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in der Darstellung eines fiktiven Palastes; vgl. Margaret Schlauch, The Palace of Hugon de Constantinople, in: Speculum 7, 1932, S. 502. Wilhelm von Oldenburg, Peregrinatio, vergleicht Anfang des 13. Jh. im Rahmen seiner Schilderung eines Beiruter Palastes die verschiedenfarbigen Marmorsorten eines Brunnens mit bunten Blumen ( hg. von Johannes C. M. Laurent, Leipzig 1924, S. 167 ). Die stilistische Pointe liegt bei Wilhelm darin, dass er sich bei der Beschreibung eines Wasserbeckens der Wiesenmetapher bedient, in der vorausgehenden Schilderung des Fußbodens der Halle aber denselben mit dem Meer gleichsetzt; letzteres ist wiederum in der byzantinischen Literatur vorgebildet. In diese Tradition stellt sich Anfang des 12. Jh. schon Balderich von Bourgueil ( s. Anm. 52 ). Die früheste Referenz des Wiesenvergleichs scheint Horaz ( Ep. I 10 ) zu sein, der ihn allerdings im Rahmen der ihrerseits topischen Villen- bzw. Luxuskritik einsetzt. Die Bedeutung des Schmuckfußbodens – und damit auch die Rechtfertigung, ein Paviment ausführlich zu schildern – leitet sich aus dem biblischen Bericht des Tempelbaus nach 2 Chr 3, 6, her, wo es von Salomon heißt: Stravit quoque pavimentum templi pretiosissimo marmore decore multo. Die poetische Überhöhung des Neubaus wird besonders deutlich im carmen 54 ( wie Anm. 20 ), einem Akrostichon auf Desiderius, wo es von den verwendeten kostbaren Materialien heißt ( Zeilen 29 ff. ): Ibi sardius et chrysoprassus / nitet ac speciosa smaragdus / simul emicat his amethistus / radiat pretiosa iacynthus. Dieser Edelsteinkatalog ist ebenfalls eine Anspielung auf das endzeitliche Jerusalem in Apk 21, 19 ( smaragdus ) und 20 ( sardis, chrysoprasus, hyacinthus, amethystus ). In der Beschreibung eines von Bischof Maximian ( 6. Jh. ) in Ravenna gestifteten Kreuzreliquiars werden sicher nicht zufällig bereits dieselben Steine aufgeführt: Crucem [ … ] preciosissimis gemmis et margaritis ornavit, iachintos et amethistos et sardios et smaragdos, [ … ]; Agnellus, Liber pontificalis ecclesiae Ravennatis ( 1. Hälfte des 9. Jh. ), hg. von Oswald Holder-Egger ( MGH SS rer. Lang. ) Hannover 1878, S. 332. Nicht zuletzt zeigt ein weiterer Text des Amatus, wie ak-
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und Inkrustationsarbeiten wird aber besonders durch Leos Behauptung gesteigert, seit über 500 Jahren seien diese Techniken im Westen nicht mehr geübt worden 53. Diese Zeitangabe weist nicht nur vage in eine entfernte Vergangenheit, sondern wohl nicht zufällig in die letzten Lebensjahre des Ordensgründers, zu dessen Verehrung Desiderius den Bau errichtet. Leo lehnt sich hier, wie bei vielen Wendungen, an die zeitgleich mit dem Neubau verfassten Texte des Alfanus an. Dort ist allerdings von 450 Jahren, die seither vergangen seien ( lustra decem novies redeunt ) 54, die Rede. Kunstgeschichtlich entbehrt diese Aussage in beiden Fällen jeder Grundlage, wie als bekannteste Beispiele schon die Aachener Pfalzkapelle oder die unter Paschalis I. ( 817–824 ) reich mit Spolien, Mosaiken und Opus-sectile-Boden ausgestattete Zenokapelle von S. Prassede in Rom 55 belegen. Wohl für die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts weisen die allerdings erst über dreihundert Jahre später geschriebenen
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tuell das im gesamten Mittelalter wichtige Thema der Edelsteinikonographie im Montecassino des späten 11. Jh. war. Der bei Petrus Diaconus, De viris illustribus casinensibus monasterii opusculum, hg. von Ludovico Antonio Muratori, Rerum Italicarum Scriptores 6, Mailand 1725, Sp. 36, im Werkkatalog des Mönches aufgeführte und von Anselmo Lentini, Il ritmo
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main in Auxerre ( Yonne ) ex musivo et aureo 57. Im letzten Drittel des 8. Jahrhunderts lässt Arichis II. seinen Palast in Salerno mit Mosaiken schmücken 58; Reste eines aufwändigen Paviments aus Buntmarmor und Goldglas wurden vor einigen Jahren bei Grabungen in der dortigen Hofkapelle S. Pietro a Corte entdeckt. Der anonyme Autor des im 10. Jahrhundert verfassten
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Migne PL 138, Sp. 242. Chronicon Salernitanum, S. 19 und S. 22, zitiert nach der Ausgabe von Ulla Westerbergh, Stockholm 1956. Etwa für die gleiche Zeit berichtet der Codex Laureshamensis von der Verlegung eines Marmorfußbodens um den Hochaltar der Lorscher Abteikirche ( nach Charles McClendon, The Origins of Medieval Architecture, Building in Europe, A.D. 600–900, New Haven – London 2005, S. 101 ): Abt Richbod pavimentum etiam coram altari vario stratum marmore sublimavit. Dies ist eines der frühesten Zeugnisse für diese Technik nördlich der Alpen. Chronicon Salernitanum ( wie Anm. 58 ) S. 100. McClendon ( wie Anm. 58 ) S. 179. Kier ( wie Anm. 56 ) Abb. 327; vgl. auch eine Stelle aus dem
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vornimmt ( Chron. III 29 ). In Chronik und
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Robert Davidsohn, Geschichte von Florenz 1, Berlin 1896, S. 217. Der Text der Weiheurkunde, der neben fünf Kardinalbischöfen auch die Anwesenheit des Desiderius, in seiner Eigenschaft als Kardinalpriester, und des Erzdiakons Hildebrand, dem späteren Gregor VII., bezeugt, findet sich u. a. bei Pier Nolasco Cianfogni, Memorie istoriche dell’ambrosiana r. basilica di S. Lorenzo di Firenze, Florenz 1804, S. 199 f. Neben Papst Paschalis II. immerhin drei Kardinalbischöfe sowie dreizehn weitere namentlich aufgeführte Erzbischöfe, dazu plures alii archiepiscopi, episcopi et abbates et multorum aliorum clericorum congregatio copiosa. Die zuverlässigste Wiedergabe des Wortlauts bietet meines Erachtens Schulz ( wie Anm. 6 ) S. 55 f. Den Urkundentext gibt Luigi Maggiulli, Ricordi di Otranto, Lecce 1893, S. 372 f. Sehr passend ist Eusebius von Caesarea, der in seiner Kirchengeschichte ( Hist. Eccl. X 4, 3 und 45 ) die Kathedrale von Tyrus mit dem Tempel vergleicht und bei dieser Gelegenheit den Bischof Paulinus als neuen Salomon anspricht, während Flavius Cresconius Corippus, In laudem Iustini Augusti minoris libri IV, hg. von Joseph Partsch ( MGH AA 3, 2 ) Berlin 1879, S. 154, Justin II. dem biblischen König überlegen sein lässt. Diese Variante geht auf die Überlieferung von Justinians Ausruf beim Anblick der neuen Sophienkirche, er habe Salomon übertroffen, zurück ( Michael Glykas, Weltchronik IV 495, 12. Jahrhundert ). Den Überbietungstopos ( Justinian – Kyros ) benutzt auch Prokopios, De aedificiis I, 1 ( wie Anm. 51 ) allerdings nicht bezogen auf die Bauten beider Herrscher. Paulus Diaconus, der sich einige Zeit als Mönch in Montecassino aufhielt, bemüht den Tempelvergleich in seinen Versen für die salernitanische Hofkapelle; s. Ferdinando Ughelli, Italia sacra 7, Venedig 21721, Sp. 359: Regnator tibi summe decus trinominis ille / Hebrae gentis Solymis construxit asilum. Der Verfasser des
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pos mit außergewöhnlichem Nachdruck immer wieder aufgreift. Bereits in der dem Chroniktext vorangestellten Epistola erhebt Leo die Benediktsbasilika zum biblischen Tempel und Desiderius, dem er sein Werk widmet, zum alter Salomon 68. Wohl deswegen wählt der Autor in seiner Baubeschreibung den cubitus ( Elle ) als Längenmaß 69, zitiert er damit doch unmissverständlich die Vulgataversion der alttestamentlichen Vorlage ( 3 Kg 6, 2 ff., bzw. 2 Chr 3 und 4 ), in der die Errichtung des Jerusalemer Tempels geschildert wird, wobei die stetige Wiederholung der Maßangaben die Authentizität des Gesagten sichern soll. Gleichsam zwischen den Zeilen knüpft Leo damit auch an die Vision Ezechiels ( Ez 40–42 ) an, durch die wiederum eine Brücke zur Johannesapokalypse und damit zum endzeitlichen Jerusalem geschlagen wird – dessen Mauern in Apk 21, 17 ebenfalls in cubiti vermessen werden! Vergleichbare mittelalterliche Quellen bedienen sich dagegen oft des Fußes ( pes ), wenn es darum geht, Länge, Breite und Höhe von Bauten zu nennen. 70 Neben der Frankengeschichte des Gregor von Tours,
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des Fürsten Arichis ersetzt; s. Chronicon Salernitanum ( wie Anm. 58 ), S. 19. Dies zeigt auch, dass dieser Vergleich offenbar zu den Gemeinplätzen der langobardischen literarischen Kultur zählte. In der Edition von Hoffmann ( wie Anm. 16 ), S. 9. Alfanus ( wie Anm. 20 ) carmen 32, Zeilen 180 ff., wiederholt dagegen die topische Überbietung, wenn er den Neubau des Desiderius sowohl dem Werk Salomons, als auch den atria Justinians überlegen rühmt. Ob hier auf die Kultbauten oder die Paläste beider Herrscher angespielt wird, bleibt auch durch die Nennung des
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die in dieser Hinsicht eine Fundgrube ist, sei vor allem an jene ihrer Ausführlichkeit und ihres Entstehungskontextes wegen mit dem Montecassineser Text sehr gut vergleichbare, wenn auch unprätentiöse Baubeschreibung erinnert, die dem im 11. Jahrhundert entstandenen
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Neubaus der Kathedrale von Canterbury ( 1070–1184, Höhe der Arkadenscheitel in pedes, Mortet, Recueil [ wie Anm. 46 ] Nr. 66, S. 223 ); sowie im
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nicht auch bereits das von Desiderius gewählte Weihedatum, der 1. Oktober, auf den salomonischen Tempel anspielen 73? Die Textanalyse zeigt, dass die Chronik und die übrigen mit ihr in Zusammenhang stehenden literarischen Zeugnisse bisher zu einseitig auf ihren bauhistorischen Gehalt gelesen wurden. Dabei akzeptierte man Wertungen ebenso als Tatsache wie Angaben zur Gestalt der romanischen Abteikirche. Die Werturteile dienen jedoch der Intention des Chronisten, den Bau und seinen Bauherren – und damit die gesamte monastische Gemeinschaft – in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen, indem sie die neue Benediktsbasilika und ihren Schöpfer Desiderius glorifizieren. Wie hartnäckig die klösterliche Propaganda betrieben wurde, demonstriert Petrus Diaconus in seiner Kurzbiographie des Landenulph. Dort erfahren wir nicht nur davon, dass dieser Mönch de renovatione Casinensis coenobii versus mirificos fecit, sondern Desiderius auch anordnete, diese Verse im Kreis der klösterlichen Gemeinschaft zu verbreiten 74. Leos Chronik ist ein weiterer Beitrag zur Selbstverherrlichung der Abtei. Wenn nun aber die monastische Fiktion sorgfältig von den bauhistorisch brauchbaren Fakten getrennt wird, hat dies für die Einschätzung der Bedeutung und der Ausstrahlung der Abteikirche eine erhebliche Konsequenz: Der Desideriusbau ist nicht mehr als exklusives Vorbild der unteritalienischen Sakralarchitektur um 1100 zu werten. Aus dieser Perspektive betrachtet muss der Salernitaner Dom nun nicht mehr zwangsläufig als Nachahmung eines Montecassineser
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Es ist davon auszugehen, dass ein derart bedeutendes Ereignis mit Bedacht terminiert wird. Der Heiligenkalender erweist sich für diesen Tag allerdings als ausgesprochen unergiebig und keines der in der Chronik genannten Patrozinien kann mit diesem Datum in Verbindung gebracht werden. Dagegen setzt der Bibeltext die Weihe des salomonischen Tempels in den Monat Ethanim, der etwa in den Zeitraum vom 15. September bis zum 15. Oktober des christlichen Kalenders fällt, dessen Mitte mithin das Weihedatum des Desideriusbaus bezeichnet. Petrus Diaconus, De viris illustribus ( wie Anm. 52 ) Sp. 43. Krautheimer ( wie Anm. 2 ) S. 18.
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Fig. 5 S. Vincenzo al Volturno, Josuabasilika, isometrische Rekonstruktion (Richard Hodges u. a., The Making of a Monastic City. The Architecture of San Vincenzo al Volturno in the Ninth Century, in: Papers of the British School at Rome 65, 1997, S. 239, Abb. 4 ).
mano ) 76. Über ein Atrium verfügten eine ganze Reihe von Bauten ( S. Vincenzo al Volturno, S. Salvatore, S. Benedetto in Salerno, vermutlich der Dom von Benevent, die unter Abt Theobald [ † 1035 ] umgestaltete Abteikirche von Montecassino ), nicht zuletzt vermittelt durch die frühchristlichen Vorbilder Neapels ( z. B. S. Restituta bzw. Stefania ) 77. Für alle der genannten Bauten ist die reiche Verwendung von Spolienmaterial ( vor allem Säulenschäfte ) 78 ebenso kennzeichnend wie für den Salernitaner Dom ( Abb. 37 ). 76
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Dass der dreiapsidiale Ostabschluss im späten 10. Jh. zum gewohnten Bild gehört haben muss, zeigt die Darstellung der mater ecclesiae in einer Beneventaner Exultetrolle ( Vatikan, BAV, Vat. lat. 9820 ). Dort sind einem basilikalen Kirchenbau ganz deutlich Haupt- und Nebenapsis angefügt. Abbildung in: Exultet. Rotoli liturgici del Medioevo meridionale, Ausstellungskatalog Montecassino, Rom 1994, S. 111. Gesta episcoporum Neapolitanorum auctore Iohanne diacono, hg. von Georg Waitz ( MGH SS rer. Lang. ) Hannover 1878, S. 434. S. Anm. 47.
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Zwei wichtige Merkmale, das
So Urban ( wie Anm. 2 ) S. 16. Gattola ( wie Anm. 12 ) Taf. 7; s. ebd., S. 71 f. Eine bei Pantoni, Una descrizione ( wie Anm. 26 ) S. 4, zitierte Beschreibung des späten 16. Jh. spricht von S. Salvatore als einer „antiquissima ecclesia“. Das in Gattolas Illustration erkennbare Kreuzgratgewölbe im Bereich der Vierung dürfte nachträglich eingefügt worden sein. Sollten die auf dem Grundriss ausgewiesenen Vorlagen beiderseits der die ursprüngliche Hauptapsis ersetzenden quadratischen Chorkapelle sowie an den Vierungspfeilern Teil dieser Einwölbung sein, wäre ursprünglich ein durchgehendes Querhaus rekonstruierbar.
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Ziehen wir zu dieser Fülle möglicher typologischer Referenzen aus der näheren Umgebung des Salernitaner Doms die bereits oben behandelten signifikanten formalen Unterschiede zwischen Bischofskirche und Benediktsbasilika hinzu, relativiert sich die Rolle des Desideriusbaus als exklusives Modell für den Dom deutlich. S. Matteo muss nicht mehr als architektonische Demonstration der Gregorianischen Reform und als ausschließlicher Entwurf des amtierenden Erzbischofs verstanden werden, der sich absichtsvoll an den in Montecassino vorgebildeten Architekturformen orientiert. Damit weitet sich der Horizont für Deutungsalternativen und der Dom von Salerno kann in historisch-politischer Perspektive neu bewertet werden: Der aufwändige Neubau, der unmittelbar nach der Eroberung der Stadt durch Robert Guiscard initiiert wird, erscheint als repräsentative Herrschaftsarchitektur, mit der der Normanne seinen Machtanspruch wirkungsvoll zur Schau stellt und gleichzeitig legitimiert, indem er die städtische Topographie an zentraler Stelle neu besetzt. Ansatzpunkt für diese Neubewertung des Baus ist die ostentative Verwendung von Inschriften, mit denen sich der Stifter an den Betrachter wendet. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Inschriften über der Porta del Paradiso und unter dem Giebeldreieck der Westfassade 81. Chronologisch an erster Stelle steht aber die Platte über dem Apostelgrab in der Krypta. Die Nennung Robert Guiscards beschränkt sich hier nicht auf eine Datierungsformel, etwa nach Herrscherjahren, sondern betont explizit die Anwesenheit des Herzogs – und des ( falschen ) byzantinischen Thronprätendenten – bei der Rekondierung, die presente Michaele imperatore augusto et duca Robberto durch den Erzbischof vollzogen wird. Hier interessiert weniger die Aufwertung des Normannen durch den genannten
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Die in diesem Zusammenhang immer wieder angeführte Inschrift über der Porta dei Leoni + Dux et Jordan[ us ] dignus princeps Capuanus regnent eternum cum gente colente Salernum ist in die Jahre 1120–1127 zu datieren und damit für die hier geführte Argumentation nicht relevant. Die Zusammenstellung der Gründe für diese Datierung bei Becker ( wie Anm. 1 ) S. 57 ff. Die Forschung hat die Nachricht dieser <Wiederauffindung> bisher merkwürdigerweise nie ernsthaft in Zweifel gezogen. Der Charakter als Inszenierung ist aber, gerade nach der Einnahme Salernos, offensichtlich. Noch 1067 sind die Matthäusreliquien durch eine Bulle Alexanders II. in der alten Kathedrale bezeugt: Sanctae salernitanae ecclesiae quae et est beatae et gloriosae semperque virginis Dei genetricis Mariae ubi etiam apostoli gloriosum Mathei et evangelistae corpus cum beatis martyribus Fortunato, Gaio et Anthes resquiescit; s. Luigi Enrico Pennacchini ( Hg. ), Pergamene Salernitane ( 1008–1784 ) Salerno 1941, Nr. 4, S. 32 ff. Amatus ( VIII 4 ) lässt noch Anfang der 1070er Jahre Pisaner Seeleute aus Dank für die Rettung vor drohender Havarie die Heiligengebeine in der Stadt aufsuchen: Et li [ Pisain ] prioient qu’il lor donast securité de venir au port de Salerne, pour visiter lo cors de saint Mathie, qui estoit à Salerne. [ … ] Et li Pisain, pour ceste securté, vindrent au port du Salerne; et issirent de la nef; et o piez deschauz, allerent à l’eglize Saint Mathie. Et à l’autel, là où estoit lo santissime cors sein, donnerent un paille et firent belle lumiere. Dass die Reliquien ( und warum nur die des Matthäus? ) gewissermaßen im Bauschutt der langobardischen Kirche, über der der neue Dom ( möglicherweise ) errichtet wird, zufällig aufgespürt und geborgen werden, erscheint wenig glaubhaft. Ein vergleichbarer Vorgang ist die inventio der Cataldusreliquien beim Neubau des Domes von Tarent; s. Anm. 46. Zur Diskussion der Lokalisierung der alten Bischofskirche Giuseppe Bergamo, Il duomo di
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III 45 ) berichtet dann auch, dass Robert einen Arm des Evangelisten für sich und seine Nachfolger in Besitz nimmt 83. Der Heilige garantiert ganz materiell den Schutz des Fürsten, wenn Robert die Reliquie auf seinen Feldzügen mitführt 84. Er sichert aber auch den ausschließlichen Anspruch des Normannen und seiner Familie auf die neue Herrschaft. Diese Monopolisierung des Stadtpatrons geht weit über den im Zuge der „benediktinischen Mission“ Unteritaliens ( Richard Krautheimer ) intensivierten Reliquienkult hinaus ( das bekannteste Beispiel ist die Translation des Hl. Nikolaus nach Bari 1087 ). War jene Inschrift unter dem Altar verborgen und nur einem ausgewählten Kreis zugänglich, so wenden sich die beiden anderen Texte an ein Publikum: Der Ort ihrer Präsentation ist ein öffentlicher. An der Fassade und auf dem Architrav des Hauptportals der Basilika nennt sich der Herzog als Stifter des Baus 85. Bereits der erste Text nennt den dux Robert Guiscard, der als fundator in eine privilegierte Beziehung zum Titelheiligen der Kirche tritt ( Abb. 12 ): A duce Robberto donaris Apostole templo / pro meritis ipse donetur regno superno Noch deutlicher formuliert die auf einem Fries aus Marmorplatten über die gesamte Breite der Fassade laufende, in antikisierender Kapitalis gesetzte Inschrift die Bedeutung Roberts als Auftraggeber des Baus ( Abb. 39 ): M[ atthaeo ] a[ postolo ] et evangelistae patrono Urbis Robbertus dux R[ omani ] Imp[ erii ] maxim[ us ] triumphator de aerario peculiari 86 Der in Texten dieser Art zwar oft formelhaft gebrauchte Verweis auf die Eigenmittel ( de aerario peculiari ), die der Stifter aufwendet, dokumentiert hier weniger Ro-
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Salerno, Battipaglia 1972, S. 15; Arcangelo Raffaele Amarotta, La Cappella palatina di Salerno, Salerno 1982, S. 74 ff.; und vor allem Vincenzo De Simone, L’ubicazione dell’antica cattedrale dei vescovi salernitani, in: Rassegna Storica Salernitana 8/1 ( 15 ), 1991, S. 179–184. Letzterer verortet den Vorgängerbau südlich des Domes im Bereich des heutigen Bischofspalastes und vermutet, er sei nach dem Neubau allmählich ungenutzt verfallen, was das
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berts Großzügigkeit als eine der topischen Herrschertugenden, sondern vielmehr sein besonderes Verfügungsrecht über das Heiligtum und damit über die dort verwahrten Reliquien 87. Der Herzog trägt diesen Anspruch durch Anbringungsort und Gestaltung der Inschrift erheblich ambitionierter vor als Desiderius, wenn dieser seine Abteikirche mit Mosaikinschriften schmückt. Sucht der Abt technisch und verbal Anschluss an die konstantinischen Basiliken Roms, so nimmt sich Robert die kaiserzeitliche Monumentalepigraphik zum Vorbild 88. Für das 11. Jahrhundert ist diese monumentale Verwendung von Schrift bemerkenswert, da sie nicht nur voraussetzt, dass der antike Formenschatz als solcher erkannt wird, sondern in ihrem Bemühen um Sichtbarkeit und Fernwirkung auch von einem gewissen Grad an Alphabetisierung der Öffentlichkeit ausgehen muss, soll sie ihre Wirkung voll entfalten. Einen alternativen Weg wählt man beispielsweise etwa gleichzeitig in Pisa, wo am Neubau des Doms ( ab 1063 ), also an gut vergleichbarem Ort, Inschriftentafeln angebracht werden, die nach Schriftart und Textgestalt jedoch eher Urkundencharakter haben. Die Fassadeninschrift des Domes von Salerno ist daher in der Forschung als Wiederbelebung einer antiken epigraphischen Tradition verstanden worden 89, deren letztes Dokument die Inschrift des Konstantinsbogens ( Rom, 315 ) gewesen sei. Der darauf folgende, mehr oder weniger totale Verlust dieser Tradition 90 – der die Fassadeninschrift in Salerno als Neubeginn deutbar macht – wird allerdings seit einiger Zeit durch archäologische Funde in Frage gestellt. Gerade in dem uns interessierenden Raum lassen Beispiele den Weg der Überlieferung in anderem Licht erscheinen und die Inschrift an der Salernitaner Domfassade nicht mehr isoliert dastehen, obgleich dieses Modell erst im 15. Jahrhundert in den Fassadenprojekten Leon Battista Albertis für den Tempio Malatestiano ( Rimini, 1450 ) und für S. Maria Novella ( Florenz, 1472 ) eine wirkliche Nachfolge findet 91. Vielmehr kann 87
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Martin Warnke, Bau und Überbau, Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen, Frankfurt a. M. 1984, S. 30; unter den angeführten Quellenbelegen ist für unseren Zusammenhang der von Roger II. ( † 1154 ) in Cefalù pulchram satis et speciosam suis sumptibus gestiftete Dom passend; Lehmann-Brockhaus ( wie Anm. 61 ) Nr. 2165, S. 448. Neben den stadtrömischen Beispielen ist an regional verfügbare Denkmäler wie den Trajansbogen in Benevent zu denken, die sich unmittelbar im normannischen Einflussbereich befanden. Armando Petrucci, Public Lettering. Script, Power and Culture, Chicago – London 1993, S. 3: „The Duomo of Salerno [ … ] is characterized [ … ] by a completely new use of monumental writing for the conveying of a political message that was expressed through innovative aesthetic-formal solutions directly inspired by late-antique models.“ Vgl. Petrucci ( wie Anm. 89 ) S. 2 f.; vgl. John Mitchell, The Display of Script and the Uses of Painting in Longobard Italy, in: Testo e immagine nell’alto medioevo ( Settimana di Studio del CISAM 41 ) ( Spoleto, 15.–21. April 1993 ) Spoleto 1994, S. 896 f. Eine Reihe von späteren mittelalterlichen Beispielen aus dem 12. bzw. frühen 13. Jh. ist formal kaum mit Salerno zu vergleichen. Dazu zählen die vom Clitumnustempel beeinflusste Inschrift am Dom von Foligno sowie die einander ganz ähnlichen Portiken von S. Giovanni in Laterano ( Giovanni Giustino Ciampini, De sacris aedificiis a Constantino Magno constructis, Rom 1693, Taf. 1 ), SS. Giovanni e Paolo und S. Giorgio in Velabro ( Schriftzüge mit unzialem Charakter ) in Rom und die Vorhalle des von der stadtrömischen Kunst abhängigen Domes von Civita Castellana ( Künstlerinschrift! ). Eine Parallele zu Salerno bietet dagegen die in das späte 11. Jh. zu datierende Inschrift an der Apsisaußenwand von S. Giacometto in Venedig ( um 1070 ). Das aus Marmor- und Kalksteinplatten zusammengesetzte, etwa 15 cm hohe Band ist quer über die Ziegelmauer gelegt ( Abb. 40 ). Wie in Salerno bzw. S. Vincenzo al Volturno ist die Letternfolge oben und unten von einem schmalen Profil gerahmt. Der Text richtet sich
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Robert Guiscard auch in der formalen Gestaltung seiner Stifterinschrift unmittelbar an das künstlerische Erbe seiner langobardischen Vorgänger anknüpfen, was an drei Beispielen illustriert werden soll. An erster Stelle steht der sogenannte Clitumnustempel bei Spoleto ( Perugia ). Dieser langobardische Bau, dessen genaue Funktion, etwa als Memorialkapelle, ebenso wenig geklärt ist wie die exakte Entstehungszeit ( 6.–8. Jh. ) 92, bedient sich in Anlage und Schmuck so überzeugend kaiserzeitlich-römischer Formen, dass er noch im 16. Jahrhundert von Experten wie Andrea Palladio für ein antikes Original gehalten werden konnte 93. Auf einem T-förmigen Sockelgeschoss ist ein über seitlich geführte Treppen erschlossener, in eine Vorhalle und eine mit halbrund ausgewölbter Ädikula versehene cella gegliederter oberer Komplex errichtet. Die reich dekorierte Fassade, mit vier Säulen in antis und dem über einem Architrav aufgesetzten, reliefierten Giebeltympanon, zitiert klassische Motive der Tempelarchitektur. Das so für den Betrachter als Heiligtum ausgewiesene Bauwerk trägt in der Frieszone des Epistyls eine über die gesamte Breite laufende, einzeilige Inschrift in sorgfältig ausgeführter Kapitalis ( Abb. 41 ). In bemerkenswerter Weise scheinen sowohl die Text- und Buchstabenform als auch die Position der Inschrift unmittelbar unter dem Giebeldreieck die in Salerno gefundene Lösung vorwegzunehmen. Man muss sich dabei in Erinnerung zu rufen, dass der Clitumnustempel ein fürstlich-langobardischer Bau ist und folglich in jener Tradition steht, in die der Normanne Robert Guiscard sich einzureihen bemüht 94. Das zweite Beispiel rückt mit S. Vincenzo al Volturno geographisch näher an Salerno heran. Die von langobardischen Fürsten großzügig geförderte beneventanische Gründung und neben Montecassino wichtigste Benediktinerabtei Unteritaliens erlebte um die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert eine Periode wirtschaftlicher und kultureller
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an die Händler in der Umgebung der Kirche und mahnt redliches Geschäftsgebaren an; vgl. Dante Luigi Gardani, La chiesa di S. Giacomo a Rialto. Storia e arte, Venedig 1966, S. 51 und Taf. 3. Wohl immer noch grundlegend ist der Aufsatz von Friedrich Wilhelm Deichmann, Die Entstehungszeit von Salvatorkirche und Clitumnustempel bei Spoleto, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung, 58, 1943, S. 106–148; vgl. Mitchell ( wie Anm. 90 ) S. 946 ff., besonders S. 949; Carola Jäggi, San Salvatore in Spoleto, Studien zur spätantiken und frühmittelalterlichen Architektur Italiens, Diss., Wiesbaden 1998, S. 106. Für unsere Argumentation sind Zweckbestimmung und Datierung sekundär. Andrea Palladio, I quattro libri dell’architettura IV 25, in der Erstausgabe Venedig 1570, S. 98. Anders dagegen bereits Johann Wolfgang von Goethe, Werke, vollständige Ausgabe letzter Hand 27, Stuttgart – Tübingen 1829, S. 193: „San Crocefisso, eine wunderliche Capelle am Wege, halte ich nicht für den Rest eines Tempels der am Orte stand, sondern man hat Säulen, Pfeiler, Gebälke gefunden und zusammengeflickt, nicht dumm aber toll.“ Unentschieden über „das niedliche Tempelchen über der Quelle des Clitumnus“ urteilt wiederum Jacob Burckhardt, Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens, Basel 1855, S. 52, besonders Anm. 1. Die Übernahme der langobardischen Fürstentümer in Unteritalien durch die Normannen vollzog sich offenbar ohne radikalen gesellschaftlichen Umbruch. Die Eroberer haben zur Sicherung ihrer Macht Kontinuitäten nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert, wie insbesondere die angelsächsische Forschung für den Bereich der Sozial-, Wirtschafts- und Rechtsgeschichte wiederholt herausgearbeitet hat; vgl. z. B. Graham A. Loud, Continuity and Change in Norman Italy, in: Journal of Medieval History 22, 1996, passim; Joanna H. Drell, Kinship and Conquest: Family Strategies in the Principality of Salerno during the Norman Period 1077–1194, Ithaca 2002, S. 47, S. 51 und S. 172; Patricia Skinner, The Tyrrhenian Coastal Cities under the Normans, in: Graham A. Loud – Alex Metcalfe ( Hgg. ), The Society of Norman Italy, Leiden – Boston – Köln 2002, S. 84 f. und S. 95.
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Blüte, bevor mit der sarazenischen Plünderung und einer teilweisen Zerstörung des Klosters ab der Mitte des 9. Jahrhunderts ein unaufhaltsamer Niedergang einsetzte. Zeuge dieser Blüte ist die erst gegen 1100 vollständig abgebrochene, unter Abt Josua II. errichtete anspruchsvolle Basilika, deren Grundriss erst durch die wenige Jahre zurückliegenden Grabungen der British School at Rome gesichert werden konnte ( Fig. 5 ). In einer kleinen Gruppe von Marmorfragmenten mit eingetieften, von Dübellöchern durchbohrten Buchstaben wurden die Reste einer längeren Inschrift erkannt, die zum Widmungstitel an der Westfassade des Baus gehörten. Der genaue Wortlaut und Anbringungsort sind durch die im 12. Jahrhundert verfasste Klosterchronik überliefert 95. Aus Form und Abstand der identifizierbaren, fast 30 cm hohen Lettern ( Abb. 42 ) konnte eine Gesamtlänge des einzeilig angelegten Schriftzuges von etwa 14,50 m erschlossen werden, was knapp der vermuteten Breite des Mittelschiffes entspricht. Dabei ist mit dem Verfahren gearbeitet worden, metallene Buchstaben in vorgeformte Vertiefungen einzubringen, um Lesbarkeit und Fernwirkung der Inschrift zu erhöhen 96. Abgesehen von diesem technischen Unterschied 97 ist eine Disposition rekonstruiert, die jener in Salerno gut vergleichbar ist: Über die gesamte Breite der oberen Fassadenzone wird ein aus Marmorplatten zusammengesetzter Fries gelegt, der eine antikisierende und auf Fernwirkung berechnete Stifterinschrift trägt. Wie beim Salernitaner Dom handelt es sich bei der Josuabasilika um hochambitiöse Monumenta-
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Chronicon Vulturnense ( wie Anm. 41 ) S. 221; vgl. Mitchell ( wie Anm. 90 ) S. 916 f.; sowie Richard Hodges – Sheila Gibson – John Mitchell, The Making of a Monastic City. The Architecture of San Vincenzo al Volturno in the Ninth Century, in: Papers of the British School at Rome 65, 1997, S. 238. Hodges – Gibson – Mitchell ( wie Anm. 95 ) S. 240. Die Wiederaufnahme dieser Standardtechnik der antiken römischen Monumentalepigraphik ist bemerkenswert. Mit der Inschriftentafel vom Corveyer Westwerk und den im Füllschutt der dortigen Außenkrypta geborgenen vergoldeten Bronzebuchstaben sind in karolingischer Zeit auch Vergleichsbeispiele aus dem nordalpinen Raum gegeben. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass in Bezug auf die bauliche Ausstattung der Aachener Pfalz auch auf das langobardische Umfeld Karls verwiesen wurde; vgl. Christoph Stiegemann – Matthias Wemhoff ( Hgg. ), 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Ausstellungskatalog Paderborn 1, Mainz 1999, Nr. II. 69, S. 110; für die Inschriften ebd. 2, Nr. VIII. 52 und 53, S. 570 ff.; Mitchell ( wie Anm. 90 ) S. 897, und Ders., Arichis und die Künste, in: Hans-Rudolf Meier u. a. ( Hgg. ), Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst, Berlin 1995, S. 50, weist darauf hin, dass das Einlegen von Metallbuchstaben erst im Paris Ludwigs XIV. ( u. a. am Portal der Sorbonne ) wieder aufgegriffen wird. Sicherlich werden die Lettern der Salernitaner Fassadeninschrift auch durch eine farbige Fassung in ihrer Lesbarkeit gesteigert gewesen sein, wenn auch, da sich keine Dübellöcher feststellen lassen, offenbar keine metallenen Lettern eingelegt waren. Armando Schiavo, Il campanile del duomo di Salerno e l’espansione campana in Sicilia, in: Bollettino del Centro di Studi di Storia dell’Architettura 9, 1955, S. 21, Anm. 1, äußert die Vermutung, die Schrift sei möglicherweise mit Mosaiksteinchen ausgelegt gewesen. Hinweise darauf habe eine Untersuchung der im Rahmen der Fassadenrestaurierung abgenommenen Platten ergeben. In diesem Fall könnte man diese Mosaizierung als technisch und finanziell weniger aufwändigen Ersatz für die Verwendung von Bronzelettern betrachten. Allerdings sind die Buchstaben teilweise in die Platten gerade eingeschnitten, teilweise eingekerbt, was das Einsetzen von tesserae problematisch macht. Denkbar ist meines Erachtens eher, dass die Vertiefungen mit einem vergleichbaren Material ausgefüllt waren, wie wir es von den Mastixinkrustationen kennen, die in Italien im 11. bis 13. Jahrhundert verbreitet sind, und bei denen die tiefrote oder schwarze Farbe der Füllung einen starken Kontrast zum umgebenden Trägermaterial ( Marmor ) bildet. Beispiele für diese Technik aus der Bauzeit des Salernitaner Doms sind etwa die Bischofsthrone in Canosa, Bari und Monte Sant’Angelo ( Foggia ) in Apulien.
Der Dom von Salerno und die Abteikirche von Montecassino
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larchitektur, die im Falle von S. Vincenzo al Volturno dem klösterlichen Machtanspruch architektonisch Ausdruck verleihen sollte 98. In die unmittelbare Nachbarschaft zu S. Matteo führt der dritte Kandidat. Die Palastkapelle der langobardischen Fürsten von Salerno, die heutige kleine Kirche S. Pietro a Corte, ist unter dem Begründer des Fürstentums, Arichis II. ( 774–787 ), aufgeführt worden. Eine Renovierung des wegen seiner Größe und Schönheit gefeierten Palastkomplexes ist für das 10. Jahrhundert belegt 99. Der Hofhistoriograph Paulus Diaconus verfasste tituli sowohl für das Atrium der regia als auch für deren Kapelle 100, und bei den Stücken eines Frieses aus grobkörnigem weißem Marmor mit Eintiefungen und Bohrlöchern früherer metallener Lettern handelt es sich vermutlich um Fragmente dieser Inschrift ( Abb. 43 ) 101. Die Gestaltung und Größe der Kapitalis sowie die Rekonstruktion des Textes lassen auf eine etwa vier Meter lange, einzeilige Buchstabenfolge schließen. Der genaue Ort der Inschrift ist allerdings nicht sicher zu bestimmen. Da das Fehlen von Korrosionsspuren auf dem Trägermaterial eine geschützte Anbringung nahe legt und die Lettern mit durchschnittlich 16,5 cm Höhe erheblich kleiner sind als jene von S. Matteo, ist ein Vergleich der Inschriften von Palastkapelle und Dom hinsichtlich ihrer Präsentation kaum zu führen. Auffällig ist aber die Übereinstimmung in der Gestaltung des Schriftbandes. In beiden Fällen nehmen die Buchstaben fast die gesamte Breite des Frieses ein. Sie werden oben und unten von durchgehenden Linien gerahmt, einer Profilleiste an der Bischofskirche und einer einfachen feinen Kehle in S. Pietro. Beide Inschriften sind auf hellem Marmor angebracht, der sich von dem Material der umgebenden Wandfläche, sei es innen oder an der Fassade, deutlich als kostbar absetzt, Sie bedienen sich ganz ähnlicher, gleichmäßig und mit vollem rundem Schwung ausgeführter Buchstabentypen ( capitalis quadrata ), obgleich Roberts Inschrift allgemein einen breiteren Duktus aufweist, bei der Schreibweise des E zwischen gebogener und gerader Form unentschlossen bleibt und für das G die um 1100 übliche unziale Variante wählt. Die Arichisinschrift ist nicht nur wegen ihrer räumlichen Nähe oder ihrer Gestaltung als Modell für den Fries an der Domfassade in Betracht zu ziehen, sondern vor allem, weil es sich bei ihr ebenfalls um ein repräsentatives Dokument fürstlicher Auftraggeberschaft handelt. Um zu zeigen, dass gerade in Salerno mit einer dichteren epigraphische Tradition zu rechnen ist, sei kurz auf eine weitere Instanz einer Stifterinschrift hingewiesen: In unmittelbarer Nähe der unterhalb der Festung Arichis’ gelegenen kleinen, durch neuzeitliche Überbauung bis zur Unkenntlichkeit veränderten Kirche S. Massimo wurden Anfang des letzten Jahrhunderts zwei marmorne Gebälkfragmente entdeckt. Die stilistisch in die severische Zeit zu verortenden Stücke wurden in dem in der zweiten 98
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Vgl. die Rekonstruktionsskizze bei Richard Hodges – John Mitchell, The Basilica of Abbot Joshua at San Vincenzo al Volturno, Monteroduni 1996, S. 36, Abb. 3.5. Die Maße der Kirche mit einer Gesamtlänge von 63,50 m und einer Breite von 28,30 m ( davon entfallen 15,30 m auf das Mittelschiff ) sind mit den Dimensionen des Salernitaner Doms durchaus vergleichbar. Auch der Josuabasilika war ein imposantes, auf Substruktionen gestütztes Atrium vorgelagert. Chronicon Salernitanum ( wie Anm. 58 ) S. 22 und S. 159. Chronicon Salernitanum ( wie Anm. 58 ) S. 38. Vgl. Stiegemann – Wemhoff ( wie Anm. 96 ) 2, Nr. VIII.55, S. 573 f.; für die Möglichkeit, die Fragmente 2004 im Depot des Salernitaner Diözesanmuseums ausgiebig studieren zu dürfen, sei dem Kustos der Sammlung, Herrn Vincenzo Garzillo, an dieser Stelle herzlich gedankt.
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Oliver Becker
Hälfte des 9. Jahrhunderts errichteten Bau zweitverwendet und mit einer einzeiligen Inschrift versehen ( Abb. 44 und 45 ) 102. Die unbeholfene und teilweise ineinander geschachtelte Kapitalis zieht sich über die flache Frieszone, unter der ein kantiger Astragal und ein nach unten wachsendes zweilagiges Blattkyma ( die Architravstücke sind offensichtlich kopfüber verbaut worden ) verlaufen. Der Rückbezug auf die römische Antike erfolgt hier, wie später über der Porta del Paradiso des Doms, materiell durch den Einsatz einer Spolie als Träger des Textes. Die imperiale Vergangenheit wird demonstrativ mit der eigenen Gegenwart verknüpft, wenn die als fürstliche Eigenkirche gestiftete dreischiffige Kirche von Säulen mit Cippollinschäften und qualitätvollen kompositen Kapitellen des 2./3. Jahrhunderts gegliedert wird. Leider lässt der Fundkontext auch hier nicht zu, den genauen Anbringungsort der antiken Bauglieder zu bestimmen. So wäre eine Position der Inschrift an der Fassade oder einer möglichen Vorhalle ebenso denkbar wie ein Versatz im Innern der Kirche, etwa als Architrav über der Säulenstellung oder einer Schrankenanlage. In jedem Fall dürfte die Inschrift wirkungsvoll platziert worden sein, so dass sie durchaus von den neuen normannischen Herren als Inspiration für eigene Formen herrscherlicher Repräsentation wahrgenommen werden konnte 103. Der sogenannte Clitumnustempel bei Spoleto, die Josuabasilika von S. Vincenzo al Volturno und die Salernitaner Beispiele belegen, dass sowohl die Lösung, eine Inschrift friesartig an der Fassade anzubringen, als auch ihre aus dem Formenapparat der imperialen römischen Epigraphik schöpfende Gestaltung Vorläufer in der Kunst der Fürstentümer der Langobardia minor hatte, wo eine ungebrochene Schrifttradition immer wieder auf antike Vorbilder zurückgreifen konnte. Eine Bestimmung möglicher Vorlagen für die Salernitaner Stifterinschrift muss also nicht – oder nicht nur – auf antike Monumente rekurrieren, sondern sollte die zeitlich und
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+ Guaiferius princeps instinctu flaminis almi / [ ar ]dua haec struxit moenia pulchra domus. Ergänzung nach Paolo Delogu, Mito di una città meridionale, 91998, S. 145, Anm. 132. Die Stücke sind jeweils etwa und 80 cm lang 40 cm hoch. Eine direkte Beziehung zwischen der normannischen Dynastie und S. Massimo ist in einem Dokument von 1086 fassbar, in welchem Roger Bursa die Schenkung der Kirche an die Benediktinerabtei SS. Trinità im nahen Cava de’ Tirreni bestätigt; s. Bruno Ruggiero, Principi, nobiltà e Chiesa nel Mezzogiorno longobardo. L’esempio di s. Massimo di Salerno, Neapel 1973, S. 87. Zur Tradition von Monumentalinschriften bei den Langobarden vgl. Mitchell ( wie Anm. 90 ) S. 890 f.; zur Bedeutung der Schriftlichkeit im Rechtswesen im langobardischen Italien vgl. Nicholas Everett, Literacy in Lombard Italy, Cambridge 2003, S. 172, sowie kurz Valerie Ramseyer, The Transformation of a Religious Landscape: Medieval Southern Italy ( 800–1150 ) Ithaca – London 2006, S. 18.
Der Dom von Salerno und die Abteikirche von Montecassino
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genössischen Quellen, die die Verbindung von Apostel, Bau und fundator immer wieder hervorheben und verbreiten. 105 Es ist darum nicht erstaunlich, dass gerade der epigraphische Apparat als Bestandteil eines offenbar erfolgreichen Konzepts rasch als nachahmenswert rezipiert wird. Der erste Sohn des Herzogs, Bohemund I. ( † 1111 ), lässt seinen aus Marmorplatten errichteten Grabbau in Canosa unter dem Kranzgesims des Tambours mit einer einzeiligen Inschrift versehen 106. Noch deutlicher lehnt sich ein weiteres, bisher unbeachtetes Beispiel an Salerno an: Die Inschrift König Kolomans von Ungarn, die er nach der Einnahme von Zara ( Zadar, Kroatien ) an dem von ihm 1105 errichteten Campanile der Marienkirche anbringen lässt. 107 Der einzeilige Text ist in antikisierender Schrift in Marmorplatten eingegraben, die friesartig unterhalb des ersten Gurtgesimses um den Turm herumgeführt sind ( Abb. 46–50 ). Aber nicht nur formal, sondern auch inhaltlich sind Parallelen zu fassen, wenn der König, unter Nennung der Titelheiligen der Kirche, sich als Stifter des Baus dokumentiert, den er durch eigene Mittel ( proprio sumptu ) realisiert und unmittelbar nach der Eroberung der Stadt ( post victoriam ) errichten lässt. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Koloman die normannische Praxis geläufig war und zur Imitation motivierte, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass der ungarische König als Schwiegersohn Rogers I., des jüngeren Bruders Robert Guiscards, sogar die dynastische Verbindung mit den Hautevilles suchte 108. Die hier vorgelegte Gegenüberstellung des von Doms von Salerno und der Abteikirche von Montecassino hatte zum Ziel, ein architekturgeschichtliches Paradigma kritisch zu überprüfen. Das in der Forschung beschworene Verhältnis beider Bauten zueinander als Kopie und Vorbild, das jedoch nicht über die Übereinstimmung generischer Merkmale hinausgeht, scheint von jenen Textpassagen der für die Rekonstruktion des Desideriusbaus konstitutiven zeitgenössischen Quellen bestimmt zu sein, die die neue Benediktsbasilika absichtsvoll zum architektonischen Musterstück stilisieren.
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Vgl. Anm. 42. Wilhelm von Apulien als Verfasser der
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Oliver Becker
Von einer Rhetorik wie der des kaiserlichen Präzepts 109 bestärkt, entwickelte sich die Montecassineser Abteikirche in der kunstgeschichtlichen Debatte daher zum Modell für die unteritalienische Sakralarchitektur um 1100. Vor dem kirchengeschichtlichen Hintergrund der Gregorianischen Reform galt die Benediktsbasilika als Schulbeispiel für eine Architektur, die mit ihrem Bezug auf das konstantinische frühchristliche Rom die Ziele dieser Strömung verbildlichte. Indem der Dom von Salerno aus dem Schatten des angeblichen Vorbilds heraustritt, wird es möglich, den Bau nun nicht mehr als erzbischöflichen Entwurf zur Umsetzung kirchlicher Reformideen in gebaute Form zu verstehen, sondern als architektonische Legitimation des Machtanspruchs seines fürstlichen Stifters. Ist die Modellfunktion der Desideriusbasilika
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S. Anm. 21. Schreiner ( wie Anm. 43 ) S. 258: „Viten sowie Kirchen- und Klosterchroniken sind [ … ] ein besonders geeignetes Feld für Phantasie und Wunschdenken.“
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes
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FRANZ NEISKE – CARLOS MANUEL REGLERO DE LA FUENTE
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes. Ein Beitrag zum Totengedenken der Abtei Cluny Einleitung: Totengedenken in cluniacensischen Klöstern, S. 141. – Handschriftenbeschreibung, S. 144. – Datierung der Anlage, S. 147. – Das Necrolog von Carrión als cluniacensisches Necrolog, S. 148. – Cluny in Spanien, S. 155. – San Zoilo de Carrión de los Condes und Cluny, S. 159. – Vergleich mit cluniacensischen Necrologien, S. 163. – Familiares von Cluny im Necrolog von Carrión, S. 168. – <Spanisches> Eigengut, S. 180. – Das Necrolog von Carrión und das Necrolog der Abtei Cluny, S. 182. – Zusammenfassung, S. 184.
EINLEITUNG: TOTENGEDENKEN IN CLUNIACENSISCHEN KLÖSTERN
Das Reformmönchtum des hohen Mittelalters wurde entscheidend von den Idealen geprägt, die sich bereits im 10. Jahrhundert in der Abtei Cluny entwickelten. Die großen Äbte des Klosters, Odo, Maiolus, Odilo und Hugo, trugen mit ihren guten Kontakten zu Königen und Päpsten dazu bei, dass diese Reformbewegung in weiten Teilen Europas Erfolg hatte. Mit der neuartigen Organisationsform einer congregatio, die Hunderte von einzelnen Abteien und Prioraten umschloss, wurde die Cluniacensis ecclesia das Muster eines globalen Verbandes von monastischen Gemeinschaften, die unter der zentralen Aufsicht des Abtes von Cluny in konsequenter Befolgung der Benediktsregel leben wollten 1. Neben der Forderung nach Exemtion der Klöster und freier Abtswahl durch den Konvent in der Abtei Cluny selbst gehörte die Ausweitung der Gebetszeiten im Tagesablauf zu den wesentlichen Merkmalen dieser Erneuerung im Mönchtum 2. Die ausführlichen Texte der Consuetudines dokumentieren diesen Anspruch und bezeugen die Strenge, mit der die Mönche den Vorgaben folgten 3. Weite Passagen der Texte sind dabei der Sorge um das Seelenheil der verstorbenen Mitbrüder und dem allgemeinen Totengedenken für Laien gewidmet 4. 1
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Joachim Wollasch, Cluny –
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Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente
Die Aussicht auf eine individuelle Memoria für jeden einzelnen Mönch aus allen zum Klosterverband gehörenden Gemeinschaften wurde so zum einigenden spirituellen Band der Cluniacensis ecclesia. Neben den Mönchen wurden auch diejenigen Laien mit Gebeten für das Seelenheil bedacht, die durch große Schenkungen oder milde Gaben zu den Wohltätern gezählt wurden oder zur familia der Klöster gehörten. Zahlreiche Dotationen an Cluny bezeugen den Wunsch von Laien, aber auch etwa von Bischöfen, in das Gebet der Cluniacenser eingeschlossen zu sein. Abt Odilo machte es den Mönchen sogar zur Pflicht, an jedem 2. November generell für die Rettung aller Verstorbenen zu allen Zeiten zu beten, und legte damit den Grundstein für das später in der gesamten Kirche eingeführte Allerseelenfest. Das Totengedenken enthielt aber über die rein religiöse Dimension hinaus einen entscheidenden sozialen Aspekt: Mit Gebet und Messfeier verbunden war immer auch ein Almosen für die Armen. Bereits das Statut Abt Odilos zur allgemeinen Memoria am Tag nach dem Allerheiligenfest bestimmt zuerst die karitativen Leistungen, bevor Gebete, Messen und Psalmen vorgeschrieben werden 5. Die Viten der Äbte von Cluny überliefern Berichte von Visionen, die die Wirkung der Gebete der Mönche von Cluny für das Seelenheil der Verstorbenen in drastischen Bildern ausmalen. Diese Propaganda für die eigene Sache zeigte Wirkung 6. Die Sorge um die individuelle Totenmemoria wurde zu einem der wesentlichen Faktoren des Erfolges der cluniacensischen Bewegung. Mit vollem Recht hat man deshalb von Cluny als dem „Zentrum mittelalterlichen Totengedenkens“ gesprochen 7.
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Titel der letzten Jahre genannt: Otto Gerhard Oexle, Memoria und Memorialüberlieferung im früheren Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 10, 1976, S. 70–95; Karl Schmid – Joachim Wollasch ( Hgg. ), Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter ( Münstersche Mittelalter-Schriften 48 ) München 1984; Dieter Geuenich – Otto Gerhard Oexle ( Hg. ), Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters ( Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 111 ) Göttingen 1994; José Mattoso ( Hg. ), O reino dos mortos. Na idade média peninsular, Lissabon 1996; Michel Lauwers, La mémoire des ancêtres, le souci des morts. Morts, rites et société au moyen âge ( diocèse de Liège, XIe–XIIIe siècles ) ( Théologie historique 103 ) Paris 1997; Edelgard E. DuBruck ( Hg. ), Death and Dying in the Middle Ages ( Studies in the humanities 45 ) New York 1999; Caroline Horch, Der Memorialgedanke und das Spektrum seiner Funktionen in der bildenden Kunst des Mittelalters, Königstein im Taunus 2001; Michael Borgolte ( Hg. ), Memoria. Ricordare e dimenticare nella cultura del medioevo. ( Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento, Contributi 15 ) Bologna 2005. Statuts, chapitres généraux et visites de l’ordre de Cluny, hg. von Gaston Charvin, 9 Bde., Paris 1965–1982, 1, Nr. 1, S. 15 f. Jürgen Bärsch, Allerseelen. Studien zu Liturgie und Brauchtum eines Totengedenktages in der abendländischen Kirche ( Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen 90 ) Münster 2004, S. 99–105. Zu den sozial-historischen Aspekten des Totengedenkens vgl. Joachim Wollasch, Gemeinschaftsbewußtsein und soziale Leistung im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 9, 1975, S. 268–286. Franz Neiske, Vision und Totengedenken, in: Frühmittelalterliche Studien 20, 1986, S. 137–185, S. 165 f., S. 179; Ders., Das Verhältnis Clunys zum Papsttum, in: Giles Constable – Gert Melville – Jörg Oberste ( Hgg. ), Die Cluniazenser in ihrem politisch-sozialen Umfeld ( Vita regularis 7 ) Münster 1998, S. 279–320, S. 307 f. Wie sehr das Bewusstsein dieser <Stärke> Clunys in der Abtei selbst präsent war, zeigten bildliche Darstellungen der Errettung der Seelen auf einem verlorenen Rotulus der Verbrüderungen Clunys, vgl. Bullarium sacri ordinis Cluniacensis, Lyon 1680, S. 219 f.: http://fruehmittelalter.uni-muenster.de/cluny/bullariu m/219b.htm Bärsch ( wie Anm. 5 ) S. 79–95.
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes
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Die Praxis des Totengedenkens in den cluniacensischen Klöstern wird eindrucksvoll dokumentiert in den wenigen erhaltenen Necrologien. Sie bewahren die Namen der Personen, für die Jahr für Jahr an ihrem Todestag in allen Gemeinschaften gebetet wurde. Die synoptische Darstellung dieser Quellen zeigt in der engen Übereinstimmung der Namenlisten, dass die Vorschrift, der Verstorbenen in allen Klöstern in gleicher Weise zu gedenken, weitgehend befolgt wurde 8. Die Necrologien bezeugen so die Gemeinsamkeiten der Totenmemoria im Verband, sie stehen aber auch für die Vielfalt regionaler Ausprägungen. Die Interpretation wird erschwert durch die Tatsache, dass ausgerechnet die necrologische Überlieferung aus der Abtei Cluny selbst verloren ist. Nachdem bereits Auguste Molinier zu Beginn des letzten Jahrhunderts vermutet hatte, man könne aus Necrologien der cluniacensischen Klöster das verlorene Necrolog von Cluny rekonstruieren 9, wurde in den letzten Jahrzehnten die Rolle des Necrologs von Marcigny hervorgehoben 10, dessen Entdeckung für das cluniacensische Totengedenken Joachim Wollasch zu verdanken ist 11. Ohne dass hier ausführlich auf die vielen Ansätze zu einer schlüssigen Interpretation der Necrologüberlieferung eingegangen werden kann 12, bleibt festzustellen, dass wohl nur durch die Entdeckung weiterer cluniacensischer Totenbücher entscheidende Fortschritte erzielt werden können. Ein solcher glücklicher Fund ist hier vorzustellen! Carlos Manuel Reglero de la Fuente ( Universídad de Valladolid ) ist bei seinen Arbeiten zur Geschichte des cluniacensischen Einflusses in Spanien 13 auf das Fragment eines Necrologs gestoßen, das eine ausführliche Interpretation verdient 14. Es entstand im Kloster San Zoilo de Carrión ( Diözese Palencia ), das 1076/77 an Cluny zur Reform übertragen wurde. Die erhaltenen Toteneinträge rücken diese Handschrift in die Nähe der wichtigen großen Necrologien aus cluniacensischen Klöstern.
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Synopse der cluniacensischen Necrologien, unter Mitwirkung von Wolf-Dieter Heim, Joachim Mehne, Franz Neiske und Dietrich Poeck, hg. von Joachim Wollasch, 2 Bde. ( Münstersche Mittelalter-Schriften 39 ) München 1982. Auguste Molinier ( Hg. ), Obituaires de la province de Sens ( Recueil des Historiens de la France publié par l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Obituaires 1 ) Paris 1902, 1,1, S. 519. Joachim Wollasch, Die Synopse der cluniacensischen Necrologien als Arbeitsinstrument der Forschung, in: Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 34–40, S. 39. Joachim Wollasch, Zur frühesten Schicht des cluniacensischen Totengedächtnisses, in: Karl Hauck – Hubert Mordek ( Hgg. ), Geschichtsschreibung und geistiges Leben im Mittelalter. Festschrift für Heinz Löwe zum 65. Geburtstag, Köln – Wien 1978, S. 247–280, bes. S. 251. Ders., Ein cluniacensisches Totenbuch aus der Zeit Abt Hugos von Cluny, in: Frühmittelalterliche Studien 1, 1967, S. 406–443; englische Fassung: A Cluniac Necrology from the Time of Abbot Hugh, in: Noreen Hunt ( Hg. ), Cluniac Monasticism in the Central Middle Ages, London 1971, S. 143–190. Vgl. die Literaturübersicht zur Geschichte Clunys im Internet http://fruehmittelalter.uni-muenster.de/ cluny/bcn Carlos Manuel Reglero de la Fuente, El Monasterio de San Isidro de Dueñas en la Edad Media. Un priorato cluniacense hispano ( 911–1478 ). Estudio y colección documental ( Fuentes y estudios de historia leonesa 106 ) León 2005. Ders., Cluny en España, Los prioratos de la provincia y sus redes sociales ( 1073 – ca. 1270 ) ( Fuentes y estudios de historia leonesa 122 ) León 2008. Die Kontakte zwischen dem Institut für Frühmittelalterforschung ( Universität Münster ) und der Universídad de Valladolid gehen zurück auf ein vom DAAD in den Jahren 1996–1998 gefördertes Forschungsprojekt ( Acciones integradas ) zum Einfluss Clunys in Spanien.
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Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente HANDSCHRIFTENBESCHREIBUNG
In der Bibliothek des Colegio de San Estanislao de Salamanca wird unter der Signatur: „Fondo de San Zoilo de Carrión, Nr. 4“ ein Dokument aufbewahrt, das bisher in der Forschung nicht beachtet worden ist. Es handelt sich ausweislich des Besitzvermerkes um Blätter eines ehemals sehr umfangreichen Necrologs aus dem Kloster San Zoilo de Carrión. Das Fragment besteht heute aus nur noch 28 Pergamentblättern, die von einer jüngeren Hand fortlaufend nummeriert wurden ( fol. 1r–28v ); die Kalenderdaten weisen jedoch in der jetzigen Bindung eine falsche Reihenfolge auf. Die Ränder der Blätter sind zum Teil beschädigt oder beschnitten. Das Format variiert deswegen; es ist mit ungefähr 31 × 24 cm anzusetzen. Der leichte Einband aus Pergament ist geringfügig größer. Die Bemerkung „Faltan fojas“ auf der ersten Seite oben ( fol. 1r ) verweist auf den fragmentarischen Zustand des Dossiers. Es besteht jetzt noch aus insgesamt 5 Heften mit variabler Blattzahl. Jede Seite enthält die Toteneinträge dreier Tage. Das römische Kalenderdatum ist mit roter Schrift abgesetzt. Das besondere am Necrolog von Carrión ist die getrennte Aufzeichnung von Mönchen der congregatio, d. h. der cluniacensischen Klöster, jeweils auf den Verso-Seiten. Gegenüber auf der nächsten Recto-Seite stehen die Namen der Mönche und Äbte verbrüderter Klöster, der familiares, d. h. der Freunde und Wohltäter, sowie weiterer Laien. In richtiger Reihenfolge angeordnet ergibt sich folgender Befund. Für 54 Tage sind die Recto- und die Verso-Einträge erhalten: 31. 1. – 2. 2. also 3 Tage 9. 2. – 14. 2. also 6 Tage 21. 2. – 10. 3. also 18 Tage 7. 4. – 27. 4. also 21 Tage 21. 7. – 23. 7. also 3 Tage 14. 8. – 16. 8. also 3 Tage Nur Recto- bzw. Verso-Seiten sind erhalten für jeweils 30 Tage: Recto-Seiten 28. 1. – 30. 1. 6. 2. – 8. 2. 18. 2. – 20. 2. 4. 4. – 6. 4. 18. 7. – 20. 7. 27. 7. – 29. 7. 2. 8. – 4. 8. 11. 8. – 13. 8. 23. 8. – 25. 8. 16. 9. – 18. 9.
Verso-Seiten 3. 2. – 5. 2. 15. 2. – 17. 2. 11. 3. – 13. 3. 28. 4. – 30. 4. 24. 7. – 26. 7. 30. 7. – 1. 8. 5. 8. – 7. 8. 17. 8. – 19. 8. 26. 8. – 29. 8. 19. 9. – 21. 9.
Das erste Blatt ist am äußeren Rand beschnitten, allerdings sind davon die Toteneinträge nicht betroffen. Zwischen fol. 20 und fol. 21 sind Reste eines Blattes erhalten, das nicht näher zugeordnet werden kann und nicht gezählt ist. Die Blätter 13, 22 und 23 sind zum Teil abgeschnitten, so dass dort geringe Verluste für die Ta-
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes
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geseinträge entstanden sind. Summarisch betrachtet sind also die Namen ( recto und/ oder verso ) von insgesamt 84 Tagen erhalten, das entspricht etwa einem Viertel eines ganzen Kalenderjahres. Das gesamte Necrolog muss ursprünglich 122 Blätter umfasst haben. In einer Archivbeschreibung aus dem Jahre 1635 wird das Fragment bereits treffend als ein der Abtei Cluny nahe stehendes Necrolog mit dem Eintrag von Wohltätern beschrieben: „Al Parezer es copia de otro que avia en San Pedro de Cluny, en que por los dias del año estan escritos y notados los hombres insignes y bienhechores de Cluny y de los monasterios de su congregación, notando las memorias que se hazian por ellos en aquella congregación conforme a los beneficios recibidos“ 15. Dazu passen die von einer Hand des 17. Jahrhunderts – wahrscheinlich von Juan de Cisneros, der als Archivar des Klosters die Archivbeschreibung anlegte – eingetragenen Bemerkungen in den Zwischenräumen der Toteneinträge auf der ersten Seite ( fol. 1r ): Es handele sich um ein Kalendario de los bienhechores, in dem auch die Wohltäter der Abtei und des Ordens von Cluny eingeschlossen seien, da Carrión zum Verband von Cluny gehöre. Die Mönche von San Zoilo seien mit einem Kreuz gekennzeichnet 16. Unten auf der Seite wird sogar erläutert, dass die Abkürzung m als monachus zu lesen sei. Trotz dieser richtigen und präzisen Angaben blieb das Dokument lange Zeit unbeachtet und wurde neuerdings erstmals in den Arbeiten von Palacio SánchezIzquierdo über San Zoilo erwähnt, aber nicht angemessen bewertet 17. Auf den ersten Blick fällt die ungeheure Menge der Nameneinträge auf. Auf den Verso-Seiten sind pro Tag zwischen 50 und 70 Namen von anlegender Hand eingetragen, insgesamt rund 4600. Dazu kommen noch etwa 160 Nachträge. Auf den Recto-Seiten verzeichnete die gleiche Hand – in komplexer, weiter unten beschriebener Anordnung – nur etwa zehn bis 15 Namen pro Tag. Einschließlich der Nachträge stehen auf den Recto-Seiten insgesamt fast 1050 Namen. Entsprechend den noch erhaltenen insgesamt rund 5800 Nameneinträgen wären für das Necrolog von Carrión in seiner vollständigen Version mehr als 25 200 Namen zu erwarten. Damit gehört das spanische Necrolog zu den größten erhaltenen Totenbüchern des Mittelalters überhaupt! Es ist größer als das Necrolog des cluniacensischen Klosters Longpont bei Paris, das ca. 18 000 Personennamen überliefert 18 und wird in seinem Umfang nur von
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María Luisa Palacio Sánchez-Izquierdo, Colección diplomática del monasterio de San Zoil de Carrión ( siglos XI al XV ), 2 Bde. ( Diss. Masch. ) Madrid 1988, 2, S. 553 f. Kalendario de los bienhechores desta cassa Por ser esta cassa filiacion de Cluni tenia en este chalendario los bienhechores de la Orden y casa de Cluny y los que lo eran deste monasterio estan notados con + por donde tengo por cierto queste libro fue traslado de otro de Cluni y fue gran descuydo de nuestros passados el auerle dejado perderse. fol. 1r. Vgl. o. Anm. 15. Palacio Sánchez-Izquierdo ( wie Anm. 15 ) 1, S. 647. Nach der Aufhebung von San Zoilo im Jahr 1835 gingen viele Dokumente des Klosters verloren; andere gelangten in das Archivo Histórico Nacional in Madrid. 1851 übernahmen Jesuiten die Gebäude und retteten einige Codices, darunter auch das Necrolog, vgl. Julio A. Pérez Celada, Documentación del monasterio de San Zoilo de Carrión 1 ( 1047–1300 ) ( Fuentes medievales castellano-leonesas 100 ) Palencia 1986; 2, ( 1301–1400 ) ( Fuentes medievales castellano-leonesas 101 ) Palencia 1987, 1, S. 29–31, 34. 1959 brachten die Jesuiten die Handschriften zunächst nach León ( Biblioteca del Colegio del Sagrado Corazón de la Compañía de Jesús ); erst vor wenigen Jahren, zwischen 2000 und 2006, gelangten die Manuskripte in die Bibliothek des Jesuitenkollegs San Estanislao in Salamanca. Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 13.
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Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente
den Memorialquellen aus Saint-Martin-des-Champs in Paris ( mehr als 33 000 ) übertroffen 19. Wie sich zeigen wird, ist die große Anzahl von Nameneinträgen nur erklärbar mit einer nahezu kompletten Übernahme des cluniacensischen Totengedenkens für die Mönche aller rechtlich zu Cluny gehörenden Klöster. Der Umfang liegt bereits jenseits der von Petrus Venerabilis in einem Statut festgelegten Begrenzung auf 50 Anniversarien pro Tag 20, mit der die Menge der mit jedem Gedenken verbundenen Armenspeisungen ( 365 × 50 = 18 250 ) auf ein – für ein großes Kloster wie Cluny – wirtschaftlich vertretbares Maß reduziert werden sollte, damit nicht ‚die Toten die Lebenden verdrängten‘, wie ebenfalls Petrus Venerabilis in der
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20
21
22
Franz Neiske, La mémoire des morts à Montier-en-Der. Les sources et leur fonction dans l’histoire du monastère, in: Patrick Corbet – Jackie Lusse – Georges Viard ( Hgg. ), Les moines du Der. 673–1790. Actes du colloque international d’histoire ( Joinville – Montier-en-Der, 1er–3 oct. 1998 ) Langres 2000, S. 341–358, S. 354. Statuta Petri Venerabilis Abbatis Cluniacensis IX ( 1146/7 ), hg. von Giles Constable, in: Consuetudines Benedictinae Variae ( Saec. XI – Saec. XIV ) ( CCM 6 ) Siegburg 1975, S. 19–106, De anniversariis, Nr. 32 S. 66. Vgl. Giles Constable, The Monastic Policy of Peter the Venerable, in: René Louis, Jean Jolivet und Jean Châtillon ( Hgg. ), Pierre Abélard et Pierre le Vénérable. Les courants philosophiques, littéraires et artistiques en occident au milieu du XIIe siècle ( Abbaye de Cluny, 2 au 9 juillet 1972. Actes et mémoires des colloques internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique 546 ) Paris 1975, S. 119–138, S. 132; ND: Giles Constable, Cluniac Studies, London 1980, Aufsatz III. Arnold Angenendt, Theologie und Liturgie der mittelalterlichen Toten-Memoria, in: Schmid – Wollasch ( Hgg. ), Memoria ( wie Anm. 4 ) S. 79–199, S. 197. Das ist die offizielle Begründung durch Petrus Venerabilis im Rahmen einer Reform der klösterlichen Wirtschaft, Recueil des chartes de l’abbaye de Cluny, hg. von Auguste Bernard – Alexandre Bruel, 6 Bde., Paris 1876–1903, ND Frankfurt/Main 1974, ( zukünftig zitiert: BB ) Nr. 4132, S. 479: Ne vero aliquis miretur, hunc infinitum defunctorum numerum certo, hoc est quinquagenario numero, determinatum, noverit tali hoc factum esse consilio, ne processu temporis crescentes in inmensum defuncti vivos expellerent, dum trecentos ad minus vivos et mille fortassis quandoque defunctos parvi ecclesie redditus procurare non possent. Joachim Mehne, Eine Totenliste aus Saint-Martin-des-Champs, in: Frühmittelalterliche Studien 10, 1976, S. 212–247. Dietrich Poeck, Formgeschichtliche Beobachtungen zur Entstehung einer necrologischen Tradition, in: Schmid – Wollasch ( Hgg. ), Memoria ( wie Anm. 4 ) S. 727–749, S. 741–747.
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes
147
Namen von Nonnen aus cluniacensischen Klöstern, denn ihre Namen sind fast immer auch in anderen Necrologien des Verbandes von Cluny zu finden. Die Recto-Seiten zeigen eine differenziertere Anordnung der Einträge. Insgesamt können drei Rubriken unterschieden werden, wenngleich diese nicht zu allen Tagen gefüllt sind ( vgl. Tafel XV, Abb. 52, mit fol. 14r und den Einträgen zum 7–9 April ). In der ersten Zeile sind die Namen von Männern eingetragen – ein m am Ende kennzeichnet sie als Mönche; es handelt sich also um Mönche aus Klöstern, die nicht zum cluniacensischen Verband gehörten, mit denen Cluny aber durch Verbrüderungen verbunden war. Die zweite Rubrik enthält ebenfalls Namen von Männern. Dabei scheint es sich um Kleriker ( z. B. Diakone, Priester und Bischöfe, Päpste usw. ) zu handeln oder um Laien ( z. B. miles, comes, rex, imperator ). In der dritten Zeile finden sich fast ausschließlich Namen von Frauen verschiedener Gruppen: z. B. Nonnen, Äbtissinnen, Gräfinnen, Kaiserinnen. In den beiden letztgenannten Rubriken haben 37 Namen den Zusatz amicus noster oder amica nostra. Diese verdienen besondere Aufmerksamkeit, da zu entscheiden sein wird, welches Kloster die so ausgezeichneten zu seinen Wohltätern und Freunden zählte. Bei den mittelalterlichen Necrologien sind mehrgliedrige Anordnungen der Toteneinträge zwar selten, aber nicht ungewöhnlich. Unter den erhaltenen folgen z. B. diejenigen von Saint-Martial in Limoges 23 sowie ein Necrolog des Kloster Saint-Remi in Reims 24 einem zweiseitigen Schema. Auch eine der Handschriften aus Saint-Bénigne in Dijon kennt die Unterscheidung von Personengruppen in verschiedenen Zeilen 25. Diese sehr ausdifferenzierte Anlage eines Necrologs verweist auf eine sorgfältige Beachtung der individuellen Memorialverpflichtungen. DATIERUNG DER ANLAGE
Zum 19. 9. ist Abt Wilhelm von Cluny ( † 1222 ) von anlegender Hand am Ende der Namen auf der Verso-Seite eingetragen. Zur Anlage gehören ebenfalls einige lokale Einträge aus Carrión wie der camerarius Petrus ( † 28. April 1213 ) und sein gleichnamiger Nachfolger ( † 5. Februar 1215/1219 ) sowie Didacus Lupi de Haro, der am 16. September 1214 starb 26. Als terminus post quem kann wahrscheinlich der mit einem Kreuz versehene Eintrag des ( Priors ) Gaufred von Carrión zum 4. 3. auf der VersoSeite angesehen werden. Gaufred ist noch bis 1247 nachzuweisen 27. Zu den späteren Nachträgen gehört etwa zum 15. August auf der Verso-Seite die Notiz: Iohannes Lupi prior sancte Columbe, bei dem es sich wohl um einen Prior von Cirueña handelt, einem von Nájera abhängigen Priorat; dieser Johannes ist zwischen 1255 und 1265 als Sakristan von Santa María de Nájera nachweisbar und agierte 1255 als Prozessbevollmäch-
23 24
25
26 27
Vgl. Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 41. Jean-Loup Lemaitre, Répertoire des documents nécrologiques français ( Recueil des historiens de la France publiée par l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Obituaires 7 ) 2 Bde., Paris 1980, Nr. 1699. Ebd., Nr. 236; vgl. Barbara Schamper, S. Bénigne de Dijon. Untersuchungen zum Necrolog der Handschrift Bibl. mun. de Dijon, ms. 634 ( Münstersche Mittelalter-Schriften 63 ) München 1989, S. 16. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 660–661, 646. Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 110.
148
Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente
tigter für das Kloster San Zoilo 28. Die Anlage des Necrologs ist also auf die Zeit zwischen 1222 und 1247 zu datieren. Das Necrolog wurde nach seiner Anlage, wenn auch wohl nicht fortwährend, noch bis ins 15. Jahrhundert benutzt, wie die mit Jahreszahlen versehenen Einträge zeigen 29. DAS NECROLOG VON CARRIÓN ALS CLUNIACENSISCHES NECROLOG
Auf den Verso-Seiten des Necrologs sind die Einträge in zwei Gruppen eingeteilt. In der ersten, größeren werden die Mönche kommemoriert, wie sie in nahezu gleicher Reihenfolge in anderen Totenkalendern cluniacensischer Provenienz zu finden sind. In einer abgesetzten Zeile stehen fast zu jedem Tag einige Frauennamen, zumeist Namen von Nonnen, zu denen es ebenfalls Parallelen in den cluniacensischen Necrologien gibt, dort aber an jeweils unterschiedlichen Positionen 30. Alle Einträge auf den Verso-Seiten weisen eine nahezu vollständige Übereinstimmung mit den Einträgen in cluniacensischen Necrologien auf. Berücksichtigt man nur die Namen, die von der anlegenden Hand eingetragen wurden, so findet man für 80 Prozent der Einträge Parallelen in der <Synopse der cluniacensischen Necrologien>. Eine genauere Analyse der Parallelen ermöglicht sogar Aussagen über die Redaktion des in Spanien geführten Necrologs. Die Parallelisierung der Einträge in der <Synopse> bietet die Möglichkeit, die Namen der Verstorbenen festen Zeitschichten zuzuordnen, d. h., für ihr Todesjahr einen terminus ante quem zu bestimmen. Zählt man nach solchen Vorgaben die Parallelen des Necrologs von Carrión mit der <Synopse> aus dem Zeitraum vor 1093 31, so ergibt sich eine Überstimmung von 99 Prozent. Jeder der bis zum Jahr 1093 Verstorbenen aus dem Necrolog von Carrión findet also Parallelen in anderen cluniacensischen Necrologien; die geringen Abweichungen darf man als Fehler in der Überlieferung ansehen. Berücksichtigt man nur die Zeitschicht bis 1176 32 ergeben sich immerhin noch mehr als 87 Prozent an übereinstimmenden Nameneinträgen. Das geringere Maß an Übereinstimmung ist einerseits darauf zurückzuführen, dass deutlich erkennbar <spanische> Namenformen keine Parallelen finden, also lokale Einträge nicht vom allgemeinen Totengedenken des Verbandes übernommen wurden. Andererseits weisen auch die anderen cluniacensischen Necrologien im 12. Jahrhundert mehr und mehr Sonderüberlieferungen auf: die Einheit der gemeinsamen Memoria konnte in dieser Zeit nicht mehr – wie noch im 11. Jahrhundert – allgemein gewährleistet werden. Am Beispiel der Nameneinträge eines Tages soll hier illustriert werden, wie eng die Übereinstimmungen der Überlieferung aus Carrión mit den bisher bekannten clu28
29
30
31 32
Margarita Cantera Montenegro, Santa María la Real de Nájera ( siglos XI–XIV ) 3 Bde., Madrid 1987, 2, Nr. 158, 159. Francisco Javier García Turza, Documentación del monasterio de San Prudencio de Monte Laturce ( siglos X–XV ), Logroño 1992, Nr. 79. Pérez Celada ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 133. Zum 19. September ein Eintrag zum Jahr 1451, zum 7. April zu 1471, zum 4. März zu 1476, zum 12. Februar zu 1487, zum 6. August zu 1493. Franz Neiske, Die synoptische Darstellung der cluniacensischen Necrologien, in: Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 23. Anlagezeit des Necrologs von Marcigny, vgl. Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 47. Anlagezeit des Necrologs von Saint-Martin-des-Champs, vgl. Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 47.
149
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes
niacensischen Necrologien ist. Wir wählen die Einträge zum 21. April ( fol. 17v, s. Tafel XIV, Abb. 51 ) und zeigen in weiteren Spalten die Parallelen mit den Necrologien von Moissac, Marcigny, Saint-Martin-des-Champs und Longpont. Die erste Spalte rechts neben den Namen nennt die entsprechenden Zeilen aus der <Synopse> 33. Die Ziffern in den folgenden Spalten bezeichnen die Eintragsposition im jeweiligen Necrolog. In den Necrologien nachgetragene Namen sind kursiv gesetzt. Von den Zeitschichten, wie sie sich aus den Parallelen der <Synopse> ergeben, sind zwei Fixpunkte markiert ( bis 1093 / bis 1176 ). Der in der Liste mit F1 gekennzeichnete Frauenname ( Restabilie ) – wohl der Name einer Nonne – ist im spanischen Necrolog von den Namen der Mönche abgesetzt. Auch dieser Name findet Parallelen, allerdings in einer früheren Schicht; deshalb ist er hier chronologisch richtig direkt nach 1093 noch einmal eingefügt. Nr.
Carrión
Synopse
Moissac
Marcigny
St.Martin
Longpont
2
Uuileranni abb
7
2
22
1
3
Iohannis
8
3
23
2
4
Ebrardi
10
11
24
3
5
Rostanii
11
5
25
4
6
Stephani
12
12
2
5
7
Bernardi
15
7
3
6
8
Aymonis
17
8
4
7
9
Rotberti
20
10
6
10
Petri
18
9
5
11
Acfredi
21
12
Geraldi abb
24
6
8
7
10 1
8
10
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - bis 1093 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - F1
Restabilie
27
15
62
13
Dodonis
29
16
9
14
Rotberti
37
18
10
14
15
Gisonis
31
11
15
16
Bernaldi
32
17
12
16
17
Martini
43
20
13
18
Arnaldi
44
14
19
Leodegarii
38
15
20
Bernaldi
46
Anselmi aps
50
1
33
Synopse ( wie Anm. 8 ) 2, S. 222–223a.
11
12
21
16
22
1
11
18
150
Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente
Nr.
Carrión
Synopse
Moissac
Marcigny
21
Ursi
51
22
Attonis
53
23
19
20
23
Giraldi
56
24
21
23
24
Uuilelmi
54
20
21
25
Olrici
57
26
24
26
Algisi
58
27
Leuterii
60
25
28
Teuini
61
26
29
Petri
71
35
29
30
Algurii
103
54
48
31
Humberti
66
32
28
32
Gauberti
70
33
Garsie
49
34
Geruasii
82
41
32
35
Petri
93
46
45
36
Sicherii
37
Uuiddo
95
48
42
38
Roberti
99
51
44
39
Esnudonis
100
40
Ianuarii
102
53
50
41
Constantini
104
55
47
42
Benedicti
108
59
52
43
Bernaldi
109
60
51
44
Francii
45
Ricardii
112
65
46
Uuilelmi
118
71
47
Acardi
120
72
58
48
Bernardi +
134
80
63
25
St.Martin
Longpont
17
19
27
28
34 15
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - bis 1176 - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 49
Alberti
139
86
50
Raymundi
143
51
Petri
123
73
52
Uuidonis
146
91
64 68 59
151
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes
Nr.
Carrión
Synopse
53
Uuilelmi
156
100
54
Hugonis
157
101
55
Nicholay
160
103
56
Uuilelmi
163
105
57
Iohannis
159
102
58
Uuilelmi
168
110
59
Alardi
167
109
60
Rodulfi
169
111
61
Hugonis
172
114
62
Petri
177
119
63
Stephanus
64
Iohannes
65
Uuilelmus
F1
Restabilie
27
Moissac
Marcigny
15
St.Martin
62
Longpont
69
11
Das Necrolog von San Zoilo de Carrión gehört ausweislich der zahlreichen Parallelen eindeutig in die Reihe der bisher bekannten großen Necrologien aus cluniacensischen Klöstern. Die Überlieferung der cluniacensischen Namen zeigt allerdings auch bestimmte Eigenarten. Das gilt sowohl für die Einträge auf den Recto- wie auf den Verso-Seiten. Diese sollen in zwei separaten Kapiteln weiter unten beschrieben werden. An dieser Stelle sei nur auf einige Besonderheiten des hier wiedergegebenen Beispieltages hingewiesen. Alle Namen stehen im Genitiv, da sie der einleitenden Depositio-Formel für den Erzbischof Anselm folgen. Die zeitliche Schichtung der Namen ergibt sich aus den Übereinstimmungen mit der <Synopse>, in der die Einträge in chronologischer Reihenfolge ediert sind. Bis zum Jahr 1093 finden sich für jeden Memorialvermerk aus Carrión Parallelen zumeist in mehreren anderen cluniacensischen Necrologien. Im Fall des Garsie ( 33 ) gibt es nur im Necrolog von Moissac eine Übereinstimmung – die ( spanische ) Namenform könnte also auf einen Mönch verweisen, der in die Region Südwestfrankreich oder Nordspanien gehört. In der Schicht zwischen 1093 und 1176 haben zwei Namen keine Parallelen in der <Synopse>: ( 36 ) Sicherii und ( 44 ) Franci. Der erste der beiden ist in der gesamten <Synopse> mit weniger als zehn Belegen sehr selten. Ob mit Franci ein Name oder ein Beiname gemeint ist, kann nicht entschieden werden; es handelt sich wahrscheinlich um eine falsche Genitivbildung ( von Franco ) im Gefolge der Anpassung der Tageseinträge an die Depositio-Formel zu Beginn 34. Beide Namen
34
Ein einziges solches Beispiel findet sich in der <Synopse> zum 8. Januar, Z. 33.
152
Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente
könnten zu Mönchen aus spanischen Klöstern gehören, die aus uns nicht bekannten Gründen nicht vom allgemeinen Totengedenken des Verbandes überliefert werden. Auch die nachgetragenen letzen drei Namen ( Nr. 63–65 ), die zu Mönchen aus dem 13. Jahrhundert gehören, haben keine Parallelen in der <Synopse>. Das gilt generell für die etwa 160 nachgetragenen Namen auf den Verso-Seiten. Für diese gibt es nur sehr selten mögliche Parallelen; da es sich aber zumeist um häufige Namen wie Petrus oder Johannes handelt, können das auch zufällige Übereinstimmungen sein; das ist angesichts der großen Anzahl von Namen in der <Synopse> nicht mit Sicherheit auszuschließen. Hinzuweisen ist auf die Hervorhebung des Eintrags Bernardi ( Nr. 48 ) durch ein Kreuz. Am Rand ist dazu vermerkt: Officium fiat et iusticia detur. Es handelt sich hier wohl um einen Mönch aus dem Kloster Carrión. Wie die Parallelen in den anderen Überlieferungen zeigen, wurde seiner auch in anderen cluniacensischen Klöstern gedacht. Das war offensichtlich nicht in allen Fällen gewährleistet. Insgesamt 74 Namen auf den Verso-Seiten sind mit einem Kreuz markiert. Davon gehören 18 zu den Nachträgen; diese finden keine eindeutigen Parallelen in anderen cluniacensischen Necrologien. Dagegen sind die mit einem Kreuz gekennzeichneten Namen der Anlage etwa zur Hälfte auch in den Totenbüchern des Verbandes genannt. Die Leistungen des Kloster San Zoilo de Carrión für die Totenmemoria, wie sie im Necrolog sichtbar werden, fanden also nur zum Teil die in der Cluniacensis ecclesia vorgesehenen Gegengaben, obwohl in den Quellen des Verbandes vom 11. 35 bis zum 15. Jahrhundert 36 immer wieder auf das Nachrichtensystem der Totenrotuli 37 verwiesen wird, mit dem garantiert werden sollte, dass die verstorbenen Mönche des Verbandes in allen Klöstern das vorgesehene Totengedenken fanden. Zwei weitere Einträge zum 21. April verdienen besondere Beachtung. Das Necrolog von Carrión beginnt feierlich: Depositio domni Anselmi archiepiscopi. Damit ist der bekannte Erzbischof Anselm von Canterbury gemeint, der am 21. April 1109 starb. Ihm war ein feierliches Totengedenken in Cluny durch einen Verbrüderungsvertrag zugesichert worden 38; damit gebührte ihm zugleich ein Totengedenken <wie für einen
35 36
37
38
Neiske, Schriftlichkeit ( wie Anm. 4 ) S. 102 f. Charvin ( wie Anm. 5 ) 5, S. 38 f. Quia pium est pro defunctis memoriam recenseri, diffiniunt diffinitores ut brevetario monasterii Cluniacensis, qui breve seu rotulum ejusdem monasterii per totum Ordinem et loca nostre societatis portabit, pro suo labore dabunt omnes abbates sex albos [ Silbermünzen ], priores vero conventuales quatur, alii priores non conventuales duos albos, et idem de aliis brevetariis Ordinis predicti. Jean Dufour, Recueil des rouleaux des morts ( VIIIe siècle-vers 1536 ), publié sous la direction de Jean Favier, 4 Bde. ( Recueil des historiens de la France, Obituaires 8 ) Paris 2005–2008, 3, Nr. 308, S. 375. Vgl. a. unten Anm. 216. Franz Neiske, Rotuli und andere frühe Quellen zum Totengedenken ( bis ca. 800 ), in: Uwe Ludwig – Thomas Schilp ( Hgg. ), Nomen et Fraternitas. Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag ( RGA Ergänzungsbände 62 ) Berlin 2008, S. 203–220. Anselm war seit 1079 Abt in Le Bec-Hellouin ( Normandie ) und wurde als Nachfolger des Lanfranc 1093 zum Erzbischof von Canterbury berufen. Wegen der Auseinandersetzungen mit den Königen im englischen Investiturstreit hielt er sich wiederholt in Cluny auf. 1097, anlässlich des feierlichen Empfangs Anselms in Cluny, schloss der gesamte Konvent eine Verbrüderung mit ihm ab, vgl. Patrice Cousin, Les relations de saint Anselme avec Cluny, in: Spicilegium Beccense 1: Congrès International du IXe centenaire de l’arrivée d’Anselme au Bec, Le Bec – Paris 1959, S. 439–453, S. 440. Armin Kohnle, Abt Hugo von Cluny ( 1049–1109 ) ( Beihefte der Francia 32 ) Sigmaringen 1993, S. 243–245. Zu weiteren Verbrüderungen Anselms vgl. Neiske, Vision ( wie Anm. 6 ) S. 173.
Das neu entdeckte Necrolog von San Zoilo de Carrión de los Condes
153
Cluniacenser>. In Marcigny wurde Anselm in dem um 1093 entstandenen Necrolog als 22. Name nachgetragen. Das Necrolog von Saint-Martin dagegen nennt Anselms Namen an erster Stelle. Als man in dem Pariser Kloster die uns erhaltene Necrologhandschrift 39 anlegte, konnte man auf eine ältere Vorlage zurückgreifen, in der Anselm, wie in Marcigny, ebenfalls nachgetragen worden sein musste. Jetzt aber setzte man seinen Namen an den Beginn des Tageseintrages, da ihm ein feierliches Gedenken zugesichert worden war. Um Platz für den neuen Eintrag zu schaffen, wurden die Namen der vier ersten Verstorbenen dieses Tages ausradiert und am Ende der Namenreihe, also nach den dort bis zum Jahre 1109 verzeichneten Gedenkeinträgen, wieder eingefügt ( Nr. 22–25 ). Erst die Zusammenschau in der <Synopse> lässt diesen Vorgang deutlich werden 40. Das Necrolog aus Carrión hingegen verzeichnet diese Einträge in richtiger zeitlicher Reihenfolge, nur Erzbischof Anselm ist vorangestellt, wie es sein besonderes Totenofficium verlangte. Die Vorlage für das spanische Totenbuch kann also weder zu der Traditionslinie von Saint-Martin-des-Champs noch zu der aus Longpont gehören, da dort der Name Anselms ganz fehlt 41. Noch eine weitere berühmte Persönlichkeit der mittelalterlichen Geschichte verbirgt sich unter den Nameneinträgen zum 21. April. Unter der Nummer 35 steht der häufige Name Petri. Dazu gibt es Parallelen in den Necrologien von Saint-Martin-desChamps ( 46 ) und Longpont ( 45 ). In Longpont trägt der Name den Zusatz Abaelardus; in der Überlieferung aus Saint-Martin ist daraus durch einen Fehler des Kopisten ein zweiter Name geworden: Petri, Lebardi. Natürlich handelt es sich hier um Petrus Abaelard, der am 21. April des Jahres 1124 im Cluniacenserpriorat Saint-Marcel bei Chalon-sur-Saône – als Mönch von Cluny – starb und von Petrus Venerabilis in einem langen Brief an die Äbtissin Heloïse betrauert wurde 42. Da auch Heloïse in den Necrologien der <Synopse> eingetragen war ( Saint-Martin-des-Champs Eluisa abbatissa zum 16. Mai; Saint-Saulve Heluydis zum 17. Mai ), darf man vermuten, dass ihr Name ebenso in der Handschrift aus San Zoilo auf den leider verlorenen Seiten gestanden hat. Die Nähe zur cluniacensischen Überlieferung, wie sie für das Necrolog durch die Parallelisierung der Einträge sichtbar wird, gilt auch für die liturgische Heiligenverehrung in Carrión. Darüber gibt ein Martyrolog aus dem 13. Jahrhundert Auskunft, das seit 1982 unauffindbar scheint und nur als Auszug der Tage vom 1. Januar bis 19. April
39
40 41
42
Bibl. Mazarine, ms. 3347; Lemaitre, Répertoire ( wie Anm. 24 ) Nr. 1308. Zur Ordnung der Einträge am 21. April vgl. Axel Müssigbrod, Zur Necrologüberlieferung aus cluniacensischen Klöstern, in: Revue Bénédictine 98, 1988, S. 62–113, 73 f. Vgl. o. die Parallelen zu den ersten Einträgen. Synopse ( wie Anm. 8 ) 2, S. 222. Der Eintrag des Abtes Hugo ( IV. de Clermont, † 7. 4. 1199 ) steht an erster Stelle des Tagesblockes zum 8. April. Auch hier ist also wie bei anderen bedeutenden Verstorbenen der Eintrag entgegen der zeitlichen Folge an den Beginn der Tageseinträge gestellt worden. Das konnte aber – bei einem Vorgänger des erhaltenen Necrologs – in San Zoilo selbst geschehen sein. Ein Zeichen über dem Namen verweist auf einen erläuternden Text am Rand, der aber leider verloren ist, da ein Teil des Randes abgeschnitten ist ( fol. 13v ). Giles Constable, The Letters of Peter the Venerable, 2 Bde., Cambridge ( Mass. ) 1967, 1, Nr. 115, S. 303–308. Wollasch, Cluny ( wie Anm. 1 ) S. 310–312. Karl Schmid, Bemerkungen zur Personenund Memorialforschung nach dem Zeugnis von Abaelard und Heloise, in: Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters ( wie Anm. 4 ) S. 74–127, S. 111–114.
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Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente
zugänglich ist 43. Der Codex, von Palacio Sánchez-Izquierdo als „Libro misceláneo“ bezeichnet, umfasst 112 Blätter und gehörte offensichtlich zu einem Kapitelsbuch mit Regel und Anniversarstiftungen 44. Dieses Martyrolog trägt deutlich Züge der cluniacensischen Heiligenverehrung. Neben der eigenen lokalen Tradition, wie etwa dem Gedenken an die Gründung des Klosters 45: 29. 01. Eodem die fundatio monasterii Sancti Zoili. ( S. 609 ), sind auch zahlreiche typisch cluniacensische Gedenktage aufgenommen worden 46: 01. 01. Apud Siluiniacum transitus sancti ac beatissimi Odilonis abbatis piissimi ac dulcissimi patris monachorum. ( S. 604 ) 15. 01. Ipso die Sancti Mauri abbatis discipuli diui Benedicti patris nostri … ( mit längerer Eloge, S. 606 ) 02. 02. Ipso die dedicatio altaris beatorum apostolorum Petri et Pauli, antique ecclesie Cluniaci ( S. 610 ) 47. 03. 02. Apud Sebastem ciuitatem passio sancti Blasii episcopi … ( mit längerer Eloge, S. 610 ) 01. 03. Ipso die Cluniaco monasterio translatio Sanctae Consorciae. ( S. 618 ) Sowohl in der Liturgie wie auch im Totengedenken hat man also in Carrión die Gewohnheiten Clunys weitgehend befolgt. 43
44
45
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José Luis Senra Gabriel y Galán, La portada occidental recientemente descubierta en el monasterio de San Zoilo de Carrión de los Condes, in: Archivo Español de Arte 67, 1994, S. 57–72, S. 61 Anm. 8. Transkription: Palacio Sánchez-Izquierdo ( wie Anm. 15 ) 2, S. 604–628. Ebd. 1, S. 464–473, 479–480. Zum Begriff des Kapitelsbuches vgl. Jean-Loup Lemaitre, Liber Capituli. Le livre du chapitre, des origines au XVIe siècle. L’exemple français, in: Schmid – Wollasch ( Hgg. ), Memoria ( wie Anm. 4 ) S. 625–648. Die Texte aus der Martyrolog-Handschrift werden zitiert nach dem Abdruck von Palacio SánchezIzquierdo ( wie Anm. 15 ) 2, jeweils mit Seitenzahl. Zu den folgenden Parallelen vgl. Regina Hausmann, Das Martyrologium von Marcigny-sur-Loire. Edition einer Quelle zur cluniacensischen Heiligenverehrung am Ende des elften Jahrhunderts ( Hochschulsammlung Philosophie, Geschichte 7 ) Freiburg 1984, S. 255–262. Diese Altarweihe wird in keinem der erhaltenen Martyrologien cluniacensisch geprägter Klöster erwähnt. Vgl. Paris, BNF ms. lat. 17742 ( Saint-Martin-des-Champs de Paris ); Paris, BNF ms lat. 18362 ( Beaumont-sur-Oise ); Paris, BNF ms. nouv. acq. lat. 1540 ( Longpont ); Paris, BNF ms. nouv. acq. lat. 348 ( Marcigny ). Die Kirche Cluny II wurde am 14. Februar 981 geweiht ( Ernst Sackur, Die Cluniacenser in ihrer kirchlichen und allgemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des elften Jahrhunderts, 2 Bde., Halle 1892–1894, ND Darmstadt 1971, 2, S. 372; Hausmann [ wie Anm. 46 ] S. 256 ). Da nur von der ( einer ) ‚alten‘ Kirche der Abtei Cluny gesprochen wird, muss dieser Eintrag aus der Zeit vor dem Bau von Cluny III stammen; die Altarweihe ist deshalb wahrscheinlich auf die Kirche Cluny I zu beziehen, deren Weihe Conant nach der Beschreibung in der Odo-Vita des Johannes ( lib. 2 ) auf 927 datiert ( Kenneth John Conant, Cluny. Les églises et la maison du chef d’ordre, Cambridge [ Mass. ] – Mâcon 1968, S. 50–52; Johannes von Salerno, Vita sanctissimi patris Odonis abbatis Cluniacensis, in: Bibliotheca Cluniacensis, hg. von Martin Marrier und Andreas Quercetanus, Paris 1614, Sp. 13–56, Sp. 32 ). Allerdings wird bereits zu Lebzeiten Abt Bernos ( † 13. 1. 927 ) in einer Urkunde hervorgehoben, dass das Dokument super altare Sancti Petri et Sancti Pauli niedergelegt worden sei ( BB 270; Wollasch, Cluny [ wie Anm. 1 ] S. 28 ). Die Erwähnung dieser Kirchweihe ist also vielleicht als neues Argument für die Existenz der Kirche Cluny I zu werten ( vgl. Neil Stratford, Les bâtiments de l’abbaye de Cluny à l’époque médiévale. État des questions, in: Bulletin monumental 150, 1992, S. 383–411, S. 386, S. 389: „nous ne savons rien des tout premiers édifices“ ).
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CLUNY IN SPANIEN
Die ersten Kontakte zwischen Cluny und der Iberischen Halbinsel werden in der Mitte des 10. Jahrhunderts in den katalanischen Grafschaften greifbar, die zum karolingischen Imperium gehört hatten und, zumindest theoretisch, Teil des westfränkischen Reiches waren. In einzelnen Urkunden wird der Einfluss Clunys auf die von Äbten wie Warin und Oliba geführten benediktinischen Klöster deutlich. Es handelt sich dabei um Reformen, die sich in einer vergleichbaren religiösen und kulturellen Situation wie in Cluny entwickelten, die aber nicht zu Unterordnung und Zusammenschluss von Klöstern in einem Verband führten und auch nicht direkt von bestimmten Äbten initiiert wurden. Tatsächlich ist die Einrichtung von cluniacensischen Prioraten in Katalonien erst spät in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhundert erfolgt 48 und war beschränkt auf San Pedro de Caserra und seine Dependenzen sowie auf einige von Moissac abhängige Klöster wie etwa Camprodon 49. Wie Anscari Mundó gezeigt hat, waren es andere französische Klöster, die Erfolg in Katalonien hatten, besonders SaintVictor in Marseille 50. Neue fruchtbarere Kontakte eröffneten sich in den Jahren 1025–1035 zum Königreich Navarra. Sancho III. <el Mayor>, König von Navarra ( 1000–1035 ), förderte die Reform des Klosters von San Juan de la Peña mit spanischen Mönchen, die in Cluny, von Abt Paternus angeführt, die Consuetudines der burgundischen Abtei kennen gelernt hatten 51. Von San Juan de la Peña aus wurden andere Klöster reformiert ( Leire, Oña ), wodurch sich die Bewegung über Aragon nach Kastilien ausbreitete und bald auch León erreichte. Die reformierten Klöster waren jedoch weder rechtlich von Cluny abhängig, noch folgten sie der römischen Liturgie, sondern sie bewahrten über Jahrzehnte die mozarabische Liturgie. Von den Kontakten zu Cluny blieb lediglich der Eintrag des Abtes Paternus in den cluniacensischen Necrologien 52. Sancho III. scheint auch eine größere Menge an Gold oder Silber an Cluny geschenkt zu haben 53. Nach dem Tod Sanchos versuchte Abt Odilo – offenbar ohne Er48
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Vgl. zum Folgenden auch die Zusammenfassung von Peter Segl, Die Cluniacenser in Spanien – mit besonderer Berücksichtigung ihrer Aktivitäten im Bistum León von der Mitte des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, in: Die Cluniazenser ( wie Anm. 6 ) S. 537–558; und zuletzt Carlos Manuel Reglero de la Fuente, La renovación cluniacense del benedictinismo: San Isidro de Dueñas ( 1073–1228 ), in: Los grandes monasterios benedictinos hispanos de época romanica ( 1050–1200 ), Aguilar de Campoo 2007, S. 59–85. Axel Müssigbrod, Die Abtei Moissac 1050–1150. Zu einem Zentrum cluniacensischen Mönchtums in Südfrankreich ( Münstersche Mittelalter-Schriften 58 ) München 1988, S. 137. Anscari Mundó, Moissac, Cluny et les mouvements monastiques de l’Est des Pyrénées du Xe au XIIe siècle, in: Moissac et l’Occident au XIe siècle. Actes du colloque international de Moissac 3–5 Mai 1963, Toulouse 1964, S. 229–251; engl Übers.: Monastic Movements in the East Pyrenees, in: Cluniac Monasticism ( wie Anm. 11 ) S. 98–122. Eliana Magnani Soares-Christen, Saint-Victor de Marseille, Cluny et la politique de Grégoire VII au nord-ouest de la Méditerranée, in: Die Cluniazenser ( wie Anm. 6 ) S. 321–347. Peter Segl, Königtum und Klosterreform in Spanien. Untersuchungen über die Cluniacenserklöster in Kastilien-León vom Beginn des 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, Kallmünz 1974, S. 36–38; Ders., Cluny in Spanien. Ergebnisse und neue Fragestellungen, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 33, 1977, S. 560–569, S. 562–564. Segl, Königtum ( wie Anm. 51 ) S. 36 f. Anm. 187–190. Ebd. S. 42; zum Brief Odilos vgl. ebd. S. 36. Die Vita Odilonis des Iotsald rechnet Sancho zu den großen Wohltätern Clunys, die ein besonderes Totengedenken verdienen: Iotsald von Saint-Claude, Vita des
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folg –, von dessen Söhnen Ramiro I. von Aragon ( 1035–1063 ) und García III. von Navarra ( 1035–1054 ) Schenkungen für Cluny zu akquirieren 54. Erst Abt Hugo gelang es, neue und spektakuläre Donationen von einem anderen Sohn Sanchos III. zu erhalten, von König Ferdinand I. <el Magno> von Léon-Kastilien ( 1035–1065 ). Wahrscheinlich zwischen 1054 und 1063 – das Datum muss leider unbestimmt bleiben – gewährte letzterer dem Kloster Cluny auf Lebenszeit die Zahlung von jährlich 1000 Goldmünzen ( ungefähr 3,75 Kilo ) für die Kleidung der Mönche 55. Charles Bishko vermutete, dass es sich dabei nur um etwa den zehnten Teil der sog. <Parias>, d. h. der Schutzgeldzahlungen muslimischer Taifen 56 an die Könige von Léon handelte 57. Nördlich der Pyrenäen jedoch erhielt diese Schenkung wegen des dortigen Mangels an Gold einen außergewöhnlichen Wert. Aus dieser Zeit gibt es weitere Nachrichten und Indizien einer Präsenz cluniacensischer Mönche am Hof von Ferdinand I., ohne dass irgendein Priorat des Königreichs rechtlich an Cluny übertragen worden wäre 58. Beim Tode Ferdinands I. im Jahr 1065 wurde sein Königreich zwischen seinen drei Söhnen aufgeteilt: Sancho II. erhielt das Königreich von Kastilien, Alfons VI. das von León und García wurde zum König von Galicien gesalbt. Schon bald kam es zum Krieg zwischen den Brüdern, aus dem Sancho II. als Sieger hervorging, der 1072 seinen Bruder Alfons gefangen nahm und das väterliche Königreich wieder vereinigte. Nach cluniacensischer Überlieferung wurde Alfons VI. aus der Haft bei seinem Bruder durch die wundersame Hilfe des heiligen Petrus befreit, dem claviger, der den Himmel öffnen kann 59, – ein Wunder, das durch die Gebete der Mönche von Cluny erreicht worden war 60. Einige Monate später wurde Sancho II. ermordet und Alfons eignete sich das Königreich an. Zum Dank für die Hilfe verdoppelte der König die Zahlungen, die von seinem Vater geleistet worden waren, und versprach diese – zumindest nach
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Abtes Odilo von Cluny, hg. von Johannes Staub ( MGH SS rer. Germ. 68 ) Hannover 1999, lib. I, 6, S. 156. Charles Julian Bishko, Fernando I and the Origins of the Leonese-Castilian Alliance with Cluny, in: Ders., Studies in Medieval Spanish Frontier History, London 1980, II, S. 1–136, S. 4–9. Ebd., S. 23–30. Die Schenkung wird erwähnt in Urkunden seines Sohnes, Alfons VI., vgl. BB 3638: ad vestiarium; BB 3509: causa vestimentorum. José María Lacarra, Aspectos económicos de la sumisión de los reinos de Taifas, in: Homenaje a Jaime Vicens Vives, 2 Bde., Barcelona 1965–1967, 1, S. 255–277, ND: Ders., Colonización, parias, repoblación y otros estudios, Zaragoza 1981, S. 41–76, S. 77–94. Zum Wert der Goldmünzen vgl. Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006, S. 159. Bishko, Fernando I ( wie Anm. 54 ) S. 37–53. Patrick Henriet, La politique monastique de Ferdinand Ier, in: El monacato en los reinos de Léon y Castilla ( siglos VII–XIII ), X Congreso de Estudios Medievales 2005, León 2007, S. 114–123. Chronica Naierensis, III, 15, in: Chronica Hispana. Saecvuli XII, Pars II, Chronica Naierensis, hg. von Juan A. Estévez Sola ( CC Cont. Med. 71 A ) Turnhout 1995, S. 173. Der in der Chronica Naierensis benutzte Begriff claviger beeinflusste die hagiographische Tradition in Cluny, vgl. Epitome vitae sancti Hugonis ab Ezelone atque Gilone, in: Migne PL 159, Sp. 909–918, Sp. 912: Nec mora claviger cœli, Sancio regnum usurpanti … Petri Cluniacensis abbatis de miraculis libri duo, hg. von Denise Bouthillier ( CC Cont. Med. 83 ) Turnhout 1988, lib. 1, 28, S. 91: Non parum autem, immo maxime ueritati huius uisionis attestatur quod a mortuo dictum est, Adefonsum regem a Cluniacensibus monachis sublatum, et a tormentis consimilium reorum ereptum. Nam quod omnibus pene Hispanis, et Gallis populis notum est idem rex Cluniacensis ecclesie magnus amicus, et benefactor extitit.
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cluniacensischem Verständnis – für alle Zeiten. Er bestimmte das Geld für die Ernährung der Mönche. Außerdem übertrug er zahlreiche Klöster an Cluny 61. In den Jahren 1088–1089 schickte Alfons VI. insgesamt 10 000 Goldmünzen nach Cluny, wahrscheinlich zum Ausgleich einiger Rückstände aus früheren Jahren. Abt Hugo von Cluny erlaubten diese Mittel, einen großen Teil der neuen Kirche ( Cluny III ) zu finanzieren 62. Er belohnte die großzügigen Spenden von Ferdinand I. und Alfons VI. mit einer spirituellen Gegengabe: die Könige und ihre Frauen erhielten ein besonderes Jahresgedächtnis in cluniacensischen Klöstern, wie es auch für die Kaiser Heinrich II. und Heinrich III. vorgesehen war. Die dazu geplanten Gebetsleistungen und Armenspeisungen werden in den Consuetudines Clunys präzisiert 63. Der Schutz, den Alfons VI. Cluny gewährte, galt auch für die Übertragungen weiterer Priorate wie San Isidro de Dueñas ( 1073 ), Santiago del Val ( 1077 ), Santa María de Nájera ( 1079 ) und Santa Coloma de Burgos ( 1081 ); im Jahr 1080 übergab Alfons die wichtige Abtei von Sahagún zur Reform an Cluny. Seine Tochter, die Königin Urraca ( 1109–1126 ), unterstellte Pombeiro ( 1109 ), Frómista ( 1118 ) und Villafranca ( vor 1120 ) den Cluniacensern. Alfons VII. ( 1126–1157 ) schenkte San Vicente de Salamanca ( 1143 ), und Ferdinand II. von Léon ( 1157–1188 ) schließlich Santa Ágata de Ciudad Rodrigo ( 1169 ). Diese Schenkungen wurden ergänzt durch Donationen anderer Mitglieder der königlichen Familie, wie etwa des Grafen Heinrich von Burgund, der Gräfin Teresa oder der Infantin Sancha, sowie die einiger Magnaten, besonders in der Zeit des Abtes Pontius von Cluny 64. 61
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Die Erinnerung an Alfons war in Cluny sehr lebendig. Vor allem die Viten Abt Hugos rühmen seine Großzügigkeit: Vita auctore Hildeberto Episcopo Cenomanensi, in: Acta Sanctorum, Aprilis 3, hg. von Jean Baptiste Carnandet, ND Paris – Rom 1866, S. 641–656, S. 644 f. Epitome vitae sancti Hugonis ( wie Anm. 60 ) Sp. 912. Gilo, Vita sancti Hugonis abbatis, hg. von Herbert Edward John Cowdrey: Two Studies in Cluniac History, 1049–1126 in: Studi Gregoriani 11, 1978, S. 43–110, S. 59–60. Zum Versprechen einer Verdoppelung der Zahlungen im Jahr 1077 vgl. BB 3441 und 3509; zur dauernden Zahlung vgl. BB 3638. Kohnle ( wie Anm. 38 ) S. 60 f.; Anne Baud, Cluny, un grand chantier médiéval au coeur de l’Europe, Paris 2003. Die Consuetudines Clunys heben an mehreren Stellen die besonderen Gebetsleistungen für spanische Könige und andere Herrscher hervor. Die ausführlichsten Anweisungen finden sich in der Redaktion Bernhards: Bernardi Ordo Cluniacensis, in: Vetus disciplina monastica, cura et studio Marquardi Herrgott, Paris 1726, S. 134–364; ND, hg. von Pius Engelbert, Siegburg 1999. In lib. 1, 51 ( S. 246 ) wird ein besonderes Anniversar mit gewürzten Fischen beschrieben: Ad eumdem Apocrisarium pertinet in quibusdam Anniversariis plenam refectionem Fratribus exhibere, de piscibus videlicet atque pigmento; in Anniversario scilicet primi Henrici Imperatoris, et alterius Henrici, Domni quoque Fredelani Regis Hispaniae, et Domnae Adelaidis Augustae, Domnae quoque Agnetis Imperatricis, in quorum quoque memoriis, si qua in thesauris ecclesiae de ipsorum donariis habentur ornamenta pro illorum memoria commendanda superponuntur. In der Weihnachtszeit waren keine nächtlichen Offizien für Verstorbene vorgesehen; eine Ausnahme bildete das Gedenken an Ferdinand I., lib. 2, 32 S. 355 f.: Sciendum tamen quia in octavis Dominicae Nativitatis usque post octavum diem, nullum fit in nocte Officium, excepto uno solo, in crastino Festivitatis Innocentium, quod Domnus Hugo Abbas fieri instituit pro Fredelano Hispaniarum Rege, qui multa bona loco Cluniacensi contulit, pro quo etiam sicuti pro Abbatibus nostris fit; praecepit ut singuli Sacerdotes qui ad hoc idonei videntur, Missas ipsa die pro eo cantent. Vgl. auch ebd. lib. 1, 13, S. 158, lib. 1, 41, S. 232, lib. 1, 42, S. 233. Segl, Königtum ( wie Anm. 51 ) S. 47–176. Zum Datum der Übertragung von Villafranca vgl. Mercedes Durany Castrillo, El priorato cluniacense de Santa María de Villafranca ( siglos XII–XIII ), in: Estudios Bercianos 8, 1988, S. 50–51. Über die von Segl genannten Priorate hinaus wurden weitere von Adeligen an Cluny übertragen: San Román de Entrepeñas: José Manuel Ruiz-Asencio – Irene Ruiz-
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Gegen 1200 gehörten zum cluniacensischen Verband ungefähr 32 Priorate und eine Abtei im alten Königreich Alfons’ VI., das zu dieser Zeit schon in die Reiche Kastilien, Léon und Portugal zerfallen war. Die Klöster lagen in 14 verschiedenen Diözesen; 16 Dependenzen müssen als Unterpriorate von Nájera, Carrión oder Dueñas angesehen werden. Neben Nájera und Carrión gab es nur sieben Priorate, in denen zwölf oder mehr Mönche lebten. Die Anzahl der Mönche kann insgesamt auf etwa 135 bis 180 geschätzt werden, wobei die Klöster von Nájera und Carrión als besonders starke Konvente mit circa 24 und 30 Mitgliedern hervorzuheben sind 65. Die cluniacensische Präsenz in Spanien war also insgesamt nicht sehr bedeutend. Zwischen 1173 und 1223 wurden diese Klöster in zwei Provinzen verwaltet: die Provinz Galicien umfasste Galicien, Portugal und El Bierzo ( Diözese Astorga ), die Provinz Spanien betraf Kastilien und schloss La Rioja und Léon mit ein. Nach 1223 wurden die Gebiete zur Provinz
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Albi – Mauricio Herrero-Jiménez, Colección documental del monasterio de San Román de Entrepeñas [ 940–1608 ], León 2000, S. 14–15, Nr. 12–15; Vadoluengo: Charles Julian Bishko, A hispanocluniac benefactor in the epoch of navarro-aragonese separation: Fortun Garces Cajal and the founding of San Adrian de Vadoluengo ( Sangüesa ), 1133–1145, in: Estudios en homenaje a don Claudio Sánchez-Albornoz. Anexos de Cuadernos de Historia de España, 2, Buenos Aires 1983, S. 275–312; San Boal: Reglero de la Fuente, San Isidro ( wie Anm. 13 ) S. 259–260. Zur Reform von Sahagun im Jahre 1080 vgl. jetzt: Ders., La primera reforma cluniacense de Sahagún, el concilio de Burgos y la crisis de 1080: revisión cronológica y desarrollo, in: Monarquía y sociedad en el reino de León. De Alfonso III a Alfonso VII, 2 Bde. ( Fuentes y estudios de historia leonesa 118 ) León 2007, 2, S. 689–732. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 476–495, 531–534. Ebd., S. 612–618. Charvin ( wie Anm. 5 ) 1, Statut Nr. 5 von 1205, S. 50. Jörg Oberste, Visitation und Ordensorganisation. Formen sozialer Normierung, Kontrolle und Kommunikation bei Cisterziensern, Prämonstratensern und Cluniazensern ( 12. – frühes 14. Jahrhundert ) ( Vita regularis 2 ) Münster 1996, S. 286 f. Charvin ( wie Anm. 5 ) 1, Statut Nr. 5 von 1205, S. 50–52. Zu Hugos Statuten vgl. Oberste, Visitation ( wie Anm. 67 ) S. 284. Oberste, Visitation ( wie Anm. 67 ) S. 324. Es ist nicht klar, ob zu dieser Zeit die Provinzen wirklich schon als Verwaltungseinheiten angesehen wurden; für das Königreich León ist zwischen 1105 und 1112 ein camerarius von Cluny bezeugt, der noch nicht camerarius hispaniae heißt: Pierre David, Le pacte successoral entre Raymond de Galice et Henri de Portugal, in: Bulletin Hispanique 50, 1948, S. 275–290, S. 282–284. Zu den Kämmerern Clunys in Spanien ausführlich Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 606–612.
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wurden diese zusammengefasst 70. Entsprechend nennt eine Papsturkunde aus dem Jahr 1205 noch richtig Hispania et Galicia als Provinzen, in denen die Bischöfe Abt Hugo VI. von Cluny Schutz auf seiner Spanienreise gewähren sollten 71, während in Cluny die ( späteren ) Statuten und Visitationsprotokolle nur von der einen Provinz
Am 1. August 1076 schenkte die Gräfin Teresa, Witwe des Grafen Gómez Díaz von Carrión und Saldaña, das Kloster von San Zoilo de Carrión an Cluny. Die Urkunde wurde dem Mönch Robert übergeben, damals Prior von San Isidro de Dueñas, damit er sie Abt Hugo von Cluny aushändige 75. In der Forschung hat man über eine frühere Schenkung unter Abt Odilo von Cluny oder eine cluniacensische Reform des Klosters in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Vermutungen angestellt, aber alle diese Überlegungen stützen sich auf ein Dokument, das eindeutig als gefälscht angesehen werden muss 76. Nur drei Jahre vor der Schenkung San Zoilos hatte Alfons VI. im Jahre 1073 70
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Charles Julian Bishko, The Cluniac Priories of Galicia and Portugal. Their Acquisition and Administration, 1075-c. 1230, in: Studia Monastica, 7, 1965, S. 305–356, ND in: Ders., Spanish and Portuguese Monastic History, 600–1300 ( Collected Studies Series 188 ) London 1984, XI, S. 341–346. Im Jahr 1223 nennt sich der Prior Johannes totius Hispanie camerarius ( Cantera Montenegro, Santa María la Real [ wie Anm. 28 ] 2, Nr. 145 ). Bullarium ( wie Anm. 6 ) S. 99, 2. Demetrio Mansilla, La documentación pontificia hasta Innocencio III ( 965–1216 ) ( Monumenta Hispaniae Vaticana, sección: Registros 1 ) Rom 1955, Nr. 310, S. 342. Charvin ( wie Anm. 5 ) 1, Statut Nr. 6 von 1205, S. 59; Nr. 11 S. 114, Statut von 1314; S. 257–258 Definition von 1260; S. 286 Definition von 1264; S. 295–296 Definition von 1265 und öfter. Vgl. auch Pierre Anger, Le nombre des moines à Cluny in: Revue bénédictine 36, 1924, S. 267–271. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 496–529, 534–537. … assensu et uoluntate circe Cluniacensis domni Estorgii, Ruiz-Asencio – Ruiz-Albi – Herrero-Jiménez, San Román de Entrepeñas ( wie Anm. 64 ) Nr. 49. Zu den Visitatoren der Provinzen vgl. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 624–628. BB 3492. Dietrich W. Poeck, Cluniacensis Ecclesia. Der cluniacensische Klosterverband ( 10.–12. Jahrhundert ) ( Münstersche Mittelalter-Schriften 71 ) München 1998, S. 502 f. Einige Monate später, am 29. Januar 1077, wurde die Schenkung in modifizierter Form bestätigt, wahrscheinlich als Ergebnis der Verhandlung zwischen den Parteien ( BB 3507 ). Eine Analyse der Schenkung und ihrer Probleme bietet Segl, Königtum ( wie Anm. 51 ) S. 130–138. Eine Präsenz cluniacensischer Mönche schon im Jahr 1047 wurde erstmals von Yepes zu Beginn des 17. Jahrhunderts angenommen (Antonio de Yepes, Crónica general de la Orden de San Benito, edición abreviada por fray Justo Pérez de Urbel, Madrid 1959–1960, 3, S. 49) und weitgehend ohne kritische Begründung akzeptiert. Die Annahme stützt sich auf eine Schenkung der Kirche von Arconada zuguns-
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das Kloster San Isidro de Dueñas an Cluny übertragen, das erste cluniacensische Priorat im Königreich von León 77. Die Aktionen gehören also zur ersten Schenkungsphase von Klöstern im Königreich von León an Cluny in den Jahren 1073–1081, als unter anderen auch Santa María de Nájera und Santa Coloma de Burgos durch Alfons VI. an Cluny gelangten 78. Auf die Bedeutung der Geldzahlungen dieses Königs für die Finanzen der Abtei Cluny ist bereits verwiesen worden 79. Er hatte sich im Jahr 1077 verpflichtet, jährlich die Summe von 2000 Goldmünzen an Cluny zu zahlen und verdoppelte damit die schon zwischen 1050 und 1065 von seinem Vater Ferdinand I. versprochene Zahlung von jährlich 1000 Goldstücken 80. Die Schenkung der Teresa stand vor dem Tod des Grafen Gómez Díaz ( 1057–1058 ) unter dem Patrozinium der Heiligen Dreifaltigkeit und Johannes’ des Täufers 81. In den Jahren 1066–1074 stattete Ferdinand Gómez, einer der Söhne des Grafen Gómez und der Gräfin Teresa, das Kloster mit den Reliquien der Heiligen Zoilus und Felix aus, die er in Córdoba erhalten hatte. Der Autor der Translatio nennt den Ort ecclesia paruissima und betont, dass die Gräfin Teresa später ex politis lapidibus opere mirifice ein Gebäude errichtete, damit die Mönche bequem leben könnten. Außerdem habe sie das Kloster mit reichlichen Mitteln für Ernährung und Kleidung der Mönche versehen und die Kirche mit herrlichen Ornamenten geschmückt 82. Weitere Schenkungen der Gräfin und anderer Mitglieder ihrer Familie in den letzten Jahren des 11. und im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts trugen zu einer sehr reichen Ausstattung des Klosters bei 83. Günstig wirkte sich auch die Lage in einer reichen Agrarregion aus, der sog. <Tierra de Campos>, und die Anbindung an den wichtigen Verkehrsweg für Pilger und Handel, den
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ten der ecclesie sancti Iohannis Babtiste et sanctorum Zoyli atque Felicis et monachis ordinis cluniacensis ibi Deo seruientibus, aus dem Jahre 1047, vgl. Pérez Celada, Documentación (wie Anm. 17) 1, Nr. 1. Paläographische Überlegungen verweisen das Dokument jedoch an das Ende des 12. Jahrhunderts, vgl. Palacio Sánchez-Izquierdo (wie Anm. 15) 1, S. 418. Dies erklärt die Anachronismen, die der Text enthält: die Referenz Mitte des 11. Jahrhunderts zum ordo cluniacense mit einem Ausdruck, der erst eineinhalb Jahrhunderte später verwendet wurde, oder das Patrozinium des heiligen Zoilus für das Klosters; dessen Reliquien wurden erst zwischen 1066 und 1074 dorthin transferiert, vgl. den Translationsbericht in der Biblioteca Nacional de Madrid, Manuscritos 11556, fol. 141r–142v. Eine andere Unstimmigkeit ist die Nennung des Grafen Gómez als Schenker (Ego prefatus comes Gomez … dono) während sonst von ihm in der Vergangenheitsform gesprochen wird und er als schon verstorben bezeichnet wird (fuit comes nomine Gomez). Vgl. Reglero de la Fuente, San Isidro ( wie Anm. 13 ). Segl, Königtum ( wie Anm. 51 ) S. 50–69. Vgl. o bei Anm. 56 und Anm. 61. Bishko, Fernando I ( wie Anm. 54 ). Segl, Königtum ( wie Anm. 51 ) S. 73–77. Zu den Beziehungen zwischen Ferdinand I. und Cluny vgl. zuletzt: Henriet, La politique monastique ( wie Anm. 58 ). BB 3507. Biblioteca Nacional de Madrid, Manuscritos 11 556, fol. 141r–142v. Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 9, 11, 18, 20, 22, 30. BB 3900; Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 21, 23, 24, 25, 27. Francisco Javier Peña Pérez, Documentación del monasterio de San Juan de Burgos ( 1091–1400 ), Burgos 1983, Nr. 6. Zum Prior Stephan vgl. jetzt: Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 208–214.
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Zu San Isidro de Dueñas und den Urkunden der frühen Geschichte Clunys in Spanien vgl. Reglero de la Fuente, San Isidro ( wie Anm. 13 ) S. 132–138. Dufour ( wie Anm. 36 ) 1, Nr. 104, S. 275 ( 1102 ); Nr. 127. S. 609 ( 1130 ). Historia Compostellana, lib. 2, 6, hg. von Emma Falque Rey ( CC Cont. Med. 70 ) Turnhout 1988, S. 231–232. Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 21. Außerdem schenkte Urraca ihm im Jahr 1120 Besitzungen in Arconada, ebd., Nr. 23. Historia Compostellana ( wie Anm. 87 ) lib. 2, 8–9, S. 233–237; zum Tod des Gelasius in propria domo vgl. Neiske, Verhältnis ( wie Anm. 6 ) S. 311. Die Historia Compostellana nennt fälschlich B. als Prior von Carrión, obwohl die Quellen von San Zoilo richtig S. überliefern. Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 27. Stefan Weiß, Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bis Coelestin III. ( 1049–1198 ), Köln 1995, S. 113–115. Historia Compostellana ( wie Anm. 87 ) lib. 3, 14. S. 441. BB 4005–4007; Segl, Königtum ( wie Anm. 51 ) S. 150, 165. Patrick Henriet, Un hagiographe au travail: Raoul et la réécriture du dossier hagiographique de Zoïle de Carrión ( annees 1130 ). Avec une première édition de deux prologues de Raoul, in: Monique Goullet – Martin Heinzelman ( Hgg. ), La réecriture hagiographique dans l’Occident médiéval. Transformations formelles et idéologiques, Ostfildern 2003, S. 251–283. Charles Julian Bishko, Peter the Venerable’s Journey to Spain in: Giles Constable – James Kritzeck ( Hgg. ), Petrus Venerabilis ( 1156–1956 ). Studies and Texts Commemorating the Eigth Centenary of his Death ( Studia Anselmiana 40 ) Rom 1956, S. 163–175, ND in: Ders., Spanish and Portuguese Monastic History ( wie Anm. 70 ) XII. Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 37.
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Santa María de Nájera. Ab 1169 bezeichneten sich dann die Prioren von San Zoilo als camerarius Hispanie, allerdings waren die Priorate von Galicien und Portugal in der so genannten
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Zu Humbertus vgl. Charles Julian Bishko, El abad Radulfo de Cluny y el prior Humberto de Carrión, camerario de España. Tres cartas inéditas de hacia 1174, in: Anuario de Estudios Medievales 1, 1964, S. 197–215. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 218–220, 612–614. Humbertus ist noch 1189 nachweisbar: José Luis Martín, Orígenes de la Orden Militar de Santiago ( 1170–1195 ), Barcelona 1974, Nr. 252, 253. Zur Provinz Galicien: Ders., Cluniac Priories ( wie Anm. 70 ). Während des Priorats von Humbert wurden die Könige Alfons VIII. von Kastilien ( 1169 ) und Alfons IX. von León ( 1188 ) im Kloster von San Zoilo zum Ritter geschlagen, BB 4230; Chronica latina regum Castellae, hg. von Luis Charlo Brea, in: Chronica hispana saeculi XIII ( CC Cont. Med. 73 ) Turnhout 1997, S. 7–118, cap. 11, S. 44. BB 4469bis. Zu Petrus vgl. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 614–616. BB 4469bis. BB 4513, 4514. Hansmartin Decker-Hauff, Das Staufische Haus, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur, 3: Aufsätze Katalog der Ausstellung [ des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart ], Stuttgart 1977, S. 361 f.; Peter Csendes, Philipp von Schwaben. Ein Staufer im Kampf um die Macht, Darmstadt 2003, S. 203. Luis Charlo Brea entschied sich in der Edition der kastilischen Königschronik an dieser Stelle für die Lesung: commendatarium Carrionensem ( Chronica latina [ wie Anm. 97 ] cap. 40, S. 83 ) an Stelle von comerarium, was Cabanes vorgezogen hatte ( María Deseamparados Cabanes Pecourt, Crónica latina de los reyes de Castilla [ Textos medievales 11 ] Valencia 1964, S. 77 ) und was eher auf camerarium verweist, eine Schreibweise, die auch in einer Schenkungsurkunde für Carrión begegnet: Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 83. Bishko, Cluniac priories ( wie Anm. 70 ) S. 353–355. Crónica latina de los reyes de Castilla ( wie Anm. 101 ) S. 77; Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 83, 86, 87, 90. Cantera Montenegro, Santa María la Real ( wie Anm. 28 ) 2, Nr. 138, 140, 142–146, 148–151. Als Prior von Villafranca: BB 4554. Zum Prior und camerarius Johannes vgl. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 220–223, 618–620.
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rekt zustehenden Anteil behalten, die Einkünfte aus Pfarrkirchen, die zu den Prioraten gehörten, fielen an die Bischöfe 104. Die Amtsführung des Priors Iohannes wurde von den Mönchen von Nájera zwar scharf kritisiert 105, aber es gibt keine vergleichbaren Nachrichten aus Carrión selbst. Mit seiner Amtszeit gingen die Jahre des Wohlstands für das Kloster San Zoilo zu Ende und gleichzeitig die Phase des größten Einflusses der Ecclesia cluniacensis in Spanien. Aus den folgenden Jahrzehnten sind nur wenige Quellen für San Zoilo erhalten. Eine Visitation im Jahr 1245 zeigt, dass es 32 Mönche gab; zugleich wurden einige Führungsprobleme bemängelt. Der Prior und die obedientiarii wurden gezwungen, vor dem Kapitel des Klosters Rechenschaft abzulegen, der elemosinarius sollte zukünftig die Armen besser versorgen. Um dem Verfall der Klosterdisziplin vorzubeugen befahl man, entgegen einem Dispens des früheren Abtes, die strenge Beachtung der Fleischabstinenz 106. Generell waren die Zustände in den spanischen Prioraten nicht ernsthaft zu beanstanden, zumindest nicht in dem Maße, wie später im 14. Jahrhundert. Der Prior von San Zoilo blieb weiterhin bis 1335 camerarius der Provinz
Wir können davon ausgehen, dass die Abtei Cluny als Zentrale des Verbandes alle rechtlich unterstellten Klöstern sofort nach deren Übertragung mit verschiedenen Handschriften für das monastische Leben ausgestattet hat. Das bedeutet, dass unter anderem sowohl Consuetudines als auch Martyrolog- und Necrologabschriften dem neuen Kloster zur Verfügung gestellt werden mussten, damit in Liturgie und Alltagsleben die Reformideale Clunys befolgt werden konnten. Zur Einübung der Lebensgewohnheiten wurden gleichzeitig einzelne Mönche für die Dauer einiger Wochen oder Monate nach Cluny entsandt 108. Man hat also wohl auch in San Zoilo de Carrión nach der Übertra104
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BB 4539, 4541, 4554, 4555. Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) 1, Nr. 93. Luciano Serrano, D. Mauricio, obispo de Burgos y fundador de su catedral, Madrid 1922, Nr. IX. Archivo de la Catedral de Zamora, leg. 21, Nr. 1. Vgl. zu diesem Streit jetzt Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 358–396. BB 4596. BB 4861. Die Belege für den camerarius finden sich in der Dokumentation von San Zoilo de Carrión: Pérez Celada, Documentación ( wie Anm. 17 ) und bei Cantera Montenegro, Santa María la Real ( wie Anm. 28 ) in den Bänden 2 und 3. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 604–622. Burkhardt Tutsch, Studien zur Rezeptionsgeschichte der Consuetudines Ulrichs von Cluny ( Vita regularis 6 ) Münster 1998, S. 9–11; Andreas Sohn, Der Abbatiat Ademars von Saint-Martial de Limoges ( 1063–1114 ). Ein Beitrag zur Geschichte des cluniacensischen Klosterverbandes ( Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinertums 37 ) Münster 1989, S. 121–133, mit Verweis auf mögliche Probleme bei der Einführung der neuen Traditionen.
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gung an Cluny eine Necrologabschrift erhalten, die dann entsprechend den innerhalb des Verbandes verbreiteten Nachrichten über verstorbene Mönche 109 fortgeführt werden konnte. Betrachtet man die Übereinstimmungen und Differenzen mit der <Synopse> genauer, so ergeben sich eine Reihe von Auffälligkeiten, die eine eigenständige Prägung der spanischen Überlieferung des cluniacensischen Totengedenkens anzeigen. Obwohl, wie oben gezeigt, bis zum Ende des 11. Jahrhunderts eine fast vollständige Übereinstimmung durch die möglichen Namenparallelen zu konstatieren ist, sind dennoch Eigenarten und Abweichungen bei der Anordnung des Namengutes festzustellen. Auf diese Weise eröffnet sich eine Möglichkeit, die Besonderheiten der Memorialüberlieferung aus Carrión sichtbar zu machen und ihre Nähe oder Distanz zu den anderen Necrologredaktionen zu beschreiben. Da man die Menge der Nameneinträge nicht auf dem Wege einer historischen Verifizierung, d. h. durch Identifizierung aller Personen analysieren kann, müssen hilfsweise andere Methoden herangezogen werden. Bei der kritischen Edition von Sprachtexten können mit Argumenten wie „semantisch kohärent“, d. h., inhaltlich sinnvoll, und „komplettiertes Ganzes“, d. h., ihr Beginn und ihr Ende sind nicht willkürlich, relativ leicht Fehler der Überlieferung entdeckt werden 110. Schwieriger ist es dagegen, die sachlich-inhaltliche
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Vgl. o. bei Anm. 37. Egon Werlich, Typologie der Texte. Entwurf eines textlinguistischen Modells zur Grundlegung einer Textgrammatik, Heidelberg 1975, S. 16. Ebd. S. 16. Franz Neiske, Textkritische Untersuchungen an cluniacensischen Necrologien: Verdoppelung von Nameneinträgen, in: Gerd Althoff – Dieter Geuenich – Otto Gerhard Oexle – Joachim Wollasch ( Hgg. ), Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1988, S. 257–287. Siegfried Zörkendörfer, Verfahren zur Abschätzung von Doppeleinträgen, in: ebd., S. 289–296.
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deren Zahl mit vermutlich( ! ) 14 Fällen erstaunlich klein. Das Necrolog aus Carrión überliefert unter diesem Gesichtspunkt die cluniacensische Memoria präziser als einige der anderen großen cluniacensischen Necrologien. Das wird auch deutlich, wenn man einzelne Tage einer genaueren Analyse unterzieht. Die Einträge zum 17. August erscheinen allein im Necrolog von Marcigny in einer Anordnung, die nicht der chronologischen Folge der Todesdaten entspricht, wie sie vor allem die älteren Überlieferungen aus Saint-Martial und Moissac notieren. Die ersten acht Namen aus Marcigny: ( 1 ) Bertrannus, ( 2 ) Godoenus, ( 3 ) Raimbertus, ( 4 ) Isnardus, ( 5 ) Otulfus, ( 6 ) Raimfredus, ( 7 ) Arnaldus, ( 8 ) Durannus, sind in den anderen Necrologien erst ab Position 10 zu finden und damit einem späteren Zeithorizont zuzuordnen. Da an diesem Tag keine Umstellung der Namen wegen der Hervorhebung eines Würdenträgers nötig war 114, haben wir es hier nicht nur mit einer singulären, sondern wahrscheinlich auch
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Neiske, Synoptische Darstellung ( wie Anm. 30 ) S. 23. Poeck, Formgeschichtliche Betrachtungen ( wie Anm. 22 ) S. 735. Vgl. die o. bei Anm. 41 beschriebenen Fälle. Müssigbrod, Necrologüberlieferung ( wie Anm. 39 ) S. 71. Kohnle ( wie Anm. 38 ) S. 251 mit weiterer Literatur. Franz Neiske, La tradition nécrologique d’Adélaïde, in: Patrick Corbet – Monique Goullet – Dominique Iogna-Prat ( Hgg. ), Adélaïde de Bourgogne. Genèse et représentation d’une sainteté impériale ( Actes du colloque international du Centre d’Études Médiévales – UMR 5594, Auxerre 10 et 11 décembre 1999 ) Dijon 2002, S. 81–93, S. 86 f. Dietrich Poeck, Ein Tag in der Synopse der cluniacensischen Necrologien, in: Frühmittelalterliche Studien 16, 1982, S. 193–207, S. 203 f., mit Auszug aus der <Synopse> und Facsimilia der Handschriften zum 29. April ( Tafel VIII ).
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Carrión hingegen haben die notwendigen Umstellungen nur wenige Spuren hinterlassen. Hier wurde Bischof Theoger von Metz, der im gleichen Jahr 1120 als Mönch in der Abtei Cluny gestorben war 121, an die ursprünglich von Abt Hugo belegte Stelle gesetzt, die Reihenfolge der anderen Namen aber blieb weitgehend erhalten. Auch in diesem Fall zeigt sich, dass die Redaktion der Nameneinträge in San Zoilo nicht mit den anderen Necrologien übereinstimmt, was für eine eigene Texttradition spricht. Es kann nicht entschieden werden, ob diese in Spanien selbst erfolgte oder aus einer anderen, uns bisher nicht bekannten Überlieferung stammt. Neben der Reihenfolge kann auch die Form der Einträge selbst differieren. Abgesehen von den hier nicht zu diskutierenden namenphilologischen Varianten 122 fallen die unterschiedlichen Zusätze zu den Namen sofort auf. Trotz des Wunsches nach einer – im Idealfall – einheitlichen Memorialüberlieferung gibt es bei den Amtstiteln der Verstorbenen immer wieder Unterschiede. So ist etwa der Bischof Adraldus von Chartres – ehemals Prior von Payerne und Abt von Breme, eingetragen zum 10. Februar – in den Necrologien von Saint-Martial als abbas bezeichnet. Das Necrolog von Marcigny verweist darauf, dass Adraldus Bischof und Abt gewesen sei; in Saint-Martin-desChamps wurde er als Bischof vermerkt, und die jüngste Überlieferung dieser Reihe, das Necrolog von Longpont, nennt auch seinen Amtsort: Depositio domni Adraldi episcopi Carnotensis. Die Handschrift aus Carrión verzeichnet ihn als episcopus. Da Adraldus bereits 1075 starb 123, wird sein Eintrag schon in der von Cluny an San Zoilo übermittelten Vorlage in dieser Form gestanden haben. Rainald, ein Neffe Abt Hugos von Cluny, war zunächst Abt von Vézelay gewesen, bevor er Erzbischof von Lyon wurde 124. Auch seine Einträge, zum 7. August, differieren: In den Necrologien von Marcigny und Saint-Martin steht archiepiscopus, in Longpont fehlt jeglicher Titel und in Carrión ist er als abbas vermerkt. Ähnlich unterschiedlich ist Bischof Goderannus von Saintes, ehemals Abt von Maillezais ( † 1071 ) 125, zum 6. August eingetragen. In allen cluniacensischen Necrologien, einschließlich dem aus San Zoilo, hat er einen Depositio-Eintrag als Bischof, nur in Marcigny wird er als Abt und Bischof geführt. Interessanter ist aber der ihm folgende Name eines Guitbertus. Dieser ist, wie man am ältesten Necrolog aus Saint-Martial sehen kann, wenig später als Goderannus gestorben. Alle Necrologien der <Synopse> verzeichnen ihn in der richtigen chronologischen Schicht, nur die Tradition aus Saint-Martin-des-Champs hat seinen Namen unmittelbar hinter den Bischof an die zweite Position der Tageseinträge gesetzt, wohl als man Goderannus mit einem Depositio-Eintrag ehren wollte. Dadurch aber figuriert Guitbertus jetzt vor den Namen von fünf schon vor ihm verstorbenen 121
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Vita Theogerii abbatis S. Georgii et episcopi Mettensis, hg. von Philipp Jaffé ( MGH SS 12 ) Hannover 1856, S. 449–479, S. 479. Wolf-Dieter Heim, Lemmatisierung und Registrierung der Personennamen, in: Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 28–33. Joachim Mehne, Cluniacenserbischöfe, in: Frühmittelalterliche Studien 11, 1977, S. 241–287, S. 255 f. Mehne, Cluniacenserbischöfe ( wie Anm. 123 ) S. 265. Er verfasste in seiner Amtszeit als Abt von Vézelay eine Vita Hugonis, Vies de S. Hugues de Cluny par l’abbé Renaud de Vézelay, hg. von Robert B. C. Huygens, in: Vizeliacensia II. Textes relatifs à l’histoire de l’abbaye de Vézelay ( CC CM 42, Suppl. ) Turnhout 1980, S. 35–67; er starb 1129 und wurde in Cluny begraben. La Chronique de Saint-Maixent ( 751–1140 ), hg. von Jean Verdon ( Les classiques de l’histoire de France au Moyen Age 33 ) Paris 1979, S. 140. Mehne, Cluniacenserbischöfe ( wie Anm. 123 ) S. 256 f.
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Mönchen. Diese Umstellung muss entstanden sein, als man den Bischof von Saintes, dessen besondere Regelstrenge in seiner Zeit als Mönch in Cluny sogar in einer der Hugo-Viten hervorgehoben wird 126, an die Spitze der Namen des 6. August setzte. Dieser ansonsten singulären Form folgt auch das Necrolog von San Zoilo. Hier ist also die Nähe zum Necrolog aus Saint-Martin größer. Da gemäß dem Ideal eines in allen Klöstern zu beachtenden Totengedenkens die Namen der Mönche zumindest bis etwa zur Mitte des 12. Jahrhunderts zumeist in mehreren Necrologien parallel überliefert sind, fällt eine Besonderheit der Handschrift aus Marcigny auf. Dort finden sich vermehrt singulär tradierte Namen. Für die im Fragment von Carrión erhaltenen Tage können in der <Synopse> rund 500 singuläre Namen aus Marcigny nachgewiesen werden. Für diese fehlen aber nicht nur in der <Synopse> die Übereinstimmungen. Auch in Carrión lassen sich fast keine Parallelen zu diesen Einträgen auf den Verso-Seiten nachweisen, wo man sie als Einträge von <Mönchen> erwarten müsste. Nur in 14 Fällen ( von 500 ) gibt es eine Parallele – diese betreffen aber bis auf eine Ausnahme Namen, die im Necrolog von Marcigny nachgetragen sind. Auch hier zeigt sich, dass die spanische Redaktion weit entfernt ist von der Überlieferung aus Marcigny. Eigenständigkeit dokumentiert das Necrolog aus San Zoilo aber auch noch in einem weiteren Punkt. Auf den Verso-Seiten sind – darauf ist schon mehrfach verwiesen 127 worden – in deutlichem Abstand von den Namen der Mönche zu einzelnen Tagen Frauennamen eingetragen, die zwar Parallelen in anderen Necrologien finden, dort aber nicht in gleicher Weise von der Gruppe der Mönche getrennt sind. Sehr wahrscheinlich handelt es sich hier um Nonnen aus cluniacensischen Frauenklöstern. Ob mit diesen Frauen aber immer Nonnen gemeint sind, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, da sich etwa für die Abtei Moissac nachweisen lässt, dass Frauen auch durch Konversion oder Schenkungen an das Kloster ein Totengedenken wie die Mönche erhalten konnten 128. Das könnte auch für einige Einträge im Necrolog von Carrión zutreffen, denn zum 27. Februar steht die Infantin ( ? ) Sancha ( Sancia ) dort am Ende der Rubrik der Nonnen, hervorgehoben durch ein Kreuz, das mit der Randbemerkung Officium fiat et iusticia detur ein besonderes Gedenken der Gemeinschaft fordert. In gleicher Weise wurde zum 5. August einer Frau namens Sol gedacht. Unter den Frauennamen sind nur diese beiden mit einem Kreuz gekennzeichnet und damit den Mönchen aus San Zoilo im Gedenken gleichgestellt. Für beide gibt es keine Parallelen in den übrigen Necrologien der <Synopse>. Da es aber in Spanien keine cluniacensischen Frauenklöster gab, waren auch sie offenbar keine Nonnen oder sie waren Nonnen etwa in Marcigny ( der Katalog der dort eingetretenen Damen nennt eine Sancia und eine Solicie, die bisher allerdings anders identifiziert werden 129 ) und wurden nur
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Vita auctore Hildeberto ( wie Anm. 61 ) S. 653C. Vgl o. bei Anm. 30. Axel Müssigbrod, Frauenkonversionen in Moissac, in: Historisches Jahrbuch 104, 1984, S. 113–129, stellt, S. 114 Anm. 6, Namen solcher Frauen zusammen, zu denen sich auch in Carrión Parallelen finden lassen. Else Maria Wischermann, Marcigny-sur-Loire. Gründungs- und Frühgeschichte des ersten Cluniacenserinnenpriorates ( 1055–1150 ) ( Münstersche Mittelalter-Schriften 42 ) München 1986, S. 413, Kommentar S 1; S. 414, Kommentar S. 5. Vgl. ebd., S. 512 zu einem möglichen Frauenkloster in Leyre.
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wegen ihrer speziellen Verdienste um Carrión in San Zoilo besonders kommemoriert. Das könnte bei Sancha der Fall sein 130. Deutlicher noch treten die formalen Unterschiede zu den Necrologien der <Synopse> hervor, wenn man die Recto-Seiten untersucht. Dort wurden zahlreiche Namen mit dem Zusatz amicus noster / amica nostra versehen. Im nächsten Kapitel soll gezeigt werden, dass die Toteneinträge auf diesen Seiten in bisher unbekannter Vielfalt eine Memoria für die Freunde und Wohltäter des Klosters Cluny begründen sollten. Die bereits früher im Rückgriff auf die Consuetudines als ideale Ordnung für die cluniacensischen Necrologien vorgeschlagene Gruppierung: professi, sanctimoniales, familiares / amici 131 scheint bisher allein in dem neu entdeckten Fragment aus Carrión verwirklicht worden zu sein. Dieses Ergebnis lässt vermuten, dass dieses Necrolog eine größere Nähe zum verlorenen Necrolog der Abtei Cluny haben könnte, als alle anderen bisher bekannten. FAMILIARES VON CLUNY IM NECROLOG VON CARRIÓN
Auf den bisher nur kurz beschriebenen Recto-Seiten eröffnet das Necrologfragment von Carrión de los Condes entscheidend neue Einsichten in das Totengedenken der Abtei Cluny und des cluniacensischen Klosterverbandes. Wie bereits angedeutet, sind die Einträge auf diesen Seiten in drei Kategorien unterteilt, die generell den familiares, also den Verbrüderten sowie den Wohltätern, Freunden und Verwandten zugerechnet werden können. Diese Zuordnung wird durch entsprechende Ergänzungen zu den Namen erleichtert. Da man im Priorat San Zoilo – wie in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt – auf den Verso-Seiten nahezu vollständig die uns bisher bekannten Mönche aus cluniacensischen Necrologien kommemorierte, stellt sich für die RectoSeiten die Frage, ob man auch hier vorrangig die familiares des cluniacensischen Klosterverbandes eingetragen hat, oder ob der Kreis der lokalen spanischen Wohltäter und Freunde Vorrang hatte. Die Namen der ersten Rubrik beziehen sich auf Mönche aus Klöstern, die nicht Mitglied der Cluniacensis ecclesia waren, mit denen man aber eine Verbrüderung abgeschlossen hatte. Zum 2. August ist Abt Helgodus ( † 1104 ) von Marmoutier ( dép. Indre-et-Loire ) verzeichnet, der gleichzeitig nur im Necrolog von Saint-Martin-des130
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Die Identifizierung ist nicht sicher. Es könnte sich um die Infantin Sancha, Tochter des Grafen Raimund von Burgund und der Königin Urraca, handeln, vgl. García Calles, Doña Sancha, hermana del Emperador. Estudio histórico-documental, León – Barcelona, 1972. Sancha starb am 1. März ( Necrolog der Kathedrale von León ) oder am 28. Februar 1159 ( Epitaph in der Kirche San Isidoro von León ) vgl. Julio Pérez Llamazares, Historia de la Real Colegiata de San Isidoro de León, León 1927, ND León 1982, S. 386–387. Ana Suárez González, „Del pergamino a la piedra“ – „De la piedra al pergamino“ ( Entre diplomas, obituarios y epitafios medievales de San Isidoro de León ), in: Anuario de Estudios Medievales, 33, 2003, S. 365–415, S. 391–394. Sancha hatte die Klöster San Miguel vor den Toren von Zamora und Távara an Marcigny übertragen, vgl. Luis-Miguel Villar García, Documentación medieval de la catedral de Segovia ( 1115–1300 ), Salamanca 1990, Nr. 60. Jean Richard, Le cartulaire de Marcigny-sur-Loire ( 1045–1144 ). Essai de reconstitution d’un manuscrit disparu, Dijon 1957, Nr. 304 und Nr. 305. Wischermann, Marcigny-sur-Loire ( wie Anm. 129 ) S. 205 f. Zu den Beziehungen der Infantin Sancha zu Cluny vgl. Segl, Königtum ( wie Anm. 51 ) S. 174–176; Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 167–168, 662–664. Poeck, Formgeschichtliche Betrachtungen ( wie Anm. 22 ) S. 733.
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Champs erscheint. In einer Urkunde zur Beilegung eines Streites mit den Mönchen von Saint-Martin, die auf Vermittlung durch Papst Urban II. zustande kam, nennt die Arenga pacis et unitatis vincula illibata, die es zu bewahren gelte 132. Es liegt nahe, hier auch an eine Verbrüderung zu denken. Hinter dem zum 27. April verzeichneten Manasses abbas verbirgt sich der Abt des flandrischen Klosters Bergues-St-Winnoc ( dép. Nord ), der zum gleichen Tag auch in Saint-Bénigne in Dijon kommemoriert wurde, und dessen Tod nach 1083 anzusetzen ist 133. Neben den Äbten sind aber auch zahlreiche einfache Mönche in dieser Rubrik überliefert, zu der insgesamt fast 600 Namen gehören. Aus methodischen Gründen seien hier nur wenige der Parallelen zu Mönchen mit sehr seltenen Namen aus anderen Necrologien genannt. Ein Auitor zum 17. April findet seine Parallele in einem Avitus, der singulär im Necrolog von Marcigny zum gleichen Tag überliefert wird. Das gleiche gilt für einen Gazo, der in Carrión und in Marcigny zum 25. Februar eingetragen ist. Ein Ballo zum 3. August ist auch singulär in Saint-Martin überliefert. Ein Esinio zum 9. März findet seine Parallele in dem singulären Eintrag des Necrologs von Saint-Martial in Limoges. Das gilt auch für einen Simphorianus, der in Carrión und in Saint-Martial zum 10. März verzeichnet wurde. Ein Salo dagegen kann mit einem gleichnamigen miles identifiziert werden, der unter den familiares in den Necrologien von Longpont und Saint-Martin steht. In einigen anderen Fällen kann die Singularität eines Namens als Argument dafür herangezogen werden, dass sich unter Einträgen, die in den Necrologien der <Synopse> als Professen cluniacensischer Klöster aufgeführt sind, in Wahrheit Mönche anderer – verbrüderter – Gemeinschaften verbergen können. Das gilt etwa für die schon genannten Esinio ( 9. März ), Simphorianus ( 10. März ), Ballo ( 3. August ) und auch für Frodinus ( 16. August ), die jeweils nur einmal in der <Synopse> erscheinen und in Carrión zum gleichen Datum unter den verbrüderten Mönchen der Recto-Seiten vermerkt sind. Hier zeigt sich, dass das Necrolog von Carrión die familiares der Abtei Cluny deutlicher unterscheidet, als die bisher bekannten, in der <Synopse> edierten Necrologien. Das gilt vor allem für die zahlreichen – im Zusammenhang der <Synopse> – singulären Einträge in Marcigny, die folglich nicht mehr ausnahmslos als cluniacensische Mönche 134, sondern eher als verbrüderte Mönche oder Laien bzw. als Wohltäter Clunys anzusehen sind. In dieser ersten Rubrik auf den Recto-Seiten des Fragments aus San Zoilo verweist ein m am rechten Rand darauf, dass hier Mönche eingetragen seien. Gleichwohl sind dort Bischöfe und sogar einige milites und comites zu finden. Bischöfe konnten natürlich Mönche gewesen sein, wie etwa Erzbischof Halinard von Lyon, der ehemalige Abt von Saint-Bénigne. Zu seinem Todestag, dem 29. Juli, ist er mit Depositio-Vermerk ( Aynardi archiepiscopi ) im Necrolog von Carrión unter den verbrüderten Mönchen ver132
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Liber testamentorum Sancti Martini de Campis. Reproduction annotée du manuscrit de la Bibliothèque Nationale, hg. von Émile Louis Coüard u. a. ( Publications de la Conférence des Sociétés Historiques du département de Seine-et-Oise ) Paris 1905, Nr. 29, S. 38 f. Schamper ( wie Anm. 25 ) S. 196, A 47. Joachim Wollasch, Die Wahl des Papstes Nikolaus II., in: Josef Fleckenstein – Karl Schmid ( Hgg. ), Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, Freiburg – Basel – Wien 1968, S. 205–220, S. 215.
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zeichnet 135. Er war nicht Mönch eines cluniacensischen Klosters und ist auch im Necrolog von Saint-Martin-des-Champs unter den Mönchen ohne Parallelen zu anderen Totenbüchern der <Synopse> nur deshalb überliefert, weil er irrtümlich nach dem gleichen Fehlermuster wie etwa Papst Gregor VII. aus der Rubrik der Familiares in die der Mönche eingetragen wurde 136. Das gilt ebenso für Bischof Ursus von Beauvais ( † 1089 ), der zum 19. April verzeichnet ist und wie Halinard nur im Necrolog von Saint-Martin auftritt. Der Bischof Wolbodo von Lüttich ( † 21. April 1021 ) fehlt dagegen vollständig in den bisher bekannten cluniacensischen Necrologien. Wolbodo, Kaplan Kaiser Heinrichs II., war einer der großen Förderer der lothringischen Reformbewegungen. Er setzte sich dafür ein, dass das Jakobuskloster in Lüttich durch Mönche aus Verdun erneuert wurde und gründete selbst das Kloster Saint-Laurent in Lüttich 137. In seinem Bistum wurde Wolbodo als Heiliger verehrt. Im Necrolog von Carrión verbirgt sich sein Gedenken hinter dem Eintrag Wlpotonis episcopi zum 21. April, seinem Todestag. Er muss als Förderer des Reformmönchtums eine spezielle Memoria unter den familiares des Klosters Cluny erhalten haben und auf diese Weise in das spanische Necrolog gelangt sein. Er steht in der Reihe der Mönche – allerdings ist nicht bekannt, ob er als Kleriker oder als Mitglied einer monastischen Gemeinschaft starb. Ebenso fehlt in den bisher bekannten cluniacensischen Necrologien ein weiterer der frühen Freunde Clunys, Erzbischof Teotolo von Tours ( † 28. April 945 ) 138. Sein Eintrag zum 24. April im Necrolog von Carrión ist besonders feierlich: Et deposicio domni Teuthelanis archiepiscopi. Er war zusammen mit Odo von Cluny Kanoniker in Saint-Martin in Tours und unterstützte das neu gegründete Kloster offensichtlich mit Handschriften aus dem reichen Skriptorium der Bischofskirche von Tours. Für ihn war Abt Odo von Cluny in seiner Zeit in Tours offenbar als Urkundenschreiber tätig. Ob er allerdings vor der Übernahme des Bischofsamtes in Tours auch Mönch in Cluny geworden ist, dürfte angesichts der Überlieferung aus Carrión unter den Mönchen befreundeter Klöster zweifelhaft sein 139.
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Schamper ( wie Anm. 25 ) S. 189 f., A 14. Franz Neiske, Réforme clunisienne et réforme de l’Eglise au temps de l’abbé Hugues de Cluny, in: La reforma gregoriana y su proyección en la cristiandad Occidental. Siglos XI–XII ( XXXII Semana de Estudios Medievales Estella 18–22 julio 2005 ) Pamplona 2006, S. 335–359, S. 341. Sackur, Cluniacenser ( wie Anm. 47 ) 2, S. 174 f. Hubert Dauphin, Le bienheureux Richard, abbé de Saint-Vanne de Verdun, mort en 1046, Löwen – Paris 1946, S. 201 f. Fernand Vercauteren, Notes sur les origines de Saint-Laurent de Liège, In: Rita Lejeune ( Hrsg. ), Saint-Laurent de Liège. Église, abbaye et hôpital militaire. Mille ans d’histoire, Liège 1968, S. 15–24, S. 19. Stefan Weinfurter – Odilo Engels ( Hgg. ), Series episcoporum ecclesiae catholicae occidentalis ab initio usque ad annum MCXCVIII, V, Germania, 1, Archiepiscopatus Coloniensis, 1982, S. 69 f. Michèle Courtois, Remarques sur les chartes originales des évêques, antérieures à 1121 et conservées dans les bibliothèques et archives de France. Étude d’un cas particulier: Téotolon, archevêque de Tours, in: Michel Parisse ( Hg. ), A Propos des actes d’évêques. Hommage à Lucie Fossier. ( Collection
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Im Falle des Bucardus comes zum 26. Februar ist der Eintrag in der Rubrik der verbrüderten Mönche berechtigt, denn es handelt sich hier um den Grafen Burchard von Vendôme ( † 1005 ), der kurz vor seinem Tode in dem auf seine Bitte von Maiolus von Cluny reformierten Kloster Saint-Maur-des-Fossés ( dép. Val-de-Marne ) Mönch geworden war 140. Ob das auch für den Grafen Nuño Pérez de Lara ( † 1177 ) gilt, der zum 3. August als Nuno comes vermerkt ist und am Rand den Zusatz officium fiat et iusticia detur trägt, ist unwahrscheinlich, da er bei der Belagerung von Cuenca starb. Er gehört zu den einflussreichsten Persönlichkeiten in den ersten Jahren der Regierungszeit König Alfons’ VIII. Er war Inhaber der Tenencia von Carrión ( 1165, 1176 ), von Dueñas ( 1162, 1173 ), von San Román ( 1171, 1172 ) und von Nájera ( 1176 ) und stand damit in direktem Kontakt mit den cluniacensischen Prioraten im Königreich Kastilien. Durch seine Heirat mit Teresa Fernández, der Tochter des Grafen Fernando Pérez de Traba und Teresa von Portugal, zweier Wohltäter Clunys, gehörte er gleichzeitig zu den Freunden der burgundischen Abtei auf der Iberischen Halbinsel 141. Er müsste, entsprechend dem Eintrag im Necrolog von Carrión, Mönch eines verbrüderten Klosters gewesen sein, doch gehört er wohl eher in die Rubrik der befreundeten Laien, der Wohltäter cluniacensischer Klöster, der wir uns jetzt zuwenden wollen. Die zweite Rubrik auf den Recto-Seiten des Necrologfragments enthält Laien und Kleriker, die als Wohltäter des Klosters angesehen werden können. Insgesamt 300 Personen sind dieser Gruppe zuzuordnen. Darunter allein rund 40 milites, mehr als 20 Grafen und Vicegrafen, 6 Könige oder Kaiser, 13 Bischöfe und Erzbischöfe, aber auch 2 Äbte und 4 Päpste und weitere Kleriker. Rund 20 Personen in dieser Kategorie werden zusätzlich als amici nostri bezeichnet. Bei den beiden Äbten muss offen bleiben, ob sie irrtümlich in die Rubrik der Wohltäter eingetragen wurden, denn sie würden – entsprechend ihrer Identifizierung und Bedeutung für Cluny – eigentlich in der gerade vorgestellten Reihe der verbrüderten Mönche zu erwarten sein. Dazu gehört der zum 18. Juli eingetragene Abt Isenbardus abbas, der im Necrolog von Saint-Martin ohne näheren Hinweis zum 18. Juli unter den familiares begegnet, aber im Necrolog von Saint-Germain 142 zum gleichen Tag mit dem Hinweis abbas sancti Germani leicht identifiziert werden kann als Abt von Saint-Germain-des-Prés ( † 1103 ) 143. Der zweite dieser Äbte ist Adelbertus von Saint-Mihiel ( † 1076 ), der zum 15. April eingetragen ist 144, aber in der <Synopse> keine eindeutige Parallele aufweist. Auch Bischöfe, die in den Necrologien der <Synopse> unter den Familiares figurieren, finden sich im Necrolog von San Zoilo in dieser Rubrik. So etwa Bischof Landricus von Mâcon ( † 24. August 1096 ) 145, der im Necrolog von Marcigny unter den
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Schamper ( wie Anm. 25 ) S. 233, C 7. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 659–660. Lemaitre, Répertoire ( wie Anm. 24 ) Nr. 1291. Gallia christiana in provincias ecclesiasticas distributa, 7, Paris 1744, Sp. 438. Schamper ( wie Anm. 25 ) S. 214, A 137. Maria Hillebrandt, Berzé-la-Ville. La création d’une dépendance clunisienne, in: Le gouvernement d’Hugues de Semur à Cluny. Actes du Colloque scientifique international ( Cluny, septembre 1988 ) Ville de Cluny 1990, S. 199–229, S. 207.
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Franz Neiske – Carlos Manuel Reglero de la Fuente
Wohltätern steht, ebenso wie Erzbischof Hugo von Besançon ( † 27. Juli 1066 ), der Abt Hugo von Cluny geweiht hatte 146. Zum 27. Juli ist Bischof Turpio ( † 944 ) von Limoges verzeichnet, der in den Necrologien von Saint-Martial unter den familiares zu finden ist, aber in den anderen Necrologien der <Synopse> fehlt. Er stammte aus der Familie der Vizegrafen von Aubusson. Sein enger Kontakt mit Cluny lässt sich daran ablesen, dass er von Abt Odo als sodalis amicus bezeichnet wurde. Er war es, der den Abt von Cluny zur Abfassung der Vita Geralds von Aurillac ermunterte 147. Bischof Fulbert von Chartres ( † 1028 ) dagegen, der zum 10. April eingetragen wurde, führt zum 11. April die Liste der Mönche im Necrolog von Marcigny an, hat aber keine Parallelen in anderen Überlieferungen der <Synopse>. Fulberts Bewunderung für die Äbte von Cluny spricht aus seinen Briefen; er nannte Abt Odilo archangelus monachorum 148. Seine Aufnahme in das Totengedenken Clunys unter der Rubrik der Freunde ist nicht erstaunlich und kann als weiterer Beweis dafür gelten, dass die mehrfach geäußerte Vermutung, Fulbert habe eine Mönchsprofess abgelegt, falsch ist 149. Bischof Renco von Clermont ( † 1052 ), eingetragen zum 16. September in der gleichen Rubrik, kann identifiziert werden mit Hilfe des Necrologs von Saint-Robert de Cornillon 150, das zum Verband von La Chaise-Dieu gehörte. Renco zählte zu den wichtigsten Akteuren auf dem Friedenskonzil von Bourges im Jahre 1031 151 und kann damit zu den Unterstützern Odilos von Cluny im Bemühen um die Verbreitung des Gottesfriedens angesehen werden 152. Auch die Einträge von Königen und Kaisern auf den Recto-Seiten weisen Besonderheiten auf. Hier sollen nur diejenigen vorgestellt werden, die bisher im cluniacensischen Totengedenken nicht bezeugt waren. Zum 28. Januar ist Karl der Große ( † 814 ) eingetragen 153, zum 2. März die Kaiserin Kunigunde ( † 3. März 1023 ), die Gemahlin Heinrichs II., die trotz ihrer Kanonisation im Jahre 1200 im Necrolog verblieb 154. Das gilt in gleicher Weise für König Stephan ( István ) I., den Heiligen ( † 1038 ) von Ungarn, dessen Gedenken zum 15. August vermerkt ist. ( Et depositio domni Stephani regis ungrorum ). Stephan wird in der Vita Odilonis des Iotsald wie der bereits erwähnte Sancho III. zu den vorbildlichen und gerechten Königen gerechnet 155, und Rudolf Glaber
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Mehne, Cluniacenserbischöfe ( wie Anm. 123 ) S. 284. Wollasch, Königtum ( wie Anm. 139 ) S. 129. Iotsald von Saint-Claude, Vita ( wie Anm. 53 ) S. 166 Anm. 89. Franz Neiske, Charismatischer Abt oder charismatische Gemeinschaft? Die frühen Äbte Clunys, in: Giancarlo Andenna – Mirko Breitenstein – Gert Melville ( Hgg. ), Charisma und religiöse Gemeinschaften im Mittelalter ( Vita regularis. Abhandlungen 26 ) Münster 2005, S. 55–72, S. 68 f. Die entsprechende Literatur ist bei Schamper ( wie Anm. 25 ) S. 176, E 12, zusammengefasst. Lemaitre, Répertoire ( wie Anm. 24 ) Nr. 2426. Reinhold Kaiser, Art.: Bourges, Friedenskonzilien v., in: LMA 2, 1983, Sp. 515. Wollasch, Cluny ( wie Anm. 1 ) S. 106 f. Karl wird im Zusammenhang mit dem Kloster Moissac in einer Sonderüberlieferung der Vita Odilonis des Iotsald genannt: Iotsald von Saint-Claude, Vita ( wie Anm. 53 ) S. 276. Heinrich II. war eine Verbrüderung mit dem Konvent von Cluny eingegangen, vgl. Joachim Wollasch, Kaiser Heinrich II. in Cluny, in: Frühmittelalterliche Studien 3, 1969, S. 327–342, S. 334. Kunigunde wird auch im Necrolog von Saint-Bénigne kommemoriert, Schamper ( wie Anm. 25 ) S. 225, I 3. Iotsald von Saint-Claude, Vita ( wie Anm. 53 ) S. 156.
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gab ihm dem Ehrentitel rex christianissimus 156. Stephan stand im Briefwechsel mit Abt Odilo und hatte Cluny reich beschenkt 157. Viele seiner geistlichen Berater waren vom Geiste Clunys geprägt 158. Der Einfluss Clunys auf die Ausbildung eines christlichen ungarischen Reiches 159 wird heute allerdings nicht mehr als entscheidend angesehen 160, denn monastische Reformen ließ Stephan in Ungarn durch die Abtei Montecassino durchführen 161. In einem Brief Abt Odilos an König Stephan wird eine Schenkung von Reliquien des Papstes Marcellus erwähnt und der Abt von Cluny verspricht dem König von Ungarn, man werde instantissima et continua prece für seine Seelenheil beten 162. Als weiterer ungarischer König ist Geza I. ( Geycha, † 25. April 1077 ) mit dem Eintrag Hyenonis regis ungrorum zum 21. April unter den Wohltätern zu finden. Er war über Adelheid und Berta von Turin dem Reformkreis um Fruttuaria verbunden. Sein Königtum wurde durch Papst Gregor VII. bestätigt 163. Ob er darüber hinaus in besonderer Beziehung zu Cluny stand, ist nicht bekannt. Zum 8. April folgt auf die Depositio-Einträge von Papst Benedikt VIII. und Bischof Fulbert von Chartres die Doppelmemoria Ludouici et Hugonis regum. Auch diese Könige haben keine Parallelen in anderen cluniacensischen Necrologien. Es handelt sich offensichtlich um den Karolingerkönig Ludwig ( II. ), <den Stammler> ( † 10. April 879 ) 164, und um Hugo von Arles und Vienne, König von Italien, der ebenfalls an einem 10. April im Jahre 948 starb. Hugo war der Schwiegervater der Kaiserin Adelheid und ist wohl deshalb auch im Necrolog von Merseburg verzeichnet 165. Er gehörte allerdings auch, wie Ingelberga, die Gemahlin des Gründers von Cluny, Herzog Wil-
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Rudolf Glaber, Historiarum libri quinque, III, 2, Rodolfo il Glabro, Cronache dell’anno mille ( Storie ) hg. von Guglielmo Cavallo und Giovanni Orlandi, Mailand 1989, S. 112. Odilo Ringholz, St. Odilo, der große Marienverehrer, Einsiedeln 1922, S. 35. Thomas von Bogyay, Stephanus rex. Versuch einer Biographie, Wien – München 1975, 48 f. György Györffy, König Stephan der Heilige, Budapest 1988, 54–98. Bálint Hóman, König Stephan I., der Heilige. Die Gründung des ungarischen Staates, Breslau 1941, S. 139 f. William Toth, The Christianization of the Magyars, in: Church History 11, 1942, S. 33–54, S. 53 f. György Székely, Ungarns Stellung zwischen Kaiser, Papst und Byzanz zur Zeit der Kluniazenserreform, in: Spiritualità cluniacense ( Convegni del centro di studi sulla spiritualità medievale 2 ) Todi 1960, S. 312–325, S. 314. Lajos J. Csóka, Clunyi szellemü volt-e a magyar egyház a XI. században?, in: Regnum. Egyháztörténeti Évkönyv 5, 1942/1943, S. 141–176, S. 148–150. Herbert Edward John Cowdrey, The Age of Abbot Desiderius. Montecassino, the Papacy, and the Normans in the Eleventh and Early Twelfth Centuries, Oxford 1983, S. 10. Ilona Király, Szent Márton magyar király legendája. A magyar bencések árpádkori francia kapcsolatai. A Berta-monda magyar vonatkozásai ( Bibliothèque de l’Institut français à l’Université de Budapest 8 ) Budapest 1929, S. 8. Székely ( wie Anm. 159 ) S. 320; Gregorii VII Registrum, Das Register Gregors VII., hg. von Erich Caspar ( MGH Epistolae selectae 2 ) Berlin 1920/1923, Briefe an Geza: 1, 58; 2, 63 und 70. Karl Ferdinand Werner, Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000, in: Wolfgang Braunfels u. a. ( Hgg. ), Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben 4, Düsseldorf 1967, S. 403–484, S. 437–440. Johannes Fried, Boso von Vienne oder Ludwig der Stammler? Der Kaiserkandidat Johanns VIII., in: Deutsches Archiv 32, 1976, S. 193–208. Gerd Althoff, Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen ( Bestandteil des Quellenwerkes Societas et Fraternitas ) ( Münstersche Mittelalter-Schriften 47 ) München 1984, S. 364.
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helm von Aquitanien, zur Familie der Bosoniden 166. Schon 934 hatte er die Höfe Ambérieux und Savigneux im Gebiet von Lyon an Cluny übertragen 167. Die Einträge aus der Karolingerzeit verdienen besondere Beachtung, denn für Ludwig <den Stammler> kann ebenso wie für den bereits zuvor erwähnten Eintrag Karls des Großen kein Bezug zu Cluny hergestellt werden. Zu den verbrüderten Mönchen auf den Recto-Seiten gehört sogar ein Bischof der Karolingerzeit. Es handelt sich um den ehemaligen Abt von Saint-Germain Ebroin, der als Ebroinus episcopus zum 17. April eingetragen ist. Damit ist Bischof Ebroin von Poitiers gemeint, der um 851/852 gestorben ist 168. Es stellt sich damit die Frage, ob nicht im neu gegründeten Kloster Cluny zu Beginn ältere Memorialtraditionen von einer uns unbekannten Gemeinschaft aus dem karolingischen Westfrankenreich übernommen wurden, um ein erstes necrologisches Gedenken zu begründen. Denkbar wäre eine Verbindung über Saint-Martin in Tours, wo Abt Odo von Cluny seine erste Profess ablegte. Von dort brachte er nach Auskunft der Vita des Johannes 100 Handschriften mit nach Baume. Ein Schatz, der später wohl nach Cluny gelangte 169. Auch der oben genannte Eintrag des Erzbischofs Teotolo von Tours könnte ein Hinweis auf eine Anknüpfung an eine Tradition aus Tours sein. Zum 20. Juli ist König Robert II. <der Fromme> ( † 1031 ) in der Rubrik der Wohltäter verzeichnet. Robert förderte das Reformmönchtum in vielerlei Hinsichten. Er übergab die Königsabtei Saint-Germain-des-Prés zur Reform an Abt Wilhelm von Dijon und gehörte zu den Unterzeichnern der Gründungsurkunde von Fruttuaria 170. Für Cluny bestätigte er die Übertragung von Saint-Côme-et-Damien bei Chalon-sur-Saône und stellte auf Bitten Papst Johannes XIX. einen speziellen Schutzbrief aus, in dem der Burgenbau im Gebiet der Abtei Cluny untersagt wurde 171. Seine Memoria in Cluny wurde ausdrücklich in einer Urkunde Bischof Hugos von Chalon gefordert, mit der dem Kloster der Besitz des Priorates Paray-le-Monial erneut zugesichert wurde 172. Bei den hier vorgestellten Herrschern handelt es sich um Personen, deren Gedenken in Cluny sinnvoll zu begründen wäre, die aber wider Erwarten in keinem der bisher bekannten cluniacensischen Necrologien genannt werden. Das Necrolog von Carrión
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Barbara H. Rosenwein, To Be the Neighbour of Saint Peter. The Social Meaning of Cluny’s Property, 909–1049, Ithaca – London 1989, S. 182, Genealogie 8. BB Nr. 417. Barbara H. Rosenwein, Les bienfaiteurs de Cluny en Provence ( v. 940 – v. 1050 ), in: Saint Mayeul et son temps. Millénaire de la mort de Saint-Mayeul, 4e abbé de Cluny, 994–1994, Actes du Congrès International, Valensole 12–14 Mai 1994, Digne-les-Bains 1997, S. 121–136, S. 127. Otto Gerhard Oexle, Bischof Ebroin von Poitiers und seine Verwandten, in: Frühmittelalterliche Studien 3, 1969, S. 138–210, S. 191; Ders., Forschungen zu monastischen und geistlichen Gemeinschaften im westfränkischen Bereich ( Bestandteil des Quellenwerkes Societas et Fraternitas ) ( Münstersche Mittelalter-Schriften 31 ) München 1978, S. 20 f., 108. Else Maria Wischermann, Grundlagen einer cluniacensischen Bibliotheksgeschichte ( Münstersche Mittelalter-Schriften 62 ) München 1988, S. 34 f. Neithard Bulst, Untersuchungen zu den Klosterreformen Wilhelms von Dijon ( 962–1031 ) ( Pariser historische Studien 11 ) Bonn 1973, S. 71, 235. BB 2711; 2785; 2800. William Mendel Newman, Catalogue des Actes de Robert II, roi de France, Paris 1937, Nr. 17. Papsturkunden 896–1046, hg. von Harald Zimmermann ( Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Denkschriften [ Veröffentlichungen der Historischen Kommission 3–5 ] ) 3 Bde., 2: 996–1046, Wien 1985, Nr. 572. Vgl. dazu Anm. 177.
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enthält also mehr als die in der <Synopse> dargestellten Überlieferungen das Totengedenken für die familiares der Abtei Cluny selbst. Das gerade beschriebene Phänomen setzt sich bei anderen Magnaten fort. Zum 31. Januar ist Herzog Wilhelm ( V. ) von Aquitanien ( † 1030 ) eingetragen, ein Vetter König Roberts des Frommen und guter Freund Bischof Fulberts von Chartres. An Cluny übertrug er Besitz in Niort ( dép. Deux-Sèvres ) zur Einrichtung einer Memoria im Hauptkloster und in den abhängigen Dependenzen und bestimmte ausdrücklich deren immerwährende Beachtung: ut memoria mei in memorato loco et in omnibus appenditiis ejus perpetualiter teneatur 173. Wilhelm verbrachte die letzten Jahre seines Lebens als Mönch im Kloster Saint-Maixent ( dép. Deux-Sèvres ) 174. Folgerichtig steht er im Necrolog von San Zoilo nicht unter den befreundeten Laien, sondern in der Rubrik der verbrüderten Mönche auf der Recto-Seite. Als letztes Beispiel für die im Fragment von Carrión genauer als in anderen cluniacensischen Necrologien überlieferten Wohltäter Clunys sei auf den Grafen Lambert von Chalon-sur-Saône ( † 978 ) verwiesen. Sein Name erscheint zum 23. Februar im Necrolog von Marcigny an erster Stelle unter den Mönchen des Verbandes, allerdings ohne einen weiteren erklärenden Zusatz 175. Das hat zu der Vermutung geführt, er könne am Ende seines Lebens Mönch in einem cluniacensischen Kloster geworden sein 176. Zum 22. Februar ist er im Necrolog von Carrión in der Rubrik der befreundeten Laien eingetragen mit dem ausführlichen Depositio-Eintrag: Lamberti comitis amici nostri. Ihm wurde durch seinen Sohn, den Grafen und Bischof Hugo von Chalon 177, in zwei Urkunden für Cluny ein besonderes Totengedenken gestiftet. In einer Besitzbestätigung für das Priorat Paray-le-Monial wird eine Memoria für die gesamte Familie Lamberts und für König Robert den Frommen ausbedungen, außerdem für alle Christgläubigen 178. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, wie zurückhaltend die isoliert in Marcigny überlieferten Einträge zu beurteilen sind 179. Die Liste der Einträge nach diesem Muster lässt sich mit zahlreichen Beispielen erweitern. Einem Liutfredus, allein in Marcigny zum 12. Februar entspricht ein Laufredus ( ? ) unter den verbrüderten Mönchen in San Zoilo, einem Aribertus in Marcigny zum 9. März ein Arbertus im San Zoilo, einem Alimarus ein Aluarus zum 20. April. Einer Hymineldis, isoliert in Marcigny zum 19. April eingetragen, steht in Carrión eine gleichnamige Frau in der dritten Rubrik der familiares gegenüber. Das gilt auch für eine Emma
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BB 2737; weitere frühere Schenkungen Wilhelms an Cluny: BB 2716, 2709. Benoît Cursente, Art.: Wilhelm V. d. Gr., in: LMA 9, 1998, Sp. 137 f. Chronique de Saint-Maixent ( wie Anm. 125 ) S. 114. Franz Neiske, Les débuts du prieuré clunisien de Paray-le-Monial, in: Paray-le-Monial, 28–29–30 Mai 1992. Actes du Colloque ( Association du IXème centenaire de la basilique ) Paray-le Monial 1994, S. 134–144, S. 143. Constance B. Bouchard, Sword, miter and cloister. Nobility and the Church in Burgundy, 980–1198, Ithaca – London 1987, S. 106, 307–309. Franz Neiske, Cluniacensisches Totengedenken in Souvigny. Fragmentarische und spätmittelalterliche Überlieferung im Vergleich mit der Synopse der cluniacensischen Necrologien, in: Frühmittelalterliche Studien 19, 1985, S. 432–465, S. 452. Bouchard ( wie Anm. 175 ) S. 106–110. BB 2484: Facit autem hanc donationem … pro anima patris sui Lanberti ac matris sue Adeleydis, ac gloriosi Rodberti regis atque Aeynrici ducis … pro cunctis preteritorum scilicet ac futurorum seu presencium orthodoxis hec donacio fiat. Neiske, La tradition nécrologique ( wie Anm. 119 ) S. 92.
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zum 21. April. Die hier postulierte Einschätzung der singulären Einträge in Marcigny sei nur an zwei weiteren Beispielen erläutert, die das geschilderte Muster bestätigen. Zum 6. April steht im Necrolog von Marcigny – ohne Parallelen in der <Synopse> – ein Torincus; zum gleichen Tag findet man im Fragment aus San Zoilo einen Torincus comes unter den Mönchen aus verbrüderten Klöstern. Ein zweites Beispiel bietet der Bischof Hilbodus ( von Mâcon [ ? ] † um 850 ); singulär in Marcigny zum 21. Juli, entspricht diesem Eintrag ein Hildebodus episcopus zum 22. Juli in der Rubrik der Wohltäter in der Handschrift aus Carrión. Bischof Leotulf von Augsburg ( † 16. Juli 976 ) und Bischof Hildebold von Chalon ( † 5. Februar 949 ), beide nur im Gedenken aus Marcigny überliefert 180, fehlen auch im Necrolog von San Zoilo – auf den entsprechenden Verso-Seiten – bei den Mönchen. Die Recto-Seiten dieser Tage sind leider nicht erhalten. Wir dürfen aber angesichts der bisher vorgestellten Beispiele mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sie dort unter den Freunden und Wohltätern gestanden haben. Auch dieser Hildebold, der Maiolus zum Abt geweiht hat 181, kann also – wie die anderen singulär in Marcigny überlieferten Personen – nur als Freund Clunys, aber nicht als Mönch von Cluny in Anspruch genommen werden 182. Joachim Mehne hat bereits 1977 die Beobachtung gemacht, dass Bischöfe und Erzbischöfe, die Cluny als Konsekratoren besonders nahe standen, immer nur im Necrolog von Marcigny eingeschrieben wurden 183. Das Necrolog aus Carrión bestätigt nun die dort nicht weiter verfolgte Vermutung, dass es sich in diesen Fällen bei den Einträgen in der Rubrik der Mönche nicht um Professen Clunys handelt 184. Bei der Redaktion des Totenbuches von Marcigny sind – gegenüber den anderen cluniacensischen Necrologien – gravierende Umstellungen der Namen vorgenommen worden. In diesem Zusammenhang sind offensichtlich auch nahezu alle Äbte und Bischöfe, die in der Abtei Cluny als familiares kommemoriert wurden, in die Rubrik der Mönche gelangt. Nach der Entdeckung des Necrologs von Carrión ist es deshalb wohl künftig nicht mehr möglich, die nur im Necrolog von Marcigny als Mönche von Cluny eingetragenen Personen generell als cluniacensische Professen anzusehen 185. Die Untersuchung der Wohltäter und Freunde verspricht weitere Einsichten in das Gebetsgedenken der Abtei Cluny selbst. Hier sei nur auf wenige Beispiele verwiesen. Zum 8. Februar ist im Necrolog von Carrión mit Archimbaldus miles ein Mitglied
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Mehne, Cluniacenserbischöfe ( wie Anm. 123 ) S. 283. Neiske, La tradition nécrologique ( wie Anm. 119 ) S. 91 f. Ulrich Winzer, Cluny und Mâcon im 10. Jahrhundert, in: Frühmittelalterliche Studien 23, 1989, S. 154–202, S. 169. Joachim Wollasch, Cluny und das Grabkloster der Kaiserin Adelheid in Selz: Eine Spurensuche, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 116, 2005, S. 19–31, S. 25. Mehne, Cluniacenserbischöfe ( wie Anm. 123 ) S. 283 f. Vgl. dazu auch Neiske, Souvigny ( wie Anm. 176 ) S. 449. Joachim Wollasch, Il monachesimo in età ottoniana, in: Ettore Cau – Aldo A. Settia ( Hgg. ), San Maiolo e le influenze cluniacensi nell’Italia del Nord. Atti del Convegno Internazionale nel Millenario di San Maiolo ( 994–1994 ) Pavia – Novara, 23–24 settembre 1994 ( Biblioteca della Società Pavese di Storia Patria, NS 7 ) Como 1998, S. 169–184, S. 182. Wollasch, Cluny ( wie Anm. 1 ) S. 79, 117. Wollasch, Grabkloster ( wie Anm. 182 ) S. 22.
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der Gründerfamilie des Priorates Souvigny genannt 186, dessen Name in den Necrologien der <Synopse> fehlt. Auch die Markgräfin Beatrix von Tuszien ( † 1076 ) war bisher aus cluniacensischen Totenbüchern nicht bekannt. In Carrión wird sie zum 18. April, ihrem Todestag, mit der Erläuterung aufgeführt: Beatrix marchisa amica nostra. Die Forschung ist der Meinung: Die „These, dass bereits Beatrix die Klöster ihres Herrschaftsbereichs in engere Verbindung mit Cluny gebracht habe, … entbehrt jeder Grundlage“ 187. Erst die Tochter Beatrix’, die durch ihre Rolle in Canossa bekannte Markgräfin Mathilde, habe Klöster an Cluny übereignet 188. Angesichts des Eintrags der Markgräfin als amica Clunys bedarf es neuer Überlegungen zu den möglichen Verbindungen zwischen Beatrix und Cluny. Sie war nämlich durch ihre Ehe mit Gottfried dem Bärtigen von Oberlothringen die Schwägerin Papst Stephans IX. geworden 189 und unterstützte die Wahl von dessen Nachfolger, Papst Nikolaus II. 190 Vielleicht hat doch die ältere italienische Forschung Recht, die bereits in Beatrix eine Parteigängerin der cluniacensischen Reform in Italien sah 191. Der Eintrag der Markgräfin Beatrix steht auf den Recto-Seiten des Necrologs von Carrión in einer – für jeden Tag vorgesehenen – dritten Rubrik der familiares, die ausschließlich Namen von Frauen enthält, insgesamt rund 150, darunter Nonnen, Äbtissinnen und Königinnen. Entsprechend der gesamten Konzeption der Überlieferung aus Carrión ist davon auszugehen, dass auch diese Einträge, da sie auf den Recto-Seiten stehen, keine Nonnen eines cluniacensischen Frauenklosters enthalten können. Um diese Vermutung zu beweisen, wurden alle für das Kloster Marcigny von Else Maria Wischermann in einem Katalog 192 beschriebenen Nonnen dieses Priorates mit den Namen der verbrüderten Frauen aus dem Necrolog von San Zoilo verglichen, soweit für erstere ein Todesdatum zu ermitteln war. Das Ergebnis bestätigte die Hypothese: Zwischen diesen beiden Listen von Frauennamen gibt es keine Übereinstimmungen. Es muss sich also immer um Frauen handeln, die in Cluny als familiares kommemoriert wurden 193 oder in besonderer Beziehung zu San Zoilo standen. Es genügt, im Folgenden zwei Frauen aus dieser Reihe vorzustellen. Ihr Eintragsmuster bestätigt die bei den anderen Wohltätern ermittelten Ergebnisse.
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Jean-Loup Lemaitre, Un nouveau témoin du nécrologe de Cluny. Mabillon et le nécrologe de Souvigny, in: Frühmittelalterliche Studien 17, 1983, S. 445–458, S. 450; Neiske, Souvigny ( wie Anm. 176 ) S. 448. Elke Goez, Beatrix von Canossa und Tuszien. Eine Untersuchung zur Geschichte des 11. Jahrhunderts ( Vorträge und Forschungen. Sonderband 41 ) Sigmaringen 1995, S. 121 f. Anm. 60, mit Hinweis auf die einschlägige italienische Literatur. Kohnle ( wie Anm. 38 ) S. 163. Goez, Beatrix ( wie Anm. 187 ) S. 153 f. Wollasch, Wahl ( wie Anm. 134 ) S. 207. Ovidio Capitani, Canossa: una lezione da meditare, in: Studi Matildici. Atti e memorie del 3. Convegno di Studi Matildici – Reggio Emilia, Modena 1978, S. 3–23, S. 16. Goez, Beatrix ( wie Anm. 187 ) S. 33 Anm. 206. Wischermann, Marcigny-sur-Loire ( wie Anm. 129 ) S. 305–427. Die entsprechenden Parallelen sind in der <Synopse> als familiares zu finden. Dazu sollen hier nur einige Beispiele genannt werden: Maria zum 28. Januar, 2. Februar, 1. März; Amelia zum 2. Februar und 26. August; Ingeleldis zum 23. Februar; Agnes zum 9. April; Hunberga zum 8. April.
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Urraca, die 1126 gestorbene Tochter König Alfons’ VI., ist zum 8. März mit dem feierlichen Vermerk Et depositio domne Vrrache yspaniarum imperatricis nostre societatis deuotissime hervorgehoben. Wie oben gezeigt 194, war sie maßgeblich an der Stärkung cluniacensischer Positionen in Spanien beteiligt. Ihr Eintrag fehlt in den anderen cluniacensischen Necrologien. Zum 7. Februar bietet das Necrolog von Carrión den Eintrag einer weiteren Königin mit dem Text: Tarasia comitissa et regina, amica nostra. Hier handelt es sich um Teresa Fernández de Traba, die uneheliche Tochter der schon oben genannten Wohltäter Clunys, Teresa von Portugal und Graf Fernando Pérez de Traba. Ihre erste Ehe mit dem ebenfalls schon genannten Grafen Nuño Pérez de Lara endete mit dessen Tod im Jahre 1177 195; sie heiratete dann 1178 den König Fernando II. von León, was den Königinnentitel erklärt 196. Sie starb 1180 und wurde in San Isidoro in León begraben. Todestag und -jahr sind durch ein Epitaph aus San Isidoro gesichert 197. Bisher sind die Gedenkeinträge der Päpste im Necrolog von Carrión noch nicht berücksichtigt worden. Auch sie bieten neue Einblicke in die Memorialgewohnheiten der Abtei Cluny. Alle Hinweise auf Päpste finden sich nur auf den Recto-Seiten. Soweit die Päpste nicht zugleich Mönche von Cluny waren, ist das nicht erstaunlich. Leider sind die Blätter mit den Einträgen zum 29. Juli ( Urban II. † 1099 ) und zum 25. Januar ( Anaklet II. † 1138 ) nicht überliefert, so dass keinen Aussagen zur Eintragsform eines Cluniacensermönches, der Papst geworden war, getroffen werden können. Ebenso fehlt die Seite zum 22. Januar, dem Tag, zu dem Papst Paschalis II. ( † 1118 ), der vielleicht auch Cluniacenser war 198 und im Necrolog von Saint-Martin-des-Champs eingetragen ist. Zum 26. Januar, dem Todestag Papst Stephans IX. ( † 1058 ), der zumindest in das besondere Gebet der Cluniacenser eingeschlossen war 199 und singulär ohne Parallelen im Necrolog von Marcigny eingetragen ist, findet sich auf der Verso-Seite unter den Mönchen kein passender Vermerk zu einem Stephan, und auf der RectoSeite unter den familiares gibt es in der fraglichen Rubrik nur einen Stephanus ohne Titel – ob sich hinter diesem Namen der Eintrag des Papstes als Freund Clunys verbirgt, kann hier angesichts der Häufigkeit diese Namens nicht entschieden werden. Ebenso hypothetisch muss bleiben, ob zum 29. Januar der in Cluny gestorbene Papst Gelasius II. ( † 1119 ) auf der Recto-Seite unter dem Namen Bertelasii zu suchen ist, einer im Mittelalter ansonsten äußerst seltenen Namenform. Der Eintrag eines Papstes Romanus zum 4. August bezieht sich wohl nicht auf den einzigen Papst dieses Namens aus dem 9. Jahrhundert ( † November 897 ). Denn zum gleichen Tag nennt das Necrolog von Saint-Martin-des-Champs in singulärer Überlieferung einen Romanus und Dodo ohne Titel; ein Dodo folgt auch in Carrión auf 194 195 196
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Vgl. o. bei Anm. 63 und 88. Wischermann, Marcigny-sur-Loire ( wie Anm. 129 ) S. 270, S. 417 f. Vgl. o. nach Anm. 140. Simon Barton, The Aristocracy in the twelfth-century León and Castille, Cambridge 1997, S. 241 und 269. Julio González González, El reino de Castilla en el época de Alfonso VIII, Madrid 1960, 3 Bde., 1, S. 285–286. Manuel Risco, Iglesia de León y monasterios antiguos y modernos de la misma ciudad, Madrid 1792, ND León 1978, S. 152. Pérez Llamazares ( wie Anm. 130 ) S. 388. Suárez González ( wie Anm. 130 ) S. 365–415, S. 395, 402. Neiske, Verhältnis ( wie Anm. 6 ) S. 298. Wollasch, Wahl ( wie Anm. 134 ) S. 211 f.
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den Eintrag Romanus papa. Die Namen stehen außerdem in der Rubrik der verbrüderten Mönche auf der Recto-Seite und der Papstname trägt nicht, wie sonst üblich, den Depositio-Vermerk. Es muss sich also wohl wie in anderen, oben erläuterten Fällen um Namen von Mönchen aus nicht-cluniacensischen Klöstern handeln, und der Zusatz papa wurde in Carrión fälschlich hinzugefügt. In allen anderen Fällen wird das Gedenken an Päpste im Necrolog von Carrión mit der Depositio-Formel eingeleitet, und die Namen stehen in der zweiten Gruppe der Einträge auf den Recto-Seiten, also unter den amici nostri oder familiares. Einige der erhaltenen Einträge von Päpsten stimmen mit der <Synopse> überein – dort sind sie jeweils ebenso unter den familiares zu finden. Das gilt für Viktor II. zum 28. Juli ( † 1057 ) und Alexander II. zum 20. April ( † 1073 ). Völlig neu sind dagegen die Memorien für Benedikt VIII. zum 8. April ( † 1024 ) und Viktor III. zum 16. September ( † 1087 ). Beide sind bisher nicht aus anderen cluniacensischen Necrologien bekannt. Aber Papst Benedikt VIII. steht im Mittelpunkt von Erzählungen, die in den Viten Abt Odilos überliefert sind. Demnach habe der Papst die Cluniacenser in einer Vision um Gebetshilfe ersucht, damit er Heilung für seine Seele im Jenseits finde. Sogar über den Erfolg dieser Gebete berichten die Viten 200. Vielleicht ist der Eintrag im Necrolog unter den familiares der Abtei Cluny der konkrete Beweis für die Gebete des Konventes, die bisher nur einer einseitig hagiographischen Tradition zugeordnet werden konnten. Viktor III., der Vorgänger Urbans II. auf dem Papstthron und zuvor Abt ( Desiderius ) von Montecassino 201, war Cluny und Abt Hugo durch eine Verbrüderung verbunden, über deren Abschluss die Chronik von Montecassino berichtet 202. Folgerichtig steht er als einziger der Päpste nicht in der Rubrik der Wohltäter und Freunde, sondern gehört zu den verbrüderten Mönchen. Besondere Bedeutung für Cluny erlangte Viktor außerdem durch seine eindeutige – zugleich aber eigennützige – Stellungnahme gegen den Erzbischof von Lyon, Hugo von Die, der Abt Hugo von Cluny dessen Eintreten für den gebannten Kaiser Heinrich IV. vorwarf und sich seit längerem im Konflikt mit der Abtei Cluny befand 203. Die wichtigste neue Erkenntnis für die Forschung ist jedoch aus dem Eintrag Papst Leos IX. zum 19. April ( † 1054 ) zu ziehen. Sein Name war bisher vergeblich in cluniacensischen Necrologien ( und Martyrologien ) gesucht worden, obwohl er als guter Freund und Förderer Cluny anzusehen ist 204. Der Eintrag im Necrolog von San Zoilo de Carrión unter den familiares beweist erneut die große Nähe dieser Memorialüberlieferung zu dem in der Abtei Cluny selbst praktizierten Gedenken.
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Neiske, Verhältnis ( wie Anm. 6 ) S. 307. Cowdrey, Abbot Desiderius ( wie Anm. 161 ) zum Verhältnis zu Cluny vgl. S. 34, 167. … et societatem Cluniacensium fratrum nostre congregationi adiungens, memoriam illorum apud nos nostreque congregationis apud illos in morte et in vita iidem viri venerabiles in perpetuum habendam sanserunt. Die Chronik von Montecassino ( Chronica monasterii Casinensis ) hg. von Hartmut Hoffmann ( MGH SS 34 ) Hannover 1980, III, cap. 51, S. 433 f. Monika Gude, Die fideles sancti Petri im Streit um die Nachfolge Papst Gregors VII., in: Frühmittelalterliche Studien 27, 1993, S. 290–316, S. 301. Franz Neiske, La memoria de Léon IX dans les nécrologes et les martyrologes, in: Georges Bischoff – Benoît-Michel Tock ( Hgg. ), Léon IX et son temps. Actes du colloque international organisé par l’Institut d’Histoire Médiévale de l’Université Marc-Bloch, Strasbourg-Eguisheim, 20–22 juin 2002 ( ARTEM 8 ) Turnhout 2006, S. 633–645, S. 638 f.
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Zum 19. August sind auf der Recto-Seite ( fol. 21r ) – bis hinein in die Rubrik, die sonst den Frauen vorbehalten ist, – außergewöhnlich viele Namen von Männern verzeichnet. Es handelt sich um insgesamt 19 Einträge. Sie werden angeführt von Tellio ( Nariz ) amicus noster und Gunterius episcopus. Zum ersteren wird mit einem Kreuz auf einen Randeintrag verwiesen, in dem ein Officium mit der Speisung von 12 Armen zum Anniversar vorgeschrieben wird als Dank für die Übertragung der Kirche in Cisneros 205. Diese Kirche befand sich spätestens zu Beginn des 13. Jahrhundert im Besitz von San Zoilo. Es handelt sich also um einen der bedeutenderen Wohltäter des Klosters, der aber leider sonst nicht nachzuweisen ist. Leichter ist die Identifizierung des Bischofs. Es handelt sich um Gutierre von Segovia, der am 19. Juli in der Schlacht von Alarcos gefallen ist 206. Die bekannte Schlacht von Alarcos am 19. Juli 1195, in der das christliche Heer unter Alfons VIII. von Kastilien vernichtend geschlagen wurde und die Reconquista vorübergehend ausgesetzt werden musste, scheint mit ihren hohen Verlusten an Menschenleben im Necrolog ihren speziellen Niederschlag gefunden zu haben. Die ungewöhnliche hohe Zahl der Einträge an einer sonst nicht üblichen Stelle stärkt diese Vermutung. Es ist nicht möglich, alle 19 Personen zu identifizieren, aber immerhin ist erstaunlich, dass in einem Bericht der
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Officium fiat. Et qui tenuerit ecclesiam de Cisneros faciat conventui et XII pauperibus refectionem. Ipse domnus Tellio dedit nobis illam ecclesiam ad suum aniversarium faciendum in hac die. ( fol. 21r ). Zu Tello Nariz vgl. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 667–668. Zur Schlacht vgl. Ricardo Izquierdo Benito – Francisco Ruiz Gómez ( Hgg. ), Alarcos, 1195: Actas del Congreso Internacional Commemorativo del VIII Centenario de la Batalla de Alarcos ( Estudios 37 ) Cuenca 1996; zum Tod der Bischöfe von Segovia und Ávila vgl. Chronicon Conimbricense, 333–334, hg. von Enrique Flórez, España Sagrada 23, Madrid 1767, S. 301–303 und 330–336. Zur Indentifizierung des Bischofs Gutierre vgl. Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 654–655. In prima Christianorum acie magni viri ceciderunt: Ordonius Garsias de Roda et fratres sui, Petrus Rodericus de Guzman et Rodericus Sancii, gener eius, et alii quam plures. Chronica latina ( wie Anm. 97 ) cap. 13, S. 46. Die Identifizierung dieser Personen diskutiert Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 656–657. Ebd., S. 614–615, 660–661.
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ren benachbarter cluniacensischer Dependenzen, denen auf diese Weise ein Gedenken zugesichert werden sollte. Familiennamen und Amtstitel erleichtern die Identifizierung dieser Personen, ausführlichere Texte erläutern ihre Verdienste für das Kloster und heben Besonderheiten hervor. So wird etwa zum Jahr 1493 vom Tod des Priors Rodericus von San Lorenzo Villalpando berichtet, der an der Pest gestorben war und in Carrión begraben wurde ( fol. 24v zum 6. August ). Am Rande des Eintrags zum 12. Februar ( fol. 4v ) wird mit Verweis auf das Jahr 1487 in einer ausführlichen Eloge ein sacrista maior istius monasterii namens Zoylus de Nogal als großzügiger Wohltäter von San Zoilo gerühmt, der in Rom gestorben war und dort in der Kirche S. Maria de Uirtutibus apud Capitolium begraben wurde, in San Zoilo aber wegen reicher Donationen ein Anniversar erhielt. Hier ist bereits eine Art von Gattungswechsel zu beobachten: das Necrolog wandelt sich zum Memorienbuch, in dem auch die Schenkungen der Wohltäter erwähnt werden, vermehrt um Notizen aus ihrer Vita. Wiederholt wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Spätmittelalter die Necrologien immer wieder mit historischen Nachrichten gefüllt werden 209. Das entspricht in gewisser Weise dem Charakter der Totenmemoria als zentraler Erinnerungskultur einer Gemeinschaft 210. Ein ähnliches Phänomen lässt sich auch in dem Fragment aus Carrión beobachten. Hier durchbricht eine Notiz zur Pestepidemie im Jahr 1348 das gewohnte Prinzip der kalendarischen Zuordnung von Verstorbenen. Geradezu im Ton eines Historiographen berichtet ein um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert tätiger Schreiber ( fol. 11v, zwischen den Einträgen zum 6. und 7. März ), dass zehn Mönche in den Monaten August und September des Jahres 1348 teils schon als infans gestorben seien 211. Zum 12. März ist die Notiz über den Besuch der cluniacensischen Visitatoren im Jahr 1459 eingetragen 212. Der ungewöhnliche Eintrag hatte einen ernsten Hintergrund. Der Abt von Cluny, Jean ( III. ) de Bourbon ( 1456–1480 ), hatte schon zu Beginn seiner Amtszeit damit begonnen, die offensichtlichen Missstände innerhalb des Ordens zu bekämpfen. Dazu gehörte die außerordentliche Ernennung von drei so ge-
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Vgl. das im 15. Jahrhundert entstandene Anniversarbuch des Cluniacenserpriorats Souvigny oder das Necrolog des Klosters Montier-en-Der aus dem 16. Jahrhundert, Neiske, Montier-en-Der ( wie Anm. 19 ) S. 356. Otto Gerhard Oexle, Memoria in der Gesellschaft und in der Kultur des Mittelalters, in: Joachim Heinzle ( Hg. ), Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, Frankfurt/M. – Leipzig 1994, S. 297–323. Era de mill y CCC y ochenta y seys años se finaron en el monesterio de San Zoil de Carion X monjes en el mes de aguosto y de setienbre. Primeramente Pero de Fromesta; a XX y tres de aguosto fino Alfonso Perez de Carrion; a XX y vn dias de aguosto fino Die Gilo de Valladolid y era infante; a XXX dias de aguosto se fino Pero Remon. y Pedruelo, et Pero Remon era de misa y Pedruelo era infante; e a XXI dias de setienbre, dia de San Mate se finaron Fulano y Fulano buscalo atras que beras mejor letra y deletrealo vien que tal. Zur Pest in Kastilien vgl. Ángel Vaca Lorenzo, La Peste Negra en Castilla. Aportación al estudio de algunas de sus consecuencias económicas y sociales, in: Studia Historica. Historia Medieval 2, 1984, S. 89–107; Ders., La Peste Negra en Castilla ( Nuevos testimonios ), in: Studia Historica. Historia Medieval 8, 1990, S. 159–171. Hac die, anno domini Mo CCCCmo quinquagessimo nono, venerunt Reverendi patres domini S. Guido Ameligneti, decretorum doctor, prior prioratus Sancti Lupiani, et Anthonius de Arlenco, licenciatus et decanus, et Iohanes de Thologniaco, bachalarius in decretorum et elemosinarius [ monasterio ] cluniacensis, missi a Domino cluniacensis, visitatores in Hyspaniam. ( fol. 9v ).
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nannten Generalvikaren als spezielle Visitatoren für Spanien und Westfrankreich am 9. Oktober 1458. Ausgwählt wurden erfahrene Juristen, von denen zwei zum Generalkapitel im April des Jahres 1459 als auditores causarum herangezogen wurden 213. Das Mandat, mit dem diese Visitatoren bestimmt wurden, ist in der Bibliothèque Nationale de France erhalten. Die Grußadresse an die drei Ernannten stimmt nahezu wörtlich mit dem Eintrag im Necrolog von Carrión überein. Offensichtlich hat man im Kloster San Zoilo diesen Passus aus dem Mandat abgeschrieben, da dieses als Beglaubigung für eine gesonderte Visitation vorgelegt werden musste 214. Darüber berichteten die Visitatoren dem Generalkapitel des folgenden Jahres ( 1460 ) sehr ausführlich. Sie beschrieben den zeremoniellen, sehr feierlichen Empfang im Kloster San Zoilo und erwähnen eigens die Vorlage ihrer Beglaubigung: litteras reverendi patris domini nostri Cluniacensis eis traditas reverenter receptis. Der Konvent von Carrión wurde von den Visitatoren im Übrigen gelobt und als vorbildlich bezeichnet 215, während in zahlreichen anderen cluniacensischen Prioraten Spaniens katastrophale Zustände festgestellt werden mussten. Der Eintrag im Necrolog kann also auch als stolze Erfolgsmeldung angesehen werden. DAS NECROLOG VON CARRIÓN UND DAS NECROLOG DER ABTEI CLUNY
Das Priorat San Zoilo in Carrión de los Condes fungierte, wie oben gezeigt, als zentrale Institution für die Verwaltung cluniacensischer Dependenzen auf der Iberischen Halbinsel. Das zeigt sich am deutlichsten daran, dass der Prior dieses Hauses lange Zeit als camerarius hispaniae auftrat. Die Rolle Carrións als Unterzentrum ging aber über die Regelung wirtschaftlicher Belange und die Vertretung des Abtes von Cluny beziehungsweise des Generalkapitels weit hinaus. Wie in einem Statut aus dem beginnenden 14. Jahrhundert beschrieben wird, war es Aufgabe der Provinzkämmerer, die Todesnachrichten zu sammeln und an den Klaustralprior oder den Cantor von Cluny weiter zu leiten. Jeder Prior einer Dependenz sollte demnach spätestens innerhalb eines Monates die Namen der Verstorbenen an den jeweiligen Provinzialkämmerer übermitteln, der dann seinerseits diese Nachrichten so oft wie möglich, zumindest aber beim Generalkapitel, an die Mutterabtei weiter geben sollte. Dieses Statut erhält ein besonderes Gewicht dadurch, dass es eingeleitet wird mit dem berühmten Zitat aus dem 2. Makkabäer-Buch ( 12, 43–45 ), es sei heilsam, für die Verstorbenen zu beten 216 –
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Charvin ( wie Anm. 5 ) 5, S. 334. Johannes de Bourbonio, … abbas … Cluniacensis ecclesie, venerabilibus et carissimis fratribus nostris domnis Guidoni Amelineti, decretorum doctori, prior prioratus nostri sancti Lupicini, Anthonio de Arlenco, in decretis licenciato, decano et Johanni de Tholoigniaci, baccallario in decretis, helemosinario monasterii nostri Cluniacensis, salutem in Domino. Bibliothèque Nationale de France ms. nouv. acq. lat. 2279 Nr. 19; Abdruck in Pierre Caillet, La décadence de l’Ordre de Cluny au XVe siècle et la tentative de réforme de l’abbé Jean de Bourbon ( 1456–1485 ), in: Bibliothèque de l’École des chartes 89, 1928, S. 183–234, S. 228 f. Charvin ( wie Anm. 5 ) 5, S. 340. Charvin ( wie Anm. 5 ) 1, Statut Nr. 11 von 1314, S. 108: Pro salute fratrum decedentium: Quia „sancta et salubris est cogitatio pro defunctis exorare ut a peccatis solvantur“ et ut ipsi defuncti „optimam habeant repositam gratiam“, eamque intervenientibus spiritualibus suffragiis valeant adipisci, statuentes precipimus districtius nomina monachorum fratrum nostrorum, in nostro Cluniacensi Ordine decedentium, per priores vel subpriores, seu voces eorum gerentes, camerariis provinciarum Ordinis in scriptis mitti, infra mensem. Quibus camerariis precipimus, eorum conscientias in hujus-
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ein Zitat, das in cluniacensischen Texten ansonsten wider Erwarten selten zu finden ist 217. Wir können davon ausgehen, dass das Necrolog aus Carrión mehr als andere cluniacensische Totenbücher die lokale spanische Memorialüberlieferung zuverlässig bewahrt hat, da San Zoilo als Zwischenstation für die Weitergabe der Todesnachrichten der Provinz
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modi onerantes, ut quantocius commode poterunt, ipsorum defunctorum nomina priori claustrali vel cantori Cluniacensi in scriptis apud Cluniacum mittant … BB 3385, BB 4893; Petri Venerabilis Contra Petrobrusianos Hereticos, hg. von James Fearns ( CC Cont. Med. 10 ) Turnhout 1968, cap. 233, S. 139. Wollasch, Schicht ( wie Anm. 10 ) S. 271 f. Vgl. o. Anm. 9. Joachim Wollasch, Überlieferung und Edition der cluniacensischen Necrologien, in: Synopse ( wie Anm. 8 ) 1, S. 11–18, S. 11.
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könnten mit Hilfe zusätzlicher Identifizierungen dazu Erkenntnisse liefern. Mehr als in diesem Beitrag müsste auch die lokale Tradition einzelner spanischer Priorate herangezogen werden 220. Es scheint ein Wesensmerkmal der kritischen Necrologforschung zu sein, dass sie sich – schon gar bei einem Fragment – mehr durch immerwährenden Fortschritt als durch fertige Lösungen auszeichnet. ZUSAMMENFASSUNG
Im Necrologfragment aus dem cluniacensischen Priorat San Zoilo in Carrión de los Condes ( Diözese Palencia ) sind etwa ein Viertel der Gedenkeinträge des gesamten Jahres ( 84 Tage ) erhalten. Die vollständige Handschrift muss mehr als 25 200 Namen enthalten haben und gehört damit zu den umfangreichsten Necrologien des Mittelalters, die wir kennen. Die Anlage aus dem beginnenden 13. Jahrhundert zeigt eine sehr differenzierte Form cluniacensischen Totengedenkens, eine Ordnung, die weitgehend den Vorschriften der consuetudines entspricht, die aber nur in sehr wenigen Klöstern konsequent beachtet wurde. Die Mönche der Cluniacensis ecclesia wurden jeweils auf den Verso-Seiten notiert, die Namen der Mönche aus verbrüderten Klöstern sowie die Freunde und Wohltäter stehen gegenüber auf den Recto-Seiten. Die Namen der cluniacensischen Mönche auf den Verso-Seiten stimmen zu mehr als 80 Prozent mit den in der <Synopse> der cluniacensischen Necrologien edierten Einträgen überein. Bestimmte Charakteristika des Necrologs von San Zoilo zeigen, dass hier gleichwohl eine eigene
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Reglero de la Fuente, Cluny en España ( wie Anm. 13 ) S. 475–591, bes. S. 563–591.
Das Kommunikationsgeschehen der Privilegierung
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CHRISTOPH FRIEDRICH WEBER
Das Kommunikationsgeschehen der Privilegierung als Ort der Inszenierung Reichsitaliens im Hochmittelalter, oder: Wie die Staufer zu Nachfolgern des Langobardenkönigs Liutprand wurden Wie sehr die Herrschaft über das Regnum Italicum zur Entstehung des Gebildes beitrug, das später als Heiliges Römisches Reich bezeichnet wurde, braucht nicht eigens hervorgehoben zu werden 1. Um sich den Zusammenhang plastisch vor Augen zu führen, genügt bereits ein Blick in den Magdeburger Dom, den auch heute noch die Spolien schmücken, die Otto der Große für den Bau seiner Gründung aus Italien herbeischaffen ließ 2. Blickt man jedoch von diesen „ottonischen Neuanfängen“, von der Verbindung zweier Königreiche mit der Kaiserwürde, auf die weitere Entwicklung der
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Eine umfassende Untersuchung der Auswirkungen der „Italienerfahrung“ für das Reich nördlich der Alpen im Hochmittelalter scheint zu fehlen. S. daher – neben der im Folgenden angeführten Literatur und ohne Anspruch auf Vollständigkeit – Timothy Reuter, The Medieval German Sonderweg? The Empire and its Rulers in the High Middle Ages, in: Anne J. Duggan ( Hg. ), Kings and Kingship in Medieval Europe ( King’s College London, Medieval Studies 10 ) London 1993, S. 179–211; Hagen Keller, Die Kaiserkrönung Ottos des Großen. Voraussetzungen, Ereignisse, Folgen, in: Matthias Puhle ( Hg. ), Otto der Große, Magdeburg und Europa, 1: Essays, Mainz 2001, S. 461–480; Ders., Das neue Bild des Herrschers. Zum Wandel der „Herrschaftspräsentation“ unter Otto dem Großen, in: Bernd Schneidmüller – Stefan Weinfurter ( Hgg. ), Ottonische Neuanfänge. Symposion zur Ausstellung „Otto der Große, Magdeburg und Europa“, Mainz 2001, S. 189–211; Bruno Klein, Die ehemalige Abteikirche von Königslutter. Die Grablege eines sächsischen Kaisers am Beginn der Stauferzeit, in: Jochen Luckhardt – Franz Niehoff ( Hgg. ), Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, 2: Essays, München 1995, S. 105–119; Wolfgang Stürner, Deutschland und Italien in der Herrschaftskonzeption Kaiser Friedrichs II., in: Deutschland und Italien zur Stauferzeit ( Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 22 ) Göppingen 2002, S. 10–40; Hubert Houben, Die Staufer im Mittelmeerraum, in: ebd., S. 41–70; Ferdinand Opll, YTALICA EXPEDITIO. Die Italienzüge und die Bedeutung Oberitaliens für das Reich zur Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas ( 1152–1190 ), in: ebd., S. 93–135; ergänzend Marie-Luise Favreau-Lilie, Die Heerfolgepflicht im Regnum Italiae. Theorie und Praxis vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 54, 1998, S. 55–96; Hagen Keller, Das <Erbe> Ottos des Großen. Das ottonische Reich nach der Erweiterung zum Imperium, in diesem Band. Der Text des in Münster gehaltenen Vortrags kommt hier in leicht erweiterter Fassung zum Abdruck. Herrn Professor Hagen Keller und Herrn Professor Knut Görich danke ich herzlich für die während der Ausarbeitung des Beitrags gegebenen Anregungen und Hinweise. Vgl. Cord Meckseper, Magdeburg und die Antike – Zur Spolienverwendung im Magdeburger Dom, in: Puhle ( Hg. ), Otto der Große 1 ( wie Anm. 1 ) S. 367–380.
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Christoph Friedrich Weber
derts keine blühenden Landschaften, sondern einen Prozess der Versteppung 3. Diese, uns allen vertraute <Meistererzählung> besagt, dass während der Abwesenheit der als Reiseherrscher agierenden und in Konflikt zum Papsttum geratenden Könige die prosperierenden Stadtkommunen zu autonomen Trägern von Staatlichkeit wurden 4. Der Versuch der Staufer, eine Königsherrschaft neuer Qualität in Oberitalien durchzusetzen, inspiriert etwa durch die Aneignung des römischen Rechtes oder die Effizienz des Beamtenstaates ihres sizilischen Königreichs, war dagegen zum Scheitern verurteilt 5. Als bauliches Leitsymbol dieser Entwicklung kann die Königspfalz zu Pavia, der alten
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Der Begriff nach Bernd Schneidmüller, Am Ende der Anfänge. Schlußgedanken über ottonische Erfolge in Geschichte und Wissenschaft, in: Ders. – Weinfurter ( Hgg. ), Ottonische Neuanfänge ( wie Anm. 1 ) S. 345–374. Zum Begriff der <Meistererzählung> s. Frank Rexroth, Meistererzählungen und die Praxis der Geschichtsschreibung. Eine Skizze zur Einführung, in: Ders. ( Hg. ), Meistererzählungen vom Mittelalter. Epochenimaginationen und Verlaufsmuster in der Praxis mediävistischer Disziplinen ( Historische Zeitschrift. Beihefte NF 46 ) München 2007, S. 1–22; mit Bezug auf das Hochmittelalter und die Staufer Hagen Keller, Zwischen regionaler Begrenzung und universalem Horizont. Deutschland im Imperium der Salier und Staufer, 1024 bis 1250 ( Propyläen Geschichte Deutschlands 2 ) Frankfurt am Main – Berlin 1986, S. 13–53; Timothy Reuter, Nur im Westen was Neues? Das Werden prämoderner Staatsformen im europäischen Hochmittelalter, in: Joachim Ehlers ( Hg. ), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter ( Vorträge und Forschungen 56 ) Stuttgart 2002, S. 327–351; Knut Görich, Die Staufer. Herrscher und Reich, München 2006, S. 9–18. Diese Sichtweise dominiert bis in die Gegenwart in Überblicken und der Handbuch-Literatur. S. beispielsweise Thomas Frenz, Italien im Mittelalter ( 950–1454 ), in: Wolfgang Altgeld ( Hg. ), Kleine italienische Geschichte, Stuttgart 2002, S. 15–121, hier S. 17: „Die relative Schwäche der ( deutschen ) Königsherrschaft ließ es zu, daß, in Kombination mit einer fortschrittlichen Wirtschaftsentwicklung, in Nord- und Teilen Mittelitaliens im 11.–13. Jahrhundert selbstverwaltete und de facto unabhängige, aber auch politisch auf ihren eigenen Gesichtskreis beschränkte Kommunen entstanden. Diese konnten im 12. und 13. Jahrhundert in einem taktischen Bündnis mit dem Papsttum den staufischen Restaurationsbemühungen widerstehen, wodurch die polyzentrische Struktur des Landes erhalten blieb.“ Mit Bezug auf den Wechsel von An- und Abwesenheit im deutschen Reichsteil als „nur auf den ersten Blick widersprüchliche oder gar dysfunktionale Herrschaftspraxis“, dies jedoch der
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Krönungstag Heinrichs II., am 14. Mai 1004, war von ihr ausgehend die aufständische Stadt verbrannt und verheert worden 6. Als zwanzig Jahre später die Nachricht vom Tode des Königs an den Ticino gelangte, zerstörten die Pavesen das palatium so gründlich, dass es bis heute nicht baulich nachzuweisen ist 7. Nicht allein der Wunsch nach Vergeltung trieb sie an, sondern wohl auch schon der gemeinschaftliche Wille, künftig keine Herrscherresidenz mehr in ihren Mauern zu dulden. Dass der darüber berichtende Mailänder Arnulf vom Königreich Italien und seinen deutschen Königen schrieb – Otto der Große war, ihm zufolge, primus ex Teutonibus imperator dictus Italicus und der Brand Pavias habe ganz Italien, omnis [ … ] Italia, erschrecken lassen 8 –, bot sich im Zeitalter des Risorgimento ebenso für eine Deutung als Vorwegnahme nationalstaatlicher Entwicklungen der eigenen Zeit an, wie die nach der Schlacht bei Legnano von den siegreichen Mailändern brieflich verbreitete Versicherung, die Beute ‚gehöre gemeinsam dem Herrn Papst und den Italienern‘ 9. Auf eine extrem verkürzende Formel gebracht, besagt die <Meistererzählung> also, dass es der in die Hände fremder Invasoren gelangten königlichen Zentralgewalt im Verlauf des Hochmittelalters trotz hohen Reformaufwands nicht gelang, stabile Herrschaftsstrukturen auszubilden. Träger einer solchen Modernisierung wurden dagegen das universale Papsttum und die einheimischen Kommunen, die dafür mit dem Preis der politischen Zersplitterung Italiens bezahlten.
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Theodor Graff, Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich II. 1002–1024 ( J. F. Böhmer, Regesta Imperii II, 4 ) Wien – Köln – Graz 1971, Nr. 1562g. Heinrich Appelt – Norbert von Bischoff, Die Regesten des Kaiserreiches unter Konrad II. 1024–1039 ( J. F. Böhmer, Regesta Imperii III, 1,1 ) Graz 1951, Nr. i; Hans Conrad Peyer, Friedrich Barbarossa, Monza und Aachen, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 8, 1951, S. 438–460, S. 449 f.; Gigliola Soldi Rondinini, Art. <Pavia>, in: LMA 6, 1993, Sp. 1831–1836, hier Sp. 1832 f. Zur Paveser Königspfalz und dem Nachwirken dieses Herrschaftsortes vgl. Carlrichard Brühl, Das „Palatium“ von Pavia und die „Honorantiae civitatis Papie“, in: Pavia, capitale del Regno. Atti del 4o Congresso internazionale di studi sull’alto medioevo, Pavia, Scaldasole, Monza, Bobbio, 10–14 settembre 1967 ( Centro italiano di studi sull’alto medioevo ) Spoleto 1969, S. 189–220, wieder abgedruckt in Ders., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze, 1: Studien zur Verfassungsgeschichte und Stadttopographie, Hildesheim – München – Zürich 1989, S. 138–169; Ders. – Cinzio Violante, Die „Honorantie civitatis Papie“. Transkription, Edition, Kommentar, Köln – Wien 1983; Keller ( wie Anm. 4 ) S. 93 ff.; Ders., Das neue Bild ( wie Anm. 1 ) S. 197 f. Arnulf von Mailand, Liber gestorum recentium, hg. von Claudia Zey ( MGH SS rer. Germ. 67 ) Hannover 1994, I 7, S. 126, und I 16, S. 138 f. Vgl. Claudia Zey, Arnulf von Mailand ( um 1000 – nach 1077 ), Liber gestorum recentium, in: Volker Reinhardt ( Hg. ), Hauptwerke der Geschichtsschreibung, Stuttgart 1997, S. 33–36. Gli atti del Comune di Milano fino all’anno MCCXVI, hg. von Cesare Manaresi, Milano 1919, Nr. 102, S. 143 f.: [ spolia ] que quidem nostra non reputamus, sed ea domini pape et Ytalicorum communia esse desideramus. Vgl. zum Kontext der neuzeitlichen Rezeption, in dem der berühmte Beleg hier interessiert, Girolamo Arnaldi, Italien und seine Invasoren. Vom Ende des Römischen Reiches bis heute, Berlin 2005, S. 82 f. Jörg W. Busch, Die Lombarden und die Langobarden. Alteingesessene und Eroberer im Geschichtsbild einer Region, in: Frühmittelalterliche Studien 29, 1995, S. 289–311, hier S. 304 f., diskutiert differenziert die verschiedenen Selbst- und Fremdbezeichnungen der Mitglieder des Lombardenbundes. Mit der Praxis des Beutemachens wie auch mit den davon ausgehenden Sinnstiftungen beschäftigt sich das Habilitationsprojekt von Michael Jucker, „Beute, Schätze, Plunder: Kriegs- und Gewaltökonomie im vormodernern Europa ( ca. 800–1550 )“.
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Wie diese Auffassung zu revidieren ist, haben zuletzt Girolamo Arnaldi auf italienischer sowie Hagen Keller und Knut Görich auf deutscher Seite gezeigt 10. Sie hat jedoch erheblich dazu beigetragen, dass sich die ältere Forschung so schwer mit dem mittelalterlichen Reichsitalien tat, das sich, um es mit Patrick Geary zu sagen, der „Fortschrittsgeschichte des Staates“ auf beiden Seiten der Alpen als Projektionsfläche entzog 11. Hinzu kamen arbeitsorganisatorische und methodische Probleme: der Quellenreichtum Italiens, der Sammlungstätigkeit und Detailstudien forderte, sowie die an moderner Staatlichkeit oder dem Ideal des unverfälschten Textes orientierten Beschreibungskategorien der älteren Forschung. So wurden die monumentalen, zwischen 1868 und 1874 erschienenen
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Arnaldi ( wie Anm. 9 ); Hagen Keller, Der Blick von Italien auf das „römische“ Imperium und seine „deutschen“ Kaiser, in: Bernd Schneidmüller – Stefan Weinfurter ( Hgg. ), Heilig – Römisch – Deutsch. Das Reich im mittelalterlichen Europa, Dresden 2006, S. 286–307; Görich ( wie Anm. 4 ); Ders., Die Reichslegaten Kaiser Friedrichs II., in: Claudia Zey – Claudia Märtl ( Hgg. ), Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, Zürich 2008, S. 119–149 ( im Druck ). Patrick J. Geary, „Multiple Middle Ages“ – konkurrierende Meistererzählungen und der Wettstreit um die Deutung der Vergangenheit, in: Meistererzählungen ( wie Anm. 4 ) S. 107–120, hier S. 111 f. Julius Ficker, Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens, 4 Bde., Innsbruck 1868–74, ND Aalen 1961. Stellvertretend für zahlreiche Einzelstudien, „Forschungen und Materialsammlungen“ sei genannt: Hermann Kalbfuss, Urkunden und Regesten zur Reichsgeschichte Oberitaliens, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 15, 1913, S. 53–118 und 223–283. S. schließlich die monographischen Darstellungen von Carlrichard Brühl, Fodrum, Gistum, Servitium regis. Studien zu den wirtschaftlichen Grundlagen des Königtums im Frankenreich und in den fränkischen Nachfolgestaaten Deutschland, Frankreich und Italien vom 6. bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, 2 Bde. ( Kölner Historische Abhandlungen 14/I–II ) Köln – Graz 1968; Alfred Haverkamp, Herrschaftsformen der Frühstaufer in Reichsitalien, 2 Teile ( Monographien zur Geschichte des Mittelalters 1/I–II ) Stuttgart 1970/1971. Vgl. Keller ( wie Anm. 4 ) S. 356–371; Ders., Otto der Große urkundet im Bodenseegebiet. Inszenierungen der
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grund. Vor allem das Kommunikationsgeschehen zwischen den Herrschern und den Reichsangehörigen erhält so ein eigenes Gewicht gegenüber den Inhalten, die in seinem Kontext verhandelt oder zur Geltung gebracht wurden. Dieser Blick auf die Kommunikation zeichnet neuere Fragestellungen der historischen Forschung aus 14. Ihnen folgend frage ich danach, welche Bedeutung der Bezug auf die Reichstradition in herausgehobenen Kommunikationsakten der Stauferzeit besaß. Ich könnte auch sagen, dass es mir um den argumentativen Umgang mit der Geschichte im politischen Handeln geht, um Traditions- und Rollenvorgaben, Erinnerungsorte und Medien, auf deren ehrgebietendes, verpflichtendes Alter man sich unter dem Druck aktueller Interessen besann. Trägt das in einer Welt der entstehenden urbanen und höfischen Verwaltungszentren praktizierte Reisekönigtum der Staufer gemäß der genannten Fortschrittsgeschichte die Anmutung des Archaischen, so kann diese Sichtweise vielleicht zu einer Neubewertung des Phänomens führen 15. Die Mobilität und Flexibilität der Kommunikationspartner, die sich beispielsweise auf den Romzügen trafen, schloss die im selben Zeitraum von ihnen, oftmals mit gegenläufigen Intentionen betriebenen Herrschaftsintensivierungen ja nicht aus. Vielmehr scheint, so ist zu vermuten, die hergebrachten Herrschaftspraktiken folgende Konstituierung Reichsitaliens in Akten symbolischer Kommunikation oftmals eine Begegnung, ja sogar einen politischen Konsens möglich gemacht zu haben. Innerhalb der Spielräume, die die Traditions-, Rollen- und Verfahrensvorgaben den Akteuren boten, wurden Ordnungen weiterentwickelt und einzelne Übereinkünfte öffentlich inszeniert 16. Indem ich von einem
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Vgl. ohne Anspruch auf Vollständigkeit Thomas Zotz, Präsenz und Repräsentation. Beobachtungen zur königlichen Herrschaftspraxis im hohen und späten Mittelalter, in: Alf Lüdtke ( Hg. ), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien ( Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 91 ) Göttingen 1991, S. 168–194; Gerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997; Ders., Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; Ders., Zum Inszenierungscharakter öffentlicher Kommunikation im Mittelalter, in: Johannes Laudage ( Hg. ), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung ( Europäische Geschichtsdarstellungen 1 ) Köln – Weimar – Wien 2003, S. 79–93; Keller, Otto ( wie Anm. 13 ) S. 208 f.; Knut Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert ( Symbolische Kommunikation in der Vormoderne ) Darmstadt 2001; Ders. ( wie Anm. 10 ); Barbara Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe – Thesen – Forschungsperspektiven, in: Zeitschrift für Historische Forschung 31/4, 2004, S. 489–527; Dies. – Gerd Althoff, Rituale der Macht in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Axel Michaels ( Hg. ), Die neue Kraft der Rituale ( Studium generale der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ) Heidelberg 2007, S. 141–177; Romy Günthart – Michael Jucker ( Hgg. ), Kommunikation im Spätmittelalter. Spielarten – Wahrnehmungen – Deutungen, Zürich 2005; Christoph Dartmann, Schrift und politische Kommunikation in der italienischen Stadtkommune, in: Giuseppe Albertoni – Hannes Obermair ( Hgg. ), Schrift Stadt Region / scrittura città territorio ( Geschichte und Region / Storia e regione 15/1 ) Innsbruck – Wien – Bolzano 2006, S. 62–74.; demnächst Barbara Stollberg-Rilinger u. a. ( Hgg. ), Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800–1800. Essay- und Katalogband zur Ausstellung vom 21. 09. 2008 bis 04. 01. 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, Darmstadt 2008. Vgl. allgemein Valentin Groebner, Das Mittelalter hört nicht auf. Über historisches Erzählen, München 2008, besonders S. 153–159. Wegweisend für die Neubewertung der am Reisekönigtum ausgerichteten symbolischen Kommunikation zwischen den Herrschern und ihren Getreuen ist Keller, Otto ( wie Anm. 13 ). Vgl. Ehlers ( wie Anm. 5 ) S. 115 f. und 118; Christoph Friedrich Weber, Kommunikation zwischen Friedrich II. und
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mittelalterlichen Reich als einer politischen Größe spreche, die sich derart komplex konstituierte, greife ich auf den weiten Begriff des Politischen in der Neuen Kulturgeschichte zurück, der solche Formen und Funktionen handlungsleitender Sinnstiftung erfasst 17. Da die Ausgangsfrage nach der Konstituierung des Regnum Italicum in der politischen Kultur des Hochmittelalters Raum für ein ganzes Forschungsfeld bietet, fokussiere ich das Phänomen für die folgende Untersuchung in zweifacher Hinsicht. Es geht mir um die Inszenierung Reichsitaliens im Kommunikationsgeschehen der Privilegierung. Letzteres ist keinesfalls nur auf die Ausstellung von Urkunden durch die Kanzlei als einer Art
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den italienischen Kommunen, in: Görich – Broekmann – Keupp ( Hgg. ) ( wie Anm. 13 ) S. 281–316 ( im Druck ). Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger, Einleitung: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: Dies. ( Hg. ), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? ( Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 35 ) Berlin 2005, S. 9–24. Keller ( wie Anm. 4 ) S. 363; Ders., Zu den Siegeln der Karolinger und der Ottonen. Urkunden als
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anderer Rituale aufmerksam gemacht hat. Der Wandel der Lebens- und Herrschaftsordnungen wirkte sich ebenso auf das formalisierte Handeln der Protagonisten aus, wie dieses mitsamt seinen medialen Möglichkeiten über die Kommunikationspraxis auf die Ordnungsvorstellungen zurückwirkte. Das Gelingen eines Rituals oder die Gestaltung eines Mediums lassen so, wie die Forschungen Gerd Althoffs und Hagen Kellers gezeigt haben, Rückschlüsse darauf zu, welche Akzeptanz der jeweilige Stand dieser Wechselbeziehung fand 20. Wie unter diesen Bedingungen ein in der Nachfolge des Langobardenreiches stehendes Königtum nach den Interessen des Kaisers und seiner
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Gerd Althoff, Christliche Ethik und adliges Rangbewußtsein. Auswirkungen eines Wertekonflikts auf symbolische Handlungen, in: Stollberg-Rilinger – Weller ( Hgg. ), Wertekonflikte ( wie Anm. 19 ) S. 37–49; Keller, Zu den Siegeln ( wie Anm. 18 ). Ferdinand Opll, Die Regesten des Kaiserreiches unter Friedrich I. 1152 ( 1122 )–1190. 2. Lieferung 1158–1168 ( J. F. Böhmer, Regesta Imperii IV, 2, 2 ) Wien – Köln 1991, Nr. 581, 583 und 587. Die Urkunden Friedrichs I. 1158–1167, bearb. von Heinrich Appelt unter Mitwirkung von Rainer Maria Herkenrath und Walter Koch ( MGH DD 10, 2 ) Hannover 1979, Nr. 237–242, S. 27–36; Regesta Imperii IV, 2, 2 ( wie Anm. 21 ) Nr. 605–607, 611 und 617–621. Vgl. Keller ( wie Anm. 4 ) S. 402–405; Petra Schulte, Friedrich Barbarossa, die italienischen Kommunen und das politische Konzept der Treue, in: Frühmittelalterliche Studien 38, 2004, S. 153–172; Gerhard Dilcher – Diego Quaglioni ( Hgg. ), Gli inizi del diritto pubblico. L’età di Federico Barbarossa: legislazione e scienza del diritto / Die Anfänge des öffentlichen Rechts. Gesetzgebung im Zeitalter Friedrich Barbarossas und das Gelehrte Recht ( Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Contributi 19 ) Bologna – Berlin 2007. Regesta Imperii IV, 2, 2 ( wie Anm. 21 ) Nr. 624–625 und 641. Civis Mediolanensis anonymi Narratio de Longobardie obpressione et subiectione, in: Italische Quellen über die Taten Kaiser Friedrichs I. in Italien und der Brief über den Kreuzzug Kaiser Friedrichs I., übers. von Franz-Josef Schmale ( Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters: Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17a ) Darmstadt 1986, S. 240–295, hier S. 260 f.: Imperator vero dato exercitui comeato secessit Bolzanum cum familia sua et ibi stetit octo dies et postea ascendit Modoetiam et ibi moratus est plus octo diebus. [ … ] Postea stetit in partibus Montisferrati et Ciriate et hiemavit ibi. Et cum esset aput Occimianum, precepit, ut
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miano, setzten sich sozusagen im Alltag die Haupt- und Staatsaktionen des Vorjahres fort. Am 26. Januar 1159 stellte Friedrich den Monzesen ein Freiheitsprivileg aus, das die Rolle Monzas anlässlich der beiden Großereignisse, Festkrönung und Reichstag, mit einer angeblich alten Rechtstradition begründete: Sie sei caput Lombardie et sedes regni, ‚in der auch unsere Vorgänger nach dem Recht des Reiches gekrönt zu werden pflegten‘ 25. Friedrichs Onkel Konrad war zwar 1128 als Gegenkönig zu Lothar III. in der Michaelskirche Monzas zum König Italiens gekrönt worden, doch stand dies eben nicht in einer solchen Tradition 26. Die Krönungskirche des Reiches war die Michaelskirche zu Pavia, in der niemand anderes als Barbarossa selbst nach seinem Sieg über Tortona am 24. April 1155 gekrönt worden war 27. Offenbar erfanden der Staufer und seine Umgebung drei Jahre später eine auf Monza bezogene, in die Langobardenzeit zurückreichende Tradition, die aktuellen Zielen ihrer politischen Agenda diente 28. Die Feststellung des Status Monzas als Reichslehen und seine feierliche Übertragung an den Herrscher auf dem Reichstag zu Roncaglia besaß die Funktion eines Beispiels ( exemplum ), an dem eine juristisch argumentierende und zugleich in ehrwürdiger Tradition stehende Königsherrschaft vor den Augen der Reichsöffentlichkeit inszeniert wurde. Ließ sich das zu Roncaglia promulgierte Recht des Kaisers, palacia et pretoria nach seinem Willen in jeder Stadt errichten zu lassen, in der Praxis nur eingeschränkt und in Mailand schon gar nicht umsetzen, so wurde nun mit Monza ein Pfalzort in unmittelbarer Nähe der Lombardenmetropole aufgewertet 29. Die Zeitgeschichtsschreibung beziehungsweise -dichtung im Umfeld des Hofes kehrte die Entwicklung dann gera-
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castellum Crème destrueretur, recepturus propterea quindecim milia marchas argenti a Cremonensibus. Vgl. Regesta Imperii IV, 2, 2 ( wie Anm. 21 ) Nr. 630 und 637. Die Urkunden Friedrichs I. 1158–1167 ( wie Anm. 22 ) Nr. 253, S. 52–54, hier S. 53: Quia vero honorem imperii nobis a deo comissum non minuere, sed augere, non exterminare, sed integrum conservare debemus, auribus et oculis universorum Christi et imperii fidelium innotescere dignum duximus, quod in curia Roncalie, cum restitutionem regalium nostrorum de singulis civitatibus et cunctis principibus Lombardie de iure recepissemus, inter cetera etiam Modociam spitialem sedem nostram, que caput Lombardie et sedes regni illius esse dignoscitur, in qua etiam nostri antecessores de iure regni coronari consueverant, [ … ] ex legali sententia iudicum Lombardie cum omni integritate recuperavimus. Die Urkunde ist ein Musterbeispiel für die von Keller, Hulderweis ( wie Anm. 18 ) S. 314, beobachtete exemplarische Erfüllung, die die programmatischen Formeln der Arenga in den konkreten Verfügungen des Herrschers finden. Zum Zusammenhang zwischen einem rituellen Akt der Ordnungsstiftung und der in zeitlichem Abstand davon erfolgenden Privilegierung s. Peyer ( wie Anm. 7 ) S. 440; Keller, Hulderweis ( wie Anm. 18 ) S. 319 f.; Ders., The Privilege in the Public Interaction of the Ruling Elite: Forms of Symbolic Communication Beyond the Text, in: Marco Mostert – Paul Barnwell ( Hgg. ), Medieval Legal Process: Physical, Spoken and Written Performance in the Middle Ages ( Utrecht Studies in Medieval Literacy 19 ) Turnhout ( im Druck ) nach Anm. 45. Jan Paul Niederkorn, Konrad III. als Gegenkönig in Italien, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 49, 1993, S. 589–600. Peyer ( wie Anm. 7 ) S. 442 ff. und S. 450 mit dem Hinweis, dass die Rolle des Mailänder Erzbischofs als Konsekrator ein Festhalten an Pavia als Krönungsort in kommunaler Zeit so gut wie unmöglich machte. Im Sinne von: Eric Hobsbawm – Terence Ranger ( Hgg. ), The Invention of Tradition ( Past and Present Publications ) Cambridge 1983. Zur Geschichte Monzas als langobardischem Königsgut und Krönungsort siehe Peyer ( wie Anm. 7 ) S. 441 ff. Vgl. Die Urkunden Friedrichs I. 1158–1167 ( wie Anm. 22 ) Nr. 239, S. 30 f.; Regesta Imperii IV, 2, 2 ( wie Anm. 21 ) Nr. 618. Zur Förderung Monzas s. Haverkamp ( wie Anm. 13 ) S. 182–188.
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dezu um, indem sie propagierte, dass sich Friedrich schon 1154/55 zu Monza am rechten Ort krönen lassen wollte und nur aufgrund des Widerstands Mailands nach Pavia ausgewichen sei 30. Ein kurzer Blick auf die weitere Entwicklung dieser Linie zeigt den Willen des Staufers zum Ausbau dieser 1158 gestifteten Tradition in pragmatischer wie in symbolischer Weise: Die Mailänder hatten nach der Zerstörung ihrer Stadt Baumaterial für die große Pfalz, die ad honorem domini imperatoris in Monza errichtet wurde, herbeizuschaffen 31. Residierten der Kaiser und seine Verwalter dort zeitweise, so findet sich ebenfalls ein Kanoniker aus Aachen, was Hans Conrad Peyer darauf gebracht hat, Parallelen zwischen diesen beiden Zentren staufischer Königsmacht zu entdecken 32. Auch das Aachener Marienstift wurde am 8. Januar 1166 im Kontext der Heiligsprechung Karls des Großen feierlich mit einer Goldbulle privilegiert, die sich an den auf dem zweiten Italienzug vergebenen Urkunden orientierte 33. Sie inserierte eine Stiftungsurkunde Karls des Großen, die die Kanoniker Friedrich auf seine Weisung hin präsentiert hatten. Stand die Privilegierung der Monzesen im Kontext einer zielgerichteten Politik, die organisatorische Bedürfnisse und Geschichtsbilder aufeinander abstimmte, so dürfte die Initiative für die Vergabe der nächsten Urkunde des Staufers von den Empfängern ausgegangen sein 34. Es waren die Kanoniker des Kollegiatstiftes von Sant’ Evasio, die offensichtlich die Anwesenheit des Kaisers auf der nahen Burg benutzten, um vor ihm zu erscheinen und um ein Privileg zu bitten. Ihr Stift lag im Norden des Winterquartiers am Verkehrsknotenpunkt der Region, einer Furt des Po, über die die Straße von Pavia nach Vercelli führte. Dies förderte die Entstehung einer Siedlung, die im Hochmittelalter Casale Sant’ Evasio hieß, heute jedoch bezeichnenderweise als Ca-
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So der wahrscheinlich aus Bergamo stammende, in den 1160er Jahren tätige Dichter, der die Taten Friedrichs in der Lombardei verherrlichte; Carmen de gestis Frederici I. imperatoris in Lombardia, hg. von Irene Schmale-Ott ( MGH SS rer. Germ. 62 ) Hannover 1965, V. 208–290, S. 8–11. Vgl. Peyer ( wie Anm. 7 ) S. 444. Ob Friedrich tatsächlich eine Krönung in Monza beabsichtigt hatte, die dann im Dezember 1154 am Widerstand der Mailänder scheiterte, wie das