Arno Zoller Im Tempel der Sirenen Rex Corda Band Nr. 16 Version 1.0 Im Tempel der Sirenen Die Expedition der WALTER BECK...
17 downloads
826 Views
808KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Arno Zoller Im Tempel der Sirenen Rex Corda Band Nr. 16 Version 1.0 Im Tempel der Sirenen Die Expedition der WALTER BECKETT ist auf Morgh, dem 6. Planeten des DoppelsonnenSystems Gamma Virginis, gescheitert. Die Besatzung hat unter dem unheimlichen Bann der Sirenen von Morgh die WALTER BECKETT verlassen. Nur Rex Corda – auf Grund seiner paraphysischen Begabung – und KoMont, der Zeitagent Laktons, unterliegen dem Bann nicht. Sie beide kämpfen gleichzeitig um Kim und Velda Corda. Gleichzeitig aber kämpfen sie auch gegeneinander, denn KoMont will das Vermächtnis des genialen terranischen Wissenschaftlers Walter Beckett für Lakton reservieren. Jakto Javan, der laktonische Schento, hat diesen Agenten auf die WALTER BECKETT beordert, weil er das Vermächtnis Becketts an sich reißen will. Er plant einen Verrat an Rex Corda, der ihm das Leben rettete. Doch Rex Corda weiß, daß er einen Gegenspieler hat. Er kann seinen Gegner nicht sehen. KoMont ist auch nicht greifbar für ihn. Die Vorteile des laktonischen Agenten scheinen so groß zu sein, daß der Widerstand Rex Cordas aussichtslos erscheint. Vielleicht ist es gerade deshalb jetzt von Vorteil für Rex Corda, daß er ganz allein gegen alle auf dieser fremden, unheimlichen Welt steht? Corda gibt nicht auf. Er kämpft verbissen um seine Geschwister und gegen die unheilvolle Kraft, die allen Bewohnern dieser Welt die Lebenskraft absaugt wie ein unersättlicher Vampir. Und von Stunde zu Stunde wird die Macht der Sirenen von Morgh größer. Die Waffen Rex Cordas werden stumpf und wirkungslos. Rex Corda muß sich die Frage stellen, ob es in dieser Situation überhaupt noch Sinn hat weiterzukämpfen. Doch Corda stellt keine Fragen. Er kämpft. Er kämpft bis zur bitteren Entscheidung. Die wichtigsten Personen Rex Corda : im todesmutigen Einsatz Kim und Velda Corda : kämpfen um ihre Freiheit KoMont : der Lithalonier hat einen schweren Stand Die Sirenen : bangen um ihre Existenz Percip : ist machtlos *** Der unerträgliche Zwang ließ ihn keuchend vorwärtstaumeln. Vor seinen Augen tanzten rote Schleier.
Nur undeutlich nahm er die fremdartige Umgebung wahr.
Während Percip den anderen hinterhertaumeltete, versuchte er, den Kopf zu drehen. Er wußte, daß
sich hinter ihm etwas befand, das von größter Wichtigkeit war. Nie hätte er das Schiff verlassen
dürfen!
Das Schiff?
Einen Augenblick wurde der laktonische Agent von der Wahrheit überfallenen. Er achtete nicht auf die
bohrenden Kopfschmerzen, sondern ließ sich einfach zu Boden fallen. Nur so konnte er den
übermächtigen Zwang, der ihn und die anderen nach Norden trieb, für Sekunden überwinden.
Wie ein Blitz schoß ein bunter flatternder Schatten auf den liegenden Mann zu. Percip hob den Kopf.
Schmerzen zuckten jetzt in Wellen über seinen gequälten Körper. Der Laktone stöhnte auf.
Aber es war nicht der Schmerz, der ihm die Brust zusammenpreßte.
Über ihm schwebte die Sirene. Das rötliche spitze Gesicht der Frau strahlte vor teuflischer Freude.
Die schreiend bunten Fetzen, die ihren hageren Körper umflatterten, peitschten knallend in einem
plötzlich entstandenen Luftwirbel auf.
Die Sirene schrie etwas, aber Percip konnte die Worte nicht verstehen. Aber eine ungeheure
Bösartigkeit sprach aus den kreischenden Lauten.
Percip wußte, daß er in höchster Lebensgefahr schwebte. Die Oberlippe des Agenten mit der breiten
roten Kerbe zuckte. Langsam wandte der Mann den Kopf.
Er wußte, daß sich das Schiff nur wenige hundert Meter hinter ihm befinden mußte. Die gewaltige
Masse des Hantelraumers konnte nicht übersehen werden.
Und doch nahm Percip nur einen Schatten wahr, ein diffuses Schimmern… Die Sirene stieß auf ihn herab. Sie stand auf handtellergroßen Metallplatten, unter denen weißer Nebel emporwallte. Ionisierte Luft füllte die Lungen des Agenten. Etwas riß ihn mit unwiderstehlicher Kraft empor. Das Gesicht der Sirene tauchte dicht vor dem massigen Kopf des Laktonen auf. Wie hypnotisiert blickte Percip auf die schnabelförmige Hakennase, die die Häßlichkeit des Gesichtes bis ins Abstoßende steigerte. Fasziniert starrte der Agent auf die Stirn der Sirene, auf der vier kleine Höcker standen. Er lachte und wollte seine Arme um die Frau schlingen, aber sie wich zurück, während die Hände des Agenten ins Leere tasteten. Percip begriff jetzt nicht mehr, was er eben noch gegen die Sirene gehabt hatte. Sie war schön, schöner als alle Frauen, die er bisher gesehen hatte. Ein Schwall von keifenden Worten kam von den scharfen Lippen der Sirene. Percip lächelte selig. Er würde ihr folgen, bis an das Ende dieser fremdartigen Welt. Fremdartig? Nein, das hier war seine Heimat. Es wurde ein Fest gefeiert, und dort würde er diese herrliche Frau wiedersehen. Die Sirene stieß hoch in die Luft empor und schwebte nach Norden. Percip rannte mit ausgebreiteten Armen hinter ihr her. Die schreiend bunten Lumpen der Sirene flatterten im Sturm. Sie beschrieb einen weiten Kreisbogen über der Gruppe der anderen Männer. Zu deren Köpfen schwebten die anderen sechs Sirenen. Gellendes, teuflisches Gelächter erfüllte die Ebene. Verzückt starrten die Männer empor. Percip hatte jetzt die Gruppe erreicht. Brüllend vor Freude hieb er dem kleinen GaVenga die Faust auf die Schulter. Der kynothische Dolmetscher kugelte kichernd in das harte Steppengras. Sofort war er wieder auf den Beinen. Sein Freudengeheul mischte sich in den kreischenden Gesang der Sirenen, als sie gemeinsam weiterzogen. Immer weiter! Nach Norden! * Etwas riß an seinem Geist, zerrte mit bohrender Intensität an seinen Empfindungen. Aber er hielt dem Ansturm stand. Er konnte das Fremde, Lockende zurückweisen. Deutlich war zu spüren, daß das Fremde entsetzt zurückwich, als es den harten Widerstand fühlte. Es zog sich zurück, aber es blieb, lauerte im Hintergrund, um bei der nächsten Gelegenheit erneut zuzustoßen. Rex Corda blieb wachsam. Allein saß er in der riesigen Kommandozentrale der »Walter Beckett«. Unheimliche Stille herrschte in dem weiten Raum, der sonst von summendem, pulsierendem Leben erfüllt war. Stirnrunzelnd blickte Corda auf den Holografen. Er hatte bemerkt, daß Percip zurückgeblieben war und daß eine dieser seltsamen schwebenden Frauengestalten ihn gezwungen hatte, sich dem Gefolge der anderen anzuschließen. Der große einsame Mann in der leeren Kommandozentrale ballte wütend die Fäuste. Er hatte sie nicht zurückhalten können. Alle waren von dem unwiderstehlichen Kraftstrom erfaßt worden, der ihre Gefühle völlig außer Kontrolle gebracht hatte. Alle, außer Rex Corda, dessen Sondersinne das Fremde zurückdrängen konnten. Sie waren zu den Luftschleusen gestürmt, hatten sich mit Gewalt den Ausgang erzwungen. Corda rieb sich über das immer noch geschwollene Kinn. Bekoval hatte ihn mit seiner mächtigen Pranke niedergeschlagen, als Corda die Schleusen versperren wollte. Auch die geheimnisvoll aufgetauchten Roboter hatten nichts daran ändern können, daß die Besatzung der »Walter Beckett« ins Freie geströmt war. »X«, der Fremde, den Corda an Bord des Schiffes vermutete, hatte eine Niederlage erlitten. Aber auch Corda saß in der Klemme. Der Präsident der im Augenblick unerreichbar fernen Erde ahnte, daß er nicht einfach seinen Gefährten folgen konnte. Überzeugend hatten die seltsamen schwebenden Frauen ihre Macht gezeigt. Selbst die Laktonen mit ihrer unvorstellbaren Supertechnik konnten nichts gegen die rätselhaften Beherrscher des VI. Planeten der Doppelsonne Gamma Virginis ausrichten. Es erfüllte Rex Corda keineswegs mit Genugtuung, daß auch »X«, der geheimnisvolle Fremde an Bord
seines Schiffes, keine Macht gegen diese Hexen hatte.
Ohnmächtig mußte der blonde Mann in der Kommandozentrale zusehen, wie seine Gefährten nach
Norden zogen. Das dreidimensionale Bild des Holografen zeigte deutlich, daß die Laktonen und auch
John Haick tanzten und sangen.
Die Heiterkeit dieser Männer, ihre offenbare Hysterie, erfüllte Rex Corda mit quälender Sorge. Ein
Vergleich drängte sich ihm immer hartnäckiger auf.
Sie wirkten wie Schlachtopfer…
*
Lautlos öffnete sich das Schott. Die schimmernde Wandung der Halle wies einen Spalt auf. Zwei
rötliche Gesichter erschienen. Kopftücher waren bis dicht über die Augen gezogen. Ein hagerer Arm
reckte sich zwischen buntem Stoff empor. Das Wurfmesser blitzte in der knochigen roten Hand.
Der Tann sah die Bewegung als Schatten in der gegenüberliegenden funkelnden Wand.
Warnend schrie der Morgh auf.
Kim und Velda warfen sich sofort zu Boden.
Knapp über dem liegenden Mädchen zischte das Opfermesser der Sirene dahin. Es schlug gegen die
gegenüberliegende, flimmernde Wand der großen Halle, prallte wirkungslos ab und klapperte zu Boden.
Wie ein Blitz waren die drei auf den Beinen und verschwanden hinter der großen hufeisenförmigen
Lagerung, die in der Mitte des Raumes stand.
Die Sirenen schrien enttäuscht auf. Ruckartig zogen sich die roten Köpfe der Frauen zurück, als die
altertümliche Schußwaffe des Tann ihre vernichtenden Bleigeschosse zu speien begann.
»Danke, Smoke«, sagte Velda einfach.
Der elektronische Dolmetscher auf der Brust des MorghFührers übersetzte automatisch. Der Tann
nickte und führte mechanisch eine blaßblaue Blume gegen seine Nase, aber ihr beizender Duft, der ihm
regelmäßig die Tränen in die Augen trieb, schien ihm diesmal keine Freude zu machen. Diese blaßblauen
Blumen, die der Morgh stets bei sich führte und an denen er leidenschaftlich gern roch, waren auch
der Grund für den Spitznamen, den ihm die Cordas gegeben hatten: Smoke.
Der Tann lächelte wehmütig, als Kim Corda herausfordernd schrie: »Los, verfolgen wir doch diese
verdammten Hexen!«
Velda nahm ihren jüngeren Bruder beim Arm, aber der sommersprossige Junge riß sich los.
»Sie haben Frenko, meinen besten Freund, ermordet!« sagte er voller Haß.
»Er ist nicht der einzige, den die Sirenen auf dem Gewissen haben«, meinte der Tann bitter.
Er ging auf das Schott zu, hinter dem die Sirenen erschienen waren. Auf einen Druck seiner
dreifingrigen Hand, die sich gegen eine dunkle Stelle der leuchtenden Wand legte, öffnete sich das
Schott wieder.
Der Tann hielt die Waffe schußbereit umklammert, aber die Sirenen waren längst fort. Sie bewegten
sich mit unglaublicher Schnelligkeit und Sicherheit in den labyrinthartigen Gängen des Heiligtums.
Auch die Tatsache, daß sie hier ihre magischen Kräfte nicht gebrauchen konnten, änderte nichts an der
Gefährlichkeit ihrer Angriffe.
Langsam beugte sich der Tann hinunter und drehte den Morgh, den er als Wache vor dem Schott
postiert hatte, auf den Rücken. Smoke nickte traurig, als er den langen Schnitt sah, der sich über die
Kehle seines Gefolgsmannes zog.
Smoke ging zurück in die Halle, deren Wände aus Kristallen zu bestehen schienen. Er schob Kim vor
sich her. Der dunkelhaarige Junge protestierte, aber der Tann ließ sich nicht beirren.
»Das ist nichts für dich«, übersetzte der elektronische Dolmetscher.
Dann nickte Smoke dem schlanken braunhaarigen Mädchen zu, das neben dem hufeisenförmigen
Gegenstand lehnte. Ihre Augen waren entsetzt aufgerissen, obwohl sie versuchte, sich ihre Furcht
nicht anmerken zu lassen. Die Lippen des Mädchens formten stumm eine Frage.
»Ja«, nickte der Tann, »auch er ist tot!«
»Wir werden uns rächen!« verkündete Kim unternehmungslustig, aber die beiden anderen beachteten
ihn nicht.
»Ich würde vorschlagen«, sagte Velda fest, »daß Sie Ihre letzten Leute in diesem Raum
zusammenziehen. Es werden nicht mehr viel übrig sein.«
Der Tann ging die schimmernden Wände entlang und öffnete jedes Schott. Mit lauter Stimme rief er
nach seinen Soldaten, aber niemand antwortete. Nur einmal war ein höhnisches Kichern zu vernehmen,
das in den langen hellen Gängen sich vielfach brach.
Als der Tann zur Mitte des Raumes zurückkam, war sein Gesicht fast grau.
»Es ist keiner meiner Soldaten mehr am Leben!«
Es war eine Feststellung, aber es klang wie ein Todesurteil.
Sie wirbelten herum, als das grelle teuflische Lachen die Stille zerbrach. Der Tann schoß sofort, ohne
sich Zeit zum genauen Zielen zu nehmen. Aber das Lachen kam jetzt von der anderen Seite.
Veldas Hand zuckte nach der Waffe, die sie auf dem Wege zu diesem Ort gefunden hatte. Der grüne
Strahl schoß gegen die leuchtende Wand, aber das Schott war längst zurückgeschnappt. Das Lachen
verklang.
Zitternd vor Erregung wandte sich Velda an den Tann.
»Die Kraft dieser Waffe läßt nach!«
Stirnrunzelnd blickte das Mädchen auf die schimmernde Wand. Dort, wo der grüne Strahl aus der
Waffe aufgetroffen war, hatte der matte Glanz nachgelassen, aber die Wand war nicht beschädigt
worden.
»Ich will auch eine Waffe«, sagte Kim fest. Der Junge war sehr ernst. Die Ereignisse der letzten
Wochen hatten ihn um Jahre reifer werden lassen.
Der Tann wollte den Kopf schütteln, eine Geste, die er von den Terranern abgesehen hatte, dann gab
er seine Zustimmung.
»Sie bleiben beide hier!« befahl er. »Bei den ermordeten Posten müssen noch Waffen sein.«
Die Geschwister protestierten, aber der Tann blieb fest. Er wies auf die hufeisenförmige Lagerung,
deren innere Fläche so groß war, daß sich ein erwachsener Mann hineinlegen konnte.
»Wenn ich nicht wiederkomme«, sagte Smoke ernst, »sucht nicht nach mir! Legt euch auf dieses
Gebilde. Es bietet den größten Schutz vor den Sirenen. Sie können zwar das Heiligtum betreten,
obwohl hier keine ihrer magischen Fähigkeiten wirksam ist, aber sie haben noch nie einen Fuß in diese
Halle gesetzt. Auch wenn sie von den Schotts mit ihren Opfermessern werfen, können sie euch nicht
erreichen.«
Der Morgh wandte sich um und ging auf die leuchtende Wand zu.
Velda nahm Kim beim Arm und zog ihn zum Hufeisen in der Mitte der Halle. Zufällig fiel ihr Blick auf
den Teil der Wand, wohin der Strahl ihrer Waffe getroffen hatte. Die stumpfe Stelle hatte wieder
ihren alten Glanz angenommen. Probeweise gab Velda einen Strahl aus dem armlangen Stab ab. Sie
hatte sich vorhin nicht getäuscht. Die grüne Glut, die aus der Mündung des Rohres kam, hatte sich
wesentlich in ihrer Wirkung abgeschwächt. Velda wußte nun, daß sie sparsam mit der verbliebenen
Energie umgehen mußte. Der größte Verlaß war jetzt auf die altertümlichen ProjektilSchußwaffen des
Tann.
Die beiden Geschwister zuckten zusammen, als sie den gellenden Schrei hörten. Das Schott, durch das
der MorghFürst verschwunden war, hatte er offen gelassen. Sonst hätten sie seine entsetzte Stimme
vermutlich nicht gehört.
Ehe Velda ihren Bruder zurückhalten konnte, hatte sich Kim losgerissen. Der Junge raste auf die
leuchtende Wandung zu, in der das offenstehende Schott einen gähnenden Spalt bildete.
Velda war einen Augenblick wie gelähmt. Genau das hatten die Sirenen ja beabsichtigt. Der Tann war
ihnen in die Falle gelaufen, und nun war Kim an der Reihe…
»Kim!« schrie Velda entsetzt.
Sie sprang um das Hufeisen herum und rannte ihrem Bruder hinterher. Die langen dunklen Haare des
Jungen wehten, als er hinter der Biegung verschwand.
Velda hörte seinen Schrei gleichzeitig mit dem grausamen Gelächter.
Der Anblick, der sich dem Mädchen bot, als sie bei der schimmernden Wand angelangt war, ließ ihr das
Blut in den Adern gefrieren.
*
Wieder kamen die Impulse. Sie bedrängten ihn, aber sie waren leicht abzuwehren. Die Lockungen ließen ihn kalt. Sein überlegenes, mutiertes Hirn konnte ihre Falschheit leicht durchschauen, aber er wußte nicht, welchem Zweck die geistigen Impulse dienten. Sekundenlang fühlte Rex Corda die Versuchung in sich aufsteigen, dem drängenden Einfluß nachzugeben, um hinter ihren Sinn zu kommen. Der große Mann schüttelte nachdenklich den Kopf. Das konnte gefährlich werden! Corda wußte, daß er jetzt äußerst vorsichtig vorzugehen hatte. Er rechnete sich eine kleine Chance aus, um zum Wrack der Laktonen vorzudringen. Dort mußte er auf die Spur seiner verschwundenen Geschwister kommen. Auf Rakna, der Welt des Schreckens, waren sie nicht gewesen. Hier, auf dem VI. Planeten der Doppelsonne Gamma Virginis, war das zweite Bruchstück des laktonischen Hantelraumers niedergegangen. An Bord hatten sich seine Geschwister befunden. Rex Corda ballte die Fäuste. Seine kristallblauen Augen starrten auf den Holografen, aber er konnte die verschwundenen Gefährten nicht mehr erkennen. Auf dem dreidimensionalen Bild des Holografen waren sie nur noch kleine tanzende Punkte gewesen, bevor eine Bodenwelle sie verschluckte. Sie waren nicht mehr aufgetaucht. Ihr Schicksal war ungewiß wie das seiner Geschwister. Er mußte sie finden! Dabei ging es nicht nur um persönliche Motive. Das Vermächtnis des genialen Wissenschaftlers Walter Beckett, nach dem man den gewaltigen Hantelraumer getauft hatte, drohte der Erde verlorenzugehen. Das Wissen dieses tragisch verunglückten Mannes war zu je einem Drittel hypnotisch in den Gehirnen der drei CordaGeschwister verankert. Zusammen bildeten sie eine ungeheure Hoffnung für die Erde. Aber nicht nur die Wissenschaftler der fernen Erde interessierten sich für die geheimnisvolle Erfindung Becketts. Auch die Laktonen waren auf der Jagd danach. Aus diesem Grunde hatten sie Kim und Velda von der Erde entführt. Und deswegen erklärte sich auch das Vorhandensein des geheimnisvollen Fremden an Bord der »Walter Beckett«. Corda hatte diesen Unbekannten »X« getauft, den rätselhaften Faktor, der nicht einzuplanen war. Corda vermutete nur, daß sich »X« an Bord des Raumers befand. Er hatte keine Beweise, es sei denn, man sah das unberechenbare Auftauchen von Robotern, unerklärliche Handlungen, das Verschwinden von Gegenständen als solche an. Das Vorhandensein von »X« verwirrte Rex Corda nicht, aber er wußte, daß er doppelt wachsam sein mußte. Es war nämlich durchaus möglich, daß »X«, der ein laktonischer Agent sein mußte, mittels versteckt angebrachter Aufnahmegeräte jeden Teil des Raumers überwachen konnte. Vielleicht befand sich er selbst, Rex Corda, auf dem Bild eines Holografen, den »X« in diesem Augenblick betrachtete. Rex Corda, der Kommandant des Flaggschiffes der kleinen terranischen Flotte, wußte nicht, daß diese Vermutung genau zutraf. * KoMont, der Zeitspäher, den die überragende Technik Laktons um eine zehntausendstel Sekunde in die Zukunft versetzt hatte, saß bequem auf seinem Pneumosessel und sah auf den großen Holografen über dem Schaltpult. Scheinbar zum Greifen nah hing das dreidimensionale, genau farbgetreue Abbild Rex Cordas über der verwirrenden Menge der Hebel und Skalen, die dem Zeitspäher fast unbegrenzte Macht über das Schiff gaben. KoMont kaute an einem roten Pflanzenstengel. Der bittere Geschmack des Kenni weckte die Lebensgeister des Zeitspähers, verleitete ihn aber nicht dazu, seine bequeme Stellung in seinem Sessel zu verändern. Der laktonische Agent stellte fest, daß er wieder einmal etwas für sein leibliches Wohl tun mußte. Die letzte Mahlzeit lag über eine Stunde zurück. Das war für KoMont, bei dem sich die Bezeichnung Schlemmer als harmlose Untertreibung erweisen mußte, viel zu lange. Seufzend erhob er sich aus dem Sessel bis zu seiner vollen Höhe von 2,10 m. Die Lippen des Zeitspähers verzogen sich zu einem vergnügten Schmunzeln, als er an die Köstlichkeiten dachte, die er
hatte an Bord bringen lassen, bevor er sich selbst, ungesehen von jedem anderen Besatzungsmitglied
der »Walter Beckett«, in sein vorbereitetes Versteck begab.
Nur für Sekunden ließ der Zeitspäher den Holografen aus dem Auge, während er in seiner
Speisekammer stöberte. Mit Kennerblick wählte er eine CaddisNuß aus, eine wahre Kostbarkeit von
dem IV. Planeten des AdebaranSystems.
KoMont schmunzelte vergnügt, während er sich mit einem Spezialknacker, der Nuß und einem Glas mit
einer weißlichen Sauce vor dem Holografen niederließ.
Der einsame Mann in der Kommandozentrale der »Walter Beckett« hatte seine Haltung nicht
verändert. Rex Corda schien in tiefes Nachdenken versunken.
Auch der Zeitspäher ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte versucht, mit seinen Spezial
Robotern die Besatzung des Raumers zurückzuhalten, aber sie waren dem geheimnisvollen Einfluß
erlegen. Selbst sein Nervengas, mit dem er vorübergehend das Schiff überflutet hatte, hatte keinen
Erfolg gebracht. In Raumanzügen hatten Bekoval und Percip die restlichen bewußtlosen
Besatzungsmitglieder ins Freie befördert.
Nur Rex Corda war im Schiff verblieben. Ihn schien die Kraft, die auf die anderen so nachhaltige
Folgen hatte, nicht beeinflussen zu können.
Corda würde abwarten, das wußte KoMont. Der Terraner war auf der Suche nach seinen Geschwistern.
Sobald er sie gefunden haben würde, konnte KoMont zuschlagen. Die Laktonen würden in den Besitz
dieses Geheimnisses kommen…
Mit verliebten Augen betrachtete der massige Zeitspäher die CaddisNuß. Er setzte den Spezial
Knacker an und blickte gleichzeitig auf den Sekundenmesser der Uhr über dem Holografen.
Die Schale der Nuß zerbrach. Der weiße Kern rollte über das Schaltpult.
Sobald er mit der Luft in Berührung kam, wurde er gelblich. Ein lieblicher Geruch durchströmte das
Versteck des Agenten.
KoMont zählte die Sekunden. Die Oberfläche der Nuß wechselte von gelb zu einem intensiven Rot
über, das sich rasch verdunkelte. Der Zeitspäher griff langsam nach der Flüssigkeit. Die scharfe
Sauce würde sich mit der oxydierten Oberfläche der Nuß verbinden. Es war ein köstlicher Happen, der
jeden kultivierten Gaumen kitzeln konnte.
Der Agent wollte die Flüssigkeit über die jetzt dunkelrote Oberfläche der Nuß gießen, als er
erschreckt innehielt.
Das Bild des Holografen zeigte einen leeren Sessel. Rex Corda war aus dem Kommandoraum gegangen.
Ein alarmierendes Läuten verriet dem Zeitspäher, daß das innere Schott der siebenten Luftschleuse
geöffnet worden war.
Mit einem Fluch stürzte KoMont zu den Kontrollen. Erregt riß der Laktone an einigen Hebeln. Das Bild
auf dem Holografen wechselte. Jetzt sah der Zeitspäher Rex Corda.
Der Terraner betätigte tatsächlich den Kontrollhebel der Luftschleuse.
KoMont mußte handeln!
Zu spät entsann er sich der CaddisNuß. Mit einem lauten Knallen zerplatzte die Frucht. Silberne
Sporen schnellten durch den Raum.
Der Agent rieb sich die tränenden Augen und mußte husten.
Als sein Blick wieder klar war, sah er mit grenzenlosem Bedauern die Überreste seines Leckerbissens.
Dann gellte ein erneuter Fluch durch die kleine Kabine. Die Luftschleuse hatte sich wieder geschlossen.
Von Rex Corda keine Spur.
War der Terraner in der Schleuse verschwunden?
Oder war er in den Kommandoraum zurückgegangen?
Der Zeitspäher wußte es nicht.
*
Marryee lachte gellend und ließ das lange Opfermesser funkeln. Vleghour stemmte mit beiden Knien
den Kopf des Morgh zu Boden. Auch sie wand sich vor grenzenlosem Vergnügen.
Mit boshaften Augen musterten die beiden Sirenen ihre Opfer. Die schreckgeweiteten Augen
belustigten sie. Der Tann war ihnen im Grunde egal. Sie benutzten ihn nur als Lockmittel. Warum war
der Narr nicht mit den anderen nach Norden gegangen? Vleghour riß an ihrem Kopftuch und enthüllte die vier kleinen Höcker auf der Stirn. Dann tastete ihre dreifingrige Spinnenhand nach der Brust des Morgh, der sich unter dem drohend erhobenen Opfermesser nicht zu rühren wagte. Die Sirene griff nach dem Gerät und befestigte es an ihrem Hals. »Kommt näher!« übersetzte der elektronische Dolmetscher. Wie unter einem Zwang trat Kim einen Schritt vor, aber Velda riß ihn zurück. Der am Boden liegende Tann schrie einige Worte, aber man konnte ihn nicht verstehen. »Er winselt um Gnade«, kicherte Vleghour. »Ihr könnt ihn retten. Kommt näher!« Kim hatte sich wieder gefangen. Er wußte, daß der magische Zwang der Sirenen hier im Heiligtum wirkungslos war. Ihre Schwebesohlen versagten. Ihre paramagnetischen Kräfte waren nutzlos. Sie waren nur gewöhnliche, mordgierige Frauen. Kim und Velda wußten, daß sie sich hier im Wrack eines Raumschiffes befanden. Die Machtlosigkeit der Sirenen mußte von dem strahlenden Hufeisen verursacht worden sein. Und doch hatte es Kim vorwärtsgerissen. Auch Velda war von den flehenden Augen des tödlich bedrohten Tann beeinflußt worden, aber sie riß sich eisern zusammen. »Was wollt ihr?« fragte sie fest. Marryee hatte die messerscharfen Lippen zu einem bestialischen Grinsen verzogen. Ihre rote knochige Hand mit dem Opferdolch näherte sich der Kehle des MorghFührers. »Kommt mit zu uns«, lockte Vleghour. »Es geschieht euch nichts, und auch der Tann wird freigelassen. Wenn nicht…« Auf einen Wink setzte Marryee die blitzende Schneide an die hagere krampfhaft würgende Kehle des Morgh. Der Tann zuckte empor, als die Schneide seine Haut ritzte. Blut netzte seinen Hals. Einen Augenblick der Unachtsamkeit Vleghours machten sich die Geschwister zunutze. Während sich der Tann zur Seite warf, sprangen sie auf die beiden überraschten Sirenen zu. Das Messer Marryees zerriß den bunten Umhang des Tanns, verfehlte aber seine Kehle um Haaresbreite. Von der Wucht des Ansturms wurden die beiden hageren Frauen zu Boden geworfen. Aber sie kamen überraschend schnell wieder auf die Beine. Die wütenden Schreie der Sirenen hallten im Gang wider. Jetzt hatte auch Vleghour ein langes Opfermesser in der Hand. Es mußte unter den Falten ihres langen bunten Gewandes verborgen gewesen sein. Der Tann wich zurück, bis er an der Wand angelangt war. Sein Gesicht zeigte eine ungesunde hellrote Farbe. Mit einem schrillen Schrei drehte sich der Tann um und floh an den Hexen vorbei den Gang entlang. Kim stand starr vor Entsetzen. Er konnte es nicht fassen, daß der Tann geflohen war und sie feige im Stich gelassen hatte. »Verdammter Feigling!« brüllte der Junge hinter der hageren Gestalt des rennenden Morgh her. Dieser unbedachte Augenblick wäre dem Jungen fast zum Verhängnis geworden. Eine der Sirenen hatte sich vorgeworfen. Der Schuß aus Veldas armlanger Waffe tauchte die diffuse Dämmerung des Ganges in grüne strahlende Helligkeit. Vleghour taumelte. Der Schuß hatte das Opfermesser getroffen, das im weiten Bogen davonsegelte. Mit einer blitzschnellen Bewegung riß die Sirene das Übersetzungsgerät über ihren Kopf und schleuderte es Velda entgegen, die erneut abdrücken wollte. Das Mädchen behielt die Waffe in der Hand, aber der zweite Schuß ging gegen die Decke. Mit Entsetzen bemerkte Velda, wie rapide die Energie des Strahlers nachgelassen hatte. Die beiden mordgierigen Frauen schienen das auch zu ahnen. Mit glänzenden Gesichtern näherten sie sich. Vleghour hatte ihr Messer wieder aufgenommen. Wie auf Verabredung schwangen beide Sirenen die glänzenden Schneiden über ihren Köpfen. Der Wurf würde mit tödlicher Präzision erfolgen. Genüßlich kosteten sie die Situation aus. Auf einen Wink seiner Schwester sprang Kim hinter Velda. Das Mädchen drückte ab. Aber ihr Strahler vermochte nur noch Hitze zu erzeugen. Aber diese Hitze war so stark, daß die Sirenen zurückweichen
mußten. Schreiend taumelten sie den Gang entlang, die Messer drohend erhoben. Sie konnten ihre Messer nicht werfen, weil die Luft vor Hitze zitterte, und ein genaues Zielen nicht ermöglichte. Langsam drang Velda vorwärts. Sie wußte nicht, wie lange die Energie des Strahlers noch ausreichen würde. Minuten? Sekunden? Doch das dumpfe, rhythmische Patschen hinter den Geschwistern ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Lomtos! Vor wenigen Stunden hatten sie die Bekanntschaft der riesigen roten Frösche gemacht. Sie mußten machtlos zusehen, wie Franko, der MorghJunge, von diesen seltsamen Wesen, die unter der Kontrolle der Sirenen standen, getötet wurde. Kim hatte seinen besten Freund verloren. Und jetzt drohte die tödliche Gefahr hinter ihnen. Langsam näherten sich die Frösche, als wüßten sie, daß ihnen ihre Opfer nicht entgehen konnten. Denn die Energie des Strahlers erstarb. Mit einem bösartigen Gelächter des Triumphs näherten sich die wahren Beherrscher des Planeten Morgh. Die Sirenen drangen schneller vor, denn die Hitze wurde wesentlich schwächer. Die Geschwister saßen in der Falle. Hinter ihnen näherten sich die roten Frösche, deren rasiermesserscharfe Zähne sie zur Genüge kannten. Aber diese Wesen hatten eine weitaus wirksamere Art, mit Menschen oder Morghs fertig zu werden… Schmerzhaft deutlich waren jetzt die beiden hageren Frauen zu sehen. Sie hielten ihre Messer wurfbereit, aber sie dachten nicht daran zu werfen. Marryee und Vleghour dachten mit dämonischem Frohlocken daran, welch weitaus grausamerer Tod jene beiden fremden Monster erwartete. Das Patschen kam näher! Der erste rote Frosch erschien an der Biegung des Ganges. Entsetzt blickte sich Kim um. * Lachend warf Bekoval den strampelnden GaVenga die Klippen empor. Percip und John Haick arbeiteten sich keuchend die steile Felswand hoch. Ihre Gesichter strahlten vor Freude, wenn sie den über ihnen schwebenden Sirenen zuwinkten. Erregt schossen die hageren rotgesichtigen Frauen auf ihren GravoSohlen durch die Luft. Sie spürten, daß sie ihrem Ziel unmittelbar gegenüberstanden. Wenn sie steil in die Luft stiegen, konnten sie sogar die vertrauten Hänge erkennen, aber das andere war hier wichtiger. Diese Fremden, die mit dem großen Schiff vom Himmel gekommen waren, mußten dem SuperEgo gegenübergestellt werden. Das SuperEgo verlangte es! Es gab ihnen Sonderkräfte, die die sieben Sirenen kraftvoll und übermütig machte. Es war leicht, die Männer unter Kontrolle zu halten. Auch der eine mit der Kerbe auf der Oberlippe würde keinen Widerstand mehr leisten. Er hatte sich hoffnungslos in Gartee verliebt! Die Sirene schauderte, als sie daran dachte. Aber voller Stolz überlegte sie, welche Kraft das Super Ego aus diesen Fremden schöpfen konnte. Bekoval schob gutmütig einen anderen Laktonen über eine Felsplatte. Sein Stoß war etwas zu kräftig, so daß der andere mit voller Wucht über die glatte Oberfläche des Quaders schlidderte. Der Laktone stürzte über die Kante. Hinter ihm gähnte ein fast bodenloser Abgrund, aber der Laktone konnte sich mit letzter Kraft halten. Seine eisenharten Finger umklammerten den Stein. Langsam zog er sich empor. Keiner seiner Gefährten dachte daran, dem Gestürzten zu helfen, der in seiner Anstrengung die rötlichen Zähne bleckte. Sie standen am Rande der Plattform und schüttelten sich vor Lachen. Sie hätten noch weitaus stärker gelacht, wenn der Laktone über den Abgrund gestürzt wäre. Es gab nichts, worüber man nicht lachen konnte! Erst ein scharfer Impuls der heranschwebenden Sirenen veranlaßte die Männer, dem Laktonen auf die Platte zu helfen. Die Glieder des Extraterrestriers zitterten vor Anstrengung, aber er stimmte in das allgemeine Gelächter mit ein. Aber man durfte keine Zeit verlieren!
Wie von Sinnen liefen die Männer den Berg hinauf. Sie waren zerkratzt und bluteten. Aber sie achteten nicht auf ihre Wunden, die ihnen von messerscharfen Kanten, fallendem Geröll und den Stößen ihrer Gefährten zugefügt worden waren. Ihre Begeisterung kannte keine Grenzen. GaVenga trällerte immer noch den alten terranischen Schlager, den er irgendwann auf der Erde aufgeschnappt hatte. Verlangend schmetterte er seinen Gesang einer hageren, überaus dürren Sirene zu, die ihm besonders zu gefallen schien. Mit großartiger Gebärde strich sich der kynothische Dolmetscher über das blaue Haar, das zusammen mit den Augenbrauen sein jungenhaftes Gesicht umrahmte. Die Kombination mit dem roten Brustkeil war beschmutzt und zerrissen, aber der Kynother trug sie mit selbstbewußter Eleganz. Bekoval und Percip kicherten wie zwei Schulmädchen in der Tanzstunde. Alle waren bester Stimmung, als sie den Gipfel des Berges erklommen hatten. Bekoval hatte darauf bestanden, diesen Weg zu nehmen, weil er behauptete, er führe sie schneller zu ihrem Ziel. Woher er diese Weisheit hatte, wußte er nicht zu sagen. Aber weder er noch irgendein anderer interessierte sich dafür. Der mächtige Laktone wischte sich über seine stumpfe Nase, über die ein breiter Kratzer lief. Das ausgeströmte, inzwischen getrocknete Blut beachtete er nicht. Mit einem gellenden Schrei, der tief aus seiner mächtigen Brust kam, warf er die Arme in die Luft und stürmte die andere Seite des Berges hinab. Felsbrocken polterten mit ihm zu Boden. Eine Steinlawine löste sich. Die anderen deuteten kichernd auf den rennenden Bekoval, auf den ein Brocken mit einem Durchmesser von über drei Metern zurollte. Der massige Laktone stürzte und war zwischen zwei Felsblöcken eingeklemmt. Wie im Zeitlupentempo rollte der Quader auf den Laktonen zu. In Sekunden würde der Mann, dessen Mund sich zu brüllendem Gelächter geöffnet hatte, überrollt sein. Eine Sekunde erfaßte Percip ein würgendes Gefühl. Panischer Schrecken durchzuckte ihn, als ihm die Szene plötzlich überdeutlich vor Augen trat. Er stürzte vorwärts, obwohl er sich ausrechnen konnte, daß seine Kräfte bei weitem nicht ausreichten, um den Felsblock zur Seite zu drücken. Das Krachen und Tosen der Felsbrocken dröhnte mit schmerzhaftem Donnern in seinen Ohren. Nur ein Wunder konnte Bekoval retten! Percip stürzte und wurde über die scharfen Kanten geschleudert. Plötzlich lachte er wieder. Der Stein war nur einen Meter von Bekoval entfernt. * Er mußte jetzt handeln! Wenigstens teilweise war ihm jetzt klar, was den quälenden Zwang über die Männer gebracht hatte. Nein, dachte Rex Corda, er wußte immer noch nicht, was es war, was diese geheimnisvolle Kraft, die die Männer mit grundloser Heiterkeit erfüllte, bedeutete und wer dahinterstand. Die Mädchen. Gewiß. Aber sie wirkten mehr wie Werkzeuge einer übergeordneten Macht. Diese flatternden, keifenden Frauen machten nicht den Eindruck hochintelligenter Wesen. Rex Corda fühlte, woher die Macht kam. Sie kam aus dem Norden. Und in diese Richtung war auch seine Besatzung gezogen. Aber er fühlte noch eine Kraft, einen Gegenpol. Dieser Pol befand sich im Westen. Aber von dieser Kraft ging keine Beeinflussung aus. Sie schien sogar der Ausstrahlung aus dem Norden entgegenzuwirken. Der Terraner wußte jetzt, was er zu tun hatte. Er schloß die innere Tür der Luftschleuse und eilte zum Hangar. Für einen Augenblick erwog er, ob er Kampfroboter mitnehmen sollte, aber dann verwarf Corda diesen Gedanken. Die Roboter standen zweifellos unter der Kontrolle von »X«, dem geheimnisvollen Unbekannten. Im Hangar wählte er einen mittleren Gleiter laktonischer Bauart aus. Das Fahrzeug war mit einem leistungsfähigen gravomechanischen Antrieb versehen. Trotzdem hatte Corda ein ungutes Gefühl bei der Sache. Er war selten mit diesen Gleitern geflogen, und wenn, dann hatte Percip gesteuert. Aber er mußte es einfach versuchen. Er durfte keine Zeit verlieren. Die Situation würde sich nicht verändern. Er wußte genug, um starten zu können. Was würde »X« jetzt unternehmen?
Es gab zwei Möglichkeiten. Der Unbekannte könnte ihn entweder verfolgen oder er würde ihn weiter überwachen. In diesem Fall war der Gleiter bestimmt mit einer ausgeklügelten versteckten Überwachungsanlage versehen. Hier mußte er ansetzen. Entschlossen bestieg er den laktonischen Gleiter. Auf einen vorsichtigen Druck der Kontrollen setzte sich das Fahrzeug schnell in Bewegung. Zu schnell! Corda verringerte noch weiter die Einstellung des Antriebreglers. Vor dem breiten PanzerplastTor, der inneren Luftschleuse des Hangars, kam der Gleiter zum Stehen. Rex Corda tippte die CodeTaste, und das Tor schwang herum. Langsam schob sich der Gleiter in die Schleuse. Bevor der Terraner die zweite CodeTaste drückte, die das Öffnen des äußeren Tores zur Folge haben würde, blickte er sich im Innern des Gleiters um. Wie seine oberflächliche Überprüfung ergab, fehlte keiner der Ausrüstungsgegenstände, die den Gleiter zu einer für terranische Begriffe vernichtenden Superfestung machen würden. Der große Mann an den Kontrollen des Gleiters betätigte die zweite CodeTaste. Relais schnappten ein, Servomotoren brummten. Das äußere Schott rollte in die Wandung der Außenhülle. * Die Hände des Zeitspähers glitten mit rasender Geschwindigkeit über die verwirrende Vielzahl der Kontrollen, die es ihm ermöglichten, jeden Teil des Schiffes auf seinen Holografen erscheinen zu lassen. KoMont fluchte unterdrückt vor sich hin. Er hatte seine kostbare CaddisNuß eingebüßt und darüber hinaus Rex Corda aus den Augen verloren. Der Zeitspäher hätte beim besten Willen nicht die Frage beantworten können, was ihm größeren Kummer bereitete. Endlich hatte er den Terraner wieder auf dem Schirm. Stirnrunzelnd folgte der Agent dem Mann, der energisch den Gang entlangschritt. KoMont lächelte genüßlich vor sich hin. Der Terraner wollte natürlich zum Hangar. Das war ausgezeichnet. Besser konnte es gar nicht kommen. Der Zeitspäher überlegte sich schon, welche Delikatesse er sich als Ersatz für die CaddisNuß zu Gemüte führen sollte. Auf jeden Fall hatte er vorgesorgt. Es wäre weitaus schlimmer gewesen, wenn sich der Terraner zu Fuß aus dem Schiff entfernt hätte. Dann hätte auch die Supertechnik Laktons nicht viel genutzt. KoMont wäre gezwungen gewesen, sein komfortables Versteck zu verlassen. Es hätte zwei Möglichkeiten gegeben. Entweder, er wäre Rex Corda zu Fuß gefolgt, oder er hätte einen Gleiter benutzen müssen. Letzteres wäre schlecht gewesen, da der Terraner die Flugmaschine bemerken würde. Allerdings könnte er ihn, KoMont, nicht sehen. Der Zeitspäher war sich da völlig sicher. Auch die Möglichkeit, zu Fuß den Terraner zu verfolgen, hätte KoMont ganz und gar nicht behagt. Die Ausrüstung würde so schwer gewesen sein, daß nur wenig Platz für den Proviant gewesen wäre. KoMont seufzte zufrieden. Er stellte fest, daß er an jede Möglichkeit gedacht hatte. Deutlich verfolgte der Zeitspäher von dem im Innern des Gleiters versteckten Aufnahmegerät, wie der Terraner sich hinter die Kontrollen schob. Beifällig kommentierte er die Versuche Cordas, den Gleiter zu manövrieren. Ohne den Schirm aus den Augen zu lassen, erhob sich KoMont von seinem Sessel und langte in den Proviantschrank. Das mußte gefeiert werden. Rigelwein und ein Gemüse aus dem Sternenhaufen um Cassiopeia, dessen Name unaussprechbar war, hielt der Agent für diese Gelegenheit für angemessen. Er erhob sein Glas gegen den Holografen und prostete dem ahnungslosen Rex Corda zu. Im gleichen Augenblick drehte sich der Terraner um und schien KoMont genau anzublicken. Das mußte eine Täuschung sein. Trotzdem verschluckte sich der Laktone. Roter Wein ergoß sich über
die Kontrollen. Wenn der Terraner mit den kristallblauen Augen die winzige Optik entdeckt hatte? Unsinn! Sagte sich der Zeitspäher. Er nahm einen tiefen Schluck und stopfte sich eine Handvoll des kostbaren Gemüses hinter seine rötlichen Zähne. Beifällig verfolgte er die Handgriffe des Terraners. Diese Burschen sollte man nicht unterschätzen, grinste KoMont. Für Primitive waren ihre Leistungen schon allerhand. Trotzdem waren sie natürlich gegen die Supertechnik Laktons machtlos. Machtlos wie alle anderen Völker. Außer Orathon, dachte der Zeitspäher. In seiner Kehle kitzelte es, als er an die schlimmsten Feinde der Laktonen dachte. Rasch stopfte Ko Mont eine Tablette in den Mund, um die Magensäuren zu beruhigen. Jakto Javan, der Oberbefehlshaber der laktonischen Flotte, hatte genau gewußt, was er tat, als er gerade KoMont als Zeitspäher auswählte. Gerade die Tatsache, daß dieser überaus tüchtige Agent ein ebenso tüchtiger Esser war, ließ vermuten, daß er in der Enge seines Verstecks nicht von Platzangst überwältigt wurde. Obwohl natürlich KoMont in einer anderen Zeitebene lebte, war es nötig, daß er dauernd in dem kleinen Versteck, tief im Innern des Schiffes, blieb. Rex Corda hätte den Zeitspäher nicht sehen können, selbst wenn dieser sich unmittelbar vor ihm befinden würde. Aber die Handlungen des Agenten konnten ihn verdächtig machen. Ein Blatt Papier, das er berührte, könnte er in seine eigene Zeitsphäre reißen, so daß es unsichtbar wurde. Sofort würde man Verdacht schöpfen. Und gerade das sollte vermieden werden. Rex Corda mußte ahnungslos sein, um die Laktonen auf die Spur seiner Geschwister zu führen. Sobald die drei vereinigt waren, würde Lakton zuschlagen. Es ging um das Vermächtnis des Wissenschaftlers Walter Beckett. Und kein Preis war zu hoch, um in den Besitz dieses Vermächtnisses zu kommen. Es geschah aus gutem Grund, daß man den fleißigen Esser KoMont zum Überwacher Rex Cordas machte. Das Essen, zusammen mit der hypnotischen Schulung, würden den Agenten die Enge seines Raumes nicht spüren lassen. Die Laktonen hatten nur nicht alles einplanen können… * Der Knall brach hallend durch den Gang. Er wurde von den strahlenden Wänden vielfach zurückgeworfen. Die Echos irrten wie verschreckte Vögel umher. Eine rauhe Stimme krächzte unverständliches Zeug. »Der Tann!« jubelte Kim Corda. »Er ist zurückgekehrt!« Jaulend zischte etwas in gefährlicher Nähe an den beiden Geschwistern vorbei. Das Patschen hinter ihnen verstummte. Ein lauter Schrei aus einer nichtmenschlichen Kehle gellte durch den Gang. Velda riß ihren Bruder gegen die Wand. Wieder pfiffen Kugeln an ihnen vorbei. Sie durften sich nicht unnötig in Gefahr begeben, auch wenn der Tann als ausgezeichneter Schütze galt. Etwas Grellbuntes taumelte an den Geschwistern vorbei. Ein zweiter flatternder Schatten folgte. Die beiden Sirenen flohen mit unglaublicher Geschwindigkeit. Man hätte nie für möglich gehalten, welche Kraft in diesen so hageren Frauenkörpern steckte. Der Fuß Kims schoß vor. Der Junge lachte laut auf, als die Sirene taumelte und über den glatten Gang schlitterte. Etwas fiel dunkel aus den Falten ihres Gewandes und detonierte mit ohrenbetäubendem Krachen. Hastiges Patschen verriet, daß sich auch die Frösche zurückzogen. Keifend flohen die Sirenen. Der Tann kam näher heran. In seinen schmalen dreifingrigen Händen lagen zwei der großkalibrigen Schußwaffen. Lächelnd nickte Smoke den Geschwistern zu, dann rannte er in den Gang hinein, den Sirenen nach. Dreimal bellten Schüsse hinter der Biegung auf. Jedesmal war ein langgezogenes, schrilles Jaulen zu hören, das zu einem grauenhaften Crescendo anschwoll. Am Gipfelpunkt brach der Schrei jedesmal schlagartig ab. »Die Lomtos!« flüsterte Kim erregt. Sein Gesicht leuchtete, als er daran dachte, daß sein ermordeter Freund Frenko gerächt wurde. Velda nickte ihm zu. Das Mädchen war jetzt am Ende ihrer Kräfte. Abwesend strich sie sich über ihr
langes braunes Haar, das zerzaust und schmutzig wirkte. Ein trockenes Schluchzen erschütterte den
schlanken Körper Veldas. Jetzt, da die Spannung für einen Augenblick vorbei war, kam ihr die Gefahr,
in der sie geschwebt hatten, erst richtig zu Bewußtsein.
»He!« krähte Kim, »hast du gesehen, wie ich der verdammten Hexe ein Bein gestellt habe!?«
Der Junge spürte deutlich, daß er seine Schwester aus ihrer Lethargie reißen mußte. Er lachte
schallend.
»Gut geschaltet, wie?«
Velda lächelte krampfhaft.
Schritte ertönten. Der Morgh erschien hinter der Biegung des Ganges. Seine Pistolen rauchten noch.
Aber er trug beide in einer Hand. In der anderen hielt er eine blaßblaue Blume, deren beizender
Gestank den Gang überflutete.
Smoke lächelte selig, während ihm die Tränen über die roten Wangen liefen.
Dieser Anblick brachte Velda vollends zur Besinnung. Das Mädchen lachte auf.
Kim schlug ihr auf die Schulter. Der Junge sah seine ältere Schwester mit einem gönnerhaften Lächeln
an.
»Du brauchst dir übrigens keine Sorgen mehr zu machen! Ich habe jetzt meine Waffe!«
Kim stolzierte großartig ein paar Schritte vorwärts, um die am Boden liegende Waffe, die der
gestrauchelten Sirene aus den Falten ihres Gewandes gefallen war, aufzuheben.
Aber mit wenigen Schritten war der Tann heran und riß den Jungen zurück.
Velda runzelte ungläubig die Stirn. »Du hast mir die Pistole versprochen, du verdammter Wortbrecher!
«
»Sei nicht so frech, Kim!« sagte Velda streng.
Aber der Tann verstand ohnehin kein Wort, da der elektronische Dolmetscher weiter hinten im Gang
lag. Beruhigend brummte er auf den aufgebrachten Jungen ein und überreichte ihm beide Waffen, die
er in der Hand trug.
Kim strahlte.
Der Mann machte eine warnende Geste auf die Waffe hin, die von der Sirene verloren worden war.
Dann eilte er mit wenigen Schritten zu der Stelle, wo das Übersetzungsgerät lag. Ein breites Lächeln
lag auf dem hageren Gesicht des Tann, als er den elektronischen Dolmetscher auf seiner Brust
befestigte.
Seine Stimme krächzte heiser. Offenbar war der Lautsprecher beschädigt worden. Aber die Worte
waren noch einigermaßen deutlich zu verstehen.
»Sie dürfen die Waffe nicht berühren. Die Sirene war verwundet. Ihr Blut hat das Metall berührt und
vergiftet!«
Velda hütete sich zu lachen. Abergläubische Scheu sprach aus den Worten des Morgh.
Hexenblut!
Das Mädchen war davon überzeugt, daß die Sirenen ganz normales MorghBlut in ihren Adern hatten,
aber das behielt sie für sich. Sie wollte den Tann nicht unnötig verärgern.
»Wehe, du faßt die Waffe an!« sagte sie streng zu Kim. Der Junge nickte.
»Brauche ich ja auch nicht! Ich habe ja zwei!«
Der Morgh lachte und nahm dem Jungen eine Waffe ab.
»Eine kannst du behalten«, sagte Smoke gutmütig. »Wir werden gleich mal das Schießen üben. Munition
bekommst du von mir!«
Dann wandte er sich an Velda.
»Sie hatten doch nicht etwa geglaubt, ich wollte Sie im Stich lassen? Wir mußten nur einfach Waffen
haben, nachdem mir die eine Sirene meine abgenommen hatte. Darum bin ich zu den ermordeten
Soldaten gelaufen.«
Der schmale Mund des Tann zog sich von einem Ohr zum anderen.
»Die Sirenen haben das Heiligtum verlassen. Es dürften keine mehr hier sein, sonst hätten sie schon
vorhin den beiden geholfen. Wie scheinen eine kleine Atempause zu haben!«
Darin täuschte sich Smoke gewaltig.
Sie hatten keine Atempause.
Der spitze unmenschliche Schrei ließ den Geschwistern Schauer über den Rücken laufen. Wieder und
wieder ertönte der Schrei, urweltlich und grauenvoll. Er schien aus weiter Entfernung, auf jeden Fall
von außerhalb des Heiligtums zu kommen, von dem Kim behauptete, daß es sich um ein Raumschiff
handelte.
Die Schreie kamen näher. Sie ließen die Trommelfelle schmerzen.
Der Tann riß sich aus seiner Erstarrung. Dann brüllte er auf. Wütend rollte er die Augen und
gestikulierte mit seinen dreifingrigen Händen. Er schien unfähig, überhaupt einen zusammenhängenden
Satz hervorzubringen.
Wieder schrie es. Gellend hoch und unbeschreiblich mißtönend.
Der Tann raste los.
Kim und Velda folgten ihm.
*
Den strahlenden Stein drohten störende Schatten zu verdunkeln. Ein wechselndes Licht fiel über die
kostbaren Tücher, auf denen der strahlende Kristall ruhte.
Das SuperEgo war beunruhigt, aufs höchste beunruhigt.
Das hatte es in der ganzen Geschichte der Dienerinnen des Steins nicht gegeben!
Die vierundzwanzig Sirenen, die mit ihrer Kette von Händen einen geschlossenen Odstrom um den
strahlenden Stein bildeten, warfen sich verstörte Blicke zu.
Es war alarmierend, daß das Ganze kurz vor der NullPeriode geschah.
Die vierundzwanzig Sirenen bildeten das SuperEgo. Ohne dieses SuperEgo, das die Energien des
strahlenden Steins aufnahm, wären die Sirenen völlig machtlos gewesen. Das SuperEgo allein bildete
die Brücke zwischen den Sirenen, die als Dienerinnen Morgh beherrschten und unterdrückten, und
zwischen dem leuchtenden BiKristall.
Unvorhergesehenes war geschehen.
Die Tanns hatten mehr Widerstand als normal gezeigt, aber man würde sie in ihre Schranken
zurückweisen.
Ein Schiff mit Männern einer fremden Welt war gelandet. Alle Männer waren willig zum Tempel
gefolgt, alle bis auf einen.
Dieser eine schien eine geheimnisvolle Beziehung zu den beiden anderen störenden Personen zu haben,
die zusammen mit einem aufständischen Tann sich im Westlichen Heiligtum verborgen hielten und sich
weitaus besser verteidigten, als man angenommen hatte.
Der Angriff der Frösche, der roten Lomtos, war abgeschlagen worden. Weitaus bestürzender aber
war die Niederlage von Marryee und Vleghour. Beide waren verwundet worden. Natürlich war das
SuperEgo sofort in der Lage gewesen, die Verletzungen durch einen Odstrom zu heilen, aber dennoch
war die ganze Angelegenheit mehr als bedenklich.
Wenn jetzt noch die dritte Kraft aus dem Schiff sich dem Heiligtum im Westen näherte, konnten die
Folgen verheerend sein. Es wurde jede Schwester gebraucht, um den Kräftefluß zum Kristall zu
sichern. Wäre nicht die Nullperiode gewesen, die die Macht des Kristalls erlöschen ließ, hätte man
durch konzentrierte Kraft des SuperEgos mühelos die drei störenden Faktoren beseitigen können.
So aber…
Das, war das SuperEgo befürchtete, geschah mit schmerzhafter Plötzlichkeit.
Der dritte rebellische Geist verließ das Schiff von den Sternen. Seine Absicht schien klar.
Sein Ziel war das Westliche Heiligtum.
Man mußte verhindern, daß sich die drei feindlichen Kräfte zusammenschließen konnten. Nichts war
wichtiger.
Das SuperEgo zweifelte nicht daran, daß auch dieser dritte Geist ihm die OdEnergien entziehen
konnte.
Bei dem Mädchen und dem männlichen jungen Monster war das der Fall gewesen.
Die vierundzwanzig Sirenen, die das SuperEgo bildeten, stöhnten auf.
Auch das dritte Monster, das eben das Schiff von den Sternen verlassen hatte, war männlich.
Und seine geistige Ausstrahlung war wesentlich mächtiger.
Es war ausgewachsen!
*
Mit einem schrillen Schrei stürzte Gartee auf den felsigen Abhang herunter. Die Luft unter ihren
GravoSohlen zischte auf. Tanzende Nebelschleier hüllten das Mädchen milchig weiß ein.
Die Sirene entriß für den Bruchteil einer Sekunde dem SuperEgo ungeheure Energiemengen. Ein Blitz
zuckte vom Himmel und traf den Felsen, der Bekoval zu überrollen drohte.
Der riesige Felsblock verhielt in seiner Bewegung. Große Splitter lösten sich auf seiner Oberfläche und
schossen auf den liegenden Bekoval zu.
Der Laktone brüllte vor Freude, als die tödlichen Geschosse wie von einer unsichtbaren Wand
abprallten.
Der Felsblock schaukelte sanft. Dann glitt er zur Seite und stürzte, sich vielfach überschlagend,
donnernd zu Tal.
Langsam befreite sich Bekoval. Ebenso wie seine Gefährten sah er keine Veranlassung, sich über diese
ungewöhnliche Rettungsaktion zu wundern.
Die Männer jubelten. Percip, um den GaVenga kreischend herumtanzte, fühlte einen nagenden Zweifel
in einer Ecke seines Verstandes, aber dann öffnete der Laktone ebenfalls seinen Mund zu einem
Triumphgebrüll.
Gartee stieg steil in den rötlichen Himmel empor. Sie wußte, daß sie ihre Aufgabe sehr gut gelöst
hatte.
Die Rettung des riesigen Laktonen zeugte von guter Überlegung. Die IDReserven des Fremden mußten
ungeheuer sein…
Gemeinsam liefen und stolperten die Männer zum Tal.
Die beiden Sonnen Morghs, Somd und Pay, beleuchteten mit ihrem grellen Licht das riesige Tal, das von
den Bergen eingefaßt wurde.
Der Talkessel war in seiner Größe unübersehbar. Seine Grenzen verschwammen am Horizont.
Die Männer wußten, daß sie am Ziel angelangt waren. Ihre Ausgelassenheit steigerte sich zu irrer
Freude. Sie hielten sich an den Händen und rasten zu Tal, den wirbelnden Haufen der Sirenen über
sich.
Zwei bärenstarke Laktonen hatten GaVenga an den Händen gepackt und rissen ihn durch die Luft. Der
Kleine zog die Füße an und ließ sich grinsend tragen.
Während des Laufens vernahmen die Männer die Musik, die von allen Seiten zu kommen schien. Es
waren süße, liebliche Töne, die schmelzend in den Ohren der Laktonen klangen.
Gewiß hatte wohl nicht jeder der Agenten und Soldaten je zuvor etwas für Musik übrig gehabt. Aber
jetzt lauschten alle ergriffen, obwohl sie in gefährlichen Sprüngen die weite Geröllhalde hinabhetzten.
Eine Gruppe rotgesichtiger Männer und Frauen tauchte vor ihnen auf, die sich singend und tanzend um
ein großes Feuer bewegten.
In ihrer Freude überrannten die Männer das Lager, trampelten durch das Feuer und stießen die
rotgesichtigen, dreifingrigen Menschen zu Boden.
Hechelnd blieben sie stehen und entschuldigten sich lachend, aber die Fremden nahmen ihnen nichts
übel. Mit ausgebreiteten Armen hießen sie die Besatzung der »Walter Beckett« willkommen.
Einen Augenblick starrten die Männer noch mit sehnsüchtigen Augen nach den Sirenen, die auf ihren
GravoScheiben über dem Lager am Hang verhielten.
Aber die Schönen des Himmels waren den Männern unerreichbar. Also nahmen sie, was sich ihnen bot.
Bekoval riß eine für MorghVerhältnisse unmäßig fette Frau in seine starken Arme. Knochen knackten
verdächtig, aber der Laktone war nicht zu bremsen. Mit innigem Gesichtsausdruck betrachtete er das
grellrote Gesicht der Frau. Eine scharfe Hakennase dräute dem Laktonen wie ein Geierschnabel
entgegen. Hervorquellende grüne Augen und ein messerscharfer Mund, der von einem spitzen Ohr bis
zum anderen ging, gaben dem Gesicht ein schreckliches Aussehen.
Normalerweise wäre Fatlo Bekoval, der als SonderAgent im Dienste Laktons nicht gerade zimperlich
war, entsetzt zurückgeprallt.
Aber unter dem Einfluß der Sirenen, die vom SuperEgo gesteuert wurden, drückte der massige Laktone das Mädchen an seinen gewaltigen Brustkorb und führte sie mit der unnachahmlichen Geste eines spanischen Granden auf eine festgestampfte Tanzfläche. GaVenga hatte ebenfalls sein Herz verloren. Er hatte seine frühere Angebetete vergessen, die jetzt unerreichbar hoch über ihm schwebte, und näherte sich einem großen MorghMädchen. Beschämt senkte die MorghSchöne ihre hervorquellenden Augen und nestelte an einem grellbunten, mit schreiend gefärbten Federn geschmückten Beutel. Der kleine Kynother näherte sich seiner Angebeteten. Es störte ihn durchaus nicht, daß die Dame seines Herzens ihn um mindestens drei Haupteslängen überragte. Dafür war ihre zerbrechliche lange Gestalt halb so breit wie der Dolmetscher. GaVenga umfaßte seine Partnerin bei der Hüfte und mußte dabei auf den Zehenspitzen laufen. Mit rollenden Augen lernte das Sprachgenie die Anfangsgründe der Morghischen Konversation. Alle hatte es gepackt. John Haick lehnte in seiner stillen Art gegen den Pfosten eines Zeltes und betrachtete mit schmachtenden dunklen Augen eine Sirene, die hoch über seinem Kopf schwebte. Der verklärte Blick des terranischen Atomwissenschaftlers sprach Bände. Sicher war er nie in seinem Leben so verliebt gewesen. Nur Percip war vom allgemeinen Liebestaumel etwas verschont geblieben. Er hielt zwar auch ein rothäutiges Mädchen im Arm, aber sobald der machtvolle, lockende Ruf in seinem Hirn etwas nachließ, hielt er das seltsame Geschöpf auf Armeslänge von sich ab. Stirnrunzelnd betrachtete er das mit Federn geschmückte Gewand. Die Grundfarbe war blau. Offenbar die Lieblingsfarbe der Frauen auf diesem Planeten, wenn sie auch ein Gemisch von Blau und schreiendem Bunt vorzogen. Percip fühlte sich sonderbar unbehaglich. Er konnte einfach nicht an dem allgemeinen Trubel teilnehmen. Sanft löste er sich von dem Mädchen, das ihm zuwinkte und im Trubel verschwand. Ab und zu sah er ihren wehenden blaubunten Rock auftauchen. Er zuckte zusammen, als sich ein Liebespaar näherte. Einen Augenblick sah Percip mit aller Klarheit den kynothischen Dolmetscher GaVenga. Der Kleine spreizte sich wie ein Pfau und schleppte ein riesiges Mädchen von abgrundtiefer Häßlichkeit hinter sich her. Percip fuhr zusammen. Seine Oberlippe mit dem roten Spalt zuckte. Was ist mit uns geschehen, fragte sich der auf Lithalon geborene Agent der Laktonen. Warum sind wir so? Das Riesenweib bog ihren dürren Körper und beugte sich zu dem einherstolzierenden GaVenga hinunter. Ihr scharfer, lippenloser Mund krächzte eine Serie von mißtönenden Lauten. Vielleicht hätte Percip gelacht, wenn er die Worte verstanden haben würde. Der kleine Dolmetscher schien sie jedenfalls zu verstehen, den er lächelte. * Steil schoß der laktonische Gleiter in den rötlichen Himmel des 6. Planeten der Doppelsonne Gamma Virginis. Die gleißende Helle der Sonne Pay schien den schlanken Gleiter einen Augenblick zu verschlucken. Doch dann spie sie ihn wieder aus und gab ihn an die größere Somd weiter. Ein gleißender Reflex zuckte wie ein Signal zu der schimmernden Hülle des gigantischen Hantelraumers »Walter Beckett« hinüber. Wachsam saß Rex Corda hinter den Kontrollen. Einen Augenblick, während der Gleiter die ruhige Luft durchschnitt, öffnete er weit die Schranken seines Geistes, um sie sofort wieder zu schließen. Rex Corda wußte genug. Genug, um aus seinen Ahnungen und Empfindungen Handlungen ableiten zu können. Hier, außerhalb der abschirmenden Panzerplastwände des Hantelraumers, waren die vielfältigen, verwirrenden Impulse viel stärker und lockender. Der eine starke Einfluß von Westen mußte aus dem gewaltigen Wrack kommen, dessen Alter die laktonischen Wissenschaftler auf mehrere tausend Jahre geschätzt hatten. Wenn die Schätzung der Wahrheit entsprach, dann mußte dieses Raumschiff bereits sehr lange auf diesem Planeten liegen.
Die andere machtvolle Kraft aus dem Norden schien irgendwie mit dem Raumschiffwrack zusammenzuhängen, soviel ahnte Corda schon. Sie war unvorstellbar bösartig. Eine Ahnung ließ Corda den Gleiter auf Höchstgeschwindigkeit fliegen. Aber er wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu spinnen. Nur eines war logisch. »X«, der Unbekannte an Bord der »Walter Beckett«, würde ihn verfolgen. Wenn nicht in eigener Person, dann mit Überwachung durch Holografen. Systematisch begann Rex Corda mit einer genauen Untersuchung des Innern dieses laktonischen Gleiters. Er versuchte, die Blicke seiner forschenden Augen als zufällig erscheinen zu lassen, während er immer wieder den Kurs korrigierte. Dann hatte er das ›Auge‹ entdeckt. Es war als Knopf in der Deckenpolsterung getarnt, aber das unmerkliche Spiegeln war unverkennbar. Rex Corda überlegte einen Weg, wie er möglichst rasch die Überwachung ausschalten konnte. Gleichzeitig mußte es nach Zufall aussehen. Aber dann schob er dieses Problem als unwichtig zur Seite. Am Horizont waren einige Punkte aufgetaucht, und er konnte sich recht gut vorstellen, was ihn dort erwartete. Der Terraner beschleunigte das von gravomechanischen Kräften getriebene Fahrzeug, indem er steil in die Tiefe ging. Aber es war offensichtlich, daß er sich nicht verbergen konnte. Die fremde Macht griff nach seinem Gehirn. Sie schlug gnadenlos zu! Und einen Augenblick wankte der Terraner unter dem plötzlichen, hochkonzentrierten Angriff. Die Bösartigkeit der Gedanken verursachte ihm körperliche Schmerzen. Unbezähmbarer Haß drang auf ihn ein. Rex Corda preßte die Lippen zusammen. Seine Zähne knirschten, als die Spannung seinen Körper erstarren ließ. Einen Augenblick wußte er nicht, wie er der unbezähmbaren Wut begegnen sollte, die seinen Geist in die Tiefen des Wahnsinns schleudern wollte. Die Kraft war wesentlich stärker als die im Innern des Raumschiffes. Die Hände Cordas lösten sich von den Kontrollen. Der Gleiter bockte. Scharrend glitten seine Füße von dem Beschleunigungspedal. Die Fahrt des Gleiters nahm ab. In einem sanften Bogen senkte sich das Fahrzeug dem Boden zu. Rex Corda wußte, daß seine einzige Rettung in einer sofortigen Landung bestand, aber er war wie gelähmt. Die tastenden gierigen Finger der bösartigen Macht strichen über sein Gehirn und preßten es langsam wie in einem Schraubstock zusammen. Rex Corda stöhnte auf. Seine Gedanken jagten sich mit rasender Schnelligkeit. Er wußte, daß er sofort eine Lösung zu finden hatte, sonst würde der Gleiter am Boden zerschellen, noch ehe die Sirenen heran waren. Die Sirenen! Drei waren es, die auf ihren GravoTellern pfeilschnell heranschossen. In ihrer Begleitung befanden sich drei weitere Lebewesen. Es waren riesige Vögel und erinnerten Rex Corda an die Urwelttiere des V. Planeten. Sie wirkten wie prähistorische Flugsaurier. Die Spannweite ihrer Flügel betrug über fünf Meter. Unfähig, sich zu bewegen, starrte der Terraner auf die sich rasch nähernde blaue Oberfläche des Planeten. Er mußte auf ein riesiges Waldgebiet stürzen. Plötzlich riß eine Bö den Gleiter empor, um ihn mit doppelter Gewalt in die Tiefe zu schmettern. Der Himmel hatte sich mit dunklen Wolken bezogen. Die Wetterveränderung mußte in Sekundenschnelle vor sich gegangen sein, anders war das plötzliche Auftauchen der Wolken nicht zu erklären. Blitze zuckten vom Himmel und bohrten sich in die wogenden Wipfel der Baumriesen, die aus dem blauen Wald emporragten. Die ungeheure Kraft griff wütend nach dem Geist Rex Cordas, eben als dieser sich aufrichten wollte. Der Schlag kam mit vernichtender Plötzlichkeit. Corda keuchte und sackte zusammen. Seine Augen waren weit aufgerissen. Plötzliches Verstehen stand in ihnen. Aber der steuerlose Gleiter raste auf die Oberfläche des Planeten zu. * Rufend lief der Tann die leuchtenden Gänge entlang. Die Worte waren kaum zu verstehen, und doch
glaubte Velda, die zusammen mit Kim dem Morgh folgte, das Wort ›Houm‹ zu verstehen.
Das Mädchen schüttelte im Laufen ungläubig den Kopf. Was konnten die harmlosen Reittiere der
Morghs mit jenen grauenhaften Schreien zu tun haben, die immer noch in ihren Ohren dröhnten?
Sie folgten dem Tann über lange Gänge, die teilweise seltsam niedrig schienen, über spiralig
herabgezogene Rampen, kletterten unzählige Sprossen durch stillgelegte Elevatoren herab und
schlitterten über schiefe Ebenen.
Die Ausdehnung dieses Raumgiganten waren ungeheuer. Alle drei waren am Ende ihrer Kräfte, als sie
das helle Tageslicht durch den Spalt fluten sahen, der sich quer über die Hülle des Raumriesen zog.
Mit welcher Gewalt mochte das Raumschiff auf diesem Planeten zerschellt sein, fragte sich Velda
ungläubig.
Kim zerrte seine Schwester an der Hand.
»Los! Komm!« drängte der Junge und zog seine Schwester durch die Öffnung des Spalts.
Instinktiv rissen die beiden Menschen den Mund auf, als wieder der furchtbare urweltliche Schrei
ertönte.
Der Tann stand nur wenige Meter von ihnen entfernt. Aber das bestialische Geschrei schien ihn nicht
zu erschüttern. Seine Trommelfelle mußten aus Panzerplast sein!
Trotzdem wirkte der Führer der Morgh wie zerbrochen. Seine hageren Schultern hingen herab.
Und jetzt sahen die CordaGeschwister auch den Urheber der wilden Schreie, die über Hunderte von
Metern bis in das Innere des Schiffes gedrungen waren. Zugleich wußten sie, warum der Tann so
niedergeschlagen wirkte.
Die Houms waren weg!
Die graubepelzten Riesenkugeln, die den Morghs als Reittiere dienten, waren geflohen. Sie befanden
sich hinter dem Feldschirm der Nullfeldzone, unerreichbar für den Tann und die beiden Terraner,
wenn sie sich nicht in große Gefahr bringen wollten.
Denn über der Gruppe von Houms schwebte eine Frauengestalt. Der hagere Körper bog sich in den
Zuckungen eines diabolischen Gelächters.
»Sie hat uns die Houms weggelockt«, brüllte der Tann, außer sich vor Wut. »Damit ist unsere letzte
Chance, hier schnell herauszukommen, vertan!«
Velda Corda achtete nicht auf die Worte Smokes. Fasziniert blickte sie auf die Ansammlung der
pelzigen Kugeln.
Inmitten der großen grauen Wollbälle ragte der runde Körper eines riesigen Houm auf. Das Tier mußte
über vier Meter hoch sein.
Bewegung entstand in dem Haufen der wimmelnden Houms. Wie in panischem Schrecken rannten die
Tiere zurück.
Der große graue Körper in ihrer Mitte richtete sich steil empor. Auf einem seiner mächtigen
Sprungbeine richtete sich das rätselhafte Tier empor, mit den anderen beiden Läufen peitschte es die
Luft.
Auf der runden Kugel öffnete sich ein Spalt.
Das urwelthafte Brüllen ließ die Erde erzittern.
Obwohl sich Velda zusammenriß, konnte sie nicht verhindern, daß sie gequält aufschrie. Auch der Tann
brüllte.
»Gut für die Trommelfelle«, erklärte er mit der mißglückten Andeutung eines Grinsens.
»Verdammt, nun erklären Sie doch endlich, Smoke!« ließ sich Kim respektlos vernehmen, »was ist denn
überhaupt mit den blöden Biestern los?«
Velda wollte ihren kleinen Bruder zurechtweisen, aber der Tann winkte ab.
»Das ist der Lockruf der Houms«, knurrte er mißmutig.
Velda schüttelte verständnislos den Kopf.
»Aber seit wann gehorchen denn Ihre Reittiere den Sirenen? Haben denn die Frauen auch über die
Houms Macht?«
»Keineswegs«, wehrte der Tann ab. »Sie haben nie die zahmen Houms beeinflussen können. Deswegen
sehen wir auch nicht ein, warum wir unsere guten Reittiere gegen Motorfahrzeuge umtauschen sollen.
Aber in diesem Fall wären wir mit Automobilen im Vorteil gewesen. Denn dieses riesige Vieh ist wild!«
»Aber Sie haben doch diese Lockflöte«, wandte Velda ein. »Versuchen Sie es doch zumindest!«
Der Tann brachte ein gereiztes Knurren zustande und förderte aus den endlosen Falten seines um den
hageren Körper wehenden Gewandes die seltsam geformte Flöte zutage.
Die Töne stiegen sanft und fremdartig in die Luft auf.
Aber die Houms wandten überhaupt nicht die Köpfe, obwohl nur die Morghs zu wissen schienen, wo sich
überhaupt die winzigen flachen Köpfe unter der dichten Wolle verbargen.
Mit vor Erschöpfung weißlichen Wangen setzte der Tann das Instrument ab.
»Wollen wir es versuchen?« fragte er Velda höflich.
Das Mädchen starrte den hageren rotgesichtigen Mann stirnrunzelnd an. Sie wußte, daß der Tann sie
auf seine Art recht gern mochte, obwohl sie die Gründe für seine Sympathie nur vermuten konnte.
Keinesfalls, darüber war sich Velda im klaren, hatte das mit ihrer äußeren Erscheinung zu tun, obwohl
Velda auf der Erde als ein sehr hübsches Mädchen galt.
Aber was auf der Erde galt, mußte noch lange nicht auf Morgh zutreffen. Diese Feststellung traf auf
ziemlich alles zu, was sich auf diesem verrückten Planeten abspielte.
Mit der seltsamen Bahn, die Morgh um die Doppelsonnen Somd und Pay vollführte, fing es an. Nur
schwer hatten sich die CordaGeschwister daran gewöhnen können, daß hier der Tag sehr lang und die
Nacht nur einige kurze Stunden dauerte.
Geistesabwesend starrte Velda auf das rote Gesicht des Tann, der ihr die Flöte hinhielt.
»Danke«, sagte sie kurz, »ich kann nicht spielen!«
Der Tann machte ein düsteres Gesicht.
Velda vermutete schon, ihn gekränkt zu haben, aber die Worte Smokes verrieten eine ganz andere
Stimmung.
»Sind Sie sich überhaupt klar darüber, daß wir verloren sind?«
»Unsinn«, krähte Kim, »wir geben niemals auf! Die eine Hexe da draußen werden wir schon erledigen
können!«
Er lachte zuversichtlich. Der Smoke grinste.
»Wenn wir das schaffen, haben wir für den Augenblick wieder Luft. Ich könnte dann den
wildgewordenen Houm erschießen!«
Aber der Tann schien wieder etwas Zuversicht gefaßt zu haben, wenn auch Velda gar nicht mehr so
sicher war. Der MorghFührer förderte ein kleines Kästchen aus den Falten seines Gewandes.
Beizender Rauch quoll auf. Tränen der Verzückung stiegen aus den Augen des Tann. Velda und Kim
warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu.
»Der Kerl ist ein richtiger Kettenraucher!« murmelte Kim respektlos. »Los, Velda, wir müssen hier weg!
«
Das Mädchen war gar nicht so siegessicher wie ihr kleinerer Bruder. Aber sie hatten keine Wahl.
Über der kleinen Herde von Houms schwebte die Sirene. Sie winkte und schrie den beiden
Geschwistern etwas zu, aber natürlich konnte das keiner verstehen.
In einer plötzlichen Eingebung wandte sich Velda an den Tann. Der Morgh hatte die blaßblaue Blume
achtlos fallengelassen. Sein rotes Gesicht war wie aus Kupfer gegossen.
»Was hat sie gesagt?« flüsterte Velda.
Die Augen des Tann blickten an ihr vorbei.
»Sie hat mir Grüße von meinen Töchtern bestellt«, murmelte der Tann. »Es waren drei. Alle wurden von
den Gehörnten geholt…«
Smoke wandte sich ab.
»Los, komm schon!« rief Kim mutig. Velda wunderte sich darüber, was für Energien in ihrem kleinen
Bruder stecken mußten. Sie selbst fühlte sich von bleierner Müdigkeit umgeben. Sie wagte gar nicht
daran zu denken, wie lange sie schon nicht mehr geschlafen hatte.
Das Mädchen biß die Zähne zusammen und rannte hinter ihrem Bruder her. Erstaunt stellte sie fest,
daß sie immer noch den Strahler in der Hand hielt, dessen Energien versiegt waren.
Nach wenigen Sekunden hatte sie Kim erreicht. Gemeinsam durchschritten sie den unsichtbaren
Vorhang, der die Grenze markierte, an der die Sirenen ihre magischen Kräfte verloren. Aber auch
Velda und Kim konnten aus jenem mentalen Kraftfeld schöpfen, das vermutlich auch die Sirenen
benutzten.
Velda drückte die Hand ihres Bruders. Die Geschwister verständigten sich ohne ein Wort. Gemeinsam
forschten sie nach der Energie, um sie in sich aufzunehmen und weiterzuschleudern. Langsam schritten
sie vorwärts, um der Hexe zu folgen, die unmerklich zurückwich.
Im gleichen Augenblick spürte Velda, daß sie in die Falle gegangen waren. Es war ein perfekter
Hinterhalt gewesen. Die weggelockten Houms waren nur ein Vorwand der Sirenen gewesen.
Aus der Unendlichkeit des Himmels schossen jäh fünf bunte Gestalten mit flatternden Kleidern heran.
Die GravoSohlen trugen sie mit ungeheurer Geschwindigkeit voran.
Vom Raumschiffwrack gellten jetzt die Warnrufe des Tann, aber sie kamen viel zu spät. Der Rückweg
war den Geschwistern abgeschnitten. Drei der Sirenen befanden sich kurz vor der Nullfeldzone. Sie
schwebten einen halben Meter über dem Boden. Deutlich waren die vier Höcker auf ihren Stirnen
sichtbar.
Verzweifelt tastete Velda nach der Kraft, die auf die GravoSohlen der Gehörnten wirkte. Aber
selbst, wenn es ihr gelang, den Kraftstrom zu unterbrechen, würden die Sirenen nur einen Meter zu
Boden fallen.
Die hellen Messer der Frauen blitzten auf.
Velda zuckte zusammen, als Kim neben ihr wie wild zu schießen begann. Er traf mit keinem Schuß. Dafür
schrie der Junge erschreckt auf, weil der Rückstoß der Waffe sein Handgelenk verdrehte.
Plötzlich schrie Velda überrascht auf. Die Erkenntnis ließ sie fast zusammenbrechen. Und gleichzeitig
hatte sie die Kraftquelle gefunden.
Das SuperEgo wehrte sich mit überdosierten Energiestößen.
Das war einfach zuviel für Velda.
Die Überraschung hatte sie ohnehin gelähmt. Kim blickte sich wütend um, als die Sirenen langsam
herankamen. Der Junge hatte mit seiner schmerzenden Hand zu tun. Plötzlich fiel ihm das seltsame
Benehmen seiner Schwester auf. Velda starrte mit blicklosen Augen in die Unendlichkeit.
Die würgende Angst packte den Jungen.
»Velda! Velda!« schrie er wie rasend.
Sein gehetzter Blick fiel auf die Sirenen.
*
Der Zeitspäher rückte unruhig auf seinem Kontursessel umher. Bis vor wenigen Sekunden hatte Ko
Mont eifrig auf einem roten KenniStengel gekaut, aber jetzt spie er das scharfe Anregungsmittel
wütend aus.
Was war mit Corda los?
Wie leblos war der Terraner über den Kontrollen zusammengesunken. Aus seinem hinteren
Überwachungsauge sah der Zeitspäher mit wachsendem Entsetzen, wie sich der Boden schaukelnd
näherte.
Der Gleiter mußte wie ein welkes Blatt auf die blauen Riesenbäume hinunterwirbeln. Corda traf
überhaupt keine Anstalten, den Kurs zu korrigieren!
Ebenso wie der Terraner kurz zuvor, hatte auch KoMont die sechs fliegenden Wesen am Horizont
gesehen, die sich mit hoher Geschwindigkeit näherten. Aber noch hatten die Sirenen keinen Angriff
gestartet.
Und doch wirbelte der Terraner einem sicheren Tod entgegen.
KoMont schüttelte schwerfällig den Kopf. Das waren Zwischenfälle, die er nicht eingeplant hatte.
Leider war es auch der laktonischen Technik unmöglich, unbemerkt eine Fernsteuerungsanlage in jeden
Gleiter zu installieren.
Eine solche Anlage wäre zu leicht zu entdecken gewesen.
Unwillkürlich schloß KoMont die Augen. Der tödliche Aufprall konnte jeden Moment erfolgen.
*
Das SuperEgo frohlockte. Die vierundzwanzig Schwestern, die auf kostbaren Sesseln, um den
strahlenden Kristall saßen, standen auf.
Der Druck der achtundvierzig dreifingrigen Hände verstärkte sich.
Beide Gegner waren in die Enge getrieben worden. Und es lagen noch genug mentale Reserven bereit.
Die ersten größeren Odströme kamen aus dem Talkessel, wurden vom Kristall gespeichert und von dem
SuperEgo umgewandelt.
Frohlocken erfüllte den Tempel. Schon die ersten Odströme zeigten, daß die Ausbeute ungemein
reichhaltig werden würde.
Das bedeutete verstärkte Macht für das SuperEgo. Wie nie zuvor konnten die Sirenen den Planeten
Morgh beherrschen. Das SuperEgo konnte mehr Novizen auswählen als in den vergangenen Perioden.
Macht, unbegrenzte Macht!
Das Tasten des fremden Geistes traf sie wie ein Schlag. Wieder preßten sich die schmalen knochigen
Hände der vierundzwanzig Sirenen ineinander. Wütend schleuderten sie dem Fremden ungeheure Psi
Energien entgegen.
Der Gegner zuckte zurück.
Aber dann kam wieder dieses beharrliche Greifen nach der mentalen Energie.
Entsetzen erfüllte den Tempel, als sich der junge elastische Geist aus dem Westlichen Heiligtum
anschloß. Er entriß dem SuperEgo Energien und – verband sich mit dem anderen.
Die Verbindung dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, aber sie genügte, um unter den Dienerinnen
des Kristalls schwere Verwirrung zu stiften.
Das Gleichgewicht der Kräfte war gestört!
Die zitternden Hände der Schwestern lösten sich. Einen Augenblick flammte der Kristall in jähem
Feuer auf, als er eine Woge von Odströmen aus dem Talkessel speicherte.
Aber das Übermaß an Energie zerbrach den schimmernden Kristall nicht.
Langsam, immer noch verstört, schlossen sich die Schwestern wieder zusammen.
Sie mußten sich diesem Fremden mit ungeheuerer Aufmerksamkeit widmen. Doch das war nahezu
unmöglich, da die unablässig aus dem Talkessel strömende IDStrahlung pausenlose Bereitschaft
verlangte.
Der geistige Zusammenschluß der Fremden war verhindert worden. Aber eine solche Gefahr durfte
sich nicht wiederholen.
Nie durfte das zweite männliche Monster das Westliche Heiligtum erreichen!
*
Er geriet nicht in Panik, als er aufblickte.
Rex Corda stemmte sich fest gegen den Andrucksessel, sich innerlich auf den Schock vorbereitend,
und startete durch. Die Kufen des Gleiters entlaubten zwei blaue Baumwipfel. Das Fahrzeug bockte,
aber der überstarke gravomechanische Antrieb laktonischer Bauart riß den Gleiter in die Höhe.
Das Gesicht des Terraners verzog sich unter der plötzlichen Beschleunigung, die von den Gravo
Reglern nicht ausgeglichen wurde, zu einer Grimasse, die nichts Menschliches mehr an sich hatte.
Er senkte den Kopf und atmete mühsam. Für einen Augenblick mußten mehr als fünf Gravos auf ihn
gewirkt haben.
Der Gleiter schoß in den Himmel, den heranrasenden bunten Schatten entgegen. Rex Corda lächelte
entspannt. Er wußte, daß es einen harten Kampf geben würde, aber er stand dem Gegner nicht mehr
waffenlos und unvorbereitet gegenüber. Ganz und gar nicht!
Aber eigentlich lächelte er aus einem anderen Grund.
Überraschend hatte er einen geistigen Impuls von Velda erhalten. Daran konnte es keinen Zweifel
geben. Es war nur ein verwischter Gedankenfetzen, den er empfunden hatte, aber es genügte.
Velda war am Leben. Kim schien bei ihr zu sein. Offenbar schwebten beide in Gefahr, aber sie lebten!
Und Corda wußte, wo er seine Geschwister zu suchen hatte.
Seine Vermutung, die ihn zum Gegenpol des nördlichen PsiKraftfeldes fliegen ließ, war also richtig
gewesen!
Die Sirenen!
Um die hageren Frauenkörper flatterten bunte Kleider wie im Sturm. Nebelwolken huschten um ihre
Beine, dem Boden entgegen.
Rex Corda nickte, während er den Gleiter herumzog.
AntiGravitation war auch bei diesen seltsamen Frauen das Prinzip, mit dem sie sich durch die Luft
bewegten. Allerdings machten diese Frauen nicht den Eindruck, als hätten sie diese Platten selbst
entwickelt. Es war undenkbar, daß eine Kultur, deren Zivilisationsstufe noch nicht die Raumfahrt
kannte, eine solche Erfindung machen konnte.
Zwei der gewaltigen Vögel senkten sich auf den Gleiter zu. Während Corda automatisch den trotz ihrer
Größe rasend schnell operierenden Vögeln auswich, dachte er seltsamerweise einen Augenblick an »X«,
den Unbekannten, der ihn sicher auch in diesem Moment überwachen würde.
Jetzt hatte er die Lösung.
Aber es war schwierig, den Plan auszuführen. Die Kontrollen des Gleiters waren dem Terraner noch
weitgehend unbekannt. Dann fand er die Zieleinrichtung des überschweren Bordstrahlers. Es war eine
MultiWaffe, die auch Projektile verschießen konnte.
Rex Corda entschloß sich, erst im äußersten Notfall von dieser Waffe Gebrauch zu machen. Er
bemerkte, daß auf der kleinen Sichtscheibe vor ihm ein Fadenkreuz erschienen war. Die
Zieleinrichtung.
Die Sirenen kurvten über ihm, während ihn die großen Vögel von vorn anzugreifen versuchten. Corda
machte einen Ausfall, als ob er das riesige Tier rammen wollte, aber es wich nicht zurück!
Ein Zusammenstoß mit einem solchen riesigen Lebewesen würde selbst dem Gleiter großen Schaden
zufügen. Vermutlich würde er abstürzen.
Immer noch hielten die Sirenen über ihm.
Corda bemerkte, daß es plötzlich dunkel geworden war. Ein heftiger Sturm war aufgekommen und
schüttelte den laktonischen Gleiter hin und her.
Er mußte sich beeilen, wenn er seinen Plan ausführen wollte!
Während er mit der rechten Hand das Steuer betätigte, um den Riesenvögeln auszuweichen, die ihn
mit ihren riesigen gelben Augen wütend anglotzten, tastete der Terraner sich unter die Platte, die
nach vorn das Kontrollpult abschloß. Dann überzeugte er sich davon, daß sein Strahler noch an seiner
Hüfte baumelte.
Der Gleiter wurde zur Seite gewischt, als einer der Riesenvögel gegen ihn prallte.
Im Innern des Fahrzeugs dröhnte es wie in einer Glocke. Corda blickte sich um. Sein Gesicht war
verzweifelt. Die Hand mit dem Strahler hob sich.
Dann zuckte er zurück und riß den Gleiter in die Höhe. Wieder wandte er sich um, als sei er auch hinten
von Verfolgern umgeben. Dann drückte er ab, das Gesicht scheinbar vor Angst verzerrt.
Mit Befriedigung registrierte der Terraner, daß ein Teil der Deckenpolsterung verschmort war. Dort,
wo sich das getarnte ›Auge‹ befunden hatte, platzte etwas auseinander. Winzige Splitter rieselten auf
die Rücksitze. Zugleich riß Rex Corda an den Elementen, wo sich sein Sender befunden hatte.
Der dunkle Schatten raste auf ihn zu. Sekundenlang wurde er von einem gleißenden Blitz erhellt, der
durch die Finsternis zuckte.
Corda ließ den Gleiter durchsacken, als etwas Massiges gegen die Außenhülle des Fahrzeugs klatschte.
Er glaubte, einen schrillen Schrei zu hören.
Nach einigen Sekunden fing er den Gleiter wieder ab und steuerte in südwestliche Richtung. Sofort
war er wieder aus dem Gefahrenbereich. Die Gewitterwand lag hinter ihm.
Deutlich konnte der Terraner sehen, daß nur ein relativ kleines Gebiet von jagenden Wolken bedeckt
war. Aber die Wolken folgten dem Geleiter mit großer Geschwindigkeit und schlossen ihn wieder ein.
Pausenlos zuckten die Blitze herunter.
Die krachenden Entladungen dröhnten in seinen Ohren.
Jeder Blitz traf.
Aber wütend mußten die Sirenen erkennen, daß sie so nichts ausrichteten.
Das Fahrzeug war jetzt von einer bläulich schimmernden Glocke umgeben. Feuer tanzten überall auf
den Außenwänden des Gleiters.
Die Sirenen schrien voller Zorn auf, als sie erkannten, daß sich ihre eigenen Energien gegen die unter
ihrer Kontrolle stehenden Vögel richteten. Pausenlos stießen die riesigen Lebewesen auf den Gleiter zu.
Ihre Schreie ließen erkennen, daß sie jedesmal bei ihren blindwütigen Angriffen schwerste
Verbrennungen erlitten.
Die Sirenen zogen die Wolken zusammen.
Der Himmel zeigte wieder ein wolkenlos klares Rosa.
Abseits taumelten die Vögel dem Boden zu. Die rötlichen mächtigen Federn waren dunkelgebrannt, die
Schnäbel versengt.
Der scharfe Impuls der Sirenen ließ die urzeitlichen Flugwesen wieder emporschnellen.
Der Gleiter zog ruhig nach Westen.
Aber die Sirenen gaben nicht auf. Sie konnten es auch nicht. Denn das SuperEgo befahl sofortige
Vernichtung des Feindes.
Neue Energien wurden vom SuperEgo auf die Dienerinnen übertragen. Die Sirenen stiegen steil in den
Himmel.
Die roten Vögel folgten ihnen. Ihre scharfen Geierschnäbel hackten wütend nach dem fernen Gegner.
Rex Corda lächelte amüsiert. Er mußte diese Gegner ernst nehmen, aber einen Augenblick glaubte er,
eine Atempause gewonnen zu haben. Die Sirenen hatten das erste kleine Gefecht verloren. Es war nur
ein Vorgeschmack gewesen, aber Rex Corda hatte schlagend bewiesen, daß er, von der überragenden
Bauweise des laktonischen Gleiters unterstützt, auch eine größere Übermacht abwehren konnte.
Vor allem: »X«, der Unbekannte, hatte sicher keine Möglichkeit mehr, ihn zu überwachen.
Der Terraner runzelte die Stirn und blickte aus klaren blauen Augen nach oben. Eine Sache
beschäftigte ihn. Für die Sirenen gab es eine fast sichere Methode, mit ihm fertig zu werden und den
Gleiter zum Absturz zu bringen. Die Methode hieß rohe Gewalt, und sie mußte erfolgreich sein.
Aber das würde wohl die letzte Lösung der Sirenen sein. Bis dahin hatte er vielleicht schon das
westlich liegende PsiKraftfeld erreicht. Dort mußten sich Velda und Kim befinden.
Corda wußte, daß er dieses Kraftfeld nicht verfehlen konnte. Es gab keine andere Erklärung: Sie kam
aus dem riesigen Raumschiffwrack, das nach Schätzungen der laktonischen Wissenschaftler seit
mehreren tausend Jahren auf dieser Welt ruhte…
Fast automatisch ließ er den Gleiter durchsacken. Die roten Riesenvögel hatten ihn wieder erreicht.
Die krächzenden Schreie waren im Innern des Gleiters deutlich zu vernehmen.
Corda wußte jetzt, daß der Augenblick gekommen war, in dem die Sirenen vernichtend zuschlagen
würden. Darauf gab es nur eine Antwort!
Corda riß an den Kontrollen, die ihm die Betätigung der MultiWaffe ermöglichen sollten. Aber nichts
geschah.
Als er die Verbindungen des kleinen Senders unterbrochen hatte, mußte der empfindliche
Mechanismus der Waffe Schaden genommen haben. Auch das Zielkreuz auf der Frontscheibe war
verschwunden. Es war zu spät, sich mit dem Mechanismus zu befassen. Ohnehin hätten die Kenntnisse
des Terraners kaum ausgereicht, um Reparaturen an dieser Superwaffe durchzuführen.
Er hatte nur noch seinen Strahler, und der würde ihm wenig nützen, wenn sich die drei feuerroten
Monster auf ihn stürzten. Und das genau schien ihre Absicht zu sein.
Sie schwebten genau über dem Gleiter und schienen nur auf einen Impuls der Sirenen zu warten, um
sich auf das Fahrzeug zu stürzen, das allein durch ihr Gewicht zu Boden gedrückt werden würde.
Der Sichtschirm des Gleiters funktionierte nicht mehr, so daß Corda nichts von dem sah, was über ihm
vor sich ging. Er verringerte etwas die Geschwindigkeit, so daß ihm nicht vom Fahrtwind der Kopf
gegen die scharfe Kante der Scheibe gepreßt wurde, öffnete das Fenster und sah nach oben.
Die unheilverkündenden, blutigroten Schwingen, die scheinbar mühelos die Riesenleiber mit gleicher
Geschwindigkeit vorantrieben, peitschten die Luft.
Die grauenhaften Wesen folgten in Pfeilformation; es war unmöglich, auch nur zur Seite auszubrechen.
Über den Riesenvögeln schwebten ihre Beherrscher, die Sirenen.
Jetzt hatten die Frauen sein Gesicht erspäht. Die Hakennasen stießen zu ihm herunter, drei scharfe
Münder öffneten sich, und ein tosendes, höhnisches Gelächter erfüllte die Luft.
Rex Corda zog den Kopf zurück. Seine Gedanken jagten sich fieberhaft.
In diesem Augenblick deutete die erste Sirene mit dem Arm befehlend nach unten. Ihre scharfen
Lippen krächzten ein Kommandowort.
*
Voll übermütiger Freude schwang Velda den Strahler durch die Luft. Der Stab gab ein zischendes
Geräusch von sich, aber Velda achtete nicht darauf.
»Kim!« schrie sie. »Es ist Rex! Er ist da!«
Der Junge starrte seine Schwester entsetzt an. Das Mädchen schien den Verstand verloren zu haben.
Von allen Seiten waren sie jetzt von den Sirenen eingekreist. Am Himmel zogen sich bedrohliche
Wolken zusammen. Donner grollte. Vereinzelt gellten noch die markerschütternden Schreie der Houms
herüber.
Was war mit Velda los?
Kim handelte. Er umfaßte die Waffe mit beiden Händen. Ein höhnisches Gelächter der sechs Sirenen
war die Antwort, als die Kugel weit vorbeiging.
Und doch hätte Kim schwören können, daß er auf dieses hagere Lumpenbündel genau gezielt hatte.
Der Junge drückte noch einmal ab. Der Rückstoß ließ seinen Arm zurückschnellen. Wieder erfüllte das
teuflische Gelächter die Luft.
Die Sirenen waren sich ihrer Sache sehr sicher. Sie spielten mit ihren Opfern, die so machtlos vor
ihnen standen.
Kim schloß einen Moment die Augen. Er erinnerte sich daran, wie er die Macht der GravoSohlen
gebrochen hatte, indem er sich einfach mit aller Kraft wünschte, daß sie wirkungslos würden.
Diese Hexen schwebten jetzt nur wenige Zentimeter über dem harten Steppenboden. So hatte es
keinen Sinn.
Sekundenlang blickte der Junge auf die Waffe. Die Kugel mußte treffen. Sie durfte einfach nicht ihr
Ziel verfehlen.
Wieder hob er die schwere Waffe. Der Atem des Jungen ging keuchend. Seine Augen verengten sich.
Dann schrie er triumphierend auf, als er den Kraftstrom, der die Sirene mit dem SuperEgo verband,
spürte. Er fühlte die Verbindung, tastete sie blitzschnell ab und zerbrach sie.
Die Kugel bellte aus dem Lauf.
Der entsetzte Schrei Veldas mischte sich mit dem Kreischen der Sirenen.
Die Frau schlug mit den Gliedmaßen um sich. Sie glich mit ihrem von Federn besetzten Gewand der
Ausgeburt einer krankhaften Phantasie. Dann fiel sie wie ein Haufen Lumpen in sich zusammen.
Die Hölle brach los.
Von einem Augenblick zum anderen herrschte undurchdringliche Finsternis. Pausenlos zuckten die
Blitze vom Himmel. Das Gras der Steppe flammte auf.
Die Houms hatten sich zu Kugeln zusammengerollt und trieben vor dem Sturm her.
Der feurige Schein gab der Landschaft etwas Gespenstisches. Kim schrie etwas seiner Schwester zu
und wollte sie mit sich zerren. Aber das Mädchen schüttelte den Kopf. Sie war völlig ruhig. Sie nickte
nach oben. Kim folgte ihrem Blick und sprang zur Seite, als gefährlich nahe ein Blitz neben ihm
einschlug.
Das Feuer versengte sie fast, aber immer noch rührte sich Velda nicht von der Stelle. Sie hatte ihre
Lippen leicht geöffnet.
Der Junge sah ein, daß Flucht jetzt unmöglich war. Sie wurden von allen Seiten eingeschlossen. Vor der
schützenden Nullzone hatte sich ein Kordon von vier Sirenen gebildet. Die tödlichen langen Messer
blinkten.
Kim legte seine Waffe an und wollte schießen. Aber zu seinem Entsetzen mußte er erkennen, daß das
Magazin leer war.
Wieder schüttelte Velda den Kopf. Sie wirkte entspannt und ohne Furcht. Dann hob sie den Stab hoch
in die Luft. Kleine blaue Feuer tanzten auf der Mündung der Waffe.
Verständnislos sah Kim auf seine Schwester. Was sollte das bedeuten?
In diesem Augenblick vereinigten sich drei Blitze und krachten auf sie nieder.
Feuer hüllte die Geschwister ein.
*
Der Zeitspäher seufzte auf. Es klang erleichtert.
Corda hatte es geschafft. Er war aus seiner Lethargie erwacht und hatte den Gleiter emporgerissen.
Der Gleiter wurde von den Sirenen umdrängt, die immer wieder die riesigen Vögel auf das Flugschiff
hetzten.
Aber KoMont war überzeugt davon, daß sie gegen den Gleiter nicht viel ausrichten konnten.
Die Zivilisation dieses Planeten war denkbar primitiv. Die Frauen mit den Höckern auf der Stirn
machten sich mit überraschender Geschicklichkeit einige technische Tricks zunutze, aber das konnte
den Zeitspäher nicht beeindrucken.
Es war nicht weiter schwierig, ein Gewitter entstehen zu lassen, oder ein primitives Lebewesen mittels
Hypnose zu steuern.
Und trotzdem! Hatten es diese Sirenen nicht geschafft, daß die gesamte Besatzung das Schiff
verließ?
Warum meldete sich keiner? Wenigstens Bekoval müßte längst seine Impulse empfangen haben, die der
Zeitspäher dauernd mit dem tragbaren Sender des LaktonAgenten abgab.
Es war undenkbar, daß Bekoval seinen Sender abgestellt hatte. Undenkbar, und doch war es die einzige
Möglichkeit.
KoMont seufzte. Befriedigt verfolgte er einige geschickte Manöver des Terraners. Jetzt aktivierte
Corda die Abwehrwaffen, ohne sie einzusetzen. Das war klug. Man soll seinen Gegner erst einmal
kennenlernen.
Das war auch das Prinzip des Zeitspähers. Er war ein besonnener Mann und ließ sich nicht zu
unbedachten Handlungen hinreißen.
Abwarten, das war seine Devise!
Damit war er bisher immer gut gefahren. Es waren immer die leichtsinnigen jungen Hitzköpfe, die sich
die Schädel einrannten.
Ohne den Schirm aus den Augen zu lassen, tastete der Zeitspäher hinter sich. Es war wieder einmal
der Augenblick gekommen, in dem er sich etwas gönnen konnte.
KoMont war ein Feinschmecker. Er verabscheute den Alkohol der Terraner, obwohl er nichts gegen ein
anregendes Glas Wein einzuwenden hatte. Er tastete nach der seltsam geformten Flasche, die den
kostbaren hellgelb gefärbten Wein von Terra umschloß, ließ aber sofort wieder davon ab, als warnende
Sirenen durch den kleinen Raum gellten.
Der Zeitspäher war ärgerlich über die dauernden Störungen.
Der dunkle Holograf ließ ihn nach Luft schnappen.
Fieberhaft betätigte er die Kontrollen. Aber alles war in Ordnung. Die Relais und Sicherungen, die
hochwertigen Transistoren und Druckwellenmuster funktionierten. Der Computer hätte sofort einen
Robot zur Reparatur geschickt.
KoMont lachte laut vor sich hin. Nichts war in Ordnung! Wenn wenigstens der Lautsprecher…
Aber nur seltsame Geräusche kamen über die akustische Übertragung. Ein Knacken und Klirren und als
Abschluß ein schrilles Pfeifen.
Der Zeitspäher biß sich auf die Lippen und ließ sich in den Pneumosessel fallen. Es hatte keinen Sinn,
unkontrollierte Handlungen auszuführen. Die Situation erforderte klare, kühle Überlegung.
Aber KoMont zitterte.
Zur Beruhigung seiner gepeinigten Nerven schluckte er eine wabenförmige grüne Tablette und hustete,
als scharfer Saft seine Kehle füllte.
Es gab zwei Möglichkeiten…
Entspannt lehnte sich der Zeitspäher zurück und tastete nach der Flasche.
Wenn seine Vorgesetzten ihn so gesehen hätten, wäre man vermutlich der Meinung gewesen, daß der
PhlegmaSchock ein wenig überdosiert war…
*
Blitzschnell jagten sich die Gedanken. Die Sirenen trugen GravoSohlen. Sie bezogen ihre Kraft aus
dem Zentrum…
Er würde es noch einmal versuchen.
Blitzschnell senkten sich die flatternden Schatten. Corda ließ den Gleiter schräg nach unten rasen und
hörte das Zischen der gigantischen Raubvögel über sich. Sie näherten sich! Sie würden sich mit der
ganzen Wucht ihrer schweren Körper auf den vergleichsweise kleinen Gleiter stürzen und ihn zu Boden
drücken. Daß er in der zu erwartenden Explosion des Antriebs die mordgierigen Bestien mit in den Tod
nahm, konnte Rex Corda nicht reizen.
Die Sirenen!
Sie waren jetzt auf gleicher Höhe mit dem Gleiter. Ihre keifenden Stimmen schrien auf die
niederstürzenden Vögel ein.
Die blutroten Schatten näherten sich unaufhaltsam.
Rex Corda starrte die Sirene an, die links neben ihm schwebte. Das rote, verzerrte Gesicht faltete
sich zu einem entsetzlichen Ausdruck und wurde dann schlaff.
Die Sirene schrie in einem Augenblick völliger Überraschung.
Der wallende Nebel unter ihren GravoSohlen hatte sich verflüchtigt. Ein Sturmstoß packte sie,
während die Hexe ins Leere stürzte.
Es war überraschend für den Terraner, wie schnell er die Kommunikation mit dem SuperEgo
hergestellt hatte. Das Machtgebilde hatte sich gesträubt. Deutlich waren individuelle Strömungen da
gewesen, die von der Kraft Energie abzapften und in ihrer Bösartigkeit schmerzende Empfindungen
abstrahlten, als Corda der Kraftquelle die Energien entriß. Diese Energien hatten die Sirenen dazu
benutzt, um ihren GravoSohlen den Auftrieb zu geben.
Jetzt stürzten die drei Frauen kreischend in den Abgrund. Sich vielfach überschlagend, wirbelten die
Körper durch den Raum. Stoffetzen flogen…
Rex Corda ließ den Gleiter nach oben streichen. Er hatte sich nicht verrechnet.
Flatternd klatschten die schweren Flügel der Riesenvögel gegen den Gleiter, als sich die roten Monster
auf die Oberfläche herabstürzten.
Rex Corda zog eine elegante Schleife und sah, wie die Vögel mit angelegten Flügeln pfeilschnell unter
den fallenden Sirenen hindurchtauchten und den Sturz abfingen.
Das Manöver dauerte Sekunden.
Aber Corda hatte genug gesehen. Er ahnte, daß er dringend benötigt wurde. Sein Gleiter schoß nach
Westen.
Noch einmal blickte er sich um.
Die Sirenen versuchten, rittlings hinter dem Kopf der roten Vögel sitzend, die Verfolgung
aufzunehmen. Doch jetzt reichte die Geschwindigkeit der Monster bei weitem nicht mehr aus.
Die Fäuste drohend geschwungen, die Lippen verzerrt, blieben die Sirenen zurück.
Der Terraner lachte leise vor sich hin. Aufmerksam beobachtete er den Horizont.
Wie eine riesige Mauer stieg dort eine pechschwarze Wolkenfront empor. Das dauernde Zucken der
Blitze war selbst über die weite Entfernung zu sehen. Dumpf dröhnte der Donner.
Der blonde Mann hinter den Kontrollen des Gleiters hatte eine ungewisse Vorahnung. Es erwartete ihn
nichts Gutes hinter dieser schwarzen Wand.
Dort waren seine Geschwister. Und sie schwebten in höchster Gefahr.
*
Wie ein Schlafwandler taumelte er die Hänge herab. Die kurze Nacht war über Morgh
hereingebrochen, aber es wurde nicht dunkel. Es wurde nie richtig dunkel.
Das diffuse Dämmerlicht der dicht hinter dem Horizont stehenden Sonne Pay ließ die Tausende von
Feuern, die plötzlich an den Hängen aufflackerten, noch unwirklicher erscheinen. Die gigantische Halde
wirkte wie ein zerstrahltes Lavatal, über dem radioaktive Funken tanzten. Es wirkte…
Ärgerlich schlug sich Percip vor die Stirn. Der Schmerz brachte ihn wieder halbwegs zu sich.
Ungläubig blickte er sich um.
Längst hatte er vergessen, wo seine Gefährten waren. Er hatte sie aus den Augen verloren, als er aus
dem Lager gewankt war.
Er wußte nicht, wohin es ihn trieb, aber er mußte schon Stunden durch die Gegend gestolpert sein.
Aufmerksam musterte Percip die sanften Hänge des großen Tals, die in der Unendlichkeit zu
verschwinden schienen. Der laktonische Agent schätzte den Durchmesser des Kessels auf über 80
Kilometer. Die Anzahl der Feuer selbst war nicht zu schätzen. Es mußten Millionen hier versammelt
sein. Aber zu welchem Zweck?
Percip merkte plötzlich, wie erschöpft er war. Zunächst schrieb er das dem anstrengenden Marsch zu,
aber dann schüttelte er den Kopf. Es war etwas anderes. Etwas, das tiefer ging als eine nur
vorübergehende Erschöpfung. Es war, als hätte man ihm einen Teil seiner Lebenskraft abgesaugt, als
würde der treibende Motor, der das Herz zu dauerndem Schlagen anregte und die Regeneration der
Gehirnzellen bewirkte, selbst angegriffen. Das schien unmöglich.
Dann müßte er um Jahre gealtert sein!
In der Nähe brannte ein Feuer. Vorsichtig trat Percip darauf zu. Ungeheurer Jubel dröhnte ihm
entgegen. Auf einem riesigen, dampfenden Kessel, der über dem Feuer hing, strömte ein beizender
Gestank, der Percip die Tränen in die Augen trieb.
Die rotgesichtige Bevölkerung dieses Planeten drängte sich um den Kessel. Die Gesichter glänzten
teuflisch im Schein der flackernden Feuerzungen. Und doch wußte Percip, daß diese Wesen, die
Bewohner dieses Planeten, nicht bösartig waren. Auch sie wurden von dieser unheimlichen Kraft
beeinflußt, deren Existenz Percip bemerkt zu haben glaubte.
Die hageren Gesichter der Dreifingrigen zeigten Falten. Die Münder der Frauen hingen seltsam schlaff
herunter. Das Schlimmste aber waren die Augen.
Selbst das Feuer, das immer wieder spukende Reflexe in die aufblitzenden Pupillen der Morghs warf,
konnte nicht darüber hinwegtäuschen, von welcher bleiernen Müdigkeit sie umfangen waren. Eine
Müdigkeit, die dem Tode näher war als dem Schlaf.
Kopfschüttelnd trat Percip näher. Sein Fuß stieß gegen etwas Weiches. Der laktonische Agent
stolperte und stürzte.
Beim Feuer wurde man aufmerksam. Zwei rotgesichtige Männer rissen Percip empor. Sie schienen nicht
zu sehen, daß die athletische Gestalt des LithalonGeborenen sie um fast einen halben Meter
überragte.
Die Morghs betrachteten den Fremden als einen der ihren.
Percip schauderte. Er wußte jetzt, worüber er gestolpert war. Der schlaffe Körper war tot gewesen,
darüber gab es keinen Zweifel.
Lachend klopften die Dreifingrigen dem großen Fremden auf die Schulter. Der leblos daliegenden
Gestalt schenkten sie keine Beachtung.
Entschlossen trat Percip in den hellen Kreis, der vom flackernden Feuer erleuchtet wurde. Alle hießen
den Fremden jubelnd willkommen, aber Percip spürte, daß diese Einwohner des VI. Planeten der
Doppelsonne Gamma Virginis am Ende ihrer Kräfte waren.
Ein älterer Mann trat an den Kessel heran, der über dem großen Feuer hing. Er schwankte, lachte irre
und stürzte vorwärts. Die Flammen hüllten ihn einen Augenblick ein. Zwei der Rotgesichtigen sprangen
vor und zerrten den Alten aus der Glut. Die Gestalt regte sich nicht mehr.
Ohne überrascht oder entsetzt zu sein, warfen die beiden Männer den Alten nach hinten in die
Dunkelheit. Keiner kümmerte sich um den Toten. Der Tanz ging weiter. Die lärmende Fröhlichkeit
steuerte auf einen neuen Höhepunkt zu.
Schaudernd wandte sich Percip ab.
Diese Szene hatte ihn vollends erschüttert.
Er riß sich los, floh aus dem lärmenden Kreis und zog sich in die Dunkelheit zurück.
Der Agent fühlte peinigende Kopfschmerzen. Er wußte, daß er ein Ziel gehabt hatte, aber was war es
gewesen?
Was hatte er vorgehabt?
Percip wußte es nicht. Bleierne Müdigkeit umfing ihn. Immer wieder fielen ihm die Augen zu. Er sank an
den Stamm eines Baumes. Von fern drangen wilde Schreie in sein Bewußtsein.
Sie näherten sich. Percip hob langsam den Kopf.
Das wilde Kreischen kam näher.
Percip schauderte. Suchte man ihn schon?
Er wußte nicht, wo er sich befand und warum es ihn an diesen rätselhaften Ort verschlagen hatte. Er
dachte einen Augenblick an die »Walter Beckett«, den gigantischen Hantelraumer, den die Terraner
stolz als Flaggschiff ihrer winzigen Flotte bezeichneten.
Warum waren sie eigentlich von Bord gegangen?
Ruckartig richtete Percip seinen Kopf empor. Er knallte gegen die harte Rinde des Baumes. Der
Schmerz ließ ihn die Zähne aufeinanderbeißen.
Wie eine Wolke umgab den Agenten ein intensiver herber Geruch, als er die Sirene sah.
Sie schwebte dicht über dem Boden dahin. Percip preßte seinen Körper eng gegen den Baum, dann glitt
er über den steinigen Boden. Die schimmernden Reflexe, die von den fernen Feuern herübergeworfen
wurden, verschluckten seine Bewegung.
Und doch glitt die Sirene näher heran.
Ihr dunkler Körper mit verschwimmenden flatternden Konturen hob sich deutlich gegen den tiefroten
Himmel ab.
Ja, dieses Wesen war auf der Suche, und Percip machte sich nichts vor: Sie suchte ihn.
Er sprang auf und rannte in wilden Sätzen den Abhang hinab. Er fühlte sich jetzt völlig frei von
jeglicher Beeinflussung. Und er wußte, was er jetzt zu tun hatte.
Was sein Unterbewußtsein schon seit Stunden beabsichtigt hatte, wurde Percip plötzlich klar. Sein
Ziel war das dunkle Bauwerk, ein langgestreckter Gebäudekomplex am Grund des Talkessels. Ständig
waren die dunklen drohenden Mauern von dicken Nebelschleiern umhüllt, aber eine plötzliche Bö riß die
Schleier auseinander.
Das Gebäude drohte wie ein lebendes Wesen. Es kauerte dicht am Abhang einer Felswand, die steil in
die Höhe ragte. Die dunklen Fenster dieses Bauwerkes drohten wie die erloschenen toten Augenhöhlen
eines Kadavers. Etwas unbeschreiblich Vernichtendes ging von diesen Gebäuden aus, die ineinander
verschachtelt den Boden der Talmulde bedeckten.
Der Nebelschleier senkte sich wieder. Im gleichen Augenblick hörte Percip das Zischen hinter seinem
Rücken.
Er warf sich zu Boden. Pfeifend schoß die Sirene über ihn hinweg.
Der Agent reagierte sofort.
Grölend rannte er auf das nächste Lagerfeuer zu, das in einer Entfernung von etwa zweihundert
Metern glänzte! Wie Windmühlen schwenkte er seine gewaltigen Arme in der Luft umher. Er sprang
mitten durch die Glut des Feuers, riß zwei der rotgesichtigen Mädchen an sich und vollführte einen
hektischen Tanz.
Sofort bildeten die Morghs einen Kreis um den Riesen und klatschten rhythmisch in die Hände.
Begeistert jubelten sie dem Fremden zu, der die Wogen der Erregung wieder zu ungeahnten Höhen
anfachte.
Während Percip bei seinem wilden Tanz knallend auf den harten Boden stampfte, blickte er sich
vorsichtig um.
Die Sirene hing fünf Meter über ihm.
Jetzt öffnete sie die schmalen Lippen und schrie ein Wort.
Sofort verstummte die Musik, die Eingeborenen rannten zu ihren Zelten. Die beiden MorghMädchen
rangen sich aus den Armen Percips. Sogar das Feuer schien schwächer zu werden.
Langsam senkte sich die Sirene. Ihr Blick war unverwandt auf den laktonischen Agenten gerichtet. Die
hellen Augen funkelten.
Ehe Percip eine Bewegung der Gegenwehr machen konnte, schoß die Sirene auf ihn zu. Das rötliche
bösartige Gesicht wuchs einen Augenblick übergroß vor ihm auf, wuchs und wuchs und wurde zu einer
riesigen kilometerhohen Fratze, die schließlich bis in die Wolken zu ragen schien.
Percip sank zusammen. Sein Kopf knallte schwer auf den festgestampften Tanzplatz. Der Agent hatte
immer noch die Augen geöffnet, aber er sah nichts mehr. Mit blicklosen Augen starrte er in die
Unendlichkeit.
Die Sirene zerrte den schweren Mann wütend empor.
*
Entsetzt schloß der Tann die Augen. Achtlos hing die blaßblaue Blume in seiner schlaffen Hand. Es war
grauenhaft für ihn, daß er zur Untätigkeit verdammt war. Er konnte den Geschwistern nicht helfen.
Auch seine Warnung war zu spät gekommen. Er hätte wissen müssen, daß die Houms eine Falle
bedeuteten. Nie würde eine einzelne Sirene…
Der Tann stöhnte und öffnete die Augen, als wilde Schreie über die Ebene herüberkamen. Die Sirenen
triumphierten!
Dann riß der Tann seine grünen vorquellenden Augen weit auf.
Die Sirenen waren in die Flucht geschlagen worden!
Er hatte erwartet, daß Velda und Kim, die sekundenlang von den Entladungen mächtiger Blitze
eingehüllt worden waren, als bis zur Unkenntlichkeit verkohlte Leichen auf dem schwarzen Boden der
Steppe lagen.
Aber sie standen unversehrt da.
Das schlanke Mädchen hob die Waffe.
Es waren nur noch vier Sirenen am Himmel.
Ihr vereinigter Schrei gellte über die Ebene, als eine stürzte und zu Boden taumelte.
Die Geschwister beachteten die verwundete Frau nicht weiter.
Velda zielte auf die anderen Sirenen, die sich durch die wallenden weißen Nebel unter ihren Gravo
Sohlen deutlich von den jagenden dunklen Wolken abhoben.
Die Gehörnten schossen hin und her, um den aufzuckenden grünen Strahlen zu entgehen. Sie
kreischten, wenn die sengenden Lichtfinger die wehenden Fetzen ihrer Kleidung erfaßten. Wütend
schleuderten die Sirenen ihre Blitze, aber sie schienen wirkungslos.
Der Tann blickte aufmerksam hinüber. Einen Augenblick sah er es mit aller Deutlichkeit.
Furchtlos blickten Kim und Velda dem heranzuckenden Blitz entgegen.
Der Tann stellte fest, daß die Sirenen eine andere Art der Blitze für ihren feurigen Angriff
benutzten. Es waren nicht mehr die gedankenschnellen Lichtfinger, die sich in den Boden bohrten,
sondern Kugeln, deren Durchmesser bis zu einem Meter betrug.
Eine dieser Kugeln senkte sich rasch herab. Kopfschüttelnd stellte der Tann fest, daß sie ihre
Flugrichtung zu verändern vermochte. Noch nie hatte er diese Waffe der Sirenen gesehen. Wie ein
lebendes Wesen konnte sich der Kugelblitz seinem Opfer nähern.
Der Tann nickte vor sich hin. Bei der Berührung mit festem Stoff würde die Energiekugel explodieren.
Es war die perfekte Waffe.
Langsam senkte sich der schimmernde Koloß. Sein Durchmesser betrug knapp einen Meter. Seine
Oberfläche schien aus unzähligen wirbelnden Teilchen zu bestehen.
Velda hielt Kim bei der Hand. Beide blickten empor. Dann hob das Mädchen erneut den Stab, stieß
direkt auf die Kugel zu und….
Wieder mußte der Tann die Augen schließen. Aber er zwang sich, das unvermeidliche Ende der beiden
mit anzusehen.
Die Kugel explodierte nicht. Der Blitz, der die vom SuperEgo übertragene geballte Kraft der Sirenen
enthielt, ruhte schwerelos auf der Spitze des Stabes. Woher kam dieser Stab, und welche
Eigenschaften mochte er noch haben, überlegte der Tann.
Aber die Wirklichkeit war jetzt wesentlich fesselnder.
Fasziniert sah der Tann, daß die rotierende Kugel auf der Spitze des Stabes immer kleiner wurde. Sie
verschwand in der Mündung der Waffe. Der Stab saugte die Energien des Kugelblitzes auf.
Der MorghFührer stieß einen Schrei aus und rannte vorwärts. Er wußte, daß er sich in höchste Gefahr
begab, wenn er außerhalb der Nullfeldzone erschien, aber er mußte es riskieren. Alles andere war
sonst sinnlos.
Die verwundete Sirene, die zuerst von Velda abgeschossen worden war, hatte sich kriechend bis auf
wenige Meter genähert. Die Gehörnte war schwer verwundet. Die Schmerzen verzerrten das rote
Gesicht zu einer Fratze, die nichts Menschliches mehr an sich hatte. Aber sie kroch vorwärts. Sie
näherte sich unaufhaltsam!
Der Tann fühlte das leichte Prickeln, als er die Nullfeldzone verließ, jenen geheimnisvollen Schirm, an
dessen Grenze die Sirenen ihre Kräfte verloren. Die kleine Gruppe war noch fünfzig Meter entfernt.
Sie wurde von den drei Sirenen umschwärmt, die eine Serie von Ablenkungsmanövern starteten. Auf
jeden Fall wollten sie verhindern, daß die Geschwister sich umblickten und die kriechende Frau sahen.
Keuchend hetzte der Tann heran. Er wollte schreien, aber rechtzeitig riß er sich zusammen. Ein
Augenblick der Ablenkung konnte eine größte Gefährdung durch die drei schwebenden, Blitze
schleudernden Frauengestalten am dunklen Himmel Morghs bringen. Er mußte die Geschwister retten!
Aber sie standen genau in der Schußlinie.
Der MorghFührer machte einen Bogen, damit seine Schüsse die CordaGeschwister nicht verletzten.
Die verwundete Sirene duckte sich zum Sprung. In ihrer Hand blitzte etwas winzig Kleines auf. Es war
keines der langen Opfermesser, aber der Tann ahnte, daß der viereckige, mit Gift getränkte
Metallsplitter einem Opfermesser an Wirksamkeit in nichts nachstand.
Er warf sich herum und schoß.
Der Schrei gellte über die Ebene. Die Sirene warf die Arme in die Luft. Im Todeskampf preßte sie die
Hand mit dem Opfermesser zusammen. Dunkles Blut mischte sich mit einer dicken grünen Flüssigkeit.
Deutlich konnte der Tann sehen, wie Velda und Kim zusammenzuckten. Nur einen Meter hinter ihnen
hatte die Sirene ihren kreischenden Todesschrei ausgestoßen.
Im gleichen Augenblick stürzten sich die Sirenen über sie, aber Velda war wachsam.
Sie hatte die Situation sofort erkannt, als sie den Tann auf sie zulaufen sah.
Die aufgleißenden grünen Strahlbahnen aus ihrer Waffe konnten keine der drei Sirenen töten, aber sie
zogen sich zurück.
Ihr Kreischen gellte dem Tann und den Geschwistern in den Ohren.
Die Sirenen schossen nach Osten. Sie hatten eine vernichtende und überraschende Niederlage
erlitten. Aber sie dachten nicht daran aufzugeben. Das wußte der Tann ganz genau. Sie mußten auch
weiterhin sehr wachsam und vorsichtig sein.
Beunruhigt sah der Morgh auf die dunkle drohende Wand im Osten. Sie löste sich nicht auf. Die
schwarzen Wolken blieben.
Der Tann überwand sein Unbehagen und rannte, mit seinen großen dreifingerigen Händen fröhlich
gestikulierend, auf Kim und Velda zu.
»Mensch, wir haben sie in die Flucht geschlagen!« freute sich Kim, »und wie!«
Velda brachte ein Lächeln zustande, als der Tann keuchend vor ihnen stand.
»Ich konnte Ihnen nicht früher helfen«, entschuldigte sich der Morgh. »Außerhalb der Nullfeldzone…«
Das Mädchen nickte dem Tann zu.
Der MorghFührer grinste breit. Er zog aus den unergründlichen Tiefen seines weiten Gewandes eine
winzige blaßblaue Blume…
Velda schauderte.
»Ein Kaugummi wäre jetzt auch nicht das Schlechteste«, äußerte sich Kim.
Das Mädchen fühlte, wie sich ihr Magen zusammenkrallte.
»Wir müssen unbedingt etwas essen«, stellte sie fest.
Der Tann nickte.
»Im Heiligtum müssen noch Lebensmittel sein. Meine Krieger haben Proviant mitgebracht. Gehen wir!«
Er wandte sich um und warf sich im gleichen Moment zu Boden. Ein dunkler Schatten wischte über ihn
hinweg. Verlegen rappelte sich der Tann auf, als er sah, daß es nur eine besonders schwarze Wolke
war, die sich von der östlichen Front genähert hatte.
»Man wird leicht nervös!« brummte er entschuldigend.
Aber sie hatten auch allen Grund, nervös zu werden. Das wußten sie einen Augenblick später.
Mit rasender Geschwindigkeit hatte sich die schwarze Wolkenfront genähert. Die dunklen Fetzen
trieben tief am Boden dahin. Es waren keine Sirenen zu sehen, aber sie mußten sich in dieser
schwarzen, tosenden Hölle verborgen halten.
Sofort liefen die drei auf die Nullfeldzone zu. Der Schirm hielt die energetische Ausstrahlung ab. Die
Sirenen konnten zwar hinein, aber im Innern waren sie nichts als mordlustige, bösartige Frauen ohne
sonstige magische Eigenschaften.
Dagegen konnte man sich wehren. Wenn man die Nullfeldzone erreichte!
Verzweifelt erkannten die Geschwister, daß die dunklen Wolken schneller waren. Der Morgh schrie,
aber seine Worte waren nicht zu verstehen.
Die Schwärze hüllte sie ein. Die Dunkelheit umgab sie. Es wurde Nacht.
Kim und Velda konnten nicht mehr. Den Tann hatten sie im dichten Nebel verloren. Es war, als wären sie
von einem Augenblick zum anderen blind geworden.
Velda hatte das Gefühl, als liefen sie im Kreise. Panischer Schrecken erfüllte sie. Das Atmen fiel ihnen
schwer, als der dichte, stinkende Wasserdampf in ihre Lungen drang.
Grelle Helligkeit ließ sie emporblicken.
Die schwarzen Wolken waren aufgerissen. Aber es war nicht etwa eine der Sonnen Morghs zu sehen…
Über ihnen schwebte ein riesiger Gegenstand. Seine Konturen waren nicht zu erkennen. Sie verflossen
in Kaskaden reinen Feuers. Die Form war seltsam unregelmäßig. Es mußte sich um einen gigantischen
Kugelblitz handeln.
Jetzt war das strahlende Monstrum genau über ihnen. Trotz ihres Entsetzens erkannte Velda, daß von
allen Seiten Blitze auf die Energieballung zuschossen. Sie mündeten in einen Kraftstrom ein, der
pulsierend die unregelmäßige Form bildete. Kim und Velda warfen sich zu Boden.
*
Ein genaues Manövrieren war unmöglich.
Mit verbissenem Ausdruck konzentrierte sich Rex Corda auf das Ablesen der Instrumente. Die Skalen
und Leuchtbänder waren in einer verwirrenden Vielzahl vorhanden. Der Terraner wußte zwar, wo der
Höhenmesser war, doch die vielen Skalen und Knöpfe sagten ihm nichts. Die meisten Instrumente hatte
er ohnehin beschädigt, als er die Überwachungsanlage des Unbekannten, »X«, herausriß.
Aber auch, wenn sie noch vorhanden wären, hätten sie ihm wenig genützt. Corda konnte nicht so im
Blindflug manövrieren, wie er wollte. Das Schiff gehorchte zwar jedem Druck auf die Kontrollen, aber
was nützte ein Manöver, wenn er nicht wußte, in welche Richtung er den Gleiter zu lenken hatte!
Rex Corda konzentrierte sich. Es war pechschwarz um ihn herum. Die Blitze zuckten unaufhörlich
gegen die Wandungen des Gleiters. Aber das störte den Terraner nicht. Dieser Gleiter, den er flog,
war für Einsätze auf unbekannten Planeten entwickelt worden. Seine Sicherheitsvorrichtungen
entsprachen der Erfahrung einer raumfahrenden Rasse, deren technische Errungenschaften
unbeschreiblich waren. Die Laktonen hatten Hunderttausende von Planeten gesehen. Ihre riesigen
raketenförmigen Schiffe konnten sich unter fast allen Gravitations und Klimabedingungen behaupten.
Die Gleiter, die zur Erkundung der Planetenoberfläche vorgesehen waren, konnten unter normalen
Bedingungen einfach nicht zerstört werden.
Normale Bedingungen! Rex Corda kräuselte verächtlich die Lippen. Unter normalen Bedingungen stellte
er sich vor, daß ein Pilot am Steuer saß, der sein Fahrzeug genau kannte. Percip beispielsweise hätten
die Sirenen und Flugdrachen keinen Augenblick aus der Ruhe gebracht.
Aber auch Percip war dem Ruf nach Norden gefolgt.
Das Zucken der Blitze verstärkte sich.
Rex Corda versuchte, den Gleiter nach oben zu ziehen.
Der Höhenmesser zeigte schwindelnde Werte an, aber die schwarze Finsternis hörte einfach nicht
auf.
Der Grund war völlig klar.
Die Sirenen, die den Gleiter verfolgten, ließen ihr Nebelfeld gleichzeitig mit seinen Manövern wandern.
Die Dunkelheit würde ihn immer umgeben. So lange, bis er einmal völlig die Übersicht verlor und am
Boden oder an einer Felswand zerschellte.
Der Gleiter würde aufplatzen wie eine reife Frucht.
Der Terraner schauderte. Die tanzende, leuchtende Glocke, die den Gleiter umgab und von den
dauernden Kugelblitzen gebildet wurde, gab ein bösartiges Licht ab, das in den Augen schmerzte.
Ebensogut konnte er die Augen schließen.
Nur so konnte er sich jetzt konzentrieren.
Er würde nie diesen bösartigen Wesen entfliehen, wenn es ihm nicht gelang, bis zum Westlichen
Kraftfeld durchzudringen. Der Ursprung der Kraft mußte die Lösung bringen. Und gleichzeitig waren
seine Geschwister da.
Velda und Kim!
Je ein Drittel des kostbaren Schatzes, den die Erde je besessen hatte. Man konnte an der
Aufmerksamkeit, die von den Laktonen der Suchaktion der »Walter Beckett« gewidmet wurde,
erkennen, wie wertvoll das wissenschaftliche Vermächtnis auch den Außerirdischen erschien.
Aber nur die drei CordaGeschwister zusammen konnten die Lösung bringen. Jedes Drittel des auf
hypnotischem Wege in die Gehirne versenkten Vermächtnisses allein war wertlos.
Rex Corda ließ den Gleiter langsam herumschwingen.
Langsam?
Er wußte nicht, mit welcher Geschwindigkeit sich der Gleiter durch die schwarzen, aufgewühlten, von
Blitzen durchzuckten Wolken bewegte.
Aber eines wußte er.
Die Richtung stimmte jetzt.
Der Impuls war übermächtig. Und der Gleiter hielt genau darauf zu.
Es war, als hätte sich eine Schleuse geöffnet. Ungeheure Kraftströme brandeten um das Gehirn des
Terraners. Rex Corda stöhnte. Im nächsten Augenblick hatte er seinen Geist abgeriegelt.
Dann schrie er vor Überraschung auf.
Von einem Moment zum anderen waren die Dunkelheit und das pulsierende, aus zuckenden Blitzen und
wogenden Massen freier Energie gebildete Kraftfeld um den Gleiter verschwunden.
Gleißend schienen die beiden Sonnen des Systems Gamma Virginis in das Innere des Gleiters.
Automatisch schnappten Blenden herunter.
Aber noch etwas anderes war es, das Cordas Schrei ausgelöst hatte…
*
Sie hatten erwartet, sterben zu müssen, aber es geschah nichts. Vorsichtig hoben Kim und Velda die
Köpfe. Das glänzende, pulsierende, erschreckend lebendige Gebilde über ihnen schien sich gedehnt zu
haben.
Plötzlich schoß es davon.
Und die Dunkelheit wich. Ein Gleiter laktonischer Bauart schoß auf den steilen Kegel des
Raumschiffwracks zu. Im letzten Augenblick stoppte er und senkte sich langsam zu Boden.
Velda und Kim waren unfähig, einen Laut hervorzubringen. Überrascht hielten sie den Atem an.
Als Velda die Wahrheit erkannte, drohte sie ohnmächtig zu werden. Es war einfach zuviel.
Auch Kim schlug sich gegen den Kopf, als könnte er ihn damit zu besserer Denktätigkeit anregen.
Mit langen Sprüngen raste ein großer blonder Mann auf sie zu.
Im letzten Augenblick fing er die zusammensackende Velda auf und ließ sie vorsichtig zu Boden gleiten.
Grinsend blickte Rex Corda seinen kleinen Bruder an.
»Hör mal, Rex«, sagte der Junge betont gelangweilt, »haben dich schon lange nicht mehr gesehen!«
Und dann weinte er vor Freude.
*
Wütend wichen Marryee und Vleghour zurück. Ihre Ausstrahlungen, die voll von ohnmächtigem Haß
waren, erreichten das SuperEgo.
Die vierundzwanzig Sirenen, die sich an den Händen hielten, um den Kräftestrom aufrechtzuerhalten,
hatten verstanden. Am Sinn der Botschaft war nicht zu zweifeln.
Zu den beiden Schatten an der Grenze zum Westlichen Heiligtum gesellte sich Gartee. Sie war am
weitesten zurückgewichen, als der Durchbruch des Schwebewagens kam.
Ihre Haßschwingungen vereinigten sich mit denen der beiden anderen Sirenen.
Das SuperEgo wußte, daß drei ihrer Dienerinnen übriggeblieben waren. Das war ungeheuerlich! Dazu
hatten sie noch versagt!
Das SuperEgo beschloß, die unfähigen Dienerinnen zu bestrafen.
Die übliche Strafe?
Nein!
Die vierundzwanzig Sirenen stimmten ab. Es wurde entschieden, daß die unfähigen Dienerinnen einen
Denkzettel verdient hatten. Aber noch sollten sie nicht sterben.
Der Impuls traf Marryee, Vleghour und Gartee mit voller Wucht.
*
Velda hatte die Augen geöffnet und lächelte Rex zu. Kim hatte seinen Arm um die Schulter des
Bruders geschlungen.
»He!« schrie der Junge plötzlich. »Seht euch diese verdammten Hexen an.«
Rex und Velda sahen auf. Bis vor einer Stunde hatten die drei Sirenen sich entfernt, unter Schreien
und wütend geschwungenen hageren Fäusten.
Jetzt aber waren nur noch drei kreischende, fallende, wirbelnde Schatten da, die sich rasend schnell
dem verbrannten Steppenboden näherten.
»So bestrafen sie ihre unfähigen Dienerinnen«, sagte eine harte, kehlige Stimme hinter ihnen.
»Smoke«, rief Velda überrascht. Sie hatte den MorghFührer vollkommen vergessen.
Rex Corda sah den Morgh freundlich an. Der Tann erwiderte den Blick gleichgültig.
Kim sprang auf und deutete auf Smoke.
»Unser Freund!« sagte er knapp, »wir haben schon manchen harten Kampf zusammen bestanden!«
Der Tann lachte, aber es klang unecht.
»Sie sind der Bruder dieser beiden!« knarrte es aus dem Übersetzungsgerät. Es war eine Feststellung.
»Sie haben mir viel über Sie erzählt!«
»Ich bin gekommen, um meine Geschwister zur Erde zurückzubringen«, sagte Rex Corda einfach.
Das rote Gesicht des Morgh starrte den Terraner an. Die dreifingrigen Hände spreizten sich und
schlossen sich wieder.
»Das ist schön«, sagte er tonlos und wandte sich um.
»He«, rief Kim.
Kurz über dem Boden legte sich heller Rauch um die GravoSohlen der Sirenen. Unmittelbar vor dem
drohenden Aufprall am Boden wurden sie vom Kraftimpuls ihrer Sohlen abgebremst, hoch in die Luft
geschleudert und dann auf die Erde geworfen.
Schreiend humpelten die Sirenen von dannen.
Velda lächelte schwach.
»So, und jetzt habe ich Hunger!« stellte Kim fest.
Das erlösende Wort war gefallen.
Lachend gingen die drei Geschwister auf den laktonischen Gleiter zu. Der Tann folgte ihnen mit
finsterem Gesicht.
Die eisernen Rationen waren zwar nicht gerade das, was als erlesene Köstlichkeit gelten konnte, aber
das sind eiserne Rationen ohnehin nie. Lakton machte da keinen Unterschied. Tabletten sorgten
zusätzlich dafür, daß die bleierne Müdigkeit verschwand.
Der Tann lehnte es ab zu essen. Stirnrunzelnd sah er den Terranern zu, die sich über Lebensmittel von
undefinierbaren Farben und Formen hermachten. Im Grunde schmeckte alles nach gar nichts, aber sie
fühlten sich gesättigt und erfrischt.
»Dieses Raumschiff«, sagte Rex Corda und sah sich um, »würde ich mir mal gern von innen ansehen!«
Der Terraner wandte sich direkt an den Morgh. »Sind wir im Augenblick hier sicher?«
Der Tann runzelte die Stirn. Velda griff vermittelnd ein.
»Ich glaube, Rex, der Tann mag dich nicht besonders. Aber er ist sehr verläßlich. Du kannst ihm
vertrauen!«
Der Tann verneigte sich. Sein Gesicht blieb unbeweglich.
»Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit«, schnarrte es aus dem beschädigten Übersetzungsgerät, »aber
mich haben die Ereignisse der letzten Tage etwas mitgenommen. Ich bin nicht mehr der Jüngste, und
in einer NullPeriode ist es besonders schlimm!«
»Als Verbündeter sind Sie gar nicht so schlecht«, meinte Kim. Seine Worte sollten trösten, aber es
wirkte erheiternd.
»Danke«, sagte der Morgh ernsthaft.
Dann wandte er sich an Rex Corda und begann zu berichten. In zehn Minuten erfuhr der Terraner
praktisch alles Wissenswerte über den Planeten Morgh, über seine Einwohner, über deren Beziehungen
zu den Sirenen und über die Sirenen selbst.
Rex Corda hütete sich zu lächeln. Er wußte genau, daß er einen der intelligentesten Vertreter des
MorghVolkes vor sich hatte. Nur die Anschauungen über gewisse Dinge, wie etwa die Sirenen, waren in
ihrer Naivität beispiellos.
Seltsame Empfindungen glitten plötzlich durch das Gehirn des Terraners. Corda spürte den Zwiespalt
in diesem Mann. Er wußte, daß man diesem Mann bedingungslos vertrauen konnte. Aber nur bis zu einem
bestimmten Punkt. Wo dieser Punkt lag, konnte Corda bis jetzt noch nicht feststellen. Aber es war
etwas vorhanden, vor dem man sich in acht nehmen mußte.
Der Morgh erhob sich plötzlich.
»Kommen Sie«, sagte er, »Sie wollten sich doch das Innere des Schiffes ansehen. Ich glaube nicht, daß
wir jetzt einen Angriff zu erwarten haben. Wie Sie wissen, hört die Macht der Sirenen in der
Umgrenzung des Westlichen Heiligtums, das Sie ein Schiff nennen, auf. Zu viert brauchen wir nichts
zu fürchten!«
Die harten blauen Augen Rex Cordas musterten das rötliche unglaublich hagere Gesicht.
Der Mann schien jetzt die Wahrheit zu sprechen, das empfand er ganz deutlich.
Was war mit ihm los?
Wieder schnarrte der beschädigte Lautsprecher des Übersetzungsgerätes.
»Ich nehme an, ganz besonders interessiert Sie das Heiligtum mit der geweihten Schale«, bemerkte
der Tann.
Corda nickte.
Der Tann hatte diese Antwort erwartet. Aber dennoch schien ihn die Geste Cordas
niederzuschmettern.
Seine Hände tasteten in die tiefen Falten seines Gewandes und brachten eine blaßblaue, unscheinbare
Blume zum Vorschein.
Rex Corda ließ sich nichts von seiner Überraschung anmerken, als er sah, wie dicke Tränen über die
Wangen des Morgh liefen. Tief steckte er seine scharfe Hakennase in die Blume. Ein beizender Geruch
biß den Terranern in die Nase.
Rex Corda beeilte sich, seinen Geschwistern zu folgen, die schon an einem langen Spalt angelangt
waren. Hier mußte sich eine Schleuse befinden.
Kim förderte aus seiner Tasche einen kleinen füllfederhaltergroßen Stab hervor und versenkte ihn in
einem fast unsichtbaren Loch in der glatten Hülle. Stolz trat der Junge beiseite, als die Luftschleuse
aufschwang.
Corda gab ihm einen freundlichen Klaps und betrat die Luftschleuse.
Die schimmernden Wände, die mit ihrem ruhigen Leuchten an einen Kristall erinnerten, faszinierten
den Terraner.
Überall im Schiff befanden sich diese Wände, deren Material ungeheuer hart war.
Staunend blickte sich der Terraner um. Was hatten die laktonischen Wissenschaftler gesagt?
Mehrere tausend Jahre…
Es war unvorstellbar. Und doch gab es bei den unfehlbaren laktonischen Meßgeräten keinen Irrtum…
Die Leichen der ermordeten Wachen des Tann wiesen ihnen den Weg zur Halle. Schweigend traten sie
über die leblosen Körper hinweg. Auch Kim hatte seine jungenhafte Fröhlichkeit verloren, als er an die
grauenhaften Erlebnisse in der großen Halle dachte.
Ein Portal öffnete sich.
Die strahlenden Wände der kleinen Halle wölbten sich zu einer Kuppel empor.
Das große türkisfarbene Gebilde im Mittelpunkt der Halle hatte die Form eines Hufeisens. Hauchdünne
Drähte spannten sich in verwirrender Anordnung zu den geneigten Wänden des Gewölbes. Sie
mündeten in schneeweißen Spiralen. Überall waren diese seltsamen Gebilde, aber an der Decke, direkt
über dem hufeisenförmigen Gegenstand, waren sie gebündelt.
Langsam trat Rex Corda näher an das Hufeisen heran. Die innere Wölbung war nicht leer. Kleine
Schirme wölbten sich um einen leeren Raum, der etwa die Größe eines Männerkopfes hatte. Einige
waren verbogen.
Rex Corda vermutete, daß sich etwas innerhalb dieser Schirme befunden hatte. Eine plötzliche Ahnung
überfiel ihn, aber er wies sie zurück.
Es war zu phantastisch!
Die Schritte der anderen brachten ihn wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Ist es der Antrieb dieses Raumschiffes gewesen?« fragte Velda.
Rex Corda schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es nicht. Hat jemals ein Laktone diesen Raum betreten?«
Der elektronische Dolmetscher auf der Brust des Tann meldete sich.
»Keiner von den dicken Männern hat den Raum betreten«, sagte der Tann.
Die ›dicken Männer‹! Rex Corda grinste. Aber die Bezeichnung stimmte. Gegen die klapperdürren
Morghs mußten die Laktonen übertrieben massig wirken. Aber was war mit den Laktonen geschehen, die
zusammen mit Velda und Kim auf diesem Planeten gestrandet waren?
Auf seine Frage grinste Kim.
»Die Laktonen sind alle in den Verliesen der Tanns verschwunden. Die Morghs wollen von ihnen
technisches Wissen erhalten, um dann Widerstand gegen die Sirenen leisten zu können. Ich habe
selbst mit einem gesprochen!«
»Auch unser Smoke hier«, sagte Velda, »hat Laktonen gefangengenommen!«
»Das stimmt«, bestätigte der Tann, »sie leisteten Widerstand gegen meine Soldaten und wollten Ihre
Schwester entführen. Sie befinden sich in meiner Gewalt!«
In Rex Corda reifte plötzlich ein Plan. Jetzt konnte er vielleicht »X«, den geheimnisvollen Unbekannten
an Bord der »Walter Beckett«, in die Falle locken.
»Sie haben sich unschätzbare Verdienste erworben, als Sie meine Geschwister vor den Laktonen
beschützten«, sagte Corda ernst, aber im Innern mußte er lächeln. »Sie sind ein selbstloser Mann!
Besonders muß man Ihren Entschluß bewundern, die Laktonen in Gewahrsam zu nehmen!«
Smoke grinste von einem spitzen Ohr bis zum anderen. Mit Entsetzen sah Velda, wie der Morgh schon
wieder eine blaue Tüte aus seinem Gewand hervorfischte. Der Tann beugte sich vor. Aus dem
Übersetzungsgerät kam etwas, das einem vertraulichen Flüstern täuschend ähnlich war.
»Ich bin Realist! Wir werden den Laktonen ihr Wissen abnehmen und uns den technischen Fortschritt
zunutze machen. Es ist vermutlich ein weiter Schritt von unseren Verbrennungsmotoren bis zu einem
Schiff, das zu den Sternen fliegt!«
»Vermutlich«, gab Rex Corda höflich zu.
»Wir werden«, knarrte die Stimme aufgeregt aus dem Übersetzungsgerät, »unsere Zivilisation völlig
neu gestalten. Doch zunächst müssen wir die Gewalt der Sirenen brechen. Dabei können Sie uns
unschätzbare Hilfe leisten!«
»Danke«, sagte Rex Corda kühl, »aber machen Sie sich bitte keine falschen Vorstellungen. Wir werden
Sie nach Kräften unterstützen – solange wir hier auf Morgh sind. Vergessen Sie nicht, daß ich
gekommen bin, um meine Geschwister abzuholen!«
Das Gesicht des Morgh wurde hell vor Ärger. Seine Hand preßte sich zusammen. Wütend schleuderte
Smoke die Blume auf den schimmernden Boden. Beißender Rauch kräuselte sich empor.
Der Tann drehte sich um und knallte den Gang entlang.
»Was hat er?« erkundigte sich Velda.
»Offenbar betrachtet er euch als sein persönliches Eigentum«, bemerkte Rex Corda. »Kommt, wir
wollen diesen Burschen nicht aus den Augen verlieren!«
Sie gingen hinter dem Tann her, der aus dem Raumschiff eilte. Kim sprang dem Morgh nach, holte ihn
ein und sagte etwas zu ihm, aber die Antwort bestand nur aus einem bösartigen Knurren.
Der Junge blieb stehen und wartete, bis Velda und Rex heran waren…
»Smoke ist wütend«, verkündete Kim. Dann rannte er wieder voraus und kletterte neben dem Morgh
über Felsen und gezacktes, zerrissenes Metall nach draußen.
Das strahlende Licht der Doppelsonne schien herein.
Nachdenklich besah sich Rex Corda den Riß, der sich über die ganze Breite der Wandung zog.
»Warst du jemals bei diesem Wrack der Laktonen, nachdem du fortgeschleppt wurdest?«
Velda nickte, während sie über einen glasigen Felsen rutschte.
»Die Morghs haben das Schiff ziemlich ausgeplündert«, meinte sie. »Mit dem größten Teil der Sachen
können sie vielleicht nichts anfangen…«
»Vielleicht haben wir Glück«, brummte Rex Corda vor sich hin. Velda sah ihren Bruder fragend an.
»Ich meine«, sagte er, »daß wir uns dieses Wrack noch einmal näher besehen sollten. Ich möchte
nämlich, daß…«
Er brach ab und rannte vorwärts.
Der Knall eines Schusses brach sich vielfältig an den Kanten und Ecken der zerrissenen Wandung.
»Kim!« schrie Velda.
Ein weiterer Schuß ertönte. Kim gab keine Antwort, aber man hörte sein lautes Lachen. Es wurde
teilweise von wütenden Schreien übertönt.
Als Velda und Rex ins Freie rannten, bot sich ihnen ein seltsamer Anblick.
Auf eine Ansammlung von sich tummelnden runden Pelzbällen lief eine schreiende, flatternde Gestalt
zu.
Der Tann schwang eine riesige schwere Flinte über seinem Kopf. Er hatte sich der Ansammlung von
Houms bis auf hundert Meter genähert, als sich die Reittiere langsam in Bewegung setzten.
Fluchend blieb Smoke stehen. Er riß die Flinte an die Schulter und drückte ab. Der peitschende Knall
ließ Corda amüsiert lächeln. Diese Waffen machten mehr Krach, als daß sie irgendeine Wirkung zeigten.
Kim bog sich vor Lachen.
»Als er… als er«, lachte er, »mit mir aus dem Raumschiff kam, sah er seine kleinen Tiere und fing
sofort an zu fluchen! Es war leider nicht zu verstehen, aber es muß interessant gewesen sein!«
»Kim!« sagte Velda streng.
Die fruchtlosen Versuche des Tann, seine Reittiere wieder zusammenzubekommen, waren wirklich
komisch.
Aus der Herde, die langsam abwanderte, löste sich ein riesiges dunkles Houm und trottete auf den
kreischenden Morgh zu.
Wieder zerrissen Schüsse die Luft. Der Morgh zielte sorgfältig und schien auch zu treffen, aber das
Tier verlangsamte seinen Lauf nicht.
Rex Corda erschien es nur, als würde das Houm nach jedem Schuß kleiner.
Das Houm schrumpfte zusammen!
Wieder schoß der Tann.
Die große Pelzkugel drehte ab und folgte wieder seiner Herde.
Der Morgh näherte sich schimpfend den drei Terranern.
»Diese wilden Houms«, krächzte es schon von weitem aus dem Lautsprecher, »haben mir meine ganze
Herde abspenstig gemacht. Nicht mal die Lockflöte hilft!«
Velda erklärte Rex die Zusammenhänge.
»Beinahe wäre der Trick der Sirenen geglückt, aber mir gelang es, mit dieser Stabwaffe die Energie
aus dem SuperEgo aufzufangen!«
Rex Corda betrachtete nachdenklich die schlanke kurze Waffe.
»Diese Waffe stammt nicht von den Laktonen«, bemerkte er schließlich. »Woher hast du diesen
Strahler?«
»Wir fanden ihn auf unserer Flucht«, sagte Velda.
Rex Corda nahm den Strahler an sich. Er betrachtete die Waffe genau und besah sich besonders die
Erhebungen auf der Mitte.
»Ich habe einfach wahllos auf einen der Knöpfe gedrückt«, sagte Velda. »Es funktionierte. Aber die
Energie ließ nach. Als die Kugelblitze von allen Seiten auf uns zukamen, hatte ich die Idee, diese
Energie aufzufangen. Und es ging. Aber…«
Velda stieß einen leisen Schrei aus. Mit der Waffe in der Hand Cordas ging eine Veränderung vor sich.
Sie änderte ihre Farbe, wurde matt und stumpf.
Vorsichtig ließ Rex Corda die Waffe zu Boden gleiten. Dann zog er seine Schwester zurück.
Aber es geschah weiter nichts.
Eine Minute starrten sie auf die stumpfe graue Waffe, dann keuchten beide Geschwister erregt auf.
Der Stab war verschwunden. Von einem Augenblick zum anderen. Es war, als hätte man ihn nie zuvor
gesehen.
Rex Corda tastete über den Boden, aber die Waffe war einfach nicht mehr vorhanden.
»Schade«, seufzte Velda. »Das wäre ein interessantes Objekt für Laktons Wissenschaftler gewesen.«
»Vielleicht ist es so am besten«, sagte Rex Corda ernst.
Dann wandten sie sich um.
Keuchend näherte sich der Morgh. Seine Augen funkelten böse.
»Sie haben dem Vieh die Luft abgelassen, was?« fragte Kim. Er hatte den Vorgang des
Zusammenschrumpfens deutlich gesehen. Das Houm war nach den letzten Schüssen um mindestens
einen Meter kleiner geworden.
»Es war die einzige Möglichkeit, es zu vertreiben«, brummte Smoke. »Aber es hat nichts genutzt. Die
Herde ist fort. Meine besten Reittiere!«
Trübsinnig fingerte er in den Falten seines Umhanges herum. Seine Miene verdüsterte sich, als er
erkannte, daß sein Vorrat an Rauchblüten zu Ende gegangen war.
»Wird dieses wilde Houm sterben?« erkundigte sich Velda.
Der Tann starrte sie einen Augenblick an. Dann schüttelte er den roten Kopf.
»Leider nicht. Die Houms sind durch unsere Bleigeschosse nicht zu töten. Die Löcher im Pelz schließen
sich, um den Druckverlust auszugleichen. Dadurch wird er kleiner!«
»Wir sollten eine von diesen Pelzkugeln zum Central Park bringen«, schlug Kim vor.
Rex Corda lächelte grimmig, als er an das zerstörte New York dachte. Auch der riesige Zoo im Central
Garden war den Gluten aus den Abstrahlschächten der außerirdischen Raumschiffgiganten zum Opfer
gefallen…
Er wandte sich an den Tann.
»Wir bringen Sie zu Ihrer Stadt. Aber vorher machen wir einen kleinen Abstecher zum Wrack der
Laktonen.«
Die Miene des Morgh versteinerte sich.
Velda zeigte ein hinreißendes Lächeln, als sie sich an den Tann wandte.
»Nicht wahr, Sie zeigen uns die Richtung?«
Fast wider Willen nickte der Morgh. Brummend ging er auf den Gleiter zu.
*
Sie hatten den versteinerten Wald durchquert. Sie waren über die flachen Plateaus der Grauen Ebene
gewandert, und sie hatten die Schrecken der CaddisWüste erlebt.
Sie waren am Ende ihrer Kräfte.
Sogar die Tierwelt schien zu merken, daß sie, die sonst so stolzen grausamen Sirenen, völlig
entmachtet waren. Die Raubvögel, sonst ihre Verbündeten, stießen herunter und hetzten die Sirenen
mit wilden Schreien in den Schutz der Felsenhöhlen, wo sie wütend und vor Furcht zitternd
zusammenhockten, bis der gewaltige rote Kopf der Flugechse vom engen Eingang der Höhle
verschwand.
Es war die größte Demütigung, die man einer Sirene antun konnte. Sie war schlimmer als der Tod.
Das SuperEgo hatte seine Strafe ausgesprochen.
Die GravoSohlen hatten sich gelöst. Es war unmöglich, einen Kraftstrom in die flachen Teller
hineinzuleiten.
Gartee wimmerte und betastete ihre Wunden. Ein Schnabelhieb des Riesenvogels hatte sie getroffen.
Sie wünschte, es wäre tödlich gewesen, aber das SuperEgo befahl die Verteidigung.
Über hundert Kilometer mußten sie durch das schlimmste und wildeste Gebiet des Planeten Morgh, um
auf kürzestem Wege das Heiligtum zu erreichen. Dort wartete der endgültige Spruch der Sirenen auf
sie. Sie konnten auf Gnade hoffen, aber es war nicht sicher.
Unfähige Dienerinnen wurde bestraft.
So wollte es das SuperEgo.
Wimmernd, entmachtet und entkräftet taumelten Marryee, Vleghour und Gartee dem riesigen
Talkessel entgegen, in dessen Innern die Freudenfeuer der Morghs brannten.
Nach Norden!
*
»Dort unten!«
Der Morgh streckte seine knochige Hand aus. Sein Gesicht war hell vor Furcht, aber er versuchte
tapfer, die Angst zu unterdrücken. Als der Gleiter vom Boden abgehoben hatte, mußte er die Augen
schließen.
Dann starrte er auf den großen Mann hinter den Kontrollen, der wie selbstverständlich eine elegante
Schleife über dem Heiligtum im Westen zog.
Jetzt waren sie am Wrack der Laktonen angelangt. Der Tann erinnerte sich an den Aufruhr, als das
riesige Bruchstück zu Boden gegangen war. Die ungeheure Erschütterung der Luftmassen war bis in
seine Stadt zu hören gewesen. Und dabei lag sie, selbst mit einem schnellen Houm, mindestens zwei
Tagereisen entfernt.
Es gab kaum eine Fensterscheibe, die nicht gesplittert wäre. Die Bevölkerung war nahe daran, in Panik
auszubrechen.
Die Bevölkerung!
Wie würden sie zurückkommen? Wie würde sie der Tempel der Sirenen entlassen? Bleich, abgezehrt,
von grauenhaften Ängsten gepeinigt. Viele begingen danach Selbstmord, und jeder konnte es ihnen
nachfühlen.
Vier Jahre benötigten sie, um sich wieder zu erholen. Dann näherte sich die neue Periode. Der Kreis
schloß sich.
Die Morghs waren dazu verdammt, immer wieder psychisch ausgebeutet zu werden.
Aber damit würde es ein Ende haben!
Die magischen Kräfte dieser Leute von den Sternen würden sie zerschlagen, bis keine Sirene mehr am
Leben war.
Der Tann frohlockte. Sein lebenslanger Kampf gegen die Sirenen würde vom Erfolg gekrönt werden.
Und danach würde er sein Volk zu größter Macht führen. Die technischen Geheimnisse der Laktonen
würden ihn zum mächtigsten Tann machen!
Der MorghFührer lehnte sich zurück und zwang sich, die Augen offenzuhalten, während der Gleiter
auf das riesige Bruchstück, das von den Sternen gekommen war, zuschoß.
Das Bruchstück des LaktonRaumers hatte einen Durchmesser von hundert Metern und war etwa
dreihundert Meter lang. Bis auf die Bruchstellen wirkte es fast unversehrt. Der andere Teil, der auf
Rakna niedergegangen war, sah wesentlich schlimmer aus.
Der Gleiter senkte sich langsamer. Unten waren Zelte zu sehen. Aber kein Morgh zeigte sich.
Das Gesicht des Tann verdüsterte sich wieder.
»Sie ließen das Wrack bewachen?« erkundigte sich Rex Corda, während er den Gleiter sanft aufsetzte.
Der Tann nickte. Die terranische Geste war ihm jetzt völlig geläufig.
»Sie scheinen fort zu sein. Der Einfluß der Sirenen war auch für meine Getreuen zu mächtig!«
Velda und Kim sprangen aus dem Gleiter. Der Tann folgte ihnen mit weichen Knien. Er mußte sich erst
wieder an den festen Boden gewöhnen.
Mit zusammengekniffenen Augen spähte Corda in den Himmel. Nichts zeigte sich.
Die Sonne Pay näherte sich dem Horizont, während Somd auf dem Gipfelpunkt ihrer Bahn war. Aber es
war keine Sirene zu sehen. Auch auf ihrem Flug zum Wrack der Laktonen hatte sich keine dieser
geheimnisvollen Frauen gezeigt.
Wurde ein neuer Anschlag vorbereitet?
Corda horchte in sich hinein. Jedesmal, wenn eine Sirene in der Nähe gewesen war, hatte er einen
scharfen Stich gespürt, der in ein seltsames, unangenehm prickelndes Gefühl überging. Velda hatte ihm
bestätigt, daß sie die Gegenwart der Sirenen in gleicher Weise empfand.
Es war nichts. Nur der dumpfe, bohrende Drang, nach Norden zu ziehen. Aber es war leicht, dem Einfluß zu begegnen. Velda, Kim und der Tann waren in einem der Zelte verschwunden, die das Schiff umgaben. Wie Corda festgestellt hatte, war keines belegt. Langsam ging er auf die offene Schleuse des Wracks zu. Das Innere des LaktonRaumers zeigte deutlich die Spuren der Morghs. Sie hatten sich überall zu schaffen gemacht. In ihrer Unkenntnis hatten sie sich vor allem für glänzende, kostbar wirkende Dinge interessiert. Kontrollhebel, Lampen, Teile der Belüftungsanlage, kleine tragbare Sender, Lebensmittel und die persönlichen Habseligkeiten der Besatzung, soweit sie nicht von den Laktonen selbst an sich genommen waren. Im Kommandoraum herrschte ein großes Durcheinander. Skalen und Kontrollknöpfe waren entfernt worden. Die Sessel hatte man versucht abzuschrauben, aber offenbar hatten die Werkzeuge der Morghs an den Halterungen nichts ausrichten können. Er fand, was er gesucht hatte. Es gab Hunderte solcher kleinen tragbaren Sender an Bord eines RiesenRaumschiffes, aber die meisten hatten die Morghs an sich genommen, ohne zu wissen, zu welchem Zweck sie dienten. Das Funkgerät, das eigentlich zum privaten Gebrauch gedacht war und die Einrichtung eines Bordtelephons überflüssig machte, lag auf einem der Sessel. Vermutlich hatte es ein plündernder Morgh vergessen. Soweit Rex Corda es beurteilen konnte, schien der Apparat unversehrt zu sein. Er nahm ihn an sich und wollte den Kontrollraum verlassen, als sein Blick auf eine abgerissene Platte fiel. Normalerweise hingen hier die Raumanzüge, aber alle fehlten. Lächelnd stellte sich Rex Corda vor, wie jetzt ein hagerer Morgh einen dieser Raumanzüge trug, der auf einen Mann des dreifachen Umfangs zugeschnitten war. Das Lächeln verging ihm, als er die schrillen Schreie Veldas hörte. Das Gerät an seine Brust gepreßt, hetzte Rex Corda den Gang entlang. Im Freien sah er sich um. Wieder ertönte ein Schrei. Dann sah er es. Der Gleiter ruckte und erhob sich einen halben Meter über den Boden. Wütend eilte Rex Corda darauf zu. * Sie mußten sich geschlagen geben, aber sie wollten es nicht wahrhaben. Die vierundzwanzig Sirenen, die eine Kette um den leuchtenden Kristall bildeten, waren aufs höchste erregt. Die pulsierenden Kräfte, die in einem breiten Strom von dem Kristall aufgenommen wurden, versetzten sie in einen rauschartigen Zustand. Doch es gab einige Dinge, die ihre Ekstase störten. Drei Dienerinnen hatten schwer versagt und mußten ihre Fehler büßen. Das SuperEgo wußte, daß sich Marryee, Vleghour und Gartee auf dem Weg zum Tempel befanden. Sie waren genug bestraft worden. Der abtrünnige MorghFührer befand sich bei den drei Monstern. Darum war er im Augenblick ebenfalls unangreifbar. Aber er würde seine Strafe erhalten! Denn die Periode näherte sich ihrem Ende. Der Kristall strahlte in hellem Feuer. Wenn die Massen der Morghs entkräftet und ihrer IDEnergien beraubt den Talkessel verließen, hatte die Macht des Super Ego wieder unvorstellbare Ausmaße. Dann erst war es möglich, die drei Monster zu besiegen. Das SuperEgo genoß schon das Vorgefühl des Triumphes. Denn es gab noch ein Druckmittel, was man gegen die Monster anwenden konnte. Ihre Begleiter. Die Männer mit den breiten Körpern, dem herben Geruch und den roten Zähnen. Und mit der unerschöpflichen IDEnergie. Das waren die Geiseln. Einer von ihnen war ausgebrochen. Das ließ auf ein besonders hohes IDPotential schließen! Man hatte sich seiner besonders angenommen. Er würde keinen Versuch mehr machen. Nachdrücklich war ihm der hypnotische Impuls eingeprägt worden. Zudem stand er unter ständiger Bewachung. Er würde bis auf das Blut, bis zur völligen Erschöpfung ausgesaugt werden. * Selbstgefällig strich sich der kleine Kynother über den roten Brustkeil seiner schwarzen Kombination. Es störte ihn nicht weiter, daß sein Anzug verschmutzt und zerrissen war.
»Es sind Morghs«, kicherte er.
Bekovals breites, glänzendes Gesicht zeigte einen verblüfften Ausdruck, der aber sofort wieder
verschwand. Es gab keine Probleme. Darum gab es auch nichts, worüber man sich wundern konnte.
»Morgh«, summte der massige Laktone vor sich hin und wiegte das Mädchen auf seinen Knien. Verzückt
betrachtete er das fliehende Kinn. Über die Unterlippe ragten zwei schiefe Zähne. Bekoval grunzte
und wollte das bezaubernde Geschöpf enger an sich drücken, aber das MorghMädchen entwand sich
kichernd und eilte davon.
Der Laktone wandte sich grinsend an GaVenga.
»Ein Juwel, nicht wahr?«
Der kleine Dolmetscher lächelte verlegen. Es gab nur ein Juwel unter der Doppelsonne Morghs, und das
erglänzte an seiner Seite. Verliebt blickte GaVenga in die Höhe, wo sich auf einem dürren Hals ein
vogelartiger Kopf wiegte.
Es war eine kleine Ruhepause eingetreten. Sie hatten in einem Taumel des Glücks, einer Ekstase von
ungeheuerlichen Ausmaßen, ihre Kräfte ausströmen lassen und ruhten jetzt ermattet am Boden. Aber
es gab keinen Schlaf. Das tiefe Gefühl des Glücks blieb und hielt sie wach. In wenigen Stunden würde
man sich so weit erholt haben, daß die Tänze von neuem beginnen konnten.
John Haick näherte sich schwankend. Seine dunklen Augen strahlten.
»Mein lieber Freund!« rief GaVenga überschwenglich und drückte den Terraner an seine schmächtige
Brust. »Du bist mir lieb und teuer! Komm an meine Seite!«
Der Kleine wies auf das klapperdürre Gestell neben sich.
»Du darfst ihr ein Küßchen aufdrücken. Aber nicht mehr, verstehst du?«
Der Kynother drohte schelmisch mit dem Zeigefinger und begann plötzlich zu dozieren.
»Sicherlich gibt es leichtere Sprachen als den MorghDialekt. Aber einem echten Genie wie mir
bedeutet das natürlich keine Mühe, die Grundzüge dieser Sprache aufzunehmen.«
Er kicherte und zog John Haick näher zu sich heran.
»Das wirklich Schwierige ist die Konjugation. Im Grunde besteht die MorghSprache nur aus starken
Verben. Dagegen ist die Deklination ein Kinderspiel. Wie im Englischen beispielsweise. Bei der
Aussprache unterscheidet man harte Gaumenlaute, Zischlaute, Spucklaute, Rachenlaute und Worte,
deren letzter sprachlicher Schliff durch das Schnippen zweier Finger der linken Hand…«
Durch die Luft sauste ein schwerer Körper. Höhnisches Gelächter begleitete den dumpfen Aufprall.
»Ein Mann fiel vom Himmel«, lachte GaVenga.
»Von der Stirne heiß rinnen muß das Blut…«, zitierte John Haick leicht abgewandelt und tupfte etwas
Moos auf einen Kratzer auf der Stirn des Mannes.
Der Laktone stöhnte und schlug die Augen auf.
»Du bist ein kleiner Herumtreiber«, drohte Bekoval und lachte dröhnend. »Mein lieber Percip, als dein
Vorgesetzter muß ich dir eine kleine Lektion erteilen!«
Percip beobachtete, wie sich die schinkengroße Faust seinem Gesicht näherte. Sanft streichelte
Bekoval die Wange des anderen.
»Ich bin zu gut«, murmelte der massige Laktone ergriffen. Dann zog er den laktonischen Agenten
empor. Percip strahlte.
»Ich möchte eine Erklärung abgeben!« dröhnte Bekovals mächtiges Organ über die ansteigende Wand
des Talkessels. »Folgendes…«
Er wandte das schwere Haupt. Die nächste Gruppe, die nur aus MorghMännern bestand, hatte sich um
einen riesigen Kessel geschart. Die Flammen leckten an dem bauchigen Behälter empor.
»Hiermit, Männer, verkündige ich«, brüllte Bekoval, »daß es Essen gibt. Eine weise Regel unseres
verehrten Schento lautet: Wer nicht arbeitet, soll wenigstens gut essen!«
Bekoval lachte brüllend über seinen gelungenen Scherz und hieb Percip auf die Schulter. Dieser war
bei dem Wort ›Schento‹ leicht zusammengezuckt, als verbinde er irgendeinen geheimen Zusammenhang
mit diesem Wort. Aber er konnte sich nicht erinnern. Zusammen mit den anderen taumelte Percip auf
den dampfenden Kessel zu.
Befriedigt nickte die Sirene, die in einer Entfernung von fünf Metern über der Gruppe schwebte, vor
sich hin. Das SuperEgo fing ihre Meldung auf. Es war alles in Ordnung.
*
Der Tann wandte sich um. Sein verzerrtes rotes Gesicht wirkte hilflos und wütend. Als Corda
heranjagte, konnte er sehen, wie sich der MorghFührer bemühte, den Gleiter in die Höhe zu
bekommen. Aber er schaffte es einfach nicht.
Rex Corda war heran. Er riß die eine Tür auf und blickte grimmig in die Mündung der kleinen Waffe, die
ihm der Tann entgegenhielt.
»Machen Sie keinen Unsinn!« brüllte der Terraner. »Damit erreichen Sie nichts!«
Hinter dem Morgh sah Corda das bleiche, angespannte Gesicht seiner Schwester. Sie öffnete den
Mund, brachte aber kein Wort hervor. Dann hob sie langsam ihre Hände.
Sie waren gefesselt.
Triumphierend drückte der Tann ab. Rex Corda sprang zur Seite, aber er wußte, daß er nicht schnell
genug gewesen sein konnte. Etwas sengte heiß an seiner Hüfte entlang.
Wieder schrie Velda. Ein dumpfer Schlag war zu hören, ein Stöhnen. Rex Corda fiel zu Boden. Er war
gestolpert. Vermutlich hatte ihm die Baumwurzel das Leben gerettet.
Langsam richtete er sich auf. Der Tann hing schlaff im Sessel vor den Kontrollen. Der Kopf war ihm auf
die Brust gefallen.
Rex Corda löste die Fesseln seiner Schwester und kümmerte sich um Kim, der bewußtlos auf dem
Rücksitz lag.
Aber dem Jungen war nichts geschehen.
»Er hat uns betäubt«, sagte Velda bitter. »Er muß noch ein paar von diesen Blumen in der Tasche
gehabt haben, denn plötzlich warf er uns eine ganze Handvoll hin. Das war im Zelt. Das nächste, an das
ich mich erinnere, waren die Versuche Smokes, den Gleiter hochzubekommen. Er muß sich dabei
ausgesprochen ungeschickt angestellt haben!«
Rex Corda schüttelte den Kopf.
»Ach ja«, nickte Velda. »Als er dich dann bedrohte, schlug ich ihm beide Hände über den Kopf. Er muß
direkt mit dem Kinn auf das Armaturenbrett geprallt sein!«
Rex Corda lächelte. Dann fesselte er den Morgh und setzte ihn neben sich. Das Sendegerät übergab er
Velda.
Kim wachte aus seiner Bewußtlosigkeit auf und machte sich mit einigen unfreundlichen Bemerkungen
über den Tann Luft.
»Er ist ein Fanatiker«, sagte Velda, »aber im Grunde ist er nicht schlecht. Er will nur die Herrschaft
der Sirenen brechen. Dazu ist ihm jedes Mittel recht.«
Der Gleiter hob vom Boden ab und ließ das Wrack der Laktonen hinter sich. Sie flogen die Straße
entlang, auf der Velda – ein Houm reitend – dem Tann gefolgt war. Am Ende dieser Straße mußte die
Stadt des Tann liegen. Velda schätzte die Entfernung auf etwa zweihundert Kilometer.
Corda schaltete auf Automatik und tätschelte dem Tann das Gesicht, bis dieser erwachte. Er fand
sofort in die Wirklichkeit zurück.
»Warum töten Sie mich nicht?« krächzte es aus dem elektronischen Dolmetscher.
Rex Corda schüttelte den Kopf und erklärte dem Morgh, daß er kein Lebewesen sinnlos töten würde.
Smoke hielt das für Ironie und schwieg düster.
In einer Stunde hatten sie die Stadt des Tann erreicht. Nach Veldas Anweisungen flog Rex Corda den
Gleiter ein. Sie landeten auf dem flachen Dach eines großen Gebäudes.
»Endstation«, lachte Kim, »Gefängnis, Standesamt und Palast des Smoke von Morgh!«
Soldaten eilten auf das flache Dach.
Obwohl die ganze Stadt wie ausgestorben schien, gab es hier noch einzelne Männer, die dem Tann treu
ergeben waren und so viel Widerstandskraft besaßen, daß sie dem Lockruf der Sirenen nicht folgten.
Rex Corda öffnete das Fenster einen Spalt.
»Los, Mann, sagen Sie Ihren Leuten, daß sie ihre Donnerbüchsen fallen lassen sollen!«
Der Tann zögerte. Offenbar glaubte er, noch einige Chancen zu haben.
»Ich passe auf«, warnte der Terraner und richtete den Strahler auf den Gefesselten. »Sagen Sie
Ihren Soldaten, sie sollen sich bis zur Wand zurückziehen.«
Der Tann krächzte ein paar Befehle. Mit Gesichtern, die hell vor Wut waren, zogen sich die Wachen
zurück. Ihre langen schweren Flinten hatten sie auf einen Haufen geworfen.
Blitzschnell hatte Rex Corda einen Plan entwickelt.
»Kennst du dich hier im Palast aus?« fragte er Velda.
Das Mädchen nickte.
»Ich hatte immer eine große Bewegungsfreiheit!«
»Ich auch!« sagte Kim, der sofort begriff, worum es ging.
»Du bleibst hier«, sagte Rex Corda bestimmt. »Velda wird allein gehen!«
Er riß dem Morgh den elektrischen Dolmetscher von der Brust und hielt das Gerät an seinen Mund.
»Wachen des Tann«, dröhnte Cordas Stimme über das Plateau. »Dieses Mädchen, das ihr alle kennt,
wird jetzt den Gleiter verlassen. Ihr habt ihr weder Fragen zu stellen, noch sie aufzuhalten. Sollte ihr
irgend etwas geschehen, oder sollte sie nach einer bestimmten Frist nicht wieder auftauchen, muß
euer Tann sterben!«
Mit einer weitausholenden Geste legte Corda einen großen Schraubenschlüssel aus dem
Werkzeugkasten des Gleiters an die dürre Kehle des Tann. Er kam sich reichlich theatralisch dabei
vor, aber es kam darauf an, einen möglichst entschlossenen und nachhaltigen Eindruck zu machen.
Die Morghs heulten vor ohnmächtiger Wut. Das Manöver schien geglückt zu sein. Wenigstens bei
diesen Leuten war der Tann äußerst beliebt.
In kurzen Worten sagte Rex Corda seiner Schwester, was sie zu tun hätte. Dann drückte er ihr das
Gerät in den Arm, nachdem er einige Drähte abgerissen und verschlungen hatte.
Velda sah ihren älteren Bruder verständnislos an.
»Aber wozu das alles? Warum willst du die Laktonen befreien?«
Rex gab seiner Schwester einen sanften Klaps. Die Tür des Gleiters öffnete sich, und das Mädchen
sprang heraus.
In langen Sprüngen rannte sie auf eine dunkle Tür zu, durch die sie die obersten Stufen einer engen
Wendeltreppe gesehen hatte.
Ruhelos strich er in seinem engen Raum hin und her. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß ihn die Enge
erdrückte…
Die Enge und die Einsamkeit.
Nervös spuckte der Zeitspäher den roten Stengel aus, auf dem er herumgekaut hatte. Dann
überprüfte er noch einmal sämtliche Schirme und Überwachungsanlagen. Alles war tot. Nur das
Knattern der Statik, die Nebengeräusche der toten Kanäle und das Summen in den Ohren des
Zeitspähers waren zu hören.
Wütend riß er das Fach des Delikatessenschranks auf. Aber KoMont hatte nicht einmal besonderen
Appetit. Das war eine unangenehme Erfahrung für ihn. Ein sicheres Zeichen, daß seine Nerven nicht in
Ordnung waren.
Schließlich wählte er eine besondere Köstlichkeit aus, die er eigentlich erst nach seiner zu
erwartenden Beförderung genießen wollte. Diese kleine flache Dose, die der Zeitspäher aus seinem
Schrank holte, kostete fast einen Tagesverdienst. Aber sie war es wert.
KoMont öffnete den Verschluß. Die grüngraue Färbung des Ragouts bewies, daß der Gärungsprozeß
vor mindestens zwei Jahren eingeleitet worden war.
Der Zeitspäher kostete ein Häppchen und ließ es auf der Zunge zerschmelzen.
Dann fuhr er zusammen. Er war sich sicher, daß er ein Geräusch gehört hatte. Nun, es bestand nicht
die Gefahr, daß er etwa gesehen werden konnte. Aber diesem Geräusch mußte er auf den Grund gehen!
Der Zeitspäher öffnete eine kleine Tür, die fugenlos auf eine Doppelwand mündete. Innerhalb dieser
Wand zwängte sich der Agent voran. Er mußte übrigens aufpassen, daß er nicht zu dick wurde, sonst
mußte man ihn nach Beendigung aus der »Walter Beckett« herausschneiden!
Er ließ sich einen Entlüftungsschacht hinab, entfernte ein Gebläse, setzte es hinter sich wieder ein
und landete auf einem Gang.
Totenstille herrschte im Schiff. Es war nichts zu vernehmen.
KoMont bemühte sich nicht, besonders leise aufzutreten. Er konnte weder gesehen noch gehört
werden. Die Zeitverschiebung bedeutete die vollkommene Tarnkappe. Alles, was er bei sich trug, nahm
er in seine Zeitebene, die eine zehntausendstel Sekunde in der Zukunft lag, mit.
Der Zeitspäher verhielt. Es war nichts zu hören. Langsam wanderte der Laktone zum Kommandoraum
und ließ sich vor dem riesigen HauptHolografen nieder.
Auf diesem Platz saß normalerweise Rex Corda, der Mann, dem sein Auftrag galt und den er aus den
Augen verloren hatte.
War Corda noch am Leben? Was war mit den Geschwistern?
KoMont legte die Dose auf den Kontrollbord. Mechanisch entnahm er der Konserve ein Häppchen und
ließ es auf der Zunge zergehen.
Er mußte seinen Vorgesetzten Meldung machen. Er durfte sich nicht ohne Order aus dem Schiff
entfernen. So lautete der offizielle Befehl.
KoMont war ein SonderAgent und kannte seine Befugnisse genau. Wenn er seinen Auftrag erledigte,
fragte kein Mensch danach, auf welche Weise er ihn gelöst hatte.
Nachdenklich blickte er zu dem riesigen Komplex des HyperFunksenders hinüber. Er konnte innerhalb
von Stunden Order empfangen, aber damit hätte er seine Unfähigkeit zugegeben. Man würde ihm nicht
nur zum Vorwurf machen, daß Rex Corda aus seinem Kontrollbereich verschwunden war. Ebenso
schlimm war das Verschwinden der Besatzung.
Aber hatte nicht KoMont alles versucht?
Wer konnte ihm einen Vorwurf machen?
Langsam stand er auf und ging auf das HyperFunkgerät zu.
*
»Laßt mich los!« schrie das Mädchen.
Velda versetzte den beiden MorghWachen heftige Fußtritte gegen die Schienbeine. Aber ungerührt
hielten die beiden Rotgesichtigen das Mädchen weiter am Arm gepackt.
Fest hatte Velda das kleine Funkgerät an sich gepreßt. Als sich einer der Morghs zu sehr für den
Apparat interessierte, riß Velda sich los, schlug der Wache vor die Brust und hetzte den Gang
hinunter. Rex hatte ihr erklärt, daß sie sich beeilen mußte. Also konnte sie nicht abwarten, bis die
Wachen begriffen hatten, daß ihr Tann als Geisel auf dem Dach festgehalten wurde.
Velda hatte viele Tage in diesem Palast des MorghFührers gewohnt. Man hatte ihr sogar ein
komfortables Zimmer gegeben und sie recht gut behandelt. Aber trotz ihrer Freiheiten war sie nie in
den Verliesen gewesen.
Das Mädchen kümmerte sich nicht um die wütenden Schreie der Morghs, die ihr folgten. Sie bog um
eine Ecke und preßte sich mit fliegendem Atem in eine Nische. Die Wachen rannten an ihr vorbei, und
Velda ging leise den Gang zurück.
Im Palast des Tann gab es keine Fahrstühle oder gar GravoSchächte, sondern die einzelnen
Stockwerke waren durch steile Treppen verbunden. Diese Treppen waren oftmals so eng gewunden, daß
Velda stolperte und zu stürzen drohte. Von fern hörte sie die Schreie der Wächter, aber sie schienen
in der falschen Richtung zu suchen.
Vergnügt dachte Velda daran, daß der Palast vermutlich völlig leer war. Die paar Wächter sollten sie
nicht stören. Sie lächelte vor sich hin, öffnete eine Verbindungstür und tastete nach dem
Lichtschalter.
Eiskalter Schrecken ließ ihr Herz einen Schlag aussetzen.
Das Mädchen hielt den Atem an, dann stieß sie einen markerschütternden Schrei aus. Sie war wie
gelähmt.
Der Schock war zu entsetzlich gewesen.
Statt des Lichtschalters hatte sie in der Dunkelheit auf eine warme dreifingerige Hand gegriffen.
Das Licht flammte auf. Velda stand starr vor Schreck.
Drei MorghWachen standen vor ihr, in den dreifingrigen Händen großkalibrige Schußwaffen.
Velda wich zurück. Das Mädchen hatte sich im gleichen Augenblick wieder in der Gewalt. Sie zwang
ihre wirbelnden Gedanken eiskalt in geordnete Bahnen.
Kühl blickte Velda Corda die Rotgesichtigen an. Sie ärgerte sich darüber, daß sie sich derart hatte
überrumpeln lassen, aber das war nicht mehr zu ändern.
Das Mädchen hob das kleine Funkgerät. Die Morghs kannten sie und wußten, wie wichtig sie war. Sie
würden es nicht wagen zu schießen.
Velda hatte sich nicht verrechnet. Sie blickte die Wachen starr an und hob das Funkgerät um noch ein
paar Zentimeter. Dann drehte sie an einem Knopf. Ein lautes Knacken ertönte, dann das Knattern der
Statik.
Die Morghs wichen erschreckt zurück.
Velda wies sie an, die Waffen wegzuwerfen. Die Morghs beeilten sich, ihre Schießeisen loszuwerden.
Ängstlich sahen sie auf das Wunderding in den Armen des Mädchens.
Velda atmete innerlich auf. Die Wachen hatten keine Ahnung, was sie da wirklich in den Händen hielt.
Sie drehte einen zweiten Knopf. Das Knattern verstärkte sich.
Man sah den MorghWachen an, daß sie liebend gern ihr Heil in der Flucht gesucht hätten, aber Velda
tat ihnen nicht den Gefallen. Jetzt bedauerte sie, daß sie nicht den elektronischen Dolmetscher
mitgenommen hatte. Aber vielleicht brauchte ihn Rex für seine eindrucksvollen Demonstrationen
nötiger.
Velda bemühte sich, nicht zu lachen. Ein Zucken der Mundwinkel konnte sie allerdings nicht verhindern.
Aber die Morghs deuteten es als Anzeichen ihrer Exekution.
Die roten, hageren, flehenden Gesichter wirkten fast rührend, als die Wachen langsam die Arme über
den Köpfen erhoben.
»Laktonen«, sagte Velda laut, »Laktonen! Hinführen!«
Die Morghs begriffen. Eilig bemühten sie sich, Velda die Treppe hinunterzugeleiten. Sie waren keine
Feiglinge, aber sie hatten in den letzten Wochen zu viele der Wunderwaffen gesehen.
Velda ließ sie vorausgehen. Sie hoffte, daß die Morghs ihren Trick nicht durchschauten. Aber das
schien nicht der Fall zu sein.
Sie stiegen immer tiefer. Oft warfen die Morghs ängstliche Blicke nach hinten, wo sie Velda wie ein
rächender Engel mit ihrem Funkgerät im Anschlag bedrohte.
Schwere Portale knarrten. Schlüssel drehten sich geräuschlos in gutgeölten Schlössern. Die Luft
wurde immer dumpfer und modriger.
Eine letzte eisenbeschlagene Tür schwang auf. Strahlende Helligkeit umgab sie.
Velda winkte den Wachen, zu verschwinden. Sie hatte ihr Ziel erreicht.
Velda kümmerte sich nicht weiter darum, daß die Wachen sofort Alarm schlagen würden, um
Verstärkung heranzuholen. Sie hatte als letzte Sicherung immer noch den Tann, der als Geisel
festgehalten wurde.
Sie blickte um die Biegung des Ganges.
Erregte Rufe wurden laut.
Velda ließ das schwere Portal angelehnt und trat rasch in den großen Raum.
Die Halle war strahlend hell beleuchtet. In Abständen von zehn Metern waren Laktonen mit eisernen
Fesseln an die Wände geschmiedet. Jeder Laktone hatte einen kleinen Arbeitstisch vor sich, auf dem
seltsame Teile verstreut waren. Halbfertige Geräte lagen herum.
Sofort erkannte Velda einen Laktonen wieder. Es war ein Agent, der sie seit ihrer Entführung von der
fernen Erde zu beaufsichtigen hatte. Das Mädchen wußte, daß der Agent Englisch sprach.
Mit schnellen Schritten trat sie an den kleinen Tisch heran. Der Laktone war aufgesprungen. Das
erregte Murmeln wurde lauter. Velda gebot den Laktonen zu schweigen.
»Hören Sie«, sagte sie leise, »man kann mich jeden Augenblick hier wieder herausholen. Ich stehe
unter Bewachung, aber einen Moment konnte ich die Wächter täuschen. Es ist mir gelungen, ein
Funkgerät zu entwenden, das von den Morghs aus Ihrem Schiff gestohlen wurde. Mein Bruder ist auch
hier. Bitte helfen Sie uns!«
Der Laktone blinzelte unsicher und griff nach dem Gerät. Ketten klirrten, als er sich bewegte.
»Was soll ich tun?« fragte er langsam.
Velda blickte sich gehetzt um.
»Funken Sie um Hilfe! Ich weiß, daß eines Ihrer Schiffe hier gelandet ist, um nach uns zu suchen. Sie wissen nicht, wo wir sind. Versuchen Sie es!« flehte das Mädchen. Der Agent nickte und drehte an den Kontrollen des Funkgerätes. Dann bleckte er wütend die rötlichen Zähne. »Es ist beschädigt! Wir…« Er brach ab, als ein Trupp MorghSoldaten den Raum betrat. Hastig schob der Laktone das kleine Gerät unter einen Haufen von Spulen und Metallplatten, die seinen Tisch bedeckten. Velda warf dem Agenten noch einen flehenden Blick zu, dann wurde sie gepackt und von den Soldaten unsanft die steilen Stufen emporgerissen. * Vor Erschöpfung brach Gartee zusammen. Vleghour stieß sie empor. Gartee wimmerte. Die Sirene war am Ende ihrer Kräfte. Aber mit übermenschlicher Anstrengung folgte sie dem Impuls. Was waren alle Strapazen gegen die Drohung, in Schande sterben zu müssen? Marryee hatte als erste den Gipfel erreicht. Die Sirene stieß einen triumphierenden Schrei aus. Ihr Ziel lag in greifbarer Nähe! Unter ihnen begann der Talkessel. Die kurze, nur halbdunkle Nacht war gerade vorbei. Die Dämmerung wich. Wirbelnde Dämpfe stiegen aus dem gewaltigen Oval, in dessen Mitte das Nebelfeld lag, das den Tempel in dichten Schwaden von weißlichen Wolken einhüllte. Die drei Frauen hatten neue Kraft allein aus diesem Anblick geschöpft. Stolpernd rannten sie die Geröllhalde hinunter. Überall leuchteten die flackernden Feuer wie bunte Wegweiser auf. Teilweise waren die Feuer heruntergebrannt, aber tanzende Schatten wirbelten herum, stießen Schreie der höchsten Ekstase aus. Jetzt gewann auch Gartee wieder Kraft. * Kim stand breitbeinig neben Rex Corda. Seine kleinen Hände umklammerten je einen Strahler. Der Junge machte ein konzentriertes Gesicht. Rex Corda hatte den Tann fest gepackt. In seiner anderen Hand drohte der schwere Schraubenschlüssel, der zur Ausrüstung des Gleiters gehörte. Corda hatte nicht vor, den Tann zu verletzen, aber er bemühte sich, ein möglichst grimmiges Gesicht zu machen. Kim hielt die Strahler lässig in Hüfthöhe, wie er es in den Cowboyfilmen gesehen hatte. Nur trugen Cowboys normalerweise keine hochwertigen Energiewaffen, deren gesteuerte Kettenreaktion ungeheure Energiemengen freigeben kann. Der Tann wagte es nicht, auch nur ein Glied zu rühren. Mit krächzender tonloser Stimme rief er seinen Männern einige Befehle zu. Sie reagierten sofort. Hastig verschwanden die rotgesichtigen Morgh Wachen und kehrten nach einigen Minuten mit Velda zurück. Inzwischen hatte sich ein großer Haufen um das Mädchen gebildet. Ein lautstarkes Palaver entstand. Mit wenigen scharfen Worten machte der bedrohte MorghFührer der kreischenden Unterhaltung ein Ende. Die roten dreifingrigen Hände ließen das schlanke Mädchen los. Velda rannte auf den Gleiter zu und verschwand mit Kim im Innern. Gemeinsam richteten sie aus den Fenstern ihre Waffen gegen die Front der MorghKrieger. Rex Corda gab dem Tann einen kleinen Stoß, und der Morgh taumelte auf seine Leute zu. Ein Seufzer der Erleichterung ging über die ebene Fläche zwischen den spitzen Dächern. Dann schrillten die Stimmen der Morghs in kehligen Schreien auf. Drohend schwangen sie ihre Waffen. Der Tann schrie am lautesten. Inzwischen hatte Rex Corda hinter den Kontrollen Platz genommen. Der Gleiter hob sanft vom Boden ab. Ein Kugelhagel folgte ihm. Aber die undurchdringliche Metallplasthülle des Gleiters wurde nicht einmal beschädigt. Der Palast wurde kleiner und verschwand im Häusermeer der MorghStadt.
Rex Corda hielt den Gleiter nach Westen. Er brauchte sich nicht an der Landschaft zu orientieren.
Deutlich waren die mentalen Impulse zu spüren. Sie waren ein besserer Wegweiser als jeder Kompaß.
Corda wußte jetzt, daß er sich doppelt beeilen mußte, wenn sein Plan nicht scheitern sollte.
Jetzt erst, als die Stadt längst hinter ihnen lag, wandte er sich an Velda, die erschöpft die Augen
geschlossen hatte.
»Hat alles geklappt?«
Velda zuckte die Schultern.
»Vielleicht haben die MorghWachen inzwischen das Gerät entdeckt. Aber der Laktone, dem ich das
Funkgerät übergeben habe, wird sofort Hilfe herbeirufen!«
»Er wird es versuchen!« betonte Rex Corda. »Er wird einige Stunden benötigen, um das Gerät wieder
funktionsfähig zu machen. Und diese Zeit ist kostbar.«
»Aber weswegen?« fragte Kim eifrig. »Wir hätten doch die Laktonen heraushauen können, oder…?«
»Bist du ein Supermann?« unterbrach sein älterer Bruder lächelnd. »Aber ich habe eine bestimmte…«
Velda schrie leise auf.
Am Horizont erschienen dunkle Punkte, die sich mit rasender Geschwindigkeit näherten. Sie kamen
ihnen genau entgegen. Rex Corda riß den Gleiter höher, aber er machte sich nichts vor. Die Sirenen
würden ihnen in jeder Höhe folgen können.
Hundert Meter vor dem heranrasenden Gleiter stoppten die Sirenen und glichen sich der
Fahrgeschwindigkeit an. Ihre kreischenden Stimmen tönten bis in das Innere der Kanzel.
Eine dunkle haßerfüllte Drohung ergoß sich in die Gehirne der drei CordaGeschwister.
»Okay«, knurrte Rex, »auf einer Welle!«
Kim und Velda wußten sofort, was gemeint war. Sie wehrten sich gegen den Kraftstrom, glichen sich
aneinander an und verbanden sich zu einer mächtigen Einheit. Unaufhaltsam schoß der Gleiter nach
Westen.
Die wirbelnden bunten Schatten, unter deren Füßen dichter Rauch emporquoll, eskortierten den Gleiter
und versuchten, ihn abzudrängen. Das SuperEgo hatte sie mit ungeheuren Kräften ausgestattet.
Trotzdem wußte es, daß es das vereinigte Abwehrpotential der drei Monster nicht durchbrechen
konnte. Aber es wollte etwas ganz anderes.
Die vierundzwanzig Sirenen fühlten, daß das Ende der Kraftperiode herangekommen war. Der Kristall
war bis zum Bersten mit IDEnergien aufgeladen. Der Strom der Energie aus den Millionen der Gehirne
im Talkessel versiegte allmählich. Das große Feiern näherte sich seinem Ende.
Die drei Monster mußten aufgehalten werden. Nur noch wenige Stunden, dann würde sich das Super
Ego voll und ganz dem Angriff auf die Fremden widmen können. Und dann gab es nichts, was sie
aufhalten konnte.
Die quälenden, bösartigen Impulse waren klar zu erkennen.
Rex Corda wußte, was die Macht, die als Werkzeug die Sirenen benutzte, für einen Plan verfolgte. Und
es gab eine Möglichkeit, sie abzulenken. Denn lange würden selbst die Sondersinne der drei Terraner
das dauernde Energiebombardement nicht aushalten.
»Die GravoSohlen!« schrie Corda. Seine Geschwister reagierten sofort.
Einen Augenblick wiegten sie die Sirenen in Sicherheit, ließen für den Bruchteil einer Sekunde die
Schranken ihres Geistes fallen.
Triumphierend drangen die bösartigen, mörderischen Gedanken ein. Aber sie offenbarten gleichzeitig
die schwache Stelle der Sirenen.
Der KräfteStrom auf die GravoSohlen irrte ab. Das SuperEgo war einen Moment fassungslos, als die
verstörten Impulse seiner Dienerinnen eintrafen.
Die Sirenen taumelten, als die GravoSohlen ihre Antriebskraft einbüßten.
Die Frauen stürzten. Die schmalen roten Münder öffneten sich zu entsetzten Schreien.
Das SuperEgo befahl, alle Energien auf die GravoSohlen zu konzentrieren. Die Sirenen folgten dem
Impuls. Sie wehrten sich verbissen. Ihr Taumeln hörte auf. Sie gewannen an Höhe. Aber der Gleiter
hatte einen großen Vorsprung. Er näherte sich dem Westlichen Heiligtum. Die Schranke nahm ihn auf.
Die Ballung der haßerfüllten Impulse, die das SuperEgo über seine Dienerinnen schleuderte, brach
sich an der NullfeldZone des Westlichen Heiligtums.
Gelassen stoppte Corda die rasende Fahrt und landete dicht neben dem offenstehenden Tor der
ehemaligen Luftschleuse.
»Ihr bleibt hier!« befahl er seinen Geschwistern. Dann griff er nach einem Strahler und einem Kasten
mit mehreren isolierten SpezialWerkzeugen der Laktonen und verschwand im Innern des
Raumschiffes.
Keuchend betrat er nach wenigen Minuten die kleine schimmernde Halle, in der blauglänzend das
hufeisenförmige Gebilde lag, dessen Kräfte den Raum mit starken mentalen Schwingungen erfüllten.
Tausende von Jahren!
Die Schätzung der laktonischen Wissenschaftler mußte stimmen. Aber die Zeitspanne war
ungeheuerlich!
Rex Corda trat an das große Hufeisen heran. Die konkave Biegung war so groß, daß sich ein Mann
bequem in das Innere hineinlegen konnte.
Nachdenklich blickte der Terraner auf die kleinen Schirme, die wie leere Hände den leeren Raum
umfaßten. Er wußte jetzt, was an dieser Stelle gelegen hatte. Es erklärte alles.
Sofort machte er sich an die Arbeit. Er mußte dieses große Gebilde von seinen Halterungen lösen, um
seinen Plan durchführen zu können. Diese Energiequelle würde ihn mit ungeheuren Kräften ausstatten.
Aber die Spezialzange verhielt in ihrer Bewegung. Rex Corda konzentrierte sich zu höchster geistiger
Anspannung. Dann erkannte er, daß ihn sein Gefühl nicht getrogen hatte. Die Kraft des Hufeisens hatte
nachgelassen. Gleichzeitig bemerkte der Terraner, daß die strahlend blaue Färbung an vielen Punkten
schwächer geworden war. Velda hatte ihm erklärt, dieses Phänomen würde alle vier Jahre auftreten,
zugleich mit den Tänzen der Morghs im Tal der Sirenen.
Unwillkürlich erschauderte der Mann in der strahlenden Halle. Er stand hier an der Schwelle letzter
Erkenntnisse. Aber entschlossen zuckte seine Hand vor. Die Spezialzange umfaßte eine der
Halterungen, mit denen das Hufeisen mit dem Boden verbunden war.
Der Schock warf ihn zurück.
Die Zange klapperte auf den Boden.
Die Halterung hatte sich gewehrt!
Wie ein lebendes Wesen wand sich die Strebe. Feine spinnenwebartige Fäden peitschten nach dem
Mann am Fuße des Hufeisens.
Nur langsam beruhigte sich das Gebilde. Corda erhob sich vom Boden. Seine Hand schmerzte, aber es
war ihm nichts geschehen. Das Kraftfeld um dieses hufeisenförmige Gebilde mußte ungeheuer sein.
Der Blick des Marines glitt nach oben. Die Spiralen, deren seltsame Form ihm schon bei seinem ersten
Besuch in der Halle aufgefallen war, hatten ihre Lage geändert. Jetzt sah Corda auch die Bewegung.
Langsam schwangen die gebündelten Spiralen herum.
Eine Abwehrvorrichtung?
Wieder versuchte es Corda, diesmal von einer anderen Seite. Er berührte die kleinen Kugelschirme, die
den leeren Raum umgaben, aber es geschah nichts. Wenn er sich aber der Halterung näherte, schlug
das Gebilde nach ihm, wand sich in Qualen einer unerklärlichen Agonie. Das Glitzern auf der blauen
Oberfläche hatte sich wieder verstärkt.
Rex Corda blickte auf seinen Chronometer. Er hatte schon zuviel Zeit vergeudet. Das erforderte eine
Änderung seines Plans. Er mußte einfach das Spannungsverhältnis lösen, den Kräftestrom abblocken!
Mit seinen SpezialWerkzeugen öffnete der Terraner die Brennkammer des kleinen laktonischen
Strahlers. Seine harten blauen Augen hatten sofort den Punkt erspäht, an dem die Kettenreaktion des
Strahlers gesteuert und unendlich verlangsamt wurde.
Ruhig legte Corda seinen Chronometer ab und entfernte das Glas über den Zeigern. Auf dem
Zifferblatt, an der Welle, befestigte er einen winzigen Draht aus Metallplast.
Der Schweiß lief dem Mann über die Stirn, während er mit der Hochleistungswaffe operierte. Sie
würde sich in wenigen Minuten in eine tödliche Atombombe verwandeln.
Weitere Metallplastdrähte verbanden die veränderte Uhr mit dem Mechanismus, der die
Kettenreaktion steuerte. Dann zog er den Abzug durch und stellte ihn in Feuerstellung fest.
Brüllend leckte eine gleißende Flamme durch den Raum. Der Rückstoß trieb die Waffe in eine Halterung
des Hufeisens und klemmte sie fest. Vorsichtig trat Rex Corda von der Seite näher. Er achtete nicht
auf die ungeheure Hitze, die schon nach wenigen Minuten den kleinen Raum erfüllte.
Der Strahler feuerte jetzt normal. Aber der Metallplastdraht an der Welle der Uhr würde dafür
sorgen, daß in zehn Minuten der Vorgang der gesteuerten Kettenreaktion abbrechen würde. An seiner
Stelle würde die Energie der gespaltenen Atome augenblicklich frei werden.
Rex Corda überprüfte noch einmal die Einstellung und rannte aus dem strahlenden Raum.
Was würde geschehen, wenn seine Einstellung falsch gewesen war, wenn die Reaktion zu früh erfolgte?
Was würde dann aus seinen Geschwistern werden? Aus ihm, aus den Laktonen auf der Erde?
Eine andere Kettenreaktion würde stattfinden, die in ihren Ausmaßen weitaus vernichtender wäre, als
die geplante Explosion in der strahlenden Halle.
Keuchend langte er beim Gleiter an und ließ sich hinter die Kontrollen fallen.
In einem steilen Bogen zog das Fahrzeug in die Luft. Mit zusammengebissenen Zähnen jagte Corda das
Fahrzeug nach Norden, ohne sich um die drängenden Fragen seiner Geschwister zu kümmern.
Jeden Augenblick konnte der Himmel in einer gigantischen Explosion zerrissen werden.
Er achtete nicht auf die fünf Sirenen, die sich auf ihren GravoScheiben näherten. Kim und Velda
schwiegen erschrocken, als sie die steile Falte auf der Stirn ihres Bruders sahen.
Rex Corda biß die Zähne zusammen.
Würde seine Rechnung aufgehen?
*
»Ausgezeichnet!« lachte GaVenga.
Bekoval kostete schmatzend. Er grunzte zufrieden und schlug sich auf den Bauch.
Percip und John Haick näherten sich in inniger Umarmung. Ihre Gesichter waren von einer grünlichen
Masse verkrustet. Sie hatten auf MorghArt Brüderschaft getrunken. Das grüne schwere Getränk
hatte sofort seine Wirkung gezeigt. Lallend versicherten sich die Männer ihre Brüderschaft.
Bekoval spitzte die Lippen. Die anderen Laktonen, die ihn in einem Halbkreis umstanden, grinsten voller
Vorfreude. Ein schriller Pfiff ertönte von den Lippen des Laktonen.
Bewegung entstand, als die unglaublich fette MorghFrau die Laktonen zur Seite schob. Mit einem
schmachtenden Augenaufschlag näherte sie sich Bekoval.
»Mein Täubchen«, flüsterte der Laktone und reichte seiner Schönen die Schüssel, aus der er soeben
gegessen hatte. Es war ein Nationalgericht der Morghs. Bräunliche zerstampfte Pflanzen waren mit
gespickten WharrPfoten zu einem ungeheuer scharf gewürzten Konglomerat verbunden worden. Beim
Auftreffen auf die Zunge rasten sofort Schockwellen durch den ganzen Körper und hinterließen ein
Gefühl hysterischer Freude.
Die MorghFrau kostete und kicherte still. Bekovals riesige Pranke tätschelte zärtlich die Wange
seiner Angebeteten.
GaVenga war in die Luft gewirbelt worden. Das riesige dürre Weib, dessen rotes Gesicht sogar für
MorghVerhältnisse nichts Liebreizendes mehr hatte, riß den kleinen Dolmetscher empor und
schaukelte ihn wie ein Kind auf den Armen.
Selig lächelnd krähte GaVenga vor sich hin und winkte zu einer Sirene empor, die hundert Meter über
ihnen kreiste.
Plötzlich ging es wie ein Schock durch die Versammlung.
Bekovals Gesicht verfinsterte sich. Er spuckte angewidert aus, was er eben noch mit Wohlbehagen
essen wollte. Dann musterte er mit ungläubigen Augen das fette, unbeschreiblich häßliche Weib neben
sich.
Percip fühlte eine Welle von Schmerz durch seinen Körper rasen. Seine Augen weiteten sich vor
Entsetzen.
GaVenga schlug wild um sich. Das Riesenweib, das ihn auf den Armen wiegte, taumelte und stürzte.
Ein dunkler wirbelnder Schatten stürzte aus der Höhe und schlug dumpf in das Feuer. Die Flammen
züngelten auf und leckten an den Kleidern der besinnungslosen Sirene empor.
Mit einem Schrei warfen sich beide MorghFrauen auf den zuckenden Körper und zerrten ihn aus den
Flammen.
Von allen Seiten ertönten wilde Schreie. Die Verwirrung war grenzenlos. Überall waren die Morghs aus
einem gewaltigen Freudentaumel aufgewacht. Der Schock hatte viele von ihnen gelähmt.
Überall stürzten besinnungslose Sirenen aus dem Himmel. Ihre GravoSohlen hatten keine Macht mehr.
Die Verbindung zum SuperEgo im Innern des Tempels war abgerissen.
Ohne sich um das wütende Brüllen von Fatlo Bekoval zu kümmern, der wie ein Stier im Kreise
herumstapfte und nach einer Erklärung verlangte, rannte Percip den Abhang hinunter. Er wich einer
Gruppe von erschöpften, fassungslos gestikulierenden Morghs aus, stolperte an einer Sirene vorbei,
die ihn aus leeren erloschenen Augen anstarrte, und hetzte weiter den Abhang hinunter.
Sein Ziel stand fest. Er hatte es schon die ganze Zeit über gewußt.
*
Langsam senkte sich seine Hand auf den roten Knopf, der das Meldezeichen zu Beginn des Hyper
Funkspruchs einleiten würde.
Ein dumpfes Brummen riß ihn herum. Ungläubig starrte KoMont auf die Sendeanlage des Schiffes. Es
handelte sich nur um das Kommunikationszentrum. Es stellte Verbindungen innerhalb der »Walter
Beckett« her und konnte auch die Nachrichten der kleinen tragbaren Sender außerhalb des Schiffes
aufnehmen.
KoMont stürzte auf das Kontrollpult zu. Vielleicht war es jetzt nicht mehr nötig, eine Hyper
Nachricht zu senden.
Die Stimme, die aus dem kleinen Lautsprecher tönte, gehörte nicht Fatlo Bekoval. Aber es war
zweifellos ein laktonischer Agent.
Die Worte kamen leise und unterdrückt, als fürchte der Agent, daß man ihn aus nächster Nähe
belauschte.
»Können Sie mich hören? Bitte melden Sie sich! Können Sie mich hören?«
»Wer sind Sie?« schnappte der Zeitspäher.
Ein überraschter Ausruf antwortete ihm. Dann kam wieder die leise Stimme.
»Hätte nicht gedacht, daß es klappen würde. Mußte erst dieses verdammte Gerät in Ordnung
bekommen!«
»Wer sind Sie?« fragte KoMont schneidend. Es war jetzt keine Zeit für überflüssiges Geschwätz.
»Hören Sie«, keuchte der Laktone, »ich bin Agent Klindour, KodeNummer 78.615. Wir gehören zur
Besatzung des Schiffes, das die CordaGeschwister an Bord hatte. Wir sind havariert. Ein Teil landete
auf einem anderen Planeten des Systems, nachdem das Schiff auseinanderbrach, der andere Teil…«
»Ist bekannt«, sagte KoMont ungeduldig. »Weiter!«
»Wir, das sind sieben weitere Laktonen, befinden uns in den Gefängnissen eines Eingeborenenführers.
Der Palast dieses Eingeborenen liegt im Planquadrat K 432 B 764. Er ist das größte Gebäude der
Stadt. Das Gefängnis liegt in den Kellerräumen!«
KoMont nickte zufrieden über die präzisen Angaben. Sein Blick fiel auf die geöffnete Konserve. Mit
spitzen Fingern entnahm er ihr ein Stück des Ragouts und ließ es auf der Zunge zerschmelzen.
»Warum haben Sie sich noch nicht früher gemeldet?«
»Dieses CordaMädchen brachte mir eben das Funkgerät. Sie hat es den Morghs gestohlen. Ich mußte
es erst reparieren.«
KoMont beugte sich überrascht vor. Ein intensiver herber Geruch ging von ihm aus, blieb aber in
seiner Zeitsphäre.
»Velda Corda?«
»Genau. Ihr Bruder ist auch hier im Palast. Sie sind wie wir in Gefangenschaft, haben aber mehr
Bewegungsfreiheit.«
»Gut«, stieß KoMont erregt hervor, »sehr gut! Wissen Sie, ob Rex Corda auch in diesem Palast ist?«
»Der TerraPräsident?« kam die erstaunte Antwort. »Das weiß ich nicht. Aber weswegen…«
»Ich bin Sonderagent mit den höchsten Vollmachten«, sagte KoMont kurz. »Ich werde Sie
herausholen, zusammen mit den CordaGeschwistern! Ende!«
»Ja, aber…«, begann der Laktone am anderen Ende, doch seine Stimme brach ab. Dafür waren
ärgerliche Laute einer fremden Sprache zu hören.
KoMont grunzte vor sich hin. Man hatte den Laktonen erwischt, wie er die Nachricht durchgab. Aber
das spielte jetzt keine Rolle mehr. Auf jeden Fall waren Velda und Kim Corda in diesem Palast.
Höchstwahrscheinlich hatte sie Rex Corda noch nicht gefunden. Oder er war tot. Oder aber…
KoMont grinste triumphierend.
Es gab noch eine andere Möglichkeit. Sie war bei weitem die erfreulichste. Rex Corda hatte seine
Geschwister gefunden, war aber ebenfalls von den Eingeborenen gefangen worden.
KoMont sprang auf. Er durfte keine Zeit mehr verlieren, der Zeitspäher aus dem Kontrollraum. Die
Konserve auf dem Steuerpult hatte er vergessen. Da sie nicht mehr in den Händen des Zeitspähers lag,
hatte sie dessen Sphäre verlassen und befand sich in zeitlicher Hinsicht im Normalraum.
*
Entsetzt kauerte sich Gartee in der Dunkelheit zusammen. Das Strahlen verwirrte sie und versetzte
sie in panischen Schrecken. Aber was war diese Angst gegen das allgemeine Entsetzen, das den
Talkessel erfüllte?
Marryee kam vom Eingang zurück.
»Sie kommen«, wisperte sie angespannt. »Die größte Macht hat uns als Werkzeug der Rettung
ausersehen. Wir werden die Schändung des Heiligtums verhindern. Der alte Zustand muß wieder
hergestellt werden!«
Vleghour näherte sich von der anderen Seite. Einen Augenblick sah sie auf die verkrümmten Körper der
Sirenen, die einmal das SuperEgo gebildet hatten. Sie waren durch den Bruch des Kräftestroms in
tiefste Bewußtlosigkeit geschleudert worden. Viele würden nicht mehr aufwachen.
Auch den Sirenen, die im Innern des Talkessels für den ununterbrochenen Strom der IDEnergie
sorgten, war es nicht besser ergangen. Nur wenige hatten den Sturz aus größter Höhe überlebt, als die
GravoSohlen aussetzten. Der Rest befand sich in dumpfer Apathie.
Marryee, Gartee und Vleghour waren von der Katastrophe nicht berührt worden. Da die Bestrafung
erforderte, daß sie keinen Kontakt zum SuperEgo hatten, konnte sie auch der Schock nicht erreichen.
Jetzt kauerten sich die drei Sirenen in der dunklen Halle neben dem strahlenden Kristall zusammen
und erwarteten die Tempelschänder.
Von draußen tönte das wilde Geschrei der entfesselten MorghMassen. Die Millionen der Eingeborenen
waren in hellem Aufruhr. Eine gigantische Panik war ausgebrochen und hatte den Talkessel überflutet.
Marryee kroch zum Eingang und spähte durch den dunklen Gang nach draußen.
Der wogende weißliche Nebel war für die scharfen Augen der Sirenen kein Hindernis.
Sie hatte vor wenigen Augenblicken außerhalb der Nebelwand, die den Tempel der Sirenen umgab, den
fliegenden Wagen der Monster gesehen.
Er sollte ruhig kommen.
Sie waren vorbereitet.
*
Percip hatte die wogende Nebelwand erreicht. Der Laktone keuchte, als er in die weiße milchige
Substanz eintauchte. Wie einen Schatten hatte er die dunklen langgestreckten Gebäude mit den
drohenden Fenstern gesehen.
Sofort war die Orientierung unmöglich gewesen. Der Nebel hüllte ihn ein.
Percip blieb stehen. Zufällig glitt sein Blick nach oben. Über ihm schwebte ein dunkler Schatten.
Percip rannte vorwärts, aber der Schatten senkte sich blitzschnell.
Der Laktone wurde zu Boden geworfen. Jeden Augenblick erwartete er ein blitzendes Messer oder
rote krallenartige Finger, die sich in seine Augen drücken würden.
Die Berührung ließ ihn sich aufbäumen. Percip schrie, aber der Nebel verschluckte das Geräusch.
»Percip«, sagte Rex Corda überrascht und half dem Laktonen empor.
Der Agent starrte den Terraner ungläubig an. Dann sah er im Innern des Gleiters Kim und Velda. Der
Junge grinste den Laktonen an.
»Offenbar haben wir das gleiche vor«, bemerkte Rex Corda kurz. »Steigen Sie ein, Percip, wir wollen
uns diesen Tempel mal näher besehen!«
Langsam fing sich der Agent wieder. Er grinste dem Terraner zu und ließ sich neben ihn auf den Sitz
fallen.
Vor ihnen wuchs drohend das dunkle Bauwerk auf. Es verschwand wieder in den Nebelschwaden und
ragte in der nächsten Sekunde gigantisch vor dem landenden Gleiter empor.
»Bleibt im Gleiter«, sagte Rex Corda.
Velda nickte angespannt. Kim hielt einen Strahler in der Faust und lächelte überlegen.
Die beiden Männer sprangen aus dem Gleiter. Der wogende Nebel hüllte wieder alles ein. Schattenhaft
erschien die schwarze Wand des Gebäudes.
Percip trat einen Schritt auf den dunkel drohenden Eingang zu und wandte sich um. Rex Corda war
stehengeblieben.
»Halt!« warnte der Terraner. Die Nebelschwaden strichen über das in seiner Konzentration verzerrte
Gesicht.
Percip wollte nicht länger warten. Entschlossen ging er auf den Eingang zu.
Kurz vor dem Tempel der Sirenen hörte der Nebel schlagartig auf.
Der Laktone fuhr herum, als er die Hand Rex Cordas auf seiner Schulter spürte.
»Was ist los?«
Das Gesicht Cordas wirkte starr. Seine strahlend blauen pupillenlosen Augen hatten sich verdunkelt.
»Sie sind im Tempel«, flüsterte er. »Es müssen mehrere Wesen sein. Äußerste Vorsicht!«
Langsam schlichen die Männer auf den dunklen Eingang zu. Die Steinquader, aus denen der Tempel
erbaut war, wirkten unvorstellbar alt. Der Stein war rissig und porös. Die Feuchtigkeit hatte an ihm
genagt. Schlingpflanzen zogen sich über die rissigen Quader.
Das höhnische Kichern ließ die Männer zusammenzucken.
Sirenen!
Rex Corda hatte sich nicht getäuscht. Die emphatischen Fähigkeiten des Terraners ließen ihn den Ort
vermuten, wo sich die Sirenen verbargen.
Es waren drei. Sie hatten sich in einem Raum zusammengezogen. In diesem Raum befand sich auch die
Quelle jener rätselhaften Kraft, die alles mit unwiderstehlicher Gewalt nach Norden gezogen hatte.
Wieder ertönte das irre Lachen. Die Echos machten eine Bestimmung, woher das Geräusch kam, völlig
unmöglich. Aber Rex Corda wußte jetzt genau, in welche Richtung sie den Angriff starten mußten.
Der Gang wurde nach fünf Metern breiter und wölbte sich zu einer Kugel empor. Nach rechts und links
führten Abzweigungen.
Rex Corda schloß die Augen. Die starke Ausstrahlung der Kraftquelle störte seine emphatischen
Empfindungen, aber er spürte, daß die drei Wesen sich im Raum des Energiespenders aufhielten.
Zweifellos würden sie versuchen, sie durch die konzentrierte Energie zu vernichten, Rex Corda
vermutete aber, daß es nur auf optischem Wege möglich war.
Auch die Sirenen hatten nur Macht über ihre Opfer, wenn sie ihnen gegenüberstanden.
Langsam schoben sich die Männer an der Wand entlang. Sie näherten sich der kuppelartigen
Erweiterung des Ganges.
Wieder ertönte das Kichern. Es brach ab, als die Hand des Terraners mit dem Strahler um die Ecke
fuhr. Ein gleißender Energiestoß richtete sich gegen die Decke.
Es gab eine ohrenbetäubende Detonation, als die schweren Brocken herunterpolterten. Das Krachen
mischte sich mit den Todesschreien der Sirenen.
Die Männer rannten um die Biegung des Ganges und stürzten in den Raum.
Als sich die Schwaden verzogen hatten, sahen sie den leuchtenden Kristall, der auf kostbaren Tüchern
lag.
Um den Podest, von dem dieses unbeschreiblich helle Strahlen kam, lagen Felsbrocken und ohnmächtige
Sirenen in einem wirren Durcheinander.
Einer dieser Körper, der in bunte Lumpen gekleidet war bewegte sich, aber es waren nur unbewußte
Reflexe. Rex Corda spürte, daß sie vor diesen Sirenen jetzt sicher waren. Sie würden nicht so schnell
wieder aufwachen. Langsam trat er vor und griff nach dem leuchtenden Kristall. Percip sah dem
Terraner aufmerksam zu. Die Berührung ging wie ein Schlag durch den Körper Cordas. Der Stein war
warm. Er schien zu leben. Der Terraner fühlte die Macht des Kristalls, der in seinen Händen lag. Gleichzeitig fühlte er etwas anderes. Die Kraft des Steins nahm rapide ab. Der Kristall zerfiel! »Los!« keuchte Rex Corda. »Wir müssen uns beeilen. In wenigen Stunden wird es den Kristall nicht mehr geben!« Sie stürmten aus dem Raum, rannten über den Gang und verschwanden in den milchigen Wogen des dichten Nebels. Diesmal warf sich Percip hinter die Kontrollen des Gleiters. Aufatmend setzte sich Rex Corda neben den laktonischen Agenten. Der Stein in seinen Händen war in die kostbaren Tücher gewickelt, auf denen er gelegen hatte, aber der strahlende Glanz leuchtete schwach durch die dichten Stoffe. Velda und Kim bestürmten ihren Bruder mit Fragen, aber Rex Corda war zu erschöpft. Die geistige Anspannung im Tempel hatte ungeheuer an seinen Kräften gezehrt. Schlagartig verschwand der Nebel. Der Gleiter schoß in die klare Luft empor. Der Talkessel bot ein Bild des Aufruhrs. Die Morghs, die aus ihren ekstatischen Tänzen gerissen worden waren, zeigten eine dumpfe Niedergeschlagenheit. Überall irrten sie umher, auf der Suche nach einem Glück, das es nicht gab, das auch bisher nur in ihrer Einbildung existiert hatte. »Dort!« rief Percip und senkte zugleich den Gleiter. Die Gruppe der Laktonen war deutlich zu erkennen. Sie winkten dem Gleiter zu, aber ihre Gesichter zeigten tiefe Resignation. Sie schienen nicht weiter über das Auftauchen des Fahrzeugs sich erst von der ungeheuren Belastung erholen. Percip lachte. Schweigend stiegen nacheinander die Laktonen ein. John Haick nickte Rex Corda stumm zu. GaVenga hatte betrübt den Kopf gesenkt. Mit schmerzlich verzogenem Mund blickte der kynothische Dolmetscher aus dem Fenster. Seine Miene hellte sich erst wieder etwas auf, als er ein ungeheuer häßliches, für MorghVerhältnisse unbeschreiblich fettes Weib neben dem Kessel über der zertrampelten Feuerstätte stehen sah. Die MorghFrau hatte ihr rotes Gesicht erhoben und winkte schüchtern hinter dem Gleiter her, der sich, taumelnd unter der Überbelastung, erhoben hatte und der untergehenden Sonne Pay entgegenstrebte. GaVenga zupfte Bekoval am Ärmel. »Wollen Sie Ihrer Freundin nicht auf Wiedersehen sagen?« Bekovals Kopf ruckte vor. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er aus dem Fenster. Dann bleckte er die rötlichen Zähne und starrte den kleinen Dolmetscher drohend an. »Wenn irgend jemand irgendwann«, begann Fatlo Bekoval mit gefährlicher Ruhe, »irgendeinmal…« »… irgend jemand…«, half GaVenga aus. »… etwas von dieser scheußlichen Angelegenheit erzählt, dann«, und hier steigerte sich seine knurrende Stimme zu einem Brüllen, »bringe ich ihn mit diesen beiden Fäusten um! Auf der Stelle! Und das ist mein voller Ernst!« Rex Corda blickte in den Rückspiegel. Er wagte nicht, sich umzudrehen. Seine Schultern zuckten. * Das unsichtbare Entsetzen war über die MorghWachen gekommen. Überall dort, wo der Zeitspäher aufgetaucht war, lagen verkrümmte schlaffe Körper auf den Steinstufen des Palastes. In einer anderen Situation hätte KoMont seine Macht genossen. Jetzt aber wußte er nur, daß er vor der Verwirklichung seines Auftrages stand. Er zwang sich zu äußerster Ruhe. Das Wichtigste waren die CordaGeschwister. Die Laktonen konnten warten. Durch ihre Dummheit waren sie in die Lage gekommen, Gefangene eines primitiven Eingeborenenstammes zu werden. Das war mehr als lächerlich. KoMorit beschloß, in seinem Bericht ausführlich auf diesen Punkt einzugehen. Langsam wurde er nervös. Wieder riß der Zeitspäher eine Tür auf. Der Raum war leer. Eine Stunde hatte KoMont mit seiner fruchtlosen Suche vergeudet, und langsam kam er zu der Überzeugung, daß hier etwas nicht stimmte. Vor einem schweren Holzportal blieb er stehen. Doch dann besann er sich anders. Mit langen Sprüngen
rannte der Zeitspäher die steinernen Stufen hinunter.
Am Fuße der Treppe dösten einige Wachen vor sich hin. KoMont betätigte den komfortablen
Zeitintegrator und materialisierte sich vor den entsetzten Morghs.
Die rotgesichtigen Wächter flohen schreiend.
KoMont kümmerte sich nicht weiter um sie. Er war jetzt in diese Zeitebene eingetaucht, konnte sich
aber sofort wieder durch seinen Integrator eine zehntausendstel Sekunde in die Zukunft versetzen
lassen.
Er hob den Strahler und drückte ab.
Augenblicklich wurde die Tür rotglühend, verbog sich und zerfiel. Der Zeitspäher sprang über die
qualmenden Überreste.
Überraschte Ausrufe gellten ihm entgegen.
Ketten rasselten.
Verächtlich musterte KoMont die Laktonen, die mit schweren Haltebändern an die steinerne Wand
geschmiedet waren. Zu unnützigen Erklärungen war jetzt keine Zeit.
»Sie sind gekommen«, stöhnte der erste Laktone erleichtert, »das wurde auch langsam Zeit!«
Abfällig zog KoMont die Mundwinkel herab und schnitt die Männer los.
»Haben Sie mit mir gesprochen?« fragte er den ersten.
Der Laktone nickte eifrig.
»Dann erklären Sie mir gefälligst, wo die CordaGeschwister sind!« knurrte der Zeitspäher.
Der Laktone zuckte die Achseln.
»Sie müssen hier irgendwo im Palast sein, vermutlich in den Räumen des Tann!«
KoMont machte sich nicht die Mühe, die Laktonen völlig von ihren Fesseln zu befreien. Das hätte zu
lange gedauert. Er schnitt einfach nur die Ketten durch, die von den Halsbändern der Laktonen zu den
eingelassenen Ringen an der Wand führten.
Das Rasseln der Kettenenden klirrte durch die steinernen Gänge. KoMont führte die befreiten
Laktonen nach oben.
Die MorghWächter, die von dem Lärm angelockt wurden, wichen erschreckt zurück. Die Horde
entschlossener und wütender Laktonen konnten sie nicht aufhalten.
Auf dem nächsten Gang blieb der erste Laktone stehen und wies auf ein riesiges Portal, das sich am
Ende des Ganges befand.
»Dort müßten sie sein!«
KoMont stürmte an der Spitze der Horde auf die Tür zu und riß sie auf.
Mit einem erschreckten Schrei fuhr der Tann aus einem kostbar verzierten Sessel empor. Beizender
Qualm ließ die Laktonen keuchen.
Die blaßblaue Blume in der Hand des Morgh zitterte.
Über seine Lippen kam ein erregter Redeschwall. Dann griff er nach einem elektronischen
Dolmetscher, den seine Leute aus dem Wrack der Laktonen gestohlen hatten.
»Wo sind Kim und Velda Corda?« brüllte KoMont den Rotgesichtigen an.
Der Tann wurde blaß. Seine zitternde Hand deutete zur Decke empor. Die Laktonen drängten auf ihn
zu. Große Fäuste schwangen auf das jetzt hellrote Gesicht des Tann zu.
»Ich… ich weiß es nicht«, stammelte der Morgh.
»Ein größerer Mann mit gelbem Haar hat sie entführt. Man hat mich…«
Ein unglaublicher Verdacht durchzuckte KoMont. Er stieß den Tann vor die Brust, daß dieser
zurücktaumelte, und rannte aus dem Raum. Die anderen Laktonen folgten ihm. Vom Gleiter des
Zeitspähers stoben schreiend einige Morghs weg, als die brüllende Horde das Dach erreichte. Auf
einen Wink KoMonts warfen sie sich in die Sitze. Mit Höchstgeschwindigkeit raste der überbelastete
Gleiter in den rötlichen Himmel Morghs.
*
Der schimmernde Leib der »Walter Beckett« wurde von dem blutroten Licht der beiden
untergehenden Sonnen Pay und Somd mit einer letzten Lichtflut begossen.
Percip landete den Gleiter dicht neben der Hauptschleuse. Langsam stiegen die Männer aus dem
Fahrzeug und taumelten auf den Raumgiganten zu. Sie waren zu Tode erschöpft. Im Tal der Sirenen
waren ihnen sämtliche Kräfte entrissen worden.
Rex Corda und Percip, gefolgt von Kim und Velda, rannten auf die Hauptschleuse zu. Im Laufen holte
Corda aus einer Tasche das kleine elektronische Instrument hervor, das die Entriegelung der Schleuse
bewirken würde.
Mit fliegenden Fingern nahm er die Einstellungen am Schlüssel vor.
Aber das Schott bewegte sich nicht!
Percip starrte ungläubig auf das kleine Gerät. Wortlos übergab Corda dem Agenten den Schlüssel. In
seinem Kopf jagten sich die Gedanken. Sein Plan war geglückt. »X«, der geheimnisvolle Unbekannte,
hatte das Schiff verlassen, nachdem er die Sendung der gefangenen Laktonen erhalten hatte. Aber er
hatte Sicherheitsmaßnahmen eingebaut.
Resigniert steckte Percip den nutzlosen Schlüssel ein.
»Die Schleusen öffnen sich nicht«, stellte er fest.
Rex Corda berichtete ihm von seinem Verdacht.
»Wir werden das Schiff aufbrechen müssen!« schloß der Terraner.
Percip nickte gedankenvoll. Er starrte auf den Kristall, dessen Leuchten intensiv durch die dichten
Tücher schien.
»Wir müssen unbedingt diese Kraftquelle untersuchen«, sagte der Agent.
»Dann sollten wir uns beeilen«, stellte Rex Corda fest, »denn die Energie dieses Kristalls läßt nach. In
wenigen Stunden wird kaum noch etwas übrig sein.«
»Die Herren scheinen Schwierigkeiten zu haben«, vermutete GaVenga grinsend. Der Dolmetscher
schien wenigstens teilweise seine Fröhlichkeit wiedergefunden zu haben.
»Wir müssen die Schleuse aufbrechen«, sagte Rex Corda ernst, »durch die Konzentrierung von
mehreren Strahlern müßte das zu schaffen sein!«
Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter.
Der Terraner fuhr herum und blickte in das grimmige Gesicht Fatlo Bekovals.
»Daraus wird nichts!« dröhnte der Laktone. »Sie werden hier draußen bleiben und warten. Das Schiff
wird nicht beschädigt werden!«
»Wollen Sie mir Vorschriften machen?« fragte Rex Corda kühl.
Das grimmige Gesicht blickte ihn starr an.
»Genau!«
Corda schüttelte den Kopf.
»Als Kommandant dieses Schiffes habe ich die Berechtigung, Befehle zu geben. Sie nicht, Bekoval!«
Die Faust des Laktonen zuckte empor und schwebte drohend vor dem Gesicht des Terraners.
»Wagen Sie nicht, mir zu widersprechen!« grunzte der massige Agent. »Für mich sind Sie nicht mehr
der Kommandant dieses Schiffes. Und wenn ich Sie niederschlagen müßte, Sie haben zu warten!«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, bemerkte Rex Corda.
Brüllend sprang Bekoval einen Schritt vor. Corda bemerkte den seltsamen Glanz in den Augen des
Laktonen. Velda schrie auf.
Es gab einen scharfen Luftzug, als die riesige Faust des Laktonen an der Wange des Terraners
vorbeizischte.
Dumpf schlug der Körper auf.
Mit schmerzlich verzogenem Mund rieb sich Percip die Faust und trat näher.
»Hätte ich mir auch nicht träumen lassen, daß ich einmal meinen Vorgesetzten niederschlagen müßte«,
grinste der Mann von Lithalon.
»Kein Grund zur Aufregung«, beruhigte er die anderen Laktonen. »Fatlo Bekoval stand unter Hypnose.
Clevis, kommen Sie mal her!«
Ein dunkler, gedrungen wirkender Laktone trat näher. Clevis war einer der Bordärzte der »Walter
Beckett«.
Schweigend beugte sich der Mediziner zu dem besinnungslosen Bekoval herunter und untersuchte ihn.
»Sein Schädel hält allerhand aus«, meinte er anerkennend zu Percip, »Sie hätten sich die Hand
brechen können!«
Percip winkte ab, während er schmerzhaft lächelte.
Dann rief er einige andere Laktonen mit Strahlern heran.
»Wir müssen so rasch wie möglich an Bord des Schiffes«, ordnete er an. »Die »Walter Beckett« ist
vermutlich mit einer ferngelenkten Vorrichtung von innen verschlossen worden!«
Die Laktonen gehorchten seinem Befehl, die Schleuse mit Gewalt zu öffnen. Nach Bekoval war Percip
der ranghöchste Laktone der »Walter Beckett«. Aber das eigentliche Kommando führte Rex Corda. Es
war ihm ausdrücklich von Jakto Javan zuerkannt worden. Darum waren sie auch entsetzt, als Bekoval
den Terraner angriff. Die Erklärung Percips, der Agent stünde unter Hypnose, wurde von ihnen
akzeptiert. Das war kein Einzelfall.
Kim Corda trat interessiert näher, als sich die Laktonen mit ihren Strahlern an die Arbeit machten.
Nur langsam schmolz das widerstandsfähige Material der Außenhülle.
Nach zwanzig Minuten angestrengter Arbeit ließ sich das Schott bewegen. Die Männer kletterten in
die Schleuse. Der Gleiter, von einem Laktonen gesteuert, folgte ihnen.
Zwei weitere Laktonen, gefolgt von dem Mediziner Clevis, zerrten den schweren Körper des
besinnungslosen Bekoval in das Innere des Schiffes.
Rex Corda trieb die Laktonen zur Eile an. Er schickte Kim und Velda in die für sie reservierten Räume,
damit sie sich ausruhen sollten. Dann winkte er John Haick zu sich heran. Der junge
Atomwissenschaftler folgte Percip und Corda.
Die Männer eilten die Gänge entlang.
Ingenieure und Maschinisten machten das Schiff startklar.
Rex Corda hatte allen Grund zur Eile.
*
Der Gleiter schoß durch die blutrote Dämmerung, die auf Morgh das Äquivalent zur irdischen Nacht
bildete.
Gehetzt blickte der Zeitspäher auf seine Uhr. Für seine Begriffe flog der Gleiter viel zu langsam. Er
kroch geradezu durch die purpurnen Wolken, die über den Nachthimmel von Morgh zogen.
KoMont überlegte schon, ob er nicht einige Männer absetzen sollte, aber vielleicht hätten sich die
Laktonen seinem Befehl widersetzt. Das konnte er nicht riskieren. Ebenso konnte er keine Sympathien
von ihnen erhoffen, wenn er seine genaue Punktion an Bord der »Walter Beckett« offenbarte.
Er hoffte, daß er noch rechtzeitig ankommen würde.
Und dann hatte er noch einen Trumpf, von dem keiner etwas wußte.
KoMont konnte nicht ahnen, daß in diesem Augenblick das verschwollene Gesicht Fatlo Bekovals unter
der ReHypnosemaske ruhte, während der Mediziner Clevis stirnrunzelnd die empfangenen Daten
überflog.
Fluchend rastete der Zeitspäher den Beschleuniger bis zum Anschlag ein. Es war ihm, als hätte er
einen Moment ein dumpfes Dröhnen gehört.
Die entsetzliche Wahrheit ließ ihn zusammenzucken.
Der Gleiter taumelte, als ihn die aufgewühlten Luftmassen trafen. Überraschte Rufe von den anderen
Laktonen wurden laut.
Und dann sahen sie es.
Majestätisch erhob sich der schlanke Riesenleib der »Walter Beckett« über den Wipfeln der
Urwaldriesen. Das Schiff beschleunigte rasend. Die fauchenden Flammen der Düsen Verbrannten den
Urwald im Umkreis von einem Kilometer.
Der kleine Gleiter der Laktonen schwankte wie im Sturm. Und es war auch ein Sturm, der feurig und
erstickend heiß über das wie von einem Erdbeben geschüttelte Land schoß.
Mit tiefem Bedauern sah KoMont, wie das Schiff in die Höhe schoß und als winziger flammender Punkt
mit den glitzernden Sternen eins wurde.
Jetzt war auch er hier gestrandet.
*
Befriedigt blickte Rex Corda auf den Holografen. Pay, Somd und Morgh waren zu blitzenden Scheiben
geworden. Dann wandte sich der Kommandant der »Walter Beckett« wieder Percip zu, der, von John
Haick assistiert, die Verbindung vom Computer zum strahlenden Kristall herstellte.
Leise trat der Bordarzt in den Raum. Corda lächelte ihm zu.
»Percip hatte recht«, sagte Clevis. Sein dunkles Gesicht war sorgenvoll. »Bekoval stand tatsächlich
unter Hypnose. Er ist inzwischen erwacht, hat sich aber noch nicht erholt. Ihm selbst ist dies
unerklärlich. Es muß sich eine Macht an Bord befunden haben, die ihm ihren Willen aufgezwungen hat.«
»Was haben Sie sonst noch herausbekommen?« fragte Corda.
Der Laktone grinste ihn an.
»Im Grunde nichts. Die Hypnose war unter anderem auf den ganz besonderen Fall ausgerichtet, daß Sie
sich mit Gewalt den Zugang zum Schiff erzwingen wollten. Und das auch nur nach einer bestimmten
Zeit. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen. Aber ich wollte Ihnen nur das erste Ergebnis
bekanntgeben!«
»Ich bin Ihnen sehr zu Dank, verpflichtet«, sagte Rex Corda ernst.
Clevis verließ den Raum.
Der Kontakt mit dem kleinen Computer, den ihnen der Oberbefehlshaber der laktonischen Flotte zur
Verfügung gestellt hatte, war hergestellt worden.
John Haick trat erschreckt einen Schritt zurück, als der Computer aufbrummte. Schlagartig wurden
im Kommandoraum die Lichter dunkel.
»Kurzschluß«, kommentierte Rex Corda trocken.
»Aber von ungeheuren Ausmaßen«, staunte Percip.
Er machte sich am Computer zu schaffen. Die Beleuchtung flammte wieder auf.
Mit Entsetzen bemerkte Rex Corda, wie klein der Kristall schon geworden war. Der Stein schmolz und
verlor zugleich seine Leuchtkraft.
Percip erhob sich und lächelte bitter.
Aufflackernde Lampen, das Surren und Rasseln der Relais bewiesen, daß der Computer arbeitete.
»Okay?« fragte Rex Corda.
Der Laktone grinste freudlos.
»Ich hätte es Ihnen gleich sagen können«, meinte er. »Der Computer, den Ihnen Jakto Javan zur
Verfügung gestellt hat, ist praktisch wertlos. Wie wir beide vermuten, enthält dieser Stein
konzentriertes Wissen. Es muß sich um eine Art Computer eines uralten Raumschiffwracks gehandelt
haben.«
Der Stein zerfiel. Das Strahlen erlosch. Bekümmert sahen die Männer nach wenigen Minuten, wie die
Oberfläche des jetzt nur noch münzengroßen Steins dunkel geworden war.
»Aus«, knurrte Percip. Er trat gegen den Computer. Noch nie zuvor hatte Rex Corda den Laktonen so
wütend gesehen. Das Material protestierte kreischend.
Dann warf der Computer den Lochstreifen aus. Ein gekoppeltes Elektronengehirn übertrug gleichzeitig
den verschlüsselten Text in die englische Sprache.
Die drei Männer standen fassungslos vor dem elektronischen Gerät. Der Text war rätselhaft. Nur ab
und zu tauchten bekannte Begriffe auf. Einer dieser Begriffe hieß ›Schalmirane‹, ein anderer Begriff
berichtete von den ›Zeitlosen‹. Eine ungeheure Menge von Daten und Beschreibungen quoll aus dem
Computer.
Percip neigte sich über das Band und überflog stirnrunzelnd die Beschreibungen.
»Das Zeug ist praktisch für uns wertlos«, meinte er wegwerfend.
Er drehte sich um, als zwei Gestalten den Raum betraten.
GaVenga grinste diabolisch, als Bekoval betreten auf Rex Corda zuging und ihm nach terranischer
Sitte die Hand reichte.
»Ich glaube«, knurrte der Laktone, »ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Mir ist das Ganze ein
Rätsel!«
»Mir auch«, sagte Rex Corda, aber er ergriff die Hand und biß die Zähne zusammen, als die Pranke
Bekovals sich schloß.
Alle drei starrten auf Percip und John Haick, die niedergeschlagen vor dem Computer standen.
»Hier«, sagte Percip bitter, »lag vor uns das größte Geheimnis in der Geschichte Laktons. Wir hätten
es lösen können, wenn wir mit einem HochleistungsComputer ausgestattet gewesen wären. Das hier ist
wertlos…«
Die Mundwinkel des Agenten von Lithalon zuckten, als er hinzufügte: »Vielleicht ist aber einiges für
die Terraner ganz interessant.«
John Haick und Rex Corda begriffen augenblicklich, was hier gespielt wurde. Für ihre Begriffe mußte
der Computer dem Stein immer noch ungeheures Wissen entrissen haben. Es war typisch für Percip,
daß er dieses Wissen mit einer eleganten Geste den Terranern zuspielte. Jakto Javan wäre sicherlich
nicht sehr erfreut über dieses Geschenk gewesen.
»Die Sirenen hatten ihn zweckentfremdet benutzt«, bemerkte Rex Corda. »Vor Jahrtausenden wurde
er von ihren Vorfahren aus dem Wrack gelöst, das vermutlich von den Zeitlosen stammt. Er ruhte in
einer Halterung. Als ich zum ersten Male diese hufeisenförmige Schale sah, wurde mir klar, daß hier
der Gegenpol zu der seltsamen Macht lag, die euch so unwiderstehlich nach Norden gezogen hat. Ich
habe die Halterung zerstört. Das Kräfteverhältnis schwankte. Die Sirenen wurden bewußtlos.
Andernfalls würdet ihr immer noch im Tal der Sirenen sitzen und mit lieblichen MorghMädchen kosen.
«
Das Gesicht Bekovals verdüsterte sich.
»Die Sirenen«, fuhr Rex Corda fort, »fanden heraus, daß der Stein magische Eigenschaften hatte.
Darüber hinaus veränderte er die Menschen, die sich in seiner Umgebung befanden. Ein Teil davon
waren die Hörner auf den Stirnen der Sirenen, die nichts weiter als telepathische Antennen waren.«
Rex Corda machte eine Atempause. Die anderen lauschten dem Terraner gespannt.
»Die Sirenen gingen reichlich verschwenderisch mit der Kraft um. Der Stein mußte aufgeladen werden.
Darum benutzten sie ihre Machtmittel, um alle vier Jahre die Eingeborenen ihrer Lebenskraft, der ID
Energie, zu berauben. Es ist kein Zufall, daß die Morghs so knochig und abgezehrt sind. Auch ihr könnt
eine Ruhepause dringend gebrauchen!«
Die Laktonen nickten. Es fiel ihnen auf, wie müde sie waren. Bekoval ging an das Kontrollbord und
setzte sich neben den Piloten.
Die Augen des Laktonen ruhten auf dem dreidimensionalen Bild des Holografen, auf dem die Sonnen Pay
und Somd zu kleinen Kugeln geworden waren.
Dann ging er zum Hyperfunkgerät und gab eine Nachricht an das Flottenkommando im Solaren Raum
durch.
Die Antwort kam umgehend.
Bekoval drehte sich um. Nachdenklich schaute er den kleinen Kynother an.
GaVenga zeigte seine Freude über die Tatsache, daß das Versagen Laktons sich zum Nutzen der
Terraner entwickelt hatte.
John Haick starrte auf den winzigen Rest des Kristalls.
»Dieser Kristall, der ja aus dem Tempel der Sirenen stammt«, sagte er langsam, »ist mir in seiner
Funktion noch nicht ganz klar. Vielleicht könntest du mal einem dummen Menschen…«
GaVenga gab den scharfen Blick unbekümmert zurück.
»He, Kynother«, brummte Bekoval, »du kannst dich auf zwei erfreuliche Monate vorbereiten. Soeben
wurde mir vom Generalstab Jakto Javans mitgeteilt, daß wir eine Flotteninspektion der im Solaren
Raum stationierten Schiffe durchzuführen haben. Du bist mir als mein persönlicher Adjutant zugeteilt
worden.«
GaVenga grinste hinterhältig.
»Ich weiß nicht so recht, ob wir ein gutes Team bilden werden. Wissen Sie, Bekoval, unser Geschmack
in bezug auf Frauen ist doch zu verschieden!«
Gleichzeitig mit dem brüllenden Gelächter, das sich in der Kommandozentrale erhob, schlug Bekoval
mit der Faust auf das Kontrollbord. Etwas klapperte.
Stirnrunzelnd beugte sich der massige Laktone vor und nahm die kleine Dose in die Hand. Interessiert
las er die Beschriftung der kleinen Dose, faßte dann mit spitzen Fingern in die ragoutartige, grüngraue
Substanz und ließ einen Bissen auf der Zunge zergehen.
Schmatzend bleckte Bekoval die rötlichen Zähne. »Möchte mal wissen, wer das hier liegengelassen hat«, brummte er. »Ausgezeichnetes Zeug. Offenbar haben wir einen Feinschmecker an Bord!« Damit irrte sich Fatlo Bekoval allerdings. Sie hatten einen Feinschmecker an Bord gehabt! ENDE IN DER NÄCHSTEN WOCHE: DIE RACHE DER ORATHONEN Terra kommt nicht zur Ruhe! Während Rex Corda um die Freiheit seiner Geschwister kämpft, holen die grünhäutigen Orathonen zu einem neuen Schlag gegen die Erde aus. Doch diesmal greifen sie nicht zu militärischen Mitteln. Sie führen einen Feldzug im Dunkeln. Niemand auf der Erde ahnt, was in den großen Kavernen passiert, die die Orathonen bei der Ausbeutung der Erde geschaffen haben. Die Orathonen arbeiten lautlos, aber wirksam. Sie machen nur einen kleinen Fehler – sie achten nicht auf den Delphin Wabash! Der telepathische Delphin entdeckt die Orathonen kurz vor der großen Katastrophe. Kann er rechtzeitig warnen? Oder übernimmt »Der OrathonenBoß« die Macht? Lesen Sie den neuen RexCordaRoman »Die Rache der Orathonen«. Für 80 Pfennig ist er in einer Woche bei Ihrem Zeitschriftenhändler und im Bahnhofsbuchhandel erhältlich.