgl. Pottier et al. 1888 Bd. 1 S. 79 (Nr. 19), 87 (Nr. 70), 96 (Nr. 104), 98–100 (Nr. 114), 134. Pottier et al. 1888 Bd. 1 S. 150 et passim. Weicker 1902 S. 178 f.; Pottier et al. 1888 Bd. 1 S. 150.
402
Die Sirenen
markiert. In einer Trauer- und Klagegeste schlägt sie sich mit der linken Hand die Brust und rauft sich mit der Rechten das Haar.1398 Die Verwendung von Sirenenstatuetten als Grabbeigaben war aber nicht auf den hellenistischen Osten beschränkt. Eine vergleichbare Sirenenstatuette soll aus dem Athen der Jahre um 350–330 v. Chr. stammen, wo sie zusammen mit zwei Silberobolen (die noch an einem Kieferknochen hafteten) und anderen Beigaben in einer Aschenurne gefunden wurde.1399 Die Statuette stellt eine kniende Sirene mit nacktem Frauenkörper, Schulterflügeln, Vogelschwanz und Vogelbeinen dar, die wieder eine Klagegeste ausführt und sich das Haar rauft und die Brust schlägt. Solche Terrakottasirenen sind aus Gräbern der gesamten Mittelmeerwelt bekannt.1400 Sirenen erscheinen dabei nicht nur im Grab, sondern auch an prominenter Stelle auf dem Grab, wo sie als Statuen und Reliefs auf Grabstelen Verwendung finden. Sirenen waren weithin ein typischer Teil der Szenerie griechischer Friedhöfe und sind als solcher auch in der Literatur bezeugt, wenn Baukis in ihrem (fiktiven?) Grabepigramm die Elemente ihres Grabmals ohne die Notwendigkeit einer weiteren Erklärung anspricht als: 7» λ 7 4« "λ λ ' ', | Ρ « « #A 3 0 „ihr Stelen, und meine Sirenen, und du traurige Urne, | die du die wenige Asche des Todes hältst“ (Anthologia Graeca VII, 710).1401 Für die hellenistische Zeit läßt sich etwa auf die Grabstele des Parmeniskos aus Apollonia (Illyrien, heute Albanien) verweisen, die um 200 v. Chr. datiert wird:1402 Neben Greifen, einer Eichenlaubgirlande und einem schmalen Fries mit einer Amazonomachie zeigt diese Stele zwei Sirenen, die auf dem oberen Rand zweier Rosetten stehen. Die Sirenen sind als aufrecht stehende Frauen mit nackten Oberkörpern, großen Schulterflügeln, Vogelschwänzen und Vogelbeinen dargestellt (Fig. 49).1403 Beispiele von Grabsirenen finden sich selbst noch bis weit in die römische Zeit hinein.1404 Vor dem Hellenismus war der 1398
1399 1400 1401
1402 1403
1404
Hofstetter 1997 Nr. 104; Breitenstein 1941 Nr. 464 (beide mit Abb.). Vgl. Hofstetter 1997 Nr. 105, 113a, b, c; Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 228 mit Abb. 27 auf S. 229; Weicker 1902 S. 179; Pottier et al. 1888 Bd. 1 S. 536 f. Hofstetter 1997 Nr. 103 (mit Abb.). Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 228 mit Zusammenstellung von Beispielen; vgl. auch Hofstetter 1997 Nr. 34 etc. Text: Stadtmueller 1894–1906. West 1995 S. 175; Hofstetter 1990 S. 27; Vedder 1985 S. 134. Hofstetter 1997 Nr. 96a; Buschor 1944 S. 77 mit Abb. 59 auf S. 76; Brückner 1888 S. 370–372 mit Abb. auf S. 370. Allgemein zur hellenistischen Verwendung von Grabsirenen vgl. etwa Vedder 1985 S. 140 mit Anm. 820 (S. 219); vgl. Buschor 1944 S. 74–77; Hofstetter 1997 Nr. 95, 96, 100, 101, 106, 108. Z. B. Hofstetter 1997 Nr. 115, 116; Brückner 1888 S. 379.
Der ikonographische Befund
Fig. 49: Grabstele aus Apollonia (Illyrien). Um 200 v. Chr.
403
404
Die Sirenen
Brauch, Grabsirenen aufzustellen bzw. Grabstelen mit Sirenen zu schmükken, insbesondere in Attika heimisch. Zwar hatte Attika kein Monopol auf die Verwendung von Sirenen als Grabschmuck: Eine Grabgruppe mit zwei Sirenen und einem Lyraspieler aus den Jahren um 360–340 v. Chr. stammt etwa aus der Umgebung von Tarent in Süditalien; die zwei ca. 1,40 m hohen Sirenen sind dort als Frauen mit bekleideten Oberkörpern, Vogelunterleibern und dünnen Vogelbeinen gestaltet.1405 Der Befund Attikas ist jedoch besonders reich: Aus dem 4. Jh. sind acht Sirenenstatuen und über 80 Reliefs von Sirenen von der Ausstattung attischer Grabmäler bekannt;1406 sie erscheinen hier als die beliebtesten Figuren neben den Darstellungen der Verstorbenen.1407 Sowohl freiplastische als auch im Relief gestaltete Grabsirenen setzten in Attika im Jahrzehnt 380/370 v. Chr. ein.1408 Diese attischen Grabsirenen treten in zwei Typen auf: Als klagende und als (weit seltenere) musizierende Sirenen.1409 Das älteste erhaltene Beispiel einer rundplastischen attischen Grabsirene stammt vom Kerameikos in Athen und datiert 380/370 v. Chr. (Fig. 50).1410 Diese Sirene hat den nackten Oberkörper einer Frau, der kurz unterhalb der Brüste in einen Vogelleib übergeht. Zusätzlich zu den großen Schulterflügeln hat die Sirene menschliche Arme, mit denen sie auf einer Lyra spielt; Hände und Lyra sind beschädigt. Von der Lyra ist nur noch der Schildkrötenpanzer erhalten, der als Klangkörper dient. Der Gesichtsausdruck der Sirene wirkt, zumindest für den modernen Betrachter, traurigentrückt. Er erinnert leicht an den Gesichtsausdruck zweier Frauen, die eine Sirene vom klagenden Typus auf der Bekrönung einer attischen Anthemienstele aus den Jahren um 330/320 v. Chr. flankieren (Fig. 51):1411 Neben floralen Ornamenten schmücken drei Figuren die Bekrönung dieser Stele. 1405 1406
1407 1408
1409 1410
1411
Hofstetter 1997 Nr. 97; Hofstetter 1990 S. 260 f. mit Tafel 36 (W 24). Hofstetter 1990 S. 152 f.; Hofstetter 1990 A 208 bis A 299, vgl. S. 151–186. Man beachte, daß es sich dabei fast um ein siebtel der von Hofstetter erfaßten archaischen und klassischen griechischen Sirenendarstellungen handelt. Vedder 1985 S. 134. Vedder 1985 S. 68, 135. Eine oft als literarischer Beleg für die Existenz solcher Grabsirenen am Ende des 5. Jh. herangezogene Stelle (so Woysch-Méautis 1982 S. 91, 97; Buschor 1944 S. 62; Hofstetter 1990 S. 26; Ensoli 1996 S. 101, 103) konnte Vedder als nicht verläßlich erweisen: Vedder 1985 S. 135 f. Ensoli 1996 S. 96; Vedder 1985 S. 134; Woysch-Méautis 1982 S. 91. Hofstetter 1990 S. 151 f. (A 208); Vedder 1985 S. 68, 277 (S 8) mit Abb. 46, 49 (S. 343 f.); Ensoli 1996 S. 96 mit Abb. 2 (S. 98); Woysch-Méautis 1982 S. 91 mit Fig. 46; Buschor 1944 S. 64–66 mit Abb. 49; Weicker 1902 S. 12, 168 mit Abb. 88, S. 172 Nr. 2. Hofstetter 1990 S. 168 (A 277); Vedder 1985 S. 262 (A 18); Woysch-Méautis 1982 S. 92, 139 (Nr. 430), Tafel 69; Buschor 1944 S. 77 mit Abb. 55 (S. 72).
Der ikonographische Befund
405
Fig. 50: Lyra spielende rundplastische Grabsirene, Athen, Kerameikos. Um 380/370 v. Chr.
Das Zentrum nimmt eine stehende Sirene ein, die sich im klassischen Klagegestus mit der rechten Hand das Haar rauft und mit der Linken gegen die Brust schlägt. Sie hat von den Oberschenkeln abwärts Vogelbeine und trägt sehr große Schulterflügel. Zu beiden Seiten flankieren sie zwei trauernde sitzende Frauen, die ihren Kopf je auf eine Hand gestützt haben. Während die dargestellten menschlichen Frauen also verinnerlicht trauern, zeigt die Vogelfrau eine nach außen laut und bewegt zur Schau gestellte Trauer.1412 1412
Vgl. Hofstetter 1990 S. 156 f. – Zu den trauernden Frauen, die neben der Sirene auf dieser Stele dargestellt sind, vgl. eine Vielzahl von Stelen, wo Sirenen zusammen mit Tauben erscheinen: Hofstetter 1996 S. 174. Vedder 1985 S. 135 erklärt dies damit, daß Taubengesang nach manchen, allerdings nicht zeitgenössischen antiken Bemerkungen als traurig empfunden wurde. Hofstetter 1990 S. 174 sieht diese Tauben hingegen als Vögel der Aphrodite, die „die göttliche Sphäre an[deuten], der die Sirenen entstammen“. Auch hier mögen also sowohl ‚Eros‘ als auch ‚Thanatos‘ ihren Niederschlag finden.
406
Die Sirenen
Fig. 51: Bekrönung einer attischen Anthemienstele. Um 330/320 v. Chr.
Der ikonographische Befund
407
Die Bedeutung dieser beiden Bildtypen der musizierenden und der klagenden Sirenen läßt sich kaum genau bestimmen, wenn man solche Sirenen für mehr als nur ganz allgemeine Repräsentanten des Jenseitsbereichs halten will, in dem sie in Platons Kratylos angesiedelt werden.1413 Weicker sah in den trauernden Grabsirenen – entsprechend seiner allgemeinen Auffassung der Sirenen als Seelenvögel – die Seelen der Toten, die ihr Geschick beklagen, wobei diese ursprüngliche Bedeutung dann zunehmend in den Hintergrund getreten sei.1414 Die musizierenden Grabsirenen seien eine „einfache und nicht eben geistreiche Übernahme des für die Darstellung des Odysseeabenteuers geschaffenen Typus“; ihre innere Berechtigung hätten sie aber durch die Freude des Toten an der Musik.1415 Buschor sieht in den musizierenden Grabsirenen dagegen „Jenseitsmusen“, die den Toten „an der Schwelle des Hades mit ihren Klängen erwarte[n]“, die auf ihn eingehen und ihm sein Los erleichtern.1416 Die klagenden Sirenen, nach Buschors Auffassung, „stellen ihre göttliche Sangesgabe in den Dienst der rituellen Totenklage.“1417 Woysch-Méautis betont, daß die Sirenen auf Grabstelen im Kontext der homerischen Erzählung zu sehen seien. Da es keinen Hinweis darauf gebe, daß Sirenen Mitleid empfinden können, seien sie auf den Grabstelen nicht als mitleidende Sängerinnen zu deuten. Stattdessen seien die Grabsirenen in veränderter Form Nachkommen der Sirenen Homers, deren Funktion in der Ausführung des Klageritus liege: Sie seien die Wesen, die die Totenklage mit der größten Wirkkraft durchführen können. Hier führt Woysch-Méautis die oben zitierte Stelle der Helena des Euripides an,1418 wo die Sirenen herbeigerufen werden, um in die Klage Helenas einzustimmen. Hierher gehöre auch, daß auf dem Scheiterhaufen des Hephaistion – des engsten Freundes Alexanders des Großen – hohle Sirenen aus Metall angebracht wurden, in denen menschliche Sänger die Totenklage ausführen konnten.1419 Einschränkend bemerkt Woysch-Méautis allerdings, daß die Lyra mancher Grabsirenen als Instrument nach den literarischen Belegen nicht zur Totenklage passe, was in der Skulptur jedoch nicht immer eingehalten werde. So sei nicht mit völliger Sicherheit zu sagen, welchen Sinn die Griechen den musizierenden Sirenen beilegten;
1413 1414 1415 1416 1417 1418 1419
Siehe oben S. 359 f. Weicker 1902 S. 11. Weicker 1902 S. 11 f. Buschor 1944 S. 61. Buschor 1944 S. 69. Vgl. Buschor 1944 S. 69; Vedder 1985 S. 134; Ensoli 1996 S. 103. Diodorus Siculus XVII,115,4; vgl. Vedder 1985 S. 134; Hofstetter 1990 S. 27; Hofstetter 1997 Nr. 112; Weicker 1902 S. 175 f.
408
Die Sirenen
vielleicht bezauberten sie den Toten im Jenseits.1420 Vedder schlägt für die musizierenden Sirenen vor, sie als „Sinnbild für den verhaltenen Ausdruck von Trauer“ zu deuten, wie diesen auch die sitzenden Frauen auf der oben als Beispiel angeführten attischen Anthemienstele (Fig. 51) zeigen.1421 Hofstetter sieht die Lyra spielenden Sirenen als „Sängerinnen der Totenklage“.1422 Ensoli sieht die Grabsirenen im Kontext einer Deutung der Odysseeszene, die diese als Paradigma der Überwindung des Todes auffaßt, in Verbindung mit dem Grabkult.1423 Ich selbst würde – mit aller gebotenen Zurückhaltung – die Frage in den Raum stellen, ob es nicht möglich wäre, einerseits die klagenden Grabsirenen in den Kontext der rituellen Totenklage zu stellen, andererseits aber die musizierenden Grabsirenen mit der oben angesprochenen, nach Leclercq-Marx pythagoräischen Vorstellung1424 zu verbinden, wonach die Sirenen durch ihren Gesang den Seelen den Weg in den Himmel weisen?1425 Die Helena des Euripides wurde wohl 412 uraufgeführt. Woysch-Méautis hält es für sehr wahrscheinlich, daß diese Tragödie die klagenden Sirenen der bildenden Kunst inspiriert hat.1426 Da ein von Woysch-Méautis für das Jahr 405 angenommener literarischer Beleg für Grabsirenen jedoch nach den Ausführungen Vedders wohl hinfällig ist,1427 liegt nun eine erhebliche Zeitspanne zwischen der Helena und dem Auftauchen von attischen Grabsirenen 380/370 v. Chr.1428 Dies macht die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen der Tragödie und der Grabkunst problematisch. Umso problematischer ist eine solche Annahme, als der Brauch, Sirenen auf Grabbekrönungen darzustellen, außerhalb Attikas schon weit früher bezeugt scheint. Ensoli führt hier etwa eine nordostgriechische Kithara spielende Marmorsirene aus der Zeit um 540 v. Chr.1429 und eine Darstellung zweier 1420 1421 1422 1423 1424 1425
1426 1427 1428 1429
Woysch-Méautis 1982 S. 96–99. Vedder 1985 S. 139. Hofstetter 1990 S. 155 f. Ensoli 1996 S. 104–106. Siehe oben S. 363 f. mit Anm. 1252. Siehe oben S. 361 ff. zu den Sirenen bei Plutarch und Platon und vgl. von Geisau 1975 Spalte 79: „[D]ie S[irenen] auf den Gräbern […] bedeuten […] ein Wesen, das [dem Toten] durch eleg. Gesang und Musik den Weg ins Jenseits erleichtert; aus der Hades-S[irene] ist eine Art Todesengel geworden, der zum Himmel führt“, unter Berufung auf Euripides Fr. 911 (wozu siehe oben S. 364 f.) und die Sirenen auf den Sphären Platons. Woysch-Méautis 1982 S. 97; ähnlich Hofstetter 1990 S. 158. Woysch-Méautis 1982 S. 97; Vedder 1985 S. 135 f. Vgl. Vedder 1985 S. 135. Hofstetter 1990 S. 242 (O 59), wo Hofstetter jedoch auch hervorhebt, daß es keinen Beweis für eine Verwendung dieser Statue als Grabfigur gibt.
Der ikonographische Befund
409
thronender Gestalten aus Xanthos an, die anscheinend vor ihrem eigenen Grabmal sitzend abgebildet sind: Dieses Grabmal besteht aus einer ionischen Säule, die von einer Sirene bekrönt wird; das Relief datiert um 470/460 v. Chr.1430 Ensoli sieht das plötzliche Auftreten von Sirenen in der athenischen Grabkunst daher von Traditionen der ostgriechischen Sepulkralkunst abhängig.1431 Der entsprechende Abschnitt der Helena des Euripides sei ein frühes Anzeichen dieser Ausbreitung der Sirenendarstellungen in der Grabkunst.1432 Eine solche Herleitung sowohl der Szene der Helena als auch der Grabikonographie aus weiter verbreiteten, älteren Vorstellungen scheint mir die überzeugendste Deutung des Befunds.1433 In anderen Denkmälergattungen finden sich noch deutlich ältere Belege für die enge Verbindung des menschenköpfigen Vogels mit dem Tod. Hierher gehört ein attischer Pinax aus den Jahren um 590–580 v. Chr. mit einer Darstellung einer Totenklage (Fig. 52, aus dem Kunsthandel):1434 Eine Frau liegt auf einer Kline. Jeweils am Kopf- und Fußende der Kline steht eine weitere Frau. Beide führen Klagegesten aus,1435 woraus ersichtlich ist, daß es sich bei der auf der Kline liegenden Frau um eine Tote handelt. Über der Kline fliegen drei Vögel mit langen Hälsen und halb ausgebreiteten Flügeln von links nach rechts. Unter der Kline steht ein Vogel mit Menschenkopf und halb ausgebreiteten Schwingen. Die Füße des Menschenvogels sind vielleicht Menschenfüße.1436 Hofstetter bemerkt, daß das Gesicht 1430
1431 1432 1433
1434
1435
1436
Hofstetter 1990 S. 244, 248 f. (O 62); Ensoli 1996 S. 100 f. mit weiteren Beispielen. Zum Relief aus Xanthos (Lykien, Kleinasien) ferner etwa: Weicker 1902 S. 96 f. mit Fig. 25; Buschor 1944 S. 58 f. mit Abb. 45; Woysch-Méautis 1982 S. 93 mit Fig. 47; Vedder 1985 S. 137. Ensoli 1996 S. 101; ebenso und mit ähnlicher Begründung schon Weicker 1902 S. 43. Ensoli 1996 S. 101. Vgl. Hofstetter 1990 S. 157 f., wo sie eine ununterbrochene Fortexistenz der Sirenen in den „volkstümlichen Vorstellungen“ des Bereichs des „sich erneuernden Lebens und des Todes“ seit der Archaik annimmt und in der Vasenmalerei und der Kleinkunst belegt sieht. Hofstetter 1990 S. 81 (A 55); nach Vermeule 1979 S. 19 spätes siebtes Jh. v. Chr.; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 19 f. mit Abb. 17: VIIe s. av. J.-C. Heute Boston MFA, erworben aus Privatbesitz, als ursprünglicher Fundort wurde Athen angegeben (Angaben des Boston Museum of Fine Arts, Inv.-Nr. 27.146). Für diesen Gestus als Klagegestus vgl. z. B. Vermeule 1979 S. 11 Abb. 6 (ein attisches Terrakottarelief mit der Darstellung klagender Frauen, die dieselbe Geste ausführen, um eine Tote); Benndorf 1883 S. 65 f. und Tafel XXXIII (diese Klagegeste rings um ein Totenbett von lebendigen Klagenden und klagenden Totenseelen ausgeführt); zu diesem Stück: Gropengiesser 1977 S. 593, vgl. ibidem S. 595 f. mit Abb. 19–21; weitere Beispiele in Boardman 1955 (dieses Stück ist dort S. 59 Nr. 5). So Boardman 1955 S. 59 (Nr. 5); Vermeule 1979 S. 18. Hofstetter 1990 S. 88 weist hiergegen darauf hin, daß eine Betrachtung aller hocharchaischen attischen Sirenen-
410
Die Sirenen
Fig. 52: Attischer Pinax. Um 590–580 v. Chr.
die Augenform und dunkle Gesichtsfarbe eines Männergesichts zeigt;1437 da hocharchaische attische Sirenen jedoch nie die weiße Gesichtsfarbe (menschlicher) Frauen zeigen,1438 dürfte diese Gesichtsfarbe eher den dämonischen Charakter der Gestalt als ein männliches Geschlecht ausdrükken – auch die drei fliegenden Vögel über der aufgebahrten Toten haben dunkle Gesichter. Daß die dunkle Gesichtsfarbe keine Aussage über das
1437 1438
füße zeigt, daß viele von diesen in ähnlicher Weise ohne Laufgelenk, Zehen und nach hinten gerichtete Zehe undetailliert gezeichnet sind (mit Belegen), so daß eine Interpretation der Gestaltung der Füße der Sirene als Menschenfüße nicht zwingend ist. Hofstetter 1990 S. 88 f. Hofstetter 1990 S. 89.
Der ikonographische Befund
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Geschlecht enthält, wird auch dadurch gezeigt, daß Sirenen in der OdysseeSzene – wo ihr Geschlecht durch das Epos festgelegt ist – ebenfalls mit dunklem Gesicht erscheinen.1439 Die ‚männliche‘ Augenform der Sirene findet sich auch bei anderen attischen dunkelgesichtigen Sirenen und scheint so nicht mit dem Geschlecht, sondern mit der Gesichtsfarbe verbunden zu sein.1440 Über die Frage, was für eine Art Wesen hier unter der Toten zu sehen ist, herrscht keine völlige Einigkeit. Boardman deutet es als Sirene als „Seelenvogel“.1441 Vermeule will hier einen Seelenvogel nach ägyptischem Vorbild sehen.1442 Hofstetter interpretiert es als eine Sirene „[a]ls Dämon, der eindeutig mit dem Tod in Zusammenhang steht“,1443 da sich Seelenvögel, gegen Boardman und Vermeule, im griechischen Bereich nie nachweisen ließen.1444 Gropengiesser sieht das Wesen als eine Sirene, die „der Welt des Todes an[gehört]“.1445 Für sich genommen gibt das Bild keinen eindeutigen Hinweis darauf, wie das Wesen des Menschenvogels aufzufassen ist; eine größere Wahrscheinlichkeit für eine Interpretation läßt sich aber vielleicht aus dem Vergleich mit weiteren Denkmälern gewinnen. Eine zentrale Stellung nimmt hier das sogenannte ‚Harpyienmonument‘ in Xanthos ein.1446 Dabei handelt es sich um das Grabmal eines lykischen Dynasten aus dem 2. Viertel des 5. Jh. v. Chr.1447 Das Monument befindet 1439 1440 1441
1442 1443 1444
1445 1446
1447
Vgl. Hofstetter 1990 A 140 (Tafel 9). Etwa Hofstetter 1990 A 10 (Tafel 6), A 4 (Tafel 7), A 9 (Tafel 8). Boardman 1955 S. 59: „The siren here is a true ‘soul-bird’ and its feet are human.“ – Vgl. oben Anm. 1436. Vermeule 1979 S. 18 f. mit Abb. 13. Hofstetter 1990 S. 88. Hofstetter 1990 S. 88. Dies schließt freilich nicht aus, daß die eine oder andere Sirene( ? ) gelegentlich als Seelenvogel interpretiert worden ist (s. unten S. 431 ff. zu einer Darstellung des Tods der Prokris), und daß sogar die Sirenen insgesamt von der Vorstellung eines Seelenvogels hergeleitet wurden, klassisch formuliert von Weicker 1909–1915 Spalten 602, 608 f., 617 f. et passim; Weicker 1902 S. 1–37 et passim. Gegen eine Interpretation der Sirene auf diesem Pinax als Verkörperung der Seele des toten Mädchens spricht nach Hofstetter auch, daß sie dann wie dieses ein helles Gesicht mit Mandelaugen haben müßte, wohingegen die Sirene ein Gesicht zeigt, dessen Augenform und Farbe den Konventionen eines Männergesichts folgen: Hofstetter 1990 S. 88 f. und Anm. 429 (S. 337). Dagegen siehe oben; m. E. drücken diese weit verbreiteten Züge früher attischer Sirenen nur ihren dämonischen Charakter aus, nicht ihr Geschlecht, wie besonders an der dunkelgesichtigen Darstellung von Odyssee-Sirenen deutlich wird. Gropengiesser 1977 S. 593. Zur forschungsgeschichtlich begründeten Bezeichnung als ‚Harpyienmonument‘ siehe unten. Hofstetter 1990 S. 243 (O 61); Gabelmann 1984 S. 35, 43.
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Die Sirenen
sich kaum 50 m nördlich der lykischen Akropolis von Xanthos;1448 seine Ostseite blickt auf die Agora und damit die Öffentlichkeit der Stadt.1449 Es könnte spätere monumentale Grabbauten und einen hellenistischen Friedhof in seiner unmittelbaren Umgebung angezogen haben,1450 auch wenn eine dem Bau des Harpyienmonuments schon vorangehende Nutzung des Bereichs als Grabbezirk aufgrund der tiefgreifenden Umgestaltungen des Areals noch in antiker Zeit nicht ausgeschlossen werden kann1451 und durch Funde aus dem Kontext eines unmittelbar benachbarten späteren Monumentalgrabs sogar wahrscheinlich gemacht wird.1452 Das Harpyienmonument scheint jedenfalls seit dem 3. oder 4. Jh. v. Chr. das älteste noch bestehende Monumentalgrab im Grabbezirk nördlich der Akropolis von Xanthos zu sein, zu welcher Zeit ein älteres Pfeilergrab in unmittelbarer Nähe durch einen Sarkophag auf einem Pfeiler ersetzt worden sein könnte.1453 Das Harpyienmonument ist wohl schon aufgrund seiner Lage nahe Akropolis und Agora als ein bedeutendes Grab aufzufassen, was durch die Dimensionen des Grabmals nochmals unterstrichen wird. Das Grab besteht aus einem mit Reliefplatten und Decksteinen bekrönten monolithischen Steinpfeiler: Einschließlich der Fundamentierung an deren niedrigster Stelle ragt das Grabmal über 8 ½ m über dem gewachsenen Fels auf; die Seiten des im Querschnitt grob quadratischen Pfeilers sind dabei um 2 ½ m lang, die Reliefplatten unterhalb der Decksteine sind etwa 1 m hoch.1454 Die Grabkammer befindet sich in der Spitze dieses monumentalen Pfeilers; sie wird aus dem Raum hinter den Reliefplatten und einer in die Spitze des stehenden Monolithen eingetieften Kammer gebildet.1455 Damit stellt das Harpyienmonument ein Denkmal von einer Größe (und monolithischen Massivität) dar, die ihre Wirkung nicht verfehlt haben wird; daß solche Gräber im antiken Lykien als prägende Elemente des Stadtbilds empfunden wurden, ist aus den Reliefs im Vorraum des ‚Königsgrabs‘ in Pinara ersichtlich, die vier Stadtansichten einschließlich einiger Sarkophage und Pfeilergräber zeigen.1456 Eine entsprechend große Bedeutung kann
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Vgl. Demargne 1958 Fig. 1 (plan général du site). Gabelmann 1984 S. 43; vgl. Tritsch 1942 S. 48. Vgl. Gabelmann 1984 S. 43; Demargne 1958 S. 51, 64, 72 f. Vgl. Demargne 1958 S. 64. Vgl. Demargne 1958 S. 51. Vgl. Demargne 1958 S. 51. Für die detaillierten Abmessungen vgl. Zahle 1975 S. 12–15. Zahle 1975 S. 14. Bean 1989 S. 76 f. mit Fig. 9.
Der ikonographische Befund
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man auch dem Zeugnis der Ikonographie des ‚Harpyienmonuments‘ beimessen.1457 Die Reliefplatten aller vier Seiten zeigen als zentrales Bildelement thronende anthropomorphe Gestalten und weitere, stehende oder schreitende anthropomorphe Figuren, die auf die thronenden Gestalten hin ausgerichtet sind und ihnen Gaben überreichen. Auf den Friesen der Nord-, Südund Ostseite befinden sich die sitzenden Figuren jeweils im mittleren Bereich des Frieses. Die Mittelachse verläuft in diesen drei Fällen in etwa zwischen der sitzenden Gestalt und einer ihr jeweils gegenüber befindlichen stehenden Gestalt, die ihr Gaben überreicht,1458 wobei die thronenden Gestalten jeweils das Bild dominieren, da sie im Vergleich zu den stehenden Figuren größer dargestellt sind als dies bei einer naturalistischen Darstellung von Menschen der Fall wäre; denn die Köpfe der sitzenden Gestalten befindet sich auf gleicher Höhe mit denen ihrer stehenden Gegenüber, und die Körper der sitzenden Figuren sind in einer proportional entsprechenden Größe dargestellt. Dadurch sind die sitzenden Gestalten sowohl durch ihre Haltung als auch durch ihre größere körperliche Präsenz von den stehenden Gestalten abgehoben. Der Westfries weicht vom Schema der zentralen Sitzfigur ab; hier befinden sich zwei thronende weibliche Gestalten an den beiden Außenrändern des Frieses. Nur auf eine von ihnen sind drei Figuren ausgerichtet, die Gaben bringen. Diese Bildkomposition stellt vielleicht einen Kompromiß mit praktischen Anforderungen des Bauwerks dar, da ein Teil des Zentralbereichs des Frieses vom Eingang der Grabkammer eingenommen wird.1459 Die sitzenden Gestalten wurden in der Forschung des 19. Jh. als Darstellungen von Göttern gedeutet. Diese Interpretation ist einem weitgehenden Konsens darüber gewichen, daß in den thronenden Figuren heroisierte Verstorbene zu sehen sind, die Totenopfer empfangen.1460 Berger zieht eine vergleichbare Interpretation für die Friese der Nord- und Südseite in Erwägung (eventuell unter Miteinbeziehung von Stifterdarstellun-
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In der Antike dürften die Reliefs des Harpyienmonuments trotz ihrer Anbringung in relativ großer Höhe auch vom Boden aus deutlich zu erkennen gewesen sein, da sie farblich gefaßt waren (vgl. Hofstetter 1990 S. 243 [zu O 61]). Auf der Nordseite könnte es sich auch um ein Überreichen von Waffen durch die sitzende an die stehende Gestalt handeln, vielleicht durch einen verstorbenen Herrscher an ein jüngeres Mitglied des Herrscherhauses: Berger 1970 S. 134. Vgl. Zahle 1975 Tafeln VI, VII, VIII, X; Berger 1970 Abb. 146–149. Für eine Interpretation im Sinne eines ikonographischen Gesamtkonzepts vgl. Berger 1970 S. 139–142. Berger 1970 S. 129; Gabelmann 1984 S. 40, 42; vgl. Tritsch 1942 S. 43.
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Fig. 53a: Südfries des ‚Harpyienmonuments‘ von Xanthos (Lykien). 2. Viertel 5. Jh. v. Chr.
gen),1461 stellt aber für die Ost- und Westseite die vorherrschende Interpretationsweise in Frage und schlägt eine Deutung des thronenden Mannes der Ostseite als Hades und der thronenden Frauen der Westseite als Demeter und Persephone vor.1462 Im Zusammenhang der hier behandelten Frage nach dem Charakter weiblicher Flügeldämonen im griechischen Bereich ist es jedoch nicht von weitergehender Bedeutung, ob in den Figuren durchgehend heroisierte Ahnen, Ahnen und Stifter des Grabmals, oder mit Hades und Persephone auch das Herrscherpaar der Unterwelt (zusammen mit Persephones Mutter Demeter) zu sehen sind. Festzuhalten ist nur, daß alle gängigen Interpretationen die Hauptbilder der Friese in direkten Zusammenhang mit dem Jenseits bringen und daß zumindest eines der Reliefs einen verstorbenen Dynasten abbilden dürfte. Ob die anderen Friese Totengötter oder heroisierte Ahnen zeigen, ist hier zweitrangig. Von zentralem Interesse sind hingegen die seitlichen Felder des Nordund Südfrieses des Harpyienmonuments (Fig. 53a, b). In diesen vier Bildfeldern wird ein immer gleiches Motiv mit nur kleineren Variationen in den Details viermal wiederholt: Es ist jeweils eine fliegende Vogelfrau dargestellt, die ein kleines anthropomorphes Wesen trägt. Die Vogelfrauen er1461
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Etwa als König und Königin, von denen aber nicht beide als schon verstorben gedacht sein müssen, oder als Reflex eines anderen Szenarios, in dem ein Thronerbe oder eine Thronerbin einem männlichen und einer weiblichen Verstorbenen ein Grab errichtet: Berger 1970 S. 132–138. Berger 1970 S. 138–142; zustimmend: Muthmann 1982 S. 74–77.
Der ikonographische Befund
Fig. 53b: Südfries des ‚Harpyienmonuments‘, Detail.
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Die Sirenen
scheinen als Vögel mit Frauenkopf, weiblichem Oberkörper und Menschenarmen; der menschliche Oberkörper geht unterhalb der Brüste fließend in einen Vogelleib über. Der Ansatz von Armen und Flügeln fällt in den Schultern zusammen, die Schwungfedern der nach hinten ausgestreckten Flügel scheinen teilweise von den Oberarmen auszugehen. Alle vier Vogelfrauen tragen langes Haar, wenngleich auf unterschiedliche Weise frisiert. Die weiblichen Brüste dreier Vogelfrauen sind betont herausgearbeitet; die Brust der vierten Vogelfrau wird vom Arm der kleinen Gestalt verdeckt, die die Dämonin trägt, da die kleine Gestalt sich anscheinend am Hals der Vogelfrau festzuhalten versucht. Trotz der betonten Darstellung der Brüste sind die Vogelfrauen nicht als nackt aufzufassen, da sich an den Armen von drei Vogelfrauen die Ärmel eines Gewandes deutlich erkennen lassen; auch der Oberarm der vierten Dämonin mag bis knapp über den Ellbogen von einem Ärmel bedeckt sein. Alle vier Vogelfrauen halten die kleinen menschlichen Gestalten vorsichtig an ihre Brust gedrückt; sie tragen sie wie Kleinkinder, mit einem Arm um die Schultern und einer Hand über das Gesäß der kleinen Gestalten gelegt. Zusätzlich halten die Vogelbeine aller vier Dämonen die Menschlein an den Unterschenkeln fest. Die Menschlein erwecken nicht den Anschein, als würden sie sich gegen den Zugriff der Vogelfrauen wehren; vielmehr scheinen sie sich an Brüsten oder Hals der Vogeldämoninnen festzuhalten. Alle vier Menschlein tragen lange Gewänder. Unter einer der Vogeldämoninnen des Nordfrieses befindet sich ferner eine kleine Gestalt in einem langen Gewand mit weiten Ärmeln, einer Kopfbedeckung und über den Rücken fallenden langen Haaren.1463 Diese Gestalt sitzt oder kniet auf dem Boden, sie scheint die Ellbogen auf die Oberschenkel und das Gesicht in die Hände zu stützen; möglicherweise zerkratzt sie sich auch in einem Trauergestus die Wangen.1464 Die Frage nach der Bedeutung dieser Vogeldämonen und der von ihnen getragenen Menschlein erschließt sich vielleicht aus dem Kontext des Monuments. Es handelt sich um einen Grabbau: Das sonstige Bildprogramm des Harpyienmonuments wird daher allgemein im Sinne einer Jenseitsikonographie interpretiert, sei es, daß man in den sitzenden Gestalten heroisierte Ahnen oder die Götter der Unterwelt sieht; auch die Vogelfrauen fügen sich in diese dem Monument angemessene Interpretation bruchlos ein, wenn man sie als Figuren der Mythologie des Todes deutet. Die kleinen anthropomorphen Gestalten, die sie tragen, lassen sich mit der Konvention der griechischen Kunst in Verbindung bringen, die Seele eines Verstorbenen als Eidolon darzustellen, also als stark verkleinertes Abbild des Toten, 1463 1464
Vgl. Zahle 1975 Tafel II. Hofstetter 1990 S. 248.
Der ikonographische Befund
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das geflügelt oder als naturalistisches, aber sehr kleines Bild des Verstorbenen gestaltet sein kann.1465 Die kleinen Gestalten, die von den Vogeldämonen vorsichtig festgehalten werden und sich selbst noch an ihnen festhalten, könnten dann als Abbilder von Totenseelen aufgefaßt werden,1466 und die Vogeldämonen als die Wesen, welche diese Totenseelen in den Bereich des Jenseits bringen, den zumindest ein Teil der Friese des Harpyiengrabs darstellen mag. Dies ist mit kleineren Variationen auch die seit langem übliche Interpretation dieser Vogeldämonen und der von ihnen getragenen Menschlein.1467 Bei der sitzenden Gestalt unter einer der Todesdämoninnen des Nordfrieses mag es sich um eine Trauernde handeln; es wurde auch vorgeschlagen, in ihr eine Seele zu sehen, die noch darauf wartet, daß sie in das Jenseits entrückt wird, in das die schon in den Armen des Dämons befindliche Seele eben getragen wird.1468 Die zumeist benützte Bezeichnung dieses Grabmals als ‚Harpyienmonument‘ beruht auf einer früheren Interpretation seiner Vogelfrauen als Harpyien; inzwischen ist jedoch eine Deutung dieser Dämoninnen als Sirenen üblich.1469 Hauptgrund für die Ablehnung der Bezeichnung als Harpy1465
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Für Beispiele von Eidola als verkleinerte naturalistische Abbilder des Toten vgl. etwa Vermeule 1979 S. 32 Abb. 24 (Eidolon einer Frau, auf ihrem Grab sitzend, auf einer attischen Lekythos des 5. Jh. v. Chr.), S. 33 Abb. 25 (Eidolon eines Kriegers, das aus seinem Grab aufsteigt, auf dem Deckel eines attischen Askos des 5. Jh. v. Chr.). Zu geringer Größe als Indiz für eine Darstellung eines Toten vgl. auch Jacobsthal 1931 S. 23. Contra Draycott 2008 S. 149. So Bulle 1900 S. 35 Anm. 1; Waser 1897–1909 Spalte 3256; Harrison 1908 S. 177 f., 204; Weicker 1902 S. 7; Weicker 1909–1915 Spalte 608; Malten 1914 S. 240 Anm. 3; Buschor 1944 S. 36–38; Berger 1970 S. 129, 136 mit Anm. 352 (S. 188), S. 142; Haynes 1974 S. 72; Zahle 1975 S. 75; Vermeule 1979 S. 169; Muthmann 1982 S. 73; Gabelmann 1984 S. 42; Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 446; Hofstetter 1990 S. 248; nach Pollard 1977 S. 189 handelt es sich hier um Sirenen, die die Toten tragen, was er in einem Kontext von Bildern feindseliger Sirenen sieht (allerdings ohne weitergehende Begründung). Pollard bietet keine Erklärung an, warum sich diese Toten an den Vogeldämonen festzuhalten scheinen, wenn diese ihnen feindselig gesonnen sind. Zahle 1975 S. 74 deutet das Ausstrecken der Hand zum Kinn des anderen als Bittgeste; sollte man hier in Anlehnung an Pollard an eine Bitte um Gnade denken (so auch Draycott 2008 S. 149)? Etwas plausibler scheint – auch nach Autopsie des Originals – die Mehrheitsmeinung eines geborgenen Forttragens (ein Bild einer schrecklichen Jenseitsreise schiene zudem auf einem Grab Fehl am Platz), aber in beiden Fällen ist der wesentliche Punkt, daß die Sirenengestalt hier als Geleiterin der Seelen ins Jenseits fungiert. Berger 1970 S. 136 f. Hofstetter verwendet entsprechend konsequent die Bezeichnung „Sirenenmonument“ (etwa Hofstetter 1990 S. 245); die meisten anderen Autoren verwenden die eingebürgerte Bezeichnung weiter, auch wenn sie die Figuren nun als Sirenen inter-
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ien ist die Darstellungsweise der Figuren, die – wie Sirenen – als Vögel mit menschlichem Kopf, Armen und Brüsten erscheinen: Die gesicherten Harpyiendarstellungen der archaischen und klassischen Zeit bilden diese hingegen als (geflügelte) Frauen mit menschlichen Körpern ab;1470 ferner haben die Sirenen eine starke auch sonst belegte Beziehung zum Sepulkralbereich, die den Harpyien so fehlt.1471 Berger betont ferner, daß das anscheinend freundschaftliche Verhältnis zwischen Dämonin und getragener Gestalt hier eine Deutung als Harpyie ausschließt, da letztere gefährliche Wesen seien.1472 In neuester Zeit hat zwar Draycott die gängige Deutung der Vogelfrauen des Harpyienmonuments als Sirenen wieder in Frage gestellt;1473 sie rückt die Gestalten näher zu den Harpyien und sieht hier eine Entführung, wie sie für die Harpyien belegt ist, und kein freundliches Davontragen. Aber auch wenn man die Vogelfrauen als Entführerinnen sieht, bleibt doch insbesondere das Problem, daß sie in einer Ikonographie erscheinen, die für Sirenen bestens etabliert ist, aber nicht für die Harpyien dieser Zeit (wie auch Draycott zugesteht, ohne aber eine Lösung des Dilemmas anzubieten; daß die Sirenenikonographie auch in Xanthos bekannt war, belegt eine wahrscheinliche Grabsirene auf einem Relief von der Akropolis von Xanthos1474). Dies ist meines Erachtens als signifikant zu betrachten, umso mehr als das Motiv des Davontragens in Verbindung mit Figuren in Sirenenikonographie bis nach Großgriechenland und sogar Etrurien verbreitet ist.1475 Ein wesentlicher Grund von Draycotts Ablehnung der Deutung als Sirenen ist dabei, daß eine Seelengeleiterfunktion für Sirenen textlich nicht klar belegt ist;1476 folgt man jedoch der Logik, daß eine fehlende Bezeugung in einer Quellengattung ein Beweis für Nichtexistenz sei, müßte man auch das literarisch mehrfach belegte Motiv des Verschlingens der Opfer der Sirenen verwerfen – denn dieses ist ikonographisch in den Hunderten von erhaltenen Sirenendarstellungen nirgends bezeugt. Hierbei ist insbesondere
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pretieren, so Tsiafakis 2001 S. 23 Anm. 37; Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 446, 450; Gabelmann 1984 S. 42; Vermeule 1979 S. 169 mit Anm. 36 (S. 248); Zahle 1975, vgl. besonders S. 74. Daher ist auch Lattes (1968 S. 111) Deutung der Grabsirenen als Harpyien hinfällig, vgl. Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 450. Hofstetter 1990 S. 35; Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 446, 449 f.; Bulle 1900 S. 35 Anm. 1; siehe oben S. 338 ff., 400 ff. Berger 1970 S. 136. Draycott 2008, besonders S. 148 f. Hofstetter 1990 S. 244, 249 (O 62), um 470/60 v. Chr., wozu vgl. Buschor 1944 S. 58 f. mit Abb. 45. Siehe unten; Draycott geht auf dieses Problem nicht ein, obwohl sie auf solche Belege verweist: Draycott 2008 S. 149 mit Anm. 30. Draycott 2008 S. 148, 149.
Der ikonographische Befund
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zu beachten, daß die Menge des ikonographischen Materials weit größer ist als die Menge der textlichen Belege zu den Sirenen; dies macht es an sich von vorneherein wahrscheinlich, daß im umfangreichen Belegmaterial in der bildenden Kunst ein umfassenderes Bild von den Sirenen gezeichnet wird als in den vergleichsweise wenigen Textzeugnissen. Ich behalte daher die Deutung der Vogelfrauen als Sirenen aufgrund (1) ihrer typischen Sirenenikonographie und (2) ihres für Sirenen – aber in dieser Form nicht für Harpyien – gut bezeugten sepulkralen Kontextes bei. Beide Punkte sind empirisch beobachtbar und sollten nicht auf der Basis einer vorgefaßten, auf rein literarischen Quellen beruhenden Meinung über den Charakter der Sirenen beiseitegeschoben werden. Ob die Sirenen von Xanthos freundlich entrücken (wie die communis opinio annimmt) oder unfreundlich entführen (wie Draycott vermutet), ist für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit letztlich belanglos; auch ist beides mit dem Charakter der Sirenen vereinbar, die zwar als trauernde Grabsirenen als mitleidende Wesen aufzutreten scheinen, aber zugleich in der Odyssee als tödliche Gefahr dargestellt werden.1477 Deutet man die Vogelfrauen des Harpyienmonuments entsprechend als Sirenen, so fügt dieses Grabmal dem zuvor gewonnen Bild der Sirenen einen weiteren Zug in aller Deutlichkeit hinzu, die man von einem rein ikonographischen Beleg erwarten kann: Die Sirenen erscheinen hier als seelengeleitende Dämonen. Dies weist auf eine mögliche Erklärung für die Anwesenheit der Sirene unter der Kline des toten Mädchens auf dem oben besprochenen attischen Pinax (Fig. 52) und in vielen anderen Darstellungen hin: Möglicherweise wartet sie darauf, die Seele des Mädchens ins Jenseits zu entrücken. Die Frage ist nun, inwieweit sich die im ‚Harpyienmonument‘ für das Xanthos des 5. Jh. v. Chr. angedeuteten Vorstellungen verallgemeinern lassen. Xanthos ist eine lykische Stadt, und lykische Kunst ist, in
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Auch von anderen Gelehrten wurde die Deutung der Vogelfrauen des Harpyienmonuments als Sirenen noch in den letzten Jahrzehnten skeptisch beurteilt: So muß die Benennung dieser Wesen nach Nilsson (1967 S. 228) unsicher bleiben. LeclercqMarx 1997 (2002) S. 17 f. mit Abb. 13 lehnt eine Zuweisung dieser und vergleichbarer Figuren an zu streng abgegrenzte und zur entsprechenden Zeit vielleicht noch gar nicht ausdifferenzierte Kategorien ab (vgl. Weicker 1902 S. 32 f. mit Anm. 3 und Harrison 1908 S. 163 f.) – was in Anbetracht der überall, auch über den griechischen Bereich hinaus deutlich werdenden Parallelen im allgemeinen einiges für sich hat; der Darstellungsweise nach handelt es sich auf dem Harpyienmonument aber dennoch um Gestalten, für die in der zeitgenössischen Antike verläßlich nur der Name Sirenen bezeugt ist. Absolute Sicherheit ist freilich nicht zu erreichen, schon da eine inschriftliche Bezeichnung der menschentragenden Menschenvögel als ‚Sirenen‘ fehlt: Weicker 1902 S. 6.
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den Worten Gabelmanns, „griechische Kunst im Dienst von Nichtgriechen“.1478 Die Form der lykischen Kunst ist griechisch, aber die Thematik ist zumindest in vielen Elementen durch die Wünsche der nichtgriechischen Auftraggeber bestimmt;1479 die Frage ist also, ob die Sirenen als Seelengeleiter oder Seelenträger hier ein griechisches Element sind, ein lykisches oder eines, das vielleicht beiden Völkern gemein sein mag. Viele Bildwerke des griechischen Mutterlands, wie der erwähnte Pinax, lassen sich in einem Sinne deuten, der den Sirenen eine Funktion zuweist, die derjenigen der Sirenen des ‚Harpyienmonuments‘ entsprechen würde. Zugleich ist aber zu betonen, daß sich solche Bildwerke für sich genommen auch anders interpretieren ließen; die Sirene unter der Kline des toten Mädchens könnte auch ihre Seele repräsentieren, die noch eine Weile beim Leichnam ausharrt, ehe sie davonfliegt. Zwar stellen auch die griechischen Schriftquellen die Sirenen durch ihre Verbindung mit Persephone und ihren Aufenthalt in der Unterwelt in einen Bereich, der dem der Sirenen von Xanthos nahesteht; aber obwohl viele griechische Zeugnisse im xanthischen Sinne interpretiert werden könnten, würde man sich doch engere sicher griechische Parallelen zur Ikonographie des ‚Harpyienmonuments‘ wünschen, ehe man das lykische Grabmal zum Verständnis auch der griechischen Sirenen heranzieht.1480 1478 1479
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Gabelmann 1984 S. 37. Gabelmann 1984 S. 37. Vgl. West 1995 S. 183 mit entsprechenden Bedenken gegen eine Identifizierung der Figuren als Sirenen. Oben wurde das Gebet der Penelope in der Odyssee angesprochen (besonders Odyssee XX,61–81), in dem von der Entführung der Töchter des Pandareos durch die Harpyien ins Totenreich berichtet wird. Harrison 1908 S. 178 hat diese Erzählung mit dem Harpyiengrab assoziiert, da Pandareos ein Lykier und die Erzählung lykisch sei. Die Herkunft des Pandareos aus Lykien wird von Strabon, Geographie 14.3.5 referiert (vgl. Draycott 2008 S. 146 f. mit Anm. 10); sie steht jedoch neben anderen Traditionen, nach denen Pandareos aus dem ionischen Milet, dem kretischen Milet oder aus Ephesos stammt (Roscher 1897–1909 [Pandareos] Spalte 1498); zwei Helden namens Pandaros stammen aus dem troischen Lykien und dem Lykien des Sarpedon (Roscher 1897–1909 [Pandaros] Spalten 1504 f.). Da Strabon (ibidem) den lykischen Heros Pandaros, den troischen Pandaros und Pandareos zusammenwirft, beruht seine Herleitung des Pandareos aus Lykien wohl nur auf der Ähnlichkeit der Namen (vgl. aber Draycott 2008 S. 147 mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer lokalen Tradition, die die beiden Gestalten zusammengeworfen haben könnte). Die Angabe Strabons hat daher kaum eigenständigen Quellenwert und ist nicht geeignet, den Ausgangspunkt weiterer Schlußfolgerungen zu bilden. Aber auch so ist vielleicht die gerade ostgriechische Assoziation der homerischen Sage noch von Interesse – zumal wenn man bedenkt, daß auch einer der ältesten erhaltenen Belege für eine Sirene als Grabschmuck in der Steinskulptur aus Xanthos stammt (siehe oben S. 408 f.). Eine konkrete Schlußfolgerung läßt sich aus dem allzu bruchstückhaften und nicht immer
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Solche Parallelen sind jedoch schon seit über einem Jahrhundert beigebracht worden. Bereits von Fritze wies in einem Vortrag vor der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin im Jahre 1894 auf ein Fragment einer Alabasterschale des späten 6. Jh. v. Chr. aus Naukratis hin, das eine Vogelfrau mit einem kleinen Menschlein zeigt; er verglich diese Sirenendarstellung bis in die Details mit den Sirenen des Harpyienmonuments und deutete sie entsprechend als „Todesgöttin“.1481 Reiches weiteres Material wurde wenige Jahre später von Weicker zusammengestellt. Weicker wies auf Fragmente eines Frieses aus Ephesos hin, die „appear to belong to groups of winged draped beings, perhaps Harpies, carrying off diminutive figures“.1482 Dasselbe Motiv zeigen ferner eine von Weicker angeführte zypriotische und eine westgriechische Terrakotta, die je eine Sirene darstellen, die eine kleine Menschengestalt vorsichtig trägt;1483 eine weitere großgriechische Terra-
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ausreichend dokumentierten Material jedoch (noch) nicht ziehen. – Nach Weicker 1902 S. 125 f. Anm. 3 sind „Stil und Inhalt der Darstellung rein griechisch ohne jede fremde Beimischung“. Nach Pollard 1965 S. 141 ist die Inspiration der Sirenen des Harpyienmonuments „rather oriental than Greek“ (ohne Begründung). Nach Haynes 1974 S. 72 f. handelt es sich um eine griechische Vorstellung (ebenfalls ohne Begründung). Le Roy 1990 S. 43 kann einige lykische Beispiele von weiblichen Figuren an Grabmälern als (sehr entfernte) Parallelen beibringen (Nereiden, Tänzerinnen, Karyatiden), aber legt keine engen Parallelen zu den Sirenen des Harpyienmonuments vor. Innerhalb der lykischen Archäologie gibt es allem Anschein nach keinen Grund, die Sirenen des Harpyienmonuments für einheimische lykische Figuren zu halten. Von Fritze 1894 (mit Abb.); die Details stimmen bis auf den nach von Fritze fehlenden Schwanz der Vogelfrau auf der Alabasterschale überein; hierzu vgl. aber Conze und Smith 1895: Der Schwanz war wohl aufgemalt. Dem Vergleich mit dem Harpyienmonument stimmt Bulle 1900 S. 35 Anm. 1 zu, ebenso vgl. Weicker 1902 S. 7, 126. Die Ähnlichkeit wurde schon von Smith 1892 S. 66 (Nr. 116) bemerkt. Nach Leyenaar-Plaisier 1984/85 S. 33 (die es im selben Zusammenhang sieht) ist das Gefäß aus Naukratis archaisch. Die oben gegebene Datierung ins späte 6. Jh. folgt Angaben des British Museum, London (Inv.-Nr. 1886,0401.1508). Malten 1914 S. 240 Anm. 3 vergleicht mit den Fragmenten aus Naukratis Alabastergefäße aus Olbia; diese Alabastergefäße sind von Pharmakowsky 1913 Spalten 199–202 mit Abb. 41 bis 44 veröffentlicht und besprochen, wo auch Pharmakowsky das Gefäß aus Naukratis zum Vergleich heranzieht und auf einem Stück „harpyienähnliche weibliche Dämonen“ sieht, die kleine menschliche Figuren tragen (selber aber nicht geflügelt sind); Pharmakowsky vermutet auch für die Stücke aus Olbia Naukratis als Entstehungsort. Weicker 1902 S. 7, 126; Zitat nach dem Catalogue of Greek Sculpture des Britischen Museums von Smith 1892 S. 37. Nach Leyenaar-Plaisier 1984/85 S. 33 ist der Fries archaisch. Zypriotische Terrakotta: Weicker 1902 S. 91 mit Fig. 22 und S. 126 (zitiert bei Buschor 1944 S. 35, wo aus dem Einzelbeleg ohne weiteren Nachweis eine Mehrzahl wird, und unter vielfachen Mißverständnissen auch bei Pollard 1965 S. 139). Italische
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kotta brachte Hofstetter als Beleg des Motivs in die Diskussion ein.1484 Darüber hinaus brachte Weicker Belege auf Gemmen bei,1485 und als Beispiel für ein weniger sanftes Davontragen und eher gewaltsames Entführen führte er ein Berliner Relieffragment aus Caere (und damit dem etruskischen Kulturbereich) an.1486 Ferner hielt er einige etruskische Stücke mit Darstellungen von Frau-Vogel-Mischwesen, die Menschen entführen, für Kopien ionischer Originale.1487 Es scheint angebracht, einige dieser Parallelen exemplarisch zu besprechen.1488 Ein klassisch gewordenes Vergleichsobjekt zur Ikonographie des ‚Harpyienmonuments‘ ist eine 13 cm hohe westgriechische Terrakotta ohne archäologischen Kontext aus dem frühen 4. Jh. v. Chr. (Fig. 54).1489 Diese Terrakottasirene ist als ein Vogel gearbeitet, der in einen nackten Frauenoberkörper übergeht. Der Übergang zwischen Vogel- und Frauenleib
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Terrakotta: Weicker 1902 S. 7 f. mit Abb. 5 und S. 201 (=Buschor 1944 S. 35 f. mit Abb. 26; Hofstetter 1990 W 20 aus dem frühen 4. Jh.; vgl. Malten 1914 S. 240 Anm. 3). Auch Hofstetter weist in Zusammenhang mit einer von Simon als Seelengeleiterin interpretierten Sirene (Simon 1956/57 S. 6 zur unten besprochenen Darstellung des Todes der Prokris [Fig. 59], s. dort) sowohl auf das ‚Harypienmonument‘ als auch auf diese westgriechische Terrakotta hin: Hofstetter 1990 S. 135 mit Anm. 633 (S. 354). Hofstetter 1990, Nachtrag S. 302. Weicker 1902 S. 125, vgl. auch den geschnittenen Stein ibidem S. 6 f. mit Fig. 2 (wozu auch Hackl 1909 S. 206; ihm zufolge contra Weicker 1902 etruskisch, nicht ostgriechisch, akzeptiert von Weicker 1909–1915 Spalte 608; =Krauskopf in Hofstetter 1997 Nr. 126; Zazoff 1968 S. 125 f. Nr. 244 mit Abb. auf Tafel 46, vgl. Zazoff 1968 Nr. 1322); zu Gemmen mit Darstellungen von Sirenen, die Menschen davontragen, vgl. auch Zahle 1975 S. 75. Weicker 1902 S. 201; Furtwängler 1889 S. 91 Nr. 16 (mit Abb.). Weicker 1909–1915 Spalte 621, 638; Weicker 1902 S. 8, 100, 189 f., u. a. zur oben besprochenen etruskischen schwarzfigurigen Hydria (Fig. 37) und der ebenfalls oben besprochenen Bronzesitula aus Offida (Fig. 38), und mit einem Katalog mit fünf weiteren vergleichbaren etruskischen Stücken, die aber ein freundliches Davontragen zeigen, und kein gewaltsames Entführen; vgl. Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 230 f. mit Anm. 188 und 189; Krauskopf in Hofstetter 1997 Nr. 123 bis 126. Im folgenden werden diese Belege außer Acht gelassen, da das genaue Verhältnis zwischen diesen etruskischen Stücken und der griechischen Tradition unklar ist und einer eigenen Untersuchung bedürfte. Vgl. Leyenaar-Plaisier 1984/85 S. 33 zu Weickers und Buschors Zusammenstellung der Belege: „Ces quelques documents de provenances diverses illustrent parfaitement la diffusion du motif et en même temps l’implantation dans la pensée religieuse grecque à partir de l’époque archaïque.“ Hofstetter 1990 S. 255 (W 20) mit Tafel 31; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 20 mit Abb. 14 auf S. 17. Herkunft: Aus Privatbesitz (Buschor 1944 S. 36, Bildunterschrift zu Abb. 26).
Der ikonographische Befund
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Fig. 54: Westgriechische Terrakotta. Frühes 4. Jh. v. Chr.
verläuft an einem nicht näher bestimmbaren Punkt etwas unterhalb der weiblichen Brüste. Die Flügel der Sirene sind am Rücken des Frauenoberkörpers befestigt. Der Vogelunterleib ist in Seitenansicht dargestellt, der Frauenoberkörper mit den ausgebreiteten Flügeln ist gegen den Vogelleib um 90° gedreht, so daß er in Frontalansicht erscheint. Das Vogelbein der Sirene ist auf dem Fuß der Statuette im Relief modelliert; nur ein Vogelbein ist sichtbar. Die Sirene trägt eine kleine menschliche Gestalt an ihrer linken Seite. Sie hält mit der rechten Hand den rechten Unterschenkel der Gestalt, mit dem linken Arm umfaßt sie ihren Rücken, so daß die Hand der Sirene das Menschlein kurz unterhalb von dessen Brust an seiner linken Seite faßt. Die menschliche Gestalt leistet keine Gegenwehr. Vielmehr hält sie sich selbst mit dem rechten Arm an der Sirene fest, indem sie den Arm so über die linke Schulter der Sirene gelegt hat, daß er hinter dem Rücken der Vogelfrau verschwindet. Wie in Xanthos erscheint hier also eine kleine anthropomorphe Gestalt, die sich von einer Sirene willig tragen läßt. Diese Statuette wird entsprechend üblicherweise in direkten Zusammenhang mit dem ‚Harpyienmonument‘ gebracht und als eine Todesdämonin gedeutet, die eine Seele trägt.1490 Hofstetter interpretiert an einer Stelle die Gestalt, die die Sirene hier hält, als ein Kind und ordnet diese Sirene daher einem Bereich zu, der „den Be1490
Weicker 1902 S. 7 f.; Malten 1914 S. 240 Anm. 3; Waser 1897–1909 Spalten 3255 f.; Buschor 1944 S. 35 f.; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 20.
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Die Sirenen
ginn des Lebens, das Wohlergehen der Neugeborenen, zum Teil auch deren Schicksal nach dem Tod“ umfaßt; ob das ‚Kind‘ ein Neugeborenes oder ein Toter ist, läßt sie dahingestellt.1491 Sie erwähnt das Stück aber auch im Zusammenhang mit Sirenen, die Tote oder Seelen tragen könnten.1492 Da die Proportionen der Gestalt, die sich von der Sirene tragen läßt, deutlich die Proportionen eines Erwachsenen sind – und nicht die eines Neugeborenen –, scheint eine Interpretation als Eidolon oder Seele einer Interpretation als Kind vorzuziehen; somit scheint es angebracht, die herkömmliche Interpretation dieser Sirene als Seelenträgerin beizubehalten.1493 Hierher gehört wohl auch eine 14,3 cm hohe Terrakottastatuette aus Süditalien aus dem 4. Jh. v. Chr. (Fig. 55, wie so oft ohne dokumentierten archäologischen Kontext).1494 Diese Sirene hat einen Vogelleib mit durch die Bemalung und in leichtem Relief nur angedeuteten, angelegten Flügeln; auf den Vogelleib ist ein nackter Frauenoberkörper aufgesetzt.1495 Es sind umfangreiche Farbreste erhalten. Die Sirene hält eine kleine menschliche Gestalt in den Händen; beide scheinen zu lächeln. Auch diese Statuette gilt als Darstellung einer seelengeleitenden Sirene.1496 1491 1492 1493 1494
1495
1496
Hofstetter 1990 S. 256. Hofstetter 1990 S. 248 mit Anm. 1131 (S. 390 f.), S. 135 mit Anm. 633 (S. 354). Zuletzt Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 20. Hofstetter 1990 S. 302 [Nachtrag ohne Katalognummer in Hofstetter 1990]; Rijksmuseum van Oudheden 1990 S. 132 f. (Nr. 95). Detaillierte Edition: Leyenaar-Plaisier 1984/85. Leyenaar-Plaisier bemerkt, daß sich aufgrund des Fehlens des unteren Teils der Statuette nicht mehr sicher sagen läßt, ob es sich um ein unabhängiges Stück oder ein dekoratives Element an einer Vase mit wohl sepulkraler Funktion gehandelt hat, vermutet aber letzteres (ibidem S. 34 f.). Herkunft: Antikenhandel (Leyenaar-Plaisier 1984/85 S. 31). Eine andere Deutungsweise des Körperbaus der Sirene wird von einem Kommentator vorgeschlagen, der annimmt, daß die Sirene hier wie eine Seejungfrau dargestellt ist: Rijksmuseum van Oudheden 1990 S. 133; zur Darstellung von Sirenen als Frauen mit Fischschwanz, die vor dem Mittelalter nur ganz vereinzelt belegt ist, vgl. Harrison 1908 S. 199; Touchefeu-Meynier 1962 (mit nur zwei eindeutigen Beispielen aus der Antike); Touchefeu-Meynier 1968 S. 154 f., 158–160, 181 f., 186 mit Tafeln XXV,1 und 3, XXVII,2 und 3 (dito, Nr. 260 und 278); Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 11 f. (drei antike Beispiele, davon zwei Lampen aus derselben Form). Die Deutung als Fischschwanz scheint mir der Form des Unterleibs der Statuette jedoch weit weniger gerecht zu werden als eine Deutung als Vogelleib mit angelegten Flügeln (vgl. die Form des Körpers von Fig. 54), und Leyenaar-Plaisier gibt ausdrücklich an, daß ein rechter Flügel in leichtem Relief modeliert ist: Leyenaar-Plaisier 1984/85 S. 32, 34 (auch mit allgemeinen Bemerkungen zur Körperform und Anbringung der Flügel nach süditalischer Art am Vogelkörper statt an den Schultern des menschlichen Teils). Leyenaar-Plaisier 1984/85 S. 32 f. (Zitat S. 32): „une Sirène serre dans ses bras l’âme d’un enfant mort.“ Rijksmuseum van Oudheden 1990 S. 133: „Statuettes such as this
Der ikonographische Befund
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Fig. 55: Westgriechische Terrakotta. 4. Jh. v. Chr.
Weit früher datiert ein Karneol-Skarabäus aus dem letzten Viertel des 6. Jh. v. Chr. (Fig. 56).1497 Dieser Stein wurde in Chiusi in der Asche eines Grabes gefunden, aber Furtwängler schließt einen etruskischen Ursprung des Skarabäus aus.1498 Der Stein zeigt eine Sirene über einem menschlichen Körper, der mit leicht angewinkelten Beinen liegend dargestellt ist. Die Sirene ist als ein Vogel mit Menschenkopf geschnitten, beide Flügel sind nach oben ausgestreckt sichtbar. Problematisch ist die Frage der Arme der liegenden menschlichen Figur (beziehungsweise der Sirene): Die von Furtwängler gegebene Zeichnung (m. W. die einzige Veröffentlichung des Steins) zeigt eindeutig, daß die menschliche Gestalt ihre beiden Arme leicht angewinkelt nach der Sirene ausstreckt, als wollte sie sich an ihr festhalten.1499 Furtwänglers Beschreibung hingegen bezeichnet das Bild als eine
1497 1498 1499
one were used as funeral gifts, to illustrate that the deceased was making the journey under the guidance of a Siren.“ Hofstetter 1990 S. 294 (V 35). Furtwängler 1900 Bd. 3 S. 103; Hofstetter 1990 S. 294. Boardman 1975 S. 85 im Kommentar zu Nr. 14; Hofstetter 1990 S. 295.
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Die Sirenen
Fig. 56: Unterseite eines Skarabäus, Karneol; Grabfund aus Chiusi, aber etruskische Herkunft ausgeschlossen. 4. Viertel 6. Jh. v. Chr.
„wie die Sirene mit Vogelleib gebildete Harpyie, die einen Menschen im Arme trägt“.1500 Da Furtwänglers Zeichnung auf Abdrücken beruht, die sich in seinem Besitz befanden,1501 kann man vielleicht vermuten, daß die Beschreibung eher nach dem Abdruck als nach der Zeichnung verfaßt wurde und so ein höheres Gewicht hat als die möglicherweise inkorrekte Abbildung. Eindeutig entscheiden läßt sich die Frage aber nicht;1502 es mag auch keinen großen Unterschied machen, ob sich der Mensch an der Sirene oder ob die Sirene den Menschen festhält – immerhin erscheint in Xanthos beides. So zieht entsprechend Zahle diese Gemme als Parallele zum ‚Har-
1500
1501 1502
Furtwängler 1900 Bd. 3 S. 103. Furtwänglers Beschreibung des Vogeldämons als „Harpyie“ geht wohl vom textlich für Harpyien belegten Davontragen von Menschen aus, also von der Handlung des Bildes, nicht von der Ikonographie des Dämons für sich; denn wie auch Furtwänglers Formulierung anerkennt, ist die Darstellungsweise des Dämons als Vogel mit Menschenkopf eine typische Darstellungsweise für Sirenen, nicht für Harpyien. Daß aber auch Sirenen Menschen, nämlich Verstorbene, entrücken können, wird durch das oben vorgelegte Material wohl wahrscheinlich, so daß es hier unnötig scheint, eine Harpyie in Sirenenikonographie anzunehmen und man vermutlich besser mit Hofstetter 1990 S. 294 f., Boardman 1968 S. 72 Nr. 168, Boardman 1975 S. 85 zu Nr. 14 und Zahle 1975 S. 75 von einer Sirene sprechen sollte. Furtwängler 1900 Bd. 3 S. 103 Anm. 1. Boardman 1968 S. 72 Nr. 168 verzeichnet den Aufbewahrungsort dieses Stücks als unbekannt. Zu Furtwänglers Zeiten befand es sich in Florenz: Furtwängler 1900 Bd. 3 S. 103 Anm. 1.
Der ikonographische Befund
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pyienmonument‘ heran,1503 ebenso wie schon Weicker,1504 und auch Hofstetter verweist bei ihrer Besprechung dieses Steins auf das lykische Monument.1505 Hofstetter hält es zudem für relevant, daß der Skarabäus aus einem Grab stammt;1506 diese letzte Verwendung des Stücks scheint mir aber keine Rückschlüsse auf die Bedeutung des Bildes zu erlauben, da der Stein auch als Schmuck und damit bloßer Teil der Kleidung des Toten ins Grab gelangt sein könnte. Nichtsdestoweniger scheint es in Anbetracht der großen ikonographischen Ähnlichkeit möglich, einen Zusammenhang zwischen den Sirenen des ‚Harpyienmonuments‘ und der Sirenendarstellung dieser Gemme zu vermuten. Dabei steht das Erscheinen dieses Motivs in der Steinschneidekunst hier keineswegs als isolierter Einzelfall da. Denn aus derselben Zeit (4. Viertel des 6. Jh. v. Chr.) stammt noch ein weiterer Karneol-Skarabäus mit demselben Motiv, diesmal unbekannter Herkunft (Fig. 57):1507 Dieser Stein zeigt eine Sirene, die als Vogel mit Menschenkopf dargestellt ist und über einem menschlichen Leib ohne Arme steht. Der Mensch scheint mit leicht angehobenem Oberkörper und leicht angewinkelten Knien auf dem Boden zu liegen; seine Körperhaltung entspricht bis auf die fehlenden Arme genau derjenigen der menschlichen Gestalt auf dem eben angesprochenen Skarabäus (Fig. 56).1508 Boardman denkt bei dieser Sirene an einen „agent of the other world“ und vergleicht sie mit dem ‚Harpyiengrab‘ in Xanthos mit dem Hinweis, daß die meisten archaischen griechischen Skarabäen aus ebendieser Region stammen, nämlich Ostgriechenland.1509 Auch Hofstetter sieht in der Gestalt unter der Sirene einen möglicherweise Verstorbenen.1510 Daß dieses Motiv zumindest in der Steinschneidekunst ein Nachleben noch bis weit in die griechisch-römische Zeit hinein hatte, mag ferner eine bislang leider noch nicht hinreichend publizierte Gemme des 1. Jh. v. Chr./ 1. Jh. n. Chr. in Boston nahelegen, auf die Hofstetter hinweist: Dieses Stück zeige eine Sirene mit einem „nackte[n] menschlichen Körper“.1511 1503 1504 1505 1506 1507 1508
1509 1510 1511
Zahle 1975 S. 75 mit Anm. 162 (S. 99). Weicker 1902 S. 125. Hofstetter 1990 S. 295 mit Anm. 1370 (S. 407). Hofstetter 1990 S. 295. Hofstetter 1990 S. 293 (V 33); Boardman 1975 S. 85 Nr. 14 mit Abb. 14. Dieselbe Körperhaltung wiederholt sich auch bei der wahrscheinlichen Darstellung eines Leichnams unter einer Sirene auf einem im folgenden zu besprechenden korinthischen Aryballos (Fig. 58; siehe unten S. 429 ff.). Boardman 1975 S. 11. Hofstetter 1990 S. 295. Boston, MFA 01.7576; Hofstetter 1997 Nr. 74. Herkunft: Nach Museumsangaben aus dem Kunsthandel. Vgl. auch den ferner von Weicker 1902 S. 125 als Beispiel für
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Die Sirenen
Fig. 57: Unterseite eines Skarabäus, Karneol; Herkunft unbekannt. 4. Viertel 6. Jh. v. Chr.
Wenn solche Vorstellungen von Vogelfrauen als Totengeleiterinnen sowohl im Osten des griechischen Raums als auch in Großgriechenland belegt zu sein scheinen, könnte man vielleicht auch manche Darstellungen im griechischen Mutterland in derselben Weise interpretieren. Aus Griechenland (im geographischen Sinn) sind zwar keine Darstellungen von Vogelfrauen bekannt, die kleine anthropomorphe Wesen (und damit wohl Seelen) tragen, aber es finden sich Bilder, in denen ein Menschenvogel in einer Weise erscheint, die sich möglicherweise dennoch in einem ganz entsprechenden Sinn deuten läßt. Hierher kann man etwa den attischen Pinax stellen, der oben bereits als Beleg für die enge Verbindung des Menschenvogels mit dem Tod angeführt worden ist; dort erscheint eine Sirene unter einer aufgebahrten Toten (Fig. 52). Wie oben festgestellt, läßt sich aus diesem Bild selbst nicht ablesen, was genau die Beziehung der Sirene zur Toten und zu den Begräbnisriten ist (und dasselbe gilt für die im folgenden zu besprechenden ikonographischen Zeugnisse). Aber vielleicht ist auch die Funktion dieser Sirene wie die der Vogelfrauen von Xanthos, die Seele der Verstorbenen ins Jenseits zu geleiten. Dann könnte ihre Funktion diejenige der klagenden Frauen spiegeln: So wie die Klagen der auf dem Pinax dargestellten Hinterbliebenen die Tote ins Grab geleiten, geleitet die Sirene ihre Seele ins Jenseits. Freilich ist dies Spekulation. Aber daß Sirenen auch im griechischen Mutterland im Sinne seelengeleitender Dämonen eine Rolle beim Übergang der Seele des Toten ins Jenseits gespielt haben könnten, läßt sich diesen Darstellungstypus angeführten Stein in Furtwängler 1900 Bd. 1 Tafel 15 Nr. 42 (wobei mir die Identifizierung des Motivs nicht gesichert scheint).
Der ikonographische Befund
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zumindest nicht ausschließen, da Bilddenkmäler vorhanden sind, die sich durch die Annahme einer solchen Vorstellung erklären lassen – wenngleich in allen Fällen auch alternative Interpretationen möglich sind. Eindeutige Belege fehlen zwar, aber das zur Verfügung stehende Material macht die Annahme einer Kontinuität zwischen den wohl seelentragenden Sirenenstatuetten Großgriechenlands, den lykischen seelengeleitenden Sirenen und einigen Bildwerken des griechischen Mutterlands zu einer naheliegenden Möglichkeit. Hierher gehört etwa ein spätkorinthischer Aryballos ohne archäologischen Kontext aus den Jahren um 575–550 v. Chr. (Fig. 58).1512 Auf dem Gefäß ist eine aufrecht stehende Sirene abgebildet, die als Vogel mit Menschenkopf dargestellt ist; sie hat ihre Flügel nach beiden Seiten entfaltet. Unter dem linken Flügel befindet sich eine schräg liegende menschliche bärtige Gestalt mit leicht angewinkelten Knien. Die Arme des Mannes sind – vom Körper der Sirene weg – schräg nach oben zu einem ihrer Flügel ausgestreckt. Die Sirene blickt von ihr aus gesehen nach links, anscheinend über den Mann hinweg.1513 Der freie Bildraum über und neben der Sirene wird von einigen nicht sicher identifizierbaren Strukturen teilweise gefüllt, die in der Form etwa von oben betrachteten Blüten entsprechen; auch die Innenzeichnung der Strukturen legt eine Deutung als Blüten nahe.1514 Auf diese Darstellung hat als erster Hackl (1909) hingewiesen. Er betrachtete das Vasenbild als eine von nur wenigen sicheren Darstellungen von Sirenen als Seelenvögeln.1515 Nach ihm macht der Mann „den Eindruck des völlig Hilflosen; er ist ganz in die Gewalt des Todesdämons gegeben, der sich an der Todesangst seiner sicheren Beute zu weiden scheint wie ein Raubtier.“1516 Malten übernimmt Hackels Deutung und sieht hier eine „raffende Todesdämonin […] in Vogelgestalt“ vor einem hilflosen Mann.1517 Weicker faßt dieses Bild als ein Beispiel von Darstellungen von Sirenen als 1512
1513
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1515 1516 1517
Hofstetter 1990 S. 57 f. (K 87); Payne 1931 S. 319 f., dort Nr. 1259. Herkunft: Vormals in Privatbesitz (Hofstetter 1990 S. 57). Gropengiesser 1977 S. 593 vermutet, daß die Sirene hier vielleicht männlich ist; jedoch ist auf keiner mir zugänglichen Photographie (auch nicht auf derjenigen, die Gropengiesser selbst gibt, ibidem Abb. 14 [S. 592], ferner auch nicht auf der Zeichnung bei Hackl 1909 S. 205), eine Spur eines Bartes zu erkennen, wohingegen die unter dem Flügel der Sirene dargestellte Figur einen Bart trägt. Dies legt nahe, daß die bartlose Sirene eher ein weibliches Wesen als einen glattrasierten männlichen Vogeldämon darstellt. Gut erkennbar auf der von Hackl 1909 S. 205 gegebenen Zeichnung (reproduziert auch in Weicker 1909–1915 Abb. 2 [Spalten 609 f.]). Hackl 1909 S. 205 f. Hackl 1909 S. 206. Malten 1914 S. 239.
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Die Sirenen
Fig. 58: Korinthischer Aryballos. Um 575–550 v. Chr.
„raffende Todesdämonen“ auf und sieht diese Sirene „als triumphierende[n] Sieger über den sich vergeblich wehrenden Menschen“.1518 Hiergegen weist schon Buschor darauf hin, daß kein Element des Bildes darauf hindeutet, daß das Vogelwesen dem liegenden Menschen, den auch Buschor als einen Toten auffaßt, übel gesonnen ist. Er sieht dieses Bild vielmehr in dem auch von mir bevorzugten Sinne in Zusammenhang mit den Vogelfrauen, die kleine Menschenfiguren ohne erkennbare Feindseligkeit tragen, und vergleicht es so mit Darstellungen aus Zypern, den oben besprochenen Figurinen aus Italien und den Vogelfrauen des Fürstengrabs von Xanthos.1519 Die Darstellung des liegenden Mannes unter der Sirene erweckt einen Eindruck von Kraftlosigkeit, der die Deutung als Toter weitgehend rechtfertigt; eine naheliegende Alternative wäre meines Erachtens nur eine Deutung als Sterbender, der die Arme nach den Fittichen der (Todes-)Dämonin ausstreckt (die ihn ins Jenseits bringen wird?).1520 Hofstetter stellt 1518
1519 1520
Weicker 1909–1915 Spalte 608. West 1995 S. 181 urteilt: „It is tempting to regard this Siren as a demoness of death presiding over a human corpse. Several objects around the Siren resemble flowers. In the Odyssey, the Sirens are seated in a meadow […].“ Buschor 1944 S. 35–37. Vgl. oben Anm. 1483. Vgl. Gropengiesser 1977 S. 593, die das Bild als einen Todesdämon beschreibt, der „einen Verstorbenen unter seinen Fittichen“ hat. Payne 1931 S. 320 beschreibt die Darstellung des Gefäßes (dort Nr. 1259) als „Siren and corpse“. Für von Steuben 1968 S. 53 scheint die männliche Gestalt „in der Luft zu schweben oder im Wasser zu
Der ikonographische Befund
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zwar fest, daß aus dem Bild nicht ersichtlich ist, ob diese Sirene zum Verstorbenen in einer freundlichen oder feindlichen Beziehung steht;1521 als freundliche seelengeleitende Dämonin läßt sie sich nur deuten, wenn man die von Buschor vorgeschlagene Analogie zum Sirenenmonument in Xanthos akzeptiert.1522 Dieser Vorschlag scheint aber insbesondere plausibel, da die häufigen Sirenen der Grabkunst wohl kaum schreckliche „raffende Todesdämonen“ darstellen werden, sondern eher in diesem Kontext als positiv aufgefaßte Wesen. Falls man annehmen darf, daß sich dies auch auf das vorliegende Vasenbild übertragen läßt, scheint für diesen Aryballos eine Deutung der Sirene als Seelengeleiterin zwar nicht zwingend, aber doch eine ernstzunehmende Möglichkeit. Grundsätzlich abgelehnt wird die Deutung dieses Bildes als Darstellung einer Sirene und eines Toten meines Wissens nur von Robert, nach dessen Meinung der zurückgesunkene Mann entweder der Sirene lauscht oder nur der Raumfüllung dient.1523 Ganz ähnlich – aber ohne die Möglichkeit einer Deutung, die derjenigen Roberts analog wäre – verhält es sich mit einer Darstellung auf einem attischen rotfigurigen Kolonnettenkrater aus den Jahren um 440–430 v. Chr. (Fig. 59; die Fundumstände sind nicht dokumentiert).1524 Die zentrale Position in diesem Vasenbild nimmt eine zusammenbrechende Frau ein. Der Schaft eines Speeres ragt aus ihrer rechten Brust. Mit der rechten Hand zieht sie an diesem Speerschaft, der linke Arm ist zum Boden hin gerade ausgestreckt, als wolle sie damit den Sturz abfangen und sich am Boden aufstützen; denn sie bricht gerade in die Knie, beide Knie haben fast den Boden erreicht. Vom Betrachter aus gesehen links von der zusammenbrechenden Frau steht ein Mann, der seine linke Hand entsetzt an die Stirn gehoben hat; mit der Rechten hält er eine Keule und die Leine eines Jagdhundes. Der Jagdhund blickt schräg nach rechts oben, entweder zur zusammenbrechenden Frau oder einem Vogel mit weit ausgebreiteten Schwingen und Menschenkopf, der schräg über der Frau in der Luft flattert. Der menschenköpfige Vogel scheint auf die zusammenbrechende Frau zu blicken. Von rechts eilt ein bärtiger Mann herbei, den rechten Arm zu den anderen Figuren hin ausgestreckt. In der Linken hält er ein langes Szepter.
1521 1522
1523 1524
treiben“; er deutet die Gestalt als Leichnam oder Eidolon. Nach Hofstetter 1990 S. 60 ist die Gestalt „vielleicht als Verstorbener aufzufassen“. Hofstetter 1990 S. 60. Auch Hofstetter selbst zieht an anderer Stelle einen Vergleich zwischen diesem Aryballos und den Sirenen von Xanthos: Hofstetter 1990 Anm. 1131 (S. 390 f.). Robert 1921–1926 S. 822 f. Anm. 7. Hofstetter 1990 S. 123 (A 182); Hofstetter 1997 Nr. 77. Herkunft: Erworben aus Privatbesitz (Angaben des British Museum, London, Inv.-Nr. 1772,0320.36).
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Die Sirenen
Fig. 59: Attischer Krater. Um 440–430 v. Chr.
Diese Szene wird allgemein als eine Darstellung des Todes der Prokris interpretiert.1525 Prokris wurde von ihrem Gemahl Kephalos mit einem nie fehlenden Speer getötet, als er sie auf der Jagd im Gebüsch hörte und für Wild hielt.1526 Das Vasenbild zeigt die sterbende Prokris, ihren Gatten Ke1525
1526
Z. B. Rapp 1890–1897 Spalte 1103 (mit Abb. 3 [Spalten 1101 f.]); Buschor 1944 S. 27, 50; Schefold und Jung 1988 S. 76 f.; Hofstetter 1990 S. 123; Hofstetter 1997 Nr. 77. Vgl. Schefold und Jung 1988 S. 76.
Der ikonographische Befund
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phalos, als er erkennt, was er getan hat, und von rechts herbeieilend Erechtheus, den Vater der Prokris.1527 Die hier interessante Frage ist die Identifizierung des menschenköpfigen Vogels schräg über Prokris. Stephani war der erste, der diesen Menschenvogel als Darstellung einer Sirene auffaßte; er wertete das Bild als einen Beleg für die enge Verbindung der Sirenen zu Tod und Unterwelt.1528 Die meisten der zahlreichen von der späteren Forschung vorgelegten Deutungsvorschläge kreisen hingegen um die Themen von ‚Seelenvogel‘ und ‚Vogelzeichen‘: Der Menschenvogel sei dann entweder als die Seele der Prokris zu deuten, die als Vogelmischwesen davonfliegt, oder der Menschevogel stelle ein Vogelzeichen dar, das auf den tragischen Jagdunfall bezogen ist.1529 Gegen eine Deutung des Menschenvogels als die davonfliegende Seele der Prokris scheint mir zu sprechen, daß Prokris zwar deutlich als sterbend dargestellt ist, aber nicht als tot. Prokris bricht zwar zusammen, streckt den linken Arm aber noch aus, um den Sturz abzufangen und sich am Boden 1527 1528 1529
Rapp 1890–1897 Spalte 1103 (mit Abb. 3 [Spalten 1101 f.]); Schefold und Jung 1988 S. 76. Stephani 1866 (1867) S. 62 f. Rapp sah den Menschenvogel als „Eidolon in Vogelgestalt“ (Rapp 1890–1897 Spalte 1103). Auch nach Weicker entflieht hier die Seele der Sterbenden in Gestalt einer Sirene (Weicker 1902 S. 22 Anm. 2, S. 47, 167; Weicker 1909–1915 Spalte 608). Nilsson akzeptiert diese Deutung als das einzige gültige Beispiel Weickers für eine wahrscheinliche Darstellung der davonfliegenden Seele als menschenköpfiger Vogel in der griechischen Kunst (Nilsson 1967 S. 197 f.), ebenso Robert (Robert 1921–1926 S. 823 Anm. 7). Buschor lehnt die Interpretation des Vogels als Seele hingegen entschieden ab, da dies gegen die üblichen Darstellungskonventionen verstoße, und betrachtet den Menschenvogel als ein Vogelzeichen, welches das plötzliche Erkennen oder das Unglück veranschauliche oder den Vater Prokris’ an den Ort des Geschehens führe (Buschor 1944 S. 27, vgl. ibidem S. 50). Auch Pollard lehnt die Deutung als Seele ab und nimmt an, daß die Sirene das geschehende Unheil anzeigt (Pollard 1977 S. 189). Vermeule sieht hier dagegen wieder einen Seelenvogel (Vermeule 1979 S. 18 f.). Schefold und Jung deuten diesen Vogel gleichfalls als Prokris’ davonfliegende Seele (Schefold und Jung 1988 S. 76). Hofstetter billigt die Deutung als Zeichen für das geschehene Unglück und denkt an eine Verbindung zwischen der Sirene und der sich aus dem Totschlag ergebenden Verpflichtung zur Rache, die eine Voraussetzung dafür ist, daß die Seele der Getöteten Ruhe finden kann; die Sirene weise dann auf diese Verpflichtung hin, so wie sie im oben besprochenen Fragment des Sophokles (Fragment 861 [Radt]) die „Gesetze( ? ) des Hades“ verkünde (Hofstetter 1990 S. 136, vgl. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103; siehe oben S. 362 f.). – Für Literatur, die den Menschenvogel dieser Vase als Ker deutete, vgl. Vollkommer 1992 Bd. 6.1 S. 19 (Nr. 48); eine solche Deutung ist nicht aufrechtzuerhalten, wie Vollkommer gezeigt hat (ibidem S. 22). Vgl. ferner Hofstetter 1990 S. 135 mit Anm. 631 (S. 354) für eine Zurückweisung einer Deutung der Sirene als Hinweis auf die Mittagsglut (wozu vgl. auch oben Anm. 1391).
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Die Sirenen
abzustützen; und sie hat noch genug Kraft, um mit der Rechten zu versuchen, den Speer aus ihrer Brust zu ziehen. Auch tötet ein Stoß in die Brust wohl kaum schnell genug, daß der tödlich Getroffene schon tot wäre, ehe er zu Boden gefallen ist. Das wirft die Frage auf, ob denn Prokris’ Seele zu diesem Zeitpunkt schon entweichend abgebildet werden kann. Zwar ist logische Konsequenz bei der Komposition des Vasenbildes nicht anzunehmen; auch ihr Vater kann im Augenblick des Unglücks im Grunde noch nicht zur Stelle sein. Dennoch scheint es zunächst stimmiger, etwa eine Sirene anzunehmen, die zur Sterbenden fliegt (schon Stephani deutete die Sirene als herbeifliegend),1530 als einen Seelenvogel, der von der noch gar nicht Toten schon wegfliegt. Hierzu paßt auch Hofstetters Beobachtung, daß die Sirene dieses Bildes „im Flug, vielleicht schon kurz vor der Landung dargestellt [… ist], denn sie spreizt ihre Füße nach unten“;1531 bei der sterbenden Prokris landen sollte aber nur eine Todesdämonin, während man von einer als Menschenvogel dargestellten Seele erwarten würde, daß sie von der Toten wegfliegt, nicht zu ihr hin. Diejenigen Deutungsansätze, die der Sirene einen zeichenhaften Charakter zuschreiben,1532 sind dabei nicht auszuschließen: Der Menschenvogel dieser Vase könnte durchaus zu Prokris fliegen, um das Unheil anzuzeigen, das ihr eben zustößt. Eine weitere Möglichkeit, der in Anbetracht der Sirenendarstellungen von Xanthos und der großgriechischen Sirenenstatuetten wohl zumindest dieselbe Wahrscheinlichkeit zukommen dürfte, ist jedoch von Simon und von Kron vorgeschlagen worden: Vielleicht handelt es sich bei diesem Menschenvogel auch um einen Dämon, der kommt, um die sterbende Prokris ins Totenreich zu tragen.1533 Sirenen im ‚Reich des Ares‘ Dem Bereich des Todes – und gerade des kriegerischen Todes – stehen vielleicht auch zwei Sirenen nahe, die auf einem korinthischen Skyphos aus den Jahren um 590–570 v. Chr. aus einem Frauengrab auf Samos erscheinen
1530 1531 1532 1533
Stephani 1866 (1867) S. 63. Hofstetter 1990 S. 125. Siehe oben Anm. 1529. Kron 1976 S. 78: „Wahrscheinlich handelt es sich […] um einen jener menschenentraffenden Todesdämonen, die die Griechen Keren, Sirenen oder Harpyien nannten.“ Simon deutete den Menschenvogel als „eine Ker oder Sirene, bereit, die entweichende Seele ins Totenreich zu tragen“ (Simon 1956/57 S. 6). (Zur Deutung spezifisch als Ker siehe jedoch oben Anm. 1529.)
Der ikonographische Befund
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Fig. 60: Korinthischer Skyphos. Um 590–570 v. Chr.
(Fig. 60).1534 Die beiden Sirenen sind als Vögel mit Frauenköpfen dargestellt. Mit halb nach hinten ausgestreckten (schlagenden?) Flügeln sind sie zu beiden Seiten einer Kampfszene antithetisch angeordnet: Sie beobachten den Kampf zweier Krieger, die abgesehen von Beinschienen und Helmen nackt und mit Rundschilden und Lanzen bewaffnet sind. Die Krieger stehen sich mit zum Stoß erhobenen Lanzen eng gegenüber. Hofstetter wertet die Sirenen hier als „Ausdruck der bedrohlichen Situation im Kampf“;1535 vielleicht liegt die Bedrohlichkeit der Sirenen in einer Funktion als Seelengeleiterinnen, was auf den bevorstehenden Tod eines der Kämpfer hindeuten könnte. Andererseits könnte sich hier auch eine Beziehung der Sirenen zum Krieg niederschlagen – immerhin versuchen die Sirenen
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Kranz und Lullies 1975 S. 12 f. (S 1) mit Tafel 49; Hofstetter 1990 S. 49 (K 64); Payne 1931 S. 309 (Nr. 950); die Datierung folgt Hofstetter 1997 zu Nr. 71 (mit Abb.), einer nahezu identischen Wiederholung derselben Darstellung auf einem Skyphos im Boston Museum of Fine Arts, Inv.-Nr. 95.14 (=Payne 1931 S. 309 Nr. 951; Kranz und Lullies 1975 S. 13 datieren das Kasseler Stück ins zweite Viertel des 6. Jh.). Das Bostoner Gegenstück ist auch abgebildet in Vermeule 1979 S. 84 Abb. 3 und in Payne 1931 Tafel 33,3 und 33,11. Hofstetter 1990 S. 52.
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Die Sirenen
Fig. 61: Chalkidische Hydria. Um 540–530 v. Chr.
der Odyssee, Odysseus durch ihr Wissen gerade über den trojanischen Krieg anzulocken.1536 Im Kontext des Schlachtengetümmels erscheint eine Sirene ferner etwa auf einer chalkidischen Hydria aus den Jahren um 540–530 v. Chr. (Fig. 61, aus dem Antikenhandel).1537 Das Hauptfries dieser Vase zeigt auf ihrer Rückseite zu beiden Seiten des Ansatzes des Vertikalhenkels zwei Sphingen, die mit dem Rücken zueinander stehen, aber sich mit über die Schulter nach hinten gewandten Gesichtern ansehen. Unter dem linken Horizontalhenkel ist ein Löwe mit aufgerissenem Maul dargestellt, der auf die Szene blickt, die das Hauptfries auf der Vorderseite der Vase zeigt: Dort befinden sich drei Paare von Kämpfenden. Die zumeist bis auf die Bewaffnung nackten Männer sind mit Helm, Schild, Beinschienen, Speeren und Schwertern ausgerüstet. Nur einer hält sein Schwert in der Hand, alle anderen kämpfen mit dem Speer. Der Schwertträger ist in die Knie gebrochen und stützt sich mit seinem Schild auf den Boden. Er blickt sich über seine rechte Schulter nach oben zu einem Krieger hinter ihm um, der eben den Speer erhoben hat – wohl zum Todesstoß. Der Kampf des zweiten Paares scheint noch un1536
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Vgl. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1103, wo sie ferner auch eine Verherrlichung der Kämpfenden als Funktion der Sirenen in solchen Bildern in Erwägung zieht. Hofstetter 1990 S. 220 (Ch 13). Herkunft nach Angaben des British Museum, Inv.-Nr. 1865,0722.15.
Der ikonographische Befund
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entschieden, während auch im dritten Paar ein Kämpfer auf ein Knie gesunken ist und seinen Gegner mit erhobenem Speer im Rücken hat; somit scheint auch sein Tod unmittelbar bevorzustehen. Unter dem rechten Horizontalhenkel steht eine Sirene mit ausgebreiteten Flügeln (vielleicht flügelschlagend),1538 die den Kopf weit nach hinten gestreckt hat, um die Schlachtenszene zu beobachten. Sie steht so nahe an dieser Schlachtenszene, daß ihre Schwanzfedern und ihre rechte Flügelspitze in den Bildhintergrund des dritten kämpfenden Paares ragen.1539 Sie entspricht damit in Stellung und Blickrichtung dem Löwen unter dem anderen Horizontalhenkel; beide Wesen sind auf die Schlacht fixiert, in welcher der Tod zweier Kämpfer für den nächsten Augenblick zu erwarten ist. Von Interesse für den Charakter der Sirenen ist hier somit ihr Erscheinen im Kontext des bevorstehenden Schlachtentodes. Unter den Belegen, die Gropengiesser für ihre Auffassung der Sirenen als Todesdämonen vorlegt,1540 befindet sich ein korinthischer Kolonnettenkrater aus der Zeit zwischen 590 und 575 v. Chr. ohne bekannten archäologischen Kontext.1541 Dieser Krater zeigt je eine Sirene auf den Henkelplatten und in einem Tierfries, sowie eine Sirene unter zumindest einem der Henkel.1542 Die Sirene unter dem Henkel blickt sich mit weit nach hinten gewandtem Kopf zum Bild des Hauptfrieses auf der Vorderseite des Kraters um. Sie ist als Vogel mit Menschenkopf dargestellt und hat die Flügel zu beiden Seiten des Körpers halb ausgebreitet, als würde sie aufgeregt mit ihnen schlagen.1543 Die Szene, auf welche die Sirene blickt, zeigt drei reitende Bewaffnete: Die Männer tragen Helme und Schilde und haben ihre Speere geschultert. Hinter jedem Reiter ist ein fliegender Vogel dargestellt. Gropengiesser schlägt vor, daß diese Darstellung in den Kampf ziehender Krieger, „wobei dem einen oder anderen schon jetzt der Tod beschieden sein kann“,1544 die Anwesenheit und Aufregung der Sirene erklärt.1545 Auch 1538 1539 1540
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Hofstetter 1990 S. 220. Rumpf 1927 Tafeln 19–22 (Nr. 9). Vgl. den Textband S. 11 f. In diesem Fall mit der Einschränkung, daß diese Sirene nicht eindeutig als Todesdämon charakterisiert sei: Gropengiesser 1977 S. 593 f. Gropengiesser 1977 S. 593 f. mit Abb. 17 und 18; Bakir 1974 S. 14 (K 35) und 65; Hofstetter 1990 S. 59 (K 97). Ehemals Kunsthandel (Bakir 1974 S. 14). Die Beschreibungen sind widersprüchlich: Hofstetter 1990 S. 59: „Sirenen unter den Henkeln“; Bakir 1974 S. 14: „Unter einem Henkel: Sirene.“ Vgl. Gropengiesser 1977 S. 594, die die Kopfwendung der Sirene als „erregt“ auffaßt. Gropengiesser 1977 S. 594. Gropengiesser 1977 S. 594 Anm. 39 weist auch darauf hin, daß vergleichbare Sirenendarstellungen in gleichen oder ähnlichen Kontexten auf korinthischen Krateren sehr häufig sind (mit weiteren Beispielen). Vgl. etwa Hofstetter 1997 Nr. 70, einen
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Die Sirenen
Hofstetter sieht die Sirene in Beziehung zu den ausziehenden Kriegern als Verdeutlichung der Aussage dieses Hauptbildes und „wohl als Ausdruck des düsteren Charakters des Kriegszuges“.1546 In denselben Kontext gehört ein hocharchaischer schwarzfiguriger attischer Dinos des Sophilos, gefunden in Etrurien und datiert in die Jahre um 600–590 v. Chr. (Fig. 62).1547 Den Hauptschmuck des Gefäßes bilden drei breite Friese, die vor allem Tiermotive zeigen. Der unterste Fries ist mit vier Sirenen, zwei Panthern, zwei Keilern und einem Vogel (Gans?) gefüllt. Einer der Panther greift vielleicht einen der Keiler an, da er eine Pfote auf einen hinteren Oberschenkel dieses Keilers legt. Die Sirenen erscheinen in zwei Paaren, wobei sich die beiden Sirenen jedes Paares jeweils antithetisch gegenüberstehen; sie sind als Vögel mit Frauenköpfen dargestellt. Der mittlere Fries zeigt ganz ähnliche Motive: Wieder erscheinen zwei Paare sich antithetisch gegenüberstehender Sirenen zwischen wilden Tieren (Löwe, Panther, Keiler, ein Bock). Darüber hinaus erscheint ein florales Ornament, das auch auf der Rückseite des obersten Frieses wiederholt wird. Der oberste Fries zeigt ferner Löwen, einen Vogel (Adler?), wohl einen Panther und zwei antithetische (kämpfende?) Keiler. Der hier wichtigste Teil dieses Frieses ist aber eine Gruppe, die man als das Zentrum der Darstellung auffassen kann: In der Mitte der weitgehend symmetrischen Anordnung befindet sich ein Streitwagen in Frontalansicht. Vor den Wagen sind vier Pferde gespannt, der Wagenlenker befindet sich im Wagen. Von rechts und links schreitet je ein Mann in einem langen Gewand (aber ohne Rüstung) auf den Wagen zu, der einen Speer mit der Spitze nach oben senkrecht vor sich hält. Die Männer zeigen keine feindselige Haltung und sind wohl kurz davor,
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mittelkorinthischen Kolonnettenkrater um 595–570 v. Chr. mit Sirenen auf den Henkelplatten, dessen eine Seite kämpfende Krieger zeigt, während sich auf der anderen „ausziehende Krieger mit Speeren, begleitet von fliegenden Adlern“ befinden. Hofstetter 1990 S. 62. Keine Aufmerksamkeit hat bisher das Verhältnis des Bildes der Vorderseite mit der Sirene unter dem Henkel zum Bild der Rückseite gefunden, das zwei antithetische Hähne mit einer Schlange zwischen ihnen zeigt. Die Verbindung zwischen Hahn und Schlange ist reichlich halbklar; erst viel später als das hier betrachtete Vasenbild ist der Hahn als der Todfeind des Basilisken, des „Königs der Schlangen“, belegt (vgl. Graf 1997). Hähne wurden für den Hahnenkampf gezüchtet und oft für ihren Kampfesmut gerühmt, sie konnten die Kriegswut symbolisieren, und ihre Aggressivität war sprichwörtlich (Müller 1998 Spalte 79; Hünemörder 1998 [Huhn] Spalten 749 f.; Keller 1909–1913 Bd. 2 S. 132 f., 136 f.); ergibt sich so vielleicht ein inhaltlicher Bezug zum Bild der Vorderseite? Ob die Bilder überhaupt aufeinander bezogen sind, ist allerdings offen; auch die Verbindung der Sirene zu den ausziehenden Kriegern wird ja erst daraus deutlich, daß sie diese beobachtet – eine solche Verbindung zu den Hähnen fehlt aber. Hofstetter 1990 S. 76, 79 (A 35).
Der ikonographische Befund
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Fig. 62: Attischer Dinos. Um 600–590 v. Chr.
den Wagen zu besteigen. Diese Gruppe wird von zwei Sirenen gerahmt, die auf den Wagen und die bewaffneten Männer blicken.1548 Hofstetter sieht in diesem Fries eine Darstellung des „Ausgeliefertsein[s] des Menschen an dämonische, schicksalhafte Mächte“; die Männer faßt sie als vielleicht zum Kampf aufbrechend auf, und die Sirenen scheinen ihr entsprechend möglicherweise einen bevorstehenden Tod anzudeuten. Den „düstere[n] Charakter“ der Hauptszene sieht sie durch die Tierkampfszenen und andere Züge der Tierfriese unterstrichen.1549 Gropengiesser führt diese Vase als eines der Beispiele an, mit denen sie ihre Auffassung der Sirenen als Todesdämonen untermauert. Sie vermutet, daß auch in diesem Bild vielleicht ein bevorstehender Tod anklingt und daß die Sirenen, die den Wagen flankieren, dann vielleicht Unheil verkünden. Auch die Sirenen im Tierfries hält sie für nicht nur bloße Dekoration.1550 In nochmals anderer Weise erscheint ein menschenköpfiger Vogel bei einer Kriegerausfahrt auf einer schwarzfigurigen attischen Bauchamphore des Exekias aus den Jahren um 540 v. Chr., gefunden in Vulci.1551 Das Vasenbild zeigt einen Streitwagen, der von vier Pferden gezogen wird. Der Streitwagen ist in Seitenansicht dargestellt; ihrer Beinstellung nach bewegen die Pferde den Wagen langsam vorwärts. Im Streitwagen stehen der Wagen1548 1549 1550
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Vgl. Bakir 1981 Tafeln 46–48 Abb. 83–88. Hofstetter 1990 S. 85. Gropengiesser 1977 S. 594 f. Für eine Parallele zur Unheil verkündenden Sirene bei der Ausfahrt vgl. Gropengiesser 1977 S. 594 Anm. 41. Hofstetter 1990 S. 93 (A 80); Beazley 1986 S. 58 f. Für Abbildungen vgl. etwa Buschor 1944 S. 29 Abb. 18; Beazley 1986 Abb. 5 und 6 auf Tafel 61.
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Die Sirenen
lenker (mit Leinen und Peitsche) und ein mit Schild und Lanze bewaffneter, gerüsteter Krieger mit der Namensbeischrift ANXIPO7; über ihn ist sonst nichts bekannt.1552 Etwa auf Höhe der Köpfe der Männer befindet sich in der Mitte zwischen den Wagenfahrern und den Köpfen der Pferde – und genau über dem Blatt der Lanze des Kriegers – ein menschenköpfiger Vogel mit halb ausgebreiteten Flügeln, der in dieselbe Richtung fliegt, in die auch das Gespann fährt.1553 Beazley sieht in dem menschenköpfigen Vogel über dem anscheinend zum Kampf aufbrechenden Gespann1554 ein gutes Omen.1555 Pollard deutet ihn als schlechtes Omen.1556 Auch Buschor deutet die Erscheinung als ein Vogelzeichen, legt sich aber nicht fest, ob es sich um ein gutes oder schlechtes Vorzeichen handelt, und ob man hier von einer Sirene sprechen sollte oder nicht.1557 Hofstetter betrachtet den Vogel als Sirene, versucht aber keine weitere inhaltliche Deutung.1558 Die unterschiedlichen Forschungsmeinungen über die Deutung dieses Menschenvogels raten in der Tat zur Vorsicht bei seiner Interpretation; nichtsdestoweniger ist hier jedoch wieder die Verbindung des Menschenvogels mit der Ausfahrt eines gewappneten Kriegers festzuhalten, wobei es insbesondere auch von Bedeutung sein mag, daß dieser Menschenvogel gerade über dem Blatt der Lanze des Kriegers erscheint. Als weitere Variante des Motivs einer Assoziation des Menschenvogels mit dem Bereich des Krieges ist unter den frühen Zeugnissen abschließend noch ein spätkorinthischer Aryballos aus den Jahren um 575–550 v. Chr. zu erwähnen (Fig. 63, aus Siana).1559 Diese einzigartige Vase zeigt eine bartlose und hier daher weibliche1560 Sirene. Diese Sirene ist als Vogel mit Menschenkopf dargestellt und hat beide Flügel ausgebreitet, so daß sie nahezu das gesamte Gefäß einnimmt; einige Freiräume sind durch einfache, blüten-
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Beazley 1986 S. 59 mit Abb. 5 Tafel 61. Beazley erwähnt nur noch eine weitere Erwähnung des Namens auf einer Vase (ibidem). Vgl. Beazley 1986 S. 59 mit Abb. 5 und 6 Tafel 61. Auch die Rückseite der Vase zeigt ein kriegerisches Motiv, nämlich den Kampf des Herakles gegen Geryoneus (vgl. Beazley 1986 S. 58 f. mit Abb. 1 und 3–4 Tafel 61). Beazley 1986 S. 59. Pollard 1977 S. 188. Zuvor hatte er als Alternative zur Deutung als schlechtes Omen auch an eine Interpretation als „an emissary from Hades come to conduct the hero to the unseen world“ gedacht: Pollard 1965 S. 140. Buschor 1944 S. 28. Hofstetter 1990 S. 93, 114. Hofstetter 1990 S. 57 f. (K 88); Payne 1931 S. 319 f. (dort Nr. 1243D); Hofstetter 1997 Nr. 2. Vgl. Cook 1940 S. 801.
Der ikonographische Befund
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Fig. 63: Korinthischer Aryballos. Um 575–550 v. Chr.
ähnliche Ornamente gefüllt. Außergewöhnlich ist ein Detail dieser Sirene: Sie trägt einen illyrischen Helm.1561 Das Tragen eines Helmes ist für eine Sirene ein ungewöhnlicher Zug. Hofstetter schlägt vor, daß der Helm den Wirkungsbereich dieser Sirene andeutet.1562 Falls dies richtig ist, erscheint die Sirene hier in den Bereich des Krieges gerückt, vielleicht als (Todes?)Dämon des Schlachtfelds.1563 1561 1562
1563
Hofstetter 1990 S. 62. Hofstetter 1990 S. 62. Sie zieht dies der von Cook 1940 S. 801 vorgeschlagenen Interpretation als eine Darstellung der Athena als „no longer a bird, not yet a goddess“ vor. Cooks lineares Schema einer Entwicklung der Erscheinungsform Athenas von einer Vogelgestalt über mehrere Zwischenstufen zu einer Göttin mit einem Vogel als Attribut (siehe Cook 1940 S. 776–836, besonders S. 794) wird durch das von ihm gebotene Material nicht gestützt, da seine Beispiele keine chronologische Reihenfolge in diesem Sinne belegen. Vielmehr legt das von ihm gebotene Material ein Nebeneinanderbestehen mehrerer verschiedener Darstellungsweisen nahe, die das Verhältnis Athenas zu ihrem Vogelattribut unterschiedlich abbilden. Dennoch scheint sein Material zu implizieren, daß eine Interpretation dieses behelmten Menschenvogels als Darstellung der Athena nicht völlig auszuschließen ist, auch wenn sich keine zeitnahen ikonographischen Parallelen finden – wobei dieses Fehlen zeitnaher Parallelen allerdings hervorgehoben und bei der Deutung des Aryballos berücksichtigt werden sollte. Vgl. jedoch auch weniger ablehnend Hofstetter 1997 zu diesem Stück (dort Nr. 2): „Verkörperung der Athena […] oder auch Ausdruck des Wunsches nach dämonischem Beistand im Krieg.“ Für spätere Darstellungen Athenas als behelmter und teilweise bewaffneter menschenköpfiger Vogel vgl. Cook 1940 S. 801–804 (zu den Münzen des L. Valerius Acisculus vgl. jedoch Desnier 1985). – Weicker 1902 S. 35 mit Fig. 15 hält seinem üblichen Interpretationsschema entsprechend eine Deutung als die Seele eines Kriegers für wahrscheinlicher als eine Athenadarstellung. Hierher gehören mag auch eine ungewöhnliche Gemme, für die allerdings weder detaillierte Angaben zur Herkunft noch zur Datierung erhältlich sind (Fig. 64); nach Micali 1844, Textband S. 344 ist das Stück etruskisch. Es zeigt einen Vogeldämon mit dem Unterleib eines Vogels und dem nackten Oberkörper einer Frau. Große Schulterflügel sind am Rücken angesetzt. Die Figur ist in Seitenansicht gezeigt, so
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Die Sirenen
Die Assoziation von Krieg, Krieger, Kriegerausfahrt und Sirene ist vornehmlich ein Zug der frühen Bildüberlieferung, der gerade für das 6. Jh. v. Chr. typisch zu sein scheint.1564 Auch in der späteren Zeit finden sich jedoch noch einzelne Zeugnisse, die Sirenen Seite an Seite mit kriegsund kampfbezogenen Elementen darstellen. So wäre hier an die bereits angesprochene Grabstele des Parmeniskos aus Apollonia in Illyrien zu erinnern (um 200 v. Chr.), die neben zwei Sirenen auch einen Fries mit einer Amazonomachie zeigt.1565 Ähnlich zeigt die Grabstele des Metrodoros aus Chios (3. Jh. v. Chr.) neben Rankenschmuck, von Niken gesteuerten Bigen und (auf den Nebenseiten) Szenen aus dem Leben des Verstorbenen insbesondere auch zwei hierhergehörige Figurenfriese, die – soweit erhalten – auf allen vier Seiten des Monuments mit kleineren Variationen wiederholt werden: Der obere dieser beiden Friese besteht aus tanzenden, musizierenden Sirenen, die als Frauen mit nackten Oberkörpern, großen Schulterflügeln und Vogelunterleibern dargestellt sind; unmittelbar darunter befindet sich der zweite Fries mit einer Kentauromachie (Fig. 65).1566 Zumindest in diesen späteren Zeugnissen dürfte die Verbindung der Sirenen mit der
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1565 1566
daß nur ein Flügel sichtbar ist; dieser ist hinter dem Rücken gefaltet. Die Haare scheinen zu einem Knoten hochgesteckt. Der Vogeldämon steht aufrecht, vor dem Körper hält er in der Linken senkrecht mit der Spitze nach oben ein Schwert. Auf der Abb. Lajard 1847 Tafel 69 Nr. 15 (=meine Fig. 64) hat die Figur deutlich weibliche Brüste. (Auf der Abb. Nr. 7 Tafel 54 bei Micali 1844, Tafelband, hat die Figur eine männliche Brust, was aber an einer moralisch bereinigenden Tendenz dieser Tafeln liegen könnte; in einer Kopulationsszene zwischen zwei Eseln auf derselben Tafel [Nr. 5] fehlen auffallenderweise die Geschlechtsteile, obwohl die Komposition des Bilds ihre Anwesenheit auf dem Stein erwarten läßt.) Könnte es sich auch hier um eine ‚kriegerische Sirene‘ als (Todes-?)Dämon des Schlachtfelds handeln? Vielleicht ist das Bild aber auch eher mit etruskischen Abbildungen geflügelter weiblicher Todesdämoninnen Fig. 64: Unterseite eines zu vergleichen, die wiederholt bewaffnet erscheinen, Skarabäus, Karneol; siehe oben. Stephani 1866 (1867) S. 32 will das Wesen etruskisch? Undatiert. nicht benennen. Vgl. Hofstetter 1997 Bd. 8.1 S. 1098 f. („III. E. e) Sirenen mit Kriegern“); auch eine Suche in der Datenbank des Beazley Archivs, Oxford (www.beazley.ox.ac.uk, 5. Dezember 2009), ergab mit der Ausnahme eines einzigen Belegs aus dem späten 6./frühen 5. Jh. v. Chr. für die Verbindung von Sirenen mit Kriegern oder Kriegerausfahrten nur Belege aus dem 6. Jh. v. Chr. Siehe oben S. 402. Vgl. Studniczka 1888 S. 199–201 und Tafel III; Brückner 1888, besonders S. 363 f.; Weicker 1902 S. 12, 17 (mit Fig. 10), 79, 176 f. mit Anm. 4; Leclercq-Marx 1997 (2002) S. 23 Abb. 21.
Zusammenfassung und methodologischer Rückblick
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Fig. 65: Grabstele aus Chios (Detail). 3. Jh. v. Chr.
Kampfdarstellung allerdings – jedenfalls aus der griechischen Innenperspektive – nur eine indirekte sein. Sowohl für die mythologischen Schlachtenszenen als auch für die Menschenvögel ist eine Darstellung auf einer Grabstele jeweils im eigenen Recht naheliegend: Die Schlacht ist als eine Darstellung tödlicher Gewalt selbst ein todesbezogenes Motiv, und die Sirenen sind ein traditioneller Grabschmuck. Hier dürften also weniger Sirenen mit Gewalt als vielmehr Gewalt und Sirenen jeweils für sich mit dem Tod assoziiert sein. Ein kultureller Außenseiter – ein „Barbar“ – mag bei der Betrachtung einer solchen Stele freilich andere Verbindungslinien gezogen haben.
Zusammenfassung und methodologischer Rückblick Nachdem im letzten Kapitel ein kursorischer Überblick über einige Überlieferungen zu einer Reihe römischer und vor allem griechischer Todesdämoninnen gegeben worden war, hat das vorliegende Kapitel den Versuch unternommen, eine weitere griechische Gestalt detaillierter zu besprechen.
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Die Sirenen
Die Wahl fiel auf die Sirenen; ausschlaggebend hierfür war die herausragende Präsenz dieser Gestalten in der klassischen Sepulkralkunst. Für das Attika des 4. Jh. führt Hofstetter 92 rundplastische oder im Relief gestaltete Sirenendarstellungen in der Grabkunst an – nahezu ein Siebtel der von ihr erfaßten archaischen und klassischen griechischen Sirenendarstellungen. Hierzu könnte man ferner gemalte Sirenen auf Grabamphoren oder Urnen und Sirenendarstellungen auf bzw. als Grabbeigaben zählen (eine statistische Auswertung wäre hochinteressant, ist aber in Anbetracht der vielen Objekte, für die keine genauen Herkunftsangaben vorliegen, in einer aussagekräftigen Weise nicht möglich).1567 Schon die schiere Fülle der in diesem Bereich vorhandenen Belege macht es der Mühe wert, diese Vogelfrauen genauer zu betrachten und neben die todesbezogenen Vogelfrauen Etruriens und der keltischen und germanischen Welt zu stellen. Die eigentliche Bedeutung dieses Punkts, die die Sirenen vor den Furien, Keren und Erinyen auszeichnet, liegt aber nicht im Reichtum des Materials, sondern in ihrer starken Präsenz in einem Bereich, der eine reale Gegenwart im religiösen Leben nahezulegen scheint: Die Allgegenwart von Sirenen in weiten Bereichen der antiken Sepulkralkunst und insbesondere ihre herausragende Stellung auf dem ‚Harpyienmonument‘ in Xanthos weisen für die Sirenen auf eine Präsenz in der gelebten Religiosität hin, während unsere Quellen für die Furien, Keren und Erinyen den Eindruck erwecken, daß diese Gestalten bereits in der klassischen Zeit weitgehend zu reinen Figuren der Literatur verblaßt sind. Die Sirenen führen hier ein merkwürdiges Doppelleben: Einerseits sind sie als Akteure der berühmten Szene in den Irrfahrten des Odysseus literarische Figuren par excellence – andererseits scheint ihre Gegenwart im Sepulkralbereich auf eine reale religiöse Existenz hinzudeuten. Die literarische Darstellung der Sirenen wird von dieser ihrer in den Jenseitsvorstellungen und im Grabbrauch verwurzelten Seite schwerlich ganz unabhängig sein; wahrscheinlicher ist, daß sich sowohl die Literatur als auch die Kunst letztlich aus derselben Tradition speisen. Sowohl im Epos als auch im Drama, in der Philosophie und in der Grabkunst werden die Sirenen dabei in einem Bereich angesiedelt, der dem Jenseits angehört oder in dem Diesseits und Jenseits sich berühren (so erscheinen sie vor der Küste des Hades, im Reich der Persephone, auf den Sphären des Alls oder als Träger des Verstorbenen ins Totenreich); hier mag der gemeinsame Kern zu vermuten sein, der den verschiedenen Aspekten und Repräsentationen dieser Gestalten als gemeinsamer – und allem Anschein nach lebendiger –
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Vgl. z. B. Hofstetter 1990 A 3, A 11–15, etc.
Zusammenfassung und methodologischer Rückblick
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Nenner zugrunde liegt, und der vielleicht den Schlüssel zu ihrem Verständnis darstellt. Das vorliegende Kapitel versuchte, der literarisch-‚volksreligiösen‘ Doppelnatur der Sirenen gerecht zu werden, indem es zwar von der ältesten Quelle ausging, die einen literarischen Charakter hat, aber indem es diese Quelle nicht nur innerhalb der Literatur zu verstehen versuchte, sondern sie als Korrektiv auch ausgewählten archäologischen Zeugnissen gegenüberstellte. Die Leitfragen ergaben sich dabei einerseits aus dieser ältesten Quelle – dem homerischen Epos – und andererseits aus dem Rahmen, den die Betrachtung der Walküren und der irischen Bodbs am Anfang der vorliegenden Arbeit vorgegeben hatte. Das Leitmotiv, dem diese Arbeit folgt, sind dämonisch-halbgöttliche Gestalten, in deren Charakter immer wieder dieselben Züge in vielfältigen Variationen auftauchen: Sie erscheinen bald als Individuum, bald als Kollektiv weiblicher Figuren mit einer betonten Sexualität und in enger Verbindung mit Tod, Vögeln, dem Verschlingen von Leichen, dem Übergang der Toten ins Jenseits, mit Krieg und Gewalt, einem tieferen Wissen und der Fähigkeit, direkten Einfluß auf den Geist ihres Opfers zu nehmen, es magisch zu binden und kampflos zugrunde gehen zu lassen. Schon in der kurzen homerischen Sirenen-Erzählung treten einige dieser Züge deutlich hervor: Die Sirenen sind weiblich, sie sind mehrere, sie sind von den verfaulenden Resten der Toten umgeben und sie wissen alles, was sich auf der Welt ereignet – insbesondere alles, was sich während des größten Krieges ihrer Zeit ereignet hat. Daß sie dieses prophetische Kriegs-Wissen benützen, um ihre Opfer ins Verderben zu locken, entspricht dabei ganz dem Gebrauch, den auch die Bodbs in Irland von ihrer Weisheit machen: In Cath Maige Tuired stellen sie sie in den Dienst der Zerstörung ihrer Feinde, und in ihren trügerischen Prophezeiungen vor der Endschlacht in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge benützen sie sie dazu, die Krieger zu größerem Blutvergießen anzuspornen. Und die Schmeichelei, die das Wissen der Sirenen über den trojanischen Krieg Odysseus gegenüber impliziert, spiegelt sich vielleicht in der Funktion der Bodbs, den Ruhm des Siegers zu verkünden, während sich die Walküre der Hrafnsmál von den Raben gerade vom Ruhm eines Königs berichten läßt. Das weibliche Geschlecht der Sirenen und ihr Charakter als Kollektiv, ihre Verbindung mit dem Tod, ihr tieferes Wissen und eine Beziehung zum Krieg werden schon in den wenigen Versen deutlich, die Homer den Sirenen widmet. Anderes hat die Antike in der homerischen Erzählung als selbstverständlich betrachtet: Das Verschlingen der Opfer (das wohl auch in der Táin Bó Cúailnge auf die falsche Prophezeiung der Bodb folgt) könnte in der attischen Komödie spielerisch impliziert sein und ist ab dem Helle-
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nismus wiederholt ausdrücklich bezeugt. Schon in den ersten Darstellungen der Odyssee-Szene ganz am Anfang des 6. Jh. werden die Sirenen zudem als Mischwesen aus Elementen von Vogel und Frau dargestellt. In der ersten gesicherten Darstellung des Odyssee-Abenteuers erscheinen die Seeleute zugleich als Fraß für die Vögel – das Verschlingen mag schon hier im Bild angedeutet sein. Früh im 5. Jh. bezeugt die Sirene I , „Stimme des sexuellen Verlangens“, daß der verführerisch-tödliche Gesang der mischwesengestaltigen Sirenen auf ihrer Insel vor der Küste der Unterwelt auch deutlich erotische Untertöne hatte. Solche erotischen Untertöne dürften selbst in der Grundstruktur der Sirenenikonographie ab dem 4. Jh. zum Ausdruck kommen, wenn gerade ein bis zum Unterleib dargestellter nackter Frauenkörper zum zentralen Element des Sirenenbilds wird, der zudem noch in hadrianischer Zeit in aller Deutlichkeit beim Liebesakt dargestellt werden kann; und ganz entsprechend schlägt sich ein solcher erotischer Zug wohl auch in der späteren euhemeristischen Auffassung der Sirenen als Hetären nieder. Der Gesang der Sirenen macht ihre Opfer willenlos und weiht sie dem Tode; nach dem Fragment des Dinon, das Plinius überliefert, schläfern sie ihre Opfer ein und zerreißen dann die Wehrlosen. Nach anderen Quellen setzen die Opfer sich lethargisch auf den Boden, bis sie elend Hungers sterben. Auch die Sirenen sind also nicht primär kämpfende Gestalten; ähnlich dem Fall der Walküren, die über den herfjqturr gebieten, und ähnlich dem Fall der Bodbs, die ihre Opfer durch schiere Angst töten und sie ihrer Kraft berauben können, ist die stärkste Waffe der Sirenen die Verzauberung, durch die sie ihre Opfer binden. Damit bleibt von den Fragen, die der Vergleich mit den Walküren und den Bodbs an die Sirenen richtet, fast nur noch die Frage nach dem Übergang ins Jenseits. An den homerischen Sirenen wird eine Verbindung mit dem Übergang ins Jenseits kaum deutlich, aber angedeutet mag auch sie sein: Die Sirenen sitzen auf einer von Toten bedeckten, windstillen Blumenwiese auf einer Insel im Ozean am Rande der Welt, ganz wie sich die Toten auf einer Blumenwiese an der Küste des windstillen Okeanos jenseits des Rands des Welt befinden; und zu diesem Ort locken die Sirenen durch ihren Gesang in den Tod (man erinnere sich vielleicht, daß auch die Walküren der Hákonarmál dem gefallenen König nur den Weg nach Walhall weisen, aber ihn nicht im eigentlichen Sinne dorthin geleiten; und daß dieser Weg des Königs ins Jenseits über seinen eigenen Tod führt, den die Walküren ebenso erst selbst herbeiführen wie die Sirenen, die ihre Opfer in den Tod locken). Es ist verführerisch, hier eine Verbindung zu den Sirenen zu sehen, für die in einem Dialog Plutarchs eine Deutung als Wegweiser für die Seelen vorgeschlagen (aber auch verworfen) wird: Durch ihren Gesang soll-
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ten diese Sirenen den Seelen helfen, den Weg in den Himmel zu finden. Zwischen Homer und dem kaiserzeitlichen Plutarch liegt natürlich ein zu großer zeitlicher Abstand, als daß man diese Quellen ohne weiteres miteinander verbinden könnte. Aber die so kontrovers gedeuteten musizierenden Sirenen auf attischen Gräbern könnten sich hier als Bindeglied einfügen (auch wenn sich dies nicht beweisen läßt); und sicher als Seelengeleiterinnen fungieren die Sirenengestalten auf dem ‚Harpyienmonument‘ in Xanthos, die die Seelen der Toten in die nächste Welt tragen, mit ihren Parallelen vor allem aus dem ost- und großgriechischen Raum (sowie Etrurien). Wie genau sich die seelengeleitenden Sirenen von Xanthos zu den auf eine Todesinsel lockenden Sirenen Homers verhalten, bleibt zwar zugegebenermaßen reichlich halbklar – es soll nicht behauptet werden, daß ein negativ konnotiertes Locken ins Jenseits mit einer positiv konnotierten Seelengeleiterfunktion einfach identisch ist. Doch scheinen die beiden Motive auch durch keine so große Kluft getrennt, daß sie sich nicht etwa als zeitliche oder geographische Varianten eines gemeinsamen Grundmotivs auffassen lassen könnten. Somit werden einige der hier untersuchten Züge früher europäischer Todesdämoninnen schon bei Homer für die Sirenen ausdrücklich ausgesprochen, während andere bei Homer nur impliziert scheinen und erst von der archäologischen Überlieferung (und teilweise der späteren textlichen Überlieferung) bestätigt werden. Belegt oder angedeutet scheinen sie jedoch fast alle; nur die Möglichkeit, auch als Individuum zu erscheinen, fehlt den Sirenen Homers völlig: Sie wird erst im Hellenismus mit Lykophrons Bericht über die unteritalischen Kulte individueller Sirenen greifbar und bleibt auch dann ein letztlich völlig peripherer Zug. Zugleich bleiben die übrigen hier betrachteten Wesenszüge der Sirenen zumeist auch noch nach der homerischen Zeit weithin greifbar: Die Sirenen werden in der klassischen Zeit und später bis über das Ende des Hellenismus hinaus als wichtige Elemente des Grabschmucks eng mit dem Tod assoziiert; ihr sexueller Aspekt läßt sich in der euhemeristischen Sirenendeutung wie in der Bildüberlieferung bis in die Römische Kaiserzeit verfolgen; das Verschlingen ihrer Opfer wird noch bei Plinius und Tertullian greifbar und bei Plinius zudem mit der bindenden Macht ihres Gesangs verbunden; eine Auffassung der Sirenen als Seelengeleiter wird gleichfalls noch in der Kaiserzeit von Plutarch angesprochen (wenn auch nur, um gleich darauf abgelehnt zu werden) und vielleicht auf einer griechisch-römischen Gemme dargestellt. Nur die bei Homer ausgesprochene Allwissenheit der Sirenen und ihre Assoziation mit Krieg und Kriegerauszug, wie sie insbesondere in der Bildüberlieferung des 6. Jh. und in ihrem homerischen Wissen gerade über Dinge des Kriegs greifbar ist, treten im späteren Material zurück; in Anspielungen und
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möglichen Assoziationen mögen freilich auch solche Elemente noch ein Nachleben zeigen, wenn Kassandras Prophezeiung des trojanischen Kriegs bei Lykophron zum „Sirenenlied“ wird oder wenn Sirenendarstellungen Seite an Seite mit Schlachtenbildern zum Schmuck von Grabsteinen dienen. Die direkte Wirkung des homerischen Texts selbst dauert ohnehin ungebrochen fort. Für den Gebrauch der archäologischen Sirenen-Überlieferung zur Rekonstruktion des Charakters dieser Dämoninnen ist dabei jedoch ein caveat auszusprechen. Klassisch formuliert hat die entsprechende Position Nilsson: „Die Sirene, die in der archaischen Kunst so häufig rein dekorativ verwendet wird, war wie die Sphinx ein vom Osten her übernommener Kunsttypus, der wie alle solche Typen verschiedenartig gebraucht wurde, wo er eben geeignet schien. Anfangs gehört die Sirene nicht in die mythische Sphäre; sie war aber sehr willkommen, wo es galt, dämonische Wesen darzustellen.“1568
Nilsson hebt somit hervor, daß nicht jedes – zumal frühe – Sirenenbild auch dem Begriff nach eine ‚Sirene‘ hat darstellen müssen; der Bildtypus der Sirene könnte durchaus in ganz unterschiedlichen Kontexten zur Darstellung ganz unterschiedlicher Gestalten verwendet worden sein. An derselben Stelle zweifelt Nilsson im folgenden insbesondere auch an, ob eine Benennung von Figuren wie denen des ‚Harpyienmonuments‘ möglich ist. Seine Zweifel daran, daß die ikonographische Sirenengestalt und die Gruppe von Dämonen, die in den Texten als Sirenen bezeichnet werden, deckungsgleich sind, bedeuten umgekehrt, daß es nicht notwendigerweise zu verläßlichen Ergebnissen führt, die Darstellungen von ‚Sirenen‘ heranzuziehen, um aus diesen Darstellungen den Charakter eines Dämons zu extrapolieren; denn diese Darstellungen könnten verschiedene Wesen repräsentieren, die von einem zeitgenössischen Griechen vielleicht überhaupt nicht miteinander in Zusammenhang gebracht worden wären. Das (weitgehende) Fehlen von Namensbeischriften wirft hier ein erhebliches Problem auf, dem sich etwa die Betrachtung der etruskischen Dämonin Vanth nicht in diesem Maße gegenübergestellt sah; denn für die etruskische Gestalt lag ein deutlich breiteres Spektrum an aussagekräftigen inschriftlich gesicherten Darstellungen vor, das eine verläßliche Auswahl der Bildquellen möglich machte. Dieses Problem ist jedoch auch für die Sirenen nicht so groß, wie es aus der Perspektive der Bildzeugnisse allein zunächst scheinen mag. Zum einen wird der Bildtypus der Sirenen schon früh und dann mit äußerster Konse-
1568
Nilsson 1967 S. 228.
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quenz mit den Sirenen der Odyssee assoziiert. Diese konsequente Assoziation des Menschenvogels mit den Sirenen der Odyssee vom 6. Jh. an legt zumindest nahe (auch wenn es keinen zweifelsfreien Beweis darstellt), daß Darstellungen vom Sirenentypus zumindest von dieser Zeit an auch miteinander assoziiert wurden; denn die konsequent gleichen Darstellungen der Odyssee-Sirenen zeigen, daß bei der Darstellung von Dämonen eben doch keine reine Willkür herrschte, die bei jeder Gelegenheit jedes Bild hätte verwenden können. Dann wäre zu erwarten gewesen, daß man auch bei der Darstellung der Odyssee-Dämonen eine größere Willkür hätte walten lassen. Willkür herrscht dort aber nirgends, sondern vielmehr strenges Festhalten an der Konvention. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Frage ist die Vereinbarkeit der verschiedenen Züge miteinander und der Odyssee-Erzählung. Die Odyssee schafft den Mythos von den Sirenen nicht; sie greift nur einige seiner Züge heraus und stellt sie in ihren literarischen Zusammenhang. Dabei ist zu erwarten, daß sie sich durchaus die eine oder andere Freiheit nimmt, zumindest bei der Auswahl der präsentierten Aspekte und dem Setzen von Schwerpunkten in der Präsentation.1569 Was die Odyssee beschreibt, ist nur ein Teil des Charakters der Sirenen. Es ist anzunehmen, daß das, was die Odyssee darstellt, reale Vorstellungen der Zeit widerspiegelt; aber diese Vorstellungen erschöpfen sich in der homerischen Beschreibung nicht. Hier ist wichtig, daß keiner der für die vorliegende Arbeit wichtigen Züge der Sirenenüberlieferung mit der homerischen Darstellung in direktem Widerspruch steht. Viele Züge werden ausdrücklich von Homer ausgesprochen (Kollektivcharakter, weibliches Geschlecht, Wissen, Beziehung zum Krieg und zum Tod, magisches Binden der Opfer), vieles scheint der späteren Überlieferung nach als selbstverständlich zu gelten (Vogelmischwesengestalt, Verschlingen), anderes scheint in Anspielungen aufzutauchen (Locken ins Jenseits, Lokalisierung der Insel im/an der Grenze zum Totenreich). Dabei ist zudem wichtig, daß nahezu alles, was bei Homer nur angedeutet scheint, auch in der späteren Textüberlieferung mit mehr oder weniger großer Klarheit auftaucht (über die Seelengeleiterfunktion mag man geteilter Meinung sein; bei Plutarch taucht auch sie auf, wird von ihm aber sogleich wieder verworfen). Die Züge, die für die vorliegende Untersuchung relevant sind, scheinen also sämtlich mit Homer vereinbar. Der Charakter der Sirenen der bildenden Kunst zerfällt nicht in disparate Einzelaspekte, sondern formt ein zusammenhängendes Ganzes, das von der schriftlichen Tradition ergänzt und gestützt wird und seinerseits die schrift-
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Vgl. Wedner 1994 S. 58–60; Danek 1998 S. 254; von Geisau 1975 Spalte 79.
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liche Tradition ergänzt und stützt; dabei liegt ein großer Teil des Werts des ikonographischen Materials darin, daß es Züge als alt oder authentisch und weitverbreitet erweisen kann, die in der textlichen Überlieferung erst viel später oder nur in zweideutiger Weise belegt sind – wie der sexuelle Aspekt der „Sehnsuchtsstimme“ der Sirenen. Die vorliegende Diskussion hat sich also nicht nur für isolierte Elemente der Bildüberlieferung interessiert, sondern für einen zusammenhängenden Komplex von Text- und Bildüberlieferungen. Dies gleicht die Seltenheit inschriftlich gesicherter aussagekräftiger Sirenendarstellungen weitgehend aus und macht es wahrscheinlich (wenn auch nicht sicher), daß ein Charakterbild gezeichnet werden konnte, das ein zeitgenössischer Grieche tatsächlich als das einer Sirene wiedererkannt hätte. Freilich handelt es sich um ein komplexes Charakterbild, und dies könnte nochmals den Verdacht aufwerfen, daß es sich gar nicht um die vielfältigen Züge eines einzigen Charakters handelt, sondern um eine unangebrachte Vermischung von Charakterzügen ganz unterschiedlicher Gestalten. Ein Blick auf die zuvor präsentierten Todesdämoninnen aus den keltischen, germanischen und etruskischen Kulturbereichen sollte solche Bedenken jedoch zerstreuen. Die Vielfalt der Charakterzüge der Sirenen steht nicht isoliert da, sondern findet ihre Entsprechung in der Vielfalt paralleler Charakterzüge anderer früher europäischer Schlachtfeld- und Todesdämoninnen, wie der Walküren, der irischen Bodbs und der etruskischen Vanth. Dies wirft zugleich die Frage auf, ob Nilssons Bedenken dagegen, hinter den vielfältigen Sirenendarstellungen zumindest ab dem 6. Jh. einen einheitlichen Charakter zu sehen, nicht vielleicht vor allem auf einer zu einfachen Vorstellung vom Charakter solcher Gestalten beruhen: Wenn man einen eindimensionalen, etwa nur in der Sphäre des Todes angesiedelten Charakter erwartet, dann läßt sich die Vielfalt der Sirenendarstellungen mit dieser Erwartung nicht vereinbaren; die Schlußfolgerung muß dann sein, daß hier nicht eine bestimmte Gestalt dargestellt ist, sondern eine Vielzahl ganz verschiedener Gestalten. Die Betrachtung des weiteren europäischen Vergleichsmaterials zeigt jedoch, daß ein solcher eindimensionaler Charakter von vorneherein nicht zu erwarten ist; die Vielzahl von Aspekten, durch die sich die Darstellungen der Sirenen auszeichnen, stellt einen typischen und weitverbreiteten Zug früher europäischer Todesdämoninnen dar. Keine dieser Gestalten ist auf nur einen Aspekt beschränkt – die Bezeichnung als ‚Todesdämonin‘ ist für jede von ihnen simplifizierend und sollte immer nur als konventionell verstanden werden, nie als Versuch einer umfassenden Beschreibung eines Charakters, der sich in wenigen Schlagworten nicht erfassen läßt. Die Sirenen reihen sich gerade durch die Komplexität ihres Charakters neben andere frühe europäische Todesdä-
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moninnen ein. Betrachtet man sie vor ihrem weiteren europäischen Hintergrund, so wird deutlich, daß sie weit weniger in disparate Einzelzüge zerfallen, als dies bei einer Beschränkung der Betrachtung auf rein griechisches Material den Anschein haben könnte. Gerade der Vergleich mit den Walküren, der Bodb und Vanth macht die Einheit des Charakters auch der Sirenen deutlich.1570 Dieser Charakter zeigt freilich viele Züge, die auch für andere Gestalten der griechischen Dämonologie typisch sind – man denke an ihren Wohnsitz in der Unterwelt in Verbindung mit ihrer Mischwesengestalt und dem Verschlingen von Leichen, sämtlich Züge, die auch für die Erinyen belegt sind, die schon bei Homer in der Unterwelt hausen, bei Euripides und in vielen ikonographischen Belegen geflügelt erscheinen und bei Aischylos das Blut ihrer Opfer trinken. Daher kann es letztlich keine endgültige Sicherheit geben, ob ein zeitgenössischer Grieche in jedem Fall einer bestimmten Darstellung einen bestimmten Namen gegeben hätte – dafür stehen die Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen sich in vielen Aspekten zu nahe, und in der Literatur zeigt sich in manchen Passagen, daß diese Gestalten schon in der Antike in der Tat nicht immer streng voneinander getrennt wurden; so, wenn Quintus Smyrnaeus (V,25–37) die Erinyen in einer Schlachtenschilderung ganz so verwendet, wie die Keren in der Ilias (XVIII,535–540) erscheinen, oder wenn die Harpyie Celaeno bei Vergil wie eine Sirene beschrieben wird und sich selbst als Furiarum maxima bezeichnet (Äneis III,216; III,242 f.; III,252). Dennoch scheint – gerade in der Frühzeit – die Verwendung der ikonographischen Schemata durch die Tradition zu stark gebunden, als daß man eine ganz willkürliche Verwendung der Bildformeln annehmen könnte. Einzelne Bilder können in ihrer Benennung fraglich sein, aber vielfach belegte Verwendungsweisen von Bildformeln sind ernst zu nehmen, insbesondere auch in Hinblick auf den Charakter einer dämonischen Gestalt wie der Sirenen – umso mehr, wenn entsprechende Züge auch in der Literatur angedeutet werden, wie das bei den Sirenen ja der Fall zu sein scheint.
1570
Dasselbe gilt umgekehrt auch von den anderen hier besprochenen Dämoninnen, insbesondere den Walküren (wozu vgl. ausführlich Egeler 2009 [Perspektiven]).
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Methodologischer Exkurs: Die Kategorie der ‚Vogelaffinität‘ In den vorangegangenen Kapiteln war wiederholt die Frage einer ‚Vogelassoziation‘ der verschiedenen Dämoninnen angesprochen worden: Die Walküren legen Schwanen- bzw. Krähen-hamir an, was zumindest in der Spätzeit eindeutig eine Verwandlung in einen Vogel impliziert.1571 Noch in der heidnischen Zeit scheint sich eine gewisse Nähe zwischen Walküren und (Aas-)Vögeln im Gespräch zwischen der Walküre und den Raben in den Hrafnsmál auszudrücken; vielleicht ist auch die Bildung von Rabenkenningar mit Walkürennamen hierher zu stellen. Die irischen Schlachtfelddämoninnen wechseln in einem Akt der Metamorphose zwischen der Gestalt einer Frau und der Gestalt einer Nebelkrähe. Die etruskische Seelengeleiterin Vanth wird als Frauengestalt dargestellt, die häufig mit großen Schulterflügeln oder kleinen Kopfflügeln erscheint. Die Furien können als geflügelte Frauen auftreten; zugleich können sie in Vogelgestalt in das (Kampf-)Geschehen eingreifen. Die Erinyen zeigen sich in in ihrer klassischen Ikonographie als Flügelfrauen. In der Frühzeit erscheinen die Harpyien gleichfalls als Flügelfrauen, die Sirenen hingegen als Menschenvögel; ab dem Hellenismus werden die Grenzen zwischen diesen beiden Bildformeln jedoch brüchig, und die Harpyien können wie Sirenen dargestellt und beschrieben werden. Während sich damit der Vogelanteil in der Ikonographie der Harpyien vergrößert, indem sie von geflügelten Frauen zu Vogelmischwesen werden, verkleinert sich zugleich der Vogelanteil in der Sirenenikonographie: Die Sirenen der Frühzeit werden als Vögel mit Menschenkopf abgebildet; im Lauf der Entwicklung des Sirenenbildes gleitet die Grenze zwischen Frauen- und Vogelleib jedoch kontinuierlich nach unten und mündet in eine Darstellungsweise als geflügelte Frauen mit Vogelfüßen. Die Vorstellungen und Bildformeln, die ich hier im Begriff einer ‚Vogelaffinität‘ zusammengefaßt habe, zeigen somit eine ganz erhebliche Variationsbreite. Dies wirft die Frage nach der Legitimität einer solchen Verallgemeinerung auf: Lassen sich all diese verschiedenartigen Auffassungen von der Erscheinung dämonischer Gestalten tatsächlich in sinnvoller Weise in einer gemeinsamen Kategorie zusammenfassen? Ein Teil der Antwort auf diese Frage scheint mir in der Variationsbreite der Erscheinungsformen der individuellen Gestalten selbst zu liegen: Die Bodbs der irischen Literatur wechseln zwischen der Erscheinung als Frauengestalten
1571
Siehe oben S. 75.
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und als Aasvögel, die sich an „Machas Mast“ – den abgeschlagenen Schädeln der Gefallenen – gütlich tun. Dem scheinen auf dem Bildstein von Papil zwei mit Äxten bewaffnete Vogelmischwesen zu entsprechen, die einen menschlichen Schädel zwischen ihren Schnäbeln eingeklemmt halten, oder die auf diesen Schädel einpicken. Die Parallelen zwischen den irischen Figuren und dem Bildstein scheinen zu eng, um die dämonischen Konzepte voneinander zu trennen (Kriegskontext; Kollektivcharakter; Picken des Vogelschnabels am abgeschlagenen Schädel; Verbindung von anthropomorphen und Vogel-Elementen) – zumal in Anbetracht der großen zeitlichen und geographischen Nähe zwischen den Dokumenten, die in beiden Fällen den frühmittelalterlichen britischen Inseln entstammen. Doch die Weise, auf die der Aasvogelaspekt dieses dämonischen Verschlingens jeweils ausgedrückt wird, zeigt eine vielleicht vielsagende Variation: Während die Bodbs sich in Aasvögel verwandeln, erscheinen die Dämonen von Papil als Mischwesen mit grob menschlichem Körperbau, aber mit Vogelbeinen und großen Vogelschnäbeln. Das verbindende Element zwischen der Ikonographie von Papil und den literarischen Dämoninnen mag sein, daß beide sowohl Züge eines Aasvogels als auch Züge einer anthropomorphen Gestalt zeigen; nur drückt die Literatur diesen Doppelcharakter durch einen Akt der Metamorphose aus, während die Ikonographie beide in der Bildformel eines Vogelmischwesens zu verschmelzen scheint – als wäre das Bild an einem Punkt inmitten der Metamorphose eingefrohren, an dem die Figur die Menschengestalt noch nicht völlig verlassen und die Vogelgestalt noch nicht völlig erreicht hat. Dies ist natürlich spekulativ, insbesondere, da eine Verbindung zwischen den Bodbs und den Vogeldämonen von Papil nicht inschriftlich gesichert ist. Jedoch zeigen sich im Mittemeerraum ganz ähnliche Phänomene: Die Furien erscheinen als Frauengestalten, wiederholt werden ihnen aber auch Flügel zugeschrieben, und gelegentlich verwandeln sie sich in Vögel. Damit zeigt ihre Erscheinung ganz ähnliche Variationen, wie sie in den Bodbs und auf dem Stein von Papil greifbar zu werden scheinen: Frauengestalt – Flügelfrau (Papil: Mischwesen) – Vogelgestalt. Dasselbe gilt in ähnlicher Weise für die Sirenen: Ein (vermutlich allerdings sekundärer) Teil der Überlieferung nimmt für sie eine ursprüngliche Menschengestalt an, ehe sie in Vogelmischwesen verwandelt worden seien. In ihrer Mischwesengestalt ist der Anteil des Vogelaspekts an ihrer Erscheinung wiederum ganz erheblichen Schwankungen unterworfen: Die Sirenen werden im Verlauf ihrer Entwicklung vom Vogel mit Menschenkopf zur Frau mit Vogelelementen vermenschlicht. Diese Vermenschlichung kann so weit gehen, daß die Sirenen auf einem in der Villa Hadrians gefundenen Basaltrelief nicht mehr als Vogelmischwesen, sondern als Flügelfrauen mit anthropomorphen Körpern
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dargestellt werden;1572 die römische und insbesondere die etruskische Kunst kennt sogar vollständig anthropomorphe Darstellungen der Sirenen.1573 Am anderen Ende des chronologischen Spektrums der Entwicklung des Sirenenbildes steht die erste zweifelsfrei identifizierbare Darstellung der Odyssee-Szene auf einem korinthischen Aryballos des 2. Viertels des 6. Jh.1574 Dort werden nicht nur das Schiff des Odysseus und zwei Sirenen in der Gestalt von Vögeln mit Menschenkopf dargestellt, sondern diese Sirenen scheinen auch mit Raub- bzw. Aasvögel assoziiert; denn auf dem Schiff des Odysseus lassen sich eben zwei übergroße Raubvögel nieder, von denen zumindest einer aufgrund seines langen Halses wohl als Geier identifiziert werden kann. Man könnte die Frage in den Raum stellen, ob nicht auch dies vielleicht mit der Vogelassoziation der Sirenen zu verbinden ist – wie in den Hrafnsmál könnte diese Vogelassoziation hier dann nicht (nur) die Form einer ornithomorphen Darstellung, sondern (auch) die Form eines Auftretens zusammen mit (Aas-)Vögeln annehmen. Auch die Sirenen scheinen also nahezulegen, daß die Einzelheiten der Darstellung weniger wichtig gewesen sein könnten als der grundsätzliche Ausdruck einer Doppelnatur der Dämoninnen zwischen Vogel und Frau und ihrer Assoziation mit Vögeln. Im selben Sinne läßt es sich auch deuten, daß die Flügelfrauengestalt der Harpyien gleichfalls keine Konstante darstellt, sondern ab dem Hellenismus mit einer Vogelfrauengestalt verschwimmt; die antike Tradition hat auf die ikonographischen Details auch hier weniger Wert gelegt als auf die Frau-Vogel-Doppelnatur der Dämoninnen – ganz wie es auch der Stein von Papil für das ‚barbarische‘ Nordwesteuropa suggeriert. Die Art, in der die Doppelnatur dieser Dämoninnen auch innerhalb der einzelnen Klassen auf immer wieder andere Weise dargestellt wird, wobei alleine die Doppelnatur, aber nicht die in stetem Fluß befindliche Art ihres Ausdrucks als Konstante erhalten bleibt, legt nahe, daß gerade diese Doppelnatur für den Charakter der Dämoninnen wesentlich ist, nicht aber die Details ihres Audrucks im Bild bzw. Text. Hierbei scheint insbesondere auch die Variationsbreite dieses Zugs im Fall der Sirenen beachtenswert: In ihren Erscheinungen als Vogelmischwesen, 1572 1573
1574
Weicker 1902 S. 183 f. Weicker 1902 S. 184. Vgl. oben Anm. 1331. Solche vereinzelten peripheren Sonderentwicklungen sind für die Frage möglicher mediterraner Wurzeln der nordwesteuropäischen Todesdämoninnen aus historischer Perspektive irrelevant; denn ein ‚barbarischer‘ Außenseiter dürfte mit ihnen im Regelfall schwerlich in signifikanter Intensität in Berührung gekommen sein. Wichtig ist die Möglichkeit einer solchen Variation hier nur aus typologischer Perspektive für die Frage der Legitimität der Kategorie einer ‚Vogelaffinität‘. Siehe oben S. 379 f.
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Flügelfrauen, Frauen und Wesen in Assoziation mit Vögeln decken sie im Verlauf ihrer Geschichte ein ähnlich breites Spektrum an Varianten einer ‚Vogelaffinität‘ ab, wie es sich auch an den verschiedenen anderen hier besprochenen Klassen barbarischer und mediterraner Dämoninnen insgesamt beobachten läßt. Ein weiterer Teil der Antwort auf die Frage nach der Legitimität der Kategorie einer ‚Vogelaffinität‘ mag in der ikonographischen Variationsbreite anderer Gestalten zu finden sein. So erinnere man sich daran, daß der Göttin Athena in ihrer klassischen Ikonographie die Eule als Symboltier zugesellt ist;1575 als Beispiel für eine Darstellung der Athena in Begleitung ihrer Eule (und eines menschenköpfigen Vogels) könnte man etwa an den bereits erwähnten frühkorinthischen Aryballos erinnern, der Athena und ihren Vogel im Kontext von Herakles’ Tötung der Hydra von Lerna darstellt.1576 Zugleich ist sie jedoch selbst die „eulenäugige Göttin Athena“, 3 : « #A81,1577 was als Hinweis auf eine frühere Fähigkeit Athenas zur Annahme einer Vogelgestalt gedeutet worden ist;1578 in der Tat erscheint sie im homerischen Epos wiederholt in der Gestalt von Vögeln verschiedener Arten, etwa zusammen mit Apollon als Geier (;
;1579 Ilias VII,55–58) oder in der Halle des Odysseus als Schwalbe ( .; Odyssee XXII,239 f.).1580 (Auch im Kult scheint die Art des Vogels, mit dem Athena verbunden wurde, von Kultort zu Kultort einer gewissen Variation unterworfen gewesen zu sein.1581) Ferner kann Athena auch geflügelt dargestellt werden: Ein attischer schwarzfiguriger Skyphos aus den Jahren um 540 v. Chr. zeigt Athena zweimal, beide Male mit lan1575 1576
1577 1578 1579
1580 1581
Vgl. etwa Cook 1940 S. 776–831 passim. Siehe oben S. 381; Cook 1940 S. 795–799 nimmt sogar an, daß „the Corinthian potter has here synchronised in an instructive series three distinct stages in the evolution of Athena – the ornithomorphic, the semi-ornithomorphic, and the anthropomorphic.“ (Zitat: S. 799; Cook nahm eine Entwicklung der Gestalt Athenas von einer vogelgestaltigen Göttin über mehrere Zwischenstufen zu einer Göttin mit einem Vogel als Attribut an [1940 S. 794]; er zieht hierfür reiches Belegmaterial heran [1940 S. 776–836], wobei sich die von ihm postulierte chronologische Reihenfolge aus seinem Material jedoch nicht herleiten läßt – Cooks Beispiele scheinen vielmehr darauf hinzudeuten, daß entsprechende Vorstellungen vielfach nebeneinander existiert haben könnten, vgl. oben Anm. 1562.) Cook 1940 S. 781 mit Anm. 2 (mit reichen Belegen). Cook 1940 S. 781, vgl. S. 784 f., 789, 795 für mögliche Identifizierungen von Darstellungen Athenas als Eule in der klassischen Zeit. Vgl. Wüst 1956 Spalte 125. Ein ; « ist nach Liddell und Scott (1996 s.v. ‚;(«‘) ein Geier, nach Cook 1940 S. 781 Anm. 6 jedoch eher ein Habicht. Cook 1940 S. 781 f. (mit Belegen). Vgl. Cook 1940 S. 782 f.
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gem Chiton, Mantel und Helm; auf einer Seite des Gefäßes erscheint sie dabei mit Speer und Schild, auf der anderen mit Aigis und Schulterflügeln.1582 Auf einem Sarkophag aus Klazomenai um oder kurz nach 500 v. Chr. scheint Athena mit einem Schild und vier Flügelpaaren dargestellt zu sein; sie wird von zwei Kriegern, die ihre Pferde an den Zügeln halten, zwei Hunden und zwei Vögeln flankiert.1583 Auch im Fall Athenas scheint sich eine ‚Vogelaffinität‘ somit gleichermaßen durch den Vogel als Symboltier (vgl. das Verhältnis zwischen der Walküre und den Raben in den Hrafnsmál), durch das Tragen von Flügeln (vgl. die Flügel Vanths) und durch die Annahme einer Vogelgestalt ausdrücken zu können (vgl. die Vogel-hamir der Walküren und die Vogelverwandlung der Bodbs). Ein ähnliches Phänomen zeigt sich in den Darstellungen der Io. Io war eine Geliebte des Zeus, die im Verlauf ihres Mythos in eine Kuh verwandelt wurde; die genauen Umstände dieser Verwandlung variieren dabei von einer Version der Sage zur anderen.1584 Hier interessant ist die Ikonographie dieses Sujets in der griechischen Kunst: Denn Io kann im Verlauf der ikonographischen Entwicklung sowohl als Kuh als auch als Frau mit Kuhhörnern und in entsprechenden Zwischenstufen dargestellt werden.1585 So zeigt eine ionische Amphore aus den Jahren um 530 v. Chr., wie Io in Gestalt einer stattlichen Kuh von Argos bewacht wird; von links kommt Hermes in das Bild, um sie aus ihrer Gefangenschaft zu befreien.1586 Eine lukanische Oinochoe aus der Zeit um 440–430 v. Chr. zeigt Io – wiederum in der Szene ihrer Rettung durch Hermes – als eine Kuh mit menschlichem Gesicht.1587 Eine attische Pelike aus den Jahren um 455 v. Chr. zeigt Io zusammen mit Zeus, wobei Io als Frau mit den Ohren und Hörnern einer Kuh dargestellt ist.1588 Um 400 v. Chr. zeigt eine Oinochoe eine Darstellung von Io, Argos und Hermes, in der Io menschengestaltig mit kleinen Hörnern erscheint;1589 über Argos befindet sich eine Kuhprotome, so daß Ios Kuh-
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1585 1586 1587 1588 1589
Demargne 1984 Nr. 59; Cook 1940 S. 807–809 mit Fig. 617. Demargne 1984 Nr. 62; Cook 1940 S. 807 f. mit Fig. 616. Für weitere Beispiele einer geflügelten Athena vgl. etwa Cook 1940 S. 804–811, 819–825; Demargne 1984 Nr. 59 bis Nr. 66. Für einen Überblick über die verschiedenen Varianten der Überlieferung vgl. Engelmann 1890–1897 Spalten 263–269. Vgl. Yalouris 1986 S. 4–21; Engelmann 1890–1897 Spalten 270–280, besonders Spalten 271 f. Yalouris 1986 S. 4 f. mit Fig. 2 (S. 6). Yalouris 1986 S. 10–12 mit Fig. 7. Vgl. Yalouris 1986 S. 12, 14 mit Fig 8 (S. 11). Auf die Hörner weist Yalouris 1986 S. 14 hin (nach der ibidem S. 15 Fig. 11 [=Abb. in Engelmann 1890–1897 Spalte 271 (=meine Fig. 66)] gegebenen Abbildung sind die
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Fig. 66: Oinochoe. Um 400 v. Chr.
aspekt hier einen doppelten Ausdruck in der Protome und in ihren Hörnern findet (Fig. 66). Anderswo deuten nur kleine Hörner auf Ios Verwandlung in eine Kuh hin, wie in einer Darstellung von Ios Rettung durch Hermes auf einem attischen Krater aus der Zeit um 460 v. Chr.: Dort erscheint Io als eine Frau mit (im Verhältnis etwa fingerlangen) Hörnern.1590 Die Kuhmetamorphose der Io kann somit gleichermaßen durch Kuhgestaltigkeit, durch eine Mischwesendarstellung, durch kleine Hörner und durch das Attribut einer Kuhprotome ausgedrückt werden. Auch die Variationsbreite der Darstellungsweise von Ios Kuhmetamorphose entspricht damit in etwa der Variationsbreite der Motive, die in der vorliegenden Arbeit in der Kategorie einer ‚Vogelaffinität‘ zusammengefaßt werden: Vogelgestaltigkeit/Vogelmetamorphose, Mischwesengestalt, geflügelte Darstellung, attributhafte Assoziation mit Vögeln. Die – zugegebenermaßen weit gefaßte – Kategorie der ‚Vogelaffinität‘ beruht nicht auf rein theoretischen Spekulationen und dem ad hoc-Postulat der Vergleichbarkeit der verglichenen Phänomene, sondern auf der Beobachtung der tatsächlich historisch belegten Variationsbreite des Ausdrucks der Beziehung einer Gestalt zu einem Tier innerhalb konkreter, empirisch erfaßbarer historischer Situationen. Die Variationen, die sich in diesem historischen Material beobachten lassen, legen nahe, daß eine Kategorie ‚Vogelaffinität‘ in der hier
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Hörner nicht von den Locken der Frisur und dem von Io getragenen Efeukranz zu unterscheiden; vgl. aber Jacobsthal 1927 Tafel 83a). Zum Bild vgl. auch Yalouris 1986 S. 16. Yalouris 1986 S. 14 mit Fig. 9 (S. 13).
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vorgeschlagenen Weise sinnvoll und durch tatsächlich historisch belegte Verschiebungen legitimiert ist.1591
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In Zusammenhang mit der Frage nach der möglichen Variationsbreite innerhalb einer Kategorie ‚Vogelaffinität‘ ist vielleicht auch eine zwar gewagte, aber doch anregende Spekulation Gulermovich Epsteins erwähnenswert. Im Zuge ihrer Besprechung des Verhältnisses zwischen der Vogelerscheinung der Bodb, der Vogelerscheinung der Walküren und dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ weist sie darauf hin, daß die Geier, die im keltiberischen Ritual eine so zentrale Rolle spielen, im inselkeltischen und germanischen Bereich praktisch nicht vorkommen, da diese Regionen im allgemeinen nördlich des Verbreitungsgebiets von Geiern liegen. Sie schlägt zur Erklärung der Corviden- bzw. Schwanenerscheinung der nordwesteuropäischen Dämoninnen daher vor, daß es sich bei diesen beiden Varianten der Vogelerscheinung um eine Ersetzung eines Geieraspekts handeln könnte. In einer Region, die keine Geier kennt, könnte eine solche Ersetzung auf zwei Arten vorgenommen worden sein: Funktional oder morphologisch. Die funktionale Entsprechung des Geiers als Aasvogel sind in Nordwesteuropa die ebenfalls aasfressenden Corviden. Die morphologische Entsprechung des Geiers als eines großen Vogels mit langem Hals ist in Nordwesteuropa hingegen der Schwan. Sowohl die Schwanen- als auch die Corvidenerscheinung könnte daher auf einer naturräumlich bedingten nordwesteuropäischen Umdeutung eines ursprünglichen Geieraspekts beruhen: Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 297 f. et passim; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 95 f. Für alternative Interpretationsmöglichkeiten des Verhältnisses von Schwanen- und Corvidenaspekt vgl. Gulermovich Epstein 1998 (War Goddess) S. 294–297; Gulermovich Epstein 1998 (Divine Devouring) S. 93–95; Egeler 2009 (Perspektiven) S. 447–449; oben S. 72 f., 77 f.
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9. Island im Schatten des Harpyiengrabs? Vorüberlegungen zu einer Schlußfolgerung. „Ob man diese Deutung des Befundes über die Anerkennung einer bloßen Möglichkeit hinaus als wahrscheinlich ansieht, wird letztlich von der Höhe des Anspruchs an die Aussagekraft der Quellen abhängen.“
B. Maier, Die Religion der Germanen (2003), S. 138.
Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke Es hat natürlich etwas Aussichtsloses an sich, die vorangegangene umfangreiche Diskussion der Walküren, der Bodbs, der Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen sowie der etruskischen Todesdämonin Vanth zusammenfassen zu wollen. Dennoch scheint es angebracht, zumindest einige zentrale Züge noch einmal kurz hervorzuheben. Die Walküren Skandinaviens erscheinen bereits am Anfang der nordischen Literaturgeschichte, noch in den literarischen Zeugnissen der heidnischen Zeit. Ihr Name bezeichnet sie ganz durchsichtig als „Wählerinnen der Schlachtentoten“; schon hierdurch wird der Bereich angezeigt, in dem sie angesiedelt sind: Die Sphäre von Krieg und Tod. Die Walküren lenken den Verlauf der Schlacht, unterstützen diese oder jene Seite im Kampf und entscheiden über den Sieg und den Tod des Kriegers. Sie treten in Waffen auf, werden aber in frühen Zeugnissen kaum je selbst mit der Waffe kämpfend gezeigt. Sie können zum Kampf anstacheln und ihn über den Tod der Krieger hinaus zur Ewigen Schlacht verlängern. Anderswo treten sie dem Gefallenen entgegen und weisen ihm den Weg nach Walhall, oder mögen den Toten auch direkt nach Walhall geleiten. Sie treffen den Gefallenen somit sicher als Wegweiser auf dem Weg ins Jenseits und vielleicht manchmal sogar als Seelengeleiter im engeren Sinn; jedoch läßt Letzteres sich nicht zweifelsfrei belegen. Im Jenseits angekommen, trifft der tote Held die Walküren erneut, wenn sie in Walhall Wein und Met kredenzen – wobei sich das Motiv der Walküren als Schankmaiden des Jenseits allerdings nur unter Vorbehalt schon der heidnischen Zeit zuschrei-
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ben läßt. In vielen Belegen treten die Walküren als ein Kollektiv von Gestalten ohne jede weitere individuelle Charakterzeichnung auf. Die Zahl der Walküren läßt sich dabei nicht näher bestimmen und schwankt von Quelle zu Quelle; allerdings scheint sich eine gewisse Tendenz zu Vielfachen von drei zu zeigen, wenngleich dies keineswegs konsequent der Fall ist. Falls es sich beim Schenkenamt der Walküren in Walhall um eine authentisch heidnische Vorstellung handelt, mag darin ein erotischer Zug im Charakter dieser Gestalten anklingen. Andere Quellen machen einen solchen erotischen Zug ganz explizit. So kann die Bezeichnung „Walküre“ beleidigend verwendet und die Walküre als geradezu sprichwörtliche Verkörperung der Hurerei herangezogen werden. Zugleich erscheinen Walküren jedoch auch als die edlen Geliebten von Helden, denen sie in der Schlacht beistehen; in dieser Gruppe von Textzeugnissen treten einzelne Walküren aus der Anonymität des halbgöttlichen Kollektivs heraus und erscheinen als scharf gezeichnete Individuen. Zudem kann der Tod des Helden geradezu als Hochzeit mit der Dämonin dargestellt werden. Und trotz des auffallend männerfeindlichen Auftretens der Walküre der Hrafnsmál verankern die Sage von der Ewigen Schlacht und deren Darstellung auf gotländischen Bildsteinen den erotischen Zug der Walküren schließlich sicher im Walkürenbild des noch vorchristlichen Nordens, während ein ähnliches Bild zugleich auch von der angelsächsischen Identifizierung von wælcyrie und Venus suggeriert wird. Ein Gespräch zwischen einer Walküre und einem Raben, dem die Leichenreste noch an den Krallen hängen, verkündet schon in der heidnischen Zeit den Ruhm eines Königs. Rabenkenningar können mit Walkürennamen gebildet werden, und eine Walküre kann sich in der Spätzeit mit Hilfe eines Krähen-hamr selbst in einen Aasvogel verwandeln. Verschiedene Indizien könnten darauf hindeuten, daß Walküren sogar als vampirische Wesen vorgestellt werden konnten, die sich am Blut der Leichen laben (etwa Brynhilds „Quälen der Toten“); das entsprechende Material ist jedoch eher suggestiv als schlüssig und steht durchgehend alternativen Deutungen offen. Üblicherweise erscheinen vogelgestaltige Walküren auch nicht in Krähengestalt, sondern als Schwan. Daß sowohl die Krähen- als auch die Schwanenerscheinung nur für Walküren belegt sind, weist dabei vielleicht darauf hin, daß hier ein für Walküren spezifischer Charakterzug zum Ausdruck gebracht wird, der trotz der späten Datierung der entsprechenden Quellen authentisch sein mag. Zugleich ist die Flugfähigkeit der Walküren aber nicht auf ihre Vogelerscheinung beschränkt: Wiederholt reiten Walküren auf dem Pferderücken über „Luft und Meer“; die Formelhaftigkeit des verwendeten sprachlichen Ausdrucks und die weite Verbreitung dieses Motivs sprechen
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jedoch gegen eine im eigentlichen Sinn spezifische Verbindung des Himmelsreitens mit den Walküren. Walküren können mit tieferem Wissen und Runenkunde assoziiert werden und Helden unterweisen; allerdings tritt dieser Zug insgesamt wenig hervor. Im Norden ebenfalls nur selten, dafür aber vielleicht schon in der heidnischen Zeit belegt ist die Verbindung der Walküren mit dem herfjqturr, der „Heeresfessel“: Der Gebrauch des Wortes herfjqturr als Walkürenname legt nahe, daß die Walküren über diese lähmende Angst gebieten konnten, die dem Todgeweihten die Kraft nimmt, vor seinen Feinden zu fliehen oder sich ihrer zu erwehren. Eine sehr ähnliche Vorstellung mag im ersten Merseburger Zauberspruch auch für den südgermanischen Raum belegt sein. Die Bodbs und Morrígains der irischen Helden- und Göttersage treten uns von der altirischen Epoche an entgegen; die Bezeugung dieser Gestalten ist so alt wie die volkssprachliche irische Literatur selbst. Ursprünglich bedeutet der Name Bodb „Kampf[dämonin]“, während die Morrígain vor ihrer sekundären Deutung als Mórrígan – „Große Königin“ – aller Wahrscheinlichkeit nach als „Gespensterkönigin“ oder „Königin des Todes“ aufzufassen war. Die Namen der übrigen irischen Schlachtfelddämoninnen bleiben etymologisch unerklärt. Diese Dämoninnen erscheinen häufig als selbständig handelnde Individuen; gerade in ihrer Beziehung zu herausragenden männlichen Protagonisten erscheinen sie gerne als Einzelgestalten. Parallel dazu treten sie jedoch auch als Kollektiv von Figuren auf, die sich in den entsprechenden Belegen kaum als selbständige Charaktere voneinander unterscheiden lassen. Dabei zeigt sich eine starke Tendenz zu einem Erscheinen als Triade. Eine chronologische Schichtung ist nicht erkennbar; sowohl das Auftreten der Bodbs als Triade als auch ihre Auftritte als Einzelgestalten sind von der altirischen Zeit an belegt. Die Bodbs erfreuen sich am gewaltsamen Tod; ihre Assoziation mit Krieg und Blutvergießen durchzieht die ganze irische heroische Literatur. Eine Verbindung zum friedlichen Sterben fehlt hingegen völlig. Die Heimat der Bodbs ist das Schlachtfeld: Sie stacheln zu Krieg und Kampf an, zögern das Ende von Kriegshandlungen hinaus und versuchen, die Verluste an Menschenleben so weit wie möglich in die Höhe zu treiben. Selbst kämpfend erscheinen sie jedoch nur im Ausnahmefall, und dies praktisch ausschließlich in den Kriegen der mythischen Vorzeit in Erzählungen des Mythologischen Zyklus. In den Kriegen der Menschen greifen sie zwar in Kämpfe ein, erscheinen jedoch selbst nicht als Kampfteilnehmer mit der Waffe in der Hand. Vielsagend ist das Eingreifen der Morrígain in einen der Zweikämpfe Cú Chulainns: Sie behindert den Helden und unterstützt so seinen Gegner, aber ihre Angriffe zielen nicht selbst darauf ab, Cú Chulainn zu töten – diese (zum Scheitern verurteilte) Aufgabe bleibt Cú Chulainns
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menschlichem Gegner überlassen. Wo die Bodbs selbst töten, tun sie dies nicht mit dem Schwert, sondern mit einer Waffe ganz anderer Art: Ihr Kreischen kann ihren Opfern eine Furcht einflößen, die sie vor Angst sterben läßt. Mit dem durch und durch im kriegerischen Tod verankerten Charakter der Bodbs ist auch ihr Besitz prophetischen Wissens verbunden: Als Prophetinnen treten sie vor allem als Prophetinnen bevorstehenden Unheils auf. Daneben erscheinen sie mitunter als Dichterinnen und Verkünderinnen von Sieg und kriegerischem Ruhm und kennen militärische Geheimnisse. Die Bodbs verfügen über ein tieferes, übernatürliches Wissen, aber dieses Wissen ist ganz auf den Bereich von Krieg und Kampf fokussiert. Es umfaßt dabei beide Seiten des Kriegs: Das Verderben des Unterlegenen ebenso wie den Ruhm des Siegers. Die irischen Schlachtfelddämoninnen sind Gestaltwandler, die auf vielfältige Weise erscheinen können. Mit sehr wenigen Ausnahmen kreisen ihre Erscheinungen jedoch um zwei Motive: Das der Frau – sei es junge, wunderschöne Prinzessin, rote Streitwagenfahrerin oder mißgebildete Alte – und das des (Aas-)Vogels, insbesondere der Nebelkrähe. Als Vögel röten sie ihre Schnäbel im Blut der Gefallenen: Sie sind Leichenfresser, das Schlachtfeld nach der Schlacht ist ihre Festtafel, und die Schädel der Enthaupteten sind ihre Mast. Als Frauen erscheinen sie als betont lüsterne Figuren, die vom männlichen Protagonisten sexuelle Gefälligkeiten verlangen. Sie unterstützen denjenigen, der ihnen diese sexuellen Gefälligkeiten gewährt, aber werden zu tödlichen Feinden dessen, der sie zurückweist. Ein solcher Fall mag in der Bodb vorliegen, die als Cailb das letzte Tabu des Königs Conaire bricht; er läßt sie in seine Halle – aber nicht in sein Bett –, und er läßt mit ihr den Tod ein, der bald als Nebelkrähe von seinem Leichnam fressen und ihn stückchenweise davontragen wird. Die Anwesenheit der Bodb wird hier wie anderswo zum Vorzeichen bevorstehenden Untergangs; es scheint mitunter, als würde die Bodb den Tod zum Helden oder König geleiten. So tritt sie als ‚Todesgeleiterin‘ auf; als Seelengeleiterin ist sie jedoch nicht bezeugt – sie trägt in ihrem Schnabel und in ihren Krallen nur das Fleisch des Toten davon, nicht seine Seele. Wie die Texte sich das weitere Schicksal der ‚Seele‘ ihres Opfers vorstellen (falls der Begriff ‚Seele‘ in irisch-vorchristlichem Kontext überhaupt sinnvoll anwendbar ist), bleibt weitgehend unklar. Daß die Bodb nicht nur in Irland, sondern auch im römischen Britannien und bei den Kelten des Kontinents bekannt gewesen sein könnte, hat ein Überblick über mögliche Hinweise auf die Existenz der Bodb außerhalb Irlands nahegelegt. Zwar fehlt Material, das einen eindeutigen Beweis für die Bodb außerhalb Irlands liefern würde, da kein anderes keltisches Gebiet
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eine literarische Überlieferung hinterlassen hat, die in ihrem religionsgeschichtlichen Quellenwert mit der irischen vergleichbar wäre; aber insbesondere eine Weihung für die lamiae tres aus dem Kastell Condercum am Hadrianswall und gallorömische Weihesteine an Bodva-Gestalten stellen gewichtige Indizien für Frühformen der Bodb außerhalb Irlands dar. Hinzu treten weitere onomastische, ikonographische und klassisch-literarische Zeugnisse. Die nicht-epigraphischen Belege sind zumeist jedoch hochproblematisch, wie etwa die Anekdote vom Zweikampf des Marcus Valerius Corvus während der römischen Gallierkriege des 4. Jh. oder die Verwendung von Raubvogelzimieren als Helmschmuck (Helm von Çiume¸sti) und die ‚kelto-ligurische‘ Geier( ? )-Skulptur von Roquepertuse. Nach der Besprechung dieses Materials wurde ein kurzer Vergleich der Walküren und der Bodbs durchgeführt. Dabei trat vor allem ein Punkt deutlich hervor: Der wichtigste strukturelle Unterschied zwischen diesen beiden Klassen übernatürlicher Wesen besteht darin, daß den Bodbs eine Funktion als Seelengeleiter fehlt, während eine solche Funktion einen zentralen Zug des Charakters der Walküren darstellt. Hier mag jedoch der keltiberische Befund von Bedeutung sein: Im keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ übernehmen heilige Geier eine Rolle als Seelengeleiter, indem sie den Leichnam des Kriegers verschlingen und den Gefallenen in den Himmel und zu den Göttern tragen. Das Verhalten der heiligen Aasgeier der Keltiberer entspricht dabei in äußerst suggestiver Weise dem Verhalten der dämonischen Aaskrähen Irlands: In beiden Kulturen verschlingt ein Aasvogel, der durch seine Heiligkeit bzw. seinen übernatürlichen Charakter selbst am jenseitigen Bereich Anteil hat, den Leichnam des ruhmreichen Helden; und in beiden Bereichen ist dieses Verschlingen ausdrücklich auf den toten Krieger beschränkt. Es ist somit verführerisch, eine Verbindung zwischen diesen beiden Phänomenen in Erwägung zu ziehen – insbesondere, da die Betrachtung des kontinentalkeltischen epigraphischen Befundes nahegelegt hat, daß zwischen der irischen Bodb und der religiösen Welt des Kontinents möglicherweise eine gewisse Kontinuität bestand. Die Seelengeleiterfunktion, die in Irland nicht belegt ist, könnte so im kontinentalkeltischen Bereich bei den Keltiberern bezeugt sein; das ‚Ritual der Aussetzung‘ ist möglicherweise die rituelle Entsprechung zum Auftreten der Bodb in der irischen Sage und könnte damit ein Indiz für eine Seelengeleiterfunktion einer kontinentalen Frühform der Bodb darstellen. Eine Bemerkung des Pausanias über den Kelteneinfall in Griechenland ist in der Forschung im selben Sinne gedeutet worden, steht jedoch alternativen Interpretationen offen. Auch der archäologische Befund Spaniens hat sich – wie die Diskussion der Pausanias-Stelle – als ernüchternd erwiesen: Zwar finden sich gelegentlich Indizien, die im Sinne des ‚Rituals der Aussetzung‘ gedeu-
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tet worden sind und wohl auch so gedeutet werden könnten, aber wirklich zwingende archäologische Belege fehlen. Allerdings scheinen genügend archäologische Indizien für die Historizität des ‚Rituals der Aussetzung‘ in Spanien vorzuliegen, um grundsätzliche Zweifel an der Verläßlichkeit dieser historischen Überlieferung über die Keltiberer unnötig erscheinen zu lassen. Für das kontinentale Celticum außerhalb der iberischen Halbinsel hat allein der Befund des ‚Heroons‘ von Ribemont-sur-Ancre in der Picardie einen möglicherweise signifikanten Beleg für ein Ritual vom Typ des keltiberischen ‚Rituals der Aussetzung‘ erbracht. Ob zwischen dem keltiberischen Ritual und dem picardischen Heiligtum jedoch mit einer konkreten religionsgeschichtlichen Kontinuität zu rechnen ist, muß in Anbetracht der Einzigartigkeit des Fundkomplexes von Ribemont und der offenen Frage nach dem dortigen Verhältnis zwischen Kriegskontext, Gesamtkontext der Fundstätte und Exkarnationsritual dem individuellen Ermessen überlassen bleiben. Unmittelbar südlich des keltischen Expansionsbereichs in Norditalien befindet sich das Territorium der Etrusker. Eine der beiden dominierendsten Gestalten der etruskischen Jenseitsikonographie ist die Seelengeleiterin Vanth. Die Etymologie des Namens ‚Vanth‘ ist unklar. Vanth erscheint in inschriftlich gesicherten Darstellungen ab dem 4. Jh. v. Chr.; ikonographisch läßt sie sich mit einiger Wahrscheinlichkeit bis ins 5. Jh. v. Chr. zurückverfolgen. Eine Weiheinschrift mag ihre Verehrung schon im 7. Jh. v. Chr. bezeugen; dieser Beleg ist jedoch nicht unproblematisch. Ob der Begriff ‚Vanth‘ Individualname oder Bezeichnung einer ganzen Klasse von halbgöttlich-dämonischen Gestalten ist, bleibt unklar: ‚Vanth‘ kann sowohl alleine als auch in einer Gruppe ikonographisch und funktional praktisch identischer Dämoninnen auftreten; ‚Vanth‘ mag somit Oberbegriff für eine größere, aber in ihrer Anzahl nicht näher zu bestimmende Gruppe untereinander sehr ähnlicher Gestalten sein, oder mag ein einzelnes Individuum aus einer solchen Gruppe bezeichnen. In diesem wie in jenem Fall ist jedoch auch für Vanth bzw. die Klasse von Dämoninnen vom Typus der Vanth festzuhalten, daß sie – wie die Walküren und die Bodbs – zwischen Individuum und Kollektiv schwanken. Vanth erscheint zumeist mit großen Schulterflügeln oder kleinen Kopfflügeln; die geflügelte Darstellung (und damit ein gewisser ‚Vogelaspekt‘) scheint ein wesentliches Element ihres Charakters zum Ausdruck zu bringen, was durch die teilweise auffallend polychrome Ausführung der Flügel noch hervorgehoben wird. Vanth kann mit einem langen Peplos oder mit einem kurzen Chiton mit oft heruntergelassenem Oberteil, mit Kreuzbändern über den nackten Brüsten und Jagdstiefeln bekleidet sein; aber auch für eine gänzlich nackte Darstellung finden sich einige Belege. Wo Vanth
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nackt auftritt, ist sie ikonographisch von den Lasen aus dem Gefolge der etruskischen Liebesgöttin Turan nicht zu unterscheiden; dies mag darauf hindeuten, daß Vanth mit den Lasen einen erotischen Zug in ihrem Charakter teilt. Ein solcher erotischer Aspekt Vanths wird insbesondere durch zwei Darstellungen unterstrichen, in denen eine ansonsten vollständig bekleidete Vanth ihre Scham in einer Geste sexueller Provokation zur Schau stellt oder ihre Oberbekleidung so drapiert hat, daß ihr Schambereich nur eingerahmt wird und durch ein kaum verhüllendes Untergewand hindurch deutlich und betont hervortritt. Eine, wenn nicht gar die zentrale Funktion Vanths ist ihr Wirken als Seelengeleiterin – so begleitet sie in der Tomba Golini I den Verstorbenen auf seiner Wagenfahrt zum Bankett der Toten am Hof des Hades, und so erscheint sie auf dem Sarkophag der Hasti Afunei als eine von drei Dämoninnen, die die Verstorbene durch die Unterweltspforte eskortieren. Vanth erscheint als Begleiterin auf der Jenseitsreise, als Wächterin am Hadestor und als Wache an der Grabtür; in all diesen Auftritten nimmt sie eine zentrale Position auf dem Weg des Verstorbenen in das Jenseits ein. Vielfach erscheint sie zudem in Darstellungen eines gewaltsamen Todes oder in Darstellungen, in denen ein Tod zwar noch nicht unmittelbar eintritt, aber doch droht. So hat Vanth auch in Kampfszenen ihren Platz und kann in späteren Zeugnissen sogar selbst zur Waffe greifen. Wie die Dämoninnen Nordwesteuropas, ist auch Vanth somit eng mit Krieg und Gewalt assoziiert; aber anders als im Fall der nordwesteuropäischen Gestalten erschöpft sich ihr Charakter hierin nicht. Ihr Amt als Totengeleiterin ist nicht auf die Gefallenen des Schlachtfelds beschränkt: Gleichermaßen geleitet sie friedlich Verstorbene ins Jenseits, Männer wie Frauen. Während die Walküren und die Bodbs als Dämoninnen des (‚männlich-heroischen‘) Schlachtentodes auftreten, gebietet Vanth über den Tod in seiner Gesamtheit. Vanths Attribute scheinen vielfach aus der griechischen Kunst übernommen – hierher gehören Darstellungen Vanths mit Fackel, Schlangen oder Schwert. Ein typisches und ausschließlich etruskisches Element ihrer Ikonographie ist hingegen die Schriftrolle, die Vanth in der Hand halten kann. Die Bedeutung dieses Attributs ist unklar; verschiedene Deutungen wurden vorgeschlagen, aber für keine von ihnen lassen sich schlüssige Belege beibringen. In Vanths Schriftrolle mag sich die Verfügung über ein ‚tieferes Wissen‘ irgendeiner Art ausdrücken, aber worin dies besteht – die Lebensgeschichte des Toten? sein Schicksal im Jenseits? – bleibt unbekannt. Das Motiv des Verschlingens der Leichen ist in Zusammenhang mit Vanth nicht belegt. Nur isolierte ikonographische Experimente könnten als Hinweis darauf gedeutet werden, daß die etruskische Religion Raubvogelbzw. Geierdämoninnen gekannt haben mag, die vielleicht aufgrund des do-
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minierenden Einflusses der Konventionen der griechischen Kunst in der Regel nicht als solche dargestellt wurden. Eine sichere Verbindung mit Vanth läßt sich jedoch nicht herstellen. Die etruskische Ikonographie gibt auch keine klare Auskunft darüber, ob Vanth eine ähnliche Gewalt über den Geist ihrer ‚Opfer‘ hat wie die Walküren in Form des herfjqturr oder wie die Bodbs, die durch schiere Angst töten können: Verschiedene Bildquellen lassen sich in einem solchen Sinne deuten (so mag hier etwa die fehlende Gegenwehr der Trojaner in der Tomba François signifikant sein), doch ist eine derartige Interpretation – entsprechend der Natur des Bildes als Momentaufnahme – nirgends zwingend. Wendet man sich nach einer Betrachtung des etruskischen Befundes der klassischen griechisch-römischen Antike zu, so fällt die starke Kontinuität zwischen etruskischen und römischen Vorstellungen auf: Als geflügelte Wächterinnen am Eingang zur Unterwelt entsprechen die Furien ihrer etruskischen Vorläuferin bis in die Details. Die Furien stellen zudem in mancher Hinsicht die konsequente Fortführung der Entwicklung dar, die sich in den etruskischen Zeugnissen für Vanth gezeigt hatte: Die Bösartigkeit, die in vielen Textbelegen ganz in den Vordergrund des Charakters der Furien tritt, bildet den logischen Endpunkt der zunehmenden Verdüsterung Vanths, die in der Entwicklung der etruskischen Jenseitsikonographie ab der hellenistischen Zeit sichtbar wird. Daher mag es interessante, wenngleich spekulative Rückschlüsse auf den Charakter Vanths in der Spätzeit erlauben, daß die römischen Furien über eine übernatürliche Angst gebieten, die ihre Opfer befällt: Wenn eine Furie das Schlachtfeld betritt, bricht Kriegern und Pferden gleichermaßen der Angstschweiß aus – man erinnere sich an die tödliche Furcht, die die Bodbs einem Heer einflößen können. Und als Turnus gegen Äneas kämpft, kann eine Furie in Gestalt eines Vogels eingreifen und Kraft und Kampfeswillen des Turnus in einer Weise brechen, die im herfjqturr der nordischen Walküren ihre genaue Entsprechung findet. Zudem schlagen die Furien ihre Opfer mit Wahnsinn. In Anbetracht der starken etruskisch-römischen Kontinuitäten würde es nicht überraschen, wenn solche Züge schon in der späten Vanth vorhanden gewesen wären. Ein Beweis hierfür läßt sich nicht erbringen, aber man sollte die spezifische Natur der Quellen für den Charakter Vanths nicht übersehen: Die rein ikonographische Überlieferung zu Vanth könnte eine Auswirkung der Macht Vanths im Sinne der Kraftlosigkeit des Turnus kaum eindeutig zum Ausdruck bringen – ob die gallischen Tempelschänder auf der Volterraner Urne (Fig. 28) beim Angriff Vanths von einer solchen Angst befallen werden, die ihnen ihre Kraft raubt, geht aus dem Bild nicht hervor. Wie die Bodbs sind auch die Furien Gestaltwandler. Sie stacheln zum Krieg an und bringen Tod und Verderben in verschiedensten Formen –
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Krieg ebenso wie Seuchen. Als Todesdämoninnen der Schlacht händigen sie ihre Opfer dem Mars zum Vergnügen aus. In der Unterwelt fungieren sie nicht nur als Torwächter, sondern wohl auch als die Seelengeleiter der Verdammten, die sie ihrer Strafe zuführen; zugleich scheinen sie jedoch in einer isolierten Stelle bei Statius auch eine neutrale Rolle bei der rituellen Eingliederung der Toten in die Unterwelt zu spielen. In diesen verschiedenen Funktionen treten sie dabei bald als Kollektiv, bald als Einzelgestalten mit individuellem Charakter auf (auch wenn diese Individualität vor allem in einer besonders betonten Bösartigkeit liegt, die die Furie Allecto sogar ihren unterweltlichen Schwestern verhaßt macht). Die lateinische Literatur identifiziert die italischen Furien mit den griechischen Erinyen. Die Erinyen der griechischen Literatur erscheinen gleichfalls als Kollektiv weiblicher Wesen der Unterwelt – schon Homer beheimatet sie im Hades. Im Fall der Erinyen gehen die einzelnen Gestalten ganz in der Gruppe auf; individuelle Charaktere treten nicht hervor, wenngleich Erinyen auch einzeln auftreten können. Auch die Erinyen sind üblicherweise geflügelt, und in der Spätzeit fungieren auch sie (unter dem Einfluß etruskisch-römischer Vorstellungen?) als die Seelengeleiter der Verdammten, die die Frevler in der Unterwelt zur Stätte ihrer Bestrafung bringen. In der klassisch-griechischen Tragödie sind sie unbarmherzige Jägerinnen, die ihrem Opfer seit Aischylos das Blut aus den Gliedern saugen und es in die Unterwelt schleppen wollen. Sie erinnern sich der Untaten der Menschen, und sie schlagen ihr Opfer mit Wahnsinn und zerstören seinen Geist. Auch die Erinyen erscheinen als Gestaltwandlerinnen, und ihr Heiligtum auf Kolonos befindet sich an einem Eingang zur Unterwelt, wo Ödipus Frieden findet und aus der Welt der Menschen entrückt wird. Am Ausgang der Antike werden sie unter die Dämonen des Schlachtfelds eingereiht. Die Harpyien erscheinen schon im homerischen Epos als Dämoninnen, die ihre Opfer in das Totenreich entführen und den Erinyen übergeben. Die frühe Kunst stellt sie konsequent als geflügelte Frauen dar. Ab dem Hellenismus werden die Grenzen zur Ikonographie der Sirenen brüchig: Die Harpyien werden von Flügelfrauen zu Mischwesen aus Frau und Vogel. Bei Vergil erscheint die Harpyie Celaeno als Unglücksprophetin und ragt als Furiarum maxima aus dem Kollektiv der Harpyien heraus; dabei vermengt ihre Selbstbezeichnung als Furie die Harpien mit den Furien. Die Gesichter der vergilianischen Harpyien sind stets fahl vor Hunger, und einige Aspekte der Harpyien scheinen sie mit Geiern zu verbinden – aber ob sich ihr Appetit auf menschliche Leichen erstreckt, wird nirgends gesagt. Gerade ein solcher vampirischer Appetit tritt dafür bei den Keren betont hervor: Die Keren streiten sich auf dem Schlachtfeld um die Gefallenen – denn sie wollen ihr Blut trinken. Sie erscheinen geradezu als ein Syn-
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onym für Verderben und Tod; der Tod kann als Entführung durch die Ker umschrieben werden. Die Keren erscheinen bald im Plural, bald im Singular, ohne daß jedoch jemals individuelle Charaktere deutlich würden. Sie werden nirgends ausdrücklich als Vögel beschrieben – vielmehr scheinen sie anthropomorph vorgestellt zu sein –, aber zumindest ab dem Hellenismus können sie durch die Luft fliegen. Die Grenzen zwischen Keren und Erinyen sind schon in klassischer Zeit unscharf, und spätestens seit dem Hellenismus beginnen all diese Gruppen dämonischer Wesen – Furien, Erinyen, Harpyien, Sirenen und Keren – zu einem gewissen Grad ineinander zu verfließen. Die Sirenen haben ihren ersten Auftritt in der Odyssee, wo sie eine Insel irgendwo zwischen der Welt der Menschen und dem Totenreich jenseits des Okeanos bewohnen. Bereits die homerische Erzählung zeigt sie in einer Weise, die sie in die Nähe der seelengeleitenden oder -entführenden Flügelfrauen des Mittelmeerraums rückt: Die Sirenen sind ein Kollektiv weiblicher übernatürlicher Gestalten; sie befinden sich im Niemandsland zwischen Diesseits und Jenseits; sie verfügen über ein tieferes Wissen über alles, was sich auf der Erde ereignet; dieses Wissen bezieht sich insbesondere auf den größten Krieg ihres Zeitalters; sie haben die Macht, den Widerstand ihrer Opfer allein durch ihren Gesang zu brechen und wirken somit direkt auf den Geist ihrer Opfer, ohne sich physischer Waffen bedienen zu müssen; und ihre Insel ist mit den vermodernden Resten ihrer Opfer bedeckt – sie sitzen auf einer Insel des Todes am Rande des Totenreichs und locken ihre Opfer mit ihrem Gesang in den Tod. Die Sirenen erscheinen hier zwar gewiß nicht als Seelengeleiter, aber doch als Verführer, die ihre Zuhörer an sich binden und auf eine Toteninsel am Rande des Jenseits ziehen. Daß es sich bei den Sirenen um weibliche Vogelmischwesen handelt, ist seit den frühesten Darstellungen der homerischen Szene in der bildenden Kunst des 6. Jh. v. Chr. bezeugt; Homer setzt es wohl als selbstverständlich voraus (die früheste Zeit kennt auch männliche ‚Sirenen‘, die jedoch gegenüber den weiblichen stets in der Minderzahl sind und im Zuge der ikonographischen Entwicklung schon früh völlig in den Hintergrund treten und verschwinden; sie erscheinen weder im Mythos noch in Darstellungen der Odysseeszene, und sind wohl nur durch die orientalische Herkunft des Bildtyps bedingt und von den Odyssee-Sirenen zu trennen). Ebenso mag die Todesart der Opfer, über die Homer sich ausschweigt, im Epos als selbstverständlich übergangen worden sein; daß die Sirenen ihre Beute verschlingen, ist ausdrücklich erst seit dem Hellenismus bezeugt (wird zuvor allerdings vielleicht schon angedeutet), scheint ab dieser Zeit aber eine sehr weit verbreitete Vorstellung gewesen zu sein. Im frühen 5. Jh. v. Chr. bezeugt der Sirenenname I „Stimme des sexuellen Ver-
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langens“ in einer attischen Darstellung der Odysseeszene, daß der Verlockung der Sirenen auch der erotische Aspekt nicht fehlt, der im Charakter der Walküren, der Bodbs und Vanths so zentral zu sein scheint. Die Mehrzahl der Züge, die den Charakter der Walküren, der Bodbs und Vanths prägen, läßt sich somit schon an das älteste greifbare Zeugnis für die Sirenen anbinden. Die spätere literarische Überlieferung fügt über das Motiv des Verschlingens hinaus nur vergleichsweise wenig hier Relevantes hinzu, das bei Homer nicht schon angelegt scheint, und ist zumeist mehrdeutig und in ihrer Auslegung unsicher. Vielleicht sollte man jedoch die großgriechischen Kulte einzelner Sirenen erwähnen, die möglicherweise darauf hindeuten, daß im Ausnahmefall Sirenen als Einzelgestalten aus dem undifferenzierten Kollektiv dieser Dämoninnen heraustreten können. Ferner kennt die literarische Überlieferung der Klassik neben entrückten Inseln auch den Hades als Aufenthaltsort der Sirenen, wenngleich die Signifikanz dieser Tradition unklar bleibt (handelt es sich nur um eine Anspielung auf den Selbstmord der Sirenen?). Die Sirenen sind allerdings nicht nur literarisch, sondern auch archäologisch reich bezeugt. Einige Züge, die in der literarischen Überlieferung nur spät oder doppeldeutig belegt sind, erscheinen im ikonographischen Befund mit weit größerer Klarheit als in den Texten. So sind allein aus dem Attika des 4. Jh. v. Chr. nahezu einhundert rundplastische oder im Relief gearbeitete Darstellungen von Sirenen in der Sepulkralkunst erhalten, was ihre starke Anbindung an den Bereich von Grab und Tod eindrücklich hervorhebt. Sirenenstatuetten können als Grabbeigaben erscheinen, schon im frühen 6. Jh. v. Chr. zeigt ein attischer Pinax eine Sirene unter einer aufgebahrten Toten, und noch im Hellenismus und selbst darüber hinaus sind die Sirenen weithin geläufige Elemente der Grabkunst. Für die Beziehung der Sirenen zum Tod ist insbesondere das ‚Harpyienmonument‘ in Xanthos (Lykien) von Bedeutung, das die Verbindung der Sirenen mit dem Sepulkralbereich in ein deutlich spezifischeres Licht rückt: Denn in Xanthos werden Sirenengestalten dargestellt, die die Seelen der Verstorbenen ins Jenseits zu tragen scheinen – Sirenen werden hier nicht nur allgemein mit dem Tod assoziiert, sondern als Seelengeleiter in einem ganz spezifischen Sinn. Parallelen für dieses Motiv aus anderen Teilen der griechischen Welt – insbesondere aus Ost- und Großgriechenland (sowie Etrurien) – weisen wohl darauf hin, daß es sich bei der Seelengeleiterfunktion der Sirenen nicht nur um eine lykische Sonderentwicklung, sondern um eine weiter verbreitete Vorstellung gehandelt hat. Weder das lykische Monument noch seine Parallelen zeigen dabei irgendeine Verbindung mit dem Kriegswesen; wie schon im Falle Vanths, ist die Verbindung der Sirenen mit dem Tod eine allgemeine und nicht auf den Tod in der Schlacht beschränkt.
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Eine Vielzahl weiterer ikonographischer Zeugnisse stellt eine Verbindung zwischen den Sirenen und dem Bereich der Aphrodite her und unterstreicht in vielfältiger Weise den erotischen Zug im Charakter dieser Vogelmischwesen. So etwa, wenn Sirenen eine Koitusdarstellung rahmen, wenn eine Sirene einen Standspiegel schmückt, als dessen Ständer eine Aphrodite-Statuette fungiert, oder wenn eine Sirene noch in viel späterer Zeit auf einem hadrianischen Relief an einer äußerst expliziten sexuellen Szene teilnimmt; selbst schon in der Darstellungsweise der Sirenen als nackte Vogelfrauen mag ein erotischer Unterton mitschwingen. Eine dritte Gruppe von (frühen) ikonographischen Belegen verbindet die Sirenen mit Kampfszenen oder dem Auszug von Kriegern und läßt sie dadurch auch am Bereich des Krieges teilhaben; hierher mag auch gehören, daß eine Sirene einmal sogar selbst einen Helm trägt. Im Hellenismus kündet Lykophrons „Sirenengesang“ vom Unheil des Kampfes um Troja, und in der Grabkunst dieser Zeit können Sirenen neben mythologischen Schlachtenszenen erscheinen. Die ikonographischen Zeugnisse für die Sirenen treten ergänzend neben die literarischen, insbesondere homerischen Belege. Beide Gruppen von Zeugnissen nähern sich den Sirenen aus unterschiedlichen Perspektiven an und zeigen diese Gestalten auf entprechend unterschiedliche Weise; aber bei allen Unterschieden zwischen der Präsentation der Sirenen in literarischen und ikonographischen Quellen bleibt doch deutlich, daß beide Quellengattungen von derselben Gruppe von Gestalten sprechen. Schriftliche und archäologische Quellen stützen sich trotz mancher Variationen in den Details gegenseitig und verhelfen sich gegenseitig zu einer Interpretation, die sowohl die ikonographischen als auch die literarischen Sirenen als in sich stimmige, geschlossene Charaktere auffassen kann: Ein Kollektiv vampirisch-erotischer Vogelfrauen an der Grenze zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten, die eine Rolle beim Übergang der Sterblichen ins Jenseits spielen können, die über tieferes, übermenschliches Wissen gerade über die Dinge des Krieges verfügen, und die ihre Opfer durch ihre Stimme zu binden vermögen und ihrer habhaft werden, ohne sich auf eine physische Auseinandersetzung einlassen zu müssen. Damit beantwortet die Diskussion der Sirenen zugleich vielleicht auch eine methodische Frage: Wie problematisch ist es, Quellengattungen von gänzlich unterschiedlichem Charakter heranzuziehen und Seite an Seite miteinander zu verwenden? Die nordischen und irischen Dämoninnen sind nahezu ausschließlich in literarischen Zeugnissen belegt, die zudem zum größten Teil bzw. ausschließlich der nach-heidnischen Zeit entstammen und so keine zeitgenössischen religiösen Vorstellungen überliefern, sondern antiquarisch-literarische christliche Perspektiven auf vorchristliche Traditionen. Die wichtigsten Quellen für den Bereich des antiken Celti-
Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke
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cums nördlich der Alpen sind epigraphischer Natur und vertreten damit eine zeitgenössische ‚Innenperspektive‘ – hier schlägt sich gelebter Kult schriftlich nieder. Diese Zeugnisse werden durch ikonographisches Material ergänzt; hervorzuheben ist ferner der archäologische Befund des ‚Heroons‘ in Ribemont-sur-Ancre. Aus dem keltischen Bereich südlich der Alpen ist uns vor allem die Beschreibung eines keltiberischen Rituals überliefert, ergänzt durch mögliche, aber letztlich durchaus fragwürdige Spuren ähnlicher ritueller Handlungen im Zuge des Kelteneinfalls in Griechenland im frühen 3. Jh. – dabei sind die Quellen, wie sie uns vorliegen, in keinem Fall zeitgenössisch, wenngleich sie ihrerseits auf zeitgenössischen Berichten beruhen können und sich teilweise mit zeitgenössischen archäologischen Indizien in (eine unsichere) Verbindung bringen lassen. Die etruskische Totengeleiterin Vanth tritt uns praktisch nur in zeitgenössischen ikonographischen Zeugnissen gegenüber, und die Sirenen erscheinen sowohl literarisch als auch ikonographisch bezeugt. Das Beispiel der Sirenen illustriert, daß ikonographische und textliche Belege zwar einerseits sehr unterschiedliche Perspektiven auf eine mythologische Figur vertreten können; aber andererseits scheinen sich diese Perspektiven nicht zu widersprechen, sondern sich zu ergänzen. Text und Bild sind nicht unabhängig voneinander, sondern beide beziehen sich mit ihren jeweils spezifischen Ausdrucksmitteln auf Vorstellungen, die beide Quellengattungen übergreifen (auch wenn gewisse beschränkte Variationen sichtbar werden, die sich aus unterschiedlichen sozialen oder funktionalen Kontexten sowie chronologischen Unterschieden der Zeugnisse im einzelnen ergeben). Dabei illustriert das Beispiel der Sirenen zugleich, daß Textund Bildzeugnisse sich zwar zu einem Gesamtbild zusammenfügen, daß aber nicht jeder Einzelzug dieses Gesamtbildes in beiden Quellengattungen bezeugt sein muß; dies stellt eine Warnung davor dar, in Überlieferungen rein textlicher oder rein ikonographischer Natur eine vollständige Erfassung des Charakters einer Gestalt zu erwarten. So zeigen die Sirenen sowohl den Zug des Verschlingens als auch eine Funktion als Seelengeleiter. Das Verschlingen ist jedoch nur in Textzeugnissen belegt, und die Seelengeleiterfunktion tritt uns in eindeutiger Weise nur im ikonographischen Material entgegen. Wie ist es also zu bewerten, daß für die Bodb, für die uns nahezu keine ikonographischen Quellen vorliegen, keine Funktion als Seelengeleiter belegt ist? Oder daß für Vanth, wo die Textquellen fehlen, auch das Motiv des Verschlingens fehlt? Das Beispiel der Sirenen illustriert schlagend, daß bei einer solchen einseitigen Quellenlage ein argumentum ex silentio nicht zulässig ist, und zwar auch dann nicht, wenn innerhalb einer bestimmten Quellengattung im Grunde reiches Material vorhanden ist. Noch schwerer wiegt ein ähnliches Problem im Fall des keltiberischen Geierrituals: Dort liegt uns
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Island im Schatten des Harpyiengrabs?
nur eine stark verkürzte Beschreibung eines Rituals aus einer Außenperspektive vor. Will man ein solches Zeugnis etwa mit der reichen antiquarischmythologischen Überlieferung Irlands vergleichen, so ist stets die Ungleichheit der Perspektiven der verschiedenen Quellen zu beachten: Die Beschreibung des ‚Rituals der Aussetzung‘ beschränkt sich weitgehend auf das, was für den klassischen Beobachter sichtbar war, ergänzt durch eine kurze Erklärung des unmittelbar beobachtbaren Sachverhalts. Eine differenzierte Beschreibung einer möglicherweise mit diesem Ritual verbundenen Mythologie fehlt jedoch; somit ist eine Vielzahl von Aspekten der irischen mythologischen Vorstellungen von vorneherein im keltiberischen Befund nicht zu erwarten, unabhängig davon, ob ähnliche mythologische Vorstellungen mit diesem Ritual verbunden waren oder nicht – die differenzierte Mythologie, die mit dem ‚Ritual der Aussetzung‘ assoziiert gewesen sein mag, wäre dem außenstehenden Betrachter entgangen, der sich weitgehend auf die Beschreibung der sichtbaren Handlung beschränkt hat. Dasselbe gilt umgekehrt für den antiquarisch-mythologischen Befund Nordwesteuropas: Dort sind zwar reiche Streiflichter auf die mythologischen Vorstellungen überliefert, insbesondere in Irland gibt es jedoch keinerlei Hinweise auf mögliche rituelle Umsetzungen dieser Vorstellungen. Textquellen, Bildquellen und – vielleicht – Rituale beziehen sich zwar auf Vorstellungen vom Charakter bestimmter halbgöttlich-übernatürlicher Gestalten, aber sie stellen diese Gestalten doch aus ganz verschiedenen Perspektiven dar – und diesen Perspektiven entsprechend ist ihre Darstellung möglicherweise selektiv. Wo nur eingeschränktes Quellenmaterial und vielleicht nur Quellenmaterial einer bestimmten Gattung vorliegt, ist aus diesem Grund damit zu rechnen, daß nur ein Teil des Charakters der entsprechenden Figuren der modernen Rekonstruktion zugänglich ist. Wesentlich ist jedoch ein anderer Aspekt, der ebenfalls aus der Betrachtung der Sirenen deutlich wird: Das, was aus den Zeugnissen einer bestimmten Quellengattung hervorgeht, steht für gewöhnlich nicht in Widerspruch zu dem, was eine andere Quellengattung belegt. Die verschiedenen Quellengattungen widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich. Wo nur Material einer bestimmten Gattung vorliegt, mag das Bild unvollständig sein – es ist jedoch nicht zu erwarten, daß das Bild falsch ist. Stellt man einen Vergleich zwischen den Walküren, Bodbs, keltiberischen Geiern, Vanth, den Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen an, so vergleicht man nicht direkt die Quellen miteinander, sondern die dämonischen Charaktere, die im unvollständigen, selektiven und durch verschiedene Perspektiven geprägten Quellenmaterial deutlich werden. Wie sinnvoll ein solcher Vergleich sein kann, hängt allein davon ab, wie vollständig das Bild vom Charakter einer Gestalt ist, das uns durch die Quellen zugänglich wird. Die vorangehenden Kapitel hoffen gezeigt zu haben, daß für
Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke
473
die meisten der hier besprochenen Gestalten umfangreiches Material vorliegt, das es erlaubt, ein vergleichsweise detailliertes Bild von den Charakteren der einzelnen Klassen übernatürlicher Wesen zu zeichnen – ungeachtet dessen, daß die Art der Quellen ganz verschieden sein kann. Diese Charakterbilder miteinander zu vergleichen, scheint daher grundsätzlich unproblematisch; es ist nur stets zu beachten, daß einzelne Charakterzüge jederzeit der Natur des Quellenmaterials zum Opfer gefallen sein könnten. Ausgehend von einem Vergleich der Walküren und der Bodbs schien es sinnvoll, bei der Betrachtung der frühen europäischen Dämonologien des Todes besonderes Augenmerk auf einen spezifischen Komplex von Charakteristika zu legen: Das weibliche Geschlecht der Dämoninnen; ihr Schwanken zwischen Kollektiv und Individuum; ihre enge Verbindung mit dem Tod; ihre Rolle beim Übergang ihres Opfers ins Jenseits; ihre Verbindung mit Krieg und Gewalt; ihre Assoziation mit Vögeln oder einem Vogel-Aspekt; das Motiv des Verschlingens von Leichen; die betonte Sexualität der Dämoninnen; ihr Besitz von tieferem Wissen; und schließlich ihre Macht über den Geist ihrer Opfer, die es ihnen ermöglicht, diese kampflos durch schiere Furcht zu töten, in den Wahnsinn zu treiben oder hilf- und widerstandslos ihrem Schicksal auszuliefern. Betrachtet man die Walküren, Bodbs, Vanth, Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen, so taucht eine überraschende Zahl dieser Motive immer wieder auf: Sie alle teilen das weibliche Geschlecht, das Erscheinen als Kollektiv, die enge Verbindung mit dem Tod und verschiedene Varianten eines Vogel-Aspekts (Metamorphose Frau/Vogel; geflügelte Erscheinung; Mischwesengestalt) – letzterer mag nur für die Keren problematisch sein (denn wie ist ihre – späte – Flugfähigkeit zu bewerten?). Die Bodbs, Erinyen, Keren und Sirenen erscheinen deutlich als vampirisch-verschlingende Wesen, und für nahezu alle übrigen Figuren finden sich zumindest mögliche (wenngleich ausdrücklich nicht schlüssige) Spuren einer solchen Vorstellung. Bis auf die Bodb spielen sie alle eine direkte Rolle beim Übergang ihrer Opfer ins Jenseits, und die Funktion der heiligen Aasvögel der Keltiberer mag darauf hindeuten, daß die kontinentalkeltische Frühform der Bodb und vielleicht auch der dämonische Aasvogel der vorchristlichen Iren dieselbe Funktion als Seelengeleiter gehabt haben könnten, falls man eine Kontinuität zwischen diesen verschiedenen keltischen Komplexen annehmen will. Bis auf die Harpyien werden alle diese Gestalten mit Krieg und Gewalt assoziiert, und die Walküren, Bodbs, Vanth und Sirenen teilen einen auffällig betonten sexuellen Zug in ihrem Charakter. Viele dieser Gestalten haben eine direkte Macht über den Geist ihrer Opfer, und die Mehrzahl verfügt über ein tieferes, übermenschliches Wissen. Faßt man diese Züge in einem tabellarischen Abriß etwas übersichtlicher zusammen, so ergibt sich etwa folgendes Bild:
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Island im Schatten des Harpyiengrabs?
Zusammenfassende Überblickstabelle über einige zentrale Charakterzüge der Walküren, Bodbs, keltiberischen heiligen Geier, Vanths, der Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen. Schattierung zeigt an, daß die entsprechenden Felder dem Charakter der Quellen nach in der Überlieferung keine Rolle spielen können (rituelle Quellen statt der ansonsten im weiteren Sinn mythologischen Quellen bzw. Charakteristika, die sich in rein ikonographischen Quellen nicht klar niederschlagen und die im vorhandenen Material zwar belegt sein könnten, aber der Natur der Darstellungen nach nicht sicher zu verifizieren sind). K ELTISCH
N ORDISCH D IE W ALKÜREN
D IE B ODB
W EIBLICHER D ÄMON
X
X
K OLLEKTIVCHARAKTER
X
X
X
X
X
–
T OD
Wählerinnen der Schlachtentoten
Freude über Blutvergießen
verschlingen gefallene Helden
V ÖGEL
Schwan, Krähe
Nebelkrähe
Geier
V ERSCHLINGEN
?vgl. Rabenassoziation; „Quälen der Toten“
rotschnäbelig; Schädel als Mast
verschlingen gefallene Helden
Ü BERGANG DES T OTEN INS J ENSEITS
weisen (geleiten?) die Gefallenen nach Walhall
–
tragen durch Verschlingen zum Himmel
G EWALT
entscheiden über den Sieg
Eingreifen ins Kriegsgeschehen
Ritual auf Kriegshelden beschränkt
B ETONTE S EXUALITÄT
Beziehungen mit Helden; Tod als Hochzeit
Kampfhilfe für sexuelle Gefälligkeiten
E INWIRKUNG AUF DEN G EIST DER O PFER
herfjqturr
tödliche Furcht
T IEFERES W ISSEN
Runenkunde; Gespräch über Ruhm
militärisches Geheimwissen; Prophetie; Ruhm
INDIVIDUALCHARAKTER
K RIEG
UND
K ELTIBERISCHE G EIER
Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke
I TALISCH V ANTH
475
G RIECHISCH
D IE F URIEN
D IE E RINYEN
D IE S IRENEN
X
Frühzeit: selten männlich; Mythos: stets weiblich
X
X
X
X
X
X
X
X
X
können einzeln auftreten
?Celaeno: Furiarum maxima
können einzeln auftreten
?vgl. großgriechische Sirenenkulte
Erscheinen in Szenen des Todes
Anstacheln zu Blutvergießen; Seuchen
Wesen der Unterwelt
verschleppen in die Unterwelt
Synonym für Verderben
Tod ihrer Opfer; Aufenthalt im Hades; in der Sepulkralkunst
geflügelt
geflügelt
geflügelt
geflügelt
?vgl.: fliegen
Vogel-FrauMischwesen
?vgl. ikonograph. Sackgasse der Geierdämonin
–
trinken das Blut ihrer Opfer
?vgl. Hunger in der Äneis; Geierassoziation
trinken das Blut der Gefallenen
verschlingen ihre Opfer
Wächter an der Unterweltspforte; Geleit des Toten ins Jenseits
Unterweltstorwächter; Seelengeleiter der Verdammten; Initiation der Toten
schleppen in den Hades; führen Seelen zur Bestrafung
verschleppen in die Unterwelt
schleppen in den Hades
tragen Seelen ins Jenseits; locken auf Insel am Rande des Jenseits
in Szenen gewaltsamen Todes
Anstacheln von Blutvergießen; händigen Opfer dem Mars aus
in späterer Literatur auf dem Schlachtfeld
–
Erscheinen in Schlachtenszenen
beim Auszug zum Kampf; Kunde vom trojanischen Krieg
Nacktheit; Zurschaustellung der Scham
–
–
–
–
„Sehnsuchtsstimme“; neben und in Symplegmaszenen
treiben in den Wahnsinn
–
–
Opfer dem Gesang hilflos ausgeliefert
erinnern sich der Verbrechen
?vgl. Unglücksprophetie in der Äneis
–
wissen alles, was sich auf der Welt ereignet
Schriftrolle
–
X
D IE K EREN
X
?vgl. fehlende rauben Kraft des Gegenwehr trojan. Opfers; hauchen Gefangener; ?vgl. Wahnsinn / Kontinuitäten zu Furcht ein den Furien
X
D IE H ARPYIEN
476
Island im Schatten des Harpyiengrabs?
Trotz der großen zeitlichen und geographischen Spannweite der betrachteten Komplexe zeigen sich hier unerwartete Parallelen in den Charakteren der Walküren, Bodbs, keltiberischen heiligen Geier, Vanths, der Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen. Eine Vielzahl von Motiven taucht in verschiedenen Variationen immer wieder auf. Das Motiv des ‚tieferen Wissens‘ hat dabei wohl die geringste Bedeutung – über ein übermenschliches Wissen verfügen wohl nahezu alle übermenschlichen Gestalten. Umso mehr sticht der spezifische Charakter der übrigen Parallelen ins Auge: Es gibt zunächst keinen ersichtlichen Grund, warum gerade weibliche Gestalten mit dem Krieg assoziiert werden sollten, der doch in allen hier betrachteten Kulturen im Regelfall ein Männergeschäft war. Ebensowenig ist ein Grund für die Assoziation dieser Dämoninnen mit Vögeln evident. Auf den ersten Blick mag man sich fragen, ob es zwischen dem Motiv des Verschlingens und dem häufigen (Aas-)Vogel-Aspekt einen Zusammenhang gibt, der in der ‚Natur der Sache‘ liegen könnte: Wenn es sich bei diesen Dämoninnen um verschlingende Wesen handelt, mag dies eine Erscheinungsform als Aasvogel unmittelbar nach sich ziehen. Gerade diese Überlegung wirft aber in ein scharfes Relief, daß – sieht man von den Erinyen ab, die als Jägerinnen gelegentlich auch mit (Jagd-)Hunden assoziiert werden können – die Assoziation dieser verschlingenden Wesen so konsequent gerade eine Assoziation mit Vögeln ist. Denn der Zorn des Achilleus wirft die Griechen nicht den Vögeln, sondern den Hunden und allen Vögeln, ! ; » , zum Fraß vor (Ilias I,1–5), und ebenso erscheinen Wölfe und Vögel als die Aasfresser des Schlachtfelds in der altenglischen Literatur – und dies zudem üblicherweise zusammen.1592 Eine innere Verbindung zwischen dem Erscheinen als Aasvogel und dem Verschlingen der Leichen ist also zwar evident, aber es ist keineswegs evident, warum die verschlingenden Dämoninnen immer gerade in Vogelgestalt erscheinen, und nicht in der Gestalt eines anderen Aasfressers. Gerade in Irland steht das Bild der rotschnäbeligen Bodb, die auf der Walstatt nach der Schlacht von den Leichen der Krieger frißt, gewiß in Beziehung zur natürlichen Beobachtung, die auf jedem Schlachtfeld nach jeder Schlacht möglich gewesen sein muß, wenn die Aasfresser sich über die Gefallenen hermachten.1593 Aber die Dämonen gehen nie in bloßer Mythisierung des Beobachtbaren auf: Die Bodb, die von den Gefallenen frißt, ist nur der rot1592
1593
Vgl. Griffith 1993 S. 184 f., 190 f., 195. Für den Hinweis auf den altenglischen Sachverhalt danke ich Heather O’Donoghue. Vgl. Griffith 1993 S. 184 (mit einem walisischen Beispiel als Beleg für einen Hintergrund des Motivs der leichenverschlingenden Schlachtfeldtiere im real Beobachtbaren).
Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke
477
schnäbelige Vogel, und nicht der rotmäulige Wolf.1594 Unter den Gefallenen auf dem Schlachtfeld sind jedoch beide gegenwärtig, Vogel und Wolf; daß nur der Vogel zur Verkörperung der Dämonin wurde, nicht aber der Wolf, zeigt den Abstand zwischen Naturbeobachtung und dämonischem Konzept. Die beiden berühren sich zwar, aber sie gehen nicht ineinander auf. Der spezifische Charakter dieser übernatürlichen Wesen läßt sich nicht einfach aus der Erfahrung der Schlacht und der Beobachtung ihres Nachspiels erklären. Ihr Wesen ist in der spezifischen Kombination seiner Einzelzüge nicht selbstverständlich, und die Komplexität dieser wiederkehrenden Kombination scheint bemerkenswert und erklärungsbedürftig. Das Wiederkehren der spezifischen Motivkombination, die den Charakter der angesprochenen frühen europäischen Todesdämoninnen definiert, läßt sich also nicht einfach aus Naturbeobachtung oder der ‚Natur der Sache‘ erklären – es gibt keinen ersichtlichen Grund, warum ein halbgöttlich-dämonischer Charakter gerade in dieser Weise strukturiert sein sollte. Zudem dürfte die Motivverbindung wohl zu komplex sein, als daß es angeraten schiene, sie a priori und ohne eine Prüfung alternativer Erklärungen als bloßen Zufall zu betrachten. Die einzige wirkliche Alternative zu einer Erklärung der Ähnlichkeiten als ‚natürlich‘ oder ‚zufällig‘ ist jedoch die Annahme einer historischen Verbindung, etwa in Form einer Vermittlung durch Kulturkontakt. Erwägt man eine Erklärung der Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Dämoninnen durch Kulturkontakt, dann zieht dies unmittelbar die Frage nach der geographischen Verteilung der Belege nach sich: Sind die Gestalten in einer Weise verteilt, die die Vermutung plausibel erscheinen läßt, daß die Parallelen zwischen den verschiedenen dämonischen Charakteren auf eine kontinuierliche Ausbreitung des Motivkomplexes durch Kulturkontakt zurückgehen könnten? Die wichtigsten Belege und Indizien für die vampirisch-erotischen Todesdämoninnen finden sich im nordwesteuropäischen Frühmittelalter in der altwestnordischen Literatur, auf zwei gotländischen Bildsteinen, auf dem Stein von Papil auf den Shetlands und in der irischen Literatur ab der altirischen Zeit. Im römischen Britannien ist ferner der Weihestein für die lamiae tres aus dem Kastell Condercum am Hadrianswall hierher zu stellen: Dieser Stein ist wohl als eine interpretatio Romana einer britannischen (Vor-)Form der triadischen Bodbs der irischen 1594
Es ist bezeichnend, daß sich der einzige Beleg für das Erscheinen der Morrígain als Wölfin in einer ganzen Serie von Metamorphosen befindet (schöne junge Frau; Aal; Wölfin; Jungkuh; häßliche Alte) und damit jeder spezifischen Bedeutung entbehrt, und daß die Morrígain in dieser Gestalt gerade nicht als Leichenfresserin auftritt (siehe oben S. 156).
478
Island im Schatten des Harpyiengrabs?
Literatur aufzufassen; beim gegenwärtigen Stand des Wissens läßt sich nur so die zeitgenössische Auffassung der klassischen lamia mit der in den übrigen Weihesteinen von Condercum bezeugten militarisierten Religiosität des Kastells und mit dem triadischen Charakter der lamiae tres in eine nachvollziehbare Verbindung bringen. Die wichtigsten Indizien für den Komplex der seelengeleitenden Vogeldämoninnen im kontinentalen Celticum nördlich der Pyrenäen stellen die drei möglichen oder wahrscheinlichen Weihesteine an Bodva-Gestalten im Osten Frankreichs dar; ferner wäre auf gallische Personennamen zu verweisen, die möglicherweise als Weihenamen gedeutet werden können, sowie an das ‚Heroon‘ von Ribemont-surAncre in Nordfrankreich zu erinnern. Weitere vermeintliche Belege für Bodb-Gestalten im kontinentalen Celticum außerhalb Hispaniens sind in der Forschung verschiedentlich vertreten worden – wie etwa die M. Valerius Corvus-Episode –, sind meines Erachtens jedoch nicht tragfähig. Auf der iberischen Halbinsel scheint hingegen das keltiberische ‚Ritual der Aussetzung‘ von größerer Signifikanz zu sein, und in Italien und der griechischen Welt sind die etruskische Vanth und die griechisch-lateinischen Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen zu nennen. Belege und wichtige Indizien für die vampirisch-erotischen Todesdämoninnen finden sich somit in Skandinavien, auf den britischen Inseln (sowohl in Irland als auch in Britannien), auf dem Gebiet des heutigen Frankreich, auf der iberischen Halbinsel und in den Mutterländern der griechisch-römischen Kultur. Hier zeigt sich eine kontinuierliche Verteilung der Belege, die sich vom klassischen Mittelmeerraum bis nach Nordwesteuropa erstreckt. Die Belegdichte innerhalb dieses Raumes ist zwar ausgesprochen ungleich: So hat der gesamte Bereich des heutigen Frankreich außer einigen in ihrer Signifikanz unsicheren Personennamen nur vier Zeugnisse als wichtige Belege vorzuweisen, während aus dem viel kleineren Gebiet Etruriens buchstäblich Hunderte von Zeugnissen für die Seelengeleiterin Vanth bekannt sind. Diese ungleiche Belegdichte ist jedoch nur auf den ersten Blick bedenklich; denn die geringe Belegdichte für Hispanien und das antike Kontinentaleuropa nördlich der Alpen entspricht der allgemeinen Quellenlage: Zur frühen Religionsgeschichte dieser Regionen lassen sich grundsätzlich kaum substantielle Aussagen machen. Im Vergleich zu dieser allgemein mehr als dürftigen Quellensituation hat es hingegen umso größeres Gewicht, daß immerhin wichtige Indizien für die Existenz solcher Dämoninnen in diesen Gebieten vorgeschlagen werden konnten (Fig. 67). Denn die Beurteilung der Signifikanz der vorhandenen Belege hat immer auch das Gesamtbild der jeweiligen Regionen im Blick zu behalten: Wo grundsätzlich kaum aussagekräftige Daten zur Verfügung stehen, ist bereits einer geringen Zahl von Zeugnissen Bedeutung beizumessen, während etwa für das durch umfang-
Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke
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Fig. 67: Überblickskarte zur Verteilung der Belege der Walküren und ihrer möglichen keltischen und mediterranen Parallelen.
reiche Schriftquellen (vergleichsweise) gut erschlossene Nordwesteuropa oder für das an ikonographischen Zeugnissen äußerst reiche Etrurien eine entsprechend größere Zahl an Zeugnissen vorzuweisen war, um eine signifikante Präsenz der betrachteten Gestalten in diesen Bereichen plausibel zu machen. Das geographische Verteilungsmuster das Materials entspricht der allgemeinen Verteilung aussagekräftiger Quellen und scheint entsprechend mit einer eventuellen kontinuierlichen Ausbreitung des Motivkomplexes durch Kulturkontakt ohne weiteres vereinbar. Problematischer scheint zunächst vielleicht die chronologische Verteilung der Belege. Die Sirenen, Harpyien, Keren und Erinyen haben ihren ersten (gesicherten) Auftritt in der homerischen Dichtung und leben von da an bis zum Ausgang der Antike weiter. Die etruskische Totengeleiterin Vanth wird etwas später, im 5. Jh. v. Chr., mit einiger Sicherheit identifizierbar, und große Teile ihres Charakters, wie er sich in der Spätzeit entwickelt hatte, setzen sich über das Ende der selbständigen etruskischen Kultur in den Furien der lateinischen Literatur fort. Ein Ritual einer Exkarnation gefallener Krieger durch Aasvögel könnte im 3. Jh. v. Chr. im ‚Heroon‘ von Ribemont-sur-Ancre bezeugt sein. Der ursprüngliche Bericht über das keltiberische ‚Ritual der Aussetzung‘ mag auf Poseidonios (ca. 135 bis 51 v. Chr.) zurückgehen; unsicher angedeutet wird es vielleicht schon für die Zeit der Eroberung Numantias durch Scipio (133 v. Chr.). Die möglichen
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Island im Schatten des Harpyiengrabs?
kontinentalen Weihesteine an die Bodb gehören der gallorömischen Zeit an (ohne daß genauere Datierungen vorliegen würden). Mit dem Weihestein für die lamiae tres aus Condercum dürfte im späten 2. oder (wahrscheinlicher) frühen 3. Jh. n. Chr. der erste Beleg für dämonische Gestalten vom Typ der Bodb im inselkeltischen Bereich vorliegen. Im Frühmittelalter setzen darauf die vor allem literarischen Quellen Nordwesteuropas ein. Die Bodb mag in Irland zuerst in einer kaum verständlichen retoiric bezeugt sein, die dem 7. oder 8. Jh. n. Chr. zugeschrieben wird; der Stein von Papil scheint auf ähnliche Gestalten im 7./8. Jh. n. Chr. auf den Shetlandinseln hinzuweisen. Die Passagen der Táin Bó Cúailnge, in denen die Morrígain als zentraler Akteur der Handlung auftritt, sind wohl ins 8. Jh. n. Chr. zu stellen. Die älteste erhaltene Handschrift, in der die Morrígain zweifelsfrei genannt wird, datiert ins 9. Jh. Der älteste verläßliche ikonographische Beleg für die Walküren dürfte in der wahrscheinlichen Darstellung der Sage von der Ewigen Schlacht auf gotländischen Bildsteinen des 8. oder 10. Jh. zu finden sein; in der Literatur sind sie ab dem 9. Jh. bezeugt. Die Belege verteilen sich somit über einige Jahrhunderte, und je weiter man sich von Südosten nach Nordwesten bewegt, desto später setzen sie ein. Auch dieses Muster entspricht jedoch der allgemeinen Verteilung des Quellenmaterials; es bezeugt somit nicht das Fehlen der entsprechenden Gestalten in Nordwesteuropa zur Zeit der klassischen Antike, sondern stellt nur ein weiteres Beispiel für unsere allgemeine Unkenntnis der antiken Religionsgeschichte Skandinaviens und Irlands dar. Dabei fällt insbesondere auch auf, daß die Regionen, in denen antike Belege für den Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen existieren, durchgehend innerhalb der Grenzen des Römischen Reiches liegen: Nahezu alle schlüssig scheinenden frühen Indizien für diesen Typus übernatürlicher Gestalten im antiken Barbaricum sind von der durch die klassische Antike vermittelten bzw. getragenen Schriftlichkeit abhängig – die Berichte über das hispanische ‚Ritual der Aussetzung‘ ebenso wie die gallorömischen Weihesteine an Bodva-Gestalten und der britannische Weihestein für die lamiae tres sind sämtlich im wesentlichen schriftliche Quellen. Dabei beruhen von diesen fünf wichtigsten Zeugnissen zumindest vier direkt auf römisch-imperialer Schriftlichkeit, und auch der möglicherweise auf den Griechen Poseidonios zurückgehende Bericht über das ‚Ritual der Aussetzung‘ ist zum einen nur über die griechisch-römische Literatur auf uns gekommen und zum anderen wohl erst lange nach dem Beginn der römischen Eroberung der iberischen Halbinsel entstanden.1595 Insbesondere im Fall des hispanischen Ri1595
Die Eroberung Hispaniens durch die Römer begann im Jahr 218 v. Chr. mit der Landung des Gn. Scipio, und die römische Provinz wurde bereits im Jahr 206 v. Chr. be-
Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke
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tuals lassen sich zwar auch archäologische Quellen zur Ergänzung des literarischen Befundes heranziehen, aber die Deutung dieser archäologischen Quellen als Indizien für das ‚Ritual der Aussetzung‘ wird durchgehend erst durch den Vergleich mit den literarischen Quellen der römischen Zeit nahegelegt – für sich genommen läßt der archäologische Befund kaum tragfähige Schlüsse zu. Die einzige Ausnahme von dieser Regel, daß die wichtigsten Zeugnisse für den vorliegenden Komplex im antiken Barbaricum von der klassischen Schriftlichkeit abhängig sind, stellt das ‚Heroon‘ von Ribemont-sur-Ancre dar; und selbst hier rät der einzigartige Charakter des Befundes zu größter Vorsicht bei seiner Interpretation. Dieses Gesamtbild unterstreicht, wie weitgehend die Quellenlage von der Ausbreitung der klassischen Schriftlichkeit und insbesondere der Schriftkultur des Römischen Reiches abhängt; das Fehlen von Befunden im ‚freien Barbaricum‘ außerhalb der Sphäre der römischen Expansion verwundert entsprechend kaum: In den Gebieten außerhalb der römischen Reichsgrenze treten die vampirisch-erotischen Todesdämoninnen im wesentlichen erst mit der Ausbildung der mittelalterlichen Schriftkultur ins Licht der (Religions-)Geschichte. Zugleich ist hierbei auch festzuhalten, daß das Erscheinen dieser Gestalten nach dem Einsetzen der nordwesteuropäischen schriftlichen Überlieferung nicht lange auf sich warten läßt: Die Walküren sind ab dem 9. Jh. literarisch bezeugt (Hrafnsmál, vielleicht auch Ragnarsdrápa, die traditionell dem ersten bekannten Skalden Bragi enn gamli Boddason zugeschrieben wurde, wobei diese frühe Datierung allerdings inzwischen wiederholt in Frage gestellt worden ist), und die irischen Dämoninnen sind bereits in der altirischen Epoche und damit gleichfalls ganz am Anfang der einheimischen volkssprachlichen Literatur präsent. Entsprechend (vergleichsweise) gering ist auch die zeitliche Lücke zwischen den spätesten römisch-antiken und den frühesten außerrömisch-frühmittelalterlichen Belegen: Während die Weihung für die lamiae tres vielleicht ins 2., wahrscheinlicher aber ins 3. Jh. n. Chr. datiert, setzen die Belege für die außerrömischen inselkeltischen Dämoninnen mit dem Stein von Papil, der retoiric in der Táin Bó Cúailnge, mit der die Morrígain den Stier von Cúailnge vor den Connachtern warnt, und bald darauf mit dem Haupttext derselben Erzählung bereits im 7./8. Jh. n. Chr. ein. Die tatsächlich befundleere Periode mag also kaum mehr als vier Jahrhunderte umfassen. Eine solche chronologische Verteilung entspricht dabei nicht nur der allgemeinen Verteilung des Quellenmaterials, sondern ist zudem auch umso unproblematischer, als gründet; abgeschlossen wurde die Eroberung der iberischen Halbinsel allerdings erst 19 v. Chr. mit der Unterwerfung der letzten noch unabhängigen Stämme durch Augustus: Schulten 1913 Spalten 2034–2036.
482
Island im Schatten des Harpyiengrabs?
Überblickstabelle zur chronologischen Verteilung des Motivkomplexes der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen. Der Befund wird in geographischer Ordnung dargestellt, beginnend mit dem skandinavischen Material. Fundleere Jahrhunderte werden durch dreifach durchgezogene Linien hervorgehoben. N ORDISCH
I RISCH
UND SHETLÄNDISCH
‚F REIES B ARBARICUM ‘ 9. Jh. v. Chr. 8. Jh. v. Chr. 7. Jh. v. Chr. 6. Jh. v. Chr. 5. Jh. v. Chr. 4. Jh. v. Chr. 3. Jh. v. Chr. 2. Jh. v. Chr. 1. Jh. v. Chr. 1. Jh. n. Chr. 2. Jh. n. Chr. 3. Jh. n. Chr. 4. Jh. n. Chr. 5. Jh. n. Chr. 6. Jh. n. Chr.
14. Jh. n. Chr.
Stein von Papil ( ? )
13. Jh. n. Chr.
Cod. Reg. Lat. 215
12. Jh. n. Chr.
Gotländische Bildsteine (?)
11. Jh. n. Chr.
Hákonarmál, Eiríksmál
10. Jh. n. Chr.
Hrafnsmál, Ragnarsdrápa ( ? )
9. Jh. n. Chr.
Textstellen der Táin Bó Cúailnge
8. Jh. n. Chr.
Táin retoiric ( ? )
7. Jh. n. Chr.
HISPANISCH
R ÖMISCHEN R EICHES DES ( SPÄTEREN )
T ERRITORIUM
G RIECHISCH I TALISCH GALLISCH ,
B RITANNISCH ,
483 Der Befund: Zusammenfassung und methodologische Rückblicke
Erinyen (vielleicht schon Linear B) Harpyien Keren Sirenen Vanth, rein ikonographisch
Vanth, inschriftlich
Furien
‚Ritual der Aussetzung‘ Ribemont-sur-Ancre, ‚Heroon‘ ( ? ) Gallorömische Weihesteine lamiae tres
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die nordwesteuropäischen Dämoninnen eine überraschende Langlebigkeit zeigen: Die Walküren werden spätestens in der Literatur des 9. Jh. sicher greifbar, und noch acht Jahrhunderte später sind sie in der Hrómundar saga literarisch produktiv. Und zwischen dem Beleg für [C]athubodva „Schlachten-Bodb“ auf dem gallorömischen Weihestein von Mieussy in Obersavoyen und der Badb-catha „Bodb der Schlacht“ im Glossar des Peter O’Connell um die Wende vom 18. zum 19. Jh. liegen immerhin wohl über anderthalb Jahrtausende, wobei die irische Bodb in mehr als den letzten 1000 Jahren dieser Zeitspanne in der irischen Literatur ausdrücklich belegt ist – und diese tausendjährige literarische Existenz in Irland von der altirischen Zeit bis zur Zeit Peter O’Connells war möglich, obwohl die Bodb in dieser Zeit nicht einmal mehr einen anerkannten Teil der Religion der Insel darstellte. Das Beispiel der Bodb illustriert dabei auch schlagend, wie wenig das Fehlen archäologischer Belege für eine mythologische Gestalt aussagt: Die Bodb ist in Irland über ein Jahrtausend lang textlich reich bezeugt; dieser literarischen Belegfülle entspricht in der inselkeltischen Archäologie nicht mehr als die vereinzelte, isolierte Darstellung der beiden schädelfressenden Vogeldämonen auf dem Stein von Papil auf den Shetlandinseln. Dieses schreiende Mißverhältnis zwischen überreichen textlichen Belegen und fast vollständiger Abwesenheit im archäologischen Befund unterstreicht, daß sich keine Aussagen dazu machen lassen, wie lange die Bodb vor ihrem ersten eindeutigen Erscheinen in der frühmittelalterlichen Literatur Irlands schon bekannt war.1596 Wenn sie nach der Einführung des Buchs in Irland trotz ihrer bestens bezeugten Anwesenheit nicht in den archäologischen Befund eingegangen ist, gibt es auch keinen Grund für die Annahme, sie hätte vor dem Beginn der schriftlichen Überlieferung in den archäologischen Befund eingehen müssen. Dasselbe gilt für die Walküren, wo einer langen und reichen textlichen Tradition kaum eine Handvoll unangefochtener archäologischer Belege gegenübersteht, die zudem zeitlich und geographisch auf das wikingerzeitliche Gotland beschränkt sind.
Vorüberlegungen zur Frage der Vermittlung des Motivs Dieses weitgehende Fehlen aussagekräftiger archäologischer Belege für die Walküren und die Bodbs hat wichtige Folgen für die Frage nach einem 1596
Zur Kontinuität zwischen der mittelalterlichen irischen Literatur und vorchristlichen Traditionen, die in Einzelfällen möglicherweise eine extreme Zeittiefe erreichen kann, vgl. auch Carey 1993.
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eventuellen Vermittlungsweg: Da die Walküren und die Bodbs im archäologischen Befund des frühen Nordwesteuropa nicht erscheinen, ist es von vorneherein ausgeschlossen, eine eventuelle Ausbreitung solcher Gestalten aus dem Mittelmeerraum direkt anhand der archäologischen Hinterlassenschaften zu verfolgen. Die Frage nach der Vermittlung solcher Dämoninnen in den Norden kann also nicht sein, wann und auf welchem Weg diese Motive übermittelt wurden; stattdessen ist nur eine bescheidenere Frage möglich: Welche verschiedenen Möglichkeiten bieten sich für eine Erklärung der gegebenen Verteilung des Motivkomplexes an? Eine definitive Lösung der Frage nach dem Vermittlungsweg ist in Anbetracht der Materiallage – und insbesondere in Anbetracht des weitgehenden Fehlens archäologischer Belege in Nordwesteuropa – unmöglich. An die Stelle einer definitiven Lösung hat eine Diskussion möglicher Modelle zu treten, die letztlich nur nebeneinander gestellt werden können. Das bescheidene Ziel der folgenden Diskussion kann nur sein, aufzuzeigen, daß die Übermittlung eines solchen Motivkomplexes möglich war. Ehe man sich jedoch mit der Frage auseinandersetzen kann, auf welchem Weg die vorchristlichen Germanen und Kelten solche Todesdämoninnen aus dem Mittelmeerbecken entlehnt haben könnten, sind zunächst zwei Alternativen zu einer Entlehnung in vorchristlicher Zeit kurz anzusprechen: Zum einen, ob es sich bei den Motivähnlichkeiten zwischen den hier besprochenen Gestalten vielleicht nicht um eine Folge von Kulturkontakt, sondern um indogermanisches Erbe handelt. Zum anderen, ob die Parallelen zwischen diesen Gestalten nicht ein Phänomen der vorchristlichen Religionsgeschichte, sondern nur ein Folge mittelalterlicher christlicher Gelehrsamkeit sein könnten. Insbesondere Birkhan hat die Walküren in einem indogermanischen Zusammenhang sehen und mit den Apsarasen der indischen Mythologie verbinden wollen.1597 Als eines seiner Argumente für eine Verbindung mit den Walküren führt er an, daß die Apsarasen mit den Walküren „durch ihre Erscheinungsform als Wasservögel und Schwanenjungfrauen verwandt sind“.1598 Die Auffassung der Apsarasen als Schwanenjungfrauen beruht vermutlich auf der Erzählung von König Pururavas und der Apsaras Urva´si, die von Hatto in Zusammenhang mit seiner Diskussion der Vqlun1597
1598
Birkhan 1997 S. 676. Ferner wurden die Walküren von Krappe 1926 S. 55 für Vertreter eines indogermanischen Konzepts gehalten. Krappe beruft sich dabei in einem kuriosen Mißverständnis auf Golther 1890 S. 404, wo Golther eine historische Verbindung zwischen einigen von ihm zusammengestellten „indogermanischen“ Dämoninnen ausdrücklich ablehnt. Birkhan 1997 S. 676.
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darqvija erwähnt wurde.1599 Die Apsarasen sind in der Tat eng mit dem Wasser verbunden – Oldenberg faßt sie in ihrem Wesenskern geradezu als „Wassernymphen“ auf.1600 In der Fassung der Erzählung von Pururavas und Urva´si im S´atapatha Br¯ahman. a schwimmen einige von ihnen nachts in der Gestalt von Wasservögeln auf einem Lotussee.1601 Das Motiv des Schwanenmädchens kann jedoch nach der Untersuchung Hattos kein Argument für eine gemeinsame indogermanische Wurzel mehr darstellen, da Hatto gezeigt hat, daß es sich möglicherweise aus Naturbeobachtung erklären läßt und damit eine wiederholte unabhängige Enstehung dieses folkloristischen Erzählungstyps anzunehmen ist.1602 Als weiteren Punkt neben dem Schwanenmädchenmotiv hat Birkhan angeführt, daß die Apsarasen mit den Walküren „auch durch ihr Wesen als Hetären des Kriegergottes“ verwandt seien;1603 vor langem schon ist bemerkt worden, daß sie wie die Walküren die toten Krieger vom Schlachtfeld in das Paradies des Kriegergottes Indra holen und dort Liebesverhältnisse mit ihnen pflegen können.1604 Diese scheinbare Parallele zu den Walküren bleibt bei genauerer Betrachtung jedoch ganz oberflächlich. Die oben vorgelegte detaillierte Besprechung der Walküren hofft gezeigt zu haben, daß im Zentrum der Walkürenvorstellung Tod und Krieg stehen. Im Zentrum des Charakters der Apsarasen steht dagegen – neben anderen Zügen ganz ohne Parallelen im Charakter der Walküren – die ungezwungene Freude an der frei gelebten Sexualität der Unsterblichen.1605 Ihre Welt ist nicht das Schlachtfeld, sondern Flüsse, Bäume, Berge und die Paläste der Götter, wo sie sich mit ihren Liebhabern vergnügen. Im Dienst der Götter ebenso wie in eigener Sache können sie in menschliche Angelegenheiten eingreifen – typischerweise in erotischer Funktion, wenn sie etwa Heilige verführen, deren Askese diesen eine Macht zu verleihen droht, die die Überlegenheit der 1599 1600
1601 1602 1603 1604
1605
Hatto 1961 S. 348 Anm. 2. Oldenberg 1970 S. 254 f. et passim, ganz entsprechend Macdonell 1897 § 47. Vgl. aber Oberlies 1998 S. 229 Anm. 384. Basham 1954 S. 405 f.; Macdonell 1897 § 47; vgl. Oldenberg 1970 S. 256 f. Siehe oben S. 72 f. Birkhan 1997 S. 676. Basham 1954 S. 317 (zitiert bei Hatto 1961 S. 348 Anm. 2); Oberlies 1998 S. 229 Anm. 384. Vgl. zum Umgang des toten Helden mit den Apsarasen auch etwa Hopkins 1915 S. 31, 60, 160 f., 163; zu den Apsarasen in den Palästen Indras und anderer Götter: Hopkins 1915 S. 61, 118 f., 140, 163. Für die folgenden Bemerkungen und allgemein zu den Apsarasen vgl. Oberlies 1998 S. 228 f. mit insbesondere Anm. 384 (mit neuerer Bibliographie); Oldenberg 1970 S. 241, 248, 252–257 et passim; Hopkins 1915 S. 159–164 et passim; Macdonell 1897 § 47 et passim; Basham 1954 S. 317; Dowson 1879 S. 19 f.; Bunce und Capdi 2000 Bd. 1 S. 48.
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Götter in Frage stellen würde. Als Bewohner der Paläste der Götter sind die Apsarasen dem Liebesspiel frei verfügbare Wesen von außerordentlicher Schönheit, die neben den Unsterblichen – und insbesondere den Gandharven – auch diejenigen erfreuen, deren Lebensführung ihnen nach dem Tod einen Platz an der Seite der Unsterblichen eingebracht hat. Zu dieser Gruppe der Verdienstvollen, denen der Tod die Pforte ins Paradies öffnet, gehören auch – aber weder ausschließlich noch hauptsächlich – die in der Schlacht Gefallenen.1606 Die Verbindung mit dem Tod und den Schlachtentoten, die im Zentrum des Charakters der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen Europas steht, ist für die Apsarasen somit ganz peripher.1607 Sie sind Bewohnerinnen der Götterpaläste, was sie sekundär mit denjenigen Toten in Berührung bringt, die in diese Paläste eingehen; und mit dem Tod kommen die Apsarasen wiederum nur über ebendiese verdienstvollen Toten in Kontakt. Weder mit dem Schlachtfeld noch mit dem Tod sind die Apsarasen direkt assoziiert. Gerade was im Kern des Charakters der Walküren steht, fehlt damit im Kern des Charakters der Apsarasen völlig. Bei den vampirisch-erotischen Todesdämoninnen und den Apsarasen handelt es sich um zutiefst unterschiedliche Klassen von Wesen. Gemeinsame indogermanische Wurzeln für diese beiden Gruppen anzunehmen, scheint daher ausgesprochen problematisch; dies gilt umso mehr, als zwischen Todesdämoninnen und Apsarasen auch keine etymologische Verbindung besteht.1608 Die Parallelen zwischen Walküren und Apsarasen sind wohl als Zufall aufzufassen: Sie sind zu wenige und zu marginal, um als signifikant betrachtet werden zu müssen. Zudem ist schließlich noch hervorzuheben, daß sich die Etrusker, bei denen die erotische Seelengeleiterin so reich be1606
1607
1608
Auch zu Lebzeiten gehören die menschlichen Geliebten der Apsarasen keineswegs immer zu den Kriegshelden; zwar können solche Männer als Geliebte von Apsarasen erscheinen, ebenso aber auch Könige oder die Begründer von Priesterfamilien: Oldenberg 1970 S. 54. Wenn Birkhan (1997 S. 676) die Apsarasen als „Kampfjungfrauen“ bezeichnet, ist dies sachlich falsch; vgl. etwa Hopkins 1915 S. 161: „In no early passage do the Apsarasas do more than seduce saints or please gods by jingling their ornaments, revealing their beauties, singing and dancing.“ Der Unterschied zwischen dem kriegerischaktiven Wesen der Walküren und den Apsarasen wird klar auf den Punkt gebracht, wenn Dowson (1879 S. 20) die Apsarasen in einer ihrer vielfältigen erotischen Funktionen als „the rewards in Indra’s paradise held out to heroes who fall in battle“ beschreibt: Die Walküren sind aktive, lenkende Teilnehmer am Kriegsgeschehen – die Apsarasen in ihrer passiven Existenz als bloße „Belohnung“ sind hiervon Welten entfernt. Zur umstrittenen, aber sicher mit keinem Vertreter der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen zu verbindenden Etymologie der Apsarasen vgl. Oberlies 1998 S. 228 f. mit Anm. 383.
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zeugt erscheint, nicht ohne weiteres der indogermanischen Sprachfamilie zuordnen lassen.1609 Hier wäre also ggf. die zusätzliche Hypthese einer Entlehnung dieses Typs von Todesdämoninnen von einem indogermanischen Volk nötig. Diese Vermehrung der Zahl der nötigen Annahmen spricht erneut gegen eine Deutung der erotischen Todesdämoninnen als indogermanisches Erbe. Ehe man die europaweiten Parallelen zwischen den verschiedenen Vertretern des Typs der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen als Folge einer Diffusion eines religiösen Komplexes in vorchristlicher Zeit auffassen darf, ist noch eine weitere Frage zu klären: Kann es sich bei den Ähnlichkeiten zwischen den nordischen und irischen Schlachtfeld- und Todesdämoninnen einerseits und den mediterranen Vergleichsgestalten andererseits um die Folge einer rein literarischen Angleichung der nordwesteuropäischen Dämoninnen an die mediterranen Figuren in christlicher Zeit handeln? Die nordischen und irischen Quellen stammen weitgehend bzw. vollständig aus der christlichen Epoche. Die grundsätzlich vorchristlichen Wurzeln der Walküren und Bodbs sind zwar nie angezweifelt worden, aber dennoch könnte man in Erwägung ziehen, daß die auffallend engen Ähnlichkeiten zwischen den barbarischen und den mediterranen Gestalten erst eine Folge einer sekundären Beeinflussung der Walküren und Bodbs durch klassische literarische Texte darstellen könnten – immerhin konnte etwa die Morrígain in der ersten Rezension der Táin Bó Cúailnge an einer Stelle unter dem Namen der Furie Allecto (Allechtu) auftreten,1610 und die Walküren werden in angelsächsischen Glossen wiederholt mit verschiedenen weiblichen übernatürlichen Gestalten der Mittelmeerwelt assoziiert (Furien, Gorgo, Bellona).1611 Für zumindest zwei Züge der Walküren und der irischen Schlachtfelddämoninnen ist ein solcher literarischer Einfluß der klassischen Dämonologie in der Tat in Erwägung zu ziehen. Die „Heeresfessel“ (herjqturr) ist eine Art Lähmung, die ihrem Opfer im Angesicht eines drohenden gewaltsamen Todes Kraft und Willen zum Widerstand nimmt und es hilflos seinem Untergang ausliefert. Für die Macht der Walküren über den herfjqturr fällt daher auf, wie eng sich dieses Phänomen mit dem Tod des Turnus in der Äneis berührt, wo Turnus durch das dämonische Eingreifen einer Furie gleichfalls seine Kraft und sein Kampfeswille geraubt wird, so daß er im Zweikampf gegen Äneas fällt (Äneis XII,861–952).1612 Die enge Parallele 1609 1610 1611 1612
Vgl. Rix 2004 S. 944. Siehe oben S. 131. Bosworth und Toller 1898 s.v. ‚wæl-cyrge‘, vgl. s.v. ‚wæl-cyrging‘. Siehe oben S. 326.
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zwischen dem herfjqturr und dieser Episode läßt es zumindest als eine denkbare Möglichkeit erscheinen, daß die Verbindung der Walküren mit dem herfjqturr durch den gleichlautenden Walkürennamen direkt oder indirekt von den Furien der Äneis inspiriert sein könnte (umso mehr, als der Walkürenname Herfjqtur in der Dichtung nur ein einziges Mal belegt scheint); so könnte ein gelehrter Dichter die kriegstreiberischen Dämoninnen der Äneis mit den gleichfalls kriegerisch auftretenden Walküren assoziiert und auf dieser Grundlage die von den Furien verursachte furchterfüllte Kraftlosigkeit auch den Walküren zugeschrieben haben. Als sicher betrachten läßt sich dies freilich nicht; denn hier mag auch an den möglichen Kontext der Walküre Herfjqtur im weiteren germanischen Bereich zu erinnern sein: In einer angelsächsischen Glosse wird der Blick der Walküren dem (versteinernden!) Blick der Gorgonen gleichgesetzt, was auf eine ähnliche Vorstellung im angelsächsischen Bereich hindeuten könnte.1613 Und falls man zwischen dem Walkürennamen Herfjqtur und den magischen Fesseln der Idisi des ersten Merseburger Zauberspruchs eine Verbindung sehen will,1614 würde dies die Annahme einer einfachen literarischen Entlehnung von den Furien der lateinischen Literatur vollends unmöglich machen; denn die Idisi des südgermanischen Zauberspruchs legen Fesseln nicht nur an, sondern lösen sie insbesondere auch – und dieses positiv gewertete Lösen der Fesseln fände in den Furienvorstellungen nicht nur keine Parallele, sondern ließe sich auch schwerlich mit dem fast ausschließlich negativen Auftreten der lateinischen Dämoninnen vereinbaren. Die Frage, ob man die Verbindung der Walküren mit dem herfjqturr als einen Einfluß der Furien der klassischen Literatur auffassen will, hängt somit letztlich vor allem von der Frage ab, ob zwischen der nordgermanischen Walküre Herfjqtur, der angelsächsischen Assoziation zwischen Gorgonen und Walküren und insbesondere den südgermanischen Idisi eine Kontinuität anzunehmen ist. Eine empirische Entscheidung ist hier jedoch nicht möglich. Ähnlich unentscheidbar ist die Frage eines direkten literarischen Einflusses der klassischen Furien für die Szene der Táin Bó Cúailnge, in der sich die Morrígain nacheinander in eine schöne junge Frau, einen Aal, eine Wölfin, eine Jungkuh und eine häßliche Alte verwandelt; denn auch die Furien der lateinischen Literatur sind Gestaltwandler.1615 Zwar fehlen konkrete Übereinstimmungen in spezifischen Details der Verwandlungen, die eine direkte Entlehnung der Metamorphosen der Morrígain aus der lateinischen Literatur schlüssig beweisen könnten; m. W. erscheinen Furien weder als 1613 1614 1615
Siehe oben S. 108. Siehe oben S. 108 ff. Siehe oben S. 156, 326.
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Wolf noch als Aal oder als Kuh, und insbesondere haben die Verwandlungen in ihren jeweiligen Erzählkontexten in der irischen und lateinischen Literatur völlig unterschiedliche Funktionen – während die Verwandlung der Morrígain in der Táin Bó Cúailnge ihrem persönlichen amourösen Spiel bzw. ihrer amourös gekränkten Auseinandersetzung mit dem Helden dient, stehen die Metamorphosen der Furien vornehmlich im Zeichen der Kriegshetze, der Einmischung in den Schlachtenverlauf und der Rache im Namen einer anderen Gottheit, ohne daß die Furien dabei ein persönliches Interesse am jeweiligen Opfer ihrer Maskerade zeigen würden, das mit der erotisch konnotierten persönlichen Spannung zwischen der Morrígain und Cú Chulainn vergleichbar wäre (vgl. Äneis VII,286–434; Statius, Thebais VIII,65–79; IX,144–176; XI,136–204). Aber die Morrígain wird in der Táin Bó Cúailnge einmal als Allechtu bezeichnet; und so läßt sich dennoch nicht mit Sicherheit ausschließen, daß der Verfasser der Episode, in der die irische Schlachtfelddämonin als häßliche Alte erscheint, dabei nicht vielleicht doch an die Verwandlung der Furie Allecto in eine alte Priesterin der Juno gedacht haben könnte, in welcher Verkleidung diese Furie Turnus dazu überreden will, in den Krieg zu ziehen (Äneis VII,415–434).1616 Solche Elemente in den Auftritten der nordwesteuropäischen Dämoninnen, in denen Szenen lateinischer Klassiker anzuklingen scheinen und auf direkte literarische Beziehungen hindeuten mögen, bleiben jedoch nicht nur unsicher, sondern insbesondere auch peripher. Hier ist es dabei von zentraler Bedeutung, zwischen der unbestrittenen Möglichkeit eines klassisch-literarischen Einflusses auf einzelne Szenen oder Charaktermerkmale und der Annahme einer tiefgreifenden Beeinflussung des Gesamtcharakters der barbarischen Figuren zu unterscheiden. Während ersteres – wie die Beispiele des herfjqturr und der Metamorphosen der Morrígain nahelegen – keinesfalls ausgeschlossen werden kann, ließe letzteres sich mit der Beleglage nicht vereinbaren: Zwar bestehen in verschiedenen Einzelzügen Ähnlichkeiten zwischen den Dämoninnen der dem Mittelalter bekannten lateinischen Klassiker und den einheimischen Dämoninnen Nordwesteuropas, und nicht zuletzt die Benennung der Morrígain als Allecto in der Táin Bó Cúailnge und entsprechende Identifizierungen in angelsächsischen Glossen scheinen darauf hinzuweisen, daß die Ähnlichkeiten zwischen diesen Gestalten schon einem mittelalterlichen Gelehrten auffallen konnten; der mittelalterlichen Gelehrsamkeit waren jedoch keine Belege zugänglich, die eine Vorlage für die Walküren und die Bodbs in ihrer ganzen Komplexität hätten darstellen können. Den Furien, mit denen der irische Schreiber die Morrí1616
Zu möglichen klassischen Einflüssen in der Táin Bó Cúailnge vgl. schon Thurneysen 1921 S. 96 f.
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gain identifizierte, fehlt etwa der sexuelle Aspekt; die Bodbs können somit schon deshalb keine bloße im Skriptorium entstandene Variante der Furien darstellen, weil damit ein wesentlicher Zug ihres Charakters nicht aus den Furien der klassischen lateinischen Literatur abgeleitet werden kann. Der sexuelle Aspekt erscheint im Mittelmeerraum nur bei Vanth und den Sirenen. Die Zeugnisse zu Vanth sind rein ikonographischer Art und können einem mittelalterlichen Gelehrten in Nordwesteuropa daher nicht bekannt gewesen sein. Die schriftlichen Zeugnisse zu den Sirenen hingegen bieten in ihrer weitgehenden Fixierung auf das Abenteuer des Odysseus keine Grundlage für eine Identifizierung mit den Walküren und den Bodbs, in deren Charakter sich keine Entsprechung zur Odyssee-Szene findet; die Parallelen zwischen Sirenen und nordwesteuropäischen Todesdämoninnen werden nur in der Auseinandersetzung mit den archäologischen Zeugnissen deutlich, die wiederum in Nordwesteuropa nicht bekannt waren. Gleiches gilt für die Funktion als Seelengeleiter, die eine zentrale Stellung im Charakter der Walküren einnimmt: Klare Belege für die Dämoninnen des Mittelmeerraums als Seelengeleiter in einem positiv gewerteten Sinne finden sich wieder nur in der Ikonographie. Die literarischen Belege für eine Seelengeleiterfunktion, die allein einem nordeuropäischen Gelehrten hätten zugänglich gewesen sein können, zeigen die mediterranen Dämoninnen als Seelengeleiterinnen der Verdammten – während die Walküren als die Seelengeleiter der Helden ins Kriegerparadies fungieren. Zentrale Züge der Walküren und Bodbs können also in Anbetracht der Beleglage für die einzelnen Charakterzüge im Mittelmeerraum nicht als Folge einer späten literarischen Stilisierung nach dem Vorbild der klassischen Literatur gedeutet werden: Dem mittelalterlichen Nordwesteuropa können die insbesondere archäologischen einschlägigen Belege nicht bekannt gewesen sein. Somit stellt die mittelalterliche Gelehrsamkeit ebenso wenig wie indogermanisches Erbe eine gangbare Möglichkeit dar, um die ganze Komplexität der Ähnlichkeiten zwischen den frühen europäischen Todesdämoninnen zu erklären. Falls man diese Ähnlichkeiten als Hinweis auf eine historische Verbindung zwischen den fraglichen Dämoninnen deuten will, ist diese hypothetische historische Verbindung daher in einer (prä-)historischen Diffusion des Motivkomplexes noch in der heidnischen Zeit zu suchen. Im folgenden sollen verschiedene mögliche Wege einer solchen Diffusion angesprochen werden.
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Einige Bemerkungen zu Kulturkontakten in der frühen europäischen Kulturgeschichte und dem Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen Geier, Gräber und die Neolithisierung, oder: Ex oriente daimones? Die frühesten Wurzeln der leichenfressenden Todesdämoninnen hat Vermeule im Zuge ihrer Diskussion der griechischen Keren im kleinasiatischen Neolithikum finden wollen:1617 Wandmalereien aus dem 7. Jahrtausend v. Chr. in drei Gebäuden in Schichten VII und VIII der neolithischen Siedlung Çatal Höyük in Anatolien zeigen Darstellungen von Geiern, die über kopflose menschliche Leiber herfallen.1618 Der Ausgräber James Mellaart deutete diese Bilder als Darstellungen eines Teils des Bestattungsrituals, das von der Bevölkerung von Çatal Höyük praktiziert worden sei: Die Skelette der Toten seien durch Geier vom Fleisch gereinigt und die entfleischten Knochen danach begraben worden.1619 Die Darstellungsweise der Beine der ‚Geier‘ in einem der Gebäude faßte Mellaart als Darstellung menschlicher Beine auf; er deutete diese ‚Geier‘ entsprechend als Menschen in Geierkostümen bei der Durchführung eines Bestattungsrituals.1620 Mellaarts Annahme, daß solche Exkarnationsriten auch im Befund von Gräbern in Çatal Höyük erkennbar seien, ist durch die neuen Ausgrabungen in Frage gestellt worden; vielmehr scheint es sich bei der Mehrzahl der Bestattungen in Çatal Höyük um Primärbestattungen gehandelt zu haben.1621 Vielleicht sind die Wandmalereien somit eher mit mythologischen Vorstellungen als mit konkreten Ritualen zu verbinden.1622 Dies spielt letztlich freilich kaum eine Rolle für die Bewertung von Vermeules Hypothese einer Verbindung 1617 1618 1619 1620
1621
1622
Vermeule 1979 S. 46. Mellaart 1967 S. 166–168 mit Tafeln 46–49 und Fig. 14, 15 (S. 82 f.), Fig. 16 (S. 102 f.), Fig. 47 (S. 169). Zur Chronologie vgl. Hodder 2006 Fig. 18 (S. 44). Mellaart 1967 S. 166–168. Mellaart 1967 S. 167 mit Fig. 14, 15 (S. 82 f.); vgl. Vermeule 1979 Fig. 5 (S. 47); Hodder 2006 S. 30, 49 mit Fig. 22 und Fig. 57 (S. 139), S. 196. Vgl. Hodder 2006 S. 50, 125, 216; „[t]he new evidence challenges the evidence from the wall paintings of the practice of excarnation (exposing the body to vultures before secondary burial in houses), at least for those buried within the settlement“ (ibidem S. 125). Daß zwischen den Geierdarstellungen und dem Totenbrauchtum ein konkreter, wenn auch in den Einzelheiten nicht mehr faßbarer Zusammenhang bestanden hat, wird auch dadurch nahegelegt, daß zwischen dem Ort der Anbringung der Geiergemälde und dem Ort von Bestattungen im Raum eine Verbindung zu bestehen scheint: Sowohl Bestattungen als auch Geierdarstellungen scheinen mit den Nordund Ostseiten von Räumen assoziiert zu sein (Hodder 2006 S. 137 f.).
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mit den – ebenfalls mythologischen – Keren: Vermeule nimmt an, daß Elemente wie die kopflosen Leichen, die großen, flügelschlagenden Vögel und die Auffassung der physischen Vernichtung als spiritueller Vorteil „all mark our first visual knowledge of the tradition which lies behind the winged, swallowing keres of Greece.“1623 In Zusammenhang mit dem Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen ist vielleicht auch noch erwähnenswert, daß sich an den Wänden mancher Räume in Çatal Höyük Installationen befinden, die Mellaart als Skulpturen von Brüsten auffaßte; in solchen Installationen wurden Schädel von Geiern (und anderen Tieren wie etwa Füchsen) gefunden, wobei die Tierschädel die Position von Brustwarzen einnehmen können.1624 Folgt man Mellaarts Deutung dieser Installationen als Brüste, dann mag hier ein Hinweis auf eine frühe Assoziation der Geier mit Weiblichkeit und vielleicht Sexualität vorliegen – man erinnere sich an die Brüste der Morrígain, die in Irland prominent genug waren, um zur Benennung zweier Hügel herangezogen zu werden. Will man diese Richtung der Spekulation weiterverfolgen, so könnte man darauf hinweisen, daß für mehrere neolithische Stätten der britischen Inseln das Praktizieren von Exkarnationsritualen postuliert worden ist. Dabei wurde teilweise ausdrücklich eine Exkarnation durch Vögel angenommen.1625 So wurde die spätneolithisch-frühbronzezeitliche Pfostenstruktur von Ballynahatty 5 und 6 (Co. Down, Nordirland, kurz nach 3000 v. Chr.) 1623
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Vermeule 1979 S. 46 (zur Problematik der Annahme einer Vogelgestalt der Keren siehe allerdings oben S. 345 f.). Mellaart 1967 S. 101, 106 f., 126; vgl. Vermeule 1979 S. 46; Hodder 2006 S. 49, 196 f. (mit alternativer Interpretationsmöglichkeit), 199 f. – Geier und andere Greifvögel spielen auch in anderen frühen vorderasiatischen Fundstellen eine wichtige Rolle, vgl. Hodder 2006 S. 163 f., 202, 235. Eine Darstellung eines Geiers im Kontext eines möglichen Exkarnationsrituals oder einer entsprechenden mythischen Vorstellung findet sich schon um etwa 10 000 v. Chr. auf einem Steinpfeiler in Göbekli Tepe, dessen Reliefschmuck einen kopflosen menschlichen Körper neben einem übergroßen Geierkopf zeigt; weitere Geier erscheinen neben weiteren Tieren an anderen Stellen des Reliefs (Kurzmeldung nach DAI in Antike Welt 38/1 [2007], S. 6, mit Abb.). Vgl. aber etwa Armour-Chelu 1998 oder Smith 2006 zur Exkarnation durch Caniden, die gleichfalls bezeugt scheint. Vgl. ferner etwa Reilly 2003 für ein Beispiel dafür, daß die Reduktion des Leichnams zum Skelett bzw. zu bestimmten Teilen des Skeletts auch ganz ohne Beteiligung von Aasfressern stattfinden konnte. Beachtenswert ist auch die Bemerkung von Vyner 1986 S. 14 zum neolithischen Totenbrauchtum Nordbritanniens: „At present, the evidence suggests that excarnation was the most varied element of the funerary rites.“ Für eine für die Problematik der Deutung der Befunde aufschlußreiche klassische Diskussion über die Bewertung eines neolithischen Fundkomplexes in den Cotswolds vgl. Benson und Clegg 1978 gegen Chesterman 1977. Für Hinweise auf Literatur zur Exkarnation in der Vorgeschichte der britischen Inseln danke ich Rick Schulting.
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vom Ausgräber als eine aufwendige rituelle Stätte gedeutet, die zum Zweck der Exkarnation von Leichen errichtet worden sein könnte. Hierbei impliziert der Gebrauch einer auf Pfosten ruhenden Exkarnationsplattform spezifisch eine Exkarnation durch Aasvögel, da eine solche Plattform andere Aasfresser am Zugang zu den Leichen gehindert hätte.1626 Ballynahatty steht mit dieser Deutung nicht isoliert da, sondern reiht sich neben einige andere, einfachere neolithische Strukturen in Irland und Britannien ein, die gleichfalls eine Deutung als Exkarnationsplattformen für eine Exkarnation durch Vögel erfahren haben.1627 Somit scheint die mythologische Vorstellung bzw. rituelle Praxis des Verschlingens der Toten durch Aasvögel sowohl im Ursprungsland der neolithischen Revolution als auch im nordwestlichen Randbereich des Neolithikums zumindest als eine unter verschiedenen Arten des Umgangs mit den Verstorbenen eine Rolle gespielt zu haben. Falls man Vermeules Verbindung der Keren (und damit implizit auch verwandter Gestalten) mit den Exkarnationsriten oder -mythen Çatal Höyüks folgen will, könnte man entsprechend weiterspekulieren, ob sich solche Vorstellungen schon im Zuge der Neolithisierung über Europa verbreitet haben könnten. Daß sich vorderasiatische mythische Motive bereits durch die neolithische Revolution in Europa verbreitet hätten, ist in jüngerer Zeit von Maier für den gälischen ‚Wasserstier‘, der auch in der Stammsage der Merowinger seinen Platz zu haben scheint, und für die walisische Gestalt des Mabon vorgeschlagen worden.1628 Es wäre also vielleicht nicht gänzlich ohne Parallelen, wenn es sich bei den vampirisch-erotischen Todesdämoninnen um ein neolithisches Motiv handeln würde, das im Zuge der Neolithisierung bis auf die britischen Inseln gelangt sein könnte. Dennoch rät die extreme Zeittiefe zur Vorsicht: Immerhin liegen zwischen den Geiern der Wandmalereien von Çatal Höyük und den ältesten Belegen für die vampirisch-erotischen Todesdämoninnen Griechenlands über
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Hartwell 2002; Hartwell 1998 S. 38–44. Scott 1992; vgl. Smith 2006 S. 671; Denison 1996. Maier 2003 (Religion) S. 134–138; Maier 2001 (Maponos); Maier 2001 (Religion) S. 94–102; Maier 1999. Als Parallele für eine neolithisch-mittelalterliche Kontinuität im irischen Bereich vgl. auch Careys Annahme einer Kontinuität von Vorstellungen über den Newgrange-Tumulus von der spätneolithischen Zeit bis in die altirische Epoche: Carey 1993. – Vermutlich ist es jedoch zu spekulativ, mit Hinblick auf Maiers (1999; 2001 [Religion] S. 99–102; 2003 [Religion] S. 134–138) Theorie zum ‚Wasserstier‘ auf die große Bedeutung von Rindern in der Kunst von Çatal Höyük hinzuweisen (vgl. Mellaart 1967 passim mit zahlreichen Beispielen, besonders eindrücklich etwa Fig. 41, 42 [S. 128]) und die Frage in den Raum zu stellen, ob sich die Vorstellungen vom ‚Wasserstier‘ und von den vampirisch-erotische Todesdämoninnen zusammen ausgebreitet haben könnten.
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5000 Jahre. Dieser erhebliche zeitliche Abstand muß umso schwerer wiegen, als den Darstellungen von Çatal Höyük nahezu jeder spezifische Zug fehlt, der ihr Thema über das Motiv des Verschlingens der Leichen hinaus mit den typischen Charakterzügen der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen verbinden würde. Dabei kann nicht stark genug hervorgehoben werden, daß Rituale einer Exkarnation durch Geier auch in anderen, historisch unabhängigen Situationen belegt sind – entsprechende Bräuche in Tibet und bei den Parsen wurden bereits erwähnt.1629 Es ist somit keineswegs zwingend, zwischen den Keren und den Geiern von Çatal Höyük eine historische Kontinuität anzunehmen.1630 Ferner wäre zunächst die Frage zu klären, ob wirklich eine Kontinuität zwischen britischen Exkarnationsritualen und anatolischen Exkarnationsmythen möglich ist; dies würde jedoch eine umfangreiche archäologische Spezialuntersuchung erfordern, die hier nicht geleistet werden kann. Somit kann eine Verortung der vampirischerotischen Todesdämoninnen im Neolithikum zwar nicht eindeutig von der Hand gewiesen werden,1631 sie ist jedoch mit so vielen Unsicherheiten behaftet, daß sie schwerlich als tragfähige Hypothese für die Vermittlung dieser Vorstellungen ins Barbaricum gelten kann. Zu groß ist die Zeittiefe, und zu unspezifisch ist das erhaltene Material – vor allem dieser unspezifische Charakter der Daten stellt ein Problem dar. Kupfer, Zinn und das Grab von Kivik: Theorien zur Bronzezeit Wendet man sich der Bronzezeit zu, so bleibt die Bezeugung des Typus der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen weiterhin fraglich: Da die ersten eindeutigen Belege für die Existenz solcher Dämonen aus homerischer Zeit stammen, läßt sich nicht zweifelsfrei bestimmen, wie früh vor der homerischen Zeit bereits Vertreter des hier besprochenen Typs existierten – denn mögliche mykenische Belege für die Erinyen sind in ihrem Bezug auf frühe Formen dieser Dämoninnen problematisch, da sie wohl eher mit einer
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Siehe oben S. 203 und Anm. 732. Vgl. jedoch zuversichtlicher – aber aufgrund sachlicher Ungenauigkeiten mit Skepsis zu betrachten – Klejn 2008 S. 225, der sogar die Annahme einer Kontinuität zwischen den postulierten Exkarnationsriten von Çatal Höyük und denen der Parsen als unproblematisch betrachtet. Wieder einmal gilt: „Die Vereinbarkeit einer Rekonstruktion mit den Quellen ist im übrigen für sich allein noch kein Qualitätsmerkmal, denn die Quellenlage ist im allgemeinen so dürftig, daß auch phantastische Theorien nur selten in direktem Widerspruch dazu stehen.“ (Maier 2001 [Religion] S. 106.)
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Frühform der Demeter Erinys zu verbinden sind.1632 Andererseits steht Homer der Bronzezeit noch so nahe, daß es voreilig wäre, reale bronzezeitliche Wurzeln seiner Dämonologie von vorneherein auszuschließen, auch wenn sich klare ikonographische Belege nicht vorlegen lassen – die facettenreiche Dämonologie des homerischen Epos kann schwerlich eine Neuschöpfung ohne jeglichen traditionellen Hintergrund sein.1633 In den letzten Jahren haben insbesondere Kristiansen und Larsson eine Auffassung der Bronzezeit vertreten, die nicht nur für die Existenz, sondern insbesondere auch für die Ausbreitung solcher mythologischer Vorstellungen wie der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen ideale Bedingungen nahelegen würde. Kristiansen und Larsson zeichnen ein Bild der europäischen Bronzezeit als einer Epoche, deren spezifischer Charakter ganz wesentlich durch weitreichende Kulturkontakte im gesamten Raum zwischen Skandinavien und dem Nahen Osten geprägt gewesen sei.1634 Grundlage der engen Beziehungen zwischen den Kulturen der Bronzezeit war die Notwendigkeit der Beschaffung von Kupfer und Zinn zur Bronzeherstellung, die nicht überall lokal vorhanden waren. Gerade die skandinavische Bronzezeit fällt dadurch auf, daß die Menge der zwischen 1500 und 1100 v. Chr. in Skandinavien produzierten hochwertigen Bronzewaren die einer jeden anderen Region Europas übersteigt – und dies, obwohl das gesamte Metall importiert werden mußte.1635 Kristiansen und Larsson schlagen eine Rekonstruktion des Mechanismus’ hinter diesem Phänomen vor, in deren Zentrum die Etablierung von Netzwerken weitreichender persönlicher Kontakte durch eine Kriegeraristokratie steht. Solchen Netzwerken, die den stetigen Fluß an Rohstoffen für die Bronzeproduktion ermöglicht hätten, habe eine heroische Ideologie zugrundegelegen, die auf dem Unternehmen von Reisen durch Mitglieder dieser Kriegeraristokratie basiert 1632 1633
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Siehe oben S. 329. Zwar existieren bronzezeitliche Darstellungen von Wesen, die mit dem Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen verbunden werden könnten – so sind aus dem minoischen Kreta Darstellungen von geflügelten Mischwesen mit dem Kopf eines Vogels und dem Körper einer Frau bekannt (vgl. etwa Waser 1897–1909 Spalten 3214 f., mit einem Beispiel mit Vogelkopf, deutlich herausgearbeiteten weiblichen Brüsten und ausgebreiteten Vogelschwingen auf einem Siegelstein, ibidem Fig. 1, das Waser als „Seelenvogel“ deutet, ganz entsprechend der Einschätzung solcher Darstellungen durch Weicker 1902 S. 218). Jedoch fehlt diesen Wesen ein weiterer spezifischer Kontext, der eine Verbindung mit den vampirisch-erotischen Todesdämoninnen rechtfertigen würde. Kristiansen und Larsson 2005; in ihren eigenen Worten: „it marks the heroic age of travels, cultural transmissions and social transformations throughout the whole region“ (S. 1). Kristiansen und Larsson 2005 S. 186.
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habe. Diese Reisen hätten neben der Sicherung des Metallimports auch einem Import von Technologien und ‚esoterischem Wissen‘ gedient;1636 die wirtschaftlich wichtigen persönlichen Verbindungen und das auf den Reisen erworbene technologische und weltanschauliche Wissen hätten nach der Rückkehr der reisenden Kriegeraristokraten zugleich die Grundlage für ihr Prestige und ihre Stellung in der heimischen Gesellschaft gebildet. Die Theorien Kristiansens und Larssons wurden von der Forschung sehr unterschiedlich aufgenommen;1637 es wird abzuwarten sein, inwieweit sie sich etablieren und für das Verständnis der weiteren europäischen Kulturgeschichte fruchtbar werden können. Der Gedanke, daß die Bronzezeit eine Epoche reicher Kulturkontakte war, ist dabei jedoch nicht neu.1638 So sei an das schwedische Grab von Kivik (Schonen) erinnert, dessen Kammer aus reliefgeschmückten Steinplatten errichtet wurde: Die Ikonographie dieser Platten wird schon seit längerem als möglicher Beleg für einen ägäischorientalischen Einfluß in der nordischen Bronzezeit diskutiert.1639 Einen anderen Hinweis auf nordisch-ägäische Kulturkontakte stellt der baltische Bernstein dar, der in den Schachtgräbern von Mykene gefunden wurde – auch wenn sich im Einzelnen nicht mehr bestimmen läßt, wie genau dieser Bernstein in die Ägäis gelangt ist.1640 Am Ausgang der Bronzezeit könnte man die Verteilung der sogenannten ‚Antennenknaufschwerter‘ erwähnen (9.–7. Jh. v. Chr.); dieser Schwerttyp ist mit einer Vielzahl von Belegen von Südskandinavien bis Etrurien und von Spanien bis zum nördlichen Balkan, sowie mit Exemplaren auf Samos (etruskischer Manufaktur, ebenso wie
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Vgl. etwa Kristiansen und Larsson 2005 S. 43, oder vgl. S. 54: „In the Bronze Age both the bronze and the new skills had to be brought in from outside. It linked from the very beginning the new metal with distant origins and supernatural centres out there. The Bronze Age is the age, par excellence, of cosmological power and distance linked to heroic travels of skilled artisans and specialists [einschließlich Dichter und Krieger]“, et passim. Vgl. positiv Klejn 2008 (wozu vgl. die Antwort von Kristiansen und Larsson 2008); Vander Linden 2007; Jones-Bley 2006 (aus indogermanistischer Perspektive). Vgl. kritisch Harding 2006; Nordquist und Whittaker 2007 (wozu vgl. die Antwort von Kristiansen und Larsson 2007). Zur potentiellen Anwendbarkeit des Zugangs von Kristiansen und Larsson auf den Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen habe ich mich bereits an anderer Stelle ausführlicher geäußert: Egeler 2009 (Prehistoric Contacts). Vgl. etwa Müller-Karpe 1998 S. 88, 214 f., 361 f.; viele Beispiele in Meller 2004. Vgl. etwa Müller-Karpe 1998 S. 130 f., 155; Müller-Karpe 1980 Bd. 4.2 S. 700; Randsborg 1993 S. 108, 112–117, 126–131, 136–139; Kristiansen und Larsson 2005 S. 186–199 et passim; Maraszek 2004 S. 18; Sommerfeld 2004 S. 82, 84. Hughes-Brock 1985 S. 257–259; vgl. Kristiansen und Larsson 2005 S. 122 f., 139; Breuer und Meller 2004 S. 106; Genz 2004 S. 170 f.
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manche Stücke nördlich der Alpen), einem Stück in Süditalien und einem Exemplar auf den britischen Inseln fast ebensoweit verbreitet wie der Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen; zudem teilt er als Kriegswaffe mit ihnen zugleich den Lebensbereich.1641 Fürsten und Söldner: Kulturkontakte in der Eisenzeit Verläßt man die Bronzezeit und wendet sich der Eisenzeit zu, so nähert man sich zum erstenmal einer Epoche, in der es zumindest einen näherungsweisen Konsens darüber gibt, daß sich der Begriff ‚Kelten‘ sinnvoll anwenden läßt.1642 Die Ausbildung des Keltischen als eines distinkten Zweigs der indogermanischen Sprachen wird in der Forschung gänzlich unterschiedlichen Perioden zugeschrieben: Das Spektrum der Vorschläge reicht vom Neolithikum bis zur Eisenzeit.1643 Ein Konsens darüber, ab wann (und wo) zum erstenmal von ‚Kelten‘ gesprochen werden kann, besteht nicht.1644 Für die Frage nach dem Vermittlungsweg des Motivkomplexes der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen würde die Antwort auf die Frage nach Ort und Zeit der Herausbildung des Keltischen zumindest auf den ersten Blick hochinteressant scheinen: Falls man eine Verbindung zwischen der irischen Bodb und dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ herstellen will, könnte dies einen pan-keltischen Charakter der damit verbundenen dämonischen bzw. heiligen Aasvögel nahelegen, der sich etwa durch gemeinsames keltisches Erbe aus urkeltischer Zeit erklären ließe. Die Vorläuferin der Bodb könnte dann den Kelten schon vor dem Aufsplittern der urkeltischen Sprechergruppe bekannt gewesen sein. Die Lokalisierung der urkeltischen Sprechergruppe und die Datierung ihrer Aufspaltung würden damit auf einen möglichen Ort und einen möglichen terminus ante quem für die Zeit des Bekanntwerdens mit den vampirischen Todesdämoninnen hinweisen. Da aber bis dato die Materiallage weder für die Datierung noch 1641 1642
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Koch et al. 2007 § 124 (S. 123 f.) und Camporeale 2004 (Europe) S. 106, 108, 110 (mit zwei sich gegenseitig ergänzenden Verteilungskarten). D. h., soweit man die Verwendung des Begriffs ‚Kelten‘ in einem archäologischen Kontext überhaupt für sinnvoll erachtet; zum ‚Keltoskeptizismus‘ mancher Teile der (englischsprachigen) Forschung vgl. kritisch Sims-Williams 1998; Koch et al. 2007 S. 1, 7. Vgl. Cunliffe 1997 S. 21; Mallory und Adams 1997 (Celtic languages) S. 101. Das Urkeltische im Neolithikum anzusiedeln, ist dabei jedoch aus linguistischen Erwägungen heraus eindeutig zurückzuweisen, vgl. zusammenfassend etwa Mallory und Adams 1997 (Celtic languages) S. 101. Vgl. Maier 2003 (The Celts) S. 4; Sims-Williams 1998 S. 21; Birkhan 1997 S. 46 Anm. 1.
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für die Lokalisierung der Endphase der urkeltischen Sprechergruppe einen Konsens erlaubt hat, kann dessen Fehlen nur mit Bedauern festgestellt werden. Der Verlust dürfte für die vorliegende Frage allerdings auch weit geringer sein, als es zunächst den Anschein haben mag; denn sprachlich ist die Bodb nur für Irland und (vermutlich) für Gallien bezeugt, und die lautliche Situation datiert den gemeinsamen Grund zwischen der gallischen Bodva und der altirischen Bodb nicht in die urkeltische Zeit, sondern deutet nur auf einem terminus ante quem einer möglichen Entlehnung der Bodva ins Irische im 5. Jh. n.( ! ) Chr. hin.1645 Das inhaltliche Konzept kann sich ohnehin auch noch nach dem Aufsplittern der urkeltischen Sprechergruppe über die keltischen Völker verbreitet haben.1646 Die Frage des sprachlichen Stammbaums der Kelten mag für das Problem des Vermittlungswegs damit in letzter Konsequenz irrelevant sein. Die Bodb könnte – einschließlich ihres Namens – während der gesamten Antike als gallische Entlehnung nach Irland gelangt sein. Der älteste archäologische Komplex, der von einem gewissen Konsens mit Kelten oder ‚Protokelten‘ verbunden wird, ist die Westhallstattkultur.1647 Bernsteinfunde weisen für diese auf Kontakte mit Westjütland oder Ostpreußen hin;1648 hierdurch besteht somit auch eine Brücke in den (späteren) germanischen Kulturbereich. Das entscheidende Charakteristikum, das die Westhallstattkultur von den vorangehenden Jahrhunderten unterscheidet, ist jedoch ein intensiver Handel nicht nach Norden, sondern mit
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Falls es sich bei der irischen Bodb als Dämonenname nicht um urkeltisches Erbe, sondern um ein gallisches Lehnwort (
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dem Mittelmeerraum.1649 Gerade die Fürstengräber und -sitze legen deutliches Zeugnis von den mediterranen Verbindungen der späthallstattzeitlichen Oberschicht ab. Der Tumulus von Sainte-Colombe, La Garenne, hat hier mit einem griechischen Protomen-Kessel etwa des 6. Jh. v. Chr. ein Fundstück geliefert, das zugleich die weitreichenden Austauschbeziehungen dieser Epoche auch außerhalb des keltisch-mediterranen Kontaktbereichs illustriert: Solche Kessel gehen ursprünglich auf orientalische Anregungen zurück, die von griechischen Handwerkern aufgegriffen und weiterentwickelt wurden; sie wurden in großer Zahl in griechischen Heiligtümern geweiht, nach Etrurien exportiert und fanden ihren Weg bis in das Fürstengrab von La Garenne und möglicherweise nach Hassle in Schweden.1650 Ihre Verbreitung scheint damit in etwa mit der Verbreitung des Motivkomplexes der vampirischen Todesdämoninnen zusammenzufallen. Ein spektakuläres, aber keineswegs isoliertes Beispiel für die Beziehungen der hallstattzeitlichen Oberschicht zum Mittelmeerraum stellt das Fürstinnengrab von Vix dar (um 500 v. Chr.): Es enthielt nicht nur reichen Schmuck (u. a. aus Bernstein und Koralle), sondern neben anderen Beigaben auch attische Trinkgefäße, eine etruskische Schnabelkanne, drei etruskische Becken, einen etruskischen Bronzespiegel, etruskische Schminkutensilien und insbesondere einen 1,64 m hohen Bronzekrater wohl griechischer oder großgriechischer Manufaktur;1651 die etruskischen Importe dürften auf dem Weg über Massilia nach Vix gelangt sein.1652 Auch der Fürstensitz, bei dem dieses Grab angelegt wurde (der Mont Lassois, Dép. Châtillon-sur-Seine), lieferte reiche Funde an griechischer Keramik;1653 er war zudem wohl ein Umschlagplatz für Zinn aus Cornwall.1654 Eine monumentale, landschaftsbeherrschende Zurschaustellung einer mediterranen Ausrichtung stellte die Heuneburg IV an der Donau dar (Baden-Württemberg; zerstört um 530/520 v. Chr.):1655 Dort wurde eine Anhöhe unmittelbar über dem Fluß mit einer Wehrmauer gesichert, die in me1649
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Maier 2003 (The Celts) S. 15; vgl. Cunliffe 2003 S. 31 Karte 3 und S. 32 Karte 4; Berthelier-Ajot 1991 S. 117; Wernicke 1991 S. 63–71. Herrmann 1966 S. 3–5 mit Anm. 9 und S. 7 (Nr. 14); vgl. Camporeale 2004 (Europe) S. 104, 119 (die Kessel von Hassle und La Garenne könnten über Etrurien nach Nord- bzw. Westeuropa gelagt sein). Ob es zu weither geholt ist, an die Frage des Trankausschenkens der Walküren zu erinnern? Birkhan 1997 S. 335 f., 811, 854, 1013 f.; Cunliffe 1997 S. 57, 61 und Abb. 45 (S. 58); Mohen 1991 S. 104–106. Cunliffe 1997 S. 61 f. Birkhan 1997 S. 335; Mohen 1991 S. 106; Berthelier-Ajot 1991 S. 117. Maier 2003 (The Celts) S. 18 f.; Berthelier-Ajot 1991 S. 116 f. Cunliffe 1997 S. 57.
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diterranem Stil aus getrockneten Lehmziegeln auf einem Steinfundament errichtet war. Die Heuneburg war nur in einer Bauphase auf diese Weise befestigt, die in Europa nördlich der Alpen einzigartig ist; vermutlich muß ein mediterraner Architekt die Arbeiten überwacht haben. Die Lehmziegelmauer der Heuneburg belegt in eindrücklicher Deutlichkeit den Willen der lokalen hallstattzeitlichen Oberschicht, sich mediterrane Elemente zu eigen zu machen und diese zur Schau zu stellen.1656 Auch nach der Zerstörung der Lehmziegelmauer bleiben mediterrane Kontakte auf der Heuneburg durch attische Keramik und Amphoren aus Massilia belegt.1657 Mit dem Übergang von der Hallstattzeit zu La Tène in der Mitte des 5. Jh. v. Chr. verschoben sich die Zentren der herrschenden Eliten nach Norden, ohne daß es jedoch zu einem fundamentalen Bruch in der sozialen Struktur kam.1658 Die neuen Eliten der La Tène-Zeit setzen die Tradition beigabenreicher Bestattungen fort; an die Stelle der Schau- und Jagdwaffen der Hallstatt-Fürsten treten in den Gräbern der La Tène-Eliten allerdings Kriegswaffen.1659 In ihren Gräbern erscheint zudem der zweirädrige Wagen, der vielleicht auf etruskischen Einfluß zurückgeht.1660 Auch ansonsten bleiben die Kontakte der neuen Eliten mit dem Mittelmeerbecken eng; ein Grund für die Entstehung dieser neuen La Tène-Aristokratie mag geradezu in der Etablierung von direkten Handelskontakten zwischen den Etruskern und dem Barbaricum zu finden sein, die nicht mehr den Umweg über Massilia, sondern den direkten Weg über die Alpenpässe nahmen.1661 Im archäologischen Befund werden solche direkten Handelsbeziehungen etwa in einer auffallenden Konzentration etruskischer Schnabelkannen und Bronzestamnoi im Gebiet von Mittelrhein und Mosel sichtbar; diese Region scheint ein besonderes Ziel etruskischen Exports gewesen zu sein.1662 Ferner entwickelt sich im 5. Jh. auch eine Route vom Po über den Ostrand der
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Maier 2003 (The Celts) S. 17; Birkhan 1997 S. 328; Cunliffe 1997 S. 53, vgl. Abb. 37–40 auf S. 54 f.; Kimmig 1991 S. 115. Cunliffe 1997 S. 57. Cunliffe 1997 S. 63 mit Karte 53 auf S. 64. Zur weitgehenden, aber nicht vollständigen Deckungsgleichheit der La Tène-Kultur mit den Kelten West- und Mitteleuropas vgl. Mallory und Adams 1997 (Celtic languages) S. 100. Cunliffe 1997 S. 63; Cunliffe 2003 S. 34. Cunliffe 2003 S. 34; vgl. Birkhan 1997 S. 337 f. Cunliffe 2003 S. 31–33; vgl. Cunliffe 1997 S. 66 f.; Camporeale 2004 (Mediterranean) S. 81 (Karte). Für einen allgemeinen (nicht auf die La Tène-Zeit beschränkten) Überblick über die etruskischen Beziehungen zu Nord- und Mitteleuropa vgl. Camporeale 2004 (Europe). Cunliffe 1997 S. 64 mit Karten 13 und 14 auf S. 300; Cunliffe 2003 S. 33.
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Alpen und Böhmen ins mitteleuropäische Tiefland, auf der baltischer Bernstein und Salz verhandelt wurden.1663 Am Übergang vom 5. ins 4. Jh. v. Chr. setzt eine umfangreiche keltische Expansion nach Süden ein. Diese Expansion scheint allerdings nicht ohne Vorspiel gewesen zu sein.1664 So findet sich etwa schon im späten 5. Jh. v. Chr. die stereotyp keltische Kampfesweise in der Gegend von Bologna dargestellt (ein nackter Krieger, der als Teil seiner Bewaffnung einen Langschild trägt);1665 dies und andere Indizien deuten auf eine keltische Präsenz in der Poebene schon vor Beginn der Wanderungen hin, die für Rom zu einem Trauma werden sollten.1666 Diese frühe Präsenz scheint auch zu einem gewissen kulturellen Rückstrom geführt zu haben; erwähnt sei nur Freys Beobachtung von Parallelen in Grabbeigaben in der Champagne (5. Jh.) und in Italien (wo derselbe Typ von Beigaben ab dem späten 8. Jh. erscheint, später auch in den Gräbern eingewanderter Kelten); er deutet diese Parallelen im Kontext dieses kulturellen Rückstroms als Hinweis auf einen Kulturtransfer auf der Basis persönlicher Vertrautheit mit den entsprechenden fremden Sitten.1667 Der Kelteneinfall des 4. Jh. erschütterte ganz Nord- und Mittelitalien.1668 Die Geschichte von der Eroberung Roms braucht hier freilich im einzelnen nicht wiederholt zu werden;1669 es sei nur als kurioser Zufall( ? ) rekapituliert, daß der Anlaß für den gallischen Marsch auf Rom gerade in einer Auseinandersetzung um dasselbe Chiusi gelegen haben soll, aus dem zwei der sieben inschriftlich gesicherten Vanth-Darstellungen stammen (der Sarkophag der Hasti Afunei und die Urne mit der Darstellung des Zweikampfs von Eteokles und Polyneikes): Beunruhigt durch den gallischen Vormarsch, wandten sich die Chiusiner um Hilfe an den römischen Senat. Anstatt eines Heeres schickte der Senat Gesandte, die als Unterhändler eine friedliche Lösung der Situation herbeiführen sollten. Als es dennoch zur Schlacht kommt, nehmen die römischen Unterhändler gegen alles 1663 1664 1665 1666
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Cunliffe 1997 S. 65 f. und vgl. Cunliffe 2003 S. 33 und S. 32 Karte 4. Maier 2003 (The Celts) S. 84; Cunliffe 1997 S. 70–72; Dobesch 1992. Cunliffe 1997 S. 71 mit Abb. 54 auf S. 70; Andreae 1991 S. 60 (Abb.). Vgl. Cunliffe 1997 S. 70–72; Dobesch 1992. Das Lepontische ist ein Thema für sich und wird hier beiseite gelassen, da die lepontischen Kelten für die vorliegende Fragestellung keine größere Relevanz zu haben scheinen. Das Lepontische ist in Norditalien schon um 500 v. Chr. belegt, ist – von rein sprachlichen Kriterien abgesehen – aber in einem italischen Kontext zu sehen (Frey 1995 S. 515). Frey 1995 S. 528 f. Zusammenfassung der Ereignisse: Koch et al. 2007 S. 26; Maier 2003 (The Celts) S. 85 f.; Cunliffe 1997 S. 68 f., 72 f., 75–78; Frey 1995 S. 515–519. Vgl. etwa Cunliffe 1997 S. 75 f.; Birkhan 1997 S. 100–104; Hubert 1987 S. 11.
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Herkommen an der Schlacht teil, und einer von ihnen erschlägt den Anführer der Gallier. Die Gallier zogen sich darauf von Chiusi zurück und sandten ihrerseits Boten nach Rom, um die Auslieferung der römischen Unterhändler zu verlangen, die sich so gegen das ius gentium vergangen hatten. Das römische Volk läßt diesen statt einer Strafe jedoch Ehren zuteil werden, und die erzürnten Gallier marschieren auf Rom (Livius, Ab urbe condita V,33–37).1670 Der weitere Verlauf der Geschichte, der Fall Roms 390 oder 387/386 v. Chr.1671 und die Rettung des Kapitols nur durch die schnatternden Gänse ist allgemein bekannt.1672 Wie dem auch sei – hier ist letztlich nur wichtig, daß die umfangreiche keltische Landnahme in Norditalien die Kelten in unmittelbaren Kontakt mit dem etruskischen und römischen Kulturbereich brachte. Keltische Stämme siedelten sich in weiten Gebieten Norditaliens an;1673 Mailand ist nur die bekannteste Stadt, deren Gründung den keltischen Einwanderern zugeschrieben wird (Livius V,34.9).1674 Daß die Beziehungen zwischen Kelten und Etruskern dabei nicht immer feindlicher Art waren, zeigt ihr gemeinsamer Kampf gegen Rom – 282 v. Chr. kam es zu einer Niederlage einer Allianz von Boiern und Etruskern in der Schlacht am Vadimonischen See, gefolgt von einer weiteren Niederlage eines zweiten boisch-etruskischen Heeres im nächsten Jahr (Polybios II.20.1–5).1675 Dabei mag es wichtig sein, die Existenz solcher freundschaftlicher militärischer Beziehungen zwischen diesen Völkern hervorzuheben: Es scheint kaum wahrscheinlich, daß ein barbarischer Kriegertrupp von der Mythologie seiner Feinde beeinflußt worden wäre (wie hätten sie diese ohne einen friedlichen Austausch kennenlernen sollen?). Ein Einfluß der Religion der Verbündeten auf eine Einheit mit fremdem ethnischem Hintergrund scheint im Vergleich hierzu deutlich unproblematischer – man erinnere sich nur etwa an die Ausbreitung orientalischer Mysterienkulte im römischen Heer. Daß die norditalischen Kelten ferner weiterhin Kontakte ins transalpine Gallien pflegten, ist sowohl archäologisch als auch historisch bezeugt. Archäologisch ist es etwa in italischen Einflüssen in der transalpinen Kunst1670 1671 1672 1673 1674
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Zu einem möglichen historischen Hintergrund der Tradition über die Auseinandersetzung um Chiusi vgl. Wernicke 1991 S. 159–163. Koch et al. 2007 S. 26; Cunliffe 1997 S. 76; Frey 1995 S. 516, 518; Hubert 1987 S. 10. Belegstellen: Hubert 1987 S. 11. Vgl. etwa Frey 1995 S. 516 f. mit Fig. 27.1; Karten bei Koch et al. 2007 § 17.6; Cunliffe 1997 S. 72 Abb. 56. Vielleicht allerdings zu Unrecht schon der Zeit der ersten Landnahme, vgl. Frey 1995 S. 518. Vgl. Sills 2003 S. 91; Birkhan 1997 S. 111; Birkhan spricht gar von einer wahrscheinlichen „kulturellen Symbiose“: Ibidem S. 95.
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produktion greifbar.1676 Historisch wird der fortdauernde Kontakt zwischen den cisalpinen und den transalpinen Kelten darin sichtbar, daß die keltischen Boier und Insubrer in ihren Kämpfen gegen die Römer noch im späten 3. Jh. v. Chr. Söldner aus den Alpen und dem Rhônetal zu Hilfe rufen konnten (Polybios II.22.1; II.28.3; II.34.2).1677 Nach der endgültigen Niederlage der Boier, die mit erheblichen Landverlusten verbunden war, kam es wohl zu einer umfangreichen Abwanderung über die Alpen (Livius XXXVI.39.3; Strabon V.1.6, V.1.10).1678 Die glücklosen Boier und Insubrer hatte Gaesaten angeworben,1679 über die Polybios erklärend hinzufügt, daß sie diesen Namen trügen, weil sie sich für Sold verdingen, und das bedeute dieses Wort eigentlich (Polybios II.22.1, ' « ξ 3 μ J ! U «α π 3 '& « `1 J 1 «). Ob U (oder U ) wirklich ursprünglich „Söldner“ bedeutet, ist durchaus fraglich – der Name leitet sich wohl eher von «/ her, einer Art Wurfspeer.1680 Umso bezeichnender ist Polybios’ Auffassung für die zeitgenössischen antiken Vorstellungen von den Kelten.1681 Seine Assoziation keltischer Truppen mit Söldnerdienst kommt dabei keineswegs von ungefähr. Bereits im 4. Jh. v. Chr. beginnen keltische Krieger, als Söldner auf den Schlachtfeldern der mediterranen Welt zu erscheinen.1682 Der erste hellenische Herrscher, der Kelten in großem Stil als Söldner anheuerte, scheint Dionysios I. von Syrakus gewesen zu sein: 369/8 v. Chr. schickte er 2000 „Kelten und Iberer“ nach Korinth, um die Lakedaimonier zu unterstützen; diese barbarischen Söldner gewannen sich bei ihren griechischen Verbündeten in den folgenden Kämpfen einiges Ansehen. Eine 1676
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Megaw und Megaw 2001 S. 108–121; Cunliffe 1997 S. 73, 119–121; Frey 1995 S. 529. Vgl. Birkhan 1997 S. 95, 107, 112 f. Frey 1995 S. 519; Wienicke 1927 S. 9 f.; Sills 2003 S. 91. Frey 1995 S. 519. Zu diesen vgl. Sills 2003 S. 91 f.; Birkhan 1997 S. 113 f., 116, 119, 142, 1039. Liddell und Scott 1996 s.v. ‚«‘; Szabó 1991 S. 334; vgl. Birkhan 1997 S. 116 mit Anm. 2. Vgl. Szabó 1991 S. 334. Die folgende Zusammenstellung, die keine Vollständigkeit anstrebt, beruht auf der ausführlichen Diskussion von Griffith 1935 S. 63 f., 65–68, 70 f., 74–76, 79, 117–119, 120 f., 137, 142–146, 166 f., 173 f., 176 f., 183–185, 189, 195, 199, 208–210, 212, 217–222, 225–230, 234, 239, 251, 252 f. und der Behandlung von Wienicke 1927 (für die antiken Belege siehe dort); vgl. Hubert 1987 passim; Yalichev 1997 passim; Sills 2003 S. 87–91, 95–103, 208 f., 320 f., 334 f., 342–345 et passim. Für einen nützlichen, wenngleich mitunter etwas ungenauen neueren Überblick zum keltische Söldnertum vgl. auch Szabó 1991. Zum keltischen sozialen Hintergrund dieses Söldnerdienstes vgl. Cunliffe 1997 S. 88 f.
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zweite keltische Söldnertruppe wurde von Dionysios im folgenden Jahr in denselben Krieg entsandt. Agathokles von Syrakus trug 310 v. Chr. seinen Krieg gegen Karthago mit u. a. 3000 „Samniten, Etruskern und Galliern“ nach Afrika. Auch die afrikanische Seite enthielt sich der keltischen Söldner nicht, und machte von ihnen sogar schon lange vor den Griechen Gebrauch. So rekrutierte schon Hamilkar 480 v. Chr. u. a. in Gallien und Spanien. Im Krieg gegen Timoleon hatte Karthago Iberer, Kelten und Ligurer in Sold. Im Ersten Punischen Krieg verstärkten die Karthager die Verteidigung Siziliens mit einer Truppe aus ligurischen, gallischen und spanischen Söldnern. Nach der Niederlage gegen Rom kam es zu einer Meuterei der karthagischen Söldner gegen ihre zahlungsunwilligen (oder -unfähigen) ehemaligen Dienstherren, in der ein keltischer Offizier eine größere Rolle spielte. Im Heer Hannibals kämpften erneut u. a. Spanier, Ligurer und Kelten. Keltiberer werden in karthagischem Dienst ausdrücklich erwähnt. Ligurer und Kelten waren die ersten Verstärkungstruppen, die Hannibal in Norditalien ausheben konnte. Kelten befanden sich auch in der Schlacht von Zama unter Hannibals Truppen. Ebenso verwendeten Hasdrubal und Mago keltische und ligurische Söldner; die Kelten in Hasdrubals Armee stammten sowohl von der Rhône (wo auch Kelten im Dienst Massilias belegt sind) als auch aus Norditalien. Eine keltische Truppe desertierte im Ersten Punischen Krieg und lief zu den Römern über; für die Jahre 213 und 214 v. Chr. sind keltiberische Söldner in römischen Diensten bezeugt. Ebenso fanden sich Kelten in den Heeren Makedoniens: Antigonos Gonatas rekrutierte eine Truppe eben von ihm besiegter Kelten, um den Thron von Makedonien an sich zu bringen (den er darauf 276 v. Chr. bestieg). Das letzte Hindernis vor diesem Ziel war nach seinem Sieg über Antipater die Inbesitznahme von Kassandreia, wo Apollodoros seine Tyrannis u. a. auf keltische Söldner stützte. Keltische Söldner gehörten etwas später zur Armee des Pyrrhos, mit der er in Makedonien einfiel und seinerseits Antigonos Gonatas besiegte – der nach wie vor ebenfalls Kelten in seinem Heer hatte. Nachdem Pyrrhos’ Gallier sich an den makedonischen Königsgräbern vergriffen hatten, begleiteten sie ihn auf einen Feldzug auf die Peloponnes, und einige von ihnen spielten eine wichtige Rolle beim Angriff auf Sparta. 222 v. Chr. nahmen 1000 keltische Söldner an der Schlacht von Sellasia teil. 218 v. Chr. setzte Philipp V. keltische Kavallerie gegen Lykurg von Sparta ein. Die Heerschau des Perseus in Pella 171 v. Chr. umfaßte u. a. 2000 Kelten; die Anwerbung von weiteren 20 000 Bastarnen für den Krieg gegen Rom scheiterte, da Perseus im letzten Augenblick seine Meinung änderte. 169 v. Chr. kamen dem umkämpften Kassandreia von Thessaloniki aus Gallier zu Hilfe. – Das makedonische Heer hatte von der Zeit des An-
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tigonos Gonatas bis zur Niederlage des Perseus gegen Rom wohl stets Kelten in Sold. Das ptolemäische Ägypten rekrutierte 274 v. Chr. 4000 Kelten zur Niederschlagung der Revolte des Magas – freilich nur, um sie am Ende auf einer Nilinsel zugrunde gehen zu lassen. In der Schlacht von Raphia 217 v. Chr. führte Ägypten 6000 „Gallier und Thraker“ ins Feld, wovon 2000 neu rekrutiert und 4000 Militärsiedler und deren Nachkommen waren; die Assoziation mit den Thrakern mag auf eine Herkunft der Gallier von der Donau hinweisen. Ein Graffiti am Totentempel Sethos’ I. in Abydos bezeugt die Anwesenheit von (griechisch schreibenden) Galatern wohl bei der Belagerung von Abydos 186/185 v. Chr.1683 Das seleukidische Reich sah an keltischen Söldnern etwa gallische schwere Infanterie in der Rebellenarmee, die Molon 220 v. Chr. gegen Antiochos III. führte – in dessen Reihen sich ebenfalls Kelten befanden. Zum Heer Antiochos’ bei Magnesia 190 v. Chr. gehörten 5500 oder vielleicht 4000 Mann „gallogriechischer“ (galatischer) Reiterei. Für die Heerschau Antiochos’ IV. bei Daphne 165 v. Chr. sind 5000 Kelten überliefert. Einen Meilenstein in der Geschichte des keltischen Söldnerwesens stellte der Ruf Nikomedes’ I. von Bithynien dar, dem die (späteren) Galater 278 v. Chr. nach Kleinasien folgten. Sie ließen sich darauf in Anatolien nieder und kämpften unter einer Vielzahl von Kriegsherren. So dienten sie Mithridates I. von Pontos und seinem Sohn Ariobarzanes. 275 v. Chr. standen sie dem Seleukiden Antiochos II. gegenüber und wurden geschlagen. Unter Seleukos II. erschienen sie selbst in seleukidischen Diensten. Sie kämpften für Antiochos Hierax und waren von dieser Zeit an vermutlich immer Teil des seleukidischen Heeres; unter Antiochos III. erschienen sie 220 v. Chr. und bei Magnesia (vielleicht neben Kelten aus Thrakien). Auch die Kelten in der Heerschau Antiochos’ IV. waren wohl Galater. Mithridates VI. mag neben asiatischen auch Donaukelten gegen die Römer geführt haben. In der zweiten Hälfte des 3. Jh. v. Chr. wies das pergamenische Reich unter Attalos I. die Galater in ihre Schranken, die sich neben ihrer Söldnertätigkeit auch erfolgreich dem Plündern und Erpressen kleinasiatischer Städte gewidmet hatten. Die bitteren Erfahrungen Kleinasiens mit den ehemaligen Söldnern Nikomedes’ I. von Bithynien hielten Attalos jedoch nicht davon ab, selbst den Stamm der Aigosagen aus Europa zu rufen und in seinen Dienst zu stellen – freilich nur, um sich ihrer bald darauf wieder entledigen zu müssen, wobei es den Bithyniern überlassen blieb, die Aigosagen
1683
Hubert 1987 S. 52 f.
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schließlich militärisch zu vernichten. Im Dritten Makedonischen Krieg zwischen Perseus und Rom taucht an einer Stelle eine Tausendschaft keltischer Kavalerie im pergamenischen Heer auf, an einer anderen Stelle eine Hundertschaft. Aus dieser Litanei keltischer Söldnerscharen sticht ein Korps dadurch heraus, daß uns Polybios seine Geschichte unter mehreren Dienstherren überliefert hat (Polybios II.5.4; II.7.6–11): Sie beginnt mit der Verbannung dieses Trupps aus seiner Heimat – wo genau in keltischem Gebiet diese Heimat lag, wird nicht gesagt. Diese Söldner traten im Ersten Punischen Krieg in den Dienst der Karthager, überwarfen sich mit ihnen dann aber über der Frage des Soldes und plünderten Agrigent, wo sie als Garnison stationiert waren. Zu diesem Zeitpunkt war die Truppe über 3000 Mann stark. Später schickten die Karthager sie als Garnison nach Eryx. Ein Teil der Gallier scheiterte dort mit einem Versuch, die belagerte Stadt durch Verrat in die Hände der Römer zu bringen, und desertierte ins römische Lager (vgl. Polybios I.77.4 f.). Die Römer stationierten die Überläufer als Wache am Tempel der Aphrodite von Eryx – den die Kelten daraufhin plünderten. Sobald der Krieg mit Karthago vorüber war, entwaffneten die Römer diesen gallischen Haufen, schifften die Söldner aus und verbannten sie aus Italien. Ein gutes Jahrzehnt später treten 800 von ihnen noch einmal ins Licht der Geschichte. Zu diesem Zeitpunkt dienen sie unter den Epiroten als Garnison von Phoinike; als jedoch ein illyrisches Heer gegen Phoinike zieht, werden Gallier und Illyrer sich schnell einig, und Phoinike fällt durch Verrat. Es nimmt nicht Wunders, daß Polybios für das Unglück der Epiroten nur Spott übrig hat.1684 Dieser Söldnerhaufen trat im Ersten Punischen Krieg in mediterrane Dienste, und ein Teil der Soldaten trieb sich nach dem Ende dieses Krieges noch über ein Jahrzehnt im Mittelmeer herum. Daß seine Mitglieder die Kultur, in der sie so lange lebten, in einigem Detail kennengelernt haben müssen, ist wohl mit einiger Sicherheit anzunehmen und dürfte kein Einzelfall gewesen sein. Daß keltische Söldner eine erhebliche Vertrautheit mit ihren Gastkulturen erlangen konnten, suggeriert schon das erwähnte galatische Graffiti am Totentempel Sethos’ I., das auf Griechisch abgefaßt ist. Insbesondere wird es aber am Beispiel des Autaritos deutlich, der im karthagischen Söldnerkrieg eine wichtige Rolle spielte. Autaritos war der Anführer der etwa 2000 keltischen Söldner, die während der Belagerung von Eryx nicht zu den Römern desertiert waren (Polybios I.77.4 f.).1685 Nach dem Ende des Ersten Punischen Krieges versuchte Karthago, sein Söldner1684 1685
Griffith 1935 S. 252 f. Vgl. Sills 2003 S. 99.
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heer um einen Teil des schuldigen Solds zu prellen; es kam zur Meuterei, die sich zu einem mit ungemeiner Brutalität geführten Krieg ausweitete (Polybios I.65.1–I.88.7). Autaritos nahm als einer der drei wichtigsten Anführer der meuternden Söldner bedeutenden Einfluß auf die Ereignisse, was er vor allem seiner Kenntnis der punischen Sprache verdankte (Polybios I.80.5–7). Sein Beispiel bezeugt damit, daß keltische Söldner weitgehenden Zugang zur Sprache – und damit wohl auch Kultur – ihrer Dienstherren finden konnten. Er selbst kann das dabei erworbene Wissen nicht wieder zurück in keltisches Gebiet getragen haben – Karthago ging aus dem Söldnerkrieg siegreich hervor, und Autaritos starb am Kreuz (Polybios I.85.5, I.86.4).1686 Anderen wird es jedoch glücklicher ergangen sein. Die genaue Herkunft der keltischen Söldner ist in vielen Fällen kaum zu bestimmen. Gerade in Ostgriechenland und im Orient dürfte ein sehr großer Teil der keltischen Söldner von den kleinasiatischen Galatern gestellt worden sein. Ob es von diesen noch zu einem kulturellen Rückstrom zu den Kelten West- und Mitteleuropas kommen konnte, darf zumindest angezweifelt werden.1687 Bei Donaukelten oder Kelten aus dem Rhônetal hingegen ist es deutlich wahrscheinlicher, daß es zumindest eine gewisse Zahl von Rückkehrern gab, die ihre im Solddienst gemachten Erfahrungen in ihre heimische Kultur einbringen und die die kontinentalkeltische(n) Kultur(en) Europas beeinflussen konnten. Direkte Belege für einen solchen Rückstrom ausgedienter Söldner und einen damit verbundenen Kulturtransfer liefert vor allem die Numismatik. So sind in der keltischen Welt gefundene hellenistische Münzen als Beleg für keltischen Söldnerdienst betrachtet worden.1688 Sizilisch-punische Münzen sind aus ganz Gallien und bis nach Südost-England bekannt, was wohl zumindest teilweise mit Rückkehrern aus karthagischem Dienst während des Ersten und Zweiten Punischen Krieges zu verbinden ist.1689 Noch weit wichtiger ist, daß die Entstehung einer eigenständigen keltischen Münzprägung nördlich der Alpen (wohl im 3. Jh. v. Chr.) auf den Kontakt mit griechischen Prägungen in Form von Soldzahlungen zurückzugehen scheint;1690 der Söldnerdienst im 1686 1687 1688 1689 1690
Vgl. Griffith 1935 S. 217–221; Wienicke 1927 S. 14 f. Vgl. Hubert 1987 S. 57; Strobel 1996 S. 27 f. Szabó 1991 S. 336; vgl. Sills 2003 S. 5, 8 und öfters. Sills 2003 S. 100. Sills 2003 S. 1, 217; de Jersey 1994 S. 32, 40, 42, 53; Szabó 1991 S. 336; vgl. Birkhan 1997 S. 372 f.; Allen 1978 S. 14. Vgl. auch Sills’ Beobachtung zur Wahl der mediterranen Vorlagen, denen die ersten einheimischen keltischen Prägungen folgten: „The choice of types may have been deliberate: tribes across Gaul appear to have selected prototypes that were associated with military payments, despite the likely availability of other models.“ (Sills 2003 S. 121.)
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Mittelmeerraum führte hier somit zu einer greifbaren kulturellen Neuerung im Mutterland. Dabei läßt sich etwa spezifizieren, daß z. B. die Münzprägung von Tarent in Apulien einen besonders starken Einfluß auf die Münzprägung im Tal der Somme ausgeübt hat; dies kann in Verbindung mit anderen Indizien als Hinweis auf einen Rückstrom von Söldnern aus dem Sommetal gedeutet werden, die im tarentinischen Heer gedient hatten. Ein großer Teil des tarentinischen Goldes, das Gallien mit zurückkehrenden Söldnern erreichte, dürfte dabei um die 270er Jahre v. Chr. in den Norden gelangt sein.1691 Schon dieses Beispiel des tarentinischen Einflusses auf die Münzprägung des Sommetals, dem sich weitere Beispiele hinzufügen ließen, macht die geographische Spannweite der im numismatischen Befund sichtbaren Kontakte deutlich – in diesem Fall von Süditalien bis nach Nordfrankreich. Das keltische Söldnertum im Mittelmeerraum liefert somit konkrete Belege für einen Transfer von Menschen und Ideen zwischen dem kontinentalkeltischen Bereich und der Mittelmeerwelt am Ende der klassischen und in hellenistischer Zeit. Im gegenwärtigen Zusammenhang könnten dabei vielleicht auch Darstellungen von Flügelfrauen und Vogelmischwesen auf keltischen Münzen von Interesse sein: Armorikanische Münzen des „recumbent figure type“ zeigen unter einem Streitwagengespann mitunter geflügelte anthropomorphe Gestalten, deren Geschlecht durch eine deutliche Darstellung nackter Brüste als weiblich definiert zu sein scheint.1692 Darüber, ob dieser Figurentyp, der von Muret und Chambouillet als „génie ailé“ angesprochen wurde,1693 inhaltlich mit den hier behandelten erotisch-todesbezogenen Flügelfrauen zu verbinden ist, läßt sich freilich nur spekulieren.1694 Ähnliches gilt auch für die Münzprägung der Boier: Dieser Stamm prägte um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. unter anderem Münzen mit dem Bild eines Menschenvogels;1695 das Wesen ist als ein schreitender Vogel mit angelegten Flügeln gestaltet, der seinen (menschlichen) Kopf über die Schulter nach hinten wendet. Ob man in dieser Figur eine Darstellung einer vogelmenschlichen Todesdämonin vom Typ der Harpyien oder der Bodb sehen will, muß in Ermangelung weiterer signi-
1691 1692
1693 1694
1695
Sills 2003 S. 94–98, 106, 121. Vgl. Delestrée und Tache 2002 ff. Nr. 2095, 2097, 2115, 2116, 2129, alle 2. Jh. v. Chr.; allgemein zum „recumbent figure type“ vgl. de Jersey 1994 S. 58–67. Muret und Chambouillet 1889 zu Nr. 6830 (=Delestrée und Tache 2002 ff. Nr. 2115). Das Bildmotiv der Flügelfrau muß nicht notwendigerweise mit Flügelfrauen des Vanth-Erinyen-Typs verbunden werden, sondern läßt sich gleichermaßen von Darstellungen der Nike auf griechischen Münzen herleiten, vgl. etwa Robinson 1939 Nr. 78 bis 100. Göbl 1994 S. 20, 38 f., 98 und Tafel 1 (Nr. 25, 26, 27) et passim.
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fikanter Details letztlich ganz dem individuellen Ermessen überlassen bleiben.1696 Innerhalb der keltischen Welt waren ganz ähnliche Mechanismen der Mobilität von Kriegern wirksam, wie sie im keltischen Söldnerdienst im Mittelmeerraum greifbar werden. Die Gaesaten, die den norditalischen Kelten erfolglos gegen Rom zu Hilfe kamen, waren transalpine Söldner. Sie stellen damit einen historischen Beleg für die Verwendung von Söldnern innerhalb des Celticums dar. Daß die keltischen Söldner im Heer der norditalischen Kelten keinen Ausnahmefall darstellten, legt wiederum der numismatische Befund nahe: Die eigenständige keltische Münzproduktion scheint spezifisch zum Zweck der Bezahlung auswärtiger Söldner aufgenommen worden zu sein. So läßt sich die geographische Verteilung solcher Münzserien oft durch eine Bezahlung von Söldnern erklären, die aus einer anderen Region als derjenigen der Prägung der Münzen stammten. Vielfach zeigen sich in den Münzserien ferner Anzeichen für eine episodische Produktion. So mag eine Notsituation, die eine schnelle Münzprägung verlangt, darin einen Niederschlag finden, wenn auch schon stark abgenutzte oder beschädigte Münzstempel weiter verwendet werden.1697 Die Verteilung der frühesten keltischen Imitationen klassischer Münzen mit einem Schwerpunkt in Regionen, die an germanische Gebiete angrenzten, weist ferner darauf hin, daß die Anlässe für ihre Prägung zu einem großen Teil in Konflikten zwischen Kelten und Germanen im 3. Jh. v. Chr. zu suchen sind. Eine Konzentration gallobelgischer Münzen des 2. Jh. v. Chr. in Südengland legt dabei nahe, daß auch zumindest dieser Teil der Britischen Inseln zu dieser Zeit Teil des innerkeltischen Rekrutierungsgebiets war.1698 Daß intensive Kontakte auch zwischen Gallien und den Kelten des Balkans möglich waren, deuten Hinweise auf Skordisker in parisischem Sold an.1699 Am an1696
1697 1698
1699
Birkhan (1997 S. 125 Anm. 2) deutet den Menschenvogel als behelmt, was ihn im Bereich des Krieges verankern würde; die Abbildungen Göbls (1994 Tafel 1 [Nr. 25, 26, 27] et passim) scheinen dies nicht zu rechtfertigen, jedoch habe ich keines der Originale gesehen. – An weiteren Reversmotiven zeigt die boische Münzprägung des 1. Jh. v. Chr. etwa noch Reiter auf greifenköpfigem Pferd, Löwe, Bär, fressenden Wolf, Eber, Flügelgreif oder weiblichen Flügelkentaur (Göbl 1994 S. 17–21 mit Tafel 1). Sills 2003 S. 117, 124. Sills 2003 S. 117–119, 123, 124, vgl. S. 140, 158 f., 185 f., 188, 220–222, 339, 343. Der südenglische Söldnerdienst in Nordostgallien ist wohl in Zusammenhang mit ethnischen Verbindungen zwischen den jeweiligen Bevölkerungen zu sehen: Sills 2003 ibidem und S. 345–349. Man beachte, wie sich hier trotz der spärlichen Materiallage von Tarent über das Sommetal nach Britannien eine bruchlose Kette von Kontakten freundlich-militärischer Natur rekonstruieren läßt. Sills 2003 S. 298–301, 316, 334 f., 342–344, vgl. S. 218 f. Eine der Wurzeln des späteren Königreichs der Skordisker liegt in den Raubzügen gegen Makedonien 279 und
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deren Ende des Celticums zeigen sich Kontakte über die Pyrenäen hinweg darin, daß spanische Truppen und Anführer den Aquitanern im Gallischen Krieg Militärhilfe leisteten (De bello Gallico III,23; III,26).1700 Ganz ähnliche Wege des durch mobile Kriegergruppen vermittelten Kulturkontakts scheinen schließlich auch in den germanischen Kulturbereich existiert zu haben, auch wenn die Materiallage hier deutlich schlechter ist als im Fall der Kelten. Um die Enge der Kontakte zwischen germanischen Stämmen und ihren Nachbarvölkern am Beginn der historischen Zeit zu illustrieren, muß dennoch nur auf das Beispiel des rex Germanorum Ariovist verwiesen werden, der das Gallische erlernt hatte und nicht nur mit einer Suebin, sondern auch mit der Schwester des norischen Königs Voccio verheiratet war,1701 und den die Arverner und Sequaner im Zuge eines innergallischen Machtkampfs gegen Bezahlung nach Gallien gerufen hatten (Caesar, De bello Gallico I,31; I,47; I,53) – freilich um das Schicksal so mancher zu teilen, die bald feststellen mußten, daß ihre Söldner durchaus eigene Ziele verfolgten.1702 Weiter im Osten bietet sich das Beispiel der Bastarnen an, deren Soldvertrag mit dem Makedonenkönig Perseus 168 v. Chr. erst in letzter Minute scheiterte und die als (zumindest teilweise) germanisches Volk betrachtet werden.1703 Die Bastarnen finden sich ferner etwa auch 88 v. Chr. unter den Verbündeten Mithridates’ VI.,1704 und auch die von Attalos I. nach Kleinasien gerufenen Aigosagen könnten hierher zu stellen sein.1705 Der Aufstieg Roms zur Weltmacht bedeutete zunächst ein Ende des barbarischen Söldnerwesens im Mittelmeerraum, da das Imperium seine Macht nicht auf angeworbene Söldnertruppen, sondern auf die Legionen stützte. Dies zog freilich keinen Schlußstrich unter den Kontakt zwischen Mittelmeerwelt und Barbaricum; so könnte man für die spätere Zeit etwa
1700 1701 1702 1703 1704 1705
277 v. Chr.: Sills 2003 S. 88 f. Auch sie hatten somit vielfältige Gelegenheit, mit der klassischen Kultur vertraut zu werden – man bedenke z. B. auch, daß Antigonos Gonatas nach seinem Sieg über die Kelten bei Lysimacheia 277 v. Chr. die geschlagene Truppe in Sold nahm, um mit ihr die Herrschaft über Makedonien zu gewinnen, und daß er auch nach dem Verlust seiner keltischen Söldner gegen Pyrrhus 274 v. Chr. wieder Kelten in seinem Dienst hatte (Sills 2003 S. 89). Die spätere Geschichte der Skordisker legt nahe, daß Söldnerdienst bei diesem Volk eine Tradition hatte (Sills 2003 S. 320). Die Skordisker werden schon seit längerem als Vermittler östlicher Kulturkontakte betrachtet (Birkhan 1997 S. 137). Birkhan 1997 S. 157. Vgl. Birkhan 1997 S. 311. Vgl. etwa Sills 2003 S. 94 f. zum Söldnerheer Tarents. Sills 2003 S. 89, 105, 224; Birkhan 1997 S. 142; von Bredow und Tokhtas’ev 1997. Sills 2003 S. 318, 335; von Bredow und Tokhtas’ev 1997. Birkhan 1997 S. 142 f.
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daran erinnern, daß auch die Barbarenvölker der Spätantike und des Frühmittelalters von Elementen der römischen Kultur weitreichenden Gebrauch machten (und dabei zugleich wieder auf diese zurückwirkten), wie es in der jüngsten Zeit unter dem Stichwort „Transformation of the Roman World“ intensiv aufgearbeitet worden ist.1706 Als Illustration mag etwa Schmauders Untersuchung der spätrömisch-frühbyzantinischen ‚Kaiserfibeln‘ dienen: Wie Schmauder herausarbeitet, wurden diese wertvollen Artefakte vom Kaiser an barbarische Herrscher als Insignien verliehen, die sich eng an das kaiserliche Dienstkostüm anlehnten; zugleich wurden sie jedoch auch innerhalb des Barbaricums imitiert. Die Imitation solcher Fibeln scheint dabei einen Teil barbarischer Bestrebungen dargestellt zu haben, Formen der kaiserlichen Repräsentation nachzuahmen.1707 Eine solche barbarische Rezeption imperialer Symbolik mag auch vorliegen, wenn Arce in Anbetracht der Ähnlichkeiten zwischen den Bestattungszeremonien herausragender Gestalten der römischen Politik (u. a. Sulla, Julius Caesar, Augustus, Constantius II.) und Jordanes’ Schilderung der Bestattung Attilas die Frage stellt, ob Jordanes hier die Bestattung eines romanisierten Barbarenkönigs beschreibt.1708 Ebenso könnte man hier Näsmans These nennen, wonach das völkerwanderungszeitliche Interesse mediterraner Autoren an Skandinavien auf einer Einbindung Skandinaviens in die Ereignisse auf dem Kontinent beruhte, welche wiederum einen wichtigen Beitrag zu den späteren Entwicklungen in Skandinavien selbst geleistet hätte.1709 Im spezifischen Kontext der gegenwärtigen Fragestellung kann die Zeit nach dem Aufstieg Roms zur Herrschaft über die Alte Welt jedoch unberücksichtigt bleiben, da sich mit den frühesten eindeutigen Belegen für den Komplex der leichenfressenden heiligen (bzw. dämonischen) Aasvögel im Barbaricum ein klarer terminus ante quem der hypothetischen Entlehnung entsprechender Vorstellungen aus der klassischen Mittelmeerwelt fassen läßt: Das hispanische ‚Ritual der Aussetzung‘ mag schon im Kontext der Eroberung Numantias (133 v. Chr.) angedeutet sein, während die ausführlichen Be1706
1707 1708
1709
Zusammenfassend zu diesem Forschungsprojekt vgl. Wood 2006, besonders S. 133 (mit ausführlicher Bibliographie); Wood 1997 (Report), besonders S. 223 f.; vgl. auch Delogu 1999 S. 247. Schmauder 1998, besonders S. 292–296. Vgl. Wood 1997 (Transmission) S. 118. Arce 2000 S. 126 f. – „Was Jordanes describing the funeral rites of a romanised barbarian king? Or did he transpose the Roman ceremonial to Attila’s funeral? If the first hypothesis is right, that would be truly significant for the history of the transformation of the Roman world.“ (Zitat: Ibidem S. 127.) Näsman 1998 S. 257–263, vgl. besonders S. 263: „The foundations on which Viking Age Denmak rested were laid out in the fifth to seventh centuries, and many of the building bricks were certainly of continental Germanic or late-Roman origin.“
Abschlußdiskussion
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richte über dieses Ritual vielleicht auf die keltische Ethnographie des Poseidonios zurückgehen, der das Celticum um 100 v. Chr. bereist hat; eine Entlehnung möglicherweise mit diesem Ritual verbundener Vorstellungen müßte dann vor der Mitte des 2. Jh. v. Chr. stattgefunden haben. Dazu würde auch passen, daß Silius Italicus bereits im 1. Jh. n. Chr. das ‚Ritual der Aussetzung‘ als mos antiquus, „alten Brauch“, bezeichnet.1710 Eine Datierung der Entlehnung in die vorrömische Zeit wird ferner auch durch das Zeugnis der gallischen Inschriftensteine nahegelegt: Da die Weihungen an [C]athubodva, [C]assi[b]odva und Bodva für diese Gestalten keltische Namen verwenden, ist als chronologischer Spätestansatz für die Genese dieser Figuren eine Datierung vor der römischen Eroberung und der damit einhergehenden Romanisierung anzunehmen, da sonst eine Neuschöpfung eines keltischen Namens unnötig und unverständlich gewesen wäre. Auch die Weitervermittlung ins germanische Barbaricum ist ähnlich früh anzusetzen, da in Anbetracht der gallischen Beleglage die Bodva-Gestalten in der gallorömischen Zeit nicht mehr prominent genug gewesen zu sein scheinen, um eine Weitervermittlung des Konzepts ins Germanische nach der römischen Eroberung noch plausibel erscheinen zu lassen. Ähnlich problematisch schiene in dieser Spätzeit die Frage der Vermittlung nach Irland, das keinen Teil des Imperiums bildete. Insgesamt scheint es daher angeraten, den terminus ante quem der Entlehnung des Komplexes der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen ins Barbaricum mit dem Beginn der römischen Annexion des Celticums anzusetzen, wobei insbesondere der hispanische Befund auf einen terminus ante quem vor der Mitte des 2. Jh. v. Chr. hindeuten dürfte.
Abschlußdiskussion Kulturkontakte zwischen dem Mittelmeergebiet und dem Barbaricum hat es immer gegeben – die hier zusammengestellten Beispiele für solche Kontakte bzw. entsprechende Kulturkontakttheorien stellen nicht einmal annäherungsweise eine erschöpfende Sammlung dar und ließen sich nach Belieben vermehren. Grundsätzlich hätten die vampirisch-erotischen Todesdämoninnen in jeder der angesprochenen Epochen bis zum Aufstieg Roms aus dem Mittelmeerbecken ins Barbaricum übernommen worden sein können. Das Problem des Vermittlungswegs ist somit auf einer allgemeinen Ebene keines: Der Hypothese einer historischen Erklärung der auf-
1710
Siehe oben Anm. 708 und S. 201.
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fallenden Ähnlichkeiten zwischen den hier besprochenen frühen europäischen Todesdämoninnen steht aus der Perspektive der Möglichkeit der Vermittlung des Motivkomplexes nichts entgegen. Die Möglichkeiten der Vermittlung sind ganz im Gegenteil überreich. Mit aller gebotenen Vorsicht scheint es daher legitim, die Ähnlichkeiten zwischen diesen Dämoninnen als ein mögliches Kulturkontaktphänomen zu deuten. Dies läßt sich zwar letztlich in Anbetracht der vielfältigen Lücken und Probleme des transalpinen Materials natürlich nicht zweifelsfrei beweisen. Da die Ähnlichkeiten zwischen den Dämoninnen jedoch signifikant scheinen und vielfältige Gelegenheiten für entsprechende Kulturkontakte bezeugt sind, scheint eine Deutung der Parallelen im Sinne einer historischen Verbindung nichtsdestoweniger eine mögliche und vielleicht sogar die ökonomischste Interpretation des Befunds. Denn es scheint nicht plausibel, komplexe Motivparallelen in historisch verbundenen Kulturen als zufällig aufzufassen. Die Frage ist jedoch, ob man über diese sehr allgemeine Aussage hinauskommen kann, und ob sich mehr vorschlagen läßt, als daß diese Dämoninnen einander auffallend ähnlich sind und daß dies wohl in irgendeiner Weise mit den vielfältigen Kulturkontakten innerhalb des frühen Europa zusammenhängen wird. Eine direkte Verfolgung des hypothetischen Vermittlungswegs der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen ist von vorneherein ausgeschlossen, da aussagekräftige archäologische Belege in Nordwesteuropa fehlen. Vielleicht lassen sich jedoch dem Charakter des Phänomens Hinweise auf die Art seiner hypothetischen Vermittlung entnehmen: Sowohl die Walküren als auch die Bodbs und die keltiberischen Geier sind durch und durch in der Welt des Krieges zuhause; sie sind Gestalten des Schlachtfelds und des Jenseits’ der Helden. Dies scheint umso signifikanter zu sein, als die Einschränkung auf einen Kriegskontext nicht nur im gesamten barbarischen Material (einschließlich des epigraphischen Materials) deutlich zu beobachten ist, sondern in den antiken Quellen zur iberischen Halbinsel darüber hinaus sogar ausdrücklich vorgenommen wird. Eine solche Einschränkung auf einen Kriegskontext stellt einen auffallenden Unterschied zu den klassisch-mediterranen und etruskischen Todesdämoninnen dar, die bei allen Ähnlichkeiten doch einen deutlich weniger martialischen Charakter zeigen: Während die nordwesteuropäischen Dämoninnen und keltiberischen Bestattungsriten ausschließlich mit dem Tod im Krieg verbunden sind, sind die etruskischen, römischen und griechischen Gestalten Dämonen des Todes im allgemeinen.1711 Ihre Assoziation mit gewaltsamem Tod und tödlicher Gewalt scheint sekundär; denn Vanth
1711
Vgl. Donahue 1941 S. 6 Anm. 47.
Abschlußdiskussion
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erscheint im Gegensatz zu den Walküren nicht nur beim Tod des Kriegers, sondern geleitet etwa auf dem Sarkophag der Hasti Afunei auch die friedlich verstorbene Frau ins Jenseits; und die Situation der Sirenen ist ganz ähnlich. Der Motivkomplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen scheint bei seiner angenommenen Vermittlung ins Barbaricum eine Schwerpunktverschiebung hin zum Kriegerischen erfahren zu haben. Ähnlich steht es entsprechend mit den sozialen Lebenswelten, in die die Dämoninnen eingebettet sind: Die Dämoninnen Nordwesteuropas erscheinen an der Seite von Königen und aristokratischen Helden; Vanth und die Sirenen sind hingegen weit volkstümlichere Gestalten, die nicht nur im Wandschmuck des aristokratischen Familiengrabs, sondern auch auf der in Massenproduktion billig hergestellten Terrakottaurne bzw. im bürgerlichen Grabbezirk Athens ihren Platz haben und nicht nur mit dem Tod des Kriegers verbunden sind, sondern auch das Frauengrab schmücken – man erinnere sich an das griechische Grabepigramm, in dem die verstorbene Baukis „ihre Sirenen“ anspricht. Auch hier scheint also eine (doppelte) Schwerpunktverschiebung der nordwesteuropäischen Dämoninnen greifbar: Eine ‚Aristokratisierung‘ bei gleichzeitiger Einschränkung auf männliche Verstorbene. Die Aristokratisierung der Dämoninnen könnte durch die Natur der Quellen bedingt sein – denn Walküren und Bodbs treten vor allem in der Helden- und Königssage auf und werden schon aus diesem Grund in eine aristokratische Lebenswelt eingebettet. (Ihr aristokratisches Auftreten könnte freilich nicht nur Folge, sondern auch Ursache ihrer Stellung in der Heldensage sein: Vielleicht erscheinen sie insbesondere in der Heldensage, weil sie gerade mit dem Tod des aristokratischen Kriegers verbunden sind.) Die Einschränkung auf männliche Tote läßt sich hingegen in keinem Fall aus der Natur der Quellen erklären – auch in der Königssage sterben Frauen, und daher ist es signifikant, daß die Walküren nur beim Tod der Männer erscheinen und die Bodbs nur die Leichen der (männlichen) Krieger fressen. Diese Fokussierung der nordwesteuropäischen Dämoninnen auf männliche Protagonisten macht es zugleich auch unwahrscheinlich, daß ihr martialischer Charakter in der nordischen und irischen Literatur nur auf die Natur der Quellen zurückzuführen ist, die vornehmlich der heroischen Literatur entstammen und daher auf den heroisch-kriegerischen Aspekt dieser Wesen fokussiert sein könnten: Denn das Desinteresse der Dämoninnen an weiblichen Charakteren dürfte darauf zurückzuführen sein, daß sie gerade und ausschließlich mit dem Schicksal der – eben männlichen – Kriegshelden assoziiert sind. Die Fokussierung der Dämoninnen auf männliche Protagonisten könnte damit eine logische Folge ihrer Martialisierung darstellen und würde so nochmals ihre Einbettung in spezifisch heroische Kontexte unterstreichen.
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Diese drei Züge der Martialisierung, der Einschränkung ihres Interesses auf das männliche Geschlecht und ggf. der Aristokratisierung stellen systematische Unterschiede der nordwesteuropäischen Figuren gegenüber den mediterranen Gestalten dar, die im Falle eines tatsächlich historischen Zusammenhangs zwischen diesen Dämoninnen auf den Mechanismus der Vermittlung zurückgehen könnten. Die Martialisierung, die Fokussierung auf eine männliche Lebenswelt und vielleicht die Aristokratisierung der Dämoninnen des Barbaricums könnten damit Hinweise auf den Charakter des hypothetischen Vermittlungswegs darstellen. Denn falls sie dem Mechanismus der Vermittlung zuzuschreiben sind, würden sie darauf hinweisen, daß die Vermittlung vermutlich in einem kriegerischen, stark männlich geprägten und möglicherweise aristokratischen Milieu stattgefunden hat. Ein solches Milieu könnte den mediterranen Dämonentypus seiner eigenen Lebenswelt angepaßt haben; damit könnte er kriegerischer, männerfokussierter und aristokratischer geworden sein. Somit ließe sich die Frage nach dem Vermittlungsweg dahingehend spezifizieren, daß sich die Vermittlung – falls es sich um eine solche handelt – am wahrscheinlichsten in einem Kontext von Kulturkontakten mit stark kriegerischem, ‚maskulinem‘ und vielleicht aristokratischem Charakter abgespielt haben dürfte. Unter den verschiedenen Möglichkeiten, einen solchen Kontext zu lokalisieren, stechen zunächst etwa Kristiansens und Larssons oben angesprochene Theorien zur Bronzezeit ins Auge. Kristiansen und Larsson fassen die Bronzezeit als eine Epoche auf, die gerade durch eine heroische Ideologie, Reisen und weitreichende persönliche Kontakte innerhalb einer Kriegeraristokratie geprägt gewesen sei, und während der die Mittelmeerwelt einen starken Einfluß auf Skandinavien ausüben konnte. Solche Reisen (männlicher) aristokratischer Krieger könnten sowohl die geographische Nord-Süd-Erstreckung der erotisch-vampirischen Todesdämoninnen als auch die Verschiebungen im Charakter dieser Wesen zwischen dem Mittelmeerraum und dem Barbaricum erklären. Die Ausbreitung dieses Typus von Dämoninnen eindeutig dieser Epoche zuzuordnen, verbietet sich jedoch aus zwei Gründen: Erstens sind die erotischvampirischen Todesdämoninnen für die Bronzezeit nicht archäologisch bezeugt. Dies schließt ihre Existenz während der Bronzezeit natürlich nicht aus – die früheisenzeitliche homerische Dichtung schreibt die Existenz solcher Figuren der griechischen Bronzezeit immerhin ausdrücklich zu, und die Vielzahl der schon bei Homer bezeugten Gestalten (Keren, Sirenen, Erinyen, Harpyien) muß Vorläufer in ebender Epoche gehabt haben, für die Kristiansen und Larsson so starke mediterrane Einflüsse auf eine nordische Kriegeraristokratie annehmen. Doch das Fehlen eines archäologischen Belegs macht es unmöglich, die eventuelle Ausbreitung solcher Ge-
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stalten während dieser Epoche direkt nachzuverfolgen und damit mit Sicherheit zu fassen. Ein solcher Ausbreitungsweg könnte somit zwar nicht ausgeschlossen werden, bleibt dennoch aber eine bloße Möglichkeit – die zudem gerade im Norden ganz erhebliche Kontinuitäten annehmen müßte. Und hier greift der zweite Grund, warum die hypothetische Ausbreitung dieses Dämonentyps nicht eindeutig der Bronzezeit zugeschrieben werden kann: Geeignete Milieus finden sich auch noch in späteren Epochen. So verweist die mediterrane Lehmziegel-Stadtmauer der Heuneburg auf einen Bauherrn, der sich in militärischen Fragen (und/oder solchen der Repräsentation) am Mittelmeerraum orientiert hat. Ein Aristokrat, der sich in Fragen der militärischen Repräsentation an mediterranen Vorbildern ausrichtet, mag sich jedoch auch für mediterrane Vorstellungen interessiert haben, die sich mit dem Tod des aristokratischen Kriegers verbinden lassen. Ähnliches gilt für die Eliten der La Tène-Zeit, die weiterhin enge Kontakte mit dem Mittelmeerraum pflegten, während die Waffenbeigaben ihrer Gräber auf eine kriegerische Lebenseinstellung und damit ein geeignetes Milieu für die Martialisierung der barbarischen Dämonengestalten hinweisen könnten. Und noch weit deutlicher ist diese Möglichkeit für den barbarischen Söldnerdienst in den Heeren der hellenistischen Epoche. Eine wesentliche Frage ist hier, wie genau man sich den Mechanismus der hypothetischen Entlehnung vorstellt: Wurde eine spezifische Einzelgestalt entlehnt und dann modifiziert, oder wurden typische Züge mediterraner Todesdämoninnen aufgegriffen? Beruhen die mediterran-barbarischen Parallelen also auf der Wanderung einer individuellen Dämonin oder auf der eines Typus? Falls man eine Entlehnung einer spezifischen Einzelgestalt annimmt, wäre diese Entlehnung wohl in der Zeit vor dem Einsetzen der mediterranen Quellen zu verorten, da keine der einzelnen mediterranen Gestalten in ihren bezeugten Formen einen völlig problemlosen Ausgangspunkt für die Entstehung der Vorstellungen von den Walküren und den Bodbs darstellt. So weisen die Sirenen zwar alle Züge auf, die auch für die Charaktere der Walküren und der Bodbs grundlegend sind; sie stehen zugleich jedoch so stark im Banne der Odyssee-Szene, daß diese in einer direkten barbarischen Rezeption der Sirenen wohl irgendeinen Niederschlag hätte finden müssen. Ein solcher Niederschlag fehlt aber. Vanth andererseits fehlen eindeutige Belege für die Züge des Verschlingens und der direkten Macht über den Geist ihrer Opfer. Dies stellt zwar kein absolut schlüssiges Gegenargument gegen eine direkte Verbindung mit Walküren und Bodbs dar: Zum einen mag eine Macht wie der herfjqturr in den erhaltenen Darstellungen impliziert sein – ob ein Kämpfer, der im nächsten Augenblick stirbt, in seinem letzten Moment von einer übernatürlichen Schwäche befallen wird, wird im Bild naturgemäß nicht deutlich. Der fehlende Beleg für das Motiv des Verschlin-
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gens, zum anderen, könnte durch die ikonographische Sackgasse der geierköpfigen Dämonin angedeutet sein und nur aufgrund der Verwendung der Konventionen der griechischen Kunst in den klassischen Darstellungen Vanths keine Rolle spielen – immerhin wird auch das Verschlingen durch die Erinyen und durch die Sirenen in der (erhaltenen) griechischen Kunst nie im Bild dargestellt. Aber solche Gedankenspiele – obwohl in Anbetracht der Materiallage nicht unmöglich – sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Einzelgestalten, so wie sie konkret belegt sind, sich nicht völlig reibungslos mit den Walküren und Bodbs verbinden lassen. Nimmt man an, daß eine konkrete mediterrane Einzelgestalt die Grundlage der Walküren und der Bodbs bildete, so muß man zwischen zwei Wegen der Spekulation wählen: Entweder der Annahme, daß das mediterrane Material keinen umfassenden und völlig repräsentativen Eindruck von den Einzelgestalten gibt (was zu einem gewissen Umfang mit Sicherheit anzunehmen ist – die Frage ist nur, was genau das Material verschweigt oder entstellt); oder der Annahme, daß Vanth, Sirenen, Keren etc. Hypostasen einer älteren, prähistorischen übernatürlichen Gestalt darstellen, deren Entlehnung den Walküren und Bodbs zugrunde liegt und die sich im Mittelmeerraum in historischer Zeit zu den tatsächlich bezeugten Figuren ausdifferenziert hat. Beide Annahmen sind stark spekulativ, da sie zusätzlich zu den Unsicherheiten insbesondere über den Vermittlungsweg auch noch die vermittelten Gestalten selbst zuerst rekonstruieren müssen: Beide Annahmen postulieren die hypothetische Vermittlung einer hypothetischen Figur. Dies ist freilich nicht unmöglich, und ein solches Modell wäre somit in der Lage, den gesamten präsentierten Befund in ein einheitliches historisches Schema einzuordnen und geschlossen zu erklären. Eine Alternative wäre jedoch die Annahme einer Entlehnung nicht einer Einzelgestalt, sondern eines Typus. Im Mittelmeerraum sticht die große Zahl der Todesdämoninnen ins Auge, die sich in einer Vielzahl von Charakterzügen überschneiden: Vanth, die Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen zeigen untereinander vielfältige enge Gemeinsamkeiten, was sie als verschiedene individuelle Vertreter eines gemeinsamen Typs von übernatürlichen Gestalten erscheinen läßt. Die Nähe dieser Dämonen untereinander ist so groß, daß nicht nur in der modernen Forschung, sondern auch im Verlauf der Antike die Grenzen zwischen ihnen immer wieder verschwammen.1712 So etwa, wenn Lykophron die Sirenen als „harpyiengliedrige Nachtigallen“ beschreibt: Gerade 1712
Vgl. Kahil und Jacquemin 1988 Bd. 4.1 S. 450. Als Beispiel für das Verfließen der Grenzen zwischen diesen Gestalten in der modernen Foschung sei auf Harrison hingewiesen, die die Sirenen, Harpyien und Erinyen (neben anderen Wesen) sämtlich als Formen der Keren auffaßte: Harrison 1908 S. 163–256 passim.
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die in der älteren Zeit wesentliche ikonographische Unterscheidung zwischen Sirenen und Harpyien als Menschenvögel bzw. Flügelfrauen wird hier aufgelöst. Die scharf differenzierten Kategorien der älteren Zeit werden durchlässig. Deutlicher noch zeigt sich dies an der Harpyie Celaeno bei Vergil: Obwohl die entsprechende Passage ausdrücklich von den Harpyien spricht, bezeichnet Celaeno sich selbst als Furie – und darüber hinaus beschreibt Vergil seine Harpyien zudem noch wie Sirenen.1713 Die Grenzen der etruskischen Dämonologie sind ähnlich unscharf: Vanth scheint in einer Vielzahl von Darstellungen die Ikonographie der griechischen Erinyen zu übernehmen und am Ausgang der etruskischen Kultur ihre bruchlose Fortsetzung in den römischen Furienvorstellungen zu finden. Die ikonographische Gleichsetzung mit den Erinyen ist so weitreichend, daß es, wie Krauskopf anmerkt, „den meisten Etruskern nie gelungen sein [wird], Erinyen und Todesdämoninnen auseinanderzuhalten“1714 – man erinnere sich, daß einer der inschriftlich gesicherten Belege Vanths sie in einer Darstellung der Reinigung des Orest in Delphi mit einer Erinys identifiziert. In eine andere Richtung scheinen die Grenzen der etruskischen Dämonologie zu verschwimmen, wenn Weber-Lehmann in der ‚Vanth von Tuscania‘ einen Synkretismus zwischen Vanth und den Sirenen in Erwägung zieht.1715 Es sollen hier nicht die vielen bereits oben ausführlicher angesprochenen Beispiele für das Verschwimmen der dämonischen Kategorien spätestens ab dem Hellenismus wiederholt werden; schon die wenigen hier nochmals referierten Beispiele zeigen, daß es sich bei den Todesdämoninnen der klassischen Mittelmeerwelt auch aus der mediterranen Innenperspektive um ein Kontinuum von dämonischen Gestalten handelte. Selbst die gebildeten Eliten des Altertums waren nicht immer in der Lage (oder fanden es nicht nötig), diese Figuren scharf voneinander zu trennen. Wenn aber schon die Mitglieder der klassischen Kulturen selbst zu einer solchen scharfen Trennung nicht fähig oder willens waren, dann muß das Bild der klassischen Dämonologie für einen Außenstehenden in den Details vollends unentwirrbar gewesen sein. So könnte man etwa über die Situation eines keltischen Söldners in einem hellenistischen Heer spekulieren, der sich eine Vorstellung von der Welt seiner Dienstherren zu verschaffen versuchte. Auf griechischem Boden konnten die vielen Sirenen der Grabbezirke seine Neugier wecken, was es mit diesen erotisierend dargestellten Flügelfrauen auf sich hat; da klassisch-antike Friedhöfe üblicherweise an den Ausfallstraßen der Städte lagen, wäre der Kontakt mit solchen Bildwerken selbst für einen nur 1713 1714 1715
Vergil, Äneis III,210–213; III,252; III,216; III,242 f.; siehe oben S. 338 und S. 341. Krauskopf 1987 S. 85. Weber-Lehmann 1997 (Seirene anasyromene) S. 234; siehe oben S. 298.
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durchreisenden Söldner kaum zu vermeiden gewesen. Das Grabepigramm der Baukis fordert die Sirenen auf dem Grab der Verstorbenen auf, den einheimischen oder von Ferne kommenden Betrachter „anzusprechen“ (Anthologia Graeca VII,710): S » λ S1« λ λ "& !", Ρ « 4« #A D 9 %, « μ " ’ V , V ’ $ λ "&! ’ V&’ ` («α
[…]1716 „Ihr Stelen, und meine Sirenen, und du traurige Urne, die du die wenige Asche des Todes hältst, denen, die an meinem Grabmal vorübergehen, entrichtet einen Gruß, seien sie Bürger, seien sie aus einer anderen Stadt; […]“
Dieses Epigramm – gleichgültig, ob es sich dabei um ein wirkliches Grabepigramm oder um eine fiktive Dichtung handelt – illustriert, daß die Sirenen der Grabanlagen zu den visuell hervorstechendsten Elementen solcher Monumente zählten und beim Betrachter einen entsprechenden Eindruck hinterlassen sollten.1717 Für einen barbarischen Söldner, der aus seiner Heimat kaum oder keine vergleichbare Steinskulptur kannte, muß dieser Eindruck äußerst eindringlich gewesen sein. In Etrurien werden monumentale, skulpturengeschmückte Felsengräber bei einem barbarischen Betrachter einen gleichermaßen tiefen Eindruck hinterlassen und ebenfalls die Frage nach dem Wesen der dargestellten Figuren aufgeworfen haben – man erinnere sich, daß die ‚Vanth von Tuscania‘ (Fig. 30) aus dem Skulpturenschmuck eines ebensolchen monumentalen Felsengrabs stammen mag.1718 Ob ein barbarischer Söldner aber in der Lage war, Vanth, die Sirenen, Erinyen, Keren und Harpyien auseinanderzuhalten? Schwerlich. Wenn schon die Antike keine scharfen Trennlinien zog, dürften diese Figuren für einen halb Außenstehenden ununterscheidbar gewesen sein.1719 1716 1717
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Text: Stadtmueller 1894–1906. Siehe oben S. 402. Für eine Rekonstruktion des mit Sirenen geschmückten Grabmonuments, dem die oben besprochene lyraspielende rundplastische Grabsirene zugeschrieben wird (siehe oben S. 404 und Fig. 50) vgl. Ensoli 1996 S. 97 mit Fig. 3 (S. 99). Siehe oben S. 295. Auch das Innere etruskischer Felsengräber mag keltischen Kriegern nicht immer verborgen geblieben sein – die keltischen Söldner des Pyrrhus schreckten immerhin selbst vor der Plünderung makedonischer Königsgräber nicht zurück (Plutarch, Pyrrhus XXVI.6). Es darf jedoch als fraglich gelten, ob ein Grabräuber sich für die Details von Wandmalereien und den Reliefschmuck von Urnen interessiert haben wird. Vgl., daß Latte (1968 S. 111) der Unterschied zwischen Harpyien und Grabsirenen noch in der Mitte des letzten Jahrhunderts entgangen ist (zu Lattes [eindeutig
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Das gilt umso mehr, als – um beim Beispiel des keltischen Söldners zu bleiben – die Sprachkenntnisse solcher Männer im Regelfall zu wünschen übrig gelassen haben dürften. Dies illustriert etwa Polybios’ Beschreibung des karthagischen Söldnerkriegs, in dem der bereits erwähnte keltische Söldnerführer Autaritos durch seine Kenntnis der punischen Sprache eine so wichtige Rolle spielte (Polybios I.80.5–7); denn neben Autaritos’ Fähigkeiten im Gebrauch des Punischen beruhte sein Einfluß auf die Ereignisse auch darauf, daß andere Söldner, die seine Ansichten nicht teilten, das Punische nicht aktiv gebrauchen konnten und so in der Versammlung kein Gehör fanden bzw. nicht verstanden wurden – schon das Punische beherrschten nicht alle Söldner, umso weniger die vielen anderen Sprachen, die im karthagischen Söldnerheer gesprochen wurden (Polybios I.80.8 f., vgl. I.69.12; I.67.2–9). Während das Beispiel des Autaritos also zeigt, daß ein Söldner(führer) Zugang zur Sprache seiner Dienstherren finden konnte, ist zugleich deutlich, daß dieser Zugang keineswegs vollkommen sein mußte. Es muß weiter Raum für Mißverständnisse aller Art vorhanden gewesen sein. Dies macht es zusammen mit den großen Ähnlichkeiten zwischen Vanth, den Furien, Erinyen, Harpyien, Keren und Sirenen ab der hellenistischen Zeit sehr wahrscheinlich, daß ein barbarischer Söldner diese Wesen noch weniger hätte unterscheiden können als ein Etrusker, Grieche oder Römer. In Anbetracht der Vielzahl von Charakterzügen, die diese Wesen miteinander teilen, wären sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch für einen vergleichsweise gut informierten barbarischen Söldner zu einer einzigen Klasse von Wesen zusammengefallen, ohne daß die feinen Unterschiede zwischen den einzelnen Unterklassen für ihn noch erkennbar gewesen wären. Sobald die Unterschiede zwischen den einzelnen mediterranen Todesdämoninnen jedoch verschwimmen und sie zu einem einzigen Typus zusammenfallen, stellen sie eine Grundlage dar, mit der die Charaktere der Walküren und der Bodbs problemlos verbunden werden könnten. Falls ein barbarischer Söldner Vanth, die Furien, Erinyen, Keren, Harpyien und Sirenen als ein einziges Ganzes betrachtete (wie die Antike selbst es ja beinahe tat), könnte diese Gruppe von Wesen als ganze seine Vorstellung davon geprägt haben, wie Dämoninnen des Todes beschaffen sind; und in dieser Gruppe von Wesen als ganzer sind alle Züge reich belegt, die auch den Grundcharakter der Walküren und der Bodbs konstituieren. Angeregt durch die Präsenz dieser Wesen in der Ikonographie des öffentlichen Raums, könnte die ständige Nähe des Todes, die der Beruf des Söldners mit verfehltem] Vorschlag, in den Grabsirenen Harpyien zu sehen, s. o. S. 417 f. mit Anm. 1470). Man vgl. auch die Diskussion darum, ob auf dem Harpyienmonument in Xanthos Sirenen oder Harpyien dargestellt sind (siehe oben ibidem).
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sich bringt, das persönliche Interesse eines barbarischen Kriegers an solchen Gestalten des Jenseits geweckt und lebendig gehalten haben.1720 Dieser Typus von Wesen könnte ein Teil seiner religiösen Weltsicht geworden und mit den Söldnern, die nach dem Ende ihres Dienstes wieder nach Hause zogen, ins Barbaricum gelangt sein. Daß die Rezeption klassischer Vorstellungen über das Schicksal nach dem Tod im Milieu barbarischer Söldnertruppen attraktiv war, ist dabei nicht nur in Anbetracht der unmittelbaren Relevanz solcher Vorstellungen für die Lebensweise von Söldnern grundsätzlich plausibel, sondern in der römischen Kaiserzeit auch konkret archäologisch nachweisbar: So zeichnet sich in Mitteldeutschland und Dänemark gegen 300 n. Chr. eine Gruppe von reich (insbesondere mit Importen aus dem römischen Imperium) ausgestatteten Elitengräbern dadurch aus, daß dem unverbrannt bestatteten Toten eine römische Münze oder ein geeignetes Ersatzobjekt (Goldplättchen, Fingerring) in den Mund gelegt wurde. Dieser Brauch, dem Leichnam einen Charonspfennig in den Mund zu legen, ist in der Germania magna nur hier bezeugt und dürfte mit der Anwerbung germanischer Söldner durch das gallische Sonderreich in der 2. Hälfte des 3. Jh. n. Chr. zu verbinden sein.1721 Falls man die Walküren und die Bodbs mit dem weitgehenden Verschmelzen der verschiedenen mediterranen Todesdämoninnen zur Zeit der hellenistischen Söldnerheere verbindet, wirft dies Fragen zur Chronologie der barbarischen Figuren auf. Der erste griechische Kriegsherr, der in großem Stil keltische Söldner anheuerte, scheint Dionysios I. von Syrakus in seiner Kampagne von 369/8 v. Chr. gewesen zu sein. Folgt man einem Szenario, das das hellenistische Söldnertum als Vermittler der erotisch-vampirischen Todesdämoninnen sieht, dann stellt dies den frühestmöglichen Zeitpunkt dar, zu dem solche Vorstellungen ins Barbaricum gelangt sein könnten. Dies könnte es problematisch erscheinen lassen, diesen Vermittlungsweg mit den ersten möglichen Zeugnissen für entsprechende religiöse Praktiken im Celticum zu vereinbaren; denn schon im 3. Jh. v. Chr. könnten entsprechende Rituale im ‚Heroon‘ von Ribemont-sur-Ancre oder im Verhalten der Kelten nach der Niederlage bei den Thermopylen bezeugt sein, als sie ihre Gefallenen nicht bestatteten. Unmöglich schiene allerdings auch dies nicht; denn innerhalb mobiler Soldateneinheiten scheint die Ausbrei1720
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Vgl. die Beobachtung eines amerikanischen Militärkaplans in Korea in den 1960er Jahren, daß religiöse Kulte in der Atmosphäre der amerikanischen Militärlager aufblühten: „Soldiers who had not closely identified with churches at home became, in alien territory, religious to the point of stealing government property to build chapels.“ (Helgeland 1978 S. 1472.) Steuer 2002 S. 503 f.
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tung kriegerischer Gottheiten mitunter sehr schnell von Statten gehen zu können. Ein Beispiel hierfür stellt der Kult des Juppiter Dolichenus dar, einer der erfolgreichsten orientalischen Kulte im römischen Heer. Der ursprüngliche Kultort dieses Gottes ist der Ort Doliche in Kleinasien, von wo sich sein Kult nach der Unterwerfung Doliches unter römische Herrschaft (wohl 31 v. oder 17 n. Chr.)1722 im römischen Reich und insbesondere in der Armee ausbreitete.1723 Die älteste bekannte Weihung an Juppiter Dolichenus außerhalb seines Herkunftslands stammt aus Lambaesis in Afrika; es handelt sich um eine Bauinschrift eines Tempels, den ein Legionskommandant dem Gott in den Jahren 125/126 n. Chr. geweiht hat.1724 Kaum eine Generation später trifft man seinen Kult bereits am gegenüberliegenden Ende des Imperiums an, am Hadrianswall: Dort läßt sich ein Weihestein aus dem Kastell Condercum (heute Benwell) in die Jahre 139–161 n. Chr. datieren.1725 Natürlich lassen sich die Bedingungen für die Ausbreitung neuer Kulte im römischen Heer nicht einfach mit denen innerhalb barbarischer Söldnerkontingente und ihrer Herkunftsvölker gleichsetzen. Der numismatische Befund und die Vielzahl der historischen Quellen für den keltischen Söldnerdienst weisen jedoch auf eine erstaunliche Mobilität solcher wandernder Kriegertruppen hin. Entsprechend ist auch eine sehr schnelle Ausbreitung mediterraner Einflüsse in diesem Milieu nicht auszuschließen. Zugleich ist allerdings auch zu bedenken, daß es sich bei Ribemont und Pausanias’ Bericht über die Ereignisse bei den Thermopylen zwar um mögliche, aber mitnichten um sichere Belege für den Komplex der vampirischerotischen Todesdämoninnen handelt. Gerade Pausanias’ Bericht muß keineswegs zwingend im Sinne eines ‚Rituals der Aussetzung‘ gedeutet werden: Daß die keltischen Plünderer ihre Gefallenen nicht bestatteten, wird ausschließlich für die Schlacht bei den Thermopylen berichtet – und diese Schlacht endete mit der Niederlage der Kelten. Es mag gut sein, daß hier kein weithin isolierter Beleg für die Vorstellung verschlingender Todesdämoninnen vorliegt, sondern daß weit prosaischer den Galliern der griechische Brauch unbekannt war, nach einer Schlacht die Kampfhandlungen zur Bestattung der Toten ruhen zu lassen. Andere frühe Belege für eine keltische Aasvogeldämonin haben sich als ähnlich problematisch erwiesen. Allein der Befund von Ribemont-sur-Ancre stellt einen schlüssigen frühen Beleg für ein Ritual einer Exkarnation durch Vögel in einem Kriegskontext dar, wobei hier jedoch gerade die Einzigartigkeit dieses Befundes vor 1722 1723 1724 1725
Vollkommer 1997 Bd. 8.2 S. 478. Speidel 1978 S. 1, vgl. S. 76 f. Speidel 1978 S. 4. RIB (Collingwood und Wright 1995) Nr. 1330 (S. 440 f.); Birley 1978 S. 1519.
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einer allzu zuversichtlichen Annahme religionsgeschichtlicher Kontinuitäten nach Irland oder Spanien zu warnen scheint. Zudem erinnert der Befund zwar in schlagender Weise an die ‚Türme des Schweigens‘ der iranischen Welt, aber gerade diese auffallende Parallele ruft zugleich mit ins Gedächtnis, daß eine Exkarnation durch Vögel per se noch keine enge Parallele zur irischen Bodb oder dem keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ darstellt, da allgemeine Exkarnationsrituale auch in religionsgeschichtlich unabhängigen Situationen gut bezeugt sind. Signifikanz erhält der Befund erst durch die Verbindung der Exkarnation durch Vögel mit einem Kriegskontext; jedoch geht aus dem archäologischen Befund von Ribemont nicht hervor, ob die Exkarnation im ‚Heroon‘ per se oder nur aufgrund der Verbindung des ‚Heroons‘ mit dem Gesamtkomplex von Ribemont in einem Kriegskontext steht – das heißt, ob die dort allem Anschein nach praktizierten Exkarnationsrituale grundsätzlich ein Privileg gefallener Krieger waren, oder ob es sich um allgemeine Exkarnationsrituale handelte, die in Ribemont nur deshalb gerade an gefallenen Kriegern vollzogen wurden, weil der Komplex von Ribemont gerade (und ausschließlich) diese Art von Toten aufweist. Trotz der beeindruckenden Funde von Ribemont findet sich der früheste wirklich verläßliche Hinweis auf den Komplex der kriegerverschlingenden heiligen/dämonischen Aasvögel im Celticum daher erst im keltiberischen Bereich, wo das ‚Ritual der Aussetzung‘ möglicherweise in Verbindung mit der Zerstörung Numantias durch Scipio (133 v. Chr.) angedeutet wird und vielleich in der keltischen Ethnographie des Poseidonios (ca. 135 bis 51 v. Chr.) beschrieben wurde, die den erhaltenen Berichten bei Silius Italicus und Aelian zugrunde liegen mag. In Anbetracht der Probleme der Bewertung der vorhandenen Quellen muß es somit dem individuellen Ermessen überlassen bleiben, ob man den Komplex der heiligen/dämonischen Aasvögel im Celticum bereits wärend der Blütezeit oder – mit einer vorsichtigeren Deutung des Materials – erst am Ende der Zeit des keltischen Söldnerwesens im Mittelmeerraum bezeugt sehen will. Für die Frage des Vermittlungswegs ist dabei vor allem wichtig, daß die möglichen Belege für den Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen im Barbaricum während der Blütezeit des hellenistischen Söldnerwesens weder gesichert noch – falls man sie akzeptieren will – mit diesem Söldnerwesen als Vermittlungsweg unvereinbar sind. Falls man das ‚Ritual der Aussetzung‘ als eine rituelle Entsprechung zur Bodb wertet, stellt sich die Frage nach dem historischen Hintergrund der Verbindung zwischen diesen beiden Phänomenen des keltischen Hispanien und des frühen Irland. Falls die keltische Vorstellung erst in spätklassischer oder hellenistischer Zeit entstanden bzw. ins Celticum gelangt ist, kann kein gemeinsames urkeltisches Erbe vorliegen. Daß Keltiberer den Aquitanern
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gegen Caesars Eroberung Galliens Militärhilfe leisteten, illustriert jedoch, daß auch über die Pyrenäen hinweg enge Beziehungen mit einem Austausch von Kriegern bestanden. Die Anwerbung der Gaesaten durch die Boier und Insubrer in ihrem Kampf gegen Rom im 3. Jh. v. Chr. zeigt dabei, daß solche innerkeltische Militärhilfe nicht erst ein Phänomen der Zeit Caesars war. Und bedenkt man sowohl die keltiberische Militärhilfe für die Aquitaner als auch die erwähnten numismatischen Hinweise auf skordiskische Krieger in parisischem Sold, so scheint die Reichweite durch mobile Kriegertruppen vermittelter Kontakte gar von Spanien bis zum Balkan zu reichen. Innerkeltischer ‚Söldnerdienst‘ könnte den Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen also ebenso innerhalb des Celticums verbreitet haben, wie eine Entlehnung dieses Komplexes aus der Mittelmeerwelt durch den keltischen Söldnerdienst bei (groß-)griechischen Herrschern möglich scheint. Die Weitervermittlung der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen in den germanischen Bereich wäre auf demselben Weg denkbar: Das Beispiel der Bastarnen und des Ariovist illustriert, daß auch germanische Krieger als Söldner fungieren konnten – auch im Dienst keltischer Stämme. Dabei ist vielleicht relevant, daß die drei möglichen inschriftlichen Belege für eine Frühform der Bodb in Gallien sämtlich aus dem Osten Galliens (Herbitzheim, Quincey, Mieussy) und damit aus Regionen in vergleichsweise großer Nähe zur Germania stammen.1726 Die Söldnertätigkeit keltischer und germanischer Völker in der Mittelmeerwelt und innerhalb des Barbaricums stellt somit nicht nur einen möglichen Mechanismus der Vermittlung der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen zwischen Mittelmeerraum und Barbaricum dar, sondern könnte auch die Ausbreitung solcher Vorstellungen innerhalb des Barbaricums erklären. 1726
Schon Lottner 1870 S. 56 f. schlug die keltisch-germanische Kontaktzone am Rhein als Lokalisierung der Kulturkontakte vor, auf die er die Ähnlichkeiten zwischen Walküren und irischen Schlachtfelddämoninnen zurückführte. Auch in dieser Region bieten sich zu viele Möglichkeiten der Vermittlung, als daß es nötig oder gewinnbringend wäre, eine umfassende Zusammenstellung vorzulegen; es sei – um ein Beispiel aus dem militärischen Bereich zu wählen – nur etwa an die Kimbernzüge erinnert, die bis nach Spanien und Norditalien reichten, und nach denen es auch zu einem gewissen Rückstrom nach Dänemark gekommen sein könnte (vgl. etwa Sills 2003 S. 119, 316–320, 341–345; Birkhan 1997 S. 126–129, 341, 383; u. a. der numismatische Befund scheint darauf hinzudeuten, daß sich derartige Ereignisse des öfteren wiederholt haben: Sills 2003 S. 104–106, 117–120, 123 f., 207, 222–224, 316, 341). Auch ansonsten sind Kontakte reich bezeugt; Birkhan (1997 S. 385) spricht gar von einer „seit der Späthallstattzeit wirkende[n] ‚keltische[n] Mode‘ bei den Germanen“. Auch Kontakte der Rhein-Region mit dem inselkeltischen Bereich sind belegt: So gilt ein in Clonmacnoise gefundener Torques des 3. Jh. v. Chr. als Import aus dem Rheinland (Birkhan 1997 S. 422).
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Söldnerdienst als Vermittlungsweg könnte zugleich die Ursache für die Martialisierung der barbarischen Todesdämoninnen und für ihre Einbettung in rein männliche Kontexte sein. Problematisch bleibt auf den ersten Blick nur die Bewertung ihrer Aristokratisierung. Falls ihr aristokratischer Charakter nicht ohnehin nur auf einer Verzerrung durch das Quellenmaterial beruht, das sich gerade für den aristokratischen Helden und nicht für den einfachen Soldaten interessiert, läßt sich die barbarische Aristokratisierung der Todesdämoninnen jedoch vielleicht mit der Befehlsstruktur von Söldnertruppen in Verbindung bringen. Polybios (I.67.10 f.) berichtet über das karthagische Söldnerheer kurz vor Ausbruch des Söldnerkriegs, daß die Kommunikation mit den einzelnen Einheiten nur über deren Offiziere möglich war, die allem Anschein nach oftmals als einzige sowohl das Punische als auch die jeweilige Sprache ihrer Einheit beherrschten. Dabei bemerkt Polybios zudem, daß selbst diese nicht alles verstanden, was man ihnen sagte; dies zeigt, daß die Führer der einzelnen Söldnerkontingente zu denselben Völkern gehörten wie ihre Männer. Der erwähnte keltische Söldnerführer Autaritos ist ein Beispiel für diese Personengruppe: Als Anführer seiner Einheit beherrschte er sowohl das Keltische als auch das Punische, wobei seine gute Sprachbeherrschung ausdrücklich eine Ausnahme darstellte. Nicht nur die Übermittlung von Befehlen, sondern auch die Vermittlung der Kultur der Dienstherren mußte zwangsläufig über solche Männer erfolgen. In der betont engen Beziehung der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen des Barbaricums zu aristokratischen Helden mag sich somit die Rolle des keltischen oder germanischen Söldnerführers widerspiegeln, der für seine Truppe nicht nur den militärischen Befehlshaber, sondern gegebenenfalls auch den kulturellen Vermittler darstellt, der als erster mit neuen religiösen Vorstellungen vertraut wird.1727 Nähme man an, daß die Ursache der Ähnlichkeiten zwischen den barbarischen und den mediterranen Todesdämoninnen nicht in der Entlehnung einer spezifischen Einzelgestalt, sondern des mediterranen Typus zu finden ist, so ergäbe sich daraus auch eine zwanglose Erklärung dafür, warum nur der Charakter der Dämonen, nicht aber ein mediterraner Name entlehnt worden wäre. Der mediterrane Typus von Todesdämoninnen tritt uns nicht
1727
Vgl. Birley 1978 S. 1518 f. und von Domaszewski 1895 S. 58 f. zur Bedeutung hochrangiger römischer Offiziere für die Ausbreitung orientalischer Kulte im römischen Reich: Solche Männer bewegten sich während ihrer Dienstzeit in allen Teilen des Reiches und konnten so einen Kulturtransfer zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil des Imperiums bewirken. Die Führer der barbarischen Söldnertruppen der Mittelmeerwelt könnten eine ähnliche Verbindung zwischen Norden und Süden hergestellt haben.
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nur in einer Vielzahl verschiedener Klassen entgegen (Vanth, Sirenen, Furien, …), sondern die einzelnen Mitglieder dieser Klassen können zudem auch noch unter individuellen Namen auftreten (Himeropa, Parthenope, Allecto, Tisiphone, Celaeno, …). Für einen Außenstehenden, für den die Feinheiten der mediterranen Klassifizierung nur schwer faßbar gewesen wären, könnte diese Vielzahl von Namen zu einer völlig Verwirrung über die richtige Bezeichnung des mediterranen Typs von Todesdämoninnen geführt haben. Es könnte für ihn daher nahegelegen haben, diese Wesen nicht unter einem der vielen mediterranen Namen, sondern unter einer beschreibenden Bezeichnung zusammenzufassen. Gerade dies ist aber, was im Barbaricum der Fall zu sein scheint, soweit sich die Dämonennamen deuten lassen: Der Begriff valkyrjur ist eine sprechende Bezeichnung, die nur den Tätigkeitsbereich der Gestalten als „Wählerinnen der Schlachtentoten“ umschreibt. Die Bodb leitet sich (rein sprachlich) von einem urkeltischen *bodu a- her, das wohl „Kampf“ bedeutete – die Bodb ist die „Kampf[dämonin]“. Die Morrígain ist als „Königin des Todes“ oder als „Gespensterkönigin“ zu deuten – letzteres ist eine Auffassung der Figur, die im Mittelmeerraum ihr genaues Gegenstück findet, wenn Statius die Furie Tisiphone als „Königin des unterweltlichen Abgrunds“ (Tartarei regina barathri) und „Herrin“ (domina) der Schatten der Toten bezeichnet (Thebais I,85; I,93 f.).1728 So viel jedoch dafür spricht, die barbarisch-mediterranen Parallelen gegebenenfalls mit dem Dienst keltischer Söldner in großgriechischen und hellenistischen Heeren zu verbinden – auch diese Theorie wäre nicht gänzlich ohne Probleme. Denn sie wirft die Frage nach der Stellung des Motivs des Verschlingens der Leichen auf: Im hellenistischen Mittelmeerraum handelt es sich hierbei um ein vor allem literarisches Motiv ohne jegliche Umsetzung in der religiösen Praxis (einschließlich der Grabkunst). Im keltiberischen ‚Ritual der Aussetzung‘ hingegen stellt das Verschlingen das wesentlichste Element einer bedeutenden religiösen Handlung dar. Konnte ein literarisches Motiv von einem barbarischen Söldner so sehr mißverstanden werden, daß es schließlich bei zumindest einem keltischen Stamm in einem religiösen Ritual umgesetzt und zu einem Teil intensiv gelebter Religion wurde? Dies scheint auf den ersten Blick zwar problematisch, ist letztlich aber keineswegs auszuschließen; denn eine solche Rezeption könnte auf verschiedene Weisen zustandegekommen sein: Etwa könnte die Vogel˘
1728
Diese Herrin ist freilich eine Tyrannin: Die Schatten fürchten sie. Siehe oben Anm. 1124. Zur Identifizierung der „Königin“ mit Tisiphone (und nicht Persephone) vgl. Thebais I,58 f.
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affinität der mediterranen Todesdämoninnen nach ihrer Einschränkung auf die Lebenswelt des Söldners – das Schlachtfeld – als eine Aasvogelaffinität umgedeutet worden sein; die Vögel des Schlachtfelds sind eben die Aasvögel. Eine solche Entwicklung könnte sogar weitgehend unabhängig von mediterranen Vorstellungen vonstatten gegangen sein. Eine Annahme solcher unabhängiger Parallelentwicklungen wäre jedoch keineswegs zwingend notwendig, da das Motiv des Verschlingens durch Dämoninnen dem Mittelmeerraum ja bekannt und häufig belegt ist. Dies macht es wahrscheinlicher, daß das mediterrane literarische Motiv des Verschlingens etwa durch eine Umdeutung der Vogelaffinität im Kontext des Schlachtentodes als Aasvogelaffinität nur verstärkt und weiter ins Zentrum des dämonischen Charakters gerückt worden sein könnte. Dabei mag auch von Interesse sein, daß von der Forschung wiederholt das Fehlen von Bestattungen in verschiedenen keltischen Regionen hervorgehoben worden ist;1729 falls dem ein Praktizieren von Exkarnationsritualen zugrunde lag, wie sie etwa für die Parsen und in Tibet ethnographisch bezeugt sind, könnte die mediterrane Verbindung von Tod, Verschlingen und Flügeldämonin bei den entsprechenden Stämmen auf sehr fruchtbaren Boden gefallen sein, und derartige einheimische Rituale könnten einen Ausgangpunkt für eine schnelle und weitreichende Rezeption mediterraner Vorstellungen gebildet haben. Zudem hat das Motiv des Verschlingens im Hellenismus zwar eine vor allem literarische Existenz, es erscheint innerhalb dieses literarischen Rahmens jedoch an sehr prominenter Stelle – in Verbindung mit Odysseus, bei Aischylos und Hesiod (die zwar in einer älteren Epoche wirkten, deren Werke jedoch auch in der späteren Zeit als Klassiker noch präsent waren). Konnte ein keltischer Söldner(hauptmann) auch mit guter Kenntnis des Griechischen jemals genau bestimmen, was noch geglaubte Dämonologie und was nur noch Literatur war? Es ist durchaus fraglich. Hinzu kommt, daß zwar eine eindeutige religiöse Umsetzung des Motivs des Verschlingens im hellenistischen Mittelmeerraum fehlt, daß aber das Verschlingen von Seeleuten durch Sirenen auch von Teilen der gebildeten Schicht für eine reale Gefahr gehalten wurde, wie noch in der Kaiserzeit aus Plinius hervorgeht, wenn er es in seiner Naturgeschichte für nötig hält, solche Vorstellungen ausdrücklich zurückzuweisen. Gerade mit dieser Art von Aberglauben könnten reisende Fremde jedoch besonders einfach in Berührung gekommen sein. Ferner ist das Motiv des Geierdämons in Etrurien belegt, auch wenn diese Gestalten nirgends beim Akt des Verschlinges dargestellt wer-
1729
Siehe oben S. 213 und Anm. 783. Hier mag sich auch das ‚Heroon‘ von Ribemont in das Gesamtbild einfügen.
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den; vom Geierdämon zum Verschlingen durch den Geierdämon ist es aber nur ein sehr kleiner Schritt. Eine Herleitung des Motivs des Verschlingens aus dem hellenistischen Material setzt also zwar vermutlich ein Mißverständnis der zeitgenössischen Religiosität durch einen keltischen Söldner voraus, aber doch eines, das ihm von Vorstellungen, Dichtungen und Theaterstücken nahegelegt worden sein könnte, die in der hellenistischen Epoche zwar vielleicht keine eigentlich religiöse Stellung mehr behaupten konnten, die aber immer noch präsent und wirkungsvoll waren. Auch das Motiv des Verschlingens spräche also letztlich nicht gegen eine Lokalisierung der hypothetischen Vermittlung der erotisch-vampirischen Todesdämoninnen im Milieu keltischer Söldner im Dienst großgriechischer und hellenistischer Herrscher. Wollte man das Verschlingen als Element gelebter keltischer Religiosität hingegen ausschließlich aus gelebter mediterraner Religiosität herleiten, so müßte man eine Entlehnung in früherer Zeit annehmen, in der die Vorstellung der verschlingenden Dämonin noch weitverbreiteter und gelebter Glaube gewesen sein könnte (ohne daß hierfür jedoch ein schlüssiger Nachweis möglich wäre). Da enge Kulturkontakte zwischen Mittelmeerwelt und Barbaricum auch in früheren Epochen gut bezeugt sind, wäre auch ein solches Modell – falls man sein stark spekulatives Element nicht grundsätzlich ablehnt – nicht auszuschließen.1730 Letztlich verhilft somit auch die systematische Martialisierung, Aristokratisierung und Fokussierung auf eine männliche Lebenswelt, durch die sich die vampirisch-erotischen Todesdämoninnen des Barbaricums von denen des Mittelmeerraums unterscheiden, nicht zu einer eindeutigen Bestimmung des hypothetischen Vermittlungswegs. Zwar lassen sich Vermutungen zur Art des Milieus anstellen, in dem ein solcher Motivkomplex ideale Bedingungen für eine Vermittlung ins Barbaricum vorgefunden haben könnte, aber entsprechende Voraussetzungen sind in der frühen europäischen Geschichte mehrfach zu finden – spätestens von der Bronzezeit an bis zum Erscheinen der ersten verläßlichen Belege für die vampirisch1730
Ehe man eine einzige gemeinsame prähistorische Wurzel der nordwesteuropäischen und mediterranen Gestalten zu (re-?)konstruieren versucht, vgl. jedoch auch die methodologischen Beobachtungen von Heizmann 1998 S. 95 f. zur „Feststellung einer charakteristischen Verknüpfung von Motiven, die man vielleicht auch Strukturschema nennen könnte, die hinreichend differenziert und spezifiziert erscheint, so daß die Frage nach einem topographischen und zeitlichen Entstehungsbereich jedenfalls nicht illegitim erscheint“ gegenüber der „romantischen Sehnsucht nach dem Ursprünglichen“, die dazu verführen kann, in übertrieben spekulativer Weise hinter der Vielfalt der bezeugten Phänomene „ein konsistentes Grundmodell ausfindig machen zu wollen, einen Urmythos, aus dem alle anderen sich gleichsam stemmatisch ableiten ließen.“
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erotischen Todesdämoninnen im Barbaricum am Beginn der römischen Herrschaft über das keltische Hispanien wäre prinzipiell eine Vielzahl von Vermittlungswegen denkbar: Die von Kristiansen und Larsson rekonstruierten Kulturkontakte durch reisende Kriegeraristokraten der Bronzezeit stellen hier ebenso eine Möglichkeit dar wie die mediterranen Verbindungen der Hallstatt-Eliten (man erinnere sich an die Lehmziegelstadtmauer der Heuneburg), der Handel der La Tène-Fürsten mit den Etruskern, die keltische Südexpansion ab dem Übergang vom 5. zum 4. Jh. v. Chr. (und infolgedessen vielleicht gerade der gemeinsame Kampf von Etruskern und norditalischen Kelten gegen das aufsteigende Rom) oder der barbarische Söldnerdienst, der im klassischen Mittelmeerraum von 369/8 v. Chr. an reich belegt ist, als Dionysios I. von Syrakus ein Kontingent keltischer Söldner nach Griechenland einschiffte, und der während der gesamten hellenistischen Zeit ein wichtiges Element mediterraner Rekrutierungspolitik darstellte. Das Ende dieses barbarischen Söldnerwesens durch den Aufstieg Roms fällt dabei in etwa mit dem terminus ante quem für die hypothetische Entlehnung der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen ins Barbaricum zusammen, der in Anbetracht des hispanischen Befunds wohl vor der Mitte des 2. Jh. v. Chr. anzusetzen ist.1731 Vor diesem terminus ante quem bieten sich unter den genannten Möglichkeiten insbesondere zwei als Vermittlungswege für die vampirisch-erotischen Todesdämoninnen an, da sie die Verbreitung des Motivkomplexes und die Martialisierung, die Fokussierung auf eine männliche Lebenswelt und ggf. die Aristokratisierung dieser Dämoninnen besonders einfach erklären können: Zum einen die von Kristiansen und Larsson postulierten Netzwerke reisender Kriegeraristokraten in der Bronzezeit, und zum anderen der barbarische Söldnerdienst zur Zeit der Spätklassik und des Hellenismus. Davon scheint die letztere Möglichkeit die geringste Zahl von Hilfshypothesen zu erfordern und dürfte daher die ökonomischste Erklärung der Verbreitung, des spezifischen Charakters und der sozialen Einbettung des Vorstellungskomplexes darstellen. Eine eindeutige empirische Entscheidung zwischen diesen und den weiteren genannten Möglichkeiten läßt sich in Anbetracht der Materiallage jedoch nicht treffen. Somit lassen sich folgende allgemeine Beobachtungen festhalten: Die Ähnlichkeiten zwischen einigen Todesdämoninnen des frühen Europa sind so groß und zugleich so spezifisch, und die Belege sind geographisch so dicht verteilt, daß dies in Anbetracht der vielfältigen Kontakte zwischen den entsprechenden Kulturen vielleicht auf eine historische Verbindung
1731
Siehe oben S. 512 f.
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zwischen diesen Gestalten hindeuten könnte. Die Frage nach der genauen Art dieser hypothetischen Verbindung – insbesondere die Frage, ob ihr die Entlehnung einer spezifischen Einzelgestalt oder die eines Typus zugrundeliegt – läßt sich nicht eindeutig beantworten. Es dürfte allerdings wichtig sein, daß die barbarischen und mediterranen Gestalten nicht Züge teilen, die nur für je eine Gestalt charakteristisch wären, sondern daß vielmehr die von Nord und Süd geteilten Züge auch jeweils innerhalb des Barbaricums und des Mittelmeerraums über eine ganze Gruppe von Gestalten verbreitet sind, die sich weder gegenseitig einfach zu kopieren, noch voneinander unabhängig zu sein scheinen. Gemeinsam sind beiden Kulturräumen nicht so sehr individuelle Figuren als vielmehr gleiche Grundauffassungen davon, welche fundamentalen Züge Todesdämoninnen auszeichnen. Innerhalb dieser Grundauffassungen können diese Gestalten erhebliche Variationen zeigen, je nach dem, welche Züge im jeweiligen Kontext ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Die Beobachtung der Martialisierung, der Fokussierung auf eine männliche Lebenswelt und der (wahrscheinlichen) Aristokratisierung der Todesdämoninnen des Barbaricums legt dabei nahe, daß das Milieu, in dem sich gegebenfalls die zugrundeliegenden Kulturkontakte abgespielt haben könnten, einen stark kriegerischen, maskulinen und aristokratischen Charakter hatte. Der paneuropäische Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen könnte damit möglicherweise ein Indiz für eine Epoche der europäischen Religionsgeschichte darstellen, die sich vielleicht geradezu als religionshistorisches ‚heroisches Zeitalter‘ bezeichnen ließe: Eine Epoche, in der es zu umfassenden Religionskontakten kommen konnte, die durch eine (aristokratische) Kriegerschicht vermittelt worden zu sein scheinen. Festzuhalten wäre hier insbesondere, wie eng dieses Phänomen die Religionsgeschichte Nordwesteuropas an die Religionsgeschichte des Mittelmeerraums anbinden würde. Zumindest für den Komplex der vampirisch-erotischen Todesdämoninnen schiene eine gesamteuropäische Perspektive auf die Religionsgeschichte der europäischen Einzelkulturen angebracht. Die verschiedenen ethnischen Religionen des frühen Europa könnten hier so eng verbunden sein, daß es beinahe sinnvoller scheinen könnte, diesen Aspekt als Thema einer paneuropäischen Religionsgeschichte denn als bloßes Element einer vermeintlich isolierten Einzelreligion zu behandeln.1732 Inwieweit sich eine solche Perspektive
1732
Gegen die Vernachlässigung des europäischen Kontexts der nordischen Religionsgeschichte habe ich mich schon an anderer Stelle ausführlich ausgesprochen (Egeler 2009 [Perspektiven], besonders S. 432–434, 452). Am plakativsten ist die Haltung, gegen die ich mich hier wenden will, in den letzten Jahren im Bereich der nordwesteu-
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auch auf andere Themen der nordwesteuropäischen Religionsgeschichte gewinnbringend anwenden ließe, wird nur die weitere Forschung erweisen können. Die Betrachtung der frühen europäischen Todesdämoninnen hofft gezeigt zu haben, daß der Versuch einer paneuropäischen Perspektive auf die barbarische Religionsgeschichte zu Ergebnissen führen könnte, die dieser Mühe wert sind. Die vorliegende Arbeit schließt somit mit der These, daß die Walküren und die Bodbs möglicherweise historisch mit übernatürlichen Gestalten des Mittelmeerraums zu verbinden sein könnten und damit die Berechtigung einer paneuropäischen Perspektive auf die nordwesteuropäische Religionsgeschichte nahelegen. Es sei nur noch am Rande hinzugefügt, daß sich eine solche Perspektive nicht nur auf die Wahrnehmung der europäischen Religionsgeschichte und insbesondere des Verhältnisses zwischen barbarischer und mediterraner Religionsgeschichte auswirken würde, sondern auch wichtige Implikationen für die Betrachtung der barbarischen Gestalten selbst hätte. Die religionsgeschichtliche Überlieferung Nordwesteuropas ist spät, lückenhaft und chronologisch uneinheitlich. Sie weist Züge auf, die vielfach Verständnisschwierigkeiten bereiten, (zumindest auf den ersten Blick) widersprüchlich sind und häufig der Interpretation des Forschers erheblichen Raum lassen. In Anbetracht einer solchen Quellenlage scheint es angebracht, die religionsgeschichtliche Plausibilität verschiedener Deutungen jeweils am Vergleich mit ähnlichen, in anderen Kulturen historisch bezeugten Gestalten zu überprüfen.1733 Wer eine sehr kritische Perspektive auf die Überlieferungslage einnimmt, mag die These eines historischen Zusammenhangs zwischen Walküren, Bodbs und mediterranen Dämoninnen nach wie vor ablehnen; doch hoffe ich, auch dem Skeptiker glaubhaft gemacht zu haben, daß die Walküren und die Bodbs erhebliche Ähnlichkeiten zueinander und zu mediterranen Gestalten aufweisen. Die Deutung der nordwesteuropäischen Dämoninnen sollte diese Parallelen unabhängig von der Bewertung der These eines historischen Zusammenhangs in jedem Fall als zumindest typologische Parallelen berücksichtigen. Für den, der die These der Möglichkeit mediterraner Wurzeln der nordwesteuropäischen
1733
ropäischen Religionsgeschichte wohl von Herbert (1996 S. 141) formuliert worden, wenn sie bezüglich des Studiums der irischen Religionsgeschichte (spezifisch mit Bezug auf die Morrígain) den Anspruch erhebt, die irische Textüberlieferung „constitutes a comprehensive and coherent body of data which is to be scrutinized within its own cultural context, without the introduction of external comparanda.“ Vgl. in diesem Sinne die methodologischen Postulate von Marco Simón 1998 (Religion) S. 8 f. zum Studium der Religionsgeschichte des indogermanischen Hispanien, oder Maier 2001 (Religion) S. 50–52 zum Studium der keltischen Religionsgeschichte.
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Schlachtfeld- und Todesdämoninnen ablehnt, hofft das vorliegende Werk in diesem Sinne zumindest als bescheidene Zusammenstellung solchen typologischen Vergleichsmaterials von Nutzen zu sein.1734
1734
Auf eine ausführliche Darlegung konkreter Konsequenzen eines solchen Zugangs für die Deutung der Walküren kann ich an dieser Stelle verzichten, da ich meine entsprechenden Gedanken bereits an anderem Ort vorgetragen habe: Egeler 2009 (Perspektiven).
Bibliographie
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Abbildungsnachweise
Abbildungsnachweise Fig. 1: Eigene Photographie mit Genehmigung des Museums. Gotland, Bunge Museum. – Fig. 2: Eigene Photographie mit Genehmigung des Museums. Visby, Gotlands Fornsal. – Fig. 3: Umzeichnung von Katharina Streit nach Birkhan 1999 S. 280 Abb. 459 und Goudie 1881 S. 201 Fig. 1. National Museums Scotland, X.IB 46. – Fig. 4: Nach García Merino 1992 Fig. 1,2 und 1,4 (S. 863). Madrid, Museo Arqueológico Nacional, Inv.-Nr. 24 647. – Fig. 5: Nach Giglioli 1935 Tafel 266.1. Rom, Villa Albani. – Fig. 6: Nach Instituto di Corrispondenza Archeologica 1879–1883 Tafeln 4 und 5. Orvieto, Museo Claudio Faina, Inv.-Nr. 2645 bis 2647. – Fig. 7: Umzeichnung von Katharina Streit nach Cappelletti und Roncalli 1992 S. 185 und Instituto di Corrispondenza Archeologica 1879–1883 Tafel 5. Orvieto, Museo Claudio Faina, Inv.-Nr. 2645. – Fig. 8: Umzeichnung von Katharina Streit nach Cappelletti und Roncalli 1992 S. 190 und Instituto di Corrispondenza Archeologica 1879–1883 Tafel 5. Orvieto, Museo Claudio Faina, Inv.-Nr. 2647. – Fig. 9: © Deutsches Archäologisches Institut, Rom. Schwanke, Neg. D-DAI-Rom 1 1982.0565. In situ. – Fig. 10: Eigene Photographie mit Genehmigung der Museumsleitung. Chiusi, Museo Archeologico Nazionale 62 775 (alte Inv-Nr.: 169A). – Fig. 11: Nach Bates 1911 S. 462 Abb. 2. Philadelphia, Univ. Mus. M S 5444. – Fig. 12: Nach Bates 1911 Fig. 1 S. 460. Paris, Louvre K 710. – Fig. 13: Nach Gerhard et al. 1840–1897 Bd. 5 Tafel 110. British Museum, London, Castellani Collection GR 1873.8–20.108 (Bronze 625). – Fig. 14: Nach Herbig 1952 Tafel 57 Abb. a. Palermo, Mus. Reg., Sammlung Casuccini 24. – Fig. 15: Nach Herbig 1952 Tafel 55 Abb. b. Palermo, Mus. Reg., Sammlung Casuccini 24. – Fig. 16: Nach Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 2 Tafel 36. Chiusi, Museo Nazionale 984 (jetzt als Dauerleihgabe im Museo Civico). – Fig. 17: Eigene Photographie mit Genehmigung der Museumsleitung. Chiusi, Museo Nazionale 984 (jetzt als Dauerleihgabe im Museo Civico). – Fig. 18: Eigene Photographie mit Genehmigung der Museumsleitung. Chiusi, Museo Nazionale 984 (jetzt als Dauerleihgabe im Museo Civico). – Fig. 19: © Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen, HIN 57 (H 273). – Fig. 20: Nach Gerhard et al. 1840–1897 Bd. 2 Tafel 181. Paris, Cab. Méd. 1287 (ex Durand). – Fig. 21: © Soprintendenza Archeologica per la Toscana – Firenze, Gabinetto Fotografico N 6459. Florenz, Mus. Arch. 80 933. – Fig. 22: © Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen, HIN 57. – Fig. 23: Faksimile © Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen, HIN 125. Original: Orvieto, Museo Nazionale. – Fig. 24: Nach Conestabile 1865 Tafeln 4 bis 11 und Tafel 1. Originale der Wandmalereien: Orvieto, Museo Nazionale. – Fig. 25: Nach Körte 1909 Tafel VI. In situ. – Fig. 26: Faksimile (Detail) © Ny Carlsberg Glyptothek, Kopenhagen, HIN 136. Original: In situ. – Fig. 27: © The Trustees of the British Museum. London, British Museum, Campanari Collection 1838,0608.12 (Sculpture D 20). – Fig. 28: Nach Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 3 S. 146 Fig. 22. Volterra 440. – Fig. 29: Nach Brunn und Körte 1870–1916 Bd. 1 Tafel 98,8. – Fig. 30: © Soprintendenza Archeologica per la Toscana – Firenze, Gabinetto Fotografico, Inv. N. 75 842. Florenz, Mus. Arch. 75 834. – Fig. 31: © Soprintendenza Archeologica per la Toscana – Firenze, Gabinetto Fotografico D 22 518. Florenz, Mus. Arch. 94 352. – Fig. 32: © Soprintendenza Archeologica per la Toscana – Firenze, Gabinetto Fotografico N 25 045. Florenz, Mus. Arch. 94 352. – Fig. 33: Nach Giglioli 1935 Tafel 158,4. London,
Abbildungsnachweise
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British Museum, Castellani Collection GR 1873.8–20.757 (Sculpture D 19). – Fig. 34: © Soprintendenza Archeologica per la Toscana – Firenze, Gabinetto Fotografico N 1762. Florenz, Mus. Arch. 682. – Fig. 35: © Archäologisches Institut der Universität Göttingen. Photo: Stephan Eckardt. Inventarnummer Hu 745a. Vgl. Martin Bentz: Corpus Vasorum Antiquorum, Göttingen 2. München 2001, S. 68 f., Taf. 38,1. – Fig. 36: Nach Giglioli 1935 Tafeln 372,4 und 372,6. Rom, Vatikan, Museo Gregoriano. – Fig. 37: © Antikensammlung. Staatliche Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz. Hydria F 2157. – Fig. 38: Nach Malten 1914 S. 241 Abb. 29. London, British Museum 83.11–12.1. – Fig. 39: Nach Bulle 1900 S. 31. Boston, Museum of Fine Arts 01.8100. – Fig. 40: Nach Weicker 1902 Fig. 13 S. 20. Paris, Louvre E 869. – Fig. 41: © The Trustees of the British Museum. London, British Museum 1843.11–3.31 (E 440). – Fig. 42: © The Trustees of the British Museum. London, British Museum 1843.11–3.31 (E 440). – Fig. 43: Nach Weicker 1902 S. 167 Abb. 87. Sankt Petersburg, Ermitage. – Fig. 44: © Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg. Foto: Peter Neckermann. Würzburg, Martin von Wagner Museum L 400, aus Slg. Feoli. – Fig. 45: © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, Photographin: Renate Kühling. München, Staatliche Antikensammlung BR 3482. – Fig. 46: Nach Fivel 1876 Tafel 35. Wien, Kunsthistorisches Museum VI 2271. – Fig. 47: Nach Schreiber 1889–1894 Tafel 61, retuschiert durch Katharina Streit nach der Photographie bei Hofstetter 1997 (Nr. 89b). Jetzt Boston, MFA Res. 08.34c. – Fig. 48: Nach Breitenstein 1941 Tafel 58 Nr. 464 mit Genehmigung des National Museum, Copenhagen, Dept. of Classical and Near Eastern Antiquities. Kopenhagen, Nat. Mus. 3417. – Fig. 49: Nach Monuments grecs 6 (1877), Tafel 3. Wien, Kunsthist. Museum I 1024. – Fig. 50: National Archaeological Museum, Athens; © Hellenic Ministry of Culture/Archaeological Receipts Fund. Athen, Nat. Mus. 774. – Fig. 51: © Antikensammlung. Staatliche Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz. Palmettenbekrönung SK 1707. – Fig. 52: Umzeichnung von Katharina Streit nach Gropengiesser 1977 S. 592 Abb. 15. Boston, Museum of Fine Arts 27. 146. – Fig. 53a: © The Trustees of the British Museum. London, British Museum GR 1848.10–20.1 (Sculpture B 287). – Fig. 53b: © The Trustees of the British Museum. London, British Museum GR 1848.10–20.1 (Sculpture B 287). – Fig. 54: Nach Weicker 1902 S. 7 Fig. 5. Berlin, Pergamonmuseum 8299. – Fig. 55: © Rijksmuseum Van Oudheden, Leiden, Niederlande. Leiden, Rijksmus. K 1983/5.1. – Fig. 56: Nach Furtwängler 1900 Bd. 3 S. 103 Fig. 70. Keine Angaben zum Verbleib. – Fig. 57: Umzeichnung durch Katharina Streit nach Boardman 1975 Nr. 14. England, Privatbesitz. – Fig. 58: © Tübingen, Institut für Klassische Archäologie, Inv. S./10 1264, Neg. CV 349d. – Fig. 59: © The Trustees of the British Museum. London, British Museum 1772,0320.36.* (E 477). – Fig. 60: © Museumslandschaft Hessen Kassel, Antikensammlung, Skyphos Inv.-Nr. S 1. – Fig. 61: Nach Rumpf 1927 Tafeln 19 und 20. London, British Museum B 75. – Fig. 62: Umzeichnung von Katharina Streit nach Bakir 1981 Tafel 48 Abb. 87. Paris, Louvre E 873 (ehemals Slg. Campana 49). – Fig. 63: Nach Weicker 1902 S. 35 Fig. 15. Karlsruhe, Badisches Landesmuseum 1885, B 2329. – Fig. 64: Nach Lajard 1847 Tafel 69 Nr. 15. Ehemals Privatbesitz. – Fig. 65: © Antikensammlung. Staatliche Museen zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz. Metrodoros-Grabstein SK 766 a. – Fig. 66: Nach Engelmann 1890–1897 (Io) Spalte 271. Berlin, Pergamonmuseum. – Fig. 67: Karte erstellt mit MapInfo Professional 8.5, Lizenz: Bodleian Library, Oxford.
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Abbildungsnachweise
Index
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Index Aal 155 f., 326, 327, 489 f. Achilleus 225 ff., 254 ff., 316 f., 331, Anm. 1168, 343, 344, 345, 346, 476 Adonis 272 ff. Ægir Anm. 284, Anm. 319 Aelian 201 f., 204, 208, 211, 214, 219, 357, 524 Ævidrápa 81 Agamemnon 226, 229, 272, 330, 331, Anm. 1385 Aided Con Culainn 2, Anm. 520, Anm. 529, 162 Aigina Anm. 1301 Aischylos 239, Anm. 847, 307, 308, 332 ff., 339, 346, 349, Anm. 1211, 451, 467, 528 Aislinge Óenguso Anm. 210 Alkman Anm. 1236 Allechtu/Allecto (Morrígain) 19, 131, 488, 490 Allod Echae 154 Almha Anm. 603 Amazonen Anm. 129, 57, 402, 442 Äneas 1, Anm. 668, 323, 325, 326, 342, 466, 488 Angelsächsische Glossen 19, 103 f., 108, 114, 460, 488, 489, 490 Antennenknaufschwerter 497 f. Antenociticus 181 Anthologia Graeca 402, 520 Antoninus Liberalis 180 Aphrodite 158 f., 264, Anm. 1040, 371, Anm. 1291, 383, 387, 392, 393 f., 397, Anm. 1412, 470, 507 Apollodoros 357 Apollon 250 ff., 255 f., 324, 333 f., 455 Apollonia (Illyrien) 402 f., 442 Apollonios von Rhodos 338 f., 340, 342, 346, 357 f., Anm. 1296 Apsarasen 485 ff. Apulien 247, 252 f., Anm. 1075, 509
Ariovist 511, 525 Aristophanes 179 f., 329, 348 Artemis 252, 339, Anm. 1268, Anm. 1329, Anm. 1369 Áslaug (Kráka) Anm. 231 Ásmundar saga kappabana 64 f. Astrape Anm. 1075 Atalante Anm. 1026 Athena Anm. 799, 256, 381, Anm. 1562, 455 f. Atlamál in grœnlenzco 97 Atlaqvija Anm. 126 Attika Anm. 838, 308, 311, 331 f., 336, Anm. 1191, 346, 360, 361, 365, 367 f., 371, 381 f., 383 ff., 388 ff., 393, 395 f., 397, Anm. 1391, 402, 404 ff., Anm. 1465, 419, 428, 431 f., 438 f., 444, 445, 447, 455 ff., 468 f., 500 f., 515 Aulus Gellius 185, Anm. 670 Autaritos 507 f., 521, 526 Ba-Vogel 376 f., Anm. 1317, 411 Baduhenna Anm. 617 Balder 15, Anm. 61, Anm. 80, 64, 98 Baldrs draumar 15 Ballynahatty 493 f. Ban˙senchas Anm. 469 Banshee 145, 170 Baukis 402, 515, 520 Bé Néit Anm. 533, 169 Bellona 488 Benwell 178 ff., 523 Beowulf Anm. 91 Berba Anm. 559 Bernstein 497, 499, 500, 501 f. Berserker 62 Bildsteine (gotländische) 15, 90 ff., 103, 114, 460, 477, 480, 482 Binéfar (Stele von) Anm. 722 Bjarkamál en fornu 79 Bodleian Dinn˙senchas Anm. 559
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Index
bodua/boduos (in Personennamen) Anm. 631, 177 f., 195, 478 Bodva 174 f., 194, 198, 200, 222, 361, 463, 478, 480, 499, 513 Boier 503, 504, 509, 525 Bologna 502 Bolsena 254 f., 316 Bomarzo 288 ff., 319 Brennus 214, 220 Bronzezeit 495 ff. Bruiden Da Choca Anm. 395, Anm. 497, 141, Anm. 508, 145, 163, 168 Bruiden Meic Dareó 136, 137, 170 Brünhild Anm. 121, 53 f., 66, 73, 74, Anm. 231, 82 f., 85, 86, 87, 96, 97, 104 f., 198, 199, 460 Búalqg Anm. 227 Búan 155 Buch von Leinster Anm. 425, Anm. 470, Anm. 475, Anm. 588 Buile Suibhne 129, Anm. 526 Caere 422 Cailb 119 f., 146 f., 161 f., 163, 166 f., 171, 172, 320, 462 Caithréim Thoirdhealbhaigh 141, 163 Campanien Anm. 837, Anm. 838, Anm. 934, 283, Anm. 1291 Carratiermes 205, Anm. 729, 210, 219 Cassibodva 173 f., 194, 198, 200, 222, 361, 463, 478, 480, 499, 513 Çatal Höyük 492 ff. Cath Almaine Anm. 497 Cath Boinde Anm. 544 Cath Catharda Anm. 497 Cath Maige Tuired Anm. 453, Anm. 462, 133, 149 f., 153 f., 156, Anm. 559, 164 f., 167, 171, 321, 445 Cath Muighe Rath 162 f. Cathubodva 175 ff., 194, 198, 200, 222, 361, 463, 478, 480, 484, 499, 513 Celaeno 338, 342, 451, 467, 475, 519, 527 Cernunnos Anm. 672 Cerveteri Anm. 1060 Cetona 293 ff., 317, 320 Champagne 502 Chão de Lamas (Portugal) (Lunula von) Anm. 727
Charun 223, 227ff., 237f., 245f., Anm. 859, 248, 249 f., Anm. 895, 277, Anm. 1000, 289, 294, Anm. 1067, 316, 318, 319 Chianciano 299 f. Chios 442 f. Chiusi 248 f., 257 ff., 265 ff., 299, 301, 317, 321, 323, 425 f., 502 f. Cicero 329, 369 Çiume¸sti 189 f., 463 Cnucha 141 Codex Reginae Lat. 215 126 ff., 137, 169, 482 Codex Regius Anm. 58, Anm. 66, Anm. 67, 71 Cogadh Gaedhel re Gallaibh Anm. 129 Conaire 119 f., 146 f., 161 f., 163, 199, 462 Conchobar 143, Anm. 544 Condercum 178 ff., 195, 463, 477 f., 480, 523 Corann 154 Cormac Connloinges 163 Cormacs Glossar 124 f., 127 f., 133, 135, Anm. 533, 169 Cornutus 335 Cú Chulainn 2, 118, Anm. 453, 138 f., Anm. 520, Anm. 529, Anm. 530, 151, Anm. 546, 154 ff., 160, 162, 167, 171, 187, 197, 318 f., 461, 490 Cul´su 259 Dá Chích na Morrígna 159 ff., 493 Dagda Anm. 463, 153 f., 156, Anm. 559, 159 ff., 164 f., 171, 197, 318 f. Dämon (Begriff) Anm. 8 Darrajarljój 37, 38, 52, 57 ff., 62 f., 111 f., 197 De Chophur in da Muccida Anm. 544 Delphi 252, 333, 519 Demeter 336, 413 f. Demeter Erinys 329, 495 f. Diodorus Siculus 179, 189 f., 407 Dionysios I. von Syrakus 504 f., 522, 530 Dionysios von Halikarnassos 185 dionysisch 239 ff., Anm. 1382 Dionysos 371 Disen 32 f., 34, Anm. 69, 48, 64 f., Anm. 280, Anm. 310, 110
Index Donn Cúailnge 118, 130 ff., 139, 151 ff., 163, 169, 171, 185, 481 Draumr Porsteins Síju-Hallssonar Anm. 80 Echtra Nerai Anm. 395, 151 ff. Echuinech 154 Egerton 158 (British Museum) Anm. 501 Egerton 1782 (British Museum) 119, Anm. 455, 151 Eidolon 331 f., 416 f., 424, Anm. 1520, Anm. 1529 Einherjer 13 f., Anm. 61, 36, Anm. 79, 40, 45, 48 f., 61, 99 ff., Anm. 343, 111 Eiríksmál 13 ff., 37, 40 f., 55, 57, 100, 482 El Palao (Alcañiz) (Stele von) Anm. 722 El Raso de Candeleda 210 Empousa 158 f. énchendach Anm. 186 Ennius 325 Eos 302, 340 Ephesos Anm. 1480, 421 Epicharm 367 f. Erinyen 10, 19, 29, 223, 240 ff., Anm. 847, 246 f., 252 f., 256 f., 262, 264, 265, 269 f., 279, 283, 290 ff., 294, 305 ff., 316 f., 322, 323 ff., Anm. 1211, Anm. 1385, 444, 451, 452, 467, 468, 472, 473, 474 ff., 478, 479, 483, 495 f., Anm. 1694, 516, 518, 519, 520, 521 Ernmas 134 ff., Anm. 592, 165, 319 Eroten Anm. 1312, 385 ff., 393, 397, Anm. 1391 Die erste Schlacht von Mag Tuired 133 f., 140 f., 149, 150, 167, 168, 171 Erster Merseburger Zauberspruch 108 ff., 114, Anm. 615, 461, 489 Eryx 507 Eteokles und Polyneikes 187 f., 265 ff., 321, 502 Eumeniden 1, 239 ff., Anm. 1111, 324, 335, 336, 337, 351 Euripides 239, Anm. 838, 333, 335, 345, 346, 357, 358 f., 360, 364 f., 407, 408 f., 451 Eusebius 369 f. Eustathios 338, Anm. 1289 Ewige Schlacht siehe Hjajningavíg Exekias 439
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Fackel 1, Anm. 121, Anm. 813, Anm. 846, 246, 247, 249, 254, 259, 269, 278 f., Anm. 986, 286, 291, 298, Anm. 1056, Anm. 1075, 316, 317, 323, 329, 465 Falsifizierbarkeit 23 ff. Fedelm Anm. 139 Federgewand siehe hamr Fergus Anm. 553 Finngálkn í Jómsborg 53, 65 Fir Bolg 133, 149, 150, 171 Flavius Philostratus 158 f., 180 Fled Bricrend 160 Fólkvangr Anm. 339 Fomore 123, 149 f., 154, 164 f., 171 Forschungsgeschichte 2 ff. Fóstbrœjra saga 98 f. Freyja Anm. 103, 75, 101, Anm. 339 Freyr 78 Friagabi Anm. 359 Frigg 67 Fruchtbarkeit 18, Anm. 546, 153 ff., 161, 171, 389 Furien 1, 2, Anm. 10, 19, 29, Anm. 121, 131, Anm. 539, Anm. 603, Anm. 668, 239 ff., 323 ff., 351, 444, 452, 453, 466 f., 468, 472, 473, 474 f., 476, 478, 479, 483, 488 ff., 518, 519, 521, 527 Fylgja Anm. 155 Gaesaten 504, 510, 525 Galater 506, 508 Gallia Narbonensis 175 Gandharven 487 Gelbes Buch von Lecan 119, Anm. 455 Genius (einer Militäreinheit) 181 ges 145 ff., 462 Gesta Danorum siehe Saxo Gísla saga 95 f., 97 Glenn Edin 154 Glymdrápa 79 Gná 78 Gorgonen 108, 488, 489 Gort na Mórrígnae 161 Granatapfel 236 f., Anm. 826 Grimm 2, 64 Grímnismál 13 ff., 36, 40 f., 57, 60 f., 65, 80, 100, Anm. 332, Anm. 339, 107 f. Grípisspá Anm. 270 Griplur 64, 74, 75, 87, 108
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Index
Große Göttin 117, Anm. 799, Anm. 1058 Grottasqngr Anm. 126 Gujrúnarqvija in fyrsta Anm. 53 Gujrúnarqvija qnnor 82 Gundestrupkessel Anm. 276, 189 f. Gylfaginning 10, 13 ff., 17, Anm. 52, Anm. 65, Anm. 80, 39, 40 f., 45, 60 f., 62, 63, 75, 78, 80, 82 f., 101 f. H. 2. 16 (Trinity College, Dublin) siehe Gelbes Buch von Lecan H. 2. 17 (Trinity College, Dublin) 163 f. H. 3. 18 (Trinity College, Dublin) 141 f. Hades Anm. 800, 237 ff., 279 f., Anm. 983, 283, 284, 286, 287 f., 302, 317, 323, 328, 330, 344, 345, 346, 348, 349, 351, 353, 355 f., 357 ff., Anm. 1296, 407, Anm. 1425, 413 f., Anm. 1529, Anm. 1556, 444, 465, 467, 469, 475 Hadrianswall Anm. 359, 178 ff., 195, 463, 477 f., 523 Hákonarmál 1 f., 17, 37, 38 f., 40, 41, 45 ff., 52, 54, 55 f., 57, 58, 59, 62 f., 73, 80, Anm. 315, 105 f., 111, 199, 318, 446, 482 Hallfrejar saga Anm. 155 Hallstattkultur 499 ff., Anm. 1726, 530 Hamjismál Anm. 280 Hammer 223, 227, 232 f., 235, 237, 246, Anm. 859, 277, 287 f., 289, 293 ff. hamr 66 ff., 74 ff., 80, 112, 452, 456, 460 Haraldskvæji siehe Hrafnsmál Harjar saga 107 Harpyien 1, 2, 29, 323 ff., 338 ff., Anm. 1260, Anm. 1268, 411 ff., 417 ff., Anm. 1480, Anm. 1481, 425 f., Anm. 1533, 451, 452, 454, 467, 468, 472, 473, 474 f., 476, 478, 479, 483, 509 f., 516, 518 f., 520, 521 Harpyienmonument 411 ff., 444, 448, 469, Anm. 1719 Háttalykill 42, 43, 44 Háttatal Anm. 245, Anm. 251, 89 Hauksbók Anm. 58 Haustlqng 65 Hávamál Anm. 372 Heidentum (Begriff) Anm. 12 Heijreks saga Anm. 121, Anm. 126, 85 Hekate Anm. 966, 331 f.
Hel 15, 48, 96, 97 f., 98 f., 103 Helgaqvija Hiqrvarjzonar 36 f., 54, 55, 63 f., 78, 82, 88, 96, Anm. 353 Helgaqvija Hundingsbana in fyrri 37, 52, 63, Anm. 196, 78, 82, 87, 88, 99, 100 f., 105 f., 197 Helgaqvija Hundingsbana qnnor 37, 55, 63, 73, 74, 75, 78, 80 f., 87, 88, 97, 105 Helios 354 Helreij Brynhildar 53, 54, 66 f., 96, 97 Hephaistion 407 Hera 179, Anm. 1318 Heraclitus Mythographus 370 Herakles Anm. 1196, 346, 381, Anm. 1554, 455 Herbitzheim 173, 525 herfj˛oturr 36, 61, 107 ff., 114, Anm. 615, 198, 229, 295, 321, 326, 334, 348, Anm. 1391, 446, 461, 466, 474, 488, 489, 490, 517 Herjan 35, 48 Hermes 328, 456 f. Hermione 389 f., Anm. 1369 Herodot 385 Hesiod Anm. 1168, 340, 344, 345 f., 346 f., 349, 528 Hesperiden Anm. 1217 Heuneburg 500 f., 517, 530 Hildesage siehe Hjajningavíg Himeropa 383 ff., 397, 400, 446, 468 f., 527 Hjajningavíg 42 ff., 83, 88 ff., 103, 111, 318, 320 Hjálmpérs saga ok Ölvers Anm. 10 Homer 9, 225 f., 294, 329 ff., 335, 339, 340, 343 ff., 348, 349, 351, 352, 353 ff., Anm. 1222, 365, 366, 368, 369, Anm. 1296, 374, 383, 385, 407, Anm. 1480, 445, 446, 447, 449, 451, 455, 467, 468, 469, 476, 479, 495 f., 516 Horaz 179, 325 Housteads Anm. 359 Hrafnsmál 17, 50 ff., 54, 72, 76, 79, 80, Anm. 261, 85 f., 90, 94, 102, 103, 105, 111, 112, 113, 114, Anm. 595, 197, Anm. 1210, 445, 452, 454, 456, 460, 481, 482 Hrólfs saga kraka Anm. 52, 45, Anm. 109
Index Hrómundar saga Greipssonar 7, 64, 74, 75, 87, 108, Anm. 615, 484 Hrynhenda 79 Húsdrápa Anm. 80 Hygin 325, Anm. 1115, 341, 357 f., Anm. 1234, 383 Hypnos 303 Idisi 108 ff., 489 Indech mac Déi Domnann 154 Indogermanische Mythologie Anm. 10, Anm. 121, 212, 485 ff. Indra 486, Anm. 1607 Inseln der Seligen Anm. 1217 interpretatio 174, 183, 195, 240, 253, 477 f. Io 456 f. Iris Anm. 796, Anm. 1168 Die Jagd vom Síd na mBan Finn Anm. 497 Jómsvíkinga saga Anm. 131 Juno Anm. 796, 325, 490 Juppiter Dolichenus 18, 19, 180, 183, 523 Kalypso 354, 356, Anm. 1285 Karthago 505, 507, 508, 521, 526 Kenningar 6 f., Anm. 121, Anm. 138, 65 f., 77, 79 f., 81 f., 112, 113, 221, 452, 460 Kerameikos 404 f. Kerberos 234 f., 238, 242, 248 f., 250, 263 f., 323 Keren 2 ff., 10, 29, Anm. 913, 323 ff., 343 ff., Anm. 1533, 444, 451, 467 f., 472, 473, 474 f., 476, 478, 479, 483, 492 ff., 516, 518, 520, 521 Kimbern Anm. 1726 Kirke 353 ff., Anm. 1217, 360 Kivik (Grab von) 497 Klazomenai 456 Kopfkissengespräch Anm. 544 Korinth 158, 378, 379 f., 381, Anm. 1391, Anm. 1508, 429 f., 434 f., 437 f., 440 f., 454, 455, 504 Krákumál 1 f., Anm. 53, Anm. 109, 47 f., 49, 64, Anm. 315 Kreta 375, Anm. 1633 Kreuzbänder 247, 252, Anm. 904, Anm. 923, 291, 293, 464 Krim 388 Kristiansen 496 f., 516, 530
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La Tène Anm. 783, Anm. 1646, 501 ff., 517, 530 La Yunta (Guadalajara) 207 ff., 210, 219 Lakonien 389 ff. Lamaˇstu Anm. 1312 lamia 126 ff., 137, 158 f., 178 ff. lamiae tres 178 ff., 195, 198, 200, 462 f., 477 f., 480, 481, 483 Lärbro Stora Hammars I (Bildstein) 90 ff. Larsson 496 f., 516, 530 Lasa Anm. 842, 271 ff., Anm. 990, 317, 321, 464 f. Lebor Gabála 134 f., 150, 164, 167 Lebor na hUidre Anm. 393 Leinth 257 f. libri Acheruntici Anm. 844 Lige ina Lánomhnou 154 Lilith 158 Lisconna 154 Livius 185 ff., 503, 504 Loki 98 Lug 129, 150, 164 Lukian 335, 336, 349, Anm. 1291 Lykophron 340 f., 343, 360 f., 366, 368 f., 370, 372 f., Anm. 1296, 447 f., 470, 518 f. Mabinogion 184 Mabon 494 Mac Cecht Anm. 559 Macha 117, 118, 119, Anm. 397, 122, Anm. 463, 133 ff., 138, 142 f., 149, 150, Anm. 592, 167, 169, 170, 185, 192, 195 f., 197, 221, 452 f. Mag Scétne 154 Mag Tuired Anm. 453, 133, 140, 149 f., 153 f., 156, Anm. 559, 164 f., 167, 168, 171 Mailand 503 Makedonien 505, 507, Anm. 1699, 511, Anm. 1718 Mänade 239 ff., 297 mancipatio 299 Marcus Valerius Corvus 185 ff., 195, 326, 463, 478 Mars Anm. 533, 180 f., 325, 467, 475 Massilia 500, 501, 505 Matres Campestres 180 f. Mean 272
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Index
Meche Anm. 559, Anm. 1121 Medb 152 Melische Reliefs 339 f. Mesca Ulad 169 Methodik 5 ff., 223 ff., 448 ff., 452 ff., 470 ff., 484 ff. Metrodoros 442 metua 250 ff. Mieussy 175, 484, 525 Minerva 180 f. Mont Lassois 500 Morgan 373 Mormolykeion 158 f. Morrígain Anm. 10, 19, Anm. 261, 116–172, 174, Anm. 631, 185, 191, 197, 221, 318 f., 321, 326, 327, 335, 461, Anm. 1594, 480, 481, 488, 489 f., 493, 527, Anm. 1732 Münzen 177 f., 190 f., 195, Anm. 1205, Anm. 1562, 508 ff., 522 Myrina 400 f. Mythographus Vaticanus Anm. 1268 Nanna Anm. 61 Naukratis 421 nautae Parisiaci 185, 195 Néit 148 f., 168 f. Nemain 116–172 Nemed Anm. 592 Neolithisierung 492 ff. Netos Anm. 533 Níjhqggr 82 f. Nike 302, 442, Anm. 1694 Nikophon 367 f. Njáls saga 57, Anm. 139 Noenden 119, 146 Nonnos 335 Norna-Gests páttr 96 Nornen 32 f., Anm. 54, 39, 62, Anm. 196 Numantia 203, 205, 209 ff., 219, 479, 512 f., 524 Numina Augustorum 181 Numismatik siehe Münzen O’Clerys Glossar 138 O’Mulconrys Glossar 118, 133, 142, 182, 195 f., 197, 318 f. Oddrúnargrátr Anm. 123
Odin 13, 32, Anm. 54, 35 f., 37, 38 f., 40, 43 f., 45 ff., 50, 54, 61, 62, 63, Anm. 160, 65, 67, 75, 80 f., 83, 86 f., 95 f., Anm. 339, Anm. 343, 105, 106, Anm. 372, Anm. 375, 111 Ödipus 269, 336, 346, 349, 467 Offida 313 f., Anm. 1487 Okeanos Anm. 1168, 336, 353, 355, 356, 446, 468 Olbia Anm. 1481 Orestes 250 ff., 294, 308, 316, 332 f., 346, Anm. 1385 Orms páttr Anm. 219 Orosius 203, 211, 214, 219 Orphik Anm. 809, Anm. 829, Anm. 837, Anm. 966, Anm. 1004, Anm. 1085 Orphische Hymnen Anm. 838, 335, 346 Orvieto 231 f., Anm. 838, 264 f., 279 ff., 305, 308, 313, 315, 316, 317, 323 óskmær 67, 87, 104 Ovid Anm. 838, 323, Anm. 1115, 327, 341, 351, 357, Anm. 1296, 383 Oweins Raben 184 Øxarflokkr( ? ) Anm. 248 Paestum 256, 394 f. Palaiphatos 369 f. Palazzone-Nekropole 283 ff. Pan Anm. 1391 Pandareos 339, Anm. 1480 Papil (Stein von) 143 ff., 170, 192 f., 195 f., 453, 454, 477, 480, 481, 482, 484 Parmeniskos 402, 442 Parthenope 361, Anm. 1291, Anm. 1296, 527 Parzen Anm. 905, 262 Patroklos 225 ff., 316, 345 Pausanias 214, 216, 217, 220, 311, 335, 345, Anm. 1268, 371, Anm. 1369, 463, 523 Pergamon 506 f., 511 Persephone 238, 279 f., Anm. 983, 330, 336, 357 ff., 365, Anm. 1296, 413 f., 420, 440, Anm. 1728 Perugia 250 f., 272, 274, 283, 285, 316 Phineus 338, 340, 342, 343 Phorkys 362 Picardische Heiligtümer 215 ff., 464
Index Pinara 412 Platon 335 f., 349, 359 f., 361, 362, Anm. 1251, 365, 407, Anm. 1425, 444 Plinius d. Ä. Anm. 668, 366 f., 400, 446, 447, 528 Plutarch 361 ff., 365, 446 f., 449, Anm. 1718 Pluto 325, 336 Polybios 503, 504, 507 f., 521, 526 Polygnot 311 Pompei 341, Anm. 1312 Popper 23 ff. Portuguí 205 f., 219 Poseidonios 200, 479, 480, 512 f., 524 Praisos 375 Präneste Anm. 1301 Prokris Anm. 1444, Anm. 1483, 431 ff. Ptolemäer 506 Quincey 174, 525 Quintus Smyrnaeus 335, 336, 337, 338, 346, 349, 351 Ragnars saga lojbrókar Anm. 231 Ragnarsdrápa 42 f., Anm. 103, 89 f., 90 ff., 481, 482 Rán 89, Anm. 319 Reginsmál 65 Reicne Fothaid Canainne 136 f., 150 f., 156 f., 168, 170 Rennes Dind˙senchas Anm. 559, Anm. 565 retoiric 118, 130 f., 139, 150, 151, 163, 164, 480, 481, 482 Rhonabwys Traum 184 ríastrad Anm. 670 Ribemont-sur-Ancre 215 ff., 220, 464, 471, 478, 479, 481, 483, 522, 523 f., Anm. 1729 Riesen Anm. 53, Anm. 126, 65, 75, 76, 82, Anm. 274, Anm. 284, 96, Anm. 319, 346 Rígspula 76 Roquepertuse 191 ff., 195 f., 214, 220, 463 Sainte-Colombe 500 Samain Anm. 395, 146, 153 f. Samos Anm. 1318, 434 f., 497 f. Saxo 42, 43, Anm. 103, Anm. 126, 64, 74 f., 84 f., 87 f., 98, 102
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Schankmaiden (Walküren als) siehe Trankausschenken Schildmaiden 53 ff., 58, 59, 62, Anm. 231, 78, 84 ff., 102 f., 104 f., 111, 113, 114 Schlangen 47, Anm. 559, 232 ff., Anm. 828, Anm. 838, Anm. 846, 251 ff., 271, 277, 282 ff., 285 f., 291, 316, 317, 323, Anm. 1115, 327, 328, 331, 332, 333 f., 335, Anm. 1385, Anm. 1546, 465 Schriftrolle 232, 233 f., 235, 237, Anm. 829, 243 ff., 258 f., 265, 267, 269 f., 275, 282, 283 f., 289, 291, 299, 301, 308, 316, 317, 321, 322, 465, 475 Schwanenjungfrau siehe Schwanenmädchenerzählung Schwanenmädchenerzählung 37, 68 ff., 77 f., 87, 113, 485 f. Schwert 18, 46, Anm. 121, 57, 58, 59, 62, 63, 64, 65, 74, 87 f., 89, 90, 92, 96, 167, 174 f., 217, 222, 227, Anm. 846, 247, 250, 254, Anm. 905, 269, 283, 286, 289 ff., Anm. 1019, 317, 319, 348, 436, Anm. 1563, 462, 465, 497, Anm. 1646 Scipio 203, 479, Anm. 1595, 524 Seleukiden 506 Seneca 323, Anm. 1115, 325, 327 Servius Anm. 1117, Anm. 1118, Anm. 1167, Anm. 1268, 370 Sétanta 143 Sigrdrífomál Anm. 88, 63, 86 f., 106, 109, 318 Sigurjarqvija in scamma 53 f., 74, 104 Silen 398 ff. Silius Italicus 175, 200 f., 204, 208, 211, 214, 217, 219, 513, 524 Skáldskaparmál Anm. 52, Anm. 84, 42, 53, Anm. 126, Anm. 167, 78, Anm. 270 Sólarljój Anm. 109 Söldnerwesen 504 ff., 518 ff. Sophilos 438 Sophokles 336, 337, 346, 349, 362 f., 371, Anm. 1529 S˛orla páttr 42, 43 ff., 64, 88 Spiegel Anm. 787, Anm. 842, 250 ff., 254 ff., 272 ff., 294, Anm. 1026, 316, 319, 389 ff., 470, 500 Statius Anm. 539, 324, 325, 326, 327 f., 337, 341, 467, 490, 527
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Index
Stenkyrka Smiss I (Bildstein) 93 ff. Stephanius 48 f. Stowe D.iv.3 (RIA) Anm. 470 Strabon Anm. 1480, 504 Sturlunga saga Anm. 80, Anm. 131 Succubus 158 Sucellos Anm. 784 Tacitus Anm. 617 Táin Bó Cúailnge 19, Anm. 139, 118, 119, Anm. 395, 130 ff., 133, 139, 143, 151, 152, 154 ff., 160, 163, 164, 167, 168 f., 171, 172, 185, 321, Anm. 1121, 445 f., 480, 481, 482, 488, 489 f. Táin Bó Regamna 117 f., 119, Anm. 455, 133, 138 f., 151, Anm. 544, Anm. 545, Anm. 546, Anm. 550, Anm. 576, 319 Tarent 404, 509, Anm. 1698, Anm. 1702 Tarquinia 1, 230, 245, Anm. 867, 286 ff., 316, 317 Tarvos Trigaranus 185 Tertullian 367, 447 Teutobodus 177 f. Thanatos 303 Theopomp 367 f. Thermopylen 214, 220, 522, 523 Prymsqvija 75 Thyrsos 233, 235, 237, 239 ff., Anm. 841 Titus Manlius Anm. 670, Anm. 678 Tochmarc Emire 148 f., 171, 174, Anm. 628 Tochmarc Étaíne Anm. 210 Tochmarc Ferbe 139 f., 170 Togail Bruidne Da Derga Anm. 186, 119 f., 133, 146 ff., 161 f., 163, 166 f., 170 f., 320 Togail na Tebe Anm. 497, 150 Togail Troí 165, 171 Tomba degli Anina 1, 3, Anm. 813, 245 ff., 257, 261, 264, 265, 277, 279, 316, 318, 319, 320, 351 Tomba dei Festoni Anm. 867 Tomba del Cardinale Anm. 846, 286 ff., 304 f., 317, 319 Tomba del Triclinio Anm. 846 Tomba della Pietrera Anm. 1092 Tomba François 225 ff., 237, 242, 243, 246, 264, 277, 316, 318, 319, 320, 326 f., 466
Tomba Golini I 237 f., Anm. 846, Anm. 847, 248, 276, 279 ff., 286 f., Anm. 1053, 305, 307, 317, 319, 321, 465 Tomba Tartaglia Anm. 846 Trankausschenken 13 ff., 36, 40 ff., 61, 100, 102, 103, Anm. 1650 Troilos 254 ff., 316 f., 319 Troja 165, 225 ff., 239, 254 ff., 272, 316, 325, 339, 342, 345, 353, 354, 368 f., 384 f., Anm. 1385, 435 f., 445, 447 f., 470, 475 Túatha Dé Danann 133 f., 149, 150, Anm. 558, 164, 165, 167, 168 Tuchulcha 311 Turan Anm. 842, 272, 464 f. Turnus Anm. 668, 326, 466, 488, 490 Tuscania 295 ff., 317, 320, 519, 520 Tzetzes 343, 370 Uinnius 154 Urkeltisch 498 f. Uxama 205, Anm. 730, 209, 219 Vadimonischer See 503 Vafjrújnismál Anm. 79, 75 Val Camonica 187 Valerius Flaccus Anm. 1115 Vanth-Gruppe 230, 231 ff., 248, 250, 264, 265, 275, 276, 279, 284, 288, 291, 294, 298, 305, 307, 308, 316, 317, 318, 319, 320, 321, 323 Venus 104, 114, Anm. 923, Anm. 1049, 460 Vergil 1, Anm. 668, Anm. 796, 239, Anm. 838, 323, Anm. 1115, 325, 326, 327, 338, Anm. 1171, 341 f., 343, 347, 349, 351, 451, 467, 475, 488 ff., 519 Vetris/Vitires 181 Victoria Augustorum 181 Víga-Glúms saga Anm. 80 Vingólf/Víngólf 48 f., 100 ff., 113 f. Vix 500 Vqlospá Anm. 52, 34 ff., 36, Anm. 80, 44, 52, 57, 62, 82 f., 318 Vqlsunga saga Anm. 125, 54, 57, Anm. 160, 65, 67 f., 72, Anm. 231, 80, 82 f., 85, Anm. 270, 87, 97, Anm. 322, 102, Anm. 350, 199
Index Volterra 291 f., Anm. 1049, 317, 322, 466 Volumnier (Hypogäum der) 283 ff., 317 V˛olundarqvija 37, 63, 68 ff., 87, 88, 105 Vulci 225 ff., Anm. 801, 270 ff., 272 f., 275 f., 278, 313, 316, 317, 361, 383, 439 Vulgata 126 ff. Walhall 1 f., 13 ff., 36, Anm. 71, 38 f., 40 f., 45 ff., 54, 55, 61, 72, 73, 80, 100 f., Anm. 339, 111, 197, 198, 199, 221, 446, 459, 460, 474
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Walkürennamen 60 ff. Wäscherin an der Furt 137, 156, 163 Wealhtheow Anm. 91 Xanthos 408 f., 411 ff., 423, 426, 427, 428, 430, 431, 434, 444, 447, 469 Ynglinga saga 41, 100 Ynglingatal 97 f. Zeus 179, 330, 331, 338 f., 364, 456 Zypern Anm. 1316, 421, 430