Ingo Marzi (Herausgeber) Kindertraumatologie 2. Auflage
Ingo Marzi (Herausgeber)
Kindertraumatologie 2., überarbeite...
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Ingo Marzi (Herausgeber) Kindertraumatologie 2. Auflage
Ingo Marzi (Herausgeber)
Kindertraumatologie 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage
Unter Mitarbeit von Dorien Schneidmüller
Mit Beiträgen von L. Audigé • V. Bühren • C. Castellani • H.-G. Dietz • J. Frank • R. Kraus • A.A. Kurth • L. von Laer • W.E. Linhart • M. Maier • I. Marzi • C. Ploss • S. Rose • W. Schlickewei • P.P. Schmittenbecher • F.J. Schneider • D. Schneidmüller • C. Seebach • M. Seif El Nasr • T. Slongo • A. Thannheimer • T.J. Vogl • A. Weinberg • L.M. Wessel • A. Wetter • A.M. Worel
Mit 611 z.T. zweifarbigen Abbildungen in 1100 Einzeldarstellungen und 50 Tabellen
1 23
Prof. Dr. med. Ingo Marzi Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Universitätsklinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main
ISBN 978-3-642-00989-1
2. Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
Die 1. Auflage ist im Steinkopff Verlag Darmstadt erschienen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Springer-Verlag GmbH Ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Planung: Kathrin Nühse, Dr. Fritz Kraemer, Antje Lenzen, Heidelberg Projektmanagement: Hiltrud Wilbertz, Heidelberg Titelbild: © claireliz (www.fotolia.com) Zeichnungen: Rose Baumann, Schriesheim; Emil Wolfgang Hanns, Gundelfingen Einbandgestaltung: deblik, Berlin Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg SPIN 12566167 Gedruckt auf säurefreiem Papier
106/2111 wi
543210
V
Vorwort zur 2. Auflage Unfälle bei Kindern stellen für alle Beteiligten eine besondere Stresssituation dar, an erster Stelle natürlich für das betroffene Kind. Die Erwartungshaltung der meist beunruhigten und verunsicherten Eltern an den behandelnden Arzt ist außerordentlich hoch. Diese Situation sicher und erfolgreich zu meistern und dem verletzten Kind eine optimale, kindgerechte Behandlung mit bestmöglichem Ergebnis zu gewähren, erfordert umfassende Kenntnisse in der Kindertraumatologie. Vor diesem Hintergrund wurde das vorliegende Buch konzipiert. Es besteht aus einem allgemeinen und einem speziellen Teil. Im allgemeinen Teil werden die Besonderheiten bei Frakturen und Verletzungen im Kindesalter systematisch dargestellt und wachstumstypische Phänomene beschrieben. Prinzipien der konservativen und operativen Frakturbehandlung, der Behandlung von Weichteilverletzungen, die besondere Bedeutung der Röntgendiagnostik und eine kindgerechte Schmerzbehandlung sind darin wesentliche Abschnitte. Im speziellen Teil sind neben der normalen Anatomie und der Röntgendarstellung alle Verletzungen der Extremitäten einschließlich Becken und Wirbelsäule unter Berücksichtigung wachstumsspezifischer Besonderheiten dargestellt. Die spezifischen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie technische Hinweise zur konservativen und operativen Behandlung sind in klar strukturierten Übersichten zusammengestellt. Der einheitliche Aufbau mit Schemazeichnung und Röntgenbild erleichtert die Orientierung und ermöglicht ein schnelles Nachschlagen. Die aktuellen Klassifikationen von Frakturen im Kindesalter sind in den Übersichten mit aufgenommen. Die einzelnen Kapitel werden durch Fallbeispiele charakteristischer Verletzungen, wie sie am häufigsten im Kindesalter vorkommen, abgerundet. Diese umfassende Darstellung der Kindertraumatologie ist erst möglich geworden durch die Mitarbeit zahlreicher Autoren aus unfallchirurgischen, kinderchirurgischen und orthopädischen Kliniken im In- und Ausland. Sie alle engagieren sich über ihre Kliniken hinaus in nationalen und internationalen Fachgesellschaften, wie der Sektion Kindertraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO), der Vereinigung LiLa – Licht und Lachen für kranke Kinder und in vielen anderen Bereichen. Für diese engagierte Mitarbeit zur optimalen Behandlung von verletzten Kindern danke ich allen Autoren ganz besonders. Meiner Mitarbeiterin Frau Dr. Schneidmüller gilt mein ausdrücklicher Dank für die große Unterstützung bei der Realisierung dieses Projektes. Allen Autoren danke ich für Aktualisierung der Kapitel dieser 2. Auflage. Frau Dr. Volkert danke ich nochmals für die konstruktive Umsetzung der 1. Auflage und dem Springer Verlag und hier besonders Frau Wilbertz für die Realisierung dieser 2. Auflage in einem neuen Format. Dieses Lehr- und Arbeitsbuch soll neben der systematischen Weiterbildung und Vertiefung der Kenntnisse in der Kindertraumatologie auch als Leitfaden für die tägliche Arbeit eingesetzt werden und so dazu beitragen, dass allen verletzten Kindern eine altersentsprechende, erstklassige und erfolgreiche Behandlung zuteil wird.
Frankfurt, im November 2009 Professor Dr. med. Ingo Marzi
VII
Inhaltsverzeichnis I 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.4
Knochenwachstum und Knochenheilung . . . . . 1 L. v. Laer Knochenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dickenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Längenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Knochenheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kallusbildung und Konsolidationszeiten . . . . . . . . . . Heilungszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dickenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Längenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spontankorrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2 2 3 3 4 5 5 6 8
2
Verletzungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
L. v. Laer Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Gelenkbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Gelenknaher Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Schaftbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Luxationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Ellenbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Hüfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Knie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3
Frakturklassifikationen im Kindesalter . . . . . . .19
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2
5
Radiologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2
Th.J. Vogl, A. Wetter und D. Schneidmüller Radiologische Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Radiographie (klassisches Röntgen) . . . . . . . . . . . . . . 38 Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Computertomographie (CT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Magnetresonanztomographie (MRT) . . . . . . . . . . . . . 38 Weitere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Entwicklung des kindlichen Skeletts . . . . . . . . . . . . . 39 Diagnostische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Besondere kindliche Frakturformen . . . . . . . . . . . . . . 44 Wirbelsäulenfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Pathologische Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Allgemeiner Teil
T. Slongo, L. Audigé, D. Schneidmüller und L. v. Laer AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter . . . . 20 Knochen und Segment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Fraktur-Subsegment-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Kindercode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Frakturschweregradcode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Ausnahme- und Dislokationscode . . . . . . . . . . . . . . . 22 Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
4
Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
R. Kraus Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Unterarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Oberschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Unterschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Verletzungsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
6
Behandlungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
A.M. Worel und T. Slongo Konservative Therapiemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 50 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Konservative Frakturbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . .55 Technische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Konsolidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Operative Therapiemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Reposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Osteosyntheseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Andere Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Metallentfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
7 7.1 7.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.4 7.5 7.6 7.7
Gefäßverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 J. Frank Ursachen, Verletzungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . 76 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Scharfe direkte Gefäßverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Stumpfe direkte und indirekte Gefäßverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Primärbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Komplikationen, Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 77 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
8
Nervenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7
J. Frank Ursachen, Verletzungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . 80 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Primärbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Komplikationen, Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 82 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
VIII
Inhaltsverzeichnis
9
Sehnenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85
9.1 9.2 9.2.1 9.2.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.4 9.5 9.5.1 9.5.2 9.6 9.7
J. Frank Ursachen, Verletzungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . 86 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Strecksehnen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Beugesehnen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Strecksehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . . 89 Beugesehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . 89 Primärbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Strecksehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . . 90 Beugesehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . 91 Komplikationen, Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 92 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
10
Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95
T. Slongo und D. Schneidmüller 10.1 Schmerztherapie und Sedierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 10.1.1 Leitgedanken zur Schmerzbehandlung . . . . . . . . . . 96 10.1.2 Voraussetzung für eine adäquate Schmerzbehandlung in einer mittelgroßen Kinderklinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.1.3 Erhebung der Schmerzanamnese . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.1.4 Schmerzerfassungsinstrumente (Scores) bei Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 10.1.5 Schmerzprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 10.1.6 Medikamentöse Schmerztherapie bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . 100 10.1.8 Durchführung von ambulanten Kleineingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 10.1.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 10.2 Antibiotikaprophylaxe und -therapie . . . . . . . . . . . . 106 10.2.1 Antibiotikaprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 10.2.2 Antibiotikatherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 10.3 Thromboseprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
II
Spezieller Teil
11
Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5 11.2 11.2.1 11.2.2
W. Schlickewei, M. Seif El Nasr, W.E. Linhart und F.J. Schneider Schultergürtel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Frakturen der Klavikula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Verletzungen des Akromioklavikulargelenks . . . . 118 Verletzungen des Sternoklavikulargelenks . . . . . . 120 Frakturen der Skapula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Glenohumeralgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Glenohumerale Luxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
12
Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4
W.E. Linhart und F.J. Schneider Proximaler Humerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Frakturen des proximalen Humerus . . . . . . . . . . . . . 134 Diaphysäre Frakturen des Humerus . . . . . . . . . . . . . 136 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
13
Ellenbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
13.3.3 13.3.4
L.M. Wessel, D. Schneidmüller, A. Weinberg und C. Castellani Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Suprakondyläre Humerusfrakturen . . . . . . . . . . . . . . 143 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Epikondyläre distale Humerusfrakturen . . . . . . . . . 157 Transkondyläre distale Humerusfrakturen (Gelenkfrakturen des Condylus radialis, des Condylus ulnaris und Y-Fraktur des distalen Humerus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Ellenbogenluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
14
Proximaler Radius und Olekranon . . . . . . . . . 167
13.1 13.1.1 13.2 13.2.1 13.3 13.3.1 13.3.2
P.P. Schmittenbecher Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Altersabhängige Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . 169 Luxationen und Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 14.2.1 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 14.1 14.1.1 14.2 14.2.1
15
Unterarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
C. Ploss und I. Marzi 15.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.2 Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.2.2 Inzidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 15.2.3 Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 15.2.4 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 15.2.5 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 15.2.6 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
16
Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
J. Frank und I. Marzi 16.1 Frakturen der Handwurzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 16.1.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 16.1.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 16.1.3 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
IX Inhaltsverzeichnis
16.1.4 16.1.5 16.1.6 16.1.7 16.2
16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5 16.2.6 16.2.7 16.2.8 16.3
16.3.1 16.3.2 16.3.3 16.3.4 16.3.5 16.3.6 16.3.7 16.3.8 16.3.9 16.4
17
Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Komplikationen/Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 209 Mittelhandfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Therapieziel/Korrekturgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Komplikationen/Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 213 Fingerfrakturen und Fingerluxationen . . . . . . . . . . 217 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Therapieziel/Korrekturgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Komplikationen/Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 222 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Oberschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
M. Maier, D. Schneidmüller und I. Marzi 19.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.2 Frakturen des Femurschaftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.3 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
20
Knie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
20.3.2 20.3.3 20.4 20.4.1 20.4.2 20.4.3 20.5 20.5.1
D. Schneidmüller und I. Marzi Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Entwicklung der Beinachse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Frakturen des Kniegelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Verletzungen der Patella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Patella partita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Patellafraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Patellaluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Bandverletzungen am kindlichen Knie . . . . . . . . . . 295 Eminentia-intercondylaris-Ausrisse . . . . . . . . . . . . . . 295 Intraligamentäre Kreuzbandläsionen . . . . . . . . . . . . 296 Femorale Kollateralbandausrisse . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Meniskusschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Scheibenmeniskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
21
Unterschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
20.1 20.1.1 20.2 20.2.1 20.2.2 20.3
20.3.1
Becken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
17.2.2 17.2.3 17.3 17.4
A. Thannheimer und V. Bühren Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Altersabhängige Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . 226 Frakturen des Beckens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Avulsionsverletzungen (=Apophysenabrissfrakturen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Beckenrand- und Beckenringfrakturen . . . . . . . . . . 230 Azetabulumfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Komplexverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
18
Hüfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
17.1 17.1.1 17.2 17.2.1
19
D. Schneidmüller und I. Marzi 21.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 21.1.1 Faszienlogen des Unterschenkels . . . . . . . . . . . . . . . 304 21.2 Frakturen des Unterschenkelschaftes . . . . . . . . . . . 304 21.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 21.2.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 21.3 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
22 H.-G. Dietz und D. Schneidmüller 18.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 18.2 Frakturen des proximalen Femurs . . . . . . . . . . . . . . . 247 18.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 18.2.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 18.2.3 Behandlungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 18.3 Apophysenlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 18.4 Traumatische Hüftluxationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 18.5 Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) . . . . . . . . . . . . . . 250 18.5.1 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
22.1 22.1.1 22.1.2 22.2 22.2.1 22.2.2 22.3
22.3.1 22.4
22.4.1 22.5
Sprunggelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 D. Schneidmüller und I. Marzi Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 318 Altersabhängige Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . 319 Frakturen der distalen Tibia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Distorsionstrauma des Sprunggelenks . . . . . . . . . . 327 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Osteochondrosis dissecans tali . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
X
Inhaltsverzeichnis
23
Fuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
23.6
D. Schneidmüller und I. Marzi Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 340 Verletzungen im Bereich des Fußskeletts . . . . . . . . 341 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Talusfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Kalkaneusfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
24
Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
23.1 23.1.1 23.2
23.2.1 23.3 23.3.1 23.4
23.4.1 23.5
23.5.1
24.1 24.1.1 24.2 24.3 24.3.1 24.3.2 24.3.3 24.3.4 24.3.5 24.3.6 24.3.7 24.3.8 24.4 24.5 24.6 24.7
25
25.1 25.1.1 25.1.2 25.1.3 25.1.4 25.1.5 25.1.6 25.2 25.2.1 25.2.2 25.2.3
S. Rose und I. Marzi Physiologie, Anatomie und Entwicklung der Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Physiologische Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Verletzungen der Wirbelsäule – Allgemeines . . . . 358 Verletzungen der Halswirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . 364 Okzipitalfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Atlantookzipitale Dislokationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Atlasfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Atlantoaxiale Dislokationen (AAD) . . . . . . . . . . . . . . 369 Axis- und Densfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Os odontoideum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Verletzungen des Segments C2/C3 und Pseudosubluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Verletzungen von C3-C7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Verletzungen der thorakalen Wirbelsäule . . . . . . . 380 Verletzungen der lumbalen Wirbelsäule . . . . . . . . . 382 Rückenmarksschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Knochentumoren und pathologische Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 C. Seebach und A.A. Kurth Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Diagnostische Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Biopsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Benigne Knochentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Osteoidosteom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Osteoblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Enchondrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
25.2.4 Multiple Enchondromatose (chondrale Dysplasie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 25.2.5 Osteochondrom (osteokartilaginäre Exostose) . . . 395 25.2.6 Multiple kartilaginäre Exostosen . . . . . . . . . . . . . . . . 395 25.2.7 Chondroblastom (Codman-Tumor) . . . . . . . . . . . . . . 395 25.2.8 Chondromyxoidfibrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 25.2.9 Nichtossifizierendes Knochenfibrom (NOF) . . . . . . 396 25.3 Maligne Knochentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 25.3.1 Osteosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 25.3.2 Ewing-Sarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 25.3.3 Fibrosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.4 Semimaligne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.4.1 Riesenzelltumor (Osteoklastom) . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.5 Tumorähnliche Knochenläsionen . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.5.1 Solitäre Knochenzyste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.5.2 Aneurysmatische Knochenzyste . . . . . . . . . . . . . . . . 400 25.5.3 Fibröse Dysplasie (Morbus Jaffé-Lichtenstein) . . . 401 25.5.4 Eosinophiles Granulom (Langerhans-ZellHistiozytose, Histiocytosis X) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
26
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
XI
Autorenverzeichnis PD Dr. med. Laurent Audigé, DVM PhD
Prof. Dr. med. Wolfgang E. Linhart
Methodology AO Clinical Investigation and Documentation Stettbachstrasse 6 8600 Dübendorf, Schweiz
Abteilung für Kinderorthopädie Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
Prof. Dr. med. Volker Bühren
Dr. med. Marcus Maier
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau Prof.-Küntscher-Straße 8 82418 Murnau
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Dr. med. Christoph Castellani
Prof. Dr. med. Ingo Marzi
Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Universitätsklinikum der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main
Prof. Dr. med. Hans-Georg Dietz Kinderchirurgische Klinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstraße 4 80337 München
Dr. med. Carola Ploss Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Klinikum Pforzheim GmbH Kanzlerstraße 2–6 75175 Pforzheim
PD Dr. med. Johannes Frank Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Prof. Dr. med. Stefan Rose Chirurg, Unfallchirurg, Handchirurg Groupe Chirurgical Ettelbruck 151, Av. Salenty 9080 Ettelbruck, Luxemburg
Dr. med. Ralf Kraus Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH Rudolf-Buchheim-Straße 7 35392 Gießen
Prof. Dr. med. Andreas A. Kurth Klinik für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Langenbeckstraße 1 55131 Mainz
Prof. Dr. med. Wolfgang Schlickewei Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Kindertraumatologie St.-Josefs-Krankenhaus Freiburg Sautierstraße 1 79104 Freiburg
Prof. Dr. med. Peter P. Schmittenbecher
Prof. Dr. med. Lutz von Laer
Kinderchirurgische Klinik Städtisches Klinikum Karlsruhe gGmbH Moltkestraße 90 76133 Karlsruhe
Burgstrasse 12 4125 Riehen, Schweiz
Dr. med. Frank J. Schneider Abteilung für Kinderorthopädie Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
XII
Autorenverzeichnis
Dr. med. Dorien Schneidmüller
Dr. med. Axel Wetter
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Klinik für Radiologie und Neuroradiologie Klinikum Duisburg, Wedau Kliniken Zu den Rehwiesen 9 47055 Duisburg
Dr. med. Caroline Seebach
Dr. med. Andreas M. Worel
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Grabmattweg 13 2545 Selzach, Schweiz
Dr. med. Mahmoud Seif El Nasr Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie St.-Nikolaus-Stiftshospital GmbH Hindenburgwall 1 56626 Andernach
Dr. med. Theddy Slongo Abteilung für Kinderchirurgie Chirurgische Universitäts-Kinderklinik Inselspital 3010 Bern, Schweiz
Dr. med. Andreas Thannheimer Abteilung für Unfallchirurgie und Sportorthopädie Klinikum Garmisch-Partenkirchen Auenstraße 6 82467 Garmisch-Partenkirchen
Prof. Dr. med. Thomas J. Vogl Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Prof Dr. med. Annelie Weinberg Kindertraumatologie Research Unit: Unfallverhütung und -prophylaxe Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
Prof. Dr. med. Lucas M. Wessel Kinderchirurgische Klinik Universitätsmedizin Mannheim Klinikum Mannheim GmbH Theodor-Kutzer-Ufer 1-3 68163 Mannheim
1
Knochenwachstum und Knochenheilung L. v. Laer
1.1
Knochenwachstum – 2
1.1.1 1.1.2
Dickenwachstum – 2 Längenwachstum – 2
1.2
Knochenheilung – 3
1.2.1 1.2.2
Kallusbildung und Konsolidationszeiten Heilungszeiten – 4
1.3
Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS) – 5
1.3.1 1.3.2
Dickenwachstum – 5 Längenwachstum – 6
1.4
Spontankorrekturen – 8
– 3
2
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
1.1
Knochenwachstum
II
III
I
IV V
1.1.2 Längenwachstum
Das Längenwachstum erfolgt durch das Organ der Wachstumsfuge, der Physe. An jedem Ende der vier großen Röhrenknochen finden sich je eine Fuge an den Phalangen von Fingern und Zehen; sowie an den Metakarpalia und den Metatarsalia ist jeweils auch nur eine Wachstumsfuge angelegt. Diese sitzen an den Phalangen proximal, an den Metakarpalia und den Metatarsalia distal. Der erste Strahl macht dabei jeweils eine Ausnahme, die Fuge des Metacarpale I und die des Metatarsale sitzen proximal (⊡ Abb. 1.1). Bei den großen Röhrenknochen sind die Fugen am jeweiligen Längenwachstum der einzelnen Knochen unterschiedlich beteiligt (⊡ Abb. 1.2). Dieses Phänomen des exzentrischen Wachstums ist an den oberen Extremitäten ausgeprägter als an den unteren.
III IV
1.1.1 Dickenwachstum
Der Knochen wächst mit Hilfe der Wachstumsfuge in die Länge, mit Hilfe des periostendostalen Systems in die Dicke. Durch periostalen Knochenanbau wird die Dickenzunahme gewährleistet, durch gleichzeitigen endostalen Abbau wird eine Gewichtszunahme verhindert. Das heißt, während der auf der einen Seite durch das Periost angebaut wird, wird er auf der anderen Seite durch das Endost abgebaut, um den als Röhrenknochen angelegten Knochen auch als solchen zu erhalten. Der Körper folgt dabei stets dem von Roux formulierten Gesetz, dass er versucht, mit einem Minimum an Material ein Optimum an Belastbarkeit zu gewährleisten. Diese beiden Systeme, Endost und Periost, stehen im funktionellen Gleichgewicht zueinander. Sie gewährleisten die Heilung von Frakturen (s.u.) ebenso wie das Remodeling von Kallusmassen, Achsabweichungen usw. Ihre Funktion (Anbzw. Abbau) ist – zweckgebunden – austauschbar.
II
V
I
⊡ Abb. 1.1. Lokalisation der Fugen an Hand und Fuß. Phalangen und Metatarsalia bzw. Metakarpalia weisen jeweils eine Fuge auf. Diese liegt bei den Metatarsalia/Metakarpalia distal, bei den Phalangen proximal. Eine Ausnahme macht jeweils das Metatarsale/Metakarpale des 1. Strahls, hier liegt die Fuge proximal wie bei den Phalangen
30%
80%
55%
20%
20%
Aufbau der Fuge Der für das Längenwachstum verantwortliche Teil der Wachstumsfuge, die Physe, grenzt auf der einen Seite an den Gelenkträger, die Epiphyse, auf der anderen Seite an die Metaphyse, den Übergang zum Schaft. Im Bereich, der unmittelbar an die Epiphyse angrenzt, erfolgt im so genannten Stratum germinativum der eigentliche Längenzuwachs durch die Proliferation von Knorpelzellen. Diese ordnen sich metaphysenwärts zunehmend pallisadenförmig an und bilden den so genannten Säulenknorpel. Die Knorpelzellen werden sozusagen auf Kosten der Grundsubstanz zunehmend größer, bilden den Blasenknorpel
80%
70%
45%
⊡ Abb. 1.2. Wachstumsanteil der einzelnen Wachstumsfugen der langen Röhrenknochen. An jedem Ende der vier langen Röhrenknochen befindet sich je eine Epiphysenfuge. Der Wachstumsanteil der einzelnen Fugen am Längenwachstum der einzelnen Knochen ist unterschiedlich. Die proximale Humerusfuge ist zu 80%, sämtliche Fugen um den Ellenbogen sind zu 20% und die Fugen des distalen Vorderarms wieder zu 80% am Längenwachstum der jeweiligen Knochen beteiligt. An den unteren Extremitäten ist diese Exzentrizität weniger deutlich ausgeprägt. Die Fuge des proximalen Femurs hat einen Wachstumsanteil von 30%, die distale von 70%, die proximale Tibiafuge von 55% und die distale von 45%.
3 1.2 · Knochenheilung
Mineralisation
ohne Proliferation
Proliferation
mit Proliferation
⊡ Abb. 1.3. Schematischer Aufbau der Wachstumsfuge. Aus klinischer Sicht sind zwei Teile voneinander zu unterscheiden, der epiphysennahe Teil mit Proliferationspotenz (Stratum germinativum und die beginnende Schicht des Säulenknorpels) und der metaphysennahe Teil ohne Proliferationspotenz (Säulenknorpel, Blasenknorpel). Die Fuge wird durch drei wesentliche Gefäßsysteme ernährt, ein epiphysäres, ein metaphysäres und ein periostales, die miteinander kommunizieren können.
bis sie schon im Bereich der Metaphyse zunehmend mineralisiert und in Knochensubstanz umgebaut werden. Die Ernährung der gesamten Fuge erfolgt über drei Gefäßsysteme, ein periostales, ein epiphysäres und ein metaphysäres System, die miteinander kommunizieren können. Funktionell gesehen steht der Aggression der Proliferation des epiphysären Anteils der Fuge die Aggression der Mineralisation des metaphysären Anteils der Fuge gegenüber (⊡ Abb. 1.3). Beide Systeme halten sich während der eigentlichen Phase des Wachstums im Gleichgewicht. Aus klinisch funktioneller Sicht genügt es daher, lediglich zwei wesentliche Teile der Fuge voneinander zu unterschieden, den epiphysären Anteil mit Proliferationspotenz und den metaphysären Anteil ohne Proliferationspotenz.
a
b
⊡ Abb. 1.4. Physiologischer Fugenschluss. a Die Mineralisation beginnt aus dem metaphysären Bereich der Fuge sozusagen punktförmig auf den epiphysennahen Teil der Fuge überzugreifen. b Von dort breitet sie sich langsam über die gesamte Fuge aus. Bei der distalen Tibia beginnt der Verschluss exzentrisch im ventralen Bereich des medialen Malleolus und breitet sich von dort nach dorsal und nach ventral aus, bis zum Schluss der laterale Quadrant der Fuge verknöchert wird.
zum 10./12. Lebensjahr sind aufbauende und mineralisierende Kräfte im Gleichgewicht, der Knochen wächst. Hormonelle und humerale Einflüsse führen dann gegen das Ende der Wachstumsphase zu einer kurzen Ruhephase, in der meta- und epiphysäre Funktion der Fuge ruhen, der Knochen hört für einen Moment auf zu wachsen, die Fuge hat aber noch Wachstumspotenzial. Mineralisation und Proliferation haben einen kurzen »Waffenstillstand« geschlossen. Diese kurze Ruhephase geht dann schnell in die eigentliche Verschlussphase über, in der die Proliferationspotenz zunehmend versiegt und die Mineralisation immer mehr auf die Fuge übergreift und diese durchwandert. Dieser Vorgang beginnt meist exzentrisch – wie wir es zumindest an der distalen Tibiafuge kennen –, höchstwahrscheinlich im Bereich des Punktes der essenziellen Ernährung der Fuge (⊡ Abb. 1.4). Der Zeitpunkt des Schlusses ist individuell und vom Geschlecht, aber auch vom Wachstumspotenzial der einzelnen Fugen abhängig.
1.2
Knochenheilung
1.2.1 Kallusbildung und Konsolidationszeiten
Sistieren des Wachstums – physiologischer Fugenschluss Die Wachstumsfuge macht im Lauf ihres Lebens drei unterschiedliche Phasen von unterschiedlicher Länge durch. Während des eigentlichen Wachstums – von der jeweiligen Lokalisation der Fuge abhängig – bis etwa
Die Knochenbruchheilung erfolgt im Wachstumsalter selbst im Rahmen stabiler Osteosynthesen praktisch immer sekundär über Kallusbildung. Das Frakturhämatom wird anfänglich bindegewebig organisiert. In diesen fixierenden Bindegewebskallus wandern Osteoblasten ein
1
4
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
und führen zur langsam zunehmenden Mineralisation des Fixationskallus und damit zur zunehmenden Stabilisierung der Fraktur. Damit wird die Fraktur bewegungsund später auch belastungsfähig stabilisiert. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Form erfolgt dann, auch induziert durch die funktionellen Beanspruchungen, erst im Lauf der Zeit je nach Alter des Patienten und Richtung der funktionellen Nutzung bis zur vollständigen Wiederherstellung der ehemaligen Form. Dieser Vorgang kann, abhängig von der Kallusbildung, Monate, sogar Jahre dauern, wenn gleichzeitig auch noch die Spontankorrektur einer Achsabweichung stattfindet (s.u.).
Das Ausmaß der Kallusbildung ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Je mehr Achsabweichungen vorliegen, desto größer ist der Kallus, vor allem in der Konkavität von Achsenknicken. Je instabiler die Fraktur und je jünger das Kind, desto mehr Kallus bildet sich (Beispiele: Klavikulafrakturen, Apophysenausrisse am Becken, Oberschenkelfrakturen bei Neugeborenen usw.). Die Heilungszeit bis zur bewegungsstabilen Konsolidierung ist von der Frakturfläche und von der Lokalisation der Fraktur abhängig. Schrägfrakturen mit der größeren Frakturfläche heilen nahezu doppelt so schnell wie Querfrakturen, metaphysäre Frakturen fast doppelt so schnell wie diaphysäre. Der Fixationskallus ist anfänglich palpatorisch sehr schmerzhaft und wird mit zunehmender Mineralisierung indolenter. Nach den üblichen Ruhigstellungszeiten (s.u.) ist der Kallus bei der Palpation indolent. Dies ist das klinische Zeichen der Bewegungsstabilität. Der Patient benötigt im Blick auf die Frakturheilung keine weitere Ruhigstellung mehr. Eine radiologische Bestätigung dieses Phänomens ist grundsätzlich nicht erforderlich. Wird das Konsolidationsröntgen aus anderen Gründen durchgeführt, so spricht eine periostale Kallusüberbrückung des Frakturspaltes im Bereich dreier Kortikales (von vier in zwei Ebenen dargestellten) für die bewegungsstabile Heilung der Fraktur (⊡ Abb. 1.5).
1.2.2 Heilungszeiten
Die üblichen Konsolidationszeiten der häufigsten Frakturen bis zur bewegungsstabilen Heilung der Fraktur sind in ⊡ Tab. 1.1 dargestellt.
⊡ Tab. 1.1. Richtwerte für durchschnittliche Konsolidationszeiten
⊡ Abb. 1.5. Schema der Beurteilung der Bewegungsstabilität im Konsolidationsröntgenbild. Wenn der Frakturspalt an drei von vier im a.-p. und seitlichen Röntgenbild dargestellten Kortikales periostal überbrückt ist, ist die Fraktur aus radiologischer Sicht als bewegungsstabil zu bezeichnen.
Frakturlokalisation
Konsolidationszeit (Wochen)
2–3 2–3 3–6 3–4 3–4 4–6 3–4 6–12 4–12 3–6 3–4 3–4 4–5 3–4 3–4 1–2
Klavikula Humerus proximal Humerusschaft Humerus distal Unterarm proximal Ulnaschaft, Radiusschaft Unterarm distal Handwurzel Schenkelhals Femurschaft Femur distal Tibia proximal Tibiaschaft Tibia distal Metakarpale und Metatarsale Finger und Zehen
5 1.3 · Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS)
1.3
Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS)
1.3.1 Dickenwachstum
Störungen des Dickenwachstums äußern sich in Heilungsstörungen, wenn die Konsolidation einer Fraktur ganz oder teilweise ausbleibt, d.h. wenn es zu vollständigen oder partiellen Pseudarthrosen kommt. Vollständige Pseudarthrosen im Schaftbereich – ob hyper- oder atroph – sind außerordentlich selten, ihre Ursachen sind entweder pathologisch oder iatrogen. Sie haben, vor allem wenn es sich um hypertrophe Pseudarthrosen handelt, eine gute Prognose. Im meta-/epiphysären Bereich sind zwei Lokalisationen bekannt, die für Pseudarthrosen aufgrund der an den Fragmenten ansetzenden Muskelzüge und der dadurch bedingten chronischen Instabilität geradezu prädestiniert sind: die konservativ behandelte dislozierte Fraktur des Condylus radialis humeri (Ursache iatrogen) und die konservativ und operativ behandelte Fraktur des Epicondylus ulnaris (Ursache iatrogen und idiopathisch?). Während beim einen eine schwere Gelenkdeformität resultiert (⊡ Abb. 1.6), sind beim anderen die Folgen eher gering einzuschätzen. Nur in etwa 10% nach Pseudarthrosen des Epicondylus ulnaris werden Beschwerden angegeben, die behandlungsbedürftig sind und auch behandelt werden können.
⊡ Abb. 1.6. Schema einer Pseudarthrose des Condylus radialis humeri. Bei konservativ behandelten dislozierten Frakturen besteht die große Gefahr, dass es zu echten Pseudarthrosen kommt. Das Fragment deformiert sich bis Wachstumsabschluss und weicht meist nach dorsoradial aus, sodass zum Schluss eine erhebliche Deformität des Gelenks resultiert, meist verbunden mit einer Valgusdeformität.
Während bei Pseudarthrosen des Condylus radialis nahezu jeder Patient im Lauf der Zeit Beschwerden bekommt, die nur bedingt behandelt werden können (eine sekundäre Rekonstruktion des Gelenks ist nicht mehr möglich). Partielle Pseudarthrosen bzw. Konsolidationsstörungen und -verzögerungen finden wir an zwei typischen Stellen: diaphysär im Rahmen von klassischen Grünholzfrakturen, die im Falle einer Therapie nicht vollständig durchgebrochen wurden. Dabei heilt die Fraktur im Bereich der angebrochenen Kortikalis prompt ab, was aber die Abheilung auf der Seite der vollständig gebrochenen Kortikalis verhindert (⊡ Abb. 1.7); an dieser Stelle bleibt die periostale Überbrückung des Frakturspalts aus. Dadurch besteht die Gefahr einer echten Refraktur (innerhalb eines Jahres bei inadäquatem Trauma), die dann in 20–30% der Fälle auch eintritt. Metaphysär spielt die partielle Konsolidationsstörung klinisch eine Rolle im Rahmen der metaphysären Biegungsbrüche der proximalen Tibia (metaphysäre Grünholzfraktur). Diese
⊡ Abb. 1.7. Schema der Entstehung einer partiellen Pseudarthrose (einer Konsolidationsverzögerung) diaphysär. a Bei diaphysären Grünholzfrakturen ist die eine Kortikalis angebrochen, die andere vollständig durchgebrochen. b Belässt man diese Situation bei der Reposition, ohne dass der klaffende Frakturspalt auf der Konvexseite der Fehlstellung komprimiert wird, so heilt die angebrochene Kortikalis prompt ab, während bei der Gegenkortikalis die Konsolidation ausbleibt. Dies birgt die Gefahr einer Refraktur in sich. c Die gleiche Problematik ist beim Erwachsenen im Rahmen »sperrender« Plattenosteosynthesen bekannt und führt zu den gleichen Folgen, wie bei den inkomplett durchgebrochenen Grünholzfrakturen.
1
6
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
1
a
b
⊡ Abb. 1.8. Schema der Entstehung einer partiellen Pseudarthrose (Konsolidationsverzögerung) metaphysär. Wie bei der Diaphyse kann es auch bei der Metaphyse zu Biegungsbrüchen kommen, die der gleichen Problematik folgen, wie bei den diaphysären Frakturen (⊡ Abb. 1.7). a Auch hier heilt die angebrochene Kortikalis prompt ab, während die Heilung auf der Gegenseite, der des klaffenden Frakturspalts, ausbleibt. b Die Folgen sind anders als bei der Diaphyse, es kommt nicht zur Refraktur, sondern zur partiellen Stimulation der nahe gelegenen Fuge, sozusagen im Rahmen der protrahierten Heilungsbemühungen. Dies verstärkt die primär vorhandene Achsabweichung. Klinisch ist dieses Problem an der proximalen Tibia bedeutungsvoll.
Brüche stehen stets in einer mehr oder weniger ausgeprägten Valgusachsabweichung. Dadurch kommt es auf der lateralen Seite (Konkavität der Achsabweichung) zum prompten Abheilen der Fraktur, während auf der medialen Seite die Konsolidation deutlich verzögert ist. Durch diese Verzögerung bzw. die vermehrten und prolongierten Umbauvorgänge auf der medialen Seite wird die nahe gelegene Fuge einseitig stimuliert, es kommt zum medialen Mehrwachstum (s.u.) und dadurch zur Verstärkung des primär schon vorhandenen Valgus (⊡ Abb. 1.8).
1.3.2 Längenwachstum
Grundsätzlich sind sämtliche Wachstumsstörungen, die das Längenwachstum betreffen, samt ihren Folgen vom Alter des Patienten beim Unfall abhängig. Je älter der Patient ist, desto weniger ausgeprägt sind die Folgen. Die stimulativen Wachstumsstörungen (WTS), bei denen es zur Funktionssteigerung der die Fraktur umgebenden bzw. ihr nahe gelegenen Fugen kommt, sind nach sämtlichen Frakturen im Wachstumsalter zu erwarten, ja obligatorisch. Ihre Folgen sind vom Alter des Patienten beim Unfall sowie von der Dauer der Reparationsvorgänge um die Fraktur abhängig. Erleidet der Patient die Fraktur in seiner eigentlichen Wachstumsphase – bis etwa zum 10. Lebensjahr – so ist mit einer Verlängerung des betroffenen Skelettabschnitts zu rechnen. Fällt die Fraktur in die Ruhe- und Fugenschlussphase, so ist eher mit
⊡ Abb. 1.9. Schema der Folgen stimulativer Wachstumsstörungen (WTS) an den unteren Extremitäten. Nach jeder Fraktur im Wachstumsalter kommt es durch die obligatorischen WTS zu Längenalterationen. Diese spielen lediglich an den unteren Extremitäten im Blick auf die Wirbelsäulenstatik eine Rolle. Häufigkeit und Ausmaß derartiger Differenzen können nur durch Kontrollen erfasst werden, die daher stets funktionell erfolgen sollten.
einer Verkürzung zu rechnen. Je mehr Achsabweichungen, Seit-zu-Seit-Verschiebungen und Kallus remodeliert werden müssen, desto länger ist die Stimulationszeit und desto ausgeprägter sind die Folgen, seien es Verlängerung oder Verkürzung. Dabei überschreitet jedoch das Ausmaß der Differenzen selten den Durchschnitt von 1 cm und spielen die Folgen der Längendiskrepanzen lediglich im Bereich der unteren Extremitäten im Blick auf die Wirbelsäulenstatik eine Rolle (⊡ Abb. 1.9). Sie sollten aus klinischer Sicht daher stets funktionell gemessen werden! Eine partielle Stimulation ist selten und spielt klinisch nur eine Rolle an der proximalen Tibia (⊡ Abb. 1.8) und am Condylus radialis humeri. Nach Frakturen des Condylus radialis humeri kommt es obligatorisch zu einem
1
7 1.3 · Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS)
a a
b
b
c
⊡ Abb. 1.10. Wachstumsstörung stimulativ, partielle Stimulation einer Fuge. a Obligatorisch gehört zur Fraktur des Condylus radialis humeri die partielle Stimulation des betroffenen radialen Fugenanteils. b Je instabiler die Fraktur versorgt wird, desto länger die Konsolidationszeit der Fraktur, desto länger die Dauer der radialen Stimulation und desto ausgeprägter die durch das radiale Mehrwachstum bedingte Varisierung der Ellenbogenachse.
⊡ Abb. 1.11. Wachstumsstörung hemmend, partieller vorzeitiger Verschluss einer Fuge. a Im Rahmen von Epiphysenfrakturen bei noch weit offenen Fugen, aber auch von Epiphysenlösungen, kann b es zur partiellen Verknöcherung der Wachstumsfuge, zur epi-/metaphysären Brückenbildung kommen. c Während der Rest der Fuge normal weiter wächst, sistiert das Wachstum an der Stelle der Brücke. Es kommt zur zunehmenden Deformität, z.B. an der distalen Tibia, bei medialem Verschluss zur zunehmenden Varusdeformität, der die Fibula zwangsläufig folgt.
radialen Mehrwachstum aufgrund einer partiellen Stimulation und damit zur Varisierung der Ellenbogenachse. Je stabiler die Fraktur versorgt wurde, desto kürzer ist die Konsolidationszeit und desto weniger ausgeprägt die Varisierung (⊡ Abb. 1.10). Zusammenfassend sind die stimulativen Wachstumsstörungen obligatorisch nach sämtlichen Frakturen im Wachstumsalter zu erwarten. Ihre Folgen sind vom Alter des Patienten beim Unfall abhängig und ihre Dauer ist begrenzt (maximal bis zu zwei Jahren). Im Gegensatz dazu sind die hemmenden WTS, bei denen die Funktion der Wachstumsfuge gehemmt wird, nur fakultativ nach fugenkreuzenden und fugennahen Frakturen zu erwarten. Auch sie können Teile einer Fuge oder auch die gesamte Fuge betreffen, wobei der partielle vorzeitige Verschluss weitaus häufiger ist als der vollständige Verschluss. Der partielle Verschluss führt zum verkürzenden Achsenfehler, der vollständige Verschluss zur vollständigen Verkürzung des betroffenen Skelettabschnitts ohne zusätzliche Achsabweichung. Diese WTS dauern bis zum Wachstumsabschluss des betroffenen Skelettabschnitts, also deutlich länger als die stimulativen WTS (⊡ Abb. 1.11). Die Ursache der hemmenden WTS kann unterschiedlich sein. Bei den typischen Epiphysenfrakturen (Typ Salter-Harris III und IV) bei noch weit offenen Fugen kann es zum knöchernen Auffüllen des Frakturspalts, auch im Bereich des Stratum germinativum, kommen. Je nach Weite des Frakturspalts ist die so entstandene »Ausheilungsbrücke« mehr oder weniger breit und kann altersabhängig im weiteren Wachstum wieder spontan gesprengt werden oder bleibt und führt dann zum zunehmenden Fehlwachstum. Bei Epiphysenlösungen (Typ Salter-Harris I und II) oder fugennahen Frakturen ist ein derartiges knöchernes Auffüllen des Frakturspalts nicht möglich, hier führen Gefäßschäden zum mehr oder weniger ausgeprägten Untergang des Wachstumsknorpels
mit anschließender Verknöcherung der Nekrosezone im Bereich des Stratum germinativum. Dieser Vorgang kann sich selbstverständlich auch im Rahmen der Epiphysenfrakturen (Typ Salter-Harris III und IV) abspielen. Derartige Nekrosenbrücken sind zu breit, um durch die Wachstumsschubkräfte gesprengt zu werden. Grundsätzlich besteht kein Unterschied zwischen der Wachstumsprognose von Epiphysenfrakturen und Epiphysenlösungen. Letztere kommen, vor allem im Bereich der unteren Extremitäten, jedoch meist in einem Alter vor, in dem WTS mit klinisch relevanten Folgen nicht mehr zu erwarten sind. Hingegen sind neben dem Alter des Patienten noch weitere grundsätzliche Faktoren für das Auftreten hemmender WTS verantwortlich. Einmal das Alter der betroffenen Fuge. Je höher der Wachstumsanteil der Fuge ist, desto länger wächst sie und kann dementsprechend länger Fehlwachstum erzeugen. Das Ausmaß der Dislokation spielt eine wesentliche Rolle. Nach undislozierten Frakturen ist signifikant seltener mit hemmenden Wachstumsstörungen zu rechnen als nach dislozierten Frakturen. Ein weiterer ungeklärter Faktor spielt eine ebenso bedeutende Rolle: Hemmende Wachstumsstörungen treten mit ca. 30% signifikant häufiger im Bereich der unteren Extremitäten auf als mit nur ca. 5% im Bereich der oberen Extremitäten. Nimmt man sämtliche Wachstumsstörungen, stimulative und hemmende, zusammen, so kann man sagen, dass beide schicksalhaft sind und nicht primär direkt-therapeutisch vermieden werden können. Durch die Therapie können lediglich bessere Voraussetzungen geschaffen werden: für die stimulativen WTS durch Reduktion des Remodelings und für die hemmenden lediglich bei den Epiphysenfrakturen durch Diminuierung eines weiten Frakturspalts. Für Epiphysenlösungen können bezüglich der Wachstumsprognose therapeutisch keine besseren Voraussetzungen geschaffen werden. Die Wachstumspro-
8
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
gnose lässt sich durch die Reposition nicht verbessern, höchstens verschlechtern, wenn man rüde und oft genug reponiert und durch zusätzliche operative Maßnahmen die Gefäßversorgung der Fuge beschädigt.
Grundsätzlich ist der wachsende Körper in der Lage, sämtliche Achsabweichungen in allen drei Ebenen des Raumes im Verlauf des Wachstums wieder spontan, d.h. ohne äußeres Zutun, zu korrigieren. Daran sind ganz unterschiedliche Mechanismen beteiligt, die aber ebenso wie auch die WTS grundsätzlich vom Alter des Patienten bei Unfall, von der Lebenserwartung der nächstgelegenen Fuge, von der Funktion bzw. den Funktionsebenen des nächstgelegenen Gelenks und vom Ausmaß der Achsabweichung abhängig sind. Je jünger der Patient, je höher (je langlebiger) der Wachstumsanteil der nächstgelegenen Fuge, je multiplaner das nächstgelegene Gelenk und je größer das Ausmaß der Achsabweichung sind, desto größer und zuverlässiger ist die Korrektur. Dazu gesellt sich ein grundsätzliches Verhalten. Eine Varusdeformität wird am ganzen Körper grundsätzlich besser korrigiert
als eine Valgusdeformität und Achsabweichungen in der Hauptbewegungsebene, der Sagittalebene, werden besser korrigiert als die in der Frontalebene. Der funktionelle Stimulus ist bedeutungsvoller als der statische. An den Spontankorrekturen sind, wie schon gesagt, unterschiedliche Mechanismen beteiligt. Die Seit-zuSeit-Verschiebung wird allein durch das periostendostale System remodeliert (⊡ Abb. 1.12). Achsenknicke in der Frontal- und Sagittalebene werden kombiniert durch das periostendostale Remodeling und gezieltes asymmetrisches Korrekturwachstum der Epiphysenfugen korrigiert. Während im Schaftbereich das Remodeling des eigentlichen Achsenknicks erfolgt, stellen sich die durch den Achsenknick schräg gestellten Epiphysen langsam wieder orthograd zur Belastungsebene ein. Diese beiden Mechanismen scheinen voneinander abhängig zu sein (⊡ Abb. 1.13). Es ist jedoch nicht bekannt, durch welche Faktoren das geschieht. Verkürzungsfehlstellungen können ungezielt durch die stimulativen WTS korrigiert werden, was jedoch unzuverlässig ist. Eine gezielte Längenkorrektur findet sich nur bei paarigen Knochen gegenüber dem Partnerknochen, nicht aber gegenüber der Gegenseite. Da der Mensch über kein Organ für symmetrisches Wachstum
⊡ Abb. 1.12. Schema der Spontankorrektur der Seit-zu-Seit-Verschiebung. Durch Kallusremodeling erfolgt über periostalen An- und Abbau und endostalen Ab- und Anbau die zunehmende Formung der frakturbedingten Strukturveränderungen bis hin zur Restitutio ad integrum.
⊡ Abb. 1.13. Spontankorrektur eines Achsenknicks. Durch das periostendostale Korrektursystem erfolgt das Remodeling im Schaftbereich. Die durch den Achsenknick schräg gestellten Epiphysen (Gelenke) werden durch asymmetrisches Wachstum der Wachstumsfugen selbst wieder senkrecht zur Belastungsebene eingestellt.
1.4
Spontankorrekturen
9 1.4 · Spontankorrekturen
verfügt, muss man damit rechnen, dass posttraumatische Längenalterationen sich im weiteren Wachstum kaum korrigieren werden. Seltene Verlängerungsfehlstellungen werden nicht korrigiert. Rotationsfehler können im Verlauf der physiologischen Detorsionsvorgänge ungezielt korrigiert werden, wobei man noch sehr wenig über das gesamte Phänomen der Detorsionen an den unterschiedlichen Knochen weiß. Bekannt ist bislang in der Literatur die Spontankorrektur von Rotationsfehlern am Oberarm und am Oberschenkel (⊡ Abb. 1.14), beides Lokalisationen, an denen ein Rotationsfehler funktionell hervorragend kompensiert wird, sodass während der relativ langen Zeit der Korrektur der Patient keine Beschwerden hat. Die Rotationsfehler, die von Scharniergelenken umgeben sind, wie z.B. am Unterschenkel oder an den Fingerphalangen, können funktionell nicht kompensiert werden und führen sehr viel schneller zu Beschwerden. Erleichternd ist dabei, dass die funktionell gut kompensierbaren Fehler im Rahmen einer frischen Fraktur weder radiologisch noch klinisch diagnostizierbar und messbar sind und daher auf konservativem Wege auch nicht
korrigiert werden können und müssen. Im Gegensatz dazu sind die funktionell nicht kompensierbaren Fehler klinisch gut beurteil- und messbar, sodass sie im Rahmen einer frischen Fraktur auch gut beseitigt werden können. Spontankorrekturen können in die Therapie integriert werden. Die periostendostalen sowie die epiphysären Korrekturen beeinflussen die Häufigkeit und das Ausmaß von Längendifferenzen, was bei den Korrekturen der Rotationsfehler nicht der Fall ist. Aus diesem Grund sollten nur in Ausnahmefällen erhebliche Achsabweichungen an den unteren Extremitäten den Korrekturkräften des weiteren Wachstums überlassen werden. Ziel der Therapie kann also nur sein, durch die geeignete Primärtherapie den Umfang der Reparation und des Remodelings so klein wie möglich zu halten, um Häufigkeit und Ausmaß posttraumatischer Längendifferenzen den idiopathischen Differenzen zuzuweisen, die bei etwa 25–30% knapp 1 cm betragen. An den oberen Extremitäten hingegen spielen Längendifferenzen im posttraumatischen Rahmen keine Rolle. Hier können also zuverlässige Korrekturen durchaus in die Primär- oder auch Sekundärtherapie integriert werden. Dies sind am proximalen Humerus bis etwa zum 11./12. Lebensjahr Korrekturen bis zu 50° Varusstellung und von Achsabweichungen in der Sagittalebene (⊡ Abb. 1.15), mit
a
ARF
IRF b
⊡ Abb. 1.14. Spontankorrektur von Rotationsfehlern am Beispiel des Oberschenkels. Rotationsfehler am Oberschenkel stellen sich in einer Antetorsionsdifferenz der Schenkelhälse dar. a, b Die Antetorsion nimmt physiologischerweise von Geburt bis Wachstumsabschluss von ca. 35° auf ca. 15° ab. Der Außenrotationsfehler des distalen Fragments (ARF), erkennbar an der verminderten Antetorsion der betroffenen Seite, zieht diese Detorsion praktisch vor. Durch vermehrte einseitige Detorsion kann der Innenrotationsfehler des distalen Fragments (IRF), erkennbar an der vermehrten Antetorsion der betroffenen Seite, im Lauf des weiteren Wachstums wenigstens diminuiert und damit klinisch bedeutungslos werden.
⊡ Abb. 1.15. Integration von Spontankorrekturen in die Therapie. Zuverlässige Spontankorrekturen, wie z.B. die einer Varusachsabweichung im Bereich des proximalen Humerus bis zu 50° und bis zu einem Alter von 12 Jahren können primär und postprimär in die Therapie integriert werden; die Achsabweichung wird zuverlässig korrigiert werden.
1
10
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
Abkippungen am proximalen Radiusende bis zu 50° bis zu einem Alter von 10 Jahren (⊡ Abb. 1.16) und Abkippungen nach dorsal und radial von etwa 40° am distalen Radius (⊡ Abb. 1.17). Die Zumutbarkeits- und Toleranzgrenzen werden in den einzelnen Kapiteln des speziellen Teils jeweils aufgeführt werden.
⊡ Abb. 1.16. Integration von Spontankorrekturen in die Therapie. Zuverlässige Spontankorrekturen, wie z.B. die einer radialen Abkippung des Radiuskopfes bis zu 50° und bis zu einem Alter von 10 Jahren können primär und postprimär in die Therapie integriert werden; die Achsabweichung wird zuverlässig korrigiert werden.
⊡ Abb. 1.17. Integration von Spontankorrekturen in die Therapie. Zuverlässige Spontankorrekturen, wie z.B. die einer Dorsal- und Radialabkippung im Bereich des distalen Unterarms bis zu 50° und bis zu einem Alter von 12 Jahren können primär und postprimär in die Therapie integriert werden; die Achsabweichung wird zuverlässig korrigiert werden.
2
Verletzungsformen L. v. Laer
2.1
Frakturen
– 12
2.1.1 2.1.2 2.1.3
Gelenkbereich – 12 Gelenknaher Bereich – 14 Schaftbereich – 15
2.2
Luxationen
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Schulter – 16 Ellenbogen – 17 Hüfte – 18 Knie – 18
– 16
12
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2.1
2
Frakturen
Im Gegensatz zum Erwachsenen sind die Verletzungen im Wachstumsalter, solange die Wachstumsfugen noch weit offen sind, außerordentlich stereotyp, unabhängig von der Richtung des Unfallmechanismus. Dabei schützt die Fuge das Gelenk, sodass es ganz selten zu Gelenkfrakturen, jedoch sehr viel häufiger zu Epiphysenlösungen und anderen metaphysären Frakturen kommt. Das Verhältnis zwischen artikulären und extraartikulären Frakturen beträgt 1:50. Das schließt komplizierte Trümmerfrakturen im Bereich der Gelenke, wie sie beim Erwachsenen zu finden sind, aus. Selbst die seltenen Frakturen im Gelenkbereich folgen einem stereotypen Muster und stellen an die operative Rekonstruktion kaum die technischen Anforderungen, wie beim Erwachsenen. Während die repräsentativen Gelenkfrakturen der oberen Extremitäten, die Frakturen des Condylus radialis humeri, stets im Hauptbelastungsbereich des Gelenks liegen, verläuft der Frakturspalt bei den repräsentativen Gelenkfrakturen der unteren Extremitäten, der medialen Malleolarfrakturen, stets im Randbereich, außerhalb der Hauptbelastungszone. Dies ändert sich erst mit beginnendem Fugenschluss bei den sog. Übergangsfrakturen. Aber selbst bei diesen Frakturen im Übergangsalter zum Erwachsenen bleibt die Stereotypie – wohl dann eine andersartige – erhalten und folgt noch nicht den willkürlichen Verletzungsmustern der Erwachsenen. Es gibt zahlreiche Einteilungen der Frakturen im Wachstumsalter, die sich meist jedoch auf die Verletzungen der Wachstumsfuge konzentrieren. Dabei geht man davon aus, dass sie einen Hinweis auf die Wachstumsprognose der einzelnen Verletzungen geben würden – dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Einteilung sämtlicher Frakturen nach der Wachstumsprognose ist unmöglich, denn diese ist von allzu unterschiedlichen Parametern abhängig (s.o.). Eine Einteilung nach therapeutischen Richtlinien zu formulieren ist ebenso wenig praktikabel, da sich die Therapie einerseits nach der Lokalisation der Fraktur und deren Dislokationsausmaß, andererseits nach individuellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen und Gegebenheiten richten muss. Es bleibt also lediglich die morphologische Beschreibung, um im Disput in der Literatur, in Dokumentationen und dergleichen vergleichsweise zu wissen, wovon man redet. Im Folgenden seien daher kurz die typischen Frakturen im Wachstumsalter und deren Gegebenheiten skizziert; erst im Anschluss daran wird der Versuch einer Klassifikation unternommen, der nicht Vollkommenheit sondern Benutzbarkeit im Rahmen von Dokumentationen zur Qualitätssicherung beansprucht.
2.1.1 Gelenkbereich
Bisher wurden physäre Frakturen in einer einzigen Klassifikation untergebracht (Salter-Harris, Aitken). Da diese nur die morphologische Struktur lediglich in der Fuge, jedoch nicht des betroffenen Knochenabschnitts berücksichtigt, sollten diese, zumindest gedanklich, getrennt werden. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen den tatsächlichen Gelenkfrakturen und den Schaftfrakturen, unabhängig von der Art und Lokalisation einer Fugenschädigung. Bei den Gelenkfrakturen muss man lediglich den Zustand der Fugen beachten, da bei beginnendem Fugenschluss andere Verletzungsformen zu erwarten sind als bei weit offenen Fugen. Bei den Gelenkfrakturen sind also Frakturen bei noch weit offenen Fugen und Frakturen mit beginnendem Fugenschluss zu unterscheiden. Bei den klassischen Gelenkfrakturen z.B. der distalen Tibia steht der Frakturspalt senkrecht zur Belastungsfläche und liegt im exzentrischen, medialen Bereich der Gelenkfläche außerhalb der Belastungszone. Diese Frakturen kommen in zwei Varianten vor (mit und ohne metaphysären Ausbruch) und wurden von Aitken (Aitken Typ II und III) und Salter-Harris (Salter-Harris Typ III und IV) beschrieben. Mit beginnendem physiologischen Fugenschluss liegt der Frakturspalt – bei den so genannten Übergangsfrakturen – üblicherweise schräg zur Gelenkfläche und meist im zentralen bis lateralen Bereich des Gelenks, im Hauptbelastungsbereich. Je nach Unfallmechanismus kann es dann noch zum zusätzlichen Ausbruch eines mehr oder weniger ausgeprägten metaphysären Keils kommen. Diese Frakturen werden meistens fälschlicherweise unter die typischen Malleolarfrakturen subsumiert. Da sie anders behandelt werden müssen und eine andere Wachstumsprognose haben (typische Epiphysenfrakturen können im Gegensatz zu Übergangsfrakturen zu WTS des partiellen Verschlusses mit relevanten Folgen führen) als die typischen Frakturen, sollte man sie jedoch von diesen abgrenzen und anders benennen. Wir müssen also bei den Gelenkfrakturen unterscheiden zwischen fugenkreuzenden Frakturen und solchen, die die Fuge nicht tangieren. Bei den fugenkreuzenden Frakturen müssen wir unterscheiden zwischen den klassischen bei noch weit offenen Fugen und den Übergangsfrakturen. Die klassischen Epiphysenfrakturen wiederum sind einzuteilen in die mit und die ohne metaphysäre Beteiligung. Dies gilt im Grundsatz auch für die Übergangsfrakturen, die meist nur in zwei Ebenen verlaufen und lateral liegen (two plane fractures). Wenn es aber zum Ausbruch eines zusätzlichen metaphysären Keils kommt, ist dieser meist größer als bei den klassischen Frakturen und setzt sich nicht obligatorisch wie diese in eine fugenkreuzende Epiphysenfraktur fort (triplane I),
2
13 2.1 · Frakturen
sondern nur fakultativ (triplane II); dann aber zusätzlich zur ohnehin schon vorhandenen ventralen Epiphysenfraktur (⊡ Abb. 2.1, ⊡ Abb. 2.2). Bei den Gelenkfrakturen, bei denen die Epiphysenfuge nicht tangiert wird, handelt es sich um knöcherne Bandausrisse (z.B. Eminentia-intercondylica-Fraktur der
Salter - Harris III Aitken II
Salter - Harris IV Aitken III
⊡ Abb. 2.1. Fugenkreuzende Epiphysenfrakturen bei noch weit offenen Fugen. Links: epiphysäre Fraktur, rechts: epi-metaphysäre Fraktur.
b
a
⊡ Abb. 2.3. a Epiphysäre Bandausrisse, b Flake Fractures.
I
II
ventra l
ventra l
triplane
twoplane
latera l
proximalen Tibia oder fibulotalarer Bandausriss aus der Fibulaspitze) und um osteochondrale oder chondrale Flake Fractures im Rahmen von Luxationen (z.B. bei Patellaluxationen). Zu ossären, chondralen oder periostalen Bandausrissen kommt es gehäuft bis zum 10./12. Lebensjahr, wenn die Bänder noch stabiler sind als ihr Ansatz. Jenseits dieser Altersgrenze finden sich weitaus häufiger Bandrupturen, was jedoch nicht heißt, dass es unterhalb des 10. Lebensjahrs keine Rupturen und jenseits des 12. Lebensjahrs keine Ausrisse gibt (⊡ Abb. 2.3a, b).
medial
ventra l
⊡ Abb. 2.2. Fugenkreuzende Epiphysenfrakturen bei beginnendem Fugenschluss. Übergangsfrakturen. Links: epiphysäre Fraktur, rechts: epimetaphysäre Fraktur.
14
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2.1.2 Gelenknaher Bereich Epiphysenlösung. Die am weitesten peripher liegende
2
der metaphysären Schaftfrakturen ist die Epiphysenlösung. Die Epiphyse ist zwar Träger des Gelenks, dieses ist jedoch durch diese Verletzung nicht direkt betroffen. Die Lösung erfolgt im Bereich des Blasenknorpels, der mechanisch schwächsten Schicht der Wachstumsfuge. Da diese Schicht zusätzlich durch hormonelle Einflüsse präpubertär gelockert wird, kommt es vor allem im Bereich der unteren Extremitäten um die Pubertät herum öfter zu Epiphysenlösungen. Sie zählen mit zu den häufigsten Verletzungen im Wachstumsalter und treten an den oberen Extremitäten etwa viermal häufiger auf als an den unteren (z.B. Fingerphalangen, distaler Radius, proximaler Radius, proximaler Humerus) (⊡ Abb. 2.4).
Salter - Harris I
Salter - Harris II Aitken I
⊡ Abb. 2.4. Epiphysenlösungen. Links: epiphysäre Lösung, rechts: epimetaphysäre Lösung
Stauchungsfrakturen. Etwas weiter im Schaft finden wir die klassische Kontusion des Wachstumsalters, die metaphysären Stauchungsfrakturen. Es handelt sich um wohl schmerzende, jedoch harmlose Frakturen, bei denen meist nur eine Kortikalis eingestaucht, die andere intakt geblieben ist. Sie sind an sämtlichen Metaphysen zu finden, am häufigsten im Bereich des distalen Unterarms (⊡ Abb. 2.5). Grünholzfrakturen. Grünholzfrakturen (Biegungsbrü-
che) sind auch im Bereich der Metaphyse zu finden. Klinisch spielen sie eigentlich nur eine Rolle im Bereich der proximalen Tibia (stimulative WTS und Kap. 20 Knie) (⊡ Abb. 2.6). Cave: Bei Grünholzfrakturen handelt es sich, gleich welcher Lokalisation (Schaft oder Metaphyse), um Biegungsbrüche und nicht um subperiostale Stauchungsbrüche!
⊡ Abb. 2.5. Metaphysäre Stauchungsfrakturen (Wulstbrüche).
Metaphysäre Frakturen. Nicht zu vergessen sind die vollständig durchgebrochenen metaphysären Frakturen, als deren typische Vertreter z.B. die suprakondylären Humerusfrakturen des Typs III und IV anzusehen sind. Stressfrakturen. Stressfrakturen kommen mit zwei Al-
tersgipfeln vor, einmal als »Toddler’s Fractures« im Alter zwischen 2 und 4 Jahren und zum anderen um die Pubertät herum. Bei den Kleinen führt die ungebändigte Freude an der Fähigkeit, laufen und rennen zu können, einerseits zu gehäuften Miniunfällen, zum anderen sicher auch zu einer Überlastung der Knochenstruktur, wodurch es immer wieder zu Fissuren und oft nicht sichtbaren Frakturen im Bereich der Tibia, der Fibula, der Fußwurzelknochen und des Femurs kommen kann. Bei den Größeren ist meist exzessiver Sport Ursache für Überlastungsfrakturen entweder im Bereich der proximalen Tibia oder der Metatarsalia.
⊡ Abb. 2.6. Metaphysäre Biegungsbrüche (Grünholzfrakturen).
15 2.1 · Frakturen
Seitenbandausrisse. Ossäre, chondrale oder periostale metaphysäre Seitenbandausrisse sind im Bereich des distalen Femurs selten einmal möglich (⊡ Abb. 2.7). Muskelausrisse. Vor allem im Bereich des Ellenbogens,
aber auch am Becken kommt es vornehmlich in der Jugend, einerseits hormonell bedingt, andererseits wegen des gesteigerten sportlichen Stresses zu Muskelausrissen mitsamt der Apophyse, an der sie ansetzen (Epicondylus ulnaris, Spina iliaca anterior inferior und superior, Trochanter minor usw.) (⊡ Abb. 2.8). Apophysenfugen weisen die gleiche morphologische Struktur auf wie Epiphysenfugen. Da sie funktionell anders belastet werden (Zugbelastung statt Druckbelastung), sind sie nicht am Längenwachstum der Knochen beteiligt.
2.1.3 Schaftbereich Grünholzfakturen. Typische Frakturen des Wachstumsalters sind Grünholzfrakturen, die am häufigsten im Bereich des Unterarmschafts vorkommen. Um es nochmals zu betonen: bei den Grünholzfrakturen handelt es sich stets um Biegungsbrüche (keine subperiostalen Stauchungsbrüche)! Das bedeutet, dass sie per definitionem stets eine mehr oder weniger ausgeprägte Achsabweichung aufweisen. Wir können drei wesentliche Formen voneinander unterscheiden: die klassische Grünholzfraktur, die gestauchte des Kleinkindalters und die gebogene, die Bowing Fracture (⊡ Abb. 2.9). Bei der klassischen Grünholzfraktur ist die eine Kortikalis (auf der Konkavseite der Achsabweichung) lediglich angebrochen, während die gegenseitige Kortikalis vollständig durchgebrochen ist. Belässt man diese Situation, so heilt die angebrochene Kortikalis, während auf der Gegenseite die frakturüberbrückende Kallusheilung verhindert wird: die prompt abgeheilte Kortikalis sperrt sozusagen die Heilung der anderen. Diese Situation birgt die Gefahr einer Refraktur in sich, die in 20–30% erwartet werden muss. Die gestauchte Grünholzfraktur kommt praktisch nur bis zum 5. Lebensjahr vor und birgt die eben geschilderte Problematik nicht, ebenso wenig wie die geboge-
⊡ Abb. 2.7. Metaphysäre Bandausrisse.
a
⊡ Abb. 2.8. Metaphysäre Muskelausrisse (Apophysenausrisse).
b
c
⊡ Abb. 2.9. Diaphysäre Biegungsbrüche (Grünholzfrakturen). a Gestauchte Grünholzfraktur, b klassische Grünholzfraktur, c Bowing Fracture.
2
16
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2
⊡ Abb. 2.10. Diaphysäre Schrägfrakturen und Trümmerbrüche.
⊡ Abb. 2.11. Diaphysäre Querfrakturen.
nen Grünholzfrakturen, die Bowing Fractures des späten Kindes- und Jugendalters. Hier liegt das Problem u.U. in der funktionshemmenden Achsabweichung, die beseitigt werden muss.
2.2
Schrägfakturen. Schrägfrakturen stellen, die isolierte Ti-
biafraktur ausgenommen, längsinstabile Frakturen dar, da eine stabile gegenseitige Verhakung der Fragmente fehlt. Wegen der großen Frakturfläche heilen sie schnell und brauchen damit fast die Hälfte der Konsolidationszeit von diaphysären Querfrakturen. Dazu gehören natürlich auch die Frakturen mit inkompletten oder kompletten Drehkeilen sowie Trümmerfrakturen (⊡ Abb. 2.10). Querfrakturen. Querfrakturen heilen wegen ihrer deutlich kleineren Frakturfläche wesentlich langsamer als Schrägfrakturen. Stehen die Fragmente aufeinander, so sind die Frakturen längsstabil (⊡ Abb. 2.11).
Luxationen
Luxationen lösen im Allgemeinen vollständig dislozierte metaphysäre Frakturen ab, sobald die Stabilität des Bandansatzes zu Lasten der Bandstabilität zugenommen hat (s. auch Bandläsionen), d.h. sie kommen gehäuft kurz vor der Ausreifung des betroffenen Skelettabschnitts vor.
2.2.1 Schulter
Schulterluxationen sind im Allgemeinen erst jenseits des 10./12. Lebensjahrs zu erwarten. Als Begleitverletzungen der ventralen Luxation können wie beim Erwachsenen Flake Fractures, direkte Schäden am Humeruskopf und ventrale Pfannenrandausrisse auftreten (⊡ Abb. 2.12).
17 2.2 · Luxationen
⊡ Abb. 2.13. Ellenbogenluxation.
⊡ Abb. 2.12. Schulterluxation.
2.2.2 Ellenbogen
Die Ellenbogenluxation tritt unterhalb des 8./9. Lebensjahrs kaum auf. Es handelt sich meist um eine dorsale Luxation. Als Begleitverletzung ist am häufigsten der Abriss des Epicondylus ulnaris zu beobachten, neben radialen Seitenbandausrissen und osteochondralen Flakes aus dem radialen Kondylus (⊡ Abb. 2.13). Eine der häufigsten übersehenen Verletzungen ist die Radiuskopfluxation, entweder isoliert oder im Rahmen von Monteggia-Läsionen. Zu diesen gehören nicht nur die klassische Monteggia-Fraktur, sondern sämtliche proximalen und mittleren Ulnafrakturen in Kombination mit Radiuskopfluxationen oder Luxationsfrakturen. Man muss an die Luxation denken, um sie zu diagnostizieren und man muss systematisch jedes Ellenbogenröntgenbild auf die korrekte Position des Radiuskopfes zum Capitulum humeri überprüfen (⊡ Abb. 2.14a, b). Die Pronation douloureuse Chassaignac stellt weder eine Luxation noch eine Subluxation dar. Es handelt sich lediglich um eine schmerzhafte Blockierung des Radiuskopfes in extremer Pronationsstellung, die durch einen raschen, gezielten Handgriff wieder gelöst werden kann.
a
b
c ⊡ Abb. 2.14. In sämtlichen Röntgenbildern des Ellenbogens muss der Radiuskopf auf das Capitulum humeri zentriert sein! a a.-p., normal, b seitlich, normal, c Monteggia-Läsion.
2
18
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2.2.3 Hüfte
2
Die seltenen traumatischen dorsalen Hüftluxationen sind stets Folge hoher Geschwindigkeitstraumen. Begleitverletzungen in Form von Flakes, Pfannenrandabrissen usw. sind daher leicht möglich.
2.2.4 Knie
Knieluxationen sind kaum traumatisch, sondern angeboren, wohingegen Patellaluxationen zu etwa einem Drittel posttraumatisch, zu zwei Dritteln habituell sind. Begleitverletzungen der traumatischen Patellaluxationen sind Flake Fractures im Bereich der Patella oder auch des lateralen Femurkondylus neben medialen Retinakulumausrissen.
3
Frakturklassifikationen im Kindesalter T. Slongo, L. Audigé, D. Schneidmüller und L. v. Laer
3.1
AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter – 20
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5
Knochen und Segment – 20 Fraktur-Subsegment-Code – 21 Kindercode – 21 Frakturschweregradcode – 22 Ausnahme- und Dislokationscode
3.2
Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter – 24
– 22
20
3
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
Die Einteilung von Verletzungen nach verschiedenen Klassifikationen ist eine notwendige Voraussetzung, um in multizentrischen Studien anhand einer großen Anzahl von Kranken eine Aussage z.B. über Aufwand und Ergebnisse unterschiedlicher Therapiemethoden oder die Prognose von bestimmten Verletzungen treffen zu können. Eine umfassende, spezifische Klassifikation für Frakturen der langen Röhrenknochen im Kindesalter wurde bisher noch nicht entwickelt, sodass meist die für Erwachsene gültige AO-Klassifikation auf das kindliche Skelett übertragen wurde. Aufgrund der Besonderheiten des kindlichen Skeletts ist dies jedoch nicht sinnvoll. Im Gegensatz zum Erwachsenen lässt sich aufgrund der Verletzung keine Hierarchie bezüglich des Schweregrads sowie kein therapeutischer Hinweis ableiten. Art und Ausmaß der Therapie sind nicht standardisiert und viel mehr abhängig vom Alter des Kindes sowie der Frakturlokalisation und -dislokation. Klassifikationen machen nur Sinn, wenn sie sich nach morphologischen Gesichtspunkten richten und in ein vernünftiges Dokumentationssystem eingebettet sind. Solche Dokumentationen sind auch für die Kindertraumatologie unerlässlich und stellen gleichzeitig die Grundlage für eine adäquate Qualitätssicherung dar. Es sollte selbstverständlich sein, dass wachsende Patienten mit Verletzungen des Bewegungsapparats kompetent nachkontrolliert werden. Eine Klassifikation sollte daher Teil einer Dokumentation sein, um für diesen Zweck sinnvoll genutzt werden zu können. Ziel einer kinderspezifischen Klassifikation und Dokumentation muss sein, über eine prospektive Datensammlung zu fundierten Therapieempfehlungen zu kommen. Diese könnten dann in erweiterte Klassifikationen integriert werden. Die Tatsache, dass der Wachstumsabschluss zur endgültigen Beurteilung abgewartet werden muss, und die Vielfalt der möglichen Verletzungen in den verschiedenen Altersstufen erlaubt derzeit noch keine Integration von klassifikationsorientierten Therapieempfehlungen im Kindesalter. Dies ist aber erklärtes Entwicklungsziel aller vorgestellten Fraktureinteilungen für die Zukunft. Im Folgenden werden die beiden aktuellen Frakturklassifikationen im Kindesalter für lange Röhrenknochen vorgestellt, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben.
3.1
AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
T. Slongo und L. Audigé Die vorliegende Klassifikation wurde von der AO Paediatric Expert Group (PAEG) in Zusammenarbeit mit der AO Investigation und Documentation (AOCID) sowie der International Working-Group for Paediatric Trau-
Diagnosis Location Bone 12 34
Segment 123
ru tf
Morphology Subsegment EMD
Pattern 1–9
Severity Humerus: I–IV .1 .2 Radius: I–III Femur: I–III
⊡ Abb. 3.1. Prinzip der Frakturklassifikation im Kindesalter.
matology (IAGKT) entwickelt. Sie wurde mit Hilfe des AO Classification Supervisory Committee einem strikten Validierungsprozess unterzogen. Sie gilt heute als weltweit anerkannte und auch durch die OTA (Orthopaedic and Trauma Association of North America) anerkannte Klassifikation. Die vorgeschlagene Klassifikation basiert auf der AO-Klassifikation von Müller für Erwachsene und berücksichtigt kinderspezifische Frakturbesonderheiten (⊡ Abb. 3.1). Die Beurteilung erfolgt anhand der konventionellen anterior-posterioren und lateralen Unfallbilder.
3.1.1 Knochen und Segment
Gemäß der AO-Klassifikation von Müller für Erwachsene werden die einzelnen Knochen durchnummeriert: 1=Humerus, 2=Radius/Ulna, 3= Femur, 4=Tibia/Fibula. Ausgenommen die Monteggia- und Galeazzi-Verletzung werden paarige Knochen mit gleichem Verletzungsmuster (Kindercode) durch einen Frakturcode klassifiziert, wobei die schwerwiegendere Fraktur angegeben wird. Ist nur ein Knochen betroffen, erfolgt ein entsprechender Zusatz (r, u, t, f) hinter dem Segmentcode (22u beschreibt z.B. eine isolierte Ulnaschaftfraktur). Sind beide Knochen mit unterschiedlichem Verletzungsmuster betroffen (z.B. komplette Radiusfraktur und Bowingfraktur der Ulna), muss jeder Knochen separat mit dem entsprechenden Buchstabenzusatz klassifiziert werden. Die Knochensegmente werden nach 1=proximal, 2=diaphysär und 3=distal unterschieden, wobei die Definition sich vom Erwachsenen unterscheidet. Die Metaphyse wird begrenzt durch ein Quadrat über der gesamten Länge der Epiphysenfugen (⊡ Abb. 3.2). Für die paarigen Knochen Ulna/Radius und Tibia/Fibula müssen dabei beide Epiphysenfugen in dieses Quadrat eingeschlossen werden. Somit können folgende drei Segmente unterschieden werden: ▬ Segment 1: proximale Epiphyse und Metaphyse (Quadrat), ▬ Segment 2: Diaphyse, ▬ Segment 3: distale Epiphyse und Metaphyse (Quadrat).
21 3.1 · AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
Epiphyse
proximal 1
E
Metaphyse M
Malleolarfrakturen bei Kindern werden als distale Tibiafrakturen klassifiziert (z.B. ist die mediale Malleolusfraktur eine typische Fraktur Salter-Harris III oder IV der distalen Tibia, klassifiziert als 43).
3.1.2 Fraktur-Subsegment-Code
Schaft 2
Diaphyse
D
Metaphyse M distal 3 Epiphyse
E
a
Die Schweregradeinteilung A-B-C der Erwachsenenklassifikation wurde durch eine Frakturklassifikation jeweils für Diaphyse (D), Metaphyse (M) sowie Epiphyse (E) ersetzt. Die häufigsten Verletzungen im Kindesalter sind die Schaftfrakturen (Segment 2) sowie die epi-/metaphysären Frakturen (Segment 1 und 3). Die Einteilung in E-M-D unterscheidet klar zwischen intra- und extraartikulären Frakturen, da epiphysäre Frakturen definitionsgemäß intraartikulär liegen. Metaphysäre Verletzungen werden durch Lage zu dem Quadrat identifiziert (das Zentrum der Fraktur muss dabei innerhalb des Quadrats liegen) (⊡ Abb. 3.10). Eine Ausnahme bildet das proximale Femur, bei dem die Metaphyse zwischen dem Femurkopf und der intertrochantären Linie liegt. Bei Anwendung dieser Quadratdefinition kann eine Fehlklassifikation durch nicht korrekte a.-p.-Aufnahmen bzw. durch Angulation des Knochens in der frontalen Ebene entstehen.
3.1.3 Kindercode
b ⊡ Abb. 3.2. a Die Metaphyse wird identifiziert durch ein Quadrat mit der Kantenlänge der weitesten Strecke der Epiphysenfugen in der a.-p. Röntgenaufnahme. Für paarige Knochen müssen beide Knochen eingeschlossen werden. b Eine transparente Vorlage mit Quadraten kann zur genaueren und zuverlässigeren Diagnose über das entsprechende Röntgenbild gelegt werden.
Spezielle kindliche Besonderheiten wurden in einen Kindercode übertragen. Sie sind spezifisch für die unterschiedlichen Fraktursubsegmente E, M, D und werden dementsprechend für jedes einzelne Fraktursubsegment klassifiziert. Bei den epiphysären Frakturen erhalten die Frakturen nach Salter und Harris entsprechend den Code E/1 bis E/4. E/5 bis E/9 bezeichnen andere kindliche Frakturen wie die Tillaux-Fraktur (E/5), die Triplane-Fraktur (E/6), die intraartikuläre Avulsionsfraktur (E/7), die »flake fracture« (E/8) und andere Frakturen, die unter E/9 zusammengefasst werden (⊡ Abb. 3.3). An der Metaphyse werden drei Frakturarten unterschieden: die Wulst-, Spiral- und Grünholzfraktur (M/2), die komplette Fraktur (M/3) und die metaphysäre osteoligamentäre, muskuloligamentäre Avulsion und einfache Avulsionsverletzungen (M/7) (⊡ Abb. 3.4), sowie die proximale, metaphysäre Ulnafraktur mit Dislokation des Radiuskopfes als M/6 (proximalste Monteggia-Verletzung). Der Kindercode für diaphysäre Frakturen (Segment 2) ist in ⊡ Abb. 3.5 dargestellt. Er umfasst Bowingfrakturen (D/1), Grünholzfrakturen (D/2), komplette Querfrakturen (Winkel <30°–D/4), komplette Schräg- und Spiral-
3
22
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
3
⊡ Abb. 3.3. Einteilung epiphysärer Frakturen.
frakturen (Winkel >30°–D/5), Monteggia-Verletzungen (D/6) und Galeazzi-Verletzungen (D/7). Ein 30°-Winkel sollte in den Röntgenbildern verwendet werden für eine zuverlässigere Klassifikation. D/9 fasst alle übrigen Frakturen zusammen, die keiner der genannten Kategorien zugeordnet werden können.
3.1.4 Frakturschweregradcode
Eine Unterteilung der Schweregrade ist notwendig im Hinblick auf die Indikation verschiedener Osteosynthesemethoden. Dieser Code unterscheidet zwischen einfachen Frakturen, Keilfrakturen (partiell instabile Frakturen mit drei Fragmenten einschließlich eines vollständig dislozierten Fragments) und komplexen Frakturen (vollständig instabile Frakturen mit mehr als drei Fragmenten).
3.1.5 Ausnahme- und Dislokationscode
Da nicht alle Kinderfrakturen nach o.g. Schema klassifiziert werden können wurden folgende zusätzliche Definitionen und Regeln aufgestellt: ▬ Apophysenfrakturen werden den metaphysären Frakturen zugerechnet. ▬ Übergangsfrakturen mit oder ohne metaphysären Keil zählen zu den epiphysären Frakturen. ▬ Intra- bzw. extraartikuläre knöcherne Bandausrisse werden den epiphysären bzw. metaphysären Frakturen zugeordnet. ▬ Suprakondyläre Humerusfrakturen (Code 13-M/3) werden zusätzlich nach dem Dislokationsausmaß in vier Grade (I–IV) nach von Laer eingeteilt: a) Typ I: stabile, inkomplette Fraktur, in streng seitlicher Ansicht schneidet die Roger’sche Linie das Capitellum radii. In der ap-Ansicht besteht ein varus/valgus Gap < 2 mm.
3
23 3.1 · AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
M/2 inkomplette Fraktur (Wulst oder Grünholz)
M/3 komplette Fraktur
M/6 metaphysäre Monteggia-Verletzung
M/7 metaphysäre Avulsionsverletzung
⊡ Abb. 3.4. Festlegung metaphysärer Frakturen (M).
D/1
D/2
D/4
D/5
D/6
D/7
⊡ Abb. 3.5. Einteilung diaphysärer Frakturen (D). D/1 Bowing-Fraktur; D/2 Grünholzfraktur; D/4 komplette Fraktur gerade, weniger als 30°; D/5 komplette Fraktur schräg, mehr als 30°; D/6 Monteggia Fraktur; D/7 Galiazzi Fraktur; D/9 andere Frakturen
24
3
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
b) Typ II: stabile, inkomplette Fraktur, in streng seitlicher Ansicht schneidet die Roger’sche Linie das Capitellum radii nicht mehr. c) Typ III: stabile, komplette Fraktur, noch mit Knochenkontakt der Frakturflächen unabhängig der Dislokationsebene. d) Typ IV: stabile, komplette Fraktur ohne jeglichen Knochenkontakt. ▬ Radiuskopffrakturen (21-M/2 oder /3; oder 21-E/1 oder /2) werden zusätzlich nach der axialen Abweichung und dem Ausmaß der Dislokation klassifiziert: keine Angulation und keine Dislokation (I), Angulation mit Dislokation weniger als eine halbe Schaftbreite (II) sowie Angulation mit Dislokation mehr als eine halbe Schaftbreite (III). ▬ Schenkelhalsfrakturen. Epiphysenlösungen ohne und mit metaphysärem Keil werden entsprechend den Subsegment-E-Frakturen nach Salter und Harris in E/1 und E/2 unterteilt. Frakturen des Schenkelhalses werden als metaphysäre Typ-M-Frakturen klassifiziert: transzervikal (I), basozervikal (II) und pertrochantär (III). Die intertrochantäre Linie begrenzt die Metaphyse.
▬ Aufgrund der therapeutischen Relevanz wird noch einmal extra zwischen Gelenkfrakturen (a=articular) und Schaftfrakturen (s=shaft/non-articular) unterschieden. Die Wachstumsfuge kann in zwei funktionell unterschiedliche Bereiche unterteilt werden, den epiphysären mit und den metaphysären ohne proliferative Potenz. Epiphysäre Frakturen zählen zu den Gelenkfrakturen, Epiphysenlösungen aufgrund fehlender Gelenkbeteiligung im weiteren Sinn zu den Schaftfrakturen. Damit ist die therapeutisch wichtige Unterteilung Schaft gegenüber Gelenk gewahrt. Gelenkfrakturen müssen anatomisch rekonstruiert werden, während bei Schaftfrakturen eine mögliche altersabhängige Spontankorrektur in das Therapiemanagement einfließt. Hierbei muss beachtet werden, dass die Spontankorrektur im Bereich der Diaphyse deutlich geringer ausfällt als in der Metaphyse.
Der vollständige Frakturcode setzt sich somit aus fünf bzw. sechs Codes zusammen, je nachdem ob ein Ausnahmecode angewendet wird. 1 3.2
Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
D. Schneidmüller und L. v. Laer Der gemeinnützige Verein Li-La e.V. hat zu diesem Zweck gemeinsam mit dem Institut für Evaluative Forschung in Orthopädischer Chirurgie der Universität Bern eine Dokumentation entwickelt und diese samt der dazugehörigen Klassifikation innerhalb einer multizentrischen Studie an 2308 Frakturen erprobt und validiert. Die Dokumentation sowie Klassifikation sind als Version 2.1 mit einem Online-Dokumentationssystem beim Institut für Evaluative Forschung in Bern sowie auf der Webseite von Li-La (www.li-la.org) einsehbar. ▬ Die erste Ziffer bezeichnet entsprechend der AOKlassifikation für den Erwachsenen den betroffenen Röhrenknochen (⊡ Abb. 3.6). ▬ Die zweite Ziffer differenziert das betroffene Knochensegment. Es wird zwischen proximal, Mitte und distal unterschieden, wobei im Schaft das Quadrat über der Epiphysenfuge des jeweiligen Knochens die Grenze nach distal und proximal (inklusive Metaphyse) markiert (⊡ Abb. 3.7).
2
3
4
⊡ Abb. 3.6. Bezeichnung des betroffenen Röhrenknochens.
25 3.2 · Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
2. Segment
1 proximal (Quadrat) inkl. Schenkelhals
2 Mitte
Quadrat von med. und lat. Epiphysenfugen ausgehend (ap Rx) 3 distal (Quadrat)
▬ Die vierte Ziffer beschreibt den eigentlichen Frakturtyp, jeweils für Gelenk- und Nichtgelenkfrakturen separat. So werden im Gelenkbereich epiphysäre und epi-metaphysäre Frakturen bei offenen Fugen und bei beginnendem Fugenschluss voneinander unterschieden. Alle Sonderformen wie osteochondrale Frakturen oder knöcherne Bandausrisse werden unter »others« subsumiert (⊡ Abb. 3.8). Am Schaft werden folgende Frakturtypen unterschieden: die Epiphysenlösungen, die metaphysären Grünholz- und Wulstfrakturen, die komplette metaphysäre Fraktur inkl. Quer-, Schräg- und Torsionsbrüche, die Grünholz- und Bowingfraktur im Schaftbereich, die komplette Fraktur des Schafts inkl. Quer-, Schräg- und Torsionsfrakturen sowie alle Mehrfragmentfrakturen. Hier bildet ebenfalls das Quadrat über der Epiphysenfuge die Grenze zwischen Schaft und Metaphyse. Sonderformen wie Band- und Apophysenausrisse werden unter »others« zusammengefasst (⊡ Abb. 3.9). ▬ Unterscheidung zwischen tolerabler und nicht tolerabler Dislokation im Hinblick auf das therapeutische Vorgehen (0=undisloziert, 1=tolerable Dislokation, 2=nicht tolerable Dislokation). ▬ Bei paarigen Knochen wird der haupttragende Knochen klassifiziert (Radius bzw. Tibia). Soll der paarige Knochen klassifiziert werden, erfolgt ein entsprechender Zusatz: F für Fibula bzw. U für Ulna (⊡ Abb. 3.10). ▬ Aufgrund der Frakturhäufigkeit und der speziellen anatomischen Gegebenheiten erfolgt eine separate Klassifikation der Gelenkfrakturen des distalen Humerus als einzige Ausnahme (⊡ Abb. 3.11). Übersicht der Li-La-Klassifikation s. ⊡ Abbildung 3.12, ⊡ Abbildung 3.13.
⊡ Abb. 3.7. Festlegung des Knochensegments.
1
2
3
4
epiphysäre Frakturen bei offenen Fugen (Slater-Harris III/Aitken II)
epi-metaphysäre Frakturen bei offenen Fugen (Slater-Harris IV/Aitken III)
epiphysäre Frakturen bei beginnendem Fugenschluss (Two-Plane Übergangsfraktur)
epi-metaphysäre Frakturen bei beginnendem Fugenschluss (Triplane I/II Übergangsfraktur)
⊡ Abb. 3.8. Epiphysäre Frakturen. 1 Fraktur Salter III, 2 Fraktur Salter IV, 3 Twoplane-Fraktur, 4 Triplane-Fraktur, 5 Andere.
3
26
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
1
3
⊡ Abb. 3.9. Schaftfrakturen. 1 Epiphysenlösungen (Salter I und II). 2 Metaphysäre Grünholz- und Wulstfrakturen, diaphysäre Grünholz-, Bowingfraktur. 3 Quer-, Schräg-, Torsionsfrakturen. 4 Alle Mehrfragmentfrakturen. 5 Andere.
⊡ Abb. 3.10. Bei paarigen Knochen wird der tragende Knochen (Radius oder Tibia) klassifiziert, ansonsten Fibula oder Ulna angegeben.
2
3
4
27 3.2 · Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
2
1
3
⊡ Abb. 3.11. Frakturen des distalen Humerus als Ausnahme. 1 Condylus radialis Fraktur. 2 Y-Fraktur. 3 Condylus ulnaris Fraktur.
LiLa Klassifikation Version 2
1. Stelle Lokalisation im Skelett: (1-4)
2. Stelle Lokalisation im Knochen (Segment): (1-3)
3. Stelle Morphologie: – Gelenk (a) – Schaft (s)
4. Stelle Spezifizierungen Morphologie: – Gelenk (1-5) – Schaft (1-5)
5. Stelle Dislokationsausmass: – undisloziert (0) – tolerabel (1) – nicht tolerabel (2)
– bei paarigen Knochen wird jeweils der haupttragende Knochen klassifiziert: Radius oder Tibia – soll der Gegenknochen klassifiziert werden, so wird an 6. Stelle das U bzw. das F eingefügt (siehe Gelenkfrakturen Olekranon) – die Metaphyse wird mit dem Quadrat über der zugehörigen Fuge definiert (Zirkelschlag von den Ecken der Epiphysenfuge aus)
Gelenkverletzungen, die statistisch nicht ins Gewicht fallen, werden an der jeweiligen Lokalisation mit 5= andere klassifiziert (proximaler Humerus, proximaler und distaler Radius, proximale und distale Ulna und proximales Femur) ⊡ Abb. 3.12. Übersicht über die Li-La-Klassifikation.
6. Stelle (Ausnahme) paariger Knochen nicht tragend – Ulna (U) – Fibula (F)
3
28
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
Gelenkfrakturen
3
1.1.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Flakes, Tuberkulumausrisse etc., werden unter andere (=5) subsumiert
proximaler Humerus
1.3.a.1-5.0-2. 1. Condylus radialis Fx 2. Y-Fx 3. Condylus ulnaris Fx 4. / (leer) 5. andere 2.1.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Übergangsfx, Meisel etc. beim Jugendlichen werden unter andere (=5) subsumiert
2
1
3
proximaler Radius
2.1.a.5.0-2.U: andere kaum Gelenkfx, artikuläre Olekranon Fx und Fx des Processus coronoideus werden unter andere (=5) subsumiert 2.3.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Übergangsfx etc. werden unter andere (=5) subsumiert
distaler Radius
3.1.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Flakes etc. werden unter andere (=5) subsumiert
proximales Femur
3.3.a.1-5.0-2. 1. epiphysäre (Salter III) Fx bei offenen Fugen 2. epi-metaphysäre (Salter IV) Fx bei offenen Fugen 3. epiphysäre (two plane) Fx bei beg. Fugenschluss 4. epi-metaphysäre (triplane) Fx bei beg. Fugenschluss 5. andere
1
4.1.a.1-5.0-2. 1. epiphysäre (Salter III) Fx bei offenen Fugen 2. epi-metaphysäre (Salter IV) Fx bei offenen Fugen 3. epiphysäre (two plane) Fx bei beg. Fugenschluss 4. epi-metaphysäre (triplane) Fx bei beg. Fugenschluss 5. andere
2
3
2
1
3
4
4
4.3.a.1-5.0-2. 1. epiphysäre (Salter III) Fx bei offenen Fugen 2. epi-metaphysäre (Salter IV) Fx bei offenen Fugen 3. epiphysäre (two plane) Fx bei beg. Fugenschluss 4. epi-metaphysäre (triplane) Fx bei beg. Fugenschluss 5. andere 1
⊡ Abb. 3.13. Übersicht über die Li-La-Klassifikation.
2
3
4
3
29 3.2 · Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
Schaftfrakturen 1.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
2
1
1
2.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
3.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
4.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
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3
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1
1
4
3
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4
3
3
4
4
4
Epidemiologie R. Kraus
4.1
Oberarm
– 33
4.2
Unterarm – 34
4.3
Oberschenkel
4.4
Unterschenkel – 34
4.5
Verletzungsschwerpunkte
– 34
– 34
32
4
Kapitel 4 · Epidemiologie
Zur fachgerechten Behandlung von Frakturen im Wachstumsalter gehören unabdingbar Kenntnisse über die Inzidenz solcher Verletzungen. Insbesondere die verschiedenen Altersgipfel bestimmter Verletzungen in Abhängigkeit von der somatischen und psychosozialen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen führen zu spannenden Erkenntnissen auf diesem Gebiet und helfen Frakturrisiken einzuschätzen und Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Verletzungen im Kindesalter machen zwischen 13 und 32% aller medizinisch erfassten und dokumentierten Verletzungen aus. Die Rate an knöchernen Verletzungen liegt bei 10–25%. Eine Analyse der einschlägigen Literatur ergibt, dass unter der Gesamtheit der Frakturen 88,6% die Extremitätenknochen und davon wiederum 62,7% die langen Röhrenknochen betreffen. Deren Anteil am Gesamtfrakturaufkommen liegt bei etwa 55,5%. Die restlichen 11,4% verteilen sich auf Frakturen am Körperstamm, unter denen Schlüsselbein- und Schädelfrakturen führend sind (⊡ Tab. 4.1). Das Gesamtfrakturrisiko, die Prävalenz, liegt im mitteleuropäisch-städtisch geprägten Umfeld bei 21–25 Frakturen auf 1000 Kinder pro Jahr. Das Risiko, bis zum Abschluss des Wachstumsalters eine Fraktur erlitten zu haben, wird derzeit auf 15–45% mit steigender Tendenz geschätzt. Die Altersverteilung aller Frakturen zeigt, dass bis zum 10. Lebensjahr die Verletzungshäufigkeit pro Lebensjahr leicht zunimmt, ab dem 11. Lebensjahr deutlich ansteigt und nach einem Gipfel um das 13. Lebensjahr wieder abfällt. Eine in verschiedensten Studien gleich bleibende Größe ist die Geschlechterverteilung der Frakturen im Wachstumsalter. Jungen erleiden 1,2- bis 1,6-mal häufiger Frakturen der langen Röhrenknochen als Mädchen.
Nachdem in den frühen Altersgruppen das Verhältnis noch nahezu ausgeglichen ist, steigt der Anteil der Jungen vor dem Gipfel der allgemeinen Altersverteilung um das 8. Lebensjahr überproportional an und bleibt bis zum Wachstumsende auf höherem Niveau. Als Ursache dafür darf im Wesentlichen die höhere Risikobereitschaft männlicher Jugendlicher in der Präpubertät und Pubertät angesehen werden (⊡ Abb. 4.1). Die folgenden Daten entstammen zwei von Li-La initiierten prospektiven Studien an insgesamt 1783 Frakturen der langen Röhrenknochen im Wachstumsalter, die in je einem Quartal 2003 (n=678) und 2005 (n=1105) an 16 kinder-, unfall- und allgemeinchirurgischen Abteilungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz behandelt wurden. Neben der Erhebung demographischer Daten wurde eine exakte Frakturklassifizierung nach der neu-
⊡ Abb. 4.1. Alters- und Geschlechtsverteilung über alle Fraktur- und Unfallgruppen (n=678).
⊡ Tab. 4.1. Verteilung der Verletzungslokalisationen in fünf Studien, welche die Gesamtheit der Frakturen im Kindes- und Jugendalter erfassen Verletzungslokalisation
(Brudvik 2003) n=1725
(Jonasch 1981) n=263166
(Jones 2002) n=498
(Landin 1983) n=8682
(Worlock 1986) n=923
Schädel
2,3%
2,8%
7,8%
1,8%
3,6%
Wirbelsäule
0,1%
0,3%
1,8%
0,9%
–
Knöcherner Thorax
–
0,1%
4,4%
–
0,7%
Becken
0,1%
0,2%
0,5%
–
Schulterblatt/Schlüsselbein
8,0%
8,9%
3,0%
8,1%
6,3%
Extremitäten davon lange Röhrenknochen Hand Fuß
89,5%
87,7%
80,8%
88,7%
89,0%
67,7% 21,2% 11,1%
65,1% 22,4% 12,1%
61,9% 25,3% 12,8%
60,4% 30,7% 8,9%
74,8% 16,5% 8,7%
Andere
–
0,4%
2,2%
–
0,4%
33 4.1 · Oberarm
esten Version der im Jahr 2000 erstmals durch von Laer und Mitarbeiter publizierten Klassifikation für Frakturen im Wachstumsalter vorgenommen. Der Unfalltyp wurde den Kategorien häuslicher Unfall, Spielplatz, Schule, Sport, Verkehr und andere Unfälle zugeordnet (Häufigkeitsverteilung ⊡ Abb. 4.2).
3,50%
10,60%
22% Schule Spielplatz Sport Verkehr zu Hause andere
20,50% 4,80%
38,70% ⊡ Abb. 4.2. Häufigkeitsverteilung der Unfallursachen (n=678). Andere sind Kindesmisshandlung, Fraktur ohne Unfallereignis (pathologische Fraktur), landwirtschaftlicher Unfall, unbekanntes Unfallereignis.
Knöcherne Verletzungen der oberen Extremität kommen 2- bis 3-mal häufiger vor als solche der unteren Extremität. Das Gros der Frakturen im Wachstumsalter mit 65% stellen metaphysäre Frakturen, während diaphysäre Frakturen mit 25% und epiphysäre Frakturen mit 10% deutlich seltener sind. Während bei metaphysären Frakturen die obere Extremität mit einer Rate von 8,5 zu 1 die untere Extremität dominiert, ist das Verhältnis bei dia- und epiphysären Verletzungen nahezu ausgeglichen. Die distale Meta- und Epiphyse ist am einzelnen langen Röhrenknochen 7- bzw. 14-mal häufiger betroffen als die jeweils proximale Meta- und Epiphyse. Schaftfrakturen finden sich am peripheren paarigen Röhrenknochen einer Extremität (Unterarm, Unterschenkel) fünfmal häufiger als am proximalen Röhrenknochen der gleichen Extremität (Oberarm, Oberschenkel). Diaphysäre Frakturen kommen tendenziell häufiger bei Kindern unter 10 Jahren vor, während die Altersverteilung der metaphysären Frakturen der Gesamtverteilung folgt und epiphysäre Verletzungen am Ende des Wachstumsalters stark zunehmen (⊡ Abb. 4.3). Die im Folgenden angeführten Prozentsätze der o.g. Studie spiegeln den Anteil an den hier ausschließlich behandelten Frakturen der langen Röhrenknochen wider (⊡ Abb. 4.4). In Klammern angegeben ist jeweils der extrapolierte Anteil am gesamten Frakturaufkommen im Wachstumsalter, die hier verwendete Klassifikation entspricht sowohl der Li-La- wie auch der AO-Klassifikation ( Kap. 3). Die Literaturangaben beziehen sich jeweils auf den Anteil an allen Frakturen bei Kindern und Jugendlichen.
4.1
⊡ Abb. 4.3. Altersverteilung epi-, meta- und diaphysärer Frakturen (n=678).
45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1.1
1.2
1.3
2.1
2.2
2.3
3.1
3.2
3.3
4.1
4.2
4.3
⊡ Abb. 4.4. Häufigkeitsverteilung der Frakturen im Wachstumsalter (n=678) unter Benutzung zweistelliger Codes der Li-La-Klassifikation.
Oberarm
Humerusfrakturen kommen in 20,8% der Frakturen langer Röhrenknochen im Wachstumsalter vor. Proximale Frakturen des Humerus (Code 1.1) mit 4,1% (2,3%) rekrutieren sich fast ausschließlich aus metaphysären, subkapitalen Verletzungen. Der Altersgipfel liegt bei 11–14 Jahren, Verletzungsursache sind überwiegend Sportverletzungen. Hier spielen insbesondere Reitunfälle eine Rolle. Oberarmschaftfrakturen (Code 1.2) sind mit 1,1% (0,6%) selten, in der Literatur finden sich Angaben zwischen 0,2 und 0,7% aller Frakturen. Ein eigentlicher Altersgipfel ist nicht erkennbar, die Häufigkeit nimmt jedoch mit zunehmendem Alter ab. Ebenso fehlt eine überwiegende Verletzungsursache. Distale Frakturen des Humerus (Code 1.3) sind dagegen mit 15,6% (8,6%) häufig und stellen damit die zweithäufigste Verletzungsgruppe. Die Literaturangaben schwanken zwischen 4,6 und 9,2%. Ellenbogennahe Humerusfrakturen kommen gehäuft bei Verletzungen im häuslichen Be-
4
34
Kapitel 4 · Epidemiologie
reich und auf Spielplätzen vor. Eine Sonderstellung nimmt die suprakondyläre Humerusfraktur ein. Hier ergibt sich ein eindeutiger Altersgipfel bei 3–6 Jahren. Er liegt eher niedriger, als bisher in der Literatur angenommen.
4.2
4
Unterarm
Unterarmfrakturen stellen in jeder Altersgruppe und bei jeder Verletzungsursache die zahlenmäßig größte Gruppe, insgesamt 55,4% aller Verletzungen. Proximale Unterarmfrakturen (Radiuskopf, -hals und Olekranon; Code 2.1) kommen in 3,8% (2,1%) vor. Eine bevorzugte Altersgruppe gibt es nicht. Unter den Verletzungsursachen finden sich zu gleichen Teilen häusliche, Spielplatz- und Sportunfälle, während Verkehrs- und Schulunfälle kaum vorkommen. Die Häufigkeit von Frakturen des Unterarmschafts (Code 2.2) wird in der Literatur extrem unterschiedlich eingeschätzt. Während manche Arbeitsgruppe diese mit 3,4 bzw. 6,5% eher niedrig ansetzt, liegt der Anteil bei anderen Autoren um 13%. Ursache dürfte eine unterschiedliche Zuordnung der überaus häufigen Frakturen im meta-/ diaphysären Übergangsbereich sein. In unseren Studien mit der Definition der Metaphyse als Quadrat über der Wachstumsfuge, wie sie von Hofmann von Kapherr vorgeschlagen wurde, betrug der Anteil von Unterarmschaftfrakturen 10,8% (5,9%). Unterarmschaftfrakturen kommen in jedem Verletzungszusammenhang und in jeder Altersgruppe nahezu gleich verteilt vor. Typische Frakturform ist die Grünholzfraktur, die 37,5% der Fälle ausmacht. Die größte Frakturgruppe stellt der distale Unterarm (Code 2.3) mit 40,8% (22,6%). Häufigkeitsunterschiede in der Literatur von 19,4–39% hängen möglicherweise mit den oben angeführten Abgrenzungsschwierigkeiten zum Unterarmschaft zusammen. Der Altersgipfel der distalen Unterarmfrakturen liegt im 13. und 14. Lebensjahr. Sie ereignen sich überdurchschnittlich häufig bei Sport- und Schulverletzungen, während die Inzidenz bei Verkehrsunfällen deutlich geringer ist.
4.3
Oberschenkel
Femurfrakturen kommen im gesamten Patientenkollektiv nicht häufig vor und nehmen nur 5,2% der Brüche langer Röhrenknochen bei Kindern und Jugendlichen ein. Frakturen des proximalen Oberschenkels (Code 3.1), zu denen traumatische Epiphysenlösungen genauso gezählt werden wie Oberschenkelhals- und intertrochantäre Frakturen, sind extrem selten und liegen bei 0,6% (0,3%), Landin fand unter 8682 Frakturen sogar nur 0,05% proximale Oberschenkelfrakturen. Statistisch abgesicherte Angaben zu einem Altersgipfel finden sich nicht.
Oberschenkelschaftfrakturen (Code 3.2) stellen im eigenen Patientenkollektiv 3,2% (1,7%) der Frakturen. Auch in der Literatur weisen homogene Angaben zwischen 1,0 und 1,6% die diaphysäre Femurfraktur als eher seltene Verletzung aus, was die Vielzahl der veröffentlichten Untersuchungen zur Behandlung von Oberschenkelschaftfrakturen nicht unbedingt vermuten lässt. Nur etwa 20% kommen jenseits des 10. Lebensjahrs vor, ein bevorzugter Verletzungstyp ist nicht erkennbar. Distale Femurfrakturen (Code 3.3.) fanden sich in 1,4% (0,7%), sämtliche Literaturangaben lassen eine Gesamthäufigkeit von unter 1% vermuten. Der Altersverlauf ist zweigipflig mit einer Betonung unter dem 6. und über dem 13. Lebensjahr.
4.4
Unterschenkel
Der Anteil von Tibia- und Fibulafrakturen liegt bei 18,5% der untersuchten Frakturen der langen Röhrenknochen. Frakturen des proximalen Unterschenkels (Code 4.1) kommen in 2,0% (1,1%) der Fälle vor. Die Angaben in der Literatur liegen auch hier etwas niedriger, meist unter 1%. Typischerweise finden sich metaphysäre Biegungsbrüche im Vorschulalter sowie Eminentia-Ausrisse und Frakturen der Tuberositas tibiae zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr. Eine bevorzugte Verletzungsursache kann nicht benannt werden. Unterschenkelschaftfrakturen (Code 4.2) lassen im eigenen Patientenkollektiv keinen signifikanten Altersgipfel erkennen und machen 7,2% (4,0%) der Verletzungen aus. Die Literaturübersicht ergibt ebenfalls Werte um 5%. Statistiken aus dem alpinen Raum, insbesondere älteren Datums, weisen zum Teil dreifach höhere Prozentsätze aus, wohl in Zusammenhang mit noch nicht entwickeltem Skischuhwerk und einer daraus folgenden erhöhten Gefahr einer Unterschenkelschaftfraktur. Erheblich homogener erscheint die Einschätzung distaler Unterschenkel- und Sprunggelenkverletzungen (Code 4.3) mit 3,5–6,6%. Die zitierte Studie (Li-La) kommt hier auf 9,3% (5,1%), davon 10,8% Übergangsfrakturen. Distale Unterschenkelfrakturen haben einen eindeutigen Altersgipfel nach dem 12. Lebensjahr. Sowohl Unterschenkelschaft- als auch sprunggelenknahe Frakturen weisen einen Verletzungsschwerpunkt im Straßenverkehr auf.
4.5
Verletzungsschwerpunkte
Statistisch signifikante Verletzungsschwerpunkte finden sich in drei Konstellationen. Ein erster Schwerpunkt liegt bei Klein- und Vorschulkindern bei distalen Oberarmfrakturen, resultierend aus häuslichen oder Spielplatz-
35 4.5 · Verletzungsschwerpunkte
⊡ Tab. 4.2. Statistisch relevante Verletzungsschwerpunkte nach Frakturlokalisation und Unfalltyp in der Li-La-Studie 2003 (n=678) Zweistelliger Frakturcode
Unfallzusammenhang
Anteil am Gesamtaufkommen
1.3
Häuslich+Spielplatz
61,2%
2.3
Sport
57,7%
4.2 und 4.3
Verkehr
71,4%
unfällen. Bei adoleszenten, selbstständigen Verkehrsteilnehmern häufen sich Unterschenkelschaft- und distale Unterschenkelfrakturen mit dem höchsten Aufkommen an Übergangsfrakturen. Der dritte Schwerpunkt liegt auf sportbedingten distalen Unterarmfrakturen in allen Altersklassen (⊡ Tab. 4.2). Die Synopse der Ergebnisse zu Häufigkeit der Frakturtypen, Altersgipfel und Verteilung der Unfallursachen unterstreicht, dass Frakturen der langen Röhrenknochen bei Kindern und Adoleszenten in Abhängigkeit von deren altersspezifischen Aktivitäten geschehen. Jede Überlegung zur vorbeugenden Aufklärung und Verletzungsprophylaxe muss diesen Grundsatz einbeziehen. Maßnahmen zur Unfallverhütung müssen insbesondere im Sport- und Freizeitbereich sich immer ändernden Gegebenheiten, wie z.B. aktuellen Trendsportarten, angepasst werden. Außerdem belegen Langzeitstudien, dass die allgemeine Zunahme von Frakturen im Wachstumsalter zur Hälfte auf die Zunahme von Sportunfällen zurückzuführen ist.
Signifikanzniveau im Chi-Quadrat-Test: p<0,001
4
5
Radiologische Diagnostik Th.J. Vogl, A. Wetter und D. Schneidmüller
5.1
Radiologische Techniken – 38
5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5
Radiographie (klassisches Röntgen) – 38 Sonographie – 38 Computertomographie (CT) – 38 Magnetresonanztomographie (MRT) – 38 Weitere Verfahren – 39
5.2
Entwicklung des kindlichen Skeletts – 39
5.3
Diagnostische Hinweise – 42
5.4
Besondere kindliche Frakturformen – 44
5.4.1 5.4.2
Wirbelsäulenfrakturen – 45 Pathologische Frakturen – 47
38
5
Kapitel 5 · Radiologische Diagnostik
Die bildgebende Diagnostik kindlicher Frakturen stellt besondere Anforderungen sowohl an den Radiologen als auch an die technische Ausstattung der radiologischen Abteilung. Der Radiologe muss mit den Besonderheiten des sich entwickelnden Skeletts vertraut sein und die typischen Verletzungen und Verletzungsmechanismen kennen. Weiterhin müssen insbesondere bei Kindern aus strahlenhygienischen Gründen die Indikationen zur radiologischen Diagnostik streng gestellt und alle Möglichkeiten der Dosisreduktion ausgenutzt werden. Die Indikation zur Röntgendiagnostik sollte sich aus der klinischen Untersuchung ergeben, wobei prinzipiell bei Kindern die gleichen radiologischen Techniken und Einstellungen wie beim Erwachsenen angewendet werden. Die Auswahl des radiologischen Verfahrens und die Größe des Aufnahmebereichs sollten sich jedoch nach dem Alter des Kindes sowie der konkreten klinischen Fragestellung richten. Sollte bei einer ersten Röntgenübersichtsaufnahme bereits eine eindeutige, operationspflichtige Fraktur oder Luxation erkennbar sein, ist auf eine weitere möglicherweise schmerzhafte Röntgendiagnostik zu verzichten, da man diese in Narkose nachholen kann. Bei unklaren Befunden ist zu erwägen, ob neben der Ruhigstellung in einer Schiene auch die medikamentöse Schmerzbehandlung optimiert werden kann, bevor die Diagnostik vollständig durchgeführt ist. In Einzelfällen und bei Ausschluss einer groben Dislokation oder Fehlstellung kann die dezidierte Röntgendiagnostik auch postprimär im Lauf der nächsten Tage bei gesicherter Ruhigstellung und regelrechten klinischen Befunden ergänzt werden. In seltenen Fällen (z.B. MRT, CT) ist eine Sedierung notwendig, wobei dann die Indikation zur Untersuchung streng gestellt werden muss. Auf spezielle diagnostische Verfahren und Kriterien wird in den entsprechenden Kapiteln gesondert hingewiesen.
5.1
Radiologische Techniken
5.1.1 Radiographie (klassisches Röntgen)
Als Standardaufnahme wird prinzipiell die anterior-posteriore (a.-p.) sowie die möglichst exakte seitliche Einstellung gewählt. Die Röntgenaufnahme erfolgt prinzipiell mit dem/den angrenzenden Gelenk(en), sodass komplette osteochondrale Einheiten abgebildet werden. Zur exakten Beurteilung einer Fraktur sollten verletzungszentrierte Aufnahmen durchgeführt werden und keine »Übersichtsaufnahmen in zwei Ebenen«. In Einzelfällen werden Schrägaufnahmen, etwa zur Bestimmung des Dislokationsausmaßes notwendig (z.B. zur Diagnostik des distalen Humerus oder der Malleolengabel). Nicht-Standard-Projektionen können bei fraktur- oder schmerzbedingten Fehlhaltungen erforderlich sein. Die Häufigkeit der radiologischen Kontrollen richtet sich nach der spe-
zifischen Verletzung ( spezielle Kapitel). In der Regel wird jedoch nach primärem Frakturnachweis eine Dokumentation der erfolgten Reposition oder Osteosynthese sowie eine abschließende Konsolidationskontrolle durchgeführt. Bei Frakturen, die zur sekundären Dislokation neigen (z.B. Condylus-radialis-Fraktur), können gezielte Verlaufskontrollen notwendig werden. Stabil versorgte und stabil eingestauchte Frakturen bedürfen keiner zusätzlichen Röntgenkontrolle.
5.1.2 Sonographie
Die Sonographie eignet sich gut zur Beurteilung von Weichteilverletzungen, Sehnen- und Bandverletzungen sowie von Gelenkergüssen. Eine hohe Sensitivität erreicht die Sonographie außerdem bei der Diagnostik von Sternumfrakturen sowie von Rippenfrakturen. Frakturen können sowohl direkt als auch indirekt durch Nachweis von subperiostalen Hämatomen oder eines posttraumatischen Hämarthros identifiziert werden. Im Säuglingsalter lassen sich Verletzungen der noch nicht ossifizierten Epiphyse durch ihre Lagebeziehung zur Metaphyse und durch Nachweis eines Gelenkergusses diagnostizieren. Vorteil der Sonographie ist die Möglichkeit einer dynamischen Untersuchung in Kombination mit klinischer Funktionsdiagnostik sowie die Möglichkeit der ultraschallgesteuerten Punktion.
5.1.3 Computertomographie (CT)
Die Computertomographie wird im Rahmen der Diagnostik beim polytraumatisierten Kind sowie bei komplizierten Frakturen und zur Operationsplanung angewendet. Im Vordergrund stehen hier die Kalkaneus-, Becken- und Wirbelfrakturen. Zur Operationsplanung und in der Traumadiagnostik eignet sich insbesondere die Mehrschicht-CT (MSCT) aufgrund der kurzen Untersuchungszeit, der Möglichkeiten der dreidimensionalen Rekonstruktion sowie der Anwendung von Niedrigdosisprogrammen.
5.1.4 Magnetresonanztomographie (MRT)
Die MRT ermöglicht die Darstellung von nicht ossifizierten Anteilen des Skeletts wie Epiphysen, Wachstumsfugen, Knorpel sowie Weichteilen wie Bänder, Sehnen und Muskulatur. In der Traumatologie liegt ihr Schwerpunkt in der Diagnostik von Wirbelsäulenverletzungen sowie von okkulten Frakturen. Sie wird zudem zur Erfassung von posttraumatischen Komplikationen von Gelenk-, Epiphysen- und Fugenverletzungen eingesetzt
39 5.2 · Entwicklung des kindlichen Skeletts
(z.B. chondraler Flake oder vorzeitiger Fugenverschluss). In der Diagnostik von Gelenkverletzungen kann sie bei unklarem Röntgenbefund insbesondere am Kniegelenk und oberen Sprunggelenk eine Hilfe sein. Am Ellenbogengelenk dagegen liefert sie selten Zusatzinformationen mit therapeutischer Relevanz. Ermüdungsbrüche können in der MRT sicher von Knochentumoren unterschieden werden, mit denen sie konventionell-radiologisch aufgrund der periostalen Reaktion verwechselt werden können. Neben den genannten Vorteilen ist die MRT nicht strahlenbelastend. Die Indikation zur MRT muss jedoch bei dem im Vergleich doch aufwendigen Verfahren, der Kostenintensität und der bei Kleinkindern häufig notwendigen Sedierung bei relativ langer Untersuchungszeit sorgfältig gestellt werden.
5.1.5 Weitere Verfahren
Andere Verfahren wie Skelettszintigraphie, Angiographie oder Arthrographie kommen in der Routinediagnostik nicht zur Anwendung und stehen nur für seltene und besondere Fragestellungen zur Verfügung. Gehaltene Aufnahmen als Stressaufnahmen beispielsweise zur Diagnostik einer fibularen Bandruptur sind heute in der Regel nicht mehr indiziert. Die Notwendigkeit von vergleichenden Röntgenaufnahmen der Gegenseite in der Diagnostik von Frakturen im Kindesalter wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Bei guter Kenntnis der Röntgenanatomie des Kindes sind Vergleichsaufnahmen mit der Gegenseite zur Frakturdiagnostik nicht notwendig. Es gibt nur wenige Ausnahmeindikationen, wie angeborene Deformitäten und frühere Verletzungen, die die Röntgendiagnostik der Gegenseite erfordern.
5.2
Entwicklung des kindlichen Skeletts
Die Kenntnis des zeitlichen Verlaufs des Epiphysenfugenschlusses sowie die Entwicklung der Knochenkerne ist für die Diagnostik unerlässlich und kann zur Knochenalterbestimmung herangezogen werden (⊡ Tab. 5.1, ⊡ Tab. 5.2; ⊡ Abb. 5.1, ⊡ Abb. 5.2). Beim reifen Neugeborenen sind zwei Epiphysen sichtbar, die des distalen Femurs und der proximalen Tibia. Im Wachstum bilden sich altersabhängig die weiteren Ossifikationszentren. Apophysenkerne treten im Adoleszentenalter auf und verschmelzen mit dem Knochen bis zum 25. Lebensjahr. Die Beckenkammapophyse verschmilzt beim Mädchen um das 13. Lebensjahr, beim Jungen etwas später, mit ca. 14,5 Jahren. Die Fuge der Grundphalanx DII der Hand verschließt sich kurz vor Eintritt der Menarche. Das Wachstum der Wirbelkörper kann dagegen bis zum 30. Lebensjahr anhalten.
⊡ Tab. 5.1. Ossifikationszentren des Ellenbogens und Alter des Auftretens Capitulum humeri
1 Jahr
Radiuskopf
5 Jahre
Epicondylus medialis
7 Jahre
Olekranon
10 Jahre
Epicondylus lateralis
11 Jahre
⊡ Tab. 5.2. Ossifikationszeitpunkte der Handwurzelknochen Os capitatum
3 Monate
Os hamatum
3 Monate
Os triquetrum
3 Jahre
Os lunatum
3–4 Jahre
Os trapezium
5 Jahre
Os scaphoideum
6 Jahre
Os trapezoideum
6 Jahre
Os pisiforme
10 Jahre
⊡ Tab. 5.3. Risser-Zeichen Stadium 0
Apophyse noch nicht sichtbar
Stadium 1
Beginn der lateralseitigen Ossifikation
Stadium 2
Ossifikation über die Hälfte der Zirkumferenz des Beckenkamms
Stadium 3
Beginnende Verschmelzung der Apophyse mit dem Beckenkamm
Stadium 4
Apophyse ist über die Hälfte mit dem Os ilium verschmolzen
Stadium 5
Apophyse ist mit dem Os ilium verschmolzen
Die Bestimmung der Skelettreife ist wichtig bei der Wahl der Therapiemethode und hilft beim Abschätzen der Prognose einer Verletzung. Verbreitet ist die Bestimmung des Knochenalters über Röntgenaufnahmen der Hand, die mit standardisierten Bildern in Röntgenatlanten verglichen werden. Zusätzlich kann das Stadium der Verknöcherung der Wirbelringapophysen (⊡ Abb. 5.3a–c) sowie der Beckenkammapophyse (Risser-Zeichen; ⊡ Tab. 5.3; ⊡ Abb. 5.4a, b) herangezogen werden.
5
40
Kapitel 5 · Radiologische Diagnostik
13.- 15. Lj. 18.- 20. Lj. 15.- 18. Lj. 12.- 15. Lm.
1. Lj. 10. Lm.
15.- 16. Lj. 10.- 12. Lj.
2.- 3. Lj. 2.- 4. Lj.
10.- 13. Lj.
3. Lj.
18. Lj. 18.- 19. Lj.
16. Lj.
16. Lj. 11.- 14. Lj.
5
13.- 15. Lj. 15.- 18 Lj. 10. Lm.
4. Lj.
8.- 13. Lj. 1. Lj.
12.- 14. Lj.
5. Lj. 12. Lj. 8.- 12. Lj.
5.- 7. Lj. 9. Em.
2. Lj. 8.- 16. Lm. 10.- 12. Lj. 3.- 6. Lj. 4.- 6. Lj.
5.- 8. Lj. 2.- 6. Lj. 8.- 12. Lj. 2.- 3. Lj. 1. Lj.
7. Em. 10. Em. 1. Lj.
2. Lj.
5.- 6. Em. 4. Lj. 3. Lj. 4. Lj.
a
b
⊡ Abb. 5.1. Auftreten der Ossifikationszentren (nach Lanz, T. v., Wachsmuth, W., Praktische Anatomie, 2004, Springer, Berlin-Heidelberg)
5
41 5.2 · Entwicklung des kindlichen Skeletts
21.- 24. Lj. 18.- 19. Lj.
18.- 21. Lj.
19. Lj.
16.- 22. Lj. 20.- 21. Lj.
16.- 20. Lj.
20.- 25. Lj.
16.- 17. Lj. 13.- 14. Lj.
16.- 20. Lj.
20. Lj.
17.- 18. Lj. 16.- 17. Lj. 21.- 24. Lj.
17.- 18. Lj
19.- 21. Lj. 13.- 15. Lj.
14.- 16. Lj.
14.- 18. Lj. 13.- 17. Lj. 19.- 20. Lj.
14.- 18. Lj.
17.- 19. Lj.
21.- 25. Lj.
17.- 19. Lj.
20.- 24. Lj.
15.- 20. Lj. 15.- 20. Lj. 20.- 24. Lj.
a
15.- 20. Lj.
b
⊡ Abb. 5.2. Vollständiger Verschluss der Wachstumsfugen. Der Beginn des Fugenschlusses ist reife- und geschlechtsabhängig (nach Lanz, T. v., Wachsmuth, W., Praktische Anatomie, 2004, Springer, Berlin-Heidelberg).
42
Kapitel 5 · Radiologische Diagnostik
Beim Wachstum können die Ossifikationszentren verschiedene anatomische Variationen aufweisen, die von pathologischen Befunden unterschieden werden müssen. Sie können in mehrere Kerne unterteilt sein, unregelmäßig begrenzt oder fragmentiert sein. Zudem treten physiologische Normvarianten auf, die teilweise bei Skelettdysplasien ebenfalls gehäuft zu finden sind.
a
b
die ringförmige Wirbelapophyse bildet sich aus
die Wirbelringapophyse ist vollständig ausgebildet, aber noch nicht verschmolzen Skelettreife
c
die Ringapophyse des Wirbels ist mit dem Wirbel körper verschmolzen ( : 19 Jahre; : 16 Jahre)
Risser I
Risser III
Diagnostische Hinweise
Häufig werden im primären Röntgenbild nicht erkennbare Frakturen erst im Verlauf durch eine periostale Kallusreaktion und Verdichtung des Frakturverlaufs sichtbar. Diese »okkulten« Frakturen sind prinzipiell in der MRT zu sehen. Die Durchführung der MRT zur Darstellung okkulter Frakturen bringt jedoch keinen therapeutischen Nutzen, da diese Frakturen und bereits der Verdacht einer Fraktur ausnahmslos konservativ durch Ruhigstellung behandelt werden. Osteochondrale oder chondrale Frakturen oder Flakes können hingegen beim Kind mit der MRT diagnostiziert werden. Besondere Bedeutung hat hier die MRT des Kniegelenks gewonnen, da hierdurch rein diagnostische Arthroskopien reduziert werden können und die Operationsplanung optimiert werden kann. Harris-Linie (⊡ Abb. 5.5). Sie ist eine röntgendichte Linie
⊡ Abb. 5.3. Bestimmung der Skelettreife anhand der Verknöcherung der Wirbelkörperapophyse. a Die ringförmige Apophyse bildet sich aus. b Die ringförmige Apophyse ist vollständig ausgebildet, jedoch noch nicht mit dem Wirbelkörper verschmolzen. c Vollständige Skelettreife; die Ringapophyse ist mit dem Wirbelkörper verschmolzen (M: 19 Lj.; F: 16 Lj.).
a
Pseudoepiphyse. Sie findet sich physiologischerweise an den proximalen Mittelhandknochen II–IV und am distalen Mittelhandknochen I sowie gehäuft bei Skelettdysplasien.
5.3
unvollständige Skelettreife
5
Zapfenepiphyse. Sie ist in ca. 4% des normalen Handskeletts anzutreffen, tritt jedoch gehäuft bei Chromosomenanomalien und Skelettdysplasien auf.
im Bereich der Metaphyse, die parallel zur Wachstumsfuge verläuft. Sie wird meist als Folge systemischer Erkrankungen, wie einer viralen oder bakteriellen Infektion, gebildet. Sie kann bei der Diagnose von partiellen Wachstumsstörungen helfen, da es zu einer »Achsabweichung« der Linien kommt, d.h. die Fuge nicht mehr parallel zur Linie verläuft.
Risser V
b
⊡ Abb. 5.4. Risser-Zeichen. Die Skelettreife wird anhand der Entwicklung der Beckenkammapophyse beurteilt. a Schema, b Röntgenbild Risser II.
43 5.3 · Diagnostische Hinweise
»Fat-Pad«-Zeichen (⊡ Abb. 5.6). Das sog. Fettpolsterzei-
chen ist ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel, indem es einen Gelenkerguss anzeigt. Normalerweise liegt im Bereich des Ellenbogens das hintere Fettpolster in der Fossa olecrani und ist im physiologischen Röntgenbild nicht sichtbar. Das vordere
Fettpolster liegt in der Fossa coronoidea und der Fossa radialis und kann im normalen Röntgenbild als ventraler schmaler Saum am Humerus zu sehen sein. Durch Dehnung der Gelenkkapsel bei einem Gelenkerguss werden die Fettpolster nach vorne bzw. hinten verdrängt und damit im Röntgen sichtbar. Das Fat-Pad-Zeichen ist häufig vergesellschaftet mit einer Fraktur des distalen Humerus, allerdings muss nicht jede Fraktur ein positives Fad-PadZeichen aufweisen. Battered Child. Folgende radiologische Besonderheiten
⊡ Abb. 5.5. Harris-Linie.
können Hinweise auf eine Kindesmisshandlung geben: ▬ multiple Frakturen unterschiedlichen Alters mit ausgeprägter Kallusbildung; ▬ seltene Frakturen im Kindesalter wie Rippen-, Skapula-, Sternum-, Dornfortsatzfrakturen; ▬ periostale Knochenreaktion als Folge eines subperiostalen Hämatoms; ▬ metaphysäre Kantenabsprengungen (Corner-Sign) als Folge eines Rotationstraumas. Durch Zug der Gelenkkapsel kommt es zu metaphysären Abrissfrakturen mit gleichzeitiger Epiphysenlösung. Sie sind als unscharfe Metaphysenkonturen vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern zu sehen (⊡ Abb. 5.7). Bei Verdacht auf ein Battered-Child-Syndrom sollte ein vollständiger Röntgenstatus in einer Ebene durchgeführt werden, um weitere Verletzungen auszuschließen.
a
b ⊡ Abb. 5.6. »Fat-Pad«-Zeichen. a Schematisch, b Röntgenbeispiel.
⊡ Abb. 5.7. Metaphysäre Kantenabsprengungen (Corner-Sign).
5
44
Kapitel 5 · Radiologische Diagnostik
Besondere kindliche Frakturformen
Biegungsbruch (plastische Fraktur oder Bowing Fracture). Keine erkennbare Frakturlinie. Multiple Mik-
Das Skelett des Kindes weist Besonderheiten auf, deren Kenntnis für die richtige radiologische Diagnose von fundamentaler Bedeutung ist. So besitzt der kindliche Knochen Epiphysenfugen, eine breitere Kortikalis sowie eine hohe Elastizität und damit die Fähigkeit einer reversiblen Verformung. Das kindliche Periost hat einen höheren Fettgehalt sowie eine größere Vaskularisation und ist dicker als das erwachsene Periost. Beim Trauma bleibt es oft intakt (Grünholzfraktur). Im Folgenden sind die speziellen Frakturformen im Kindesalter kurz aufgeführt. Eine ausführliche Erklärung findet sich im Kap. 1.
rofrakturen der konvexen Seite führen zur Verbiegung und werden nur indirekt am Verlauf und der klinischen Beschwerdesymptomatik erkannt.
5.4
5
Chondrale und osteochondrale Frakturen (Flake Fractures). Bei Kindern überwiegen chondrale Frakturen;
häufigste Lokalisationen sind das obere Sprunggelenk und das Kniegelenk einschließlich Patella. Im Röntgenbild ergeben sich oft nur Hinweise auf eine Fraktur. Diagnosesicherung beispielsweise im Rahmen einer diagnostischen Arthroskopie oder im MRT (⊡ Abb. 5.10).
Wulstfraktur (Buckle Fracture). Typische wulstartige
Stauchungsfraktur, vorwiegend an der distalen Radiusmetaphyse. Der Periostschlauch ist intakt (⊡ Abb. 5.8). Grünholzfraktur. Subperiostaler Bruch mit Achsenknick. Eine insuffiziente Behandlung kann durch asymmetrische Kallusbildung zu bleibender Deformität oder zur Verstärkung der Fehlstellung führen (⊡ Abb. 5.9).
⊡ Abb. 5.9. Grünholzfraktur.
⊡ Abb. 5.8. Wulstfraktur.
⊡ Abb. 5.10. Chondrale und osteochondrale Fraktur (Flake Fracture) des Kniegelenks.
45 5.4 · Besondere kindliche Frakturformen
Apophysenausrisse und epiphysäre Bandausrisse. Sie
treten im Rahmen von Verdrehtraumen auf und haben in der Regel keinen Einfluss auf das Knochenwachstum. Die Kenntnis der Apophysen und Knochenkerne ist wesentlich (⊡ Abb. 5.11). Toddler’s Fracture. Diese Frakturform tritt typischerweise beim Kleinkind auf, das gerade gehen lernt, und bezeichnet schräg oder spiralförmig verlaufende Frakturen der Tibia (⊡ Abb. 5.12).
⊡ Abb. 5.11. Apophysenausriss der Spina iliaca anterior inferior rechts.
⊡ Abb. 5.12. Toddler’s fracture. Spiralig verlaufende Tibiafraktur bei einem 2-jährigen Jungen. Typischerweise tritt diese Fraktur bei Kindern auf, die gerade das Laufen erlernt haben.
5.4.1 Wirbelsäulenfrakturen
Wirbelsäulenfrakturen im Kindesalter sind selten. Die am häufigsten betroffene Region ist dabei die Brustwirbelsäule, gefolgt von der Lendenwirbelsäule; schwerwiegende Verletzungen können an der Halswirbelsäule bei adäquatem Trauma entstehen. Diagnostische Probleme bereiten die Besonderheiten des sich entwickelnden Achsenskeletts, wie beispielsweise das apikale Ossifikationszentrum des Dens sowie die sekundären Ossifikationszentren der Quer- und Dornfortsätze. Am Atlas verknöchert der hintere Ring um das 4. Lebensjahr und im Alter von 7–10 Jahren kommt es zur kompletten Fusion. Die hinteren Bögen des Axis verknöchern im Alter von 2–3 Jahren, im Alter von 7 Jahren kommt es zur Fusion mit dem Axiskörper. Die Fusion des Os terminale des Dens mit dem Denskörper erfolgt mit 11–12 Jahren. Weiterhin besteht eine größere Elastizität der kindlichen Wirbelsäule. Diese führt beim Kind bis zum 8. Lebensjahr zu einer physiologischen Ventralversetzung zwischen C2 und C3 bzw. C3 und C4 mit dem Bild der Pseudoluxation. Dabei bleibt jedoch das Alignement der spinolaminären Linie erhalten. Hilfreich sind hier gedachte Linien entlang der vorderen und hinteren Wirbelkörper, entlang der Facettengelenke sowie entlang der Dornfortsätze, die eine Beurteilung des Wirbelsäulenalignements vereinfachen (⊡ Abb. 5.13). Auch bei der Wirbelsäule können in Analogie zu den Extremitäten Verletzungen der Wachstumszonen auftreten, die sich z.B. in einer Lösung der Wirbelkörperdeckplatte von der Wachstumszone äußern können. Die erste diagnostische Maßnahme ist die konventionelle Radiographie. Neben der anteroposterioren sowie lateralen Projektion für Wirbelkörper und prävertebrale Weichteile kommen Schrägaufnahmen für die Facettengelenke sowie Funktionsaufnahmen, transorale Aufnahmen und konventionelle Tomographien (Dens) sowie Spezialprojektionen (z.B. Schwimmeraufnahme für den zervikothorakalen Übergang) zum Einsatz. Aus praktikablen Gründen sollte jedoch frühzeitig und zielgerichtet die Computertomographie eingesetzt werden. Die Mehrschicht-CT erlaubt eine mehrdimensionale Rekonstruktion der frakturierten Wirbelsäulenabschnitte und erleichtert dadurch die Diagnostik und Operationsplanung (⊡ Abb. 5.14). Hinsichtlich Sensitivität und Spezifität ist die CT bei der Abklärung kindlicher Wirbelsäulenfrakturen der konventionellen Röntgendiagnostik deutlich überlegen. Bei jedoch erhöhter Strahlenbelastung durch die CT muss eine strenge Indikationsstellung gewährleistet sein. Bei fehlenden Nativ-radiologischen Zeichen einer Wirbelkörperfraktur und erheblichen Beschwerden hat sich zwischenzeitlich die MRT als Diagnostikum etabliert, mit der vor allem okkulte Wirbelkörperfrakturen – bone bruise – erkannt werden können. Die MRT erlaubt außerdem eine genaue Diagnostik von Rückenmark-, Bandscheiben- und liga-
5
46
Kapitel 5 · Radiologische Diagnostik
2,5-3mm bei Erwachsenen, 3-4mm bei Kindern
Weichteilschatten max. 2 mm
5
⊡ Abb. 5.13. a Schematische Darstellung einer HWS mit gedachten Hilfslinien zur Beurteilung des Wirbelsäulenalignements. Der Abstand zwischen Dens und Atlasring kann beim Kind bis zu 4 mm betragen. b Pseudoluxation bei einem 4-Jährigen.
Weichteilschatten max. 22 mm
a
spinolaminäre Linie hintere Wirbelkörperlinie vordere Wirbelkörperlinie
a
b
⊡ Abb. 5.14. a Koronare und b sagittale Rekonstruktion einer LWK 1-Kompressions-/Trümmerfraktur mit Hinterkantenbeteiligung. Das dorsale Fragment engt den Spinalkanal ein. c Axiale Schichtung auf Höhe der LWK 1-Trümmerfraktur.
c
b
47 5.4 · Besondere kindliche Frakturformen
mentären Verletzungen. Insbesondere kann bei weiter bestehender Symptomatik ohne nachgewiesene knöcherne Verletzung eine MRT zum Nachweis einer diskoligamentären Verletzung oder eines Weichteilschadens erforderlich sein ( Kap. 24).
5.4.2 Pathologische Frakturen
Pathologische Frakturen treten prinzipiell nach inadäquatem Trauma bei systemisch oder lokal vorgeschädigtem Knochen auf. Die häufigsten Ursachen für pathologische Frakturen im Kindesalter sind juvenile Knochenzysten, die fibröse Dysplasie und Ermüdungsbrüche, die nach großer körperlicher Anstrengung im Bereich von Tibia, Metatarsale und Kalkaneus auftreten können. Juvenile Knochenzysten haben ihre Hauptlokalisation in den proximalen Metaphysenabschnitten von Femur, Tibia und Humerus (⊡ Abb. 5.15). Im Nativröntgenbild imponieren sie als scharf begrenzte Aufhellung mit randbildender Sklerosierung. Wichtigste Differenzialdiagnose ist die aneurysmatische Knochenzyste, die schnell progredient
⊡ Abb. 5.15. Pathologische Fraktur der lateralen Wand einer juvenilen Knochenzyste des proximalen Humerus bei einem 8-jährigen Mädchen.
wächst, exzentrisch lokalisiert ist und häufig mit Schmerzen einhergeht. Benigne fibröse Veränderungen sind meist asymptomatische Veränderungen, die in den ersten beiden Lebensdekaden bei 30% aller Normalpersonen zu finden sind. Fibröse Kortikalisdefekte sind strahlentransparent, meist mit einem schmalen Sklerosesaum versehen und liegen kortikalisnah im Bereich der Metaphyse langer Röhrenknochen. Greifen sie auf die Markhöhle über, so spicht man vom nicht ossifizierenden Fibrom. Die fibröse Dysplasie (Jaffé-Lichtenstein-Syndrom) geht mit einem Ersatz des Knochenmarks durch Bindegewebe einher und tritt in einer monoostotischen Form (meistens) und einer polyostotischen Form auf. Am häufigsten betroffen sind die langen Röhrenknochen Femur und Tibia, der Gesichtsschädel sowie Rippen und Becken. Röntgenologisch zeigen sich Auftreibungen der platten Knochen sowie zystenähnliche Ausweitungen der langen Röhrenknochen (hauptsächlich diaphysär) mit unterschiedlicher Transparenz (typischerweise milchglasartig). Weitere Ursachen pathologischer Frakturen sind verschiedene Stoffwechselerkrankungen, auf die hier nicht weiter eingegangen wird ( Kap. 25).
5
6
Behandlungsprinzipien A.M. Worel und T. Slongo
6.1
Konservative Therapiemöglichkeiten
6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4
Grundlagen – 50 Konservative Frakturbehandlung – 55 Technische Besonderheiten – 56 Konsolidation – 60
6.2
Operative Therapiemöglichkeiten
6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
Reposition – 61 Osteosyntheseverfahren – 63 Andere Techniken – 74 Metallentfernung – 74
– 50
– 61
50
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
6.1
Konservative Therapiemöglichkeiten
A.M. Worel
6
Nichtinvasive Therapieverfahren stellen noch immer die häufigste Behandlungsart im Wachstumsalter dar. Die differenzierte Kenntnis der Ziele, Arten, Indikationen, Möglichkeiten und Grenzen sowie der Materialien und der praktischen Anwendung ist essenzielle Voraussetzung jeder kindgerechten Vorgehensweise. Hierbei sind Aufwand der Behandlung für Patienten und Behandelnden (Anwendung, Kontrollen), Risiken und eventuelle Verfahrenswechsel zu beachten und individuell zu berücksichtigen. Neben den im engeren Sinn frakturbezogenen Kriterien (Lokalisation, Gelenkbeteiligung, Stabilität, Fugenbeteiligung) müssen ebenso die biologischen und psychosozialen Kriterien (Alter, Geschlecht, Fugenreife, familiäre Ressourcen, logistische und fachliche Kompetenz der Versorger sowie Kostenaspekte) berücksichtigt werden. Prinzipiell sollten bei jeder Fraktur im Wachstumsalter alle indizierten Therapieverfahren beherrscht und im Einzelfall evaluiert werden. Die jeweilige Methode der Wahl kann man letztlich nur individuell und in offenem Gespräch mit Patient und Eltern finden. Frakturbehandlungen, die primär oder postprimär eine Anästhesie erfordern, sollten definitiv sein; weitere Interventionen (Nachreposition, Verfahrenswechsel) sind zu vermeiden, da sie häufiger zu Komplikationen, Wachstumsstörungen, rezidivierender Traumatsierung des Patienten und anderen unerwünschten Ereignissen führen. Hier ist das Resultat besonders kritisch hinsichtlich Stabilität, Kontrollbedürftigkeit und Wahrscheinlichkeit weiterer Interventionen unter Anästhesie zu beurteilen, bevor man sich zu einer konservativen Immobilisation entschließt. Ziele jeder Frakturbehandlung sind stets: ▬ Schmerzminimierung, ▬ Stabilisierung der Fraktur, ▬ geringe/kurz dauernde Funktionseinschränkung, ▬ definitive Therapie, ▬ geringer Aufwand, ▬ rasche Heilung, ▬ Vermeiden von Wachstumsstörungen.
Angesichts der Tatsache, dass für viele Patienten und Eltern die Angst vor und die Schwelle zur Anästhesie höher ist als vor einer chirurgischen Intervention, muss die Evaluation einer konservativen Behandlung stets mit in die Therapieentscheidung einbezogen werden. Leider liegen bisher kaum entsprechend fundierte und nicht mit methodischen Problemen behaftete Daten vor. Es ist zentrale Aufgabe einer systematischen Dokumentation, hierfür die erforderlichen Informationen bereitzustellen. Prinzipielle Indikationen zur konservativen Behandlung sind: ▬ stabile Frakturen: Grünholzfraktur, metaphysäre Wulst-/Stauchungsfraktur, wenig dislozierte Frakturen Salter I und II der distalen Metaphysen, undislozierte Gelenkfrakturen mit Frakturspalt ≤2 mm; ▬ instabile Frakturen: nach Reposition und bei hinreichender Stabilität oder sofern sie durch Redression in stabile Frakturen überführt werden können (Grünholzfrakturen).
6.1.1 Grundlagen
Die breiten klinischen Erfahrungen über die frakturstabilisierende Wirkung von Gipsverbänden und ihre differenzierte Applikation sind nur vereinzelt durch experimentelle Untersuchungen belegt. Die Grundlagen der konservativen Therapie wurden bisher kaum systematisch erforscht, die vorhandenen Erkenntnisse, z.B. über die fördernde Wirkung umschriebener interfragmentärer Bewegungen auf Kallusbildung und Frakturstabilität sind meist indirekt abzuleitende »Abfallprodukte« bei der (kostenintensiven) Forschung für Osteosynthesematerialien. Die beiden Hauptformen der konservativen Therapie sind die passive Retention und die aktive Redression.
Retention Die einfache Retention bezieht in der Regel die benachbarten Gelenke mit ein. Ihr Hauptziel ist die Schmerzbehandlung, in zweiter Linie auch die Verringerung eines eventuellen Dislokationsrisikos. Sie reduziert in erster Linie die »falsche Beweglichkeit«.
⊡ Tab. 6.1. Fragen, deren gewissenhafte Beachtung eine optimale Frakturversorgung garantiert Fraktur
Biologisch
Sozial
Aufwand
Nutzen für
Dislokation?
Alter?
familiäre Situation?
für Patient?
Patient?
Gelenkbeteiligung/-nähe?
Fugenreife?
fachliche Kompetenz?
für Behandenden?
Behandelnden?
Fugenbeteiligung?
Geschlecht?
Ressourcen/Kosten?
Risiken?
Kostenträger?
51 6.1 · Konservative Therapiemöglichkeiten
»Gips« Die bei weitem häufigste Form der Retention ist die Gipsruhigstellung, primär mittels Schienen, die mindestens unilateral, öfter semizirkulär (⅔-Schiene), meist aber zirkulär angelegt werden. Die zirkulären sind zur Vermeidung des Kompartmentsyndroms stets primär und vollständig zu spalten einschließlich der letzten Faser des Polstermaterials. Dislokationsgefährdete Frakturen bedürfen der radiologischen Stellungskontrolle mit der Möglichkeit zum Verfahrenswechsel nach spätestens 8–10 Tagen. Der traditionelle Weißgips wird zunehmend aus seinem Haupteinsatzgebiet verdrängt durch bei Luftzufuhr härtende Kunststoffmaterialien mit spezifischen Eigenschaften (semirigide oder -elastische bzw. rigide, farbig, wasserabweisend, leicht, röntgendurchlässig). Meist sind nichtmedizinische Kriterien (Reinhaltungsaufwand, Logistik usw.) treibende Kräfte. Für den erfahrenen Gipser bietet der Weißgips breitere Möglichkeiten der individuellen Anpassung beim Anmodellieren, Korrigieren und insbesondere bei der Gipskeilung (Redression, s.u.). Letztere ist allerdings bei Beachtung entsprechender Kautelen durchaus auch mit Kunststoffmaterialien möglich. Jedoch kann hier das Fehlen des »Memory-Effektes« während des Abbindens kann bei Nichtbeachtung den Keilungserfolg verhindern: Der zirkulär angelegte und mit Longuetten verstärkte feuchte Weißgips behält treu während des Abbindens die anmodellierte Form, der entsprechend angelegte Kunststoff dagegen »federt« während des Aushärtens in die Idealform eines Rohrs mit rundem Querschnitt zurück. In die entstehenden und durch die posttraumatische Abschwellung zunehmenden Hohlräume zwischen Kunststoff-»Gips« und Haut wird dann vergeblich oder mit unzureichendem Ergebnis gekeilt, wenn der Kunststoff nicht in der Abbindephase durch den Gipsenden anmodelliert und in der gewünschten Form gehalten wurde. Der Begriff »Gips« wird entsprechend dem üblichen Sprachgebrauch im Folgenden für beide Formen verwendet, mit Präzisierung in Einzelfällen.
⊡ Abb. 6.1. Gilchrist-Verband. Desault- und Velpeau- Verbände basieren auf dem gleichen Immobilisationsprinzip, allerdings in Form einer den Thorax mit einfassenden Weste oder Bandage (⊡ Abb. 6.2).
Bandagen: Gilchrist, Desault, Velpeau Thoraxnahe Immobilisation des Oberarms durch einen darüber gestreiften langen Schlauch, der etwa in der Mitte ein Loch hat, durch das der Arm eingeführt wird, und ein zweites auf Höhe des Handgelenks, das die Hand freilässt. Das distale Schlauchende wird nun dorsal um den Thorax gelegt, dann um den distalen Oberarm geschlungen und mittels Sicherheitsnadel befestigt. Das proximale Ende wird hinter dem Nacken ventral auf der gesunden Seite hinuntergeführt, um das Handgelenk der Frakturseite geschlungen und ebenfalls mittels Sicherheitsnadel befestigt (⊡ Abb. 6.1, ⊡ Abb. 6.2). Dadurch kann der Oberarm unter ausreichender Schmerzreduktion immobilisiert werden, sodass die Patienten nach einigen Tagen keine Analgetika mehr benötigen. Hier sind marktgängige konfektionierte
⊡ Abb. 6.2. Individuell angepasster Desault-Verband.
Materialien häufig zu groß oder zu klein, sie können aber leichter adaptiert werden und sind weniger riskant als beim Rucksackverband (s.u.). Indikationen: Epiphysenlösung proximaler Humerus, subkapitale Humerusfraktur, Humerusschaftfraktur.
Redression Die nichtinvasive Redression ist die gezielte, bei Therapiebeginn zu planende und elektiv durchzuführende aktive Behandlung zur Korrektur bzw. Vorbeugung nicht
6
52
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
tolerierbarer Achsenfehlstellungen und erfordert keine Anästhesie. Sie wird bei Diagnosestellung als kontinuierlich-dynamisches bzw. zweizeitig korrigierendes Verfahren geplant und mit dem Patienten und den Eltern vorbesprochen. Sie ist nicht geeignet als Verlegenheitslösung. Ihre Hauptformen sind Gipskeilung und Extension.
Gipskeilung
6
Die Gipskeilung ermöglicht die Korrektur von Achsenfehlstellungen in der Frontal- und Sagittalebene bzw. deren Vermeidung als sog. prophylaktische Keilung. Ihre Domäne sind die angulierten sowie die Grünholzfrakturen des Unterarm- und Unterschenkelschafts sowie die distalen metaphysären Frakturen dieser beiden Gruppen, insbesondere die monoossären Frakturen der paarigen Extremitäten. Indikation Im Wesentlichen die Tibiaschaftfraktur und die distale Unterarmfraktur mit Fehlstellung. Die Indikation zur Keilung wird bei der Erstversorgung gestellt und als nicht-invasiver Elektiv-Eingriff geplant. Sie ermöglicht eine aktive Stellungskorrektur ohne Anästhesie, indem die plastische Deformierbarkeit des noch bindegewebigen Fixationskallus ausgenutzt wird. Aus der dadurch gegebenen relativen Stabilität folgt eine erheblich geringere Schmerzhaftigkeit, die Manipulationen unter Kooperation des wachen Patienten ermöglicht. Schlüssel zu einer erfolgreichen Keilung sind die korrekte Indikationsstellung und eine gute Kommunikation mit dem Patienten und seinen Eltern. Kommunikation Sie beginnt am Unfalltag mit der Aufklärung über die Diagnose, die geplante Redression und über mögliche Alternativen (von der Retention bis zur Reposition bzw. Durchbrechung unter Anästhesie) und deren Konsequenzen (⊡ Tab. 6.2). Nach kurzer Schilderung des Vorgehens bei der Keilung (wacher Patient, ohne Anästhesie) werden die Therapieziele und das Vorgehen bei ausbleibendem Keilungserfolg besprochen (Abwarten des natürlichen Heilungsverlaufs oder definitive Frakturversorgung in Anästhesie als Elektiveingriff am gleichen oder nächsten Tag).
⊡ Tab. 6.2. Zeitliche Planung der Gipskeilung Indikation und Planung
Unfalltag/Erstversorgung
Ruhigstellung
Tag 1
Gipsschluss
Tag 8 (4–8)
Keilung
Tag 8–10
Redression
> Tag 8
Gipsabnahme
bei Konsolidation Tag 28
Unverzichtbare Informationen
1. Aufklärung und Schilderung des Vorgehens bei der Keilung 2. Festlegen der Therapieziele: a) Schmerzfreiheit: kurzfristig b) Funktion wiederherstellen: mittelfristig c) Kosmetik – restitutio ad integrum: langfristig 3. Alternativen, Probleme, Optionen Technik primär Der zur Keilung vorgesehene Gips wird angelegt, nachdem der Bereich der Fraktur und die drei Abstützpunkte proximale und distale Konkavitätsgipfel und konvexes Hypomochlion (⊡ Abb. 6.3) mit einer Lage Polsterwatte abgedeckt wurden. In üblicher Weise erfolgt die Anlage des zirkulären Gipses, wobei die zur Keilung bestimmte Seite der Frakturkonkavität doppelt so stark sein muss wie die konvexe Seite (4 und 2 Lagen rigider Kunststoff-Binde statt 3 und 3, bzw. 2 und 1 Lagen Gipslonguetten statt 1 und 1). Bis zum Abschluss des Abbindevorgangs muss auf den Abstützpunkt über dem distalen Fragment modellierender Druck knapp unterhalb der Schmerzgrenze ausgeübt werden, um eine Keilung in die Polsterung hinein zu vermeiden. Zum Abschluss erfolgt die Gipsspaltung auf der Seite der Hauptfraktur, am Unterschenkel ventral paramedian. Technik der Keilung Der Zeitpunkt der Keilung sollte um den 8. Tag herum gewählt werden, da sich bis dahin bereits ein Fixationskallus gebildet hat und die initiale Schwellung weitgehend zurückgegangen ist. Zunächst wird der bis dahin gespaltene Gips geschlossen und nach dem Abbinden (bei Weißgips evtl. am Folgetag!) anhand der Unfallbilder bzw. unter Bildverstärker die Keilungsebene markiert und der Gips in der Konkavität semizirkulär (auf ca. ⅔ der Zirkumferenz) durchtrennt. Der Keil sollte dabei in den tiefsten Punkt der Konkavität (beachte kombinierte Fehlstellungen in mehreren Ebenen) eingebracht werden. Je weiter peripher die Fraktur, desto weiter proximal muss die Keilungsstelle liegen, um den Hebelarm zu verbessern. Mittels Gipsspreizer oder durch Biegen der gegipsten Extremität proximal und distal der Fraktur erfolgt langsam die Redression unter Beobachtung des Patienten. Bei den ersten Beschwerden wird etwas gewartet, ggf. ein wenig zurückgefahren, bis der Patient Beschwerdefreiheit signalisiert. Dies wird so lange wiederholt, bis die gewünschte Stellung erreicht ist. Falls der Patient dabei persistierende Beschwerden angibt, muss der Abstand beider Keilungsränder wieder etwas verringert werden. Über einigen zusätzlich eingebrachten Lagen Polsterwatte wird ein passend zurechtgeschnittenes Kork- oder Holzstückchen eingelegt und durch die
53 6.1 · Konservative Therapiemöglichkeiten
⊡ Abb. 6.3. Gipskeilung. Der Keil muss immer in den tiefsten Punkt der Konkavität eingebracht werden. Beachte kombinierte Fehlstellungen in mehreren Ebenen. Um die angestrebte Hebelwirkung zu erzielen, muss der Keil um so weiter proximal platziert werden, je weiter distal die Fraktur liegt.
Keilungsränder der rigiden Kunststoff- oder WeißgipsLonguette eingeklemmt. Nach BV-Dokumentation des Resultats wird die Keilungsstelle mittels rigider Kunststoff- oder Weißgipsbinde zirkulär verschlossen. Hierbei ist ein Absinken des Kork- oder Holzkeils in oder unter den Gips mit der Folge von Drucknekrosen peinlichst zu vermeiden. Nach 24 Stunden erfolgt eine Gipskontrolle. Klagt der Patient bis dahin über Beschwerden ohne Einnahme von Schmerzmitteln, kann der Gips ggf. in zwei Halbschalen gespalten und provisorisch mittels elastischer Binde fixiert werden, die daheim sukzessive nachgespannt und nach einigen Tagen durch eine semirigide Kunststoffbinde ersetzt werden kann. Komplikationen Beim Keilen besteht die Gefahr der Druckulkusbildung auf der Gegenseite der Keilung. Bei Schmerzen muss an dieser Stelle der Gips gefenstert und nachgepolstert werden. Ist der Patient beschwerdefrei, wird der Gips wieder zirkulär verschlossen. Mit dieser (anästhesiefreien) Vorgehensweise kann die einzige Komplikation dieser Technik, die Bildung von Druckusuren durch die Keilung, zuverlässig vermieden werden. Sekundärdislokationen sind kaum zu befürchten, da die Verfestigung des Fixationskallus durch die Redression nicht unterbrochen und somit die Frakturkonsolidation nicht verzögert wird.
Extension Lediglich die Pflasterextension erfüllt das Hauptkriterium der konservativen Behandlung, die Nichtinvasivität. Sie entstammt der präosteosynthetischen Ära und hat insbesondere bei Frakturen von Femur und Tibia eine lange Tradition als Verfahren der Wahl, bevor Kriterien wie kindgerechte Behandlung, Hospitalismusvermeidung und Kosteneffizienz für klinische Entscheidungen an Bedeutung gewannen. Sie bedeutet nicht zwingend Hospitalisation, wenn wie in Skandinavien Vorrichtungen zur Heimextension vorhanden und die entsprechende Instruktion gewährleistet ist. Insbesondere vor dem 4. Lebensjahr gilt sie mancherorts noch als Methode der Wahl, deren Dauer durch einen Becken-Bein-Gips ggf. abgekürzt werden kann (⊡ Abb. 6.4). Sie kann ferner die Zeit bis zu einer definitiven Frakturversorgung überbrücken. Neben den fehlenden Risiken eines invasiven Vorgehens ist ein weiterer Vorteil der geringe (Kosten-)Aufwand. Nachteile sind die lang dauernde hochgradige Immobilisation und die damit verbundene Deprivation des Patienten von seinem sozialen Umfeld sowie die eingeschränkte bzw. strahlenintensive Überprüfbarkeit des Behandlungsverlaufs. Im Kontext eines kindgerechten und patientenzentrierten Therapiekonzepts sollte sie zwar gekannt und beherrscht werden, aber lediglich als Überbrückungsund Rückzugsreserve, nur in besonderen Fällen auch als Behandlungsalternative eingesetzt werden.
6
54
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
Der Hanging-Cast (Oberarmgips mit axialem Zusatzgewicht am Ellenbogen) ist als eine Art Extension zwar eine Redression, erscheint jedoch aufgrund der Instabilität (Fraktur meist über oder nahe dem Gipsrand), der Hebelwirkung im Liegen und seines hohen Gewichts wenig geeignet und nicht kindgerecht.
6
Rucksackverband Der Rucksackverband (⊡ Abb. 6.5) reduziert die Beweglichkeit der Schultern und dadurch die Schmerzen einer frischen Klavikulafraktur, indem die Schultern etwas nach dorsal gezogen werden. Mancher betrachtet ihn daher als dynamische Frakturbehandlung zur Korrektur der Fragmentstellung. Dies ist jedoch aufgrund der dreidimensionalen Scherwirkungen auf das Schlüsselbein allenfalls theoretisch denkbar, in der Praxis bedarf es für eine solche Wirkung eines kräftigen Zugs mit Schmerzen in der Fraktur und schnürender Wirkung in der Axilla mit den entsprechenden Folgen für Zirkulation, Sensibilität und Motorik. Nach praktischer Prüfung etlicher konfektionierter Produkte, die bei Kindern meist zu klein oder zu groß ausfallen und trotz richtiger Anwendung zu axillären Dekubitalulzera führen, ziehen wir den individuell binnen Minuten hergestellten und angepassten Gazeschlauchverband vor, der in der Mitte auf ⅔ seiner Gesamtlänge mit Watte gepolstert, hinter dem Nacken und unter den Achseln geführt und zwischen den Schulterblättern zu einer 8er-Form gebunden wird, sodass er leicht nachgespannt werden kann.
Blount-Schlinge (Cuff’n Collar) (⊡ Abb. 6.6)
⊡ Abb. 6.4. Overhead-Extension.
⊡ Abb. 6.5. Rucksackverband mit gepolstertem Schlauch.
Bei nicht oder nur in einer Ebene in die Antekurvation dislozierten suprakondylären Humerusfrakturen kann der Zug der Trizepssehne zur Stabilisierung bzw. dynamischen Redression der Fraktur ausgenutzt werden, indem der Ellenbogen im Verlauf mehrerer Tage sukzessive in die maximal tolerierte und schwellungsbedingt mögliche Spitzwinkelstellung gebracht wird. Durch die ansteigende Zuggurtungswirkung wird bei abnehmender Schwellung die Fraktur immobilisiert und redressiert. Am Unfalltag,
⊡ Abb. 6.6. Blount-Schlinge, Cuff’n Collar.
55 6.1 · Konservative Therapiemöglichkeiten
spätestens um den 4. Tag, wird eine gepolsterte Handgelenkschlinge (wattegepolsterter Gazeschlauch) an eine ebensolche um den Nacken gelegte Schlinge gehängt und täglich bis zur gerade noch tolerierten Spitzwinkelbildung nachgezogen, bis das Handgelenk dicht am Jugulum ist und die Hand praktisch auf der gegenseitigen Schulter zu liegen kommt. Vorteile sind neben der zuverlässigen Stellungskorrektur die bessere Mobilität und einfachere Körperpflege als mit einem Oberarmgips. Es bedarf allerdings eines Minimums an Compliance durch Patient und Eltern, da die initiale Unsicherheit in gute Kooperation mit täglichem Nachspannen in den ersten 5–7 Tagen verwandelt werden muss. Dies gelingt zuverlässig, wenn man beiden das Verfahren, am besten bei der Kontrolle am 4. Tag, in Ruhe erklärt und sie als Mitarbeiter gewinnt. Bei schmerzlosem Verlauf ohne interkurrente Stürze ist bei korrekter Indikation eine Röntgenkontrolle erst zur Überprüfung der Konsolidation erforderlich.
überbrückt. Durch die kontinuierliche Anpassung dieses »Brace« an den abschwellenden Muskulaturmantel wird dessen schienende Wirkung unterstützt. Durch eine frühfunktionelle Mobilisierung werden die anatomischen Beziehungen erhalten bzw. wiederhergestellt. Den minimalen Scherbewegungen wird eine fördernde Wirkung auf die Kallusbildung zugeschrieben.
Tape Das Konzept der konservativen frühfunktionellen Behandlung fibulotalarer Bandläsionen einschließlich Ruptur hat sich vielfach bewährt und die fibulotalare Bandnaht als Primärtherapie abgelöst. Zahlreiche Techniken und konfektionierte Materialien konkurrieren auf diesem Markt. Sie basieren alle auf dem Prinzip, während der Heilungsphase der ersten 6 Wochen durch eine funktionelle Führung des oberen Sprunggelenks die tibiotalare Abrollbewegung zu ermöglichen und den fibulotalaren Stress der Supinationsbewegung zu verhindern.
Sarmiento-Brace Die funktionelle Frakturbehandlung nach Sarmiento ist streng genommen eher eine aktive Immobilisation als eine Redression. Sie ist indiziert bei mäßig dislozierten diaphysären Humerus-, Tibia- und kompletten Unterschenkelfrakturen und besteht in der anatomisch exakten Anpassung einer primär gespaltenen und mit Klettverschlüssen adaptierbaren zirkulären Schiene, welche die benachbarten Gelenke einfasst, aber nicht rigide
6.1.2 Konservative Frakturbehandlung (⊡ Tab. 6.3 Indikationen, ⊡ Tab. 6.4 Vor- und Nachteile)
Röntgenkontrollen Die Indikation zur Röntgenuntersuchung als einem invasiven Diagnoseinstrument sollte eng gestellt werden und einer kritischen Überlegung folgen. Das bedeutet, dass
⊡ Tab. 6.3. Indikationen und Behandlungsmöglichkeiten für Retention und Redression Art
Form
Indikationen
Retention (passiv)
Bandage Desault/Velpeau, Gilchrist Schiene zirkulärer Gips
proximale (evtl. diaphysäre) Humerusfraktur alle Lokalisationen undislozierte stabile Frakturen
Redression (aktiv dynamisch)
Gipskeilung Bandage Rucksack Schlinge (Blount) (Pflaster-)Extension Sarmiento-Brace Tape
isolierte Tibiaschaftfraktur distale Unterarmfraktur Klavikulafraktur suprakondyläre Humerusfraktur I (evtl. II) dislozierte Femurfraktur beim Kleinkind <4. Lj. diaphysäre Humerusfraktur, US-Frakturen fibulotalare Läsion
⊡ Tab. 6.4. Vor- und Nachteile von Gips und Kunststoff Vorteile
Nachteile
Weißgips
Anmodellierbarkeit Korrigierbar Redression einfacher Rückstände leichter entfernbar bemalbar
Gewicht hoch Reinigungsaufwand
Kunststoff
Gewicht gering Röntgendurchlässig farbig
Redressionsaufwand Rückstandsentfernung
6
56
6
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
vor ihrer Durchführung die möglichen und zu erwartenden Resultate (sekundäre Dislokation, Konsolidation usw.) rational antizipiert und die eventuellen klinischen Konsequenzen im Voraus bedacht und mit dem Patienten und seinen Angehörigen erörtert werden. Neugier, Unsicherheit und mangelnde Kenntnisse sind keine rationalen Indikationen für Röntgenkontrollen! Hier muss der Arzt seine Verpflichtung, nicht zu schaden, stets im Bewusstsein haben und den Strahlenschutz des besonders empfindlichen wachsenden Organismus rigoros durchsetzen (Beschränkung der Aufnahmen, konsequenter Schutz von Thymus, Schilddrüse, Knochenmark und Gonaden). Es mehren sich Hinweise für ernst zu nehmende Folgen diagnostischer Röntgenstrahlung. Unter dem Aspekt des unbestrittenen Summationseffekts muss jede Bestrahlung einer engen Indikationsstellung unterworfen werden. Die erste Stellungskontrolle, mit Ausnahme der distalen Humerusfrakturen (Kontrolle am 4. Tag) und der Dokumentation nach aktiver Therapie, erfolgt um den 8. Tag. Zu diesem Zeitpunkt ist die Schwellung bereits deutlich zurückgegangen, eventuelle Sekundärdislokationen sind eingetreten und der Faserkallus hat die Schmerzhaftigkeit bereits deutlich reduziert. Dieser Zeitpunkt ist für eventuelle Stellungskorrekturen optimal, da der Kallus noch hinreichend plastisch verformbar ist. Bei adoleszenten Kindern und einer ausnahmsweise konservativen Behandlung von diaphysären Frakturen ist eine zusätzliche Stellungskontrolle um den 14. Tag indiziert. Konsolidationskontrollen sollten bei allen Frakturen durchgeführt werden, die durch eine aktive Maßnahme behandelt wurden (Redression, Reposition, Durchbrechung), bei Gelenkfrakturen, bei Frakturen mit belassener Fehlstellung oder bei denen eine Störung der Konsolidation zu erwarten ist. Die Röntgenaufnahmen sollten gipsfrei in zwei Ebenen abhängig von der Fraktur nach 4–6 Wochen durchgeführt werden. Eine radiologische Konsolidationskontrolle ist bei Klavikulafrakturen, undislozierten metaphysären Wulstbrüchen oder metaphysären Finger- und Zehenphalangenfrakturen nicht notwendig. Hier genügt die klinische Konsolidationskontrolle mit indolentem Kallus und Beschwerdefreiheit sowie deutliche Belastungsspuren aufweisendem Gips. Es empfiehlt sich eine FunktionsKontrolle 3–4 Wochen nach Bewegungsfreigabe durchzuführen. Langfristige Wachstumskontrollen sollten primär klinisch, ggf. durch fotografische Dokumentation bis zu 2 Jahre nach Trauma erfolgen. Erst bei Verdacht auf eine Wachstumsstörung mit nachfolgender posttraumatischer Deformität erfolgt eine radiologische Befundkontrolle. Zur Darstellung einer posttraumatischen Brückenbildung in der Wachstumsfuge kann eine MRT zur weiteren Therapieplanung sinnvoll sein.
Nachbehandlung Nach Konsolidation der Fraktur und Bewegungsfreigabe bedarf es beim Kind in der Regel keiner spezifischen Nachbehandlung. Durch das alltägliche Spielen erlangt das Kind innerhalb kurzer Zeit wieder die volle Funktion. Dabei reagiert ein Kind auf Bewegungseinschränkungen und Schmerzen intuitiv, sodass es von sich aus bestimmt, in welchem Ausmaß es die betroffene Extremität einsetzen kann. So sind Vorgaben oder Verbote meist überflüssig. Die regelmäßige Verordnung einer physiotherapeutischen Nachbehandlung ist im Kindesalter nur selten erforderlich und sinnvoll. Denn dabei bestimmt das Kind nicht selbst das Bewegungs- und Belastungsausmaß, sondern der Therapeut, was bei kinderunerfahrenen Behandlern zu einer »Übertherapie« führen kann. Erst bei einem verzögerten Verlauf oder spezifischen Indikationen mit Gelenkeinsteifungen ist eine gezielte zusätzliche Physiotherapie indiziert und dann auch unverzichtbar. In der Sprechstunde stellt sich in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage nach der Sportfähigkeit. Hier müssen die individuellen Einstellungen des Patienten zum Sport sowie sportartspezifische Belastungen (Kontaktsportarten, Sprungsportarten usw.) berücksichtigt werden. Entsprechend der Nachbehandlung bestimmt auch bei der Sportfähigkeit am besten der Patient selbst, wann er wieder in der Lage ist, einen bestimmten Sport auszuüben. Hierbei sollten der Schul- und der Hochleistungssport aufgrund des Leistungsdrucks ausgenommen und bis zur sicheren Konsolidation vermieden werden.
6.1.3 Technische Besonderheiten
Grundprinzipien der Gipsbehandlung Jede Ruhigstellung einer Extremität (Schiene) ist gleichermaßen eine ärztliche Dienstleistung und eine Teamleistung, die vom Arzt, Gipspfleger/-schwester und einer Hilfsperson, bei größeren Gipsen zwei, gemeinsam erbracht wird. Der Arzt ist anwesend und verantwortlich für die korrekte Ruhigstellung (Position, Form, spezifische Vorgaben wie vorgesehene Keilung usw.), er hält die Extremität. Der Gipser ist verantwortlich für die korrekte technische Ausführung, die Hilfsperson für die Bereitstellung und zügige Anreichung der Materialien, die zweite evtl. für das Halten z.B. des Oberschenkels. Der Patient soll so entspannt wie möglich sein (ausreichende Analgesie, Angst nehmen, gut halten, ablenken). Angespannte Muskulatur beim Gipsen führt zu Beschwerden im Gips! Es wird niemals Kunststoff oder Gips direkt auf die Haut gelegt. Bei Kindern und Jugendlichen hat sich die Verwendung eines gewendeten Frotteeschlauchpolsters
57 6.1 · Konservative Therapiemöglichkeiten
(Noppen gipsseitig ergeben eine bessere Verbindung von Polster und Gips und verringern den Juckreiz) bewährt, eine zusätzliche Polsterung erfolgt nur über den Akren und bei geplanter Keilung über dem Hypomochlion. Entlang der Schnittlinie für die primäre Spaltung wird ein dünner Gazeschlauch unterlegt; dies ermöglicht das Spalten mit Schere statt oszillierender Säge). Anschließend wird die erste Lage zirkulär aus semirigider Kunststoffbinde oder Weißgips eingebracht, eine Longuette aus rigidem Kunststoff oder Weißgips bilateral aufgelegt und mit einer weiteren Lage aus semirigider Kunststoffbinde oder Weißgips zirkulär bedeckt, dann mit einer nassen gewaschenen (ohne Appretur saugfähiger) Binde fixiert. Nach dem Abbinden (Material klebt nicht mehr) und Entfernen der fixierenden elastischen Binde wird der Gips vollständig gespalten und zur Vermeidung des Kompartmentsyndromes mit einer elastischen Binde fixiert. Patient und Angehörige werden durch den verantwortlichen Arzt über die Kautelen instruiert. Die Abgabe eines Merkblatts zu Nachbehandlung und Kontrollen von Durchblutung und Neurologie mit Telefonnummer des Dienstarztes ist empfehlenswert. Eine Gipskontrolle mit Prüfung der Durchblutung und Sensomotorik sollte am 1. Tag, am 4. Tag nach Gips-
a
c
schluss sowie bei jeder radiologischen Stellungskontrolle bzw. Konsolidationskontrolle erfolgen. ! Merke! Der Patient im Gips hat immer Recht!
Praktische Hinweise ▬ Vorher mit den Gipsmitarbeitern verabreden, wer was wie macht. ▬ Vor Beginn dem Patienten in Ruhe die bevorstehenden Schritte erläutern. ▬ Gelenkstellungen beim Gipsen nicht verändern (→ Falten → Druckulzera). ▬ Nur mit der flachen Handfläche halten (Vermeiden von Druckstellen im Gips). ▬ Druckausübung nur erlaubt/erforderlich bei Oberschenkelschienen suprakondylär. ▬ Hilfsperson hält die Longuetten. ▬ Mit nasser gewaschener elastischer Binde fixieren beschleunigt Abbindevorgang (nur mit kaltem Wasser; exotherme Reaktion).
Gipskeilung Beispiele einer Gipskeilung bei Tibiaschaftfraktur mit Varusfehlstellung (⊡ Abb. 6.7a–d).
⊡ Abb. 6.7. Gipskeilung bei Tibiaschaftfraktur mit Varusfehlstellung. a Indikation: isolierte Tibiaschaftfraktur, distale Unterarmfraktur. b Semizirkuläres Einschneiden des Gipses (etwa / der Zirkumferenz). Keilung in der Konkavität der Fehlstellung unter Beachtung der PatientenÄußerungen. Cave Druckulkus. c Ausfüllen mit Kork. d Zirkulieren des Gipses.
b
d
6
58
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
Spezielle Gipstechniken
Ellenbogenläsionen, refraktäre Pronation douloureuse, Vorderarmläsionen mit schmerzhafter Pronation.
▬ Entlang der Schnittlinie mit dünnem Gazeschlauch unterlegen. ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär (Achtung: keine Webkante in die Ellenbeuge). ▬ Rigide Kunststoffbindeschienen dorsal und volar je 3 Lagen auf dem Unterarm. ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär mit nasser gewaschener elastischer Binde fixieren. ▬ Während des Abbindens an den gewünschten Stellen (interossär, Keilungspunkte) anmodellieren. ▬ Spalten radial bis zur letzten Faser, bei Ellenbogenläsionen Ausschneiden einer Raute. ▬ Mit elastischer Binde fixieren.
Besonderes
Unterarmschiene, dorsal
Finger sollen frei beweglich sein. ▬ Gewendeter Frotteeschlauch Fingerspitzen bis Axilla, Gips endet vor den Fingergrundgelenken. ▬ Ellenbogen in 90°-Flexion (bzw. in dem Patienten angenehmer Stellung). ▬ Handgelenk in Intrinsic-plus-Position: 30°- Dorsalextension, MCP-Gelenke in 90°-Flexion. ▬ Entlang der Schnittlinie mit dünnem Gazeschlauch unterlegen. ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär (Achtung: keine Webkante in die Ellenbeuge), Halten an den Fingern/ im Bereich der Hohlhand/Mädchenfänger. ▬ Rigide Kunststoffbinde: Schienen dorsal und volar je 3 Lagen U-förmig um Ellenbogen auf Unterarm (Ausnahme: für Keilung 4–5 konkav und 2 konvex). ▬ Rigide Kunststoffbindeschienen radial und ulnar je 3 Lagen U-förmig um den Ellenbogen auf Oberarm. ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär, mit nasser gewaschener Binde fixieren. ▬ Während des Abbindens an den gewünschten Stellen (interossär, Keilungspunkte) anmodellieren. ▬ Spalten (Aufschneiden) radial bis zur letzten Faser, bei Ellenbogenläsionen Ausschneiden einer Raute. ▬ Mit elastischer Binde fixieren.
Dorsal, volar, Ruhigstellung der Langfinger.
Da die Weißgipstechnik überall etabliert ist, wird im Folgenden lediglich die Technik der Kunststoff»gipse« dargestellt, wie sie sich in den vergangenen Jahren an unserer Klinik bewährt hat. Die Gipse werden durchweg als Composite ausgeführt, bei denen die semirigide Zirkulärschiene eine begrenzte Querelastizität aufweist und flexibel auf Schwellungszustände reagiert.
Oberarmschiene Indikation
6
Unterarmschiene Indikation
Handgelenk-, Mittelhandläsionen, Vorderarmläsionen mit schmerzfreier Pronation. Besonderes
Finger sollen frei beweglich sein. ▬ Gewendeter Frotteeschlauch Fingerspitzen bis Axilla – Gips endet vor den Fingergrundgelenken. Ellenbogen in 90°-Flexion (bzw. in dem Patienten angenehmer Stellung). ▬ Handgelenk in Intrinsic-plus-Position: 30°- Dorsalextension, MCP-Gelenke in 90° Flexion.
Indikation
Handgelenk-, Mittelhandläsionen, Fingerläsionen. Besonderes
Finger sollen frei beweglich sein. ▬ Ellenbogen auf Unterlage, Unterarm schräg. ▬ Handgelenk in Intrinsic-plus-Position: 30°- Dorsalextension, MCP-Gelenke in 90°-Flexion (außer bei Fingerschienung!). Bei Langfingerschiene interdigitale Polsterung! ▬ Rigide Kunststofflonguette zuschneiden, evtl. einschließlich Langfinger, und benetzen, auswringen. ▬ Mit Frotteeschlauch überziehen und glatt ziehen. ▬ Mit Papierbinde dorsal oder volar anwickeln bis zum Abbinden oder gleich ▬ mit elastischer Binde fixieren.
Oberschenkelschiene Indikation
Unterschenkelläsionen. Besonderes
Zehenschutz ist in der Regel angenehmer. ▬ Eine Hilfsperson ist für den Oberschenkel zuständig! ▬ Gewendeter Frotteeschlauch bis zur Leiste – Gips endet maximal 3 QF davor, schräg zur Hüfte ansteigend. ▬ Ein Polsterstreifen über Schienbeinvorderkante ab Oberrand Patella bis Zehen, über Malleolen, Ferse und Wadenbeinkopf. ▬ Entlang der Schnittlinie mit dünnem Gazeschlauch unterlegen, um die Patella herumgeführt. ▬ Kniegelenk in 15°-Flexion, OSG in Neutralstellung: 90°-Flexion, keine Supination, keine Pronation. ▬ Zehen frei (alle sichtbar, meist fünf). ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär, Abrollrichtung: Pronation (Achtung: keine Webkante in das OSG).
59 6.1 · Konservative Therapiemöglichkeiten
▬ Rigide Kunststoffbindeschienen lateral und medial je 3 Lagen vom Oberschenkel bis Sohle U-förmig. ▬ Für Gehgips: Sohle aus rigider Kunststoffbinde (evtl. mit Zehenschutz). ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär, mit nasser gewaschener Binde fixieren. ▬ Beidseitiges Anmodellieren der Oberschenkel suprakondylär (Handflächendruck bis zum Abbinden). ▬ Spalten (Aufschneiden) ventral bis zur letzten Faser unter Umschneidung der Patella. ▬ Fixieren mit elastischer Binde.
Knietutor, Kniehülse
▬ Semirigide Kunststoffbinde 7,5 cm zirkulär 1 QF proximal der Zehengrundgelenke beginnen (Zugrichtung Pronation). ▬ Rigide Kunststoffbindeschienen lateral und medial je 3 Lagen vom Knie bis Sohle oder U-förmig. ▬ Sohle (3- bis 5-lagig rigide Kunststoffbinde) ohne (bei Mittel-/Vorfußläsion obligat mit) Zehenschutz. ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär, mit nasser gewaschener Binde fixieren. ▬ Fußgewölbe gut anmodellieren. ▬ Spalten (Aufschneiden) ventral bis zur letzten Faser unter Umschneidung der Patella. ▬ Fixieren mit elastischer Binde.
Indikation
Kniegelenkläsionen.
Tape (OSG-Stiefel) Indikation
Besonderes.
Auf genügenden Abstand zu den Malleolen achten! Hinabrutschen führt zu Druckstellen. ▬ Eine Hilfsperson ist für den Oberschenkel zuständig! ▬ Gewendeter Frotteeschlauch Knöchel bis Leiste – Gips endet 3 QF davor, schräg zur Hüfte ansteigend. ▬ Ein Polsterstreifen von Rand zu Rand über Patella und Caput fibulae, Filz zirkulär Ober- und Unterrand. ▬ Kniegelenk in 0°–15° Flexion, OSG frei. ▬ Entlang der Schnittlinie mit dünnem Gazeschlauch unterlegen. ▬ Semirigide Kunststoffbinde 7,5 cm zirkulär mindestens 2 QF proximal der Knöchel beginnen. ▬ Rigide Kunststoffbindeschienen lateral und medial, je 3 Lagen vom Oberschenkel bis Unterrand. ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär mit nasser gewaschener Binde fixieren. ▬ Beidseitiges Anmodellieren der Oberschenkel suprakondylär (Handflächendruck bis zum Abbinden). ▬ Spalten (Aufschneiden) ventral bis zur letzten Faser unter Umschneidung der Patella. ▬ Fixieren mit elastischer Binde.
Unterschenkelschiene Indikation
Fibulotalare Bandläsion. Besonderes
Soll so dünn wie möglich sein, damit er in den Schuh passt, wird nicht gespalten und kann zum Entfernen einfach abgewickelt werden. ▬ Eine Hilfsperson hält den Fuß an den Zehen. Alternativ: Patient sitzt an der Kante des Gipstisches. ▬ Dünne Schlauchgaze über Zehen bis supramalleolär (Unterschenkeldrittel). ▬ OSG in Neutralstellung: 90°-Flexion, keine Supination, keine Pronation. ▬ Ein Polsterstreifen ventral von Malleolus zu Malleolus. ▬ Semirigide Kunststoffbinde 7,5 cm zirkulär 1 QF proximal der Zehengrundgelenke beginnen (Zugrichtung Pronation!). ▬ Nach Erreichen des Abschlusses supramalleolär Umschlagen der Gazebinde und Rückkehr von lateroventral → ventralplantar → lateraler Malleolus → ventral → medialer Malleolus → Ferse → ggf. mehrmals und Abschluss distal nach Umschlagen des Gazeschlauchs. ▬ Mit nasser gewaschener Binde fixieren. ▬ Patient auf beide Füße stellen zum Anmodellieren des Fußgewölbes.
OSG-, Fußwurzel- und Mittelfußläsionen.
»Geisha«-Schuh Besonderes
Indikation
Auch zur Primärbehandlung fibulotalarer Bandläsionen. ▬ Eine Hilfsperson ist für das Knie zuständig! ▬ Gewendeter Frotteeschlauch Knöchel bis Leiste – Gips endet 3 QF davor, schräg zur Hüfte ansteigend. ▬ Ein Polsterstreifen von Rand zu Rand über Tibiavorderkante und Knöchel. ▬ Entlang der Schnittlinie mit dünnem Gazeschlauch unterlegen. ▬ OSG in Neutralstellung: 90°-Flexion, keine Supination, keine Pronation.
Mittelfuß- und Zehenläsionen. Besonderes
▬ Gewendeter Frotteeschlauch Zehenspitzen bis über Knöchel, Randpolsterung Zehengrundgelenke und Knöchel. ▬ Entlang der Schnittlinie mit dünnem Gazeschlauch unterlegen. ▬ OSG in Neutralstellung: 90°-Flexion, keine Supination, keine Pronation.
6
60
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
▬ Semirigide Kunststoffbinde 7,5 cm zirkulär 1 QF proximal der Zehengrundgelenke beginnen (Zugrichtung Pronation). ▬ Rigide Kunststoffbindesohle 4 Lagen von Großzehenspitze bis Ferse (Zehenschutz). ▬ Semirigide Kunststoffbinde zirkulär mit nasser gewaschener Binde fixieren. ▬ Fußgewölbe gut anmodellieren.
6.1.4 Konsolidation
Durchschnittliche Konsolidationszeiten mit groben Richtlinien für Ruhigstellungs- bzw. Schonungszeiten der häufigsten Verletzungen im Wachstumsalter bis zur Bewegungsstabilität sind in ⊡ Tab. 6.5 angegeben.
⊡ Tab. 6.5. Richtlinien für Ruhigstellungs- bzw. Schonungszeiten der häufigsten Verletzungen im Wachstumsalter bis zur Bewegungsstabilität in Wochen
6
bis 5 Jahre
5–10 Jahre
>10 Jahre
1
2
2–3
proximal
1
2–3
3
diaphysär
2
3–4
4–6
suprakondylär
1–2
2–3
3–4
Condylus
3
3–4
4
Y-Fraktur
2–3
3
3–4
Epicondylus ulnaris (und Ellenbogenluxation)
2–3
2–3
2
Olekranon
1
2–3
3–4
Proximales Radiusende
1
2
2
Unterarm diaphysär
3
4
4–6
Distaler Radius
2
3–4
4
Epiphysenlösung distaler Radius
2
2–3
3–4
Handwurzel
–
4–6
6–12
Mittelhand basal und subkapital
–
2
2–3
Mittelhand diaphysär
–
3–4
4–6
Finger
1–2
2–3
2–3
Schenkelhals
–
4–6
6–12
subtrochantär
3–4
4–5
4–6
Diaphyse
1–3
4–5
4–6
Kondylen inkl. Epiphysenlösungen
2–3
3–4
4
Eminentia
–
3–4
4
2–3
3–4
4
–
3–5
4–6
OSG
2–3
3–4
4–5
Fußwurzel und Kalkaneus
–
4–8
6–12
Mittelfuß
2–3
3
3–4
Klavikula Humerus
Tibia proximale Metaphyse diaphysär
61 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
6.2
Operative Therapiemöglichkeiten
T. Slongo 6.2.1 Reposition
Bevor die Frage über ein offenes oder geschlossenes Vorgehen beantwortet werden kann, gilt es primär die Notwendigkeit einer Reposition zu erörtern. Wie bereits in Kap. 1 dargelegt wurde, gibt es alters-, lokalisationsund dislokationsabhängige Kriterien, die es zu kennen und zu respektieren gilt. Werden sie übergangen, kann es einerseits zu unnötigen, das Kind belastenden Narkosen und Therapien kommen oder im anderen Fall zu bleibenden Achsfehlstellungen, weil eine potenzielle Instabilität falsch beurteilt wurde.
Repositionskriterien Keine Reposition bei ▬ allen stabilen, unverschobenen Brüchen der oberen und unteren Extremität unabhängig vom Alter (⊡ Abb. 6.8); ▬ stabilen Stauchungsbrüchen oder metaphysären Grünholzfrakturen, die innerhalb der Toleranzmargen liegen; ▬ instabilen Brüchen des Humerus, sofern initial eine tolerable Achsabweichung besteht (primär nur Fixation→Kontrolle); ▬ praktisch allen Klavikulafrakturen.
⊡ Abb. 6.8. Stabile Radiusfraktur, nur Fixation im Gips.
Reposition bei ▬ allen Frakturen, stabilen wie instabilen, die außerhalb der altersabhängigen und lokalisationsabhängigen Toleranzmarge liegen. Insbesondere trifft dies auf Frakturen des Unterarmschafts zu, da hier Achsabweichungen zu deutlichen Funktionsstörungen führen können (⊡ Abb. 6.9). An der unteren Extremität gilt es vor allem auf Erhaltung der Länge, Achse und Rotation zu achten.
Offen oder geschlossen? Ob eine Fraktur offen oder geschlossen reponiert werden muss, hängt nicht nur von der Frakturmorphologie, sondern auch von der Erfahrung des behandelnden Arztes ab. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: Der Behandlung geht eine eingehende Analyse der Fraktur voran mit der Frage nach Reponierbarkeit, Stabilität, Heilungsverhalten und Prognose. ▬ Die erste Behandlung sollte die letzte, d.h. die definitive sein, keine Nachrepositionen oder sekundäre Stabilisierungen erforderlich machen. Dies bedingt, dass kritische Frakturen im Operationssaal bzw. in Operationsbereitschaft versorgt werden sollten. ▬ Jede Reposition sollte unter adäquater Analgesie, d.h. in der Regel Narkose oder Plexusanästhesie, durchgeführt werden. Die meisten modernen Stabilisierungsverfahren, ob konservativ oder operativ, lassen eine geschlossene Behandlung zu. Dies gilt zunehmend auch für Plattenosteosynthe-
⊡ Abb. 6.9. Instabile distale Unterarmfraktur, Reposition und korrekte Stabilisierung erforderlich.
6
62
6
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
– Frakturen der distalen Femurkondylen; – Frakturen des Tibiaplateaus bei Dislokation über 2 mm; – Frakturen der distalen Tibia (two- und triplane fractures), sofern keine Versorgung mittels durchbohrter Schrauben möglich ist→Möglichkeit der gezielten geschlossenen Reposition, praktisch einzige Ausnahme bei einer Gelenkfraktur; – dislozierte bzw. Trümmerfrakturen von Talus und Kalkaneus; – Frakturen des Radiuskopfes bzw. -halses stellen keine Indikation für primär offenes Vorgehen dar (⊡ Abb. 6.11); – Dislozierte Frakturen der distalen Radiusepiphyse.
sen, falls eine solche heute bei einem Kind noch indiziert sein sollte (sog. minimalinvasive Plattenosteosynthese). Falls eine offene Reposition notwendig wird, sollte wenn immer möglich eine stabile innere oder äußere Osteosynthese durchgeführt werden. Eine offene chirurgische Reposition und konservative Fixierung mittels Gipsverband ist kaum noch zulässig, da bei jeder konservativen Fixierung, auch wenn eine offene Reposition erfolgt ist, eine sekundäre Dislokation eintreten kann. Prinzipiell können die meisten Frakturen im Kindesalter auch bei Durchführung einer Osteosynthese geschlossen reponiert behandelt werden. Eine Ausnahme bilden Gelenkfrakturen, die prinzipiell dargestellt (offen oder arthroskopisch) und anatomisch reponiert und fixiert werden sollten.
Offene Reposition Offene Repositionen von Frakturen im Kindesalter sind selten. Dabei müssen zwei Indikationen unterschieden werden: ▬ Frakturen, die prinzipiell für eine geschlossene Reposition vorgesehen sind, die sich jedoch nicht adäquat reponieren lassen, um einer stabilen Versorgung zugeführt werden zu können→sekundär offene Reposition. ▬ Frakturen, die primär einer offenen Reposition zugeführt werden müssen bzw. für eine offene Reposition geplant werden müssen.
Sekundäre offene Reposition ▬ Häufigste Frakturtypen: – Querfrakturen der Diaphyse durch direktes Trauma → Fragmente in verschiedenen Kompartmenten, – diaphysäre Mehretagenfrakturen, – Gelenkfrakturen mit sekundärer Dislokation über 2 mm in der gipsfreien Fünftageskontrolle. ▬ Häufigste Lokalisationen: – distaler Humerus, suprakondylär, – Unterarmschaftfrakturen, – Femurschaftfrakturen (quer), – Frakturen der distalen und proximalen Tibia.
⊡ Abb. 6.10. Die allermeisten Gelenkfrakturen müssen offen reponiert werden, um eine sichere Gelenkkongruenz zu erhalten, wie z.B. bei der abgebildeten Condylus-radialis-Fraktur.
a
Primär offene Reposition ▬ Häufigste Frakturtypen: – Gelenkfrakturen mit Dislokation über 2 mm (⊡ Abb. 6.10), – teilweise offene Frakturen, – Defektfrakturen (äußerst selten). ▬ Häufigste Lokalisationen: – Frakturen des Condylus radialis, Epicondylus ulnaris, Y-Frakturen des distalen Humerus, sofern Dislokation primär über 2 mm; – Hüftkopfgleiten mit Abrutsch über 10°; – dislozierte Schenkelhalsfrakturen,
b ⊡ Abb. 6.11. Geschlossene Reposition und Fixierung einer dislozierten Radiushalsfraktur mittels ESIN. a Dislokation. b Reposition und Osteosynthese.
63 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
Die angeführten Punkte stellen lediglich die Basis für eine eingehende und korrekte Analyse der therapeutischen Strategie dar. Im individuellen Fall muss auf die Fraktur abgestimmt werden, daneben sind die eigenen fachlichen und technischen, d.h. auch instrumentellen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Nicht zu vernachlässigen sind heute besonders in unseren Breitengraden die sozioökonomischen Aspekte bis hin zur Möglichkeit der schnellen Wiedererlangung der Spielfähigkeit bzw. des Schulbesuchs und die häusliche Pflege.
kann und zu ihrer Entfernung keine Narkose benötigt wird. Sie ist praktisch überall und immer verfügbar. Indikationen. Offen oder geschlossen reponierte meta-
physäre Frakturen aller Röhrenknochen, praktisch unabhängig vom Alter. Gelenkfrakturen bei jüngeren Kindern (<10 Jahre). Frakturen an Hand und Fuß. Kontraindikationen. Diaphysäre Frakturen sollten nicht
mit Spickdrähten fixiert werden! 6.2.2 Osteosyntheseverfahren
Im Rahmen dieser Darstellung können die einzelnen Osteosyntheseverfahren nur kurz dargestellt werden. Es geht darum, die wichtigsten Prinzipien und Tricks zu besprechen und andererseits etwaige Kontraindikationen bzw. Grenzen einer Methode aufzuzeigen. Für erweiterte Detailbeschreibungen der einzelnen Methoden sei auf die jeweilige technische Literatur und Operationsbeschreibungen verwiesen. Die Grundlage einer erfolgreichen Osteosynthese von Frakturen im Kindesalter ist die Kenntnis unterschiedlicher, dem Alter des Kindes angepasster Osteosynthesetechniken sowie die Verfügbarkeit verschiedener kindadaptierter Osteosynthesematerialien.
Technik. Bevor die Spickdrähte eingebohrt werden können, müssen die Fragmente korrekt reponiert sein. Wenn immer möglich, sollten die Spickdrähte perkutan eingeführt werden, sodass sie ohne Anästhesie entfernt werden können, auch wenn offen reponiert werden musste (⊡ Abb. 6.12). Die Dicke beträgt in der Regel 1,6–2,5 mm. Die Kreuzungsstellen sollten immer proximal der Frakturlinie liegen (⊡ Abb. 6.13). In der Regel muss die Epiphysenfuge gekreuzt werden. Deshalb sollten wiederholte Bohrungen vermieden werden. Die Spitzen der Spickdrähte müssen die Gegenkortikalis perforieren. Tägliche gute Pflege der Pins reduziert das Infektionsrisiko.
Spickdrahtosteosynthese
Metallentfernung. Je nach Alter und Fraktur frühestens
Prinzipielles. Die Spickdraht-Osteosynthese stellt eine
nach 3, spätestens nach 5 Wochen. Ambulant in der Poliklinik oder Ambulanz. Bei jüngeren Kindern ist eine leichte Sedierung oder Schmerztherapie per os 20 Minuten vor dem Eingriff angezeigt.
reine Adaptationsosteosynthese dar, die maximal bewegungs- jedoch nie belastungsstabil ist. Sie benötigt normalerweise eine zusätzliche Gipsruhigstellung. Der Vorteil liegt darin, dass sie perkutan durchgeführt werden
⊡ Abb. 6.12. Transkutane Fixierung einer suprakondylären Humerusfraktur. Spickdrähte können ohne Narkose entfernt werden. a Röntgen b überstehende Spickdrähte.
6
64
6
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
a
b
c
⊡ Abb. 6.13. Versorgung einer distalen Femurfraktur bei einem 9-jährigen Kind mittels zweier gekreuzter Spickdrähte von 2,5 mm. a Unfallbild. b Knie a.p. c Knie seitlich.
⊡ Abb. 6.14. Ungenügende Stabilität bei der Versorgung einer Condylus-radialis-Fraktur und Entwicklung einer Pseudarthrose.
⊡ Abb. 6.15. Lagerung des Arms direkt auf dem Bildwandler erlaubt eine bessere und genauere Durchleuchtung und reduziert die Bestrahlung.
Typische Frakturen:
▬ Frakturen der Mittelhand-/Fußknochen, ▬ Frakturen der Phalangen an Hand und Fuß.
▬ subkapitale Humerusfrakturen (ESIN jedoch besser), ▬ suprakondyläre Humerusfraktur (Alternative ESIN), ▬ condylus radialis (bei jüngeren Kindern, bei älteren Schrauben), ▬ Epicondylus ulnaris (bei älteren Kindern, Schrauben), ▬ distaler Radius (selten notwendig), ▬ Schenkelhalsfrakturen jüngerer Kinder, ▬ distale epi-/metaphysäre Femurfrakturen, ▬ proximale epi-/metaphysäre Tibiafrakturen ▬ distale epi-/metaphysäre Tibia-/Fibulafrakturen (alternativ durchbohrte Schrauben),
Probleme. Instabilität oder Pseudarthrosen (⊡ Abb. 6.14);
Pflege; oberflächliche oder tiefe Infektionen). Tricks. Wenn die Extremität direkt auf dem Bildwandler gelagert wird, ergibt sich ein besseres Bild bei weniger Strahlen (⊡ Abb. 6.15). Eine gute Reposition verlangt weniger nachträgliche Manipulationen. Richtung der Spickdrähte in einer Ebene einzeichnen.
65 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
Schraubenosteosynthese Prinzipielles. Was für die Spickdraht-Osteosynthese gilt,
trifft teilweise auch für die Schraubenosteosynthese zu; es handelt sich um eine Adaptationsosteosynthese, die jedoch die Fragmente unter Kompression setzen kann und somit besser stabilisiert. Dennoch ist in der Regel ein Gips notwendig; dieser sollte besonders bei älteren Kindern funktionell sein, d.h. auch abgelegt werden können, um z.B. Gelenke durchzubewegen. Für eine alleinige Schraubenosteosynthese werden hauptsächlich Spongiosaschrauben, heute vorzugsweise so genannte durchbohrte, selbstbohrende, selbst schneidende Stahl- oder Titanschrauben verwendet (⊡ Abb. 6.16). Diese modernen Schrauben eignen sich hervorragend auch zu geschlossenen Fixationen, besonders an der unteren Extremität. Die Schrauben sollten außerdem rückschneidend sein, um die Metallentfernung zu vereinfachen. Indikationen. Offen oder geschlossen reponierte epi-/
metaphysäre Frakturen aller Lokalisationen, vorwiegend bei Kindern über 10 Jahren. Gelenkfrakturen
Freies Eindrehen der Schrauben. Werden keine durchbohrten Schrauben verwendet, muss gemäß der Zugschraubentechnik ein Gleitloch vorgebohrt werden. Bei älteren Kindern darf die Epiphysenfuge auch mit der Schraube perforiert werden, vor allem vor Wachstumsabschluss. Dokumentation der Osteosynthese intraoperativ mit Röntgenbild oder unter Bildwandler. Metallentfernung. Unabhängig von Alter und Fraktur-
typ nach vollständiger Konsolidation. Heute werden vor allem bei Jugendlichen die Schrauben zunehmend belassen, besonders Titanschrauben, da diese im MRT nicht stören. Entfernung ambulant tagesklinisch in Kurznarkose oder Lokalanästhesie. Unter Bildwandler Schraube axial darstellen, sodass die Bohrung gesehen werden kann; Einführen des Führungs-Spickdrahts, Stichinzision und Ausdrehen der Schraube über Führungsdraht. Typische Frakturen:
Kontraindikationen. Diaphysäre Frakturen eignen sich
nicht für die Versorgung mittels Schrauben. Technik. Bevor die Schrauben gesetzt werden können, muss
das Fragment (die Fragmente) korrekt reponiert sein. Gelenkfrakturen sollten offen reponiert und anatomisch adaptiert werden (Ausnahme Twoplane-Fraktur distale Tibia). Die Dimensionen betragen in der Regel 4,0, 4,5 und 6,5 mm. Einbohren eines oder von zwei Führungs-Spickdrähten (1,2/1,6 mm) rechtwinklig zur Frakturlinie an optimaler Stelle oder parallel zur Epiphysenfuge. Abmessen der Schraubenlänge am Spickdraht-Überstand (Länge 15 cm minus Überstand).
▬ Y-Fraktur distaler Humerus, ▬ Condylus radialis (ältere Kinder), ▬ Epicondylus ulnaris (ältere Kinder; Cave kleine Fragmente können gespalten werden). ▬ Epiphysiolysis capitis femoris/Schenkelhalsfrakturen jüngerer Kinder, ▬ distale epi-/metaphysäre Femurfrakturen (SH II+ III+IV), ▬ proximale epi-/metaphysäre Tibiafrakturen, ▬ distale epi-/metaphysäre Tibia-/Fibulafrakturen ▬ Hand- und Fußwurzelknochen. Probleme. Metallentfernung. Schraubenköpfe können
abgedreht werden, besonders bei Titanschrauben→Eltern vorab darüber orientieren. Kleine Fragmente können gesprengt werden, da Gewinde sehr »aggressiv« sind. Tricks. Geschlossenes Vorgehen. Extremität direkt
⊡ Abb. 6.16. Durchbohrte selbstbohrende, selbstschneidende Titanschrauben verschiedener Längen und Durchmesser.
auf Bildwandler positionieren, besseres Bild, weniger Strahlen. Fraktur unter Bildwandler reponieren und die Frakturlinie so einstellen, dass sie orthograd eingesehen werden kann (⊡ Abb. 6.17). Freier Spickdraht an der Hand von außen so auf Fraktur legen, dass Schraube optimal platziert werden kann. Parallel dazu über Stichinzision Führungsdraht einbohren, in der zweiten Ebene genau parallel der Bildwandlerauflagefläche. Setzen der Schrauben und indirekte Reposition und Kompression der Fraktur unter Bildwandler verfolgen.
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66
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
Frakturen der Phalangen (Miniplatten→selten); komplett instabile, mehrfragmentäre Frakturen bei Kindern über 12 Jahren, übergewichtigen Kindern; Refrakturen von Femur und Tibia mit noch geschlossenem Markkanal (Technik: durchgeschobene Wellenplatte); Schaftfrakturen bei Adoleszenten (⊡ Abb. 6.18). Kontraindikationen. Gelenkfrakturen, epi-/metaphysäre
Frakturen; »primäre Versorgung von Unterarmschaftfrakturen bei Kindern unter 14 Jahren«. Technik. Gemäß den Richtlinien für Plattenosteosynthese
der entsprechenden Hersteller. Prinzipiell gilt heute auch für die Plattenosteosynthese, dass diese eine biologische Osteosynthese darstellen sollte, d.h. keine extensive Freilegung des Knochens, kein Stripping des Periosts, keine pedantische Adaptation und Fixation freier Fragmente→ lange Platten, wenig Schrauben→Fixateur interne.
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⊡ Abb. 6.17. Geschlossene Osteosynthese einer distalen Fraktur Salter-Harris II mittels durchbohrter Schrauben.
Plattenosteosynthese Prinzipielles. Aufgrund anderer kindadaptierter Osteosyntheseverfahren wurden die Indikationen für eine Plattenosteosynthese deutlich reduziert. Sie stellt ein technisch aufwendiges, meist offenes Verfahren, verbunden mit einer ebenso invasiven, meist stationären Metallentfernung, dar. Eine nicht korrekt durchgeführte Plattenosteosynthese kann zu erheblichen Problemen, meist mit korrekturbedürftigen Komplikationen führen. Daher sollte nur derjenige eine solche Osteosynthese durchführen, der mit dieser Methode routinemäßig vertraut ist. Die Applikation von Winkelplatten soll hier nicht besprochen werden. Unter einem Alter von 12–13 Jahren sollte diese Osteosynthesemethode kaum mehr angewendet werden. Bei jungen Adoleszenten sowie groß gewachsenen, zum Teil übergewichtigen älteren Kindern stellt sie jedoch eine gute Alternative dar. Dies vor allem unter dem Einfluss neuer Applikationstechniken und neuer Plattenarten. Deshalb sollte heute Folgendes gelten: Wenn eine Plattenosteosynthese indiziert ist, empfehlen wir die Verwendung von Platten neuerer Generation wie die Low-Compression-DCP-(LC-DCP-)- oder LowContact-Plate-(LCP-)-Platten. Wenn möglich sollten diese Typen von Platten auch bei Kindern in der so genannten minimalinvasiven Plattenosteosynthese eingebracht werden. Indikationen. Schaftfrakturen der vier großen Röhren-
knochen;
MIPO-Technik (Minimal Invasive Plate Osteosynthesis) Diese Technik kann prinzipiell mit jeder Platte durchgeführt werden. Sie beruht darauf, dass nach genügender, achsgerechter Reposition der Schaftfraktur (am besten am Extensionstisch und unter Bildverstärkerkontrolle) über eine kleine Inzision eine genügend lange Platte epiperiostal, submuskulär am Knochen durchgeschoben wird. Zu achten ist bei dieser Technik auf eine korrekte indirekte Reposition. Fixation der Platte unter Verwendung eines Bildwandlers mit minimal zwei (drei) proximalen, zwei (drei) distalen, eher frakturfernen Schrauben, damit die Platte schwingen kann→ Fixateur interne. Besonders geeignet ist die LC-DCP-Platte oder LCPPlatte mit winkelstabilen Schrauben. Da im Kindes- und Jugendalter die Heilung nicht gefährdet ist, sind diese »High-tech«-Platten nicht unbedingt notwendig (⊡ Abb. 6.18).
Wave-Plate (Wellenplatte) Diese Technik ist eine Erweiterung der MIPO-Technik. Dabei geht es darum, dass durch Bildung einer »Welle« eine kritische Frakturzone schonend umgangen bzw. überbrückt wird. Die Indikation dafür ist im Kindesalter sicherlich äußerst selten, dennoch kann es hilfreich sein, diese Methode auch zu kennen und im Repertoire zu haben (⊡ Abb. 6.19). Metallentfernung. Unabhängig von Alter und Frakturtyp nach vollständiger Konsolidation. Heute werden vor allem bei Jugendlichen auch Platten zunehmend belassen, besonders Titanplatten, da diese im MRT nicht stören.
67 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
⊡ Abb. 6.18. Beispiel einer pathologischen Femurfraktur bei einem groß gewachsenen 15-jährigen Mädchen, mittels durchgeschobener Platte versorgt. a Radiologisches Bild. b Weitgehende Konsolidierung nach 6 Wochen. c Funktion nach 4 Wochen.
⊡ Abb. 6.19. Versorgung einer offenen Femurdefektfraktur mit Verbrennung durch Wellenplatte 4 Wochen nach Unfall, nachdem primär die Fraktur mit einem Fixateur externe zwischenzeitlich versorgt war. Man beachte den großen Knochendefekt. a Postoperatives Röntgenbild. b Ausheilung.
In der MIPO-Technik eingebrachte Platten können durchaus ambulant tagesklinisch in Narkose atraumatisch entfernt werden. Dazu müssen unter Bildwandlerkontrolle mit einem die Schrauben fixierenden Schraubenzieher die Schrauben ausgedreht werden. Über eine kleine Inzision am Ende der Platte kann diese entfernt werden.
Typische Frakturen. Lange Spiralschaftfrakturen mit
oder ohne Keil, Trümmerfrakturen von Femur und Tibia, laterale Schenkelhalsfrakturen (verschiedene Klingenplatten). Probleme. Metallentfernung, aufwendig. Setzt beson-
dere Kenntnis und Erfahrung voraus; invasive Methode;
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68
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
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⊡ Abb. 6.20. Geschlossene Reposition einer zweiten Refraktur des Femurs mittels Distraktor und Fixierung der Fraktur.
⊡ Abb. 6.21. Korrekt liegende Spickdrähte und Zuggurtung am Olekranon. Man beachte die Lage der Spickdraht-Spitzen.
größte Inzidenz für Wachstumsplus am Femur, besonders bei jüngeren Kindern.
Setzen zweier Spickdrähte rechtwinklig zur Frakturebene durch beide Fragmente. Dabei ist darauf zu achten, dass die Spickdrähte möglichst oberflächenfern, d.h. möglichst weit weg von der Zugrichtung zu liegen kommen, um der Zugkraft der Cerclage entgegenwirken zu können (⊡ Abb. 6.21).
Tricks. Bei geschlossenem Vorgehen zur Reposition Dis-
traktor oder vorübergehend Fixateur externe verwenden (⊡ Abb. 6.20).
Prinzipielles. Diese Osteosynthesemethode ist für ganz spezielle Frakturen reserviert und soll, wie es der Name sagt, dort angewendet werden, wo ein Zug an einem Fragment abgefangen werden soll. Zuggurtungsosteosynthesen werden offen angelegt. Zuggurtungsosteosynthesen stellen eine Neutralisation von großen Zugkräften dar, die dort entstehen, wo sich kräftige Sehnen-/Muskelansätze finden.
Patella. Beide Spickdrähte proximal und distal ca. 5 mm überstehen lassen und Ende rechtwinklig umbiegen. Anlegen einer O-förmigen Cerclage, da über der Patellaunterfläche liegende Drähte sehr störend wirken. Spickdrähte so umdrehen, dass das umgebogene Ende die Cerclage sichert und zur Patella hin zeigt. Alternative Technik: Anstelle der Spickdrähte durchbohrte Schrauben verwenden und die Cerclage durch die Schrauben führen; Vorteil→weniger Weichteilkompression.
Indikationen. Olekranonfrakturen (praktisch jedes Alter),
Olekranon. Von der Olekranonspitze aus die beiden
Patellafrakturen, laterale Klavikulafrakturen bzw. Pseudoluxationen der distalen Klavikula, evtl. Abrisse des Trochanter major.
Spickdrähte möglichst gelenknah parallel so einbohren, dass sie in der distalen Kortikalis der Ulna verankert werden. Ca. 3 cm distal von der Fraktur entfernt Bohrloch von 2,0 mm rechtwinklig zur Längsachse bohren und Cerclage durchziehen. Anlegen einer 8er-förmigen Schlinge, wobei der Quirl radialseits liegen sollte→mehr Weichteile, kein Nerv. Alternative Technik: Anstelle der Cerclage durchbohrte Schrauben verwenden.
Zuggurtungsosteosynthese
Kontraindikationen. Gelenkfrakturen, epi-/metaphysäre
Frakturen oder Schaftfrakturen. Technik. Offene Darstellung der Fraktur und Reposition
der Fragmente;
69 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
Metallentfernung. Cerclagen sollten grundsätzlich besonders bei Kindern entfernt werden, da nach Abschwellung vor allem die Quirle meist stören können. Deshalb ist beim Anlegen der Cerclage wichtig, die Drähte so zu legen, dass die Entfernung ohne vollständige Eröffnung der alten Wunde erfolgen kann. Probleme. Durchschneiden der Spickdrähte oder der
Cerclage. Nekrosen der Muskel-/Sehnenansätze→deshalb Cerclagedraht neutral durch den Muskel-/Sehnenansatz führen!
diaphysär und subkapital, Humerus suprakondylär, Radius- und Ulnaschaft, Radiushals oder -kopf. ▬ Erweiterter Indikationsbereich: Polytrauma und Schädel-Hirn-Trauma, beide auch außerhalb der oben genannten Altersgrenzen, pathologische Frakturen bei benignen Knochenzysten sowie prophylaktische Stabilisierung bei juvenilen Knochenzysten, Osteogenesis imperfecta, Humerus und Unterarm bei Erwachsenen. Kontraindikationen. Intraartikuläre Frakturen; komplexe,
Tricks. Quirl langsam anziehen, damit sich der Draht
total instabile Femurfrakturen oder Unterschenkelfrakturen mit fehlender kortikaler Abstützung, vor allem im Zusammenhang mit Übergewicht und/oder höherem Alter.
strecken kann und somit besser an die Fragmente und Weichteile anlegt.
Standardoperationstechnik für Femurfrakturen. Eine
Marknagelung ESIN Prinzipielles. ESIN (elastisch-stabile intramedulläre Na-
gelung) ist eine minimalinvasive, minimal traumatisierende, suffizient bewegungs- und teilbelastungsstabile, biologische und kinderfreundlich adaptierte Osteosynthese für quere, schräge, kurze spiralförmige, diaphysäre Frakturen im Kindesalter mittels elastischer Markraumschienen (Titan oder Stahl). Ziel dieser biologischen, minimalinvasiven Frakturbehandlung ist, eine für das jeweils entsprechende Alter adäquate Reposition und Stabilisierung zu erreichen. Da es sich generell um ein geschlossenes Verfahren handelt, kann nie von einer anatomischen Reposition gesprochen werden, sondern lediglich von achsgerechter Stellung. Das biomechanische Prinzip der elastisch-stabilen intramedullären Nagelung beruht auf der symmetrischen Aufspannung von zwei metaphysär eingebrachten elastischen Nägeln, die jeweils drei Abstützpunkte innerhalb des Knochen aufweisen. Die Respektierung dieser Prinzipien ist eine unerlässliche Voraussetzung für optimale Resultate. Indikationen. Die ESIN wird primär zur Versorgung
von dia- und metaphysären Frakturen im Kindesalter verwendet. Die Indikation sind alters-, fraktur- und lokalisationsspezifisch zu stellen. Die Altersgrenze hängt von der biologischen Entwicklung des Kindes ab. Erfahrungsgemäß liegt die Untergrenze bei ca. 3 Jahren, die Obergrenze bei 13–15 Jahren. ▬ Frakturart: transversale Frakturen, kurze Schräg- oder Querfrakturen mit Ausbruchkeilen, lange Schrägfrakturen mit Möglichkeit der kortikalen Abstützung, Spiralfrakturen, multifragmentäre und bifokale Frakturen, pathologische Frakturen bei juvenilen Knochenzysten. ▬ Frakturlokalisation: Femur diaphysär, Femur metaphysär distal, Femur subtrochantär, Unterschenkel diaphysär, Unterschenkel metaphysär distal, Humerus
sorgfältige präoperative Planung, die richtige Wahl der Implantate und die präzise Rotationsüberprüfung anhand der nicht frakturierten Extremität sind für ein gutes Operationsergebnis unerlässlich. 1. Kind lagern Das Kind in Rückenlage auf einem röntgenstrahlendurchlässigen Operationstisch lagern. Für großgewachsene Kinder empfiehlt sich am Extensionstisch zu arbeiten. Kleinere Kinder werden mit Vorteil am Operationstisch fixiert. Der/die Assistent/in extendiert die verletzte Extremität. Eine freie Lagerung ermöglicht eine bessere Kontrolle der Nagellage und der Rotation. Den Bildverstärker so positionieren, dass das Femur auf der ganzen Länge a.-p. und lateral eingesehen werden kann (⊡ Abb. 6.22). 2. Fraktur reponieren Wird am Extensionstisch operiert, sollte die Fraktur geschlossen präoperativ unter Bildverstärkerkontrolle reponiert werden. Bei freier Lagerung des Kindes erfolgt die Reposition während des Eingriffs. Bei komplexen Frakturen beide Beine steril abdecken, damit intraoperativ ein Rotationsvergleich durchgeführt werden kann. 3. Nageldurchmesser bestimmen Den Isthmus des Markraums auf dem Röntgenbild ausmessen. Der Durchmesser des einzelnen Nagels sollte mindestens ein Drittel des Markraumdurchmessers betragen. Nägel mit identischem Durchmesser wählen, um Varus- oder Valgusfehlstellungen zu vermeiden (⊡ Abb. 6.23). 4. Nageleintrittstelle bestimmen Für die aufsteigende Versorgung am Femur liegen die Eintrittstellen 1–2 cm proximal der distalen Epiphysenfuge. Beim Kind entspricht dies etwa einem Fingerbreit proximal des Patellaoberpols. Bei Unsicherheit die vorgesehenen Eintrittstellen unter dem Bildverstärker kontrollieren (⊡ Abb. 6.24). 5. Inzision durchführen Die einander gegenüberliegenden Hautinzisionen medial und lateral werden von den geplanten Eintritt-
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Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
⊡ Abb. 6.22. Bei der so genannten freien Lagerung sollte das Kind so fixiert werden, dass es beim Zug am Bein nicht gleitet und die Fixierung das Arbeiten nicht behindert. a Übersicht. b Fixation.
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stellen aus etwa 3–4 cm nach distal gezogen, je nach Größe des Kindes. Wichtig: Eintrittstellen grundsätzlich außerhalb der Gelenkkapsel ansetzen. Inzisionen nicht zu kurz wählen (mindestens 3 cm), da für Nagelentfernung diese Größe benötigt wird. Markraum eröffnen Eine genau übereinstimmende beidseitige Eröffnung des Markraums ist für eine optimale symmetrische Verspannung unerlässlich (⊡ Abb. 6.24). Fascia lata ausreichend spalten. Am proximalen Ende der Inzision den Pfriem bis zum Knochen senkrecht einführen und kräftig ankörnen. Eröffnung des Knochens. Die Öffnung muss knapp größer sein als der gewählte Nageldurchmesser. Wichtig: Unbedingt die Epiphysenfugen schonen. Nägel vorbiegen Es wird empfohlen, den zu implantierenden Teil der Nägel auf das Dreifache des Markkanaldurchmessers vorzubiegen. Dabei soll der Scheitelpunkt des Bogens auf der Höhe der Frakturzone zu liegen kommen. Die Nagelspitze muss die Fortsetzung des Bogens bilden. Beide Nägel gleich vorbiegen (⊡ Abb. 6.25). Hinweis: Durch stärkeres Vorbiegen lassen sich der innere Anpressdruck erhöhen und die Kreuzungsstellen der Nägel mehr zur Metaphyse hin verlagern. Dies erhöht die Stabilität bei komplexen Frakturen. Ersten Nagel einbringen Den Nagel mit der Nagelspitze rechtwinklig zum Knochenschaft in den Markraum einführen. Das Einschlaginstrument um 180° drehen und die Nagelspitze zur Markraumachse ausrichten. Falls nötig, die Lage der Nagelspitze unter dem Bildverstärker kontrollieren. Ersten Nagel bis zur Frakturzone vorschieben Den Nagel manuell unter rotierenden Bewegungen oder mit leichten Hammerschlägen zur Fraktur vorschieben. Einbringen des zweiten Nagels An der gegenüberliegenden Eintrittstelle die Schritte 8 und 9 für den zweiten Nagel wiederholen, wobei es
⊡ Abb. 6.23. An einfachen Röhrenknochen beträgt der Nageldurchmesser 35–40% des engsten Markraumdurchmessers; am Unterarm, wo nur ein Nagel pro Knochen eingebracht wird, hingegen 60%.
⊡ Abb. 6.24. Radiologische Kontrolle der Nageleintrittstellen. Man beachte, dass diese genau einander gegenüberliegen sollten. Abstand zur Epiphysenfuge mindestens 2 cm.
71 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
⊡ Abb. 6.25. Den Scheitel der Vorbiegung genau auf Frakturhöhe wählen. Nagel nur über die Länge des Knochens vorbiegen. ⊡ Abb. 6.27. Das Drehen der Nägel um mehr als 180° verursacht das so genannte Korkenzieherphänomen, hier gut zu sehen. Dies sollte unbedingt vermieden werden, da die innere Verspannung der Nägel verloren geht.
⊡ Abb. 6.26. Je nach Lage und Form der Fraktur muss zuerst der mediale bzw. laterale Nagel primär über die Fraktur geschoben werden. Generell gilt, denjenigen zuerst vorschieben, mit dem sich die Fraktur reponieren lässt.
in der Metaphyse zum ersten Überkreuzen der Nägel kommt (⊡ Abb. 6.24). 11. Nägel weiterführen Durch Drehen der Nägel Fraktur indirekt definitiv reponieren und Nagelspitzen einige Zentimeter über die Fraktur hinausschieben, sodass die Fragmente sicher gehalten werden. Falls nötig, kann die definitive Reposition auch durch Längszug am Bein oder mit dem F-Hebel erfolgen. Anschließend wechselseitiges Vorschieben der Nägel über die Frakturzone (⊡ Abb. 6.26). Hinweis: Das Drehen des Nagels um mehr als 180° um die eigene Achse wie auch der »Korkenziehereffekt« (mehr als zwei Kreuzungspunkte der Nägel) sind unbedingt zu vermeiden. Durch die Repositionsmanipulation verbogene Nägel müssen ausgetauscht und entsorgt werden (⊡ Abb. 6.27).
12. Lage der Nagelspitzen überprüfen Die Lage der Nagelspitzen im proximalen Fragment unter dem Bildverstärker in beiden Ebenen kontrollieren und die Spitzen korrekt zum Markraum in der Frontalebene ausrichten. Darauf achten, dass die Spitze des medialen Nagels in der zukünftigen Position am Kalkar nicht perforiert. 13. Rotation überprüfen Nachdem die Fraktur sicher provisorisch fixiert ist, vor der definitiven Verankerung der Nägel in der proximalen Metaphyse die Rotation überprüfen bzw. die Nagelspitzen korrekt ausrichten. Falls ein Extensionstisch verwendet wird, das Bein steril von der Extension lösen, um die Rotation ebenfalls überprüfen zu können. Zudem erlaubt dies auch eine axiale Bildverstärkerkontrolle im proximalen Femurbereich (⊡ Abb. 6.28). 14. Nägel kürzen Entsprechend der geplanten Verankerungsposition die Nägel am distalen Ende unter Zugabe der verbleibenden vorgesehenen Einbringtiefe absetzen. Darauf achten, dass in der Endposition die Nägel an der Eintrittstelle für die spätere Entfernung etwa 1 cm überstehen. Hinweis: Zu lange Nagelenden führen zu störender Pseudobursabildung und behindern die freie Flexion des Knies. Zudem können sie die Haut perforieren und Infektionen verursachen (⊡ Abb. 6.29). 15. Nägel definitiv positionieren und verankern Die Nägel unter Verwendung eines Einschlagbolzens mit leichten Hammerschlägen in die geplante Verankerungsposition bringen. Die Nagelenden mit einem entsprechenden Instrument leicht aufbiegen, um die spätere Implantatentfernung zu erleichtern.
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6
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
⊡ Abb. 6.28. Überprüfung a der Innenund b Außenrotation, bevor die Nägel definitiv in der proximalen Metaphyse verankert werden. Rotationsfehler werden »produziert«!
⊡ Abb. 6.29a–c. Sauberes Absetzen der Nägel mit einem Bolzenschneider. Korrekte Länge verhindert Hautirritationen.
Metallentfernung. Der Vorteil der ESIN ist, dass aufgrund der relativ feinen Implantate die Heilung sehr gut verfolgt werden kann. Deshalb sollte unabhängig von der Frakturlokalisation die radiologische vollständige Konsolidation abgewartet werden, bevor die Implantate entfernt werden. Dies trifft vor allem für Femur- und Vorderarmfrakturen zu. Wird dies korrekt berücksichtigt, sind keine Refrakturen zu erwarten.
Probleme ▬ Stabilität. Bei langen Schrägfrakturen, Spiralfrakturen wie auch mehrfragmentären Frakturen kann bei Stabilitätsproblemen die Anwendung von sogenannten »EndCaps« die Stabilität massiv resp. suffizient verbessern. Die Anwendung ist einfach und ohne zusätzlichen Eingriff möglich. Die ⊡ Abb. 6.31 zeigt die Situation bei Verwendung von EndCaps.
73 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
▬ Tibia. Nach definitiver Platzierung der Nägel werden distal die Spitzen nach dorsal gedreht → Vermeidung der Rekurvation der Tibia.
Marknägel
a
b
⊡ Abb. 6.30. a Schematische Darstellung der Platzierung und Fixierung der EndCap; einziges Instrument ist ein spezieller Stiftschlüssel; b Klinisches Bild einer geheilten Spiralfraktur mit EndCap-Versorgung
Die Indikation für eine Osteosynthese mittels Marknagel stellt sich aufgrund der zu erwartenden Wachstumsstörungen erst beim Adoleszenten mit bereits verschlossenen oder sich verschließenden Epiphysenfugen. Außerdem kann bei ausgeprägt adipösen Kindern schon in der Zeit des Fugenschlusses eine stabile Marknagelosteosynthese erforderlich werden. Vorgehen und Indikation entsprechen dann denen der Erwachsenentraumatologie. Prinzipiell kommen Humerus-, Femur- und Tibianägel bei den entsprechenden Schaftfrakturen zur Anwendung.
Fixateur externe
▬ Korken-Zieher-Phänomen. Durch Drehen des zweiten Nagels um mehr als 180° bei liegendem erstem Nagel kommt es zu Verwindungen untereinander. Dadurch werden die Nägel von der Kortikalis weggedrängt. Die Abstützung geht verloren. Nagelperforation proximales Femur. Aufgrund der Antekurvation des Femurs kann der medial eingebrachte Nagel leicht am Kalkar perforieren. Deshalb muss unbedingt axial durchleuchtet werden können. ▬ Verletzung der Epiphysenfuge. Nichtrespektieren des korrekten Abstands der Eintrittstelle zur Epiphyse nfuge→Wachstumsstörungen. ▬ Hautirritation/Infektion. Zu lang abgesetzte Nägel führen zu Hautirritationen, die Ausgangspunkt von lokalen Infektionen darstellen. Am distalen Femur kommt es zudem zur Blockade der Flexion. ▬ Falsche Nageldicke. Zu dünne Nägel haben Instabilität und sekundäre Fehlstellung zur Folge. ▬ Verschiedene Höhe der Eintrittstellen. Führen zu ungleicher Verspannung der Nägel, woraus Varusbzw. Valgusfehlstellungen resultieren. Tricks ▬ Femur. Bessere Repositionsmöglichkeit durch Einbringen beider Nägel bis auf Frakturhöhe→Manipulation der Fragmente nach »Joy-Stick-Methode«. Am Extensionstisch so lagern, dass nach Frakturfixation die Extension abgehängt werden kann→bessere Kontrolle der Rotation und der proximalen Verankerung. ▬ Radiuskopf. Geschlossene Reposition komplett verschobener Frakturen mit Spickdraht → Joy-Stick.
Prinzipielles. Nach der ESIN stellt die Osteosynthese mittels Fixateur externe die zweithäufigste operative Behandlungsart von Schaftfrakturen im Kindesalter dar. Es ist darauf zu achten, dass adäquate, dem Alter des Kindes angepasste Fixateure und Implantate verwendet werden. Kinder tolerieren in der Regel den Fixateur externe gut, dennoch ist vor allem bei der Entfernung darauf zu achten, dass keine Schmerzen entstehen; oft ist eine Kurznarkose oder Sedierung angezeigt. Aufgrund der raschen Frakturheilung kann der Fixateur bis zur Ausheilung der Fraktur belassen werden, ein Verfahrenswechsel ist nicht nötig. Er stellt eine ergänzende Alternative zur ESIN dar, vor allem bei 3° offenen und sehr instabilen Frakturen sowie älteren Kindern. Indikationen. Komplett instabile, mehrfragmentäre Frak-
turen vor allem bei älteren Kindern an Femur, Tibia und Unterarm; Polytrauma und Schädel-Hirn-Trauma; sehr lange Spiralfrakturen mit und ohne Drehkeil des Femurs. Kontraindikationen. Es bestehen praktisch keine Kontra-
indikationen für den Fixateur externe, falls entsprechende Geräte zur Verfügung stehen. Technik. Normalerweise geschlossen; für untere Extre-
mität mit oder ohne Extensionstisch. Freie Durchleuchtung muss gewährleistet sein. Es empfiehlt sich, die Reposition analog der ESIN provisorisch vorzunehmen, um bereits eine gewisse achsgerechte Situation zu haben. Setzen der Schanz-Schrauben unter Bildwandlerkontrolle; bei sog. »Monotube-Systemen« ist die Distanz der Eintrittstellen vorgegeben.
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74
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
Tricks. Bei Platzierung der Schanz-Schrauben auf Weich-
teile achten→besser bei »freien Systemen«. Genügend große »Stichinzisionen«, damit Sekret abfließen kann. Duschen/Baden erleichtert die Pflege→anschließend gute Reinigung und nur sparsame Desinfektion. Weichteile eventuell mit einem Gummistopper schützen bzw. ruhig halten (⊡ Abb. 6.31).
6.2.3 Andere Techniken
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⊡ Abb. 6.31. Mittels einfacher Gummiunterlagen (Infusionsflaschendeckel) lassen sich die Verbände am FixEx einerseits halten, andererseits werden dadurch Hautreizungen vermindert. Hier am Modell gezeigt.
Prinzipielles. Im Kindesalter existieren zu den geschilderten Osteosyntheseverfahren kaum mehr alternative operative Techniken. Falls bei einem Kind für eine Fraktur eine Narkose zur Reposition gebraucht wird, sollte man sich immer vorher überlegen, welche Stabilisierungsverfahren angewendet werden sollten, operativ oder konservativ.
6.2.4 Metallentfernung
Bei »Tube-to-Tube-Systemen« können die Schrauben frei gesetzt werden. Es sollte je eine Schraube frakturnah bzw. frakturfern gesetzt werden. Für die Reposition müssen alle Klemmen und Schrauben offen sein, um eine freie Manipulierbarkeit der Fragmente zu haben. Tägliche Pinpflege ist Voraussetzung für eine Infektfreiheit. Metallentfernung. Die Entfernung des Fixateurs sollte nicht vor einer gut sichtbaren Kallusbildung erfolgen; in der Regel nach 4–8 Wochen, je nach Frakturart und Alter des Kindes. Eine gute Sedierung oder Kurznarkose ist zu empfehlen. Der Eingriff kann jedoch immer ambulant vorgenommen werden. Typische Frakturen. Komplexe Femurschaftfrakturen; distale, metaphysäre Femurfrakturen. Komplexe Unterschenkel- und Tibiafrakturen; Schaft und proximale und distale Metaphyse. Komplexe Unterarmfrakturen, nicht retinierbare distale Radiusfrakturen. Offene Frakturen 3°. Probleme. Pin-Track-Infektion→gute Pflegeanleitung er-
forderlich. Hohe Refrakturrate, vor allem bei zu früher Entfernung wegen Infektion. Fehlstellungen. Verzögerte Heilung. Schanz-Schrauben-Ausriss.
Ist der frakturierte Knochen geheilt, so stellt sich die Frage nach der Metallentfernung. Diese stellt einen erneuten invasiven Eingriff dar mit der Notwendigkeit einer Narkose und birgt neben den allgemeinen Risiken wie Infektion, Wundheilungsstörungen oder Gefäß- und Nervenverletzung die Gefahr einer Refraktur. Eine klare Indikation ergibt sich bei Beschwerden im Bereich des Osteosynthesematerials (Schmerzen, Funktionseinschränkung, Hautirritation usw.). Externe Osteosynthesematerialien sollten in allen Fällen entfernt werden, was häufig ambulant ggf. unter Analgesie oder Sedierung erfolgen kann. Daneben muss bedacht werden, dass vor allem Kinder dazu neigen, interne Osteosynthesematerialien wie Schrauben oder Platten in kurzer Zeit knöchern zu überbauen, was eine spätere Metallentfernung erschwert. Anhaltende Zugspannungen, die durch eine Osteosynthese auftreten können (besonders im Bereich der Diaphyse), sollten aufgrund des noch stattfindenden Remodelings vermieden werden. Verbleibende Materialien (vor allem Stahlplatten) zeigen im Verlauf Korrosion mit zunehmendem Metallabrieb, der zu einer reaktiven Bildung von Granulationsgewebe führen kann und eine Gefahr der Spätinfektion in sich birgt. So sollte trotz neuer Titanimplantate, die theoretisch verbleiben können, bei Kindern eine frühzeitige Metallentfernung erfolgen. Eine zuvor durchgeführte radiologische sowie klinische Kontrolle der Frakturkonsolidation ist selbstverständlich. Die Zeitpunkte der Metallentfernungen sind in den speziellen Kapiteln angegeben.
7
Gefäßverletzungen J. Frank
7.1
Ursachen, Verletzungsmechanismus
– 76
7.2
Klassifikation – 76
7.3
Diagnostik – 76
7.3.1 7.3.2
Scharfe direkte Gefäßverletzung – 76 Stumpfe direkte und indirekte Gefäßverletzung
7.4
Primärbehandlung
7.5
Therapie
7.6
Komplikationen, Wachstumsstörungen
7.7
Nachkontrollen – 78
– 77
– 77
– 77 – 77
76
Kapitel 7 · Gefäßverletzungen
7.1
7
Ursachen, Verletzungsmechanismus
Gefäßverletzungen bei Kindern finden sich ähnlich wie bei Erwachsenen bei penetrierenden Verletzungen, z.B. durch Glasscherben (Sturz mit der Glasflasche), Schnittund Stichverletzungen, oder auch bei Tierbissen. Im Bereich komplexer anatomischer Strukturen, wie z.B. der Hand, müssen die Begleitverletzungen an Nerven und Sehnen mit berücksichtigt werden. Gerade Punktionsverletzungen können hier schwerwiegende Verletzungen verbergen, da das verletzte und verängstigte Kind oft sehr schwierig zu untersuchen ist. Im Zweifelsfall und bei Verdacht auf strukturrelevante Läsionen sollte eine operative Exploration und adäquate Therapie erfolgen. Eine relative oder absolute Ischämie bei Gefäßverletzungen mit Komplikationen wie Wachstumsstörungen oder Funktionsdefiziten kann dann verhindert werden. Stumpfe Gefäßverletzungen finden sich im Wesentlichen als direkte Arterienverletzungen bei Kontusionen, Kompressionen, z.B. durch Hämatome oder Knochenfragmente, bzw. als indirekte Arterienverletzungen bei Frakturen oder Gelenkluxationen. Explizit muss besonders auf die Gefahr von Gefäßverletzungen bei suprakondylären Humerusfrakturen hingewiesen werden, bei der die A. brachialis durch Überdehnung, Zerrung oder Torsion geschädigt werden kann. Im Ellenbogenbereich finden sich bei den dislozierten Frakturen ca. 2% Gefäßverletzungen, die therapiebedürftig sind, wobei ca. 10% primär Zeichen der Gefäßbeteiligung haben, aber nach Reposition meist unauffällig bleiben.
7.2
Klassifikation
▬ Scharfe direkte Arterienverletzungen, ▬ stumpfe direkte Arterienverletzungen (⊡ Abb. 7.1), ▬ indirekte Arterienverletzungen.
7.3
Diagnostik
Zunächst werden die entscheidenden Informationen bezüglich Verletzungsmechanismus, Verletzungszeitpunkt, Blutverlust und insbesondere begleitenden neurologischen Beschwerden erfragt. Bei der Untersuchung werden die Verletzung, die Blutung, das Hämatomausmaß sowie Schwellung bzw. Zeichen eines Kompartmentsyndroms beurteilt. Die klassischen Zeichen der Ischämie wie Schmerz, Blässe, Pulslosigkeit und Parästhesie fehlen oft, insbesondere bei distalen Gefäßverletzungen. In geeigneten Bereichen kann ein Allen-Test durchgeführt werden, ggf. mittels Dopplergerät, und die Kapillarfüllung beurteilt werden. Es ist nicht selten, dass das eigentliche Ausmaß erst bei der chirurgischen Versorgung
Grad I
Grad II
Grad III ⊡ Abb. 7.1. Gefäßwandverletzungen. Grad I Intimaverletzung, Grad II Intima- und Muskularisverletzung, Grad III Lumenverschluss durch Einrollen von Intima und Muskularis.
festgestellt wird. Bei Gefäßverletzungen sollte im Zweifel immer eine Röntgenuntersuchung erfolgen, da stabile Knochenstrukturen eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Gefäßrekonstruktion sind. Eine Angiographie erfolgt nur in Ausnahmefällen, bei denen die Lokalisation fraglich ist. Bei Luxationen bzw. Frakturen ist der Ort der Gefäßläsion vorgegeben und eine Revaskularisation bei kompletter Ischämie sollte nicht unnötig verzögert werden.
7.3.1 Scharfe direkte Gefäßverletzung
Inkomplette Arterienverletzungen sind meist Folgen von Stich- oder Schnittverletzungen bzw. auch iatrogen. Das Gefäß wird von außen nach innen geschädigt und die Blutung kann nur sistieren, wenn es hämatombedingt zur Kompression oder durch Intima-/Mediaeinrollung zum Verschluss kommt. Neben der Blutung aus der Läsion imponiert je nach Lokalisation die periphere Pulslosigkeit. Die komplette Durchtrennung äußert sich je nach Lokalisation als diffuse Einblutung oder auch als Hämatom. Gerade kleinere Arterien können sich retrahieren und Gefäßspasmus sowie Gewebedruck zur Blutstillung führen. Dies kann allerdings auch die relevante Gefäßverletzung verbergen und lediglich die chirurgische Exploration, in Ausnahmen die Angiographie, zeigt die komplette Durchtrennung.
77 7.6 · Komplikationen, Wachstumsstörungen
7.3.2 Stumpfe direkte und indirekte
Gefäßverletzung Die Gefäßkontusion unterscheidet sich wesentlich von den scharfen Verletzungen und kann in ihrer Folgeerscheinung sehr unterschiedlich sein. Die stumpfe Verletzung führt zunächst zur Intimaläsion und erst bei stärkerer Ausprägung zur Verletzung der Media bzw. selten zur kompletten Gefäßdurchtrennung mit Verletzung der Adventitia. Die Läsion ist allerdings oft langstreckiger als scharfe Gefäßverletzungen, was unbedingt bei der Rekonstruktion berücksichtigt werden muss, um postoperative Thrombosen zu vermeiden. Die Intimaläsion begünstigt die Thrombenbildung und damit den Gefäßverschluss. Insbesondere die Einschätzung des Ausmaßes der Gefäßschädigung erfordert eine entsprechende Erfahrung. Einblutungen in die Gefäßwand nach Gefäßanastomose, Separation der Gefäßwandschichten oder Areale mit Thrombozytenaggregation bzw. Fibrinakkumulation sprechen für eine weiter reichende Intimaverletzung. Die wichtigsten indirekten Gefäßverschlüsse finden sich bei Gelenkluxationen an der A. femoralis, der A. poplitea, der A. axillaris oder bei Dezelerationstrauma an der Aorta.
7.4
Primärbehandlung
Die Primärbehandlung, insbesondere am Unfallort, konzentriert sich auf Kontrolle der Blutung, Schockbekämpfung und Vermeidung weiterer Schäden. Offensichtliche Blutungen werden mittels Kompression versorgt. Als letzte Möglichkeit sollte ein Tourniquet angelegt werden. Bei Extremitätenverletzungen und insbesondere bei Frakturen müssen diese mittels Schiene ruhiggestellt werden.
7.5
Therapie
Die operative Versorgung reicht je nach Ausmaß der Verletzung von der direkten Gefäßnaht und dem Venenpatch bis hin zur Veneninterposition. Bei der Behandlung von kindlichen Gefäßverletzungen muss auf autologes Gewebe zurückgegriffen werden, da nur dadurch dem anstehenden weiteren Wachstum Rechnung getragen wird. Die üblichen Entnahmebereiche sind daher die Unterarmvenen, V. cephalica und V. basilica sowie V. saphena. Das Wachstum muss auch bei der Wahl von Nahtmaterial und Anastomosentechnik beachtet werden. Insbesondere bei Verwendung von nichtresorbierbarem Nahtmaterial sollten Einzelknopftechniken angewendet werden, um das Risiko von sekundären Stenosen zu minimieren (⊡ Abb. 7.2). Die Naht sollte spannungsfrei sein, damit eine Ruptur oder sekundäre Thrombose verhindert
⊡ Abb. 7.2. Zerreißung der A. brachialis bei suprakondylärer Humerusfraktur und Gefäßrekonstruktion mit Veneninterponat.
wird. Beim Einsatz von Veneninterponaten darf es nicht zum Kinking des Gefäßes kommen, da dies ebenfalls eine Thrombose induzieren kann. Nach der Gefäßversorgung müssen die Dauer und das Ausmaß der Ischämie beurteilt werden, denn bei langer Ischämie muss ggf. eine prophylaktische Kompartmentspaltung erfolgen. Eine kurzfristige Ruhigstellung für etwa 2 Wochen sollte zur Sicherung der Gefäßnaht und der Versorgung erfolgen. Eine engmaschige Kontrolle der Durchblutung innerhalb der ersten 48 Stunden (2-stündlich) ist notwendig. Dies kann durch Palpation des Pulses und Inspektion der Kapillardurchblutung bei Extremitätenverletzungen erfolgen. Ein Pulsoximeter sollte die Überwachung ergänzen. Bei Gefäßnähten im mikrochirurgischen Bereich bzw. auch der A. radialis und der A. ulnaris kann zur Prävention einer Thrombenbildung postoperativ die Rheologie verbessert werden, z.B. mit Heparin und Kristalloiden wie Hydroxyäthylstärke (HAES). Diese Behandlung kann dann auf eine kurzfristige (3–4 Wochen) niedrig dosierte Therapie mit Acetylsalicylsäure umgestellt werden.
7.6
Komplikationen, Wachstumsstörungen
Als wesentliche Komplikationen in den ersten 2 Tagen sind die Nachblutung und der Sofortverschluss zu nennen. Auch ein langsamer Verschluss rekonstruierter Gefäße kann auftreten. Wenn in diesen Fällen eine gute Durchblutung distal der Läsion bei fehlendem Radialispuls feststellbar ist, wird auch ein Belassen dieser Situation diskutiert. Bei relativer Ischämie nach Belastung ist jedoch die nochmalige Gefäßrekonstruktion erforderlich. Weitere relevante Komplikationen sind Wundinfektionen, das Kompartmentsyndrom und Lymphfisteln bzw. Lymphozelen, besonders im Bereich der Leiste.
7
78
Kapitel 7 · Gefäßverletzungen
7.7
Nachkontrollen
Meist in Abhängigkeit von den Zusatzverletzungen erfolgen die Nachkontrollen. Nach der anfänglich engmaschigen Kontrolle der Durchblutung in der ersten Woche nach operativer Versorgung sollte nach ½ Jahr und noch 2 Jahre lang jährlich eine klinische Kontrolle erfolgen, um ggf. Wachstumsdefizite zu erfassen. Bei unklaren Befunden im Heilverlauf kann dann bei Bedarf eine Farbduplex-Untersuchung oder bei speziellen Fragen die Magnetresonanzangiographie erfolgen. ⊡ Abb. 7.3. Pseudoaneurysma. AV-Fistel nach Stichverletzung.
7
Wird eine Verletzung übersehen, kann sich neben ischämischen Komplikationen ein Pseudoaneurysma ausbilden, das eine sekundäre operative Behandlung erfordert, oder auch, insbesondere bei Stichverletzungen, eine AV-Fistel (⊡ Abb. 7.3). Aus solchen AV-Fisteln können eine Wachstumsverzögerung, Tachykardie, erhöhtes Blutvolumen, erhöhte Herzauswurfleistung, ein erhöhter venöser Druck mit dem Risiko einer kongestiven Herzerkrankung resultieren. Untersuchungen nach Ligatur der A. subclavia bei Fallot-Tetralogie zeigten eine Wachstumsverzögerung (Radius) und eine Reduktion der Muskelmasse. Es ist somit eine Wiederherstellung größerer Gefäße zu fordern. Bei distalen Gefäßverletzungen wie z.B. am Handgelenk oder auch in der Hohlhand oder am Finger besteht keine homogene Auffassung. Bei Ligatur der A. ulnaris ist das Risiko einer kritischen Ischämie 1,6%, der A. radialis 5,1%. Das Risiko kann minimiert werden, wenn das dominante Gefäß bekannt ist. Im Bereich des Handgelenks und der Finger finden sich jedoch hohe individuelle Schwankungen, daher sollte wenn möglich eine Gefäßversorgung erfolgen. Es ist zudem bekannt, dass im Fall einer zusätzlichen Nervenverletzung diese sich nach Versorgung von Nerv und Arterie besser erholt.
8
Nervenverletzungen J. Frank
8.1
Ursachen, Verletzungsmechanismus
– 80
8.2
Klassifikation – 80
8.3
Diagnostik – 80
8.4
Primärbehandlung
8.5
Therapie
8.6
Komplikationen, Wachstumsstörungen
8.7
Nachkontrollen – 82
– 81
– 81 – 82
80
Kapitel 8 · Nervenverletzungen
8.1
8
Ursachen, Verletzungsmechanismus
Die häufigsten Nervenverletzungen finden sich nach Schnittverletzungen am distalen Unterarm oder der Hand, meist durch Glas. Aber auch stumpfe Verletzungen können durch Kompression oder Zug zu vollständigen oder auch unvollständigen Unterbrechungen der Nerven führen. Besonders bei Frakturen im Ellenbogenbereich und abhängig von der Frakturdislokation werden häufig sensible oder motorische Nerververletzungen festgestellt. Inkomplette primäre Läsionen weisen nach Reposition und Frakturstabilisierung meistens eine gute Prognose auf und erholen sich nach 2–4 Monaten. Andere häufige Lokalisationen sind neben den Extremitäten, dem Schulter- und dem Beckengürtel auch die Kopf- und Halsregion. Generell können folgende Verletzungsursachen aufgelistet werden: ▬ Ischämie, ▬ mechanische Ursachen (Zug, Druck, Abknickung, Kälte, Hitze, Elektrizität, toxische Substanzen, Strahlung), ▬ Infektionen und entzündliche Erkrankungen, ▬ Tumoren, ▬ systemische Erkrankungen. Generell ist allerdings zu beachten, dass bei kompletten Nervendurchtrennungen oder gar zentralen Läsionen am Plexus das sich entwickelnde Nervensystem wesentlich empfindlicher reagiert und auf die retrograde Stimulation durch die Peripherie angewiesen ist. Das Halsmark zeigt z.B. bei geburtstraumatischer Plexusläsion eine deutliche Atrophie.
8.2
Klassifikation
Die entscheidende leitende Struktur des peripheren Nervs ist der Neurit der Ganglionzelle, die sich bei den motorischen Nerven im Vorderhorn des Rückenmarks, beim sensiblen Nerv im Ganglion spinale befindet. Eine
Vielzahl von Neuriten ist durch Bindegewebe verbunden und dieses Perineurium bildet die Faszikel. Eine Gruppe von Faszikeln, die durch interfaszikuläres Bindegewebe wiederum verbunden sind, bilden dann ein Faszikelbündel. Eine Gruppe dieser Bündel formt letztlich den peripheren Nerv und ist von einer bindegewebigen Hülle ummantelt (Epineurium). Kommt es bei Nervenverletzungen zur Durchtrennung von Axonen, degenerieren diese distal der Verletzungsstelle (Waller-Degeneration). Da der Nerv jedoch nicht immer komplett durchtrennt wird, ist die Regenerationsmöglichkeit abhängig vom Grad der Verletzung und der Distanz zum Erfolgsorgan des Nervs bzw. der anatomischen Lokalisation. Die Schwere einer Nervenverletzung wurde nach Seddon ursprünglich in drei Grade eingeteilt: ▬ Grad I Neuropraxie: Leitungsblockade an einer bestimmten Stelle im Verlauf des Nervs, ohne dass es zur Axondegeneration kommt. ▬ Grad II Axonotmesis: axonale Schädigung mit Degeneration distal der Läsion. ▬ Grad III Neurotmesis: komplette Durchtrennung des Nervs. Diese z.T. in der Klinik noch übliche Klassifikation wurde von Sunderland und später Mackinnon erweitert (⊡ Tab. 8.1). Sie richtet sich nach der axonalen und bindegewebigen Anatomie des Nervs.
8.3
Diagnostik
Klinisch imponieren auch beim Kind die typischen Bilder wie Fallhand oder Spitzfuß, sofern motorische Funktionen ausfallen. Es muss bei der Untersuchung auf Dysästhesien, Anästhesien, Schwächen, Lähmungen und Funktionsausfälle geachtet werden. Gerade beim Kind stellt dies jedoch eine besondere Herausforderung an den Untersucher dar. So muss das Kind z.B. zum Spreizen der
⊡ Tab. 8.1. Klassifikation der Nervenverletzungen Schweregrad
Tinel-Zeichen/Fortschreiten nach distal
Erholungsmuster
Erholungsrate
Operative Vorgehensweise
I
Neuropraxie
kein T-Zeichen
komplett
schnell (Tage bis zu ca. 12 Wochen)
keine
II
Axonotmesis
+/+
komplett
langsam (1 mm/Tag)
keine
III
Axonotmesis
+/+
große Variation
langsam (1 mm/Tag)
keine/Neurolyse
IV
Kontinuitätsneurom
+/–
keines
keine Erholung
Nervennaht/Nerventransplantation
V
Neurotmesis
+/–
keines
keine Erholung
Nervennaht/Nerventransplantation
VI
Kombinationsverletzungen von Grad I–V
variiert nach Faszikel verletzungsabhängig
variiert nach Faszikel
variiert nach Faszikel
variiert nach Faszikel
81 8.5 · Therapie
Finger (N. ulnaris) oder zum Beugen des IP-Gelenks am Daumen bzw. des DIP-Gelenks am Zeigefinger (N. interosseus anterior) motiviert werden. Besonders zu beachten ist auch, ob ein Kind Extremitätenanteile ignoriert und nicht mehr benutzt. Es muss hier nicht eine motorische Läsion ursächlich sein, sondern ggf. lediglich ein sensorisches Defizit (z.B. Abspreizen von Daumen und Zeigefinger bei sensiblem Ausfall des N. medianus). Kinder klagen auch oft weniger über Schmerzen, insbesondere nicht bei kompletter Durchtrennung. Diese finden sich häufiger bei inkompletten Verletzungen und sind dann von unterschiedlicher Dauer und Ausprägung. Manchmal sind auch eine Erwärmung und trockene Haut im betroffenen Extremitätenabschnitt auffällig. Bei offenen Wunden müssen die anatomischen Beziehungen zu relevanten Nervenstrukturen beachtet werden; bei geschlossenen Verletzungen kann durch Hämatombildung, Hautmarken und Schwellung der Schweregrad abgeschätzt werden. Bei Verletzungen der Wirbelsäule muss während der Diagnostik beachtet werden, dass bei Kindern das Mark im Halsbereich den Rückenmarkskanal ausfüllt und die Spinalnerven in einem nahezu rechten Winkel austreten. Es kommt daher eher zu einer Durchtrennung als zu einem Ausriss (Avulsion) von Nervenwurzeln. Die Myelinisierung ist ebenfalls noch nicht komplett, daher ist die Nervenleitgeschwindigkeit bis zum Alter von ca. 3 Jahren um ca. die Hälfte langsamer. Dies muss besonders bei der neurophysiologischen Untersuchung von Nervenverletzungen bei Kindern beachtet werden. Die Aufnahme der Funktion bzw. der Gebrauch (z.B. Hand) kommt beim Kind oft deutlich später als die Zeichen der neurophysiologischen Reinnervation.
wunden an der Hand) und anatomischer Nähe zu einem Nerv muss primär von einer Nervenverletzung ausgegangen und bei entsprechender Lokalisation die Wunde – beim Kind meist in Vollnarkose – exploriert werden (⊡ Abb. 8.1). Bei geschlossenen Verletzungen richtet sich die Therapie nach der Ursache der Nervenläsion. Im Fall einer Fraktur (z.B. Ellenbogen) steht die Reposition und Stabilisierung im Vordergrund. Bei einer stumpfen Nervenverletzung durch Überdehnung nach Reposition ist mit einer hohen Spontanregeneration des Nervs zu rechnen (ca. 90%).
8.5
Therapie
Die Behandlung richtet sich nach der Ursache der Verletzung. Bei tiefen offenen Verletzungen (z.B. Schnitt-
Nervendurchtrennungen müssen operativ in mikrochirurgischer Technik versorgt werden. Eine spannungsfreie Naht in faszikulärer Weise mit zusätzlich epineuraler Naht wird je nach Nervengröße durchgeführt (⊡ Abb. 8.2). Die Fadenstärke beträgt 10–0 an den Fingern, bis zu 7–0 bei den großen Extremitätennerven, wobei nicht resorbierbare Materialien verwendet werden. Bei Nervendefekten müssen Nerveninterponate eingesetzt werden, z.B. mit dem N. suralis oder N. cutaneus antebrachii medialis. Die Regeneration nach einer kompletten Nervendurchtrennung ist nur so gut wie die Naht des Nervs oder dessen Rekonstruktion. Trotzdem variiert sie von sehr gut bis schlecht in Abhängigkeit vom Grad der endoneuralen Narbenbildung und dem Grad der Fehlleitung sensorischer und motorischer Axone innerhalb des verletzten Nervs. Dies gilt insbesondere für die Spontanregeneration bei Grad III Axonotmesis (⊡ Tab. 8.1). Hier kann neben Abwarten eine operative Neurolyse, insbesondere bei Lokalisation an einer typischen Nervenkompressionsstelle, eine deutliche Funktionsverbesserung bringen. Die Regenerationsrate beträgt typischerweise zwischen 1 und maximal 3 mm/Tag. Auffällig bei Kindern ist dabei die Tatsache, dass Schmerzen relativ selten auftreten.
⊡ Abb. 8.1. Weitestgehende Zerreißung des N. radialis.
⊡ Abb. 8.2. Mikrochirurgische Nervennaht am Finger.
8.4
Primärbehandlung
8
82
Kapitel 8 · Nervenverletzungen
8.6
8
Komplikationen, Wachstumsstörungen
Inkomplett aus der Fraktur ausgelöste Nerven oder ausgeprägte Kallusreaktionen können zu einer Kompression oder gar zu einem Einmauern eines Nervs führen. Eine sekundäre Nervenläsion ist die Folge und muss frühzeitig erkannt werden. In diesen Fällen ist eine operative mikrochirurgische Neurolyse erforderlich, nach der sich häufig eine rasche Erholung der Nervenfunktion einstellt (⊡ Abb. 8.3). In Einzelfällen muss jedoch der schwer geschädigte Nerv durch ein Nerveninterponat überbrückt werden. Die Denervation einer Extremität führt zu Wachstumsstörungen, bei ausgeprägten geburtstraumatischen Läsionen des Plexus kann dies mehr als 20% ausmachen. Wesentlicher noch ist das Auftreten von muskulärer Imbalance bei Ausfall bestimmter Muskelgruppen. Eine solche Imbalance muss rechtzeitig beseitigt werden, um eine fixierte Deformität zu verhindern, die dann lediglich noch durch einen Eingriff am knöchernen Skelett korrigiert werden kann. Schmerzen nach Nervenver-
letzungen werden beim Erwachsenen folgendermaßen beschrieben: ▬ Kausalgie (CRPS Typ 2, komplexes regionales Schmerzsyndrom), ▬ Reflexdystrophie (CRPS Typ 1), ▬ Neuralgie, ▬ Neurostenalgie (Schmerz durch Kompression, Dehnung oder Ischämie), ▬ zentraler Schmerz (z.B. durch spinale Verletzung oder chronischen Schmerz), ▬ sekundärer Krankheitsgewinn. Die meisten dieser Schmerzsyndrome bzw. Ursachen finden sich beim Kind nicht und treten selbst als Neuralgie nach Plexusverletzungen selten auf. Schmerzen, die als Neurostenalgie bezeichnet werden, sind dagegen bei einer Nervenkompression, z.B. in einer Fraktur, häufig und können als diagnostischer Hinweis dienen. Auch postoperative Schmerzen, die in diese Richtung deuten, müssen beachtet werden. Es kann ein Hinweis auf eine Irritation eines Nervs am Knochen oder an Frakturfragmenten, an eine Kompression durch eine Naht oder auch ein zunehmendes Hämatom sein.
Nachkontrollen
8.7
Nach einer akuten Nervenverletzung sollte eine Nachkontrolle alle 2 Wochen erfolgen; im Wesentlichen um die Eltern beraten zu können und möglichst frühzeitig Zeichen einer Regeneration zu erkennen, was deutlich zu
⊡ Tab. 8.2. Graduierung der Nervenregeneration entsprechend dem Medical Research Council Motorik M0
keine Muskelkontraktion
M1
Muskelkontraktion ohne Bewegung
M2
geringe Kraftentwicklung; Bewegung gegen Schwerkraft, nicht gegen Widerstand
M3
gute Bewegung auch gegen Widerstand
M4
aktive Bewegung auch gegen Widerstand
M5
normale Kraft
Sensibilität
⊡ Abb. 8.3. Nervenkompression. a Sekundär durch Kallus. b Freier Verlauf nach Neurolyse.
S0
keine Sensibilität
S1
tiefe Schmerzempfindung
S2
Berührungsempfindlichkeit
S3
teilweise Zweipunktediskriminierung
S4
normale Sensibilität
83 8.7 · Nachkontrollen
einer Entspannung der Situation beiträgt. Nach erfolgter Nervennaht kann das Tinel-Zeichen zur klinischen Verlaufskontrolle dienen. Bei einer Regeneration ist dieses stärker an dem sich von zentral nach peripher regenerierenden Nerv im Vergleich zur ursprünglichen Nahtstelle. Neurophysiologische Untersuchungen sollten nach 6 Wochen, 3 und 6 Monaten erfolgen. Wenn die Axone verletzt sind, findet sich ca. 6 Tage nach Verletzung und Stimulation des Nervs distal der Verletzungsstelle keine motorische Reizantwort mehr. Die Entwicklung bzw. das Auftreten einer muskulären Imbalance sollte in den ersten 2 Jahren alle 6 Monate geprüft werden. Danach ist eine jährliche Verlaufskontrolle geboten. Die letztlich wiedergewonnenen Funktionen können nach der Einteilung des British Medical Research Council (1954, ⊡ Tab. 8.2) graduiert werden.
8
9
Sehnenverletzungen J. Frank
9.1
Ursachen, Verletzungsmechanismus
– 86
9.2
Klassifikation – 86
9.2.1 9.2.2
Strecksehnen der Hand – 87 Beugesehnen der Hand – 88
9.3
Diagnostik – 88
9.3.1 9.3.2
Strecksehnenverletzungen der Hand – 89 Beugesehnenverletzungen der Hand – 89
9.4
Primärbehandlung
9.5
Therapie
9.5.1 9.5.2
Strecksehnenverletzungen der Hand – 90 Beugesehnenverletzungen der Hand – 91
9.6
Komplikationen, Wachstumsstörungen
9.7
Nachkontrollen – 93
– 90
– 90
– 92
86
Kapitel 9 · Sehnenverletzungen
9.1
9
Ursachen, Verletzungsmechanismus
Kinder und Heranwachsende mit offenen Epiphysenfugen erleiden eher eine Avulsionsverletzung oder eine Verletzung der Wachstumsfuge als Band-, Muskel- und Sehnenverletzungen. Biomechanisch ist das chondroossäre Gewebe das schwächste Glied in der Reihe, wenn man die muskulotendinösen bzw. ligamentären Einheiten betrachtet. Sehnen und Bänder sind nicht, wie beim Erwachsenen, direkt mit dem wachsenden Skelett über Sharpey-Fasern verbunden. Sie sind mit dem Knorpel bzw. der Wachstumsregion über ein fibrokartilaginäres Zwischengewebe oder das Perichondrium bzw. Periost angeheftet. Dieses Konstrukt erlaubt ein Wachstum bei Größenzunahme des Knochens. Die hohe Elastizität und plastische Deformierbarkeit der Sehnen und Bänder beim Kind führen oft zu Knochenverletzungen und nicht zu intraligamentären/intratendinösen Rupturen. Erst am Ende der Wachstumsphase, bei Adoleszenten, nimmt die Laxizität ab und das Risiko einer intratendinösen Ruptur steigt. Somit wirkt sich beim Kind eine übermäßige Zugbelastung am ehesten am nahe liegenden Knochen aus. Diese Überlastung kann dann gelegentlich als Ossifikation sichtbar sein und repräsentiert das »Versagen« des muskulotendoossären Systems. Diese Umstände scheinen auch die Basis der pathologischen Veränderungen bei der avaskulären Knochennekrose (z.B. Morbus OsgoodSchlatter) zu bilden. Grundsätzlich muss beachtet werden, dass Muskeln, Sehnen und Knochen als Einheit gemeinsam fungieren und die Muskelverletzungen gerade in der Sportmedizin häufig sind. Sie gehören zu den oft fehlinterpretierten und inadäquat behandelten Verletzungen. Es muss daher bei einem Verdacht auf eine Sehnenverletzung dem gesamten Muskel-Sehnen-Komplex Beachtung geschenkt werden. Entsprechend können die Verletzungen in Läsionen der Muskulatur, des Muskel-Sehnen-Übergangs, der Sehne selbst und des Ansatzbereichs unterteilt werden. Gerade Muskelkontusionen und -zerrungen sind häufige Verletzungen beim jungen Heranwachsenden mit dessen sportlichen Betätigungen, jedoch selten im Kindesalter. Akute Sehnenverletzungen sind ebenfalls selten im Kindesalter, obgleich eine submaximale Belastung zu einem Überlastungssyndrom führen kann, z.B. der Teilruptur der Bizepssehne bei heranwachsenden Tennisspielern. Eine plötzliche Steigerung der Belastung mit Überbeanspruchung, z.B. Laufen auf unebenem Gelände, harten oder glatten Straßen oder auf zu weichem Boden, plötzliche Belastungen vorher untrainierter Körperregionen ohne adäquate Anpassung der Bewegungsmuster bzw. -technik, Körperwachstum und unzureichende Erholung nach einer Verletzung sind weitere Faktoren. Im Ruhezustand haben die Sehnen eine wellenförmige Struktur und bei einer Dehnung von 2% werden die Kol-
lagenfasern Belastungen ausgesetzt. Ab 4–8% beginnen die Querverbindungen der Kollagenstruktur zu versagen. Die Belastung der Achillessehne kann bei Spitzen etwa das 12fache des Körpergewichts betragen. Ursächlich für einen Gewebeschaden ist aber oft die wiederkehrende Belastung in Kombination mit Druck und Scherkräften. Verletzungen finden sich somit bei folgenden Ausgangssituationen: ▬ rascher Spannungsanstieg ohne Aufwärmen, ▬ schräge Spannungslinien, ▬ Anspannung der Sehne vor dem Trauma, ▬ maximale Kontaktfläche zum anhängenden Muskel, ▬ Dehnung der Muskulatur durch äußere Krafteinwirkung, ▬ schlechte Relation der Sehne zur Muskulatur. Bezüglich offener Verletzungen muss festgehalten werden, dass Kinder ihre Umwelt durch Sehen, Schmecken und Fühlen erfahren. Es bleibt daher nicht aus, dass sie mit den Händen gefährliche Objekte berühren, die zu Weichteil- und Sehnenverletzungen führen können. Solche Verletzungen können bei Kindern nicht nur Funktionsverluste zur Folge haben, sondern auch Minderwachstum durch den unfallbedingten Schaden. Dabei stehen die Sehnenverletzungen im Bereich der Hand ganz im Vordergrund.
9.2
Klassifikation
Verletzungen im Bereich der Muskulatur bzw. der Muskelfasern des Muskel-Sehnen-Komplexes reagieren schnell auf Veränderungen und können nach Läsionen innerhalb von 3 Wochen heilen. Bei Rupturen können mehrere Arten unterschieden werden: ▬ Zerrungen: durch Überdehnung oder exzentrische Überlastung bedingte Läsionen im Bereich des muskulotendinösen Übergangs: – Grad I, leichte Zerrung: weniger als 5% der Muskelfasern; keine Kraftminderung oder Bewegungseinschränkung, jedoch Schmerzen. – Grad II, mäßige Zerrung: erhebliche, aber nicht vollständige Zerreißung der Muskulatur. – Grad III, schwere Zerrung: vollständige Zerreißung des Muskels. ▬ Kontusion: direkte Krafteinwirkung, wenn ein Muskel gegen den Knochen gedrückt wird; Probleme sind die Muskelzerreißung und im Muskel lokalisierte Blutungen. Die entstandenen Hämatome können in intramuskuläre und intermuskuläre Hämatome differenziert werden. Intramuskuläre Hämatome liegen innerhalb der Muskelhülle und führen zu einer Erhöhung des Drucks, was
87 9.2 · Klassifikation
weiteren Blutungen entgegenwirkt, jedoch resultieren daraus eine längere Schwellung über die ersten 48 Stunden, eine deutliche Druckempfindlichkeit und Beschwerden. Selten entwickelt sich in Kombination mit dem zusätzlich osmotisch bedingten Flüssigkeitseinstrom ein akutes Kompartmentsyndrom. Intermuskuläre Hämatome führen zunächst zu einem Druckanstieg, der rasch abfällt, sodass sich die Blutung verteilt, und es tritt oft distal des Schadens eine Hämatomverfärbung und Schwellung auf. Da der Druckanstieg gering ist, kehrt die Muskelfunktion rasch wieder zurück. Insbesondere Spontanrupturen der Sehnen finden sich selten beim Kind. Als Zeichen eines möglichen Versagens der Sehne, insbesondere beim Erwachsenen, sind vier pathologische Zustände zu beobachten: ▬ Peritendinitis (Entzündung der Sehnenscheide), ▬ Peritendinitis mit Tendinose, ▬ Tendinose (Degeneration der Sehne), ▬ Tendinitis (Degeneration der Sehne mit Rupturen und inflammatorischen Reparaturprozessen). Je nach Ausmaß kann dann eine partielle oder vollständige Sehnenruptur/-verletzung differenziert werden. Im Gegensatz zur Knochenverletzung tragen die Sehnenenden nur unwesentlich zum initialen Heilungsprozess bei. Der wesentliche Anteil an der Heilung erfolgt durch Gewebeinfiltration aus der Umgebung. Um eine gute Stabilität der verletzten Sehne zu gewährleisten, ist eine ausreichende Annäherung der Sehnenenden notwendig. Dies ist operativ gut zu erreichen und die Situation ist dann auch stabiler als bei konservativer Behandlung. Da aber gerade beim Kind das Gewebe noch wächst und eine enorme Regenerationskapazität hat, ist häufig dennoch eine konservative Therapie indiziert.
9.2.1 Strecksehnen der Hand
Die Strecksehnen verlaufen über dem Handgelenk unter dem breiten Retinaculum extensorum in sechs Strecksehnenfächern, wo sie von einer Sehnenscheide umgeben sind. Die Langfingersehnen sind am Handrücken über quere Faserzüge miteinander verbunden (Juncturae tendineum). Diese Querverbindungen können eine Strecksehnendurchtrennung maskieren, da durch sie eine Bewegung über die Nachbarsehne möglich ist (⊡ Abb. 9.1). In Höhe der Grundgelenke werden die Sehnen durch Retinakula und die Lamina intertendinea (Sehnenhaube) über den Mittelhandköpfen zentriert. Über dem distalen Grundglied teilt sich die Strecksehne auf und zieht mit dem Mittelzügel über das Fingermittelgelenk. Gleichzeitig laufen zwei Seitzügel an diesem Gelenk vorbei und vereinigen sich mit den Sehnen der Handbinnenmuskeln, um dann an der Basis der Endphalanx anzusetzen. Die Seh-
Landsmeersche Bänder (Lig. retinaculare tranversa et obliqua)
Lig. triangulare Seitenzügel Mittelzügel
Lamina intertendinea
Sehne des M. lumbricalis
Lig. metacarpeum tranversum prof.
Sehne des M. interosseus
Retinaculum
Retinaculum Lamina intertendinea Mittelzügel
Lig. retinaculare
transversum obliquum
⊡ Abb. 9.1. Strecksehnen der Langfinger.
nen der Handbinnenmuskeln werden aus den vier Mm. lumbricales, den drei volaren Mm. interossei (Fingeradduktion) und vier dorsalen Mm. interossei (Fingerabduktion) gebildet. Feine zusätzliche Faserzüge komplettieren den Streckapparat im Bereich der Langfinger. Ähnlich wie die Lamina intertendinea im Bereich der Grundphalanx kontrolliert das Lig. triangulare die Seitzügel über der Mittelphalanx. Von besonderer Wichtigkeit sind die Landsmeer-Bänder (Ligg. retinacularia transversum et obliquum). Insbesondere das schräge Band kontrolliert und koordiniert die Flexion und Extension zwischen den beiden Interphalangealgelenken (⊡ Abb. 9.1). Die Versorgung von Strecksehnenrupturen erfolgt mit unterschiedlichen Techniken und ist abhängig von Lokalisation, Alter der Verletzung und davon, ob es sich um eine geschlossene oder offene Verletzung handelt. Der Streckapparat wird in ein extrinsisches und intrinsisches System gegliedert. Die extrinsischen Strecksehnen ziehen vom Unterarm zur Hand. Zum intrinsischen Streckapparat gehören im Wesentlichen die Sehnen der Mm. lumbricales und der Mm. interossei. An Hand und Unterarm können neun Zonen unterschieden werden, wobei die Zone 1 auf Höhe des distalen Interphalangealgelenks
9
88
Kapitel 9 · Sehnenverletzungen
(DIP-Gelenk) bzw. des Interphalangealgelenks des Daumens und die Zone 8 auf Höhe der distalen Hälfte des Unterarms liegt.
9.2.2 Beugesehnen der Hand
9
Von ihrem muskulären Ursprung am Unterarm ziehen die Beugesehnen der Hand durch den Karpaltunnel in den tiefen Hohlhandbereich, wo sie dann in Richtung der Finger verlaufen. An den tiefen Beugesehnen setzen zusätzlich die vier Mm. lumbricales an, die die Finger in den Grundgelenken beugen und die Mittel- und Endgelenke strecken. Der Karpaltunnel und die Faserscheiden sorgen für eine kompakte Führung der Sehnen am knöchernen Skelett. Die Sehnen selbst sind von den mit Synovialflüssigkeit gefüllten Sehnenscheiden umgeben, die auch zur Ernährung beitragen und die Gleitfunktion optimieren (⊡ Abb. 9.2). Im Bereich der Langfinger führen spezielle Ringbänder die Sehnen. Besonders wichtig und wesentlich bei Verletzungen und Rekonstruktionen sind die Ringbänder über der Grund- und Mittelphalanx (A2 und A4). Zusätzlich tritt die tiefe Beugesehne in Höhe der Grundphalanx durch die oberflächliche Sehne hindurch (Chiasma tendinum). An der dem Knochen zugewandten Seite finden sich kleine Bändchen, die so genannten Vinculae tendineum, die zur weiteren Versorgung der Sehnen beitragen. Zum Daumen verläuft die Sehne des M. flexor pollicis longus. Statt der oberflächlichen Beu-
A4
A3
A2
A1
⊡ Abb. 9.2. Beugesehnen der Langfinger. A1 bis A4 Ringbänder.
I
I
I
I
II I III
II III
IV
IV
V
⊡ Abb. 9.3. Zonen der Beugesehnenscheiden (IFSSH, International Federation of Surgeons for Surgery of the Hand).
gesehne findet sich dort der M. flexor pollicis brevis, der zur Daumenballenmuskulatur gehört und am ulnaren und radialen Sesambein ansetzt. Aufgrund der Unterschiede des Gleitlagers der Beugesehnen vom Handgelenk bis zu den Fingerspitzen werden verschiedene Zonen festgelegt (⊡ Abb. 9.3). Diese Zoneneinteilung ist für die Auswahl der Therapiestrategie und die Beurteilung der Behandlungsergebnisse wesentlich. Die Zone 2 wird auch »Niemandsland« oder »No-Man’s Land« nach Bunnell genannt, da vor der Entwicklung der dynamischen Beugesehnennachbehandlung nach Kleinert dort keine primäre Sehnennaht durchgeführt wurde. Die Zone II reicht vom Ansatz der oberflächlichen Beugesehne an der Mittelphalanx bis zum proximalen Ende des A1-Ringbandes und enthält somit beide Beugesehnen in einem engen fibroossären Kanal.
9.3
Diagnostik
Bei Verletzungen der Muskulatur muss auf folgende Merkmale geachtet werden: ▬ scharfer/stechender Schmerz bei Kontraktur, ▬ bei Teilruptur Behinderung der Kontraktionen bzw. Ausfall bei Komplettruptur,
89 9.3 · Diagnostik
▬ Palpation des Defekts bei Teilruptur/Komplettruptur, ▬ Druckempfindlichkeit und Schwellung, ▬ Hämatome und Verfärbungen nach 24 Stunden, gelegentlich Muskelkrämpfe. Wesentlich ist die klinische Untersuchung mit Inspektion und Palpation in Kombination mit einem Funktionstest mit oder ohne Widerstand. Apparativ ist die Sonographie eine gute Methode, insbesondere zur Abgrenzung intramuskulärer Hämatome. Die Diagnostik bei Sehnenverletzungen basiert im Wesentlichen auf der Analyse des Unfallmechanismus und dem klinischen Bild, sowie der Untersuchung mit entsprechenden Funktionstests. Bei kompletter Sehnenruptur wird gelegentlich ein plötzliches Schnappen und Schmerz verspürt. Partielle Läsionen zeigen oft einen plötzlichen Schmerzbeginn in Kombination mit besonderen Ereignissen oder Bewegungsabläufen. Insbesondere bei Sportverletzungen des Kindes bzw. Heranwachsenden müssen konventionelle Röntgenuntersuchungen erfolgen, die Verletzungen der Wachstumsfugen und Avulsionsverletzungen zeigen. Bei bestimmten Sehnenverletzungen, z.B. des Schulterbereichs, des Handgelenks, der Quadrizepssehne, der Patellarsehne, der Achillessehne kann die Sonographie hilfreich sein. In bestimmten klinischen Situationen ist die Magnetresonanztomographie wertvoll. Gewisse Probleme wie Osteochondritis, Apophysitis, chronische Verletzungen der Wachstumsfuge sind damit besser zu analysieren; Sehnenverletzungen können von tumorösen Veränderungen oder Infektionen besser abgegrenzt werden.
9.3.1 Strecksehnenverletzungen der Hand
Die klinische Diagnosesicherung ist je nach Höhe der Verletzung schwierig, im Zweifelsfall muss insbesondere bei offenen Wunden eine Revision durchgeführt werden, um eine Verletzung der Strecksehnen auszuschließen. Bei geschlossenen Verletzungen kann auch die Sonographie helfen. Insgesamt ist bei fehlender Kooperation kleiner Kinder die Initialdiagnostik schwierig und muss ggf. wiederholt werden. Typische Fallstricke müssen durch dezidierte klinische Untersuchungen besonders beachtet werden. So können die Querverbindungen der Langfingersehnen (Juncturae tendinum) eine Strecksehnendurchtrennung maskieren, da dann eine Bewegung über die unverletzte Nachbarsehne durch diese Verbindung möglich ist. Die subkutane Strecksehnenruptur in Zone 1 (MalletFinger oder Baseball-Finger) findet man häufig nach einer gewaltsamen Flexion des Endgelenks, z.B. nach dem Beziehen von Matratzen oder direktem Anprall eines Balls. In ca. ¼ der Fälle wird man mit einer Mal-
let-Fraktur und Beteiligung der Epiphyse des Endglieds konfrontiert. Es kommt zur Hyperextension des PIP- bei Flexionsfehlstellung des DIP-Gelenks. Bei plötzlicher gewaltsamer Flexion im proximalen Interphalangealgelenk (PIP-Gelenk, Zone 3) oder Verletzungen über dem PIP-Gelenk bzw. einer Luxation des PIP-Gelenks nach volar kann es zur Ruptur des Strecksehnenmittelzügels kommen. Bei initial zunächst durch die Schwellung unklarem Befund kann das Vollbild der Verletzung erst später auffallen. Klinisch resultiert dann ein Streckdefizit im PIP-Gelenk bei gleichzeitiger Hyperextension des DIP-Gelenks, was als Knopflochdeformität bezeichnet wird. Diese Fehlstellung ergibt sich aus dem Spannungsverlust des Streckapparats über dem PIP-Gelenk und dadurch bedingtem Abrutschen der Seitzügel nach volar unter die Achse des PIP-Gelenks. Verletzungen der Strecksehnen über dem Grundgelenk und weiter proximal sind häufig bei offenen Verletzungen. Beim Kind können Probleme im Zusammenhang mit angeborenen Fehlbildungen auftreten, die dann erst zum Unfallzeitpunkt auffallen. Zum Beispiel kann eine Verletzung der langen Daumenstrecksehne mit einem kongenitalen schnellenden Daumen verwechselt werden, da durch die Einklemmung der Sehne eine Streckung des Interphalangealgelenks nicht mehr möglich ist.
9.3.2 Beugesehnenverletzungen der Hand
Analog zu den Strecksehnen werden im Bereich der Hand extrinsische und intrinsische Beugesehnen unterschieden. Zu den extrinsischen Beugesehnen gehören die tiefen Beugesehnen, die durch die oberflächlichen Beugesehnen auf Höhe der Grundphalanx hindurchtreten und an der palmaren Basis des Endglieds inserieren, sowie die superfiziellen Beugesehnen, die mit einem radialen und ulnaren Zügel an der mittleren Phalanx ansetzen. Die Mm. lumbricales sowie die Mm. interossei dorsales und palmares beugen in den Grundgelenken und bilden das intrinsische Beugesystem. Die Beugung der Endphalanx des Daumens erfolgt durch die Sehne des M. flexor pollicis longus, die Beugung der Grundphalanx durch den M. flexor pollicis brevis. Querverlaufende beugeseitige Schnittverletzungen im Bereich der Hand sollten bei unsicherer Tiefenausdehnung die Wundrevision veranlassen, da klinisch ein sicherer Ausschluss von Teilläsionen nicht immer möglich ist. Bei kompletter Durchtrennung beider Beugesehnen ist eine aktive Flexion im proximalen und distalen Interphalangealgelenk nicht möglich, während bei der isolierten Verletzung der tiefen Beugesehne die aktive Beugung im distalen Interphalangealgelenk und bei Verletzung der superfiziellen Beugesehne diejenige im proximalen Interphalangealgelenk aufgehoben ist.
9
90
Kapitel 9 · Sehnenverletzungen
9.4
Primärbehandlung
Bei Muskelverletzungen und Blutungen müssen in der Akutphase folgende Maßnahmen getroffen werden: ▬ Ruhigstellung, ▬ Bandagierung der betroffenen Muskelgruppe ohne Einengung, ▬ Kühlung, ▬ Hochlagerung der Extremität, ▬ Entlastung, z.B. Gehstützen bei unterer Extremität; ggf. Schienung der oberen Extremität, ▬ Vermeidung weiterer Läsionen in der instabilen Phase (24–36 Stunden).
9
Die Primärbehandlung bei Sehnenverletzungen ergibt sich aus der Ursache. Handelt es sich um einen geschlossenen Weichteilschaden, wird das betroffene Gelenk – soweit möglich – mit einer Schiene ruhig gestellt. Die Position wird so gewählt, dass die Sehne nicht weiter belastet wird, z.B. bei Beugesehnenverletzungen der Hand in leichter Flexion (ca. 20°) des Handgelenks und mittlerer Beugestellung der Finger oder bei Achillessehnenverletzungen in Spitzfußstellung des Fußes. Bei zusätzlichen offenen Verletzungen muss eine sterile Abdeckung erfolgen. Sollte eine unmittelbare Versorgung nicht möglich sein, erfolgt eine antibiotische Therapie. Wenn Sehnenverletzungen nicht entsprechend versorgt werden können und es zu einer deutlichen Zeitverzögerung kommt, z.B. längerer Transport in ein Krankenhaus/ anderes Krankenhaus, Versorgung am nächsten Tag oder in einigen Tagen, dann sollten die Wunden operativ gereinigt und zunächst verschlossen werden. Es muss jedoch beim Kind bedacht werden, dass dann eine weitere Narkose erforderlich sein wird, da eine Wundrevision in Lokalanästhesie erst mit zunehmendem Alter und Verständnis ohne übermäßige psychische Belastung möglich ist.
9.5
Therapie
Nach der Primärbehandlung einer Muskelverletzung sollte abhängig vom klinischen Bild die Läsion zunächst als schwerwiegend betrachtet werden und 2–3 Tage Durchblutung, Schwellung und intramuskulärer Druck beobachtet werden. Nach Ablauf dieser Zeitphase sollte zur Diagnosesicherung klinisch zwischen intramuskulärem und intermuskulärem Hämatom differenziert werden. Geringere Rupturen/Läsionen lassen sich durch elastische Verbände und ggf. Wärmeanwendung oder Wechselbehandlung therapieren. Bei schmerzhaften Schwellungen ist ein Kompartmentsyndrom auszuschließen, ausnahmsweise durch Druckmessungen des Kompartments, und die Diagnostik muss erweitert werden (Ultraschall oder MRT). Bei ausgedehnten Blutungen kann eine operative
Entlastung notwendig werden. Mit dem operativen Eingriff sollte die Muskulatur soweit möglich mittels Naht adaptiert werden, um die Narbenbildung zu minimieren. Bei größeren Befunden ist eine postoperative Ruhigstellung in einem Gips oder einer Orthese für ca. 4–6 Wochen notwendig. Die Behandlung von Sehnenverletzungen richtet sich ganz nach der anatomischen Lokalisation. Verschiedene Avulsionsverletzungen z.B. der Hamstring-Muskulatur und der Achillessehne werden meist konservativ behandelt. Seltene Läsionen der Rotatorenmanschette, der Patellarsehne, der Quadrizepssehne werden nach Ausdehnung und Dislokationsgrad operativ behandelt. Prinzipiell sollte eine möglichst frühe Mobilisierung nach Sehnenverletzung angestrebt werden, da dies eine korrekte Ausrichtung des Kollagens erlaubt. Damit wird eine gute Kraftübertragung und Wiedererlangung sichergestellt. Schienen können dabei das Bewegungsausmaß so limitieren, dass es nicht zu einer Überlastung der operativen Versorgung bzw. einem Auseinanderweichen der Sehnenenden bei konservativer Therapie kommt.
9.5.1 Strecksehnenverletzungen der Hand
In Abhängigkeit von der Höhe (Zone) der Verletzung wird bei offenen Verletzungen meist eine Sehnennaht und die Adaptation der Streckaponeurose durchgeführt. Bei geschlossenen subkutanen Strecksehnenrupturen (Zone 1) erfolgt die Ruhigstellung des Endgelenks meist mit einer Aluminium-Fingerschiene für 6–8 Wochen, 2 Wochen stundenweise Entwöhnung, gefolgt von weiteren 2 Wochen nächtlicher Schienenversorgung. In Ausnahmefällen oder bei Mallet-Frakturen kann die temporäre Transfixation des Endgelenks auch mit einem dünnen Kirschner-Draht erfolgen. Verletzungen der Zone 3 erfordern eine Ruhigstellung des PIP-Gelenks in Streckstellung für 6–8 Wochen. Je nach Alter und Verständnis kann nach 4 Wochen auf eine dynamische Extensionsschiene gewechselt werden. Die Nachbehandlung bei Strecksehnenverletzungen proximal der Grundphalanx kann zur schnellen Funktionsoptimierung dynamisch erfolgen. Dazu kann postoperativ zunächst mittels Gipsschiene eine Ruhigstellung in Streckstellung erfolgen und dann nach wenigen Tagen eine unterarmbasierte Schiene mit Extension des Handgelenks von ca. 30° angepasst werden. Diese Schiene wird dann mit entsprechenden Auslegern kombiniert, die über Gummizügel die Finger in Extension ziehen (⊡ Abb. 9.4). Es erfolgt dann eine stufenweise Erweiterung der Fingerflexion (z.B. 2. postoperative Woche 30° Flexion der Grundgelenke, 3. postoperative Woche 60°, dann 90°). Die Schiene verbleibt meist ca. 5 Wochen postoperativ. Eine volle Handfunktion wird dadurch oft schnell erreicht.
9
91 9.5 · Therapie
⊡ Abb. 9.5. Beugesehnennaht. Kernnaht mit Feinadaptation. ⊡ Abb. 9.4. Dynamische Extensionsschiene zur Nachbehandlung von Strecksehnennähten.
9.5.2 Beugesehnenverletzungen der Hand
Frische Beugesehnenverletzungen werden üblicherweise primär versorgt. Nach Aufsuchen der Sehnenstümpfe können diese mit einer Kanüle fixiert und geglättet werden. Bei den vielen Nahttechniken ist prinzipiell festzuhalten, dass zunächst die Anlage einer so genannten Kernnaht und danach die fortlaufende Feinadaptation der Sehnenstümpfe erfolgt (⊡ Abb. 9.5). Nach Möglichkeit sollte die oberflächliche Beugesehne mit versorgt werden und unverletzte Ringbänder müssen soweit wie möglich geschont werden. Bei stark verschmutzten Wunden oder Bissverletzungen kann bis zu 3 Wochen posttraumatisch die postprimäre bzw. frühsekundäre Naht erfolgen. Die späte Sehnenrekonstruktion erfordert im Allgemeinen ein zweizeitiges Vorgehen. Im ersten Schritt wird ein Silastikstab als Platzhalter zur Schaffung eines Gleitlagers eingesetzt. Nach 8–12 Wochen erfolgt bei passiv guter Beweglichkeit die Sehnenersatzplastik durch ein Transplantat (meist Palmaris-longus- bzw. Plantaris-Sehne). Die Fixation der Sehnen erfolgt dabei unter Beachtung der Epiphysenfugen. Die Ausziehnaht wird an der Fingerkuppe am Knochen vorbei auf den Fingernagel gelegt (⊡ Abb. 9.6). Die Sehnentransplantate werden proximal im Bereich des Unterarms mit dem entsprechenden Muskel bzw. Sehnenstumpf fest durchflochten und erreichen somit eine sehr gute primäre Fixation. Bei der Daumenbeugesehne und dem Zeigefinger wird möglichst der ursprüngliche Muskel-Sehnen-Komplex verwendet; bei den restlichen Langfingern kann eine Durchflechtung mit den Nachbarsehnen erfolgen (⊡ Abb. 9.7).
a
b
⊡ Abb. 9.6. Beugesehnennaht. a Paraossäre Refixation der tiefen Beugesehne. b Vernähung mit dem distalen Stumpf.
⊡ Abb. 9.7. Sehnendurchflechtungsnaht nach Pulvertaft.
92
Kapitel 9 · Sehnenverletzungen
⊡ Abb. 9.8. Kleinert-Anordnung zur Nachbehandlung von Beugesehnennähten.
9 Nach Primärnaht der Beugesehnen im fibroossären Kanal und auch auf Höhe des Handgelenks ist die dynamische Nachbehandlung nach Kleinert, mit der ab dem 1. postoperativen Tag begonnen wird, die Methode der Wahl (⊡ Abb. 9.8). Die Nachbehandlung solcher Sehnenverletzungen bei Kindern unter einem Alter von ca. 8 Jahren kann problematisch sein. Die Therapie muss darauf abzielen, die Sehnennaht zu schützen, da man von einer Kooperation nicht sicher ausgehen kann. Es muss eine Schiene angebracht werden, die Spannungen an der Sehnennaht vermeidet und ein aktives Zugreifen verhindert, andererseits jedoch eine ausreichende Fingerbeweglichkeit erlaubt. Diese Einschränkungen sollten maximal 4 Wochen bestehen (⊡ Abb. 9.9). Bei Kindern unter 5 Jahren muss die Ruhigstellung über das Ellenbogengelenk reichen, da sonst die Schiene bzw. der Gips abrutscht.
9.6
Komplikationen, Wachstumsstörungen
Prinzipiell konservativ zu behandelnde Läsionen der Muskulatur und der Sehnen müssen adäquat entlastet werden. Erst nach Wiedererlangen der vollen Kraft und Beweglichkeit sollten insbesondere sportliche Aktivitäten wieder aufgenommen werden. Eine zu frühe Belastung und eine erneute Läsion können zu ernsteren Komplikationen führen wie z.B. Myositis ossificans. Aber auch die Ausbildung von normalem Narbengewebe kann je nach Ausmaß große Gebiete unterschiedlicher Elastizität
⊡ Abb. 9.9a–c. Faustgips bei Kindern nach Beugesehnennaht.
hinterlassen und somit im Extremfall anhaltend Probleme bereiten, sodass eine Entfernung in seltenen Fällen notwendig wird. Obwohl akute Verletzungen der Sehnen abgesehen von den offenen Verletzungen im Bereich der Hand eher selten sind, kann die repetitive submaximale Belastung zur Entwicklung eines Überlastungssyndroms führen. Insbesondere bei Sehnenverletzungen, die zur Wiederherstellung (z.B. Beugesehnen der Hand) eine operative Therapie benötigen, führt ein Funktionsausfall zu einem Minderwachstum des betroffenen Extremitätenabschnitts. Die unzureichende Therapie einer Strecksehnenruptur in Zone 1 kann zur Schwanenhalsdeformität führen
93 9.7 · Nachkontrollen
mit fixierter Hyperextension im PIP-Gelenk und Flexionsstellung des DIP-Gelenks. In Zone 3 führt die Insuffizienz des Mittelzügels zu einem Abrutschen der Seitzügel in Höhe des PIP-Gelenks und fixierter Flexionsfehlstellung. Das DIP-Gelenk ist überstreckt. Diese Fehlstellung des Fingers wird als Knopflochdeformität bezeichnet. Solche fixierten Fehlstellungen sind schwierig zu korrigieren und müssen meist vor einer operativen Korrektur mittels Quengelung bis zum Erreichen einer weitgehend freien Gelenkfunktion behandelt werden.
9.7
Nachkontrollen
Komplexe Sehnenrekonstruktionen bedürfen nach anfänglicher Instruktion der Eltern und dem Alter des Kindes entsprechend einer wöchentlichen Kontrolle bis zur 6. oder 12. postoperativen Woche. Monatliche Kontrollen sollten dann bis zum Ablauf von 6 Monaten erfolgen bzw. bis zum Erreichen der vollen Funktion. Wenn Wachstumsstörungen zu befürchten sind, erfolgt eine jährliche klinische Kontrolle.
9
10
Medikamentöse Therapie T. Slongo und D. Schneidmüller
10.1
Schmerztherapie und Sedierung – 96
10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5 10.1.6 10.1.8 10.1.9
Leitgedanken zur Schmerzbehandlung – 96 Voraussetzung für eine adäquate Schmerzbehandlung in einer mittelgroßen Kinderklinik – 97 Erhebung der Schmerzanamnese – 97 Schmerzerfassungsinstrumente (Scores) bei Kindern und Jugendlichen – 98 Schmerzprotokolle – 99 Medikamentöse Schmerztherapie bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen – 100 Durchführung von ambulanten Kleineingriffen – 102 Zusammenfassung – 102
10.2
Antibiotikaprophylaxe und -therapie – 106
10.2.1 10.2.2
Antibiotikaprophylaxe – 106 Antibiotikatherapie – 107
10.3
Thromboseprophylaxe
– 108
96
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
Der Einsatz von Arzneimitteln beim Kind erfordert eine Berücksichtigung altersabhängiger Faktoren, die die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik bestimmen. Nicht immer liegen geprüfte Daten zu altersspezifischen Dosierungen vor, sodass es sich bei den Empfehlungen oft um Erfahrungswerte handelt. Deshalb werden im Kindesalter bevorzugt Arzneimittel mit großer therapeutischer Breite angewendet. Im Folgenden soll speziell auf die Schmerztherapie, Sedierungsmöglichkeiten, Thromboseprophylaxe sowie auf die Anwendung von Antibiotika im Kindesalter eingegangen werden. Dabei werden konkrete Dosierungsanleitungen und Übersichten gegeben.
10.1
Kinder äußern Schmerzen anders als Erwachsene. Die einen können den Schmerz verbissen unterdrücken, die anderen bekunden bereits Schmerzen, bevor die schmerzhafte Behandlung begonnen hat. Nicht selten kommt es bei der ersten Gruppe sehr spät zur Verarbeitung des durchgemachten Schmerzes, die sich in für uns schwer verständlichen Reaktionen und Verhaltensweisen niederschlagen kann. Bei der zweiten Gruppe gilt es vor allem die Angst vor dem, was geschehen wird, zu nehmen und erst dann eine adäquate Schmerztherapie einzuleiten. Da die Angst das Schmerzempfinden steigert, sollte in diesen Fällen nicht vergessen werden, die Angst durch Ablenkung oder durch entsprechende Medikamente mit zu behandeln. Eine besonders schwer zu beurteilende Gruppe stellen die Säuglinge dar. Oft wird vergessen oder nicht wahrgenommen, dass auch sie Schmerzen und Angst empfinden. Im Folgenden soll versucht werden, anhand des Schmerzbehandlungskonzeptes der Chirurgischen und Medizinischen Kinderkliniken des Inselspitals Bern1 vor allem all denjenigen Kollegen eine Hilfe zu geben, die aufgrund ihrer Klinikgröße nicht über ein interdisziplinäres Schmerzteam verfügen. Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf unseren Schmerzunterlagen der medizinischen und chirurgischen Universitätskinderkliniken.
1
Schmerzen bedeuten eine Herausforderung für uns alle, Schmerzen sind ein Teil unseres Lebens. ▬ Schmerzen treten primär als Warnsignal zum Schutz des Individuums auf. Ist die Gefahr erkannt, wird der Schmerz zur Pein. Das Kind definiert, was Schmerz ist: ▬ Schmerzen werden individuell wahrgenommen und haben eine individuelle Bedeutung. ▬ Schmerz existiert, wann und wie immer das Kind ihn ausdrückt. ▬ Mit Schmerzen sind immer auch Ängste, Gefühle, Erwartungen und Erinnerungen verbunden.
Schmerztherapie und Sedierung
T. Slongo
10
10.1.1 Leitgedanken zur Schmerzbehandlung
Arbeitsgruppe Berner Schmerzfachteam: Dr. Ph. Liniger, Frau Dr. F. Stucki, Frau Dr. P. Schwander, Frau Dr. A. Ridolfi-Lüthy, Frau K. Hirter Pflegefachfrau
Das heißt für uns: ▬ Wir nehmen die Schmerzen oder die Bedeutung, die diese für die betroffenen Kinder haben, ernst. ▬ Wir respektieren und berücksichtigen bei der Schmerzbehandlung soziokulturelle, religiöse, familiäre und individuelle Besonderheiten des Kindes und seiner Familie. ▬ Wir nehmen den emotionalen Zustand des Kindes ernst. Wir sind verpflichtet, durch Erfragen, Beobachten und durch Einschätzen Schmerzen zu erfassen. Dies bedeutet, ▬ dass wir bei jedem Kind und seinen Eltern bei Eintritt eine Schmerzanamnese erheben; eine Pflegeperson spricht mit dem Kind und den Eltern über die Schmerzempfindlichkeit des Kindes. Dadurch kann eine gewisse Schmerztoleranz abgeschätzt werden, ▬ dass wir eine Schmerzquantifizierung mit validierten Schmerzerfassungsinstrumenten durchführen, ▬ dass wir auch die Schmerzerfassung bei Säuglingen und Neugeborenen quantifizieren. Dabei stützt sich die Beurteilung der Schmerzen auf folgende Elemente: ▬ Aussage des Kindes oder Jugendlichen (⊡ Abb. 10.1), Aussage der Familie; ▬ Einschätzung der Pflegenden/des Arztes oder der Ärztin; ▬ Messung mittels validierter Schmerzerfassungsinstrumente; ▬ Fremdeinschätzung bei nicht sprechfähigen Kindern. Es ist festzuhalten: ▬ Die Schmerzerfassung muss regelmäßig erfolgen; ▬ Der Therapieeffekt muss kontrolliert und dokumentiert werden → Schmerzprotokoll. Dieses stellt eine entscheidende Größe bei der Evaluierung unserer Schmerztherapie dar.
97 10.1 · Schmerztherapie und Sedierung
bunden sind, werden sowohl medikamentöse als auch nichtmedikamentöse präventive Maßnahmen eingesetzt. Dabei ist eventuellen Nebenwirkungen von medikamentösen Schmerztherapien vorzubeugen. ▬ Schmerzen können nicht immer restlos, aber partiell und zeitweilig besiegt oder vermindert werden.
10.1.2 Voraussetzung für eine adäquate
Schmerzbehandlung in einer mittelgroßen Kinderklinik
⊡ Abb. 10.1. Hier gibt das Kind anhand der Gesichterskala sein Schmerzempfinden an.
▬ Interdisziplinär (Pädiatrie, Kinderchirurgie, Kinderanästhesie, Pflegefachdienst) ausgearbeitetes Schmerzbehandlungskonzept: Schmerztherapierichtlinien, die es auf sichere Art und Weise erlauben, unabhängig von einer ärztlichen Verordnung aufgrund der Beobachtung von Pflege sofort eine Schmerztherapie einzuleiten. ▬ Möglichkeiten der nicht an Medikamente gebundenen Schmerzprävention (Ablenkungen, Puppen) (⊡ Abb. 10.2). ▬ Schulung und Information von Pflegepersonal und Ärzten. ▬ Übergeordneter Schmerzkonsiliardienst eines Schmerzfachteams, das 24 Stunden 7 Tage in der Woche beigezogen werden kann (in der Regel Kinderanästhesie).
10.1.3 Erhebung der Schmerzanamnese
⊡ Abb. 10.2. Ablenkung des Kindes durch spezielle Puppen; die medikamentöse Wirkung wird dadurch oft verstärkt oder ergänzt.
Schmerzen ist vorzubeugen; sind sie da, so sind sie zu behandeln: ▬ Unser Bestreben muss es sein, Schmerzen immer sofort zu therapieren und so gering wie möglich zu halten. Dabei gilt es, sich an die Richtlinien eines validierten Schmerzbehandlungskonzepts zu halten. Zur Schmerztherapie stehen Medikamente für Säuglinge, Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Zudem sind nichtmedikamentöse Maßnahmen zur Schmerzlinderung bekannt (⊡ Abb. 10.2 und ⊡ Tab. 10.10). Die Schmerztherapie hat zu erfolgen, ▬ wann immer ein Schmerzgeschehen zu erkennen ist, ▬ solange die Schmerzen andauern, ▬ wenn sie wieder auftreten. ▬ Vor allen Verrichtungen und Eingriffen, die voraussichtlich mit Schmerzen und Angst vor Schmerz ver-
▬ Die Schmerzanamnese wird erhoben bei Kindern mit Schmerzen, Kindern mit zu erwartenden Schmerzen, Kindern mit traumatisierenden Schmerzerfahrungen vor der Hospitalisation. ▬ Die Schmerzanamnese kann zu jedem Zeitpunkt des Klinikaufenthalts ausgefüllt und aktualisiert werden. ▬ Es ist sinnvoll, Kind und Eltern oder Bezugspersonen separat zu befragen. ▬ Unklare Schmerzen können differenzialdiagnostisch nach folgenden sieben Dimensionen der Schmerzerfassung bestimmt werden: Lokalisation, Qualität, Intensität, zeitlicher Ablauf, lindernde oder verstärkende Faktoren, Begleitsymptome, Begleitumstände. ▬ Folgende Punkte bei der Schmerzanamneseerhebung sind wichtig: – Erfahrung des Kindes mit Schmerzen und Angst; – Schmerz- und Angstbeurteilung; – Maßnahmen zur Schmerz- und Angstlinderung; – Empfindungen der Eltern/Bezugspersonen und mögliche Hilfestellungen, wenn das Kind Schmerz oder Angst hat oder leidet; – Bedeutung des Schmerzes in der Familie.
10
98
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
10.1.4 Schmerzerfassungsinstrumente (Scores)
bei Kindern und Jugendlichen Berner Schmerzscore für Neugeborene (BSN) Skala zur Schmerzerfassung bei Früh- und Neugeborenen (⊡ Tab. 10.1) durch die Beurteilung von sieben (bei nichtmonitorisierten Kindern) bzw. neun Parametern (monitorisierte Kinder). Die Schmerzerfassung erfolgt bei einem sich verändernden Verhalten des Neugeborenen, unabhängig von einer schmerzhaften Intervention. Alter: Frühgeborene und Termingeborene bis 4 Wochen nach dem errechneten Geburtstermin. Punktzahl: 0–21 (nichtmonitorisierte Kinder) bzw. 27 (monitorisierte Kinder). Parameter: Herzfrequenz/Sauerstoffsättigung.
Das Kind wird daraufhin gefragt; wie viele Stücke »weh« hast du jetzt gerade?
Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS) (Büttner)
10
▬ Alter: ab 4 Jahren. ▬ Skala: 1–4=schwache bis stärkste Schmerzen. ▬ Anleitung: Das Kind wird aufgefordert, seine momentanen Schmerzen anzugeben. Dabei werden die vier Chips nebeneinander gelegt, wobei der links liegende wenig, der rechts liegende die stärksten Schmerzen beschreiben soll. ▬ Parameter: – 1. Chip heißt: Es tut dir ganz wenig weh. – 1. und 2. Chip heißt: Es tut dir ziemlich fest weh. – 1. und 2. und 3. Chip heißt: Es tut dir sehr fest weh. – 1., 2., 3. und 4. Chip heißt: Es tut dir so fest weh, wie es überhaupt nur weh tun kann (mehr weh kann etwas gar nicht mehr tun).
Bei der KUSS-Schmerzerfassung (⊡ Tab. 10.2) handelt es sich um eine Methode zur postoperativen Schmerzerfassung bei Säuglingen und Kleinkindern durch Beobachtung von fünf Kriterien (⊡ Tab. 10.3). Alter: Säuglinge und Kleinkinder zwischen 0 und 5 Jahren. Skala: Punktzahl 0–10. Anleitung: Kind beobachten und die fünf in ⊡ Tab. 10.3 beschriebenen Kriterien bewerten. Beobachtungsdauer pro Kriterium 15 Sekunden. Ermittlung der Totalpunktzahl. Schwellenwert für Therapie ist C in ⊡ Tab. 10.3.
1
Gesichtsausdruck
⊡ Tab. 10.1. Berner Schmerzscore für Neugeborene (BSN) Schmerz = Intervention/ Evaluation
BSN subjektive Indikatoren
0–8
>9
BSN Gesamtskala
0–10
>11
Rumpfhaltung
Beinhaltung
⊡ Tab. 10.2. Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS)
4
⊡ Tab. 10.3. Fünf Parameter zur KUSS-Schmerzerfassung
Hester-Poker-Chip-Skala
Kein Schmerz
3
⊡ Abb. 10.3. Hester-Poker-Chip-Skala.
Weinen
Dieses Schmerzmessinstrument besteht aus vier Chips= Mühlesteinen. Die Zahl der Mühlesteine entspricht der Schmerzintensität (⊡ Abb. 10.3).
2
Motorische Unruhe
gar nicht
0
Stöhnen, Jammern, Wimmern
1
Schreien
2
entspannt, lächelnd
0
Mund verzerrt
1
Mund und Augen grimassieren
2
neutral
0
unstet
1
Aufbäumen, Krümmen
2
neutral
0
strampelnd
1
an den Körper gezogen
2
nicht vorhanden
0
Code für SI
A
B
C
D
mäßig
1
KUSS (Punktzahl)
0–1
2–3
4–7
8–10
ruhelos
2
10
99 10.1 · Schmerztherapie und Sedierung
Gesichterskala
Visual Analogue Scale (VAS) für Jugendliche
Dem Kind wird eine Skala mit sechs nebeneinander angeordneten Gesichtern gezeigt, deren Ausdruck graduell von »keine Schmerzen« bis zu »stärksten erdenkbaren Schmerzen« reicht (⊡ Abb. 10.4). Man beachte, dass die Gesichter keine Tränen aufweisen. ▬ Alter: ≥ 4 Jahre. ▬ Skala: 0=keine Schmerzen, 2–10 schwache bis stärkste Schmerzen (⊡ Tab. 10.4). ▬ A keine Intervention nötig. ▬ B Intervention nötig, Evaluation. ▬ Ab C Intervention dringend; Evaluation, wenn konstant oder wiederkehrend über 24 Stunden → Schmerzteam einschalten. ▬ Anleitung: Die Gesichter werden dem Kind gezeigt, dabei müssen diese entsprechend der Anleitung kommentiert werden: – Die Gesichter zeigen, wie fest etwas weh tun kann. – Das linke Gesicht zeigt, dass es nicht weh tut. – Die Gesichter nach rechts zeigen, dass es immer mehr weh tut. – Das rechte Gesicht zeigt so starke Schmerzen, wie man sich gar nicht vorstellen kann. – Zeige nun das Gesicht, das zeigt, wie viel weh du jetzt gerade hast.
Dieses Schmerzerfassungsinstrument besteht wiederum aus einer geraden Skala mit den Extremen »keine Schmerzen« und »unerträgliche Schmerzen«. Das Kind stellt mit dem Schieber auf dieser Geraden die momentan empfundene Schmerzstärke ein, die auf der Rückseite des Schiebers als Wert zwischen 0 und 100 abgelesen werden kann. ▬ Alter: ≥ 12 Jahre. ▬ Skala: 0–9 = keine Schmerzen 10–100 = schwache bis stärkste Schmerzen (⊡ Tab. 10.5). ▬ A keine Intervention nötig. ▬ B Intervention nötig, Evaluation. ▬ Ab C Intervention dringend; Evaluation, wenn konstant oder wiederkehrend über 24 Stunden → Schmerzteam einschalten. ▬ Anleitung: Dem Jugendlichen wird die Skala erklärt von keinen Schmerzen bis unerträgliche Schmerzen. – Der Schieber wird bewegt und der Jugendliche muss seine Schmerzen einordnen. – Der Jugendliche muss immer wieder nach den momentanen Schmerzen gefragt werden. – Nach Festlegung der Schmerzintensität auf der Skala kann auf der Rückseite der entsprechende Wert ermittelt werden. Dieser Wert stellt die Grundlage der Schmerzbehandlung bzw. Schmerzintervention dar. Er muss zur Verlaufskontrolle in ein Protokoll eingetragen werden.
10.1.5 Schmerzprotokolle
0
2
4
6
8
10
Das Führen eines Schmerzprotokolls, unabhängig vom verwendeten Schmerzerfassungssystem, ist die unabdingbare Voraussetzung einer korrekten Schmerztherapie. Einerseits kann nur dadurch der Schmerzverlauf objektiviert werden, andererseits lässt sich nur durch diese Dokumentation bzw. Protokollierung der Effekt unserer Schmerztherapie über die Zeit erkennen. Dieses Schmerzprotokoll soll dem Pflegeteam wie auch dem Arzt zur Verfügung stehen. ▬ Das Schmerzprotokoll bietet die Möglichkeit zur Dokumentation von – Schmerzerfassung, – Schmerztherapie,
⊡ Abb. 10.4. Gesichterskala.
⊡ Tab. 10.5. Interventionsskala zur Visual Analogue Scale (VAS) für Jugendliche
⊡ Tab. 10.4. Interventionsskala zur Gesichterskala Code
A
B
C
D
Code
A
B
C
D
Gesichterskala (Rückseite ablesen)
0
2–4
6
8–10
VAS (Rückseite ablesen)
0–9
10–35
36–69
70–100
100
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
– Nebenwirkung der Schmerztherapie, – Vitalzeichen. ▬ Zielsetzung der Schmerzerfassung und Protokollierung ist: – herausfinden, ob ein Kind objektiv Schmerzen hat; – die Schmerzdimensionen, z.B. Schmerzintensität, Lokalisation, Begleitumständen, erfassen; – Darstellung des Schmerzverlaufs; – individuell angepasste Schmerzinterventionen; – Beurteilung der Wirkung/Nebenwirkung der Schmerzbehandlung (medikamentöse/nichtmedikamentöse Interventionen).
⊡ Tab. 10.6. Häufigkeit der Schmerzerfassung und Protokollierung2
Schmerzerfassung und Dokumentation erfolgen immer, sowohl bei manifesten als auch bei vermuteten Schmerzen. Auf dem Schmerzprotokoll wird alles dokumentiert, was mit Schmerzen im Zusammenhang steht (⊡ Tab. 10.6). ⊡ Tab. 10.7 gibt die Überwachungshäufigkeit postoperativ, nach Sedierung und bei Opiattherapie wieder. 2
10.1.6 Medikamentöse Schmerztherapie bei
Schmerzzustände/ Schmerztherapieart
Häufigkeit
Manifeste und vermutete Schmerzen
– mindestens 1-mal pro Schicht
Intervention (medikamentös/nichtmedikamentös), die nicht in regelmäßigen Abständen erfolgt
– vor der Intervention – nach der Intervention, im Zeitraum der zu erwartenden Wirkung – nach Ablauf der zu erwartenden Wirkung, mindestens 1 mal pro Schicht
Bei fixer Schmerztherapie
– in der Regel 1-mal pro Schicht
Postoperativer Schmerz
– 1-stdl. während 4 Std. – 2-stdl. während 8 Std. – 4-stdl. während 24 Std. oder kontinuierlich mit Schmerzpumpe
Arbeitsgruppe Berner Schmerzfachteam: Dr. Ph. Liniger, Frau Dr. F. Stucki, Frau Dr. P. Schwander, Frau Dr. A. Ridolfi-Lüthy, Frau K. Hirter Pflegefachfrau
Säuglingen, Kindern und Jugendlichen
10
Grundsätze der medikamentösen Schmerztherapie ▬ Die Schmerztherapie ist in aller Regel eine Symptomtherapie. Die Schmerzätiologie muss immer sorgfältig und unverzüglich, meist parallel zur Therapie, abgeklärt werden. ▬ Bei jeder Schmerztherapie sind immer Indikation, Kontraindikationen und Nebenwirkungen der Medikamente zu beachten, ebenso wie Wirkungseintritt und -dauer. ▬ Die Verabreichung der Schmerzmittel soll in festen Intervallen erfolgen; wenn möglich immer per os; ▬ vor dem Schmerzreiz (ein einmal aufgetretener Schmerz ist schwieriger zu behandeln); ▬ Schmerzdauertherapie erst, wenn Diagnose und Prozedere klar sind, sonst Bolus und anschließendes Schmerzfenster.
Spezielle klinische Situation ▬ Bei Fraktur, Gelenkerguss, Weichteilabszess Ruhigstellen mit Gipsschiene. ▬ Bei Schmerzen im Gips zuerst Gips kontrollieren und ggf. korrigieren, erst danach systemische Schmerztherapie. ▬ Bei akutem Abdomen Schmerztherapie erst wenn Prozedere festgelegt ist; falls Operation geplant: Morphin i.v.
Grundsätzliches zu einigen Medikamenten ▬ Paracetamol ist das am besten dokumentierte Schmerzmittel bei Früh- und Neugeborenen. Es ist ein schwaches Analgetikum ohne Entzündungshemmung. Der Wirkungseintritt und die Absorption sind rektal sehr unterschiedlich. Es ist als analgetische Basismedikation in vielen Situationen indiziert. ▬ Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wirken stärker als Paracetamol und sind zusätzlich entzündungshemmend und fiebersenkend. Wir gebrauchen am häufigsten Ibuprofen; Diclofenac und Ketorolac eignen sich für Kombinationstherapien. Vor dem 6. Lebensmonat ist die Wirkung schlecht dokumentiert. Nicht an Säuglinge unter 3 Monaten verabreichen! ▬ Opioide sind die potentesten Schmerzmittel, die zur Verfügung stehen. Sie weisen jedoch verschiedene Nebenwirkungen auf, die bedacht werden müssen. Indiziert bei sehr starken Schmerzen jeder Genese (⊡ Tab. 10.7). Überwachung. Eine Opiattherapie muss gemäß SRK(Sedationstiefe, Respirationstiefe und -frequenz, Kreislauffunktion) Richtlinien (⊡ Tab. 10.8) überwacht werden!
p.o. p.r.
Mo-Sulfat MSTcontinus
0,3–0,6 mg 0,3–0,6 mg
0,15–0,3 mg 0,15–0,3 mg
0,05(–0,1) mg 0,1–0,2 mg 0,01–0,02 mg
0,1–0,2 mg TOP 20 mg MTD 160 mg 0,02–0,1 mg
Codein+Pa. 1+16 mg Codein+Pa. 1+25 mg
1,0–1,5 mg MTD 200 mg
1–2 mg MTD 400 mg
0,5 mg TOP 30 mg MTD 120 mg
10 mg TOP 800 mg MTD 2400 mg
1 mg MTD 150 mg 1 mg
15 mg MTD 60 mg/kg
20 mg MTD 4 g 1. Dos. 40 mg, ab 2. Dos. 20–25 mg
mg/kg/Dosis
p.o. p.r.
4h4h
(2)–4 h 4h 1h
4h 1h
4h
4h
4–6 h
6h
6h
8h 8h
6h
6h 6h
Dosisintervall
T: 10/30/60/100/200 mg Sa: 20/30/60/100/200 mg Sup: 30/60/100/200 mg
Gt 1%: 1 Tr=0,5 mg (≅ 10 mg/ml) T: 10/20/50 mg Sup: 10/20/30 mg
Amp: 10 mg/ml
Amp: 20 mg/2 ml
T, BT: 30+500 mg: Codein+Paracetamol Sup: 30+750: Codein+Paracetamol
T: 50 mg Gt: 1 Tr=1 mg (≅ 20 mg/ml) (Insel)
Kaps: 50 mg T (retard): 100/150/200 mg Gt: 1 Tr=2,5 mg (≅ 100 mg/ml) Sup: 100 mg Amp: 100 mg/2 ml
Amp: 30 mg/ml
T: 200/400/600 mg T (retard) 800 mg Sa: 600 mg
Drag: 25/50 mg Gt: 1 Tr=0,5 mg (≅ 15 mg/ml) Sup: 12,5/25/50/100 mg
Fertiglösung 500 mg, 1 g
T: 500 mg BT: 500 mg/ 1g Sa: 150/250 S: 30 mg/ml Gt: 1 Tr=4 mg (≅ 100 mg/ml) Sup: 30/80/150/200/300/600 mg/1 g
Konfektion
60’
20’ 20–40’
5–10’ 10’
2–3’ <10’
20’
60’ 15’
60’ 20–30’
60’
15’
30’/15’ 15’ (Sa) 60–120’
Wirk.Eintritt
20’ 50–90’
1–2 h
2–4 h 1–2 h
–
–
2–3 h
2½ h –
Wirk.Max.
NW: wie Morphin-HCl, langwirkend
NW: Atemdepression, Erbrechen, Harnverhalten, Obstipation, Juckreiz, reiner Agonist
NW: wie Morphin, zusätzlich Ceiling Effect, Sedierung Agonist-Antagonist
NW: wie Morphin resp. Paracetamol
NW: wie Morphin, reiner Agonist Cave: Non-Responders bekannt
Ab 1-jährig; wird durch Ondansetron antagonisiert NW: Obstipation, Erbrechen KI: MAO-Hemmer (Aurorix, Modo A) Selegilin (Jumexal)
KI: wie Diclofenac Cave: wie bei Pa, max. 48 Std.
KI: wie Diclofenac Cave: wie Pa, superinfiz. Varizellen (TSS)
KI: Hypovolämie, Niereninsuffizienz, Gerinnungsstörung, Thrombozytopenie Cave: wie Pa, superinfiz. Varizellen (TSS)
In der Regel max. 48 Std. KI: s. oben
Max. Tagesdosis/kg: p.o. 80-(100) mg, p.r. 100 mg Cave: kann durch antipyretische Wirkung bei Neutropenie Sepsis maskieren KI: Leberinsuffizienz Nach 72 h: Dosisreduktion bei Fieber, Dehydratation, Mangelernährung
NW/KI/Spezielles
Abkürzungen: T=Tablette, Gt=Tropfen, Bt=Brausetablette, Sa=Sachet, S=Sirup, Sup=Suppositorien, Zydis=Lingualtablette, Amp=Ampulle, DI=Dauerinfusion, NW=Nebenwirkung, KI=Kontraindikation, MTD=maximale Tagesdosis, TOP=maximale Einzeldosis, Pa=Paracetamol, FG=Frühgeborene, NG=Neugeborene, TG=Termingeborene, LW=Lebenswoche, VP=Venenpunktion, Insel=Herstellung in Inselapotheke 3 Arbeitsgruppe Berner Schmerzfachteam: Dr. Ph. Liniger, Frau Dr. F. Stucki, Frau Dr. P. Schwander, Frau Dr. A. Ridolfi-Lüthy, Frau K. Hirter Pflegefachfrau
p.o. p.r.
p.o.
Codein Codein Knoll
Mo-Sulfat Sevredol
p.o., p.r., i.v.
Tramadol Tramal Tramadol
i.v. s.c. (i.m.) DI
i.v.
Ketorolac Tora-dol
Morphin-HCl
p.o., p.r.
Ibuprofen Brufen
i.v., s.c. DI
p.o. p.r.
Diclofenac Voltaren
Nalbuphin Nubain
i.v.
Perfalgan Perfalgan
p.o. p.r.
p.o. p.r.
Paracetamol (Pa) Dafalgan Tylenol Ben-u-ron
Codein/Paracetamol Co-Dafalgan Codol
Route
Substanz
⊡ Tab. 10.7. Schmerzbehandlung (gemäß Berner Schmerzprotokoll)3
10.1 · Schmerztherapie und Sedierung 101
10
102
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
Therapien nach Schmerzart und Schmerzlokalisation 1=1. Wahl 2=2. Wahl T=topisch C=mögliche Kombinationen ▬ 1. ORL-Bereich Otitis media, Otitis externa, Tonsilitis, Pharyngitis, Tonsillektomie 1=Paracetamol Dafalgan, Perdafalgan 2=Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren Mukositis, Ulzera, Herpangina T=Lidocain 2% Lidoral 2% flüssig, Xylocain viskös 2=Tramadol Tramal 2=Codein 3=Morphin
10
▬ Skelett, Weichteile Frakturen → bei Eintritt auf Notfallstation 1=ohne Infusion: Codein per os; mit Infusion: Morphin milligrammweise bis Wirkung genügend 2=Paracetamol Dafalgan oder Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren → bei Schmerzen im Gips 1=Gipskontrolle, ggf. korrigieren 2=in den ersten 24 Std. Paracetamol Dafalgan oder Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren (nach 24 Std. erfolgt immer eine ärztliche Kontrolle) Verbrennungen, Verbrühungen → bei Eintritt auf Notfallstation 1=ohne Infusion: Codein per os; mit Infusion: Morphin milligrammweise bis Wirkung genügend 2=bei Debridement ohne Narkose zusätzlich Sedierung mit Dormicum möglich. Additive atemdepressive Wirkung von zentralen Analgetika und Dormicum bedenken. → Nach Erstbehandlung 1=Paracetamol Dafalgan oder Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren C=Paracetamol Dafalgan und Ibuprofen Brufen bzw. Diclofenac Voltaren Abszess, Erguss, Osteomyelitis, Pleuritis 1=Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren 2=Paracetamol Dafalgan und Codein Co-Dafalgan Codol 3=Morphin C=1+3
Muskelverspannung 1=Paracetamol Dafalgan und Codein Co-Dafalgan Codol 2=Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren 3=Diazepam Valium (nur in Kombination mit 1+2) C=1+2+3 ▬ Neurogene Schmerzen (inkl. Phantomschmerzen), Neuralgie
1=Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren 2=Carbamazepin Tegretol, Timonil 2=Gabapentin Neurontin 2=(Phenytoin Phenhydan S: nur kurzzeitig) 3=Morphin ▬ Postoperative Schmerzen 1=Paracetamol Dafalgan, Perfalgan 2=Ibuprofen Brufen oder Diclofenac Voltaren →Skelett/ Weichteile 3=Morphin oder Nalbuphin Nubain C=1+2+3
10.1.8 Durchführung von ambulanten
Kleineingriffen Gerade in der Notfallsituation, die das Kind ohne Vorbereitung trifft, ist es äußerst wichtig, das Schmerztrauma so gering wie nur möglich zu halten. Die vorliegenden Richtlinien sollen helfen, dies optimal umzusetzen. Das bedingt, dass die hier angegebenen medikamentösen Dosierungen, die von einem Schmerzfachteam aufgestellt wurden, unter Einhaltung der entsprechenden Richtlinien in jeder Situation angewendet werden können. Damit ist gemeint, dass auch dem Pflegeteam ein Tool in die Hände gegeben wird, das ihm erlaubt, auch ohne ärztliche Verordnung adäquat und sofort den Schmerz zu bekämpfen oder ihm vorzubeugen. Die Pflegenden sind es, die in den meisten Fällen zuerst den Schmerz beim Kind feststellen und ihn behandeln können, ohne auf einen (häufig nicht sofort abkömmlichen) Arzt warten zu müssen (⊡ Tab. 10.9 u. ⊡ Tab. 10.10).
10.1.9
Zusammenfassung
Kinder reagieren verschieden auf Schmerzen. Von Alter, familiärem Umfeld oder eigener Schmerzerfahrung sowie dem Verhalten der Eltern kann das Schmerzempfinden sehr stark beeinflusst werden. Auch Säuglinge verspüren Schmerz, dieser ist jedoch schwieriger einzuschätzen und bedarf besonderer Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund muss sich jede medizinische/chirurgische Einheit, die sich mit Kindern beschäftigt, unabhängig der Größe dieser Problematik bewusst sein.
103 10.1 · Schmerztherapie und Sedierung
Dazu haben Fachteams größerer kindermedizinischer/-chirurgischer Einheiten Tools ausgearbeitet, mit deren Hilfe Schmerzen bei Kindern und Säuglingen besser angegangen werden können. Diese Programme können durchaus auch durch kleinere Einheiten übernommen und angewendet werden. Leider gibt es nur wenige echt validierte Schmerzscores, die für eine größere Altersgruppe geeignet sind. Deshalb müssen je nach Alter spezifische Scores angewendet werden. Die wesentlichsten Parameter für eine adäquate Schmerztherapie im Kindesalter sind:
▬ gezielte Schmerzanamnese, ▬ Schmerzdokumentation, ▬ Schmerzbehandlungskonzept mit entsprechenden Medikamentendosierungsrichtlinien, ▬ Überwachungssysteme, ▬ Evaluation der Schmerztherapie. Die Schmerzen müssen beim Kind immer individuell beurteilt und behandelt werden. Wichtig ist, dass wir die Schmerzen wahrnehmen und adäquat behandeln.
⊡ Tab. 10.8 Überwachung (Sedation, Opiattherapie) Definitionen Sedation (committee on drugs, AAP, 1992) Leichte Sedation (bei Bewusstsein, Conscious Sedation) medizinisch kontrollierter unterdrückter Bewusstseinszustand Patient ist leicht weckbar Schutzreflexe sind erhalten Atemwege können vom Patienten selbstständig und kontinuierlich freigehalten werden der Patient reagiert angepasst auf Stimulation oder Befehle wie »Öffne deine Augen« tolerierte Sedationstiefen 0 bis 2 (IB bis und mit 3) Merke: Die Übergänge zwischen den verschiedenen Sedationstiefen (conscious, deep) können fließend sein Tiefe Sedation (Deep Sedation) medizinisch kontrollierter unterdrückter Bewusstseinszustand oder Bewusstlosigkeit der Patient ist nicht leicht weckbar evtl. begleitet von teilweisem oder vollständigem Verlust der Schutzreflexe Atemwege können vom Patienten nicht selbständig kontinuierlich freigehalten werden Unfähigkeit des Patienten, gezielt auf Stimulation oder Befehl zu reagieren tolerierte Sedationstiefe 3 (IB 4 und 5) Allgemeinanästhesie (Narkose) medizinisch kontrollierter Zustand der Bewusstlosigkeit Patient ist nicht weckbar Verlust der Schutzreflexe Atemwege können vom Patienten nicht selbsrständig kontinuierlich freigehalten werden Unfähigkeit des Patienten, gezielt auf Stimulation oder Befehle zu reagieren Im Haus gebräuchliche Sedationsscores Stationen Amb.-Bereich (Definitionen Schmerzfachteam Inselspital; Curatolo et al. 2000)
Intensivbehandlung (Cambridge Sedation Score 1991)
1=ängstlich, agitiert 0=wach
2=wach, ruhig, kooperativ
1=schläfrig 2=schläft, leicht weckbar auf Anrufen
3=döst, reagiert auf Anrufen
3=schläft, schwer weckbar
4=schläft, reagiert auf Schmerzreiz/Absaugen 5=komatös (GCS≤7) R=Relaxation
S=natürlicher Schlaf
S=natürlicher Schlaf
10
104
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
⊡ Tab. 10.9. Gemäß Berner Schmerzprotokoll4 Dosierungsschema und Indikation für Sedation resp. Sedation komb. mit Analgesie* Sedation und Analgesie Route: i.v I: KMP, LP, VW, Kniepunktion, Muskelbiopsie, Botox-Injekt.
Midazolam Dormicum + Morphin
0,1–0,2 mg/kg i.v. fraktioniert
mit 5’ Abstand
0,05–0,1–(0,2) mg/kg i.v. fraktioniert
mit 5–10’ Abstand
Route: p.o. (p.r.) I: Metallentfernung, VW
Tramadol Tramal + Midazolam Dormicum
1–2 mg/kg p.o.
60’ vor Eingriff
0,5 (–0,7) mg/kg p.r./p.o.
20’ vor Eingriff
Codein Gtt + Midazolam Dormicum
1–1,5 mg/kg p.o.
20’ vor Eingriff
0,5 (–0,7) mg/kg p.r./p.o.
20’ vor Eingriff
Route: i.v. I: MR
Midazolam Dormicum
0,1–0,2 mg/kg i.v. fraktioniert
mit 5’ Abstand
Route: p.o. (p.r.) I: psych. traumatisierte Pat. inkl. Prävention, Prämedikation für Untersuchungen
Midazolam Dormicum
0,5 (–0,7) mg/kg p.r./p.o.
20’ vor Eingriff
Route: p.o., p.r. I: psych. traumatisierte Pat. inkl. Prävention, Prämedikation für Untersuchung/Verrichtungen
Chloralhydrat
80–100 mg/kg p.o./p.r.
30’ vor Eingriff
Route: p.o. (p.r.) I: Metallentfernung, VW Sedation (ohne Analgesie)
Medikamenteninformation
10
Substanz
Konfektion
mg/kg/Dosis
Alter
TOP
NW/I/KI/Spezielles/Anleitung
Midazolam Dormicum
T: 7,5/15 mg Amp: 5 mg/5 ml rektal Amp: 5 mg/ml 15 mg/3 ml
p.o./p.r. 0,5 mg i.v. 0,2 mg
>3 Mo.
15 mg
– nicht geeignet für EEG – p.r. 2 cm ab ano – Antagonist: Flumacetil Anexate
Chloralhydrat Nervifne
S: 100 mg/1 ml
p.o. 75 mg p.r. 75 mg
>3 Mo.
2000 mg
– kontraindiziert bei (Verdacht auf ) akut erhöhten Hirndruck – nicht antagonisierbar – bei kl. Kindern möglichst große Menge rektal verabreichen (p.o. führt zu Übelkeit)
Bedingungen für Sedationen Cave: Elektrolytstörung, Störung des Flüssigkeits-/Säure-Basen-Haushalts, Probleme der Atemwege Personal Überwachung auf der Station: Pflegefachperson Überwachung außerhalb der Station (Transport, Bettenhochhaus): Pflegefachperson ausgebildet, mit CPR-Kurs für Kinder i.v. Dormicum: Patient immer nüchtern (Zeiten s.u.). Verabreichung durch OA oder Assistenzarzt, IPS-OA im Hause. Überwachung/ Verabreichung: 1 Person ist für die Überwachung, die zweite für den Eingriff zuständig. Der Arzt versichert sich, bevor er den Patienten verlässt, dass es sich um eine leichte Sedation handelt (conscious). Der Arzt muss innerhalb 2 Minuten beim Patienten sein. Material in Bereitschaft (für jede Sedationstiefe) Sauerstoff (Wandanschluss oder Flasche) Absaugpumpe mit Absaugkatheter Beatmungsbeutel (klein für Kinder bis 20 kg), passende Maske Pulsoximeter und Sonde (Blutdruckapparat und Manschette) Notfallset Überwachung bei bildgebenden Untersuchungen (MRI, CT, Szintigraphie) während der Dauer der Untersuchung kontinuierliche Pulsoxymetrie, engmaschige klinische Kontrolle, wenn nötig Sauerstoffgabe via Trichter bei i.v. Dormicum: Arzt und Pflegefachperson bleiben während der Dauer der Überwachung beim Patienten Dokumentation Medikamente und Überwachung (Klinik, SRK) werden dokumentiert ▼
105 10.1 · Schmerztherapie und Sedierung
⊡ Tab. 10.9. Fortsetzung Nüchternzeiten Muttermilch, Nahrung, Flaschenmahlzeit
Klare Flüssigkeit, Tee, Wasser, Sirup
Säuglinge <6 Mo.
4 Std.
2 Std
Säuglinge 6–12 Mo.
6 Std
2 Std
Kinder
6 Std
2 Std
* oder nach spezieller Verordnung durch OA Alternative: die Allgemeinanästhesie ist eine Alternative für Sedation und/oder Analgesie. Sie erfolgt ausschließlich durch die Anästhesie oder das IB-Team. 4 Arbeitsgruppe Berner Schmerzfachteam: Dr. Ph. Liniger, Frau Dr. F. Stucki, Frau Dr. P. Schwander, Frau Dr. A. Ridolfi-Lüthy, Frau K. Hirter Pflegefachfrau
⊡ Tab. 10.10 Universitätsspital Bern / Hôpital universitaire de Berne / Universitäts-Kinderkliniken RICHTLINIEN Durchführung von ambulanten Kleineingriffen der chirurgischen Kinderklinik Fachliche Verantwortung: Dr. Th. Slongo, Leiter Notfallstation Frau Dr. F. Stucki, Kinderanästhesie Frau G. Keller, Vize-Oberschwester, Leiterin der chirurgischen Notfallstation ergänzt: Überwachung postoperativ, nach Sedation, bei i.v. und per os Opiattherapie
Datum: 07. August 2003
Zielsetzung. Minimierung von Angst und Förderung einer Amnesie bei der Durchführung von chirurgischen Klein- Eingriffen (Riss-Quetsch-Wunden, Spickdrahtentfernungen etc.) Eintritt auf dem Notfall
Hat das Kind bei Eintritt starke Schmerzen, darf Codein per os (1 mg/kg KG) durch das Pflegepersonal verabreicht werden. Nach Codeingabe werden die Kinder auf der Tagesklinik der Notfallstation nachbetreut.
Untersuchung
Behandlungsprozedere wird durch den AA (evtl. in Absprache mit dem OA) festgelegt
Besprechung im Betreuungsteam (Pflege 4 Ärzte), Elterninformation
– Festlegen des genauen Zeitpunkts des Eingriffs – Festlegen des chirurgischen Vorgehens – Information der Eltern über ungefähre Dauer (inkl. Überwachung)
Prämedikation
In der Regel werden alle Kinder prämediziert mit Dormicum per os oder rektal (0,5 mg/kg KG) Zeitpunkt: 15–20 Min. vor Eingriff
Chirurgischer Eingriff
– – – – –
Nachbetreuung
– Grundsätzlich gilt die adaptierte Richtlinie »Überwachung«, siehe unten – Zeitpunkt der Entlassung: 2 Stunden nach letzter Medikamentengabe (dies bedeutet einen ca. 1-stündigen Aufenthalt auf der Station nach dem Eingriff ) – Kinder mit Sedationsstufe 0–2 (weckbar auf Anrufen)dürfen sich unter Aufsicht der Eltern im Wartezimmer aufhalten und werden gelegentlich von Pflegenden besucht – Kinder, die 2 Stunden nach Dormicum-Gabe die Entlassungskriterien nicht erfüllen, werden auf der Tagesklinik der Notfallstation nachbetreut
Entlassung
Entlassungskriterien: (2 Stunden nach Dormicum-Gabe) – Weckbar auf Anrufen, suffiziente Atmung – Kind >2 J.: spricht und kann selbstständig aufsitzen – Kind <2 J.: altersentsprechendes Verhalten
Am Eingriff Beteiligte: evtl. Eltern, 1–2 Ärzte, 1–2 Pflegende (Anzahl auf ein Minimum beschränken Auf ausreichende Lokalanästhesie achten Wirkung der Lokalanästhesie abwarten und prüfen Bei technischen Schwierigkeiten den chirurgischen OA beiziehen Bei starker Angst und/oder Schmerzen Anästhesie beiziehen
Überwachungsschema: → 2 Stunden wie folgt: Dormicum SRK SRK SRK SRK Überwachungsmodus |____|____|____|____|____|____|____|____| 0 15’ 30’ 60’ 120’ Minuten nach der Gabe von Dormicum Eingriff Entlassung → Bei Kindern, die nach 60 Min. wach sind, kann R und K weggelassen werden
10
106
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
10.2
Antibiotikaprophylaxe und -therapie
D. Schneidmüller 10.2.1 Antibiotikaprophylaxe
10
Die Antibiotikaprophylaxe dient dazu, die Rate an postoperativen Wundinfekten zu senken. Dabei spielt sie in der Traumatologie im Wesentlichen bei offenen Frakturen und größeren Weichteildefekten eine Rolle. Es gelten die gleichen Richtlinien wie in der Erwachsenentraumatologie. Die Angaben zur Inzidenz von posttraumatischen Wundinfektionen variieren in der Literatur von 2–25%. Die Rate an Infektionen nach offenen Frakturen liegt beim Kind etwas niedriger als beim Erwachsenen. In einer Untersuchung von 55 offenen Frakturen kam es im Verlauf zu einer Infektion von 1,8%, wohingegen die Infektionsrate beim Erwachsenen (n=1049) bei 7,2% lag. Diese Beobachtung konnte jedoch nicht durch andere Studien bestätigt werden. Die Infektionsrate korrelierte dabei mit dem Ausmaß des Weichteilschadens, mit dem Grad der Kontamination, mit der Virulenz der Bakterien sowie mit dem Ausmaß des chirurgischen Wunddebridements. Die Grundlagen einer Infektionsprophylaxe sind optimale hygienische Bedingungen, ein gewebeschonendes Operieren, möglichst kurze Operationszeiten und ein ausreichendes chirurgisches Wunddebridement. Die Wahl des Antibiotikums richtet sich nach dem zu erwartenden Erregerspektrum sowie nach der Gewebegängigkeit (in der Unfallchirurgie vor allem Weichteilund Knochengängigkeit). Der optimale Zeitpunkt der Antibiotikagabe ist bei offenen Frakturen oder größeren Weichteilverletzungen der frühest mögliche Zeitpunkt (in der Ambulanz) und bei elektiven Operationen unmittelbar präoperativ (während der Narkoseeinleitung). Die Dauer einer Antibiotikaprophylaxe sollte nicht länger als 72 Stunden sein, da sonst die Gefahr einer Superinfektion mit resistenten Keimen steigt. Bei elektiven Operationen reicht in der Regel eine einmalige Gabe unmittelbar präoperativ aus. Indikationen für eine perioperative Antibiotikaprophylaxe: ▬ offene Frakturen, ▬ Immunsuppression, ▬ Eingriffe mit weiträumiger Eröffnung von großen Gelenken, ▬ innere Osteosynthesen bei erheblich reduzierter Abwehr bzw. großem Weichteilschaden, ▬ Revisionseingriffe. Die Klassifikation einer offenen Fraktur erfolgt meist nach Gustilo und Anderson (⊡ Tab. 10.11). Es konn-
te in mehreren Untersuchungen gezeigt werden, dass die Infektionsrate mit zunehmendem Weichteilschaden steigt. Diese Beobachtung muss in der Wahl des Antibiotikums mit berücksichtigt werden. Während bei der offenen Fraktur Grad 1 eine Monotherapie in der Regel ausreichend ist, wird bei offenen Frakturen Grad 2 und 3 von einigen Autoren eine Kombinationstherapie empfohlen. Das Erregerspektrum kann von Ort zu Ort variieren. Der typische Infektionskeim bei Wundinfektionen stellt jedoch Staphylococcus aureus (55%) dar, gefolgt von den grampositiven (25%), den gramnegativen Spezies (8%) und Mischinfektionen (10%). Daher sollte bei der Infektionsprophylaxe möglichst früh ein Antibiotikum verabreicht werden, welches das grampositive und gramnegative Bakterienspektrum abdeckt. Ein Cephalosporin der zweiten Generation die stellt Grundlage dar. Bei stark kontaminierten Wunden kann dieses durch ein Aminoglykosid ergänzt werden. Bei Verdacht auf eine Anaerobierinfektion sollte eine Kombination mit z.B. Metronidazol gewählt und bei stark verschmutzten Wunden eine zusätzliche Gasbrandprophylaxe mit Penicillin G durchgeführt werden. Bei allen offenen Verletzungen ist der Tetanusstatus zu überprüfen und ggf. eine Impfung durchzuführen.
⊡ Tab. 10.11. Klassifikation offener Frakturen nach Gustilo und Anderson Grad 1
Grad 2
Hautwunde >1 cm ausgedehnter Weichteilschaden mit Lappenbildung oder Décollement mittelgradige Muskelkontusion einfache Quer- oder kurze Schrägfrakturen mit kleiner Trümmerzone
Grad 3
ausgedehnter Weichteilschaden mit Zerstörung von Haut, Muskel und neurovaskulären Strukturen Hochrasanztraumen
Hautwunde ≤1 cm Durchspießung von innen nicht verschmutzt minimale Muskelkontusion einfache Quer- oder kurze Schrägfraktur
3A
noch adäquate Knochendeckung durch Weichteile möglich Stück-, Schussfrakturen
3B
Deperiostierung und freiliegender Knochen plastische Weichteildeckung nötig massive Kontamination
3C
rekonstruktionspflichtige Gefäßverletzung
107 10.2 · Antibiotikaprophylaxe und -therapie
10.2.2 Antibiotikatherapie
Kommt es zu einer Wundinfektion, wird neben der chirurgischen Sanierung eine spezifische Antibiotikatherapie notwendig. Hierbei muss ein frühzeitiger mikrobiologischer Keimnachweis zum Erstellen eines Antibiogramms durchgeführt werden, um spezifisch behandeln zu können. Im Verlauf sind dabei regelmäßige Laborkontrollen sowie rezidivierende mikrobiologische Abstriche nötig, um Nebenwirkungen zu erfassen bzw. auf ein wechselndes Erreger- und Resistenzspektrum reagieren zu können. Bis zum Erstellen eines Antibiogramms erfolgt eine ungezielte initiale Therapie mit einem Breitspektrumantibiotikum. Dabei muss der Haupterreger von Wundinfektionen (Staphylococcus aureus) berücksichtigt werden. In der Regel erfolgt auch hier eine Basistherapie mit einem
Cephalosporin, bei schwereren Infektionen in Kombination mit z.B. Clindamycin oder Imipenem. Nach Keimbestimmung und Antibiogramm wird die Medikation entsprechend umgestellt. Auch in der Antibiotikatherapie führt eine Langzeittherapie nicht zu einer Reduktion der Infektionsrate, sondern zum Entwickeln von Antibiotikaresistenzen. ⊡ Tab. 10.12 stellt einen Vorschlag für das Vorgehen bei kindlichen Verletzungen dar, der in Zusammenarbeit mit dem Institut für medizinische Mikrobiologie, Dr. V. Schäfer und dem Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Dr. J. Brand der Uniklinik Frankfurt erarbeitet wurde. Bei der Auswahl des richtigen Antibiotikums muss das lokale Erreger- und Resistenzspektrum berücksichtigt werden, sodass keine allgemeingültige Richtlinie gegeben werden kann.
⊡ Tab. 10.12. Indikationen für Antibiotikatherapie und Prophylaxe4
4
Ursache/Krankheitsbild
Häufige Erreger
Vorschlag medikamentöse Therapie
Dosierung
Offene Fraktur Große Weichteilwunde
Staphylococcus aureus
1. Wahl: Cefuroxim kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Imipenem
40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl.
Gasbrand
Clostridium perfringens
Penicillin G
8000–80000 IE/kg 4–6×tgl.
Tierbisse
Pasteurella multocida Capnocytophaga canimorsus Eikenella corrodens Staphylokokken Streptokokken
1. Wahl: Amoxicillin/Clavulansäure oder Cefuroxim kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Imipenem
40 mg/kg 3×tgl. (i.v.) 40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl.
Menschenbisse
aerobe und anaerobe Keime der Mundflora Eikenella corrodens Klebsiella pneumoniae
1. Wahl: Amoxicillin/Clavulansäure
40 mg/kg 3×tgl. (i.v.)
Verbrennungen
Pseudomonas aeruginosa Staphylokokken (resistent) A-Streptokokken Pilzinfektion
1. Wahl: Cefuroxim (ohne Pseudomonas) Pseudomonas: Imipenem resist. Staphylokokken: Ceftazidim + Vancomycin MRSA: Vancomycin Verdacht auf Pilzinfektion: Amphotericin B
40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl. 40 mg/kg 3×tgl. 15 mg/kg 3×tgl. (Spiegel!) 0,5–1 mg/kg
Erysipel
A-Streptokokken
Penicillin G
8000–80000 IE/kg 4–6×tgl.
Osteomyelitis
Haemophilus influenza Staphylococcus aureus Enterobacter
Ceftriaxon + Clindamycin
50 mg/kg 2×tgl. + 10 mg/kg 3×tgl.
Empyem
Staphylococcus aureus hämolysierende Streptokokken
1. Wahl: Cefuroxim kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Imipenem
40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl.
Offenes SchädelHirn-Trauma
Staphylococcus aureus Anaerobier Enterobacter
1. Wahl: Meronem kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Vancomycin
20 mg/kg 3×tgl. 15 mg/kg 3×tgl. (Spiegel!)
Erstellt in Zusammenarbeit mit Dr. Volker Schäfer, Institut für medizinische Mikrobiologie der Universitätsklinik Frankfurt und Dr. Jörg Brand, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Universitätsklinik Frankfurt
10
108
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
10.3
Thromboseprophylaxe
D. Schneidmüller
10
Die Gabe niedermolekularer Heparine hat sich zur Prophylaxe der Venenthrombose etabliert. Das Risiko einer Venenthrombose liegt beim Kind zwar deutlich niedriger als beim Erwachsenen, ist nach einer Umfrage in deutschen Kliniken mit 188 Thrombosen pro Jahr jedoch höher als häufig angenommen. Die Inzidenz einer Thrombose für hospitalisierte Kinder aller Fachdisziplinen liegt bei 5,3 pro 10000 mit einer Mortalität von 2,2%. Die Altersgipfel liegen dabei im Säuglingsalter bis zum 1. Lebensjahr und in der Pubertät. Die Traumatologie bzw. Chirurgie stellt mit 6% aber einen verhältnismäßig kleinen Anteil der Indikationen für eine Thromboseprophylaxe. Der überwiegende Teil der Erkenntnisse zur Thrombosetherapie und -prophylaxe stammt aus anderen Bereichen der Pädiatrie- wie z.B. der Kinderkardiologie oder -onkologie. Eine retrospektive multizentrische Studie an 58716 Kindern untersuchte das Thromboembolierisiko nach Trauma mit dem Ergebnis einer Thromboembolie-Inzidenz von 0,08% (45 Kinder). Dabei steigt das Risiko mit dem Alter der Kinder sowie mit dem Schweregrad der Verletzung (Injury Severity Score ISS). Das höchste Risiko lag bei Kindern mit einem Zentralvenenkatheter und es bestand ein Zusammenhang mit Schädel-HirnTraumen oder einer Kraniotomie, Abdominal- und Thoraxtraumen, Laparotomie, Wirbelsäulenverletzungen, Wirbelsäuleneingriffen sowie Verletzungen der unteren Extremität. Weltweit werden Kinder nach adaptierten Therapieempfehlungen für Erwachsene behandelt. Eine gesonderte Zulassung von antithrombotischen Medikamenten für Kinder gibt es nicht. So muss die Therapie bzw. Prophylaxe für jedes Kind individuell nach Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses und nach entsprechender Aufklärung der Eltern durchgeführt werden. Die Leitlinie der AWMF zur Thromboseprophylaxe in der Chirurgie gibt zum Einsatz der Thromboseprophylaxe bei Kindern nur wenig Hilfestellung. Sie empfiehlt eine Thromboseprophylaxe bei Jugendlichen mit beginnenden Pubertätszeichen mit entsprechenden expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren. Bei Kindern sei eine medikamentöse Prophylaxe nur in Ausnahmenfällen erforderlich. Als Risiken für eine Thrombose müssen expositionelle Faktoren wie ▬ Thoraxtrauma und Abdominaltrauma mit notwendiger Operation oder Organrupturen und retroperitonealem Hämatom, ▬ Trauma/Frakturen mit notwendiger Operation/Osteosynthese,
▬ ▬ ▬ ▬ ▬
ausgedehnte Weichteilverletzungen, Verbrennungen und Verbrühungen >35%, metabolische Azidose, Schock mit Sepsis, Immobilisation
berücksichtigt werden sowie entsprechend dem Erwachsenen die individuellen dispositionellen Risikofaktoren: ▬ Adipositas (oder KG >40 kg bzw. ein BMI >30), ▬ Varikosis, ▬ maligne Organerkrankungen, ▬ Herzinsuffizienz, ▬ orale Kontrazeptiva, ▬ Rauchen, ▬ Thrombose in der Anamnese, ▬ kongenitaler AT-III- bzw. Protein-C-Mangel. Zum Einsatz kommen in der Thromboseprophylaxe fast ausschließlich niedermolekulare Heparine (NMH) aufgrund ihrer einfachen Handhabung bei meist einmaliger subkutaner Gabe, geringer Beeinflussbarkeit durch Nahrung oder Medikamente, geringer Kumulierungsgefahr, guter Steuerbarkeit, guter Bioverfügbarkeit, geringer Nebenwirkungen und geringeren Gesamtkosten. Wegen der langen Halbwertszeit sollten die NMH jedoch mindestens 6–8 Stunden vor einem operativen Eingriff abgesetzt werden. Ein Monitoring kann prinzipiell über eine Anti-Faktor-(F)Xa-Messung erfolgen. Dosisempfehlungen werden von Enoxaparin (Clexane) und Dalteparin (Fragmin) gegeben (⊡ Tab. 10.13). Es wurden jedoch auch Anwendungen von Nadroparin (Fraxiparin) 0,3 ml s.c. einmal täglich unabhängig von Alter und Gewicht des Kindes ohne Anti-FXa-Monitoring zur Kurzzeitprophylaxe beschrieben, ohne dass es zu einer Thrombose kam oder unerwünschte Nebenwirkungen auftraten. Hierbei handelte es sich jedoch um eine Untersuchung an einem kleinen Kollektiv. Unter der Therapie mit NMH ist die Rate an Nebenwirkungen gering mit 4% für kleinere (Petechien, Wundrandblutungen) und 5% für größere Blutungen (vor allem nach Nierentransplantationen). Die Osteoporoseentwicklung ist beim Kind vernachlässigbar und eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) wurde bisher bei Kindern unter NMH nicht beschrieben. Über die Dauer der Therapie existieren ebenfalls keine genauen Angaben in der Literatur. Die Anwendungsdauer ist abhängig von der vorliegenden Verletzung sowie den Risikofaktoren und beträgt in der Regel zwischen 7 und 14 Tagen. Neuere Medikamente wie direkte Thrombin-Inhibitoren oder selektive Faktor-Xa-Hemmer (Fondaparinux= Arixtra) befinden sich noch nicht in der Anwendung bei Kindern.
109 10.3 · Thromboseprophylaxe
⊡ Tab. 10.13. Dosierempfehlung für die subkutane Gabe von niedermolekularem Heparin zur Thromboseprophylaxe bei Kindern Zielspiegel (Anti-FXaE/ml)
Enoxaparin (Clexane)
Daleparin (Fragmin)
Monitoring
0,2–0,4
<2 Mo. 0,75 mg*/kg/12 h >2 Mo. 0,5 mg/kg/12 h
50–100 E*/kg/24 h
nach Dosisfindung i.d.R. nicht notwendig
* E Anti-FXa-Einheiten (Clexane 1 mg=110 E)
Neben der medikamentösen Thromboseprophylaxe sollte auch beim Kind nicht auf begleitende physikalische Maßnahmen wie ▬ Krankengymnastik, ▬ Kompressionsstrümpfe, ▬ Frühmobilisation, ▬ Aufforderung und Anleitung zur Eigenübung (Muskelpumpe), ▬ Kreislauf- und Atemtherapie verzichtet werden. In der Praxis bilden oft das Auftreten von Pubertätsmerkmalen sowie ein Körpergewicht von ca. 40 kg die Alters- bzw. Gewichtsgrenze für eine Prophylaxe. Eine klare Richtlinie, ab welchem Alter und bei welchen Indikationen eine medikamentöse Thromboseprophylaxe durchgeführt werden sollte, gibt es bisher nicht. So bleibt es nach wie vor eine individuelle Entscheidung des Arztes nach Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses, wann eine und welche Thromboembolieprophylaxe eingesetzt wird.
10
11
Schulter W. Schlickewei, M. Seif El Nasr, W.E. Linhart und F.J. Schneider
11.1
Schultergürtel
11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5
Physiologische Befunde – 112 Frakturen der Klavikula – 112 Verletzungen des Akromioklavikulargelenks – 118 Verletzungen des Sternoklavikulargelenks – 120 Frakturen der Skapula – 122
– 112
11.2
Glenohumeralgelenk
11.2.1 11.2.2
Glenohumerale Luxation – 124 Fallbeispiele – 128
– 124
112
Kapitel 11 · Schulter
11.1
Schultergürtel
W. Schlickewei und M. Seif El Nasr 11.1.1 Physiologische Befunde
Bei der Interpretation der Röntgenbilder ist das (seltene) Vorhandensein von akzessorischen Knochen im Bereich des Schultergelenks (⊡ Abb. 11.1a–c) zu berücksichtigen. Die Knochenkerne des Schultergürtels (⊡ Abb. 11.2) treten zu verschiedenen Zeitpunkten auf (⊡ Abb. 5.1). Der Fugenschluss tritt im Bereich des Schultergürtels zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr ein, lediglich im medialen Ende des Schlüsselbeins ist noch im Alter bis zu 25 Jahren gelegentlich eine offene Fuge zu beobachten. Verletzungen im Bereich des Schultergürtels sind bei Kindern meistens unkompliziert und treten nur ausnahmsweise als Komplexverletzung auf. Im klinischen Alltag finden sich am häufigsten Klavikulafrakturen, während Schultereckgelenkverletzungen oder Skapulafrakturen eher eine Rarität darstellen. Traumatische Schulterluxationen treten hingegen eher im sportlich aktiven Adoleszentenalter auf.
Geburtstraumatische Frakturen werden häufig erst durch den sich früh bildenden Kallus und die dadurch bedingte Schwellung auf Höhe der Fraktur diagnostiziert. Klinische Zeichen wie ein asymmetrischer MoroReflex oder ein asymmetrisches Stillverhalten werden selten beobachtet. Der direkte Sturz auf die Schulter ist sonst der häufigste Unfallmechanismus, und Sportverletzungen sind die häufigste Unfallursache. Indirekte Krafteinwirkung wie der Sturz auf den ausgestreckten Arm spielen kaum eine Rolle. Bei Kleinkindern sind die Frakturen – bedingt durch den dicken Periostschlauch – meist undisloziert, während im Adoleszentenalter dislozierte Frakturen überwiegen. Nahezu die Hälfte der Frakturen ereignen sich in der ersten Lebensdekade, Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen. Die klinischen Frakturzeichen weisen schnell auf die
11.1.2 Frakturen der Klavikula
11
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Beim Neugeborenen ist die Klavikulafraktur die häufigste geburtstraumatische Schädigung (1,7%). Im Kindesalter ist sie die vierthäufigste Fraktur und macht 5–15% aller Knochenbrüche aus, mit steigender Tendenz bei den Adoleszenten, bedingt durch Verletzungen bei extrem sportlichen Aktivitäten.
a
b
⊡ Abb. 11.2. Knochenkerne der Skapula
c
⊡ Abb. 11.1. Akzessorische Knochenkerne. a Os acromiale, b Kapselknochen am AC-Gelenk, c großer Sesamknochen im Lig. coracoacromiale.
113 11.1 · Schultergürtel
Diagnose. Bei dislozierten Frakturen sind sie durch die geringe Weichteildeckung evident. ▬
Klassifikation Die gebräuchlichste Klassifikation der Klavikulafraktur ist die nach Allmann. Typ I betrifft die Frakturen im mittleren Drittel, Typ II die lateral der korakoklavikulären Bänder und Typ III die Frakturen des medialen Drittels. Die Subtypen beschreiben ▬ undislozierte (a), ▬ dislozierte (b) und ▬ mehrfragmentäre (c) Frakturen. Im Bereich des medialen Klavikuladrittels treten drei Verletzungsformen auf. Am häufigsten liegt eine Fraktur durch die Wachstumsfuge vor. Echte Schaftbrüche im medialen Drittel, also Frakturen zwischen dem medialen Ansatz des M. sternocleidomastoideus und der medialen Wachstumsfuge sind deutlich seltener. Sternoklavikuläre Luxationen sind beschrieben, dürften jedoch zum Großteil fehldiagnostizierte Fugenverletzungen darstellen. Die Frakturen der medialen Wachstumsfuge werden nach Salter und Harris klassifiziert. Bei den meisten handelt es sich um Salter-Harris-I- und -II-Frakturen. Das epiphysäre Fragment – ohne oder mit einem kleinen metaphysären Keil – verbleibt im Sternoklavikulargelenk. Eine weitere Einteilung dieser Verletzungen beschreibt die Dislokationsrichtung des Schaftes. Die anteriore Dislokation ist die häufigere, die posteriore, mit einer möglichen Beeinträchtigung der mediastinalen Strukturen, die wichtigere. Im Bereich des lateralen Drittels erfolgt die Klassifikation der eher seltenen AC-Gelenk-Verletzungen nach der Rockwood-Klassifikation des Erwachsenen. Die Frakturen im lateralen Drittel werden in Anlehnung an diese Klassifikation nach Dameron und Rockwood klassifiziert (⊡ Abb. 11.3). Bei den kindlichen Verletzungen dieser Region handelt es sich in der Regel nicht um echte AC-Gelenk-Sprengungen, sondern um laterale Klavikulafrakturen. Das mediale Fragment durchspießt dabei den dicken Periostschlauch, reißt ihn auf und disloziert durch die einwirkenden Kräfte des Traumas und der ansetzenden Muskeln. Der Periostschlauch verbleibt in Verbindung mit dem peripheren Fragment, die korakoklavikulären Bänder bleiben an der Unterseite des Periostschlauchs intakt! Folgerichtig wird die Einteilung dieser Verletzungen in Abhängigkeit von der Dislokation des medialen Fragments vorgenommen, die Unterscheidung in Fugenverletzungen oder Schaftfrakturen ist unbedeutend. ▬ Typ I Dehnung des Lig. acromioclaviculare oder Fissur der lateralen Klavikula ohne Läsion des Peri-
▬
▬
▬
▬
ostschlauchs. Radiologisch keine Dislokation nachweisbar. Typ II Partielle Perforation und Riss des Periostschlauchs, geringe Instabilität mit radiologisch erweitertem AC-Gelenk/Frakturspalt ohne wesentliche Vergrößerung der akromioklavikulären Distanz. Typ III Erweiterter Riss des Periostschlauchs mit deutlicher Instabilität und Hochstand des medialen Fragments. Die korakoklavikuläre Distanz ist um 25– 100% erweitert. Typ IV Entsprechend Typ III, nur mit dorsaler Dislokation des medialen Fragments. Das Fragment kann dabei auch den M. trapezius knopflochartig perforieren und damit geschlossen irreponibel sein. Im a.p.-Strahlengang kann diese Verletzung unterschätzt werden. Erst im axialen Strahlengang ist das nach dorsal stehende Schaftfragment erkennbar. Typ V Komplette Spaltung des Periostschlauchs, Dislokation des medialen Fragments nach proximal subkutan. Die korakoklavikuläre Distanz ist um mehr als 100% erweitert. Typ VI Nach distal disloziertes mediales Fragment, mit Verhakung unter dem Processus coracoideus.
Typ I
Typ III
Typ V
Typ II
Typ IV
Typ VI
⊡ Abb. 11.3. Klassifikation der lateralen Klavikulafrakturen nach Dameron und Rockwood.
11
114
Kapitel 11 · Schulter
Fraktur im mittleren Drittel – Typ I nach Allmann
Besonderheiten
häufigste Form der Klavikulafraktur
Diagnostik
Rx a.-p. genügt in der Regel im Einzelfall auch Sonographie denkbar
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
nur beim Jugendlichen Verkürzung der Schulter möglichst vermeiden hohe Korrekturpotenz durch Remodeling
Primärbehandlung
Ruhigstellung im Mitella-Tuch Redressierung im Rucksackverband beim Kind meist undurchführbar! nur bei stark dislozierten Frakturen bringt der Rucksackverband eine Schmerzlinderung durch Auseinanderziehen der schmerzenden Knochenenden (aber keine Redressierung!)
Konservative Therapie
11
Indikation
i.d.R. konservativ
Verfahren
Mitella-Tuch für 2 Wochen oder Gilchrist-Verband beim Jugendlichen 3–4 Wochen
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle, bei kleinen Kindern klinischer Befund oder Kontrolle mittels Sonographie ausreichend
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
offene Fraktur, Gefäß-Nerven-Schaden, Durchspießungsgefahr nur ausnahmsweise beim Adoleszenten mit erheblicher Verkürzung
Verfahren
Einzelfallentscheidung für Plattenosteosynthese oder ESIN
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
Platte bzw. ESIN nach 3 Monaten
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
selten Irritationen des Plexus durch den Kugelkallus
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
zu vernachlässigen
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
115 11.1 · Schultergürtel
Fraktur im lateralen Drittel – Typ II nach Allmann
Besonderheiten
Periostschlauch bleibt intakt, ebenso die korakoklavikulären Bänder (s. Klassifikation) Konsolidierung durch periostale Knochenbildung
Diagnostik
Rx a.-p. und Schulter axial wegen Dislokationsrichtung und Ausmaß
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
bei Typ IV, V und VI nach Dameron und Rockwood Reposition erforderlich hohe Korrekturpotenz durch Remodeling Ausbildung einer Neoklavikula im Periostschlauch möglich
Primärbehandlung
Ruhigstellung im Mitella-Tuch nur bei stark dislozierten Frakturen bringt der Rucksackverband eine Schmerzlinderung durch Auseinanderziehen der schmerzenden Knochenenden (aber keine Redressierung!)
Konservative Therapie Indikation
alle Typ-I-, -II- und -III-Verletzungen nach Dameron und Rockwood
Verfahren
Mitella-Tuch oder Gilchrist-Verband für 2 Wochen, beim Jugendlichen 3–4 Wochen
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
bei Typ-IV-, -V- und -VI-Verletzungen nach Dameron und Rockwood offene Fraktur, Gefäß-Nerven-Schaden, Durchspießungsgefahr selten beim Adoleszenten mit erheblicher Verkürzung
Verfahren
beim Kind mit noch kräftigem Periostschlauch nach Reposition Naht des Periostschlauchs beim Jugendlichen bevorzugt nicht AC-Gelenk fassen, alternativ Fixation mit resorbierbarer Kordel zum Korakoid
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 3 Monaten bei Zuggurtung durch das AC-Gelenk nach 5–6 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung bei Zuggurtung durch das AC-Gelenk nach Metallentfernung
Komplikationen
Serombildung nach Zuggurtung
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
zu vernachlässigen
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
11
116
Kapitel 11 · Schulter
Fraktur im medialen Drittel – Typ III nach Allmann
Besonderheiten
sehr selten meist Fraktur durch die Fuge, diese bedingt 80% des Längenwachstums letzte Fuge, die schließt Dislokation des Schaftfragments nach mediastinal, kann mediastinale Strukturen komprimieren und einen Notfall darstellen! (jedoch Rarität)
Diagnostik
Rx a.-p., CT mit Rekonstruktion (!), auch MRT mit Rekonstruktion möglich, dabei Darstellung der Fugenverletzung (s. Fallbeispiele)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzlinderung nur im Notfall Entlastung der mediastinalen Strukturen (s. Primärbehandlung) hohe Korrekturpotenz durch Remodeling
Primärbehandlung
Reposition selten erforderlich nur bei Dislokation nach mediastinal mit Komprimierung mediastinaler Strukturen kann eine notfallmäßige geschlossene oder offene Reposition erforderlich werden Ruhigstellung im Mitella-Tuch
Konservative Therapie
11
Indikation
fast immer (s. Primärbehandlung)
Verfahren
Mitella für 2 Wochen, beim Jugendlichen 3–4 Wochen
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
nur bei der oben beschriebenen Notfallindikation und bei Fehlwachstum nach dorsal, Stabilisierung mit resorbierbarer Kordel Redislokationstendenz nach mediastinal besteht durch Wachstum; Verlaufsbeobachtung!
Verfahren
Zuggurtung keine alleinige K-Draht-Osteosynthese wegen der Wanderungstendenz der Drähte! Fixation mit PDS-Naht an Sternum plus Kapselnaht; keine K-Drähte wegen hoher Wanderungsgefahr!
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
keine Metallimplantate
Sportfähigkeit
nach Konsolidierung
Komplikationen
Drahtwanderung bei alleiniger K-Draht-Osteosynthese, daher nicht durchführen! Ausriss der Zuggurtung (resorbierbares Material, prinzipiell auch Drahtnaht möglich)
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
in den ersten Jahren zum Ausschluss retrosternalen Wachstums
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
117 11.1 · Schultergürtel
Technische Aspekte
Klavikula
Material
Lagerung
Rückenlagerung, Arm frei beweglich, Schultertisch bzw. Durchleuchtungsmöglichkeit sicher-
Vicryl (3,0) für Periostnähte K-Drähte (1,4 mm), Cerclagedraht (1,25) für Zuggurtung Kleinfragment-Rekoplatten (3,5 mm) für Plattenosteosynthese Titan-Federnagel (2,0) für ESIN
stellen Beach-Chair-Lagerung für Kinder eher ungünstig
Zugang
in Verlaufsrichtung der Klavikula auf Höhe der Fraktur oder Säbelhiebschnitt Narben neigen hier zu Keloidbildung!
Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
Periostnaht Verschluss des dicken Periostschlauchs nach Reposition der Klavikula Zuggurtung klassische Zuggurtung, wenn irgend möglich ohne Transfixation von AC- oder SC- Gelenk,
konservative Alternative besprechen und dokumentieren! Serombildung, Infektgefahr Narbenbildung eher geringes Risiko von Gefäß-Nerven-Läsionen
auch resorbierbare Kordel um Korakoid möglich Plattenosteosynthese bei Mehrfragmentfraktur Brückenplatte, keine Denudierung der freien Fragmente ESIN Auffädeln der Fraktur von medial
Metallentfernung
ESIN evtl. ambulant, Platte oder Zuggurtung ggf. kurz stationär
Sonstige Besonderheiten
keine
11
118
Kapitel 11 · Schulter
11.1.3 Verletzungen des
Akromioklavikulargelenks Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Verletzungen des Akromioklavikulargelenks sind im Wachstumsalter kaum zu beobachten. Mögliche Ursachen sind direkte Schultertraumen, zum Beispiel bei jugendlichen Ringern. Der Verletzungsmechanismus führt in der Regel zu einer (metaphysären) Fraktur. Das klini-
sche Bild korreliert mit der Verletzung des Erwachsenen (Klaviertastenphänomen).
Klassifikation In der Einteilung der Verletzung werden nach Rockwood sechs Typen unterschieden. Die Verletzungen der Typen 3–6 bedürfen einer spezifischen Behandlung (s. auch: laterale Klavikulafrakturen).
Akromioklavikulargelenkverletzung (AC-Gelenk-Verletzung)
11
Besonderheiten
im Wachstumsalter ist »Pseudoluxation«, die Epiphysenlösung der lateralen Klavikula, abzugrenzen
Diagnostik
zur Analyse der Schultereckgelenkinstabilität ist die Aufnahme mit und ohne Gewicht (5–10 kg) immer noch als Methode der Wahl anzusehen, die Sonographie im Seitenvergleich erlaubt ebenfalls eine Aussage zur Dislokation
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ziel der Behandlung ist die Erhaltung der Stabilität des Gelenks und das Vermeiden von Faktoren, die zu einer Arthrose des Gelenks führen können
Primärbehandlung
Rucksackverband
Konservative Therapie Indikation
in der überwiegenden Zahl der (seltenen) Fälle
Verfahren
Rucksackverband für ca. 2–3 Wochen
Nachbehandlung
frühfunktionell, Sportkarenz für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
i.d.R. nicht erforderlich
Sportfähigkeit
nach 4 Wochen
Operative Therapie Indikation
in Ausnahmefällen bei kompletter Gelenkzerreißung (Typ 3–6)
Verfahren
Zuggurtung mit resorbierbarem Nahtmaterial (PDS)
Nachbehandlung
frühfunktionell mit Vermeiden von Überkopfbewegungen für 6 Wochen
Rx-Kontrolle
vor Entfernen der transfixierenden Bohrdrähte
Metallentfernung
nach 6 Wochen
Sportfähigkeit
nach 8–12 Wochen
119 11.1 · Schultergürtel
Komplikationen
verbleibende Instabilität
Wachstumsstörung
nicht bekannt
Nachkontrollen
klinisch 6 Monate nach Trauma
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
AC-Gelenk
Material
resorbierbares Nahtmaterial (PDS) Bohrdrähte 1,8 mm
Lagerung
Beach-chair-Lagerung
Zugang
laterale Inzision über dem AC-Gelenk
Spezielle Aufklärung
Nachblutung, Nervenverletzung, Infektion
OP-Prinzip
Sicherung der readaptierenden Bandnähte und passagere Sicherung mit Zuggurtung
Metallentfernung
im Intervall nach 6 Wochen, ambulant
Sonstige Besonderheiten
keine
LiLa: --------------------------------------------
11
120
Kapitel 11 · Schulter
11.1.4 Verletzungen des
Sternoklavikulargelenks
ten wie Ringen und Turnen sind prädestiniert, derartige Unfälle herbeizuführen. Das klinische Bild imponiert mit Schwellung und Schmerzen.
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Die typische SC-Gelenkluxation des Erwachsenen ist beim Kind extrem selten, differenzialdiagnostisch ist die traumatische Epiphysiolyse abzugrenzen, die ebenso kaum vorkommt. In der Literatur wird über Einzelfälle berichtet. Ursache einer Verletzung des Sternoklavikulargelenks kann der Sturz auf den ausgestreckten Arm sein. Sportar-
Klassifikation Unterschieden werden die Verletzungen des Sternoklavikulargelenks nach der Richtung der Dislokation (anterior, posterior).
Sternoklavikulargelenkverletzung (SC-Gelenk-Verletzung)
Besonderheiten
Begleitverletzungen der Thoraxorgane (Pneumothorax) sind v.a. bei posteriorer Luxation beschrieben
Diagnostik
die konventionelle a.-p. Röntgenaufnahme erlaubt häufig nicht, die Diagnose zu sichern; bei Verdacht auf Luxation ist eine Schnittbilduntersuchung als Methode der Wahl anzusehen, wobei die CT eine bessere Rekonstruktion erlaubt und die MRT eine bessere Darstellung der Weichteile, Gefäße und der beteiligten Fuge
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung der Stabilität
Primärbehandlung
Ruhigstellung in Gilchrist-Verband oder im Mitella-Tuch
11
Konservative Therapie Indikation
Methode der Wahl, sekundär ist ein gutes Remodeling zu erwarten
Verfahren
geschlossene Repositionsmanöver wenig aussichtsreich, Befundkontrolle durch Röntgen- oder MRT-Kontrolle; keine Repositionsmanöver indiziert
Nachbehandlung
Schonung für 3 Wochen
Rx-Kontrolle
nur bei unsicherem Befund
Sportfähigkeit
nach 6 Wochen
Operative Therapie Indikation
bei instabiler Situation, deutlicher anteriorer oder posteriorer Luxation, sekundär bei Beschwerden (aufwendiger)
Verfahren
offene Einrichtung; 8er Drahtnaht oder PDS-Naht, transossäre Bohrkanäle, ggf. ergänzt mit Periostlappenplastik
Nachbehandlung
Schonung und Vermeiden von Außenrotationsbewegungen im Schultergelenk für 4–6 Wochen
121 11.1 · Schultergürtel
Rx-Kontrolle
vor Aufnahme der vollen Aktivität
Metallentfernung
fakultativ bei Drahtnaht nach ca. 3 Monaten
Sportfähigkeit
nach 6–8 Wochen
Komplikationen
intraoperativ Verletzungen von Nachbarstrukturen (Lunge, große Gefäße), deswegen keine Verwendung von Bohrdrähten!
Wachstumsstörung
nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Funktionskontrollen im Verlauf
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
SC-Gelenk
Material
Drahtnaht durch Bohrkanäle als 8er-Naht, als Alternative ggf. PDS
Lagerung
Beach-chair-Lagerung
Zugang
bogenförmige Inzision über dem SC-Gelenk
Spezielle Aufklärung
Verletzung von Nachbarstrukturen, auffällige Narbenbildung
OP-Prinzip
Zuggurtung
Metallentfernung
fakultativ nach ca. 3 Monaten bei Verwendung von Drahtnähten
Sonstige Besonderheiten
keine
LiLa: --------------------------------------------
11
122
Kapitel 11 · Schulter
11.1.5 Frakturen der Skapula 3
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Frakturen der Skapula sind selten, sie machen unter 1% der Frakturen aus. Abscherverletzungen am Glenoid entstehen bei Schulterluxationen (inkl. knöcherne Bankard-Läsion, s. dort). Korakoidabrissfrakturen können im Zusammenhang mit lateralen Klavikulafrakturen und AC-Gelenk-Verletzungen auftreten. Die übrigen Skapulafrakturen sind Folge von Hochrasanztraumen wie Verkehrsunfälle und Sturz aus großer Höhe mit direkter Krafteinwirkung. Gleichzeitig vorliegende Rippen- oder Wirbelfrakturen dominieren im klinischen Bild, sodass Skapulafrakturen teils erst im Polytrauma-CT auffallen. Ein gezieltes Fahnden nach klinischen und radiologischen Frakturzeichen bei klinischem Verletzungsverdacht an der Schulter ist erforderlich.
4
2
6 5 1
⊡ Abb. 11.4. Einteilung der Skapulafrakturen.
Klassifikation
11
Eine spezielle Klassifikation kindlicher Skapulafrakturen gibt es nicht. Üblicherweise erfolgt die Einteilung nach Lokalisation der Fraktur (⊡ Abb. 11.4): ▬ Korpusfrakturen (1), ▬ Spinafrakturen (2), ▬ akromiale Frakturen (3), – mit Einengung des subakromialen Raums, – ohne Einengung des subakromialen Raums, ▬ Korakoidfrakturen (4), ▬ Skapulahalsfrakturen (5), ▬ Glenoidfrakturen (6), ▬ thorakoskapuläre Dissoziation (⊡ Abb. 11.5).
⊡ Abb. 11.5. Thorakoskapuläre Dissoziation.
Skapulafraktur
3 4
2
6 5 1
Besonderheiten
sehr selten
Diagnostik
Rx a.-p. Schulter axial Rx Skapula tangential in den konventionellen Rx sind die Frakturen in ihrem Verlauf und im Ausmaß der Dislokation nicht immer beurteilbar, in diesen Fällen CT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzreduktion Rekonstruktion des Glenoids bei größerer Dislokation wenig Aussagen zu Korrekturpotenz
Primärbehandlung
Ruhigstellung im Gilchrist-Verband
123 11.1 · Schultergürtel
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ
Verfahren
Gilchrist-Verband für 2 Wochen
Nachbehandlung
frühfunktionelle spontane Übungen, Bewegungsbad, Ausnutzen des Wasserauftriebs ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
bei Floating Shoulder, ggf. nur Versorgung der Klavikula bzw. der Skapula, Versorgung der Skapula nur bei dann noch bestehender grober Dislokation; Abstützung des Skapulahalses bei Floating Shoulder grob dislozierte Glenoidfrakturen Einzelfallentscheidungen
Verfahren
Platten- und Schraubenosteosynthese
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 8–12 Wochen (nur Klavikula, Skapulaplatte kann belassen werden)
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Metallentfernung
Komplikationen
Zugangsmorbidität
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
zu vernachlässigen
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
Skapula
Material
Schrauben (2,0–3,5) Plattenosteosynthese (2,0–3,5)
Lagerung
Rückenlagerung, Arm frei beweglich bei vorderen Zugängen Bauchlagerung, Arm frei beweglich bei dorsalen Zugängen Seitenlage auf Gegenseite bei kombinierten Zugängen, Durchleuchtungsmöglichkeit sicher-
LiLa: --------------------------------------------
stellen; Arm steril auf Armstütze Zugang
ventral
→ Säbelhiebschnitt → deltoideopektoraler Zugang dorsal → entlang dem lateralen Skapularand unter und über M. teres major (Zwei-Portal-Zugang) Stabilisierung der Margo lateralis i.d.R. ausreichend Spezielle Aufklärung
Verletzungsgefahr von N. suprascapularis, N. axillaris
OP-Prinzip
Plattenosteosynthese klassische Plattenosteosynthese Schraubenosteosynthese klassische Schraubenosteosynthese
Metallentfernung
nach 8–12 Wochen; dorsale Skapulaplatten belassen
Sonstige Besonderheiten
keine
11
124
Kapitel 11 · Schulter
11.2
Glenohumeralgelenk
W.E. Linhart und F.J. Schneider Obwohl das Schultergelenk ein Synovialgelenk vom Typ des Kugelgelenks ist, besitzt es nicht die natürliche Stabilität, die diesem Gelenktyp allgemein beigemessen wird, da das flache Glenoid mit dem sphärischen Humeruskopf artikuliert und vorwiegend durch die Gelenkkapsel, glenohumerale Bänder und die Rotatorenmanschette geführt wird. Diese Stabilisierung vorwiegend über Weichteile erlaubt dem Schultergelenk einerseits den größten Bewegungsumfang aller Gelenke, andererseits bewirkt die mangelhafte knöcherne Führung eine besondere Anfälligkeit gegenüber Kapselverletzungen, Subluxationen oder Luxationen.
11.2.1 Glenohumerale Luxation
häufiger rezidivieren als bei Erwachsenen. Bei kleinen Kindern ist die Schulterluxation hingegen extrem selten und wird vor allem in Verbindung mit einer Plexusparese oder als angeborene Erkrankung (Ehlers-Danlos- oder Marfan-Syndrom) beobachtet.
Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Eine vordere Schulterluxation wird durch einen Sturz auf den über die Horizontale abduzierten Arm verursacht, eine Position, die eine Hebelwirkung nach vorne auf den Humeruskopf ausübt und die vorderen und unteren Kapselanteile überdehnt oder sogar vom Glenoidhals abreißt. Der vordere Labrumabriss mit oder ohne knöchernen Anteil ist von herausragender Bedeutung für die dauerhafte Schultergelenkstabilität (Bankart-Läsion) (⊡ Abb. 11.6a,b; ⊡ Abb. 11.7). Eine hintere Schulterluxation wird entweder durch einen Sturz auf den in der Schulter gebeugten und addu-
Inzidenz
11
Die Inzidenz der glenohumeralen Luxation beträgt bei Kindern und Jugendlichen etwa 2%. Im Kindesalter stellt die proximale Humeruswachstumsfuge aufgrund der Festigkeit der Bänder und Weichteile den mechanisch schwächsten Teil im Schultergelenkkomplex dar. Daher ist die häufigste Verletzung eine Salter-Harris-Typ-II-Verletzung. Während der Pubertät, wenn die Wachstumsfuge verknöchert, kommt es zu einem deutlichen Anstieg von Kapsel- und Rotatorenverletzungen, Subluxationen und Luxationen. In großen Serien von Schulterluxationen, die über einen Verlaufszeitraum von 20 Jahren nachbeobachtet wurden, waren Kinder unter 10 Jahren nur zu 1,6% betroffen. Dagegen traten knapp 20% der Schulterluxationen zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr auf. In mehr als der Hälfte dieser Verletzungen handelte es sich dabei um Luxationen, die nach dem Erstereignis rezidivierten. Das bedeutet, dass Schulterluxationen im Jugendalter
⊡ Abb. 11.6. Bankart-Läsion.
a
⊡ Abb. 11.7. Bankart-Läsion; MRT.
b
125 11.2 · Glenohumeralgelenk
zierten Arm oder durch ein Überwiegen der Innenrotatoren im Rahmen von epileptischen Krampfanfällen verursacht. Dabei wird der Humeruskopf nach hinten gehebelt und die Kapsel wird überdehnt oder reißt ein. Es sind vor allem indirekte Traumen, welche die häufigsten Unfallursachen darstellen. Während diese Verletzungen bei Kindern zu Wachstumsfugenläsionen führen, überwiegen im Jugend- und Erwachsenenalter eher metaphysäre Brüche und Weichteilläsionen, z.B. in Form von Rotatorenmanschettenläsionen, Subluxationen oder Luxationen. Auch als geburtstraumatische Verletzungen sind Schulterluxationen beschrieben. Tatsächlich handelt es
sich dabei aber um eine Epiphysenlösung der proximalen Humeruswachstumsfuge, die infolge eines schwierigen Geburtsverlaufes bei der Entwicklung der Schulter auftreten kann. Die Humerusepiphyse steht zwar innerhalb des Gelenks, die Metaphyse ist aufgrund der Traumatisierung und Epiphysenlösung verschoben. Da der Kopfkern noch nicht verknöchert und im Röntgenbild nicht sichtbar ist, wird dies als Schulterluxation fehlinterpretiert. Eine weitere Form der Schulterluxation ist die sog. »atraumatische Luxation«, bei welcher die Kinder ihre Schulter willkürlich subluxieren oder luxieren können. Es ist unklar, ob dieses Phänomen spontan auftritt oder die Folge eines Minimaltraumas darstellt. Bei dieser Form der Luxation spielen psychische Faktoren eine Rolle. Andererseits müssen kausale Ursachen wie eine Pfannendysplasie oder habituelle Schulterluxationen – auch nach traumatischer Erstluxation mit persistierender Instabilität – in diesen Fällen ausgeschlossen werden. Eine traumatische Luxation verursacht Schmerzen, eine Schwellung und Funktionseinschränkung im Bereich der Schulter. Die Stellung des Armes hängt von der Luxationsrichtung ab. Bei einer vorderen Luxation wird der Arm in leichter Abduktion und Außenrotation gehalten, und es ist klinisch eine leere Gelenkpfanne erkennbar (⊡ Abb. 11.8). Eine hintere Luxation zeigt eine Adduktion und Innenrotation. Eine untere Luxation weist ebenfalls eine Abduktionsstellung des Arms auf, wobei dieser auf oder hinter dem Kopf liegt (luxatio erecta). Eine willkürliche Subluxation oder Luxation verursacht keine oder nur geringe Schmerzen und Schwellung.
Klassifikation
⊡ Abb. 11.8. Klinisches Bild einer ventralen Schulterluxation; leere Pfanne
Schulterluxationen werden entweder nach der Luxationsrichtung in vordere, hintere, untere oder multidirektionale Luxationen eingeteilt. Die vordere Schulterluxation ist die bei weitem häufigste. Eine andere Einteilung erfolgt nach der Ursache in traumatisch, atraumatisch, willkürlich, habituell, angeboren usw. (⊡ Tab. 11.1).
⊡ Tab. 11.1. Ursachenorientierte Einteilung der Schulterluxation Traumabedingt
Ohne Trauma
Erstluxation: Traumatische Luxation mit Zerreißung der Kapsel, Bankart-Läsion usw.
Angeborene Luxation: Laxizität, Bindegewebserkrankungen
Rezidivierende Luxation: Luxation bei posttraumatischer Kapselinsuffizienz, Bankart-Luxation, Hill-Sachs-Delle
Erworbene Luxation: Plexusparese, neurologische Erkrankung Willkürliche Luxation: Laxizität, psychische Faktoren
11
126
Kapitel 11 · Schulter
Glenohumerale Luxation
Besonderheiten
primäre traumatische Schulterluxation im Wachstumsalter extrem selten, eher im Adoleszentenalter beim Sport; angeborene Skelettanomalien (Glenoiddysplasie und angeborene Luxationen, neurologische Erkrankungen) können die Luxation begünstigen; Kinder mit willkürlich auslösbaren Subluxationen und Luxationen sollten bzgl. Verhaltensauffälligkeiten abgeklärt werden, sie benötigen spezielle Muskelaufbauprogramme
Diagnostik
Klinik: vordere Luxation (häufig): federnde Abduktionsstellung sowie eine leere Pfanne; hintere Luxation: Adduktion und Innenrotation; untere Luxation: Abduktionsstellung des Armes, wobei dieser auf oder hinter dem Kopf liegt (luxatio erecta). Ausschluss einer Verletzung des N. axillaris oder des Plexus brachialis. Kontrolle der Armdurchblutung vor und nach Reposition. Rx der Schulter a.-p. (2. Ebene meist nicht möglich), ggf. transthorakale Aufnahme bei unklarer Luxationsrichtung (jedoch hohe Strahlenbelastung); MRT bei unklarer Luxationsrichtung, Beurteilung einer evtl. dysplastischen Pfanne oder von Zusatzverletzungen; Ultraschalluntersuchung als nichtinvasive Maßnahme auch bei Neugeborenen und Säuglingen sowie bei Weichteilverletzungen sinnvoll, erfordert jedoch sonographische Erfahrung; I.d.R. ist eine MRT zur Beurteilung der Gesamtverletzung einschließlich des Labrums, der Rotatorenmanschette oder auch anderer Verletzungen, wie z.B. einem knorpeligen Apophysenausriss beim Jugendlichen erforderlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Reposition mit Wiederherstellung des Gelenkflächenkontaktes; Vermeiden einer Gelenkinstabilität, einer Funktionseinschränkung, eines Gefäß-Nerven-Schadens; Vermeiden einer Reluxation
Primärbehandlung
obligate Röntgenaufnahme vor einem Repositionsmanöver, um Diagnose zu sichern und proximale Humerusfraktur auszuschließen; beim Kind in Kurznarkose geschlossene Reposition in analoger Technik wie beim Erwachsenen unter kurzzeitiger Muskelrelaxation zur Vermeidung von Sekundärschäden; Notfallindikation
11
Konservative Therapie Indikation
Erstluxation ohne morphologischen Schaden
Verfahren
nach erfolgter Reposition Ruhigstellung im Gilchrist-Verband für 2–3 Wochen, Ausschluss einer operationspflichtigen Verletzung durch Sonographie oder MRT
Nachbehandlung
schrittweise Krankengymnastik unter Vermeidung einer Außenrotation bei vorderer Luxation für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
Repositionskontrolle mit Röntgen; im Intervall MRT zum Ausschluss einer Labrumläsion
Sportfähigkeit
frühestens nach 6 Wochen, Kontaktsportarten und Überkopfsportarten (Tennis) nach 10–12 Wochen
Operative Therapie Indikation
bei dislozierter Labrumverletzung und rezidivierender Luxation
Verfahren
arthroskopische Labrumrefixation mit Fadenanker (resorbierbar oder Titan) und Kapselraffung, ausnahmsweise offene Refixation (knöcherne Bankart-Läsion)
127 11.2 · Glenohumeralgelenk
Nachbehandlung
Ruhigstellung in der Schulterweste für 4 Wochen, Vermeidung der Außenrotation für mindestens 6 Wochen
Rx-Kontrolle
nicht regulär erforderlich
Metallentfernung
Entfällt
Sportfähigkeit
frühestens nach 10 Wochen, Kontaktsportarten und Überkopfsportarten (Tennis) nach 12 Wochen
Komplikationen
Reluxation; Aufklärung über Reluxationsgefahr unerlässlich
Wachstumsstörungen
nicht zu erwarten, außer bei Begleitverletzungen an der proximalen Oberarmepiphyse
Nachkontrollen
Jahreskontrolle sinnvoll
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
Schulterluxation
Material
Ankernähte, resorbierbar
Lagerung
extendierte Schulter (Seitenlage) oder Beach-chair-Lagerung
Zugang
arthroskopisch, falls technisch schwierig auch Miniarthrotomie
Spezielle Aufklärung
Rezidivgefahr
OP-Prinzip
Stabilisierung der verletzten Kapselstrukturen, Labrumrefixation mit Fadenanker Anfrischen der Ruptur und Insertionszone Ausschluss weiterer intraartikulärer Verletzungen während Arthroskopie
Metallentfernung
entfällt
Sonstige Besonderheiten
schwierige Stabilisierung bei Pfannendysplasie und habitueller Luxation in diesen Fällen nach
LiLa: --------------------------------------------
Abschluss des Wachstums ggf. knöcherner Pfannenrandaufbau primär i.d.R. arthroskopische Verfahren, auch wiederholt zurückhaltende OP-Indikation bei multidirektionaler Instabilität
11
128
Kapitel 11 · Schulter
11.2.2 Fallbeispiele Fall 11.1 Klavikulaschaftfraktur, Typ Ib nach Allmann.
a Unfallbild. b Konservative Behandlung mit Kalluswolke
11 Fall 11.2 Klavikulaschaftfraktur Typ IIIc nach Allmann mit Dislokation im Sternoklavikulargelenk, Mädchen, 14 J.
a Unfallbild. b CT-Kontrolle mit 3-D-Rekonstruktion. c,d Rekonstruktion mit Platte und Knochenanker
129 11.2 · Glenohumeralgelenk
Fall 11.3 Laterale Klavikulafraktur Typ III nach Dameron und Rockwood. Konservative Behandlung. Periostale Knochenneubildung im Periostschlauch.
a Unfallbild. b 1 Monat nach Unfall. c 6 Monate nach Unfall.
11
130
Kapitel 11 · Schulter
Fall 11.4 Klavikulaschaftfraktur. Typ Ic nach Allmann.
a–c Floating Shoulder bei gleichzeitiger Skapulahals- und -korpusfraktur. Versorgung durch Plattenosteosynthese.
11
12
Oberarm W.E. Linhart und F.J. Schneider
12.1
Proximaler Humerus
– 132
12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4
Physiologische Befunde – 132 Frakturen des proximalen Humerus – 134 Diaphysäre Frakturen des Humerus – 136 Fallbeispiele – 138
132
Kapitel 12 · Oberarm
12.1
Proximaler Humerus
12.1.1 Physiologische Befunde
Die proximale Humeruswachstumsfuge stellt sich in der a.-p. Aufnahme als zeltförmig dar (⊡ Abb. 12.1a,b), während sie in der seitlichen Aufnahme proximal konvex erscheint. Die Spitze befindet sich im posteromedialen Abschnitt. Ein schmaler Streifen der hinteren proximalen und medialen Metaphyse liegt intrakapsulär und ist nicht von Knorpel überzogen. Der Gelenkkapselansatz stellt einen starken Zügel dar und beginnt genau unter diesem Streifen. Diese anatomische Charakteristik zusammen mit dem dicken Periost posteromedial und dem relativ dünnen Periost anterolateral sind die Erklärung dafür, dass bei proximalen Humerusfrakturen das metaphysäre Fragment anterolateral das Periost zerreißt und ein schmales posteromediales metaphysäres Fragment an der Epiphyse stehen bleibt (⊡ Abb. 12.2).
Knochenkerne und Fugenschluss Das primäre Ossifikationszentrum für den Humerus tritt um die 6. Embryonalwoche auf. Das sekundäre Ossifikationszentrum des Humeruskopfes entsteht zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 1. Lebensjahr, jenes für das Tuberculum majus zwischen dem 7. Monat und dem 2. Lebensjahr. Das Verknöcherungszentrum für das Tuberculum minus tritt zwei Jahre später, also zwischen 2,5 und 4 Jahren auf. Diese proximalen sekundären Verknöcherungszentren verschmelzen zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr. Die proximale Humeruswachstumsfuge wird beim Mädchen zwischen dem 14. und 17. Lebensjahr und beim Knaben zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr verschlossen (⊡ Abb. 12.3). Die proximale Humeruswachstumsfuge ist für 80% des Längenwachstums des Humerus verantwortlich. Dies ist auch der Grund dafür, dass Brüche in diesem Bereich ein großes Korrektur-Potenzial aufweisen.
12
⊡ Abb. 12.2. Typische Salter-Harris-II-Verletzung: Epiphysiolyse mit posteromedialem metaphysärem Keil. Die Metaphyse ist nach anterolateral verschoben, der in der Pfanne bewegliche Humeruskopf nach posterior abgekippt.
⊡ Abb. 12.1. a a.-p.-Aufnahme mit Zeltform der Wachstumsfuge, b Seitaufnahme mit konvexer Form der Wachstumsfuge.
⊡ Abb. 12.3. Knochenkerne am proximalen Humerus.
133 12.1 · Proximaler Humerus
Altersabhängige Röntgenbefunde
⊡ Abb. 12.6. Zweites Lebensjahr, Knochenkern Tuberculum majus.
⊡ Abb. 12.4. Neugeborenes.
⊡ Abb. 12.5. Erstes Lebensjahr, Knochenkern Humeruskopf.
⊡ Abb. 12.7. Viertes Lebensjahr. Beginnende Verschmelzung der Kopfkerne.
12
134
Kapitel 12 · Oberarm
12.1.2 Frakturen des proximalen Humerus
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Circa 40% aller knöchernen Verletzungen des Oberarms betreffen den proximalen Abschnitt. In einem Drittel der Fälle handelt es sich um Epiphysenlösungen, selten ohne, meist mit metaphysärem Keil (Salter-Harris I und II). In zwei Dritteln der Fälle finden sich subkapitale Humerusfrakturen bei Kindern zwischen 5 und 14 Jahren. Epiphysäre und epimetaphysäre Brüche sind extrem selten. Proximale Humerusfrakturen entstehen sowohl durch direkte Traumen, wie einem Sturz auf die Schulter, als auch durch indirekte Traumen infolge eines Sturzes nach rückwärts auf den gestreckten Arm. Beim Neugeborenen sind geburtstraumatische Verletzungen möglich. Beim Säugling und Kleinkind muss an Kindesmisshandlung gedacht werden. Pathologische Frakturen, die im Rahmen von juvenilen Knochenzysten auftreten, sind am Oberarm besonders häufig.
Das klinische Bild ist je nach dem Alter des betroffenen Kindes unterschiedlich. Beim Neugeborenen, Säugling oder Kleinkind kann die Diagnose schwierig sein. Schmerzen beim Bewegen des Ärmchens bis hin zum kompletten Funktionsverlust (Pseudoparalyse) prägen das klinische Bild. In jedem Fall sollte eine Osteomyelitis, Plexuslähmung oder Klavikulafraktur ausgeschlossen werden. Beim größeren Kind oder Jugendlichen findet sich eine umschriebene Schwellung mit entsprechender Bewegungseinschränkung und Schmerzen.
Klassifikation Die am häufigsten gebrauchten Einteilungen für Wachstumsfugenverletzungen sind die nach Aitken sowie Salter und Harris. Salter-III- und -IV-Verletzungen sind am proximalen Humerus extrem selten. Darüber hinaus finden sich auch subkapitale Humerusfrakturen außerhalb der Wachstumsfuge sowie Apophysenausrisse, die die Tubercula majus und minus betreffen.
Fraktur des proximalen Humerus
12
Besonderheiten
wegen der anfänglich 3, später 2 unterschiedlichen Knochenkerne des Humeruskopfes kann die Diagnose unverschobener Brüche Schwierigkeiten bereiten, die schräg projizierte Fuge kann eine Fraktur vortäuschen; auf pathologische Frakturen bei juvenilen Knochenzysten achten
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; im a.-p. Bild stellt sich die Fuge »zeltartig« aufgeworfen dar, im seitlichen Bild konvex
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
rasche Schmerzfreiheit, freie Schulterfunktion und symmetrische Schulterkontur (Kosmetik) Abwägen der Spontankorrektur gegen eine operative Behandlung, die Spontankorrekturfähigkeit von verbliebenen Fehlstellungen in diesem Bereich ist sehr hoch, v.a. die Seit-zu-Seit-Verschiebung und der Achsenknick in der Frontal- und Sagittalebene; folgende Korrekturmöglichkeiten können bei der Indikationsstellung zur Operation berücksichtigt werden: < 5. Lj.: Achsknick in Frontalebene 70–90° und Knochenkontakt, Seitverschiebung bis Schaftbreite 5.–12. Lj.: Achsknick in Frontalebene 30–70°, Seitverschiebung um / Schaftbreite >12. Lj.: <30°, Seitverschiebung um ½ Schaftbreite
Primärbehandlung
ggf. medikamentöse Analgesie, Ruhigstellung im Gilchrist-Verband oder Mitella-Tuch
135 12.1 · Proximaler Humerus
Konservative Therapie Indikation
Dislokation innerhalb der Korrekturgrenzen
Verfahren
Ruhigstellung im Gilchrist- oder Desault-Verband für 3–4 Wochen
Nachbehandlung
Spontanmobilisation, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
Unfallröntgen und Röntgenkontrolle nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
3–4 Wochen nach Konsolidierung des Bruches
Operative Therapie Indikation
Dislokation oberhalb der altersabhängigen Korrekturgrenzen funktionelle Indikation zur Frühmobilisierung nach Besprechung mit den Eltern
Verfahren
meist geschlossene Reposition möglich; selten offene Reposition notwendig bei Weichteilinterponation (Bizepssehne) K-Draht-Fixation perkutan; zusätzlich Gilchrist-Verband ESIN retrograd (eher ältere Kinder) übungsstabil
Nachbehandlung
K-Draht-Spickung: Gilchrist-/Desault-Verband für 3–4 Wochen ESIN: funktionell
Rx-Kontrolle
Unfallröntgen, intraoperative Stellungskontrolle, Konsolidierungskontrolle nach 3–4 Wochen
Metallentfernung
K-Draht: nach 3–4 Wochen (nach Konsolidierungsröntgen) ESIN: nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
2–4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
partieller, vorzeitiger Fugenschluss, Fehlstellung nach konservativer und operativer Behandlung infolge unzureichender Retention oder Fixierung, Infektionen nach operativer Versorgung sowie Bewegungseinschränkung nach zu langer Ruhigstellung
Wachstumsstörungen
selten infolge vorzeitigen, partiellen oder kompletten Fugenschlusses; in Abhängigkeit vom Alter stimulative (klinisch bedeutungslos) sowie hemmende Wachstumsstörungen möglich (Geburtstrauma)
Nachkontrollen
Funktionskontrollen bis zur freien Funktion, bei belassenen Achsabweichungen klinische Jahreskontrollen bis zur Rückbildung der Achsabweichung
Klassifikation
AO: 11-E/1-9.1-3
11-M/1-9.1-3
LiLa: 1.1.a.5.0-2.
1.1.s.1-5.0-2.
12
136
Kapitel 12 · Oberarm
12.1.3 Diaphysäre Frakturen des Humerus
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Diaphysäre Oberarmfrakturen machen nur 10–20% aller knöchernen Verletzungen des Humerus aus. Quere und kurze Schrägfrakturen sind meist die Folge von Direkttraumen, die den häufigsten Unfallmechanismus darstellen. Indirekte Gewalteinwirkung verursacht lange Schräg- oder Drehbrüche, eine Bruchform, die auch bei Kindesmisshandlung gesehen wird. Bagatelltrau-
men können bei bestehenden juvenilen Knochenzysten zu pathologischen Frakturen führen. Dies ist zugleich die häufigste Lokalisation dieser Entität. Brüche am Übergang des mittleren zum distalen Drittel können mit Radialisirritation bzw. -schädigung einhergehen, wobei direkte Nervenzerreißungen selten, jedoch Beeinträchtigungen durch Kallus bei schrägem Frakturverlauf möglich sind. Klinisch findet sich eine umschriebene Schwellung und Schmerz im Bereich des Humerusschaftes. Die Schmerzintensität ist von der Instabilität des Bruchs abhängig.
Diaphysäre Fraktur des Humerus
Besonderheiten
Neugeborene zeigen manchmal eine sog. Pseudoparalyse des Ärmchens: dabei gilt es, eine Knochen-/Gelenkinfektion, eine Plexuslähmung, Klavikulafraktur oder proximale Humerusepiphysenlösung auszuschließen; bei primärer Radialisparese primär konservative Behandlung, neurologische Verlaufskontrollen, nur in Ausnahmefällen sekundäre Freilegung
Diagnostik
Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen Sonographie
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzbehandlung; keine Achsabweichungen (Varus, Valgus, Ante- oder Rekurvation über 10°), ad latum bis knapp Schaftbreite; nur geringen Rotationsfehler tolerieren; einwandfreie Kosmetik
Primärbehandlung
Schmerzbehandlung, Ruhigstellung im Gilchrist-Verband
12
Konservative Therapie Indikation
unverschobene Schräg- oder Spiralfrakturen bis Korrekturgrenze
Verfahren
Gilchrist-Verband für 3–4 Wochen
Nachbehandlung
Spontanmobilisierung des Arms nach Ruhigstellung, keine primäre Physiotherapie erforderlich
Rx-Kontrolle
Konsolidierungsröntgen
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
bei offenen Brüchen 2. und 3. Grades, bei schmerzhaften, instabilen Schaftfrakturen (Krepitation der Frakturenden), bei konservativ nicht innerhalb der Korrekturgrenzen retinierbaren Brüchen, beim polytraumatisierten Kind; relative OP-Indikation bei Quer- und kurzen Schrägbrüchen des Jugendlichen zur frühfunktionellen Behandlung
Verfahren
ESIN, selten auch Fixateur externe
137 12.1 · Proximaler Humerus
Nachbehandlung
funktionell bei stabiler Osteosynthese
Rx-Kontrolle
intraoperative Stellungskontrolle, Konsolidierungsröntgen
Metallentfernung
ESIN nach 3 Monaten, Fixateur nach 6–8 Wochen
Sportfähigkeit
etwa 4 Wochen nach Behandlungsabschluss
Komplikationen
sekundäre Achsfehlstellung, Infektion, Gefäß-/Nerven-Verletzung, Bruchheilungsstörung
Wachstumsstörung
keine klinische Bedeutung
Nachkontrollen
Funktionskontrollen bis zur freien Beweglichkeit, bei belassenen Achsabweichungen klinische Jahreskontrollen
Klassifikation
AO: 12-D/1-9.1-3
Technische Aspekte
Humerusfraktur
LiLa: 1.2.s.2-5.0-2.
ESIN retrograd bei proximaler Humerusfraktur und Humerusschaftfraktur Material
Titan- oder Stahlnägel, 2–3,5 mm Durchmesser, je nach Alter des Kindes; Titan hat einen
ähnlichen Elastizitätsmodul wie der Knochen und zeigt weniger Fremdkörperreaktion als Stahlnägel Fixateur externe verschiedener Firmen; geringe zusätzliche Weichteilirritation; Positionieren der Pins unter Sicht, Gefahr der Nervenläsion (N. radialis!) sehr hoch Lagerung
Rückenlagerung, keine Blutsperre (Bildwandler), Abdeckung bis zum Ellenbogen, Rotations-
kontrolle Zugang
radiale Inzision über dem Epicondylus radialis oder kombinierter radialer und ulnarer Zugang
(mit Darstellung des N. ulnaris) über beiden Epikondylen Einbringung der beiden Nägel über zwei radiale oder über je eine radiale und eine ulnare
schräge Kortikalisperforation Vorschieben der Nägel über die Fraktur und Verankerung in der proximalen Humerusmeta-
physe die Nägel können je nach Verlauf der Fraktur retro- oder anterograd (Tuberositas deltoidea)
gekreuzt oder nur von außen eingebracht werden. Sie müssen in einer Ebene verspannt sein Geschlossene Reposition und K-Draht-Fixation bei sehr proximaler Humerusfraktur oder Epiphyseolyse Geschlossene Reposition und perkutane Einbringung von K-Drähten, technisch anspruchsvoll wegen des steilen Winkels und der physiologischen Retrotorsion des Humeruskopfes. Einbringen von 2 K-Drähten der Stärke 1,6–2 mm nach der geschlossenen Reposition unter Bildwandlerkontrolle in 2 Ebenen, aufsteigend von der Metaphyse in den Humeruskopf fugenkreuzend. Es handelt sich dabei um eine nicht bewegungsstabile Osteosynthese, daher ist eine zusätzliche Ruhigstellung im Gilchrist-Verband o.Ä. notwendig Fixateur externe am Humerus (Ausnahmeindikation, da hohes Risiko für N. radialis) Zugang und Operationsprinzip (Fixateur externe)
Die proximalen Pins des Fixateur externe werden im Bereich der Tuberositas deltoidea einge-
bracht, die distalen Pins proximal der distalen Humeruswachstumsfuge Der N. radialis ist an seiner Kreuzungsstelle mit dem Humerus am Übergang des mittleren ins
distale Drittel zu beachten Positionierung der Pins unter Sicht!
Zugang und Operationsprinzip (offene Reposition)
Von einem außen am Humerus angelegten Hautschnitt aus wird der Humerusschaft darge-
stellt und der N. radialis zwischen M. brachialis und M. brachioradialis aufgesucht Unter Schonung des Nervs werden die Weichteile aus dem Bruchspalt entfernt und der Bruch
mit ESIN oder Fixateur externe stabilisiert Spezielle Aufklärung
Verletzung des N. radialis im Rahmen der Reposition, Infektion Verletzung des N. ulnaris bei ulnarem Zugang Keine Beeinflussungsmöglichkeit einer stimulativen Wachstumsstörung
12
138
Kapitel 12 · Oberarm
OP-Prinzip
Geschlossene Reposition und Osteosynthese mit ESIN oder Fixateur externe über 2 oder
4 Stichinzisionen, ohne die Wachstumsfugen zu berühren Nur bei Repositionshindernissen und offenen Frakturen 2. oder 3. Grades ist eine offene
Reposition zu rechtfertigen
12
Metallentfernung
ESIN nach 12 Wochen, Fixateur externe nach 6–8 Wochen
Sonstige Besonderheiten
Eine isolierte posttraumatische Läsion des N. radialis stellt in der Regel keinen Grund für eine primäre operative Nervenrevision dar, da eine Spontanregeneration mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (zuerst kehrt die motorische Funktion des M. brachioradialis zurück). Meist ist hier noch eine Restsensibilität festzustellen. Die Ausnahme von dieser Regel stellt eine Nervenläsion dar, die entweder erst nach der Reposition auftritt, sich verschlechtert oder während der ersten 6–8 Wochen keine Besserungstendenz zeigt. In diesen Fällen und bei langem schrägem Frakturverlauf in Richtung des N. radialis kann ausnahmsweise eine frühzeitige Nervenrevision erforderlich sein.
12.1.4 Fallbeispiele
Fall 12.1 Epiphysenlösung am proximalen Humerus bei Kindesmisshandlung, Junge, 2 J.
a
b
a Röntgenbefund bei Einlieferung. b Stabilisierung nach geschlossener Reposition mit 2 K-Drähten.
139 12.1 · Proximaler Humerus
Fall 12.2 Salter-Harris-II-Verletzung, Junge, 14 J.
oben: Unfallröntgen, Verschiebung um Schaftbreite. unten: Versorgung mit 2 fugenkreuzenden K-Drähten nach Reposition.
Fall 12.3 Subkapitale völlig dislozierte Humerusfraktur.
a Unfallröntgen. b geschlossene Reposition und aufsteigende elastisch stabile Markraumschienung (ESIN). c Abschlussröntgen nach Metallentfernung 3 Monate später.
12
140
Kapitel 12 · Oberarm
Fall 12.4 Spiralbruch des Humerus ausgehend von einer juvenilen Knochenzyste.
⊡ Abb. 12.8 a Unfallbild. b Versorgung mit ESIN nach PE-Heilung der pathologischen Fraktur nach 8 Wochen. c Ausheilung der Knochenzyste nach 7 Monaten. d Bild nach einem Jahr, unmittelbar nach Metallentfernung.
Fall 12.5 Trümmerbruch der distalen Humerusdiaphyse, Mädchen, 13 J.
12
⊡ Abb. 12.9 a Unfallbild. b Stabilisierung mit Fixateur externe.
13
Ellenbogen L.M. Wessel, D. Schneidmüller, A. Weinberg und C. Castellani
13.1
Allgemeines – 142
13.1.1
Physiologische Befunde – 142
13.2
Suprakondyläre Humerusfrakturen
13.2.1
Fallbeispiele – 152
13.3
Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen – 157
13.3.1 13.3.2
Epikondyläre distale Humerusfrakturen – 157 Transkondyläre distale Humerusfrakturen (Gelenkfrakturen des Condylus radialis, des Condylus ulnaris und Y-Fraktur des distalen Humerus) – 157 Ellenbogenluxation – 157 Fallbeispiele – 164
13.3.3 13.3.4
– 143
142
Kapitel 13 · Ellenbogen
13.1
Allgemeines
L.M. Wessel und D. Schneidmüller 13.1.1 Physiologische Befunde
Bei Geburt ist der Kern des Capitulum humeri bereits vorhanden, dieser entsteht im 5.–6. Embryonalmonat. Der Knochenkern des proximalen Radius entwickelt sich um das 2. Lebensjahr. Um das 4. Lebensjahr erscheint der Knochenkern des Epicondylus ulnaris. Die Knochenkerne des Condylus ulnaris entstehen um das 6.–8. Lebensjahr, sind häufig unregelmäßig und asymmetrisch zur Gegenseite. Der Knochenkern für das Olekranon entwickelt sich um das 9.–11. Lebensjahr; zuletzt erscheint der Knochenkern für den Epicondylus radialis um das 12.–14. Lebensjahr. Die distale Humerusfuge verschließt sich funktionell zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr, abhängig vom Geschlecht und nach einem Nord-SüdGefälle, Personen aus dem Mittelmeerraum sind früher ausgewachsen als Personen aus dem Norden. In Einzelfällen kann der Fugenschluss sich bis zum 12. Lebensjahr verzögern. Die Knochenkerne der Epikondylen vereinigen sich vom 14.–16. Lebensjahr mit dem distalen Humerus. Die Fuge des proximalen Radius verschmilzt zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr mit dem Radius, der Knochenkern des Olekranon zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr mit der proximalen Ulna (⊡ Abb. 13.1).
Ebene ist sie mitunter sehr schräg und unregelmäßig mit einem weiteren Aspekt zur Epiphyse hin, wodurch eine Epiphysiolyse vorgetäuscht werden kann. Im seitlichen Röntgenbild fehlt auf alle Fälle das sog. Fat-Pad-Zeichen als Ausdruck eines intraartikulären Ergusses (⊡ Abb. 13.2). Kurz vor Fugenschluss des distalen Humerus kann die Trochlea eine Vielzahl von entstandenen Knochenkernen aufweisen. Diese dürfen nicht mit einer Fraktur oder gar einer aseptischen Knochennekrose verwechselt werden. Isolierte Knochenkerne am distalen Humerus sind ausgesprochen selten. Aufgrund der erst sukzessive auftretenden Knochenkerne ist der genaue Verlauf der distalen humeralen Gelenkfläche nur bei Kenntnis der Anatomie zu sehen, was in den Zeichnungen des Buches entsprechend gekennzeichnet und in ⊡ Abb. 13.3, ⊡ Abb. 13.4, ⊡ Abb. 13.5 und ⊡ Abb. 13.6 radiologisch dargestellt ist.
Altersabhängige Röntgenbefunde
13
Die Wachstumsfuge des distalen Humerus ist bei Geburt kaum zu erkennen, da der größte Teil der Epiphyse knorpelig angelegt und somit nicht sichtbar ist. In der seitlichen
⊡ Abb. 13.2. Vorderes und hinteres Fat-Pad-Zeichen einer suprakondylären Humerusfraktur Grad I.
5 J./ 14-18 J. 10 J./ 14-15 J. 7 J./ 14-18 J. 1- 5 Mon./ 14-16 J. 4 J./ 14-18 J.
⊡ Abb. 13.1. Knochenkerne und Fugenschluss am Ellenbogen.
⊡ Abb. 13.3. 6 Monate: Knochenkern Capitulum humeri.
143 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Unterscheiden muss man die rein extraartikulären suprakondylären und epikondylären Frakturen auf der radialen und ulnaren Seite von den intraartikulären Frakturen. Zu diesen zählen die Y-Fraktur des distalen Humerus, die häufige Condylus-radialis- und die Condylus-ulnarisFraktur ( Kap. 14).
13.2
Suprakondyläre Humerusfrakturen
L.M. Wessel
⊡ Abb. 13.4. 3. Lj.: Knochenkern Radiuskopf.
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Ellenbogenläsionen weisen eine Inzidenz von insgesamt 7–9% auf, davon ist der distale Humerus in 86,4% der Fälle betroffen. Die weitere Aufteilung zeigt 69,8% suprakondyläre Frakturen, 16,9% Condylus-radialis-Frakturen, 12,5% Abrisse des Epicondylus ulnaris und weniger als 1% Condylus-ulnaris- bzw. Y-Frakturen. Somit beträgt die Inzidenz der suprakondylären Frakturen 5–6%. Die suprakondyläre Humerusfraktur stellt eine charakteristische Fraktur des Kindesalters dar, kurz vor Fugenschluss wird sie in der Häufigkeit von der Ellenbogenluxation abgelöst. Das klassische Verletzungsalter liegt um das 5. Lebensjahr. Ursächlich für die Verletzung ist in der Regel der Sturz auf den ausgestreckten Arm. Hierbei wird das Olekranon in die Fossa olecrani gehebelt, und es kommt zur Fraktur. In den meisten Fällen handelt es sich um Extensionsverletzungen; nur selten (ca. 2%) entstehen Flexionsverletzungen durch direkten Sturz auf den Ellenbogen. Dies kann am besten im seitlichen Röntgenbild über die Rogers-Hilfslinie festgestellt werden (⊡ Abb. 13.7).
⊡ Abb. 13.5. 8. Lj.: Knochenkern Epicondylus ulnaris.
a
⊡ Abb. 13.6. 12. Lj.: Knochenkern Trochlea.
b
c
⊡ Abb. 13.7. Rogers-Hilfslinie zur Diagnose einer suprakondylären Humerusfraktur im seitlichen Röntgenbild. a Physiologischer Befund: Verlängerung der ventralen Humeruskortikalis schneidet das Capitulum humeri am Übergang vom mittleren zum hinteren Drittel. b Extensionsfraktur: Schnittpunkt liegt weiter ventral. c Flexionsfraktur: Schnittpunkt liegt weiter dorsal.
13
144
Kapitel 13 · Ellenbogen
Das klinische Bild hängt vom Ausmaß der Dislokation ab. Zur Anamnese gehört ein verletzungsadäquates Trauma. Das Ellenbogengelenk ist geschwollen; bei deutlicher Dislokation ist die Fehlstellung des Gelenks nicht zu übersehen. Geachtet werden soll auf die Durchblutung; ferner müssen Begleitverletzungen an den Nerven ausgeschlossen werden.
zwischen den stabilen (höchstens 30° Antekurvation) und drohend instabilen (Antekurvation >30° mit Seitverschiebung) unterschieden werden. Typ III steht für die Dislokation in zwei Ebenen mit Rotationsfehler. Beim Typ IV handelt es sich um eine komplett dislozierte Fraktur.
Klassifikation Bewährt hat sich die therapiebezogene Klassifikation nach von Laer u. Mitarb. Diese unterscheidet vier verschiedene Typen (⊡ Abb. 13.8). Typ I beschreibt die nicht dislozierte Fraktur. Beim Typ II besteht eine Dislokation in der sagittalen Ebene. In 98% der Fälle handelt es sich um eine Antekurvation, nur selten besteht eine Rekurvation. Bei diesem Typ muss
Typ I
Typ II
Typ III
Typ IV
⊡ Abb. 13.8. Klassifikation suprakondylärer Humerusfrakturen nach von Laer.
Salter-I-Verletzung – Epiphysenlösung
Besonderheiten
ausgesprochen selten, v.a. bei Neugeborenen und im 1. Lj., Geburtstrauma möglich, Ausschluss von Kindesmisshandlung Epiphyse im Neugeborenenalter nicht sichtbar; sekundäre Frakturzeichen wie Fat-Pad-Zeichen unsicher; daher Diagnose nicht einfach
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; initial nicht sichtbar alternativ Sonographie (MRT ausnahmsweise) bei Beschwerdepersistenz Rx-Kontrolle; ausgeprägte Kallusbildung und Verdichtung metaphysär
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Rotationsfehler, kein Varus oder Valgus >10° prinzipiell wird nur eine Korrektur in der Bewegungsebene (sagittal bis 20° Ante-/Rekurvation) höchstens bis zum 5.–6. Lj. ausgeglichen
Primärbehandlung
medikamentöse Analgesie; Oberarmgipsschiene
13
Konservative Therapie Indikation
nahezu immer, außer bei nicht reponiblen Frakturen
Verfahren
2–3 Wochen Oberarmgips
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung Freigabe zu eigentätigen Bewegungen; im 1. Lj. Physiotherapie nicht sinnvoll
Rx-Kontrolle
4.–5. Tag Stellungskontrolle bei drohender Instabilität, sonst keine Konsolidierungskontrolle klinisch, indolenter Kallus
Sportfähigkeit
entfällt
145 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Operative Therapie Indikation
bei Rotationsfehlstellung bzw. bei kompletter Dislokation
Verfahren
geschlossene Reposition; Repositionsergebnis nicht sichtbar im Röntgen; sonographische Kontrolle ggf. perkutane K-Draht-Osteosynthese bei klinischen Zeichen der totalen Dislokation offene Reposition und perkutane K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
2–3 Wochen Oberarmgipsschiene
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, vor Metallentfernung gipsfrei zur Konsolidierungskontrolle (nach 3–4 Wochen)
Metallentfernung
nach 3 Wochen; Konsolidierungskontrolle vor Metallentfernung
Sportfähigkeit
entfällt
Komplikationen
Übersehen der Verletzung bei meist sehr kleinen Kindern Varisierung der Ellenbogenachse (meistens durch Rotationsfehler; selten durch radiales Mehrwachstum) Nervenläsionen, ebenfalls schwer festzustellen (N. ulnaris, iatrogene Schädigung vermeiden, Nn. radialis und medianus traumatisch; dann immer motorischer und sensibler Ausfall) Gefäßverletzung selten Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
prinzipiell Cubitus varus/valgus durch ungleichmäßiges Wachstum möglich, schicksalhaft, selten, wenig ausgeprägt durch belassene Rotationsfehler kombinierte Fehlstellungen mit klinischem Cubitus varus möglich
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion und bei gleichen Ellenbogenachsen Kontrolle der Ellenbogenachsen auf Asymmetrie bzw. Wachstumsstörungen
Klassifikation
AO: 13-E/1.1-3
LiLa: 1.3.s.1.0-2.
Suprakondyläre Humerusfraktur Typ I (ohne Dislokation)
Besonderheiten
es geht immer ein adäquates Trauma voraus; geringe Schwellung und schmerzbedingte Bewegungseinschränkung es handelt sich um undislozierte, stabile Frakturen
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; Fat-Pad-Zeichen (!), Rogers-Hilfslinie normal; initial manchmal nicht sichtbar, erst in der sekundären Diagnostik nach 10–14 Tagen durch periostale Reaktion
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzausschaltung da keine Dislokation, immer problemlose Heilung
Primärbehandlung
Schmerzbehandlung, Oberarmgipsschiene oder Blount-Schlinge
13
146
Kapitel 13 · Ellenbogen
Konservative Therapie Indikation
immer, da keine Dislokation und keine Komplikation zu erwarten
Verfahren
2–3 Wochen Oberarmgipsschiene oder Blount-Schlinge
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung eigentätige Bewegungsübungen, Physiotherapie nicht notwendig
Rx-Kontrolle
keine Kontrolle notwendig
Sportfähigkeit
2–4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
nie gegeben
Verfahren
entfällt
Nachbehandlung
s.o.
Rx-Kontrolle
nicht notwendig
Metallentfernung
entfällt
Sportfähigkeit
s.o.
Komplikationen
prinzipiell Wachstumsstörung durch ungleichmäßiges Wachstum möglich, jedoch nur schlecht dokumentierte Einzelbeobachtungen und eher unwahrscheinlich
Wachstumsstörung
s.o.
Nachkontrollen
nicht notwendig
Klassifikation
AO: 13-M/3.1-3.I
LiLa: 1.3.s.3.0-2.
Suprakondyläre Humerusfraktur Typ II (Dislokation in der sagittalen Ebene)
13
Besonderheiten
häufige Verletzung; in >95% der Fälle besteht eine Antekurvation; die Rekurvationsfehlstellung ist sehr selten (ca. 2%) Unterscheidung in stabilen (nur Antekurvation bis höchstens 20°) und drohend instabile Fraktur (Antekurvation mindestens 30°, Rekurvation; Hinweise für Verschiebung der frontalen Ebene) gewisse kombinierte Fehlstellung möglich, die sich durch Vordrehen des Condylus radialis verstärken kann; Folge ist der Cubitus varus
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; Fat-Pad-Zeichen, Rogers-Hilfslinie läuft zu weit beugeseitig
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Rotationsfehler, kein Varus oder Valgus prinzipiell wird nur eine Korrektur in der Bewegungsebene (sagittal bis 20° Ante-/Rekurvation) höchstens bis zum 5.–6. Lj. ausgeglichen
Primärbehandlung
medikamentöse Analgesie Oberarmgipsschiene
147 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Konservative Therapie Indikation
bei stabilen Frakturen; bedingt bei drohend instabilen Frakturen
Verfahren
Ausgleich der Antekurvationsfehlstellung durch Redression in Hyperflexion unter Narkose oder Analgosedierung; Ruhigstellung im Blount-Verband
Nachbehandlung
nach 3 Wochen Entfernung des Blount-Verbandes
Rx-Kontrolle
nach 3–5 Tagen zum Ausschluss einer Rotationsfehlstellung nach 4 Wochen zur Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
bei nahezu freier Beweglichkeit im Ellenbogengelenk
Operative Therapie Indikation
bei drohend instabilen Frakturen, wenn die Redression nicht zum Erfolg führt bzw. ein Rotationsfehler entsteht
Verfahren
geschlossene Reposition in ITN, in Rückenlage auf Armbänkchen Ausschluss eines Rotationssporns perkutane gekreuzte K-Draht-Spickung offene Reposition nur selten bei Repositionshindernis erforderlich! perkutane radiale parallele oder gekreuzte K-Draht-Osteosynthese alternativ ESIN absteigend oder radialer Fixateur externe stabile Osteosynthese und intraoperative Kontrolle der Beweglichkeit (auf seitengleiche Unterarmachse und freie Streckung und Beugung bis 120° achten, im Technikteil ausführliche Beschreibung!)
Nachbehandlung
bei perkutaner K-Draht-Osteosynthese können Drahtenden über Hautniveau bleiben; 3–4 Wochen Oberarmgipsschiene bei Fixateur externe oder ESIN gipsfreie Nachbehandlung möglich
Rx-Kontrolle
nach 3–4 Wochen zur Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 3–4 Wochen
Sportfähigkeit
bei erreichter freier Beweglichkeit des Ellenbogengelenks
Komplikationen
Wachstumsstörung mit Ausbildung Cubitus varus/valgus sehr selten und schicksalhaft Durchleuchtung und Röntgenkontrolle nur approximativ in der Beurteilung der Stellung, daher klinische Kontrolle erforderlich bei perkutaner geschlossener K-Draht-Osteosynthese Verletzung des N. ulnaris in bis zu 15% der Fälle, daher Nerv über kleine Inzision darstellen, falls nicht sicher tastbar und schützbar
Wachstumsstörung
prinzipiell Cubitus varus/valgus durch ungleichmäßiges Wachstum möglich, schicksalhaft, wenig ausgeprägt extrem selten Cubitus varus meistens wegen übersehener Fehlstellung bei der Primärversorgung
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion und bei gleichen Ellenbogenachsen Kontrolle der Ellenbogenachsen auf Asymmetrie bzw. Wachstumsstörungen
Klassifikation
AO: 13-M/3.1-3.II
LiLa: 1.3.s.3.0-2.
13
148
Kapitel 13 · Ellenbogen
Suprakondyläre Humerusfraktur Typ III (Dislokation in drei Ebenen mit Rotationsfehler) – suprakondyläre Humerusfraktur Typ IV (Dislokation in allen Ebenen; kein Kontakt zwischen den Fragmenten)
Besonderheiten
häufige Verletzung; Fehlstellung primär gut sichtbar, nach Reposition Beurteilung der Stellung stets approximativ (Gefahr der übersehenen Fehlstellung!); Rotationssporn gibt Hinweis auf Fehlstellung, kann im Verlauf zu komplexen Fehlstellungen führen; bei der Versorgung dieser Frakturen immer eine Anästhesie notwendig und eine endgültige Versorgung in einer Narkose anzustreben; klare Operationsindikation!
Diagnostik
Röntgen Ellenbogen in zwei Ebenen (bei ausgeprägter Fehlstellung reicht 1 Ebene präoperativ zur OP-Indikationsstellung); Beurteilung der peripheren Durchblutung (Puls, ggf. Doppler-Sonographie) und der peripheren Nervenfunktion (sensibel und motorisch), soweit in der Situation möglich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
keinen Rotationsfehler, keine Varus- oder Valgusfehlstellung belassen prinzipiell wird nur eine Korrektur in der Bewegungsebene (sagittal bis 20° Ante-/Rekurvation) höchstens bis zum 5.–6. Lj. ausgeglichen
Primärbehandlung
medikamentöse Analgesie; Oberarmgipsschiene, rasche Operationsorganisation
Konservative Therapie Indikation
nicht indiziert, da in 30–50% sekundäre Dislokationen mit komplexer Fehlstellung auftreten und ausgesprochen häufig Nachrepositionen erforderlich sind
Operative Therapie
13
Indikation
bei allen dislozierten Frakturen; da instabil und meist mit Achs- und Rotationsfehlstellung sowie erheblicher Schmerzhaftigkeit; darüber hinaus Risiko der anhaltenden Durchblutungsstörung und Nervenschädigung durch Dislokationsstellung
Verfahren
geschlossene (2 Versuche) oder offene Reposition in ITN Osteosynthese mit K-Draht, ESIN, Fixateur externe (detaillierte Beschreibung s.u. bei Techniken)
Nachbehandlung
bei perkutaner K-Draht-Osteosynthese Drahtenden nicht zwingend versenken, da dann auch ambulant ohne Narkose entfernbar; 3–4 Wochen Oberarmgipsschiene bei Fixateur externe oder ESIN gipsfreie Nachbehandlung möglich
Rx-Kontrolle
definitive intraoperative oder postoperative Kontrolle; nach 3–4 Wochen zur Konsolidierungskontrolle (vor Metallentfernung) (zur Beachtung: keine strenge a.-p. Aufnahme i.d.R. vorliegend, da im Gips gebeugt!)
Metallentfernung
nach 3–4 Wochen
Sportfähigkeit
bei erreichter freier Beweglichkeit des Ellenbogengelenks
Komplikationen
Wachstumsstörung mit Ausbildung Cubitus varus/valgus sehr selten und schicksalhaft; Durchleuchtung und Röntgenkontrolle nur approximativ in der Beurteilung der Stellung, daher klinische Kontrolle erforderlich; Vergleich mit unverletztem Arm klinisch empfohlen bei perkutaner geschlossener K-Draht-Osteosynthese Verletzung des N. ulnaris in bis zu 15% der Fälle, daher Darstellung (offen) oder sicherer Schutz (Miniinzision, Schutz durch Finger) des Nervs
149 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Wachstumsstörung
Wachstumsstörung mit Ausbildung Cubitus varus/valgus durch ungleichmäßiges Wachstum sehr selten und schicksalhaft; Cubitus varus meistens wegen übersehener Fehlstellung bei der Primärversorgung
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion und bei gleichen Ellenbogenachsen; Kontrolle der Ellenbogenachsen auf Asymmetrie bzw. Wachstumsstörungen
Klassifikation
AO: 13-M/3.1-3.III (IV)
Technische Aspekte
distaler Humerus
Material
K-Drähte in der Stärke 1,4–1,8 mm Minifixateur von AO (bis 2,5 mm) ESIN (Stärke / des Schaftdurchmessers)
Lagerung
Rückenlage, Arm auf Armbänkchen ausgelagert; Blutsperre empfehlenswert bei offenem Vorgehen
Zugang
ulnarer Zugang zur Schonung des N. ulnaris, evtl. kombiniert mit radialem Zugang, alternativ
LiLa: 1.3.s.3.0-2.
dorsaler Zugang in Bauchlage (Cave periartikuläre Verklebungen postoperativ) Spezielle Aufklärung
bei der gekreuzten, perkutanen K-Draht-Osteosynthese Verletzung des N. ulnaris mit lästiger,
aber in der Regel reversibler Parese (⊡ Abb. 13.9) beim radialen Fixateur externe Verletzung des N. radialis, Varusfehlstellung durch schicksalhaf-
tes Fehlwachstum möglich, jedoch äußerst selten (⊡ Abb. 13.10) nach operativer Behandlung, v.a. bei dorsalem Zugang, persistierende endgradige Bewe-
gungseinschränkung möglich OP-Prinzip
Reposition in Vollnarkose unter Relaxation, indem man dem Patienten quasi die Hand gibt
und unter ständigem Zug das Ellenbogengelenk beugt Varus- bzw. Valgusfehlstellung werden durch Pro- bzw. Supination ausgeglichen, anschließend
maximale Beugung (cave: Hyperflexion mit Überführung der Fraktur in Flexionstyp zur Beurteilung der Reposition ist v.a. die seitliche Ebene von Bedeutung, um Rotationsfehler (Spornbildung!) aufzuspüren zuerst Einbringen des radialen Drahtes unter seitlichem Strahlengang in ca. 30° zur Längsachse des Oberarms im Zentrum des Humerus, Drähte müssen satt im radialen und ulnaren Pfeiler liegen bei der gekreuzten K-Draht-Osteosynthese ulnaren Draht von der ventral tastbaren Spitze im gleichen Winkel einbringen (sicheres Tasten oder offene Darstellung des N. ulnaris!); Kreuzungsstelle der Drähte immer proximal der Fraktur, sonst Nachdrehen der Fraktur möglich! bei der alternativen, etwas weniger stabilen parallelen Spickung zweiten Draht im Abstand von 1 cm parallel zum ersten in den Condylus radialis einbringen beim radialen Fixateur externe dritten Draht, ebenfalls von radial (Drähte Stärke 2,0 mm),
senkrecht zum Humerusschaft einbringen und alle Drähte miteinander verbinden (cave: N. radialis!) für die ESIN Inzision unterhalb des Ansatzes des M. deltoideus am proximalen Oberarm und Fensterung der Kortikalis; nach Vorbringen zweier ESIN endgültige Reposition und divergentes Einbringen der beiden intramedullären Nägel unter Durchleuchtungskontrolle (schwierig, da enger spaltförmiger Markraum) Metallentfernung
K-Draht-Osteosynthese nach 3–4 Wochen Fixateur externe: nach 3–4 Wochen ESIN: elektiv nach 3–4 Monaten; prinzipiell nach sicherer Konsolidierung
Sonstige Besonderheiten
Beurteilung der Fehlstellung in der sagittalen Ebene mit Hilfe der Rogers-Hilfslinie (⊡ Abb. 13.7),
normalerweise schneidet diese den Kern des Condylus radialis im Zentrum; bei der Antekurvation liegt die Linie vor dem Capitulum, bei der Rekurvation hinter dem Capitulum klinische Kontrolle im Vergleich zur Gegenseite (⊡ Abb. 13.11) auffällige Narbenbildung bei ESIN am proximalen Oberarm besprechen
13
150
Kapitel 13 · Ellenbogen
N. radialis
N. ulnaris
⊡ Abb. 13.9. Gekreuzte K-Draht-Spickung bei suprakondylärer Humerusfraktur, Schema.
13
N. ulnaris
⊡ Abb. 13.11a–c. Intraoperativ muss die leicht valgische Ellenbogenachse symmetrisch zur gesunden Seite überprüft werden. Ist die Streckung voll, die Beugung bis mindestens 120° möglich, so ist eine relevante Fehlstellung ausgeschlossen.
⊡ Abb. 13.10. Radialer Fixateur externe bei suprakondylärer Humerusfraktur, Schema.
151 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
a
c
b
d
⊡ Abb. 13.12a–d. a,b Es besteht eine suprakondyläre Humerusfraktur Typ IV, bei der die Frakturflächen keinen Kontakt mehr zueinander aufweisen. c,d Die Fraktur wurde nach geschlossener Reposition absteigend mit zwei ESIN in achsengerechter Stellung versorgt.
13
152
Kapitel 13 · Ellenbogen
13.2.1 Fallbeispiele
Fall 13.1 Epiphysiolyse, Säugling, 4 Monate, Kindesmisshandlung.
a Unfallbild. b Nach Gipsruhigstellung metaphysäre Verbreiterung sichtbar.
Fall 13.2 Stabile suprakondyläre Humerusfraktur 2. Grades, Mädchen, 7 J., Sturz von der Schaukel.
13
a Unfallbild. b Konservative Behandlung mit Redression in Blount-Verband.
153 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Fall 13.3 Spontankorrektur einer Antekurvationsfehlstellung.
Neigungswinkel des Kapitulums von 20° als Ausdruck der Antekurvation. 2 Jahre nach dem Unfall hat sich der Neigungswinkel auf 35° erhöht.
13
154
Kapitel 13 · Ellenbogen
Fall 13.4 Suprakondyläre Humerusfraktur 3. Grades.
13
a Unfallbild. b,c Stabilisierung mit Fixateur externe und Gips. d,e Ausheilungsbild.
155 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Fall 13.5 Suprakondyläre Humerusfraktur 4. Grades.
a Unfallbild, erhebliche Dislokation. b,c Versorgung mit perkutaner K-Draht-Osteosynthese. d,e Ausheilung.
13
156
Kapitel 13 · Ellenbogen
Fall 13.6 Wachstumsstörung in der Frontalebene nach suprakondylärer Humerusfraktur.
a
13 b a Die Röntgenaufnahme bei Konsolidierung zeigt eine regelrechte Stellung in der Frontalebene. b 3 Jahre nach dem Unfall stellt sich ein zunehmendes radiales Wachstum mit Cubitus varus dar.
157 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
13.3
Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
A. Weinberg und C. Castellani 13.3.1 Epikondyläre distale Humerusfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Insgesamt beträgt die Häufigkeit der epikondylären Frakturen inklusive der Ellenbogenluxationen 1,3% sämtlicher Extremitätenverletzungen. Die Fraktur des Epicondylus ulnaris ist mit über 90% weitaus häufiger als die des Epicondylus radialis. Die Frakturen beider Epikondylen sind in den meisten Fällen Begleitverletzungen der Ellenbogenluxation (⊡ Abb. 13.13). Zu isolierten ulnaren epikondylären Verletzungen kann es selten durch direkte Traumen kommen. Es handelt sich um extraartikuläre Frakturen. Die betroffene Fuge stellt eine Apophyse dar, die hauptsächlich als Bandansatz und zur Formgebung fungiert und nicht zum Längenwachstum des Arms beiträgt.
13.3.2 Transkondyläre distale Humerus-
frakturen (Gelenkfrakturen des Condylus radialis, des Condylus ulnaris und Y-Fraktur des distalen Humerus) Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Die transkondylären Humerusfrakturen – Frakturen des Condylus radialis sowie des Condylus ulnaris und YFrakturen – sind die zweithäufigsten Verletzungen des kindlichen Ellenbogens mit 1,8% sämtlicher Extremitätenfrakturen. Die häufigste Fraktur ist die des Condylus radialis humeri (90%), gefolgt von der des Condylus ulnaris und der Y-Fraktur (je etwa 5%). Der Altersgipfel der Frakturen des Condylus radialis humeri liegt mit 4–5 Jahren leicht unter der der suprakondylären Oberarmfrakturen. Der Altersgipfel der Frakturen des Condylus ulnaris liegt um das 12. Lebensjahr herum. Die Y-Frakturen kommen am häufigsten in der präpubertären Phase vor. Der Unfall entsteht meist durch Sturz auf die ausgestreckte Hand, selten durch direktes Trauma. Die transkondylären Frakturen sind in ihrem Ausmaß oft schwer zu bewerten, da der sichtbare Knochenkern nicht der Gelenkfläche entspricht. Daher ist die Beurteilung des Gelenkspaltes nur indirekt – außer durch MRT – möglich. Ein MRT ist in der Regel jedoch nicht indiziert. Man muss unbedingt dislozierte von undislozierten Frakturen des Kondylus differenzieren. Die unverschobene Fraktur des Condylus radialis bezeichnet man als sog. »hängende Fraktur«, da sie noch im knorpeligen Anteil fixiert ist. Da dieser knorpelige Anteil jedoch nicht direkt auf dem Röntgenbild erkennbar ist, muss eine radiologische Verlaufskontrolle nach wenigen Tagen erfolgen, um die primäre Einschätzung der Stabilität zu bestätigen. Bei dislozierten Frakturen liegt hingegen eine Gelenkverletzung mit Stufenbildung vor, die operativ eingerichtet und stabilisiert werden muss. Klinisch imponieren die Gelenkverletzungen durch eine erhebliche Schwellung mit Hämatombildung, und durch Schmerzhaftigkeit, verbunden mit erheblich eingeschränkter Beweglichkeit und Fehlstellung.
13.3.3 Ellenbogenluxation
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
⊡ Abb. 13.13. Begleitverletzungen Ellenbogenluxation, häufig kombiniert mit Epicondylus-ulnaris-Abriss.
Die Ellenbogenluxationen finden sich gehäuft nach dem 10. Lebensjahr und sind nicht selten mit Frakturen des Epicondylus ulnaris kombiniert (⊡ Abb. 13.13). Zumeist kommt es aufgrund des Sturzes auf die ausgestreckte Hand zu radiodorsalen Luxationen, selten einmal durch direkten Sturz auf den dorsalen Ellenbogen zu ventralen Luxationen.
13
158
Kapitel 13 · Ellenbogen
Da keine Fugen verletzt werden, sind keine Wachstumsstörungen zu erwarten. Die Prognose der Luxation ist durch die Begleitverletzungen bestimmt. Der Ausriss des Epicondylus ulnaris ist die häufigste Begleitverletzung, gefolgt vom Ausriss des radialen, weniger oft des ulnaren Seitenbandes. Selten kommt es im Kindesalter zu einem Ausriss des Epicondylus radialis oder des Pro-
cessus coronoideus ulnae, einer Radiuskopf- oder einer Oberarmfraktur. Der übersehene radiale Seitenbandausriss kann zu rezidivierenden Reluxationen führen. Persistierende ulnare Instabilitäten sind selten und können zu störenden Instabilitätsgefühlen führen. Mitunter ist es möglich, dass radiale Osteochondrosen behandlungsbedürftig werden.
Epikondyläre distale Humerusfraktur
13
Besonderheiten
extraartikuläre Fraktur; die betroffene Fuge stellt eine Apophyse dar, die hauptsächlich die Aufgabe der Formgebung hat und nicht zum Längenwachstum des Arms beiträgt
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; nur bei Kindern unter 5 Jahren, bei denen der Kern des Epicondylus noch nicht sichtbar ist, muss die Diagnose aufgrund der Klinik erfolgen: direktes Trauma, ulnare Schwellung und ulnarer Zeigeschmerz; in diesem Alter ist das Dislokationsausmaß von untergeordneter Bedeutung, da es keine Konsequenz hat
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
freie Funktion des Ellenbogens ohne Instabilitäten; bei den zugehörigen Fugen handelt es sich um Apophysenfugen, daher sind keine Korrekturen zu erwarten
Primärbehandlung
Ruhigstellung in Oberarmgipsschiene; Kontrolle von Durchblutung, Sensibilität und Motorik des Arms
Konservative Therapie Indikation
alle undislozierten Frakturen, als undisloziert kann eine maximale Dislokation von 0,5 cm betrachtet werden
Verfahren
Oberarmgips in Neutralstellung bei 90° gebeugtem Ellenbogengelenk
Nachbehandlung
physikalische Therapie primär nicht notwendig, nur dann, wenn über 6–8 Wochen der Bewegungsumfang unverändert eingeschränkt ist
Rx-Kontrolle
nach 3–5 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Operative Therapie Indikation
alle dislozierten Frakturen, v.a. wenn diese ins Gelenk eingeschlagen sind; des Weiteren gilt ein Dislokationsausmaß von 0,5 cm, bei einigen Autoren auch über 0,2 cm, als Operationsindikation; bei einer gleichzeitigen Ellenbogenluxation sollte dringlich operiert werden, bei einem reinen Epiphysenabriss sofort oder nach wenigen Tagen der Abschwellung
Verfahren
Schraubenosteosynthese mit kanülierten selbstschneidenden Schrauben, ggf. mit Unterlegscheibe (ca. 3,5 mm), nur in Ausnahmefällen divergierende K-Draht-Spickung oder Zuggurtung; intraoperative Darstellung des N. ulnaris, der aufgrund der Instabilität aus dem Lager herausgelöst sein kann
159 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Nachbehandlung
bei der Schraubenosteosynthese möglichst funktionell, bei K-Draht-Osteosynthese bei kleinen Kindern für 3 Wochen Ruhigstellung im Oberarmgips; nach stabiler Osteosynthese kann sofort mit spontanem Bewegen begonnen werden; eine physikalische Therapie ist primär nicht notwendig, nur dann, wenn über 6–8 Wochen der Bewegungsumfang unverändert eingeschränkt ist
Rx-Kontrolle
postoperativ, dies kann intraoperativ oder innerhalb der 1. Woche geschehen, Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
Schrauben nach 3 Monaten; K-Draht zum Zeitpunkt der Konsolidierung, wenn diese herausstehen, ansonsten nach 8–12 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Komplikationen
Pseudarthrosen des ulnaren Epicondylus kommen nach der konservativen Therapie bei bis zu 40% vor, nach der operativen Behandlung bei etwa 10%; Beschwerden bereiten die Pseudarthrosen nur in 10% aller Fälle; selten auch Irritationen des N. ulnaris
Wachstumsstörung
da es sich um Apophysen handelt, ist mit konsekutiven Wachstumsstörungen nicht zu rechnen
Nachkontrollen
bei freier Funktion kann Behandlung abgeschlossen werden, da mit Wachstumsstörungen nicht gerechnet werden muss
Klassifikation
AO: 13-M/7.1-3
LiLa: 1.3.s.5.0-2.
Transkondyläre Fraktur des distalen Humerus – Fraktur des Condylus radialis, des Condylus ulnaris und Y-Fraktur des distalen Humerus
Besonderheiten
Risiko einer Pseudarthrose und einer Gelenkfehlstellung nach Condylus-radialis-Frakturen
Diagnostik
Röntgen a.-p. und seitlich. Indirekte Zeichen: radialseitige Weichteilschwellung und Kortikalisunterbrechung im a.-p. Bild, im Seitbild: von proximal dorsal nach ventral distal verlaufender Frakturspalt. Verlauf im Knorpel radiologisch nicht sichtbar: Handelt es sich um eine inkomplette Fraktur, bei der der knorpelige Gelenkanteil noch stabil ist, eine sog. hängende Fraktur, so ist hier keine Gefahr einer sekundären Dislokation gegeben; handelt es sich aber um eine komplette artikuläre Fraktur, so kann und wird diese selbst in der Gipsruhigstellung zunehmend dislozieren. Dies kann prinzipiell durch ein MRT oder eine Ultraschalluntersuchung bei entsprechender Erfahrung unterschieden werden Klinisch hat sich jedoch der Ausschluss einer sekundären Dislokation durch eine zweite, gipsfreie Röntgenkontrolle am 4.–6. Tag nach Unfall etabliert
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Stabilisieren aller instabilen vollständigen artikulären Frakturen, um sekundäre Dislokationen mit der Gefahr der Pseudarthrose zu verhindern und die Folgen der Wachstumsstörung klein zu halten Da es sich um Gelenkfrakturen handelt, sind keine Korrekturen zu erwarten; oberstes Prinzip ist die anatomische Gelenkrekonstruktion
Primärbehandlung
Oberarmgipsschiene
13
160
Kapitel 13 · Ellenbogen
Konservative Therapie Indikation
undislozierte stabile (inkomplette artikuläre, sog. hängende) Frakturen
Verfahren
Oberarmgips in 90°-Stellung
Nachbehandlung
3–4 Wochen; nach Gipsabnahme, bzw. bei bewegungsstabilen Osteosynthesen postoperativ Beginn mit spontanem Bewegen, Physiotherapie ggf. im Verlauf
Rx-Kontrolle
Röntgenkontrolle nach 4–6 Tagen zum Ausschluss einer sekundären Dislokation; Konsolidierungsröntgen nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Operative Therapie Indikation
Operative Therapie der Condylus-radialis-/-ulnaris-Frakturen: primär als auch sekundär dislozierte Frakturen Operative Therapie der Y-Frakturen: primär als auch sekundär dislozierte Frakturen
Verfahren
Operative Therapie der Condylus-radialis-/-ulnaris-Frakturen: offene Reposition mit Darstellung der Gelenkfläche, anatomischer Einpassung und metaphysärer und ggf. epiphysärer Schraubenosteosynthese; alternativ können 2 K-Drähte bei kleinen Kindern divergierend angewandt werden, hierbei jedoch eine zusätzliche Gipsruhigstellung Operative Therapie der Y-Frakturen: offene Reposition mit Schraubenosteosynthese sowohl quer zum Gelenkverlauf als auch metaphysär; bei Beginn des Wachstumsabschlusses in diesen Fällen auch eine Plattenosteosynthese zur übungsstabilen Nachbehandlung indiziert
13
Nachbehandlung
falls möglich funktionell entsprechend dem Schmerzniveau des Patienten
Rx-Kontrolle
postoperativ (ist sowohl intraoperativ als auch innerhalb der 1. Woche möglich), Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 8–12 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, bei stabiler Versorgung kann die Bewegung sofort frei gegeben werden
Komplikationen
schwerwiegendstes Problem bei Frakturen des radialen Kondylus Überschätzung der Stabilität und Übersehen einer sekundären Dislokation
Wachstumsstörung
Risiko eines partiellen Fugenschlusses und avaskulärer Nekrosen. Die typische Wachstumsstörung ist jedoch eine passagere Stimulation der Fuge, die nach radialen und Y-Frakturen zur Varisierung, nach ulnaren Frakturen zur Valgisierung führen kann. Das Ausmaß der Varisierung nach radialen und Y-Frakturen ist dabei von der Zeitdauer der Konsolidierung abhängig und somit von der Stabilität der Fraktur und dem angewandten Osteosyntheseverfahren
Nachkontrollen
½- bis 1-jährliche Kontrollen mindestens 2 Jahre postoperativ
Klassifikation
AO: 13-E/4.1-3
LiLa: 1.3.a.1-5.0-2.
161 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Ellenbogenluxation
Besonderheiten
v.a. Adoleszente
Diagnostik
Röntgenübersichtsaufnahme mit Nachweis einer Luxation oder Luxationsfraktur, ossäre Begleitverletzungen oft erst im a.-p. und seitlichen Röntgenbild, das nach der Reposition angefertigt werden muss, nachzuweisen; Prüfung der radialen und ulnaren Seitenbandinstabilität nach Reposition der Luxation in Narkose bzw. in Sedation klinisch am gestreckten Ellenbogen
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Beseitigung der Luxation, Vermeidung von Instabilitäten, Behandlung und Ausheilung der Begleitverletzungen, schnelles Erreichen der vollen Funktion
Primärbehandlung
notfallmäßige geschlossene Reposition, am besten in Kurznarkose, dabei Ausschluss oder Nachweis von Instabilitäten oder knöchernen Begleitverletzungen, die ggf. in gleicher Sitzung versorgt werden können
Konservative Therapie Indikation
stabiles Ellenbogengelenk nach Reposition, fehlende oder anatomisch stehende knöcherne Zusatzverletzungen
Verfahren
Ruhigstellung im Oberarmgips für 2–3 Wochen, initial als Gipsschiene
Nachbehandlung
Nach Gipsabnahme funktionelle Behandlung
Rx-Kontrolle
nach 7 Tagen Röntgenkontrolle im Oberarmgips zum Ausschluss einer sekundären Dislokation
Sportfähigkeit
3 Wochen nach Gipsabnahme
Operative Therapie Indikation
fehlende Stabilität nach Primärreposition mit Reluxationstendenz; ligamentäre Instabilitäten; knöcherne Apophysenausrisse, v.a. des Epicondylus ulnaris
Verfahren
offene Reposition des knöchernen Ausrisses (Epicondylus ulnaris oder radialis) und Fixation mit Kleinfragmentzugschraube; bei Ausrissen des Epicondylus ulnaris auch Darstellung des N. ulnaris; bei radialen Instabilitäten direkte Naht, Refixation von knöchernen Ausrissfragmenten mit Minischraube oder K-Drähten oder Bandrefixation mit Sehnenanker (2,4 mm) Nachbehandlung mit 2–3 Wochen Oberarmgips, außer bei stabiler Refixation durch Schraubenosteosynthese, in diesen Fällen Oberarmgipsschiene zur Abschwellung
Nachbehandlung
Gipsruhigstellungen für 2 bis maximal 3 Wochen, dann eigenständige Übungen, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
Nach Reposition; Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
K-Draht nach 3 Wochen, Schrauben nach 12–16 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Komplikationen
sekundäre Irritationen des N. ulnaris nach ulnarem Zugang; Bewegungseinschränkungen im Ellenbogengelenk, Pseudarthrose
Wachstumsstörung
selten, da Wachstumsfuge nicht direkt betroffen
Nachkontrollen
½- bis 1-jährliche Kontrollen mindestens 2 Jahre postoperativ, Abschluss bei freier Funktion
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
13
162
Kapitel 13 · Ellenbogen
Technische Aspekte
Kondylusfrakturen
Epikondyläre distale Humerusfraktur Material
Schrauben (kanülierte selbstschneidende Schrauben, meist 3,5 mm)
Lagerung
Rückenlage, auch Bauchlage möglich
Zugang
Ulnarer Zugang zum Ellenbogengelenk. Das ausgerissene Fragment lässt sich problemlos
darstellen. Der N. ulnaris muss freigelegt werden. Von der Spitze des Fragments wird ein Bohrloch von schräg hinten nach vorne gebohrt in einem Winkel von ca. 30° zum Oberarmschaft. Als Osteosynthesematerial ist eine Kleinfragment-Spongiosaschraube mit kurzem Gewinde geeignet oder auch eine kanülierte selbstschneidende Schraube ( Fall 13.7). Letztere hat den Vorteil, dass man das Fragment mit einem K-Draht provisorisch fixieren kann, worüber die Schraube eingebracht wird Alleinige K-Draht-Osteosynthese mit 1–2 K-Drähten nur, wenn anders nicht möglich, z.B. kleine Fragmente ( Fall 13.8). Spezielle Aufklärung
N.-ulnaris-Läsionen, Pseudarthrosen, Einschränkung der Beweglichkeit, Gelenkeinsteifungen
(heterotope Ossifikationen, Weichteilvernarbungen) Transkondyläre Fraktur des distalen Humerus (Fraktur des Condylus radialis, Condylus ulnaris und Y-Fraktur) Lagerung
Bauch- oder Rückenlage, in Bauchlagerung ist die Reposition bei Frakturen des Condylus radi-
alis teils einfacher; Y-Frakturen sollten ausschließlich in Bauchlage operativ versorgt werden Zugang
radialer Zugang bei Condylus-radialis-Frakturen ulnarer Zugang bei Condylus-ulnaris-Frakturen dorsaler Zugang mit/ohne Olekranonosteotomie bei transkondylären Frakturen (bei Adoles-
zenten wie beim Erwachsenen)
13
Spezielle Aufklärung
je nach Zugang Läsion der jeweiligen Nerven Pseudarthrose mit fehlender Einheilung, Bewegungseinschränkungen posttraumatische Arthrose
Verfahren
Operative Therapie der Condylus-radialis-/-ulnaris-Fraktur (⊡ Abb. 13.14, Fall 13.9, Fall 13.10) radialseitiger Zugang Darstellung der dislozierten Fraktur, unbedingt Darstellung der Gelenkfläche und anatomische Reposition der Gelenkinkongruenz temporäre Fixation mit K-Drähten parallel des Gelenks und senkrecht zur Frakturfläche Stabilisierung mit kanülierten, überbohrten Schrauben und/oder K-Draht, dieser kann parallel der schrägen Zugschraube (3–3,5 mm) zur Rotationssicherung eingebracht werden; der parallel zur Gelenkfläche in die Trochlea eingebrachte K-Draht (1,4–1,6 mm) erhöht die Stabilität der Osteosynthese und verhindert eine sekundäre Dislokation alternativ divergierendes Einsetzen von zwei K-Drähten bei kleinen Kindern, die jedoch eine zusätzliche Gipsruhigstellung benötigen Operative Therapie der Condylus-ulnaris-Fraktur ulnarseitiger Zugang Darstellung des N. ulnaris längerstreckig zur Mobilisierung Darstellung der Gelenkfläche und anatomische Reposition der Gelenkinkongruenz temporäre Fixation mit K-Drähten parallel des Gelenks und senkrecht zur Frakturfläche Stabilisierung mit kanülierten, überbohrten Schrauben und/oder K-Draht, dieser kann parallel der schrägen Zugschraube (3–3,5 mm) zur Rotationssicherung eingebracht werden; der parallel zur Gelenkfläche in die Trochlea eingebrachte K-Draht (1,4–1,6 mm) erhöht die Stabilität der Osteosynthese Reposition des N. ulnaris, Ventralverlagerung i.d.R. nicht erforderlich
163 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Operative Therapie der Y-Frakturen (⊡ Abb. 13.15) Bauchlage parallele Inzision der Trizepssehne Darstellung und Mobilisierung des N. ulnaris Reposition der Y-Fraktur unter der Trizepssehne, temporäre Fixation mit K-Drähten parallel zum Gelenkverlauf als auch metaphysär, intraoperative Röntgenkontrolle bei anatomischem Repositionsergebnis Stabilisierung mit kanülierten Zugschrauben über die K-Drähte falls Adoleszente mit großen Zugkräften auch Osteosynthese eines oder beider Pfeiler mit Kleinfragmentplatten (3,5-mm-Rekoplatte, selten Low Contact Plate) möglich; da hierbei die Fugen unter Kompression gesetzt werden, sollte dies erst um den Wachstumsabschluss erfolgen Olekranonosteotomie falls mit o.g. Vorgehen keine sichere anatomische Reposition erreicht werden kann; wird diese durchgeführt, dann anatomische, übungsstabile Reposition und Osteosynthese mit Platten, Verschluss der Olekranonosteotomie mittels Zuggurtung und funktionelle Nachbehandlung Metallentfernung
Zugschrauben nach 3–4 Monaten, Olekranonosteotomie nach 3 Monaten, Platten nach 5–6 Monaten
Sonstige Besonderheiten
anatomische Rekonstruktion des Gelenks im Vordergrund, um eine posttraumatische Arthrose zu vermeiden
⊡ Abb. 13.14. Osteosyntheseprinzip Condylus-radialis-Fraktur.
⊡ Abb. 13.15. Osteosynthesemöglichkeit Y-Fraktur des distalen Humerus.
13
164
Kapitel 13 · Ellenbogen
13.3.4 Fallbeispiele
Fall 13.7 Epicondylus-ulnaris-Fraktur.
a
b
c
a Zieldraht für kanülierte Schrauben. b,c Postoperative Kontrolle der Schraubenosteosynthese.
Fall 13.8 Epicondylus-ulnaris-Fraktur bei Ellenbogenluxation, Junge, 7 J., Sturz.
13
a,b Unfallbild. c,d Bohrdrahtosteosynthese.
165 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Fall 13.9 Condylus-radialis-Fraktur, Mädchen, 6 J., Sturz von Schaukel.
a
b
c
d
a,b Unfallbilder. c,d Schraubenosteosynthese.
13
166
Kapitel 13 · Ellenbogen
Fall 13.10 Condylus-radialis-Fraktur, Mädchen, 6 J., Sturz von Spielgerät.
a,b Unfallbilder. c,d Bohrdrahtosteosynthese. e,f Ausheilungsergebnis nach 4 Wochen.
13
14
Proximaler Radius und Olekranon P.P. Schmittenbecher
14.1
Physiologische Befunde
– 168
14.1.1
Altersabhängige Röntgenbefunde – 169
14.2
Luxationen und Frakturen – 169
14.2.1 14.2.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Fallbeispiele – 179
– 169
168
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Physiologische Befunde
14.1
Gelenkkapsel Kollateralbänder
Olekranon
Ringband Radiushals Processus coronoideus
Tuberositas radii
N. radialis R. profundus M. supinator
⊡ Abb. 14.1. Anatomie des proximalen Unterarms.
14 7.- 10. Lj.
14.-17. Lj.
3.- 6. Lj.
⊡ Abb. 14.2. Knochenkerne und Fugenschluss.
⊡ Abb. 14.3. Durchblutungssituation des proximalen Radius.
169 14.2 · Luxationen und Frakturen
14.1.1 Altersabhängige Röntgenbefunde
14.2
Die Radiushalsachse muss in jedem Alter, in jeder Einstellung und unabhängig vom Entwicklungsstand des Kopfkerns immer auf das Capitulum humeri treffen (⊡ Abb. 14.4a,b). Verletzungen der proximalen Radiusmetaphyse können bei weitgehend bzw. vollständig fehlender Verknöcherung der Epiphyse unterschätzt werden, man sieht ggf. nur eine geringe metaphysäre Gefügelockerung bei Epiphysiolyse bzw. Einstauchung (⊡ Abb. 14.5). Die Olekranonapophyse kann fehlen, einen sehr kleinen oder mehrere separate Knochenkerne aufweisen; die proximale Radiusepiphyse kann fehlen, sehr klein und selten zweigeteilt sein (⊡ Abb. 14.5).
14.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
a
b
⊡ Abb. 14.4a,b. Ellenbogengelenk mit korrekter Position des Radiuskopfes zum Kapitulum. In jeder Bewegungsposition bzw. in jeder Projektion des Röntgenbilds schneidet die Verlängerung der Radiusachse das Capitulum humeri radialis.
Luxationen und Frakturen
und klinisches Bild Radiuskopfsubluxation. Sie ist die häufigste Verletzung
im Bereich des proximalen Radius (Chassaignac-Luxation) mit einer Inzidenz von 3,4–5,6% aller Skelett-Verletzungen und 27% der Ellenbogentraumen. Die Diagnose ergibt sich meist aus der typischen Anamnese bei Kindern bis einschließlich vier Jahren. Ursache ist ein abrupter Zug am Arm, wenn das Kind stolpert und vom Erwachsenen am gestreckten Arm gehalten bzw. an gestreckten Armen herumgeschleudert wird; seltener ist die Ursache ein Verklemmen des Armes in den Stäben des Gitterbettchens mit anschließender Drehbewegung. Der typische Spielunfall ereignet sich beim »Fangen«. Der Arm wird in mäßiger Ellenbogenstreckung und Pronation gehalten (»Pronation doloreuse«).Der proximale Radius rutscht aus dem Lig. anulare radii heraus, wenn eine muskuläre Stabilisierung als Gegenreaktion unmöglich ist. Oft wird der Unfall nicht beobachtet, häufig wird wegen der Schonung des gesamten Armes eine Schulterluxation vermutet. Mit vier Jahren hat der Radiuskopf seine endgültige Größe erreicht, dann wird die Verletzung deutlich seltener. Sollten trotz typischer Anamnese und klinischem Bild bereits mehrere Repositionsversuche erfolglos gewesen sein, so kann eine andere Ellenbogenverletzung wie die undislozierte suprakondyläre Fraktur vorliegen (Fehldiagnose). Isolierte proximale Radiusluxation. Sie ist eine äußerst seltene Verletzung, meist handelt es sich um eine Fehldiagnose bei übersehener Ulnafraktur (Monteggia-Verletzung mit geringem Bowing der Ulna oder plastischer Deformierung, »okkulte Ulnafraktur«). Die Verletzungsmechanismen entsprechen denen der Monteggia-Fraktur. Durch starken Zug am Unterarm rutscht der Radiuskopf unter dem Lig. anulare radii heraus oder das Ligament zerreißt bei ausgeprägtem Varusstress auf den Ellenbogen (Sportverletzung). Meist ist bei sofortiger Reposition ein geschlossenes Vorgehen erfolgreich. Wenn der Radius die Kapsel durchbohrt hat oder die Verletzung übersehen und verspätet reponiert werden soll, muss häufig offen vorgegangen werden. Differenzialdiagnostisch muss in diesen Fällen immer an eine kongenitale Luxation gedacht werden, die sich meist beidseitig mit Radiusüberlänge, hypoplastischem Kapitulum und konvexer radialer Kopfkontur darstellt.
⊡ Abb. 14.5. Kleinkind mit Radiushalsfraktur (schwarzer Pfeil); Kern der proximalen Radiusepiphyse und der Olekranonapophyse fehlen noch (weiße Pfeile).
Epiphysäre Radiuskopffraktur. Sie stellt im Kindesalter
die absolute Ausnahme dar, selten ist sie bei prämaturer Fuge möglich. Die Ursache ist meist ein Valgusstress im
14
170
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Ellenbogen, wobei es zu einer Abscherung eines lateralen Epiphysenfragments kommen kann. Eine weitere mögliche Ursache ist ein schweres axiales Stauchungstrauma, z.B. durch einen Sturz auf die Hand bei gestrecktem Ellenbogen und proniertem Unterarm. Die Verletzung kann auch im Rahmen einer Luxation aufgetreten sein, deshalb muss eine Kontrolle der Kollateralbänder am Ellenbogen sowie des Processus coronoideus und des Epicondylus ulnaris erfolgen. Klassifikation: deskriptiv als Meißelfrakturen zu bezeich-
nen; bei (noch) offenen Fugen gilt die Klassifikation der epiphysären Frakturen nach Salter-Harris, hier liegt dann eine Salter-Harris-III- oder -IV-Fraktur vor, ggf. auch eine Übergangsfraktur. Metaphysäre Radiushalsfraktur. Diese ist mit einer Inzidenz von 1–1,3% aller Frakturen eine häufige Ellenbogenverletzung des Kindesalters. Sie ist eine typische Begleitfraktur der Ellenbogenluxation, häufiger aber durch einen Sturz auf den pronierten Arm bei gestrecktem Ellenbogen oder begleitend bei der Ulnaschaft-Parierfraktur als Monteggia-Äquivalent bedingt. Durch Valgusstress kommt es zur Abscherung des Radiuskopfes (⊡ Tab. 14.1). Zwei Drittel bis drei Viertel der Frakturen sind subkapital und metaphysär, ein Drittel bis ein Viertel der Frakturen sind Epiphysenlösungen; die meisten Frakturen liegen extrakapsulär, das proximale Fragment disloziert jedoch innerhalb der Kapsel.
Intraartikuläre Olekranonfraktur. Sie macht zusammen
mit den extraartikulären Frakturen <1% aller Knochenbrüche im Kindesalter und knapp 5% der Ellenbogenverletzungen aus. Ursache sind Zugkräfte der Mm. brachialis und triceps nach Sturz direkt auf den gebeugten Ellenbogen oder Sturz auf die Hand bei gestrecktem Ellenbogen mit Varus- oder Valgusstress. Besonderheiten: Das Fragment kann beim Kleinkind
sehr klein wirken, da noch ein großer Anteil der Olekranonmetaphyse knorpelig ist; die Apophyse kann mehrere Knochenkerne aufweisen; die Dislokation kann durch Zug des M. triceps sekundär zunehmen. Therapieziel ist eine anatomische Gelenkrekonstruktion, da die Apophysenfuge keinen Anteil am Ulnawachstum hat und somit auch keine Wachstumskorrektur zu erwarten ist. Klassifikation: Unterscheidung in undislozierte und dislozierte Frakturen. Extraartikuläre proximale Ulnafraktur. Sie entsteht meist
durch direkte Traumen, z.B. Sturz auf den Ellenbogen bzw. die proximale Ulna, ggf. in Verbindung mit proximaler Radiusluxation (Monteggia-Fraktur) oder proximaler Radiusfraktur. Eine Heilung mit geringem Achsfehler (v.a. Varus) kann bereits Störungen der Umwendbewegungen des Unterarms bedingen.
Besonderheiten: Die Blutversorgung der proximalen
14
Epiphyse erfolgt ausschließlich über metaphysäre periostale Gefäße, bei hochgradiger Abkippung besteht das Risiko der Ischämie mit konsekutiver Formveränderung des proximalen Radius und Bewegungseinschränkung. Die proximale Radiusfuge hat nur geringen Anteil am Radiuswachstum, relevante Wachstumsstörungen sind deshalb selten und meist gering, ein partieller Fugenschluss im Rahmen einer ischämischen Schädigung möglich.
⊡ Tab. 14.1. Klassifikationen der Radiushalsfraktur Klassifikation nach Judet
Klassifikation nach Metaizeau
Klassifikation nach AO
Typ I
geringe Translation
Typ I
<3 mm Translation, Abkippung <20°
Typ I
undisloziert
Typ II
Abkippung <30°
Typ II
Abkippung 20–45°
Typ II
<50% versetzt
Typ III
Abkippung 30–60°
Typ III
Abkippung 45–80°
Typ III
>50% versetzt
Typ IV
Abkippung >60°
Typ IV
Abkippung >80°
Typ V
vollständige Abkippung
171 14.2 · Luxationen und Frakturen
Radiuskopfsubluxation
Besonderheiten
Syonym: Chassaignac-Luxation, Pronation doloreuse, Nurse Elbow Inzidenz: 3,4–5,6%
Diagnostik
typische Anamnese: abrupter Zug am Arm, plötzliche Schonung des gesamten Arms Klinik: Schonhaltung in mäßiger Ellenbogenstreckung und Pronation (»Pronation doloreuse«) Rx Ellenbogen a.-p. + seitlich nur nach erfolglosem Repositionsversuch
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Reposition, sofortige freie Funktion
Primärbehandlung
sofortige Reposition
Konservative Therapie Indikation
immer gegeben
Verfahren
Manuelle Reposition ohne Anästhesie; hierzu gibt man dem Kind die Hand, die zweite Hand umfasst leicht den Ellenbogen; Zug am Unterarm, dann Supination und abschließend vollständige Flexion des Ellenbogens, bis man das Einschnappen des Radiuskopfes spürt. Der erste Versuch sollte gelingen, ansonsten wird es schwieriger und ist nur mit Ablenkung des Kindes möglich. Vor erneuten Versuchen ist immer ein Röntgenbild des Ellenbogens zum Ausschluss einer Fraktur zu veranlassen. Sind 1–3 initiale Repositionsversuche nicht sicher erfolgreich (keine freie Funktion), kann man für 2–4 Tage eine dorsale Oberarmgipsschiene anlegen; danach ist oft die Funktion frei (spontane Reposition oder »Entspannung«) oder ein erneuter Versuch ist zu machen
Nachbehandlung
keine; Kontrolle der einwandfreien Funktion wenige Minuten nach der Reposition beim Spielen
Rx-Kontrolle
keine
Sportfähigkeit
sofort gegeben
Operative Therapie Indikation
keine
Komplikationen
Rezidivrate: 40%; cave: mehrere Repositionsversuche; Fehldiagnose: suprakondyläre Humerusfraktur oder okkulte Ellenbogenverletzung (konservative Behandlung für wenige Tage im Gips); Konditionierung durch Bandlaxität fraglich; Dauerschaden nicht bekannt
Wachstumsstörung
nicht vorhanden
Nachkontrollen
nicht erforderlich
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
14
172
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Isolierte proximale Radiusluxation
Besonderheiten
selten; meist Fehldiagnose bei übersehener Ulnafraktur (Monteggia-Verletzung) Differenzialdiagnose: kongenitale Luxation
Diagnostik
Unterarm (!) a.-p. und seitlich, Einzeichnung der Radiusachse Klinik: Schwellung, schmerzhafte Pro-/Supination
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
stabile Reposition der Luxation
Primärbehandlung
Lagerung auf Oberarmschiene
Konservative Therapie Indikation
geschlossener Repositionsversuch grundsätzlich indiziert
Verfahren
Zug am Unterarm unter wechselnder Pronation und Supination, ggf. direkter Druck auf den proximalen Radius; Prüfung der stabilen Reposition (Flexion/Extension und Pro-/Supination) unter Durchleuchtung
Nachbehandlung
dorsale Oberarmgipsschiene in Ellenbogenflexion und Neutralstellung des Unterarms für 2–3 Wochen, dann selbstbestimmte Mobilisation, keine physikalische Therapie vor Ablauf von 6 Wochen nach Freigabe
Rx-Kontrolle
nach 1 Woche Artikulationskontrolle im Gips
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, meist 2–3 Wochen nach Freigabe
Operative Therapie
14
Indikation
meist länger als 3 Wochen zurückliegende, geschlossen nicht zu reponierende Luxation
Verfahren
offene Reposition, ggf. Bandnaht, keine Bandplastik im absoluten Ausnahmefall perkutane transulnare K-Draht-Fixation, keine transartikuläre Fixation
Nachbehandlung
wie nach konservativer Therapie
Rx-Kontrolle
nach einer Woche Artikulationskontrolle im Gips
Metallentfernung
3 Wochen post OP
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, 2–3 Wochen nach Freigabe
Komplikationen
instabile Reposition und Reluxation (Suche nach anderen Ursachen: Monteggia-Verletzung, Bowing der Ulna) Verkalkung der Gelenkkapsel oder des zerrissenen Ligaments bleibende Bewegungseinschränkung (Pro-/Supination)
Wachstumsstörung
keine
Nachkontrollen
bis zur vollständigen Beweglichkeit
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
173 14.2 · Luxationen und Frakturen
(Epiphysäre) Radiuskopffraktur
Besonderheiten
im Kindesalter absolute Ausnahme, bei prämaturer Fuge selten möglich Ursache meist Valgusstress oder schweres axiales Stauchungstrauma Begleitverletzung nach Ellenbogenluxation: Kontrolle von Kollateralbändern, Processus coronoideus, Epicondylus ulnaris
Diagnostik
Rx Ellenbogen a.-p. + seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
exakte Wiederherstellung der Gelenkfläche keine Spontankorrekturen zu erwarten
Primärbehandlung
Ruhigstellung auf Oberarmschiene
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen
Verfahren
Gipsruhigstellung für 3 Wochen
Nachbehandlung
selbstbestimmte Mobilisation, (meist) keine Physiotherapie
Rx-Kontrolle
Stellungskontrolle nach 1 Woche (sekundäre Dislokation?); Konsolidierungskontrolle nach 3 Wochen
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, etwa 3 Wochen nach Freigabe
Operative Therapie Indikation
Frakturen mit Stufe oder Dehiszenz der Gelenkfläche (nur bei Adoleszenten überhaupt durch Röntgen diagnostizierbar)
Verfahren
offene Reposition und Fixation mit K-Draht, Minischraube oder resorbierbarem Pin
Nachbehandlung
Ruhigstellung für 7–10 Tage, dann frühfunktionelle Nachbehandlung
Rx-Kontrolle
Tag 0 (intraoperativ), Tag 21/28 (Konsolidierung), vor Metallentfernung
Metallentfernung
K-Draht: 3–4 Wochen post OP Schraube: 4–6 Wochen post OP
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, nach etwa 6 Wochen
Komplikationen
Verletzungen des R. profundus n. radialis bei offener Reposition Einschränkungen der Unterarm-Drehbewegungen wegen posttraumatischer Formveränderung des Radiuskopfes
Wachstumsstörung
im Sinne epiphysärer Wachstumsbeeinträchtigung nicht relevant
Nachkontrollen
bis zum Erreichen freier Beweglichkeit
Klassifikation
AO: 21-E/3(4).1-3
LiLa: 2.1.a.5.0-2.
14
174
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
(Metaphysäre) Radiushalsfraktur
Besonderheiten
häufig; Inzidenz: 1–1,3% aller Frakturen im Kindesalter typische Begleitverletzung bei Ellenbogenluxation; Begleitverletzung der Ulna-Parierfraktur (Monteggia-Äquivalent), Sturz auf pronierten Arm bei gestrecktem Ellenbogen
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich, Einzeichnung des Epiphysen-Achsen-Winkels Klinik: Schwellung, schmerzhaft eingeschränkte Umwendbewegung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Aufrichtung des proximalen Radius unter weitgehender Schonung der Kopfdurchblutung <10. Lj.: Abkippungen bis 45° richten sich wieder auf, nur >45° Intervention >10 Lj.: Abkippungen bis 20° richten sich noch auf, aber >20° Intervention, eine Korrektur der Translation erfolgt nicht
Primärbehandlung
Lagerung auf Oberarmschiene
Konservative Therapie Indikation
bis 45° Abkippung <10. Lj., bis 20° Abkippung >10. Lj.
Verfahren
<10 Lj.: Ruhigstellung im Oberarmgips für 3 Wochen >10 Lj.: geschlossene Reposition durch direkten Druck auf das proximale Fragment unter Varusstress und Extension des Ellenbogens, <20° Fehlstellung erreichen
Nachbehandlung
Oberarmgips, nach 3 Wochen Freigabe zur selbst bestimmten Mobilisation
Rx-Kontrolle
Tag 1 (nur nach Reposition), Tag 7 (Stellungskontrolle), Tag 21 (Konsolidierung)
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, etwa 3–4 Wochen nach Freigabe
Operative Therapie
14
Indikation
Abkippung >45° bzw. >20° oder Seitverschiebung >½ Schaftbreite
Verfahren
geschlossene Reposition und Fixation durch ESIN retrograd indirekte Reposition mit K-Draht als Joystick von dorsoradial; direkt offen selten notwendig und nur ausnahmsweise wegen Gefahr der Durchblutungsstörung indiziert
Nachbehandlung
funktionell bei ESIN; evtl. OA-Schiene für 1–2 Wochen; Belastung bei voller Beweglichkeit nach 4–6 Wochen
Rx-Kontrolle
Tag 0 (intraoperativ), Tag 28 (Konsolidierung)
Metallentfernung
nach 4–6 Wochen
Sportfähigkeit
nach Metallentfernung bei guter Beweglichkeit
Komplikationen
Formveränderung des Radiuskopfes, Verplumpung, Bewegungseinschränkung (Pro-/Supination), Pseudarthrose, Kopfnekrose, radioulnare Synostose
Wachstumsstörung
gering, partielle Wachstumshemmung möglich
Nachkontrollen
bis zur Funktionsfreiheit bei eingetretener Komplikation bis zum Wachstumsende
Klassifikation
AO:21-E/1(2).1-3.I–III
I
21-M/2(3).1-3.I–III
I
LiLa: 2.1.s.1-5.0-2.
175 14.2 · Luxationen und Frakturen
(Intraartikuläre) Olekranonfraktur
Besonderheiten
Inzidenz: <1% aller Frakturen
Diagnostik
Rx Ellenbogen a.-p. und seitlich Klinik: Schwellung v.a. dorsal am Ellenbogen, schmerzhafte Streckhemmung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Heilung ohne Stufe im artikulären Anteil keine Spontankorrektur
Primärbehandlung
Ruhigstellung auf Oberarmschiene
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen (keine Gelenkstufe, max. 2 mm Dehiszenz)
Verfahren
Oberarmgips für 3 Wochen
Nachbehandlung
selbstbestimmte Mobilisation
Rx-Kontrolle
Tag 7 (sekundäre Dislokation), Tag 21 (Konsolidierung)
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, etwa 2–3 Wochen nach Freigabe
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen (Gelenkstufe oder Dehiszenz >2 mm)
Verfahren
offene Reposition und Osteosynthese Querfraktur: Zuggurtung alternativ: ausschließlich 2 K-Drähte (<5 Jahre alt) oder Zugschraube (bei Längs- oder Schrägfrakturen)
Nachbehandlung
Zuggurtung: Ruhigstellung bis zur Wundheilung, dann freie Bewegung K-Drähte, Schraube: Oberarmgips(schiene) für 3 Wochen
Rx-Kontrolle
Tag 0 (intraoperativ), Tag 21–28 (Konsolidierung)
Metallentfernung
nach 6–8 Wochen (Zuggurtung, Schraube), isolierte K-Drähte nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, etwa 2–3 Wochen nach Freigabe
Komplikationen
verbleibende Gelenkstufe
Wachstumsstörung
entfällt, da proximal kein Wachstum an der Ulna
Nachkontrollen
bis zur freien Beweglichkeit
Klassifikation
AO: 21-M/3.1-3
LiLa: 2.1.a.5.0-2.U.
14
176
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
(Extraartikuläre) proximale Ulnafraktur
Besonderheiten
meist direkte Traumen ggf. in Verbindung mit proximaler Radiusluxation (Monteggia-Fraktur) oder proximaler Radiusfraktur
Diagnostik
Rx Ellenbogen a.-p. und seitlich, ggf. mit Unterarmschaft, Einzeichnung der Radiusachse
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
achsengerechte Heilung; keine Spontankorrektur
Primärbehandlung
Ruhigstellung auf Oberarmschiene
Konservative Therapie Indikation
grundsätzlich konservativer Versuch indiziert
Verfahren
nicht dislozierte Frakturen: Ruhigstellung dislozierte Frakturen: geschlossene Reposition bis zur Herstellung der korrekten Ulnaachse v.a. in der a.-p. Ansicht
Nachbehandlung
Ruhigstellung im Oberarmgips für 3–4 Wochen, dann selbstbestimmte Mobilisation
Rx-Kontrolle
Tag 0 (intraoperativ nach Reposition), Tag 7 (Stellung, sekundäre Dislokation), Tag 21/28 (Konsolidierung)
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, 2–3 Wochen nach Freigabe
Operative Therapie
14
Indikation
bei unzureichender Reposition oder Retention
Verfahren
offene Reposition und Schraubenosteosynthese geschlossene indirekte Reposition mit intramedullärem Nagel (ESIN)
Nachbehandlung
bei Zugschraube Ruhigstellung im Oberarmgips für 4 Wochen, dann Freigabe; bei intramedullärer Nagelung keine Ruhigstellung
Rx-Kontrolle
Tag 0 (intraoperativ), Tag 28 (Konsolidierung)
Metallentfernung
nach 6–8 Wochen
Sportfähigkeit
bei weitgehend freier Beweglichkeit, nach Metallentfernung
Komplikationen
verbleibende Fehlstellung a.-p., oft unterschätzt, daraus folgend Bewegungseinschränkung bezüglich der Pro- und Supination
Wachstumsstörung
keine
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion
Klassifikation
AO: 21-M/2(3).1-3
LiLa: 2.1.s.5.0-2.U.
177 14.2 · Luxationen und Frakturen
Technische Aspekte
Proximaler Radius selten offene Reposition über dorsoradialen Zugang in Pronation (cave: R. profundus n. radia-
lis), möglichst ohne Eröffnung der Gelenkkapsel und mittels transkapsulärer Reposition (Schonung der periostalen Gefäße), Fixation trotzdem intramedullär! Material
Minischrauben für proximale epiphysäre Radiusfrakturen ESIN der Stärke 2,0–2,5 mm
Lagerung
Rückenlagerung, Armtisch, Blutsperre, Abdeckung oberhalb des Ellenbogens, Hand einge-
packt Zugang/Verfahren (⊡ Abb. 14.6, ⊡ Abb. 14.7)
dorso-lateraler Zugang zum proximalen Radius in Pronation Radiuskopfluxation oder nicht reponible Radiushalsfraktur: Beseitigung intraartikulärer Repositionshindernisse (Bandstrukturen), ggf. Bandnaht, keine Bandplastik bei Luxation im Ausnahmefall perkutane transulnare K-Draht-Fixation, keine transartikuläre Fixation cave: R. profundus n. radialis; die Gelenkkapsel muss zur Reposition einer Radiushalsfraktur nicht unbedingt eröffnet werden metaphysäre Radiushalsfraktur (⊡ Abb. 14.6, ⊡ Abb. 14.7): Reposition und Fixation durch intramedullären Nagel (2,0–2,5 mm), der vom distalen Radius aus eingebracht wird Fassen, Reponieren und Fixieren des Kopfes mit der angespitzten Nagelspitze, die epiphysär verankert wird bei hochgradiger Abkippung Repositionshilfe durch Daumendruck oder perkutan eingestochenen K-Draht
Spezielle Aufklärung
Metallentfernung
ESIN nach 6–8 Wochen
Sonstige Besonderheiten
keine
Nervenverletzung, Gelenkinfektion bei proximaler Radiusluxation: Reluxation bei proximaler Radiusfraktur: Radiuskopfnekrose, Verplumpung des Radiuskopfes bei allen proximalen Unterarmfrakturen: Bewegungseinschränkungen, v.a. der Pronation/ Supination
Periost
⊡ Abb. 14.6. Retrograde elastisch-stabile intramedulläre Nagelung bei Radiushalsfraktur, links Einbringen des Nagels, rechts manuelle Reposition des Radiuskopfes.
Periost
⊡ Abb. 14.7. Links: Vorschlagen des Nagels in den grob reponierten Radiuskopf; rechts: Drehen des Nagels, dadurch definitive Reposition des Radiuskopfes.
14
178
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Technische Aspekte
Proximale Ulna
Material
K-Drähte der Stärke 1,4–1,8 mm sowie Cerclagedraht der Stärke 0,8–1,2 mm für die Olekranon-
frakturen Kleinfragmentschrauben für extraartikuläre proximale Ulnafrakturen ESIN der Stärke 2,0–2,5 mm
Lagerung
Bauchlagerung mit über dem Armtisch herunterhängendem Unterarm für Olekranonfrakturen
hilfreich; Rückenlagerung bei ESIN Zugang/Verfahren
dorsaler Zugang zum Olekranon mit radialseitiger Umschneidung intraartikuläre Olekranonfraktur:
offene Reposition von dorsal mit radialer Umschneidung des Olekranons (⊡ Abb. 14.8, ⊡ Abb. 14.9) ggf. Darstellung des N. ulnaris und Zuggurtung, v.a. bei Querfrakturen (⊡ Abb. 14.10a–c) Zuggurtung: Platzierung von zwei parallelen K-Drähten über die Olekranonapophyse, die die ventrale Kortikalis der Ulnametaphyse durchbohren Drahtcerclage um die K-Draht-Enden und durch ein queres Ulnabohrloch alternativ: ausschließlich zwei K-Drähte (<5 Jahre alt) oder Zugschraube (bei Schrägfrakturen) extraartikuläre Olekranonfraktur: offene Reposition und Schraubenosteosynthese geschlossene indirekte Reposition mit intramedullärem Nagel, von distal eingeführt und mit dem Spannungsbogen so platziert, dass dieser der Fehlstellung entgegenwirkt Spezielle Aufklärung
Nervenverletzung, Gelenkinfektion bei allen proximalen Unterarmfrakturen: Bewegungseinschränkungen, v.a. der Pronation/
Supination Metallentfernung
Zuggurtung nach 2–3 Monaten
Sonstige Besonderheiten
keine
M. extensor carpi ulnaris
M. anconeus
14
Radiuskopf
⊡ Abb. 14.8. Oben: Dorsaler Zugang zum Olekranon mit radialseitiger Umschneidung, Darstellung des N. ulnaris; unten: dorsoradialer Zugang zum Radiuskopf.
⊡ Abb. 14.9. Tiefer dorsoradialer Zugang zum proximalen Radius in Pronation. Cave: R. profundus n. radialis; die Gelenkkapsel muss zur Reposition einer Radiushalsfraktur nicht unbedingt eröffnet werden.
⊡ Abb. 14.10a–c. Zuggurtungsosteosynthese am Modell. Platzierung von zwei parallelen K-Drähten über die Olekranonapophyse, die die ventrale Kortikalis der Ulnametaphyse durchbohren; Drahtcerclage um die K-Draht-Enden und durch ein queres Ulna-Bohrloch.
179 14.2 · Luxationen und Frakturen
14.2.1 Fallbeispiele
Fall 14.1 Isolierte proximale Radiuskopfluxation, Mädchen, 7 J., unklarer Sturz.
a
b
c
d
a,b Unfallbilder, mit Hilfslinie. c,d Sofortige Reposition, Gipsruhigstellung.
14
180
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Fall 14.2 Metaphysäre Radiushalsfraktur, Junge, 10 J., Fahrradsturz.
a
b
c
d
a,b Unfallbilder. c,d Konservative Therapie mit Gipsruhigstellung.
14
181 14.2 · Luxationen und Frakturen
Fall 14.3 Metaphysäre Radiushalsfraktur, Mädchen, 12 J., Verletzung beim Judo.
a
b
c
d
a,b Unfallbilder. c,d Operative Therapie mit intramedullärer Reposition und Fixation.
14
182
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Fall 14.4 Intraartikuläre Olekranonfraktur beim Kleinkind, Mädchen, 2 J., häuslicher Sturz auf Ellenbogen.
a
b
d
c
14
a,b Unfallbilder, Dislokation im a.-p. Bild deutlich zu erkennen. c,d Zuggurtungsosteosynthese.
183 14.2 · Luxationen und Frakturen
Fall 14.5 Extraartikuläre Olekranonfraktur, Mädchen, 6 J., Sturz vom Etagenbett.
a
b
d
c a,b Unfallbilder. c,d Zugschraubenosteosynthese.
14
184
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Fall 14.6 Extraartikuläre Olekranonfraktur mit proximaler Radiusluxation (Monteggiafraktur), Junge, 4 J., Sturz vom Klettergerüst.
a
b
a,b Unfallbilder. c,d Intramedulläre Nagelung der Ulna und korrekte Reposition des Radius
14
c
d
15
Unterarm C. Ploss und I. Marzi
15.1
Physiologische Befunde
15.1.1
Knochenkerne und Fugenschluss
15.2
Frakturen
15.2.1
Allgemeines – 186 Inzidenz – 187 Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Diagnostik – 188 Klassifikation – 188 Fallbeispiele – 200
15.2.2 15.2.3 15.2.4 15.2.5 15.2.6
– 186 – 186
– 186
– 187
186
Kapitel 15 · Unterarm
15.1
8.-10. Lj. 14.-17. Lj.
Physiologische Befunde
15.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss
3.-7. Lj. 14.-17. Lj.
Radius und Ulna verknöchern ab der 6. Schwangerschaftswoche von primären Ossifikationszentren aus. Die sekundäre Ossifikation beginnt am distalen Radius in den ersten eineinhalb Lebensjahren am Radius, und ab dem 4. Lebensjahr verknöchert der distale Ulnaossifikationskern. Die proximalen Ossifikationskerne beginnen zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr radial und zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr ulnar zu verknöchern. Die proximalen Epiphysenfugen im Ellenbogenbereich verschließen sich etwas früher als die distalen, welche zwischen dem 16. und 19. Lebensjahr verknöchern. Die proximalen Wachstumsfugen tragen zu 20% und die distalen zu 80% zum Längenwachstum des Unterarms bei.
15.2
Frakturen
15.2.1 Allgemeines
15
Unterarmschaft. Die am Unterarm ansetzenden Muskeln wirken beim Auftreten einer Fraktur als deformierende Kräfte. Bei proximalen Frakturen (⊡ Abb. 15.2a) ziehen der M. supinator sowie der M. biceps das proximale Fragment in Supination und Flexion. Das distale Fragment tendiert durch die Mm. pronatores quadratus et teres zur Pronation, sodass eine Ruhigstellung in Supination erfolgen sollte, um die Frakturenden anzunähern. Bei Frakturen im mittleren Schaftbereich (⊡ Abb. 15.2b) sollte die Ruhigstellung in Neutralstellung bzw. auch leichter Supination erfolgen, da sich M. pronator teres und M. supinator ausgleichen, und lediglich der M. biceps zur Flexion des proximalen Fragments führt. Befindet sich die Fraktur im distalen Schaftbereich (⊡ Abb. 15.2c) kommt es durch den Zug des M. brachioradialis zur Abweichung des distalen Fragments in Supination, sodass hier die Ruhigstellung in leichter Pronation am ehesten zum Annähern der Frakturenden führt. Dennoch sollte bei allen Frakturformen die Ruhigstellung individuell überdacht und angepasst werden. Isolierte Radiusfrakturen haben die Tendenz zur Valgusfehlstellung, selten kommt es begleitend zur distalen Ulna-Epiphysenlösung im Sinne eines Galeazzi-Äquivalents. Isolierte Ulnafrakturen neigen zur Varusdeformität und können so zu einer begleitenden Radiuskopfluxation (Monteggia-Fraktur) führen. Achsabweichungen im Unterarmschaftbereich werden nur bedingt korrigiert und dies zumeist nur bis zu einem Alter von 5 Jahren. Rotationsfehlstellungen werden nicht korrigiert. Beides kann zu teils erheblichen Funkti-
16.-19. Lj. 3.-18. Lm.
4.-9. Lj.
⊡ Abb. 15.1. Knochenkerne und Fugenschluss.
onseinschränkungen bei Pro- und Supination führen. Die Rotationseinschränkung ab einer Achsabweichung von 20° wird funktionell bedeutsam, sodass hier die Grenze zur operativen Therapie gesetzt wird. Je weiter proximal der Achsfehler liegt, desto weniger kann er toleriert werden. Ebenso führen gegenläufige Deformierungen im Schaftbereich zu ausgeprägten Funktionsstörungen. Seitzu-Seit-Verschiebungen gleichen sich dagegen bis zu einer Verschiebung um Schaftbreite spontan aus. Werden Umstellungsosteotomien notwendig, so empfiehlt es sich, diese so früh als möglich durchzuführen, da länger bestehende Funktionseinbußen oft auch nach Umstellung persistieren und das Operationsergebnis beeinträchtigen können. Distaler Unterarm. Der distale Unterarm weist bei Kindern unter 10–12 Jahren ein außergewöhnliches Korrekturpotenzial auf. Bei Kindern ab dem 10.–12. Lebensjahr variiert die Spontankorrektur stark und ist v.a. abhängig vom Stadium der Fugenentwicklung. So kann man bei Kindern unter 10 Jahren ohne weiteres Achsabweichungen bis zu 30° belassen. Bei Kindern über dem 12. Lebensjahr besteht jedoch kaum eine Spontankorrektur und die achsgerechte Stellung ist anzustreben. Um die Eltern angesichts der teilweise deutlich sichtbaren Fehlstellungen nicht zu verunsichern, bedarf es einer subtilen Aufklärung und enger Betreuung. Zu beachten ist allerdings, dass Frakturen im distalen bzw. metaphysären Unterarmbereich v.a. Verletzungen des älteren Kindes sind (>12. Lj.).
187 15.2 · Frakturen
M. biceps
M. brachioradialis
M. supinator M. pronator teres
M. pronator quadratus
a
M. pronator quadratus
b
15.2.2 Inzidenz
38% aller Frakturen im Kindesalter betreffen den Unterarm. Zu mehr als 50% sind diese im Bereich des distalen Unterarms lokalisiert. Bei den Unterarmschaftfrakturen entfallen ca. zwei Drittel auf den distalen, ein Drittel auf den mittleren Schaftbereich. Frakturen des proximalen Schaftbereichs sind selten.
15.2.3 Verletzungsmechanismus und
klinisches Bild Unterarmschaftfrakturen. Ursache dieser Verletzung ist zumeist ein Sturz auf die ausgestreckte Hand. Der Altersgipfel bei Unterarmfrakturen im mittleren Schaftbereich liegt bei 6–8 Jahren, wobei Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen; weiter distal überwiegen die Verletzungen bei Kindern über dem 10. Lebensjahr. Die Frakturlokalisation ist abhängig von der Krafteinwirkung, liegt jedoch in den meisten Fällen im distalen Drittel. Während distale Frakturen häufig konservativ behandelt werden können, müssen Frakturen im mittleren und proximalen Schaftbereich oft operativ versorgt werden. Im Schaftbereich kommen v.a. Grünholzfrakturen und vollständige Frakturen vor, die Wulstbrüche sind im metaphysären Bereich lokalisiert. Ist zur Korrektur einer Achsfehlstellung eine Narkose nötig, so empfiehlt sich die endgültige Versorgung
c
⊡ Abb. 15.2. Unterarmmuskulatur, Dislokation der Frakturfragmente. a Proximale Unterarmfraktur, b mittlere Unterarmfaktur, c distale Unterarmfraktur.
in gleicher Sitzung, so sollte z.B. bei Überbrechen einer Grünholzfraktur und bei Anhalt für Instabilität die Osteosynthese mittels ESIN gleichzeitig erfolgen. Monteggia-Verletzung. Die klassische Monteggia-Fraktur besteht aus einer Ulnaschaftfraktur mit Radiuskopfluxation, wobei die Lokalisation der Ulnaschaftfraktur vom mittleren Drittel bis ganz nach proximal reichen und somit als Olekranonfraktur imponieren kann. Der Radiuskopf luxiert zumeist nach ventral oder radial. Des Weiteren existieren Monteggia-äquivalente Frakturen, wie z.B. eine Ulnaschaftfraktur in Kombination mit einer Radiushalsfraktur. Klinische Zeichen für eine Dislokation des Radiuskopfes sind Schmerzen, Deformität und eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung im Ellenbogengelenk mit fixierter Pronationsstellung. Die Prognose bei primär diagnostizierten Luxationen ist gut; wird die Problematik jedoch nicht erkannt, ist die Prognose eher ungünstig, und es kann zu bleibenden schmerzhaften Bewegungseinschränkungen kommen. Galeazzi-Verletzung. Die Galeazzi-Fraktur und das Galeazzi-Äquivalent sind seltene Verletzungen im Kindesalter. Ursächlich ist zumeist ein Sturz auf die gestreckte und pronierte Hand. Die Verletzung tritt v.a. bei Kindern im Alter zwischen 9 und 12 Jahren auf. Klinisch imponiert häufig eine varische Fehlstellung des Unterarms mit deformiertem, geschwollenem und
15
188
Kapitel 15 · Unterarm
schmerzhaftem Handgelenk. Teils kommt es zu einer Protrusion des Ulnakopfes bzw. zu einer erhöhten Mobilität der distalen Ulna. Die klassische Galeazzi-Verletzung besteht aus einer Radiusschaftfraktur in Verbindung mit einer Dislokation im distalen Radioulnargelenk (DRUG). Der Radiusschaft frakturiert zumeist im Übergang vom mittleren zum distalen Drittel. Bei Kindern disloziert das DRUG v.a. im Bereich der Ulnarepiphyse, da diese im Kindesalter schwächer ist als die diskoligamentären Verbindungen; dies nennt man dann Galeazzi-Äquivalent. In den meisten Fällen tritt diese Epiphysenfugenverletzung als SalterII-/Aitken-I-Fraktur auf. Eine komplette Luxation des distalen Radioulnargelenks beinhaltet immer eine Verletzung des triangulären fibrokartilaginären Komplexes (TFC) und ist somit eine instabile Verletzung.
15.2.4 Diagnostik
Bei Unterarmschaftfrakturen sind die angrenzenden Gelenke auf der Röntgenaufnahme mit abzubilden. Bei unzureichender Darstellung und klinischer Symptomatik ist das Ellenbogengelenk korrekt in 2 Ebenen zusätzlich zu röntgen, um eine Kombinationsverletzung nicht zu übersehen. Ist einer der beiden Unterarmknochen frakturiert und verkürzt, spricht dies für eine Dislokation im proximalen oder distalen Radioulnargelenk. Unbehandelt können Bewegungseinschränkungen, Instabilitäten und Valgusfehlstellungen die Folge sein. Zum Ausschluss einer Radiuskopfluxation zieht man eine Hilfslinie (⊡ Abb. 15.3) durch die Achse des proximalen Radiusendes. Diese muss sich in allen Ebenen (auch in Schrägaufnahmen) auf den Kern des Capitulum humeri projizieren.
15
15.2.5 Klassifikation Unterarmfrakturen. Sie können nach der Lokalisation
(⊡ Tab. 15.1) oder dem Frakturtyp (⊡ Tab. 15.2) eingeteilt werden. Monteggia-Verletzungen. Die gebräuchlichste Klassifikation ist die Bado-Klassifikation. ▬ Typ I Ventrale Dislokation des Radiuskopfes und Fraktur der Ulnadiaphyse mit ventraler Knickbildung. 70% der Monteggia-Verletzungen bei Kindern. ▬ Typ II Dorsale oder dorsolaterale Dislokation des Radiuskopfes und Fraktur der Ulnadiaphyse mit dorsaler Knickbildung. 6% der Monteggia-Läsionen. ▬ Typ III Laterale oder ventrolaterale Dislokation des Radiuskopfes mit Fraktur der Ulnametaphyse. 23% der Monteggia-Läsionen bei Kindern. ▬ Typ IV Ventrale Dislokation des Radiuskopfes mit Fraktur des Radius im proximalen Drittel und Fraktur der Ulna auf selber Höhe. Sehr seltene Verletzung, ca. 1% der Monteggia-Läsionen. Galeazzi-Frakturen und Galeazzi-Äquivalente. Diese Frakturen werden nach der Klassifikation von Letts und Rowhani eingeteilt. ▬ Typ A Fraktur des Radius im Übergang vom mittleren zum distalen Drittel und 1. diskoligamentäre Luxation der distalen Ulna nach dorsal 2. distale Epiphysiolyse der Ulna und Dislokation der Metaphyse nach dorsal
⊡ Tab. 15.1. Einteilung der Unterarmfrakturen nach ihrer Lokalisation Proximales Drittel
isolierte Radiusfraktur Fraktur beider Unterarmknochen Monteggia-Verletzung
Mittleres Drittel
isolierte Radiusfraktur Fraktur beider Unterarmknochen Grünholzfraktur/»Bowing Fracture«
Distales Drittel
isolierte Radiusfraktur Fraktur beider Unterarmknochen Galeazzi-Verletzung
⊡ Tab. 15.2. Einteilung der Unterarmfrakturen nach dem Frakturtyp Geschlossene oder offene Fraktur Wulstbruch/ Stauchungsfraktur Grünholzfraktur ⊡ Abb. 15.3. Die Hilfslinie durch die Achse des proximalen Radius muss sich in allen Ebenen auf den Kern des Capitulum humeri projizieren.
Komplette Unterarmfraktur Trümmerfraktur
189 15.2 · Frakturen
▬ Typ B Fraktur des Radius im distalen Drittel und 1. diskoligamentäre Luxation der distalen Ulna nach dorsal 2. distale Epiphysiolyse der Ulna und Dislokation der Metaphyse nach dorsal ▬ Typ C Grünholzfraktur des Radius mit Achsabweichung nach dorsal und 1. diskoligamentäre Luxation der distalen Ulna nach dorsal
2. distale Epiphysiolyse der Ulna und Dislokation der Metaphyse nach dorsal ▬ Typ D Fraktur des distalen Radius mit Achsabweichung nach volar und 1. diskoligamentäre Luxation der distalen Ulna nach volar 2. distale Epiphysiolyse der Ulna und Dislokation der Metaphyse nach volar.
Unterarmschaftfraktur – Grünholzfraktur
Besonderheiten
verschiedene Frakturformen: typisch: Kortikalis konvex durch- und konkav angebrochen, »Bowing Fracture«: kein sichtbarer Frakturspalt; v.a. <5. Lj.
Diagnostik
Rx Unterarm a.-p.+exakt seitlich mit angrenzenden Gelenken ggf. zusätzlich zentrierte Rx der angrenzenden Gelenke in 2 Ebenen zum Ausschluss einer Monteggia- oder Galeazzi-Verletzung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Achsabweichungen <10° in beiden Ebenen werden korrigiert, je jünger das Kind, umso größer ist das Korrekturpotenzial
Primärbehandlung
OA-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
Achsabweichung <10°; bei jüngeren Patienten mit höherem Korrekturpotential ggf. bis <20°
Verfahren
3–4 Wochen OA-Gips, ggf. Gipskeilung am 5.–8. Tag zur Kompression des offenen Frakturspaltes; bei Fehlstellungen über 10° operative Versorgung empfohlen
Nachbehandlung
funktionell, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
5.–8. Tag Stellungskontrolle, ggf. nach Keilung; 14. Tag Stellungskontrolle; 4. Woche Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
6–8 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Achsabweichungen >10°; bei Fraktur beider UA-Knochen, auch bei geringerer Fehlstellung
Verfahren
Überbrechen der Gegenkortikalis Stabilisierung mittels ESIN auch bei »Bowing Fracture« Stabilisierung (Rückfederung) mit ESIN erwägen
Nachbehandlung
funktionell, ggf. einige Tage OA-Gipsschiene zur Analgesie
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
12 Wochen post OP
Sportfähigkeit
8 Wochen nach Konsolidierung
15
190
Kapitel 15 · Unterarm
Komplikationen
zögernde Spontankorrektur, Zunahme der primären Fehlstellung Gefahr der Refraktur infolge Konsolidisierungsstörungen bei typischen Grünholzfrakturen bei Achsabweichungen >20° Einschränkungen bei Pro- und Supination
Wachstumsstörung
vorübergehende Längendifferenz, die sich meist im Verlauf ausgleicht
Nachkontrollen
3- bis 4-wöchentlich bis zur freien Funktion
Klassifikation
AO: 22-D/1(2).1-3
LiLa: 2.2.s.2.0-2.
Vollständige Unterarmfraktur
Besonderheiten
v.a. >10.–12. Lj., meist beide UA-Knochen betroffen, außer bei direktem Anpralltrauma
Diagnostik
Rx Unterarm a.-p.+exakt seitlich mit angrenzenden Gelenken ggf. zusätzlich zentrierte Rx der angrenzenden Gelenke in 2 Ebenen zum Ausschluss einer Monteggia- oder Galeazzi-Verletzung Beurteilung von Durchblutung, Motorik sowie Sensibilität und Ausschluss eines Kompartmentsyndroms
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
nahezu vollständige Spontankorrektur von Seit-zu-Seit-Verschiebungen möglich, Achsabweichungen <10° in beiden Ebenen, je jünger das Kind, umso größer ist das Korrekturpotential
Primärbehandlung
OA-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie
15
Indikation
Achsabweichung <10°; v. a. bei isolierter Fraktur eines UA-Knochens; Kinder<5. Lj.
Verfahren
3–4 Wochen OA-Gips; ggf. sekundäre Gipskeilung am 5.–8. Tag
Nachbehandlung
funktionell, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
5.–8. Tag Stellungskontrolle, ggf. nach Keilung; 14. Tag Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 8 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Instabilität bei Fraktur beider Unterarmknochen Achsabweichung ≥10°, Rotationsfehler, Verkürzung Interposition von Weichteilen offene Frakturen 2. und 3. Grades, begleitende Gefäß-Nerven-Verletzungen Polytrauma/Mehrfachverletzungen Pseudarthrosen, Fehlstellungen nach konservativer Behandlung
191 15.2 · Frakturen
Verfahren
geschlossene Reposition und Osteosynthese mittels ESIN offene Reposition bei Repositionshindernis (Periost- oder Muskelinterponat), Wunddébridement und Stabilisierung bei offenen Frakturen möglich Fixateur externe bei Mehrfragment- und Trümmerfrakturen, bei denen die Länge mittels ESIN nicht zu halten ist; bei offenen Frakturen und bei gelenknahen Frakturen Plattenosteosynthese nur bei Sonderfällen (Pseudarthrose, Korrekturosteotomien, gelenknahe Frakturen bei Adoleszenten)
Nachbehandlung
funktionell, ggf. einige Tage OA-Gipsschiene zur Analgesie Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
12 Wochen post OP
Sportfähigkeit
8 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
bei Achsabweichungen >20° Einschränkungen bei Pro- und Supination; Pseudarthrosenbildung, Refrakturgefahr bei früher Metallentfernung (unter 3 Monaten) Synostosenbildung
Wachstumsstörung
vorübergehende Längendifferenz und Störungen der Umwendbewegung
Nachkontrollen
3- bis 4-wöchentliche Kontrollen bis zur freien Funktion
Klassifikation
AO: 22-D/4(5).1-3
LiLa: 2.2.s.3(4).0-2.
Metaphysärer Wulstbruch, Stauchungsfraktur und Grünholzfraktur
Besonderheiten
Kortikalis beidseits erhalten beim Wulst- oder Stauchungsbruch, bei metaphysärer Grünholzfraktur nur eine Kortikalis durchgebrochen Auftreten von Wulstbrüchen v.a. bei kleinen Kindern
Diagnostik
Rx Handgelenk a.-p.+exakt seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Stauchungsfrakturen und Wulstbrüche gekennzeichnet von einem erhaltenen Periostschlauch, der praktisch immer zu einer Spontankorrektur führt; bei älteren Kindern (>12. Lj.) kommt dieser Frakturtyp kaum noch vor
Primärbehandlung
UA-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
praktisch immer konservativ
Verfahren
2–3 Wochen UA-Gips beim Wulstbruch; 3–4 Wochen UA-Gips beim Grünholzbruch
Nachbehandlung
funktionell, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
15
192
Kapitel 15 · Unterarm
Rx-Kontrolle
i.d.R. nicht notwendig beim Wulstbruch; 5.–8. Tag Stellungskontrolle, nach 14 Tagen Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle bei der Grünholzfraktur
Sportfähigkeit
2–3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
keine
Komplikationen
Wachstumsstörung, selten Bewegungseinschränkung
Wachstumsstörung
vorzeitiger partieller oder totaler Fugenverschluss; selten vorübergehendes Mehrwachstum, v.a. des Radius, der sich meist im Verlauf des weiteren Wachstums ausgleicht
Nachkontrollen
keine weiteren radiologischen Kontrollen notwendig, wenn klinisch kein Anhalt für Fehlwachstum, Abschluss bei Schmerzfreiheit
Klassifikation
AO: 23-M/2.1-3
LiLa: 2.3.s.2.0-2.
Vollständige Fraktur des distalen Unterarms
15
Besonderheiten
erhebliche Schwellung und Schmerzhaftigkeit
Diagnostik
Rx Handgelenk a.-p. + seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
<12. Lj.: bis 30° prinzipiell möglich, bei kleinen Kindern eher mehr >12. Lj.: kaum Spontankorrektur (achsgerechte Stellung anstreben) Seit-zu-Seit-Verschiebungen bis zu Schaftbreite
Primärbehandlung
OA-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
eher seltener, da Reposition erforderlich und Osteosynthese mit K-Draht problemlos und stabiler <12. Lj.: Achsabweichungen <30° in der Sagittalebene und <10° in der Frontalebene können prinzipiell belassen werden; je näher an 12 Jahren, umso korrekter die erforderliche Reposition. Das Belassen von Fehlstellungen im Toleranzbereich muss sorgfältig mit den Eltern besprochen und die operative Alternative dargestellt werden. >12. Lj.: Achsabweichung <10° in beiden Ebenen Seit-zu-Seit-Verschiebungen, Korrekturgrenze bis Schaftbreite
Verfahren
4 Wochen OA-Gips; ggf. sekundäre Gipskeilung am 5.–8. Tag, wenn sekundäre Achsabweichung zu groß (kleine Kinder)
Nachbehandlung
funktionell, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle, evtl. nach Gipskeilung; nach 2 Wochen Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
2–3 Wochen nach Konsolidierung
193 15.2 · Frakturen
Operative Therapie Indikation
Seit-zu-Seit-Verschiebungen >¼ Schaftbreite <12. Lj.: Achsabweichungen zwischen 30° (Kleinkind) und 10° (12-jährige) in der Sagittalebene und >10° in der Frontalebene Rotationsfehler instabile Frakturen Verkürzung des Radius >5 mm begleitende Gefäß-Nerven-Verletzungen Pseudarthrosen
Verfahren
Reposition in Narkose, dabei sichere Stabilisierung durch K-Draht möglich geschlossene Reposition K-Draht-Osteosynthese nach Kapandji oder transepiphysär über Processus styloideus radii bei Adoleszenten mit bereits begonnenem Fugenschluss und kräftigen Armen sowie Pseudarthrosen Kleinfragment-T-Platten-Osteosynthese; bei distalen Radiusfrakturen auch Fixateur externe, als T-Fixateur montiert
Nachbehandlung
2 Wochen OA-Gips, 2 Wochen UA-Gips
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
4 Wochen postoperativ
Sportfähigkeit
2–3 Wochen nach Konsolidierung und Metallentfernung
Komplikationen
Kompartmentsyndrom Pseudarthrose des Processus styloidei radii et ulnae
Wachstumsstörung
vorübergehende Längendifferenz
Nachkontrollen
2- bis 3-wöchentlich bis zur freien Funktion und akzeptablen Stellung
Klassifikation
AO: 23-M/3.1-3
LiLa: 2.3.s.3(4).0-2.
Epiphysenfugenverletzungen distaler Unterarm
Besonderheiten
häufigste Lokalisation von Epiphysiolysen, selten Epiphysenfrakturen; trotz erheblicher Fehlstellung oft gutes Korrekturpotenzial, jedoch ausführliches Besprechen der Korrekturmöglichkeiten mit den Eltern, Reposition und kurzzeitige Stabilisierung als Alternative erläutern
Diagnostik
Rx Handgelenk a.-p. + seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
<12. Lj.: bis 30° in Frontal- und bis 10° in Sagittalebene (abnehmend bis 12. Lj.) >12. Lj.: kaum Spontankorrektur (achsgerechte Stellung anstreben) Salter-III-/-IV-Frakturen, Übergangsfrakturen: Dislokation <2 mm im Gelenkspalt
Primärbehandlung
OA-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
15
194
Kapitel 15 · Unterarm
Konservative Therapie Indikation
innerhalb der Korrekturgrenzen Salter-III-/-IV-Frakturen, Übergangsfrakturen: Dislokation <2 mm
Verfahren
3–4 Wochen OA-Gips; ggf. sekundäre Gipskeilung am 8. Tag
Nachbehandlung
funktionell, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
5.–8. Tag Stellungskontrolle im Gips, ggf. nach Gipskeilung, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
2–3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
außerhalb der Korrekturgrenzen, Gelenkspalt >2 mm
Verfahren
geschlossene Reposition und definitive Versorgung mittels K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
2 Wochen OA-Gips, 2 Wochen UA-Gips
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
4–6 Wochen postoperativ
Sportfähigkeit
2–3 Wochen nach Konsolidierung und Metallentfernung
Komplikationen
Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
vorzeitiger partieller oder totaler Fugenverschluss mit folgender Fehlstellung
Nachkontrollen
2- bis 3-wöchentlich bis zur freien Funktion und akzeptablen Stellung
Klassifikation
AO: 23-E/1.9.1-3
LiLa: 2.3.s.1.0-2
2.3.a.5.0-2.
Monteggia-Verletzung (Ulnafraktur mit Radiuskopfluxation)
15
Besonderheiten
leicht zu übersehende Kombinationsverletzung des Unterarms
Diagnostik
bei jeder Fraktur des Unterarms mit Verkürzung zusätzlich korrektes Röntgen des Ellenbogens in 2 Ebenen (und ggf. des Handgelenks)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Reposition des Radiuskopfes, i.d.R. durch Korrektur der Ulnafehlstellung bzw.verkürzung Kongruenz im proximalen Radioulnargelenk für korrekte Umwendbewegung unerlässlich; auch Subluxationen müssen behoben werden; spätere Spontankorrekturen sind nicht möglich, eher zunehmende Verschlimmerung durch »Vorwachsen« des Radiuskopfes und weitere Einschränkung der Beugung
195 15.2 · Frakturen
Primärbehandlung
OA-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
seltene Indikation bei kleinen Kindern; meist operativ geschlossene Reposition einer einfachen Ulnaschaftfraktur mit Reposition der Radiuskopfluxation
Verfahren
4 Wochen Ruhigstellung im OA-Gips
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Bewegung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
Stellungskontrolle nach Reposition; 1. Woche; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, ca. 5–8 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Instabile Ulnafraktur im Schaftbereich, dislozierte Frakturen; meistens notwendig um eine stabile Ulnaosteosynthese mit korrekter Länge herbeizuführen. Dabei ist zumeist die geschlossene Reposition des Radiuskopfes möglich
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition von Ulna und Radiuskopf offene Reposition selten bei eingeschlagenen Weichteilen notwendig Ziel: korrekte anatomische Reposition der Ulna und der Radiuskopfluxation nach Reposition der Ulnafraktur zumeist spontane Korrektur der Luxationsstellung des proximalen Radius Schaftfrakturen: geschlossene Reposition mit Überbrechen der Gegenkortikalis bei Grünholzfrakturen, Stabilisierung mit ESIN zur funktionellen Behandlung in seltenen Fällen Osteosynthese mittels Fixateur externe oder Platte metaphysäre Frakturen: K-Draht oder Fixateur externe; in seltenen Fällen Plattenosteosynthese
Nachbehandlung
einige Tage OA-Gips zur Analgesie, dann funktionell, ggf. Krankengymnastik; bei K-Draht-Osteosynthese 4 Wochen OA-Gips
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 2 Wochen Kontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
8–12 Wochen postoperativ (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
5–8 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
übersehene Radiuskopfluxation Schädigung von N. radialis profundus/N. ulnaris Radiuskopfnekrose Reluxationstendenz/Subluxationsstellung Synostosenbildung persistierende Bewegungseinschränkung des Ellenbogens und des Unterarms
Wachstumsstörung
Wachstumsstörung am proximalen Radiusende möglich Kopfumbaustörungen mit Verplumpung des proximalen Radiusendes mit nachfolgender Einschränkung von Pro- und Supination
Nachkontrollen
3- bis 4-wöchentlich bis zur freien Funktion, dann ½-jährlich bis zu 2 Jahre nach dem Trauma
Klassifikation
AO: 22-D/6.1-3
LiLa: 2.2.s.2-4.2.U
2.1.s(a).5.2.U.
15
196
Kapitel 15 · Unterarm
Galeazzi-Verletzung (dislozierte Radiusfraktur und Ulnakopfluxation)
Besonderheiten
selten; v.a. >10. Lj.
Diagnostik
bei jeder dislozierten Fraktur des Unterarms Röntgen des Handgelenks a.-p. und lateral (exakt seitlich)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Reposition und Stabilisierung des Radius und dadurch indirekte Korrektur der Inkongruenz im distalen Radioulnargelenk
Primärbehandlung
OA-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
stabile geschlossene Reposition der Radiusfraktur mit Reposition des Ulnakopfes bzw. der Fugenverletzung möglich
Verfahren
4 Wochen Ruhigstellung im OA-Gips
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Bewegung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle; nach 2 Wochen Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, ca. 5–8 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
>10° Achsabweichung des Radius Verkürzung des Radius Interposition von Weichteilen (z.B. M.-extensor-digitorum-communis-Sehne zwischen Ulnaepiphyse und Metaphyse oder M. pronator quadratus im Radiusfrakturspalt)
Verfahren
je nach Frakturtyp des Radius: ESIN, Fixateur externe, selten Platte oder K-Drähte ESIN in Schaftmitte, wenn technisch die reponierte Fraktur sicher retinierbar Fixateur externe v.a. bei distalen Radiusfrakturen überlegen
Nachbehandlung
3 Wochen OA-Gips in Supination (zur Einstellung des distalen Radioulnargelenks), dann funktionell Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 2 Wochen Stellungskontrolle, nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
4 Wochen postoperativ bei K-Drähten und Fixateur externe; ESIN nach 3–4 Monaten, Platten 8–12 Wochen postoperativ (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
5–8 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Instabilität im DRUG mit rezidivierender Luxation oder Subluxationsstellung Einschränkung von Pro- und Supination chronische Schmerzen Kraftverlust
15
197 15.2 · Frakturen
Wachstumsstörung
als Folge der ulnaren Fugentraumatisierung evtl. Wachstumsstörungen mit chronischen Beschwerden im distalen Radioulnargelenk; Funktionsdiagnostik dann mit MRT, ggf. Arthroskopie des Handgelenks
Nachkontrollen
3- bis 4-wöchentlich bis zur freien Funktion, dann ½-jährlich bis zu 2 Jahre nach dem Trauma
Korrekturmöglichkeiten
Radiusosteotomie und erneute Osteosynthese im korrekten Längenverhältnis zum Radius zur Einstellung der distalen Ulna; ggf. nach Wachstumsabschluss Handgelenksarthroskopie und Débridement des TFC-Komplexes; Ulnaverkürzungsosteotomie oder Radiusverkürzungsosteotomie nach Wachstumsabschluss zur Wiederherstellung der Kongruenz im distalen Radioulnargelenk
Klassifikation
AO: 22-D/7.1-3
Technische Aspekte
Unterarm
LiLa: 2.2.s.2-4.2.
A Unterarmfraktur – ESIN elastische Federnägel der Größen 2,0/2,5/3,0 mm Implantatgröße sollte ein Drittel des Mark-
Material
raumdurchmessers betragen möglichst zwei Nägel mit gleichem Durchmesser zur gleichmäßigen Ausspannung und Ab-
stützung Rückenlage, röntgenstrahlendurchlässiger Armtisch an OP-Tisch, bewegliche Abdeckung
Lagerung
oberhalb des Ellenbogengelenks Zugang
Radius: → radiale Inzision von ca. 2–3 cm Länge, beginnend ca. 2 cm proximal der distalen Epiphysenfuge (⊡ Abb. 15.4) → Darstellung und Schonung des R. superficialis des N. radialis Alternative Eintrittsstelle: → dorsoradial zwischen 3. und 4. Strecksehnenfach nach Darstellung der Sehnen, hier Nagel über die Sehnen hinausstehen lassen; Cave: Sehne des M. ext. poll. long. Ulna: → Eintrittsstelle liegt ca. 2 cm distal der Olekranonapophyse, entsprechende Hautinzision unter Schonung der Apophyse (⊡ Abb. 15.5)
Spezielle Aufklärung
Verletzung des N. radialis superficialis bei Osteosynthese des Radius, bei dorsalem Eintritt
auch der Strecksehnen hohe Verletzungsgefährdung bei der Metallentfernung (Aufklärung!)
180 °
⊡ Abb. 15.4. ESIN am Unterarm; Zugang Radius.
⊡ Abb. 15.5. ESIN am Unterarm; Zugang Ulna.
15
198
Kapitel 15 · Unterarm
OP-Prinzip
symmetrische Aufspannung von zwei metaphysär eingebrachten elastischen Nägeln, die je-
weils drei Abstützpunkte im Knochen aufweisen und so zur Biegestabilität, axialen Stabilität, Translations- und Rotationsstabilität führen intramedulläre Stabilisierung formt Zugkräfte in Kompressionskräfte um und hilft so, die Kallusbildung zu unterstützen Metallentfernung
nach 3–4 Monaten
→ Nagelenden sauber darstellen → cave: N. radialis superficialis, der in der Narbe verwachsen sein kann! Sonstige Besonderheiten
keine
B Fraktur des distalen Unterarms – Kapandji-Spickung Prinzip
indirekte Aufrichtung der Fraktur, ohne die Epiphyse zu tangieren
Material
2 größenadaptierte K-Drähte (zumeist 1,4 mm)
Lagerung
Rückenlage, röntgenstrahlendurchlässiger OP-Tisch mit Armtisch, bewegliche Abdeckung
oberhalb des Ellenbogengelenks OP-Prinzip
radiale Inzision und Darstellung des N. radialis superior Einbringen eines K-Drahtes von proximal in den Frakturspalt Reposition der Fraktur in der Sagittalebene durch Führen des Drahtes nach distal Einbringen eines 2. K-Drahtes von dorsal in den Frakturspalt Reposition in der zweiten Ebene Stabilisierung durch Fassen der Gegenkortikalis Drähte perkutan belassen, um die Metallentfernung ohne erneute Narkose durchführen zu können
Alternatives Vorgehen perkutane K-Draht-Osteosynthese über den Processus styloideus radii; die Fuge darf hier je-
doch nicht mehrmals überbohrt werden (!) wegen der Gefahr eines vorzeitigen Fugenschlusses Spezielle Aufklärung
Verletzung des N. radialis superficialis bei Osteosynthese des Radius
Metallentfernung
nach 4 Wochen, ambulant, ohne notwendige erneute Narkose
Sonstige Besonderheiten
keine
C Monteggia-Verletzung – Osteosynthese der Ulna mit ESIN (s.o.) – Alternativ Osteosynthese der proximalen Ulna mit Platte
15
Material
größenadaptierte Plattenosteosynthese (z.B. 2,4 mm) Hand- oder Fußimplantat
Lagerung
Rückenlage, röntgenstrahlendurchlässiger OP-Tisch mit Armtisch, bewegliche Abdeckung
oberhalb des Ellenbogengelenks Zugang
Posteriorer Zugang zum Ulnaschaft:
1. Inzision über der dorsalen Ulnakante 2. Spaltung der Unterarmfaszie und des Periosts zwischen dem M. flexor carpi ulnaris und dem M. extensor carpi ulnaris 3. Subperiostales Ablösen des M. flexor carpi ulnaris und Seitverlagerung 4. Ablösen des M. extensor carpi ulnaris und des M. anconaeus Anterolateraler Zugang zum Radiuskopf bei notwendiger offener Reposition des
Radiuskopfes 1. Inzision vom lateralen Epicondylus Richtung Ulnakante laufend 2. Inzision der Faszie zwischen M. extensor digitorum und dem M. extensor carpi radialis 3. Inzision der Kapsel in Längsrichtung Spezielle Aufklärung
Verletzung des N. radialis im Supinatorschlitz
199 15.2 · Frakturen
OP-Prinzip
Reposition des Radiuskopfes durch Stabilisierung der Ulnafraktur in anatomischer Stellung
Metallentfernung
nach definitiver Konsolidierung, zumeist nach 3–4 Monaten
Korrekturmöglichkeiten
Ulnaosteotomie und erneute Osteosynthese im korrekten Längenverhältnis zum Radius bei
reponiertem Radiuskopf, um die Spontankorrektur der Ulna auszugleichen; anspruchsvolle Verfahren, am besten mit Fixateur externe, zweizeitig Korrekturosteotomie der Ulna zur Reposition des Radiuskopfes: Aufklärung über Aufwand und Möglichkeiten sowie Grenzen der Korrekturosteotomie! Bei Korrektur innerhalb von wenigen Wochen nach übersehener Monteggia-Verletzung einzeitig: Um die Spontankorrektur der Ulna adäquat auszugleichen, erfolgt die erneute Osteosynthese bei reponiertem Radiuskopf, d.h. 1. Einbringen eines Fixateur externe soweit proximal wie möglich in die Ulna, der in allen Ebenen frei beweglich ist 2. Osteotomie der Ulna 3. Offene Reposition des Radiuskopfes nach Débridement störender Weichteile aus der Radiusloge (Reste des Lig. anulare) 4. Stabilisation des Radiuskopfes in der Loge (z.B. mit stumpfem Hohmann- Hebel) und Fixation des Fixateurs unter maximaler Pronation 5. Gleiches Vorgehen in den anderen Bewegungsebenen, bei erneuter Luxation des Radiuskopfes in einer anderen Bewegungsebene, erneutes Öffnen des Fixateurs, Reposition des Kopfes und Stabilisierung des Fixateurs. Als Resultat muss der Radiuskopf bei allen Bewegungen stabil reponiert bleiben Beachtung der korrekten Länge der Ulna zum Radius Bei verspäteter Korrektur einer Monteggia-Verletzung mit Überlänge des Radius: Hier ist ein zweizeitiges Vorgehen erforderlich. Nach Osteotomie der Ulna und Montage des Fixateur externe zuerst Distraktion der Ulna. Im zweiten Eingriff korrekte Angulation der Ulna mit Einstellung des Radiuskopfes im proximalen Radioulnargelenk. Belassen des Fixateur externe bis zur knöchernen Ausheilung der Ulna bei korrekt stehendem Radiuskopf Nachbehandlung
funktionell
Metallentfernung
nach definitiver Konsolidierung, zumeist nach 3–4 Monaten
15
200
Kapitel 15 · Unterarm
15.2.6 Fallbeispiele
Fall 15.1 Grünholzfraktur, Mädchen, 5 J., Sturz beim Spielen auf die linke Hand.
a,b Unfallbilder. c–d Osteosynthese mittels ESIN nach Überbrechen der Fraktur am Unfalltag. e,f Ausheilungsbilder.
15
201 15.2 · Frakturen
Fall 15.2 Komplette Unterarmschaftfraktur, Junge, 10 J., Sturz vom Klettergerüst auf die linke Hand.
a,b Unfallbilder. c,d Osteosynthese mittels ESIN.
Fall 15.3 Monteggia-Verletzung, Junge, 8 ½ J., Sturz vom Dach des Gartenhauses auf den linken Arm.
a,b Unfallbilder. c,d Mini-Plattenosteosynthese der Ulna mit geschlossener Reposition des Radiuskopfes, da unter konservativer Retention eine stabile Reposition des Radiuskopfes nicht möglich ist.
15
202
Kapitel 15 · Unterarm
Fall 15.4 Verspätet diagnostizierte Monteggia-Verletzung, Mädchen, 10 J., Freizeitunfall.
a,b Unfallbilder. c,e Korrekturosteotomie der Ulna und Osteosynthese mittels Fixateur externe.
Fall 15.5 Distale offene Radiusfraktur 2. Grades und Bowing der Ulna, Junge, 2 ½ J., Fenstersturz aus 6 m Höhe, begleitende Verletzung Schädelbasisfraktur ohne neurologisches Defizit.
15
a,b Unfallbilder. c,d Osteosynthese mittels Fixateur externe. e,f Verlauf nach 6 Wochen.
203 15.2 · Frakturen
Fall 15.6 Komplette, dislozierte distale Radiusfraktur, Mächen, 10 J., Sturz von einer Rutsche auf den rechten Arm.
a
b
c
a Unfallbild. b,c Versorgung nach Reposition mit K-Drähten.
Fall 15.7 Galeazzi-Fraktur bei kompletter Radiusschaftfraktur, Mädchen, 2 J., Fenstersturz aus 5 m Höhe.
a,b Unfallbilder. c,d Gipskeilung nach Abschwellung bei initialem Achsfehler >20°. e,f Ausheilungsbilder.
15
204
Kapitel 15 · Unterarm
Fall 15.8 Galeazzi-Verletzung, Junge, 14 J., Sturz von einer Erhöhung nach hinten auf beide Arme.
a,b Unfallbilder. c,d korrekte Längeneinstellung des Radius durch Platte. e,f gute Ausheilung und Funktion.
15
16
Hand J. Frank und I. Marzi
16.1
Frakturen der Handwurzel – 206
16.1.1 16.1.2 16.1.3 16.1.4 16.1.5 16.1.6 16.1.7
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Klassifikation – 207 Besonderheiten – 208 Diagnostik – 208 Konservative Therapie – 209 Operative Therapie – 209 Komplikationen/Wachstumsstörungen – 209
16.2
Mittelhandfrakturen
16.2.1
16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5 16.2.6 16.2.7 16.2.8
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Klassifikation – 211 Besonderheiten – 211 Diagnostik – 211 Therapieziel/Korrekturgrenzen – 212 Konservative Therapie – 212 Operative Therapie – 213 Komplikationen/Wachstumsstörungen – 213
16.3
Fingerfrakturen und Fingerluxationen – 217
16.3.1
16.3.2 16.3.3 16.3.4 16.3.5 16.3.6 16.3.7 16.3.8 16.3.9
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Klassifikation – 217 Besonderheiten – 217 Diagnostik – 218 Therapieziel/Korrekturgrenzen – 219 Konservative Therapie – 220 Operative Therapie – 220 Komplikationen/Wachstumsstörungen – 222 Nachkontrollen – 222
16.4
Fallbeispiele
– 224
– 206
– 211 – 211
– 217
206
Kapitel 16 · Hand
16.1
Frakturen der Handwurzel
16.1.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und
klinisches Bild Handwurzelverletzungen beim Kind sind selten und Frakturen der Handwurzel machen etwa 0,4% aller kindlichen Knochenbrüche aus. Die Skaphoidfraktur findet sich meist in einem Alter zwischen 15 und 30 Lebensjahren, beim Kind hauptsächlich zwischen dem 10. und 15. Lebensjahr. In den letzten Jahren haben Handwurzel- und Bandverletzungen eine zunehmende Beachtung erfahren. Hierzu haben auch die verbesserte Bildgebung (MRT) und die Erfahrungen mit der Handgelenksarthroskopie beigetragen.
⊡ Abb. 16.1a–d. Distale Skaphoidfraktur.
16
⊡ Abb. 16.2a,b. Perilunäre Luxation.
Da der Handwurzelkomplex beim Kind im Wesentlichen aus Knorpel besteht, treten hier nur selten Frakturen und Bandrupturen auf. Mit zunehmendem Alter kommt es zur Ossifikation und dann beim Jugendlichen bzw. Heranwachsenden zu ähnlichen Verletzungsmustern wie beim Erwachsenen. So sind in diesem Altersabschnitt auch ischämische Knochennekrosen beispielsweise des Os lunatum möglich. Der Verletzungsmechanismus im Bereich der Handwurzel ist meist ein Sturz vom Fahrrad oder beim Skaten. Die Kombination mit einer distalen Radiusfraktur ist häufig, und Frakturen finden sich im Wesentlichen am Skaphoid und Lunatum.
207 16.1 · Frakturen der Handwurzel
⊡ Tab. 16.1. Klassifikation der Handwurzelverletzungen nach Larsen et al. Kategorie I Chronizität
Kategorie II Konstanz
Kategorie III Ätiologie
Kategorie IV Lokalisation
Kategorie V Richtung
Kategorie VI Muster
akut <1 Woche subakut chronisch >6 Wochen
statisch nicht zu reponieren statisch, jedoch zu reponieren dynamisch prädynamisch
kongenital traumatisch inflammatorisch arthritisch neoplastisch iatrogen sonstiges
radiokarpal proximal-interkarpal distal-interkarpal karpometakarpal spezifische Knochen
VISI – Rotation DISI – Rotation ulnare Translation radiale Translation palmare Translation dorsale Translation proximale Translation distale Translation
dissoziative karpale Instabilität (CID) nondissoziative karpale Instabilität (CIND) komplexe karpale Instabilität (CIC) adaptiver Karpus (CIA)
⊡ Tab. 16.2. Klassifikation der Handwurzelverletzungen – Mayo-Klassifikation nach dem Muster der Verletzung Muster
Verletzung
I. CID
proximale karpale Reihe CID (Skaphoidfraktur; SL-Dissoziation; LTq-Dissoziation) distale karpale Reihe CID (axial radiale Zerreißung, axiale ulnare Zerreißung) kombinierte proximale u. distale CID
II. CIND
radiokarpale CIND (palmare Bandruptur, dorsale Bandruptur) midkarpale CIND (ulnare MCI-, radiale MCIund kombinierte MCI-palmare Bandläsion, MCI-dorsale Bandläsion) kombinierte radiokarpale midkarpale CIND
III. CIC
perilunäre u. radiokarpale Instabilität perilunäre u. axiale Instabilität radiokarpale u. axiale Instabilität SL-Dissoziation u. ulnotriquetrale Dissoziation
IV. Adaptiver Karpus
Fehlstellung mit fehlverheilter/nicht verheilter Radius-, Skaphoid-, Lunatumfraktur; Fehlstellung bei Madelung-Deformität
CID: karpale Instabilität dissoziativ; CIND: karpale Instabilität nondissoziativ; CIC: komplexe karpale Instabilität; S: Skaphoid; L: Lunatum; Tq: Triquetrum
⊡ Tab. 16.3. Klassifikation häufigerer (Skaphoid, Kapitatum, Triquetrum) und komplikationsreicher Handwurzelfrakturen (Lunatum, Hamatum) Skaphoid Typ A
stabile Fraktur A1 Tuberkulumfraktur A2 inkomplette Fraktur der Taille
Typ B
instabile Fraktur B1 distal oblique Fraktur B2 komplette Fraktur der Taille B3 proximale Polfraktur B4 perilunäre Luxationsfraktur
Typ C
verzögerte Heilung
Typ D
Pseudarthrose
Lunatum Typ I
Fraktur des palmaren Pols
Typ II
Knochenabsprengung
Typ III
Fraktur des dorsalen Pols
Typ IV
sagittale Lunatumfraktur
Typ V
transversale Lunatumfraktur
Triquetrum dorsale Avulsionsfraktur Korpusfraktur
16.1.2 Klassifikation
Die Einteilung der Frakturen im Bereich der Handwurzelknochen entspricht der des Erwachsenen, wobei die Frakturen in den entsprechenden Ossifikationszentren auftreten. Daher finden sich beim Kind häufiger distale Frakturen z.B. beim Skaphoid, da dort die Verknöcherung beginnt (⊡ Abb. 16.1a–d). Die Klassifikation ist streng auf die einzelnen Handwurzelknochen abgestimmt, die dann die Frakturanatomie beschreiben. Komplexere Verletzungen mit Bandinstabilitäten finden sich im Adoleszentenalter, so auch die perilunären Luxationsfrakturen (⊡ Abb. 16.2a,b). Sie werden dann ebenfalls analog zum Erwachsenen eingeteilt. Insbesondere bei den komplexen Handwurzelverletzungen mit Zerreißung der interossären Bänder und anschließender Verkippung
Hamatum Korpusfraktur Gelenkflächenfraktur Hamulusfraktur Kapitatum proximale Polfraktur Korpusfraktur transskaphoidäre, transkapitäre Fraktur
der Handwurzelknochen hat sich die Einteilung nach der Mayo-Klinik entsprechend dem Verletzungsmuster durchgesetzt (⊡ Tab. 16.1, ⊡ Tab. 16.2). Eine Klassifikation häufiger (Skaphoid, Kapitatum, Triquetrum) und komplikationsreicher Handwurzelfrakturen (Lunatum, Hamatum) ist in ⊡ Tab. 16.3 aufgeführt.
16
208
Kapitel 16 · Hand
16.1.3 Besonderheiten
16.1.4 Diagnostik
Nach der Geburt ist der gesamte Karpus knorpelig angelegt und die schrittweise Ossifikation verläuft nach einem festen Muster mit leichten Abweichungen zwischen Mädchen und Jungen. Das Ossifikationszentrum des Kapitatums ist zuerst sichtbar, gefolgt vom Hamatum. Dann werden mit 1½–2½ Jahren das Triquetrum, mit 4 Jahren das Lunatum und mit 4–5 Lebensjahren Trapezium, Trapezoid und Skaphoid erkennbar. Der Ossifikationskern des Pisiforme ist etwa zum 10. Lebensjahr sichtbar, und die gesamte Ossifikation der Handwurzel ist etwa mit 15 Lebensjahren abgeschlossen (⊡ Abb. 16.3). Da das Skaphoid von distal nach proximal ossifiziert, erscheint der Gelenkspalt zwischen Lunatum und Skaphoid beim Kind weit (Pseudo-Terry-Thomas-Zeichen). Er beträgt etwa im Alter von 7 Jahren 9 mm, um dann ca. 3 mm mit 15 Jahren zu erreichen. Dies kann die Beurteilung von Bandverletzungen erschweren. Gerade auch bei der Skaphoidfraktur des Kindes zeigt sich die Besonderheit der Ossifikationssequenz. Etwa die Hälfte aller Frakturen tritt im distalen Drittel auf, und dabei ist die dorsoradiale Avulsionsfraktur die häufigste. Ein Drittel der Frakturen befinden sich in der Taille des Skaphoids und entstehen durch größere Krafteinwirkung. Daher muss auf Begleitverletzungen, wie z.B. die Kapitatumfraktur, geachtet werden.
Bei einer geeigneten Unfallanamnese sowie entsprechender Schwellung und Schonhaltung des Handgelenks muss neben der distalen Radiusfraktur auch eine Handwurzelverletzung ausgeschlossen werden. Der typische Druckschmerz über dem entsprechenden Handwurzelknochen ist oft wegen der Größenverhältnisse schwierig auszumachen, zumal die Strukturen durch die Fettverteilung verstrichen sein können. Die typischen Stresstests (z.B. Watson-Test, skapholunäres Ballotement, lunotriquetrales Ballotement) sind nur selten beim Kind möglich und müssen bei den im Kindes- u. Jugendalter noch laxen Bändern mit Vorsicht interpretiert werden. Dies darf aber nicht als Ausrede benutzt werden, um eine komplette Untersuchung zu umgehen. Die spezifischen Strukturen wie die Tabatière und auch der distale Skaphoidpol können getastet werden, und das Beklopfen mit der Fingerkuppe kann als hilfreicher Provokationstest dienen. Die Untersuchung wird dann durch die Überprüfung der Beweglichkeit ergänzt. Hier kann der Vergleich zur Gegenseite besonders hilfreich sein, um die Beweglichkeit der Handwurzel auf der Radiusgelenkfläche und dem ulnaren Handgelenkkompartment zu beurteilen. Zur Problematik der Handwurzeldiagnostik kommt hinzu, dass der Abstand zwischen den einzelnen ossifizierenden Knochen mit dem Alter variiert und damit eine korrekte Abstands- und Achsbestimmung schwierig ist. Durch die fehlende Verknöcherung kann auf den Standardröntgenaufnahmen leicht eine Verletzung bzw. Fraktur der Handwurzelknochen übersehen werden. Häufiger sind Skaphoid-, Kapitatum- und Lunatumverletzungen. Beim Skaphoid muss besonders auf das distale Drittel geachtet werden. Bei entsprechendem Trauma und klinischem Verdacht sollte dann eine erneute Röntgenuntersuchung nach 1–2 Wochen, kombiniert mit einer zusätzlichen dorsopalmaren Aufnahme in Pronation-Ulnardeviation, erfolgen oder eine MRT durchgeführt werden (⊡ Abb. 16.1). Wesentliches Therapieziel bei Handwurzelverletzungen beim Kind ist wie beim Erwachsenen die Wiederherstellung der Stabilität der Handwurzel. Eine Unterbrechung der Belastungskette führt zu schweren Funktionseinschränkungen. Je nach Frakturlokalisation und Dislokationsgrad muss zwischen konservativer und operativer Therapie abgewogen werden. Für den Dislokationsgrad kann hier wie beim Erwachsenen die 1-mmGrenze als Anhalt benutzt werden. Es muss bedacht werden, dass diese Verletzungen im Zusammenhang mit der zunehmenden Ossifikation auftreten und damit meist beim Heranwachsenden vorkommen. Korrekturgrenzen können nicht im Detail angegeben werden. Es ist aus Fallberichten bekannt, dass bis zu einem Alter von etwa 10 Jahren ein Remodeling möglich ist. Die Primärbehandlung richtet sich nach den Symptomen, und es muss
16
⊡ Abb. 16.3. Ossifikationskerne der Hand.
209 16.1 · Frakturen der Handwurzel
bis zur definitiven Diagnosestellung eine Ruhigstellung mittels Gipsschiene, auch zur Schmerztherapie, erfolgen.
16.1.5 Konservative Therapie
Häufiger auftretende distale Skaphoid- und Avulsionsfrakturen des distalen Pols können konservativ behandelt werden. Gleiches gilt auch für nicht dislozierte Kapitatumfrakturen, die die zweithäufigste Fraktur der Handwurzelknochen beim Kind ist. Die Kapitatumfraktur findet sich seltener isoliert. Sie kommt eher noch in Kombination mit einer Skaphoidfraktur vor und wird dann als skaphokapitäres Syndrom bezeichnet. Im Extremfall führt dieses Verletzungsmuster noch zu einer Hamatumfraktur. Erwähnenswert ist die – auch beim Erwachsenen vorkommende – Triquetrumfraktur. Es handelt sich dann meist um eine dorsale Avulsionsfraktur des Triquetrums durch Sturz auf die ausgestreckte Hand und mit gleichzeitiger Ulnardeviation. Dadurch kommt es zum Impingement der Handwurzel an die distale Ulna. Es erfolgt die Ruhigstellung im Unterarmgips mit Daumeneinschluss für 4–6 Wochen. Bei Kleinkindern ist üblicherweise ein Oberarmgips indiziert, da der Unterarmgips abfallen würde. Wird die Fraktur verspätet erkannt – nach mehr als 10 Tagen – so sollte die Ruhigstellung auf 10 Wochen ausgedehnt werden. Nach Abschluss der Gipsbehandlung wird funktionell nachbehandelt. Eine Physiotherapie wird bei inkomplettem Faustschluss oder persistierender deutlicher Bewegungseinschränkung über 2 Wochen eingeleitet. Das Handgelenk sollte für 3 Monate nicht über 5 kg belastet werden. Im Anschluss daran ist normaler Sport möglich, jedoch sollten Kontakt- bzw. Kampfsportarten und sportliche Aktivitäten mit übermäßiger Belastung für die Hand (Tennis) für 6 Monate nicht durchgeführt werden.
16.1.6 Operative Therapie
Eine operative Behandlung erfolgt bei instabilen und dislozierten Handwurzelfrakturen. Meist handelt es sich dabei um Skaphoid- bzw. Kapitatumfrakturen. Das Verfahren der Wahl bei kindlichen Handwurzelfrakturen ist die K-Draht-Osteosynthese (⊡ Abb. 16.4). Bandverletzungen, wie die SL-Dissoziation, werden durch eine Bandnaht und eine temporäre K-Draht-Transfixation für 6 Wochen operativ behandelt. Die Transfixation sollte zwei Gelenke sichern. Im Fall der SL-Dissoziation ist daher eine Transfixation des skapholunären und des skaphokapitären Gelenks erforderlich. Die Osteosynthese wird mit einer Gipsruhigstellung von 6 Wochen mit Daumeneinschluss kombiniert. Dazu ist je nach Alter ein Unterarm- oder Oberarmgips geeignet.
⊡ Abb. 16.4. K-Draht-Osteosynthese Skaphoidfraktur.
Nach Abschluss der Gipsbehandlung wird funktionell nachbehandelt. Eine Physiotherapie wird bei inkomplettem Faustschluss oder persistierender deutlicher Bewegungseinschränkung über 2 Wochen eingeleitet.
16.1.7 Komplikationen/Wachstumsstörungen
Auch bei kindlichen Verletzungen der Handwurzel muss auf die klassischen Komplikationen wie Pseudarthroseentwicklung und aseptische Knochennekrose geachtet werden. Diese werden in einzelnen Fällen am Lunatum (Morbus Kienböck) bzw. proximalen Skaphoid (Morbus Preiser) beobachtet. Bei persistierender Handwurzelinstabilität kann es zu einer fixierten Fehlstellung im Bereich der Handwurzel kommen. Hier ist die palmare Flexion und Subluxation des Lunatums nach distaler Radiusfraktur bekannt ( Fall 16.2). Bei der konservativen Therapie der instabilen Skaphoidfraktur kann es zu einer Fehlheilung in Flexionsstellung und konsekutiven dorsalen Verkippung des Lunatums kommen. Hier findet sich ein wesentlicher Unterschied zum Erwachsenen. Bis zu einem Alter von etwa 10 Jahren kann sich eine solche Flexionsstellung korrigieren. Beim Kind gilt auch, dass die beiden Komplikationen Pseudarthrose und Knochennekrose noch gut auf eine verlängerte Ruhigstellung ansprechen und zur Ausheilung gebracht werden können. Nach operativen Maßnahmen muss auf Sehnen- und Nervenirritationen geachtet werden. Bei einem volaren Zugang zum Skaphoid kann z.B. die Sehne des M. flexor carpi radialis irritiert sein oder aber auch die Sehne des M. flexor pollicis longus. Bei Erwachsenen sind Rupturen nach knöchernen Ausziehungen im Bereich der Handwurzelknochen beschrieben. Der häufig gewählte dorsale Zugang zur Handwurzel bei z.B. Bandverletzungen, proximalen Skaphoidfrakturen oder Problemen im Bereich des Lunatums kann insbesondere zu einer Irritation der Sehne des M. extensor pollicis longus führen. Die sehr
16
210
Kapitel 16 · Hand
oft angewandte Stabilisierung der Handwurzel mittels KDrähten birgt die Gefahr einer Verletzung der Hautäste der Nn. radialis und ulnaris. Die Langzeitprognose ist hier beim Kind jedoch deutlich besser, und es kann mit einer Ausheilung gerechnet werden. Konservativ und operativ behandelte Handwurzelverletzungen sollten nach 6 Monaten und nach Ablauf von
einem Jahr nochmals klinisch und radiologisch nachkontrolliert werden. Hier muss auf Fehlstellungen und z.B. am Skaphoid auf Zystenbildungen, die eine Refraktur oder Pseudarthrose befürchten lassen, geachtet werden. Andere Komplikationen – wie eine aseptische Knochennekrose – können damit auch frühzeitig erfasst und ggf. rechtzeitig behandelt werden.
Skaphoidfraktur
Besonderheiten
Meist erst ab dem 15. Lebensjahr mit Ossifikation des Skaphoid, daher häufiger distale Frakturen
Diagnostik
Typische Klinik, Röntgenaufnahmen des Handgelenks in 2 Ebenen, ggf. dorsopalmare Aufnahme in Pronation-Ulnardeviation, NMR
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Anatomische Reposition, Belastbarkeit der Handwurzel, Vermeidung von Osteonekrosen
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei den häufigeren distalen Skaphoidfrakturen
Verfahren
Unterarmgips mit Daumeneinschluss, bei Kleinkindern Oberarmgips mit Daumeneinschluss, Ruhigstellung für 4–6 Wochen bei verspäteter Diagnose bis 10 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 10.–12. Woche, nach verzögerter Behandlung bis zur 16. Woche
Rx-Kontrolle
Nach 2 Wochen und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 12 Wochen
Operative Therapie
16
Indikation
Dislokation über 1–2 mm und Instabilität
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese, bei Jugendlichen ggf. Schraubenosteosynthese
Nachbehandlung
Je nach Alter Unter- oder Oberarmgips mit Daumeneinschluss für 6 Wochen, dann funktionelle Behandlung und Belastungsaufbau bis zur 12. postoperativen Woche
Rx-Kontrolle
Nach ca. 2 Wochen beim Gipswechsel und vor Metallentfernung nach 6 Wochen
Metallentfernung
K-Drähte nach 6 Wochen, Schrauben werden in der Regel belassen
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 12 Wochen, bei übermäßiger Belastung der Hand nach 6 Monaten
Komplikationen
Pseudarthrose, Knochennekrose
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
211 16.2 · Mittelhandfrakturen
16.2
Mittelhandfrakturen
16.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und
klinisches Bild Historisch betrachtet waren Frakturen der Mittelhand und Finger bei Kindern die Domäne der konservativen Therapie. Einige der Frakturen benötigen jedoch ein aggressiveres Vorgehen, um ein besseres Ausheilungsergebnis zu erreichen. Es muss dabei betont werden, dass die Hand der am meisten verletzte Körperabschnitt des Kindes ist. Verschiedene Risikountersuchungen ergaben eine Inzidenz über 0,25% für kindliche Frakturen des Handskeletts. Der knorpelige Knochen ist anfangs relativ stabil, und Frakturen sind entsprechend selten zu finden. Ab etwa dem 8. Lebensjahr steigt die Anzahl deutlich an mit einem Häufigkeitsmaximum im Alter von 13 Jahren. Dies scheint allerdings nicht nur an der zunehmenden Verknöcherung zu liegen, sondern auch an der höheren Aktivität und der Ausübung risikoreicherer Sportarten. Es spiegelt sich darin wieder, dass deutlich mehr Jungen betroffen sind. Bei den sportlichen Aktivitäten gehört American Football an die Spitze, aber auch Basketball, Ringen, Hockey und Skifahren müssen erwähnt werden. Bei bestimmten Verletzungsmustern muss aber auch an die Möglichkeit einer körperlichen Misshandlung gedacht werden.
16.2.2 Klassifikation
Die Verletzungen im Bereich der Epiphysenfuge werden nach Aitken bzw. Salter-Harris klassifiziert. Hierzu wird entsprechend der Frakturanatomie eingeteilt und zwischen intraartikulärer und extraartikulärer Fraktur unterschieden. Hinzu kommt die Einteilung nach der Stabilität in stabile und instabile Frakturen. Eine weitere Einteilung berücksichtigt die Lokalisation der Fraktur. Frakturen des Mittelhandkopfes: ▬ Epiphysenfraktur (Salter-Harris Typ III) ▬ Bandavulsion ▬ osteochondrale Abscherung ▬ Boxerfraktur ▬ Zwei-Fragment-Fraktur (sagittal, koronal, transversal) ▬ Trümmerfraktur ▬ Defektfraktur ▬ Kompressionsfraktur mit avaskulärer Nekrose Frakturen im Schaftbereich: ▬ einfache Fraktur, Trümmerfraktur, Kompressionsfraktur, Defektfraktur ▬ Querfraktur, Schrägfraktur, Spiralfraktur, Avulsionsfraktur.
16.2.3 Besonderheiten
Epiphysen finden sich an beiden Enden der Mittelhandknochen, es bildet sich allerdings kein sekundäres Ossifikationszentrum an der proximalen Mittelhand. Seitbänder und palmare Platte des Metakarpophalangealgelenks (MCP-Gelenk) setzen nahezu ausschließlich an den gegenüberliegenden Epiphysen an. Damit ist die Wachstumsfuge wenig von Weichteilen geschützt und so erklärt sich der hohe Anteil an Salter-Harris-II- und -III-Frakturen. Dies ist anders im Bereich der Fingerzwischengelenke (IP-Gelenke).
16.2.4 Diagnostik
Die Diagnostik erfordert zunächst die genaue Erhebung der Unfallanamnese, frühere Verletzungen, bekannte Fehlbildungen und sonstige Erkrankungen. Gerade auch Fehlbildungen können die Diagnostik erschweren, eine Brachydaktylie kann z.B. eine frakturbedingte Verkürzung der Mittelhandknochen simulieren. Die klinische Untersuchung der verletzten Hand ist gerade beim Kind besonders schwierig. Der Patient ist oftmals nicht kooperativ, weint und ist von Schmerzen geplagt. Hinzu kommen die Angst des Kindes und die häufig begleitende Verunsicherung der Eltern bzw. Begleitpersonen. Spezifische Tests zur Beurteilung der Handfunktion und der Stabilität von Gelenken sowie Knochen sind schwierig durchzuführen. Die besondere Laxizität der Bandstrukturen, das lockere Bindegewebe und die Fettpolsterung der kleinen Hand erschweren die Beurteilung. Letztlich besteht meist auch eine enorme Größendiskrepanz zwischen der Hand des Patienten und der des Untersuchers. Damit wird die genaue Zuordnung von Schmerzpunkten nahezu unmöglich. Die Untersuchung beginnt mit dem Betreten des Behandlungsraums. Das Verhalten, der Gebrauch der Extremität und die Interaktion von Kind und Begleitperson müssen genau beobachtet werden. Bereits frühzeitig im Untersuchungsgang muss die Möglichkeit der Sedierung und Anästhesie in Betracht gezogen werden. Es ist daher wesentlich, frühzeitig neurologische Defizite zu erfassen. Die besonders wertvolle Erfassung der 2-Punkte-Diskriminierung ist oftmals nicht möglich. Bei offenen Verletzungen wird in einer Region, in der Nervenverletzungen häufig sind, dann die operative Revision erforderlich. Bei geschlossenen Verletzungen im Bereich der Hand und Finger kann beim Kind meist von einer Erholung ausgegangen werden. Die Beurteilung der Schwellung und der Ausschluss eines Kompartmentsyndroms sind hier vorrangig. Hilfreich kann bei besonderer Fragestellung der »Wrinkletest« sein. Die Finger werden dabei für 5 Minuten in warmem Wasser gebadet, und die Faltenbil-
16
212
Kapitel 16 · Hand
dung (innerviert) bzw. das Ausbleiben der Faltenbildung (denerviert) liefern wichtige Hinweise. Kann dann eine adäquate Sedierung bzw. Betäubung durchgeführt werden, sind die Untersuchung und weitere Diagnostik oft einfacher, die Hand kann besser positioniert werden und Überlappungen bei der Röntgendiagnostik, die für die meisten knöchernen Verletzungen im Bereich der Hand ausreicht, können vermieden werden.
16.2.5 Therapieziel/Korrekturgrenzen
Bei der Therapiewahl von Frakturen im Bereich der Hand müssen die Auswirkungen und die Korrekturpotenz von traumatischen Deformitäten im Bereich der Mittelhand und Finger ihre Berücksichtigung finden. Sagittale Abkippungen nach subkapitalen und Schaftfrakturen können gut korrigiert werden, und einige Autoren akzeptieren hier Fehlstellungen nach subkapitalen Frakturen bis zu 70° bei kleinen Kindern. Verkürzungen und Rotationsfehler können nicht ausgeglichen werden. Unter Beachtung der Funktion können durchaus Maßstäbe wie beim Erwachsenen benutzt werden. Es muss beachtet werden, dass ein Rotationsfehler von 1° eine Rotation der Fingerspitze von 5° verursacht, ein Rotationsfehler von 5° ein Übereinanderschlagen der Finger von bis zu 1,5 cm provozieren kann oder eine Verkürzung von 2 mm ein Extensionsverlust von 7° zur Folge hat. Ziel der Therapie sollte daher sein, eine sagittale Abkippung >30°, einen Rotationsfehler im Bereich der Fingerkuppe >10° und eine Verkürzung des Fingers >5 mm zu verhindern.
16.2.6 Konservative Therapie
16
Verletzungen der Mittelhandknochen ohne wesentlichen Rotationsfehler (<10°), Abknickung (<30°) bzw. Längenverlust (<5 mm) können konservativ behandelt werden. Eine Reposition z.B. einer Schaftfraktur kann dann konservativ behandelt werden, wenn sie in den Korrekturgrenzen keine Dislokationstendenz mehr aufzeigt. Die Erfahrung zeigt, dass instabile subkapitale Frakturen der Mittelhandknochen, die primär reponiert und durch den Gips gehalten werden, wieder in ihre primäre Fehlstellung zurückkehren. Dies kann zwar durch eine funktionelle Behandlung vermieden werden, was sich aber lediglich beim Adoleszenten, nicht bei einem Kind unter 10–12 Jahren realisieren lässt. Die Schrägfraktur, die ein hohes Risiko für einen Rotationsfehler in sich birgt, muss streng kontrolliert werden, heilt aber durch den großen Knochenkontakt sehr schnell bei suffizienter Immobilisierung. Eine Querfraktur im Schaftbereich kann sehr schwierig im Gips zu behandeln sein, und eine gute frühe
⊡ Abb. 16.5. Nicht dislozierte und unkomplizierte Basisfraktur des 2. Mittelhandknochens.
⊡ Abb. 16.6. Subkapitale Mittelhandknochenfraktur ohne relevante Dislokation.
Nachbeobachtung muss die Entscheidung bringen, ob eine konservative Therapie adäquat ist. Das Verfahren der Wahl ist die Ruhigstellung mittels Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger (Beugung der Fingergrundgelenke bis 70° und komplette Extensions der Langfinger bei einer Handgelenkextension von ca. 20–30°). Bei Kleinkindern ist dies wegen der kleinen Handgröße nicht möglich, und ein Faustgips kann gewählt werden. Der Gips sollte für 3 Wochen, bei Querfrakturen des Schafts 4 Wochen belassen werden. Unkomplizierte Brüche wie Wulstbrüche, nicht dislozierte subkapitale Mittelhandfrakturen (⊡ Abb. 16.5) sowie stabile Basisfrakturen (⊡ Abb. 16.6) erfordern neben der klinischen Kontrolle keine weiteren Röntgenaufnahmen. Schrägfrakturen, Querfrakturen im Schaft-
16
213 16.2 · Mittelhandfrakturen
bereich und Frakturen, die primär reponiert wurden, sollten nach einer Woche und nach Gipsabnahme geröntgt werden.
16.2.7 Operative Therapie
Verletzungen der Karpometakarpalgelenke (CMC-Gelenke) bzw. der Basis der Langfinger sind selten und sollten bei Beteiligung von zwei und mehr Gelenken mit Luxation zusätzlich durch K-Drähte stabilisiert werden. Am Daumen finden sich häufiger Verletzungen im Bereich des CMC-Gelenks, am ehesten metaphysäre Frakturen (Salter-Harris II) an der Basis und seltener BennettFrakturen durch die Epiphyse (Salter-Harris III). Die metaphysäre Basisfraktur kann bei der häufigen lateralen Abknickung reponiert und im Gips ausbehandelt werden. Sollte das Fragment bzw. Periost die Reposition behindern oder es sich um eine mediale Abknickung handeln, wird eher eine offene Reposition notwendig werden. Dabei wird eine K-Draht-Osteosynthese durchgeführt. Auch die Bennett-Fraktur im Kindesalter erfordert eine anatomische Reposition. Schaftfrakturen und subkapitale Mittelhandfrakturen, die zu einem relevanten Drehfehler führen oder aber zu einer deutlichen Verkürzung und nach Reposition nicht stabil im Gips gehalten werden können, werden ggf. offen reponiert und dann mittels K-Drähten stabilisiert. Gelenkfrakturen erfordern bei Dislokation >1 mm ein offenes Vorgehen mit Stabilisierung. Verletzungen der CMC-Gelenke der Langfinger oder des Daumens werden bei entsprechender Indikation mittels K-Draht-Osteosynthese nach Reposition (geschlossen oder offen) stabilisiert. Bei offenen Fugen kann dabei eine Stabilisierung durch Platzierung des K-Drahtes in den Nachbarstrahl erfolgen. Bei der Bennett-Fraktur können dünne K-Drähte, die parallel zur Fuge eingebracht werden, die Epiphysenfragmente fixieren. Nahe der Skelettreife kann eine transartikuläre K-Draht-Osteosynthese erfolgen. Schaftfrakturen können durch gekreuzte K-Drähte über den Kollateralrezessus am Mittelhandkopf stabilisiert werden, subkapitale Frakturen durch intramedulläre Schienung über die Basis der Mittelhandknochen. Alternativ kann immer eine intermetakarpale Fixierung gewählt werden. Bei Gelenkfrakturen erfolgt die Stabilisierung alternativ mit K-Drähten oder speziellen Minischrauben. Bei multiplen Frakturen der Mittelhandknochen kann auch die Stabilität der Mittelhand mittels Plattenosteosynthese wieder hergestellt werden (⊡ Abb. 16.7). Neue dünne Systeme tragen dabei nur wenig auf und stören daher kaum die Weichteile. Bei Kleinkindern ist diese Art der Versorgung jedoch nicht möglich.
a
b
c
⊡ Abb. 16.7a–c. Schaftfraktur des 3., 4. und 5. Mittelhandknochens. Die Stabilität der Mittelhand wurde mittels Plattenosteosynthese des 4. Mittelhandknochens wieder hergestellt.
16.2.8 Komplikationen/Wachstumsstörungen
Eine verzögerte Frakturheilung bzw. Pseudarthrose ist extrem selten und dann oft nur in Kombination mit einem Hochrasanztrauma bzw. einer Quetschverletzung der Mittelhand zu beobachten. Achsabweichungen und Rotationsfehler sind möglich und können sich störend auf die Handfunktion auswirken. Das Abweichen z.B. des Mittelhandkopfes nach palmar kann Schmerzen beim Zupacken verursachen. Gefürchtet sind Rotationsfehler, die zu einem Überkreuzen der Finger führen. Hier wird die Korrekturosteotomie in der Metaphyse der Mittelhandknochenbasis empfohlen. Frakturen, die besonders die Epiphyse des 2., 3. und 4. Strahls betreffen und mit einer axialen Krafteinwirkung verbunden waren, haben ein höheres Risiko, dass es zu einer Störung des Längenwachstums kommt. Es muss den Eltern frühzeitig erklärt werden, dass trotz anatomischer Reposition ein gutes funktionelles Ergebnis nicht garantiert werden kann. Dies gilt insbesondere bei offener Reposition und Stabilisierung im Gelenkbereich, wo es durch Verklebungen und Irritation von Sehnen und Sehnenhaube sehr leicht zu Bewegungseinschränkungen kommen kann. K-Draht-Infekte in Hautniveau kommen häufiger vor, führen jedoch nur selten zu einer Osteitis, dann jedoch zu schweren Knochenzerstörungen. Die meisten unkomplizierten Frakturen erfordern keine Nachkontrollen. Intraartikuläre Frakturen sollten nach 6 Monaten und 1 Jahr nachkontrolliert werden, um avaskuläre Nekrosen zu erfassen. Leichte posttraumatische Fehlstellungen, die nicht operativ korrigiert werden mussten, sollten nach 6 Monaten und dann jährlich klinisch kontrolliert werden, um eine Zunahme der Fehlstellung mit dem Wachstum auszuschließen.
214
Kapitel 16 · Hand
Mittelhandknochen – Basisfraktur
Besonderheiten
Meist erst ab dem 8. Lebensjahr mit zunehmender sportlicher Aktivität
Diagnostik
Klinik und Röntgenaufnahme der Hand dorsopalmar, schräg, ggf. streng seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Keine Abkippung von >30°, kein Rotationsfehler von >10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung von >5 mm, keine Luxation im angrenzenden Karpo-Metakarpal-Gelenk
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 6. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, bei Dislokationsgefahr nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen
Operative Therapie
16
Indikation
Luxation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen, dann funktionelle Behandlung und Belastungsaufbau bis zur 8. postoperativen Woche
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche beim Gipswechsel und vor Metallentfernung nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, wenn eine Zunahme der Fehlstellung befürchtet wird nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
215 16.2 · Mittelhandfrakturen
Mittelhandknochen – subkapitale Fraktur
Besonderheiten
Meist erst ab dem 8. Lebensjahr mit zunehmender sportlicher Aktivität
Diagnostik
Klinik und Röntgenaufnahme der Hand dorsopalmar, schräg, ggf. streng seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Keine Abkippung von >30–50°, kein Rotationsfehler von >10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung >5 mm
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 6. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, bei Dislokationsgefahr nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen
Operative Therapie Indikation
Dislokation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen, dann funktionelle Behandlung und Belastungsaufbau bis zur 6. postoperativen Woche
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche beim Gipswechsel und vor Metallentfernung bei K-Drähten nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen, Osteonekrosen mit Beteiligung der Gelenkfläche
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, wenn eine Zunahme der Fehlstellung oder Osteonekrosen befürchtet werden nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
16
216
Kapitel 16 · Hand
Mittelhandknochen – Schaftfraktur
Besonderheiten
Meist erst ab dem 8. Lebensjahr mit zunehmender sportlicher Aktivität
Diagnostik
Klinik und Röntgenaufnahme der Hand dorsopalmar, schräg, ggf. streng seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Keine Abkippung von >30°, kein Rotationsfehler von >10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung von >5 mm
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen, bei Dislokation ggf. schwierig im Gips zu behandeln
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 6. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, bei Dislokationsgefahr nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen
Operative Therapie
16
Indikation
Dislokation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese, bei älteren Kindern Schrauben- oder Plattenosteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen, dann funktionelle Behandlung und Belastungsaufbau bis zur 8. postoperativen Woche
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche beim Gipswechsel und vor Metallentfernung bei K-Drähten nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 4 Wochen, bei Schrauben oder Platten fakultativ nach 6 Monaten
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, wenn eine Zunahme der Fehlstellung befürchtet wird nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
217 16.3 · Fingerfrakturen und Fingerluxationen
16.3
Fingerfrakturen und Fingerluxationen
16.3.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und
klinisches Bild Die Verletzungen der Phalangen sind die häufigsten Verletzungen der kindlichen Hand, die Verletzungsursachen entsprechen im Wesentlichen denen der Mittelhandfrakturen. Bei den Fingerfrakturen sind die Randstrahlen (Zeige- und Kleinfinger) mehr betroffen. Die Phalanxfrakturen sind etwas häufiger als die Mittelhandfrakturen mit einer deutlichen Häufung um das Metakarpophalangealgelenk (MCP-Gelenk). Dislokationen der MCP-Gelenke sind die häufigsten Gelenkluxationen an der Hand des Kindes. Der Daumen ist am meisten betroffen und das Zeigefingergrundgelenk häufig nicht zu reponieren. Die Luxation resultiert aus einer forcierten Hyperextension mit Ruptur der volaren Platte (Fibrocartilago palmaris). Nahe der Skelettreifung findet sich dann zunehmend die Luxation bzw. Läsion der palmaren Platte des proximalen Interphalangealgelenks (PIP-Gelenk). Von den Fingerfrakturen sind bis über 30% Epiphysenverletzungen. Die Verletzung der proximalen Phalanx (Salter-Harris II) ist dabei die häufigste, abgesehen von Quetschungen der distalen Phalanx und der damit verbundenen hohen Varianz der Fingerkuppenverletzung.
16.3.2 Klassifikation
Die Verletzungen im Bereich der Epiphysenfuge werden nach Aitken bzw. Salter-Harris klassifiziert. Hierzu wird entsprechend der Frakturanatomie eingeteilt und zwischen intraartikulärer und extraartikulärer Fraktur unterschieden. Hinzu kommt die Einteilung nach der Stabilität in stabile und instabile Frakturen. Eine weitere Einteilung von Fingerfrakturen und -luxationen ist in ⊡ Tab. 16.4 aufgeführt.
16.3.3 Besonderheiten
Wie bei den Mittelhandknochen finden sich Epiphysen an beiden Knochenenden. Ein sekundäres Ossifikationszentrum fehlt distal am 1. Mittelhandknochen und an den distalen Phalangen. Im Gegensatz zu den Fingergrundgelenken werden die Interphalangealgelenke breitflächig von den Bandstrukturen umhüllt, mit Faserverläufen bis zu den Metaphysen. Zusätzlich bestehen stabile Verbindungen zur palmaren Platte. Die Gelenke werden durch die Beuge- und Strecksehnen umgeben. Die Strecksehnen inserieren dabei an den Epiphysen, die Beugesehnen ziehen bis zu den Metaphysen der entsprechenden End- bzw.
⊡ Tab. 16.4. Fingerfrakturen und -luxationen Frakturen der distalen Phalanx Nagelkranzfraktur (einfach, Trümmerfraktur) Schaftfraktur (transvers, longitudinal) Gelenkfrakturen: palmar (Beugesehnenavulsion) Epiphysenfraktur dorsal (Mallet-Fraktur) Frakturen der Grund- u. Mittelphalanx Epiphysenfraktur Einfache Fraktur, Trümmerfraktur, Kompressionsfraktur, Defektfraktur Querfraktur, Schrägfraktur, Spiralfraktur, Avulsionsfraktur Luxationen der proximalen Interphalangealgelenke Typ 1
nicht dislozierter Abriss der palmaren Platte
Typ 2
Dissoziation zwischen eigentlichem u. akzessorischem Seitband; knöchern <1 mm Dislokation
Typ 3
komplette Dissoziation, knöchernes Fragment um 90° verdreht, Gelenk luxierbar
Typ 4
zusätzliche Ruptur des Seitbandes, Instabilität in zwei Ebenen
Typ 5
Luxation zur Beugeseite mit Läsion des Mittelzügels und Seitbandes
Typ 6
Seitband und palmare Platte reißen entgegengesetzt
Mittelphalanx. Im Bereich der Mittelphalanx bedeckt die oberflächliche Beugesehne über 50% der Gesamtlänge. Dieser anatomische Aufbau schützt die Gelenke vor Frakturen. Das dicke Periost trägt zu der Stabilität bei, kann aber auch – insbesondere bei langen Schrägfrakturen – zu einem Repositionshindernis werden. Der beschriebene anatomische Aufbau bedingt eine gewisse Anfälligkeit bei Krafteinwirkung in Richtung der Bewegungsachse der Gelenke. Dies gilt insbesondere für das Endglied. Hier versagt der stabilisierende Effekt, wenn es zu einer forcierten Beugung oder Streckung kommt. Bei jüngeren Patienten treten eher SalterHarris-I- und -II- (⊡ Abb. 16.8), bei Patienten nahe der Skelettausreifung eher Salter-Harris-III-Verletzungen (⊡ Abb. 16.9) auf. Bei den Fingerfrakturen muss beachtet werden, dass die Schaftfrakturen der Mittelphalanx durch den hohen Kortikalisanteil zur stabilen und belastbaren Ausheilung länger benötigen. Beim Erwachsenen kann dies leicht 12 Wochen dauern. Beim Kind verläuft jedoch die Heilung insgesamt sehr schnell, was bei der Kontrolle unter
16
218
Kapitel 16 · Hand
der Therapie bedacht werden muss, da die Zeit um z.B. Korrekturen vorzunehmen kurz ist. Die Fähigkeit, nach Fehlheilung zu remodellieren, ist abhängig vom Alter, der Frakturlokalisation in Relation zur Wachstumsfuge, dem Ausmaß und der Ebene der Deformität.
⊡ Abb. 16.8. a Salter-Harris-Typ-II-Fraktur der Grundphalanx des Kleinfingers. b Reposition und K-Draht Osteosynthese.
16
⊡ Abb. 16.9. Salter-Harris-Typ-III-Fraktur der Grundphalanx des Daumens.
16.3.4 Diagnostik
Die Diagnostik erfordert zunächst die genaue Erhebung der Unfallanamnese, frühere Verletzungen, bekannte Fehlbildungen und sonstige Erkrankungen. Fehlbildungen wie das Kirner-Syndrom können eine scheinbar frakturbedingte Fehlstellung des Endglieds nach radial vortäuschen, oder verletzungsbedingte Beugekontrakturen im PIP-Gelenk können mit einer Kamptodaktylie verwechselt werden, wenn dies den Eltern erst nach einer Fingerquetschung auffällt. Ein Unfallmechanismus, der auf eine extreme Hyperextension hinweist, kann zu einer Ruptur der palmaren Platte, insbesondere im Bereich der Grundgelenke, aber auch der Mittelgelenke, führen. Beim Kind sind die Grundgelenke häufiger betroffen, und es kommt zur Einklemmung des Mittelhandkopfes zwischen den Beugesehnen und den Sehnen der Mm. lumbricales. Der Finger steht dann supiniert in Ulnardeviation, und das PIP-Gelenk ist flektiert durch die erhöhte Spannung der Beugesehne. Zusätzlich ist der Mittelhandkopf in der Hohlhand deutlich tastbar und die Haut auf der Rückseite durch das Fehlen gewellt. Wie bei den MCP-Luxationen findet sich diese Verletzung auch am Daumen (⊡ Abb. 16.10). Am Daumen muss bei der Stabilitätsuntersuchung auch besonders auf die ulnare Instabilität des Daumengrundgelenks geachtet werden. Der sog. Skidaumen, die Verletzung des ulnaren Seitbandes oder aber auch die seltenere Läsion des radialen Seitbandes finden sich beim unreifen Skelett meist als Avulsionsfraktur der Epiphyse und nicht als intraligamentäre Ruptur (⊡ Abb. 16.11). Luxationen der PIP-Gelenke sind beim Kind deutlich seltener als beim Erwachsenen und sind bei der Vorstellung oft schon spontan reponiert. Es kommt dabei jedoch zu Verletzungen der Kollateralbänder und der palmaren Platte. Neben der auffälligen Schwellung und dem Druckschmerz, insbesondere am palmaren PIP-Gelenk, zeigt die seitliche Röntgenaufnahme des betroffenen Fingers oftmals eine feine Absprengung oder die Fraktur der Epiphyse (⊡ Abb. 16.12). Die Luxation des Endgelenks durch Überstreckung oder durch Belastung eines gebeugten Endglieds ist extrem selten. Die häufigste Fingerfraktur der Basis der proximalen Phalanx (Salter-Harris II) ist oftmals durch die Schwellung und Schmerzsymptomatik sowie das Abstehen des Fingers erkennbar. Wie bei der Luxation erfolgt die Röntgendiagnostik durch eine dorsopalmare Aufnahme und eine Schrägaufnahme. Ab der mittleren Grundphalanx und zur Beurteilung der palmaren Abweichung in Höhe des Mittelhandkopfes ist eine streng seitliche Aufnahme der Hand oder des betroffenen Fingers/Daumens notwendig. Verletzungen der Fingerkuppe sind evtl. durch die Beteiligung des Nagels und dessen Anhangsorgane sehr
219 16.3 · Fingerfrakturen und Fingerluxationen
⊡ Abb. 16.10. Klinisches Erscheinungsbild einer Luxation des Daumengrundgelenks nach dorsal (Grundphalanx in Relation zum 1. Mittelhandknochen).
a
b
c
⊡ Abb. 16.13 a–c. Nagelbettfraktur.
komplex. Frakturen der distalen Phalanx können in Läsionen mit Beteiligung der Wachstumsfuge und solche ohne Beteiligung der Fuge eingeteilt werden. Klinisch auffällig ist oftmals die Beteiligung des Nagelbettes mit subungalem Hämatom sowie Schwellung und Deformität der Fingerkuppe. Bei der Röntgenaufnahme muss dann auf begleitende Frakturen des Nagelkranzes geachtet werden (⊡ Abb. 16.13).
⊡ Abb. 16.11. Röntgenbild einer Avulsionsfraktur des radialen Bandapparates am Daumengrundgelenk.
a
b
c
⊡ Abb. 16.12a–c. Im seitlichen Strahlengang ist deutlich die knöcherne Läsion und Dislokation der volaren Platte erkennbar.
16.3.5 Therapieziel/Korrekturgrenzen
Ziel der Therapie ist es, eine sagittale Abkippung >30°, ein Rotationsfehler im Bereich der Fingerkuppe >10° und eine Verkürzung des Fingers von mehr als 5 mm zu verhindern. Bei Luxationen und Frakturen im Bereich der Fingergelenke ist das Ziel eine anatomische Wiederherstellung der Gelenkrelation und -flächen. Deformitäten in den Ebenen der Gelenkachsen korrigieren sich. Bei linearen Abweichungen (Abduktion bzw. Adduktion) kann keine verlässliche Vorhersage gemacht werden. Dieses Problem verstärkt sich bei größerem Abstand zur Fuge. Subkapitale Frakturen der Phalangen remodellieren nur gering. Bei der Primärbehandlung liegt die Anstrengung in einer adäquaten Schmerztherapie und der damit verbundenen Diagnostik. Bis zur definitiven Therapie, konservativ mit oder ohne Frakturreposition oder operativ, muss eine Schienenruhigstellung in Funktionsstellung erfolgen. Ist das Kind zu klein, kann mittels Wattepolsterung ein Faustverband zum Schutz angelegt werden. Insbesondere bei Fingerluxationen sollte frühzeitig eine adäquate Lokalanästhesie erfolgen.
16
220
Kapitel 16 · Hand
16.3.6 Konservative Therapie
Bei der Luxation des MCP-Gelenkes ist häufig eine operative offene Reposition notwendig, insbesondere wenn durch zusätzliche Einklemmung der palmaren Platte eine Reposition verhindert wird. Ein Repositionsmanöver ist jedoch indiziert. Die Reposition der PIP- und DIP-Gelenke ist nach adäquater Sedierung und Lokalanästhesie leicht. Die meisten Frakturen der Phalangen können konservativ behandelt werden. Bei Kindern unter 10 Jahren kann dabei eine Deformität in der Bewegungsebene von bis zu 30° akzeptiert werden. Zur Reposition des MCP-Gelenks erfolgt zunächst die intraartikuläre Anästhesie und dann die Hyperextension (bei dorsaler Dislokation in Bezug auf den distalen Fingeranteil). Damit kann die palmare Platte auf dem Mittelhandkopf langsam nach palmar geschoben und manchmal eine Reposition erreicht werden. Der Längszug muss, da er die Spannung der Sehnen erhöht und damit die Einklemmung verstärkt, vermieden werden. Die Luxationen der PIP- und DIP-Gelenke können meist leicht durch Längszug am entsprechenden Finger reponiert werden. Bei kleinen Kindern kann eine lokale Betäubung unmöglich sein, sodass dann eine Sedierung oder Narkose erforderlich ist. Das Verfahren der Wahl bei Fingerfrakturen ist die Ruhigstellung mittels Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger (Beugung der Fingergrundgelenke bis 70° und komplette Extensions der Langfinger bei einer Handgelenkextension von ca. 20–30°). Bei Kleinkindern ist dies wegen der kleinen Handgröße nicht möglich, und ein Faustgips kann gewählt werden. Eine Reposition, wie bei der häufigen Basisfraktur, wird meist durch Beugung im Grundgelenk und Zug am Finger erreicht. Bei den
16
⊡ Abb. 16.14a,b. Grundgliedfraktur am Kleinfinger, die konservativ behandelt werden konnte.
Schaftfrakturen lässt sich durch die gute Weichteilschienung (Beugesehnenscheide) oft eine konservative Therapie durchführen (⊡ Abb. 16.14). Es erfolgt die Gipskontrolle am Folgetag mit Überprüfung der Fingerposition und Hinweisen auf Druckstellen. Der Gips sollte für 3 Wochen, bei Frakturen des Schafts (insbesondere Querfrakturen) 4 Wochen bzw. im Bereich der Mittelphalanx 6 Wochen belassen werden. Bei Luxationen der MCP- und PIP-Gelenke erfolgt eine frühzeitige Mobilisierung nach einer kurzen Phase der Ruhigstellung von nicht mehr als 7 Tagen. Zur besseren Protektion und Vermeidung der Hyperextension können dann »Buddy-Splints« angelegt werden (⊡ Abb. 16.20). Luxationen des Daumengrundgelenks werden mittels Daumenschiene für 3 Wochen ruhiggestellt. Das MCP-Gelenk ist dabei leicht gebeugt, und es muss auf eine korrekte Stellung geachtet werden, damit die Kollateralbänder nicht überdehnt werden.
16.3.7 Operative Therapie
Gelenkluxationen der MCP-Gelenke, die geschlossen nicht zu reponieren sind, müssen operativ offen reponiert werden. Instabilitäten nach Gelenkluxationen der PIPGelenke sind beim Adoleszenten möglich und müssen bei Instabilität oder wenn die palmare Platte, das Seitband, osteochondrale Fragmente die Reposition behindern, operativ behandelt werden. Palmare PIP-Dislokationen kommen faktisch beim Kind nicht vor. Bei Fingerfrakturen ist bei Beteiligung der Gelenkfläche von mehr als 25% bzw. einer Dislokation von mehr als 1,5 mm eine offene operative Versorgung indiziert. Insgesamt müssen jedoch Frakturen der Phalangen nur selten operativ behandelt werden, abgesehen von den schweren und offenen Quetschverletzungen. Es kann jedoch durch Interposition von Periost, Sehnen und Sehnenhauben zu Repositionshindernissen kommen, die ein offenes operatives Vorgehen erfordern. Auch Schaftfrakturen, die konservativ nicht sicher gehalten werden können bzw. bei denen bei konservativer Behandlung ein Rotationsfehler auftreten könnte, sollten operativ stabilisiert werden. Verletzungen der Fingerkuppe müssen, wenn das Hämatom den gesamten Nagel einnimmt und anhebt bzw. eine Nagelkranzfraktur im Röntgenbild erkennbar ist, operativ behandelt werden. Kleinere Hämatome können durch Bohrlochentlastung des Hämatoms mittels Kanüle behandelt werden. Gelenkluxationen der MCP-Gelenke können über einen palmaren Zugang gut dargestellt werden. Dabei ist oftmals die Freilegung und ggf. die Durchtrennung des A1-Ringbandes und die Längsinzision der volaren Platte notwendig. Gelegentlich ist auch die Inzision des Lig. natorium und des Lig. metacarpale transversum su-
16
221 16.3 · Fingerfrakturen und Fingerluxationen
perficialis erforderlich. Besonders gefährdet bei diesem Zugang sind die im Subkutangewebe ausgespannten Digitalnerven. Bei zusätzlichen knöchernen Verletzungen empfiehlt sich der dorsale Zugang. Über die Längsspaltung des Extensorapparates kann dann bei Flexion das gesamte Gelenk überblickt werden. Mittels eines Dissektors ist es dann oftmals möglich, die palmare Platte und gelegentlich auch die komplett nach dorsal dislozierten Beugesehnen zu reponieren und die Gelenkluxation zu beseitigen. Bei chronischen Luxationen müssen oftmals zur Reposition beide Zugänge gewählt werden. Frakturen der Phalangen werden nach Reposition v.a. mit K-Drähten stabilisiert. Die Grundphalanx kann meist über einen dorsalen Zugang dargestellt werden (⊡ Abb. 16.15). Der Streckapparat kann gespalten oder das Periost peritendinös abgeschoben werden. Wesentlich ist nur, dass am Ende des operativen Eingriffs der Streckapparat wieder rezentriert wird. Besonders anspruchsvoll sind die subkapitalen und Kondylusfrakturen (⊡ Abb. 16.16). Diese Frakturen müssen anatomisch reponiert und wegen ihrer hohen Instabilität fixiert werden. Gelingt die exakte geschlossene Reposition nicht, muss die offene Reposition über einen dorsalen oder lateralen Zugang zum Finger erfolgen, die operative Versorgung dieser Fraktur an der Mittelphalanx ist dabei leichter (⊡ Abb. 16.17). Signifikante Verletzungen des Nagelbettes müssen wie eine offene Fraktur behandelt werden. Der Nagel muss angehoben, das Nagelbett gesäubert und mittels einer Naht mit resorbierbarem Faden der Stärke 5.0 genäht werden. Die Naht selbst und die anschließende Schienung mit dem gereinigten Fingernagel ist oftmals die beste Versorgung der begleitenden Nagelkranzfraktur. Transversal-, Quer- oder Trümmerfrakturen müssen ggf. mittels feiner K-Drähte reponiert und stabilisiert werden. Bei Beteiligung der Epiphysenfuge wird dies als Mallet-Finger bezeichnet (⊡ Abb. 16.18). Bei Beteiligung der Strecksehne und Dislokation der Epiphyse bzw. des dorsalen Fragments der Epiphyse werden eine Reposition und Stabilisierung erforderlich (⊡ Abb. 16.19). Die Nachbehandlung der MCP-Gelenkluxation ist die frühzeitige Mobilisierung nach einer kurzen Phase der Ruhigstellung für nicht mehr als 7 Tage. Zur besseren Protektion und Vermeidung der Hyperextension können dann »Buddy-Splints« angelegt werden (⊡ Abb. 16.20). Bei K-Draht-Osteosynthese erfolgt eine begleitende Ruhigstellung entsprechend der konservativen Frakturbehandlung, eine Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger oder der Faustgips/-verband bei Kleinkindern. Frakturen im Bereich des Endglieds werden nach dem Unfall und in der 1. Woche nach operativer Versorgung mittels 3-Finger-Schiene bzw. altersadäquat versorgt. Für die restlichen 3 Wochen ist dann oftmals eine Fingerschiene, die über das Endglied reicht und die
⊡ Abb. 16.15. Dorsale Zugangswege zum Handrücken und zu den Fingern.
⊡ Abb. 16.16a,b. Subkapitale Fraktur des Mittelglieds.
a
b
c
⊡ Abb. 16.17a–c. Schematische Darstellung einer Möglichkeit zur operativen Versorgung der subkapitalen Fraktur der Mittelphalanx. Die Reposition kann mittels K-Draht oder aber auch über einen intraossären Draht gesichert werden.
222
Kapitel 16 · Hand
anderen Fingergelenke frei lässt, ausreichend. Die Größe der Finger muss dabei berücksichtigt werden, und bei Kleinkindern kann für die Ruhigstellung ein Faustgips erforderlich sein.
16.3.8 Komplikationen/Wachstumsstörungen
⊡ Abb. 16.18. Typische Mallet-Fraktur des Kleinkindes mit Läsion durch die Epiphysenfuge des Fingerendglieds.
a
b ⊡ Abb. 16.19. Dislozierte Mallet-Fraktur. a,b. Schematische Darstellung der operativen Versorgung einer dislozierten Mallet-Fraktur am Fingerendglied mit K-Drähten.
16
Eine verzögerte Frakturheilung bzw. Pseudarthrose ist extrem selten und tritt dann oft nur in Kombination mit einem Hochrasanztrauma bzw. einer Quetschverletzung der Finger auf. Achsabweichungen und Rotationsfehler sind möglich und können sich störend auf die Funktion der Hand auswirken. Es ist dabei häufig so, dass Rotationsfehler meist durch inadäquate Reposition verursacht werden und Achsabweichungen aus Wachstumsstörungen resultieren. K-Draht-Infekte in Hautniveau nach einer operativen Versorgung kommen häufiger vor, führen jedoch nur selten zu einer Osteitis, dann jedoch im Einzelfall zu schweren Knochenzerstörungen. Insbesondere bei der Behandlung von verspätet festgestellten Gelenkluxationen und intraartikulären Frakturen muss mit dem Kind und dessen Eltern über das Risiko einer Bewegungseinschränkung, dem vorzeitigen Epiphysenschluss und der avaskulären Knochennekrose gesprochen werden. Die Klinodaktylie ist dabei die häufigste Deformität nach Gelenkfrakturen, es muss mit ihrem Auftreten von bis zu 20% bei diesen Verletzungen gerechnet werden. Ist die Abweichung geringer als 10°, führt das meist nicht zu einer Einschränkung. Eine höhergradige Fehlstellung kann ein Überlappen der Finger zur Folge haben. Bei den besonders schwierig zu behandelnden subkapitalen bzw. Kondylusfrakturen kommt es sehr leicht zu Bewegungsstörungen, Deformitäten und Ossifikationen im subkondylären Rezessus mit konsekutiver Bewegungseinschränkung. Eine Einschränkung der Beugung muss dann zur Funktionsverbesserung, meist von palmar, operativ behandelt werden. Es werden dabei die akzessorischen Seitbänder gelöst und der überschüssige Knochen reseziert.
16.3.9 Nachkontrollen
⊡ Abb. 16.20a,b. Buddy-Splints zur Stabilisierung benachbarter Finger, eine synchrone Beübung der beiden verbundenen Finger ist möglich.
Die meisten unkomplizierten Frakturen erfordern keine Nachkontrollen. Intraartikuläre Frakturen sollten nach 6 Monaten und 1 Jahr nachkontrolliert werden, um avaskuläre Nekrosen zu erfassen. Leichte posttraumatische Fehlstellungen, die nicht operativ korrigiert werden mussten, sollten nach 6 Monaten und dann jährlich kontrolliert werden, um eine Zunahme der Fehlstellung mit dem Wachstum auszuschließen.
223 16.3 · Fingerfrakturen und Fingerluxationen
Fingerfraktur
Besonderheiten
30% Epiphysenverletzungen, wenn es sich nicht um Quetschverletzungen handelt dann meist die proximale Phalanx, gehäuft Klein- oder Zeigefinger
Diagnostik
Klinik und Röntgenaufnahme des betroffenen Fingers dorsopalmar und streng seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Keine Abkippung von >30°, kein Rotationsfehler >10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung >5 mm, anatomische Gelenkrelation, gute Korrektur in der Ebene der Gelenkachse, unsichere Korrektur bei Achsabweichung, geringe Korrektur bei subkapitalen Frakturen
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen, bei Schaftfrakturen 4 Wochen, bei Schaftfrakturen der Mittelphalanx bis 6 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 8. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, nach Reposition und bei Dislokationsgefahr (Schräg-, Querfrakturen am Schaft) nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen, Mittelphalanx nach 12 Wochen
Operative Therapie Indikation
Dislokation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze; Gelenkluxationen und Gelenkbeteiligung >25% mit Dislokation über 1,5 mm
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen, bei Schaftfrakturen 4 Wochen, bei Schaftfrakturen der Mittelphalanx bis 6 Wochen
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche und vor Metallentfernung bei K-Drähten nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 3–4 Wochen, Schaftfrakturen der Mittelphalanx nach 6 Wochen (>5 Jahre)
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen, Osteonekrosen mit Beteiligung der Gelenkfläche
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, bei intraartikulären Frakturen, wenn eine Zunahme der Fehlstellung oder Osteonekrosen befürchtet werden nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
16
224
Kapitel 16 · Hand
16.4
Fallbeispiele
Fall 16.1 Skaphoidfraktur, Junge, 11 J., Sportunfall.
a,b Unfallbilder. c,d MRT konservative Behandlung.
Fall 16.2 Palmare Flexion und Subluxation des Lunatum nach distaler Radiusfraktur; Junge, 13 J., Sturz.
16
a,b Unfallbilder, c klinisch sichtbare palmare Achsfehlstellung, d–f unter Zug Aufrichtung des Lunatums unter Zug, g, h Transfixation mittels K-Drähten.
17
Becken A. Thannheimer und V. Bühren
17.1
Physiologische Befunde – 226
17.1.1
Altersabhängige Röntgenbefunde – 226
17.2
Frakturen des Beckens – 227
17.2.1 17.2.2 17.2.3
Avulsionsverletzungen (=Apophysenabrissfrakturen) – 227 Beckenrand- und Beckenringfrakturen – 230 Azetabulumfrakturen – 238
17.3
Komplexverletzungen
17.4
Fallbeispiele
– 244
– 241
226
Kapitel 17 · Becken
Physiologische Befunde
17.1
Das Becken entwickelt sich aus den primären Wachstumszentren Darm-, Sitz- und Schambein. Diese grenzen im Bereich des Hüftgelenks aneinander, wodurch die Y-Fuge (Cartilago triradiata) entsteht (⊡ Abb. 17.1). Die sekundären Wachstumszentren bilden die Apophysen an der Crista iliaca, den Spinae iliacae anteriores superior und inferior sowie am Tuber ischiadicum (⊡ Abb. 17.2). Die Fuge zwischen Sitz- und Schambein schließt sich um
Darmbein
Y -Fuge
Schambein
das 3. Lebensjahr, die Y-Fuge um das 12.–15. Lebensjahr. Die Apophysenkerne werden um das 12. (Crista iliaca) bis 17. Lebensjahr (Tuber ischiadicum) radiologisch sichtbar. Die Fusion der sekundären Ossifikationszentren findet zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr statt. Das kindliche Becken unterscheidet sich von dem des Erwachsenen durch die großen knorpeligen Flächen und die höhere Elastizität auch der knöchernen Anteile. Hierdurch können wesentlich größere Energiemengen absorbiert werden, ohne Frakturen zu hinterlassen. Gleichzeitig können Verletzungen der knorpeligen Anteile der radiologischen Diagnostik entgehen. Die Elastizität der Beckenhalbgelenke ermöglicht auch bei erheblichen Verformungen eine Fraktur an nur einer Stelle der Ringstruktur, entgegen der Regel des doppelten Ringbruchs bei dislozierten Frakturen des Erwachsenen. Daraus folgt auch das höhere Risiko von begleitenden Organverletzungen bei »einfach« imponierenden Frakturformen. Avulsionsfrakturen der Apophysen werden meist nur beim Heranwachsenden beobachtet. Nicht zuletzt können Verletzungen insbesondere der Y-Fuge Wachstumsstörungen bis zur vollständigen Hypoplasie einer Beckenhälfte verursachen.
17.1.1 Altersabhängige Röntgenbefunde (⊡ Abb. 17.3–17.5)
Sitzbein ⊡ Abb. 17.1. Y-Fuge und primäre Wachstumszentren.
1
▬ Die primären Wachstumskerne sind schon beim Säugling sichtbar. ▬ Die Wachstumsfuge zwischen Sitz- und Schambein schließt sich um das 3. Lebensjahr. ▬ Die Y-Fuge ist bis zum 12.–15. Lebensjahr nachweisbar. ▬ Die Apophysenkerne (sekundäre Wachstumszentren) erscheinen vom 12.–17. Lebensjahr und fusionieren um das 16.–25. Lebensjahr.
2
17 3
⊡ Abb. 17.2. Apophysen (sekundäre Wachstumszentren): 1 Spina iliaca anterior superior, 2 Spina iliaca anterior inferior, 3 Tuber ossis ischii.
⊡ Abb. 17.3. Beckenübersichtsaufnahme: 2-jähriger Knabe. Die primären Wachstums- zentren und die Y-Fuge sind gut erkennbar.
227 17.2 · Frakturen des Beckens
17.2
Frakturen des Beckens
17.2.1 Avulsionsverletzungen
(=Apophysenabrissfrakturen) Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
⊡ Abb. 17.4. Beckenübersichtsaufnahme: 6-jähriger Knabe. Die Fugen zwischen Sitz- und Schambein sind verschlossen.
Avulsionsverletzungen kommen selten vor. Sie machen 4–13,4% aller kindlichen Frakturen aus. Einige Autoren beobachteten am häufigsten den Abriss der Spina iliaca inferior, andere dagegen den der Spina iliaca superior. Avulsionsfrakturen treten vorwiegend beim jugendlichen Sportler im Alter von 12–16 Jahren auf. Durch Überbeanspruchung der an den Apophysen ansetzenden Muskulatur beim Sport kommt es zum Abriss des Wachstumskerns vom Becken.
Abriss der Spina iliaca anterior superior Ursache. Überlastung durch Zug des M. sartorius bei
gestrecktem Hüft- und gebeugtem Kniegelenk. Tritt vorwiegend bei Athleten auf. Klinik. Lokale Schwellung und Schmerzen nach sportli-
cher Belastung.
Abriss der Spina iliaca anterior inferior Ursache. Zug des M. rectus femoris bei Hyperextension
des Hüft- und Beugung des Kniegelenks, vorwiegend beim Fußballspielen. Klinik. Lokaler Schmerz und Schwellung nach Fußball-
spiel. a
Abriss der Tuberositas ossis ischii Ursache. Überbeanspruchung der Hamstring-Muskula-
tur durch Abduktion des in der Hüfte gebeugten und im Knie gestreckten Beins, vorwiegend bei gymnastischen Übungen. Klinik. Schmerzen beim Sitzen, lokaler Druckschmerz
bei der digital-rektalen Untersuchung. Im Verlauf der Heilung eventuell überschießende Knochenneubildung (»Tumor«).
b ⊡ Abb. 17.5a,b. Beckenübersichtsaufnahme: 16-jähriger Knabe. Die Y-Fuge ist verschlossen, die Apophysen sind bereits erkennbar.
17
228
Kapitel 17 · Becken
Klassifikation Am gebräuchlichsten ist die Einteilung nach AO (s.u.). Key und Cornwell geben folgende frakturorientierte Klassifikation an: I. Frakturen ohne Unterbrechung des Beckenrings A. Avulsionsfrakturen 1. Spina iliaca anterior superior 2. Spina iliaca anterior inferior 3. Tuberositas ossis ischii B. Frakturen des Sitz- oder Schambeins C. Beckenschaufelfrakturen D. Kreuz- oder Steißbeinfrakturen II. Einfache Unterbrechung des Beckenrings A. Fraktur zweier ipsilateraler Äste B. Symphysenruptur oder symphysennahe Fraktur C. Iliosakralgelenkssprengung oder ISG-nahe Fraktur III. Doppelte Unterbrechung des Beckenrings A. Bilaterale Sitz- und Schambeinfraktur B. Fraktur des vorderen und hinteren Beckenrings C. Multiple Frakturen IV. Azetabulumfrakturen A. Hüftluxation mit kleinem Pfannenrandfragment B. Lineare Fraktur in Kombination mit undislozierter Beckenringfraktur C. Lineare Fraktur in Kombination mit Hüftgelenksinstabilität D. Zentrale Hüftgelenksluxationsfraktur Von Laer teilt ein in Frakturen, welche ohne Folgen und solche, welche voraussichtlich mit gravierenden Folgen ausheilen (⊡ Tab. 17.1). Um den Besonderheiten der kindlichen Verletzungen Rechnung zu tragen, wurden aber auch verschiedene andere Klassifikationen eingeführt. Torode und Zieg entwickelten basierend auf der Watts-Klassifikation folgendes System: ▬ Typ 1 Avulsionsfrakturen ▬ Typ 2 Beckenschaufelfrakturen ▬ Typ 3 Einfache Beckenringfrakturen mit Diastase der Symphyse ohne Ruptur des hinteren SI-Gelenks ▬ Typ 4 Alle Frakturen, die ein freies knöchernes Fragment produzieren
17
Die gleichen Autoren haben auch eine Klassifikation der Komplikationen vorgeschlagen: ▬ Grad 1 Keine ▬ Grad 2 Eventuell beeinträchtigtes Wachstum mit sekundärem Remodelling ▬ Grad 3 Eventuell verzögerte Knochenbruch- heilung ▬ Grad 4 Nonunion, Fehlheilung, Schädigung der Cartilago triradiata, Fusion des SI-Gelenks und Beinlängendifferenz.
⊡ Tab. 17.1. Einteilung der Beckenverletzungen nach von Laer Läsionen ohne gravierende Spätfolgen
Läsionen mit möglichen gravierenden Spätfolgen
Apophysenausrisse Beckenschaufelfrakturen Isolierte Os-ilii-Frakturen Isolierte Schambeinastfrakturen Isolierte Iliosakrallockerung
Symphysenrupturen Malgaigne-Frakturen Azetabulumfrakturen
229 17.2 · Frakturen des Beckens
Avulsionsverletzung
Besonderheiten
häufig erst auffällig durch Kallusbildung und dann als Knochentumor fehlinterpretiert, insbesondere am Sitzbein
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme, ggf. Sonographie oder MRT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzfreiheit, Sportfähigkeit, Dislokation 2 cm
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Bettruhe, Thromboseprophylaxe, evtl. auch freifunktionelle Behandlung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall
Verfahren
schmerzadaptierte Ruhigstellung mit gebeugtem Hüftgelenk (gestreckt bei Abriss der Tuberositas ossis ischii), dann frühfunktionell unter Entlastung an Unterarmgehstöcken für 2–4 Wochen
Nachbehandlung
zügiger Belastungsaufbau
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Sportfähigkeit
nach 6–12 Wochen
Operative Therapie Indikation
selten bei grob dislozierten Frakturen oder großen Abrissfragmenten, bei schmerzhaften Pseudarthrosen
Verfahren
Reposition, Einzelschraubenosteosynthese oder Zuggurtung; bei Pseudarthrose Resektion des Abrissfragments
Nachbehandlung
kurzfristige Ruhigstellung, Belastungsaufbau nach 2–4 Wochen
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Metallentfernung
fakultativ nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Komplikationen
überschießende Knochenneubildung, Pseudarthrose, Osteosyntheseversagen
Wachstumsstörung
keine gravierenden Folgen zu erwarten
Nachkontrollen
klinische Abschlusskontrolle 1 Jahr nach Unfall, insbesondere bei überschießender Kallusbildung
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
17
230
Kapitel 17 · Becken
17.2.2 Beckenrand- und Beckenringfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Die einfache Beckenringfraktur beim Kind stellt insgesamt eine seltene Verletzung dar. Scham- oder Sitzbeinfrakturen zeigten in der Campbell-Serie eine Häufigkeit von 33,6% bei 134 kindlichen Beckenfrakturen. Symphysensprengungen lagen in der gleichen Serie bei 3%, kombinierte Scham- und Sitzbeinfrakturen kamen in 8,2% der Fälle vor. Etwa 18% aller kindlichen Beckenfrakturen sind Beckenrandfrakturen. Über 90% dieser Frakturen sind stabil und bedürfen keiner operativen Therapie. Die Beckenfraktur im Kindesalter entsteht durch eine erhebliche Gewalteinwirkung, sodass immer mit Begleitverletzungen gerechnet werden muss. Ursache sind meist Verkehrsunfälle oder Stürze aus großer Höhe. Ein Großteil der Patienten ist polytraumatisiert, etwa 25% haben ein Schädel-Hirn-Trauma. Umgekehrt ist bei jedem polytraumatisierten Kind bis zum Beweis des Gegenteils von einer Beckenfraktur auszugehen. Somit hat die Sicherung der Vitalfunktionen und die Suche nach Organ- und Weichteilverletzungen erste Priorität. Erst in zweiter Linie kommt die eigentliche Frakturversorgung. Der Inspektion der Beckenregion auf offene Wunden und Hämatome folgt die Stabilitätsprüfung. Obligatorisch ist die digital-rektale Untersuchung beim Narkotisierten. Pathognomonisch für Rektumläsionen sind perianale Hämatombildungen (⊡ Abb. 17.6). Weitere klinische Zeichen einer Beckenfraktur können eine große oberflächliche Hämatombildung inguinal und im Skrotum (Destot-Zeichen), eine Verringerung des Abstandes von Trochanter major und Schambeinhöcker im Vergleich zur Gegenseite bei lateralen Kompressionsfrakturen (Roux-Zeichen) und tastbare Frakturenden oder Hämatombildung bei der rektalen Untersuchung (Earle-Zeichen) sein.
17
⊡ Abb. 17.6. Perianales Hämatom bei Rektumläsion.
Bilaterale Schambeinfrakturen gehen häufig mit einer Verletzung des Urogenitaltrakts einher. Vordere Beckenringfrakturen entstehen durch direkten Anprall. Auch bei gering dislozierten Frakturen ist aufgrund der Elastizität und der Rückstellkräfte immer von einer erheblichen Energieeinwirkung auszugehen, sodass Begleitverletzungen, insbesondere des Urogenitaltrakts und des Rektums, ausgeschlossen werden müssen. Auch subkutane Décollementverletzungen können aufgrund der Hautelastizität zunächst weitgehend inapparent sein. Klinisch zeigen sich lokale Schwellungen und Schmerzen, insbesondere bei Druck auf die Symphyse. Klinische Zeichen von Beckenrandfrakturen sind eine lokale Schwellung und Hämatomverfärbung, evtl. auch eine Deformierung der Beckenkontur. Lokal werden Schmerzen angegeben.
Klassifikation Grundlegend unterscheiden die Klassifikationen entweder zwischen stabilen und instabilen Frakturformen oder Frakturen, die ohne Folgen oder solchen, die mit Defekt ausheilen. Auch im Kindesalter werden Beckenverletzungen vorwiegend nach den Klassifikationssystemen der Erwachsenenchirurgie eingeteilt, nicht zuletzt, um eine Vergleichbarkeit zu erreichen. Etwa ab dem 14. Lebensjahr (Verschluss der Y-Fuge) entsprechen die Frakturformen denen des Erwachsenen und werden entsprechend den Prinzipien der Erwachsenenchirurgie eingeteilt und behandelt. Die gebräuchlichste Klassifikation, die der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO), basiert auf der Klassifikation von Pennal und Tile und teilt in stabile A-, partiell (rotatorisch) instabile B- und (vertikal) instabile C-Verletzungen ein (⊡ Abb. 17.7). Diese Klassifikation wird für die Einteilung der Beckenringfrakturen verwendet.
231 17.2 · Frakturen des Beckens
a
b
c ⊡ Abb. 17.7a–c. Klassifikation der Beckenringfrakturen nach Pennal und Tile.
17
232
Kapitel 17 · Becken
Beckenrandfraktur Typ A1
Besonderheiten
meist direkter Anprall, Kombination mit Beckenringverletzung möglich
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzfreiheit, Sportfähigkeit, Vermeidung von kosmetisch störenden Deformierungen
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Bettruhe mit gebeugter Hüfte, Thromboseprophylaxe
Konservative Therapie Indikation
Regelfall
Verfahren
schmerzadaptierte Ruhigstellung mit gebeugtem Hüftgelenk, dann frühfunktionell unter Entlastung an Unterarmgehstöcken für 2–4 Wochen
Nachbehandlung
zügiger Belastungsaufbau
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Sportfähigkeit
nach 6–12 Wochen
Operative Therapie
17
Indikation
selten bei grob dislozierten Frakturen
Verfahren
offene Reposition, Einzelschraubenosteosynthese oder K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
kurzfristige Ruhigstellung, Belastungsaufbau nach 4–6 Wochen
Rx-Kontrolle
postoperativ
Metallentfernung
fakultativ nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Komplikationen
Pseudarthrose, Osteosyntheseversagen, Dislokation durch Muskelzug, kosmetisch störende Deformierung
Wachstumsstörung
keine gravierenden Folgen zu erwarten
Nachkontrollen
klinische Abschlusskontrolle 1 Jahr nach Unfall, insbesondere bei überschießender Kallusbildung
Klassifikation
AO: A1
LiLa: --------------------------------------------
233 17.2 · Frakturen des Beckens
Vordere Beckenringfraktur Typ A2
Besonderheiten
Nur beim Kind ist aufgrund der Elastizität des knöchernen Beckens, und insbesondere der Beckenhalbgelenke, die sogenannte Einringverletzung trotz erheblicher Deformierung möglich.
Diagnostik
klinische Untersuchung (Begleitverletzungen!); Abdomensonographie, Beckenübersichtsaufnahme, CT, MRT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ausschluss von Begleitverletzungen, Frühmobilisierbarkeit
Primärbehandlung
Bettruhe, Schmerztherapie, Thromboseprophylaxe
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei geschlossenen Frakturen, Dislokation <5 mm
Verfahren
schmerzadaptierte Ruhigstellung
Nachbehandlung
frühfunktionelle Teilbelastung nach 2–4 Wochen, Vollbelastung nach 6–8 Wochen
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Operative Therapie Indikation
selten bei über 1 cm dislozierten Frakturen, bei Organdurchspießung oder offenen Frakturen
Verfahren
Reposition, evtl. Periostnaht, Organversorgung
Nachbehandlung
kurzfristige Ruhigstellung, Belastungsaufbau nach 2–4 Wochen
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Metallentfernung
nicht erforderlich
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Komplikationen
sekundäre Uterus- oder Blasenverletzung; erneute Dislokation
Wachstumsstörung
keine gravierenden Folgen zu erwarten
Nachkontrollen
klinische Abschlusskontrolle 1 Jahr nach Unfall
Klassifikation
AO: A2
LiLa: --------------------------------------------
17
234
Kapitel 17 · Becken
Isolierte Symphysensprengung
Besonderheiten
aufgrund der Bandelastizität meist knöcherne Ausrisse; Weite des Symphysenspaltes altersabhängig
Diagnostik
klinische Untersuchung (Begleitverletzungen!); Abdomensonographie, Beckenübersichtsaufnahme, CT, MRT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ausschluss von Begleitverletzungen, Dislokation <1 cm
Primärbehandlung
Bettruhe, Schmerztherapie, Thromboseprophylaxe
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei geschlossenen Frakturen, Dislokation <1 cm
Verfahren
schmerzadaptierte Ruhigstellung, bei dislozierten Sprengungen in der gekreuzten Schlinge
Nachbehandlung
Teilbelastung nach 3–4 Wochen, Vollbelastung nach 6–8 Wochen
Rx-Kontrolle
innerhalb der ersten 5 Tage zur Kontrolle der ausreichenden Reposition, danach nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Operative Therapie
17
Indikation
selten bei über 2 cm dislozierten Sprengungen, bei Organverletzung oder offenen Frakturen
Verfahren
geschlossene oder offene Reposition, evtl. Periostnaht, ggf. Zuggurtung oder Plattenosteosynthese im Rahmen der Organversorgung
Nachbehandlung
Bettruhigstellung, Belastungsaufbau nach 3–4 Wochen
Rx-Kontrolle
postoperativ, dann nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Metallentfernung
nach 3–6 Monaten
Sportfähigkeit
nach ca. 12 Wochen
Komplikationen
Metalllockerung; Urethra-, Blasen- oder Uterusläsion
Wachstumsstörung
gravierende Folgen wie z.B. Verknöcherung des Symphysenspaltes möglich
Nachkontrollen
klinische und radiologische Kontrolle nach ca. 3 Monaten, klinische Abschlusskontrolle 1 Jahr nach Unfall
Klassifikation
AO: B1
LiLa: --------------------------------------------
235 17.2 · Frakturen des Beckens
Beckenringfraktur Typ B1 (Open-Book-Fraktur)
Besonderheiten
häufig mit Urogenitalverletzungen (v.a. bei bilateraler ventraler Fraktur) oder Rektumverletzungen vergesellschaftet, hoher Blutverlust
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme, Inlet-, Outletprojektion, evtl. CT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schluss des Beckenrings, Verkleinerung des Beckenvolumens
Primärbehandlung
abhängig von den Begleitverletzungen, mechanische Verkleinerung des Beckenvolumens z.B. mittels Tuchgürtelung, Kreislaufstabilisierung
Konservative Therapie Indikation
gering dislozierte oder undislozierte Frakturen ohne Begleitverletzung, Kinder unter 6 Jahren
Verfahren
Bettruhigstellung für 3–4 Wochen in der gekreuzten Schlinge
Nachbehandlung
Teilbelastung der betroffenen Seite für weitere 2–4 Wochen
Rx-Kontrolle
innerhalb der ersten 5 Tage zur Repositionskontrolle; vor Belastungsaufbau
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen mit Kreislaufinstabilität, bei begleitenden Organverletzungen im Rahmen der Organversorgung
Verfahren
vorzugsweise Fixateur externe, evtl. Zuggurtung oder Plattenosteosynthese an der Symphyse
Nachbehandlung
Bettruhe ca. 4 Wochen, dann Teilbelastung für weitere 4 Wochen
Rx-Kontrolle
postoperativ und nach Fixateurabbau
Metallentfernung
Fixateurabbau in der Regel nach 4 Wochen, symphysenüberbrückende Implantate nach etwa 3–6 Monaten entfernen
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Komplikationen
Infekt; Verletzungen von Urethra, Blase oder Uterus
Wachstumsstörung
gravierende Folgen wie Verknöcherung der Iliosakralfuge oder Symphyse möglich
Nachkontrollen
nach 4 und 12 Wochen und nach etwa 1 Jahr klinische und radiologische Kontrollen
Klassifikation
AO: B1
LiLa: --------------------------------------------
17
236
Kapitel 17 · Becken
Beckenringfraktur Typ B2 (laterale Kompression)
Besonderheiten
relativ häufig links (in Ländern mit Rechtsfahrgebot), meist stabil
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme, Inlet-, Outletprojektion, evtl. CT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Erhalt der Beckensymmetrie, grobe Dislokationen über doppelte Schaftbreite sollten beseitigt werden
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Bettruhe, Thromboseprophylaxe
Konservative Therapie Indikation
gering dislozierte oder undislozierte Frakturen ohne Begleitverletzung
Verfahren
Bettruhigstellung für 2–3 Wochen
Nachbehandlung
Teilbelastung der betroffenen Seite für weitere 2–4 Wochen
Rx-Kontrolle
vor Belastungsaufbau
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Operative Therapie
17
Indikation
erheblich dislozierte Frakturen, evtl. bei begleitenden Organverletzungen im Rahmen der Organversorgung
Verfahren
vorzugsweise geschlossene Reposition, evtl. Plattenosteosynthese an der Symphyse
Nachbehandlung
kurzfristige Bettruhe für 1–2 Wochen, dann schmerzadaptierte Belastung bis zur Vollbelastung innerhalb der nächsten 2–4 Wochen
Rx-Kontrolle
postoperativ und vor Vollbelastung
Metallentfernung
symphysenüberbrückende Implantate sollten nach etwa 3–6 Monaten entfernt werden
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Komplikationen
Verletzungen des Genitourethraltrakts, erneute Dislokation
Wachstumsstörung
gravierende Folgen wie Verschluss der Iliosakralfuge oder der Symphyse möglich
Nachkontrollen
nach 4 und 12 Wochen und nach etwa 1 Jahr klinische und radiologische Kontrollen
Klassifikation
AO: B2
LiLa: --------------------------------------------
237 17.2 · Frakturen des Beckens
Beckenringfraktur Typ C
Besonderheiten
vertikale Instabilität; bei 25% der Fälle zusätzlich Schädel-Hirn-Traumata; häufig lokale Begleitverletzungen; Kreislaufinstabilität eher durch Begleitverletzungen
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme, (Polytrauma-)CT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
meist Notfallstabilisierung bei hämodynamischer Instabilität oder zur Ermöglichung einer Lagerungsstabilität im Rahmen der Intensivtherapie; Verschiebungen der Iliosakralgelenke sollten beseitigt werden
Primärbehandlung
externe Kompression z.B. mit Tuchgürtelung (Pelvic Sling), Schockraummanagement, Fixateur externe oder Beckenzwinge
Konservative Therapie Indikation
gering oder nicht dislozierte Frakturen, Alter unter 6 Jahren, schlechter Allgemeinzustand
Verfahren
Bettruhigstellung für 4–6 Wochen, Extensionsbehandlung, Entlastung der betroffenen Seite
Nachbehandlung
Teilbelastung nach 4–6 Wochen, Vollbelastung nach 6–8 Wochen
Rx-Kontrolle
innerhalb der ersten 5 Tage zur Stellungskontrolle, vor Belastungsaufbau und vor Vollbelastung
Sportfähigkeit
nach etwa 12 Wochen
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen, begleitende versorgungspflichtige Organläsionen, Kreislaufinstabilität, notwendige Lagerungstherapie, Dislokation unter konservativer Therapie
Verfahren
Fixateur externe supraazetabulär, evtl. additive Einzelschraubenosteosynthesen am hinteren Beckenring, Zuggurtung oder Plattenosteosynthese an der Symphyse
Nachbehandlung
keine Vollbelastung bis zum Abbau des Fixateur externe
Rx-Kontrolle
direkt postoperativ Röntgenkontrolle, weitere Röntgenkontrolle nach Abbau des Fixateur externe, CT nur fakultativ
Metallentfernung
Entfernung des Fixateur externe in der Regel nach 4 Wochen möglich, Entfernung der die Iliosakralfugen kreuzenden oder die Symphysen überbrückenden Implantate nach 3–6 Monaten
Sportfähigkeit
nach 3–6 Monaten
Komplikationen
Pininfekte, Schraubenfehllage, sekundäre neurologische Störungen, verzögerte oder ausbleibende Frakturheilung, periartikuläre Verkalkungen, v.a. bei begleitendem Schädel-Hirn-Trauma
Wachstumsstörung
gravierende Folgen durch Wachstumsfugenverletzung oder Fusion der Iliosakralfugen oder Symphyse möglich
Nachkontrollen
klinisch und radiologisch nach 4 und 12 Wochen, dann in 6-monatigen Abständen bis 2 Jahre nach Unfall
Klassifikation
AO: C
LiLa: --------------------------------------------
17
238
Kapitel 17 · Becken
17.2.3 Azetabulumfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Azetabulumfrakturen kommen extrem selten vor. Ihr Anteil liegt bei 0,8–15% aller Beckenfrakturen im Kindesalter. Die Azetabulumfraktur im Kindesalter entsteht durch direkten Anprall (laterale Kompression) oder Stauchung. Bei Krafteinleitung über den Femurschaft (Stauchung) kommt es meist zur Hüftgelenksluxation. Etwa jede 7. Hüftgelenksluxation bei Kindern geht mit einer knöchernen Verletzung des Hüftgelenks einher. Klinisch fällt häufig eine Hämatombildung über dem Trochantermassiv auf. Die laterale Kompression kann zu reinen Fugenverletzungen wie Epiphysenfugenlösungen oder
17
⊡ Abb. 17.8. Azetabulumklassifikation im Kindesalter nach Salter/ Harris (nach Scuderi et al.). a normale Wachstumsfuge, b Salter-Harris-IFraktur, c Salter-Harris-II-Fraktur, d Salter-Harris-V-Fraktur.
Epiphysenfugenstauchungen, aber auch zu begleitenden knöchernen Verletzungen entsprechend einer Salter-Harris-I-Verletzung führen. Im Nativröntgen sind Wachstumsfugenverletzungen häufig nicht sichtbar. Gering dislozierte Frakturen sind schwer zu erkennen.
Klassifikation Vor Verschluss der Y-Fuge bietet sich die Einteilung nach Salter und Harris an. Hiermit sind gleichzeitig Rückschlüsse auf die Prognose möglich (⊡ Abb. 17.8). Azetabulumfrakturen werden jedoch meist nach Letournel und Judet eingeteilt (⊡ Abb. 17.9). Diese Einteilung dient dem biomechanischen Verständnis und ist zur Operationsplanung erforderlich.
a
b
c
d
239 17.2 · Frakturen des Beckens
a
b
c
d
e
f
g
h
i
j
⊡ Abb. 17.9a–j. Letournel-Klassifikation der Azetabulumfrakturen.
17
240
Kapitel 17 · Becken
Azetabulumfraktur
Besonderheiten
selten, es können Wachstumsstörungen resultieren
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme, Ala-, Obturatoraufnahme, CT, evtl. MRT zum Ausschluss einer Verletzung der Wachstumsfugen (Y-Fuge)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
möglichst anatomische Rekonstruktion der Gelenkfläche, Dislokation <1 mm
Primärbehandlung
Bettruhe, evtl. Extensionsbehandlung
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen, Begleitverletzungen
Verfahren
Extension, Entlastung des betroffenen Beines für 4–6 Wochen
Nachbehandlung
Belastungsaufbau nach 6–8 Wochen; Gelenkmobilisation, evtl. Physiotherapie
Rx-Kontrolle
Beckenübersichtsaufnahme, evtl. MRT
Sportfähigkeit
ca. 12 Wochen nach Trauma
Operative Therapie
17
Indikation
alle >2 mm dislozierten Frakturen
Verfahren
Reposition offen oder geschlossen, meist Einzelschraubenosteosynthese
Nachbehandlung
Entlastung des betroffenen Beines für 4–6 Wochen
Rx-Kontrolle
postoperativ CT, weitere Durchbauungskontrollen nur bei Beschwerden
Metallentfernung
fugenkreuzende Implantate möglichst frühzeitig entfernen
Sportfähigkeit
nach etwa 12 Wochen
Komplikationen
Wachstumsstörungen, verzögerte oder ausbleibende Durchbauung, Hüftluxation infolge der Wachstumsstörung am Azetabulum, Hypoplasie einer Beckenhälfte, Beinverkürzung, posttraumatische Arthrose, Ankylose
Wachstumsstörung
gravierende Folgen, v.a. bei Stauchung der Cartilago triradiata (Salter-Harris V) möglich, kann bis zur Aplasie einer Beckenhälfte oder zur Dysplasie des Azetabulums mit konsekutiver Hüftluxation führen
Nachkontrollen
klinisch und radiologisch: nach 2 und 6 Wochen, dann in 6-monatigen Abständen bis 2 Jahre nach Unfall, um frühzeitig Wachstumsstörungen erkennen und behandeln zu können
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
241 17.3 · Komplexverletzungen
17.3
Komplexverletzungen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Nach Bond liegt die Inzidenz begleitender intraabdomineller oder urogenitaler Verletzungen bei 6% der isolierten Schambeinastfrakturen, während 33% der Ileumund Beckenringfrakturen und 80% der schweren, instabilen Beckenfrakturen eine derartige Begleitverletzung aufweisen. Ursächlich für Komplexverletzungen am kindlichen Becken sind Hochrasanz- oder Überrolltraumen und Stürze aus großer Höhe. Somit handelt es sich auch häufig um akut vital gefährdete polytraumatisierte Kinder. Das klinische Bild verschleiert oft die Verletzungsschwere. Weichteildécollements können durch die hohe Hautelastizität zunächst inapparent bleiben. Urogenital- und intraabdominelle Verletzungen können auch bei einfachen Frakturformen vorkommen. Insbesondere instabile Beckenfrakturen (MalgaigneFrakturen) und bilaterale Schambeinastfrakturen weisen eine hohe Inzidenz begleitender intraabdomineller und urogenitaler Läsionen auf. Begleitverletzungen sollten bei allen Beckenfrakturen bei Kindern dezidiert ausgeschlossen werden. Das perianale Hämatom ist pathognomonisch für Rektumläsionen, die rektale Untersuchung lässt manchmal einspießende Frakturfragmente ertasten. Kinder kompensieren auch erhebliche Volumenverluste wesentlich länger als Erwachsene, dekompensieren aber dann rasant. Die Blutung aus dem Becken ist nur selten die Todesursache beckenverletzter Kinder, wesentlich häufiger sind intraabdominelle Blutungen dafür verantwortlich. Somit hat die Behandlung der möglicherweise lebensbedrohlichen Begleitverletzungen absolute Priorität vor der Frakturversorgung. Hier ist in der Regel das multidisziplinäre Vorgehen unter Leitung des Kinderchirurgen oder Traumatologen nötig.
Klassifikation Die meisten Klassifikationen fokussieren auf die knöcherne Verletzung. Quinby und Rang teilen kindliche Frakturen in drei Kategorien ein: 1. Unkomplizierte Frakturen 2. Frakturen mit Viszeralorganverletzungen, welche eine chirurgische Exploration erfordern 3. Frakturen mit begleitender massiver Blutung.
⊡ Abb. 17.10. Komplexverletzung.
17
242
Kapitel 17 · Becken
Komplexverletzung
Besonderheiten
bei kindlichen Beckenfrakturen relativ häufig; v.a. Décollementverletzungen können der primären klinischen Diagnostik entgehen
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme, CT, evtl. MRT, Sonographie der Weichteile, rektale Untersuchung, retrograde Urethrozystographie (nicht bei blutigem Ostium), Angiographie
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Blutungskontrolle, Beseitigung grober Dislokationen und Wiederherstellung der Beckensymmetrie, Vermeidung von Sekundärschäden wie Abszedierungen durch Kontamination oder Haut- und Organperforationen durch Knochenfragmente
Primärbehandlung
nach Schockraumprotokoll; Kreislaufstabilisierung; externe Stabilisierung des Beckens
Konservative Therapie Indikation
kleinflächige Décollements, konservativ beherrschbare Verletzungen solider Organe, beherrschbare Blutungen, gering dislozierte Frakturen
Verfahren
klinische und sonographische Kontrollen, meist Intensivüberwachung
Nachbehandlung
abhängig vom Frakturtyp
Rx-Kontrolle
entsprechend dem Frakturtyp
Sportfähigkeit
ca. 12 Wochen nach Trauma
Operative Therapie
17
Indikation
Hohlorganverletzungen, Blasenverletzung (s.o.), großflächige Décollements, konservativ nicht sicher beherrschbare Verletzungen solider Organe, offene Frakturen, durch dislozierte Fragmente verursachte neurologische Störungen
Verfahren
Organversorgung über mediane Laparotomie; Pfannenstiel-Schnitt und primäre Naht bei Blasenruptur; primäre oder sekundäre Rekonstruktion bei Urethraverletzung; Anlage eines Anus praeternaturalis bei Darmverletzung mit Stuhlkontamination; Beckenstabilisierung mittels Fixateur externe und ggf. lokalen K-Draht- oder Kleinfragment-Schraubenosteosynthesen; Débridement und Drainage von Décollementverletzungen; ggf. interventionelle Angiographie und Embolisation von Blutungen
Nachbehandlung
großzügige Indikationsstellung zu Etappenlavagen bei Kontamination; Weichteilrekonstruktion, Urethrarekonstruktion; Mobilisation abhängig vom Frakturtyp
Rx-Kontrolle
abhängig vom Frakturtyp
Metallentfernung
Abbau des Fixateur externe nach 4 Wochen, Schraubenentfernung nach 3–6 Monaten
Sportfähigkeit
–
Komplikationen
Infekte, Abszedierungen, Harnröhrenstrikturen
Wachstumsstörung
gravierende Folgen schon aufgrund der Begleitverletzungen zu erwarten
Nachkontrollen
entsprechend dem Frakturtyp und der Begleitverletzung
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
243 17.3 · Komplexverletzungen
Technische Aspekte
Becken
Material
Lagerung
Rückenlage für Fixateur externe, Letournel-Zugang und gedeckte ISG-Verschraubung Seitenlage für Kocher-Langenbeck-Zugang Bauchlage für offene ISG-Verschraubung, Kocher-Langenbeck-Zugang
Zugang
Symphyse: Pfannenstiel-Schnitt, evtl. median bei Laparotomie, Schnittführung median bis
Fixateur externe kanülierte Schrauben → Titan, Durchmesser 3,5–4 mm K-Drähte → Titan, Durchmesser 1,4–2 mm Kleinfragmentplatten
zur Symphyse oder bogenförmig quer im Unterbauch etwa 2 QF kranial der Symphyse vorderer Pfeiler des Azetabulums: ilioinguinaler Zugang, Schnittführung vom Beckenkamm
über die Spina iliaca anterior superior bis 2 QF kranial der Symphyse ISG ventral: 1. Fenster des ilioinguinalen Zugangs, Schnittführung s.o. hinterer Pfeiler/hinterer Pfannenrand: Kocher-Langenbeck-Zugang, Schnittführung bogen-
förmig vom dorsalen Rand des Trochanter major nach kranial-dorsal Fixateur externe: bevorzugt supraazetabulär, evtl. Beckenschaufeln, Stichinzision etwa 3 QF kranial
der Trochanterspitze oder am Beckenkamm etwa 1 QF dorsal der Spina iliaca anterior superior Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
Fixateur externe Schluss des vorderen Beckenrings durch laterale Kompressionswirkung Einbringen der Schanz-Schrauben supraazetabulär oder am Beckenkamm über Stichinzisionen unter Bildwandlerkontrolle
N.-ischiadicus-Läsion bei Kocher-Langenbeck-Zugang Läsion A./V./N. femoralis bei ilioinguinalem Zugang Läsion N. cutaneus femoris lateralis bei Fixateurmontage Blasenverletzung bei Zugang zur Symphyse Wurzelschädigung bei ISG-Verschraubung Wachstumsstörungen bei Azetabulumfraktur
Plattenosteosynthese offene Reposition an Symphyse oder Azetabulum mit Kleinfragmentrekoplatten Zugschraubenosteosynthese geschlossene Reposition und Osteosynthese über Stichinzision mit kanülierter Spongiosazugschraube oder Vollgewinde-Kortikalisschraube, falls keine Zugwirkung erwünscht (Nervenwurzeln S1); Einbringung mit Bildwandlerunterstützung; Inlet-/Outlet- und seitliche Projektion am ISG, Ala-Obturatorprojektion am Azetabulum, CT-gesteuerte Verschraubung von Sakrumfrakturen über Stichinzision minimal-invasiv möglich K-Draht-Osteosynthese geschlossene, evtl. offene Reposition von Azetabulum- oder Beckenrandfrakturen und Stabilisierung mittels vorzugsweise perkutan eingebrachter K-Drähte Metallentfernung
alle perkutan eingebrachten Implantate können ambulant entfernt werden
Sonstige Besonderheiten
Die kindliche Beckenverletzung ist selten, daher sollten die notwendigen Eingriffe von einem in der Beckenchirurgie des Erwachsenen erfahrenen Operateur durchgeführt werden.
⊡ Abb. 17.11. Versorgung mit Fixateur externe in Kombination mit Schraubenosteosynthese.
17
244
Kapitel 17 · Becken
17.4
Fallbeispiele
Fall 17.1 Open-Book-Verletzung und Femurschaftfraktur, Junge, 12 J., Mofa-Unfall.
b
a
c
a–c Versorgung der Beckenverletzung mittels Fixateur externe und der Femurfraktur mittels intramedullärer elastischer Titannägel.
Fall 17.2 Komplexes Beckentrauma beim Adoleszenten, Junge, 14 J., Sturz von Brücke.
a
b
c
d
17
a–d CT-gesteuerte perkutane Verschraubung der transforaminalen Sakrumfraktur und offene Plattenosteosynthese des vorderen Beckenrings.
18
Hüfte H.-G. Dietz und D. Schneidmüller
18.1
Physiologische Befunde – 246
18.2
Frakturen des proximalen Femurs – 247
18.2.1 18.2.2 18.2.3
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Klassifikation – 247 Behandlungsziel – 248
18.3
Apophysenlösungen – 249
18.4
Traumatische Hüftluxationen – 249
– 247
18.5
Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) – 250
18.5.1
Fallbeispiele – 259
246
Kapitel 18 · Hüfte
18.1
Physiologische Befunde
Die Blutversorgung des proximalen Femurs beim Kind unterscheidet sich von der des Erwachsenen. Bis zum 8. Lebensjahr tragen die Gefäße des Lig. teres wenig zur Kopfdurchblutung bei (ca. nur 20% im Vergleich zum Erwachsenen). Bei der Geburt sind die Äste der medialen und lateralen Zirkumflexarterien für die Kopfdurchblutung verantwortlich. Diese Gefäße verlieren jenseits des Säuglingsalters ihre Bedeutung, wenn dann die Wachstumsfuge eine Durchblutungsschranke bildet. Zu diesem Zeitpunkt gewinnen die lateralen epiphysealen Gefäße (aus der A. circumflexa media) an Bedeutung und versorgen alleine den Femurkopf. Ab dem 3.–4. Lebensjahr ernähren die lateralen, posterioren und superioren Gefäße auch den anterioren und lateralen Abschnitt des Femurkopfes und der Epiphyse. Die posterior-inferioren und posterior-superioren Arte-
rien bestehen lebenslang und ernähren den Femurkopf. Die A. circumflexa media versorgt im Wesentlichen die Metaphyse (⊡ Abb. 18.1). Die Entwicklung der sekundären Ossifikationskerne beginnt in der Regel im 5.–8. Lebensmonat (⊡ Abb. 18.2). Ab dem 6.–8. Lebensjahr hat sich eine hemisphärische Kontur der proximalen Femurepiphyse ausgebildet und die Trochanter-major-Epiphyse trennt sich von der Schenkelhalsepiphyse. Damit ist sie nicht mehr am Längenwachstum beteiligt und wird zur Apophyse. Eine Verletzung der Apophyse vor dem 8. Lebensjahr führt zu einem verkürzten Trochanter major und einer Coxa valga. Manchmal tritt zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr im Bereich der Trochanterapophyse ein akzessorischer Knochenkern auf, welcher nicht mit einer traumatischen Apophysenlösung verwechselt werden darf. Zu einem Fugenverschluss kommt es zwischen dem 14. und 17. Lebensjahr (⊡ Abb. 18.3a–e).
a
b
c
⊡ Abb. 18.2. Entwicklung der Wachstumskerne am proximalen Femur. a Proximale Femurepiphyse: 5.–8. Monat, b Trochanter major: 3.–5. Lebensjahr, c Trochanter minor: 10.–11. Lebensjahr.
⊡ Abb. 18.1. Gefäßversorgung des Femurkopfes.
18
a
b
c
d
e
⊡ Abb. 18.3. Entwicklung des proximalen Femurs im Röntgenbild. a Neugeborenes b 1½ Jahre, c 5 Jahre, d 8 Jahre, e 9 Jahre.
247 18.2 · Frakturen des proximalen Femurs
Frakturen des proximalen Femurs
18.2
18.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und
klinisches Bild
für Frakturen im Kindesalter orientiert sich an dieser Einteilung und unterscheidet epiphysäre Frakturen von transzervikalen, zervikobasalen und pertrochantären (⊡ Abb. 18.5).
Die Frakturen des proximalen Femurs sind im Kindesalter äußerst selten. Ihre Inzidenz beträgt lediglich <1%. Der Knochen ist beim Kind stärker als beim Erwachsenen, sodass nur ein massives Trauma zu einer Fraktur des proximalen Femurs führen kann. Deshalb ist stets an Begleitverletzungen zu denken und diese müssen unbedingt ausgeschlossen werden. Aufgrund der Gefäßversorgung des Hüftkopfes und des Schenkelhalses haben derartige Verletzungen zum Teil folgenschwere Konsequenzen.
Typ-I-Frakturen (⊡ Abb. 18.6) sind extrem selten (8%) und werden v.a. beim Geburtstrauma sowie bei Misshandlung gesehen. Sie sind in der Regel dem Säuglingsund Kleinkindesalter vorbehalten ( Fall 18.1). Typ-IFrakturen müssen offen reponiert und mit K-Drähten fixiert werden. Das Repositionsergebnis mit K-Drähten muss allerdings zusätzlich in einem Becken-Bein-Gips für 3–4 Wochen retiniert werden.
18.2.2 Klassifikation
Typ-II-Frakturen
Nach der Klassifikation von Delbet und Colonna (⊡ Abb. 18.4) werden die Frakturen des proximalen Femurs eingeteilt in Typ-I- (transepiphysäre Frakturen), Typ-II- (transzervikale Frakturen), Typ-III- (zervikobasale Frakturen) und Typ-IV-Frakturen (intertrochantäre Frakturen). Die neu entwickelte AO-Klassifikation
Typ-II-Frakturen (⊡ Abb. 18.7) machen ungefähr die Hälfte aller Frakturen des proximalen Femurs aus und betreffen Klein- und Schulkinder nach massivem Trauma. Dislozierte Typ-II-Frakturen können bei Kleinkindern ebenfalls durch K-Drähte nach offener Reposition, bei größeren Kindern durch eine Schraubenosteosynthese fixiert werden. Bei der Schraubenosteosynthese hat sich
I
E/1
II
E/2
Typ-I-Frakturen
III
M/1
⊡ Abb. 18.4. Klassifikation nach Delbet und Colonna: Typ I transepiphysär, Typ II transzervikal, Typ III zervikobasal, Typ IV intertrochantär.
IV
M/2
M/3
⊡ Abb. 18.5. AO-Klassifikation im Kindesalter. E/1 Epiphysiolyse, E/2 Epiphysiolyse mit metaphysärem Keil, M/1 transzervikal, M/2 zervikobasal, M/3 intertrochantär.
18
248
Kapitel 18 · Hüfte
⊡ Abb. 18.8. Fraktur des proximalen Femurs: Typ-III-Fraktur, instabil, M/2.
⊡ Abb. 18.6. Fraktur des proximalen Femurs: Typ-I-Fraktur, E/2.
⊡ Abb. 18.9. Fraktur des proximalen Femurs: Typ-IV-Fraktur, M/3.
Typ-IV-Frakturen
⊡ Abb. 18.7. Fraktur des proximalen Femurs: Typ-II-Fraktur, M/1.
hier in jüngster Zeit die Osteosynthese mit kanülierten und selbstschneidenden Hohlschrauben bewährt. Nach Schraubenosteosynthese ist keine weitere Ruhigstellung nötig, wenn mindestens 2 bzw. 3 Schrauben eingebracht worden sind. Nach K- Draht-Osteosynthese muss eine zusätzliche Ruhigstellung im Becken-Bein-Gips erfolgen.
Typ-IV-Frakturen (⊡ Abb. 18.9), die inter- und pertrochantären Frakturen, machen ca. 8% der Frakturen des proximalen Femurs aus und sind bezüglich Prognose deutlich besser einzuschätzen als die Typ-I- bis -IIIFrakturen. Typ-IV-Frakturen können bei guter Stellung konservativ im Beckengips behandelt werden, allerdings ist in den meisten Fällen eine Operation und Fixation durch intramedulläre Nagelung oder evtl. durch Fixateur externe oder Winkelplatte nötig und sinnvoll. In Ausnahmefällen kann eine K-Draht- oder eine Schraubenosteosynthese notwendig werden.
18.2.3 Behandlungsziel
Typ-III-Frakturen
18
Typ-III-Frakturen (⊡ Abb. 18.8) umfassen ca. 30% aller Frakturen des proximalen Femurs. Typ-III-Frakturen werden ebenfalls nur im Ausnahmefall, so es sich um stabile Frakturen handelt, konservativ versorgt. Allerdings besteht die Gefahr, eine nicht dislozierte mit einer instabilen Fraktur zu verwechseln. Die operative Versorgung kann sehr gut mit kanülierten Schrauben durchgeführt werden. Die Ruhigstellung ist dann auch hier nur in Ausnahmefällen (und dies bei K-DrahtOsteosynthese) nötig.
Das Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung der anatomischen Situation am Schenkelhals und die Retention des Repositionsergebnisses unter größtmöglicher Schonung der Kopfdurchblutung. Aufgrund der Seltenheit der Fraktur und der daraus resultierenden kleinen Patientenkollektive lässt sich auch heute nur ein Trend für die optimale therapeutische Intervention formulieren. Die Behandlungsergebnisse der Frakturen des proximalen Femurs werden im Wesentlichen durch das Gefäßsystem der Schenkelhalsregion und seine Unversehrtheit
249 18.4 · Traumatische Hüftluxationen
Rate der avasuläre Nekrose nach Frakturtyp
RatliffKlassifikation
Prognose
Typ I 100%
I
schlecht
Typ II 52%
II
besser als Typ I
Typ III 27%
III
beste ⊡ Abb. 18.10. Femurkopfnekrose nach proximaler Femurfraktur.
bestimmt. Als häufigste Komplikation gelten Kopf- und Halsnekrosen wie auch, allerdings selten, Pseudarthrosen und die Coxa vara. Inwieweit die Prognose durch die notfallmäßige operative Therapie dann beeinflusst wird, kann aufgrund der kleinen zur Verfügung stehenden Kollektive nicht definitiv sicher beantwortet werden. Dennoch zeigen neue Studien den positiven Effekt der Operation innerhalb der ersten 12 Stunden nach dem Unfall vor allem bei Typ-II- und -III-Frakturen. Die nach Ratliff zu unterscheidenden Nekrosen betreffen Kopf und Hals, wobei die Typ-I-Nekrosen der Kopf- und Halsregion den schwersten negativen Verlauf nehmen (⊡ Abb. 18.10). Eine Einschätzung der Prognose ist deshalb so schwierig, weil die beobachteten Kollektive über einen langen Zeitraum mit unterschiedlichen Therapiekonzepten behandelt wurden. Während bei Typ-I-Frakturen auch nach neuerer Literatur mit einem nahezu 100%ig schlechten Ergebnis zu rechnen ist, ist für die Typ-IV-Frakturen die Komplikationsrate hinsichtlich einer Kopfnekrose annähernd Null. Ein neuerer Ansatz zur Einschätzung der Prognose der Schenkelhalsfraktur stammt von Gill, wobei hier nach Anbohren des Femurkopfs entsprechend der Blutung bzw. der fehlenden vaskulären Antwort von einer guten bzw. schlechten Prognose ausgegangen wird. Die Kontrolle der Vitalität des Schenkelhalses soll nach 12 Monaten oder bei Beschwerden mittels Szintigraphie oder besser mittels MRT erfolgen.
18.3
Apophysenlösungen
Lösungen der Apophyse des Trochanter major oder minor sind selten und treten meist in der präpubertären Phase durch plötzliche Muskelanspannung des M. glu-
taeus medius bzw. des M. iliopsoas auf. Die Trochanterminor-Lösung kann konservativ behandelt werden, wohingegen die stark dislozierte Trochanter-major-Lösung refixiert werden muss. Zu schwerwiegenden Wachstumsstörungen kommt es in der Regel nicht, da in diesem Alter beide Anteile zu den Apophysen zählen und nicht am Längenwachstum beteiligt sind. Durch Schädigung der Gefäßversorgung sind jedoch Femurkopfnekrosen möglich.
18.4
Traumatische Hüftluxationen
Traumatische Hüftluxationen gehören zu den seltensten Verletzungen des Kindesalters. Sie sind nicht ausschließlich mit Hochrasanztraumen vergesellschaftet, sondern können im Gegensatz zum Erwachsenen auch durch relativ banale Verletzungen (beim Spiel, im Sport) verursacht werden. Um einer Durchblutungsstörung des Kopfes vorzubeugen und das Risiko einer Femurkopfnekrose zu senken, ist eine möglichst schnelle und schonende Reposition innerhalb von 6 Stunden in Narkose erforderlich. Verspätete Repositionen (>24 h) müssen meist offen erfolgen und haben eine schlechtere Prognose als primär geschlossene Repositionen. Eine offene Reposition kann ebenfalls notwendig werden bei eingeschlagenen Weichteilen (Kapsel, Labrum), was an der Distanz des Gelenkspalts im Röntgenbild (nach erfolgter Gelenkpunktion) zu sehen wäre. Hier kann zur besseren Diagnostik eine MRT hilfreich sein. Wachstumsstörungen sind v.a. bei Gefäßverletzungen möglich und führen meist zu einer Verkürzung des Schenkelhalses mit konsekutivem Trochanterhochstand. Durch die Gefäßverletzung liegt hier sehr oft eine zusätzliche Femurkopfnekrose vor.
18
250
Kapitel 18 · Hüfte
18.5
Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
In der Differenzialdiagnose von Hüftverletzungen müssen auch orthopädische Krankheitsbilder wie die Coxitis fugax, der Morbus Perthes oder die atraumatische Epiphysiolyse des proximalen Femurs in Betracht gezogen werden, zumal nicht immer ein eindeutiges Trauma in der Anamnese erhoben werden kann. Leitsymptom der Hüftgelenkserkrankungen ist die Funktionsstörung und dabei v.a. die Abspreizhemmung (positives Viererzeichen). Schmerzen werden im Gegensatz zum Erwachsenen häufig nicht im Bereich der Hüfte empfunden,
⊡ Abb. 18.11. Klein-Tangente. Es handelt sich hierbei um eine Tangente, welche im a.-p. Bild an die äußere Schenkelhalskortikalis gelegt wird und im Normalfall die Epiphyse schneidet (a); bei der Epiphysiolyse schneidet diese Tangente die Epiphyse nicht mehr (b).
sondern im Oberschenkel bis hin zum Unterschenkel angegeben. Spezielle radiologische Methoden können zur Differenzialdiagnose beitragen. So ist eine beginnende Epiphysenlösung im Röntgenbild schwierig zu erkennen. Neben indirekten radiologischen Zeichen wie eine relative Höhenminderung der Epiphyse sowie einer Verbreiterung der Wachstumsfuge weist die sog. Klein-Tangente auf eine Epiphysiolyse hin (⊡ Abb. 18.11). Diese Krankheitsbilder zeigen typische Altersgipfel und Besonderheiten, welche in der ⊡ Tab. 18.1 dargestellt sind. Die folgende Zusammenstellung soll lediglich einen Überblick geben, für ausführliche Informationen verweisen wir auf die entsprechende orthopädische Fachliteratur.
a
b
⊡ Tab. 18.1. Differenzialdiagnose orthopädischer Hüfterkrankungen Coxitis fugax
Morbus Perthes
ECF
Altersgipfel (Lebensjahr)
5–6
5–7
12–14
Geschlechtsverteilung
ᄝ : ᄛ 2–3:1
ᄝ : ᄛ 4:1
ᄝ : ᄛ 3:1
Besonderheiten
Häufung im Frühjahr anamnestisch Infektion im Nasen-Rachen-Raum
15% bds.
40% bds. oft assoziiert mit Adipositas, Unterentwicklung der Genitalien
Klinik
Schonhinken Schmerzen in Hüfte und Oberschenkel Bewegungseinschränkung (pos. Vierer-Zeichen) ggf. Druckschmerz über Kapsel
Bewegungseinschränkung (pos. Vierer-Zeichen, Einschränkung IRO) Schonhinken ggf. Schmerzen in Hüfte, Knie, Oberschenkel
Diagnostik
Blutserologie: ggf. BSGErhöhung Sono: Erguss, Kapselschwellung
Rx in zwei Ebenen: ErgussKondensation-Fragmentation-Reparation
Rx in zwei Ebenen: dorsokaudales Abrutschen der Epiphyse
Therapie
symptomatisch, ggf. NSAR
Stufentherapie: Beobachtung, konservativ, OP
stadienabhängig: Schraubenoder K-Drahtosteosynthese
18
oft milde Symptomatik ARO, Verkürzung des Beins pos. Drehmann-Zeichen ECF instabil ECF stabil ECF akut
251 18.5 · Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
Fraktur des proximalen Femurs
Besonderheiten
selten (<1%); v.a. Hochrasanztraumen (oft bei einem Polytrauma)
Diagnostik
Rx a.-p., wenn möglich axial (Lauenstein-Aufnahme)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
anatomische Reposition unter Schonung der Kopfdurchblutung
Primärbehandlung
Analgesie
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen
Verfahren
Becken-Bein-Gips für 4–6 Wochen Punktion Hämarthros (Dekompression der Gefäße → Nekroseprophylaxe)
Nachbehandlung
nach Gipsabnahme beschwerdeabhängige Aufbelastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
Stellungskontrolle nach 1 Woche, Konsolidierungskontrolle nach 4–6 Wochen (gipsfrei), MRT nach 12 Monaten oder bei Beschwerden
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit, bei freier Funktion
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen, dringliche Indikation
Verfahren
offene Reposition und Osteosynthese altersabhängig durch K-Drähte, Schrauben Typ-IV-Fraktur: auch retrograde ESIN, winkelstabile Platte
Nachbehandlung
Abrollbelastung für 4–6 Wochen
Rx-Kontrolle
postoperativ, Konsolidierungskontrolle (gipsfrei), MRT nach 12 Monaten oder bei Beschwerden
Metallentfernung
½–1 Jahr post OP
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit, bei freier Funktion
Komplikationen
Femurkopf- bzw. Schenkelhalsnekrose, Pseudarthrose, Varusfehlstellung
Wachstumsstörung
Schenkelhalsverkürzung
Nachkontrollen
Röntgenkontrolle nach 3 Wochen und vor Vollbelastung (4–6 Wochen), erneut Röntgenkontrolle nach 6–12 Monaten vor Metallentfernung MRT nach 12 Monaten oder bei Beschwerden ½-jährliche klinische Kontrolle bis 2 Jahre nach Trauma
Klassifikation
AO: 31-E/1-9.1-3
31-M/3.1-3.I–III
LiLa: 3.1.a.5.0-2.
3.1.s.1-5.0-2.
18
252
Kapitel 18 · Hüfte
Apophysenlösung am proximalen Femur
Besonderheiten
Rarität; direktes Trauma; plötzliche muskuläre Anspannung (M. iliopsoas → Trochanter minor; M. glutaeus medius → Trochanter major)
Diagnostik
Röntgen der Hüfte in zwei Ebenen
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
–
Primärbehandlung
Analgesie
Konservative Therapie Indikation
alle Trochanter-minor-Frakturen; gering dislozierte Trochanter-major-Frakturen
Verfahren
Trochanter minor: Entlastung an Unterarmgehstützen für 5–6 Wochen; Trochanter major: Becken-Bein-Gips bei fehlender Dislokation und bei Kleinkindern
Nachbehandlung
beschwerdeabhängige Mobilisation
Rx-Kontrolle
Konsolidierungskontrolle durch Röntgen nach 5–6 Wochen
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit und freier Funktion
Operative Therapie
18
Indikation
dislozierte Trochanter-major-Ausrisse
Verfahren
offene Reposition und Zuggurtungsosteosynthese
Nachbehandlung
Zuggurtung: funktionell
Rx-Kontrolle
postoperativ, Konsolidierungskontrolle nach 5–6 Wochen
Metallentfernung
nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit und freier Funktion
Komplikationen
Femurkopfnekrose
Wachstumsstörung
selten
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion und Beschwerdefreiheit
Klassifikation
AO: 31-M/7.1-3
LiLa: 3.1.s.5.0-2.
253 18.5 · Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
Traumatische Hüftluxation
Besonderheiten
<0,5% aller Verletzungen der unteren Extremität; v.a. hintere obere, seltener eine vordere oder zentrale Luxation
Diagnostik
Fehlstellung und Bewegungseinschränkung des Femurs führt zur klinischen Diagnose; hintere Luxation (90%): Bein in Adduktion, Flexion und Innenrotation, vordere Luxation: Bein in Abduktion, Extension und Außenrotation, Röntgen des Beckens und des Oberschenkels
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
schnelle Reposition, Vermeidung der Hüftkopfnekrose
Primärbehandlung
Reposition in Vollnarkose unter »maximaler« Relaxierung des Patienten, Notfallindikation
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ
Verfahren
Punktion des Ergusses
Nachbehandlung
Entlastung erfolgt durch Bettruhe bzw. bei Schulkindern auf Gehstützen für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
Repositionskontrolle durch CT zum Ausschluss von Begleitverletzungen
Sportfähigkeit
nach ca. 6 Wochen, bei Beschwerdefreiheit und freier Funktion
Operative Therapie Indikation
bei Interponaten oder einer zentralen Luxation, bei verspäteter Reposition (>24 h)
Verfahren
offene Reposition, ggf. Osteosynthese
Nachbehandlung
Entlastung erfolgt durch Bettruhe bzw. bei Schulkindern auf Gehstützen für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
Repositionskontrolle durch CT zum Ausschluss von Begleitverletzungen
Metallentfernung
–
Sportfähigkeit
nach ca. 6 Wochen, bei Beschwerdefreiheit und freier Funktion
Komplikationen
Femurkopfnekrose; hintere Luxation: N.-ischiadicus-Läsion, zentrale Luxation: Y-Fugen-Sprengung; Begleitverletzungen: Femurschaftfraktur, Beckenfrakturen, Rezidivluxationen, Osteoarthritis
Wachstumsstörung
durch vorzeitigen Fugenschluss Verkürzung des Schenkelhalses möglich
Nachkontrollen
MRT nach 4–6 Wochen und nach Bedarf zum Ausschluss einer Kopfnekrose ½-jährliche klinische Kontrolle bis 2 Jahre nach Trauma
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
18
254
Kapitel 18 · Hüfte
Coxitis fugax
Muskulatur Hüftgelenkkapsel Erguß
Hüftkopf
Schenkelhals
Besonderheiten
häufig (1:1000), Altersgipfel: 5. bis Mitte des 6. Lebensjahres (1–12 Lj.), Hüftbeteiligung im Rahmen oder im Anschluss an einen banalen Virusinfekt (Anamnese: Erkrankung in den letzten 4 Wochen, meist obere Luftwege oder Gastrointestinaltrakt) Schmerzen (Hüfte, Oberschenkel), Bewegungseinschränkung (positives Viererzeichen)
Diagnostik
klinische Ausschlussdiagnose Hüftsonographie: Erguss bzw. Kapselschwellung Serologie: unauffällig oder geringe Erhöhung der Entzündungsparameter (im Rahmen des vorausgegangenen Infektes), Ausschluss einer bakteriellen Coxitis; ggf. Punktion zum Ausschluss eines Empyems
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
–
Primärbehandlung
–
Konservative Therapie
18
Indikation
immer
Verfahren
symptomatisch, nichtsteroidale antiinflammatorische Medikamente über 2 Tage (z.B. Ibuprofen, Nurofen-Fiebersaft) Krankheitsdauer: ca. 1 Woche
Nachbehandlung
keine
Rx-Kontrolle
keine
Sportfähigkeit
–
Komplikationen
andere Hüftgelenkserkrankungen; bei Beschwerdepersistenz nach 2 Tagen weiterführende Diagnostik; ein Zusammenhang mit Morbus Perthes wird diskutiert
Wachstumsstörung
keine
Nachkontrollen
bei Persistenz oder »rezidivierender Coxitis fugax« Rx-Kontrolle zum Ausschluss eines Morbus Perthes weitere (seltenere) DD: ECF, Leukämie, rheumatische Coxitis, Borreliose, M. Crohn und Colitis ulcerosa, epiphysäre Dysplasie
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
255 18.5 · Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
Bakterielle Coxitis Besonderheiten
tritt selten auf, v.a. im Neugeborenen- und Säuglingsalter; erfolgt meist durch hämatogene Streuung
Diagnostik
Anamnese: Allgemeininfektion; Bewegungsarmut, Pseudoparalyse, Schwellung und Schonhaltung, Allgemeinsymptomatik mit Fieber, reduzierter Allgemeinzustand und Trinkschwäche Blutbild: Erhöhung von CRP und BSG, Leukozyten, Linksverschiebung im Differenzialblutbild Ultraschall zeigt Arthritis mit Kapselschwellung und Erguss (s. bei Coxitis fugax) MRT; Röntgenbild (Osteolysen erst spät), ggf. Szintigraphie (multifokaler Befall möglich – 10%)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Infektsanierung, Vermeidung von Gelenkschäden
Primärbehandlung
Notfallindikation, Antibiose (z.B. Cephalosporin, Clindamycin)
Operative Therapie Indikation
immer
Verfahren
notfallmäßige Arthrotomie oder Arthroskopie mittels Gelenkspülung, Erregergewinnung und sofortiger Therapiebeginn mit einem Antibiotikum (z.B. Clindamycin 40 mg/kgKG/24 h) für mindestens 3 Wochen, Beendigung der Therapie wenn Laborparameter die Normalisierung anzeigen
Nachbehandlung
Umstellung der Antibiotikatherapie nach Antibiogramm
Rx-Kontrolle
–
Metallentfernung
–
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit und freier Funktion
Komplikationen
Deformierung von Hüftkopf und Azetabulum bis hin zur kompletten Hüftgelenksdestruktion möglich, inkl. Wachstumsfuge mit Wachstumsstörungen
Wachstumsstörung
möglich
Nachkontrollen
klinische Kontrollen zum Ausschluss einer Wachstumsstörung bis zu 2 Jahre
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
18
256
Kapitel 18 · Hüfte
Morbus Perthes (kindliche aseptische Hüftkopfnekrose)
Besonderheiten
selten (0,8%); Synonym: Legg-Calvé-Perthes-Krankheit Altersgipfel: 5.–7. Lebensjahr; 15% sind bds. betroffen; ᄝ : ᄛ = 4:1 Ätiologie unklar, ggf. Durchblutungsstörung Klassifikation I–V: von Hüftkopf sphärisch bis asphärisch und inkongruent
Diagnostik
Klinik: v.a. Oberschenkel- und Knieschmerzen, Schonhinken Untersuchung: eingeschränkte Abduktion und Innenrotation, Beinlängendifferenz, Trendelenburg-Zeichen Rx der Hüfte in zwei Ebenen: Initialstadium: sistierendes Epiphysenwachstum → scheinbar verbreiteter Gelenkspalt Kondensationsstadium: Verdichtung der Epiphyse Fragmentationsstadium: Verkleinerung und Auflockerung der Epiphyse, Abflachung, Lyse und Fragmentation Regenerationsstadium: Auftreten neuer Knochenkerne, atypische Fuge Endstadium: – physiologische Kongruenz – pathologische Kongruenz – Inkongruenz Prognostisch ungünstig: Alter > 6. Lj Geschlecht: ᄛ laterale Verkalkung Subluxation schlechte Beweglichkeit
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Verhinderung einer Femurkopfdeformierung und Wiederherstellung der Gelenkkongruenz durch Erhalt bzw. Wiederherstellung der freien Beweglichkeit
Primärbehandlung
–
Konservative Therapie
18
Indikation
i.d.R.
Verfahren
beschwerdefrei: Beobachtung und Schonung nichtsteroidale antiinflammatorische Medikamente, Physiotherapie, Extension, Entlastung bei Schmerzen (Gehstützen), Nachtschienen
Nachbehandlung
klinische Kontrolle alle 6 Monate (bei Bewegungseinschränkung alle 3 Monate)
Rx-Kontrolle
alle 6 Monate (bei Bewegungseinschränkung alle 3 Monate)
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit und freie Funktion, vollständige Reparation des Femurkopfes
Operative Therapie Indikation
anhaltende Bewegungseinschränkung, »Hinge-Abduction-Phänomen«, Risikofaktoren (Lateralisation des Kopfes, laterale Kalzifikation, metaphysäre Beteiligung)
257 18.5 · Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
Verfahren
Gelenkwiederherstellung (Zentrierung des Hüftkopfes, Druckentlastung): Tendotomie, IVO (intertrochantäre varisierende Osteotomie), Beckenosteotomie, Kombination
Nachbehandlung
abhängig von OP, intensive Krankengymnastik zum Erhalt der Beweglichkeit
Rx-Kontrolle
postoperativ, in regelmäßigen Abständen (alle 6 Monate) bis zur Ausheilung
Metallentfernung
1 Jahr post OP
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit, freie Funktion, vollständige Reparation des Femurkopfes
Komplikationen
Hüftkopfdeformierung, Bewegungseinschränkung, »Hinge-Abduction-Phänomen«
Wachstumsstörung
möglich: Schenkelhalsverkürzung mit Trochanterhochstand
Nachkontrollen
klinisch und radiologisch alle 6 Monate, bei Abspreizhemmung alle 3 Monate bis zur Ausheilung
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
Besonderheiten
sehr selten (1:10000) tritt v.a. bei Knaben mit konstitutionellen Auffälligkeiten (Adipositas, Unterentwicklung der Genitalien) auf (ᄝ : ᄛ = 1,5:1) Auftreten während Pubertät (ca. 10.–15. Lj.), beidseitiges Auftreten: ᄝ : ᄛ = 4:1 akut: Anamnese < 2 Wochen chronisch: Anamnese > 2 Wochen akut auf chronisch: Anamnese > 2 Wochen mit plötzlicher Verschlechterung und Gehunfähigkeit stabil: erhaltene Gehfähigkeit instabil: Gehunfähigkeit
Diagnostik
Klinik: Außenrotation und Verkürzung des Beines, schnelle Ermüdbarkeit positives Drehmann-Zeichen: Abweichung in Außenrotation bei Flexion im Hüftgelenk ECF chronisch: oft milde Symptomatika, z.B. Schonhinken, ggf. Schmerzen in Hüfte oder Oberschenkel Rx a.-p. und Lauenstein-Aufnahme:Epiphysiolyse nach dorsokaudal, indirekte Zeichen: relativer Höhenverlust der Epiphyse, Fugenverbreiterung und Klein-Tangente (⊡ Abb. 18.11) ggf. MRT zur Evaluation der Durchblutung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Reposition der Epiphyse bzw. Verhinderung eines weiteren Abrutschens
Primärbehandlung
ECF akut: Indikation für dringliche OP
Konservative Therapie Indikation
Nach Diagnosestellung keine konservative Behandung
18
258
Kapitel 18 · Hüfte
Operative Therapie Indikation Verfahren
akute ECF: Notfall; chronische ECF instabil: < 40°: vorsichtige geschl. Reposition und Fixation mittels K-Draht/Schrauben > 40°: offene Reposition ( Trochanter-Flip-Osteotomie) oder subkapitale Keilosteotomie,
ggf. in situ Fixation bei gestörter Durchblutung stabil: < 40°: Schrauben- oder K-Drahtfixation > 40°: offene Reposition (Trochanter-Flip-Osteotomie) oder subkapitale Keilosteotomie,
ggf. Verschraubung bei gestörter Durchblutung nach Fugenschluss: ggf. subkapitale Keilosteotomie oder intertrochantäre Valgisations-Flexions-IRO-Osteotomie
nach Imhäuser Versorgung der Gegenseite: Schrauben/K-Draht prophylaktisch Nachbehandlung
6 Wochen Entlastung an Unterarmgehstützen, Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
postoperativ, alle 6 Monate, im Wachstumsschub alle 3 Monate
Metallentfernung
nach Fugenschluss, ggf. Wechsel der Drähte notwendig
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit, freie Funktion
Komplikationen
Femurkopfnekrose, Chondrolyse (Morbus Waldenström), Koxarthrose
Wachstumsstörung
möglich
Nachkontrollen
klinische und radiologische Kontrolle alle 6 Monate (im Wachstumsschub alle 3 Monate) bis zum Fugenschluss
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
Hüfte
LiLa: --------------------------------------------
Material
K-Drähte kanülierte und selbstschneidende Spongiosaschrauben: 3,5–4,5 mm Durchmesser
Lagerung
Rückenlage; anderes Bein auslagern Hüfte frei beweglich abdecken
Zugang/OP-Prinzip
Dislozierte Schenkelhalsfrakturen anterolateraler Zugang nach Watson-Jones
ventrale Kapselinzision und Frakturdarstellung Schonung der Wachstumsfugen (Ausnahme: Epiphysiolyse) Durchleuchtung intraoperativ zum Ausschluss einer Kopfperforation eines K-Drahtes,
Abschlussdokumentation Hüftluxation
18
Reposition einer posterioren Luxation: Zug nach ventral bei Flexion in Hüfte u. Knie
Außenrotation Reposition einer anterioren Luxation: Längszug bei Extension in Hüfte und Flexion im Knie
Innenrotation offene Reposition über posterolateralen Zugang nach Kocher-Langenbeck
cave: Darstellung des N. ischiadicus häufiges Repositionshindernis: eingeschlagene Piriformissehne, Kapsel oder eingeschlagenes
Labrum
259 18.5 · Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
18.5.1 Fallbeispiele Fall 18.1 Proximale Femurfraktur Typ I, Junge, 1½ J., Verletzung bei Krankengymnastik.
c
a
a Unfallbild. b,c K-Draht-Spickung.
b
Fall 18.2 Proximale Femurfraktur Typ II, Mädchen, 12 J., Sturz beim Eislaufen.
a a Unfallbild. b,c Schraubenosteosynthese.
b
c
18
260
Kapitel 18 · Hüfte
Fall 18.3 Proximale Femurfraktur Typ III, Junge, 16 J., Sturz vom Pferd.
a
b
d
a,b Unfallbilder, RÖ. c Unfallbild, CT. d Schraubenosteosynthese.
Fall 18.4 Proximale Femurfraktur Typ IV, beim Adoleszenten, Fenstersturz.
18 a a Unfallbild. b Schraubenosteosynthese.
b
c
19
Oberschenkel M. Maier, D. Schneidmüller und I. Marzi
19.1
Physiologische Befunde
19.1.1
Knochenkerne und Fugenschluss
19.2
Frakturen des Femurschaftes – 262
19.2.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
19.3
Fallbeispiele
– 272
– 262 – 262
– 262
262
Kapitel 19 · Oberschenkel
19.1
Physiologische Befunde
Das Femur ist der längste und stärkste Röhrenknochen des Körpers. Physiologischerweise bestehen eine Antekurvation und eine leichte Lateralverbiegung des Femurschaftes. Die Epiphyse des distalen Femurs ist als einzige bei der Geburt radiologisch sichtbar, sie gilt als Reifezeichen beim Neugeborenen (⊡ Abb. 19.1, ⊡ Abb. 19.2). Die Epiphysenfuge und die Apophysenfuge am proximalen Femur bilden eine funktionelle Wachstumseinheit. Die Unversehrtheit dieser Fugen ist Voraussetzung für ein ungestörtes Längenwachstum und die Entwicklung des Schenkelhalses. Im Säuglingsalter besteht das Os femoris vorwiegend aus Geflechtknochen, der in den folgenden Jahren zu einem härteren lamellären Knochen umgebaut wird. Der Femurschaft vergrößert sich im Laufe des Wachstums im Durchmesser zugunsten des Kortikalisdurchmessers, während der Markraumdurchmesser in Relation dazu abnimmt. Daher sinkt das Frakturrisiko beim größeren Kind durch eine Zunahme der Knochenstabilität. Bei der Beurteilung von posttraumatischen Beinlängendifferenzen und Rotationsfehlern sind idiopathische Unterschiede zu beachten. Je nach Literaturangabe liegt die physiologische Beinlängendifferenz zwischen 0,5 und 1 cm und die Antetorsionsdifferenz bei bis zu 20° bei ca. 20% der Kinder.
⊡ Abb. 19.2. Geburtstraumatische Femurfraktur mit sichtbarem Epiphysenkern an distalem Femur. Apophysen und weitere Epiphysenkerne sind noch nicht erkennbar.
19.2
Frakturen des Femurschaftes
19.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und 19.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss
19 ⊡ Abb. 19.1. Ossifikationszentren am Femur: 8. Gestationswoche Femurschaft, distal 39. Fetalwoche, Kopf 4. Lebensmonat, Trochanter major 4.–6. Lebensjahr, Trochanter minor 11.–12. Lebensjahr.
klinisches Bild Die Inzidenz der Frakturen des Femurschaftes beträgt ca. 1,3%. Die Femurschaftfraktur ist nach der Unterschenkelfraktur die häufigste Verletzung der unteren Extremitäten. Meist ist ein direktes hochenergetisches Trauma Ursache der Verletzung, wie Stürze aus großer Höhe sowie Unfälle im Straßenverkehr als Fußgänger, Zweiradfahrer oder PKW-Insasse. So muss bei Vorliegen einer Femurschaftfraktur an Begleitverletzungen, Blutverlust, Schock sowie begleitende Weichteil-, Nerven- und Gefäßverletzungen gedacht werden. Eine Röntgenübersichtsaufnahme des angrenzenden Hüft- und Kniegelenks sollte zum Ausschluss einer Begleitverletzung wie z.B. einer Hüftluxation angefertigt werden. Zudem muss stets an Kindesmisshandlung v.a. bei Kleinkindern und Säuglingen als Ursache gedacht werden. Dabei sollte auf Widersprüche in der Anamnese sowie auf das Vorliegen weiterer Verletzungen wie Hämatome geachtet werden. Klinisch ist die Femurschaftfraktur in der Regel einfach zu erkennen durch lokale Schwellung, Verkürzung und Rotationsfehlstellung des betroffenen Beines (⊡ Abb. 19.3). Bei eindeutiger Fraktur mit Dislokation muss eine zweite Ebene der Röntgenaufnahme nicht erzwungen werden, um eine weitere Dislokation und Schmerzen zu vermei-
263 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
⊡ Abb. 19.3. Dislozierte Femurfraktur mit Außenrotationsstellung nach PKW-Unfall.
den. Zusätzliche Weichteil-, Gefäß- und Nervenverletzungen müssen sorgfältig dokumentiert und bei der operativen Versorgung berücksichtigt werden. Die meisten Frakturen liegen im mittleren Schaftdrittel auf Höhe der maximalen Antekurvation. Mit 49% stellen die Schräg- und Torsionsfrakturen die Mehrzahl dar, Grünholzfrakturen sind im Bereich des Schaftes selten und treten eher an der distalen Femurmetaphyse auf. Im Vergleich zum Erwachsenen kommt es bei Kindern zu einer schnellen Frakturkonsolidierung mit meist deutlicher Kallusbildung. Das Kind ist in der Lage, Achsfehlstellungen im weiteren Wachstum auszugleichen, wohingegen die Korrekturmöglichkeit von Rotationsfehlstellungen in der Literatur kontrovers diskutiert wird. Rotationsfehlstellungen von bis zu 20° werden jedoch meist gut toleriert. Varusfehlstellungen werden aufgrund der muskulären Verteilung besser korrigiert als Valgusfehlstellungen. Je proximaler die Fehlstellungen, desto schlechter ist das Korrekturpotenzial, weshalb keine Fehlstellung bei Frakturen des proximalen Femurs belassen werden sollte. Daneben muss v.a. zwischen dem 2. und 10. Lebensjahr mit einem vermehrten Längenwachstum von durchschnittlich 1 cm bis zu einem Jahr nach Trauma gerechnet werden, was in der Therapieplanung berücksichtigt und im Verlauf kontrolliert werden muss. Je größer das nötige Remodeling, desto größer ist die Wachstumsstimulation, weshalb die Spontankorrektur meist nicht in das Therapiekonzept mit einbezogen wird und eine anatomische Reposition angestrebt wird. Abhängig vom Ausmaß können Beinlängendifferenzen zu einem Beckenschiefstand mit nachfolgendem Verkürzungshinken und skoliotischer Fehlhaltung führen. Die Wahl des therapeutischen Verfahrens bei der Femurschaftfraktur richtet sich außer nach den Begleitverletzungen vor allem nach dem Alter des Patienten. Bei Säuglingen und Kleinkindern stellt die konservative The-
rapie die Methode der Wahl dar. Bei Neugeborenen und Säuglingen steht eine Ruhigstellung im Becken-Bein-Gips im Vordergrund, es werden jedoch auch alternative Verfahren mit Anlage einer Pavlik-Bandage (gebräuchlich bei der kongenitalen Hüftluxation) beschrieben. Eine primäre Gipsruhigstellung wird bei Weichteilverletzungen oder einer Verkürzung von mehr als 2 cm nicht empfohlen. Die Overheadextension als nichtinvasive Pflasterextension kommt beim Kleinkind mit größerer Achsfehlstellung oder Verkürzung zur Anwendung. Eine temporäre Extensionsbehandlung beim älteren Kind kann nur noch in Ausnahmesituationen eine Alternative darstellen, falls eine primäre operative Versorgung nicht möglich sein sollte. Aber auch in diesen Fällen ist der Fixateur externe die vernünftigere Alternative. Die operative Therapie stellt die Behandlung der Wahl beim Kind ab 3–4 Jahren dar, wobei die elastisch stabile Nagelung (ESIN) mittlerweile hier im Vordergrund steht. Diese kann bei Frakturen nahezu aller Lokalisationen (proximal, distal) und Verläufe (quer, schräg) angewandt werden, auch spricht bei I–II° offenen Frakturen nichts gegen eine intramedulläre Nagelung nach entsprechendem Débridement. Bei nicht tolerablen Fehlstellungen ist im Einzelfall ggf. auch bei jüngeren Kindern eine operative Versorgung mittels ESIN möglich. Der Fixateur externe tritt neben der ESIN-Versorgung zunehmend in den Hintergrund und findet heute beim polytraumatisierten Kind, bei ausgedehnteren Weichteilschäden oder instabilen Schrägfrakturen oder Mehrfragmentfrakturen seine Anwendung. Insbesondere bei fehlender Abstützungsmöglichkeit ist der Fixateur externe gegenüber der ESIN von Vorteil. Er wird im Kindesalter ebenfalls sehr gut toleriert und ist auch kosmetisch im Ergebnis ausgezeichnet. Die Plattenosteosynthese bleibt Einzelfällen vorbehalten aufgrund des aufwendigen Verfahrens und kosmetisch ungünstigen Ergebnisses. Beim Adoleszenten mit bereits verschlossenen Wachstumsfugen kann eine Versorgung mit einem intramedullären Nagel oder einer durchgeschobenen Platte wie beim Erwachsenen erfolgen. Während des Wachstums besteht beim Einbringen des Nagels über die Fossa piriformis die Gefahr der Hüftkopfnekrose durch Störung der Gefäßversorgung am Schenkelhals. Deshalb wird beim Adoleszenten ein Zugang über den Trochanter major empfohlen.
Klassifikation Femurfrakturen im Kindesalter werden überwiegend nach dem Frakturtyp und der Morphologie eingeteilt. Dennoch müssen offene von geschlossenen Verletzungen hinsichtlich des Weichteilschadens differenziert werden. Hierbei kommt die Klassifikation nach Gustilo und Anderson ( Kap. 10) zur Anwendung.
19
264
Kapitel 19 · Oberschenkel
Subtrochantäre proximale Femurfraktur
Besonderheiten
keine Spontankorrektur
Diagnostik
Rx a.-p. (+ lateral) Klinik: meist deutliche Dislokation mit Verkürzung und Rotationsfehlstellung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
keine Achsabweichungen belassen, da kein Korrekturpotenzial!
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen <3.–4. Lj.
Verfahren
Becken-Bein-Gips 4 Wochen
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung an Gehstöcken; Sitzen, sobald 90°-Flexion im Hüftgelenk erreicht ist, Krankengymnastik zur Mobilisation
Rx-Kontrolle
Konsolidierungskontrolle nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit und volle Funktion (bis ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Operative Therapie
19
Indikation
>3. Lebensjahr oder Dislokation
Verfahren
geschlossene Reposition und retrograde ESIN ggf. offene Reposition und Winkelplatte
Nachbehandlung
bewegungsstabil, Abrollbelastung an UA-Gehstützen ggf. initiale Gangschule an UA-Gehstützen
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
4–6 Monate post OP (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung; bei freier Funktion
Komplikationen
selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe
Wachstumsstörung
selten, <10 Jahre Verlängerung, >10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/1-9.1-3
LiLa: 3.2.s.3(4).0-2.
265 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
Femurschaftquerfraktur
Besonderheiten
30% der Femurschaftfrakturen, v.a. direktes Trauma, meist im mittleren Schaftdrittel
Diagnostik
Rx a.-p. (+ seitlich), eine Ebene i.d.R. ausreichend Klinik: meist deutliche Dislokation mit Verkürzung und Rotationsfehlstellung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Rotationsfehler <3. Lj. 20°, >3. Lj. 10° Varus <3. Lj. 20°, >3. Lj. 10° Valgus bis 10° Antekurvation 10°/Rekurvation keine ad latus <3. Lj. bis Schaftbreite, >3. Lj. bis ½ Schaftbreite
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie, ggf. OS-Schiene
Konservative Therapie Indikation
<3. Lj. i.d.R. konservativ, Beachtung der Korrekturgrenzen
Verfahren
4 Wochen Becken-Bein-Gips bei tolerabler Fehlstellung 2 Wochen Overheadextension + 2 Wochen Becken-Bein-Gips
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
Konsolidierungskontrolle nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit und volle Funktion (bis ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Operative Therapie Indikation
>3. Lj. oder Überschreitung der Korrekturgrenzen
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition, offene Reposition kann bei Repositionshindernissen (Muskel) oder in langen Durchleuchtungszeiten erforderlich werden retrograde ESIN bei Frakturen im proximalen und mittleren Schaftdrittel antegrade ESIN bei Frakturen im distalen Schaftdrittel Fixateur externe: bei offenen Frakturen, ggf. Polytrauma
Nachbehandlung
postoperativ bei korrekter Implantatlage, schmerzabhängige Vollbelastung möglich Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich (ggf. initiale Gangschule)
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4–6 Wochen und 3–4 Monaten Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
4–6 Monate post OP (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, schmerzhafte Reizung des Tractus iliotibialis bei zu weit überstehenden ESIN, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe
Wachstumsstörung
selten, <10 Jahre Verlängerung, >10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/4.1-3
LiLa: 3.2.s.3.0-2.
19
266
Kapitel 19 · Oberschenkel
Femurschaftschrägfraktur
Besonderheiten
zusammen mit den Torsionsfrakturen 49% aller Femurschaftfrakturen, v.a. direktes Trauma, meist im mittleren Schaftdrittel
Diagnostik
Rx a.-p. (+ seitlich), zweite Ebene zur Differenzierung Schräg-/Torsionsfraktur und Länge der Frakturzone sinnvoll, teilweise erst in Narkose durchführbar
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Rotationsfehler <3. Lj. 20°, >3. Lj. 10° Varus <3. Lj. 20°, >3. Lj. 10° Valgus bis 10° Antekurvation 10°/Rekurvation keine ad latus <3. Lj. bis Schaftbreite, >3. Lj. bis ½ Schaftbreite
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie, ggf. OS-Schiene
Konservative Therapie Indikation
<3. Lj. i.d.R. konservativ, Beachtung der Korrekturgrenzen
Verfahren
Becken-Bein-Gips 3–4 Wochen bei tolerabler Fehlstellung 2 Wochen Overheadextension + 2 Wochen Becken-Bein-Gips
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
Konsolidierungskontrolle nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie
19
Indikation
>3. Lj. operative Versorgung indiziert
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition offene Reposition nur in Ausnahmefällen bei Repositionshindernis oder zu langen Durchleuchtungszeiten erforderlich retrograde ESIN bei Frakturen im proximalen und mittleren Schaftdrittel antegrade ESIN bei Frakturen im distalen Schaftdrittel bei schwer retinierbaren Frakturen, langgezogenen Schräg-/Torsionsfrakturen, offenen Frakturen ist der Fixateur externe eine gute Alternative oder Fixation des ESIN am Schaft durch gewindetragende Verschlusskappen an Eintrittsstelle zur Vermeidung eines Teleskoping
Nachbehandlung
postoperativ in Abhängigkeit von Frakturversorgung und Compliance 4–6 Wochen Teilbelastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich, ggf. initial Gangschule
Rx-Kontrolle
postoperativ und 4–6 Wochen post OP Stellungskontrolle; nach 3–4 Monaten Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
ESIN 4–6 Monate post OP nach Konsolidierungskontrolle, Fixateur externe nach Konsolidierungskontrolle ca. nach 8–12 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 8 Wochen nach Konsolidierung
267 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
Komplikationen
Beinverkürzung mangels Abstützung bei Schräg-/Torsionsfrakturen durch ESIN selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, Reizung des Tractus iliotibialis bei zu weit überstehenden ESIN, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe
Wachstumsstörung
selten, <10 Jahre Verlängerung, >10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/5.1-3
LiLa: 3.2.s.3.0-2.
Femurschaftmehrfragmentfraktur
Besonderheiten
ca. 20% der Femurschaftfrakturen: Schräg-/Torsionsfrakturen mit Keil, Mehrfragmentfrakturen, Etagenfrakturen i.d.R. direktes Trauma, meist im mittleren Schaftdrittel
Diagnostik
Rx a.-p. (+ seitlich) meist deutliche Dislokation mit Verkürzung und Rotationsfehlstellung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Rotationsfehler <3. Lj. 20°, >3. Lj. 10° Varus <3. Lj. 20°, >3. Lj. 10° Valgus bis 10° Antekurvation 10°/Rekurvation keine ad latus <3. Lj. bis Schaftbreite, >3. Lj. bis ½ Schaftbreite
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie, ggf. OS-Schiene
Konservative Therapie Indikation
<3. Lj. i.d.R. konservativ, Beachtung der Korrekturgrenzen
Verfahren
2 Wochen Overheadextension + 2 Wochen Becken-Bein-Gips
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung, Krankengymnastik falls erforderlich
Rx-Kontrolle
Konsolidierungskontrolle nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
>3. Lj. operative Versorgung indiziert, i.d.R. geschlossene Reposition; offene Reposition nur in Ausnahmefällen erforderlich
Verfahren
Fixateur externe: Methode der Wahl insbesondere bei Polytrauma und offenen Frakturen selten: ESIN, da fehlende Abstützung, alternativ: Fixierung des intramedullären Kraftträgers durch gewindetragende Verschlusskappen oder Verriegelungsschraube selten: überbrückende, biologische Plattenosteosynthese nach Epiphysenfugenschluss und bei erheblicher Adipositas: Verriegelungsnagel
19
268
Kapitel 19 · Oberschenkel
Nachbehandlung
postoperativ abhängig vom Frakturtyp, Teilbelastung für 4–6 Wochen, bis Kallus sichtbar Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich, ggf. Gangschule
Rx-Kontrolle
postoperativ und nach 4–6 Wochen Stellungskontrolle; nach 3–4 Monaten Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 8–10 Wochen bei Fixateur externe; nach 4–6 Monaten post OP bei ESIN (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
ca. 8 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe, durch Teleskoping bei ESIN, Pin-Infekt bei Fixateur externe sekundäre Verkürzung/Rotationsfehler bei mangelnder Abstützung
Wachstumsstörung
selten, <10 Jahre Verlängerung, >10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/4(5).3
LiLa: 3.2.s.4.1-2.
Distales Femur: suprakondyläre Fraktur
Besonderheiten
selten, extraartikulär
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich (Femur mit Hüft- und Kniegelenk) ggf. Angiographie bei Verdacht auf Gefäßläsion
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Achsfehler keine Rekurvation
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie Gefäß-/Nervenschaden: Notfallindikation
Konservative Therapie
19
Indikation
Stauchungsfraktur und undislozierte suprakondyläre Fraktur i.d.R. konservativ
Verfahren
OS-Gips für 4 Wochen
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
bei Stauchungsfrakturen nicht notwendig, klinisch: schmerzfreier Kallus bei Stauchungsfrakturen nur Konsolidierungskontrolle nach 4 Wochen; dislozierte suprakondyläre Frakturen: 8. Tag Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
instabile dislozierte Frakturen, Repositionshindernis, Begleitverletzungen
269 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition in ITN offene Reposition bei schwerer Dislokation, eingeschlagenen Weichteilen, Begleitverletzungen; Gefäß-/Nervenschaden gekreuzte K-Draht-Fixation, perkutan plus OS-Gipsschiene alternativ: K-Draht-Fixation plus Fixateur externe bei Weichteilschäden, Polytrauma, »Floating Knee«; alternativ: deszendierende ESIN
Nachbehandlung
K-Draht-Spickung: OS-Gips für 4–5 Wochen unter Entlastung, nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung ESIN, Fixateur externe: Beweglichkeit frei; Abrollbelastung ca. 4 Wochen Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 5 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
K-Drähte: 4–5 Wochen post OP (nach Konsolidierung); ambulant ESIN: 4–6 Monate post OP Fixateur externe: 4–6 Wochen post OP
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Gefäßläsion bei Dislokation nach dorsal (A./V. femoralis) Cave: zusätzliche Band-/Meniskusverletzungen des Kniegelenkes
Wachstumsstörung
immer stimulative Wachstumsstörung – diskrete Beinverlängerung hemmende Wachstumsstörung: selten
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge)
Klassifikation
AO: 33-M/2(3).1-3
Technische Aspekte
Femurfraktur
LiLa: 3.3.s.2-4.0-2.
Konservative Therapie Overheadextension Overheadextension durch Heftpflasterverband und elastische Wickelung für ca. 3–4 Wochen oder 2 Wochen Overheadextension und Wechsel auf Becken-Bein-Gips für weitere 2 Wochen Extension mit ca. einem Drittel des Körpergewichts, Gesäß im distalen Bereich frei schwebend (⊡ Abb. 19.4) exakte Längen- und Rotationskontrolle nicht möglich und auch nicht erforderlich regelmäßige Kontrolle der Anordnung notwendig gelegentlich leichte Sedierung/Analgesie zur Anlage erforderlich ggf. ambulant fortsetzbar, meist jedoch unter stationären Bedingungen Becken-Bein-Gips (⊡ Abb. 19.5) Ziel: achsgerechte Stellung, Verkürzung bis 10 mm ist tolerabel Anlage ggf. in Narkose zur Reposition nach 2 Wochen Overheadextension, für weitere 2 Wochen Becken-Bein-Gips zirkulärer Gips von Beckenkamm bis einschließlich Fuß am frakturierten Bein und bis oberhalb des Kniegelenks am gegenseitigen Bein; alternativ nur Beckenring Neugeborene: 90°-/90°-Stellung in Knie und Hüfte Kleinkinder: 50°-/50°-Stellung in Knie und Hüfte geringe Abduktion, um Außenrotationsfehlstellungen zu vermeiden ausreichende Aussparung im Bereich des Genitales bei Gipsverband gelegentlich Verstärkung durch Holzstab quer ventralseitig über dem Becken/Oberschenkel erforderlich regelmäßige Gipskontrollen notwendig
19
270
Kapitel 19 · Oberschenkel
Operative Therapie Material
ESIN elastische Titannägel; Durchmesser: 2–5 mm (/ des Markraumdurchmessers)
Fixateur externe (unterschiedliche Fixateursysteme erhältlich) Lagerung
Rückenlage, Abdeckung bis oberhalb der Hüfte, Bein frei beweglich
Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
Für Frakturen des distalen Femurdrittels bzw. der distalen Metaphyse wird vorzugsweise die
Rotationsfehler, Beinlängendifferenz sekundäre Dislokation ESIN: Reizung/Infekt (häufig: Pseudobursa) über Nagelende, Flexionseinschränkung (Tractus) Fixateur externe: Pintractinfektion
deszendierende monolaterale Nageltechnik angewendet (⊡ Abb. 19.6). Die Fixation metaphysärer Frakturen mittels Nageltechnik beruht auf anderen biomechanischen Prinzipien als die Fixation von Schaftfrakturen. Eine korrekte innere Abstützung zur Stabilisierung der Nagelspitzen und somit des metaphysären Fragments muss gewährleistet sein. Folgende Abweichungen gegenüber der Standardtechnik sind zu berücksichtigen: Für die deszendierende Versorgung von Femurfrakturen liegen die monolateralen Eintrittsstellen subtrochantär anterolateral etwa 1–2 cm in Längsrichtung auseinander und 0,5–1 cm seitlich zueinander versetzt. Hautinzisionen sind ausreichend lang zu wählen. Um eine korrekte innere Verspannung, d.h. eine 3-Punkte-Abstützung zu erreichen, muss einer der Nägel S-förmig vorgebogen werden, sodass die Verspannung auf die Höhe der Frakturzone zu liegen kommt. Den ersten einfach vorgebogenen Nagel einführen, die Fraktur mit dem Nagel reponieren und primär stabilisieren. Den S-förmig gebogenen Nagel einbringen. Nach dem ersten Kontakt mit der Gegenkortikalis den Nagel um 180° drehen und evtl. die Vorspannung noch verstärken. Die Nägel bis an die Epiphysenfuge heranführen und die Nagelspitzen so ausrichten, dass sie divergent zueinander liegen (⊡ Abb. 19.7). Fixateur externe 2(–3) Fixateurpins jeweils proximal und distal mit 2 QF Abstand zur Fraktur (⊡ Abb. 19.8) Lage der Pins dorsolateral entlang des Septum intermusculare (Schonung der Muskulatur) i.d.R. zwei parallel verlaufende Verbindungsstäbe Überkorrektur der Länge vermeiden ausreichende Spaltung des Tractus iliotibialis klinische Rotationskontrolle intraoperativ tägliche Pinpflege durch Patienten bzw. Eltern (Entfernung der Krusten, Duschen erlaubt) Metallentfernung
ESIN nach 4–6 Monaten in ITN
Fixateur externe nach Röntgen (bei ausreichender Kallusbildung, nach ca. 6–8 Wochen), im Einzelfall auch am-
bulant möglich
19
271 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
⊡ Abb. 19.6. Korrekte Lage der Eintrittsstellen am proximalen Femur; man beachte die versetzte Lage. Dies verhindert das Spalten des Knochens.
⊡ Abb. 19.4. Overheadextension.
⊡ Abb. 19.7. Korrekte Lage der beiden Nägel bei anterograder Technik; man beachte die gute Aufspannung und den Kontakt zur Kortikalis im distalen Drittel.
⊡ Abb. 19.5. Beckenbeingips.
⊡ Abb. 19.8. Eintrittstellen der Fixateurpins.
19
272
Kapitel 19 · Oberschenkel
19.3
Fallbeispiele
Fall 19.1 Proximale Femurschaftfraktur, Junge 3 J., Verkehrsunfall.
a Unfallbild. b,c ESIN, retrograd; knöcherne Überbauung.
Fall 19.2 Distale Femurschaftmehrfragmentfraktur, Junge, 9 J.
a
Fall 19.3 Femurschaftfraktur beim Säugling, 7 Mon., battered child.
b
a Unfallbild. b Fixateur externe, postoperativ.
19
a Unfallbild. b Konservative Therapie durch Overheadextension, Kalluswolke.
20
Knie D. Schneidmüller und I. Marzi
20.1
Physiologische Befunde – 274
20.1.1
Entwicklung der Beinachse
– 275
20.2
Frakturen des Kniegelenks – 276
20.2.1 20.2.2
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Fallbeispiele – 285
20.3
Verletzungen der Patella – 287
20.3.1
20.3.2 20.3.3
Patella partita – 287 Patellafraktur – 287 Patellaluxation – 287
20.4
Bandverletzungen am kindlichen Knie – 295
20.4.1 20.4.2 20.4.3
Eminentia-intercondylaris-Ausrisse – 295 Intraligamentäre Kreuzbandläsionen – 296 Femorale Kollateralbandausrisse – 296
20.5
Meniskusschäden – 301
20.5.1
Scheibenmeniskus – 301
– 276
274
Kapitel 20 · Knie
20.1
Physiologische Befunde
3.- 6. Lj. 9. Em.
30%
10. Em. 2.- 4. Lj.
a
12.- 15. Lj.
b
⊡ Abb. 20.2. Auftreten der Knochenkerne. a Zwischen dem 5. und 7. Lj. sind häufig unregelmäßige Ossifikationszentren im Bereich des dorsalen Femurkondylus zu sehen. b Im Bereich der proximalen Tibiaepiphyse tritt ein zweites Ossifikationszentrum im 2.–3. Monat auf.
70% 55%
16.-24. Lj.
14.-18. Lj. 15.-18. Lj.
45%
⊡ Abb. 20.1. Anteil der Epiphysenfugen am Längenwachstum der unteren Extremität. Distale Femurepiphyse: – 40% des Längenwachstums des gesamten Beins, – 70% des Längenwachstums des Femurs. Proximale Tibiaepiphyse: – 30% des Längenwachstums des gesamten Beins, – 55% des Längenwachstums der Tibia.
20
⊡ Abb. 20.3. Verschluss der Wachstumsfugen. Tuberositas tibiae: 1. Ossifikationszentrum auf Höhe der Tibiaepiphyse: 12.–15. FW, 2. Ossifikationszentrum weiter distal: 7.–9. Lj., → vergrößert sich, bis es im Adoleszentenalter (w: 12.–15. Lj.; m: 15.–18. Lj.) zu einer Verschmelzung kommt.
275 20.1 · Physiologische Befunde
20.1.1 Entwicklung der Beinachse
Während der Entwicklung durchläuft die Beinachse des Kindes Phasen mit O- und X-Bein-Stellung. Als Säugling findet sich in der Regel ein Genu varum, welches sich am Ende des 1. Lebensjahres mit Laufbeginn neutralisiert und in ein Genu valgum übergeht. Am Ende des 2. Lebensjahres erreicht das X-Bein das maximale Ausmaß, sodass um das 8. Lebensjahr der normale Winkel erreicht ist: für Mädchen ±7°, für Jungen ±10° (⊡ Abb. 20.4).
15 °
tibiofemoraler Winkel
⊡ Abb. 20.4. Bestimmung des Tibiofemoralwinkels.
27 °
1. Lm.
17°
7°
3. Lj.
4°
10. Lj.
19. Lj.
⊡ Abb. 20.5. Entwicklung der sagittalen Ebene des Tibiakopfes. In der Behandlung von kindlichen Tibiakopfverletzungen ist die physiologisch erhöhte Rekurvation des Tibiaplateaus zu beachten; sie nimmt im Laufe der Entwicklung von 27° auf 4° ab.
20
276
Kapitel 20 · Knie
Altersabhängige Röntgenbefunde
20.2
Frakturen des Kniegelenks
20.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild
⊡ Abb. 20.6. Neugeborenes; sichtbarer Knochenkern distales Femur.
⊡ Abb. 20.7. 2. Lebenswoche.
Frakturen des Knieglenks weisen am distalen Femur eine Inzidenz von 0,8% und an der proximalen Tibia eine von 1,2% auf. Verletzungen des Kniegelenks treten im Rahmen von Sportverletzungen, aber auch Hochrasanztraumen und Stürzen aus großer Höhe häufig auf. Schwerwiegende Verletzungen wie Frakturen oder Kniebinnenschäden sind jedoch seltener. Dies ist nicht zuletzt auf die erhöhte Laxizität der Bänder und Flexibilität des wachsenden Skeletts zurückzuführen. Beim Trauma werden die einwirkenden Kräfte beim Kind über die stabileren Bänder auf den Knochen übertragen, sodass es eher zu einer knöchernen Läsion kommt als zu einer Verletzung des Bandapparates (⊡ Tab. 20.1). Die Diagnostik kann erschwert sein aufgrund auftretender unregelmäßiger Ossifikationszentren und der im Kleinkindesalter nicht immer klaren Anamnese. Hier kann neben der obligatorischen Röntgenaufnahme die MRT oder später die Arthroskopie weitere Informationen liefern. Mögliche Begleitverletzungen wie Kniebinnenschäden oder Gefäßrupturen müssen ausgeschlossen werden. Die proximale Tibiaepiphyse ist im Vergleich zu anderen Epiphysen des Beins am häufigsten von begleitenden Gefäßverletzungen betroffen, aufgrund der Trifurkation der A. poplitea dorsal in Höhe der Tibiaepiphyse. Ist eine Reposition der Fraktur notwendig, sollte dies in Allgemeinanästhesie erfolgen. Dabei sollte eine definitive Stabilisierung der Fraktur vorgenommen werden, um eine Sekundärdislokation und Nachreposition zu vermeiden, was die Gefahr einer erhöhten Rate an Wachstumsstörungen mit sich bringen würde. Mit zunehmendem Alter sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Wachstumsstörung.
⊡ Tab. 20.1. Frakturen des Kniegelenks Suprakondyläre Fraktur Distales Femur
Proximale Tibia
Salter I/II
extraartikulär
Salter III/IV
intraartikulär
Übergangsfrakturen
intraartikulär
Übergangsfrakturen
intraartikulär
Salter III/IV
intraartikulär
Salter I/II
extraartikulär
Tuberositasausriss
intra-/extraartikulär
Patellafraktur
20 ⊡ Abb. 20.8. 4. Lebensjahr.
⊡ Abb. 20.9. 13. Lebensjahr.
Knöcherne Bandausrisse
277 20.2 · Frakturen des Kniegelenks
Bei bereits beginnendem Fugenverschluss spricht man von der sog. Übergangsfraktur. Ist lediglich die Epiphyse betroffen, so handelt es sich um eine Twoplane-Fraktur, besteht ein zusätzlicher metaphysärer Keil, handelt es sich um eine Triplane-Fraktur. Bei der operativen Versorgung der Übergangsfraktur kann die Gefahr der Fugenverletzung mit konsekutiver Wachstumsstörung vernachlässigt werden, fugenkreuzende Verfahren sind erlaubt, da in diesem Alter mit keinem relevanten Restwachstum mehr zu rechnen ist. Bei noch offenen Fugen dagegen muss grundsätzlich immer mit Wachstumsstörungen gerechnet werden. Stimulierende Wachstumsstörungen treten mehr oder weniger nach jeder Fraktur auf und führen zu einer Beinverlängerung. Das Ausmaß ist von der Aktivität und der Dauer der Reparaturvorgänge abhängig. Hemmende Wachstumsstörungen sind um so wahrscheinlicher, je näher die Fraktur an der Epiphysenfuge liegt. Bei komplettem vorzeitigem Verschluss der Fuge kann es aufgrund des großen Wachstumsanteils der kniegelenksnahen Epiphysenfugen am Längenwachstum der unteren Extremität je nach Alter des Kindes und der damit noch vorhandenen Wachstumsreserve zu einer erheblichen Beinverkürzung kommen. Bei einer partiell hemmenden Wachstumsstörung kommt es durch Brückenbildung in der Fuge zu einem Teilverschluss und damit zu einem konsekutiven Fehlwachstum mit Achsfehlstellung. Diese Wachstumsstörungen machen sich im klinischen Bild meist nach 6 Monaten bemerkbar, sodass regelmäßige klinische Nachuntersuchungen zur Erfassung eines solchen Fehlwachstums notwendig sind. Bei bestehendem Verdacht auf eine partielle Wachstumshemmung sind radiologische Kontrollen, ggf. die Durchführung einer MRT, zur Bestimmung des Ausmaßes und Darstellung der Brückenbildung notwendig, um evtl. eine Korrektur durchführen zu können. Bei unauffälligem Befund kann die Behandlung nach 2 Jahren abgeschlossen werden.
20
278
Kapitel 20 · Knie
Distales Femur: Epiphysenlösungen
Besonderheiten
häufigste Fraktur am distalen Femur; Hämarthros bei Kapselverletzung geburtstraumatisch; cave: <3. Lj. »Battered Child« direktes Trauma; Sturz aus großer Höhe
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich (Femur mit Hüft- und Kniegelenk; das Verhältnis Femurmetaphyse zu Epiphyse bzw. Femurachse zu Tibiaachse ist zu beachten!) Angiographie: bei Verdacht auf Gefäßschaden ggf. Ultraschall: subperiostales Hämatom
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Reposition eines Achsfehlers; </ Seitverschiebung bei Epiphysenlösung vollständiger Ausgleich der Rekurvation
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie, Notfallindikation: Gefäß-/Nervenschaden und schmerzhafte Dislokation
Konservative Therapie Indikation
nicht dislozierte Frakturen
Verfahren
OS-Gips für 4–5 Wochen unter Teilbelastung
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
am 8. Tag Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie
20
Indikation
Dislokation, schmerzhafte Instabilität; Begleitverletzungen
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition; offene Reposition bei schwerer Dislokation, eingeschlagenen Weichteilen perkutane gekreuzte K-Draht-Spickung; Schraubenosteosynthese alternativ: Fixateur externe bei Weichteilschäden, Polytrauma, »Floating Knee«
Nachbehandlung
K-Draht-Spickung: dorsale OS-Gipsschiene für 4–5 Wochen, Abrollbelastung Schraubenosteosynthese: wegen kurzem Hebel OS-Gips 4 Wochen; 4 Wochen Abrollbelastung Fixateur externe: Teilbelastung, bis Kallusbildung vorhanden (4 Wochen) → Belastungsaufbau nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
K-Drähte: 4–5 Wochen post OP; Schrauben: 12–16 Wochen post OP; ITN Fixateur externe: 12 Wochen post OP; ggf. ambulant
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Gefäßläsion bei Dislokation nach dorsal (A./V. femoralis, A./V. poplitea) schwierige Retention kleiner metaphysärer Fragmente Kniebinnenschäden selten: Peronäusschaden; Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
meist stimulative Wachstumsstörung – diskrete Beinverlängerung hemmende Wachstumsstörung; Salter I: 27%
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge)
Klassifikation
AO: 33-E/1(2).1-3
LiLa: 3.3.s.1.0-2.
279 20.2 · Frakturen des Kniegelenks
Distales Femur: Epiphysäre und epi-metaphysäre Frakturen
Besonderheiten
intraartikulär; schweres Trauma; oft direkt
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich (Femur mit Hüft- und Kniegelenk) Angiographie: Verdacht auf Gefäßschaden ggf. MRT; Differenzialdiagnose: Bandläsion
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Achsfehler; Dislokation <2 mm kongruente Gelenkflächen ohne Stufe, Prävention Arthrose
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie, ggf. Punktion Hämarthros Notfallindikation: Gefäß-/Nervenschaden; massives Hämarthros
Konservative Therapie Indikation
konservative Therapie, nur bei minimaler Frakturdehiszenz (<2 mm); meist nicht möglich
Verfahren
OS-Gips für 4–5 Wochen
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
am 8. Tag Stellungskontrolle; nach 5 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
i.d.R. direkte Reposition notwendig → Gelenkrekonstruktion!; ggf. arthroskopisch gestützten Reposition und Verschraubung, sonst offen
Verfahren
gekreuzte K-Draht-Spickung; Schraubenosteosynthese
Nachbehandlung
Schraubenosteosynthese je nach Fragmentgröße: Beweglichkeit frei, 4–5 Wochen Abrollbelastung; Motorschiene K-Draht-Spickung: kleine Fragmente mit dorsaler OS-Gipsschiene für 4–5 Wochen nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 5 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
K-Drähte 5 Wochen post OP; Schrauben 4–6 Monate post OP
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Gefäßläsion bei Dislokation nach dorsal (A./V. femoralis, A./V. poplitea) postoperatives Hämarthros; Bewegungseinschränkung selten: Peronäusschaden; Kompartmentsyndrom Kniebinnenschäden; begleitende Bandverletzung bis 38% beschrieben
Wachstumsstörung
stimulative Wachstumsstörung – diskrete Beinverlängerung hemmende Wachstumsstörung; Salter IV: hohes Risiko (Beinlängendifferenz: 25–56%, Achsabweichung: 33–83%)
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge)
Klassifikation
AO: 33-E/3(4).1-3
LiLa: 3.3.a.1-5.0-2.
20
280
Kapitel 20 · Knie
Proximale Tibia: Epiphysenlösungen
Besonderheiten
Salter I v.a. bei neuromuskulärer Grunderkrankung
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich ggf. MRT (unklare Fraktur; Verdacht auf Bandläsion) Verdacht auf Gefäßschaden: Doppler-Sonographie/Angiographie
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Gelenkrekonstruktion
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie, ggf. Punktion Hämarthros
Konservative Therapie Indikation
stabile, nicht dislozierte Frakturen, i.d.R. konservativ
Verfahren
OS-Gips für 5 Wochen
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung; ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
1 Woche; Konsolidationskontrolle
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie
20
Indikation
Instabilität, Dislokation
Verfahren
geschlossene Reposition und K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
OS-Gipsschiene 4–5 Wochen; nach Gipsabnahme funktionell; ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
nach 1 Woche; Konsolidierungskontrolle nach 4–5 Wochen
Metallentfernung
nach 4–5 Wochen
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Gefäßschäden (A. poplitea) → Kompartmentsyndrom begleitende Bandverletzungen begleitende Fraktur der proximalen/distalen Fibula
Wachstumsstörung
selten
Nachkontrollen
3-wöchentlich bis zur freien Funktion; dann ½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge)
Klassifikation
AO: 41-E/1(2).1-3
LiLa: 4.1.s.1.0-2.
281 20.2 · Frakturen des Kniegelenks
Proximale Tibia: Epiphysäre und epi-metaphysäre Frakturen
Besonderheiten
selten; intraartikulär; direktes Trauma, Hyperextension v.a. Adoleszente
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich ggf. ASK ggf. MRT (unklarer Frakturverlauf; Verdacht auf Bandläsion) Verdacht auf Gefäßschaden: Doppler-Sonographie/Angiographie
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Gelenkrekonstruktion Dislokation <2 mm
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie ggf. Punktion Hämarthros
Konservative Therapie Indikation
nicht dislozierte Frakturen, Dislokation <2 mm
Verfahren
OS-Gips für 5 Wochen, Abrollbelastung
Nachbehandlung
funktionell: schmerzabhängige Belastung ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
Stellungskontrolle nach 7 Tagen, Konsolidierungskontrolle nach 5 Wochen
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Dislokation >2 mm; Begleitverletzungen, ausgeprägtes Hämarthros
Verfahren
i.d.R. offene Reposition (Gelenkrekonstruktion), Schraubenosteosynthese
Nachbehandlung
Abrollbelastung für 5 Wochen; Beweglichkeit frei
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; Konsolidierungskontrolle 5 Wochen post OP
Metallentfernung
12 Wochen post OP
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
ausgeprägtes Hämarthros; Bewegungseinschränkungen
Wachstumsstörung
hemmende Wachstumsstörung mit Achsfehlstellung <12. Lj. möglich; Verlaufskontrollen
Nachkontrollen
wöchentlich bis zur freien Funktion; dann ½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge)
Klassifikation
AO: 41-E/3(4).1-3
LiLa: 4.1.a.1-5.0-2.
20
282
Kapitel 20 · Knie
Ausrisse der Tuberositas tibiae
I°
II°
III°
Besonderheiten
extra- und intraartikulär; v.a. männliche Adoleszente Zusammenhang mit Morbus Osgood-Schlatter wird diskutiert Einteilung nach Watson-Jones (s.o.): I° – extraartikulär II° – extraartikulär III° – intraartikulär
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich Klinik: lokales Hämatom, Hämarthros; Streckunfähigkeit ggf. ASK
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
funktionelle Rekonstruktion Dislokation <5 mm
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
Typ I, II: nicht dislozierte Frakturen, Dislokation <5 mm
Verfahren
OS-Gips für 6 Wochen, Abrollbelastung
Nachbehandlung
funktionell: schmerzabhängige Belastung
Rx-Kontrolle
Konsolidierungskontrolle nach 6 Wochen
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie
20
Indikation
Typ-II- und -III-Frakturen mit Dislokation >5 mm; Gelenkbeteiligung; begleitende Weichteilschäden
Verfahren
offene Reposition, Schraubenosteosynthese, da meist beim Adoleszenten auch fugenkreuzend möglich Typ III: ggf. ASK oder offene Gelenkrekonstruktion Weichteilrekonstruktion
Nachbehandlung
Abrollbelastung für 6 Wochen; Beweglichkeit frei bei Weichteilrekonstruktion: OS-Gipsschiene bis Wundheilung
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; Konsolidierungskontrolle 6 Wochen post OP
Metallentfernung
12 Wochen post OP
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Ergebnisse gut nach anatomischer Reposition, Schluss der Fuge möglich (meist ausgewachsen) Meniskusläsionen
Wachstumsstörung
selten (da meist Adoleszente)
Nachkontrollen
3-wöchentlich bis zur freien Funktion; dann ½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge
Klassifikation
AO: 41-E/7.1-3
LiLa: 4.1.a.5.1-2.
283 20.2 · Frakturen des Kniegelenks
Technische Aspekte
Frakturen des distalen Femurs
Geschlossene Reposition/ Gipstechnik
anteriore Dislokation: Reposition in Flexion; Ruhigstellung in Flexion (20–30°) posteriore Dislokation: Reposition in Extension; Ruhigstellung in Extension
Allg.-Material
Bildwandler Arthroskopie (ASK-Möglichkeit)
Lagerung
Rückenlage; frei abgedecktes Bein; Fußteil abklappbar (ASK-Möglichkeit und Reposition der
Epiphysenlösungen meist in Knie-Flexion) Durchleuchtungsmöglichkeit in zwei Ebenen bei Gefäßschaden: Bauchlage
Zugang
offene Reposition: Zugang auf der Seite des metaphysären Fragments Gefäßschaden: posteromedialer Zugang
Spezielle Aufklärung
Wachstumsstörungen; Beinlängendifferenz, Achsabweichung Kompartmentsyndrom
OP-Prinzip
Gekreuzte K-Draht-Spickung (⊡ Abb. 20.10) Material: K-Drähte, Durchmesser 1,6–2,0 mm von medial und lateral, perkutan → Metallentfernung ohne zusätzliche Narkose möglich bei kleinen Fragmenten Durchkreuzen der Fuge erlaubt; möglichst senkrecht, um Schäden zu minimieren Kreuzungsstelle proximal der Fraktur → Rotationsstabilität Schraubenosteosynthese (⊡ Abb. 20.11) Material: Spongiosaschraube mit kurzem Gewinde, Titan; ggf. kanüliert (z.B. 4,5 mm) Stichinzision auf der Seite des metaphysären Fragments Fixateur externe (additiv statt Gips) Material: Stabfixateur (z.B. Monotube) Pinlage: lateraler OS (dorsal des Ansatzes des M. vastus lateralis) distaler Pin → mindestens 1 cm Abstand zur Epiphysenfuge Pinabstand zur Fraktur: 2 QF ESIN deszendierend
Metallentfernung
K-Drähte: ggf. ambulant, wenn perkutan belassen ESIN/Schraube/Fixateur externe: ITN
Sonstige Besonderheiten
keine
⊡ Abb. 20.10. Gekreuzte K-Draht-Spickung.
⊡ Abb. 20.11. Schraubenosteosynthese.
20
284
Kapitel 20 · Knie
Technische Aspekte
Frakturen der proximalen Tibia
Allg. Material
Bildwandler ASK-Möglichkeit
Lagerung
Rückenlage; frei abgedecktes Bein; Fußteil abklappbar (ASK) Durchleuchtungsmöglichkeit in zwei Ebenen
Spezielle Aufklärung
Wachstumsstörungen; Beinlängendifferenz, Achsabweichung Gefäßverletzung → Kompartmentsyndrom N.-peronaeus-Läsion
OP-Prinzip
Schraubenosteosynthese (⊡ Abb. 20.12) Material: kanülierte, selbstschneidende Spongiosaschrauben mit kurzem Gewinde, Titan; ggf.
Unterlegscheibe, 3,5–5 mm Fraktur der proximalen Tibia: geschlossene Reposition und Osteosynthese über Stichinzision;
offene Reposition bevorzugt über anterolateralen Zugang Tuberositas-Fraktur:
mediane Inzision (leicht medial der Patellarsehne) → Reposition in Extension → ggf. 2 Schrauben zur Rotationsstabilität → Verletzung des Adoleszenten → Fuge kann gekreuzt werden Metallentfernung
Schrauben in ITN K-Draht ggf. ambulant
Sonstige Besonderheiten
keine
⊡ Abb. 20.12. Schraubenosteosynthese
20
285 20.2 · Frakturen des Kniegelenks
20.2.2 Fallbeispiele Fall 20.1 Proximale Tibia: Übergangsfraktur, Mädchen, 14 J., Distorsionstrauma beim Schulsport.
a
b
c
d
e
f
a–d Unfallbilder. e–f Schraubenosteosynthese bei beginnendem Fugenschluss.
Fall 20.2 Proximale Tibia: Salter-II-Fraktur, Junge, 14 J.
a
b
a–b Unfallbilder. c–d K-Draht-Osteosynthese und Reposition.
c
d
20
286
Kapitel 20 · Knie
Fall 20.3 Distales Femur: Salter-II-Fraktur, Mädchen, 10 J.
c
a
b
a–b Unfallbilder. c–d K-Draht-Osteosynthese und Reposition.
20
d
20
287 20.3 · Verletzungen der Patella
20.3
Verletzungen der Patella
20.3.1 Patella partita
Die Patella partita stellt eine Variation der Ossifikation dar, welche in der Regel asymptomatisch bleibt. In den meisten Fällen tritt zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr ein Ossifikationszentrum auf. In 30% der Fälle kommen zusätzliche Ossifikationszentren vor. Diese können bis zum Abschluss des Wachstums mit der restlichen Patella verschmelzen oder in einer Patella partita resultieren (⊡ Abb. 20.13a,b, ⊡ Abb. 20.14). Die knorpelige Verbindung zur Patella stellt eine Schwachstelle für einwirkende Druck- und Scherkräfte dar und es kann hier selten zu einer Ausrissfraktur kommen. Meist ist keine spezifische Therapie erforderlich, in seltenen Fällen kann eine Resektion des Knochenfragments notwendig werden.
nen laxeren Bandapparat und einen noch zum Großteil knorpelig angelegten Knochen. Man unterscheidet Längs- und Querfraktur sowie osteochondrale Ausrissfrakturen (Sleeve-Fraktur). Während ein Hämarthros beim Erwachsenen meist auf eine VKB Ruptur hinweist, liegt beim Kind mit unauffälligem Röntgenbefund häufiger eine osteochondrale Fraktur vor.
20.3.3 Patellaluxation
Bei einem Ungleichgewicht der auf die Patella einwirkenden statischen und dynamischen Kräfte (ausgedrückt in einem vergrößerten Q-Winkel; ⊡ Abb. 20.15a) kann dies
20.3.2 Patellafraktur
Die Inzidenz der Patellafrakturen beträgt 1%. Frakturen im Bereich der Patella sind beim Kind im Vergleich zum Erwachsenen sehr viel seltener, da das kindliche Kniegelenk nachgiebiger ist bedingt durch ei-
lateral
- 20 °
b
c
medial 138 °
a
a
b
⊡ Abb. 20.13. Patella bipartita, häufigste Form. a Schema, b Röntgenaufnahme. a
⊡ Abb. 20.14. Patella partita, seltenere Formen.
b
⊡ Abb. 20.15. a Q-Winkel, Zugrichtung des M. quadriceps=erhöht bei chronischer Patellaluxation; Normwerte: m=8–10°; w=10–15°. b Kongruenzbestimmung des femoropatellaren Gleitlagers nach Merchant; – Sulkuswinkel: Winkel des femoralen Gleitlagers Normwert: 138° – Kongruenzwinkel: 1. Linie zwischen Patellaapex und tiefstem Punkt des Sulkus 2. Linie zwischen hinterer Patellarkante und tiefstem Punkt des Sulkus Normwerte: –6 bis –16° >0°: Winkel liegt lateral der Kongruenzlinie ab +16°: gehäuft Patellaluxationen.
288
Kapitel 20 · Knie
zu einer Lateralisation der Patella im femoropatellaren Gleitlager führen (⊡ Abb. 20.15b). Zu den prädisponierenden Faktoren gehören u.a.: ▬ eine Hypoplasie des lateralen Kondylus, ▬ eine Dysplasie der Patella, ▬ ein Genu valgum, ▬ eine Patella alta, ▬ eine Insuffizienz des medialen Kapsel-Band-Apparates und des M. vastus medialis, ▬ eine Kontraktur der lateralen Kapselstrukturen sowie des M. vastus lateralis.
Vordergrund mit Stärkung des M. vastus medialis obliquus des M. quadriceps. Für die operative Therapie existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, die man grob in weichteilige Zügelungsoperationen und knöcherne Operationen unterteilen kann. Allerdings sind knöcherne Prozeduren aufgrund der hohen Gefahr der Wachstumsstörung dem Adoleszentenalter mit bereits geschlossenen Fugen und in der Regel auch erst als Zweitmaßnahme vorbehalten.
Die Diagnose ist nicht immer leicht zu stellen, da es meist zu einer spontanen Reposition der Patella am Unfallort kommt. Eine gezielte Anamnesenerhebung spielt in der Klassifizierung der Luxationen eine bedeutende Rolle (⊡ Tab. 20.2). Es existieren diverse radiologische Parameter, welche jedoch nur bei einer vollständig ossifizierten Patella korrekt angewendet werden können (Blumensaat; Insall und Salvati). Klinisch zeigt sich meist bei der traumatischen Luxation ein Druckschmerz über dem medialen Retinakulum bzw. der medialen Patella sowie über dem lateralen Femurkondylus mit positivem Apprehensiontest (Schmerzen bei Nachahmung des Luxationsvorgangs). Grundsätzlich muss immer an Begleitschäden gedacht werden wie Weichteilschaden und osteochondrale Fraktur. Kinder mit einer generellen Hyperlaxizität der Gelenke haben ein geringeres Risiko einer intraartikulären Begleitverletzung. Die MRT liefert nützliche Hinweise auf Begleitverletzungen, die das Outcome und die Therapie beeinflussen, wie z. B. osteochondrale Begleitfrakturen oder eine Verletzung des MPFL (mediales femoropatellares Ligament). Bei massivem Hämarthros kann auch eine primäre ASK sinnvoll sein. Auch bei der Kniegelenkspunktion geben Fettaugen auf dem Blut einen klaren Hinweis auf eine osteochondrale Verletzung. Therapeutisch steht bei fehlender Begleitverletzung die konservative Behandlung im
⊡ Tab. 20.2. Klassifikation der Patellaluxation
20
Typ I: traumatische Luxation
selten; begleitende osteochondrale Frakturen und Weichteilschaden
Therapie: ohne Begleitverletzung konservativ; mit Begleitverletzung operativ
Typ II: chronische Luxation chronisch rezidivierend/habituell: angeboren oder erworben
v.a. adoleszente Mädchen; Ursache: Dysplasie des femoropatellaren Gleitlagers, insuffizienter muskulärer Streckapparat, valgische Beinachse (erhöhter Q-Winkel); häufig unspezifischer chronischer Knieschmerz
Therapie: primär konservativ (Muskelaufbau), sekundär bei Beschwerdepersistenz operativ
Typ III: habituelle Luxation, willkürlich habituell (angeboren)
v.a. bei hyperaktiven Kindern; Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom; mehrere und willkürliche Luxationen pro Tag, i.d.R. asymptomatisch, keine Begleitverletzungen
Therapie: konservativ
289 20.3 · Verletzungen der Patella
Patellafraktur
Besonderheiten
selten; direktes Trauma, v.a. Adoleszente osteochondrale Fraktur v.a. nach Patellaluxation Sleeve Fracture (s. Abb. oben rechts, caudaler Abriss): osteochondrale Ausrissfraktur; v.a. 8.–12. Lj., plötzliche Quadrizepsanspannung (z.B. Hochsprung)
Diagnostik
Rx a.-p. + lateral Patella axial bei Längsfraktur ggf. MRT Arthroskopie bei zu erwartender therapeutischer Maßnahme
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Gelenkkongruenz Rekonstruktion des Streckapparates
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene oder Orthese, Analgesie ggf. Punktion Hämarthros Notfallindikation: dislozierte Frakturen
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen (s. Abb. oben, MRT, erhaltener Streckapparat), v.a. Längs- frakturen (<2 mm)
Verfahren
OS-Gips oder Orthese für 4 Wochen unter Abrollbelastung
Nachbehandlung
nach Gipsabnahme 2 Wochen Abrollbelastung, dann schmerzabhängige Aufbelastung; ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
nach 5 Wochen gipsfrei
Sportfähigkeit
freie Funktion und symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 3 Monaten
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen
Verfahren
Querfrakturen: offene Reposition und Zuggurtungsosteosynthese Längsfrakturen: arthroskopisch gestützte Schraubenosteosynthese, ggf. offen Sleeve Fracture: ggf. transossäre Fixationsnaht osteochondrale Fraktur: Refixation mit resorbierbaren Materialien
Nachbehandlung
Zuggurtung: Übungsstabilität; Abrollbelastung für 5 Wochen, dann schmerzabhängige Aufbelastung; evtl. Krankengymnastik meist Kniegelenksorthese, ggf. OS-Gips für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
5 Wochen post OP, gipsfrei
Metallentfernung
6 Monate post OP
Sportfähigkeit
freie Funktion und symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 3 Monaten
Komplikationen
Gelenkstufe = Präarthrose Pseudarthrose; Ausriss der Osteosynthese
Wachstumsstörung
keine
Nachkontrollen
wöchentlich bis zur freien Funktion
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
20
290
Kapitel 20 · Knie
Technische Aspekte
Patellafraktur
Allg. Material
Bildwandler
Lagerung
Rückenlage; Knierolle (Knie in ca. 20°-Flexion) Oberschenkelblutsperre
Zugang
querer Zugang oder parapatellarer lateral-anteriorer Zugang Reposition in Extension
Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
Präarthrose Pseudarthrose Materialbruch sekundäre Lockerung der Osteosynthese Sensibilitätsstörung (v.a. bei Querinzision)
Schraubenosteosynthese Kleinfragment-Spongiosaschrauben, Durchmesser 3,5–4,5 mm, ggf. kanüliert mit kurzem
Gewinde Indikation: Längsfraktur (⊡ Abb. 20.16); Polfraktur (⊡ Abb. 20.17) palpatorische Kontrolle der Gelenkfläche; keine Stufe belassen
Zuggurtung (⊡ Abb. 20.18) Material: K-Draht, Durchmesser 1,6 mm; Cerclagedraht 1,25 mm, halbrunde Hohlnadel nicht gekreuzt (Äquatorialcerclage) und/oder gekreuzt (Zuggurtung) palpatorische Kontrolle der Gelenkfläche K-Draht parallel, relativ dorsal Durchführen des Cerclagedrahtes unter den K-Drähten und der Sehne, Spannen des Drahtes (BW-Kontrolle)
Sleeve Fracture transossäre Fixationsnaht mit PDS der Stärke 1,0 resorbierbare Knochenpins Schraubenosteosynthese Fibrinkleber
20
Metallentfernung
6 Monate post OP
Sonstige Besonderheiten
keine
291 20.3 · Verletzungen der Patella
⊡ Abb. 20.16. Schraubenosteosynthese bei Längsfraktur der Patella.
⊡ Abb. 20.17. Verschraubung von Polfrakturen mit Naht.
⊡ Abb. 20.18. Zuggurtungsosteosynthese bei Querfraktur der Patella.
20
292
Kapitel 20 · Knie
Patellaluxation
Typ I symmetrisch
Typ II/III asymmetrisch
Typ IV „Jägerhut“-Form
Besonderheiten
Typ I: traumatisch (selten) Typ II: chronisch habituell: v.a. adoleszente Mädchen; femoropatellare Dysplasie, Genu valgum, Insuffizienz des Streckapparates Typ III: habituell: willkürliche, schmerzfreie Luxationen (!), oft bei neuromuskulärer Erkrankung Patellaformen nach Wiberg Typ I/II: symmetrisch/asymmetrisch = physiologisch Typ III: starke Asymmetrie/Jägerhutpatella = pathologisch
Diagnostik
meist spontane Reposition Rx des Knies in zwei Ebenen + Patella axial (nach Reposition); beim Kleinkind Sonographie wg. überwiegend knorpeligen Anteilen bei rezidivierenden Luxationen: Patella-Défilée-Aufnahme (Patella axial in 30°-, 60°-, 90°-Flexion → Beurteilung der Patellaposition im femoropatellaren Gleitlager) bei persistierendem Erguss: ASK Erstluxation ohne primäre ASK: MRT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Gelenkkongruenz Verhinderung von Reluxationen
Primärbehandlung
sofortige Reposition durch Knieextension OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie ggf. Punktion Hämarthros
Konservative Therapie Indikation
habituell: primär konservativ keine osteochondralen Begleitverletzungen
Verfahren
OS-Gips oder Orthese 3 Wochen unter schmerzabhängiger Belastung
Nachbehandlung
funktionell; Muskelaufbau (M. quadriceps), Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
keine
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen und reizlosem Kniegelenk; nach ca. 6 Wochen
Operative Therapie
20
Indikation
osteochondrale Begleitverletzungen; rezidivierende Luxationsneigung; erfolglose konservative Therapie, subakut
Verfahren
primär: diagnostische ASK und Refixation/Entfernung osteochondraler Flakes über Miniarthrotomie, Naht des MPFL (wichtiger medialer Stabilisator); sekundär: laterales Release und mediale Raffung des Retinakulums; arthroskopisch oder offen (Kontraindikation: Dysplasie des femoropatellaren Gleitlagers) rekonstruktive Techniken (weichteilig (MPFL mit Semitendinosussehne) oder knöchern)
Nachbehandlung
6 Wochen Orthese mit Begrenzung auf 30°, 60° und 90° Flexion für je 2 Wochen; passive Beübung Krankengymnastik, somatischer Muskelaufbau, initial passiv
Rx-Kontrolle
6 Wochen nach knöchernem Eingriff
293 20.3 · Verletzungen der Patella
Metallentfernung
nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
freie Funktion, symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 12 Wochen
Komplikationen/ Begleitverletzung
Ruptur des medialen Retinakulums; Ruptur des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) osteochondrales Flake (mediale Patella/lateraler Femurkondylus) Reluxation; Chondropathia patellae bei suboptimalem Lauf der Patella
Wachstumsstörung
keine
Nachkontrollen
3-wöchentlich bis zur freien Funktion und Beschwerdefreiheit
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
Patellaluxation
Lagerung
Rückenlage; frei abgedecktes Bein; Fußteil abklappbar (ASK) offen: Rückenlage; Knierolle (Knie in ca. 20°-Flexion) Oberschenkelblutsperre
Zugang
cave: Rr. infrapatellares des N. saphenus (medial über Pes anserinus)
Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
ASK – diagnostisch in Flexion Inspektion der Auflagefläche der Patella auf das femorale Gleitlager; bei geringer Lateralisation reicht bei rezidivierender Patellaluxation ein laterales Release aus, bei deutlicher Lateralisation ist eine zusätzliche mediale Raffung notwendig
LiLa: --------------------------------------------
bei Flake: Präarthrose Reluxation Läsion von Hautnerven → präpatellare Taubheit post OP Überkorrektur Pseudarthrose
Osteochondrale Flakes Reposition und Fixation durch Schraube, Transfixationsnaht, resorbierbare Pins, Fibrinkleber Zügelungsoperationen Weichteileingriffe → Optimierung des Streckapparates und der passiven Patellaführung laterales Release Kontraindikation: schwere femoropatellare Dysplasie extrasynoviale Längsspaltung der lateralen Kapsel ggf. Resektion eines 1 cm breiten Kapselstreifens zur Vermeidung einer narbigen Readaptation
mediale Raffung Rekonstruktion des medialen Retinakulums und Kapselraffung offen: Zugang durch mediane Hautinzision, Inzision des medialen Retinakulums und Dopplung (⊡ Abb. 20.19) arthroskopisch: 1. anterolateraler Zugang 2. einstechen der Kanüle am medialen Patellarand unter Mitfassen des Periosts 3. Stichinzision; subkutane Spreizung und Vorschieben einer Öse 3–6 cm nach medial 4. Stich mit einer 2. Kanüle durch die Fadenschlaufe mit Schlaufe 5. fassen des Fadens über medialen Zugang durch Fadenschlaufe 6. zurückziehen der Schlaufe (2. Kanüle) in das Subkutangewebe 7. zurückziehen der Öse und knoten in Extensionsstellung (der Knoten liegt unter der Hautinzision subkutan) 8. je nach Ausdehnung: 3–5 Wiederholungen Alternative (⊡ Abb. 20.20) 1. Einstecken beider Kanülen 2. Durchziehen des Fadens (PDS 2/0) durch beide Kanülen mittels Fadenöse 3. Knoten auf der Kapsel nach Durchtrennung der Weichteilbrücke zwischen den Kanülen Weitere Verfahren bei habitueller Patellaluxation sind in der Literatur beschrieben.
20
294
Kapitel 20 · Knie
Knöcherne Eingriffe Zentrierung der Patella im Gleitlager und Medialisierung der Zugrichtung des M. quadriceps
Tuberositasversetzung nach Elmslie und Trillat (⊡ Abb. 20.21a,b) Material: K-Draht 2 mm; Spongiosaschrauben 6,5 mm; Kortikalisschraube 5 mm; Unterleg-
scheibe Kontraindikation: offene Epiphysenfugen, Genu valgum >10° Zugang: lateral-parapatellare Inzision Tuberositasmedialisierung, laterales Release und ggf. mediale Kapselraffung subperiostale Darstellung der Tuberositas bis 5 cm nach dista Sollbruchstelle: 3,2-mm-Bohrloch quer, ca. 4 cm distal der Tuberositas unterhalb der Kortikalis (Schonung des Patellarsehnenansatzes) Osteotomie nach medial leicht ansteigend → gleichzeitige Ventralisierung Fixation mit 2 proximal eingebrachten Spongiosaschrauben und 1 distal eingesetzten Kortikalisschraube
Metallentfernung
Schrauben: nach 6 Monaten
Sonstige Besonderheiten
keine
a ⊡ Abb. 20.19. Kombination laterales Release und mediale Retinakulumdopplung.
20
⊡ Abb. 20.20. Prinzip der arthroskopischen medialen Raffung.
⊡ Abb. 20.21a,b. OP nach Elmslie und Trillat.
b
295 20.4 · Bandverletzungen am kindlichen Knie
20.4
Bandverletzungen am kindlichen Knie
Isolierte Bandverletzungen beim Kind sind aufgrund der höheren Stabilität der Bänder im Vergleich zu den osteochondralen Strukturen selten. So kommt es bei weit offenen Wachstumsfugen eher zu Fugenverletzungen bzw. knöchernen Bandausrissen als zu Bandrupturen. Dabei ist eine Kombination von knöchernen und ligamentären Läsionen ebenfalls möglich und immer zu bedenken. Mit fortschreitendem Alter nimmt die allgemeine Hyperlaxizität der Gelenke ab und die Stabilität der knöchernen Strukturen zu, damit steigt die Inzidenz der Bandrupturen. Bei weit offenen Wachstumsfugen ist die klinische Diagnose von Bandläsionen erschwert, da eine individuell unterschiedliche Aufklappbarkeit besteht. Ein knöcherner Ausriss lässt sich ggf. radiologisch nachweisen. Ein Hämarthros weist auf einen Kniebinnenschaden hin. Beim Erwachsenen ist er bei fehlender Fraktur ein relativ sicherer Hinweis auf eine vordere Kreuzbandruptur. Beim Mädchen dagegen steht die Patellaluxation im Vordergrund, dabei ist das Hämarthros durch Kapsel- oder Retinakulumeinrisse bedingt. Beim Jungen führt v.a. die Ruptur des vorderen Kreuzbandes oder eine Meniskusverletzung zu einem Hämarthros. Durch eine exakte klinische Untersuchung und ggf. eine MRT können diagnostische Arthroskopien beim Kind reduziert werden. Ist jedoch ohnehin eine therapeutische Arthroskopie indiziert, z.B. bei massivem Hämarthros, osteochondralen Fragmenten oder Bandverletzungen, so ist das MRT zusätzlich meist nicht erforderlich. Wenn auch selten, muss gerade bei jungen Kindern mit Knieschmerzen ohne adäquates Trauma und bestehender Instabilität an eine angeborene Fehlbildung gedacht werden, wie z.B. eine Aplasie der Eminentia mit Fehlen des vorderen Kreuzbandes. Vorgehen beim Gelenkerguss/Hämarthros: ▬ Rx in zwei Ebenen → Epiphysenlösung, Eminentia-, Kollateralbandausrisse ▬ Punktion des Ergusses: bei starken Schmerzen → Schmerzreduktion; Fettaugen=osteochondrale Flake Fracture ▬ ASK: bei massivem Hämarthros, Einklemmungszeichen, radiologischen Fragmenten im Gelenk, Patellafrakturen und -luxationen ▬ MRT: zum Ausschluss einer Meniskusläsion, bei Verdacht auf Kreuzbandruptur, unsicherer Diagnose ohne klare ASK-Indikation; Objektivierung des Frakturverlaufs bei Epiphysenfrakturen.
20.4.1 Eminentia-intercondylaris-Ausrisse
Bei der Verletzung des vorderen Kreuzbandes gibt es altersabhängige Unterschiede. Unterhalb des 12. Lebensjahres kommt es im Wesentlichen zu knöchernen Ausris-
sen (Eminentia-Fraktur), oberhalb des 12. Lebensjahres eher zu intraligamentären Kreuzbandrupturen. Die Eminentiafraktur ist die häufigste epiphysäre Fraktur der proximalen Tibia. Sie liegt intraartikulär, betrifft jedoch nicht die Epiphysenfuge. Die Einteilung erfolgt nach dem Dislokationsgrad nach Meyers und McKeever. Einteilung nach Meyers und McKeever (⊡ Abb. 20.22): ▬ Grad I undislozierte Fraktur → konservative Therapie ▬ Grad II hängende Fraktur → geschlossene Reposition und Fixation, besser arthroskopisch kontrollierte Reposition ▬ Grad III dislozierte Fraktur → arthroskopische Reposition und Fixation; ausnahmsweise offen
Typ I geringe ventrale Anhebung der Eminentia
Typ II ventrale Anhebung der Eminentia, dorsaler Kontakt erhalten
Typ III Eminentiaausriß mit vollständiger Dislokation
Typ IIIa wie Typ III und Drehung des Fragmentes
⊡ Abb. 20.22. Eminentia-intercondylaris-Ausriss: Einteilung nach Meyers und McKeever.
20
296
Kapitel 20 · Knie
Ab Grad II kann eine operative Reposition und Fixation notwendig werden. Die Vorderhörner der Menisken müssen bei Grad II und III inspiziert werden, da diese einklemmen und ein Repositionshindernis darstellen können. Eine Kontrolle der Kniebandstabilität bis zum Wachstumsabschluss sollte erfolgen, um erkennen zu können, ob eine dauerhafte Bandstabilität besteht. Sekundäre ACL-Insuffizienzen können vorkommen.
20.4.2 Intraligamentäre Kreuzbandläsionen
Intraligamentäre Kreuzbandverletzungen treten vorwiegend beim Adoleszenten auf. In 50% der Fälle liegen Begleitverletzungen vor. Die Therapie der Kreuzbandverletzung wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Der Trend geht heute jedoch eindeutig zur operativen Versorgung. Bis vor wenigen Jahren wurden diese Verletzungen vorwiegend konservativ behandelt. Lediglich bei einer symptomatischen Instabilität wurde eine Kreuzbandersatzplastik allgemein empfohlen aufgrund der potentiellen Schädigung der Wachstumsfugen des distalen Femurs und der proximalen Tibia bei einem operativen Eingriff. In der aktuellen Literatur wird dagegen zunehmend bei allen kompletten Rupturen des vorderen Kreuzbandes mit Knieinstabilität (Giving Way) ein operativer Ersatz empfohlen wegen einer erhöhten Rate an instabilitätsbedingten Meniskus- und Knorpelläsionen und der Gefahr der Früharthrose. Zudem konnten bisher in verschiedenen Untersuchungen keine Wachstumsstörungen aufgrund iatrogener Schädigung der Fugen nachgewiesen werden bei schonender Operationstechnik und Sehnenersatzplastik. Die Ergebnisse nach Kreuzbandersatzplastik sind insgesamt gut. Pressman u. Mitarb. z.B. beobachteten signifikant bessere Ergebnisse nach Kreuzbandrekonstruktion im Vergleich zur konservativen Therapie und empfehlen primär ein operatives Vorgehen. Allerdings ist die Zahl der Kinder, die jünger als 12 Jahre sind, in allen Studien sehr gering, und es empfiehlt sich trotz der Ergebnisse ein nicht zu unkritisches Vorgehen. Bei Kindern mit noch weit offenen Wachstumsfugen (<12. Lj.) wird von manchen Autoren noch die intraligamentäre Naht des vorderen Kreuzbandes empfohlen. Dies stellt den Versuch dar, durch Narbenbildung wieder ein stabiles Band zu erhalten. Die Ergebnisse variieren je
nach Studie, scheinen insgesamt jedoch unbefriedigend zu sein. Eine sichere Ausheilung und Stabilität sollten in diesen Fällen gewährleistet sein, ansonsten ist ein Kreuzbandersatz durchzuführen. Auf die genaue Versorgung der Ruptur des hinteren Kreuzbandes wird im Folgenden nicht genauer eingegangen, da es sich um eine äußerst seltene sowie spezielle Verletzung handelt. Die Ergebnisse der konservativ behandelten Rupturen des hinteren Kreuzbandes sind insgesamt gut, und die Bandnaht sollte primär erwogen werden. Sekundäre Rekonstruktionen werden fast ausnahmslos nach Wachstumsabschluss meist arthroskopisch mit Semitendinosussehne durchgeführt.
20.4.3 Femorale Kollateralbandausrisse
Die Kollateralbänder setzen über lange Zügel an der Femurmetaphyse und über kurze Zügel an der Femurepiphyse an. Beide Zügel können knöchern ausreißen (⊡ Abb. 20.23). In der Mehrzahl der Fälle ist eine konservative Therapie möglich. Nur bei massiver Instabilität (v.a. laterales Kollateralband, posterolateral) kann eine Naht notwendig werden. In diesen Fällen liegen häufig intraartikuläre Begleitverletzungen vor, welche ohnehin operativ versorgt werden müssen. Die Einteilung erfolgt nach dem Ausmaß der Instabilität modifiziert nach Hughston (⊡ Tab. 20.3).
⊡ Abb. 20.23. Knöcherne Bandausrisse am Kniegelenk.
⊡ Tab. 20.3. Instabilität der Kollateralbänder: Klassifikation mod. nach Hughston
20
Grad I
keine Instabilität, geringe Bandzerrung, leichter Druckschmerz
konservative Therapie; frühfunktionell
Grad II
keine Instabilität, mittelgradige Bandzerrung, starker Druckschmerz
konservative Therapie; frühfunktionell, ggf. Schiene, Orthese
Grad III
Instabilität + bis +++, vollständige Bandruptur
Ausschluss Kniebinnenverletzungen: ASK; isolierte Ruptur: konservative Therapie, Orthese
297 20.4 · Bandverletzungen am kindlichen Knie
Femoraler Kollateralbandausriss/intraligamentäre Kollateralbandruptur
Besonderheiten
selten; v.a. bei weit offenen Fugen metaphysäre und epiphysäre Ausrisse intraligamentär: v.a. >12. Lj.
Diagnostik
klinische Instabilität (Seitenvergleich!) Rx: Knie in zwei Ebenen Verdacht auf epiphysäre Verletzung und Kniebinnenschaden: ggf. MRT Verdacht auf Kniebinnenschaden: ASK
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Bandstabilität
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservative Behandlung undislozierte Bandausrisse
Verfahren
intraligamentäre Ruptur: je nach Instabilität: Grad I+ bis Grad II+: frühfunktionell, Tape; Grad II+ bis Grad III+: Knieorthese, schmerzabhängige Belastung Bandausriss: OS-Gips für 4 Wochen unter schmerzabhängiger Belastung
Nachbehandlung
schmerzabhängige Mobilisation, Muskelaufbau (M. quadriceps)
Rx-Kontrolle
nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
freie Funktion, symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 4 Wochen
Operative Therapie Indikation
dislozierte, instabile Bandausrisse (v.a. laterales Kollateralband) (intraligamentäre Ruptur: Instabilität Grad III)
Verfahren
ASK: diagnostisch → Ausschluss von Begleitverletzungen 2. knöcherner Ausriss: offene Reposition und Schraubenosteosynthese 3. Bandnaht
Nachbehandlung
Kniegelenksorthese für 4 Wochen unter schmerzabhängiger Belastung schmerzabhängige Mobilisation, Muskelaufbau (M. quadriceps)
Rx-Kontrolle
postoperativ, Konsolidierungskontrolle nach 4–6 Wochen
Metallentfernung
nach 6 Monaten
Sportfähigkeit
freie Funktion, symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 4 Wochen
Komplikationen/ Begleitverletzung
bei Instabilität III+ meist assoziierte Begleitverletzungen (Meniskusläsion, VKB-Ruptur)
Wachstumsstörung
metaphysäre Ausrisse: hemmende Wachstumsstörung möglich (durch Bildung einer Ausheilungsbrücke → Achsfehlstellung)
Nachkontrollen
wöchentlich bis zur freien Funktion; dann ½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge)
Klassifikation
AO: 33-E/7.1-3
33-M/7.1-3
LiLa: 3.3.s.5.0-2
3.3.a.5.0-2.
20
298
Kapitel 20 · Knie
Eminentia-intercondylaris-Ausriss/knöcherner Kreuzbandausriss
Typ III
Besonderheiten
bei Hämarthros an knöcherne VKB-Ausrisse denken häufigste epiphysäre Fraktur der Tibia Einteilung nach Meyers und McKeever
Diagnostik
klinisch: Hämarthros, Instabilität Rx Knie a.-p. und lateral primäre ASK ggf. MRT zur Beurteilung von Begleitverletzungen
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Bandstabilität, Vermeidung von Spätschäden (Meniskusläsion, Knorpelschaden) Versorgung der Begleitverletzungen
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene in Extension, ggf. medikamentöse Analgesie, ggf. Thromboseprophylaxe ggf. Punktion des Hämarthros (Schmerzreduktion)
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Bandausrisse, Grad I, II
Verfahren
OS-Gips in Streckstellung für 3 Wochen, dann in 10°-Beugestellung für weitere 3 Wochen unter Vollbelastung
Nachbehandlung
schmerzabhängige Mobilisation; Muskelaufbau (M. quadriceps) Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
Stellungskontrolle nach 1 Woche; Konsolidierungskontrolle nach 6 Wochen
Sportfähigkeit
freie Funktion, symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 12 Wochen
Operative Therapie
20
Indikation
dislozierte, instabile Bandausrisse, Grad II und III; Begleitverletzungen
Verfahren
ASK, arthroskopische Reposition und Fixation mit Naht, Schraube oder mit K-Drähten
Nachbehandlung
abhängig von Methode; in der Regel OS-Gips oder Orthese für 6 Wochen unter schmerzabhängiger Belastung nach Gipsabnahme: Muskelaufbau (M. quadriceps) Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; 6 Wochen post OP
Metallentfernung
nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
freie Funktion, symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 12 Wochen
Komplikationen/ Begleitverletzung
Meniskus-, Kollateralband-, Knorpelläsionen Früharthrose bei persistierender Instabilität
Wachstumsstörung
selten
Nachkontrollen
wöchentlich bis zur freien Funktion
Klassifikation
AO: 41-E/7.1-3
LiLa: 4.1.a.5.0-2.
299 20.4 · Bandverletzungen am kindlichen Knie
Intraligamentärer Kreuzbandriss
Besonderheiten
vor allem adoleszente Kinder >12. Lj.
Diagnostik
klinisch: Hämarthros, Instabilität Rx Knie a.-p. und lateral MRT zur Diagnosesicherung ASK
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Bandstabilität, Vermeidung von Spätschäden (Meniskusläsion, Knorpelschaden) Versorgung der Begleitverletzungen
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene in Extension,ggf. medikamentöse Analgesie, ggf. Thromboseprophylaxe ggf. Punktion des Hämarthros
Konservative Therapie Indikation
isolierte VKB-Rupturen, Kinder <12. Lj., kein Giving Way (kontrovers diskutiert aufgrund möglicher Spätschäden bei einer Instabilität)
Verfahren
funktionell
Nachbehandlung
schmerzabhängige Mobilisation; Muskelaufbau (M. quadriceps) Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
keine
Sportfähigkeit
freie Funktion, symmetrische Muskelverhältnisse; nach ca. 12 Wochen
Operative Therapie Indikation
komplette Rupturen (vor allem >12. Lj.) symptomatische Instabilität (Giving Way, rezidivierender Erguss, Schmerz) Begleitverletzungen
Verfahren
Kreuzbandersatzplastik mit Semitendinosussehne; steiler Bohrkanal, dadurch kurze Kreuzung der Fuge; Bohrkanal und Sehne gleichen Durchmessers; Fixation außerhalb der Fuge (bioresorbierbare Schrauben) alternativ: intraligamentäre Naht, Reinsertion
Nachbehandlung
abhängig von OP-Methode: i.d.R. Orthese ohne Bewegungslimit unter Teilbelastung für 4 Wochen, dann langsame Aufbelastung schmerzabhängige Mobilisation, Muskelaufbau (M. quadriceps) Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
postoperativ
Metallentfernung
ggf. nach 6 Monaten meist biodegradierbare Fixationsmaterialien (z.B. Interferenzschrauben, Transfixschraube)
Sportfähigkeit
freie Funktion, symmetrische Muskelverhältnisse
Komplikationen/ Begleitverletzung
Meniskus-, Kollateralband-, Knorpelläsionen Früharthrose bei persistierender Instabilität
Wachstumsstörung
selten; wenn dann vor allem iatrogen
Nachkontrollen
wöchentlich bis zur freien Funktion; Abschluss bei Beschwerdefreiheit nach 1,5 Jahren und Kontrolle bei Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
20
300
Kapitel 20 · Knie
Technische Aspekte
knöcherner Bandausriss/VKB-Ruptur
Allg. Material
Bildwandler ASK-Möglichkeit
Lagerung
Rückenlage; frei abgedecktes Bein; Fußteil abklappbar (ASK) gleichzeitige Durchleuchtung ermöglichen; Oberschenkelblutsperre
Zugang
ASK offenes Vorgehen: Mini-Arthrotomie medial der Patella
Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
chronische Instabilität (Früharthrose) Funktionseinschränkung Wachstumsstörung bei Fugenschluss Sensibilitätsstörung im Versorgungsgebiet des N. infrapatellaris
Knöcherner Ausriss: Schraubenosteosynthese Material: kanülierte Spongiosazugschraube mit kurzem Gewinde 3,5–4,5 mm Unterlegscheibe Verlauf: retrograd (⊡ Abb. 20.24): distal → proximal, auch Verlauf in Epiphyse möglich antegrad:
proximal → distal (Problem der Metallentfernung) Zugang: antegrad: hoher medialer Zugang (in 80°-Flexion) mit Unterlegscheibe
Knöcherner Ausriss: transossäre Naht Material: PDS (Stärke 0) bei kleinen Fragmenten oder Mehrfragmentierung Positionierung arthroskopisch mit Zielgerät; Naht über Miniarthrotomie
Knöcherner Ausriss: K-Draht-Osteosynthese Material: 1,4-mm-K-Drähte; bei kleinen Kindern, Fragmenten; gekreuzt perkutan möglich
VKB-Plastik Semitendinosustechnik (⊡ Abb. 20.25) Vielzahl von unterschiedlichen Techniken im Vordergrund Schonung der Wachstumsfugen Möglichkeit A: Bohrkanäle epiphysär unter Schonung der Fuge Möglichkeit B (am weitesten verbreitet): transepiphysäre Bohrkanäle; bei der Fixation ist darauf zu achten, dass kein Knochen oder Fremdmaterial in Höhe der Fuge zu liegen kommt und ein steiler Kanal gleicher Größe wie das Transplantat besteht (Vermeidung von Brückenkallus); durchkreuzt nur die Sehne (Transplantat) die Fuge, wurden bisher noch keine wesentlichen Wachstumsstörungen beobachtet Möglichkeit C: Bohrkanäle metaphysär, das Transplantat wird um die Fugen herum geleitet
Metallentfernung
20
Drähte; Schrauben in Narkose
⊡ Abb. 20.24. Retrograde Eminentiaverschraubung.
⊡ Abb. 20.25. Semitenmdinosus-Sehnenersatz: bioresorbierbare Deltaschraube (Tibiaepiphyse) und resorbierbarer Transfixstift.
20
301 20.5 · Meniskusschäden
20.5
Meniskusschäden
Die Inzidenz von Meniskusläsionen ist bei Kindern deutlich geringer als beim Erwachsenen, sie beträgt 2,5%. Der laterale Meniskus ist mobiler als der mediale, der mit der Kapsel und dem medialen Kollateralband verwachsen ist, was zu einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit des medialen Meniskus führt. Die erhöhte Rate an Außenmeniskusläsionen im Kindesalter wird auf die bevorzugt laterale Lage eines Scheibenmeniskus zurückgeführt. Am häufigsten kommen longitudinale Rupturen des Hinterhorns vor, Korbhenkelrisse sind erst typisch für das Adoleszentenalter. Die Gefäßversorgung der Menisken nimmt im Laufe der Entwicklung mit zunehmender Belastung ab. Die Vaskularisierung der Randbereiche erlaubt jedoch eine Spontanheilung inkompletter Meniskusrupturen im Kindesalter. Die klinische Untersuchung steht in der Diagnostik im Vordergrund mit den verschiedenen Meniskustests. Die MRT kann in unsicheren Fällen oder speziellen Fragestellungen zusätzliche Informationen liefern, allerdings sinken mit dem Alter auch Sensitivität sowie Spezifität der MRT für Kniebinnenschäden. In ⊡ Abb. 20.26 ist die Graduierung der Signalalteration von Meniskusverletzungen in der MRT nach Stoller dargestellt, wobei nur Grad III eine klinische Relevanz aufweist. Therapieziel ist der Meniskuserhalt durch Refixation. Wenn dies nicht erreicht werden kann, sollte eine möglichst sparsame Teilresektion durchgeführt werden. Totale Meniskektomien führen in Langzeitergebnissen zu signifikant erhöhten Arthroseraten.
lenkspalterweiterung, eine Wölbung des lateralen Tibiaplateaus, eine Abflachung des lateralen Femurkondylus, eine Eminentiahypoplasie sowie eine Elevation des Fibulakopfes zu sehen ist. Die MRT kann in unklaren Fällen weiterhelfen. Hier weist eine Dicke >5 mm zwischen Vorder- und Hinterhorn in den sagittalen Schnitten auf das Vorliegen eines Scheibenmeniskus hin. Die Darstellung instabiler Varianten ist schwierig, jedoch können makroskopisch nicht sichtbare intrameniskale Läsionen dargestellt werden. Nur bei symptomatischen Scheibenmenisken besteht eine Operationsindikation, ein schmerzfreies Klicken sollte zunächst lediglich beobachtet werden. Ziel ist eine partielle Meniskektomie des rupturierten Meniskusabschnitts, ggf. eine Refixation. Totale Meniskektomien führen zu einer frühzeitigen Arthrose. Klassifikation nach Form und Fixation nach Watanabe: ▬ Typ I kompletter Scheibenmeniskus, normale Fixierung an der dorsalen Kapsel, komplette Bedeckung des Tibiaplateaus ▬ Typ II inkompletter Scheibenmeniskus, normale Fixierung an der dorsalen Kapsel, komplette Bedeckung des Tibiaplateaus ▬ Typ III Wrisberg-Band, abnormale dorsale Fixierung, dorsale Fixierung durch meniskofemorales Band Typ III ist besonders instabil, weshalb dieser Typ v.a. für die Symptomatik verantwortlich gemacht wird. Aus der Instabilität resultiert das typische bewegungsabhängige Klicken. Instabile Formen finden sich häufig bei kompletten Scheibenmenisken und eher bei jüngeren Kindern.
20.5.1 Scheibenmeniskus
Der Scheibenmeniskus ist selten (29/1300 Meniskektomien); die Inzidenz beträgt 0,4%, bei asiatischen Kindern ist die Inzidenz höher. Die Ätiologie des Scheibenmeniskus ist noch nicht endgültig geklärt. Er findet sich meist im lateralen Kompartment und ist in der Regel asymptomatisch oder wird erst im Erwachsenenalter symptomatisch. Allerdings ist er anfälliger für Verletzungen und kann sekundär nach Ruptur symptomatisch werden. Meist klagen die Patienten über Klickphänomene bei Bewegung sowie über chronische Schmerzen und rezidivierende Gelenkergüsse. In der klinischen Untersuchung zeigen sich häufig ein palpables Klicken, Blockierungsphänomene, ein intraartikulärer Erguss, eine Quadrizepsatrophie, ein positives Meniskuszeichen und ein Druckschmerz über dem (lateralen) Gelenkspalt. Die bildgebende Diagnostik umfasst das konventionelle Röntgen in zwei Ebenen, wobei in der a.-p. Aufnahme eventuell eine laterale Ge-
0
I
III a
III b
II
⊡ Abb. 20.26. Gradeinteilung von Meniskusläsionen in der MRT nach Stoller 0°: homogen schwarzer Meniskus I°: rundliches Signal, ohne dass es die superiore oder inferiore Oberfläche erreicht II°: lineares Signal, ohne dass es die superiore oder inferiore Gelenkfläche erreicht III°: lineares Signal, welches die Oberfläche erreicht; a eine Oberfläche, b beide Oberflächen.
302
Kapitel 20 · Knie
Meniskusläsion
Besonderheiten
selten; Rissformen: Lappenriss, Radiärriss, Korbhenkelriss (⊡ Abb. oben rechts) z.T. assoziiert mit Scheibenmeniskus (⊡ Abb. oben links)
Diagnostik
klinisch: Klickphänomene, Blockaden, chronischer Knieschmerz, Ergussneigung, positives Meniskuszeichen Rx des Knies in zwei Ebenen ASK, MRT in unklaren Fällen
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
möglichst Meniskuserhalt, Vermeidung von Früharthrose
Primärbehandlung
symptomatisch; ggf. Ruhigstellung, Entlastung
Konservative Therapie Indikation
stabile Scheibenmenisken; asymptomatisches »Klicken«; geringgradige Einrisse
Verfahren
funktionell; Beobachtung
Nachbehandlung
entfällt
Rx-Kontrolle
entfällt
Sportfähigkeit
2 Wochen
Operative Therapie
20
Indikation
Symptomatik (Erguss, Schmerz, Blockaden)
Verfahren
ASK; Refixation durch Naht oder Staples Meniskusteilresektion
Nachbehandlung
Teilresektion: Bewegung frei, Teilbelastung für 2 Wochen Refixation (i.d.R. Hinterhorn): max. Flexion 90° für 6 Wochen (Orthese), Teilbelastung für 6 Wochen
Rx-Kontrolle
entfällt
Metallentfernung
entfällt
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; Beschwerdefreiheit; nach ca. 6 Wochen, bei Naht nach 12 Wochen
Komplikationen/ Begleitverletzung
frühzeitige Arthrose, Reruptur nach Naht
Wachstumsstörung
keine
Nachkontrollen
2-wöchentlich bis zur freien Funktion
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
21
Unterschenkel D. Schneidmüller und I. Marzi
21.1
Physiologische Befunde
21.1.1
Faszienlogen des Unterschenkels
21.2
Frakturen des Unterschenkelschaftes – 304
21.2.1
21.2.2
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Klassifikation – 308
21.3
Fallbeispiele
– 314
– 304 – 304
– 304
304
21
Kapitel 21 · Unterschenkel
21.1
Physiologische Befunde
21.1.1 Faszienlogen des Unterschenkels
Streckerloge
Anteriores Kompartment: ▬ M. extensor digitorum longus ▬ M. extensor hallucis longus ▬ M. tibialis anterior ▬ A. tibialis anterior ▬ N. peronaeus profundus
Peronealloge
Laterales Kompartment: ▬ Mm. peronaei longus et brevis ▬ N. peronaeus superficialis Oberflächliches posteriores Kompartment: ▬ M. soleus ▬ M. gastrocnemius Tiefes posteriores Kompartment: ▬ M. flexor digitorum longus ▬ M. flexor hallucis longus ▬ M. tibialis posterior ▬ A. tibialis posterior ▬ A. fibularis ▬ N. tibialis
21.2
Frakturen des Unterschenkelschaftes
21.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild Die Inzidenz von Unterschenkelschaftfrakturen beträgt 5,8%. Sie zählen zu den häufigsten Verletzungen der unteren Extremität. In 70% aller Fälle ist die Tibia isoliert betroffen, in 30% handelt es sich um komplette Unterschenkelfrakturen. Proximale metaphysäre Tibiafrakturen. Der Altersgipfel liegt zwischen 3 und 6 Jahren. In 50% der Fälle kommt eine Fraktur der proximalen Fibula hinzu (v.a. Grünholzfraktur). Man muss zwischen den meist unproblematischen Stauchungsbrüchen und den Biegungsbrüchen unterscheiden. Die Stauchungsbrüche sind in der Regel undisloziert, und es ist nicht mit Achsabweichungen oder Wachstumsstörungen zu rechnen, da meist kleine Kinder mit hohem Korrekturpotenzial betroffen sind. Der metaphysäre Biegungsbruch, der deutlich seltener auftritt, ist hingegen aufgrund der möglichen Spätfolgen problematischer. Der Unfallmechanismus besteht aus einer lateral einwirkenden Kraft bei gestrecktem Kniegelenk, was zu einem Biegungsbruch der Tibiame-
tiefe Beugerloge oberflächliche Beugerloge ⊡ Abb. 21.1. Faszienlogen des Unterschenkels.
taphyse mit zum Teil lateral intaktem Periostschlauch führt (Grünholzfraktur). Dies hat eine mehr oder weniger ausgeprägte Valgusfehlstellung zur Folge, welche im initialen Röntgenbild nicht immer zu erkennen ist. Sobald in der a.-p. Aufnahme des konventionellen Röntgenbildes nur medial ein Frakturspalt sichtbar ist, liegt eine Valgusfehlstellung vor. Wird diese Dislokation belassen, kann sich eine zunehmende Valgusdeformation mit resultierendem Genu valgum entwickeln. Aber auch bei korrekt reponierter Fraktur ist eine Valgusbildung möglich. Meist entwickelt sich eine solche Achsdeformität innerhalb des ersten Jahres nach Trauma. Die Ursache für dieses Wachstumsphänomen wird in der Literatur noch kontrovers diskutiert. Zu den möglichen Ursachen gehören eine vermehrte Durchblutung der medialen Seite der proximalen Tibia, eine sperrende Wirkung der noch intakten Fibula, ein asymmetrisches Mehrwachstum der medialen Tibiaepiphyse, eine unvollständige Reposition der Fraktur, der Verlust der stabilisierenden Wirkung des Pes anserinus oder aber in den medialen Frakturspalt eingeschlagene Weichteile (Pes anserinus, mediales Kollateralband). Die Eltern müssen über die Möglichkeit dieser Wachstumsstörung informiert und aufgeklärt werden. Bei einer posttraumatischen Valgusfehlstellung sollte bei Beschwerdefreiheit eine eventuelle Korrekturosteotomie erst nach Wachstumsabschluss erfolgen, da Spontankorrekturen im weiteren Verlauf noch möglich sind. Gemessen wird die Fehlstellung über den sog. Epiphysenachsenwinkel (⊡ Abb. 21.2). Das Verletzungsmuster des Unterschenkelschaftes ändert sich mit dem Alter des Kindes. Während beim Klein-
305 21.2 · Frakturen des Unterschenkelschaftes
nicht ausgeglichen, sodass auf eine korrekte Reposition zu achten ist, um späteren Beschwerden im Knie- bzw. Sprunggelenk vorzubeugen. Hierbei sind die physiologischen Torsionsdifferenzen zu berücksichtigen. Meist besteht eine physiologische Außenrotation von 10–15°, dabei projiziert sich der 2. Strahl des Mittelfußes auf die Verlängerung der Tibiaachse. Eine Korrektur verbliebener Fehlstellungen sollte bei bestehenden Beschwerden frühestens 1 Jahr nach Trauma erfolgen, bei fehlender Symptomatik – falls überhaupt – erst nach Wachstumsabschluss. Isolierte Tibiaschaftfrakturen. Diese gelten als stabil und
können somit grundsätzlich konservativ behandelt werden. Komplette Unterschenkelschaftfrakturen. Bei diesen
⊡ Abb. 21.2. Epiphysenachsenwinkel.
kind bei noch unzureichender Knochenstabilität undislozierte Torsionsfrakturen des isolierten Tibiaschaftes im Vordergrund stehen, nehmen Querfrakturen isoliert oder in Kombination mit einer Fibulafraktur, verursacht durch direkte Traumen, beim 6- bis 10-Jährigen zu. Beim Adoleszenten spielen sportbedingte Unfälle, welche oft zu einer Schrägfraktur im distalen Drittel führen, eine wichtige Rolle. Daneben gehören Verletzungen der Tibia zu den zweithäufigsten Verletzungen bei einem Battered-ChildSyndrom – 26% aller misshandelten Kinder haben eine Tibiafraktur – welches in verdächtigen Fällen abgeklärt werden muss. Nach allen Unterschenkelfrakturen muss mit stimulativen Wachstumsstörungen gerechnet werden, welche je nach Alter des Kindes und dem Ausmaß des nötigen Remodelings bis zu einer Beinverlängerung von 1 cm führen können. Isolierte Tibiafrakturen neigen aufgrund der einwirkenden Kräfte der umgebenden Muskulatur und der sperrenden Wirkung der unverletzten Fibula im Verlauf ihres Heilungsprozesses zu einer zunehmenden Varusstellung (50–60%). Achsfehlstellungen können sich prinzipiell beim Kind <10 Jahren korrigieren, aufgrund der erforderlichen längeren Remodelingphase mit längerer Wachstumsaktivität und der möglichen Beinlängenalteration sollten aber auch diese nicht belassen werden. Rotationsfehler werden
Frakturen entfällt die sperrende Wirkung der Fibula und es ist aufgrund des Muskelzuges anterolateral eher mit einer Valgusdeformität zu rechnen. Man unterscheidet stabile Frakturen, bei denen die Fragmente einer tibialen Querfraktur noch Kontakt haben von den instabilen Schräg-Frakturen oder vollständig dislozierten Frakturen. Wenig oder nicht dislozierte, stabile Frakturen können konservativ im OS-Gips ausbehandelt werden. Instabile Frakturen, insbesondere lange Schrägfrakturen, komplette Unterschenkelfrakturen, Mehrfragmentfrakturen oder Achsfehlstellungen >10° werden meist operativ stabilisiert. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass operativ stabilisierte Kinder häufig schneller schmerzfrei sind als Kinder, die konservativ behandelt wurden. Zudem sind die Kinder nach übungsstabiler Versorgung mobiler als mit einer Ruhigstellung im OS-Gips über mehrere Wochen. Die Osteosynthese am Unterschenkelschaft erfolgt überwiegend durch eine intramedulläre elastische Nagelung (ESIN) oder durch einen Fixateur externe. Die Plattenosteosynthese findet beim Kind in der Regel keine Anwendung und bleibt speziellen Indikationen vorbehalten. Die Risiken sowie Vor- und Nachteile jeder Methode sollten mit dem Patienten und den Eltern ausführlich besprochen werden, damit dann gemeinsam eine Entscheidung unter Abwägung individueller Wünsche und Bedürfnisse über die Wahl der Therapiemethode getroffen werden kann. Frakturen der distalen Tibiametaphyse. Diese Frakturen
müssen in Stauchungs- und Biegungsfrakturen unterschieden werden. Die Stauchungsfrakturen sind meist unkompliziert und treten häufig im Rahmen sog. Fahrradspeichenverletzungen auf. Biegungsbrüche sind nach allen Distorsionstraumen möglich. Oft besteht eine Rekurvationsfehlstellung. Auch hier ist die Gefahr eines zunehmenden Fehlwachstums bei Belassen eines Achsfehlers durch partielle Stimulation der nahe gelegenen Wachstumsfuge entsprechend der proximalen Metaphyse
21
306
21
Kapitel 21 · Unterschenkel
gegeben. An dieser Lokalisation besteht jedoch ein gutes Korrekturpotenzial, sodass hier Achsabweichungen bis zu 10° im Verlauf bei Kindern unter 10 Jahren korrigiert werden können. Isolierte Fraktur der Fibula. Diese Fraktur ist selten und
meist Folge eines direkten Anpralltraumas (⊡ Abb. 21.3). Häufig liegt eine begleitende Verletzung der distalen Tibiaepiphyse vor. Offene Frakturen. Sie betreffen bevorzugt die Tibia. Circa
9% aller Tibiafrakturen sind offene Frakturen, meist verursacht durch Hochrasanztraumen. Die Klassifikation erfolgt nach Gustillo und Anderson ( Kap. 10). Die Behandlung wird nach den gleichen Prinzipien der Erwachsenenchirurgie durchgeführt: schnelles, umfassendes chirurgisches Wunddébridement, systemische Antibiotikaprophylaxe und Stabilisierung der Fraktur im Regelfall durch einen Fixateur externe und geplante Second-Look-Operationen. Im Vergleich zum Erwachsenen verfügt das Kind jedoch über eine insgesamt bessere Weichteilheilung, und Knochendefekte können zum Teil über die periostale Reaktion aufgefüllt werden. Dennoch besteht die Gefahr einer verzögerten Frakturheilung (16%) oder gar einer Pseudarthrose (7,5%) sowie einer Infektion (oberflächlich: 8%, tief: 3%) oder eines Kompartmentsyndroms (4%).
Kompartmentsyndrom. Nach allen Unterschenkelfrakturen ist die Entwicklung eines Kompartmentsyndroms möglich. Der normale Gewebedruck beträgt 0 mmHg. Ab einem andauernd erhöhten Druck von ca. 30 mmHg kommt es zu irreversiblen Schäden der Muskulatur des betroffenen Kompartments (nach ca. 5 h). Typische Symptome sind übermäßige Schmerzen mit Zunahme bei Bewegung und sensomotorische Defizite neben einer starken Weichteilschwellung und Muskelverhärtung. Bei einer Druckerhöhung im posterioren Kompartment klagen die Patienten über starke Schmerzen bei passiver Bewegung der Zehen, über eine plantare Hyperästhesie und eine Schwäche der Zehenbeuger. Als Spätfolge können Krallenzehen sowie eine verminderte Beweglichkeit im Sprunggelenk durch Kontraktur der Muskulatur resultieren (Volkmann-Kontraktur). Bei einem drohenden Kompartmentsyndrom sollten umgehend alle konstringierenden Verbände entfernt und abschwellende Maßnahmen wie Hochlagern und Kühlung durchgeführt werden. Bei Persistenz muss eine Fasziotomie erfolgen. Stressfraktur. Die Tibia ist zudem eine häufige Lokalisation für Stressreaktionen bzw. Stressfrakturen. Dies betrifft im Wesentlichen adoleszente Kinder, häufig mit einer vermehrten Belastung (Sport, Trainingsumstellung) in der Anamnese. Die Symptome sind meist unspezifisch mit belastungsabhängigen Schmerzen, teilweise Schwellung und Entzündungszeichen. Das initiale Röntgenbild ist häufig unauffällig, erst im Verlauf ist hier eine Periostreaktion zu erkennen. Die Diagnose kann meist durch genaue Anamnese und den klinischen Befund gestellt werden. Hier kann die MRT speziell im Frühstadium die Diagnose sichern und Differenzialdiagnosen wie Osteomyelitis und maligne Erkrankungen (z.B. Ewing-Sarkom) in unsicheren Fällen ausschließen. Typischerweise findet man in den T2-gewichteten fettsupprimierten Aufnahmen eine diffuse Signalerhöhung im Sinne eines Knochenmarködems, eine periostale Verdickung und ggf. in den T1-gewichteten Aufnahmen einen sichtbaren Frakturspalt (⊡ Abb. 21.4a,b). Nach Aufklärung des Patienten und der Eltern besteht die Therapie der Stressreaktion aus Reduktion bzw. Vermeidung der spezifischen Belastung, ggf. einer zeitweisen Entlastung an Unterarmgehstützen. Sobald der Patient beschwerdefrei ist, kann langsam mit Belastung (Sport) begonnen werden, wobei bei Auftreten von Beschwerden die Belastung wieder zurückgenommen werden muss, bis eine Beschwerdefreiheit erreicht ist. Eine vollständige Fraktur kann meist konservativ durch Gipsruhigstellung therapiert werden. Toddler’s Fracture. Eine Sonderform der isolierten Ti-
⊡ Abb. 21.3. Isolierte Fibulafraktur, Biegungsbruch, hier mit zusätzlichem Bowing der Tibia.
biaspiralfraktur (⊡ Abb. 21.5a,b). Ursache ist ein Rotationstrauma bei fixiertem Fuß v.a. bei Kleinkindern (<3. Lj.) in Zusammenhang mit einer Stressreaktion aufgrund
307 21.2 · Frakturen des Unterschenkelschaftes
a
b
a
⊡ Abb. 21.5. Toddler’s Fracture.
⊡ Abb. 21.4. Stressfraktur des Tibiaschaftes. a Knochenmarksödem b Frakturlinie.
a
b
b
c
⊡ Abb. 21.6. Floating Knee. a diaphysäre Frakturen b diaphysäre + metaphysäre Fraktur c diaphysäre + epiphysäre Fraktur.
21
308
Kapitel 21 · Unterschenkel
⊡ Tab. 21.1. Frakturformen des Unterschenkels
21
Proximale Tibiametaphyse Distale Tibiametaphyse Diaphysäre Frakturen ⊡ Abb. 21.7. Polytrauma nach Verkehrsunfall (11-jähriges Mädchen). Floating knee Typ a, primäre Stabilisierung mittels Fixateur externe.
isolierte Tibiafraktur
traumatisch Stressfraktur
isolierte Fibulafraktur
traumatisch Stressfraktur
komplette Unterschenkelfraktur
der ungewohnt hohen Belastung des gerade laufenden Kleinkindes. Meist fallen diese Kinder durch plötzliche Schonung des betroffenen Beins auf, ohne dass ein spezifisches Trauma bekannt ist. Die Diagnose kann häufig erst im Nachhinein gestellt werden, da das primäre Röntgenbild sehr oft unauffällig ist. Erst nach 10–14 Tagen fällt eine stattgefundene Fraktur durch periostale Kallusbildung auf. Die Therapie ist immer konservativ im OS-Gips für ca. 4 Wochen bei guter Prognose. Floating Knee. Es handelt sich um eine ipsilaterale Fe-
mur- und Tibiafraktur (⊡ Abb. 21.6, ⊡ Abb. 21.7). Meist sind diese Frakturen Folge eines Hochrasanztraumas. Aufgrund der besseren Versorgungsmöglichkeit der meist polytraumatisierten Kinder und der schnelleren Mobilisierbarkeit empfiehlt sich eine operative Stabilisierung beider Frakturen. Häufig liegen begleitende Verletzungen des Bandapparates des Kniegelenks oder Meniskusverletzungen vor, welche berücksichtigt werden müssen.
21.2.2 Klassifikation
Frakturformen und Ursachen (mod. nach Rockwood und Wilkins 2001) von Frakturen des Unterschenkels sind in ⊡ Tab. 21.1 aufgeführt. Spezielle Kinderklassifikationen Kap. 3.
Spezielle Frakturen
Toddler’s Fracture Floating Knee
309 21.2 · Frakturen des Unterschenkelschaftes
Fraktur der proximalen Tibiametaphyse
Besonderheiten
v.a. junge Kinder (<8. Lj.) Stauchungsfraktur: unkompliziert Biegungsfraktur: Valgusgefahr
Diagnostik
Rx: US a.-p. + lateral (mit Kniegelenk), ggf. Schrägaufnahme (um Frakturspalt besser beurteilen zu können)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
keine Achsdeformität, insbesondere kein Valgus (Epiphysenachsenwinkel 0°), keine Rotationsfehlstellung Kompression des medialen Frakturspaltes (!) zur Prävention eines medialen Mehrwachstums
Primärbehandlung
OS-Gipschiene, Analgesie
Konservative Therapie Indikation
in der Regel konservativ
Verfahren
<10° Valgus: OS-Gips zirkulär in Extension und unter Varusstress → 8. Tag: Gipskeilung (mediale Kompression!) >10° Valgus; Seit-zu-Seit-Verschiebung: geschlossene Reposition und OS-Gips → 8. Tag: Gipskeilung
Nachbehandlung
schmerzabhängige Aufbelastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
8. Tag: Stellungskontrolle (bei Achsabweichung Gipskeilung); Konsolidierungskontrolle: nach 4–6 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Operative Therapie Indikation
Repositionshindernis, Begleitverletzungen, offene Frakturen; >10° Valgus
Verfahren
geschlossene, ggf. offene Reposition Kompression über medialen Fixateur externe; alternativ kurze Kompressionsosteosynthese mit Platte (3,5 mm)
Nachbehandlung
Abrollbelastung für 4 Wochen, dann schmerzabhängige Belastung
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; 6 Wochen post OP: Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
bei gesicherter Konsolidierung: Fixateur externe: nach ca. 8 Wochen; Platten: nach 4–6 Monaten
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Komplikationen
Achsfehler (Genu valgum) Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
stimulative Wachstumsstörungen (Beinverlängerung, partiell: Valgusfehlstellung)
Nachkontrollen
wöchentlich bis freie Funktion; ½- bis 1-jährlich zur klinischen Beinlängen- und Achskontrolle bis 2 Jahre nach Trauma
Klassifikation
AO: 41-M/2(3).1-3
LiLa: 4.1.s.2-4.0-2.
21
310
21
Kapitel 21 · Unterschenkel
Isolierte Tibiaschaftfraktur
Besonderheiten
häufigste Fraktur der unteren Extremität Sonderform: Toddler’s Fracture (Stressfraktur beim Kleinkind)
Diagnostik
Rx: US a.-p. + lateral (mit angrenzenden Gelenken)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
<10. Lj.: Varus: bis 5°, Valgus: 0°, Re-/Antekurvation: 10°, keine Rotationsfehlstellung
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, Analgesie
Konservative Therapie Indikation
geschlossene Tibiaschräg- und -querfraktur ohne wesentliche Verkürzung
Verfahren
geschlossener OS-Gips für 4–6 Wochen unter Abrollbelastung bei Achsfehlstellung: Keilung am 8. Tag
Nachbehandlung
schmerzabhängige Belastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
8. Tag: Stellungskontrolle (bei Achsabweichung Gipskeilung, bei primärer Achsabweichung Keilung und dann Rx), Konsolidierungskontrolle nach 4–6 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen (Schaft, Verkürzung, Rotation), offene Frakturen, (drohendes) Kompartmentsyndrom, Polytrauma relativ: Querfrakturen (langsamere Frakturheilung, oft auch erhebliche Hämatome bei direktem Trauma)
Verfahren
Fixateur externe (direkte Korrektur der Tibia bei stabiler Fibula) ESIN (Risiko der Varusfehlstellung bei Teleskoping der Tibiafragmente und stabiler Fibula!)
Nachbehandlung
Abrollbelastung für 4 Wochen, dann schmerzabhängige Aufbelastung
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; 6 Wochen post OP: Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
bei gesicherter Konsolidierung: Fixateur externe: nach ca. 8 Wochen, ESIN: nach 3–4 Monaten
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Komplikationen
Achsfehler (v.a. Varusfehlstellung) Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
stimulative Wachstumsstörungen (Beinverlängerung bis 1 cm)
Nachkontrollen
wöchentlich bis freie Funktion; ½- bis 1-jährlich zur klinischen Beinlängen- und Achskontrolle bis 2 Jahre nach Trauma
Klassifikation
AO: 42-D/1-5.1-3
LiLa: 4.2.s.2-4.0-2.
311 21.2 · Frakturen des Unterschenkelschaftes
Komplette Unterschenkelschaftfraktur
Besonderheiten
Beachtung offener Frakturen; Weichteilmanagement von großer Bedeutung
Diagnostik
Rx: US a.-p. + lateral (mit angrenzenden Gelenken)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
<10. Lj.: Varus: bis 5°, Valgus: 0°, Re-/Antekurvation: 10°, keine Rotationsfehlstellung
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, Analgesie, sterile Abdeckung bei offenen Frakturen
Konservative Therapie Indikation
relativ: stabile undislozierte US-Frakturen
Verfahren
OS-Gips zirkulär für 4–6 Wochen unter Abrollbelastung
Nachbehandlung
schmerzabhängige Aufbelastung, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
8. Tag: Stellungskontrolle (bei Achsabweichung Gipskeilung), Konsolidierungskontrolle: nach 4–6 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Operative Therapie Indikation
i.d.R. alle kompletten US-Frakturen v.a. instabile Frakturen, offene Frakturen, (drohendes) Kompartmentsyndrom, Polytrauma
Verfahren
Fixateur externe (Kompartmentsyndrom, offene Frakturen, lange Schrägfrakturen, Mehrfragmentfrakturen) ESIN (auch bei offenen Frakturen möglich, wenn Weichteilmanagement gesichert)
Nachbehandlung
Abrollbelastung für 4 Wochen, dann schmerzabhängige Aufbelastung
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; 6 Wochen post OP: Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
bei gesicherter Konsolidierung: Fixateur externe: nach ca. 8 Wochen, ESIN: nach 3–4 Monaten
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Komplikationen
Achsfehler (v.a. Valgusfehlstellung) Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
stimulative Wachstumsstörungen (Beinverlängerung bis 1 cm)
Nachkontrollen
wöchentlich bis freie Funktion; ½- bis 1-jährlich zur klinischen Beinlängen- und Achskontrolle bis 2 Jahre nach Trauma
Klassifikation
AO: 42-D/1-5.1-3
LiLa: 4.2.s.2-4.0-2.
21
312
21
Kapitel 21 · Unterschenkel
Fraktur der distalen Tibiametaphyse
Besonderheiten
Unterscheidung Wulst von Biegungsbruch metaphysär im Einzelfall schwierig
Diagnostik
Rx: US a.-p. + lateral (mit OSG)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Varus: 5°, Valgus: 10°, Re-/Antekurvation 10°, kein Rotationsfehler
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, Analgesie
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ
Verfahren
US-Gips 4 Wochen unter schmerzabhängiger Belastung Achsfehler <10°: 8. Tag: Gipskeilung Achsfehler >10°: primäre Reposition bei Rekurvationsfehlstellung: Gips in Spitzfußstellung
Nachbehandlung
keine spezielle
Rx-Kontrolle
8. Tag: Stellungskontrolle (bei Achsabweichung Gipskeilung), Konsolidierungskontrolle: nach 4–6 Wochen (gipsfrei)
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Operative Therapie Indikation
Repositionshindernis, stark dislozierte Frakturen, offene Frakturen
Verfahren
gekreuzte K-Draht-Spickung, perkutan; post OP: US-Gipsschiene im Einzelfall Fixateur externe mit oder ohne K-Draht-Fixation
Nachbehandlung
Abrollbelastung für 4 Wochen, dann schmerzabhängige Aufbelastung
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; 6 Wochen post OP: Konsolidierungskontrolle (gipsfrei)
Metallentfernung
bei gesicherter Konsolidierung: Fixateur externe: nach ca. 8 Wochen, K-Drähte: nach 4–6 Wochen (ambulant)
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, symmetrischen Muskelverhältnissen (ca. 4 Wochen nach Konsolidierung)
Komplikationen
Achsfehler (v.a. Rekurvatumstellung) Kompartmentsyndrom Verklebung der Sehne des M. flexor hallucis longus nach konservativer Therapie → KG
Wachstumsstörung
partielle stimulative Wachstumsstörungen → meist ohne klinische Relevanz partielle hemmende Wachstumsstörung, selten
Nachkontrollen
wöchentlich bis freie Funktion; ½- bis 1-jährlich zur klinischen Beinlängen- und Achskontrolle bis 2 Jahre nach Trauma
Klassifikation
AO: 43-M/2(3).1-3
LiLa: 4.3.s.2-4.0-2.
313 21.2 · Frakturen des Unterschenkelschaftes
Technische Aspekte
Unterschenkel
Material
ESIN elastische Federnägel → meist Titan → Durchmesser: 2,5–4 mm (/ des Markraumdurchmessers) Fixateur externe unterschiedliche Fixateursysteme erhältlich Bildwandler
Lagerung
Rückenlage Bein frei beweglich abdecken
OP-Prinzip
Fixateur externe (proximale Metaphyse) (⊡ Abb. 21.8) cave: Apophysenfuge der Tuberositas tibiae mediale Kompression durch Fixateur externe sinnvoll und möglich Fixateur externe (Schaft) (⊡ Abb. 21.9) cave: Apophysenfuge der Tuberositas tibiae 2 QF Abstand zur Fraktur keine Pins durch Frakturspalt ESIN: US-Schaft-Fraktur Da die Tibia einen dreieckigen Querschnitt aufweist, ist bei der Platzierung der Nägel besondere Sorgfalt geboten (⊡ Abb. 21.10). Die exzentrische Lage der Tibia in Bezug auf die sie umgebene Muskulatur hat einen ungünstigen Einfluss auf die Biomechanik der ESIN. Die Tibia wird deszendierend genagelt. Folgende Abweichungen gegenüber der Femurstandardtechnik sind zu berücksichtigen: Nageleintrittsstelle bestimmen: Die Nageleintrittsstellen liegen medial und lateral der Tuberositas tibiae. Inzisionen durchführen: Eine 2–3 cm lange Hautinzision vor jeder geplanten Eintrittsstelle aus nach proximal durchführen. Hinweis: Bei der Perforation der Kortikalis darf weder die proximale Tibiaepiphysenfuge noch die Tibiaapophyse verletzt werden. Lage der Nagelspitzen überprüfen. Aufgrund der Dreiecksform des Tibiamarkkanals tendieren beide Nägel dazu, nach dorsal auszuweichen, was zu einer Rekurvation führen würde. Bevor die Nägel definitiv eingeschlagen werden, die Spitzen beider Nägel leicht nach dorsal drehen, um die physiologische Antekurvation der Tibia zu erreichen. Die Fraktur soweit möglich aufeinanderstellen, um eine Fixation in Distraktion zu vermeiden. Nägel kürzen: Aufgrund des geringen Weichteilmantels die Nagelenden kurz halten und nur wenig aufbiegen.
Kompartmentspaltung
bilaterale Inzision:
1. anterolaterale Inzision: laterale + ventrale Loge 2. posteromediale Inzision: posteriore Kompartments unilaterale Inzision: parafibuläre Inzision über die gesamte Länge der Fibula 1. laterale Loge: cave: N. peronaeus superficialis zieht im distalen Drittel durch das Septum intermusculare in die Extensorenloge 2. ventrale Loge: Präparation subkutan nach ventral und Längsspaltung (cave: N. peronaeus superficialis im distalen Drittel) 3. oberflächliche posteriore Loge: Präparation subkutan nach dorsal und Längsspaltung der Faszie 4. tiefe posteriore Loge: Zugang zwischen Mm. peronaei und M. triceps surae und Längsspaltung der Faszie (cave: A./V./N. tibialis) Hautverschluss mittels synthetischem Hautersatz (z.B. Epigard, Syspurderm) Sekundärnaht bzw. Spalthauttransplantation nach 5–8 Tagen Metallentfernung
ESIN: nach ca. 3–4 Monaten Fixateur externe: nach ca. 8 Wochen
21
314
Kapitel 21 · Unterschenkel
21
⊡ Abb. 21.8. Fixateur externe zur Frakturkompression an der proximalen Tibia, Montage am Modell.
21.3
⊡ Abb. 21.9. Diaphysäre Fraktur: Fixateur externe, Montage am Modell.
Fallbeispiele
Fall 21.1 Fraktur der proximalen Tibia mit Valgusfehlstellung, Junge, 11 J.
a
b
a Unfallbild. b Mediale Kompression durch Platte.
⊡ Abb. 21.10. Prinzip ESIN an der Tibia. Die anterolaterale und mediale Eintrittsstelle an der proximalen Tibia führt aufgrund der dreieckigen Form des Tibiakopfes zu einem »Dorsalgleiten« des Nagels.
315 21.3 · Fallbeispiele
Fall 21.2 Tibiaschaftspiralfraktur und distale Wulstfraktur der Tibia, Junge, 14 J.
a
b
c
d
a,b Unfallbilder. c,d Stabilisierung durch Fixateur externe.
Fall 21.3 Komplette Unterschenkelfraktur, Junge, 12 J., Verkehrsunfall.
a
b
a,b Unfallbilder. c,d Stabilisierung durch ESIN.
c
d
21
316
21
Kapitel 21 · Unterschenkel
Fall 21.4 Metaphysäre Unterschenkelfraktur 3. Grades, Junge, 10 J., Skateboardunfall.
a,b Unfallbilder: offene Fraktur 3. Grades des Malleolus medialis und des distalen Unterschenkels, Verbiegung der Fibula. c,d,g,h Stabilisierung durch Fixateur externe und K-Draht-Spickung. e,f Röntgenkontrolle 1 Jahr post OP.
22
Sprunggelenk D. Schneidmüller und I. Marzi
22.1
Physiologische Befunde – 318
22.1.1 22.1.2
Knochenkerne und Fugenschluss – 318 Altersabhängige Röntgenbefunde – 319
22.2
Frakturen der distalen Tibia – 319
22.2.1 22.2.2
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Klassifikation – 320
22.3
Distorsionstrauma des Sprunggelenks – 327
22.3.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
22.4
Osteochondrosis dissecans tali – 329
22.4.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
22.5
Fallbeispiele
– 336
– 319
– 327
– 329
318
Kapitel 22 · Sprunggelenk
22.1
22
Physiologische Befunde
22.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss
Akzessorische Knochen treten häufig auf, v.a. zwischen dem 7. und 10. Lebensjahr und können mit sekundären Ossifikationszentren verschmelzen (⊡ Abb. 22.1, ⊡ Abb. 22.2, ⊡ Abb. 22.3, ⊡ Abb. 22.4).
17.-18. Lj. 6. Lm. 17.-18. Lj. 9.-11. Lm.
2
5 6
3 1
4
1 7
⊡ Abb. 22.1. Akzessorische Knochenkerne 1 Os tibiale externum, 2 Talus accessorius, 3 Talus secundarius, 4 Os trigonum, 5 Os talotibiale, 6 Os supratalare, 7 Calcaneus secundarius.
⊡ Abb. 22.2. Os trigonum (10. Lj.).
7. Em.
5.-6. Em.
⊡ Abb. 22.5. Knochenkerne und Fugenschluss Em Embryonalmonat, Lm Lebensmonat, Lj Lebensjahr.
⊡ Abb. 22.3. Os subfibulare (15. Lj.).
⊡ Abb. 22.4. Isoliertes Ossifikationszentrum am Malleolus medialis (10. Lj.).
319 22.2 · Frakturen der distalen Tibia
22.1.2 Altersabhängige Röntgenbefunde
▬ Die Epiphysenfugen sind zum Teil unregelmäßig begrenzt. Die distale Fibulaepiphyse kann im Vergleich zur Metaphyse leicht nach medial versetzt sein. ▬ An Innen- und Außenknöchel können isolierte Knochenkerne vorkommen (>30%) (⊡ Abb. 22.4). ▬ Os subfibulare: Differenzialdiagnose zu abgerundetem altem knöchernem Außenbandausriss (⊡ Abb. 22.3). ▬ Ossiculum fibulare: isolierter Knochenkern lateral der distalen Fibulametaphyse.
22.2
Frakturen der distalen Tibia
22.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild Die Inzidenz der Frakturen der distalen Tibia beträgt 4,9%. Das Distorsionstrauma des Sprunggelenks stellt eines der häufigsten Verletzungen im muskuloskelettalen System dar. Während dieses beim Erwachsenen meist zu Läsionen des Bandapparates führt, finden sich im Kindesalter Ausrisse und Frakturen im Bereich der Wachstumsfugen, bedingt durch die höhere Stabilität der Bandstrukturen im Vergleich zu osteochondralen Strukturen. Die Einteilung der Frakturen erfolgt meist nach der Klassifikation von epiphysennahen Frakturen nach Salter und Harris oder Aitken. In der Regel liegt bei weit offener Fuge die Frakturlinie medial außerhalb der Belastungszone des Sprunggelenks und hat fast immer einen senkrechten Verlauf zur Fuge. Ab einem Alter von ca. 12 Jahren fängt die Wachstumsfuge an – bei Mädchen früher als bei Jungen – sich zu verschließen, beginnend an der medialen Tibia (⊡ Abb. 22.6). Dies führt beim Trauma zu einer Änderung des Frakturverlaufs und des
Verletzungsmusters und somit zu den sog. Übergangsfrakturen. Einwirkende Scherkräfte führen im noch offenen Fugenanteil zu einer Epiphysenlösung. Die einwirkende Kraft wird durch den bereits verschlossenen Fugenanteil zum Gelenk hin ausgeleitet, was zu einer Fraktur der Epiphyse führt. Je älter das Kind ist, desto weiter fortgeschritten der Fugenverschluss und desto weiter lateral liegt die epiphysäre Fraktur, welche als sog. Two-Plane-Fracture oder auch Tilleaux-Fraktur bezeichnet wird (entsprechend einem knöchernen Ausriss der ventralen Syndesmose). Je nach einwirkenden Biegekräften kann zusätzlich ein dorsaler metaphysärer Keil ausbrechen im Sinne eines hinteren Volkmann-Dreiecks beim Erwachsenen, man spricht dann von der sog. TriPlane-Fracture. Endet die metaphysäre Fraktur in der Fuge, so bezeichnet man das als Tri- Plane-I-Fracture, verläuft sie durch die dorsale Epiphyse, spricht man von einer Tri-Plane-II-Fracture. Weite Dislokationen sind eher selten, jedoch sind Spaltbildungen häufiger zu sehen. Obgleich die Übergangsfrakturen altersabhängig einen charakteristischen Frakturlinienverlauf zeigen, kann zur weiteren Objektivierung im Einzelfall die MRT oder CT eingesetzt werden. Dies sollte jedoch nur bei therapeutischer Konsequenz zur besseren OP-Planung erfolgen. Wachstumsstörungen sind im Gegensatz zu den Salter-Frakturen aufgrund des fortgeschrittenen Alters der Kinder nicht zu erwarten, da der Fugenschluss und damit der Wachstumsabschluss der betroffenen Fuge gerade begonnen hat. Von wesentlicher Bedeutung ist jedoch eine exakte anatomische Reposition der Gelenkfraktur, da die Frakturlinie durch die Belastungszone des Sprunggelenks verläuft. An Wachstumsstörungen ist v.a. mit einem partiellen Fugenverschluss an der distalen Tibia zu rechnen. Bei Verdacht auf eine Wachstumsstörung in den Nachkontrollen kann die Durchführung einer MRT zur Darstellung einer möglichen Knochenbrücke für die weitere Therapieplanung sinnvoll sein.
⊡ Abb. 22.6. Verschluss der Wachstumsfuge der distalen Tibia: Beginn ventromedial, Fortsetzung nach dorsal, Schluss: ventrolateral.
22
320
Kapitel 22 · Sprunggelenk
Frakturen der distalen Fibula. Sie treten meist in Kom-
22
bination mit einer Salter-I- und -II-Fraktur der distalen Tibia nach einem Supinationstrauma auf. Meist wird durch Reposition und Fixation der Tibiafraktur ebenfalls eine Reposition und Stabilisierung der Fibula erreicht, sodass eine Osteosynthese selten notwendig wird. Verbliebene plastische Verbiegungen der Fibula können bei korrekt stehendem Sprunggelenk und intakter Syndesmose belassen werden, da sie sich im weiteren Wachstum korrigieren. Isolierte Fibulafrakturen sind selten und meist wenig disloziert, sodass eine konservative Therapie im Unterschenkelgips in der Regel ausreicht (⊡ Abb. 22.7). Zur Erfassung posttraumatischer Wachstumsstörungen eignet sich die Harris-Wachstumslinie, eine infolge der Reparation auftretende röntgendichte Linie, die im Normalfall parallel zur Fuge verläuft ( Kap. 5). Die Prognose der Sprunggelenksfrakturen ist abhängig vom Alter des Kindes, der Unfallschwere, der Lokalisation und Art der Fraktur, dem Ausmaß der Dislokation sowie der korrekten anatomischen Reposition.
22.2.2 Klassifikation
Die gebräuchlichsten Klassifikationen sind die nach Aitken oder Salter und Harris (⊡ Abb. 22.8, ⊡ Tab. 22.1). Bei beginnendem Fugenverschluss erfolgt eine Einteilung in Übergangsfrakturen.
⊡ Tab. 22.1. Klassifikation der Frakturen der distalen Tibia Salter I Aitken I
Salter II
Aitken II
Salter III
Aitken III
Salter IV
Läsion des metaphysären Anteils der Wachstumsfuge Läsion des epiphysären Anteils der Wachstumsfuge
Twoplane
epiphysäre Fraktur bei partiellem Fugenschluss
Triplane I
epi-metaphysäre Fraktur bei partiellem Fugenschluss
Triplane II
Metaphyse
Epiphyse
⊡ Abb. 22.7. Isolierte Salter-II-Verletzung der distalen Fibula. a Röntgenbild, b MRT.
⊡ Abb. 22.8. Fugenverlauf am distalen Unterschenkel.
321 22.2 · Frakturen der distalen Tibia
Epiphysenlösungen
Besonderheiten
selten; v.a. >10. Lj.
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich; initial häufig nicht im Rx sichtbar; bei Beschwerdepersistenz Rx-Kontrolle: Erweiterung der Fuge, Verdichtung metaphysär, Kallus im Verlauf
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
<10. Lj.: 20° Re-/Antekurvation, 20° Varus/Valgus, Seit-zu-Seit: ¼ der Schaftbreite >10. Lj.: achsgerechte Stellung kein Rotationsfehler keine Fehlstellung nach Beginn des Fugenschlusses belassen
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ, Beachtung der Korrekturgrenzen
Verfahren
4 Wochen US-Gips, Belastung nach 2 Wochen steigern
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
i.d.R. geschlossene Reposition; offene Reposition bei schwerer Dislokation, eingeschlagenen Weichteilen
Verfahren
geschlossene Reposition in ITN und Knieflexion von 90° (Muskelentspannung) bei federndem Widerstand: gekreuzte K-Draht-Spickung
Nachbehandlung
4 Wochen US-Gips, Entlastung nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
4 Wochen post OP (nach Konsolidierung)
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
selten: Kompartmentsyndrom, Verklebung der Sehne des M. flexor hallucis longus
Wachstumsstörung
ca. 15% vorzeitiger Fugenverschluss (selten mit gravierenden Folgen, da meist >10. Lj.)
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Asymmetrien der Rückfußachse und Beinlängendifferenzen
Klassifikation
AO: 43-E/1.1.-3
LiLa: 4.3.s.1.0-2.
22
322
Kapitel 22 · Sprunggelenk
Epiphysenlösungen mit metaphysärem Keil
22
Besonderheiten
häufigste Verletzung; Supinationstrauma
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich, ggf. Schrägaufnahme
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Rotationsfehler <10. Lj.: 10° Re-/Antekurvation, 10° Varus/Valgus, ad latus Fehlstellungen >10. Lj.: achsgerechte Stellung keine Fehlstellung nach Beginn des Fugenschlusses belassen
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ, Beachtung der Korrekturgrenzen
Verfahren
4 Wochen US-Gips, Entlastung; ggf. Gipskeilung am 8. Tag
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
i.d.R. geschlossene Reposition; offene Reposition bei schwerer Dislokation, eingeschlagenen Weichteilen
Verfahren
geschlossene Reposition in ITN und Knieflexion von 90° (Muskelentspannung) je nach Größe des metaphysären Keils und Alter des Kindes: Schraubenosteosynthese oder gekreuzte K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
4 Wochen US-Gips, Entlastung nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
K-Drähte 4 Wochen post OP; Schraube 12 Wochen post OP (nach Konsolidierung)
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Nerven-Sehnen-Irritation durch Zugang
Wachstumsstörung
ca. 15% vorzeitiger Fugenverschluss (selten mit gravierenden Folgen, da meist >10. Lj.)
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Asymmetrien der Rückfußachse und Beinlängendifferenzen
Klassifikation
AO: 43-E/2.1-3
LiLa: 4.3.s.1.0-2.
323 22.2 · Frakturen der distalen Tibia
Epiphysäre Frakturen
Besonderheiten
v.a. <10. Lj. Distorsionstrauma (Supination + Inversion) bei noch offenen Fugen (<10. Lj.) meist mediale Epiphyse betroffen (Frakturlinie außerhalb der Belastungszone)
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich, ggf. a.-p. Schrägaufnahme ausnahmsweise MRT zur Darstellung von Frakturverlauf und Gelenkkongruenz
Korrekturgrenzen
Frakturspalt <2 mm
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
Frakturspalt <2 mm
Verfahren
Gipsschiene, nach ca. 5 Tagen zirkulärer Gips für 4 Wochen, Abrollbelastung
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Dislokation >2 mm im Gelenkspalt
Verfahren
offene Reposition; ggf. geschlossene Reposition bei geringer Dislokation Schraubensynthese (ggf. K-Draht bei kleinen Fragmenten)
Nachbehandlung
4 Wochen Entlastung; bei stabiler Osteosynthese Gipsruhigstellung nicht notwendig, sonst 4 Wochen US-Gips, Entlastung nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, nach 4 Wochen (gipsfrei) Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Begleitverletzung: posteriores metaphysäres Fragment; Epiphysenlösung dist. Fibula; fibulare Bandrupturen
Wachstumsstörung
20% vorzeitiger Fugenverschluss, v.a. nach dislozierten Frakturen
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Asymmetrien der Rückfußachse und Beinlängendifferenzen
Klassifikation
AO: 43-E/3.1-3
LiLa: 4.3.a.1.0-2.
22
324
Kapitel 22 · Sprunggelenk
Epi-metaphysäre Frakturen
22
Besonderheiten
v.a. <10. Lj. Distorsionstrauma (Supination + Inversion) bei noch offenen Fugen (<10. Lj.) meist mediale Epiphyse betroffen (Frakturlinie außerhalb der Belastungszone)
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich, ggf. a.-p. Schrägaufnahme MRT in unsicheren Fällen, zur Darstellung komplexer Frakturen
Korrekturgrenzen
Frakturspalt <2 mm
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
Frakturspalt <2 mm
Verfahren
Gipsschiene, nach ca. 5 Tagen zirkulärer Gips für 4 Wochen, Abrollbelastung
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Dislokation >2 mm im Gelenkspalt, Verkürzung medialer Malleolus und Inkongruenz
Verfahren
offene Reposition; ggf. geschlossene Reposition bei geringer Dislokation Schraubenosteosynthese (ggf. K-Draht bei kleinen Fragmenten)
Nachbehandlung
4 Wochen Abrollbelastung bei stabiler Schraubenosteosynthese, vorübergehende US-Gipsschiene bei Schwellung/Schmerzen, nicht unbedingt erforderlich bei K-Draht-Osteosynthese 4 Wochen Gipsruhigstellung und Entlastung/Abrollen nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, nach 4 Wochen (gipsfrei) Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
instabile Osteosynthese führt zu Gelenkinkongruenz
Wachstumsstörung
bis zu 20% vorzeitiger Fugenverschluss, v.a. nach dislozierten Frakturen
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Asymmetrien der Rückfußachse und Beinlängendifferenzen
Klassifikation
AO: 43-E/4.1-3
LiLa: 4.3.a.2.0-2.
325 22.2 · Frakturen der distalen Tibia
Übergangsfraktur – Twoplane
Besonderheiten
Frakturlinie innerhalb der Belastungszone → exakte Reposition nötig Tilleaux-Fraktur
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich, ggf. a.-p. Schrägaufnahme ausnahmsweise: MRT oder CT zur präoperativen Planung
Korrekturgrenzen
Dislokation <2 mm
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
Dislokation <2 mm
Verfahren
Gipsschiene, nach ca. 5 Tagen zirkulärer Gips für 6 Wochen, Abrollbelastung
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle; nach 6 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Dislokation >2 mm
Verfahren
anatomische Reposition und Schraubenosteosynthese (geschlossen oder offen)
Nachbehandlung
4 Wochen Entlastung; bei stabiler Osteosynthese Gipsruhigstellung nicht notwendig, sonst 4 Wochen US-Gips, nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, nach 6 Wochen (gipsfrei) Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit, ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
ggf. frühzeitige Arthrose bei Gelenkinkongruenz
Wachstumsstörung
keine, da Beginn des Wachstumsabschlusses
Nachkontrollen
¼-jährlich: Funktionsprüfung bis freie Funktion
Klassifikation
AO: 43-E/5.1-3
LiLa: 4.3.a.3.0-2.
22
326
Kapitel 22 · Sprunggelenk
Übergangsfraktur – Triplane
22
I
II
Besonderheiten
Tri-Plane I: zusätzliche dorsale metaphysäre Fraktur Tri-Plane II: dorsale Frakturlinie verläuft durch Metaphyse und Epiphyse Frakturlinie innerhalb der Belastungszone → exakte Reposition nötig
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich, ggf. a.-p. Schrägaufnahme ggf. MRT oder CT zur Darstellung der Frakturverläufe und präoperativen Planung
Korrekturgrenzen
Dislokation <2 mm
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
Dislokation <2 mm
Verfahren
Gipsschiene, nach ca. 5 Tagen zirkulärer Gips für 4–6 Wochen, Abrollbelastung
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
8. Tag Stellungskontrolle; nach 6 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
Dislokation >2 mm
Verfahren
offene Reposition und Schraubenosteosynthese
Nachbehandlung
4–5 Wochen Entlastung; bei stabiler Osteosynthese Gipsruhigstellung nicht notwendig, sonst 4–5 Wochen US-Gips, Entlastung nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle nach 6 Wochen (gipsfrei) Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit, ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
ggf. frühzeitige Arthrose bei Gelenkinkongruenz
Wachstumsstörung
keine, da Beginn des Wachstumsabschlusses
Nachkontrollen
¼-jährlich: Funktionsprüfung bis freie Funktion
Klassifikation
AO: 43-E/6.1-3
LiLa: 4.3.a.4.0-2.
327 22.3 · Distorsionstrauma des Sprunggelenks
22.3
Distorsionstrauma des Sprunggelenks
22.3.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild Die Inzidenz der Distorsionstraumen des Sprunggelenks liegt bei ca. 10–15%. Fibulare Bandrupturen sind in der Regel unproblematisch und konservativ zu therapieren. Unterhalb des 10. Lebensjahres kommt es meist zu knorpeligen oder knöchernen Bandausrissen v.a. fibular, während bei älteren Kindern dem Erwachsenen entsprechend intraligamentäre Bandrupturen im Vordergrund stehen. Am häufigsten ist das Lig. talofibulare anterius mit zwei Drittel der Fälle betroffen, in 20% ist zusätzlich das Lig. calcaneofibulare rupturiert (⊡ Abb. 22.9). Die Diagnose ergibt sich meist aus der Anamnese und der typischen Klinik mit Schwellung, Druckschmerz und ggf. Hämatom über den jeweiligen Bandanteilen. Ein konventionelles Röntgenbild wird zum Ausschluss einer osteochondralen Verletzung durchgeführt. Weiterführende Maßnahmen wie die MRT oder gehaltene Röntgenaufnahmen sind primär bei fehlender therapeutischer Konsequenz Ausnahmen vorbehalten. Die Therapie einer isolierten Bandverletzung erfolgt primär immer konservativ durch abschwellende Maßnahmen, Entlastung und ggf. Tapeverbände. Eine primäre Bandnaht ist bei gleichen Langzeitergebnissen schon bei Erwachsenen im Vergleich zur konservativen Therapie mit etwa 10% persistierender Instabilität nicht indiziert. Bei anhaltender Symptomatik über ca. 1 Woche oder bei einer Ruptur der Bänder (Hämatom) kann eine Stabilisierung des oberen Sprunggelenks über eine Orthese erfolgen mit ansonsten funktioneller Nachbehandlung. In manchen Fällen ist eine Physiotherapie mit Muskelkräftigung (v.a. Peronealmuskulatur) und koordinativem Training (Propriozeption) sinnvoll. Knöcherne Bandausrisse werden ebenfalls durch Immobilisation in einer Unterschenkelgipsschiene konservativ therapiert. Über 90% der Bandverletzungen können danach konservativ zufriedenstellend behandelt werden. Bei chronischer Instabilität zeigt sich klinisch im Seitenvergleich eine vermehrte laterale Aufklappbarkeit (Lig. calcaneofibulare) bzw. eine Verschiebbarkeit des Talus nach ventral (Schubladenphänomen; Lig. talofibulare anterius). Hier kann eine Instabilität durch gehaltene Aufnahmen verifiziert werden. Hierbei gilt eine laterale Aufklappbarkeit von ≥10° und eine ventrale Verschieblichkeit von ≥10 mm als pathologisch im Seitenvergleich. Erst bei Beschwerdepersistenz (rez. Schwellneigung, Instabilität, Schmerzen) trotz intensiven propriozeptiven Trainings über mind. 3 Monate ist eine Bandplastik indiziert. Die primäre Wahl stellt die anatomische Bandrekonstruktion dar, bei der die Sehnenstümpfe vernäht
werden. Für diese Methode werden insgesamt gute Langzeitergebnisse beschrieben mit Ausnahme auf lange bestehender Instabilitäten und allgemeiner Hyperlaxizitäten. Eine verbreitete Modifikation der Bandrekonstruktion ist die Rekonstruktion mittels Periostlappen (⊡ Abb. 22.16). Die Bandrekonstruktion stellt bei technisch einfacher Durchführung, Komplikationsarmut und besseren Langzeitresultaten die Methode der ersten Wahl dar. Neben der anatomischen Rekonstruktion werden auch Tenodeseverfahren und Bandplastiken empfohlen. Diese sind jedoch nicht in der Lage, die Anatomie wiederherzustellen und führen damit zwangsläufig zu einer veränderten Kinematik im oberen Sprunggelenk. Im Kindesalter finden diese Verfahren daher keine regelmäßige Anwendung. Begleitend können selten osteochondrale Frakturen (Flake Fractures) des Talus auftreten, welche je nach Größe operativ refixiert werden müssen. Begleitende Epiphysenlösungen der distalen Fibula sind selten und können nach Reposition konservativ durch Gipsruhigstellung für 3 Wochen behandelt werden. Isolierte Syndesmosenrupturen sind ebenfalls selten und werden wie beim Erwachsenen durch eine Stellschraube temporär fixiert. Beim Jugendlichen kommt es dagegen öfter zu knöchernen Syndesmosenausrissen (Übergangsfraktur: das ventrolaterale Fragment entspricht einem knöchernen Syndesmosenausriss), welche durch eine Zugschraube osteosynthetisch versorgt werden. Hier ist eine zusätzliche Sicherung durch eine Stellschraube bei intaktem Bandapparat nicht notwendig.
Membrana interossea cruris Malleolus lateralis
Lig. tibiofibulare post. Lig. talofibulare post. Lig. calcaneofibulare
Lig. talocalcaneare lat.
Lig. tibiofibulare ant. Lig. talofibulare ant.
Lig. talocalcaneare interosseum
⊡ Abb. 22.9. Außenbandapparat des OSG.
Lig. calcaneocuboideum
22
328
Kapitel 22 · Sprunggelenk
Fibulare Bandläsion
22
Besonderheiten
häufigste Sprunggelenksverletzung typisch nach Supinationstrauma <12. Lj. v.a. knöcherne, auch knorpelige Bandausrisse >12. Lj. intraligamentäre Bandrupturen chronische Instabilität: selten
Diagnostik
Rx OSG a.-p. + seitlich ggf. MRT (Ausschluss osteochondraler Verletzung, Syndesmosenbeurteilung) chronische Instabilität: gehaltene Funktionsaufnahmen, vermehrte klinische laterale Aufklappbarkeit, vermehrter anteriorer Talusvorschub
Korrekturgrenzen
Beschwerdefreiheit; keine chronische Instabilität (Schmerzen, rezidivierende Supinationstraumen, rezidivierende Schwellneigung)
Primärbehandlung
abschwellende Maßnahmen, ggf. US-Gipsschiene, ggf. Analgesie
Konservative Therapie Indikation
fast immer konservativ
Verfahren
intraligamentäre Ruptur: »PECH« (Pause, Eis, Compression, Hochlagern), elastischer Verband; Entlastung knöcherner Ausriss: US-Gipsschiene für 4 Wochen
Nachbehandlung
ggf. Orthese (z.B. aircast-Schiene), bei persistierender Instabilität Krankengymnastik (propriozeptives Training)
Rx-Kontrolle
entfällt
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit; nach ca. 4–6 Wochen
Operative Therapie Indikation
wiederholte Ruptur; grobe Instabilität (alle drei lateralen Bänder); Zustand nach Bandplastik mit Reruptur; therapieresistente chronische Instabilität Flake Fracture des Talus
Verfahren
Bandnaht, bei Substanzmangel mit Periostlappenverstärkung, Tenodese mit Peronaeusbrevis-Sehne nur als Ultima ratio Flake Fracture des Talus: Refixation mit Fibrinkleber und resorbierbaren Pins
Nachbehandlung
6 Wochen US-Gips unter Vollbelastung, bei Flake Fracture Teilbelastung
Rx-Kontrolle
entfällt
Metallentfernung
entfällt
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit und symmetrischen Muskelverhältnissen, 4–6 Wochen nach Gipsabnahme
Komplikationen
10% chronische Instabilität (konservative/operative Therapie) Flake Fracture des Talus → Osteochondrosis dissecans
Wachstumsstörung
keine
Nachkontrollen
4 Wochen nach Sportbeginn, ¼-jährlich Kontrolle bis Beschwerdefreiheit
Klassifikation
AO: 43-E/7.1-3
LiLa: 4.3.a.5.0-2.F.
329 22.4 · Osteochondrosis dissecans tali
22.4
Osteochondrosis dissecans tali
22.4.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild Unter der Osteochondrosis dissecans versteht man eine aseptische Nekrose des subchondralen Knochens, welche meistens den medialen Talus betrifft (85%). Die Inzidenz liegt bei 0,09% mit einer Häufung in der 2. und 3. Lebensdekade. Die ätiologischen Faktoren werden in der Literatur kontrovers diskutiert, neben traumatischen Ursachen und repetitiven Mikrotraumen werden vaskuläre, genetische, endogene und bakterielle Faktoren vermutet. Von vielen Autoren wird die traumatische Genese als Hauptfaktor angesehen. Danach ist eine Häufung der Osteochondrosis dissecans in Ballsportarten mit wiederholten Mikrotraumen (Basketball, Fußball usw.) zu beobachten. Der Verlauf ist stadienhaft und wird international z.B. nach Berndt und Harty eingeteilt (⊡ Abb. 22.10). Das initiale Symptom ist der Schmerz, im Stadium der Fragmentation können Blockierungsphänomene und Instabilitätsgefühl hinzukommen. Zur Diagnostik gehört heute die MRT, die Aufschluss über die Vitalität des Dissekats sowie den Knorpelzustand gibt. Allerdings korreliert der MRT-Befund nicht mit der Beschwerdesymptomatik. Die Therapie richtet sich nach dem jeweiligen Stadium. Ziel ist eine Revitalisierung des Bezirks, die Verhinderung der Progression (Dissekatbildung) und die Prävention einer Arthrose. Ein verbleibender Knorpelschaden stellt eine präarthrotische Deformität dar. Behandlungsprinzipien sind Belastungsreduktion, Revitalisierung des Herdes und Refixation des Dissekats. Im Initialstadium und Stadium II steht die konservative Therapie gerade im Kindesalter im Vordergrund. Operativ versucht man in frühen Stadien eine Revitalisierung durch retrograde oder auch antegrade Anbohrungen zu erreichen. Bei kleinen Defekten <7 mm führt man ein Débridement sowie zusätzliche knochenmarkstimulierende Methoden (z.B. Anbohrung) durch, größere Defekte versucht man analog zu den Methoden am Kniegelenk zu rekonstruieren mit z.B. Mikrofrakturierung und Knochen-Knorpel-Transplantation. Es gibt einzelne Berichte über gute Ergebnisse der unterschiedlichen Methoden, allerdings stehen hier meist Langzeitergebnisse prospektiver kontrollierter Studien aus. Inwieweit neuere Methoden wie der Einsatz von Wachstumsfaktoren oder Zelltransplantationen Bedeutung erlangen, bleibt für die Kindertraumatologie noch abzuwarten. Insgesamt verfügen jüngere Patienten jedoch über eine bessere Prognose als Erwachsene.
22
330
Kapitel 22 · Sprunggelenk
1. Initialstadium
subchondrale Osteonekrose; Knorpel intakt; Regeneration möglich
konservative Therapie
2. Demarkation
sklerotische Abgrenzung der Nekrose; Knorpel intakt; Regeneration unwahrscheinlich
schmerzfrei; konservativ; symptomatisch: konservativ für 6-12 Wo, bei Persistenz: operativ
3. Dissekat in situ
Fragmentation, Verlust der Integrität mit umliegendem gesundem Gewebe
operative Therapie
4. freies Dissekat
freier Gelenkkörper
operative Therapie
22
⊡ Abb. 22.10. Einteilung der Osteochondrosis dissecans nach Berndt und Harty.
331 22.4 · Osteochondrosis dissecans tali
Osteochondrosis dissecans
Besonderheiten
häufig in der 2. Lebensdekade Sportler (rezidivierende Mikrotraumen, Supinationsverletzungen) meistens mediale Talusschulter
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich, Schrägaufnahme MRT (Stadienbestimmung, mit KM: Vitalitätsbestimmung) ggf. ASK
Korrekturgrenzen
Stadium I Stadium II Stadium III Stadium IV
Primärbehandlung
–
subchondrale Nekrose subchondrale Sklerose Dissekat in situ freies Dissekat
konservativ konservativ/operativ operativ operativ
Konservative Therapie Indikation
Stadium I Stadium II – Therapieversuch für 6–12 Wochen
Verfahren
Entlastung an UA-Gehstöcken, Sportpause, ggf. NSAIDS
Nachbehandlung
Krankengymnastik: propriozeptives Training
Rx-Kontrolle
MRT-Kontrolle im Abstand von 3 Monaten bei persistierendem klinischem Befund
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit
Operative Therapie Indikation
Beschwerdepersistenz im Stadium II Stadium III, Stadium IV
Verfahren
retrograde Anbohrung (Stadium II) retrograde Ausräumung und Spongiosaplastik (Stadium II/III mit intaktem Knorpel) antegrade Anbohrung, Mikrofrakturierung (Stadium II/III) antegrade Ausräumung, Spongiosaplastik und Refixation (Stadium III mit Verlust der Integrität mit Umgebung; Stadium IV bei intakter Knorpelfläche) antegrade Ausräumung, Kürettage, Dissekatresektion (Stadium IV bei Knorpelschädigung) Defekt <7 mm: Débridement und Anbohrung Defekt >7 mm: Knorpelrekonstruktion
Nachbehandlung
8–12 Wochen Entlastung
Rx-Kontrolle
MRT-Kontrolle im Abstand von 3 Monaten (mit KM: Revaskularisierung?)
Metallentfernung
entfällt
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit
Komplikationen
Arthrose
Wachstumsstörung
Präarthrose
Nachkontrollen
im Abstand von 3 Monaten bis Beschwerdefreiheit
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
22
332
22
Kapitel 22 · Sprunggelenk
Technische Aspekte
distale Tibia/OSG
Allg. Material
Bildwandler
Lagerung
Rückenlage, OS-Blutsperre, Abdeckung oberhalb des Kniegelenks (Rotationskontrolle)
Zugang – Allgemeines
Malleolus medialis (⊡ Abb. 22.11) Schnittführung über dorsalen Innenknöchelrand
Malleolus lateralis (⊡ Abb. 22.12) Schnittführung an der dorsalen Fibulakante. Cave: N. peronaeus superficialis
Spezielle Aufklärung
N.-peronaeus-superficialis-Verletzung bei lateralem Zugang Osteochondrosis dissecans: Lockerung des Transplantats, iatrogene Knorpelschädigung
Metallentfernung
K-Drähte: ggf. in LA Schrauben: ITN
Frakturen der distalen Tibia Material
kanülierte Schrauben, selbstbohrend/-schneidend, rückschneidend
→ Titan → Durchmesser: 3,5–4 mm Zugang
siehe Zugänge allgemein Übergangsfrakturen:
→ i.d.R. lateraler Zugang; bei seltenen medialen Frakturen medialer Zugang OP-Prinzip
Reposition 90°-Knieflexion und leichter Fußplantarflexion → Muskelentspannung Umkehrung des Unfallmechanismus = Reposition Zugschraubenosteosynthese geschlossene Reposition und Osteosynthese über Stichinzision mit einer kanülierten
Spongiosaschraube/Kleinfragment-Spongiosaschraube (3,5–4,5 mm) ggf. offene Reposition (Repositionshindernis, Gelenkrekonstruktion) Salter-III-Fraktur: epiphysäre Schrauben parallel zur Epiphysenfuge (⊡ Abb. 22.13), ohne die Fuge zu durchkreuzen; ggf. K-Draht bei sehr kleinem Fragment Salter-IV-Fraktur: epiphysäre Schraube parallel zur Fuge, eine Schraube oft ausreichend, bei großem metaphysärem Fragment zusätzliche metaphysäre Schraube parallel zur Epiphysenfuge Twoplane-Fraktur: epiphysäre Schraube, die Fuge darf bei lateraler Fraktur durchkreuzt werden, da Fuge weitestgehend geschlossen ist (schräger Verlauf → bessere Kompression); kein Wachstum zu erwarten (⊡ Abb. 22.14) Triplane-I-/-II-Fraktur: zuerst Fixation des metaphysären (ventrodorsal) und dann des epiphysären Fragments; die Fuge darf bei lateraler Fraktur durchkreuzt werden (⊡ Abb. 22.15a,b)
Fibulare Bandruptur Zugang
bogenförmiger Hautschnitt über lateralen Malleolus (⊡ Abb. 22.12)
OP-Prinzip
Bandrekonstruktion Durchtrennung der überdehnten Bänder 2 mm unterhalb der Fibulaspitze Naht der Sehnenstümpfe dachziegelartig Modifikation: Abheben eines Periostlappens der distalen Fibula, transossäre Fixation der Sehnenstümpfe und Dopplung mit Periostlappen (⊡ Abb. 22.16a,b)
Osteochondrosis dissecans Zugang
Arthroskopie, nur bei großen Defekten und schwieriger Lokalisation Arthrotomie anterolaterale und anteromediale Portale (⊡ Abb. 22.17) offener Zugang bei großen Defekten, Innenknöchelosteotomie im Wachstumsalter
problematisch wegen Fuge
333 22.4 · Osteochondrosis dissecans tali
OP-Prinzip
Anbohrung/Mikrofrakturierung Eröffnung der Sklerose (Einwandern mesenchymaler Stammzellen → Bildung von Faserknorpel) retrograde Anbohrung Gelenkknorpel bleibt intakt Zugang von der kontralateralen Talusseite antegrade Anbohrung (Pridie), Mikrofrakturierung arthroskopisch in Plantarflexion; Zugänge: anterior, posterior, transmalleolar Anbohrung mit K-Drähten (1,2 mm) retrograde Ausräumung und Spongiosaplastik Gelenkknorpel bleibt intakt; ggf. Auffüllen mit Beckenkammspongiosa oder Pridie-Bohrung antegrade Ausräumung, Spongiosaplastik und Refixation Arthrotomie gelenkseitige Ausräumung der Sklerosezone, Auffüllen mit Beckenkammspongiosa sowie Refixation des Dissekats mit Fibrinkleber und biodegradablen Pins Rekonstruktive Methoden osteochondrale Transplantation: Transplantation eines Knorpel-Knochen-Zylinders vom gleichseitigen Femurkondylus autologe Chondrozytentransplantation: vereinzelte Beschreibungen
V. saphena magna N. saphenus
A. tibialis posterior
N. suralis
N. peronaeus superficialis
N. tibialis
Sehnen des M. tibialis posterior und M. flexor digitorum longus ⊡ Abb. 22.11. Zugang zum medialen Malleolus.
⊡ Abb. 22.13. Zugschraubenosteosynthese bei Salter-III-/-IV-Frakturen.
Senen des M. peronaeus longus und brevis ⊡ Abb. 22.12. Zugang zum lateralenMalleolus.
22
334
Kapitel 22 · Sprunggelenk
22
⊡ Abb. 22.14. Schräg verlaufende Osteosynthese bei Twoplane-Fraktur. Kompression des ventrolateralen Fragments.
a
b ⊡ Abb. 22.15. Osteosynthese bei Übergangsfrakturen. a. Triplane-I-Fraktur. b. Triplane-II-Fraktur.
22
335 22.4 · Osteochondrosis dissecans tali
a
b ⊡ Abb. 22.16a,b. Bandrekonstruktion mit Periostlappen.
M. extensor digitorum longus N. cutaneus dorsalis medialis 1 A. dorsalis pedis, N. peroneus profundus
V. saphena magna, N. saphenus M. extensor hallucis longus
M. flexor digitorum longus
V. saphena parva, N. suralis M. soleus
M. tibialis anterior 2 3 A., V. tibialis posterior, N. tibialis
⊡ Abb. 22.17. Arthroskopische Zugangswege zum OSG: 1 anterolateraler Zugang, 2 anteromedialer Zugang, 3 posterolateraler Zugang
336
Kapitel 22 · Sprunggelenk
22.5
22
Fallbeispiele
Fall 22.1 Salter-I-Fraktur, Junge, 10 J., Freizeitunfall.
a,b Unfallbilder. c,d K-Draht-Osteosynthese nach Reposition.
Fall 22.2 Salter-III-Fraktur, Mädchen, 12 J.
a,b Unfallbilder. c,d Schraubenosteosynthese.
337 22.5 · Fallbeispiele
Fall 22.3 Twoplane-Fraktur, Mädchen, 13 J., Schulsportunfall.
a,b Unfallbilder. c,d Schraubenosteosynthese.
Fall 22.4 Triplane-II-Fraktur, Junge, 15 J.
a,b Unfallbilder. c,d Schraubenosteosynthese (schräger Schraubenverlauf ).
22
338
Kapitel 22 · Sprunggelenk
Fall 22.5 Triplane-II-Fraktur, Mädchen, 13 J.
22
a–d Unfallbilder. e,f Schraubenosteosynthese mit Verschraubung der metaphysären Fraktur.
23
Fuß D. Schneidmüller und I. Marzi
23.1
Physiologische Befunde – 340
23.1.1
Knochenkerne und Fugenschluss
23.2
Verletzungen im Bereich des Fußskeletts – 341
23.2.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
23.3
Talusfraktur
23.3.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
23.4
Kalkaneusfraktur
23.4.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
23.5
Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes – 346
23.5.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
23.6
Fallbeispiele
– 340
– 341
– 342 – 342
– 344
– 354
– 344
– 346
340
Kapitel 23 · Fuß
Physiologische Befunde
23.1
23.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss
23
▬ Phalangen und Mittelfußknochen haben jeweils nur eine Epiphysenfuge: – eine basale Fuge: MFK I, Phalangen I–V; – eine subkapitale Fuge: MFK II–V.
Bei Geburt sind lediglich die Ossifikationszentren des Kalkaneus und Talus radiologisch nachweisbar (⊡ Abb. 23.1): ▬ Das Os naviculare wird als letzter Fußwurzelknochen zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr sichtbar. ▬ Die Kalkaneusapophyse entwickelt sich zwischen dem 5. und 10. Lebensjahr, häufig aus mehreren Ossifikationszentren.
⊡ Abb. 23.3. Sesamoide – Lokalisation.
2.-3. Lj.
1.-2. Lj.
3. Lj. 3.-4. Lj.
10. Em.
7.-8. Em. 5.-6. Em.
Querteilung Os sesamoideum bipartitum
Längsteilung
⊡ Abb. 23.4. Sesamoide – Teilungsvarianten. ⊡ Abb. 23.1. Knochenkerne und Fugenschluss.
3
2
4
1
6 4
7
5 9 8
⊡ Abb. 23.2. Akzessorische Knochenkerne 1 Os tibiale externum (10%), 2 Os sustentaculi (1,5%), 3 Talus secundarius, 4 Os trigonum (13%), 5 Calcaneus secundarius (4,4%), 6 Os intercuneiforme (selten), 7 Os intermetatarseum (9%), 8 Os vesalianum, 9 Os fibulare (10%).
⊡ Abb. 23.5. Geteilte Epiphyse.
Os sesamoideum tripartitum/ multipartitum
23
341 23.2 · Verletzungen im Bereich des Fußskeletts
Verletzungen im Bereich des Fußskeletts
23.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild Verletzungen im Bereich des Fußskeletts weisen eine Inzidenz von 13% auf. Die Inzidenz von Mittelfuß- und Zehenfrakturen liegt bei 70–90%, die der Fußwurzelverletzungen bei 4%, wobei Kalkaneus, Talus und das Navikulare am häufigsten betroffen sind. Der Fuß des Kindes unterscheidet sich in vieler Hinsicht von dem des Erwachsenen, beispielsweise in unterschiedlichen Fußachsen, vorhandenen Wachstums- und Ossifikationszentren sowie erhöhter Bandlaxizität. Es gibt viele anatomische Variationen, welche die radiologische Diagnose einer Fraktur erschweren. Häufig finden sich akzessorische Knochen, die irritieren können, aber ohne klinische Bedeutung sind (⊡ Abb. 23.2). Im Vergleich zu anderen Körperteilen ist die Geschwindigkeit des Längenwachstums des Fußes in den ersten Jahren besonders groß. 50% des Längenwachstums haben bereits nach dem 1. Lebensjahr bei Mädchen und nach 1½ Jahren bei Jungen stattgefunden; nach dem 12. Lebensjahr sind es 96% bei Mädchen und 88% bei Jungen. Dies muss beim therapeutischen Vorgehen berücksichtigt werden; eine regelrechte Reposition von dislozierten Frakturen ist notwendig, da für eine Korrektur während des Wachstums meist nicht ausreichend Zeit bleibt. Zudem muss bei der anatomischen Reposition beachtet werden, dass Normwerte der Fußwinkel des Erwachsenen nicht ohne weiteres auf das junge Kind übertragbar sind. Verletzungen des Vorfußes bilden den Hauptanteil der Fußverletzungen im Kindesalter. Sie sind meist unkompliziert bis auf direkte Quetschverletzungen. Die Behandlung von Fußwurzelfrakturen dagegen stellt eine Herausforderung dar und die internationale Literatur gibt nur wenig Hilfestellungen. Kompartmentsyndrom. Eine seltene dennoch schwerwiegende Komplikation ist das Kompartmentsyndrom des Fußes, das bei geschlossenen, aber auch bei offenen Frakturen vorkommen kann. Der Fuß hat 4 Kompartimente: ein mediales, ein laterales, ein zentrales und ein interossäres. Klinische Zeichen eines Kompartmentsyndroms sind Schwellung, starke Schmerzen, Schmer-
Komplexes Fußtrauma. Diese Kombinationsverletzung
in mehreren Etagen ist häufig Folge von Überroll- oder Rasanztraumen. Ziel der Behandlung ist die Wiederherstellung eines gebrauchfähigen plantigraden Fußes. Das therapeutische Vorgehen ist vom Allgemeinzustand des meist oft mehrfachverletzten Kindes sowie vom Lokalbefund abhängig. Definiert wird es über ein 5-PunkteSystem nach Zwipp. Dies berücksichtigt zum einen die anatomische Lokalisation (1. OSG, 2. Talus, 3. Kalkaneus, 4. Chopart-Gelenk, 5. Lisfranc-Gelenk; ⊡ Abb. 23.6) und zum anderen den Weichteilschaden (pro Grad des Weichteilschadens einen Punkt; Überrolltrauma und subtotale Amputation=4 Punkte). Ergibt die Anzahl der betroffenen Lokalisationen sowie der Punktwert des Weichteilschadens einen Gesamtpunktwert von 5 oder mehr, so liegt ein Komplextrauma des Fußes vor. Während bei Erwachsenen die primäre Amputation beim umfassenden Vorfußtrauma des Fußes beim schwer polytraumatisierten Patienten eine valide Option ist, ist man beim Kind aufgrund der guten Heilungspotenz zurückhaltender und débridiert primär die Grenzzonen.
ChopartGelenklinie
23.2
zen bei passiver Bewegung der Zehen, Pulsminderung, verminderte 2-Punkte-Diskrimination und ein motorisches Defizit. Ein Druck >30 mmHg gilt als pathologisch, eine direkte Druckmessung ist beim Kind jedoch kaum realisierbar. Die komplexe Anatomie und die kleinen Kompartmente des Fußes machen eine exakte Diagnose und damit eine gezielte Kompartmentspaltung schwer. Entscheidend ist der klinische Befund, in Grenzfällen kann das MRT eingeschränkt Hilfestellung bieten. Therapeutisch muss frühzeitig eine Fasziotomie durchgeführt werden, ansonsten können Folgeschäden wie plantare Kontraktur, Hohlfußdeformität, Krallenzehen, Bewegungseinschränkung, Sensibilitätsstörungen und chronische Schmerzen auftreten.
LisfrancGelenklinie
Am Fußskelett finden sich zahlreiche akzessorische Knochenkerne (⊡ Abb. 23.2). Gespaltene Sesambeine sind häufig zu sehen, wohingegen Sesambeinfrakturen im Wachstumsalter selten vorkommen (⊡ Abb. 23.3, ⊡ Abb. 23.4). Ebenso können geteilte Epiphysenfugen im Wachstumsalter auftreten (⊡ Abb. 23.5).
V
IV
OSG/ Pilon
I
Talus
II
Calcaneus
III
⊡ Abb. 23.6. Einteilung der anatomischen Verletzungsregionen am Fuß nach Zwipp.
342
23
Kapitel 23 · Fuß
Die Therapie kann bei diesen komplexen Verletzungen nicht standardisiert sein, jedoch gibt es die standardisierten Richtlinien bei schweren Weichteilschäden und offenen Frakturen: ▬ gründliche Reinigung der Wunden im OP, ggf. mit Jetlavage, ▬ systemische Antibiotikatherapie (Cephalosporin), ▬ chirurgisches Wunddébridement, ▬ temporäre Deckung mit Kunsthaut, Vakuumsystem und regelmäßiges Nachdébridement, Second-LookOperationen alle 2 Tage, ▬ einfache Osteosynthese zur Wiederherstellung der anatomischen Achsen (Rückfuß, Mittelfuß, mediale und laterale Fußsäule), minimalinvasiv bzw. perkutan mit K-Drähten (1,4–1,6 mm) oder kanülierten Schrauben (3,5 mm), ▬ ggf. tibiometatarsale Transfixation (über 1. und 4. Strahl), ▬ ggf. sekundärer Gewebetransfer (Lappenplastiken, aber auch Hautersatz; Integra), ▬ im Einzelfall auch regionale Schmerztherapie ab dem 6. Lebensjahr zur Analgesie und Sympathikolyse.
23.3
Talusfraktur
Die Fraktur kann drei verschiedene Zonen des Talus betreffen, die am häufigsten betroffenen Zonen sind der Talushals sowie der Korpus und die Processus lateralis und posterior. Bei Frakturen des Halses (⊡ Tab. 23.1, ⊡ Abb. 23.7) und des Körpers besteht eine Nekrosegefahr, welche mit zunehmendem Alter und Ossifikation ansteigt (Inzidenz 25%). Meist wird die Nekrose erst nach 6–9 Monaten im Röntgenbild nachweisbar. Ein Hinweis auf eine Nekrose ist das fehlende Hawkins-Zeichen, eine nach ca. 8 Wochen auftretende subchondrale hypodense Zone im Bereich des Talusdoms. Dies gilt jedoch nur für Kinder nach dem 10. Lebensjahr mit ausreichender Ossifikation. Die MRT kann hier frühzeitig Hinweise auf die Durchblutungssituation geben.
Typ I
Typ II
23.3.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild Talusfrakturen sind äußerst selten, ihre Inzidenz liegt bei 0,008%. Sie resultieren überwiegend aus massiven Traumen. Meist handelt es sich um undislozierte Talusfrakturen. Bei bestehender Dislokation muss eine exakte anatomische Reposition angestrebt werden, da sonst mit schlechten Langzeitergebnissen mit frühzeitiger Arthrose zu rechnen ist.
Typ III
Typ IV
⊡ Abb. 23.7. Klassifikation der Talushalsfrakturen nach Hawkins.
⊡ Tab. 23.1. Klassifikation der Talushalsfrakturen nach Hawkins Typ
Dislokation
Therapie
Nekrosegefahr
Typ I
meist undisloziert
geschlossene, ggf. offene Reposition bei Gelenkstufe >12. Lj. US-Gips für 6 Wochen unter Entlastung
5–10%
Typ II
Korpusdislokation nach dorsal ohne Luxation aus Malleolengabel; häufig mit medialer Trümmerzone assoziiert
exakte Reposition und Schraubenosteosynthese, im Einzelfall auch K-Draht-Osteosynthese; US-Gips für 6 Wochen unter Entlastung, Notfall
40–50%
Typ III
Korpusdislokation aus Malleolengabel
notfallmäßige offene Reposition und Schraubenosteosynthese; US-Gips für 6 Wochen unter Entlastung
80–100%
Typ IV
zusätzliche Talushalsdislokation aus Malleolengabel
offene Reposition und Schraubenosteosynthese mit zusätzlicher K-Draht-Transfixation des Talonavikular- und Subtalargelenks für 4 Wochen; US-Gips für 6 Wochen unter Entlastung, Notfall
80–100%
343 23.3 · Talusfraktur
Talusfraktur
Typ II
Besonderheiten
selten mögliche Frakturen: Hals, Korpus, Processus v.a. massives Trauma (Überrolltrauma, Rasenmäherverletzung), oft assoziiert mit komplexen Fußtraumen
Diagnostik
Rx Rückfuß a.-p. + seitlich MRT: Frakturverlauf, Durchblutung; Darstellung nicht ossifizierter Anteile ggf. CT beim älteren Kind, Beurteilung von Gelenkflächen und Frakturverlauf
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Rekonstruktion der Anatomie und der Gelenkflächen, Erhalt der Fußachsen
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie offene Fraktur, Luxationsfraktur: notfallmäßige OP (Nekrosegefahr)
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen, Gelenkspalt oder -stufe <2 mm
Verfahren
6–8 Wochen US-Gips, Entlastung
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
nach 6–8 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung, bei freier Funktion
Operative Therapie Indikation
Dislokation im Gelenk >2 mm; Verkürzung, Achsabweichung; Typ II–IV nach Hawkins; offene Frakturen
Verfahren
geschlossene Reposition; Schraubenosteosynthese ggf. K-Draht-Spickung meist offene Reposition nötig; Schraubenosteosynthese Luxation aus Malleolengabel: ggf. zusätzliche Transfixation mit OSG im Einzelfall mit Bandrekonstruktion
Nachbehandlung
6 Wochen US-Gips (ggf. in leichter Flexion), Entlastung bei Nekrosegefahr 10 Wochen Entlastung nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 6 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
nach 4 Wochen transfixierende K-Drähte nach 6 Monaten Schrauben
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung und freier Funktion
Komplikationen
Früharthrose im USG Talusnekrose Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
–
Nachkontrollen
bei Nekrosegefahr: nach 10 Wochen MRT (Ausschluss einer Nekrose) Kontrolle 3-wöchentlich, bis freie Funktion und volle Belastbarkeit erreicht; bei unauffälligem Befund nach 1 Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
23
344
Kapitel 23 · Fuß
23.4
Kalkaneusfraktur
23.4.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild
23
Kalkaneusfrakturen sind selten, ihre Inzidenz beträgt 0,005%. Nicht immer sind Hochrasanztraumen oder Sprung aus großer Höhe die Ursache, bei Kleinkindern vor dem 3. Lebensjahr kann es auch durch leichte Traumen zu Kalkaneusfrakturen kommen (»Toddler’s Fracture«), wel-
25 °- 40 °
che anfangs nicht immer radiologisch nachweisbar sind. Deshalb empfiehlt sich bei negativem Röntgenbefund und anhaltenden Beschwerden eine Röntgenkontrolle nach 2 Wochen durchzuführen, in der sich dann die Fraktur bzw. die Kallusbildung zeigt. Ein Drittel der Kalkaneusfrakturen sind mit zusätzlichen Verletzungen assoziiert, welches gerade beim Hochrasanztrauma zu beachten ist. Bei Kindern, die jünger als 7 Jahre sind, überwiegen extraartikuläre Frakturen. Diese betreffen in der Regel den Tuber calcanei. Kalkaneusfrakturen beim Adoleszenten sind meist intraartikulär und führen zu einer Abflachung des Tuber-Gelenk-Winkels (<25–40°) (⊡ Abb. 23.8). Ausreichende Untersuchungen zu Langzeitergebnissen bei konservativ therapierten intraartikulären dislozierten Kalkaneusfrakturen liegen nicht vor. So wird die extraartikuläre undislozierte Fraktur beim jungen Kind konservativ behandelt, wohingegen die intraartikuläre dislozierte Fraktur des Adoleszenten entsprechend der Erwachsenenchirurgie anatomisch reponiert und stabilisiert werden sollte.
⊡ Abb. 23.8. Böhler-Winkel (Tuber-Gelenk-Winkel).
Klassifikation
a
b
⊡ Abb. 23.9. Essex-Lopresti-Klassifikation der Kalkaneusfrakturen. a Joint-Depression-Typ, b Tongue-Typ.
1a
2a
1d 1b
1c
Es existieren unterschiedliche Klassifikationen für Kalkaneusfrakturen. Grundsätzlich wird nach Beteiligung des zentralen thalamischen Gelenks zwischen extra- und intraartikulären Frakturen differenziert. Essex Lopresti unterscheidet zwei Hauptformen, den Joint-Depressionsowie den Tongue-Typ (⊡ Abb. 23.9). Nur wenige dieser Klassifikationen beziehen sich auf Verletzungen im Kindesalter, als Beispiel ist die Klassifikation nach Wiley und Profitt aufgeführt (⊡ Abb. 23.10).
1e
2d 2b
1f
2c
2e
⊡ Abb. 23.10. Klassifikation der Kalkaneusfrakturen nach Wiley und Profitt 1 extraartikulär; a Tuberausriss, b vertikale Korpusfraktur, c horizontale Korpusfraktur, d Processus-medialis-Ausriss, e,f Processus-anterior-Ausriss. 2 intraartikulär; a undisloziert, b Tongue-Typ, c zentrolaterale Fraktur disloziert, d Sustentakulumfraktur, e Mehrfragmentfraktur.
345 23.4 · Kalkaneusfraktur
Kalkaneusfraktur
a Besonderheiten
Ursache: <10. Lj. einfache Stürze; >10. Lj. Hochrasanztraumen v.a. Adoleszente: intraartikuläre dislozierte Frakturen <8. Lj.: extraartikuläre, wenig dislozierte Frakturen Kleinkinder <3. Lj.: Toddler-Fracture
Diagnostik
Rx Rückfuß a.-p. + seitlich;Kalkaneus axial bei Verdacht auf Fraktur: CT + 3D-Rekonstruktion alternativ MRT mit Rekonstruktion
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Herstellung der Gelenkflächen; Erhalt der Fußachsen
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie, abschwellende Maßnahmen
Konservative Therapie Indikation
keine Gelenkstufen, akzeptabler Tuber-Gelenk-Winkel extraartikuläre undislozierte Frakturen
Verfahren
6 Wochen US-Gips, Entlastung
Nachbehandlung
dann schmerzabhängige Belastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
nach 6 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
bei Beschwerdefreiheit
Operative Therapie Indikation
intraartikuläre dislozierte Frakturen extraartikuläre dislozierte Frakturen meist im Intervall, nach Rückgang der Weichteilschwellung
Verfahren
offene Reposition der Achsen, Winkel und der Gelenkflächen selten mit Spongiosaplastik beim Kind; Osteosynthese bei kleinen Kindern mit K-Drähten, ansonsten mit Flachprofilplatten (winkelstabile Kalkaneusplatte des Erwachsenen meist zu groß; alternativ winkelstabile kleine Hand-, Fußplatten)
Nachbehandlung
6 Wochen Entlastung im US-Gips nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 6 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
1 Jahr post OP
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Früharthrose im USG Kompartmentsyndrom (10%)
Wachstumsstörung
mögliche Inkongruenz des subtalaren Gelenks
Nachkontrollen
3-wöchentlich, bis freie Funktion und volle Belastbarkeit erreicht
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
23
346
Kapitel 23 · Fuß
23.5
Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes
23.5.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild
23
Frakturen der Fußwurzeln. Diese sind sehr selten, auf-
grund der hohen Nekrosegefahr ist jedoch eine anatomische Reposition anzustreben. Bei persistierender Fehlstellung ist mit einer frühzeitigen Arthrose mit erheblichen Beschwerden zu rechnen, welche häufig nur im weiteren Verlauf durch eine Arthrodese behoben werden können. Frakturen des Navikulare. Sie sind selten disloziert, können jedoch mit Luxationen im Chopart-Gelenk assoziiert sein.
⊡ Abb. 23.11. MFK-V-Apophyse (längsverlaufend); Differenzialdiagnose: Basisfraktur (querverlaufend).
Kuboidfrakturen. Hier handelt es sich meist um Kompressionsfrakturen mit Verkürzung der lateralen Fußsäule. Ziel ist ebenfalls eine anatomische Reposition mit Wiederherstellung der Länge. Frakturen der Metatarsalia. Sie weisen eine Inzidenz von 4% auf und machen je nach Literaturangabe bis zu 90% aller Fußfrakturen aus. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um subkapitale Frakturen mit geringer Dislokation, sodass eine konservative Therapie meist ausreicht. Bei Serienfrakturen empfehlen wir jedoch aufgrund der Instabilität eine perkutane K-Draht-Spickung. Bei Kindern vor dem 10. Lebensjahr ist der erste Mittelfußknochen am häufigsten betroffen. Bei Kindern, die älter als 10 Jahre sind, steht die Basisfraktur des 5. Mittelfußknochens im Vordergrund. Typischer Unfallmechanismus ist das Supinationstrauma. Die Metatarsale-V-Basis-Fraktur verläuft quer im Gegensatz zur Apophysenfraktur, welche längs verläuft und in der Regel keine weiteren therapeutischen Konsequenzen erfordert (⊡ Abb. 23.11, ⊡ Abb. 23.12). Zehenfrakturen. Sie stellen mit Frakturen der Mittelfuß-
knochen den Hauptanteil, wobei im Wesentlichen die Großzehe betroffen ist. Am häufigsten handelt es sich um basale Epiphysenlösungen und Stauchungsfrakturen. Schaftfrakturen sind in der Regel konservativ durch Ruhigstellung (Tape) behandelbar, dagegen können intraartikuläre Frakturen und Epiphysenlösungen zu Wachstumsstörungen und Früharthrosen führen und sollten bei deutlicher Abweichung reponiert und ggf. mit einem K-Draht fixiert werden. Luxationen des Fußskeletts. Diese Verletzungen sind im
Kindesalter selten. Meist handelt es sich um interphalangeale Luxationen, die einfach zu reponieren und durch Tape zu stabilisieren sind. Peritalare und subtalare Luxationen bzw. Subluxationen kommen v.a. beim Adoleszenten vor, häufig sind sie mit Frakturen des Talus assoziiert.
⊡ Abb. 23.12. Apophysenfraktur MFK V (10. Lj.).
Luxationen im Lisfranc-Gelenk treten meist nach Hyperflexions- oder Überrolltraumen bei älteren Kindern auf. Lisfranc-Verletzungen werden leicht in der primären Bildgebung übersehen; daher muss auf korrekte Aufnahmen auch exakt seitlich geachtet werden. Oft kommt es zu einer spontanen Reposition, sodass klinisch Schmerzen und eventuell ein Hämatom im Mittelfußbereich imponieren. Die verschiedenen Formen der LisfrancLuxation können auch beim Kind auftreten, wobei im Einzelfall das Ausmaß erst im MRT vollständig erkennbar ist. Oft kommen begleitende Frakturen im Fußwurzel- und Mittelfußbereich hinzu. Eine Fraktur des 2. Mittelfußknochens weist oft auf eine (Sub-)Luxation im Lisfranc-Gelenk hin. Die Therapie besteht aus einer meist geschlossenen Reposition und einer temporären Transfixation mit K-Drähten bei bestehender Instabilität, gefolgt von einer Immobilisation. Die Schlüsselstelle ist hier die Stabilisierung der MFK-II-Basis-Fraktur. Eine anatomische Reposition sollte angestrebt werden, da sonst mit schlechten Langzeitergebnissen zu rechnen ist.
347 23.5 · Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes
Fußwurzelfraktur
Besonderheiten
selten
Diagnostik
Rx Rückfuß a.-p. + seitlich bei Verdacht auf Fraktur: CT + 3D-Rekonstruktion alternativ MRT mit Rekonstruktion bei kleinen Kindern
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Herstellung der Gelenkflächen und Fußachsen
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ bei fehlender Dislokation
Verfahren
6 Wochen US-Gips, Entlastung
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich; ggf. Einlagenversorgung
Rx-Kontrolle
nach 6 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen; Luxation im Chopart- oder Lisfranc-Gelenk
Verfahren
geschlossene Reposition und perkutane K-Draht-Spickung Instabilität: offene Reposition und Schrauben-/K-Draht-Osteosynthese bei Weichteilverletzungen: temporäre Transfixation für 2–3 Wochen Schlüsselfragment: Stabilisierung einer MFK-II-Basis-Fraktur
Nachbehandlung
6 Wochen Entlastung nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich; ggf. Einlagenversorgung
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 6 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
nach 4 Wochen Transfixationsdrähte
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Früharthrose Veränderungen der Fußstatik Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
geringe Datenlage
Nachkontrollen
wöchentlich, bis freie Funktion und volle Belastbarkeit erreicht
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
23
348
Kapitel 23 · Fuß
Fraktur der Mittelfußknochen
23
Besonderheiten
einzelne Fraktur durch direktes Trauma Serienfraktur durch Überrolltrauma, Radspeichenverletzung <10. Lj.: v.a. MFK I; >10. Lj. v.a. MFK V
Diagnostik
Rx Fuß a.-p. + seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Längenerhalt; Erhalt des Längs- und Quergewölbes keine Rotationsfehler; kein dorsaler/plantarer Achsfehler
Primärbehandlung
US-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ gering dislozierte Schaftfrakturen nicht dislozierte Epiphysenfrakturen
Verfahren
ca. 4–5 Wochen US-Gips, nach 2–3 Wochen als Gehgips diaphysär: 3–5 Wochen; metaphysär: 3 Wochen
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich; ggf. Einlagenversorgung
Rx-Kontrolle
Stellungskontrolle nach 1 Woche; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen
Verfahren
geschlossene, ggf. offene Reposition und perkutane K-Draht-Spickung, beim Adoleszenten auch Schraube MFK-V-Basis: offene Reposition und Zuggurtungsosteosynthese oder Zugschraube
Nachbehandlung
4 Wochen Entlastung; US-Gips / nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich; ggf. Einlagenversorgung
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei MFK V: Konsolidierung radiologisch erst spät sichtbar
Metallentfernung
nach 4 Wochen (K-Drähte, Zuggurtung, Schraube)
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Veränderungen der Vorfußstatik / Kompartmentsyndrom / Pseudarthrose (MFK V)
Wachstumsstörung
möglich, aber selten
Nachkontrollen
2-wöchentlich, bis freie Funktion und volle Belastbarkeit erreicht
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
349 23.5 · Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes
Fraktur der Phalangen
Besonderheiten
v.a. direkte Traumen
Diagnostik
Rx Vorfuß/Zehen a.-p. + seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Längenerhalt anatomische Reposition
Primärbehandlung
elastischer Verband, ggf. US-Gipsschiene, evtl. medikamentöse Analgesie
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ gering dislozierte Schaftfrakturen nicht dislozierte Epiphysenfrakturen
Verfahren
Dachziegelverband, Schienung an Nachbarzeh; Schuh mit harter Sohle, ggf. schmerzabhängige Entlastung 2 Wochen ggf. geschlossene Reposition in Oberst-Leitungsanästhesie
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
entfällt; klinische Achs- und Funktionskontrolle
Sportfähigkeit
bei Schmerzfreiheit, ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
dislozierte Frakturen (>3 mm)
Verfahren
geschlossene Reposition und perkutane K-Draht-Spickung Basis- und subkapitale Fraktur: gekreuzt Schaftfraktur: intramedulläre Schienung
Nachbehandlung
3 Wochen Entlastung; ggf. Gipsschuh nach Metallentfernung schmerzabhängige Aufbelastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
intra- oder postoperativ Stellungskontrolle
Metallentfernung
nach 2–3 Wochen Transfixationsdrähte
Sportfähigkeit
ca. 4 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Veränderungen der Vorfußstatik (Hallux rigidus) Früharthrose
Wachstumsstörung
keine sicheren Angaben
Nachkontrollen
wöchentlich, bis freie Funktion und volle Belastbarkeit erreicht
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
23
350
Kapitel 23 · Fuß
Technische Aspekte
Fußverletzungen Fußverletzungen allgemein
23
Lagerung
i.d.R. Rückenlage; Blutsperre (optional) Abdeckung bis Kniegelenk; ggf. mit Beckenkamm
Zugang
Rückfuß
cave Durchblutungsstörung: Zugang möglichst klein; vorzugsweise lateraler Zugang (medial größere Gefahr der Gefäß-, Nervenschädigung) medialer Zugang: bei direkter Verschraubung des Sustentaculum talare Spezielle Aufklärung
Metallentfernung
Transfixationsdrähte, perkutane K-Drähte: 4 Wochen post OP; ambulant Schrauben, Platte: 6 Monate post OP
Nekrose (v.a. Fußwurzel) Früharthrose Kompartmentsyndrom Fußwurzelfrakturen: empfindliche Weichteile → hohes Nekrose- und Infektrisiko Spongiosaentnahme aus dem Beckenkamm, nur bei sehr großen Defekten (selten) Innenknöchelosteotomie, nur ausnahmsweise bei Talusfraktur
Talusfraktur Material
kanülierte 3,5 mm Schrauben, K-Drähte 1,6 mm
Zugang
lateraler Zugang medialer Zugang nur bei Verschraubung des Sustentaculum talare (bogenförmig hinter
Innenknöchel; Anschlingen des Gefäß-Nerven-Bündels) OP-Prinzip
Talusfraktur Typ I nach Hawkins geschlossene Reposition in Plantarflexion, ggf. über Stichinzision Talusfraktur Typ II nach Hawkins bilateraler Zugang Zugschrauben von medial und lateral als Stichinzision oder zentraler anteriorer Längs-
schnitt ggf. a.-p.-Verschraubung über posterolaterale Stichinzision
Talusfraktur Typ III nach Hawkins anteromedialer Zugang (cave: Gefäßversorgung; Lig. deltoideum und Schonung
des Weichteilverbundes zwischen Talushals und Os naviculare → Nekrosegefahr) (⊡ Abb. 23.16) Schrauben parallel einbringen (sonst Sperrwirkung) Kalkaneusfraktur Material
Zugang
lateraler Zugang (1 cm unterhalb der Fibulaspitze; Eröffnung der Peronäalsehnenscheide →
K-Drähte 1,6 mm kanülierte Schraube 3,5 mm Flachprofifplatte, ggf. winkelstabil (Hand-, Fußset), Titan Fixateur externe
Anheben en bloc der Peronäalsehnen und des N. cutaneus dorsalis) (⊡ Abb. 23.13) OP-Prinzip
K-Draht-Osteosynthese (⊡ Abb. 23.17) Fixateur externe (⊡ Abb. 23.18) Reposition: ggf. mit dorsolateral und in Tibia eingebrachtem Steinmann-Nagel zur
Distraktion Fußwurzelfrakturen Material
K-Drähte 1,6–1,8 mm; Mini-Schrauben (2,0–3,5 mm)
Zugang
dorsal, Streckseite Fußrücken
351 23.5 · Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes
OP-Prinzip
Schonung der proximalen oder distalen Weichteilstrukturen der dorsalen Fragmente Osteosynthese mit K-Drähten und 3,5 mm kanülierten Schrauben bei Weichteilverletzungen: Transfixation talonavikular mit 1,8 mm K-Drähten
Kuboidfrakturen offene Reposition, ggf. Spongiosaplastik Osteosynthese transfixierend mit 2 K-Drähten (CC-Gelenk) Mittelfußfrakturen Material
1,441,6 mm K-Drähte, ggf. Minischrauben (2,0; 2,4)
Zugang
dorsal, Streckseite (⊡ Abb. 23.15)
OP-Prinzip
oft geschlossene Reposition und perkutane K-Draht-Spickung möglich offen (Repositionshindernis): dorsale Längsinzision
K-Draht-Osteosynthese K-Draht zunächst von Fraktur aus in das distale Fragment einfädeln und durch die Haut vorschieben, dann retrograd in das proximale Fragment auffädeln (⊡ Abb. 23.19) Osteosynthese durch dorsale Platte oder K-Draht Serienfraktur: Stabilisierung der tragenden Säulen MFK I und V Zuggurtung MFK-V-Basis-Fraktur (⊡ Abb. 23.20) Zugschraube alternativ für MFK-V-Basis-Fraktur bei beginnendem Fugenschluss Zehenfrakturen/-luxationen Material
Tape, braunes Pflaster, K-Draht 1,0 und 1,2 mm
Zugang
i.d.R. geschlossene Reposition
Therapieprinzip
Dachziegelverband bei Phalangenfrakturen:
bei primärer Varusfehlstellung an laterale Zehe schienen bei primärer Valgusfehlstellung an mediale Zehe schienen Kompresse interdigital zur Vermeidung von Ulzera K-Draht-Osteosynthese i.d.R. perkutan möglich (⊡ Abb. 23.21) Schrauben, selten 1,3 oder 1,5 mm Lisfranc- und Chopart-Luxation Zugang
geschlossene Reposition, ggf. offene Reposition über Zugang über MT II und MT IV mit
K-Draht-Transfixation des Lisfranc-Gelenks (⊡ Abb. 23.15) Schlüsselstelle ist der MTII und das Os cuneiforme II
Kompartmentsyndrom Zugang
Fasziotomie: über 2 dorsale und eine mediale Inzision
2 parallele Inzisionen über MFK II und IV bis auf die Knochen (ausreichende Hautbrücke belassen) 1 mediale Inzision: proximaler MFK I → dorsale Ferse primärer Hautverschluss nach ca. 6 Tagen
23
352
Kapitel 23 · Fuß
V. saphena magna
N. suralis N. saphena parva
N. saphenus
A. tibialis posterior N. tibialis
23
⊡ Abb. 23.13. Lateraler Zugang am Rückfuß.
⊡ Abb. 23.14. Medialer Zugang am Rückfuß.
A. dorsalis pedis
⊡ Abb. 23.16. Anteromediale Verschraubung des Talus.
⊡ Abb. 23.15. Zugang am Mittelfuß.
1 1 4 5
4 5 2
3
3
2
⊡ Abb. 23.17. K-Draht-Osteosynthese am Kalkaneus.
⊡ Abb. 23.18. Typische Fixationspunkte des Fixateur externe bei Kalkaneusfraktur.
353 23.5 · Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes
⊡ Abb. 23.19. Schaftfraktur am MFK: K-Draht-Osteosynthese.
⊡ Abb. 23.20. Zuggurtungsosteosynthese an der MFK-V-Basis.
⊡ Abb. 23.21. Schrauben-, K-Draht-Osteosynthese bei einer Phalanxfraktur.
23
354
Kapitel 23 · Fuß
23.6
Fallbeispiele
Fall 23.1 Dislozierte intraartikuläre Kalkaneusfraktur beim Adoleszenten, Sprung aus großer Höhe.
23
a Unfallbild. b,c Versorgung durch Plattenosteosynthese.
Fall 23.2 Undislozierte intraartikuläre Kalkaneusfraktur, Junge, 10 J., Unfall beim Fußballspielen.
a,b Unfallbilder. c,d Darstellung der Fraktur im MRT.
24
Wirbelsäule S. Rose und I. Marzi
24.1
Physiologie, Anatomie und Entwicklung der Wirbelsäule – 356
24.1.1
Physiologische Röntgenbefunde – 357
24.2
Verletzungen der Wirbelsäule – Allgemeines – 358
24.3
Verletzungen der Halswirbelsäule – 364
24.3.1 24.3.2 24.3.3 24.3.4 24.3.5 24.3.6 24.3.7 24.3.8
Okzipitalfrakturen – 364 Atlantookzipitale Dislokationen – 366 Atlasfrakturen – 368 Atlantoaxiale Dislokationen (AAD) – 369 Axis- und Densfrakturen – 372 Os odontoideum – 374 Verletzungen des Segments C2/C3 und Pseudosubluxation Verletzungen von C3-C7 – 377
24.4
Verletzungen der thorakalen Wirbelsäule – 380
24.5
Verletzungen der lumbalen Wirbelsäule – 382
24.6
Rückenmarksschäden
24.7
Fallbeispiele
– 385
– 384
– 375
356
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.1
Physiologie, Anatomie und Entwicklung der Wirbelsäule
Die Angaben zu Bewegungsausmaßen, Größenverhältnissen und »physiologischen« Befunden der Kinderwirbelsäule unterliegen abhängig von Untersucher, Untersuchungsmodus und Alter einer hohen Variation.
24
Gelenkverbindungen. Beim Kleinkind artikuliert der Kopf mit dem Atlas horizontal, wobei die straffe Führung der Articulatio atlanto-occipitalis (Eigelenk) vorwiegend die Flexion/Extension, aber weniger die Rotation und Seitneigung zulässt. Die noch horizontalen und flachen Gelenkfacetten werden von einem schwachen Muskelapparat mit laxen Bandstrukturen bei großer Kopf-KörperRelation gehalten. Daher entsteht bei Krafteinwirkung eine hohe Belastung. Dens axis und vorderer Atlasbogen sind durch das Lig. cruciforme atlantis verbunden, welches aus dem für die Mechanik wichtigen Lig. transversum atlantis und den Fasciculi longitudinales (Vorderrand Foramen magnum zur Hinterfläche C2) besteht. Sekundäre Stabilisatoren sind die paarigen Ligg. alaria, zum einen vom seitlichen Dens zum Foramen magnum und medial zu den Okzipitalkondylen, zum anderen als Pars atlantis zum vorderen Atlasbogen ziehend. Da die kindlichen Bandstrukturen der Articulationes atlantoaxiales (kombiniertes Drehgelenk) eine Rotation von ca. 20–60° zulassen, sind Bandrupturen und Verletzungen der Facettengelenke mit Subluxation möglich. 60% der axialen HWS-Rotation entsteht zwischen C0 und C2 (davon 50% zwischen C1 und C2), weitere 40% in der unteren HWS. Mit dem Wachstum vergrößern sich die Neigungsebenen der Gelenkflächen bei C1/C2 von 55 auf 70 und bei C2 bis C4 von 30 auf 60–70° mit einer daraus folgenden höheren knöchernen Stabilität. Während die Bänder, Gelenke und Bandscheiben starke Dehnungen und eine Dislokation bis zu 5cm scheinbar unbeschadet überstehen können, hat das Rückenmark nur geringe Toleranzen von wenigen Millimetern, wodurch sich die häufigen neurologischen Störungen erklären lassen. Knöcherne Entwicklung. Der Atlas verfügt über 3 primäre Ossifikationszentren (OFZ): jeweils eines im Zentrum der Atlasbögen und ein drittes im ventralen Korpus, welches bei ca. 20% der Kinder bei Geburt ausgebildet ist oder erst bis zum 1. Jahr verknöchert. Das dritte OFZ kann auch von zwei Zentren gebildet werden oder ganz fehlen, sodass sich die beiden Bögen ventral ohne Körper schließen oder eine Lücke lassen. Der hintere knöcherne Bogenschluss hat normalerweise bis zum 3. Jahr stattgefunden, kann aber ausbleiben und darf zusammen mit anderen Variationen und Synchondrosen nicht als posttraumatisch fehlgedeutet werden. Mit dem 7. Jahr schließen sich die beiden ventralen Bögen mit dem Körper in der sog. neurozentralen
Synchondrose. Der Ring von C1 hat etwa im 4.–5. Jahr die Größe eines Erwachsenen erreicht (Spinalkanaldurchmesser ca. 22 mm), kann aber auch ganz fehlen oder nicht verknöchern. Drittelregel: ca. ein Drittel des Kanals wird durch den Dens, ein Drittel durch das Rückenmark und ein Drittel durch den freien Spinalraum belegt. Der Dens axis verfügt über 4 OFZ (2 in den Bögen, 1 im Korpus, 1 im Dens). Die Ossifikation des Dens beginnt pränatal mit zwei länglichen primären Zentren, welche sich mit der Geburt vereinen. Allerdings kann bis zum 7. Monat eine senkrechte Linie persistieren. Alle Zentren liegen bei Geburt vor und fusionieren zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr. Der Dens ist vom Axiskörper durch eine Wachstumsknorpelzone (sog. dentozentrale Synchondrose) getrennt, die nach kranial und kaudal wächst und zwischen dem 5. und 7. Jahr verschwindet. Sie liegt kaudal der Ebene der Gelenkfacetten und des Dens-Korpus-Übergangs und kann als kleine röntgentransparente Struktur über Jahre verbleiben. Eine Verwechslung mit einer Fraktur ist möglich, da in diesem Bereich bei Kindern auch die Densfraktur entsteht. Diese Synchondrosen erscheinen auf der transoralen Röntgenaufnahme in der Form eines H (⊡ Abb. 24.1). Da die Durchblutung des Dens über Bindegewebe an der Densspitze und von medial der Gelenkfacetten in die Synchondrose einstrahlenden Gefäßen erfolgt, wird die Densdurchblutung bei Frakturen nicht gestört (gute Prognose). Das Zusammenwachsen der beiden primären Ossifikationszentren des Dens führt zu einem V-förmigen Knorpelbereich, zwischen oder über dem sich ein weiteres sekundäres apikales OFZ für die Densspitze befindet, welches nicht vor dem 6.–7. Lebensjahr erscheint und um das 12. Jahr fusioniert. Bleibt die Ossifikation aus, persistiert das sog. Ossiculum terminale Bergmann. Die Fusionsgrenzen können lange erhalten bleiben, auch die komplette Fusion kann fehlen und somit die Differenzierung von Frakturen erschweren. Der Dens anguliert als Normvariante in ca. 4% nach dorsal. Die Ringapophyse der Basis von C2 kann bis zum 25. Jahr offen bleiben. Kaudal des 3. Halswirbelkörpers verknöchern alle Wirbelkörper gleich, d.h. ein OFZ bildet sich im Wirbelkörper und zwei weitere in den Neuralrohren (Wirbelbögen). Die Ossifikation des Wirbelkörpers erfolgt halbkugelförmig,
⊡ Abb. 24.1. Synchondrosen und Ossifikationszentren des 2. Halswirbelkörpers.
357 24.1 · Physiologie, Anatomie und Entwicklung der Wirbelsäule
vor allem nach oben und unten, dann zur Seite und nach dorsal. Ab dem 2. Lebensjahr entwickelt sich das Wachstum vornehmlich nach vorne und in die Breite. Die sog. ventrale neurozentrale Synchondrose separiert diese drei Zentren zwischen dem 3. und 6. Jahr und verknöchert erst ab dem 5.–6. Lebensjahr. Der Spinalkanal schließt sich variabel und abhängig vom Wirbelsäulenabschnitt zervikal zwischen dem 6. und 7., thorakal zwischen dem 7. und 9. und lumbal zwischen dem 9. und 10. Lebensjahr. Eine Verwechslung mit einer Spina bifida ist möglich. In den zervikalen und thorakalen Wirbeln erscheinen während der Adoleszenz fünf weitere sekundäre OFZ an den Spitzen der Dorn- (Fusion mit 25 Jahren) und Querfortsätze (Fusion in der Pubertät) sowie an den Grenzen zu den oberen und unteren Endplatten (sog. Ringapophyse oder Apophysenring; ⊡ Abb. 24.2). Eine klassische knöcherne Epiphyse wie beim Röhrenknochen fehlt bei der Wirbelsäule, sodass die knorpeligen Wirbelkörperendplatten als Wachstumsfugen im frühen Alter nicht erkennbar sind und direkt an die Bandscheibe grenzen. Die dünne ringförmige Knorpelschicht der Ringapophyse bildet ab dem 6.–7. Lebensjahr eine variantenreiche feine Verzahnung mit dem OFZ des Wirbelkörpers. Die Ringapophysen sind als langsam wachsende Ossifikationszentren kaum am Höhenwachstum des Wirbelkörpers beteiligt, dienen aber wesentlich der Verankerung des Anulus fibrosus am Wirbelkörper und der Insertion des lumbalen Zwerchfells (⊡ Abb. 24.2). Die epiphysealen Synchondrosen der Endplatten fusionieren erst im Alter von 25 Jahren. Die lumbalen Wirbelkörper wachsen durch epiphysäre Wachstumszonen vor allem in der Adoleszenz stark in die Höhe und besitzen zwei zusätzliche OFZ für die Mamillarfortsätze. Verletzungen der sekundären OFZ können nur eingeschränkt röntgenologisch nachgewiesen werden. Eine offene posteriore Synchondrose (Spina bifida) bei L5 verbleibt bei ca. 20% der Bevölkerung. Nach einem Trauma kann es zu einer Störung der Knorpel-Knochen-Transformation mit dem Auftreten von sklerotischen Knochenbereichen innerhalb des Wirbelkörpers kommen (Wirbel im Wirbel). Der Spinalkanaldurchmesser beträgt bei C7 ca. 18 mm. Ein frühzeitiger Schluss des Spinalkanals, z.B. nach Trauma, kann zu einer Spinalkanalstenose führen. Die Reifung der HWS entwickelt sich schneller als die der Extremitäten und des übrigen Skeletts. Die Verknöcherung ist zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr abgeschlossen, sodass nach dem 10. Lebensjahr nur noch wenig Höhengewinn beobachtet wird. Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Wirbelsäule reift ab dem 8.–10. Jahr mit stabileren Bändern und Gelenken, steileren Gelenkfacetten und rechteckigen Wirbelkörperformen aus und nähert sich anatomisch der Erwachsenenwirbelsäule. Damit ähneln ab diesem Lebensalter sowohl die Verletzungs- als auch Heilungsvorgänge denen bei Erwachsenen.
24.1.1 Physiologische Röntgenbefunde
⊡ Abb. 24.2. Wachstumszone des Wirbelkörpers, Ringapophyse (13. Lj.).
⊡ Abb. 24.3. Lumbalisierter Sakralwirbel (12. Lj.).
⊡ Abb. 24.4. Pseudoluxation C2/C3 (4. Lj.).
24
358
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.2
Verletzungen der Wirbelsäule – Allgemeines
Inzidenz
24
Verletzungen der Wirbelsäule sind bei Kindern selten und betreffen nur ca. 1,5% der verunfallten Kinder, von denen weniger als 5% unter 16 Jahre sind. Zahlen zur Inzidenz sind aber wegen dem häufigen Verzicht auf weiterführende und z.T. schwierig zu interpretierende Diagnostik unsicher. Das Alter spielt eine wesentliche Rolle für die Art, Lokalisation und Entstehung der Verletzung. Unter dem 2. Lebensjahr finden sich am häufigsten Geburtstraumen, weitere Altersgipfel liegen bei den 3- bis 4-Jährigen (Verkehrsunfälle, Stürze, Kindesmisshandlung) und Adoleszenten (Sport, Verkehr). Die thorakolumbale Wirbelsäule ist am häufigsten verletzt. Je jünger das Kind, desto wahrscheinlicher ist jedoch eine Verletzung der Halswirbelsäule. Schwerste HWS-Verletzungen werden häufig nicht überlebt.
Neurologische Komplikationen Wirbelsäulenverletzungen bei Kindern haben insgesamt eine gute Prognose, da posttraumatische Keilwirbelbildungen ausgeglichen werden können. Bei Verletzungen der Wachstumsfugen oder posttraumatischen Lähmungen sind allerdings Wachstumsstörungen und Deformitäten möglich. Instabile Verletzungen führen in einem hohen Prozentsatz zu neurologischen Störungen, die in selektierten Kollektiven zwischen 14 und 57% bzw. als komplette Querschnittssyndrome in 19–25% der Fälle auftreten können. Signifikante Verletzungen der HWS weisen mit 22–30% neurologischer Komplikationen das höchste Risiko auf. Wegen der elastischen und noch schwachen Bandanatomie sowie der eingeschränkt beurteilbaren chondroossären Verletzungen ist eine Angabe zur Stabilität einer Verletzung z.T. sehr schwierig. Es besteht die Empfehlung und Verpflichtung zur Immobilisation der verletzten Regionen (Stiff Neck, Bettruhe), bis die fragliche Läsion sicher ausgeschlossen ist. Bis zu 30% (5–67%) der schweren Verletzungen zeigen eine unspezifische neurologische Begleitsymptomatik (SCIWORA= Spinal Cord Injury Without Radiographic Abnormalities).
Diagnostik Wachstumsabhängige Besonderheiten der Wirbelsäule stellen an die bildgebende Diagnostik hohe Anforderungen (⊡ Abb. 24.3). Neben der technischen Qualität, vor allem von CT und MRT, spielt die Erfahrung des Radiologen und Chirurgen eine große Rolle. Zudem sind abhängig vom Alter und Bewusstseinszustand des Kindes bereits die Anamneseerhebung und die Eingrenzung der betroffenen Wirbelsäulenregion problematisch. Das Ausmaß der
Röntgenuntersuchung sollte beim wachen und klinisch beurteilbaren Kind trotzdem differenziert festgelegt werden. Eine generelle Komplettdiagnostik (HWS, BWS und LWS in 2 Ebenen) beim Monotrauma ist zu überdenken. Nach Ausschluss lebensbedrohlicher Verletzungen (Luftwege, Atmung, Kreislauf) erfolgt, sofern noch nicht geschehen, die adäquate Immobilisation der HWS mit einer starren kindgerechten Orthese (Stiff Neck) in der Regel bereits am Unfallort. Eine Hyperflexion der HWS aufgrund des großen Kopfes muss durch eine spezielle Lagerung mit Thoraxunterstützung oder Kopftieflagerung (Spine Board) vermieden werden. Eine Mobilisation über die Achse mit Stabilisierung des Kopfes und Rumpfes ist nach Ausschluss schwerer Rumpf- und Extremitätenverletzungen möglich. Es folgt die Inspektion (Weichteile, Schürfungen, Blutergüsse, dorsale Einblutungen), Überprüfung von Beweglichkeit oder schmerzhafter Bewegungseinschränkung, Palpation (Schmerz, interspinöse Lücke) und die wiederholte neurologische Untersuchung. Standarddiagnostik der Wirbelsäulenverletzung. Die Anatomie der Wirbelsäule verändert sich mit dem Wachstum ständig. Die Verknöcherung der HWS ist normalerweise zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr abgeschlossen. Eine Verletzung der Halswirbelsäule muss bei folgenden klinischen Befunden immer ausgeschlossen werden: Bewusstlosigkeit oder GCS <13, Desorientierung, lokale Beschwerden, neurologische Ausfälle, geeigneter Unfallmechanismus (Verkehrsunfall, Gurtmarken, nicht angeschnallt, schweres Kopf- oder Gesichtstrauma, Stürze). Insbesondere die Halswirbelsäule bereitet große diagnostische Probleme, da die primären und sekundären OFZ sowie die verbindenden Synchondrosen schwierig von pathologischen Veränderungen abzugrenzen sind. Die Beurteilung der Röntgenbilder einer Halswirbelsäule sollte folgenden Eckpunkten folgen: a.-p. Aufnahme der HWS (und transorale Densaufnahme; ⊡ Abb. 24.5a,c): ▬ Position Massa lateralis, ▬ Densfraktur, ▬ interpedikuläre Distanz, ▬ Pseudoluxation C2/C3 (normal: ≤4 mm) (⊡ Abb. 24.4); Pseudoluxation C3/C4 (normal: ≤3 mm).
Laterale Aufnahme der HWS mit Th1 (⊡ Abb. 24.5b): ▬ a.-p. Wirbelkörperalignement, spinolaminäre Linie und Dornfortsatzlinie, ▬ Atlas-Dens-Intervall (≤4 mm), ▬ Abstand C1-Gelenk zum Okziput (≤5 mm), ▬ retropharyngealer (≤8 mm bei C2) und retrotrachealer Raum (≤14 mm bei C6 unter 15 Jahren), ▬ Spinalkanalbreite (Abstand spinolaminäre Linie zu Hinterkante auf Höhe C1 ≥14 mm).
359 24.2 · Verletzungen der Wirbelsäule – Allgemeines
⊡ Abb. 24.5. Konventionelle Röntgenaufnahmen der HWS eines 4-jährigen Mädchens. a a.-p., b seitlich, c transoral.
Nach Woodring und Lee zeigen hochwertige konventionelle Aufnahmen der HWS die meisten Frakturen der Wirbelkörper, des Dens, der Dornfortsätze sowie Dislokationen. Bei Dietrich et al. waren laterale Röntgenaufnahmen der HWS in 98% der Fälle für Verletzungen richtungsweisend. Die darüber hinaus empfohlene transorale Röntgenaufnahme ist beim eingeschränkt kooperativen Kind technisch schwierig, bei fehlender CT aber unter Umständen hilfreich. Bei dringendem Verletzungsverdacht ist wegen der schwierigen röntgenologischen Beurteilung der beiden oberen HWS-Gelenke und des Dens axis eine MRT oder CT erforderlich. Funktionsaufnahmen in Flexion und Extension sollten bei Instabilitätsverdacht vom erfahrenen Arzt (cave: iatrogene Schädigung) im Intervall am wachen Patienten, in Ausnahmefällen (starke Schmerzen) auch in Narkose unter unmittelbarer Durchleuchtungskontrolle durchgeführt werden. Als Zeichen der ligamentären Läsion sind zu deuten (mod. nach Blauth): ▬ schwerer Traumamechanismus, ▬ dorsaler Druckschmerz, Distraktions- oder Stauchschmerz, Spasmus, Bewegungseinschränkung, ▬ deutliche monosegmentale Stufenbildung der hinteren Wirbelkörperlinie mit gestörtem seitlichen Alignement, ▬ inkongruente Gelenkfacetten, Subluxation der Intervertebralgelenke 50%, ▬ fehlende Reposition in Extension (cave: oft Spontanreposition nach Hyperextensionstrauma), ▬ Schwellung prävertebrales Fett, ▬ Dornfortsatzspitzenfrakturen (Apophysenabrisse), ▬ Spätzeichen: kleiner abgesprengter Knochen des verknöchernden Wirbelkörpers, späte Ossifikationen des dorsalen Bandapparats, kompensatorische Lordose unterhalb der Läsion,
▬ Erweiterung des interspinösen Abstands in a.-p. Aufnahme um das 1,5fache (Naidich-Gesetz), ▬ Erweiterung des hinteren Bandscheibenraumes, ▬ Kyphose mit Verschmälerung des Bandscheibenraums, ▬ pro Fraktur Keilbildung von 2 und mehr Wirbelkörpern, Kyphose und weiter Dornfortsatzabstand, ▬ sog. Swischuk-Linie (Verbindung hintere Wirbelbogenbegrenzung C1–C3) ist kein sicheres Diagnostikum. Eine CT der HWS sollte immer beim schweren Schädel-Hirn-Trauma (Intubation, Blutung usw.) erfolgen. Bei Mehrfachverletzten, schwerem Verletzungsmechanismus und nicht beurteilbaren Kindern (Intubation, Bewusstlosigkeit) folgt die Primärdiagnostik in unserem Vorgehen dem Polytraumaprotokoll, d.h. eine komplette CT-Abklärung (Schädel und HWS, thorakoabdominal mit Kontrastmittel) unter Verzicht auf eine konventionelle Röntgendiagnostik. Eine Aufhebung der besonderen Lagerungsmaßnahmen ist erst dann gestattet, wenn eine HWS-Verletzung sicher ausgeschlossen wurde. Dies ist oft schwierig, wenn zusätzliche Schmerzquellen vorliegen, ein Schädel-Hirn-Trauma eine adäquate Untersuchung verhindert und Schmerz- oder Narkosemittel gegeben wurden. Die MRT ist immer dann indiziert, wenn bei Verdacht auf eine Wirbelsäulen- oder Rückenmarkverletzung (z.B. SCIWORA) im konventionellen Röntgen und auch der CT kein pathologischer Befund nachweisbar ist. Wegen der hohen ligamentären und knorpeligen Elastizität sind schwere Rückenmarkschäden ohne morphologische Veränderungen möglich. Insbesondere bei Verletzung der Wachstumsfugen ist auf eine Verbreiterung des intervertebralen Raums zu achten. Im Verdachtsfall ist auch hier eine MRT durchzuführen, die häufig einen Hinweis auf die zugrunde liegende Verletzung gibt.
24
360
Kapitel 24 · Wirbelsäule
Verletzungen der übrigen Wirbelsäulenabschnitte werden gezielt durch Anamnese, Beschwerdesymptomatik und Untersuchung eingegrenzt. Schwierigkeiten bei konventioneller Technik bereitet wie beim Erwachsenen die Beurteilung der oberen und mittleren Brustwirbelsäule. Verletzungen der Brust- und Lendenwirbelsäule sind wie beim Erwachsenen abzuklären.
Differenzialdiagnose wachstumsbedingter Befunde Die folgenden Tabellen (⊡ Tab. 24.1, ⊡ Tab. 24.2, ⊡ Tab. 24.3) geben einen Überblick und Anhaltspunkte für die Differenzialdiagnose wachstums- sowie anlagebedingter Wirbelsäulenveränderungen und posttraumatischer Schäden.
24 ⊡ Tab. 24.1. Differenzialdiagnose wachstumsabhängiger physiologisch-anatomischer Röntgennormalbefunde und fragliche Instabilität Röntgenbefund
Variationen
Abstand Densspitze und Basion (anteriore Lippe des Foramen magnum) ca. 5mm
Kleinkinder bis 10 mm (McGregor- oder Chamberlain-Linie; Wholey et al.)
Erhöhter Abstand zwischen Dens und vorderem Atlasbogen in Flexion (Pseudosubluxation)
3 und mehr mm in 20%, bis 4 mm in Flexion normal, bei Verletzungsverdacht atlantodentaler Abstand > 5 mm pathologisch
Reiten von C1 über Densspitze in Extension
im lateralen Röntgen in ca. 20% bis zum 8. Jahr; vergrößerter Raum wegen Knorpelzonen von Atlas und Densspitze
Pseudoluxation bei C2/C3
lateral v.a. zwischen C2 und C3, weniger bei C3/C4 (ca. 20–40% aller Kinder bis 8. Jahr), in Flexion laterale Stufe von 4 mm akzeptabel (Cattell und Filtzer). Ursache: laxe Bänder, horizontale Gelenke, unterentwickelte Processus uncinati. Spinolaminäre Linie kann zu CI 1,5 mm Abstand zeigen, muss sich bei Extension aber aufheben
Segmentale Kyphosen der mittleren HWS
im 2.–7. Jahr physiologisch, in Flexion bis zu 14% unter 16 Jahren, muss sich bei Extension aufheben
Fehlende zervikale Lordose
Muskelspasmus (ca. 14% unter 8 Jahren)
⊡ Tab. 24.2. Wachstumsbedingte physiologisch-anatomische Röntgennormalbefunde und fragliche Frakturen Röntgenbefund
Fehlinterpretation/Differenzialdiagnose
»Pseudospread« des Atlas
Fraktur
Offene Synchondrose des Atlas
Fraktur
Angulation der Densspitze
Densfraktur
Persistierende dentozentrale Synchondrose
Densfraktur (Ursache: Epiphysenlinie Odontoidbasis bis 6./7. Jahr physiologisch. Persistenz bis zum 11. Jahr möglich, allerdings sklerotisch und kaudaler als die Densbasis)
Synchondrose der Axisbögen
traumatische Spondylolisthese
Inkomplette Ossifikation der Ringapophyse
Avulsionsfraktur
Einkerbungen der vorderen/hinteren Wirbelkörperwand
Fraktur (Ursache: vordere Gefäßkanäle bis 1. Jahr)
Weiche Grenzen der epiphysären Zonen
Kompressionsfraktur
»Macheffekt«
artifizielle Linien an den Grenzen unterschiedlicher Röntgendichte (z.B. Densbasis)
Weichteilschatten HWS
prävertebral variabel, retropharyngealer Raum >7 mm und retrotrachealer Raum >14 mm abnorm (Wholey)
Keilförmige Wirbel
Kompressionsfraktur (Ausnahme: obere HWS und Kinder bis 8. Lj. → Keilform normal)
361 24.2 · Verletzungen der Wirbelsäule – Allgemeines
⊡ Tab. 24.3. Differenzialdiagnose kongenitaler Anomalitäten und sonstiger Wirbelsäulenveränderungen (Inzidenz unklar, oft Zufallsbefunde) Veränderung
Differenzialdiagnose
Os odontoideum (angeborene hypoplastische Densspitze oder Basis)
Densfraktur
Agenesie oder Hypoplasie des Dens
Densfraktur
Down-Syndrom (Denshypoplasie)
atlantookzipitale Instabilität; ligamentäre Schwäche verringert atlantodentalen Abstand, eingeengter Spinalkanal, Gefahr der Myelopathie
Klippel-Feil-Syndrom
angeborene Fusion zweier oder mehrerer Wirbelkörper mit erhöhter Frakturgefahr aufgrund des Hebelarms
Osteogenesis imperfecta
fehlende Trennung von C1 vom Okziput mit Einengung des Foramen magnum und neurologischen Ausfällen; keilförmige und geteilte Wirbelkörper, auch in Kombination
Thorakolumbale Blockwirbel, geteilte Wirbel
Frakturen
Bifide Strukturen ohne Sklerose
nicht ossifizierte Synchondrosen, Fraktur, Spina bifida, anlagebedingt (s.o.)
Lumbal persistierende Spaltungen
Fraktur
Lumbalisationen und Sakralisationen
Fraktur (⊡ Abb. 24.4a)
Spondylolisthese
Fraktur, segmentale Instabilität
Pathologische Fraktur (akuter Genickschmerz)
physiologischer Keilwirbel, eosinophiles Granulom, Leukämie, Knochenzysten und Nekrosen, Morbus Scheuermann, Spondylitis, Stoffwechselstörungen, juvenile rheumatoide Arthritis, renale Osteodystrophie
Rückenmarktumoren
Frakturen
Klassifikation Bei Kindern über 8-10 Jahren und Adoleszenten können alle Verletzungsformen des Erwachsenen beobachtet werden. Somit kann die klassische Einteilung in Kompressions-, Flexions-Distraktions- und Rotationsverletzungen nach AO (Magerl et al.) vorgenommen werden (⊡ Abb. 24.6a-c). Bei Kindern unter 8 Jahren finden sich Verletzungen der knorpeligen Anlagen (Frakturen der knorpeligen Wirbelkörperendplatten und Wachstumsfugen). Im Einzelnen (nach Blauth): 1. Lösung der unteren knorpeligen Wirbelkörperendplatte (Salter-Harris-I-Läsion) (⊡ Abb. 24.7a) in unterer HWS und oberer BWS; wegen Potenz zum Längenwachstum sekundäre Deformität möglich. 2. Abbruch der vorderen unteren Wirbelkörperkante (Aitken-II-, Salter-Harris-III-Fraktur) (⊡ Abb. 24.7b); vorwiegend beim Adoleszenten, gute Prognose. Bei älteren Kindern und Jugendlichen werden Frakturen der ringförmigen knöchernen Wirbelkörperrandleiste (sog. Apophysenring) beschrieben. Es handelt sich um eine frakturierte Wachstumsfuge, die z.T. spontan repo-
nieren kann und so der konventionellen Diagnostik verborgen bleibt. Apophysenabrisse der meist männlichen Adoleszenten liegen lumbal-kranial, selten thorakal-zervikal, dann aber kaudal. Als Ursache gelten ein heftiges Monotrauma oder die chronische Überlastung durch Sport. Typischerweise bestehen lumbale Schmerzen mit/ ohne neurologischer Symptomatik (Symptome einer Diskushernie sind möglich). Es finden sich nach Takada und Epstein eine 1. Dislokation nach ventral (Abrissfrakturen des vorderen Längsbandes und Anulus fibrosus). 2. Dislokation nach dorsal, häufiger (⊡ Abb. 24.8): – Typ 1: einfache Lösung des gesamten hinteren Randes (11.–13. Lj.), – Typ 2: Randleiste mit spongiösen Anteilen des Wirbelkörpers (13.–18. Lj.), – Typ 3: lateraler Teil der Randleiste mit Teilen des Wirbelkörpers (älter als 14 Jahre), – Typ 4: Fraktur der gesamten Hinterwand zwischen den Endplatten, u.U. Einengung des Spinalkanals, bei neurologischem Befund Dekompression erforderlich; es besteht die Möglichkeit einer sekundären Deformität.
24
362
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24 a
A1 Impression
A2 Spaltbildung
A3 Berstungsbrüche
b
B1 dorsal vorwiegend ligamentär
B2 dorsal vorwiegend ossär
B3 Verletzung durch die Bandscheibe
C1 Rotation kombiniert mit Typ A c
C2 Rotation kombiniert mit Typ B
⊡ Abb. 24.6. AO-Klassifikation der Wirbelsäulenverletzungen. a Kompressionsfrakturen, b Flexions-Distraktions-Frakturen, c Rotations- und Translationsfrakturen.
C3 andere Klassifikationen
363 24.2 · Verletzungen der Wirbelsäule – Allgemeines
a
b
⊡ Abb. 24.7. a Lösung der unteren knorpeligen Wirbelkörperendplatte (Salter-Harris-ILäsion), b Abbruch der vorderen unteren Wirbelkörperkante (Aitken-II-, Salter-Harris-IIIVerletzung).
⊡ Abb. 24.8. Apophysenfraktur mit Dislokation nach dorsal.
Im Bereich der Brust- und Lendenwirbelkörper sind auch Abrisse der Synchondrosen zwischen dem bipolaren neurozentralen Knorpel und den Bogenkernen in Form einer Spondylolyse möglich.
Therapie Ziel der Behandlung ist die stabil ausgeheilte Wirbelsäule, da eine übersehene Instabilität zu einer fortschreitenden Deformität oder zu neurologischen Ausfällen führen kann. Follow-up-Untersuchungen sind bei den (instabilen) Verletzungen notwendig, die die Entwicklung einer posttraumatischen Deformität erwarten lassen. Es ist zu beachten, dass posttraumatische Deformitäten in den verschiedenen Wirbelsäulenabschnitten unterschiedlich korrigiert werden, so reift z.B. die kindliche HWS viel früher als die Restwirbelsäule. Das gute Regenerations-
potenzial (Remodeling) führt zu einer besseren Prognose vieler Frakturen, sodass überwiegend konservativ vorgegangen werden kann. So wird vor allem bei knöchernen Verletzungen der BWS sowohl die konservative Therapie im Aufrichtekorsett als auch bei stabil eingestauchten Frakturen die funktionelle Behandlung empfohlen. Instabile knöcherne Deformationen können nur eingeschränkt mit Orthesen oder Bettruhe stabilisiert werden, da diese Maßnahmen eine Dislokation nur bedingt verhindern können. Die Indikation zur operativen Stabilisierung folgt den Kriterien der Instabilität. Zervikal sind die Alignementlinien unter Berücksichtigung wachstumsbedingter Varianten entscheidend. Die meisten Frakturen sind hier zwar stabil, allerdings ist das spezifische Verletzungsmuster ausschlaggebend. Thorakolumbal gilt eine initiale Kyphose über 20% als Operationsindikation. Hier können
24
364
24
Kapitel 24 · Wirbelsäule
bei älteren Kindern die Kriterien der Denis-Klassifikation (mechanisch, ligamentär, knöchern-ligamentär nach Denis und Frank) und das Konzept von Magerl (Kompression, Flexion-Distraktion, Rotation) herangezogen werden. Fusionen der thorakalen und lumbalen Verletzungen folgen bei älteren Kindern und Adoleszenten im Prinzip den Grundsätzen der Erwachsenenversorgung. Operative Stabilisierungen bei Kleinkindern sind wegen der anatomischen Besonderheiten und Problemen bei der Implantatwahl schwierig. Ausgeprägte Instabilitäten sollten aber durch interne Stabilisierungsverfahren behandelt werden, alternativ durch Traktion. Ligamentäre Verletzungen sind selten, und die meisten Endplattenfrakturen heilen knöchern aus. Laminektomien sind bei Kindern kontraindiziert, sofern keine mechanische Spinalkanaleinengung mit zuzuordnender neurologischer Komplikation nachgewiesen werden kann, da sie erhebliche Deformitäten im weiteren Wirbelsäulenwachstum erzeugen können. Das Ausmaß der Spinalkanalverletzung wird über die Komprimierung des Rückenmarks durch Knochen- oder Bandscheibenanteile beurteilt. Aufgrund des guten Heilungspotenzials können bei Kindern instabile rein ligamentäre Verletzungen auch konservativ behandelt werden oder heilen mit einer dorsalen Spondylodese stabil aus. Die instabilen knöchernen Läsionen, die nicht sicher durch externe Verfahren gestützt werden können. Frakturen mit neurologischen Schäden und inkomplette neurologische Syndrome mit Spinalkanaleinengung fordern insbesondere bei einem fortschreitenden neurologischen Defizit mit nachgewiesenem Rückenmarkschaden auch beim Kind eine operative Stabilisierung.
24.3
Verletzungen der Halswirbelsäule
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Halswirbelsäulenverletzungen treten relativ selten auf (ca. 2% aller WS-Verletzungen). Sie sind allerdings die häufigsten Wirbelsäulenläsionen <10 Jahren. Unter dem 8. Jahr führt die große Kopf-Körper-Relation zur vorrangigen Belastung der oberen HWS. Circa 70% aller kindlichen HWS-Läsionen betreffen Atlas und Axis mit einem hohen Letalitätsrisiko komplexer Verletzungen. In ca. 50% der Fälle bestehen zusätzliche Verletzungen des Schädels. Verletzungen bei Kindesmisshandlung (Shaken Baby Syndrome) werden durch die Torsionskräfte des schweren Kopfes gegen die obere HWS verursacht. Unter dem 2. Lebensjahr kommen am häufigsten Geburtstraumen vor. Bei Kopfgeburten kann es zu hohen (Rückenmarks-) Läsionen durch Rotation, bei Zangengeburten zu tief
zervikalen und hoch thorakalen Läsionen (SCIWORA) durch Traktion kommen.
Klassifikation Die jeweilige Klassifikation ist unter den speziellen Verletzungen aufgeführt.
Besonderheiten Es ist oft die Differenzialdiagnose zur Pseudosubluxation (s. Segment C2/C3) zu stellen. Ebenso ist die vordere rotatorische Verschiebung des Atlas über den Axis (s. AAD) zu bedenken. Grisel-Syndrom: Die Lymphdrainage der HWS-Region erfolgt in die retropharyngealen und tiefen Halslymphknoten, die auch den Nasopharynx drainieren. Es kann eine zervikale Pseudoluxation bei Pharyngitis und Lymphadenopathie auftreten. Eine Subluxation mit Tortikollis kann durch eine Entzündung verursacht sein, eine atlantoaxiale Subluxation durch lokale Hyperämie und Ödem nach Pharyngitis, Otitis, Tonsillenabszess, Osteomyelitis oder Tumoren. Eine Tuberkulose muss immer ausgeschlossen werden, wenn die traumatische Genese nicht klar ist.
Diagnose Bei Schädelverletzungen muss immer eine zusätzliche HWS-Verletzung ausgeschlossen werden. Das Röntgen der Halswirbelsäule erfolgt in 2 Ebenen, evtl. in Schrägaufnahmen. Auf die korrekte Lagerung des Kopfes beim Röntgen und vollständige Abbildung der HWS ist zu achten. Weiterführende Maßnahmen sind MRT und CT. Die Interpretation von Röntgenbefunden der oberen HWS kann schwierig sein (s. altersabhängige Röntgenbefunde). Cave: Spontanreposition abgerissener Wachstumszonen. An seltene pathologische Frakturen und Battered Child Syndrome muss gedacht werden.
24.3.1 Okzipitalfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Okzipitalfrakturen sind sehr selten, in der Literatur sind bis jetzt lediglich ca. 50 Fälle bei Erwachsenen dokumentiert. Die Ursache für diese Verletzungen ist eine schwere axiale Stauchung.
Klassifikation Bei Adoleszenten wird die Klassifikation für Erwachsene nach Anderson-Montesano angewandt.
365 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
Okzipitalfraktur
Besonderheiten
sehr selten (Einzelfallpublikation bei Kindern), schweres Trauma, axiale Stauchung
Diagnostik
Methode der Wahl: CT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Verhinderung von Wachstumsschäden, Diagnose und Therapie möglicher Begleitverletzungen
Primärbehandlung
Ruhigstellung mit Stiff Neck
Konservative Therapie Indikation
Methode der Wahl
Verfahren
Philadelphia-Kragen je nach Ausprägung, Begleitverletzungen (Instabilität) und Beschwerden
Nachbehandlung
symptomatisch
Rx-Kontrolle
nur CT aussagekräftig
Sportfähigkeit
frühestens nach 16 Wochen
Operative Therapie Indikation
Instabilität bei ligamentären Begleitverletzungen (s. AOD)
Verfahren
Halo für 4–6 Wochen
Nachbehandlung
Pinkontrolle und Reinigung
Rx-Kontrolle
CT oder MRT nach 6 Wochen
Sportfähigkeit
frühestens nach 16 Wochen
Komplikationen
subdurales Hämatom, Wachstumsstörung
Wachstumsstörung
möglich, da chondroossäre Wachstumsregion
Nachkontrollen
fakultativ in Bezug auf mögliche Wachstumsstörung
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
24
366
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.3.2 Atlantookzipitale Dislokationen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
24
Atlantookzipitale Dislokationen sind sehr selten und häufig primär letal. Bei einem Überleben von oft nur wenigen Stunden beträgt die Mortalität ≥50%. Atlantookzipitale Dislokationen kommen bei Kindern doppelt so häufig wie bei Erwachsenen vor. Sehr oft handelt es sich um angefahrene Verkehrsteilnehmer. Der Verletzungsmechanismus ist eine starke Kopfbeschleunigung bei noch horizontalem Gelenkverlauf und inkongruenten Gelenkflächen. Folge ist meist ein Polytrauma in Kombination mit einem Schädel-HirnTrauma. Die neurologischen Befunde sind diffus, durch Ausfälle und Schädigungen der kaudalen Hirnnerven, des Hirnstamms, des proximalen Rückenmarks und der ersten drei Spinalnerven kann es zu Herzrhythmusstörungen, asymmetrischen Lähmungen, Schnappatmung und Atemstillstand kommen.
Klassifikation Die atlantookzipitalen Dislokationen werden nach der Dislokationsrichtung eingeteilt. Typ 1: Kopfdislokation nach ventral; am häufigsten 1a: Kopfdislokation sagittal 1b: Kopfdislokation in Kombination mit axialer Instabilität Typ 2: dorsale Kopfdislokation, sehr selten Typ 3: axiale Dislokation mit globaler Instabilität, auch komplette Separation; inkomplette subluxierte Formen möglich
367 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
Atlantookzipitale Dislokation
Besonderheiten
sehr selten; häufig letal
Diagnostik
massive Weichteilschwellung im Kopf- und Halsbereich klinischer Verdacht (Notarzt), neurologischer Befund seitliche Röntgenaufnahmen der HWS mit oft deutlicher Dislokation (cave: Spontanreposition); ausgeprägte retropharyngeale/retrotracheale Schwellung; normaler Abstand Basion-Densspitze 4–5 mm; Grenzwerte wegen variablem Vergrößerungsfaktor problematisch 3D-CT mit sagittaler und koronarer Rekonstruktion, evtl. gehaltene Funktionsaufnahmen MRT: Bandrupturen, Blutungen (Angio-MRT: Vertebralisläsion) Zeichen nach Harris: zuverlässig, unabhängig von Variationen und Stellung. Kraniale Verlängerung der hinteren Wirbelkörperlinie von C2 darf vom Basion (Mittelpunkt des vorderen Randes des Foramen magnum) nicht weniger als 6mm und nicht mehr als 12 mm entfernt sein, bei Erwachsenen und Kindern anwendbar. Densspitzenmitte sollte senkrecht unter dem Basion stehen; Abstand sollte ab 13 Jahren nicht >12 mm betragen
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Stabilität, Kleinkinder können überleben
Primärbehandlung
schnelle Erkennung am Unfallort wichtig; HWS-Immobilisation, um Sekundärschäden zu verhindern; vorsichtige Intubation bei Komplikationen
Konservative Therapie Indikation
Methode der Wahl
Verfahren
schnelle geschlossene Reposition (ohne Extension), Ruhigstellung im Halo (auch Kombination mit Gipsweste), wenn neurologisch unauffällig
Nachbehandlung
bei geringer Instabilität Halo oder Minerva-Gipsverband für 2 Monate (8–10 Wochen), an Nachkorrekturen denken, nach Behandlungsabschluss erneute Funktionsaufnahmen
Rx-Kontrolle
engmaschige Röntgenkontrollen
Sportfähigkeit
abhängig von Stabilität und Gesamtverlauf
Operative Therapie Indikation
ältere Kinder und Adoleszente; bei persistierender Instabilität und neurologischem Defizit auch bei jüngeren Kindern, da Fehlschläge der konservativen Therapie möglich
Verfahren
Okziput-C1/C2-Fusion, so kurzstreckig wie möglich; Technik: dorsomedianer Zugang, Drahtcerclage und Knochenplastik
Nachbehandlung
zusätzlicher temporärer Schutz mit steifer Krawatte
Rx-Kontrolle
regelmäßig
Metallentfernung
ggf. nach Durchbauung und Stabilität
Sportfähigkeit
abhängig vom Verlauf
Komplikationen
immer mehr Überlebende mit z.T. überraschend positiven Verläufen, allerdings allen möglichen neurologischen (>80%, ca. 40% tetraplegisch) und vaskulären Komplikationen; cave: Überdistraktion; Halo-Komplikationen
Wachstumsstörung
möglich, wenn Spondylodese
Nachkontrollen
abhängig vom Verlauf
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
24
368
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.3.3 Atlasfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
24
Atlasfrakturen beim Kind sind selten. Ursache ist oft ein Geburtstrauma (Verwechslung mit kongenitalen Defekten möglich), meist ein indirektes Trauma durch axiale Kraft über den Kopf auf die Massa lateralis. Frakturen der Massa lateralis und Rupturen des Lig. transversum sind möglich. Klinisch bestehen ein Instabilitätsgefühl und ein ausgeprägter dorsaler Schmerz in der proximalen HWS. Rückenmarkschäden sind selten.
Atlasfraktur Besonderheiten
Mikrofrakturen durch die Knochenkerne, bei Kleinkindern meistens durch die neurozentrale vordere Synchondrose (Fusion im 7. Jahr), röntgenologisch oft nicht nachweisbar
Diagnostik
konventionelles Röntgen problematisch, wenn möglich transorale Aufnahme Methode der Wahl: CT, genaue Frakturmorphologie cave: der im Vergleich zum Axis schneller wachsende Atlas kann mit seiner Massa lateralis zwischen 3. Monat und 4. Jahr seitlich überragen (sog. Pseudospread nach Suss et al.); Synchondrose des Atlas mit Fraktur verwechselbar
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
stabile Ausheilung
Primärbehandlung
Ruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Methode der Wahl
Verfahren
Kleinkinder: Philadelphia-Kragen (oder Minerva-Gips) für 6–8 Wochen, dann gut sitzende weiche Orthese; ältere Kinder und Adoleszente Halo-Fixateur
Nachbehandlung
u.U. lange Immobilisation (bis zu 6 Monaten) bis zur vollständigen Konsolidierung
Rx-Kontrolle
CT-Kontrolle zur Frage der Durchbauung
Sportfähigkeit
bei Konsolidation und Beschwerdefreiheit
Operative Therapie Indikation
sehr selten, nur bei persistierenden Instabilitätsbeschwerden und Nonfusion
Verfahren
abhängig vom Einzelfall und Alter
Nachbehandlung
verfahrensspezifisch, individuell
Rx-Kontrolle
verfahrensspezifisch, individuell
Metallentfernung
verfahrensspezifisch, individuell
Sportfähigkeit
verfahrensspezifisch, individuell
Komplikationen
selten
Wachstumsstörung
möglich, aber selten
Nachkontrollen
nach Behandlungsabschluss, nur wenn Beschwerden
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
369 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
24.3.4 Atlantoaxiale Dislokationen (AAD)
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Es handelt sich bei den atlantoaxialen Dislokationen um relativ häufige Läsionen in der Region C1/C2. Sie treten als translatorische oder rotatorische Instabilitäten des Atlas gegen den Axis mit traumatischer und nichttraumatischer Genese auf. Es gibt fließende Übergänge. Ligamentäre translatorische AAD. Nackenschmerzen
und oft sekundäre neurologische Defizite bestimmen das klinische Bild. Die traumatische translatorische ventrale AAD wird durch die (isolierte) Ruptur des Lig. transversum mit Ventralverschiebung des Atlas gegen den Axis verursacht. Davon abzugrenzen ist die nichttraumatische translatorische ventrale AAD, die durch erhöhte Bandlaxizität mit Einengung des Spinalkanals bei DownSyndrom, entzündliche Prozesse (Grisel-Syndrom) und rheumatoide Arthritis hervorgerufen wird. Rotatorische AAD. Sie geht mit schmerzhaftem Tortikollis, Nackensteifheit, okzipitaler Neuralgie und zervikalem Muskelspasmus einher. Das klinische Bild zeigt symmetrische Schultern ohne lateralisierten Kopf mit verhärtetem M. sternocleidomastoideus auf der Seite, zu der der Kopf gedreht ist. Die traumatische rotatorische AAD geht oft mit Frakturen des Oberkörpers, Kapsel-Band-Zerreißungen mit verkippter Luxation eines Gelenks und Rotation des Atlas über C2 einher. Eine bilaterale Verharkung der Gelenkfortsätze ist möglich, bei Bandruptur auch ein ventraler Atlasshift. Es besteht ein ausgeprägter Bewegungsschmerz trotz unauffälliger statischer Röntgenbilder. Die nichttraumatische rotatorische AAD (syn. atlantoaxiale rotatorische Fixation=AARF, rotatorische atlantoaxiale Subluxation) ist davon abzugrenzen, sie tritt vorwiegend bei Mädchen mit diffuser Ätiologie auf: Als Ursachen gelten die entzündungsbedingte Dekalzifikation und Bandlaxizität(rupturen) bei juveniler rheumatoider Arthritis, Infekte des oberen Respirationstrakts (Grisel-Syndrom), HNO-Eingriffe, leichtes Trauma sowie Muskelkontrakturen und -spasmen. Tortikollis (Schmerz, Bewegungseinschränkung), ca. 20° Kopfseitneigung, 20° Rotation zur Gegenseite und leichte Flexion sind ebenfalls Zeichen für diese Erkrankung.
Klassifikation Die Klassifikation der rotatorischen AAD nach Fielding und Hawkins beruht auf 17 Patienten (davon 2 traumatisch) und berücksichtigt nur sog. fixierte Fehlstellungen. ▬ Typ I: am häufigsten; rotatorische Dislokation ohne Ventralverschiebung des Atlas, Lig. transversum intakt, atlantodentaler Abstand normal; Drehpunkt im Dens. ▬ Typ II: zweithäufigste, rotatorische Dislokation mit Verschiebung des Atlas um 3–5mm, mögliche Insuffizienz des Lig. transversum; Drehpunkt in Massa lateralis. ▬ Typ III und IV nichttraumatisch. ▬ Typ III: rotatorische Dislokation um Atlas >5 mm; Insuffizienz im Lig. transversum und sekundären Stabilisatoren; beide Massae laterales nach vorne. ▬ Typ IV: posteriore rotatorische Dislokation des Atlas bei fehlendem Dens.
24
370
Kapitel 24 · Wirbelsäule
Atlantoaxiale Dislokation (AAD)
24 Besonderheiten
häufig; traumatische und atraumatische Formen
Diagnostik
Schwierig. Vordere Verschiebung des Atlas über den Axis durch horizontale Facettengelenke beim Kleinkind häufig und normal, sog. Pseudosubluxation des Atlas vs. Axis nach kranial (in 20% <8 Jahren). Bei laxem Lig. transversum axis ventraler Atlasshift von 3 mm, unter Flexion bis 5 mm als physiologische Obergrenze möglich; in Extension dorsaler Shift des Atlasbogens mit Aufreiten auf der Densspitze möglich. Klinisch Muskelspasmus, Schmerzen, Extensionseinschränkung; Anamnese entscheidend. Röntgen der HWS in 2 Ebenen, seitliche obere HWS: sagittaler atlantodentaler Abstand (anteriorer Kortex Dens posteriorer Kortex Atlas) ≥4 mm Verdacht auf Ruptur Lig. transversum, bei 10–12 mm Ruptur aller Bänder. Transorale Röntgenaufnahme: bei rotatorischer AAD asymmetrisches atlantoaxiales Gelenk und Dens, verschieden große Massa lateralis. Dornfortsatz C2 aus Mittellinie. CT: retrodentaler Abstand vergrößert, sagittale und rotatorische Fehlstellung. MRT: Ruptur Lig. transversum, Darstellung nervaler und knöcherner Läsionen. DD Hypermobilität C1/C2: Syrinx, spinale Tumoren, Pseudospread, Down-Syndrom; Denshypoplasie, bei ca. 15% Shift >5 mm, ca. 10–15% neurologisch symptomatisch, Inzidenz unklar; Infektionen der oberen Atemwege; Densagenesie, Os odontoideum, Densverkürzung durch fehlendes terminales Ossifikationszentrum.
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Stabilität
Primärbehandlung
bei traumatischer Genese Halo-Fixateur externe
Konservative Therapie Indikation
atlantoaxiale Fehlstellungen meist vorübergehend und aufhebbar, diskoligamentäre Instabilitäten konservativ problematisch
Verfahren
Traumatische translatorische AAD: Immobilisation in Halo-Ring oder Minerva-Weste für 6–12 Wochen möglich (s.u.). Akute rotatorische AAD meist reponierbar; Halo-Ring. Technik: Traktion und Rotation, Entharkung, Normalstellung. Bei intaktem Lig. transversum durch Ruhigstellung in Philadelphia-Kragen Heilung möglich
Nachbehandlung
beschwerdeabhängig
Rx-Kontrolle
regelmäßig, abhängig von Genese CT
Sportfähigkeit
vom Einzelfall abhängig
Operative Therapie Indikation
Traumatische translatorische AAD: Fusion C1-C2, da konservativ keine Heilung zu erwarten. Rotatorische AAD: bei Ruptur Lig. transversum dorsale Fusion. Nichtreponierbare Fehlstellungen in situ C1-C2-Fusion. Bei posttraumatischen Instabilitäten nach 2- bis 3-monatiger Halo-Behandlung und persistierendem Shift >5mm in Funktionsaufnahmen C1-C2-Fusion
Verfahren
dorsale C1-C2-Spondylodese: Cerclage, Knochenplastik; Verschraubung
371 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
Nachbehandlung
verfahrensabhängig
Rx-Kontrolle
verfahrensabhängig
Metallentfernung
Halo nach 2–3 Monaten
Sportfähigkeit
fraglich
Komplikationen
Überlebende mit traumatischer AAD: neurologische Störungen, persistierende Instabilität nach konservativer Behandlung, neurologische Komplikationen unter der Traktion, nicht korrigierbare Fehlstellung mit der Notwendigkeit zur Fusion in Fehlstellung, Hypermobilität benachbarter Segmente nach Fusion
Wachstumsstörung
möglich
Nachkontrollen
langfristig
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
24
372
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.3.5 Axis- und Densfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
24
Axis- und Densfrakturen kommen selten bei Kindern unter 7 Jahren, noch seltener unter 3 Jahren vor. Es handelt sich allerdings um eine der häufigsten Verletzungen der Halswirbelsäule. Meist ist die Ursache dieser Verletzungen ein massives Trauma mit Flexion (Verkehrsunfälle, hohe Stürze, Stürze auf den Kopf). Die Anamnese ist wichtig, auch leichte Traumen mit negativer Röntgendiagnostik sind möglich. Klinisch zeigt sich oft ein inhomogenes Bild mit geringen Schmerzen und Nackensteifheit bis zu einem starken okzipitalen Anfangsschmerz, der durch Kopfbewegungen verstärkt wird.
Ein diagnostischer Hinweis ist, dass der Kopf vom Patienten selbst festgehalten wird, um (Extensions-) Bewegungen zu vermeiden. Es besteht ein Instabilitätsgefühl, als würde der Kopf herunterfallen; auch ein akuter Tortikollis kann beobachtet werden. Eine liegende oder stehende Haltung wird vom Verletzten bevorzugt. Die Frakturlokalisation findet sich unterhalb der Ebene der Facettengelenke im Korpus. Die subdentale Synchondrose ist bis zum 10. Lebensjahr vulnerabel, und die Fraktur verläuft entlang der basalen Knorpelfuge (Wachstumszone).
Axis- und Densfraktur
Besonderheiten
Verwechslung mit Synchondrose
Diagnostik
Röntgen der HWS in 2 Ebenen, transorale Aufnahme: meist diagnosesichernd, selten weite Dislokation im Seitbild. Ventrale Translation und Angulation des Dens in Kyphose. Bei korrekter Lagerung Spontanreposition möglich. Retropharyngeale Weichteilschwellung diagnostischer Hinweis. Flexions-/Extensionsaufnahme: Dens bewegt sich mit Atlas. DD: offene dentozentrale Synchondrose. Os odontoideum (Traumaanamnese!). H-förmige Synchondrose durch horizontale Synchondrose an der Basis und 2 vertikalen Synchondrosen am Übergang vom Korpus zu den Bögen, die zwischen dem 3. und 6. Jahr fusionieren, allerdings u.U. bis zum 10. Jahr sichtbar. Im Zweifel CT: Verletzungen der Axissynchondrosen nur mit CT sichtbar
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
anatomische Ausheilung
Primärbehandlung
Ruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
bis zum 8. Lebensjahr konservativ
Verfahren
bei geringer Dislokation: Bettruhe, leichte Traktion in stabiler Orthese, bei weiterer Dislokation: Reposition über Traktion und Retention im Minerva-Gips oder Halo (6–12 Wochen), bei guter Reposition Prognose gut, Ruhigstellung u.U. bis zu 4 Monate; seltene Frakturen des Axiskörpers oder der Wirbelbögen heilen ebenfalls konservativ
Nachbehandlung
beschwerdeabhängig
Rx-Kontrolle
regelmäßig, evtl. CT, MRT
Sportfähigkeit
vom Einzelfall abhängig, mit Beschwerdefreiheit nach ca. 3–4 Monaten
373 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
Operative Therapie Indikation
selten; bei instabilen Frakturen des älteren Kindes vom Anderson Typ II des Erwachsenen; bei kleineren Kindern bei persistierender Beweglichkeit des Dens im Sinne einer Pseudarthrose (s.a. Os odontoideum); hochgradig instabile, um mindestens Densbreite verschobene Frakturen
Verfahren
posteriore C1-C2-Fusion, bei älteren Kindern auch direkte Schraubenosteosynthese
Nachbehandlung
stabile Orthese für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
nach 2 und 6 Wochen
Metallentfernung
entfällt
Sportfähigkeit
nach 3–4 Monaten
Komplikationen
Myelopathie bei längerer unerkannter Instabilität und Densdislokation, vorübergehende Kyphose nach C1-C2-Fusion
Wachstumsstörung
Bei epiphysären Schäden frühzeitiger Schluss der Dens-Wachstumsfuge, allerdings ohne wesentliche Folgen; bei Kindern über 7 Jahren Komplikationen wie bei Erwachsenen, insbesondere in Bezug auf verzögerte Heilung, das gilt für Anderson-Typ-II-Frakturen und dorsalen Dislokationen, die oft eine Fusion erfordern. Os odontoideum kann als Pseudarthrose nach verkannter Densfraktur des Kleinkindes interpretiert werden.
Nachkontrollen
Späte atlantookzipitale Instabilitäten möglich, daher Follow-up bis Wachstumsstopp erforderlich
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
24
374
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.3.6 Os odontoideum
Posttraumatisches Os odontoideum. Es tritt auf nach
Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Echtes kongenitales Os odontoideum. Es handelt sich
hierbei um einen deformierten, nicht mit der Basis fusionierten Dens, auch um ein hypertrophiertes Überbleibsel bei Denshypoplasie und fehlendem distalem Ossifikationszentrum.
unerkanntem Trauma mit Nonunion und fibrösem Ersatz als Folge einer nichtbehandelten Fraktur in der knorpeligen Wachstumszone des Dens, dem sog. Densstummel am Axiskörper mit translatorischer Instabilität in sagittaler Richtung (▶ AAD).
24 Os odontoideum Besonderheiten
kongenitale und posttraumatische Entstehungstheorie
Diagnostik
Funktionsaufnahmen, in Ausnahmen auch Flexions-/Extensions-CT/-MRT: Ausmaß der Instabilität, Ausschluss Rückenmarkkompression. Os odontoideum bewegt sich mit Atlas bei symptomatischen Patienten bis 1 cm nach vorne. CT: große Lücke zwischen Densspitze und Basis.
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Stabilität
Primärbehandlung
–
Konservative Therapie
Methode der Wahl
Indikation
kongenital: keine Therapie
Verfahren
posttraumatisch: 6 Wochen Orthese
Nachbehandlung
entfällt
Rx-Kontrolle
posttraumatisch: 6 Wochen, 3 Monate, 1 Jahr
Sportfähigkeit
beschwerdeabhängig
Operative Therapie Indikation
Bei pathologischer Beweglichkeit, persistierender Instabilität oder dem Nachweis eines akuten/ potenziellen Rückenmarkschadens mit/ohne neurologische Symptome. Schwierige Indikation bei asymptomatischen Patienten. Potenzielle Instabilität/Gefahr im Falle eines Traumas!
Verfahren
posteriore C1-C2-Fusion, sehr selten
Nachbehandlung
6 Wochen stabile Orthese
Rx-Kontrolle
nach 6 Wochen
Metallentfernung
abhängig vom Implantat
Sportfähigkeit
nach 4–6 Monaten
Komplikationen
s. Wachstumsstörung
Wachstumsstörung
wegen Fusion möglich
Nachkontrollen
nach 6 und 12 Monaten
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
375 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
24.3.7 Verletzungen des Segments C2/C3
und Pseudosubluxation Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Die diskoligamentäre Instabilität kommt im Gegensatz zur Pseudosubluxation sehr selten vor, dann aber bei Kindern, die älter als 10 Jahre sind. Betrachtet man die dorsalen Wirbelkörperbegrenzungen, tritt eine Pseudosubluxation von C2/C3 bei ca. 10% der Kinder deutlich und bei 15% mäßig auf. 40% der Kinder unter 8 Jahren zeigen diese vordere Verschiebung. Als Folge eines Traumas ist eine C2/C3-Subluxation/Dislokation möglich, häufig in Verbindung mit Verletzungen von Kopf, Gesicht oder Brustkorb und lokalisierten Schmerzen ohne Frakturnachweis. Bis zum 7.–8. Lebensjahr ist das Segment C2/C3 Mittelpunkt der Flexion/Extension. Traumatische Facettendislokationen ohne Fraktur sind möglich, häufig isolierte Verletzungen, ebenso Frakturen der Apophyse. Die Pedikelfraktur von C2 (Hangmans Fracture) ist die Folge von Flexions- oder Extensionstraumen.
Klassifikation Bei Verletzungen des Segments C2 findet beim Adoleszenten die Klassifikation nach Effendi Anwendung.
24
376
Kapitel 24 · Wirbelsäule
Verletzung des Segments C2/C3 und Pseudosubluxation
24 Besonderheiten
echte Instabilität selten; Pseudosubluxation häufig
Diagnostik
Pseudosubluxation: C2/C3 ist unter 8 Jahren Hauptbewegungssegment, bei seitlichen Flexionsaufnahmen in diesem Segment 2–4 mm Verschiebung normal. Diagnostische Schwierigkeiten bei lokalen Beschwerden. Ursache: Neigungsebenen der Gelenkflächen verändern sich bei C1/ C2 von 55° auf 70° und bei C2–C4 von 30° auf 60–70°. Pseudosubluxation wegen fehlender Landmarken schwer messbar. Die spinolaminäre Swischuk-Linie zwischen der hinteren Bogenbegrenzung von C1–C3 sollte bei C2 innerhalb 1,5 mm bleiben. Verwechslung mit primärer Spondylolyse oder Synchondrose des hinteren Bogens möglich. Pseudosubluxation hebt sich in Extension auf. MRT Methode der Wahl zum Ausschluss einer diskoligamentären Verletzung/ Instabilität
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ausschluss traumatischer Instabilität
Primärbehandlung
bei Trauma Ruhigstellung und Ausschluss Instabilität
Konservative Therapie Indikation
Methode der Wahl
Verfahren
bei Frakturen geschlossene Reposition und Halo für ca. 8 Wochen, bei Subluxation/Dislokation bei Kindern unter 8 Jahren geschlossene Reposition und Immobilisation mit Halo
Nachbehandlung
Halo-Pflege
Rx-Kontrolle
nach 4 und 12 Wochen
Sportfähigkeit
beschwerdeabhängig
Operative Therapie Indikation
persistierende dorsale Instabilität bei diskoligamentärer Instabilität (C2/C3-Subluxation) oder Pseudarthrose
Verfahren
Dorsale Fusion (C1–C3), allerdings nach sorgfältigem Nachweis der dorsalen Instabilität. Die Beteiligung des Wirbelkörpers kann knöchern ausheilen. Bei posttraumatischer Subluxation und Dislokation bei Kindern über 8 Jahren posteriore Fusion
Nachbehandlung
steife Orthese für 4–6 Wochen
Rx-Kontrolle
nach 4 und 12 Wochen
Metallentfernung
abhängig vom Implantat
Sportfähigkeit
beschwerdeabhängig
Komplikationen
bei Fusion
Wachstumsstörung
möglich
Nachkontrollen
bis Wachstumsabschluss bei Fusion
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
377 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
24.3.8 Verletzungen von C3-C7
Klassifikation
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
Die Einteilung der Verletzungen von C3–C7 erfolgt bei älteren Kindern nach der AO-Klassifikation, bei jüngeren Kindern nach Salter und Harris.
Verletzungen im Bereich von C3–C7 kommen selten bei Kindern unter 10 Jahren vor, das Durchschnittsalter der Patienten beträgt 13 Jahre. Es handelt sich häufig um Kompressionsfrakturen. Ein Flexions-/Extensionsmechanismus kann zu diskoligamentären Verletzungen führen, eine Hyperflexion zu Abrissen der sekundären OFZ der Dornfortsatzspitzen. Rupturen der unteren epiphysären Endplatten können durch Hyperextensions-Distraktions-Traumen, z.B. bei Autounfällen, Sprüngen in flaches Wasser oder Kindesmissbrauch, verursacht werden. Prädisponierende kongenitale Faktoren treten meist in Verbindung mit einer dorsalen Instabilität auf.
Verletzung von C3–C7
Besonderheiten
Salter-Harris-I-Verletzungen=Epiphysenlösungen (meist bei jüngeren Kindern); Salter-Harris-III(Aitken-II-) Verletzung als vordere Ruptur der Wachstumsfuge und Epiphyse (bei Adoleszenten). Frakturen des Apophysenrings abgrenzen.
Diagnostik
HWS in 2 Ebenen (unter Einschluss Th1). Funktionsaufnahmen unter 8 Jahren zur Beurteilung der Segmentbeweglichkeit bei Pseudoluxation (bei longitudinaler Distraktion besser sichtbar). MRT bei Röntgenzeichen der Instabilität. Th3 und Th4 können die verschiedensten Formen (Keil, Abrundung usw.) haben. Cave: Verletzung der Wachstumsfugen und schmerzhafte Frakturen der sekundären Ossifikationszentren (röntgenologisch oft erst zwischen dem 10. und 12. Lj. sichtbar, Weichteilschwellung). Spontane Reposition möglich. Dislozierte Ringapophysenverletzungen mit sekundären Ossifikationszentren verwechselbar.
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Vermeidung posttraumatischer Kyphosierung
Primärbehandlung
Ruhigstellung in stabiler Orthese (Philadelphia-Kragen)
Konservative Therapie
24
378
Kapitel 24 · Wirbelsäule
Indikation
Kompressionsfrakturen heilen meist konservativ in Orthese. Spontankorrektur von Kompressionsfrakturen C3–C7 im Vergleich zur Brust-/Lendenwirbelsäule wegen schnellerer Reifung eingeschränkt. Keine verbindlichen Therapieempfehlungen zur tolerierbaren Frakturdislokation, Kyphose oder notwendigen Stellungskorrektur. Verlauf ist wichtig. Geschlossene Reposition und Retention von Kompressionsfrakturen nur bedingt möglich, Stellungskorrektur geht oft verloren. Serienkompressionsfrakturen werden primär konservativ behandelt und nach Ausheilung ggf. korrigiert. Ligamentäre Verletzungen können mit Immobilisation ausheilen, allerdings Gefahr der kyphotischen Fehlstellung und Folgen wie beim Erwachsenen. Bei persistierender Instabilität und zunehmender Kyphose dorsale Stabilisierung erforderlich. Bei Adoleszenten ventrale überbrückende Spondylodesen (u.U. mit Bandscheibenerhalt).
Verfahren
Kinder unter 8 Jahren mit seltenen ausgedehnten Kompressions- oder Serienfrakturen 6 Wochen Halo und weitere 6 Wochen in steifer Orthese. Salter-Harris-III-Verletzungen heilen wegen der osteogenetischen Potenz des vorderen Längsbands innerhalb von Wochen. Bei diskoligamentären Verletzungen Halo für 8--12 Wochen möglich (s.u.).
Nachbehandlung
Konsequente Ruhigstellung führt zur Heilung der verletzten ligamentären und chondroossären Strukturen
Rx-Kontrolle
6 Wochen, 3 Monate, 1 Jahr
Sportfähigkeit
vom Verlauf abhängig
24
Operative Therapie Indikation
Ligamentäre Instabilitäten heilen selten aus. Indikation zur operativen Stabilisierung richtet sich nach Alter, Grad der Dislokation/Instabilität und Ausmaß der knöchernen Zerstörung mit potenzieller Instabilität und zu erwartender sekundärer Deformität. Posteriore Fusion bei röntgenologischem Nachweis der Instabilität nach konservativer Behandlung über 3 Monate. Da meist Flexionsmechanismen, vorderer Zugang kontraindiziert. Gestörtes Wachstum des anterioren Ossifikationszentrums und dorsale Instabilität machen Spontanfusionen bei Adoleszenten unwahrscheinlich. Frühe chirurgische Stabilisation bei instabilen Frakturen und Rückenmarkschaden erforderlich.
Verfahren
Dorsale Drahtfusion der Dornfortsätze und autologe Knochentransplantation. Ventrale Fusionen bei Kleinkindern wegen Endplattenzerstörung kontraindiziert, allerdings bei älteren Kindern überbrückende Plattenosteosynthesen mit Metallentfernung möglich (s. Abb. oben). Laminektomien nur im Ausnahmefall bei progressiver neurologischer Symptomatik und gesicherter spinaler Kompression, da wegen Schädigung stabilisierender posteriorer Elemente erhebliche Folgeschäden (Schwanenhalsdeformität) zu erwarten. Facettengelenke durch Cerclagen und Knochentransplantationen stabilisierbar. Resektion schmerzhafter Pseudarthrosen der Dornfortsatzspitzen. Minimierung chirurgischer Exposition wegen Gefahr spontaner Fusion benachbarter Segmente.
Nachbehandlung
verlaufsabhängig
Rx-Kontrolle
Kontrolle der Fusion und kyphotischen Deformität. Halo-Pinpenetration (starke Schmerzen) und Osteolysen
Metallentfernung
bei überbrückenden ventralen Verfahren nach 1 Jahr
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit
Komplikationen
Halo-Behandlung: Pininfektionen oder -penetration. Salter-Harris-I-Verletzungen werden oft nicht überlebt. Halo-Behandlung bei kleineren Kindern problematisch (s.u.).
Wachstumsstörung
Vorzeitiger Wachstumsfugenschluss, Verschmälerung Bandscheibenraum, Ossifikation des Längsbandes bei Typ-III-Verletzungen
Nachkontrollen
nach 6 Wochen, 3 Monaten und 12 Monaten
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
379 24.3 · Verletzungen der Halswirbelsäule
Technische Aspekte
Halswirbelsäule
Material
Halo-Fixateur
Carbonring sterile Drehmomentschrauben Halo-Weste (verschiedene Größen) Lagerung
im Liegen mit überhängender Stirn, Kopf muss gehalten werden intermittierende Röntgendurchleuchtung zwingend erforderlich, um Stellung der HWS zu
überprüfen Zugang
Halo-Fixation: Pinplatzierung antero- und posterolateral u.U. Bestimmung der höchsten Knochendicke mit dem CT Einsatz möglichst vieler Pins, die eng kontrolliert werden müssen Achtung bei Überdistraktion und den häufigen Pininfektionen Weitere Komplikationen: Durapenetrationen und Schäden des supraorbitalen Nervs, nicht bei offenen Suturen
Spezielle Überlegungen zu Applikation des Halo-Fixateurs beim Kind: Planung der Knochendicke mit CT bei Kindern unter 6 Jahren Ring unterhalb des weitesten Schädeldurchmessers, ca. 1cm oberhalb des Ohrs mindestens 6 Pins mit niedrigem Drehmoment (2–5ft/lb) Vermeidung der dünnen Regionen temporal und der frontalen Sinus vordere Sicherheitszone: 1cm oberhalb der Rima orbitae, lateral / der Orbita anteriore Pins bei geschlossenen Augen setzen, um den Lidschluss nicht zu gefährden simultanes Anziehen gegenüberliegender Pins, um ein Verrutschen des Rings zu verhindern Pins können einmal nachgezogen werden, wenn Widerstand da ist lockere Pins entfernen und durch neue Pins ersetzen Spezielle Aufklärung
Aufwändigkeit der Behandlung Pin-Infekt Perforation der Kortikalis
OP-Prinzip
Metallentfernung
nach 8–12 Wochen
beim Kind ITN Halo-Fixateur in die Tabula externa des Schädels an dicken Stellen befestigen Montage des Halo-Rings Längsstabilisierung mit leichter Distraktion und Abstützung an Halo-Weste
24
380
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.4
Verletzungen der thorakalen Wirbelsäule
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
24
Verletzungen der thorakalen Wirbelsäule kommen häufiger vor als solche der lumbalen Wirbelsäule; sie treten bei Kleinkindern im midthorakalen und bei Adoleszenten im thorakolumbalen Bereich auf. Die Ursache der Verletzung ist oft ein Pkw-Unfall, aber auch ein Sturz beim Spiel oder Sport kann verantwortlich sein. Es ist aber auch an Kindesmisshandlung zu denken (ca. 2–3% thorakolumbale Kompressionsfrakturen). Das elastische Thoraxgitter und die Rippen wirken protektiv, so kommt es häufig zu stabilen Hyperflexionsfrakturen (<20°) der mittleren BWS ohne Beteiligung der hinteren Säule (A-Fraktur). Die kraniale Endplatte ist doppelt so häufig wie die kaudale betroffen. Stabile Bandscheiben induzieren fortgeleitete Serienkompressionsfrakturen der weicheren Wirbelkörper, bei älteren Kindern werden dann v.a. Berstungsfrakturen beobachtet. Bandscheiben-Epiphysenkomplex, Hinterwand und
dorsale Strukturen bleiben intakt. Keilfrakturen werden verursacht durch Spongiosastauchung und Vorderwandfraktur vor allem im thorakolumbalen Übergang. Instabilität kann bei Verletzung ligamentärer und/oder chondroossärer dorsaler Strukturen (auch Gelenkfortsätze) beobachtet werden. Im thorakolumbalen Übergang kann durch ligamentäre Laxizität eine Facettendislokation ohne Frakturnachweis oder Rückenmarkschaden auftreten ( Fall 24.1). Neurologische Ausfälle, Querschnittsyndrome (A. Adamkiewicz) und thorakale Rückenmarkschäden oft ohne Frakturnachweis (SCIWORA) werden beobachtet. Bei Läsion am thorakolumbalen Übergang treten oft nur Wurzelsymptome auf.
Klassifikation Bei Adoleszenten findet die AO-Dreisäulen-Klassifikation (Kompression, Flexion-Distraktion, Rotation) Anwendung (⊡ Abb. 24.6). Lösungen der Endplatten sind möglich, aber selten. Impaktionsfrakturen der Endplatte und Keilimpaktionsfrakturen AO-Typ (A1.1; A1.2) werden gesehen.
Verletzung der thorakalen Wirbelsäule
Besonderheiten
Enger knöcherner Spinalkanal; hohes Risiko einer Myelonkompression
Diagnostik
Hautabschürfungen über dem Rücken. Neurologie. Röntgen der BWS in 2 Ebenen (zentriert). Frakturen meist in mittlerer BWS, oft diskret oder spontan reponiert. Mediastinalerweiterung? MRT zur Beurteilung spinaler Kompression, bei seltenen Diskusschäden, bei ligamentärer Stabilität dorsal; Nebenbefund: oft zusätzliche okkulte Deckplattenserienfrakturen. 3D-CT-Rekonstruktion: präoperativ, bei schweren ossären Läsionen und Verdacht auf apophysäre Frakturen. DD: pathologische Frakturen (eosinophiles Granulom, Zysten, Leukämien)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Stabilität. Hohes Korrekturpotenzial. Sagittale Deformationen mit hälftigen Höhenminderungen können sich unter dem 10. Lebensjahr komplett aufrichten. Geringe Aufrichtung seitlicher Kompressionen mit Skoliosegefahr: schlechtere Prognose kombinierter frontosagittaler Deformationen.
Primärbehandlung
Immobilisation, Schmerztherapie
381 24.4 · Verletzungen der thorakalen Wirbelsäule
Konservative Therapie Indikation
Methode der Wahl
Verfahren
Kurzzeitige Bettruhe (stabile Hyperflexions-Kompressions-Frakturen), nur in Ausnahmefällen Orthese. Schmerzabhängige Mobilisation nach Bettruhe. Nach Hasler/Jeanneret: Keilwirbel unter 10° frühfunktionell mit Physiotherapie, 3-monatige Sportkarenz. Bei Risser-Zeichen ≤2 ein Jahr Aufrichtekorsett für ventrale Keilwirbel von mehr als 10° (Druckentlastung der Wachstumszone, Stimulation des vorderen Wirbelkörperwachstums). Konservative Heilung rein ossärer Chancefrakturen und stabiler Facettendislokationen ohne Neurologie mit Ruhigstellung im reklinierenden Korsett möglich. Konservative Behandlung mit langer Immobilisation grundsätzlich möglich, allerdings Gefahr der sekundären Fehlstellung.
Nachbehandlung
Schonung für 3 Monate
Rx-Kontrolle
nach 6 Monaten und 1 Jahr
Sportfähigkeit
nach 6 Monaten, abhängig von Beschwerden und Kyphosebildung
Operative Therapie Indikation
Instabilitäten bei älteren Kindern und Adoleszenten, da Heilung instabiler Frakturen nur unsicher mit Orthesen zu garantieren. Dorsale Fusionen bei: Facettendislokationen mit neurologischem Schaden, instabilen Flexions-Distraktions- (B1 und B2), Chancefrakturen und Rotationsverletzungen (Typ C). Seltener Mitbeteiligung der Endplatten und Wachstumszonen (Typ A3). Bei Kyphosierung von 20° und mehr ist mit einer Progression der Deformität zu rechnen. Bei Kindern über 10 Jahren und Adoleszenten sollte die Wirbelsäule anatomisch wiederhergestellt werden.
Verfahren
kurzstreckige dorsale Fusionen mit Cerclagen, kleine winkelstabile Implantate; Dekompressionen nur bei progressivem neurologischen Defizit bei einer partiellen Nervenwurzel- und Rückenmarkläsion indiziert.
Nachbehandlung
stabile Osteosynthese, Schonung für 8–12 Wochen
Rx-Kontrolle
abhängig vom gewählten Verfahren
Metallentfernung
nach Konsolidierung
Sportfähigkeit
abhängig von der Konsolidierung
Komplikationen
instabile Flexions-Distraktions- und Rotationsverletzungen haben oft intraabdominelle Begleitverletzungen (Dünndarm usw.)
Wachstumsstörung
Oft bildet sich eine balancierte Skoliose (<10°) um den frakturierten Bereich, meist nur leicht progressiv. Unter 12 Jahren bei fehlender Neurologie selten persistierende kyphotische Fehlstellungen, da durch Wachstumszonen ausgeglichen. Segmentale Kyphosen selten >10°, frontale Fehlstellungen werden allerdings kaum ausgeglichen, hier im weiteren Verlauf oft posttraumatische Skoliosen, die selten 20° überschreiten. Auch bei den häufigen Serienkompressionsfrakturen und Keilimpaktionsfrakturen ist mit posttraumatischen Deformitäten kaum zu rechnen. Endplattenfrakturen korrigieren sich nicht, eine Störung des Wachstums ist die Folge. Verletzungen der Endplatten und Bandscheiben führen meist zur Spontanfusion des Segments. Eine persistierende Instabilität kann allerdings insbesondere bei begleitender neurologischer Störung zur progressiven Deformität führen.
Nachkontrollen
regelmäßig im Verlauf des weiteren Wachstums
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
24
382
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.5
Verletzungen der lumbalen Wirbelsäule
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
24
Bei den Verletzungen der lumbalen Wirbelsäule bei Kindern handelt es sich selten um schwere Verletzungen. Der Verletzungsmechanismus ist eine Kompression mit/ohne Flexion, ebenso sind eine Distraktion sowie eine Scherung/ Rotation (z.B. durch den Bauchgurt bei einem Pkw-Unfall) möglich. Kompressionsfrakturen können bei Adoleszenten auch als Apophysenverletzungen auftreten. Berstungsfrak-
turen werden bei meist intakten posterioren Elementen beobachtet. Die Bandscheiben werden in den Wirbelkörper hineingepresst. Sonderfall: lumbale Apophysenschäden kommen vor bei Sportarten wie Gymnastik und Gewichtheben: Bandscheiben-/Ringapophysen- sowie metaphysäre Fragmente werden dorsal in den Spinalkanal gepresst.
Klassifikation Es gibt 4 Typen der Apophysenfrakturen bei Adoleszenten ( S. 361).
Verletzungen der lumbalen Wirbelsäule
Besonderheiten
diskoligamentäre Instabilitäten müssen ausgeschlossen werden
Diagnostik
Röntgen der LWS in 2 Ebenen (zentriert) 3D-CT-Rekonstruktion: präoperative Planung, Differenzierung der Knochenverletzung, besonders bei den apophysären Frakturen. Apophysenfrakturen der Adoleszenten betreffen meist die posterioren lumbalen Endplatten. Teile der Bandscheibe auch in Kombination mit knöchernen Anteilen werden nach dorsal in den Spinalkanal disloziert, häufig betroffen L5–S1. Oft akuter Schmerz bei Anstrengungen und Sport. Im konventionellen Röntgenbild zu übersehen. CT Methode der Wahl für Erkennen von Fragmentgröße und Ausmaß der Kanaleinengung. MRT bei spinaler Kompression und zum Ausschluss von seltenen Bandscheibenschäden Sonderform: instabile Chancefraktur-Äquivalente (Flexions-Distraktions-Typ) als horizontale Scherfraktur mit anteriorer Dislokation/Kompression und posteriorer Distraktion (Region Th12–L3). Klassische Chancefraktur rein ossäre Läsion. Stumpfes Bauchtrauma durch Sitzgurt (Lap Belt Syndrome), häufig Ileus-/intraabdominelle Verletzungen ( Fall 24.2)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Vermeidung neurogener Schäden und statischer Fehlstellungen
Primärbehandlung
Lagerungsbehandlung, Kyphosierung
Konservative Therapie Indikation
Frakturen mit intakten posterioren Elementen. Vor der Pubertät auch Spinalkanaleinengungen durch eingepresste Bandscheibenanteile und progressive Achsabweichungen. Konservative Behandlung bei ausreichender Wirbelkörperhöhe und Impaktion des frakturierten Wirbelkörpers möglich
Verfahren
Stabilität gewöhnlich nach 12 Wochen erreicht. Flexions- und Extensionsaufnahmen zum Stabilitätsnachweis. Präpubertär können die Orthesen bis zum Abschluss der Wachstumsphase (Mädchen 14 Jahre, Jungen 16 Jahre) getragen werden. Ob äußere Stützverfahren die Entwicklung von Deformitäten verhindern, ist jedoch fraglich
383 24.5 · Verletzungen der lumbalen Wirbelsäule
Nachbehandlung
funktionell
Rx-Kontrolle
im Intervall zum Ausschluss einer progressiven Deformität oder Instabilität
Sportfähigkeit
vom Einzelfall und den Beschwerden abhängig
Operative Therapie Indikation
Führt die initiale Lagerungsbehandlung nicht zum Erfolg, sollte bei älteren Kindern die offene Reposition erfolgen. Chancefrakturen können bei vorwiegend knöchernen Läsionen geschlossen reponiert und im Hyperextensionskorsett ruhiggestellt werden; meist empfiehlt sich jedoch die dorsale Zuggurtung und Fixateur interne. Ziel ist die Wiederherstellung der Lordose. Ligamentäre Verletzungen werden offen reponiert und dorsal fusioniert. Bei kleineren Kindern können die Dornfortsätze verbunden werden (z.B. PDS-Kordeln), dann Nachbehandlung im Korsett. Bei Adoleszenten dorsaler Fixateur interne. Vertebrale Endplattenfrakturen (und auch transossäre Instabilitäten Typ Chance) werden abhängig vom Alter bei symptomatischen Bandscheibenprotrusionen und Fragmenten zur Verhinderung der spinalen Stenose dekomprimiert. Lumbale Apophysenschäden mit in den Spinalkanal dislozierten Geweben müssen bei neurologischen Symptomen chirurgisch entfernt werden
Verfahren
dorsale Zuggurtungen, Cerclagen, Fixateur interne
Nachbehandlung
fallabhängig
Rx-Kontrolle
fallabhängig
Metallentfernung
nach Ausheilung
Sportfähigkeit
nach Ausheilung
Komplikationen
bei konservativer Therapie und Instabilität progressive Deformation
Wachstumsstörung
bei Wachstumsfugenverletzung möglich
Nachkontrollen
nach 6 Monaten und 1 Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
24
384
Kapitel 24 · Wirbelsäule
24.6
Rückenmarksschäden
Inzidenz, Wirkungsmechanismus und klinisches Bild
24
Bis zu 30% (5–67%) der Wirbelsäulenverletzungen bei Kindern zeigen das klinische Bild des sog. SCIWORA. Die hochauflösende MRT kann in vielen Fällen eine Ursache darstellen (⊡ Abb. 24.9). Bei Kleinkindern (<8 Jahre) ist häufig die obere HWS und die mittlere BWS (zervikothorakaler Übergang) betroffen (70% signifi-
kante Rückenmarkschäden auf Höhe C3/C4), aber das Erholungspotenzial ist sehr gut. Beim Geburtstrauma (Schädeldistraktion) zeigt sich ein schlaffes Kind ohne progressive Läsion. Bei Adoleszenten dominieren Verletzungen des thorakolumbalen Übergangs, da das thorakale Rückenmark wegen eines engen Spinalkanals und einer komplizierten Durchblutung anfällig ist. Bei Adoleszenten kommen häufig auch thorakolumbale Frakturen vor, dann mit inkompletten neurologischen Defiziten ( Fall 24.3). Da die Wirbelsäule deutlich elastischer als das Rückenmark ist, spielen eine longitudinale Distraktion, Hyperextension, Flexion und spinale Ischämie eine bedeutende pathogenetische Rolle. Offene Verletzungen sind selten, die Prognose in der Regel abhängig vom Unfallmechanismus (⊡ Abb. 24.10).
Diagnostik
⊡ Abb. 24.9. Primäre Querschnittsymptomatik bei multisegmentaler Instabilität der HWS.
Die MRT ist die Methode der Wahl. Sie zeigt Rupturen des vorderen und hinteren Längsbandes, Diskushernien, Rückenmarkdurchtrennungen, -blutungen und -ödeme sowie Knochenödeme (Bone Bruise) bei spontan reponierten Endplattenfrakturen. Ziel ist der Ausschluss instabiler Verletzungen (Frakturen, Bandinstabilitäten). In vielen Fällen zeigt aber auch die MRT keine Ursache (SCIWORA), und die neurologische Symptomatik erholt sich in Stunden bis Tagen.
Therapie und Prognose
⊡ Abb. 24.10 a,b. Offenes Rückenmarktrauma ohne wesentliche neurologische Folgen.
Eine operative Dekompression ist wegen wesentlicher Nachteile im weiteren Wachstum mit kyphotischen Fehlstellungen kritisch. Allerdings muss die Indikation bei persistierenden spinalen knöchernen oder diskalen Kompressionen überdacht werden. Auf jeden Fall sollten die Gelenkfacetten und -kapseln erhalten bleiben und wenn möglich nicht verletzt werden. Die konservative Therapie besteht in Immobilisation in einer steifen Halskrawatte oder einer thorakolumbalen Wirbelsäulenorthese. Bei ausgeprägten Formen wird Ruhe und Einschränkung der Beweglichkeit für 3 Monate verordnet, insbesondere unter dem Aspekt, dass ein erneutes Trauma zur Verschlimmerung und Verstärkung des Syndroms führen kann. Immer sollte kontrolliert werden, ob es zu einer weiteren Verschlechterung kommt, was verhindert werden muss. Die Gabe von Methylprednisolon ist bei Kindern unter 13 Jahren nicht wissenschaftlich evaluiert. Spätschäden sind v.a. bei Kindern zu erwarten, die Verletzungen vor dem 10. Lebensjahr hatten; so können Deformität, hochsteigende neurologische Defizite und eine Syrinx resultieren. Die Prognose korreliert mit der primären Schwere der neurologischen Ausfälle. Circa 90% der Kinder mit inkompletter SCIWORA verbessern sich. Thorakale Rückenmarkschäden sind in ihrer Prognose am schlechtesten.
385 24.7 · Fallbeispiele
24.7
Fallbeispiele
Fall 24.1 Diskoligamentäre B-Verletzung des thorakolumbalen Übergangs, Mädchen, 14 J., PKW-Unfall mit Beckengurt.
a Unfallbild. b CT. c MRT. d dorsale Reposition und Zuggurtung mittels PDS-Band.
24
386
Kapitel 24 · Wirbelsäule
Fall 24.2 Flexions-Distraktions-Verletzung L3/4, Junge, 14 J., Pkw-Unfall mit Beckengurt.
24
a,b Unfallbilder. c,d monosegmentale Spondylodese von dorsal.
Fall 24.3 Berstungsfraktur L1 mit inkomplettem Querschnittssyndrom, Mädchen, 14 J., Suizidversuch, Sprung 2. OG.
a–c Unfallbilder, erhebliche Einengung des Spinalkanals. d,e bisegmentale dorsoventrale Spondylodese inklusive thorakoskopischer Dekompression des Spinalkanals.
25
Knochentumoren und pathologische Frakturen C. Seebach und A.A. Kurth
25.1
Allgemeines – 388
25.1.1 25.1.2 25.1.3 25.1.4 25.1.5 25.1.6
Epidemiologie – 388 Klassifikation – 388 Diagnostische Grundsätze – 389 Bildgebende Verfahren – 391 Biopsie – 391 Therapie – 392
25.2
Benigne Knochentumoren
25.2.1 25.2.2 25.2.3 25.2.4 25.2.5 25.2.6 25.2.7 25.2.8 25.2.9
Osteoidosteom – 393 Osteoblastom – 393 Enchondrom – 394 Multiple Enchondromatose (chondrale Dysplasie) – 394 Osteochondrom (osteokartilaginäre Exostose) – 395 Multiple kartilaginäre Exostosen – 395 Chondroblastom (Codman-Tumor) – 395 Chondromyxoidfibrom – 396 Nichtossifizierendes Knochenfibrom (NOF) – 396
25.3
Maligne Knochentumoren
25.3.1 25.3.2 25.3.3
Osteosarkom – 397 Ewing-Sarkom – 398 Fibrosarkom – 399
25.4
Semimaligne Tumoren – 399
25.4.1
Riesenzelltumor (Osteoklastom) – 399
25.5
Tumorähnliche Knochenläsionen – 399
25.5.1 25.5.2 25.5.3 25.5.4
Solitäre Knochenzyste – 399 Aneurysmatische Knochenzyste – 400 Fibröse Dysplasie (Morbus Jaffé-Lichtenstein) – 401 Eosinophiles Granulom (Langerhans-Zell-Histiozytose, Histiocytosis X)
– 393
– 397
– 402
388
Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
25.1
25
Allgemeines
Die pathologische Fraktur ist ein Knochenbruch, der bei normaler Belastung aufgrund einer Schwächung des Knochens infolge einer Erkrankung (Knochentumor, Metastase, Osteoporose, Osteomalazie, Osteopetrose, Hyperparathyreoidismus) auftritt. Durch einen Knochentumor kommt es zu einer Knochenveränderung (osteoblastisch und/oder osteolytisch), wobei der Knochen seine Elastizität und seine biomechanische Stabilität verliert. Ein inadäquates Trauma führt dann zu einer Fraktur. Pathologische Frakturen können durch intrinsische und extrinsische Prozesse verursacht werden. Intrinsische Prozesse schließen metabolische Knochenerkrankungen (z.B. Osteopenie durch Osteogenesis imperfecta) oder Knochentumoren, die gesunden Knochen ersetzen, ein. Extrinsische Prozesse verringern die strukturelle Integrität des Knochens und entstehen durch chirurgische Eingriffe (z.B. interne Stabilisierung, welche inadäquat oder frühzeitig entfernt wurde), durch einen Knochendefekt nach einer Operation, einer Biopsie oder einer En-bloc-Resektion eines Tumors oder durch eine externe Bestrahlungsbehandlung. Auch bei einer Hochdosis-Kortikosteroidtherapie bei Patienten, die eine Chemotherapie wegen eines Malignoms erhalten haben, kann es zu einer Osteoporose mit pathologischer Fraktur kommen (⊡ Abb. 25.1a,b). Der gesunde Knochen eines Kindes hat eine größere Plastizität als der Knochen eines Erwachsenen. Daher kommt es bei einem Kind erst nach einem erheblichen Verlust an Mineralgehalt oder Architektur zum Knochenbruch. Die exakte Diagnose ist zur korrekten Behandlung bei pathologischen Frakturen von Kindern essenziell. Die genaue Anamnese, die körperliche Untersuchung sowie die radiologischen und laborchemischen Befunde
festigen die Verdachtsdiagnose. Eine Biopsie liefert das histologische Material, das die Diagnose sichert. Die meisten Knochenläsionen können durch ihre radiologische Erscheinung und die Lokalisation im Knochen korrekt erkannt werden. Die laborchemischen Befunde sind wichtig für die Diagnose von metabolischen Knochenerkrankungen und Osteomyelitis, jedoch weniger aussagekräftig bei primären Knochentumoren. Gutartige Knochentumoren, die zu pathologischen Frakturen im Kindesalter führen, sind vor allem die solitäre Knochenzyste, das nichtossifizierende Fibrom, die fibröse Dysplasie und die aneurysmatische Knochenzyste. Dagegen ist eine pathologische Fraktur aufgrund eines malignen Tumors (z.B. Osteosarkom) selten, jedoch immer als Differenzialdiagnose wegen der schweren Konsequenzen, die mit einem Missmanagement assoziiert sind, zu diskutieren.
25.1.1 Epidemiologie
Maligne Knochentumore machen im Kindesalter 3,4% und im Erwachsenenalter 1% aller malignen Tumore aus. Am häufigsten kommen das Osteosarkom (40%) mit einer jährlichen Inzidenz von 2–3/106 Einwohner sowie das Ewing-Sarkom (18%) im Kindesalter und das Chondrosarkom (14%) im Erwachsenenalter vor. Tumoren des Stütz- und Bewegungsapparates im Kindesalter sind selten. Zwei Drittel der primär aus Knochengewebe stammenden Tumoren treten bei Jugendlichen während der pubertären Wachstumsphase auf. Die stark wachsenden Metaphysen der Knie- und Oberarmkopfregion sind bevorzugte Lokalisationen. Eine frühe Erkennung von malignen Knochentumoren entscheidet nicht nur über Leben und Tod, sondern auch darüber, ob eine Extremität erfolgreich gerettet werden kann oder amputiert werden muss.
25.1.2 Klassifikation
⊡ Abb. 25.1a,b. Osteoporotische Femurfraktur bei 28-monatigem Kind nach Chemotherapie bei akuter lymphatischer Leukämie.
Alle mesenchymalen Gewebe können Herkunftsgewebe einer Tumorerkrankung sein. Die primären Knochenund Weichteiltumoren im Kindesalter werden nach der histogenetischen Herkunft der Tumorstammzellen klassifiziert (⊡ Tab. 25.1), die sich ganz oder teilweise im Knochen entwickeln und in die Nachbarschaft ausbreiten. Unter sekundären Skeletttumoren versteht man Tumoren, die primär in Weichteilen entstehen und von dort aus auf den Knochen übergreifen. Von den benignen Tumoren mit lokaler Begrenzung und expansiver Ausbreitung unterscheidet man maligne Tumoren mit hemmungsloser Progression, infiltrativer Gewebszerstörung und Bildung von Metastasen. Die Grenze zum gesunden Gewebe ist unscharf. Als semi-
389 25.1 · Allgemeines
⊡ Tab. 25.1. Klassifikation von Geschwülste des Knochens, der Gelenke und der Muskulatur abhängig von der Histogenese Herkunftsgewebe
Benigne Tumoren
Maligne Tumoren
Knorpelgewebe
Osteochondrom Chondroblastom Chondromyxoidfibrom Enchondrom
Chondrosarkom
Knochengewebe
Osteom Osteoidosteom Osteoblastom
Osteosarkom
Bindegewebe
nichtossifizierendes Fibrom fibröse Dysplasie Osteoklastom (Riesenzelltumor), Grad I benignes fibröses Histiozytom
ossäres Fibrosarkom malignes fibröses Histiozytom Osteoklastom Grad III
Knochenmark
eosinophiles Granulom
Ewing-Sarkom Retikulosarkom Plasmozytom
Gefäße
Hämangiom Lymphangiom Hämangioperizytom endotheliales Hämangioendotheliom
Hämangiosarkom Hämangioperizytom Lymphangiosarkom
Fett
intraossäres Lipom
ossäres Liposarkom
Muskelgewebe
Leiomyom Rhabdomyom
Leiomyosarkom Rhabdomyosarkom
Synovialgewebe
intraossäres Ganglion Synovialom
Synovialsarkom
Nervengewebe
Neurinom Schwannom Neurofibrom
Weichteiltumoren
maligne bezeichnet man Tumoren, die zunächst benigne sind und später maligne entarten können (Chondrome, Riesenzelltumoren); unter tumorähnlichen Erkrankungen versteht man jene, die mit lokal aggressiv-infiltrierendem Wachstum, jedoch ohne Metastasenbildung (juvenile oder aneurysmatische Knochenzysten) vorkommen. Voraussetzung für das Verständnis der verschiedenen Knochentumoren ist eine umfassende Kenntnis der klinischen Erscheinungsform, des Spontanverlaufs, der Tumorstadien, des histopathologischen Bildes und der therapeutischen Beeinflussbarkeit. Zur Beurteilung der lokalen, regionalen und systemischen Tumorausbreitung sowie Tumorart sind oft weiterführende Stagingmaßnahmen erforderlich.
25.1.3 Diagnostische Grundsätze
Wenn ein Kind eine Fraktur nach einem inadäquaten Trauma aufweist, oder das radiologische Bild einen abnormalen Knochenprozess zeigt, sollte an eine pathologische Fraktur gedacht werden. Vorrangig ist zu klären, ob es sich um einen benignen oder malignen Prozess handelt. Dabei liefern Röntgenaufnahmen richtungsweisende Informationen; die The-
rapieentscheidung berücksichtigt aber grundsätzlich alle klinisch wichtigen Anhaltspunkte. Der Schmerz ist das erste und wichtigste Symptom eines pathologischen Knochenprozesses. Eine gründliche Anamnese (Vorerkrankungen des Magen-Darm-Trakts, Nierenerkrankungen, vorausgegangene Frakturen oder Infektionen sowie die Familienanamnese) und die körperliche Untersuchung (Evaluation einer Fraktur, Haut, Gelenke, neurovaskulärer Status, mögliche Extremitätendeformitäten oder -verkürzungen, Bewegungseinschränkung) des Patienten sind Voraussetzung für eine korrekte Diagnose und Behandlung: ▬ Alter des Patienten (⊡ Tab. 25.2): Tumoren haben eine ausgesprochene Altersdisposition. Die meisten primären Knochentumoren treten im Kindes- oder Jugendalter auf, Chondrosarkome, Plasmozytome und Karzinommetastasen jedoch bevorzugt im Erwachsenenalter. ▬ Die Anamnese hält Zeitpunkt und Art der Beschwerden fest. ▬ Die Lokalisation (epi-, meta- oder diaphysär) primärer Knochentumoren liefert einen Hinweis (⊡ Tab. 25.3, ⊡ Abb. 25.2). ▬ Der klinische Befund gibt Auskunft über Schwellung, Ausmaß sowie Art des Schmerzes und Funktionseinschränkungen.
25
390
Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
⊡ Tab. 25.2. Altersgruppen von häufigen muskuloskelettalen Tumoren
25
Alter (Jahre)
Benigne Tumoren
Maligne Tumoren
0–5
eosinophiles Granulom Osteomyelitis
Metastasen Leukämie
5–10
solitäre Knochenzyste aneurysmatische Knochenzyste nichtossifizierendes Knochenfibrom fibröse Dysplasie Osteomyelitis Osteoidosteom eosinophiles Granulom
Osteosarkom Rhabdomyosarkom Ewing-Sarkom
10–20
fibröse Dysplasie Osteoidosteom Chondromyxoidfibrom aneurysmatische Knochenzyste Chondroblastom Osteoblastom
Osteosarkom Ewing-Sarkom Rhabdomyosarkom Synovialzellsarkom Chondrosarkom Fibrosarkom
⊡ Tab. 25.3. Häufige Lokalisationen von Knochentumoren Epiphyse
Multiple
Vordere Elemente der Wirbelsäule
Chondroblastom
Leukämie
eosinophiles Granulom
Brodie-Abszess
hereditäre Exostosen
Leukämie
Riesenzelltumor
eosinophiles Granulom
Metastase
fibröse Dysplasie
Enchondromatose
Riesenzelltumor
Metaphyse
Becken
Hintere Elemente der Wirbelsäule
jeder Tumor
Ewing-Sarkom
aneurysmale Knochenzyste
Diaphyse
Osteosarkom
Osteoblastom
fibröse Dysplasie
Osteochondrom
Osteoidosteom
osteofibröse Dysplasie
Metastase
Metastase
eosinophiles Granulom
fibröse Dysplasie
Rippen
Ewing-Sarkom
fibröse Dysplasie
Leukämie, Lymphome
eosinophiles Granulom
Osteoidosteom
Ewing-Sarkom
solitäre Knochenzyste
Metastase
Unreifes Skelett (Wachstumsfuge offen)
Reifes Skelett (Wachstumsfuge geschlossen)
Chondroblastom Osteochondrom Riesenzelltumor Histiozytom
Osteosarkom Aneurysmale Knochenzyste Solitäre Knochenzyste Periostales Chondrom Osteoidosteom Osteoblastom Ewing Sarkom Osteofibröse Dysplasie Fibröse Dysplasie
Chondromyxoidfibrom
Fibrosarkom
Enchondrom Adamantinom Nicht ossifizierendes Fibrom
Myelom Kortikale Metastase Chondrosarkom
Osteom Lymphom
⊡ Abb. 25.2. Lokalisation (epi-, meta- oder diaphysär) primärer Knochentumoren bei offener bzw. geschlossener Wachstumsfuge.
391 25.1 · Allgemeines
Laboruntersuchungen sind meist unergiebig, dienen aber dem Ausschluss einer entzündlichen Genese. Cave: Das Ewing-Sarkom wird oft fehlgedeutet als Osteomyelitis!
25.1.4 Bildgebende Verfahren
▬ Das Röntgenbild in 2 Ebenen ist das wichtigste Mittel zur Klärung der Dignität und Wachstumsgeschwindigkeit. Bei einem langsamen Tumorwachstum kommt es zur Sklerosierung des umgebenden Knochens, ebenso spricht eine enge, wohldefinierte Grenzzone mit Periostschale für einen benignen Tumor. Bei dem raschen Wachstum eines malignen Tumors kommt es dagegen zu Osteolysen oder Mottenfraß (multiple kleine osteolytische Areale). In der breiten fließenden Grenzzone kommt es im Übergangsbereich zwischen Tumor und gesunder Kortikalis zu den typischen Periostreaktionen (Codman-Dreieck, Spikulae, Zwiebelschale), die Malignitätszeichen eines Knochentumors im Röntgenbild sind. Die radiologische Morphologie eines Knochentumors wird durch das Lodwick-Gradings bestimmt. ▬ Die MRT stellt pathologische Veränderungen mit höherem Auflösungsvermögen und größerer Empfindlichkeit dar, v.a. das Ausmaß von Weichteilläsionen und die sonst schwer erkennbare Beteiligung des Knochenmarks. ▬ Das MRT bleibt das Mittel der Wahl zum Staging, zum Evaluieren der Antwort auf die präoperativ erfolgte Chemotherapie und für das langzeitige Follow-up der meisten Knochen- und Weichteilsarkome. ▬ Die CT zeigt die exakte Lokalisation und die Ausbreitung des primären Herdes sowie die topographische Beziehung zum jeweiligen Kompartment, die Dichte des Tumorgewebes, die Beziehung zu Nerven und
Gefäßen, eine intraartikuläre und kortikale Tumorinfiltration sowie eine Metastasierung in die Lunge. ▬ Eine Sonographie des Abdomens dient dem Ausschluss von intraabdominellen Metastasen. ▬ Eine Skelettszintigraphie zeigt die biologische Aktivität des primären Knochentumors und erkennt weitere intraossäre Tumorlokalisationen des skelettalen Systems. ▬ Die Angiographie wird in der Regel eingesetzt, um die Gefäßversorgung des Tumors darzustellen und dessen Beziehung zum Gefäß-Nerven-Bündel zu klären, was für die Planung von extremitätenerhaltenden Eingriffen von Bedeutung ist.
25.1.5 Biopsie
Die bildgebenden Verfahren gehen der Biopsie immer voraus. Bei Tumorverdacht (potenziell benigne aggressive oder maligne Prozesse) liefert die Biopsie das histologische Material, um die Diagnose zu sichern; sie ist in allen Zweifelsfällen unerlässlich. Die Biopsie muss durch eine kleine longitudinale, leicht auszuschneidende Inzision durchgeführt werden, wobei nur ein einzelnes Kompartment eröffnet werden sollte. Auf die spätere Schnittführung ist zu achten. Es sollte eine gute Blutstillung durchgeführt werden, um eine Dissemination von Tumorzellen zu vermeiden. Ein Gefäß-Nerven-Bündel darf nicht eröffnet werden, da sich der maligne Knochentumor entlang dieser Schiene ungehindert ausbreiten kann. Da keine zusätzlichen Kompartmente eröffnet werden sollten, wird bei einer Biopsie nicht der gesamte Tumor entfernt. Es ist wichtig, die Biopsie nicht vom Kallus zu entnehmen, da sonst die fälschliche Diagnose eines Osteosarkoms oder eines anderen Tumors gestellt
⊡ Tab. 25.4. Klinisches Staging nach Enneking (Stadium I–III) Stadium I a/b, latent (G1, T1/2, M0)
Stadium II a/b, aktiv (G2, T1/2, M0)
Stadium III, aggressiv (G1/2, T1/2, M1)
Charakter
langsam wachsend, spontan ausheilend
abgekapselte Läsion, expandierend (Blow-up Lesions)
lokale Knochendestruktion, Metastase
Röntgen
gut demarkiert, meist mit Sklerose
Kortikalis aufgebläht, ausgedünnt, geringe Sklerosereaktion
keine reaktive Zone
Szintigraphie
keine/niedrige Aktivität
Anreicherung
starke Anreicherung
Typische Klinik
Zufallsbefund
Schmerz
Schmerz
Typischer Tumor
NOF Osteochondrom Osteom Hämangiom
Osteoidosteom Osteoblastom Riesenzelltumor aneurysmatische Knochenzyste
Osteoblastom Chondroblastom Riesenzelltumor aneurysmatische Knochenzyste
G1 = niedrig maligne Differenzierung G2 = hoch maligne Differenzierung T1 = intrakompartmentale Ausbreitung
T2 = extrakompartmentale Ausbreitung M0= keine Fernmetastasierung nachgewiesen M1= Fernmetastasierung nachgewiesen
25
392
Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
wird. Eine pathologische Fraktur im Entnahmebereich der Biopsie sollte verhindert werden. Da Sarkome oft im Gegensatz zu Karzinomen im Operationsgebiet Impfmetastasen setzen, ist eine Biopsie sorgfältig zu planen. Die fehlerhafte Ausführung kann die Prognose verschlechtern. Bei exakter Durchführung ist die Gefahr der systemischen Ausbreitung als gering anzusehen. Nach der Primärdiagnostik erfolgt das chirurgische Staging des Tumors nach Enneking (Stadium I–III) (⊡ Tab. 25.4).
25
25.1.6 Therapie
Die Behandlung einer pathologischen Fraktur richtet sich nach der Dignität, der Lokalisation, dem Frakturtyp und nach den von ihr ausgehenden Risiken. Durch eine exakte Diagnose kann die optimale Frakturbehandlung (einfache Ruhigstellung, geschlossene oder offene Reposition mit interner Stabilisierung) gewählt werden. Kleinere, symptomfreie benigne Prozesse ohne Entartungsrisiko bedürfen oft keiner Therapie, aber weiterer klinischer und radiologischer Überwachung. Bei Tumorzunahme (Druck auf Nerv oder Gefäß, Spontanfraktur) oder Umschlagen in Malignität muss das pathologische Gewebe je nach Situation durch Kürettage und Spongiosaauffüllung bzw. Segmentresektion oder En-bloc-Resektion weit im Gesunden beseitigt werden. Bei gutartigen Tumoren ist es notwendig, wenn eine Operationsindikation zur Frakturstabilisierung gestellt wird, den Resektionstyp (intraläsional oder marginal), das optimale Knochenersatzmaterial zum Auffüllen des Tumordefekts, die Frakturstabilisierung und die möglicherweise notwendige Ruhigstellung zu überdenken und auszuwählen. Wenn nach einer operativen Entfernung des Tumors (z.B. Dekompression einer Osteonekrose des Femurkopfes, offene Resektion des Nidus eines Osteoidosteoms)
der gesunde Knochen durch den resultierenden Knochendefekt geschwächt ist, kann dieser wie jede andere Fraktur im gesunden Knochen behandelt werden. Wird die Diagnose eines malignen Knochentumors gestellt, ist zunächst das Tumorstaging durchzuführen, um die Prognose abzuschätzen und die korrekte Behandlung einzuleiten. Primäres Therapieziel bei einer pathologischen Fraktur ist die Behandlung des Tumors, sekundär erfolgt die Frakturbehandlung (d.h. bis zur Diagnosesicherung und Festlegung der Therapie erfolgt primär die konservative Ruhigstellung in Gips, Schiene oder durch Traktion). Die multidisziplinäre Behandlung einer pathologischen Fraktur bei malignem Knochentumor basiert auf drei Therapien: 1. Die Entfernung des bösartigen Tumors erfolgt durch eine radikale, weite oder marginale Resektion (⊡ Tab. 25.5). Häufig ist eine Radikalität nur durch Amputation der Extremität zu erzielen. Hierfür bestehen 2 Indikationen: – Infiltration eines Gefäß-Nerven-Stranges und – ausgedehnter Muskelbefall. 2. Die neoadjuvante Chemotherapie bei Osteosarkom und Ewing-Sarkom verbessert die 5-Jahres-Überlebenszeit von nur 10–20% auf 70% beim Osteosarkom und auf etwa 50% beim Ewing-Sarkom. Dieses erweitere Behandlungskonzept beinhaltet eine primäre Induktionschemotherapie vor der operativen Lokaltherapie und einer postoperativen Fortsetzung der Chemotherapie. Die Chemotherapie hat das Ziel, klinisch latente Metastasen auszuschalten. Ihre Wirksamkeit wird v.a. durch ihre Nebenwirkungen limitiert. 3. Die Strahlentherapie spielt bei den primären Knochentumoren eine untergeordnete Rolle. Jedoch zeigen das Ewing-Sarkom und Metastasen eine gute Strahlensensibilität. Bei einer exakten Diagnose kann die optimale Behandlung der Fraktur gewählt werden: konservative Ruhigstellung, geschlossene oder offene Reposition mit in-
⊡ Tab. 25.5. Chirurgische Durchführung der Tumorresektion und Indikation (nach Enneking) Resektion
Technik
Indikation bei primär malignen Knochentumoren
intraläsional
intraoperative Tumoreröffnung, Resektionsgrenzen mikroskopisch oder makroskopisch kontaminiert
kontraindiziert
marginal
En-bloc-Resektion des Tumors, Resektionsgrenzen: tumorrandbildend, mikroskopisch Tumorreste möglich
gestattet bei Low-Grade-Tumoren bestimmter Entitäten, z.B. G1-Chondrosarkome an den Extremitäten; in schwierigen anatomischen Regionen wie z.B. Becken oft nicht günstiger möglich
weit
En-bloc-Resektion des Tumors, der reaktiven Kapsel und umgebenden gesunden Gewebsschicht, Resektionsgrenzen mikroskopisch und makroskopisch tumorfrei
in der Regel ausreichende Resektionsgrenze
radikal
Resektion des gesamten anatomischen Kompartiments
onkologisch sicherstes, jedoch selten notwendiges Verfahren
393 25.2 · Benigne Knochentumoren
terner Stabilisierung, mit oder ohne Kürettage, und Knochentransplantation. Die operative definitive Frakturbehandlung eines malignen Tumors erfolgt individuell und ist abhängig von Frakturdislokation, Stabilität, anatomischer Lokalisation und erwarteter Wirkung der Chemotherapie und der Bestrahlung. Außerdem sollte die Möglichkeit einer weiten Tumorresektion genutzt werden, um eine potenzielle Dissemination des Tumors im Frakturhämatom zu berücksichtigen. Pathologische Frakturen, die während oder nach der onkologischen Therapie (z.B. Bestrahlung eines Ewing-Sarkoms) auftreten, können mit lokalen Rezidiven, einer Progression der Erkrankung oder der Entwicklung eines zweiten Malignoms assoziiert sein. Das Ziel einer operativen Behandlung ist die sichere Tumorentfernung unter weitestgehendem Funktionserhalt. Die anspruchsvollen extremitätenerhaltenden Verfahren haben die früher vorwiegend durchgeführten Amputationen zahlenmäßig zurückgedrängt. In überregionalen Tumorbehandlungszentren werden die gleichen onkologischen Resultate wie bei Amputationen erreicht. Die Diskussion darüber, ob bei High-Grade-Tumoren extremitätenerhaltende Verfahren generell empfohlen werden sollten, ist noch nicht abgeschlossen. Im Zweifelsfall oder falls aus onkologischen Gründen nicht ersetzbare Strukturen (z.B. große Nerven) geopfert werden müssen, ist eine Amputation oder Exartikulation durchzuführen (»Life before Function«). Bei der extremitätenerhaltenden Operation gliedert sich die Therapie in Tumorresektion und in die in gleicher Sitzung durchzuführende Rekonstruktion des Knochendefekts. Neben Spezialendoprothesen (z.B. modulare scharniergeführte Kniegelenkendoprothese, Custommade Beckenteilersatz) und Umkehrplastiken werden vermehrt sog. biologische Rekonstruktionsverfahren unter Verwendung autogenen oder allogenen Knochens eingesetzt. Die Indikation ist abhängig von Tumorausdehnung, -entität und -lokalisation.
Ein charakteristisches Zeichen ist, dass es nach der Gabe von Acetylsalicylsäure zur Schmerzbesserung kommt. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich der ovale Tumor in
der Kortikalis liegend, mit einer ausgeprägten reaktiven Sklerosierungszone um einen kleinen zentralen, strahlendurchlässigeren Nidus (Nest). Dieser manifestiert sich im Röntgenbild als ovale Aufhellung mit einem Durchmesser von 3–5 mm. Mit dem Sklerosesaum erreicht der Tumor eine Größe von bis zu 2 cm. Die Diagnose stützt sich auf das Röntgenbild und die Schmerzbesserung nach der Gabe von Acetylsalicylsäure, welches als charakteristisch erachtet wird. Differenzialdiagnose. Brodie-Abszess, sklerosierende Osteomyelitis Garre sowie Überlastungsfrakturen müssen ausgeschlossen werden. Therapie. Die spontane Ausheilung (2–4 Jahre) oder
eine komplette operative Kürettage des Nidus (offene Enbloc-Resektion) bringt sichere Heilung, der Sklerosesaum braucht nicht entfernt zu werden. Die Prognose ist sehr gut. Eine maligne Entartung ist nicht bekannt.
25.2.2 Osteoblastom
25.2.1 Osteoidosteom
Bei einem Osteoblastom handelt es sich um einen benignen osteoblastischen Tumor. Er ähnelt dem Osteoidosteom, ist jedoch meist größer und kann ein Ausmaß von 2–10 cm erreichen. Er ist ein seltener Tumor (etwa 1% der primären Knochentumoren) und tritt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. Hauptlokalisationen sind in 40% der Fälle die dorsalen Wirbelelemente (Quer- und Dornfortsätze sowie die Wirbelbögen), außerdem die langen Röhrenknochen (Femur, Tibia, Humerus) (⊡ Abb. 25.3a,b). Das Osteoblastom ruft keine streng lokalisierten, mit Acetylsalicylsäure beherrschbaren Schmerzen hervor. Hauptbeschwerden sind langsam zunehmende Schmerzen, manchmal ist das Osteoblastom aber auch symptomarm; es wird oft durch einen Zufallsbefund erkannt.
Ein Osteoidosteom ist ein osteoblastischer Tumor der Kortikalis, der zwischen dem 10. und 30. Lebensjahr auftritt. Hauptlokalisationen sind die Dia-/Metaphysen der langen Röhrenknochen, u.a. die mediale Schenkelhalskompakta und die Tibia, seltener Wirbelbögen, Talus, Kalkaneus oder Os naviculare. Etwa 10% der gutartigen Knochentumoren sind Osteoidosteome. Osteoidosteome führen zu spontanen Schmerzen, besonders nachts, die in die Umgebung ausstrahlen.
Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich ein relativ strahlendurchlässiger, knochenbildender Herd mit einer Lysezone, der von einem dünnen Saum reaktiven Knochens umgeben wird. Aufgrund des unspezifischen Bildes ist eine Biopsie zur Diagnosesicherung erforderlich. Das CT dient zur präoperativen Diagnosesicherung (Nidus) und Operationsplanung. Die Szintigraphie zeigt die Anreicherung insbesondere in der Frühphase. Das Angiogramm wird bei aggressiv wachsenden Tumoren der Wirbelsäule als Staging-Methode eingesetzt.
25.2
Benigne Knochentumoren
25
394
Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
piell im gesamten Skelett ansiedeln. Sie sind die häufigsten Tumoren des Handskeletts. Die klinischen Zeichen sind diskret, oft werden sie durch Zufallsbefunde oder aufgrund einer Spontanfraktur entdeckt. Diagnose. Das Röntgenbild zeigt eine zentrale blasen-
artige Auftreibung des Knochens mit Ausdünnung der Kortikalis. Es ist eine scharfe Abgrenzung gegenüber den Knochenstrukturen zu erkennen. Während der Adoleszenz verknöchert das Knorpelgewebe. Diese Verkalkungen imponieren im Röntgenbild als zarte Kalkspritzer. Mit zunehmender Ausreifung verdichtet sich der Randsaum. Kommt es zur Usurierung der Kortikalis, kann das zu einer Spontanfraktur führen. Die MRT stellt die Ausdehnung des Tumors eindeutig dar.
25
Therapie. Asymptomatische solitäre Enchondrome gel-
⊡ Abb. 25.3a,b. Osteoblastom als osteoblastischer Tumor im spongiösen Knochen der Femurdiaphyse a im Nativröntgenbild und b im CT.
Differenzialdiagnose. Osteoidosteom, aneurysmatische Knochenzyste, eosinophiles Granulom, Riesenzelltumor des Knochens und Osteosarkom sind abzugrenzen. Therapie. Osteoblastome im Stadium 2 (aktiver Tumor innerhalb seiner Kapsel) lassen sich bei minimaler Rezidivneigung (<10%) en bloc exzidieren. Die Rezidivrate ist nach intrakapsulärer Entfernung (die angewendet wird, um Wirbelgelenkfunktionen zu erhalten) höher anzusetzen (10–30%). In einigen Fällen ist die maligne Entartung von aggressiven Osteoblastomen beschrieben worden.
25.2.3 Enchondrom
Beim Enchondrom handelt es sich um einen knorpelbildenden (hyaliner Knorpel) Tumor im Inneren eines Knochens, intratumorale Verkalkungen sind häufig. 10% aller benignen Tumoren sind Enchondrome. Solitäre Enchondrome kommen größtenteils bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor. Sie entwickeln sich an den kleinen Röhrenknochen der Hände und Füße sowie am proximalen Humerus, können sich aber prinzi-
ten als gutartig, sodass engmaschige klinische Kontrollen ausreichen. Wenn jedoch solitäre oder multiple Chondrome symptomatisch werden und sich zu vergrößern beginnen, sind Röntgenaufnahmen, Szintigraphie und CT zum Ausschluss einer Malignität angezeigt. Eine Operationsindikation besteht bei Schmerzen, Aktivitätszunahme in der Szintigraphie und den charakteristischen radiologischen Zeichen. Zur Verringerung des Rezidivrisikos muss der Tumor weit im Gesunden kürettiert werden, anschließend ist eine Spongiosaplastik indiziert. Die Prognose ist gut. Eine maligne Entartung asymptomatischer solitärer Enchondrome ist nur in 2% aller Fälle belegt (bei der Enchondromatose 10%).
25.2.4 Multiple Enchondromatose
(chondrale Dysplasie) Bei einer Skelettdysplasie treten Enchondrome multipel auf. Diagnose. Im Röntgenbild zeigen sich schon während des Kleinkindesalters Ansammlungen von strähnigen und blasigen Zeichnungen der Knorpelnester in normalem Knochengewebe mit der Gefahr von Wachstumsstörungen und Deformitäten. Eine maligne Entartung zu Chondrosarkomen ist möglich (25%). Bei multiplen Chondromen mit bevorzugtem Halbseitenbefall – als Morbus Ollier bezeichnet – kann es in 30–50% zur Entartung kommen. Zunehmende Auftreibungen müssen röntgenologisch, szintigraphisch und ggf. bioptisch kontrolliert werden. Bei der Kombination mit kavernösen Hämangiomen der Haut und inneren Organe spricht man vom Maffucci-
395 25.2 · Benigne Knochentumoren
Syndrom, welches fast regelmäßig zu einer sarkomatösen Entartung der Enchondrome führt. Außerdem kann es zu Karzinomentwicklung in inneren Organen führen.
25.2.5 Osteochondrom (osteokartilaginäre
Exostose) Das Osteochondrom ist der bekannteste und häufigste gutartige Tumor des Knochens (10–15% aller Knochentumoren). Die solitären, benignen Osteochondrome sind metaphysennah an langen Röhrenknochen wachsende pilzförmige Knochentumoren mit aufliegender Knorpelkappe, bevorzugt in Kniegelenknähe oder am proximalen Humerus, proximalen Femur, Becken und Schulterblatt lokalisiert. Mit dem Abschluss des Körperwachstums hört in der Regel auch sein Anwachsen auf. Das Wachstum ist immer zur Diaphyse hin gerichtet. Die Epiphysen bleiben stets frei. Zunächst fällt der Tumor als knochenharte, schmerzlose, an den betroffenen Knochen fixierte Geschwulst auf. Schmerzen und Funktionseinschränkung resultieren erst durch Irritation der bedeckenden Weichteile, welche von einer mit Flüssigkeit gefüllten Bursa ausgehen kann. Bei Flüssigkeitsverschiebungen in der Bursa ist eine fluktuierende Raumforderung tastbar. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich das typische breitba-
sige, pilzartige Wachstum an der Metaphyse mit Knorpelkappe und charakteristischem Trabekelknochenauswuchs und nur minimaler sklerotischer Reaktion. Der palpatorische und der radiologische Befund des pilzartigen Wachstums sind typisch. Ein MRT ist bei Verdacht auf Entartung angebracht. Die Szintigraphie zeigt die Anreicherung bei Jugendlichen, beim Erwachsenen ist keine Speicherung vorhanden.
Skelettsystem verteilten epiphysennahen Knochenauswüchsen. Dies ist oft kombiniert mit erheblichen Deformitäten, darunter Kleinwüchsigkeit, Trommelschlegelform des Radius und Achsfehlstellungen der unteren Extremitäten. Nach Wachstumsabschluss kann es in bis zu 2% der Fälle zur malignen Entartung kommen. Daher sollte bei Größenzunahme der Exostosen eine Röntgenkontrolle erfolgen. Therapie. Die Behandlung besteht in der operativen Ent-
fernung der klinisch störenden Exostosen. Bei multiplen Exostosen kommt die maligne Entartung gelegentlich vor. Verdächtig sind eine verkalkte Knorpelhaube über der Exostose und Wachstum im Erwachsenenalter.
25.2.7 Chondroblastom (Codman-Tumor)
Es handelt sich beim Chondroblastom um eine seltene (1% der benignen Knochentumoren), offenbar immer gutartige, schmerzhafte Neubildung bei Kindern vor dem Schluss der Epiphysenfugen aus relativ undifferenziertem, zellreichem Gewebe. Das Chondroblastom tritt vorwiegend bei Kindern und jungen Erwachsenen (zwei Drittel männliches Geschlecht) auf. Hauptlokalisationen dieses einzigen rein epiphysären Tumors sind die langen Röhrenknochen, vor allem der Bereich des Kniegelenks (distale Femur, proximale Tibia) oder des proximalen Humerus (⊡ Abb. 25.4a,b); der Tumor kann in die Metaphyse wachsen. Die Patienten klagen über anhaltende Schmerzen, Schwellung oder Funktionseinschränkung des betreffenden Gelenks.
Therapie. Bei aktiven Exostosen kann mit der kompletten Resektion des Tumors im gesunden Knochengewebe einschließlich der Knorpelkappe des Perichondriums und des Periosts das Rezidivrisiko minimiert werden. Solitäre Exostosen haben eine Rezidivrate von weniger als 5%. Die sarkomatöse Entartung ist bei solitären Exostosen extrem selten (1% der Fälle). Risiken sind eine dicke Knorpelkappe (>1 cm), Mehrspeicherung in der Szintigraphie beim Adulten und ein MRT-gesicherter Durchbruch des Tumors in die Weichteile (nicht verdrängend).
25.2.6 Multiple kartilaginäre Exostosen
Bei der autosomal-dominant vererbbaren Exostosenkrankheit kommt es zu zahlreichen über das gesamte
⊡ Abb. 25.4a,b. Chondroblastom als zystischer Tumor mit typischer Lokalisation in der Epiphyse der proximalen Tibia.
25
396
Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich ein röntgendurchlässiger zystischer Tumor, exzentrisch in der Epiphyse liegend, mit zarten, punktförmigen Verkalkungen, die auf einen knorpeligen Prozess hinweisen. Der Tumor wird von einem sklerotischen Randsaum scharf begrenzt. Durch das CT kann die Gewebsdichte, das Ausmaß der Epiphysenbeteiligung und – als wichtigster Befund – die Lokalisation in Bezug auf den Gelenk- und Epiphysenknorpel bestimmt werden.
Therapie. Eine Kürettage, ggf. eine Tumorexzision weit
im Gesunden zur Rezidivprophylaxe mit Spongiosaauffüllung oder eine Knochentransplantation sind vorzunehmen. Die Prognose ist gut, Rezidive nach inkompletter Entfernung sind häufig, eine maligne Entartung ist nicht bekannt.
25.2.9 Nichtossifizierendes Knochenfibrom Differenzialdiagnose. Die Erkennung des Chondroblas-
25
toms ist wichtig, da es mit Chondrosarkomen und Osteosarkomen verwechselt werden kann und folglich dann zu radikal therapiert wird. Außerdem ist es abzugrenzen von dem nichtossifizierenden Knochenfibrom, der aneurysmatischen Knochenzyste und dem Riesenzelltumor. Therapie. Da Chondroblastome oft den subchondralen Knochen durchsetzen und bis in den Gelenkknorpel reichen, bereiten die Kürettage und die Rekonstruktion mit Spongiosaplastik Schwierigkeiten. Da der Tumor meist kurz vor der Skelettreife auftritt, kann die verbleibende Epiphyse mitkürettiert werden, wodurch der Epiphysenfugenschluss begünstigt und einer Achsfehlstellung im Verlauf entgegengewirkt wird. Grundsätzlich werden aktive Tumoren mit erhaltener Kapsel entlang der Tumorbegrenzung exzidiert und mit Spongiosa aufgefüllt, ansonsten weit im Gesunden reseziert. Die Prognose ist gut, der Tumor wächst langsam, kann jedoch in das Gelenk einbrechen und zu schweren Destruktionen führen. Rezidive bei Stadium III nach Kürettage liegen bei ca. 50%.
25.2.8 Chondromyxoidfibrom
(NOF) Das nichtossifizierende Knochenfibrom (NOF) stellt die häufigste Knochenläsion dar. Durch benigne Proliferation von Fibroblasten kommt es zu einem fibrösen kortikalen Defekt. Makroskopisch erscheint der Tumor braun-gelb. Die Hauptlokalisation ist die Metaphyse langer Röhrenknochen, das NOF tritt zu drei Viertel in der distalen Femurmetaphyse oder distalen Tibiametaphyse auf und liegt exzentrisch (⊡ Abb. 25.5). Die Altersgruppe liegt zwischen 10 und 25 Jahren mit geringer Bevorzugung des männlichen Geschlechts. Der klinische Befund ist meist asymptomatisch, eventuell tritt ein Belastungsschmerz auf; selten kommt es zur Spontanfraktur. Mit der Skelettreife wird das NOF inaktiv und verknöchert schließlich. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich ein charakteristi-
scher, exzentrischer, traubenförmiger Spongiosa-Kortikalis-Defekt. Die Osteolyse erscheint mit schmaler Randsklerose und fibrösem Kortikalisdefekt und scharfer Abgrenzung zum gesunden Knochen. Aufgrund des »typischen« radiologischen Befundes ist eine Anhiebsdiagnose zulässig! Ab dem 20. Lebensjahr kommt es bei diesem Knochentumor zur Selbstheilung.
Das Chondromyxoidfibrom ist ein seltener, benigner, aus chondromatösen und myxomatösen Anteilen aufgebauter Tumor und wächst vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen an den Metaphysen der langen Röhrenknochen, am Becken oder in den Fußknochen. Die Patienten haben geringe oder keine Schmerzen. Oft wird das Chondromyxoidfibrom erst erkannt durch Zufallsbefund oder durch eine pathologische Fraktur. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich ein strahlendurchlässiger, zystisch-blasiger, exzentrischer Defekt ohne die bei einem knorpeligen Tumor üblichen Kalzifikationszeichen, scharfe Abgrenzung und Kortikalisverdünnung. Es ist keine trabekuläre Binnenstruktur zu erkennen. Differenzialdiagnose. Das nichtossifizierende Knochenfibrom und die aneurysmatische Knochenzyste sind auszuschließen.
⊡ Abb. 25.5. Nichtossifizierendes Fibrom (NOF), liegt exzentrisch, der Kompakta aufsitzend mit typischer, girlandenförmiger, polyzyklischer Begrenzung.
397 25.3 · Maligne Knochentumoren
Therapie. Bei kleinen Herden ist keine Behandlung not-
wendig. Wenn bei großen Tumoren (Hälfte des Schaftdurchmessers) eine Spontanfraktur droht, ist ggf. frühzeitig eine intrakapsuläre Kürettage mit Spongiosaauffüllung erforderlich. Eine nichtdislozierte, stabile Fraktur kann gewöhnlich durch eine konservative Behandlung ausheilen, die Inzidenz einer Refraktur ist niedrig. Eine operative Versorgung ist nur bei Frakturdislokation oder Instabilität indiziert.
25.3
Maligne Knochentumoren
25.3.1 Osteosarkom
Das Osteosarkom ist der häufigste primär maligne, osteoblastische Knochentumor im Kindesalter mit frühzeitiger Metastasierung. Histologisch besteht der Tumor aus polymorphen knochenbildenden Zellen (Osteoblasten, Osteozyten) mesenchymalen Ursprungs. Das Osteosarkom manifestiert sich in der Adoleszenz (Altersgruppe zwischen 10 und 25 Jahren) und ist bei Männern etwas häufiger als bei Frauen. Hauptlokalisation sind die Metaphysen der langen Röhrenknochen mit bevorzugtem Sitz in der Knieregion (50% in der distalen Femurmetaphyse oder proximalen Tibiametaphyse), außerdem der proximale Humerus, das hüftgelenknahe Femur und das Becken (⊡ Abb. 25.6a–d). Eine Exposition mit radioaktiven Substanzen erhöht die Gefahr einer Osteosarkomentwicklung. Als Erstsymptom imponiert eine druckdolente knöcherne Prominenz. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind die Weichteile oft bereits infiltriert. Die Hauptsymptome sind Schmerzen (auch in Ruhe anhaltend, oft nachts), Schwellung, oft Erwärmung und Rötung im Tumorgebiet. Häufig finden sich eine eingeschränkte Beweglichkeit und ein allgemeines Krankheitsgefühl. Die alkalische Phosphatase ist erhöht. Bei raschem, aggressivem Wachstum kommt es oft zur schnellen Metastasierung (hämatogen), besonders in die Lunge. Diagnose. Im Röntgenbild finden sich alle Zeichen des
malignen Tumorwachstums mit fleckigen, unscharfen, wie ausradierten Osteolysen in der Metaphyse und pathologischen Knochenneubildungen sowie typischen Periostalreaktionen (Codman-Sporn, Spikulae, Sunburst Pattern, Zwiebelschalen), die auf ein malignes Geschehen hinweisen. Die Begrenzung zum gesunden Knochen ist unscharf. Das MRT gibt exakt Aufschluss über die Tumorausdehnung und die Weichteilinfiltrationen sowie die Beziehung des Tumors zu Faszienlagen und größeren Muskeln. Die CT ist wichtig, um die intraossäre Ausdehnung des Tumors und Lungenmetastasen zu bestimmen. (Bereits
⊡ Abb. 25.6a,b. Osteosarkom in der Metaphyse des proximalen Humerus mit teils osteoblastischer, teils osteolytischer Knochendestruktion; c,d. unscharfe Begrenzung zum gesunden Knochen und maligne Periostveränderungen sowie pathologische Femurfraktur aufgrund eines Osteosarkoms.
15% der Patienten haben bei der Erstdiagnose Metastasen in der Lunge, in den Knochen oder im Gehirn). Die Knochenszintigraphie kann frühzeitig Hinweise auf Metastasen liefern.
25
398
Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
Staginguntersuchungen sind neben der Diagnosesicherung unverzichtbar zur Verlaufsbeobachtung unter einer Chemotherapie und zur Planung des operativen Vorgehens. Entscheidend für die Diagnose ist die Biopsie. Differenzialdiagnose. Es sind das Ewing-Sarkom, eine Osteomyelitis sowie ein aggressives Osteoblastom abzugrenzen. Therapie. Im Falle einer pathologischen Fraktur auf-
25
grund dieses malignen primären Knochentumors sollte zunächst die vorangeschaltete neoadjuvante Polychemotherapie (COSS-Studie) durchgeführt werden. Die primäre Frakturbehandlung erfolgt zunächst durch einfache Ruhigstellung im Gips, durch Schiene oder Traktionsbehandlung. Die definitive operative Therapie sollte erst nach Diagnosesicherung (klinischer, radiologischer und histologischer Befund) und multidisziplinärer Absprache (onkologischer Chirurg, Radiologe, Pathologe) erfolgen. Nach der radikalen Resektion des Tumors als Lokaltherapie (Tumorprothese, Umkehrplastik, Amputation) erfolgt eine zweite, nachfolgende Polychemotherapie. Durch dieses Behandlungsschema ist zurzeit eine 5-Jahres-Überlebensrate von 60–70% erreichbar. Das Osteosarkom ist wenig strahlensensibel.
25.3.2 Ewing-Sarkom
Das Ewing-Sarkom ist nach dem Osteosarkom der zweithäufigste maligne Skeletttumor bei Kindern, vorwiegend betroffen sind männliche junge Erwachsene mit höchster Letalität aller Knochentumoren. Ausgangsmaterial sind wahrscheinlich undifferenzierte Mesenchymzellen des Knochenmarks. Das Ewing-Sarkom macht etwa 7% aller primären malignen Knochenerkrankungen aus. Das Manifestationsalter liegt zwischen 10 und 25 Jahren. Betroffen sind bevorzugt Männer, aber nur selten negroide Menschen. Die häufigste Lokalisation ist die Diaphyse/Metadiaphyse des Femurs, darauf folgen Os ilium, Tibia, Humerus, Fibula und Rippen (⊡ Abb. 25.7a,b). Die initiale Symptomatik besteht in einem sich vergrößernden druckdolenten Knochenvorsprung mit einer ausgedehnten Weichteilschwellung sowie in konstitutionellen Beschwerden (subfebriles Fieber, das periodisch auftritt, allgemeines Krankheitsgefühl, Gewichtsverlust, Apathie), einer mäßigen Leukozytose, einer Anämie und einer erhöhten BSG. Oft wird dem Krankheitsverlauf die verhängnisvolle Verwechslung mit Entzündungen (Osteomyelitis!) zugeschrieben. Der Tumor wächst rasch und überaus bösartig im Knochenmark, macht an der Kortikalis nicht Halt und wuchert in die Weichteile ein. Es erfolgt eine frühe hä-
⊡ Abb. 25.7a,b. Ewing-Sarkom der proximalen Tibia bei einem 10jährigen Jungen, zunächst fälschlich als Osteomyelitis missdeutet.
matogene Metastasierung in die Lunge. Bei Diagnosestellung werden meistens bereits 25% Lungenmetastasen beobachtet. Diagnose. Im Röntgenbild zeigen sich unterschiedliche
Bilder, teils umschriebene, teils fleckige Destruktionen mit unscharfer Grenze und periostalen Reaktionen (Zwiebelschalen, Spikulae, Codman-Dreieck). Durch rasches Tumorwachstum kommt es zur Knochendestruktion mit sog. Mottenfraßnekrosen, insbesondere der Kortikalis. Aufgrund des schnellen Wachstums können die Periostreaktionen schwach sein oder fehlen. Da keine pathomorphologischen Veränderungen auftreten, kann eine Osteomyelitis nicht sicher ausgeschlossen werden. Im Angiogramm zeigt sich ein gefäßreicher Tumor mit Gefäßabbrüchen, Kaliberschwankungen und a.-v. Anastomosen. Mittels einer Sonographie des Abdomens wird nach intraabdominellen Metastasen gesucht. Mit dem CT und MRT werden die lokale Tumorausbreitung und die Beteiligung der Weichteile erfasst. Zur Diagnosesicherung ist eine Biopsie erforderlich. Differenzialdiagnose. Osteomyelitis, Osteosarkom, eosinophiles Granulom, im Kleinkindesalter Metastase eines Neuroblastoms, Leukämieinfiltrate und Non-HodgkinLymphome sind vom Ewing-Sarkom abzugrenzen. Therapie. Zunächst erfolgt die präoperative neoadjuvante Polychemotherapie (EuroEwing), anschließend eine radikale chirurgische Entfernung des Tumors (Tumorprothese, Umkehrplastik, Amputation) mit Nachbestrahlung und danach eine erneute Polychemotherapie. Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt 50%. Im Gegensatz zum Osteosarkom weist das EwingSarkom eine hohe Strahlensensibilität auf. Im Falle einer pathologischen Fraktur siehe Therapiebehandlung des Osteosarkoms.
399 25.5 · Tumorähnliche Knochenläsionen
25.3.3 Fibrosarkom
Das Fibrosarkom ist meist bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen anzutreffen. Es entsteht als druckdolente Geschwulst in den langen Röhrenknochen. Bevorzugte Lokalisationen sind die Metaphysen der Röhrenknochen, der Schädelknochen, Becken und Wirbel. Das Fibrosarkom wächst gewöhnlich langsam und setzt spät Metastasen. Hauptbeschwerden sind Schwellung, Spontan- und Druckschmerz und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung bei Sitz des Sarkoms in Gelenknähe wegen des großen Weichteilanteils. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich eine unscharf begrenzte, destruktive, röntgentransparente metaphysäre Osteolyse (Mottenfraß). Therapie. Frühzeitig soll eine radikale Entfernung durch En-bloc-Resektion, Amputation oder Exartikulation erfolgen. Im Frühstadium reichen extremitätenerhaltende Eingriffe mit einem Sicherheitsabstand. Fibrosarkome verhalten sich gegenüber den Zytostatika weitgehend resistent. Im fortgeschrittenen Stadium müssen Fibrosarkome mit onkologischer Radikalität weit im Gesunden entfernt und mit einer adjuvanten Chemo- und Radiotherapie nachbehandelt werden.
25.4
Semimaligne Tumoren
25.4.1 Riesenzelltumor (Osteoklastom)
Riesenzelltumoren entstehen wahrscheinlich aus nichtosteogenen Bindegewebszellen des Knochenmarks. Die Hälfte dieser Geschwülste bleibt gutartig, ein Drittel ist fakultativ als maligne anzusehen. Etwa 15% der Tumoren zeigen malignes invasives und destruktives Wachstum. Die Dignität lässt sich jedoch weder im Röntgenbild noch histologisch klären. Der Altersgipfel liegt zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr, jedoch auch bei Jugendlichen kann der Riesenzelltumor beobachtet werden. Die Hauptlokalisation ist die Epiphyse der langen Röhrenknochen. Bei Patienten mit geschlossener Epiphysenfuge liegt der Tumor epiphysär-metaphysär, bei offenen Fugen rein metaphysär, besonders in der Knieregion und im distalen Radius (⊡ Abb. 25.8a,b). Schmerzen treten frühzeitig auf. Schwellung, Bewegungseinschränkung und Spontanfrakturen kommen vor, je nach Sitz des Tumors. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich eine exzentrisch epi-
physär-metaphysär lokalisierte, großblasig gekammerte
⊡ Abb. 25.8a,b. Riesenzelltumor, der die laterale Femurkondyle ausfüllt. Der Tumor überschreitet nach Epiphysenschluss die ehemalige Grenze (epiphysär-metaphysäre Lage) und reicht bis unter den Gelenkknorpel.
Osteolyse mit Auftreibung des Knochens und verdünnter, manchmal arrodierter Kortikalis; zum Teil schlecht abgrenzbar zum gesunden Knochen ohne Sklerosesaum. Das MRT zeigt den soliden Inhalt des Tumor (DD aneurysmatische Knochenzyste). Differenzialdiagnose. Die Abgrenzung gegenüber ande-
ren zystischen Knochenprozessen (benignes Osteo- und Chondroblastom, Knochenfibrom, juvenile und aneurysmatische Knochenzysten) und den primär malignen Knochentumoren erfordert unbedingt eine bioptische Klärung. Therapie. Im Stadium I nach Enneking erfolgt eine Kü-
rettage, im Stadium II eine marginale Kürettage, im Stadium III eine radikale Resektion des Knochens, eine Phenolisierung und temporäre Auffüllung mittels Knochenzement. Nach 1–2 Jahren Rezidivfreiheit wird dann der autoplastische Aufbau durch Knochentransplantation vorgenommen. (Bei alleiniger Kürettage des Tumors 40–60% Rezidivrate mit gesteigertem Malignitätsgrad.)
25.5
Tumorähnliche Knochenläsionen
25.5.1 Solitäre Knochenzyste
Die solitäre Knochenzyste tritt aufgrund eines gestörten Wachstums im Bereich der Epiphysenlinie als eine einkammerige, mit gelblich-seröser Flüssigkeit gefüllte, expansiv wachsende Knochenzyste auf. Das Manifestationsalter liegt zwischen dem 8. und 15. Lebensjahr, mit zunehmendem Alter verschwinden die solitären Knochenzysten meist. Hauptlokalisationen sind die Metaphysen des proximalen und distalen Femur sowie des proximalen
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400
Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
tikal, um das Risiko einer Refraktur bei Persistenz der Zyste zu reduzieren. Trotz einer hohen Rezidivrate (10–40%) und oft erforderlichen Reoperationen ist die Prognose gut. Es besteht keine Neigung zu Malignität.
25.5.2 Aneurysmatische Knochenzyste
25 ⊡ Abb. 25.9. Solitäre juvenile Knochenzyste mit Auftreibung und Ausdünnung der Kortikalis in der proximalen Humerusmetaphyse. Die Läsion respektiert die Wachstumsfuge. Die Behandlung erfolgte durch Lochschraube.
Humerus. Der Tumor respektiert die Wachstumsfuge (⊡ Abb. 25.9). Nach erfolgtem Wachstum liegt die Zyste diaphysär. Im jungen Erwachsenenalter wird die Zyste inaktiv. Nach der Skelettreifung ossifiziert die Läsion langsam. Zunächst ist die solitäre Knochenzyste meist symptomlos, Symptome treten erst bei Spontanfrakturen auf. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich ein rundlicher, meist zentral gelegener Defekt im Markraum (große Osteolyse und Verdünnung der Kortikalis) mit einer kolbigen Auftreibung der Metaphyse. Das umgebende spongiöse Gewebe zeigt eine zarte Randsklerose. Differenzialdiagnose zum Riesenzelltumor: liegt nie in der Epiphyse. Differenzialdiagnose zur aneurysmatischen Knochenzyste: Der Durchmesser der Zyste ist nie breiter als der der dazugehörigen Epiphysenfuge, die Zyste zeigt kein expansives Wachstum. Differenzialdiagnose zur fibrösen Dysplasie: Bei der fibrösen Dysplasie ist die Aufhellung der Zyste milchglasartig, nicht homogen; die monoostotischen Herde liegen exzentrisch und nicht zentral und befinden sich außerdem in der Diaphyse, nicht metaphysär. Therapie. Bei Spontanfraktur zunächst konservative Ruhigstellung (4–6 Wochen), da sich durch Kallusbildung die Zyste auffüllen kann. Oft ist die Fraktur nach 6 Wochen geheilt, jedoch persistiert die Zyste. Bei Beschwerdepersistenz erfolgt eine Kürettage, eine Spongiosaauffüllung und interne Stabilisierung, evtl. eine Druckentlastung der Zyste durch Implantation von Lochschrauben und ggf. eine Injektion von Methylprednisolon intrazys-
Aneurysmatische Knochenzysten machen 1–2% aller benignen Knochentumoren mit osteolytischer Gewebsdysplasie aus, die kavernöse Hohlräume bildet, welche mit Blut gefüllt sind. Sie kommen meist solitär in den Metaphysen bzw. Metaepiphysen der langen Röhrenknochen, im Becken und in den Wirbelkörpern vor. Die Knochenzyste führt zu einer expansiven Destruktion mit papierdünner, blasig aufgetriebener Kortikalis (⊡ Abb. 25.10a–c). Es besteht Frakturgefahr! Betroffen sind vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene (bis zum 25. Lebensjahr). Klinisch ist die aneurysmatische Knochenzyste meist durch eine schmerzhafte Schwellung auffallend, bei Sitz in der Wirbelsäule können evtl. Wurzelsymptome, Parästhesien oder Paresen auftreten. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich eine strahlendurchlässige, umschriebene, scharf begrenzte, mehrkammerige großblasige exzentrische Zyste. Es bildet sich eine reaktive periostale Knochenneubildung als Begrenzung. Bei Kindern brechen gutartige Zysten manchmal in Gelenkflächen oder Epiphysen ein. Bei Zeichen einer epiphysären Penetration muss eine Staginguntersuchung zum Ausschluss eines Malignoms durchgeführt werden. Die CT und MRT zeigen die exakte Ausbreitung und die Dichte der Läsion. Differenzialdiagnose zum Riesenzelltumor: Dieser zeigt einen soliden Inhalt, einen anderen Altersgipfel und liegt meist epiphysär. Differenzialdiagnose zur solitären Knochenzyste: s.o. Differenzialdiagnose zum teleangiektatischen Osteosarkom. Therapie. Eine Kürettage des Tumors oder eine En-bloc-
Resektion und Spongiosa- bzw. Spanauffüllung hat zu erfolgen. Im Bereich der Wirbelsäule ist die Resektion oft schwierig, da Wirbelbögen und Wirbelkörper betroffen sein können, daher ist die Rezidivrate hoch (20–30%). Zur Senkung der Rezidivraten werden Knochenzement und kältechirurgische Methoden angewendet. Bei der Eröffnung einer aktiven Zyste können massive Blutungen auftreten, die erst sistieren, wenn die Zystenauskleidung vollständig entfernt wurde. Primäre aneurysmatische Knochenzysten haben eine ausgezeichnete Prognose. Beschwerden treten meist aufgrund schwerer Destruktionen mit Gelenkbeteiligung auf.
401 25.5 · Tumorähnliche Knochenläsionen
⊡ Abb. 25.10a–c. Aneurysmatische Knochenzyste mit blasiger Auftreibung der Ulna (a), sowie in der proximalen Tiba (b, c). Der Defekt ist von vielfach gekammerten, flüssigkeitsgefüllten Hohlräumen durchsetzt.
Einige pathologische Frakturen können durch konservative Behandlung ausheilen, jedoch ist oft eine operative Therapie der aneurysmatischen Knochenzyste notwendig. Bei dislozierten oder instabilen Frakturen, besonders in gewichtstragenden Knochen (z.B. Femur) sind eine offene Resektion der Zyste und eine interne Stabilisierung notwendig. Es ist anzumerken, dass die meisten aneurysmatischen Knochenzysten aktiv sind und eine Progredienz bei der konservativen Behandlung haben. Wurde zunächst keine operative Therapie gewählt, sollte eine engmaschige klinische und radiologische Kontrolle (4–6 Wochen) erfolgen, um eine Progredienz frühzeitig zu erkennen.
25.5.3 Fibröse Dysplasie
(Morbus Jaffé-Lichtenstein) Die fibröse Dysplasie ist eine benigne, nichtfamiliäre Knochenfehldifferenzierung mit Bildung von unreifem fibrösem Gewebe und kleinen Trabekelknochenfragmenten. Es handelt sich um eine Krankheit des kindlichen Skeletts. Hauptmanifestationsalter ist die Altersgruppe im 1.–2. Lebensjahrzehnt mit geringer Bevorzugung des weiblichen Geschlechts. Bei Kindern unter 10 Jahren befällt er vorwiegend die Tibia, wo sich häufig eine Tibiapseudarthrose entwickelt. Dort wird der Tumor auch als osteofibröse Dysplasie (Campanacci) bezeichnet. Monostotische Herde (75% der Fälle) sind vor allem im proximalen Femur (⊡ Abb. 25.11), in der proximalen Tibia, im Unterkiefer und in den Rippen lokalisiert. Am Röhrenknochen ist die Läsion in der Metaphyse und Diaphyse. Charakteristisch für die fibröse Dysplasie ist bei ausgedehntem Befall des proximalen Femurs die »Hirtenstabdeformität«.
⊡ Abb. 25.11. Fibröse Dysplasie mit zunehmender Deformität (Hirtenstabdeformität) und Spontanfraktur des rechten proximalen Femurs.
Hauptbeschwerden sind Schmerzen, Auftreibung und zunehmende Deformität des Knochens mit der Gefahr einer Spontanfraktur (Hirtenstabverkrümmung des Femurs, Coxa vara, vermehrte Antekurvation der Tibia). Die Erkrankung kann monostotisch, polyostotisch oder zusammen mit Pubertas praecox und Pigmentanomalien (Cafe-au-Lait-Flecken) als McCune-Albright-Syndrom auftreten. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich eine aufgetriebene Kortikalis mit osteolytischen Herden, die von strähnigen trabekulären Verdichtungen durchzogen sind. Im Bereich der Tibia kommt es zur Ausweitung des Markraums, was schließlich zur Spontanfraktur führt. Aufgrund einer schlechten Heilungstendenz entwickelt sich eine Pseudarthrose, die schwer behandelbar ist. Es zeigen sich große osteolytische Herde und eine typisch milchglasartige Trübung, die auf die mangelhafte Mineralisation des unreifen, dysplastischen Knochens zurückzuführen ist. Kleine Herde sind nicht immer einfach von anderen gutartigen Läsionen abzugrenzen. Die Suche nach weiteren Herden erfolgt mittels Knochenszintigramm. Zur Diagnosesicherung ist ggf. eine Biopsie erforderlich. Differenzialdiagnose. Sie umfasst alle osteolytischen und
chondromatösen Tumoren, besonders Knochenfibrome und Chondrome sowie den primären Hyperparathyreoidismus (Überfunktion der Nebenschilddrüse, Osteoporose, zystischer brauner Tumor). Therapie. Die Läsion erfordert an sich keine Behandlung,
sodass nur eine klinische Kontrolle im Verlauf erfolgt. Die operative Therapie ist bei einer progressiven Deformität indiziert, um pathologische Frakturen und Deformitäten zu verhindern oder zu behandeln. Das Be-
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Kapitel 25 · Knochentumoren und pathologische Frakturen
handlungsziel ist nicht die Eradikation der Erkrankung, sondern die Stabilisierung und biomechanische Verbesserung des erweichten Knochens, besonders im proximalen Femur. Bei Tibiapseudarthrosen ist eine absolute Stabilisierung mit Defektauffüllung erforderlich. Das Krankheitsbild ist langwierig mit bislang nicht befriedigenden Therapieergebnissen. Im Wachstumsalter kann es auch nach Kürettagen und Kortikospongiosaplastik zu Rezidiven mit dysplastischem Knochen kommen. Mit zunehmender Skelettreife schreitet die fibröse Dysplasie nicht mehr voran, sie bleibt stabil. Entscheidend ist die Prophylaxe von Deformitäten und Frakturen. Pathologische Frakturen werden nach den Regeln der Traumatologie versorgt. Das Osteosynthesematerial verbleibt bis zum Wachstumsabschluss. Monostotische Herde haben meist eine günstige Prognose. Polyostotische Herde sind häufig aktiver und aggressiver, sie können gelegentlich maligne entarten.
25.5.4 Eosinophiles Granulom (Langerhans-
Zell-Histiozytose, Histiocytosis X) Das eosinophile Granulom ist eine benigne, solitär vorkommende osteolytische Läsion des Knochens. Diese Störung wird den retikuloendothelialen proliferativen Prozessen zugeordnet, zu denen man auch die HandSchüller-Christian- und die Abt-Letterer-Siwe-Erkrankung zählt. Histologisch zeigen sich histiozytäre Zellbeete mit abszessartig eingelagerten eosinophilen Granulozyten (»Osteomyelitis mit eosinophiler Reaktion«). Vorwiegende Lokalisationen sind die Schädelknochen, Humerus, Rippen, proximale Femurepiphyse, Klavikula, Sternum, Tibia oder Fibula. Der Prozess kann extrem schnell fortschreiten zerstört die Kortikalis und führt beim Durchbruch zu periostalen Reaktionen. In 75% der Fälle tritt der Tumor im Jugendalter auf. Das männliche Geschlecht ist öfters betroffen (M:F=2:1). Zunächst sind die Tumoren asymptomatisch, können aber bei schnellem Wachstum zu heftigen, lokalen Schmerzen, Schwellungen, Erwärmungen und pathologischen Frakturen führen. Diagnose. Im Röntgenbild zeigt sich ein osteolytischer Defekt mit Arrosion der Kortikalis und evtl. periostaler Knochenneubildung, typisch ist die diaphysäre Lage. Eine bioptische Klärung ist ausnahmslos anzustreben. Differenzialdiagnose. Vor allem sind das Ewing-Sarkom,
die fibröse Dysplasie und die Osteomyelitis abzugrenzen. Therapie. Das eosinophile Granulom hat eine starke Ten-
denz zur Spontanheilung. Oft ist eine operative Maß-
nahme nicht notwendig, mit Ausnahme einer Biopsie zum Ausschluss eines malignen Tumors. Die Kürettage und Spongiosaauffüllung sind zur Sanierung eines solitären Herdes ausreichend. Es sollte der kleinstmögliche Eingriff durchgeführt werden. Außerdem ist der Tumor strahlensensibel. Bei multiplem Knochenbefall oder dem Befall innerer Organe ist eine milde Chemotherapie indiziert.
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Literaturverzeichnis
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Kapitel 26 · Literaturverzeichnis
Allgemeiner Teil 1
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Knochenwachstum und Knochenheilung
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Frakturklassifikationen im Kindesalter
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Spezieller Teil 11
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26
Stichwortverzeichnis
A AC-Gelenk-Verletzungen 113 Aitken 12 Akromioklavikulargelen 118 Allen-Test 76 Altersverteilung 32 Antibiotikaprophylaxe 106 Antibiotikatherapie 107 Apophysenausrisse 45 Apophysenlösung 249, 252 Arterienverletzung 76 Atlantoaxiale Dislokation (AAD) 369, 370 Atlantookzipitale Dislokation 366, 367 Atlasfrakturen 368 Ausrisse der Tuberositas tibiae 282 AV-Fistel 78 Apophysenabrissfrakturen 227 Axis- und Densfraktur 372 Axonotmesis 80 Azetabulumfraktur 228, 238, 240 – Klassifikation nach Salter/ Harris 238 – Klassifikation nach Letournel 239
B Bakterielle Coxitis 255 Bandagen – Desault 51 – Gilchrist 51 – Velpeau 51 Bandausrisse 45 Bankart-Läsion 124 Battered Child 43, 278 Becken – Azetabulumfrakturen 238 – Beckenrand- und Beckenringfrakturen 230 – Klassifikation 228 – Komplexverletzungen 241 – Ossifikationszentren 226 – technische Aspekte 243 – Wachstumszentren 226 Becken-Bein-Gips 263 Beckenrand- und Beckenringfrakturen 230 Beckenring, Beckenrandfraktur 232 Beckenringfraktur – isolierte Symphysensprengung 234 – Klassifikation nach Pennal und Tile 231 – Typ B1 (Open-Book-Fraktur) 235
– Typ B2 (laterale Kompression) 236 – Typ C 237 – vordere 233 Beckenschaufelfraktur 228 Bennett-Fraktur 213 Beugesehnen 91 – Nachbehandlung nach Kleinert 92 – Zonen der Beugesehnenscheiden 88 Biegungsbruch (plastische Fraktur oder Bowing Fracture) 44 Blount-Schlinge 145 – Cuff’n Collar 54 Blount-Verband 147 Bowing Fracture 15, 189 Buddy-Splints 220, 222
C Capitulum humeri 142 Chassaignac-Luxation 169, 171 Chondroblastom 395 Chondromyxoidfibrom 396 Condylus radialis 157, 159 Condylus ulnaris 142, 157, 159 Coxitis fugax 250, 254 Cubitus varus 146
420
Stichwortverzeichnis
D Destot-Zeichen 230 Distales Radioulnargelenk (DRUG) 188 Distorsionstrauma des Sprunggelenks 327 Drehmann-Zeichen 257
E Earle-Zeichen 230 Ellenbogen, Knochenkern 142 Ellenbogenluxation 157, 161 Eminentia-intercondylaris-Ausriss 295, 298 EndCaps 72 Eosinophiles Granulom 402 Epicondylus radialis 142 Epicondylus ulnaris 142 Epiphysenfugenschluss 39 Epiphysenlösung 12 – Aitken I 14 – Salter-Harris I 14 – Salter-Harris II 14 Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) 250, 257 – Trochanter-Flip-Osteotomie 258 ESIN (elastisch-stabile intramedulläre Nagelung) – Operationstechnik 69 Ewing-Sarkom 398 Exostose – kartilaginäre 395 Extension – Overhead-Extension 54 – Pflasterextension 53
F Fat-Pad-Zeichen 43, 142 Faustgips 92 Femur – Becken-Bein-Gips 269 – Distales Femur: suprakondyläre Fraktur 268 – ESIN 270 – Femurschaftmehrfragmentfraktur 267
– Femurschaftquerfraktur 265 – Femurschaftschrägfraktur 266 – Fixateur externe 270 – Fugenschluss 262 – Knochenkerne 262 – Korrekturmöglichkeit 263 – Overheadextension 269 – Subtrochantäre proximale Femurfraktur 264 – technische Aspekte 269 – Therapie 263 Femurkopf – Fraktur des proximalen Femurs 247, 251 – Klassifikation 247 – Kopfdurchblutung 246 – technische Aspekte 258 – Wachstumskerne 246 Femurkopfnekrose 249 Fibrosarkom 399 Fibröse Dysplasie 401 Fibulare Bandläsion 328 Fingerfraktur 223 Fingerluxation Fixateur externe 73 Floating Shoulder 123, 130 Fraktur – okkulte 42 – osteochondrale, Flake Fractures 44 – pathologische 47, 387 Fuß 339 Fußwurzelfraktur 346
G Galeazzi-Fraktur 187, 188 Gefäßverschlüsse 77 Gelenkfraktur 12 Gesamtfrakturrisiko 32 Gips – spezielle Gipstechniken 58 – Technische Besonderheiten 56 Gipskeilung 51, 57 – Komplikationen 53 – Technik 52 Gipsruhigstellung 51 Glenohumerale Luxation 126 Glenoidfrakturen 122 Grünholzfraktur 44 – Biegungsbrüche 14
H Hämarthros 295 Hand 206 – K-Draht-Osteosynthese 209 – konservative Therapie 209 – operative Therapie 209 – Ossifikationszentrum 208 Handwurzel 207 – Klassifikation der Handwurzelverletzungen 207 Handwurzelverletzung 206 Harris-Linie 42 Heilungszeiten, Konsolidationszeiten 4 Hill-Sachs-Delle 125 Hüfte 246 – technische Aspekte 258 Hüftluxation 228 Humerusfraktur – epikondyläre distale 157, 158 – – Pseudarthrosen 159 – – Schraubenosteosynthese 159 – proximale 134 – – ESIN 137 – – K-Draht-Fixation 137 – – Ossifikationszentrum 132 – – technische Aspekte 137 – subkapitale 134 – suprakondyläre 143 – – ESIN 149 – – Fixateur externe 149 – – K-Draht-Osteosynthese 149 – – Klassifikation nach von Laer 144 – – Salter-I-Verletzung – Epiphysenlösung 144 – – Typ I 145 – – Typ II 146 – – Typ III 148 – transkondyläre distale 157 HWS 359
I Iliosakralgelenkssprengung 228 Intraligamentärer Kreuzbandriss 299 Intrinsic-Plus-Stellung 214, 215, 220
421 Stichwortverzeichnis
J Joy-Stick-Technik. 73
K Kalkaneusfraktur 344 Kantenabsprengungen (Corner-Sign), metaphysäre 43 Kindesmisshandlung 262 Klassifikation – AO-Klassifikation 20 – Li-La-Klassifikation 24 Klassifikation offener Frakturen nach Gustilo und Anderson 106 Klavikula, technische Aspekte 117 Klavikulafraktur 112 Klein-Tangente 250 Knie – Ausrisse der Tuberositas tibiae 282 – Bandverletzungen am kindlichen Knie 295 – Distales Femur: Epiphysäre und epi-metaphysäre Frakturen 279 – Distales Femur: Epiphysenlösungen 278 – Einteilung nach Meyers und McKeever 295 – ESIN deszendierend 283 – Fixateur externe 283 – Frakturen des Kniegelenks 276 – gekreuzte K-Draht-Spickung 283 – Knochenkerne 274 – Kollateralbandausrisse 296 – Proximale Tibia: Epiphysäre und epi-metaphysäre Frakturen 281 – Proximale Tibia: Epiphysenlösungen 280 – Schraubenosteosynthese 283, 284 – technische Aspekte 283 – Wachstumsfugen 274 Knochenbruchheilung 3 Knochenkerne 39 Knochentumore 387 – benigne 393 – maligne 397
Knochenzyste – aneurysmatische 400 – juvenile 47, 134, 140 – solitäre 399 Knopflochdeformität 89, 93 Kompartmentsyndrom 306 Kondylusfraktur – K-Draht-Osteosynthese 162 – Schrauben 162 – technische Aspekte 162 Konsolidationsstörungen und -verzögerungen 5 Kontusion 86 Korakoidfraktur 122 Korkenzieherphänomen 71, 73 Kreuzbandausriss, knöcherner 298 Kreuzbandläsionen 296 Kreuz- oder Steißbeinfrakturen 228
L luxatio erecta 125, 126 Luxation – Ellenbogenluxation 17 – Hüftluxation 18 – Knieluxation 18 – Monteggia-Läsion 17 – Patellaluxation 18 – Radiuskopfluxation 17 – Schulterluxation 16 Luxationsfraktur, perilunäre 207
M Malgaigne-Frakturen 241 Mallet-Finger 89 Mallet-Frakturen 90 Marknägel 73 Meißelfrakturen 170 Meniskusschäden 301 Metaphysäre Frakturen 14 Mittelfußknochen 348 Mittelhandfrakturen 211 Monteggia-Äquivalent 170, 174 Monteggia-Fraktur 170, 176, 186, 187 – ESIN 198 – Korrekturosteotomie 199 – mit Platte 198 Monteggia-Verletzung 172, 194 – Bado-Klassifikation 188
Morbus Kienböck 209 Morbus Perthes 250 – Legg-Calvé-Perthes-Krankheit 256 Morbus Preiser 209 MPFL (mediales femoropatellares Ligament) 288 Muskelausrisse – Apophysenausrisse 15 Muskel-Sehnen-Komplex 86 Muskelverletzungen 90
N Nachbehandlung 56 Nagelbett 221 Nervenverletzungen 80 Neuropraxie 80 Neurotmesis 80 Nichtossifizierendes Knochenfibrom (NOF) 396 Nurse Elbow 171
O Oberarmfrakturen, diaphysäre 136 Oberschenkel 262 Okzipitalfraktur 365 Olekranon 142 – Fugenschluss 168 – Knochenkerne 168 Olekranonfraktur 176, 178 Os odontoideum 374 Ossifikationszentren 39 Osteoblastom 393 Osteochondrom 395 Osteochondrosis dissecans 329 Osteoidosteom 393 Osteosarkom 397 Overheadextension 263
P Patellafraktur 287 – Schraubenosteosynthese 290 – technische Aspekte 290 – Zuggurtung 289, 290 Patellaluxation 287 – femoropatellare Dysplasie 292
D–P
422
Stichwortverzeichnis
– – – –
Klassifikation 288 laterales Release 293 mediale Raffung 293 MPFL (mediales femoropatellares Ligament) 288 – osteochondrale Flakes 293 – prädisponierende Faktoren 288 – technische Aspekte 293 – Tuberositasversetzung nach Elmslie und Trillat 294 – Zügelungsoperationen 293 Patella partita 287 Perilunäre Luxation 206 Peritendinitis 87 Pin-Track-Infektion 74 Plattenosteosynthese 66 Pronation doloreuse 169, 171 Proximaler Radius – Fugenschluss 168 – Knochenkerne 168 Pseudoaneurysma 78 Pseudoepiphyse 42 Pseudoluxation 45 Pseudoparalyse 134, 136 Pseudosubluxation 375, 376 Pseudo-Terry-Thomas-Zeichen 208
Q Querfrakturen 16
R Radiushalsfraktur 170, 174 – ESIN 174, 177 – Klassifikationen 170 – technische Aspekte 177 Radiuskopffraktur 169, 173 Radiuskopfsubluxation 169, 171 Radiusluxation 169 – isolierte 172 Redression 50, 51 – Indikationen 55 Remodeling 8 – Detorsionsvorgänge 9 – Rotationsfehler 9 – Toleranzgrenzen 10 Reposition – geschlossen 61
– offen 61 Retention 50 – Indikationen 55 Riesenzelltumor 399 Ringapophyse 42, 357 Ringbänder 88 Risser-Zeichen 39, 42 Rockwood 115, 118, 129 – Klassifikation 113 Rogers-Hilfslinie 143 Röntgendiagnostik – Computertomographie (CT) 38 – Magnetresonanztomographie (MRT) 38 – Radiographie (klassisches Röntgen) 38 – Sonographie 38 – Stressaufnahmen 39 – Vergleichsaufnahmen 39 Röntgenkontrolle 55 – Konsolidationskontrollen 56 – Stellungskontrolle 56 Roux-Zeichen 230 Rückenmarksschäden 384 Rucksackverband 54 Ruhigstellungszeiten 60
S Salter-Harris 12 Sarmiento-Brace 55 Scheibenmeniskus 301 Schmerztherapie 96 – medikamentöse 100, 101, 102 – Schmerzerfassungsinstrumente (Scores) 98 Schrägfakturen 16 Schraubenosteosynthese 65 Schultergürtel – akzessorische Knochenkerne 112 – Knochenkerne 112 Schulterluxation – atraumatische Luxation 125 – geburtstraumatische 125 – glenohumerale Luxation 124 – habituelle Schulterluxationen 125 – traumatische Erstluxation 125 Schwanenhalsdeformität 92 SCIWORA 358, 359 Sedation 103, 104
Sehnenrekonstruktion 91 Sehnenverletzungen 86 Seitenbandausrisse 15 Skaphoidfraktur 206, 210 Skapulafraktur 122 Skelettreife 39 Skidaumen 218 Sleeve-Fraktur 287 Spickdrahtosteosynthese 63 Spontankorrekturen 8 Sprunggelenk 317 Stauchungsfrakturen 14 – Wulstbrüche 14 Sternoklavikulargelenk – SC-Gelenkluxation 120 Strecksehnen 87, 89, 90 – dynamische Extensionsschiene 91 Stressfraktur 306 – Überlastungsfrakturen 14 Symphysenruptur 228
T Talusfraktur 342 Talus - Osteochondrosis dissecans 331 Tendinose 87 Thorakoskapuläre Dissoziation 122 Thromboseprophylaxe 108 Tibiafraktur – isolierte 305 – Klassifikation 308 – komplette 305 – metaphysäre 304 Tibiaschaftfraktur, isolierte 310 Tibiofemoralwinkel 275 Toddler’s Fracture 14, 45, 306 Transkondyläre Fraktur des distalen Humerus – Condylus radialis 159 – Condylus ulnaris 159 – Pseudarthrose 159 – Y-Fraktur 159 Traumatische Hüftluxation 249, 253 Tuberositas tibiae, Schraubenosteosynthese 284 Tumore – benigne 389 – Klassifikation 389 – maligne 389
423 Stichwortverzeichnis
U Übergangsfraktur 12 – triplane I 12, 326 – triplane II 13, 326 – twoplane 12, 325 Unfallursachen 33 Unterarm – Epiphysenfugenverletzungen 193 – Fugenschluss 186 – Galeazzi-Verletzung 187 – Grünholzfraktur 191 – Knochenkerne 186 – metaphysärer Wulstbruch 191 – Monteggia-Verletzung 187 – Stauchungsfraktur 191 – technische Aspekte 197 – Unterarmschaftfrakturen 187 – Unterarmschaftfraktur – Grünholzfraktur 189 – vollständige Unterarmfraktur 190 Unterarm, distaler – Kapandji-Spickung 198 Unterschenkel 303 – Frakturen 304 Unterschenkelschaftfraktur, komplette 311
V Veneninterposition 77 Verletzungslokalisationen 32 Verletzungsmuster 12
W Wachstumsfuge 2 Wachstumsstörungen (WTS) 82 – Grünholzfrakturen 5 – Konsolidationsstörungen und -verzögerungen 5 – Pseudarthrosen 5 Wachstumsstörungen (WTS), stimulative – partielle Stimulation 6 Waller-Degeneration 80 Wave-Plate (Wellenplatte) 66
Wirbelsäule 355 – Anatomie 356 – Apophysenfraktur 363 – Apophysenring 361 – Diagnostik 358 – Entwicklung 356 – Klassifikation 361, 362 – kongenitale Anomalitäten 361 – lumbale 382 – Ossifikationszentren 356 – Pseudoluxation bei C2/C3 360 – Salter-Harris-Verletzung 363 – Synchondrose 356 – thorakale 380 Wirbelsäulenfraktur 45 WTS, hemmende – Achsabweichung 7 – Ausheilungsbrücke 7 – Nekrosenbrücke 7 – Wachstumsprognose 7 Wulstfraktur (Buckle Fracture) 44
Y Y-Fraktur 159 – des distalen Humerus 157
Z Zapfenepiphyse 42 Zerrungen 86 Zuggurtungsosteosynthese 68
P–Z