Alfons Hollederer Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale
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Alfons Hollederer Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale
Psychologie sozialer Ungleichheit Herausgegeben von Prof. Dr. Thomas Kieselbach Mitglied des Vorstands der International Commission on Occupational Health (ICOH) Institut für Psychologie der Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit (IPG) Universität Bremen / Förderwerk Bremen
Ziel und Inhalt der Reihe „Psychologie sozialer Ungleichheit“ Die Entwicklung der Arbeitsmärkte in den hochindustrialisierten Ländern hat für viele Menschen in den vergangenen Jahrzehnten die Erfahrung von Arbeitsplatzverlust und Arbeitslosigkeit mit sich gebracht. Auch wenn die Bewältigung beruflicher Brüche nicht zwangsläufig zu persönlichen Krisen mit psychosozialen Schädigungen führen muss, ist dennoch zu betonen, dass besonders bei verletzlichen Gruppen eine solche Erfahrung den Weg in Langzeitarbeitslosigkeit und damit oft verknüpft soziale Exklusion begünstigt. In der Reihe werden Themen behandelt, die sich mit den individuellen, organisationsbezogenen und sozialpsychologischen Folgen beruflicher Umbrüche sowie daraus folgenden Risiken sozialer Ausschließung befassen. Der Schwerpunkt liegt im Bereich der psychologischen Arbeitslosenforschung, welche die individuellen und gesellschaftlichen Kosten einer inzwischen weitgehend akzeptierten Massenarbeitslosigkeit aufzeigen will. Darüber hinaus wird der Blick auch auf jene indirekten Folgen der Arbeitsmarktkrise gelenkt, welche sich in Arbeitsplatzunsicherheit oder prekären Arbeitsverhältnissen zeigen und sich als eine verstärkte Einbeziehung von Merkmalen der Arbeitslosigkeit in Beschäftigungsverhältnisse charakterisieren lassen. Ein wichtiger Ausgangspunkt der Reihe lag in dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den 80er Jahren konzipierten Programm „Soziale Gerechtigkeit und Gesundheit“. Dort wurden erstmalig umfassend Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und gesundheitlichen Folgewirkungen aufgezeigt, Möglichkeiten der Begrenzung des schädigenden Einflusses durch Interventionsansätze diskutiert sowie Rückwirkungen von Massenarbeitslosigkeit auf Beschäftigte thematisiert. Die Reihe versucht in einer unübersichtlicher gewordenen Berufswelt Perspektiven aufzuzeigen, welche die individuelle Bewältigung von erzwungenen Berufswechseln erleichtern und damit krisenhafte Verläufe begrenzen helfen. Dies erfolgt durch die Betonung sowohl der gesellschaftlichen wie auch der persönlichen Verantwortung für berufliche Neuorientierungen bei industriellen Restrukturierungen. Die Reihe „Psychologie sozialer Ungleichheit“ wendet sich an PsychologInnen, SoziologInnen, EpidemiologInnen, ÖkonomInnen, ArbeitswissenschaftlerInnen, PädagogInnen und PraktikerInnen im sozialen Bereich, die in ihrer täglichen Arbeit häufig mit den psychischen Folgen von beruflichen Umbrüchen und sozialer Ungleichheit konfrontiert sind. Einbezogen werden eigenständige empirische Arbeiten sowie Literaturüberblicke und Tagungsberichte. Neben theoretischen Erörterungen werden auch Praxisevaluationen veröffentlicht, welche die Möglichkeiten und Grenzen von Interventionsansätzen im Bereich von Arbeitslosigkeit und prekären Arbeitsbedingungen untersuchen.
Alfons Hollederer
Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale Ergebnisse des Mikrozensus 2005
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17765-6
Inhaltsverzeichnis
Vorwort_______________________________________________________ 10 Zusammenfassung ______________________________________________ 13 1
Stand der Forschung zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit _________ 19 1.1
Einleitung: Arbeitslosigkeit und Public Health-Forschung _____ 19
1.2
Theorien über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit ____________________________________________ 26 1.2.1 Theoretische Modelle zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit ____ 26 1.2.2 Selektion versus Kausalität ____________________________ 36
1.3
Internationale Überblicksarbeiten und Meta-Analysen ________ 39
1.4 Moderierende Variablen der Bewältigung von Arbeitslosigkeit _ 43 1.4.1 Soziodemografische Moderatorvariablen _________________ 48 1.4.1.1 Arbeitslosigkeit in verschiedenen Altersphasen ________ 48 1.4.1.2 Arbeitslosigkeit bei Männern und Frauen ____________ 50 1.4.1.3 Arbeitslosigkeit nach Staatsangehörigkeit und ethnischer Zugehörigkeit __________________________________ 53 Sozioökonomischer Status ________________________ 56 1.4.1.4 1.4.1.5 Qualifikationsniveau ____________________________ 58 1.4.2 Erwerbsbiografische Merkmale _________________________ 59 1.4.3 Ressourcen und Belastungen bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit _____________________________________ 60 Finanzen und soziale Sicherung ____________________ 60 1.4.3.1 1.4.3.2 Soziale Unterstützung und soziale Belastungen ________ 62 1.4.3.3 Zeitstrukturierung in Arbeitslosigkeit _______________ 64 1.4.3.4 Personelle Faktoren _____________________________ 65 1.4.4 Kognitionen ________________________________________ 66 1.4.5 Problemlösestrategien ________________________________ 67 1.4.6 Makroökonomische Kontextfaktoren_____________________ 68 1.5
Zusammenfassung von Kapitel 1 __________________________ 69
5
2
Empirische Befunde in der Gesundheitsberichterstattung und gesundheitsbezogene Interventionsansätze _____________________ 71 Gesundheit und Krankheit von Arbeitslosen ________________ 71 2.1 2.1.1 Gesundheitsunterschiede von Arbeitslosen und Beschäftigten in Repräsentativerhebungen____________________________ 73 Morbidität und Mortalität von Arbeitslosen und Beschäftigten 2.1.2 in der Sozialversicherungsstatistik_______________________ 77 Arbeitsunfähigkeit ______________________________ 78 2.1.2.1 2.1.2.2 Krankenhausbehandlungen, Arzneimittelverordnungen und Mortalität __________________________________ 82 Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit und 2.1.2.3 Arbeitsmarktberichterstattung _____________________ 84 Gesundheits- und Suchtverhalten von Arbeitslosen__________ 85 2.1.3 2.1.3.1 Arbeitslosigkeit und Sucht ________________________ 86 2.1.3.2 Rauchverhalten von Arbeitslosen___________________ 87 2.1.3.3 Inanspruchnahme von Maßnahmen der Primärprävention nach § 20 SGB V _______________________________ 89 Zusammenfassung von Kapitel 2.1 _________________ 90 2.1.3.4 2.2
Gesundheitsbezogene Interventionsansätze bei Arbeitslosen in Deutschland ___________________________________________ 91 2.2.1 Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung_____________ 91 2.2.2 Maßnahmen der Beschäftigungsförderung und psychosoziale Trainingsmaßnahmen_________________________________ 94 Fallmanagement für Arbeitslose mit gesundheitlichen 2.2.3 Einschränkungen ____________________________________ 97 Stand der Projekte zur arbeitsmarktintegrativen 2.2.4 Gesundheitsförderung ________________________________ 99 Zusammenfassung von Kapitel 2.2 _____________________ 101 2.2.5
3
Zentrale Fragestellungen und Begriffsbestimmungen ___________ 102 3.1
Zentrale Fragestellungen________________________________ 102
3.2
Begriffsbestimmungen von Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit sowie Arbeitsunfähigkeit ____________________________ 106 3.2.1 Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit ___________________ 107 3.2.2 Arbeitsunfähigkeit im Fall von Arbeitslosigkeit ___________ 112
4
Mikrozensus 2005 und Erhebungsverfahren ___________________ 114 4.1
6
Hintergrund Mikrozensus 2005 __________________________ 114
4.1.1 4.1.2
5
Stichproben, Befragungsformen, Hochrechnungsverfahren und Gewichtungen __________________________________ 115 Erhebungsinstrumente und Variablen im Mikrozensus 2005 _ 117
4.2
Messkonzept von Krankheit und Unfallverletzung im __________ Mikrozensus 2005 _____________________________________ 119
4.3
Verwendete Statistik und Auswertungsmethoden ___________ 122
4.4
Rücklaufquoten und Non-Response-Analysen ______________ 124
Ergebnisse im Mikrozensus 2005 zur Gesundheit und Erwerbsbeteiligung_______________________________________________ 127 5.1
Strukturmerkmale von Erwerbslosen, Erwerbstätigen und Nichterwerbspersonen__________________________________ 127 5.1.1 Soziodemografische Merkmale nach Erwerbsstatus ________ 127 5.1.2 Schul- und Berufsausbildung nach Erwerbsstatus __________ 131 5.1.3 Sozioökonomische Variablen nach Erwerbsstatus__________ 132 5.1.4 Stellensuche und Gesundheit __________________________ 133 5.1.5 Zusammenfassung von Kapitel 5.1 _____________________ 134
5.2 Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen 136 5.2.1 Behinderung, Krankheit, Unfallverletzung und Behandlung nach Erwerbsstatus__________________________________ 136 Amtlich anerkannte Behinderung und Schweregrad ___ 136 5.2.1.1 5.2.1.2 Krankheiten und Unfallverletzungen nach Erwerbsstatus138 5.2.1.3 Behandlung von Krankheiten und Unfallverletzungen _ 140 5.2.1.4 Zusammenfassung von Kapitel 5.2.1 _______________ 142 5.2.2 Krankheiten/Unfallverletzungen nach soziodemografischen, sozioökonomischen, erwerbsbiografischen und sonstigen Merkmalen ________________________________________ 143 Krankheiten und Unfallverletzungen nach Alter, 5.2.2.1 Geschlecht und Staatsangehörigkeit________________ 143 Krankenstand nach Behinderung __________________ 147 5.2.2.2 5.2.2.3 Krankenstand nach Berufsausbildung, Berufsklasse und Stellung im Beruf ______________________________ 148 Krankenstand nach Erwerbsstatus im Vorjahr und 5.2.2.4 Dauer der Arbeitsuche __________________________ 151 Krankenstand nach Haushaltsstrukturen ____________ 154 5.2.2.5 5.2.2.6 Krankenstand nach Leistungsbezug und Einkommen __ 155 5.2.2.7 Krankenstand der Kinder nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers______________________ 158
7
5.2.2.8 5.2.2.9 5.2.2.10
Krankenstand nach Regionalbezug ________________ 158 Saisonale Schwankungen von Arbeitsmarkt- und Krankheitsrisiken ______________________________ 161 Zusammenfassung von Kapitel 5.2.2 _______________ 164
5.3
Unterschiede im Gesundheitsverhalten zwischen den Erwerbsstatusgruppen _________________________________ 166 5.3.1 Rauchverhalten nach Erwerbsstatus_____________________ 167 5.3.1.1 Prävalenz des Tabakkonsums nach Erwerbsstatus _____ 167 5.3.1.2 Rauchbeginn und Erwerbslosigkeit ________________ 169 5.3.1.3 Tabakkonsum nach soziodemografischen und sozioökonomischen Variablen ____________________ 170 Rauchverhalten in der Lebenslaufperspektive ________ 172 5.3.1.4 5.3.1.5 Tabakkonsum und Krankenstand __________________ 174 5.3.2 Körpergewicht und –größe nach Erwerbsstatus____________ 174 5.3.3 Body-Mass-Index und Rauchverhalten der Kinder nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers____________ 177 Zusammenfassung von Kapitel 5.3 _____________________ 178 5.3.4
5.4
Logistische Regressionsanalysen zum Krankenstand von Männern und Frauen __________________________________ 180 5.4.1 Kovariaten und abhängige Variable Krankenstand _________ 181 5.4.2 Krankenstand nach Erwerbsstatus unter Einbezug von Drittvariablen ______________________________________ 183 Krankenstand von arbeitsuchenden Männern _____________ 185 5.4.3 5.4.4 Krankenstand von arbeitsuchenden Frauen _______________ 186 5.4.5 Zusammenfassung von Kapitel 5.4 _____________________ 188
5.5 Regressionsanalysen zur Integration am Arbeitsmarkt _______ 189 5.5.1 Gegenwärtige Erwerbstätigkeit bei vor einem Jahr Arbeitslosen _______________________________________ 189 Kovariaten zur Integration am Arbeitsmarkt ______________ 190 5.5.2 5.5.3 Erwerbslosigkeit bzw. Arbeitsuche bei vor einem Jahr Erwerbstätigen und Selbstständigen ____________________ 195 Zusammenfassung von Kapitel 5.5 _____________________ 199 5.5.4 6
Diskussion _______________________________________________ 201 6.1
Empirische Methoden der Fragebogenerhebung des Mikrozensus 2005 _____________________________________ 201 6.1.1 Stichprobenfehler, Hochrechnungsverfahren und Gewichtungen _____________________________________ 201 Ausfallquoten und Proxy-Interviews ____________________ 204 6.1.2
8
6.1.3 6.1.4 6.1.5
Erhebungsinstrumente und Fragebogengestaltung__________ 206 Restriktionen der eingesetzten statistischen Methoden ______ 210 Vergleichbarkeit mit vorherigen Mikrozensus-Erhebungen und anderen Datenquellen ____________________________ 213
Behinderung, Krankheit und Unfallverletzung als Integrationshemmnisse am Arbeitsmarkt __________________ 216 6.2.1 Teilhabe an Arbeit für (schwer-)behinderte Menschen ______ 217 6.2.2 Risiko von Krankheit bzw. Unfallverletzung von Arbeitsuchenden ___________________________________ 220 Chancen auf Wiedereingliederung am Arbeitsmarkt in der 6.2.3 Gesundheitsperspektive ______________________________ 222 Gesundheit arbeitsuchender Nichterwerbspersonen ________ 225 6.2.4 6.2.5 Arbeitsunfähigkeit und Krankenstand von Erwerbslosen ____ 226 6.2.6 Saisonale Effekte beim Krankheitsgeschehen mit Implikationen für die Erwerbslosenforschung _____________ 228
6.2
Gesundheits- und Suchtverhalten in Erwerbslosigkeit________ 229 6.3 6.3.1 Rauchverhalten und ungenutzte Potenziale in der Tabakprävention ___________________________________ 230 Body-Mass-Index und Ernährungsverhalten bei Erwerbslosen 233 6.3.2 6.4
Arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung als gesundheitspolitische Herausforderung____________________ 235 6.4.1 Prävention und Gesundheitsförderung___________________ 235 6.4.2 Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement mit Gesundheitsbezug __________________________________ 238 Sozialer Geleitschutz mit beruflicher Transitionsberatung ___ 240 6.4.3
6.5
Integration der Ergebnisse in das Modell sozialer Ungleichheit 242
7
Resümee ________________________________________________ 246
8
Anhangstabellen und Abbildungen __________________________ 251
9
Merkmale des faktisch anonymisierten Mikrozensus Scientific Use File 2005 _____________________________________________ 267
10
Abkürzungsverzeichnis __________________________________ 270
11
Tabellenverzeichnis _____________________________________ 272
12
Abbildungsverzeichnis __________________________________ 274
13
Literaturverzeichnis ____________________________________ 276
9
Vorwort
Arbeitslosigkeit führt seit vielen Jahren die Sorgenliste in Deutschland an. Auf die Frage, welches die größten Herausforderungen in Deutschland sind, nannten zwei Drittel der Befragten die Arbeitslosigkeit in einer repräsentativen Erhebung im Jahr 2007 (GFK, 2007a). In einer weiteren Befragung antworteten 39 % der Interviewten auf die Frage nach Ihrer größten täglichen Angst: Krankheit, Tod oder Verletzung (GFK, 2007b). Diese beiden Topthemen werden in der vorliegenden Arbeit zu „Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenzialen“ in den Überschneidungsbereichen aufgegriffen. Bisher existieren nur relativ wenige strukturierte Forschungsansätze über die Wechselbeziehungen von Erwerbslosigkeit und Gesundheit in Deutschland. Der Mikrozensus 2005 kann zur Schließung von bestehenden Informationslücken beitragen. Die vorliegende Studie 1 ist inhaltlich in folgende Abschnitte gegliedert: 1.
2.
3.
Im ersten theoretischen Kapitel wird der aktuelle Forschungsstand zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit dargestellt. Ein einleitendes Unterkapitel nimmt Rückbezug auf die historische Entwicklung der Arbeitslosigkeitsund Gesundheitsforschung. Im Zentrum der weiteren Abschnitte stehen zum einen die Theorienentwicklung über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit und zum anderen die Hauptergebnisse internationaler Überblicksarbeiten und Meta-Analysen. Ein Schwerpunkt wird auf moderierende Einflussfaktoren bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit gelegt. Das zweite theoretische Kapitel gibt einen Überblick über empirische Befunde zur Gesundheit von Arbeitslosen, insbesondere im Vergleich zu Beschäftigten. Es informiert danach über den aktuellen Entwicklungsstand der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung und gesundheitsbezogener Interventionsformen. Das nächste Kapitel präsentiert die zentralen Fragestellungen, die für die Sekundäranalyse des Mikrozensus 2005 leitend sind, und klärt anschließend relevante Begriffe aus dem Sozialrecht und verschiedenen Statistikkonzeptionen.
1 Aus Gründen der Lesbarkeit wurde in der Regel nur die männliche Form verwendet, sie schließt Frauen jedoch explizit ein.
10
4.
5.
6.
7.
Im Methodenkapitel wird ausführlich das Erhebungsverfahren des Mikrozensus 2005 mit Stichprobenziehung, Befragungsform, Hochrechnungsverfahren, Gewichtungsfaktoren, Erhebungsinstrumenten und Rücklauf beschrieben. Der Ergebnisteil beinhaltet die Auswertungen und Sekundäranalysen der Daten des Mikrozensus 2005. Es wird zuerst über bedeutsame Strukturunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen und bei der Stellensuche informiert. Daraufhin werden die Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen in den einzelnen Subgruppen herausgearbeitet. Nach der Deskription und den Korrelationsanalysen folgen mehrere logistische Regressionsanalysen zum Krankenstand von Männern und Frauen sowie zur Arbeitsmarktintegration in multivariater Betrachtung. Im Diskussionsteil wird zunächst die Methode reflektiert und dann die Bedeutung der Ergebnisse für die Gesundheit von Erwerbslosen und ihre Arbeitsmarktintegration erörtert. Die gewonnenen Erkenntnisse werden in die Theorien der Erwerbslosen- und Gesundheitsforschung integriert. Das Schlusskapitel ordnet die Diskussion hinsichtlich notwendiger Zielgruppenspezifizierungen bei gesundheitsbezogenen Interventionsansätzen und der Weiterentwicklung der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung ein. Ein Resümee rundet die Ausarbeitung ab und benennt am Ende aktuelle Public-Health-Herausforderungen.
Die Bearbeitung einer solchen wissenschaftlichen Fragestellung über Erwerbslosigkeit und Gesundheit erfolgt nicht losgelöst vom Kontext aktueller Arbeitsmarktentwicklungen. Der Start der Arbeit lag in einer Phase der besten Beschäftigungsentwicklung in Deutschland seit der Wiedervereinigung und das Ende fällt in eine der schlimmsten weltweiten Rezessionen in der Nachkriegsgeschichte. Im Gegensatz zur ersten Weltwirtschaftskrise im letzten Jahrhundert gibt es aber von Seiten der Public Health-Wissenschaften nicht nur umfassende Erkenntnisse über die Gesundheitsfolgen von Massenarbeitslosigkeit, sondern mittlerweile auch entwickelte Fachkonzepte zur Krankheitsprävention und arbeitsmarktintegrativer Gesundheitsförderung. Die Vehemenz der aktuellen Wirtschaftsdynamiken führt zu einem tief greifenden Durchschlagen der Krise von den internationalen Immobilien- und Finanzmärkten über die Realwirtschaft auf die Arbeitsmärkte. Die atemberaubende Geschwindigkeit hat zur Folge, dass Forschungstätigkeiten der Gesundheitswissenschaften, die erst jetzt aufgrund der augenblicklichen politischen Aufmerksamkeit einsetzen würden, ihre Ergebnisse nur mit großer Zeitverzögerung und damit für die Masse der von Arbeitslosigkeit Betroffenen voraussichtlich zu spät publizieren können. Solche Wirtschaftszyklen stellen ein Grundproblem für die
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Erwerbslosenforschung dar, denn in beschäftigungspolitisch besseren Zeiten wird wiederum den Forschungsvorhaben über die Gesundheitsfolgen von Arbeitslosigkeit meist keine hohe Priorität beigemessen. Dieser Umstand erschwert den notwendigen Aufbau systematischer und langfristiger Forschungsansätze. Danksagung Die vorliegende Untersuchung basiert auf den Ergebnissen meiner Habilitationsschrift, die im Jahr 2010 am Fachbereich 11 „Human- und Gesundheitswissenschaften“ der Universität Bremen entstanden ist. Mein herzlichster Dank gilt an dieser Stelle allen Menschen, die mich bei der Anfertigung unterstützt, motiviert und im Durchhaltevermögen bestärkt haben. Ich danke vor allem Prof. Dr. Thomas Kieselbach, Prof. Dr. Rolf Rosenbrock sowie Helmut Rudolph für den fachlichen Austausch und die anregenden Diskussionen. Besonderer Dank gebührt meiner Frau Andrea und den Kindern Felix und Julian, die mir in der intensiven und langwierigen Arbeitsphase zur Seite standen und mich auch familiär entlasteten. Bedanken will ich mich ebenfalls ausdrücklich bei meiner Mutter Edith. Die Verwirklichung einer solchen umfangreichen Forschungsarbeit hätte ohne die hervorragende Rundumversorgung bei diversen Studienaufenthalten wesentlich länger gedauert. Bielefeld, im August 2010 Alfons Hollederer
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Zusammenfassung
Einleitung Die gesundheitsbelastenden Folgen des Arbeitsplatzverlustes sind Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen seitdem Arbeitslosigkeit als Massenphänomen im Zuge der Industrialisierung im letzten Jahrhundert auftrat. Die Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und Gesundheit sind dabei wechselseitig. Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist durch eine starke Segmentierung und strukturell bedingte hohe „Sockelarbeitslosigkeit“ gekennzeichnet. Es gibt einen besonders großen Anteil schwer vermittelbarer Arbeitsloser in höherem Alter, mit langen Verweildauern, formal geringen Qualifikationen und auch gesundheitlichen Einschränkungen. Das Krankheitsrisiko von Arbeitslosen ist im Vergleich zu Beschäftigten in einem breiten Krankheitsspektrum deutlich erhöht. Das belegen repräsentative Erhebungen und Verwaltungsdaten der Sozialversicherungen. Arbeitslose weisen eine höhere Inanspruchnahme von Leistungen in der Krankenversorgung und ein ungünstigeres Gesundheits- und Suchtverhalten auf. Ihr Erreichungsgrad durch Präventions- und Gesundheitsförderungsmaßnahmen ist dagegen gering. Gesundheitsprobleme von Arbeitslosen zählen zu wichtigen Hemmfaktoren für die Reintegration am Arbeitsmarkt. Eine Reihe von Einflussfaktoren moderiert die Effekte von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit. Die Gesundheitsberichterstattung in Deutschland ist jedoch fragmentiert. Ziel der Studie ist es daher, durch vertiefte Analysen des Mikrozensus 2005 Erkenntnisse über Krankheitsrisiken von Arbeitsuchenden, ihre Effekte auf die Arbeitsmarktintegration sowie Ansatzpunkte für die Prävention und Gesundheitsförderung zu gewinnen. Sie gibt außerdem einen Überblick über theoretische Erklärungsansätze und den Stand der empirischen Forschung. Methode Der Mikrozensus 2005 ist eine amtliche Stichprobenerhebung über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt, bei der alle Haushalte in Deutschland die gleiche Auswahlwahrscheinlichkeit nach dem Zufallsprinzip haben. Der Auswahlsatz liegt für alle Merkmale einheitlich bei 1 % der Bevölkerung. Insgesamt nahmen 13
im Jahr 2005 rund 380.000 Haushalte mit 820.000 Personen an der Erhebung teil. Der Mikrozensus stellt damit die größte jährliche Haushaltsbefragung in Europa dar und wurde im Jahr 2005 erstmals unterjährig erhoben. Der Beobachtungszeitraum ist die jeweils letzte Kalenderwoche vor der Befragung nach dem Konzept der gleitenden Berichtswoche. Der verwendete Mikrozensus Scientific Use File 2005 enthält eine 70 %-Unterstichprobe des Originaldatensatzes. Die Stichprobenerhebung im Mikrozensus 2005 beinhaltet auch die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union 2005. Die Fragen zur Gesundheit bezogen sich auf Krankheit und Unfallverletzung, Rauchgewohnheiten sowie Körpergröße und Gewicht. Die Untersuchungsbedingungen sind sehr günstig, weil die Stichprobe für das Zusatzprogramm zur Gesundheit erstmals so groß wie für das feste Grundprogramm und die Fallzahlen in Erwerbslosigkeit hoch waren. Die Auskunftserteilung unterliegt weitgehend der gesetzlichen Auskunftspflicht, Angaben zur Gesundheit im Zusatzprogramm sind fakultativ. Die Unit-Nonresponse von 4,4 % der befragten Haushalte ist gering und die freiwillige Beantwortung der Gesundheitsfragen von 85 % der Interviewten hoch. In den multivariaten Modellberechnungen wurden als potenzielle Determinantengruppen 1. soziodemografische Merkmale, 2. Familientyp und Haushaltsstruktur, 3. Schul- und Berufsausbildung, 4. sozioökonomische Variablen, 5. Gesundheitsvariablen und 6. sonstige Einflussfaktoren berücksichtigt. Ergebnisse Über ein Zehntel der Erwerbsbevölkerung berichtet, in den letzten vier Wochen krank oder unfallverletzt gewesen zu sein. Die Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen litten häufiger an Krankheiten/Unfallverletzungen im Vergleich zu den Erwerbstätigen und ihre Krankheiten dauerten im Mittel länger an. Außerdem ist der Anteil von behinderten Menschen am Erwerbslosenbestand signifikant höher als der unter den Erwerbstätigen. Ca. drei Viertel der Erkrankten/Unfallverletzten wurden in den letzten vier Wochen von einem Arzt oder im Krankenhaus ambulant behandelt und ca. ein Zehntel stationär im Krankenhaus versorgt. Von den Krankheiten und Unfallverletzungen der letzten vier Wochen hält ein Großteil noch am Erhebungstag an. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt liegt bei den Erwerbslosen mit 6,5 % im Jahresdurchschnitt 2005 signifikant höher als bei den Erwerbstätigen mit 4,4 %. Bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen, die dem Arbeitsmarkt in den nächsten 14 Tagen aus verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung stehen, ist er mit 26,6 % am höchsten. Wer-
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den Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen zur Gruppe der Arbeitsuchenden zusammengefasst, beträgt ihr jahresdurchschnittlicher Krankenstand 8,8 % und übersteigt damit den der Erwerbstätigen um das Doppelte. Erwerbslose bzw. arbeitsuchende nichterwerbstätige Frauen und Männer haben daher unter Adjustierung des Lebensalters eine 2,2-fach gesteigerte Odds Ratio für eine Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt verglichen mit erwerbstätigen Frauen und Männern. Die Odds Ratios reduzieren sich bei den erwerbslosen/arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen und Männer aber auf 1,8 bzw. 1,6, wenn neben dem Alter noch weitere soziodemografische Merkmale, Familientyp und Haushaltsstruktur, Schul- und Berufsausbildung, sozioökonomische Variablen, Behinderung, Raucherstatus und sonstige Einflussfaktoren adjustiert werden. Innerhalb der Gruppe der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbstätigen stellt sich das Vorhandensein einer amtlich anerkannten Behinderung bei den Männern wie bei den Frauen als wichtigste Prädiktorvariable für das Risiko einer Krankheit/Unfallverletzung in den Modellberechnungen heraus. Das Krankheitsrisiko wächst in höheren Altersgruppen signifikant an. Gemessen an den jahresdurchschnittlichen Krankenständen ergibt sich bei den Erwerbslosen eine „Leistungsempfänger-Hierarchie“: Erwerbslose ohne Zahlungsempfang oder nur mit Arbeitslosengeld I-Bezug sind seltener zum Befragungszeitpunkt krank/unfallverletzt als Alg II-Bezieher. Die Krankenstände der Empfänger von Sozialhilfe/-geld liegen wiederum deutlich darüber. Langzeiterwerbslose sind zum Befragungszeitpunkt im Durchschnitt signifikant häufiger erkrankt/unfallverletzt. Bei denjenigen, die wegen einer Entlassung Arbeit suchen, ist ein krankheitsbezogener „Erleichterungseffekt“ in den ersten Monaten der Erwerbslosigkeit feststellbar. Die Nichtinanspruchnahme ärztlicher Behandlung ist in der Gruppe der Erwerbslosen/arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Krankheitsfall etwas erhöht. Unter den Erwerbslosen ist das Rauchen wesentlich verbreiteter und der Tabakkonsum intensiver als bei den Erwerbstätigen. Ca. die Hälfte der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zählt am Erhebungstag zu den aktuellen Rauchern während bei den Erwerbstätigen lediglich ein Drittel raucht. Die Erwerbslosen beginnen im Verhältnis zu den Erwerbstätigen das Zigarettenrauchen durchschnittlich in jüngerem Alter, konsumieren zu einem höheren Anteil regelmäßig und rauchen im Mittel mehr Zigaretten pro Tag. Unter den Erwerbslosen gibt es weniger Exraucher und Nieraucher in Relation zu den Erwerbstätigen. Die Raucherquoten von Erwerbslosen sind durchgängig höher als
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die von Erwerbstätigen in allen Altersjahrgängen, bei Männern und Frauen sowie in den untersuchten Untergruppen nach Bildung und Beruf. Arbeitsuchende begannen mit dem Rauchen nur in Einzelfällen während der aktuellen Erwerbslosigkeitsperiode. Die Auswertungen deuten darauf hin, dass rauchende Arbeitsuchende den Tabakkonsum in Erwerbslosigkeit intensivieren, weil auch der Anteil starker Raucher mit der Dauer der Arbeitsuche beachtlich zunimmt. Die erwerbslosen Männer und Frauen weisen den höchsten durchschnittlichen Body-Mass-Index im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen auf. Unter den erwerbstätigen Männern und Frauen befinden sich dagegen nicht nur die geringsten Prozentwerte an stark Übergewichtigen, sondern auch die wenigsten Untergewichtigen. Die Kinder von erwerbslosen oder arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern sind im Durchschnitt etwas häufiger krank/ unfallverletzt zum Befragungszeitpunkt. Ihre Durchschnittswerte beim BodyMass-Index übertreffen die Vergleichswerte der Kinder von erwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern. Die Quote von regelmäßig rauchenden Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren ist bei erwerbslosen Haupteinkommensbeziehern tendenziell erhöht. Die multivariaten Regressionsanalysen belegen durchgängig einen sehr starken Einfluss des Gesundheitszustandes auf die Arbeitsmarktintegration: a) Bei denjenigen, die vor zwölf Monaten arbeitslos waren, vermindert eine mehr als ein Jahr andauernde Krankheit/Unfallverletzung am stärksten die Chancen auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit in den multivariaten Modellberechnungen. Die Chancen auf Erwerbstätigkeit sind bei Vorliegen einer Schwerbehinderung ebenfalls erheblich reduziert. b) Auch in der umgekehrten Richtung übt bei vor zwölf Monaten Erwerbstätigen eine mehr als einjährige Krankheit/Unfallverletzung einen ungünstigen Einfluss auf das Risiko, erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig zu werden, aus. c) Die Selbstständigen haben in Erwerbstätigkeit den niedrigsten und in Erwerbslosigkeit den höchsten Krankenstand zum Befragungszeitpunkt verglichen mit den Arbeitern, Angestellten und Sonstigen. Eine über ein Jahr andauernde Krankheit/Unfallverletzung steigerte beträchtlich bei vor einem Jahr Selbstständigen in den multivariaten Regressionsanalysen die Wahrscheinlichkeit, erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig zu werden.
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Außerdem nennen von den sonstigen Nichterwerbspersonen im erwerbsfähigen Alter als Hauptgründe, die einer Arbeitsuche entgegenstehen, 2,9 % eine Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und 5,3 % eine Frühinvalidität oder sonstige Behinderung. Sowohl die Erwerbslosigkeit als auch das Krankheitsgeschehen unterliegen ganz beachtlichen saisonalen und regionalen Schwankungen mit Rückwirkung auf die Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen. Diskussion und Fazit Die Mikrozensus-Auswertungen bestätigen die vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen Gesundheit und Erwerbsstatus sowie den starken Einfluss von Krankheiten/Unfallverletzungen auf die Arbeitsmarktintegration. Für chronisch Kranke zeichnet sich ein „Circulus vitiosus“ ab: Ihr Erwerbslosigkeitsrisiko ist in Erwerbstätigkeit erhöht und die Chancen auf Reintegration sind in Erwerbslosigkeit vermindert. Die Krankheiten/Unfallverletzungen hemmen bereits im Vorfeld der Wiedereingliederung die Arbeitsuche. Der Mikrozensus wurde im Jahr 2005 erstmals unterjährig durchgeführt und bildet den Krankenstand im Jahresdurchschnitt ab. Er ergibt eine deutlich größere Krankheitslast von Erwerbslosen bzw. Arbeitsuchenden im Vergleich zu den Erwerbstätigen. Der ermittelte Krankenstand von Erwerbslosen relativiert damit auch die Gesundheitsberichterstattung über das stark sozialrechtlich beeinflusste Arbeitsunfähigkeitsgeschehen bei Arbeitslosen. Die Vergleichsanalysen des Mikrozensus 2005 decken erhöhte Krankenstände arbeitsuchender Nichterwerbspersonen auf, die bisher in der Erwerbslosenforschung nicht beachtet wurden und durch die Statistikkonzeptionen in amtlichen Statistiken systematisch ausgeblendet werden. Die Ergebnisse zur Gesundheit von den Kindern der arbeitsuchenden Haupteinkommensbezieher unterstützen die Annahme, dass sich gesundheitliche Ungleichheit innerhalb der Bedarfsgemeinschaften über die Generationen hinweg reproduzieren könnte. Die Regressionsanalysen geben Hinweise auf risikoförderliche und –reduzierende Faktoren und prognostizieren Gruppenzugehörigkeiten. Sie weisen u.a. darauf, dass Menschen mit Behinderungen im Sinne des Nachteilsausgleichs verstärkter Aufmerksamkeit bedürfen. Die multivariaten Modellberechnungen unterstreichen die Notwendigkeit, arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderungsmaßnahmen sowohl im SGB IIRechtskreis als auch frühzeitig im Bereich des SGB III anzubieten. Sie zeigen Entwicklungsbedarfe hinsichtlich Zielgruppenspezifizierungen und übergreifen-
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der Förderkonzepte auf. Die Ergebnisse zum Tabakkonsumverhalten und BodyMass-Index bieten Handlungsansätze für die Sekundärprävention bei Erwerbslosen. Die Arbeitslosenforschung ist noch wenig eingebunden in die Wissenschaftsdiskussion über soziale und gesundheitliche Ungleichheit. Erwerbslosigkeit ist eine der sozialen Determinanten, die auf die Gesundheit in einem komplexen Zusammenspiel von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Lebensweisen einwirken kann. Die Ergebnisse tragen zur Erklärung sozial bedingter ungleicher Gesundheitschancen bei. Daneben stellen die Weiterentwicklung der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung und der Aufbau einer systematischen Berichterstattung zur Gesundheit von Erwerbslosen - u.a. auf Datenbasis des Mikrozensus - aktuelle Public Health-Herausforderungen dar!
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1 Stand der Forschung zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit 1.1 Einleitung: Arbeitslosigkeit und Public Health-Forschung
Die interdisziplinär angelegten Gesundheitswissenschaften stehen historisch gesehen bei der Untersuchung der Wechselbeziehungen von Gesundheit und Arbeitslosigkeit in einer langen sozialmedizinischen Tradition. Führende deutsche Sozialmediziner wie Johann Peter Frank, Christoph Wilhelm Hufeland oder Rudolf Virchow stellten bereits im 18. und 19. Jahrhundert Krankheiten in einen Zusammenhang mit sozialen Verhältnissen. Johann Peter Frank wies in seiner viel beachteten Rede „vom Volkselend als der Mutter von Krankheiten“ 1790 in Pavia auf die Ursachen von Armutskrankheiten und die engen Grenzen der ärztlichen Tätigkeit hin. Für Christoph Wilhelm Hufeland stellte die Armenfürsorge und „Armen-Pharmakopöe“ (1810) ein besonderes Anliegen dar. Öffentliche Aufmerksamkeit erregten Berichte von Rudolf Virchow, in denen er die Hungersnot, den Gesundheitszustand und die Mortalität der Bevölkerung im Spessart beschrieb. Er führte die Lebensbedingungen und Leiden der Bevölkerung in den Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit auf „Mangel an Geld“ respektive „Mangel an zweckmässig geleiteter Thätigkeit, an productiver Beschäftigung, an Fleiss und Industrie“ zurück (1852, S. 19). Weitere medizinische Inspektionsreisen führten Virchow nach Oberschlesien. Die Hungertyphusepidemien bezeichnete er als „großes soziales Problem“ (1849, S. 223-224), das aufgrund des Ausmaßes nicht mit Arznei- und Palliativmitteln, sondern nur durch „Bildung mit ihren Töchtern Freiheit und Wohlstand“ und in Konsequenz durch Entwicklung zu lösen ist. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung gab es vor der Industrialisierung keine Unterscheidung zwischen Armen und Arbeitslosen. Pauperismus und die zunehmende Arbeiterfrage waren im 19. Jahrhundert ein spezifisches industriewirtschaftliches Phänomen. Erst im Zuge der weiteren Industrialisierungsprozesse löste sich die Problematik der Arbeitslosigkeit zunehmend aus dem Kontext der Armenfürsorge heraus. Seit der frühen Industrialisierung traten wiederholt Phasen von Arbeitslosigkeit periodisch auf. So führten in der zweiten Hälfte des
19 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
19. Jahrhunderts die Gründerkrise von 1873 und die Agrarkrise zur „großen Depression“ (vgl. Promberger, 2005). Im deutschen Kaiserreich wurde unter Reichskanzler Otto von Bismarck das System der deutschen Sozialversicherung mit Krankenversicherung, Unfallversicherung, Invaliditäts- und Altersversicherung etabliert. Die Arbeitslosigkeit war in dieser Phase bis zum Beginn des 1. Weltkrieges relativ gering. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges reagierte das Reichsamt für Demobilmachung auf die drohende Arbeitslosigkeit entlassener Kriegsteilnehmer mit der „Verordnung für Erwerbslosenfürsorge“ am 13.11.1918. Als eine der großen sozialen Errungenschaften der Weimarer Republik trat neun Jahre später zum 1.10.1927 das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) in Kraft. Es löste die Erwerbslosenfürsorge durch eine versicherungsartige Existenzabsicherung der Arbeitslosen ab und führte die kommunale Fürsorge in die staatliche Trägerschaft über. Die Verabschiedung im Reichstag fiel nach langer Kontroverse in einer Phase, die von einer günstigen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftskonjunkturlage geprägt war. Kurz darauf erlebte das neue soziale Sicherungssystem seine schlimmste Belastungsprobe. Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der damit verbundenen Zeit der Rezession stieg die Massenarbeitslosigkeit sprunghaft an (siehe Abbildung 1). Im Winter 1931 erreichte sie mit über sechs Millionen Arbeitsuchenden ein bisher unbekanntes Ausmaß. Im Gegensatz zu früheren Perioden von Arbeitslosigkeit, die durch die industrielle Expansion kurzzeitig blieben, entwickelte sich das Phänomen einer lang andauernden Massenarbeitslosigkeit. Unter dem Titel „Arbeitslosigkeit: Ein Problem der Volksgesundheit“ brachte Julius Moses bereits 1931 eine „Denkschrift für die Regierung und Parlamente“ mit gesammelten Beiträgen von deutschen Ärzten heraus und schlussfolgerte, dass „Arbeitslosigkeit als sozialer Krankheitsfaktor gleichzeitig auch ein medizinischer Krankheitsfaktor“ ist (Moses, 1931, S. 11). Massenarbeitslosigkeit ist mit dieser Weltwirtschaftskrise zu einem zentralen Problem vieler Länder geworden. Im Kontext der wirtschaftlichen Entwicklungen beschrieben die Gesundheits- und Sozialwissenschaften die gesundheitlichen Auswirkungen und psychosozialen Belastungen von Arbeitslosigkeit in den westlichen Industrieländern, so z.B. Chapin (1924) in den USA, Marsh, Fleming und Blackler (1938) in Kanada oder Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel (1933) mit „Die Arbeitslosen von Marienthal“ in Österreich. Diese Publikationen erschienen in einer Epoche, in der deutsche Sozialhygieniker wie Grotjahn (1912) oder Mosse und Tugendreich (1912) die Pathogenität der sozialen Umwelt und ihren Einfluss auf Krankheiten in der Bevölkerung oder in einzelnen Gruppen diskutierten. Diese sozialhygienischen Ansätze überschnitten sich allerdings in der Weimarer Republik mit der aufkommenden Eugenik. Im Zuge des nationalsozialistischen Umbaus der Gesundheitspolitik ging die Sozialhygiene schließlich in
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Abbildung 1: Entwicklung der Arbeitsuchenden von 1928 bis 1930 (in Millionen)
Quelle: 3. Bericht der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - für die Zeit vom 1. Januar 1930 bis zum 31. Dezember 1930, S. 1.
einer pervertierten „Rassenhygiene“ auf (Baur, Fischer & Lenz, 1936; Ploetz, 1935; u.a.). Mit Ende des 2. Weltkrieges brach dieser Ansatz in Deutschland dann vollständig ab. In der Nachkriegszeit war die Arbeitslosigkeit in Deutschland kriegsbedingt zunächst hoch und wurde durch den Zustrom von Flüchtlingen verschärft (siehe Abbildung 2). Die erste Phase des Wiederaufbaus dauerte bis zum so genannten „deutschen Wirtschaftswunder“ in den 50er Jahren an. Als zweiter Zeitabschnitt folgte „Vollbeschäftigung“ von Anfang der 60er Jahre bis zum Ölpreisschock 1973. Die dritte, noch anhaltende Phase ist geprägt durch hohe Arbeitslosigkeit und mehrere Rezessionen. Die Abbildung 2 veranschaulicht anhand der Entwicklung der Arbeitslosenquoten, dass die Risiken der Arbeitslosigkeit bzw. die Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt in dieser Phase stark von den konjunkturellen Verläufen abhingen. Obwohl die Zahl der Arbeitslosen zwischen den Rezessionen wieder zurückging, sank sie in Westdeutschland aber nie wieder auf die niedrigen Werte der 60er Jahre. Deutschland hat strukturbedingt ein besonders hohes Niveau einer „Sockelarbeitslosigkeit“ (vgl. Abbildung
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2). Die Diskrepanz zwischen Arbeitskräfteangebot und Nachfrage in Deutschland kann gut anhand des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots demonstriert werden. Z.B. boten die Betriebe und Verwaltungen im Herbst 2007 bei günstiger Konjunkturlage rund 1,25 Mio. Stellen an, von denen ca. 800 Tsd. sofort zu besetzen waren (IAB-Pressemitteilung vom 14.11.2007). Nach der Arbeitslosenstatistik waren aber gleichzeitig im September 2007 über 3,5 Mio. Arbeitslose bzw. über 5,9 Mio. Arbeitsuchende gemeldet (BA, 2007a). In der Rückschau erreichte die Arbeitslosigkeit ihren (vorläufigen) Höhepunkt in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2005, in dem auch die in der vorliegenden Arbeit genutzten Daten des Mikrozensus erhoben wurden. Im Aufschwung des folgenden Konjunkturzyklus’ gelang es das Ausgangsniveau kurz zu unterschreiten. Danach trieb die weltweite Wirtschaftskrise, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, 2009) als „tiefste Rezession, die es zu unseren Lebzeiten gegeben hat“ bezeichnete, die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe. Die Arbeitslosenquoten variieren zudem im Kontext von regionalen Arbeitsmärkten und differieren beträchtlich zwischen den einzelnen Kreisen und zwischen den Bundesländern. Die Bandbreite auf kommunaler Ebene reichen von derzeit nahezu Vollbeschäftigung wie im Kreis Eichstätt bis zu rund 20 % Arbeitslosenquote wie im Kreis Demmin. Es besteht eine höhere vereinigungsbedingte Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland. Nach der so genannten „Wende“ stieg die Zahl der Arbeitslosen in Ostdeutschland mit der Umstrukturierung der planwirtschaftlichen Ordnung in eine soziale Marktwirtschaft rasant an. Die Verfassung der DDR garantierte noch ein „Recht auf einen Arbeitsplatz“ (Art. 24, Abs. 1), sah allerdings auch eine „Pflicht zur Arbeit“ für jeden arbeitsfähigen Bürger vor (Art. 24, Abs. 2). Diese Beschäftigungsgarantie führte in der Praxis zur staatlichen Berufslenkung und „versteckten Arbeitslosigkeit“ in den Betrieben, schloss aber individuelle Arbeitslosenrisiken für die Erwerbstätigen aus. Im Zuge der Wiedervereinigung gingen viele ostdeutsche Arbeitsplätze vor allem in der Industrie verloren und führten zu „Strukturbrüchen am Arbeitsmarkt und im Sozialgefüge“ sowie der subjektiven „Erfahrung der Überzähligkeit“ (Vogel, 1999). Die strukturelle Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland ist auch einer der Hauptgründe für die Nettoabwanderung von Ost nach West insbesondere jüngerer Erwachsener nach der Wiedervereinigung (Grobecker, Krack-Roberg & Sommer, 2007). Die Arbeitslosenquote ist in Ostdeutschland derzeit noch deutlich höher als in Westdeutschland. Sie lag im Jahresdurchschnitt 2009 bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen bei 13,0 % in Ostdeutschland und bei 6,9 % in Westdeutschland (BA, 2010).
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Abbildung 2: Arbeitslosenquoten1 von 1948 bis 2009 im Bundesgebiet bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen (Jahresdurchschnitte) 14
12
10
Prozent
8
6
4
Westdeutschland
Gesamtdeutschland
2
19 4 19 8 5 19 0 52 19 5 19 4 5 19 6 58 19 6 19 0 6 19 2 6 19 4 6 19 6 6 19 8 7 19 0 7 19 2 7 19 4 7 19 6 7 19 8 8 19 0 8 19 2 8 19 4 8 19 6 8 19 8 90 19 9 19 2 9 19 4 96 19 9 20 8 0 20 0 02 20 0 20 4 0 20 6 08
0
1. Anmerkung zu Arbeitslosenquoten: - Bis 1965: Arbeitslose in % der unselbstständigen Erwerbspersonen (beschäftigte Arbeiter, Angestellte und Beamte sowie Arbeitslose) nach den Karteien der Arbeitsämter. - Ab 1966: Arbeitslose in % der abhängigen Erwerbspersonen (ohne Soldaten) nach Mikrozensus. - Arbeitslose in % der abhängigen zivilen Erwerbspersonen bis März 1989 nach dem Mikrozensus (Januar 1985 bis Februar 1987 nach der EG-Arbeitskräftestichprobe). - Ab April 1989 nach der Volkszählung Mai 1987, - ab Januar 1990 sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigte, Beamte, Arbeitslose. 2. Anmerkung zur Zeitreihe: - 1948 und 1949 ohne Saarland und Berlin - 1950 bis 1958 ohne Saarland - Bis 1990 nur Bundesgebiet West Quelle: BA, Detaillierte Übersichten, Zugriff über http://www.pub.arbeitsamt.de 3. Anmerkung zu Definition „abhängige zivile Erwerbspersonen“: Arbeitslosenquote bezogen auf die abhängigen zivilen Erwerbspersonen (in Abgrenzung zu allen zivilen Erwerbspersonen): Der Nenner enthält nur die abhängigen zivilen Erwerbstätigen, d.h. die Summe aus sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (einschl. Auszubildenden), geringfügig Beschäftigten, Personen in Arbeitsgelegenheiten (Mehraufwandvariante) AGH und Beamten (ohne Soldaten). Diese Art der Quotenberechnung hat in Deutschland die längere Tradition. Aus datentechnischen Gründen beziehen sich bisher die Arbeitslosenquoten einzelner Personengruppen regelmäßig nur auf die abhängigen zivilen Erwerbspersonen.
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Zeitversetzt mit den zyklisch steigenden Arbeitslosenquoten wuchsen in der Nachkriegszeit die internationalen Public Health-Forschungstätigkeiten zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit an. Hammarström und Janlert (2005) demonstrierten den zeitlichen Zusammenhang anhand der Veröffentlichungszahlen von Zeitschriftenartikeln zur Arbeitslosigkeit, die in der medizinischen Datenbank Medline erfasst waren. Sie führten die jeweiligen Publikationssteigerungen auf erhöhte politische Relevanz sowie Verfügbarkeit von Forschungsmitteln zurück. Die zyklische Förderpolitik erschwerte allerdings systematisch aufgebaute Forschungstätigkeiten von Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen und damit die Kontinuität in der Problembearbeitung. Methodisch entwickelte sich die Public Health-Forschung zum Thema Arbeitslosigkeit im Laufe der Jahre von einfacher Deskription zu elaborierten Meta-Analysen. Mohr unterscheidet fünf Perioden sozialwissenschaftlicher Erwerbslosigkeitsforschung (1997, 2009): 1. 2. 3. 4. 5.
30er bis 40er Jahre: klassische Arbeiten zu den Typologien und Phasenmodellen. 70er Jahre: vermehrte Arbeitslosigkeitsforschung, insbesondere durch Querschnittstudien mit verschiedenen Stichproben. Arbeitslosigkeit wurde als kritisches „life-event“ betrachtet. 80er Jahre: Längsschnittstudien und die Wahrnehmung des Prozesscharakters von Arbeitslosigkeit sowie Folgen für mittelbar Betroffene. 90er Jahre: Ausweitung der Forschung auch auf Zeitpunkt vor der Arbeitslosigkeit und damit auf die „Noch-Beschäftigten“ mit Arbeitsplatzunsicherheit. Gegenwärtig: Erweiterung des Arbeitsbegriffs über bezahlte Erwerbsarbeit hinaus. Vergleich der Erwerbsarbeit mit Erwerbslosigkeit, unsicheren Arbeitsverhältnissen und Unterbeschäftigung.
Der aktuelle Diskurs in den Gesundheitswissenschaften verortet Arbeitslosigkeit als soziale Determinante von Gesundheit. „Arbeitslosigkeit gefährdet die Gesundheit“ lautet dementsprechend die Schlussfolgerung von Experten, die im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 2004 Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse über soziale Determinanten und Gesundheit zusammentrug (WHO, 2004, S. 24). Arbeitslosigkeit ist dabei einer der sozialen Faktoren in einem komplexen Zusammenspiel von Lebens- und Arbeitsbedingungen und Lebensweisen, die die Gesundheit der Bevölkerung bestimmen. Auch Bartley, Ferrie und Montgomery (1998, 2006) sowie Dahlgren und Whitehead (2006) zählen Arbeitslosigkeit zu den sozialen Determinanten mit einem generellen Impact auf die Gesundheit der Bevölkerung. Dahlgren und Whitehead weisen darüber hinaus auf die Verschärfung gesundheitlicher Ungleichheit durch die
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Arbeitslosigkeit hin. Die von der WHO eingesetzte Kommission „Soziale Determinanten von Gesundheit“ kam vor kurzem in ihrem Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass Arbeitslosigkeit als soziale Determinante von psychischer Gesundheit sowohl einen differentiellen Expositionsfaktor als auch einen zu beachtenden sozioökonomischen Kontextfaktor darstellt (CSDH, 2008, S. 98). Wie die Gesundheitsberichterstattung darlegt, ist der individuelle Gesundheitszustand in erheblichem Maße von der sozialen Lage abhängig (z.B. Gesundheitsbericht „Gesundheit in Deutschland“ von RKI, 2006). Die Risiken für den Eintritt der Arbeitslosigkeit bzw. die Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sind ebenfalls sozial ungleich verteilt (z.B. Kronauer, 2000). Dieses Spannungsfeld zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit steht im Fokus der vorliegenden Arbeit. Einem Großteil der in dieser Einleitung beschriebenen Entwicklungen liegen aufeinander aufbauende Theorienbildungen und Wissenschaftsdiskussionen zugrunde, die in den folgenden Kapiteln vertieft behandelt werden. So beinhaltet das nächste Kapitel bisherige theoretische Erklärungsmodelle über die Gesundheitsfolgen von Arbeitslosigkeit. Das anschließende Kapitel über die Überblicksarbeiten und Meta-Analysen führt empirische Forschungsansätze zusammen. Das Kapitel über die moderierenden Variablen integriert dann viele Erkenntnisse vor allem der langjährigen psychologischen Arbeitslosenforschung ein.
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1.2 Theorien über die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit 1.2.1 Theoretische Modelle zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit Mehrere Theorien versuchten in der Vergangenheit die Wirkung der Arbeitslosigkeit auf den Gesundheitszustand zu erklären. Die wichtigsten Erklärungsansätze werden nachfolgend für einen Überblick vorgestellt. Frühe „Phasenmodelle“ In der bedeutsamen Gemeindestudie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ beschreiben Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel (1933) in den 1930er Jahren die Auswirkungen und psychosozialen Belastungen auf ein ganzes Gemeinwesen während der großen Weltwirtschaftsdepression. Die Erfahrungen von langandauernder Arbeitslosigkeit waren damals eng mit den direkten Folgen großer Armut verbunden. Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel (1933, S. 64ff) typisierten dabei die untersuchten Familien der Arbeitslosen in vier Haltungsgruppen mit den Attributen: 1. 2. 3. 4.
ungebrochen, resigniert, verzweifelt und apathisch.
Die Autoren (1933, S. 102) stellten diese vier Typen am Ende ihrer umfangreichen Studien in einen zeitlichen Ablauf durch die Annahme, dass mit den Haltungsgruppen „Stadien eines psychischen Abgleitens vorliegen“ und dass „am Ende dieser Reihe Verzweiflung und Verfall stehen“. Mit Bezug auf die Marienthal-Studie und weitere Forschungsarbeiten dieser Zeit beschrieben Eisenberg und Lazarsfeld (1938) später ein grundlegendes Phasenmodell für das Erleben von Arbeitslosigkeit: In der ersten Phase folgt nach der aktiven Jobsuche, bei der die Arbeitsuchenden noch optimistisch und nicht resigniert sind, ein Schockerlebnis. Wenn danach alle Anstrengungen vergeblich sind, werden die Arbeitslosen in der zweiten Phase pessimistisch, ängstlich und leiden an Stress. In der letzten Phase werden die Menschen bei langandauernder Arbeitslosigkeit fatalistisch und passen sich dem neuen Status an.
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Die Theorie der „psychischen Deprivation“ Neben dem Ansatz, typische Verlaufsmuster der psychosozialen Belastungen durch Arbeitslosigkeit in Phasenmodellen und ihre jeweiligen Einflussfaktoren zu beschreiben, finden sich in der Forschung mehrere Versuche, individuelle Verarbeitungsformen der Arbeitslosigkeit zu charakterisieren. Die meisten in der Arbeitslosenforschung herangezogenen Theorien sind aber Übertragungen aus anderen Forschungsbereichen und keine arbeitslosenspezifischen Konzepte. Eine Ausnahme bildet die viel beachtete Theorie der „psychischen Deprivation“ von Jahoda (1979, 1981, 1983), die sich aus ihren vorherigen Forschungstätigkeiten und aus der Marienthal-Studie ableitete. Ein Arbeitsplatz hat in der Theorie von Jahoda manifeste Funktionen und eine Reihe von latenten Funktionen. Eine Erwerbstätigkeit sichert nicht nur das Einkommen als zentrale Funktion, sondern strukturiert als „unbeabsichtigtes Nebenprodukt ihrer Organisationsform“ (Jahoda, 1983, S. 136) den Tag und ermöglicht weitere soziale Beziehungen und Kontakte. Sie wirkt latent sinnstiftend, setzt übergeordnete Ziele und fördert die Identitätsbildung. Der Arbeitsplatzverlust zieht durch den Wegfall dieser Funktionen psychosoziale Folgen nach sich und führt zu einer plötzlichen Veränderung in der Sozialstruktur. Arbeitslose erleben das Fehlen von einzelnen Erfahrungskategorien wie der Zeitstruktur als belastend und je nach Lebenssituation in unterschiedlicher Intensität. Der soziale Status wird häufig über den ausgeübten Beruf bestimmt. Jahoda betont, dass folglich die psychischen Belastungen nicht nur auf die „ökonomische Deprivation“ und den verschlechterten Lebensstandard zurückgehen. Zentral sind daher für das Verständnis der Wirkung des Arbeitsplatzverlustes die psychischen Funktionen des Arbeitsplatzes. Das „Vitamin-Modell“ Warr (1987, 2007) entwickelte diesen theoretischen Ansatz von Jahoda mit dem sogenannten „Vitamin-Modell“ weiter. Dieses Modell besteht aus einem komplexen Beziehungssystem von neun Umweltfaktoren und der psychischen Gesundheit und fokussiert stark die Qualität der Umgebungsbedingungen. So ähnlich wie bei der Wirkungsweise von Vitaminen auf die körperliche Gesundheit beeinflussen demnach diese neun Faktoren die psychische Gesundheit. Warr (1987) zählt im Einzelnen zu den Einflussfaktoren die Möglichkeiten der Kontrolle, der Nutzung seiner Fähigkeiten, zur Zielsetzung, zu interpersonellen Kontakten und Abwechslung, die Transparenz der Umwelt, die Verfügbarkeit von Geld, die körperliche Sicherheit und das mögliche Erreichen einer wichtigen sozialen Position. Jeder einzelne Faktor ist wichtig für die psychische Gesund-
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heit in diesem nichtlinearen Modell. Im nächsten Schritt beschreibt Warr die Prozesse im Kontext der Umgebungsbedingungen und unterschiedlichen Interaktionen zwischen Personen und Situation im Fall von Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit. Die Handlungs-Restriktionstheorie Nach der Handlungs-Restriktionstheorie von Fryer (1986) sind Menschen „proaktiv“ und intrinsisch motiviert, um ein zufriedenstellendes Leben zu planen und zu organisieren. In Abgrenzung zum psychischen Deprivationsmodell und seinen starken Bezügen zu sozialen Faktoren oder Umweltfaktoren rückt Fryer die internen Regulierungsprozesse von Arbeitslosen stärker in den Vordergrund. Durch Arbeitsplatzverlust reduzieren sich Handlungsspielräume und finanzielle Möglichkeiten, die zu Frustrationen bei Arbeitslosen führen. Die Restriktionen bei den Finanzressourcen stellen neue Anforderungen an die Lebensgestaltung. Die negativen Konsequenzen entstehen demnach vor allem durch die Erfahrungen von Armut und den Wegfall der „manifesten Funktionen“ von Arbeit, die zu Beginn besondere Bedürfnisse und im zeitlichen Verlauf auch Grundbedürfnisse tangieren. Fryer und Payne (1984) explorierten anhand einer qualitativen Studie mit (nur) elf Arbeitslosen, dass besonders proaktive Arbeitslose zwar materielle, aber nicht psychische Deprivationen erfuhren. Theorie der erlernten Hilflosigkeit sowie soziale Stigmatisierungskonzepte Für die Arbeitslosenforschung erlangte außerdem die Theorie der erlernten Hilflosigkeit von Seligman (1979) Bedeutung. Nach diesem Erklärungsansatz werden Menschen passiv und verlieren an Selbstwertgefühl, wenn sie keine Verbindung mehr zwischen ihrem Verhalten und den Konsequenzen der Umwelt sehen. Eine weitere wichtige Theorie stellt das Stigma-Konzept von Goffman (1967) dar, nach dem eine Person aufgrund besonderer Attribute stigmatisiert ist und dieses Stigma Teil der Identität wird. Im Fokus des Stigmatisierungsansatzes stehen die Erfahrungen von „Zweitklassigkeit“ und sozialen Abwertungen, die die Arbeitslosigkeit bewirkt (Schultz-Gambard & Balz, 1998). Arbeitslosigkeit kann ganz offensichtlich „stigmatisieren“, da es Arbeitslose gibt, die den Status verschleiern und sich nach außen z.B. als „Student“ ausgeben (Price, Friedland & Vinokur, 1998). Für Phasen mit hoher Arbeitslosigkeitsquote wird angenommen, dass das Stigma durch die vielen Betroffenen in der Tendenz geringer als in Phasen mit weniger Arbeitslosen ausfällt.
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Identitätstheorien Die bisherigen theoretischen Erklärungsansätze der Arbeitslosenforschung wurden dann in den 1980er Jahren kontrovers diskutiert. Kritisiert wurden vor allem die Phasenmodelle, da sich herausstellte, dass Arbeitslose unterschiedlich auf Arbeitsplatzverlust reagieren und die Erfahrungen nicht uniform verlaufen. Ezzy (1993) kritisierte beispielsweise, dass das Phasenmodell weniger eine Theorie und mehr einen beschreibenden Rahmen darstellt, der die Arbeitslosendauer operationalisiert. Außerdem konstatierte er die Begrenztheit des Modells von Jahoda durch den Benefit von Arbeit. Ezzy (1993) schlug dagegen die Entwicklung einer breiter angelegten Theorie auf Basis von Identitätstheorien für Statuspassagen vor. Er ging davon aus, dass bei Individuen, die keine zufriedenstellende alternative Identität nach dem Arbeitsplatzverlust finden können, Depressionen und geringere psychische Gesundheit zu erwarten sind. Nordenmark und Strandh (1999) griffen den Identitätsansatz auf und bestätigten in einer Untersuchung, dass sich die psychische Gesundheit der Arbeitslosen verbesserte, die eine alternative Identität zur Rolle der Beschäftigten entwickeln und mehr ökonomische Ressourcen erschließen konnten. Von entscheidender Bedeutung für die psychische Gesundheit und kompensatorische Bewältigung von Arbeitslosigkeit sind nach dem Ansatz der Identitätstheorie die wahrgenommenen Erwartungen und Bewertungen des sozialen Umfelds (Rogge & Kieselbach, 2009). Stresstheoretische Erklärungsansätze Arbeitsplatzverlust wurde zunehmend nicht nur als plötzlich eingetretenes Ereignis, sondern als Beginn einer kritischen und andauernden Lebensphase diskutiert. Die Betrachtung der Arbeitslosigkeit im Zeitverlauf bildet die Basis für stresstheoretische Erklärungsansätze wie der transaktionalen Stresstheorie von Lazarus (1966; Lazarus & Folkman 1984). Sie schreibt den kognitiven Prozessen und der Stressbewältigung die primäre Bedeutung in der Wechselwirkung von Person und Situation zu (Schwarzer, 1996). Ein erfolgreiches Coping von Arbeitslosigkeit hängt von den sozioökonomischen und psycho-sozialen Ressourcen sowie von den individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen ab (Büssing, 1993). Weitere Stresstheorien wie das Anforderungs- und Kontrollmodell wurden vor allem aus der Arbeitswelt auf die Situation von Arbeitslosen übertragen (Creed & Bartrum, 2006). Im Vordergrund stehen dabei die Fähigkeiten von Arbeitslosen, die Anforderungen im Alltag zu bewältigen, und die Wechselwirkungen von situativen Gegebenheiten mit persönlichen Lebensumständen, biografischen Erfahrungen und Ressourcen (Kieselbach & Beelmann, 2006).
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Die Hauptanforderungen, die sich bei Eintritt in die Arbeitslosigkeit den Betroffenen stellen, fasst Mohr (2009, S. 28) wie folgt zusammen:
„Antizipation des Arbeitsplatzverlusts und damit verbundenes Entscheiden und Handeln unter Unsicherheitsbedingungen, Umgang mit geringen finanziellen Mitteln, Veränderung der sozialen Beziehungen, neue häusliche Rollenaufteilung, Neugestaltung des Tages, Verarbeitung von gehäuften Misserfolgserfahrungen, das richtige Maß an Konzessionsbereitschaft finden, den Wiedereinstieg bewältigen.“
Price, Friedland und Vinokur (1998) halten Arbeitsplatzverlust für einen „primären Stressor“, der eine Kaskade von sekundären Stressoren (meist ökonomische Not, wachsende Schulden und Familienkonflikte) nach sich ziehen kann. Kieselbach (1998) unterteilt die Wirkung von andauernder Arbeitslosigkeit als eigenständiger psychosozialer Stressor in „primäre, sekundäre und tertiäre Viktimisierung“: 1. 2. 3.
Die mit der Arbeitstätigkeit verbundenen Momente ökonomischer Sicherheit, sozialer Einbindung, von Selbstwertgefühl, Zeitstrukturierung sowie externen Anforderungen schwächen sich ab oder gehen verloren. Erfahrungen von Alltagsproblemen wie finanziellen Sorgen, Zukunftsunsicherheit und sozialer Stigmatisierung führen zu einer Verstärkung von Belastungen. Sozial als unangemessen angesehene Formen der Bewältigung werden den Betroffenen selbst angelastet.
Differentielle Arbeitslosenforschung Ein Ziel der „differentiellen Arbeitslosenforschung“ (Wacker, 2001b) ist es, die einzelnen Faktoren der vielfältigen Bewältigungsformen zu identifizieren, die die Bewältigung von Arbeitslosigkeit beeinflussen und damit zu unterschiedlichen Wirkungen beitragen. Sie untersucht die jeweiligen Lebensumstände, Biographie, Persönlichkeit sowie finanzielle und soziale Faktoren. Sie integriert nicht nur die Stressoren, sondern auch die Ressourcen in die verschiedenen Modelle zu Anforderungen und Stressbewältigung. Der aktuelle Forschungsstand zur Wirkung solcher moderierenden Variablen wird in Kapitel 1.4 ausführlich erörtert und deshalb hier nur erwähnt. Zu-
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nehmend rückten in der Forschung neben den Arbeitslosen auch die mittelbar betroffenen Familienangehörigen wie Kinder und Lebenspartner in den Fokus. Die unter den Druck der Arbeitslosigkeit geratene Familie ist „Opfer durch Nähe“ und gleichzeitig „Quelle sozialer Unterstützung“ (Kieselbach, 1988). Diese indirekten Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Familie sind in Deutschland allerdings noch wenig untersucht worden (Hess, Hartenstein & Smid, 1991; Kieselbach & Beelmann, 2006). „Finances-Shame-Model“ Als neues theoretisches Rahmenkonzept zur Gesundheit von Arbeitslosen verbindet das „Finances-Shame-Model“ die Stress- bzw. Deprivationsforschung durch finanzielle Belastungen mit der Sozialforschung zur Identität, sozialen Beziehungen, sozialen Netzwerken und sozialer Unterstützung (Starrin & Jönsson, 2006; Creed & Bartrum, 2006). Das Modell postuliert, dass die Gesundheitseffekte der Arbeitslosigkeit einer Funktion von finanzieller Härte und beschämender Erfahrungen, z.B. in Form von mangelnder Beachtung oder übler Nachrede aufgrund des Arbeitslosenstatus, unterliegen. Je höher das Niveau der Finanzbelastung und je häufiger Beschämung durch Freunde und Nachbarn erfolgt, umso größer ist demnach das Risiko für einen schlechten Gesundheitszustand. „Soziale Exklusion“ Die Teilhabe an Arbeit hat eine Schlüsselfunktion für die gesellschaftliche Inklusion. In den Theorien zur sozialen Exklusion wird soziale Benachteiligung aber nicht nur unter einem einzigen Aspekt, sondern mehrdimensional betrachtet (Kronauer, 2002). Die soziale Exklusion steigt mit der individuellen Vulnerabilität. Die Ausgrenzungsprozesse akkumulieren in diesem Modell und setzen eine Abwärtsspirale in Gang. Die sozial ausgeschlossenen Personengruppen variieren von Land zu Land, Arbeitslose gelten aber als besonders betroffene Gruppe und Arbeitslosigkeit als Indikatorvariable (Shaw, Dorling & Smith, 2006). Kieselbach (2006) übertrug in Fallstudien dieses Konzept auf Arbeitslose und integrierte protekive und vulnerable Faktoren, die als Schlüsselmechanismen zur sozialen Exklusion führen und Gesundheitseffekte nach sich ziehen. Bei Jugendlichen in sechs europäischen Ländern konnte demonstriert werden, dass Arbeitslosigkeit ein zentraler Risikofaktor für die gesamte soziale Exklusion ist (Kieselbach & Beelmann, 2003).
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Die Diskussion über soziale Exklusion erweitert die in der psychologischen Arbeitslosenforschung individuumszentrierte Betrachtungsweise um gesellschaftliche Prozesse. Sie impliziert eine nach unten gerichtete Spirale, bei der die Marginalisierung am Arbeitsmarkt zu Armut und sozialer Isolation führt, die wiederum das Risiko für Langzeitarbeitslosigkeit erhöhen kann (Gallie, Paugam & Jacobs, 2003). Die individuelle Bewältigung von Arbeitslosigkeit ist daher im Kontext gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und struktureller Barrieren zu sehen. Arbeitslosigkeit ist „sozial konstruiert“. Durch die vorherrschenden gesellschaftlichen Erklärungs- und Bewältigungsmechanismen werden nach Kieselbach (1994b) aber die Ansprüche von Arbeitslosen an die Gesellschaft delegitimiert. Zu solchen gesellschaftlichen Mechanismen zählt Kieselbach (1995, 1997)
eine „Bagatellisierung“ von Arbeitslosigkeit wie durch das Verbergen des wahren Ausmaßes der Arbeitslosigkeit u.a. durch die Statistikkonzepte. eine „Individualisierung“ der Massenarbeitslosigkeit, die mit Schuldzuweisungen bezüglich Arbeitsunwilligkeit, Qualifikation, Missbrauch usw. einhergeht. Sie verschärft die Abgrenzung von Beschäftigten und Arbeitslosen. Die Individualisierung birgt darüber hinaus die Gefahr der Spaltung der Arbeitslosen in Teilgruppen, die Massenarbeitslosigkeit nicht mehr als einheitliches gesellschaftliches Problem, sondern nur als Defizite von Problemgruppen erscheinen lassen und im Sinne von „blaming-the-victim“ Opfer zu Tätern ihres eigenen Schicksals machen. eine „naturalisierende Betrachtungsweise“, die eine bestimmte Höhe der Arbeitslosigkeit als unumgänglichen sozialen Tatbestand ansieht. Sie grenzt damit politisches Handeln aus und verringert den Handlungsdruck auf politische Entscheidungsträger. eine „Historisierung“ in Bezug auf Ostdeutschland, bei der die Schuld gegenwärtiger Arbeitslosigkeit vom früheren gesellschaftlichen DDR-System abgeleitet wird.
Salutogenese Das Verständnis von Gesundheit ist im Zuge eines Paradigmenwechsels im Wandel begriffen und unterliegt historischen und kulturellen Einflüssen. Gesundheit lässt sich aus verschiedenen Perspektiven definieren und ist „zu einem Grundwert und einem Leitbegriff in unserer entwickelten Industriegesellschaft geworden“ (Schwartz, Siegrist, Troschke & Schlaud, 2003). Einer eingeengten biomedizinischen Sichtweise von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit setzte die WHO 1946 eine positivierende Betrachtungsweise entgegen. Sie defi-
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nierte Gesundheit als „Zustand des völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“. Gesundheit wird dabei nicht nur als unveränderlicher Zustand verstanden, sondern als lebensgeschichtlich und im Alltag immer wieder neu herzustellende Balance. Die Definition lenkt den Blick auf den ganzen Menschen in seinen körperlichen, geistig-seelischen und sozialen Bezügen und stellt sein subjektives Befinden in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Kontrovers und ausgiebig diskutiert, bildete sie die konzeptionelle Grundlage von späteren theoretischen Ansätzen und Gesundheitsmodellen wie der Salutogenese. Ein viel beachtetes salutogenetisches Konzept stammt von Antonovsky (1979, 1997), der von einem multidimensionalen Gesundheits-KrankheitsKontinuum ausgeht. Er sieht eine komplementäre Beziehung zwischen Pathogenese und Salutogenese und zwischen Gesundheitsfaktoren und Risikofaktoren. Zentraler Bestandteil dieser Theorie ist das Konstrukt „Kohärenzgefühl“ (sense of coherence). Dieses ist ein Charakteristikum einer Person, das kausal mit ihrer Position auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum verbunden ist. Kohärenzgefühl definiert Antonovsky (1997, S. 36) „als eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat.“ Der Diskurs um Gesundheitsbegriffe und theoretische Grundlagen befruchtete auch stark die Entwicklung der Gesundheitsförderung. Mit der OttawaCharta initiierte die WHO (1986) dann eine weltweite Strategie zur Gesundheitsförderung, auf die in Kap. 2.2 noch eingegangen wird. Diese Gesundheitsförderungsansätze und Begriffsbestimmungen von Gesundheit lassen sich auf den Bereich Arbeitslosigkeit übertragen und werden derzeit z.B. unter „arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung“ (Kastner, Hagemann & Kliesch, 2005) für die Zielgruppe der Arbeitslosen in ersten Entwicklungsschritten übertragen und spezifiziert. Schlussfolgerungen zu bisherigen theoretischen Erklärungsversuchen In einem aktuellen Überblick konstatiert Mohr (2009) zum Stand der sozialwissenschaftlichen Erwerbslosigkeitsforschung, dass „sich ein großer Teil der inzwischen umfangreichen Forschung nicht explizit auf theoretische Modellvorstellungen bezieht“. Bei vielen Erklärungsansätzen handelt es sich auch um Übertragungen aus anderen Wissenschaftsbereichen und nicht um originär aus der Arbeitslosigkeitsforschung heraus entwickelte Theorien wie das beispielsweise bei der „psychischen Deprivation“ von Jahoda (1979) der Fall war. Eine Reihe von Theorien findet auch nur in relativ wenigen Arbeiten ihren Niederschlag. Ezzy (1991) bemängelte, dass das deskriptive Bild komplex und gut dokumentiert ist, aber die Erklärungen für diese Effekte typischerweise wenig
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elaboriert sind. Dafür machte er einen Mangel an generellen Theorien verantwortlich, in die die vorhandenen Erkenntnisse über die Effekte von Arbeitslosigkeit und Beschäftigung integriert werden könnten. Nach Schultz-Gambard und Balz (1998) enthalten die bisherigen Erklärungsansätze allerdings weder gegensätzliche Annahmen noch widersprüchliche Aussagen, sondern thematisieren vielmehr jeweils verschiedene Einzelaspekte. Eine Integration in einen umfassenden Theorierahmen steht noch aus. Die früheren Wissenschaftsdiskussionen um Stresstheorien, Deprivationsforschung und differentielle Arbeitslosenforschung haben sich mittlerweile erschöpft während zeitgleich die empirischen Wissenschaften kontinuierlich Einzelergebnisse zur Gesundheit von Arbeitslosen auf hohem Niveau produzieren. Auf der anderen Seite gibt es aber auch theoretische Ansätze, die die Arbeitslosenforschung noch nicht voll adaptiert hat. Gesundheitliche und soziale Ungleichheit So ist der Diskurs in der Arbeitslosenforschung bisher kaum verbunden mit den parallel verlaufenden Diskussionen über soziale und gesundheitliche Ungleichheit (vgl. Richter & Hurrelmann, 2006; Siegrist & Marmot, 2008). Soziale Ungleichheit ist ein abstrakter Begriff, wobei Arbeitslosigkeit nach Blien (2009) eigentlich eine zentrale Dimension darstellt. Die Abbildung 3 zeigt ein in Deutschland vielfach verwendetes Modell zur Erklärung der gesundheitlichen Ungleichheit von Mielck (2000), das auch wichtige Aspekte für die Arbeitslosenforschung beinhaltet. Das Modell legt dar, wie der sozioökonomische Status den Gesundheitszustand determiniert. Soziale Ungleichheit, die z.B. an Bildung, Berufsstatus und Einkommen gemessen werden kann, produziert unterschiedliche Lebensverhältnisse, die direkt oder auch indirekt über das Gesundheitsverhalten den Gesundheitszustand beeinflussen. Das Gesundheitsverhalten (z.B. Ernährungsgewohnheiten und Rauchverhalten) wird demnach durch die Lebensverhältnisse und durch das Zusammenwirken von Belastungen und Ressourcen maßgeblich geprägt. Das Modell berücksichtigt auch Unterschiede in der Gesundheitsversorgung (z.B. durch Zuzahlungssysteme). Soziale Ungleichheit führt auf diese Weise zu gesundheitlicher Ungleichheit. Eine schwere Morbidität kann aber wiederum eine soziale Abstiegsmobilität zwischen den Sozialschichten bewirken. Das Konzept der sozialen Ungleichheit ist nicht mit dem sozialrechtlichen Tatbestand der Arbeitslosigkeit gleichzusetzen (s. Kap. 1.4.1.4). Das Modell in Abbildung 3 kann aber trotzdem gut auf die Arbeitslosenforschung übertragen werden, da soziale Ungleichheit eng mit verschiedenen Arbeitslosigkeitsrisiken verknüpft ist. Die Langzeitarbeitslosigkeit führt – wie in den nachfolgenden Kapiteln weiter ausgeführt wird – zu hohen gesundheitlichen Belastungen und
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geringen Ressourcen. Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung sind in Deutschland z.B. in der geringeren Inanspruchnahme von Leistungen der Gesundheitsförderung durch Arbeitslose belegt (s. Kap. 2.2). Arbeitslose weisen im Durchschnitt auch ein riskanteres Gesundheits- und Suchtververhalten auf (s. Kap. 2.1.3). Die Arbeitslosenforschung könnte daher nicht nur solche theoretischen Erklärungsmodelle nutzen, sondern sogar zur Erklärungskraft dieser Modelle zur sozialen Ungleichheit beitragen, da bisherige Modelle oft nicht die konkreten Vermittlungsprozesse auf den Gesundheitszustand erklären. Der Mikrozensus 2005 erfasst viele Items, die den zentralen Konstrukten im Modell sozialer Ungleichheit von Mielck zugeordnet werden können. Abbildung 3: Modell sozialer Ungleichheit
Soziale Ungleichheit (Unterschiede in Bildung, Berufsstatus, Einkommen) Unterschiede in den gesundheitlichen Belastungen
Unterschiede in den BewältigungsRessourcen
Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung
(z.B. Belastungen am Arbeitsplatz)
(z.B. soziale Unterstützung)
(z.B. Arzt-PatientKommunikation)
Unterschiede beim Gesundheits- und Krankheitsverhalten (z.B. Ernährung, Rauchen, Compliance)
Gesundheitliche Ungleichheit (Unterschiede in Morbidität und Mortalität)
Quelle: Mielck, 2000 (auf Basis Elkeles & Mielck, 1997)
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1.2.2 Selektion versus Kausalität Die Wirkungsrichtung zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheitszustand ist eine der zentralen Wissenschaftsfragen in der Arbeitslosenforschung. Die Antworten sind nicht nur wichtig für das Verständnis von den Wirkprozessen auf die Gesundheit, sondern auch wesentlich für die Entwicklung von Ansätzen der Prävention und Gesundheitsförderung. Gemäß der „sozialen Kausalitätshypothese“ wirkt sich Arbeitslosigkeit selbst als eigenständiger Faktor ursächlich auf individuelle Gesundheitszustände aus (Winefield, 1995; Creed & Bartrum, 2006; u.a.). Nach der Selektionshypothese (bzw. „Drift-Hypothese“) verursacht dagegen Krankheit die Arbeitslosigkeit. So könnten die Gesundheitsunterschiede zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten auf Auswahlprozesse am Arbeitsmarkt zurückzuführen sein, wenn die betreffenden Personen eher entlassen werden oder mit geringerer Wahrscheinlichkeit Stellenangebote erhalten (siehe Abbildung 4). Eine Auslese zu Lasten von gesundheitlich eingeschränkten Menschen könnte beispielsweise im Verfahren der Personaleinstellung (z.B. für die Beamtenlaufbahn) oder durch Auswahlkriterien bei Entlassungen und bei Stellenabbaustrategien auftreten, wenn ihnen – unter Umständen auch vorurteilsbelastet – weniger Leistungsfähigkeit unterstellt wird. Vor kurzem war z.B. in einer Umfrage von Eurobarometer über die Hälfte der Befragten der Meinung, dass sich in einer Bewerberauswahl das Alter des Bewerbers und eine Behinderung nachteilig auswirken (Scheuer, 2009). Gesundheitsstörungen und Behinderungen könnten sich unter Umständen auch schon früher bei der schulischen oder beruflichen Ausbildung negativ ausgewirkt und z.B. zu einem Ausbildungsabbruch beigetragen haben, was ebenfalls das Arbeitslosigkeitsrisiko erhöht. Bei bestehenden Arbeitsverhältnissen kann eine wiederkehrende oder lang anhaltende Krankheit auch zur Kündigung führen, wenn keine Aussicht auf Besserung besteht und die Erkrankung die betrieblichen Interessen beeinträchtigten.
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Abbildung 4: „Circulus vitiosus“ von Erwerbslosigkeit und Gesundheit Selektionseffekt: Krankheit erhöht Risiko, erwerbslos zu werden!
Kausalität: Erwerbslosigkeit macht krank!
Selektionseffekt: Gesundheitliche Einschränkungen hemmen Arbeitssuche und Vermittlung!
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Außerdem wäre es möglich, dass Arbeitnehmer schon bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten aufgrund belastender Arbeitsbedingungen und damit vor einer etwaigen Arbeitslosigkeit erkranken. Auch das Erlebnis von Arbeitsplatzunsicherheit und Arbeitsplatzverlust unmittelbar vor Eintritt in die Arbeitslosigkeit könnte zur Krankheit führen (Rosenbrock, 1998). Die gesundheitsbelastende Wirkung von Arbeitslosigkeit entfaltet sich nicht erst mit Eintritt in Arbeitslosigkeit, sondern beginnt bereits, wenn Menschen im Beschäftigungsverhältnis antizipieren, dass sie arbeitslos werden (Bartley, Ferrie & Montgomery, 1999). Ein weiterer diskutierter Selektionsbias ist durch eine indirekte Einflussnahme auf beide Variablen Arbeitslosigkeit und Gesundheit gekennzeichnet, wenn z.B. soziale Benachteiligung und instabile Berufskarrieren die Risiken sowohl für Arbeitslosigkeit als auch für Krankheit erhöhen (Kasl & Jones, 2002). Die Selektionshypothese und die soziale Kausalitätshypothese müssen sich im Prinzip nicht gegenseitig ausschließen, sondern können gemäß Abbildung 4 parallel oder sequenziell wirken und zu einem „Circulus vitiosus“ führen (Hollederer, 2009b). Das zugrunde liegende Ursachen-Wirkungs-Gefüge und die Effektgrößen von Kausalfaktoren und Selektionseffekte sind bisher noch nicht komplett aufgeklärt. Es herrscht aber große Übereinstimmung bei den Arbeitslosenforschern von allen bisherigen Perioden in der Einschätzung vor, dass sich Arbeitslosigkeit kausal gesundheitsbelastend auswirkt. Ein Indiz für eine kausale Gesundheitswirkung von Arbeitslosigkeit ist z.B. die häufig beobachtete Verbesserung psychischer Gesundheit nach Wiederbeschäftigung (Murphy & Athanasou, 1999; McKee-Ryan, Song, Wanberg & Kinicki, 2005; Paul, Hassel & Moser, 2006). Die Selektionsmechanismen werden in der Forschung in den Effektgrößen häufig kleiner als die kausale Wirkung durch die Arbeitslosigkeit eingeschätzt. Ein sogenannter „Hysterese-Effekt“ entsteht, wenn die Arbeitslosigkeit selbst mit zunehmender Dauer zur Demotivierung, geringerer Stellensuche oder beruflicher Dequalifizierung führt und Unternehmen in dieser Erwartung prinzipiell einer Einstellung von Arbeitslosen negativ gegenüberstehen. Zur Klärung der Wirkungsrichtung können methodisch vor allem Langzeitstudien mit mehreren Messzeitpunkten sowie Meta-Analysen und internationale Überblicksarbeiten beitragen, auf die im nächsten Kapitel im Detail eingegangen wird.
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1.3 Internationale Überblicksarbeiten und Meta-Analysen Die zahlreichen Forschungstätigkeiten zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit konzentrieren sich auf die westlichen Industriestaaten. Eine Reihe von Reviews markiert den Forschungsverlauf bis zur Gegenwart. Das Niveau und die Methoden verbesserten sich sukzessive von rein deskriptiven Überblicksarbeiten bis hin zu heutigen elaborierten Meta-Analysen. Einen guten Einblick zum Wissenstand zwischen den beiden Weltkriegen gewährten Eisenberg und Lazarsfeld (1938). Die damaligen Publikationen waren geprägt von den Folgen der aufkommenden Massenarbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise. Die Literatur in der Nachkriegszeit führten Frese und Mohr (1978) in einem detaillierten Überblick über den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und psychischen Störungen auf. Im Jahr 1980 berichteten Dooley und Catalano (1980) den internationalen Forschungsstand über den Zusammenhang von Wirtschaftswandel und Verhaltensstörungen. In einer Literaturübersicht fassten Land und Viefhues (1984) 348 Arbeiten, die bis zum Jahr 1984 publiziert wurden, zusammen. Auf diesen Ergebnissen baute eine zweite Literaturstudie von Kurella (1992) auf, der die von 1985 bis 1991 veröffentlichte Literatur untersuchte. Eine lange Reihe von weiteren Veröffentlichungen geben Überblicke über die zeitweise sehr rege und weiter ausdifferenzierende Wissenschaftsdiskussion (DeFrank & Ivancevich, 1986; Fryer & Payne, 1986; Warr, Jackson & Banks, 1988; Dooley & Catalano, 1988; Catalano, 1991; Ezzy, 1993; Dooley, Fielding & Levi, 1996; Kieselbach 1994a; Winefield, 1995; Schultz-Gambard & Balz, 1998; Hanisch, 1999; Kasl & Jones, 2002; Kieselbach & Beelmann, 2006; Mohr, 2009; u.v.m.). Die Autoren beschreiben dabei Arbeitslosigkeit durchgängig als stressvolles und kritisches Lebensereignis oder -phase, durch die vielfältige negative Reaktionen wie psychische Belastungen oder schlechterer physischer Gesundheitszustand hervorgerufen werden. Bei Reintegration in Beschäftigung wird beobachtet, dass sich diese Symptome wieder reduzieren. Die Validität von Kausalaussagen steigt mit der Zahl empirischer Längsschnittanalysen, die die Statuswechsel zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäftigung erfassen. Allerdings gibt es bis heute nur wenige Studien mit langfristigen Effekten. Erst seit kurzem werden die empirischen Vergleichsuntersuchungen zu Arbeitslosigkeit und Gesundheit auch im Verfahren der Meta-Analyse mit quantitativen Methoden ausgewertet. Mit dieser Methode werden eine Bewertung des gesamten Forschungsstandes und eine Vereinheitlichung bisheriger statistischer Untersuchungsergebnisse vorgenommen. Sie erlaubt, Effektgrößen und kausale Beziehungen zu generalisieren. Außerdem führt sie die quantitativen Ergebnisse des gesamten Forschungsgebiets zusammen. Einen ausgezeichneten Überblick über die meta-analytische Entwicklung in diesem Forschungsgebiet, die ver-
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wandte Methodik und die gefundenen Effektgrößen geben Paul und Moser (2006b). Einen Qualitätssprung kennzeichnet in der Retrospektive die Überblicksarbeit von Murphy und Athanasou (1999) über die Folgen von Arbeitslosigkeit. Sie analysierten 16 longitudinale Vergleichsstudien mit psychologischen Testverfahren aus den Jahren 1961 bis 1995. Die Auswertung belegt negative Effekte von Arbeitslosigkeit auf die menschliche Psyche. Der größte Teil der Studien stellt eine Verbesserung der seelischen Gesundheit nach beruflicher Wiedereingliederung fest. Sie sehen die Kausalitätshypothese als stark unterstützt an, testeten aber nicht etwaige Selektionseffekte. Paul und Moser (2001) bezogen in einer erweiterten Meta-Analyse schon 51 Längsschnittstudien aus Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland ein. Auch sie beschränkten sich auf die Wirkungszusammenhänge von Arbeitslosigkeit und psychischem Befinden. Als Indikatoren der psychischen Gesundheit wählten sie allgemeine psychische Symptome, Depressions-, Angst und psychosomatische Symptome, Externalität, Lebenszufriedenheit, emotionales Wohlbefinden und Selbstwertgefühl. Die Untersuchungen mit einem Wechsel zwischen Erwerbsstatus und Arbeitslosigkeit zeigen, dass Menschen nach Arbeitsplatzverlust eine Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit erleiden, was darauf hinweist, dass zumindest ein Teil der psychischen Probleme Arbeitsloser durch die Arbeitslosigkeit selbst hervorgerufen werden. Umgekehrt verbessert sich meist das seelische Befinden deutlich, wenn Arbeitslose zurück in die Beschäftigung finden. Die Verursachungshypothese wird in dieser Meta-Analyse auch durch die Untersuchungen von Schülern gestützt, bei denen sich beim Übertritt von der Schule in die Beschäftigung eine Verbesserung des seelischen Befindens und im Falle des Übertritts in Arbeitslosigkeit eine Verschlechterung zeigt. Eine Kausalwirkung von Arbeitslosigkeit auf die seelische Gesundheit schließt aber nicht gleichzeitig vorhandene Selektionseinflüsse aus. Paul und Moser (2001) fanden sowohl für den Verlust eines Arbeitsplatzes bei Beschäftigten als auch für die spätere Arbeitsaufnahme bei Arbeitslosen und Schülern Selektionseffekte bzw. schon vorher bestehende stärkere psychische Symptombelastungen. McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) untersuchten in einer weiteren Meta-Analyse den Impact von Arbeitslosigkeit auf das Wohlbefinden der Betroffenen. Bei ihren Literaturrecherchen fanden sie über 5.000 englischsprachige Artikel zu diesem Themenbereich, unter denen sie 104 empirische Studien identifizierten, die statistisch für ihre Meta-Analyse verwertbar waren. In der Analyse bestimmten sie die Zusammenhänge mit psychischem Wohlbefinden (darunter psychische Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Zufriedenheit mit Familie bzw. Ehe) und physischem Wohlbefinden. Die einbezogenen Studien zielten am häufigsten auf die psychische Gesundheit („mental health“) mit drei
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Vierteln aller Korrelationsanalysen. Zur subjektiven und objektiven physischen Gesundheit stand dagegen nur eine sehr kleine Zahl von internationalen Studien zur Verfügung. Die Meta-Analyse zeigt, dass Arbeitslose im Vergleich zu Beschäftigten vor allem eine signifikant schlechtere psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit, aber auch einen ungünstigeren physischen Gesundheitszustand aufwiesen. Die Befunde der Meta-Analyse unterstützen stark die Kausalitätshypothese, da im Bereich der psychischen Gesundheit das Hauptergebnis konsistent blieb über sehr viele Arten von Studien und Datenquellen. Die Längsschnittstudien zeigten zudem, dass das psychische Wohlbefinden der Betroffenen mit dem Arbeitsplatzverlust signifikant fällt und beim Übergang in Wiederbeschäftigung stark ansteigt. Allerdings ist bei der Interpretation einzuschränken, dass nur wenige Längsschnittanalysen existieren. Darüber hinaus bezogen die Autoren 22 Prädiktor-Variablen ein, von denen ein Großteil mit dem Wohlbefinden während der Arbeitslosigkeit signifikant korreliert. Die Reaktionen auf die Arbeitslosigkeit sind nicht homogen, da die Effekte von weiteren Einflussvariablen moderiert werden. Auf einer erweiterten Basis an Primärstudien untersuchten Paul, Hassel und Moser im Jahr 2006 die psychischen Gesundheitseffekte von Arbeitslosigkeit erneut. Ihre Meta-Analyse geht mit 237 Querschnitt- und 87 Längsschnittstudien zahlenmäßig weit über die von McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) hinaus. Paul, Hassel und Moser (2006) bestätigen im Wesentlichen die früheren Ergebnisse von Paul und Moser (2001) und belegen, dass 1. 2. 3. 4.
Arbeitslosigkeit mit einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit einhergeht, der Effekt von mittlerer Stärke und praktisch hochbedeutsam ist, sich die Beeinträchtigung des Befindens für mehrere Indikatoren der psychischen Gesundheit nachweisen lässt und psychische Beanspruchungssymptome nicht nur mit Arbeitslosigkeit korrelieren, sondern – trotz der nachweisbaren Existenz von Selektionseffekten – auch durch diese (mit)verursacht werden.
In den Querschnittstudien weisen Arbeitslose signifikant mehr Symptome psychischer Beeinträchtigung auf als Erwerbstätige. Die beobachteten Effektstärken sind bei den unspezifischen Belastungssymptomen sowie bei Depressions- und Angstsymptomen, emotionalem Wohlbefinden und Selbstwertgefühl statistisch bedeutsam und von mittlerer Größe. Dagegen fällt die Effektstärke von psychosomatischen Beschwerden (inklusive physische Aspekte) zwar noch signifikant, aber wesentlich kleiner aus. Die Autoren schlussfolgern, dass Arbeitslosigkeit stärker seelisch als körperlich beeinträchtigt. Offensichtlich gibt es dabei kein
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spezifisches „Arbeitslosigkeitssyndrom“, die Beeinträchtigung des Befindens lässt sich für mehrere Indikatoren der psychischen Gesundheit nachweisen. Die psychischen Symptome korrelieren aber nicht nur mit Arbeitslosigkeit, sondern werden nach den Längsschnittuntersuchungen mit verursacht. Umgekehrt bessert sich das seelische Befinden, wenn Arbeitslose wieder in Beschäftigung finden. Die Abbildung 5 verdeutlicht diese Ergebnisse der Meta-Analyse und zeigt Richtung und Stärken der Effekte auf die psychische Gesundheit beim Erwerbsstatuswechsel auf. Abbildung 5: Meta-Analytische Längsschnittvergleiche zur Veränderung der psychischen Gesundheit
erwerbstätig - erwerbstätig
arbeitslos - arbeitslos
erwerbstätig - arbeitslos
arbeitslos - erwerbstätig
-0,5
-0,4
-0,3
-0,2
-0,1
0
Effektstärke
Quelle: Paul, Hassel & Moser (2006).
42
0,1
0,2
0,3
0,4
0,5
1.4 Moderierende Variablen der Bewältigung von Arbeitslosigkeit Der Arbeitsmarkt ist einerseits durch eine hohe Fluktuation, aber gleichzeitig auch durch eine starke Segmentierung charakterisiert. Schon allein nach Anlässen können vier Typen der Arbeitslosigkeit (Hradil, 2001, S. 184ff) unterschieden werden: 1. 2.
3. 4.
Friktionelle (Such-)Arbeitslosigkeit aufgrund des benötigten Zeitaufwands von Umstiegs- und Einstiegsprozessen auf dem Arbeitsmarkt. Saisonale Arbeitslosigkeit: Saisonarbeitslose verlieren aus Witterungs- oder institutionellen Gründen in der Saisonpause ihren Arbeitsplatz in bestimmten Branchen wie Land- und Bauwirtschaft oder Hotel- und Gaststättengewerbe, da die Geschäftstätigkeit zeitweise zurückgeht. Ansonsten spielen auch Ferien-, Einstellungs- oder Kündigungstermine eine wichtige Rolle (Brinkmann, Karr & Spitznagel, 1985). Konjunkturelle Arbeitslosigkeit entsteht, wenn Betriebe auf konjunkturbedingte Rückgänge der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen mit Entlassungen oder Einstellungsstopps reagieren. Der strukturellen Arbeitslosigkeit liegt häufig ein langwieriger Wandel von Wirtschaftsstrukturen zugrunde. Die Hintergründe können vielfältig sein wie Verschiebungen zwischen Branchen oder vom Industrie- zum Dienstleistungssektor, technischer Fortschritt, Rationalisierung von Produktionsund Fertigungsweisen, ungleiche Entwicklung von Wirtschaftsstandorten, demografische Entwicklung usw.
Die Risiken der Arbeitslosigkeit bzw. die Chancen auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt sind regional und sozial unterschiedlich verteilt. Verminderte Beschäftigungschancen bestehen insbesondere für Arbeitslose im fortgeschrittenen Lebensalter, mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, fehlenden beruflichen Qualifikationen oder bei Langzeitarbeitslosigkeit. Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich innerhalb der Personen, die zwischen 1950 bis 1954 in Westdeutschland geboren wurden, die Hälfte des gesamten Arbeitslosigkeitsvolumens auf ca. fünf Prozent der betrachteten Geburtsjahrgänge konzentriert (Möller & Schmillen, 2008). Die Arbeitslosigkeitsrisiken häufen sich bei bestimmten „Problemgruppen“ am Arbeitsmarkt. Ein Großteil der heutigen Erwerbstätigen wurde nie arbeitslos (Dundler & Müller, 2006). Wie kann nun unfreiwillige Arbeitslosigkeit am gesündesten bewältigt werden? Viele potenzielle Einflussfaktoren wurden in Moderationsanalysen untersucht, um die verschiedenen Copingstrategien von Arbeitslosigkeit und die Gesundheitsfolgen für einzelne Personengruppen zu erklären. Durch diese Analysen
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können auch vulnerable Gruppen erkannt werden. Moderatoren werden erhoben, um im Nachhinein zu prüfen, ob das Merkmal den Einfluss einer unabhängigen auf die abhängige Variable verändert bzw. „moderiert“ (Bortz, 1999, S. 8, 750; Bortz & Döring, 1995, S. 6). Moderatorvariablen üben auf die Kausalbeziehungen einen Einfluss aus, sind aber nicht Bestandteil des eigentlichen Wirkprozesses. Allerdings muss im Vorfeld darauf hingewiesen werden, dass in der Arbeitslosenforschung die Abgrenzungen zwischen Moderator-, Mediator- und Prädiktorvariablen bisher nicht eindeutig waren. Eine Mediatorvariable erklärt einen Kausaleffekt zwischen unabhängiger und abhängiger Variable (Baron & Kenny, 1986). Eine vollständige Mediation liegt vor, wenn unter Kontrolle der Mediatorvariablen kein Einfluss mehr nachgewiesen werden kann und eine partielle Mediation, wenn der Einfluss unter Kontrolle der Mediatorvariablen teilweise reduziert wird. Eine Prädiktorvariable wird zur Vorhersage über eine andere Variable (Kriteriumsvariable) unter Verwendung der Regressionsgleichung eingesetzt (Bortz, 1999, S. 752). Winefield (1995, S. 187) weist ausdrücklich darauf hin, dass er in seiner Überblicksarbeit keine Unterschiede zwischen Moderator- und Mediatorvariablen macht „on the ground that it is far from clear which factors should be assigned to which category“. Häufig mangelte es in der Vergangenheit an empirischen Grundlagen für die Moderationsanalysen oder in den Meta-Analysen an einer genügenden Anzahl von entsprechenden Studien. Paul & Moser (2006b) machen darauf aufmerksam, dass die Moderatoreneffekte in der Vergangenheit oft unterschiedlich konzeptualisiert wurden, indem die psychische Gesundheit von zwei Arbeitslosengruppen verglichen wurde (z.B. erwachsene Arbeitslose gegen jugendliche Arbeitslose) oder die Differenzen von zwei Personengruppen (z.B. Differenz zwischen arbeitslosen Erwachsenen und erwerbstätigen Erwachsenen versus Differenz zwischen arbeitslosen Jugendlichen und erwerbstätigen Jugendlichen). Die Kategorisierung einzelner Variablen hängt zudem von dem zugrunde liegenden theoretischen Konstrukt und von den anvisierten OutcomeVariablen ab. Beispielsweise führen McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) nur für vier Variablen Moderationsanalysen durch, ordnen aber fast alle weiteren Variablen der Tabelle 1 auf Basis ihres Coping-Modells als Prädiktoren (P) zu. In ihrem Literaturüberblick zählen sie insgesamt über 100 Variablen, die mit einzelnen Indikatoren des psychischen oder physischen Wohlbefindens nach Arbeitsplatzverlust korrelieren.
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McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005, S. 56) unterscheiden die Prädiktoren, die auf das physische und psychische Wohlbefinden zielen, nach fünf Kategorien: a. b. c. d. e.
Work-Role Centrality Coping Resources Cognitive appraisal Coping strategies Human capital and demographics.
Der Einfluss einzelner Variablen wird zum Teil theoretisch unterschiedlich begründet. Für Paul, Hassel und Moser (2006, S. 49) ist die Struktur der Moderatoreffekte „in den meisten Fällen noch nicht genau aufgeklärt“. Durch die wachsende Anzahl internationaler qualitativ hochwertiger Studien wird aber zunehmend eine empirische Überprüfung der Evidenz und auch der zahlreichen Interaktionseffekte zwischen diesen Variablen möglich. Hoefert (1997) kritisierte, dass in der Arbeitslosenforschung noch die defizitorientierten Fragestellungen überwiegen. Es bestehen nur spärliche Erkenntnisgewinne über salutogenetische Faktoren und erfolgreiche Coping-Strategien zur Bewältigung der Folgen eines Arbeitsplatzverlustes. Generell fehlt noch ein systematischer Erklärungsansatz, der die häufig isoliert betrachteten Einflussvariablen mit ihren Wechselbeziehungen und verschiedenen Dimensionen in ihrer ganzen Komplexität erfasst. Die Tabelle 1 listet viele moderierende Variablen auf, die in zahlreichen Studien in der Vergangenheit diskutiert wurden. Sie greift auf Reviews von Warr, Jackson und Banks (1988), Kieselbach (1994a), Winefield (1995) sowie drei internationale Meta-Analysen zurück. Die Aufstellung zeigt die große Bandbreite und unterschiedliche Evidenz von 1. 2. 3. 4. 5. 6.
soziodemografische Variablen, erwerbsbiografische Merkmale, Ressourcen/Belastungen, Kognitionen, Problemlösestrategien und makroökonomische Variablen auf.
Wie die Tabelle 1 demonstriert, herrscht in der Forschung schon lange Konsens vor, dass eine Reihe von Moderatoren die direkte Wirkung von Arbeitslosigkeit auf den individuellen Gesundheitszustand abmildert oder verstärkt. Allerdings werden wider Erwarten viele in der Literatur diskutierte Einflussfaktoren metaanalytisch nicht verifiziert.
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Tabelle 1:
Moderierende Variablen der Bewältigung von Arbeitslosigkeit in ausgewählten Reviews Paul McKee- (2005); Ryan, Paul et al., MurSong, Warr, phy Wan(2006); Jack& berg & Paul & son & Kiesel- Wine- AthaKiniMoser, Banks bach field nasou (2006a; cki (1988) (1994a) (1995) (1999) (2005) 2009b) Reviews Meta-Analysen
A. Soziodemografische Merkmale Alter X Geschlecht X Nationalität / Ethnische Zugehörigkeit X Sozioökonomischer Status / Soziale Klasse / ArbeiterAngestellte X Qualifikationsniveau B. Erwerbsbiografische Variablen Frühere Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit und Stress Dauer der Arbeitslosigkeit Studien-Sample-Typ (Schulabgänger oder Erwachsener) Stress im vorherigen Job C. Ressourcen/Belastungen Soziale Unterstützung / Belastungen Finanzen Personelle Faktoren (Selbstwertgefühl, Neurotizismus, Vulnerabilität u.a.) Zeitstruktur
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X
X
X X
X X
X X
(P) (P)
Xn.s. Xs.
X
X
(P)
Xn.s.
(P)
Xs. Xn.s.
Xs.
Xs.
X X
X X
X
Xs. X
X X
X X
(P*) (P*)
X X
(P**) (P*)
Paul McKee- (2005); Ryan, Paul et al., MurSong, (2006); Warr, phy WanJack& berg & Paul & Moser, son & Kiesel- Wine- AthaKini(2006a; Banks bach field nasou cki (1988) (1994a) (1995) (1999) (2005) 2009b) Reviews Meta-Analysen D. Kognitionen Arbeits- und Berufsorientierung, „Employment commitment“ u.ä. Ursachenattribution / Kontrollerwartung Wahrnehmung von Stress durch Jobverlust E. Problemlösestrategien Persönliches Aktivitätsniveau Hilfesuchen und Verfügbarkeit von Hilfsangeboten
X
X
X
(P*)
X
X
(P)
Xs
(P*)
X
(P)
X
(P)
F. Makroökonomische Faktoren Höhe der Arbeitslosenquote Xn.s. X X Xn.s. Soziales Sicherungssystem für Arbeitslosigkeit Xn.s. Xs. Individualismus / Kollektivismus Xn.s. Niveau der wirtschaftliche Entwicklung Xs. Einkommensungleichheit Xs. X = Moderierende Variable; (P) = Prädiktor-Variable (innerhalb der Arbeitslosengruppen, Festlegung durch die Autoren aufgrund ihres theoretischen Konzeptes) * mittlere Effektstärke (in Zusammenhang mit psychischer Gesundheit), fett markiert ** hohe Effektstärke (in Zusammenhang mit psychischer Gesundheit), fett markiert s. statistisch signifikanter Effekt, fett markiert n.s. nicht signifikant Quelle: erweitert auf Basis von Hollederer (2009b).
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1.4.1 Soziodemografische Moderatorvariablen Soziodemografische Variablen werden in fast allen Reviews der Tabelle 1 als Moderatoren des Einflusses von Arbeitslosigkeit auf das psychische Wohlbefinden und die Gesundheit angegeben. Zu ihnen gehören vor allem die personenbezogenen Merkmale Alter, Geschlecht und nationale bzw. ethnische Zugehörigkeit. Meist werden auch das Qualifikationsniveau und die Berufszugehörigkeit zum Angestellten- oder Arbeiterbereich einbezogen. 1.4.1.1 Arbeitslosigkeit in verschiedenen Altersphasen Mit höherem Lebensalter steigt generell die Wahrscheinlichkeit des Krankheitseintritts. Auch bei Arbeitslosen nehmen die gesundheitlichen Einschränkungen mit höherem Alter in der Arbeitslosenstatistik kontinuierlich zu (BA, 2010). In einer deutschen Repräsentativerhebung zur Struktur der Arbeitslosigkeit im Frühjahr 2000 berichtete jeder zehnte Arbeitslose in der Altersgruppe bis 25 Jahre von gesundheitlichen Einschränkungen, die sich auf die berufliche Tätigkeit auswirken könnten (Hollederer, 2003a). In der Gruppe der 26- bis 35Jährigen war dieser Anteil etwas größer und lag dann für die 36- bis 45-jährigen Arbeitslosen bei knapp jedem Fünften. Bei den 46- bis 55-jährigen Arbeitslosen waren jedoch mehr als jeder Vierte und bei den 56-Jährigen und Älteren jeder Dritte von gesundheitlichen Einschränkungen betroffen. Der Anteil der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen wuchs mit höherer kumulierter Arbeitslosigkeitsdauer deutlich an. Diese Tendenz ließ sich mit kleinen Zwischenanstiegen in allen Altersgruppen bis 55 Jahre beobachten. Eine Ausnahme stellte die Gruppe der 56- bis 65-jährigen Arbeitslosen dar. Hier war der Anteil der Arbeitslosen mit berufsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen, deren kumulierte Arbeitslosigkeit nur bis zu einem Jahr andauerte, höher als bei den Langzeitarbeitslosen. Vermutlich wurden Beschäftigte dieser Altersgruppe mit gesundheitlichen Einschränkungen stärker in die Arbeitslosigkeit als Übergangsphase zur Rente geleitet. Ein Großteil von ihnen gab an, die Zeit bis zum Renteneintritt zu überbrücken. In der differentiellen Arbeitslosigkeitsforschung wird die Bedeutsamkeit des Lebensalters bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit ausführlich diskutiert. Um die Zusammenhänge von Gesundheit und Alter zu kontrollieren, werden in vielen Studien die Unterschiede zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen bei der psychischen Gesundheit zwischen den verschiedenen Altersstufen verglichen. In der Literatur wird häufig angenommen, dass Arbeitslose im jüngeren und mittleren Alter die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu Älteren belastender
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erleben, weil höhere finanzielle Verpflichtungen, mitunter für abhängige Familienmitglieder, bestehen (Winefield, 1995). Widersprüchliche Annahmen gibt es aber in der Literatur über die Wirkung von Arbeitslosigkeit bei Älteren. Unter Umständen wirkt für einen Teil der älteren Arbeitslosen die Option einer vorzeitigen Rente entlastend, während ein anderer Teil, der sehr gerne wieder arbeiten würde, sich diskriminiert oder entwertet fühlt (McKee-Ryan, Song, Wanberg & Kinicki, 2005). Mit zunehmendem Alter sinken in Deutschland die Wiedereingliederungschancen von Arbeitslosen erheblich, so dass der psychische Druck für die tatsächlich arbeitsuchenden Älteren bei einer hohen Arbeitslosigkeit relativ groß sein kann. In diesem Kontext sind auch die verschiedenen sozialrechtlichen Optionen durch unterschiedliche Rentenzugangsgrenzen für Arbeitslose zu berücksichtigen. Der Rentenzugang könnte unter Umständen resignierend oder im Gegensatz von vornherein im Lebensentwurf eingeplant – evtl. sogar mit den Betrieben gemeinsam abgesprochen - in Anspruch genommen werden. So konnten Personen, die wenigstens 60 Jahre alt sind, bis dato nach mindestens einjähriger Arbeitslosigkeit oder zweijähriger Altersteilzeit und Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen vorgezogenes Altersruhegeld beziehen (vgl. § 237 SGB VI). Die Altersgrenzen werden derzeit schrittweise der Anhebung des Regelalters für die gesetzliche Rente angepasst. Eine große Rolle spielt dabei die Inanspruchnahme der vorruhestandsähnlichen Regelung nach § 428 SGB III, die Leistungsbezug ohne eine Verpflichtung zur Verfügbarkeit gewährt. Diese Regelung wurde im Jahr 2007 von durchschnittlich rund 254.000 Personen in Anspruch genommen. Außerdem zählen Ältere in der Freistellungsphase nach dem Altersteilzeitgesetz weiter als Beschäftigte. Im Jahr 2007 wurden rund 104.000 Personen nach dem Altersteilzeitgesetz (AtG) durch die Bundesagentur für Arbeit finanziell gefördert (BA, 2008a). Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen wird ebenfalls früher gewährt. Jüngere Arbeitslose und Schulabgänger haben i.d.R. gleich zwei berufliche „Schwellen“ zu meistern: zuerst von der Schule in die Ausbildung und anschließend von der Ausbildung in Beschäftigung. Bei jüngeren Arbeitslosen und Schulabgängern führt die Jugendarbeitslosigkeit dazu, dass ihnen Entwicklungschancen und positive Effekte von der Erwerbstätigkeit, u.a. auch auf die psychische Gesundheit, vorenthalten werden (Kieselbach & Beelmann, 2006). Ausbildung und Beschäftigung hat „vor allem auch eine sozialisatorische Funktion in Hinblick auf die Identitätsbildung junger Menschen und ihre Emanzipation zu eigenständigen Persönlichkeiten“ (Elfter Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung, 2002, S. 166). Jüngere verfügen in der Regel auch über weniger eigene finanzielle Mittel und sind damit in ihren Möglichkeiten stärker abhängig von anderen Personen oder von Transfereinkommen. In einer Untersuchung von
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Brinkmann und Potthoff (1983) ließen insbesondere jüngere männliche Arbeitslose ein schlechteres psychisches Befinden als Erwerbstätige erkennen. Im Unterschied zu Erwachsenen empfinden jugendliche Arbeitslose die durch Arbeitslosigkeit bedingte finanzielle Situation häufiger und stärker belastend (Schober, 1978). Sie ist eng mit einer verlängerten familiären Abhängigkeit und deren sozialer Kontrolle verbunden. Die Arbeitslosigkeit führt auch öfter zu Belastungen der Familienbeziehungen durch häuslichen Ärger und Vorwürfe seitens der Eltern. Nach einer neueren Wiederholungsbefragung von Jugendlichen mit Arbeitslosigkeitserfahrungen (Schels, 2007) ist die finanzielle Lage der wichtigste Einflussfaktor für das psychische Wohlbefinden. Bei jungen Männern erhöhte sich das Wohlbefinden allein mit der Arbeitsaufnahme. Bei jungen Frauen steigerte es sich, wenn noch zusätzlich eine Verbesserung der finanziellen Lage wahrgenommen wurde. In den Meta-Analysen von Moser und Paul (2001) und McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) sind bei Jugendlichen die psychischen Belastungen im Unterschied zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen ausgeprägter als bei den älteren Erwachsenen. Bei der zweiten Meta-Analyse von Paul und Moser (2006a) mit der bisher umfangreichsten Studienbasis wurden aber keine signifikanten Unterschiede mehr festgestellt bzw. später nur ein marginaler Effekt (Paul & Moser, 2009b). 1.4.1.2 Arbeitslosigkeit bei Männern und Frauen Männer sind in Deutschland in etwas stärkerem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen als Frauen. Im Jahresdurchschnitt 2005 betrug die Arbeitslosenquote bei den Männern in Westdeutschland 11,3 % bzw. in Ostdeutschland 21,3 % und bei den Frauen in Westdeutschland 10,7 % bzw. in Ostdeutschland 19,7 % (bezogen auf die abhängigen zivilen Erwerbspersonen) (BA, 2006b). Auffällig ist in diesem Zusammenhang die höhere Verweildauer in der Arbeitslosigkeit bei Frauen trotz der im Vergleich niedrigeren Arbeitslosenquote. Frauen sind mit 41,9 Wochen im Durchschnitt deutlich länger arbeitslos als Männer mit einer durchschnittlichen Arbeitslosigkeitsdauer von 37,9 Wochen im Jahr 2005 (BA, 2006b). Nach den registrierten Abgangsgründen kehren Frauen seltener als Männer in die Beschäftigung zurück. Gut ein Drittel der aus Arbeitslosigkeit abgegangenen Frauen mündete im Jahr 2005 in die Nichterwerbstätigkeit, bei den Männern war es gut ein Viertel der Abgänge (BA, 2006c). Bei der Vermittlung in Arbeit sind die Aus- und Herkunftsberufe von Arbeitslosen relevant. Während Männer stärker in industriell geprägten Branchen tätig sind, arbeiten Frauen bevorzugt in Dienstleistungsberufen, insbesondere in den Wirtschafts-
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branchen Gesundheits- und Sozialwesen, Erziehung und Unterricht, öffentliche Verwaltung und Gastgewerbe (BA, 2006b). In Deutschland lag die Frauenerwerbsquote (die erwerbstätige und erwerbslose Frauen berücksichtigt) im Jahr 2004 bei 66 Prozent und damit über dem Durchschnitt der EU-Staaten (BA, 2006b). Die Erwerbsquote von Frauen ist in den letzten Jahren in Deutschland kontinuierlich gestiegen. Bei Männern stagnierte sie dagegen in den letzten fünfzehn Jahren bundesweit nahezu unverändert bei rund 80 Prozent. Als Indikatoren für die Teilhabe an Arbeit sind neben den Erwerbsquoten aber die Arbeitszeit und das Arbeitsvolumen einzubeziehen, da fast ein Drittel der Frauen und knapp 5 % der Männern in Teilzeit arbeiten (BA, 2006b). Nach der Arbeitszeitrechnung des IAB waren 49 % der Beschäftigten im Jahr 2004 Frauen, die zu 41 Prozent des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens beitrugen (Wanger, 2006). Die heutige bundesweite Frauenbeschäftigungsquote liegt noch unter der der ehemaligen DDR, aber natürlich weit über der vor dem 2. Weltkrieg. Das spiegelt sich auch in der Betrachtung der Arbeitslosenstatistik wider. Während im Jahr 2007 arbeitslose Frauen rund die Hälfte (45 %) des durchschnittlichen Arbeitslosenbestands in Deutschland ausmachten (BA, 2010), lag der Anteil der arbeitsuchenden Frauen in der Weimarer Republik (gemäß Abbildung 1) in den Jahren 1928 bis 1930 in etwa bei einem Fünftel. Die unterschiedliche Zusammensetzung des Arbeitslosenbestandes im Zeitverlauf ist auch bei der Interpretation der Ergebnisse in der Arbeitslosenforschung zu berücksichtigen. Die Forschung konzentrierte sich vormals fast ausschließlich auf arbeitslose Männer (vgl. Leana & Feldman, 1991; Mohr, 1997), da eine höhere Belastung der Männer durch die gesellschaftlich zentrale Bedeutung der Erwerbsarbeit und die internalisierte Verpflichtung als Hauptverdiener die Familie ernähren zu müssen, unterstellt wurde. Außerdem stellten Männer eben den Hauptanteil der Arbeitslosen. Die in der Historie unterschiedlichen Frauenbeschäftigungsquoten und die hohen Teilzeitanteile von Frauen sind in engem Zusammenhang mit der traditionellen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit und den Vorstellungen eines Normalarbeitsverhältnisses mit dem (Ehe-)Mann als Haupternährer zu sehen. Die geschlechtsspezifischen Rollenanforderungen bilden - mehr oder weniger den Kontext für die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit ihren unterschiedlichen Beschäftigungsformen und auch für ihre Bewältigung von Arbeitslosigkeit und ihre soziale Absicherung. In der Arbeitslosigkeitsforschung implizierte dieses traditionelle Rollenmodell für Frauen eine gesellschaftlich akzeptierte Alternativrolle zur Arbeitslosigkeit, die die Frauen weniger gesundheitlich beeinträchtigen könnte. Mohr (1997) hielt diese Einschätzung nach Sichtung der internationalen Forschungsliteratur für empirisch gering abgesichert und differenzierte die Konzeption der „Alternativrolle“ Hausfrau und Mutter in verschiedenen Erklä-
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rungsmustern weiter aus. Sie kam zu dem Resümee, dass der Hausfrauenstatus temporär eine positive Funktion unter bestimmten günstigen Bedingungen erfüllen könnte, dessen langfristiger Effekt aber entschieden wird, wenn die Notwendigkeit des Wiedereinstiegs in den Arbeitsmarkt ansteht. Winefield bewertete bereits 1995 den damaligen Forschungsstand über die Geschlechtsunterschiede bei den psychischen Reaktionen auf Arbeitslosigkeit als insgesamt widersprüchlich und schlussfolgerte, dass die Variable Geschlecht mit anderen Moderatoren zu interagieren scheint. Auch Warr, Jackson und Banks (1988) warnten vor einfachen Vergleichen zwischen arbeitslosen Männern und Frauen. Sie gingen davon aus, dass der Einfluss der Arbeitslosigkeit auf Disstress, Selbstwertgefühl und Lebenszufriedenheit bei beiden Geschlechtern ähnlich ist, sich aber die Rollen durch beruflichen Hintergrund oder familiären Status unterscheiden könnten und daher nur Subgruppen verglichen werden sollten. Paul, Hassel und Moser (2006) und Paul und Moser (2009b) fanden in ihren Meta-Analysen einen hochsignifikanten und starken Moderatoreffekt für die Variable Geschlecht. Ein hoher Frauenanteil in den Stichproben geht mit weniger psychischen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit einher. Ein Interaktionseffekt mit dem Familienstand („verheiratet“) konnte dabei nicht festgestellt werden. Die Autoren interpretierten den Moderatoreffekt dahingehend, dass in der Arbeitslosigkeit nur geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern bezüglich der psychischen Gesundheit bestehen, die Männer aber stärker von der Erwerbsarbeit profitieren. Grobe und Schwartz (2003) stellten anhand von Krankenkassendaten zu den Gesundheitsunterschieden zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen in Deutschland fest, dass es bei Männern insbesondere eine Rolle spielt, ob sie Hauptverdiener für eine Haushaltsgemeinschaft sind. McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) errechneten dagegen nur eine geringe Korrelation zwischen Geschlecht und psychischer Gesundheit, die aber in die gegenläufige Richtung verlief. Alles in allem bestehen widersprüchliche Anhaltspunkte für signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede von Arbeitslosen hinsichtlich psychologischer Outcome-Variablen wie Coping-Strategien und psychischer Gesundheit (mit Komponenten wie Angstsymptomen, Depressivität, subjektivem Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit, Externalität und Selbstwertgefühl). Bei vielen anderen Indikatoren wird aber in vergleichenden Studien in Deutschland die Gesundheit von arbeitslosen Männern häufig wesentlich negativer als von arbeitslosen Frauen angegeben. Solche Gesundheitsunterschiede existieren vor allem bei Gesundheits-, Vorsorge und Suchtverhalten sowie bei Variablen, die besonders die physische Gesundheit betreffen, wie die vermittlungsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen, Behinderungen, Unfällen, Inanspruchnahme von ambulanten
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oder stationären Leistungen. Im Kapitel 2.1 wird darauf noch im Detail eingegangen. International werden ähnliche Divergenzen beobachtet. Hammerström und Janlert (2006) stellten in einer schwedischen Studie bei Schulabgängern fest, dass Arbeitslosigkeit die Unterschiede in der psychischen Gesundheit zwischen den Geschlechtern zunehmend nivelliert, aber die Abstände beim Gesundheitsverhalten größer geworden sind. Sie resümieren, dass generell großer Forschungsbedarf besteht, um zukünftig zu einer kritischeren Analyse der Inkonsistenzen und Komplexität in den Mustern geschlechtsspezifischer Gesundheitsunterschiede zu kommen. 1.4.1.3 Arbeitslosigkeit nach Staatsangehörigkeit und ethnischer Zugehörigkeit In der deutschen Forschung zur Bewältigung von Arbeitslosigkeit fand bislang der Kontext von Migration und Nationalität wenig Beachtung. Dabei war die deutsche Nachkriegsgeschichte geprägt durch verschiedene und sehr große Einwanderungswellen, bei denen es sich mit Ausnahme der Kriegsvertriebenen zum Großteil um Arbeitsmigration handelte. Diese Zusammenhänge werden hier ausführlicher erörtert, da der Mikrozensus 2005 viele neue Fragen ins Programm aufgenommen hat, um den Migrationshintergrund der interviewten Personen adäquat und besser als bislang zu erfassen. So ist es mit dem Mikrozensus 2005 möglich, Menschen mit Migrationshintergrund über den Geburtsort und nicht nur die Nationalität in Deutschland zu identifizieren. Zwischen 1960 und 1999 sind in Westdeutschland rund 30 Millionen Menschen zugewandert, aber auch 21 Millionen wieder fortgezogen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2005). Die erste Zuwanderung setzte am Ende des 2. Weltkrieges durch Vertreibung und Deportation ein. Fast acht Millionen Flüchtlinge wurden in der westlichen Besatzungszone und dreieinhalb Millionen in Ostdeutschland bis 1949 integriert. Mit dem „deutschen Wirtschaftswunder“ stieg später der Arbeitskräftebedarf in Westdeutschland und es erfolgte die Anwerbung von meist formal gering qualifizierten Gastarbeitern bis 1973. Die Gastarbeiter stammten vor allem aus den Herkunftsländern Türkei, Jugoslawien, Italien, Griechenland, Spanien und Portugal. Von 1961 bis 1973 erhöhte sich die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen von 550 Tausend auf 2,6 Millionen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2005). Als dritte große Zuwanderungsbewegung immigrierten (Spät-)Aussiedler, insbesondere Anfang der 90er Jahre. Sie galten als Personen mit deutscher Volkszugehörigkeit und konnten durch bilaterale Verträge und in Anwendung des Art. 116 Grundgesetz aus Ländern des ehemaligen Ostblocks in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln.
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Die Herkunftsländer waren anfangs vor allem Rumänien, Polen oder Ungarn. Mehr als vier Millionen (Spät-)Aussiedler sind seit 1950 auf diese Weise in die Bundesrepublik gekommen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2005). Mittlerweile kommen (Spät-)Aussiedler durchweg aus den früheren Sowjetrepubliken. Die Hochphase der Aussiedlerzuzüge fand nach dem Fall der Mauer ab 1989 statt und war geprägt von einer parallelen Zunahme von Asylbewerbern und einer hohen Migration von Ostdeutschen nach Westdeutschland. Diese umfassenden Zuwanderungen erfolgten in einer Zeitphase, in der sich die Wirtschaftslage und der Arbeitsmarkt in Deutschland allmählich verschlechterten. In Deutschland sind Ausländer überproportional und anhaltend von Arbeitslosigkeit betroffen. Die Arbeitslosenquote von Ausländern stieg im Jahr 2005 auf einen historischen Höchststand von 25,2 % (BA, 2006d) und lag damit fast doppelt so hoch wie die durchschnittliche Arbeitslosenquote (bezogen auf abhängige Erwerbspersonen). Von den arbeitslosen Ausländern lebten nur 13,4 % in Ostdeutschland, allerdings betrug die Arbeitslosenquote von Ausländern dort sogar 45,2 % (BA, 2006d). Weitergehende aktuelle Analysen der Arbeitsmarktintegration von Migranten finden sich im 6. Ausländerbericht der Bundesregierung von 2005, in der OECD-Studie „Die Arbeitsmarktintegration von Zuwanderern in Deutschland“ (2005) und in einem Analytikbericht der BA-Statistik (BA, 2006e). Trotz dieser negativen Befunde beurteilen Rürup und Sesselmeier (2001) den deutschen Arbeitsmarkt aber als „nicht ethnisch segmentiert“, sondern sehen in der ungünstigeren Humankapitalausstattung von Zuwanderern die Ursache für die „überproportional häufige Positionierung am unteren Ende des Arbeitsmarkts“. In der Tat hatten drei von vier der 2005 registrierten arbeitslosen Ausländer keine abgeschlossene Berufsausbildung (BA, 2006c). Bei den deutschen Arbeitslosen war es lediglich rund jeder Dritte. Außerdem sind Ausländer laut Rürup und Sesselmeier (2001) vom Strukturwandel stärker betroffen, da viele ihrer ursprünglichen Arbeitsplätze in der industriellen Massenfertigung und in der Schwerindustrie verloren gegangen sind. Nach der OECD-Studie (2005) scheinen sich zudem die Integrationsprobleme auf die Kinder der Zuwanderer bzw. die in Deutschland geborene zweite Generation zu tradieren und im internationalen Vergleich zu ungünstigeren Bildungs- und Beschäftigungschancen zu führen. Sie benennt als „Kernprobleme“
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die Qualifikationsstruktur der in Deutschland geborenen und zugewanderten Bevölkerung das Bildungsniveau der Eltern und dessen Auswirkungen auf die Bildungsergebnisse der Kinder in Verbindung mit dem Spracherwerb von Zuwandererkindern
die Teilnahme der Migranten an der dualen Berufsausbildung und den Zugang von Migranten zur Selbstständigkeit.
Zur vollständigen Beschreibung der Integration von Migranten besteht in Deutschland ein Datendefizit, weil die meisten offiziellen Statistiken als Personenmerkmal nur die Nationalität und nicht zusätzlich den Geburtsort erfassen. Die Arbeitsmarktintegration ist über das Merkmal der Nationalität und anhand der in Deutschland lebenden Ausländer (als Bezeichnung nichtdeutscher Staatsangehöriger) lediglich partiell zu beschreiben. Als „Personen mit Migrationshintergrund“ sind sowohl Ausländer als auch direkt zugewanderte deutsche Staatsangehörige (Spätaussiedler, eingebürgerte Ausländer) sowie die nicht direkt Zugewanderten bzw. die in Deutschland geborenen Kinder dieser Gruppen zu berücksichtigen. Die Migration erfordert komplexe Anpassungsprozesse an neue gesellschaftliche, soziale und kulturelle Lebensbedingungen und ist daher vielfach mit psychischen Belastungen verbunden. Der individuelle Verarbeitungsprozess dieses psychosozialen Stressors ist aber in erheblichem Ausmaß durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen, den psychosozialen Kontext und auch durch die Sicherheit des Aufenthalts mitbestimmt. Über die Zusammenhänge von Migrationsstatus und psychosozialer Bewältigung von Arbeitslosigkeit gibt es wenige gesicherte Befunde. Festgestellte Unterschiede werden in der Literatur vorsichtig interpretiert, da sie evtl. durch Variablen wie sozioökonomischer Status bzw. soziale Klasse oder durch vorhandene finanzielle Ressourcen überlagert werden (Winefield, 1995; Warr, Jackson & Banks, 1988). Die Meta-Analysen von McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) und Paul, Hassel und Moser (2006) bzw. Paul und Moser (2009b) konnten aber keine signifikanten Unterschiede feststellen. In der deutschen Arbeitslosenstatistik ist überraschenderweise der Anteil der Arbeitslosen mit vermittlungsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen bei den Ausländern mit 16,5 % deutlich geringer als bei den Deutschen (ohne Spätaussiedler) mit 23,4 % im Arbeitslosenbestand vom September 2005 (BA, 2006d, S. 192). Mit großem Abstand ist er am niedrigsten bei den Spätaussiedlern, von denen nur 5,7 % gesundheitliche Einschränkungen in der Arbeitslosenstatistik aufweisen. Möglicherweise schlägt sich gerade bei den vor kurzem zugewanderten Spätaussiedlern ein sogenannter „healthy migrant effect“ nieder. Das Konzept des „healthy migrant effects“ wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert und ist nicht unumstritten (vgl. Ingleby et al., 2005; Razum, 2006). Danach wären Immigranten im Durchschnitt gesünder als die autochthone Bevölkerung, weil mit der Migration eine Selektion verbunden ist. Menschen, die nicht ganz gesund
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sind, neigen in geringerem Maße zur Migration oder es kommt zu einer Vorauswahl durch das Personaleinstellungsverfahren. Auswanderer gehören tendenziell zu den jüngeren und körperlich fitten Menschen des Herkunftslandes. Es gibt aber auch Beobachtungen, die gegen einen „healthy migrant effect“ sprechen. So gibt es Studien, die deutlich schlechtere Gesundheitszustände von Migranten im Vergleich zur autochthonen Bevölkerung belegen (Weilandt et al., 2000; Krones, 2001; Landtag NRW, 2004; Rommel, Weilandt & Eckert, 2006; u.a.). Eine konfundierende Variable stellen in diesem Zusammenhang die Sprachkenntnisse dar. Eingeschränkte Deutschkenntnisse werden häufig als Barriere für den Zugang sowohl zum Arbeitsmarkt als auch zum Gesundheitswesen berichtet. Sie wirken sich aber auch schon bei der Stellensuche bei Arbeitsuchenden aus (Nivorozhkin, Romeu Gordo, Schöll & Wolff, 2006) und beeinflussen die Suchintensität und Suchwege. Je besser die deutschen Sprachkenntnisse sind, desto eher werden von Arbeitsuchenden schriftliche Stellenanzeigen in Zeitungen oder im Internet wahrgenommen und sich darauf beworben. Eine Rolle spielt die Mehrsprachigkeit, denn erwerbslose Migranten, die zu Hause überwiegend eine Fremdsprache sprechen, sind bei der Stellensuche passiver als andere Arbeitslose. 1.4.1.4 Sozioökonomischer Status Die soziologischen Konstrukte kontinuierlicher Statushierarchien bzw. kategorialer Schemata wie soziale Schichten, soziale Klassen, sozioökonomischer Status oder Berufsprestige versuchen, gesellschaftliche Ungleichheit zu konzeptualisieren und die Lage von Personengruppen innerhalb einer gesellschaftlichen Sozialstruktur zu erfassen. Diese Konstruktionen gehen von theoretischen Grundannahmen und soziologischen Grundbegriffen aus. In der Praxis wird die soziale Lage in empirischen Arbeiten deshalb sehr unterschiedlich operationalisiert und ist nicht einfach vergleichbar. Die Erhebung von solchen Sozialdaten änderte sich zudem stark im Zeitverlauf und ist auch im internationalen Vergleich bedingt durch nationale Datenquellen sehr unterschiedlich. Die Arbeitslosenforschung konzentrierte sich in den früheren Studien auf arbeitslose (Industrie-)Arbeiter und bezog erst später Angestellte ein. Damit konnten zwei Statusgruppen verglichen werden. In vergleichenden Untersuchungen zu Auswirkungen auf die psychische Gesundheit fanden sich aber meist keine signifikanten Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten (Warr, Jackson & Banks, 1988). Paul, Hassel und Moser (2006) konstatierten einen schwach moderierenden Trend in ihrer Meta-Analyse, der sich später unter studienkontrollierten Bedingungen als signifikant herausstellte (Paul & Moser, 2009b).
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In empirischen Forschungsarbeiten zeigt sich generell ein Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und subjektivem Wohlbefinden (Pinquart & Sörensen, 2000). Sowohl das Arbeitslosigkeitsrisiko als auch Krankheitsrisiken sind mit sozialer Ungleichheit assoziiert. Menschen aus schwächeren sozialen Schichten haben zum einen bei vielen Gesundheitsindikatoren schlechtere Werte als der Durchschnitt der Bevölkerung (vgl. RKI, 2006). Zum anderen ist das Arbeitslosigkeitsrisiko höher bei Menschen mit niedriger Qualifikation (Reinberg & Hummel, 2005, 2007). Die soziale Lage sollte daher bei vergleichenden Untersuchungen zum Gesundheitszustand zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen als Moderatorvariable möglichst berücksichtigt werden. Massenarbeitslosigkeit hat Auswirkungen auf die Sozialstruktur in der Bevölkerung und vergrößert sozioökonomische Unterschiede (Brenner, 2006). Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit sind mehrfach benachteiligt. Studien zeigen anhand der so genannten „Lohnkurve“, dass mit dem Niveau der regionalen Arbeitslosigkeit die Durchschnittslöhne sinken (Blien, 2003). Für das Gemeinwesen resultieren daraus Steuerausfälle und für die Sozialversicherungen sinkende Sozialversicherungsbeiträge. Bei Beschäftigten wächst die Arbeitsplatzunsicherheit, die selbst gesundheitlich belasten kann (Ferrie, 2006). Personalabbau und Umstrukturierungen in Unternehmen verschlechtern die gesundheitliche Befindlichkeit der am Arbeitsplatz Verbliebenen (Kieselbach, Beelmann & Jeske, 2006). Bei anhaltender Massenarbeitslosigkeit emigriert vor allem die jüngere Erwerbsbevölkerung wie in vielen Regionen Ostdeutschlands (Grobecker, Krack-Roberg & Sommer, 2007). Die gesetzliche Krankenversicherung ist mehrfach von den Auswirkungen hoher Arbeitslosigkeit betroffen sein. Niedrigere Löhne bedeuten geringere Sozialversicherungsbeiträge von den Beschäftigten und Arbeitgebern auf der Einnahmenseite. Für die Krankenversicherung der Arbeitslosen zahlt die Arbeitslosenversicherung nur einen politisch festgelegten Pauschalsatz, der die Durchschnittskosten nicht abdeckt. Wenn die Kausalitätshypothese zutrifft, steigen durch eine mögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Arbeitslosen tendenziell die Kosten durch steigende Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen oder höheren Arzneimittelverbrauch. Bei der Konstruktion von sozialer Schicht ist im Falle der Arbeitslosigkeit folgendes Methodikproblem und eine mögliche Verzerrung zu beachten: Wenn soziale Schicht über die gängigen Sozialschichtindikatoren Einkommen und Stellung im Beruf (Erwerbsstatus) neben Bildung operationalisiert wird, determiniert die Arbeitslosigkeit i.d.R. den Sozialstatus mit (vgl. Empfehlungen DAE, GMDS, DGSMP, 2004). Klassifikationen des sozioökonomischen Status wie die Klassen der Europäischen Sozioökonomischen Klassifikation (ESeC) bilden für Erwerbslose sogar eine eigene Klasse und schließen sie damit konzeptionell für
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die weiteren Analysen der Stellung im Erwerbsleben und der Art der Beschäftigung aus (Müller, Wirth, Bauer & Weiss, 2007). Bammann und Helmert (2000, S. 161) machen darauf aufmerksam, dass unter methodischen Gesichtspunkten bei der Erforschung des Zusammenhangs zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit der Faktor Arbeitslosigkeit und zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit der Faktor sozioökonomischer Status eingeht. Das Zusammenwirken von Arbeitslosigkeit und sozioökonomischem Status ist bislang wenig erforscht, in den meisten multivariaten Studien bleibt einer der beiden Faktoren unkontrolliert. Bei den wenigen Studien, die den sozioökonomischen Status von Arbeitslosen berücksichtigen, sind die Unterschiede zwischen den Statusgruppen allerdings in der Tendenz eher klein und nicht konsistent (Winefield, 1995; Paul, Hassel & Moser, 2006). Auch in einer Sekundäranalyse von repräsentativen Daten der deutschen Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) wird ein Teil der Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und einem schlechten subjektiven Gesundheitszustand durch eine niedrigere Sozialschicht erklärt, es bleibt jedoch ein unabhängiger negativer Effekt der Arbeitslosigkeit bestehen (Bammann & Helmert, 2000). Diese Tendenz zeigt sich ebenfalls in einer Auswertung des Bundesgesundheitssurveys 98 von Rose und Jacobi (2006). 1.4.1.5 Qualifikationsniveau Je höher die formale Qualifikation ist, desto niedriger ist allgemein das Arbeitslosigkeitsrisiko. Akademiker haben das kleinste Arbeitslosigkeitsrisiko (Reinberg & Hummel, 2005). Mit einer Arbeitslosenquote von 4,0 Prozent (bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen) im Jahr 2004 erreichen sie fast Vollbeschäftigung. Sie verdienen zudem mehr als andere und besitzen häufig die besseren Arbeitsplätze. Auch die Arbeitslosenquote der mittleren Qualifikationsebene mit abgeschlossener beruflicher Ausbildung liegt mit 9,9 % noch unterhalb des Durchschnitts, aber schon deutlich über der von Akademikern. Die Personen ohne Berufsabschluss tragen mit deutlichem Abstand das größte Arbeitslosigkeitsrisiko mit einer qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquote von 24,6 %. Während der Arbeitslosigkeit sind aber die psychosozialen und auch die finanziellen Belastungen vor allem bei Arbeitslosen ohne Ausbildung groß (Brinkmann, 2004). Hinzu kommt, dass die Langzeitarbeitslosigkeit selbst einen Verfall an beruflichen Qualifikationen mit sich bringen kann. McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) fanden eine entsprechende Assoziation innerhalb der Arbeitslosengruppe bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit. Paul, Hassel & Moser (2006) konnten aber im Vergleich zu Be-
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schäftigten keinen entsprechenden Effekt des Qualifikationsniveaus auf die psychische Gesundheit ermitteln. Die Gesamtschau aller diskutierten soziodemografischen Moderatorvariablen legt offen, dass ihre potenziellen Einflussnahmen bei der Wirkung von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit zwar breiten Raum in der Literatur einnimmt und stark problematisiert wird, diese sich aber wie beim Alter, ethnischer Zugehörigkeit und Qualifikationsniveau gar nicht oder nur wenig meta-analytisch absichern lassen. Ihre Bedeutung steht offensichtlich gegenüber den nachfolgenden Determinantengruppen zurück. 1.4.2 Erwerbsbiografische Merkmale Die individuelle Dauer der Arbeitslosigkeit wird meistens als moderierender Faktor in die Untersuchung einbezogen (Tabelle 1). Das Hauptaugenmerk liegt dabei oft auf der Gruppe der Langzeitarbeitlosen (s. Kap. 3.2). Die Risiken für einen weniger guten Gesundheitszustand und psychosoziale Belastungen vergrößern sich in Abhängigkeit von der Dauer der Arbeitslosigkeit. Das belegen etliche deutsche Studien (Brinkmann, 1984; Bammann & Helmert, 2000; Grobe & Schwartz, 2003; Hollederer, 2003a u.a.) und die amtliche Arbeitslosenstatistik (BA, 2010). Wie bei gesetzlich Krankenversicherten nachgewiesen, erhöht sich das Risiko der Sterblichkeit in Abhängigkeit von der Dauer der Arbeitslosigkeit (Schach et al., 1994; GEK, 1999; Grobe, 2006). Deutschland weist im internationalen Vergleich einen besonders hohen Anteil von Langzeitarbeitslosen am Arbeitslosenbestand auf. Er betrug in Westdeutschland 33,8 % und in Ostdeutschland 41,4 % im Jahresdurchschnitt 2005 (BA, 2006c, S. 27). Alles in allem ist meta-analytisch nach heutigem Wissensstand zweifelsfrei abgesichert, dass längere Arbeitslosigkeit (von mindestens sechs Monaten) mit signifikant geringerer psychischer Gesundheit einhergeht (Moser & Paul, 2001; McKeeRyan, Song, Wanberg & Kinicki, 2005; Paul, Hassel & Moser; 2006). Dieser Befund steht auch in Einklang mit theoretischen Modellen, die z.B. eine Reduktion der finanziellen und sozialen Ressourcen sowie Dequalifizierungsprozesse mit der Verweildauer in Arbeitslosigkeit unterstellen. Paul, Hassel und Moser (2006) überprüften auch das Vorhandensein eines etwaigen kurvilinearen Effekts, da eine sehr lang anhaltende Arbeitslosigkeit auch einen Adaptationsprozess und Gewöhnungseffekte implizieren könnte. Das Resultat war aber negativ. Obwohl Arbeitsplatzverlust generell ein sehr negatives Ereignis ist, wurde schon in einigen Fällen beobachtet, dass die eingetretene Arbeitslosigkeit zunächst auch positiv erlebt werden kann (vgl. Winefield, 1995; Frese, 2008). Bei
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einer Minderheit der Arbeitslosen kann unter der Bedingung, dass der vorherige Job sehr stressig war, die Arbeitslosigkeit zur Verbesserung der psychischen oder physischen Gesundheit führen. Brinkmann und Potthoff (1983) stellten ebenfalls bei einer Wiederholungsbefragung in Deutschland fest, dass sich der physische Gesundheitszustand zu Beginn einer Arbeitslosenperiode etwas verbessern kann, wenn der letzte Arbeitsplatz gesundheitlich belastend war. Die Arbeitslosigkeit wirkte vorläufig erleichternd. Bei länger andauernder Arbeitslosigkeit verschlechterte sich der physische und psychische Gesundheitszustand im Durchschnitt deutlich. Die Dauer der Arbeitslosigkeit verändert aber die Qualität des Zustandes Arbeitslosigkeit selbst, da die Chancen auf Reintegration sinken (Schultz-Gambard & Balz, 1998). Kieselbach (1994a) zieht überdies in Erwägung, dass erwerbsbiografisch eine frühere gelungene Bewältigung von Arbeitslosigkeit den Effekt einer erneuten Arbeitslosigkeit relativieren und eine vorher nicht erfolgreiche Bewältigung den Antizipationsstress erhöhen könnte. 1.4.3 Ressourcen und Belastungen bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit Die Ressourcen und Belastungen können die negativen Effekte der Arbeitslosigkeit auf das psychische Befinden moderieren. Für die individuelle Bewältigung der Arbeitslosigkeit sind daher die finanziellen als auch sozialen und personalen Faktoren allgemein von Relevanz. 1.4.3.1 Finanzen und soziale Sicherung In der Handlungs-Restriktionstheorie von Fryer (1986) wird den finanziellen Restriktionen hohe Bedeutung zugemessen. Im Vitaminmodell von Warr (1987) bildet die Finanzlage einen von neun Einflussfaktoren. Auch nach den Theorien zur „sozialen Exklusion“ führt Arbeitslosigkeit zu einem Mangel an finanziellen Ressourcen und zu einem niedrigeren Lebensstandard, was dann die Wiedereingliederungschancen erschwert (Gallie, Paugam & Jacobs, 2003). Die Forschungsfrage, ob sich die gesundheitsbelastenden Auswirkungen von Arbeitslosigkeit stärker durch die finanziell-materiellen oder durch die psychosozialen Aspekte erklären lassen, ist aber noch ungeklärt (Wacker, 2001b; Ullah, 1990). Außerdem ist offen, ob sich die Finanzlage direkt oder indirekt auf die psychische Gesundheit auswirkt und ob dabei die objektive oder die subjektiv wahrgenommene finanzielle Belastung entscheidend ist (Ullah, 1990). Eine große Anzahl von Untersuchungen bestätigt aber übereinstimmend eine Korrelation zwi-
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schen psychischem Disstress und mangelnden finanziellen Ressourcen, Lohnersatzleistungen oder Belastungen durch Schulden (Überblicke Ullah, 1990; Jones, 1991; Winefield, 1995; McKee-Ryan, Song, Wanberg & Kinicki, 2005). Arbeitslosigkeit ist trotz der entwickelten sozialen Sicherungssysteme nach wie vor einer der Hauptrisikofaktoren für Armut. Durch den Arbeitsplatzverlust müssen i.d.R. Arbeitslose erhebliche finanzielle Einbußen im Einkommen und damit einen Verlust an Ressourcen hinnehmen. Das Armutsrisiko 2 von Arbeitslosen steigt in Deutschland derzeit stark an. Es erhöhte sich laut zweitem und drittem Armuts- und Reichtumsbericht der deutschen Bundesregierung (2005, 2008) von 33 Prozent im Jahr 1998 auf 41 Prozent im Jahr 2003 und kletterte danach auf 43 Prozent im Jahr 2005. Die Armutsrisikoquote von Arbeitslosen war damit in 2005 mehr als dreimal so groß wie die der Gesamtbevölkerung (mit 13 %). Ein erhöhtes Armutsrisiko und starke finanzielle Einbußen bedeuten aber nicht, dass sich Arbeitslosigkeit mit dem sozialen Tatbestand der Armut komplett deckt. Für den Bezug des Arbeitslosengeldes I nach dem SGB III ist das vor Eintritt der Arbeitslosigkeit erzielte Bruttoarbeitsentgelt maßgeblich, um den Lebensstandard zu sichern, während sich die Höhe des Arbeitslosengeldes II pauschal nach dem Gesamtbedarf abzüglich der jeweils anrechenbaren Einkommen und Vermögen richtet. Außerdem wird von jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft des Arbeitslosengeld II-Empfängers erwartet, dass es sein Einkommen und Vermögen zur Deckung des Gesamtbedarfs aller Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft einsetzt. Der Anteil der Leistungsempfänger nach dem SGB II oder SGB III am Bestand der Arbeitslosen liegt aufgrund der verschiedenen Regelungen daher bei 83,5 % in 2005 (BA, 2006a, S. 88). Die nicht erwerbsfähigen Mitglieder in der Bedarfsgemeinschaft bekommen Sozialgeld. Die Anspruchsvoraussetzungen für Arbeitslosengeld II sind also viel enger gefasst und der Durchschnittsbetrag liegt deutlich unter dem des Arbeitslosengeldes I. In 2005 betrug in Deutschland der monatliche Durchschnittsbetrag des Arbeitslosengeldes I 770 Euro und der des Arbeitslosengeldes II für eine Bedarfsgemeinschaft 621 Euro jeweils ohne Sozialversicherungsbeiträge bzw. -zuschüsse und einmalige Leistungen (BA, 2006a, S. 76-78). Die Bandbreite der Auszahlungsbeiträge ist aber bei beiden Leistungsarten groß. An diesem Beispiel und auch anhand internationaler Analysen zeigt sich die Armutsgefährdung durch Arbeits-
2 Die Armutsrisikoquote „ist definiert als Anteil der Personen, deren bedarfsgewichtetes Nettoäquivalenzeinkommen weniger als 60% des Mittelwerts (Median) aller Personen beträgt. Dieser Grenzwert wird auch als Armutsrisikogrenze oder –schwelle bezeichnet. Damit ist die mittlere Einkommenssituation die Referenzgröße. Dem Risiko der Einkommensarmut unterliegt also, wer einen bestimmten Mindestabstand zum Mittelwert der Gesellschaft aufweist“ (Glossar im drittem Armuts- und Reichtumsbericht der deutschen Bundesregierung, 2008, S.266).
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losigkeit, die aber in enger Verbindung mit den sozialstaatlichen Sicherungssystemen gesehen werden muss (Stelzer-Orthofer, 2001). Überschuldung ist bei Arbeitslosen aber nicht nur eine Ressourcenfrage, sondern kann auch ein eigenständiges schwerwiegendes Vermittlungshemmnis darstellen. Überschuldung des Arbeitnehmers kann unter Umständen schon im Vorfeld der Arbeitslosigkeit zum Verlust eines Arbeitsplatzes beitragen, weil auch Arbeitgebern Belastungen z.B. durch offen gelegte Gehaltsabtretungen, zu beachtende Pfändungsbeschlüsse und besondere Haftungsrisiken entstehen. In gravierenden Fällen kann die Überschuldung auch mit Wohnungslosigkeit und damit einem weiteren, äußerst schwerwiegenden Vermittlungshemmnis am Arbeitsmarkt verbunden sein. Die finanziellen Belastungen sind für viele Arbeitslose in Deutschland hoch. Arbeitslosigkeit wird am häufigsten für die Überschuldung privater Haushalte verantwortlich gemacht (Angele, 2007). Schon vor den Gesetzesreformwerken „Hartz I bis IV“, die für viele Arbeitslose nochmals erhebliche finanzielle Einschnitte mit sich brachten, gab über ein Drittel der Arbeitslosen in einer IAB-Repräsentativerhebung an, Geldschulden zu haben (Hollederer, 2003a, S. 5). McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) fanden in ihrer internationalen Meta-Analyse eine statistisch gesicherte Assoziation zwischen der Finanzlage und psychischer Gesundheit sowie Lebenszufriedenheit innerhalb der Arbeitslosengruppen. Eine wahrgenommene finanzielle Belastung korreliert mit schlechterer psychischer Gesundheit und niedrigerer Lebenszufriedenheit in mittlerer Effektgröße. Finanzielle Ressourcen waren dagegen mit höherer Lebenszufriedenheit in mittlerer Stärke assoziiert, bei der psychischen Gesundheit war der Zusammenhang dagegen gering. In der Untersuchung von Brinkmann (1984) hatte das Ausmaß finanzieller Probleme während der Arbeitslosigkeit den weitaus stärksten Einfluss auf psychosoziale Belastungen. Grobe und Schwartz (2003) fanden bei arbeitslosen Männern, dass die Gesundheit in Abhängigkeit von der Haushaltssituation differiert. Arbeitslose „Hauptverdiener“ zeigten im Mittel stärkere gesundheitliche Einschränkungen als Arbeitslose, die angeben, nicht Hauptverdiener zu sein. 1.4.3.2 Soziale Unterstützung und soziale Belastungen Viele Untersuchungen haben Faktoren wie soziale Unterstützung von (Ehe-) Partnern, Familienangehörigen, Freunden und andere Personen einbezogen und dabei einen moderierenden Einfluss hinsichtlich der negativen Effekte der Arbeitslosigkeit auf das psychische Befinden festgestellt (vgl. Kieselbach, 1988; Winefield, 1995; Kasl & Jones, 2002; McKee-Ryan, Song, Wanberg & Kinicki,
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2005; Mohr, 2009). Soziale Unterstützung bedeutet „die Hilfestellung, die Individuen und Gruppen aus Gemeinschaften heraus zur Verfügung steht und die sowohl einen Puffer gegen widrige Lebensereignisse und Lebensbedingungen als auch eine positive Ressource zur Verbesserung der Lebensqualität darstellen kann. Soziale Unterstützung kann emotionale Unterstützung, Informationsaustausch und das Anbieten materieller Ressourcen oder Dienste beinhalten“ (WHO, 1998). Als Folge der Langzeitarbeitslosigkeit wird allerdings beobachtet, dass die positiven sozialen Beziehungen zu Kollegen, Bekannten, Freunden, Nachbarn zurückgehen, sich Arbeitslose tendenziell selbst isolieren und in die eigene Familie zurückziehen (Kieselbach, 1988; Mohr, 2009). Im BundesGesundheitssurvey 1998 sagen 12 % der arbeitslosen Männer und 9 % der arbeitslosen Frauen aus, nur maximal eine Person zu kennen, auf die sie sich im Notfall verlassen könnten (Grobe & Schwartz, 2003). Diese Quoten liegen wesentlich höher als die entsprechenden Werte der berufstätigen Männern und Frauen mit 6 % bzw. 5 %. Jedoch konnten Gallie, Paugam & Jacobs (2003) in einer europäischen Panelanalyse eine Verursachung von sozialer Isolation durch Arbeitslosigkeit nicht verifizieren. Dem „System“ Familie kommt in der Bewältigung von Arbeitslosigkeit eine hohe Bedeutung zu. Das Verhältnis ist aber ambivalent. Familie stiftet Sinn und leistet soziale Unterstützung, schafft aber – wie unter den Abschnitten Lebensalter (1.4.1.1) und finanzielle Ressourcen (1.4.3.1) schon angesprochen – auch im Bewusstsein des Arbeitslosen Verantwortlichkeit und Abhängigkeiten. Die Familie selbst gerät als Ganzes durch Arbeitslosigkeit unter Druck. Eine Reihe von Studien berichten, dass sich der Disstress beim Arbeitslosen negativ auf das Wohlbefinden von anderen Familienangehörigen auswirkt (Price, Friedland & Vinokur, 1998). Kieselbach bezeichnet die Angehörigen von Arbeitslosen, insbesondere ihre Kinder, als „Opfer durch Nähe“ (1988). Studien belegen, dass bei Kindern von Arbeitslosen mehr Gesundheitsprobleme als im Durchschnitt auftreten (Reinhardt Pedersen, Madsen & Köhler, 2005). Ström (2003) wertete die internationale Forschung in einem Literaturüberblick aus. Sie fand Indizien dafür, dass das Wohlbefinden der Familienangehörigen bei Arbeitslosigkeit mit beeinträchtigt wird und die Arbeitslosigkeit von Eltern Wirkung auf die physische Gesundheit ihrer Kinder hat. Von Wichtigkeit sind für die Familien das Ausmaß der finanziellen Belastungen und die sinnhafte Gestaltung des Alltagslebens (Rogge, 2009c). Frese und Mohr (1978) listen eine Reihe von Störungen im sozialen Bereich auf, die in Verbindung mit Arbeitslosigkeit beobachtet worden sind: Eheprobleme bis hin zu Ehescheidungen, Streitigkeiten und Ärger in der Familie, verschlechterte Beziehungen und soziale Isolation. Die Ambivalenz könnte vielleicht auch einer der Gründe sein, dass für die Variable Ehestand in den Meta-
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Analysen kein eindeutig moderierender Einfluss auf die psychische Gesundheit von Arbeitslosen gefunden wurde (Paul, Hassel & Moser, 2006; McKee-Ryan, Song, Wanberg & Kinicki, 2005). Soziale Belastungen sind in der Meta-Analyse von McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) negativ assoziiert mit psychischer Gesundheit. Mit der Dauer der Arbeitslosigkeit steigt die Gefahr, bisherige soziale Unterstützung und soziale Netzwerke zu verlieren (Sabroe & Iversen, 1989). Das ist aber in mehrfacher Hinsicht problematisch, da sich mangelnde soziale Unterstützung nicht nur bei der psychosozialen Bewältigung von Arbeitslosigkeit, sondern darüber hinaus auch bei der Verarbeitung von evtl. eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Krankheitsfällen negativ auswirken kann (vgl. Schwarzer, 1996). Von der Forschung wird zudem wenig berücksichtigt, dass sich ein Defizit an sozialen Netzwerken auch problembezogen auf die Arbeitsuche von Arbeitslosen und auf Hinweise über Stellenangebote auswirken könnte. Ein großer Teil der offenen Stellen wird von den Betrieben nicht nur offiziell ausgeschrieben, sondern parallel oder stattdessen über interne Suchwege besetzt. Nach einer repräsentativen Betriebsbefragung des IAB suchen 40 % der Betriebe bei der Stellenbesetzung über „eigene Mitarbeiter“ oder „persönliche Kontakte“ (Kettner & Spitznagel, 2006). Ein Drittel aller Einstellungen kam auf diesem Wege zustande. Der Anteil der den Arbeitsagenturen gemeldeten Angebote am gesamtwirtschaftlichen Stellenbestand betrug rund 38 % aller Stellen (Kettner & Spitznagel, 2006). Das unterstreicht die Relevanz beruflicher und sozialer Netzwerke. Nach einer Studie von Sabroe und Iversen (1989) scheint die Quantität der sozialen Unterstützungsnetzwerke für die Wiedereingliederung wichtiger als die Qualität der sozialen Unterstützung zu sein. 1.4.3.3 Zeitstrukturierung in Arbeitslosigkeit Zum Thema „Zeit“ schreibt die Marienthal-Studie: „Wer weiß, mit welcher Zähigkeit die Arbeiterschaft seit den Anfängen ihrer Organisation um die Verlängerung der Freizeit kämpft, der könnte meinen, dass in allem Elend der Arbeitslosigkeit die unbegrenzte freie Zeit für den Menschen doch ein Gewinn sei. Aber bei näherem Zusehen erweist sich diese Freiheit als tragisches Geschenk. Losgelöst von ihrer Arbeit und ohne Kontakt mit der Außenwelt, haben die Arbeiter die materiellen und moralischen Möglichkeiten eingebüßt, die Zeit zu verwenden. Sie, die sich nicht mehr beeilen müssen, beginnen auch nichts mehr und gleiten allmählich ab aus einer geregelten Existenz ins Ungebundene und Leere“ (Jahoda, Lazarsfeld & Zeisel, 1933, S. 83). Die Zeitstruktur wurde später auch in Jahodas Deprivationstheorie (1983) als die wichtigste der fünf latenten Funktio-
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nen eines Arbeitsplatzes beschrieben und auch im „Vitaminmodell“ von Warr (1987) integriert. Mehrere empirische Arbeiten berichteten, dass Arbeitslose eine weniger strukturierte und zweckvolle Zeiteinteilung als Beschäftigte haben (Überblick Creed & Bartrum, 2006). McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) bestätigten meta-analytisch eine Assoziation mit psychischer Gesundheit in mittlerer Effektstärke. Wanberg, Griffiths und Gavin (1997) fanden in einer Längsschnittstudie Anhaltspunkte dafür, dass bei Arbeitslosen, die Probleme mit der Zeitstrukturierung haben, die psychische Gesundheit später abnimmt. Kieselbach und Wacker (1991) machten aber darauf aufmerksam, dass diese Beobachtungen nicht die gesamte Situation und alle Erfahrungen von Arbeitslosen abdeckten und es auch produktive Bewältigungsformen gab. In manchen Studien wurden einer sinnvollen Zeitverwendung und bedeutsam erlebten Freizeitaktivitäten positive Coping-Wirkungen zugeschrieben (vgl. Winefield, 1995; Kieselbach & Beelmann, 2006). Brinkmann (1984) fand hinsichtlich der Zeitverwendung sowohl Be- als auch Entlastungsprofile: Ein Teil der Arbeitslosen hatte Probleme mit der zur Verfügung stehenden freien Zeit, was sich in Langeweile, Nichtstun, Unausgelastet sein etc. äußerte. Ein anderer Teil der Arbeitslosen nutzte die freie Zeit für zusätzliche Aktivitäten und Familienleben. Möglicherweise tragen auch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik (vgl. Kap. 2.2.2), sowie ehrenamtliche Tätigkeiten oder Kindererziehung durch die Tagesstrukturierung zur psychischen Stabilisierung bei. Noch ungeklärt ist nach Mohr (2009), ob als sinnvoll wahrgenommene Aktivitäten zur Tagesstrukturierung beitragen oder ob sie umgekehrt die Fähigkeit zur zeitlichen Strukturierung voraussetzen. Rogge (2009) kommt in einer aktuellen Überblicksarbeit zu dem Schluss, dass die Hypothese von der Wichtigkeit der Zeitstruktur für die psychische Gesundheit in Arbeitslosigkeit empirisch nicht gestützt wird. 1.4.3.4 Personelle Faktoren In Anlehnung an die Konzeption von McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) können als personale Coping-Ressource verschiedene Konstrukte wie Selbstwertgefühl, Optimismus, Neurotizismus, internale oder externale Kontrollüberzeugungen und Selbstbild zusammengefasst werden. In der Meta-Analyse von McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) fanden sich für diese Faktoren bei Arbeitslosen einen der stärksten Zusammenhänge mit psychischer Gesundheit sowie Lebenszufriedenheit. Sie bestätigten damit frühere Analysen (vgl. Winefield, 1995). Die Konstrukte gehen auf verschiedene Theorien zurück und werden in empirischen Studien häufig unterschiedlich operationalisiert. Ein
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aktueller Überblick findet sich z.B. bei Mohr (2009). Das Selbstwertgefühl stellt in den meisten gebräuchlichen Definitionen wie von Rosenberg (1979) einen Teil des Selbstkonzeptes dar und drückt das Ergebnis der positiven und negativen Beurteilungen der eigenen Person in Hinblick auf Fähigkeiten und Eigenschaften aus. Ein niedriges Selbstwertgefühl wird oftmalig in Verbindung mit Arbeitslosigkeit gebracht. Die Studienergebnisse sind aber uneinheitlich (vgl. Mohr, 2009). Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass eine Verschlechterung des Selbstwertgefühls in Arbeitslosigkeit erst mit Zeitverzögerung eintritt. Eine internale Kontrollüberzeugung zur eigenen Einflussnahme auf die Situation ist bei andauernder Arbeitslosigkeit als eher depressionsfördernd einzuschätzen (Wacker & Kolobkova, 2000; Mohr, 2009). 1.4.4 Kognitionen Menschen mit ausgeprägter Arbeits- oder Berufsorientierung und einer Zentrierung auf die Arbeitsrolle werden in höherem Maße durch Arbeitslosigkeit psychisch belastet. Die negativen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die psychische Gesundheit sind signifikant ausgeprägter (McKee-Ryan, Song, Wanberg & Kinicki, 2005). Mohr (2009) leitet aus diesen Befunden ab, „dass Arbeitsorientierung eine relevante Variable für den Wiedereinstieg ist, dass eine hohe Arbeitsorientierung während der Erwerbslosigkeit jedoch nicht zwingend positiv sein muss“. Nordenmark und Strandh (2002) sehen für Arbeitslose eine Stressdimension in dem psycho-sozialen Bedürfnis nach einer sozialen Identität oder Rolle in einer Gesellschaft, in der Arbeit die Norm ist und die ökonomische Haupteinnahmequelle darstellt. Paul und Moser (2006a) zeigen auf, dass sowohl Beschäftigte als auch Arbeitslose eine starke innere Bindung an die Erwerbsarbeit in fast demselben Ausmaß hegen. Die meisten Beschäftigten leben aber im Gegensatz zu den Arbeitslosen in Kongruenz zwischen innerer Einstellung und Lebenssituation. Eine „Inkongruenz“ korrespondiert mit Disstress-Symptomen. Arbeitslose mit hoher Arbeits- oder Berufsorientierung dürften in der Arbeitsförderung zunächst wenig auffallen. Bei dieser Gruppe könnten sich möglicherweise individuumsorientierte Aktivierungs- und Sanktionierungsbemühungen ohne ausreichend vorhandenes Arbeitsplatzpotenzial später kontraproduktiv auswirken, wenn die Arbeitsmarktintegration auf Dauer nicht gelingt. Gesellschaftliche Stigmatisierung und wiederholte öffentliche „Faulheits- und Drückebergerdebatten“, die nach Beobachtung von Oschmiansky, Kull und Schmid „nicht nur mit dem möglichen oder vermeintlichen Fehlverhalten von Arbeitslo-
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sen zu tun haben, sondern zu einem guten Teil auch politischen Kalkülen folgen“ (Oschmiansky, Kull & Schmidt, 2001, S. 8), erhöhen zusätzlich den Druck. Die individuellen Erklärungen zur Ursache der eigenen Arbeitslosigkeit können sich ebenfalls auf den Grad der psychischen Belastungen auswirken (Kieselbach, 1994a). Es werden internale Erklärungen (z.B. Arbeitslosigkeit selbstverschuldet) und externale Erklärungen (z.B. Arbeitslosigkeit gesellschaftlich bedingt) unterschieden, die auch parallel auftreten können. Erwartungen hinsichtlich der Kontrolle der eigenen Lage am Arbeitsmarkt mit der Möglichkeit, einen Arbeitsplatz durch eigene Aktivität zu finden, wird ebenfalls eine moderierende Wirkung zugeschrieben. 1.4.5 Problemlösestrategien Die Coping-Strategien von Arbeitsplatzverlust sind verbunden mit den in Kap. 1.2.1 vorgestellten Stresstheorien (Lazarus, 1966; Lazarus & Folkman, 1984) und zielen darauf, die internalen und externalen Anforderungen dieser spezifischen stressvollen Situation durch kognitive oder verhaltensorientierte Anstrengungen zu bewältigen. Dabei reagieren die Individuen auf Arbeitslosigkeit aber nicht in einer homogenen Art und Weise (McKee-Ryan & Kinicki, 2002). Die Coping-Strategien können in zwei Kategorien eingeteilt werden: das problembezogene und das emotionsbezogene Bewältigungsverhalten. Problembezogenes Bewältigungsverhalten von Arbeitslosen hat sich günstiger für die Reintegration in den Arbeitsmarkt und das psychische Befinden als emotionsbezogenes Coping erwiesen (vgl. Mohr, 2009). Zu Coping-Strategien können auch das Erschließen von Hilfsangeboten und eigene Aktivitäten zur Problemlösung gezählt werden. Nach Kieselbach (1994a) wird die Belastungssituation in Arbeitslosigkeit durch das persönliche Aktivitätsniveau sowie die Art des Hilfesuchens und die Verfügbarkeit von Hilfsangeboten beeinflusst. Er weist darauf hin, dass professionelle Hilfsangebote für Arbeitslose häufig nicht erreichbar, annehmbar oder wirksam sind. Gerade der Einbezug von Krankheit und Behinderung, psychosozialen Belastungen oder Suchtverhalten erfordert eine besondere Vertrauensbasis in die Hilfe- und Beratungssysteme. Dieses Vertrauen der Arbeitslosen muss in vielen Fällen aber erst noch im Bereich der Arbeitsvermittlung und Berufsberatung gewonnen werden. Nach einer Repräsentativbefragung (Hess et al., 2004) hat nur noch ca. ein Fünftel der Bevölkerung - einschließlich der Arbeitslosen - Vertrauen in die Leistungserbringung der Agenturen für Arbeit.
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1.4.6 Makroökonomische Kontextfaktoren Die Höhe der Arbeitslosenquote wird sehr häufig als Einflussfaktor in zweifacher Hinsicht diskutiert: Eine hohe lokale Arbeitslosenrate könnte Arbeitslosigkeit „normalisieren“ und dadurch zu einer Reduktion des persönlichen Stresses beitragen (Kieselbach, 1994a). Sie könnte allerdings auch zu einem Klima der Hoffnungslosigkeit und Resignation führen und die Belastungen für die psychische Gesundheit von Arbeitslosen steigen lassen. In Deutschland werden diese Argumentationen z.B. beim Vergleich von West- und Ostdeutschland diskutiert. Allerdings ermittelten die Meta-Analysen von Paul, Hassel und Moser (2006) und von McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) wider Erwarten keinen signifikanten Moderationseinfluss für die lokale Arbeitslosenquote - zumindest soweit sie in den zugrunde liegenden Studien angegeben wurde. Bei starker Absenkung des Signifikanzniveaus auf p < 0.1 stellte sich in einer späteren Moderationsanalyse von Paul und Moser (2009b) ein schwacher Moderationseffekt ein. Die Moderationsanalysen zum sozialen Sicherungssystem für Arbeitslosigkeit waren in den beiden Meta-Analysen nicht eindeutig. Paul (2005) bzw. Paul und Moser (2009b) wiesen einen signifikanten Einfluss und McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) nur einen Trend nach. Vermutlich hatten McKeeRyan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) wegen der deutlich kleineren Anzahl verwendeter Primärstudien eine zu geringe statistische Power, um den Einfluss statistisch signifikant zu bestimmen. In einer Studie konnten Rodriguez, Frongillo und Chandra (2001) zeigen, dass der Empfang von staatlichen Hilfen bei arbeitslosen Frauen mit der Reduktion von depressiven Symptomen korrespondierte. Darüber hinaus identifizierten Paul, Hassel und Moser (2006) bzw. Paul und Moser (2009b) als Moderatorvariablen die wirtschaftliche Entwicklung und Einkommensgleichheit im internationalen Vergleich. Die Effekte der Arbeitslosigkeit sind in ärmeren Ländern größer als in reicheren Ländern. In Ländern mit hohen Gini-Werten (als Maß für Einkommensungleichheit) sind sie ebenfalls stärker als in Ländern mit kleineren Bevölkerungsanteilen von Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Ob die Länder kulturell kollektivistisch oder individualistisch ausgerichtet sind, hat nach Paul und Moser (2009b) keinen Einfluss. Die Analysen von Paul, Hassel und Moser (2006) bzw. Paul und Moser (2009b) weiten den Blick auf makroökonomische Einflussvariablen, die bisher in der psychologischen Arbeitslosenforschung kaum als Kontext individueller Bewältigung von Arbeitslosigkeit diskutiert werden. Möglicherweise sind auch noch weitere Faktoren wie das gesellschaftliche Klima zu berücksichtigen.
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1.5 Zusammenfassung von Kapitel 1 Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 ist Massenarbeitslosigkeit zu einer zentralen Herausforderung von Industrieländern geworden. Seitdem beobachtet die Forschung systematisch die negativen Auswirkungen von unfreiwilligem Arbeitsplatzverlust auf die Gesundheit. Jahoda, Lazarsfeld und Zeisel (1933) beschrieben im Klassiker „Die Arbeitslosen von Marienthal“ vier Haltungstypen. Sie stellten den Ausgangspunkt für erste theoretische Phasenmodelle des individuellen Erlebens von Arbeitslosigkeit dar. Zu den wichtigen theoretischen Ansätzen, die die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit zu erklären versuchten, gehören u.a.
die „psychische Deprivation“ wegen Fortfalls der manifesten und latenten Funktionen der Arbeit „finanzielle Deprivation“ und Handlungsrestriktionen in Arbeitslosigkeit Stresstheorien sowie Anforderungs- und Kontrollmodelle die „differentielle Arbeitslosenforschung“, die die Vielfalt der individuellen Bewältigungsformen von Arbeitslosigkeit in den Vordergrund rückt mit Arbeitslosigkeit verbundene soziale Stigmatisierung und erlernte Hilflosigkeit Identitätstheorien Konzept der sozialen Exklusion.
Nach heutigem Wissensstand wirken die durch Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Gesundheitsbelastungen parallel zu Selektionen bei den Übergängen von und in Beschäftigung. Als Hauptergebnis lässt sich aus den bisherigen Überblicksarbeiten und Meta-Analysen festhalten, dass die Arbeitslosenforscher die Kausalitätshypothese aus methodischen Gründen bisher nicht eindeutig verifizieren können, aber als stark unterstützt ansehen. Die Effektgrößen von Selektionsprozessen werden im Vergleich als kleiner eingeschätzt. Lang andauernde Arbeitslosigkeit korreliert demnach nicht nur mit einem ungünstigeren Gesundheitszustand, sondern kann vor allem psychische, aber auch physische Krankheiten verursachen oder bestehende Krankheitszustände verschlimmern. Dafür spricht der Befund, dass Arbeitslose nach Arbeitsplatzverlust in der Tendenz eine Verschlechterung ihrer psychischen Gesundheit erleiden und umgekehrt sich das seelische Befinden deutlich verbessert, wenn Arbeitslose wieder zurück in die Beschäftigung finden. Die gesundheitlichen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit werden in der Symptomatik als vielfältig und in Teilen von schwerwiegender Art beschrieben.
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Der Bewältigungsprozess der Arbeitslosigkeit steht in Abhängigkeit von individuell verfügbaren sozioökonomischen und psychosozialen Ressourcen sowie von Fähigkeiten und Kompetenzen. Viele potenzielle Einflussfaktoren wurden in Moderationsanalysen der differentiellen Arbeitslosigkeitsforschung einbezogen, um zu erkennen, welche Personen in Arbeitslosigkeit besonders leiden. Die Moderatoreneffekte wurden aber oft unterschiedlich konzeptualisiert. Seit kurzer Zeit werden die zahlreichen empirischen Studien auch mit quantitativen Methoden meta-analysiert. Gegenüber den Forschungsberichten früherer Perioden fällt in der Gesamtschau der neuen Meta-Analysen auf, dass die soziodemografischen Merkmale Alter, ethnische Zugehörigkeit und Qualifikationsniveau nur wenig oder gar nicht nachweisbar die Wechselbeziehungen von Arbeitslosigkeit und psychische Gesundheit beeinflussen. Paul, Hassel und Moser (2006) identifizierten außerdem einen schwach moderierenden Trend in ihrer Meta-Analyse für soziale Schicht und erkannten als weitere bedeutsame Moderatorvariablen die Großzügigkeit des sozialen Sicherungssystems, die wirtschaftliche Entwicklung und Einkommensungleichheit im internationalen Vergleich. Die Effekte der Arbeitslosigkeit sind in ärmeren Ländern durchschlagender als in reicheren Ländern und in Ländern mit hohen GiniWerten größer als in Ländern mit weniger großen Bevölkerungsanteilen von Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Bei der Meta-Analyse von McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) standen innerhalb der Gruppe der Arbeitslosen Ressourcen und Belastungen in einer statistisch gesicherten Assoziation zur psychischen Gesundheit. Eine wahrgenommene finanzielle Belastung korrelierte mit schlechterer psychischer Gesundheit und niedrigerer Lebenszufriedenheit. Als weiterer Faktor wurde soziale Unterstützung einbezogen und dabei ein moderierender Einfluss hinsichtlich der negativen Effekte der Arbeitslosigkeit auf das psychische Befinden festgestellt. McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) bestätigten metaanalytisch außerdem einen Zusammenhang zwischen strukturierter Zeiteinteilung und psychischer Gesundheit. Personale Coping-Ressourcen korrespondierten ebenfalls mit psychischer Gesundheit sowie Lebenszufriedenheit. Die lokale Arbeitslosenquote stellte sowohl bei Paul und Moser (2006) als auch bei McKee-Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) keine signifikante moderierende Variable dar. Nach beiden Meta-Analysen litten Personen mit hoher Arbeits- und Berufsorientierung sowie mit längerer Verweildauer in Arbeitslosigkeit nachgewiesenermaßen stärker unter Arbeitslosigkeit. Insgesamt fehlt noch ein grundlegender Theorierahmen mit hoher Erklärungskraft, der die vielen Einzelaspekte und empirischen Ergebnisse zur gesundheitsbezogenen Wirkung und Bewältigung von Arbeitslosigkeit integriert.
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2 Empirische Befunde in der Gesundheitsberichterstattung und gesundheitsbezogene Interventionsansätze 2.1 Gesundheit und Krankheit von Arbeitslosen
Eine epidemiologisch begründete Gesundheitsberichterstattung bildet die Grundlage für evidenzbasierte gesundheitspolitische Entscheidungen. Die Abbildung 6 verdeutlicht den Aktionskreislauf von Analysen im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung, der Entwicklung von zielorientierter Gesundheitspolitik, der anschließenden Durchführung von Maßnahmen und ihrer Evaluation sowie der Rückkopplung in die Berichtssysteme (nach Bergmann & Bergmann, 2000). Abbildung 6: Produktionsprozess von Gesundheit Gesundheitsberichterstattung weniger Erkrankungen? mehr Gesundheit? weniger Kosten?...
vermeidbare Gesundheitsprobleme
Zielentwicklung
Evaluation Lösung von Problemen
Strategien
Maßnahmen Quelle: Bergmann & Bergmann (2000, S. 14)
71 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Diese idealtypische Darstellung eines gesundheitswissenschaftlichen Regelkreises unterstreicht die Funktionen der Gesundheitsberichterstattung bei der Umsetzung von Gesundheitszielen wie es zum Beispiel das Land Sachsen zur „Gesundheitsförderung von Arbeitslosen“ explizit aufgestellt hat (Kramer & Mühlpfordt, 2009). Die Gesundheitsberichterstattung kann dazu beitragen, vermeidbare Gesundheitsprobleme zu identifizieren, Strategien zu kommunizieren und über Problemlösungen zu berichten. Evaluation und Monitoring sind entscheidende Elemente, um Prozesse und Ergebnisse nachprüfbar und messbar zu machen. Das System der Gesundheitsberichterstattung hat daher die Funktionen der
Risikoberichterstattung über gesundheitliche Belastungen und Ressourcen, Krankheitsberichterstattung über Umfang, Art und Verteilung von Erkrankungen, Versorgungsberichterstattung über Ausstattung und Leistungen der Gesundheitseinrichtungen und Politikberichterstattung über Gründe, Verlauf und Ergebnis von Verbesserungsinitiativen in der Prävention und Krankenversorgung (Rosenbrock & Gerlinger, 2006).
Als Voraussetzung benötigt die Gesundheitsberichterstattung aber eine entsprechende Daten- und Informationsgrundlage. Im Zusammenhang von Erwerbslosigkeit und Gesundheit stellt der Mikrozensus einen sehr wichtiger Datenlieferanten neben anderen Datenquellen dar, die aber alle für sich allein genommen jeweils nur einen kleinen Ausschnitt des Gesamtspektrums abbilden. Die Gesundheitsberichterstattung gibt deshalb bislang nur partiellen Aufschluss über die Gesundheitszustände von Arbeitslosen in Deutschland. Viele Ergebnisse wurden nur sekundäranalytisch gewonnen. Bei den Daten ist zudem zu berücksichtigen, dass empirische Erhebungskonzepte zur Gesundheit zugrunde liegenden Theorien und Definitionen folgen und Datenerhebungen oft bestimmten Zwecken dienen, z.B. zur Abrechnung mit Sozialversicherungen. Im Gegensatz zu weit gefassten, positivierenden Gesundheitsbegriffen entsprechen die Sichtweisen in den Sozialgesetzen und im Arbeitsrecht meist einer klaren Funktionsaussage über die individuelle Leistungs- und Arbeitsfähigkeit. Bei Arbeitslosen kann das Ergebnis medizinischer Begutachtungen leistungsrechtliche Relevanz erhalten. Eine der Voraussetzungen für den Leistungsbezug im SGB II-Rechtskreis ist die Erwerbsfähigkeit, die im Zweifelsfall durch die Ärztlichen Dienste attestiert werden muss. Einer Funktionsdiagnose entspricht auch die „Arbeitsunfähigkeit“. Die Heterogenität der vielen vorliegenden Einzelergebnisse zur Gesundheit von Arbeitslosen macht eine Gesamtschau der wesentlichen Statistiken, Verwal-
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tungsdaten, Repräsentativbefragungen und Forschungszusammenhänge in den folgenden Abschnitten notwendig, damit erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsrisiken von Erwerbslosen im Vergleich zu Erwerbstätigen identifiziert werden können. In den nachfolgenden Abschnitten wird ein aktueller Überblick über die empirischen Befunde zur Gesundheit und Krankheit von Arbeitslosen in der Gesundheits- und Arbeitsmarktberichterstattung gegeben. Die Befundlage stützt sich im Wesentlichen auf Bevölkerungsbefragungen und Verwaltungsdaten der gesetzlichen Sozialversicherungen. Die Zusammenschau beginnt mit Ergebnissen von deutschen Repräsentativerhebungen, die Indikatoren über den subjektiven Gesundheitszustand und verschiedene Krankheitsgruppen enthalten. Es schließen sich im nächsten Abschnitt Vergleichsanalysen zum Gesundheits- und Suchtverhalten von Arbeitslosen und Beschäftigten an. Morbiditätsunterschiede zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten können gut anhand der Verwaltungsdaten der Sozialversicherungen über die ambulante und stationäre Krankenversorgung erkannt werden. Sie werden in den zwei folgenden Abschnitten vorgestellt. Ergebnisse aus der Arbeitslosenstatistik und von empirischen Untersuchungen zur Arbeitsmarktintegration von Arbeitslosen mit Gesundheitseinschränkungen ergänzen schließlich die Übersicht. 2.1.1 Gesundheitsunterschiede von Arbeitslosen und Beschäftigten in Repräsentativerhebungen Die etablierte Routineberichterstattung von Sozialversicherungsdaten wird durch Vergleichsanalysen mit neuen Erhebungsinstrumenten wie dem SOEP-Panel, Gesundheitssurveys und anderen Repräsentativstatistiken ergänzt. Nachfolgend werden Gesundheitsunterschiede von Arbeitslosen und Beschäftigten in wichtigen repräsentativen Erhebungen in Deutschland berichtet. Allerdings ist im Ergebnis kritisch zu sehen, dass Arbeitslose vor allem in den nationalen Gesundheitssurveys unterrepräsentativ erfasst werden und die Anzahl der erfolgreich interviewten Arbeitslosen häufig relativ klein ist, die dann noch nach Geschlecht, Altersgruppen, Gesundheitszustand oder –verhaltensweisen etc. weiter stratifiziert wird.
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Sozioökonomisches Panel (SOEP) Im Vergleich zu repräsentativen Querschnittsbefragungen kommt den Panelanalysen mit Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) methodisch besonders großes Gewicht zu. Mehrere Studien weisen mit Daten aus verschiedenen Wellen des SOEP-Panels in großer Übereinstimmung signifikante Korrelationen zwischen Erwerbsstatus und Gesundheit nach. Romeu Gordo (2006) wertete in multivariaten Modellberechnungen die SOEP-Paneldaten von 1984 bis 2001 aus. Dabei waren die Erwerbstätigen subjektiv mehr zufrieden mit ihrem Gesundheitszustand als Arbeitslose. Langzeitarbeitslosigkeit wirkte sich sowohl bei Männern als auch Frauen negativ auf den Gesundheitszustand in den Modellberechnungen aus. Eine kurze Arbeitslosigkeitsdauer hatte dagegen nur bei Männern und nicht bei Frauen eine statistisch bedeutsame Gesundheitsbelastung zur Folge. In einer anderen SOEP-Auswertung der Befragungswellen 1992 und 1997 fühlten sich Langzeitarbeitslose signifikant häufiger durch ihren Gesundheitszustand im Alltag stark behindert (Steinle, 2001). Je höher der Anteil bereits erlebter Arbeitslosigkeit an der Dauer der potenziellen Erwerbstätigkeit war, desto geringer war die Zufriedenheit mit dem Gesundheitsstatus. Auch vergleichende Untersuchungen vorheriger SOEP-Befragungswellen kamen zu diesem Ergebnis (Elkeles & Seifert, 1993, 1996). Gesundheitssurveys in Deutschland Die Deutsche Herz-Kreislauf-Präventionsstudie (DHP) erstreckte sich auf einen Untersuchungszeitraum von 1982 bis 1991 und auf sechs Untersuchungsregionen (Hoffmeister, 1993). Ziel war die Verminderung von kardiovaskulären Risikofaktoren und die Verbesserung der Angebote zur praktischen Krankheitsvorbeugung. Im Rahmen dieser Studie wurden darüber hinaus mehrere nationale und regionale Gesundheitssurveys durchgeführt. Nach den Auswertungen des Gesamtdatensatzes von Elkeles (1999) befand sich unter den Arbeitslosen verglichen mit Erwerbstätigen ein höherer Prozentsatz von Personen mit schlechteren Gesundheitszuständen, mit Behinderungen, mit Bettlägerigkeit, mit Einschränkungen in den täglichen Aktivitäten und mit Krankenhausaufenthalten in den letzten zwölf Monaten. Die durchschnittliche Zufriedenheit ist sowohl beim Gesundheitszustand als auch bei der finanziellen Lage, den sozialen Beziehungen und der allgemeinen Lebenssituation signifikant niedriger. Diese Befunde wurden von Bammann und Helmert (2000) mit Daten der 2. und 3. regionalen und nationalen Gesundheitssurveys bestätigt und in Zusammenhang mit sozialer Ungleichheit gestellt (siehe Kap. 1.4.1.4). Sie stehen auch in Einklang mit Er-
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gebnissen aus dem 1. Nationalen Gesundheitssurveys von 1984 bis 1986 (Bormann, 1992). Es zeigte sich bei den Arbeitslosen eine erhöhte Tabakprävalenz, vermehrter Alkoholkonsum, ein schlechterer subjektiver Gesundheitszustand und eine höhere Beschwerde- und Krankheitshäufigkeit. Männer waren davon stärker betroffen als Frauen. Beim Bundesgesundheitssurvey 1998 (Grobe & Schwartz, 2003) wurde der allgemeine Gesundheitszustand von Arbeitslosen wesentlich schlechter als der von Berufstätigen eingeschätzt. Mit der Dauer der Arbeitslosigkeit nahm die Beeinträchtigung des allgemeinen Gesundheitszustandes zu. Der Anteil der Arbeitslosen, die sich sportlich betätigten, war vergleichsweise niedrig. Aus den Ernährungsgewohnheiten ließen sich jedoch keine unterschiedlichen Gesundheitsrisiken zwischen Arbeitslosen und Berufstätigen ableiten. Bormann (2005, 2006) analysierte ebenfalls den Bundesgesundheitssurvey 1998 und identifizierte insbesondere arbeitslose Männer in Westdeutschland als Personengruppe mit einem besonders negativen subjektiven Gesundheitszustand. Auch Rose und Jacobi (2006) verwandten den Bundesgesundheitssurvey von 1998. Der Schwerpunkt der Auswertungen lag aber auf dem Zusatzsurvey zu psychischen Störungen und den ärztlichen Interviews. Über logistische Regressionen wurden die Assoziationen zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheitsstörungen nach Geschlecht stratifiziert und unter Adjustierung des Alters und der sozialen Schicht untersucht. Bei arbeitslosen Männern ließ sich im Vergleich zu erwerbstätigen Männern eine ca. 2,5-fach höhere Quote an Gesundheitsstörungen bei psychischen Störungen und auch Asthma bronchiale sowie Diabetes mellitus nachweisen. In den analogen Modellberechnungen bei den Frauen waren die Gruppenunterschiede dagegen statistisch unauffällig. Bei Männern korrespondierten mit der Arbeitslosigkeit folgende psychische Krankheiten: Dysthymie, depressive Störungen, Panik, Phobien und somatoforme Störungen/Syndrome. Bei den Frauen ging statistisch signifikant lediglich eine Dysthymie mit Arbeitslosigkeit einher. Die Risikofaktoren Rauchen, erhöhte Cholesterinwerte und BMI > 30 ergaben weder bei Männern noch bei Frauen statistisch bedeutsame Assoziationen. Die meisten Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheitsstörungen waren in Westdeutschland stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland. Nach Lange und Lampert (2005) lag beim telefonischen Gesundheitssurvey 2003 der Prozentsatz der Arbeitslosen mit einem sehr guten oder guten Gesundheitszustand unter dem Durchschnitt und nahm zudem mit der Dauer der Arbeitslosigkeit ab. Rund ein Fünftel der Langzeitarbeitslosen schrieb der Arbeitslosigkeit selbst eine Verschlechterung ihrer Gesundheit zu. Die arbeitslosen Männer und Frauen beurteilten bei vielen Items zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität und zu Beschwerdebildern ihren Zustand negativer als die übrigen Personen. Allerdings muss zu diesem telefonischen Gesundheitssurvey ange-
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merkt werden, dass er zwar als repräsentative Befragung angelegt war, die erfolgten Interviews aber in entscheidenden Merkmalen nicht die aus der Arbeitslosenstatistik bekannte Struktur der Arbeitslosigkeit widerspiegelten. Der Gesundheitssurvey weist u.a. zu geringe Arbeitslosenquoten und sehr kleine Fallzahlen aus. So gaben z.B. die kurzeitarbeitslosen Frauen im Vergleich zu den langzeitarbeitslosen Frauen ungewöhnlicherweise mehr Leiden an chronischen Krankheiten und einen höheren Verbreitungsgrad von fast allen abgefragten Krankheiten und Behinderungen an. Amtliche Repräsentativstatistiken Mikrozensus und „EU-SILC“ Das Statistische Bundesamt erhob mit dem jährlichen Mikrozensus wiederholt ein Zusatzfragenprogramm über Krankheit, Unfallbetroffenheit, Körpermaße und Rauchgewohnheiten in den Jahren 1989, 1995, 1999, 2003 und 2005. Die Befragungsergebnisse werden regelmäßig vom Statistischen Bundesamt z.B. in Form von Tabellenbänden in der Reihe „Fragen zur Gesundheit“ veröffentlicht und bestätigen durchgängig die negativen Gesundheitsunterschiede zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen. Darauf wird an vielen Stellen dieser Arbeit später noch eingegangen. Die Statistik der Europäischen Union über Einkommen und Lebensbedingungen „EU-SILC“ sammelt jährlich Informationen über Einkommen, Armut, soziale Ausgrenzung und Lebensbedingungen. Sie beinhaltet auch Fragen zum subjektiven Gesundheitszustand und chronischer Erkrankung. Seit 2005 beteiligen sich alle 25 damaligen EU-Mitgliedsstaaten. Die Erhebungen in den Jahren 2005 und 2006 bestätigten in Deutschland den ungünstigen Gesundheitszustand von Arbeitslosen im Vergleich zu Erwerbstätigen (StaBu, 2008a). Ihren eigenen Gesundheitszustand bezeichneten 13,9 % der Arbeitslosen in Deutschland als schlecht oder sehr schlecht im Jahr 2006. Diese Quote liegt weit über der der Erwerbstätigen mit 3,5 %. Außerdem bekannten Arbeitslose, dass sie wesentlich häufiger an einer chronischen Erkrankung leiden. Die Werte der Arbeitslosen in Deutschland befanden sich weit über den Durchschnittswerten der Arbeitslosen aus den anderen EU-Mitgliedsstaaten. Repräsentative Studien in Sachsen Mit der Sächsischen Längsschnittstudie wird seit 1987 eine ehemalige Schülerkohorte verfolgt. Ab der Welle in 2002 wurden auch Fragen zur Gesundheit und Arbeitslosigkeit gestellt (Brähler, Laubach & Stöbel-Richer, 2002; Förster, Berth & Brähler, 2004; Berth, Förster & Brähler, 2003; Berth et al., 2006, Berth et al., 2006). Dabei weisen die Personen mit Arbeitslosigkeitserfahrungen im Durch-
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schnitt ungünstigere Vergleichswerte bei Items zu Depressivität, Körperbeschwerden, Lebenszufriedenheit, Disstress und Selbstwirksamkeitserwartung auf. Eine der wenigen deutschen Längsschnittstudien mit ärztlichen Untersuchungen wurde ebenfalls in Sachsen bei über 1.000 Probanden von Harych und Harych (1997) durchgeführt. Im Verlauf der Studie von 1993 bis 1994 verschlechterte sich der ärztlich festgestellte Gesundheitszustand bei den Arbeitslosen signifikant stärker im Vergleich zu den Erwerbstätigen. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen aber weniger ausgeprägt als bei den psychischen Erkrankungen in den oben genannten Vergleichsstudien. Die berichteten Befunde aus Deutschland und auch die internationale Literatur zeigen, dass die negativen Folgen der Arbeitslosigkeit auf die Psyche umfassender als die Auswirkungen auf die physische Gesundheit erforscht sind. Die Feststellung eines objektiven physischen Gesundheitszustandes erfordert aufwändige medizinische Diagnostik. Die Ergebnisse sind sehr unterschiedlich und schwieriger zu interpretieren (Kasl & Jones, 2002). Alles in allem zeigen die referierten empirischen Erhebungen durchgängig signifikante Gesundheitsunterschiede zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten vor allem beim subjektiven Gesundheitszustand und bei vielen selbst berichteten Krankheits- und Behinderungsphänomenen auf. 2.1.2 Morbidität und Mortalität von Arbeitslosen und Beschäftigten in der Sozialversicherungsstatistik Da Arbeitslose in bevölkerungsbezogenen Befragungen häufig unterrepräsentativ erfasst und die Stichprobengrößen meistens klein sind, kommen Analysen von Sozialversicherungsdaten besondere Wichtigkeit zu, um erhöhte Morbiditätsrisiken zu erkennen. In der Gesundheitsversorgung sind handlungsbezogen klare Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit zu ziehen. Zur diagnosebezogenen Erfassung und Darstellung der Morbidität wird in der gesetzlichen Krankenversicherung die „internationale statistische Klassifikation der Krankheiten (ICD)“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet, die auch der Ärztliche Dienst der Bundesagentur für Arbeit bei der Begutachtung von Arbeitslosen benutzt. In der Version ICD-10-GM für Krankheiten und verwandte Gesundheitsprobleme enthält der Diagnosethesaurus über 50.000 fertig verschlüsselte Diagnosen (DIMDI, 2003). Auf solche Daten greift die Gesundheitsberichterstattung häufig zurück, um über die gesundheitliche Lage und Behandlung in der Gesamtbevölkerung und in ausgewählten Personengruppen zu informieren.
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Das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen und die stationäre Krankenversorgung werden nachfolgend ausführlicher vorgestellt, weil sie zu den wichtigsten Gesundheitsindikatoren in der Gesundheitsberichterstattung zählen und die Gesundheitsfragen des Mikrozensus 2005 über die Prävalenz von Krankheiten und ihre ambulante bzw. stationäre Behandlung später in diese Bereiche zielen. Über Meldegesetze werden regelmäßig Abrechnungsdaten von allen pflichtversicherten Arbeitslosen auf Bundesebene zusammengeführt. Neben der GKV-Statistik des Bundes stellen vor allem jährliche Gesundheitsberichte der Krankenkassen eine wichtige Informationsquelle über die Krankenversorgung dar. Nachfolgend werden für a. b.
den ambulanten Sektor relevante Meldedaten zum Arbeitsunfähigkeitsgeschehen und Krankengeldbezug von Arbeitslosen und Beschäftigten sowie für den stationären Sektor die Krankenhausfälle und Behandlungstage berichtet. Der Abschnitt schließt mit den Themenbereichen Arzneimittelverordnungen und Mortalität.
2.1.2.1 Arbeitsunfähigkeit Bei Feststellung der Arbeitsunfähigkeit verpflichtet das Entgeltfortzahlungsgesetz die behandelnden Ärzte, der Krankenkasse unverzüglich eine Bescheinigung mit Befund und voraussichtlicher Dauer zu übermitteln (Begriffsbestimmung Arbeitsunfähigkeit in Kap. 3.2.2). Für die Bundesstatistik werden die Verwaltungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung kassenartenübergreifend erfasst. Versicherungspflichtige Arbeitslose werden in den Monats- und Jahresdurchschnittszahlen der krankenversicherten Mitglieder nach Versicherungsverhältnis (KM1) und in einer Auflistung der Leistungsfälle und -zeiten von Arbeitsunfähigkeit und Krankengeld (Teil der KG2) ausgewiesen. Basis für die Meldungen der Arbeitsunfähigkeit bilden alle den Krankenkassen vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen oder auf anderem Wege bekannt gewordenen AUFälle. Die Meldungen zur Arbeitsunfähigkeit und Krankengeldleistung erfolgen stichtagsbezogen zum jeweils 1. des Monats. Bei den Angaben in Kalendertagen werden sowohl Arbeits- als auch Sonn- und Feiertage mitgerechnet. Die Diagnosen, die die Arbeitsunfähigkeit begründen, sind nicht Bestandteil der GKVStatistik. Die Abbildung 7 zeigt die Abwärtsentwicklung der AU-Fälle je 100 Mitglieder nach Versichertenstatus seit dem Jahr 2000. Sie erreichten einen Tiefststand sowohl bei pflichtversicherten Beschäftigten mit 109 AU-Fällen je 100 Mitglieder im Jahr 2006 als auch bei pflichtversicherten Arbeitslosen mit 56 AU-
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Fällen je 100 Mitglieder im Jahr 2004. In 2004 ereigneten sich bei Arbeitslosen im Durchschnitt dann nur halb so viele AU-Fälle je 100 Mitglieder als bei pflichtversicherten Beschäftigten. Abbildung 7: Arbeitsunfähigkeitsfälle je 100 Mitglieder im Jahresdurchschnitt 140 127
129
127
120
124 112
112
109
100 80
82
83
78 71
68 60
56
Nur Alg IEmpfänger
40 20
Hartz IV (X)
0 2000
2001
2002
Arbeitslose
2003
2004
2005
2006
GKV-pflichtversicherte Beschäftigte
(X) Nachweis für Arbeitslose im Jahr 2005 nicht sinnvoll, da nicht alle Krankenkassen die Monatsmeldungen im Jahr 2005 informationstechnisch der neuen Gesetzeslage anpassen und die AU- und KG-Daten von Alg I- und Alg II-Empfängern separieren konnten. Daten: GKV-Statistik; Gesundheitsberichterstattung des Bundes; eigene Berechnung: Wert für Arbeitslosengeld I-Empfänger in 2006 (Quelle: Hollederer, 2008a).
Die AU-Fälle bei Arbeitslosen sind aber mit einer mittleren Falldauer von 21,9 Tagen sehr viel länger als bei pflichtversicherten Beschäftigten mit 13,0 Tagen im Jahr 2000. Die Unterschiede erklären sich nach Auswertungen verschiedener Krankenkassen zum Teil dadurch, dass Arbeitslose bei Kurzzeit- und Bagatellerkrankungen in geringerem Maße eine ärztliche Versorgung mit Krankschreibung beanspruchten (TK, 2005; BKK, 2008). Die mittlere Dauer der AU-Fälle nahm im weiteren Zeitverlauf bei Arbeitslosen zu und bei pflichtversicherten Beschäftigten leicht ab. Sie erhöhte sich bei Arbeitslosen allein vom Jahr 2003 zum Jahr 2004 von 21,7 auf 23,8 Tage während sie bei pflichtversicherten Beschäftigten in den beiden Jahren nahezu unverändert blieb.
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Durch die stark rückläufigen AU-Fälle von Arbeitslosen sanken die AUTage je 100 Arbeitslose im Jahr 2003 unter den Äquivalenzwert von je 100 pflichtversicherten Beschäftigten. Obwohl sich die Zahl der Arbeitslosen in der gesetzlichen Krankenversicherung von jahresdurchschnittlich 3,4 Millionen im Jahr 2000 auf 4,2 Millionen im Jahr 2004 steigerte, reduzierte sich die Zahl der AU-Fälle bei Arbeitslosen insgesamt von rund 2.764.000 auf 2.368.000. 3 Die Zeitreihen lassen sich bei Arbeitslosen aus mehreren Gründen nicht einfach durchgängig darstellen. Das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“) veränderte in 2005 grundlegend die staatlichen Fürsorgesysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und vereinigte sie auf Grundlage des SGB II und SGB III mit Zu- und Abflüssen an Personengruppen. Gleichzeitig sind mit Wegfall des Anspruchs auf Krankengeld (KG) für Alg II-Empfänger durch das so genannte „Verwaltungsvereinfachungsgesetz“ nur noch die AUund KG-Daten der Arbeitslosengeld I-Empfänger aus dem SGB III-Rechtskreis für die GKV-Statistik zu melden. Im Jahr 2006 waren in der Gesetzlichen Krankenversicherung jahresdurchschnittlich 1,5 Mio. Arbeitslosengeld I-Empfänger im SGB III-Rechtskreis pflichtversichert, von denen rund 1.035.000 AU-Fälle registriert wurden. Für sie wurden mehr AU-Fälle und AU-Tage je 100 Mitglieder sowie eine längere mittlere Falldauer wie bei den Arbeitslosen im Jahr 2004 errechnet. Die den Krankenkassen vorliegenden Krankheitsdiagnosen von Arbeitsunfähigkeit und bei Krankengeldbezug sind nicht Bestandteil der GKV-Statistik des Bundes. Damit bestehen auf Bundesebene große Lücken in der Berichterstattung über den Gesundheitszustand von Arbeitslosen. Verfügbar sind ergänzend einzelne Gesundheitsreports der Betriebskrankenkassen (BKK), Gmünder Ersatzkasse (GEK) und Techniker Krankenkasse (TK), die in den letzten Jahren eine Routineberichterstattung aufgebaut haben, die auch Daten zu Arbeitsunfähigkeit, Krankengeldbezug und Arzneimittelverordnungen von Arbeitslosen enthält. Die Auswertungen der Arbeitsunfähigkeitsfälle von BKK und TK zeigen übereinstimmend für das Jahr 2004, dass die bei ihnen pflichtversicherten Arbeitslosen im Vergleich zu pflichtversicherten Beschäftigten überproportional von psychischen und Verhaltensstörungen betroffen waren. Sie wiesen mehr als doppelt bzw. dreifach so viele Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Mitglieder mit einer solchen Diagnose auf (BKK, 2005; TK, 2005). Die psychischen und Verhaltensstörungen verursachten bei den BKK-versicherten Arbeitslosen 227 AUTage je 100 Mitglieder im Jahr 2004, bei den pflichtversicherten Arbeitern dage3 Bei pflichtversicherten Beschäftigten verringerten sich die AU-Fälle von rund 31.458.000 im Jahr 2000 auf 26.214.000 im Jahr 2004 bzw. 24.931.000 im Jahr 2006.
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gen lediglich 107 und bei den Angestellten 106 AU-Tage je 100 Mitglieder (BKK, 2005). Darunter dominierten die affektiven Störungen und Neurosen, die bei den arbeitslosen Frauen insgesamt 85 % und bei den arbeitslosen Männern 64 % der durch psychische und Verhaltensstörungen verursachten AU-Tage ausmachten. Ein besonders großes Gefälle zwischen Arbeitslosen und pflichtversicherten Beschäftigten gibt es bei der (fallzahlenmäßig kleineren) Krankheitsgruppe der psychischen Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, insbesondere bei Männern. So beanspruchten männliche Arbeitslose wegen dieser Krankheiten achtmal mehr AU-Tage je 100 Mitglieder als männliche Angestellte und dreieinhalb Mal mehr als männliche Arbeiter. Auffällig sind auch ein siebenfach höherer Wert von männlichen Arbeitslosen bei den durch Schizophrenie verursachten Krankheitstagen im Vergleich zu männlichen Angestellten und ein ca. dreifach höherer Wert im Vergleich zu männlichen Arbeitern. Bei fast allen mit den Krankengeldleistungen erfassten Diagnosegruppen belegt der BKK-Gesundheitsbericht für das Jahr 2004, dass BKK-versicherte Arbeitslose im Vergleich zu beschäftigten BKK-Pflichtmitgliedern deutlich mehr Tage je 100 Mitglieder und mehr Tage je Fall aufweisen (BKK, 2005, S. A2021). Die Unterschiede sind – wie beim Arbeitsunfähigkeitsgeschehen – vor allem bei den psychischen und Verhaltensstörungen und auch in der Untergruppe der Suchterkrankungen außerordentlich hoch. Beim Vergleich der Arbeitsunfähigkeitsdaten von Arbeitslosen mit Beschäftigten ist allgemein zu beachten, dass eine Zunahme von Arbeitslosigkeit zu einem Absinken des Krankenstandes bei Beschäftigten führen kann. Mit der Arbeitslosigkeit steigt die Arbeitsplatzunsicherheit in den Betrieben und hat zur Folge, dass Beschäftigte tendenziell eher Krankmeldungen vermeiden. In einer repräsentativen Befragung von Beschäftigten in Deutschland fürchtete mehr als jeder Dritte der Beschäftigten mit unsicherem Arbeitsplatz, dass Krankmeldungen berufliche Nachteile mit sich bringen (Zok, 2005). Von den Beschäftigten mit sicheren Arbeitsplätzen war es ca. jeder Zehnte.
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2.1.2.2 Krankenhausbehandlungen, Arzneimittelverordnungen und Mortalität In der Berichterstattung des Bundes wird bei den Krankenhausbehandlungen und auch bei anderen wichtigen Zahlenwerken wie der Krankheitsartenstatistik (KG 8) nicht nach der Versichertengruppe der Arbeitslosen differenziert, so dass nur auf Auswertungen von einzelnen Krankenkassen zurückgegriffen werden kann. Die meisten bisherigen Gesundheitsberichte von Krankenkassen richten sich aber primär auf die Gruppe der Arbeitnehmer, um Informationen für Präventionspotenziale in einzelnen Branchen oder Betrieben zu gewinnen. Besonders aussagekräftig sind die Gesundheitsberichte der GEK und vor allem des BKK Bundesverbandes, der die Leistungsfälle in der Krankenhausbehandlung für Arbeitslose mit Diagnosen routinemäßig ausweist. Die GEK, bei der ca. 1,4 Millionen Menschen krankenversichert sind, wertete in einer wissenschaftlichen Untersuchung die Krankenhausbehandlungen von GEK-pflichtversicherten Arbeitslosen im Vergleich zu den GEKpflichtversicherten Berufstätigen aus (GEK 1999, 2001). Die Häufigkeit von Aufenthaltstagen in Akutkrankenhäusern lag 1998 im Durchschnitt bei arbeitslosen Männern um 63 % und bei arbeitslosen Frauen um 37 % über der von berufstätigen Männern und Frauen. Bei den arbeitslosen Männern zeigte sich ein deutlich schlechterer Gesundheitszustand in allen relevanten Diagnosegruppen. Eine weitere Sekundäranalyse von Daten der GEK-Pflichtversicherten aus dem Jahr 2000 durch Grobe und Schwartz (2003) bestätigte in allen Diagnosekapiteln des ICD-10 für Arbeitslose eine höhere Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen im Vergleich zu Beschäftigten (gemessen in Krankenhaustagen). Die Zahl der Krankenhaustage lag bei arbeitslosen Männern 2,3 Mal und bei arbeitslosen Frauen 1,7 Mal höher als bei berufstätigen Männern bzw. Frauen (bezogen auf 1.000 Versicherungsjahre und altersstandardisiert). In der Diagnosegruppe „psychische Störungen“ war die Differenz der stationären Krankenhaustage zwischen Arbeitslosen und Berufstätigen mit Abstand am größten. Diese Befunde über Krankenhausaufenthalte von GEK-Versicherten stehen in Einklang zu aktuellen Gesundheitsberichten der BKK. Mit In-Kraft-Treten der Hartz IV-Reform zum 1.1.2005 nahmen die Krankenhausaufenthalte bei BKKpflichtversicherten Arbeitslosen im Vergleich zu den Vorjahren stark zu. Sie erhöhten sich kontinuierlich weiter in den Jahren 2006 bis 2008 (BKK, 2007, 2008, 2009). Im Jahresdurchschnitt 2008 wurden BKK-versicherte Arbeitslose ca. doppelt so oft wie BKK-pflichtversicherte Beschäftigte stationär behandelt und nahmen 2,8-Mal so viele Krankenhaus-Leistungstage in Anspruch (BKK, 2009). Die BKK-versicherten arbeitslosen Männer wurden mit 248 Krankenhausfällen je 1.000 Versicherte häufiger stationär behandelt als die BKK-
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versicherten arbeitslosen Frauen mit 227 Krankenhausfällen je 1.000 Versicherte. BKK-versicherte Arbeitslose hatten in allen großen Krankheitshauptdiagnosegruppen mehr Krankenhausfälle je 1.000 Versicherte als die anderen Versichertengruppen der BKK. Häufigste Ursache für einen Krankenhausaufenthalt von Arbeitslosen waren die psychischen und Verhaltensstörungen. In dieser Krankheitsgruppe bestanden die größten Unterschiede im stationären Leistungsgeschehen zwischen Arbeitslosen und pflichtversicherten Beschäftigten, insbesondere bei Männern. BKK-versicherte arbeitslose Männer wurden im Durchschnitt sieben Mal häufiger als BKK-pflichtversicherte beschäftigte Männer wegen psychischen und Verhaltensstörungen stationär im Jahr 2008 behandelt. Die erhöhte Morbidität an psychischen Erkrankungen bei Arbeitslosen wird auch durch die (nicht pflanzlichen) Antidepressiva-Verordnungen verifiziert (TK, 2005, 2008; BKK, 2005, 2009). Im Vergleich zu den beschäftigten BKKPflichtmitgliedern wurde den BKK-versicherten Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2008 die ca. dreifache Menge von Psychopharmaka verordnet (BKK, 2009). 19 % der BKK-versicherten arbeitslosen Frauen und 13 % der BKKversicherten arbeitslosen Männer erhielten im Jahr 2008 mindestens eine Verordnung eines Psychopharmakons. Dabei stehen die Verordnungen von Antidepressiva im Vordergrund (bei 15 % der BKK-versicherten arbeitslosen Frauen und 12 % der BKK-versicherten arbeitslosen Männer). Seit 2004 hat sich die Verordnungsmenge von Antidepressiva je 1.000 BKK-versicherte Arbeitslose mehr als verdoppelt. Die TK-versicherten arbeitslosen Männer und Frauen wiesen ebenfalls im Jahresdurchschnitt 2007 und 2008 eine deutliche höhere Zahl an Arztkontakten und mehr verschriebene Tagesdosen Arzneimittel als die TK-versicherten beschäftigten Männer und Frauen aus (TK, 2008, 2009). Der vergleichsweise ungünstigere Gesundheitszustand von Arbeitslosen kann zu einem erhöhten Mortalitätsrisiko führen. In Deutschland verdichteten sich in den letzten Jahren die Hinweise auf erhöhte Sterberisiken von Arbeitslosen nach Sekundäranalysen sowohl von Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung (Schach et al., 1994; Grobe & Schwartz, 2003; Grobe, 2006;) als auch der Gesetzlichen Rentenversicherung (Scholz & Schulz, 2007) sowie des SOEPPanels (Doblhammer, Muth & Kruse, 2008). Ein höheres Risiko für vorzeitige Mortalität von Arbeitslosen wird in der internationalen Forschung schon seit längerem beobachtet (Morris et al., 1994; Martikainen & Valkonen, 1996; Kasl & Jones, 2002; Voss et al., 2004; Lenthe et al., 2005; Blomgren & Valkonen, 2007; Jagger et al., 2008; Rogge & Kieselbach, 2010; u.a.).
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Außerdem werden Wirtschaftsrezession und Arbeitslosigkeit mit einer höheren Suizidrate, mehr Suizidversuche und -gedanken in Zusammenhang gebracht (Durkheim, 1951; Brenner, 1973, 2006; Dooley & Catalano, 1988; Fergusson, Horwood & Woodward, 2001; Claussen, 2006). Eine aktuelle empirische Studie zeigt für die 26 Länder der Europäischen Union, dass ein schnelles Anwachsen von Arbeitslosigkeit in Wirtschaftskrisen mit einer signifikanten Steigerung der Suizidraten assoziiert ist (Stuckler, Basu, Suhrcke, Coutts & McKee, 2009). Dabei sind die Effekte von Arbeitslosigkeit auf die Suizidraten in den Ländern, die nur wenig Geld in Programme der aktiven Arbeitsmarktpolitik investieren, größer. 2.1.2.3 Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit und Arbeitsmarktberichterstattung Nach der amtlichen Arbeitslosenstatistik wiesen 540.438 von 3.139.846 Arbeitslosen (17,2 %) gesundheitliche Einschränkungen im Jahresdurchschnitt 2009 auf. Der Anteil der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen überstieg im Rechtskreis des (steuerfinanzierten) SGB II 4 mit 17,6 % etwas den analogen Anteil von 16,6 % im Bereich des SGB III bei den Beziehern von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (BA, 2010, S. 158). Eine unterschiedliche Verteilung war auch schon früher zwischen Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfebeziehern (mit bedarfsgeprüften Einkommensersatzleistungen) zu beobachten (Hollederer, 2002a). Die Gesundheitsinformationen sind nur zum Teil durch objektive medizinische Atteste validiert, sie geben aber dafür eine Einschätzung der professionellen Arbeitsvermittler und Berater auf ihre Vermittlungsrelevanz und mögliche Arbeitsmarktintegrationshemmnisse wieder. Im Arbeitslosenbestand befanden sich außerdem 5,0 % schwerbehinderte oder Schwerbehinderten gleichgestellte Arbeitslose im Jahresdurchschnitt 2009 (BA, 2010). Die Arbeitslosenstatistik dokumentiert überdies bei Arbeitslosen mit vermittlungsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen ein überdurchschnittliches Risiko für Langzeitarbeitslosigkeit und eine geringere Abgangsquote durch Arbeitsaufnahme (BA, 2010). Multivariate Analysen bestätigen, dass sich ge4 Das SGB II bildet die gesetzliche Grundlage zur „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ bzw. „Arbeitslosengeld II“ seit dem 1.1.2005. Durch das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“) wurden die staatlichen Fürsorgesysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer einheitlichen Leistung zusammengebracht. Die vorgeschriebenen Aufgaben werden nun in geteilter Trägerschaft durch die Agenturen für Arbeit sowie die kreisfreien Städte und Landkreise erbracht.
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sundheitliche Einschränkungen bei einem großen Teil von Arbeitslosen als eigenständiger hemmender Faktor bei der Vermittlung auswirken können (Schettkat & Semmlinger, 1982; Brinkmann, 1982; Rudolph, 1998; Gilberg, Hess & Schröder, 2001; Cramer et al., 2002; Brixy, Gilberg, Hess & Schröder, 2002a, 2002b; Hollederer, 2003a; Dietz, Müller & Trappmann, 2009). Gesundheitliche Beeinträchtigungen wirken sich auch stark negativ aus bei Berechnungen der Übergangswahrscheinlichkeiten in den Arbeitsmarkt von ESF-geförderten beruflichen Weiterbildungsteilnehmern (Deeke, Cramer, Gilberg & Hess, 2009) und Teilnehmern von Qualifizierungsmaßnahmen während Kurzarbeit (Deeke & Ohlert, 2009). Gesundheitliche Einschränkungen gehen mit deutlich geringeren Suchaktivitäten einher, die nach einer internationalen Meta-Analyse von Kanfer, Wanberg & Kantrowitz (2001) in Verbindung mit der Arbeitsplatzfindung stehen. Kronauer und Vogel (1993) folgerten nach qualitativen Interviews, dass Langzeitarbeitslose „ihre Arbeitssuche in der Regel einstellen, um die wachsende und unerträgliche Diskrepanz zwischen ihren Hoffnungen auf eine Wiederbeschäftigung und den Signalen, die sie bei Bewerbungen erhalten und die alle gegen diese Hoffnungen sprechen, zu bewältigen“. In der Meta-Analyse von McKeeRyan, Song, Wanberg & Kinicki (2005) korrelierten innerhalb der Gruppe der Arbeitslosen Anstrengungen zur Arbeitsuche mit etwas niedrigerer psychischer Gesundheit. Auf der anderen Seite zeigen ausländische Erfahrungen, dass präventive Gruppenprogramme zur Arbeitsuche sowohl die Chancen auf Wiedereingliederung als auch die psychische Gesundheit verbessern können (Vuori & Silvonen, 2005). 2.1.3 Gesundheits- und Suchtverhalten von Arbeitslosen Der nächste Abschnitt zielt nun auf Unterschiede im Suchtverhalten zwischen den Erwerbsstatusgruppen ab, die möglicherweise zu den beobachteten Gesundheitsunterschieden beitragen. Das Gesundheits- und Suchtverhalten stellt in der Ätiologie von vielen Krankheitsgruppen bekanntermaßen einen gewichtigen Einflussfaktor dar. Nach dem Modell von Mielck könnte soziale Ungleichheit aber auch über die bestehenden Lebensverhältnisse das Gesundheitsverhalten prägen und sich dadurch indirekt auf den Gesundheitszustand auswirken (vgl. Abbildung 3).
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2.1.3.1 Arbeitslosigkeit und Sucht Die starke Verbreitung von Drogen stellt eine der größten gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen in Deutschland dar. Speziell zu den wechselseitigen Bezügen von Drogenkonsum und Arbeitslosigkeit gibt es eine Reihe von Forschungsansätzen (Hanisch, 1999; Henkel & Zemlin, 2008). So könnte der Missbrauch von Alkohol oder „harten“ Drogen bei Erwerbstätigen zum Arbeitsplatzverlust führen und eine weitere Aufrechterhaltung des Drogenkonsums während der Arbeitslosigkeit die Wiedereingliederungschancen reduzieren. Eine Alternativhypothese geht davon aus, dass mit der Arbeitslosigkeit die Wahrscheinlichkeit des Alkoholkonsums steigt. Ein Substanzmissbrauch bei Arbeitslosen könnte als Reaktion auf Depression und Ängste interpretiert werden (Brenner, 2006). Im Sinne des „Problemverhaltens“ (Jessor & Jessor, 1977) ist ein erhöhter Konsum von Drogen auch als Teil einer Coping-Strategie bzw. als Versuch zu verstehen, Probleme und Belastungssituationen zu bewältigen. Disstress durch Arbeitslosigkeit steht im Verdacht, Menschen zu einem epidemiologisch auffälligen Suchtverhalten wie Alkoholmissbrauch zu verleiten (Catalano, 1991). Gleichzeitig kann ein verstärkter Suchtmittelkonsum aber neue gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen und zu suchtbedingten Erkrankungen führen. Arbeitslosigkeit gilt umkehrt als eines der größten Probleme bei der gesellschaftlichen (Re-)Integration vormals Alkohol- und Drogenabhängiger. Deshalb kann die frühzeitige berufliche Integration von Suchtkranken in hohem Maße zur Sicherung des Therapieerfolges beitragen. Sie ist ein Ziel bereits in der medizinischen Rehabilitation (Weissinger, 2008). Bisher liegen in Deutschland nur wenige Daten über Suchterkrankungen von Arbeitslosen vor, da Arbeitslose in relevanten nationalen Statistiken wie der Krankheitsartenstatistik nicht extra ausgewiesen und Suchterkrankungen in der amtlichen Arbeitslosenstatistik unter gesundheitlichen Einschränkungen subsummiert werden (siehe auch Kap. 2.1.2). Eine Vielzahl von nationalen wie internationalen Studien bestätigen aber bei Arbeitslosen höhere Prävalenzraten riskanter Alkohol- und Drogenkonsummuster im Vergleich zu Beschäftigten (Überblick Henkel, 2008). In den Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit sind ebenfalls besonders häufig psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen wie Alkohol vor allem bei Männern attestiert worden (Hollederer, 2008b). Im repräsentativen Bundesgesundheitssurvey 1998 (Grobe & Schwartz, 2003) und im telefonischen Gesundheitssurvey 2003 (Lampert & Ziese, 2005) war der Alkoholkonsum von Arbeitslosen jedoch nicht höher als der von Erwerbstätigen.
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Eine Studie bei Versicherten der Kaufmännischen Krankenkasse (2006) legt dagegen offen, dass arbeitslose Männer zwanzigfach häufiger als berufstätige Männer sowie arbeitslose Frauen neunfach häufiger als berufstätige Frauen von Alkoholproblemen betroffen sind. Die überproportional hohen Raten an Suchterkrankungen von Arbeitslosen werden auch durch die Statistiken der ambulanten und stationären Suchtkrankenhilfe bestätigt (Henkel, 2008). 42 % der Alkoholklienten und 60 % der Opiatklienten, die in ambulanten Einrichtungen im Jahr 2007 betreut wurden, waren nach der deutschen Suchthilfestatistik vorher arbeitslos (Pfeiffer-Gerschel et al., 2008). In wissenschaftlichen Untersuchungen mit mehreren Messzeitpunkten konnte meistens kein Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und einer zunehmenden Rate von Alkoholkonsumenten festgestellt werden. Bei schon vorhandenen Konsummustern wurde bei Arbeitslosen in einzelnen Studien eine Intensivierung der Alkoholaufnahme beobachtet (Henkel, 1992; Dauer, 1999; Virtanen et al., 2008). Ansonsten zeigen bisherige Längsschnittstudien, dass die meisten Arbeitslosen ihre Alkoholkonsummuster in Arbeitslosigkeit kaum verändern (vgl. Henkel, 2008). 2.1.3.2 Rauchverhalten von Arbeitslosen Das Rauchen ist im Vergleich zur Alkohol- oder Opiatabhängigkeit ein bisher wenig beachtetes Gesundheitsproblem bei Arbeitslosen. Die WHO hat aufgrund des Abhängigkeitspotentials das Tabakrauchen nach dem ICD-10 als Suchtkrankheit eingestuft. Viele theoretische Erklärungsansätze zum Rauchbeginn berücksichtigen, dass das Tabakrauchen einem schrittweisen Entwicklungsprozess unterliegt, dessen Verlaufsform insbesondere von Motiven und Erwartungen abhängig ist (Russel, 1974; Flay, 1993; Fuchs & Schwarzer, 1996; Mayhew, Flay & Mott, 2000; u.a.). Für die langfristige Aufrechterhaltung des Tabakkonsums wird vor allem die Nikotinabhängigkeit neben psychologischen, habituellen und genetischen Einflussfaktoren verantwortlich gemacht (Tonnesen, 2009). Es gibt aber nur wenige belastbare Erklärungsmodelle für die auffällig hohen Tabakprävalenzraten von Arbeitslosen. Eine Reihe von epidemiologischen Studien zeigt enge Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und einer erhöhter Prävalenz des Tabakrauchens (vgl. Kurella, 1992; Henkel, 2008). Die wichtigste Datenquelle zum Tabakkonsum von Erwerbslosen ist in Deutschland der Mikrozensus. Die Fragen zu den Rauchgewohnheiten wurden wiederholt mit dem Zusatzfragenteil zur Gesundheit
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gestellt. Erwerbslose rauchten demnach über alle Altersgruppen hinweg wesentlich häufiger und intensiver als Erwerbstätige und Nichterwerbspersonen. In den jüngeren Altersgruppen ist der Unterschied besonders bedeutend. Das ergeben die Auswertungen der Mikrozensus-Befragungen der Jahre 1989 (Brückner, 1991), 1995 (Helmert, 1999, 2003), 1999 (Dittrich, 2001) und 2003 (StaBu, 2004). Auch der Mikrozensus 2005 belegt nach ersten Auswertungen des Statistischen Bundesamtes die besonders hohen Tabakprävalenzen bei Erwerbslosen (StaBu, 2006b). Diese Hauptergebnisse sind kongruent mit vergleichenden Untersuchungen im 1. Nationalen Gesundheitssurvey (Bormann, 1992) und dem telefonischen Gesundheitssurvey 2003 (Lampert & Burger, 2005). Mit Daten des Gesundheitssurveys 1990-1992 konnte demonstriert werden, dass die Raucherprävalenz bei Kumulation von Armut und Arbeitslosigkeit höher ist als in den Personengruppen mit nur einem dieser beiden Merkmale (Helmert & Maschewsky-Schneider, 1998). Beim Bundesgesundheitssurvey 1998 ermittelte Bormann (2006) ebenfalls deutlich erhöhte Raucherprävalenzen für arbeitslose Männer und Frauen im Vergleich zu Erwerbstätigen. Dagegen fanden Rose und Jacobi (2006) in ihrer Zusatzauswertung des Bundesgesundheitssurveys 1998 nach Adjustierung von Alter und Schicht keine signifikanten Assoziationen mehr. Eine höhere Raucherprävalenz unter Arbeitslosen im Vergleich zu Beschäftigten bedeutet nicht per se, dass vermehrter Tabakkonsum kausal auf die Arbeitslosigkeit zurückzuführen ist. Rauchen wird häufig in der Kindes- und Jugendzeit begonnen und dann in den späteren Lebensphasen aufrechterhalten (BZgA, 2006). Mehrere Untersuchungen erkannten einen Zusammenhang von Rauchbeginn im Kindes- und Jugendalter und niedrigem sozioökonomischen Status (Semmer et al., 1991; Conrad, Flay & Hill, 1992). Die Kinder- und Jugendgesundheitsstudie KIGGS zeigt für Deutschland, dass in der Hauptschule Jungen fast fünfmal und Mädchen dreimal häufiger rauchen als die gleichaltrigen Jungen und Mädchen am Gymnasium (Lampert & Thamm, 2007). Eine niedrigere allgemeine Schulbildung erhöht das Risiko für Arbeitslosigkeit, so dass sich dadurch ein höherer Anteil rauchender Arbeitsloser erklären lässt. Auf Selektionseffekte weisen auch englische Studien hin. Die „Britische regionale Herzstudie“ ergibt bei einer Kohortenstudie, dass Arbeitslose im Vergleich zu Beschäftigten mehr rauchen, weil sie vor dem Arbeitsplatzverlust schon stärker rauchten (Morris, Cook & Shaper, 1992). In einer finnischen Kohortenstudie mit 10.000 Befragten konnte keine Assoziation zwischen Rauchverhalten und Wechsel im Erwerbsstatus in einem Fünfjahreszeitraum gefunden werden (Virtanen et al., 2008). Helmert (1999, 2003) macht darauf aufmerksam, dass die höhere Rückfallquote von Arbeitslosen bei Aufgabe des Tabakkonsums zu den beobachten Un-
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terschieden beiträgt. Im Mikrozensus 1995 lag der Anteil der Ex-Raucher an allen bisher Rauchenden bei Beziehern von Arbeitslosenunterstützung deutlich unter dem Durchschnitt (Helmert, 1999, 2003). In einer englischen Längsschnittstudie, die den Werdegang einer Geburtskohorte von 1958 begleitete, beendeten Männer, die wenig Arbeitslosigkeit erfuhren, das Rauchen in höherem Maße (Montgomery, Cook, Bartley & Wadsworth, 1998). Die unterschiedlichen Tabakprävalenzen zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten verstärken jedenfalls in der Konsequenz die gesundheitliche Ungleichheit. Tabakrauchen gilt als der wichtigste Einzelfaktor für verhütbare Morbidität und vorzeitige Mortalität. Es ist ein Hauptrisikofaktor für die drei häufigsten Todesursachen von Menschen, nämlich für kardiovaskuläre Erkrankungen, Krebserkrankungen und Atemwegserkrankungen (vgl. Überblicksarbeiten Meltzer, 1994; Clancy, 2009 u.a.). Die Abhängigkeit vom Zigarettenrauchen ist nicht nur die häufigste allgemeine Form von Drogenabhängigkeit, sie ist auch die, die mehr Tod und Krankheit verursacht als alle anderen zusammen (USDHHS, 1994). Das erhöhte Mortalitätsrisiko von Rauchern nimmt mit der Dauer des Tabakkonsums weiter zu. Frühere Studien zeigen, dass die Todesraten für Raucher im Alter von 35-69 Jahren dreimal höher als bei Nichtrauchern sind (WHO, 1997). Die Tabakabhängigkeit birgt aber nicht nur ein größeres Risiko von Krankheiten, sondern entzieht – wie auch andere Suchtabhängigkeiten - den Konsumenten durch die Beschaffungskosten erhebliche finanzielle Ressourcen. Es führt damit gerade für die unteren Einkommensschichten und die arbeitslosen Bezieher von Transferleistungen zu zusätzlichen massiven Belastungen. Die Aufrechterhaltung des Tabakkonsums in Arbeitslosigkeit verstärkt die Verarmungsprozesse. 2.1.3.3 Inanspruchnahme von Maßnahmen der Primärprävention nach § 20 SGB V Das Krankenkassenaufgabengesetz schreibt für die Primärprävention nach § 20 Abs. 1 SGB V vor, dass die Krankenkassen „Leistungen erbringen sollen, die den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und zugleich einen Beitrag leisten zur Verringerung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen“. Wie in den vorherigen Kapiteln ausgeführt, haben Arbeitslose im Vergleich zu Beschäftigten ein stark erhöhtes Morbiditätsrisiko und nehmen mehr Leistungen in der Krankenversorgung in Anspruch. Gleichzeitig nutzen sie aber in geringerem Ausmaß präventive Angebote der gesetzlichen Krankenversicherung.
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Über den Erreichungsgrad der Arbeitslosen durch Maßnahmen der Primärprävention nach § 20 SGB V gibt es nur spärliche Informationen. In der routinemäßigen Leistungsdokumentation der Krankenkassen fehlen bedauerlicherweise die sozioökonomischen Daten der Kursteilnehmer und Zielgruppen wie nach Erwerbsstatus, Einkommen oder Bezug von öffentlichen Leistungen (MDS, 2007). Eine publizierte Gegenüberstellung von Kursteilnahmequoten von BKKVersicherten zeigt auf, dass die Kurse nach § 20 SGB V generell von Männern wenig in Anspruch genommen werden und dass Arbeitslose sowohl bei Männern als auch bei Frauen ganz erheblich unterrepräsentiert sind (vgl. RKI, 2006, S. 132). Es besteht also eine große Diskrepanz zwischen dem Bedarf an Präventions- und Gesundheitsförderungsleistungen und der tatsächlichen Inanspruchnahme. Befragungen von Arbeitslosen belegen indessen prinzipielles Interesse an gesundheitsfördernden Angeboten wie zur Bewegung oder Stressbewältigung sowie vorhandene Motivation zur Teilnahme (Wobbe & Burkard, 2006). Ein Hindernisgrund zur Teilnahme ist häufig im Geldmangel für die Zuzahlung und Vorauslage begründet. Im Sinne der Bedarfsgerechtigkeit sind daher neue Ansprachestrategien und großzügige Abrechnungsmodalitäten für die Angebote der Prävention und Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen zu entwickeln. Kirschner (2009) macht auf die Notwendigkeit der Bedarfs- und Angebotsorientierung solcher Maßnahmen für diese Zielgruppe aufmerksam. 2.1.3.4 Zusammenfassung von Kapitel 2.1 Die Gesamtschau aller relevanten deutschen Statistiken, Auswertungen der Sozialversicherungsdaten sowie Ergebnisse von entsprechenden Repräsentativerhebungen ergeben trotz unterschiedlicher empirischer Zugänge eine übereinstimmende Befundlage: Arbeitslose weisen einen deutlich schlechteren Gesundheitszustand im Vergleich zu Beschäftigten auf. Das Morbiditätsrisiko von Arbeitslosen ist im Vergleich zu Beschäftigten vor allem im Bereich der psychischen Erkrankungen deutlich erhöht. Es steigt mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit stark an. Beeinträchtigungen des psychischen Befindens von Arbeitslosen wurden in der Forschung anhand verschiedener Indikatoren verifiziert, darunter Depressionssymptome, Angstsymptome, subjektives Wohlbefinden, Selbstwertgefühl und unspezifische psychische Beanspruchungssymptome. Nach der GKV-Statistik dauern die Arbeitsunfähigkeitsfälle von Arbeitslosen durchschnittlich mehr Tage je Fall an als bei den Beschäftigten. Wie die Gesundheitsberichte einzelner Krankenkassen dokumentieren, werden von Arbeitslosen mehr Leistungen der stationären Kranken-
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versorgung im Verhältnis zu Beschäftigten in Anspruch genommen und Arbeitslose erhalten in höherem Maße Antidepressiva verordnet. Für Arbeitslose besteht ein gesteigertes Risiko für vorzeitige Mortalität. Verglichen mit Beschäftigten ist bei Arbeitslosen aber nicht nur ein schlechterer Gesundheitszustand, sondern auch ein ungünstigeres Gesundheits- und Suchtverhalten zu konstatieren. Gleichzeitig ist die Inanspruchnahme von Leistungen der Früherkennung, Prävention und Gesundheitsförderung geringer. Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen haben im Durchschnitt deutlich schlechtere Wiedereingliederungschancen auf dem Arbeitsmarkt. Multivariate Studien identifizieren gesundheitliche Einschränkungen von Arbeitslosen als ein eigenständiges Hindernis bei der Arbeitsvermittlung und Arbeitsuche. 2.2 Gesundheitsbezogene Interventionsansätze bei Arbeitslosen in Deutschland Die empirischen Ergebnisse über die Gesundheitszustände von Arbeitslosen erhärten die theoretischen Überlegungen in Kap. 1 über die Gesundheitsbelastungen durch Arbeitslosigkeit, auch wenn die Komplexität des Problems durch die medizinischen Erhebungszwecke und Messmethoden meist stark reduziert wird. Die Befundlage und die Theorien über die Wechselwirkungen von Gesundheit und Arbeitslosigkeit zeigen insgesamt einen hohen Bedarf an spezifischen Ansätzen der Prävention und Gesundheitsförderung auf. Hammarström und Janlert (2005) bezeichneten den Ausbau der internationalen Interventionsforschung bei Arbeitslosen als „Herausforderung für Public Health“. Sie ist auch in Deutschland noch unterentwickelt (vgl. Hollederer & Brand, 2006; u.a.). In den nachfolgenden Abschnitten wird der aktuelle Stand gesundheitsbezogener Interventionsansätze bei Arbeitslosen in Deutschland beschrieben. Nach wichtigen Begriffsbestimmungen werden folgende drei Interventionsbereiche vorgestellt:
Maßnahmen der Beschäftigungsförderung und psychosoziale Trainings Beschäftigungsorientierte Fallmanagementkonzepte mit Gesundheitsbezug Projekte der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung.
2.2.1 Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung Das Wort Prävention hat seinen Ursprung im lateinischen Verb „prä-venire“ und bedeutet übersetzt „zuvor-kommen“. Der Präventionsbegriff findet sowohl Ver-
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wendung in der Beschäftigungsförderung und den SGB II/III im Sinne von Vermeidung von Arbeitslosigkeit) als auch im Bereich Krankheitsverhütung. Die Vorbeugung von Krankheiten wird üblicherweise in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention eingeteilt. Diese Kategorisierung und die damit verbundenen Strategien beschreibt Hurrelmann (2000) folgendermaßen: 1.
2.
3.
Primäre Prävention richtet sich darauf, im Vorfeld einer Krankheitsentwicklung die Widerstandskräfte zu stärken, das Auftreten einer Krankheit möglichst ganz zu vermeiden oder doch zumindest die Verbreitung einer Krankheit so niedrig wie möglich zu halten. Sekundäre Prävention richtet sich darauf, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß der Ausbreitung und die der Dauer einer Krankheit zu reduzieren. Sie spricht in erster Linie Menschen an, die bereits eindeutige Anzeichen einer Krankheit zeigen, zum Beispiel Herzrhythmusstörungen oder Atemprobleme. Tertiäre Prävention richtet sich darauf, die Schwere einer Krankheit und ihre Verschlimmerung (Funktionseinschränkungen, Begleiterkrankungen) zu reduzieren. Sie ist auf Menschen gerichtet, die bereits an einer Krankheit in einem vorgerückten Stadium leiden.
Übertragen auf den Suchtbereich entsprechen der primären Prävention z.B. die Verhütung des Rauchens bei noch nicht Rauchenden und der sekundären Prävention z.B. die Tabakentwöhnung und Aufrechterhaltung der Abstinenz bei Rauchern (Schwarzer, 1996). Die Gesundheitsförderung zielt dagegen laut der Ottawa-Charta der WHO (1986) auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Gesundheit wird als prozesshaftes Geschehen beschrieben, das „geschaffen und gelebt“ wird, wo die Menschen „spielen, lernen, arbeiten und lieben“. Gesundheit entsteht nach der Ottawa-Charta dadurch, dass man sich um sich selbst und für andere sorgt, dass man in die Lage versetzt ist, selber Entscheidungen zu fällen und eine Kontrolle über die eigenen Lebensumstände auszuüben sowie dadurch, dass die Gesellschaft, in der man lebt, Bedingungen herstellt, die all ihren Bürgern Gesundheit ermöglichen. Die Gesundheitsförderung unterstützt die Entwicklung von Persönlichkeit und sozialen Fähigkeiten durch Information, gesundheitsbezogene Bildung sowie die Verbesserung sozialer Kompetenzen und lebenspraktischer Fertigkeiten. Die Ottawa-Charta unterstreicht die integrierte Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für Gesundheit. Als Handlungsstrategie für Gesundheitsförderung formuliert die Ottawa-Charta die Anwaltschaft für Gesundheit („Interessen vertreten“), Kompetenz-
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förderung („befähigen“) und vernetzen. Prioritäre Handlungsfelder sind die Entwicklung persönlicher Kompetenzen, die Unterstützung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen, die Neuorientierung der Gesundheitsdienste, die Schaffung gesundheitsfördernder Lebenswelten und die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik. Die Gesundheitsförderung fokussiert in der Praxis sehr häufig sozial benachteiligte und vulnerable Gruppen (Naidoo & Wills, 2000). In den wissenschaftlichen Diskussionen werden die Begrifflichkeiten nicht einheitlich benutzt. In der Praxis werden die Bezeichnungen Gesundheitsförderung und Prävention häufig sogar synonym verwendet. Solche Unschärfen sind auch bei der Verwendung des Begriffs „arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung“ anzutreffen. Bisherige Präventionsstrategien für Arbeitslose gehen in den Zieldefinitionen i.d.R. über die übliche Krankheitsverhütung oder Erhöhung allgemeiner Gesundheitsressourcen hinaus, da sie den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Beschäftigungsfähigkeit fokussieren und häufig sogar die Arbeitsmarktintegration direkt anstreben. Diese Besonderheit der Arbeitsmarktorientierung manifestiert sich in dem Sammelbegriff „arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung“. Der Ansatz kombiniert vor allem Maßnahmen der Gesundheitsförderung mit der Arbeitsförderung. In der Praxis kommen bisher vorwiegend verhaltens- und selten verhältnisorientierte Maßnahmen zur Anwendung. In den Umsetzungsstrategien der Gesundheitsförderung ist zu beachten, dass die Maßnahmen nicht an der Arbeitslosigkeit selbst, sondern nur an den mittelbaren Ursachen und Moderatorvariablen ansetzen können. Sie wirken damit sozialkompensatorisch. Für den langfristigen Erfolg der Präventionsmaßnahme ist es notwendig, die Veränderungen im Lebensalltag von Arbeitslosen abzusichern, da bei Menschen mit formaler Geringqualifikation mit größerer Wahrscheinlichkeit Probleme in der Adaption des Gelernten auftreten (Rosenbrock & Grimmeisen, 2009; Rosenbrock, 2004). Bei den präventiven Strategien für Arbeitslose bestehen aus Sicht des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen (SVR) im Gutachten 2007 daher u.a. folgende besondere Herausforderungen: 1. 2. 3.
die Verzahnung von Prävention und Gesundheitsförderung mit Maßnahmen der Arbeitsförderung, die Verknüpfung von Maßnahmen der Primärprävention mit der Sekundärund Tertiärprävention, eine bedarfsgerechte Ausdifferenzierung der Präventionsangebote auf die unterschiedlichen Arbeitslosengruppen,
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4. 5.
Konzeptentwicklung bei lückenhafter Datenlage zur Wirksamkeit der Programme im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention bei Arbeitslosen, schlechte Erreichbarkeit der Zielgruppen sowie die schlechte Annahme bzw. Akzeptanz. (SVR, 2007, S. 668-669)
Allerdings muss laut Sachverständigenrat jede Präventionsstrategie „berücksichtigen, dass die gesundheitlichen Probleme von Arbeitslosen in erster Linie durch die Verringerung von Arbeitslosigkeit bzw. durch die Verringerung der Dauer von Arbeitslosigkeit gelöst werden können“ (SVR 2007, S. 667). Ist eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt z.B. aus Mangel an offenen Stellen (noch) nicht möglich, stellt sich zunächst die Frage nach geeigneten Förderinstrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik und – aus Public Health-Perspektive – ihrer Wirkung auf die Gesundheit der Zielgruppe. In den nächsten beiden Abschnitten werden daher die regulären Maßnahmen der Beschäftigungsförderung und das beschäftigungsorientierte Fallmanagement erörtert, bevor im letzten Abschnitt der Stand der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderungsprojekte präsentiert wird. 2.2.2 Maßnahmen der Beschäftigungsförderung und psychosoziale Trainingsmaßnahmen Über die Auswirkungen regulärer Eingliederungsmaßnahmen auf die psychische Gesundheit von Arbeitsuchenden liegen nur wenige wissenschaftliche Studien vor. International werden die Wirkungen von Arbeitsmarktprogrammen auf das psychische Wohlbefinden von Arbeitslosen in der Literatur als sehr begrenzt beschrieben (Winefield & Carson, 2006). In Deutschland wurde bei verschiedenen Regelförderungsinstrumenten der aktiven Arbeitsmarktpolitik ein positiver Einfluss auf die psychische Gesundheit untersucht und dann auch festgestellt. Der Effekt hielt aber generell meist nur kurz an oder erzielte lediglich kleine Wirkgrößen, wie die folgenden Studien zeigen:
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Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM): In einer kleineren Erhebung bei ABM-Beschäftigten berichtete die Hälfte der Befragten einen positiven Einfluss auf ihre Gesundheit durch diese Maßnahme (Swart & Mächler, 2000). Programm Jump: Die Evaluation des deutschlandweiten Sofortprogramms zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit (Jump) ergab zumindest für die
westdeutschen Teilnehmer ein Jahr nach der Maßnahme eine Stabilisierung oder den Erhalt der seelischen Gesundheit (Behle, 2006). TAURIS-Projekt: Kurzzeitige Effekte auf Wohlbefinden und Kohärenzgefühl sowie eine Abnahme von Depression wurden auch bei gemeinnützigen Aufgaben im TAURIS-Projekt auf einem beachtlichen Niveau beobachtet (Richter & Nitsche, 2002), die aber ebenfalls nicht langfristig aufrecht erhalten werden konnten. Das TAURIS-Projekt demonstrierte außerdem, dass gemeinnützige Aufgabenwahrnehmung den Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt erleichtern kann. „Pilotprojekt Werkstatt 90“: Bei der Begleitevaluation einer Reintegrationsmaßnahme mit u.a. sozialpädagogischer Betreuung wurde ebenfalls eine psychische Stabilisierung während der Maßnahme wahrgenommen (Kieselbach, Klink, Scharf & Schulz, 1998).
Diese Ergebnisse lassen durchaus einen Impact der allgemeinen aktiven Arbeitsmarktpolitik auf die Gesundheit von Arbeitslosen in Deutschland annehmen und können auch theoretisch erklärt werden, wenn die Maßnahmen z.B. latent psychischen Deprivationsprozessen entgegen wirken. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf! Gesundheitsindikatoren werden bisher zu selten als OutcomeVariablen in der etablierten Evaluationsforschung von Arbeitsmarktprogrammen aufgenommen. Otto und Mohr (2009) kommen in einer vergleichenden Überblicksarbeit zu dem Ergebnis, dass die Teilnahme an eigens konzipierten Interventionsprogrammen zur Förderung der psychosozialen Gesundheit von Langzeiterwerbslosen sowohl die Wiedervermittlungsquote als auch die psychische Gesundheit der Teilnehmer verbessert. Paul und Moser (2009a, 2009b) belegen ebenfalls metaanalytisch in einer Moderationsanalyse, dass sich Interventionsmaßnahmen für Arbeitslose auf die psychische Gesundheit positiv auswirken. Bei Längsschnittstudien mit Interventionen erwiesen sich die erfassten Parameter für psychische Gesundheit im Sample als hochsignifikant besser wie in Studien ohne Interventionen. Die Effektivität solcher psychologischen Interventionsansätze ist damit als evident zu bezeichnen. In beiden Studien erweisen sich die positiven Effekte der Interventionen aber als zeitlich nicht stabil, so dass vor allem bei den Effektgrößen und der Nachhaltigkeit Entwicklungsbedarf besteht. International werden vor allem drei Typen von Interventionen bei Arbeitslosen ausgemacht, nämlich Stress Management, „Job Club“-Interventionen und berufsbezogene Interventionen wie Bewerbungstrainings (Hanisch, 1999). Mohr (2009) unterscheidet die Angebote weiter in „selbstregulative Maßnahmen“, bei denen sich Arbeitslose wie in den Job Clubs gegenseitig unterstützen, und Maß-
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nahmen mit externen Trainern. Die Maßnahmendauern und Zielgruppen sind in der bisherigen Praxis sehr heterogen. Jones (1991) schlägt einen Mix an sequenziellen Interventionen und Dienstleistungen für Arbeitslose vor, die parallel zu den Zeiten, in denen entsprechende Symptome im Verlauf der Arbeitslosigkeit entwickelt werden, angeboten werden sollten: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Informations- und Wissensvermittlung sowie Aspekte der Jobsuche Gruppenarbeit bei sechs Monaten Arbeitslosigkeit mehr individualisierte Dienstleistungen wie Beratung, insbesondere um Stellensuche aufrechtzuerhalten Unterschiede von „konstruktiver“ und „resignativer“ Anpassung in Bezug auf Zeitstruktur, Aktivitäten, Selbstwertgefühl etc. Selbsthilfestrategien in Gruppen weitere spezifische Arbeitshilfen für vulnerable Gruppen usw.
Bisherige größere Programme wie „The Michigan JOBS Program“ (Price & Vinokur, 1995) sind meist multimodal angelegt und integrieren neben Bewerbungstrainings verschiedene Elemente des sozialen Lernens z.B. auf Basis der Theorie der Selbstwirksamkeit von Bandura (1992, 1995). Im Sinn von Bandura wird unter Selbstwirksamkeit (oder Kompetenzerwartung) die subjektive Gewissheit verstanden, Probleme und Aufgaben aufgrund eigener Handlungskompetenzen lösen zu können. Mohr (2009) betont, dass es bei Erwerbslosen „erste Aufgabe sein muss, deren psychische Stabilität zu sichern“, da depressive Personen sich in Bewerbungssituationen nicht positiv darstellen können. Gleichzeitig haben sie nicht die Ressourcen, um Misserfolgserlebnisse ohne Selbstwertschädigungen zu bewältigen. Mohr plädiert daher für Qualität statt Quantität in den Bewerbungsverfahren und ein Stressinokulationstraining zum Umgang mit Misserfolgen. Andere Ansätze wie der Selbsthilfe haben sich aus verschiedenen Gründen nur in relativ bescheidenem Umfang in Form von Arbeitsloseninitiativen oder –zentren etablieren können und weisen kaum explizite Gesundheitsbezüge auf. Sie sind eine Seltenheit in Deutschland geblieben (Rosenbrock, 1998). Bei ehrenamtlichen Arbeitsloseninitiativen braucht es einen hohen Selbstorganisationsgrad in einem gesellschaftlich schwierigen Umfeld, der gerade bei gefährdeten Arbeitslosen nicht vorausgesetzt werden kann. Bei Initiativen mit professioneller Betreuung ist vor allem die ungesicherte Finanzierung ein organisatorisches Hindernis für kontinuierliche und mengenmäßig relevante Beratungsangebote. Dabei böte die psychosoziale Beratung von Arbeitslosen generell gute
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Ansatzpunkte, sowohl in der Einzelberatung (Rogge, 2009a) als auch in stabilisierenden Gruppenangeboten (Kuhnert & Kastner, 2009). Große Bedeutung haben daher für Erwerbslose die Maßnahmenangebote der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Allerdings gibt es bei der routinemäßigen Zugangssteuerung in Maßnahmen in Deutschland offenbar eine Selektivität, die genau in die entgegengesetzte Richtung für Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen geht. Berhard, Wolff und Jozwiak (2006) wiesen für Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen im SGB II-Rechtskreis nach, dass diese im Februar 2005 eben nicht gezielt durch betriebliche und nichtbetriebliche Trainingsmaßnahmen sowie durch Beauftragungen Dritter mit Teilaufgaben oder der gesamten Vermittlung gefördert wurden. Die Arbeitslosen mit gesundheitlichen Einschränkungen hatten für diese vier Maßnahmenarten eine geringere Teilnahmewahrscheinlichkeit als vergleichbare Personen. Durch solche „Creaming“-Effekte in der Maßnahmenzuweisung, auf die im SGB IIRechtskreis kein Rechtsanspruch besteht, werden schwerer vermittelbare Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen systematisch benachteiligt. Völlig unerforscht sind außerdem noch etwaige Gesundheitsauswirkungen von allgemeinen Geschäftspolitiken und Fachverfahren der BA bzw. der ARGEn und kommunalen Träger, die unter den neuen Prinzipien von „Fordern und Fördern“ und Sanktionierungsmöglichkeiten im SGB II-Rechtskreis Prozesse der finanziellen und psychischen Deprivation gegebenenfalls beschleunigen oder abmildern können. 2.2.3 Fallmanagement für Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen Das beschäftigungsorientierte Fallmanagement könnte zukünftig zu Verbesserungen in der Zugangs- und Leistungssteuerung sowie der engeren Verzahnung von Maßnahmen der Beschäftigungs- und Gesundheitsförderung beitragen (Hollederer, 2006, 2007a, 2008b; Elkeles & Michel-Schwartze, 2009). Das Fallmanagement wird derzeit im System der Beschäftigungsförderung in Deutschland etabliert. Parallel wird es in vielen Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens schon länger praktiziert (vgl. Ewers & Schaeffer, 2000; u.a.). In Deutschland orientieren sich die bisherigen Fallmanagementkonzepte für den Arbeitsmarkt vor allem an der Begriffsbestimmung der Case Management Society of America (Deutscher Verein, 2004; MWA, 2002; MWA, 2004; Reis et al., 2003; u.a.). „Case management“ wird danach definiert als „a collaborative process of assessment, planning, facilitation and advocacy for options and services to meet an individual’s health needs through communication and available resources to promote quality cost-effective outcomes“ (unter www.cmsa.org, 2009). Der
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Deutsche Verein (2004) verortete auf dieser Grundlage das Fallmanagement in das Leistungsspektrum der Arbeitsförderung als Intervention zu Bearbeitung und Abbau von besonderen Vermittlungshemmnissen wie Alter, Behinderung, Krankheit, Schulden, Suchtproblemen und familiären Problemen. Das Fallmanagement stellt dabei in Anlehnung an den Case-Management-Regelkreis ein Kontinuum dar, bei dem folgende ineinander greifende Schritte eines Leistungsprozesses ablaufen: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Grundberatung Diagnose Zielvereinbarung Hilfeplanung Leistungssteuerung Monitoring und Evaluation.
In der deutschen Beschäftigungsförderung bedeutet die Einführung eines flächendeckenden Fallmanagements eine immense Herausforderung (Bartelheimer, 2005). Bisher gibt es nur geringe Erfahrungen zum Fallmanagement mit gesundheitsbezogenen Aspekten oder Suchtproblemen (Überblicke bei Elkeles & Kirschner, 2004; M.A.R.E., 2004; Hollederer & Brand, 2006; Toumi, 2006; Hollederer, 2009a). Die wenigen deutschen Dokumentationen stammen bisher vor allem von Modellprojekten aus größeren arbeitsmarktpolitischen Programmzusammenhängen wie MoZArT (BMWA, 2004; Knab, 2003a, 2003b) mit dem weiterentwickelten Kölner Projekt JobPromote (Seligmann & Schmitz, 2009), dem Netzwerk „Beschäftigungsförderung in Kommunen (BIK)“ (Hackenberg, 2003), dem FAIR-Vorhaben (Schiel et al., 2006) oder dem beruflich-sozialen Case Management in Baden-Württemberg (LAA Baden-Württemberg, 2002). Sie enthalten allerdings für den Bereich Gesundheit oder Suchtabhängigkeit kaum separat ausgewiesene Evaluationsergebnisse zur Implementierung oder Wirkung des Fallmanagements. Vor allem die Rehabilitation von suchtkranken Arbeitsuchenden erfordert eine sektorübergreifende Zusammenarbeit von Sozialversicherungsträgern und Kostenträgern (Toumi, 2005; Ackermann, 2005; Weissinger, 2005). Neue Schnittstellen entstanden in der Rehabilitation durch die Strukturveränderungen im SGB II-Rechtskreis. Wie Experteninterviews bei Fallmanagern und Vermittlern darlegen, führten sie verstärkt zu Komplikationen in den Rehabilitationsabläufen und mangelhaftem rehabilitationsspezifischen Fachwissen (Rauch, Dornette, Schubert & Behrens, 2008). Kurzfristige Effizienz in den Vermittlungsprozessen im SGB II steht häufig einer bedarfsgerechten dauerhaften Integration entgegen.
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Alles in allem sind die Konzepte in Deutschland zum Großteil noch in der Entwicklung oder gerade im Stadium der ersten Praxiserprobung. So wird im Essener Modellprojekt Support 25 seit 2007 auf Veranlassung von Fallmanagern eine Diagnosestellung für arbeitslose Jugendliche mit psychischen Auffälligkeiten vorgenommen und ggf. in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung vermittelt (Rosien, Reissner, Ehren & Hebebrand, 2009). Ziel ist die frühzeitige und bessere Zusammenarbeit des psychiatrischen Hilfesystems und der Beschäftigungsförderung. Ein besonders umfassender Projektansatz zum beschäftigungsorientierten Fallmanagement mit gesundheitsbezogener Ausrichtung wurde im Modellprojekt AmigA in Brandenburg in den Jahren 2005 bis 2008 erprobt (Braunmühl & Toumi, 2006; Toumi & Braunmühl, 2009; Kulbartz-Klatt, 2009). Die summative Evaluation ergab Verbesserungen der gesundheitlichen Situation bei über der Hälfte der Teilnehmer und eine passable Wiedereingliederungsquote (Kirschner, 2009). 2.2.4 Stand der Projekte zur arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung Bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen nach § 20 Abs. 1 SGB V besteht die Schwierigkeit, dass spezifische Ansätze für die Zielgruppe der Arbeitslosen in Deutschland bislang nur in wenigen Projekten konzipiert worden sind. Die Entwicklung von Modellen arbeitsmarktintegrativer Gesundheitsförderung befindet sich in einem relativ frühen Stadium und die Zahl wissenschaftlich evaluierter Praxisprojekte für Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen ist noch gering. Die Gründe liegen vor allem in der geringen personellen und finanziellen Ressourcenausstattung der Präventionsträger und der Unterfinanzierung der Interventionsforschung in diesem Handlungsfeld. Erste Überblicksarbeiten über Ansätze und Modellprojekte zur arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung von Arbeitslosen in Deutschland finden sich bei Kuhnert und Kastner (2002) sowie Elkeles und Kirschner (2004). Letztere fassen die Evaluationsergebnisse von insgesamt fünfzig vornehmlich in Deutschland durchgeführten Projekten zusammen. Kirschner und Elkeles (2006) bemängeln eine unzureichende Konzeptentwicklung und ein Defizit an evaluierten Modellprojekten. Ihre Expertisen zeigen auf, dass die bisherigen Interventionen nicht nur quantitativ, sondern auch in der Qualität mehrheitlich noch nicht ausreichend entwickelt waren. Das betraf alle Interventionsphasen: die theoretische Fundierung durch ein Wirkungsmodell, die Zielgruppendefinition und -auswahl, die Implementation und Programmdurchführung und vor allem die Evaluation. Kirschner (2009) beurteilt die Evidenz von Wirksamkeit und Wirt-
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schaftlichkeit der Gesundheitsförderungskurse für Arbeitslose insgesamt als „quantitativ und qualitativ sehr dürftig“. Als besondere Schwierigkeit hat sich in der Vergangenheit der Zugang zu den Arbeitslosen herausgestellt. Bei den „Setting-Ansätzen“ der Krankenkassen kommen Arbeitslose oft von vornherein nicht als Zielgruppe in Betracht, weil sie vor allem Betriebe, Kindergärten, Schulen und Einrichtungen der Altenhilfe favorisieren (vgl. Leitfaden Prävention von AOK et al., 2008). Damit schränken sich nicht nur die Zugangswege zu Arbeitslosen, sondern auch die Möglichkeiten der Verhältnisprävention stark ein. Die Angebotsstrukturen für Arbeitslose laufen i.d.R. daher auf sporadische verhaltensorientierte Einzelmaßnahmen hinaus, die aber kaum auf ihre Lebenswelt hin ausgerichtet sind. Eine für Arbeitslose noch wenig genützte Möglichkeit stellt die Gesundheitsförderung im Setting Kommune oder Stadtteil dar. Bei dem individuellen Ansatz und konventionellen Kursen zur Primärprävention gemäß § 20 SGB V wirkten die Gebühren und finanzielle Vorauslage für die gesamten Kursgebühren bei Personen mit geringem Einkommen eher abschreckend. Laut dem Leitfaden Prävention „können“ die Krankenkassen bei sozial benachteiligten Personen seit kurzem zwar „nach vorheriger Prüfung und Genehmigung der Maßnahme die Kosten – für die Versicherten vorleistungsfrei – ganz oder teilweise direkt übernehmen“ (AOK et al., 2008, S. 11). Dieses Zugeständnis wird aber in der bisherigen Praxis nur in wenigen Ausnahmefällen für Arbeitslose gewährt. Ein ganz neuer Zugang wird in den Modellprojekten „Job Fit Regional“ bzw. „JobFit NRW“ über die Settings der beruflichen Weiterbildung entwickelt, deren Träger die Gesundheitsförderungsmaßnahmen in ihr Bildungsangebot integrieren und Arbeitslose darüber niederschwellig ansprechen (Faryn-Wewel, Roesler, Schupp & Bellwinkel, 2009; Faryn-Wewel, Kempken, Kirschner & Roesler, 2009; Kuhnert & Kastner, 2006). Das Projekt führt das Kurssystem nach § 20 SGB V mit Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zusammen und schaltet gesundheitsmotivierende Einzelberatungen von Arbeitslosen vor. Neue gemeinwesenbezogene Ansätze erschließen weitere Zugangswege und integrieren Arbeitslose stärker in die Gesellschaft. Beispielgebende Projekte werden derzeit sowohl auf Länderebene wie beim Gesundheitszieleprozess des Landes Sachsen mit dem Projekt AktivA (Kramer & Mühlpfordt, 2009; Rothländer, 2009; Rothländer & Richter, 2009) als auch auf kommunaler Ebene wie beim Kommunalen Netzwerk für Arbeitsmarktintegration und Gesundheitsförderung in Frankfurt (Gawlik-Chmiel & Beck, 2009) entwickelt. Das Sonderprogramm Perspektive 50 Plus des Bundes ermöglicht im Rahmen regionaler Beschäftigungspakte den Aufbau kommunaler Netzwerke und die Entwicklung von Kooperationsprojekten auch zur Gesundheitsförderung von Arbeitslosen. Als ein
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elaboriertes Beispiel sind die Gesundheitsprojekte im Beschäftigungspakt Fifty Fit PLUS des Ennepe-Ruhr-Kreises zu nennen (Schulze, 2009). Konzeptionell adaptieren viele der Projektträger etablierte Gesundheitsförderungsansätze und passen sie auf die Zielgruppe der Arbeitslosen etwas an. Die Fachkonzepte leiten sich aber nur teilweise von den in Kap. 1 vorgestellten Theorien der Arbeitslosenforschung stringent ab. 2.2.5 Zusammenfassung von Kapitel 2.2 Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Arbeitslosigkeit und Gesundheit zeigen einen zielgruppenspezifischen Bedarf an Prävention und Gesundheitsförderung auf. Der Sammelbegriff „arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung“ impliziert, dass die Präventionsstrategien über konventionelle Ansätze hinausgehen, indem sie auf die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit oder Arbeitsmarktintegration abzielen. Die Effekte von regulären Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf das psychische Wohlbefinden von Arbeitslosen werden in der Literatur als eher klein und nicht nachhaltig beschrieben. Spezielle Interventionsprogramme zur Förderung der psychosozialen Gesundheit verbessern die Wiedervermittlungsquote als auch die psychische Gesundheit der Teilnehmer. Das beschäftigungsorientierte Fallmanagement mit Gesundheitsbezug stellt einen weiteren Handlungsansatz in der Arbeitsvermittlung dar, der zu einer besseren Steuerung und engeren Verzahnung von Maßnahmen der Gesundheitsförderung mit der Arbeitsförderung führen könnte. Die Ansätze zur „arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung“ sind aber aufgrund geringer Ressourcenausstattungen noch unterentwickelt, die Zahl wissenschaftlich evaluierter Praxisprojekte klein und die Evidenzbasierung gering. Mehrere innovative Projekte erproben derzeit neue Ansprachestrategien und Interventionsansätze.
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3 Zentrale Fragestellungen und Begriffsbestimmungen 3.1 Zentrale Fragestellungen
Wie in den vorherigen Kapiteln beschrieben, ist die empirische Datenlage über die Gesundheit von Arbeitslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen trotz der langjährigen Arbeitslosenforschung noch unbefriedigend in Deutschland. Mit Daten der repräsentativen Haushaltserhebung Mikrozensus 2005 eröffnet sich nun die Chance, Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen tiefergehend zu analysieren sowie Wechselbeziehungen von Gesundheit und Erwerbslosigkeit zu den folgenden Hauptfragestellungen zu klären. Das Fragenprogramm im Mikrozensus 2005 ist überwiegend querschnittsbezogen, erfasst aber auch einige Dynamiken z.B. durch die Erhebung des Erwerbsstatus im Vorjahr oder die Krankheitsdauer. 1. Struktur der Erwerbslosigkeit und Merkmalsunterschiede zwischen Erwerbslosen, Erwerbstätigen und Nichterwerbspersonen mit Gesundheitsrelevanz In vielen Vergleichsuntersuchungen zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen wird vernachlässigt, dass mit den „Nichterwerbspersonen“ noch eine weitere große Gruppe im erwerbsfähigen Alter besteht (siehe Tabelle 3). Je nach Statistik- und Erhebungskonzept fällt diese „Restgruppe“ unterschiedlich in ihrer Größe und Zusammensetzung aus. Das führt zu Implikationen auf die Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen. Es kommt verschärfend hinzu, dass die Gruppe der Nichterwerbspersonen eigentlich weiter in zwei Untergruppen, die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen und die sonstigen Nichterwerbspersonen, aufzuteilen ist. Über die arbeitsmarktnahe Gruppe der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen gibt es bisher nur sehr wenige Informationen (analog zur Gruppe der „nichtarbeitslos Arbeitsuchenden“ nach der BA-Statistikkonzeption), da sie von der Arbeitsmarkt- und Gesundheitsberichterstattung weitgehend negiert wird. In vielen Forschungsarbeiten ist ihre Fallzahl aufgrund der Stichprobenumfänge zu marginal für systematische Auswertungen. Aus der Gesundheitsperspektive sind die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen aber von besonders großem Interesse, da länger andauernde Arbeitsunfä-
102 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
higkeit bzw. Krankheit statistisch zur Ausbuchung aus dem Erwerbslosenbestand und zur Zuordnung zu den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen führen kann. Im Gegensatz zu allen anderen repräsentativen Erhebungen in Deutschland bietet der Mikrozensus eine ausreichende Stichprobengröße, um die Strukturen dieser zahlenmäßig kleinen, aber relevanten Gruppe zu beschreiben. Die Erwerbslosigkeitsrisiken sind wie die Gesundheitsrisiken sozial ungleich verteilt. Gesundheitsunterschiede zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen könnten deshalb auch auf verschiedene Zusammensetzungen der Erwerbsstatusgruppen zurückzuführen sein. Nötig ist daher eine Gegenüberstellung der Erwerbsstatusgruppen nach soziodemografischen Merkmalen, Schul- und Berufsausbildung und sozioökonomischen Variablen, die die Gesundheitsvergleiche möglicherweise konfundieren. 2. Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen Von zentraler Bedeutung sind die Zusammenhänge von Erwerbsstatus (Erwerbstätige, Erwerbslose, arbeitsuchende und sonstige Nichterwerbspersonen) und folgenden Gesundheitsvariablen:
Amtlich anerkannte (Schwer-)Behinderung und Behinderungsgrad Krankheit und Unfallverletzung Dauer der Krankheit bzw. Unfallverletzung Inanspruchnahme ambulanter oder stationärer Behandlung.
Nachdem sowohl die Krankheitsinzidenz als auch die Erwerbslosigkeit starken saisonalen Schwankungen im Jahresverlauf unterliegen, ergibt die im Jahr 2005 eingeführte unterjährige Erhebungsform des Mikrozensus eine besonders valide Auskunft über die Assoziationen von Erwerbslosigkeit und Gesundheit im Jahresdurchschnitt. Die unterjährige kontinuierliche Erhebung ist ein Alleinstellungsmerkmal des Mikrozensus unter den repräsentativen Befragungen und Gesundheitssurveys in Deutschland und kann daher zu neuen Erkenntnissen führen. Für die Gesundheitsvergleiche der Erwerbslosen bzw. arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen mit den Erwerbstätigen bietet die Tabelle 1, die eine Übersicht über die Einflussfaktoren auf die Gesundheit bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit beinhaltet, einen theoriegeleiteten Orientierungsrahmen zur Auswahl einzubeziehender Drittvariablen. Der Mikrozensus hält zur Testung von gesundheitsbezogenen Unterschiedshypothesen ein breites Set an entsprechenden Variablen in hochgradiger fachlicher Ausdifferenzierung vor. Konkret stellt sich die Frage, ob sich der Gesundheitszustand der Erwerbslosen bzw. arbeitsu-
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chenden Nichterwerbspersonen im Verhältnis zu den Erwerbstätigen nach folgenden Merkmals- und Gruppenzugehörigkeiten unterscheidet:
Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund Allgemeine Schulbildung, Berufsausbildung, Stellung im Beruf und Berufsklassen Haushaltsstrukturen, Familientyp, Kinder und Erwerbsstatus der weiteren Haushaltsangehörigen Leistungsbezüge und Nettoeinkommen im letzten Monat Regionalbezüge nach Ost-/Westdeutschland, Bundesländern und Gemeindegrößenklassen.
Durch die Zuordnung des Erhebungstages zu den Jahresquartalen lassen sich auch mögliche saisonale Effekte bei den Gesundheitsunterschieden zwischen den Erwerbsstatusgruppen überprüfen. 3. Arbeitsunfähigkeit und Krankenstand im Jahresdurchschnitt Da in Deutschland keine ausreichenden Informationen über den Krankenstand von Erwerbslosen vorliegen, wird in der Gesundheitsberichterstattung stattdessen als populationsbezogener Gesundheitsindikator häufig die Arbeitsunfähigkeit für Vergleichsanalysen herangezogen (Kap. 2.1.2.1). Die Arbeitsunfähigkeitsstatistik ist aber nur eingeschränkt für die objektive Messung des Gesundheitszustandes von Arbeitslosen und für Vergleiche mit Beschäftigten verwendbar. Bei Arbeitslosen wird das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen sowohl durch Sozialrecht als auch durch die Meldepraxis stark beeinflusst (Kap. 3.2.2). Der Mikrozensus kann durch die Abfrage des Krankenstandes zum Befragungszeitpunkt diese Datenlücke in der Gesundheitsberichtstattung ausgleichen und Aufschluss über den jahresdurchschnittlichen Krankenstand 2005 in verschiedenen Erwerbslosengruppen und ihre Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung geben. 4. Unterschiede im Gesundheitsverhalten zwischen Erwerbsstatusgruppen Bei Arbeitslosen ist in vielen Studien ein ungünstigeres Gesundheits- und Suchtverhalten im Vergleich zu Beschäftigten erkannt worden. Der Mikrozensus stellt in Deutschland die wichtigste Informationsquelle zum Tabakkonsumverhalten in der Bevölkerung dar. Eine bedeutsame Fragestellung ist, ob sich die Tabakprävalenzraten und die Konsummuster zwischen den Erwerbsstatusgruppen unterscheiden und ob etwaige Differenzen unter Einbezug von soziodemografischen
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und sozioökonomischen Drittvariablen Bestand haben. Dabei sind nicht nur die Zusammenhänge zwischen Erwerbsstatus und aktuellem Rauchen, sondern auch zwischen Erwerbsstatus und früherem Tabakkonsum von Interesse. Unterschiedliche Raucherquoten zwischen den Erwerbsstatusgruppen können sich durch eine höhere Tabakkonsumaufnahme oder durch eine geringere Tabakentwöhnungsrate erklären lassen. Eine Forschungsfrage ist, ob der Rauchbeginn vor der Erwerbslosigkeit lag oder ob wegen der Erwerbslosigkeit Arbeitsuchende mit dem Rauchen anfangen. Ungeklärt ist auch noch, inwieweit Erwerbslosigkeit zur Intensivierung des Tabakkonsums bei Rauchern führt. Durch die Angaben zu Körpergröße und -gewicht können mit den Mikrozensus-Daten auch der Body-Mass-Index berechnet und Über- bzw. Untergewicht bestimmt werden. Auch hier leiten sich Unterschiedshypothesen zu durchschnittlichem Body-Mass-Index und Anteilen an Über- bzw. Untergewichtigen zwischen den Erwerbsstatusgruppen ab. 5. Unterschiede bei Krankenstand und Gesundheitsverhalten von Kindern nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers Bisher existieren kaum gesicherte Erkenntnisse über den Gesundheitszustand der Kinder von Erwerbslosen in Deutschland. In der Literatur wird ein negativer Gesundheitseinfluss auf die Kinder häufig angenommen. Nachdem im Mikrozensus 2005 alle Mitglieder eines gemeinsamen Haushalts interviewt werden, können auch die Kinder repräsentativ in die Untersuchung einbezogen werden. Der Mikrozensus ermöglicht die Testung von etwaigen Korrelationen zwischen dem Gesundheitszustand, Rauchverhalten und Body-Mass-Index von Kindern und dem Erwerbsstatus der Haupteinkommensbezieher in ihren Haushalten. 6. Krankheitsgefährdete Personengruppen innerhalb der erwerbslosen Männer und Frauen Für viele Fragestellungen in der Erwerbslosenforschung ist von Bedeutung, welche Personengruppen innerhalb der erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Männer und Frauen ein besonders hohes Risiko von Krankheit und Unfallverletzung tragen. Interessierende Merkmale sind hier u.a. eine Behinderung, die Dauer der Arbeitsuche oder Leistungsbezüge der Grundsicherung. Die Identifikation besonders krankheitsgefährdete Gruppen kann wichtige Hinweise geben beispielsweise für das Profiling, für Zielgruppenspezifizierungen in der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung oder in der Zugangs- und Leistungssteuerung zum beschäftigungsorientierten Fallmanagement in den verschiedenen Rechtskreisen. Monokausale Erklärungsmuster zur Bestimmung des
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Gesundheitszustandes von Erwerbslosen greifen durch die komplexen Wechselbeziehungen unter Umständen zu kurz. Eine wesentliche Frage ist deshalb, inwieweit der Krankenstand von Arbeitsuchenden zum Befragungszeitpunkt auch bei multivariater Betrachtungsweise von soziodemografischen Merkmalen, Behinderung, Familientyp und Haushaltsstrukturen, Schul- und Berufsausbildung sowie sozioökonomischen Variablen beeinflusst wird. 7. Einfluss des Gesundheitszustandes auf die Wiedereingliederung am Arbeitsmarkt in multivariaten Analysen In der Forschung wird die Wirkungsrichtung in den Wechselbeziehungen von Arbeitslosigkeit und Gesundheit intensiv diskutiert. Der Gesundheitszustand und auch Behinderungen können einen Selektionseffekt bei den beruflichen Transitionen bewirken und die Wiedereingliederungschancen am Arbeitsmarkt oder den Eintritt in Erwerbslosigkeit negativ beeinflussen. Der Mikrozensus 2005 eruiert auch den Erwerbsstatus vor zwölf Monaten. Es stellt sich die Frage nach möglichen Einflussnahmen von Gesundheitsvariablen auf einen Wechsel des Erwerbsstatus in diesem Zeitraum und ihre Effektgrößen in multivariater Betrachtung sowohl bei vorherigen Arbeitslosen, die zum Befragungszeitpunkt erwerbstätig sind, als auch bei vorherigen Erwerbstätigen, die am Erhebungstag erwerbslos/arbeitsuchend nichterwerbstätig sind. Eine besondere Untergruppe stellen dabei die Selbstständigen dar. Durch die Flexibilisierungen am Arbeitsmarkt nimmt unter den Erwerbstätigen der Anteil an Selbstständigen z.B. durch die Ausgründungen aus Arbeitslosigkeit in Form der „Ich-AGs“ zu. Bisher liegen über die Wechselwirkungen zwischen Selbstständigkeit, Erwerbsbeteiligung und Gesundheit wenige Informationen vor. Der Mikrozensus kann Aufschluss über diese aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt geben. 3.2 Begriffsbestimmungen von Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit sowie Arbeitsunfähigkeit Vor den Methoden- und Ergebnisteilen ist es notwendig, mit Arbeitslosigkeit verbundene zentrale Begriffe der amtlichen Statistiken und dem Sozialrecht sowie ihre dahinter stehenden Erhebungskonzeptionen kurz zu erläutern.
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3.2.1 Arbeitslosigkeit und Erwerbslosigkeit Die Definitionen von „Arbeitslosigkeit“ und „Erwerbslosigkeit“ gehen in der amtlichen Arbeitsmarktstatistik in Deutschland auf zwei verschiedene Erhebungskonzepte und Erfassungsmethoden zurück. Die Bundesagentur für Arbeit stellt auf Basis ihrer Verwaltungsdaten die Zahl der „registrierten Arbeitslosen“ gemäß der Sozialgesetzbücher II und III fest. Sie zählt als Arbeitslose im Sinne des SGB III Arbeitsuchende bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, die nicht oder mit weniger als 15 Stunden wöchentlich in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, nicht Schüler, Studenten oder Teilnehmer an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung sind, nicht arbeitsunfähig erkrankt sind, nicht Empfänger von Altersrente sind und für eine Arbeitsaufnahme sofort zur Verfügung stehen sowie sich persönlich arbeitslos gemeldet haben (vgl. Tabelle 2). Alternativ wird die „Erwerbslosigkeit“ nach dem Labour Force Konzept der International Labour Organization (ILO) durch Befragungen gemessen, die monatlich durch das Statistische Bundesamt erfolgen. Die ILO (1998) hat ein standardisiertes Konzept zur Messung des Erwerbsstatus entwickelt, das mittlerweile von vielen Staaten im Rahmen allgemeiner Bevölkerungsumfragen, den so genannten Labour Force Surveys, verwendet wird. Die Vorzüge liegen in der politischen Neutralität, der internationalen Vergleichbarkeit und hohen weltweiten Akzeptanz. In Deutschland ist die gemeinschaftliche Arbeitskräfteerhebung der Länder der Europäischen Gemeinschaft (EU-AKE) als Unterstichprobe in den nationalen Mikrozensus integriert (Janke, Riede & Sacher, 2005). Konzeptionell folgt die ILO einem extensiven Erwerbskonzept. Erwerbslosigkeit wird als extreme Situation des totalen Fehlens von Arbeit unabhängig von einer Arbeitslosmeldung bei der Arbeitsagentur angesehen. Als erwerbslos gelten entsprechend den Festlegungen der ILO Personen ab 15 Jahren, wenn sie
in der Berichtswoche nicht in einem entlohnten Beschäftigungsverhältnis standen bzw. nicht selbstständig waren, kurzfristig für eine Beschäftigung verfügbar waren und in den letzten vier Wochen aktiv eine Beschäftigung oder eine Tätigkeit als Selbstständiger gesucht hatten (siehe Tabelle 3).
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Tabelle 2:
Definition von Arbeitslosen und Arbeitsuchenden gemäß SGB III
Arbeitslose sind Arbeitsuchende, die wie beim Anspruch auf Arbeitslosengeld I (vgl. §§ 117 - 122 SGB III) í vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, í eine versicherungspflichtige Beschäftigung suchen, í den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen, í sich bei einer Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos gemeldet haben (vgl. §§ 2, 16, 323, 327 SGB III). Arbeitsuchend ist, wer í eine Beschäftigung als Arbeitnehmer mit einer Dauer von mehr als sieben Kalendertagen im In- oder Ausland sucht, í sich wegen der Vermittlung in ein entsprechendes Beschäftigungsverhältnis bei einer Agentur für Arbeit gemeldet hat und í die angestrebte Arbeitnehmertätigkeit ausüben kann und darf (vgl. §§ 15, 38 SGB III). Nicht als Arbeitslose zählen demnach insbesondere Personen, die í mehr als zeitlich geringfügig erwerbstätig sind, í nicht arbeiten dürfen oder können, í ihre Verfügbarkeit ohne zwingenden Grund einschränken, í das 65. Lebensjahr vollendet haben, í sich als Nichtleistungsempfänger nicht – oder regelmäßig länger als drei Monate nicht mehr – bei der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet haben, í sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befinden (einschließlich Leistungsempfänger gem. § 428 SGB III), í arbeitsunfähig erkrankt sind, í ihre Wehrpflicht bzw. ihren Zivildienst ableisten oder in Haft sind, í Schüler, Studenten oder Schulabgänger sind, die nur eine Ausbildungsstelle suchen sowie í arbeitserlaubnispflichtige Ausländer und deren Familienangehörige sind sowie Asylbewerber ohne Leistungsbezug, wenn ihnen der Arbeitsmarkt verschlossen ist. (BA, 2006a, S. 65a)
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Tabelle 3: Das Labour-Force-Konzept der International Labour Organization Erwerbspersonen (labour force, currently active population) Erwerbstätige (employed)
Erwerbslose (unemployed)
Personen ab einem bestimmten Alter und in einem Arbeitsverhältnis mit mindestens einer Stunde je Woche normalerweise geleisteter Arbeitszeit oder Selbstständige oder Freiberufler oder Soldaten/Zivildienstleistende oder unbezahlt mithelfende Familienangehörige oder Auszubildende
Erwerbstätige (employed)
Personen ab einem bestimmten Alter und ohne Beschäftigungsverhältnis bzw. nicht selbstständig und nicht freiberuflich tätig und gegenwärtig für eine Beschäftigung verfügbar und Arbeit suchend
Nichterwerbspersonen (out of labour force, population not currently active)
weder erwerbstätig noch erwerbslos (z.B. Personen ab einem bestimmten Alter ohne Beschäftigungsverhältnis bzw. nicht selbstständig, aber nicht verfügbar und/oder keine Arbeitsuche; Personen unterhalb der spezifizierten Altersgrenze)
(„ungewollt“ Nicht(„gewollt“ oder „entmutigerwerbstätige, aber te“ Nichterwerbstätige oder Erwerbsfähige) Erwerbsunfähige) Nichterwerbstätige (non-employed)
Quelle: Rengers, 2004, S. 1374.
Bei beiden Konzepten gilt eine Person als arbeitslos bzw. erwerbslos, wenn sie während einer bestimmten Periode ohne Arbeitsplatz ist, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und Arbeit sucht. Durch die unterschiedlichen Definitionen und Erhebungsmethoden ergeben sich aber zum Teil erhebliche Abweichungen zwischen den zwei nationalen Statistiken. So sind nach dem SGB eine Arbeitslosmeldung bei einer Agentur für Arbeit oder bei kommunalen Trägern/ARGEn sowie die Suche nach einer Beschäftigung von mindestens 15 Wochenstunden erforderlich, um als arbeitslos erfasst zu werden. Diese Voraussetzungen sind nach dem Labour-Force-Konzept für Erwerbslosigkeit nicht notwendig. Es reicht schon die Suche nach einer Tätigkeit von wenigstens einer Stunde, um als erwerbslos klassifiziert zu werden. 109
Nach dem SGB III kann trotz registrierter Arbeitslosigkeit eine Erwerbstätigkeit mit einem Umfang unter 15 Stunden als Hinzuverdienstmöglichkeit ausgeübt werden, während das ILO-Konzept jede Person, die einen Beitrag zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung ab einer Stunde Arbeit leistet, als erwerbstätig zählt. Dies ist auch einer der Hauptgründe dafür, dass die Zahl der „Erwerbslosen“ kleiner als die der „Arbeitslosen“ ist. Allerdings sind auch in der ILO-Arbeitsmarktstatistik Erwerbslose enthalten, die die Bundesagentur für Arbeit nicht als arbeitslos wertet. Ein Vergleich der Erwerbslosen- und Arbeitslosenzahlen für den Zeitraum Juli 2003 bis Juni 2004 ergab, dass die Arbeitslosigkeit nach dem SGB III mit durchschnittlich 4,4 Mio. Arbeitslosen um rund 0,5 Mio. größer als die Erwerbslosigkeit nach der ILO-Erhebung mit 3,8 Mio. Personen war (Hartmann & Riede, 2005). Es gab aber nur 2,5 Mio. Personen, die sowohl erwerbslos als auch – nach eigener Auskunft – arbeitslos waren. 1,3 Mio. Personen waren erwerbslos, aber nicht arbeitslos, und 1,9 Mio. Personen arbeitslos, aber nicht erwerbslos. Je nach Definition und Statistikkonzept sind damit etwas verschiedene Personengruppen angesprochen. Die Arbeitslosendefinition sieht als wichtiges Kriterium die sofortige bzw. „heutige Verfügbarkeit“ vor (vgl. Hollederer, 2002a, S. 424), während die Erwerbslosendefinition die Verfügbarkeit auf einen Zeitraum von zwei Wochen ausdehnt. Als mögliche Gründe, die einer Arbeitsaufnahme innerhalb von zwei Wochen entgegenstehen, werden im Mikrozensus Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit, Schule, Studium, Aus- und Fortbildung sowie persönliche oder familiäre Verpflichtungen abgefragt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass im ILOErwerbskonzept das aktuelle Suchverhalten berücksichtigt wird. Im SGB III und SGB II-Bereich wird unterstellt, dass Arbeitslose die Kriterien der Beschäftigungssuche und Verfügbarkeit erfüllen. Das bedeutet, dass bei der Agentur für Arbeit registrierte Arbeitslose, die in den letzten vier Wochen vor der Befragung keine aktiven Suchschritte für eine neue Stelle unternommen haben, nach dem Labour-Force-Konzept nicht als erwerbslos zählen. Die unterschiedlichen Erhebungskonzepte zwischen SGB III und Labour Force führen dazu, dass durch die verschiedenen Erwerbslosen/Erwerbstätigenbzw. Arbeitslosen/Beschäftigten-Definitionen verschiedene Quoten zur relativen Unterauslastung des Kräfteangebots angezeigt werden. Die Erwerbslosenquote ist in Konsequenz i.d.R. niedriger als die Arbeitslosenquote in Deutschland. Die registrierte Arbeitslosigkeit unterscheidet sich nicht nur im Niveau von der Erwerbslosigkeit, sondern teilweise auch in der Struktur in Abhängigkeit von Arbeitsunfähigkeit und Gesundheitsproblemen. Es können daher Selektionseffekte bei vergleichenden Untersuchungen zur Gesundheit von Erwerbslosen/Erwerbstätigen bzw. Arbeitslosen/Beschäftigten auftreten, wenn bestimmte Personengruppen mit überproportional häufig auftre-
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tenden gesundheitlichen Einschränkungen in den Statistiken systematisch nicht mehr ausgewiesen werden. Dazu kommt es, wenn solche Personengruppen per Definition weder als erwerbstätig noch als erwerbslos gelten, sondern der dritten Gruppe, den Nichterwerbspersonen, zugeordnet werden (Tabelle 3). Solche Selektionseffekte können beispielsweise in der Arbeitslosenstatistik durch Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen, vorzeitige Verrentung oder Arbeitsunfähigkeit entstehen (Kap. 3.2.2). Auch die Bezieher von Renten wegen Erwerbsminderung werden nicht mehr im Arbeitslosenbestand gezählt. Mit der Novellierung der Rentengesetze vom 1.1.2001 wurden die bisherigen Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten durch eine zweistufige Erwerbsminderungsrente ersetzt. Wenn es auf dem Arbeitsmarkt keine Stellen für teilweise Erwerbsgeminderte gibt, können diese nach der neuen Regelung die Rente in voller (statt in halber) Höhe beziehen. Im Jahr 2005 gab es rund 28.300 derartige Rentenzugänge durch Frührentner, die die sogenannte arbeitsmarktbedingte Erwerbsunfähigkeitsrente nach § 43 SGB VI i.V.m. § 224 SGB VI bekommen haben (BA, 2006a, S. 68). Langzeitarbeitslose sind nach § 18 SGB III „Arbeitslose, die ein Jahr und länger arbeitslos sind.“ Allerdings wird in der Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit mit der Erhebung aller Personen, die am jeweiligen Stichtag ein Jahr und länger bei den Arbeitsagenturen arbeitslos gemeldet waren, das Phänomen Langzeitarbeitslosigkeit nur unzureichend beschrieben (Karr, 1997a, 1997b, 2002; Kruppe, Müller, Wichert & Wilke, 2007). Von den Arbeitslosen, die zu einem Zähltag kürzer als ein Jahr arbeitslos sind, befinden sich nämlich viele, die ihre Arbeitslosigkeit erst nach über einem Jahr beendet haben werden. Betrachtet man deshalb abgeschlossene Arbeitslosigkeitsperioden von über einem Jahr, errechnet sich rückwirkend ein Volumen an Langzeitarbeitslosigkeit, das wesentlich höher als das bis dahin ausgewiesene Volumen ist. Frühere Analysen für West-Deutschland (Karr, 1997b) ergaben eine grobe Annäherung im Verhältnis 1:2. Das bedeutet, dass die Langzeitarbeitslosigkeit etwa zweimal so hoch wie zum Zähltag in den amtlichen Statistiken registriert war. Außerdem können nach der Arbeitslosendefinition im SGB III verschiedene Anlässe, die die Arbeitslosigkeit kurzzeitig unterbrechen, zur verzerrten Darstellung von Langzeitarbeitslosigkeit führen, da durch den zwischenzeitlichen Abgang aus der Arbeitslosigkeit diese Personen zum Stichtag nicht im Arbeitslosenbestand gezählt werden Zu diesen Gründen gehört auch eine Arbeitsunfähigkeit. Die Bezeichnung „Arbeitsloser“ erweckt im alltäglichen Sprachgebrauch den Eindruck, dass die Person, die ihre „Arbeit los“ ist, überhaupt nichts arbeiten würde oder keine Arbeitsmöglichkeit vorhanden wäre. Tatsächlich meint der etablierte Begriff Arbeitslosigkeit eigentlich einen Mangel an „bezahlter Arbeit“ – also an Erwerbsarbeit. Nachdem in Deutschland mehr unbezahlte Arbeitsstun-
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den z.B. in Form von Erziehungs- oder Pflegetätigkeiten als Lohnarbeitsstunden geleistet werden, wird in den sozialwissenschaftlichen Diskussionen mitunter der Begriff „Erwerbslosigkeit“ statt „Arbeitslosigkeit“ kategorisch und ohne Bezug zu den Statistikkonzeptionen verwendet (z.B. bei Mohr, 2009; Otto & Mohr, 2009). Da der Begriff Arbeitslosigkeit in Deutschland sprachlich so fest verankert ist, wurde er in den bisherigen theoretischen Kapiteln der vorliegenden Arbeit i.d.R. verwendet. Bei explizitem Bezug zu den Erhebungskonzepten nach dem Labour Force Konzept werden hier aber die Begrifflichkeiten Erwerbslosigkeit, Erwerbstätigkeit und Nichterwerbstätigkeit benutzt. 3.2.2 Arbeitsunfähigkeit im Fall von Arbeitslosigkeit Die ärztliche Feststellung von Arbeitsunfähigkeit und der voraussichtlichen Dauer schafft in der Regel die Voraussetzung für den Anspruch des Versicherten auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Krankengeld. Ein Attest mit der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat die Bedeutung eines medizinischen Gutachtens, das die Grundlage für die über den Krankengeldbezug zu erteilende Entscheidung der Krankenkasse oder im Streitfall von den Gerichten bildet (BSG-Urteil 17.08.1982 3 RK 28/81). Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er nach § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Bei längeren Erkrankungen schließt sich bei krankenversicherten Arbeitnehmern das Krankengeld an. Bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sind deswegen komplexe Zusammenhänge von rechtlichen, berufs- bzw. tätigkeitsspezifischen und medizinischen Fragestellungen zu berücksichtigen. Sie entspricht einer Funktionsdiagnose und ist gleichzeitig die sozialrechtliche Voraussetzung für den Rechtsanspruch des Versicherten auf Lohnfortzahlung oder Krankengeld. Die Kriterien zur Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit werden verbindlich für alle Kassenärzte seit dem Oktober 1991 vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen über Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und von Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V vorgegeben. Die Regelungen für Arbeitnehmer gelten zum Großteil analog auch für Arbeitslose. Für den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bzw. des Krankheitsfalls schreibt der Gesetzgeber Arbeitslosen ausdrücklich in den §56 SGB II und § 311 SGB III vor, dass sie verpflichtet sind, eine eingetretene Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Spätestens vor Ablauf des dritten Kalendertages
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nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ist eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer vorzulegen. Hält die Arbeitsunfähigkeit länger als sechs Wochen an, bekommt der Arbeitslose bei Pflichtversicherung nach Ablauf dieser Zeit in der Regel Krankengeld. Im Gegensatz zu Arbeitnehmern ist bei Arbeitslosen aber die Definition der Arbeitsunfähigkeit weiter gefasst. „Arbeitslose sind arbeitsunfähig, wenn sie krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich bei der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Dabei ist es unerheblich, welcher Tätigkeit der Versicherte vor der Arbeitslosigkeit nachging“ (§ 2 Abs. 3 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie). Das bedeutet, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht an einer konkreten Erwerbstätigkeit gemessen wird, sondern nach der Vermittlungsfähigkeit in aktuell zumutbare Beschäftigung. Die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie wurde seit 2003 mehrfach in Kriterien zur Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit im Fall von Arbeitslosigkeit novelliert. Eine ausführliche Darstellung befindet sich bei Hollederer (2008a). Ein wesentliches Kriterium von Arbeitslosigkeit ist nach den Sozialgesetzbüchern II und III die „sofortige Verfügbarkeit“ für den Arbeitsmarkt (vgl. Kap. 3.2.1). Die Vorlage der ärztlichen AU-Bescheinigung löst daher einen statistischen Statuswechsel des Arbeitslosen bzw. eine Abgangsbuchung im Arbeitslosenbestand aus. Der Arbeitslose wird als ein „nichtarbeitslos Arbeitsuchender“ ab dem ersten Tag der Krankmeldung bzw. des Bekanntwerdens der Arbeitsunfähigkeit geführt. Die Statistik blendet ihn damit aus dem Arbeitslosenbestand aus (Hollederer, 2002a, 2005). Im Gegensatz zu dieser Arbeitslosendefinition sieht das Labour Force Konzept und damit auch der Mikrozensus eine Verfügbarkeit von zwei Wochen vor, so dass kurzzeitig arbeitsunfähig Erkrankte hier noch als Erwerbslose zählen.
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4 Mikrozensus 2005 und Erhebungsverfahren 4.1 Hintergrund Mikrozensus 2005
Der Mikrozensus, die sogenannte „kleine Volkszählung“, bildet die Grundlage für die amtliche Repräsentativstatistik des Statistischen Bundesamtes über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt in Deutschland. Den Mikrozensus gibt es im früheren Bundesgebiet bereits seit 1957, in den neuen Bundesländern und BerlinOst seit 1991. Die jährliche Haushaltsbefragung erbringt regelmäßig statistische Informationen über die Bevölkerungsstruktur, die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, Erwerbstätigkeit und Arbeitsuche, Aus- und Weiterbildung, Wohnverhältnisse und Migration. Zusätzlich werden im Mikrozensus 2005 Gesundheitsinformationen über Behinderungen, Krankheiten, Unfallverletzungen, Rauchgewohnheiten und Körpermaße gewonnen. Das Zusatzfragenprogramm wird i.d.R. in vierjähriger Periodizität erhoben. Der Mikrozensus 2005 integriert auch die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union (aus Kostengründen). Sie hat ebenfalls den Charakter einer amtlichen Haushaltsbefragung, die parallel in allen EU-Mitgliedstaaten durchgeführt wird. Mit dem Mikrozensusgesetz 2005 wurden sowohl inhaltliche als auch methodische Neuerungen in das bisherige Erhebungskonzept eingeführt. Das Hauptfragenprogramm enthielt neue relevante Items, z.B. zur Arbeitsuche oder Migration. Eine Auskunftspflicht ergibt sich aus § 7 des neuen Mikrozensusgesetzes 2005 5. Soweit die Stichprobenerhebung über die auskunftspflichtigen Merkmale nach dem Mikrozensusgesetz 2005 hinausgeht, ist die Beantwortung fakultativ. Die nicht auskunftspflichtigen Fragen sind durch die Beifügung „freiwillig“ im Fragebogen gekennzeichnet. Der Ergänzungsteil „Fragen zur Gesundheit“ ist komplett frei gestellt. Auf den Rücklauf wird noch in Kap. 4.4 eingegangen. Der Mikrozensus 2005 hat besonders gute Voraussetzungen für eine fundierte Sekundäranalyse der Zusammenhänge zwischen Erwerbslosigkeit und Gesundheit. Durch die Integration der Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union 2005 erfasst der Mikrozensus repräsentativ die Strukturen der Erwerbsbe5
„Gesetz zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt sowie die Wohnsituation der Haushalte“ vom 24.06.2004
114 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
teiligung und der Erwerbslosigkeit in Deutschland. Alleinstellungsmerkmale des Mikrozensus 2005 sind der große Stichprobenumfang, die besonders hohe Rücklaufquote aufgrund der gesetzlichen Auskunftspflicht und die unterjährige Befragungsmethode. Seit dem Jahr 2005 wird der Mikrozensus mit gleitender Berichtswoche durchgeführt (Kap. 4.1.1). Durch diese neue Erhebungsmethode können z.B. erstmals Krankenstände im Jahresdurchschnitt mit dem Mikrozensus berechnet werden. Für die Untersuchung der Gesundheit von Erwerbslosen bietet der Mikrozensus eine breite Basis an erfassten Variablen, auf die noch in den Abschnitten zu den Erhebungsinstrumenten (Kap. 4.1.2) und dem Messkonzept zur Gesundheit (Kap. 4.2) eingegangen wird. Der Zusatzfragenteil zur Gesundheit wendet sich im Jahr 2005 erstmals an alle befragten Haushaltsmitglieder des Hauptprogramms und die Zahl der Erwerbslosen war bedingt durch den Konjunkturverlauf besonders hoch. Diese Gründe lassen detaillierte Vergleichsanalysen zum Gesundheitszustand zwischen den Erwerbsstatusgruppen zu. Die Methoden, Qualität und Ergebnisse des Mikrozensus 2005 sind in den Publikationsreihen des Statistischen Bundesamtes (2006a-d) und von GESISZUMA (Lechert & Schimpl-Neimanns, 2007) sehr gut dokumentiert. Eine ausführliche Beschreibung des Hochrechnungsverfahrens beim unterjährigen Mikrozensus ab 2005 befindet sich bei Afentakis und Bihler (2005). Die nachfolgenden Abschnitte können sich daher auf die für die vorliegende Sekundäranalyse relevanten Informationen über Stichproben, Befragungsformen, Gewichtungen, Erhebungsinstrumente und Variablen im Mikrozensus 2005 auf Basis der genannten Veröffentlichungen konzentrieren. 4.1.1 Stichproben, Befragungsformen, Hochrechnungsverfahren und Gewichtungen Das Fragenprogramm des Mikrozensus wird in Bezug auf Erhebungsmerkmale und Periodizitäten in § 4 des Mikrozensusgesetzes 2005 bestimmt. Im Gegensatz zu dem bis 2004 gültigen Gesetz sind keine Unterstichproben mehr, sondern ein einheitlicher Auswahlsatz von 1 % der Bevölkerung für alle Merkmale vorgesehen. Dementsprechend werden im Mikrozensus 2005 rund 390.000 Haushalte in Deutschland mit rund 830.000 Personen einbezogen. Der Mikrozensus ist die größte jährliche Haushaltsbefragung in Europa. Die Stichprobe wird nach einem mathematischen Zufallsverfahren gezogen, so dass alle Haushalte dieselbe Auswahlwahrscheinlichkeit haben. Es werden aus dem Bundesgebiet Auswahlbezirke (künstlich abgegrenzte Flächen) in Form einer einstufigen Klumpenstichprobe gewählt, in denen danach alle Haushalte
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und Personen befragt werden. Die Erhebung richtet sich auf die gesamte Wohnbevölkerung in Deutschland. Dazu gehören alle Personen in Privathaushalten und Gemeinschaftsunterkünften am Haupt- und Nebenwohnsitz. Ein Viertel der in der Stichprobe enthaltenen Haushalte bzw. Auswahlbezirke wird jährlich ausgetauscht. Das bedeutet, dass jeder Haushalt nach dem Verfahren der partiellen Rotation vier Jahre in der Stichprobe verbleibt. Das neue Mikrozensusgesetz 2005 legt fest, dass die Befragung ab dem 1. Januar 2005 als kontinuierliche Erhebung mit gleitender Berichtswoche durchgeführt wird. Bei dieser Erhebungsform verteilt sich das gesamte Befragungsvolumen der Ein-Prozent-Stichprobe gleichmäßig auf alle Kalenderwochen eines Jahres. Die Berichtswoche ist die jeweils letzte Woche vor der Befragung. Somit geben die Ergebnisse des Mikrozensus 2005 erstmalig Aufschluss über die Entwicklungen im Jahresdurchschnitt. Im Mikrozensus kommen verschiedene Erhebungsinstrumente zum Einsatz. Im Vordergrund steht die persönliche Befragung aller Personen im Haushalt durch Interviewer der Statistischen Landesämter mit Laptop-Einsatz („CAPI Computer Assisted Personal Interviewing“). Für die Erhebung werden ehrenamtliche Erhebungsbeauftragte eingesetzt, die den Auskunftspflichtigen bei der Beantwortung der Fragen behilflich sein sollen. Den Haushaltsmitgliedern steht aber offen, einen schriftlichen Fragebogen selbst auszufüllen und auf dem Postweg an das jeweilige Statistische Landesamt zurückzusenden. Im Mikrozensus sind so genannte Proxy-Interviews zulässig, daher darf ein Haushaltsmitglied stellvertretend für andere Haushaltsangehörige antworten. Das Hochrechnungsverfahren beim Mikrozensus erfolgt durch das Statistische Bundesamt im ersten Schritt durch die Berechnung von Kompensationsfaktoren anhand von Informationen über die nicht antwortenden Haushalte, um die erkannten zufallsbedingten und systematischen Fehler der Stichprobe auszugleichen. Die mit den Kompensationsfaktoren gewichteten Stichprobenverteilungen ausgewählter Hilfsvariablen werden in einem zweiten Schritt an Eckwerte aus der laufenden Bevölkerungsfortschreibung und dem Ausländerzentralregister angepasst. Der Hochrechnungsrahmen beinhaltet drei Altersklassen und vier Staatsangehörigkeitsgruppen (deutsch, türkisch, EU-25 und nicht EU-25), jeweils differenziert nach dem Geschlecht. Die Anpassung erfolgt quartalsweise auf den unterschiedlichen regionalen Ebenen Bundesland, Regierungsbezirk und regionale Anpassungsschicht. Zusätzlich wurden die vorläufigen Eckwerte der Schwerbehindertenstatistik 2005 nach sechs Altersgruppen und dem Geschlecht geschichtet verwendet (Pfaff et al. 2007). Die erhobenen Mikrozensus-Daten werden nach § 16 Bundesstatistikgesetz (BStatG) grundsätzlich geheim gehalten. Den Hochschulen oder unabhängigen Forschungseinrichtungen werden für die Durchführung wissenschaftlicher Vor-
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haben Einzelangaben nach § 16 Abs. 6 BStatG zur Verfügung gestellt. Die Ausgabe des faktisch anonymisierten Datensatzes als Rohdatendatei in ASCIIFormat erfolgt nach einem Prüfverfahren durch die Forschungsdatenzentren der Statistischen Ämter. Beim Mikrozensus Scientific Use File 2005 handelt es sich nur um eine 70 %-Unterstichprobe des Originaldatensatzes Mikrozensus 2005. Die Unterstichprobe wird nicht auf der Ebene der Personen, sondern auf der der Haushalte gezogen. Der Mikrozensus Scientific Use File 2005 enthält außerdem nicht alle Variablen. Einige Merkmale wie Regionalangaben werden aus Anonymisierungsgründen durch Klassenbildungen vergröbert. Alle ausgewiesenen Merkmalsausprägungen sollen in der univariaten Verteilung der Grundgesamtheit hochgerechnet mindestens 5.000 Personen umfassen. Der Mikrozensus Scientific Use File 2005 wurde im Sommer 2007 – also mit großer Zeitverzögerung - für die Wissenschaft in den Forschungsdatenzentren zur persönlichen Abholung bereitgestellt. Für den Datenimport der ASCII-Datei in Statistikprogramme und zur Formatierung der Variablen wurden Syntaxdateien zur Hilfestellung auf einer CD bei der Datenübergabe ausgehändigt. Um von der 70 %-Unterstichprobe zu einer annähernden Repräsentativität zu kommen, gibt es Hochrechnungsfaktoren des Mikrozensus Scientific Use File 2005. Sie stammen aus dem kompletten Originaldatensatz Mikrozensus 2005 und rechnen auf 1.000 Personen bzw. Haushalte hoch. Um mit dem Mikrozensus Scientific Use File 2005 Populationswerte ohne Auf- und Abrundung durch die Normierung auf 1.000 Personen zu erhalten, ist zusätzlich mit dem Kehrwert der Ziehungswahrscheinlichkeit des Mikrozensus (1 %) zu multiplizieren. Dies entspricht der Multiplikation des jeweiligen Gewichtungsfaktors mit 1.000/0,7. Die sich durch den Unterstichprobeneffekt ergebenden Abweichungen zwischen anonymisiertem Grund- und Originalfile des Mikrozensus sind im Allgemeinen gering. Vergleiche der Häufigkeitsauszählungen einzelner Variablen mit bereits veröffentlichten amtlichen Zahlen des Original-Mikrodatensatzes 2005 durch GESIS-ZUMA zeigen, dass die Verteilungen meist „nur in geringem Maße (meist unter 1 %, max. 5 %)“ von den veröffentlichten Zahlen abweichen (Lechert & Schimpl-Neimanns, 2007). 4.1.2 Erhebungsinstrumente und Variablen im Mikrozensus 2005 Das Fragenprogramm des Mikrozensus besteht aus einem festen Grundprogramm mit jährlich wiederkehrenden Tatbeständen und variablen Ergänzungen, die überwiegend mit Auskunftspflicht belegt sind. Darüber hinaus gibt es periodische Zusatzprogramme, die teilweise von der Auskunftspflicht befreit sind.
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Beim Mikrozensus 2005 bestand das Zusatzprogramm aus dem Fragenteil zur Gesundheit. Der Erhebungsbogen des Mikrozensus 2005 umfasst ca. 190 Fragen. Eine erwerbstätige Person benötigt zum Ausfüllen des Fragebogens für sich selbst ca. eine halbe Stunde. Die in der vorliegenden Sekundäranalyse einbezogenen Merkmale sind nach thematischer Zusammengehörigkeit im Anhang aufgelistet (Kap. 9). Das jährliche Grundprogramm des Mikrozensus enthält u.a. Personenmerkmale (wie Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit usw.), Familien- und Haushaltszusammenhänge, Daten zur Erwerbstätigkeit, Arbeitsuche, Erwerbslosigkeit und Nicht-Erwerbstätigkeit, allgemeiner und beruflicher Ausbildungsabschluss, Quellen des Lebensunterhalts sowie Angaben zur Höhe des Individual- und Haushaltseinkommens. Inhaltliche Neuerungen im Erhebungsprogramm des Mikrozensus 2005 bestehen vornehmlich in aufgenommenen Fragen zur Migration und Integration. Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen neben den zugewanderten Ausländern und den in Deutschland geborenen Ausländern auch Eingebürgerte oder Spätaussiedler mit deutscher Staatsangehörigkeit. Im Bereich Bildung werden u.a. erstmals die Art und Fachrichtung des höchsten beruflichen Abschlusses neben einem Hochschulabschluss erfragt. Die Erfassung nach Altersgruppen erfolgt nach der sogenannten Altersjahrmethode. Die Altersangaben beziehen sich auf die jeweilige Berichtswoche. Den Auswertungen wird die „Bevölkerung am Ort der alleinigen bzw. Hauptwohnung“ zugrunde gelegt. Nach dieser Begriffsbestimmung gehören zur „Bevölkerung“ alle Personen mit nur einer Wohnung sowie Personen mit mehreren Wohnungen am Ort ihrer Hauptwohnung. Die Hauptwohnung ist die vorwiegend genutzte Wohnung. Einer der Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit liegt in vergleichenden Untersuchungen nach Erwerbsstatus. Der Erwerbsstatus wird nach dem erörterten Labour Force Konzept der International Labour Organization (Kap. 3.2.1) vom Statistischen Bundesamt gebildet und ist als Zusatzvariable im Mikrozensus Scientific Use File 2005 mit folgenden vier Ausprägungen enthalten: 1. 2. 3. 4.
Erwerbstätige Erwerbslose arbeitsuchende Nichterwerbspersonen sonstige Nichterwerbspersonen.
Aufgrund der elementaren Bedeutung dieser Gruppenbildung nach Erwerbsstatus sind in der Tabelle 33 im Anhang ergänzende Auskünfte zur Fragebogenkon-
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struktion und die Erklärungen für die Auskunftspflichtigen zusammengestellt worden. Das Zusatzprogramm „Fragen zur Gesundheit“ umfasst anerkannte Behinderungen, Krankheiten und Unfallverletzungen, Rauchverhalten sowie Körpermaße für die Berechnung des Body-Mass-Index (Tabelle 34 im Anhang). Der Mikrozensus erkundigt sich auch nach der Dauer der Krankheit und Unfallverletzung, nach ihrer Behandlung und Unfallart. Außerdem werden Tabakkonsummuster aktueller und früherer Raucher ermittelt. Das Konzept zur Erfassung von Krankheiten und Unfallverletzungen wird im nächsten Abschnitt noch erläutert. Die Informationen werden im Datensatz für die vier Quartale des Jahres 2005 (und nicht nach Kalenderwochen oder Monaten) bereitgestellt. Die im Mikrozensus erfassten Berufe der Erwerbstätigen und die früher ausgeübten Berufe der Erwerbslosen und Nichterwerbspersonen werden in der vorliegenden Arbeit in die Berufsklassifikation von Blossfeld umgesetzt. Diese Berufsklassifikation wurde mit dem Ziel konstruiert, „die Berufsgruppen hinsichtlich ihrer durchschnittlichen schulischen und beruflichen Vorbildung sowie bezüglich ihrer beruflichen Aufgabengebiete möglichst homogen zu bilden“ (Blossfeld, Hamerle & Mayer, 1985, S. 69). Blossfeld entwickelte hierzu ein Schema von zwölf Tätigkeitsfeldern, das eine hierarchische Gliederung der Berufe und eine inhaltliche Abgrenzung nach den ausgeübten Tätigkeiten ermöglicht (vgl. Tabelle 6). 4.2 Messkonzept von Krankheit und Unfallverletzung im Mikrozensus 2005 Im Mikrozensus werden Krankheiten und Unfallverletzungen erfragt, unter denen die Interviewten am Erhebungstag bzw. in den vorherigen vier Wochen gelitten haben (vgl. Tabelle 34 im Anhang). Die Beantwortung unterliegt nicht der gesetzlichen Auskunftspflicht. Nach den Erläuterungen zum Fragebogen im Mikrozensus 2005 liegt „eine Krankheit oder Unfallverletzung vor, wenn sich eine Person während des Berichtszeitraums in ihrem Gesundheitszustand so beeinträchtigt gefühlt hat, dass sie ihre übliche Beschäftigung nicht voll ausüben konnte. Bei langfristigen Leiden (z.B. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck) ist es nicht ausschlaggebend, ob der Befragte in der Ausübung seiner gewöhnlichen Beschäftigung beeinträchtigt war oder nicht. Auch ein angeborenes Leiden oder eine Körperbehinderung sind als Krankheit einzuordnen, sofern sie regelmäßig ärztlich behandelt werden. Schwangerschaft, Entbindung und Wochenbett zählen nicht als Krankheit, Komplikationen u.U. schon“ (vgl. Tabelle 34 im Anhang).
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Dabei kommt es nicht darauf an, ob wegen der Beschwerden ein Arzt aufgesucht wurde. Die Antworten auf die Ausgangsfrage „Waren Sie in den letzten 4 Wochen krank bzw. unfallverletzt?“ bilden für das Statistische Bundesamt den wichtigsten Parameter in den Berichten über gesundheitliche Beeinträchtigungen in der Bevölkerung (StaBu, 2006a, 2006g). Der Mikrozensus folgt methodisch dem Konzept der Prävalenz als einem Maß von Krankheitshäufigkeiten. Die Prävalenz beschreibt den Bestand an Erkrankten und kann verschiedentlich gemessen werden. Die Punktprävalenz von Krankheiten in der Population (je 1.000) ist definiert nach dem Oxford Textbook of Public Health (Abramson, 2002) als: Anzahl der Individuen mit der Krankheit zu einem spezifischen Zeitpunkt x 1.000 Bevölkerung zu dieser Zeit
Die Punktprävalenz kann auch in bestimmten Subgruppen der Bevölkerung (z.B. nach Geschlecht oder Alter) ausgedrückt werden, wenn der Zähler und der Nenner sich auf dieselbe Bevölkerungskategorie beziehen (Abramson, 2002). Beispiel: Anzahl der Männer im Alter von 45-54 mit der Krankheit zum spezifischen Zeitpunkt x 1.000 Gesamtzahl der Männer im Alter von 45-54 in der Bevölkerung zu dieser Zeit
Für viele medizinische Fragestellungen reicht oft eine Punktprävalenz nicht aus, so dass die Krankheitshäufigkeit längsschnittlich in einer Periode wie einem Jahr gemessen werden muss. Hier ist die Formel nach dem Oxford Textbook of Public Health (Abramson, 2002): Anzahl der Individuen mit Krankheit, die sich im gesetzten Zeitraum manifestiert x 1.000 Bevölkerung „at risk“
Dementsprechend stellt die Zählung von Krankheiten und Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen im Mikrozensus 2005 also eine solche Periodenprävalenz dar. Zu diesem Messkonzept im Mikrozensus ist aber kritisch anzumerken, dass es für den vierwöchigen Beobachtungszeitraum keine gesundheitswissenschaftlich-theoretische Veranlassung (wie bei spezifischen Erkrankungen) gibt, sondern nur allgemein der Generierung höherer Fallzahlen dient. Die Periodenprävalenz ist durch den kurzen rückwärtigen Zeitbezug als Gesundheitsindikator hier wenig geeignet, weil lang andauernde Erkrankungen, die vorher schon begonnen haben, mit Neueintritten und auch schon abgeschlossenen Krankheitsperioden quasi vermischt werden. Bei kurzzeitigen Erkrankungen nähert sich
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diese Periodenprävalenz dem Konzept der Inzidenz an. Die Inzidenz misst den Neuzugang an Krankheitsfällen in einem definierten Zeitraum. Die Inzidenz und die Dauer der Krankheit bestimmen die Prävalenz, d.h. die Anzahl der Kranken zu einem bestimmten Zeitpunkt. Nachdem der Mikrozensus auch nicht bestimmte Krankheitsdiagnosegruppen abfragt, gewinnt durch diese Vorgehensweise nun bei den Krankheitshäufigkeiten die kurzzeitigen Akuterkrankungen wie Grippeoder Erkältungserkrankungen stark an Gewicht. Außerdem werden nur die erkrankten Personen und nicht die Zahl aller aufgetretenen Krankheiten bzw. Krankheitsperioden in den letzten vier Wochen gezählt, weil der Fragebogen für jede Person nur eine einzige Angabe für Krankheit oder Unfallverletzung vorsieht und bei gleichzeitigem Vorliegen die schwerwiegendere Beeinträchtigung anzugeben ist. Die Mikrozensus-Zusatzfrage „Dauert diese Krankheit bzw. Unfallverletzung heute noch an?“ identifiziert dagegen die Krankheitsprävalenz zum Erhebungstag. Durch die neue unterjährige Erhebungsmethode des Mikrozensus wird damit der Krankenstand im Jahresdurchschnitt oder Quartalsdurchschnitt ermittelt. Die jahresdurchschnittlichen Prävalenzraten sind ein ausgezeichnetes Maß für vergleichende Gesundheitsuntersuchungen zwischen den Erwerbsstatusgruppen. Der Mikrozensus ist die einzige empirische Repräsentativbefragung in Deutschland, die überhaupt solche Jahresdurchschnittswerte der Krankheitsprävalenz erbringt. Bedauerlicherweise werden in den Tabellenbänden und langen Reihen des Statistischen Bundesamtes diese wichtigen Krankenstände zum Erhebungszeitpunkt bisher nicht routinemäßig publiziert (StaBu, 2006a, 2006g u.a.), so dass die vorliegende Arbeit auch eine Berichtslücke in der Gesundheitsberichterstattung abdeckt. In der vorliegenden Arbeit wird der Punktprävalenz gegenüber der Periodenprävalenz der Vorzug eingeräumt, soweit es von den Fallzahlen möglich ist. Nachdem ein Teil der für die letzten vier Wochen berichteten Krankheiten und Unfallverletzungen schon vor dem Erhebungstag beendet wurde, besteht aber ein Nachteil beim Krankenstand zum Befragungszeitpunkt in den geringeren Fallzahlen. Bei Krankenstandsanalysen in kleinen Gruppen wie bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen können die Fälle in Subgruppen daher die erforderliche Mindestzahl von 5.000 unterschreiten und werden dann nach der Mikrozensus-Konvention nicht veröffentlicht. Eine Interviewperson gilt nach dem Mikrozensus als erkrankt, wenn „sie ihre übliche Beschäftigung nicht voll ausüben konnte“. Dieses Messkonzept entspricht vom Wesensgehalt her der Definition von Arbeitsunfähigkeit, die nach § 2 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie besteht, „wenn der Versicherte auf Grund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätig-
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keit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann“ (Kap. 3.2.2). Allerdings wurde die Arbeitsunfähigkeit im Fall von Arbeitslosigkeit durch die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie noch weitergehend definiert und ist durch verschiedene Novellierungen der Kriterien starken sozialrechtlichen Implikationen und Meldeanforderungen unterworfen. Der Mikrozensus erfasst dagegen frei von solchen Restriktionen die Krankheiten/Unfallverletzungen nach den Selbsteinschätzungen schon ab dem ersten Tag des Krankheitseintritts und auch bei kurzer Krankheitsdauer. Bei den Auskünften der Interviewten zum Krankenstand handelt es sich nicht um „objektive Gesundheitszustände“, sondern um Selbsteinschätzungen, die aber durch die hohe berichtete Behandlungsquote von insgesamt 88,1 % in der ambulanten oder stationären Krankenversorgung in den letzten vier Wochen als sehr aussagekräftig betrachtet werden können (Tabelle 25 im Anhang). Der Mikrozensus stellt auch Nachfragen zur Dauer der Krankheit bzw. Unfallverletzung und bietet sechs optionale Zeiträume von „1 bis 3 Tage“ bis „über 1 Jahr“ für die Beantwortung an (vgl. Tabelle 34 im Anhang). Die Krankheitslänge erstreckt sich auch auf die Zeit vor dem Berichtszeitraum und gilt bei andauernden Krankheiten/Unfallverletzungen bis zum Erhebungstag. Präziser wäre allerdings eine offene Frage nach bisherigen Krankheitstagen (oder dem Datum des Krankheitsbeginns) gewesen, um eine exakte Krankentagerechnung zu ermöglichen. 4.3 Verwendete Statistik und Auswertungsmethoden Aufgrund der zentralen Fragestellungen über die Zusammenhänge von Erwerbslosigkeit und Gesundheit stehen vor allem entsprechende Vergleichsanalysen zwischen den Erwerbsstatusgruppen in der Hauptaufmerksamkeit. Für die Testung von Unterschiedshypothesen kommen je nach Messniveau verschiedene statistische Verfahren zum Einsatz: a.
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Zum Vergleich von nominalen Daten werden Chi-Quadrat-Tests nach Pearson durchgeführt. Das Chi-Quadrat-Verfahren vergleicht die beobachteten Häufigkeitsverteilungen mit den gemäß der Nullhypothese erwarteten Häufigkeiten. Als Zusammenhangsmaße für nominalskalierte Variablen werden bei alternativen Variablen die Phi-Koeffizienten verwendet. Der t-Test wird bei intervallskalierten Variablen genutzt, um die Unterschiede zwischen zwei Gruppen auf Signifikanz zu testen. Der t-Test überprüft die Wahrscheinlichkeit der Nullhypothese, dass die Mittelwerte zweier Fallgruppen die Daten einer Stichprobe von einer Population sind.
b.
c.
Bei mehr als zwei zu vergleichenden Gruppen findet eine Varianzanalyse in Form der einfachen ANOVA-Prozedur Anwendung. Die Signifikanzüberprüfungen mittels Phi-, Chi-Square- oder t-Test und der ANOVA-Prozedur erfolgen auf einem Signifikanzniveau von p < 0,001, p < 0,01 und p < 0,05. Die logistische Regressionsanalyse wird dazu eingesetzt, die unabhängigen Variablen, die die Unterschiede bei der abhängigen Variable hervorrufen, zu identifizieren und die Stärke und Richtung des Einflusses zu bestimmen. Die binäre logistische Regression berechnet u.a. die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eines Ereignisses in Abhängigkeit von den Werten der Kovariaten und ermittelt Konfidenzintervalle. In der binären logistischen Regressionsanalyse wird die Zugehörigkeit zu der mit „1“ codierten Gruppe geschätzt, wobei die Ausprägungen der abhängigen Variable „0“ und „1“ betragen. Die B-Regressionskoeffizienten geben an, ob der Zusammenhang zwischen der unabhängigen und abhängigen Variable positiv oder negativ ist. Für die Beurteilung der Einflussgröße wird der Effekt-Koeffizient EXP(B) verwendet. Dieser gibt den Faktor der Vervielfachung der Odds Ratio (des „Chancenverhältnisses“) an, wenn sich der Regressor um eine Einheit verändert. Werte über „1“ vergrößern die Odds Ratio und Werte unter „1“ verringern sie. Die Odds Ratio ist ein Maß dafür, um wieviel größer zum Beispiel die Chance eines Ereignisses (z.B. Eintritt in Erwerbslosigkeit) in der Gruppe mit bestimmten Merkmalen im Vergleich zur Gruppe ohne diese Merkmale ist. Zu den Odds Ratios werden 95 %-Konfidenzintervalle angegeben. Zur Vorhersage werden in verschiedenen Modellen unabhängige Variablen in die Analyse eingeschlossen. Eine Voraussetzung für ihren Einbezug ist, dass die unabhängigen Variablen metrisch oder kategorial sind. Kategoriale Variablen mit mehr als zwei Ausprägungen sind für die Analyse in Indikatorvariablen umzuwandeln, indem für jede Ausprägung eine neue dichotome Variable gebildet wird. Die Güte der Modellanpassung wird mit der Likelihood-Funktion beurteilt. Das Bestimmungsmaß R2 nach Nagelkerke kann als Anteil der Varianz der abhängigen Variablen, der durch alle unabhängigen Variablen gemeinsam erklärt wird, interpretiert werden. Eine multiple lineare Regression untersucht die Abhängigkeit einer metrischen Variablen von einer Kombination mehrerer anderer Variablen. Sie schätzt den direkten linearen Einfluss der unabhängigen Variablen auf die abhängige Variable ab und berechnet für jedes Modell u.a. nichtstandardisierte Regressionskoeffizienten, standardisierte Beta-Koeffizienten, T-Werte und 95 %-Konfidenzintervalle sowie R² für die Modellgüte. Die Einschlussgrenze der Kovariaten in den logistischen und multiplen linearen
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Regressionsanalysen liegt auf einem Signifikanzniveau innerhalb von p < 0,05 und die ermittelten Unterschiede zur Referenzkategorie werden bei fünfprozentiger Irrtumswahrscheinlichkeit als statistisch signifikant ausgewiesen. Die statistischen Auswertungen erfolgten im Statistikprogramm SPSS für Windows Version 16.0.1 (2007). Für den Statistikteil wurden die Lehrbücher und Studienskripte von Laatz (1993), Bortz und Döring (1995), Brosius (1998), Bortz (1999), Bühl und Zöfel (2000), Abramson (2002) und Fromm (2003, 2005) herangezogen. 4.4 Rücklaufquoten und Non-Response-Analysen Wegen der gesetzlichen Auskunftspflicht ist der Anteil der Ausfälle bei den befragten Haushalten mit 4,4 % Unit-Nonresponse sehr gering. Hierbei handelte es sich größtenteils um nicht erreichbare Haushalte. Die Non-Response-Rate ist im Vergleich zu den früheren Mikrozensus-Befragungen außerdem durch den flächendeckenden Laptop-Einsatz zurückgegangen. Im Rahmen der Hochrechnung werden diese Antwortausfälle durch Unit-Nonresponse kompensiert. Beim Zusatzprogramm mit den freiwilligen Gesundheitsfragen sind die Ausfallquoten allerdings wesentlich höher und nach Themenbereichen abgestuft. Die Fragen zu Behinderung und Krankheit bzw. Unfallverletzung wurden von gut 14 % der Interviewten nicht beantwortet. Bei den Items zu den Rauchgewohnheiten liegen die Ausfallquoten mit ca. 17 % etwas darüber. Am höchsten sind sie bei den Körpermaßen. Rund 20 % der Befragten machten keine Angaben zur Körpergröße und rund 24 % keine zum Körpergewicht. Ein systematischer Einflussfaktor besteht offensichtlich in der Erhebungsart der Haushaltsbefragung. Der Fragebogen ist für alle Haushaltsmitglieder auszufüllen und die angetroffenen Auskunftspflichtigen haben auch für abwesende Mitbewohner die Angaben mitzuteilen – soweit sie bekannt sind. Insgesamt fanden 67 % der Interviews unter direkter Beteiligung der Auskunftspflichtigen statt, bei 28 % handelt es sich um Fremdauskünfte und 6 % enthalten keine Angaben über die Erhebungsart. Es wurden vorzugsweise Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene von anderen Personen bei der Haushaltsbefragung vertreten. Proxy-Interviews erfolgten bei 72 % der 15- bis 19-Jährigen und bei 45 % der 20- bis 24-Jährigen. Bei den sensiblen fakultativen Gesundheitsfragen zu Behinderung, Krankheit, Unfallverletzung und Rauchgewohnheiten fallen die Antwortverweige-
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rungsquoten der Personen, die bei der Beantwortung der Fragen direkt beteiligt waren, um 1-2 Prozentpunkte höher aus als bei den Proxy-Interviews. Im Gegensatz dazu gibt es für das Item Körpergröße (in Zentimetern) etwas mehr Ausfälle bei den Personen, die nicht selbst an der Erhebung beteiligt waren. Beim Körpergewicht (in Kilogramm) ist die Ausfallquote sogar um fast 3 Prozentpunkte höher. Es ist daher zu vermuten, dass in vielen Fällen dem Interviewten die exakten Körpermaße der anderen abwesenden Haushaltsmitglieder nicht bekannt waren und deswegen keine Eintragungen vorgenommen wurden. Hinzu kommt, dass auffällig viele Frauen die Angaben zum Körpergewicht ausließen. Während die Ausfallquoten der Frauen bei den Items zu Behinderung, Krankheit, Unfallverletzung und Rauchgewohnheiten etwas niedriger als die der Männer geraten, liegen sie bei der Körpergröße mit knapp 20 % nahezu gleich auf. Beim Körpergewicht ist die Non-Response-Rate der Frauen mit 25 % aber höher als die der Männer mit fast 23 %. Die Proxy-Interviews sind zwischen den vier Erwerbsstatusgruppen nicht gleichverteilt. So gab es bei den sonstigen Nichterwerbspersonen signifikant häufiger Fremdauskünfte, nämlich in 37 % der Fälle. Bei den Erwerbstätigen kamen 25 % der Interviews unter Beteiligung einer anderen Person zustande. Bei den Erwerbslosen betrug der entsprechende Anteil 21 % und bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen 24 %. Im Zusatzprogramm zur Gesundheit haben die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen die höchste Non-Response-Rate. Von ihnen beantworteten ca. 18 % die Fragen zu Behinderung, Krankheit und Unfallverletzung nicht, während bei den übrigen Erwerbsstatusgruppen lediglich ca. 13-14 % keine Auskünfte erteilten. Ähnlich verhält es sich bei den Items zum Tabakkonsum. Bei diesen Fragen ist die Ausfallquote der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen mit rund 20 % deutlich höher als die der anderen Erwerbsstatusgruppen mit ca. 16-17 %. Die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen ließen auch am häufigsten die Fragen zur Körpergröße mit 23 % und zum Körpergewicht mit 27 % unbeantwortet. Im Hauptprogramm des Mikrozensus unterliegt die Frage „Aus welchem Grund könnten Sie eine neue Tätigkeit nicht innerhalb von 2 Wochen aufnehmen?“ der gesetzlichen Auskunftspflicht. Von den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen, die hier „Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit“ antworteten, kreuzen 14,6 % im freiwilligen Zusatzprogramm später auf die Frage nach den Krankheiten oder Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen die Option „keine Angabe“ an. Die Antwortverweigerungsquote unterscheidet sich damit kaum vom Durchschnitt. Trotzdem ist die Gefahr einer systematischen Verzerrung nicht ganz auszuschließen. Es ist davon auszugehen, dass die Missings in der Tendenz zu einer
125
allgemeinen Unterschätzung der Prävalenzen von Krankheit, Unfallverletzung, Behinderung, Tabakkonsum und Übergewicht führen. Problematisch sind unter methodischen Gesichtspunkten die Angaben zum Körpergewicht und Körpergröße für die Body-Mass-Indexbildung, da durch Non-Response bei diesen Proxy-Interviews (mit fehlenden Daten der jüngeren Altersgruppen) und hohe Antwortverweigerungen (insbesondere bei Frauen) die Ergebnisse systematisch verzerrt sein könnten. Alles in allem sind einem Bias aber prinzipiell enge Grenzen gesetzt, weil die Ausfallraten des Mikrozensus 2005 im Vergleich zu allen anderen repräsentativen Erhebungen in Deutschland auch bei den freiwilligen Angaben äußerst niedrig sind. In den multivariaten Analysen der vorliegenden Arbeit blieb zudem der Body-Mass-Index (BMI) aus den genannten Gründen unberücksichtigt.
126
5 Ergebnisse im Mikrozensus 2005 zur Gesundheit und Erwerbsbeteiligung
Der Ergebnisteil gliedert sich in fünf Unterkapitel auf. Zunächst werden die Strukturmerkmale von Erwerbstätigen, Erwerbslosen, arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen und sonstigen Nichterwerbspersonen untersucht. Danach richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen in einer Reihe von Untergruppen. Durch den Untersuchungsansatz wird als Besonderheit die komplette Population im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren und danach alle Kinder bis 14 Jahre in der repräsentativen Stichprobe betrachtet. Mehrere multiple Regressionsanalysen zum Krankenstand und zur Arbeitsmarktintegration schließen unter Einbezug potenzieller Determinantengruppen den Ergebnisteil ab. 5.1 Strukturmerkmale von Erwerbslosen, Erwerbstätigen und Nichterwerbspersonen Wie die vorangegangenen theoretischen Kapitel nahe legen, existiert eine Vielzahl von Einflussfaktoren auf die wechselseitigen Beziehungen zwischen Erwerbslosigkeit und Gesundheit. Zu ihnen zählen vor allem soziodemografische Merkmale, die Schul- und Berufsausbildung sowie sozioökonomische Variablen, anhand derer in den folgenden Abschnitten die Struktur- und Merkmalsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen beschrieben werden. 5.1.1 Soziodemografische Merkmale nach Erwerbsstatus Das Labour-Force-Konzept der ILO bestimmt die Kriterien für die Einteilung von Erwerbspersonen nach Erwerbstätigen und Erwerbslosen und fasst die übrigen Personen als Nichterwerbspersonen zusammen (Kapitel 3.2). Nachdem die Definition der Erwerbslosigkeit eng mit dem Kriterium der Verfügbarkeit verknüpft ist und Krankheit bzw. Arbeitsunfähigkeit zum Ausschluss führen kann,
127 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
werden nachfolgend die Nichterwerbspersonen zusätzlich nach „arbeitsuchend“ und „keine Arbeitsuche“ (bzw. „sonstige“ Nichterwerbspersonen) ausgewiesen. Die Ergebnisdarstellung nach diesen vier Erwerbsstatusgruppen schließt auch eine Lücke in der Berichterstattung des Bundes. Die amtliche Statistik differenziert nämlich bei den Gesundheitsergebnissen nicht weiter, sondern rechnet die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen aus Gründen der Vergleichbarkeit mit früheren Erhebungen und entgegen der ILO-Konzeption den Erwerbslosen zu (StaBu, 2006 a-c). Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen den Erwerbslosen und den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen besteht nach dem Labour-Force-Erhebungskonzept de facto in der Beantwortung der MikrozensusFrage „Könnten Sie eine neue Tätigkeit innerhalb von 2 Wochen aufnehmen?“ mit ja oder nein. In die folgenden Betrachtungen gehen alle Personen im erwerbsfähigen Alter ein. Die Altersuntergrenze wird gemäß der Labour-Force-Konzeption bei 15 Jahren und die Altersobergrenze bei dem im Jahr 2005 geltenden gesetzlichen Renteneintrittsalter in Deutschland von 65 Jahren gezogen. Die Zahl der 15- bis 64-Jährigen rechnet sich nach dem Mikrozensus Scientific Use File 2005 auf 55.137 Tsd. hoch. Davon sind 65,4 % (bzw. 36.046 Tsd.) erwerbstätig und 8,3 % (bzw. 4.598 Tsd.) erwerbslos. 1,2 % (bzw. 648 Tsd.) zählen zu arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen und 25,1 % (bzw. 13.845 Tsd.) zu sonstigen Nichterwerbspersonen. Das Durchschnittsalter der Erwerbsbevölkerung (im Alter von 15 bis unter 65 Jahren) differiert in statistisch bedeutsamer Weise zwischen den vier Erwerbsstatusgruppen (ANOVA, df=3; F=31,8; p<0,001). Die Erwerbstätigen sind mit 40,2 Jahren im Durchschnitt am ältesten und die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen mit 36,9 Jahren am jüngsten im Vergleich der Erwerbsstatusgruppen (Tabelle 18 im Anhang). Zu den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen gehören besonders viele Jüngere, die noch die Schule oder eine Aus- bzw. Fortbildung absolvieren. Das Durchschnittsalter der Erwerbslosen beläuft sich auf 39,4 Jahre. Die Altersstruktur der sonstigen Nichterwerbspersonen ist geprägt durch vergleichsweise starke Polarisierungen: fast ein Viertel ist unter 20 Jahre und knapp ein Viertel mindestens 60 Jahre alt. 22,7 % der sonstigen Nichterwerbspersonen sind zwar noch im erwerbsfähigen Alter, aber haben ihre Erwerbstätigkeit bereits wegen Ruhestandes beendet. Gut ein Drittel der sonstigen Nichterwerbspersonen besuchte in den letzten vier Wochen eine Schule oder Hochschule. Die Bezieher von Arbeitslosengeld I sind durchschnittlich um fast eineinhalb Jahre älter als die Bezieher von Arbeitslosengeld II (Tabelle 18 im Anhang). Innerhalb der Erwerbspersonen überwiegen die Männer, bei den Nichterwerbspersonen die Frauen (Tabelle 18 im Anhang). Die signifikant höhere Erwerbsbe-
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teiligung der Männer folgt den bereits aus der Arbeitslosen- und Beschäftigtenstatistik bekannten Verteilungen (siehe Kap. 1.4.1.2). Der höhere Frauenanteil bei den Nichterwerbspersonen korrespondiert mit der Betreuung von Kindern im gemeinsamen Haushalt. 17,2 % der arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen und 11,2 % der sonstigen nichterwerbstätigen Frauen haben Kinder unter drei Jahren im gemeinsamen Haushalt. Dagegen ist bei den erwerbstätigen und erwerbslosen Frauen der Anteil mit Kindern unter drei Jahren in der Familie mit 4,6 % erheblich niedriger. Weit über die Hälfte der Erwerbstätigen ist verheiratet und ein Großteil der Ehepaare besitzt Kinder, während in den anderen Erwerbsstatusgruppen der Anteil der Verheirateten unter der Hälfte liegt. Unter den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen gibt es indessen signifikant häufiger Alleinstehende und auch Alleinerziehende als bei den Erwerbstätigen. Die ostdeutschen Bundesländer sind bekanntlich von Arbeitslosigkeit besonders stark betroffen. Circa ein Drittel der Erwerbslosen und der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen haben ihren Hauptwohnsitz in Ostdeutschland. Die Erwerbsbeteiligung von Migranten befindet sich deutlich unter dem Durchschnitt gemessen an ihrem Anteil an der Erwerbsbevölkerung (Tabelle 18 im Anhang). Vor allem die Ausländer aus Nicht-EU-Staaten weisen einen signifikant erhöhten Anteil am Bestand der Erwerbslosen und auch der Nichterwerbspersonen auf. Sie machen 4,9 % der Erwerbstätigen, aber 12,7 % der Erwerbslosen und 14,8 % der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen aus. Die zwei größten Gruppen unter den ausländischen Erwerbslosen stellen Staatsangehörige der Türkei (23,8 %) und der Russischen Föderation (11,5 %). Die Erwerbslosenquoten variieren zwischen den Nationalitäten sehr. Besonders hoch ist die Erwerbslosigkeit bei den Staatsangehörigen der Russischen Föderation. Die Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die nicht in Deutschland geboren wurden, sind ebenfalls stärker als die übrigen Deutschen von Erwerbslosigkeit bedroht. Über die unterschiedlichen Haushaltsstrukturen in den Erwerbsstatusgruppen ist bisher wenig bekannt. Sie haben bei Erwerbslosigkeit sowohl leistungsrechtlich im Sinne der Bedarfsgemeinschaft als auch in Bezug auf soziale Unterstützung bei der Bewältigung von Arbeitslosigkeit oder Krankheit Bedeutung. Die Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen leben in durchschnittlich kleineren Haushaltsgemeinschaften als die Erwerbstätigen und sonstigen Nichterwerbspersonen (Tabelle 19 im Anhang). Sie wohnen signifikant häufiger in Single-Haushalten. Von den Haushaltsstrukturen her gehören die Mitglieder des gemeinsamen Haushalts im erwerbsfähigem Alter in der Tendenz jeweils derselben Erwerbsstatusgruppe an (Tabelle 19 im Anhang). In Haushalten von Erwerbslosen leben
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also eher weitere Erwerbslose wie Erwerbstätige und umgekehrt. 20,7 % der Erwerbslosen teilen sich ihren Haushalt mit mindestens einem weiteren erwerbslosen Haushaltsangehörigen. Abbildung 8: Anteile der Erwerbsstatusgruppen nach Altersjahrgängen (15 bis 64 Jahre) 100 90
auf 100 Prozent skaliert
80 70 60 50 40 30 20 10 0 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49 51 53 55 57 59 61 63 Alter in Jahren Erwerbstätige
Erwerbslose
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
Sonstige Nichterwerbspersonen
(N = 55.138 Tsd.)
Abbildung 8 informiert über die prozentuale Aufteilung zwischen den Erwerbsstatusgruppen nach Altersjahrgängen (auf 100 Prozent skaliert). Sie illustriert bei den Jahrgängen im Jugendalter die Übergänge der Nichterwerbspersonen von Schule und Ausbildung in die Erwerbstätigkeit oder Erwerbslosigkeit. Die Erwerbsbeteiligung erreicht bei den Jahrgängen im mittleren Lebensalter circa 80 % und sinkt danach bei den höheren Altersstufen kontinuierlich ab. Parallel verharren die Anteile der Erwerbslosen bei den Jahrgängen vom 20. bis 57. Lebensjahr auf etwa gleich bleibend hohem Niveau. Bei den älteren Jahrgängen nimmt die Erwerbsbeteiligung rapide und die Erwerbslosigkeit sukzessive bis zum 65. Lebensjahr ab. Dafür steigen zeitgleich die Anteile der sonstigen Nichterwerbspersonen in diesen Altersjahrgängen steil nach oben an (aus Gründen wie vorzeitigem Ruhestand etc.). Nachdem die Eintrittswahrscheinlichkeit von Krankheiten generell mit dem Alter anwächst, tangieren diese massiven Zu-
130
und Abgänge in bzw. aus Nichterwerbstätigkeit auch die Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen. Die Anteile der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen bleiben mit durchschnittlich 1,2 % in allen Altersjahrgängen durchgängig sehr klein. Sie liegen bei den Jahrgängen im Jugendalter meist etwas über und bei den obersten Altersjahrgängen unter diesem Mittelwert. 5.1.2 Schul- und Berufsausbildung nach Erwerbsstatus Individuelle Erwerbslosigkeitsrisiken sind bekanntermaßen mit schulischen und beruflichen Qualifikationen sowie bisherigen beruflichen Tätigkeiten verbunden. Diesen Befund bestätigt ein Vergleich der Erwerbsstatusgruppen nach dem Schema von Blossfeld (Blossfeld, Hamerle & Mayer, 1985). Unter den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen sind die Anteile von Angehörigen der Agrarberufe, manuellen Berufe und einfachen Dienste besonders hoch und die von qualifizierten Diensten, Semiprofessionen, Professionen, qualifizierten kaufmännischen und Verwaltungsberufen sowie Managern dagegen relativ klein (Tabelle 20 im Anhang). Im Durchschnitt haben Erwerbstätige eine bessere allgemeine Schulausbildung und einen höheren beruflichen Abschluss als die Nichterwerbstätigen (Tabelle 20 im Anhang). Während nur 2,2 % der Erwerbstätigen keinen allgemeinen Schulabschluss besitzen, liegt dieser Prozentsatz bei den Erwerbslosen mit 6,5 % drei Mal höher. Die Abiturientenquote ist unter den Erwerbslosen nur halb so groß wie unter den Erwerbstätigen. Die Erwerbstätigen heben sich auch beim höchsten Berufsabschluss von den anderen Gruppen ab. Augenfällig werden die Unterschiede bei den Personen ohne beruflichen Ausbildungs- oder Hochschulabschluss. Ihr Anteil beträgt bei den Erwerbstätigen 18,4 % und bei den Erwerbslosen dagegen 31,2 %. Unter den Erwerbstätigen befinden sich im Verhältnis mehr Angestellte und Selbstständige und weniger Arbeiter als bei den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen. In der Arbeiterschaft ist die Erwerbslosigkeit folglich am höchsten. Ihr Anteil beträgt unter den Erwerbslosen beachtliche 47,5 % und unter den Erwerbstätigen nur 27,4 % (Tabelle 20 im Anhang). Bei den Selbstständigen ist dagegen die Erwerbslosigkeit am geringsten, da 10,7 % der Erwerbstätigen als Selbstständige tätig sind während lediglich 3,4 % der Erwerbslosen vorher selbstständig waren. Die Erwerbsbeteiligung der Angestellten ist ebenfalls überdurchschnittlich.
131
5.1.3 Sozioökonomische Variablen nach Erwerbsstatus Die Frage „Sind Sie in der vergangenen Woche bei der Agentur für Arbeit (Arbeitsamt) arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldet gewesen?“ bejahen 11,5 % der Interviewten im erwerbsfähigen Alter (Tabelle 21 im Anhang). Aufgrund der oben beschriebenen unterschiedlichen Statistikkonzeptionen deckt sich die ILO-Definition nicht vollständig mit der Arbeitslosendefinition nach den Sozialgesetzbüchern II und III. Es sind daher nur 94,0 % der nach dem ILO-Konzept Erwerbslosen und 88,4 % der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen auch arbeitslos oder arbeitsuchend bei der Agentur für Arbeit gemeldet. Nachdem die Abfrage im Mikrozensus nicht nach Arbeitslosmeldung und Vorlage von Arbeitsuche (ohne Registrierung als Arbeitsloser) trennt, können nur schwer Direktvergleiche mit den Arbeitslosenstatistiken der Bundesagentur für Arbeit vorgenommen werden. 3,2 % der Erwerbstätigen geben ebenfalls eine solche Meldung bei der Agentur für Arbeit an, von denen allerdings rund die Hälfte nur geringfügig beschäftigt ist. Im Gegensatz zur Bundesagentur für Arbeit klassifiziert das ILOKonzept Personen bereits ab einer Stunde Wochenarbeitszeit als erwerbstätig. Nur ein Teil der arbeitslos oder arbeitsuchend Gemeldeten bekommt auch Zahlungsleistungen nach dem SGB II oder SGB III. Insgesamt beziehen 3,1 % aller Personen im erwerbsfähigen Alter nach dem Mikrozensus 2005 Arbeitslosengeld I und weitere 5,6 % Arbeitslosengeld II (Tabelle 21 im Anhang). Die meisten dieser Leistungsbezieher decken damit „überwiegend ihren Lebensunterhalt“. Über die Hälfte der Erwerbslosen und der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen erhielten weniger als 700 Euro im letzten Monat netto. 12,8 % der Erwerbslosen verfügen über gar kein eigenes Einkommen. Der Mikrozensus 2005 erkundigt sich auch nach der beruflichen Situation ein Jahr vor dem Befragungszeitpunkt. 26,8 % der Erwerbslosen und 16,9 % der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen sind ein Jahr zuvor erwerbstätig gewesen. Der Umstand, dass 90,9 % der Erwerbstätigen auch vor einem Jahr erwerbstätig und 57,7 % der Erwerbslosen vor einem Jahr arbeitslos waren, zeigt eine generelle hohe Undurchlässigkeit im deutschen Beschäftigungssystem auf. 1,0 % der Befragten sagt aus, vor zwölf Monaten „dauerhaft arbeitsunfähig“ gewesen zu sein. Sehr niedrig ist ihr Anteil unter den Erwerbstätigen mit 0,1 %. Der Mikrozensus eruiert im Hauptfragenprogramm auch die Gründe für die Beendigung einer vorherigen Erwerbstätigkeit. „Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen“ ist für 11,5 % der sonstigen Nichterwerbspersonen (unter 65 Jahren) das wichtigste Motiv. Eine Sondergruppe stellen die Nieerwerbstätigen dar. Sie machen 9,7 % der Erwerbslosen, 22,8 % der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen und 42,0 %
132
der sonstigen Nichterwerbspersonen aus. Zu den Nieerwerbstätigen zählen vornehmlich Studenten und Schüler, die in großer Zahl wegen der niedrigen Altersuntergrenze von 15 Jahren in der ILO-Statistikkonzeption erfasst werden. Fast drei Viertel der Personen, die noch nie erwerbstätig waren, sind unter 25 Jahren alt. Unter den Nieerwerbstätigen befinden sich neben den Absolventen von Schule und Berufsausbildung allerdings auch diejenigen, die nach langer Arbeitsuche überhaupt noch keinen Einstieg in den Arbeitsmarkt gefunden haben. 4,1 % der Nieerwerbstätigen teilen mit, schon ein Jahr oder länger nach Arbeit zu suchen. Von den Interviewten, die zwölf Monate zuvor noch nach eigenen Aussagen Schüler waren, sind beim Befragungszeitpunkt 19,9 % erwerbstätig, aber 4,0 % erwerbslos. 5.1.4 Stellensuche und Gesundheit Die Erwerbslosigkeit ist bei den Interviewten meistens unfreiwillig eingetreten. Von den Erwerbslosen, die Arbeit suchen oder arbeitslos gemeldet sind, verloren 61,2 % ihre vorherige Arbeit durch Entlassung und nur 5,1 % hatten selbst gekündigt (Tabelle 22 im Anhang). Nur wenige Erwerbslose (0,5 %) und „arbeitsuchende Nichterwerbspersonen“ (2,5 %) haben die Arbeitsuche zum Befragungszeitpunkt bereits erfolgreich abgeschlossen oder erwarten eine Wiedereinstellung und haben daher die Arbeitsuche eingestellt (Tabelle 22 im Anhang). Fast alle sonstigen Nichterwerbspersonen sind (definitionsgemäß) nicht auf Arbeitsuche. Als Hauptgründe geben sie an, dass sie eine Ausbildung absolvieren, sich schon im Ruhestand befinden oder sie persönliche bzw. familiäre Verpflichtungen abhalten. Es gibt allerdings auch Gesundheitsgründe, die einer Arbeitsuche entgegenstehen:
2,9 % der sonstigen Nichterwerbspersonen, die keine Arbeit suchen, nennen als Hindernisgrund eine Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und 5,3 % eine Frühinvalidität oder sonstige Behinderung.
Trotzdem besteht oft der Wunsch nach Arbeit. 11,9 % der sonstigen Nichterwerbspersonen, die sich nicht aktiv auf Arbeitsuche befinden, würden gerne arbeiten. Von denen, die wegen Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit nicht suchen können, wünscht ein Drittel, zu arbeiten. Mehr als die Hälfte der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen befindet sich schon mindestens ein Jahr auf Arbeitsuche und gilt nach
133
der ILO-Definition als langzeiterwerbslos (Tabelle 22 im Anhang). Der Mikrozensus legt damit eine deutlich höhere Quote an Langzeiterwerbslosen als die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zur Langzeitarbeitslosigkeit offen. Die Differenz zwischen den Befragungsergebnissen und der amtlichen Erfassung der Langzeitarbeitslosen erklärt sich zum Großteil durch die künstlichen Unterbrechungen des Arbeitslosenstatus in der BA-Statistik aufgrund einer Vielzahl von Ausnahmetatbeständen. Zu den vielen möglichen Abgangsgründen gehört auch eine Langzeitarbeitsunfähigkeit (vgl. Kap. 3.2.2). Ein weiterer bemerkenswerter Befund ist, dass viele Langzeiterwerbslose schon sehr lange Zeit nach Arbeit suchen. Der Anteil der schon mindestens vier Jahre Suchenden beträgt bei den Erwerbslosen 18,6 %. Die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen stehen im Gegensatz zu den Erwerbslosen dem Arbeitsmarkt in den nächsten zwei Wochen gemäß der ILOStatistikdefinition nicht zur Verfügung (Tabelle 23 im Anhang). Bei fast einem Drittel liegt der Hauptgrund für die Nichtverfügbarkeit in einer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit. Es ist der am häufigsten genannte Grund. Auch bei den wenigen sonstigen Nichterwerbspersonen, die aktiv auf Arbeitsuche und trotzdem nicht für den Arbeitsmarkt verfügbar sind, stellen Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit die wichtigsten Hindernisse dar. 5.1.5 Zusammenfassung von Kapitel 5.1 Die vier Gruppen Erwerbstätige, Erwerbslose, arbeitsuchende und sonstige Nichterwerbspersonen bilden die komplette Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren ab. Die Vergleiche zwischen den Erwerbsstatusgruppen zeigen ausgeprägte Unterschiede in den Strukturmerkmalen auf. Die Erwerbstätigen besitzen im Durchschnitt eine formal bessere Schulausbildung und einen höherwertigen Berufsabschluss als die Angehörigen der anderen Erwerbsstatusgruppen. Der Anteil der Personen ohne schulischen oder beruflichen Abschluss ist bei den Erwerbstätigen am kleinsten. Unter den Erwerbslosen und den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen befinden sich in Relation zu den Erwerbstätigen mehr Angehörige der Agrarberufe, manuellen Berufe und einfachen Dienste und weniger Angehörige hochqualifizierter beruflicher Tätigkeitsfelder. Die Arbeiter sind besonders stark von Erwerbslosigkeit betroffen. Sie stellen ca. ein Viertel der Erwerbstätigen, aber fast die Hälfte aller Erwerbslosen. Bei den Selbstständigen ist die Erwerbslosigkeit dagegen relativ gering. Rund die Hälfte der Erwerbstätigen ist als Angestellte beschäftigt, während in den
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anderen Erwerbsstatusgruppen Angestellte lediglich ca. ein Drittel ausmachen. Fast ein Zehntel der Erwerbslosen war noch nie erwerbstätig. Der Mikrozensus 2005 bestätigt die bekannte höhere Erwerbslosigkeit in Ostdeutschland und von Migranten, insbesondere von Ausländern aus Nicht-EULändern. Erwerbslose leben außerdem häufiger in Single-Haushalten wie Erwerbstätige. Rund drei Viertel der Erwerbslosen und zwei Drittel der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen decken ihren Unterhalt überwiegend durch den Bezug von Arbeitslosengeld I oder II ab. Von den Erwerbslosen hat mehr als jeder Zehnte kein eigenes Einkommen. Bei den Erwerbslosen teilt über die Hälfte mit, vor zwölf Monaten bereits arbeitslos gewesen zu sein, und über ein Viertel befand sich ein Jahr zuvor in Erwerbstätigkeit oder in Ausbildung. Annähernd zwei Drittel der Erwerbslosen verloren ihre vorherige Arbeit durch Entlassung. Fast alle Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen berichten, in den letzten vier Wochen eine berufliche bzw. bezahlte Tätigkeit gesucht zu haben. Die sonstigen Nichterwerbspersonen im erwerbsfähigen Alter sind aus verschiedenen Gründen wie Ausbildung oder familiäre Verpflichtungen nicht auf Arbeitsuche. Weitere Haupthindernisgründe sind Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit sowie Frühinvalidität. Mehr als die Hälfte der Erwerbslosen sind schon mindestens ein Jahr auf Arbeitsuche und gelten nach der ILO-Definition als langzeiterwerbslos. Die Quote der Langzeiterwerbslosen ist deutlich höher als die dokumentierte Langzeitarbeitslosigkeit in der Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zählen nicht zu den Erwerbslosen, weil sie dem Arbeitsmarkt in den nächsten zwei Wochen nicht zur Verfügung stehen. Bei fast einem Drittel liegt der Hauptgrund für die Nichtverfügbarkeit am Arbeitsmarkt in einer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit.
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5.2 Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen 5.2.1 Behinderung, Krankheit, Unfallverletzung und Behandlung nach Erwerbsstatus 5.2.1.1 Amtlich anerkannte Behinderung und Schweregrad Das Gesundheitsfragenprogramm wurde im Mikrozensus 2005 erstmals allen Interviewpersonen (wie im Hauptprogramm) gestellt. Über 85 % der Interviewten beantworteten die Fragen zu Behinderung, Krankheit und Unfallverletzung, die nicht der Auskunftspflicht unterlagen (vgl. Kap. 4.4). Nach den Selbstauskünften haben 7,9 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter eine amtlich anerkannte Behinderung (Tabelle 4). Die amtliche Feststellung einer Behinderung erfolgt in Deutschland durch die örtliche Versorgungsverwaltung. Vorausgesetzt wird eine nicht nur vorübergehende, sondern über den Zeitraum von mehr als sechs Monaten andauernde Gesundheitsstörung. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung (GdB) nach Zehnergraden (20 - 100) abgestuft. Menschen, deren Behinderung mit einem Grad von mindestens 50 eingeschätzt wurde, gelten als „schwerbehindert“. Personen mit einem GdB zwischen 30 und 50 können aber Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können. Über zwei Drittel der Behinderten im erwerbsfähigen Alter sind schwer- oder schwerstbehindert, d.h. der anerkannte Grad der Behinderung beträgt mindestens 50 (Tabelle 4). Die Erwerbsbeteiligung von behinderten Menschen liegt unter dem Durchschnitt (Tabelle 4). Bei den Erwerbstätigen ist der Anteil von behinderten Menschen mit 5,1 % signifikant niedriger als bei den Erwerbslosen mit 6,9 % (Phi = -0,026; p < 0,001). Unter den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen ist der Behindertenanteil mehr als doppelt und in der Gruppe der sonstigen Nichterwerbspersonen sogar dreimal so hoch wie unter den Erwerbstätigen. In der Gruppe der sonstigen Nichterwerbspersonen ist darüber hinaus ein besonders großer Anteil an Schwerstbehinderten mit einem Behinderungsgrad von über 80 zu verzeichnen. Werden Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen zusammengezählt, entspricht der Behindertenanteil in der Gruppe der Arbeitsuchenden 7,6 %. Das Risiko einer Behinderung steigt mit zunehmendem Alter kontinuierlich an. Rund die Hälfte der Behinderten im erwerbsfähigen Alter ist zwischen 54 und 64 Jahre alt. Von Behinderung sind Männer überproportional mit einem Anteil von 57,0 % betroffen.
136
Tabelle 4:
Gesundheit, Krankheit und Behinderung nach Erwerbsstatus Erwerbstätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1
Behinderung*** (N) Keine Behinderung Behinderung, davon mit Grad der Behinderung***: 20 - 49 GdB 50 - 79 GdB 80 - 100 GdB GdB nicht bekannt/angegeben Krankheit/Unfallverletzung in d. letzten 4 Wochen*** (N) Nein Ja Ja, krank Ja, unfallverletzt Andauern der Krankheit/ Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt*** (N) Ja Nein, kein Andauern Keine Angabe Nicht krank/unfallverletzt Dauer der Krankheit der letzten vier Wochen*** (N) 1 bis 3 Tage über 3 Tage bis 1 Woche über 1 bis 2 Wochen über 2 bis 4 Wochen über 4 bis 6 Wochen über 6 Wochen bis 1 Jahr über 1 Jahr Dauer der bei Befragung anhaltenden Krankheit*** (N) 1 bis 3 Tage über 3 Tage bis 1 Woche über 1 bis 2 Wochen über 2 bis 4 Wochen über 4 bis 6 Wochen über 6 Wochen bis 1 Jahr über 1 Jahr
Sp.-% 2
Sonstige Arbeitsuchende Nichterdavon: werbsErwerbsNichterpers. lose werbspers. Sp.-% Sp.-% Sp.-% Sp.-% 3
(30.911) (4.518) 94,9 92,4 5,1 7,6
4
5
6
Total
Sp.-% 7
(3.989) 93,1 6,9
(530) 87,2 12,8
(11.871) 84,6 15,4
43,6 43,0 11,0 2,3
44,2 43,5 10,1 2,2
41,2 41,2 14,7 2,9
18,7 47,5 31,1 2,8
(30.926) (4.528) 90,7 87,9 9,3 12,1 8,6 11,5 0,7 0,7
(3.995) 90,3 9,7 9,1 0,5
(533) 69,2 30,8 29,1 1,7
(11.832) 87,2 12,8 12,3 0,5
(47.286) 89,6 10,4 9,8 0,6
(30.927) (4.527) 4,4 8,8 4,8 3,2 0,1 0,1 90,7 87,9
(3.994) 6,5 3,1 0,1 90,4
(533) 26,6 3,8 0,4 69,2
(11.832) 10,1 2,6 0,1 87,2
(47.286) 6,2 4,1 0,1 89,6
41,8 38,8 18,1 1,4
(47.301) 92,1 7,9 30,7 43,4 23,8 2,2
(2.618) 18,7 26,4 17,7 10,9 5,2 10,5 10,7
(508) 6,1 13,2 12,4 10,4 6,7 14,2 37,0
(359) 7,2 15,3 14,5 11,4 7,0 11,7 32,9
(148) 3,4 7,4 7,4 8,1 6,1 20,3 47,3
(1.429) 6,9 11,1 8,4 6,5 3,2 9,7 54,2
(4.554) 13,6 20,1 14,2 9,5 4,7 10,6 27,3
(1.220) 9,2 14,1 14,1 13,3 7,9 19,0 22,5
(369) 4,1 5,1 7,6 8,9 7,0 17,1 50,1
(240) 5,0 6,7 8,8 10,0 7,1 14,2 48,3
(130) / / 6,2 6,9 6,9 22,3 53,1
(1.135) 3,9 3,8 4,4 5,4 3,3 11,6 67,7
(2.725) 6,3 8,6 9,2 9,4 5,8 15,7 45,0
Anmerkungen: Signifikanzniveau Phi- und Chi-Square Test nach Pearson für Spalten 2 und 3: *** p < 0,001; ** p < 0,01; * p < 0,05; n.s. nicht signifikant; Hochgerechnete Besetzungszahlen unter 5.000 werden nicht nachgewiesen und durch Schrägstrich („/“) ersetzt.
137
5.2.1.2 Krankheiten und Unfallverletzungen nach Erwerbsstatus Der Fragebogen erlaubt für jede Person eine Angabe für Krankheit oder Unfallverletzung. Falls mehrere Krankheiten oder Unfallverletzungen gleichzeitig vorliegen, müssen die Befragten die ihrer Ansicht nach schwerwiegendere Beeinträchtigung eintragen. Von allen 15- bis 64-Jährigen berichten 10,4 %, dass sie in den letzten vier Wochen krank oder unfallverletzt waren (Tabelle 4). Der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten ist am geringsten bei den Erwerbstätigen mit 9,3 %. Der analoge Anteil beträgt bei den Erwerbslosen 9,7 % und unterscheidet sich nicht statistisch bedeutsam von dem der Erwerbstätigen. Am höchsten ist der entsprechende Anteil bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen von 30,8 %. Der ausnehmend hohe Abstand zu den anderen Gruppen erklärt sich vor allem durch den oben erwähnten definitionsbedingten Selektionseffekt. Bei krankheitsbedingter mangelnder Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt werden arbeitsuchende Erkrankte nach den Kriterien des LabourForce-Konzeptes der ILO nicht als Erwerbslose gezählt. Fast ein Drittel der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen steht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, da sie nach eigenen Aussagen eine neue Tätigkeit nicht innerhalb von zwei Wochen wegen „Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit“ aufnehmen könnten (Tabelle 22 im Anhang). Werden Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen zu einer Gruppe zusammengefasst, liegt ihr Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten bei 12,1 % und damit in statistisch auffälliger Weise über dem der Erwerbstätigen (Phi = -0,033; p < 0,001). Von den Krankheiten und Unfallverletzungen der letzten vier Wochen dauert ein Großteil am Erhebungstag noch an. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt ist mit 4,4 % im Jahresdurchschnitt unter den Erwerbstätigen ebenfalls am niedrigsten, aber der relative Abstand zu den Erwerbslosen hat sich vergrößert und ist nun statistisch auffällig (Phi = 0,032; p < 0,001). 6,5 % der Erwerbslosen bezeichnen sich zum Befragungszeitpunkt als krank oder unfallverletzt. Die erkrankten Erwerbslosen würden aber nach eigener Einschätzung dennoch dem Arbeitsmarkt in den nächsten 14 Tagen zur Verfügung stehen. Hier besteht einer der wichtigen Unterschiede des ILO-Konzeptes zur Arbeitslosendefinition nach den Sozialgesetzbüchern II und III, die eine „heutige Verfügbarkeit“ fordert. In der amtlichen Arbeitslosenstatistik in Deutschland werden gegenwärtig Erkrankte nicht als Arbeitslose, sondern als „nichtarbeitslos Arbeitsuchende“ gezählt werden, wenn sie krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sind, leichte Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich bei der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt haben. Der Mikrozensus 2005 offen-
138
bart das Ausmaß des Krankenstandes von Arbeitsuchenden (ohne Mehrfacherkrankungen): im Jahresdurchschnitt 2005 waren demnach hochgerechnet rund 245 Tsd. arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldete Erwerbslose erkrankt. Der Krankenstand der Erwerbslosen zum Befragungszeitpunkt wird aber signifikant von den sonstigen Nichterwerbspersonen mit 10,1 % und von den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen mit 26,6 % übertroffen. Die Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen kommen in einer Gruppe zusammengefasst auf einen Anteil der Erkrankten/Unfallverletzten von 8,8 %. Aufgrund der zentralen Bedeutung des Krankenstandes zum Befragungszeitpunkt wird in Tabelle 26 im Anhang die Odds Ratio für die Erwerbslosen bzw. arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Vergleich zu den Erwerbstätigen unter Adjustierung des Alters extra ausgewiesen. Die Erwerbstätigen sind im Mittel etwas jünger als die anderen Erwerbsstatusgruppen (Kap. 5.1.1). Werden die Erwerbslosen mit den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zu einer Gruppe vereinigt, ergibt sich in Relation zu den Erwerbstätigen nach dieser Berechnungsart ein erhöhtes altersadjustiertes Risiko für eine Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt mit einer Odds Ratio von 2,2 sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Diese erhöhten Risiken sind statistisch hochsignifikant6. Die Odds Ratios von Erwerbslosen sind im Vergleich zu Erwerbstätigen beim Krankenstand zum Befragungszeitpunkt wesentlich größer als bei der Betrachtung von Krankheit/Unfallverletzung in den letzten vier Wochen, weil dahinterliegend die durchschnittlichen Krankheitsdauern zwischen den Erwerbsstatusgruppen ganz beträchtlich divergieren. Durch das Konzept der Periodenprävalenz werden anteilsmäßig mehr kurzzeitig aufgetretene Krankheiten erfasst (vgl. Kap. 4.2). In der Erwerbstätigengruppe sind 53,2 % der Krankheiten, die in den letzten vier Wochen auftraten, zum Befragungszeitpunkt schon beendet. Es folgen die Erwerbslosen mit einem analogen Prozentsatz von 32,3 % und den sonstigen Nichterwerbspersonen mit 20,3 %. Bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen ist der Anteil mit 10,8 % am niedrigsten. Erwerbstätige sind demnach im Durchschnitt nicht nur seltener von Krankheiten im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen betroffen, ihre Krankheiten verlaufen erheblich kürzer (Tabelle 4). Das offenbart sich am deutlichsten an der bisherigen Dauer der zum Befragungszeitpunkt noch anhaltenden Krankheit. Bei 37,4 % der erkrankten Erwerbstätigen begann die Krankheit innerhalb der letzten zwei Wochen. Weit darunter liegen die entsprechenden Anteile bei 6 In diesen Berechnungen bleiben aber weitere Einflussfaktoren wie z.B. die Unterschiede in der Sozialstruktur unberücksichtigt, die später in den multivariaten Modellen in Kap. 5.5.2 miteinbezogen werden.
139
den Erwerbslosen mit 20,4 %, den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen mit 10,8 % und den sonstigen Nichterwerbspersonen mit 12,1 %. Bei den Erwerbstätigen dauerte nur knapp ein Viertel der Krankheiten schon mehr als ein Jahr an. Dagegen handelt es sich bei rund der Hälfte der zum Befragungszeitpunkt erkrankten Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen um eine Langzeiterkrankung von über einem Jahr. Das Fragenprogramm des Mikrozensus 2005 differenziert zwischen Krankheit und Unfallverletzung. Bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen besteht die höchste Unfallquote innerhalb der letzten vier Wochen und es befinden sich darunter überproportional viele Unfallverletzungen mit langen Falldauern. Das dürfte mit dem Statuswechsel von verunfallten Erwerbslosen zu arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zusammenhängen, wenn sie dem Arbeitsmarkt aufgrund der Unfallverletzung in den nächsten 14 Tagen nicht mehr zur Verfügung stehen. Werden Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen vereint, entspricht ihre gemeinsame Unfallquote der der Erwerbstätigen von 0,7 % für die letzten vier Wochen bzw. 0,5 % zum Befragungszeitpunkt. Die Erwerbstätigen deklarieren über ein Drittel der Unfälle als Arbeits- oder Dienstunfälle. Diese Unfallquelle ist für Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen wenig relevant. Dafür ist dort der Prozentwert der häuslichen Unfälle und Verkehrsunfälle höher. 5.2.1.3 Behandlung von Krankheiten und Unfallverletzungen Von allen Krankheiten und Unfallverletzungen in der Erwerbsbevölkerung, die in den letzten vier Wochen auftraten, wurden
70,8 % von einem niedergelassenen Arzt behandelt, 17,3 % im Krankenhaus versorgt und 11,9 % blieben ohne Krankenversorgung in den letzten vier Wochen (vgl. Tabelle 25 im Anhang).
Bei den Erwerbslosen ist der Anteil der Erkrankten und Unfallverletzten, die weder ambulant noch stationär behandelt wurden, am höchsten mit 14,7 % im Verhältnis zu den anderen Erwerbsstatusgruppen. Erwerbslose nehmen auch bei den Krankheiten und Unfallverletzungen, die am Erhebungstag noch andauern, im geringsten Maße eine ambulante oder stationäre Behandlung in Anspruch (Tabelle 5). Die Quote der Nichtinanspruchnahme ist bei Erwerbslosen mit 12,9 % signifikant höher als die der Erwerbstätigen mit 8,7 % (Phi = 0,05; p < 0,05). Auffällig ist auch der geringe Versor-
140
gungsgrad der zum Befragungszeitpunkt erkrankten/unfallverletzten Erwerbslosen mit stationären Behandlungsmaßnahmen von 8,6 %. Allerdings dürfte ein Großteil den definitionsbedingten Abgängen aus Erwerbslosigkeit zur Nichterwerbstätigkeit geschuldet sein. Erwerbslose, die einer ambulanten oder stationären Behandlung bedürfen, können aufgrund der Krankheitsschwere und Behandlungsdauer häufig nicht dem Arbeitsmarkt in den nächsten 14 Tagen zur Verfügung stehen. Sie wechseln dann nach der ILOStatistikkonzeption zur Gruppe der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen, die wiederum den höchsten Anteil an stationärer Behandlung und die geringste Quote der Nichtinanspruchnahme aufweisen. Tabelle 5:
Behandlung der Krankheit/Unfallverletzung nach Erwerbsstatus Erwerbstätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1 Behandlung bei am Befragungstag andauernder Krankheit/ Unfallverletzung.(N) in ambulanter Behandlung beim Arzt in ambulanter Behandlung im Krankenhaus in stationärer Behandlung im Krankenhaus Nein
Erwerbslose
Nichterwerbspers.
Sonstige Nichterwerbspersonen
Arbeitsuchende davon:
Total
Spalten% 2
Spalten% 3
Spalten% 4
Spalten% 5
Spalten% 6
Spalten% 7
(1.345)
(395)
(255)
(140)
(1.189)
(2.929)
68,0
72,2
74,1
68,6
72,6
70,4
8,0
5,8
4,3
8,6
6,1
6,9
15,2 8,7
11,4 10,6
8,6 12,9
16,4 6,4
13,5 7,9
14,0 8,6
Werden die Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zu einer Gruppe vereint, liegt ihre Nichtinanspruchnahme einer Krankenbehandlung bei 10,6% und damit etwas über der der Erwerbstätigen. Ein beachtenswerter Befund ist, dass in dieser Gruppe nur 11,4 % der Erkrankten und Unfallverletzten in den letzten vier Wochen in einem Krankenhaus stationär versorgt wurden. Dieser Prozentwert unterschreitet erheblich den entsprechenden Anteil bei den Erwerbstätigen von 15,2 %, obwohl die Erkrankungen bei den Erwerbstätigen im Durchschnitt kürzer andauerten. Der Mikrozensus erfasst nicht die Gründe der Nichtinanspruchnahme von ambulanten und stationären Krankenbehandlungen.
141
Möglicherweise wirken sich bei erkrankten und unfallverletzten Arbeitsuchenden die kurz vorher eingeführte Praxisgebühr und das Krankenhaustagegeld negativ auf die Inanspruchnahme einer ärztlichen Behandlung aus. 5.2.1.4 Zusammenfassung von Kapitel 5.2.1 Nach den Selbstauskünften im Mikrozensus 2005 haben 7,9 % der Erwerbsbevölkerung eine amtlich anerkannte Behinderung. Der Anteil von behinderten Menschen unter den Erwerbstätigen ist mit 5,1 % signifikant geringer als der am Erwerbslosenbestand mit 6,9 %. Bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen ist der Behindertenanteil mehr als doppelt und in der Gruppe der sonstigen Nichterwerbspersonen dreimal so hoch als bei den Erwerbstätigen. 9,3 % der Erwerbstätigen berichten, in den letzten vier Wochen krank oder unfallverletzt gewesen zu sein. Von den Erwerbslosen litten 9,7 % und von den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen knapp ein Drittel an einer Krankheit oder Unfallverletzung in den letzten vier Wochen. Der hohe Anteil unter arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen erklärt sich hauptsächlich durch einen definitionsbedingten Selektionseffekt aufgrund der krankheitsbedingten Nichtverfügbarkeit am Arbeitsmarkt in den nächsten 14 Tagen. Werden Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen zu einer Gruppe zusammengefasst, errechnet sich ein Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten/Unfallverletzten von insgesamt 12,1 %. Von den Krankheiten und Unfallverletzungen der letzten vier Wochen dauert ein Großteil am Erhebungstag noch an. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt ist bei den Erwerbslosen mit 6,5 % im Jahresdurchschnitt signifikant höher wie bei den Erwerbstätigen mit 4,4 %. Die Krankenstände zum Befragungszeitpunkt werden aber deutlich von denen der sonstigen Nichterwerbspersonen mit 10,1 % und der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen mit 26,6 % übertroffen. Der entsprechende Krankenstand von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen in einer Gruppe beläuft sich auf 8,8 %. Erwerbslose bzw. arbeitsuchende nichterwerbstätige Frauen und Männer tragen unter Adjustierung des Lebensalters eine 2,2-fach gesteigerte Odds Ratio für eine Krankheit/Unfallverletzung im Verhältnis zu den erwerbstätigen Männern und Frauen. Erwerbstätige sind im Durchschnitt nicht nur seltener von Krankheiten betroffen im Verhältnis zu den anderen Erwerbsstatusgruppen, ihre Krankheiten sind weniger schwerwiegend und verlaufen im Mittel wesentlich kürzer. Bei ca. der Hälfte der zum Befragungszeitpunkt erkrankten Erwerbslosen und arbeitsu-
142
chenden Nichterwerbspersonen handelt es sich um eine Langzeiterkrankung von über einem Jahr. Von den Krankheiten und Unfallverletzungen, die in den letzten vier Wochen auftraten, wurden 70,8 % von einem niedergelassenen Arzt ambulant und 17,3 % im Krankenhaus behandelt. Die Gruppe der Erwerbslosen/arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen lässt im Verhältnis zu den Erwerbstätigen etwas häufiger die zum Befragungszeitpunkt andauernden Krankheiten/Unfallverletzungen unbehandelt. Ihre Inanspruchnahme von stationärer Krankenhausbehandlung ist in Relation zu den Erwerbstätigen niedriger. 5.2.2 Krankheiten/Unfallverletzungen nach soziodemografischen, sozioökonomischen, erwerbsbiografischen und sonstigen Merkmalen 5.2.2.1 Krankheiten und Unfallverletzungen nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit Die Eintrittswahrscheinlichkeiten von Krankheiten nehmen generell mit dem Lebensalter zu und die verschiedenen Alters- und Sozialstrukturen zwischen den Erwerbsstatusgruppen tangieren die Gesundheitsvergleiche. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt wächst kontinuierlich mit dem Alter in der Erwerbsbevölkerung an und reicht von 2,1 % bei den 15- bis 19Jährigen bis 11,7 % bei den 60- bis 64-Jährigen. Ein vergleichbar durchgängiger Anstieg der Krankenstände ist aber nur in der Gruppe der Erwerbstätigen in Abbildung 9 zu beobachten, der allerdings in allen Altersstufen weit unter dem jeweiligen Gesamtdurchschnittsniveau bleibt. Bei den Arbeitsuchenden erhöht sich der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt (nur) bis zum 60. Lebensjahr (Abbildung 9). Er liegt bis dahin in allen Altersstufen deutlich über dem Gesamtdurchschnitt und auch über dem der Erwerbstätigen. In der obersten Altersstufe reduziert sich der Anteil der Erkrankten bei den Erwerbslosen parallel zum (sozialrechtlich veranlassten) Rückgang der Erwerbslosigkeit, z.B. durch den früheren Renteneintritt von Schwerbehinderten (vgl. Abbildung 8).
143
Abbildung 9: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Alter und Erwerbsstatus im Jahresdurchschnitt 2005 15,2%
16,0% 13,5%
14,0%
12,4%
12,0%
10,9%
in Prozent
10,0%
8,7%
8,0% 6,0% 4,0%
7,5%
7,6%
6,9%
6,6% 5,4% 4,4% 3,0%
5,0% 3,4%
3,7%
3,7%
4,3%
4,2%
2,0% ,0% 15-24
25-29
30-34
35-39
40-44
45-49
50-54
55-59
60-64
Altersgruppen Erwerbstätige
Arbeitsuchende
(N = 35.425 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Die Gruppe der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen hat zwar in allen Altersstufen den höchsten Krankenstand, stellt aber in absoluten Zahlen eine sehr kleine Gruppe dar (vgl. Tabelle 24 im Anhang). Bei den sonstigen Nichterwerbspersonen ist der im Vergleich niedrigere Krankenstand trotz höheren Alters den massiven Personenzugängen von z.T. gesünderen Erwerbslosen und Erwerbstätigen (z.B. durch Eintritt in den Vorruhestand etc.) geschuldet.
144
Abbildung 10:
Anteile der in den letzten vier Wochen Erkrankten nach Geschlecht und Erwerbsstatus (ohne Unfallverletzungen)
35,0
31,8
30,0
26,7
in Prozent
25,0 20,0 13,9
15,0 10,0
8,1
9,2
8,3
11,3
10,2
9,4 10,2
5,0 0,0 Erwerbstätige
Erwerbslose
Arbeitsuchende Nichterwerbspers.
Männlich
Sonstige Nichterwerbspersonen
Alle
Weiblich
(N = 47.287 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
10,6 % der Frauen und 10,2 % der Männer im erwerbsfähigen Alter sagen aus, in den letzten vier Wochen krank oder unfallverletzt gewesen zu sein. Als Ursache benennen Frauen häufiger als Männer eine Krankheit (10,2 % versus 9,4 %) und seltener einen Unfall (0,5 % versus 0,8 %). Wie Abbildung 10 zeigt, ist der Anteil der in den letzten vier Wochen erkrankten Frauen bei den Erwerbstätigen und Erwerbslosen höher als derjenige von Männern, bei den arbeitsuchenden und sonstigen Nichterwerbspersonen ist es umgekehrt (ohne Unfallverletzung). Bei Frauen verursachen im Vergleich zu Männern häufiger persönliche bzw. familiäre Verpflichtungen als Gesundheitsgründe die Nichtverfügbarkeit am Arbeitsmarkt. Im Unterschied zum Krankheitsgeschehen sind in allen Erwerbsstatusgruppen die Unfallquoten bei Männern durchgängig höher als bei Frauen. Die Abbildung 11 informiert über die am Erhebungstag noch anhaltenden Krankheiten und Unfallverletzungen von Männern und Frauen im Jahresdurchschnitt. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt der Frauen übersteigt insgesamt mit 6,4 % etwas den der Männer mit 6,1 %. Er liegt auch bei den Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden über dem der Männer, bei den sonstigen Nichterwerbspersonen jedoch signifikant darunter. Die Krankenstände der arbeitsuchenden Männer und Frauen übertreffen mit 8,4 % und 9,4 % die der erwerbstätigen Männer und Frauen jeweils um mindes-
145
tens das Zweifache. Die Unterschiede sind statistisch bemerkenswert (Phi = 0,066; p < 0,001 bzw. Phi = 0,072; p < 0,001). 7 Abbildung 11: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Geschlecht und Erwerbsstatus 14,0
12,0
(in Prozent)
12,0 10,0
8,4
9,4
9,0
8,0 6,0
6,4
6,1 4,2
4,6
4,0 2,0 0,0 Erwerbstätige
Arbeitsuchende
Männlich
Sonstige Nichterwerbspersonen
Alle
Weiblich
(N = 47.249 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) Anmerkung: Die Gruppe der Arbeitsuchenden setzt sich aus den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zusammen.
Zwischen Deutschen, Ausländern aus EU-Staaten und Ausländern aus Nicht-EUStaaten divergieren die Anteile der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten wenig (Tabelle 27 im Anhang). Der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten liegt bei den Eingebürgerten mit deutscher Staatsangehörigkeit und Staatsangehörigen der Russischen Föderation sogar unter dem Durchschnitt, bei den Türken dagegen etwas darüber (Tabelle 27 im Anhang). Es ist aber zu beachten, dass es sich bei den Türken und auch bei den Staatsangehörigen der Russischen Föderation um relativ junge Bevölkerungsgruppen mit einem Durchschnittsalter von ca. 36 Jahren handelt während das Durchschnittsalter der Deutschen ca. 40 Jahre beträgt. In allen erfassten Staatsangehörigkeitsgruppen hatte die Arbeitsuchenden prozentual mehr Erkrankte bzw. Unfallverletzte in den letzten vier Wochen als 7
Im vorherigen Kapitel 5.2.1.2 wurde bereits das erhöhte (altersadjustierte) Odds Ratio der arbeitsuchenden Männer und Frauen für eine Krankheit/Unfallverletzung von 2,2 ausgewiesen (Tabelle 26 im Anhang).
146
die Erwerbstätigen (Tabelle 27 im Anhang). Die Unterschiede sind aber meist klein. 5.2.2.2 Krankenstand nach Behinderung Behinderte Menschen sind im Durchschnitt häufiger krank bzw. unfallverletzt als Nichtbehinderte. Fast ein Drittel der behinderten Menschen im erwerbsfähigen Alter war in den letzten vier Wochen krank oder unfallverletzt, während der entsprechende Anteil bei den Nichtbehinderten unter einem Zehntel liegt. Diese große Differenz ist erwartungsgemäß, da nach dem Mikrozensus-Konzept „auch ein angeborenes Leiden oder eine Körperbehinderung als Krankheit einzuordnen sind, sofern sie regelmäßig ärztlich behandelt werden“ (vgl. Kap. 4.2). Außerdem sind Krankheit und Behinderung eng miteinander verbunden, da die Schadensursachen meistens auf eine Krankheit zurückgehen (vgl. StaBu, 2003), die noch fortwirken kann. Die Abbildung 12 demonstriert, dass sowohl die behinderten als auch die nichtbehinderten Erwerbslosen/arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen signifikant häufiger zum Befragungszeitpunkt von Krankheiten bzw. Unfallverletzungen betroffen sind als die behinderten und nichtbehinderten Erwerbstätigen (Phi = 0,115; p < 0,001 und Phi = 0,058; p < 0,001). Der Anteil der Erkrankten/Unfallverletzten unter den behinderten Erwerbslosen bzw. arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen übersteigt mit 28,5 % ganz erheblich den entsprechenden Wert von 16,8 % unter den behinderten Erwerbstätigen. Diese hohe Differenz in den Krankenständen unter den behinderten Menschen führt in Kombination mit dem relativ niedrigen Behindertenanteil unter Erwerbstätigen (Tabelle 4) zu beachtlichen Gesundheitsunterschieden zwischen den Erwerbsstatusgruppen insgesamt. Der besonders große Anteil an Erkrankten/Unfallverletzten unter den sonstigen nichterwerbstätigen Behinderten von 34,7 % erklärt sich durch ein höheres Durchschnittsalter von 54 Jahren und den früheren Ausstieg von Schwerbehinderten aus dem Erwerbsleben, z.B. wegen Erwerbsminderung oder Schwerbehindertenrente. Das Durchschnittsalter beträgt bei den erwerbslosen/arbeitsuchenden nichterwerbstätigen sowie erwerbstätigen Behinderten dagegen lediglich 47 und 48 Jahre.
147
Abbildung 12: Krankenstände zum Befragungszeitpunkt nach amtlich anerkannter Behinderung und Erwerbsstatus 40,0
34,7
35,0 28,5
in Prozent
30,0 25,0 20,0
nicht behindert
16,8
behindert
15,0 10,0 5,0
7,2 3,7
5,7
0,0 Erwerbstätige
Erwerbslose + arbeitsuchende Nichterwerbstätige
Sonstige Nichterwerbspersonen
(N = 47.015 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 5.2.2.3 Krankenstand nach Berufsausbildung, Berufsklasse und Stellung im Beruf Wie die Ausführungen über sozial bedingte ungleiche Gesundheitschancen im Theorienteil aufzeigten, sind Bildung und Berufsstatus zentrale Komponenten zur Konstruktion sozialer Ungleichheit. Nach dem Modell sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit in Abbildung 3 führen sie zu unterschiedlichen Lebensverhältnissen, die direkt oder auch indirekt auf den Gesundheitszustand Einfluss nehmen können. Der Mikrozensus 2005 erlaubt allerdings nicht, etablierte Instrumente zur Messung der sozialen Ungleichheit einzusetzen, weil der Fragebogen nicht alle zur Konstruktion von Schichtindizes notwendigen Items wie die berufliche Position erfasst (vgl. auch Dulon, Bardehle & Blettner, 2003). Somit kann beispielsweise der häufig in der Gesundheitsberichterstattung verwandte additive Winkler-Index nicht gebildet werden. Nachdem die für Schichtkonstruktionen üblichen Komponenten Bildung, Einkommen und berufliche Stellung stark mit der beruflichen Tätigkeit verbunden sind, bietet sich für eine Näherung an, die erfassten Berufe der Erwerbstätigen und die früher ausgeübten Berufe der Erwerbslosen und Nichterwerbspersonen in die Berufsklassifikation von Blossfeld umzusetzen. Zwischen den Berufsklassen nach dem Blossfeld-Schema variieren die Prozentsätze der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt (Tabelle
148
6) und in den letzten vier Wochen ganz erheblich (Tabelle 28 im Anhang). Am geringsten sind sie bei den Professionen, Ingenieuren, Technikern und Managern und am höchsten bei den Angehörigen von einfachen manuellen Diensten und einfachen Diensten. Die Krankenstände der Erwerbslosen zum Befragungszeitpunkt übersteigen die der Erwerbstätigen in allen 12 Berufsklassen, die Unterschiede sind aber meistens klein. Werden Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen zusammengefasst, übertreffen sie in allen Berufsklassen prozentual die Anteile der erkrankten/unfallverletzten Erwerbstätigen zum Befragungszeitpunkt und in den letzten vier Wochen, zum Großteil auch statistisch auffällig (Tabelle 6). Je niedriger der berufliche (höchste) Abschluss ist, desto größer fallen in der Tendenz die Krankenstände zum Befragungszeitpunkt aus (Tabelle 6). Innerhalb der Untergruppen mit gleichartigem Berufsabschluss sind die Erwerbslosen im Durchschnitt häufiger zum Befragungszeitpunkt erkrankt/unfallverletzt als die Erwerbstätigen, die Unterschiede sind aber meist klein. Die Differenzen in den Krankenständen werden erst richtig deutlich, wenn Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen vereinigt werden. Die Arbeitsuchenden waren im Verhältnis zu den Erwerbstätigen in allen Untergruppen mit gleichartigem Berufsabschluss signifikant häufiger erkrankt oder unfallverletzt in den letzten vier Wochen ebenso wie zum Befragungszeitpunkt (Tabelle 6). Die Arbeiter litten im Durchschnitt wesentlich häufiger als die Angestellten, Selbstständigen und Sonstigen an Krankheiten/Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen und zum Befragungszeitpunkt (Tabelle 6 und Tabelle 28 im Anhang). Die durchschnittlichen Krankenstände der Erwerbslosen (und auch der Arbeitsuchenden) überwiegen deutlich die der Erwerbstätigen am Erhebungstag sowohl innerhalb der Arbeiterschaft als auch bei den Angestellten und Selbstständigen in signifikanter Weise (Tabelle 6). Bei näherer Betrachtung wird offenkundig, dass nur wenige vormals Selbstständige erwerbslos oder arbeitsuchend sind, diese aber in der Erwerbslosigkeit einen relativ hohen Anteil Erkrankter/Unfallverletzter aufweisen (Tabelle 6). Der jahresdurchschnittliche Krankenstand zum Befragungszeitpunkt beläuft sich bei den Erwerbslosen, die vorher selbstständig waren, auf beachtliche 9,2 %, während die Krankenstände der erwerbslosen Arbeiter und der erwerbslosen Angestellten bei 6,9% bzw. 6,6 % liegen. Die Selbstständigen haben damit in Erwerbstätigkeit den niedrigsten und in Erwerbslosigkeit den höchsten Krankenstand im Verhältnis zu den Arbeitern, Angestellten und Sonstigen.
149
Tabelle 6:
Krankenstände zum Befragungszeitpunkt nach Berufsausbildung und Stellung im Beruf Total ArSonstige beitNichtersuchwerbsende* pers. Anteile Erkrankter/Unfallverletzter (Sp.-%) Erwerbstätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1
2
3
4
5
Berufsklassifikation (nach Blossfeld) (N) 1. Agrarberufe 2. Einfache manuelle Berufe 3. Qualifizierte manuelle Berufe 4. Techniker 5. Ingenieure 6. Einfache Dienste 7. Qualifizierte Dienste 8. Semiprofessionen 9. Professionen 10. Einfache kaufm. u. Verwaltungsberufe 11. Qualifizierte kaufmännische und Verwaltungsberufe 12. Manager Nieerwerbstätige oder keine Angabe
(30.373) (4.441) 4,7 7,4 5,3 9,0 4,2 8,2 3,7 6,1 2,9 8,5 5,3 11,5 4,2 7,8 4,9 10,9 3,0 / 4,5 9,3 7,2 9,8 7,4
9,4 7,2 6,1
Höchster beruflicher Abschluss (N) Kein beruflicher Ausbildungs- oder Hochschul-/Fachhochschulabschluss 1. Anlernausbildung, berufl. Praktikum (mind. 12 Mon.), Berufsvorbereitungsjahr 2. Abschluss einer Lehrausbildung, einer Berufsfachschule, Vorbereitungsdienst ÖD 3. Meister-/Techniker- oder gleichwertiger Fachschulabschluss, Fachschule der DDR 4. Fachhochschulabschluss, Abschluss Verwaltungsfachhochschule 5. Abschluss einer Universität, Promotion Ohne Angabe zum beruflichen Abschluss
(30.906) (4.525)
(11.822)
4,1 3,6 -
(11.673) 12,2 13,3 13,2 7,4 6,2 13,6 9,6 9,0 5,1 11,0
Phi für Sp. 2 + 3 (Signifikanzniveau) 6
(46.487) 6,8 8,1 6,6 4,7 4,0 7,8 5,6 6,2 3,6 6,7 5,5 4,6 6,3
n.s P < 0,001 P < 0,001 n.s P < 0,05 P < 0,001 P < 0,05 P < 0,001 n.s P < 0,001 P < 0,01 P < 0,01 -
(47.253)
4,9
9,5
6,6
6,2
P < 0,001
4,5
10,5
14,5
7,8
P < 0,05
4,5
8,5
14,3
6,7
P < 0,001
4,2
8,5
14,5
5,8
P < 0,01
3,8 3,6 /
9,6 7,7 /
11,5 9,7 /
4,9 4,5 5,5
P < 0,01 P < 0,01 n.s
(30.904) (4.525) (11.823) (47.252) Stellung im Beruf (aktuell / zuletzt) (N) Selbstständiger 3,6 13,3 17,8 5,1 P < 0,001 Angestellter 4,1 8,8 12,1 5,9 P < 0,001 Arbeiter, Heimarbeiter 5,2 9,8 19,0 8,5 P < 0,001 Sonstige (Beamter, Richter, Mithelfender Familienangehöriger, Azubi, Zivi, Soldat) n.s 4,2 4,9 11,7 5,1 Entfällt (ohne frühere Erwerbstätigkeit) 5,3 3,5 3,7 * Die Gruppe der Arbeitsuchenden setzt sich aus Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zusammen. Anmerkung: Hochgerechnete Besetzungszahlen unter 5.000 werden nicht nachgewiesen und durch Schrägstrich („/“) ersetzt.
150
5.2.2.4 Krankenstand nach Erwerbsstatus im Vorjahr und Dauer der Arbeitsuche Ein Teil der Personen, die vor 12 Monaten arbeitslos waren, befindet sich am Erhebungstag in Erwerbstätigkeit (Tabelle 29 im Anhang). Sie sind - wie Abbildung 13 veranschaulicht - zum Befragungszeitpunkt wesentlich seltener erkrankt/unfallverletzt im Verhältnis zu denen, die vor 12 Monaten arbeitslos waren und auch gegenwärtig noch arbeitsuchend sind. Die Differenz ist statistisch signifikant. Umgekehrt sind die Erwerbstätigen, die bereits vor 12 Monaten schon erwerbstätig waren, signifikant weniger von Krankheiten/Unfallverletzungen betroffen als die vormals Erwerbstätigen, die am Erhebungstag zu den Erwerbslosen oder arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zählen. Auffälligerweise ist der Krankenstand von den Erwerbstätigen, die vor einem Jahr arbeitslos waren, mit 4,4 % identisch mit dem der Erwerbstätigen, die Abbildung 13: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt nach Erwerbsbeteiligung vor 12 Monaten - in Prozent -
10,0 Vor 12 Monaten arbeitslos
4,4
6,8 Vor 12 Monaten erwerbs-/berufstätig 4,4
0,0
2,0 Erwerbstätige
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbstätige
(N = 32.580 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
151
schon vor einem Jahr erwerbstätig waren (Abbildung 13). Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass vorwiegend gesunde Arbeitslose einen Arbeitsplatz erhalten haben und/oder sich der Gesundheitszustand der ehemaligen Arbeitslosen in Erwerbstätigkeit mittlerweile sehr gebessert hat, weil die Belastungen durch die Arbeitslosigkeit weggefallen sind. In der Arbeitslosenforschung sind positive Effekte auf die psychische Gesundheit bei Wiederbeschäftigten nachgewiesen (Abbildung 5). Der Hintergrund lässt sich mit dem Mikrozensus nicht vollständig aufklären, da der Krankenstand vor 12 Monaten nicht erfasst ist. Von den Interviewpersonen, die zur Situation vor zwölf Monaten „Hausfrau/-mann“ angaben, erfahren die aktuell Erwerbstätigen weniger Krankheiten/Unfallverletzungen zum Befragungszeitpunkt als die, die erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig sind. Auch diese Assoziation ist statistisch gesichert (Tabelle 29 im Anhang). Die Abbildung 14 beleuchtet den Zusammenhang zwischen Krankenstand zum Befragungszeitpunkt und Dauer der Arbeitsuche. Der Anteil der Erkrankten und Unfallverletzten ist bei Erwerbslosen im ersten Monat der Arbeitsuche mit 6,1 % vergleichsweise hoch und fällt bei den Erwerbslosen nach dem ersten Monat Suchdauer zunächst ab.
in Prozent
Abbildung 14: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt nach Dauer der Arbeitsuche 50,0 45,0 40,0 35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 10,0 5,0 0,0
44,9 36,8 29,0
26,5 22,1 16,9 15,4
15,0 7,4
10,1
6,5
6,8
8,0 5,5
7,7 5,6
7,2
13,6 9,5
6,1
5,0
Weniger als 1 Monat
1 bis unter 3 bis unter ½ bis unter 1 bis unter 1 ½ Jahre 2 bis unter 4 und mehr 3 Monate 6 Monate 1 Jahr 1 ½ Jahre bis unter 2 4 Jahre Jahre Jahre Erwerbslose
5,4
6,7 5,1
Arbeitsuchende
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
(N = 4.435 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) Anmerkung: Die Gruppe der Arbeitsuchenden setzt sich aus den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zusammen.
152
Für diese Beobachtung dürfte ein „Erleichterungseffekt“ nach starker Belastung im Zuge des Arbeitsplatzverlustes verantwortlich sein (siehe Kap. 1.4.2). Nach den Mikrozensus-Daten wird dieser Effekt offensichtlich durch die Umstände einer Entlassung vor Eintritt in Erwerbslosigkeit verursacht. Bei der Gruppe der Erwerbslosen, die wegen Entlassung eine Arbeit suchen, reduziert sich der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt zwischen denen im ersten Monat der Stellensuche und denen im zweiten bis dritten Monat der Suche von 6,3 % auf 4,1 %. Bei den Erwerbslosen, die aus anderen Gründen arbeitsuchend sind (vgl. Tabelle 22 im Anhang), steigt hingegen der entsprechende Krankenstand in Relation von 5,0 % auf 6,4 %. Der Krankenstand pendelt sich dann nach Abbildung 14 bei den Erwerbslosengruppen, die schon länger suchen, zwischen 5,0 % und 5,6 % ein und vergrößert sich bei einer Arbeitsuche von zwei bis vier Jahren mit 7,2 % deutlich. Ab vier Jahren Suchdauer ist er mit Abstand am höchsten und erreicht 9,5 %. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt ist dadurch bei den Langzeiterwerbslosen mit 7,4 % signifikant größer als bei den kürzer suchenden Erwerbslosen mit 5,3 % (Phi = 0,044; p < 0,01). Beim Abgleich der Krankenstände von Erwerbslosen mit arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen ist – wie oben mehrfach ausgeführt – aber zu beachten, dass der gravierende definitionsbedingte Unterschied zwischen den beiden Gruppen in der Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt liegt. Das bedeutet, dass die Erwerbslosen zwar erkrankt sind, aber in den nächsten vierzehn Tagen eine angebotene Tätigkeit annehmen könnten. Wäre die Krankheit schwerwiegender und würde sie eine längere Nichtverfügbarkeit bewirken, wechselt der Erwerbsstatus von erwerbslos zu arbeitsuchend nichterwerbstätig. Die beobachtete Entwicklung der Krankenstände in Abbildung 14 hängt daher auch mit den Personenbewegungen zwischen den Erwerbsstatusgruppen zusammen. Bei den Krankenständen der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zeichnet sich in Abhängigkeit von der Suchdauer ein etwas anderer Trend als bei den Erwerbslosen ab. Der Krankenstand beträgt 15,0 % bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen, die weniger als einen Monat suchen, und vergrößert sich stark und kontinuierlich mit der Länge der Arbeitsuche bis zu 44,9 % bei mindestens vierjähriger Arbeitsuche. Die Abbildung 14 informiert außerdem über die zusammengefassten Krankenstände von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen und die deutlichen Differenzen zu den jeweiligen Krankenständen der Erwerbslosen. Als wichtiger Einflussfaktor auf die Krankheitsentwicklung ist aber das Alter zu berücksichtigen. Während das mittlere Alter der unter einem Monat arbeitsuchenden Erwerbslosen 35 Jahre beträgt, liegt es bei den Erwerbslosen, die schon mindestens vier Jahre suchen, mit 46 Jahren erheblich höher. Das Durch-
153
schnittsalter der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen steigert sich analog von 30 auf 46 Jahre. 5.2.2.5 Krankenstand nach Haushaltsstrukturen In Kap. 1.4.3.2 wurde die Bedeutung von Familie und sozialer Unterstützung für die Bewältigung von Arbeitslosigkeit bereits erörtert und auf den moderierenden Einfluss bezüglich der Gesundheitsfolgen von Arbeitslosigkeit hingewiesen. Die familiären Beziehungen werden aber häufig sowohl als sozial unterstützend als auch belastend durch bestehende Abhängigkeiten beschrieben. Eine soziale Isolation wird ebenfalls häufig in der Literatur berichtet. Der Mikrozensus 2005 klärt zwar nicht die sozialen Beziehungen, erfasst aber als Haushaltsbefragung die Strukturen des ausgewählten Haushaltes und alle Haushaltsmitglieder. Somit können für die Erwerbslosen u.a. die Anzahl und der Erwerbsstatus der weiteren Angehörigen im gemeinsamen Haushalt bestimmt werden. Außerdem werden Einpersonenhaushalte identifiziert. Wie Abbildung 15 illustriert, sinkt in allen Erwerbsstatusgruppen der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten/Unfallverletzten mit zunehmender Größe der Haushaltsgemeinschaft. Besonders ausgeprägt ist der Zusammenhang bei den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen. Abbildung 15: Anteile der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten nach Erwerbsstatus und Anzahl der Personen im Haushalt
Anteil Erkrankter in % .
50 45
45,8
1 Person im Haushalt
40 35 30 25 20 15 10
34,6
2 Personen im Haushalt 22,0 21,2 12,0 10,1 8,5
7,5
12,0 10,78,4
22,8
3 Personen im Haushalt 16,3 11,1 7,0
7,1
5 0 Erwerbstätige
Erwerbslose
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
4 und mehr Personen im Haushalt
Sonstige Nichterwerbspersonen
(N = 47.113 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
154
Krankheiten/Unfallverletzungen der letzten vier Wochen sind ebenfalls mit der Zahl der Erwerbstätigen im Haushalt assoziiert. Das bedeutet für die Gruppe der Erwerbslosen, dass der in der Abbildung 15 ausgewiesene Anteil an Erkrankten/Unfallverletzten im Durchschnitt noch etwas niedriger ist, wenn Haushaltsangehörige erwerbstätig sind. Möglicherweise erklärt sich ein Teil der als ambivalent beschriebenen Einflussnahme der Familie auf die Bewältigung von Erwerbslosigkeit durch den Erwerbsstatus der Angehörigen im Haushalt und die damit verbundenen Ressourcen. Der hohe Anteil der Erkrankten/Unfallverletzten unter den Alleinlebenden könnte mit der in der Literatur berichteten Tendenz zur Selbstisolierung und mangelnder sozialer Unterstützung im Krankheitsfall zusammenhängen. 5.2.2.6 Krankenstand nach Leistungsbezug und Einkommen Wie im Theorieteil u.a. in Kap. 1.4.3.1 erörtert, wurden die Einflussnahmen der finanziellen Belastungen und sozialen Sicherungssysteme bei den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit zwar ausführlich in der Wissenschaft diskutiert und in Theorien wie die Handlungs-Restriktionstheorie von Fryer (1986) oder das Vitaminmodell von Warr (1987) explizit integriert, aber die Wirkmechanismen und Effektgrößen sind letztlich noch nicht vollständig aufgeklärt. Arbeitslosigkeit ist auch in Deutschland einer der Hauptrisikofaktoren für Armut. Die Frage nach den Leistungsbezügen Arbeitslosengeld I, Alg II und Sozialgeld/-hilfe ordnet die Leistungsbezieher in der Systematik des deutschen Wohlfahrtstaates nicht nur den unterschiedlichen Rechtskreisen zu, sondern bedeuten beim Arbeitslosengeld I eine zeitlich befristete Lohnersatzleistung, die sich am vorherigen Einkommen orientiert, und beim Alg II eine Pauschale zur Deckung des Gesamtbedarfs (abzüglich etwaigen anrechenbaren Einkommens und Vermögens sowie Unterhaltsverpflichtungen von Bedarfsgemeinschaftsmitgliedern). Nichterwerbsfähige bekommen Sozialgeld. Der Mikrozensus erfasst den überwiegenden Lebensunterhalt und Bezug öffentlicher Zahlungen u.a. von
Arbeitslosengeld I oder Alg II Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung, Asylbewerberleistungen Wohngeld Einkommen aus eigenem Vermögen, Zinsen Höhe des Nettoeinkommens im letzten Monat (je Haushaltsmitglied).
155
Alg II-Bezieher waren im Durchschnitt signifikant häufiger als Arbeitslosengeld I-Bezieher in den letzten vier Wochen erkrankt/unfallverletzt (Phi = -0,046; p < 0,01) und die Krankheiten/Unfallverletzungen dauerten in der Tendenz länger an (Tabelle 30 im Anhang). Zum Befragungszeitpunkt ist der Krankenstand von Alg II-Beziehern mit 7,5 % signifikant höher als bei Arbeitslosengeld IBeziehern mit 5,2 % (Phi = 0,045; p < 0,01). Alg II-Bezieher nehmen trotz länger andauernden gesundheitlichen Beschwerden tendenziell seltener ärztliche Hilfe in Anspruch wie Arbeitslosengeld I-Bezieher. Die Tabelle 30 im Anhang informiert darüber, dass sich Leistungsbezieher von Arbeitslosengeld I und Alg II aber nicht nur unter den Erwerbslosen, sondern unter allen Erwerbsstatusgruppen befinden. Es gibt sowohl Nichterwerbspersonen mit Leistungsbezug, z.B. wenn sie an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik teilnehmen, als auch Erwerbstätige, die ihr Gehalt mit dem Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung oder Grundsicherung aufstocken. Das SGB II ermöglicht den Leistungsbezug in Kombination zur Erwerbstätigkeit. Nach der Ilo-Konzeption zählen als Erwerbstätigkeit zum Beispiel auch marginale oder geringfügige Beschäftigungen mit einem Verdienst unter 400 Euro pro Monat („Mini-Job“). Die unterschiedlichen Definitionen von Arbeits- und Erwerbslosigkeit und die damit verbundenen verschiedenen Zählweisen wurden schon im Kapitel 3.2.1 erörtert. Abbildung 16: Krankheit/Unfallverletzung nach Leistungsbezug bei Erwerbslosen 25,0 21,2
in Prozent
20,0 15,1
15,0
12,7 10,5
10,0
8,6
8,3 5,6
5,0
7,4
7,9
5,1
0,0 Kein Bezug von Nur Bezug von Nur Bezug von Nur Bezug von Sozialhilfe, -geld, Alg I oder II, Arbeitslosengeld I Alg II (1.870 Tsd.) Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung + Sozialhilfe, -geld, (1.134 Tsd.) Grundsicherung Arbeitslosengeld I Grundsicherung (63 Tsd.) oder Alg II (875 Tsd.) (52 Tsd.) Krankheit/Unfallverl. i.d.l. 4 Wochen
gegenwärtig andauernd
(N = 3.993 Tsd., N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
156
Die Abbildung 16 demonstriert für die Gruppe der Erwerbslosen eine „Leistungsempfänger-Hierarchie“ nach Krankenständen: Am günstigsten ist der Gesundheitszustand bei den Erwerbslosen ohne finanziellen Leistungsempfang und bei Beziehern von Arbeitslosengeld I. Der Anteil der Erkrankten und Unfallverletzten liegt bei den Beziehern von Alg II erheblich höher und wird nochmals deutlich von dem der Bezieher von Sozialhilfe/-geld oder Grundsicherung übertroffen. Am allerhöchsten ist er aber mit besonders großem Abstand bei den Erwerbslosen, die zum Arbeitslosengeld I und Alg II noch zusätzlich Sozialhilfe/–geld beziehen. In dieser Gruppe ist der Krankenstand rund doppelt so hoch als bei den Alg II-Beziehern. Allerdings bezieht nur eine sehr kleine Anzahl von Erwerbslosen Sozialhilfe/-geld. Bei den erwerbstätigen Alg II-Beziehern sind die Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt und der in den letzten vier Wochen etwas höher als die vergleichbaren Anteile der übrigen Erwerbstätigen (Phi = 0,015; p < 0,05 und Phi = 0,013; p < 0,05). Bei den Arbeitslosengeld IBeziehern besteht ein analoger Trend. Die Empfänger von Wohngeld sind ebenfalls hochsignifikant häufiger erkrankt/unfallverletzt als die Personen ohne Wohngeldbezug sowohl innerhalb der letzten vier Wochen als auch zum Befragungszeitpunkt (Phi = 0,037; p < 0,001 bzw. Phi = 0,042; p < 0,001). Die Assoziation zwischen Nettoeinkommen im letzten Monat und dem Krankenstand in den letzten vier Wochen ist dagegen insgesamt uneinheitlich und nicht linear. Wider Erwarten wies die Gruppe mit dem geringsten Einkommen unter 700 Euro nicht die höchste Krankheitsprävalenz auf (Tabelle 30 im Anhang). Innerhalb der verschiedenen Einkommensklassen weist die Gruppe der Erwerbslosen/arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen durchgängig erheblich höhere Anteile an Erkrankten/Unfallverletzen als die Erwerbstätigen auf. Ein sehr kleiner Teil der Erwerbslosen (1,2 %) gibt außerdem andere Einkommen aus eigenem Vermögen bzw. Zinsen an. Für diese ist nur im Trend ein etwas niedriger Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten bzw. Unfallverletzten als bei den übrigen Erwerbslosen festzustellen (8,1 % versus 9,7 %). Alles in allem legen diese Ergebnisse nahe, dass finanzielle Sorgen möglicherweise die Gesundheitsbelastungen durch Erwerbslosigkeit verstärken und sich dabei aber nicht über die einfache Einkommenshöhe vermitteln, sondern über die Deckung des notwendigen Lebensbedarfs. Dieser kann je nach Situation unterschiedlich hoch ausfallen und wird z.B. bei Bezug von Alg II- und Sozialhilfe-/geld vorher von Amts wegen geprüft.
157
5.2.2.7 Krankenstand der Kinder nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers Erwerbslosigkeit betrifft sozialrechtlich und finanziell ganze Bedarfsgemeinschaften. Aus dem Blickfeld geraten häufig die negativen Folgen für die Kinder. Nach dem Mikrozensus 2005 lebt rund ein Zehntel der Kinder unter 15 Jahren in Familien, deren Haupteinkommensbezieher erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig sind. Die Tabelle 32 im Anhang enthält Informationen über den Gesundheitszustand der Kinder unter 15 Jahren nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers im gemeinsamen Haushalt. Die Kinder von erwerbslosen oder arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern sind etwas häufiger krank/unfallverletzt zum Befragungszeitpunkt als die Kinder von erwerbstätigen oder sonstigen nichterwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern. Die Krankheitsdauern von Kindern erwerbstätiger Haupteinkommensbezieher sind im Durchschnitt kürzer und werden in geringerem Maße ambulant oder stationär behandelt als in den anderen Erwerbsstatusgruppen. Außerdem ist bei erwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern der Anteil von Kindern mit einer amtlich anerkannten Behinderung am niedrigsten. Allerdings sind diese Unterschiede nicht statistisch bedeutsam. Der Gesundheitszustand der Kinder unter 15 Jahren korrespondiert ebenfalls mit dem Familien- oder Lebensformtyp in der Haushaltsgemeinschaft (Tabelle 32 im Anhang). Innerhalb der Gruppe der erwerbslosen Haupteinkommensbezieher waren 7,8 % der Kinder von Ehepaaren in den letzten vier Wochen krank oder unfallverletzt während der analoge Anteil bei Kindern in nichtehelichen Lebensgemeinschaften 11,8 % und bei Kindern von Alleinerziehenden 15,4 % beträgt. Die Unterschiede zwischen den Kindern dieser drei Erwerbslosengruppen sind hochsignifikant (Pearson Chi-Square = 10,5; df = 2; p < 0,01). Das Alter der Kinder ist in der Gruppe der arbeitsuchenden und sonstigen Nichterwerbspersonen vergleichsweise niedrig. In diesen beiden Gruppen ist ca. ein Fünftel der Kinder am Erhebungstag unter zwei Jahren alt, was die geringere Verfügbarkeit der Bezugspersonen am Arbeitsmarkt aufgrund der Kinderbetreuungspflichten erklärt. 5.2.2.8 Krankenstand nach Regionalbezug Die Erwerbslosigkeit divergiert in Abhängigkeit von regionalen Arbeitsmärkten und ist besonders hoch in Ostdeutschland. Die Krankenstände zum Befragungszeitpunkt unterscheiden sich kaum beim Vergleich der gesamten ost- und west-
158
deutschen Erwerbsbevölkerung (Abbildung 17). In Westdeutschland sind aber die Anteile der Erkrankten/Unfallverletzten sowohl bei den Erwerbstätigen als auch bei den Erwerbslosen höher als in Ostdeutschland. Dafür übersteigt in Ostdeutschland der Anteil an Erkrankten/Unfallverletzten unter den Nichterwerbspersonen den Äquivalenzwert in Westdeutschland in statistisch bemerkenswerter Weise (Phi 0,027; p < 0,01). Abbildung 17: Anteile der zum Befragungszeitpunkt Erkrankten und Unfallverletzten nach West-/Ostdeutschland und Erwerbsstatus - in Prozent Erwerbstätige Erwerbslose
4,1 4,5 5,3
7,1
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
26,0
Sonstige Nichterwerbspersonen
28,7
11,3 9,8 6,3 6,2
Insgesamt 0,0
5,0
10,0
15,0
Westdeutschland
20,0
25,0
30,0
35,0
Ostdeutschland
(N = 47.250 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Die Krankenstände der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen betragen zusammen in Westdeutschland 9,5 % und in Ostdeutschland 7,8 % zum Befragungszeitpunkt und übertreffen in statistisch auffälliger Weise die analogen Werte der Erwerbstätigen (Phi = 0,71; p < 0,001 und Phi = 0,69; p < 0,001) Die Daten im Mikrozensus können auch nach den Bundesländern repräsentativ aufgeschlüsselt werden (Abbildung 31 im Anhang). Zwischen den Bundesländern gibt es ganz beachtliche Disparitäten in den Krankenstandsquoten bei den Erwerbstätigen und den Erwerbslosen. In allen Bundesländern ist aber - relativ gesehen - der Anteil der zum Befragungszeitpunkt Erkrankten/Unfallverletzten bei den Erwerbslosen höher als bei den Erwerbstätigen.
159
Alle ostdeutschen Bundesländer haben vergleichsweise niedrige Krankenstände sowohl unter Erwerbstätigen als auch Erwerbslosen. Am höchsten sind die Krankenstände in Hessen und Berlin. Im Bundesländervergleich nehmen vom Trend her die Krankenstände von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen mit der Höhe der Erwerbslosigkeitsquoten ab während die von sonstigen Nichterwerbspersonen zunehmen. Ähnlich wie bei den Anteilen der Erkrankten und Unfallverletzen ergeben sich im Ost-West-Vergleich Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung von behinderten Menschen (Abbildung 18). In Ostdeutschland gehören Behinderte im Durchschnitt signifikant häufiger zu den sonstigen Nichterwerbspersonen als in Westdeutschland (Phi 0,040; p < 0,001). Die Behindertenquote ist in Ostdeutschland sowohl bei den Erwerbstätigen als auch bei den Erwerbslosen signifikant niedriger als in Westdeutschland (Phi -0,019; p < 0,01 und Phi -0,044; p < 0,01). Offensichtlich gelingt es in Westdeutschland besser, Behinderte und Kranke in das Beschäftigungssystem zu integrieren während sie in Ostdeutschland stärker in die Nichterwerbstätigkeit abgleiten und die Arbeitsuche in höherem Maße - eventuell aus Resignation - eingestellt haben. Abbildung 18: Anteile behinderter Menschen West-/Ostdeutschland - in Prozent 4,2
Erwerbstätige
nach
Erwerbsstatus
und
5,3 5,5
Erwerbslose
7,8
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
11,5
Sonstige Nichterwerbspersonen
13,4 14,7
18,3
7,7 8,0
Insgesamt 0,0
5,0
10,0
Westdeutschland
15,0
20,0
Ostdeutschland
(N = 47.302 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Im Mikrozensus wird auf regionale Repräsentativität bei der Ziehung der Auswahlbezirke nach regionaler Schichtuntergruppe, Kreis, Gemeindegrößen-
160
klasse und Gemeinde geachtet. Der Datensatz des Mikrozensus Scientific Use File 2005 beinhaltet eine vergröberte Variable nach Gemeindegröße. Ein Vergleich der Krankenstände zum Befragungszeitpunkt zeigt bei den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen in der Tendenz eine relative Zunahme von Erkrankten/Unfallverletzen mit der Gemeindegröße (Abbildung 30 im Anhang). Am höchsten ist ihr Krankenstand in Städten mit mindestens 500.000 Einwohnern. Möglicherweise ist dafür ein Stadt-Land-Effekt mit einem etwas geringeren Impact von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit in ländlichen Regionen verantwortlich (Kasl & Jones, 2002). 5.2.2.9 Saisonale Schwankungen von Arbeitsmarkt- und Krankheitsrisiken Der Mikrozensus des Jahres 2005 markiert den Übergang vom Berichtswochenkonzept zur unterjährigen Erhebung (Lotze & Breiholz, 2002). Sowohl die Erwerbslosigkeit als auch das Vorhandensein von Krankheiten unterliegen bekanntermaßen saisonalen Schwankungen. Die kurzfristigen saisonalen Schwankungen bei Arbeitslosigkeit überlagern außerdem meistens noch konjunkturelle Veränderungen (Rudolph, 2001). Saisonale Effekte sind vor allem bei terminlichem Voroder Hinausziehen von Einstellungen und Entlassungen zu erwarten oder wenn am Schuljahresende Abgänger von Schule und Ausbildung am Arbeitsmarkt eintreten. Die saisonalen Effekte von Erwerbslosigkeit und Krankheitsinzidenz Abbildung 19: Erwerbsstatusgruppen nach Quartalen - auf 100 Prozent skaliert 70,0 64,7
65,3
65,7
65,8
60,0 1 Erwerbstätige
50,0
2 Erwerbslose
40,0 30,0
25,6
25,1
24,9
24,8
3 Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen 4 Sonstige Nichterwerbspersonen
20,0 10,0
8,6
8,4
8,2
8,1
0,0
1,1
1,2
1,2
1,3
1. Quartal
2. Quartal
3. Quartal
4. Quartal
(N = 55.137)
161
können möglicherweise die Vergleiche der Gesundheitszustände von Erwerbstätigen und Erwerbslosen beeinflussen, wenn beispielsweise während des Winters im Baugewerbe oder in der Gastronomie saisonbedingt Beschäftigte arbeitslos werden und gleichzeitig Grippeerkrankungen zunehmen. Mit dem Mikrozensus 2005 ist nun eine Überprüfung solcher saisonalen Effekte möglich. Im Jahr 2005 wuchs der Anteil der Erwerbstätigen nach dem Mikrozensus vom ersten bis zum vierten Quartal leicht, aber beständig an, während die Anteile der Erwerbslosen und sonstigen Nichterwerbspersonen im Gegenzug marginal sanken (Abbildung 19). Die Gruppe der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen vergrößerte sich geringfügig vom ersten bis zum vierten Quartal von 1,1 % auf 1,3 %. Die Abbildung 20 dokumentiert die prozentuale Verteilung der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten nach Quartalen. Rund ein Drittel der in den letzten vier Wochen Erkrankten oder Unfallverletzten wurde im ersten Quartal des Jahres 2005 erfasst. Die wenigsten Erkrankten gab es im zweiten und dritten Quartal, obwohl in diesem Halbjahr die Zahl der Unfallverletzungen im Vergleich zu den beiden anderen Quartalen leicht erhöht war. Nur im letzten Quartal entspricht der Anteil genau einem Viertel. Abbildung 20: Krankheiten/Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen nach Quartalen
4. Quartal 25%
3. Quartal 20%
1. Quartal 32%
2. Quartal 23% (N = 47.286 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
162
Abbildung 21: Krankheiten/Unfallverletzungen zum Befragungszeitpunkt nach Quartalen 8,0
7,3
in Prozent
7,0 6,0
6,5
6,2
5,8
5,2
5,0 4,0
4,8 4,0
3,8
2. Quartal
3. Quartal
3,0 2,0 1,0 0,0 1. Quartal
Erwerbstätige
4. Quartal
Erwerbslose
(N = 34.896 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Die Balkendiagramme der Abbildung 21 und Abbildung 22 decken nun bemerkenswerte saisonale Krankheitseffekte zwischen den Erwerbsstatusgruppen auf. In den vier Quartalen der Abbildung 21 sind die Krankenstandsquoten zum Befragungszeitpunkt der Erwerbslosen deutlich größer als die der Erwerbstätigen. Die Unterschiede sind im zweiten Quartal statistisch hochsignifikant und im dritten bis vierten Quartal signifikant. In Abbildung 22 ist dagegen im ersten Quartal der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten/Unfallverletzten bei den Erwerbslosen geringer als bei den Erwerbstätigen. Beim zweiten, dritten und vierten Quartal überwiegen wieder die Anteile der in den letzten vier Wochen Erkrankten/Unfallverletzten bei den Erwerbslosen die der Erwerbstätigen. Die Unterschiede fallen aber in Relation kleiner als bei den Krankenstandsquoten zum Befragungszeitpunkt aus. Die Gesundheitsunterschiede sind zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen in den vier Quartalen statistisch nicht signifikant.
163
Abbildung 22: Krankheiten/Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen nach Quartalen 14,0 12,0
12,2
in Prozent
10,7
10,2
10,0
9,7
9,4
8,4
8,3 7,1
8,0 6,0 4,0 2,0 0,0 1. Quartal
2. Quartal Erwerbstätige
3. Quartal
4. Quartal
Erwerbslose
(N = 34.921 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Bei einem vierwöchigen rückwärtigen Beobachtungszeitraum wird das Krankheitsspektrum durch eine Vielzahl von kleineren und kurz andauernden Erkrankungen (bei ansonsten gesunden Menschen) überlagert, z.B. durch das für das erste Jahresquartal typische Auftreten von Grippe- und Erkältungskrankheiten. Beim Krankenstand zum Befragungszeitpunkt kommen dagegen chronische Krankheiten stärker zur Geltung. Für den Vergleich der Gesundheitsunterschiede zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen ist also von größter Relevanz, in welcher Jahreszeit die Befragung durchgeführt wird und ob die Fragen zur Gesundheit und Krankheit methodisch eine Punkt- oder Periodenprävalenz messen (vgl. Kap. 4.2). 5.2.2.10 Zusammenfassung von Kapitel 5.2.2 Die Krankenstände zum Befragungszeitpunkt nehmen mit steigendem Alter stark zu. Die Krankenstände von Arbeitsuchenden befinden sich in allen Altersstufen über dem der Erwerbstätigen. Die Frauen haben einen etwas höheren Krankenstand zum Befragungszeitpunkt unter den Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden im Vergleich zu den Männern. Die Anteile der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten differieren kaum zwischen Deutschen, EU-Ausländern und Ausländern aus Nicht-EU-Staaten. Die Erwerbstätigen weisen innerhalb dieser Gruppen prozen-
164
tual die jeweils wenigsten Erkrankten/Unfallverletzten im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen auf. Die Krankenstände zum Befragungszeitpunkt variieren stark zwischen den Berufsklassen nach dem Blossfeld-Schema und sind bei den einfachen manuellen Diensten und einfachen Diensten am höchsten. Generell liegt der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten oder Unfallverletzten umso höher, je niedriger der höchste berufliche Abschluss ist. Die Krankenstände zum Befragungszeitpunkt der Erwerbslosen/arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen übersteigen dabei die der Erwerbstätigen in allen zwölf Berufsklassen und in den Untergruppen nach Berufsabschluss. Die Arbeiter litten im Durchschnitt häufiger als die Angestellten, Selbstständigen und Sonstigen an Krankheiten/Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen und zum Befragungszeitpunkt. Innerhalb dieser Kategorien übertreffen die Krankenstände zum Befragungszeitpunkt bei den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen die der Erwerbstätigen erheblich. Bei den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen widerfahren den vormals Selbstständigen prozentual am häufigsten Krankheiten/Unfallverletzungen zum Befragungszeitpunkt. Innerhalb der Gruppe von Personen, die vor 12 Monaten arbeitslos waren, haben die aktuell Erwerbstätigen einen signifikant besseren Krankenstand zum Befragungszeitpunkt als die Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen. Ebenso sind ehemalige Hausfrauen/-männer in aktueller Erwerbstätigkeit seltener krank/unfallverletzt als in Erwerbslosigkeit bzw. Arbeitsuche. Umgekehrt ist in der Gruppe von Personen, die vor 12 Monaten erwerbstätig waren, der Krankenstand bei gegenwärtig Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen ungünstiger als bei Erwerbstätigen. Die Langzeiterwerbslosen sind im Durchschnitt signifikant häufiger am Erhebungstag erkrankt/unfallverletzt als die kürzer suchenden Erwerbslosen. In den ersten Monaten der Arbeitsuche ist bei denen, die wegen einer Entlassung Arbeit suchen, ein „Erleichterungseffekt“ bei den Krankenständen zum Befragungszeitpunkt festzustellen. Der Krankenstand von Alg II-Beziehern ist signifikant höher als bei Arbeitslosengeld I-Beziehern. Alg II-Bezieher nehmen wegen ihrer gesundheitlichen Beschwerden in der Tendenz seltener ärztliche Behandlung in Anspruch wie Arbeitslosengeld I-Bezieher. Gemessen an den Krankenständen kristallisiert sich bei den Erwerbslosen eine „Leistungsempfänger-Hierarchie“ heraus: Am besten stellt sich der Gesundheitszustand bei den Erwerbslosen ohne finanziellen Leistungsempfang oder mit Arbeitslosengeld I-Bezug dar. Die Krankenstände
165
der Bezieher von Alg II liegen deutlich darüber und werden ihrerseits weit von denen der Bezieher von Sozialhilfe, Sozialgeld oder Grundsicherung übertroffen. Überproportional häufig waren auch die Empfänger von Wohngeld erkrankt/unfallverletzt. Die Zusammenhänge zwischen Nettoeinkommen im letzten Monat und Krankenstand in den letzten vier Wochen sind insgesamt uneinheitlich und nicht linear. Der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten/Unfallverletzten sinkt mit dem Vorhandensein weiterer Erwerbstätiger im Haushalt. Er korreliert ebenfalls mit der Zahl der Personen im gemeinsamen Haushalt. Die Kinder von erwerbslosen oder arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern sind im Durchschnitt etwas häufiger erkrankt/unfallverletzt zum Befragungszeitpunkt als die Kinder von erwerbstätigen oder sonstigen nichterwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern. Im Ost-West-Vergleich sind die Krankenstände und auch Behindertenquoten für die gesamte Erwerbsbevölkerung ähnlich, sie divergieren jedoch stark zwischen den Erwerbsstatusgruppen. Die Anteile der zum Befragungszeitpunkt Erkrankten/Unfallverletzten und der Behinderten sind in Ostdeutland unter den sonstigen Nichterwerbspersonen signifikant größer, ihre Erwerbsbeteiligung und Erwerbslosigkeit dafür geringer als in Westdeutschland. Im Mikrozensus 2005 wurde im ersten Quartal rund ein Drittel aller in den letzten vier Wochen Erkrankten oder Unfallverletzten gezählt. Die saisonalen Schwankungen beeinflussen ganz maßgeblich die Gesundheitsvergleiche zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Die Ergebnisse variieren in Abhängigkeit vom Befragungsquartal und von der Länge des retrospektiv betrachteten Zeitraums. 5.3 Unterschiede im Gesundheitsverhalten zwischen den Erwerbsstatusgruppen Der Mikrozensus erkundigt sich im Zusatzprogramm zur Gesundheit in regelmäßigen Abständen nach Rauchgewohnheiten und Körpermaßen bei den Interviewten. Die Beantwortung ist freiwillig. Die Ergebnisse werden in den nächsten beiden Abschnitten für die Erwerbsbevölkerung vorgestellt. Nachdem im Mikrozensus alle Haushaltsangehörige interviewt werden, können auch für die Kinder im gemeinsamen Haushalt die Antworten im letzten Abschnitt dargestellt werden.
166
5.3.1 Rauchverhalten nach Erwerbsstatus 5.3.1.1 Prävalenz des Tabakkonsums nach Erwerbsstatus Erwerbslose haben nach dem Mikrozensus 2005 die höchsten Raucherquoten in der Erwerbsbevölkerung. Zum Befragungszeitpunkt rauchen 51,2 % der Erwerbslosen Tabakprodukte während es bei den Erwerbstätigen 33,7 % und bei den sonstigen Nichterwerbspersonen 23,1 % sind (Tabelle 7). Von den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen gehören 45,5 % zu den Rauchern. Unter den Erwerbslosen konsumieren Alg II-Bezieher Tabak mit einen Anteil von 59,3 % in erheblich höherem Maße als erwerbslose Arbeitslosengeld IEmpfänger mit 45,9 % (Phi = -0,130; p < 0,001). Die Raucherquote unter Langzeiterwerbslosen ist mit 52,6 % etwas größer als unter kürzer suchenden Erwerbslosen mit 49,7 %. Die Tabakkonsumenten können sich selbst in der Befragung als regelmäßige oder gelegentliche Raucher einstufen. Unter den Erwerbslosen gibt es auch den höchsten Anteil an regelmäßigen Rauchern im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen mit 45,9 % (Tabelle 7). Von den Tabakprodukten dominieren im täglichen Gebrauch Zigaretten. Bei den Erwerbslosen befinden sich anteilsmäßig die wenigsten Ex-Raucher (13,7 %) während bei den Erwerbstätigen am häufigsten das Rauchen erfolgreich wieder aufgegeben wurde (18,8 %). Die täglich gerauchte Anzahl an Zigaretten ist bzw. war bei den Erwerbslosen im Durchschnitt am höchsten im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen. 16,2 % der erwerbslosen Raucher konsumier(t)en mehr als 20 Zigaretten pro Tag und sind nach der WHO-Definition als „starke Raucher“ einzustufen. Bei den Erwerbstätigen beträgt der Anteil der Nieraucher fast die Hälfte und bei den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen nur gut ein Drittel (Tabelle 7).
167
Tabelle 7:
Rauchverhalten nach Erwerbsstatus
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Arbeitsuchende ErErwerbswerbsNichterwerbspers. tätige lose Spalten-% Spalten-% Spalten-%
Gegenwärtiger Raucher*** (N) Gegenwärtiger Raucher Früherer Raucher Nieraucher
(29.949) 33,7 18,8 47,5
(3.879) 51,2 13,7 35,1
(516) 45,5 14,5 39,9
(11.471) 23,1 14,3 62,6
(45.815) 32,7 17,2 50,1
(29.949) 28,8 4,9
(3.879) 45,9 5,3
(516) 39,7 5,8
(11.472) 19,2 3,9
(45.816) 28,0 4,7
14,9
10,7
11,6
11,4
13,7
3,9 47,5
3,0 35,1
2,9 39,9
2,9 62,6
3,6 50,1
Art des Gerauchtenn.s. (N) (gegenwärtig oder früher) Zigaretten Zigarren, Zigarillos Pfeifentabak
(15.585) 97,0 2,0 1,0
(2.493) 98,1 1,2 0,7
(307) 97,7 1,6 0,7
(4.248) 97,5 1,6 0,9
(22.633) 97,3 1,8 0,9
Täglich gerauchte Zigaretten*** (N) (gegenwärtig oder früher) Weniger als 5 5 bis 20 21 bis 40 41 und mehr
(14.955) 16,3 68,3 13,8 1,6
(2.422) 12,8 71,0 14,7 1,5
(294) 16,7 68,0 13,3 2,0
(4.089) 20,6 65,9 11,6 1,9
(21.760) 16,7 68,1 13,5 1,6
(14.843) (2.404) (291) (4.057) Rauchbeginn (N) Alter bei Rauchbeginn (Mittelwert) 17,4 17,1 17,0 17,8 (Standardabweichung) (4,0) (4,2) (4,8) (4,9) Anmerkung: Signifikanzniveau Chi-Square Test nach Pearson: *** p < 0,001; ** p < 0,01; * p < 0,05; n.s. nicht signifikant
(21.595)
Raucherstatus*** (N) Regelmäßiger Raucher Gelegentlicher Raucher Früherer regelmäßiger Raucher Früherer gelegentlicher Raucher Nieraucher
168
Sonstige Nichterwerbspers. Total Spalten-% Spalten-%
17,5 (4,2)
5.3.1.2 Rauchbeginn und Erwerbslosigkeit Für die Gesundheitsforschung und Suchtprävention ist es wichtig zu erfahren, ob Erwerbslose wegen bzw. in der Erwerbslosigkeit zu rauchen beginnen. Die heutigen Theorien zum Rauchbeginn sind komplex und beinhalten soziodemografische, umweltbedingte, verhaltensbedingte und personelle Faktoren (vgl. Kap. 2.1.3.2). Das Rauchen bei Erwerbslosen könnte in diesem Kontext als CopingStrategie zur Problembewältigung im Sinne von Jessor und Jessor (1977) begonnen und aufrecht erhalten werden. Einen ersten Hinweis gibt die Antwort auf die Frage nach dem Alter bei Rauchbeginn: Bei Erwerbslosen beträgt das Durchschnittsalter zum Rauchbeginn 17,1 Jahre und bei den Erwerbstätigen 17,4 Jahre. Der Rauchbeginn ereignet sich damit in der Hauptsache während der Phase der Schulausbildung oder beruflichen Ausbildung. Der Mikrozensus 2005 erfasst außerdem die Eckdaten der individuellen Erwerbsbiografien und erkundigt sich nach den Kalenderjahren des höchsten beruflichen Ausbildungs- bzw. Hochschulabschlusses und des höchsten allgemeinen Schulabschlusses. Durch die Angaben des Lebensalters und des Alters bei Rauchbeginn lässt sich berechnen, wie viele Jahre der Rauchbeginn zurückliegt und ob er vor Beendigung der Schulausbildung und der beruflichen Ausbildung erfolgte. Die Mehrheit der interviewten Tabakkonsumenten rauchte nach dieser Berechnung schon vor Erreichen des höchsten Schulabschlusses. 42,5 % der gegenwärtigen und ehemaligen Raucher mit einem Schul- oder Berufsabschluss berichten, nach dem Jahr des höchsten allgemeinen Schulabschlusses mit dem Rauchen angefangen zu haben. In den Jahren nach dem höchsten beruflichen Abschluss begannen dann nur noch 17,9 % der gegenwärtigen und ehemaligen Raucher. Die Angaben der rauchenden Erwerbslosen liegen dabei im Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung. Wenn man eine Normalbiografie mit Regelschule mit ggf. anschließender Berufsausbildung und danach die Möglichkeit des Eintritts von Erwerbslosigkeit unterstellt, ist nach den Selbstauskünften im Mikrozensus 2005 der Einfluss der Erwerbslosigkeit auf den Rauchbeginn zwar nicht ausgeschlossen, aber bedingt durch die spätere Lebensphase auf relativ wenige Fälle beschränkt. Der Mikrozensus erfasst weiterhin die Dauer der aktuellen Arbeitsuche bei den Langzeiterwerbslosen in vier groben Abstufungen. Ein einfacher Abgleich dieser sehr rudimentären Daten der Arbeitsuche mit der Dauer des Rauchens bestätigt den Sachverhalt, kann aber zumindest für einzelne Langzeiterwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen einen Rauchbeginn innerhalb der aktuellen Erwerbslosigkeitsperiode (in allen vier Untergruppen nach Suchdauer) nachweisen.
169
Der im Durchschnitt drei Lebensmonate frühere Rauchbeginn von Erwerbslosen im Vergleich zu Erwerbstätigen ist statistisch auffällig (T-Test t = 3,5; df = 17.245; p < 0,001). Er ist problematisch, da frühzeitiger Beginn mit intensiverem Rauchen verbunden ist. Jene, die mit Tabakkonsum als junge Heranwachsende begannen, sind die stärksten Konsumenten im Jugend- und Erwachsenenalter und haben in der Prognose später höhere Gesundheitsschäden zu erwarten (USDHHS, 1994). 5.3.1.3 Tabakkonsum nach soziodemografischen und sozioökonomischen Variablen Zum Befragungszeitpunkt rauchen signifikant mehr Männer wie Frauen (Tabelle 31 im Anhang). Erwerbslose konsumieren sowohl bei den Männern als auch den Frauen in stärkerem Maße Tabak als die anderen Erwerbsstatusgruppen. Die unterschiedlichen Raucherquoten zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen sind sowohl bei den Männern mit 58,0 % zu 36,9 % als auch bei den Frauen mit 42,7 % zu 29,9 % statistisch hochsignifikant (Phi = -0,139; p < 0,001 und Phi = -0,087; p < 0,001). Die Tabakprävalenzraten sind umso höher desto niedriger der Schulbildungsgrad ausfällt (Tabelle 31 im Anhang). Der höchste Raucheranteil besteht bei den Personen, die überhaupt keinen allgemeinbildenden Schulabschluss oder lediglich Hauptschulabschluss besitzen. Innerhalb dieser Gruppe mit maximal Hauptschulabschluss übersteigt die Raucherquote der Erwerbslosen mit 56,5 % hochsignifikant die der Erwerbstätigen mit 40,3 % (Phi = -0,118; p < 0,001). Auf die allgemeine Schulbildung baut später die berufliche Bildung auf und auch bei diesem Merkmal ist eine solche Verteilung zu beobachten: Je besser der höchste berufliche Abschluss, desto niedriger ist im Durchschnitt die Raucherquote. Bei gleichwertigem Abschluss überwiegen in allen Untergruppen die Raucherquoten der Erwerbslosen die der Erwerbstätigen. Die Unterschiede sind statistisch auffällig - außer in der Untergruppe mit Fachhochschulabschluss. Die Arbeiter rauchen im Durchschnitt häufiger als die Angestellten, Selbstständigen und Sonstigen (Tabelle 31 im Anhang). Innerhalb dieser Gruppen sind die Raucherquoten der Erwerbslosen jeweils wiederum hochsignifikant höher als die der Erwerbstätigen. Die erhöhte Raucherquote von Erwerbslosen besteht ebenfalls in allen nach der Klassifikation von Blossfeld gebildeten Berufsgruppen (Tabelle 31 im Anhang). In den meisten Berufsgruppen lassen sich die unterschiedlichen Raucherquoten zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen statistisch signifikant absichern (bis auf Ingenieure und Professionen).
170
Die Raucherquote ist bei einem Einkommen von unter 700 Euro mit 36,0 % etwas größer als bei höherem Einkommen mit 34,0 % (Phi = 0,019; p < 0,001). Auch bei dieser Einteilung rauchen die Erwerbslosen sowohl bei einem Einkommen von unter 700 Euro als auch mit mehr Einkommen hochsignifikant häufiger als die Erwerbstätigen (Phi = 0,190; p < 0,001 und Phi = 0,076; p < 0,001). Unter den Beziehern von Sozialhilfe, -geld oder Grundsicherung wird mit einer Quote von 45,0 % signifikant mehr geraucht als unter Bessergestellten ohne solchen Leistungsbezug, die eine Raucherquote von 32,5 % aufweisen (Phi = 0,032; p < 0,001). In beiden Untergruppen sind ebenfalls die Raucherquoten bei den Erwerbslosen in statistisch auffälliger Weise höher als bei den Erwerbstätigen (Phi = 0,133; p < 0,05 und Phi = 0,115; p < 0,001). Bei den rauchenden Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen, deren Suche länger als ein Jahr andauert, befinden sich mehr starke Raucher als unter den übrigen rauchenden Arbeitsuchenden mit kürzerer Suchdauer. Die Abbildung 23 visualisiert den zunehmenden Anteil starker Raucher mit der Dauer der Arbeitsuche, der 20,2 % bei den mindestens vier Jahre nach Arbeit Suchenden erreicht. Dieses Ergebnis ist ein Indiz für eine Intensivierung des Tabakkonsums mit der Dauer der Arbeitsuche. Abbildung 23: Anteil „starker Raucher“ unter gegenwärtig rauchenden Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen nach Dauer der Arbeitsuche 25,0 20,2
in Prozent
20,0 15,0
12,4
13,5
15,4
16,2
16,9
16,3
12,4
10,0 5,0 0,0 Weniger 1 bis 3 bis ½ bis 1 bis 1½ bis als 1 unter 3 unter 6 unter 1 unter 1½ unter 2 Monat Monate Monate Jahr Jahre Jahre
2 bis unter 4 Jahre
4 und mehr Jahre
(N = 2.111 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
171
5.3.1.4 Rauchverhalten in der Lebenslaufperspektive Die Abbildung 24 macht darauf aufmerksam, dass die Raucherquoten der Erwerbslosen ausnahmslos in allen Altersjahrgängen über denen der Erwerbstätigen liegen. Besonders groß sind die Abstände im mittleren Lebensalter. In beiden Gruppen fällt die Nieraucherquote im Jugendalter bis zum 23. Lebensjahr drastisch ab (Abbildung 32 im Anhang). Im höheren Alter ist das Rauchen generell weniger verbreitet. Auf diesen Sachverhalt sind auch die durchgängig geringsten Raucherquoten der sonstigen Nichterwerbspersonen in den Ergebnisdarstellungen der Tabelle 7 und Tabelle 31 im Anhang zurückzuführen. Möglicherweise macht sich in der Statistik bei den höheren Altersgruppen auch schon eine vorzeitige Sterblichkeit von regelmäßigen Rauchern bemerkbar. Das Mortalitätsrisiko von Rauchern nimmt mit der Dauer des Tabakkonsums zu. Untersuchungen zeigen, dass die Todesraten für Raucher im Alter von 35 bis 69 Jahren dreimal höher sind als bei Nichtrauchern (WHO, 1997; Peto, Lopes, Boreham, Thun & Heath, 1994). Abbildung 24: Raucherquoten von Erwerbstätigen und Erwerbslosen nach Alter in Jahren 70,0 60,0
in Prozent
50,0 40,0 30,0 20,0 10,0
Erwerbstätige
63
60
57
54
51
48
45
42
39
36
33
30
27
24
21
18
15
0,0
Erwerbslose
(N = 33.826 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Die Raucherquote bei Erwerbstätigen ist in Relation zu den anderen Erwerbsstatusgruppen aber nicht nur niedriger, da sie in höherem Maße Nieraucher bleiben, sondern weil auch die Raucher unter ihnen es wesentlich häufiger schaffen, das
172
Rauchen wieder aufzugeben. Wie Abbildung 25 zeigt, ist der Anteil der früheren Raucher bei Erwerbstätigen in allen Altersgruppen höher als bei Erwerbslosen. Zu den regelmäßigen Rauchern zählen besonders Menschen in jungen und mittleren Altersgruppen. Bei den Jüngeren könnten allerdings der Raucheranteil und die Intensität der Konsummuster noch unterschätzt sein, wenn z.B. Auskunft erteilende Eltern nicht volle Kenntnis über ein eher sozial unerwünschtes Verhalten ihrer Kinder haben. Bei vier Fünftel der unter 18-Jährigen wurden die Angaben im Mikrozensus unter Beteiligung einer anderen Person im Haushalt aufgenommen (siehe auch Kap. 4.4). Insgesamt sprechen die Ergebnisse dafür, dass Erwerbslosigkeit nur in Einzelfällen zum Rauchbeginn beiträgt. Mit anhaltender Erwerbslosigkeit steigt offensichtlich die Wahrscheinlichkeit einer Intensivierung des Tabakkonsums. Der tägliche Zigarettenkonsum und die Anzahl von auftretenden Kriterien der Nikotinabhängigkeit stehen aber in einer Dosis-Wirkungsbeziehung (Nelson & Wittchen, 1998). Das Nikotin hat eine suchterzeugende Wirkung, die denen anderer Rauschmittel wie Amphetaminen, Kokain oder Morphin gleichkommt (Batra & Buchkremer, 1999). Die daraus resultierende stärkere Suchtabhängigkeit könnte dann die beobachtete geringere Erfolgsquote bei der Tabakaufgabe von Erwerbslosen im Vergleich zu Erwerbstätigen erklären. Abbildung 25: Anteil früherer Raucher von Erwerbstätigen und Erwerbslosen nach Altersgruppen 35,0 29,2
30,0 22,9
in Prozent
25,0 20,0 15,0 7,7 7,3
10,0 5,0
13,2 10,6
15,4 10,4
17,6 12,9
19,8 16,3
25,1 18,5
26,4
24,5
20,5
13,7
3,12,6
0,0 unter 20
20-24
25-29
30-34
35-39
Erwerbstätige
40-44
45-49
50-54
55-59
60-64
Erwerbslose
(N = 33.826 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
173
5.3.1.5 Tabakkonsum und Krankenstand Die Nichtraucher sind im Durchschnitt weniger krankheitsanfällig zum Befragungszeitpunkt als die Raucher (Abbildung 26). Der Krankenstand der schweren Raucher, die täglich mehr als 20 Zigaretten rauchen, übersteigt beträchtlich den der Nichtraucher. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen übertrifft den der Erwerbstätigen sowohl bei den Nichtrauchern als auch bei den Rauchern in statistisch auffälliger Weise (Phi = 0,065; p < 0,001; Phi = 0,070; p < 0,001). Aufsehen erregend ist auch der hohe Krankenstand von rauchenden sonstigen Nichterwerbspersonen. Abbildung 26: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Raucherstatus 25,0
21,5
in Prozent
20,0 13,1
15,0 8,8 8,9
10,0 5,0
4,3 4,8
10,7
9,2
6,0
6,0 6,9
9,1
0,0 Erwerbstätige
Nichtraucher
Erwerbslose + arbeitsuchende Nichterwerbspers.
Sonstige Nichterwerbspersonen
bis 20 Zigaretten täglich
Alle
mindestens 21 Zigaretten täglich
(N = 44.811 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
5.3.2 Körpergewicht und –größe nach Erwerbsstatus Der Body-Mass-Index (BMI) ist ein Orientierungswert zur Beurteilung des Körpergewichts. Er wird aus der angegebenen Körpergröße in Zentimetern und dem Körpergewicht in Kilogramm berechnet, indem man das Körpergewicht durch das Quadrat der Körpergröße teilt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft Erwachsene mit einem Body-Mass-Index über 25 als „übergewichtig“, mit einem Wert über 30 als „stark übergewichtig“ und mit einem Wert von unter 18,5 als „untergewichtig“ ein. Das Geschlecht und Alter bleiben bei dieser Ein-
174
teilung unberücksichtigt. Generell ist Untergewicht weitaus weniger verbreitet als Übergewicht. Allgemein sind die Männer im Durchschnitt deutlich größer und schwerer als die Frauen (Tabelle 8). Gemessen am Body-Mass-Index haben sie signifikant häufiger Übergewicht und seltener Untergewicht als Frauen. Bei den Männern erzielen Erwerbslose mit einem durchschnittlichen BodyMass-Index von 25,9 den höchsten Wert im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen. Die Mittelwerte divergieren bei Erwerbstätigen, Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen aber kaum (Tabelle 8). Auch bei den Frauen haben Erwerbslose den höchsten durchschnittlichen Body-Mass-Index mit 25,1, der hochsignifikant über denen der anderen drei Gruppen liegt. Der niedrigste Body-Mass-Index wird mit 23,9 für die erwerbstätigen Frauen ermittelt. Die Gegenüberstellung nach Body-Mass-Index-Gruppen in Tabelle 8 verdeutlicht die Streuung der Werte nach Erwerbsstatus. Unter den erwerbstätigen Männern und erwerbstätigen Frauen befinden sich nicht nur prozentual die wenigsten stark Übergewichtigen, sondern auch die wenigsten Untergewichtigen. Der Anteil der stark Übergewichtigen ist bei den erwerbslosen Frauen fast doppelt so hoch wie bei den erwerbstätigen Frauen. Wie Tabelle 8 offen legt, ist die Körpergröße der erwerbslosen Frauen im Mittel signifikant kleiner und ihr Körpergewicht signifikant schwerer als bei den anderen Erwerbsstatusgruppen. Der Längenunterschied beträgt im Durchschnitt zwischen den erwerbslosen Frauen und den erwerbstätigen Frauen ca. zwei Zentimeter. Die erwerbslosen Männer sind rund einen Zentimeter kleiner als die erwerbstätigen Männer. Gleichzeitig wiegen erwerbslose Frauen im Durchschnitt drei Kilogramm mehr als erwerbstätige Frauen, erwerbslose Männer aber ein Kilogramm weniger als erwerbstätige Männer.
175
Tabelle 8:
Body-Mass-Index von Männern und Frauen nach Erwerbsstatus Arbeitsuchende Nichterwerbspers. Sp.-%
Sonstige Nichterwerbspers. Sp.-%
Erwerbstätige Sp.-%
Erwerbslose Sp.-%
Body-Mass-Index Männlich (N) Männlich (Mittelwert) (Standardabweichung) ANOVA, df = 3; F = 71,5; p < 0,001
(15.391) 25,8 (3,7)
(2.034) 25,9 (4,6)
(222) 25,7 (4,6)
(3.886) 24,8 (4,6)
(21.533) 25,7 (4,0)
Body-Mass-Index Weiblich (N) Weiblich (Mittelwert) (Standardabweichung) ANOVA, df = 3; F = 40,6; p < 0,001
(12.180) 23,9 (4,2)
(1.569) 25,1 (5,3)
(249) 24,6 (5,5)
(6.441) 24,3 (4,9)
(20.438) 24,1 (4,6)
Body-Mass-Index-Gruppe Männer*** (N) bis unter 18,5 18,5 bis unter 25 25 bis unter 30 30 und größer
(15.390) 0,8 44,9 42,1 12,2
(2.034) 1,6 45,4 37,9 15,1
(223) 2,7 47,5 34,1 15,7
(3.886) 4,9 52,4 30,4 12,3
(21.533) 1,6 46,4 39,5 12,5
Body-Mass-Index-Gruppe Frauen*** (N) bis unter 18,5 18,5 bis unter 25 25 bis unter 30 30 und größer
(12.180) 4,2 64,7 22,5 8,6
(1.569) 5,8 51,4 26,1 16,6
(248) 7,3 54,0 23,4 15,3
(6.440) 6,7 56,8 24,4 12,1
(20.437) 5,1 61,0 23,4 10,4
(15.979) 179 (7,2)
(2.100) 178 (7,5)
(232) 178 (7,7)
(4.082) 177 (7,9)
(22.394) 179 (7,4)
(13.051) 167 (6,5)
(1.674) 165 (6,7)
(269) 165 (6,9)
(6.879) 166 (6,6)
(21.873) 166 (6,6)
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Durchschnittliche Körpergröße (N) Männer (Mittelwert) (Standardabweichung) ANOVA, df = 3; F= 73,6; p < 0,001 (N) Frauen (Mittelwert) (Standardabweichung) ANOVA, df = 3; F = 34,0; p < 0,001
Total Sp.-%
(223) (3.893) (21.555) Durchschnittliches Körpergewicht (N) (15.404) (2.035) 83 82 81 78 82 Männer (Mittelwert) (Standardabweichung) (13,1) (15,4) (15,8) (15,2) (13,9) ANOVA, df = 3; F = 129,1; p < 0,001 (N) (12.187) (1.571) (250) (6.450) (20.458) 66 69 67 67 67 Frauen (Mittelwert) (Standardabweichung) (12,1) (15,0) (14,8) (13,4) (12,8) ANOVA, df = 3; F = 17,6; p < 0,001 Anmerkung: Signifikanzniveau Chi-Square Test nach Pearson: *** p < 0,001; ** p < 0,01; * p < 0,05; n.s. nicht signifikant.
176
Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt ist bei stark übergewichtigen Männern und Frauen außerordentlich hoch (Abbildung 27). Am günstigsten sind die Krankenstände bei den normalgewichtigen Männern und Frauen. Das steht in Übereinstimmung mit dem internationalen Forschungsstand (vgl. Lenz, Richter & Mühlhauser, 2009) Wie die Abbildung 27 veranschaulicht, übertreffen aber die erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Männer und Frauen innerhalb der ausgewiesenen Gewichtsklassen durchgängig die Krankenstände der erwerbstätigen Männer und Frauen mit großem Abstand. Abbildung 27: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Body-Mass-Index (BMI) und Geschlecht 18,0 16,0 14,0 12,0 10,0 8,0 6,0 4,0 2,0 0,0
15,2 13,3 8,7
9,1 4,2
bis unter 18,5
6,4
4,5
3,8
18,5 bis unter 25
8,4
10,0 8,0
7,1
4,1
25 bis unter 30
Männlich Erwerbstätige
6,0
4,7
30 und größer
bis unter 18,5
18,5 bis unter 25
25 bis unter 30
30 und größer
Weiblich Erwerbslose + arbeitsuchende Nichterwerbspers.
(N = 40.430 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) Anmerkung: Hochgerechnete Besetzungszahlen unter 5.000 werden nicht nachgewiesen.
5.3.3 Body-Mass-Index und Rauchverhalten der Kinder nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers Der Mikrozensus 2005 erfasst alle Angehörigen der ausgewählten Haushalte und damit auch die Kinder. Für die vergleichenden Untersuchungen werden nachfolgend die Kinder bis zum 15. Lebensjahr nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers eingeteilt. Die Gesundheitsvergleiche bei den Kindern folgen in den Haupttrends den berichteten Gesundheitsunterschieden der Jugendlichen und Erwachsenen nach Erwerbsstatus (Kap. 5.2.2.7). So sind auch die Durchschnittswerte des Body-Mass-Index von Mädchen und Jungen der erwerbstätigen Haupteinkommensbezieher signifikant geringer als die entsprechenden Werte der
177
Mädchen und Jungen in den anderen Erwerbsstatusgruppen (Tabelle 32 im Anhang). Der Mikrozensus Scientific Use File 2005 enthält für die Kinder ab zehn Jahren die Antworten auf die Fragen zum Rauchverhalten. Bei den Kindern unter zehn Jahren wurden die Daten vom Statistischen Bundesamt eliminiert. Als Hauptergebnis zum Rauchverhalten in der Kindheit zeichnet sich ab, dass Kinder im Alter von zehn bis 14 Jahren bereits in relevanter Größe regelmäßig rauchen (0,6 %) und dass der Raucheranteil unter den Kindern von erwerbslosen Haupteinkommensbeziehern in Relation zu den anderen Erwerbsstatusgruppen am höchsten ist (1,5 %). Nachdem aber im Mikrozensus für Kinder unter 15 Jahren andere Haushaltsmitglieder die Angaben machen, ist von einer beträchtlichen Dunkelziffer auszugehen. Rauchen ist in der Öffentlichkeit für Kinder dieses Alters gesetzlich verboten. Es dürfte zum Großteil noch heimlich praktiziert werden und kein sozial erwünschtes Verhalten aus Sicht der Eltern darstellen. 5.3.4 Zusammenfassung von Kapitel 5.3 Rund ein Drittel der Erwerbsbevölkerung konsumiert nach der MikrozensusBefragung gelegentlich oder regelmäßig Tabakprodukte. Zwischen den Erwerbsstatusgruppen treten gravierende Unterschiede zu ungunsten von Arbeitsuchenden zutage. Ca. die Hälfte der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zählt am Erhebungstag zu den aktuellen Rauchern. Dagegen rauchen lediglich ca. ein Drittel der Erwerbstätigen und weniger als ein Viertel der sonstigen Nichterwerbspersonen. Die Erwerbslosen weisen auch den größten Anteil an regelmäßigen Rauchern von allen Erwerbsstatusgruppen auf und ihre täglich gerauchte Anzahl an Zigaretten ist im Durchschnitt am höchsten. Die Raucheranteile der Erwerbslosen übersteigen in allen Altersjahrgängen die der Erwerbstätigen, insbesondere im mittleren Lebensalter. Die Erwerbslosen rauchen sowohl bei den Männern als auch Frauen im Verhältnis mehr als die anderen Erwerbsstatusgruppen. Je niedriger der schulische und berufliche Bildungsstand ist, desto höher liegt der Anteil der Raucher. Bei gleichwertigem Abschluss konsumieren im Verhältnis mehr Erwerbslose als Erwerbstätige Tabakprodukte. Die Arbeiter rauchen im Durchschnitt häufiger als die Angestellten, Selbstständigen und Sonstigen. Innerhalb dieser Gruppen sind die Raucherquoten der Erwerbslosen jeweils signifikant höher als die der Erwerbstätigen.
178
Eine höhere Raucherquote von Erwerbslosen ist im Vergleich zu Erwerbstätigen auch in allen Berufsgruppen nach der Klassifikation von Blossfeld festzustellen. Der Raucheranteil ist bei Erwerbstätigen aber nicht nur niedriger, da sie in höherem Maße Nieraucher bleiben, sondern weil es auch die Tabakkonsumenten unter ihnen häufiger schaffen, das Rauchen wieder aufzugeben. Bei Erwerbslosen liegt zudem das Durchschnittsalter bei Rauchbeginn etwas niedriger als bei den Erwerbstätigen. Der Rauchbeginn ist aber in der Lebenslaufperspektive hauptsächlich während der Phase der schulischen und beruflichen Ausbildung und damit vor der Erwerbslosigkeit zu verorten. Unter den Erwerbslosen rauchen die Bezieher von Alg II erheblich mehr als Arbeitslosengeld I-Empfänger. Die Raucherquote unter Langzeiterwerbslosen ist leicht höher als unter den Erwerbslosen mit kürzerer Suchdauer. In der Gesamtschau geben die vergleichenden Untersuchungen deutliche Hinweise darauf, dass Erwerbslose nur in Einzelfällen in Erwerbslosigkeit das Rauchen beginnen. Bereits rauchende Erwerbslose intensivieren offenbar den Tabakkonsum mit anhaltender Erwerbslosigkeit, da der Anteil starker Raucher mit der Dauer der Arbeitsuche beachtlich zunimmt. Eine generell stärkere Nikotinabhängigkeit würde den vergleichsweise geringen Anteil von Erwerbslosen, die das Rauchen erfolgreich aufgegeben haben, durch die größere Rückfallgefahr sowie die erhöhten Tabakprävalenzen von Erwerbslosen in allen untersuchten Subgruppen erklären. Außerordentliche Unterschiede zeigen sich zwischen den Erwerbsstatusgruppen nicht nur beim Rauchverhalten, sondern auch beim Body-Mass-Index. Erwerbslose haben sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen den höchsten durchschnittlichen Body-Mass-Index im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen. Starke Übergewichtigkeit tritt bei den erwerbslosen Frauen fast doppelt so oft auf wie bei den erwerbstätigen Frauen. Unter den erwerbstätigen Männern und Frauen befinden sich aber nicht nur prozentual die wenigsten stark Übergewichtigen, sondern auch die wenigsten Untergewichtigen. Bei den Mädchen und Jungen von erwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern sind die Durchschnittswerte des Body-Mass-Index niedriger im Vergleich zu den Mädchen und Jungen in den anderen Erwerbsstatusgruppen. Der Anteil von regelmäßig rauchenden Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren ist bei den erwerbslosen Haupteinkommensbeziehern in Relation zu den anderen Erwerbsstatusgruppen am höchsten.
179
5.4 Logistische Regressionsanalysen zum Krankenstand von Männern und Frauen Die bisherigen Ergebnisberichte zeigen vielschichtige Zusammenhänge zwischen Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten und Erwerbsstatus auf. Monokausale Erklärungsmuster greifen wegen der beschriebenen Komplexität in vielen Fällen zu kurz. Zur Bestimmung wesentlicher Einflussfaktoren auf den Krankenstand sind daher multivariate Analysen notwendig, die die bisher als bedeutsam identifizierten Variablen integrieren und in den Modellberechnungen konstant halten. Methodisch können logistische Regressionsanalysen Gesundheitsunterschiede gut erklären oder Gruppenzugehörigkeiten prognostizieren. Mit dem Verfahren der logistischen Regressionsanalyse wird die Abhängigkeit einer dichotomen Variablen von unabhängigen Variablen untersucht. Die Auswertungsmethode dient dazu, Prognosen über das Auftreten oder Nicht-Auftreten eines Ereignisses wie den Krankheitsfall oder den Eintritt von Erwerbslosigkeit zu erstellen (vgl. Kap. 4.3). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde eine Reihe von verschiedenen Modellvarianten eruiert. Die Modellberechnungen wurden nicht nur mit verschiedenen Kombinationen von unabhängigen Variablen-Sets, sondern auch mit verschiedenen Aufnahmeverfahren der Variablen in die Modellberechnungen durchgeführt. Als ein Selektionsverfahren wird die Vorwärts-Selektion mit WaldKriterium verwendet. Dadurch werden nur Variablen in das Modell aufgenommen, die signifikant zur Verbesserung der Modellgüte beitragen. Auf jeder Stufe wird geprüft, ob die Aufnahme einer weiteren Variablen das Modell verbessert, wie stark diese Verbesserung ist und schließlich, ob die einzelnen Regressionskoeffizienten der Variable signifikant sind. Dieser Algorithmus wird so lange wiederholt, bis keine Variable mehr die Aufnahmekriterien erfüllt. Alle Ergebnisse wurden mit einer rückwärtsgerichteten schrittweisen Auswahl nochmals abgesichert. Der Ausschlusstest basiert auf der Wahrscheinlichkeit der WaldStatistik. Darüber hinaus sind alle Modellvarianten neben den schrittweisen Variablenauswahlverfahren (vorwärts und rückwärts) auch im Einschlussverfahren durchgerechnet worden. Von den verschiedenen Modellvarianten werden in den nachfolgenden Abschnitten jeweils die Modellberechnungen mit der besten Anpassungsgüte dargestellt.
180
5.4.1 Kovariaten und abhängige Variable Krankenstand Eine Herausforderung für multivariate Analysen liegt darin, alle Variablen, die aufgrund der Theorien (vgl. Tabelle 1) oder der bisherigen Deskription von ursächlicher Bedeutung sein könnten, in die Modellberechnungen aufzunehmen und einen „omitted variable error“ zu vermeiden. Gleichzeitig sind irrelevante Variablen in der Regressionsgleichung wegzulassen, da sie die Präzision beim Schätzen mindern und mit einer ursächlichen Variable interagieren können. Die Ergebnisse der einzelnen Berechnungen sind nicht automatisch als kausale Effekte zu interpretieren, geben aber Aufschluss darüber, wie wahrscheinlich z.B. eine Erkrankung für eine bestimmte Personengruppe ist. Die nachfolgenden logistischen Regressionsanalysen richten sich auf den Krankenstand von Männern und Frauen zum Befragungszeitpunkt. Wie in Kap. 5.2.1.2 berichtet, entsteht nach den Kriterien des Labour-Force-Konzeptes ein definitionsbedingter Selektionseffekt, da wegen krankheitsbedingter mangelnder Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt fast ein Drittel der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen nicht zu den Erwerbslosen gezählt wird. Die multivariaten Analysen umfassen deshalb alle Arbeitsuchenden, also Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen zusammen, um einen harten Selektionsbias durch den definitionsbedingten Statuswechsel wegen Krankheit zu vermeiden und validere Ergebnisse über die Wechselwirkungen von Erwerbslosigkeit und Gesundheit zu erzielen. Folgende potenzielle Determinantengruppen wurden in den folgenden multivariaten Analysen berücksichtigt: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
soziodemografische Merkmale Familientyp und Haushaltsstruktur Schul- und Berufsausbildung sozioökonomische Variablen Gesundheitsvariablen sonstige Einflussfaktoren.
Die Tabelle 9 gibt Auskunft über die subsummierten Einzelvariablen, etwaige Transformationen und Dummy-Bildungen sowie ihre Anwendungen in den verschiedenen Modellen.
181
Tabelle 9:
Kovariaten für Regressionsanalysen zum Krankenstand Soziodemografische Merkmale
Alter (Referenz bis unter 30 Jahre) (kategorial)
x x
30 Jahre bis unter 50 Jahre mindestens 50 Jahre
Nationalität (Referenz deutsch) (kategorial)
x x
Ausländer aus Nicht-EU-Staaten EU-Ausländer
Geburtsland (Referenz Ausland)
x
Deutschland
Region Wohnort (Referenz Westdeutschland)
x
Ostdeutschland
Familientyp und Haushaltsstruktur Haushaltsgröße (Ref. Mehrpersonenhaushalt)
x
Einpersonenhaushalt
Anzahl weiterer Erwerbstätiger im Haushalt
x
Anzahl
Familientyp (Referenz nicht alleinerziehend)
x
Alleinerziehend
Kleinkinder (Referenz keine oder mindestens vier Jahre alte Kinder)
x
Kinder unter vier Jahren
Schul- und Berufsausbildung Allgemeiner Schulabschluss (Referenz Abschluss über Hauptschulniveau)
x
Kein allgemeiner Schulabschluss oder Hauptschulabschluss
Beruflicher Abschluss (Referenz Berufsabschluss vorhanden)
x
Kein Berufsabschluss
Stellung im Beruf aktuell bzw. zuletzt (Referenz Selbstständige und Sonstige) (kategorial)
x x
Arbeiter Angestellte
Sozioökonomische Variablen Nettoeinkommen letztes Monat (Referenz 0 bis x 700 Euro)
Mindestens 700 Euro Nettoeinkommen
Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung (Referenz kein Bezug)
x
Bezug Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung
Dauer der Arbeitsuche (Ref. unter ein Jahr)
x
Arbeitsuche mindestens ein Jahr
Gesundheitsvariablen Behinderung (Referenz keine amtlich anerkann- x te Behinderung)
Amtlich anerkannte Behinderung
Grad der Behinderung (Ref. nicht schwerbeh.) x
Schwerbehinderung
Raucherstatus (Ref. gegenwärtig Nichtraucher) x
gegenwärtig Raucher
Sonstige Einflussfaktoren Gemeindegrößenklasse (Referenz unter 20.000 x Einwohnern) (kategorial) x
500.000 und mehr Einwohner 20.000 bis unter 500.000 Einwohner
Saison (Referenz 2. bis 4. Berichtsquartal) x 1. Berichtsquartal Anmerkung: Der Body-Mass-Index findet keine Berücksichtigung in den multivariaten Analysen, da eine systematische Verzerrung der Ergebnisse in den Modellen durch die außerordentlich hohe Ausfallquote möglich erscheint. Wie die Ausfallanalyse im Kap. 4.4 zeigt, besteht neben der Problematik der Proxy-Interviews (insbesondere bei Jüngeren) eine auffällig höhere Antwortverweigerung von Frauen gegenüber Männern beim Körpergewicht.
182
Unterschiede bestehen zwischen Männern und Frauen nicht nur in der Erwerbsbeteiligung (Kap. 1.4.1.2), auch die gesundheitliche Lage von Frauen unterscheidet sich allgemein von der der Männer (MFJFG NRW, 2000; RKI, 2006). Frauen gelten generell als gesundheitsbewusster und nehmen z.B. mehr Vorsorgeleistungen in Anspruch. Die Lebenserwartung der Frauen ist im Durchschnitt höher und die Prävalenzraten in verschiedenen Krankheitsgruppen wie bei HerzKreislauf-Erkrankungen niedriger. Bestimmte Erkrankungen treten ausschließlich bei Personen des jeweiligen Geschlechtes auf, wenn sie beispielsweise mit Schwangerschaft und Geburt verbunden sind. Frauen äußern sich dagegen in repräsentativen Befragungen häufiger als Männer unzufrieden mit dem subjektiven Gesundheitszustand. Die sozialen Rahmenbedingungen und auch die Erwerbsbeteiligung, die Gesundheit determinieren können, sind zwischen Männern und Frauen im Allgemeinen nicht identisch. Aus diesen Gründen werden die nachfolgenden multivariaten Krankenstandsanalysen nach Männern und Frauen stratifiziert durchgeführt. 5.4.2 Krankenstand nach Erwerbsstatus unter Einbezug von Drittvariablen Von den Krankheiten und Unfallverletzungen der letzten vier Wochen dauert ein Großteil am Erhebungstag noch an. Die Fokussierung auf Krankheit und Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt schließt die in den letzten vier Wochen kurzzeitigen und schon beendeten Krankheiten aus. Es finden dadurch zwar weniger Krankheitsfälle als bei der Beobachtung der rückwärtigen vier Wochen in der Modellberechnung Eingang, dafür wird die Krankheitsprävalenz nicht durch z.B. viele Atemwegs- oder Erkältungskrankheiten in den Wintermonaten überlagert. Die binären logistischen Regressionsanalysen in Tabelle 10 richten sich auf das altersadjustierte Risiko von Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Vergleich zu Erwerbstätigen. Im Gegensatz zu den einfachen analogen Berechnungen von Odds Ratios in Kap. 5.2.1.2 (und Tabelle 26 im Anhang) werden in diesem zweiten Modell aber weitere Einflussfaktoren adjustiert, um dadurch z.B. die Gruppenunterschiede in der Sozialstruktur zu berücksichtigen. Gemäß der Tabelle 9 werden soziodemografische Merkmale, Familientyp und Haushaltsstruktur, Schul- und Berufsausbildung, sozioökonomische Variablen und von den Gesundheitsvariablen das Vorhandensein einer Behinderung, der Behinderungsgrad und der Raucherstatus eingeschlossen. Im Vergleich zu den Ergebnissen in Kap. 5.2.1.2 sinkt das ursprüngliche Risiko einer Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt der Erwerbs-
183
losen und arbeitsuchenden Nichterwerbstätigen von 2,18 unter Adjustierung dieser Variablen aus Tabelle 9 auf nun 1,68 in Relation zu den Erwerbstätigen. Die Odds Ratio von erwerbslosen/arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen ist dabei hochsignifikant um den Faktor 1,78 und die von erwerbslosen/arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Männern 1,61-fach erhöht (Tabelle 10). In dieser multivariaten Modellberechnung fällt neben vielen kleinen Unterschieden in der Sozialstruktur besonders die ungleiche Verteilung von Schwerbehinderten zwischen den Erwerbsstatusgruppen als relevanter Einzelfaktor ins Gewicht. Tabelle 10:
Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Vergleich zu Erwerbstätigen unter Einbezug von Drittvariablen (Modell 2)* Regressionskoeffizient StandardB fehler
95,0 % KI. für OR Wald
Sig.
Odds Unterer Oberer Ratio Wert Wert
Frauen Erwerbsstatus (Ref. erwerbstätig) Erwerbslose/arbeitsuchende Nichterwerbspersonen Konstante
0,578
0,102
31,919 0,000 1,783
-2,780
0,372
55,967 0,000 0,062
1,459 2,178
Männer Erwerbsstatus (Ref. erwerbstätig) Erwerbslose/arbeitsuchende Nichterwerbspersonen Konstante
0,477
0,111
18,494 0,000 1,612
-3,108
0,354
77,030 0,000 0,045
1,297 2,003
Insgesamt Erwerbsstatus (Ref. erwerbstätig) Erwerbslose/arbeitsuchende Nichterwerbspersonen Konstante
0,521 -2,949
0,074
49,464 0,000 1,684
1,456 1,947
0,252 136,633 0,000 0,052
* altersadjustiert und Adjustierung von weiteren soziodemografischen Merkmalen, Familientyp und Haushaltsstruktur, Schul- und Berufsausbildung, sozioökonomischen Variablen, Gesundheitsvariablen sowie sonstigen Einflussfaktoren gemäß Tabelle 9. Anmerkung: Nagelkerkes R-Quadrat Modell Block 1 = 0,067, Modell Block 2 = 0,072, Modell Block 3 = 0,068.
184
5.4.3 Krankenstand von arbeitsuchenden Männern Auf den jahresdurchschnittlichen Krankenstand zum Befragungszeitpunkt zielen nun weitere multivariate Modellberechnungen, um krankheitsgefährdete Gruppen innerhalb der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen anhand der Odds Ratios zu identifizieren. Die folgende binäre logistische Regressionsanalyse richtet sich daher auf die Einflussfaktoren, die den Krankenstand zum Befragungszeitpunkt von erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Männern beeinflussen. Sie bezieht als Kovariaten (gemäß der Tabelle 9) soziodemografische Merkmale, Familientyp und Haushaltsstruktur, Schul- und Berufsausbildung, sozioökonomische Variablen und von den Gesundheitsvariablen das Vorhandensein einer Behinderung, den Behinderungsgrad und den Raucherstatus ein. Bei den arbeitsuchenden Männern erweist sich eine amtlich anerkannte Behinderung als wichtigste Prädiktorvariable für eine Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt (Tabelle 11). Das Risiko ist mit einer Odds Ratio von 4,21 besonders hoch. Die hohe Faktorladung ist nicht überraschend, da Behinderung und Krankheit eng verknüpft sind. Die Schadensursache von Behinderung geht meistens auf eine Krankheit zurück (StaBu, 2003). Außerdem sieht das Messkonzept des Mikrozensus für die Zählung von Krankheiten oder Unfallverletzungen vor, dass „auch ein angeborenes Leiden oder eine Körperbehinderung als Krankheit einzuordnen sind, sofern sie regelmäßig ärztlich behandelt werden“ (vgl. Kap. 4.2). Auch arbeitsuchende Bezieher von Sozialhilfe/-geld oder Grundsicherung tragen wiederum ein erhöhtes Risiko für eine Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt mit einer Odds Ratio von 2,18. Wie schon in Kap. 5.2.2.6 angesprochen, ist der Krankenstand zwar hoch, die Gruppe der Arbeitsuchenden mit Bezug von Sozialhilfe/-geld oder Grundsicherung aber relativ klein. Der Leistungsbezug setzt eine Bedarfsprüfung voraus. Als dritter signifikanter Einflussfaktor wirkt sich das Alter auf den Krankenstand aus. Je höher die Altersgruppe, desto größer ist das Krankheitsrisiko. In Referenz zu den bis 30 Jahre alten arbeitsuchenden Männern steigert sich in der Altersgruppe der 30- bis unter 50-Jährigen die Odds Ratio auf 1,78 und in der Gruppe ab 50 Jahre weiter auf eine Odds Ratio von 2,69. Auch dieses Ergebnis entspricht den allgemeinen Erwartungen und folgt den Darstellungen in Kap. 5.2.2.1.
185
Tabelle 11: Andauern der Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt bei erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Männern Regressionskoeffizient StandardB fehler Soziodemografische Merkmale Alter (Referenz bis unter 30 Jahre)
95,0 % KI. für OR Wald
Sig.
Odds Unterer Oberer Ratio Wert Wert
18,010 0,000
x
30 Jahre bis unter 50 Jahre
0,577
0,229
6,383 0,012 1,781
1,138
2,788
x
mindestens 50 Jahre
0,990
0,237
17,479 0,000 2,690
1,692
4,279
0,777
0,359
4,694 0,030 2,176
1,077
4,395
1,437
0,192
56,259 0,000 4,207
2,890
6,124
Sozioökonomische Variablen Sozialhilfe, -geld (Ref. kein Bezug) x Bezug Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung Gesundheitsvariablen Behinderung (Referenz keine anerkannte Behinderung) x Amtlich anerkannte Behinderung Konstante
-3,213
0,197 267,243 0,000 0,040
Anmerkung: Nagelkerkes R-Quadrat Modell = 0,088; -2 Log-Likelihood = 1.210,92.
Wie oben im Abschnitt 5.4 erläutert, wurde für die weiteren in Tabelle 9 aufgeführten Variablen kein signifikanter Effekt erkannt und sie wurden daher zugunsten einer besseren Anpassungsgüte aus dieser Modellberechnung ausgeschlossen. 5.4.4 Krankenstand von arbeitsuchenden Frauen Innerhalb der erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen haben Behinderte ein ca. vierfach erhöhtes Risiko (Odds Ratio = 3,96) für eine Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt (Tabelle 12). Das Alter der arbeitsuchenden Frauen wirkt sich ebenfalls signifikant auf den Krankenstand aus. In Referenz zu den arbeitsuchenden Frauen bis 30 Jahre weist die Altersgruppe der 30- bis unter 50-Jährigen ein erhöhtes Odds Ratio von 1,60 und die Gruppe der mindestens 50-Jährigen eines von 2,67 auf. Die beiden Einflussfaktoren anerkannte Behinderung und Alter sind in ihrer Bedeutung und den Effektgrößen kongruent mit den analogen Modellberechnun-
186
gen bei den arbeitsuchenden Männern im Vorkapitel (Tabelle 11) und die dortigen Einordnungen treffen hier ebenso zu. Im Gegensatz zu den Männern wird als eine weitere risikoförderliche Prädiktorvariable ein Einpersonenhaushalt in diesem Modell identifiziert (Odds Ratio = 1,68). Möglicherweise geht diese signifikante Assoziation auf soziale Isolation und einen Mangel an sozialer Unterstützung bei der Bewältigung von Krankheit oder Arbeitslosigkeit im Vergleich zu Frauen mit weiteren Haushaltsangehörigen zurück (vgl. Kap. 1.4.3.2 und Kap. 5.2.2.5). Derartige Hintergrundvariablen über soziale Beziehungen wurden aber im Mikrozensus nicht erfragt. Für arbeitsuchende Frauen ohne Berufsabschluss ist zudem ein größeres Krankheitsrisiko mit einer Odds Ratio von 1,5 zu konstatieren. Geringe berufliche Qualifikation ist zum einen mit einem erhöhten Erwerbslosigkeitsrisiko verbunden (Kap. 1.4.1.5). Zum anderen ist die psychische Gesundheit von Arbeitslosen mit dem Qualifikationsniveau nach der Meta-Analyse von McKeeTabelle 12:
Andauern der Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt bei erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen Regressionskoeffizient StandardB fehler
Soziodemografische Merkmale Alter (Referenz bis unter 30 Jahre)
95,0% KI. für OR Wald
Sig.
Odds Unterer Ratio Wert
Oberer Wert
19,092 0,000
x
30 Jahre bis unter 50 Jahre
0,472
0,225
4,402 0,036 1,603
1,032
2,491
x
mindestens 50 Jahre
0,980
0,234
17,580 0,000 2,665
1,685
4,214
0,519
0,157
10,857 0,001 1,680
1,234
2,286
0,406
0,166
5,984 0,014 1,500
1,084
2,077
1,377
0,218
39,825 0,000 3,964
2,584
6,079
Familientyp und Haushaltsstruktur Haushaltsgröße (Referenz Mehrpersonenhaushalt) x Einpersonenhaushalt Schul- und Berufsausbildung Beruflicher Abschluss (Ref. Berufsabschluss vorhanden) x kein Berufsabschluss Gesundheitsvariablen Behinderung (Referenz keine anerkannte Behinderung) x Amtlich anerkannte Behinderung Konstante
-3,315
0,220 226,589 0,000 0,036
Anmerkung: Nagelkerkes R-Quadrat Modell = 0,084; -2 Log-Likelihood = 1.186,60.
187
Ryan, Song, Wanberg und Kinicki (2005) assoziiert. Der Befund in der Regressionsanalyse bestätigt diesen Zusammenhang für arbeitsuchende Frauen in Deutschland. Für die weiteren in Tabelle 9 aufgeführten Variablen wurde kein signifikanter Effekt erkannt und sie wurden daher zugunsten einer besseren Anpassungsgüte aus dieser Modellberechnung ausgeschlossen. 5.4.5 Zusammenfassung von Kapitel 5.4 Die bisherigen Auswertungen belegen vielschichtige Wechselbeziehungen zwischen Gesundheit und Erwerbsstatus. Zur Identifikation wesentlicher Einflussfaktoren auf den Krankenstand sind multivariate Analysen notwendig, die die in den Modellen eingeschlossenen Variablen konstant halten. Binäre logistische Regressionsanalysen zielen darauf, das Risiko für Krankheit/Unfallverletzungen zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbstätigen im Verhältnis zu Erwerbstätigen unter Adjustierung von Alter, soziodemografischen Merkmalen, Familientyp und Haushaltsstruktur, Schul- und Berufsausbildung, sozioökonomischen Variablen, Behinderung und Raucherstatus sowie sonstigen Einflussfaktoren zu berechnen. In dieser multivariaten Betrachtung sind die Odds Ratios von erwerbslosen/arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Männern und Frauen hochsignifikant um den Faktor 1,6 bzw. 1,8 in Relation zu den erwerbstätigen Männern und Frauen erhöht. Es wurden weitere logistische Regressionsanalysen innerhalb der Gruppe der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbstätigen stratifiziert nach Geschlecht durchgeführt, um die Einflussfaktoren auf das Krankheitsrisiko zum Befragungszeitpunkt zu bestimmen. Dabei stellt sich das Vorhandensein einer amtlich anerkannten Behinderung bei den Männern wie bei den Frauen als wichtigste Prädiktorvariable für das Risiko einer Krankheit/Unfallverletzung heraus. Erwerbslose und arbeitsuchende nichterwerbstätige Männer und Frauen mit einer Behinderung haben ein rund vierfach erhöhtes Risiko für eine Krankheit/ Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt. Das Krankheitsrisiko wächst sowohl für Männer als auch Frauen in höheren Altersgruppen signifikant an. Unter den arbeitsuchenden Männern tragen Bezieher von Sozialhilfe/-geld oder Grundsicherung ein doppelt so hohes Risiko für eine Krankheit/ Unfallverletzung. Bei arbeitsuchenden Frauen, die keinen Berufsabschluss besitzen oder in einem Einpersonenhaushalt leben, ist ein erhöhtes Krankheitsrisiko zu konstatieren.
188
5.5 Regressionsanalysen zur Integration am Arbeitsmarkt 5.5.1
Gegenwärtige Erwerbstätigkeit bei vor einem Jahr Arbeitslosen
Eine zentrale wissenschaftliche Fragestellung der Erwerbslosenforschung betrifft die Wirkungsrichtung zwischen Erwerbslosigkeit und individuellem Gesundheitszustand. Lassen sich die Gesundheitsunterschiede zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen durch Selektionseffekte erklären oder wirkt Erwerbslosigkeit ursächlich auf den Gesundheitszustand? Der Mikrozensus 2005 ist eine repräsentative Querschnittsbefragung. Das Studiendesign schränkt damit die Möglichkeiten für die Testung von kausalen Untersuchungshypothesen prinzipiell ein. Allerdings erkundigt sich der Mikrozensus 2005 bei den Interviewten über den Erwerbsstatus ein Jahr vor dem Befragungszeitpunkt (Tabelle 13). Die Ergebnisse wurden im Kap. 5.1.3 ausgeführt. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, in der Retrospektive zeitstabile Einflussfaktoren auf den Statuswechsel a. b.
von Erwerbstätigkeit zur gegenwärtigen Erwerbslosigkeit (und darunter von selbstständiger Tätigkeit zur gegenwärtigen Erwerbslosigkeit) sowie von Arbeitslosigkeit zur gegenwärtigen Erwerbstätigkeit in binären logistischen Regressionsanalysen zu untersuchen.
Die übrigen abgefragten Erwerbsbeteiligungsarten in Tabelle 13 (nicht fett markiert) besitzen zu kleine Fallzahlen, um valide Aussagen in multivariaten Modellen treffen zu können. Logistische Regressionsanalysen mit Berechnungen von Odds Ratios sind – wie im Kap. 5.4 ausgeführt – geeignet, um die Assoziationen von Erwerbsstatus und Gesundheit mit ihren Einflussfaktoren zu bestimmen.
189
Tabelle 13:
Erwerbsbeteiligung zum Befragungszeitpunkt und im Vorjahr Erwerbstätige
(N in 1.000; freiwillige Angaben)
Erwerbslose
SpalSpalten-% ten-% (33.859) (4.431)
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen Spalten-% (614)
Sonstige Nichterwerbspersonen
16,9 1,0 48,5 17,4 0,8 2,0 8,0 0,2 6,2
5,9 0,4 3,6 34,1 22,2 3,6 24,5 0,1 6,0
Spalten-% (13.321)
Total
Spalten-% (52.225)
Erwerbsbeteiligung vor einem Jahr: Erwerbs-/Berufstätige, Azubi darunter: Selbstständige Arbeitslos Schüler, Studenten im Ruhestand/Vorruhestand dauerhaft arbeitsunfähig Hausfrauen/-männer Grundwehr/Zivildienstleistende Sonstiges
5.5.2
90,9 9,2 3,2 3,6 0,3 0,1 1,0 0,2 0,7
26,8 1,2 57,7 5,5 0,4 0,4 5,4 0,4 3,4
62,9 6,2 8,4 11,7 5,9 1,0 7,5 0,2 2,3
Kovariaten zur Integration am Arbeitsmarkt
Bei den folgenden multiplen linearen Regressionsanalysen soll primär der Einfluss des Gesundheitszustandes als unabhängige Variable auf die Arbeitsmarktintegration in multivariater Betrachtung untersucht werden. Bei den binären logistischen Regressionsanalysen zur Arbeitsmarktintegration werden Gruppenzugehörigkeiten erklärt. Die logistischen Regressionsanalysen zielen auf die Berechnungen der Wahrscheinlichkeiten eines Statuswechsels von Erwerbstätigkeit zur Erwerbslosigkeit und von Arbeitslosigkeit zur Erwerbstätigkeit. Wie in den vorherigen Modellberechnungen zum Krankenstand finden neben den Gesundheitsvariablen wieder folgende potenzielle Determinantengruppen Berücksichtigung: 1. 2. 3. 4. 5.
190
soziodemografische Merkmale Familientyp und Haushaltsstruktur Schul- und Berufsausbildung sozioökonomische Variablen sonstige Einflussfaktoren.
In der Tabelle 14 befindet sich eine Übersicht aller zur Modellierung eingeschlossenen unabhängigen Variablen. Tabelle 14:
Kovariaten für Regressionsanalysen zur Arbeitsmarktintegration Soziodemografische Merkmale
Geschlecht (Referenz Frauen)
x
Männer
Alter (Referenz bis unter 30 Jahre) (kategorial)
x x
30 Jahre bis unter 50 Jahre mindestens 50 Jahre
Nationalität (Referenz deutsch) (kategorial)
x x
Ausländer aus Nicht-EU-Staaten EU-Ausländer
Geburtsland (Referenz Ausland)
x
Deutschland
Region Wohnort (Referenz Westdeutschland)
x
Ostdeutschland
Familientyp und Haushaltsstruktur Haushaltsgröße (Referenz Mehrpersonenhaushalt)
x
Einpersonenhaushalt
Anzahl weiterer Erwerbstätiger im Haushalt
x
Anzahl
Familientyp (Referenz nicht alleinerziehend)
x
Alleinerziehend
Kleinkinder (Referenz keine oder mindestens vier Jahre alte Kinder)
x
Kinder unter vier Jahren
Schul- und Berufsausbildung Allgemeiner Schulabschluss (Referenz Abschluss über Hauptschulniveau)
x
Kein allgemeiner Schulabschluss oder Hauptschulabschluss
Beruflicher Abschluss (Referenz Berufsabschluss vorhanden)
x
Kein Berufsabschluss
Stellung im Beruf aktuell bzw. zuletzt (Referenz Selbstständige und Sonstige) (kategorial)
x x
Arbeiter Angestellte
Gesundheitsvariablen Behinderung (Referenz keine amtlich anerkann- x te Behinderung)
Amtlich anerkannte Behinderung
Grad der Behinderung (Referenz nicht schwer- x behindert)
Schwerbehinderung
Krankheitsdauer (Referenz unter einem Jahr)
x
Länger als ein Jahr krank oder unfallverletzt
Sonstige Einflussfaktoren Gemeindegrößenklasse (Referenz unter 20.000 x Einwohnern) (kategorial) x Saison (Referenz 2. bis 4. Berichtsquartal)
x
500.000 und mehr Einwohner 20.000 bis unter 500.000 Einwohner 1. Berichtsquartal
191
Für die erste binäre logistische Regressionsanalyse werden nur die Personen in die Modellrechnung eingeschlossen, die ein Jahr vor der Befragung arbeitslos waren und zum Befragungszeitpunkt nicht zu den sonstigen Nichterwerbspersonen zählten. Eine kleine konzeptionelle Inkonsistenz besteht in der Verwendung des Begriffs „arbeitslos“ und nicht „erwerbslos“ in der Antwortoption des Mikrozensus-Fragebogens (Tabelle 13). Allerdings darf bezweifelt werden, dass eine Zuordnung zum Alternativbegriff „erwerbslos“ im Alltagsverständnis der Interviewten valide Aussagen erbracht hätte. Von daher wird der Filter hier entsprechend der Fragebogenkonstruktion auf die Gruppe der vor einem Jahr Arbeitslosen gesetzt. Als unabhängige Variable wird eine dichotome Variable zum gegenwärtigen Erwerbsstatus mit dem Ausprägungsgrad 1 für erwerbstätig und 0 für erwerbslos/arbeitsuchend nichterwerbstätig gebildet. Als Prädiktoren werden soziodemografische Merkmale, Familientyp und Haushaltsstruktur, Schul- und Berufsausbildung und die Gesundheitsvariablen einbezogen (siehe Tabelle 14). Das Modell in Tabelle 15 soll dabei die Einflussnahmen von Behinderung (amtlich anerkannte Behinderung und Schwerbehinderung) und Krankheit/Unfallverletzung mit Dauer von über einem Jahr überprüfen. Die Chancen auf eine Erwerbstätigkeit am Erhebungstag werden nach diesem Modell in Tabelle 15 bei denjenigen, die nach eigenen Angaben vor einem Jahr arbeitslos waren, am stärksten durch eine über ein Jahr andauernde Krankheit/Unfallverletzung reduziert. Diese lang andauernde Krankheit/Unfallverletzung, die also schon vor einem Jahr in der Arbeitslosigkeit bestand, senkt die Odds Ratio mit hoher Effektstärke auf 0,26. Dieser die Wiedereingliederung hemmende Beitrag von chronischen Krankheiten ist bisher bei Erwerbslosen in Deutschland noch unerforscht. Von großem Forschungsinteresse wären ferner die zugrunde liegenden Krankheitsdiagnosegruppen und die exakte Krankheitsdauer, die im Mikrozensus aber nicht erhoben werden. Das Lebensalter stellt den zweitgrößten Einflussfaktor dar. Die Aussichten auf eine Erwerbstätigkeit sinken stark mit Zunahme des Alters. Die Wahrscheinlichkeit auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit ist für Ältere mit 50 oder mehr Jahren, die vor einem Jahr arbeitslos waren, auf eine Odds Ratio von 0,29 hochsignifikant minimiert. Dieses Ergebnis steht in Übereinstimmung mit der Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit, die für Ältere ab 50 Jahren einen weit unterdurchschnittlichen Abgang aus Arbeitslosigkeit durch Arbeitsaufnahme belegt (BA, 2010). Den drittgrößten Effekt bewirkt daneben eine weitere Gesundheitsvariable: Für Schwerbehinderte, die vor einem Jahr arbeitslos waren, ist die Chance auf eine Erwerbstätigkeit am Erhebungstag halbiert (Odds Ratio = 0,53). Das Ergebnis bestätigt die vielfach beobachteten besonderen Wiedereingliederungsschwie-
192
rigkeiten schwerbehinderter Menschen am Arbeitsmarkt (Rauch & Brehm, 2003; Hollederer, 2003c; Schröder & Rauch, 2006). Mit weiteren Erwerbstätigen im gemeinsamen Haushalt verdoppeln sich bei den vor einem Jahr Arbeitslosen die Chancen auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit (Odds Ratio = 2,01). Möglicherweise tragen hier soziale Unterstützungsleistungen von den erwerbstätigen Haushaltsangehörigen zu der guten Arbeitsmarktintegration bei. Wenn die vor einem Jahr Arbeitslosen alleine in einem Einpersonenhaushalt leben, ist die Wahrscheinlichkeit für eine Erwerbstätigkeit ebenfalls etwas erhöht (Odds Ratio = 1,49). Dagegen sind Kleinkinder unter vier Jahren im gemeinsamen Haushalt mit einem reduzierten Odds Ratio von 0,61 assoziiert. Dieses Ergebnis dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass die Betreuung von Kleinkindern häufig mit einer eingeschränkten Arbeitsuche nach (kaum vorhandenen) Teilzeitstellen und Ortsnähe einhergeht, insbesondere bei Alleinerziehenden (vgl. Hollederer, Lehmann & Seiler, 2009). Eine niedrige Schulbildung wirkt sich (erwartungsgemäß) als Hemmnis bei der Arbeitsmarktintegration aus (Odds Ratio von 0,61). Als weitere signifikante Einflussfaktoren auf die Arbeitsmarktintegration wurden die Region des Wohnortes und die Gemeindegröße ausgemacht. In Ostdeutschland haben die vor einem Jahr Arbeitslosen eine reduzierte Odds Ratio von 0,79. Ein ähnlicher negativer Effekt ergibt sich bei Großstädten mit mindestens 500.000 Einwohnern. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Wiedereingliederungschancen von regionalen Arbeitsmärkten abhängig sind, die in Ostdeutschland und in diversen Großstädten wie Berlin oder im Ruhrgebiet von überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquoten mit wenigen offenen Stellen gekennzeichnet sind. In der Gesamtbetrachtung ist der hohe Impact der beiden Gesundheitsvariablen Schwerbehinderung und eine über ein Jahr andauernde Krankheit/Unfallverletzung auf die Arbeitsmarktintegration unter Konstanthaltung von vielen wichtigen Einflussfaktoren wie Alter oder Schulausbildung ein beachtlicher Befund.
193
Tabelle 15:
Erwerbstätigkeit bei vor einem Jahr Arbeitslosen Regressionskoeffizient StandardB fehler
Soziodemografische Merkmale Alter (Ref. bis unter 30 Jahre)
113,579
Wald
Sig.
95,0% KI. für OR Odds Unterer Oberer Ratio Wert Wert
0,000
x 30 Jahre bis unter 50 Jahre
-0,395
0,096
16,996 0,000 0,673
0,558
0,813
x mindestens 50 Jahre
-1,224
0,117 108,633 0,000 0,294
0,234
0,370
Region Wohnort (R. Westdtl.) x Ostdeutschland
-0,230
0,085
7,306 0,007 0,794
0,672
0,939
0,397
0,090
19,364 0,000 1,487
1,246
1,774
0,696
0,086
66,091 0,000 2,005
1,696
2,372
-0,497
0,148
11,335 0,001 0,608
0,455
0,812
-0,500
0,084
35,092 0,000 0,607
0,514
0,716
Gesundheitsvariablen Grad der Behinderung (Referenz nicht schwerbehindert) x Schwerbehinderung
-0,634
0,236
7,221 0,007 0,530
0,334
0,842
Krankheitsdauer (Referenz keine oder unter einem Jahr) x Länger als ein Jahr krank oder unfallverletzt
-1,348
0,304
19,656 0,000 0,260
0,143
0,471
Familientyp und Haushaltsstruktur Haushaltsgröße (Referenz Mehrpersonenhaushalt) x Einpersonenhaushalt x Anzahl weiterer Erwerbstätiger im Haushalt Kleinkinder (Ref. keine oder mindestens 4 Jahre alte Kinder) x Kinder unter 4 Jahren Schul- und Berufsausbildung Allgemeiner Schulabschluss (Ref. Abschluss über Hauptschulniveau) x Hauptschulabschluss oder kein allgem. Schulabschluss
Sonstige Einflussfaktoren Gemeindegrößenklasse (Referenz unter 20.000 Einwohnern)
7,575 0,023
x 20.000 bis unter 500.000 Einwohner
-0,143
0,087
2,688 0,101 0,867
0,731
1,028
x 500.000 und mehr Einwohner
-0,312
0,116
7,256 0,007 0,732
0,583
0,919
Konstante -0,528 0,134 15,460 0,000 0,590 Anmerkung: Nagelkerkes R-Quadrat Modell = 0,119; -2 Log-Likelihood = 3.989,78
194
5.5.3 Erwerbslosigkeit bzw. Arbeitsuche bei vor einem Jahr Erwerbstätigen und Selbstständigen Die nächste binäre logistische Regressionsanalyse überprüft, welche Faktoren den Übergang von Erwerbstätigkeit in Erwerbslosigkeit beeinflussen. In die Modellrechnung werden die Personen aufgenommen, die ein Jahr vor der Befragung nach eigenen Angaben erwerbstätig waren und zum Befragungszeitpunkt nicht zu den sonstigen Nichterwerbspersonen gehören. Als abhängige Variable wird der gegenwärtige Erwerbsstatus dichotomisiert. Der Ausprägungsgrad 0 steht für erwerbstätig und 1 für erwerbslos/arbeitsuchend nichterwerbstätig. Als Prädiktoren werden wieder die in Tabelle 14 aufgeführten soziodemografischen Merkmale, Familientyp und Haushaltsstruktur, Schul- und Berufsausbildung sowie Gesundheitsvariablen eingeschlossen. Wie bei der vorherigen Regressionsanalyse in Tabelle 15 gingen von den Gesundheitsvariablen in die Modellrechnung Behinderung (amtlich anerkannte Behinderung und Schwerbehinderung) und Krankheit/Unfallverletzung mit Dauer von über einem Jahr ein. Auch in dieser binären logistischen Regressionsanalyse wurde bei einer vorliegenden Erkrankung/Unfallverletzung mit der Dauer von über einem Jahr eine statistisch bedeutsame Einflussnahme gefunden (Tabelle 16). Das Risiko eines Statuswechsels von erwerbstätig zu erwerbslos/arbeitsuchend nichterwerbstätig ist doppelt so hoch (OR = 2,09) und ein Selektionseffekt damit statistisch signifikant bestätigt. Eine hohe Vorhersagekraft hat in diesem Modell ebenfalls das Lebensalter. Jüngere bis unter 30 Jahre verloren mit höherer Wahrscheinlichkeit ihren Arbeitsplatz, was unter Umständen auf die Zunahme von zeitlichen Befristungen von Arbeitsverträgen beim Berufseinstieg zurückzuführen sein könnte. Ältere über 50 Jahre hatten ein geringeres Risiko, erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig zu werden, als Erwerbstätige im mittleren Lebensalter. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Ältere über 50 Jahre unter Umständen gleich zu den sonstigen Nichterwerbspersonen, z.B. durch vorgezogenen Ruhestand, abgehen können und dann keine Arbeit mehr suchen. Solche Fälle sind nicht in die Modellrechnung eingeschlossen. EU-Ausländer werden mit höherer Wahrscheinlichkeit erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig (OR = 1,50). In Deutschland Geborene haben eine bessere Prognose als Aussiedler und Immigranten, deren Geburtsort im Ausland lag (OR = 0,67). Unter den vor einem Jahr Erwerbstätigen tragen außerdem Angestellte und Arbeiter ein signifikant erhöhtes Risiko im Vergleich zu Selbstständigen, Beamten etc., am Erhebungstag erwerbslos/arbeitsuchend nichterwerbstätig zu sein (OR = 2,69 bzw. OR = 1,50).
195
Personen ohne Schulabschluss oder nur mit Hauptschulabschluss weisen ebenfalls ein höheres Erwerbslosigkeitsrisiko auf (OR = 1,55). Ähnlich wie beim Übergang von Erwerbslosigkeit in Erwerbstätigkeit (Tabelle 15) sind weitere Erwerbstätige im Haushalt (OR = 0,54) oder ein Einpersonenhaushalt (OR = 0,86) mit einem verminderten Risiko verbunden. Ein höheres Risiko besteht für Alleinerziehende (OR = 1,43). Wie schon bei der Wiedereingliederung der vormals Arbeitslosen (Tabelle 15) ist in Ostdeutschland und in den Großstädten das Erwerbslosigkeitsrisiko gesteigert. Die vor einem Jahr erwerbstätigen Ostdeutschen hatten ein ca. eineinhalbfach erhöhtes Risiko für den Übergang in Erwerbslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit (mit Arbeitsuche). Bei den vor einem Jahr Erwerbstätigen, die in kleineren Gemeinden wohnen, konnte stärker als in Großstädten und größeren Gemeinden die Erwerbstätigkeit erhalten werden. Im 1. Quartal war saisonalbedingt das Erwerbslosigkeitsrisiko etwas höher. Selbstständigkeit, Erwerbslosigkeit und Gesundheit Fast ein Zehntel der vor einem Jahr Erwerbstätigen war als Selbstständige tätig (Tabelle 13). Diese Form der Erwerbsbeteiligung wuchs in den zurückliegenden Jahren und wurde durch die Arbeitsmarktreformen forciert. Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit heraus werden besonders durch die „Ich-AG“ (Existenzgründungszuschuss nach § 421 SGB III) und durch das vorher schon offerierte Überbrückungsgeld (vormals § 57 SGB III) unterstützt. Wie in Kap. 5.2.2.3 näher erläutert, erfuhren Selbstständige insgesamt weniger Krankheiten/Unfallverletzungen zum Befragungszeitpunkt im Vergleich zu Angestellten oder Arbeitern. Das trifft aber nicht auf die Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zu, unter denen die vormals Selbstständigen besonders stark von Krankheiten/Unfallverletzung betroffen sind. Eine binäre logistische Regressionsanalyse nur für die Untergruppe der vor einem Jahr erwerbstätigen Selbstständigen verifiziert den besonders hohen Einfluss des Gesundheitszustandes auf das Erwerbslosigkeitsrisiko (Tabelle 17). Eine vorhandene Krankheit oder Unfallverletzung, die schon länger als ein Jahr andauert, bildet den stärksten Einflussfaktor bei Selbstständigen mit einem 5,46fach erhöhten Risiko, erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig zum Befragungszeitpunkt zu sein. Nur ein Teil der Einfluss nehmenden Faktoren, die bei allen vor einem Jahr Erwerbstätigen gefunden wurden (vgl. Tabelle 16), werden in der Untergruppe der Selbstständigen bestätigt. EU-Ausländer und Ostdeutsche, die vor einem Jahr selbstständig tätig waren, werden mit höherer Wahrscheinlichkeit erwerbslos
196
Tabelle 16:
Erwerbslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit mit Arbeitsuche bei vor einem Jahr Erwerbstätigen Regressionskoeffizient B
Standardfehler
Soziodemografische Merkmale Alter (Referenz bis unter 30 Jahre)
95,0% KI. für Odds Ratio Wald
Sig.
Odds Ratio
Unterer Wert
Oberer Wert
150,500
0,000
x
30 Jahre bis unter 50 Jahre
-0,791
0,071
123,093
0,000
0,453
0,394
0,521
x
mindestens 50 Jahre
-0,896
0,088
104,208
0,000
0,408
0,344
0,485
11,562
0,003
Nationalität (Referenz deutsch) x
Ausländer aus Nicht-EU-Staaten
0,037
0,164
0,052
0,820
1,038
0,753
1,430
x
EU-Ausländer
0,406
0,123
10,921
0,001
1,501
1,180
1,910
-0,402
0,096
17,627
0,000
0,669
0,555
0,807
0,914
0,072
162,631
0,000
2,495
2,168
2,871
-0,151
0,068
4,886
0,027
0,860
0,752
0,983
Geburtsland (Referenz Ausland) x Deutschland Region Wohnort (Ref. Westdeutschland) x Ostdeutschland Familientyp und Haushaltsstruktur Haushaltsgröße (R. Mehrpersonenhaushalt) x Einpersonenhaushalt x
Anzahl weiterer Erwerbstätiger im Haushalt
-0,614
0,067
84,178
0,000
0,541
0,475
0,617
Familientyp (Referenz nicht alleinerziehend) x Alleinerziehend
0,357
0,104
11,853
0,001
1,430
1,166
1,752
Schul- und Berufsausbildung Allgemeiner Schulabschluss (Referenz Abschluss über Hauptschulniveau) x Hauptschulabschluss oder kein allgemeiner Schulabschluss
0,440
0,071
38,894
0,000
1,553
1,352
1,783
122,940
0,000
Arbeiter
0,403
0,098
16,749
0,000
1,496
1,234
1,815
Angestellte
0,990
0,100
97,941
0,000
2,691
2,212
3,274
0,738
0,230
10,287
0,001
2,092
1,332
3,284
Stellung im Beruf aktuell bzw. zuletzt (Referenz Selbstständige/Sonstige) x x
Gesundheitsvariablen Krankheitsdauer (R. keine oder unter 1 Jahr) x Länger als ein Jahr krank/unfallverletzt Sonstige Einflussfaktoren Gemeindegrößenklasse (Referenz unter 20.000 Einwohnern)
6,808
0,033
x
20.000 bis unter 500.000 Einw.
0,161
0,067
5,724
0,017
1,174
1,029
1,340
x
500.000 und mehr Einwohner
0,180
0,093
3,753
0,053
1,197
0,998
1,435
Saison (Referenz 2. bis 4. Berichtsquartal) x 1. Berichtsquartal
0,141
0,067
4,481
0,034
1,152
1,011
1,312
Konstante -2,922 0,156 348,758 0,000 Anmerkung: Nagelkerkes R-Quadrat Modell = 0,088; -2 Log Likelihood = 9222,607
0,054
197
bzw. arbeitsuchend nichterwerbstätig (OR = 2,85 bzw. OR = 2,36). Das Risiko ist außerdem größer bei Selbstständigen, die nur einen Hauptschulabschluss oder gar keinen Schulabschluss besitzen (OR = 2,16). Risikomindernd wirkt sich ein Alter über 30 Jahre (OR = 0,43 bzw. OR, 024) und das Vorhandensein weiterer Erwerbstätiger im Haushalt (OR = 0,33) aus. Tabelle 17:
Erwerbslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit mit Arbeitsuche bei vor einem Jahr erwerbstätigen Selbstständigen Regressionskoeffi- Standardzient B fehler Wald
Soziodemografische Merkmale Alter (Referenz bis unter 30 Jahre)
95,0% KI. für Odds Ratio Sig.
Odds Unterer Ratio Wert
Oberer Wert
9,406 0,009
x
30 Jahre bis unter 50 Jahre
-0,851
0,393 4,682 0,030 0,427
0,198
0,923
x
mindestens 50 Jahre
-1,417
0,462 9,390 0,002 0,242
0,098
0,600
Nationalität ( Referenz deutsch)
5,793 0,055
x
Ausländer aus Nicht-EUStaaten
0,099
0,613 0,026 0,871 1,105
0,332
3,670
x
EU-Ausländer
1,048
0,436 5,786 0,016 2,851
1,214
6,696
0,860
0,315 7,468 0,006 2,362
1,275
4,377
Familientyp und Haushaltsstruktur x Anzahl weiterer Erwerbstätiger im Haushalt
-1,102
0,285 14,948 0,000 0,332
0,190
0,581
Schul- und Berufsausbildung Allgemeiner Schulabschluss (Ref. Abschluss über Hauptschulniveau) x Hauptschulabschluss oder kein allgemeiner Schulabschluss
0,771
0,306 6,334 0,012 2,162
1,186
3,942
1,698
0,706 5,778 0,016 5,461
1,368
21,795
Region Wohnort (Referenz Westdeutschland) x Ostdeutschland
Gesundheitsvariablen Krankheitsdauer (Referenz keine oder unter einem Jahr) x Länger als ein Jahr krank oder unfallverletzt
Konstante -3,052 0,421 52,655 0,000 0,047 Anmerkung: Nagelkerkes R-Quadrat Modell = 0,099; -2 Log Likelihood = 491,828
198
5.5.4 Zusammenfassung von Kapitel 5.5 Der Mikrozensus 2005 ist als Querschnittsbefragung konzipiert, erkundigt sich aber nach dem Erwerbsstatus vor einem Jahr. Binäre logistische Regressionsanalysen zielen darauf, die Einflüsse bei den Statuswechseln von vorheriger Erwerbstätigkeit zur Erwerbslosigkeit und von vorheriger Arbeitslosigkeit zur Erwerbstätigkeit in multivariater Betrachtung zu bestimmen. Multivariate Regressionsanalysen können Gruppenzugehörigkeiten gut prognostizieren und außerdem Unterschiede bei der Arbeitsmarktintegration erklären. Sie untersuchen, ob und inwieweit Behinderung sowie Krankheit/Unfallverletzung die Reintegration in den Arbeitsmarkt oder den Eintritt in Erwerbslosigkeit beeinflussen. Es wurden drei logistische Regressionsanalysen gerechnet, die folgende Hauptergebnisse erbrachten: a.
b.
Die Chancen auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit werden in den binären logistischen Regressionsanalysen bei denjenigen, die vor zwölf Monaten arbeitslos waren, am stärksten durch eine mehr als ein Jahr andauernde Krankheit/Unfallverletzung negativ beeinflusst. Mit steigendem Lebensalter sinkt die Wahrscheinlichkeit auf eine Erwerbstätigkeit ebenfalls bedeutend. Die Aussichten auf eine Erwerbstätigkeit sind bei Schwerbehinderten, die vor einem Jahr arbeitslos waren, halbiert. Eine niedrige Schulbildung übt desgleichen einen hemmenden Einfluss auf die Arbeitsmarktintegration aus. Die Haushaltsstrukturen können sowohl förderlich als auch hinderlich wirken. Bei weiteren Erwerbstätigen im gemeinsamen Haushalt werden erhöhte Chancen auf Arbeitsmarktintegration festgestellt während das Vorhandensein von Kleinkindern sie reduziert. Die Wiedereingliederungschancen sind in Ostdeutschland und in Großstädten mit mindestens 500.000 Einwohnern erniedrigt. Weitere binäre logistische Regressionsanalysen überprüften bei Personen, die ein Jahr vor der Befragung erwerbstätig waren, welche Faktoren den Übergang in Erwerbslosigkeit/Nichterwerbstätigkeit (mit Arbeitsuche) beeinflussen. In dieser Modellrechnung steigerten Krankheiten/Unfallverletzungen mit der Dauer von über einem Jahr signifikant die Wahrscheinlichkeit, erwerbslos bzw. arbeitsuchend nichterwerbstätig zu werden. Ein vermindertes Erwerbslosigkeitsrisiko geht dagegen mit höherem Alter und Geburtsort in Deutschland einher. Als risikosenkend werden auch Einpersonenhaushalte und das Vorhandensein weiterer Erwerbstätiger erkannt, während für Alleinerziehende ein größeres Risiko konstatiert wird. Eine niedrige allgemeine Schulbildung und die Zugehörigkeit zur Arbeiter-
199
c.
oder Angestelltenschaft sind ebenso mit einer Zunahme des Risikos von Erwerbslosigkeit und Nichterwerbstätigkeit (mit Arbeitsuche) verbunden. Desweiteren tragen Ausländer und Ostdeutsche ein erhöhtes Risiko, erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig zu werden. Das Risiko steigt auch mit der Gemeindegröße am Wohnort und saisonalbedingt im ersten Berichtsquartal. In der Untergruppe der vor einem Jahr erwerbstätigen Selbstständigen ergibt die binäre logistische Regressionsanalyse für den Fall einer Krankheit/Unfallverletzung, die schon länger als ein Jahr andauert, eine rund fünfeinhalbfach erhöhte Wahrscheinlichkeit für Erwerbslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit (mit Arbeitsuche). Das ist mit Abstand der stärkste Einflussfaktor in diesem Modell. Einen signifikanten risikoförderlichen Einfluss üben auch die Merkmale Nationalität und Wohnsitz in Ostdeutschland sowie eine niedrige allgemeine Schulbildung aus. Das Erwerbslosigkeitsrisiko sinkt mit Zunahme des Lebensalters und der Anzahl weiterer Erwerbstätiger im Haushalt.
Die multivariaten Regressionsanalysen belegen damit durchgängig in den verschiedenen Modellen einen sehr starken Einfluss des Gesundheitszustandes auf die Arbeitsmarktintegration.
200
6 Diskussion 6.1 Empirische Methoden der Fragebogenerhebung des Mikrozensus 2005
Vor der Diskussion der Einzelergebnisse gilt es die Grenzen der Validität der Studie aufzuzeigen. Wie bei jeder empirischen Arbeit bestehen auch beim Mikrozensus prinzipiell Limitationen in der Güte und Reichweite durch die gewählte Erhebungsform und –methode. Die Daten des Mikrozensus 2005 wurden lediglich sekundäranalytisch genutzt, um zentrale Fragestellungen zu Erwerbslosigkeit und Gesundheit zu beantworten. 6.1.1 Stichprobenfehler, Hochrechnungsverfahren und Gewichtungen Der Mikrozensus dient primär dem Zweck, in regelmäßigen Abständen Strukturdaten zu ermitteln und dadurch Datenlücken zwischen den Volkszählungen zu schließen. Er ist als Mehrthemenumfrage mit Haupt- und wechselnden Zusatzfragenprogrammen konzipiert und die Stichprobe umfasst rund ein Prozent der Haushalte in Deutschland. Als große Verbesserung richtete sich im Jahr 2005 das Zusatzprogramm mit Fragen zur Gesundheit erstmals an alle interviewten Personen. Die Stichprobe für das Zusatzprogramm ist damit so groß wie für das feste Grundprogramm im Mikrozensus, was die Gefahr des Stichprobenfehlers minimiert. Bis zum Jahr 2003 lag die Stichprobe bei 0,45 % der Bevölkerung. Die Aufstockung im Jahr 2005 erlaubt im Vergleich zu den vorherigen Mikrozensus-Erhebungen wesentlich tiefer gehende Auswertungen zum Gesundheitszustand auch von kleineren Personengruppen wie den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen und Selbstständigen. Die Mikrozensus-Daten haben für die Sekundäranalyse den weiteren großen Vorteil, dass auch die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union 2005 integriert ist. Die Arbeitskräftestichprobe dient der Erfassung von Niveau, Struktur und Entwicklung der Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit in den EUMitgliedstaaten. Durch dieses Erhebungsinstrument werden für die komplette Erwerbsbevölkerung die vier Statusgruppen Erwerbstätige, Erwerbslose, arbeitsuchende Nichterwerbspersonen und sonstige Nichterwerbspersonen erhoben und können dann sekundäranalytisch auch für vergleichende Gesundheitsunter201 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
suchungen genutzt werden. Der große Stichprobenumfang und das Auswahlverfahren ermöglichen, diese vier nach der ILO-Statistikkonzeption konstruierten Erwerbsstatusgruppen in der Lebenslaufperspektive abzubilden und die Wechselwirkungen mit Gesundheit aufzuzeigen. Es steht für die Gesundheitsberichterstattung in Deutschland derzeit keine andere Datenquelle zur Verfügung, über die repräsentative Gesundheitsinformationen für alle vier Erwerbsstatusgruppen in vergleichbaren Stichprobenumfang gewonnen werden können. Die Voraussetzungen für eine Sekundäranalyse der Mikrozensus-Daten sind daher im Jahr 2005 besonders günstig. Trotzdem bestehen klare methodische Grenzen bei einer solchen Repräsentativerhebung. Die Stichprobenergebnisse werden auf die Bevölkerungszahl hochgerechnet und die ausgewiesenen Anteile auf die Bevölkerung mit Angaben zu den entsprechenden Fragen bezogen. Diese auf die Grundgesamtheit hochgerechneten Ergebnisse bergen prinzipiell die Gefahr eines stichprobenbedingten Zufallsfehlers. Durch die Stichprobenziehung werden nicht alle Einheiten der Grundgesamtheit befragt und erfordern daher eine Schätzung vom Stichprobenergebnis auf die Population. Die Größe des Zufallsfehlers hängt generell von der Stichprobengröße und der Streuung der Messwerte in der Grundgesamtheit ab. Stichprobenstatistiken sind grundsätzlich mit Zufallsfehlern behaftet. Der Wert eines zufallsbedingten Stichprobenfehlers kann nicht exakt ermittelt, sondern nur größenordnungsmäßig anhand des Standardfehlers, der aus den Einzeldaten der Stichprobe berechnet wird, abgeschätzt werden. Das Statistische Bundesamt hat mit dem Originaldatensatz Mikrozensus 2005 ausgerechnet, dass der einfache relative Standardfehler für hochgerechnete Quartalsergebnisse des Mikrozensus 2005 von unter 20.000 und für hochgerechnete Jahresergebnisse von unter 5.000 über 15 % hinausgeht (StaBu, 2006d). Darunter haben die Ergebnisse nur entsprechend geringen Aussagewert und wurden in der vorliegenden Arbeit entsprechend der Mikrozensus-Konvention nicht ausgewiesen. Eine zweite potenzielle Fehlerquelle bei Erhebungen wie dem Mikrozensus besteht durch nicht-stichprobenbedingte systematische Fehler. Sie können in einer unangemessenen Erhebungskonzeption, inadäquaten Erhebungsinstrumenten, falschen Antworten oder Datenerfassungsfehlern begründet sein. Negativ könnten sich z.B. die Fragebogengestaltung oder der Einsatz der Interviewer auswirken. Darauf wird noch im nächsten Kapitel 6.1.2 eingegangen. Nichtstichprobenbedingte systematische Fehler können bei Vorliegen von Referenzstatistiken festgestellt werden. Vom Statistischen Bundesamt erkannte zufallsbedingte und systematische Fehler der Stichprobe werden im Hochrechnungsverfahren des Mikrozensus durch Kompensationsfaktoren in der ersten Stufe ausgeglichen. Der Hochrechnungsrahmen für die zweite Stufe beinhaltet drei Altersklassen und vier Staatsangehörigkeitsgruppen mit jeweiliger Geschlechterdiffe-
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renzierung. Die Anpassung erfolgt quartalsweise auf den unterschiedlichen regionalen Ebenen. Die mit dem Kompensationsfaktor gewichteten Stichprobenverteilungen verschiedener Hilfsvariablen werden an Eckwerten aus der routinemäßigen Bevölkerungsfortschreibung und dem Ausländerzentralregister angepasst. Die Standardhochrechnungsfaktoren werden als eigenständige Variablen im Datensatz des Mikrozensus Scientific Use File 2005 für die Berechnungen von Jahresdurchschnitt und Quartalen übergeben. Der Mikrozensus 2005 versucht, die Zufallsfehler und nicht-stichprobenbedingten systematischen Fehler durch den hohen Auswahlsatz, die gesetzliche Auskunftspflicht und die computerunterstützte face-to-face-Befragung zu reduzieren. Eine weitere Belastung entsteht dadurch, dass der Mikrozensus Scientific Use File 2005 nur aus einer 70 %-Unterstichprobe des Originaldatensatzes besteht, obwohl die Daten hochgradig anonymisiert und zum Teil bei einzelnen Variablen durch Klassenbildungen stark vergröbert wurden. Die Unterstichprobe wird nicht auf Personenebene, sondern auf Basis der Haushalte gezogen und enthält außerdem nicht alle Variablen. Die Eliminierung von 30 % der Datensätze führt dazu, dass für verschiedene Auswertungsvorhaben z.B. zum Krankenstand zum Befragungszeitpunkt von arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen oder den Selbstständigen die Fallzahlen zu klein für gesicherte Aussagen werden. In der vorliegenden Arbeit wurde dann auf die Krankheitsperiodenprävalenz (mit mehr Fallzahlen) ausgewichen. Grundsätzlich stellt sich daher die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Dateneingriffs angesichts der hochgradigen Anonymisierung der Daten, des sehr bürokratischen Antragsverfahrens mit strenger Überprüfung der beantragenden Forschungseinrichtung und der Wissenschaftler durch das Statistische Bundesamt sowie der geforderten persönlichen Verpflichtungserklärungen und besonderen Strafandrohungen bei missbräuchlicher Nutzung. Der Mikrozensus ist als dezentrale Erhebung für das gesamte Bundesgebiet angelegt. Seine Ergebnisse dienen für die Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt. Zur Sicherung der regionalen Repräsentativität werden nach einer elaborierten Auswahltechnik regionale Schichtbildungen vorgenommen und randomisierte Auswahlbezirke für die Erhebung gezogen, die nach regionaler Schichtuntergruppe, Kreis, Gemeindegrößenklasse und Gemeinde vorsortiert werden. Das stichprobenmethodische Grundkonzept ist die einstufige Klumpenstichprobe. Das Auswahlverfahren ist so ausgelegt, dass die Ergebnisse im Mikrozensus repräsentativ für die 16 Bundesländer ausgewiesen werden können (StaBu, 2006e). Der Mikrozensus Scientific Use File 2005 enthält eine generierte Variable für die Zugehörigkeit der Wohnsitze der Befragten zu den Bundesländern. In der vorliegenden Arbeit wurde dieser Regionalbezug vor allem für die Einteilung in West- und Ostdeutschland genutzt. Allerdings beste-
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hen keine Auswertungsmöglichkeiten mehr auf Ebene der Regierungsbezirke oder der Kreise bzw. kreisfreien Städte. Nachdem sowohl die Arbeitsmarkt- als auch die Gesundheitsrisiken in Deutschland regional sehr unterschiedlich verteilt sind, wäre die Möglichkeit einer kleinräumigen Berichterstattung problemadäquater. So könnten auch besser die lokalen Arbeitslosenquoten oder die Kreistypen berücksichtigt werden. Als Voraussetzung müsste das Auswahlverfahren des Mikrozensus entsprechend den Anforderungen regionaler Repräsentativität angepasst werden. Das würde sich aber lohnen, da die Stichprobe im Mikrozensus so umfangreich ist, dass in großen Städten oder Kreisen oft mehr erfolgreiche Interviews erfasst werden als in vielen anderen Repräsentativerhebungen in diesen Gebieten. Der Mikrozensus Scientific Use File 2005 enthält z.B. ungewichtet für Berlin-Ost über 1.200 und für Berlin-West über 2.100 interviewte Personen. Das Potenzial des Mikrozensus wird in den Regionen oder auf Kreisebene also nicht ausgeschöpft. Durch das beschriebene Auswahlverfahren gibt es eine Personengruppe, die im Mikrozensus 2005 nicht erscheinen kann: Personen ohne gemeldeten Hauptoder Nebenwohnsitz in Deutschland. Zu diesem Personenkreis ohne Meldung zählen zum Beispiel auch Obdachlose. Nachdem Obdachlosigkeit mit vorausgegangener Erwerbslosigkeit verbunden sein kann und Obdachlose bekanntermaßen besonders gesundheitlich belastet sind, fehlt in der Bevölkerungsbetrachtung des Mikrozensus eine zwar sehr kleine, dafür in der Gesundheitsperspektive gefährdete Personengruppe. 6.1.2 Ausfallquoten und Proxy-Interviews Zu den nicht-stichprobenbedingten Fehlern zählen u.a. systematische Verzerrungen aufgrund von Antwortausfällen, inhaltlichen Mängeln oder Defiziten bei der Konzeption der Erhebung und Fragebogengestaltung. In den folgenden Abschnitten werden solche für den Mikrozensus 2005 relevanten Fehlermöglichkeiten diskutiert. Die Teilnahme am Mikrozensus ist im Vergleich zu allen anderen deutschen Repräsentativerhebungen außergewöhnlich hoch. Die sehr geringe UnitNonresponse von 4,4 % der befragten Haushalte ist primär auf die gesetzliche Auskunftspflicht und den flächendeckenden Einsatz von Erhebungsbeauftragten mit Computerunterstützung zurückzuführen. Im Rahmen der Hochrechnung versucht zudem das Statistische Bundesamt, diese Antwortausfälle zu kompensieren. Es ist zu beachten, dass je kleinteiliger die Subgruppenanalysen und je geringer die Fallzahlen werden, desto größer die statistischen Unsicherheiten sind.
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Die Unit-Nonresponse kommt überwiegend dadurch zustande, dass keine Personen für die Mikrozensus-Befragung von den Erhebungsbeauftragten angetroffen wurden. Dabei könnten auch Krankheitsgründe vor allem bei Einpersonenhaushalten eine Rolle spielen und in Folge zu einer Untererfassung führen. Darauf weist die Ausfallanalyse einer früheren repräsentativen IABTelefonbefragung von rund 20.000 Arbeitslosen hin (Hollederer, 2002a). Die Gesundheitsfragen im Zusatzprogramm des Mikrozensus 2005 unterliegen nicht der gesetzlichen Auskunftspflicht und wurden dennoch von ca. 85 % der Interviewten beantwortet. Das ist der höchste Rücklauf einer repräsentativen Gesundheitsbefragung in Deutschland. Trotz der hohen Rücklaufquote ist durch die Freiwilligkeit der Beantwortung der Gesundheitsfragen eine gewisse statistische Fehlertoleranz zu berücksichtigen. Eine systematische Unterschätzung der Krankheitsprävalenz wäre außerdem gegeben, wenn Menschen mit Behinderung und Gesundheitsproblemen solche fakultativen Zusatzfragen zur Gesundheit übergingen, z.B. im Zuge einer Krankheitsverdrängung. Die Beantwortung von Gesundheitsfragen gibt persönlichkeitsnahe und unter Umständen sensible Daten preis. Eine weitere Auffälligkeit besteht in der signifikant erhöhten NonResponse-Rate von arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen bei den Gesundheitsfragen im Zusatzprogramm. Die hohe Antwortverweigerung der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen, die zum beträchtlichen Teil aus Gesundheitsgründen diesen Status erhalten, könnte ebenfalls auf eine allgemeine Untererfassung von Krankheiten/Unfallverletzungen hindeuten. Innerhalb des Zusatzprogramms mit den fakultativen Gesundheitsfragen gibt es große Divergenzen im Antwortverhalten, die nicht allein mit Zufall plausibel erklärt werden können. Die niedrigste Antwortverweigerung besteht – wie oben beschrieben - bei den Fragen zu Behinderung, Krankheit bzw. Unfallverletzung. Die Items zu den Rauchgewohnheiten bleiben bei 17 % der Interviewten viel häufiger unbeantwortet. Am höchsten ist der Ausfall bei den biometrischen Daten. Rund 20 % machen keine Angaben zur Körpergröße und rund 24 % keine zum Körpergewicht. Als weitere Fehlerquelle kommen die im Mikrozensus zulässigen ProxyInterviews in Frage. Bei den Proxy-Interviews antwortet ein Haushaltsmitglied stellvertretend für andere Haushaltsangehörige. Das könnte zu einer systematischen Untererfassung insbesondere des Rauchverhaltens, aber auch von marginaler und geringfügiger Beschäftigung im Sinne des ILO-Konzeptes geführt haben. Bei den Antworten, die stellvertretend für andere Haushaltsangehörige abgegeben wurden, stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Validität der Fremdauskünfte, insbesondere bei quantitativen Angaben wie Körpergröße in Zentimetern,
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Gewicht in Kilogramm, Dauer der Krankheit oder Zahl der täglich gerauchten Zigaretten. Der Einsatz von ehrenamtlichen Erhebungsbeauftragten mag eine pragmatische und kostengünstige Variante sein, um die Rücklaufquote zu erhöhen. Die Antwortqualität wäre möglicherweise gerade bei Fragen zur Gesundheit oder geringfügigen Beschäftigung durch den Einsatz professioneller Interviewer verbesserbar. 6.1.3 Erhebungsinstrumente und Fragebogengestaltung Zweck der Mikrozensus-Befragung ist es, statistische Informationen vor allem über die Themenbereiche Bevölkerungsstruktur, wirtschaftliche und soziale Lage, Arbeitsmarkt, Wohnverhältnisse und Migration u.a. zu gewinnen. Durch die Integration der Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union 2005 liegt ein Hauptschwerpunkt auf Erwerbsbeteiligung. Für eine Sekundäranalyse über Erwerbslosigkeit und Gesundheit bietet der Mikrozensus 2005 daher ein besonders breites Variablenset. Bereits durch die umfangreiche Abfrage der gegenwärtigen Erwerbsbeteiligung, früheren Erwerbstätigkeit und der Arbeitsuche ergibt sich eine Reihe von Gesundheitsbezügen schon im Hauptfragenprogramm. Zusätzlich werden im Mikrozensus 2005 Gesundheitsinformationen über Behinderungen, Krankheiten, Unfallverletzungen, Rauchgewohnheiten und Körpermaße im Zusatzprogramm gewonnen. Inhaltliche Neuerungen im Erhebungsprogramm des Mikrozensus 2005 bestehen im Wesentlichen in der Aufnahme des neuen Themenkomplexes „Migration und Integration“ und im Bereich Bildung. Es werden erstmals die Art und Fachrichtung des höchsten beruflichen Abschlusses erfragt. Die Festlegungen der variablen Schwerpunktthemen müssen sich im Vorfeld an konkurrierenden nationalen Auswertungsinteressen orientieren. Durch die eng begrenzte Themenauswahl im Zusatzprogramm zur Gesundheit bleibt eine Reihe von wichtigen Fragen zum Gesundheitszustand von Erwerbslosen aber weiterhin offen. Auf der einen Seite werden im Mikrozensus zwar sehr ausführlich das Unfallgeschehen, Behinderung, Krankheit, die ambulante und stationäre Leistungsinanspruchnahme sowie gleich in fünf Items das Rauchverhalten abgefragt, auf der anderen Seite fehlen elementare Gesundheitsinformationen wie die den Krankheiten zugrunde liegenden Hauptdiagnosegruppen. Für die Auswirkungen von Erwerbslosigkeit auf die Gesundheitszustände wäre zumindest eine Erfassung der Psychischen Krankheiten und Verhaltensstörungen mit ihren Untergruppen, der Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und der Krankheiten des Kreislaufsystems gemäß der ICD-10-Krankheitsklassifikation wichtig. Diese
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drei Krankheitsdiagnosegruppen deckten in den Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit rund drei Viertel der gestellten Diagnosen bei der Begutachtung von Arbeitslosen im Jahr 2001 ab (Hollederer, 2002a, 2003b). Informationen über die Prävalenzen von Suchterkrankungen könnten wichtige Anhaltspunkte für die Prävention und Kuration, aber auch für die medizinische und berufliche Rehabilitation bei Erwerbslosen geben. Von hohem Interesse wären vor allem die Hauptdiagnosen der chronischen Erkrankungen, die die Arbeitsmarktintegration in den Modellberechnungen hemmten (Kap. 5.5). Sehr misslich ist im Mikrozensus das Fehlen einer einfachen Standardfrage zum subjektiven Gesundheitszustand, die als genereller Gesundheitsindikator in vielen Forschungszusammenhängen verwendet werden könnte. Eine solche Selbsteinschätzung der Gesundheit wäre nach Helmert (2008) besser für die Messung des Gesundheitszustandes geeignet als die bisherigen Fragen nach Krankheit und Unfallverletzung im Mikrozensus. Zu empfehlen wäre z.B. die Übernahme der Abfrage aus der Datenerhebung EU-SILC im Jahr 2006: „Wie ist Ihr allgemeiner Gesundheitszustand? Sehr gut / Gut / Mittelmäßig / Schlecht / Sehr schlecht / Keine Angabe“ (Statistik Austria, 2006). Aus Sicht der Erwerbslosenforschung wären weitere ergänzende Variablen zur psychischen Gesundheit und zu latenten Funktionen von Arbeit wie zur Zeitstrukturierung (gemäß Jahoda, 1983) wünschenswert. Nicht alle Einflussfaktoren, die nach dem heutigen Forschungsstand die Wirkungen von Erwerbslosigkeit auf die psychische Gesundheit moderieren (vgl. Tabelle 1), sind im Fragenkatalog des Mikrozensus 2005 enthalten. Das trifft besonders auf Problemlösestrategien und Kognitionen zu. Hilfreich wäre besonders die Erfassung der Arbeits- und Berufsorientierung. Auf soziale Unterstützung kann im Mikrozensus 2005 nur indirekt z.B. über die Zahl der erwerbstätigen Haushaltsmitglieder näherungsweise geschlossen werden. Außerdem fehlen bewährte gesundheitswissenschaftliche Items wie zu Selbstwirksamkeit, Kohärenzsinn oder Gesundheitskompetenzen. Der Mikrozensus bildet eine hervorragende Datenbasis für die Bestandsaufnahme der Rauchgewohnheiten, auf die unten in Kap. 6.3.1 noch eingegangen wird. Aus dem Bereich des Drogengebrauchs ist aber neben der Abfrage der Rauchsituation mindestens noch das Alkoholkonsumverhalten in der Erwerbsbevölkerung von nationalem Interesse. Der Alkoholmissbrauch stellt eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen in Deutschland dar. Er ist in der Bevölkerung weit verbreitet und verursacht hohe Folgeschäden nicht nur auf individueller und familiärer Ebene, sondern auch volkswirtschaftlich in den Betrieben sowie durch die Kosten in der Krankenversorgung und Rehabilitation. Alkoholabhängigkeit ist mit Erwerbslosigkeit assoziiert (Henkel & Zemlin,
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2008). Es besteht noch Forschungsbedarf zu den Fragen, ob der Alkoholkonsum nach Eintritt der Erwerbslosigkeit intensiviert wird und in welcher Effektstärke Suchtabhängigkeit die Arbeitsmarktintegration und Arbeitsuche hemmt. Es ist daher zu empfehlen, in zukünftigen Mikrozensus-Erhebungen den Katalog der Gesundheitsfragen entsprechend ihrer nationalen Bedeutung auszuweiten. So könnte die Möglichkeit von Ad-hoc-Modulen auch für Gesundheitsthemen besser genutzt werden. Bei harten Platzrestriktionen sollten zumindest weniger wichtige Items ersetzt werden. Wie oben beschrieben, sind z.B. die Angaben zu den Körpermaßen und damit die Ergebnisse zum Body-Mass-Index nur sehr vorsichtig zu interpretieren. Auch schon kleine Modifikationen wie die Ergänzung des subjektiven Gesundheitszustandes würden die Möglichkeiten des Erhebungsinstrumentes für die Gesundheitsforschung potenzieren. Eine Kompatibilität der Gesundheitsfragen im Mikrozensus mit den nationalen Gesundheitssurveys und mit dem SOEP-Panel wäre für die Harmonisierung der Gesundheitsberichterstattung in Deutschland vorteilhaft. Das Niveau und die Struktur der nach dem ILO-Konzept gemessenen Erwerbsbeteiligung stimmt im Mikrozensus 2005 nicht mit parallel erhobenen erwerbsstatistischen Datenquellen überein (StaBu, 2006d). Verglichen mit der Erwerbstätigenrechnung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen weist der Mikrozensus 2005 2,1 Mio. weniger Erwerbstätige und im Vergleich zur ILOTelefonerhebung des Statistischen Bundesamtes 0,69 Mio. mehr Erwerbslose aus, weil vor allem marginale und geringfügige Beschäftigungen untererfasst wurden. Möglicherweise erklären sich die systematischen Abweichungen des Mikrozensus in Bezug auf den ILO-Erwerbsstatus damit, dass im Alltagsverständnis der Interviewten die zeitlich wenig aufwändigen oder gering bezahlten Tätigkeiten nicht dem Status von Erwerbstätigkeit entsprechen. Die Labour Force-Konzeption sieht vor, dass Personen im Alter von 15 und mehr Jahren, die im Berichtszeitraum wenigstens eine Stunde für Lohn oder sonstiges Entgelt irgendeiner beruflichen Tätigkeit nachgehen, schon als Erwerbstätige zählen (vgl. Tabelle 33). Im Antwortverhalten der Befragten spiegeln sich dagegen vermutlich die in Deutschland vorherrschenden sozialrechtlich relevanten Definitionen von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit nach dem Sozialgesetzbuch III und die Orientierung an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung wider. Das dürfte insbesondere auf die Nebentätigkeit von Schülern und Studierenden zutreffen, die im Mikrozensus 2005 dann vermutlich im Zweifelsfall eher als sonstige Nichterwerbspersonen eingestuft wurden. Möglicherweise besteht hier ein besonders hoher Schulungsbedarf der Erhebungsbeauftragten. Außerdem könnten geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, die sich an der Grenze zur Schwarzarbeit befinden, in der amtlichen (!) Mikrozensus-Befragung aus Furcht
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vor Datenweitergabe an Steuerbehörden vorzugsweise bei Schülern und Studierenden verschwiegen worden sein. Die deutsche Sozialgesetzgebung gestattet mittlerweile auch registrierten Arbeitslosen Zuverdienstmöglichkeiten, die zum Großteil nicht mit dem Leistungsbezug von Arbeitslosengeld verrechnet werden müssen. Sie werden dann nach der extensiven ILO-Konzeption als Erwerbstätige gezählt, was die Befragten im Mikrozensus im Alltagsverständnis unter Umständen nur schwer nachvollziehen können. Umgekehrt kann es zu einer Unterschätzung der Zahl der Erwerbslosen oder der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen kommen, wenn die Suche nach marginalen Tätigkeiten untererfasst wird. Aufgrund dieser Problematik ist laut Statistischem Bundesamt „von systematischen Abweichungen des Mikrozensus in Bezug auf den ILO-Erwerbsstatus auszugehen“ (StaBu, 2006d, S. 14). Sie dürften sich auf andere Merkmalsstrukturen wie die Dauer der Arbeitsuche und auf soziodemografische Merkmale wie das Durchschnittsalter in den Erwerbsstatusgruppen niederschlagen. Die Fragebogengestaltung im Mikrozensus 2005 lässt außerdem als Mangel nicht zu, mit den erhobenen Variablen etablierte soziale Schichtmodelle zu konstruieren und Instrumente zur Messung der sozialen Ungleichheit wie den additiven Winkler-Index einzusetzen. Es fehlen dafür notwendige Items wie die berufliche Position. Annäherungen über die Höhe des Haushaltseinkommens oder die von Blossfeld entwickelte hierarchische Gliederung von zwölf beruflichen Tätigkeitsfeldern liefern zwar interessante Teilergebnisse, können aber insgesamt dieses Defizit für die Sozialberichterstattung nicht ausgleichen. Die Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und Gesundheit können daher mit dem Mikrozensus 2005 nur sehr eingeschränkt erforscht werden. Umso wichtiger sind die Ergebnisse zur Erwerbslosigkeit und Gesundheit, da sie bei dieser Fragebogengestaltung und Variablenauswahl im Mikrozensus 2005 sekundäranalytisch das größte Potenzial für die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit bieten dürften. Die finanzielle Situation wird durch die Angaben zu Einkommen und Transferleistungen im Mikrozensus dagegen sehr gut und detailliert erfasst. Als kleine Ergänzung wären für die Erwerbslosenforschung noch auf der Belastungsseite etwaige Geldschulden von Interesse. Auch wenn Datenwünsche offen bleiben, so bietet der Mikrozensus insgesamt durch die Integration der EU-Arbeitskräftestichprobe und durch die gesetzliche Auskunftspflicht eine breit gefächerte Datenbasis mit sehr hohen Fallzahlen, die im Vergleich zu anderen Erhebungen in Deutschland große Vorzüge für die Erforschung der Wechselbeziehungen von Erwerbslosigkeit und Gesundheit bietet. In bisherigen (freiwilligen) Gesundheitssurveys in Deutschland war näm-
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lich nicht nur die Zahl der erfassten Arbeitslosen aufgrund des Stichprobenumfangs generell sehr klein, sondern die Arbeitslosigkeit selbst wurde auch noch stark unterrepräsentativ erfasst (Überblick bei Hollederer, 2009c). Bormann (1992) erklärte die geringe Teilnahmebereitschaft von Arbeitslosen am Nationalen Gesundheitssurvey mit Befürchtungen von Stigmatisierung und mit den Gesundheitsproblemen an sich. 6.1.4 Restriktionen der eingesetzten statistischen Methoden Im Ergebnisteil stehen zunächst Vergleichsuntersuchungen zwischen den Erwerbsstatusgruppen und Korrelationsanalysen im Vordergrund. Das Auswertungsinteresse richtet sich vor allem auf die Überprüfung von Unterschiedshypothesen. Die Ergebnisse werden für die gesamte Erwerbsbevölkerung nach den vier Erwerbsstatusgruppen ausgewiesen und die Unterschiede in den Merkmalsausprägungen und Strukturen beschrieben. Signifikanztests werden hauptsächlich zu den Zusammenhängen zwischen Gesundheitsvariablen und Erwerbsstatus in Subgruppen gerechnet. Die Erwerbsbevölkerung (im Alter von 15 bis 64 Jahren) bildet die Grundgesamtheit. Es ist aber zu beachten, dass die Erwerbsstatusgruppen eine extrem unterschiedliche Größe besitzen. Von allen 15- bis 64-Jährigen zählen im Mikrozensus 2005 knapp zwei Drittel zu den Erwerbstätigen, weniger als ein Zehntel zu den Erwerbslosen und rund ein Viertel zu den sonstigen Nichterwerbspersonen. Die kleinste Erwerbsstatusgruppe bilden aber die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen, die nur 1,2 % der Erwerbsbevölkerung ausmachen. Unter methodischen Gesichtspunkten gibt es im Untersuchungsansatz für die Behandlung der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen vier Möglichkeiten: 1. 2. 3. 4.
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Die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen komplett auszublenden und die Auswertungen auf die Unterschiede zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen zu konzentrieren. Die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen den Erwerbslosen zuzuschlagen und als eine Gruppe der Arbeitsuchenden in den Vergleichsanalysen auszuweisen. Die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen und die sonstigen Nichterwerbspersonen zur Gruppe der „Nichterwerbspersonen“ zusammenzufassen. Möglichst alle Ergebnisse nach den vier Erwerbsstatusgruppen mit arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen als eigenständige Kategorie berechnen.
Alle vier Optionen haben Vor- und Nachteile, die es gut abzuwägen gilt. Für die vorliegende Arbeit wurden die vierte Variante für die deskriptive Statistik und Korrelationsanalytik gewählt sowie bei den Tabellen zum Gesundheitszustand noch die Werte für die Arbeitsuchenden ergänzt. Diese Vorgehensweise gewährleistet den höchsten Informationsgrad und lässt in der weiteren Verarbeitung alle anderen Gruppenbildungen später noch zu. Nachteilhaft sind aber Restriktionen wegen der kleinen Fallzahlen (vgl. auch Kap. 6.1.1). Da der Status der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen durch länger andauernde Arbeitsunfähigkeit bzw. Krankheit determiniert sein kann, ist es unter der zentralen Fragestellung von Erwerbslosigkeit und Gesundheit besonders wichtig, Erkenntnisse über diese Gruppe und die Selektionsmechanismen von Erwerbslosigkeit in die Nichterwerbstätigkeit (mit Arbeitsuche) zu erhalten. Dafür kommen in Deutschland realistischerweise nur zwei Datenquellen in Betracht. Erstens die Verwaltungsdaten der Bundesagentur für Arbeit mit der Bestandsstatistik über die „nichtarbeitslos Arbeitsuchenden“ (definiert nach dem SGB III) und zweitens der Mikrozensus, weil er die größte europäische Haushaltsbefragung ist und alle alternativen Befragungen nur noch kleinere Fallzahlen erzeugen würden. Weder in der Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit noch in der Ressortforschung gibt es aber bislang relevante Analysen über die Bestände sowie Zu- und Abgänge von „nichtarbeitslos Arbeitsuchenden“ im Sinne des SGB III, die befriedigend Aufschluss über die Wechselwirkungen von Erwerbsbeteiligung mit z.B. den registrierten „gesundheitlichen Einschränkungen mit Auswirkung auf die Vermittlung“ und Behinderungen geben würden. Insofern bietet der Mikrozensus eine sehr gute Gelegenheit, die Struktur dieser kleinen, aber aus der Gesundheitsperspektive hochrelevanten Gruppe der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zu beschreiben. Das Jahr 2005 ist auch deshalb methodisch vorteilhaft, weil die Zahl der Arbeitsuchenden konjunkturbedingt hoch und im Mikrozensus die Stichprobe für das Zusatzprogramm zur Gesundheit erstmals so groß wie die im festen Fragenprogramm ist. Das Auswertungsinteresse dieser Arbeit liegt primär auf vergleichenden Analysen zwischen den Erwerbstätigen und den Erwerbslosen sowie den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen. Die sonstigen Nichterwerbspersonen stellen quasi die Restgruppe dar. Bei den Regressionsanalysen, die sich auf Krankheitsrisiko, Intensität der Stellensuche oder Erwerbsbeteiligung richten, wurden die Erwerbslosen mit den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zu einer Gruppe zusammengefasst, um beim Vergleich mit den Erwerbstätigen einem gesundheitsbezogen Selektionsbias vorzubeugen. Das entspricht der oben aufgeführten zweiten Variante. Für die multiplen Regressionsanalysen mit den Mikrozensus-Daten muss auf die von anderen Auswertungsinteressen geleitete Variablenauswahl und
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Fragebogengestaltung zurückgegriffen werden. Damit droht prinzipiell die Gefahr, dass relevante Faktoren in den multivariaten Analysen fehlen, weil sie nicht erfragt wurden. Beim Fragenprogramm des Mikrozensus 2005 ist aber positiv zu vermerken, dass durch die Schwerpunktbildungen zur Bevölkerungsstruktur, Erwerbsbeteiligung, Arbeitsuche, Migration und das Zusatzprogramm zur Gesundheit viele Inhalte in dem Spektrum von Erwerbslosigkeit und Gesundheit differenziert abgedeckt werden. Darüber hinaus wären aber noch einige Einzelitems wünschenswert gewesen, die schon u.a. im Abschnitt 6.1.3 angesprochen wurden. Ein methodisches Problem der Regressionsanalysen liegt in der Multikollinearität. Sie entsteht, wenn zwei erklärende Variablen stark miteinander korrelieren. Bei solchen empirischen Daten wie dem Mikrozensus ist immer von einem gewissen Grad an Multikollinearität und Inkonsistenz auszugehen. Multikollinearität ist nicht einfach aufzudecken und es gibt keine eindeutigen Richtwerte für statistische Tests. Als vorteilhaft erweist sich im Mikrozensus 2005 die hohe Zahl der erforderlichen Beobachtungen im Verhältnis zur Zahl der unabhängigen Variablen. Die errechneten Bestimmtheitsmaße der multivariaten Modelle sind aber generell schwierig zu interpretieren und die aufgeklärte Varianz in allen multivariaten Regressionsanalysen im Ergebnisteil als gering einzustufen. Die Ursachen könnten in der Multikollinearität zwischen den Variablen oder an zu hohen Ausprägungen innerhalb der Einzelvariablen liegen. Der Mikrozensus ist als Querschnittsbefragung konzipiert worden. Es können daher aus den statistisch signifikanten Assoziationen nicht einfach kausale Beziehungen abgeleitet werden. Trotzdem besteht ein wichtiger Zweck der logistischen Regressionsanalysen darin, Indizien für solche Beziehungen zu gewinnen. Wenn in einem Regressionsmodell die Nullhypothese verworfen und eine ursächliche Wirkung der Zielgröße auf den Regressor theoretisch ausgeschlossen wird, kann der vermutete ursächliche Einfluss der unabhängigen Variable auf die Zielgröße als stark unterstützt interpretiert werden. Die Modellberechnungen im Ergebnisteil über Krankheiten/Unfallverletzungen, Intensität der Arbeitsuche und Arbeitsmarktintegration geben vor allem Aufschluss, wie wahrscheinlich die Eintritte solcher Ereignisse für bestimmte Personengruppen sind. Sie liefern damit wichtige Anhaltspunkte für die Präventions- und Interventionsentwicklung. Für die definitive Klärung von Selektionseffekten und Kausalität von Erwerbslosigkeit und Gesundheit sind Panelanalysen prinzipiell besser geeignet. Für den Mikrozensus wird ein solches Panel gerade aufgebaut. Durch die partielle Rotation der Untersuchungspopulation beträgt der Grad der Überschneidung der Mikrozensus-Jahresstichproben 75 %. Vielleicht können Mikrozensus-
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Panelanalysen in naher Zukunft die verbliebenen Forschungslücken zur Selektion und Kausalität schließen. 6.1.5 Vergleichbarkeit mit vorherigen Mikrozensus-Erhebungen und anderen Datenquellen Der Mikrozensus holt seit dem Jahr 1957 statistische Informationen über die Bevölkerung in den westdeutschen und seit 1991 in den ostdeutschen Bundesländern ein. Auf Grundlage des Mikrozensus-Gesetzes werden in regelmäßigen Abständen Strukturdaten gewonnen. Durch die Organisation der MikrozensusErhebung in Form von jährlichen Grundprogrammen und vierjährlichen Zusatzprogrammen könnten bei einer Reihe von Merkmalen prinzipiell Ergebnisvergleiche mit früheren Mikrozensus-Erhebungen über die Wechselbeziehungen von Erwerbslosigkeit und Gesundheit vorgenommen werden. Allerdings ereigneten sich gerade zum 1.1.2005 im System der Grundsicherung und in der Erhebungsmethode des Mikrozensus so massive Veränderungen, dass durch die methodischen Restriktionen kaum Erkenntnisgewinne aus solchen Vergleichen zu erwarten sind. Mit dem vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt („Hartz IV“) wurden die früheren staatlichen Fürsorgesysteme Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe neu strukturiert. Das Gesetz führte die frühere Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer einheitlichen Leistung „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ bzw. „Arbeitslosengeld II“ zum 1.01.2005 zusammen. Die Leistungen werden seitdem auf Grundlage des neuen Sozialgesetzbuches II gewährt. Die vorgeschriebenen Aufgaben werden in geteilter Trägerschaft durch die Agenturen für Arbeit sowie die kreisfreien Städte und Landkreise erbracht. In 69 so genannten „optierenden Kommunen“ sind an Stelle der Arbeitsagenturen die Kommunen als Träger der Grundsicherung zugelassen und organisieren die gesamten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in Eigenregie. Vor der Reform im Dezember 2004 erhielten 2,26 Mio. Personen in 2,15 Mio. Haushalten Arbeitslosenhilfe (Blos & Rudolph, 2005). Nach Einführung des Sozialgesetzbuches II bezogen im Januar 2005 nach der BA-Statistik 3,33 Mio. Bedarfsgemeinschaften die neue Leistung (Graf & Rudolph, 2006). Diese Zahl stieg bis Dezember 2005 auf 3,93 Mio. Die Bundesagentur für Arbeit (2007b) geht von einem zusätzlichen Arbeitskräfteangebot durch „Hartz IV“ von rund 380.000 Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2005 aus. Mit dem neuen Alg IIBezug hat sich speziell die Einkommenssituation von ehemaligen Arbeitslosenhilfe-Beziehern verändert (Blos & Rudolph, 2005). Das Familieneinkommen wird stärker als bisher angerechnet. Von den Mitgliedern einer Bedarfsgemein-
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schaft wird erwartet, dass sie ihr Einkommen und Vermögen zur Deckung des Gesamtbedarfs aller Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft verwenden. Beim Übergang mussten viele Arbeitslosenhilfe-Bezieher finanzielle Einbußen erleiden, jedoch gab es auch Verbesserungen, wenn das frühere Einkommen das Sozialhilfeniveau unterschritt. Der Mikrozensus 2005 informiert somit über den Stand direkt nach dem In-Kraft-Treten der Arbeitsmarktreformen. Außerdem wurden bis zum Jahr 2004 die Daten im Mikrozensus nach dem Konzept der festen Berichtswoche erhoben. Die Mikrozensus-Ergebnisse bis 2004 geben somit eine Momentaufnahme für eine einzelne Berichtswoche im April des jeweiligen Erhebungsjahres wieder. Durch die neue unterjährige Erhebungsform können mit dem Mikrozensus 2005 erstmalig die saisonalen Einflüsse am Arbeitsmarkt und bei der Krankheitsinzidenz adäquat berücksichtigt werden. Neben „echten“ Jahresdurchschnitten werden auch vierteljährliche Durchschnittsergebnisse zur Verfügung gestellt. Die vorliegenden Quartalsauswertungen zu den Krankheiten (Kap.5.2.2.9) beweisen im Abgleich zu den Jahresdurchschnittswerten 2005, dass die Krankheiten nun wesentlich vollständiger über das ganze Jahr hinweg durch die unterjährige Erhebungsform erfasst werden. Vor allem für das erste und vierte Quartal zeigen sich überdurchschnittlich hohe Krankheitsinzidenzen. Im Jahr 2005 berichteten insgesamt 13 % der Bevölkerung von durchgemachten Krankheiten oder Unfallverletzungen. Dieser Wert liegt erheblich höher als bei der letzten Befragung im Jahr 2003 mit 11 %, weil nun z.B. die häufigen Atemwegserkrankungen in den Wintermonaten Eingang finden. Gesundheitsvergleiche mit den Ergebnissen der früheren Mikrozensus-Erhebungen bis 2004 im Zeitverlauf bringen aus diesen methodischen Gründen wenig. Beim Mikrozensus 2005 ist außerdem im Vergleich zu früheren Erhebungen die Item-Non-Response zurückgegangen, weil ein flächendeckender LaptopEinsatz und damit ein höherer Standardisierungsgrad erfolgten. Das Hochrechnungsverfahren veränderte sich durch neue Anpassungsklassen und Eckwerte, so dass nunmehr für alle Personen eines Haushalts die gleichen Hochrechnungsfaktoren vorliegen. Es fand in der Hochrechnung auch eine genauere Anpassung an die Altersgruppen statt. Die Angaben zu einzelnen Altersklassen sind daher nur bedingt mit den Vorjahren vergleichbar. Die Regionaldifferenzierung nach Ost und West hat sich im Jahr 2005 ebenfalls geändert. Die bis zum Berichtsjahr 2004 übliche Zuordnung von BerlinWest zu Westdeutschland und Berlin-Ost zu Ostdeutschland wird nicht mehr weitergeführt. Aufgrund dieser vielen Änderungen und der Umstellung auf Unterjährigkeit ist die Vergleichbarkeit der Ergebnisse des Mikrozensus 2005 mit früheren Erhebungen aus methodischen Gründen nur sehr eingeschränkt gegeben. Dafür
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stellt die vorliegende Arbeit mit den detaillierten Ergebnissen (wie in den Anhangstabellen) eine sehr gute Basis für spätere Vergleiche bei Wiederholungsbefragungen zur Gesundheit von Erwerbslosen dar. Das Berichtsjahr 2005 ist bedingt durch den Konjunkturverlauf und die tief greifenden Sozialreformen von einer hohen Arbeitslosigkeit gekennzeichnet (vgl. Abbildung 2). Das führt zu hohen Fallzahlen bei den Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Mikrozensus 2005 und zu detaillierten statistischen Auswertungsmöglichkeiten. Viele der genannten methodischen Einschränkungen treffen im Prinzip auch auf die Vergleichbarkeit der Mikrozensus-Ergebnisse mit anderen empirischen Datenquellen oder den Verwaltungsstatistiken in Deutschland zu. Allerdings wird in den wenigsten Fällen in Deutschland die ILO-Statistikkonzeption mit der Einteilung in Erwerbstätige, Erwerbslose und Nichterwerbspersonen verwendet. In der Historie des deutschen Sozialversicherungssystems und bedingt durch die jeweilige Berichtsfunktion findet meist die durch das SGB III determinierte BAStatistikkonzeption mit der Definition von Beschäftigten und Arbeitslosen Anwendung (vgl. Kap. 3.2.1). Solche Ergebnisse können aber nicht einfach dem Mikrozensus 2005 gegenübergestellt werden, weil die Unterschiede in der Zuordnung der Personengruppen zwischen den Erwerbslosen und den Arbeitslosen der Bundesagentur für Arbeit ganz beträchtlich sind. Zum einen können auch nicht gemeldete Arbeitslose nach der ILO-Statistikkonzeption als erwerbslos gelten. Zum anderen zählen bei der Bundesagentur für Arbeit registrierte Arbeitslose, die eine bezahlte marginale oder geringfügige Tätigkeit ausüben, gemäß der ILO-Statistikkonzeption als Erwerbstätige. Wie in Kap. 3.2.1 ausgeführt, unterscheidet sich nach den beiden Definitionskonzepten u.a. die Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt und die Erfassung von Langzeitarbeitslosigkeit bzw. –erwerbslosigkeit. Davon werden vergleichende Untersuchungen zu den Gesundheitszuständen tangiert. Der Mikrozensus 2005 trennt außerdem nicht nach der sozialrechtlich relevanten Arbeitslosmeldung und der Eintragung von Arbeitsuche (ohne Registrierung als Arbeitsloser), deren verschiedene Kriterien im Alltagswissen der Bevölkerung auch wenig bekannt sind. Eine Möglichkeit, trotzdem Direktvergleiche zwischen verschiedenen Datenquellen anzustellen, bietet der Leistungsbezug. Der Mikrozensus 2005 erfasst über die Einkommensfragen die Öffentlichen Leistungen wie den Leistungsbezug vor Arbeitslosengeld I und Alg II und notiert auch geringfügige Beschäftigung. Die Leistungsbezieher von Arbeitslosengeld I und Alg II sind natürlich nur eine Teilgruppe sowohl nach der BA- als auch nach der ILO-Statistikkonzeption. Sie stellen aber eine besonders große und wesentliche Personengruppe in Erwerbslosigkeit dar.
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Die Verwendung der ILO-Statistikkonzeption im nationalen Mikrozensus 2005 ist verknüpft mit der Integration der gemeinschaftlichen Arbeitskräfteerhebung der Länder der Europäischen Union (EU-AKE) in Form einer Unterstichprobe. Ein Vorteil liegt damit in der Vergleichbarkeit der Ergebnisse in Europa nach international festgelegten Definitionen. Für die Forschung eröffnet sich damit die Möglichkeit internationaler Ländervergleiche und in der Perspektive die Generierung europäischer Scientific Use Files. 6.2 Behinderung, Krankheit und Unfallverletzung als Integrationshemmnisse am Arbeitsmarkt Die Zusatzerhebung zur Gesundheit wendet sich im Mikrozensus 2005 erstmals an alle am Hauptfragenprogramm teilnehmenden Personen. Über 85 % der Interviewten beantworten die Fragen zur Behinderung, Krankheit und Unfallverletzung auf freiwilliger Basis. Der Mikrozensus hat mit weitem Abstand die höchste Rücklaufquote von allen repräsentativen Gesundheitsbefragungen in Deutschland. Darüber hinaus beinhaltet der Mikrozensus 2005 bereits im Hauptfragenprogramm zur gegenwärtigen und früheren Erwerbsbeteiligung eine Reihe von Items, die in den Antwortoptionen Gesundheitsbezüge enthalten. Der Mikrozensus 2005 bietet daher günstige Voraussetzungen, um Erkenntnisse über die Gesundheit in der Erwerbsbevölkerung zu gewinnen. Es lassen sich sehr gut Personengruppen mit erhöhten Risiken für Krankheiten identifizieren. Der Mikrozensus 2005 erfasst die Krankheiten und Unfallverletzungen in den letzen vier Wochen und zum Befragungszeitpunkt sowie das Vorhandensein einer amtlich anerkannten Behinderung mit ihrem Schweregrad. Die jahresdurchschnittlichen Krankenstände am Erhebungstag bilden ein ausgezeichnetes Maß für Vergleichsanalysen. Durch die hohen Fallzahlen kann die Gesundheit auch von kleinen Personengruppen untersucht werden. Ein Beispiel ist die Aufdeckung der erhöhten Krankheitslast bei vormals selbstständig tätigen Erwerbslosen und ihr Einfluss auf die Arbeitsmarktintegration. Diese Effekte dürften nach der derzeitigen Datenlage in Deutschland nur mit dem Mikrozensus statistisch abzusichern sein. Der Mikrozensus 2005 unterlässt jedoch die Abfrage der zugehörigen Krankheitsdiagnosen und Funktionsaussagen. Er stellt keine Fragen, inwieweit das Leistungsbild und die psychische oder körperliche Belastungsfähigkeit beeinträchtigt sind und sich die gesundheitlichen Einschränkungen auf die berufliche Tätigkeit oder Arbeitsvermittlung auswirken. Der Mikrozensus 2005 unterscheidet zwischen Krankheit und Unfallverletzung, eruiert aber nur die Ursachen der Unfallentstehung und nicht die Krankheitsgenese und auch nicht die Art der
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Behinderung. Der Mikrozensus sondiert nicht, ob sich Krankheiten aus Sicht der Interviewten z.B. durch die Arbeitswelt oder durch die Erwerbslosigkeit begründen. Gesundheitsprobleme könnten auch mit einem höheren Grad an gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen im Vorfeld von Erwerbslosigkeit zusammenhängen. Behinderungen oder Krankheiten/Unfallverletzungen können daher mehr oder weniger nur als dichotomes Diskriminierungsmerkmal im Sinne von „vorhanden / nicht vorhanden“ in der Sekundäranalyse eingesetzt werden. Der Schweregrad der Krankheit wird indirekt über die Krankheitsdauer und Inanspruchnahme ambulanter oder stationärer Versorgung erschlossen. Im Mikrozensus bleibt unbeachtet, dass hinter Gesundheitseinschränkungen eine Vielzahl von Krankheits- und Behinderungsphänomenen stehen, die sich sehr unterschiedlich auf das Versorgungsgeschehen und die individuelle Leistungs- und Vermittlungsfähigkeit am Arbeitsmarkt auswirken können. Außerdem werden Mehrfacherkrankungen negiert, da nur die schwerwiegendste Krankheit/Unfallverletzung aufgenommen wird. Trotz dieser harten Limitationen durch die Erhebungskonzeption lassen sich mit den Mikrozensus-Angaben zu Behinderungen oder Krankheiten/Unfallverletzungen wichtige Erkenntnisse gewinnen, auf die in den nachfolgenden Diskussionen eingegangen wird. Bei den Selbstangaben der Interviewpersonen ist von einer relativ validen Einschätzung des Krankenstandes auszugehen, da eine sehr hohe Behandlungsquote für die Krankheiten/Unfallverletzungen in der ambulanten oder stationären Krankenversorgung berichtet wird. 6.2.1 Teilhabe an Arbeit für (schwer-)behinderte Menschen Die Teilhabe an Arbeit hat für behinderte Menschen eine Schlüsselfunktion für ihre gesamte soziale Integration in die Gesellschaft. Ihre Beschäftigungschancen sind eng verbunden mit gesellschaftlichen Einstellungen zu Behinderung und dem Ausgleich von Nachteilen. Die Befragungsergebnisse im Mikrozensus 2005 bestätigen die bekannte ungünstige Arbeitsmarktintegration von Menschen mit amtlich anerkannten Behinderungen. Die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Behinderung (und insbesondere mit Schwerbehinderung) ist relativ gering und liegt weit unter ihrem Anteil an der Erwerbsbevölkerung (vgl. Tabelle 4). Die multivariaten Berechnungen ergeben für behinderte Menschen eine geringere Wiedereingliederungsquote. Die Chance auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit ist bei schwerbehinderten Menschen, die ein Jahr vor der Befragung arbeitslos waren, in den logistischen Regressionsanalysen fast halbiert. Eine anerkannte Behinderung stellte sich in der Modellberechnung auch als sehr wichtige Prädiktorvariable von erwerbslosen und arbeitsuchenden nichter-
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werbstätigen Männern und Frauen für das Risiko einer Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt heraus. Menschen mit Behinderungen bedürfen daher im Sinne des Nachteilsausgleichs sowohl verstärkter Maßnahmen der Arbeitsförderung als auch einer besonderen Aufmerksamkeit in der Krankheitsprävention und Gesundheitsversorgung - insbesondere wenn sie erwerbslos geworden sind. Behinderung ist im Sinne der WHO-Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) aber nicht nur als Eigenschaft einer Person zu begreifen, sondern als Ergebnis komplexer Wechselwirkungen zwischen individuellem Gesundheitszustand, Partizipationsmöglichkeiten und relevanten Umweltfaktoren (WHO, 2001). Nach dieser Klassifikation beinhaltet der Behindertenbegriff sowohl die individuelle Ebene (Körperfunktionen und Körperstrukturen) als auch die soziale Dimension (Aktivitäten und Teilhabe). Sie geht damit über herkömmliche Defizitmodelle hinaus und betrachtet die Funktionsfähigkeit des Menschen mehrdimensional. Die Dimension der Partizipation erfasst den Menschen als Subjekt in der Gesellschaft und legt dabei einen besonderen Stellenwert auf die Teilhabe am Erwerbsleben. In Deutschland markierte die Einführung des SGB IX vom 19.6.2001 die Entwicklung eines erweiterten Behindertenbegriffs. Das Schwerbehindertenrecht entwickelte sich u.a. in folgenden zentralen Aspekten:
Senkung der Pflichtquote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von sechs auf fünf Prozent Stärkung der Rechte von Schwerbehinderten und Schwerbehindertenvertretungen Aufbau eines flächendeckenden Netzes von Integrationsfachdiensten für schwerbehinderte Arbeitsuchende Rechtsanspruch für notwendige Arbeitsassistenz Verbesserung und Vereinfachung der beschäftigungsfördernden Instrumente des Schwerbehindertenrechts Ausbau betrieblicher Prävention und Einführung von Integrationsvereinbarungen verstärkte Verwendung der Ausgleichsabgabe für arbeitsmarktorientierte Fördermaßnahmen und zusätzliche Instrumente wie Integrationsunternehmen.
Wie der niedrige Prozentsatz der behinderten und schwerbehinderten Menschen in Erwerbstätigkeit im Mikrozensus 2005 und die geringen Chancen auf Reintegration in den Modellberechnungen belegen, ist das beschäftigungspolitische Ziel des SGB IX im Jahr 2005 trotz der mittlerweile etablierten Instrumente bei
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Weitem nicht erreicht worden. Die Senkung der Pflichtquote zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von sechs auf fünf Prozent ist augenscheinlich zu früh erfolgt. Die Ergebnisse zu den wechselseitigen Beziehungen von Erwerbslosigkeit und Gesundheit im Mikrozensus unterstreichen die Bedeutung eines funktionierenden betrieblichen Eingliederungsmanagements, das für von Arbeitslosigkeit bedrohte kranke und behinderte Menschen nach dem SGB IX vorgeschrieben ist. Die Umsetzung dieser Gesetzesvorgabe ist aber in der Praxis noch diffizil und mit vielen hemmenden Faktoren verbunden (vgl. Niehaus, Marfels & Jakobs, 2009). Der sehr hohe Anteil von Menschen mit Behinderungen unter den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen signalisiert, dass das Problemausmaß durch die Erwerbslosendefinition im Labour Force Konzept der ILO in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt werden kann. Das höhere Krankheitsrisiko von behinderten Menschen führt zu häufigeren Arbeitsunfähigkeitsfällen, die gegebenenfalls die Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt in den nächsten 14 Tagen beeinträchtigen. Noch weit stärker wird die Arbeitslosigkeit (Schwer-)Behinderter durch das Erhebungskonzept nach dem Sozialgesetzbuch III systematisch ausgeblendet, da gemäß dieser Arbeitslosendefinition der Arbeitsunfähige dem Arbeitsmarkt nicht mehr „sofort zur Verfügung“ steht und daher umgehend mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit ausgebucht und als „nichtarbeitslos Arbeitsuchender“ gesondert geführt wird. Der Abgang aus dem Arbeitslosenbestand der Bundesagentur für Arbeit birgt die Gefahr einer geringeren geschäftspolitischen Aufmerksamkeit im Beratungs- und Vermittlungsprozess. Das Vorhandensein einer amtlich anerkannten Behinderung wird bei Arbeitslosen von den Arbeitsvermittlern in der Regel mit dem Grad der Behinderung erfasst. Eine Behinderung kann sich auf die Vermittlungsfähigkeit auswirken, muss es aber nicht zwangsläufig. Der Verlust eines Beines im Unterschenkel hat hohe Vermittlungsrelevanz für Angehörige von Berufen mit überwiegend stehenden Tätigkeiten (z.B. Dachdecker) und eher geringere Bedeutung bei Berufen, die im Sitzen ausgeübt werden können (z.B. Bürokaufleute). Auf der anderen Seite können auch Behinderungen mit einem Grad unter 50 oder andere gesundheitliche Einschränkungen relevant für die individuelle Wiedereingliederung werden. Der Verlust eines Kleinfingers wird sich beispielsweise für erwerbslose Berufsmusiker stärker auf die Arbeitsmarktintegration als für erwerbslose Schreiner auswirken. Die Grenzen zwischen Schwerbehinderung, Behinderung und sonstigen gesundheitlichen Einschränkungen sind in ihrer Auswirkung auf die individuelle Vermittlungsfähigkeit fließend. Es bedarf der Einzelfallbetrachtung in Abhängigkeit von weiteren Faktoren wie Beruf, Alter, Dauer der Erwerbslosigkeit etc. Der Vermittlungserfolg hängt von passgenauen Lösungen
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ab, bei denen das konkrete Anforderungsprofil einer offenen Stelle der individuellen Behinderung oder Krankheit entspricht. Nachdem die besonderen Vermittlungshemmnisse bei behinderten Menschen und ihre gleichzeitige hohe Krankheitslast auch im Mikrozensus 2005 bestätigt wurden, ist zu empfehlen, dass bei allen Arbeitslosen mit Behinderungen über die etablierten Instrumente der Arbeitsförderung hinaus ein gesundheitsbezogenes beschäftigungsorientiertes Fallmanagement in den ARGEn und Jobcentern routinemäßig geprüft wird und ggf. zum Einsatz kommt. Das Fallmanagement ist in seinen Grundprinzipien bereits methodisch auf das notwendige individuelle Assessment und auf maßgeschneiderte Hilfepläne für den Einzelfall ausgerichtet. 6.2.2 Risiko von Krankheit bzw. Unfallverletzung von Arbeitsuchenden Der Mikrozensus 2005 verifiziert Gesundheitsunterschiede zwischen den Erwerbsstatusgruppen. Die Erwerbstätigen sind die gesündeste Erwerbsstatusgruppe und schneiden in den vergleichenden Gruppenanalysen zu Krankheiten und Unfallverletzungen regelmäßig am besten ab. Allerdings differieren die Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen oft nur geringfügig und ihr Unterschied ist bei den in den letzten vier Wochen aufgetretenen Krankheiten/Unfallverletzungen statistisch unauffällig. Einer der Hauptgründe für den oft nur moderaten Unterschied im Gesundheitsvergleich zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen ist ein definitionsbedingter Selektionseffekt. Wegen der krankheitsbedingten mangelnden Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt werden die arbeitsuchenden schwerer Erkrankten und Unfallverletzten nach den Kriterien des Labour-Force-Konzeptes der ILO nicht als Erwerbslose, sondern als arbeitsuchende Nichterwerbspersonen gezählt. Das tatsächliche Ausmaß der Gesundheitsprobleme erschließt sich daher erst auf den zweiten Blick, wenn die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen miteinbezogen werden. Als Beispiele seien die vorangegangenen Krankenstandsvergleiche von Erwerbstätigen mit der Gruppe der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen innerhalb der Berufsklassen nach dem Blossfeld-Schema oder in den Untergruppen nach gleichem beruflichem Abschluss genannt. Möglicherweise haben nichterwerbstätige Kranke und Unfallverletzte die Arbeitsuche auch (zeitweise) vollständig eingestellt und sind dann gemäß der ILO-Definition unter den sonstigen Nichterwerbspersonen zu finden. Aus diesen Gründen ist es bei der Betrachtung des Krankenstandes sinnvoll, die Erwerbslosen mit den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zu einer Gruppe zusammenzufassen. Für erwerbslose bzw. arbeitsuchende nichterwerbstätige Frauen ist dann das altersadjustierte Odds Ratio für eine Krankheit/Unfallver-
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letzung zum Befragungszeitpunkt in Relation zu erwerbstätigen Frauen und Männern um mehr als das Doppelte gesteigert. Werden u.a. die unterschiedlichen Sozialstrukturen und Behindertenquoten berücksichtigt, reduzieren sich die Odds Ratios analog bei den erwerbslosen/arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen auf den Faktor 1,78 und bei den Männern auf 1,61. Auch dieser Befund ist statistisch auffällig. Die Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen sind aber nicht nur etwas häufiger von Krankheiten in Relation zu den Erwerbstätigen betroffen, ihre Krankheiten dauern im Durchschnitt auch wesentlich länger an. Bei rund der Hälfte der zum Befragungszeitpunkt erkrankten Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen handelt es sich um eine mindestens einjährige Langzeiterkrankung. Ihre Quote an Langzeiterkrankten ist damit mehr als doppelt so hoch wie die der Erwerbstätigen. Der Krankenstand zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen variiert in Abhängigkeit von der Dauer der Arbeitsuche. Er ist bei den Langzeiterwerbslosen signifikant höher als bei den Erwerbslosen mit kürzerer Suchdauer, was in Übereinstimmung mit vielen anderen Untersuchungen steht. Mit den multivariaten Regressionsanalysen werden die zum Befragungszeitpunkt von Krankheit oder Unfallverletzung besonders bedrohten Personengruppen innerhalb der Arbeitsuchenden ermittelt. Die logistischen Regressionsanalysen bei Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen identifizieren eine anerkannte Behinderung sowohl bei Männern als auch bei Frauen als wichtigste Prädiktorvariable für das Risiko einer Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt. Darauf wurde schon im Vorkapitel 6.2.1 eingegangen. Mit höherem Alter steigt erwartungsgemäß das Krankheitsrisiko zum Befragungszeitpunkt der Frauen und Männer an. Bei den erwerbslosen bzw. arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen wirkt sich zudem risikosteigernd auf den Krankenstand aus, wenn sie alleine in einem Einpersonenhaushalt leben. Möglicherweise kommt hier bei der Krankheitsbewältigung ein Mangel an sozialer Unterstützung und familiären Ressourcen zum Tragen. Das Fehlen eines Berufsabschlusses geht ebenfalls mit einem erhöhten Risiko von Erkrankung/Unfallverletzung einher. Die multiplen Mikrozensus-Analysen ergeben keine signifikanten Assoziationen zwischen der Höhe des Netto-Einkommens im letzten Monat und Krankheitsprävalenzen, die z.B. nach der Theorie der „finanziellen Deprivation“ von Fryer (1986) zunächst zu erwarten gewesen wären (vgl. Kap. 1.2.1 und 1.4.3.1). Es leitet sich aber gemessen an den Krankenständen zum Befragungszeitpunkt innerhalb der Gruppe der Erwerbslosen eine „Leistungsempfänger-Hierarchie“ ab. Die durchschnittlich geringsten Krankenstände bestehen bei den Erwerbslosen ohne Leistungsbezug oder nur mit Arbeitslosengeld I. Die Krankenstände
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von Alg II-Beziehern liegen deutlich darüber. Es folgen entsprechend die Bezieher von Sozialhilfe, Sozialgeld oder Grundsicherung. Offenbar moderiert die finanzielle Situation die Gesundheitsbelastungen durch Erwerbslosigkeit, wird dabei aber nicht über die einfache Einkommenshöhe, sondern über die Deckung des notwendigen Lebensbedarfs vermittelt. Die multivariaten Modellberechnungen bestätigen ein erhöhtes Risiko für eine Krankheit/Unfallverletzung bei den erwerbslosen bzw. arbeitsuchenden Männern, die Sozialhilfe/-geld beziehen. Wie der Mikrozensus 2005 demonstriert, sind Kinder von erwerbslosen oder arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern in der Tendenz häufiger krank als die Kinder von erwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern. Offenbar reproduziert sich gesundheitliche Ungleichheit in den Bedarfsgemeinschaften von erwerbslosen oder arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern. 6.2.3 Chancen auf Wiedereingliederung am Arbeitsmarkt in der Gesundheitsperspektive Arbeitsmarktintegration und Gesundheit stehen in Wechselbeziehung zueinander. Die verschiedenen logistischen Regressionsanalysen zielen darauf, die Einflussfaktoren und ihre Effektgrößen beim Statuswechsel von vorheriger Erwerbstätigkeit zur gegenwärtigen Erwerbslosigkeit und von Arbeitslosigkeit zur aktuellen Erwerbstätigkeit zu ermitteln. Es ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass der Mikrozensus 2005 nicht als Längsschnittbefragung konzipiert ist. Er eröffnet nur die Möglichkeit, solche Statuswechsel zu untersuchen, weil er sich auch nach dem Erwerbsstatus ein Jahr vor der Befragung erkundigt. Methodisch wäre ein prospektives Forschungsdesign mit zwei Messzeitpunkten, bei dem alle relevanten Variablen vor dem Wechsel erfasst worden wären, wesentlich besser geeignet. In den Regressionsanalysen wurde deshalb darauf geachtet, nur zeitstabile Variablen einzubeziehen. Für den Gesundheitszustand werden Krankheiten/Unfallverletzungen mit einer mindestens einjährigen Dauer und amtlich anerkannte Behinderungen herangezogen, kürzer anhaltende Akuterkrankungen bleiben unberücksichtigt. Trotzdem sind alle Ergebnisse und mögliche Korrelationen entsprechend vorsichtig zu interpretieren, da die Gefahr eines „omitted variable error“ nicht ausgeschlossen werden kann. Durch die Fragebogenkonstruktion werden zudem Interviewpersonen, die als Antwortoption für den Status vor einem Jahr z.B. „dauerhaft arbeitsunfähig“ oder „Hausfrau/Hausmann“ ankreuzten, in den multivariaten Modellberechnungen zum Erwerbsstatuswechsel ausgeklammert (vgl. Tabelle 13). Außerdem ist die Erklärungskraft der Gesamtmodelle insgesamt als
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gering anzusehen. Die Varianz kann gemessen an Pseudo-R2 nach Nagelkerke in den verschiedenen Modellberechnungen nur bis maximal 11 % aufgeklärt werden und befindet sich damit bei allen Modellen an der unteren Grenze. Eine mehr als ein Jahr andauernde Krankheit/Unfallverletzung reduziert bei den vor einem Jahr Arbeitslosen am stärksten die Chancen auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit in den binären logistischen Regressionsanalysen. Die Aussichten auf eine Erwerbstätigkeit minimieren sich weiterhin mit steigendem Lebensalter und einer Schwerbehinderung. In der umgekehrten Richtung üben Krankheiten/Unfallverletzungen mit der Dauer von über einem Jahr auch bei Personen, die ein Jahr vor der Befragung nach eigenen Angaben erwerbstätig waren, in den Regressionsanalysen eine signifikanten Einfluss auf den Übergang in Erwerbslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit (mit Arbeitsuche) aus. Die multivariaten Regressionsanalysen belegen damit einen starken Einfluss von länger andauernden Krankheiten/Unfallverletzungen auf die Arbeitsmarktintegration. Für chronisch Kranke ist damit das Erwerbslosigkeitsrisiko in Erwerbstätigkeit erhöht und die Chancen auf Wiedereingliederung in Erwerbslosigkeit vermindert. Die Regressionsanalysen geben weitere Hinweise auf risikoförderliche und –reduzierende Faktoren und können generell Gruppenzugehörigkeiten gut prognostizieren. Mit steigendem Lebensalter sinken bei den vor einem Jahr Arbeitslosen stark die Chancen auf eine Erwerbstätigkeit. Bei Personen, die ein Jahr vor der Befragung erwerbstätig waren, geht höheres Alter dagegen mit einem niedrigeren Erwerbslosigkeitsrisiko einher. Mit dem höheren Alter sind i.d.R. eine längere Dauer der Betriebszugehörigkeit und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis verbunden, die bei Entlassungen nach dem „last in – first out“-Prinzip die Verbleibschancen erhöhen. Diese Beobachtungen in den beiden Modellen sind zusammen ein sehr bedeutsames Argument für die Notwendigkeit eines betrieblichen Gesundheitsmanagements. Nachdem die Wahrscheinlichkeit des Krankheitseintritts mit dem Alter zunimmt, ist es in Kenntnis dieser Arbeitsmarktprozesse besonders wichtig, die Gesundheit der erwerbstätigen Älteren zu erhalten, um krankheitsbedingte Erwerbslosigkeitsrisiken möglichst gering zu halten. Denn sind Ältere mit Gesundheitsproblemen erst einmal erwerbslos, gestaltet sich die Reintegration in den Arbeitsmarkt besonders schwierig. Haushaltsstrukturen können sich nach den multivariaten Modellberechnungen sowohl förderlich als auch hinderlich bei der Arbeitsmarktintegration auswirken. Bei vor einem Jahr Arbeitslosen sind mit weiteren Erwerbstätigen im gemeinsamen Haushalt deutlich höhere Chancen auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit verbunden, während das Vorhandensein von Kleinkindern sie vermindert. Ähnliches gilt in umgekehrter Richtung. Bei vor einem Jahr Erwerbstätigen
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ist die Wahrscheinlichkeit, erwerbslos bzw. arbeitsuchend nichterwerbstätig zu werden, reduziert, wenn sich weitere Erwerbstätige im Haushalt befinden oder wenn es sich um einen Einpersonenhaushalt handelt. Offensichtlich stellen weitere Erwerbstätige im gemeinsamen Haushalt einen protektiven Faktor dar. Die Anwesenheit von weiteren Erwerbstätigen steigert ebenfalls die Wahrscheinlichkeit vermehrter Suchaktivitäten. Das sind starke Indizien für soziale Unterstützung und vorhandene Ressourcen durch Haushaltsangehörige, die selbst in den Arbeitsmarkt integriert sind und außerdem gegebenenfalls unterhaltspflichtig sind oder werden können. Es ist aber ein möglicher Selektionseffekt nicht ganz auszuschließen, da Partnerschaften in Erwerbslosigkeit auch auseinander gehen oder ohne berufliche Perspektive gar nicht erst zustande kommen könnten. Durch die gesetzlich stärkere Anrechnung von Familieneinkommen sind im Fall des Alg II-Leistungsbezugs solche Dynamiken in den Bedarfsgemeinschaften im Jahr 2005 möglicherweise verstärkt worden. Ein höheres Erwerbslosigkeitsrisiko besteht für Alleinerziehende. Die besondere Belastungssituation von Alleinerziehenden und ihren Kindern ist von der Gesundheitsforschung bisher wenig untersucht. Unter den Kindern von erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Alleinerziehenden ist der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten oder Unfallverletzten unverhältnismäßig hoch. Ein in der Arbeitslosigkeitsforschung bisher unbeachtetes Phänomen ist der negative Gesundheitszustand von vormals Selbstständigen in Erwerbslosigkeit. Die Gruppe ist zwar zahlenmäßig relativ klein, ihr Krankenstand unter Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen aber am höchsten. Eine vorhandene Krankheit oder Unfallverletzung, die schon länger als ein Jahr anhält, bildet den stärksten Einflussfaktor bei Selbstständigen mit einem 5,5-fach erhöhten Risiko, erwerbslos oder arbeitsuchend nichterwerbstätig unter Einbezug weiterer Einflussfaktoren zu werden. Arbeitsmarktpolitisch wurde diese Gruppe durch die Gewährung von Übergangsgeld und Existenzgründerprogramme im Beobachtungszeitraum stark gefördert. Möglicherweise sind aber die Gesundheitsbelastungen schon bei der Ausübung der selbstständigen Tätigkeit besonders hoch. In dieser Gruppe greifen die konventionellen Instrumente von Arbeitsschutz und betrieblichem Gesundheitsmanagement nicht. Es wurde auch bei hohem ökonomischem Druck vereinzelt eine Einsparung der Krankenversicherungsbeiträge beobachtet (Buestrich, 2007). Der Gesetzgeber hat mittlerweile mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zum 1.7.2007 die Zugangsbarrieren in das Krankenversicherungssystem und die finanziellen Hürden abgebaut. Die so genannten kleinen Selbstständigen ohne vormaligen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz
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gehören aber weiterhin zur „zentralen Risikogruppe für Nichtversicherte“ (Greß, Walendzik & Wasem, 2008). Aus diesem Grund sind daher nicht nur die Wechselwirkungen zwischen Erwerbslosigkeit und Gesundheit, sondern auch der Zugang ins Gesundheitswesen und die Inanspruchnahme im Krankheitsfall in den Blick zu nehmen. Für privat Krankenversicherte war eine amtlich registrierte Arbeitslosigkeit im Jahr 2005 nach den alten gesetzlichen Regelungen mehr oder weniger die einzige Möglichkeit in die gesetzliche Krankenversicherung zurückzukehren. Außerdem sind Leistungen der primären Prävention und Gesundheitsförderung nur in der gesetzlichen Krankenversicherung Pflichtaufgaben. Privat krankenversicherte Selbstständige werden über dieses Instrumentarium nicht routinemäßig erreicht. Vor allem bei den so genannten kleinen Selbstständigen sind daher neue Ansätze zur Verbesserung der arbeitsweltbezogenen „Gesundheitskompetenzen“ (Kickbusch & Maag, 2008) vonnöten, die den neuen Erwerbsformen und Ausgründungen aus Erwerbslosigkeit Rechnung tragen. Weiterer Forschungsbedarf besteht vor allem in Bezug auf Krankheitsspektrum und –verläufe bei Erwerbslosen, denn die bestehenden Informationslücken werden weder vom Mikrozensus noch von der Routineberichterstattung abgedeckt. Die gesundheitliche Lage von Arbeitslosen wird bisher in der Arbeitslosenstatistik nur wenig berichtet. 6.2.4 Gesundheit arbeitsuchender Nichterwerbspersonen Über die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen existieren bisher kaum Gesundheitsdaten. Der Mikrozensus 2005 gestattet durch die Erhebung der Arbeitskräftestichprobe und den Befragungsumfang von 1 % der Bevölkerung einen Einblick in die Gruppenstruktur der arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen. Die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen unterscheiden sich per Definition von den Erwerbslosen darin, dass sie dem Arbeitsmarkt in den nächsten zwei Wochen aus verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung stehen können. Fast ein Drittel gibt als Hauptgrund für die Nichtverfügbarkeit am Arbeitsmarkt eine Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit an. Der Anteil der zum Befragungszeitpunkt Erkrankten und Unfallverletzten ist deswegen mit über einem Viertel unter den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen besonders hoch. Darunter befinden sich auch überproportional viele Unfallverletzte mit langen Krankheitsdauern. Der Behindertenanteil ist unter den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen ebenfalls unverhältnismäßig groß.
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Von den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen sind relativ viele schon über sehr lange Zeiträume erwerbslos, rund ein Fünftel sucht mindestens vier Jahre nach Arbeit. In der Arbeitslosenstatistik der Bundesagentur für Arbeit stellen die „nichtarbeitslos Arbeitsuchenden“ die äquivalente Gruppe nach der Arbeitslosendefinition dar (BA, 2005b). Ihre Zu- und Abgangsbewegungen aus Gesundheitsgründen werden bisher statistisch kaum analysiert. Die Ausbuchung aus dem Arbeitslosenbestand von „arbeitslos“ zu „nichtarbeitslos arbeitsuchend“ beschönigt sogar die amtliche Arbeitslosenstatistik und kommt damit geschäftspolitisch einem Fehlanreiz gleich. In der Praxis der Arbeitsvermittlung und Beratung wächst damit die Gefahr der Exklusion von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die vorhandenen Gesundheitsunterschiede erfordern aber aus Public Health-Perspektive eine gegensätzliche strategische Ausrichtung. Unter den vorherrschenden Bedingungen knapper Ressourcen sollte sich die Gesundheitsforschung und Gesundheitsförderung auf die wegen Krankheitsgründen nicht dem Arbeitsmarkt aktuell zur Verfügung stehenden, aber auf Arbeitsuche befindlichen Nichterwerbspersonen stärker konzentrieren. Die hohe Morbiditätslast stellt ein entscheidendes Kriterium für die Entwicklung und Anwendung zielgruppenspezifischer gesundheitsbezogener Maßnahmen dar. In der empirischen Forschung über Erwerbslosigkeit und Gesundheit sind in den Methodenteilen regelmäßig die jeweils genutzte Statistikkonzeption mit ihren Einteilungskriterien und Bezügen zu arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen klarer als bisher auszuweisen. Die vergleichenden Untersuchungen mit den Daten des Mikrozensus 2005 zeigen an vielen Stellen, dass die Gesundheitsproblematik von Arbeitsuchenden durch die definitionsbedingten Selektionseffekte stark unterbelichtet wird, wenn nur Erwerbslose mit Erwerbstätigen verglichen werden. Am Beispiel der Krankenbehandlung in Kap. 5.2.1.3 wird deutlich, dass es sogar schnell zu Fehlinterpretationen führen kann, weil vormals Erwerbslose, die z.B. der stationären Versorgung bedürfen, aufgrund der Krankheitsschwere und Behandlungsdauer häufig nicht dem Arbeitsmarkt (in den nächsten vierzehn Tagen) zur Verfügung stehen und deshalb den arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zugeschlagen werden. Durch diesen Selektionseffekt ergibt sich bei den Erwerbslosen anteilsmäßig eine andere Behandlungsstruktur bei den ambulanten und stationären Krankenversorgungsleistungen. 6.2.5 Arbeitsunfähigkeit und Krankenstand von Erwerbslosen Das Messkonzept des Mikrozensus von Krankheit und Unfallverletzung entspricht vom Wesensgehalt her in etwa der Definition von Arbeitsunfähigkeit
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(vgl. Kap. 4.2). Der Mikrozensus 2005 kann daher über die Lücken, die vor kurzem in der Gesundheitsberichterstattung über das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen von Erwerbslosen entstanden sind, Aufschluss geben. Für die Arbeitsunfähigkeitsstatistik der Gesetzlichen Krankenversicherung werden seit 2005 wegen des Wegfalls des Krankengeldanspruchs für Alg II-Empfänger durch das so genannte „Verwaltungsvereinfachungsgesetz“ nur noch die Daten der Arbeitslosengeld IEmpfänger aus dem SGB III-Rechtskreis gemeldet (vgl. Hollederer, 2008a). Der Mikrozensus erkundigt sich zwar nicht nach der Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Fall einer Krankheit oder Unfallverletzung, dafür stellt er sowohl den Erwerbstätigen als auch den Erwerbslosen dieselben Fragen zu Krankheiten/Unfallverletzungen. Damit wird eine gute Vergleichbarkeit der Selbstangaben zwischen den Erwerbsstatusgruppen hergestellt. Die Auskünfte sind im Mikrozensus damit nicht im Sinne einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung medizinisch attestiert und folgen lediglich subjektiven Selbsteinschätzungen, dafür sind sie aber frei von erheblichen sozialrechtlichen Implikationen und Meldeanforderungen für den Krankheitsfall in Betrieben oder Arbeitsagenturen (vgl. Kap. 3.2.2). Als Vorteil erfasst der Mikrozensus die Krankheiten/Unfallverletzungen quasi schon ab dem ersten Tag des Krankheitseintritts und auch bei sehr kurzer Krankheitsdauer. In der Konsequenz wird die tatsächliche Arbeitsunfähigkeit wesentlich vollständiger als durch die Arbeitsunfähigkeitsstatistik der Gesetzlichen Krankenversicherung abgebildet. Im Gegensatz zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes über das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen beweist der Mikrozensus, dass der Krankenstand der Erwerbslosen zum Befragungszeitpunkt deutlich den der Erwerbstätigen im Jahresdurchschnitt 2005 übertrifft. Der Anteil an Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt liegt bei den Erwerbslosen mit 6,5 % statistisch signifikant über dem der Erwerbstätigen mit 4,4 %. Besonders hoch ist der Krankenstand bei den erwerbslosen Alg II-Beziehern mit 7,5 %. Von den erkrankten/unfallverletzten Erwerbstätigen wurden 91,3 % und von den erkrankten/unfallverletzten Erwerbslosen 87,1 % von einem Arzt oder im Krankenhaus in den letzten vier Wochen behandelt. Diese Angaben sprechen dafür, dass zwar die berichteten Krankheiten/Unfallverletzungen größtenteils ärztlich versorgt wurden, dass aber in vielen Fällen keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt bzw. gebraucht wurde. Eine unterbliebene Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei Arbeitslosen in Deutschland legt auch ein Blick nach Österreich nahe. Im Österreichischen Fehlzeitenreport wird für das Jahr 2005 eine Krankenstandsquote der Arbeitslosen von rund 10 % ausgewiesen (Leoni & Mahringer, 2008). Die Arbeitsunfähigkeitsstatistik der Gesetzlichen Krankenversicherung vermittelt daher ein Zerrbild über das Krankheitsgeschehen, wenn sie regelmäßig
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niedrigere Arbeitsunfähigkeitsfälle je 100 Arbeitslose im Vergleich zu je 100 Beschäftigten im Jahresdurchschnitt ausweist (vgl. Kap. 2.1.2.1). Nach der Statistik der Gesetzlichen Krankenversicherung ereigneten sich im Jahr 2004 bei Arbeitslosen im Durchschnitt nur halb so viele Arbeitsunfähigkeitsfälle je 100 Mitglieder als bei pflichtversicherten Beschäftigten. Diese Verzerrung ist sozialrechtlichen Anforderungen und der Funktion der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geschuldet (vgl. Hollederer, 2008a). Die Verschärfungen der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien führten zu einem drastischen Rückgang der Krankmeldungen im Fall von Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren, der den realen Gesundheitszuständen von Arbeitslosen nicht entspricht und im Sinne der Krankheitsbewältigung und -vermeidung sogar kontraproduktiv wirken könnte. Die Arbeitsunfähigkeit ist Anlass für ein Arztgespräch, da ihre Beurteilung eine Befragung durch den Vertragsarzt voraussetzt. Bei nachlassenden Arztkontakten wächst die Gefahr einer Krankheitsverschleppung mit schwerwiegenderen Verläufen und einer Zunahme kostspieliger Krankenhausaufenthalte. Auf eine solche Entwicklung deutet u.a. der jüngste Anstieg der Krankenhausfälle von BKKpflichtversicherten Arbeitslosen zwischen 2005 und 2006 hin (BKK, 2005, 2006). Die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien und die restriktive Handhabe der Krankmeldungen in den Arbeitsagenturen bedürfen in dieser Hinsicht einer dringenden und sachverhaltsgerechten Revision im Fall von Arbeitslosigkeit. Bisher existieren nur wenige systematische Analysen über die Arbeitsunfähigkeitsfälle und –dauern von Arbeitslosen. Arbeitsunfähigkeitsprofile bieten im Einzelfall relevante Zusatzinformationen über den individuellen Gesundheitszustand in der Praxis der Vermittlung und Beratung. Auf Systemebene könnten vulnerable Zielgruppen in der Erwerbslosigkeit mit Auffälligkeiten wie einer hohen Häufigkeit von Arbeitsunfähigkeitsfällen oder langen Arbeitsunfähigkeitsdauern leicht identifiziert werden. Die Rückkehr aus Arbeitsunfähigkeit böte gegebenenfalls vor Ort Anlass für die Einschaltung von ärztlichen Diensten, um einer drohenden Langzeit-Arbeitsunfähigkeit entgegenzuwirken oder gegebenenfalls Leistungen zur Rehabilitation oder Teilhabe anzuregen. Die Meldungen zur Arbeitsunfähigkeit könnten auch für die Steuerung von Fallmanagementsystemen besser genutzt werden. 6.2.6 Saisonale Effekte beim Krankheitsgeschehen mit Implikationen für die Erwerbslosenforschung Der Mikrozensus bezog bis zum Jahr 2004 seine Fragen nach dem Konzept der festen Berichtswoche i.d.R. auf eine einzelne Kalenderwoche im April des jeweiligen Erhebungsjahrs. Mit dem Mikrozensus 2005 wurde auf eine unterjährige
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Erhebung umgestellt. Die letzte Woche vor der Befragung stellt die so genannte gleitende Berichtswoche dar. Durch die neue Erhebungsmethode können im Mikrozensus erstmals saisonale Veränderungen beobachtet werden. Solche Phänomene treten sowohl beim Krankheitsgeschehen, beispielsweise durch die Häufung von Erkältungskrankheiten in den Wintermonaten, als auch bei der saisonal bedingten Entwicklung von Erwerbslosigkeit auf. Die unterjährige MikrozensusBefragung 2005 ergibt bei den Fragen zur Krankheit nun für das erste und vierte Quartal überdurchschnittlich hohe Krankheitsprävalenzen. Diese saisonalen Effekte führen im Vergleich zu früheren Mikrozensus-Erhebungen zu einem höheren Jahresdurchschnitt, da die Krankheiten über das ganze Jahr nun vollständiger erfasst werden. Im Zusammenspiel von Krankheit und Erwerbslosigkeit werden im Mikrozensus 2005 bisher unerkannte saisonale Effekte aufgedeckt. In allen vier Quartalen des Jahres 2005 sind die Krankenstände der Erwerbslosen zum Befragungszeitpunkt deutlich höher als die der Erwerbstätigen. Die Unterschiede sind (nur) im zweiten bis vierten Quartal statistisch abgesichert. Dagegen können beim anteilsmäßigen Vergleich der in den letzten vier Wochen Erkrankten/Unfallverletzten in keinem der vier Quartale die Unterschiede zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen als signifikant bestätigt werden. Im ersten Quartal 2005 übersteigt der Anteil der in den letzten vier Wochen erkrankten/unfallverletzten Erwerbstätigen sogar den analogen Anteil der Erwerbslosen. Die saisonalen Schwankungen beeinflussen also ganz maßgeblich die Gesundheitsvergleiche zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Die Ergebnisse variieren in Abhängigkeit vom Befragungsquartal sowie mit dem Messkonzept von Gesundheit (vgl. Kap. 4.2) und der Länge des retrospektiv betrachteten Zeitraums. Bei repräsentativen Gesundheitssurveys ist deshalb eine unterjährige und kontinuierliche Erhebung nach dem Vorbild des Mikrozensus 2005 zu empfehlen. In den internationalen Meta-Analysen über die Auswirkungen von Erwerbslosigkeit auf die Gesundheit sollte ein möglicher Einflussfaktor auf die Ergebnisse über den Erhebungsmonat der meta-analysierten Studien und die Art der Fragestellungen zur Gesundheit überprüft werden. 6.3 Gesundheits- und Suchtverhalten in Erwerbslosigkeit Im Mikrozensus 2005 werden in einer auf Freiwilligkeit beruhenden Zusatzerhebung Fragen zum Gesundheits- und Suchtverhalten gestellt. Nachfolgend werden die Ergebnisse zu den zwei Schwerpunkten Rauchverhalten und Body-Mass-
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Index diskutiert. Sie bieten Ansatzpunkte für die Prävention und Gesundheitsförderung. 6.3.1 Rauchverhalten und ungenutzte Potenziale in der Tabakprävention Der Mikrozensus ist in Kombination mit der Erhebung der Arbeitskräftestichprobe die bedeutendste Informationsquelle über das Tabakkonsumverhalten von Erwerbstätigen und Erwerbslosen in Deutschland. Er enthält viele Detailangaben und beeindruckt durch besonders hohe Fallzahlen und Rücklaufqoten. Für Arbeitsuchende ergibt der Mikrozensus 2005 im Verhältnis zu Erwerbstätigen einen eklatant höheren Verbreitungsgrad von Tabakkonsum. Ca. die Hälfte der Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen zählt am Befragungszeitpunkt zu aktuellen Rauchern, bei den Erwerbstätigen ist es dagegen lediglich ein Drittel. Die Vergleichsuntersuchungen belegen bei den Erwerbslosen mehr Raucher in allen Altersstufen sowie bei Männern und Frauen im Verhältnis zu den Erwerbstätigen. Die Raucherquoten der Erwerbslosen übertreffen die der Erwerbstätigen quasi in allen Untergruppen, die nach Schulabschluss, nach höchstem beruflichem Abschluss, nach Stellung im Beruf, nach der BlossfeldBerufsklassifikation, nach Einkommen und selbst nach Sozialhilfebezug gebildet wurden. Erwerbslose beginnen – verglichen mit Erwerbstätigen - im Durchschnitt in etwas jüngerem Alter das Zigarettenrauchen und konsumieren in höherem Maße regelmäßig und mehr Zigaretten am Tag. Bei den Erwerbslosen gibt es weniger Ex- und Nieraucher in Relation zu den Erwerbstätigen. Innerhalb der Gruppe der Erwerbslosen rauchen anteilsmäßig bedeutend mehr Alg II-Bezieher als Arbeitslosengeld I-Bezieher. Die Kinder vor Erwerbslosen werden in mehrfacher Hinsicht durch den hohen Tabakabusus in Mitleidenschaft gezogen. Zum einen ist zu erwarten, dass sie durch die größere Verbreitung des Tabakkonsums in ihren Haushalten und Umgebung häufiger durch Passivrauch exponiert werden. Zum anderen tragen sie ein tendenziell höheres Risiko, selbst mit dem Rauchen anzufangen - vielleicht durch „Lernen am Modell“ oder aufgrund der einfacheren Verfügbarkeit von Zigaretten. Im Mikrozensus 2005 werden für die Kinder von erwerbslosen Haupteinkommensbeziehern schon im Alter von 10 bis 14 Jahren etwas höhere Prozentwerte an regelmäßigen Rauchern als für die Kinder von erwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern ausgewiesen. Das Suchtverhalten hat sowohl gesundheitliche als auch finanzielle Konsequenzen in den Bedarfsgemeinschaften von Erwerbslosen. Die Tabakabhängig-
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keit stellt nicht nur einen Hochrisikofaktor von Krankheiten und vorzeitiger Sterblichkeit dar, sondern benötigt für die Aufrechterhaltung erhebliche finanzielle Mittel, was speziell für die armutsgefährdeten Erwerbslosen weitere über Finanzrestriktionen vermittelte Gesundheitsbelastungen zur Folge haben dürfte. Die Befragungsdaten zum Rauchbeginn zeigen in der Lebenslaufperspektive, dass die Tabakkonsumaufnahme biografisch meist in Phasen der allgemeinen Schul- und Berufsausbildung fällt und sich damit die Unterschiede in den (Nie-) Raucherquoten zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen größtenteils mit Rauchverhalten vor Eintritt der Erwerbslosigkeit bzw. Erwerbsleben erklären lassen (Kap. 5.3.1.2). In vielen Längsschnittstudien wird niedriger sozioökonomischer Status mit dem Rauchbeginn bereits im Kindes- und Jugendalter in Zusammenhang gebracht (Conrad, Flay & Hill, 1992). Je geringer der sozioökonomische Status ist, umso größer ist dabei auch das Risiko von Erwerbslosigkeit. Eine weitere wichtige Fragestellung ist, ob Erwerbslosigkeit bei aktuellen Rauchern mit einem gesteigerten Tabakkonsum z.B. im Sinne einer CopingStrategie assoziiert ist. Die Befragungsdaten lassen hier methodisch keine abschließende Klärung zu, ob sich die Erwerbslosigkeit ursächlich auf die Intensität des Tabakkonsums auswirkt. Die Beweisführung bleibt methodisch entsprechenden Längsschnitterhebungen mit mehreren Messzeitpunkten vorbehalten. Die Auswertung ergibt aber eine Reihe von Indizien, die die Annahme eines konsumfördernden Effektes bei Rauchen durch die Erwerbslosigkeit selbst unterstützen. So steigt mit anhaltender Erwerbslosigkeit der Anteil der starken Raucher. Die Zahl der täglich konsumierten Zigaretten steht bekanntermaßen mit der Nikotinabhängigkeit in einer Dosis-Wirkungsbeziehung. Die höhere Suchtabhängigkeit könnte auch für den vergleichsweise geringen Anteil an Erwerbslosen im Mikrozensus 2005, die den Tabakkonsum wieder erfolgreich aufgegeben haben, verantwortlich sein. Durch die vergleichenden Untersuchungen wurden außerdem etliche Alternativhypothesen entkräftet, die die hohe Tabakprävalenz bei Erwerbslosen durch Selektionseffekte erklären. Zum Beispiel könnte argumentiert werden, dass Zigarettenkonsum im Arbeitermilieu stärker verbreitet ist und die Arbeiter ein höheres Erwerbslosigkeitsrisiko tragen. Wie die Tabelle 31 im Anhang demonstriert, rauchen aber aktuell „nur“ 41,7 % der erwerbstätigen Arbeiter, aber 57,1 % der erwerbslosen Arbeiter. Bei schulischer oder beruflicher Geringqualifikation verhält es sich ähnlich. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf mit Studien biografischer Erwerbsverläufe und mit mehreren Messzeitpunkten, die einen möglichen Einfluss von Erwerbslosigkeit auf Tabakkonsummuster und Tabakentwöhnung genauer bestimmen. Diese gravierenden Differenzen im Rauchverhalten zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen sind aber kein neues Phänomen, sondern stehen in Überein-
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stimmung mit früheren Mikrozensus-Auswertungen (z.B. Helmert, 2003). Aus den bisherigen empirischen Befunden sind allerdings kaum Konsequenzen in der Praxis der Suchtprävention gezogen worden. Es fehlen weitgehend spezifische Tabakpräventionsangebote und niedrigschwellige Ansprachestrategien für erwerbslose oder von Erwerbslosigkeit bedrohte Jugendliche. Die beobachtete drastische Abnahme der Nieraucherquoten im Jugendalter erfordert speziell in dieser sensiblen kurzen Lebensphase umfassende Präventionsmaßnahmen. Als Zugangswege kommen neben der Familie und den Peer-Groups die „klassischen“ Settings der Gesundheitsförderung wie die allgemeinbildenden Schulen, insbesondere die Hauptschule, aber auch die Berufsschule und Freizeiteinrichtungen in Betracht. Gemeindeorientierte Suchtprogramme in der Schule können den Erreichungsgrad steigern (Hollederer, 2002b). Um erwerbslose Jugendliche mit präventiven Maßnahmen besser als bisher anzusprechen, müssten darüber hinaus neue Angebote z.B. über die Träger von Beschäftigungsmaßnahmen und der beruflichen Fort- und Weiterbildung (wie im Modellprojekt JobFit NRW) entwickelt werden. Generell mangelt es an Forschung über entsprechende Interventionsansätze bei Erwerbslosen sowohl zur Prävention als auch zur Aufgabe des Tabakkonsums, insbesondere für jugendliche Erwerbslose (Bader, Travis & Skinner, 2007). Bei den bisherigen professionellen Tabakentwöhnungsangeboten sind zwei grundsätzliche Vorgehensweisen zu unterscheiden: Zum einen die Schlusspunktmethode, die, wie der Name impliziert, einen sofortigen Schluss und vollständige Abstinenz verlangt und zum anderen die Reduktionsmethode mit der allmählichen Senkung des Tabakkonsums. Viele Konzepte zur Tabakentwöhnung für rauchende Erwachsene sind verhaltenstherapeutisch ausgelegt und setzen auf Elemente wie Vorsatzfestigung, Selbstkontrolle, Zielfestlegung und Selbstbelohnung. Möglicherweise könnten die Akzeptanz und die Wirksamkeit bestehender Programme bei Erwerbslosen erhöht werden, wenn sie konzeptionell auf die spezifische Lebenswelt der Erwerbslosen angepasst werden. Erste erwerbslosenspezifische Interventionsstudien berichten von Erfolgen bei der Veränderung des Rauchverhaltens (Hanewinkel, Wewel, Stephan, Isensee & Wiborg, 2006). Eine besonders bedeutende Komponente ist die verhaltensorientierte Unterstützung bei der Tabakaufgabe (Tonnesen, 2009). Bei rauchenden Erwerbslosen mit ersten Anzeichen von Krankheiten (z.B. mit Atemwegserkrankungen) könnte eine zielgruppenspezifischere Ausgestaltung von sekundärpräventiven Tabakentwöhnungsangeboten im Gesundheitswesen, z.B. in Krankenhäusern oder Arztpraxen, die Aufhörbereitschaft fördern und die Rückfallgefahr durch eine professionell begleitete Nikotinabstinenz verkleinern. Die Ergebnisse des Mikrozensus 2005 lassen in der Gesamtschau einen massiven Bedarf an Suchtprävention erkennen. Sie können der Entwicklung
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bedarfsgerechter und zielgruppenspezifischer Ansprachestrategien sowohl in der Primär- als auch Sekundär- und Tertiärprävention dienen, da neben dem Erwerbslosenstatus gerade die soziodemografischen Merkmalen auch in den Datenbeständen von Krankenkassenverwaltungen vorhanden sind und für einen effektiveren Einsatz der Finanzmittel nach §20 SGB V in der Suchtprävention eigentlich genutzt werden könnten. Außerdem bietet die regelmäßige Mikrozensus-Haushaltsbefragung mit wiederkehrenden Fragen zum Tabakkonsum eine ausgezeichnete Datenbasis für ein Monitoring und eine Erfolgsbeurteilung populationsbezogener Nichtraucherpolitiken. Wenn in den Itembatterien noch die einfache Frage aufgenommen werden würde, in welchem Lebensalter Ex-Raucher den Tabakkonsum aufgegeben haben, könnte zukünftig auch die Wirkungsweise sekundärpräventiver bevölkerungsbezogener Interventionsprogramme besser beobachtet werden. 6.3.2 Body-Mass-Index und Ernährungsverhalten bei Erwerbslosen Der Body-Mass-Index blieb in den multivariaten Modellberechnungen unberücksichtigt, da ein Bias der Gesamtergebnisse durch die außerordentlich hohe Ausfallquote bei den Körpermaßen möglich erscheint. Systematische Verzerrungen sind durch die auffällig höhere Antwortverweigerung von Frauen bei der Angabe des Körpergewichts und aufgrund des oben diskutierten Einsatzes der Proxy-Interviews, die vor allem bei den Jüngeren Anwendung finden, nicht auszuschließen. Die Gefahr von Artefakten ist auch für die einfachen Häufigkeitsauszählungen und Berechnungen der Mittelwerte zu den Körpermaßen gegeben. Solange solche Selbstangaben und die Fremdauskünfte in Proxyinterviews nicht durch objektive Messungen validiert werden, sind alle Ergebnisse zum BodyMass-Index, zum Körpergewicht und zur Körperlänge mit entsprechender Vorsicht zu interpretieren und zu verwenden. Nach bisherigen Untersuchungen werden durch Selbstangaben Übergewicht und Adipositas systematisch unterschätzt (Helmert & Schorb, 2007; Helmert, 2008). Bislang liegen aber keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Selbstauskünfte zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen systematisch verzerrt wären und die Angaben von Erwerbslosen beispielsweise häufiger als die von Erwerbstätigen von den tatsächlichen Körpermaßen abweichen würden (z.B. wegen Unterschieden hinsichtlich der sozialen Erwünschtheit zwischen den Gruppen). Daher dürften die signifikanten Unterschiede, die in den Vergleichsuntersuchungen zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen ermittelt wurden, belastbare Indizien auf gruppenspezifische Ernährungs- und Gewichtsprobleme geben.
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Bei den Erwerbslosen sind die Durchschnittswerte des Body-Mass-Index sowohl von den Männern als auch von den Frauen höher als die der anderen drei Erwerbsstatusgruppen. Der Anteil der stark Übergewichtigen ist bei den erwerbslosen Frauen fast doppelt so hoch als unter den erwerbstätigen Frauen. Die Erwerbstätigen hatten dagegen im Verhältnis nicht nur die wenigsten stark Übergewichtigen, sondern auch die wenigsten Untergewichtigen bei den Männern und Frauen. Die erwerbstätigen Frauen weisen im Mittel die höchste Körperlänge, aber das geringste Körpergewicht im Vergleich zu den Frauen der anderen Erwerbsstatusgruppen auf. Bei den Erwerbslosen ist daher ein besonderer Bedarf an Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und gesunder Ernährung zu konstatieren, die idealerweise familiensystemisch angelegt werden sollten. Es zeigt sich nämlich schon bei den Kindern ein ähnlicher statusabhängiger Trend. Die Durchschnittswerte des Body-Mass-Index der Mädchen und Jungen von erwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern liegen tendenziell niedriger als die der Mädchen und Jungen der anderen Erwerbsstatusgruppen. Mit dem Armutsrisiko von Erwerbslosen wächst die Gefahr der Fehlernährung. Das ist zumindest für die Kinder und Jugendlichen von Alg IILeistungsbeziehern durch eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE, 2007) der Universität Bonn belegt. Sie rechnet nach, dass die vom Gesetzgeber veranschlagten Transferleistungen für Ernährung von 2,57 Euro bzw. 3,42 Euro am Tag zu gering bemessen sind, um Kinder und Jugendliche gesund und ausgewogen zu ernähren. Zur Vorbeugung von Übergewicht und Adipositas werden meist verhaltenspräventive Individualmaßnahmen zur Gewichtsreduktion wie gesunde Ernährung und Bewegungsförderung empfohlen. Wie die biometrischen Angaben zur Körpergröße im Mikrozensus 2005 zeigen, ist das zugrunde liegende Wirkungsgefüge aber offensichtlich komplexer. Es ist statistisch auffällig, dass erwerbslose Frauen im Durchschnitt zwei Zentimeter kleiner als erwerbstätige Frauen nach den Selbstangaben sind (Tabelle 8). Bei Männern beträgt der entsprechende Unterschied einen Zentimeter und ist ebenfalls statistisch bemerkenswert. Das ist ein Hinweis auf (möglicherweise anhaltende) schichtspezifische Wirkfaktoren in den Herkunftsfamilien, die z.B. schon im Kindes- und Jugendalter das Körperwachstum beeinflussten. Die sehr hohen Tabakprävalenzraten in den Familien von Erwerbslosen könnten ebenfalls einer Mitverantwortung für eine durchschnittlich kleinere Statur in Einzelfällen zukommen, wenn nämlich während der Schwangerschaft geraucht wurde. Charlton (1996) spricht in diesem Fall von einem „Familienkreislauf”. Die schädlichen Auswirkungen auf den Fötus führen zu einem niedrigeren Geburtsgewicht und gestiegenem Risiko von Atemwegserkrankungen. Sie
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setzen sich nach Charlton (1996) in der Kindheit fort, indem die zahlreichen kleinen Erkrankungen zur Schulabwesenheit und ggf. zu geringeren Schulabschlüssen führen. Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft rauchten, haben eine kleinere Statur. Passivrauchen zu Hause verstärkt diese und weitere Effekte. Charlton prognostiziert, dass diese Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit das Rauchen beginnen. Möglicherweise trägt vorhandenes Übergewicht auch zur vergleichsweise geringen Aufgabe von Tabakkonsum von Erwerbslosen bei (vgl. Kap. 5.3.1.4), wenn als Nikotinentzugserscheinung eine Gewichtszunahme befürchtet wird. 6.4 Arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung als gesundheitspolitische Herausforderung In den folgenden Abschnitten werden die Ergebnisse des Mikrozensus 2005 in die Diskussion um die arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung eingebunden und ihre Bedeutung für ein beschäftigungsorientiertes Fallmanagement und einen „sozialen Geleitschutz“ aufgezeigt. Es schließt sich eine Integration in das Modell sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit an. 6.4.1 Prävention und Gesundheitsförderung Die Zielsetzung von Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung steht im Einklang mit dem globalen Ziel der Arbeitsförderung, durch die die Beschäftigungsfähigkeit oder „die Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen erhalten, verbessert oder wieder hergestellt wird“ (§ 1 SGB II Abs. 1). Im Bereich der Krankenkassen sollen Leistungen zur Primärprävention gemäß § 20 Abs. 1 SGB V „den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen“. Bei inadäquater Bewältigung von Erwerbslosigkeit entstehen für die Krankenkassen Folgekosten durch höhere Inanspruchnahme ambulanter oder stationärer Leistungen, wenn Krankheiten verursacht werden oder sich bestehende Krankheiten verschlimmern bzw. chronisch werden. Die multivariaten Berechnungen mit Daten des Mikrozensus 2005 belegen, dass die Chancen auf eine gegenwärtige Erwerbstätigkeit bei denjenigen, die nach eigenen Angaben vor einem Jahr arbeitslos waren, stark durch eine lang andauernde Krankheit/Unfallverletzung und durch Behinderung reduziert wurden. Wenn Erwerbslose deshalb zeitverzögert wieder in Beschäftigung münden, werden auch erst später die an den Bruttolöhnen orientierten höheren Sozialver-
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sicherungsbeiträge bei den Krankenkassen eingenommen. Außerdem sind arbeitslose Krankenversicherte von diversen Zuzahlungen für medizinische Leistungen befreit. Der BKK-Bundesverband rechnet für 4,5 Millionen pflichtversicherte Arbeitslose mit Mindereinnahmen in Höhe von 7,4 Mrd. Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die niedrigeren Krankenversicherungsbeiträge und mit Mehrausgaben von schätzungsweise 5,2 Mrd. Euro durch häufigere Krankenleistungen in einem einzigen Jahr (Prüßmann, Friedrichs & Bellwinkel, 2009). Mit Blick auf die Beitragseinnahmen in der Krankenversicherung stehen aber Arbeitslose bisher nicht im Fokus von (marketingorientierten) Präventionsstrategien von Krankenkassen. Das ist eine kurzsichtige Geschäftspolitik, weil sie die Ausgabenseite und langfristige Entwicklungen sowohl für die einzelne Krankenkasse als auch für das Gesamtsystem der Krankenversicherung negiert. Spezifische Präventionsansätze für Erwerbslose sind daher nur in sehr geringem Maße in der Routineversorgung etabliert worden. Der Mikrozensus 2005 weist außerdem nach, dass bei einem Teil der Erwerbslosen gesundheitliche Einschränkungen schon vor Eintritt in Erwerbslosigkeit bestanden. Eine multivariate logistische Regressionsanalyse hat zum Ergebnis, dass eine vorliegende Krankheit oder Unfallverletzung mit der Dauer von über einem Jahr einen signifikanten risikoförderlichen Einfluss auf den Statuswechsel von Erwerbstätigkeit zu Erwerbslosigkeit bzw. zur Nichterwerbstätigkeit mit Arbeitsuche hat. Dieses Ergebnis unterstreicht die Relevanz frühzeitiger betrieblicher Gesundheitsförderung sowie eines Arbeitsplatzerhaltungs- und Eingliederungsmanagements für von Arbeitslosigkeit bedrohte Kranke und Behinderte. Die Verantwortung für das betriebliche Gesundheitsmanagement liegt bei den Betrieben, die sich dabei von professionellen Akteuren unterstützen lassen können. Der berufsgenossenschaftliche und staatliche Arbeitsschutz ist u.a. durch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und weitere Bestimmungen der Sozialgesetzbücher veranlasst. Die betriebliche Gesundheitsförderung ist aber als freiwillige moderne Unternehmensstrategie zu verstehen. Die Luxemburger Deklaration definierte betriebliche Gesundheitsförderung als „alle Maßnahmen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Gesellschaft zur Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz“ (ENBGF, 1997). Sie verknüpfte die Ansätze zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsbedingungen mit der Förderung einer aktiven Mitarbeiterbeteiligung und Stärkung persönlicher Kompetenzen. Allerdings führte nur ca. ein Fünftel der Betriebe in Deutschland nach Angaben von Arbeitgebern im IAB-Betriebspanel 2004 Maßnahmen zum Schutz oder zur Förderung der Gesundheit der Beschäftigten auf freiwilliger Basis durch bzw. unterstützte sie finanziell (Hollederer, 2007b). In der repräsentativen BIBB-/BAUA-Erhebung 2005/2006 bestätigten ca. 38% der
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befragten Beschäftigten, dass in ihrem Betrieb Gesundheitsförderungsmaßnahmen laufen (Beck & Schnabel, 2009). In Deutschland haben sich die Krankenkassen zu den wichtigsten institutionellen Trägern der betrieblichen Gesundheitsförderung entwickelt. Nachdem die finanziellen Richtwerte für Gesundheitsförderung nach § 20 SGB V vom Gesetzgeber sehr (bzw. zu) knapp bemessen sind, ist einer Zielgruppenspezifizierung umso wichtiger. Bei Erwerbstätigen bestätigen die Mikrozensus-Ergebnisse bekannte Entwicklungen wie die höhere Krankheitsanfälligkeit u.a. im formal geringqualifizierten Bereich. Die Analysen legen als bisher wenig beachtetes Ergebnis auch offen, dass unter den Erwerbstätigen die Leistungsbezieher von Arbeitslosengeld I und Alg II, Sozialhilfe/-geld und Wohngeld einen überproportional hohen Anteil an Erkrankten/Unfallverletzten im Vergleich zu den übrigen Erwerbstätigen ohne Leistungsbezug aufweisen. Über die Bezüge öffentlicher Leistungen können Erwerbstätige mit einem höheren Morbiditätsrisiko in der Praxis der Prävention und Gesundheitsförderung leicht identifiziert werden. Bei den Erwerbslosen nehmen die Anteile der zum Befragungszeitpunkt Erkrankten mit Dauer der Arbeitsuche schon ab einer Länge von drei Monaten stark zu. Ein weiterer großer Anstieg ist nach einem Jahr Arbeitsuche bzw. nach Eintritt der Langzeiterwerbslosigkeit zu beobachten. Der Mikrozensus 2005 belegt damit die Notwendigkeit, arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderungsmaßnahmen frühzeitig im Rechtskreis des SGB III und nicht erst im SGB II-Bereich zu implementieren. Zum einen gilt es, eine Verschlimmerung der bei Eintritt der Arbeitslosigkeit schon bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen zu verhindern. Zum anderen will die Primärprävention dem Krankheitseintritt vorbeugen und wendet sich daher an (noch) Gesunde. Eine Zielgruppenbeschränkung auf den SGB II-Rechtskreis geht zu Lasten der Interventionszeit für die arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung und ihre Reichweite. Kinicki, Prussia und McKee-Ryan (2000) machen darauf aufmerksam, dass Coping von Arbeitsplatzverlust ein dynamischer Prozess ist. Die Betroffenen verarbeiten in unterschiedlicher Weise und der Einfluss von Coping-Strategien wechselt in den Stadien. Die gesetzliche Krankenversicherung konzentriert ihre primärpräventiven Maßnahmen nach § 20 SGB V nach dem „individuellen Ansatz“ auf die vier Handlungsfelder Bewegungsgewohnheiten, Ernährung, Stressbewältigung/Entspannung und Suchtmittelkonsum (gemäß Leitfaden Prävention der Spitzenverbände der Krankenkassen, 2008). Die Daten im Mikrozensus zeigen, dass Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen in den Handlungsfeldern Tabakprävention sowie Ernährung und Bewegungsgewohnheiten zu den Gruppen mit dem höchsten Bedarf zählen. Auch wird häufig von Stress durch Ar-
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beitslosigkeit berichtet (Faryn-Wewel, Busch & Schupp, 2008). Bisher ist das Angebot noch nicht auf die unterschiedlichen Zielgruppen in Erwerbslosigkeit ausdifferenziert und die eingesetzten Ressourcen sind angesichts des Bedarfs insgesamt sehr klein. Möglicherweise spiegelt sich in der vergleichsweise niedrigen Ex-Raucher-Quote der Erwerbslosen auch eine unzureichende sekundärpräventive Angebotspolitik wieder. Mit den „Setting-Ansätzen“ der Krankenkassen können Erwerbslose oft nicht erreicht werden, weil sie sich auf die Settings Betriebe, Kindergärten, Schulen und Einrichtungen der Altenhilfe konzentrieren (Leitfaden Prävention der Spitzenverbände der Krankenkassen, 2008). Damit werden für Erwerbslose nicht nur die Möglichkeiten des Zugangs, sondern auch der Verhältnisprävention erheblich eingeschränkt. Bei den Angeboten, die Erwerbslose sporadisch annehmen können, handelt es sich i.d.R. um verhaltensorientierte Einzelmaßnahmen, die nur in Ausnahmefällen wie im JobFit NRW-Projekt (Faryn-Wewel, Roesler, Schupp & Bellwinkel, 2009) für die spezifische Lebenswelt der betroffenen Erwerbslosen konzipiert sind. Eine bei Erwerbslosen noch wenig genützte und noch weiter zu entwickelnde Zugangsmöglichkeit, die der Leitfaden Prävention vorsieht, stellt die Gesundheitsförderung im „Setting Kommune oder Stadtteil“ dar. Eine notwendige Bedingung für den Erfolg ist die Freiwilligkeit der Maßnahmen (Rosenbrock & Grimmeisen, 2009). Gesundheitsförderung unterscheidet sich damit eindeutig von den Pflichtmaßnahmen der Arbeitsmarktpolitik. Alles in allem werden daher die Potenziale der Prävention und Gesundheitsförderung weder von den Krankenkassen noch von der Bundesagentur für Arbeit bzw. den SGB II-Trägern (außerhalb von Modellprojekten und Sonderprogrammen) bisher ausgeschöpft. 6.4.2 Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement mit Gesundheitsbezug Das Fallmanagement für Arbeitsuchende wird als „Kernelement der neuen Leistung“ zur Eingliederung in Arbeit in der Gesetzesbegründung für „Hartz IV“ bezeichnet. Allerdings führt das Gesetz es nicht als eigene Leistungsart auf. Das SGB II ist relativ neu und brachte langwierige Neustrukturierungen durch die Bildung der ARGEn und die Einrichtung der Jobcenter mit sich. Die Verwirklichung des Fallmanagements befindet sich noch immer in der Aufbauphase. Das Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit sieht ein Fallmanagement „in der Regel angezeigt“, wenn u.a. der „erwerbsfähige Hilfebedürftige drei abgrenzbare schwerwiegende Vermittlungshemmnisse aufweist, die in seiner Person und/oder Bedarfsgemeinschaft begründet sind und eine Beschäftigungsin-
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tegration ohne Prozessunterstützung durch ein Fallmanagement nicht erreicht oder erheblich verzögert würde. Abweichungen von dieser Zugangsdefinition sind möglich, wenn bei Neuzugängen auf der Basis eines abgesicherten Profilings das Risiko der Langzeitarbeitslosigkeit erkennbar und durch Prozessunterstützung des Fallmanagements die Wahrscheinlichkeit des Eintritts minimiert werden kann“ (BA, 2005a, S. 11-12). Der Einbezug des Gesundheitszustandes ist im Profiling prinzipiell vorgesehen (BMWA, 2005, S. 62). Die Erkenntnisse aus dem Profiling-Verfahren sollen in das anschließende Fallmanagement einfließen (ProfilingGesundheitsfragen z.B. in Küthe, 2006, S. 14ff). Die Inhalte einer bereits getroffenen Eingliederungsvereinbarung sind ebenso im Fallmanagement zu berücksichtigen (BMWA, 2005, S. 62). Die Eingliederungsvereinbarung schließt sich in der Regel dem Profiling an und fixiert schriftlich die in einem Beratungsgespräch festgelegten konkreten Eingliederungsschritte (§ 15 SGB II). Sie bestimmt nach dem „Grundsatz des Förderns und Forderns“, welche Leistungen der erwerbsfähige Hilfebedürftige erhält und welche Bemühungen er in welcher Frequenz zur Eingliederung in Arbeit zu unternehmen und evtl. auch nachzuweisen hat. Die Eingliederungsvereinbarung wird in der Regel für sechs Monate abgeschlossen. Zu den Förderungsmöglichkeiten gehört u.a. die Einschaltung des Fallmanagers selbst. Zur Auswahl stehen aber auch weitere Leistungen der Träger für Grundsicherung, mit denen Bewerbungsaktivitäten und die Integration in Beschäftigung unterstützt werden. Außerdem können der Ärztliche Dienst oder der Psychologische Dienst der Bundesagentur für Arbeit eingeschaltet werden. Gesundheitsbezogene Aspekte können im Prinzip in allen Phasen des Fallmanagements wie bei gesundheitsbezogenem Profiling, Diagnoseermittlung, Zugangs- und Leistungssteuerung, Beratung sowie Integrations- und Hilfeplanung, Auswertung von Fallmanagementberichten und Monitoring relevant werden - je nach individuellem Bedarf und Interventionstiefe. Ein mehrdimensionaler Hilfebedarf erfordert komplexe und passgenaue Angebote. Bisher wurden aber nur vereinzelt Fachkonzepte für ein beschäftigungsbezogenes Fallmanagement entwickelt, um vermittlungsrelevante gesundheitliche Einschränkungen oder Suchterkrankungen von Arbeitslosen besser in der Routineversorgung zu berücksichtigen. Ausnahmen sind z.B. die Modellprojekte „Arbeitsförderung mit gesundheitsbezogener Ausrichtung“ (AMIGA) in Brandenburg (MASGF, 2008; Braunmühl & Toumi, 2009; Kulbartz-Klatt, 2009) und das Projekt JobPromote in Köln (Seligmann & Schmitz, 2009), von denen mittlerweile erste Evaluationsergebnisse veröffentlicht wurden. Die vorliegenden Ergebnisse im Mikrozensus 2005 geben Hinweise für die Weiterentwicklung von beschäftigungsorientierten Fallmanagementkonzepten mit Gesundheitsbezug und die Bestimmung von Zugangs- und Steuerungskrite-
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rien. Das Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit fordert drei abgrenzbare schwerwiegende Vermittlungshemmnisse als Voraussetzung für ein Fallmanagement. Die multivariaten Modellberechnungen im Mikrozensus 2005 erkannten Behinderungen und lang andauernde Krankheiten/Unfallverletzungen als eigenständige Hindernisse für die Arbeitsmarktintegration, deren Eintrittswahrscheinlichkeiten zudem mit höherem Alter – einem weiteren Vermittlungshemmnis ansteigen. Von den Arbeitsagenturen werden in der Regel die amtlich anerkannten Behinderungen von Arbeitslosen in den Bewerberangeboten wegen ihrer Vermittlungsrelevanz festgehalten und auch die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von Arbeitslosen registriert. Allerdings werden die Krankmeldungen von Arbeitslosen bisher nicht als Zusatzinformation für die Beratung und das Fallmanagement systematisch verwertet, sondern im Gegenteil in der Praxis eher als „Störfall“ interpretiert. Die Einschaltung des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit und des MDK ist dabei primär auf die Kontrolle statt auf eine Hilfestellung für Arbeitsunfähige und eine Ermittlung von Rehabilitationsbedarf gerichtet. Zumindest im Fallmanagement mit Gesundheitsbezug sollte der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sowohl bei der Zugangssteuerung als auch später als möglicher Erfolgsindikator bessere Berücksichtigung finden. Das Fallmanagement könnte außerdem eine engere und passgenaue Verzahnung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen mit der Arbeitsförderung im SGB II und III-Bereich gewährleisten (Elkeles & Michel-Schwartze, 2009; Hollederer, 2006). 6.4.3 Sozialer Geleitschutz mit beruflicher Transitionsberatung Der Mikrozensus 2005 wirft ein Schlaglicht auf Dynamiken und vielfältige Transitionen am Arbeitsmarkt, der durch eine Zunahme atypischer Beschäftigungsformen und eine Abnahme von Normalarbeitsverhältnissen gekennzeichnet ist (StaBu, 2008b). Um nur einige markante Ergebnisse zu nennen:
Rund drei von fünf Erwerbslosen verloren ihre vorherige Arbeit durch Entlassung und nur ca. einer von 20 hat selbst gekündigt Ca. einer von vier Erwerbslosen war ein Jahr vor der Befragung erwerbstätig Ungefähr einer von 20 Erwerbstätigen hat in den letzten vier Wochen eine berufliche bzw. bezahlte Tätigkeit gesucht.
Die beruflichen Umbrüche am Arbeitsmarkt bergen gesundheitliche Risiken. So ist nach einer Entlassung im Mikrozensus 2005 ein krankheitsbezogener „Er-
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leichterungseffekt“ bei den Erwerbslosen in den ersten Monaten der Arbeitsuche festzustellen. Diese Entwicklungen am Arbeitsmarkt und die zunehmend fließenden Übergänge zwischen Erwerbstätigkeit und Erwerbslosigkeit erfordern neue gesundheitsbezogene Handlungsstrategien zum Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit. Das Konzept der beruflichen Transitionsberatung hat nach Kieselbach, Beelmann und Jeske (2006) das Ziel, langfristige Beschäftigungsfähigkeit zu fördern und zu sichern. Es setzt darauf, den Umgang mit beruflicher Unsicherheit am Arbeitsplatz zu verbessern, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen und frühzeitig zu intervenieren. Außerdem werden die Rückwirkungen durch die Veränderungen am Arbeitsmarkt auf die (noch) Beschäftigten einbezogen. Die Arbeitsplatzunsicherheiten und die Sicherung nachhaltiger individueller Beschäftigungsfähigkeit bedingen nach Kieselbach (2009) „zwangsläufig einen stärkeren Schutz des Arbeitnehmers in beruflichen Umbrüchen mit dem besonderen Fokus auf seiner gesundheitlichen Lage und der Verstärkung von Ansatzpunkten der Erhaltung und Förderung seiner Gesundheit“. Im Mittelpunkt stehen Beratungsangebote sowie unternehmensinterne Strategien der Kommunikation und Weiterbildung im Kontext beruflicher Transitionen. Outplacementund Replacement-Beratungen sind dabei Teil einer proaktiven Präventionsstrategie, da Antizipation und Wissen um mögliche psychosoziale Schädigungen den Bewältigungsprozess in beruflichen Übergängen erleichtern (Kieselbach, Beelmann, Mader & Wagner, 2006). Sie weiten das Konzept der sozialen Unternehmensverantwortung, der „Corporate Social Responsibility“, über den aktuellen Arbeitsplatz hinaus und zielen darauf, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter langfristig zu sichern (Kieselbach, 1998; Heuven, Bakker & Schaufeli, 2006). Eine Europäische Expertengruppe zu „Health in Restructuring (HIRES)“ empfahl für unvermeidbare betriebliche Umstrukturierungen sowohl bei den Entlassenen als auch den „survivors“ die negativen Gesundheitsfolgen durch geeignete Maßnahmen systematisch zu begrenzen (Kieselbach et al., 2009). Der Mikrozensus 2005 legt weiterhin offen, dass ca. einer von zehn Erwerbslosen und ca. einer von fünf arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen noch nie erwerbstätig waren. Darunter sind auch viele Schüler im Jugendalter, die sich beim Übergang in den Beruf in „Warteschleifen“ oder Bildungsmaßnahmen als Zwischenlösung befinden, weil sie beruflich nicht am Arbeitsmarkt integriert werden konnten. Die Strukturprobleme am Arbeitsmarkt führen damit für viele Jugendliche zur sozialen Ausgrenzung schon zu Beginn ihres Erwerbslebens. Der soziale Geleitschutz muss daher schon frühzeitig bei den allgemein- und berufsbildenden Instanzen einsetzen. Bisher geht die Erwerbslosenforschung davon aus, dass jüngere Erwerbslose und Schulabgänger zwei berufliche „Schwellen“ von der Schule in die Ausbildung und anschließend von der Ausbildung in Beschäftigung zu bewältigen haben. Nach den multivariaten Modell-
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berechnungen besteht für Jüngere bis unter 30 Jahren, die vor einem Jahr noch erwerbstätig waren, ein höheres Risiko für Arbeitsplatzverlust als für die Älteren. Das deutet auf eine dritte Schwelle der Etablierung der beruflichen Position im Betrieb hin. Auch die Zunahme von zeitlichen Befristungen der Arbeitsverträge bei Neueinstellungen kann besonders für jüngere Berufseinsteiger das Erwerbslosigkeitsrisiko erhöhen. Jahoda (1983) ging noch davon aus, dass jede Art von Beschäftigung der Arbeitslosigkeit vorzuziehen wäre, da alle Jobs einen Benefit durch die latenten Funktionen der Beschäftigung mit sich brächten. Der wissenschaftliche Diskurs hat sich aber heute dahingehend entwickelt, die Beschäftigungsmöglichkeiten nach ihrer Qualität in „gute Jobs“ und „schlechte Jobs“ einzuteilen. Es wurde mittlerweile beobachtet, dass aus prekären Arbeitsverhältnissen ähnlich negative Gesundheitseffekte bei unzufriedenen Wiederbeschäftigten wie durch anhaltende Arbeitslosigkeit bei den weiterhin arbeitslos Gebliebenen resultieren können (vgl. Bartley, Ferrie & Montgomery, 1999; Kinicki, Prussia & McKee-Ryan, 2000; Creed & Bartrum, 2006; Starrin & Janson, 2006). Starrin und Janson (2006) halten die alte Dichotomie von Beschäftigungs- und Arbeitslosigkeitsstatus durch die neuen Entwicklungen am Arbeitsmarkt für überholt, da zeitlich befristete und prekäre Beschäftigungsverhältnisse die Dauerarbeitsplätze zunehmend ersetzen. Mit der Globalisierung und Flexibilisierung steigen Jobunsicherheit und Angst vor Arbeitsplatzverlust, die mit der psychischen Gesundheit der Beschäftigten assoziiert sind. Diese Veränderungen machen neue Kategorien für die Erfassung der Beschäftigung notwendig. Bartley, Ferrie & Montgomery (2006) mutmaßen, dass Arbeitslosigkeit und berufliche Unsicherheit Teil eines Prozesses sind, dessen gesundheitliche Beeinträchtigungen sich im Lebenslauf kumulieren. Aus der Gesundheitsperspektive sind daher bei der Vermittlung von Erwerbslosen auch die Qualität der vermittelten Arbeitsstelle und etwaige arbeitsplatzbezogene Gesundheitsbelastungen stärker zu beachten. Für die Beurteilung von Qualität guter Arbeit gibt es internationale Standards. Ebenso sollten bei der Vermittlung in Maßnahmen der Beschäftigungsförderung oder ehrenamtlichen Tätigkeiten nach Rothländer und Richter (2009) als Handlungsrahmen die Humankriterien gesunder Arbeit und zur Arbeitsgestaltung nach DIN EN ISO stärker angewendet werden. 6.5 Integration der Ergebnisse in das Modell sozialer Ungleichheit Das in Kap. 1.2.1 vorgestellte Modell von Mielck (2000) erklärt, wie sich soziale Ungleichheit auf die Gesundheit vermittelt. Es geht von bestehender sozialer Ungleichheit wegen Unterschieden bei Bildung, Berufsstatus und Einkommen
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aus. Anhand dieser Items wird häufig soziale Ungleichheit in empirischen Untersuchungen z.B. über einen additiven Index operationalisiert. Mit dem Mikrozensus 2005 kann aber soziale Ungleichheit auf diese Weise nicht abgebildet werden, weil nicht alle erforderlichen Variablen, die zur Konstruktion von bisher in der Wissenschaft etablierten Schichtindizes notwendig sind, abgefragt wurden. Der Mikrozensus 2005 bestätigt allerdings Assoziationen zwischen einzelnen Komponenten sozialer Ungleichheit nach dem Modell von Mielck (2000) und überproportionaler Krankheitsprävalenz. Beispielsweise ist der Anteil der in den letzten vier Wochen Erkrankten/Unfallverletzten umso höher, je niedriger der berufliche Abschluss ist. Auch leiden die Arbeiter im Durchschnitt häufiger als die Angestellten und Selbstständigen an Krankheiten/Unfallverletzungen zum Befragungszeitpunkt. Die Krankenstände von Alg II-Beziehern und Empfängern von Sozialhilfe/-geld sind ebenfalls deutlich erhöht. Der Prozess der Entstehung von sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit wird in dem Modell von Mielck (2000) aber sehr verkürzt wiedergegeben. Die in der Erwerbsbevölkerung unterschiedlich verteilten Erwerbslosigkeitsrisiken und Arbeitsmarktchancen könnten die Erklärungskraft dieses Modells erhöhen (Abbildung 28). Es ist anzunehmen, dass die vorhandenen sozialen Unterschiede in den Herkunftsfamilien schon biografisch frühzeitig Unterschiede in der allgemeinen Schulbildung und dann in der beruflichen Ausbildung produzieren. Ebenso bestehen bereits in der Kindheit unterschiedliche gesundheitliche Belastungen und Ressourcen, worauf die berichteten Gesundheitsunterschiede zwischen den Kindern unter 15 Jahren nach Erwerbsstatus der Haupteinkommensbezieher im Mikrozensus 2005 hindeuten. Die Differenzen in der Schulbildung und in der anschließenden Berufsausbildung führen später zu verschiedenen Arbeitsmarktchancen und Erwerbslosigkeitsrisiken im Erwerbsleben. Sie bestimmen in Folge den Berufsstatus, berufliche Tätigkeitsfelder, die Stellung im Beruf und die Höhe des Einkommens. Daraus ergeben sich unterschiedliche Lebensverhältnisse im Erwerbsleben mit ihren jeweiligen Belastungen und Ressourcen. Die Gesundheit wird am Arbeitsplatz, aber auch durch Erwerbslosigkeit in unterschiedlichem Maße exponiert. Die unterschiedlichen Ressourcen und Belastungen wirken nicht nur direkt auf den Gesundheitszustand ein, sondern auch indirekt über das Gesundheitsverhalten. Der Erwerb von Gesundheitskompetenzen setzt beispielsweise auch Bildung voraus (Kickbusch & Maag, 2008). Das Gesundheitsverhalten wird nach dem Modell von Mielck (2000) durch die Lebensverhältnisse mitgeprägt und ist auch nach den Mikrozensus-Ergebnissen bei Erwerbslosen im Durchschnitt wesentlich riskanter. Wie die Mikrozensus-Auswertung bestätigt, sind bei erwerbslosen Männern und Frauen die Tabakprävalenzraten und der durchschnittliche
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Body-Mass-Index im Vergleich zu den anderen Erwerbsstatusgruppen wesentlich höher. Es weisen bereits die Kinder der erwerbslosen Haupteinkommensbezieher tendenziell einen erhöhten Tabakkonsum und Body-Mass-Index im Durchschnitt auf. Das Modell von Mielck (2000) berücksichtigt ebenso Unterschiede in der Gesundheitsversorgung. Soziale Ungleichheit kann demnach zur gesundheitlichen Ungleichheit führen, wenn z.B. Erwerbslose aus finanziellen Gründen wegen etwaiger Gebühren und Zuzahlungsverpflichtungen die Leistungen der Krankenversorgung oder der Prävention nicht in Anspruch nehmen. Im Zusammenhang mit dem hohen Krankenstand von Erwerbslosen, die vormals selbstständig tätig waren, wurde in den vorherigen Kapiteln bereits auf die besondere Gefährdung von Nichtkrankenversicherten hingewiesen. Schwere Erkrankungen können aber in umgekehrter Richtung zu einer sozialen Abstiegsmobilität führen, die sich nach dem Mikrozensus ebenfalls durch höhere Erwerbslosigkeitsrisiken vermitteln kann. Die multivariaten Regressionsanalysen stellen ein erhöhtes Erwerbslosigkeitsrisiko von Erwerbstätigen bei lang andauernder Krankheit fest. Soziale Ungleichheit und gesundheitliche Ungleichheit sind aus diesen Gründen eng über die unterschiedlichen Arbeitsmarktchancen und Erwerbslosigkeitsrisiken verwoben. Nach den Analysen mit den Mikrozensus-Daten haben sich auch das Vorhandensein und der Grad einer amtlich anerkannten Behinderung als wichtiger Hemmfaktor bei der Arbeitsmarktintegration herausgestellt. Das Modell von Mielck (2000) zeigt implizit Ansätze für Prävention und Intervention beim Gesundheits- und Krankheitsverhalten sowie in der Krankenversorgung auf. In diesen Bereichen könnte sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen abgebaut werden, wenn beispielsweise die begrenzten Mittel der Prävention und Gesundheitsförderung auf besonders krankheitsgefährdete Erwerbslosengruppen konzentriert oder die zuzahlungsfreie Inanspruchnahme von Krankenversorgungsleistungen ermöglicht werden. Insgesamt können die unterschiedlichen Arbeitsmarktchancen und Erwerbslosigkeitsrisiken eine Schlüsselfunktion für die Vermittlung von sozialer Ungleichheit nach dem Grundmodell von Mielck (2000) bilden und gleichzeitig auch Ansatzpunkte zum Abbau sozial bedingter ungleicher Gesundheitschancen bieten. Die vorhandenen Potenziale von Prävention und Gesundheitsförderung, insbesondere die der Suchtprävention, sind bei der Zielgruppe der Erwerbslosen noch nicht voll erschlossen. Die Abbildung 28 integriert diese Elemente aus der Ergebnisdiskussion in das Modell zur sozialen Ungleichheit. Im Spannungsfeld von sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit besteht weiterer Forschungsbedarf zur Rolle der Erwerbslosigkeit in den Vermittlungsprozessen.
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Abbildung 28: Modell sozialer Ungleichheit mit Ergänzungen zu Arbeitsmarktchancen und Erwerbslosigkeit
Soziale Ungleichheit (Unterschiede in Bildung, Berufsstatus, Einkommen, unterschiedliche Arbeitsmarktchancen und Erwerbslosigkeitsrisiken)
Unterschiede in den gesundheitlichen Belastungen
Unterschiede in den BewältigungsRessourcen
Unterschiede in der gesundheitlichen Versorgung
(z.B. Belastungen am Arbeitsplatz und durch Erwerbslosigkeit)
(z.B. soziale Unterstützung durch erwerbstätige Haushaltsangehörige u.a., Vermögen)
(z.B. Arzt-Patient-Kommunikation, Inanspruchnahme von Krankenversorgung und Prävention)
Geringere Wiedereingliederungschancen
Unterschiede beim Gesundheits- und Krankheitsverhalten (z.B. Ernährung, Rauchen, Compliance)
Gesundheitliche Ungleichheit
Lang andauernde Krankheit
(Unterschiede in Morbidität und Mortalität sowie Behinderung)
Quelle: Mielck 2000 (auf Basis Elkeles & Mielck, 1997); eigene Textergänzungen auf Basis der Ergebnisse des Mikrozensus 2005 sind kursiv markiert.
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7 Resümee
Die Ergebnisse des Mikrozensus 2005 bestätigen eindrucksvoll das erhöhte Morbiditätsrisiko von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen in Relation zu den Erwerbstätigen – auch unter Kontrolle verschiedener potenzieller Determinantengruppen wie den soziodemografischen Merkmalen in den multivariaten Modellen. Die Analysen identifizieren vulnerable Gruppen innerhalb der Erwerbslosen und untermauern den in Abbildung 4 eingangs beschriebenen „Circulus vitiosus“ von Gesundheit und Erwerbslosigkeit. Die Chancen auf Reintegration waren bei Erwerbslosen mit lang andauernder Krankheit/Unfallverletzung oder Schwerbehinderung nach den multivariaten Berechnungen im rückwärtigen Jahr stark reduziert. Gleichzeitig ist das Risiko des Arbeitsplatzverlustes bei Erwerbstätigen mit lang andauernden Krankheiten/Unfallverletzungen erhöht. Die Phase der Erwerbslosigkeit zeichnet sich durch Mehrfachbelastungen aufgrund des erlittenen Arbeitsplatzverlustes, höherer Krankheitsrisiken und möglicher Verarmungsprozesse aus. Der Kreislauf ist damit sowohl von Selektionseffekten an den beiden Übergängen von Erwerbstätigkeit in Erwerbslosigkeit und von Erwerbslosigkeit in Erwerbstätigkeit sequentiell getrieben als auch offenbar von ursächlicher Wirkung durch die Erwerbslosigkeit selbst charakterisiert. Die Gesundheitsunterschiede zwischen den Kindern von erwerbslosen und erwerbstätigen Haupteinkommensbeziehern im Mikrozensus 2005 lassen eine Reproduktion gesundheitlicher Ungleichheit in den Bedarfsgemeinschaften über die Generationen hinweg annehmen. Kinder von erwerbslosen Haupteinkommensbeziehern sind im Verhältnis tendenziell häufiger krank, haben höhere Durchschnittswerte beim Body-Mass-Index und rauchen in höherem Maße regelmäßig. Diese Wechselbeziehungen zwischen Erwerbslosigkeit und Gesundheit erfordern spezifische Präventions- und Interventionsmaßnahmen. Die Mikrozensus-Auswertungen zeigen Bedarfe hinsichtlich Zielgruppenspezifizierungen, Ansprachestrategien und übergreifender Gesundheitsförderungskonzepte auf. Die Abbildung 29 integriert einen Mix an Ansätzen arbeitsmarktintegrativer Gesundheitsförderung analog zu den Phasen der Beschäftigung und Erwerbslosigkeit. Die Maßnahmen für Erwerbslose erfolgen idealerweise zielgruppen-
246 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
orientiert nach einem vorgeschalteten Profilingverfahren und reichen von Prävention und Gesundheitsförderung für Gesunde bis zu Fallmanagementkonzepten für Erkrankte oder Behinderte (siehe vorherige Kapitel). Die derzeitige hohe Anzahl der von Erwerbslosigkeit betroffenen Menschen bei gleichzeitig zu geringem Angebot an offenen Stellen erfordern gesellschaftlich eine Normalisierung und Destigmatisierung solcher beruflichen Übergänge (vgl. Kieselbach, 1997). Im Sinne eines sozialen Geleitschutzes sind flankierende psychosoziale Beratungs- und Unterstützungsangebote sowie ein beschäftigungsorientiertes Fallmanagement mit Gesundheitsbezug in der Regelversorgung angezeigt. Obwohl durch die langjährige Forschung umfassende Erkenntnisse über den Bewältigungsprozess von Erwerbslosigkeit sowie über die gravierenden Gesundheitsunterschiede zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen vorliegen, sind arbeitsmarktintegrative Ansätze der Prävention und Gesundheitsförderung stark unterentwickelt. Wie die Mikrozensus-Ergebnisse nahe legen, sind über die Erwerbslosen hinaus die arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen (bzw. die „nichtarbeitslos Arbeitsuchenden“ nach dem SGB III) stärker in den Fokus zu nehmen. Die Ergebnisse zur Gesundheit von Kindern der erwerbslosen Haupteinkommensbezieher sprechen auch für familiensystemisch angelegte Ansätze der Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenzerweiterung. Die Gesundheitsförderungsmaßnahmen können aber prinzipiell nur an den moderierenden Einflussfaktoren wie den Ressourcen und Belastungen ansetzen, um die Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit von Erwerbslosen zu erhalten oder wieder herzustellen. Die eigentlichen Ursachen von Massenarbeitslosigkeit beseitigen sie indessen nicht, sondern mildern nur deren negative Gesundheitsfolgen ab. Prävention und Gesundheitsförderung sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Ihre Weiterentwicklung braucht für die Zielgruppe der Erwerbslosen bessere Rahmenbedingungen, um den dargestellten Kreislauf zu durchbrechen oder zumindest abzumildern. Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen (SVR, 2007) schlägt im Gutachten 2007 daher eine explizite Verankerung des Präventionsgedankens in das SGB II und SGB III vor. Er spricht sich für eine Erweiterung der Finanzierungsverantwortung für diesen Bereich auch auf die Arbeitslosenversicherung aus. Der Sachverständigenrat empfiehlt weiterhin die Erweiterung und Neuorientierung der Aufgaben der Ärztlichen Dienste der Bundesagentur für Arbeit und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auf die Klärung von Präventionsbedarf und die Ausgestaltung und Koordination von Maßnahmen sekundärer und tertiärer Prävention. Nachdem auch bei bester Konjunkturlage in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine gewisse Sockelarbeitslosigkeit geblieben war und die gesundheitlichen Auswirkungen von Arbeitslosigkeit nach den Moderationsanalysen auf
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individueller Ebene kaum durch die lokale Arbeitslosenquote beeinflusst werden, ist die arbeitsmarktintegrative Gesundheitsförderung als Daueraufgabe in der Regelversorgung zu verstehen. Sie hat für den einzelnen Arbeitslosen unabhängig von der Größe des Arbeitslosenbestandes und jeweiliger Konjunkturlage ihre Funktion. Die Langzeiterwerbslosigkeit wirkt als soziale Determinante auf die Gesundheit der Bevölkerung ein. Dahlgren und Whitehead (2006) schlagen zur Überwindung der sozialbedingten gesundheitlichen Ungleichheit durch Erwerbslosigkeit verschiedene Politikoptionen als europäische Gesamtstrategie vor. Ihre Empfehlungen reichen von Maßnahmen zur Verhinderung von Erwerbslosigkeit, über Abmilderung der drastischen Einkommensverluste durch Arbeitsplatzverlust bis hin zu verbesserten Wiedereingliederungswegen von Langzeiterwerbslosen, behinderten und chronisch kranken Erwerbslosen sowie jugendlichen Erwerbslosen. Die Kompetenzen und Kapazitäten des Gesundheitssektors sind nach Dahlgren und Whitehead (2006) auszubauen, um die gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Erwerbslosigkeit zu verhindern und eine adäquate Behandlung der Leiden durch die negativen Gesundheitseinwirkungen durch Erwerbslosigkeit zu gewährleisten. Für die verschiedenen Wirtschaftspolitiken sollten Health Impact Assessments vorgenommen werden. Bereits in der Weimarer Republik beklagte der Gesundheitspolitiker Moses (1931), dass die gesundheitliche Bedeutung der Arbeitslosigkeit von der Gesetzgebung in der Arbeitslosenfürsorge nicht beachtet wird und dass das gesundheitlich so bedeutsame Arbeitslosenproblem ausschließlich unter wirtschaftlichen und finanziellen Gesichtspunkten behandelt wird. Eine „Gesundheitsverträglichkeitsprüfung“ der deutschen Arbeitsmarktpolitik steht bis heute noch aus. Zu den Grundlagen einer evidenzbasierten Gesundheitspolitik gehört eine fundierte Berichterstattung. Auch wenn es mittlerweile Fortschritte in der deutschen Gesundheitsberichterstattung vor allem durch die neuen Gesundheitssurveys gibt, sind die bestehenden Berichtssysteme über die Gesundheit von Erwerbslosen insgesamt noch als nicht ausreichend zu beurteilen. Das trifft zum einen auf die GKV-Statistik des Bundes zu, die Arbeitslose z.B. in der Krankheitsartenstatistik nicht extra ausweist und deren Arbeitsunfähigkeitsstatistik sich für die Beurteilung des Gesundheitszustandes von Arbeitslosen im Vergleich zu den Beschäftigten als unbrauchbar herausstellte. Ein Großteil der Krankenkassen wie die AOK führt Arbeitslose gar nicht in den jährlichen Gesundheitsberichten auf. In der Arbeitslosenstatistik fehlen insbesondere Berichte von den „nichtarbeitslos Arbeitsuchenden“ mit vermittlungsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen. Eklatante Mängel bestehen außerdem in der Interventionsberichterstattung. Im jährlichen Präventionsbericht der Gesetzlichen Krankenversicherung (MDS, 2007) werden die Maßnahmen zur Primärpräventi-
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on nach § 20 SGB V überhaupt nicht nach dem Merkmal arbeitslos dokumentiert, obwohl alle Krankenkassen diesen Status ihrer Versicherten erfassen. Abbildung 29: „Circulus vitiosus“ von Erwerbslosigkeit und Gesundheit mit Maßnahmenmix arbeitsmarktintegrativer Gesundheitsförderung
Betriebliche OutplacementStrategien/Transitionsberatung %etriebliches EingliederungsManagement Betriebliches Gesundheitsmanagement/ Arbeitsschutz Betriebliche Gesundheitsförderung Gesundheitskompetenzförderung (insb. bei Selbstständigen/Ich-AGs)
Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung (insb. für gesunde Erwerbslose)
Selektionseffekt: Krankheit erhöht Risiko, erwerbslos zu werden!
Psychosoziale Beratungs- und Unterstützungsangebote (insb. für krankheitsgefährdete Erwerbslose) Kausalität: Erwerbslosigkeit macht krank!
Selektionseffekt: Gesundheitliche Einschränkungen hemmen Arbeitssuche und Vermittlung!
Psychosoziale Trainingsmaßnahmen u. Förderprogramme (insb. für krankheitsgefährdete Erwerbslose) Beschäftigungsorientiertes Fallmanagement mit Gesundheitsbezug (insb. für erkrankte oder behinderte Erwerbslose)
Der Mikrozensus hätte dagegen das Entwicklungspotenzial, eine kontinuierliche und systematische Berichterstattung über die Gesundheit von Erwerbslosen in der Zukunft zu gewährleisten. Der Mikrozensus integriert die Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union und kann mit der ILO-Statistikkonzeption den Bezugsrahmen bilden. Die Zusatzfragenprogramme zur Gesundheit werden normalerweise in vierjähriger Periodizität erhoben und ermöglichen dadurch Zeitreihen. Der erfasste jahresdurchschnittliche Krankenstand zum Befragungszeitpunkt und die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung bilden eine sehr gute Berichtsbasis. Die Ergebnisse könnten in die Gesundheitsberichterstattung sowohl des Bundes als auch der Länder besser integriert werden. Dieses Zusatzfragenprogramm bedarf aber noch der Ergänzung wichtiger Items wie subjektiver Gesundheitszustand, Krankheitsdiagnosen und Gesundheitsverhalten (z.B. Alkoholkonsum).
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Aus den genannten Gründen stellen die Etablierung eines langfristig angelegten Berichterstattungssystems über den Gesundheitszustand von Erwerbslosen neben der Weiterentwicklung der arbeitsmarktintegrativen Gesundheitsförderung und der Ausdehnung der Erwerbslosenforschung große Herausforderungen für die Gesundheitswissenschaften dar. Unverbunden ist auch noch die Arbeitslosenforschung mit dem Diskurs über soziale und gesundheitliche Ungleichheit. Arbeitslosigkeit ist einer der sozialen Faktoren mit Impact auf die Gesundheit in einem komplexen Zusammenspiel von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Lebensweisen. Einen Anknüpfungspunkt bildet z.B. das Modell sozialer Ungleichheit von Mielck (2000), das im vorherigen Kap. 6.5 ausführlich diskutiert wurde. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2006) erkannte bereits in seinem Gutachten 2005 völlig zurecht: „Der Zusammenhang zwischen dem Gesundheitsstatus und der Arbeitslosigkeit lässt die gegenwärtige Arbeitslosigkeit, vor allem die Langzeitarbeitslosigkeit, nicht nur als eines der größten ungelösten wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme, sondern zugleich auch als ein vorrangiges Public Health-Problem erscheinen.“
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8 Anhangstabellen und Abbildungen Tabelle 18:
Soziodemografische Merkmale nach Erwerbsstatus Sonstige Nichterwerbspersonen Spalten-%
Total Spalten-%
Erwerbstätige Spalten-%
Erwerbslose Spalten-%
Arbeitsuchende Nichterwerbspers. Spalten-%
Geschlecht (N) Männlich Weiblich
(36.046) 55,0 45,0
(4.598) 56,0 44,0
(648) 46,0 54,0
(13.845) 37,3 62,7
(55.137) 50,6 49,4
Altersgruppen (N) 15-19 Jahre 20-24 Jahre 25-29 Jahre 30-34 Jahre 35-39 Jahre 40-44 Jahre 45-49 Jahre 50-54 Jahre 55-59 Jahre 60-64 Jahre
(36.044) 3,5 8,1 9,3 10,6 14,7 16,2 13,6 11,6 8,4 3,9
(4.597) 4,8 11,6 10,6 10,0 12,0 13,6 11,9 11,4 10,2 3,9
(648) 14,0 12,5 11,7 9,4 10,0 9,3 7,7 8,8 10,3 6,2
(13.845) 24,3 10,0 6,5 5,2 5,4 4,9 4,6 5,8 8,8 24,4
(55.134) 9,0 8,9 8,7 9,2 12,1 13,1 11,1 10,1 8,7 9,1
Alter (N) Durchschnittsalter (Standardabweichung) Darunter Bezieher von: Arbeitslosengeld I (Standardabweichung) Arbeitslosengeld II (Standardabweichung)
(36.046) 40,2 (11,6)
(4.598) 39,4 (12,5)
(648) 36,9 (14,4)
(13.845) 39,2 (18,5)
(55.137) 39,8 (13,8)
40,4 (12,5) 39,2 (11,0)
40,7 (12,9) 40,1 (11,6)
43,4 (13,8) 38,9 (12,8)
51,1 (12,8) 42,0 (13,6)
41,4 (13,1) 40,0 (11,8)
West-/Ostdeutschland (N) West Ost
(36.046) 80,2 19,8
(4.598) 63,5 36,5
(648) 67,7 32,3
(13.845) 81,0 19,0
(55.137) 78,9 21,1
Staatsangehörigkeit (N) Deutscher Ausländer aus EU-Staaten Ausländer Nicht-EU-Staat Darunter: Deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung Deutsche Staatsangehörigkeit, ausl. Geburtsort 1. Staatsangeh. Türkisch 1. Staatsangehörigkeit Russische Föderation
(36.046) 91,6 3,4 4,9
(4.598) 83,0 4,2 12,7
(648) 82,3 2,9 14,8
(13.845) 86,6 3,3 10,1
(55.137) 89,5 3,5 7,0
4,9
7,5
6,8
4,7
4,9
7,9 1,8
12,5 4,5
12,0 4,8
10,0 4,1
8,8 2,7
0,5
2,2
3,5
0,9
0,8
(N in 1.000)
251 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Tabelle 19:
Familientyp und Haushaltsstruktur Arbeitsuchende Nichterwerbsp. Spalten-%
Sonstige Nichterwerbspersonen Spalten-%
Total Spalten-%
(N in 1.000)
ErwerbsErwerbslose tätige Spalten-% Spalten-%
Familienstand (N) ledig verheiratet verwitwet geschieden
(36.047) 33,5 57,6 1,4 7,6
(4.598) 40,2 45,8 1,6 12,5
(648) 45,7 39,4 1,9 13,1
(13.845) 42,2 49,9 3,6 4,3
(55.138) 36,3 54,5 1,9 7,2
Familientyp (N) Ehepaar mit ledigen Kindern Nichteheliche Lebensgemeinschaft mit ledigen Kindern Alleinerziehende mit ledigen Kindern Ehepaar ohne ledige Kinder Alleinstehende Sonstige
(35.946) 45,4
(4.587) 36,0
(646) 33,9
(13.702) 47,9
(54.881) 45,1
3,5
4,3
5,3
2,4
3,3
6,4 18,5 19,1 7,0
11,8 16,5 26,6 4,9
17,0 15,0 24,6 4,2
8,6 25,6 13,2 2,3
7,5 20,1 18,3 5,6
Personen im Haushalt (N) 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 und mehr Personen
(35.945) 17,2 29,9 23,9 29,0
(4.588) 23,9 29,3 23,2 23,6
(647) 22,6 28,7 23,2 25,5
(13.701) 11,4 32,0 21,3 35,4
(54.881) 16,4 30,3 23,2 30,1
Personenzahl im Haushalt (N) im Durchschnitt
(35.946) 2,74
(4.587) 2,59
(647) 2,65
(13.701) 2,97
(54.881) 2,80
(35.946)
(4.569)
(647)
(13.702)
(54.864)
93,3 6,2 0,4 0,0
79,3 18,4 2,3
86,4 12,5 0,9 0,2
91,1 7,9 0,9 0,1
84,9 12,8 2,0 0,2
(35.946)
(4.588)
(646)
(13.701)
(54.881)
35,8
57,0 32,3
60,5 26,5
39,1 38,1
15,2 36,0
64,2
10,8
13,0
22,8
48,8
Erwerbslose im Haushalt (N) Kein Erwerbsloser im Haushalt 1 Erwerbsloser im Haushalt 2 Erwerbslose im Haushalt 3 und mehr Erwerbslose im H. Erwerbstätige im Haushalt (N) Kein Erwerbstätiger im Haushalt 1 Erwerbstätiger im Haushalt 2 und mehr Erwerbstätige im Haushalt
252
Tabelle 20:
Schul- und Berufsausbildung nach Erwerbsstatus
(N in 1.000) Berufsklassifikation (nach Blossfeld) (N) 1. Agrarberufe 2. Einfache manuelle Berufe 3. Qualifizierte manuelle Berufe 4. Techniker 5. Ingenieure 6. Einfache Dienste 7. Qualifizierte Dienste 8. Semiprofessionen 9. Professionen 10. Einfache kaufm. und Verwaltungsberufe 11. Qualifizierte kaufm. u. Verwaltungsberufe 12. Manager Nieerwerbstätige oder keine Angabe Berufliche Tätigkeit nicht zuzuordnen Allgemeiner Schulabschluss (N) Ja Nein Entfällt, da Besuch allgemeinbildende Schule Höchster allgemeiner Schulabschluss (N) Haupt-(Volks-)schulabschluss Abschl. der allg. bild. Polytechn. Oberschule Realschulabschluss (Mittlere Reife) Fachhochschulreife Allgem. oder fachgeb. Hochschulreife (Abitur) Ohne Angabe Entfällt (Kein Schulabschluss oder Schüler) Höchster beruflicher Abschluss (N) Kein beruflicher Ausbildungs- oder Hochschul-/Fachhochschulabschluss Anlernausbildung, berufliches Praktikum (mind. 12 Monate), Berufsvorbereitungsjahr Abschluss einer Lehrausbildung, einer Berufsfachschule, Vorbereitungsdienst ÖD Meister-/Techniker- oder gleichwertiger Fachschulabschluss, Fachschule der DDR Fachhochschulabschluss, Verwaltungs-FH Abschluss einer Universität, Promotion Ohne Angabe zum beruflichen Abschluss Stellung im Beruf (aktuell bzw. zuletzt) (N) Selbstständiger Angestellter Arbeiter, Heimarbeiter Sonstige (Beamter, Richter, Mith. Familienang., Azubi, Grundwehrdienst, Zivi, Soldat) Entfällt (ohne frühere Erwerbstätigkeit)
Erwerbstätige
Erwerbslose
Arbeits. Nichterwerbsp.
Sonstige Nichterwerbsp.
Sp.-%
Sp.-%
Sp.-%
Sp.-%
Sp.-%
(36.046) 2,3 8,3 14,0 4,3 3,3 12,1 8,2 9,3 3,7 7,6 20,0 5,0 1,8 (36.046) 97,3 2,2 0,5 (36.045) 31,6 9,1 26,2 7,0 22,9 0,6 2,7 (36.045)
(4.598) 3,8 15,7 19,1 2,6 1,5 16,8 4,8 4,9 0,9 8,9 12,3 1,8 4,8 2,1 (4.598) 92,2 6,5 1,3 (4.599) 40,1 16,0 20,2 3,9 11,4 0,7 7,8 (4.597)
(646) 3,4 14,2 16,3 2,3 1,9 16,6 5,0 6,2 1,4 8,2 11,6 1,9 9,4 1,7 (648) 82,6 8,5 9,0 (649) 36,7 9,9 19,0 4,3 11,9 0,9 17,4 (647)
(13.845) 2,2 10,6 11,6 3,9 2,8 10,2 6,3 7,8 2,7 8,3 17,0 3,5 11,8 1,4 (13.845) 72,4 5,7 21,8 (13.846) 34,1 2,8 15,2 3,4 16,2 0,7 27,6 (13.846)
(55.135) 2,4 9,6 13,8 4,1 3,0 12,1 7,4 8,5 3,2 7,9 18,5 4,3 3,5 1,7 (55.137) 90,5 3,5 6,1 (55.139) 33,0 8,1 22,8 5,8 20,1 0,6 9,5 (55.135)
18,4
31,2
45,9
53,0
28,5
1,5
2,3
2,5
1,5
1,6
53,5
53,9
39,6
35,5
48,9
4,9 2,7 4,3 0,7 (4.597) 3,4 34,4 47,5
4,5 2,3 4,3 0,9 (649) 3,5 30,8 37,6
3,9 2,0 3,5 0,6 (13.846) 2,5 30,5 20,1
7,6 4,7 8,1 0,6 (55.138) 7,9 43,7 27,4
5,0 9,7
5,1 23,0
4,7 42,2
9,3 11,7
9,5 6,1 10,4 0,6 (36.046) 10,7 50,1 27,4 11,8 -
Total
253
Tabelle 21:
Sozioökonomische Variablen nach Erwerbsstatus
(N in 1.000) Arbeitslosmeldung, Leistungsbezug (N) Bei Arbeitsagentur gemeldet Leistungsbezug Arbeitslosengeld I und II (N) Bezug Arbeitslosengeld I Bezug Arbeitslosengeld II Überwiegender Lebensunterhalt (N) Erwerbstätigkeit/Berufstätigkeit Arbeitslosengeld I und II Rente, Pension Unterhalt durch Eltern, Ehe-/Lebenspartner Eigenes Vermögen, Ersparnisse, Zinsen, Vermietung, Verpachtung Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung, Asylb. Leistungen aus einer Pflegeversicherung Sonstige Unterstützungen (z.B. BAföG…) Nettoeinkommen im letzten Monat (N) unter 150 Euro 150 bis unter 300 Euro 300 bis unter 500 Euro 500 bis unter 700 Euro 700 bis unter 900 Euro 900 bis unter 1.100 Euro 1.100 bis unter 1.300 Euro 1.300 bis unter 1.500 Euro 1.500 bis unter 1.700 Euro 1.700 bis unter 2.000 Euro 2.000 und mehr Euro Selbstständiger Landwirt in Haupttätigkeit Kein Einkommen Ohne Angabe Erwerbsbeteiligung vor 12 Monaten (N) (freiwillig) Erwerbs-/Berufstätiger, Auszubildender Grundwehr-/Zivildienstleistender Arbeitslos Schüler, Student im Ruhestand/Vorruhestand dauerhaft arbeitsunfähig Hausfrau/-mann* Darunter: Anteil Hausfrauen* Sonstiges Wichtigster Grund für Beendigung einer früheren Erwerbstätigkeit (N), darunter Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen Nieerwerbstätigkeit (N) Nein, noch nie erwerbstätig gewesen
Sonstige Nichterwerbsp. Sp.-%
Erwerbstätige Sp.-%
Erwerbslose Sp.-%
Arbeitsu. Nichterwerbsp. Sp.-%
(36.046) 3,2 (36.044) 0,5 1,1 (36.046) 91,3 1,3 0,8 5,9
(4.598) 94,0 (4.595) 28,5 48,1 (4.597) 0,1 74,3 1,2 20,3
(648) 88,4 (647) 20,9 49,1 (648) 0,0 67,0 1,2 24,8
(13.845) 2,2 (13.843) 0,6 1,1 (13.845) 1,7 1,8 27,1 60,8
(55.137) 11,5 (55.129) 3,1 5,6 (55.136) 60,2 8,2 7,4 21,1
0,1 0,2 0,0 0,5 (36.046) 1,2 2,9 8,2 6,9 6,8 9,7 10,5 9,7 8,5 9,0 21,2 0,6 0,3 4,4
1,3 1,9 0,0 0,9 (4.599) 3,6 8,1 22,6 21,0 11,8 7,3 4,1 2,1 1,1 0,8 0,7 0,0 12,8 4,0
1,1 2,6 0,0 3,2 (648) 3,5 8,0 20,4 18,2 11,7 7,6 4,3 2,5 1,2 0,9 0,8 0,0 15,6 5,2
1,3 3,4 0,3 3,7 (13.846) 5,6 6,1 8,2 8,8 6,8 5,4 3,7 2,6 1,8 1,5 2,6 0,0 43,3 3,7
0,5 1,2 0,1 1,3 (55.139) 2,5 4,2 9,5 8,7 7,3 8,4 8,2 7,2 6,1 6,3 14,6 0,4 12,3 4,2
(33.859) 90,9 0,2 3,2 3,6 0,3 0,1 1,0 1,0 0,7
(4.431) 26,8 0,4 57,7 5,5 0,4 0,4 5,4 5,2 3,4
(614) 16,9 0,2 48,5 17,4 0,8 2,0 8,0 7,7 6,2
(13.321) 5,9 0,1 3,6 34,1 22,2 3,6 24,5 24,1 6,0
(52.225) 62,9 0,2 8,4 11,7 5,9 1,0 7,5 7,3 2,3
(36.046) (36.046) -
(4.598) 1,0 (4.597) 9,7
(649) 3,4 (648) 22,8
(13.847) 11,5 (13.845) 42,0
(55.140) 3,0 (55.136) 11,6
Total Sp.-%
* Es ist zu berücksichtigen, dass die Antwortenliste bei dieser Frage keine Möglichkeiten wie „Persönliche oder familiäre Verpflichtungen“ oder „Betreuung von Kindern“ vorsah und im Alltagsverständnis der Interviewten die Abgrenzung zwischen „Hausfrau/-mann“ und „arbeitslos“ unter Umständen nicht trennscharf ist.
254
Tabelle 22:
Arbeitsuche und Gründe für Nichtarbeitsuche
(N in 1.000) Arbeitsuche oder Meldung (N) 1. Arbeitsuche oder arbeitsuchend bzw. arbeitslos gemeldet Davon wegen: Entlassung Nach eigener Kündigung Nach freiwilliger Unterbrechung Nach Übergang in den Ruhestand Aus anderen Gründen 2. weder arbeitsuchend noch gemeldet Davon weil: Arbeitsuche erfolgreich abgeschlossen Wiedereinstellung (nach vorübergehender Entlassung) erwartet Krankheit oder (vorübergehende) Arbeitsunfähigkeit Frühinvalidität oder sonstige Behinderung Persönliche oder familiäre Verpflichtungen Schulische oder berufliche Ausbildung Ruhestand Arbeitsmarkt keine Beschäftigungsmöglichkeiten bietet Aus anderen Gründen Arbeitswunsch bei Nichtarbeitsuche (N) Ja, trotzdem Wunsch zu Arbeiten Verfügbarkeit innerhalb von zwei Wochen bei Nichtarbeitsuche (N) Ja Nein Davon wegen Hauptgrund: Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit Aus- oder Fortbildung Persönliche oder familiäre Verpflichtungen Aus sonstigen Gründen Zeitraum bis zur letzten Erwerbstätigkeit (N) Berichtsquartal und bis zu 1 weiteres Quartal 2 weitere Quartale bis 1 Jahr über 1 Jahr bis 2 Jahre über 2 Jahre bis 5 Jahre über 5 Jahre Dauer der Arbeitsuche (N) Weniger als 1 Monat 1 bis unter 3 Monate 3 bis unter 6 Monate ½ bis unter 1 Jahr 1 bis unter 1½ Jahre 1½ bis unter 2 Jahre 2 bis unter 4 Jahre 4 und mehr Jahre Dauer der Arbeitsuche über ein Jahr bzw. Langzeiterwerbslosigkeit
Sonstige Nichterwerbsp. Sp.-%
Erwerbslose Sp.-%
Arbeitsu. Nichterwerbsp. Sp.-%
(4.586) 99,5
(648) 97,5
(13.505) 2,6
(18.739) 29,6
61,2 5,1 2,4 0,9 30,4
36,9 4,7 3,0 2,9 52,5
35,3 6,0 4,9 8,6 45,1
56,8 5,1 2,7 1,6 33,8
0,5
2,5
97,4
70,4
86,4
88,2
0,1
0,3
13,6
11,8
0,0 2,9 5,3 19,6 36,5 24,7 3,0 7,9
0,1 2,9 5,3 19,6 36,4 24,6 3,0 7,8 (13.140) 11,9
100,0
(13.140) 11,9 Davon: (1.580) 42,1 57,9
(3.950) 19,8 22,2 16,6 22,7 18,7 (4.498) 5,7 11,0 11,9 16,4 10,2 8,4 17,7 18,6
0,0 37,5 6,3 56,3 (460) 14,1 18,7 16,7 27,2 23,3 (603) 8,3 12,9 12,9 14,8 9,6 6,6 14,8 20,1
23,9 32,7 33,6 9,8 (7.183) 4,6 8,9 10,3 25,2 51,0 (346) 8,4 8,1 10,4 14,5 8,7 8,4 19,9 21,7
23,4 32,8 33,1 10,6 (11.593) 10,2 13,8 12,7 24,4 38,9 (7.049) 7,3 12,2 12,5 16,1 10,1 8,1 16,6 17,0
54,9
51,0
58,8
51,9
(21) 100,0
(16)
Total Sp.-%
(1.617) 42,4 57,6
255
Tabelle 23:
Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt und vorherige berufliche Situation
(N in 1.000) Verfügbarkeit (innerhalb von zwei Wochen) bei aktiver Arbeitsuche (N) Ja Nein Davon Grund für Nichtverfügbarkeit: Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit Aus- oder Fortbildung Noch bestehende Tätigkeit Persönliche oder familiäre Verpflichtungen andere Gründe Situation unmittelbar vor Arbeitsuche (N) erwerbstätig, berufstätig Grundwehr-/Zivildienstleistender in Vollzeitausbildung oder -fortbildung Hausfrau/-mann Sonstiges (z.B. im Ruhestand)
Tabelle 24:
Erwerbslose Sp.-%
Arbeitsuchende Nichterwerbsp. Sp.-%
Sonstige Nichterwerbsp. Sp.-%
Total Sp.-%
(1.667) 62,7 37,3
(4.576) 100,0 -
(632) 100,0
(360) 40,8 59,2
(7.235) 79,7 20,3
2,3 6,1 79,6
-
31,8 19,3 0,0
37,0 10,9 0,9
20,0 12,5 34,0
2,6 9,4
-
21,6 27,3
27,0 24,2
14,3 19,2
(1.652) 82,4 0,8 7,5 4,0 5,3
(4.540) 77,4 1,0 8,0 6,6 7,0
(623) 59,6 0,8 15,2 11,1 13,3
(354) 66,7 0,6 6,8 14,1 11,9
(7.169) 76,5 0,9 8,4 6,7 7,4
Anteil der Erkrankten zum Befragungszeitpunkt nach Alter und Erwerbsstatus im Jahresdurchschnitt 2005 (ohne Unfallverletzungen)
(N in 1.000, N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) Altersgruppen (N) 15-19 Jahre 20-24 Jahre 25-29 Jahre 30-34 Jahre 35-39 Jahre 40-44 Jahre 45-49 Jahre 50-54 Jahre 55-59 Jahre 60-64 Jahre Insgesamt
256
Erwerbst ätige Sp.-%
Erwerbstätige (30.927) 2,5 2,7 3,0 3,3 3,3 3,7 4,0 5,0 6,6 7,2 4,0
Sonstige ArbeitsuNichtchende erwerbsErwerbsNichterpersonen werbspers. lose Krankheitsquoten (Spalten-%) (3.993) 3,0 3,7 3,8 4,4 5,3 5,7 7,1 9,0 11,1 7,0 6,1
(532) 3,7 10,4 10,0 18,0 25,0 38,6 50,0 53,2 42,6 36,1 25,6
(11.830) 2,3 2,4 3,9 5,7 8,7 13,7 19,3 21,6 19,9 13,6 9,7
Total (47.293) 2,4 2,9 3,4 3,9 4,2 5,1 6,2 8,2 10,8 11,7 5,9
Tabelle 25:
Behandlung von Krankheit und Unfallverletzung in den letzten vier Wochen Erwerbstätige
Sonstige Nichterwerbspersonen Sp.-% 6
Arbeitsuchende davon:
Total
ErwerbsNichterlose werbsp. (N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) Sp.-% Sp.-% Sp.-% Sp.-% Sp.-% 1 2 3 4 5 7 Behandlung bei Krankheit/ Unfallverletzung in den (2.831) (543) (381) (160) (1.501) (4.873) letzten vier Wochenn.s. (N) in ambulanter Behandlung beim Arzt 71,0 69,8 70,9 67,5 70,8 70,8 in ambulanter Behandlung im Krankenhaus 6,6 6,1 5,2 8,1 5,7 6,2 in stationärer Behandlung im Krankenhaus 10,4 10,9 9,2 15,0 12,5 11,1 Nein 12,0 13,3 14,7 9,4 11,1 11,9 Anm.: Signifikanzniveau Chi-Square Test nach Pearson für Spalten 2 und 3: n.s. nicht signifikant
Tabelle 26:
Risiko von Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen/arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Vergleich zu Erwerbstätigen (Modell 1)* Regressionskoeffizient StandardB fehler
Wald
Sig.
95,0 % KI. f. OR Odds Unterer Oberer Ratio Wert Wert
Frauen Erwerbsstatus (Ref. erwerbstätig) Erwerbslose/arbeitsuchende Nichterwerbspersonen Konstante Erwerbsstatus (Ref. erwerbstätig) Erwerbslose/arbeitsuchende Nichterwerbspersonen Konstante Erwerbsstatus (Ref. erwerbstätig) Erwerbslose/arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
0,790
0,086
84,711 0,000 2,204
1,863 2,608
-4,830 0,177 747,376 0,000 0,008 Männer 0,770
0,083
86,721 0,000 2,159
1,836 2,539
-5,108 0,168 923,112 0,000 0,006 Insgesamt 0,780
0,060 171,674 0,000 2,182
1,942 2,452
Konstante -4,977 0,122 1671,841 0,000 0,007 *altersadjustiert; Nagelkerkes R-Quadrat Modell Block 1 = 0,025, Modell Block 2 = 0,028, Modell Block 3 = 0,026.
257
Tabelle 27:
Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten in den letzten vier Wochen nach Staatsangehörigkeit Erwerbstätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1 Krankheit/Unfall in den letzten 4 Wochen nach Staatsangehörigkeit (N) Deutscher Ausländer aus EUStaaten Ausländer aus NichtEU-Staaten Darunter: Deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung Deutsche Staatsangehörigkeit, ausländischer Geburtsort 1. Staatsangehörigkeit: Türkisch 1. Staatsangehörigkeit: Russische Föderation
258
Sonstige Nichterwerbspers.
Arbeitsuchende davon
Total
ErNichtwerbserlose werbsp. Krankheits-/Unfallquoten in den letzten vier Wochen (Spalten-%) 2 3 4 5 6 7
(30.925) 9,3
Phi für Spalten 2 + 3 (Signifikanzniveau)
8
(4.527) 12,0
(3.994) 9,6
(533) 30,0
(11.832) (47.284) 13,0 10,4 P < 0,001
9,3
13,4
11,7
33,3
11,9
10,4
9,1
12,8
9,5
34,7
11,1
10,5
9,0
10,9
9,1
25,0
11,6
9,9
n.s.
9,0
11,0
9,0
27,5
13,5
10,5
n.s.
9,3
14,2
10,9
40,9
11,6
11,0
n.s.
8,7
10,5
7,0
22,2
9,7
9,2
n.s.
n.s. P < 0,05
Tabelle 28:
Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten in den letzten vier Wochen nach Berufsausbildung und Stellung im Beruf Erwerbs-
Sonstige Nichterdavon: Nichter- werbsErwerbs- werbs- personen pers. lose
Arbeitsuchende
tätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1 Berufsklassifikation (nach Blossfeld) (N) 1. Agrarberufe 2. Einfache manuelle Berufe 3. Qualifizierte manuelle Berufe 4. Techniker 5. Ingenieure 6. Einfache Dienste 7. Qualifizierte Dienste 8. Semiprofessionen 9. Professionen 10. Einfache kaufm. und Verw.berufe 11. Qualifizierte kaufmännische und Verwaltungsberufe 12. Manager Nieerwerbstätige oder keine Angabe Höchster beruflicher Abschluss (N) Kein beruflicher Ausbildungs- oder Hochschul-/Fachhochschulabschluss 1. Anlernausbildung, berufliches Praktikum (mind. 12 Monate), Berufsvorbereitungsjahr 2. Abschluss einer Lehrausbildung, einer Berufsfachschule, Vorbereitungsdienst ÖD 3. Meister-/Techniker- oder gleichwertiger Fachschulabschluss, Fachschule der DDR 4. Fachhochschulabschluss, Abschluss Verwaltungsfachhochschule 5. Abschluss einer Uni, Promotion Ohne Angabe zum berufl. Abschluss
Total
Krankheits-/Unfallquoten in den letzten 4 Wochen (Spalten-%) 2 3 4 5 6 7 (30.398) 8,9 10,5 9,4 8,4 7,1 9,8 9,1 11,1 7,4 8,8
8
(4.443) 11,4 12,1 11,4 8,7 11,4 14,6 11,0 15,5 / 13,1
(3.921) 9,5 9,2 9,1 6,7 9,8 11,3 9,4 12,7 / 10,8
(526) 27,8 36,5 31,8 / / 40,0 25,9 32,4 / 31,1
10,5 11,0 10,4
8,7 9,9 7,7
26,2 / 18,4
(4.527)
(3.995)
(534)
10,0
13,2
10,8
25,6
9,6
10,2
P < 0,001
8,8
13,5
9,6
41,7
17,0
11,5
P < 0,001
9,3
11,6
9,1
37,3
16,6
10,9
P < 0,001
9,1
11,8
9,5
29,2
17,0
10,3
P < 0,001
9,0 8,3 6,0
11,5 10,8 /
9,8 9,4 7,7
27,3 20,0 33,3
14,5 11,8 13,8
9,7 8,9 8,5
P < 0,05 P < 0,05
8,9 8,1 (30.925)
(11.684) (46.529) 14,8 10,6 15,8 12,2 15,9 11,1 10,2 8,8 8,8 7,7 16,0 11,7 12,2 9,9 12,1 11,6 7,3 7,5 13,6 10,6
Phi für Spalten 2 + 3 (Signifikanzniveau)
11,9 9,6 9,5
9,7 8,5 9,6
n.s. n.s. P < 0,05 n.s. n.s. P < 0,001 n.s. P < 0,05 n.s. P < 0,01 n.s. n.s.
(11.832) (47.286)
Stellung im Beruf (aktuell bzw. (30.927) (4.529) (3.996) (534) (11.834) (47.291) zuletzt) (N) Selbstständiger 6,5 16,0 12,1 47,1 20,5 8,0 P < 0,001 Angestellter 9,2 12,4 10,2 31,1 14,5 10,4 P < 0,001 Arbeiter, Heimarbeiter 10,2 13,0 10,0 42,0 21,3 12,7 P < 0,001 Sonstige (Beamter, Richter, Mithelfender Familienangehöriger, Azubi, Grundwehrdienst, Zivi, Soldat) n.s. 9,9 8,5 7,6 18,5 14,6 10,4 Entfällt (ohne frühere Erwerbstätigk.) 8,4 6,8 13,2 6,6 6,8 Anm: Hochgerechnete Besetzungszahlen unter 5.000 werden nicht nachgewiesen u. durch Schrägstrich („/“) ersetzt.
259
Tabelle 29:
Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten nach Erwerbsbeteiligung vor einem Jahr Erwerbstätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1 Krankheit/Unfallverletzung in den letzten vier Wochen nach Erwerbsbeteiligung vor 1 Jahr (freiwillig), darunter: (N) Erwerbs-/Berufstätiger, Azubi (N) arbeitslos (N) dauerhaft arbeitsunfähig (N) Hausfrau/-mann Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt nach Erwerbsbeteiligung vor 1 Jahr (freiwillig), darunter: (N) Erwerbs-/Berufstätiger, Azubi (N) arbeitslos (N) dauerhaft arbeitsunfähig (N) Hausfrau/-mann
260
2
Sonstige NichterErNichtwerbswerbserlose werbsp. pers.
Arbeitsuchende
Total
Phi für Spalten 2+3 (Signifikanzniveau)
7
8
davon:
Krankheits-/Unfallquoten (Spalten-%) 3 4 5 6
(27.883) (1.206)
(1.114)
(92)
9,2 10,4 (1.017) (2.496) 9,2 13,1 (22) (27) 54,5 51,9 (319) (260) 8,5 13,1
8,8 (2.246) 10,0 (16) 37,5 (217) 11,1
30,4 (251) 40,6 (11) 72,7 (43) 23,3
(27.865) (1.206)
(1.114)
(92)
4,4 6,8 (1.016) (2.493) 4,4 10,0 (22) (26) 50,0 50,0 (319) (259) 4,1 9,7
5,1 (2.244) 7,0 (15) 33,3 (217) 7,8
26,1 (249) 36,5 (11) 72,7 (42) 19,0
(726) (29.815) 13,6 (436) 20,0 (437) 46,9 (2.927) 8,9
9,4 (3.950) 12,9 (486) 47,5 (3.506) 9,2
n.s. P < 0,01 n.s. n.s.
(725) (29.796) 10,8 (435) 17,5 (436) 45,2 (2.927) 6,6
4,6 P < 0,001 (3.944) 9,4 P < 0,001 (484) 47,5 n.s. (3.505) 6,6 P < 0,01
Tabelle 30:
Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten nach Leistungsbezug und Einkommen Erwerbstätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1 Krankheit/Unfall in den letzten vier Wochen nach Leistungsbezug (N) Bezug Arbeitslosengeld I (N) Bezug Arbeitslosengeld II Darunter: Mindestens sechswöchige Krankheitsdauer (in Sp.-%) Bezug Arbeitslosengeld I Bezug Arbeitslosengeld II (N) Bezug Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung, Asylbewerberleistungen (N) Bezug Wohngeld Andauern der Krankheit/ Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt nach Leistungsbezug (N) (N) Bezug Arbeitslosengeld I (N) Bezug Arbeitslosengeld II (N) Bezug Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung, Asylbewerberleistungen (N) Bezug Wohngeld
Arbeitsuchende
Sonstige davon NichtErNichterwerbserwerbslose werbsp. pers.
Total
Krankheits-/Unfallquoten in den letzten vier Wochen (Sp.-%) 2 3 4 5 6 7
(143) 9,8 (350) 12,9
(1.246) 10,8 (2.171) 13,9
(1.139) 8,7 (1.917) 10,7
(107) 33,6 (254) 37,4
(72) 22,2 (134) 30,6
(1.461) 11,3 (2.655) 14,6
42,9 34,9
49,2 53,9
39,6 48,3
75,0 66,7
73,3 77,5
50,9 54,3
(141)
(142)
(116)
(26)
(446)
(729)
17,0 (319) 14,1
20,4 (382) 15,7
17,2 (336) 12,5
34,6 (46) 39,1
24,7 (207) 30,9
22,4 (908) 18,6
(144) 6,3 (349) 7,2 (141)
(1.245) 7,4 (2.169) 10,5 (141)
(1.138) 5,2 (1.915) 7,5 (116)
(107) 30,8 (254) 33,1 (26)
(72) 19,4 (134) 26,9 (445)
(1.461) 7,9 (2.652) 10,9 (728)
9,9 (319) 6,6
14,9 (381) 12,1
11,2 (335) 8,7
30,8 (46) 37,0
22,0 (206) 26,7
18,3 (906) 13,5
Phi für Spalten 2 + 3 (Signifikanzniveau) 8
n.s. n.s.
n.s. P < 0,05
n.s. n.s.
n.s. n.s.
n.s. P < 0,05
261
Erwerbstätige
(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) 1 Krankheit/Unfall in den letzten vier Wochen nach überwiegendem Lebensunterhalt, darunter: (N) Bezug Sozialhilfe, -geld, Grundsicherung, Asylbewerberleistungen (N) Arbeitslosengeld I, II Krankheit/Unfall in den letzten vier Wochen nach Nettoeinkommen (im letzten Monat) (N) 1 bis unter 700 Euro 700 bis unter 1.500 Euro 1.500 und mehr Euro
Arbeitsuchende
Sonstige NichtNichterwerbserwerbsp. pers.
Total
davon Erwerbslose
Phi für Spalten 2 + 3 (Signifikanzniveau)
Krankheits-/Unfallquoten in den letzten vier Wochen (Sp.-%) 2 3 4 5 6 7
(54)
(81)
(68)
(13)
(370)
(505)
16,7 (399) 12,0
17,3 (3.308) 12,7
14,7 (2.962) 9,9
30,8 (347) 37,2
23,0 (214) 27,1
21,4 (3.922) 13,5
(29.484) 8,8 10,1 9,0
(3.783) 12,4 13,8 11,7
(3.361) 9,8 11,0 9,4
(424) 34,5 34,5 33,3
(6.434) 14,5 21,7 16,6
(39.703) 11,2 12,2 9,4
8
n.s. n.s.
P < 0,001 P < 0,001 n.s.
Abbildung 30: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt nach Gemeindegrößenklasse und Erwerbsstatus (in Prozent) 4,3 4,5 4,4
Erwerbstätige
5,7 6,6 7,6
Erwerbslose
23,5
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
27,0
31,1
10,1 9,9 10,6
Sonstige Nichterwerbspersonen 5,9 6,4 6,8
Insgesamt 0,0
5,0
500.000 und mehr Einwohner
10,0
15,0
20,0
20.000 bis unter 500.000 Einwohner
25,0
30,0
35,0
bis unter 20.000 Einwohner
(N = 47.249 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
262
Abbildung 31: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt bei Arbeitsuchenden und Erwerbstätigen nach Bundesländern (in Prozent) Baden-Württemberg
4,5
Bayern
4,4
Berlin
8,9 8,9 12,4
5,2
Brandenburg
6,0
4,3
Bremen
3,9
Hamburg
8,4
3,2
Hessen
12,4
5,1
Mecklenburg-Vorpommern
4,1
Niedersachsen
4,1
Nordrhein-Westfalen
6,2 9,8 9,5
4,7
Rheinland-Pfalz
9,5
3,9
Saarland
10,7
4,7
Sachsen
6,2
3,5
Sachsen-Anhalt
6,6
3,7
Schleswig-Holstein
4,2
Thüringen
5,6 7,7
3,9 0,0
Erwerbstätige
2,0
4,0
6,0
8,0
10,0
12,0
14,0
Erwerbslose und arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
(N = 35.428 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben) Anmerkung: Hochgerechnete Besetzungszahlen unter 5.000 werden nicht nachgewiesen.
263
Tabelle 31:
Raucherquoten nach Erwerbsstatus und sozioökonomischen Variablen
Erwerbs(N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
tätige
Erwerbslose
Arbeitsuchende Nichterwerbspers.
Sonstige Nichterwerbspers.
Total
Raucherquoten (Spalten-%)
Gegenwärtiger Raucher bei Männern (N) Männer Gegenwärtige Raucherin bei Frauen (N) Frauen
(16.439) 36,9 (13.509) 29,9
(2.161) 58,0 (1.717) 42,7
(239) 51,5 (278) 40,3
(4.259) 26,3 (7.212) 21,2
(23.098) 37,0 (22.716) 28,2
Allgemeiner Schulabschluss (N) Kein Abschluss oder Hauptschulabschluss Abschluss über Hauptschulniveau
(29.872) 40,3 30,2
(3.868) 56,5 46,3
(514) 49,6 40,6
(11.443) 23,4 22,7
(45.697) 35,9 30,3
(29.873)
(3.868)
(514)
(11.446)
(45.701)
40,0
55,6
48,7
22,1
33,2
40,8
60,0
63,6
26,9
40,2
36,9
52,3
46,7
25,9
36,4
27,3
40,3
33,3
19,8
27,0
21,5 17,8
28,6 25,7
18,2 25,0
15,7 14,4
21,2 17,8
(29.948) 31,7 30,4 41,7
(3.879) 58,9 42,8 57,1
(514) 47,1 40,6 54,4
(11.472) 29,3 22,5 31,5
(45.813) 32,5 29,9 42,2
30,8 -
59,7 44,3
58,3 35,2
23,4 18,9
31,3 21,1
(29.442) 29,7 43,8 40,6 29,4 18,3 42,8 34,5
(3.805) 55,6 55,6 58,8 40,2 25,0 56,8 49,2
(509) 64,7 51,4 45,9 41,7 30,0 54,5 48,1
(11.334) 22,3 26,6 26,5 18,8 13,7 29,7 23,8
(45.090) 32,0 40,8 39,8 27,5 17,6 41,9 33,1
Gegenwärtiger Raucher nach höchstem beruflichen Abschluss (N) Kein beruflicher Ausbildungs- oder Hochschul-/Fachhochschulabschluss 1. Anlernausbildung, berufliches Praktikum (mind. 12 Monate), Berufsvorbereitungsjahr 2. Abschluss einer Lehrausbildung, einer Berufsfachschule, Vorbereitungsdienst ÖD 3. Meister-/Techniker- oder gleichwertiger Fachschulabschluss, Fachschule der DDR 4. Fachhochschulabschluss, Abschluss einer Verwaltungsfachhochschule 5. Abschluss einer Universität, Promotion Gegenwärtiger Raucher nach Stellung im Beruf (aktuell bzw. zuletzt) (N) Selbstständiger Angestellter Arbeiter, Heimarbeiter Sonstige (Beamter, Richter, Mith. Familienang., Azubi, Grundwehrdienst, Zivi, Soldat) Entfällt (ohne frühere Erwerbstätigkeit) Gegenwärtiger Raucher nach Berufsklassifikation (nach Blossfeld) (N) 1. Agrarberufe 2. Einfache manuelle Berufe 3. Qualifizierte manuelle Berufe 4. Techniker 5. Ingenieure 6. Einfache Dienste 7. Qualifizierte Dienste
264
8. Semiprofessionen 9. Professionen 10. Einfache kaufmännische und Verwaltungsberufe 11. Qualifizierte kaufm. u. Verwaltungsberufe 12. Manager Nieerwerbstätige oder keine Angabe Gegenwärtiger Raucher nach Nettoeinkommen im letzten Monat (N) 1 bis unter 700 Euro 700 und mehr Euro
28,0 17,8
39,9 24,2
34,4 25,0
19,4 12,5
26,7 16,8
35,3 29,4 25,7 -
49,0 41,4 36,2 47,4
41,9 36,8 45,5 42,6
25,7 19,9 16,6 23,9
34,1 27,9 24,3 27,2
(28.610) 33,6 34,0
(3.270) 54,6 51,2
(410) 48,4 48,7
(6.275) 27,0 26,6
(38.565) 36,0 34,0
(134) 41,0
(114) 54,4
(24) 54,2
(408) 43,1
(680) 45,0
Gegenwärtiger Raucher nach Bezug Sozialhilfe/-geld, Grundsicherung, Asylb. (N) Bezug Sozialhilfe/-geld, Grundsicher., Asylb.
90,0 80,0 70,0 60,0 50,0
63
60
57
54
51
48
45
42
39
36
33
30
27
24
21
18
40,0 30,0 20,0 10,0 0,0
15
in Prozent
Abbildung 32: Nieraucherquoten von Erwerbstätigen und Erwerbslosen nach Alter in Jahren
Alter in Jahren Erwerbstätige
Erwerbslose
(N = 33.826 Tsd.; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
265
Tabelle 32:
Gesundheitsvariablen von Kindern unter 15 Jahren nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers im Haushalt Erwerbsstatus Haupteinkommensbezieher im Haushalt der Kinder
Kinder unter 15 Jahren (N in 1.000; N mit freiwilligen Gesundheitsangaben)
Erwerbstätige Spalten-%
Erwerbslose Spalten-%
Arbeitsuchende Nichterwerbsp. Spalten-%
Sonstige Nichterwerbspersonen Spalten-%
Total Spalten-%
Behinderungn.s. (8.329) (819) (139) (490) (9.777) (N mit Gesundheitsangaben) Amtlich festgestellte Behinderung 0,9 1,3 1,4 1,8 1,0 Keine amtlich festgestellte Behinderung, 99,1 98,7 98,6 98,2 99,0 Krankheit/Unfallverletzung in den letzten vier Wochenn.s. (8.317) (818) (139) (490) (9.764) (N mit Gesundheitsangaben) Nein 90,2 89,5 88,5 90,4 90,1 Ja, krank oder unfallverletzt 9,8 10,5 11,5 9,6 9,9 Andauern der Krankheit/Unfallverletztung zum Befragungszeitpunkt n.s. (8.318) (819) (138) (489) (9.764) (N mit Gesundheitsangaben) Ja, davon 3,3 4,8 4,3 3,5 3,4 Nein, kein Andauern 6,5 5,7 6,5 5,9 6,4 nicht krank/unfallverletzt in den letzten vier Wochen, keine Angaben 90,2 89,5 89,1 90,6 90,1 Krankheit/Unfallverletzung in den letzten vier Wochen nach Familienoder Lebensformtyp n.s. (8.318) (818) (140) (490) (9.766) (N mit Gesundheitsangaben) darunter Anteil erkrankter Kinder bei Ehepaar (N=724) 9,6 7,8 6,4 8,6 9,4 Nichtehelicher Lebensgemeinschaft (N=73) 10,2 11,8 13,3 10,5 10,5 Alleinerziehenden (N=167) 11,0 15,4 15,4 10,2 11,9 Body-Mass-Index (3.610) (337) (59) (192) (4.198) (N mit Gesundheitsangaben) Jungen (Mittelwert) 17,7 18,3 18,4 18,4 17,8 (Standardabweichung) (4,2) (4,7) (5,7) (5,2) (4,3) ANOVA, df = 3; F = 4,2; p < 0,01 (N mit Gesundheitsangaben) (3.392) (338) (55) (198) (3.984) Mädchen (Mittelwert) 17,4 17,9 17,8 18,2 17,5 (Standardabweichung) (4,1) (4,3) (6,0) (5,4) (4,2) ANOVA, df = 3; F = 4,1; p < 0,01 (9.737) (955) (182) (585) (11.458) Alter (N) Durchschnittsalter 7,4 7,2 5,8 6,6 7,3 (Standardabweichung) (4,3) (4,3) (4,4) (4,6) (4,3) ANOVA, df = 3; F = 15,3; p < 0,001 Anmerkung: Signifikanzniveau Chi-Square Test nach Pearson: *** p < 0,001; ** p < 0,01; * p < 0,05; n.s. nicht signifikant
266
9 Merkmale des faktisch anonymisierten Mikrozensus Scientific Use File 2005 Tabelle 33:
Definition der Erwerbsstatusgruppen
Erwerbsstatus
Erläuterung
1. Erwerbstätige
Erwerbstätige sind Personen im Alter von 15 und mehr Jahren, die im Berichtszeitraum wenigstens eine Stunde für Lohn oder sonstiges Entgelt irgendeiner beruflichen Tätigkeit nachgehen. „Erwerbstätig sind alle Personen, die in der letzten Woche in einem Arbeits-/Dienstverhältnis standen (auch Soldaten, Wehrpflichtige und Zivis), selbstständig ein Gewerbe, einen Freien Beruf, eine Landwirtschaft oder ähnlichen Betrieb betrieben oder im Familienbetrieb mitgearbeitet haben, in einem Ausbildungsverhältnis standen, geringfügige oder gelegentliche Tätigkeiten ausübten, normalerweise erwerbstätig sind, aber in der Berichtswoche z.B. krank oder im Urlaub waren, ihre Tätigkeit nur mit einer geringen Stundenzahl ausübten (evtl. nur 1 Std. pro Woche), als Mithelfende Familienangehörige ohne förmliches Arbeitsverhältnis im Betrieb eines Haushalts- bzw. Familienmitgliedes mitarbeiteten, sich als Rentner(innen) noch etwas hinzuverdienten, sich als Arbeitslose neben Arbeitslosengeld I/Alg II noch etwas hinzuverdienten. Ehrenamtliche Tätigkeiten, z.B. als Schöffin/Schöffe, Vormund oder Stadtverordnete(r), sind nicht anzugeben.“ (Erläuterung im Fragebogen Mikrozensus 2005)
2. Erwerbslose
Erwerbslose sind Personen ohne Erwerbstätigkeit, die sich in den letzten vier Wochen aktiv um eine Arbeitsstelle bemüht haben und sofort, d.h. innerhalb von zwei Wochen, für die Aufnahme einer Tätigkeit zur Verfügung stehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie bei einer Arbeitsagentur als Arbeitslose gemeldet sind oder nicht. Zu den Erwerbslosen werden auch sofort verfügbare Nichterwerbstätige gezählt, die ihre Arbeitsuche abgeschlossen haben, die Tätigkeit aber erst innerhalb der nächsten drei Monate aufnehmen werden.
3. Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen
Arbeitsuchende Nichterwerbspersonen sind Personen, die in den letzten vier Wochen aktive Schritte der Arbeitsuche unternommen haben, aber für den Arbeitsmarkt nicht sofort verfügbar sind. Diesem Personenkreis werden auch jene nicht sofort verfügbaren Nichterwerbstätigen zugerechnet, die ihre Arbeitsuche bereits abgeschlossen haben und innerhalb von drei Monaten eine Tätigkeit aufnehmen.
4. Nichterwerbspersonen
Nichterwerbspersonen sind Personen, die nach dem ILO-Konzept weder als erwerbstätig noch als erwerbslos einzustufen sind.
267 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Tabelle 34:
Zusatzfragen zur Gesundheit im Mikrozensus 2005
Variablen
Frage (mit Antwortoptionen) und ggf. Anmerkung
Amtlich anerkannte Behinderung
Ist für Sie eine Behinderung durch amtlichen Bescheid festgestellt worden? x (Ja, und zwar o durch Bescheid des Versorgungsamtes/amtlichen Schwer(Kriegs-)beschädigten-,SchwerbehindertenAusweis o durch sonstigen amtlichen Bescheid (z. B. Rentenbescheid, Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung) o sowohl durch Bescheid/Ausweis des Versorgungsamtes als auch durch sonstigen amtlichen Bescheid x Nein, keine amtlich anerkannte Behinderung x Keine Angabe) Eine Behinderung zählt, wenn diese nach SGB IX festgestellt und amtlich anerkannt wurde.
Anmerkung Grad der Behinderung Anmerkung
Krankheit/Unfallverletzung in den letzten 4 Wochen Anmerkung
Unfallart
268
Wie hoch ist der amtlich festgestellte Grad der Behinderung? (20 bis 29 / 30 bis 39 / 40 bis 49 / 50 bis 59 / 60 bis 69 / 70 bis 79 / 80 bis 89 / 90 bis 99 / 100 / Nicht bekannt, Keine Angabe) Behinderungen lassen sich nach dem zuerkannten Grad von 20 bis 100 einstufen. Bei einem Behinderungsgrad von 50 und mehr liegt eine Schwerbehinderung vor. Waren Sie in den letzten 4 Wochen krank bzw. unfallverletzt? (Ja, und zwar krank / unfallverletzt / Nein / Keine Angaben) Eine Krankheit oder Unfallverletzung liegt vor, wenn eine Person sich während des Berichtszeitraums in ihrem Gesundheitszustand so beeinträchtigt gefühlt hat, dass sie ihre übliche Beschäftigung nicht voll ausüben konnte. Bei langfristigen Leiden (z.B. Zuckerkrankheit, Bluthochdruck) ist es nicht ausschlaggebend, ob der Befragte in der Ausübung seiner gewöhnlichen Beschäftigung beeinträchtigt war oder nicht. Auch ein angeborenes Leiden oder eine Körperbehinderung sind als Krankheit einzuordnen, sofern sie regelmäßig ärztlich behandelt werden. Schwangerschaft, Entbindung und Wochenbett zählen nicht als Krankheit, Komplikationen u.U. schon. Als Unfälle gelten plötzliche Ereignisse, die eine Verletzung oder eine andere Beeinträchtigung der Gesundheit verursachen (z.B. Gehirnerschütterung nach Sturz). Der Fragebogen sieht für jede Person nur eine Angabe für Krankheiten oder Unfallverletzungen vor. Deshalb ist bei gleichzeitigem Vorliegen die schwerwiegendere Beeinträchtigung anzugeben. Welcher Art war Ihr Unfall? x (Arbeits-/Dienstunfall (ohne Wegeunfall) x Verkehrsunfall (einschließlich Wegeunfall) x Häuslicher Unfall x Freizeitunfall (Sport/Spiel/sonstige Freizeitbeschäftigung) x Sonstiger Unfall (einschließlich Schulunfall) x Keine Angabe)
Variablen
Frage (mit Antwortoptionen) und ggf. Anmerkung
Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt
Dauert diese Krankheit bzw. Unfallverletzung heute noch an? (Ja / Nein / Keine Angabe)
Dauer der Krankheit/Unfallverletzung
Wie lange dauert(e) Ihre Krankheit bzw. Unfallverletzung an? (1 bis 3 Tage / über 3 Tage bis 1 Woche / über 1 Woche bis 2 Wochen / über 2 Wochen bis 4 Wochen / über 4 Wochen bis 6 Wochen / über 1 Jahr / Keine Angabe) Die Gesamtdauer der Krankheit/Unfallverletzung schließt auch die Zeit vor dem Berichtszeitraum ein. Dauert die Krankheit noch an, so gilt der Zeitraum bis zu diesem Stichtag.
Anmerkung
Behandlung von Krankheit und Unfallverletzung
Anmerkung
Waren Sie in den letzten 4 Wochen wegen Ihrer Krankheit bzw. Unfallverletzung in ärztlicher Behandlung oder in einem Krankenhaus? x (Ja, und zwar o in ambulanter Behandlung beim Arzt o in ambulanter Behandlung im Krankenhaus o in stationärer Behandlung im Krankenhaus x Nein x Keine Angabe) Eine ambulante ärztliche Behandlung kann durch einen niedergelassenen Arzt oder in der Ambulanz eines Krankenhauses vorgenommen werden. Eine stationäre Krankenhausbehandlung liegt vor, wenn der Befragte mindestens eine Nacht in einem Krankenhaus aufgenommen wurde. Bei gleichzeitiger stationärer und ambulanter Behandlung im Krankenhaus gilt die stationäre Behandlung als vorrangig.
Körpergröße
Wie groß sind Sie? Geben Sie bitte Ihre Größe in Zentimetern (cm) an. (Größe in Zentimetern (cm) / Keine Angabe)
Körpergewicht
Wie viel wiegen Sie? Geben Sie bitte Ihr Gewicht in Kilogramm (kg) an. (Gewicht in Kilogramm (kg) / Keine Angabe)
Gegenwärtiger Raucher
Sind Sie gegenwärtig Raucher? (Ja, und zwar regelmäßig / gelegentlich / Nein / Keine Angabe)
Früherer Raucher
Haben Sie früher einmal geraucht? (Ja, und zwar regelmäßig / gelegentlich / Nein / Keine Angabe)
Rauchbeginn
In welchem Alter haben Sie angefangen zu rauchen? (Geben Sie bitte das Alter in Jahren an / Keine Angabe)
Art des Gerauchten
Was rauchen bzw. rauchten Sie überwiegend? (Zigaretten / Zigarren, Zigarillos / Pfeifentabak / Keine Angabe)
Täglicher Konsum
Wie viele Zigaretten rauchen bzw. rauchten Sie täglich? (Weniger als 5 / 5 bis 20 / 21 bis 40 / 41 u. mehr / keine Angabe)
269
10 Abkürzungsverzeichnis
Alg ABM ARGEn AU BA BMAS BMI BMG BMWA BZgA CSDH DAE DGSMP DIMDI DRV ESeC EU EU-AKE GEK GHQ GKV GMDS IAB ICD ICF i.d.R. ILO IPG KG LAA BW lögd LIGA.NRW
Arbeitslosengeld Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Arbeitsgemeinschaften Arbeitsunfähigkeit Bundesagentur für Arbeit Bundesministerium für Arbeit und Soziales Body-Mass-Index Bundesministerium für Gesundheit Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Commission on Social Determinants of Health Deutsche Arbeitsgemeinschaft Epidemiologie Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information Deutsche Rentenversicherung Bund Europäische Sozioökonomische Klassifikation Europäische Union gemeinschaftliche Arbeitskräfteerhebung der Länder der Europäischen Union Gmünder Ersatzkasse Deutschland General Health Questionnaire Gesetzliche Krankenversicherung Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit in der Regel International Labour Organization Institut für Psychologie der Arbeit, Arbeitslosigkeit und Gesundheit der Universität Bremen Krankengeld Landesarbeitsamt Baden-Württemberg Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst NordrheinWestfalen Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit Nordrhein-Westfalen
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MASGF MFJFG MDS MDK Mio MWA OECD OR RKI SGB SP StaBu SVR SOEP WHO
Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie des Landes Brandenburg Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Million(en) Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Odds Ratio Robert-Koch-Institut Sozialgesetzbuch Spalte Statistisches Bundesamt Der Sachverständigenrat (zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen) Sozioökonomisches Panel Weltgesundheitsorganisation
271
11 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Moderierende Variablen der Bewältigung von Arbeitslosigkeit in ausgewählten Reviews.................................................................................. 46 Tabelle 2: Definition von Arbeitslosen und Arbeitsuchenden gemäß SGB III............ 108 Tabelle 3: Das Labour-Force-Konzept der International Labour Organization ........... 109 Tabelle 4: Gesundheit, Krankheit und Behinderung nach Erwerbsstatus .................... 137 Tabelle 5: Behandlung der Krankheit/Unfallverletzung nach Erwerbsstatus .............. 141 Tabelle 6: Krankenstände zum Befragungszeitpunkt nach Berufsausbildung und Stellung im Beruf ....................................................................................... 150 Tabelle 7: Rauchverhalten nach Erwerbsstatus ........................................................... 168 Tabelle 8: Body-Mass-Index von Männern und Frauen nach Erwerbsstatus............... 176 Tabelle 9: Kovariaten für Regressionsanalysen zum Krankenstand ............................ 182 Tabelle 10: Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Vergleich zu Erwerbstätigen unter Einbezug von Drittvariablen (Modell 2) ................................ 184 Tabelle 11: Andauern der Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt bei erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Männern .............. 186 Tabelle 12: Andauern der Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt bei erwerbslosen und arbeitsuchenden nichterwerbstätigen Frauen ........... 187 Tabelle 13: Erwerbsbeteiligung zum Befragungszeitpunkt und im Vorjahr.................. 190 Tabelle 14: Kovariaten für Regressionsanalysen zur Arbeitsmarktintegration.............. 191 Tabelle 15: Erwerbstätigkeit bei vor einem Jahr Arbeitslosen ...................................... 194 Tabelle 16: Erwerbslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit mit Arbeitsuche bei vor einem Jahr Erwerbstätigen.......................................................................... 197 Tabelle 17: Erwerbslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit mit Arbeitsuche bei vor einem Jahr erwerbstätigen Selbstständigen................................................. 198 Tabelle 18: Soziodemografische Merkmale nach Erwerbsstatus................................... 251 Tabelle 19: Familientyp und Haushaltsstruktur............................................................. 252 Tabelle 20: Schul- und Berufsausbildung nach Erwerbsstatus ...................................... 253 Tabelle 21: Sozioökonomische Variablen nach Erwerbsstatus...................................... 254 Tabelle 22: Arbeitsuche und Gründe für Nichtarbeitsuche............................................ 255 Tabelle 23: Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt und vorherige berufliche Situation........... 256 Tabelle 24: Anteil der Erkrankten zum Befragungszeitpunkt nach Alter und Erwerbsstatus im Jahresdurchschnitt 2005 (ohne Unfallverletzungen) ...... 256 Tabelle 25: Behandlung von Krankheit und Unfallverletzung in den letzten 4 Wochen257 Tabelle 26: Risiko von Krankheit/Unfallverletzung zum Befragungszeitpunkt von Erwerbslosen/arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen im Vergleich zu Erwerbstätigen (Modell 1).......................................................................... 257
272 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Tabelle 27: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten in den letzten vier Wochen nach Staatsangehörigkeit ............................................................................ 258 Tabelle 28: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten in den letzten vier Wochen nach Berufsausbildung und Stellung im Beruf ........................................... 259 Tabelle 29: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten nach Erwerbsbeteiligung vor einem Jahr ............................................................................................ 260 Tabelle 30: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten nach Leistungsbezug und Einkommen ................................................................................................ 261 Tabelle 31: Raucherquoten nach Erwerbsstatus und sozioökonomischen Variablen .... 264 Tabelle 32: Gesundheitsvariablen von Kindern unter 15 Jahren nach Erwerbsstatus des Haupteinkommensbeziehers im Haushalt............................................. 266 Tabelle 33: Definition der Erwerbsstatusgruppen ......................................................... 267 Tabelle 34: Zusatzfragen zur Gesundheit im Mikrozensus 2005................................... 268
273
12 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklung der Arbeitsuchenden von 1928 bis 1930 (in Millionen)...... 21 Abbildung 2: Arbeitslosenquoten1 von 1948 bis 2009 im Bundesgebiet bezogen auf abhängige zivile Erwerbspersonen (Jahresdurchschnitte) ........................ 23 Abbildung 3: Modell sozialer Ungleichheit ................................................................... 35 Abbildung 4: „Circulus vitiosus“ von Erwerbslosigkeit und Gesundheit....................... 37 Abbildung 5: Meta-Analytische Längsschnittvergleiche zur Veränderung der psychischen Gesundheit ........................................................................... 42 Abbildung 6: Produktionsprozess von Gesundheit......................................................... 71 Abbildung 7: Arbeitsunfähigkeitsfälle je 100 Mitglieder im Jahresdurchschnitt ........... 79 Abbildung 8: Anteile der Erwerbsstatusgruppen nach Altersjahrgängen ..................... 130 Abbildung 9: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Alter und Erwerbsstatus im Jahresdurchschnitt 2005.................................................................... 144 Abbildung 10: Anteile der in den letzten vier Wochen Erkrankten nach Geschlecht und Erwerbsstatus (ohne Unfallverletzungen)........................................ 145 Abbildung 11: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Geschlecht und Erwerbsstatus ......................................................................................... 146 Abbildung 12: Krankenstände zum Befragungszeitpunkt nach amtlich anerkannter Behinderung und Erwerbsstatus............................................................. 148 Abbildung 13: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt nach Erwerbsbeteiligung vor 12 Monaten.............................................. 151 Abbildung 14: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt nach Dauer der Arbeitsuche ................................................................... 152 Abbildung 15: Anteile der in den letzten vier Wochen Erkrankten und Unfallverletzten nach Erwerbsstatus und Anzahl der Personen im Haushalt ........ 154 Abbildung 16: Krankheit/Unfallverletzung nach Leistungsbezug bei Erwerbslosen...... 156 Abbildung 17: Anteile der zum Befragungszeitpunkt Erkrankten und Unfallverletzten nach West-/Ostdeutschland und Erwerbsstatus........................... 159 Abbildung 18: Anteile behinderter Menschen nach Erwerbsstatus und West-/ Ostdeutschland ....................................................................................... 160 Abbildung 19: Erwerbsstatusgruppen nach Quartalen ................................................... 161 Abbildung 20: Krankheiten/Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen nach Quartalen................................................................................................ 162 Abbildung 21: Krankheiten/Unfallverletzungen zum Befragungszeitpunkt nach Quartalen................................................................................................ 163 Abbildung 22: Krankheiten/Unfallverletzungen in den letzten vier Wochen nach Quartalen................................................................................................ 164
274 A. Hollederer, Erwerbslosigkeit, Gesundheit und Präventionspotenziale, DOI: 10.1007/978-3-531-92636-0, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
Abbildung 23: Anteil „starker Raucher“ unter gegenwärtig rauchenden Erwerbslosen und arbeitsuchenden Nichterwerbspersonen nach Dauer der Arbeitsuche ............................................................................................ 171 Abbildung 24: Raucherquoten von Erwerbstätigen und Erwerbslosen nach Alter in Jahren ................................................................................................... 172 Abbildung 25: Anteil früherer Raucher von Erwerbstätigen und Erwerbslosen nach Altersgruppen......................................................................................... 173 Abbildung 26: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Raucherstatus................. 174 Abbildung 27: Krankenstand zum Befragungszeitpunkt nach Body-Mass-Index (BMI) und Geschlecht............................................................................ 177 Abbildung 28: Modell sozialer Ungleichheit mit Ergänzungen zu Arbeitsmarktchancen und Erwerbslosigkeit................................................................ 245 Abbildung 29: „Circulus vitiosus“ von Erwerbslosigkeit und Gesundheit mit Maßnahmenmix arbeitsmarktintegrativer Gesundheitsförderung .......... 249 Abbildung 30: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt nach Gemeindegrößenklasse und Erwerbsstatus ................................... 262 Abbildung 31: Anteile der Erkrankten und Unfallverletzten zum Befragungszeitpunkt bei Arbeitsuchenden und Erwerbstätigen nach Bundesländern.............. 263 Abbildung 32: Nieraucherquoten von Erwerbstätigen und Erwerbslosen nach Alter in Jahren ................................................................................................... 265
275
13 Literaturverzeichnis
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