Freder van Holk Der Kaiser von Afrika
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelha...
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Freder van Holk Der Kaiser von Afrika
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt Neu bearbeitet von Heinz Reck Copyright © 1980 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt Agentur Transgalaxis Titelbild: Nikolai Lutohin Alle Rechte vorbehalten Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt. Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden: der Wiederverkauf ist verboten. Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich: Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300 A-5081 Anif Abonnements und Einzelbestellungen an PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT, Telefon (0 72 22) 13-2 41 NACHDRUCKDIENST: Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg 1, Telefon (0 40) 3 01 96 29. Telex 02 161 024 Printed in Germany Mai 1980 Scan by Brrazo 04/2006
1. Wen das Schicksal nun schon einmal verdammt hatte, in Mozambique sein zu müssen, der sorgte wenigstens dafür, daß er um die Zeit des nachmittäglichen Gewitters bei Bolissa saß. Die Terrasse von Bolissa war ungefähr der einzige Fleck an dieser mörderischen Küste, an der man sich wieder entsinnen konnte, daß man zu Besserem geboren war, als in Mozambique zu verkommen. Bolissa, Portugiese zweifelhafter Herkunft, hatte lange genug zwischen Sambesi und Rowuma gelebt, um zu wissen, worauf es ankam. Er hatte sein Hotel entsprechend gebaut und es vom ersten Tag an so geführt, daß es ohne große Anstrengungen zum täglichen Sammelpunkt all derer geworden war, die sich als Europäer fühlten, fühlen konnten und zu fühlen wünschten. Man genoß die leichte Brise, die den Fieberdunst vergessen ließ, man kämpfte mit eisgekühlten Getränken gegen die erschlaffende Hitze, und man war vor allem unter sich. Letzteres traf besonders für die östliche Hälfte der Terrasse zu, die von der westlichen durch einen vorgebauten Servierraum getrennt war. An diesem Nachmittag waren nicht übermäßig viel Gäste anwesend. Sie saßen gruppenweise an verschiedenen Tischen und unterhielten sich ungeniert, 5
wenn auch im allgemeinen gedämpft. Einige der Anwesenden waren Portugiesen, einige Spanier, aber man sah auch neben Engländern noch Angehörige verschiedenster Nationen. Manuel Graneros, die rechte Hand des Gouverneurs, hatte gerade die Pointe eines gepfefferten Witzes heraus, als der stets gepflegte Bolissa zwei neue Gäste auf die Terrasse führte. Sie nahmen neben dem Tisch, an dem Graneros saß, Platz und bestellten Eislimonade. Das war immerhin ungewöhnlich, zumindest ebenso wie die Erscheinung der beiden Fremden. Es konnte nicht verwundern, daß die Gespräche bis auf ein kärgliches Minimum verstummten und die Anwesenden mehr oder minder auffällig die beiden Neuen unter die Lupe nahmen. Sun Koh unterhielt sich leise mit Hal Mervin und kümmerte sich wenig um die Blicke, die ihnen zugeworfen wurden. Hal Mervin regte sich freilich jedesmal von neuem darüber auf. »Neugierige Bagage«, flüsterte er. »Das darfst du ihnen nicht übelnehmen«, sagte Sun Koh. »Diese Stadt hat zwar als Hafen eine ganze Menge Verkehr, aber sie bedeutet trotzdem für manche eine Art Verbannung. Die Ankunft von Fremden bleibt ein Ereignis. Es wird nicht lange dauern, und man wird eine Annäherung versuchen.« 6
»Hier sitzt auch mancher, dem ich nicht über den Weg trauen würde. Sehen Sie die beiden dort in der Ecke?« Sun Koh nickte. »Vermutlich Abenteurer, wie man sie in allen Hafenstädten findet. Nach ihren Händen zu urteilen dürften sie Spieler sein.« Manuel Graneros erhob sich von seinem Stuhl und schritt auf die beiden Fremden zu. Er verbeugte sich. »Erlauben Sie bitte, daß ich mich vorstelle und Sie gleichzeitig in Mozambique begrüße. Ich heiße Manuel Graneros.« Sun Koh und Hal Mervin nannten ihre Namen und schüttelten Graneros’ Hand. »Sie werden mich für neugierig halten«, fuhr Graneros mit gewinnender Freundlichkeit fort. »Offengestanden, ich bin es auch. Fremde Europäer sind seltene Vögel in dieser Stadt, gewissermaßen Boten der fernen Heimat. Und Ihr Erscheinen ist immerhin überraschend, da heute eigentlich kein Schiff eingelaufen ist, mit dem Sie hätten ankommen können.« »Wir sind mit dem Flugzeug gelandet«, sagte Sun Koh. Graneros zeigte sich lebhaft interessiert. »Da kommen Sie wohl von Kapstadt?« »Von Australien.« 7
Der andere riß die Augen auf. »Australien? Das finde ich erstaunlich. Da haben Sie wirklich einen fabelhaften Flug hinter sich. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Sie bäte, an unseren Tisch überzusiedeln?« Von der Tür her kam eine tiefe, etwas rauhe Stimme. »Ah, Graneros, natürlich stecken Sie hier. Hätte ich mir denken können. Und der Doktor ist auch gleich mit dabei. Ausgezeichnet!« An der Tür stand ein schwerer, massiger Mann mit alkoholgerötetem Gesicht, der lächerlicherweise eine winzige schwarze Fliege am Kinn trug. Die Einheimischen kannten ihn alle. Es war Pirollo, der fünfhundert Kilometer weit drinnen im Land ein ausgedehntes Gut besaß und zu den vermögendsten Leuten der Kolonie gehörte. Graneros stand auf und eilte ihm entgegen. »Ah, Pirollo, sieht man Sie auch wieder einmal. Herzlich willkommen! Wie geht es Ihnen?« Pirollo wies auf seine staubbedeckte Kleidung. »Dreckig genug, wie Sie sehen. Habe fünfhundert Kilometer ohne abzusetzen hinter mir.« »Mit dem Wagen?« »Zu Fuß werde ich gekommen sein«, polterte der Farmer. »Ich will froh sein, wenn ich auch die Rückfahrt geschafft habe.« 8
»Das klingt ja gerade, als wollten Sie schon wieder ausreißen.« »Will ich auch. In einer halben Stunde geht’s weiter, und ich hoffe, der Doktor wird mich begleiten. Wo steckt denn Bolissa? Will er mich verdursten lassen? Hören Sie zu, ich muß Ihnen da eine interessante Geschichte erzählen…« Während der Wirt davonhastete, setzte sich Pirollo an den Tisch Graneros’. Mehrere Minuten lang dauerte es, bis er alle Bekannten begrüßt hatte. Inzwischen brachte man ihm ein Getränk, das er mit sichtlichem Behagen schlürfte. Dann begann er zu erzählen, und zwar so laut, daß alle anwesenden Gäste daran teilnehmen konnten. »Doktor«, wandte er sich an einen der anwesenden Männer, »in erster Linie muß ich Sie beschlagnahmen. Ich habe da einen Mann bei mir draußen, der dringend Ihrer Hilfe bedarf.« Der Angeredete schien nicht besonders erfreut zu sein. »Wollen Sie mich im Ernst zu sich hinausschleifen, oder haben Sie nur die Absicht, mir den Appetit zu verderben? Sie haben doch in den letzten Jahren keinen Arzt gebraucht. Ich will nicht übertreiben, aber ich denke, soviel wie ich verstehen Sie auch. Wenn ich Ihnen ein paar Medikamente mitgebe, dann…« 9
»Nichts zu machen«, sagte Pirollo. »Für die Nigger genügen meine Kenntnisse, aber in diesem Fall möchte ich doch nicht die Verantwortung übernehmen. Ich habe da nämlich einen Europäer aufgelesen. Der Mann ist so herunter, daß Sie sich schon selbst um ihn kümmern müssen.« »Ein Europäer?« Pirollo nahm einen langen Schluck. »Zwei von meinen Viehknechten fanden ihn weit draußen am Lugalla-Vorwerk. Sie wußten nicht genau, ob er noch lebte, aber sie schleppten ihn zu mir. Wie gesagt, er lebt, ich weiß aber nicht, ob er nicht heute oder morgen abkratzen wird.« »Wie ist er denn in Ihre Gegend gekommen?« erkundigte sich Graneros. Pirollo hob die Schultern. »Ich vermutete, daß er den Njassa heruntergeschwommen sei, aber später änderte ich meine Meinung. Der Mann phantasiert viel, aber zwischendurch redet er auffallend klar. Er spricht dann sehr vernünftig und sehr sachlich. Wissen Sie, was er in solchen Minuten verlangt?« »Na?« »Weiter nichts als ein Flugzeug.« Pirollo wurde sehr ernst. »Ich habe zuerst gedacht, daß der Mann phantasiert. Dann habe ich aber eine Stunde lang bei ihm gesessen, und ich kann Ihnen sagen, daß mir das Lachen vergangen ist. Nach allem, was ich herausge10
hört habe, ist der Mann mit einem Freund zusammen weit drinnen im Innern gewesen, vermutlich im Lualaba-Distrikt. Zu welchem Zweck, ist mir nicht ganz klar geworden. Sie haben in jener Gegend einen Volksstamm getroffen, von dem auch bei uns gelegentlich Gerüchte umgegangen sind. Erinnern Sie sich, was vor zwei Jahren hier über die weißen Neger erzählt wurde. Außerdem sind sie – immer nach den Reden des Mannes – auf ausgedehnte Schätze gestoßen, vor allem auf Diamantenlager. Sie haben sich die Feindschaft irgendwelcher Leute zugezogen und mußten daraufhin fliehen. Der Kranke sprach zum Beispiel sehr oft über einen Kaiser von Afrika, zwischendurch wieder von einer schrecklichen Erfindung, dann zur Abwechslung von einer riesengroßen Gefahr, die für alle Europäer in Afrika bestände. Also kurz und gut, die beiden müssen zur Küste geflohen sein, wobei sich der eine das Bein gebrochen haben muß. Er soll noch jenseits des Schire irgendwo im Urwald liegen. Und der Mann, den ich bei mir habe, drängt im Fieber wie im Wachen ununterbrochen, man möchte seinen Freund durch eine Expedition oder durch ein Flugzeug holen lassen.« »Nehmen Sie es mir nicht übel, Pirollo«, sagte Graneros, »aber was Sie da erzählen, klingt doch etwas allzustark nach Fieberphantasien. Ich glaube, der Doktor wird eine ganze Masse Beruhigungsmittel 11
mitnehmen müssen.« »Wirr genug ist es«, gab der Portugiese zu, »aber glauben Sie ja nicht, daß der Mann nur phantasiert. Sie müßten ihn hören, dann würden Sie genauso wie ich denken, daß allerhand Wahres an den Andeutungen sein muß.« Der Arzt sagte sarkastisch: »Daß der Fremde bei Ihnen liegt und krank ist, daran zweifelt natürlich niemand. Aber was Sie sonst noch erzählen… Man darf das Gerede dieses Burschen doch nicht ernst nehmen. Weiße Neger, der Kaiser von Afrika, Erfindungen und Diamanten kommen in jedem Räuberroman vor. Der Mann packt vielleicht im Fieber seine Jugenderinnerungen aus.« Pirollo griff in die Tasche und holte einen Gegenstand heraus, den er mitten auf den Tisch legte. »Und was meinen Sie dazu?« Die Männer rissen die Augen auf, beugten sich vor. Graneros griff als erster nach dem Stein und murmelte ungläubig: »Das ist doch ein Diamant.« Pirollo nickte. »Gewiß, und zwar einer von schätzungsweise fünfhundert Karat. Wissen Sie, wo ich den gefunden habe?« »Doch nicht bei dem Fremden?« »Doch. Er fiel ihm aus der Tasche, als wir ihn auszogen.« 12
Diese Mitteilung machte einen sehr starken Eindruck auf die Männer. Sie waren alle keine Fachleute, aber es gehörte keine Spezialkenntnis dazu, um festzustellen, daß man es mit einem außerordentlich wertvollen Stein zu tun hatte. Diamanten besaßen aber auch für diese Männer ihre Zugkraft, denn Diamanten bedeuteten ihnen alles. Die Augen blitzten auf, die Lippen öffneten sich leicht, die Köpfe reckten sich mit einem Ausdruck von Gier nach vorn. Ein Diamant? Mit einem Schlag gewann der wirre Bericht Pirollos an Bedeutung. Wenn dieser Fremde, der halbtot im Urwald aufgelesen worden war, tatsächlich auf blaue Erde gestoßen war, dann… Pirollo griff abermals in die Tasche, zog einen Zettel heraus und legte ihn mit bedeutsamer Geste auf den Tisch. »Ich denke, schon durch den Diamanten bekommt die Angelegenheit ein ernstes Gesicht. Doch nun sehen Sie sich mal dieses Papier an und sagen Sie mir, was Sie dazu meinen.« Wieder griff Graneros als erster zu. Er teilte sein Urteil allen anderen mit. »Hm, ich würde diese Linien hier für einen Plan halten. Wenn ich nicht irre, soll das Wasser hier ganz rechts der Njassa sein, ganz links vielleicht der Bangweolo.« 13
»Stimmt«, fiel Pirollo ein, »aber die Rückseite ist interessanter. Dieser Plan soll nach dem Reden des Kranken die Stelle angeben, an der er seinen Freund zurückgelassen hat. Doch achten Sie auf die Rückseite.« Graneros drehte das Blatt. »Eine Reihe von Zahlen und Formeln, aus denen kein Mensch klug wird.« »Kann ich mir denken.« Pirollo lachte. »Das Blatt ist nämlich aus einem ganzen Bündel ähnlicher Blätter herausgerissen, das der Fremde bei sich führte. Ich kann Ihnen aber versichern, daß dieses Paket Blätter vollkommen den Eindruck macht, als seien darauf die Einzelheiten einer Erfindung niedergelegt. Das ist nämlich der zweite Grund, warum ich die Angaben des Fremden für mehr halte als für bloße Rederei. Er spricht von Diamanten und hat ein ganz seltenes Exemplar bei sich, er spricht von einer Erfindung, und ich entdecke in seiner Brusttasche einen ganzen Stoß von Papieren, wie ihn ein Abenteurer sonst eigentlich nicht im Innern des Landes herumzuschleppen pflegt.« Er griff zum drittenmal in seine Tasche. Diesmal holte er einen breiten goldenen Armreifen heraus. »Sie sind ja die reinste Raritätenkammer«, meinte der Arzt und griff gleichzeitig nach dem Reifen. »Haben Sie das auch in der Tasche des Fremden ge14
funden?« »Ja.« Ferrada prüfte mit auffälliger Sorgfalt, wobei seine Brauen scharf zusammengezogen waren. »Hören Sie«, sagte er nach einer ganzen Weile langsam, »Sie wissen doch, daß ich einiges von solchen Dingen verstehe. Ich sage Ihnen, wenn der Mann das aus dem Innern des Landes mitgebracht hat, dann ist das der erste greifbare Beweis dafür, daß es tatsächlich jene sagenhaften Stämme im Innern gibt, die nicht zu den Negern gehören. Das ist kein Negerschmuck.« »Sondern?« Der Arzt gab den Reif weiter. »Tja, so weit reicht mein Wissen auch nicht. Manches erinnert an Benin, aber ich will damit nichts gesagt haben. Jedenfalls ist es kein Negerschmuck.« Sun Koh hatte selbstverständlich wie alle anderen aufmerksam gelauscht. Er erhob sich, trat einen Schritt näher heran und warf aus unmittelbarer Nähe einen Blick auf den goldenen Reifen. Dann setzte er sich wieder. Er hatte eine außerordentlich interessante Beobachtung gemacht, aber er sah keine Veranlassung, darüber zu sprechen. Pirollo griff inzwischen zum viertenmal in seine Tasche. Mit besonderem Nachdruck legte er einen Gegenstand auf den Tisch, der eine flüchtige Ähn15
lichkeit mit einem Browning besaß. Es war nicht viel mehr als eine Ähnlichkeit, die im Material und im Vorhandensein einen kurzen Laufes lag, sonst waren die Abweichungen größer als die Übereinstimmungen. »Das ist das Letzte und vielleicht das Interessanteste«, sagte der Portugiese, »was ich Ihnen mitgebracht habe. Wofür halten Sie das?« »Eine Waffe?« tippte Graneros. »Auch aus den Taschen des Fremden?« »Seien Sie vorsichtig«, warnte Pirollo. »Der Kranke sprach wiederholt vom ›Splitternden Tod‹, und ich nehme an, daß er dieses Ding meinte. Ich habe es noch nicht probiert und kann Ihnen noch nicht einmal sagen, ob es geladen ist.« Graneros war außerordentlich interessiert. Er wendete die Waffe hin und her und ging prüfend ihre einzelnen Teile durch. »Hm«, murmelte er nachdenklich, »das werden wir gleich haben. Hier ist der Lauf, ich denke, wenn man hier drückt, dann…« »Sie sind verrückt«, rief Pirollo. »Wenn das Ding losgeht.« Graneros lächelte beruhigend. »Keine Sorge, ich schieße niemand über den Haufen.« Er richtete den Lauf zum Fenster hinaus, auf das 16
offene Wasser, probierte etwas herum und zog dann eine Art Abzugshahn durch. Daraufhin kam ein kurzer, harter Knall. »Verdammt«, schrie Graneros und schüttelte sein Handgelenk, »das war aber ein Rückstoß.« »Es ist also doch eine Art Pistole«, bemerkte einer der Anwesenden. »Schade, daß man die Schußwirkung nicht beobachten kann«, meinte ein anderer. »Wie wäre es, wollen Sie nicht mal gegen die Wand schießen?« »Können wir machen«, meinte Graneros. Sun Koh sprang auf. Mit einem Satz stand er neben Graneros und riß ihm die Waffe aus der Hand. »Sie werden alle Experimente damit unterlassen«, sagte er kurz und herrisch und gab dann die Waffe an Pirollo weiter. »Hier ist die Waffe. Sie sind verantwortlich dafür, daß niemand weiterhin Versuche anstellt.« Graneros war erst sprachlos, dann brauste er auf: »Mann, was erlauben Sie…« »Verzeihen Sie meine Heftigkeit«, bat Sun Koh ruhiger, »aber Sie waren im Begriff, alle Anwesenden zu töten.« »Wie können Sie derartiges überhaupt sagen?« fragte Graneros scharf. »Ich wollte selbstverständlich auf eine Stelle zielen, an der sich niemand aufhielt.« Sun Koh wies auf das Wasser hinaus. 17
»Ich weiß nicht, ob Ihre Augen scharf genug sind, um das Boot dort draußen beobachten zu können. Es wurde von Ihrem Schuß getroffen.« »Ich sehe kein Boot«, sagte Graneros. »Dann empfehle ich Ihnen, sich ein Fernglas zur Verfügung stellen zu lassen«, erwiderte Sun Koh. »Die Entfernung ist für Ihr unbewaffnetes Auge zu groß, sie war es jedoch nicht für die Kugel, die Sie abfeuerten.« Graneros zeigte wie alle anderen Unsicherheit, aber zugleich auch ablehnendes Mißtrauen. »Lächerlich, eine Revolverkugel kann nicht so weit tragen. Sie ist ins Wasser gefallen.« »Ihnen fiel selbst der starke Rückstoß auf«, erinnerte Sun Koh. »Das Boot wurde jedenfalls getroffen. Man wird Sie freilich für den Tod der vier Leute nicht unbedingt verantwortlich machen können.« Graneros wurde gelbgrün im Gesicht. Sun Koh blieb unerschütterlich ruhig. »Es befanden sich vier Männer in dem Boot, die allesamt lebten. Kurz nach dem Schuß fielen sie zusammen und rühren sich seitdem nicht mehr. Das ist eine Tatsache, die mich veranlaßt, den zweiten Schuß zu verhindern.« Graneros rang nach Luft. Bolissa kam mit einem Fernglas angerannt. Einer der Gäste hielt es an die Augen, suchte kurz und ließ es dann sinken. 18
»Verdammt, ich glaube, das war ein böser Schuß.« Graneros riß ihm das Glas aus der Hand. Lange starrte er hinaus. Die Männer sahen, wie seine Hände immer mehr zitterten. Der unglückliche Schütze sank in einen Stuhl. »Es sieht tatsächlich so aus, als ob Tote in dem Boot treiben. Ich…« Er sprang jäh hoch und stürzte hinaus. Sie sahen ihn kurz darauf in eines der Motorboote springen. Lange herrschte bedrücktes Schweigen bei den Zurückbleibenden. Pirollo war der erste, der wieder sprach. Er wandte sich an Sun Koh. »Sie sahen tatsächlich, daß die Leute in dem Boot getroffen wurden?« Sun Koh hob die Schultern. »Ich sah, daß die Leute kurz nach dem Schuß zusammensanken, als ob sie getroffen seien. Da der Herr in jene Richtung zielte, lag es auf der Hand, einen Zusammenhang zu schaffen. Schließlich kennen wir ja die Eigenschaften dieser uns unbekannten Waffe nicht und müssen also damit rechnen, daß es wirklich möglich ist, mit ihr auf solche Entfernungen gleichzeitig vier Menschen zu töten oder zu verletzen. Es wäre zumindest leichtsinnig gewesen, ihn hier schießen zu lassen.« »Sie haben vollkommen recht«, sagte Pirollo. »Ich selbst warnte ihn ja. Andererseits tut es mir natürlich leid, wenn er auf diese Weise Menschen verletzt ha19
ben sollte.« Es war nicht viel dazu zu sagen. Die Männer sprachen leise miteinander und warteten auf die Rückkehr des Mannes, der sich von seiner eigenen unglücklichen Tat überzeugen wollte. Man zieh ihn keiner Schuld, denn damit, daß die Waffe so weit tragen würde, hatte niemand gerechnet. Das Motorboot kam zurück. Graneros stieg aus. Er war sehr bleich, seine Lippen lagen fest aufeinander, sein Gang zeigte eine gewisse Starrheit. Alles schwieg, als er die Terrasse wieder betrat und mit heiserer, aber fester Stimme erklärte: »Caballeros, die Beobachtungen dieses Herrn sind leider richtig. In dem Boot befanden sich vier Makua, und sie sind allesamt tot. Sie machen den Eindruck, als seien sie an Schlangengift gestorben. Ich habe sie untersucht, soweit ich konnte, und festgestellt, daß ihre Gesichter und Körper mit winzigen Punkten bedeckt sind. Es sieht fast aus, als ob sie eine sehr feine Schrotladung bekommen hätten. Das Nähere wird sich durch die behördliche Untersuchung ergeben. Ich zweifle jedenfalls nicht mehr, daß ich unglücklicherweise die Leute in dem Boot mit jener Waffe tötete. Sie werden mir nachfühlen können, wie mir zumute ist. Seien Sie versichert, daß ich mich den Folgen meiner Tat nicht entziehen werde. Ich habe die Absicht, mich unverzüglich dem Gouverneur zur 20
Verfügung zu stellen.« Diese Erklärung machte unverkennbar Eindruck auf die Anwesenden. Sun Koh streckte Graneros die Hand hin. »Erlauben Sie mir zu sagen, daß ich den Vorfall ebenso bedaure wie Sie und daß ich Sie trotzdem für einen ehrenwerten Menschen halte. Sie sind das Opfer eines unglücklichen Zufalls, und niemand wird Ihnen daraus eine Schuld andichten. So hoffe ich sehr, daß auch Ihre Behörde in diesem Sinn entscheiden wird.« Der Portugiese drückte dankbar die gebotene Hand und wollte etwas erwidern, doch schon stand auch Pirollo neben ihm und schüttelte ihm die andere Hand. »Dasselbe möchte ich Ihnen auch sagen, Graneros«, erklärte er laut. »Der Fehler lag bei mir, weil ich das Teufelsding überhaupt herausgab. Ich hätte es in den nächsten Sumpf werfen sollen.« Nun drängten auch die anderen Männer heran. Graneros hatte Mühe, sich der vielen Hände zu erwehren und für die mitfühlenden Worte zu danken. Pirollo nahm ihn bei der Schulter und zog ihn zum Tisch hin. »So geht das natürlich nicht, mein lieber Graneros«, brummte er. »Sie sind der Sekretär des Gouverneurs, und ich brauche Sie. Ins Untersuchungsge21
fängnis kommen Sie immer noch zeitig genug. Sie haben anscheinend ganz vergessen, daß ich Ihretwegen hierher gekommen bin.« Graneros nahm wohl oder übel Platz. »Wieso meinetwegen?« fragte er geistesabwesend. Pirollo wies auf die verschiedenen Dinge, die vor ihm lagen. »Nun, wir unterhielten uns doch von dem Fremden, der bei mir liegt. Ich sagte Ihnen doch schon, daß der Kranke keinen sehnlicheren Wunsch kennt, als daß seinem Kameraden geholfen wird. Das ist aber eine Sache für Sie beziehungsweise für den Gouverneur. Ich kann keine Expedition ins Hinterland schicken, zumal wir dabei auf englisches Gebiet kommen würden. Das müßten Sie schon veranlassen. Vor allem aber kann man dem Mann anscheinend nur helfen, wenn man schnell hilft. Der Versuch müßte mit einem Flugzeug gemacht werden. Sie wissen, daß ich keins zur Verfügung habe, aber Sie könnten vielleicht von Amts wegen eine Maschine anfordern.« Graneros schüttelte den Kopf. »Wenden Sie sich an den Gouverneur. Es wird nicht möglich sein.« Pirollo beugte sich vor und knurrte ärgerlich: »Seien Sie vernünftig. Ich weiß so gut wie jeder andere, daß sich der Gouverneur auf Ihr Urteil verläßt. 22
Sehen Sie, es liegt mir nicht, einen Menschen so einfach aufzugeben, der irgendwo im Urwald liegen geblieben ist und auf Hilfe wartet. Ich war selbst einmal in einer ähnlichen Lage. Die Leute mögen Abenteurer sein, aber sie wissen über einige Dinge, von denen man zumindest mehr erfahren möchte. Sie sehen den Diamanten, Sie sehen die Aufzeichnungen, den Goldreifen und schließlich diese Waffe – wahrhaftig, ich möchte es nicht erleben, daß der Mann bei mir stumm wird und der andere im Urwald verreckt. Ich verlasse mich auf Sie, daß Sie das Regierungsflugzeug auf die Suche schicken, und bin bereit, sämtliche Kosten aus meiner Tasche zu bezahlen.« Graneros schüttelte abermals den Kopf. »Sie mißverstehen mich. Ich verkenne durchaus nicht die Bedeutung der ganzen Angelegenheit, aber ich kann Ihnen trotzdem wenig Hoffnung machen. Das Regierungsflugzeug befindet sich augenblicklich in Sofala. Sie waren in den letzten Tagen nicht hier, sonst würden Sie wissen, daß dort die Tanks in die Luft geflogen sind und dabei den Maschinenbestand vernichtet haben. Von den paar Flugzeugen, die uns hier an der Küste zur Verfügung stehen, ist gerade noch eins intakt, und das kann einfach nicht entbehrt werden. Die Reparatur der anderen, auch unserer Maschine, wird Wochen dauern. Und Privatflugzeuge gibt es nicht in Mozambique.« 23
Pirollo stieß einen Fluch aus, den man seinem gemütlichen Gesicht gar nicht zugetraut hätte. »Verdammt, das hat mir gerade noch gefehlt.« Wieder legte sich Schweigen über den Raum. Graneros blickte zu Sun Koh hinüber. Mozambique war ursprünglich für Sun Koh nur eine Zwischenstation, um nach langem Flug den Körper wieder strecken zu können. Die fiebergelben Gesichter der Gäste, der geschmeidige Wirt, das ganze Mozambique sollte schon am nächsten Tag zur Episode geworden sein. Dann aber kam Pirollo mit seiner Erzählung. Der Diamant, für viele der Anwesenden das Wichtigste, ließ Sun Koh gleichgültig. Auch das formelnbedeckte Papier erregte ihn nicht. Aber der Armreif mit seinen merkwürdigen Zeichnungen und Runen ließ ihn sehr aufmerksam werden. Und auch die Waffe schien ihm der Beachtung wert zu sein. Er war schon lange entschlossen, mehr über die Abenteuer des kranken Fremden zu erfahren, als Pirollo davon verraten konnte. Und jetzt trat gebieterisch die Forderung auf, einem Unglücklichen zu helfen. Ein Flugzeug konnte ihn retten. Es gab kein Flugzeug in Mozambique außer jenem, in dem Sun Koh gekommen war. Er trat an Pirollo heran. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich 24
bin im Flugzeug hier angekommen und bereit, auf die Suche nach dem Mann im Urwald zu gehen.« Der Farmer sprang auf. »Sie haben ein Flugzeug und wollen… Ah, das ist ja großartig! Seien Sie versichert, daß ich Ihnen alle Auslagen…« »Danke, ich erledige das auf eigene Kosten«, sagte Sun Koh. »Würden Sie mir bitte den Plan zur Verfügung stellen?« »Aber gern. Übrigens – ich heiße Pirollo. Es wäre gut, wenn Sie vorher selbst mit dem Kranken sprechen würden.« »Eben das wollte ich Ihnen vorschlagen«, erwiderte Sun Koh und nannte seinen Namen. »Legen Sie Wert darauf, in Ihrem Wagen zurückzufahren? Ich würde Sie sonst bitten, gleich meine Maschine zu benutzen. Auch der Arzt könnte mitfliegen.« »Großartig, ganz großartig«, freute sich Pirollo. »Meinen Wagen bringt mein Fahrer natürlich ebensogut nach Hause, bloß – mit der Landefläche wird es etwas hapern.« »Darüber machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Sun Koh. »Ich schlage vor, daß wir gleich aufbrechen. Wir können uns unterwegs noch unterhalten.« »Das lasse ich mir gefallen. Schnell und bestimmt. Sie sind der richtige Mann für solch eine Sache. Von mir aus kann’s losgehen. Doktor, wie weit sind Sie?« 25
Ferrada hob ein Bündel in schwarzem Wachstuch hoch. »Meine Tasche liegt wie gewöhnlich bereit. Für Ihren Patienten wird es genügen. Wahrscheinlich braucht er mehr Ruhe und Nahrung als Instrumente.« »Bitte vergessen Sie die Waffe nicht«, sagte Sun Koh zu Pirollo. Pirollo hatte die verhängnisvolle Waffe noch auf dem Tisch liegen, während er das andere bereits zu sich gesteckt hatte. Jetzt nahm er sie mißtrauisch in die Hand. »Hm«, meinte er bedenklich, »ich bin zwar gerade kein Angsthase, aber besonders angenehm ist es mir nun nicht mehr, das Mordwerkzeug bei mir zu tragen.« Sun Koh nahm ihm die Waffe aus der Hand. »Wenn es Ihnen lieber ist, nehme ich sie zu mir.« »Gott sei Dank.« Pirollo atmete auf. »Nun wollen wir aber fort.« Er begann von den Umstehenden Abschied zu nehmen. Inzwischen drängte sich einer der Männer heran, die Sun Koh Hal gegenüber als Spieler bezeichnet hatte. »Erlauben Sie eine Frage«, sagte er höflich. »Könnten Sie es ermöglichen, mich mit zu Pirollos Gut zu nehmen?« Sun Koh warf einen forschenden Blick auf das zermergelte Gesicht. 26
»Das ist mir leider nicht möglich«, entgegnete er ruhig. »Mein Flugzeug verträgt keine größere Belastung. Haben Sie besondere Gründe, daß Sie dringend dorthin müssen?« »Nicht unbedingt«, sagte der andere verbindlich. »Ich interessiere mich nur ganz allgemein für den Fremden, weil ich annehme, daß er ein Bekannter, genauer gesagt ein Verwandter sein könnte. Aber da Sie mich nicht mitnehmen können, bitte ich Sie, die Belästigung entschuldigen zu wollen.« Er zog sich zurück. Pirollo war fertig, sämtliche Hände zu schütteln, Ferrada desgleichen. Sie konnten die Terrasse und Mozambique verlassen. Eben kam Hal Mervin von der Tür zurück und flüsterte: »Er landet schon.« »Er« war natürlich Nimba mit dem Flugzeug. Kurz nach der Meldung Hals erlebten die Gäste Bolissas das sensationelle Schauspiel, daß ein in seiner Konstruktion völlig fremdartiges Flugzeug wie im Fahrstuhl dicht vor der Terrasse senkrecht niederschwebte und sich weich wie eine Daunenfeder auf die Straße setzte. Wenige Minuten später stieg es mit Sun Koh und den anderen an Bord wieder auf. *
27
Am nächsten Morgen in der neunten Stunde saßen bei Bolissa auf der Terrasse nur zwei Gäste, nämlich die beiden Spanier, die Sun Koh und Hal Mervin bereits wegen ihrer Gesichter aufgefallen waren. Sie saßen dicht beieinander und flüsterten, obgleich das gar nicht nötig gewesen wäre, da sie ohnehin niemand hören konnte. »Es ist zwecklos, Lobo«, sagte der eine, der wahrscheinlich einen Schuß Negerblut in seinen Adern hatte. »Wir fallen auf und können doch nichts erreichen.« »Verdammt«, fuhr der andere hoch, »meinst du, daß es durch deine Unkerei besser wird? Ich habe den Wagen bestellt. In einer Stunde fahren wir zu Pirollo hinaus. Wir müssen an den Mann herankommen. Wo er den einen Diamanten gefunden hat, finden sich auch noch andere. Hier ist Gelegenheit, ein Vermögen zu machen. Seit wann hast du dazu keine Lust, Caide?« »Lust, Lust«, murrte der andere. »Ich fürchte nur, wir geben unser Geld zwecklos aus. Wir werden dann auf dem trockenen sitzen. Die Leute halten mehr vom Trinken als vom Spielen.« Lobo grinste. »Wir werden unser Lebtag nicht mehr spielen, wenn uns der Schlag gelingt. Ein paar dieser Diamanten, und wir sind gemachte Leute.« »Hoffentlich«, setzte Caide an, brach aber gleich 28
wieder ab, da die Tür zur Terrasse geöffnet wurde. Bolissa erschien, an seiner Seite schritt eine junge Dame, die auch an anderen Flecken als Mozambique Aufsehen erregt hätte. Sie trug einen hellen Schutzanzug, eine Art Overall, wie er bei Fliegern üblich ist. Das beeinträchtigte freilich ihre Schönheit nicht im mindesten. Man sah, daß sie schlank war, merkte an ihrem Gang, wie ihre Glieder federten. Ihr Gesicht erhielt seine Note vom Haar, das sich in einem eigenartig satten Rot lockig um das Gesicht legte. Dieses Gesicht verriet nicht nur ihre Jugend, sondern auch einen herben und dabei doch fröhlichen Charakter. Man war versucht, an einen hübschen Jungen zu denken, der seine Haare hatte länger wachsen lassen. Erst wenn man in die eigentümlich blaugrauen Augen mit ihrem braunschimmernden Untergrund blickte, begriff man, daß dieses Geschöpf doch eine Frau war. Sie warf einen flüchtigen Blick durch den Raum. Die beiden Gäste schien sie kaum zu bemerken. Sie wandte sich sofort an Bolissa. »So, das ist also Ihre berühmte Terrasse. Na schön. Bringen Sie mir bitte etwas zu trinken. Ich habe dann mit Ihnen zu reden. Alles andere hat Zeit bis später.« Der Wirt verschwand und kam wieder. Auf einen Wink nahm er neben der jungen Dame Platz. Sie be29
gann sofort zu fragen, und zwar laut genug, daß Lobo und Caide mühelos dem Gespräch zu folgen vermochten. »Vor allem möchte ich von Ihnen wissen, ob gestern oder vorgestern ein Flugzeug hier eingetroffen ist, das von Australien her kam. Man konnte mir auf dem Fleck, den Sie hier Flugplatz zu nennen belieben, keine vernünftige Auskunft geben, empfahl mir jedoch, mich an Sie zu wenden. Vermutlich gelten Sie hier als Zeitung.« Bolissa lächelte geehrt. »Ich freue mich, Ihnen dienen zu können. Gestern ist ein Flugzeug von Australien hier angekommen.« Über das Gesicht der jungen Dame flog ein freudiger Schimmer. »Ah, das ist ausgezeichnet. Wissen Sie zufällig den Namen des Besitzers?« »Er heißt Sun Koh, wenn ich recht verstanden habe.« Sie atmete auf. »Also habe ich doch richtig getippt. Ich bin ihm nämlich von Australien her mit dem Flugzeug gefolgt und war bis jetzt im Zweifel, ob er wirklich diese Richtung einhalten würde.« Die beiden in der Ecke stießen sich an. Sie begriffen sofort, daß sich ihnen hier eine Chance bot. Bolissa zog ein betrübtes Gesicht. »Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, daß der 30
Herr bereits nicht mehr anwesend ist.« »Ist er schon weiter geflogen?« Bolissa begann über die Vorfälle des gestrigen Nachmittags zu berichten. Die junge Dame lauschte gespannt, abgesehen von einigen kurzen Zwischenfragen, ohne Unterbrechung. Ihre Augen leuchteten, ihre Stimme klang freilich wieder sachlich, als sie anschließend an Bolissas Bericht sagte: »Das ist der Mann, den ich suche. Er befindet sich also augenblicklich auf dem Gut Pirollos?« »Wenn er nicht schon wieder ins Innere aufgebrochen ist.« »Das werde ich an Ort und Stelle sehen. Beschreiben Sie mir bitte den Weg.« Bolissa blickte sie einigermaßen verdutzt an. »Das – das ist wohl kaum möglich. Sie müßten sich eine genaue Karte besorgen oder einen Führer nehmen.« Sie zog die Brauen leicht zusammen. »Gut, dann werde ich mir eine Karte besorgen. Bringen Sie mir bitte irgend etwas zu essen.« Bolissa ging hinaus; gleichzeitig erhob sich Lobo, kam nach vorn und verbeugte sich vor der jungen Dame. »Verzeihen Sie«, sagte er höflich, »ich hörte zufällig, daß Sie zu Pirollo wollen und in Verlegenheit wegen des Weges sind. Vielleicht wäre es möglich, 31
daß wir uns gegenseitig verständigen könnten. Ich heiße Lobo.« Sie sah ihn prüfend an und erwiderte zurückhaltend: »Erklären Sie sich näher.« »Ich hatte mit meinem Freund, der dort hinten sitzt, die Absicht, Pirollo aufzusuchen. Er hat einen Fremden aufgenommen, wie Ihnen Bolissa eben erzählte. Wir vermuten in ihm einen guten Bekannten und wollen daher so schnell wie möglich hin. Ich hörte, daß Sie ein Flugzeug besitzen, aber nicht Bescheid im Lande wissen. Ich dachte nun, Sie könnten uns vielleicht mitnehmen, so daß Ihnen wie uns geholfen wäre.« »Sie kennen den Weg?« »Ganz genau«, versicherte Lobo, »auch vom Flugzeug aus.« »Gut«, entschied sich die junge Frau, »ich nehme Ihren Vorschlag an. Halten Sie sich bereit, daß Sie mich in einer halben Stunde begleiten können. Ich heiße Evelyn Roth.« Der Spanier kehrte zu seinem Kameraden zurück. Die beiden hatten in der nächsten halben Stunde eine ganze Masse zu bereden. Das taten sie allerdings nicht mehr bei Bolissa, sondern während einer Hetzfahrt durch die Stadt. Pünktlich eine halbe Stunde später stellten sie sich zur Verfügung und schlossen sich der jungen Frau 32
an. Das Flugzeug stand draußen vor der Stadt auf dem Flugplatz. Es war eine hervorragende neue Maschine, für die Belmore in London verantwortlich zeichnete. Neben ihr stand wartend ein untersetzter Mann Mitte der Dreißig, der ähnlich wie Evelyn Roth Pilotenkleidung trug. »Das ist August Lehmann«, stellte die junge Dame vor, »mein Pilot und Begleiter. August, die Herren werden uns in das Innere des Landes zu einem gewissen Pirollo führen.« August Lehmann, dessen Gesicht mehr Gutmütigkeit und weniger Schläue verriet, als tatsächlich in ihm steckten, schüttelte den beiden die Hand. Freudig erregt war sein Gesicht nicht gerade dabei, im Gegenteil, er ließ die beiden von Anfang an nicht im Zweifel darüber, daß sie ihm nicht sonderlich sympathisch waren. * Zwei Stunden später standen sie vor Pirollos Haus, der sie teils überrascht, teils erstaunt begrüßte. Als höflicher Mann stellte er von sich aus keine Fragen, sondern gab seiner Freude über die unerwarteten Gäste Ausdruck. Evelyn Roth jedoch war noch nie ungeduldiger gewesen als jetzt und zögerte keine Minute. 33
»Sie sind gestern abend von Mozambique mit dem Flugzeug eines gewissen Sun Koh hierher geflogen«, platzte sie heraus. »Ist er noch anwesend?« »Nein«, erwiderte Pirollo, »er ist bereits in das Innere des Landes weitergeflogen.« »Können Sie mir sein Ziel angeben?« Pirollo schüttelte den Kopf. »Ja und nein; das ist nicht so einfach. Doch wollen Sie nicht näher treten? Falls Sie sich wirklich für den Aufenthalt Sun Kohs interessieren, muß ich Ihnen eine ganze Menge erzählen.« Sie mußte wohl oder übel der Einladung Folge leisten. Da der freundliche Gastgeber erst Essen und Trinken auftragen ließ, dauerte es eine ganze Weile, bevor sie Näheres erfuhr. »Also, Mr. Sun Koh ist bereits weiter«, begann Pirollo umständlich. »Ich weiß nicht, ob Sie orientiert sind, warum er überhaupt hierher kam.« »Ich habe in Mozambique mit Bolissa gesprochen«, antwortete sie, »und er hat mir genügend erzählt, so daß ich glaube, ungefähr im Bild zu sein. Es handelt sich doch wohl um einen kranken Europäer, den Sie hier bei sich aufgenommen haben?« Er nickte. »Ja, er brachte den Arzt her und interessierte sich auch sonst für den Fall. Der Mann hat einen Freund zurückgelassen, der im Urwald auf Hilfe wartet. Ihr 34
Bekannter hat es auf sich genommen, ihn zu retten. In Mozambique wußten wir freilich noch nicht, daß die Dinge sich so verwickeln würden, wie es dann hier geschehen ist.« »Was wollen Sie damit sagen?« »Nun, da ist vor allem die Ermordung des Kranken zu erwähnen. Wir fanden ihn heute morgen tot in seinem Bett, mit einem breiten Messer im Herzen.« Die beiden Spanier zuckten sichtlich zusammen. »Der Mann ist tot?« stieß Lobo heraus. »Allerdings«, bestätigte Pirollo. »Er muß unbekannte Feinde gehabt haben. Aber vielleicht ist es auch nicht ganz richtig. Man hat ihn wohl nur zum Schweigen bringen wollen. Es wäre sonst nämlich kaum erklärlich, daß auch auf Señor Sun Koh ein nächtlicher Überfall verübt wurde, den er vereiteln konnte.« »Man hat es auf den Diamanten abgesehen?« warf Caide ein. »Wir sind eigentlich zu einer anderen Meinung gekommen«, widersprach Pirollo ruhig. »Der Diamant befand sich nämlich in der Tasche des Kranken und ist dort drin geblieben. Man hat ihn nicht mitgenommen, also konnte es nicht um den Diamanten gehen. Es ist wahrscheinlicher, daß es den Leuten auf die Papiere und auf die Waffe ankam. Diese beiden hatte glücklicherweise Sun Koh bei sich.« 35
Sie unterhielten sich noch länger über die Ereignisse der verflossenen Nacht, über die sie nun eine Reihe von Einzelheiten hörten. Evelyn Roth beteiligte sich lebhaft an dem Gespräch, auch die Spanier zeigten sich außerordentlich interessiert. Darüber verging eine Stunde. Dann kam die junge Frau wieder auf das zu sprechen, was ihr am meisten am Herzen lag. »Können Sie mir nicht genaue Angaben machen, wo ich meinen Partner finden kann?« Pirollo hob die Schultern. »Das kann ich leider nicht. Mit einer allgemeinen Angabe ist Ihnen ja nicht gedient. Aber warum wollen Sie nicht einfach hier warten, bis er zurückkehrt? Er hat die Absicht, den Geretteten hierher zu bringen. Das kann unter Umständen noch heute geschehen, spätestens morgen. Machen Sie mir die Freude und bleiben Sie wenigstens bis dahin als mein Gast hier.« So ganz paßte das Evelyn Roth nicht, aber sie sah ein, daß sie nichts Vernünftigeres tun konnte, als den Vorschlag anzunehmen. Sie entschied sich zu bleiben. Die beiden Spanier faßten den gleichen Entschluß. 2. Pirollo hatte seinen Gästen so ziemlich alles erzählt, 36
was in der verflossenen Nacht vorgefallen war. Es war das, was er wußte, aber er wußte eben nur einen bescheidenen Bruchteil dessen, was sich ereignet hatte. Als die Nacht ihre blauschwarzen Schatten über die Erde legte, trat Sun Koh zusammen mit Ferrada, dem Arzt, und Pirollo an das Lager des Mannes, der sich mit seinen letzten Kräften aus dem Urwald geschleppt hatte. Er sah ein hohles, fieberglühendes Gesicht, das von einem verwilderten, blonden Vollbart umrahmt wurde. Ferradas Untersuchung war kurz und brachte genau das Ergebnis, das Sun Koh erwartet hatte. »Der Mann ist nicht mehr durchzubringen«, flüsterte der Arzt ihm zu. »Seine Organe sind zu sehr erschöpft. Vielleicht hält er es noch zwei oder drei Tage durch, aber dann…« Ein Schulterzucken beendete den Satz eindeutig genug. »Lassen Sie mich allein«, bat Sun Koh. Pirollo und Ferrada zogen sich daraufhin zurück. Lange saß Sun Koh am Lager des verlorenen Mannes und lauschte seinen wirren Reden. Manchem anderen wäre es unheimlich gewesen, in dem nur matt erleuchteten Zimmer die heisere Stimme zu hören und die bleichen, verzerrten Lippen zu sehen, die phantastische Sätze formten. Sun Koh lauschte und versuchte an Hand der im37
mer wiederkehrenden Wiederholungen den Sinn dieses fiebrigen Gestammels zu erfassen, die Wahrheit von der krankhaften Überreizung des Gehirns zu scheiden. Fünf Dinge waren es, vielleicht auch sechs, um die sich die Phantasie des Kranken unermüdlich rankte, und jedes einzelne dieser Dinge war interessant und geheimnisvoll genug. Fast eine Stunde dauerte es, bevor der Zustand eintrat, auf den Sun Koh wartete. Der Kranke bäumte plötzlich seinen Körper scharf hoch, ließ ihn wieder zurückfallen, und dann schlug er die Augen auf. Sie waren von einem fast reinen Blau und zeigten jetzt soviel Klarheit, wie man nur wünschen konnte. Sun Koh rückte die Lampe näher, so daß sein eigenes Gesicht in den hellen Schein geriet. Ruhig ließ er sich mustern. »Wer sind Sie?« stieß der Mann auf dem Lager heraus. Er sprach englisch, aber an seinem Akzent merkte Sun Koh, daß es nicht seine Heimatsprache war. Er antwortete daher auf deutsch: »Ich heiße Sun Koh. Man sagte mir in Mozambique, daß Sie einen Kameraden im Urwald zurückgelassen hätten. Ich kam mit dem Flugzeug hierher und will den Versuch machen, ihn zu retten. Bitte geben Sie mir möglichst genaue Anweisungen. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß Sie in Kürze wieder das Bewußtsein verlie38
ren können.« Der andere drehte sich noch etwas weiter zu ihm herum. »Ich weiß«, sagte er leise. »Ich habe nicht mehr viel zu erhoffen, mußte mich zu sehr auspumpen. Hoffentlich wird Hans wenigstens gerettet. Er heißt Hans Ziesche und ist mein bester Freund. Er brach sich das Bein, konnte nicht weiter. Ich bin voraus, um Hilfe zu holen. In meiner Tasche ist ein Plan.« »Ich habe ihn hier.« Der Kranke mußte tatsächlich begriffen haben, daß es notwendig war, die Minuten auszunutzen. Er sprach gedrängt und sachlich völlig klar. »Das Wasser links ist der Bangweolo-See. Von seiner Mitte fünfzig Kilometer nach Osten liegt ein schmaler Gebirgszug, der fast genau in Südrichtung läuft. Am nördlichen Rand bricht er scharf ab, dann erhebt sich in ungefähr einem Kilometer Entfernung eine einzelne Klippe. Sie stößt fünfzig Meter hoch aus dem Wald heraus und hat die Form eines sehr schmalen Kegels. Oben ist sie leicht ausgehöhlt. Dort oben werden Sie meinen Freund finden. Es gibt keinen Zugang von unten herauf, der Felsen ist fast spiegelglatt bis auf einen schmalen Pfad, den er leicht verteidigen kann. Ich hoffe, daß Sie ihn noch lebend finden. Aber nehmen Sie sich in acht, es werden allerhand Leute um den Felsen herum zu finden 39
sein.« »Ich werde mein Bestes tun, um Ihren Freund zu retten«, versicherte Sun Koh. »An Hand Ihrer Beschreibung und dieser Skizze dürfte es mir kaum schwer fallen, ihn zu finden.« Fast eine Minute lang war es ganz still im Raum, dann sagte der Fremde wie aus tiefem Nachdenken heraus: »Ich glaube, man kann Vertrauen zu Ihnen haben. Rede ich eigentlich viel im Fieber?« »Es genügt, um darauf neugierig zu sein, Sie einmal bei klarem Bewußtsein über all diese Dinge sprechen zu hören.« Nach einer abermaligen Pause seufzte der Kranke tief. »Es ist schwer für mich, weil ich Hans nicht vorgreifen möchte. Aber sollte er etwa auch nicht aus der Geschichte herauskommen, dann ist die Verantwortung zu groß. Sehen Sie, ich habe da einige Sachen bei mir, über die ich Ihnen Dinge erzählen könnte, daß Ihnen die Haare zu Berge stehen. Die Diamanten haben Sie wohl schon bemerkt?« Sun Koh nickte. »Auch die Pistole, den Goldreif und das Bündel Aufzeichnungen. Pirollo, der Besitzer dieses Gutes, zeigte sie mir.« Der Mann wälzte sich auf den Rücken und starrte mit offenen Augen zur Decke. 40
»Ja, das ist so ziemlich alles. Nehmen Sie diese Sachen an sich. Sie werden sie meinem Freund bringen. Aber probieren Sie nicht an der Waffe, sie ist gefährlicher, als Sie annehmen können.« Sun Koh hätte ihm das leicht bestätigen können, aber er verzichtete darauf. Er wollte den anderen, der allmählich ins Sprechen kam, nicht stören. Dieser fuhr denn auch gleich fort: »Wir lebten in New York, Hans und ich. Es war eine heiße Zeit, und wir kamen nur selten an die frische Luft, aber wir schafften auch, was wir uns vorgenommen hatten. Es ist eine ganz große Sache, größer vielleicht als alles, was bisher ausgedacht wurde. Sie gibt Gewalt über den einzelnen Menschen, aber auch zugleich über Tausend oder Millionen von Menschen. Man kann die Welt mit ihr beherrschen. Wir hatten wenig Beziehungen, wenig Bekannte, weil es uns an der Zeit fehlte. Aber da war ein Neger, ein Student, der bei uns ein und aus ging. John Ferblack nannte er sich. Er war sehr klug, verstand etwas. Auch er arbeitete an einer Erfindung. Hans wird Ihnen über die Pistole erzählen. Sie ist sein Werk. Wir hätten unsere Äugen besser offen halten sollen. Wir waren fertig, hatten ein paar Modelle hergestellt und wollten uns gerade an das Patentamt wenden, als in einer Nacht alles verschwand – die Papiere, die Modelle und John Ferblack. Er hatte uns bestohlen. 41
Es dauerte sehr lange, bis wir seine Spur fanden. Er war nach Afrika gereist. Wir folgten ihm. Wir waren dumm und unerfahren, hatten aber genug Unternehmungslust und Wut, um alles zu wagen. Fragen Sie nicht, was wir alles erlebten. Wir schlugen uns im Laufe von Monaten durch das Land, bis wir ihn trafen. Er rechnete nicht mehr mit uns, daher konnten wir ihn überraschen und ihm die Papiere wenigstens wieder abnehmen. Wir kämpften wie der Teufel. Trotzdem hätten wir uns nicht retten können, wenn wir nicht auf die Walomba gestoßen wären. Es sind keine Neger, sondern eine ganz andere Rasse, von irgendwo zugezogen. Sie sehen fast wie Europäer aus, nur dunkler, so wie Süditaliener. Wir blieben eine Zeitlang bei ihnen, bis Ferblack mit unserer eigenen Erfindung gegen uns zu arbeiten begann und damit einigen Erfolg hatte. Er ist ein Satan, nennt sich Kaiser von Afrika. Er hat bereits ganz Zentralafrika in seiner Hand. Die Negerstämme von den Mambunda bis zu den Balolo gehorchen ihm bereits bedingungslos. Die Staaten müssen gewarnt werden, es kann nicht lange dauern, dann beginnt der Kampf um Afrika. Der schwarze Kaiser von Afrika will allein im Land herrschen. Ah, der Teufel, wir werden dir beibringen, uns zu bestehlen – zurück, Hans, in Deckung – hört ihr nicht die Neger marschieren…« Er phantasierte wie vorher wild durcheinander, 42
wobei sich sein Körper dann und wann ruckweise herumwarf. Sun Koh nahm die wichtigen Papiere aus dem zerschlissenen Rock des Fiebernden und steckte dafür den Diamanten hinein. Den Goldreif, die Waffe und den Plan hatte er ohnehin bei sich. Dann verließ er das Zimmer. »Wir fliegen beim ersten Sonnenstrahl!« verständigte er später seine beiden Leute. »Wenn der Mann noch am Leben ist, müßten wir ihn schon im Laufe des Tages hierher bringen können. Ich glaube aber nicht, daß sich die Angelegenheit damit für uns erledigt hat. Ich habe nicht nur große Lust, den kennenzulernen, der sich als zukünftigen Kaiser von Afrika betrachtet, sondern möchte auch mehr über jenen Volksstamm erfahren, von dem das Schmuckstück stammt.« Hal Mervin hatte schon lange auf eine Gelegenheit gewartet, danach zu fragen. »Eben, Sir«, sagte er darum, »was ist eigentlich mit dem Reif? Ich merkte in Mozambique, wie Sie stutzten.« Sun Koh nahm ihn aus der Tasche und drehte ihn in der Hand. »Dazu hatte ich auch allen Grund«, sagte er nachdenklich. »Fällt euch an diesen erhabenen Zeichen nichts auf?« 43
»Mir ist, als hätte ich Ähnliches schon mal gesehen«, sagte Hal, »aber ich weiß nicht genau, wo es war.« »Aber ich«, meinte Nimba. »Ganz ähnliche Runen gibt es in meiner Heimat, aber auch in der Sonnenstadt und bei den atlantischen Gräbern auf Teneriffa.« »So ist es«, sagte Sun Koh. »Es sind atlantische Schriftzeichen, wenn auch in etwas eigenartiger Form. Wenn die beiden Abenteurer das Schmuckstück im Innern Afrikas gefunden haben, so bedeutet das nichts anderes, als daß sie auf die Überreste atlantischer Kolonisten getroffen sind. Die Beschreibung, die mir der Kranke von den Walomba gab, paßt sehr gut dazu.« Hal pendelte mit dem Kopf. »Wie sollen denn mitten zwischen den Negern plötzlich Atlanter oder ihre Nachkommen leben? Bis jetzt hat man noch nie davon gehört.« Sun Koh lächelte. »Du vergißt dein eigenes Wissen, Hal. Es besteht nicht der geringste Zweifel, daß Atlanter nach Afrika gekommen sind. Da ist Nimba. Er hat wie alle seine Stammesgenossen in Benin sehr wenig Negerblut in seinen Adern, sicher aber zu einem hohen Prozentsatz das Blut atlantischer Kolonisten. Oder denke an unsere Erlebnisse mitten in der Wüste Sahara, als wir auf die Spuren einer zehntausend Jahre alten Kultur 44
stießen, die nicht auf afrikanischem Boden gewachsen sein konnte. Und hörtest du nie von den Watussi?« »Das ist doch die hochbeinige Rasse aus dem Innern Afrikas, die die besten Springer der Welt stellt.« »Ganz recht. Du weißt dann auch, daß man diese Leute unmöglich als Neger bezeichnen kann, obwohl sie inmitten von Negern leben. Ihre Herkunft ist dunkel, aber sie weist ohne Zweifel auf Atlantis zurück. Die Watussi sind ein Volk von einer viel höheren Kultur als die umgebenden Negerstämme. Das Gerücht von den ›weißen Negern‹ im Innern Afrikas ist uralt, ebenso alt wie das Gerücht von den ›weißen Indianern‹ im Quellgebiet des Amazonas. Für die Existenz dieser wie jener fehlt noch der schlüssige Beweis, das bedeutet aber noch lange nicht, daß sie zu verneinen ist. Das Innere Afrikas ist auf weite Strecken noch heute so gut wie unerforscht.« »Da können wir ja allerhand erleben«, meinte Hal hoffnungsvoll. Sie legten sich schlafen. Pirollo besaß genügend Platz, um jedem seiner Gäste ein Zimmer anbieten zu können. Als er sie hinaufgeleitete, klangen in der Ferne dumpfe, hohle Schläge auf. Sie kamen erst langsam, in gleichmäßigen Abständen, gingen später in schnellere Folge über und verebbten allmählich. Sun Koh horchte auf. »Was ist das?« »Die Neger trommeln wieder über das Land. Das 45
haben sie eigentlich lange nicht getan. Früher bedeutete es jedesmal eine Teufelei, mindestens eine Unannehmlichkeit. Merkwürdig, so nahe am Gut habe ich die Trommeln lange Jahre nicht gehört.« »Können Sie nicht nachforschen?« »Nein, das ist ausgeschlossen. Die Trommeln werden sehr sorgfältig verborgen. Kein Neger im Land wird es wagen, ihr Versteck oder die Bedeutung der Zeichen zu verraten.« Sie schüttelten sich die Hände und trennten sich. Sun Koh schlief tief und fest wie gewöhnlich, aber trotzdem wurde er im Augenblick hellwach, als das leichte Schleifen nackter Füße an sein Ohr drang. Ein Mensch schlich durch das Zimmer an ihn heran. Die Tür war nicht verschlossen worden, er hatte sich also leicht einschleichen können. Der Raum war dunkel, stockdunkel. Sun Koh sah keinen Körper, glaubte aber ein Augenpaar wahrnehmen zu können. Er lag denkbar ungünstig und konnte nicht an die Scheinwerferlampe herankommen, die sich außerhalb des Netzes befand. Der Mann im Dunkel war freilich auch nur dann eine unmittelbare Gefahr, wenn er eine Schußwaffe besaß. Sun Koh wollte nichts unnötig aufs Spiel setzen. Er warf sich mit einem schnellen Ruck von seinem Lager herunter, riß den Schleier dabei beiseite und 46
griff nach der Lampe. Er hörte hastige Sprünge. Als das Licht aufflammte, war das Zimmer leer. Schleunigst eilte er hinterher, aber ohne Erfolg. Der Bursche mußte eine fabelhafte Gewandtheit im Ausreißen besitzen. Sun Koh lauschte auf die tiefen Atemzüge seiner beiden Begleiter, die in den Nebenräumen schliefen. Sie waren nicht gestört worden. Er kehrte in sein Zimmer zurück. Die Uhr zeigte zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Sun Koh verzichtete auf die Fortsetzung seines Schlafes und kleidete sich an. Reglos saß er in dem nächtlichen Raum, dicht am Fenster, durch das der kühle Wind der SchirwaHöhen hereinstrich. Die Nacht war trotz ihrer Dunkelheit voll unerhörten Zaubers. Vom Wald her schienen die Geheimnisse herüberzuatmen. Plötzlich klang es dumpf wie aus Geistermund in der Ferne auf. Die Trommeln der Neger hallten über das schweigende Land. Welche Nachricht konnte die Eingeborenen veranlassen, ihre Ruhe zu unterbrechen und um diese Stunde fernen Mitteilungen zu lauschen? Eine Viertelstunde lang hielt das Trommeln an, dann brach es mit einem schnellen Wirbel ab. Langsam erwachte das Haus. Als die Sonne wie mit einem Satz über den Horizont sprang, erhob sich 47
Sun Koh mit seinen Freunden vom Frühstückstisch und verabschiedete sich von seinem Gastgeber. Plötzlich erschien einer der Neger mit allen Zeichen des Schreckens. »Was ist denn los?« fragte Pirollo. »Lurio, Lurio«, stammelte der Schwarze. »Auch der fremde Herr…« »Was ist mit ihnen?« »Sie sind tot.« Pirollo und Sun Koh eilten in den Raum, in dem der Kranke lag. Der Neger, der die Nachtwache bei ihm hatte, lag quer im Raum auf dem Gesicht. Um ihn herum breitete sich eine Blutlache aus. Der Fremde ruhte still und steif auf seinem Lager. In seiner Brust steckte ein breites Messer mit rohem Griff. Beide ermordet. Die Sachen des Fremden lagen auf der Erde. Sie waren offensichtlich durchsucht worden. Merkwürdigerweise fand sich der Diamant noch in der gleichen Tasche, in die ihn Sun Koh gesteckt hatte. Jetzt wurde es Sun Koh bewußt, daß in dieser Nacht ein Doppelmörder in seinem Zimmer gewesen war, der sein drittes Opfer gesucht hatte. Er erzählte dem Gutsherrn den nächtlichen Vorfall. Pirollo tobte, bis er blau anlief. Das half freilich nicht weiter. Er selbst mußte zugeben, daß es so gut 48
wie ausgeschlossen schien, den Mörder jemals zu fangen. Er hatte keine Spuren hinterlassen. Das Messer verriet nichts, es glich hundert anderen dieser Art. Wenn der Diamant gefehlt hätte, wäre Sun Koh vielleicht geneigt gewesen, an einen Raubmord zu glauben. »Die verfluchten Trommeln«, stöhnte Pirollo. »Ich wußte ja, daß sie eine Teufelei ankündigten. Möchte nur wissen, warum sie den Stein haben liegen lassen.« »Weil der Mord nicht um des Steines willen geschah«, erwiderte Sun Koh. »Der Mörder suchte nach anderen Dingen, sehr wahrscheinlich nach denen, die ich bei mir trage. Dieser Tote hat Feinde, die ihn sogar bis auf sein Sterbelager verfolgten.« Die anderen murmelten eine Verwünschung. »Ah, einer von meinen Leuten mußte es verraten haben, daß er bei mir liegt. Ich möchte am liebsten die ganze Bande…« »Ihr Urteil ist vielleicht voreilig«, unterbrach Sun Koh. »Vergessen Sie nicht, daß Sie selbst in Mozambique von den Geheimnissen dieses Mannes erzählten.« Pirollo blickte ihn verdutzt an. »Aber ich bitte Sie, dort waren doch lauter Bekannte. Und außerdem ist es ein weiter Weg von Mozambique bis hierüber.« »Ich würde darauf nicht allzuviel Wert legen. Bo49
lissas Haus hat sicher wie jedes andere seine Ohren. Und jene Leute hatten genügend Zeit, um mit einem Wagen von Mozambique herzukommen. Außerdem erwähnten Sie selbst, daß die Trommelsignale mit der Tat in Verbindung stehen könnten. Nichts ist leichter, als auf diese Weise einem Mithelfer in der Umgebung Nachricht zu geben.« Da Sun Koh an dem Geschehen nichts mehr ändern konnte, verabschiedete er sich nunmehr. Als das Flugzeug Kurs nach Westen einschlug, rasselten irgendwo im undurchdringlichen Urwald die Trommeln auf. Es sah ganz so aus, als verständigten heimliche Beobachter ihre Freunde im Inneren des Landes von der bevorstehenden Ankunft Sun Kohs. * Ein neuer Tag. Hans Ziesche streckte sich ein paarmal auf dem nackten Felsen, der ihm als Lager gedient hatte, bevor er sich erhob. Das war nun schon der sechzehnte Tag, seitdem Werner vorausmarschiert war. Er ging zu dem Rinnsal hinüber, das mit schwachem Druck aus der Erde kam und sich bald wieder verlor. Geradezu fürstlicher Komfort, einschließlich 50
Warmwasserheizung. Das Wasser kam nämlich mit annähernd dreißig Grad Wärme herauf – ein letztes Zeugnis davon, daß einst vulkanische Gewalten diese Tulpe am Bangweolo geschaffen hatte. Ziesche zog sich die Lumpen vom Leib und nahm ein Morgenbad. Splitternackt reckte er seinen Körper. Hans Ziesche war über 1,80 groß, schlank wie eine Tanne und mit Muskeln begnadet, als ob er zeit seines Lebens nichts anderes getrieben hätte als Sport. Der Kopf wirkte in seiner Verwilderung grotesk genug, aber immerhin schienen die Haare jetzt an Bedeutung zu verlieren. Die hohe, klar gemeißelte Stirn, die Nase, die hellen, starken Augen und die weißen Zähne traten jetzt stärker in Erscheinung. Ziesche wusch sich langsam und mit Genuß und hängte eine Massage an. Flüchtig verweilte er bei seinem Unterschenkel. Alles tadellos verheilt. Er hatte keine Ahnung, wie lange ein glatt durchgebrochener Knochen braucht, um wieder in Ordnung zu kommen, aber jedenfalls hatte er vor drei Tagen die ersten Gehversuche gemacht und gefunden, daß der Leichnam wieder zusammenhielt. Seitdem trainierte er von Tag zu Tag zunehmend auf Langstreckenläufer. Dem Schrei nach Sauberkeit war Genüge getan. Jetzt kam programmäßig das Frühstück an die Reihe. 51
Er langte unter einem Stein einen schwärzlichen Brotfladen heraus, betrachtete ihn eine Weile nachdenklich und legte ihn schulterzuckend wieder zurück. Der Mensch muß sich zu beherrschen wissen, und heute abend bekam er sowieso wieder Hunger. Mit der Esserei hatten sie sich ganz hübsch verrechnet. Das Fleisch wurde nach einigen Tagen ungenießbar, die Früchte mußten auch recht bald gegessen werden, nur die Fladen hielten sich länger. Nämlich bis heute. Dieses eine Stück war der schäbige Rest des ganzen Vorrats, den Werner ihm zurückgelassen hatte. Er kletterte die paar Meter an der steilen Böschung nach oben, an der gleichen Stelle, an der er sich damals das Bein gebrochen hatte, und warf einen Blick über die Umgebung. Dort drüben lag der Bangweolo-See mit seinen ausgedehnten Sumpfrändern, einem wahren Tierparadies. Um ein Haar hätten sie ihre Tage dort beschlossen. Dieser verflixte Sumpf war daran schuld, daß man sie so in die Enge drückte. Ohne ihn wären sie nie auf den Gedanken gekommen, auf diese Tulpe hinaufzuklettern. Aber sie hatten eine Woche lang nicht anständig geschlafen, und schlafen muß der Mensch, darum waren sie in die natürliche Festung hinaufgekraxelt, insgeheim in der Hoffnung, daß die Neger die Spur verlieren und vorbeilaufen würden. 52
Hätte er freilich geahnt, daß er sich das Bein brechen würde, dann wären sie lieber weitergelaufen. Urwald – Urwald – Urwald. Ziesche lachte grimmig in sich hinein, als er am Fuße des Kegels einen Neger mit affenartiger Geschwindigkeit in den Schutz der Stämme laufen sah. Wenn er sich noch ein paar Sekunden zeigte, würden sie wieder wie die Verrückten von unten heraufknallen. Auf drei Seiten legte sich der Wald wie ein wuchernder Teppich um den Felsen herum. Dort unten wimmelte es von Negern. Ferblack hatte seine besten Leute auf ihn gehetzt. Klar, daß sie ihn aushungern wollten. Ein paarmal hatten sie bei Tag und bei Nacht versucht heraufzukommen, aber das war ihnen schmählich mißlungen. Die Bäume kamen sie ja hinauf wie die Affen, aber mit der alpinen Erfahrung war es nicht weit her. Und außerdem genügte ein Schuß, um den ersten purzeln zu lassen, der dann die anderen mitnahm. Hans Ziesche zog sich in den Grund des winzigen Vulkankraters zurück und begann seinen Marsch. Er mußte die Beinmuskeln wieder hart machen und die gebrochene Stelle an Strapazen gewöhnen. Er warf einen Blick auf die Stelle, an der seine letzte Nahrung lag. Drei Tage wollte er noch warten, so lange konnte er hungern, ohne eine wesentliche Schwächung befürchten zu müssen. Doch dann hieß 53
es alles auf eine Karte setzen. Mehr als sterben konnte er nicht. Der zweistündige Marsch wurde nicht ganz vollendet. Ein Ruf aus der Tiefe machte Ziesche aufmerksam. Er kletterte wieder die Böschung hinauf und schob vorsichtig den Kopf über den Rand. Man hatte den gleichen Trick schon einmal versucht und ihn dabei beinahe abgeschossen. Unten stand ein Neger frei vor dem Wald und schwenkte ein weißes Tuch. Ein Parlamentär? Verrückte Einfälle hatten die Kerle aber wahrscheinlich wollten sie sich in aller Gemütsruhe einmal umsehen, wie es eigentlich hier oben stand. Schön, das Vergnügen sollten sie haben. Er holte ein Taschentuch aus seinen Lumpen heraus, das man zur Not noch als weiß bezeichnen konnte, und gab damit Gegenzeichen. Unmittelbar darauf trat eine ganze Gruppe von Negern vor. Sie verrieten sich freilich nur durch ihr Gesicht als solche. Die Kleidung konnte als eine Art Uniform bezeichnet werden. Inmitten der Neger stand ein Mann, den Hans Ziesche zuletzt hier vermutet hätte. John Ferblack. Er legte die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: »Ich möchte mit Ihnen sprechen, Ziesche.« 54
»Ganz mein Wunsch. Kommen Sie nur herauf!« Er hatte die Aufforderung durchaus nicht ernst gemeint. Nichts schien ihm unwahrscheinlicher, als daß Ferblack das Bedürfnis haben konnte, ihm auf Reichweite in die Nähe zu kommen. Und doch schien er sie überraschenderweise zu haben, denn er rief zurück: »Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie mich unbehelligt wieder fortlassen, dann komme ich hinauf.« Ziesche antwortete: »Ich gebe mein Ehrenwort!« Unverzüglich begann John Ferblack den Aufstieg. Von unten beobachteten ihn seine Leute mit unruhigen Gesichtern, von oben starrte Ziesche. Ferblack zeigte eine geradezu erstaunliche Gewandtheit. Völlig sicher benutzte er die wenigen Anhaltspunkte, die die steile, glatte Wand bot. Ohne ein einziges Mal zu stocken, ohne auch nur einmal falsch zu greifen oder zu treten, erreichte er den Rand, an dem Ziesche stand. Er schwang sich über. Sobald seine Hände frei wurden, hielt ihm Ziesche den Revolver unter die Nase und forderte ihn auf, die Arme hochzunehmen. Ferblack war daraufhin etwas verdutzt und sagte halb unsicher, halb spöttisch: »Seit wann pflegen Sie Ihr Ehrenwort nicht zu halten?« Ziesche lachte ihn aus. »Keine Angst, mein Lieber. Ich halte mein Ehrenwort auch jetzt noch, obgleich das Lumpen gegen55
über oft unangebracht ist. Aber Sie haben wohl nichts dagegen, wenn ich mich vergewissere, daß Sie keine Waffe bei sich tragen. Ihr splitternder Tod ist eine zu riskante Angelegenheit.« Ferblack war beruhigt und hob nur die Schultern. Ziesche tastete ihn ab, was nur einige Augenblicke in Anspruch nahm. Der Neger war waffenlos gekommen. Daraufhin steckte der Deutsche auch seine Waffe weg und sagte mit einer einladenden Bewegung auf ein paar Lavabrocken hin: »Nun können Sie hier Platz nehmen und mir erzählen, was das Palaver bedeuten soll.« John Ferblack zog es vor stehenzubleiben. Er war groß und kräftig gebaut, ohne dabei schwer zu sein. Ziesche wußte von ihm, daß er sich mehrere Preise in leichtathletischen Wettkämpfen geholt hatte. Sein Haar konnte man nicht unbedingt als wollig bezeichnen, vielleicht mehr als kurzlockig. Das Gesicht rechtfertigte in jeder Hinsicht den Spitznamen, den ihm Ziesche einst in New York verliehen hatte. Der »schwarze Napoleon«, so hatten ihn die beiden Freunde genannt, und Ferblack wußte um diese Bezeichnung. Es war das Gesicht eines Mannes, der über geballte Willensenergien verfügt und imstande ist, sie einzusetzen, um andere zu beherrschen; das Gesicht eines Mannes, dessen Lebensziel nicht Wohlleben oder Geld ist, sondern Macht und Ruhm. 56
Ziesche mußte eine ganze Weile warten, bevor Ferblack den Mund aufmachte. Und als er zu sprechen begann, geschah es in einer Tonart, die der Deutsche zu allerletzt von ihm erwartet hätte. »Es geht Ihnen nicht besonders gut?« fragte er mit unverkennbarer Anteilnahme. Ziesche blickte ihn verdutzt an. »Sind Sie etwa deswegen heraufgekommen? Bis jetzt bin ich jedenfalls noch nicht verhungert.« »Ich würde das auch bedauern. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte schon vor einigen Monaten Gelegenheit gehabt, mich mit Ihnen auszusprechen. Leider machten Sie mir das unmöglich, da Sie nach dem Raub der Papiere so schnell aus meiner Residenz verschwanden.« Ziesche grinste. »Der Vorwurf ist gut. Erstens waren es meine Papiere und zweitens konnten wir Ihnen nicht den Gefallen tun, uns freiwillig Ihrem Henker zu stellen.« Ferblack nickte. »Ihre Handlungsweise war begreiflich, aber Sie gingen von falschen Voraussetzungen aus. Es tut mir leid, daß sich alle diese Vorfälle ereigneten. Sie können mir glauben, daß mir nichts ferner liegt, als Ihnen ein Leid zuzufügen.« »Warum haben Sie uns dann wochen- und monatelang durch das Land gehetzt?« 57
»Nur, weil ich Sie zu sprechen wünschte. Meine Leute hatten nicht den Auftrag, Sie zu töten, sondern Sie zu fangen.« Ziesche kannte den Mann gut genug, um ihm kein Wort zu glauben. So war Ferblack schon in New York gewesen. Gelassen, kühl und überlegen sprach er genauso, wie es ihm paßte. Durch moralische oder sonstige Hemmungen wurde er nicht gehindert, mit der größten Gemütsruhe die dicksten Lügen zu sagen. »Reden Sie keinen Kohl«, antwortete er deshalb ziemlich grob. »Sie sind doch schließlich nicht hochgekommen, um mir Märchen zu erzählen. Sprechen Sie zur Sache. Zuvor noch eins: Wissen Sie etwas über meinen Freund?« Ferblack kreuzte die Arme über die Brust und sagte ruhig: »Er ist tot. Ich könnte Ihnen jetzt etwas vorlügen, aber im Interesse unseres zukünftigen Verhältnisses ist es besser, wenn Sie gleich die volle Wahrheit erfahren.« Ziesche biß die Zähne zusammen. Eine volle Minute lang stand er ganz still und steif, bevor er heiser herausstieß: »Sie haben ihn zu Tode hetzen lassen?« Ferblack schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben ihn nicht zu Tode gehetzt. Er erreichte lebend das Gut eines Europäers.« »Und?« schrie Ziesche. 58
»Dort starb er. Man ermordete ihn heute nacht.« »Sie haben ihn ermorden lassen?« Der Blick Ziesches und der Ton seiner Stimme waren so schrecklich, daß Ferblack nun doch vorzog, es mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. »Nein, er wurde ermordet, weil er einen wertvollen Diamanten bei sich trug. Ich habe nichts damit zu schaffen.« Der Körper Ziesches löste sich etwas. Wieder beherrscht sagte er tonlos: »Ihr Glück, Ferblack. Ich hätte um ein Haar vergessen, daß ich mein Ehrenwort gab. Aber gnade Ihnen Gott, wenn ich jemals erfahre, daß Werner doch auf Ihre Veranlassung hin starb.« Der Neger nickte. »Ich weiß, was es für Sie bedeutet. Trotzdem gestehe ich Ihnen offen, daß Ihr Freund in der nächsten Nacht durch einen meiner Leute getötet worden wäre, wenn der Diamant nicht schon einen Mörder herbeigelockt hätte. Ihr Freund verriet zuviel von den Dingen, über die niemand ohne meine Erlaubnis sprechen darf.« »Lassen wir das alles«, sagte Ziesche schließlich. »Erzählen Sie mir lieber, warum Sie hier heraufgekommen sind.« John Ferblack setzte sich. »Ich bin gekommen, um Sie für mich zu gewin59
nen, Hans Ziesche.« »Das müssen Sie mir näher erklären.« »Sie kennen meine Pläne und Absichten?« Ziesche hob die Schultern. »Ich kenne nur meine Vermutungen.« »Und was vermuten Sie?« »Daß sich bei Ihnen moralische Hemmungslosigkeit und Größenwahnsinn zu einer gefährlichen Mischung zusammengefunden haben.« Ferblack lächelte überlegen. »Ihre Beleidigungen sind überflüssig. Sie sind an sich vernünftig und wissen ganz genau, daß entgegenstehende Interessen von solchen Redensarten überhaupt nicht betroffen werden.« »Es gibt ein moralisches Gesetz«, erwiderte der andere scharf, »und vor diesem moralischen Gesetz sind Sie zumindest ein Dieb.« Ferblack blieb unerschütterlich ruhig. »Es gibt in Ihrer Heimat ein Sprichwort, wonach der Zweck die Mittel heiligt. Mein Zweck entschuldigt selbst den Diebstahl, den ich an Ihnen beging.« »Darüber sind wir geteilter Meinung. Doch schießen Sie los!« »Meine Absichten lassen sich in wenige Worte zusammenfassen«, begann der Schwarze. »Ich will die Negerstämme Afrikas zu einem Ganzen zusammenschließen, aus ihnen eine politische Einheit formen. 60
Sie wissen, daß die Bildung der Völker und Nationen in allen Erdteilen vollzogen worden ist. Die einzige Ausnahme bildet Zentralafrika. Hier wohnen noch völlig ungeformt zahllose Stämme einer einzigen Rasse nebeneinander, ein Opfer ihrer eigenen Unklugheit und zugleich ein Opfer fremdrassiger Völker. Dort, wo das noch nicht geschehen ist, zerfleischen sie sich gegenseitig in nutzlosen Kämpfen oder leiden unter der Despotie beschränkter Stammeshäuptlinge. Für diesen Zustand liegt keine schicksalhafte oder naturgegebene Notwendigkeit vor. Der Neger ist so gut wie jeder andere Mann imstande, sich einer gesellschaftlichen und politischen Einheit einzufügen. Meine Rasse ist ebenso geeignet, einen geschlossenen Staat, ein Reich zu bilden, wie die Ihre. Die technischen Voraussetzungen dazu bieten mir zwei Dinge, nämlich Ihre Erfindung und meine Erfindung. Die letztere würde mir ermöglichen, das entstehende Staatswesen von jedem gegnerischen Angriff zu schützen. Ihre Erfindung würde es wesentlich erleichtern, die entgegenstehenden Interessen innerhalb des neuen Reiches zu beseitigen, die neue Einheit überhaupt erst zustande zu bringen. Daß sie darüber hinaus auch ein ausgezeichnetes Mittel wäre, um die anderen Völker zu unseren Gunsten zu beeinflussen, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. 61
Ich will Ihnen zugeben, daß mir Ihre Erfindung noch wertvoller ist als meine. Erst als ich sie kennenlernte, als ich ihre Auswirkungen überdachte, da faßte ich den Mut, meinen Lieblingsplan in die Tat umzusetzen. Ich stahl Ihnen Ihre Erfindung. Sie nahmen mir sie wieder ab. Wäre es weniger stürmisch gewesen, so hätte ich Ihnen schon damals den Vorschlag gemacht, den ich Ihnen auch jetzt machen will.« »Ich bin höchst neugierig«, warf Ziesche mit leichtem Spott hin. Ferblack beugte sich vor. »Ich brauche Ihre Erfindung, aber ich brauche auch Sie. Deshalb bitte ich Sie, sich in meine Dienste zu stellen.« »Ah«, begann der junge Deutsche. Aber der andere unterbrach sofort: »Warten Sie noch einen Augenblick! Ich habe heute schon einen großen Teil der zentralafrikanischen Stämme in der Hand. Sobald Sie sich und Ihre Erfindung mir zur Verfügung stellen, wird es nur eine Frage von kurzer Zeit sein, daß dieses neue Reich auch nach außen in Erscheinung tritt. Ich biete Ihnen die Stelle eines ersten Ministers mit jedem beliebigen Einkommen, ich wiege Ihnen jeden Ihrer Apparate, der hergestellt wird, mit Gold und Edelsteinen auf und biete Ihnen außerdem Macht in einem Ausmaß, wie Sie sich jetzt wohl kaum träumen lassen. Alles, was Sie sich je an 62
Erfolg von Ihrer Erfindung versprachen, können Sie durch mich erhalten. Und wenn Sie sonst noch irgendwelche Forderungen haben, brauchen Sie sie nur zu stellen.« »Sehr großzügig«, knurrte der Deutsche. Ferblack machte eine eindringliche Handbewegung. »Ich kann mir denken, daß Sie voll Groll gegen mich sind. Bitte versuchen Sie, darüber hinauszukommen. Sie haben Ihre Erfindung geschaffen, um aus dem Elend Ihres New Yorker Lebens herauszukommen. Sie haben mein Angebot gehört. Es gibt keine Möglichkeit, daß Ihnen irgendein Mensch mehr bieten könnte als ich. Vergessen Sie daher, was bisher geschehen ist, und nehmen Sie meinen Vorschlag an.« Hans Ziesche schüttelte den Kopf. »Ich kann mir denken, daß Sie meine Erfindung brauchen, aber ich kann mir nicht denken, daß ich sie Ihnen zur Verfügung stellen könnte. Ganz abgesehen davon, besitze ich die Papiere nicht mehr.« »Ich weiß«, sagte Ferblack, »Ihr Freund hat sie mitgenommen. Sie werden in kurzer Zeit wieder in meinen Händen sein. Mein Angebot entsprang auch weniger der Besorgnis um die Papiere, sondern ich lege tatsächlich Wert darauf, Sie als Mitarbeiter neben mir zu haben. Nicht bloß die Industrialisierung 63
unseres Landes, sondern auch unzählige andere Dinge werden es erforderlich machen, daß ich eine Reihe fähiger Europäer in den Dienst des neuen Reiches stelle.« Hans Ziesche stand auf und erklärte kühl: »Wir brauchen uns nicht lange darüber zu unterhalten, John Ferblack. Ich werde nie und unter keinen Umständen in Ihre Dienste treten und Ihnen meine Erfindung zur Verfügung stellen.« Der Schwarze erhob sich ebenfalls. »Sie wissen, daß Sie dann hier oben sterben werden«, sagte er in einem Tonfall, in dem zum erstenmal rücksichtslose Härte mitschwang. »Ich gebe mich keinen Hoffnungen hin«, gab Ziesche knapp zurück. Die Augen der beiden so verschieden gearteten Männer ruhten ineinander. »Ich nehme Ihre Entscheidung nicht als endgültig an«, meinte Ferblack nach einer Pause. »Sie werden sich mein Angebot überlegen. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, durch Zeigen eines weißen Tuches Ihre Bereitschaft erkennen zu lassen, auf meine Vorschläge einzugehen.« »Ich werde im Notfall zu sterben wissen.« »Ein großes Wort«, kam es spöttisch aus dem Mund des anderen, »aber ich hoffe, daß Sie in einigen Tagen anders darüber denken werden. Vergessen 64
Sie nie, daß Sie nur Ihre Person im Spiel haben, nicht aber Ihre Erfindung, die mir ohnehin gehören wird. Leben Sie wohl!« Hans Ziesche ließ ihn ungehindert seinen gefahrvollen Rückweg antreten, und der Neger kam auch wohlbehalten unten an. Unruhe drang mit einemmal zu ihm herauf, schreckte ihn aus seinem Grübeln hoch. Er blickte hinunter. Mehrere Neger standen am Wald und wiesen mit wilden Gesten in die Luft. Hans Ziesche bog den Kopf zurück. Seine Augen wurden weit, seine Hand fuhr darüber. Senkrecht über ihm stand ein Flugzeug mit walzenförmig umschwirrenden Tragflächen. Es senkte sich. Er winkte wie toll hinauf, rief und lachte und tobte seine Erregung aus. Aus dem Wald knallten die ersten Schüsse hoch, vermehrten sich zu unregelmäßigen Salven. Sie beirrten das Flugzeug jedoch nicht. Gemächlich langsam schwebte es in die Senke hinein und setzte auf. Eine Tür rollte auf. Sun Koh sprang heraus, eilte auf den steif und starr stehenden Hans Ziesche zu, streckte ihm die Hand entgegen. »Sie sind Hans Ziesche?« Der junge Deutsche packte die schmale Hand mit 65
kräftigem Druck und atmete tief auf. »Ich bin es. Herrgott, ich habe nicht geglaubt, daß ich doch noch hier fortkomme. Mein Freund schickt Sie?« Sun Koh blickte ihn forschend in die Augen. Er las genug Stärke darin und sagte daher ruhig: »Ja, er schickt mich, aber er selbst ist tot.« Ziesche senkte den Kopf. »Also doch. Ich habe es schon gehört.« Sun Koh wandte sich ab, um dem Mann Gelegenheit zu geben, sich zu fassen. Er winkte Hal und Nimba, die beide noch im Flugzeug warteten. »Bringt vor allem zu essen, hier sieht es öde aus.« Hans Ziesche erwachte sofort, trat einen Schritt heran und sagte leise: »Ich danke Ihnen.« Sun Koh wandte sich ihm lächelnd zu. »Es gibt kein größeres Vergnügen, als einen Menschen zu retten. Haben Sie Hunger?« »Das auch«, sagte Ziesche lächelnd, »aber noch größer ist mein Bedürfnis, diesen Ort zu verlassen.« Da sonst nichts Wichtiges hier oben zu erledigen war, stiegen sie ein und flogen wieder los. Ferblacks Leute schossen, sobald sich die Maschine über den Rand hob. Aber die Kugeln konnten keinen Schaden anrichten. Hans Ziesche lachte laut auf, als er an John Ferblack dachte. Und er wurde still, als ihm Sun Koh 66
das Bündel Papiere überreichte, das Ferblack schon als sein Eigentum betrachtet hatte. * Wenige Stunden später landeten sie wieder bei Pirollo. Der Farmer fiel dem Retter vor Freude fast um den Hals. Er war eine ehrliche, anständige Haut und hatte die Sache des verlorenen Europäers zu seiner eigenen gemacht. Erst als sie gemeinsam an der Tafel saßen – Ziesche hatte inzwischen lange bei seinem toten Freund geweilt –, fiel dem Gutsherrn seine zweite Sorge wieder ein. Er berichtete von der jungen Dame, die mit einem Piloten und zwei etwas anrüchigen Spaniern am Vortag erschienen sei und nach Sun Koh gefragt habe. Sun Koh war verwundert. »Nach mir? Ist das nicht ein Irrtum?« »Bestimmt nicht«, versicherte Pirollo. »Sie kam angeblich aus Australien. Sie ist Ihnen von dort aus gefolgt. Wahrscheinlich ist die junge Dame in Sie verliebt…« Sun Koh zog die Brauen zusammen und bat um eine Beschreibung. Aber ehe Pirollo noch etwas sagen konnte, platzte Hal heraus: »Ich glaube, ich kenne die Lady vom Hotel in Sydney. Die steigt Ihnen 67
schon eine ganze Weile nach. Aber ich dachte nicht, daß sie so verrückt sei, Ihnen im Flugzeug zu folgen. Sachen gibt’s…« »Erstaunlich«, sagte Sun Koh zu Pirollo, »und wo ist sie jetzt?« »Verschwunden. Alle sind verschwunden, der Pilot auch, die beiden Spanier und auch das Flugzeug. Mitten in der Nacht sind sie auf und davon. Ich habe nachgeforscht und einige Leute festgestellt, die es in westlichem Flug beobachteten.« »In Richtung Westen?« »Ja, sie flogen in das Innere des Landes.« »Um mich zu suchen?« »Ich weiß es nicht. Sie wollte hier warten… Was ist?« Ein Diener kam heran, reichte ein längliches Blatt, einen Scheck. »Das wurde in der Nähe des Sees gefunden.« Pirollo warf einen Blick darauf, seufzte und gab den Zettel an Sun Koh weiter. Es war tatsächlich ein Scheckblatt. Auf der Rückseite stand in flüchtiger Schrift: »Zu Pirollo bringen. Lobo hat uns entführt. Fliegen nach Westen.« Sun Kohs Gesicht wurde starr. »In einer halben Stunde brechen wir auf, um zum zweitenmal in das Innere des Landes zu fliegen.« Sun Koh ahnte in dieser Minute nicht, daß sich 68
hinter der Laune einer Frau die Weisheit einer Schicksalsbestimmung bergen kann. 3. Der Motor des Flugzeuges dröhnte über dem Urwald sein eintöniges Lied. Lobo saß am Steuer. Er war ein guter Pilot und wußte die Maschine einwandfrei zu bedienen. Sein Spießgeselle Caide stand in der Verbindungstür zum hinteren Kabinenraum, hatte die Arme über der Brust gekreuzt und betrachtete mit spöttischer Anteilnahme das Erwachen seiner Gefangenen. Sie lag, an Händen und Füßen gefesselt, links auf dem Ruhebett. Auf das rechte Lager hatte man August Lehmann in ähnlichem Zustand abgeworfen. Die beiden Spanier hatten sich entschlossen, ihn mitzunehmen, hauptsächlich um den Eindruck zu erwecken, daß die junge Frau freiwillig abgereist sei. Lehmann war noch betäubt. Evelyn Roth orientierte sich langsam. Als sie den Spanier in der Tür bemerkte, fand sie ihre Sprache wieder. »Was soll das bedeuten?« Caide grinste vertraulich. »Wenn Sie wollen, eine Art Hochzeitsreise. Es tut mir außerordentlich leid, daß wir etwas unsanft mit Ihnen umgehen mußten, aber wir brauchten notwen69
dig Ihr Flugzeug.« »Mein Flugzeug?« erkundigte sie sich verwundert. »Wozu? Und warum schleppen Sie dann mich und meinen Piloten mit?« Caide lachte und hob die Schultern. »Nun, erstens sieht es besser aus. Zweitens würde es außerordentlich schmerzhaft für uns sein, Ihre entzückende Gesellschaft entbehren zu müssen.« Ihre Augen verengten sich. »Sie werden die Erfahrung machen, daß meine entzückende Gesellschaft auch sehr lästig werden kann. Haben Sie die Absicht, uns ständig so gefesselt zu lassen?« »Es kommt ganz auf Sie an. Wenn Sie sich friedlich verhalten und mir versprechen…« »Nichts verspreche ich«, sagte sie scharf. »Wenn Sie so feige sind, daß Sie sich vor einer waffenlosen Frau fürchten, dann lassen Sie die Stricke nur ruhig, wo sie sind.« »Na schön, ich will nicht so sein. Es wird Lobo nicht ganz passen, aber ich kann nun mal hübsche junge Damen nicht leiden sehen.« Er löste die Fesseln. In Wirklichkeit war sein Verhalten weiter nichts als Theater, denn Lobo hatte ihn gerade nach hinten geschickt, um die Gefangenen von den Stricken zu befreien. Es war zwecklos, sie 70
gefesselt zu lassen. Erstens genügte es, die Tür hinter ihnen zu schließen, und zweitens mußten sie früher oder später doch die freie Bewegung über ihre Gliedmaßen zurückerhalten. Solange sie sich im Flugzeug befanden, konnten sie nicht viel unternehmen, ohne ihr eigenes Leben zu riskieren. Später im Urwald aber würden die Verhältnisse schon ganz von selbst die beiden Gefangenen an ihre Entführer ketten. Evelyn Roth kümmerte sich um den Piloten. Verletzt war August Lehmann nicht, der Schlag hatte ihm aber für einige Stunden das Bewußtsein geraubt. Kaltes Wasser kürzte jedoch seinen Schlaf erheblich ab. »Wo wollen Sie eigentlich hin?« erkundigte sich Evelyn Roth zwischendurch bei dem Spanier. »Soviel ich sehe, befinden wir uns auf dem Flug nach Westen. Wollen Sie sich durch eine Durchquerung Afrikas berühmt machen?« Er lächelte spöttisch. »Durchaus nicht. Wir beabsichtigen nur, den Mann am Bangweolo-See zu finden und ihm bei der Ausbeutung seiner Diamantenfelder behilflich zu sein.« »Sehr offenherzig«, stellte sie sachlich fest. »Langsam, August, nehmen Sie sich Zeit. Die beiden Herren haben uns ein bißchen entführt und wollen 71
uns ein Diamantenfeld zeigen. Es besteht keine Gefahr. Übrigens, Mr. Caide, Sie dürfen wohl etwas zu spät kommen.« »Vielleicht für den Mann am See, nicht aber für die Diamanten. Wir hoffen stark, daß wir wieder auf diesen Sun Koh stoßen werden.« Sie sah ihn verwundert an. »Bilden Sie sich ein, daß er hinter den Diamanten her ist, und daß Sie ihm die so ohne weiteres auch noch abnehmen können?« »Ohne weiteres vielleicht nicht«, sagte Caide. »Vielleicht stimmt es, daß er auf Diamantensuche ist, aber daß er sich ausgerechnet von Ihnen etwas abnehmen lassen soll, kommt mir unwahrscheinlich vor.« Ihr Ton verletzte ihn sichtlich. Verstimmt murrte er: »Wollen Sie damit sagen, daß Sie uns für Schwächlinge halten?« Sie musterte ihn verächtlich. »Sie mögen ein vortrefflicher Halunke sein, aber…« »Nehmen Sie sich in acht!« fuhr er hoch. »Ich bin ein höflicher Mann, aber selbst eine Dame hat nicht das Recht, mich zu beleidigen.« Sie lachte ihm ins Gesicht und wollte etwas erwidern, aber jetzt mischte sich August Lehmann ein, der inzwischen seine Benommenheit niedergerungen und sich aufgesetzt hatte. 72
»Geben Sie acht, daß Sie keine Luftblasen schlukken, junger Mann«, brummte er schwerfällig. »Kerle von Ihrer Sorte kann man überhaupt nicht beleidigen. Wenn wir also nicht sofort umkehren, schlage ich euch zusammen, daß ihr eure Köpfe zusammenlesen müßt.« »Die Tonart ist angebracht«, meinte Evelyn Roth. »Sagen Sie ihm ruhig die Meinung.« Caide fingerte an seiner Pistole. »Ich würde Ihnen raten, den Mund zu halten. Bei Pirollo war Ihr Leben sicher, weil wir keinen Verdacht erregen wollten, aber jetzt kann uns nichts hindern, Sie abzusetzen, verstanden?« August Lehmann tippte sich an die Stirn. »Fingern Sie nur ruhig an Ihrem Maschinengewehr herum, deswegen sage ich Ihnen doch, daß Sie eine Tracht Prügel verdienen, verstanden? Na, was ist denn mit der Maschine los?« Sie lauschten alle drei. Der Motor arbeitete nicht mehr ganz einwandfrei. Es war, als ob er keuchte, kurz darauf arbeiteten die Kolben immer schneller, der Motorgesang wurde heller und dünner. August Lehmann begriff sofort, was vorlag. Er sprang auf und murmelte: »Großer Gott, die Idioten werden doch nicht…« Er wandte sich scharf an Caide. »Haben Sie die Tanks aufgefüllt?« »Nein«, erwiderte Caide unsicher. »Ich dachte…« 73
»Gedacht haben Sie, Sie Schafskopf…« Lehmann wandte sich an Evelyn Roth. »Verzeihen Sie, Miss Roth, aber die Kerle sind tatsächlich mit fast leeren Tanks losgefahren.« Er schob den Spanier beiseite und ging in den Pilotenraum. Lobo wandte sich flüchtig um, sein Gesicht war verzerrt. Er hatte begriffen, warum die Motoren jetzt aufhörten zu arbeiten. »Ich will sehen, daß ich die Lichtung dort vorn erreiche«, sagte er kurz. »Ich hoffe, daß Sie nicht irrsinnig genug sind, sich jetzt mit mir auseinandersetzen zu wollen.« Lehmann sah, daß der andere sein Bestes tat, und verzichtete darauf einzugreifen. Jeder Streit hätte zur Katastrophe geführt. Lobo konnte den Gleitflug weit genug ausnützen. Er brachte das Flugzeug gerade noch über die Baumwipfel und an freies Gelände heran. Sie setzten etwas hart auf, kamen jedoch ohne Bruch weg. »So, da wären wir«, knurrte der Deutsche sarkastisch. »Von Diamanten keine Spur, dafür sitzen wir aber mitten in Afrika, tausend Kilometer von der Zivilisation entfernt.« Er stieg aus und sah sich um. Evelyn Roth folgte ihm, ebenso die beiden Spanier. Sie standen inmitten einer Art Buschsteppe, die man insofern als Lichtung bezeichnen konnte, als sie ringsum, wenn auch in 74
größerer Entfernung, von Wald umgeben wurde. Ein paar Dutzend Meter vor ihnen strömte ein Bach. Zahllose Wildspuren fielen selbst ihren ungeübten Augen auf. Lehmann deutete auf sie. »Ich glaube, das ist eine kitzlige Gegend, Miss Roth. Wenn uns all das Viehzeug auf den Pelz rückt, werden wir uns bald im Schießen üben können. Wo sind denn unsere Waffen hingekommen?« Die letzte Frage galt den beiden Männern. Lobo deutete mit dem Daumen über seine Schulter. »Alles da, aber nicht für Sie. Wir werden Ihren Schutz übernehmen.« »Wir helfen uns lieber selbst«, sagte die junge Frau. »Geben Sie die Waffen heraus!« August Lehmann legte nicht soviel Wert auf Bildung. Nachdem er sein Staunen überwunden hatte, wütete er los: »Was? Ihr traurigen Vogelscheuchen wollt uns unbewaffnet in der Gegend herumlaufen lassen, weil ihr Angst um euer bißchen Leben habt? Will doch mal sehen…« »Bleiben Sie stehen!« forderte Lobo ihn scharf auf und zog gleichzeitig seine Waffe. Der Deutsche stürzte sich gegen die Füße des Spaniers, so daß dieser nach hinten überschlug. Im nächsten Moment spürte Caide eine schmetternde Faust an seinem Kinn. Er stolperte zurück, bekam einen 75
Magenschlag und wurde seine Waffen einschließlich des Taschenmessers los, während er noch Klarheit in die Ereignisse zu bringen versuchte. Evelyn Roth hatte mittlerweile Lobo von seinen Waffen befreit. Lehmann sprang wie ein Indianer um sie herum, und sobald einer von ihnen den Kopf hob, bekam er eine Tracht Prügel. Während Lobo und Caide ihre Sünden bereuten, stiegen Evelyn Roth und ihr Begleiter wieder in das Flugzeug und vervollständigten ihre Bewaffnung. Dabei unterhielten sie sich über ihre mißliche Lage. »Um Raubtiere brauchen wir uns wohl kaum zu sorgen«, überlegte Lehmann. »Wahrscheinlich haben die Löwen in dieser Gegend noch kein Menschenblut geschmeckt und gehen uns lieber aus dem Weg.« »Und die Neger?« »Tja, sie werden uns wohl zu schaffen machen. Lieber wäre mir, wenn Sie nicht hier wären.« »Mir auch«, seufzte sie, »aber wir müssen uns nun schon abfinden. Wie halten wir es mit den beiden Männern? Waffenlos können sie nicht bleiben.« »Hm, das nicht. Ich muß aber erst einmal mit ihnen reden. Vielleicht kann ich ihnen den Kopf zurechtstutzen. Es ist mächtig unangenehm, wenn man sie ständig vor sich herlaufen lassen muß, damit man keine Kugel in den Rücken bekommt.« »Das Flugzeug müssen wir zurücklassen.« 76
»Leider. Ich könnte…« Von draußen kam ein doppelter Aufschrei. Als Lehmann an die Tür trat, sprangen die beiden Spanier schon hoch. »Neger!« rief Lobo, mit verzerrtem Gesicht. »Sie werden uns überfallen!« »Wo?« »Drüben am Fluß sah ich ein Gesicht.« Lehmann ließ die beiden durch und spähte hinüber. Tatsächlich, das hohe Gras, das einen aufrecht stehenden Mann noch bergen konnte, zeigte Bewegung. Schwarze Köpfe wurden sichtbar. Lehmann zählte in der Eile ein halbes Dutzend und mehr. Er richtete die Büchse. Darauf blieben die Neger stehen. Einer von ihnen schwenkte aber lebhaft einen grünen Zweig. »Sie wollen damit sagen, daß sie in friedlicher Absicht kommen«, erläuterte der Deutsche. »Es kann auch ein Trick sein.« »Vielleicht können wir einen Mann herankommen lassen«, schlug Evelyn Roth vor. »Das ist ein Gedanke. Aber – wie ihnen das verständlich machen?« August Lehmann versuchte es mit Zeichen. Die Neger schienen ihn augenblicklich zu verstehen, denn einer kam auf das Flugzeug zu. Vier Augenpaare beobachteten ihn, und vier Au77
genpaare machten während der paar Minuten seiner Annäherung recht merkwürdige Entdeckungen, die sich zu einem etwas unerwarteten Gesamtbild rundeten. Ursprünglich hatten sie von dem Neger nicht mehr als den Kopf gesehen. Als der Mann jedoch voll sichtbar war, mußten sie feststellen, daß er bis auf eben diesen Kopf mehr einem Europäer glich. Er trug ein offenes helles Sporthemd, einwandfrei sitzende Hosen mit langschäftigen Stiefeln, einen breiten Gürtel mit zwei Pistolenhalftern und am Handgelenk eine blitzende Uhr. Darüber hinaus verrieten seine Bewegungen und seine Haltung vollkommene Sicherheit und gesellschaftliche Gewandtheit. Die Verbeugung, die er fünf Meter vor dem Flugzeug machte, hätte ebensogut auf dem Parkett ausgeführt werden können. Zu allem Überfluß sprach er auch noch Englisch – das Englisch des New Yorkers in kehliger, leicht singender Klangfarbe. »Sie haben von mir und meinen Leuten nichts zu befürchten«, sagte er. »Wir sahen Sie landen und nahmen an, daß Sie unter Umständen Hilfe benötigen würden.« Lehmann machte seinem Erstaunen Luft: »Wir denken, daß ein paar Kannibalen durch das Gras kommen, und nun entpuppen Sie sich als schwarzer Gentleman. Ich muß sagen, daß ich einigermaßen 78
platt bin.« Der Schwarze lächelte höflich. »Es liegt kein Grund zum Erstaunen vor. Ich habe meine Jugend in Harlem verbracht und dort studiert, bin erst vor einiger Zeit in meine Heimat zurückgekehrt. Man nannte mich Holy Bilsom, doch ist mir hier nur der erste Name geblieben.« »Ich bin Evelyn Roth«, sagte die junge Frau, »und das ist mein Pilot. Die beiden Herren im Hintergrund entführten uns samt meinem Flugzeug aus Mozambique und vergaßen dabei, die Tanks aufzufüllen. Nun können wir nicht weiter und müssen versuchen, uns zu Fuß zurückzufinden.« »Eine unangenehme Lage«, sagte der Schwarze, »aber ich hoffe, daß ich Ihnen behilflich sein darf. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich meine Leute herbeirufe?« »Nein«, erwiderte sie, zögerte aber dabei. »Einen Augenblick noch, Mr. Holy«, sagte Lehmann. »Sie versprechen uns, uns ungefährdet und auf schnellstem Weg nach Mozambique zurückzubringen?« Holy nickte. »Es ist meine Absicht. Es wird natürlich von meinem König abhängen, ob er nicht etwa andere Beschlüsse faßt. Für Ihre Sicherheit haben Sie jedenfalls nichts zu befürchten.« 79
Lehmann lachte kurz auf. »Dachte ich mir doch gleich, daß irgendein Haken dabei ist. Sie wollen uns also nicht direkt zurückführen, sondern uns erst zu Ihrem Häuptling bringen?« Im Gesicht des anderen zeigte sich eine gewisse Verwunderung. »Selbstverständlich, wenn auch die Bezeichnung Häuptling für den Beherrscher Zentralafrikas etwas unzutreffend sein dürfte. Ich bin einer seiner ersten Leute, aber ich habe nicht das Recht, eine endgültige Entscheidung über Sie zu treffen. Es ist nicht mehr als recht und billig, daß ich mich seinem Spruch unterwerfe. Sie haben sein Hoheitsgebiet ohne Erlaubnis betreten und müssen sich nun wohl oder übel dem fügen, was er über Sie beschließt. So ist es internationale Sitte, in Europa ebensogut wie in Amerika.« Das junge Mädchen blickte ihn unwillig an. »Sie führen eine merkwürdige Sprache. Es mag schon richtig sein, daß in anderen Ländern die Grenzüberschreitungen nicht so ohne weiteres möglich sind, aber hier liegen die Dinge doch etwas anders. Sie reden von einem zentralafrikanischen König, als ob es ein politisches Gebilde Zentralafrikas gäbe.« Holy blieb von vollendeter Verbindlichkeit. »Das ist kein Gegenbeweis gegen seine Existenz. Tatsächlich umfaßt unser Reich augenblicklich das 80
gesamte Gebiet von Ubangi südwärts bis zum Sambesi.« »Ja, aber ich verstehe Sie nicht – das sind doch alles Gebiete verschiedener Staaten?« Er hob die Schultern. »Was hat das zu besagen? Nehmen wir an, Sie wären Engländerin – wie würden Sie sich einstellen, wenn die Araber England zur arabischen Kolonie erklärten?« »Lächerlich«, wies sie den Vergleich mit einer gewissen Schärfe zurück. »Das ist es auch für uns, wenn sich Engländer, Belgier oder Portugiesen einbilden, Herren über unser Gebiet zu sein.« »Sie vergessen, daß diese Völker herrschen, weil sie die Macht besitzen.« »Ganz recht, und infolgedessen von dem Moment an nicht mehr herrschen werden, an dem unsere Macht größer ist als die ihre.« »Sie beabsichtigen also, uns zu dem Kaiser von Afrika zu bringen?« Ihr spöttischer Ton war deutlich genug gewesen, das Gesicht des Negers zeigte denn auch einen gewissen Unmut. »Es wäre mir lieber, Sie würden das nicht als Scherz betrachten. Sie sind von den Entschlüssen meines Herrn mehr oder weniger abhängig. Wenn er 81
auch nicht kleinlich ist, so wird er doch kaum spöttische Mißachtung ungestraft lassen.« »Sie können sich die Drohung sparen«, erwiderte sie kalt. »Mein Spott wird ausschließlich durch Ihre gewagten Behauptungen verursacht. Ist Ihr König oder wie Sie ihn sonst nennen ein Eingeborener?« »Er ist ein Neger, hat aber wie ich in Harlem studiert. Sie brauchen nicht zu befürchten, zu einem primitiven Wilden zu kommen. Sie dürfen Ihre Waffen behalten, wenn es Ihnen Spaß macht, aber Sie müssen uns folgen.« »Und wenn wir uns weigern?« Der Neger lächelte, und das wirkte so überlegen und sicher, daß die vier Menschen schwer betroffen wurden. »Sie werden sich nicht weigern.« Evelyn Roth tauschte mit Lehmann einen Blick und sagte dann: »Wir wollen uns untereinander besprechen.« Er nickte nur, gleichgültig wie einer, für den sich am Verlauf der Ereignisse nichts mehr ändern kann. Evelyn Roth schloß die Kabinentür hinter sich und wandte sich an die Männer. Lehmann trat ans Fenster und beobachtete die Neger und ihren Führer, der sich nicht von der Stelle rührte. »Was nun?« fragte sie. »Ich bin dafür, daß wir ablehnen und uns auf eige82
ne Faust durchzuschlagen versuchen«, meinte Lehmann entschieden. »Dieser Neger macht keinen schlechten Eindruck, aber ich verlasse mich lieber auf meine Waffen als auf die Gnade seines Königs. Gehen wir einmal mit, so sind wir ihnen restlos ausgeliefert.« Sie lächelte unsicher. »Ich weiß nicht, mir ist so merkwürdig im Kopf. Wahrscheinlich macht das die Hitze. Ich denke auch, daß wir besser allein und unabhängig bleiben, aber vielleicht ist es doch unklug. Wir kennen das Land nicht. Andererseits wird man es nicht wagen, uns anzugreifen oder uns etwas zuleide zu tun. Oh – mein Kopf! Ich rede wohl rechten Unsinn? Also, ich denke, daß wir den Vorschlag dieses Holy annehmen werden. Es ist die beste Lösung.« August Lehmann biß die Zähne aufeinander. Evelyn redete ja ganz durcheinander. Oder lag das an seinem Kopf? Wahrhaftig, jetzt bekam er auch noch Kopfschmerzen. Dem Neger sollten sie sich anvertrauen? Sie konnten sich unmöglich in die Hände dieser Leute geben, die sie vielleicht abschlachten würden. Aber das war natürlich auch wieder Unsinn. Leute vom Schlag dieses Holy schlachteten niemand ab… Evelyn Roth öffnete die Kabinentür. Holy stand noch auf der gleichen Stelle wie vorhin. Auf seinem 83
Gesicht lag ein freundliches Lächeln. »Wir kommen mit Ihnen«, sagte das junge Mädchen mit ihrer üblichen Bestimmtheit. Er verbeugte sich. »Ich wußte es. Und ich glaube, das wird die beste Lösung sein. Sie erlauben, daß ich meine Leute heranrufe?« »Bitte.« Ein halbes Dutzend Neger kam heran. Sie waren ausnahmslos ähnlich bekleidet wie ihr Anführer, aber man hatte nicht den Eindruck, daß sie ebenfalls aus Harlem stammten. Es waren kräftige Gestalten mit ruhigen Gesichtszügen, in denen sich Entschlossenheit und Disziplin ausdrückten. Die einheitliche Kleidung und Bewaffnung wirkte wie eine Uniform. Lehmann und die beiden Spanier verließen das Flugzeug. Holy war ihnen bei ihrer Ausrüstung für den Fußmarsch behilflich. Dann ließ er durch seine Leute das Flugzeug mehr in den Schutz des Waldes bringen und vertäute es, so gut es ging, mit Lianen. Dann begann der Fußmarsch durch den Urwald. Die Europäer, die ihre Waffen behalten hatten, hielten sich zusammen, aber es wäre nicht nötig gewesen. Die Neger verhielten sich streng reserviert. Sie marschierten bis zum Abend und wieder einen Vormittag, dann kamen sie in einem Dorf an. Dut84
zende von Männern, Frauen und Kindern eilten herbei, als sie die ersten Hütten erreichten, aber seltsamerweise verhielten sie sich fast völlig stumm. Ihre Gesichter waren voller Neugier, aber zugleich voller Respekt. Und dieser Respekt galt dem Neger Holy. Sie bekamen Hütten angewiesen, eine für Evelyn Roth, eine für die drei Männer. Holy hatte jedoch nichts dagegen, als das junge Mädchen vorzog, bei den Männern zu bleiben. Die Hütte war leidlich sauber. Man brachte ihnen Speisen unbekannter Art, die gut schmeckten. Holy kam eine Stunde später zu ihnen und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Gleichzeitig teilte er ihnen mit, daß der anstrengende Fußmarsch zu Ende sei und daß sie am anderen Morgen die Reise im Flugzeug fortsetzen könnten. »Im Flugzeug?« fragte Evelyn Roth, die ebenso überrascht war wie ihre Begleiter. »Haben Sie denn Flugzeuge zur Verfügung?« »Ich nicht«, sagte Holy, »aber der König des Landes. Leider sind es nicht viel. Unsere Industrie ist noch unterentwickelt, und die Einfuhr von Flugzeugen ist nicht leicht. Ich machte Mitteilung von Ihnen, und darauf wurde mir befohlen, hier zu warten, bis ein Flugzeug eintreffen würde, um Sie zu holen. Der Kaiser von Afrika – wie Sie ihn nannten – ist sehr rücksichtsvoll gegen eine Dame.« 85
»Hoffentlich nicht zu rücksichtsvoll«, brummte Lehmann verhalten und hängte lauter an: »Darf man erfahren, wie Sie Ihrem Kaiser Bescheid gegeben haben? Er wohnt wohl nicht weit von hier?« »Ich weiß nicht, ob Sie fünfhundert Kilometer als weit bezeichnen würden. Unsere Nachrichtenmittel sind übrigens neben denen, die seit Alters her im Lande üblich sind, die gleichen wie bei Ihnen. In einer Hütte dieses Dorfes steht ein Kurzwellensender, dessen ich mich bediente.« »Machen Sie keine Witze«, sagte der Deutsche ärgerlich. »Sie haben doch gar keine Elektrizität.« Holy wurde etwas spöttisch. »Sie sind wohl kein Elektriker, sonst müßten Sie wissen, daß es genügend starke Batterien mit langer Lebensdauer gibt, die den geringen Beanspruchungen eines Kurzwellensenders genügen.« »Na ja«, knurrte der Deutsche, »ich dachte nur…« »… wir verständen nichts von diesen Dingen. Es ist aber doch der Fall. Ich bitte Sie also, Geduld zu haben, bis das Flugzeug eintrifft.« Das geschah am nächsten Morgen, aber es hielt sich gar nicht lange auf, sondern erhob sich nach kurzer Pause wieder, ohne daß sie viel von ihm gesehen hatten. Einige Stunden später erschien es zum zweitenmal, jetzt flog aber hinter ihm eine zweite Maschine, in der Evelyn Roth ihr eigenes Flugzeug erkannte. 86
»Wir haben es aus dem Urwald herausgeholt«, erklärte Holy. »Es war ja nichts anders nötig als etwas Betriebsstoff und ein Pilot. Ich möchte Sie jedoch bitten, in der anderen Maschine Platz zu nehmen.« Sie fügten sich seinem Wunsch. Die fremde Maschine erregte ihre helle Bewunderung. Es war eine der modernsten Turboprops, eine riesige Maschine, die in ihrer äußeren Form an einen Riesenplattfisch erinnerte. Sie hatte mindestens zwei Dutzend Leute an Bord, die alle zur Bedienung gehörten. Trotzdem bot sie soviel Raum, daß sich die vier förmlich verloren darin vorkamen. Eindrucksvoller konnte der Kaiser von Afrika seine Existenz nicht beweisen als durch dieses Flugungeheuer. Zwei Stunden nach dem Abflug senkte sich die Maschine in eine grüne Ebene hinein, in ein bebautes, offensichtlich fruchtbares Hochplateau, das in größerer Entfernung von Höhenzügen umschlossen wurde. Inmitten der Ebene lag eine Stadt. Sie war nicht groß, aber man konnte von dort her regelmäßige Straßenzüge erkennen, die von einem umfangreichen Gebäudekomplex nach allen Seiten strahlten. Die Stadt bestand aus weißen Häusern mit flachen Dächern, meist zweistöckig, bis auf die höheren Gebäude in der Mitte. Daß sie ausnahmslos erst neueren Datums waren, merkten die vier dann aus größerer Nä87
he. Die ganze Stadt konnte nicht viel älter als einige Monate, sein. Die Wände bestanden aus einem hellen Lehm, der das Sonnenlicht weißlich reflektierte. Sie wurden unmittelbar in das Zentralgebäude geleitet. Holy führte sie und gab ihnen bereitwillig Auskunft auf alle Fragen, die sie hatten. In einem dämmrigen, kaum möblierten Raum ließ er sie schließlich allein mit dem Versprechen, in wenigen Minuten zurückzukommen. Er blieb wirklich nicht lange; hinter ihm kamen jedoch zwei der auch hier einheitlich gekleideten Neger. Sie trugen in jeder Hand eine Art Käseglocke. Holy nahm eine davon in die Hand und überreichte sie Evelyn Roth. »Der Kaiser von Afrika ist begierig, Sie kennenzulernen«, sagte er. »Er wird Sie sofort empfangen. Bitte setzen Sie diese Kappe auf. Sie brauchen nichts zu befürchten, es ist nur das übliche Zeremoniell, von dem wir um unserer Leute willen nicht abweichen möchten.« Sie nahm das umsponnene Geflecht mißtrauisch in die Hand, zog es aber dann mit kurzem Entschluß über den Kopf. Es legte sich wie ein Helm über ihre roten Locken. Die drei Männer folgten kurz darauf ihrem Beispiel. Dann standen sie vor dem Kaiser von Afrika. John Ferblack saß hinter einem überdimensionier88
ten Schreibtisch. Auf der Platte lagen Bücher, Schrift stücke und ein Sammelsurium der verschiedensten Gegenstände. Der Kaiser erhob sich zu Ehren seiner Besucher und wies auf ein paar Sessel, die um den Schreibtisch gruppiert waren. Er trug diesselbe Kleidung wie seine Leute, nur fehlten bei ihm die Waffen. Dafür trug er jedoch auf dem Kopf eine ähnliche Kappe wie die vier, nur war sie an den Seiten und hinten noch länger. Das energiegeladene Gesicht wirkte durch diesen Kopfschmuck noch fester und geschlossener, die Kinnpartie trat fast unangenehm hart hervor. »Bitte nehmen Sie Platz!« bat Ferblack und setzte sich gleichzeitig. »Ich freue mich, daß Sie meinen Leuten keine Schwierigkeiten bereiteten und ihnen hierher folgten.« »Es geschah in der Annahme, daß Sie uns dann unverzüglich wieder an die Küste zurückbringen lassen würden«, sagte Evelyn Roth. Er sah sie forschend an. »Sie betonen das, weil Sie mich jetzt für gefährlicher halten, als Sie bisher angenommen haben, nicht wahr? Sie heißen Evelyn Roth. Ihr Vater ist der bekannte Milliardär, ein sehr einflußreicher Mann. Eine Gelderpressung brauchen Sie nicht zu befürchten…« »Sind – sind Sie Gedankenleser?« stammelte sie bestürzt. 89
Er lächelte höflich. »Durchaus nicht, und das ist wohl Ihr Pilot und Begleiter, nicht wahr?« Er blickte zu August Lehmann, der bestätigend nickte und dabei knurrte: »Bin ich allerdings.« »Sie sind ein vorsichtiger Mann«, lobte Ferblack, »daß Sie Ihre zumindest unhöflichen Gedanken nicht ausdrücken. Sie werden weder Grund noch Gelegenheit haben, mir an die Kehle zu springen. Sie stammen aus Deutschland. Das Häuschen mit den roten Blumen am Fenster ist Ihnen wohl sehr lieb, nicht? Lassen Sie das!« Seine Mahnung kam schon zu spät, denn August Lehmann hatte bereits die Kappe von seinem Kopf heruntergerissen und sie auf die Erde geworfen. Eine blitzartig aufzuckende Erkenntnis hatte ihn handeln lassen. »So, jetzt lesen Sie mal weiter meine Gedanken, Sie Hellseher! Ich dachte mir doch gleich, daß sich mit diesem Drahthelm eine besondere Teufelei verbindet.« John Ferblack blieb ruhig und wandte nichts ein, als nun auch das junge Mädchen und die beiden Spanier ihre Kappen herunterholten. Im Gegenteil, es schien ihn zu belustigen, denn er meinte offensichtlich heiter: »Da bin ich ja an einen ganz Schlauen geraten. Aber schön, es geht auch so. Das Wichtigste 90
über Sie beide habe ich bereits erfahren, und diese beiden Herren sind ohnehin durchsichtig genug. Warum haben Sie sich des Flugzeuges dieser Dame bemächtigt und sie entführt? Welche Absichten hatten Sie?« Lobo vermutete in ihm wohl eine Art Spießgesellen, denn er erwiderte mit einem vertraulichen Grinsen: »Wir brauchten eigentlich nur die Maschine. Ein Mann brachte einen großen Diamanten aus dem Inneren mit, und wir hofften, dem Lager auf die Spur zu kommen.« »Welcher Mann?« fragte Ferblack scharf. »Was weiß ich. Er starb auf Pirollos Gut am Schirwa-See.« »Das genügt. Machen wir die Sache kurz. Diamanten gibt es hier nicht, aber einen schnellen Tod für Leute, die auf unrechte Gedanken kommen. Ich kann Sie wahrscheinlich beide gebrauchen. Haben Sie besondere Talente?« Lobo hätte zwar das Kartenspiel angeben können, aber er beschränkte sich darauf, seine Fähigkeiten als Pilot zu erwähnen. Unmittelbar darauf bedeutete ihnen Ferblack, einem seiner Leute, der plötzlich im Zimmer stand, zu folgen. »Es sind Leute, die man nach Belieben benutzen oder wegwerfen kann«, sagte er verächtlich zu Evelyn Roth. »Kommen wir nun zu Ihnen. Nehmen Sie 91
im Ernst noch an, daß ich Sie zur Küste zurückbringen lasse?« »Ja«, gab sie mit aller Entschiedenheit gegen ihre bessere Überzeugung zurück. »Nein«, erwiderte er ebenso entschieden. »Sie glauben es selbst nicht mehr, weil Sie ein vernünftiger Mensch sind. Lassen Sie uns offen reden. Sie haben wohl begriffen, daß sich augenblicklich in diesem Land ein politisches Ereignis ersten Ranges abspielt, das manchen Staaten außerordentlich unangenehm werden wird. Bis jetzt ist die Welt ahnungslos, und sie muß es auch noch so lange bleiben, bis ich mit der Innenarbeit fertig bin, wenigstens notdürftig. Sobald ich nach außen zu wirken beginne, sobald also die Welt ohnehin von mir erfahren wird, dürfen Sie die Heimreise antreten. Das kann noch einige Monate dauern, vielleicht auch noch einige Jahre, es hängt von verschiedenen Umständen ab. Jedenfalls muß ich Sie bitten, bis zu dem genannten Zeitpunkt mein Gast zu sein.« Sie beugte sich vor. »Und wenn wir Ihnen versprechen zu schweigen?« Er lächelte kühl. »Was Ihnen hier heiliger Schwur ist, kann in der Geborgenheit eines australischen Salons sehr leicht als Farce erscheinen, der man sich nicht mehr verpflichtet fühlt. Und abgesehen davon genügt oft ein an 92
sich scheinbar unverräterischer Hinweis, um mir Leute und Konflikte auf den Hals zu hetzen. Es tut mir leid, aber ich kann auf Ihr Angebot nicht eingehen.« »Wir müssen uns wohl fügen«, meinte Evelyn Roth nach einer nachdenklichen Pause. »Wäre es wenigstens möglich, meinen Vater zu verständigen?« »Sie dürfen ihm einige beruhigende Zeilen schreiben, doch müssen Sie mir erlauben, diese nachzuprüfen.« Von ihr aus war das Gespräch beendet, aber August Lehmann hatte noch etwas auf dem Herzen. »Sagen Sie«, wandte er sich an Ferblack, »können Sie tatsächlich die Gedanken lesen, wenn wir diese Dinger aufhaben?« »Ja«, sagte Ferblack bereitwillig, »die winzigen elektrischen Wellen, die die Gehirnarbeit ausmachen, werden aufgefangen und verstärkt. Das ist eine ganz einfache Erfindung, die ich einem – guten Freund verdanke. Doch nun werden Sie vor allem das Bedürfnis haben, sich zu erfrischen und sich auszuruhen. Bitte vertrauen Sie sich diesem Mann an.« Ein Neger, der schon wieder mehr nach Harlem aussah, verbeugte sich und schritt ihnen voran. 4. »Der Grundgedanke ist also ganz einfach, und auch 93
die Verwirklichung war nur abhängig davon, daß ich genügend empfindliche Apparate fand.« Sun Koh sah Hans Ziesche forschend an. »Die Erfindung ist Ihnen gelungen?« »Es war noch nicht einmal schwer, wie ich Ihnen bereits sagte. Bedeutend mehr Mühe hat mir die umgekehrte Anwendung verursacht, obgleich sie gerade leicht schien. Aber schließlich ist es mir doch gelungen, einen Apparat zu konstruieren, mit dem man die eigenen Gedanken und Willensregungen so energisch auf eine fremde Person übertragen kann, daß deren Gedanken dadurch gesteuert werden können.« »Eine Art mechanischer Hypnose?« »Sie können es so nennen.« »Sie können mit Ihrem Apparat gleichzeitig auf Tausende von Menschen wirken?« »Auf Hunderttausende, wenn es sein muß. Das ist ja der Grund, warum sich John Ferblack so sehr für ihn interessierte, denn er stellte unter diesen Voraussetzungen ein Machtmittel ersten Ranges dar.« »Um diese zahllosen Stämme seines neuen Reiches zusammenzuhalten?« »Das wird vielleicht das eine sein. Ferblack ist alles andere als dumm, ich möchte sogar sagen, daß er ein Mann von starken Fähigkeiten ist. Er weiß so gut wie jeder von uns, daß man diese Stämme nicht einfach durch Überredung zusammenschweißen kann. 94
Mit Hilfe des Apparates oder einer Zahl solcher Apparate ist es ein Kinderspiel. Er packt das Übel an der Wurzel, geht den schwarzen Querköpfen unmittelbar auf die Nähte und impft ihnen das ein, was er als bestimmend darin haben will. Und glauben Sie sicher, die Wirkungen solcher Beeinflussungen werden nachhaltiger sein als die persönlichen Wünsche der einzelnen. Darüber hinaus ist ihm der Apparat geradezu unschätzbar zur Verteidigung seines Reiches.« Hal grinste. »Kann ich mir denken, daß er solche Apparate in den Parlamenten und Ministerien aufstellen will, so daß sie seiner schwarzen Majestät alle ihren Segen geben.« Ziesche lächelte. »Er wird sicher nicht verfehlen, das zu tun, darüber hinaus kann er es auch ruhig auf einen Angriff ankommen lassen. Es wäre möglich, einem anrükkenden Heer so vollständig den Kopf zu verdrehen, daß es einfach wieder nach Hause geht.« Hal zog seine Stirn in Falten. »Hm, da haben Sie ja ein nettes Ding ausgeknobelt. Haben Sie nicht selbst das Gefühl, daß es seine Vorzüge hätte, Ihre sämtlichen Apparate ins Wasser zu werfen? Ich kann mir nicht helfen, aber solche Sachen kommen mir hinterlistig und feige vor.« Ziesche nickte. 95
»Ganz meine Meinung. Wenn ich diesem schwarzen Kaiser die Apparate wieder abgenommen habe, werde ich deinen Rat befolgen. Es gibt eben Erfindungen, denen der moralische Hintergrund fehlt, und die muß man im Interesse aller nicht unbedingt der Welt unterbreiten.« »Warum haben Sie die Erfindung überhaupt erst gemacht?« Der Deutsche seufzte. »Mein lieber Freund, das menschliche Gehirn ist ein Satan. Es packt einen eben, und dann läßt man keine Ruhe, bis der Gedanke nicht Verwirklichung gefunden hat. Erfinder arbeiten unter einem Dämon. Der Erfinder macht sich, solange er arbeitet, kaum Gedanken über die möglichen schädlichen Auswirkungen seiner Erfindung. Er ist besessen. Glaube mir, wenn die Erfinder des Pulvers, des Dynamits und all dieser Sachen geahnt hätten, wozu ihre Erfindungen mißbraucht werden, sie hätten ihre Finger von der Erfinderei gelassen.« Die Unterhaltung riß ab. Die Hauptstadt des Kaisers von Afrika kam in Sicht. Sun Koh hatte mit seinen Begleitern zwei Tage lang nach Evelyn Roth gesucht. Das war ein ziemlich aussichtsloses Beginnen gewesen, da es auf der winzigen Chance beruhte, daß man zufällig das andere 96
Flugzeug in der Luft oder auf dem Boden bemerkte. Es blieb denn auch ohne Erfolg. So waren sie gelandet und hatten irgendeinen Neger aufgegriffen, um ihn zu befragen. Der Mann war hartnäckig gewesen, aber Sun Koh nicht weniger. Darauf hatten sie erfahren, daß Weiße im Urwald gelandet seien und daß man sie nach der Stadt des Kaisers geführt habe. Ihr Plan ergab sich aus den Verhältnissen. Er bestand einfach darin, daß Nimba die Stadt betreten und versuchen sollte, den Gefangenen soviel Bewegungsfreiheit zu verschaffen, daß man sie in das Flugzeug aufnehmen konnte. Der Pilot war in diese Absicht selbstverständlich eingeschlossen, nicht aber die beiden Spanier. So warteten sie, bis sich die Dunkelheit über das Hochplateau senkte, dann gingen sie hinunter und setzten Nimba ab. Nimba wanderte über die Ebene. Seinen Gurt mit den beiden Pistolen hatte er umgeschnallt und die Büchse über die Schulter genommen. Er hatte dabei grinsend erklärt, daß er den Leuten das schon plausibel machen wolle. Die Nacht hatte gerade erst begonnen. Nimba glaubte nicht, daß es für ihn ratsam sei, aufs ungewisse durch die Straßen der Stadt zu streifen. Er wollte horchen. John Ferblack hatte gewiß mit der Erbauung dieser 97
weißen Häuser einen gesunden Gedanken verfolgt, aber seine Untergebenen waren zum Teil noch gesünder. Nicht alle krochen in diese ummauerten Höhlen hinein. So bot die Stadt ein romantisches und merkwürdiges Bild. Die Würfel der Häuser standen kantig gegen den Nachthimmel, und auf den Straßen, vor den Türen loderten die Feuer, um die sich die Schwarzen gruppierten. Nimba lag eine Zeitlang in unmittelbarer Nähe einer Gruppe, die vor einem der ersten Häuser saß. Die Leute lachten und unterhielten sich, aber sie taten alles in einem Dialekt, den Nimba nicht verstehen konnte. Darauf ging er weiter und suchte. An einem der westlichen Ausgänge der Stadt fand er schließlich eine Gruppe von fünf Mann. Hier wurde Englisch gesprochen, aber über die belanglosesten Angelegenheit. Nimba lag gar nicht weit von dem matten Feuer entfernt und lauschte. Nach einer halben Stunde hatte er es satt und wollte weitergehen. Dabei ereilte ihn das Pech. Er machte eine unglückliche Bewegung, zerbrach dabei einen Zweig und wurde gehört. Einer von den Männern sprang sofort hoch und richtete seine Waffe in die Gegend, in der Nimba lag. Sun Koh hatte dem Neger schärfste Anweisung gegeben, sich nicht der Gefahr eines Schusses auszu98
setzen. Hans Ziesche hatte genügend über die furchtbare Waffe berichtet, über die John Ferblack und seine Leute verfügten, und Nimba hatte das auch wohl begriffen. Außerdem entsprach es bis zu einem gewissen Grade seinen Absichten, jetzt nicht auszureißen. Er sagte daher auf Englisch: »Beruhigt euch, ihr habt von mir nichts zu befürchten.« Gleichzeitig stand er auf und trat an den Feuerschein heran. Die anderen vier Männer hatten sich ebenfalls erhoben. Einer von ihnen warf einen Arm voll Holz auf das Feuer, so daß der Schein immer heller gegen den mächtigen Körper sprang. Ein anderer sagte überrascht auf Englisch: »Du sprichst Englisch? Wer bist du?« Nimba ließ sich mustern und musterte seinerseits ebenfalls. Die fünf Männer trugen ausnahmslos die Kleidung, von der Ziesche gesprochen hatte. Natürlich waren sie alle Neger, aber selbst Nimba bemerkte den Unterschied, der die fünf Männer in zwei Gruppen teilte. Zwei zeigten den groben ungeformten Gesichtsausdruck des Wilden, die drei anderen dagegen trugen sichtliche Spuren von Kultur. Alle fünf waren sie jedoch große, kräftige Gestalten mit muskulösem Körper, der eine, der die Fragen gestellt hatte, erreichte sogar Nimbas Größe. Gelassen entgegnete er: »Ich heiße Nimba und komme von Norden aus Benin. Ich bin einige Jahre 99
als Schiffskoch gefahren und habe dabei Englisch gelernt.« In den Gesichtern der Männer stand Mißtrauen. Der Große nahm wieder das Wort. »Und was hast du hier zu suchen?« Nimba hob die Schultern. »Auch in Benin wirbeln die Trommeln und erzählen von einem Kaiser, der über Afrika herrschen wird. Das hat mich neugierig gemacht, und so bin ich losgezogen.« Der andere winkte ihn näher. »Tritt weiter heran, damit ich dich besser sehen kann. Du trägst Waffen?« »Soll ich mit bloßen Händen durch den Wald laufen?« »Wie bist du überhaupt hierhergekommen? Der Weg von der Küste ist weit, und es gibt unzählige Dörfer bis hierher. Doch hat niemand deine Ankunft gemeldet. Und wie kamst du durch die Wache?« »Dörfer sind dazu da, daß man sie umgeht, ebenso die Wachen. Hältst du mich für dumm?« Inzwischen hatten sich Neugierige versammelt, die vom Rand des Feuerkreises aus dem Disput folgten. Ein Mann, ebenfalls ein Neger, trat auf Nimba zu. Aus der Bewegung der anderen, die ringsum standen, aus Haltung und Gesichtsausdruck des Mannes selbst war ohne weiteres zu bemerken, daß er eine besonde100
re Rolle spielte. »Ich bin Mawe«, sagte er freundlich, »der Generalkommandant dieser Stadt. Ich kam zufällig hier vorbei und hörte eure Unterhaltung. Du sprichst Englisch und behauptest, dich von Benin aus bis hierher durchgeschlagen zu haben, um unserem Kaiser zu dienen?« »So ist es«, sagte Nimba einfach. »Ich will nicht vorschnell urteilen, ich will dich ausführlich hören. Komm mit!« Nimba folgte wohl oder übel. Es war ihm wenig behaglich zumute. Nahezu in der Mitte der Stadt betrat der Generalkommandant ein Haus und führte Nimba in ein zu ebener Erde liegendes Zimmer, das bis zu einem gewissen Grad europäisch eingerichtet war. Insbesondere enthielt es Tische und Stühle, daneben ein Bett. »So«, sagte der Mann, »hier kannst du dich zunächst einrichten. Morgen früh erwarte ich von dir einen ausführlichen Bericht, warum und wie du hierher gelangt bist.« Nimba hätte ihm vor Vergnügen um den Hals fallen können, weil er auf diese Weise Spielraum gewann, aber er ließ es sich nicht anmerken, sondern brummte: »Demnach habe ich mich jetzt als Gefangenen zu betrachten?« Der andere zuckte mit den Schultern. »Es wird dich niemand hindern, das Zimmer oder 101
auch das Haus zu verlassen, aber ich würde dir nicht raten, es zu tun. Man könnte es falsch auffassen, falls du dich allzu neugierig zeigen solltest. Außerdem nehme ich an, daß du müde bist.« Nimba nickte. »Kann stimmen, aber zunächst würde ich gern etwas essen.« »Um das Essen brauchst du dich nicht zu kümmern.« Damit ging der oberste Befehlshaber der Stadt hinaus. Wenn er mißtrauisch war, so ließ er sich nicht viel anmerken. Wahrscheinlich hielt er es für ausgeschlossen, daß sich der fremde Neger wieder entfernen könne. Nimba dachte zunächst auch nicht daran, sondern tat ganz so, als wolle er sich häuslich einrichten. Im Hof fand er den Brunnen, an dem er sich waschen konnte. Menschen waren dort hinten nicht zu bemerken, wohl aber hielten sich einige Leute draußen vor der Tür auf. Die Nachbargebäude lagen still und ruhig. Er war noch nicht lange wieder in sein Zimmer zurückgekehrt, als eine ältere Negerin eintrat und das versprochene Essen brachte: kaltes Fleisch, Brotfladen und ein erfrischendes Getränk. Die Frau erwies sich als geschwätzig. Nimba murmelte eine Beifallskundgebung über das Essen, 102
darauf sagte sie freundlich: »Ich habe es selbst angerichtet, laß es dir schmecken.« Nimba sah sie aufmerksam an und meinte: »Nanu, du sprichst auch Englisch, Mutter. Die englische Sprache scheint hier recht üblich zu sein.« »Das ist kein Wunder, mein Sohn. John Ferblack und alle, die hier etwas zu sagen haben, sind in Harlem oder in anderen Städten aufgewachsen. Ich selbst habe dreißig Jahre lang in Harlem gelebt. Wenn ich nicht bei meinem Sohn hätte bleiben wollen, wäre ich kaum in dieses schreckliche Land gekommen.« »Du nennst Afrika schrecklich? Glaube nicht, daß man das hier gern hören wird.« »Das ist mir gleich, ich sage, was ich denke. Meine Eltern haben Afrika nicht gesehen und ich auch nicht, bis ich vor einigen Monaten hierher kam. Das Land ist zwar die Heimat unserer Väter, aber wir sind es nicht mehr gewöhnt. Es gefällt mir nicht hier. Es ist kein Land für eine Frau, die das Klima und die Verhältnisse nicht gewöhnt ist. Das arme Mädchen, das jetzt hierbleiben muß, tut mir leid.« Nimba steckte sich den Mund voll, um sich durch den Klang seiner Stimme nicht zu verraten. »Du meinst die Weiße, die seit einigen Tagen hier wohnt?« »Ja«, bestätigte sie mit einem Anflug von Mißtrauen, »du weißt es.?« »Natürlich, der Urwald hat Ohren genug, um es zu 103
erfahren. Es geht ihr aber doch sicher nicht schlecht, und außerdem ist es doch ihre eigene Schuld, daß sie hierher gebracht werden mußte.« Die Frau war wieder harmlos. »Schon«, sagte sie voll Mitgefühl, »aber sie wird trotzdem sehr unglücklich sein, wenn sie nun hier lange bleiben muß. Ich bediene sie doch und weiß ganz genau, wie ihr zumute ist.« »Wenn du hier sämtliche Gefangenen bedienen mußt, so bete, daß es nicht mehr werden, sonst kannst du dich nicht retten«, sagte Nimba lachend. »Schließlich mußt du von einem Ende der Stadt zum anderen rennen, um jedem rechtzeitig sein Essen zu bringen.« »Es ist nicht schlimm«, beruhigte sie, »die junge Dame wohnt ja gleich im Nebenhaus.« »Aber da waren doch noch mehr Leute, die mit ihr gekommen sind.« »Nur einer, und der sitzt auch nebenan. Die beiden anderen dürfen frei herumlaufen und versorgen sich selbst.« »Aha, und die Dame wird bewacht, darf nicht heraus.« Die Frau zog ein geheimnisvolles Gesicht. »Eigentlich konnte sie auch frei durch die Straßen gehen, aber dann kam die Nachricht, daß Weiße unterwegs seien, um sie zu befreien. Seitdem steht eine 104
Wache vor der Tür.« Sie klatschten noch eine Weile miteinander, aber Nimba konnte nichts Wesentliches erfahren. Als die Frau das Zimmer verlassen hatte, holte er schleunigst seine Sprechdose heraus. Er hatte sie ebenso wie die Lampe in einem kleinen Beutel mitgenommen, den er an den Gürtel gehängt hatte. Sun Koh hörte sich seinen Bericht an und gab ihm den Auftrag, Verbindung mit Evelyn Roth zu suchen. Nimba ließ eine halbe Stunde vergehen, dann schlich er sich geräuschlos auf den Hof hinaus und suchte von dort aus nach einer günstigen Gelegenheit, um in das Nachbargebäude zu gelangen. Es gab hier keine voneinander getrennten Grundstücke. Man konnte von einem Haus unmittelbar zum anderen gelangen, das in rund zwanzig Meter Entfernung stand. Die Nacht deckte ausgezeichnet. Nimba kam mühelos an das andere Haus heran. Die Frau hatte recht, auf der Vorderseite stand ein Posten, ein zweiter lief in langsamem Schlendertempo um das Haus herum. Genau genommen war das lächerlich. Die Fenster besaßen noch nicht einmal Scheiben, sondern waren nur ausgeschnittene Löcher. Wer heraus oder hinein wollte, brauchte nur den Zeitpunkt abzuwarten, in dem sich der Wachtposten auf der anderen Seite befand. 105
Nimba stand kurz darauf in einem der dunklen Zimmer. Von dort aus tastete er sich weiter. Im Flur vernahm er die tiefen Atemzüge eines Mannes, der in einem der anderen Räume schlief. Das konnte der Pilot der jungen Dame sein, aber Nimba wollte sichergehen und schlich sich nach oben. Auch hier konnte er sich ohne Schwierigkeiten nach dem leisen Atem der Schläferin orientieren. Türen gab es hier nicht, nur Vorhänge aus dünnem Stoff, die die Türöffnungen abschlossen. Der Neger schlich unhörbar an das Lager Evelyn Roths heran, überzeugte sich noch einmal, daß niemand von seiner Anwesenheit wußte, und legte ihr dann seine schwere Hand auf den Mund. Sie fuhr hoch, konnte aber keinen Laut von sich geben, bis er ihr ins Ohr geflüstert hatte: »Seien Sie bitte still, ich komme von Sun Koh und will Ihnen zur Freiheit verhelfen.« »Wer sind Sie?« hauchte sie. »Ich bin Nimba, ein Freund Sun Kohs. Er ist mit dem Flugzeug über der Stadt und beabsichtigt, Sie so bald wie möglich aufzunehmen. Können Sie auf das Dach gelangen?« »Ohne weiteres.« »Das ist gut. Dann wecken Sie vielleicht, nachdem ich fort bin, Ihren Piloten und begeben sich auf das Dach. Es darf aber auf keinen Fall jemand etwas da106
von merken. Das Flugzeug wird senkrecht von oben auf das Dach kommen. Sie müssen sofort einsteigen.« »Werden die Schwarzen nicht schießen?« »Sie werden es tun, sobald sie etwas merken, aber machen Sie sich keine Sorgen deswegen. Wenn Sie von sich aus kein Geräusch verursachen, werden Sie Zeit genug haben, um ungestört aufsteigen zu können. Soweit klar?« »Ja.« »Schön, dann nehmen Sie diese Lampe. Fühlen Sie vorsichtig. Hier ist der Scheinwerfer, hier an der Seite befindet sich ein Hebel, über den Sie Ihren Handteller legen können. Sobald Sie diesen leicht andrücken, flammt ein Lichtstrahl auf. Sobald Sie auf das Dach kommen, richten Sie den Scheinwerfer senkrecht nach oben und drücken dreimal in kurzem Abstand hintereinander. Dann warten Sie. Das Flugzeug wird Sie spätestens einige Minuten danach aufnehmen. Und nun viel Glück!« »Was wird aus Ihnen?« »Ich werde auf meinem eigenen Weg davonkommen.« Nimba befand sich schon lange wieder außerhalb des Hauses, als von dessen Dach aus ein weißes Lichtbündel gegen den Himmel grellte. Der Kegel war schmal und scharf und streute wenig, trotzdem 107
war eine leichte Aufhellung des Geländes nicht ganz zu vermeiden. Wer zufällig zum Himmel blickte, mußte das Lichtsignal sehen. Jetzt kamen die kritischen Minuten. Da die Männer im Flugzeug die Stadt nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Fernseher unter Bewachung hielten, war nicht zu befürchten, daß sie das Signal übersehen würden. Um so stärker mußte man damit rechnen, daß die Bevölkerung der Stadt die Maschine bemerken würde, wenn sie sich senkte. Wie ein Stein fiel das Flugzeug geräuschlos auf die Stadt herunter, stoppte wenige Meter über dem weißen Haus mit einem Gegenschub der Flügelschaufeln ab. Im gleichen Moment warf Nimba den Arm hoch und schoß wie ein Wahnsinniger in die Luft. Er konnte damit das Geräusch des Flugzeuges nicht übertönen, aber er nahm an, daß sich die Aufmerksamkeit der Menschen zunächst den Lauten zuwenden würden, die ihnen am bekanntesten waren. Tatsächlich: Die einzelnen Neger in der Gasse fuhren herum, spähten nach dem unsichtbaren Schützen und vergaßen darüber, den merkwürdigen Geräuschen in der Luft große Aufmerksamkeit zu schenken. Während es in der Gasse und in der ganzen Stadt lebendig wurde, hob sich das Flugzeug bereits wieder in die Luft. Nimba aber eilte so schnell wie mög108
lich, wenn auch mit aller erdenklichen Vorsicht aus der Stadt hinaus. Auf dem Dach war alles programmgemäß verlaufen. Evelyn Roth und August Lehmann hatten sich weder mit Erstaunen noch mit vielen Fragen aufgehalten. Sie waren mit größter Beschleunigung in die bereits geöffnete Tür des Flugzeuges hineingesprungen. Erst als die Maschine bereits wieder einige hundert Meter über der Stadt stand, hatten sie Zeit gefunden, ihren Rettern zu danken. Sun Koh war der jungen Dame gegenüber nicht besonders freundlich. »Ich frage mich«, sagte er ernst, »warum Sie mir auf diese waghalsige Weise folgten. Bitte sprechen Sie jetzt nicht darüber, aber ich fürchte, daß Sie es kaum verantworten können, wenn ich um Ihres Abenteuers willen das Leben meiner Leute aufs Spiel setzen muß. Wir werden uns später über Ihre Angelegenheiten unterhalten.« Evelyn Roth preßte die Lippen zusammen und schwieg. Sie hatte sich dieses erste Wiedersehen mit ihrem Helden etwas anders vorgestellt. Das kam nun freilich Hans Ziesche zugute, der das freundlicherweise wieder wettzumachen versuchte, was Sun Koh bei der jungen Dame verdarb. Planmäßig sollte Nimba sich sofort nach der Befreiung aus der Stadt entfernen und an den Ort zu109
rückeilen, an dem man ihn abgesetzt hatte. Dorthin begab sich Sun Koh mit dem Flugzeug. Nimba konnte selbstverständlich noch nicht zur Stelle sein, aber er mußte innerhalb einer halben Stunde eintreffen. Die Stadt war hell geworden, allerlei Lärm erklang herüber. Das tiefe Dröhnen eines schweren Flugzeuges wurde laut, eine Weile später sahen sie die Riesenmaschine über der Stadt suchen und mächtige Scheinwerferbündel durch die Nacht schicken. Man suchte sie in der Luft, nicht aber auf der Erde. Eine halbe Stunde verging. Nimba kam nicht. Eine Stunde – zwei Stunden – drei Stunden… Die Stadt war wieder ruhig geworden. Nimba blieb aus. Sun Kohs Gesicht war finster. Hal Mervin sah aus, als hätte er ein halbes Dutzend Zitronen verschluckt. Alle Möglichkeiten wurden erörtert, von der Annahme des Todes über den Unglücksfall bis zu Gefangenschaft, aber es schien auch nicht ganz ausgeschlossen, daß sich Nimba einfach in der Richtung geirrt hatte. Nach drei Stunden faßte Sun Koh einen Entschluß. »Wir können nicht länger warten. Ich werde mich auf die Suche nach Nimba machen. Ich werde die Umgebung und die Stadt nach ihm durchforschen, 110
bis ich Gewißheit besitze.« Hans Ziesche schüttelte sorgenvoll den Kopf. »Das bedeutet glatten Selbstmord für Sie, zumindest Gefangenschaft.« »Das ändert nichts an meinem Entschluß.« Der Deutsche nickte. »Ich dachte es mir. Dann werde ich mich Ihnen anschließen. Ich kenne die Verhältnisse hier einigermaßen.« Sun Koh lehnte jedoch entschieden ab. »Nein, Sie würden mir die Sache nur erschweren, denn Sie sind hier bereits als Feind bekannt. Außerdem muß ich schon deshalb auf Sie verzichten, weil Sie Miß Roth in Sicherheit zu bringen haben. Glauben Sie, das Flugzeug bedienen zu können?« »Es ist leicht«, meinte Ziesche. »Bringen Sie Miß Roth nach Mozambique, dann kehren Sie mit der Maschine zurück und halten sich in dieser Gegend auf. Achten Sie auf die Zeichen, die wir Ihnen dann geben.« Sie beredeten noch eine Fülle von Einzelheiten, an der großen Entscheidung änderte sich allerdings nichts mehr. Sun Koh und Hal Mervin stiegen aus und nahmen Abschied. Das Flugzeug mit Hans Ziesche, Evelyn Roth und August Lehmann an Bord hob sich in die Lüfte.
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5. Wie dunkler, mit Diamanten übersprühter Samt wölbte sich der nächtliche Himmel über die grüne Hochebene im Herzen Afrikas, über die Ketten des Msiri-Distrikts zwischen Luapula und Lualaba. In der Ferne träumte der Urwald, in der Luft atmete bereits das Frösteln des kommenden Morgens. Sun Koh und Hal Mervin standen inmitten eines mit irgendwelchen Gewächsen bebauten Feldes und blickten voraus. Dort vorn lag eine Stadt, weiße Würfel von Häusern, wie fremdartige Kristalle in die Ebene hineingeworfen, die sich zu Straßenzügen und Plätzen gruppierten. Die Stadt John Ferblacks. »Komm«, sagte Sun Koh leise zu Hal Mervin, »wir wollen uns zunächst nach einem Versteck für den Tag umsehen, es wird uns dann noch ein Rest der Nacht bleiben, um Nimba zu suchen.« Sie schritten vorwärts, vermieden dabei alle Geräusche, weil sie nicht wußten, ob nicht an irgendeiner Stelle Wachen lagen. Es dauerte nicht lange, da trafen sie auf ein ausgedehntes Gebüsch, das wie ein Vorläufer oder wie die Nachhut des Urwaldes zwischen den Feldern stand. Es maß mindestens fünfzig Meter im Durchmesser, schien undurchdringlich genug, um zu schützen, und konnte doch andererseits 112
mit einiger Nachhilfe betreten werden. »Wir wollen dieses Gebüsch als Schlupfwinkel vorsehen«, entschied Sun Koh. »Ich glaube nicht, daß es tagsüber von den Einheimischen betreten wird. Pfade führen jedenfalls nicht hinein.« Hal meldete Bedenken an. »Aber wenn man morgen planmäßig die Ebene absucht?« »Das würde voraussetzen, daß sich Nimba noch in Freiheit befindet. Von unserer Gegenwart ahnt man ja nichts. Wenn Nimba aber noch frei ist, können wir unter Umständen ganz auf den Schlupfwinkel verzichten.« Sie suchten mit der Sorgfalt von Menschen, die wissen, daß sie auf diese Weise am schnellsten vorwärtskommen. Das Gelände war erfreulicherweise ziemlich regelmäßig, so daß sie keine allzu großen Schwierigkeiten hatten. Annähernd eine Stunde waren sie bereits unterwegs, als Sun Koh auf einen dunklen Gegenstand zusteuerte, der sich undeutlich aus dem flachen Feld heraushob. Es war ein eiserner Pflug, der am Rand des Feldes stehengeblieben war. Neben ihm lag ein riesiger, dunkler Körper. Nimba! »Ist – er tot?« fragte Hal stockend. Sun Koh beendete seine Untersuchung. 113
»Er lebt. Er ist nur am Kopf schwer angeschlagen. Wahrscheinlich bemerkte er den Pflug nicht, stolperte darüber und schlug mit dem Kopf gegen die eiserne Pflugschar.« »Gott sei Dank, dann ist es nicht so schlimm. Am Kopf ist Nimba nicht totzukriegen.« »Geh voraus«, befahl Sun Koh. »Wir wollen ihn in das Gebüsch schaffen.« Er nahm den schwarzen Riesen auf seine Arme und trug ihn über das Feld. Hal hatte schon recht, wenn er meinte, daß Nimba vom Kopf her nicht totzukriegen sei. Nimba erwachte am grauenden Morgen. Er war mit großer Wucht aufgeschlagen, aber es hatte doch nicht zu einem Schädelbruch gereicht. Der Schlag hatte ihn nur betäubt. »Sie waren hinter mir her«, berichtete er stöhnend, nachdem er sich zurechtgefunden hatte. »Ich weiß nicht, ob sie mich tatsächlich entdeckt haben, jedenfalls rannte ich, was ich konnte. Dann blickte ich mich um, und gerade da muß mir der Pflug in den Weg gekommen sein. Ich stolperte – und dann war es vorbei.« Er erholte sich im Laufe der nächsten Stunden, wie es seine Natur nicht anders erwarten ließ. Das Gebüsch bot nach allen Seiten genügend Deckung. Vorsichtshalber hielten Sun Koh und Hal abwech114
selnd vom Rand des Gebüschs aus Wache. Sie sahen Frauen und Männer zur Feldarbeit gehen, bemerkten drüben auf der Straße gelegentlich Trupps von Negern, die in geschlossener Ordnung marschierten, hörten über sich ein großes Flugzeug brummen und beobachteten Stunde um Stunde das vielfältige Leben am Rande der Stadt. Niemand kümmerte sich um sie. Niemand schien sie hier zu vermuten oder sich um den Verbleib Nimbas zu kümmern. Der Tag verlief ungestört. Trotzdem sagte Sun Koh am Abend: »Wir müssen weiter. Uns fehlt Wasser und auf die Dauer auch die Nahrung. Es hat wenig Sinn, wenn wir uns hier verstecken.« »Kommt Mr. Ziesche nicht zurück?« fragte Nimba. »Er soll zurückkommen, aber es ist fraglich, wann das geschieht. Planmäßig müßte er bereits jetzt wieder hier sein. Der Weg zur Küste ist nicht so weit, daß er ihn nicht in zwölf Stunden zweimal zurücklegen könnte. Ich habe mit ihm verabredet, daß er unmittelbar nach Sonnenuntergang ein Lichtsignal über der Stadt abgeben und warten soll, bis es erwidert wird.« »Vielleicht hat er ungünstig gestanden«, vermutete Hal. »Vielleicht. Versuchen wir es.« Ein Lichtstrahl schoß in mehreren Unterbrechungen zum dunklen Himmel. Gespannt beobachteten 115
sie alle drei. »Nichts!« Über der Stadt wurde bald darauf das dumpfe Dröhnen eines Flugzeuges laut, das sie im Laufe des Tages schon einmal gehört hatten. Dann schnitten Scheinwerfer gegen den Himmel. In der Stadt wurde es unruhig. »Ich fürchte, man ist auf unsere Lichtsignale aufmerksam geworden«, sagte Sun Koh. »Besser, wir verschwinden.« Sie marschierten in lebhaftem Tempo nach Nordwesten. Diese Richtung wollten sie in der Hauptsache einhalten. Dafür gab es verschiedene Gründe. Sie hofften nicht zuletzt, daß man sie in dieser Richtung nicht suchen würde. Außerdem versprach die Kette der Berge baldige Walddeckung. Schließlich kamen sie um den Meru-See herum noch am schnellsten in den Urungu-Distrikt und damit in Gebiete, die auch von Weißen bewohnt wurden. Sie merkten bald, daß Sun Koh richtig vermutet hatte. Das Flugzeug tastete planmäßig den Himmel ab, und später strich es mit seinen Scheinwerfern suchend über die Erde. Einmal kamen die Lichtbündel so nahe, daß sich die drei schleunigst an den Boden preßten. Außerdem bewegten sich Menschen von der Stadt aus über die Ebene. Bald hier, bald dort zuckten Lichtzeichen auf, die nicht zum gewohnten 116
nächtlichen Bild gehörten. Noch später dröhnten Trommeln, die zu den Bergen hinüberriefen und von dort Antwort erhielten. John Ferblack nahm die Verfolgung auf. Er konnte jetzt leicht erraten, daß das Flugzeug Sun Kohs nicht alle zurückgebracht hatte, die mit ihm ins Land gekommen waren. Sun Koh legte scharfes Tempo vor. Der ferne Wald war das kleinere Übel gegenüber der flachen, offenen Landschaft. Eine Hütte tauchte schattenhaft auf. Sie schlugen einen Bogen und gerieten damit in die Nähe einer anderen Hütte. Auch dieser wichen sie aus. Da begannen Hunde zu bellen. Das hatte gerade noch gefehlt. Die wütenden Tiere kamen aus einem nahen Dorf in die Dunkelheit gerast. Sie waren aber zu feige, um sich an die Schatten heranzuwagen. Sie leisteten trotzdem ihren Dienst. John Ferblack erfuhr noch in der gleichen Stunde, daß die Hunde dieses Dorfes am Rande der Ebene durch Unbekannte aufgeschreckt worden waren. Sun Koh befürchtete das, aber er konnte seine Pläne nicht ändern. Die Verfolgung mußte in Kauf genommen werden. Hans Ziesche hatte sich ebenfalls durchgeschlagen, also mußte es auch ihnen gelingen, den Gefahren des Waldes und der heimtückischen Waffen zu entgehen. 117
Eine Stunde nach dem Zwischenfall drangen sie in den hochstämmigen Wald ein. * Das Flugzeug Sun Kohs flog direkt auf Mozambique zu. Hans Ziesche saß am Steuer, Evelyn Roth neben ihm, August Lehmann lag weiter hinten und döste vor sich hin. Das schwache Licht der Armaturenlampen hob die Gesichter der beiden im dunklen Pilotenraum ungewohnt weich heraus und schloß sie gleichzeitig zu einer Einheit zusammen. Hans Ziesche spürte das Licht wie einen friedlichen Zauber, der seine Seele nach monatelanger Verkrampfung löste und sie in unbekannt weichen Regungen schwingen ließ. Oder lag das an der unmittelbaren Nähe der schönen jungen Frau? So oft ihm die Führung der Maschine Zeit ließ – und sie ließ ihm dank der automatischen Steuerung sehr oft Zeit –, sah er zur Seite und betrachtete das feine Profil ihres Gesichts mit dem jetzt an dunkles Kupfer erinnernden Locken darüber. Er würde viel darum geben, wenn er nur ein einziges Mal liebkosend über diese Haare streichen dürfte. Dann und wann schien sie seine Blicke zu spüren und wandte ihm das Gesicht zu. Dann trafen sich ihre 118
Augen. Anfänglich zuckte sie blitzartig wieder weg, aber plötzlich hingen sie einmal länger ineinander, und als sie sich trennten, da glitt ein verlegenes Lächeln über die beiden Gesichter. Sie schwiegen weiter, aber von diesem Augenblick an wurde die Stunde wundervoll. Immer von neuem trafen sich ihre Augen und sprachen miteinander Worte, welche die Lippen nie zu formen gewagt hätten. Immer häufiger lächelten sie einander zu und füllten ihre Seelen damit. Und dann berührte er auf zauberhafte Weise ihren Arm und spürte den Schlag ihres Blutes, und schließlich umschloß seine rechte Hand ihre linke, und keins von beiden wagte es, sich diese Tatsache einzugestehen. August Lehmann verhielt sich mäuschenstill, beobachtete aber blinzelnd das Idyll am Steuer. Er verzichtete darauf, brutalerweise auf Ablösung zu drängen, aber er nahm sich vor, den hoffnungsvollen Jüngling baldmöglichst auf Herz und Nieren zu prüfen. Eine Bö zerriß den gleichmäßigen Flug und damit auch die friedliche Szene. Hans Ziesche brachte mit einigen Griffen das Flugzeug zum Ausgleich, änderte die Steuerung etwas und prüfte die Karten. Jetzt flakkerte ein halblautes Gespräch auf, äußerlich voller Gleichmut und Sachlichkeit, aber dabei doch zutiefst geladen mit den Spannungen der beiden Herzen. »Großartige Maschine«, sagte Ziesche gedämpft. 119
Sie nickte. »Sie ist einzigartig – wie ihr Besitzer.« Ein Stich fuhr ihm durch das Herz. »Sie haben recht«, gab er trotzdem zu. »Ich hätte nie geglaubt, daß es einen solchen Mann geben kann. Sie lernten ihn in Australien kennen?« »Oh, ich beobachte seine Pläne und sein Wirken schon längere Zeit.« »Und daraufhin…« Er brach sofort wieder ab. Sie mußte ihn trotzdem verstanden haben, denn sie sagte nach einer Weile leise: »Ich glaube, es war eine Dummheit von mir, ihm einfach zu folgen. Sie dürfen nicht denken, daß ich es tat, weil er ein Mann ist und ich eine Frau bin. Nein, das ist es nicht. Aber ich liebe das Abenteuer, das heroische Erleben, und Sun Koh…« Er seufzte. »Ich begreife das nur zu gut. Mir ist selbst, als könnte ich nichts Besseres tun, als ihm zu folgen.« Sie wandte sich ihm mit einer raschen Bewegung zu. »Sie wollen das doch nicht ernstlich tun, nachdem Sie eben monatelang durch die gefährlichsten Abenteuer gegangen sind?« Hans Ziesche starrte vor sich hin und murmelte düster: »Es wäre Ihnen unangenehm, wenn ich in Ihrer Nähe bliebe?« Sie schüttelte den Kopf. 120
»Ich sagte Ihnen doch schon, daß es eine Torheit war, hierher zu fliegen. Ich werde nach Hause zurückkehren.« »Morgen schon wird Ihr Vorsatz vergessen sein, wenn die Lust zum Abenteuer wieder stärker hervorbricht.« Sie schwieg. Erst als er sie anblickte, entgegnete sie träumerisch, wobei ihr das Rot in die Wangen stieg: »Ich glaube, wir Frauen verlieren den Drang zum Abenteuerlichen, wenn wir zu lieben beginnen.« Sie hatte es kaum heraus, als ihr bewußt wurde, was sie gesagt hatte. Sie wurde purpurrot und wandte den Blick ab. Hans Ziesche war stark geneigt, das zu seinen Gunsten zu deuten, aber andererseits war er so verwirrt, daß er nichts darauf zu entgegnen wußte. So schwiegen sie beide. Das Lied ohne Worte war schließlich auch schöner. Lange vor Tagesanbruch landeten sie auf dem Flugplatz von Mozambique. Der Wagen, den sie telefonisch aus der Stadt hatten rufen lassen, wartete bereits. Es war immer noch völlig dunkel, als sie ihn bestiegen und stadteinwärts fuhren. Ungefähr auf .halbem Weg stoppte der Chauffeur plötzlich ab. Auf der Straße zeigte sich ein Hindernis, ein querstehender Wagen. 121
Ziesche witterte in allen Fasern die Gefahr. Er zog die Pistole und flüsterte Evelyn zu: »Pressen Sie sich auf den Boden, schnell!« Schon sprangen von beiden Seiten ein halbes Dutzend dunkler Gestalten auf den Wagen zu. Ziesche schoß. Eine Salve knatterte zurück. Der Chauffeur stöhnte auf. Lehmann fluchte wild. Hans Ziesche warf seinen Schützling mit einem Ruck zu Boden und deckte ihn mit seinem Körper. Er schoß wie ein Rasender. Mit dem letzten Schuß holte er sich den fliehenden Schatten. Dann knickte er zusammen. Evelyn Roth wälzte ihn vorsichtig beiseite, als es still wurde. So schnell hatte sich alles abgespielt, daß sie noch kein klares Bild gewonnen hatte. Mit verkrampftem Herzen und zitternden Händen fühlte sie über den warmen Körper ihres Beschützers. Sein Herz schlug, aber an der Schulter griff sie in feuchtes Blut. Sie tastete nach dem Schalter, das matte Deckenlicht flammte auf. Ein Schulterschuß? Vorn am Steuer lagen der Chauffeur und Lehmann übereinander. Mühsam löste sie die beiden Körper. Der Fahrer war tot. Lehmann lebte, aber er mußte wenigstens an zwei Stellen getroffen sein, am Kopf 122
und an der Hüfte. Auf der Straße lagen dunkle Gestalten. Evelyn Roth hielt sich nicht mit ihnen auf. Sie hatte jetzt ihre Geistesgegenwart zurückgefunden und wußte, daß sie vor allem die Verwundeten zu einem Arzt bringen mußte. Außerdem war es nicht ausgeschlossen, daß die Angreifer zurückkehrten. Sie legte Ziesche und Lehmann in größter Eile Notverbände an, um wenigstens eine Verblutung zu verhüten, dann verstaute sie die beiden zwischen den Polstern und setzte den Toten dazwischen, damit sie nicht so leicht herunterfallen konnten. Der fremde Wagen stand noch immer quer auf der Straße. Gott sei Dank war er völlig in Ordnung, sogar der Zündschlüssel steckte, so daß sie ihn leicht von der Straße herunterfahren konnte. Dann brachte sie ihre Verwundeten zur Stadt. Dr. Ferreda war noch nie so erstaunt gewesen wie an diesem Morgen, als die seltsame Fuhre vor seinem Haus hielt und ihn ein stürmisches Klingelzeichen herunterrief. Er fand vor der Tür eine junge Dame, die erschöpft zusammengebrochen war, außerdem im Wagen einen Toten und zwei Verwundete. Ferrada schaffte mit Hilfe eines Dieners die ganze Ladung in sein Haus und machte sich an die Behandlung. 123
Die Verletzung Ziesches erwies sich als glatter Durchschuß dicht unterhalb des Schlüsselbeins, der nach einigen Wochen verheilt sein würde. Bei Lehmann stellte er einen Prellschuß an der Schläfe und einen Steckschuß in der Hüfte fest, beides Dinge, die nicht ans Leben gingen. Evelyn Roth erwachte, um diese Tatsachen zu erfahren, dann schlief sie für die nächsten vierundzwanzig Stunden fest ein. Als sie am nächsten Tag wie neugeboren bei einem umfangreichen Frühstück saß, trat Ferrada, auf den sie bereits brennend wartete, bei ihr ein. »Ich habe ihn festbinden müssen«, berichtete er kummervoll auf ihre Frage hin. »Schon gestern nachmittag. Er wollte mit Gewalt aufstehen und fortgehen, obgleich er sich dabei den Tod geholt hätte.« »Darf ich ihn sehen?« Ferrada führte sie zu dem Verwundeten. Hans Ziesche lag tatsächlich unter festen Stricken, die ihn bewegungslos auf seinem Lager festhielten. Er wurde dunkel vor Zorn, als er den Arzt eintreten sah. Seine Stimme klang hart und rauh, als er sich an Evelyn wandte. »Sie sind es, Miß Roth? Ich freue mich, daß Sie so weggekommen sind. Können Sie diesen verdammten Narren nicht veranlassen, daß er die Stricke wegnimmt?« 124
Sie sah ihn unsicher an. »Er hält es für seine Pflicht als Arzt, weil Sie Ihr Leben gefährden wollen.« »Das ist Unsinn«, erwiderte er unwirsch. »Der Kratzer ist nicht so gefährlich.« »Der Arzt muß es besser wissen«, widersprach sie bittend. »Versprechen Sie mir zuliebe, ruhig liegen zu bleiben.« Er lachte ärgerlich auf. »Schön, wenn Sie sich auch noch auf die Seite des Quacksalbers stellen, dann muß ich mich wohl einstweilen fügen. Schneiden Sie mich los!« Ferrada grinste. »Wenn Sie so gesund wären, wie Sie vorgeben, hätten Sie die paar Stricke schon längst selbst heruntergeholt, Verehrtester.« »Scheren Sie sich zum Teufel!« Ferrada warf die wirklich nicht kunstvoll verknüpften Stricke ab und tat ihm den Gefallen. »Ich bin ihm dankbar«, sagte Evelyn Roth leise, nachdem sich die Tür geschlossen hatte, »daß er Sie hinderte fortzugehen. Sie wollten in den Urwald zurückfliegen, und das wäre in Ihrem Zustand Selbstmord gewesen.« Er starrte finster zur Decke. »Einige Stunden hätte ich schon noch ausgehalten, und das hätte genügt, um die Maschine an den ver125
einbarten Punkt zu bringen, an dem sie zu dritt warten. Auf mich wäre eo wahrhaftig nicht angekommen.« Sie wurde blaß und hauchte: »Hans – das dürfen Sie nicht sagen.« »Aber – sie warten vergeblich auf mich«, flüsterte er. »Ich werde alles tun, um ihnen Hilfe zu bringen«, versprach sie. »Sie müssen sich jedenfalls erst gesund pflegen lassen. Versprechen Sie mir, unter allen Umständen wenigstens eine Woche lang im Bett zu bleiben?« Er lächelte mühsam. »Ich muß es wohl.« Ferrada erschien wieder in der Tür und bat um Beendigung des Gesprächs. Evelyn Roth dachte in der nächsten Stunde über allerhand nach. Als sie damit fertig war, setzte sie sich mit dem Gouverneur in Verbindung und bat um eine Unterredung. Sie wurde ihr am Nachmittag gewährt. Ihr unmittelbares Ergebnis war, daß vom Abend an ständig zwei Polizisten in Zivil das Haus Dr. Ferradas überwachten, mit der Aufgabe, unerwünschte Besucher fernzuhalten. Am nächsten Morgen stieg sie ganz allein im Flugzeug auf und flog nach Westen. Vorher hatte sie freilich schon einige Stunden in dem hellerleuchteten 126
Hangar gestanden und einige wichtige Arbeiten überwacht. 6. Sun Koh, Nimba und Hal Mervin marschierten schon den zweiten Tag durch den Wald. Von ihren Verfolgern hatten sie noch nichts wieder gespürt. Sie hüteten sich freilich auch, in die Nähe von Dörfern zu kommen. Wenn sie Anzeichen fanden, die auf Menschen hinwiesen, so schlugen sie mit größter Vorsicht Bogen, um einem Zusammenstoß zu entgehen, durch den die Verfolger auf ihren Weg aufmerksam gemacht werden konnten. Ihre Gesichter zeigten schon nach diesen zwei Tagen die feinen, scharfen Linien ununterbrochener Spannung. Der Wald barg eine Fülle von Gefahren, die eine fortwährende, hochgradige Aufmerksamkeit verlangten. Sie konnten es sich nicht leisten, dauernd in der Gegend herumzuknallen und damit fernen Dörfern ihre Anwesenheit zu verraten, infolgedessen mußten sie Zusammenstöße mit den großen und kleinen Raubtieren des Waldes zu ahnen und zu umgehen suchen. Nimba, der an der Spitze marschierte, tat das in bewundernswürdiger Weise. Hal Mervin hatte den Eindruck, daß seine Sinne hundert Meter vorauslie127
fen und die tausendfältigen Geräusche und Eindrücke des Waldes bereits siebten, während der Körper noch ein ganzes Stück zurück war. Sehr unangenehm machten sich die zahlreichen Affen bemerkbar. Sie erschwerten mit ihrem Gekreisch und Gezänk nicht nur die Beobachtung, sondern verrieten auch ununterbrochen den Weg der Männer. Am Spätnachmittag des zweiten Tages hörten sie vor sich plötzlich einen Schuß, dem der Schrei einer menschlichen Stimme und dann dumpfe, brechende Geräusche folgten, als schaffe sich ein schwerer Körper gewaltsam Bahn. »Ein Elefant«, teilte Nimba seine Vermutung mit. »Abwarten«, gebot Sun Koh. »Man scheint auf ihn Jagd zu machen.« Das dumpfe Poltern und Brechen kam näher, der Elefant bewegte sich genau auf sie zu. Sie nahmen für alle Fälle Deckung, weniger wegen des Tieres als vielmehr wegen der Leute, die es jagten. Sie hatten sich jedoch in der Beurteilung der Lage geirrt. Plötzlich wurde ein Mensch sichtbar, der wie ein Wahnwitziger auf die Stelle, an der sie sich befanden, zustürmte. Hinter ihm erschien ein riesiger grauer Elefantenbulle, trotz seiner Masse von unheimlicher Geschwindigkeit, mit kriegerisch zurückgeworfenen Ohren und aufrechtem Rüssel. 128
Nicht der Mensch jagte einen Elefanten, sondern der Elefant einen Menschen. In ein oder zwei Minuten mußte er ihn eingeholt und zerstampft haben. Sun Koh riß die Büchse herunter und sprang vor, als der Mann gerade an ihm vorbeikeuchte. Der Elefant stutzte einen Augenblick, stieß dann einen wütenden Trompetenstoß aus und trat zum Angriff auf den neuen Feind an. Der Lauf des Gewehres schwankte nicht um einen Millimeter, als Sun Koh schoß. Ruckartig stand das Tier still. Ein Zittern lief über seinen Rücken. Dann stöhnte es tief auf und setzte die faltige Säule seines Beines von neuem vor, um mit dem nächsten Tritt den winzigen Gegner zu zermalmen. Sun Koh schoß zum zweitenmal. Dann sprang er zur Seite. Der Elefant brach nach vorn in die Knie, brüllte dumpf klagend und fiel zur Seite. Er war tot. Der Flüchtling hatte sich beim Knall des ersten Schusses umgewandt, war stehengeblieben. Jetzt kam er mit schweren, taumelnden Schritten zurück und blickte bald auf den Elefanten, bald auf Sun Koh und seine beiden Begleiter. Seine Hautfarbe konnte man als Hellbraun be129
zeichnen und ebenso war auch sein Haar getönt, das sich auf der Oberseite des Kopfes zu einem Stutz bauschte, während es sonst ringsum glatt abrasiert war. Diese Haartracht betonte die Langschädligkeit des Kopfes in auffälliger Weise. Das Gesicht war schmal, die Nase gerade und ziemlich weit oben angesetzt. Der Mann konnte vielleicht für einen Inder gelten. Im übrigen handelte es sich offensichtlich um einen Jungen, der nicht viel älter als zwanzig sein mochte. Auffällig schien seine Größe, die den dreien allerdings erst im Vergleich zum Bewußtsein kam, da der Mann selbst hervorragend ausgeglichene Körperverhältnisse besaß. Er war ebenmäßig schlank und harmonisch gewachsen, und trotzdem stand er dem riesigen Nimba in bezug auf die Größe nicht nach. Seine Kleidung bestand aus einer kurzen Leinenhose und einer Art ärmellosem Hemd; beides zeigte jedoch deutlich die Spuren der wilden Flucht. Zögernd trat er auf Sun Koh zu, legte die Arme über die Brust und verneigte sich auf eine Weise, die ebenso viel Würde wie Demut ausdrückte. Dann begann er in einer vokalreichen, wohllautenden Sprache zu sprechen. Hal Mervin und Nimba verstanden kein Wort, aber Sun Koh horchte sehr aufmerksam und antwortete dann, wenn auch zunächst vorsichtig tastend, in der gleichen Sprache, worüber niemand mehr erstaunt 130
war als der Fremde. Sun Koh waren die Elemente dieser Sprache vertraut. Er mußte sie irgendwann in seiner frühesten Jugend aufgenommen haben. Sie kamen ihm jetzt mindestens ebenso vertraut vor wie einem Norddeutschen der bayrische Dialekt. Er wußte auch weshalb. Dieser Junge mußte ein Walomba sein, also zu jenem geheimnisvollen Stamm »weißer Neger« gehören, von dem ab und zu einmal Gerüchte bis zur Küste drangen. Hans Ziesche war bei den Walombas gewesen und hatte von dort den goldenen Reif mitgebracht, auf dem atlantische Runen eingegraben waren. Diese Sprache war nichts anderes, als die uralte Sprache der atlantischen Könige, der Ahnen Sun Kohs, wenn auch dialektisch umgeformt und mit fremden Bestandteilen vermischt. Darum konnte Sun Koh sie verstehen. »Ich danke dir«, sagte der Fremde, nachdem er sich verneigt hatte. »Du hast mir das Leben gerettet. Der alte Riese überraschte mich. Er war zornig, weil ihn die Herde verstieß. Er wollte mich töten. Palu wird dir immer dankbar sein.« Sun Koh antwortete mit ruhiger Freundlichkeit: »Danke nicht für das, was selbstverständlich war. Du bist ein Walomba?« Palu nickte. 131
»Ja, so nennen uns die umliegenden Völker. Und ihr – seid ihr die Fremden, die der Sklavenkaiser sucht?« »Ja«, gab Sun Koh zu, »doch warum nennst du jenen Mann den Sklavenkaiser?« Auf Palus Gesicht zeigte sich leise Verwunderung. »Die schwarzen Männer sind Sklaven der Walomba«, stellte er fest. »Und woher weißt du von uns?« »Es kam Nachricht zu den Walomba, daß Fremde unterwegs seien und daß man sie fangen möchte.« Sun Kohs Blick wurde forschender. »So sind die Walomba auf der Suche nach uns?« Palu schüttelte entschieden den Kopf. »Kein Walomba wird gehorchen, wenn der Sklavenkaiser etwas befiehlt, sondern die Feinde jenes Mannes sind unsere Freunde, nur…« Er brach ab, während sich sein Gesicht gleichzeitig verdüsterte. Da Sun Koh dringendes Interesse daran hatte, auch das zu erfahren, was ihm der andere verschweigen wollte, fragte er weiter. »Vor einiger Zeit war schon einmal ein Fremder, ein Weißer, bei euch und wurde von euch beschützt?« »Ja.« »Und doch mußte der Mann eines Tages fliehen, weil ihn die Walomba an den schwarzen Kaiser aus132
liefern wollten?« »Nicht die Walomba«, wehrte Palu verlegen ab, »aber – der Sklavenkaiser hat Antalu, den König der Walomba, verzaubert, so daß er den Fremden nicht mehr schützen wollte. Darauf brachten wir ihn fort.« »Denken die jungen Männer der Walomba anders als ihr König?« Palu richtete sich stolz auf. »Noch nie hat sich ein Walomba einem Sklaven gebeugt. Antalu ist mit Blindheit geschlagen worden.« »So ist es nicht gut, wenn wir uns bei euch sehen lassen?« Das Gesicht des jungen Walomba verfinsterte sich. »Antalu und seine Freunde dürfen euch nicht sehen. Sie würden dem Sklavenkaiser Nachricht geben. Auch unsere Sklaven würden es tun. Aber die Walomba selbst werden eure Freunde sein. Ich bitte euch, Gäste meines Vaters zu sein, bevor ihr eure Wanderung fortsetzt.« »Wie willst du verhüten, daß uns Verräter sehen?« »Niemand wird euch sehen«, versicherte Palu eifrig. »Mein Vater ist ein Weiser, dem die Felder und Sklaven der anderen Walomba dienen. Er wohnt ganz allein mit mir. Nur eine alte Sklavin bedient uns, und sie wird stumm sein.« 133
Sun Koh nahm die Einladung an. Palu freute sich sichtlich darüber und übernahm die Führung des kleinen Trupps. Eine halbe Stunde später hörte der Wald auf. Sie sahen einen Grasstreifen von annähernd tausend Meter Breite vor sich. Weiter seitlich traten an die Stelle des Grases bebaute Felder. Jenseits des Streifens stieg eine vielfach zerklüftete Wand steil auf. Sun Koh erfuhr später Genaues über die Beschaffenheit dieser Walomba-Siedlung, die in hervorragendem Maße eine natürliche Festung darstellte. Die Walomba saßen in einem fast kreisförmigen Talkessel von mehreren Kilometern Durchmesser. Er wurde von einem rund herum laufenden Felsgrat mit einer Durchschnittshöhe von fünfzig Metern eingefaßt und erinnerte dadurch an einen alten Krater. Die Umfassungsmauern waren nur an zwei Stellen durchbrochen. Dadurch entstanden zwei natürliche Tore, die leicht verteidigt werden konnten. Die Felswände selbst waren, besonders von außen, nur schwer ersteigbar. Auf ihnen befanden sich, soweit die Geschichte des Volkes reichte, stets Wachtposten, die das Vorgelände bei Tag und bei Nacht zu überwachen hatten. Das baumlose Vorgelände war ebenfalls schon vor sehr langen Zeiten künstlich angelegt worden. Es sollte verhüten, daß sich Feinde im Schutz des Wal134
des an den Wall heranschleichen konnten. Jede lebende Generation war durch scharfe Gesetze verpflichtet, Bäume und Büsche in diesem Gelände auszurotten. Seit einigen Jahrhunderten hatten die Walomba einen Teil dieses Vorgeländes in Feld verwandelt, das von den schwarzen Sklaven bestellt wurde. Felder, fruchtbare und gut bewirtschaftete Felder, bedeckten auch die Ebene innerhalb des Walls. Sie war völlig flach, nur belebt durch wenige Busch- und Baumstreifen, die den Gewässern folgten. Ungefähr in der Mitte erhob sich ein steiler Bergkegel, der den Außenwall noch überragte. Auf ihm stand ein zyklopisches Gebäude aus roh behauenen, dunklen Basaltblöcken, fast schon mehr ein festungsartiger Gebäudekomplex, in dem sich die Tempel und die Königswohnung der Walomba befanden. Um den Kegel herum lagen die zahlreichen Wohnhäuser der Walomba. Sie wurden von einem Wassergraben umgeben, vor dem sich ein Steinwall aufbaute. Die Umgebung war völlig von Häusern, Schuppen oder Hütten frei. Diese tauchten erst wieder an den Rändern der Ebene auf, wichen aber in ihrem Charakter völlig von den Häusern der Stadt ab. Man sah ihnen an, daß es sich um Negerbauten handelte. Sun Koh unterhielt sich lange mit Pomaksu, dem 135
Vater Palus, über die interessante Anlage. Palu hatte sie über das Vorgelände geführt, nachdem er mit einem Mann auf der Felsmauer Zeichen ausgetauscht hatte. Dieser Mann, ein Freund Palus, hatte ihnen einen knotenbesetzten Strick heruntergeworfen, mit dessen Hilfe sie die Steilwand leicht überwinden konnten. Sun Koh erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß es den Walomba verboten war, ohne ausdrückliche Erlaubnis außerhalb der Siedlung jagen zu gehen. Palu hatte das Verbot übertreten, was ihm mit Hilfe seines wachestehenden Freundes nicht gerade schwergefallen war. Nach dem bequemen Abstieg auf der Innenseite hatten sie bald ein einzelstehendes, von Bäumen umgebenes Haus erreicht. Es war aus Steinen zusammengefügt und zeigte ihnen fast leere, aber sehr saubere Räume. Hier hatte Pomaksu, das weißhaarige Altersbild seines Sohnes, sie empfangen. Jetzt saß er auf einem niedrigen Lager aus Fellen Sun Koh gegenüber. Die Nacht verhüllte die Gestalten der Männer bis auf die Gesichter, die vom matten, ruhigen Schein einer an der Wand hängenden flachen Öllampe mit offenem Docht erhellt wurden. »Die Walomba lernten aus ihren bösen Erfahrungen«, sagte Pomaksu, nachdem er eine ausführliche 136
Beschreibung der Siedlung gegeben hatte. »Sie hatten einst viele Feinde in den umwohnenden schwarzen Völkern. Deshalb wurden die strengen Gesetze erlassen, die heute noch gelten. So darf kein Sklave die Stadt betreten. Alle Dienste, die dort erforderlich sind, werden von den Frauen und Kindern der Walomba verrichtet. Auch darf kein Walomba, soweit er nicht zu den Wachen gehört, die Nacht außerhalb der Stadt verbringen.« »Du bist eine Ausnahme?« »Ja«, bestätigte Pomaksu. »Ich bin der Künder des Worts und darf allein leben, um in der Einsamkeit die Stimmen der Vergangenheit und der Zukunft hören zu können. Palu wird einst das gleiche Vorrecht genießen, doch vorher muß er eine Frau nehmen und Kinder zeugen. Auch er muß jetzt noch über Nacht in der Stadt wohnen. So schützen sich die Walomba gegen plötzliche Überfälle. Selbst wenn es Räubern gelingt, in unser Gebiet einzudringen, sind die Walomba noch nicht verloren.« »Die Neger leben doch ständig in eurem Gebiet?« Der Alte nickte. »Du mußt unterscheiden zwischen unseren Dienern und denen, die draußen wohnen. Unsere Sklaven leben seit Jahrtausenden bei uns. Sie fühlen sich wohl und betrachten die Neger draußen als ihre Feinde. Von ihnen haben wir nichts zu befürchten. 137
Trotzdem wird das Gesetz, das einst gegen sie erlassen wurde, streng eingehalten. Und das ist gut so, denn in dieser Zeit gibt es unter ihnen trotz aller Anhänglichkeit Leute, die dazu neigen, den Befehlen des neuen Sklavenkaisers zu gehorchen.« »Wie euer König.« »Er ist verwandelt, seitdem ihn jener schwarze Kaiser besuchte. Es ist für viele nicht sichtbar, und alles bleibt, wie es war, aber doch hat er den Fremdling, der bei uns Schutz suchte, ausliefern wollen.« Sun Koh hätte ihm erzählen können, woher die Wandlung kam, aber er lenkte lieber ab. »Erzählt die Geschichte eures Volkes, wie die Walomba hierher gekommen sind?« »Die Geschichte unseres Volkes ist uralt«, erwiderte Pomaksu nachdenklich. »Sie ist so alt wie die Erde selbst. Aber sie beginnt in diesem Tal.« »Du willst sagen, daß die Walomba immer hier wohnten?« »Nein, das nicht, aber hier in diesem Tal verwandelte sich Gott in einen Menschen und zeugte die ersten Nachkommen. Sie sahen noch anders aus als wir. Sie waren größer, besaßen starke Kinnbacken und hatten eine niedrige Stirn. Wenn du einmal in den Tempel der Vergangenheit kommst, wirst du dort ein Grab finden, in dem die Gebeine eines unserer Urahnen liegen. Die Walomba fanden sie tief in 138
der Erde, als sie einst den Graben aushoben. Es sind Knochen und ein Schädel, und sie sind hunderttausend Jahre alt oder noch älter.« Die Zeitangabe war unbestimmt und deutete einfach die Grenze des Zeitbegriffs bei Pomaksu an. Der Alte wollte es kaum so genau sagen. Eine Übertreibung lag in der Zeitangabe kaum, denn den Oldoway-Menschen und anderen wurde auch von der Wissenschaft ein Alter von einigen hunderttausend Jahren zugesprochen. Pomaksu fuhr fort: »Unsere Ahnen lebten hier unendliche Zeiten hindurch, bis fremde Völker in das Land eindrangen. Es waren Schwarze, die unaufhörlich Krieg führten und raubten. Damals zogen die Walomba in die Richtung der untergehenden Sonne. Ihre zahlreichen Feinde drängten hinter ihnen her und wollten sie vernichten. Aber eines Tages zerriß das Land hinter den Walomba und vor den Sklaven, und das Meer stürzte sich in den Spalt, der immer breiter wurde, bis die Walomba das alte Land nicht mehr sahen.« Sun Koh war ehrlich erstaunt. Was Pomaksu da erzählte, war nicht nur eine Art Parallelstück zum Durchgang der Kinder Israels durch das Rote Meer, sondern es bezog sich viel mehr noch auf eine erhebliche Veränderung der Erdoberfläche, die von manchen Gelehrten behauptet, von anderen bestritten 139
wurde. Der Theorie nach sollte das Festland der Erde einst ein zusammenhängender Block gewesen sein, der im Laufe der Jahrmillionen zerbrach und zerbröckelte. Die einzelnen Teile lösten sich voneinander, entfernten sich und bildeten die heute bekannten Kontinente. Zu dieser Theorie paßte, daß namhafte Gelehrte die Festländer als schwimmende Schollen bezeichneten, die sich in ständiger und meßbarer Bewegung befanden. Wer es nicht genau nahm, konnte die Küstenlinien von Westafrika und dem östlichen Südamerika miteinander vergleichen und entdecken, daß sie sich leicht ineinanderpassen ließen. Wenn bei diesen Walomba eine dunkle Erinnerung an zerreißende Landmassen geblieben war, so mußte diese unglaublich weit zurückreichen. Vielleicht war aber auch die Schollenentstehung jünger, als man bisher annahm. »Sie lebten lange, sehr lange in dem neuen Land«, fuhr der Alte sinnend fort. »Es war schöner noch als ihre Heimat. Sie wurden groß und mächtig und schufen große Reiche. In der Mitte des Landes bauten sie eine gewaltige Stadt, wobei sie sich an das Vorbild ihrer Urheimat, an diesen Talkessel, hielten. Sie legten eine weite Ebene an…« Pomaksu sprach weiter, und Sun Koh hörte eine Schilderung, die in den wichtigsten Zügen die alte Königsstadt der Atlanter beschrieb. Sie war so ge140
nau, daß es dafür nur eine Erklärung gab: Die Ahnen dieser Walomba mußten einst auf Atlantis gelebt und die Königsstadt gekannt haben. Sun Koh hatte bisher seine eigenen Ahnen bis zur atlantischen Königsburg zurückverfolgt – Pomaksu wies ihn jetzt, ohne daß er davon wußte, darüber hinaus zu jenem Urvolk, das hier im innersten Afrika seine ursprüngliche Heimat sah. Die Atlanter konnten einst aus Afrika gekommen sein, wenn die Sage eben nicht Ursache und Wirkung verwechselte. Ebensogut konnte Atlantis die Urheimat sein, und die Walomba hatten die ihnen bekannten Verhältnisse eben einfach übertragen. Pomaksu sprach gleichmäßig, fast eintönig und geistesabwesend weiter. »Unendlich lange lebten die Walomba in jenem Land, bis dann die Zeiten der Vernichtung kamen. Das Land zerbrach unter gewaltigen Stürmen, das Meer überflutete es und verschlang es allmählich. Da wanderten die Walomba von neuem aus. Sie zogen wieder der aufgehenden Sonne entgegen und fanden ihre alte Heimat, diesen Platz. Die Sklaven, die ihn besetzt hatten, mußten weichen oder wurden zu Dienern gemacht. Seitdem leben die Walomba hier. Sie sind die Herren dieses Gebiets, aber sie wurden nie zahlreich genug, um wieder große Reiche zu schaffen.« 141
Jetzt schwieg der Alte. Die Walomba waren also zweifellos ein versprengter Trupp jener Atlanter, zu deren Königsgeschlecht sich Sun Koh zählte. Er wußte, daß es nicht der einzige war. Die Maya auf Yukatan, die Inka in Peru, die Pueblo-Stämme im Felsengebirge und vermutlich die sagenhaften weißen Indianer des Amazonas-Quellengebietes im Westen, die Ägypter, die Basken, die Etrusker, die Kelten und vermutlich die nordischen Völker im Osten des Atlantik konnten mit großer Wahrscheinlichkeit auf solche Trupps zurückgeführt werden, die durch den Untergang von Atlantis nach allen Seiten hin versprengt worden waren. Das war lange her, und auf dem großen Erdteil hatte bestimmt nicht eine einheitliche Rasse gelebt, so daß die zahllosen Unterschiede des jetzigen Befunds sich leicht erklären ließen. Entscheidend konnten nur die Geschichte, die Sagen und Märchen dieser Völker sein. Nach einer langen Pause flackerte das Gespräch zwischen den beiden wieder auf. Sun Koh stellte Fragen, und Pomaksu antwortete. Später stellte Pomaksu Fragen. Die Nacht war weit vorgeschritten, als sie sich trennten und sich zur Ruhe begaben. * Evelyn Roth suchte nach Sun Koh und seinen beiden 142
Begleitern. Zunächst kehrte sie dorthin zurück, wo er sich hatte absetzen lassen. Als die Nacht kam, sandte sie ihre Lichtsignale in die Ebene hinunter, in der die Stadt des schwarzen Kaisers lag. Mit brennenden Augen beobachtete sie, ob nicht irgendwo das Gegensignal auffunkeln würde. Es blieb aus, dafür begann aber ein mächtiger Scheinwerfer nach ihrer Maschine zu fingern, und zwei kleine sowie ein großes Flugzeug summten in die Höhe und forschten nach ihr. Bei der Geschwindigkeit ihres Flugzeuges fiel es ihr jedoch leicht auszuweichen, zumal die Maschine fast unhörbar arbeitete. Es wurde ein unruhiges Spiel, das die ganze Nacht hindurch währte. Immer von neuem gab sie Signale und verriet damit ihren Standort, immer von neuem wich sie aus. Einige Male wurde sie sogar vom Scheinwerferlicht getroffen, aber das machte ihr wenig aus. Die drei Flugzeuge waren nicht ernsthaft zu fürchten, und Abwehrgeschütze schien es dort unten nicht zu geben. Eine Nacht lang hoffte sie. Vergeblich. Als der Morgen anbrach, zog sie ein nüchternes Fazit. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder waren die drei gefangen, oder sie befanden sich auf dem Fußmarsch zur Küste. Im ersten Fall hatte das Su143
chen keinen Zweck, sie mußte zu anderen Mitteln greifen. Im zweiten Fall kam es darauf an, den Marschweg ausfindig zu machen oder die Aufmerksamkeit der Flüchtigen zu erregen, damit diese sich melden konnten. Aus bestimmten Gründen entschloß sich Evelyn zunächst zu letzterem. Sie begann dort, wo die Ebene aufhörte, einen Kreis um diese zu ziehen und setzte dann zu einer Spirale an, deren einzelnen Bahnen sie einen Abstand von annähernd einem Kilometer gab. Sie flog mit hoher Geschwindigkeit, aber unmittelbar über den Wipfeln der Bäume, so daß man sie zwar unter Umständen übersehen, nicht aber überhören konnte. Auf diese Weise mußte sie nach ihrer Berechnung früher oder später die Stelle kreuzen, an der sich die drei befanden, ganz gleich, in welcher Richtung sie davonmarschiert waren. Es war kein Wunder, daß sie alles rebellisch machte. Der Wald, die Landschaft kreischten und lärmten unter ihr auf, wenn sie darüber hinwegraste. Selbstverständlich schickte man ihr die Flugzeuge nach, die sie in der Nacht gesucht hatten, aber sie ließ sich von ihnen nicht im geringsten stören, sondern unterflog sie, denn jene Menschen hüteten sich wohl, zu dicht an die Baumwipfel zu kommen. Geschossen wurde auch nach ihr. Sie spürte einige Male, wenn sie in die Nähe der anderen Flugzeuge kam, 144
feines Prasseln wie von tausend Schrotkugeln auf dem Rumpf der Maschine, aber sie wußte, daß man ihr mit dem splitternden Tod nichts anhaben konnte. Übrigens verzichteten die Neger auch sehr bald auf die Schießerei. Einen ganzen Tag raste Evelyn Roth in Spiralen über das Land, aber auch das tat sie ohne Erfolg. Sie beging zwei Fehler. Erstens unterschätzte sie ganz beträchtlich das Marschtempo Sun Kohs, und zweitens unterschätzte sie die Zeit, die bei diesen immer größer werdenden Spiralen gebraucht wurde. Sie konnte, was ihr sehr viel später bewußt wurde, auf diese Weise Sun Koh niemals finden, weil ihre Umrundungszeit notwendig allmählich größer werden mußte als die Kilometerzeit Sun Kohs. Sun Koh hatte in zwei Tagen fast hundert Kilometer zurückgelegt. Selbst wenn Evelyn schon bis auf zehn Kilometer herangewesen wäre, hätte sie ihn nie eingeholt, falls sowohl der Marsch wie die Suche fortgesetzt worden wären. Das Flugzeug mußte nämlich dann bei einem Bahnhalbmesser von neunzig Kilometern bei jeder Umrundung über fünfhundert Kilometer zurücklegen. Dazu brauchte es mehr als eine Stunde, in dieser Zeit hatte Sun Koh aber schon wieder einige Kilometer neuen Vorsprung. Evelyn Roth erkannte das erst, nachdem der Tag 145
vorbei war und sie am Steuer fast einschlief. Ihre Müdigkeit zwang sie zu landen. Sie entwischte den Flugzeugen, die noch immer ihre Bahn verfolgten, stieß weit nach Norden, setzte die Maschine auf eine nackte Bergspitze auf und schlief. Sie konnte das auch ziemlich unbesorgt tun, denn in der Maschine steckte sie wie in einer durch Elektrizität geschützten Festung. Das einzige, was zu fürchten gewesen wäre, war ein plötzlich aufbrechender Sturm. Er blieb aber erfreulicherweise aus. Am nächsten Morgen schrieb sie einen Brief. Er war an John Ferblack adressiert und enthielt kurz und bündig die Aufforderung, einen Sender und Empfänger auf eine bestimmte Welle zu stellen, weil sie mit ihm zu sprechen habe. Dann flog sie los. Ihr neuerliches Erscheinen über der Stadt des Kaisers von Afrika erregte Aufsehen und Verwirrung. Diesmal kam sie nämlich wie ein Raubvogel schräg heruntergestoßen, stoppte kurz vor dem Zentralgebäude in geringer Höhe ab und warf ihren Brief ab. Dann stieg sie sofort wieder auf und verschwand in der blendenden Sonnenfülle des Himmels. Eine Stunde nach dem Abwurf meldete sich John Ferblack. Seine ruhige Stimme kam ausgezeichnet klar an ihr Ohr. »Hier spricht John Ferblack. Können Sie mich hö146
ren, Miß Roth?« »Ich verstehe Sie gut«, gab sie zurück. »Sie wissen wohl, daß Sie mit Ihrer ehemaligen Gefangenen sprechen?« »Ich weiß es. Ich habe sehr bedauert, daß Sie uns so schnell verließen, obgleich dazu kein Anlaß vorlag.« »Darüber sind wir verschiedener Meinung«, erklärte sie bestimmt. »Ich bin gekommen, um Ihnen einen Vorschlag zu machen.« »Lassen Sie hören.« »Ich suche drei Leute, drei Europäer, die vor einigen Tagen in der Nähe Ihrer Stadt zurückblieben. Haben Sie diese Leute gefangengenommen?« Er zögerte. »Nehmen Sie an, daß es der Fall ist. Was hat das mit Ihrem Vorschlag zu tun?« Sie war so fest davon überzeugt, daß sich Sun Koh in der Gewalt Ferblacks befand, daß sie das Zögern kaum beobachtete. »Alles«, antwortete sie, »ich möchte Sie nämlich bitten, die drei freizugeben. Als Entschädigung biete ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ich über Ihre Existenz schweige. Ich weiß, wieviel Wert Sie darauf legen, im stillen arbeiten zu können. Gehen Sie auf meine Forderung nicht ein, so fliege ich nach Hause und mache die ganze Welt gegen Sie mobil. Sie können sich ausrechnen, was das für Sie bedeuten würde.« 147
»Zweifellos«, gab er mit der gleichen Sachlichkeit zurück. »Ich könnte Ihnen jetzt sagen, was ich über die Schweigsamkeit einer Frau denke.« »Ich bin keine Schwätzerin«, betonte sie scharf. »Keine Frau ist das«, erwiderte er gelassen. »Sie plaudern alle nur harmlos. Doch abgesehen davon gibt es einige gewichtige Gründe, warum ich auf Ihr Angebot nicht eingehen kann. Der erste liegt darin, daß die Zone des Schweigens bereits durchbrochen ist. Die ersten Nachrichten gehen bereits durch die Welt, die allerdings wohl mit einem Schulterzucken abgetan werden, weil sie zu phantastisch klingen.« »Wie ist das möglich?« In seiner Stimme ballte sich plötzlich ebenso verächtlicher wie drohender Hohn: »Das ist möglich, weil eine Frau, die ihre Schweigsamkeit rühmt, in Mozambique mit einem gewissen Dr. Ferrada geplaudert hat.« Der Hieb saß. Sie zuckte zusammen, und es dauerte eine Weile, bevor sie mit unsicherer Stimme sagte: »Als ich mit Ferrada sprach, stand ich unter keiner Verpflichtung zu schweigen. Wenn ich draußen in der Welt sprechen würde, könnten die Regierungen meine Worte nicht mit einem Schulterzucken übergehen. Doch nennen Sie Ihre anderen Gründe!« »Der zweite Grund liegt darin, daß sich jene drei Männer überhaupt nicht in meiner Gewalt befinden, 148
wenigstens vorläufig noch nicht.« »Sie lügen.« »Es lohnt sich nicht zu lügen«, wehrte er kalt ab. »Ich werde die drei fangen, aber augenblicklich sind sie noch frei.« »Dann gilt mein Angebot dafür, daß Sie mir den Weg angeben und sie unbehelligt aus dem Land herauslassen.« »Darauf muß ich aus dem dritten Grund, den ich Ihnen noch nicht nannte, verzichten. Sie werden auch schweigen, ohne daß ich die Männer freigebe.« »Warum?« Sein Ton wurde bis zu einem gewissen Grad gutmütig. »Sie kennen einen Mann, der sich Hans Ziesche nennt?« »Ja. Was ist mit ihm?« »Er befindet sich hier unten als mein Gefangener.« Sie schrie förmlich auf: »Das ist nicht wahr!« »Es ist wahr«, widersprach er ruhig. »Ich ließ ihn in dieser Nacht aus Mozambique, aus dem Haus jenes Dr. Ferrada holen und im Flugzeug hierher schaffen. Er tötete fast alle meine Vertrauten bei jenem Überfall, den Sie selbst erlebten. Aber einer blieb am Leben. Er folgte Ihnen und gab mir Nachricht. Sie holten ihn trotz der Polizeiposten aus dem Haus, ohne daß sie Schwierigkeiten hatten. Ihren Piloten ließen sie dort. Mag er ruhig schwatzen. Des149
halb ließ ich nicht Hans Ziesche zurückholen, sondern weil ich ihn zwingen will, etwas herauszugeben, was für mich von großem Wert ist. Darüber hinaus wird er mit seinem Leben dafür haften, daß Sie nicht, gestützt auf den Namen und den Reichtum Ihres Vaters, die Regierungen vorzeitig gegen mich hetzen.« Seine Worte trugen das Gepräge der Wahrheit, außerdem ließen die einzelnen Angaben kaum einen Zweifel zu. Ferblack hatte den Verwundeten von neuem in seiner Gewalt. Das war eine bittere Gewißheit, aber sie rief auch die Kampfinstinkte hoch. Gewaltsam zwang sie sich zu einem spöttischen Ton. »Schön, dann haben Sie vielleicht die Liebenswürdigkeit, mir den Zusammenhang zwischen den beiden grundverschiedenen Dingen zu erläutern. Selbstverständlich lege ich Wert darauf, Mr Ziesche ebenso wie die drei anderen in Freiheit zu wissen, aber falls Sie auf meinen Vorschlag nicht eingehen, werde ich keinen Moment zögern, mein Vorhaben wahr zu machen. Geben Sie die Männer nicht freiwillig frei, so werde ich Sie auf einem Umweg zwingen. Und wenn Sie alle vier töten, dann werde ich wenigstens meine Rache genießen. Ich wüßte jedenfalls nicht, warum ich gerade deshalb schweigen sollte, weil Mr. Ziesche in Ihrer Gewalt ist.« Seine Antwort kam ruhig und überlegt, behutsam fast und ohne eine Spur von Schärfe. 150
»Sie sind eine Frau, Miß Roth. Mit Frauen streitet man so wenig wie mit Kindern. Das Schwingen Ihrer Stimme verrät bei jedem Wort, daß sie den Mann lieben. Mein Vertrauensmann hat Sie im Haus Ferradas belauscht, hat Ihre Blicke gesehen und Ihre Worte gehört. Er versicherte mir, daß Sie Hans Ziesche lieben. Und meine Ohren bestätigen mir diese Versicherung. Das genügt mir. Nie wird eine Frau den Mann, dem sich ihr Herz geöffnet hat, mit Bewußtsein in Todesgefahr bringen. Deshalb ist mir der Mann Unterpfand für Ihr Schweigen.« »Sie sind ein Teufel!« flüsterte sie. »Ein Schimpfwort ist oft genug weiter nichts als das Eingeständnis der eigenen Schwäche. Ich will Ihnen jedoch einen anderen Vorschlag machen. Kommen Sie herunter und helfen Sie mir, Mr. Ziesche zu überreden. Sobald er auf meine Wünsche eingeht, werde ich Sie beide als freie Menschen zur Küste bringen lassen. Sie müßten mir nur noch das Flugzeug, das über neuartige Anlagen zu verfügen scheint, überlassen.« »Sie überschätzen mich, John Ferblack. Erstens gehört das Flugzeug nicht mir, und ich würde es ohne Erlaubnis des Eigentümers nicht in fremde Hände geben. Zweitens aber und vor allem irren Sie sich, wenn Sie glauben, daß ich Ziesche zum Verräter an sich selbst machen werde.« 151
John Ferblack verriet keine Spur von Enttäuschung. »Ich dachte es mir. Es steht Ihnen aber jederzeit frei, Ihren Entschluß zu ändern. Sie erreichen mich stets auf der gleichen Welle. Falls Sie landen wollen, würde ich Ihnen raten, mich vorher zu verständigen. Meine Leute könnten nämlich sonst Mißgriffe begehen. Und nun entschuldigen Sie, meine Zeit ist knapp.« Evelyn Roth schaltete mit einem gewissen Ingrimm ab. John Ferblack war nicht zu treffen. Sie haßte seine sichere Überlegenheit, natürlich gerade deshalb, weil sie keinen Angriffspunkt gab. Und es war ausgeschlossen, daß sie ihre Drohung wahrmachen würde. * Als die Nacht ihren Samtvorhang von der WalombaEbene zurückzog, verließen zwei Dutzend bewaffnete Männer die Stadt am Berg und marschierten über die Ebene auf das Haus zu, in dem Sun Koh und seine Begleiter schliefen. Die schwarze Haushälterin bemerkte sie zuerst. Sie weckte ihren Herrn, der daraufhin bestürzt hinauseilte. Die damit verbundenen Geräusche wieder nahmen den anderen Schläfern die Ruhe. Als Sun Koh mit seinen Begleitern vor die Tür 152
trat, fächerte der Trupp gerade auseinander, um das Haus zu umschließen. Bei der Mittelgruppe stand Pomaksu und sprach erregt auf einen Mann ein, dessen unbewegtes Gesicht wenig Zweifel daran ließ, daß er überhörte, was ihm gesagt wurde. Pomaksu kam jetzt auf die drei zu. Aus seinem Gesicht sprach ehrlicher Kummer. »Du wirst mein Haus mit Recht verfluchen, weil es dich nicht besser schützte. Diese Leute sind gekommen, um euch als Gefangene zu Antalu zu führen.« »Klage nicht«, begütigte Sun Koh. »Du trägst keine Schuld. Wie haben sie von uns erfahren?« »Ein Sklave beobachtete euch aus der Ferne, als ihr mit Palu über das offene Land gingt. Er meldete es einem Vertrauten des Königs.« Er trat dichter heran und sagte leiser: »Ihr besitzt Waffen und könnt euch verteidigen. Es ist schmerzlich, daß Blut der Walomba fließen muß, aber ihr sollt eure Freiheit behalten. Antalu ist verzaubert. Er würde euch dem Sklavenkaiser ausliefern.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Überlaß das mir. Unseretwegen wird kein Blut fließen. Wer ist der Anführer?« Der Walomba trat heran und verneigte sich. »König Antalu wünscht euch zu sehen«, sagte er knapp, aber höflich. »Ich hörte von Pomaksu, daß du 153
unsere Sprache sprichst. Bitte folgt uns. Es wird euch kein Leid geschehen.« Sun Koh nickte. »Wir folgen dir freiwillig. Laß deine Leute vorausgehen.« »Das geht nicht. Ihr müßt die Begleitung unserer Leute dulden. Wir werden euch jedoch nicht fesseln, wenn ihr eure Waffen abliefert.« »Daran ist nicht zu denken«, erwiderte Sun Koh. »Wir behalten unsere Waffen.« »Dann muß ich sie euch mit Gewalt abnehmen. Es ist nicht gut, wenn ihr uns zu euren Feinden macht.« Sun Koh lächelte. »Das ist allerdings nicht gut – für euch. Also gehen wir.« Der Walomba streckte die Hände aus. »Die Waffen.« »Wir behalten sie.« Der Walomba gab einen Befehl. Daraufhin stürzten sich die umstehenden Männer auf die drei. »Nur mit den Händen«, befahl Sun Koh, als er sah, daß die Walomba ihre Waffen nicht benutzen wollten. Dann stürzte er sich in den Kampf, und Nimba wie Hal ließen nicht auf sich warten. Die Walomba waren – abgesehen von ihrer Überzahl und ihrer Größe – keine schlechten Gegner. Sie griffen mit Ungestüm an und wurden immer wilder, 154
je trauriger es ihnen erging. Sie besaßen nämlich keine Kampftechnik, und vom Boxen verstanden sie überhaupt nichts. Sun Koh und Nimba und selbst Hal punkteten sie so leicht aus, wie das eben nur ein trainierter Boxer mit Laien fertigbringt – ganz zu schweigen von den riesigen Kräften Nimbas und von der Kraft und Schnelligkeit Sun Kohs. Er mußte dann und wann mit einem schnellen Wirbel Luft machen, damit sie nicht von der Überzahl zu sehr behindert wurden, aber sonst entstand keine ernsthafte Gefahr. Der Kampf dauerte einige Minuten, dann zog der Anführer des Trupps vernünftigerweise sein Fazit und rief seine Leute zurück. Daraufhin bildeten ein Dutzend Männer einen keuchenden Ring um das Schlachtfeld. Die anderen krochen am Boden und wußten noch nicht, wo ihnen der Kopf stand. »Behaltet eure Waffen!« rief der Anführer finster. »Und meine Leute mögen hierbleiben. Kommt!« Sun Koh lachte ihm ins Gesicht. »Nicht so hastig, mein Freund. Erst wollen wir uns säubern und verabschieden. Du wirst warten.« Der Walomba mußte sich wohl oder übel damit abfinden. Eine Viertelstunde später verabschiedeten sie sich von Pomaksu, der noch immer zur Flucht riet. Sie folgten dem Anführer des Trupps, und dieser war sichtlich froh, daß sie mit ihm gingen. 155
Sie wurden über eine Brücke und dann durch scharf ansteigende Gassen zu der dunklen Königsburg hinaufgeführt. In den Gassen standen Männer und Frauen, die neugierig blickten, aber schwiegen. Unter einem klobigen Torbogen aus riesigen Steinen hindurch gelangten sie in einen Innenhof und von dort aus über eine mehrfach gestufte Terrasse in einen halbdunklen Raum, in dem sie alleingelassen wurden. Es dauerte lange, bevor der Walomba wieder erschien und sie weiterführte. Sie durchschritten einige Gänge, deren Wände mit Skulpturen geschmückt waren, und kamen in einen Eckraum mit mehreren Fensteröffnungen, an dessen Seitenwand ein schlichter, wuchtiger Thron stand, ein grauer Hochsitz, der mit Fellen verkleidet war. Hier erwartete sie Antalu. Der König der Walomba besaß ziemlich viel Ähnlichkeit mit Pomaksu, nur sein Gesicht war fester und energischer. Genau genommen waren sich freilich alle Walomba ähnlich. Wahrscheinlich lag das an der Inzucht, die unter dem Zwang der Verhältnisse schon seit Jahrtausenden ausgeübt wurde. Antalu musterte die drei schweigend. Endlich sagte er überraschend freundlich: »Seid willkommen, Fremde. Ich hörte von euch und vernahm auch, daß ihr unsere Sprache sprecht. Setzt euch und erzählt mir von euch.« 156
Sun Koh beachtete die steinernen Hocker gar nicht. Er blieb stehen und lächelte Antalu ins Gesicht. »Danke, aber zunächst möchte ich wissen, ob wir deine Gäste oder deine Gefangenen sind.« Das Gesicht Antalus verriet Unsicherheit. »Ihr seid meine Gäste. Wenn euch allerdings der Kaiser dieses Landes zu sehen wünscht, muß ich euch seinen Boten übergeben.« »Und wenn wir uns dagegen wehren?« »Die Befehle des Kaisers müssen erfüllt werden«, erwiderte Antalu mechanisch. »Seit wann ist ein Walomba einer seiner Sklaven?« Der König grübelte. Es war ihm anzusehen, daß in ihm zwei Naturen gegeneinander kämpften. Er war ein echter und sogar recht sympathischer Walomba. John Ferblack hatte ihn einfach mit Ziesches Apparatur in seine Hörigkeit gebracht. Nun stand er unter dem aufgedrängten Alpdruck, gegen den er sich aus seinem innersten Wesen heraus wehrte, ohne mit ihm fertig werden zu können. Sun Koh hatte es nicht anders erwartet. Er hatte sich entschlossen, die rätselhafte Krankheit des Königs und seiner Ratgeber zu beseitigen, also ihnen den freien Willen wieder zurückzugeben. Wenn sie dann die Gefahr kannten, würden sie sich hüten, Ferblack und seine Leute wieder dicht genug heranzu157
lassen. Am besten war vielleicht sogar, sie durch einen posthypnotischen Befehl immun zu machen. Er wartete nicht ab, bis Antalu eine Antwort gefunden hatte, sondern fixierte den König eindringlich und sagte mit Nachdruck: »Höre Antalu. Ich habe dir wichtige Dinge zu sagen. Du sollst sie hören, aber deine Freunde und Ratgeber müssen dabei anwesend sein, vor allem jene, die dabei waren, als der Sklavenkaiser mit dir sprach. Rufe sie zusammen.« Antalu starrte ihn verwundert an. »Du forderst seltsame Dinge, Fremder.« »Rufe sie zusammen.« Antalu stand unter dem Bann der leuchtenden Augen. Wenn er innerlich frei und sicher gewesen wäre, hätte ihn Sun Koh wohl kaum so schnell zwingen können, aber Antalu befand sich schon nicht mehr im Gleichgewicht, so daß er schnell nachgab. Eine Viertelstunde später saßen sieben Männer um Antalu herum, würdige, ernste Gestalten, die keinen fragenden Blick scheuten, aber den Mund nicht öffneten. Ihre Blicke richteten sich auf Sun Koh und kamen von ihm nicht wieder los. Damit begann der Kampf Sun Kohs um diese acht gefesselten Seelen. Kein Wort fiel. Nimba und Hal standen reglos wie Standbilder. Nach Minuten begann Sun Koh zu sprechen. Er 158
sprach leise, aber mit einer Eindringlichkeit, die die Körper der Männer zum Zucken brachte. Wieder Schweigen, durch das die unsichtbaren Ströme fluteten. Sun Koh begann abermals zu sprechen, und dann löste er den Kontakt, der diese Männer an ihn band. Sie entspannten sich erschöpft wie nach einer großen Anstrengung. Nach Minuten hob Antalu als erster den Kopf und sagte befremdet: »Du läßt uns lange auf das warten, was du uns berichten wolltest.« Der hypnotische Bann war zerbrochen. Antalu wußte nichts mehr von dem, was sich in den letzten Minuten ereignet hatte, und erst recht nichts mehr von dem, was ihm von John Ferblack aufgezwungen worden war. Sun Koh machte die Stichprobe. »Ich hörte, daß die Walomba entschlossen sind, dem Mann zu dienen, der sich Kaiser von Afrika nennt?« In den Mienen der Männer zuckten Staunen und Empörung auf. Antalu sprach für alle, und er machte aus seiner Entrüstung keinen Hehl. »Das ist eine Beleidigung, Fremder. Die Walomba sind stets freie Männer gewesen, keine Sklaven.« »Trotzdem wollt ihr uns an den Sklavenkaiser ausliefern, obwohl wir schutzsuchend zu euch kamen.« Die Männer bewegten sich unruhig. Antalu zog die Brauen zusammen und erwiderte beherrscht, aber 159
drohend ernst: »Höre, Fremder, dein Mund spricht Worte, die schlecht gewählt sind. Man hat dir etwas Falsches berichtet. Die Walomba haben noch nie jemand, der Schutz bei ihnen suchte, an die Sklaven ausgeliefert. Sie werden es auch zukünftig nie tun. Pomaksu hat euch als Gäste aufgenommen. Damit seid ihr auch unsere Gäste. Ihr dürft euch sicher fühlen, soweit die Macht der Walomba reicht.« Sun Koh verneigte sich. »Ich danke dir für deine Worte, die uns Schutz versprechen. Ich lernte jedoch einen Weißen kennen, der vor einiger Zeit auf der Flucht vor dem Sklavenkaiser bei euch Schutz suchte und dann fliehen mußte, weil ihr ihn ausliefern wolltet.« Empörung und Unsicherheit zeigten sich in den Gesichtern. Antalu grübelte düster: »Ich erinnere mich, daß ein Weißer bei uns als Gast lebte, aber ich weiß nicht, warum er uns verlassen hat.« »Er lebte unter eurem Schutz«, sagte Sun Koh. »Eines Tages sandte der Sklavenkaiser seine Boten zu euch und ließ um eine Unterredung bitten. Sie wurde ihm gewährt. Er unterhielt sich mit euch, aber das war nur ein Vorwand. Er besitzt einen Apparat, den er bei sich trug. Dieser Apparat hat die Fähigkeit, die Seelen der Menschen zu fesseln und sie zu Sklaven zu machen. Der Sklavenkaiser ließ den Apparat auf euch wirken, und damit wurdet ihr seine Sklaven. 160
Ihr habt ihm versprochen, euren Gast auszuliefern und auch sonst alle seine Wünsche zu erfüllen.« Ungläubige Zurufe antworteten ihm. Die Männer konnten nicht so leicht fassen, was so sehr gegen ihre Anschauungen ging. Sie begriffen jedoch, daß er nicht scherzte. So schwiegen sie. Antalu murmelte endlich düster: »Wir müssen verzaubert gewesen sein.« »Ihr wart es«, bestätigte Sun Koh. »Ich nahm jetzt den Zauber wieder von euch. Dem Sklavenkaiser wird es nicht wieder so leicht gelingen, euch seinem Willen zu unterwerfen. Laßt ihn und seine Leute jedoch nicht an euch herankommen.« »Wir werden ihm und seinen Boten die Waffen zeigen.« Es fiel wie ein Stichwort. Ein Walomba trat ein und meldete die Ankunft eines kaiserlichen Boten, der Antalu zu sprechen wünschte. Antalu zögerte, blickte auf Sun Koh und entschloß sich dann. »Gut, ich will ihn empfangen. Er soll unter Geleit bis zum Sprechhaus unten am Graben gebracht werden.« »Der Bote befindet sich bereits im Vorraum«, sagte der Walomba ausdruckslos. »Im…« Antalu sprang auf, während bei seinen Ratgebern die Erregung hochschoß. »Im Vorraum? Wie ist das möglich? Es ist verboten, daß ein Sklave 161
die Stadt betritt. Wer hat es gewagt, den Boten in die Stadt zu bringen?« Der Walomba wurde steinern. »Du gabst ausdrücklich Befehl, Sendboten des Kaisers jederzeit und sofort ins Schloß zu bringen.« Antalu starrte ihn an. Dann wischte er sich mit der Hand über die Augen, als wollte er einen Spuk wegwischen. »Es ist gut«, sagte er nach langer Pause rauh. »Der Befehl wird ab sofort wieder aufgehoben. Kein Sklave darf ohne Erlaubnis das Vorgelände überschreiten, nicht einmal der Kaiser der Sklaven. Führe den Boten herein.« Kurz darauf stand ein Neger mit intelligentem, beherrschtem Gesicht vor der Versammlung. Er kniff die Augen flüchtig zusammen, als er Sun Koh und seine Begleiter bemerkte, verbeugte sich und sagte ohne alle Umschweife: »Mein Herr, der Herrscher über dieses ganze Land, entbietet euch seinen Gruß und läßt dich, Antalu, bitten, ihm diese drei Leute dort zu übergeben.« Antalu richtete sich stolz auf. »Deine Sprache ist sehr kühn, Sklave. Weiß dein Herr nicht, daß die Walomba ihre Gäste höher schätzen als sich selbst? Sage deinem Herrn, daß ich den nächsten Boten mit einem derartigen Ansinnen töten lassen werde.« 162
Der Schwarze blickte sekundenlang entgeistert, faßte sich aber schnell und lächelte sogar. Seine Hand fingerte in der Tasche herum. Da mischte sich Sun Koh ein. Er trat auf den Neger zu. »Einen Augenblick, bitte, lieber Freund!« Der Bote wollte sich wehren, aber Sun Koh schob seine Arme einfach beiseite und holte ihm ein flaches Kästchen sowie eine der mörderischen Pistolen aus der Tasche, bevor der andere noch recht begriffen hatte. Dann sagte er ernst in englischer Sprache: »Nun, geben Sie gut acht, damit Sie es John Ferblack bestellen können. Ich habe diese Männer von dem hypnotischen Bann befreit und ihnen einen Gegenbefehl gegeben, so daß sie künftig nicht mehr zu beeinflussen sind. Ferblack muß sich andere Mittel suchen, um den Walomba beizukommen. Sie werden ihm berichten, daß wir uns hier aufhalten, zugleich aber auch, daß die Walomba gewillt sind, uns mit ihrem Leben zu schützen. Es dürfte ihm nicht leichtfallen, uns hier herauszuholen.« Der Neger bemühte sich um Fassung. Trotzdem zitterte seine Stimme vor Wut, als er heiser antwortete: »Ich werde es meinem Herrn bestellen, was Sie ihm für einen Streich spielten. Er wird Ihnen zeigen, wie er seinen Willen durchsetzt. Sie verstecken sich hinter den Walomba – pah, ich fürchte, dann muß um Ihretwillen dieser aufsässige Stamm vernichtet wer163
den.« »Wir werden zu kämpfen wissen.« Der Bote lachte kurz auf. »Ihr werdet überhaupt nicht zum Kampf kommen. Du kennst unsere Flugzeuge. Sie werden euch von oben töten, ohne daß ihr einen einzigen Speer werfen könnt. Was wollt ihr mit euren lächerlichen Waffen. Wir haben Waffen, die mit einem Male Hunderte von Menschen töten. Ich rate euch, liefert diese Fremden aus. Wenn ihr euch dem Willen meines Herrn widersetzt, so verurteilt ihr euer ganzes Volk zum Tode. Fragt doch diesen Mann, der als euer Gast neben euch steht. Er kennt unsere Macht und wird euch bestätigen müssen, daß jeder Versuch, euch aufzulehnen, Wahnsinn ist.« Aller Augen richteten sich auf Sun Koh. Er sah zwar die Lage der Walomba weniger schwarz als der Bote, aber er war nicht gewillt, den Schein einer Lüge auf sich zu nehmen. So bestätigte er ohne Zögern: »Er hat ziemlich recht. Wenn der schwarze Kaiser seine Machtmittel gegen euch anwendet, müßt ihr auf die Dauer unterliegen.« Jetzt bewies Antalu, daß er ein wahrhafter König war. Er erhob sich und sagte langsam und voller Entschlossenheit: »So werden wir uns entweder die gleichen Waffen beschaffen, mit denen die Sklaven kämpfen, oder wir werden sterben. Um unseres Le164
bens willen wird uns niemand zwingen, gegen unsere Sitte und Ehre zu handeln.« »Geht«, riet Sun Koh dem Boten, »eure Drohungen sind zwecklos. John Ferblack wird es auch nicht nötig haben, um unseretwillen gegen die Walomba zu kämpfen. Wir werden in einigen Tagen von hier Abschied nehmen, dann mag er versuchen, uns zu fangen.« Jetzt zeigte sich eine Art Lächeln im Gesicht des Negers. »Wollt ihr mir nicht freiwillig folgen? Es besteht keine Gefahr für euer Leben. Mein Herr möchte euch nur gern sprechen.« Sun Koh lächelte. »Sagen Sie ihm, daß ich begierig bin, mich mit dem Kaiser von Afrika zu unterhalten, daß ich aber Wert darauf lege, die Umstände einer Begegnung nach meinen Wünschen zu regeln.« Der andere verbeugte sich und ging hinaus. Sun Koh sah ihm nachdenklich nach. Bisher hatte er sich noch keine genauen Vorstellungen über den Kaiser von Afrika gemacht. Wenn aber dieser kluge, zielstrebige und dabei kühl beherrschte Neger zutreffende Schlüsse auf ihn ermöglichte, so mußte John Ferblack ein Mann sein, der tatsächlich imstande war, das Gesicht Afrikas zu ändern.
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* Zwölf Stunden später. Durch die dunkle Nacht schritten Sun Koh, Nimba und Hal über die Ebene auf den natürlichen Felsenwall zu, der das Gebiet der Walomba einfaßte. In ihrer Begleitung befanden sich Palu und einige seiner Freunde. Sun Koh hatte sich entschlossen, schon in dieser Nacht seinen Marsch zur Küste fortzusetzen. Er wollte Ferblack und seinen Leuten nicht erst Gelegenheit geben, das ganze Gebiet regelrecht einzukreisen. Auf einen Kampf wollte er es natürlich erst recht nicht ankommen lassen. Am Fuße des Walles verabschiedeten sie sich von den begleitenden Walomba, die nur auf Grund eines königlichen Sonderbefehls zu dieser Zeit außerhalb der Stadt sein durften, dann stiegen sie unter Vermeidung unnötiger Geräusche den Wall hinauf. Oben empfing sie der eingeweihte Wächter und teilte ihnen mit, daß er jenseits des Vorgeländes nichts Verdächtiges bemerkt habe. Daraufhin stiegen sie nach außen ab, in das Vorgelände hinunter, hinter dem der endlose Wald auf sie wartete. Sie hatten kaum seinen Saum durchschritten, als es mit einem Schlag um sie herum lebendig wurde. Ur166
plötzlich, ohne die geringste warnende Ankündigung standen sie im grellen Licht zahlreicher Scheinwerfer, gänzlich unvermutet hörten sie die Bewegungen von Hunderten von Menschen ringsherum. Ein Überfall. Laut und klar drang mit dem ersten Lichtstrahl eine Stimme an ihr Ohr: »Nehmen Sie die Hände hoch! Bei der geringsten Gegenwehr wird geschossen. Sie können dem splitternden Tod nicht entkommen.« Die drei lagen schon längst auf dem Boden. Es war eine einfache Reflexbewegung gewesen, ebenso wie der grimmige Fluch, der Hal entschlüpfte. Sun Koh überlegte nicht lange. Ihre Lage war tatsächlich aussichtslos. Er kannte die Wirkung der furchtbaren Waffen, welche die Neger besaßen. Selbst wenn sie ein paar Meter danebenschossen, würden die vergifteten Splitterchen genügen, um sie auszulöschen. Der Kreis war geschlossen bis auf die Stelle, an der sie über das freie Gelände gekommen waren. Gerade dorthin aber konnten sie nicht zurück, denn dann wären sie erst recht Zielscheiben gewesen. »Wir ergeben uns«, flüsterte er seinen Leuten zu und erhob sich langsam. Laut rief er in den Lichtwall hinein: »Wir geben uns gefangen.« »Nehmt die Hände hoch!« forderte der Unsichtbare. »Das widerspricht leider unserer Erziehung«, er167
widerte Sun Koh. »Falls ihr jedoch Furcht vor unseren Waffen habt, werden wir sie ablegen.« Kurze Pause. »Schön, das genügt auch. Legt sie vor euch nieder.« Sie taten es. Daraufhin näherten sich die Lampen, bewegten sich auseinander, gruppierten sich neu und beleuchteten nun auch zwei Neger, die auf Sun Koh zuschritten. Der eine war der Bote, den Sun Koh in der Königsburg der Walomba kennengelernt hatte. »Ich freue mich«, sagte der Neger ruhig, »Sie unter den für mich günstigeren Umständen zum zweitenmal begrüßen zu können. Ich hoffe zugleich, daß Sie Ihre augenblickliche Lage vollkommen übersehen und uns wie sich keine unnötigen Schwierigkeiten bereiten werden.« Sun Koh antwortete in gleich höflichem Ton: »Ich bin von der Aussichtslosigkeit unserer Lage durchaus überzeugt und finde mich damit ab, den Kaiser von Afrika unter Umständen zu sprechen, die von ihm geschaffen wurden. Haben Sie die Absicht, uns fesseln zu lassen?« »Ich würde es nicht für angemessen halten. Versprechen Sie mir, freiwillig bis zur Hauptstadt mitzukommen, so will ich Ihnen alle Belästigungen ersparen.« »Ich verspreche es«, sagte Sun Koh. »Dann bitte ich Sie, mir zum Flugzeug zu folgen, 168
das einige Meilen zurückliegt. Wir wollen die Walomba nicht unnötig beunruhigen.« »Beantworten Sie nur noch eine Frage«, bat Sun Koh. »Woher wußten Sie, daß wir diese Stelle passieren würden?« Der Neger lächelte. »Das ist sehr einfach. Die Walomba haben die merkwürdige Sitte, daß sie sich über Nacht in ihre Stadt zurückziehen und damit die Ebene ihren Dienern und damit wieder unseren Leuten überlassen. Einer unserer Leute dort drin besitzt einen kleinen Sender. Es ist ihm sicher leichtgefallen, dicht an der Stadt schon Ihre Richtung festzustellen und uns Nachricht zu geben.« Das war eine einleuchtende Erklärung. »Trotzdem«, wandte Sun Koh ein, »wie konnten Sie Ihre Leute innerhalb der kurzen Zeit hierher zusammenziehen?« »Auch das ist kein Rätsel! Das ganze Gebiet ist bereits eingekreist. An dieser Stelle liegen aber schon seit dem frühen Nachmittag starke Abteilungen, weil der Wachtposten an dieser Stelle des Walles als einziger übermäßig starke Interessen für das Waldgebiet zeigte. Aber selbst wenn Sie wider Erwarten den Wald an einer anderen Stelle betreten hätten, wären genügend Leute zur Stelle gewesen, um Sie gefangenzunehmen.« 169
»Noch eine weitere Frage bitte – warum läßt uns John Ferblack nicht einfach töten?« »Weil er sich mit Ihnen zu unterhalten wünscht.« »Und warum wünscht er das?« Wieder lächelte der Neger. »Es muß für den kommenden Kaiser von Afrika sehr lehrreich sein, die Ansichten des zukünftigen Kaisers von Atlantis kennenzulernen.« Das war eine Antwort, die unerwartet und ganz überraschend zu neuen Perspektiven führte und eine Reihe von Vermutungen auftauchen ließ. Sun Koh ließ es jedoch dabei bewenden und sagte nur noch nachdenklich: »Ah – ich hatte nicht damit gerechnet, daß John Ferblacks Nachrichtendienst so vorzüglich arbeitet. Doch noch eine letzte Frage – wer sind Sie?« Der andere verneigte sich. »Johnny Leek hieß ich in Harlem, Doktor der Rechte und der Nationalökonomie – hier bin ich der Neger Jo ohne alle Titel.« 7. John Ferblack war einer der Millionen Neger, die in Amerika leben, einer aus der Million, die unter den Wolkenkratzern New Yorks, in Harlem, aufgewachsen sind. Besondere Fähigkeiten des Geistes und Charakters und einige Machtmittel brachten ihn zu 170
dem Entschluß, ein großes Negerreich in Afrika zu schaffen und sich selbst zum Kaiser zu machen. Sun Koh war mit seinen Leuten von ihm gefangen genommen worden. Und nun ließ ihn John Ferblack zu sich rufen. Die beiden Männer prüften sich sehr aufmerksam, als sie sich gegenüberstanden. Sie waren äußerlich wie innerlich außerordentlich verschieden und besaßen doch zumindest eine Gemeinsamkeit, die von dem ausgeprägten Kraftbewußtsein ihrer Seelen ausstrahlte. Auch John Ferblack war auf seine Art ein königlicher Typ. Er wies auf einen Stuhl und sagte in seiner ruhigen, etwas kehligen Tonart: »Nehmen Sie bitte Platz! Ich freue mich, Sie bei mir begrüßen zu können. Die Umstände tragen für Sie vielleicht einen nicht ganz erfreulichen Anstrich, aber ich hoffe, daß Sie sich darüber hinwegzusetzen vermögen. Seien Sie jedenfalls versichert, daß Sie in Ihren Worten keinerlei Beschränkung zu fürchten haben.« Sun Koh setzte sich. »Diese Versicherung bedeutet, daß der Verlauf unserer Unterredung vollkommen einflußlos auf die Frage unserer Freiheit oder Gefangenschaft bleiben wird?« Ferblack stutzte. »Sie prüfen meine Worte sehr genau, doch ich bat 171
Sie schon, einstweilen die äußeren Umstände zu vergessen. Ich darf Ihnen offen gestehen, daß ich mich im Augenblick noch nicht imstande sehe, eine Entscheidung über Sie zu treffen.« »Dann wünschen Sie zunächst über eine bestimmte Angelegenheit mit mir zu sprechen?« »Gewiß – nämlich über meine eigenen Pläne und Absichten.« »Erstaunlich.« Der Kaiser von Afrika nickte. »So scheint es. Vergessen Sie aber nicht, daß ich als Amerikaner aufgezogen wurde und trotz meiner Rasse kein wilder Negerhäuptling bin. Meine politischen Grundsätze stammen nicht aus meiner Rasse, sondern aus meinem amerikanischen Verstand. Diesem wäre es unvergleichlich wertvoll, seine Überlegungen und Schlüsse im Spiegel einer fremden Persönlichkeit überprüfen zu können.« »Der Spiegel soll ich sein?« »Ja.« »Sie haben Freunde und Ratgeber.« »Sie sind mehr oder weniger befangen und reichen vor allem in der Qualität nicht aus.« »Die Sie mir unterstellen?« Ferblack sah ihn nachdenklich an. »Ich sah Sie schon einmal, ohne daß Sie etwas davon wissen. Das war in New York. Dort hatte ein 172
gewisser Litton eine Erfindung gemacht, die ich für mein Leben gern besessen hätte.« »Der eisige Blitz?« fragte Sun Koh aufhorchend. »Ja, so wurde sie einmal genannt. Ich brauchte die Erfindung für meine Pläne, aber ich war damals noch nicht verzweifelt genug, sie einfach zu stehlen, wie ich es dann später in einem anderen Fall doch tat.« »Sie hätten die Erfindung Ziesches kaufen können.« »Nein. Erstens fehlte es mir an Geld – was ich besaß, brauchte ich für andere Zwecke –, und vor allem hätten die Deutschen mir nie die Erfindung verkauft, einesteils, weil sie meine Pläne ahnten, und andernteils, weil sie sich bereits bewußt wurden, daß es für die Menschen besser gewesen wäre, wenn sie ihre Erfindung nicht gemacht hätten. Sie würden sie vermutlich an überhaupt niemand verkauft haben. Doch wie gesagt, im Falle Litton kam mir ein anderer zuvor. Er verübte Verbrechen mit der Erfindung Littons. Sie stellten ihn und nahmen gleichzeitig Erfindung wie Erfinder unter Ihren Schutz. Damals also lernte ich Sie kennen. Sie interessierten mich, ganz abgesehen von der Erfindung, ungemein, und ich sammelte alles, was ich über Sie erfahren konnte. Leider entschwanden Sie selbst dabei meinem Gesichtskreis. Was ich über Sie erfuhr, genügt aber völlig, um Sie anders einzuschätzen als einen gewöhnli173
chen Menschen. Ich weiß, daß Sie der letzte Nachkomme jener sagenhaften atlantischen Könige sind und mit einem Wiedererscheinen des versunkenen Erdteils rechnen, ich weiß, daß Sie irgendwo auf der Halbinsel Yukatan eine Zentrale besitzen, in der kaum faßbare geniale Vorbereitungen getroffen werden…« Sun Koh unterbrach ihn: »Dann wissen Sie bereits mehr, als die Öffentlichkeit wissen sollte.« »Es ist mein Privatwissen«, erwiderte Ferblack ruhig, »und es hat mich sehr viel Mühe und Geld gekostet, es jetzt zu besitzen. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich eine Zeitlang mit dem Gedanken spielte, Sie auf Yukatan zu überfallen und mir Ihre Machtmittel anzueignen, aber ich sah rechtzeitig ein, daß sich ein Mann wie Sie auch hinreichend zu schützen weiß. Doch das alles ist augenblicklich nebensächlich. Entscheidend ist allein meine Überzeugung, daß Sie über geistige und seelische Fähigkeiten verfügen, die alles Existierende weit überragen. Das allein ist der Grund, warum ich die günstige Gelegenheit, mich mit Ihnen zu unterhalten, etwas gewaltsam herbeiführte, nachdem ich einmal erfuhr, daß Sie sich in der Nähe befanden.« Das war offen, klar und ehrlich gesprochen. Sun Koh fand, daß dieser Neger, der von Amerika gekommen war, um Kaiser von Afrika zu werden, in 174
seiner überlegten Art sympathisch wirkte. Etwas freundlicher meinte er deshalb: »Sehen Sie bitte von meiner Person ab und sagen Sie mir, was Sie mir zu sagen beabsichtigen.« John Ferblack beugte sich vor. »Sind Ihnen meine politischen Absichten bekannt?« »Soweit sie Hans Ziesche bekannt sind.« »Das genügt, wenn er in seinem Zorn auch manches einseitig geschildert haben mag. Sie wissen also, daß ich beabsichtige, alle Angehörigen meiner Rasse in Afrika zu einer politischen Einheit, zu einem großen Reich zusammenzuschließen?« »So hörte ich.« »Und Ihr Urteil darüber?« Sun Koh wehrte mit leichtem Kopf schütteln ab. »Jetzt sind Sie vorschnell, John Ferblack. Deuten Sie mir zunächst Ihre Beweggründe an.« »Machthunger«, gestand er offen, »Machthunger trieb mich ursprünglich zu meinem Plan, als ich Afrika noch kaum kannte. Je mehr ich aber in die hiesigen Verhältnisse eindrang, je enger mein Kontakt mit Afrika wurde, um so mehr wandelte sich das. Ich ging durch eine Reihe von starken Erschütterungen, und heute sehe ich als meine heilige Aufgabe und Verpflichtung an, was einst nur ehrsüchtiges Streben war.« 175
»Sie wuchsen in eine Gloriole hinein?« Ferblack zuckte zusammen. »Der Vorwurf ist hart, aber er trifft nicht zu. Ich lernte Afrika kennen und begriff daraus meine Aufgabe völlig neu. Erlauben Sie, daß ich Sie auf einiges hinweise. Im Kapland leben einige Millionen meiner Rassenbrüder als farbige Arbeiter. Sie hören Radio, lesen die Zeitungen, haben die gleichen Welterkenntnisse wie die Weißen, sie gehen ins Kino, kleiden sich und wohnen wie jene, sie arbeiten genausogut und geschickter als die Weißen auf allen Posten. Trotzdem gelten sie als Menschen zweiter Klasse, nicht nur in äußeren Dingen, zum Beispiel in der Entlohnung, sondern vor allem auch in seelischen Dingen, die das Ehrgefühl der Person und der Rasse kreuzen. Es gibt schon heute mehr Neger als Weiße im Kapland, und die Neger vermehren sich ungleich stärker. Meinen Sie nicht, daß es nicht ewig dauern kann, bis sich die Katastrophe ereignet?« »Ich bin durchaus Ihrer Meinung, daß hier alle Vorbedingungen einer Katastrophe gegeben sind.« In Ferblacks Gesicht zeigte sich flüchtige Befriedigung. »Noch etwas anderes als Beispiel. Im französischen und belgischen Hoheitsgebiet werden alljährlich Hunderttausende von Negern als Soldaten ausgebildet. Es gibt schon jetzt viele Millionen Neger, 176
die an Kriegstüchtigkeit und Erfahrenheit ihren weißen Kameraden um nichts nachstehen, die die Weißen und ihre Schwächen besser kennen, als diesen lieb sein kann. Auch sie sind jetzt noch Menschen zweiter Klasse, die Weißen sind ihre Herren. Wie lange aber wird es dauern, bis die schwarzen Truppen ihre weißen Hauptleute absetzen und sich selbst zu befehlen beginnen? Dann beginnen mit Aufruhr, Mord und Brand politisch unsichere und richtungslose Verhältnisse, die unzählige Opfer fordern würden. Wäre es nicht besser, dem zuvorzukommen und die schwarzen Soldaten einer höheren Macht unterzuordnen, der sie dienen können – nämlich ihrem Vaterland?« »Es wäre besser«, gab Sun Koh sinnend zu. Ferblack atmete stark. Seine Augen glänzten. »Sehen Sie, das waren nur einige Beispiele von allem, was bestimmend auf mich wirkte. Glauben Sie mir, es ist nicht mehr der Hunger nach Macht, der mich treibt, sondern eine starke Liebe zu meiner Rasse, zu meinem Volk und zugleich das Bewußtsein, daß mich das Schicksal zu einer Aufgabe berufen hat, der ich mich nicht mehr entziehen kann.« »Ich glaube es Ihnen«, sagte Sun Koh. »Und ich glaube auch, daß Sie Ihre Pläne durchführen können und werden, soweit das von den Qualitäten einer führenden Persönlichkeit abhängt. Sie sind seelisch und 177
geistig in außergewöhnlichem Maße befähigt.« Ferblacks Gesicht zeigte eine feine Spannung. »Dieses Urteil ist mir sehr wertvoll«, sagte er zögernd, »weil ich weiß, daß es keine Schmeichelei sein soll. Aber mir ist, als spüre ich dahinter Bedenken.« Sun Koh lächelte plötzlich. »Sie brauchen keinen Apparat, um Gedanken zu ahnen. Ich habe tatsächlich Bedenken.« »Sie bezweifeln die Durchführbarkeit gegen den Willen der Kolonialmächte?« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Nein, das überhaupt nicht. Die politische Einigung einer geschlossenen Rasse ist durch äußere Mittel überhaupt nicht zu verhindern, weil sie eine Angelegenheit der Willensbildung ist. Sie wird Ihnen früher oder später gelingen, ganz gleich, wie die Machtverhältnisse augenblicklich liegen – falls Sie eben den Willen zur Einigung in den Negern Afrikas erwecken können.« »Es ist bereits ziemlich weit entwickelt, und ich hoffte, ihm durch die offizielle Verkündung und Durchsetzung des Reiches einen entsprechenden Auftrieb geben zu können.« »Die Möglichkeit kann nicht bestritten werden. Mein Bedenken ging auch mehr in die Zukunft. Zunächst – wird sich Ihre Rasse als kulturfähig erwei178
sen?« John Ferblack schwieg eine Weile, bevor er überlegend sagte: »Ich weiß, daß Ihre Frage nicht die Oberfläche treffen will, und verzichte daher darauf, Sie auf die Neger in Amerika und so weiter hinzuweisen. Das Problem liegt tiefer, und meine Antwort darauf muß nicht heißen, daß ich es weiß, sondern daß ich es glaube. Ja, ich glaube an die Kulturfähigkeit der Negerrasse. Die weißen Völker stellen ihre Kultur als die Kultur an sich hin und messen die Kultur anderer Rassen an deren Fähigkeit, technische Erfindungen, die sie als Kulturfortschritt bezeichnen, zu machen. Das ist meiner Ansicht nach ein Irrtum. Gewiß, die Neger werden nicht technische Wunderdinge aus sich herauszaubern und können doch eine eigene Kultur entwickeln. Sie wird vermutlich gänzlich verschieden sein von der europäischen Kultur, aber deswegen nicht minder wertvoll. Vollendete Kultur ist ja letzen Endes weiter nichts als die vollkommene Ausprägung der in einer Rasse liegenden Eigenschaften. Die Chinesen haben es auch nur bis zu den Feuerwerkskörpern gebracht, und trotzdem wäre es abwegig, ihnen die Kultur abzustreiten, die Inkas kannten noch keine Straßenbahnen und waren ein Kulturvolk, die Japaner wußten 1850 noch nichts von der Dampfmaschine und besaßen hohe Kultur, und die Griechen zum Beispiel wagt ja auch der Eu179
ropäer nicht als kulturlos zu bezeichnen. Ja, ich zweifle nicht, daß die Kultur meiner Rasse anders sein wird, aber sie wird sein.« Sun Koh nickte. »Damit komme ich zum Kern. Sie wollen ein Reich gründen, das sich unter Umständen eine eigene Kulturform schaffen soll – Sie selbst aber sind ein Mischling.« John Ferblack prallte zurück und wurde bleich. Seine Stimme klang rauh, als er erwiderte: »Sie treffen meine wundeste Stelle. Ja, ich bin ein Mischling, nicht dem Blut nach, nicht der Rasse nach, aber weil meine Seele und mein Gehirn durchtränkt sind vom Denken und Fühlen der Weißen. Das macht es schwer, die Seele des freien Negers zu ahnen und die Anfänge echter Kultur zu spüren. Aber…« Er reckte sich, seine Stimme wurde wieder voll und klar. »Aber ich will das tragen, denn Kultur ist nichts, was in Monaten oder Jahren aufblüht. Nach mir wird einer kommen, der mit seinem ganzen Ich ein Neger ist, der das besitzt, was mir fehlt. Er wird vollenden. Mir genügt es, daß ich Wegbereiter bin.« Sun Koh sah ihn lange nachdenklich an. Endlich sagte er leise: »Wenn ein Mensch, der zur Macht berufen wurde, sich bereits soweit entwickelte, daß er die innere Demut vor sich selbst besitzt, so braucht er keinen Berater und keinen Spiegel mehr. Sie müssen 180
und Sie sollen Ihren Weg gehen, John Ferblack. Ich kann Ihnen nicht raten, ob Sie es tun sollen oder nicht. Sie stehen bereits unter dem Schicksal. Ich kann Ihnen nur Erfolg wünschen.« »Ich danke Ihnen«, antwortete Ferblack warm. »Nun kann ich Ihnen auch sagen, daß ich nie ernstlich daran dachte, Sie und Ihre Begleiter hier festzuhalten. Sie sind frei.« Sun Koh lächelte. »Ich zweifelte nicht daran, daß Sie klug genug seien, sich nicht mit mir zu belasten.« Sun Koh wurde wieder ernst. »Ganz abgesehen davon halte ich es überhaupt nicht für ratsam, Pläne und Absichten Ihres Formats unnötig zu belasten. Sie haben völlig nutzloserweise einen Menschen ermorden lassen, der nichts anderes getan hatte, als sein Eigentum von Ihnen zu fordern.« John Ferblack wurde sehr finster. »Ihr Vorwurf trifft mich zu Recht. Ich hätte ausdrücklich den Befehl geben müssen, daß der Mann nicht getötet werden soll. Ich verfolgte jedoch ihn schon viele Wochen lang, und meine Leute wußten alle, daß die beiden Deutschen am Leben zu bleiben hatten. Daher, weil es eine Selbstverständlichkeit geworden war, unterblieb eine nachdrückliche Mahnung an die Vertrauten auf Pirollos Gut. Sie bekamen nur den Befehl, dafür Sorge zu tragen, daß der 181
Verwundete nicht schwatzte. Sie deuteten ihn auf ihre eigene Weise.« »Und warum hielten Sie die junge Frau fest?« John Ferblack hob die Schultern. »Offen gestanden befinde ich mich in einem gewissen Dilemma. Meine Vorbereitungen sind noch nicht so weit gediehen, daß ich den Kampf mit den Kolonialmächten aufnehmen könnte. Deshalb halte ich es nicht für ratsam, die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Ich muß also die Leute, die zuviel über mich erfahren haben, einstweilen zum Schweigen veranlassen.« »Vorsichtig ausgedrückt«, entgegnete Sun Koh. »Ich halte das jedoch für unklug. Zunächst wäre es richtiger gewesen, der jungen Dame wieder von hier wegzuhelfen, ohne daß sie etwas Nennenswertes über Sie erfuhr. Darüber hinaus ist es immer gefährlich, auf diese Weise Schweigen erzwingen zu wollen. Solange Sie Ihr Hoheitsgebiet noch nicht öffentlich beansprucht haben, kann es niemand respektieren, und wenn Sie jemand festnehmen, so nennt man das einstweilen noch Freiheitsberaubung. Sobald Sie an die Öffentlichkeit getreten sind, können Sie alle Rechte eines geordneten Staatswesens für sich in Anspruch nehmen, selbst dann, wenn sie Ihnen von Gegnern bestritten werden. Dann können Sie auch jemand festsetzen. Vorher nicht. Es gibt gewisse Un182
klugheiten, die Sie als zukünftiger Staatsmann besser unterlassen, und gewisse ungeschriebene Gesetze, die Sie beachten sollten.« »Dann wird die Welt früher von mir erfahren, als gut ist.« »Es wird ohnehin nicht mehr lange dauern, bis Nachrichten über Sie durchsickern. Und das bedeutet ja auch noch nicht, daß man sich zum Handeln gegen Sie entschließt. Die Schaffung neuer Reiche findet heutzutage ihre Sympathien, und das Vakuum Afrika schreit geradezu danach. Sie werden Europa kaum mehr überraschen, denn schließlich ist es Europa, das in diesen letzten Jahrzehnten seinen afrikanischen Kolonien die Zügel locker gelassen hat. Europa wird nicht gegen Sie kämpfen, denn es hat bereits resigniert. Und es gibt eine Menge gescheiter Europäer, die den Afrikanern die gleichen Erfahrungen mit großen Reichen gönnen, die Europa hinter sich hat. Boshafte Leute, nicht wahr? Übrigens haben Sie ja im Fall von Miss Roth doch nichts erreicht, da sie befreit wurde.« Jetzt lächelte John Ferblack. »Oh, gerade von ihr ist vorläufig nichts zu befürchten. Sie befindet sich nämlich im Augenblick über dieser Stadt – in Ihrem Flugzeug.« »Wie ist das möglich?« »Sie kam von Mozambique zurück, um Sie hier zu 183
treffen, konnte Sie aber nicht finden. Wir unterhielten uns per Funk, konnten uns aber nicht einigen. So bleibt sie einstweilen unschlüssig in der Luft.« »Ich werde nachher mit ihr sprechen. Eigentlich sollte Ziesche zurückkommen und uns abholen.« »Er wurde in Mozambique im Kampf gegen unsere Leute verwundet.« Sun Koh zog die Brauen zusammen. »Wieder ein Mißverständnis?« »Diesmal nicht«, erwiderte John Ferblack etwas unsicher, »sondern eine bedauerliche Unbeherrschtheit meiner Beauftragten. Sie sollten die drei, die mit Ihrem Flugzeug in Mozambique landeten, abfangen. Ziesche handelte zu schnell und schoß beim ersten Anzeichen von Gefahr wie ein Wilder in meine Leute hinein. Darauf ging mit diesen die Kampfwut durch. Sie schossen zurück. Fünf von sechs starben. Andererseits wurde Ziesche und der Pilot der jungen Dame verletzt. Ziesche befindet sich übrigens auch hier.« »Hier?« »Ja. Ich ließ ihn per Flugzeug von Mozambique holen, weil ich immer noch hoffe, mit ihm einig werden zu können.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Wie nutzlos verschwenden Sie doch Ihre Kräfte, John Ferblack. Sie erkannten doch selbst schon, daß 184
Ziesche seine Erfindung überhaupt niemand aushändigen möchte. Er hat die Papiere, für die er jahrelang gearbeitet hat und monatelang sein Leben einsetzte, bereits vernichtet. Sie werden Ihre Pläne ohne diese mechanische Hypnose durchführen müssen. Sie besitzen einige Modelle. Vielleicht läßt er sie Ihnen, aber wenn er sie zurückfordert, würde ich sie an Ihrer Stelle ebenfalls aufgeben…« »Diese Erfindung sollte ein wichtiger Bestandteil meiner Macht sein.« »Das war von vornherein eine törichte und überflüssige Hoffnung, John Ferblack. Sie brauchen derartige Apparate nicht. Die Beeinflussung der menschlichen Gehirne und Seelen wird ihnen durch Zeitungen, Funk und Fernsehen viel besser gesichert.« »Glauben Sie wirklich?« »Das ist eine einfache Tatsache. Die Menschen denken und glauben das, was sie in den Zeitungen lesen oder am Radio hören oder im Fernsehen sehen. Das ist doch das Geheimnis aller Regierungen.« »Hm, natürlich«, gab John Ferblack zu. »Trotzdem hätte ich auch ganz gern die Erfindung Ziesches in der Hand. Es wäre eine zusätzliche Möglichkeit.« »Eine illegale Möglichkeit. Sie würde Ihnen große Schwierigkeiten einbringen, im Mindestfall diese, daß man Ihnen die Anerkennung verweigern würde. Sie müssen sich gewissermaßen an die internationale 185
Etikette halten. Und Sie brauchen so etwas nicht. Sie besitzen gewisse Gold- und Diamantenfelder und damit genügend Geld. Sie verfügen außerdem über eine furchtbare Waffe. Beides zusammen wird ausreichen, damit Sie sich durchsetzen können.« »Nach außen, ja, aber ich muß diese zahlreichen Querköpfe von Häuptlingen unter einen Hut bringen.« »Schenken Sie ihnen Radioapparate und bauen Sie einen Sender«, meinte Sun Koh. »Sie können doch nicht auf die Dauer den einheitlichen Willen Ihrer Bevölkerung durch Hypnose sichern. Impfen Sie den Leuten eine Überzeugung ein. So etwas ist dauerhafter als eine Hypnose.« John Ferblack überlegte sich das. Nach einer Weile sagte er: »Sie sind klüger als ich. Ich werde Ziesche die Freiheit zurückgeben und ihn entschädigen.« »Ein guter Staatsmann muß es auch verstehen, sich Freunde zu schaffen. Und was wollen Sie gegen die Walomba unternehmen?« »Das gleiche«, erwiderte John Ferblack bestimmt. »Ich werde mich hüten, mir im Herzen dieses Landes unversöhnliche Feinde zu schaffen. Die Walomba sind fähige Leute. Sie sind keine Neger und mir nicht gerade freundlich gesinnt, aber ich will versuchen, sie für mich zu gewinnen.« Bevor Sun Koh etwas sagen konnte, trat einer der 186
Leute Ferblacks ein. Er entschuldigte sich höflich und meldete dann: »Die Pilotin möchte Sie am Funk sprechen. Sie hat den jungen Weißen auf dem Dach seines Hauses gesehen.« »Dann muß sie aber sehr gute Augen haben«, wunderte sich John Ferblack. »Oder ist sie so tief heruntergekommen?« »Sie hat gewisse Einrichtungen des Flugzeugs benutzt«, warf Sun Koh ein. »Vielleicht ist es am besten, wenn ich mit ihr spreche und sie zur Landung veranlasse?« John Ferblack nickte. »Gut. Bitte folgen Sie mir in den Funkraum.« Sie verließen gemeinsam den Raum – der zukünftige Kaiser von Afrika und der zukünftige Herrscher von Atlantis. * Lobo und Caide, die beiden diamantengierigen Spanier, hockten auf dem Dach eines würfelförmigen Hauses unter dem Nachthimmel, der sich über der Stadt John Ferblacks wölbte. Die Mauern des Hauses waren zu einer Brüstung hochgezogen, die das flache Dach einfaßte, so daß niemand die beiden Männer sehen konnte. Und niemand konnte sie hören. Sie wohnten allein im Haus, und das nächste Haus be187
fand sich in zwanzig Meter Abstand. Trotzdem flüsterten sie, aber das lag eben weniger an den Notwendigkeiten als an ihren Charakterien. Caide war schlechter Laune und murrte: »Idioten! Verdammte Idioten waren wir!« Lobo, der seine eigenen Absichten hegte, legte Wert darauf, seinen Spießgesellen anzuwärmen und bekräftigte: »Wir sind Idioten.« Caide fand dieses Eingeständnis wohl überraschend, denn er sagte giftig: »Deine Schuld! Wären wir nur in Mozambique geblieben.« »Besser wäre es schon gewesen«, räumte Lobo gefügig ein! Pause. Nach einer Weile schüttelte Caide den Kopf. »Was haben wir nun von dem ganzen Abenteuer? Unsere Taschen sind noch leerer als vorher, und die Miß Roth sind wir auch los. Sie befindet sich mit ihren Freunden bei diesem Negerkaiser und lacht sich eins ins Fäustchen. Lange wird’s nicht mehr dauern, dann fliegen sie alle nach Hause. Wir aber bleiben hier sitzen und bezahlen den ganzen Krempel!« Lobo winkte lässig ab. »Bezahlen? Was heißt bezahlen? Sie werden uns aufhängen.« »Verdammt!« »Was sonst? Nicht soviel für unser Leben. Oder 188
denkst du etwa, sie brauchen uns als Minister für ihr Negerreich? Ausgerechnet uns?« »Du denkst wirklich, daß sie uns…« »Was sonst? Sie wissen bloß noch nicht, ob sie uns nicht noch zu etwas gebrauchen können. Vielleicht lassen sie uns erst noch Kastanien aus dem Feuer holen. Verschwinden lassen sie uns ohnehin, aber diese Burschen wollen uns auch noch nutzbringend umbringen. Das ist der Witz.« »Und das sagst du so ruhig?« zischte Caide aufgebracht. »Bin ich ein Schwein, das sich abschlachten läßt?« Lobo zuckte mit den Schultern. »Noch nicht einmal das. Ein Schwein quiekt wenigstens. Aber du bist ja so feige, daß du dich stumm erledigen läßt.« »Na, na, wenn du dich etwa mit mir auflegen willst…« »Feige!« wiederholte Lobo mit Nachdruck. »Das kann ich dir schriftlich geben. Und das ist auch unser ganzer Jammer. Wenn du nicht so feige wärst, brauchten wir uns auch nicht abschlachten zu lassen.« Caide packte ihn wütend bei der Brust. »Halt’s Maul, sonst zeige ich dir, wer von uns beiden feige ist. Erst hast du mich in den Dreck hineingeritten, und jetzt willst du mich auch noch be189
schimpfen. Das hat mir gerade noch gefehlt.« Caide war der Stärkere, so daß sich Lobo durchaus nicht wohlfühlte. Er mußte aber einiges riskieren und stichelte deshalb weiter. »Natürlich, dazu reicht es noch bei dir. Mich vom Dach zu werfen, nicht wahr? Gott, bist du ein Held! Dabei traust du dich nicht einmal, dein Leben zu riskieren, obgleich es da gar nichts mehr zu riskieren gibt. Du hast keine Chance mehr, aber du traust dich nicht zuzugreifen, wenn dir einer eine Chance bietet. Du könntest leicht nicht nur dein Leben retten, sondern auch noch Millionär werden, aber du hockst dich lieber hin und wartest auf den Genickschuß.« Caide ließ ihn wieder los. »Wovon redest du eigentlich? Wieso Millionär?« Lobo tat höchst gleichgültig. »Na, laß nur, dazu gehören andere Leute. Du hast ja noch nicht einmal begriffen, daß hier die Diamanten zu Hunderten direkt vor unserer Nase herumliegen. Wir brauchten bloß zuzugreifen und damit auszureißen – wenn wir wollten.« Caide beugte sich weiter vor und versuchte, im Gesicht seines Partners zu lesen. »Wollen? Wer redet denn von Wollen? Können – das ist es. Und wenn sie uns einen ganzen Berg Diamanten hinschütteten – können, mein Lieber.« »Können könnten wir schon. Natürlich müßten wir 190
vielleicht ein paar Leute aus dem Weg räumen. Aber lassen wir es. Das hat ja doch keinen Zweck. Warte nur ruhig auf deinen Genickschuß.« »Rede keinen Quatsch!« murrte Caide gereizt. »Ich habe immer meinen Mann gestanden, wenn es not tat. Was ist eigentlich los? Hast du irgend etwas ausgeheckt?« Lobo rückte dichter heran. Er merkte, daß sein Kumpan jetzt genügend vorbereitet war. »Du hast doch vorhin das große Flugzeug landen sehen. Weißt du, was es für eine Ladung gebracht hat? Diamanten, mein Lieber! Einige Zentner Diamanten! Weiter sage ich nichts. Rechne dir aus, was das für ein Vermögen ist. Zentnerweise Diamanten! Und wir brauchten bloß zuzugreifen.« »Zentnerweise Diamanten?« wiederholte Caide. »Ja, sagte ich doch!« »Allerhand! Aber kommt das Zeug nicht gleich in die Schatzkammer?« »Diese Ladung nicht. Sie soll morgen weiter zur Küste gebracht werden und ist deshalb gleich im Frachtraum geblieben.« »Sicher?« »Todsicher! Ich weiß, was ich gehört habe.« Caide pendelte mit dem Kopf hin und her. »Hm, das nützt auch nichts. Der Hangar wird natürlich bewacht.« 191
»Natürlich!« höhnte Lobo. »Ich weiß genauso gut wie du, daß Wachen vorhanden sind. Ein Dutzend Leute sogar. Aber wenn man eine dieser Teufelspistolen besitzt…« »Hast du etwa…« »Noch nicht, aber ich kann dir genau sagen, wie man an eine herankommt. Um den Hangar läuft nämlich nur ein einziger Wachtposten regelmäßig herum. Wenn du den ohne Lärm erledigen könntest…« »Hm, warum nicht? Aber was dann?« »Der Rest ist einfach. Wir nehmen ihm die Pistole ab. Das Wachkommando liegt in einem kleinen Raum an der Ostseite des Hangars. Es hat ein vergittertes Fenster, aber das Gitter ist weit genug, um den Arm durchzustrecken. Das werde ich erledigen. Ich umwickle mir den Arm, stoße mit der Pistole durch und schieße einfach hinein. Das Zeug splittert derartig von den Betonwänden zurück, daß sicher alle getroffen werden. Für alle Fälle soll es mir auf ein paar Schuß nicht ankommen.« »Man wird es hören.« »Eben nicht. Die Dinger sind fast geräuschlos. Ich glaube nicht, daß jemand etwas hören wird. Und wenn die Wache erledigt ist, können wir ungehindert in den Hangar eindringen.« »Aber dann wird man uns hören.« »Das Tor läuft auch ziemlich geräuschlos. Die 192
Maschine hören sie dann allerdings, aber das schadet nichts mehr. Wir müssen nur rechtzeitig in die Höhe kommen.« »Mit der großen Kiste? Ein Mann allein kann die überhaupt nicht bedienen.« »Ich weiß, ich weiß. Selbstverständlich laden wir die Steine auf eine kleine Maschine um und starten mit dieser.« »Man wird uns verfolgen.« »Verdammt noch mal!« fluchte Lobo unwillig. »Du hast mehr Bedenken als ein Eskimo Läuse. Selbstverständlich werden wir die anderen Flugzeuge vorher unbrauchbar machen. Ein paar Hammerschläge genügen.« Caide blieb trotzdem bei seinen Bedenken. »Gut und schön, aber die Maschine dieses Sun Koh steht ja gar nicht im Hangar, sondern dort drüben auf dem Dach.« »Na ja, das ist ein kitzliger Punkt«, gab Lobo zu. »Das müssen wir eben in Kauf nehmen. Ich glaube aber nicht, daß die Bordkanonen oder so etwas bei sich haben, und dann ist überhaupt nichts zu befürchten. Wenn es den Leuten Spaß macht, können sie getrost neben uns herfliegen. Ein Angriff ist so gut wie ausgeschlossen.« »Hm, und wenn sie bis zur Küste mitfliegen?« Lobo lachte kurz auf. 193
»Auch den Spaß können sie haben. Denkst du etwa, daß die den Mund aufmachen werden? Die sind froh, wenn wir ihn halten.« »Und wenn…« Lobo erhob sich. »Also Schluß! Entweder machst du mit, oder wir lassen die Finger davon und warten, bis sie uns in die Hölle schicken.« Caide zog ein gekränktes Gesicht. »Reg dich nur nicht gleich auf! Selbstverständlich mache ich mit.« »Na, endlich!« Eine halbe Stunde später schlichen die beiden auf den Flugzeugschuppen zu. Sie verstanden das nicht schlecht, weil Schleichen so gut in ihrer Natur lag wie das Flüstern, obwohl sie sonst wenig Übung im Freien genossen hatten. Ihre Körper hoben sich in der Dunkelheit kaum ab. Es kam ihnen zustatten, daß sie noch ihre Kleidung aus Mozambique trugen. Die weißen Hemden hatten sie sorgfältig untergeschlagen. Der Wachtposten machte gleichmäßig und etwas lässig seine Runde. Besondere Aufmerksamkeit hatte er nicht nötig. Es gab in der Stadt niemanden, der nicht mit unbedingter Ergebenheit an John Ferblack gehangen hätte – außer den Fremden natürlich. Und von denen befürchtete der Wachtposten am allerwe194
nigsten etwas. Caide duckte sich an eine Ecke, ließ den Neger einen Schritt vorbei und schlug ihm dann einen kantigen Stein mit voller Wucht gegen den Schädel. Der Posten seufzte schwer auf und sank um. Vorsichtshalber schlug der Spanier ein zweitesmal zu. Lobo war schon ein Stück voraus. Kurz darauf standen beide an dem Fenster, hinter dem sich der Wachraum befand. Tiefe Atemzüge verrieten, daß die Männer darin schliefen. Zwei saßen allerdings beim Schein einer Kerze wach und unterhielten sich flüsternd. Der schlaue Lobo hatte damit gerechnet und sich deswegen beeilt. Wenn die beiden erst einmal den regelmäßig auftauchenden Schritt des Postens vermißten, war die Schweinerei fertig. Einen Augenblick horchte er noch, ob sich im Schuppen selbst etwas regte. Befriedigt stellte er fest, daß es nicht der Fall war, daß sich die Wachen also alle in dem kleinen Raum aufhielten. Das konnte natürlich sehr wichtig werden, denn wenn einer der Neger zufällig woanders steckte, hörte er die Schüsse und schlug Alarm. Lobo zog seine Jacke aus und umwickelte den Arm damit. Er achtete sorgfältig darauf, daß die Hand möglichst doppelt und dreifach geschützt war, weil er keine Lust hatte, sich giftigen Splittern aus195
zusetzen. Die seitliche Hahnkonstruktion erleichterte das ungemein. Abgesehen davon hatte er seinen Plan etwas geändert. Er holte tief Atem, brachte den umwickelten Arm hoch und stieß mit dem Pistolenlauf hart durch die Scheibe hindurch, so daß das Glas klirrend sprang. Im gleichen Augenblick feuerte er und riß auch schon den Arm zurück. Eine Sekunde später knallte er den zweiten Schuß hinein, dann den dritten. Jetzt mußte sich alles entscheiden. Wie zwei Schatten hockten die beiden unter dem Fenster. Drinnen blieb alles still, wie man es erwartet hatte. Lobo hatte die gegenüberliegende Eisentür zum Ziel genommen, und von dort mußten die Tausende von giftigen Stahlsplittern durch den ganzen Raum gezischt sein. Aber die Stadt? Waren die Schüsse gehört worden? Die beiden Spanier waren bereit, beim ersten Anzeichen von Alarm vorsichtig zurückzuschleichen und sich harmlos zu stellen. Minuten vergingen, lange Minuten, in denen der kalte Schweiß die Haut frösteln ließ. Keine Unruhe. Lobo stieß seinen Kameraden an. »Vorwärts, alles in Ordnung!« 196
Das Mittelstück ihres Unternehmens bereitete, wie vorgesehen, keine Schwierigkeiten. Sie schritten ohne große Vorsichtsmaßregeln auf die kleine Tür innerhalb des großen Tores zu, fanden sie offen und traten ein. Das Tor des Hangars gehörte übrigens zu den modernsten Einrichtungen der Stadt. Es entsprach den modernsten Anforderungen, war aus sehr dünnen, aber sehr widerstandsfähigen Leichtmetallplatten hergestellt und öffnete sich mit Hilfe elektrischer Kraft durch einen einfachen Druck auf den Kontaktknopf. Es hatte Ferblacks Leute viel Mühe gekostet, dieses Tor einwandfrei zu montieren, obgleich sich die geschicktesten Techniker unter ihnen befanden. Nach mancherlei durch die Unzulänglichkeit der Hilfsmittel verursachten Schwierigkeiten war es gelungen, und die Männer, die an ihm gearbeitet hatten, waren mit Recht stolz darauf. Im Schuppen stand das Riesenflugzeug, rechts und links von ihm vier kleinere Maschinen, unter denen sich die von Evelyn Roth befand. Die beiden Spanier hätten nicht Lobo und Caide heißen dürfen, wenn sie sich nicht zunächst um die Diamanten gekümmert hätten. Sie enterten die große Maschine. Da sämtliche Türen verschlossen waren, schlugen sie eine Scheibe ein und kletterten hinein. Sie standen bereits in einer der Kabinen, als Lobo einfiel, daß er im Begriff war, einen unverzeihlichen 197
Fehler zu begehen. »Mensch«, sagte er hastig, »wir können doch nicht alle beide hier herumsuchen. Einer muß die Wache übernehmen, damit wir nicht etwa überrascht werden. Mach du dich hier an die Arbeit, ich werde draußen Aufstellung nehmen. Nachher wechseln wir ab, wenn ich die Maschine nachsehen muß.« Caide behagte das ihm zugewiesene Teil nicht schlecht, aber er murrte trotzdem: »Hm, hast du nicht eine Ahnung, wo das Zeug ungefähr zu finden ist? Hier kann man sich verlaufen.« »Der kleine Frachtraum wird hinter den letzten Kabinen sein«, vermutete Lobo. »Du mußt eben suchen. Sprenge rücäsichtslos auf, was verschlossen ist. Panzerplatten werden wir hier kaum haben. Und beeile dich!« Damit kletterte er wieder herunter und bezog seinen Posten. Er öffnete die kleine Tür ein Stück und stellte sich in den Spalt, um hinauszublicken und zu horchen. Mit einem Ohr verfolgte er freilich die Fortschritte seines Spießgesellen. Er glühte vor Wut, als dieser endlich mit einem Säckchen unter dem Arm auftauchte und zu ihm hinkam. »Der Teufel soll dich holen«, zischte er ihm entgegen. »Du hast wohl mittlerweile ein Schläfchen gehalten.« 198
Caide wurde im Bewußtsein seines Erfolges grob. »Halt’s Maul, du hättest die Dinger auch nicht schneller gefunden. Sie steckten gerade vorn und nicht hinten. Mach mal lieber Licht, wir wollen sehen, ob sich die Geschichte auch gelohnt hat.« Lobo drückte die Tür hinter sich zu, während Caide den Beutel aufschnürte. Dann stach das Licht der Scheinwerferlampe, die Caide seinem Kameraden in die Hand gedrückt hatte, in den Sack hinein, brach tausendfältig und blendete die Augen. »Das – lohnt sich«, flüsterte Lobo heiser. »Ist das alles?« »Ein Dutzend von der Sorte.« »Hol sie alle raus, aber schnell! Ich werde sie dir abnehmen.« Eine Weile später nahm er den nächsten Sack ab, den Caide ihm zulangte. Während er hinunterkletterte und ihn unten absetzte, holte jener den nächsten heran. Er langte gerade nach dem fünften Sack, als sich die Pforte leicht in den Angeln rieb. Sie wurde geöffnet. Irgend jemand, dessen Schritte die beiden überhört hatten, wurde für den Bruchteil einer Sekunde als Schatten sichtbar, dann flammte vor der Tür eine Lampe auf, gleichzeitig wurde ein Ruf ausgestoßen. Aber nicht beendet. 199
Lobo erstarrte im ersten Schrecken, doch dann riß er blitzschnell die Pistole heraus und feuerte auf die Tür. Ein Aufschrei quittierte den Treffer. Die Lampe klirrte zu Boden, blieb aber brennen und warf einen weißen Lichtstreifen in das Innere des Hangars. Die Spannung der beiden Spanier löste sich in leisen Flüchen. Lobo sprang hinunter, leuchtete mit der Lampe einen ausgestreckten Körper und ein verzerrtes Negergesicht an, dann schob er den Toten beiseite und schloß die Tür. Mit größter Wahrscheinlichkeit handelte es sich um einen Vorgesetzten der Wache, der seine Runde abgegangen war, Verdächtiges bemerkt und beabsichtigt hatte, nach dem Rechten zu sehen. Da dieser Mann in verhältnismäßig kurzer Zeit irgendwo wieder erwartet werden mußte, galt es, sich zu beeilen. Lobo verständigte seinen Kumpan von der Sachlage und befahl ihm, die Säcke allein herauszuschaffen. Er selbst kümmerte sich nun um das Flugzeug. Das Glück ist den Ungerechten genauso hold wie den Gerechten. Die Tanks der Maschine, welche die beiden Spanier benutzen wollten, waren gefüllt, die Motoren anscheinend in Ordnung. Besser wäre ein Probelauf gewesen, aber damit wollte Lobo bis zuletzt warten. Als Caide sein Werk beendet hatte, zogen sie ge200
meinsam das Flugzeug an das Tor heran. Das bereitete ziemliche Umstände und gelang auch nicht vollständig, da das große Flugzeug einfach nicht von der Stelle zu bringen war. Immerhin konnten sie ihre Maschine so bugsieren, daß sie bei der Ausfahrt keinen Zusammenstoß zu befürchten hatten. Jetzt wurden die Säcke eingeladen, dann suchte Lobo den Kontaktknopf für das Tor, während sich Caide mit einem Hammer an den Motoren der anderen Maschinen zu schaffen machte. Bevor er jedoch den letzten beschädigte, ließ Lobo seine Motoren anlaufen. Sie kamen störungslos, also konnte Caide seine vernichtenden Schläge zu Ende führen. Inzwischen glitt auch schon das Tor beiseite, die Motoren kamen immer mehr auf Touren, Caide sprang hinauf. Drüben an den Häusern zeigten sich unruhige Lichter. Die beiden Spanier bissen die Zähne zusammen, daß ihre Gesichter wie verzerrte Masken wirkten. Minuten. Dieser verfluchte Motor brauchte Anlaufzeit. Jetzt. Lobo gab ihn frei – das Flugzeug rollte leicht taumelnd aus der Halle heraus, zehn, zwanzig Meter vor. Der Wind drückte seitlich. Lobo war ein ausgezeichneter Pilot, das mußte 201
man ihm lassen. Er brachte es fertig, die Maschine dicht am Kippen vorbei gegen den Wind zu richten. Menschen hasteten über das Feld. Ein Ruck. Das Flugzeug hob sich ab, gewann jäh an Höhe, sackte etwas zurück und ging dann jagend schräg aufwärts. Wirkungslos knallten die Schüsse hinter ihm drein. Sun Koh schreckte wie die anderen bei dem allgemeinen Alarm hoch. Er warf seine Sachen über und eilte hinunter auf die Straße, auf der bereits Neger hasteten. Plötzlich sah Sun Koh das Flugzeug hoch über sich wegschießen. Gleichzeitig verrieten ihm die Zurufe der Neger, daß darin das Ungewöhnliche lag. Niemand der Laufenden wußte etwas Genaues, aber alle schienen zu wissen, daß um diese Zeit kein Flugzeug abfliegen durfte. Einige spielten sogar auf einen üblen Zusammenhang mit den anwesenden Weißen an. Sun Koh kehrte um und fing seine beiden Leute ab, die eben aus dem Haus stürzten. »Zurück!« befahl er ihnen. »Es ist nicht ratsam, sich unter die verwirrten Leute zu mischen.« »Was ist denn los!« »Ein Flugzeug hat programmwidrig den Hangar ver202
lassen. Wir werden vom Fernseher aus beobachten.« Sie eilten die Treppe hinauf auf das Dach, auf dem Sun Kohs Maschine stand. Kurz darauf saß Sun Koh vor der Sehscheibe und visierte den fliegenden Schatten an, der über die nachtdunkle Ebene flog. Jetzt hatte er ihn und vergrößerte. Überrascht betrachtete er die beiden Gesichter, die vom Schein der Armaturenlampen aufgehellt wurden. »Die beiden Spanier.« »Ausgerissen?« »Sicher.« Hal schüttelte den Kopf. »Soviel Tüchtigkeit hätte ich den beiden gar nicht zugetraut. Sie hatten ja noch nicht einmal Waffen.« »Sie sollten wenigstens keine haben«, sagte Sun Koh nachdenklich. »Ich glaube nur nicht, daß die beiden nur durch List zu dem Flugzeug gekommen sind. Der Hangar wird bewacht.« »Werden wir sie verfolgen?« »Nein. Das ist eine Angelegenheit, die uns zunächst nicht berührt. Die beiden sind Ferblacks Gefangene. Er mag sehen, wie er mit ihnen fertig wird. Er besitzt genug Flugzeuge und Leute. Es schadet aber nichts, wenn wir die Maschine beobachten, bis wir Genaues erfahren.« Wider alle Erwartung stiegen keine Maschinen zur Verfolgung auf. Die Stadt blieb jedoch ein unruhiger 203
Ameisenhaufen. Die Unruhe wurde sogar immer stärker. Nach einer halben Stunde näherte sich ein größerer Trupp Menschen dem Haus. Sun Koh übergab Nimba den Sehschirm. Er rechnete fast damit, daß sich die Erregung der Stadt auch gegen die anderen Weißen in der Stadt richten würde. Es war John Ferblack selbst, der zu ihm kam. Er ließ seine Lampe unten und kam allein auf das Dach herauf. Sein Gesicht war sehr ernst. »Wenn nicht eine dringende Notwendigkeit bestände, würde ich Sie nicht mitten in der Nacht stören«, entschuldigte er sich. »Die beiden Spanier sind mit einem Flugzeug geflüchtet. Ich möchte Sie bitten, mir Ihre Maschine zur Verfolgung zur Verfügung zu stellen. Alle unsere Flugzeuge wurden von den beiden beschädigt, und zwar so, daß die Reparaturen Stunden oder gar Tage dauert.« »Die beiden haben sich gut gesichert«, sagte Sun Koh überrascht. »Schlecht für Sie. Ich verstehe Ihre Notlage, muß Ihnen aber Ihre Bitte abschlagen.« »Warum?« »Ihre Piloten kennen meine Maschine nicht.« »Und wenn ich Sie bitte, selbst die Verfolgung aufzunehmen?« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Ich bedaure, aber auch das muß ich ablehnen. Die 204
beiden Männer sind Halunken, aber es ist ihr Recht, alles zu tun, um sich aus der Gefangenschaft zu befreien. Wenn die beiden Ihre Leute überlisteten und es fertigbrachten, die Maschine aus dem bewachten Hangar herauszuholen, so nötigt mir das eher einige Anerkennung ab.« Das Gesicht John Ferblacks wurde noch düsterer. »Für ein sportliches Verfahren hätte ich auch Verständnis, aber das war kein Sport mehr. Sie unterstellen, daß die beiden durch Schlauheit und Geschicklichkeit zu dem Flugzeug gekommen sind. Nun, ihr Mittel war brutaler Mord, weiter nichts. Im Wachgebäude am Hangar liegt ein Dutzend von meinen Leuten. Sie wurden im Schlaf erschossen.« »Im Schlaf?« »Ja, im Schlaf«, bestätigte John Ferblack bitter. »Sie liegen noch jetzt so da, wie sie der Tod überraschte. Sie können sich jederzeit überzeugen. Die beiden haben durch das Fenster blindlings hineingeschossen – mit unseren Waffen. Den Außenposten und den Kontrollgänger haben sie auch erschlagen. Und sie sind nicht nur geflüchtet, sondern haben auch den ganzen Transport Diamanten mitgenommen. Das alles war kein fairer Kampf um die Freiheit, sondern gemeiner und brutaler Raubmord!« Sun Koh streckte sich. 205
»Das ändert die Sachlage.« Ferblacks Gesicht entspannte sich. »Danke«, sagte er leise, dann wandte sich Sun Koh bereits zum Flugzeug. * Als die Sonne aufging, bekamen die Spanier ihren Verfolger in Sicht. Sie erhöhten zunächst ihre Geschwindigkeit, aber sie sahen bald ein, daß ihnen das nichts nützte. Die verfolgende Maschine holte auf. Lobo konnte sich für einen guten Piloten halten, aber gegen Sun Koh war er ein Stümper. Dazu kam der Unterschied zwischen den Maschinen. Die Spanier flogen zwar ein schnelles, sportliches Flugzeug, aber gegenüber der Maschine Sun Kohs war es eine reichlich überständige Kiste. Der Zweikampf, der jetzt in der Höhe begann, war im Grunde bereits entschieden. Sun Koh zog ein Stück über die andere Maschine hinauf, kam von hinten heran und ließ sich fallen. Drei Meter, dann nur noch zwei Meter über Lobos Flugzeug ging er auf gleichen Kurs und gleiche Geschwindigkeit. Die beiden Spanier duckten sich unwillkürlich. Die fremde Maschine so dicht über ihnen sah gefährlich aus. Und es ließ sich nicht erraten, was der Geg206
ner vorhatte. Sicher war nur, daß eine Kleinigkeit genügte, um die noch trennenden Meter zu beseitigen. Dann saß ihnen das fremde Flugzeug direkt im Nacken und warf sie in die Tiefe. Sie duckten nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Maschine. Lobo gab Tiefensteuer, um von seinem Gegner loszukommen. Das Flugzeug fiel. Sun Koh ließ seine Maschine hinterherfallen. Das Manöver hatte nichts genutzt. Lobo begriff, was gespielt wurde. Der Gegner wollte ihn in den Wald hinunterdrücken oder zur Landung zwingen. Er würde sich aber doch wohl hüten, sich selbst dabei zu riskieren. Er drohte, und dabei würde es wohl auch bleiben. Nur nicht bluffen lassen. Die Sache lief darauf hinaus, wer die besseren Nerven behielt. Sun Koh ließ es nicht dabei bewenden. Der Rumpf seines Flugzeugs besaß einen kräftigen Kiel, in dem während des Flugs die Laufräder eingeschwenkt lagen. Der Kiel hielt einen Stoß aus, und mit den Rädern ließ sich einiges anfangen. Nimba trennte die Räder von den hydraulischen Kammern. »Fertig, Sir.« »Die werden sich schön über die Ohrfeigen vom Himmel wundern«, murmelte Hal. »Los!« 207
Die Klappen am Rumpfkiel öffneten sich seitwärts, und die Räder kippten an ihren Gestellen schlagartig nach unten, so daß sie kräftig auf die tieferliegende Maschine aufschlugen. Lobo wußte nicht, was ihm geschah, als das Flugzeug plötzlich wie durch einen Fausthieb in die Tiefe geworfen wurde. Er hatte seine Not, es hundert Meter tiefer wieder abzufangen, und er begriff erst, als er nach oben blickte. »Sie werfen uns hinunter«, jammerte Caide. »Wären wir nur nicht…« »Halt’s Maul!« fauchte Lobo ihn heftig an. »Die kriegen wir schon.« Er riß seine Maschine jäh nach oben. Der Gegner befand sich schon wieder dicht über ihm, und wenn es gelang, ihn mit dem Propeller zu erwischen, hatte er keine Zeit und auch keine Lust mehr, andere Leute zu verfolgen. Der Propeller konnte freilich dabei zum Teufel gehen. Sun Koh war auf der Hut. Er hatte mit einem ähnlichen Verzweiflungsakt gerechnet. Sein Flugzeug glitt rechtzeitig weg und löste sich, um im Bogen auszuholen und wieder heranzukommen. Lobo versuchte es mit einer neuen Taktik. Er wich seitlich aus und versuchte, über den Gegner zu kommen, um ebenfalls mit dem Fahrgestell rammen zu können. 208
Sun Koh tat ihm den Gefallen. Als er Lobo jedoch über sich sah, hielt er scharf zurück, so daß der Spanier nach vorn schoß. Dann stieß er schräg nach oben. Er traf Lobos Maschine genau im Leitwerk. Sie kippte mit der Nase nach vorn und stieß auf den Wald hinunter. Lobo fing sie fluchend in zweihundert Meter Höhe ab. Doch Minuten später befand sich die Maschine Sun Kohs bereits wieder über ihm. Abermals Minuten später ging das aufregende Spiel jäh zu Ende. Das Seitensteuer an Lobos Maschine versagte, nachdem es durch den Stoß beschädigt worden war. Die Verwindung allein zog nicht. Lobo hatte das Flugzeug nicht mehr in der Hand. Es kurvte gegen seinen Willen und neigte sich gegen die Erde. Er entdeckte gerade noch rechtzeitig offenes Land jenseits des Waldes, brachte die Maschine zum Bocken und hob sie damit gerade noch genügend, so daß er sie bis an die Grassteppe heranbrachte. Das Glück war bei ihm. Es gelang ihm, das Flugzeug ohne Bruch aufzusetzen und ausrollen zu lassen. Danach verloren sie keine Zeit. Als das Flugzeug zum Stand gekommen war, sprangen die beiden Spanier eilends heraus, um Deckung im Wald zu finden. Am Waldrand tauchten schwarze Gestalten auf. Lobo schoß. Sekunden später stürzte er ebenso wie Caide und 209
blieb liegen. Als Sun Koh landete, waren die beiden Männer schon tot. Um sie herum standen Neger, die alle mit den gefährlichen Pistolen bewaffnet waren. Sie bemühten sich merklich, freundlich zu sein. Einer von ihnen erklärte in wohlgesetzten Worten, daß sie über die Vorgänge der Nacht unterrichtet worden waren – selbstverständlich durch Funk, nicht etwa durch Trommeln. Sun Koh gab den Männern Anweisung, die Toten zu begraben. Dann reparierte er mit seinen beiden Begleitern das Seitensteuer, so daß es wieder dem Bowdenzug gehorchte. Nimba übernahm die Maschine. Dann flogen sie alle zurück. John Ferblack drückte Sun Koh dankbar die Hand. »Sie haben einige Verbrecher bestraft und mir gleichzeitig die Diamanten gerettet. Wenn ich Ihnen irgendeinen Gefallen tun kann…« Sun Koh wehrte freundlich mit der Hand ab. »Reden wir nicht darüber. Was ist mit Ziesche und Miß Roth?« »Sie werden heimreisen – in die Heimat von Miß Roth. Mit Ziesche habe ich mich ausgesprochen und versöhnt.« »Hat er mit Ihren Augen sehen gelernt?« »Nun, das vielleicht nicht«, sagte John Ferblack, »aber er hat gute Gründe, friedlicher Stimmung zu 210
sein. Miß Roth will ja sogar alles Abenteuern aufgeben und häuslich werden. Und ich glaube, das ist auch gut für mich. Sie wird Besseres zu tun haben, als über mich zu reden.« Sun Koh lächelte. »Man wird trotzdem bald von Ihnen sprechen.« »Sicher, aber noch ist jeder Tag für mich Gewinn und wird mir die kommende Auseinandersetzung erleichtern.« »Ich wünsche Ihnen alles Gute.« Die beiden Männer, die einst die Geschicke von Erdteilen bestimmen sollten, schüttelten sich die Hände. ENDE Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.
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Als SUN-KOH-Taschenbuch Band 30 erscheint:
Die steinerne Ellipse von Freder van Holk Der Aufenthalt in London beginnt für Sun Koh alles andere als erfreulich. Die gewaltigen Marmorvorkommen in Grönland, für die er sich interessiert, sind von einem Mörder im Zuchthaus einem Zellengenossen namens Sven Horre geschenkt worden. Wie sehr er bereits mit dieser Geschichte verwickelt ist, ahnt Sun Koh nicht, als das zweite Ereignis eintritt: Ein Mann taumelt in sein Appartement und flüstert etwas von Zimbabwe, bevor er stirbt. Drei Männer wollen die Leiche abholen. Sie haben den Auftrag von einem Unbekannten, der sich als Sun Koh ausgegeben hat. Als Sun Koh den Toten noch einmal untersuchen will, kriecht ihm eisige Kälte über den Rücken, denn er blickt in das Gesicht einer Wachspuppe. Je tiefer Sun Koh in den Fall eindringt, desto öfter hört er den Namen Sven Horre, und er ahnt nicht, daß er in höchster Lebensgefahr schwebt… Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vierwöchentlich und sind überall im Zeitschriftenund Bahnhofsbuchhandel erhältlich.